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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 ***
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+ ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER
+ ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN.
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+ ERSTE BIS VIERTE AUFLAGE.
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+ 100 EXEMPL. SIND AUF HANDGESCHÖPFTEM
+ BÜTTENPAPIER ABGEZOGEN, NUMERIERT UND
+ IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN; PREIS 15 M.
+ FÜR DAS EXEMPLAR.
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+ [Illustration: Wagenlenker aus Delphi (Nach einem Gipsabguss des
+ Bronce-Originals)]
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+ GERHART HAUPTMANN
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+ GRIECHISCHER
+ FRÜHLING
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+ 1908
+ S. FISCHER / VERLAG / BERLIN
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+ HARRY GRAFEN KESSLER GEWIDMET
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+Ich befinde mich auf einem Lloyddampfer im Hafen von Triest. Zur Not
+haben wir in Kabinen zweiter Klasse noch Platz gefunden. Es ist ziemlich
+ungemütlich. Allmählich läßt jedoch das Laufen, Schreien und Rennen der
+Gepäckträger nach und das Arbeiten der Krane. Man beginnt, sich zu Hause
+zu fühlen, fängt an sich einzurichten, seine Behaglichkeit zu suchen.
+
+Eine Spießbürgerfamilie hat auf den üblichen Klappstühlen Platz
+genommen. Mehrmals ertönt aus ihrer Mitte das Wort »Phäakenland«.
+Erfüllt von einer großen Erwartung, wie ich bin, erzeugt mir Klang und
+Ausdruck des Wortes in diesem Kreise eine starke Ernüchterung. Wir
+schreiben den 26. März. Das Wetter ist gut: warme Luft, leichtes Gewölk
+am Himmel.
+
+Ich nahm heute morgen im Hotel hinter einer sehr großen Fensterscheibe
+mein Frühstück ein, als, mit einem grünen Zweiglein im Schnabel, draußen
+eine Taube aus dem Mastenwalde des Hafens heran und nach oben, von links
+nach rechts, vorbeiflog. Dieses guten Vorzeichens mich erinnernd, fühle
+ich Zuversicht.
+
+Wir entfernen uns nach einem seltsamen Manöver der »Salzburg« von
+Triest. Die Gegenden sind ausgebrannt. Alle Färbungen der Asche treten
+hervor. Der Karst erscheint wie mit leichtem Schnee bedeckt. Viele gelbe
+und orangefarbene Segel ziehen über das Meeresblau. Die Maler sind
+entzückt und beschließen, zu längerem Aufenthalt gelegentlich
+zurückzukehren.
+
+
+Es ist jetzt fünf Uhr. Seit etwa zwei Stunden sind wir unterwegs.
+Beinweiß zieht die nahe Strandlinie an uns vorüber. Wir haben zur linken
+das flache dalmatinische Land, ausgetrocknet, weit gedehnt, in
+braunrötlichen Färbungen. Beinweiß, wie von ausgebleichten Knochen
+errichtet, zeigen sich hie und da Städte und Ortschaften, zuweilen
+bedecken sie sanftgewölbte, braungrüne Hügel oder liegen auf dem
+braungrünen Teppich der Ebene. Mit scharfem Auge erkennt man fern weiße
+Spitzen des Velebitgebirges.
+
+Allmählich werden diese Bergspitzen höher und der ganze Bergzug tritt
+deutlich hervor. Er ist schneebedeckt. Den Blick hinter mich wendend,
+bemerke ich: die Sonne steht noch kaum über dem Wasserspiegel, ist im
+Untergang. Der Mitreisenden bemächtigt sich jene Erregung, in die sie
+immer geraten, wenn die Stunde herannaht, wo sie die Natur zu bewundern
+verpflichtet sind. Bemühen wir uns, wahrhaftig zu sein! Der großartige,
+kosmische Vorgang hat wohl die Seelen der Menschen von je mit Schauern
+erfüllt, lange bevor das malerische Naturgenießen zur Mode geworden ist,
+und ich nehme an, daß selbst der naturfremde Durchschnittsmensch unserer
+Zeit, und besonders auf See, noch immer im Anblick des Sonnenunterganges
+auf ehrliche Weise wortlos ergriffen ist. Freilich hat sein Gefühl an
+ursprünglicher, abergläubischer Kraft bis auf schwächliche Reste
+eingebüßt.
+
+
+Nach durchaus ruhiger Nacht setzt heut gegen fünf Uhr Vormittag Wind aus
+nordöstlicher Richtung ein. Ich merke, noch in der Kabine, bereits das
+leichte Stampfen und Rollen des Schiffes. Als erster von allen
+Passagieren bin ich an Deck. Ein grauer Dunst überzieht den
+Morgenhimmel. Das Meer ist nicht mehr lautlos: es rauscht. Schon
+überschlagen sich einzelne Wogen und bilden Kämme von weißem Gischt. Im
+Südosten beobachte ich eine düstere Wolkenbank und Wetterleuchten.
+
+Die »Salzburg« ist ein kleines, nicht gerade sehr komfortables Schiff.
+Die Matrosen sind eben dabei, das Deck zu reinigen. Sie spritzen aus
+einer »Schlauchspritze« Wassermassen darüber hin, so daß ich fortwährend
+flüchten muß und auch so jeden Augenblick in Gefahr bleibe, durchnäßt zu
+werden. Es ist kein Tee zu bekommen, trotzdem ich, wärmebedürftig wie
+ich bin, mehrmals darum ersuche. Die Einrichtungen hier halten einen
+Vergleich mit dem norddeutschen Lloyd nicht aus.
+
+»O, Tee, in eine Minute fertig«, wiederholt der Steward eben wieder,
+nachdem etwa anderthalb Stunden Wartens vorüber sind.
+
+
+Jetzt 7½ Uhr; volle Sonne und Seegang. Unter anderen Wohltaten einer
+Seereise ist auch die anzumerken, daß man während der Fahrt die ruhige
+und gesicherte Schönheit der großen Weltinseln wiederum tiefer würdigen
+lernt. Das Streben des Seefahrers geht auf Land. Statt vieler
+auseinanderliegender Ziele bemächtigt sich seine Sehnsucht nur dieses
+einen, wie wenige notwendig. Daher noch im Reiche des Idealen
+glückselige Inseln auftauchen und als letzte glückselige Ziele genannt
+werden.
+
+Allerlei Vorgänge der Odyssee, die ich wieder gelesen habe, beschäftigen
+meine Phantasie. Der schlaue Lügner, der selbst Pallas Athene belügt,
+gibt manches zu denken. Welche Partien des Werkes sind, außer den
+eingestandenermaßen erlogenen, wohl noch als erfunden zu betrachten, vom
+Genius des erfindungsreichen Odysseus? Etwa die ganze Kette von
+Abenteuern, deren unsterbliche Schönheit unzerstörbar besteht? Es kommen
+zweifellos Stellen vor, die unerlaubt aufschneiden; so diejenige, wo die
+Charybdis das Wrack des Odysseus einsaugt, während er sich in das
+Gezweige eines Feigenbaumes gerettet hat, und wo das selbe Wrack von ihm
+durch einen Sprung wieder erreicht wird, als es die See an die
+Oberfläche zurückgibt.
+
+Die Windstärke hat zugenommen. Hie und da kommt ein Sprühregen über
+Deck. Regenbogenfarbene Schleier lösen sich von den Wellenkämmen. Rechts
+in der Ferne haben wir italienisches Festland. Ein kleines, scheinbar
+flaches Inselchen gibt Gelegenheit, das Spiel der Brandung zu
+beobachten. Zuweilen ist es, als sähen wir den Dampf einer pfeilschnell
+längs der Klippen hinlaufenden Lokomotive. Weiße Raketen schießen
+überall auf, mitunter in so gewaltigem Wurf, daß sie, weißen Türmen
+vergleichbar, einen Augenblick lang stillstehen, bevor sie
+zusammenstürzen.
+
+Ich lasse mir sagen, daß es sich hier nicht, wie Augenschein glauben
+macht, um _eine_ Insel, sondern um eine Gruppe handelt: die Tremiti. Der
+freundliche Schiffsarzt Moser führt mich ins Kartenhaus und weist mir
+den Punkt auf der Schiffskarte. Auf den Tremiti halten die Italiener
+gewisse Gefangene, die im Inselbezirk bedingte Freiheit genießen.
+
+Ein Dampfer geht zwischen uns und der Küste gleichen Kurs.
+
+Allmählich sind wir dem Lande näher gekommen, bei schwächerem Wind und
+stärkerer Dünung. Das Wasser, wie immer in der Nähe von Küsten, zeigt
+hellgrüne Färbungen. Es gibt schwerlich eine reizvollere Art Landschaft
+zu genießen, als von der See aus, vom Verdeck eines Schiffes. Die
+Küsten, so gesehen, versprechen, was sie nie halten können. Die Seele
+des Schauenden ist so gestimmt, daß sie die Ländereien der Uferstrecken
+fast alle in einer phantastischen Steigerung, paradiesisch sieht.
+
+Vieste, Stadt und malerisches Kastell, tauchen auf und werden dem Auge
+deutlich. Die Stadt zieht sich herunter um eine Bucht. Den Hintergrund
+bilden Höhenzüge, die ins Meer enden: zum Teil bewaldet, zum Teil mit
+Feldern bedeckt. Durch das Fernglas des Kapitäns erkenne ich vereinzelt
+gestellte Bäume, die ich für Oliven halte. Eine starke, alte
+Befestigungsmauer ist vom Kastell aus um die Bucht heruntergeführt. Es
+ist eigentümlich, wie märchenhaft der Anblick des Ganzen anmutet. Man
+erinnert sich etwa alter Miniaturen in Bilderhandschriften: Histoire des
+batailles de Judée, Teseïde oder an Ähnliches, man denkt an Schiffe von
+phantastischer Form im Hafen der Stadt, an Mauren, Ritter und
+Kreuzfahrer in ihren Gassen.
+
+Jene, nicht allzuferne, uns Heutigen doch schon völlig fremde Zeit, wo
+der Orient in die abendländische Welt, wie eine bunte Welle,
+hineinschlug, jene unwiederbringliche Epoche, vielfältig
+ausschweifender, abenteuerlicher Phantastik -- so ist man versucht zu
+denken -- müsse in einer dem Gegenwartsblick so gespenstischen Stadt
+noch voll in Blüte stehen. Wetterwolken sammeln sich über dem
+hochgelegenen Kastell. Die See wogt wie dunkles Silber. Der Wind weht
+empfindlich kalt.
+
+
+Homer in der Odyssee läßt den Charakter des Erderschütterers Poseidon
+durchaus nicht liebenswürdig erscheinen. Er ist es auch nicht. Er ist
+unzuverlässig; er hat unberechenbare Tücken. Ich empfinde die
+Seekrankheit, an der viele Damen und einige Herren leiden, als einen
+hämischen Racheakt. Der Gott übt Rache. In einer Zeit, wo er, verglichen
+mit ehemals, sich in seiner Macht auf eine ungeahnte Weise beschränkt
+und zur Duldung verurteilt sieht, rächt er sich auf die
+niederträchtigste Art. Ich stelle mir vor, er schickt einen
+aalartig-langen Wurm aus der Tiefe herauf, mit dem Kopf zuerst durch den
+Mund in den Magen des Seefahrers; aber so, daß der Kopf in den Magen
+gelangt, dort eingeschlossen, der Schwanz mittlerweile ruhig im Wasser
+hängen bleibt. Der Seefahrer fühlt diesen Wurm, den niemand sieht.
+Obgleich er ihn aber nicht sieht, so weiß er doch, daß er grün und
+schleimig ist, und endlos lang in die See hinunterhängt, und mit dem
+Kopfe im Magen festsitzt. Die schwierige Aufgabe bleibt nun die: den
+Wurm, der sich nicht verschlucken und auch nicht ausspucken läßt, aus
+dem Innern herauszubekommen.
+
+Seltsam ist, daß Homer diesen göttlichen Kniff Poseidons unbeschrieben
+läßt, zumal er doch sonst im Gräßlichen keine Grenzen kennt und -- von
+den vielerlei Todesarten, die er zur Darstellung bringt, abgesehen --
+einen verwandten Zustand, der dem Zyklopen Polyphem zustößt, so
+schildert:
+
+ »... dem Rachen entstürzten mit Weine
+ Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold
+ ausbrach.«
+
+Eine Gesellschaft von Tümmlern zeigt sich hie und da augenblicksschnell
+überm Wasser in der Nähe des Dampfers. Der Tümmler, vom Seemann als
+Schweinfisch bezeichnet, ist ein Delphin, der im Mittelmeer wohl fast
+bei jeder Tagesfahrt gesichtet wird. Er ist ein ausgezeichneter
+Schwimmer und sehr gefräßig.
+
+
+Wir verlieren die italienische Küste wieder mehr und mehr aus den Augen.
+Der Nachmittag schreitet fort durch monotone Stunden, wie sie bei keiner
+Seereise ganz fehlen. Regenböen gehen zuweilen über Deck. Ich finde
+einen bequemen Sitzplatz, einigermaßen geschützt vor dem Winde. Ich
+schließe die Augen. Ich versinke gleichsam in die Geräusche des Meeres.
+Das Rauschen umgibt mich. Das große, das machtvolle Rauschen, überall
+her eindringend, unwiderstehlich, erfüllt meine Seele, scheint meine
+Seele selbst zu sein.
+
+Ich gedenke früherer Seefahrten; darunter sind solche, die ich mit
+beklommener Seele habe machen müssen. Viele Einzelheiten stehen vor
+meinem innern Gesicht. Ich vergleiche damit meinen heutigen Zustand.
+Damals warf der große Ozean unser stattliches Schiff dreizehn Tage lang.
+Die Seeleute machten ernste Gesichter. Was ich selber für ein Gesicht
+gemacht habe, weiß ich nicht; denn was mich betrifft: ich erlebte damals
+stürmische Wochen auf zwei Meeren, und ich wußte genau, daß, wenn wir
+mit unserem bremensischen Dampfer auch wirklich den Hafen erreichen
+sollten, dies für mein eigenes, gebrechliches Fahrzeug durchaus nicht
+der Hafen sei.
+
+Ich erwäge plötzlich mit einem gelinden Entsetzen, daß ich mich nun doch
+noch auf einer Reise nach jenem Lande befinde, in das es mich schon mit
+achtzehn Jahren hyperion-sehnsüchtig zog. Zu jener Zeit erzwang ich mir
+einen Aufbruch dahin, aber die Wunder der italienischen Halbinsel
+verhinderten mich, mein Ziel zu erreichen. Nun habe ich, das Versäumte
+nachzuholen: in 26 Jahren zuweilen gehofft, zuweilen nicht mehr gehofft,
+zuweilen gewünscht, zuweilen auch nicht mehr gewünscht; einmal die Reise
+geplant, begonnen und liegen gelassen. Und ich gestehe mir ein, daß ich
+eigentlich niemals an die Möglichkeit ernstlich geglaubt habe, das Land
+der Griechen mit Augen zu sehen. Noch jetzt, indem ich diese Notizen
+mache, bin ich mißtrauisch!
+
+Ich kenne übrigens keine Fahrt, die etwas gleich Unwahrscheinliches an
+sich hätte. Ist doch Griechenland eine Provinz jedes europäischen
+Geistes geworden; und zwar ist es noch immer die Hauptprovinz. Mit
+Dampfschiffen oder auf Eisenbahnen hinreisen zu wollen, erscheint fast
+so unsinnig, als etwa in den Himmel eigener Phantasie mit einer
+wirklichen Leiter steigen zu wollen.
+
+
+Es ist sechs Uhr und die Sonne eben im Untergehen. Der Schiffsarzt
+erzählt mancherlei und kommt auf die Sage vom grünen Strahl. Der grüne
+Strahl, den gesehen zu haben Schiffsleute mitunter behaupten, erscheint
+in dem Augenblick, ehe die Abendsonne ganz unter die Wasserlinie tritt.
+Ich weiß nicht, welche Fülle rätselhaften Naturempfindens diese schöne
+Vorstellung in mir auslöst. Die Alten, erklärt uns ein kleiner Herr,
+müßten den grünen Strahl gekannt haben; der Name des ägyptischen
+Sonnengottes bedeute ursprünglich: grün. Ich weiß nicht, ob es sich so
+verhält, aber ich fühle in mir eine Sehnsucht, den grünen Strahl zu
+erblicken. Ich könnte mir einen reinen Toren vorstellen, dessen Leben
+darin bestünde, über Länder und Meere nach ihm zu suchen, um endlich am
+Glanz dieses fremden, herrlichen Lichtes unterzugehen. Befinden wir uns
+vielleicht auf einer ähnlichen Pilgerfahrt? Sind wir nicht etwa
+Menschen, die das Bereich ihrer Sinne erschöpft haben, nach
+andersartigen Reizen für Sinne und Übersinne dürsten?
+
+Jedenfalls ist der kleine Herr, durch den wir über den grünen Strahl
+belehrt wurden, ein seltsamer Pilgersmann. Das putzige Männchen reist in
+Schlafschuhen. Sein ganzes Betragen und Wesen erregt zugleich Befremden
+und Sympathie. Wohl über die fünfzig hinaus an Jahren, mit bärtigem
+Kopf, rundlicher Leibesfülle und kurzen Beinchen, bewegt er sich in
+seinen Schlafschuhen mit einer bewunderungswürdigen, stillvergnügten
+Gelenkigkeit. Ich habe ihn auf der Regenplane, von der die verschlossene
+Öffnung des Schiffsraums überzogen ist, in wahrhaft akrobatischen
+Stellungen bequem seine Reisebeobachtungen anstellen sehen. Zum
+Beispiel: er saß wie ein Türke da; indessen die Gleichgültigkeit, mit
+der er die unwahrscheinlichste Lage seiner Beinchen behandelte, hätte
+Theodor Amadeus Hoffmann stutzig gemacht. Übrigens trug er Wadenstrümpfe
+und Kniehosen, Lodenmantel und einen kleinen, verwegenen Tirolerhut.
+Mitunter machte er mitten am Tage astronomische Studien, wobei er, das
+Zeißglas gegen den Himmel gerichtet, die Kniee in unbeschreiblicher
+Weise voneinander entfernt, die Fußsohlen glatt aneinander gelegt, auf
+dem Rücken lag.
+
+
+Wir gleiten nun schon geraume Weile unter den Sternen des Nachthimmels.
+Ein Schlag der Glocke, die vorn auf dem Schiff angebracht ist, bedeutet
+Feuer rechts. Der Leuchtturm von Brindisi ist gesichtet. Nach und nach
+treten drei Blinkfeuer von der Küste her abwechselnd in Wirkung. Drei
+neue Glockenzeichen des vorn wachthaltenden Matrosen ertönen. Sie
+bedeuten: Schiff in Fahrtrichtung uns entgegen. Ich habe mich so
+aufgestellt, daß ich die Spitze des großen Vordermasts über mir
+feierlich schwanken und zwischen den Sternen unaufhaltsam fortrücken
+sehe. Erst gegen zehn Uhr erreichen wir die enge Hafeneinfahrt von
+Brindisi, durch die wir, an einem Gespensterkastell vorüber, im vollen
+Mondlicht langsam gleiten.
+
+Die Bewohner der Stadt scheinen schlafen gegangen zu sein. Die
+Hafenstraßen sind menschenleer. Treppen und Gäßchen zwischen Häusern,
+hügelan führend, sind ebenfalls ausgestorben. Kein Laut, nicht einmal
+Hundegebell, ertönt. Wir erkennen im Mondlicht und im Scheine einiger
+wenigen Laternen Säulenreste antiker Bauwerke. Brindisi war der südliche
+Endpunkt der via Appia.
+
+Unglaublich groß wirkt das Schiff in dem kleinen, teichartigen Hafen.
+Aber, so groß es ist, macht es mit vieler Vorsicht am Kai fest, und erst
+als es fast ganz ruhig liegt, ist es bemerkt worden. Jetzt werden auf
+einmal die Straßen belebt. Und schon sind wir nach wenigen Augenblicken
+vom italienischen Lärm umgeben. Die Polizei erscheint an Bord. Wagen mit
+Passagieren rasseln von den Hotels heran. Drei Mandoline zupfende, alte
+Kerle haben sich auf Deck verpflanzt, die den Gesang einer sehr
+phlegmatischen Mignon begleiten.
+
+
+Die Nacht liegt hinter mir. Es ist sechs Uhr früh und der 28. März. Wir
+sind dicht unter Land, und die Sonne tritt eben hinter den ziemlich
+stark beschneiten Spitzen über die höchste Erhebung des Randgebirges von
+Epirus voll hervor. Wenig Stratusgewölk liegt über der blauen Silhouette
+der Küste. Übrigens hat der Himmel Scirocco-Charakter. Streifen und
+verwaschene Wolkenballen unterbrechen das Himmelsblau. Das Licht der
+Sonne scheint blaß und kraftlos. Die Luft weht erkältend, ich spüre
+Müdigkeit.
+
+Ich betrete den Speisesaal der »Salzburg«. An drei Tischen ist das
+Frühstück vorbereitet. Dazwischen, auf der Erde, liegen Passagiere.
+Einige erheben sich, noch im Hemd, von ihren Matratzen und beginnen die
+Kleider anzulegen. Ein großes Glasgefäß mit den verschmierten Resten
+einer schwarzbraunen Fruchtmarmelade steht in unappetitlicher Nähe. Der
+Löffel steckt seit Beginn der Reise darin.
+
+Es ist hier alles schon Asien, bedeutet mich ein Mitreisender. Ich kann
+nicht sagen, daß ich besonders von diesen Übelständen berührt werde,
+weiß ich doch, daß Korfu, die erste Etappe der Reise, nun bald erreicht
+ist. Außerdem flüchtet man, nachdem man in Eile etwas Kaffee und Brot
+genossen hat, wieder an Deck hinaus. Die Berge der Küste, nicht höher
+als die, von denen etwa Lugano umgeben ist, sind noch mit einigem Schnee
+bestreut und ähneln ihnen, braunrötlich und kahl, durchaus. Durch diese
+Gebirge erscheint das Hinterland wie durch einen gigantischen Wall vor
+dem Meere geschützt.
+
+Man hat jetzt nicht mehr das Gefühl, im offenen Meere zu sein, sondern
+wir bewegen uns in einer sich mehr und mehr verengenden Wasserstraße.
+Überall tauchen Küsten und Inseln auf, und nun zur Rechten bereits die
+Höhen von Korfu. Noch immer schweben mit Gelächter oder Geläut
+begleitende Möven über uns.
+
+Je länger und näher wir an dem nördlichen Rande von Korfu hingleiten, um
+so fieberhafter wird das allgemeine Leben an Deck. In schöner Linie
+langsam ansteigend, gipfelt das Eiland in zwei Spitzen, sanft darnach
+wieder ins Meer verlaufend. Wieder bemächtigt sich unser jenes
+Entzücken, das uns eine Küsten-Landschaft bereitet, die man vom Meere
+aus sieht. Diesmal ist es in mir fast zu einem inneren Jubel gesteigert,
+im Anblick des schönen Berges, den wir allmählich nach Süden umfahren,
+und der seine von der Morgensonne beschienenen Abhänge immer deutlicher
+und verlockender ausbreitet. Ich sage mir, dieses köstliche, fremde Land
+wird nun auf Wochen hinaus -- und Wochen bedeuten auf Reisen viel! --
+für mich eine Heimat sein.
+
+Was mir bevorsteht, ist eine Art Besitzergreifen. Es ist keine unreale,
+materielle Eroberung, sondern mehr. Ich bin wieder jung. Ich bin
+berauscht von schönen Erwartungen, denn ich habe von dieser Insel,
+solange ich ihren Namen kannte, Träume geträumt.
+
+
+Es ist zehn Uhr. Wir befinden uns nun in einer wahrhaft phäakischen
+Bucht. Drepane, Sichel, hieß die Insel im ältesten Altertum, und wir
+sind in dem Raume der inneren Krümmung. Aber das Jonische Meer ist hier
+einem weiten, paradiesischen Landsee ähnlich, weil auch der offene Teil
+der Sichel durch die epirotischen Berge hinter uns scheinbar geschlossen
+ist.
+
+
+Ich vermag vor Kopfneuralgien kaum aus den Augen zu sehen. Ich bin
+insofern ein wenig enttäuscht, als unser Hotel rings von den Häusern der
+Stadt umgeben ist und es nicht leicht erscheint, zu jenen einsamen Wegen
+durchzudringen, die mich vom Schiff aus anlockten und die für meine
+besondere Lebensweise so notwendig sind. Ein kurzer Gang durch einige
+Straßen von Korfu, der Stadt, zwingt mich, die Bemerkung zu machen, daß
+hier viele Bettler und Hunde sind. Eine bettelnde Korfiotin, ein
+robustes Weib in griechischer Tracht, das Kind auf dem Arm, geht mich um
+eine Gabe an, und ich vermag den feurigen Blicken ihrer beiden flehenden
+Augen mein hartes Herz nicht erfolgreich entgegenzusetzen.
+
+Ich sehe die ersten griechischen Priester, die im Schmuck ihrer
+schwarzen Bärte, Talare und hohen, röhrenförmigen Kopfbedeckungen
+Magiern ähneln, auf Plätzen und Gassen herumstreichen. Die nicht sehr
+zahlreichen Fremden gehen mit eingezogenen Köpfen umher, es ist ziemlich
+kalt. Im oberen Stock eines Hauses wird Schule gehalten. Die Kinder, im
+Innern des Zimmers, singen. Die Lehrer gucken lachend und lebhaft
+schwatzend zum Fenster heraus. Die Stimmen der Singenden haben mehr
+einen kühlen, deutschen Charakter und nicht den feurigen, italienischen,
+an den man im Süden gewöhnt ist. Zuweilen singt einer der Lehrer zum
+offenen Fenster heraus lustig mit.
+
+Die Stadt Korfu ist in ihrem schöneren Teil durch einen sehr breiten,
+vergrasten Platz von der Bucht getrennt. Es ist außerordentlich
+angenehm, hier zu lustwandeln. Ein Capodistria-Denkmal und ein marmornes
+Rundtempelchen verlieren sich fast auf der weiten Grasfläche. Nach dem
+Meer hin läuft sie in eine Felszunge aus, die alte Befestigungen aus den
+Zeiten der Venezianer trägt. Ich begegne kaum einem Menschen. Die
+Morgensonne liegt auf dem grünen Plan, ein Schäfchen grast nicht weit
+von mir. Ein Truthahn dreht sich und kollert in der Nähe der langen
+Hausreihe, deren zahllose Fenster geöffnet sind und den Gesang von --
+ich weiß nicht wie vielen! -- Harzer Rollern in die erquickende Luft
+schicken.
+
+Wir unternehmen am Nachmittag eine Fahrt über Land; es ist in der Luft
+eine außerordentlich starke Helligkeit. Figi d'India-Kakteen säumen
+mauerartig die Straße. Wir sehen violette Anemonen unten am Wegrand,
+Blumen von neuem und wunderbarem Reiz. Warum will man den Blumen
+durchaus Eigenschaften von Tieren oder von Menschen andichten und sie
+nicht lieber zu Göttern machen? Diese kleinen göttlichen Wesen, deren
+köstlicher Liebreiz uns immer wieder Ausrufe des Entzückens entlockt,
+zeigen sich in um so größeren Mengen, je mehr wir uns von der Küste
+entfernen, ins Innere des Eilands hinein.
+
+Der Blick weitet sich bald über Wiesen mit saftig grünen, aber noch
+kurzen Gräsern, die fleckweise wie beschneit von Margueriten sind. In
+diesen fast nordischen Rasenflächen stehen Zypressen vereinzelt da und
+eine südliche Bucht, der Lago di Caliciopolo lacht dahinter auf. In der
+Straße, die eben diese Bucht mit dem Meere verbindet, erhebt sich ein
+kleiner, von Mauern und Zypressen gekrönter Fels. Die Mauern bilden ein
+Mönchskloster. Ponticonisi oder Mausinsel heißt das Ganze, wovon man
+behauptet, es sei das Phäakenschiff, das, nachdem es Odysseus nach
+seiner Heimat geleitet hatte, bei seiner Rückkehr, fast schon im Hafen,
+von Poseidon zu Stein verwandelt worden ist.
+
+Wiesen und umgeworfene Äcker begleiten uns noch. Vollbusige, griechische
+Frauen, in bunter Landestracht, arbeiten in den Feldern. Kleine,
+zottelige, unglaublich ruppige Gäule grasen an den Rainen und zwischen
+Olivenbäumen, an steinigen Abhängen. Auf winzige Eselchen sind große
+Lasten gelegt, und der Treiber sitzt auf der Last oder hinter der Last
+noch dazu.
+
+Wir nähern uns mehr und mehr einem Berggebiet. Die Ölwälder geben der
+Landschaft einen ernsten Charakter. Die tausendfach durchlöcherten
+Stämme der alten Bäume sind wie aus glanzlosem Silber geflochten. Im
+Schutze der Kronen wuchert Gestrüpp und ein wildwachsender Himmel
+fremdartiger Blüten auf.
+
+
+Das Achilleion der Kaiserin Elisabeth ist auf einer Höhe errichtet, in
+einer Eiland und Meer beherrschenden Lage. Der obere Teil des Gartens
+ist ein wenig beengt und kleinlich, besonders angesichts dieser Natur,
+die sich um ihn her in die Tiefen ausbreitet. Und jener Teil, der zum
+Meere hinuntersteigt, ist zu steil. Von erhabener Art ist die
+Achillesverehrung der edlen Frau, obgleich dieser Zug, durch Künstler
+der Gegenwart, würdigen Ausdruck hier nicht gefunden hat. Das Denkmal
+Heines, eine halbe Stunde entfernt, unten am Meere, können wir, weil es
+bereits zu dunkeln beginnt, nicht mehr besuchen.
+
+Die unvergleichlich Edele unter den Frauengestalten jüngster
+Vergangenheit, die, nach ihresgleichen in unserem Zeitalter vergeblich
+suchend, einsam geblieben ist, vermochte natürlicherweise den
+kunstmäßigen Ausdruck ihrer Persönlichkeit nicht selbst zu finden. Und
+leider schufen Handlangernaturen auch hier nur wieder im ganzen und
+großen den Ausdruck desselben, dem sie entfliehen wollte. Und nur der
+Platz, die Welt, der erhabene Glanz und Ernst, in den sie entfloh, legt
+von diesem Wesen noch gültiges Zeugnis ab.
+
+
+Wir schreiben den 30. März. Helle, warme Sonne, blendendes Licht
+überall. Der Morgen ist heiter, erfrischend die Luft. Die Stadt ist
+erfüllt vom Geschrei der Ausrufer. Viele Menschen liegen jetzt, gegen 9
+Uhr früh, am Rande eines kleinen, öffentlichen Platzes umher und sonnen
+sich. Eine ganze Familie ist zu beobachten, die sich an eine Gartenmauer
+gelagert hat, in einem sehr notwendigen Wärmebedürfnis wahrscheinlich,
+da die Nächte kalt und die Keller, in denen die Armen hier wohnen, nicht
+heizbar sind. Sie genießen die Strahlen der Sonne mit Wohlbehagen, wie
+Ofenglut. Dabei zeigt sich die Mutter insofern ganz ungeniert durch die
+Öffentlichkeit, als sie, gleich einer Äffin, in den verfilzten Haaren
+ihres Jüngsten herumfingert, sehr resolut, obgleich der kleine Gelauste
+schrecklich weint.
+
+Am Kai der Kaiserin Elisabeth steigert sich der Glanz des Lichtes noch,
+im Angesichte der schönen Bucht. Das Kai ist eine englische Anlage und
+die Nachmittagspromenade der korfiotischen Welt. Es wird begleitet von
+schönen Baumreihen, die, wo sie nicht aus immergrünen Arten gebildet
+sind, erstes, zartes Grün überzieht. Junge Männer haben Teppiche aus den
+Häusern geschleppt und auf dem Grase zwischen den Stämmen ausgebreitet.
+Ein scheußliches, altes, erotomanisches Weib macht unanständige Sprünge
+in den heiteren Morgen hinein. Sie schreit und schimpft: die Männer
+lachen, verspotten sie gutmütig. Sie kratzt sich mit obscöner Gebärde,
+bevor sie davongeht und hebt ihre Lumpen gegen die Spottlustigen.
+
+Ich habe jetzt nicht mehr die tiefblaue, köstlich blinkende Bucht zur
+Linken, mit den weißen Zelten der albanesischen Berge dahinter, sondern
+ein großes Gartengebiet, und wandere weiter, meist unter Ölbäumen, bis
+Ponticonisi dicht unter mir liegt. Von hier gegenüber mündet ein kleines
+Flüßchen ins Meer und man will dort die Stelle annehmen, wo Odysseus
+zuerst ans Ufer gelangte und Nausikaa ihm begegnet ist.
+
+Goethes Entwurf zur Nausikaa begleitet mich.
+
+ »Was rufen mich für Stimmen aus dem Schlaf?
+ Wie ein Geschrei, ein laut Gespräch der Frauen
+ Erklang mir durch die Dämmrung des Erwachens.
+ Hier seh ich niemand! Scherzen durchs Gebüsch
+ Die Nymphen? oder ahmt der frische Wind,
+ Durchs hohe Rohr des Flusses sich bewegend,
+ Zu meiner Qual die Menschenstimmen nach?
+ Wo bin ich hingekommen? welchem Lande
+ Trug mich der Zorn des Wellengottes zu?«
+
+Ich meine, wenn dieses anziehende Fragment die starke Liebe wieder
+erweckt, oder eine ähnlich starke, wie im Herzen seines Dichters war, so
+kann dies kein Grund zum Vorwurf sein. Auch dann nicht, wenn diese Liebe
+das Fehlende, das Ungeborene, zu erkennen vermeint, oder gar zu ergänzen
+unternimmt. Dieser gelassene Ton, der so warm, stark, richtig und
+deutsch ist, wird meist durchaus mißverstanden. Man nimmt ihn für kühl
+und vergißt auch in der Sprache der Iphigenie die »by very much more
+handsome than fine« ist, die alles durchdringende Herzlichkeit.
+
+Der Rückweg nach der Stadt führt zwischen wahre Dickichte von Orangen,
+Granaten und Himbeeren. Eukalyptusbäume mit großgefleckten Stämmen von
+wunderbarer Schönheit begegnen. Hie und da wandeln Kühe im hohen Gras
+unter niedrig gehaltenen Orangenpflanzungen. Steinerne Häuschen, Höhlen
+der Armut, bergen sich inmitten der dichten Gärten. Kinder betteln mit
+Fröhlichkeit, starrend von Schmutz.
+
+Immer weiter zwischen verwilderten Hecken, mit Blüten bedeckten,
+schreiten wir. Ich bemerke, außer vielen Brombeeren, dickstämmigen,
+alten Weißdorn. Marguerits, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen,
+bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von
+Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum
+Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es
+nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen,
+liegen im Dreck und sonnen sich.
+
+Ein griechischer Hirt kommt mir entgegen, ein alter, bärtiger Mann. Die
+ganze Erscheinung ist wohlgepflegt. Er trägt kretensische Tracht, ein
+rockartiges, blaues Beinkleid, zwischen den Beinen gerafft,
+Schnabelschuh', die Waden gebunden, ein blaues Jäckchen mit
+Glanzknöpfen, dazu einen strohenen Hut. Fünf Ziegen, nicht mehr, trotten
+vor ihm hin. Er klappert mit vielen kleinen Blechkannen, die, an einem
+Riemen hängend, er mit sich führt.
+
+
+Ein frischer Nordwest hat eingesetzt, jetzt, am Nachmittag. Zwei alte
+Albanesen, dazu ein Knabe, schreiten langsam über die Lespianata. Einer
+der würdigen Weißbärte trägt über zwei Mänteln den dritten, dessen
+Kapuze er über den Kopf gezogen hat. Der unterste Mantel ist von
+hellerem Tuch, der zweite blau, der dritte über und über bedeckt mit
+langen, weißlichen Wollzotteln, ähnlich dem Ziegenhaar. Der Sauhirt
+Eumäus fällt mir ein und die Erzählung des Bettlers Odysseus von seiner
+List, durch die er nicht nur von Thoas, dem Sohne Andrämons, den Mantel
+erhielt, sondern auch von Eumäus.
+
+Es scheint, daß die Zahl der Mäntel den Wohlstand ihrer Träger andeutet.
+Denn auch der zweite dieser imponierenden Berghirten hat drei Mäntel
+übergeworfen. Dabei tragen sie weiße Wollgamaschen und graulederne
+Schnabelschuh'. Jeder von ihnen überdies einen ungeschälten, langen
+Stab. Der Knabe trägt ein rotes Fez. Die Schnäbel seiner roten Schuhe
+sind länger, als die der Alten und jeder mit einer großen, schwarzen
+Quaste geziert.
+
+Die Hafenstraßen zeigen das übliche Volksgetriebe. Die Läden öffnen sich
+auf schmale, hochgelegene Lauben, aus denen man in das Menschengewimmel
+der engen Gäßchen hinuntersieht. Ein Mann trägt Fische mit silbernen
+Schuppen auf dem flachen Handteller eilend an mir vorbei. Junge Schafe
+und Ziegen hängen, ausgeweidet und blutend, vor den Läden der Fleischer.
+Über der Tür einer Weinstube voll riesiger Fässer sind im Halbkreis
+Flaschen mit verschieden gefärbtem Inhalt an Schnüren ausgehängt. Man
+hat schlechte Treppen, übelriechende Winkel zu vermeiden, vertierten
+Bettlern aus dem Wege zu gehn.
+
+Einer dieser Bettler nähert sich mir. Er überbietet jeden sonstigen,
+europäischen Eindruck dieser Art. Seine Augen glühen über einem
+sackartigen Lumpen hervor, mit dem er Mund, Nase und Brust vermummt hat.
+Er hustet in diese Umhüllung hinein. Er bleibt auf der Straße stehen und
+hustet, krächzt, pfeift mit Absicht, um aufzufallen, sein fürchterliches
+Husten minutenlang. Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes
+vorzustellen, als dieses verlauste, unflätige, barfüßige und halbnackte
+Gespenst.
+
+
+Ich verbringe die Stunde um Sonnenuntergang in dem schönen, verwilderten
+Garten, der dem König von Griechenland gehört. Es ist eine wunderbare
+Wildnis von alten Zypressen-, Oliven- und Eukalyptusbäumen, ungerechnet
+alle die blühenden Sträucher, in deren Schatten man sich bewegt.
+Vielleicht wäre es schade, wenn dieser Garten oft vom König besucht
+würde, denn bei größerer Pflege müßte er vieles verlieren von dem Reiz
+des Verwunschenen, der ihm jetzt eigen ist. Die Riesenbäume schwanken
+gewaltig im Winde und rauschen dazu: ein weiches, aufgestörtes Rauschen,
+in das sich der eherne Ton des Meeres einmischt.
+
+
+Wie ich heute morgen das Fenster öffne, ist die Sonne am wolkenlosen
+Himmel längst aufgegangen. Ich bemerke, daß alles in einem fast weißen
+Lichte unter mir liegt: die Straßen und Dächer der Stadt, der Himmel,
+die Landschaft mit ihren Wiesen, Olivenwäldern und fernen Bergen. Als
+ich aus dem Hotel trete, muß ich die Augen fast schließen, und lange,
+während ich durch den nördlichen Stadtteil Korfus hinauswandere, suche
+ich meinen Weg blinzelnd.
+
+Die Vorstadt zeigt das übliche Bild. Auf kleinen Eselchen sitzen Reiter,
+so groß, daß man meint, sie könnten ihr Reittier mühelos in die Tasche
+stecken. Ruppige Pferdchen, braunschwarz oder schwarz, mit Schweifen,
+die bis zur Erde reichen, tragen allerlei tote Lasten und lebende
+Menschen dazu. Vor ihren zumeist einstöckigen Häusern hocken viele
+Bewohner und sonnen sich. Eine junge Mutter säugt, auf ihrer Türschwelle
+sitzend, ihr jüngstes Kind und laust es zugleich, in aller Behaglichkeit
+und Naivetät. Die weißen Mauerflächen werfen das Licht zurück und
+erzeugen Augenschmerzen.
+
+Ich komme nun in die Region der Weiden und Ölgärten. Auf einer ebenen
+Straße, die stellenweise vom Meere bespült, dann wieder durch sumpfige
+Strecken oder Weideland vom Rande der großen, inneren Bucht getrennt
+ist. Ich ruhe ein wenig, auf einem Stück Ufermauer am Ausgang der Stadt.
+Die Sonne brennt heiß. Von den angrenzenden Hügeln steigt ein
+albanesischer Hirte mit seinen Schafen zur Straße herunter: trotz der
+Wärme trägt er seine drei Mäntel, oben den fließartigen, über die
+Schultern gehängt. Ein sehr starkes und hochbeiniges Mutterschwein kommt
+aus der Stadt und schreitet hinter seinen Ferkeln an mir vorüber. Es
+folgt ein Eber, der kleiner ist.
+
+Es ist natürlich, wenn ich auch hier wieder an Eumäus denke, den
+göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer
+Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen
+Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande
+eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen
+Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause
+geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an
+Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten
+Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes
+Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im
+Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für
+griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit.
+
+Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend
+anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu
+spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht
+unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns
+zu gewinnen.
+
+Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch
+diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen.
+Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu
+sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir
+auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu
+Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde
+laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller
+Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen,
+retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen
+Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das
+Ausweichen fast unmöglich machen. Eine breitgebaute, griechische Bäuerin
+drückt, im _bildlichen_ Sinne, wie sie pompös einherschreitet, ihre
+Umgebung an die Wand. Bettler, mit zwei alten Getreidesäcken bekleidet,
+den einen unter den Achseln um den Leib geschlungen, den andern über die
+Schultern gehängt wie ein Umschlagetuch, sprechen die Inhaber ärmlicher
+Läden um Gaben an. Ein junger Priesterzögling von sehr gepflegtem
+Äußeren, mit schwarzem Barett und schwarzer Sutane, ein Jüngling, der
+schön wie ein Mädchen ist, von einem gemeinen Manne, dem Vater oder
+Bruder begleitet, geht mir entgegen. Der Arm des Begleiters ist um die
+Schultern des Priesters gelegt, dessen tiefschwarz glänzendes Haar im
+Nacken zu einem Knoten geflochten ist. Weiber und Männer blicken ihm
+nach.
+
+
+Heute entdecke ich eigentlich erst den Garten des Königs und seine
+Wunder. Ich nehme mir vor, von morgen ab mehrere Stunden täglich hier
+zuzubringen. Seit längerer Zeit zum ersten Male genieße ich hier jene
+köstlichen Augenblicke, die auf Jahre hinaus der Seele Glanz verleihen,
+und um derentwillen man eigentlich lebt. Es dringt mir mit voller Macht
+ins Gemüt, wo ich bin, und daß ich das Jonische Meer an den felsigen
+Rändern des Gartens brausen höre.
+
+
+Wir haben heute den 1. April. Meine Freunde, die Maler sind, und ich,
+haben uns am Eingange der Königsvilla von einander getrennt, um, jeder
+für sich, in dem weiten, verwilderten Gartenbereich auf Entdeckungen
+auszugehen. Es ist ein Morgen von unvergleichlicher Süßigkeit. Ich
+schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen, mit Bleistift diese Notizen.
+Mein Auge weidet. Das Paradies wird ein Land voll ungekannter,
+köstlicher Blumen sein. Die herrlichen Anemonen Korfus tragen mit dazu
+bei, daß man Ahnungen einer andern Welt empfindet. Man glaubt beinahe,
+auf einem fremden Planeten zu sein.
+
+In dieser eingebildeten Loslösung liegt eine große Glückseligkeit.
+
+Ich finde nach einigem Wandern die Marmorreste eines antiken
+Tempelchens. Es sind nur Grundmauern; einige Säulentrommeln liegen
+umher. Ich lege mich nieder auf die Steine, und eine unsägliche Wollust
+des Daseins kommt über mich. Ein feines, glückliches Staunen erfüllt
+mich ganz, zunächst fast noch ungläubig, vor diesem nun Ereignis
+gewordenen Traum.
+
+Weniger um etwas zu schaffen, als vielmehr um mich ganz einzuschließen
+in die Homerische Welt, beginne ich ein Gedicht zu schreiben, ein
+dramatisches, das Telemach, den Sohn des Odysseus, zum Helden hat.
+Umgeben von Blumen, umtönt von lautem Bienengesumm, fügt sich mir Vers
+zu Vers, und es ist mir allmählich so, als habe sich um mich her nur
+mein eigener Traum zu Wahrheit verdichtet.
+
+Die Lage des Tempelchens am Rande der Böschung, hoch überm Meer, ist
+entzückend; alte, ernste Oliven umgeben in einiger Ferne die Vertiefung,
+in die es gestellt ist. Welchem Gotte, welchem Heros, welchem
+Meergreise, welcher Göttin oder Nymphe war das Tempelchen etwa geweiht,
+das in das grüne Stirnband der Uferhöhe eingeflochten, dem nahenden
+Schiffer entgegenwinkte? diese kleine, schweigende Wohnung der Seligen,
+die, Weihe verbreitend, noch heute das Rauschen der Ölbäume, das
+schwelgerische Summen der Bienen, das Duftgewölke der Wiesen als ewige
+Opfergaben entgegennimmt. Die kleinen, blinkenden Wellen des Meeres
+ziehen, vom leisen Ost bewegt, wie in himmlischer Prozession heran, und
+es ist mir, als wäre ich nie etwas anderes, als ein Diener der
+unsterblichen Griechengötter gewesen.
+
+Ich weiß nicht, wie ich auf die Vermutung komme, daß unterhalb des
+Tempelchens eine Grotte und eine Quelle sein müsse. Ich steige
+verfallene Stufen tief hinab und finde beides. Quellen und Grotten
+münden auf grüne von Marguerits übersäte Terrassen, in ihrer versteckten
+Lage von süßestem Reiz. Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu
+lieben und herrschen zu machen über mich. Deshalb pflücke ich Blumen,
+werfe sie in das Becken der Quelle, zu den Najaden und Nymphen flehend,
+den lieblichen Töchtern des Zeus.
+
+
+Ein brauner, schwermütiger Sonnenuntergang. Wir finden uns an die
+Schwermut norddeutscher Ebenen irgendwie erinnert. Es ist etwas Kühles
+in Licht und Landschaft, das vielleicht deutlicher vorstellbar wird,
+wenn man es unitalienisch nennt. Das Landvolk, obgleich die Bäuerinnen
+imposant und vollbusig sind und von schöner Rasse, erscheint nach außen
+hin temperamentlos, im Vergleich mit Italien, und zwar trotz des
+italienischen Einschlags. Es kommt uns vor, als wäre das Leben hier
+nicht so kurzweilig, wie auf der italienischen Halbinsel.
+
+Die griechische Bäuerin hat durchaus den graden, treuherzigen Zug, der
+den Männern hier abgeht, und den man als einen deutschen gern in
+Anspruch nimmt. Sinnliches Feuer scheint ebenso wenig Ausdruck ihrer
+besonderen Art zu sein, als bei den homerischen Frauengestalten.
+Überhaupt erscheinen mir die homerischen Zustände den frühen
+germanischen nicht allzu fern stehend. Der homerische Grieche ist
+Krieger durchaus, ein kühner Seefahrer, wie der Normanne verwegener
+Pirat, von tiefer Frömmigkeit bis zur Bigotterie, trunkliebend, zur
+Völlerei neigend, dem Rausche großartiger Gastereien zugetan, wo der
+Gesang des Skalden nicht fehlen durfte.
+
+
+Ich habe mich auf den Resten des antiken Tempelchens, das ich nun schon
+zum dritten- oder viertenmal besuche, niedergelassen. Es fällt lauer
+Frühlingsregen. Ein großer, überhängender, weidenartiger Strauch umgibt
+mich mit dem Arom seiner Blüten. Die Wellen wallfahrten heut mit starkem
+Rauschen heran. Immer der gleiche Gottesdienst in der Natur.
+Wolkendünste bedecken den Himmel.
+
+Immer erst, wenn ich auf den Grundmauern dieses kleinen Gotteshauses
+gestanden habe, fühle ich mich in den Geist der Alten entrückt und
+glaube in diesem Geiste alles rings umher zu empfinden. Ich will nie
+diese Stunden vergessen, die in einem ungeahnten Sinne erneuernd sind.
+Ich steige ans Meer zu den Najaden hinunter. Auf den Stufen bereits
+vernehme ich das Geschrei einer Ziege, von der Grotte und Quelle
+empordringend. Ich bemerke, wie das Tier von einem großen, rotbraunen
+Segel beunruhigt ist, das sich dem Lande, düster schattend, bis auf
+wenige Meter nähert, um hier zu wenden. Unwillkürlich muß ich an Seeraub
+denken und das fortwährende, klägliche Hilferufen des geängstigten
+Tieres bringt mir, beim Anblick des großen, drohenden Segels, die alte
+Angst des einsamen Küstenbewohners, vor Überfällen, nah.
+
+
+Oft ist bei Homer von schwarzen Schiffen die Rede. Ob sie nicht etwa den
+Nordlandsdrachen ähnlich gewesen sind? Und ob nicht etwa die homerischen
+Griechen, die ja durchaus Seefahrer und Abenteurernaturen waren, auch
+das griechische Festland vom Wasser aus zuerst betreten haben?
+
+Eigentümlich ist es, wie sich in einem Gespräch des Plutarch eine
+Verbindung des hohen Nordens mit diesem Süden andeutet; wo von Völkern
+griechischen Stammes die Rede ist, die etwa in Kanada angesessen waren,
+und von einer Insel Ogygia, wo der von Zeus entthronte Kronos gleichsam
+in Banden eines Winterschlafes gefangen saß. Besonders merkwürdig ist
+der Zug, daß jener entthronte Gott, Kronos oder Saturn, noch immer alles
+dasjenige träumte, was der Sohn und Sieger im Süden, Zeus, im Wachen
+sah. Also etwa, was jener träumte, war diesem Wirklichkeit. Und Herakles
+begab sich einst in den Norden zurück, und seine Begleiter reinigten
+Sitte und Sprache der nördlichen Griechen, die inzwischen verwahrlost
+waren.
+
+Ich strecke mich auf das saftige Grün der Terrasse unter die zahllosen
+Gänseblümchen aus, als ob ich, ein erster Grieche, soeben nach vieler
+Mühsal gelandet wäre. Ein starkes Frühlingsempfinden dringt durch mich;
+und in diesem Gefühle eins mit dem Sprossen, Keimen und Blühen rings um
+mich her, empfinde ich jeden Naturkult, jede Art Gottesdienst, jedes
+irgendwie geartete höhere Leben des Menschen durch Eros bedingt.
+
+
+Ich beobachte eben, vor Sonnenuntergang, in einer Ausbuchtung der
+Kaimauer, zwei Muselmänner. Sie verrichten ihr Abendgebet. Die Gesichter
+»nach Mekka« gewendet, gegen das Meer und die epirotischen Berge, stehen
+sie ohne Lippenbewegung da. Die Hände sind nicht gefaltet, nur mit den
+Spitzen der Finger aneinandergelegt. Jetzt, indem sie sich auf ein Knie
+senken, machen sie gleichzeitig eine tiefe Verneigung. Diese Bewegung
+wird wiederholt. Sie lassen sich nun auf die Kniee nieder und berühren
+mit den Stirnen die Erde. Auch diesen Ausdruck andachtsvoller
+Erniedrigung wiederholen sie. Aufgerichtet, beten sie weiter. Nochmals
+sinken sie auf die Kniee und berühren mit ihren Stirnen wieder und
+wieder den Boden. Alsdann fährt sich, noch kniend, der ältere von den
+beiden Männern mit der Rechten über das Angesicht und über den dunklen,
+graumelierten Bart, als wollte er einen Traum von der Seele streifen,
+und nun kehren sie, erwacht, aus dem inneren Heiligtum in das laute
+Straßenleben, das sie umgibt, zurück. Wer diese Kraft zur Vertiefung
+sieht, muß die Macht anerkennen und verehren, die hier wirksam ist.
+
+
+Heut werfen die Wellen ihre Schaumschleier über die Kaimauer der Strada
+marina. Die Möven halten sich mit Meisterschaft gegen den starken
+Südwind über den bewegten Wassern des Golfes von Kastrades. Es herrscht
+Leben und Aufregung. Von gestern zu heut sind die Baumwipfel grün
+geworden im lauen Regen.
+
+Die Luft ist feucht. Der Garten, in den ich eintrete, braust laut. Der
+Garten der Kirke, wie ich den Garten des Königs jetzt lieber nenne,
+braust laut und melodisch und voll. Düfte von zahllosen Blüten dringen
+durch dunkle, rauschende Laubgänge und strömen um mich mit der bewegten
+Luft. Es ist herrlich! Der Webstuhl der Kirke braust wie Orgeln:
+Choräle, endlos und feierlich. Und während die Göttin webt, die
+Zauberin, bedeckt sich die Erde mit bunten Teppichen. Aus grünen Wipfeln
+brechen die Blüten: gelb, weiß und rot, wie Blut. Das zarteste der
+Schönheit entsteht ringsum. Millionen kleiner Blumen trinken den Klang
+und wachsen in ihm. Himmelhohe Zypressen wiegen die schwarzen Wedel
+ehrwürdig. Der gewaltige Eukalyptus, an dem ich stehe, scheint zu
+schaudern vor Wonne, im Ansturm des vollen, erneuten Lebenshauchs. Das
+sind Boten, die kommen! Verkündigungen!
+
+Wie ich tiefer in das verwunschene Reich eindringe, höre ich über mir in
+der Luft das beinahe melodische Knarren eines großen Raben. Ich sehe ihn
+täglich, nun schon das drittemal: den Lieblingsvogel Apollons. Er
+überquert eine kleine Bucht des Gartens. Der Wind trägt seine Stimme
+davon, denn ich sehe nur noch, wie er seinen Schnabel öffnet.
+
+Immer noch umgibt mich das Rauschen, das allgemeine, tiefe Getöse. Es
+scheint aus der Erde zu kommen. Es ist, als ob die Erde selbst tief und
+gleichmäßig tönte, mitunter bis zu einem unterirdischen Donner
+gesteigert.
+
+Im Schatten der Ölbäume, im langhalmigen Wiesengras, gibt es viele
+gemauerte Wasserbrunnen. Über einem, der mir vor Augen liegt, sehe ich
+Nymphe und Najade gesellt, denn der Gipfel eines Baumes, dessen Stamm im
+Innern der Zisterne heraufdringt, überquillt ihre Öffnung mit jungem
+Grün. Die Grazien umtanzen in Gestalt vieler zartester Wiesenblumen den
+verschwiegenen Ort.
+
+Die Gestalten der Kirke und der Kalypso ähneln einander. Jede von ihnen
+ist eine »furchtbare Zauberin«, jede von ihnen trägt ein anmutig feines
+Silbergewand, einen goldenen Gürtel und einen Schleier ums Haupt. Jede
+von ihnen hat einen Webstuhl, an dem sie ein schönes Gewebe webt. Jede
+von ihnen wird abwechselnd Nymphe und Göttin genannt. Sie haben beide
+eine weibliche Neigung zu Odysseus, der mit jeder von ihnen das Lager
+teilen darf. Beide, an bestimmte Wohnplätze gebunden, sind der mythische
+Ausdruck sich regender Wachstumskräfte in der Frühlingsnatur, nicht wie
+die höheren Gottheiten überall, sondern an diesem und jenem Ort. In
+Kirke scheint das Wesen des Mythus, und besonders in ihrer Kraft zu
+verwandeln, tiefer und weiter, als in Kalypso ausgebildet zu sein.
+
+Das Rauschen hat in mir nachgerade einen Rausch erzeugt, der Natur und
+Mythus in eins verbindet, ja ihn zum phantasiegemäßen Ausdruck von jener
+macht. Auf den Steinen des antiken Tempelchens sitzend, höre ich Gesang
+um mich her, Laute von vielen Stimmen. Ich bin, wie durch einen leisen,
+unwiderstehlichen Zwang, in meiner Seele willig gemacht, Zeus und den
+übrigen Göttern Trankopfer auszugießen, ihre Nähe im Tiefsten
+empfindend. Es ist etwas Rätselhaftes auch insofern um die
+Menschenseele, als sie zahllose Formen anzunehmen befähigt ist. Eine
+große Summe halluzinatorischer Kräfte sehen wir heut als krankhaft an,
+und der gesunde Mensch hat sie zum Schweigen gebracht, wenn auch nicht
+ausgestoßen. Und doch hat es Zeiten gegeben, wo der Mensch sie voll
+Ehrfurcht gelten und menschlich auswirken ließ.
+
+ »Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten
+ Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.
+ Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine
+ Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.«
+
+Die schöne Wäscherin, die ich an einem versteckten Röhrenbrunnen
+arbeiten sehe, auf meinem Heimwege durch den Park -- die erste schöne
+Griechin überhaupt, die ich zu Gesicht bekomme! -- sie scheint mir eine
+von Kirkes Mägden zu sein. Und wie sie mir in die Augen blickt, befällt
+mich Furcht, als läge die Kraft der Meisterin auch in ihr, Menschen in
+Tiere zu verwandeln, und ich sehe mich unwillkürlich nach dem Blümchen
+Molly um.
+
+
+Heut, den 5. April, hat ein großes Schiff dreihundert deutsche Männer
+und Frauen am Strande von Korfu abgesetzt. Ein mit solchen Männern und
+Frauen beladener Wagen kutscht vor mir her. Auf der Strada marina läßt
+Gevatter Wurstmacher den Landauer anhalten, steigt heraus und nimmt mit
+einigen lieben Anverwandten, eilig, in ungezwungener Stellung,
+photographiergerecht, auf der Kaimauer Platz. Ein schwarzbärtiger
+Idealist mit langen Beinen und engem Brustkasten erhebt sich auf dem
+Kutschbock und photographiert. Am Eingange meines Gartens holt die
+Gesellschaft mich wieder ein, die sich durch das unumgängliche
+Photographieren verzögert hat. »Palais royal?« tönt nun die Frage an den
+Kutscher auf gut Französisch. --
+
+Und wie ich den Garten der Zauberin wieder betrete, von heimlichem
+Lachen geschüttelt, fällt mir eine Geschichte ein: Mitridates steckte
+einst in Kleinasien einen Hain der Eumeniden in Brand, und man hörte
+darob ein ungeheures Gelächter. Die beleidigten Götter forderten nach
+dem Spruche der Seher Sühnopfer. Die Halswunde jenes Mädchens aber, das
+man hierauf geschlachtet hatte, lachte noch auf eine furchtbare Weise
+fort.
+
+
+Das eine der Fenster unseres Wohnsaales im Hotel Belle Venise gewährt
+den Blick in eine Sackgasse. Dort ist auch ein Abfallwinkel des Hotels.
+Der elende Müllhaufen übt eine schreckliche Anziehungskraft auf Tiere
+und Menschen aus. So oft ich zum Fenster hinausblicke, bemerke ich ein
+anderes hungriges Individuum, Hund oder Mensch, das ihn durchstöbert.
+Ohne jeden Sinn für das Ekelhafte greift ein altes Weib in den Unrat,
+nagt das sitzengebliebene Fleisch aus Apfelsinenresten und schlingt
+Stücke der Schale ganz hinab. Jeden Morgen erscheinen die gleichen
+Bettler, abwechselnd mit Hunden, von denen mitunter acht bis zehn auf
+einmal den Haufen durchstören. Diese scheußliche Nahrungsquelle
+auszunützen, scheint der einzige Beruf vieler unter den ärmsten
+Bewohnern Korfus zu sein, die in einem Grade von Armut zu leben
+gezwungen sind, der, glaube ich, selbst in Italien selten ist. Von
+Müllhaufen zu Müllhaufen wandern, welch ein unbegreifliches Los der
+Erbärmlichkeit! Mit Hunden und Katzen um den Wegwurf streiten. Und doch
+war es vielleicht mitunter das Los Homers, der, wie Pausanias schreibt,
+auch dieses Schicksal gehabt hat, als blinder Bettler von Ort zu Ort zu
+ziehn.
+
+
+Der Garten der Kirke liegt diesen Nachmittag in einer düstern
+Verzauberung. Die blaßgrünen Schleier der Olivenzweige rieseln leis. Es
+ist ein ganz zartes und feines Singen. Von unten tönt laut das eherne
+Rauschen des Jonischen Meeres. Ich muß an das unentschiedene
+Schlachtengetöse homerischer Kämpfe denken. Der Wolkenversammler
+verdunkelt den Himmel, und eine bängliche Finsternis verbreitet sich
+zwischen den Stämmen unter den Ölbaumwipfeln. Vereinzelte große
+Regentropfen fallen auf mich. Der Efeu erscheint wie ein polypenartig
+würgendes Tier, er schlägt in unzerbrechliche Bande: Mauern, steinerne
+Stufen, Bäume! Es ist etwas ewig Totes, ewig Stummes, ewig Verlassenes,
+ewig Verwandeltes in der Natur und in allem vegetativen Dasein des
+Gartens. Die Tiere der Kirke schleichen lautlos, tückisch und
+unsichtbar! der bösen, tückischen Kirke Gefangene! Sie erscheinen für
+ewig ins Innere dieser Gartenmauer gebannt, wie Sträucher und Bäume an
+ihre Stelle. Alle diese uralten, rätselhaft verstrickten Olivenbäume
+gleichen unrettbar verknoteten Schlangen, erstarrt, mitten im Kampf,
+durch ein schreckliches Zauberwort.
+
+Aber nun geht eine Angst durch den Garten: etwas wie Angst oder nahes
+Glück. Wir alle, unter der drohenden Macht des beklemmenden Rätsels
+eines unsagbar traurigen und verwunschenen Daseins, fühlen den nahen
+Donner des Gottes voraus. Mächtig grollt es fern auf; und Zeus winkt mit
+der Braue ... Kirke erwartet Zeus.
+
+
+Ehe man Potamo auf Korfu erreicht, überschreitet man einen kleinen Fluß.
+Die Ortschaft ist mit grauen Häuschen und einem kleinen Glockenturm auf
+eine sanft ansteigende Berglehne zwischen Ölbäume und Zypressen
+hingestreut. Unter den Bewohnern des Ortes, die alle dunkel sind, fällt
+ein Schmied oder Schlosser auf, der in der Tür seiner Werkstatt mit
+seinem Schurzfell dasteht, blauäugig, blond und von durchaus kernigem,
+deutschem Schlag, seiner Haltung und dem Ausdruck seines Gesichtes nach.
+
+Das Tal hinter Potamo entwickelt die ganze Fülle der fruchtbaren Insel.
+Auf saftigen Wiesenabhängen langhalmiger, üppiger Gräser und Blumen,
+stehen, Wipfel an Wipfel, Orangenbäume, jeder mit einem Reichtum
+schwerer und reifer Früchte durchwirkt. Die gleiche, lastende Fülle ist,
+links vom Wege, in die Talsenkung hinein verbreitet und jenseit die
+Abhänge hinauf, bis unter die allgegenwärtigen Ölbäume. Fruchtbare Fülle
+liegt wie ein strenger Ernst über diesem gesegneten Tal. Es ist von
+Reichtum gleichsam beschwert bis zur Traurigkeit. Es ist etwas fronmäßig
+Lasttragendes in diesem Überfluß, so daß hier wiederum das Mysterium der
+Fruchtbarkeit, beinahe zu Gestalten verdichtet, dem inneren Sinne sich
+aufdrängt. Hier scheint ein dämonischer Reichtum wie dazu bestimmt,
+verschlagenen Seefahrern sich für eine angstvolle Schwelgerei
+darzubieten, panischen Schrecknissen nahe.
+
+Gestrüppen, wilden Dickichten gleich, steigen Orangengärten in die
+Schluchten hinunter, die von uralten Oliven und Zypressen verfinstert
+sind und locken von dort her, aus der verschwiegenen Tiefe mit ihrer
+süßen, schweren, fast purpurnen Frucht. Man spürt das Gebärungswunder,
+das Wunder nymphenhafter Verwandlungen: ein Wirken, das ebenso süß, als
+qualvoll ist.
+
+Ich sollte hier der Orange von Korfu, als der besten der Welt begeistert
+huldigen! -- Man gehe hin und genieße sie.
+
+Die Straße steigt an und bei einer Wendung tut sich, weithin gedehnt,
+eine sanfte Tiefe dem Blicke auf: die Ebene zwischen Govino und Pyrgi
+ungefähr, mit ihren umgrenzenden Höhenzügen. Wälder von Olivenbäumen
+bedecken sie, ja Gipfel, Abhänge und Ebene überzieht ein einziger Wald.
+Der majestätische Ernst des Eindrucks ist mit einem unsäglich weichen
+Reiz verbunden.
+
+Eine Biegung der Straße enthüllt teilweise die blauleuchtende Bucht und
+die Höhe des San Salvatore dahinter. Zum Ernst, zur Einfalt, zur
+Großheit, darf man sagen, tritt nun die Süße. -- Wir wandeln unter die
+Wälder hinein. Das Auge wird immer wieder gefesselt von dem
+unvergleichlichen Linienreiz der zerlöcherten und zerklüfteten
+Riesenstämme, von denen einige zerrissen und in wilde Windungen
+zerborsten, doch, mit erzenem, unbeweglichem Griff in die Erde
+verknotet, aufrecht geblieben sind.
+
+Der Himmel ist grau und bewölkt. Wir entdecken in der Tiefe der
+fruchttragenden Waldungen Kinder, Hirtinnen mit gelben Kopftüchern. Bis
+an die Straße zu uns her sind kleine, wollige, unwahrscheinliche
+Jesusschäfchen verstreut. Ich winke einer der kleinen Hirtinnen: sie
+kommt nicht leicht. Ihr Dank für unsere Gabe ist ganz Treuherzigkeit.
+
+Schemenhaft flüstern die Ölzweige. Weithin geht und weither kommt
+ewiges, sanftes, fruchtbares Rauschen.
+
+
+Wir unternehmen heut eine Fahrt nach Pelleka. Dort, von einem gewissen
+Punkte aus, überblickt man einen sehr großen Teil der Insel, die Buchten
+gegen Epirus hin und zugleich das freie Jonische Meer.
+
+Heute, am Sonntag, lehnen etwa hundert Männer über die Mauer der Straße,
+wo diese eine Kehre macht und gleichsam eine Terrasse oder Rampe der
+Ortschaft bildet. Unser Wagen wird sogleich von einer großen Menge
+erbärmlich schmutziger Kinder umringt, die zumeist ein verkommenes
+Ansehen haben und schlimm husten. Mit uns dem gesuchten Aussichtspunkt
+zusteigend -- wir haben den Wagen verlassen! -- verfolgen uns die Kinder
+in hellen Haufen. Eingeborene Männer versuchen es immer wieder, sie zu
+verscheuchen, stets vergeblich. Die Kleinen lassen uns vorüber, stehen
+ein wenig, suchen uns aber gleich darauf wieder auf kürzeren Wegen,
+rennend, springend, stürzend, einander stoßend, zuvor zu kommen, um mit
+zäher Unermüdlichkeit uns wiederum anzubetteln.
+
+Sie sind fast durchgängig brünett. Aber es ist auch ein blondes Mädchen
+da, blauäugig und von zart weißer Haut: ein großer, vollkommen deutscher
+Kopf, der als solcher auf einem Leiblschen Bilde stehen könnte. Bei
+diesem Anblick beschleicht mich eine gewissermaßen irrationale
+Traurigkeit, denn das Mädchen ist eigentlich die vergnügteste unter
+ihren zahllosen dunklen Zufallsschwestern.
+
+In Gruppen und von den Männern gesondert, stehen am Eingang und Ausgang
+des kleinen Fleckens die Frauen von Pelleka. Sie machen in der stämmigen
+Fülle des Körpers und der bunten Schönheit der griechischen Tracht den
+Eindruck der Wohlhabenheit. Das reiche Haar, das ihre Köpfe in stolzer
+Frisur umgibt, ist nicht nur ihr eigenes, sondern durch den Haarschatz
+von Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern vermehrt, der als heilige
+Erbschaft betrachtet wird.
+
+
+Heut, soeben, begann ich den letzten Tag, der noch auf Korfu enden wird.
+Zum Fenster hinausblickend, gewahre ich in der Nähe des Abfallhaufens
+eine Versammlung von etwa zwanzig Männern: sie umstehen einen vom Regen
+noch feuchten Platz, auf dem sich, wie kleine zerknüllte Lümpchen,
+mehrere schmutzige Drachmenscheine befinden. Man schiebt sie mit
+Stiefelspitzen von Ort zu Ort. Einer der Männer wirft vom Handrücken aus
+zwei kupferne Münzen in die Luft, und je nachdem sie auf dem Kopfe der
+Könige liegen, oder diesen nach oben kehren, entscheiden sie über
+Verlust und Gewinn. Nachdem ein Wurf des Glücksspiels geschehen ist,
+nimmt einer der Spieler, ein schäbiger Kerl, als Gewinner den ziemlich
+erheblichen Einsatz vom Erdboden auf und steckt ihn ein.
+
+Die Bevölkerung Korfus krankt an dieser Spielleidenschaft. Es werden
+dabei von armen Leuten Gewinne und Verluste bestritten, die in keinem
+Vergleich zu ihrem geringen Besitze stehen. Man sucht dieser Spielwut
+entgegenzuwirken. Aber, trotzdem man das stumpfsinnige Laster, sofern es
+in Kneipen oder irgendwie öffentlich auftritt, unter Strafe stellt, ist
+es dennoch nicht auszurotten. Macht doch die ganze Bevölkerung
+gemeinsame Sache gegen die Polizei! So sind zum Beispiel die
+Droschkenkutscher auf der breiten Straße, in die unser Sackgäßchen
+mündet, freiwillige Wachtposten, die den ziemlich sorglosen Übertretern
+der Gesetzesbestimmungen soeben die Annäherung eines Polizeimannes durch
+Winke verkündigen, worauf sich der Schwarm sofort zerstreut.
+
+
+Ein griechischer Dampfer liegt am Ufer. Ein italienischer kommt eben
+herein. Ihm folgt die »Tirol« vom Triester Lloyd. Menschen und Möwen
+werden aufgeregt.
+
+Die Einschiffung ist nicht angenehm. Wir sind hinter einem Berg von
+Gepäck ins Boot gequetscht, und jeden Augenblick drohen die hohen Wogen
+das überladene Fahrzeug umzuwerfen.
+
+Selten ist der Aufenthalt an Deck eines Schiffes im Hafen angenehm. Das
+Idyll, sofern nicht das Gegenteil eines Idylls im Schicksalsrate
+beschlossen ist ... das Idyll beginnt immer erst nach der Abfahrt.
+
+Eine schlanke, hohe, jugendschöne Engländerin mit den edlen Zügen
+klassischer Frauenbildnisse ist an Bord. Seltsam, ich vermag mir das
+homerische Frauenideal, vermag mir eine Penelope, eine Nausikaa, nur von
+einer so gearteten Rasse zu denken.
+
+Langsam gleitet Korfu, die Stadt, und Korfu, die Insel, an uns vorüber:
+die alten Befestigungen, die Esplanade, die Strada marina am Golf von
+Kastrades, auf der ich so oft nach dem königlichen Garten, nach dem
+Garten der Kirke, gewandert bin. Der Garten der Kirke selbst gleitet
+vorüber. Ich nehme mein Fernglas und bin noch einmal an dem lieblichen,
+jetzt in Schatten gelegten Ort, wo die Trümmer des kleinen antiken
+Tempelchens einsam zurückbleiben, und wo ich, seltsam genug bei meinen
+Jahren, fast wunschlos glückliche Augenblicke genoß. Oft sah ich von
+dort aus Schiffe vorübergleiten und bin nun selbst, der vorübergleitet
+auf seinem Schiff. Über den dunklen Wipfelgebieten des Gartens steht die
+Sonne hinter gigantischen Wolken im Niedergang und bricht über alles zu
+uns und zum Himmel hervor in gewaltigen, limbusartigen Strahlungen, und
+im Weitergleiten des Schiffes erfüllt mich nur noch der eine Gedanke: du
+bist auf der Pilgerfahrt zur Stätte des goldelfenbeinernen Zeus.
+
+
+Die ersten Stunden auf klassischem Boden, nachdem wir in Patras Morgens
+gelandet sind, bieten lärmende unangenehme Eindrücke. Aber, trotzdem wir
+nun in einem Bahncoupé, und zwar in einem ziemlich erbärmlichen, sitzen,
+saugt sich das Auge an Felder und Hügel dieser an uns vorüberflutenden
+Landschaft fest, als wäre sie nicht von dieser Erde. Vielleicht lieben
+wir Träume mit stärkerer Liebe, als Wirklichkeit. Aber das innere Auge,
+das sich selbst im Schlafe oft genug weit öffnet, legt sich mitunter in
+den Wiesen, Hainen und Hügelländern zur Ruh, die sich einem äußeren
+Sinne im Lichte des wachen Tages schlicht und gesund darbieten. Und
+etwas, wie eines inneren Sinnes Entlastung spüre ich nun.
+
+Also: um mich ist Griechenland. Das, was ich bisher so nannte, war alles
+andere, nur nicht Land. Die Sehnsucht der Seele geht nach Land, der
+Sehnsucht des Seefahrers darin ähnlich. Immer ist es zunächst nur
+eingebildet, wonach man sich sehnt, und noch so genaue Nachricht, noch
+so getreue Schilderung kann aus der schwebenden Insel der Phantasie kein
+wirklich am Grunde des Meeres verwurzeltes Eiland machen. Das vermag nur
+der Augenblick, wo man es wirklich betritt.
+
+Was nun so lange durchaus nur ein bloßer Traum der Seele gewesen ist,
+das will eben diese Seele, vom Staunen der äußeren Sinne berührt, die,
+von dem Ereignis betroffen, rastlos verzückt, fast überwältigt
+umherforschen ... das will eben diese Seele nicht gleich für wahr
+halten. Auch deshalb nicht, weil damit in einem anderen Sinne etwas, zum
+mindesten der Teil eines Traumbesitzes, in sich versinkt. Dies gilt aber
+nur für Augenblicke. Es gibt in einem gesund gearteten Geiste keine
+Todfeindschaft mit der Wirklichkeit: und was sie etwa in einem solchen
+Geiste zerstört, das hilft sie kräftiger wiederum aufrichten.
+
+Die Landschaft von Elis, durch die wir reisen, berührt mich heimisch.
+Wir haben zur Rechten das Meer, hinter roter Erde, in unglaublicher
+Farbenglut. Wie bläulicher Duft liegen Inseln darin: erst wird uns
+Ithaka, dann Cephalonia, später Zakynthos deutlich. Wir werden an Hügeln
+vorübergetragen, niedrigen Bergzügen, vor denen Fluren sich ausbreiten,
+die mit Rebenkulturen bestanden sind. Die Berge zur Linken weichen
+zurück hinter eine weite Talebene, die sie mit ihren Schneehäuptern
+begleiten. Einfache, grüne Weideflächen erfreuen den Blick. Und
+plötzlich erscheinen Bäume, einzelstehend, knorrig, weitverzweigt, die
+für das zu erklären, was sie wirklich sind, ich kaum getraue. Aber es
+sind und bleiben doch Eichen, deutsche Eichen, so alt und mächtig
+entwickelt, wie in der Heimat sie gesehen zu haben ich mich nicht
+erinnern kann.
+
+Stundenweit dehnen sich nun diese Eichenbestände. Doch sind die jetzt
+noch fast kahlen Kronen so weit voneinander entfernt, daß ihre Zweige,
+so breit sie umherreichen, sich nicht berühren. In den einsamen
+Weideländern darunter zeigen sich hie und da Hirten mit Herden.
+
+Es kommt mir vor, als ob ich unter den vielen, die mit uns reisen, einem
+großartigen Festtumulte zustrebte. Und durchaus ungewollt drängt sich
+mir nach und nach die Vision eines olympischen Tages auf: der Kopf und
+nackte Arm eines jungen Griechen, ein Schrei, eine Bitte, ein
+Pferdegewieher, Beifallstoben, ein Fluch des Besiegten. Ein Ringer, der
+sich den Schweiß abwischt. Ein Antlitz, im Kampfe angespannt, fast
+gequält in übermenschlicher Anstrengung. Donnernder Hufschlag,
+Rädergekreisch: alles vereinzelt, blitzartig, fragmentarisch.
+
+
+Wir sind in Olympia.
+
+Auf diesem verlassenen Festplatz ist kaum etwas anderes, als das sanfte
+und weiche Rauschen der Aleppokiefer vernehmlich, die den niedrigen
+Kronoshügel bedeckt und hie und da in den Ruinen des alten Tempelbezirks
+ihre niedrigen Wipfel ausbreitet.
+
+Dieses freundliche Tal des Alpheios ist dermaßen unscheinbar, daß man,
+den ungeheuren Klang seines Ruhmes im Herzen, bei seinem Anblick in
+eigentümlicher Weise ergriffen ist. Aber es ist auch von einer
+bestrickenden Lieblichkeit. Es ist ein Versteck, durch einen niedrigen
+Höhenzug jenseits des Flusses -- und diesseits durch niedrige Berge
+getrennt von der Welt. Und jemand, der sich von dieser Welt ohne Haß zu
+verschließen gedächte, könnte nirgend geborgener sein.
+
+Ein kleines, idyllisches Tal für Hirten -- eine schlichte, beschränkte
+Wirklichkeit! -- mit einem versandeten Flußlauf, Kiefern und kärglichem
+Weideland, und doch: es mag hier gewesen sein, es weigert nichts in dem
+Pilger, für wahr hinzunehmen, daß hier der Kronide, der Ägiserschütterer
+Zeus, mit Kronos um die Herrschaft der Welt gerungen hat. -- Das ist das
+Wunderbare und Seltsame.
+
+
+Die Abhänge jenseit des Alpheios färben sich braun. Die Sonne eines
+warmen und reinen Frühlingstages dringt nicht mehr mit ihren Strahlen
+bis an die Ruinen, zu mir. Zwei Elstern fliegen von Baum zu Baum, von
+Säulentrommel zu Säulentrommel. Sie gebärden sich hier wie in einem
+unbestrittnen Bereich. Ein Kuckuck ruft fortwährend aus den Wipfeln des
+Kronoshügels herab. -- Ich werde diesen olympischen Kuckuck vom zwölften
+April des Jahres Neunzehnhundertundsieben nicht vergessen.
+
+Die Dunkelheit und die Kühle bricht herein. Noch immer ist das Rauschen
+des sanften Windes in den Wipfeln die leise und tiefe Musik der Stille.
+Es ist ein ewiges, flüsterndes Aufatmen, traumhaftes Aufrauschen,
+gleichsam Aufwachen, von etwas, das zugleich in einem schweren,
+unerwecklichen Schlaf gebunden ist. Das Leben von einst scheint ins
+Innere dieses Schlafes gesunken. Wer nie diesen Boden betreten hat, dem
+ist es schwer begreiflich zu machen, bis zu welchem Grade Rauschen und
+Rauschen verschieden ist.
+
+Es ist ganz dunkel geworden. Ich unterliege mehr und mehr wieder inneren
+Eindrücken gespenstischer Wettspiele. Es ist mir, als fielen da und
+dorther Schreie von Läufern und Ringern aus der nächtlichen Luft. Ich
+empfinde Getümmel und wilde Bewegungen; und diese hastig fliehenden
+Dinge begleiten mich wie irgendein Rhythmus, eine Melodie, dergleichen
+sich manchmal einnistet und nicht zu tilgen ist.
+
+Plötzlich wird, von irgendeinem Hirtenjungen gespielt, der kunstlose
+Klang einer Rohrflöte laut: er begleitet mich auf dem Heimwege.
+
+
+Der Morgen duftet nach frischen Saaten und allerlei Feldblumen.
+Sperlinge lärmen um unsere Herberge. Ich stehe auf dem Vorplatz des
+hübschen, luftigen Hauses und überblicke von hier aus das enge,
+freundliche Tal, das die olympischen Trümmer birgt. Hähne krähen in den
+Höfen verschiedener kleiner Anwesen in der Nähe, von denen jedoch hier
+nur eines, ein Hüttchen, am Fuße des Kronoshügels, sichtbar ist.
+
+Man müßte ein Tälchen von ähnlichem Reiz, ähnlicher Intimität vielleicht
+in Thüringen suchen. Wenn man es aber so eng, so niedlich und voller
+idyllischer Anmut gefunden hätte, so würde man doch nicht, wie hier, so
+tiefe und göttliche Atemzüge tun.
+
+Mich durchdringt eine staunende Heiterkeit. Der harzige Kiefernadelduft,
+die heimisch-ländliche Morgenmusik beleben mich. Wie so ganz nah und
+natürlich berührt nun auf einmal das Griechentum, das durchaus nicht nur
+im Sinne Homers oder gar im Sinne der Tragiker zu begreifen ist. Viel
+näher in diesem Augenblick ist mir die Seele des Aristophanes, dessen
+»Frösche« ich von den Alpheiossümpfen herüber quaken höre. So laut und
+energisch quakt der griechische Frosch -- ich konnte das während der
+gestrigen Fahrt wiederholt bemerken! -- daß er literarisch durchaus
+nicht zu übersehen, noch weniger zu überhören war.
+
+Überall schlängeln sich schmale Pfade über die Hügel und zwischen den
+Hügeln hindurch. Sie sind wie Bänder durch einen Flußlauf gelegt, der
+zum Alpheios fließt. Kleine Karawanen, Trupps von Eseln und Mauleseln
+tauchen auf und verschwinden wieder. Man hört ihre Glöckchen, bevor man
+die Tiere sieht, und nachdem sie den Gesichtskreis verlassen haben. Am
+Himmel zeigen sich streifige Windwolken. In der braunen Niederung des
+Alpheios weiden Schafherden.
+
+Man wird an ein großartiges Idyll zu denken haben, das in diesem Tälchen
+geblüht hat. Es lebte hier eine Priestergemeinschaft nahe den Göttern;
+aber diese, Götter und Halbgötter, waren die eigentlichen Bewohner des
+Ortes. Wie wurde doch gerade dieses anspruchslose Stückchen Natur so von
+ihnen begnadet, daß es gleich einem entfernten Fixstern -- einer vor
+tausend Jahren erloschenen Sonne gleich -- noch mit seinem vollen,
+ruhmstrahlenden Lichte in uns ist?
+
+Diese bescheidenen Wiesen und Anhöhen lockten ein Gedränge von Göttern
+an, dazu Scharen glanzbegieriger Menschen, die von hier einen Platz
+unter den Sternen suchten. Nicht alle fanden ihn, aber es lag doch in
+der Macht des olympischen Zweiges, von einem schlichten Ölbaum dieser
+Flur gebrochen, Auserwählten Unsterblichkeit zu gewähren.
+
+
+Ich ersteige den Kronoshügel. Es riecht nach Kiefernharz. Einige Vögel
+singen in den Zweigen schön und anhaltend. Im Schatten der Nadelwipfel
+gedeiht eine zarte Ilexart. Die gewundenen Stämme der Kiefern mit tief
+eingerissener Borke haben etwas Wildkräftiges. Ich pflücke eine
+blutrote, anemonenartige Blume, überschreite das Band einer Wanderraupe,
+fünfzehn bis zwanzig Fuß lang. Die Windungen des Alpheios erscheinen:
+des Gottes, der gen Orthygia hinstrebt, jenseits des Meeres, wo
+Arethusa, die Nymphe, wohnt, die Geliebte.
+
+Die Fundamente und Trümmer des Tempelbezirks liegen unter mir. Dort, wo
+der goldelfenbeinerne Zeus gestanden hat, auf den Platten der Cella des
+Zeustempels, spielt ein Knabe. Es ist mein Sohn. Etwas vollkommen
+Ahnungsloses, mit leichten, glücklichen Füßen die Stelle umhüpfend, die
+das Bildnis des Gottes trug, jenes Weltwunder der Kunst, von dem unter
+den Alten die Rede ging, daß, wer es gesehen habe, ganz unglücklich
+niemals werden könne.
+
+Die Kiefern rauschen leise und traumhaft über mir. Herdenglocken, wie in
+den Hochalpen oder auf den Hochflächen des Riesengebirges, klingen von
+überall her. Dazu kommt das Rauschen des gelben Stroms, der in seinem
+breiten, versandeten Bette ein Rinnsal bildet, und das Quaken der
+Frösche in den Tümpeln stehender Wässer seiner Ufer.
+
+Immer noch hüpft der Knabe um den Standort des Götterbildes, das,
+hervorgegangen aus den Händen des Phidias, den Wolkenversammler, den
+Vater der Götter und Menschen darstellte; und ich denke daran, wie, der
+Sage nach, der Gott mit seinem Blitz in die Cella schlug und auf diese
+Art dem Meister seine Zufriedenheit ausdrückte. Was war das für ein
+Meister und ein Geschlecht, das Blitzschlag für Zustimmung nahm! Und was
+war das für eine Kunst, die Götter zu Kritikern hatte!
+
+Die Hügel jenseits des Alpheios bilden eine Art Halbkreis, und ich
+empfinde sie fast, unwillkürlich forschend hinüberblickend, als einen
+amphitheatralischen Rundbau für göttliche Zuschauer. Rangen doch auf dem
+schlichten Festplatz unter mir Götter und Menschen um den Preis.
+
+Meinen Sinn zu den Himmlischen wendend, steige ich langsam wieder in das
+Vergessenheit und Verlassenheit atmende Wiesental: das Tal des Zeus, das
+Tal des Dionysos und der Chariten, das Tal des idäischen Herakles, das
+Tal der sechzehn Frauen der Hera, wo auf dem Altar des Pan Tag und Nacht
+Opfer brannten, das Tal der Sieger, das Tal des Ehrgeizes, des Ruhmes,
+der Anbetung und Verherrlichung, das Tal der Wettkämpfe, wo es dem
+Herakles nicht erspart blieb, mit den Fliegen zu kämpfen, die er aber
+nur mit Hilfe des Zeus besiegte und dort hinüber, hinter das jenseitige
+Ufer des Alpheios, trieb.
+
+Und wieder schreite ich zwischen den grauen Trümmern hin, die eine
+schöne Wiese bedecken. Überall saftiges Grün und gelbe Maiblumen. Das
+Elsternpaar von gestern fliegt vor mir her. Die Säulen des Zeustempels
+liegen, wie sie gefallen sind: die riesigen Porostrommeln schräg
+voneinander gerutscht. Überall duftet es nach Blumen und Thymian um die
+Steinmassen, die sich im wohltätigen Scheine der Morgensonne warm
+anfühlen. Von einem jungen Ölbäumchen, nahe dem Zeustempel, breche ich
+mir, in unüberwindlicher Lüsternheit, seltsamerweise zugleich fast scheu
+wie ein Dieb, den geheiligten Zweig.
+
+
+Abschiednehmend trete ich heut das zweitemal vor die Giebelfiguren des
+Zeustempels, in dem kleinen Museum zu Olympia, und dann vor den Hermes
+des Praxiteles. Ich lasse dahingestellt, was offenkundig diese Bildwerke
+unterscheidet, und sehe in Hermes weniger das Werk des Künstlers, als
+den Gott. Es ist hier möglich, den Gott zu sehen, in der Stille des
+kleinen Raums, an den die Äcker und Wiesen dicht herantreten. Und so
+gewiß man in den Museen der großen Städte Kunstwerke sehen kann, vermag
+man hier in die lebendige Seele des Marmors besser zu dringen und fühlt
+heraus, was an solchen Gebilden mehr, als Kunstwerk ist. Die
+griechischen Götter sind nicht von Ewigkeit. Sie sind gezeugt und
+geboren worden.
+
+Dieser Gott ist besonders bedauernswert in seiner Verstümmelung, da ihm
+eine überaus zärtliche Schönheit, ein weicher und lieblicher Adel eigen
+ist. Ambrosische Sohlen sind immer zwischen ihm und der Erde gewesen.
+Man hat ein Bedauern mit seiner Vereinsamung, weil die unverletzliche,
+unverletzte, olympisch-weltferne Ruhe und Heiterkeit noch auf seinem
+Antlitz zu lesen ist, während draußen Altäre und Tempel, fast dem
+Erdboden gleichgemacht, in Trümmern liegen.
+
+Seltsam ist die hingebende Liebe und Schwärmerei, die dem Bildner den
+Meißel geführt hat, als er den Rinderdieb, den Schalk, den Täuscher, den
+schlauen Lügner, den lustigen Meineidigen, den Maultier-Gott und
+Götterboten darstellte, der allerdings auch die Leier erfand.
+
+
+Wie schwärmende Bienen am Ast eines Baumes, so hängen die Menschen am
+Zuge, während wir langsam in Patras einfahren. Lärm, Schmutz, Staub
+überall. Auch noch in das Hotelzimmer dringt der Lärm ohrenbetäubend.
+Geräusche, als ob Raketen platzten oder Bomben geworfen würden,
+unterbrechen das Gebrüll der Ausrufer. Patras ist, nächst dem Piräus,
+der wichtigste Hafenplatz des modernen Griechenland. Wir sehnen uns in
+das Unmoderne.
+
+
+Endlich, nachdem wir eine Nacht hier haben zubringen müssen, sitzen wir,
+zur Abfahrt fertig, wieder im Bahncoupé. Vor den Türen der Waggons
+spielt sich ein tumultuarisches Leben mit allerlei bettelhaften Humoren
+ab. Ein junger, griechischer Bonvivant schenkt einem zerlumpten,
+lümmelhaft aussehenden Menschen Geld, zeigt flüchtig auf einen der
+jugendlichen Händler, die allerlei Waren feilbieten, und sofort stürzt
+sich der bezahlte, tierische Halbidiot auf eben den Händler und walkt
+ihn durch. Noch niemals habe ich überhaupt binnen kurzer Zeit so viele,
+wütende Balgereien gesehen. An zwei, drei Stellen des Volksgewimmels
+klatschen fast gleichzeitig die Maulschellen. Man verfolgt, bringt zu
+Fall, bearbeitet gegenseitig die Gesichter mit den Fäusten: alles, wie
+wenn es so sein müßte, in großer Harmlosigkeit.
+
+
+Zu den schönsten Bahnlinien der Welt gehört diejenige, die von Patras,
+am Südufer des korinthischen Golfes entlang, über den Isthmus nach Athen
+führt. Der Golf und seine Umgebung erinnern an die Gegenden des
+Gardasees. Paradiesische Farbe, Glanz, Reichtum und Fülle in einer
+beglückten Natur. Der Isthmus zeigt einen anderen Charakter:
+Weideflächen, vereinzelte Hirten und Niederlassungen. Am Nordrand durch
+Hügel begrenzt, die, bedeckt von den Wipfeln der Aleppo-Kiefer, zum
+Wandern anlocken. Alles ist hier von einer erfrischenden, beinahe
+nordischen Einfachheit.
+
+Die grünen Flächen der Landenge liegen in beträchtlicher Höhe über dem
+Meere. Nach den großartigen und prunkhaften Wirkungen des
+peloponnesischen Nordufers überrascht diese schlichte und herbe
+Landschaft und berührt wohltätig. Eine Empfindung kommt über mich, als
+sähe ich diese Fluren nicht zum ersten Mal. Das Vertraute daran ist, was
+überrascht. Ich kann nicht sagen, daß mich etwa je auf der italienischen
+Halbinsel eine Empfindung des Heimischen, so wie hier, beschlichen
+hätte. Dort blieb immer der Reiz: das schöne Fremdartige. Ich spüre
+schon jetzt: ich liebe dies Land. Schon jetzt, im Anfang, erfaßt die
+Erkenntnis mich, wie ein Rausch, daß eben nur dieser Grund die wahre
+Heimat der Griechen sein konnte.
+
+Ich spreche den Namen Theseus aus. Und nun hat sich in mir ein
+psychischer Vorgang vollzogen, der mich, angesichts des isthmischen,
+ernsten Landgebiets, der griechischen Art, sich Halbgötter vorzustellen,
+näher bringt. Ich empfinde und sehe in Theseus den Mann von Fleisch und
+Blut, der wirklich gelebt und dessen Fuß diese Landenge überschritten
+hat; der, zum Heros gesteigert, noch immer so viel vom Menschen besaß,
+als vom Gott und auch so noch mit der Stätte seines Wanderns und Wirkens
+verbunden blieb.
+
+Warum scheuen wir uns und erachten für trivial, unsere heimischen
+Gegenden, Berge, Flüsse, Täler zu besingen, ja, ihre Namen nur zu
+erwähnen in Gebilden der Poesie? Weil alle diese Dinge, die als Natur
+jahrtausendelang für teuflisch erklärt, nie wahrhaft wieder geheiligt
+worden sind. Hier aber haben Götter und Halbgötter, mit jedem weißen
+Berggipfel, jedem Tal und Tälchen, jedem Baum und Bäumchen, jedem Fluß
+und Quell vermählt, alles geheiligt. Geheiligt war das, was über der
+Erde, auf ihr und in ihr ist. Und rings um sie her, das Meer, war
+geheiligt. Und so vollkommen war diese Heiligung, daß der Spätgeborene,
+um Jahrtausende Verspätete, daß der Barbar noch heut -- und sogar in
+einem Bahncoupé -- von ihr im tiefsten Wesen durchdrungen wird.
+
+Man muß die Bäume dort suchen, wo sie wachsen, die Götter nicht in einem
+gottlosen Lande, auf einem gottlosen Boden. Hier aber sind Götter und
+Helden Landesprodukte. Sie sind dem Landmann gewachsen, wie seine
+Frucht. Des Landbauers Seele war stark und naiv. Stark und naiv waren
+seine Götter.
+
+Theseus, um es noch einmal zu sagen, ist also für mich kein
+riesenmäßiger, leerer Schemen mehr, ich empfinde ihn einerseits nah,
+schlicht und materialisch, als Kind der Landschaft, die mich umgibt.
+Andererseits erkenne ich ihn als das, wozu ihn die Seele des Griechen
+erhoben hat, die aber doch Gott, wie Landeskind, an die Heimat bannte.
+
+Die Landschaft behält, von einer Strecke dicht über dem Meere abgesehen,
+fortan den ernsten Ausdruck. Der Abend beginnt zu dämmern, ja,
+verdüstert sich zu einer großartigen Schwermut, von einem Zauber, der
+eher nordisch, als südlich ist. Es fällt lauer Regen. Das graue Megara,
+das einen Hügel überzieht, wirkt wie eine geplünderte Stadt. Zwischen
+Schutthaufen, in ärmlichen Winkeln halb eingestürzter Häuser, scheinen
+die Menschen zu leben. Man glaubt eine Stadt zu sehen, über die ein
+Eroberer mit Raub, Brand und Mord seinen Weg genommen hat.
+
+Kurz hinter Eleusis steigt der Zug nochmals bergan, durch die Vorhöhen
+des Parnes. Bei tieferer Dunkelheit, zunehmendem Regen und kalter Luft
+kommt mir die steinigte Einöde, in die ich hineinstarre, fast norwegisch
+vor. Ich bin sehr glücklich über den Wetterumschlag, der mir die
+ungesunde Vorstellung eines ewiglachenden Himmels nimmt. Die Gegend ist
+menschenleer. Nur selten begegnet die dunkle Gestalt eines Hirten,
+aufrecht stehend, dicht in den wolligen Mantel gehüllt. Und während der
+kalte und feuchte Wind meine Stirne kühlt, Regentropfen mir ins Gesicht
+wirft, und ich die starke, kalte Regen- und Bergluft in mich einsauge,
+hat sich ein neues Band geknüpft zwischen meinem Herzen und diesem
+Lande.
+
+Was Wunder, wenn durch die Erregung der langen Fahrt, in Dunkelheit, in
+Wind und Wetter, einer höchsten Erfüllung nah, die Seele in einen
+luziden Zustand gerät, wo es ihr möglich wird, von allem Störenden
+abzusehen und deutliche Bilder längst vergangenen Lebens in die
+phantastische, sogenannte Wirklichkeit hineinzutragen. Fast erlebe ich
+so den tapferen Bergmarsch eines Trupps atheniensischer Jünglinge, etwa
+zur Zeit des Perikles, und freue mich, wie sie, gesund und wetterhart,
+der Unbill von Regen und Wind, wie wir selbst es gewohnt sind, wenig
+achten. Ich lerne die ersten Griechen kennen. Ich freunde mich an mit
+diesem Schwarm, ich höre die jungen Leute lachen, schwatzen, rufen und
+atmen. Ich frage mich, ob nicht vielleicht am Ende Alcibiades unter
+ihnen ist? Es ist mir, als ob ich auch ihn erkannt hätte! Und dies
+Erleben wird so durchaus eine Realität, daß irgend etwas so Genanntes
+für mich mehr Realität nicht sein könnte.
+
+Wir rollen hinab in die attische Ebene. Die Lichter einer Stadt, die
+Lichter Athens, tauchen ferne auf. Das Herz will mir stocken ...
+
+Ein grenzenloses Geschrei, ein Gebrüll, das jeder Beschreibung spottet,
+empfängt uns am Bahnhof von Athen. Mehrere hundert Kehlen von Kutschern,
+Gepäckträgern und Hotelbediensteten überbieten sich. Ich habe einen
+solchen Schlachttumult bis diesen Augenblick, der meinen Fuß auf
+athenischen Boden stellt, nicht gehört. Die Nacht ist dunkel, es gießt
+in Strömen.
+
+
+Eine Stadt, wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwischen
+Akropolis und Lykabethos einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn
+überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit
+ungestört hingeben kann. Zum dritten Mal bin ich nun im Theater des
+Dionysos, dessen sonniger Reiz mich immer aufs neue anlockt. Es hält
+schwer, sich an dieser Stelle in die furchtbare Welt der Tragödie zu
+versetzen, hier, wo sie ihre höchste Vollendung gefunden hat. Das, was
+ihr vor allem zu eignen scheint, das Nachtgeborene, ist von den Sitzen,
+aus der Orchestra und von der Bühne durch das offene Licht der Sonne
+verdrängt. Weißer und blendender Dunst bedeckt den Himmel, der Wind weht
+schwül, und der Lärm einer großen Stadt mit Dampfpfeifen, Wagengerassel,
+Handwerksgeräuschen und dem Geschrei der Ausrufer überschwemmt und
+erstickt, von allen Seiten herandringend, jedweden Versuch zur
+Feierlichkeit.
+
+Was aber auch hier sogleich in meiner Seele sich regt und festnistet,
+fast jeder andren Empfindung zuvorkommend, ist die Liebe. Sie gründet
+sich auf den schlichten und phrasenlosen Ausdruck, den hier die Kunst
+eines Volkes gewonnen hat. Alles berührt hier gesund und natürlich, und
+nichts in dieser Anlage erweckt den Eindruck zweckwidriger Üppigkeit
+oder Prahlerei. Irgendwie gewinnt man, lediglich aus diesen
+architektonischen Resten, die Empfindung von etwas Hellem,
+Klar-Geistigem, das mit der Göttin im Einklang steht, deren
+kolossalisches Standbild auf dem hinter mir liegenden Felsen der
+Akropolis errichtet war, und deren heilig gesprochenen Vogel, die Eule,
+man aus den Löchern der Felswand, und zwar in den lichten Tag und bis in
+die Sitzreihen des Theaters hinein, rufen hört.
+
+Ich wüßte nicht, wozu der wahrhaft europäische Geist eine stärkere Liebe
+fühlen sollte, als zum Attischen. Bei Diodor, den ich leider nur in
+Übersetzung zu lesen verstehe, wird gesagt: die alten Ägypter hätten der
+Luft den Namen Athene gegeben, und Glaukopis beziehe sich auf das
+himmlische Blau der Luft. Der Geist, der hier herrschte, blieb leicht
+und rein und durchsichtig, wie die attische Luft, auch nachdem das
+Gewitter der Tragödie sie vorübergehend verfinstert, der Strahl des Zeus
+sie zerrissen hatte.
+
+Als höchste menschliche Lebensform erscheint mir die Heiterkeit: die
+Heiterkeit eines Kindes, die im gealterten Mann oder Volk entweder
+erlischt, oder sich zur Kraft der Komödie steigert. Tragödie und Komödie
+haben das gleiche Stoffgebiet: eine Behauptung, deren verwegenste
+Folgerungen zu ziehen, der Dichter noch kommen muß. Der attische Geist
+erzeugt, wie die Luft eines reinen Herbsttages, in der Brust jenen
+wonnigen Kitzel, der zu einem beinahe nur innen spürbaren Lachen reizt.
+Und dieses Lachen, durch den Blick in die Weite der klaren Luft genährt,
+kann sich wiederum bis zu jenem steigern, das im Tempel des Zeus gehört
+wurde, zu Olympia, als die Sendboten des Caligula Hand anlegten, um das
+Bild des Gottes nach Rom zu schleppen.
+
+Man soll nicht vergessen, daß Tragödie und Komödie volkstümlich waren.
+Es sollen das diejenigen nicht vergessen, die heute in toten Winkeln
+sitzen. Beide, Tragödie, wie Komödie, haben nichts mit schwachen,
+überfeinerten Nerven zu tun, und ebensowenig, wie sie, ihre Dichter --
+am allerwenigsten aber ihr Publikum. Trotzdem aber keiner der Zuschauer
+jener Zeiten, etwa wie viele der heutigen, beim Hühnerschlachten
+ohnmächtig wurde, so blieb, nachdem die Gewalt der Tragödie über ihn
+hingegangen war, die Komödie eines jeden unabweisliche Gegenforderung:
+und das ist gesund und ist gut.
+
+Die ländlichen Dionysien wurden an der Südseite der Akropolis, im
+Lenäon, nach beendeter Weinlese abgehalten. Was hindert mich, trotzdem,
+das sogenannte Schlauchspringen mir unten in der Orchestra meines
+Theaters vorzustellen? Man sprang auf einen geölten, mit Luft gefüllten
+Schlauch, und suchte, einbeinig hüpfend, darauf Fuß zu fassen. Das ist
+der Ausdruck überschäumender Lustigkeit, ein derber überschüssiger
+Lebensmut. Und nicht aus dem Gegenteil, nicht aus der Schwäche und
+Lebensflucht entstehen Tragödie und Komödie!
+
+Ein deutscher Kegelklub betritt, von einem schreienden Führer belehrt,
+den göttlichen Raum. Man sieht es den hilflos tagblinden Augen der
+Herren an, daß sie vergeblich hier etwas Merkwürdiges suchen. Ich würde
+ihren gelangweilten Seelen gönnen, sich wenigstens an der Vorstellung
+aufzuheitern, dem tollen Sprung auf den öligen Schlauch, die mich
+ergötzt.
+
+
+Heut betrete ich, ich glaube zum viertenmal, die Akropolis. Es ist
+länger als fünfundzwanzig Jahre her, daß mein Geist auf dem Götterfelsen
+heimisch wurde. Damals entwickelte uns ein begeisterter Mann, den
+inzwischen ein schweres Schicksal ereilt hat, seine Schönheiten. Es ist
+aber etwas anderes, von jemand belehrt zu werden, der mit eigenen Augen
+gesehen hat, oder selber die steilen Marmorstufen zu den Propyläen
+hinaufzusteigen und mit eignen Augen zu sehn.
+
+Ich finde, daß diese Ruinen einen spröden Charakter haben, sich nicht
+leicht dem Spätgeborenen aufschließen. Ich habe das dunkle Bewußtsein,
+als ob etwa über die Säulen des Parthenon von da ab, als man sie wieder
+zu achten anfing, sehr viel Berauschtes verfaßt worden wäre. Und doch
+glaube ich nicht, daß es viele gibt, die von den Quellen der Berauschung
+trunken gewesen sind, die wirklich im Parthenon ihren Ursprung haben.
+
+Wie der Parthenon jetzt ist, so heißt seine Formel: Kraft und Ernst!
+Davon ist die Kraft fast bis zur Drohung, der Ernst fast bis zur Härte
+gesteigert. Die Sprache der Formen ist so bestimmt, daß ich nicht einmal
+glauben kann, es sei durch die frühere, bunte Bemalung ihrem Ausdruck
+etwas genommen worden.
+
+Ich habe das schwächliche Griechisieren, die blutlose Liebe zu einem
+blutlosen Griechentum niemals leiden mögen. Deshalb schreckt es mich
+auch nicht ab, mir die dorischen Tempel bunt und in einer für manche
+Begriffe barbarischen Weise bemalt zu denken. Ja, mit einer gewissen
+Schadenfreude gönne ich das den Zärtlingen. Ich nehme an, es gab dem
+architektonischen Eindruck eine wilde Beimischung. Möglicherweise
+drückte das Grelle des farbigen Überzugs den naiven Stand der
+Beziehungen zwischen Göttern und Menschen aus, indem er fast
+marktschreierisch zu festlichen Freuden und damit zu tiefer Verehrung
+einfing.
+
+Jeder echte Tempel ist volkstümlich. Trotz unserer europäischen Kirchen
+und Kathedralen glaube ich, gibt es bei uns keine echten Tempel in
+diesem Betrachte mehr. Vielleicht aus dem Grunde, weil sich bei uns die
+Lebensfreude von der Kirche geschieden hat, die nur noch gleichsam den
+Tod und die Gruft verherrlicht. Die Kirchen bei uns sind Mausoleen:
+wobei ich nur an die katholischen denke. Einen protestantischen Tempel
+gibt es nicht. Da nun aber das Leben lebt und lebendig ist, so erzeugt
+sich auch immer unfehlbar wieder der Trieb zur Freude. Und er ist es,
+der heute das Theater, den gefährlichsten Konkurrenten der Kirche,
+geschaffen hat. Ich behaupte, was heut die Menschen zur Kirche treibt,
+ist entweder Todesangst oder Suggestion. Das Theater bedarf solcher
+Mittel nicht, um Menschen in seine Räume zu bringen. Dorthin drängen sie
+sich vielmehr, wie Spatzen, von einem fruchtbeladenen Kirschbaume
+angelockt.
+
+Wenn heut bei uns eine Gauklergesellschaft auf dem Dorfplan Zelte
+errichtet, herrscht sogleich unter der Mehrzahl der Dörfler, vor allem
+aber unter den Kindern, festliche Aufregung. Kunstreiter oder
+Bänkelsänger mit der neuesten Moritat, sie genießen, obgleich in Acht
+und Bann seit Jahrtausenden, immer die gleiche, natürliche Zuneigung.
+Der Karren des Thespis war nicht in Acht und Bann getan; ja, Thespis
+erhielt im Theater, im heiligen Bezirk des Dionysos, seine Statue, und
+doch scheint er auch nur mit der Moritat von Ikarios umhergezogen zu
+sein. Kurz, was heute in Theater und Kirche zerfallen ist, war damals
+ganz und eins; und, weit entfernt ein memento mori zu sein, lockte der
+Tempel ins höhere, festliche Leben, er lockte dazu, wie ein buntes,
+göttliches Gauklerzelt.
+
+Während unsre Kirchen eigentlich nur den Unterirdischen geweiht zu sein
+scheinen, galten die griechischen Tempel als Wohnung der Himmlischen.
+Deshalb senkten sie lichte Schauder ins Herz, statt der dunklen, und die
+Pilger ergriff zugleich, in der olympischen Nähe, Furcht, Seligkeit,
+Sehnsucht und Neid.
+
+
+Starker Wind. Gesundes, sonniges Wetter. In der Luft wohnt deutscher
+Frühling. Der Parthenon: stark, machtvoll, ohne südländisches Pathos,
+rauscht im Winde laut, wie eine Harfe oder das Meer. Ein deutscher
+Grasgarten ist um ihn herum. Frühlingsblumen beben im Luftzug. Um alle
+die heiligen Trümmer auf dem grünen Plateau der Akropolis weht
+Kamillen-Arom. Es ist ein unsäglich entzückender Zustand, zwischen den
+schwankenden Gräsern auf irgendeinem Stück Marmor zu sitzen, die Augen
+schweifen zu lassen, über die blendend helle, attische Landschaft hin.
+Hymettos zur Linken, Penthelikon, als Begrenzung der Ebene. Der Parnes,
+bei leichter Rückwärtswendung des Kopfes sichtbar. Silbergraue
+Gebirgswälle, im weiten Kreisbogen um Athen und den Götterfelsen
+gelagert, der mit dem Parthenon auf dem Scheitel alles beherrscht. Hier
+stand Athene, aufrecht, mit der vergoldeten Speerspitze. Vom Parnes
+grüßte der Zeus Parnethios, vom Hymettos grüßte der Zeus Hymethios. Vom
+Penthele ein zweites Bild der Athene. Attika war von Göttern bewohnt,
+von Göttern auf allen umliegenden Höhen bewacht, die einander mit
+göttlichen Brauen zuwinkten. Geradeaus, unter mir, liegt tiefblau, in
+die herrliche Bucht geschmiegt, das Meer. Aegina und Salamis grüßen
+herüber ... Ich atme tief! ...
+
+
+Ich sitze auf einem Priestersessel im Theater des Dionysos. Hähne
+krähen; es ist, als ob Athen und die Demen nur von Hähnen bewohnt wären.
+Der städtische Lärm tritt heut ein wenig zurück, und das Geschrei der
+Ausrufer ist durch das oft wiederholte Geschrei von weidenden Eseln
+abgelöst. Brütende Sonne erwärmt die gelblichen Marmorsessel und
+Marmorstufen.
+
+Etwa 30000 Zuschauer wurden auf diesen Stufen untergebracht, von denen
+nicht allzuviele Reihen erhalten sind; und hinter und über der letzten,
+obersten Reihe thronten die Götter: denn dort überragt das ganze Theater
+die rötliche Felswand der Akropolis, gewiß noch heut der seltsamste,
+rätselvollste und zugleich lehrreichste Fels der Welt.
+
+Noch heute, jenseit von allem Aberglauben jener Art, wie er im Altertum
+im Volke lebt und dichtet, empfinde ich doch die Kraft, die schaffende
+Kraft dieses Glaubens tief, und wenn mein Wille allein es meistens ist,
+der die ausgestorbene Götterwelt zu beleben sucht, hier, angesichts
+dieses ragenden Felsens, erzeugt sich augenblicksweise, fast
+unwillkürlich ein Rausch der Göttergegenwart. Zweifellos war es ein Grad
+der Ekstase, der jene Dreißigtausend hier, auf dem geheiligten Grund des
+Eleutherischen Dionysos, im Angesichte der heiligen Handlung des
+Schauspiels befiel, den zu entwickeln dem glaubensarmen Geschlecht von
+heut das Mittel abhanden gekommen ist. Und ich stehe nicht an, zu
+behaupten, daß alle Tragiker, bis Euripides, so sehr sie sich von der
+derb naiven Gläubigkeit der Menge gesondert haben mögen, von
+Gottesfurcht oder Götterfurcht und vom Glauben an ihre Wirklichkeit,
+besonders hier, am Fuße und im Bereich des Gespensterfelsens,
+durchdrungen gewesen sind.
+
+Die Akropolis ist ein Gespensterfelsen. In diesem Theater des Dionysos
+gingen Gespenster um. In zahllosen Löchern des rotvioletten Gesteins
+wohnten die Götter, wie Mauerschwalben. Es ist eine enggedrängte,
+überfüllte, göttliche Ansiedelung: hatten doch, nach Pausanias, die
+Athener für das Göttliche einen weit größeren Eifer, als die übrigen
+Griechen. Die Art, wie sie allen möglichen Göttern Asyle und wieder
+Asyle gründeten, deutet auf Angst. Während ich solchen Gedanken
+nachhänge, höre ich hinter mir wiederum den Vogel der Pallas, aus einem
+Felsloch, klägliche Laute in den Tag hineinwimmern und stelle mir vor,
+wie wohl die atemlos lauschenden Tausende ein Schauer bei diesem Ruf
+überrieselt hat.
+
+Die Seelenverfassung der großen Tragiker wurde unter anderem auch von
+dem Umstand bedingt, daß sie Götter als Zuschauer hatten. Daß es so war,
+ist für mich eine Wirklichkeit. Die Woge des Glaubens, die ihnen aus
+dreißigtausend Seelen entgegenschlug, verstärkt durch die Nähe
+göttlicher Troglodyten und Tempelbewohner des Felsens, war allein schon
+wie eine ungeheure Sturzwelle, und jede Skepsis wurde hinweggespült.
+
+»An der sogenannten südlichen Mauer der Burg, dem Theater zugekehrt, ist
+ein vergoldetes Haupt, der Gorgone Medusa geweiht, und um dasselbe ist
+die Ägide angebracht. Am Giebel des Theaters ist im Felsen unter der
+Burg eine Grotte; auch über dieser steht ein Dreifuß; in ihr sind Apollo
+und Artemis, wie sie die Kinder der Niobe töten«, schreibt Pausanias.
+Ein Heiligtum der Artemis Brauronia ist auf der Burg. Der große Tempel
+der Pallas Athene, ein Heiligtum des Erechtheus, des Poseidon, Altäre
+des Zeus, zahllose Statuen von Halbgöttern, Göttern und Heroen sind da,
+Äskulap hat im Felsen sein Heiligtum, Pan seine Grotte, sogar Serapis
+hat seinen Tempel. Zwei Grotten standen Apollon zu, dem »Apoll unter der
+Höhe«. Ein tiefer Felsspalt ist der Ort, wo der Gott Creusa, die Tochter
+Erechtheus', überraschte und den Stammvater aller Jonier mit ihr zeugte.
+Hephästos besaß seinen Altar und so fort.
+
+Alle diese Gottheiten lebten nicht nur auf der Burg. Sie durchwanderten
+bei Nacht und sogar am Tage die Straßen der Stadt. Der Mann aus dem
+Volke, das Weib aus dem Volke war nicht imstande, die Gebilde des
+nächtlichen Traums von denen des täglichen Traums zu sondern. Beide
+waren ihnen so gut, wie das, was sie sonst mit Augen wahrnahmen,
+Wirklichkeit.
+
+Die Tragiker hatten Götter als Zuschauer, und dadurch wurde nicht nur
+die Grundverfassung ihrer Seele mit bedingt, sondern die Art des Dramas,
+das sie hervorbrachten. Auch in diesem Drama traten Götter und Menschen
+im Verkehr miteinander auf, und es ward damit, in einem gewissen Sinne,
+das geheiligte Spiegelbild der ins Erhabene gesteigerten Volksseele. Was
+wäre ein Dichter, dessen Wesen nicht der gesteigerte Ausdruck der
+Volksseele ist!
+
+
+Es ist der Vormittag des 20. April. Ich habe den Felsen des Areopag
+erstiegen. Zwei Soldaten schlafen in einer versteckten Mulde. Esel
+schreien; Hähne krähen. Der Ort ist verunreinigt. An einem Teile des
+Felsens werden Vermessungen vorgenommen. Wieder liegt das weiße,
+blendende Licht über der Landschaft.
+
+Auf diesem Hügel des Ares, heißt es, ist über den Kriegsgott Gericht
+gehalten worden, in Urzeiten, irgend eines vereinzelten Mordes wegen,
+den er begangen hatte. Hier, sagt man, wurde Orestes gerichtet und
+losgesprochen, trotzdem er die Mutter ermordet hatte. In nächster Nähe
+soll hier ein Heiligtum der Erinnyen gewesen sein, der zürnenden
+Gottheiten, die von den Athenern die Ehrwürdigen, oder ähnlich, genannt
+wurden. Ihre Bildnisse sollen nicht schreckenerregend gewesen sein, und
+erst Äschylos hat ihnen Schlangen ins Haar geflochten.
+
+Es fällt wiederum auf, wie überladen mit Götterasylen der nahe
+Burgfelsen ist: mit Nestern, Gottesgenisten könnte man sagen! Jeder
+Spalt, jede Höhle, jeder Fußbreit Stein war für die oberirdischen,
+unterirdischen oder auch für solche Gottheiten, die im Wasser leben,
+ausgenützt. Es ist erstaunlich, daß sie hier untereinander Frieden
+hielten. Vielleicht geschah es, weil Pallas Athene, als Höchstverehrte,
+über den andern stand.
+
+Man ist hier auf dem Areopag erhaben über der Stadt. Man übersieht einen
+Teil von ihr und den Theseustempel. Man sieht gegenüber, durch ein Tal
+getrennt, die Felsplatten der Pnyx. Man hört die zahllosen Schwalben des
+nahen Burgfelsens zwitschern. Dies Zwitschern wird zu einer sonderbaren
+Musik, wenn man sich an den ersten Gesang der Odyssee und an die
+folgenden Verse erinnert:
+
+ »Also redete Zeus' blauäugigte Tochter, und eilend
+ Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin ...«
+
+und an die Neigung der Himmlischen überhaupt, sich in allerlei Tiere,
+besonders in Vögel, umzuwandeln.
+
+Ich lasse mich nieder, lausche und betrachte den zwitschernden
+Götterfelsen, die Akropolis. Ich schließe die Augen und finde mich durch
+das Zwitschern tief und seltsam aufgeregt. Es kommt mir vor, indem ich
+leise immer wieder vor mich hinspreche: Der zwitschernde Fels! Die
+zwitschernden Götter! Der zwitschernde Götterfels! als habe ich etwas
+aus der Seele eines naiven Griechen jener Zeit, da man die Götter noch
+ehrte, herausempfunden. Vielleicht, sage ich mir, ist, wenn man eine
+abgestorbene Empfindung wieder beleben kann, damit auch eine kleine,
+reale Entdeckung gemacht.
+
+Und plötzlich erinnere ich mich der »Vögel« des Aristophanes, und es
+überkommt mich zugleich in gesteigertem Maße Entdeckerfreude. Ich bilde
+mir ein, daß mit dieser Empfindung: »der zwitschernde Fels, die
+zwitschernden Götter«, im Anblick der Burg, der Keim jenes göttlichen
+Werkes in der Seele des freiesten unter den Griechen zuerst ins Leben
+getreten ist. Ich bilde mir ein, vielleicht den reinsten und
+glücklichsten Augenblick, einen Schöpfungsakt seines wahrhaft
+dionysischen Daseins, neu zu durchleben, und will es jemand bezweifeln,
+so raubt er mir doch die heitere, überzeugte Kraft der Stunde nicht.
+
+ »... Tioto, tioto, tiotix!
+ Widerhallte der ganze Olympos.«
+
+
+Frische, nordische Luft. Nordwind. Eine ungeheure Rauch- und Staubwolke
+wird von Norden nach Süden über das ferne Athen hingejagt. Gegen den
+Hymettos zieht der bräunliche Dunst, Akropolis und Lykabettos in
+Schleier hüllend. Ich verfolge, vom Rande der phalerischen Bucht, ein
+beinahe ausgetrocknetes Flußbett, in der Richtung gegen den Parnes.
+Schwalben flattern über den spärlichen Wasserpfützen in lebhafter
+Erwerbstätigkeit. Ich habe zur Linken die letzten Häuser und Gärten der
+Ansiedelung von Neu-Phaleron, hinter einem Feld grüner Gerste, die in
+Ähren steht. Zur Rechten, jenseit des Flußlaufs, gegen das ferne Athen
+hin, sind ebenfalls ausgedehnte Flächen mit Gerste bebaut. Die Finger
+erstarren mir fast, wie ich diese Bemerkung in mein Buch setze. Die
+Landschaft ist fast ganz nordisch. Vereinzelte Kaktuspflanzen an den
+Feldrainen machen den unwahrscheinlichsten Eindruck. Ich beschreite
+einen Feldweg. Um mich, zu beiden Seiten, wogt tiefgrün die Gerste. Man
+muß die Alten und das Getreide zusammendenken, um ganz in ihre sinnliche
+Nähe zu gelangen, mit ihnen vertraut, bei ihnen heimisch zu sein.
+
+Die Akropolis, mit dem Parthenon, erhebt sich unmittelbar aus der weiten
+Prärie, aus der wogenden See grüner Halme, empor.
+
+Ich kreuze die Landstraße, die von Athen in grader Linie nach dem Piräus
+hinunter führt, und stoße auf eine niederländische Schänke, unter
+mächtigen, alten Eschen, die an Ostade oder Breughel erinnert. Ich
+erblicke, mich gegen Athen wendend, über dem Ausgangspunkt der Straße
+wiederum die Akropolis mit dem Parthenon. Der Verkehr, mit Mäulern und
+Pferden an hochrädrigen Karren, bewegt sich in zwei fast
+ununterbrochenen Reihen von Athen zum Piräus hinunter und umgekehrt. Es
+wird sehr viel Holz nach Athen geschafft. Unter vielen Mühen, in beinahe
+undurchdringlichen Staubwolken, arbeite ich mich gegen eisigen Wind.
+Hunde und Hühner bevölkern die Landstraße. Im Graben, im Grase, das eine
+dicke Staubschicht überzieht, liegt, grau wie der Staub, ein todmüder
+Esel und hebt seinen mageren Kopf mir zu. Kantine an Kantine begleitet
+die Straße rechts und links in arger Verwahrlosung. Ich bin beglückt,
+als ich einen tüchtigen Landmann, mit zwei guten Pferden, die Hand am
+Pflug, seinen Acker bestellen sehe, ein Anblick, der in all diesem
+jämmerlich verstaubten Elend erquickend ist.
+
+Ich weiche dem Staub, verlasse die Straße, und bewege mich weiter, dem
+Parnes zu, in die Felder hinein. Nun sehe ich die Akropolis wiederum und
+zwar in einem bleichen, kreidigen Licht, zunächst über blühenden
+Obstgärten auftauchen. Der Parthenongiebel steht, klein wie ein
+Spielzeug, kreidig-bleich. In langen Linien schießen die Schwalben dicht
+über das Gras der Auen und über die Ähren der Gerstenfelder hin. Ich muß
+an den Flug der Götter denken, an den schemenhaft die ganze Landschaft
+beherrschenden, zwitschernden Götterfels, und wie von Athene gesagt ist:
+
+ »Plötzlich entschwand sie den Blicken und gleich der Schwalbe von
+ Ansehn
+ Flog sie empor ...«
+
+Wie muß dem frommen Landbewohner mitunter der Flug und der Ruf der
+Schwalbe erschienen sein! Wie wird er seinen verehrenden Blick zuzeiten
+bald gegen das Bild des Zeus auf dem nahen Parnes, bald gegen die ferne,
+überall sichtbare, immer leuchtende Burg der Götter gerichtet haben! Von
+dorther strichen die Schwalben, dorthin verschwanden sie in geschwindem
+Flug. Und ähnlich, nicht allzuviel schneller, kamen und gingen die
+Götter, die keineswegs, wie unser Gott, allgegenwärtig gewesen sind.
+
+
+Auf dem heiligen Wege, von Athen nach Eleusis hinüber, liegt an der
+Paßhöhe, zwischen Bergen, das kleine griechische Kloster Daphni. Ich
+weiß nicht, welches rätselhafte Glück mich auf der Fahrt hierher
+überkommen hat. Vielleicht war es zunächst die Freude, mit jedem
+Augenblick tiefer in ein Gebiet des Pan und der Hirten einzudringen.
+
+Überall duftet der Thymian. Er schmückt, strauchartig, die grauen
+Steinhalden, auch dort, wo die wundervolle Aleppo-Kiefer, der Baum des
+Pan, nicht zu wurzeln vermag. Aber Kiefer und Thymian vermischen überall
+ihre Düfte und füllen die reine Luft des schönen Bergtals mit
+Wohlgeruch.
+
+Der Hof des Klosters, in den wir treten, ist ebenfalls von
+weihrauchartigen und von grunelnden Düften erfüllt. Am Grunde schmücken
+ihn zahllose, weiße und gelbe Frühlingsblumen, die ihre Köpfchen den
+warmen Strahlen des griechischen Frühlingsmorgens darbieten. An einem
+gestutzten Baum ist die Glocke des Klosters aufgehängt, Sommers und
+Winters den atmosphärischen Einflüssen preisgegeben und darum bedeckt
+mit einer schönen, bläulichen Patina. Ein Hündchen, im Winkel des Hofes,
+vor seiner Hütte, wedelt uns an. Trotzdem es nach Bienen und Fliegen
+schnappen kann, deren wohlig schwelgerisches Gesumm allenthalben
+vernehmlich ist, scheint es sich doch in dieser entzückenden, gleichsam
+verwunschenen Stille zu langweilen.
+
+Antike Säulenreste, Trommeln und Kapitale, liegen umher, auf denen sich
+Sperlinge, pickend und lärmend, umhertreiben. Sie besuchen den Brunnen,
+an dem eine alte, hohe Cypresse steht, türkischer Sitte gemäß, als
+Wahrzeichen.
+
+Das Innere der Klosterkirche bietet ein Bild der Verwahrlosung. Die
+Mosaiken der Kuppel sind fast vernichtet, die Ziegelwände von Stuck
+entblößt. Aber der häusliche Laut der immerfort piepsenden Sperlinge und
+warme Sonne dringt vom Hofe herein, dazu der Ruf des Kuckuck herab aus
+den Bergen, und der kleine Altar, von gläubigen Händen zärtlich
+geschmückt, verbreitet mit seinem braunen Holzwerk, mit seinen Bildchen
+und brennenden Kerzen, einen treuherzig-freundlichen Geist der
+Einfachheit.
+
+Unsern Weg durch die Hügel abwärts fortsetzend, haben wir eine Stelle zu
+beachten, wo vor Zeiten ein Tempel der Venus stand. Nicht weit davon
+bemerken wir, unter einer Kiefer, in statuarischer Ruhe aufgerichtet,
+die Gestalt eines Hirten, dessen langohrige Schafe, im Schatten des
+Baumes zusammengedrängt, um ihn her lagern und wie ein einziges Fließ
+den Boden bedecken.
+
+Was mich auf dieser heiligen Straße besonders erregt, ist das Hallende.
+Überall zwischen den Bergen schläft der Hall. Die Laute der Stimmen, die
+Rufe der Vögel, wecken ihn in den schlafenden Gründen. Ich stelle mir
+vor, daß jemand, den eine unbezwingliche Sehnsucht treibt, sich in die
+untergegangene Welt der Hellenen, wie in etwas noch Lebendiges
+einzudrängen, auf ein besseres Mittel schmerzhaft-seliger Täuschung
+nicht verfallen könnte, als durch das verwaiste Griechenland nur immer
+geliebte Namen zu rufen, wie Herakles einst den Hylas rief. Gleichwie
+nun die Stimme des Hylas, des Gestorbenen, im Echo gespenstisch, wie
+eines Lebenden Stimme, antwortete, so, meine ich, käme dem Rufe des
+wahren Pilgers jedweder heilige Name, aus dem alten, ewigen Herzen der
+Berge, fremd, lebendig und mit Gegenwartsschauern zurück.
+
+Wir sind nun an den Rand der Eleusinischen Bucht gelangt, die durch die
+Höhenzüge der Insel Salamis gegen das Meer hin geschützt, einem
+friedlichen Landsee ähnlich ist. Ich habe niemals das Galiläische Meer
+gesehen, und doch finde ich mich an Jesus und jene Fischer gemahnt, die
+er zu Menschenfischern zu machen unternahm. Das biblische Vorgefühl
+findet auf der weißen Landstraße längs des Seeufers unerwartet eine
+Bestätigung, als das klassische Bild der Flucht nach Ägypten lebendig an
+uns vorüberzieht: eine junge, griechische Bäuerin auf dem Rücken des
+Maultiers, den Säugling im Arm, von ihrem bärtigen, dunkelhaarigen
+Joseph begleitet.
+
+Die Bucht liegt in einem weißlichen Perlmuttschimmer still und glatt und
+die Augen blendend unter den schönkonturierten Spitzen von Salamis. Die
+Landschaft, im Gegensatz zu dem Tale, aus dem wir kommen, ist offen und
+weit, und scheint einem anderen Lande anzugehören. Dort wo ein seichter
+Fluß, aus den Bergen kommend, sein Wasser mit dem der Bucht vermischt,
+knieen eskimoartig vermummte Wäscherinnen, obgleich weder Haus noch
+Hütte im weiten Umkreis zu sehen ist.
+
+Wie sich etwa die Sinnesart eines Menschen erschließt, durch die
+Scholle, die er bebaut, durch die Heimat, die er für sein Wirken erwählt
+hat, oder durch jene, die ihn hervorbrachte, und festhielt, so
+erschließt sich zum Teil das Wesen der Demeter im Wesen des
+eleusinischen Bezirks. Denn dies ist den griechischen Göttern eigen, daß
+sie mit innigen Banden des Gemüts weniger an den Olymp, als an die
+griechische Muttererde gebunden sind. Kein Gott, der den Griechen
+weniger liebte, als der Grieche den Gott -- oder weniger die griechische
+Heimat liebte und in ihr heimisch wäre, als er!
+
+Jesus, der Heiland und Gottessohn, Jesus der Gott, ist uns durch sein
+irdisch-menschliches Schmerzensschicksal nahegebracht: ebenso den
+Griechen Demeter. Man stelle sich vor, wie der Grieche etwa auf diesem
+heiligen Boden empfand, der wirklich Demeters irdischen Wandel gesehen
+hatte, wo ich, der moderne, skeptische Mensch, sogleich von besonderer
+Weihe durchdrungen ward, als sich das Bild der Landschaft in mir mit
+jener anderen Legende vermählt hatte, die mit einer Kraft ohnegleichen
+heute Zweifler wie Fromme beherrscht.
+
+
+Der heilige Bezirk, mit dem Weihetempel der Demeter, liegt nur wenig
+erhaben über die Spiegelhöhe, am Rande der Bucht. Es sei ferne von mir,
+dieses wärmste und tiefste Mysterium, nämlich das eleusinische,
+ergründen zu wollen: genug, daß es für mich von Sicheln und schweren
+Garben rauscht und daß ich darin das Feuer Apolls mit des Aidoneus
+eisiger Nacht sich vermählen fühle. Übrigens ist ein wahres Mysterium,
+das durch Mysten gepflegt und lebendig erhalten, nicht in Erstarrung
+verfallen kann, ein ewiger Quell der Offenbarung, woraus erhellt, daß
+eben das Unergründliche ganz sein Wesen ist.
+
+Während ich auf den Steinfließen der ehemaligen Vorhalle des Pylon, als
+wäre ich selbst ein Myste, nachdenklich auf und ab schreite, formt sich
+mir aus der hellen, heißen, zitternden Luft, in Riesenmaßen, das Bild
+einer mütterlichen Frau. Ihr Haarschwall, der die Schultern bedeckt und
+herab bis zur Ferse reicht, ist von der Farbe des reifen Getreides. Sie
+wandelt, mehr schwebend als schreitend, aus der Tiefe der fruchtbaren
+eleusinischen Ebene gegen die Bucht heran, und ist von summsenden
+Schwärmen häuslicher Bienen, ihren Priesterinnen, begleitet.
+
+Die wahren Olympier leiden nicht, Demeter ist eine irdisch-leidende
+Göttin, deren mütterliches Schmerzensschicksal selbst durch den
+Richtspruch des Zeus nur gemildert, nicht aufgehoben ist. Auf ihren
+Zügen liegt, unverwischbar, die Erinnerung ausgestandener Qual und es
+kann eine größere Qual nicht geben, als die einer Mutter, die ihr
+verlorenes Kind in grauenhafter Angst und Verzweiflung der Seele sucht.
+Sie hat Persephoneia wieder gefunden und hier zu Eleusis, der
+Weihetempel, auf dessen Boden ich stehe, ist der Ort, von dem aus sie
+die Rückkunft der Tochter und ihre Befreiung aus den Fesseln des
+Tartarus erzwang, und wo Mutter und Tochter das selige Wiedersehen
+feierten. Aber sie genießt auch seither, wie gesagt, nicht das reine,
+ungetrübte, olympische Glück. Nach leidender Menschen Art ist ihr Dasein
+Genuß und Entbehren, Weh der Trennung und Freude der Wiedervereinigung.
+Es ist unlöslich, für immer, gleichwie das Dasein der Menschen, aus
+bitteren Schmerzen und Freuden gemengt.
+
+Das ist es, was sie dem Menschengeschlecht und auch dem Spätgeborenen
+nahebringt, und was sie mehr, als irgendeinen Olympier, heimisch gemacht
+hat auf der Erde.
+
+Es kommt hinzu, daß, während eines Teiles des Jahres, Aidoneus die
+Tochter ins Innere der Erde fordert und dort gefangen hält, wodurch denn
+die seligen Höhen des Olymps, die dem Kerker der Tochter ferne liegen,
+den Füßen der Mutter, mit den eleusinischen Ufern verglichen, unseliger
+Boden sind. Man ist überzeugt, daß Schicksalsschluß die Göttin in das
+Erkenntnisbereich der Menschen verwiesen hat -- in ein beginnendes,
+neues, höheres, zwischen Menschen und Göttern und zwar mit einem
+Ereignis, das, unvergeßlich, das Herz ihres Herzens gleichsam an seinen
+Schauplatz verhaftet hält.
+
+Die »weihrauchduftende« Stadt Eleusis, die Stadt des Keleus, der Königin
+Metaneira sowie ihrer leichtgeschürzten Töchter: Kallidike, Kleissidike,
+Dämo und Kallithoa der »saffranblumengelockten« ist heut nicht mehr,
+aber der Thymianstrauch, der überall um die Ruinen wuchert, verbreitet
+auch heute um die Trümmer warme Gewölke von würzigem Duft. Und die
+Göttin, die fruchtbare, mütterliche, umwandelt noch heut, in alter,
+heiliger Schmerzenshoheit die Tempeltrümmer, die Ebene und die Ufer der
+Bucht. Ich spüre die göttliche Erntemutter, die göttliche Hausfrau, die
+göttliche Kinderbewahrerin, die Gottesgebärerin überall, die ewige
+Trägerin des schmerzhaft süßen Verwandlungswunders.
+
+Was mag es gewesen sein, was die offenen Kellergewölbe unter mir an
+Tagen der großen Feste gesehen haben? Man verehrte hier neben Demeter
+auch den Dionysos. Nimmt man hinzu, daß der Mohn, als Sinnbild der
+Fruchtbarkeit, die heilige Blume der Demeter war, so bedeutet das, in
+zwiefacher Hinsicht, ekstatische Schmerzens- und Glücksraserei. Es
+bleibt ein seltsamer Umstand, daß Brot, Wein und Blut, dazu das
+Martyrium eines Gottes, sein Tod und seine Auferstehung, noch heut den
+Inhalt eines Mysteriums bilden, das einen großen Teil des Erdballs
+beherrscht.
+
+
+Ich liege, unweit von Kloster Daphni, unter Kiefern, auf einem
+Bergabhange hingestreckt. Der Boden ist mit braunen Kiefernadeln
+bedeckt. Zwischen diesen Nadeln haben sich sehr feine, sehr zarte Gräser
+ans Licht gedrängt. Aber ich bin hierher gekommen, verlockt von zarten
+Teppichen weißer Maßliebchen. Sie zogen mich an, wie etwa ein Schwarm
+lieblicher Kinder anzieht, die man aus nächster Nähe sehen, mit denen
+man spielen will. Nun liege ich hier und um mich, am Grunde, nicken die
+zahllosen kleinen, weißen Schwestern mit ihren Köpfchen. Es ist kein
+Wald. Es sind ganz winzige Hungerblümchen, unter denen ich ein
+Ungeheuer, ein wahres Gebirge bin. Und doch strömen sie eine Beseligung
+aus, die ich seit den Tagen meiner Kindheit nicht mehr gefühlt habe.
+
+Und auch damals, in meiner Kindheit, schwebte eine Empfindung, dieser
+ähnlich, nur feiertäglich durch meine Seele. Ich erinnere mich eines
+Traumes, den ich zuweilen in meiner Jugend gehabt habe, und der mir
+jedesmal eine Schwermut in der Seele ließ, da er mir etwas, wie eine
+unwiederbringliche, arkadische Wonne, schattenhaft vorgaukelte. Ich sah
+dann stets einen sonnigen, von alten Buchen bestandenen Hang, auf dem
+ich mit anderen kleinen Kindern bläuliche Leberblümchen abpflückte, die
+sich durch trockenes, goldbraunes Laub zum Lichte hervorgedrängt hatten.
+Mehr war es nicht. Ich nehme an, daß dieser Traum nichts weiter, als die
+Erinnerung eines besonders schönen, wirklich durchlebten
+Frühlingsmorgens war, aber es scheint, daß ein erstes Genießen der
+goldenen Lust, zu der sich die Sinne des Kindes erschlossen, das
+unvergeßliche Glück dieser kurzen Stunde gewesen ist.
+
+Ich liege auf olympischer Erde ausgestreckt. Ich bin, wie ich fühle, zum
+Ursprung meines Kindestraumes zurückgekehrt. Ja, es ward mir noch
+Höheres vorbehalten! Mit reifem Geist, mit bewußten, viel umfassenden
+Sinnen, im vollen Besitz aller schönen Kräfte einer entwickelten Seele,
+ward ich auf dieses feste Erdreich so vieler ahnungsvoll-grundloser
+Träume gestellt, in eine Erfüllung ohnegleichen hinein.
+
+Und ich strecke die Arme weit von mir aus und drücke mein Gesicht
+antäos-zärtlich zwischen die Blumen in diese geliebte Erde hinein. Um
+mich beben die zarten Grashalme. Über mir atmen die niedrigen Wipfel der
+Kiefern weich und geheimnisvoll. Ich habe in mancher Wiese bei
+Sonnenschein auf dem Gesicht oder Rücken gelegen, aber niemals ging von
+dem Grunde eine ähnliche Kraft, ein ähnlicher Zauber aus, noch drang aus
+hartem Geröll, das meine Glieder kantig zu spüren hatten, wie hier ein
+so heißes Glück in mich auf.
+
+Ich bin auf der Rückfahrt von Eleusis nach Athen wieder in diese
+lieblichen Berge gelangt. Die heilige Straße liegt unter mir, die Athen
+mit Eleusis verbindet. Herden von Schafen und Ziegen, die in dem grauen
+Gestein der Talabhänge umhersteigen, grüßen von da und dort mit ihrem
+Geläut, das, melodisch glucksend, an die Geräusche eines plaudernden
+Bächleins erinnert.
+
+In der Nähe beginnt ein Kuckuck zu rufen, zunächst allein: und heiter
+gefragt, schenkt er mir drei Jahrzehnte als Antwort. Es ist mir genug!
+Nun tönt aus den Kiefernhainen von jenseit des heiligen Weges ein
+zweiter Prophet: und beide Propheten beginnen und fahren lange Minuten
+unermüdet fort, sich trotzig und wild, über die ganze Weite des
+Bergpasses hin, wahrscheinlich widersprechende Prophezeiungen zuzurufen.
+
+Und wieder spüre ich um mich das Hallende. Die Rufe der streitenden
+Vögel wecken einen gespenstisch verborgenen Schwarm ihresgleichen zu
+einem Durcheinander von kämpfenden Stimmen auf und mit einer nur
+geringen Kraft der Einbildung höre ich den Lärm des heiligen
+Fackelzuges, von Athen gen Eleusis, aus den Bergen zurückschlagen.
+
+
+Emporgestiegen zu den Gipfeln habe ich rings umher graues Geröll eines
+Bergrückens, Krüppelkiefern und Thymian, Mittagshitze und Mittagslicht.
+Unter mir liegen eingeschlossene Steintäler, verlassen und großartig
+pastoral. Hohe peloponnesische Schneeberge, Hymettos, Likabethos und
+Pentelikon schließen rings den Gesichtskreis ein. Der saronische Golf
+und die eleusinische Bucht leuchten herauf mit blauen Gluten. In heißen,
+zitternden Wolken, zieht überall würzig-bitterer Kräuterduft. Überall
+summen die Bienen der Demeter.
+
+
+Wir betreten heute, gegen zehn Uhr abends, im Lichte des Vollmonds die
+Akropolis. Meine Erwartung, nun gleichsam alle Gespenster der Burg
+lebendig zu sehen, erfüllt sich nicht: Es müßte denn sein, daß sie alle
+in dem heiligen Äther aufgelöst seien, der den ganzen Tempelbezirk
+entmaterialisiert.
+
+Mehr wie am Tage empfinde ich heut, und schon auf den Stufen der
+Propyläen, das Heiligtum, das Bereich der Götter. Ich zögere, weiter zu
+schreiten. Ich lasse mich im tiefen Schlagschatten einer Säule nieder
+und blicke über die Stufen zurück, die ich mir in die magisch-klare
+Tiefe fortgesetzt denke. Zum erstenmal verbindet sich mir das Ganze mit
+dem höheren Geistesleben, besonders des Perikleischen Zeitalters, dem
+der Burgfelsen seine letzte und höchste Weihe verdankt. Das Wirkliche
+wird im Lichte des Mondes schemenhaft unwirklich, und diesem
+Unwirklich-Wirklichen können sich historische Träume leichter
+angleichen.
+
+Als vermöchte der Mond Wärme auszuströmen, so warm ist die Luft und dazu
+klar und still: das Zwitschern der Fledermäuse kommt aus dem Licht-Äther
+unter uns. Man fühlt, wie in solchem göttlichen Äther atmend und
+heimisch in diesem heiligen Bezirk, erlauchte Menschen mit Göttern
+gelebt haben. Hier, über den magischen Abgrund hinausgehoben, in einen
+unsäglich zarten, farbigen Glanz, war der Denker, der Staatsmann, der
+Priester, der Dichter, in Nächten wie diese, mit den Göttern auf
+gleichen Fuß gestellt und atmete, in naher Vertraulichkeit, mit ihnen
+die gleiche elysische Luft.
+
+Man müßte von einem nächtlichen Blühen dieses am Tage so schroffen und
+harten, arg mitgenommenen Olympes reden, von einem Blühen, das
+unerwartet und außerirdisch die alte vergessene Götterglorie um seine
+Felskanten wiederherstellt.
+
+Der Parthenon, von der Hymettosseite gesehen, ist in dieser Nacht nicht
+mehr das Gebilde menschlicher Bauleute. Diese scheinen vielmehr nur
+einem göttlichen Plane dienstbar gewesen zu sein, das Irdische gewollt,
+das Himmlische aber vollbracht zu haben. In diesem Tempel ist jetzt
+nichts Drohendes, nichts Düsteres, nichts Gigantisches mehr, und seine
+Steinmasse, seine irdische Schwere scheint verflüchtigt. Er ist nur ein
+Gebilde der Luft, von den Göttern selbst in einen göttlichen Äther
+hineingedacht und hervorgerufen. Er ist nicht aus totem Marmor
+zusammengefügt, er lebt! von innen heraus warm und farbig leuchtend,
+führt er das selige Dasein der Götter. Alles an ihm wird getragen,
+nichts trägt. Oder aber, es kommt ein Gefühl über dich, daß, wenn du,
+mit deinem profanen Finger, eine der Säulen zu berühren nicht
+unterlassen könntest, diese sogleich zu Staub zerspringen würde vor
+Sprödigkeit.
+
+In dieser Stunde kommt uns die Ahnung von jenem Sein, das die Götter in
+ihrer Verklärung führen, von irdischen Obliegenheiten befreit. Auch
+Götter hatten Erdengeschäfte. Wir ahnen, von welchem Boden Platon zu
+seiner Erkenntnis der reinen Idee sich aufschwang. Welche Bereiche
+erschlossen sich in solchen schönheitstrunkenen Nächten, die warm und
+kristallklar zu ein und demselben Element mit den Seelen wurden ...
+welche Bereiche erschlossen sich den Künstlern und Philosophen hier, als
+den Gästen und nahen Freunden der Himmlischen!
+
+Und damals, wie heute, drang, wie aus den Zelten eines Lustlagers,
+Gesang und Geschrei herauf aus der Stadt. Man braucht die Augen nicht zu
+schließen, um zu vergessen, daß jenes dumpfe Gebrause aus der Tiefe der
+Lärm des Athens von heute ist: vielmehr hat man Mühe das festzuhalten.
+In dieser Stunde, im Glanze des unendlichen Zaubers der Gottesburg,
+pocht und bebt und rauscht für den echten Pilger in allem der alte Puls.
+Und seltsam eindringlich wird es mir, wie das Griechentum zwar begraben,
+doch nicht gestorben ist. Es ist sehr tief, aber nur in den Seelen
+lebendiger Menschen begraben und wenn man erst alle die Schichten von
+Mergel und Schlacke, unter denen die Griechenseele begraben liegt,
+kennen wird, wie man die Schichten kennt, über den mykenäischen,
+trojanischen oder olympischen Fundstellen alter Kulturreste, aus Stein
+und Erz, so kommt auch vielleicht für das lebendige Griechenerbe die
+große Stunde der Ausgrabung.
+
+
+Wir stehen auf dem hohen Achterdeck eines griechischen Dampfers und
+harren der Abfahrt. Der Lärm des Piräus ist um uns und unter uns. Wir
+wollen gen Delphi, zum Heiligtum des Apoll und Dionysos.
+
+Mehr gegen den Ausgang des Hafens liegt ein weiß angestrichenes Schiff,
+ein Amerikafahrer, rings um ihn her auf der Wasserfläche, über die er
+emporragt, steht, wie auf Dielen, nämlich in kleinen Booten, eng
+gedrängt, eine Menschenmenge. Es sind griechische Auswanderer, Leute,
+die das verwunschene Land der Griechenseele nicht ernähren mag.
+
+Dem Hafengebiet entronnen, genießen wir den frischen Luftzug der Fahrt.
+Unsere Herzen beleben sich. Wir passieren das kahle Inselchen, hinter
+dem die Schlacht bei Salamis ihren Verlauf genommen hat, den niedrigen
+Küstenzug, wo Xerxes seinen gemächlichen Thron errichten und vorzeitig
+abbrechen ließ. Der ganze, bescheidene Schauplatz deutet auf enge
+maritime Verhältnisse.
+
+Die bergige Salamis öffnet in die fruchtbare Fülle des Innern ein weites
+Tal. Liebliche Berglehnen, Haine und Wohnstätten werden dem Seefahrer
+verlockend dargeboten: alles zum Greifen nahe! und es ist wie ein
+Abschied, wenn er vorüber muß.
+
+Man weist uns Megara. Wir hätten es von der See aus nicht wiedererkannt:
+Megara, jetzt nur gespenstisch und bleich von seinen Hügeln winkend, die
+Stadt, die Konstantinopel gegründet hat. Wir werden den Weg der
+megarensischen Schiffe in einigen Wochen ebenfalls einschlagen.
+
+Wenn wir nicht, wie bisher, über Steuerbord unseres Dampfers
+hinausblicken, sondern über seine Spitze, so haben wir in der Ferne
+alpine Schneegipfel des Peloponnes vor uns, darunter, vereinzelt, den
+drohenden Felsen der Burg von Korinth.
+
+Wir suchen durch den zitternden Luftraum dieser augenblendenden Buchten
+den Standort des äginetischen Tempels auf, und meine Seele saugt sich
+fest an die lieblichen Inselfluren von Ägina. Warum sollten wir uns in
+der vollen Muße der Seefahrt, zwischen diesen geheiligten Küsten, der
+Träume enthalten und nicht der lieblichen Jägerin Britomartis
+nachschleichen, einer der vielen Töchter des Zeus, von der die Ägineten
+behaupteten, daß sie alljährlich von Kreta herüberkäme, sie zu besuchen.
+
+Gibt es wohl etwas, das wundervoller anmutete, als die nüchterne
+Realität einer Mitteilung des Pausanias, etwa Britomartis angehend, wo
+niemals die Existenz eines Mitglieds der Götterfamilie, höchstens hie
+und da ein lokaler Anspruch der Menschen mit Vorsicht in Zweifel gezogen
+ist.
+
+Nicht nur die Vasenmalereien beweisen es, daß der Grieche sich in allen
+Formen des niederen Eros auslebte: aber der schaffende Geist, der solche
+Gestalten, wie Britomartis, entstehen ließ und ihnen ewige Dauer
+beilegte, mußte das Element der Reinheit, in Betrachtung des Weibes,
+notwendig in sich bergen, aus dem sie besteht: keusch, frisch,
+unbewußt-jungfräulich, ist Britomartis im Stande glückseliger Unschuld
+bewahrt worden. Sie hat mit Amazonen und Nonnen nichts gemein. Es ist in
+ihr weder Männerhaß noch Entsagung, sondern sie stellt, mit dem freien,
+behenden Gang, dem lachenden Sperberauge, der Freude an Wald, Feld und
+Jagd, die gesunde Blüte frischen und herben Magdtums verewigt dar.
+
+Überall auf der Fahrt sind Inseln und Küstenbereiche von lieblicher
+Intimität, und es ist etwas Ungeheueres, sich vorzustellen, wie hier die
+Phantasie eines Volkes, in dem die ungebrochene Weltanschauung des
+Kindes neben exakter und reifer Weisheit des Greisenalters fortbestand,
+jede Krümmung der Küste, jeden Pfad, jeden nahen Abhang, jeden fernen
+und ferneren Felsen und Schneegipfel mit einer zweiten Welt göttlich
+phantastischen Lebens bedeckt und bevölkert hat. Es ist ein Gewirr von
+Inseln, durch das wir hingleiten, uns jener Stätte mit jeder Minute
+nähernd, wo, gleichsam aus einem dunklen Quell, diese zweite Welt mit
+Rätselworten zurück ins reale Leben wirkte und damit zugleich die
+Atmosphäre des Heimatlandes mit neuem, phantastischem Stoff belud. Es
+gibt bei uns keine Entwicklung des spezifisch Kindlichen, das stets
+bewegt, stets gläubig und sprudelnd von Bildern ist, zum Weinen bereit
+und gleich schnell zum Jauchzen, zum tiefsten Abgrund hinabgestürzt und
+gleich darauf in den siebenten Himmel hinaufgeschnellt, glückselig im
+Spiel, wo nichts das vorstellt, was es eigentlich ist, sondern etwas
+anderes, Erwünschtes, wodurch das Kind es sich, seinem Wesen, seinem
+Herzen zu eigen macht.
+
+Der große Schöpfungsakt des Homer hat dem kosmischen Nebel der
+Griechenseele den reichsten Bestand an Gestalten geschenkt, und die
+Zärtlichkeit, die der spätere Grieche ihnen entgegentrug, zeigt sich
+besonders in mancher Mythe, die wieder lebendig zu machen unternimmt,
+was der blinde Homer vor den Schauern des Hades nicht zu retten
+vermochte. Ich weiß nicht, ob hier herum irgendwo Leuke ist, aber ich
+wüßte keine Sage zu nennen, die tiefer in das Herz des Griechen
+hineinleuchtete, als jene, die Helena dem Achill zur Gattin gibt und
+beide in Wäldern und Tempelhainen der abgeschiedenen kleinen Insel Leuke
+ein ewig seliges Dasein führen läßt.
+
+
+Unser Dampfer ist vor dem Eingang zum isthmischen Durchstich angelangt
+und einige Augenblicke stillgelegt. Mein Wunsch ist, wiederzukehren und
+besonders auch auf dem herrlichen Isthmus umherzustreifen, dieser
+gesunden und frischen Hochfläche, die würdig wäre, von starken,
+heiteren, freien und göttlichen Menschen bewohnt zu sein, die noch nicht
+sind. Das Auge erquickt sich an weitgedehnten, hainartig lockeren
+Kieferbeständen, deren tiefes und samtenes Grün, auf grauen,
+silbererzartigen Klippen, hoch an die blaue Woge des Meeres tritt. Auf
+diesen bewaldeten Höhen zur Linken hat man den Platz der isthmischen
+Spiele zu suchen. Man sollte meinen, daß keiner der zahllosen
+Spielbezirke freier und in Betrachtung des ganzen Griechenlandes
+günstiger lag, und ferner: daß nirgend so belebt und im frischen Zuge
+der Seeluft überschäumend die heilige Spiellust des Griechen sich habe
+auswirken können, wie hier.
+
+Die Einfahrt in den Durchstich erregt uns seltsamerweise feierliche
+Empfindungen. Die Passagiere werden still, im plötzlichen Schatten der
+gelben Wände. Wir blicken schweigend zwischen den ungeheuren,
+braungelben Schnittflächen über uns und suchen den Streifen Himmelsblau,
+der schmal und farbig in unseren gelben Abgrund herableuchtet.
+
+Kleine, taumelnde, braun-graue Raubvögel scheinen in den Sandlöchern
+dieser Wände heimisch, ja, der Farbe nach, von ihnen geboren zu sein.
+Eine Krähe, wahrscheinlich von unserm Dampfer aufgestört, strebt,
+ängstlich gegen die Wände schlagend, an die Oberfläche der Erde hinauf.
+Nun bin ich nicht mehr der späte Pilger durch Griechenland, sondern eher
+Sindbad der Seefahrer, und einige Türken, vorn an der Spitze des
+rauschenden Schiffes, jeder mit seinem roten Fez längs der gelblichen
+Ockerschichten gegen den Lichtstreif des Ausganges hingeführt,
+befestigen diese Illusion.
+
+Der Golf von Korinth tut sich auf. Aber während wir noch zwischen nahen
+und flachen Ufern hingleiten, denn wir haben die weite Fläche des Golfes
+noch nicht erreicht, werden wir an einem kleinen Zigeunerlager
+vorübergeführt und sehen, auf einer Art Landungssteg, zerlumpte Kinder
+der, wie es scheint, auf ein Fährboot wartenden Bande mit wilden
+Sprüngen das Schiff begrüßen.
+
+Nach einiger Zeit, während wir immer zur Linken das neue Korinth, die
+weite, mit Gerstenfeldern bestandene Fläche des einstigen alten, das von
+dem gewaltigen Felsen Akrokorinth drohend beschattet wurde und die
+bergigen Küsten des Peloponnes vor Augen hatten, eröffnet sich zur
+Rechten eine Bucht mit den schneebedeckten Gipfeln des Helikon. Eine
+Stunde und länger bleibt er nun, immer ein wenig rechts von der
+Fahrtrichtung, sichtbar, hinter niedrigen, nackten Bergen, die
+vorgelagert sind. Die Luft war bis hierher schwül und still, nun aber
+fällt ein kühler Wind von den Höhen des Heiligen Berges herab und in
+einige Segel, die leicht und hurtig vor ihm her über das blaue Wasser
+des Golfes vorüberschweben.
+
+Aller Schönheit geht Heiligung voraus. Nur das Geheiligte in der
+Menschennatur konnte göttlich werden, und die Vergötterung der Natur
+ging hervor aus der Kraft zu heiligen, die zugleich auch Mutter der
+Schönheit ist. Wir haben heut eine Wissenschaft von der Natur, die
+leider nicht von einem heiligen Tempelbezirk umschlossen ist. Immerhin
+ist sie, und Wissenschaft überhaupt, eine gemeinsame Sache der Nation,
+ja der Menschheit geworden. Was auf diesem Gebiete geleistet wird, ist
+schließlich und endlich ein gemeinsames Werk. Dagegen bleiben die reinen
+Kräfte der Phantasie heute ungenützt und profaniert, statt daß sie am
+großen sausenden Webstuhl der Zeit gemeinsam der Gottheit lebendiges
+Kleid wie einstmals wirkten.
+
+Und deshalb, weil die Kräfte der Phantasie heut vereinzelt und
+zersplittert sind und keine gemäße Umwelt (das heißt: keinen Mythos)
+vorfinden, außer jenem, wie ihn eben das kurze Einzelleben der
+Einzelkraft hervorbringen kann, so ist für den Spätgeborenen der
+Eintritt in diese unendliche, wohlgegründete Mythenwelt zugleich so
+beflügelnd, befreiend und wahrhaft wohltätig.
+
+Sollte man nicht einer gewissen, nur persönlichen Erkenntnis ohne
+Verantwortung nachhängen dürfen, die den gleichen Vorgang, der jemals
+etwas wie eine Tragödie oder Komödie schuf, als Ursprung des ganzen
+Götterolymps, als Ursprung des gesamten, jenem angenäherten Kreises von
+Heroen und Helden sieht? Wo sollte man jemals zu dergleichen den Mut
+gewinnen, wenn nicht auf einem Schiffe im Golf von Korinth, im
+Angesichte des Helikon? Warum hätte sonst Pan getanzt, als Pindar
+geboren worden war? und welche Freude muß unter den Göttern des Olymps,
+von Zeus bis zu Hephaistos und Aidoneus hinunter, ausgebrochen sein, als
+Homer und mit ihm die Götterwelt aufs neue geboren wurde.
+
+Die ersten Gestalten des ersten Dramas, das je im Haupte des Menschen
+gespielt wurde, waren »ich« und »du«. Je differenzierter das
+Menschenhirn, um so differenzierter wurde das Drama! um so reicher auch
+an Gestalten wurde es und auch um so mannigfaltiger, besonders deshalb,
+weil im Drama eine Gestalt nur durch das, was sie von den übrigen
+unterscheidend absetzt, bestehen kann. Das Drama ist Kampf und ist
+Harmonie zugleich, und mit der Menge seiner Gestalten wächst auch der
+Reichtum seiner Bewegungen: und also, in steter Bewegung Gestalten
+erschaffend, in Tanz und Kampf miteinander treibend, wuchs auch das
+große Götterdrama im Menschenhirn, zu einer Selbständigkeit, zu einer
+glänzenden Schönheit und Kraft empor, die jahrtausendelang ihren
+Ursprung verleugnete.
+
+Polytheismus und Monotheismus schließen einander nicht aus. Wir haben es
+in der Welt mit zahllosen Formen der Gottheit zu tun, und jenseit der
+Welt mit der göttlichen Einheit. Diese eine, ungeteilte Gottheit ist nur
+noch ahnungsweise wahrnehmbar. Sie bleibt ohne jede Vorstellbarkeit.
+Vorstellbarkeit ist aber das wesentliche Glück menschlicher Erkenntnis,
+dem darum Polytheismus mehr entspricht. Wir leben in einer Welt der
+Vorstellungen, oder wir leben nicht mehr in unserer Welt. Kurz: wir
+können irdische Götter nicht entbehren, wenngleich wir den Einen,
+Einzigen, Unbekannten, den Alleinen, hinter allem wissen. Wir wollen
+sehen, fühlen, schmecken und riechen, disharmonisch harmonisch das ganze
+Drama der Demiurgen, mit seinen olympischen und plutonischen
+Darstellern. Im »Christentum« macht der Sohn Gottes einen verunglückten
+Besuch in dieser Welt, bevor er sie aufgibt und also zertrümmert. Wir
+aber wollen sie nicht aufgeben, unsere Mutter, der wir verdanken, was
+wir sind, und wir bleiben im Kampf, verehren die kämpfenden Götter, die
+menschennahen; freilich vergessen wir auch den menschenfernen, den Gott
+des ewigen Friedens nicht.
+
+
+Ein kalter Gebirgswind empfängt uns bei der Einfahrt in die Bucht von
+Galaxidhi, den alten Krisäischen Meerbusen, und überraschenderweise
+scheint es mir, als liefe unser Schiff in einen Fjord und wir befänden
+uns in Norwegen, statt in Griechenland. Beim Anblick der Nadelwälder,
+von denen die steile Flanke der Kiona bedeckt ist, erfüllt mich das
+ganze starke und gesunde Bergglück, das mir eingeboren ist. Es zieht
+mich nach den Gipfeln der waldreichen Kiona hinauf, wohin ich die
+angestrengten Blicke meiner Augen aussende, als vermöchte ich dort noch
+heut einen gottselig begeisterten Schwarm rasender Bacchen zwischen den
+Stämmen aufzustöbern. Es liegt in mir eine Kraft der Zeitlosigkeit, die
+es mir, besonders in solchen Augenblicken, möglich macht, das Leben als
+eine große Gegenwart zu empfinden: und deshalb starre ich immer noch
+forschend hinauf, als ob nicht Tausende von Jahren seit dem letzten
+Auszug bacchischer Schwärme vergangen wären, und es klingt in mir
+ununterbrochen:
+
+ Dahin leite mich, Bromios, der die bacchischen Chöre führt!
+ Da sind Chariten, Liebe da,
+ Da dürfen frei die Bacchen Feste feiern.
+
+Wer hält es sich immer gegenwärtig, daß die Griechen ein Bergvolk
+gewesen sind? Während wir uns Ithea nähern, tiefer und tiefer in einen
+ernsten Gebirgskessel eingleitend, erlebe ich diese Tatsache innerlich
+mit besonderer Deutlichkeit. Die Luft gewinnt an erfrischender Stärke.
+Die Formen der Gipfel stehen im tiefen und kalten Blau des Himmels kalt
+und klar, und jetzt erstrahlt uns zur Rechten, hoch erhaben über der in
+abendlichen Schatten dämmernden Bucht, hinter gewaltig vorgelagerten,
+dunkel zerklüfteten, kahlen Felsmassen ein schneebedecktes parnassisches
+Gipfelbereich.
+
+Nun, wo die Sonne hinter der Kiona versunken ist und chthonische Nebel
+langsam aus den tiefen Flächen der Felsentäler, Terrassen und Risse
+verdüsternd aufsteigen, steht der Höhenstreif des heiligen Berges Parnaß
+noch in einem unwandelbar makellosen und göttlichen Licht. Mehr und
+mehr, indes das Schiff bereits seinen Lauf verlangsamt hat, erdrückt
+mich eine fast übergewaltige Feierlichkeit.
+
+Man fühlt zugleich, daß man hier nicht mehr im Oberflächenbereich der
+griechischen Seele ist, sondern den Ursprüngen nahe kommt, nahe kommt in
+dem Maße, als man sich dem Kern der griechischen Landschaft annähert.
+
+Man findet sich hier einer großen Natur gegenübergestellt, die nordische
+Rauheit und nordischen Ernst mit der Weichheit und Süße des Südens
+vereinigt, die hier und dort ringsumher beschneite Berggipfel in den
+nahen Höhenäther gehoben hat, deren Flanken bis zur Fläche des südlichen
+Golfes herabreichen, bis an die Krisäische Talsohle, die in gleicher
+Ebene, einen einzigen, weitgedehnten Ölwald tragend, den Grund des Tales
+von Krisa erfüllt. Man fühlt, man nähert sich hier den Urmächten, die
+sich den erschlossenen Sinnen eines Bergvolks, nicht anders wie das
+Wasser der Felsenquellen, die Frucht des Ölbaums oder des Weinstocks,
+darboten, so daß der Mensch, gleichwie zwischen Bergen und Bäumen,
+zwischen Abgründen und Felswänden, zwischen Schafen und Ziegen seiner
+Herden oder im Kampf, zwischen Raubtieren, auch allüberall unter
+Göttern, über Göttern und zwischen göttlichen Mächten stand.
+
+
+Wir steigen, angelangt in Ithea, in einen Wagen, vor den drei Pferde
+gespannt sind. Die Fahrt beginnt, und wir werden durch Felder grüner
+Gerste in das Tal von Krisa hineingeführt. Im Getreide tauchen hie und
+da Ölbäume auf, und mehr und mehr, bis sie zu Hainen zusammentreten und
+wir zu beiden Seiten der staubigen Straße von Olivenwäldern begleitet
+sind. Im Halblicht unter den Wipfeln liegen quadratisch begrenzte
+Wasserflächen. Nicht selten steigt ein gewaltiger Baum daraus empor,
+scheinbar mit seinem Stamme in einem glattpolierten Spiegel aus dunklem
+Silber wurzelnd, einem Spiegel, der einen zweiten Olivenbaum, einen
+rötlichen Abendhimmel und einen anderen, nicht minder strahlenden
+Parnassischen Gipfel zeigt.
+
+Bauern, die aus den Feldern heimwärts nach den Wohnungen im Gebirge
+streben, werden von uns im Dämmer der Waldstraße überholt. Es scheint
+ein in mancher Beziehung veredelter deutscher Schlag zu sein, so überaus
+vertraut in Haltung, Gang und Humor, in den Proportionen des Körpers,
+sowie des Angesichts, mit dem blonden Haar und dem blauen Blick, wirken
+auf mich die Trupps der Landleute. Wir lassen zur Linken ein eilig
+wanderndes und mit einer dunklen Genossin plauderndes, blondes Mädchen
+zurück. Sie ist frisch und derb und germanisch kernhaft. Die Art ihres
+übermütigen Grußes ist zugleich wild, verwegen, ungezogen und
+treuherzig. Sie würde sich von der jungen und schönen deutschen
+Bauernmagd, wie ich sie auf den Gütern meiner Heimat gesehen habe, nicht
+unterscheiden, wenn sie nicht doch ein wenig geschmeidiger und wenn sie
+nicht eine Tochter aus Hellas wäre.
+
+Und ich gedenke der Pythia.
+
+Religiöses Empfinden hat seine tiefsten Wurzeln in der Natur; und sofern
+Kultur nicht dazu führt, mit diesem Wurzelsystem stärker, tiefer und
+weiter verzweigt in die Natur zu dringen, ist sie Feindin der Religion.
+In diesem großen und zugleich urgesunden Bereich des nahen, großen
+Mysteriums denkt man nicht an die Götterbilder der Blütezeit, sondern
+höchstens an primitive Holzbilder, jene Symbole, die, durch Alter
+geheiligt, der Gottheit menschliche Proportionen nicht aufzwangen. Man
+gedenkt einer Zeit, wo der Mensch mit allen starken, unverbildeten
+Sinnen noch gleichsam voll ins Geheimnis hinein geboren war: in das
+Geheimnis, von dem er sich Zeit seines Lebens durchaus umgeben fand und
+das zu enthüllen er niemals wünschte.
+
+Nicht der Weltweise war der Ersehnte oder Willkommene unter den Menschen
+jener Zeit, außer wenn er sich gleich dem Jäger oder dem Hirten -- der
+wahre Hirt ist Jäger zugleich! -- zur ach so wenig naiven Verehrung
+eines Idoles, einer beliebigen Rätselerscheinung, der nur im Rätsel
+belebten Natur, verstand, sondern ersehnt und willkommen war immer
+wieder nur das Leben, das tiefere Leben, das den Rausch erzeugende
+Rätsel.
+
+Immer jedoch ist der Mensch dem Menschen Träger und Verkünder der
+tiefsten Rätsel zugleich gewesen und so ward das Rätsel stets am
+höchsten verehrt, wenn es sich durch den Menschen verkündigte, die
+Gottheit, die durch den Menschen spricht. Und um so höher ward es unter
+jenen Menschen verehrt, ward die Gottheit verehrt, je mehr sie den
+schlichten Mann, das gewöhnliche Weib aus dem Hirten- und Jägervolke
+gewaltsam vor aller Augen umbildete, so daß es von Grund auf verändert,
+von einem Gott oder Dämon beherrscht, als Rätsel erschien.
+
+Ein so verändertes Wesen war vor urdenklichen Zeiten die erste bäurische
+Pythia, und sie erschien in den Händen des bogenführenden Jägers und
+Rinderherden besitzenden Hirten, in den Händen des Jäger- und
+Hirtengottes Apollon willenlos. Den Willen des Menschen zerbrach der
+Gott, wie man ein Schloß zerbrechen muß, das die Tür eines fremden
+Hauses verschließt, will man als Herrscher und Herr in dieses eintreten;
+und nicht der menschliche Wille, sondern gleichsam die Knechtschaft im
+göttlichen, nicht Vernunft, sondern Wahnsinn besaß vor den Menschen
+damals allein die Staunen und Schauder verbreitende Autorität.
+
+
+Die Pferde beginnen bergan zu klimmen. Mehr und mehr, während wir aus
+den dunklen Olivenwäldern emportauchen, verdichtet sich um uns die
+Dämmerung. Die Luft ist warm und bewegungslos. Es ist eine Art
+tierischer Wärme in der Luft, die aus dem Erdboden, aus den Steinblöcken
+um uns her, ja überall her zu dunsten scheint. Überall klettern
+Ziegenherden. Ziegenherden kreuzen den Weg oder trollen ihn mit Geläut
+zu Tal. Ich fühle auf einmal, wie hier das Hirten- und Jägerleben nicht
+mehr nur als Idyll zu begreifen ist. In dieser brütenden Atmosphäre, wie
+sie über den schwarzen Olivenwäldern der Tiefe, in dem weiten, gewaltig
+zerklüfteten Abgrund zwischen den Wällen schroffer Gebirge steht, wird
+mein Blut überdies zu einem seltsamen Fieber erregt, und es ist mir, als
+könne aus dieser buhlerisch warmen, stehenden Luft die Frucht des Lebens
+unmittelbar hervorgehen. Das Geheimnis ist ringsum nahe um mich. Fast
+bang empfinde ich seine Berührungen. Es ist, als trennte -- sagen wir
+von den »Müttern«! nur eine dünne Wand oder als läge das ganze
+Geheimnis, in dem wir schlummern, in einem zurückgehaltenen, göttlichen
+Atemzug, dessen leisestes Flüstern uns eine Erkenntnis eröffnen könnte,
+die über die Kraft des Menschen geht.
+
+Ich habe in diesem Augenblick mehr als je zu bedauern, daß mir der
+musikalische Ausdruck verschlossen ist, denn alles um mich wird mehr und
+mehr zu einer einzigen, großen, stummen Musik. Das am tiefsten Stumme
+ist es, was der erhabensten Sprache bedarf, um sich auszudrücken.
+Allmählich verbreitet sich jenes magische Leuchten in der Natur, das
+alles vor Eintritt völliger Dunkelheit noch einmal in traumhafter Weise
+verklärt. Aber Worte besagen nichts, und ich würde, mit der wahrhaft
+dionysischen Kunst begabt, nach Worten nicht ringen müssen.
+
+Ich empfinde inmitten dieser grenzenlos spielenden Schönheit, die von
+einem grunderhabenen düsteren Glanze gesättigt ist, immer eine fast
+schmerzhafte Spannung, als ob ich mich einem redenden Brunnen, einem
+Urbrunnen aller chthonischen Weisheit gleichsam annäherte, der, wiederum
+einem Urmunde gleich, unmittelbar aus der Seele der Erde geöffnet sein
+würde.
+
+Niemals, außer in Träumen, habe ich Farben gesehen, so wie hier auf dem
+Marktplatze von Chryso, in dessen Nähe das alte Krisa zu denken ist. In
+diesem Bergstädtchen werden unsere Zugtiere getränkt. In Eimern holt man
+das Wasser aus dem nahen städtischen Brunnen, der im vollen, magischen
+Licht des Abends sich, aus dem Felsen rauschend, in sein steinernes
+Becken stürzt. Hier drängen sich griechische Mädchen, Männer und
+Maultiere, während im Schatten des Hauses gegenüber würdige Bauern und
+Hirten beim Weine von den Lasten des Tages ausruhen. Alles dieses wirkt
+feierlich schattenhaft. Es ist, als bestünde in dem Menschengedränge des
+kleinen Platzes die geheiligte Übereinkunft, die innere Sammlung der
+delphischen Pilger nicht durch laute Worte zu stören.
+
+Unter den schweigsam Trinkenden, die uns mit Würde beobachten und ganz
+ohne Zudringlichkeit, fällt manche edle Erscheinung auf. Von einem
+Weißbart vermag ich mein Auge lange nicht abzuwenden. Er ist der
+geborene Edelmann. Die Haltung des schlanken Greises, der seine eigene
+Schönheit durchaus zu schätzen weiß, ist durchdrungen von einem Anstand,
+der eingeboren ist. Aus seinem Antlitz sprechen Güte und Menschlichkeit:
+ich sehe in ihm das Gegenbild aller Barbarei. An diesem Hirten legt jede
+Wendung des Hauptes, jede gelassene Bewegung des Armes von edler
+Herkunft Zeugnis ab: von einer Jahrtausende alten, verfeinerten
+Hirtenwürde! denn wo wäre die Freiheit der Haltung, die stolze
+Gewohnheit des Selbstgenügens, die Würde des Menschen vor dem Tier,
+weniger gestört, als im Hirtenberuf.
+
+
+Es ist, nachdem wir die Stadt verlassen haben und weiter die steilen
+Kehren aufwärts dringen, als sänke sich von allen Seiten, dichter und
+dichter, Finsternis über das Geheimnis, dem wir entgegenziehen,
+schützend herein. Es ist wie eine Art Unschlüssigkeit in der Natur, als
+deren bevorzugtes Kind sich der gläubige Grieche fühlen muß, die sich
+mir aber dahin umdeutet, als sollte erst durch die volle Erkenntnis
+einengender Finsternis der volle Durst zum Orakelbrunnen erzeugt werden.
+
+Noch immer ist die stehende Wärme auch in der fast völligen Dunkelheit
+verbreitet um mich. Der Himmel hat rötlich zuckende Sterne enthüllt,
+aber der Blick ist von nun an beengt und eingeschlossen. Die große
+Empfindung der Götternähe weicht einer gewissen heimlich schleichenden
+Spukhaftigkeit, und so will ich nun auch eine Vorstellung dieser
+spukhaften Art aus dem Erlebnis der unvergleichlichen Stunden
+festhalten.
+
+Mehrmals und immer wieder kam es mir vor, als stiege der Schatten eines
+einzelnen Mannes mit uns nach dem gleichen Ziele hinan, und zwar auf
+einem Fußsteige immer die Kehren der großen Straße abschneidend. Kamen
+wir bis an die Kreuzungsstelle heran, so schien es, als sei er schon
+vorüber, oder er war zurückgeblieben und stieg weit unten, schattenhaft
+über die Böschung der tieferen Straßenschlinge herauf. Auch jetzt
+unterliege ich wieder dem Zwang dieser Vorstellung.
+
+Es ist unumgänglich, daß ein bis ins tiefste religiös erregter,
+christlich erzogener Mensch, auch wenn er das innere Auge abwendet,
+gleichsam mittels des peripherischen Sehens doch immer auf die Gestalt
+des Heilands treffen muß: und dies war mir und ist mir noch jetzt jener
+Schatten. Etwas wie Unruhe, etwas wie Hast und Besorgnis scheint ihn den
+gleichen Weg zu treiben, und etwas, wie der gleiche, immer noch
+ungestillte Durst.
+
+Und ist nicht auch er wiederum ein Hirt? Sah er sich selbst nicht am
+liebsten unter dem Bilde des Hirten? Sehen ihn nicht die Völker als
+Hirten? Und verehren ihn nicht die prunkhaften Hohenpriester von heut,
+mit dem Symbole des Hirtenstabes in der Hand, als göttlichen Hirten, als
+Hirtengott?
+
+
+Heut, am frühen Morgen aus meiner Herberge tretend, befinde ich mich auf
+der sonnigen Dorfstraße eines alpinen Dörfchens. Wenn ich die Straße
+nach rechts entlang blicke, wo sie, nach mäßiger Steigung, in einiger
+Ferne abbricht oder in den weißlichen, heißen und wolkenlosen Himmel
+auszulaufen scheint, so bemerke ich die Spitze eines entfernteren
+Schneeberges, der sie überragt.
+
+Die Straße läuft meist dicht am Abhang hin. Von ihrem Rande ermesse ich
+die gewaltige Tiefe eines schluchtartigen Tales, mit steilen Felswänden
+gegenüber. Die grauen Steinmassen sind durch Thymiansträucher dunkel
+gefleckt.
+
+Der Grund der Schlucht scheint ein Bachbett zu sein, und wie sich Wasser
+von seiner hochgelegenen Quelle herniederwindet, bis es am Ende der
+verbreiterten Schlucht in den weiten See eines größeren Tales tritt,
+ergießen sich hier, gleichsam wie Wogen aus dunklem Silber,
+Olivenwaldungen in die Tiefe, wo sie die Fülle des ölreichen Tales von
+Krisa aufnimmt.
+
+Es ist eine durchaus nur schlichte und ganz gesunde alpine Wonne, die
+mich erfüllt, jener Zustand des bergluftseligen Müßigganges, in dem man
+so gern das Morgenidyll dörflichen Lebens beobachtet.
+
+Hähne und Tauben machen das übliche Morgenkonzert. Es wird in der Nähe
+ein Pferd gestriegelt. Beladene Maultiere trappen vorüber. Alles ist von
+jener erfrischenden Nüchternheit, die wiederum die gesunde Poesie des
+Morgens ist.
+
+Kastri heißt das Dorf, in dem wir sind und genächtigt haben. Einige
+Schritte auf der mit grellstem Lichte blendenden Landstraße um einen
+Felsenvorsprung herum, und der heilige Tempelbezirk von Delphi soll sich
+enthüllen.
+
+In diesem Felsenvorsprung, den wir nun erreichen, sind die offenen
+Höhlen ehemaliger Felsgräber. Nahe dabei haben Wäscherinnen ihren Kessel
+über ein aromatisches Thymianfeuer gestellt, das uns mit Schwaden
+erquickenden Weihrauchs umquillt. Schwalben schrillen an uns vorüber,
+Fliegen summen, irgendwoher dringt das Hungergeschrei junger Nestvögel,
+und die Sonne scheint, triumphierend gleichsam, bis in die letzten
+Winkel der leeren Gräber hinein.
+
+Eine zahlreiche Herde schöner Schafe begegnet uns, und minutenlang
+umgibt uns das freudige Älplergeräusch ihrer Glocken. Ich beobachte eine
+dicke Glockenform mit tiefem Klang, von der man sagt, daß sie antikem
+Vorbild entspreche. Inmitten der Herde bewegt sich der dienende Hirt und
+ein herrenhaft-heiter wandelnder Mann in der knappen, vorwiegend blauen
+Tracht der Landleute.
+
+Dieser Mann erscheint zugleich jung und alt: insofern jung, als er
+schlank und elastisch ist, insofern alt, als ein breiter, vollkommen
+weißer Bart sein Gesicht umrahmt. Doch es ist die Jugend, die in diesem
+Manne triumphiert: das beweist sein schalkhaft blitzendes Auge, beweist
+der freie, übermütige Anstand der ganzen Persönlichkeit, eine Art
+behaglich fröhlichen Stolzes, der weiß, daß er unwiderstehlich
+fasziniert.
+
+Als Staub und Geläut uns am stärksten umgeben, bemerken wir, wie dieser
+schöne und glückliche Mann, der übrigens seine Jagdbüchse über der
+Schulter trägt, den langen Stab aus der Hand seines Hirten nimmt. Gleich
+darauf tritt er uns entgegen und bietet uns, wirklich aus heiterem
+Himmel, eben denselben Stab als Gastgeschenk.
+
+
+Die Wendung des Weges ist erreicht. Die Straße zieht sich in einem
+weiten Bogen eng unter mächtigen roten Felswänden hin, und der erste
+Blick in dieses schluchtartige, delphische Tal sucht vergeblich nach
+einer geeigneten Stätte für menschliche Ansiedelung. Von den roten,
+senkrecht starrenden Riesenmauern der Phädriaden ist ein Böschungsgebiet
+abgebröckelt, das steil und scheinbar unzugänglich über uns liegt.
+Überall in den Alpen trifft man ähnliche Schutt- und Geröllhalden, auf
+denen man, ebenso wie hier, höchstens weidende Ziegen klettern sieht.
+Selten bemerkt man dort, etwa in Gestalt einer besonders ärmlichen
+Hütte, Spuren menschlicher Ansiedelung, während hier der
+unwahrscheinliche Baugrund für ein Gewirr von Tempeln, tempelartigen
+Schatzhäusern, von Priesterwohnungen, von Theater und Stadion, sowie von
+zahllosen Bildern aus Stein und Erz zu denken ist.
+
+Wir schreiten die weiße Straße langsam fort. Wir scheuchen eine
+anderthalb Fuß lange, grüne Eidechse, die den Weg, ein Wölkchen Staub
+vor uns aufregend, überquert. Ein Esel, klein, mit einem Berge von
+Ginster bepackt, begegnet uns: es heißt, daß die Bauern aus Ginster
+Körbe zur Aufbewahrung für Käse flechten. Ein Maultier schleppt eine
+Last von bunten Decken gegen Kastri heran, begleitet von einer
+Handelsfrau, die während des Gehens nicht unterläßt, von dem Wocken aus
+Ziegenhaar fleißig denselben Faden zu spinnen, aus dem jene Decken
+gewoben sind.
+
+Immer die steile Böschung des delphischen Tempelbezirks vor Augen,
+drängt sich mir der Gedanke auf, daß alle die einstigen Priester des
+Apoll sowohl als die des Dionysos, alle diese Tempel, Theater und
+Schatzhäuser von ehemals, alle diese zahllosen Säulen und Statuen den
+Ziegen und einer gewissen Ziegenhirtin gefolgt und nachgeklettert sind.
+
+Das Hirtenleben ist in den meisten Fällen ein Leben der Einsamkeit. Es
+begünstigt also alle Kräfte visionärer Träumerei. Ruhe der äußeren Sinne
+und Müßiggang erzeugen die Welt der Einbildung, und es würde auch heut
+nicht schwer halten, etwa in den Irrenhäusern der Schweiz ländliche
+Mädchen zu finden, die, befangen in einem religiösen Wahn, von ähnlichen
+Dingen überzeugt sind, von ähnlichen Dingen »mit rasendem Munde«
+sprechen, als die erste Seherin, die Sibylle oder ihre Nachfolgerin zu
+Delphi, tat. Diese hielten sich etwa für die angetraute Gattin Apolls,
+oder für seine Schwester, oder erklärten sich für Töchter von ihm.
+
+Wir klettern die steile Straße innerhalb des Tempelbezirkes empor.
+Überall zwischen den Fundamenten ehemaliger Tempel, Schatzhäuser, Altäre
+und Statuen blüht die Kamille in großen Büschen, ebenso wie in Eleusis
+und auf der Akropolis. Die Steine der alten und steilen Straße sind
+glatt, und mit Mühe nur dringen wir, ohne rückwärts zu gleiten, hinan.
+
+Nicht weit von dem Felsenvorsprung, den man den Stein der Sibylle nennt,
+ruhe ich aus. In heiß duftenden Büscheln der Kamille, zwischen die ich
+mich niedergelassen habe, tönt ununterbrochen Bienengesumm. Wer möchte
+an dieser Stelle mit Fug behaupten wollen, daß ihm die ungeheure
+Vergangenheit dieser steilen Felslehne in allem Besonderen gegenwärtig
+sei. Der chthonische Quell, jene, verwirrende Dämpfe ausströmende
+Felsspalte, die Corethas entdeckte, quillt, wie es heißt, nicht mehr,
+und schon zur Zeit des großen Periegeten hatten die Dämonen das Orakel
+verlassen. Werden sie jemals wiederkehren? Und wird, wie es heißt, wenn
+sie wiederkehren, das Orakel gleich einem lange ungenutzten Instrument
+göttlichen Ausdrucks aufs neue erschallen?
+
+Die architektonischen Trümmer umher erregen mir einstweilen nur geringe
+Aufmerksamkeit. Die Kunst inmitten dieser gewaltigen Felsmassen hatte
+wohl immer, nur im Vergleich mit ihnen, Pygmäencharakter. Durchaus
+überragend in wilder, unbeirrbarer Majestät bleibt hier die Natur, und
+wenn sie auch mit Langmut oder auf Göttergebot die Siedelungen der
+menschlichen Ameise duldet, die sich, nicht ohne Verwegenheit, hier
+einnistete, so bleibt die Gewalt ihrer Ruhe, die Gewalt ihrer Sprache,
+die überragende Macht ihres Daseins, das unter allem, hinter allem, über
+und in allem Gegenwärtige.
+
+Man denkt an Apoll, man denkt an Dionysos, aber an ihre Bilder aus Stein
+und Erz denkt man in dieser Umgebung nicht: eher wiederum an gewisse
+Idole, die uralten Holzbilder, deren keines leider auf uns gekommen ist.
+Man sieht die Götter da und dort, leuchtend, unmaterialisch, visionär,
+hauptsächlich aber empfindet man sie in der Kraft ihrer Wirkungen. Hier
+bleiben die Götter das, was unsichtbar gegenwärtig ist: und so bevölkern
+sie, bevölkern unsichtbare Dämonen die Natur.
+
+Ist wirklich der chthonische Quell versiegt? Haben die Dämonen wirklich
+die Orakel verlassen? Sind gar die meisten von ihnen tot, wie es heißt,
+daß der große Pan gestorben ist? Und ist wirklich der große Pan
+gestorben?
+
+Ich glaube, daß eher jeder andere Quell des vorchristlichen Lebensalters
+verschüttet ist als der pythische und glaube, daß der große Pan nicht
+gestorben ist: nicht aus Schwäche des Alters und ebensowenig unter den
+jahrtausendelangen Verfluchungen einer christlichen Klerisei. Und hier,
+zwischen diesen sonnebeschienenen Trümmern, ist mir das ganze
+totgeglaubte Mysterium, sind mir Dämonen und Götter samt dem totgesagten
+Pan gegenwärtig.
+
+Noch heut sind unter den »vielen Strömen, die unsere Erde nach oben
+sendet«, viele, die in den Seelen der Menschen eine Verwirrung und
+Begeisterung hervorrufen, wie in dem Hirten Corethas jener, der in
+Delphi zutage trat, auch wenn wir dieser Begeisterung wenig achten und
+die tiefen Weihen nicht mehr allgemein machen wollen, die mit dem
+heiligen Rausch verbunden sind.
+
+Dieser Parnaß und diese seine roten Schluchten sind Quellgebiet:
+Quellgebiet natürlicher Wasserströme und Quellgebiet jenes
+unversiegbaren, silbernen Stromes der Griechenseele, wie er durch die
+Jahrtausende fließt. Es ist ein anderer Reiz und Geist, der die Quellen,
+ein anderer, der den Lasten und Wimpel tragenden Strom umgibt. Seltsam,
+wie der Ursprung des Stromes und seine Wiege dem urewig Alten am
+nächsten ist: das ewig Alte der ewigen Jugend. Man kann solche
+Quellgebiete nicht einmal mit Fug allein griechisch nennen, denn sie
+sind meist, im Gegensatz zu den Strömen, die sie nähren, namenlos.
+
+Gegenüber, jenseit des Taleinschnitts, tönen von der Felswand, dem Ruf
+des Hornes von Uri nicht unähnlich, gewaltige Laute eines Dudelsacks,
+hervorgerufen von Hirten, die unerkennbar mit ihren Ziegen in den Felsen
+umhersteigen. Diese gesegneten Quellgebiete waren und sind noch heute
+von Hirten umwohnt. Platon nennt die Seele einen Baum, dessen Wurzeln im
+Haupte des Menschen sind und der von dort aus mit Stamm, Ästen und
+Blättern sich in das Bereich des Himmels ausdehnt. Ich betrachte die
+Welt der Sinne als einen Teil der Seele und zugleich ihr Wurzelgebiet,
+und verlege in das menschliche Hirn einen metaphysischen Keim, aus dem
+dann der Baum des Himmels mit Stamm, Ästen, Blättern, Blüten und
+Früchten empordringt.
+
+Nun scheint es mir, daß die Sinne des Jägers, die Sinne des Hirten, die
+Sinne des Jägerhirten, sagen wir, die feinsten und edelsten Wurzeln sind
+und daß ein Hirten- und Jägerleben auf Berghöhen der reichste Boden für
+solche Wurzeln, und also die beste Ernährung für den metaphysischen Keim
+im Menschen ist.
+
+
+Zwischen den Trümmern des steilen Tempelbezirks von Delphi
+umherzusteigen, erfordert einige Mühe und Anstrengung. Am höchsten von
+allen Baulichkeiten lag wohl das Stadion; ein wenig tiefer, doch mit
+seinen obersten Sitzen an die unzugängliche Felswand stoßend, ist das
+Theater dem Felsgrunde abgetrotzt.
+
+Der Eindruck der natürlichen Szenerie, die es umgibt, ist drohend und
+großartig. Ich empfinde eine Art beengender Bangigkeit in dieser
+übergewaltigen Nähe der Natur, dieser geharnischten, roten
+Felsbastionen, die den furchtbarsten Ernst blutiger Schauspiele von den
+Menschen zu fordern scheinen.
+
+In das Innere dieser Felsmassen scheint übrigens ein dämonisches Leben
+hineingebannt. Sie wiederholen, in die tiefe Stille über den rötlichen
+Sitzreihen, die Stimmen unsichtbarer Kinder weit unten im Tal, sie
+lassen gespenstige Herdenglocken, wie in einem hallenden Saale, durch
+sich hin läuten und geben die klangvolle Stimme des fernen Hirten aus
+der Nähe und geläutert zurück. Aus ihrem Inneren dringt Hundegebell, und
+ein fernes und schwaches Dröhnen, aus dem Tale von Krisa her, erregt in
+ihr einen klangvoll breiten, feierlich musikalischen Widerhall.
+
+Das ununterbrochene, mitten im heißen Lichte des Mittags gleichsam
+nächtliche Rauschen der kastalischen Wasser dringt aus der Schlucht der
+Phädriaden herauf.
+
+Die Götter waren grausame Zuschauer. Unter den Schauspielen, die man zu
+ihrer Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor Göttern, und die
+griechischen Zuschauer auf den Sitzreihen trieben, mit schaudernder
+Seele gegenwärtig, Gottesdienst! -- unter den Schauspielen, sage ich,
+waren die, die von Blute trieften, den Göttern vor allen anderen heilig
+und angenehm. Wenn zu Beginn der großen Opferhandlung, die das
+Schauspiel der Griechen ist, das schwarze Blut des Bocks in die
+Opfergefäße schoß, so wurde dadurch das spätere höhere, wenn auch nur
+scheinbare Menschenopfer nur vorbereitet: das Menschenopfer, das die
+blutige Wurzel der Tragödie ist.
+
+Blutdunst stieg von der Bühne, von der Orchestra in den brausenden
+Krater der schaudernden Menge und über sie in die olympischen Reihen
+blutlüsterner Götterschemen hinauf.
+
+Anders wie im Theater von Athen, tiefer und grausamer und mit größerer
+Macht, offenbart sich hier, in der felsigten Pytho, unter der Glut des
+Tagesgestirns, das Tragische, und zwar als die schaudernde Anerkennung
+unabirrbarer Blutbeschlüsse der Schicksalsmächte: keine wahre Tragödie
+ohne den Mord, der zugleich wieder jene Schuld des Lebens ist, ohne die
+sich das Leben nicht fortsetzt, ja, der zugleich immer Schuld und Sühne
+ist.
+
+Gleich einem zweiten Corethas brechen mir überall in dem großen
+parnassischen Seelengebiet -- und so auch in der Tiefe des roten
+Steinkraters, darin ich mich eben befinde! -- neue chthonische Quellen
+auf. Es sind jene Urbrunnen, deren Zuflüsse unerschöpflich sind und die
+noch heute die Seelen der Menschen mit Leben speisen: derjenige aber
+unter ihnen, der dem inneren Auge der Seele und gleicherweise dem
+leiblichen Auge vor allen anderen sichtbar und mystisch ist, bleibt
+immer der springende Brunnen des Bluts.
+
+Ich fühle sehr wohl, welche Gefahren auf den Pilger in solchen
+parnassischen Brunnengebieten lauern, und vergesse nicht, daß die Dünste
+aller chthonischen Quellen von einem furchtbaren Wahnsinn schwanger
+sind. Oft treten sie über dünnen Schichten mürben Grundes ans
+Tageslicht, unter denen glühende Abgründe lauern. Der Tanz der Musen auf
+den parnassischen Gipfeln geschah, da sie Göttinnen waren, mit leichten,
+die Erde nicht belastenden Füßen: das ihnen Verbürgte nimmt uns die
+Schwere des Körpers, die Schwere des Menschenschicksals nicht.
+
+Auch aus der Tiefe des Blutbrunnens unter mir stieg dumpfer, betäubender
+Wahnsinn auf. Indem man die grausame Forderung des sonst wohltätigen
+Gottes im Bocksopfer sinnbildlich darstellte, und im darauffolgenden,
+höheren Sinnbild gotterfüllter dramatischer Kunst, gaben die Felsen den
+furchtbaren Schrei des Menschenopfers unter der Hand des Rächers, den
+dumpfen Fall der rächenden Axt, die Chorklänge der Angst, der Drohung,
+der schrecklichen Bangigkeit, der wilden Verzweiflung und des jubelnden
+Bluttriumphes zurück.
+
+Es kann nicht geleugnet werden, Tragödie heißt: Feindschaft, Verfolgung,
+Haß und Liebe als Lebenswut! Tragödie heißt: Angst, Not, Gefahr, Pein,
+Qual, Marter, heißt Tücke, Verbrechen, Niedertracht, heißt Mord,
+Blutgier, Blutschande, Schlächterei -- wobei die Blutschande nur
+gewaltsam in das Bereich des Grausens gesteigert ist. Eine wahre
+Tragödie sehen hieß, beinahe zu Stein erstarrt, das Angesicht der Medusa
+erblicken, es hieß das Entsetzen vorwegnehmen, wie es das Leben heimlich
+immer, selbst für den Günstling des Glücks, in Bereitschaft hat. Der
+Schrecken herrschte in diesem offenen Theaterraum, und wenn ich bedenke,
+wie Musik das Wesen einfacher Worte, irgend eines Liedes, erregend
+erschließt, so fühle ich bei dem Gedanken an die begleitenden Tänze und
+Klänge der Chöre zu dieser Mordhandlung eisige Schauder im Gebein. Ich
+stelle mir vor, daß aus dem vieltausendköpfigen Griechengewimmel dieses
+Halbtrichters zuweilen ein einziger, furchtbarer Hilfeschrei der Furcht,
+der Angst, des Entsetzens, gräßlich betäubend zum Himmel der Götter
+aufsteigen mußte, damit der grausamste Druck, die grausamste Spannung
+sich nicht in unrettbaren Wahnsinn überschlug.
+
+
+Man muß es sich eingestehen, das ganze Bereich eines Tempelbezirks, und
+so auch diese delphische Böschung, ist blutgetränkt. An vielen Altären
+vollzog sich vor dem versammelten Volk die heilige Schlächterei. Die
+Priester waren vollkommene Schlächter, und das Röcheln sterbender
+Opfertiere war ihnen die gewöhnlichste und ganz vertraute Musik. Die
+Jammertöne der Schlachtopfer machten die Luft erzittern und weckten das
+Echo zwischen den Tempeln und um die Statuen her: sie drangen bis ins
+Innere der Schatzhäuser und in die Gespräche der Philosophen hinein.
+
+Der Qualm der Altäre, auf denen die Ziege, das Schaf mit der Wolle
+verbrannt wurde, wirbelte quellend an den roten Felsen hinauf, und ich
+stelle mir vor, daß dieser Qualm, sich zerteilend, das Tal überdeckte
+und so die Sonne verfinsterte. Der Opferpriester, mit Blut besudelt, der
+einem Zyklopen gleich das geschlachtete Tier zerstückte und ihm das Herz
+aus dem Leibe riß, war dem Volk ein gewöhnlicher Anblick. Er umgoß den
+ganzen Altar mit Blut. Diese ganze Schlachthausromantik in solchen
+heiligen Bezirken ist schrecklich und widerlich, und doch ist es immer
+vor allem der süßliche Dampf des Bluts, der die Fliegen, die Götter des
+Himmels, die Menge der Menschen, ja sogar die Schatten des Hades
+anzieht.
+
+In alledem verrät sich mir wiederum der Hirtenursprung der Götter, ihrer
+Priester und ihres Gottesdienstes, denn das Blutmysterium mußte sich den
+Jägerhirten zuerst aufschließen und dem Hirten mehr als dem Jäger in
+ihm, wenn er, friedlich, friedlich von ihm gehütete, zahme Tiere
+abschlachtete, zuerst das Grausen und hernach den festlichen Schmaus
+genoß.
+
+
+Wir sind den steilen Abhang des delphischen Tempelbezirks bis an den
+obersten Rand emporgeklommen. Ich bin erstaunt, hier, wo aus dem
+scheinbar Unzugänglichen die rote unzugängliche Felswand sich erhebt,
+auf eine schöne, eingeschlossene Fläche zu stoßen, hier oben, gleichsam
+in der Gegend der Adlernester, zwischen Felsenklippen, auf ein Stadion.
+
+Es ist still. Es ist vollkommen still und einsam hier. Das schöne Oblong
+der Rennbahn, eingeschlossen von den roten Steinen der Sitzreihen, ist
+mit zarten Gräsern bedeckt. Inmitten dieser verlassenen Wiese hat sich
+eine Regenlache gebildet, darin man die roten Umfassungsmauern des
+Felsendomes, mit vielen gelben Blumenbüscheln widergespiegelt sieht.
+
+Ist nicht das Stadion dann am schönsten, wenn der Lärm der Ringer und
+Renner, wenn die Menge der Zuschauer es verlassen hat? Ich glaube, daß
+der göttliche Priester Apolls, Plutarch, oft, wie ich jetzt, im leeren
+Stadion der einzige Zuschauer war und den Gesichten und Stimmen der
+Stille lauschte.
+
+Es sind Gesichte von Jugend und Glanz, Gesichte der Kraft, Kühnheit und
+Ehrbegier, es sind Stimmen gottbegeisterter Sänger, die unter sich
+wetteifernd den Sieger oder den Gott preisen. Es ist der herrlichste
+Teil der griechischen Phantasmagorie, die hier für den nicht erloschen
+ist, der gekommen ist, Gesichte zu sehen und Stimmen zu hören.
+
+Die schrecklichen Dünste des Blutbrunnens drangen nicht bis in dieses
+Bereich, ebensowenig das Todesröcheln der Menschen- und Tieropfer. Hier
+herrschte das Lachen, hier herrschte die freie, von Erdenschwere
+befreite, kraftvolle Heiterkeit.
+
+Nur im Stadion, und ganz besonders in dem zu Delphi, das über allen
+Tempeln und allen Altären des Götterbezirks erhaben ist, atmet man jene
+leichte, reine und himmlische Luft, die unseren Heroen die Brust mit
+Begeisterung füllte. Der Schrei und Ruf, der von hier aus über die Welt
+erscholl, war weder der Ruf des Hirten, der seine Herde lockt, noch war
+es der wilde Jagdruf des Jägers: es war weder ein Racheschrei noch ein
+Todesschrei, sondern es war der wild glückselige Schrei und
+Begeisterungsruf des Lebens.
+
+Mit diesem göttlichen Siegesruf der lebendigen Menschenbrust begrüßte
+der Grieche den Griechen über die Fjorde und Fjelle seines herrlichen
+Berglands hinweg, dieses Jauchzen erscholl von Spielplatz zu Spielplatz:
+von Delphi hinüber nach Korinth, von Korinth nach Argos, von Argos bis
+Sparta, von Sparta hinüber nach Olympia, von dort gen Athen und
+umgekehrt.
+
+Ich glaube, nur vom Stadion aus erschließt sich die Griechenseele in
+alledem, was ihr edelster Ruhm und Reichtum ist; von hier aus gesehen,
+entwickelt sie ihre reinsten Tugenden. Was wäre die Welt des Griechen
+ohne friedlichen Wettkampf und Stadion? Was ohne olympischen Ölzweig und
+Siegerbinde? eben das gleiche erdgebundene Chaos brütender, ringender
+und quellender Mächte, wie es auch andere Völker darstellen.
+
+Es wird mir nicht leicht, diesen schwebenden und versteckten Spielplatz
+zwischen parnassischen Klippen zu verlassen, der so wundervoll einsam
+und wie für Meditationen geschaffen ist. Hier findet sich der sinnende
+Geist gleichsam in einen nährenden Glanz versenkt, und der Reichtum
+dessen, was in ihn strömt, kann in seiner Überfülle kaum bewahrt und
+behalten sein.
+
+Man müßte vom Spiel reden. Man müßte das eigene Denken der Kinder- und
+Jünglingsjahre heraufrufen und jener Wegeswendung sich erinnern, wo man
+in eine mißmutige und freudlose Welt einzubiegen gezwungen war, die das
+Spiel, die höchste Gabe der Götter, verpönt. Man könnte hervorheben, daß
+bei uns mehr Kinder gemordet werden, als jemals in irgendeinem Bethlehem
+von irgendeinem Herodes gemordet worden sind: denn man läßt nie das Kind
+bei uns groß werden, man tötet das Kind im Kinde schon, geschweige, daß
+man es im Jüngling und Manne leben ließe.
+
+Nackt wurde der Sieger, der Athlet oder Läufer dargestellt, und ehe
+Praxiteles, ehe Skopas seine Statuen bildete, entstanden ihre Urbilder
+hier im Stadion. Hier ist für die Schönheit und den Adel der
+griechischen Seele, für Schönheit und Adel des Körpers der Muttergrund.
+Hier wurde das schon Geschaffene umgeschaffen, das Umgeschaffene zum
+ewigen Beispiel und auch als Ansporn für höhere Artung in Erz oder
+Marmor dargestellt. Hier hatte die Bildung ihre Bildstätte, wenn anders
+Bildung das Werk eines Bildners ist.
+
+Wer je sein Ohr an die Wände jener Werkstatt gelegt hat, deren Meister
+den Namen Goethe trug, der wird erkennen, daß nicht nur Wagner, der
+Famulus, den Menschen mit Göttersinn und Menschenhand zu bilden und
+hervorzurufen versuchte: alles Sinnen, Grübeln, Wirken, Dichten und
+Trachten des Meisters war eben demselben Endzweck rastlos untertan. Und
+wer nicht in jedweder Bildung seines Geistes und seiner Hände das
+glühende Ringen nach Inkarnation des neuen und höheren Menschen spürt,
+der hat den Magier nicht verstanden.
+
+Es ist bekannt, wie gewissen griechischen Weisen, und so dem Lykurg!
+Bildung ein Bilden im lebendigen Fleische, nicht animalisch unbewußt,
+sondern bewußt »mit Göttersinn und Menschenhand« bedeutete. Was wäre ein
+Arzt, der seine Kranken bekleidet sieht, und was ein Erzieher, dem jener
+Leib samt dem Geiste, dem er höhere Bildung zu geben beabsichtigt, nicht
+nackt vor der Seele stünde? Aus dem Grunde der Stadien sproßten, nackt,
+die athletischen Stämme einer göttlichen Saat des Geistes hervor. Und
+hier, auf dem Boden des delphischen Stadions, gebrauche ich nun zum
+ersten Male in diesen Aufzeichnungen das Wort Kultur: nämlich als eine
+fleischliche Bildung zu kraftvoll gefestigter, heiterer, heldenhaft
+freier Menschlichkeit.
+
+
+Zwei Vögel, unsern Zeisigen ähnlich, stürzen sich plötzlich aus irgend
+einem Schlupfloch der Felsen quirlend herab und löschen den Durst aus
+dem Spiegel der Lache vor mir im Stadion. Ihr piepsendes Spiel weckt
+Widerhall, und das winzige Leben, der sorglose, dünne Lärm der kleinen
+Geschöpfe, die niemand stört, offenbaren erst gleichsam das Schicksal
+dieser Stätte in seiner ganzen Verwunschenheit.
+
+Während ich auf die grüne Erde hinstarre und der Füße jener zahllosen
+Läufer und Kämpfer gedenke, aller jener göttergleichen, jugendlich
+kraftvoll schönen Hellenen, die sie erdröhnen machten, vernehme ich
+wiederum aus den Felsen den gewaltigen Widerhall von Geräuschen, die mir
+verborgen sind. Aus irgend einem Grunde erhebe ich mich, rufe laut und
+erhalte ein sechsfaches mächtiges Echo: sechsfach schallt der Name des
+delphischen Gottes, des Python-Besiegers, aus dem Inneren der Berge
+zurück.
+
+Ich bin allein. Die dämonische Antwort der alten parnassischen Wände hat
+bewirkt, daß mich die Kraft der Vergangenheit mit ihren triumphierenden
+Gegenwarts-Schauern durchdringt und erfaßt und daß ich etwas wie ein Bad
+von Glanz und Feuer empfinde. Beinahe zitternd horche ich in die neu
+hereingesunkene, fast noch tiefere Stille hier oben hinein.
+
+
+Der Morgen ist frisch. Wir schrieben den ersten Mai ins Fremdenbuch. Vor
+der Türe des Gasthauses warten schäbige Esel und Maultiere, die uns nach
+Hossios Lucas bringen sollen. Ins Freie tretend, beginne ich mit letzten
+Blicken Abschied zu nehmen. Ich begrüße die Kiona, den weißen Gipfel des
+Korax-Gebirges, dort, wo die Dorfstraße, wie es scheint, in den Luftraum
+verläuft. Ich begrüße drei kleine Mädchen, die, trödelnd, ebenso viele
+Schäfchen vor sich her treiben, begrüße sie mit einer ihnen
+unverständlichen Herzlichkeit. Eines der hübschen Kinder küßt mir zum
+Dank für ein kleines, unerbetenes Geschenk die Hand.
+
+Wir lassen die Mäuler voranklingeln. Wieder schreiten wir an den Felsen
+vorüber, mit den Höhlungen leerer Gräber darin, und wieder erschließt
+sich dem Auge die steinigte Böschung des delphischen Tempelbezirks. Wer
+alles dieses tiefer begreifen wollte, müßte mehr als ein flüchtiger
+Wanderer sein. Immerhin sind mir auch hier die Steine nicht stumm
+gewesen.
+
+Wir haben den Grund von Delphi, der Stadt, die unterhalb unseres Weges
+lag, über allerlei Mauern und Treppchen kletternd, durchstreift, und
+während wir jetzt unsere Reise fortsetzen, zieht uns das Leuchten der
+Tempeltrümmer, zwischen tausendjährigen Ölbäumen, zieht uns der weiße
+Marmor umgestürzter Säulen an. An den kastalischen Wassern nehmen wir
+wiederum einen kleinen Aufenthalt. Ich habe mich auf einen großen
+Felsblock niedergelassen, in der wundervoll hallenden und rauschenden
+Kluft, den Felsenbassins jenes alten Brunnen- und Baderaums gegenüber,
+wo die delphischen Pilger von einst sich reinigten.
+
+Ein Tempelchen, mit Nischen der Nymphen, war grottenartig in die
+Felswand gestellt.
+
+Heut sind die Bachläufe arg verunreinigt, die Wasserbecken mit Schlamm
+gefüllt. Oben durch die feuchte und kalte Klamm fliegen lange
+Turmschwalben und jagen einander mit raubvogelartigem, zwitscherndem
+Pfiff.
+
+
+Wir wiegen uns nun bereits eine gute Weile auf unseren Maultieren. Der
+Weinstock, das Gewächs des Dionysos, begleitet uns in wohlgepflegten,
+wohlgeordneten Feldern die parnassischen Höhen hinan. Immer wieder
+begegnen uns wollige Herden mit ihren Hirten. Ich bemerke plötzlich den
+mir von gestern bekannten stattlichen Weißbart auf dem Bauche im Grase
+liegend am Straßenrand und empfinde mit ihm, was sein leise ironisches,
+überlegen lachendes Antlitz zum Ausdruck bringt. Hinter dem Patriarchen
+steigen seine Herden zwischen Rainen, Steinen und saftigen Gräsern umher
+und füllen die Luft mit der Glockenmusik seines reichen Besitzes. Die
+Sonne strahlt, der Tag wird heiß.
+
+Schon im Altertum wurden solche Wege wie diese auf Mäulern zurückgelegt.
+So wird auch das Um und An einer Bergreise, an Rufen, Geräuschen und
+Empfindungen, nicht anders gewesen sein, als es heute ist. Maultiere
+haben die Eigentümlichkeit, am liebsten nicht in der Mitte des Weges,
+sondern immer womöglich an steilen Rändern zu schreiten: was dem
+ungewohnten Reiter zuweilen natürlich Schwindel erregt. Allmählich
+gewinne ich im Vertrauen auf das sich mehr und mehr entfaltende
+Klettertalent meines Reittieres eine gewisse, schwindelfreie
+Sorglosigkeit. Immer wilder und einsamer wird die Berggegend, bis hinter
+Arachova die Einöde, das heißt die parnassische Höhenzone beginnt. Von
+der gesamten südlichen Flora ist nichts übrig geblieben. Der letzte
+Weinstock, der letzte Feigenbaum, die letzte Olive liegt hinter uns. Nun
+aber tut sich ein weiter und grüner Gebirgssattel vor uns auf, von jener
+gesunden, alpinen Schönheit, die ebenso heimatlich, als über alles
+erquickend ist.
+
+Der weite Paß, mit flach geschweifter, beinahe ebener Grundfläche, ist
+Weideland: das heißt, ein saftiger Wiesenplan, auf dem der Huf des
+schreitenden Maultiers lautlos wird und der Pfad sich verliert. Das
+helle, ruhige Grün dieser schönen Alm ist eine tiefe Wohltat für Auge
+und Herz, und der starke, düster-trotzige Föhrenstand, der die steile
+Flanke einer nahen Bergwand hinaufklettert, fordert heraus, ihm
+nachzutun. Ich weiß nicht, was in dieser Landschaft so fremdartig sein
+sollte, daß man es nicht in den deutschen Alpengebirgen, um diese oder
+jene Sennhütte her, ebenso antreffen könnte, und doch würde der gesunde
+Jodler des einsamen Sennen hier einen Zauber vernichten, der
+unaussprechlich ist.
+
+Das hurtige Glöckchen des Maultieres klingelt am Rand einer teichartig
+weit verbreiteten Wasserlache dahin, die, in den hellen Smaragd der
+Bergwiese eingefügt, den blauen Abgrund des griechischen Himmels, die
+ernste Wand der wetterharten Apolloföhren, und das hastende, kleine
+Vögelchen in einem ruhigen Spiegel wiedergibt.
+
+
+Über die Art, wie für den, der sich einmal in das Innere des Mythos
+hineinbegeben hat, jeder neue sinnliche Eindruck wiederum ganz unlöslich
+mit diesem Mythos verbunden wird und ihn zu einer fast überzeugenden
+Wahrheit und Gegenwart steigert, möchte manches zu sagen sein. Es
+beträfe nicht nur den Prozeß eines gläubigen Wiedererweckens, sondern
+jenen, durch den die menschliche Schöpfung der Welt überhaupt entstanden
+ist, es beträfe das Wesen jener zeugenden Kraft, die im dichtenden
+Genius eines Volkes lebendig ist und darin sich die Seele des Volkes
+verklärt.
+
+Plötzlich taucht in der panisch beinahe beängstigenden, nordischen
+Vision von Bergeinsamkeit die wilde Gestalt eines bärtigen Hirten auf,
+der uns in schneller Gangart, fünf schwarze Böcke vor sich hertreibend,
+von jenseit, über die grüne Matte entgegenkommt. Die schönen Tiere, die
+von gleicher Größe und, wie gesagt, schwarz wie Teufel sind, machen
+den überraschendsten Eindruck. Noch niemals sah ich ein so
+unwahrscheinliches Fünfgespann. Wer wollte da, wenn eine auserlesene
+Koppel solcher Böcke, wie zum Opfer geführt, ihm entgegenkommt, und zwar
+über einen parnassischen Weidegrund, die Nähe des Gottes ableugnen, der
+einst durch Zeus in die Gestalt eines Bockes verwandelt ward, um ihn vor
+Heres Rache zu schützen, und dem diese Höhen geheiligt sind.
+
+Wie diese Tiere einhertrotten, unwillig, durch den rauhen Treiber mehr
+gestört als in Angst versetzt, mit dem böse funkelnden Blick
+beobachtend, jeder mit seinem zottligen Bart, jeder unter der Last und
+gewundenen Krönung eines gewaltigen Hörnerpaares, scheinen sie selber
+inkarnierte Dämonen zu sein, und in wessen Seele nur etwas von dem alten
+Urväter-Hirten-Drama noch rumort, der fühlt in diesem klassischen Tier
+einen wahrhaft dämonischen Ausdruck zeugender Kräfte, dem es leider auch
+seinen Blocksberg-Verruf in der verderbten Weltanschauung der
+christlichen Zeit zu verdanken hat.
+
+
+Wir besteigen nach kurzer Rast unsere Maultiere, die wiederum mager,
+schäbig und scheinbar kraftlos, wie zu Anfang der Reise dastehen. Das
+unscheinbare Äußere dieser Tiere täuscht uns nicht mehr über den Grad
+ihrer Zähigkeit.
+
+Zur Linken haben wir nun eine rötlich graue, senkrechte Wand
+parnassischer Felsmassen, deren Rand einen Gießbach aus großer Höhe
+herabschüttet. Es ist ein lautloser Wasserfall, der, ehe er noch den
+Talgrund erreicht, in Schleiern verweht.
+
+Die Maultiere müssen neben dem Lauf eines ausgetrockneten
+Felsenflußbettes abwärts klettern und erweisen, mehr und mehr
+erstaunlich für uns, ihre wundervolle Geschicklichkeit. Man würde
+vielleicht von diesen Felstälern sagen können, daß sie Einöden sind,
+wenn ihre zitternde, leuchtende und balsamische Luft nicht überall von
+den wasserartig glucksenden Lauten zahlloser Herdengeläute erfüllt wäre.
+
+Der Paris-artige Knabe, der vorhin, während wir Rast hielten, mit
+zwitschernden Lauten unsere Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein Hirt.
+Hoch auf der Spitze eines vereinzelten Felskegels, der an der
+Kreuzungsstelle einiger Hochtäler sich erhebt, steht, gegen den Himmel
+scharf abgegrenzt, wiederum ein romantisch drapierter Ziegenhirt, mit
+dem landesüblichen Hirtenstabe. Sofern uns ein Mensch begegnet, ist es
+ein Hirt, sofern unser Auge in der felsigten Wildnis Menschengestalt zu
+unterscheiden vermag, unterscheidet es auch ringsum sogleich ein
+Gewimmel von Schafen oder Thymian rupfenden Ziegen.
+
+In einem Engpaß, durch den wir müssen, hat sich ein Strom von dicker,
+wandelnder Wolle gestaut, der sich, wohl oder übel, vor den Hufen des
+langsam schreitenden Maultiers teilen muß. Der Reiter streift mit den
+Sohlen über die braunen Vliese hin, nachdem die Leitböcke ihre
+gewaltigen, tiefgetönten Glocken antiker Form, feurig glotzend, ungnädig
+prustend, vorüber getragen haben.
+
+Diese steinigten Hochtäler, zwischen Parnaß und Helikon, erklingen --
+nicht von Kirchengeläut! -- aber sie sind beständig und überall
+durchzittert vom Klange der Herdenglocken. Sie sind von einer Musik
+erfüllt, die das überall glucksende, rinnende, plätschernde Element
+einer echten parnassischen Quelle ist. Ob nicht vielleicht die Glocke
+unter dem Halse des weidenden Tieres, die Mutter der Glocke im Turme der
+Kirche ist, die ja, ins Geistige übertragen, den Parallelismus zum
+Hirtenleben nirgend verleugnen will? Dann wäre es von besonderem Reiz,
+den appollinischen Klang zu empfinden, den alten parnassischen
+Weideklang, der in dem Gedröhne städtischer Sonntagsglocken enthalten
+sein müßte.
+
+Im Klangelement dieser parnassischen Quelle, dieses Jungbrunnens, bade
+ich. Es beschleicht mich eine Bezauberung. Ich fühle Appollon unter den
+Hirten und zwar in schlichter Menschengestalt, als Schäferknecht, wie
+wir sagen würden, so, wie er die Herden des Laomedon und Admetos hütete.
+Ich sehe ihn, wie er in dieser Gestalt jede gewöhnliche Arbeit des
+Hirten verrichten muß, dabei gelegentlich Mäuse vertilgt und den
+Eidechsen nachstellt. Ich sehe ihn weiter, wie er, ähnlich mir, in der
+lieblich monotonen Musik dieser Täler gleichsam aufgelöst und versunken
+ist und wie es ihm endlich, besser als mir, gelingt, die Chariten auf
+seine Hand zu nehmen. Chariten, musische Instrumente tragend, auf der
+Hand, war er zu Delphi dargestellt.
+
+Vorsichtig schreitet mein Reittier über eine große Schildkröte, die von
+den Treibern nicht beachtet wird; ich lasse sie aufheben und die
+lachenden Aggogiaten reichen mir das, zwischen gewaltigen
+Schildpattschalen, lebhaft protestierende Tier. Ich sehe an den Mienen
+der Leute, daß die Schildkröte unter ihnen sich der Popularität eines
+allbeliebten Komikers zu erfreuen hat, eines lustigen Rats, über den man
+lacht, sobald er erscheint und bevor er den Mund öffnet. In das
+Vergnügen der Leute mischt sich dabei eine leise Verlegenheit, wie sie
+den ernsten Landmann unverkennbar überschleicht, der auf den Holzbänken
+einer Jahrmarktsbude sein Entzücken über die albernen Späße des
+Hanswurst nicht zu verbergen vermag. Auch fühlt man heraus, wie das
+schöne Tier nicht minder geringschätzt, ja verachtet ist, als beliebt:
+eine Verachtung, eine Geringschätzung, die in seinem friedlichen Wesen
+und seiner Hilflosigkeit gegenüber den Menschen, trotz seines doppelten
+Panzers, ihren Ursprung hat.
+
+ »Als er sie sah, da lacht er alsbald und sagte die Worte:
+ Du glückbringendes Zeichen, ich schmähe dich nicht, sei willkommen.
+ Freudegeberin heil! Gesellin des Tanzes und Schmauses.«
+
+»Als er sie sah, da lacht er alsbald!« nämlich Hermes, der Gott, vor
+Zeiten. Ganz so ergreift unsere kleine Reisegesellschaft beim Anblick
+des klassischen Tieres unwiderstehliche Heiterkeit.
+
+
+Wir ziehen weiter, nachdem wir das alte homerische Lachen, das Lachen
+des Gottes, zu Ende gelacht haben. Aber wir töten nicht, wie Hermes, das
+Tier, sondern nehmen es lebend unter unseren Gepäckstücken mit. Ich
+denke darüber nach, wie wohl die Leier ausgesehen und wie wohl geklungen
+hat, die Hermes aus dem Panzer der Schildkröte und aus Schafsdärmen
+bildete und die in den Händen Apolls ihren Himmel und Erde
+durchhallenden Ruhm gewann.
+
+Aber wir sind nun in sengenden Gluten des Mittagslichts zu einem
+wirklichen, reichlich Wasser spendenden parnassischen Brunnen gelangt,
+aus dem die Tiere und Treiber gierig trinken. Dicke Strahlen köstlichen
+Wassers stürzen aus ihrer gemauerten Fassung hervor und rauschend und
+brausend in das steinerne Becken hinein. Es ist wie ein Reichtum, der
+sich hier ausschüttet, der nirgends so, als in einem heißen und
+wasserarmen Lande empfunden wird.
+
+Wir ruhen aus in dem wohligen Lärm und dem kühlen Gestäube des
+lebenspendenden Elementes.
+
+
+Das Kloster Hossios Lukas bietet uns Quartier für die Nacht. Vom
+behäbigen Prior empfangen, geleitet von dienstfertigen Mönchen, treten
+wir, durch ein kleines Vorgärtchen, ohne Treppen zu steigen, ins Haus.
+Gleich linker Hand ist ein Zimmer, das uns überwiesen wird. Auf den
+gebrechlichen Holzaltan des Zimmerchens tretend, blicken wir in den
+tiefen Klosterhof und zugleich über die Dächer der Mönchskasernen in das
+vollkommen einsame, wilde Hochtal hinaus.
+
+Eng und nur wenig Hofraum lassend, sind die Klostergebäude in, wie es
+scheint, geschlossenem Kreis um eine alte byzantinische Kirche gestellt,
+die sie zugleich beschützen und liebevoll einschließen. Das Hauptportal
+der Kirche liegt schräg in der Tiefe unter uns. Wir können mit den nahen
+Wipfeln alter Zypressen Zwiesprache halten, die seit Jahrhunderten
+Wächter vor diesem Eingang sind.
+
+Der Prior wünscht uns die Kirche zu zeigen, die innen ein trauriges Bild
+der Verarmung ist. Reste von Mosaiken machen wenig Eindruck auf mich,
+desto mehr ein Geldschrank, der, an sich befremdlich in diesem geweihten
+Raum, zugleich ein wunderlicher Kontrast zu seinem kahlen, ausgepoverten
+Zustand ist.
+
+Dem Prior geht ein jugendlich schöner Mönch mit weiblicher Haartracht an
+die Hand. Er öffnet Truhen und Krypten mit rostigen Schlüsseln. Das Auge
+des jungen Mönches verfolgt uns unablässig mit bohrendem Blick. Als wir
+jetzt wiederum auf dem Balkon unseres Zimmers sind, taucht er auf einem
+nahen Altane neugierig auf.
+
+Während über den Dächern und in der Wildnis draußen noch Helle des
+sinkenden Tages verbreitet ist, liegt der Hof unter uns bereits in
+nächtlicher Dämmerung. Ich horche minutenlang in die wundervolle Stille
+hinunter, die durch das Geplätscher eines lebendigen Brunnens nur noch
+tiefer und friedlicher wird. Mit einem Male ist es, als sei die Seele
+dieser alten winkligen Gottesburg aus tausendjährigem Schlummer erwacht.
+Arme werden hereingelassen und es wird von den Brüdern unterm
+Klosterportale ziemlich geräuschvoll Brot verteilt.
+
+Nach einigem Rufen, Treppengehen und Türenschließen tritt wieder die
+alte verwunschene Stille ein, mit den einsamen Lauten des
+Röhrenbrunnens. Dann klappert die dicke Bernsteinkette des freundlichen
+Priors unten im Hof. Man hört genau, wie er sein Spielwerk
+gewohnheitsgemäß bearbeitet, das heißt die Bernsteinkugeln
+ununterbrochen durch die Finger gleiten läßt und gegeneinander schiebt.
+
+Ich gehe zur Ruhe, im Ohre feierlich summenden Meßgesang, der schwach
+aus dem Innern der Kirche dringt.
+
+
+Der Aufbruch von Hossios Lukas geschieht unter vielen freundlichen
+Worten und Blicken der Mönche, die um uns versammelt sind. Ich komme
+eben von einer schönen Terrasse des Klosters zurück, die, inmitten der
+steinigten Ödenei, von alten, vollbelaubten Platanen beschattet ist.
+Terrassen für den Gemüsebau setzten sich in die Tiefe fort und hie und
+da sind dem Felsenschutt des verlassenen Tales Wiesen und Ackerstreifen
+abgerungen. Ich sah die kleinen »Mädchen für alles« der älteren Brüder
+und Patres mit Besen und Wassereimern in lebhafter Tätigkeit, die Patres
+selber, wie sie rotkarrierte Betten auf ihren morschen Balkonen
+ausbreiteten. Die kleinen »Mädchen für alles« sind junge Lehrlinge,
+deren schönes, langes Haar, wie das von Mädchen, im Nacken zu einem
+Knoten aufgenommen ist. Es ist ein wolkenlos heiterer Morgen mit einer
+frühlingshaften Wonne der Luft, die göttlich ist und die in jedem Auge
+wiederleuchtet. Noch klingt mir der Gruß des Bruders Küper, sein
+frisches [Griechisch: Kalimera] im Ohr, womit er mich grüßte, als ich
+unten am Brunnen vorüberging, wo er trällernd ein Weinfaß reinigte. Es
+war ein Gruß, der ebenfalls von dem frischen Glück dieses Morgens
+widerklang.
+
+
+Kaum hat unsere kleinere Karawane sich nur ein wenig, zwischen Gebüschen
+von Steineichen hintrottend, aus dem Bereich des Klosteridylls entfernt
+und schon umgibt uns wieder das alte ewige Hirtenidyll. Ich unterscheide
+mit einem Blick vier einzelne Schafherden, deren Geläute herüberdringt,
+und plötzlich erscheinen, Wölfen gleich, gewaltige Schäferhunde über uns
+an der Wegböschung. Man scheucht sie mit großen Steinen zurück.
+
+
+Wir biegen nach einem längeren Ritt in ein abwärts führendes, enges Tal,
+das, wie es scheint, recht eigentlich das Dionysische ist. Wir müssen
+zunächst durch eine gedrängte Herde schwarzer Ziegen förmlich
+hindurchschwimmen, unter denen sich prächtige Böcke auszeichnen, jenen
+ähnlich, die ich auf der Höhe des Passes sah. Und wie ich die Blicke
+über die steinigten Talwände forschend ausschicke, sehe ich sie mit
+schwarzen Ziegen, wie mit überall hängenden, kletternden, kleinen
+schwarzen Dämonen bedeckt.
+
+Der Eingang des schwärzlich wimmelnden Tales wird von dem vollen Glanz
+des Parnasses beherrscht, der aber endlich dem Auge entschwindet, je
+weiter wir in das Tal hinabdringen: das Tal der Dämonen, das Tal des
+Dionysos und des Pan, das immer mehr und mehr von gleichmäßig schwarzen
+Ziegen wimmelt. Wohl eine Viertelstunde lang und länger ziehen wir
+mitten durch die Herden dahin, die zu beiden Seiten unseres
+gestrüppreichen Pfades schnauben, Steineichenblätter abrupfen und hie
+und da leise meckern dazu. Überall raschelt, reißt, stampft und prustet
+es zwischen den Felsen, in den Gebüschen: da und dort wird ein Glöckchen
+geschlenkert. Mitunter kommen wir in ein ganzes Glockenkonzert hinein,
+dessen Lärm das gesprochene Wort verschlingt.
+
+Ich habe, auf meinem Maultier hängend, Augenblicke, wo mir dies alles
+nicht mehr wirklich ist. Ein alter Knecht und Geschichtenerzähler fällt
+mir ein, der mir in ländlichen Winterabenden ähnliche Bilder als
+Visionen geschildert hat. Er war ein Trinker, und als solcher ja auch
+verknüpft mit Dionysos. In seinen Delirien sah er die Welt, je nachdem,
+von schwarzen Ziegen oder Katzen erfüllt, wobei er von alpdruckartiger
+Angst gepeinigt wurde.
+
+Der Schritt des Maultiers, die Glocke des Maultiers, allüberall das
+Eindringen dieser fremden Welt, dazu die ungewöhnliche Lichtfülle, die
+Existenz in freier Luft, Ermüdung des Körpers durch ungewöhnliche
+Reisestrapazen, jagen auch mir einen Anflug von Angst ins Blut. Ich habe
+vielleicht eine Vision und es ist mir manchmal, als müsse ich diese
+zahllosen schwarzen Ziegen vor meinen Augen wegwischen, denen mein Blick
+nicht entgehen kann.
+
+Ein weites Quertal nimmt uns auf und wie ein Spuk liegt nun die Vision
+der schwarzglänzenden Ziegen hinter mir. Wir überholen einen reisenden
+Kaufmann, dessen Maultier von einem kleinen Jungen getrieben wird. So
+schön und vollständig, wie nie zuvor, steht der Parnaß, von dem wir
+bereits Abschied genommen hatten, vor uns aufgerichtet: ein breiter
+silberner Wall mit weißen Gipfeln. Ich gewinne den Eindruck, der
+appollinisch strahlende Glanz strömt in das Tal, das der Berg
+beherrscht.
+
+
+Wir reisen nun schon seit einiger Zeit durch die Ebene hin. Neben
+flacheren Felsgebieten und einem verzweigten Flußbett, das mit Gebüschen
+bewachsen ist, breiten sich Flächen grüner Saat, über denen klangreich
+die Lerche zittert.
+
+Es ist faszinierend, zu sehen, wie der Parnaß nun wiederum diese Ebene
+überragt. Auf breitester Basis ruhend, baut sich der göttliche Berg aus
+eitel Glanz in majestätischer Schönheit auf. Hier wird es deutlich, wie
+die bezwingende Gegenwart solcher Höhen göttlichen Ruhm vor den
+Menschen, die sie umwohnen, durchsetzen und behaupten muß. Ich empfinde
+nicht anders, als stammte der trillernde Rausch des Lerchengeschmetters,
+das leuchtende Grün der Saaten, der zitternde Glanz der Luft von diesem
+geheiligten Berge ab und nähre sich nur von seinem Glanze.
+
+Oftmals wende ich mich auf meinem Maultier nach der verlassenen
+Felsenwelt der Hirten und Herden zurück, während sich über mir Parnaß
+und Helikon mit dem Glanz ihrer silbernen Helme über die weite Ebene
+grüßen. Flössen doch alle Quellen dieser heiligsten Berge wieder
+reichlich voll und frisch in die abgestorbenen Gebiete der europäischen
+Seele hinein! Möchte das starre Leuchten dieser olympischen Vision
+wiederum in sie hineinwachsen und den übelriechenden Dunst verzehren,
+mit dem sie, wie ein schlecht gelüftetes Zimmer, beladen ist.
+
+Nun sitze ich, von der glühenden Sonne nicht ganz geschützt, unterm
+Vordach einer Weinschenke. Parnassische Hirten und Hirtenhunde umgeben
+mich, unter den wettergebräunten Männern sind blonde Köpfe, deren
+antiker Schnitt unverkennbar ist. Der kühne Blick verrät dionysisches
+Feuer im Blut. Der Bartwuchs, ohne gepflegt zu sein, ähnelt in Form,
+Dichte und Kräuselung durchaus gewissen antiken Plastiken, die Helden
+oder Halbgötter darstellen.
+
+Ich teile die Reste meiner Mahlzeit mit einem weißen, gewaltigen
+Schäferhund. Und nachdem wir einen Blick auf den schmerzvoll grinsenden
+Löwen von Cheronea geworfen, ist der parnassische Hirtentraum zu Ende
+geträumt. Doch nein, an der kleinen Haltestelle der Eisenbahn, die wir
+erreicht haben, und die von einem Sumpfe voll quakender Frösche umgeben
+ist, finden wir ein gefesseltes schwarzes Lamm. Es hat, mit dem Rücken
+nach unten, am Sattel eines Maultieres hängend, eine Reise von zehn
+Stunden, durch die Hochtäler des Parnaß, von Delphi her, im Sonnenbrande
+zurückgelegt. Es trägt den Ausdruck hoffnungsloser Fügung im Angesicht.
+Sein Eigentümer ist jener Kaufmann, den wir überholten, und dessen
+Maultier ein Knabe trieb. Er wird um sein Osterlamm beneidet und
+Bahnbeamte treten hinzu, fühlen es ab nach Preis und Gewicht und
+Fettgehalt. Schließlich legt man das arme, unsäglich leidende, schwarze
+parnassische Lamm, mit zusammengebundenen Füßen dicht an die Geleise,
+damit es leicht zu verladen ist. Ich sehe noch, wie es an seinen Fesseln
+reißt und verzweifelt emporzuspringen versucht, als die Maschine
+herandonnert und gewaltig an ihm vorüberdröhnt.
+
+
+Wir haben Athen verlassen, um über Korinth, Mykene, Argos und andere
+klassische Plätze schließlich nach Sparta zu gelangen. Am Nachmittag ist
+Korinth erreicht, nach längerer Bahnfahrt, die uns nun schon bekannte
+Bilder wiederum vor die Augen geführt hat, darunter flüchtige und doch
+warme Eindrücke von Eleusis, Megara, dem schönen Isthmus und der
+Eginetischen Bucht.
+
+Ein Wagen führt uns unweit vom Rande des Golfes, dem Fuße von
+Akrokorinth entgegen, einer drohenden Felsmasse, die von den Resten
+roher Befestigungen verunziert ist.
+
+Über den Golf herüber weht eine frische, fast nordische Luft, aus der
+Gegend des Helikon, dessen leuchtender Gipfel schemenhaft sichtbar
+bleibt. Der Wagen rollt auf schlechten Feldwegen zwischen grünen Saaten
+dahin.
+
+Der korinthische Knabe hatte für Körper und Geist einen weiten,
+unsäglich mannigfaltigen Tummelplatz. Den furchtbarsten Burgfelsen über
+sich, schwamm er im Lärm und Getriebe einer Hafenstadt, die im weiten
+Kreise von grünen oder nackten Hügeln umgeben war. Überall erlangte sein
+Blick die geheiligten Höhen der Götter- und Hirtenwelt, die wiederum bis
+in das Herz der Stadt hineinreichte. Für Wanderungen oder Fahrten taten
+sich Peloponnes und Isthmus auf und auf diesem herrlichen Erdenfleck
+genoß er die gleichsam geborgene Schönheit eines südlichen Alpensees und
+auch die grenzenlose Wonne des freieren Meeres.
+
+
+Wir besteigen Pferde, und diese erkletterten nun mühsam den Felsen von
+Akrokorinth, der mehr und mehr, je weiter wir an ihm hinaufkriechen, wie
+eine verdammte Stätte erscheint: ein düsteres Tor durch einen Ring von
+Befestigungsmauern, führt in ein ödes Felsenbereich.
+
+Wir sind -- die Pferde haben wir vor dem ersten Tore zurückgelassen! --
+einer zweiten Ringmauer gegenübergestellt, die abermals ein Tor
+durchbricht. Eilig klimmen wir weiter aufwärts: eine weißliche Sonne hat
+sich schon nahe bis an den Horizont herabgesenkt. Kalter Bergwind fegt
+durch ein zweites ungeheures Trümmerbereich, und wir finden uns vor dem
+engsten jener Mauerringe, die den Gipfel des Festungsberges
+einschließen. Diesen Gipfel erkletterten wir nun durch ein drittes Tor.
+Es ist eine Wüstenei, ein Steinchaos. Fremd und schon halb und halb in
+Schatten gesunken, liegt die gewaltige Bergwelt des Peloponnes unter
+uns. Wir eilen, aus dieser entsetzlichen Zwingburg durch die Trümmerhöfe
+wieder hinabzukommen. Wirkliches Grauen, wirkliche Angst tritt uns an.
+
+Nach den geheiligten Hügeln und Bergen, deren Bereich ich in den letzten
+Wochen betrat oder wenigstens mit dem Blick erreichte, ist dies der
+erste, der unter einem unabwendbaren Fluch verödet scheint.
+
+
+Seltsam wie das bange Gefühl, was der nahende Abend einflößt mit dem
+kleinen Kreis sonderbar banger Phantasiegestalten in Einstimmung ist,
+die für mich, seitdem ich ein bewußteres Leben führe, mit dem Namen
+Korinth verbunden sind. Schon vor etwa achtundzwanzig Jahren, während
+einer kurzen akademischen Studienzeit, drängten sich mir die
+rätselvollen Gestalten des Periander, seiner Gattin Melissa und des
+Lykophron, seines Sohnes, auf. Ich darf wohl sagen, daß die Tragödie
+dieser drei Menschen in ihrer unsäglich bittersüßen Schwermut all die
+Jahre meine Seele beschäftigt hat.
+
+Periander! Melissa! Lykophron!
+
+Periander, auf dem Burgfelsen hausend, Tyrann von Korinth, allmählich
+ähnlich wie Saul, ähnlich wie der spartanische König Pausanias, in einen
+finsteren Wahnsinn versinkend. Leidend an jenem unausbleiblichen
+Schicksal großer Herrschernaturen, die nach erreichtem Ziel von jenen
+Dämonen verfolgt werden, die ihnen dahin lockend voranschritten. Er
+hatte die Einwohnerschaft Korinths von den furchtbaren Felsen herunter
+terrorisiert und dezimiert. Er hatte Lyside, die Tochter des Tyrannen
+Prokles, geheiratet, der zu Epidaurus saß. Die Gattin, zärtlich von ihm
+Melissa genannt, ward später von ihm aus unbekannten Gründen heimlich
+ermordet: zum wenigsten wurde ihr Tod Periandern zur Last gelegt.
+Prokles, Lysidens Vater, ließ eines Tages vor den beiden inzwischen
+herangewachsenen Enkeln, Kypselos und Lykophron, den Söhnen Melissens
+und Perianders, Worte fallen, die besonders dem Lykophron eine Ahnung
+von dem Verbrechen des Vaters aufgehen ließen, und diese Ahnung bewirkte
+nach und nach zwischen Sohn und Vater den tiefsten Zerfall.
+
+Der große Britte hat die Tragödie eines Sohnes geschrieben, dessen
+Mutter am Morde ihres Gatten, seines Vaters, beteiligt war. Er hat die
+psychologischen Möglichkeiten, die in dem Vorwurf liegen, nicht bis zu
+jeder Tiefe erschöpft. Wie denn ein solcher Gegenstand seinem Wesen nach
+überhaupt unerschöpflich ist, derart zwar, daß er sich selber in immer
+neuen Formen, aus immer neuen Tiefen manifestieren kann. Vielleicht ist
+das Problem Periander Lykophron noch rätselvoller und furchtbarer, als
+es das Rätsel Hamlets und seiner Mutter ist. Dabei hat dieser göttliche
+Jüngling Lykophron mit dem Dänenprinzen Ähnlichkeit ... man könnte ihn
+als den korinthischen, ja den griechischen Hamlet bezeichnen.
+
+Gleichwohl war in seiner Natur ein Zug von finstrer Entschlossenheit.
+
+Während Periander in der wesentlichen Vereinsamung der Herrschbegier --
+denn der Herrschende will allein herrschen und wenn er auch andere
+Herrscher dulden muß, so erreicht er doch die Trennung von allen, das
+Alleinsein, immer gewiß. Er gräbt sich meistens jeden gemütischen Zufluß
+der Seele ab, wodurch sie denn, wie ein Baum bei Dürre, qualvoll langsam
+zugrunde geht.
+
+Also während Periander, sagte ich, vereinsamt, als Herrscher von
+Korinth, in seinem Palast auf dem öden Burgfelsen, mit den Dämonen und
+mit dem Schatten Melissens rang, hatte sich Lykophron nicht nur von ihm
+abgekehrt, sondern von Grund aus alles und jedes, außer das Leben! was
+er ihm zu verdanken hatte -- alles und jedes, was ihm durch Geburt an
+Glanz und Prunk mit dem Vater gemeinsam war, dermaßen gründlich von sich
+getan, daß er, obdachlos und verwahrlost, in den Hallen und Gassen des
+reichen Korinth umherlungernd, von irgendeinem anderen Bettler nicht
+mehr zu unterscheiden war.
+
+Hier noch wurde er aber von dem allmächtigen Vater mit rücksichtsloser
+Strenge verfolgt, dann wieder mit leidenschaftlicher Vaterliebe; doch
+weder Härte noch Zärtlichkeit vermochten den qualvollen Trotz der
+vergifteten Liebe abzuschwächen.
+
+Die Tat des Periander wurde mit dem Schicksale dieses Lykophron zum
+Doppelmord: zum Morde der Gattin und des Sohnes. Und hierin liegt die
+Eigenart der Tragik, die in der Brust Perianders wütete, daß er einen
+geliebten und bewunderten Sohn, das köstlichste Gut seines späteren
+Lebens, plötzlich und unerwartet durch den Fluch seiner häßlichen Tat
+vernichtet fand. Damit war ihm vielleicht der einzige Zustrom seines
+Gemütes abgeschnitten und das Herz des alternden Mannes ward von dem
+Grauen der großen Leere, der großen Öde umschränkt.
+
+Ich bin überzeugt, daß tiefe Zwiste unter nahen Verwandten unter die
+grauenvollsten Phänomene der menschlichen Psyche zu rechnen sind. In
+solchen Kämpfen kann es geschehen, daß glühende Zuneigung und glühender
+Haß parallel laufen -- daß Liebe und Haß in jedem der Kämpfenden
+gleichzeitig und von gleicher Stärke sind: das bedingt die ausgesuchten
+Qualen und die Endlosigkeit solcher Gegensätze. Liebe verewigt sie, Haß
+allein würde sie schnell zum Austrag bringen. Was könnte im übrigen
+furchtbarer sein, als es die Fremdheit derer, die sich kennen, ist?
+
+Periander sendete Boten an das Totenorakel am Acheron, um irgendeine
+Frage, die ihn quälte, durch den Schatten Melissens beantwortet zu
+sehen. Melissa dagegen beklagte sich, statt Antwort zu geben und
+erklärte, sie friere, denn man habe bei der Bestattung ihre Kleider
+nicht mit verbrannt.
+
+Als die Boten heimkehrten, hierher nach Korinth, konnte Periander nicht
+daran zweifeln, daß wirklich der Schatten Melissens zu ihnen geredet
+hatte, denn sie brachten in rätselhaften Worten die Andeutung eines
+Geheimnisses, dessen einziger Hüter Periander zu sein glaubte.
+
+Durch dieses Geheimnis wurde ein perverses Verbrechen des Gatten
+verdeckt, der seine Gattin nicht allein getötet, sondern noch im
+Leichnam mißbraucht hatte: eine finstere Tat, die das schreckliche Wesen
+des Tyrannen gleichsam mit einem höllischen Strahle der Liebe verklärt.
+
+Er ließ nun in einem Anfall schwerer Gewissensangst die Weiber Korinths,
+wie zum Fest in den Tempel der Hera berufen. Dort rissen seine
+Landsknechte ihnen gewaltsam Zierat und Festkleider ab und diese wurden
+zu Ehren Melissens, und um ihren Schatten zu versöhnen, in später
+Totenfeier verbrannt.
+
+Periander, Melissa, Lykophron. Es hat immer wieder, während beinahe
+dreier Jahrzehnte, Tage gegeben, wo ich diese Namen lebendig in mir, ja
+oft auf der Zunge trug. Sie waren es auch, die, Sehnsucht erweckend, vor
+mir her schwebten, als ich das erstemal den Anker gehoben hatte, um
+hierher zu ziehen. Auch während der kleinen Schiffsreise jüngst, durch
+den Golf von Korinth, hat mein Mund zuweilen diese drei Namen lautlos
+geformt, nicht minder oft auf der Fahrt nach Akrokorinth. Und hier, im
+fröstelnden Schauder heftiger Windstöße, auf dem gespenstischen Gipfel
+des Burgfelsens, habe ich im kraftlosen Licht einer bleichen Sonne, die
+unterging, die fröstelnden Schatten Perianders, Melissens und Lykophrons
+dicht um mich gespürt.
+
+
+Unten, im Dämmer der Rückfahrt, während die Feldgeister über der in
+Gerstenhalmen wogenden Gräberstätte des alten Korinth sich zu regen
+beginnen, zuckt im Rädergeroll der nächtlichen Fahrt ein und das andere
+Bild der lärmenden alten Stadt vor der Seele auf. Mitunter ist alles
+plötzlich von einer so tosenden Gegenwart, daß ich Geschwätz und
+Geschrei des Marktes um mich zu hören glaubte, und alles dieses mit dem
+Anblick weiter abgelegener Felder verquickt, die sich rings um den
+übermächtig hineingelagerten, finsteren Gewalttäterfelsen wie
+Leichentücher weit umherbreiten.
+
+Und ohne daß dieser tote Dämmer, dieses ewig teilnahmlose Gegenwartsbild
+verändert wird, sehe ich die Lohe der Totenfeier Melissens nächtlich
+hervorbrechen und fühle das Fieber, das die leidenschaftliche Kraft des
+großen Periander auf die Bewohner der geknechteten Stadt überträgt. Der
+Heratempel ist vom Geschrei der Weiber erfüllt, denen die Bravi die
+Kleider vom Leibe reißen, die Gassen vom Geschrei jener anderen, die
+nackt und beraubt entkommen sind. Nicht weit vom Tempel, den Blick in
+den rötlichen Schein der Feuersbrunst mit einem starren Lächeln
+gerichtet, steht Lykophron: durch Schmerz und die Wollust der
+Selbstkasteiung fast irrsinnig, das Antlitz durch Hunger und innere Wut
+verzerrt, aber in diesem Augenblick nicht nur vom Wiederscheine des
+Feuers, sondern von einem bösen Triumphe verklärt. Rings lärmen und
+brüllen die Leute um ihn: es ist durch Verordnung Perianders aufs
+strengste verboten, ihn anzureden.
+
+Als aber am folgenden Tage Periander selbst dies zu tun unternimmt,
+erhält er von seinem Sohne nur diese Antwort: man wird dich in Strafe
+nehmen, weil du mit Lykophron gesprochen hast.
+
+
+Gegen zwölf Uhr mittags, nachdem wir am Morgen Korinth verlassen haben,
+befinde ich mich in einer Herberge, von der aus man die argivische Ebene
+übersieht. Sie ist begrenzt von gewaltigen peloponnesischen Bergzügen
+und augenblicklich durchbraust von einem heißen Wind, der in der
+blendenden Helle des Mittags die Saatfelder wogen macht.
+
+Der Raum, in dem die Kuriere das Frühstück auftragen, hat den
+gestampften Boden einer Lehmtenne. Er ist zugleich Kaufladen und
+Weinausschank. Es riecht nach Kattun. Blaue Kattune sind in den
+Wandregalen aufgestapelt. Dank den Kurieren, die in Athen eine
+Korporation bilden, herrscht in den Herbergen, die sie bevorzugen, eine
+gewisse Sauberkeit.
+
+Ich bin vor die Tür des kleinen Wirtshauses getreten. Die von den Bergen
+Arkadiens eingeschlossene Ebene ist noch immer durchbraust von Sturm und
+steht noch immer in weißer Glut. In weißlich blendendem Dunst liegt der
+Himmel über uns. Die Burg von Argos, Larissa, ist in der Talferne
+sichtbar, der Boden des Tals ist in weite Gewände abgegrenzt, die teils
+von wogender Gerste bedeckt, teils unbestellt und die trockene rote
+Scholle zeigend, daliegen.
+
+Diese Landschaft erscheint auf den ersten Blick ein wenig kahl, ein
+wenig nüchtern in ihrer Weiträumigkeit. Ich bin nicht geneigt, sie als
+Heimat jener blutigen Schatten anzusprechen, die unter den Namen
+Agamemnon, Klytämnestra, Tyest und Orestes ruhelos durch die
+Jahrtausende wandern. Ihre Heimat war im Haupte des Äschylos und des
+Sophokles.
+
+Die Gestalten der großen Tragödiendichter der Alten sind von einem
+Element des Grauens getragen und in ihm zu körperlosen Schatten
+aufgelöst. Es ist in ihnen etwas von den Qualen abgeschiedener Seelen
+enthalten, die durch die unwiderstehliche Macht einer Totenbeschwörung,
+zu einer verhaßten Existenz im Lichte gezwungen sind. Auf diese Weise
+wecken sie die Empfindung in uns, als stünden sie unter einem Fluch, der
+ihnen aber, so lange sie noch als Menschen unter Menschen ihr Leben
+lebten, nicht anhaftete. Der schlichte Eindruck einer realen
+landschaftlichen Natur bei Tageslicht widerlegt jeden Fluch und zwingt
+der bis zum Zerreißen überspannten Seele den Segen natürlicher Maße auf.
+
+Den Tragikern bleibt in dieser Beziehung Homer vollkommen gesondert
+gegenübergestellt. Seine Dichtungen sind keine Totenbeschwörungen. Über
+seinen Gedichten ist nirgend das Haupt der Medusa aufgehängt. Gleicht
+das Gedicht des Tragikers einem Klagegesang -- seines gleicht überall
+einem Lobgesang, und wenn das Kunstwerk des Tragikers von dem Element
+der Klage, wie von seinem Lebensblute durchdrungen ist, so ist das
+Gedicht Homers eine einzige Vibration der Lobpreisung. Die dichtende
+Klage und heimliche Anklage und das dichtende Lob, wer kann mir sagen,
+welches von beiden göttlicher ist?
+
+Die Tragödie ist immer eine Art Höllenzwang. Die Schatten werden mit
+Hilfe von Blut gelockt, gewaltsam eingefangen und brutal, als ob sie
+nicht Schatten wären, durch Schauspieler ins reale Leben gestellt: da
+müssen sie nun nichts anderes als ihre Verbrechen, ihre Niederlagen,
+ihre Schande und ihre Bestrafungen öffentlich darstellen. Hierin
+verfährt man mit ihnen erbarmungslos.
+
+Seit Beginn meiner Reise liegt mir eine wundervolle Stelle der Odyssee
+im Sinn. Der Sonnengott, dem man seine geliebte Rinderherde getötet hat,
+klagt die Frevler, die es getan haben, die Genossen des Odysseus, im
+Kreise der Götter an und droht, er werde, sofern man ihn nicht an den
+Tätern räche, fortan nicht mehr den Lebenden, sondern den Toten
+leuchten:
+
+ »Büßen die Frevler mir nicht vollgütige Buße des Raubes;
+ Steig' ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!«
+
+Wer wollte diese erhabenste und zugleich herrlichste Drohung in ihren
+überwältigenden Aspekten nicht empfinden. Es ist nicht mehr und nicht
+weniger als der ganze Inhalt eines künftigen Welt-Epos, dessen Dante
+geboren werden wird. Aber wenn nicht mit der ganzen apollinischen
+Lichtgewalt, so doch mit einem Strahle davon erscheinen die Gestalten
+Homers beglückt und sind damit aus dem Abgrund der Toten zu neuem Leben
+geweckt worden und es ist nicht einzusehen, warum der Gott nicht auch
+dem dramatischen Dichter einen von seinen Strahlen leihen sollte. Ist
+doch das Dramatische und das Epische niemals rein getrennt, ebensowenig
+wie die Tendenzen der Zeit und des Ortes. Und wer wüßte nicht, wie das
+Epos Homers zugleich auch das gewaltigste Drama und Mutter zahlloser
+späterer Dramen ist.
+
+Wenn wir einen Durchbruch des apollinischen Glanzes in die Bereiche des
+Hades als möglich erachteten, so möchte ich die Tragödie, cum grano
+salis, mit einem Durchbruch der unterirdischen Mächte, oder mit einem
+Vorstoß dieser Mächte ins Licht vergleichen. Ich meine damit die
+Tragödie seit Äschylos, von dem es heißt, daß er es gewesen ist, der den
+Erinnyen Schlangen ins Haar geflochten hat.
+
+Nehmen wir an, die Tragödie habe dem gleichen Instinkt gedient, wie das
+Menschenopfer. Dann trat allerdings an Stelle der blutigen Handlung der
+unblutige Schein. Trotzdem in Wahrheit aber Menschenblut nicht vergossen
+wurde, hatte die bange und schreckliche Wirkung an Macht gewonnen und
+sich vertieft: derart, daß erst jetzt eine chthonische Wolke gewaltsam
+lastend und verdüsternd in den olympischen Äther stieg, deren
+grauenerregende Formen mit den homerischen Lichtgewölken olympischen
+Ursprungs rangen, und schließlich den ganzen Olymp der Griechen
+verdüsterten.
+
+
+Wir brechen auf, um die Trümmer von Mykene und die unterirdischen Bauten
+zu sehen, die man Schatzhäuser nennt. Ich bin durchaus homerisch
+gestimmt, wie denn mein ganzes Wesen dem Homerischen huldigt, auch wenn
+ich nicht des wundervollen Schatzes gedenken müßte, der im Museum zu
+Athen geborgen liegt und der aus den Gräbern von Mykene gehoben ist. Wo
+ist das Blutlicht, mit dem Äschylos und Sophokles durch die Jahrhunderte
+rückwärts diese Stätte beleuchteten? Es ist von der Sonne Homers
+getilgt. Und ich sehe in diesem Augenblick die Greueltaten der
+Klytämnestra, des Agist und des Orest höchstens mit den Augen des
+Menelaos in Sparta an, als er dem jugendlichen Telemach, der gekommen
+ist, nach Odysseus, seinem Vater, zu forschen, davon erzählt.
+
+ »Aber indessen erschlug mir meinen Bruder ein Anderer
+ Heimlich mit Meuchelmord durch die List des heillosen Weibes ...
+ Dennoch, wie sehr ich auch trauere, bewein' ich alle nicht so sehr
+ Als den einen ...«
+
+womit er Odysseus -- nicht einmal Agamemnon! -- meint, den lange
+Vermißten.
+
+Wer, der die kerngesunde Königsidylle jenes Besuches liest, den Telemach
+in Sparta abstattet, könnte dagegen des Glaubens sein, daß der erprobte
+Held, Mann und Bruder sich sophokleischen Blutträumen überlassen hätte?
+Zumal, wenn er sagt:
+
+ »Laßt uns also des Grams und unserer Tränen vergessen«
+
+oder wenn Helena bei ihm ruhte, noch immer »Die Schönste unter den
+Weibern.«
+
+
+Das Löwentor, der mykenaische Schutthügel und die Hügel ringsum sind von
+Sonne durchglüht und von Sturm umbraust. Überall füllt Duft von Thymian
+und Myrrhen die Luft. Ganz Griechenland duftet jetzt von Thymian und
+Majoran. In den Kalksteintrümmern der alten Stadt schreien Eulen
+einander zu, wach und lebhaft, trotz hellblendender Sonne. Weiß wie
+Schlacke liegt Trümmerstück an Trümmerstück.
+
+Die Burg hat eine raubnestartige Anlage: in Hügeln versteckt und von
+höheren felsigen Bergen gedeckt, übersah sie das ganze rossenährende
+Argos. Zur Seite hatte sie eine wilde Kluft, die jeden Zugang
+verhinderte.
+
+Es ist von eigentümlichem Reiz, sich nach den mykenaischen Gräberfunden
+in dieser Umgebung ein Leben in Üppigkeit und Luxus vorzustellen: Männer
+und Frauen, die sich schnürten, und besonders Frauen, deren Toiletten an
+Glanz und Raffinement der Toilette einer spanischen Tänzerin, die in
+einem pariser Theater tanzt, gleichgekommen sind. Aber schließlich ist
+es wieder Homer, der überall den Sinn für Komfort und Luxus entwickelt
+und nie vergißt, Bäder, duftende Betten, reinliches Linnen, hohe und
+hallende Säle, Schmuck und Schönheit der Weiber, ja sogar den
+Wohlgeschmack des Getränks und der Speisen gebührend zu würdigen.
+
+
+Die unterirdischen Kuppelbauten, die Pausanias Schatzhäuser nennt, sind
+ihrer eigentlichen Bestimmung nach noch heute ein Rätsel. Sie waren
+bekannt, wie es scheint, durch das ganze griechische Altertum und
+wahrscheinlich, so weit sie frei lagen, wie noch heute, erfüllt von
+Bienengesumm. Das »Schatzhaus des Atreus«, ist vollkommen freigelegt.
+Die weiche, sausende Chormusik der kleinen honigmachenden Priesterinnen
+der Demeter, die den unterirdischen Bau erfüllt, verbreitet mystische
+Feierlichkeit. Sie scheinen im Halblicht der hohen Kuppel
+umherzutaumeln. Sie fliegen, an den unbestrittenen Besitz dieser Räume
+gewöhnt, gegen die Köpfe der Eintretenden. Ihr sonorer Flug bewegt sich
+mit Gehen und Kommen in eine niedrige Nebenkammer, die sehr wohl eine
+Grabkammer sein könnte. Aber die Menge der Schatzhäuser würde durch eine
+Bestimmung als unterirdische Tempelgräber, für Totenopfer und Totenkult,
+nicht erklärt. Ich stelle mir aber gern inmitten dieses sogenannten
+Artreusschatzhauses einen Altar vor und das Feuer darauf, das den Raum
+erleuchtet und lärmend belebt und dessen Rauch durch die kleine runde
+Öffnung der Kuppel abzieht und oben scheinbar aus der Erde selber
+hervordringt.
+
+
+Drei Schimmel ziehen unsern Wagen im Galopp durch die Vorstädte von
+Tripolitza in die arkadische Landschaft hinaus. Der wolkenlose Himmel
+ist über weite Ackerflächen gespannt, auf denen Reihen bunter,
+griechischer Landleute arbeiten. Der Tag wird heiß. Die Luft ist erfüllt
+von Froschgequak.
+
+Nun, nach einer längeren Fahrt durch kleine Ortschaften, verlassen wir
+die Ebene von Thegea. Die schöne Landstraße steigt bergan, und statt der
+Felder haben wir rötlich-graue Massen kahlen Gesteins zur Rechten und
+Linken, die spärlich mit Thymiansträuchern bewachsen sind. Es beginnt
+damit ein Arkadien, das mehr einer Wüstenei, als dem Paradiese ähnlich
+sieht. Nach einiger Zeit ist in der Höhe ein Dorf zu sehen, mit einigen
+langen, dünn belaubten Pappeln, die das Auge hungrig begrüßt. Nur wenig
+lösen sich die Häuser der Ortschaft von ihrem steinigten Hintergrund,
+der mit schmalen Gartenstreifen rötlicher Erde durchsetzt ist.
+
+Die Spitzen des Parnon werden zur Linken sichtbar, auf denen der Schnee
+zu schwinden beginnt. Ein kühler Wind setzt ein und erquickt inmitten
+dieser arkadischen Wüste.
+
+Ich hatte hier einen womöglich noch größeren Reichtum an Herden zu sehen
+gehofft, als zwischen Parnaß und Helikon: aber auf weitgedehnten,
+endlosen Trümmerhalden und auf der Landstraße begegnet nur selten Herde
+und Hirt. Die Gegend ist arm und ausgestorben, die ehemals das
+waldreiche Paradies der Jäger und Hirten gewesen ist.
+
+Die Straße wendet sich auf einer freien Paßhöhe rechts und tritt in das
+Gebiet von Lakonika. Der Taygetos liegt nun breit und mächtig mit weißen
+Gipfeln vor uns da.
+
+Aus einer ärmlichen Schenke ertönt Gesang. Und zwar ist es eine Musik,
+die an das Kommersbuchtreiben deutscher Studentenkneipen erinnert. Die
+Stimmen gehören Gymnasiallehrern aus Sparta an, die, noch im
+Osterferien-Rausch, fröhlich dorthin zurückreisen.
+
+Es erscheinen jetzt Äcker, Gartenflächen, Wiesen und Bäume oasenartig.
+Die Erde zwischen Felsen und Bäumen ist rot, und hier und da stehen
+rötliche Wasserlachen.
+
+Der Parnon verschwindet und taucht wieder auf. Die Gegend gewinnt,
+nachdem wir die Paßhöhe überschritten haben, an Großartigkeit. Einige
+der vielen steinigten Hochtäler, die man übersieht, zeigen Baumwuchs
+inselartig in ihrer Tiefe. Es ist mir, so lange mein Auge durch diese
+uferlosen, kochenden Wüsteneien schweift, als ob ich das traurig-nackte,
+ausgetrocknete Griechenland mit einem Mantel grüner Nadelwälder bedecken
+müßte, und meine Träumereien führen Armeen tätiger Menschen hierher,
+die, vom sorglich gepflegten Saatkamp aus, in geduldiger Arbeit Arkadien
+aufforsten. Mit tiefem Respekt gedenke ich der zähen Kraft und
+Tüchtigkeit jener Männer und Frauen meiner engeren Heimat, auch derer
+mit krummgezogenem Rücken, die den Forst ernähren, mehr wie sie der
+Forst ernährt, und mit Staunen vergegenwärtige ich die Schöpferkraft,
+die in der harten Faust der Arbeit liegt.
+
+
+Wir halten Rast. Die Herberge ist an eine Krümmung der Bergstraße
+gestellt. Unter uns liegt ein weites Tal, das der Taygetos mit einer
+Kette von Schneegipfeln mächtig beherrscht. Der Himmel glüht in einer
+fast weißen Glut. Hügelige Abhänge in der Nähe, von Olivenhainen
+bestanden, erscheinen ausgebrannt.
+
+Unsere Herberge hat etwas Japanisches. Das Schilfdach über der
+schwankenden Veranda, auf der wir stehen, ist durch dünne Stangen
+gestützt. Unten klingeln die müden Pferde mit ihren Halsglöckchen. Die
+trinkfrohen Lehrer aus Sparta haben uns eingeholt und sitzen lärmend
+unten im Gastzimmer. Wir werden in ein oberes Zimmer geführt, dessen
+Dielen dünn wie Oblaten sind. Durch fingerbreite Fugen zwischen den
+Brettern können wir zu den Lehrern hinabblicken. Der Kurier trägt ein
+Frühstück auf. Indessen schwelgen die Augen und ruhen zugleich im jungen
+Blättergrün eines Pappelbaums, der, vom heißen Winde bewegt, jenseits
+der Straße schwankt und rauscht.
+
+Nachdem wir gegessen haben, ruhen wir auf der Veranda aus. Bei jedem
+Schritt, den wir etwa tun, schaukelt die ganze Herberge. Zwei Schwalben
+sitzen nahe bei mir unter dem Schilfdach auf der Geländerstange. Überall
+um uns ist lebhaftes Fliegengesumm.
+
+
+Wir haben vor etwa einer Stunde das Kahni verlassen, wo uns die Lehrer
+aus Sparta eingeholt hatten. Ihr Einspännerwägelchen stand, als wir
+abfuhren, vor der Tür und wartete auf die indessen lustig zechenden
+Gäste. Sonderbar, wie in diesem heißen, stillen und menschenleeren Lande
+die brave Turnerfidelitas anmutete, die immer wieder in einem gewaltigen
+Rundgesang gipfelte!
+
+Die Straße beginnt sich stärker zu senken. Wir fahren weite Schlingen
+und Bogen an tiefen Abstürzen hin, die aber jetzt den Blick in eine
+immer reicher ausgestaltete Tiefe ziehen. Wir nähern uns der Gegend von
+Sparta, dem schönen Tal des Eurotas an.
+
+Es ist eine wundervolle Fahrt, durch immer reicher mit Wein,
+Feigenbäumen und Orangenhainen bestandene Abhänge. Ziegen klettern zur
+Linken über uns und zur Rechten unter uns. Lieblich gelegene
+Ansiedelungen mit weißem Gemäuer mehren sich, bis wir endlich das flache
+Aderngeflecht des Eurotas und zugleich die weite Talsohle überblicken
+können.
+
+Fast wie Vögel senken wir uns aus gewaltiger Höhe auf das moderne Sparta
+herab, das, mit weißen Häusern, aus Olivenhainen, Orangengärten und
+Laubbäumen, weiß heraufleuchtet. Es ist mir dabei, als beginne das
+strenge und gleichsam erzene Wort Sparta, sich in eine entzückende,
+ungeahnte südliche Vision aufzulösen. Eine augenblendende Vision von
+Glanz und Duft.
+
+Ich kann nicht glauben, daß irgendein Land an landschaftlichen Reizen
+und in der Harmonie solcher Reize mit dem griechischen wetteifern
+könnte. Es zeigt den überraschendsten Wechsel an Formen und überall eine
+bestrickende Wohnlichkeit. Man begreift sogleich, daß auch dieses Tal
+von Sparta eine festgeschlossene Heimat ist, mit der die Bewohner,
+ähnlich wie mit einem Zimmer, einem Hause verwachsen mußten.
+
+Ich möchte behaupten, daß der Reichtum der griechischen Seele zum Teil
+eine Folge des eigenartigen Reichtums der griechischen Muttererde ist.
+Wobei ich von dem landschaftlichen Sinn der Alten den allerhöchsten
+Begriff habe. Natürlich nicht einem landschaftlichen Sinn in der Weise
+moderner Malerei, sondern als einer Art Empfindsamkeit, die eine Seele
+immer wieder zum unbewußten Reflex der Landschaft macht.
+
+Zweifellos war die Phantasie im Geiste des Menschen die erste und lange
+Zeit alleinige Herrscherin, aber das im Wechsel der Tages- und
+Jahreszeiten feste Relief des Heimatsbodens blieb in einem gewissen
+Sinne ihr Tummelplatz. Was an bewegten Gestalten von ihr mit diesem
+Boden verbunden wurde, das hatte dieser Boden auch miterzeugt.
+
+Das unbewußte Wirken des Geistes, im Kinde so wie im Greise, ist immer
+wesentlich künstlerisch, und Bildnertrieb ist eine allgemein verbreitete
+Eigenschaft, auch wo er sich nie dem äußeren Auge sichtbar kundgibt.
+Auch der Naivste unter den Menschen wohnt in einer Welt, an deren
+Entstehung er den hauptsächlichsten Anteil hat und die zu ergründen
+ebenso reizvoll sein würde, als es die Bereisung irgendeines
+unentdeckten Gebietes von Tibet ist. Unter diesen Naivsten aber ist
+wiederum keiner, der nicht das Beste, was er geschaffen hat, mit Hilfe
+des kleinen Stückchens Heimat geschaffen hätte, dahinein er geboren ist.
+
+
+Ich befinde mich im Garten eines kleinen Privathauses zu Sparta. Vor
+etwa einer Stunde sind wir hier angelangt. Ich habe mich beeilt, aus dem
+dürftigen Zimmerchen, das man uns angewiesen hat, wieder ins Freie zu
+gelangen. Es war eine sogenannte gute Stube, und es fehlte darin nicht
+einmal das Makartbukett.
+
+Irgendwie, ich weiß zunächst nicht wodurch, bin ich in diesem
+Grasegarten an längst vergangene Tage erinnert. Eindrücke meines frühen
+Jünglingsalters steigen auf. Ich vergesse minutenlang, daß die
+verwilderte Rasenfläche unter meinen Füßen der Boden von Sparta ist.
+Dann kommt es mir vor, als wandle ich in jenem kleinen Obstgarten, der
+an das Gutshaus meines Onkels stieß, und etwas vom Tanze der nackten
+Mädchen Spartas und erster Liebe ginge mir durch den Kopf.
+
+Es ist aber wirklich ein Garten in Sparta und nicht das Gehöft meiner
+guten Verwandten, wo ich jetzt bin. In der nahen Gartenzisterne quakt
+ein spartanischer Frosch, ich schreite an einer spartanischen
+Weißdornhecke hin und spartanische Sperlinge lärmen.
+
+Auf der Konsole des Nußbaumspiegels, dessen sich das Quartier meiner
+Gastfreunde rühmen kann, fand ich unter anderen Photographien auch ein
+Bild, -- das Bild eines hübschen, ländlichen Mädchens! -- das mir
+sogleich ins Auge fiel. Sie mag wohl längst gestorben sein oder ist etwa
+vor dreißig Jahren jung gewesen, um jene Zeit, als auch das Mädchen, an
+das ich mich jetzt erinnern muß, siebzehnjährig durch Garten, Hof und
+Haus meiner schlesischen Anverwandten schritt.
+
+Die Bergwand des Taygetos ist zum Greifen nahe. Die Sonne versinkt
+soeben hinter die hohe Kammlinie und beinahe das ganze Tal des Eurotas
+ist in Schatten gelegt. Die Landschaft ringsum ist zu dieser Stunde
+zugleich heroisch und anheimelnd.
+
+Plötzlich finde ich mich mit lebhaftem Griechisch angeredet. Ein Mann
+hat mich zwischen Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern entdeckt, ist
+herzugetreten und setzt voraus, daß ich Griechisch verstehe. Kurze Zeit
+bin ich hilflos gegen seine neuspartanische Zudringlichkeit, dann aber
+wird im Giebel unseres Häuschens -- das übrigens, windschief, wie es
+ist, von außen betrachtet unbewohnbar scheint -- ein Fenster geöffnet,
+und das schöne Mädchen, die schöne Spartanerin, noch ganz so jung, wie
+das Bild sie zeigte, lehnt sich heraus.
+
+Der Mann von der Straße wird nun durch eine tiefe, sonore Frauenstimme
+zurecht-, das heißt aus dem Garten gewiesen, und ich habe, mit
+gebundener Zunge, Antlitz und Blick der hübschen Spartanerin über mir.
+
+ »Gott grüß euch schönes Jungfräulein
+ Wo bind ich mein Rößlein hin? --
+ Nimm du dein Rößlein beim Zügel, beim Zaum,
+ Binds an den Feigenbaum.«
+
+
+Der irrationale Wunsch und Zwang, eine Stätte wie die des alten Sparta
+zu sehen, erklärt sich zwar nicht durch den Namen Lykurg, aber doch ist
+es vor allem der Genius dieses Namens, der Genius, dessen Wirken eine so
+unvergleichliche Folge hatte, den man in dieser Landschaft sucht. Man
+konnte nicht hoffen oder erwarten wollen, hier irgendein Jugendidyll,
+auch nur in Erinnerung, sich erneuern zu sehen: dennoch nimmt mich,
+statt jeder historischen Träumerei, eine solche Erinnerung jetzt in
+Besitz.
+
+Nicht zweimal schwimmst du durch die gleiche Welle, sagt Heraklit, und
+es ist nicht dieselbe, die um mich und durch mich flutet, als jene
+Frühlingswoge, durch die ich vor Jahren geschwommen bin: aber es ist
+doch auch wieder etwas von ewiger Wiederkehr in ihr.
+
+Ich sage mir, daß Lykurg wiederum nichts weiter, als ein großer Hirte,
+ein großer Schäfer gewesen ist, der den Nachwuchs seines Volkes in
+»Herde« teilte. Daß seine Gedanken in der Hauptsache sehr entschlossene
+Züchtergedanken gewesen sind, wie sie aus den Erfahrungen eines
+Hirtenlebens sich ergeben und zwar mit Notwendigkeit. Lykurg, der
+trotzdem mit Delphi Verbindung hatte, war überwiegend ein Mann der
+kalten Vernunft, gesteh ich mir, und wußte, wie keiner außer ihm, das
+zeitliche Leben vom ewigen und ihre Zwecke rein zu sondern. Allein durch
+alle diese Erwägungen vermag ich meine Seele nicht von dem spartanischen
+Ebenbilde meiner ländlichen Jugendliebe abzuwenden.
+
+Jungens, nicht anders wie Jungens sind, gucken über den Zaun, der hier
+allerdings von dem krebsscherenartig, stachlig-grünen Gerank der Agave
+gebildet ist. Sie sind neugierig, werfen Steine in blühende Obstbäume,
+suchen etwas für ihre Tatkraft, stören mich. Der gleiche Fall veranlaßte
+mich vor Jahren, an einem denkwürdigen Tage, aus begreiflichen Gründen
+zu vergeblicher Heftigkeit, dagegen gelang es dem deutschen Urbilde der
+Spartanerin, das damals neben mir durch den Grasegarten schritt, die
+Knaben mit wenigen gütigen Worten zu bewegen, von ihren Störungen
+abzulassen.
+
+
+Nun ist das schöne Mädchen im Garten erschienen. Ich grüße sie und werde
+dann magisch in die gleiche Richtung gezogen, die sie eingeschlagen hat,
+und durch dasselbe Pförtchen im Heckenzaun, durch das sie verschwunden
+ist.
+
+Ich stehe auf einer kleinen begrasten Halbinsel hinter dem Garten, um
+die der starke Bergbach eilig sein klares und rauschendes Wasser trägt.
+Es kommt, eisfrisch, vom Taygetus. Kaum fünf Schritt von mir entfernt
+haben Zigeuner ihr Zelt aufgeschlagen. Der Vater steht in guterhaltener
+kretensischer Tracht, mit ruhiger Würde, pfeiferauchend, am Bachesrand.
+Die Mutter, von zwei Kindern umspielt, hockt an der Erde und schnitzelt
+Gemüse für die Abendsuppe zurecht, die allbereits über einem
+bescheidenen Feuerchen brodelt. Zwischen den braunen, halbnackten
+Kindern springt ein zähnefletschendes Äffchen umher: Dies alles,
+besonders das kleine Äffchen, wird mit kindlicher Freude bewundert von
+meiner Dorfschönen.
+
+Ich sehe nun, sie ist kräftig gebaut und jünger, als ich nach dem Bilde,
+nach der Erscheinung am Fenster und nach den Lauten ihrer Stimme
+geurteilt hatte, wahrscheinlich nicht über fünfzehn Jahre alt. Sie
+erinnert mich an den derben Schlag der Deutsch-Schweizerin. Die
+Zigeunermutter hat, sobald sie meiner ansichtig wurde, ihrem singenden,
+springenden Lausetöchterchen das Tamburin zugeworfen, womit es sich
+augenblicklich klirrend vor mir im Tanze zu drehen beginnt. In der
+Freude darüber trifft sich mein Blick mit dem der jungen Spartanerin.
+
+Inzwischen ist alles um uns her mehr und mehr in abendliche Schatten
+gesunken. Die Glocke einer nahen Kirche wird angeschlagen. Gebrüll von
+Rindern dringt von den dämmrigen Weideflächen am Fuß des Taygetus. Das
+ganze Gebirge ist nur noch eine einzige, ungeheure, blauschwarze
+Schattenwand, die, scheinbar ganz nahe, den Bach zu meinen Füßen zu
+speisen scheint, dessen Wasser blauschwarz und rauschend, wie flüssiger
+Schatten heranwandelt.
+
+Grillen zirpen. Ein märchenhaftes Leuchten ist in der Luft. Kalte und
+warme Strömungen machen die Blätter der Pappeln und Weiden flüstern,
+die, zu ernsten, ja feierlichen Gruppen gesellt, die Ränder des breiten
+Baches begleiten.
+
+
+Es ist ein Uhr nachts, aber in der Mondeshelle draußen herrscht trotzdem
+dämonischer Lärm. Hühner und Hähne piepsen und krähen laut, Hunde
+kläffen und heulen ununterbrochen. Mitunter klingt es wie Stimmen von
+Kindern, die mit lautem Geschrei lustig und doch auch gespenstisch ihr
+nächtliches Spiel treiben. In der Gartenzisterne quakt oder trillert
+immer der gleiche Frosch.
+
+Die alten Spartaner befolgten jahrhundertelang eine Züchtungsmoral. Es
+hat den Anschein, als wenn die Moral des Lykurg in einem größeren Umfang
+noch einmal aufleben wollte. Dann würde sein kühnes und vereinzeltes
+Experiment, mit allen seinen bisherigen Folgen vielleicht nur der
+bescheidene Anfang einer gewaltigen Umgestaltung des ganzen
+Menschengeschlechtes sein.
+
+Wenn etwas vorüber ist, so ist es am Ende für unsere Vorstellungskraft
+gleichgültig, ob es gestern geschah, oder vor mehr als zweitausend
+Jahren, besonders, wenn es menschlich voll begreifliche Dinge sind. Ob
+also die spartanischen Mädchen gestern nackt auf der Wiese getanzt
+haben, damit die Jünglinge ihre Zuchtwahl treffen konnten, oder vor
+dreitausend Jahren, ist einerlei. Ich nehme an, es sei gestern gewesen.
+Ich nehme an, daß man noch gestern hier die Willenskraft, den
+persönlichen Mut, die Disziplin, Gewandtheit, Körperstärke und jedwede
+Form der Abhärtung vor allem gepflegt und gewürdigt hat. Und daß
+meinethalben die Epheben noch heute Nacht im Heiligtum des Phöbus,
+draußen auf den dämmrigen Wiesen, wo ich sie nicht sehe, wie unsre
+Zigeuner dem Monde, einen Hund opfern.
+
+Ihr Gesetzgeber war Lykurg, ihr Ideal Herakles. Die Standbilder beider
+Heroen standen auf beiden Brücken, die über den Wassergraben zum
+Spielplatz bei den Platanen führten. Leider ging es auf eine sinnlose
+Weise roh, mit Treten, Beißen und Augenausbohren, bei diesen
+Ephebenkämpfen zu.
+
+
+Immer noch herrscht im Mondschein draußen derselbe dämonische
+Höllenlärm. Durch Ort, Stunde, Mondschein und Reiseermüdung aufgeregt,
+bevölkert sich meine Phantasie mit einer Menge wechselnder
+Vorstellungen, gleichsam einem altspartanischen Gespenster- und
+Kirchhofspuk. Bald sehe ich zappelnde Säuglinge im Taygetus ausgesetzt,
+bald löffle ich selbst bei der gemeinsamen öffentlichen Männermahlzeit
+die greuliche, schwarze Suppe ein, bald bin ich gleichzeitig dort, wo
+ein Ephebe zu Ehren der Artemis nackt im Tempel gegeißelt wird und sehe
+auf dem entfernten Stadion Odysseus mit den ersten Freiern der
+jungfräulichen Penelope wettlaufen.
+
+Zaudern ist, wie es scheint, schon damals eine Schwäche des edlen Weibes
+gewesen: ich führe auch die Mißwirtschaft der Freier, im Hause des
+Gatten, auf sie zurück. Ikarios, der Vater Penelopes, wollte sie aus dem
+Elternhause in Sparta nicht mit Odysseus ziehen lassen und folgte dem
+Paare, als es nun doch nicht zurückzuhalten war, im Wagen nach. Dem
+Odysseus aber, der das Herz seines Weibes noch auf der Reise schwankend
+sah, ist, nach einem Bericht des Pausanias, die Geduld gerissen, und er
+hat kurzer Hand seinem Weibe an einer gewissen Stelle des Weges zur Wahl
+gestellt: entweder nun entschlossen mit ihm nach Ithaka, oder mit ihrem
+Vater und einem Abschied für immer wieder nach Sparta heimzureisen.
+
+
+Der Spuk der Nacht ist dem Lichte des Tages gewichen. Unten im Garten
+grasen Ziegen und eine Kuh. Das Zigeunermädchen sucht nach irgend etwas
+die Hecken ab. Man hört drei- oder viermal die Pauke der Zigeuner
+anschlagen. Es ist kein Tropfen Tau gefallen in der Nacht. Ich schreite
+trockenen Fußes durchs hohe Gras.
+
+Der Zigeuner und seine Frau hocken auf Decken vor ihrem Zelt. Er hat den
+roten Schal des Kretensers bereits um die Hüften und schmaucht
+behaglich, indes die zerlumpte Gattin Knöpfe an seiner geöffneten Weste,
+mit Zwirn und Nadel, sorgsam festmacht. Der Bergfluß rauscht um die
+Lagerstatt.
+
+
+Herr Allan I. B. Wace, Pembroke College, Cambridge, hat die
+Freundlichkeit, uns im kleinen Museum von Sparta mit Erklärungen an die
+Hand zu gehen. Er geleitet uns durch ausgedehnte Olivenhaine, trotz
+brennender Sonnenglut, zur Ausgrabungsstätte am Eurotas. Zu hunderten,
+ja zu tausenden werden hier in den Fundamenten eines Athenatempels
+Figürchen nach Art unserer Bleisoldaten aufgefunden. Diese Figürchen,
+von denen viele zutage lagen, so daß die spartanischen Kinder mit ihnen
+spielten, verrieten das unterirdische Heiligtum.
+
+
+Gegen Mittag besteigen wir Maultiere, nicht ohne Mühe, weil diese
+spartanischen Mulis besonders tückisch sind. Die schöne Tochter unseres
+Gastfreundes, die uns noch gestern abend, mit tremolierender Stimme
+etwas zur Laute sang, lehnt im Fenster der kleinen Baracke, nicht sehr
+weit über uns, und beobachtet die Vorbereitungen für unsere Abreise mit
+kalter Bequemlichkeit. Das hübsche, naive Kind von gestern, dessen
+Gegenwart mir die Erinnerung eines zarten Jugendidylls erneuern konnte,
+ist nur noch eine träge, unempfindliche Südländerin.
+
+Ich erinnere mich -- und schon ist dieses Gestern wieder Erinnerung! --
+Wie mir die Kleine nochmals im Garten begegnete, mir ins Gesicht sah und
+mich anlachte, mit einer offenen Lustigkeit, die keine Schranke mehr
+übrig läßt. Nun aber blickt sie über mich fort, als ob sie mich nie
+gesehen hätte, mit vollendeter Gleichgültigkeit.
+
+
+Wir frühstücken gegen ein Uhr mittags im Hofe eines byzantinischen
+Klosters -- einer Halbruine unter Ruinen! -- an den steilen Abhängen der
+Ruinenstätte Mistra.
+
+Der quadratische Hof ist an drei Seiten von Säulengängen umgeben. Sie
+tragen eine zweite, offene Galerie. Die vierte Seite des Hofes ist nur
+durch eine niedrige Mauer vom Abgrund getrennt und eröffnet einen
+unvergleichlichen Blick in die Ferne und Tiefe des Eurotastales hinab.
+
+Den kurzen Ritt von Sparta herauf haben wir unter brennender Sonne
+zurückgelegt. Hier ist es kühl. Eine Zypresse, uralt, ragt jenseits der
+niedrigen Mauer auf. Sie hat ihre Wurzeln hart am Rande der Tiefe
+eingeschlagen. Ich suche den Lauf des Eurotas und erkenne ihn an seiner
+Begleitung hoher und frischgrüner Pappeln. Ich verfolge ihn bis zu dem
+Ort, wo das heutige Sparta liegt: mit seinen weißen Häusern in
+Olivenwäldern, unter Laubbäumen halb versteckt.
+
+Dieses mächtige, überaus glanzvolle südliche Tal, mit den fruchtreichen
+Ebenen seiner Grundfläche, widerspricht dem strengen Begriff des
+Spartanertums. Es ist vielmehr von einer großgearteten Lieblichkeit und
+scheint zu sorglosem Lebensgenusse einzuladen.
+
+Herr Adamantios Adamantiu, Ephor der Denkmäler des Mittelalters in
+Mistra, stellt sich uns vor und hat die Freundlichkeit, seine Begleitung
+durch die Ruinen anzutragen. Seine Mutter und er bewohnen einige kleine
+Räume eben des selben ausgestorbenen Klosters, in dem wir jetzt sind.
+
+Oben, auf einer der Galerien, hat sich ein lustiger Kreis gebildet. Es
+sind die gleichen, lebenslustigen Pädagogen, denen wir bereits auf dem
+Wege nach Sparta mehrmals begegnet sind. Sie befinden sich noch immer im
+Enthusiasmus des Weins und singen unermüdlich griechische, italienische,
+ja sogar deutsche Trinklieder.
+
+Ich kann nicht sagen, daß dieser Studentenlärm nach deutschem Muster,
+mir an dieser Stätte besonders willkommen ist, und doch muß ich lachen,
+als einer der fröhlichen Zecher, ein älterer Herr, im weinselig-rauhen
+Sologesang ausführlich darlegt, daß er weder Herzog, Kaiser noch Papst,
+sondern, lieber als alles, Sultan sein möchte.
+
+Der lebenslustige Sänger, spartanischer Gymnasialprofessor, spricht mich
+unten im Hofe an. Er macht mir die Freude, zu erklären, ich sei ihm seit
+lange kein Unbekannter, was mir begreiflicherweise hier, an dem
+entlegenen Abhange des Taygetus, seltsam zu hören ist.
+
+
+Die Herren Lehrer haben Abschied genommen und sich entfernt. Herr
+Adamantios Adamantiu hat mittels eines altertümlichen Schlüssels ein
+unscheinbares Pförtchen geöffnet und wir sind, durch einen Schritt, aus
+dem hellen Säulengang in Dunkelheit und zugleich in ein liebliches
+Märchen versetzt.
+
+Der blumige Dämmer des kleinen geheiligten Raumes, in den wir getreten
+sind, ist erfüllt von dem Summen vieler Bienen. Es scheint, die kleinen
+heidnischen Priesterinnen verwalten seit lange in dieser verlassenen
+Kirche Christi allein den Gottesdienst. Allmählich treten Gold und bunte
+Farben der Mosaiken mehr und mehr aus der Dunkelheit. Die kleine Kanzel,
+halbrund und graziös, erscheint, mit einer bemalten Hand verziert, die
+eine zierliche, bunte Taube, das Symbol des heiligen Geistes, hält.
+
+Dieses enge, byzantinische Gotteshaus ist zugleich im zartesten Sinne
+bezaubernd und ehrwürdig. Man findet sich nach dem derben
+Schmollistreiben der Herren Lehrer ganz unvermutet plötzlich in ein
+unterirdisches Wunder der Schehrazade versetzt, gleichsam in eine
+liebliche Gruft, eine blumige Kammer des Paradieses, abgeschieden von
+dem rauhen Treiben irdischer Wirklichkeit.
+
+Herr Adamantios Adamantiu, der Ephor, liebt die ihm anvertrauten Ruinen
+mit Hingebung, und was mich betrifft, so empfinde ich schmerzlich in
+diesem Augenblick, daß ich mich schon im nächsten von dem reinen
+Vergnügen dieses Anblicks trennen muß. Reichtum und Fülle köstlichen
+Schmucks wird hier vollkommener Ausdruck des Traulichsten, Ausdruck der
+Einfalt und einer blumigen Religiosität. Das byzantinische Täubchen am
+Rande der Kanzel verkörpert ebensowohl einen häuslichen, als den
+heiligen Geist.
+
+Es scheint, daß Herr Adamantios Adamantiu keinen heißeren Wunsch im
+Herzen trägt, als dauernd diese Ruinen zu hüten: und ich bin überrascht,
+im Laufe der Unterhaltung wahrzunehmen, wie sehr verwandt der Geist des
+lauteren Mannes mit jenem ist, der dieses Kirchlein schuf und erfüllt.
+
+Mit leuchtenden Augen erklärt er mir, daß ich, glücklicher als der große
+Goethe, diese Stätten mit leiblichen Augen sehen kann, wo Faust und
+Helena sich gefunden haben.
+
+In dieses Heiligtum gehört keine Orgel noch Bachsche Fuge hinein,
+sondern durchaus nur das Summen der Bienen, die von den zahllosen Blüten
+der bunten Mosaiken Nektar für ihre Waben zu ernten scheinen.
+
+
+Sparta und Helena scheinen einander auszuschließen. Was sollte ein
+Gemeinwesen mit der Schönheit als Selbstzweck beginnen, wo man den Wert
+eines Suppenkoches höher als den eines Harfenspielers einschätzte? Was
+hätte Helena mit der spartanischen Strenge, Härte, Roheit, Nüchternheit
+und Tugendboldigkeit etwa gemein?
+
+Ein junger Spartaner rief, als man beim Gastmahl eine Lyra
+herbeibrachte: Solche Tändeleien treiben sei nicht lakonisch. Wer möchte
+nun, da Helena und die Leier Homers nicht zu trennen sind, behaupten
+wollen, daß Sparta Helenen eine wirkliche Heimat sein konnte?
+
+Herr Adamantios Adamantiu geleitet uns stundenlang auf mühsamen
+Fußpfaden durch die fränkisch-byzantinisch-türkische Trümmerstadt, die
+erst im Jahre 1834 durch Ibrahim Pascha zerstört worden ist. Das alte
+Mistra war an die schwindelerregenden Felswände des Taygetus wie eine
+Ansiedlung von Paradiesvogelnestern festgeklebt. Einzelne Kirchen werden
+durch wenige Arbeiter unter Aufsicht des Herrn Ephoren sorgsam, Stein um
+Stein, wieder hergestellt: Baudenkmäler von größter Zartheit und
+Lieblichkeit, deren Zerstörung durch die Türken einen unendlich
+beklagenswerten Verlust bedeutet.
+
+Überall von den Innenwänden der Tempel spricht uns das Zierliche,
+Köstliche, Höfische an, in dem sich der Farbenreichtum des Orients mit
+dem zarten Kultus der Freude des deutschen Minnesanges durchdrungen zu
+haben scheint. Die Reste herrlicher Mosaiken, soweit sie der Brand und
+die Spieße der Türken übriggelassen haben, scheinen, auch wenn sie
+heilige Gegenstände behandeln, nur immer die Themen: Ritterdienst,
+Frauendienst, Gottesdienst durcheinanderzuflechten.
+
+Mittels eines nassen Schwammes bringt der Herr Ephor, auf einer Leiter
+stehend, eigenhändig die erblindeten Mosaiken zu einem flüchtigen
+Leuchten im alten Glanz.
+
+»Ein innerer Burghof, umgeben von reichen, phantastischen Gebäuden des
+Mittelalters« ist der Schauplatz, in dem Helena sich gefangen fühlt,
+bevor ihr Faust, im zweiten Teil des gleichgenannten Gedichts, in
+ritterlicher Hoftracht des Mittelalters entgegentritt. Und mehr als
+einmal umgibt mich hier das Urbild jener geheiligten Szenerie, darin
+sich die Vermählung des unruhig suchenden deutschen Genius mit dem
+weiblichen Idealbild griechischer Schönheit vollzog.
+
+
+Herr Adamantios Adamantiu, der etwa dreißig Jahre alt und von zarter
+Gesundheit ist, stellt uns auf einer der Galerien des Klosterhofes
+seiner würdigen Mutter vor. Diese beiden lieben Menschen und Gastfreunde
+wollen uns, wie es scheint, nicht mehr fortlassen. Die Mutter bietet
+meiner Reisegefährtin für die Nacht ihr eigenes Lager an, ihr Sohn
+dagegen das seine mir.
+
+Von seinem Zimmerchen aus überblickt man die ganze Weite und Tiefe des
+Eurotastales, bis zu den weißen Gipfeln des Parnon, die hineinleuchten:
+das Zimmer selber aber ist klein, und enthält nichts weiter als ein
+kleines Regal für Bücher, Tisch, Stuhl und Feldbettstelle, dazu im
+Winkel ein ewiges Lämpchen unter einem griechisch-katholischen
+Gnadenbild. Natürlich, daß in einem verlassenen Kloster die Fenster
+undicht, die Wände schlecht verputzt -- und daß in den rohen
+Bretterdielen klaffende Fugen sind.
+
+Ganz Sohnesliebe, ganz Vaterlandsliebe und ganz von seinem besonderen
+Beruf erfüllt: der Pflege jener vaterländischen Altertümer! bringt Herr
+Adamantios Adamantiu in weltentsagender Tätigkeit seine jungen Jahre zu
+und beklagt es, daß manche seiner Mitbürger so leicht die mütterliche
+Scholle aufgeben mögen, die ihrer Kinder so sehr bedarf.
+
+Der hingebungsvolle Geist dieses jungen Griechen erweckt in meiner Seele
+wärmste Bewunderung und ich rechne die Begegnung mit ihm zu den
+schönsten Ereignissen meiner bisherigen Reise durch Griechenland. Wie er
+unverdrossen und mit reinster Geduld Werkstück um Werkstück aus dem
+Schutt der Verwüstung zu sammeln sucht, um in mühsamen Jahren hier und
+da etwas Weniges liebevoll wieder herzustellen, von der ganzen, beinahe
+in einem Augenblicke vernichteten, unersetzlichen Herrlichkeit, das legt
+von einem Idealismus ohnegleichen Zeugnis ab.
+
+
+Wir nehmen Abschied von unsern Wirten, um noch vor Einbruch der Nacht
+den Ritt bis Tripi zu tun: Tripi am Eingang jener mächtigen Schlucht,
+die sich in die Tiefe des Taygetus fortsetzt, den wir übersteigen
+wollen.
+
+Unsere Maultiere fangen wie Ziegen oder Gemsen zu klettern an: bald geht
+es fast lotrecht in die Höhe, bald ebenso lotrecht wieder hinab, so daß
+ich mitunter die Überzeugung habe, unsere Tiere hätten den eigensinnigen
+Vorsatz gefaßt, um jeden Preis auf dem Kopfe zu stehen. Wenn man, mit
+den Blicken vorauseilend, als Unerfahrener die drohenden Schwierigkeiten
+des Weges im Geiste zu überwinden sucht, so glaubt man mitunter verzagen
+zu sollen, denn es eröffnet sich scheinbar nur selten für ein
+Weiterkommen die Möglichkeit.
+
+Aber das Maultier nimmt mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit jedes
+Hindernis: über Böschungen rutschen wir an steinige Bäche hinunter und
+jenseits des Wassers klettern wir wieder empor. In einem Bachbett
+steigen wir lange Zeit von einem kantigen Block zum andern bergan und
+zwar bereits von der Dunkelheit überrascht, bis wir das Wasser am
+Ausgang der Langada in dem steilen Tale von Tripi rauschen hören. Über
+eine Geröllhalde geht es alsdann in gefährlicher Eile hinab, bis wir,
+die Lichter von Tripi vor Augen, auf einer breiten, gesicherten Straße
+geborgen sind.
+
+
+Gegen vier Uhr des Morgens wecken mich die Nachtigallen von Tripi. Ich
+glaube, daß alle Singvögel der ganzen Welt den Aufgang der Sonne mit
+einem kurzen Konzert begrüßen. Zweifellos ist dies Gottesdienst.
+
+Unser Haus ist in schwindelerregender Höhe über der Talwand erbaut. Wir
+haben in einem Raume übernachtet, der drei Wände von Glas ohne Vorhänge
+hat. Büsche reichen bis zu den Fenstern. Mächtige Wipfel alter Laubbäume
+sind unter uns und bekleiden die steilen Wände der Schlucht.
+
+Während das einsame Licht zunimmt, schlagen die Nachtigallen lauter aus
+dem Abgrund herauf. Nach einiger Zeit beginnen alle Hähne des Dorfes
+einen lauten Sturm, der die Nachtigallen sofort verstummen macht.
+
+Auf einem Felsen, scheinbar unzugänglich, inmitten der Schlucht,
+erscheint die Kirche von Tripi im Morgenlicht. Die Pfade von Tripi, die
+ganze Anlage dieses Ortes sind ebenso malerisch wie halsbrecherisch.
+
+
+Die Maultiere klettern schwindelerregende Pfade. Sie halten sich
+meistens am Rande der Abgründe. Die Langada beginnt großartig, aber kahl
+und baumlos. Die Gesteinmassen des Bachbettes, auf dem Grunde der
+gewaltigen Schlucht, liegen bleich, verwaschen und trocken da. Das Tal
+ist tot. Kein Vogellaut, kein Wasserrauschen!
+
+Indem wir ein wenig höher gelangen, zeigt sich geringe Vegetation.
+Einige Vögel beginnen zu piepsen. Nach einiger Zeit fällt uns der Ruf
+eines Kuckucks ins Ohr.
+
+Weiter oben erschließt sich ein Tal, auf dessen Sohle lebendiges Wasser
+rauscht. Wir steigen in dieses Tal, das eigentlich eine Schlucht ist,
+hinunter. Die Abhänge sind von Ziegenherden belebt. Eng in die Felswände
+eingeschlossen, schallen die Herdenglocken laut.
+
+Bis hierher war es, trotz der Frühe, ziemlich heiß. Nun werden wir von
+erquickenden Winden begrüßt. Erfrischt von der gleichen Strömung der
+Luft, winken die grünen Wedel der Steineichen von den Felsspitzen.
+Plötzlich haben wir nickende Büsche überall. Efeuranken klettern wohl
+hundert Meter und höher die Steinwand hinauf.
+
+Immer wasserreicher erscheinen die Höhen, in die wir aufdringen.
+Mehrmals werden reißende Bäche überquert. Eine erste, gewaltige Kiefer
+grüßt vom Abhange. Anemonen, blendend rote, zeigen sich. Kleine Trupps
+zarter Alpenveilchen. Aus Seitenschachten stürzen klare Wasser über den
+Weg und ergießen sich in das Sammelbett des größeren Baches.
+
+Wir halten die erste Rast, etwa 2300 Meter hoch im Taygetus, unter einem
+blühenden Kirschbaum vor der Herberge, genannt zur kleinen
+Himmelsmutter. Der Bergstrom rauscht. Kirschblüten fallen auf uns
+herunter. Wir haben herrliche Abhänge gegenüber, die mit starken
+Aleppokiefern bewaldet sind.
+
+Es ist köstlich hier, entzückend der Blick durch die tiefgesenkten
+Blütenzweige in die ebenso wilde als wonnige Bergwelt hinein.
+
+Man fühlt hier oben das unbestrittene Reich der göttlichen Jägerin
+Artemis, die in Lakonien vielfach verehrt wurde. Hier ist für ein
+freies, seliges Jägerleben noch heut der eigentlich arkadische
+Tummelplatz. Hier oben fanden auch Opfer statt. Und zwar jene selben
+Sonnenopfer, die bei den alten Germanen üblich gewesen sind und bei
+denen die Spartiaten, nicht anders wie unsere Vorfahren, Pferde
+schlachteten.
+
+
+Wir haben den Hochpaß überstiegen und nach einem ermüdenden Ritt, meist
+steil bergab, das Dörfchen Lada erreicht. Ein Bergstrom hat die steinige
+Straße der Ortschaft mit seinen stürzenden Wellen überschwemmt und
+niemand denkt daran, ihn in sein Bett zurückzuleiten. Mit Ausnahme eines
+kleinen Bezirks um die Ansiedelungen Ladas, ist das weite Tal eine
+einzige Steinwüste.
+
+Träge, fast unwillig, öffnet auf das Klopfen unseres Führers eine derbe,
+blonde, noch nicht zwanzigjährige Bäuerin die Tür zur Herberge. Ein
+Ferkel wühlt zwischen Tisch und Bank, in einem finsteren, kellerartigen
+Raum, dessen Hintergrund ein Lager mit gewaltigen Fässern ausfüllt. In
+einer hölzernen Schlachtermulde auf dem Tische schläft ein neugeborenes
+Kind.
+
+
+Die Jachten der Königin von England und des Königs von Griechenland
+liegen im Hafen zur Abfahrt bereit. Eben hat sich die »Galata« des
+Norddeutschen Lloyd in Bewegung gesetzt, die uns nach Konstantinopel
+führen soll. Die Häuser des Pyräus stehen im weißen Licht.
+
+Athen ist das Licht, das Auge, das Herz, das Haupt, die atmende Brust,
+die Blüte von Griechenland: heute des neuen, wie einst des alten! Ich
+empfand das lebhaft, trotz aller großen Landschaftseindrücke meiner
+peloponnesischen Fahrt, als ich nach ununterbrochener Reise von Kalamata
+wieder hier anlangte. Athen ist durch seine Lage geschaffen, und
+Griechenland ohne Athen wäre niemals geworden, was es war und was es uns
+ist. Der freie, attische Götterflug hat den freien attischen Geistesflug
+hervorgerufen.
+
+Indem wir, Abschied nehmend, die Küste zur Linken, hingleiten, vorüber
+an dem kleinen Hafen Munichia, vorbei an den Siedelungen von
+Neu-Pharleron, steigt noch einmal das ganze attische Wunder vor uns auf.
+
+Dieser Hymettos, dieser Pentele, dieser Lykabettos, dieser Fels der
+Akropolis sind keine Zufälligkeit. Alles dieses trägt den Adel seiner
+Bestimmung im Angesicht.
+
+Wir trinken gierig den Hauch des herrlichen Götterlandes, solange er
+noch herüberdringt und saugen uns mit den Blicken in seine silberne
+Anmut fest, bis alles unseren Augen entschwindet.
+
+
+ Ende
+
+
+ [Illustration: Kopf des Wagenlenkers aus Delphi
+ (Originalaufnahme)]
+
+
+ Druck von _W. Drugulin_, Leipzig.
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
+Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere
+Änderungen, teilweise unter Verwendung anderer Ausgaben sind hier
+aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 11]:
+ ... wird. Er ist ausgezeichneter Schwimmer ...
+ ... wird. Er ist ein ausgezeichneter Schwimmer ...
+
+ [S. 33]:
+ ... Es ist schwer, etwas so Abstoßendes ...
+ ... Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes ...
+
+ [S. 168]:
+ ... Ehre -- man spielte für Götter und vor ...
+ ... Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor ...
+
+ [S. 204]:
+ ... sein, ähnelt sich in Form, Dichte und Kräuselung ...
+ ... sein, ähnelt in Form, Dichte und Kräuselung ...
+
+ [S. 221]:
+ ... den Tälern räche, fortan nicht mehr den ...
+ ... den Tätern räche, fortan nicht mehr den ...
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 ***
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-The Project Gutenberg EBook of Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann
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-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
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-
-Title: Griechischer Frühling
-
-Author: Gerhart Hauptmann
-
-Release Date: September 18, 2018 [EBook #57928]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING ***
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-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
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-
-
-
-
-
- ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER
- ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN.
-
- ERSTE BIS VIERTE AUFLAGE.
-
- 100 EXEMPL. SIND AUF HANDGESCHÖPFTEM
- BÜTTENPAPIER ABGEZOGEN, NUMERIERT UND
- IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN; PREIS 15 M.
- FÜR DAS EXEMPLAR.
-
-
- [Illustration: Wagenlenker aus Delphi (Nach einem Gipsabguss des
- Bronce-Originals)]
-
-
- GERHART HAUPTMANN
-
-
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- GRIECHISCHER
- FRÜHLING
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- 1908
- S. FISCHER / VERLAG / BERLIN
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- HARRY GRAFEN KESSLER GEWIDMET
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-Ich befinde mich auf einem Lloyddampfer im Hafen von Triest. Zur Not
-haben wir in Kabinen zweiter Klasse noch Platz gefunden. Es ist ziemlich
-ungemütlich. Allmählich läßt jedoch das Laufen, Schreien und Rennen der
-Gepäckträger nach und das Arbeiten der Krane. Man beginnt, sich zu Hause
-zu fühlen, fängt an sich einzurichten, seine Behaglichkeit zu suchen.
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-Eine Spießbürgerfamilie hat auf den üblichen Klappstühlen Platz
-genommen. Mehrmals ertönt aus ihrer Mitte das Wort »Phäakenland«.
-Erfüllt von einer großen Erwartung, wie ich bin, erzeugt mir Klang und
-Ausdruck des Wortes in diesem Kreise eine starke Ernüchterung. Wir
-schreiben den 26. März. Das Wetter ist gut: warme Luft, leichtes Gewölk
-am Himmel.
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-Ich nahm heute morgen im Hotel hinter einer sehr großen Fensterscheibe
-mein Frühstück ein, als, mit einem grünen Zweiglein im Schnabel, draußen
-eine Taube aus dem Mastenwalde des Hafens heran und nach oben, von links
-nach rechts, vorbeiflog. Dieses guten Vorzeichens mich erinnernd, fühle
-ich Zuversicht.
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-Wir entfernen uns nach einem seltsamen Manöver der »Salzburg« von
-Triest. Die Gegenden sind ausgebrannt. Alle Färbungen der Asche treten
-hervor. Der Karst erscheint wie mit leichtem Schnee bedeckt. Viele gelbe
-und orangefarbene Segel ziehen über das Meeresblau. Die Maler sind
-entzückt und beschließen, zu längerem Aufenthalt gelegentlich
-zurückzukehren.
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-Es ist jetzt fünf Uhr. Seit etwa zwei Stunden sind wir unterwegs.
-Beinweiß zieht die nahe Strandlinie an uns vorüber. Wir haben zur linken
-das flache dalmatinische Land, ausgetrocknet, weit gedehnt, in
-braunrötlichen Färbungen. Beinweiß, wie von ausgebleichten Knochen
-errichtet, zeigen sich hie und da Städte und Ortschaften, zuweilen
-bedecken sie sanftgewölbte, braungrüne Hügel oder liegen auf dem
-braungrünen Teppich der Ebene. Mit scharfem Auge erkennt man fern weiße
-Spitzen des Velebitgebirges.
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-Allmählich werden diese Bergspitzen höher und der ganze Bergzug tritt
-deutlich hervor. Er ist schneebedeckt. Den Blick hinter mich wendend,
-bemerke ich: die Sonne steht noch kaum über dem Wasserspiegel, ist im
-Untergang. Der Mitreisenden bemächtigt sich jene Erregung, in die sie
-immer geraten, wenn die Stunde herannaht, wo sie die Natur zu bewundern
-verpflichtet sind. Bemühen wir uns, wahrhaftig zu sein! Der großartige,
-kosmische Vorgang hat wohl die Seelen der Menschen von je mit Schauern
-erfüllt, lange bevor das malerische Naturgenießen zur Mode geworden ist,
-und ich nehme an, daß selbst der naturfremde Durchschnittsmensch unserer
-Zeit, und besonders auf See, noch immer im Anblick des Sonnenunterganges
-auf ehrliche Weise wortlos ergriffen ist. Freilich hat sein Gefühl an
-ursprünglicher, abergläubischer Kraft bis auf schwächliche Reste
-eingebüßt.
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-Nach durchaus ruhiger Nacht setzt heut gegen fünf Uhr Vormittag Wind aus
-nordöstlicher Richtung ein. Ich merke, noch in der Kabine, bereits das
-leichte Stampfen und Rollen des Schiffes. Als erster von allen
-Passagieren bin ich an Deck. Ein grauer Dunst überzieht den
-Morgenhimmel. Das Meer ist nicht mehr lautlos: es rauscht. Schon
-überschlagen sich einzelne Wogen und bilden Kämme von weißem Gischt. Im
-Südosten beobachte ich eine düstere Wolkenbank und Wetterleuchten.
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-Die »Salzburg« ist ein kleines, nicht gerade sehr komfortables Schiff.
-Die Matrosen sind eben dabei, das Deck zu reinigen. Sie spritzen aus
-einer »Schlauchspritze« Wassermassen darüber hin, so daß ich fortwährend
-flüchten muß und auch so jeden Augenblick in Gefahr bleibe, durchnäßt zu
-werden. Es ist kein Tee zu bekommen, trotzdem ich, wärmebedürftig wie
-ich bin, mehrmals darum ersuche. Die Einrichtungen hier halten einen
-Vergleich mit dem norddeutschen Lloyd nicht aus.
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-»O, Tee, in eine Minute fertig«, wiederholt der Steward eben wieder,
-nachdem etwa anderthalb Stunden Wartens vorüber sind.
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-Jetzt 7½ Uhr; volle Sonne und Seegang. Unter anderen Wohltaten einer
-Seereise ist auch die anzumerken, daß man während der Fahrt die ruhige
-und gesicherte Schönheit der großen Weltinseln wiederum tiefer würdigen
-lernt. Das Streben des Seefahrers geht auf Land. Statt vieler
-auseinanderliegender Ziele bemächtigt sich seine Sehnsucht nur dieses
-einen, wie wenige notwendig. Daher noch im Reiche des Idealen
-glückselige Inseln auftauchen und als letzte glückselige Ziele genannt
-werden.
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-Allerlei Vorgänge der Odyssee, die ich wieder gelesen habe, beschäftigen
-meine Phantasie. Der schlaue Lügner, der selbst Pallas Athene belügt,
-gibt manches zu denken. Welche Partien des Werkes sind, außer den
-eingestandenermaßen erlogenen, wohl noch als erfunden zu betrachten, vom
-Genius des erfindungsreichen Odysseus? Etwa die ganze Kette von
-Abenteuern, deren unsterbliche Schönheit unzerstörbar besteht? Es kommen
-zweifellos Stellen vor, die unerlaubt aufschneiden; so diejenige, wo die
-Charybdis das Wrack des Odysseus einsaugt, während er sich in das
-Gezweige eines Feigenbaumes gerettet hat, und wo das selbe Wrack von ihm
-durch einen Sprung wieder erreicht wird, als es die See an die
-Oberfläche zurückgibt.
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-Die Windstärke hat zugenommen. Hie und da kommt ein Sprühregen über
-Deck. Regenbogenfarbene Schleier lösen sich von den Wellenkämmen. Rechts
-in der Ferne haben wir italienisches Festland. Ein kleines, scheinbar
-flaches Inselchen gibt Gelegenheit, das Spiel der Brandung zu
-beobachten. Zuweilen ist es, als sähen wir den Dampf einer pfeilschnell
-längs der Klippen hinlaufenden Lokomotive. Weiße Raketen schießen
-überall auf, mitunter in so gewaltigem Wurf, daß sie, weißen Türmen
-vergleichbar, einen Augenblick lang stillstehen, bevor sie
-zusammenstürzen.
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-Ich lasse mir sagen, daß es sich hier nicht, wie Augenschein glauben
-macht, um _eine_ Insel, sondern um eine Gruppe handelt: die Tremiti. Der
-freundliche Schiffsarzt Moser führt mich ins Kartenhaus und weist mir
-den Punkt auf der Schiffskarte. Auf den Tremiti halten die Italiener
-gewisse Gefangene, die im Inselbezirk bedingte Freiheit genießen.
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-Ein Dampfer geht zwischen uns und der Küste gleichen Kurs.
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-Allmählich sind wir dem Lande näher gekommen, bei schwächerem Wind und
-stärkerer Dünung. Das Wasser, wie immer in der Nähe von Küsten, zeigt
-hellgrüne Färbungen. Es gibt schwerlich eine reizvollere Art Landschaft
-zu genießen, als von der See aus, vom Verdeck eines Schiffes. Die
-Küsten, so gesehen, versprechen, was sie nie halten können. Die Seele
-des Schauenden ist so gestimmt, daß sie die Ländereien der Uferstrecken
-fast alle in einer phantastischen Steigerung, paradiesisch sieht.
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-Vieste, Stadt und malerisches Kastell, tauchen auf und werden dem Auge
-deutlich. Die Stadt zieht sich herunter um eine Bucht. Den Hintergrund
-bilden Höhenzüge, die ins Meer enden: zum Teil bewaldet, zum Teil mit
-Feldern bedeckt. Durch das Fernglas des Kapitäns erkenne ich vereinzelt
-gestellte Bäume, die ich für Oliven halte. Eine starke, alte
-Befestigungsmauer ist vom Kastell aus um die Bucht heruntergeführt. Es
-ist eigentümlich, wie märchenhaft der Anblick des Ganzen anmutet. Man
-erinnert sich etwa alter Miniaturen in Bilderhandschriften: Histoire des
-batailles de Judée, Teseïde oder an Ähnliches, man denkt an Schiffe von
-phantastischer Form im Hafen der Stadt, an Mauren, Ritter und
-Kreuzfahrer in ihren Gassen.
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-Jene, nicht allzuferne, uns Heutigen doch schon völlig fremde Zeit, wo
-der Orient in die abendländische Welt, wie eine bunte Welle,
-hineinschlug, jene unwiederbringliche Epoche, vielfältig
-ausschweifender, abenteuerlicher Phantastik -- so ist man versucht zu
-denken -- müsse in einer dem Gegenwartsblick so gespenstischen Stadt
-noch voll in Blüte stehen. Wetterwolken sammeln sich über dem
-hochgelegenen Kastell. Die See wogt wie dunkles Silber. Der Wind weht
-empfindlich kalt.
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-Homer in der Odyssee läßt den Charakter des Erderschütterers Poseidon
-durchaus nicht liebenswürdig erscheinen. Er ist es auch nicht. Er ist
-unzuverlässig; er hat unberechenbare Tücken. Ich empfinde die
-Seekrankheit, an der viele Damen und einige Herren leiden, als einen
-hämischen Racheakt. Der Gott übt Rache. In einer Zeit, wo er, verglichen
-mit ehemals, sich in seiner Macht auf eine ungeahnte Weise beschränkt
-und zur Duldung verurteilt sieht, rächt er sich auf die
-niederträchtigste Art. Ich stelle mir vor, er schickt einen
-aalartig-langen Wurm aus der Tiefe herauf, mit dem Kopf zuerst durch den
-Mund in den Magen des Seefahrers; aber so, daß der Kopf in den Magen
-gelangt, dort eingeschlossen, der Schwanz mittlerweile ruhig im Wasser
-hängen bleibt. Der Seefahrer fühlt diesen Wurm, den niemand sieht.
-Obgleich er ihn aber nicht sieht, so weiß er doch, daß er grün und
-schleimig ist, und endlos lang in die See hinunterhängt, und mit dem
-Kopfe im Magen festsitzt. Die schwierige Aufgabe bleibt nun die: den
-Wurm, der sich nicht verschlucken und auch nicht ausspucken läßt, aus
-dem Innern herauszubekommen.
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-Seltsam ist, daß Homer diesen göttlichen Kniff Poseidons unbeschrieben
-läßt, zumal er doch sonst im Gräßlichen keine Grenzen kennt und -- von
-den vielerlei Todesarten, die er zur Darstellung bringt, abgesehen --
-einen verwandten Zustand, der dem Zyklopen Polyphem zustößt, so
-schildert:
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- »... dem Rachen entstürzten mit Weine
- Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold
- ausbrach.«
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-Eine Gesellschaft von Tümmlern zeigt sich hie und da augenblicksschnell
-überm Wasser in der Nähe des Dampfers. Der Tümmler, vom Seemann als
-Schweinfisch bezeichnet, ist ein Delphin, der im Mittelmeer wohl fast
-bei jeder Tagesfahrt gesichtet wird. Er ist ein ausgezeichneter
-Schwimmer und sehr gefräßig.
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-Wir verlieren die italienische Küste wieder mehr und mehr aus den Augen.
-Der Nachmittag schreitet fort durch monotone Stunden, wie sie bei keiner
-Seereise ganz fehlen. Regenböen gehen zuweilen über Deck. Ich finde
-einen bequemen Sitzplatz, einigermaßen geschützt vor dem Winde. Ich
-schließe die Augen. Ich versinke gleichsam in die Geräusche des Meeres.
-Das Rauschen umgibt mich. Das große, das machtvolle Rauschen, überall
-her eindringend, unwiderstehlich, erfüllt meine Seele, scheint meine
-Seele selbst zu sein.
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-Ich gedenke früherer Seefahrten; darunter sind solche, die ich mit
-beklommener Seele habe machen müssen. Viele Einzelheiten stehen vor
-meinem innern Gesicht. Ich vergleiche damit meinen heutigen Zustand.
-Damals warf der große Ozean unser stattliches Schiff dreizehn Tage lang.
-Die Seeleute machten ernste Gesichter. Was ich selber für ein Gesicht
-gemacht habe, weiß ich nicht; denn was mich betrifft: ich erlebte damals
-stürmische Wochen auf zwei Meeren, und ich wußte genau, daß, wenn wir
-mit unserem bremensischen Dampfer auch wirklich den Hafen erreichen
-sollten, dies für mein eigenes, gebrechliches Fahrzeug durchaus nicht
-der Hafen sei.
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-Ich erwäge plötzlich mit einem gelinden Entsetzen, daß ich mich nun doch
-noch auf einer Reise nach jenem Lande befinde, in das es mich schon mit
-achtzehn Jahren hyperion-sehnsüchtig zog. Zu jener Zeit erzwang ich mir
-einen Aufbruch dahin, aber die Wunder der italienischen Halbinsel
-verhinderten mich, mein Ziel zu erreichen. Nun habe ich, das Versäumte
-nachzuholen: in 26 Jahren zuweilen gehofft, zuweilen nicht mehr gehofft,
-zuweilen gewünscht, zuweilen auch nicht mehr gewünscht; einmal die Reise
-geplant, begonnen und liegen gelassen. Und ich gestehe mir ein, daß ich
-eigentlich niemals an die Möglichkeit ernstlich geglaubt habe, das Land
-der Griechen mit Augen zu sehen. Noch jetzt, indem ich diese Notizen
-mache, bin ich mißtrauisch!
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-Ich kenne übrigens keine Fahrt, die etwas gleich Unwahrscheinliches an
-sich hätte. Ist doch Griechenland eine Provinz jedes europäischen
-Geistes geworden; und zwar ist es noch immer die Hauptprovinz. Mit
-Dampfschiffen oder auf Eisenbahnen hinreisen zu wollen, erscheint fast
-so unsinnig, als etwa in den Himmel eigener Phantasie mit einer
-wirklichen Leiter steigen zu wollen.
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-Es ist sechs Uhr und die Sonne eben im Untergehen. Der Schiffsarzt
-erzählt mancherlei und kommt auf die Sage vom grünen Strahl. Der grüne
-Strahl, den gesehen zu haben Schiffsleute mitunter behaupten, erscheint
-in dem Augenblick, ehe die Abendsonne ganz unter die Wasserlinie tritt.
-Ich weiß nicht, welche Fülle rätselhaften Naturempfindens diese schöne
-Vorstellung in mir auslöst. Die Alten, erklärt uns ein kleiner Herr,
-müßten den grünen Strahl gekannt haben; der Name des ägyptischen
-Sonnengottes bedeute ursprünglich: grün. Ich weiß nicht, ob es sich so
-verhält, aber ich fühle in mir eine Sehnsucht, den grünen Strahl zu
-erblicken. Ich könnte mir einen reinen Toren vorstellen, dessen Leben
-darin bestünde, über Länder und Meere nach ihm zu suchen, um endlich am
-Glanz dieses fremden, herrlichen Lichtes unterzugehen. Befinden wir uns
-vielleicht auf einer ähnlichen Pilgerfahrt? Sind wir nicht etwa
-Menschen, die das Bereich ihrer Sinne erschöpft haben, nach
-andersartigen Reizen für Sinne und Übersinne dürsten?
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-Jedenfalls ist der kleine Herr, durch den wir über den grünen Strahl
-belehrt wurden, ein seltsamer Pilgersmann. Das putzige Männchen reist in
-Schlafschuhen. Sein ganzes Betragen und Wesen erregt zugleich Befremden
-und Sympathie. Wohl über die fünfzig hinaus an Jahren, mit bärtigem
-Kopf, rundlicher Leibesfülle und kurzen Beinchen, bewegt er sich in
-seinen Schlafschuhen mit einer bewunderungswürdigen, stillvergnügten
-Gelenkigkeit. Ich habe ihn auf der Regenplane, von der die verschlossene
-Öffnung des Schiffsraums überzogen ist, in wahrhaft akrobatischen
-Stellungen bequem seine Reisebeobachtungen anstellen sehen. Zum
-Beispiel: er saß wie ein Türke da; indessen die Gleichgültigkeit, mit
-der er die unwahrscheinlichste Lage seiner Beinchen behandelte, hätte
-Theodor Amadeus Hoffmann stutzig gemacht. Übrigens trug er Wadenstrümpfe
-und Kniehosen, Lodenmantel und einen kleinen, verwegenen Tirolerhut.
-Mitunter machte er mitten am Tage astronomische Studien, wobei er, das
-Zeißglas gegen den Himmel gerichtet, die Kniee in unbeschreiblicher
-Weise voneinander entfernt, die Fußsohlen glatt aneinander gelegt, auf
-dem Rücken lag.
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-Wir gleiten nun schon geraume Weile unter den Sternen des Nachthimmels.
-Ein Schlag der Glocke, die vorn auf dem Schiff angebracht ist, bedeutet
-Feuer rechts. Der Leuchtturm von Brindisi ist gesichtet. Nach und nach
-treten drei Blinkfeuer von der Küste her abwechselnd in Wirkung. Drei
-neue Glockenzeichen des vorn wachthaltenden Matrosen ertönen. Sie
-bedeuten: Schiff in Fahrtrichtung uns entgegen. Ich habe mich so
-aufgestellt, daß ich die Spitze des großen Vordermasts über mir
-feierlich schwanken und zwischen den Sternen unaufhaltsam fortrücken
-sehe. Erst gegen zehn Uhr erreichen wir die enge Hafeneinfahrt von
-Brindisi, durch die wir, an einem Gespensterkastell vorüber, im vollen
-Mondlicht langsam gleiten.
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-Die Bewohner der Stadt scheinen schlafen gegangen zu sein. Die
-Hafenstraßen sind menschenleer. Treppen und Gäßchen zwischen Häusern,
-hügelan führend, sind ebenfalls ausgestorben. Kein Laut, nicht einmal
-Hundegebell, ertönt. Wir erkennen im Mondlicht und im Scheine einiger
-wenigen Laternen Säulenreste antiker Bauwerke. Brindisi war der südliche
-Endpunkt der via Appia.
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-Unglaublich groß wirkt das Schiff in dem kleinen, teichartigen Hafen.
-Aber, so groß es ist, macht es mit vieler Vorsicht am Kai fest, und erst
-als es fast ganz ruhig liegt, ist es bemerkt worden. Jetzt werden auf
-einmal die Straßen belebt. Und schon sind wir nach wenigen Augenblicken
-vom italienischen Lärm umgeben. Die Polizei erscheint an Bord. Wagen mit
-Passagieren rasseln von den Hotels heran. Drei Mandoline zupfende, alte
-Kerle haben sich auf Deck verpflanzt, die den Gesang einer sehr
-phlegmatischen Mignon begleiten.
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-Die Nacht liegt hinter mir. Es ist sechs Uhr früh und der 28. März. Wir
-sind dicht unter Land, und die Sonne tritt eben hinter den ziemlich
-stark beschneiten Spitzen über die höchste Erhebung des Randgebirges von
-Epirus voll hervor. Wenig Stratusgewölk liegt über der blauen Silhouette
-der Küste. Übrigens hat der Himmel Scirocco-Charakter. Streifen und
-verwaschene Wolkenballen unterbrechen das Himmelsblau. Das Licht der
-Sonne scheint blaß und kraftlos. Die Luft weht erkältend, ich spüre
-Müdigkeit.
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-Ich betrete den Speisesaal der »Salzburg«. An drei Tischen ist das
-Frühstück vorbereitet. Dazwischen, auf der Erde, liegen Passagiere.
-Einige erheben sich, noch im Hemd, von ihren Matratzen und beginnen die
-Kleider anzulegen. Ein großes Glasgefäß mit den verschmierten Resten
-einer schwarzbraunen Fruchtmarmelade steht in unappetitlicher Nähe. Der
-Löffel steckt seit Beginn der Reise darin.
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-Es ist hier alles schon Asien, bedeutet mich ein Mitreisender. Ich kann
-nicht sagen, daß ich besonders von diesen Übelständen berührt werde,
-weiß ich doch, daß Korfu, die erste Etappe der Reise, nun bald erreicht
-ist. Außerdem flüchtet man, nachdem man in Eile etwas Kaffee und Brot
-genossen hat, wieder an Deck hinaus. Die Berge der Küste, nicht höher
-als die, von denen etwa Lugano umgeben ist, sind noch mit einigem Schnee
-bestreut und ähneln ihnen, braunrötlich und kahl, durchaus. Durch diese
-Gebirge erscheint das Hinterland wie durch einen gigantischen Wall vor
-dem Meere geschützt.
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-Man hat jetzt nicht mehr das Gefühl, im offenen Meere zu sein, sondern
-wir bewegen uns in einer sich mehr und mehr verengenden Wasserstraße.
-Überall tauchen Küsten und Inseln auf, und nun zur Rechten bereits die
-Höhen von Korfu. Noch immer schweben mit Gelächter oder Geläut
-begleitende Möven über uns.
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-Je länger und näher wir an dem nördlichen Rande von Korfu hingleiten, um
-so fieberhafter wird das allgemeine Leben an Deck. In schöner Linie
-langsam ansteigend, gipfelt das Eiland in zwei Spitzen, sanft darnach
-wieder ins Meer verlaufend. Wieder bemächtigt sich unser jenes
-Entzücken, das uns eine Küsten-Landschaft bereitet, die man vom Meere
-aus sieht. Diesmal ist es in mir fast zu einem inneren Jubel gesteigert,
-im Anblick des schönen Berges, den wir allmählich nach Süden umfahren,
-und der seine von der Morgensonne beschienenen Abhänge immer deutlicher
-und verlockender ausbreitet. Ich sage mir, dieses köstliche, fremde Land
-wird nun auf Wochen hinaus -- und Wochen bedeuten auf Reisen viel! --
-für mich eine Heimat sein.
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-Was mir bevorsteht, ist eine Art Besitzergreifen. Es ist keine unreale,
-materielle Eroberung, sondern mehr. Ich bin wieder jung. Ich bin
-berauscht von schönen Erwartungen, denn ich habe von dieser Insel,
-solange ich ihren Namen kannte, Träume geträumt.
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-Es ist zehn Uhr. Wir befinden uns nun in einer wahrhaft phäakischen
-Bucht. Drepane, Sichel, hieß die Insel im ältesten Altertum, und wir
-sind in dem Raume der inneren Krümmung. Aber das Jonische Meer ist hier
-einem weiten, paradiesischen Landsee ähnlich, weil auch der offene Teil
-der Sichel durch die epirotischen Berge hinter uns scheinbar geschlossen
-ist.
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-Ich vermag vor Kopfneuralgien kaum aus den Augen zu sehen. Ich bin
-insofern ein wenig enttäuscht, als unser Hotel rings von den Häusern der
-Stadt umgeben ist und es nicht leicht erscheint, zu jenen einsamen Wegen
-durchzudringen, die mich vom Schiff aus anlockten und die für meine
-besondere Lebensweise so notwendig sind. Ein kurzer Gang durch einige
-Straßen von Korfu, der Stadt, zwingt mich, die Bemerkung zu machen, daß
-hier viele Bettler und Hunde sind. Eine bettelnde Korfiotin, ein
-robustes Weib in griechischer Tracht, das Kind auf dem Arm, geht mich um
-eine Gabe an, und ich vermag den feurigen Blicken ihrer beiden flehenden
-Augen mein hartes Herz nicht erfolgreich entgegenzusetzen.
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-Ich sehe die ersten griechischen Priester, die im Schmuck ihrer
-schwarzen Bärte, Talare und hohen, röhrenförmigen Kopfbedeckungen
-Magiern ähneln, auf Plätzen und Gassen herumstreichen. Die nicht sehr
-zahlreichen Fremden gehen mit eingezogenen Köpfen umher, es ist ziemlich
-kalt. Im oberen Stock eines Hauses wird Schule gehalten. Die Kinder, im
-Innern des Zimmers, singen. Die Lehrer gucken lachend und lebhaft
-schwatzend zum Fenster heraus. Die Stimmen der Singenden haben mehr
-einen kühlen, deutschen Charakter und nicht den feurigen, italienischen,
-an den man im Süden gewöhnt ist. Zuweilen singt einer der Lehrer zum
-offenen Fenster heraus lustig mit.
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-Die Stadt Korfu ist in ihrem schöneren Teil durch einen sehr breiten,
-vergrasten Platz von der Bucht getrennt. Es ist außerordentlich
-angenehm, hier zu lustwandeln. Ein Capodistria-Denkmal und ein marmornes
-Rundtempelchen verlieren sich fast auf der weiten Grasfläche. Nach dem
-Meer hin läuft sie in eine Felszunge aus, die alte Befestigungen aus den
-Zeiten der Venezianer trägt. Ich begegne kaum einem Menschen. Die
-Morgensonne liegt auf dem grünen Plan, ein Schäfchen grast nicht weit
-von mir. Ein Truthahn dreht sich und kollert in der Nähe der langen
-Hausreihe, deren zahllose Fenster geöffnet sind und den Gesang von --
-ich weiß nicht wie vielen! -- Harzer Rollern in die erquickende Luft
-schicken.
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-Wir unternehmen am Nachmittag eine Fahrt über Land; es ist in der Luft
-eine außerordentlich starke Helligkeit. Figi d'India-Kakteen säumen
-mauerartig die Straße. Wir sehen violette Anemonen unten am Wegrand,
-Blumen von neuem und wunderbarem Reiz. Warum will man den Blumen
-durchaus Eigenschaften von Tieren oder von Menschen andichten und sie
-nicht lieber zu Göttern machen? Diese kleinen göttlichen Wesen, deren
-köstlicher Liebreiz uns immer wieder Ausrufe des Entzückens entlockt,
-zeigen sich in um so größeren Mengen, je mehr wir uns von der Küste
-entfernen, ins Innere des Eilands hinein.
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-Der Blick weitet sich bald über Wiesen mit saftig grünen, aber noch
-kurzen Gräsern, die fleckweise wie beschneit von Margueriten sind. In
-diesen fast nordischen Rasenflächen stehen Zypressen vereinzelt da und
-eine südliche Bucht, der Lago di Caliciopolo lacht dahinter auf. In der
-Straße, die eben diese Bucht mit dem Meere verbindet, erhebt sich ein
-kleiner, von Mauern und Zypressen gekrönter Fels. Die Mauern bilden ein
-Mönchskloster. Ponticonisi oder Mausinsel heißt das Ganze, wovon man
-behauptet, es sei das Phäakenschiff, das, nachdem es Odysseus nach
-seiner Heimat geleitet hatte, bei seiner Rückkehr, fast schon im Hafen,
-von Poseidon zu Stein verwandelt worden ist.
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-Wiesen und umgeworfene Äcker begleiten uns noch. Vollbusige, griechische
-Frauen, in bunter Landestracht, arbeiten in den Feldern. Kleine,
-zottelige, unglaublich ruppige Gäule grasen an den Rainen und zwischen
-Olivenbäumen, an steinigen Abhängen. Auf winzige Eselchen sind große
-Lasten gelegt, und der Treiber sitzt auf der Last oder hinter der Last
-noch dazu.
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-Wir nähern uns mehr und mehr einem Berggebiet. Die Ölwälder geben der
-Landschaft einen ernsten Charakter. Die tausendfach durchlöcherten
-Stämme der alten Bäume sind wie aus glanzlosem Silber geflochten. Im
-Schutze der Kronen wuchert Gestrüpp und ein wildwachsender Himmel
-fremdartiger Blüten auf.
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-Das Achilleion der Kaiserin Elisabeth ist auf einer Höhe errichtet, in
-einer Eiland und Meer beherrschenden Lage. Der obere Teil des Gartens
-ist ein wenig beengt und kleinlich, besonders angesichts dieser Natur,
-die sich um ihn her in die Tiefen ausbreitet. Und jener Teil, der zum
-Meere hinuntersteigt, ist zu steil. Von erhabener Art ist die
-Achillesverehrung der edlen Frau, obgleich dieser Zug, durch Künstler
-der Gegenwart, würdigen Ausdruck hier nicht gefunden hat. Das Denkmal
-Heines, eine halbe Stunde entfernt, unten am Meere, können wir, weil es
-bereits zu dunkeln beginnt, nicht mehr besuchen.
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-Die unvergleichlich Edele unter den Frauengestalten jüngster
-Vergangenheit, die, nach ihresgleichen in unserem Zeitalter vergeblich
-suchend, einsam geblieben ist, vermochte natürlicherweise den
-kunstmäßigen Ausdruck ihrer Persönlichkeit nicht selbst zu finden. Und
-leider schufen Handlangernaturen auch hier nur wieder im ganzen und
-großen den Ausdruck desselben, dem sie entfliehen wollte. Und nur der
-Platz, die Welt, der erhabene Glanz und Ernst, in den sie entfloh, legt
-von diesem Wesen noch gültiges Zeugnis ab.
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-Wir schreiben den 30. März. Helle, warme Sonne, blendendes Licht
-überall. Der Morgen ist heiter, erfrischend die Luft. Die Stadt ist
-erfüllt vom Geschrei der Ausrufer. Viele Menschen liegen jetzt, gegen 9
-Uhr früh, am Rande eines kleinen, öffentlichen Platzes umher und sonnen
-sich. Eine ganze Familie ist zu beobachten, die sich an eine Gartenmauer
-gelagert hat, in einem sehr notwendigen Wärmebedürfnis wahrscheinlich,
-da die Nächte kalt und die Keller, in denen die Armen hier wohnen, nicht
-heizbar sind. Sie genießen die Strahlen der Sonne mit Wohlbehagen, wie
-Ofenglut. Dabei zeigt sich die Mutter insofern ganz ungeniert durch die
-Öffentlichkeit, als sie, gleich einer Äffin, in den verfilzten Haaren
-ihres Jüngsten herumfingert, sehr resolut, obgleich der kleine Gelauste
-schrecklich weint.
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-Am Kai der Kaiserin Elisabeth steigert sich der Glanz des Lichtes noch,
-im Angesichte der schönen Bucht. Das Kai ist eine englische Anlage und
-die Nachmittagspromenade der korfiotischen Welt. Es wird begleitet von
-schönen Baumreihen, die, wo sie nicht aus immergrünen Arten gebildet
-sind, erstes, zartes Grün überzieht. Junge Männer haben Teppiche aus den
-Häusern geschleppt und auf dem Grase zwischen den Stämmen ausgebreitet.
-Ein scheußliches, altes, erotomanisches Weib macht unanständige Sprünge
-in den heiteren Morgen hinein. Sie schreit und schimpft: die Männer
-lachen, verspotten sie gutmütig. Sie kratzt sich mit obscöner Gebärde,
-bevor sie davongeht und hebt ihre Lumpen gegen die Spottlustigen.
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-Ich habe jetzt nicht mehr die tiefblaue, köstlich blinkende Bucht zur
-Linken, mit den weißen Zelten der albanesischen Berge dahinter, sondern
-ein großes Gartengebiet, und wandere weiter, meist unter Ölbäumen, bis
-Ponticonisi dicht unter mir liegt. Von hier gegenüber mündet ein kleines
-Flüßchen ins Meer und man will dort die Stelle annehmen, wo Odysseus
-zuerst ans Ufer gelangte und Nausikaa ihm begegnet ist.
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-Goethes Entwurf zur Nausikaa begleitet mich.
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- »Was rufen mich für Stimmen aus dem Schlaf?
- Wie ein Geschrei, ein laut Gespräch der Frauen
- Erklang mir durch die Dämmrung des Erwachens.
- Hier seh ich niemand! Scherzen durchs Gebüsch
- Die Nymphen? oder ahmt der frische Wind,
- Durchs hohe Rohr des Flusses sich bewegend,
- Zu meiner Qual die Menschenstimmen nach?
- Wo bin ich hingekommen? welchem Lande
- Trug mich der Zorn des Wellengottes zu?«
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-Ich meine, wenn dieses anziehende Fragment die starke Liebe wieder
-erweckt, oder eine ähnlich starke, wie im Herzen seines Dichters war, so
-kann dies kein Grund zum Vorwurf sein. Auch dann nicht, wenn diese Liebe
-das Fehlende, das Ungeborene, zu erkennen vermeint, oder gar zu ergänzen
-unternimmt. Dieser gelassene Ton, der so warm, stark, richtig und
-deutsch ist, wird meist durchaus mißverstanden. Man nimmt ihn für kühl
-und vergißt auch in der Sprache der Iphigenie die »by very much more
-handsome than fine« ist, die alles durchdringende Herzlichkeit.
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-Der Rückweg nach der Stadt führt zwischen wahre Dickichte von Orangen,
-Granaten und Himbeeren. Eukalyptusbäume mit großgefleckten Stämmen von
-wunderbarer Schönheit begegnen. Hie und da wandeln Kühe im hohen Gras
-unter niedrig gehaltenen Orangenpflanzungen. Steinerne Häuschen, Höhlen
-der Armut, bergen sich inmitten der dichten Gärten. Kinder betteln mit
-Fröhlichkeit, starrend von Schmutz.
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-Immer weiter zwischen verwilderten Hecken, mit Blüten bedeckten,
-schreiten wir. Ich bemerke, außer vielen Brombeeren, dickstämmigen,
-alten Weißdorn. Marguerits, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen,
-bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von
-Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum
-Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es
-nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen,
-liegen im Dreck und sonnen sich.
-
-Ein griechischer Hirt kommt mir entgegen, ein alter, bärtiger Mann. Die
-ganze Erscheinung ist wohlgepflegt. Er trägt kretensische Tracht, ein
-rockartiges, blaues Beinkleid, zwischen den Beinen gerafft,
-Schnabelschuh', die Waden gebunden, ein blaues Jäckchen mit
-Glanzknöpfen, dazu einen strohenen Hut. Fünf Ziegen, nicht mehr, trotten
-vor ihm hin. Er klappert mit vielen kleinen Blechkannen, die, an einem
-Riemen hängend, er mit sich führt.
-
-
-Ein frischer Nordwest hat eingesetzt, jetzt, am Nachmittag. Zwei alte
-Albanesen, dazu ein Knabe, schreiten langsam über die Lespianata. Einer
-der würdigen Weißbärte trägt über zwei Mänteln den dritten, dessen
-Kapuze er über den Kopf gezogen hat. Der unterste Mantel ist von
-hellerem Tuch, der zweite blau, der dritte über und über bedeckt mit
-langen, weißlichen Wollzotteln, ähnlich dem Ziegenhaar. Der Sauhirt
-Eumäus fällt mir ein und die Erzählung des Bettlers Odysseus von seiner
-List, durch die er nicht nur von Thoas, dem Sohne Andrämons, den Mantel
-erhielt, sondern auch von Eumäus.
-
-Es scheint, daß die Zahl der Mäntel den Wohlstand ihrer Träger andeutet.
-Denn auch der zweite dieser imponierenden Berghirten hat drei Mäntel
-übergeworfen. Dabei tragen sie weiße Wollgamaschen und graulederne
-Schnabelschuh'. Jeder von ihnen überdies einen ungeschälten, langen
-Stab. Der Knabe trägt ein rotes Fez. Die Schnäbel seiner roten Schuhe
-sind länger, als die der Alten und jeder mit einer großen, schwarzen
-Quaste geziert.
-
-Die Hafenstraßen zeigen das übliche Volksgetriebe. Die Läden öffnen sich
-auf schmale, hochgelegene Lauben, aus denen man in das Menschengewimmel
-der engen Gäßchen hinuntersieht. Ein Mann trägt Fische mit silbernen
-Schuppen auf dem flachen Handteller eilend an mir vorbei. Junge Schafe
-und Ziegen hängen, ausgeweidet und blutend, vor den Läden der Fleischer.
-Über der Tür einer Weinstube voll riesiger Fässer sind im Halbkreis
-Flaschen mit verschieden gefärbtem Inhalt an Schnüren ausgehängt. Man
-hat schlechte Treppen, übelriechende Winkel zu vermeiden, vertierten
-Bettlern aus dem Wege zu gehn.
-
-Einer dieser Bettler nähert sich mir. Er überbietet jeden sonstigen,
-europäischen Eindruck dieser Art. Seine Augen glühen über einem
-sackartigen Lumpen hervor, mit dem er Mund, Nase und Brust vermummt hat.
-Er hustet in diese Umhüllung hinein. Er bleibt auf der Straße stehen und
-hustet, krächzt, pfeift mit Absicht, um aufzufallen, sein fürchterliches
-Husten minutenlang. Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes
-vorzustellen, als dieses verlauste, unflätige, barfüßige und halbnackte
-Gespenst.
-
-
-Ich verbringe die Stunde um Sonnenuntergang in dem schönen, verwilderten
-Garten, der dem König von Griechenland gehört. Es ist eine wunderbare
-Wildnis von alten Zypressen-, Oliven- und Eukalyptusbäumen, ungerechnet
-alle die blühenden Sträucher, in deren Schatten man sich bewegt.
-Vielleicht wäre es schade, wenn dieser Garten oft vom König besucht
-würde, denn bei größerer Pflege müßte er vieles verlieren von dem Reiz
-des Verwunschenen, der ihm jetzt eigen ist. Die Riesenbäume schwanken
-gewaltig im Winde und rauschen dazu: ein weiches, aufgestörtes Rauschen,
-in das sich der eherne Ton des Meeres einmischt.
-
-
-Wie ich heute morgen das Fenster öffne, ist die Sonne am wolkenlosen
-Himmel längst aufgegangen. Ich bemerke, daß alles in einem fast weißen
-Lichte unter mir liegt: die Straßen und Dächer der Stadt, der Himmel,
-die Landschaft mit ihren Wiesen, Olivenwäldern und fernen Bergen. Als
-ich aus dem Hotel trete, muß ich die Augen fast schließen, und lange,
-während ich durch den nördlichen Stadtteil Korfus hinauswandere, suche
-ich meinen Weg blinzelnd.
-
-Die Vorstadt zeigt das übliche Bild. Auf kleinen Eselchen sitzen Reiter,
-so groß, daß man meint, sie könnten ihr Reittier mühelos in die Tasche
-stecken. Ruppige Pferdchen, braunschwarz oder schwarz, mit Schweifen,
-die bis zur Erde reichen, tragen allerlei tote Lasten und lebende
-Menschen dazu. Vor ihren zumeist einstöckigen Häusern hocken viele
-Bewohner und sonnen sich. Eine junge Mutter säugt, auf ihrer Türschwelle
-sitzend, ihr jüngstes Kind und laust es zugleich, in aller Behaglichkeit
-und Naivetät. Die weißen Mauerflächen werfen das Licht zurück und
-erzeugen Augenschmerzen.
-
-Ich komme nun in die Region der Weiden und Ölgärten. Auf einer ebenen
-Straße, die stellenweise vom Meere bespült, dann wieder durch sumpfige
-Strecken oder Weideland vom Rande der großen, inneren Bucht getrennt
-ist. Ich ruhe ein wenig, auf einem Stück Ufermauer am Ausgang der Stadt.
-Die Sonne brennt heiß. Von den angrenzenden Hügeln steigt ein
-albanesischer Hirte mit seinen Schafen zur Straße herunter: trotz der
-Wärme trägt er seine drei Mäntel, oben den fließartigen, über die
-Schultern gehängt. Ein sehr starkes und hochbeiniges Mutterschwein kommt
-aus der Stadt und schreitet hinter seinen Ferkeln an mir vorüber. Es
-folgt ein Eber, der kleiner ist.
-
-Es ist natürlich, wenn ich auch hier wieder an Eumäus denke, den
-göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer
-Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen
-Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande
-eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen
-Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause
-geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an
-Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten
-Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes
-Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im
-Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für
-griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit.
-
-Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend
-anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu
-spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht
-unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns
-zu gewinnen.
-
-Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch
-diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen.
-Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu
-sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir
-auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu
-Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde
-laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller
-Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen,
-retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen
-Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das
-Ausweichen fast unmöglich machen. Eine breitgebaute, griechische Bäuerin
-drückt, im _bildlichen_ Sinne, wie sie pompös einherschreitet, ihre
-Umgebung an die Wand. Bettler, mit zwei alten Getreidesäcken bekleidet,
-den einen unter den Achseln um den Leib geschlungen, den andern über die
-Schultern gehängt wie ein Umschlagetuch, sprechen die Inhaber ärmlicher
-Läden um Gaben an. Ein junger Priesterzögling von sehr gepflegtem
-Äußeren, mit schwarzem Barett und schwarzer Sutane, ein Jüngling, der
-schön wie ein Mädchen ist, von einem gemeinen Manne, dem Vater oder
-Bruder begleitet, geht mir entgegen. Der Arm des Begleiters ist um die
-Schultern des Priesters gelegt, dessen tiefschwarz glänzendes Haar im
-Nacken zu einem Knoten geflochten ist. Weiber und Männer blicken ihm
-nach.
-
-
-Heute entdecke ich eigentlich erst den Garten des Königs und seine
-Wunder. Ich nehme mir vor, von morgen ab mehrere Stunden täglich hier
-zuzubringen. Seit längerer Zeit zum ersten Male genieße ich hier jene
-köstlichen Augenblicke, die auf Jahre hinaus der Seele Glanz verleihen,
-und um derentwillen man eigentlich lebt. Es dringt mir mit voller Macht
-ins Gemüt, wo ich bin, und daß ich das Jonische Meer an den felsigen
-Rändern des Gartens brausen höre.
-
-
-Wir haben heute den 1. April. Meine Freunde, die Maler sind, und ich,
-haben uns am Eingange der Königsvilla von einander getrennt, um, jeder
-für sich, in dem weiten, verwilderten Gartenbereich auf Entdeckungen
-auszugehen. Es ist ein Morgen von unvergleichlicher Süßigkeit. Ich
-schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen, mit Bleistift diese Notizen.
-Mein Auge weidet. Das Paradies wird ein Land voll ungekannter,
-köstlicher Blumen sein. Die herrlichen Anemonen Korfus tragen mit dazu
-bei, daß man Ahnungen einer andern Welt empfindet. Man glaubt beinahe,
-auf einem fremden Planeten zu sein.
-
-In dieser eingebildeten Loslösung liegt eine große Glückseligkeit.
-
-Ich finde nach einigem Wandern die Marmorreste eines antiken
-Tempelchens. Es sind nur Grundmauern; einige Säulentrommeln liegen
-umher. Ich lege mich nieder auf die Steine, und eine unsägliche Wollust
-des Daseins kommt über mich. Ein feines, glückliches Staunen erfüllt
-mich ganz, zunächst fast noch ungläubig, vor diesem nun Ereignis
-gewordenen Traum.
-
-Weniger um etwas zu schaffen, als vielmehr um mich ganz einzuschließen
-in die Homerische Welt, beginne ich ein Gedicht zu schreiben, ein
-dramatisches, das Telemach, den Sohn des Odysseus, zum Helden hat.
-Umgeben von Blumen, umtönt von lautem Bienengesumm, fügt sich mir Vers
-zu Vers, und es ist mir allmählich so, als habe sich um mich her nur
-mein eigener Traum zu Wahrheit verdichtet.
-
-Die Lage des Tempelchens am Rande der Böschung, hoch überm Meer, ist
-entzückend; alte, ernste Oliven umgeben in einiger Ferne die Vertiefung,
-in die es gestellt ist. Welchem Gotte, welchem Heros, welchem
-Meergreise, welcher Göttin oder Nymphe war das Tempelchen etwa geweiht,
-das in das grüne Stirnband der Uferhöhe eingeflochten, dem nahenden
-Schiffer entgegenwinkte? diese kleine, schweigende Wohnung der Seligen,
-die, Weihe verbreitend, noch heute das Rauschen der Ölbäume, das
-schwelgerische Summen der Bienen, das Duftgewölke der Wiesen als ewige
-Opfergaben entgegennimmt. Die kleinen, blinkenden Wellen des Meeres
-ziehen, vom leisen Ost bewegt, wie in himmlischer Prozession heran, und
-es ist mir, als wäre ich nie etwas anderes, als ein Diener der
-unsterblichen Griechengötter gewesen.
-
-Ich weiß nicht, wie ich auf die Vermutung komme, daß unterhalb des
-Tempelchens eine Grotte und eine Quelle sein müsse. Ich steige
-verfallene Stufen tief hinab und finde beides. Quellen und Grotten
-münden auf grüne von Marguerits übersäte Terrassen, in ihrer versteckten
-Lage von süßestem Reiz. Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu
-lieben und herrschen zu machen über mich. Deshalb pflücke ich Blumen,
-werfe sie in das Becken der Quelle, zu den Najaden und Nymphen flehend,
-den lieblichen Töchtern des Zeus.
-
-
-Ein brauner, schwermütiger Sonnenuntergang. Wir finden uns an die
-Schwermut norddeutscher Ebenen irgendwie erinnert. Es ist etwas Kühles
-in Licht und Landschaft, das vielleicht deutlicher vorstellbar wird,
-wenn man es unitalienisch nennt. Das Landvolk, obgleich die Bäuerinnen
-imposant und vollbusig sind und von schöner Rasse, erscheint nach außen
-hin temperamentlos, im Vergleich mit Italien, und zwar trotz des
-italienischen Einschlags. Es kommt uns vor, als wäre das Leben hier
-nicht so kurzweilig, wie auf der italienischen Halbinsel.
-
-Die griechische Bäuerin hat durchaus den graden, treuherzigen Zug, der
-den Männern hier abgeht, und den man als einen deutschen gern in
-Anspruch nimmt. Sinnliches Feuer scheint ebenso wenig Ausdruck ihrer
-besonderen Art zu sein, als bei den homerischen Frauengestalten.
-Überhaupt erscheinen mir die homerischen Zustände den frühen
-germanischen nicht allzu fern stehend. Der homerische Grieche ist
-Krieger durchaus, ein kühner Seefahrer, wie der Normanne verwegener
-Pirat, von tiefer Frömmigkeit bis zur Bigotterie, trunkliebend, zur
-Völlerei neigend, dem Rausche großartiger Gastereien zugetan, wo der
-Gesang des Skalden nicht fehlen durfte.
-
-
-Ich habe mich auf den Resten des antiken Tempelchens, das ich nun schon
-zum dritten- oder viertenmal besuche, niedergelassen. Es fällt lauer
-Frühlingsregen. Ein großer, überhängender, weidenartiger Strauch umgibt
-mich mit dem Arom seiner Blüten. Die Wellen wallfahrten heut mit starkem
-Rauschen heran. Immer der gleiche Gottesdienst in der Natur.
-Wolkendünste bedecken den Himmel.
-
-Immer erst, wenn ich auf den Grundmauern dieses kleinen Gotteshauses
-gestanden habe, fühle ich mich in den Geist der Alten entrückt und
-glaube in diesem Geiste alles rings umher zu empfinden. Ich will nie
-diese Stunden vergessen, die in einem ungeahnten Sinne erneuernd sind.
-Ich steige ans Meer zu den Najaden hinunter. Auf den Stufen bereits
-vernehme ich das Geschrei einer Ziege, von der Grotte und Quelle
-empordringend. Ich bemerke, wie das Tier von einem großen, rotbraunen
-Segel beunruhigt ist, das sich dem Lande, düster schattend, bis auf
-wenige Meter nähert, um hier zu wenden. Unwillkürlich muß ich an Seeraub
-denken und das fortwährende, klägliche Hilferufen des geängstigten
-Tieres bringt mir, beim Anblick des großen, drohenden Segels, die alte
-Angst des einsamen Küstenbewohners, vor Überfällen, nah.
-
-
-Oft ist bei Homer von schwarzen Schiffen die Rede. Ob sie nicht etwa den
-Nordlandsdrachen ähnlich gewesen sind? Und ob nicht etwa die homerischen
-Griechen, die ja durchaus Seefahrer und Abenteurernaturen waren, auch
-das griechische Festland vom Wasser aus zuerst betreten haben?
-
-Eigentümlich ist es, wie sich in einem Gespräch des Plutarch eine
-Verbindung des hohen Nordens mit diesem Süden andeutet; wo von Völkern
-griechischen Stammes die Rede ist, die etwa in Kanada angesessen waren,
-und von einer Insel Ogygia, wo der von Zeus entthronte Kronos gleichsam
-in Banden eines Winterschlafes gefangen saß. Besonders merkwürdig ist
-der Zug, daß jener entthronte Gott, Kronos oder Saturn, noch immer alles
-dasjenige träumte, was der Sohn und Sieger im Süden, Zeus, im Wachen
-sah. Also etwa, was jener träumte, war diesem Wirklichkeit. Und Herakles
-begab sich einst in den Norden zurück, und seine Begleiter reinigten
-Sitte und Sprache der nördlichen Griechen, die inzwischen verwahrlost
-waren.
-
-Ich strecke mich auf das saftige Grün der Terrasse unter die zahllosen
-Gänseblümchen aus, als ob ich, ein erster Grieche, soeben nach vieler
-Mühsal gelandet wäre. Ein starkes Frühlingsempfinden dringt durch mich;
-und in diesem Gefühle eins mit dem Sprossen, Keimen und Blühen rings um
-mich her, empfinde ich jeden Naturkult, jede Art Gottesdienst, jedes
-irgendwie geartete höhere Leben des Menschen durch Eros bedingt.
-
-
-Ich beobachte eben, vor Sonnenuntergang, in einer Ausbuchtung der
-Kaimauer, zwei Muselmänner. Sie verrichten ihr Abendgebet. Die Gesichter
-»nach Mekka« gewendet, gegen das Meer und die epirotischen Berge, stehen
-sie ohne Lippenbewegung da. Die Hände sind nicht gefaltet, nur mit den
-Spitzen der Finger aneinandergelegt. Jetzt, indem sie sich auf ein Knie
-senken, machen sie gleichzeitig eine tiefe Verneigung. Diese Bewegung
-wird wiederholt. Sie lassen sich nun auf die Kniee nieder und berühren
-mit den Stirnen die Erde. Auch diesen Ausdruck andachtsvoller
-Erniedrigung wiederholen sie. Aufgerichtet, beten sie weiter. Nochmals
-sinken sie auf die Kniee und berühren mit ihren Stirnen wieder und
-wieder den Boden. Alsdann fährt sich, noch kniend, der ältere von den
-beiden Männern mit der Rechten über das Angesicht und über den dunklen,
-graumelierten Bart, als wollte er einen Traum von der Seele streifen,
-und nun kehren sie, erwacht, aus dem inneren Heiligtum in das laute
-Straßenleben, das sie umgibt, zurück. Wer diese Kraft zur Vertiefung
-sieht, muß die Macht anerkennen und verehren, die hier wirksam ist.
-
-
-Heut werfen die Wellen ihre Schaumschleier über die Kaimauer der Strada
-marina. Die Möven halten sich mit Meisterschaft gegen den starken
-Südwind über den bewegten Wassern des Golfes von Kastrades. Es herrscht
-Leben und Aufregung. Von gestern zu heut sind die Baumwipfel grün
-geworden im lauen Regen.
-
-Die Luft ist feucht. Der Garten, in den ich eintrete, braust laut. Der
-Garten der Kirke, wie ich den Garten des Königs jetzt lieber nenne,
-braust laut und melodisch und voll. Düfte von zahllosen Blüten dringen
-durch dunkle, rauschende Laubgänge und strömen um mich mit der bewegten
-Luft. Es ist herrlich! Der Webstuhl der Kirke braust wie Orgeln:
-Choräle, endlos und feierlich. Und während die Göttin webt, die
-Zauberin, bedeckt sich die Erde mit bunten Teppichen. Aus grünen Wipfeln
-brechen die Blüten: gelb, weiß und rot, wie Blut. Das zarteste der
-Schönheit entsteht ringsum. Millionen kleiner Blumen trinken den Klang
-und wachsen in ihm. Himmelhohe Zypressen wiegen die schwarzen Wedel
-ehrwürdig. Der gewaltige Eukalyptus, an dem ich stehe, scheint zu
-schaudern vor Wonne, im Ansturm des vollen, erneuten Lebenshauchs. Das
-sind Boten, die kommen! Verkündigungen!
-
-Wie ich tiefer in das verwunschene Reich eindringe, höre ich über mir in
-der Luft das beinahe melodische Knarren eines großen Raben. Ich sehe ihn
-täglich, nun schon das drittemal: den Lieblingsvogel Apollons. Er
-überquert eine kleine Bucht des Gartens. Der Wind trägt seine Stimme
-davon, denn ich sehe nur noch, wie er seinen Schnabel öffnet.
-
-Immer noch umgibt mich das Rauschen, das allgemeine, tiefe Getöse. Es
-scheint aus der Erde zu kommen. Es ist, als ob die Erde selbst tief und
-gleichmäßig tönte, mitunter bis zu einem unterirdischen Donner
-gesteigert.
-
-Im Schatten der Ölbäume, im langhalmigen Wiesengras, gibt es viele
-gemauerte Wasserbrunnen. Über einem, der mir vor Augen liegt, sehe ich
-Nymphe und Najade gesellt, denn der Gipfel eines Baumes, dessen Stamm im
-Innern der Zisterne heraufdringt, überquillt ihre Öffnung mit jungem
-Grün. Die Grazien umtanzen in Gestalt vieler zartester Wiesenblumen den
-verschwiegenen Ort.
-
-Die Gestalten der Kirke und der Kalypso ähneln einander. Jede von ihnen
-ist eine »furchtbare Zauberin«, jede von ihnen trägt ein anmutig feines
-Silbergewand, einen goldenen Gürtel und einen Schleier ums Haupt. Jede
-von ihnen hat einen Webstuhl, an dem sie ein schönes Gewebe webt. Jede
-von ihnen wird abwechselnd Nymphe und Göttin genannt. Sie haben beide
-eine weibliche Neigung zu Odysseus, der mit jeder von ihnen das Lager
-teilen darf. Beide, an bestimmte Wohnplätze gebunden, sind der mythische
-Ausdruck sich regender Wachstumskräfte in der Frühlingsnatur, nicht wie
-die höheren Gottheiten überall, sondern an diesem und jenem Ort. In
-Kirke scheint das Wesen des Mythus, und besonders in ihrer Kraft zu
-verwandeln, tiefer und weiter, als in Kalypso ausgebildet zu sein.
-
-Das Rauschen hat in mir nachgerade einen Rausch erzeugt, der Natur und
-Mythus in eins verbindet, ja ihn zum phantasiegemäßen Ausdruck von jener
-macht. Auf den Steinen des antiken Tempelchens sitzend, höre ich Gesang
-um mich her, Laute von vielen Stimmen. Ich bin, wie durch einen leisen,
-unwiderstehlichen Zwang, in meiner Seele willig gemacht, Zeus und den
-übrigen Göttern Trankopfer auszugießen, ihre Nähe im Tiefsten
-empfindend. Es ist etwas Rätselhaftes auch insofern um die
-Menschenseele, als sie zahllose Formen anzunehmen befähigt ist. Eine
-große Summe halluzinatorischer Kräfte sehen wir heut als krankhaft an,
-und der gesunde Mensch hat sie zum Schweigen gebracht, wenn auch nicht
-ausgestoßen. Und doch hat es Zeiten gegeben, wo der Mensch sie voll
-Ehrfurcht gelten und menschlich auswirken ließ.
-
- »Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten
- Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.
- Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine
- Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.«
-
-Die schöne Wäscherin, die ich an einem versteckten Röhrenbrunnen
-arbeiten sehe, auf meinem Heimwege durch den Park -- die erste schöne
-Griechin überhaupt, die ich zu Gesicht bekomme! -- sie scheint mir eine
-von Kirkes Mägden zu sein. Und wie sie mir in die Augen blickt, befällt
-mich Furcht, als läge die Kraft der Meisterin auch in ihr, Menschen in
-Tiere zu verwandeln, und ich sehe mich unwillkürlich nach dem Blümchen
-Molly um.
-
-
-Heut, den 5. April, hat ein großes Schiff dreihundert deutsche Männer
-und Frauen am Strande von Korfu abgesetzt. Ein mit solchen Männern und
-Frauen beladener Wagen kutscht vor mir her. Auf der Strada marina läßt
-Gevatter Wurstmacher den Landauer anhalten, steigt heraus und nimmt mit
-einigen lieben Anverwandten, eilig, in ungezwungener Stellung,
-photographiergerecht, auf der Kaimauer Platz. Ein schwarzbärtiger
-Idealist mit langen Beinen und engem Brustkasten erhebt sich auf dem
-Kutschbock und photographiert. Am Eingange meines Gartens holt die
-Gesellschaft mich wieder ein, die sich durch das unumgängliche
-Photographieren verzögert hat. »Palais royal?« tönt nun die Frage an den
-Kutscher auf gut Französisch. --
-
-Und wie ich den Garten der Zauberin wieder betrete, von heimlichem
-Lachen geschüttelt, fällt mir eine Geschichte ein: Mitridates steckte
-einst in Kleinasien einen Hain der Eumeniden in Brand, und man hörte
-darob ein ungeheures Gelächter. Die beleidigten Götter forderten nach
-dem Spruche der Seher Sühnopfer. Die Halswunde jenes Mädchens aber, das
-man hierauf geschlachtet hatte, lachte noch auf eine furchtbare Weise
-fort.
-
-
-Das eine der Fenster unseres Wohnsaales im Hotel Belle Venise gewährt
-den Blick in eine Sackgasse. Dort ist auch ein Abfallwinkel des Hotels.
-Der elende Müllhaufen übt eine schreckliche Anziehungskraft auf Tiere
-und Menschen aus. So oft ich zum Fenster hinausblicke, bemerke ich ein
-anderes hungriges Individuum, Hund oder Mensch, das ihn durchstöbert.
-Ohne jeden Sinn für das Ekelhafte greift ein altes Weib in den Unrat,
-nagt das sitzengebliebene Fleisch aus Apfelsinenresten und schlingt
-Stücke der Schale ganz hinab. Jeden Morgen erscheinen die gleichen
-Bettler, abwechselnd mit Hunden, von denen mitunter acht bis zehn auf
-einmal den Haufen durchstören. Diese scheußliche Nahrungsquelle
-auszunützen, scheint der einzige Beruf vieler unter den ärmsten
-Bewohnern Korfus zu sein, die in einem Grade von Armut zu leben
-gezwungen sind, der, glaube ich, selbst in Italien selten ist. Von
-Müllhaufen zu Müllhaufen wandern, welch ein unbegreifliches Los der
-Erbärmlichkeit! Mit Hunden und Katzen um den Wegwurf streiten. Und doch
-war es vielleicht mitunter das Los Homers, der, wie Pausanias schreibt,
-auch dieses Schicksal gehabt hat, als blinder Bettler von Ort zu Ort zu
-ziehn.
-
-
-Der Garten der Kirke liegt diesen Nachmittag in einer düstern
-Verzauberung. Die blaßgrünen Schleier der Olivenzweige rieseln leis. Es
-ist ein ganz zartes und feines Singen. Von unten tönt laut das eherne
-Rauschen des Jonischen Meeres. Ich muß an das unentschiedene
-Schlachtengetöse homerischer Kämpfe denken. Der Wolkenversammler
-verdunkelt den Himmel, und eine bängliche Finsternis verbreitet sich
-zwischen den Stämmen unter den Ölbaumwipfeln. Vereinzelte große
-Regentropfen fallen auf mich. Der Efeu erscheint wie ein polypenartig
-würgendes Tier, er schlägt in unzerbrechliche Bande: Mauern, steinerne
-Stufen, Bäume! Es ist etwas ewig Totes, ewig Stummes, ewig Verlassenes,
-ewig Verwandeltes in der Natur und in allem vegetativen Dasein des
-Gartens. Die Tiere der Kirke schleichen lautlos, tückisch und
-unsichtbar! der bösen, tückischen Kirke Gefangene! Sie erscheinen für
-ewig ins Innere dieser Gartenmauer gebannt, wie Sträucher und Bäume an
-ihre Stelle. Alle diese uralten, rätselhaft verstrickten Olivenbäume
-gleichen unrettbar verknoteten Schlangen, erstarrt, mitten im Kampf,
-durch ein schreckliches Zauberwort.
-
-Aber nun geht eine Angst durch den Garten: etwas wie Angst oder nahes
-Glück. Wir alle, unter der drohenden Macht des beklemmenden Rätsels
-eines unsagbar traurigen und verwunschenen Daseins, fühlen den nahen
-Donner des Gottes voraus. Mächtig grollt es fern auf; und Zeus winkt mit
-der Braue ... Kirke erwartet Zeus.
-
-
-Ehe man Potamo auf Korfu erreicht, überschreitet man einen kleinen Fluß.
-Die Ortschaft ist mit grauen Häuschen und einem kleinen Glockenturm auf
-eine sanft ansteigende Berglehne zwischen Ölbäume und Zypressen
-hingestreut. Unter den Bewohnern des Ortes, die alle dunkel sind, fällt
-ein Schmied oder Schlosser auf, der in der Tür seiner Werkstatt mit
-seinem Schurzfell dasteht, blauäugig, blond und von durchaus kernigem,
-deutschem Schlag, seiner Haltung und dem Ausdruck seines Gesichtes nach.
-
-Das Tal hinter Potamo entwickelt die ganze Fülle der fruchtbaren Insel.
-Auf saftigen Wiesenabhängen langhalmiger, üppiger Gräser und Blumen,
-stehen, Wipfel an Wipfel, Orangenbäume, jeder mit einem Reichtum
-schwerer und reifer Früchte durchwirkt. Die gleiche, lastende Fülle ist,
-links vom Wege, in die Talsenkung hinein verbreitet und jenseit die
-Abhänge hinauf, bis unter die allgegenwärtigen Ölbäume. Fruchtbare Fülle
-liegt wie ein strenger Ernst über diesem gesegneten Tal. Es ist von
-Reichtum gleichsam beschwert bis zur Traurigkeit. Es ist etwas fronmäßig
-Lasttragendes in diesem Überfluß, so daß hier wiederum das Mysterium der
-Fruchtbarkeit, beinahe zu Gestalten verdichtet, dem inneren Sinne sich
-aufdrängt. Hier scheint ein dämonischer Reichtum wie dazu bestimmt,
-verschlagenen Seefahrern sich für eine angstvolle Schwelgerei
-darzubieten, panischen Schrecknissen nahe.
-
-Gestrüppen, wilden Dickichten gleich, steigen Orangengärten in die
-Schluchten hinunter, die von uralten Oliven und Zypressen verfinstert
-sind und locken von dort her, aus der verschwiegenen Tiefe mit ihrer
-süßen, schweren, fast purpurnen Frucht. Man spürt das Gebärungswunder,
-das Wunder nymphenhafter Verwandlungen: ein Wirken, das ebenso süß, als
-qualvoll ist.
-
-Ich sollte hier der Orange von Korfu, als der besten der Welt begeistert
-huldigen! -- Man gehe hin und genieße sie.
-
-Die Straße steigt an und bei einer Wendung tut sich, weithin gedehnt,
-eine sanfte Tiefe dem Blicke auf: die Ebene zwischen Govino und Pyrgi
-ungefähr, mit ihren umgrenzenden Höhenzügen. Wälder von Olivenbäumen
-bedecken sie, ja Gipfel, Abhänge und Ebene überzieht ein einziger Wald.
-Der majestätische Ernst des Eindrucks ist mit einem unsäglich weichen
-Reiz verbunden.
-
-Eine Biegung der Straße enthüllt teilweise die blauleuchtende Bucht und
-die Höhe des San Salvatore dahinter. Zum Ernst, zur Einfalt, zur
-Großheit, darf man sagen, tritt nun die Süße. -- Wir wandeln unter die
-Wälder hinein. Das Auge wird immer wieder gefesselt von dem
-unvergleichlichen Linienreiz der zerlöcherten und zerklüfteten
-Riesenstämme, von denen einige zerrissen und in wilde Windungen
-zerborsten, doch, mit erzenem, unbeweglichem Griff in die Erde
-verknotet, aufrecht geblieben sind.
-
-Der Himmel ist grau und bewölkt. Wir entdecken in der Tiefe der
-fruchttragenden Waldungen Kinder, Hirtinnen mit gelben Kopftüchern. Bis
-an die Straße zu uns her sind kleine, wollige, unwahrscheinliche
-Jesusschäfchen verstreut. Ich winke einer der kleinen Hirtinnen: sie
-kommt nicht leicht. Ihr Dank für unsere Gabe ist ganz Treuherzigkeit.
-
-Schemenhaft flüstern die Ölzweige. Weithin geht und weither kommt
-ewiges, sanftes, fruchtbares Rauschen.
-
-
-Wir unternehmen heut eine Fahrt nach Pelleka. Dort, von einem gewissen
-Punkte aus, überblickt man einen sehr großen Teil der Insel, die Buchten
-gegen Epirus hin und zugleich das freie Jonische Meer.
-
-Heute, am Sonntag, lehnen etwa hundert Männer über die Mauer der Straße,
-wo diese eine Kehre macht und gleichsam eine Terrasse oder Rampe der
-Ortschaft bildet. Unser Wagen wird sogleich von einer großen Menge
-erbärmlich schmutziger Kinder umringt, die zumeist ein verkommenes
-Ansehen haben und schlimm husten. Mit uns dem gesuchten Aussichtspunkt
-zusteigend -- wir haben den Wagen verlassen! -- verfolgen uns die Kinder
-in hellen Haufen. Eingeborene Männer versuchen es immer wieder, sie zu
-verscheuchen, stets vergeblich. Die Kleinen lassen uns vorüber, stehen
-ein wenig, suchen uns aber gleich darauf wieder auf kürzeren Wegen,
-rennend, springend, stürzend, einander stoßend, zuvor zu kommen, um mit
-zäher Unermüdlichkeit uns wiederum anzubetteln.
-
-Sie sind fast durchgängig brünett. Aber es ist auch ein blondes Mädchen
-da, blauäugig und von zart weißer Haut: ein großer, vollkommen deutscher
-Kopf, der als solcher auf einem Leiblschen Bilde stehen könnte. Bei
-diesem Anblick beschleicht mich eine gewissermaßen irrationale
-Traurigkeit, denn das Mädchen ist eigentlich die vergnügteste unter
-ihren zahllosen dunklen Zufallsschwestern.
-
-In Gruppen und von den Männern gesondert, stehen am Eingang und Ausgang
-des kleinen Fleckens die Frauen von Pelleka. Sie machen in der stämmigen
-Fülle des Körpers und der bunten Schönheit der griechischen Tracht den
-Eindruck der Wohlhabenheit. Das reiche Haar, das ihre Köpfe in stolzer
-Frisur umgibt, ist nicht nur ihr eigenes, sondern durch den Haarschatz
-von Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern vermehrt, der als heilige
-Erbschaft betrachtet wird.
-
-
-Heut, soeben, begann ich den letzten Tag, der noch auf Korfu enden wird.
-Zum Fenster hinausblickend, gewahre ich in der Nähe des Abfallhaufens
-eine Versammlung von etwa zwanzig Männern: sie umstehen einen vom Regen
-noch feuchten Platz, auf dem sich, wie kleine zerknüllte Lümpchen,
-mehrere schmutzige Drachmenscheine befinden. Man schiebt sie mit
-Stiefelspitzen von Ort zu Ort. Einer der Männer wirft vom Handrücken aus
-zwei kupferne Münzen in die Luft, und je nachdem sie auf dem Kopfe der
-Könige liegen, oder diesen nach oben kehren, entscheiden sie über
-Verlust und Gewinn. Nachdem ein Wurf des Glücksspiels geschehen ist,
-nimmt einer der Spieler, ein schäbiger Kerl, als Gewinner den ziemlich
-erheblichen Einsatz vom Erdboden auf und steckt ihn ein.
-
-Die Bevölkerung Korfus krankt an dieser Spielleidenschaft. Es werden
-dabei von armen Leuten Gewinne und Verluste bestritten, die in keinem
-Vergleich zu ihrem geringen Besitze stehen. Man sucht dieser Spielwut
-entgegenzuwirken. Aber, trotzdem man das stumpfsinnige Laster, sofern es
-in Kneipen oder irgendwie öffentlich auftritt, unter Strafe stellt, ist
-es dennoch nicht auszurotten. Macht doch die ganze Bevölkerung
-gemeinsame Sache gegen die Polizei! So sind zum Beispiel die
-Droschkenkutscher auf der breiten Straße, in die unser Sackgäßchen
-mündet, freiwillige Wachtposten, die den ziemlich sorglosen Übertretern
-der Gesetzesbestimmungen soeben die Annäherung eines Polizeimannes durch
-Winke verkündigen, worauf sich der Schwarm sofort zerstreut.
-
-
-Ein griechischer Dampfer liegt am Ufer. Ein italienischer kommt eben
-herein. Ihm folgt die »Tirol« vom Triester Lloyd. Menschen und Möwen
-werden aufgeregt.
-
-Die Einschiffung ist nicht angenehm. Wir sind hinter einem Berg von
-Gepäck ins Boot gequetscht, und jeden Augenblick drohen die hohen Wogen
-das überladene Fahrzeug umzuwerfen.
-
-Selten ist der Aufenthalt an Deck eines Schiffes im Hafen angenehm. Das
-Idyll, sofern nicht das Gegenteil eines Idylls im Schicksalsrate
-beschlossen ist ... das Idyll beginnt immer erst nach der Abfahrt.
-
-Eine schlanke, hohe, jugendschöne Engländerin mit den edlen Zügen
-klassischer Frauenbildnisse ist an Bord. Seltsam, ich vermag mir das
-homerische Frauenideal, vermag mir eine Penelope, eine Nausikaa, nur von
-einer so gearteten Rasse zu denken.
-
-Langsam gleitet Korfu, die Stadt, und Korfu, die Insel, an uns vorüber:
-die alten Befestigungen, die Esplanade, die Strada marina am Golf von
-Kastrades, auf der ich so oft nach dem königlichen Garten, nach dem
-Garten der Kirke, gewandert bin. Der Garten der Kirke selbst gleitet
-vorüber. Ich nehme mein Fernglas und bin noch einmal an dem lieblichen,
-jetzt in Schatten gelegten Ort, wo die Trümmer des kleinen antiken
-Tempelchens einsam zurückbleiben, und wo ich, seltsam genug bei meinen
-Jahren, fast wunschlos glückliche Augenblicke genoß. Oft sah ich von
-dort aus Schiffe vorübergleiten und bin nun selbst, der vorübergleitet
-auf seinem Schiff. Über den dunklen Wipfelgebieten des Gartens steht die
-Sonne hinter gigantischen Wolken im Niedergang und bricht über alles zu
-uns und zum Himmel hervor in gewaltigen, limbusartigen Strahlungen, und
-im Weitergleiten des Schiffes erfüllt mich nur noch der eine Gedanke: du
-bist auf der Pilgerfahrt zur Stätte des goldelfenbeinernen Zeus.
-
-
-Die ersten Stunden auf klassischem Boden, nachdem wir in Patras Morgens
-gelandet sind, bieten lärmende unangenehme Eindrücke. Aber, trotzdem wir
-nun in einem Bahncoupé, und zwar in einem ziemlich erbärmlichen, sitzen,
-saugt sich das Auge an Felder und Hügel dieser an uns vorüberflutenden
-Landschaft fest, als wäre sie nicht von dieser Erde. Vielleicht lieben
-wir Träume mit stärkerer Liebe, als Wirklichkeit. Aber das innere Auge,
-das sich selbst im Schlafe oft genug weit öffnet, legt sich mitunter in
-den Wiesen, Hainen und Hügelländern zur Ruh, die sich einem äußeren
-Sinne im Lichte des wachen Tages schlicht und gesund darbieten. Und
-etwas, wie eines inneren Sinnes Entlastung spüre ich nun.
-
-Also: um mich ist Griechenland. Das, was ich bisher so nannte, war alles
-andere, nur nicht Land. Die Sehnsucht der Seele geht nach Land, der
-Sehnsucht des Seefahrers darin ähnlich. Immer ist es zunächst nur
-eingebildet, wonach man sich sehnt, und noch so genaue Nachricht, noch
-so getreue Schilderung kann aus der schwebenden Insel der Phantasie kein
-wirklich am Grunde des Meeres verwurzeltes Eiland machen. Das vermag nur
-der Augenblick, wo man es wirklich betritt.
-
-Was nun so lange durchaus nur ein bloßer Traum der Seele gewesen ist,
-das will eben diese Seele, vom Staunen der äußeren Sinne berührt, die,
-von dem Ereignis betroffen, rastlos verzückt, fast überwältigt
-umherforschen ... das will eben diese Seele nicht gleich für wahr
-halten. Auch deshalb nicht, weil damit in einem anderen Sinne etwas, zum
-mindesten der Teil eines Traumbesitzes, in sich versinkt. Dies gilt aber
-nur für Augenblicke. Es gibt in einem gesund gearteten Geiste keine
-Todfeindschaft mit der Wirklichkeit: und was sie etwa in einem solchen
-Geiste zerstört, das hilft sie kräftiger wiederum aufrichten.
-
-Die Landschaft von Elis, durch die wir reisen, berührt mich heimisch.
-Wir haben zur Rechten das Meer, hinter roter Erde, in unglaublicher
-Farbenglut. Wie bläulicher Duft liegen Inseln darin: erst wird uns
-Ithaka, dann Cephalonia, später Zakynthos deutlich. Wir werden an Hügeln
-vorübergetragen, niedrigen Bergzügen, vor denen Fluren sich ausbreiten,
-die mit Rebenkulturen bestanden sind. Die Berge zur Linken weichen
-zurück hinter eine weite Talebene, die sie mit ihren Schneehäuptern
-begleiten. Einfache, grüne Weideflächen erfreuen den Blick. Und
-plötzlich erscheinen Bäume, einzelstehend, knorrig, weitverzweigt, die
-für das zu erklären, was sie wirklich sind, ich kaum getraue. Aber es
-sind und bleiben doch Eichen, deutsche Eichen, so alt und mächtig
-entwickelt, wie in der Heimat sie gesehen zu haben ich mich nicht
-erinnern kann.
-
-Stundenweit dehnen sich nun diese Eichenbestände. Doch sind die jetzt
-noch fast kahlen Kronen so weit voneinander entfernt, daß ihre Zweige,
-so breit sie umherreichen, sich nicht berühren. In den einsamen
-Weideländern darunter zeigen sich hie und da Hirten mit Herden.
-
-Es kommt mir vor, als ob ich unter den vielen, die mit uns reisen, einem
-großartigen Festtumulte zustrebte. Und durchaus ungewollt drängt sich
-mir nach und nach die Vision eines olympischen Tages auf: der Kopf und
-nackte Arm eines jungen Griechen, ein Schrei, eine Bitte, ein
-Pferdegewieher, Beifallstoben, ein Fluch des Besiegten. Ein Ringer, der
-sich den Schweiß abwischt. Ein Antlitz, im Kampfe angespannt, fast
-gequält in übermenschlicher Anstrengung. Donnernder Hufschlag,
-Rädergekreisch: alles vereinzelt, blitzartig, fragmentarisch.
-
-
-Wir sind in Olympia.
-
-Auf diesem verlassenen Festplatz ist kaum etwas anderes, als das sanfte
-und weiche Rauschen der Aleppokiefer vernehmlich, die den niedrigen
-Kronoshügel bedeckt und hie und da in den Ruinen des alten Tempelbezirks
-ihre niedrigen Wipfel ausbreitet.
-
-Dieses freundliche Tal des Alpheios ist dermaßen unscheinbar, daß man,
-den ungeheuren Klang seines Ruhmes im Herzen, bei seinem Anblick in
-eigentümlicher Weise ergriffen ist. Aber es ist auch von einer
-bestrickenden Lieblichkeit. Es ist ein Versteck, durch einen niedrigen
-Höhenzug jenseits des Flusses -- und diesseits durch niedrige Berge
-getrennt von der Welt. Und jemand, der sich von dieser Welt ohne Haß zu
-verschließen gedächte, könnte nirgend geborgener sein.
-
-Ein kleines, idyllisches Tal für Hirten -- eine schlichte, beschränkte
-Wirklichkeit! -- mit einem versandeten Flußlauf, Kiefern und kärglichem
-Weideland, und doch: es mag hier gewesen sein, es weigert nichts in dem
-Pilger, für wahr hinzunehmen, daß hier der Kronide, der Ägiserschütterer
-Zeus, mit Kronos um die Herrschaft der Welt gerungen hat. -- Das ist das
-Wunderbare und Seltsame.
-
-
-Die Abhänge jenseit des Alpheios färben sich braun. Die Sonne eines
-warmen und reinen Frühlingstages dringt nicht mehr mit ihren Strahlen
-bis an die Ruinen, zu mir. Zwei Elstern fliegen von Baum zu Baum, von
-Säulentrommel zu Säulentrommel. Sie gebärden sich hier wie in einem
-unbestrittnen Bereich. Ein Kuckuck ruft fortwährend aus den Wipfeln des
-Kronoshügels herab. -- Ich werde diesen olympischen Kuckuck vom zwölften
-April des Jahres Neunzehnhundertundsieben nicht vergessen.
-
-Die Dunkelheit und die Kühle bricht herein. Noch immer ist das Rauschen
-des sanften Windes in den Wipfeln die leise und tiefe Musik der Stille.
-Es ist ein ewiges, flüsterndes Aufatmen, traumhaftes Aufrauschen,
-gleichsam Aufwachen, von etwas, das zugleich in einem schweren,
-unerwecklichen Schlaf gebunden ist. Das Leben von einst scheint ins
-Innere dieses Schlafes gesunken. Wer nie diesen Boden betreten hat, dem
-ist es schwer begreiflich zu machen, bis zu welchem Grade Rauschen und
-Rauschen verschieden ist.
-
-Es ist ganz dunkel geworden. Ich unterliege mehr und mehr wieder inneren
-Eindrücken gespenstischer Wettspiele. Es ist mir, als fielen da und
-dorther Schreie von Läufern und Ringern aus der nächtlichen Luft. Ich
-empfinde Getümmel und wilde Bewegungen; und diese hastig fliehenden
-Dinge begleiten mich wie irgendein Rhythmus, eine Melodie, dergleichen
-sich manchmal einnistet und nicht zu tilgen ist.
-
-Plötzlich wird, von irgendeinem Hirtenjungen gespielt, der kunstlose
-Klang einer Rohrflöte laut: er begleitet mich auf dem Heimwege.
-
-
-Der Morgen duftet nach frischen Saaten und allerlei Feldblumen.
-Sperlinge lärmen um unsere Herberge. Ich stehe auf dem Vorplatz des
-hübschen, luftigen Hauses und überblicke von hier aus das enge,
-freundliche Tal, das die olympischen Trümmer birgt. Hähne krähen in den
-Höfen verschiedener kleiner Anwesen in der Nähe, von denen jedoch hier
-nur eines, ein Hüttchen, am Fuße des Kronoshügels, sichtbar ist.
-
-Man müßte ein Tälchen von ähnlichem Reiz, ähnlicher Intimität vielleicht
-in Thüringen suchen. Wenn man es aber so eng, so niedlich und voller
-idyllischer Anmut gefunden hätte, so würde man doch nicht, wie hier, so
-tiefe und göttliche Atemzüge tun.
-
-Mich durchdringt eine staunende Heiterkeit. Der harzige Kiefernadelduft,
-die heimisch-ländliche Morgenmusik beleben mich. Wie so ganz nah und
-natürlich berührt nun auf einmal das Griechentum, das durchaus nicht nur
-im Sinne Homers oder gar im Sinne der Tragiker zu begreifen ist. Viel
-näher in diesem Augenblick ist mir die Seele des Aristophanes, dessen
-»Frösche« ich von den Alpheiossümpfen herüber quaken höre. So laut und
-energisch quakt der griechische Frosch -- ich konnte das während der
-gestrigen Fahrt wiederholt bemerken! -- daß er literarisch durchaus
-nicht zu übersehen, noch weniger zu überhören war.
-
-Überall schlängeln sich schmale Pfade über die Hügel und zwischen den
-Hügeln hindurch. Sie sind wie Bänder durch einen Flußlauf gelegt, der
-zum Alpheios fließt. Kleine Karawanen, Trupps von Eseln und Mauleseln
-tauchen auf und verschwinden wieder. Man hört ihre Glöckchen, bevor man
-die Tiere sieht, und nachdem sie den Gesichtskreis verlassen haben. Am
-Himmel zeigen sich streifige Windwolken. In der braunen Niederung des
-Alpheios weiden Schafherden.
-
-Man wird an ein großartiges Idyll zu denken haben, das in diesem Tälchen
-geblüht hat. Es lebte hier eine Priestergemeinschaft nahe den Göttern;
-aber diese, Götter und Halbgötter, waren die eigentlichen Bewohner des
-Ortes. Wie wurde doch gerade dieses anspruchslose Stückchen Natur so von
-ihnen begnadet, daß es gleich einem entfernten Fixstern -- einer vor
-tausend Jahren erloschenen Sonne gleich -- noch mit seinem vollen,
-ruhmstrahlenden Lichte in uns ist?
-
-Diese bescheidenen Wiesen und Anhöhen lockten ein Gedränge von Göttern
-an, dazu Scharen glanzbegieriger Menschen, die von hier einen Platz
-unter den Sternen suchten. Nicht alle fanden ihn, aber es lag doch in
-der Macht des olympischen Zweiges, von einem schlichten Ölbaum dieser
-Flur gebrochen, Auserwählten Unsterblichkeit zu gewähren.
-
-
-Ich ersteige den Kronoshügel. Es riecht nach Kiefernharz. Einige Vögel
-singen in den Zweigen schön und anhaltend. Im Schatten der Nadelwipfel
-gedeiht eine zarte Ilexart. Die gewundenen Stämme der Kiefern mit tief
-eingerissener Borke haben etwas Wildkräftiges. Ich pflücke eine
-blutrote, anemonenartige Blume, überschreite das Band einer Wanderraupe,
-fünfzehn bis zwanzig Fuß lang. Die Windungen des Alpheios erscheinen:
-des Gottes, der gen Orthygia hinstrebt, jenseits des Meeres, wo
-Arethusa, die Nymphe, wohnt, die Geliebte.
-
-Die Fundamente und Trümmer des Tempelbezirks liegen unter mir. Dort, wo
-der goldelfenbeinerne Zeus gestanden hat, auf den Platten der Cella des
-Zeustempels, spielt ein Knabe. Es ist mein Sohn. Etwas vollkommen
-Ahnungsloses, mit leichten, glücklichen Füßen die Stelle umhüpfend, die
-das Bildnis des Gottes trug, jenes Weltwunder der Kunst, von dem unter
-den Alten die Rede ging, daß, wer es gesehen habe, ganz unglücklich
-niemals werden könne.
-
-Die Kiefern rauschen leise und traumhaft über mir. Herdenglocken, wie in
-den Hochalpen oder auf den Hochflächen des Riesengebirges, klingen von
-überall her. Dazu kommt das Rauschen des gelben Stroms, der in seinem
-breiten, versandeten Bette ein Rinnsal bildet, und das Quaken der
-Frösche in den Tümpeln stehender Wässer seiner Ufer.
-
-Immer noch hüpft der Knabe um den Standort des Götterbildes, das,
-hervorgegangen aus den Händen des Phidias, den Wolkenversammler, den
-Vater der Götter und Menschen darstellte; und ich denke daran, wie, der
-Sage nach, der Gott mit seinem Blitz in die Cella schlug und auf diese
-Art dem Meister seine Zufriedenheit ausdrückte. Was war das für ein
-Meister und ein Geschlecht, das Blitzschlag für Zustimmung nahm! Und was
-war das für eine Kunst, die Götter zu Kritikern hatte!
-
-Die Hügel jenseits des Alpheios bilden eine Art Halbkreis, und ich
-empfinde sie fast, unwillkürlich forschend hinüberblickend, als einen
-amphitheatralischen Rundbau für göttliche Zuschauer. Rangen doch auf dem
-schlichten Festplatz unter mir Götter und Menschen um den Preis.
-
-Meinen Sinn zu den Himmlischen wendend, steige ich langsam wieder in das
-Vergessenheit und Verlassenheit atmende Wiesental: das Tal des Zeus, das
-Tal des Dionysos und der Chariten, das Tal des idäischen Herakles, das
-Tal der sechzehn Frauen der Hera, wo auf dem Altar des Pan Tag und Nacht
-Opfer brannten, das Tal der Sieger, das Tal des Ehrgeizes, des Ruhmes,
-der Anbetung und Verherrlichung, das Tal der Wettkämpfe, wo es dem
-Herakles nicht erspart blieb, mit den Fliegen zu kämpfen, die er aber
-nur mit Hilfe des Zeus besiegte und dort hinüber, hinter das jenseitige
-Ufer des Alpheios, trieb.
-
-Und wieder schreite ich zwischen den grauen Trümmern hin, die eine
-schöne Wiese bedecken. Überall saftiges Grün und gelbe Maiblumen. Das
-Elsternpaar von gestern fliegt vor mir her. Die Säulen des Zeustempels
-liegen, wie sie gefallen sind: die riesigen Porostrommeln schräg
-voneinander gerutscht. Überall duftet es nach Blumen und Thymian um die
-Steinmassen, die sich im wohltätigen Scheine der Morgensonne warm
-anfühlen. Von einem jungen Ölbäumchen, nahe dem Zeustempel, breche ich
-mir, in unüberwindlicher Lüsternheit, seltsamerweise zugleich fast scheu
-wie ein Dieb, den geheiligten Zweig.
-
-
-Abschiednehmend trete ich heut das zweitemal vor die Giebelfiguren des
-Zeustempels, in dem kleinen Museum zu Olympia, und dann vor den Hermes
-des Praxiteles. Ich lasse dahingestellt, was offenkundig diese Bildwerke
-unterscheidet, und sehe in Hermes weniger das Werk des Künstlers, als
-den Gott. Es ist hier möglich, den Gott zu sehen, in der Stille des
-kleinen Raums, an den die Äcker und Wiesen dicht herantreten. Und so
-gewiß man in den Museen der großen Städte Kunstwerke sehen kann, vermag
-man hier in die lebendige Seele des Marmors besser zu dringen und fühlt
-heraus, was an solchen Gebilden mehr, als Kunstwerk ist. Die
-griechischen Götter sind nicht von Ewigkeit. Sie sind gezeugt und
-geboren worden.
-
-Dieser Gott ist besonders bedauernswert in seiner Verstümmelung, da ihm
-eine überaus zärtliche Schönheit, ein weicher und lieblicher Adel eigen
-ist. Ambrosische Sohlen sind immer zwischen ihm und der Erde gewesen.
-Man hat ein Bedauern mit seiner Vereinsamung, weil die unverletzliche,
-unverletzte, olympisch-weltferne Ruhe und Heiterkeit noch auf seinem
-Antlitz zu lesen ist, während draußen Altäre und Tempel, fast dem
-Erdboden gleichgemacht, in Trümmern liegen.
-
-Seltsam ist die hingebende Liebe und Schwärmerei, die dem Bildner den
-Meißel geführt hat, als er den Rinderdieb, den Schalk, den Täuscher, den
-schlauen Lügner, den lustigen Meineidigen, den Maultier-Gott und
-Götterboten darstellte, der allerdings auch die Leier erfand.
-
-
-Wie schwärmende Bienen am Ast eines Baumes, so hängen die Menschen am
-Zuge, während wir langsam in Patras einfahren. Lärm, Schmutz, Staub
-überall. Auch noch in das Hotelzimmer dringt der Lärm ohrenbetäubend.
-Geräusche, als ob Raketen platzten oder Bomben geworfen würden,
-unterbrechen das Gebrüll der Ausrufer. Patras ist, nächst dem Piräus,
-der wichtigste Hafenplatz des modernen Griechenland. Wir sehnen uns in
-das Unmoderne.
-
-
-Endlich, nachdem wir eine Nacht hier haben zubringen müssen, sitzen wir,
-zur Abfahrt fertig, wieder im Bahncoupé. Vor den Türen der Waggons
-spielt sich ein tumultuarisches Leben mit allerlei bettelhaften Humoren
-ab. Ein junger, griechischer Bonvivant schenkt einem zerlumpten,
-lümmelhaft aussehenden Menschen Geld, zeigt flüchtig auf einen der
-jugendlichen Händler, die allerlei Waren feilbieten, und sofort stürzt
-sich der bezahlte, tierische Halbidiot auf eben den Händler und walkt
-ihn durch. Noch niemals habe ich überhaupt binnen kurzer Zeit so viele,
-wütende Balgereien gesehen. An zwei, drei Stellen des Volksgewimmels
-klatschen fast gleichzeitig die Maulschellen. Man verfolgt, bringt zu
-Fall, bearbeitet gegenseitig die Gesichter mit den Fäusten: alles, wie
-wenn es so sein müßte, in großer Harmlosigkeit.
-
-
-Zu den schönsten Bahnlinien der Welt gehört diejenige, die von Patras,
-am Südufer des korinthischen Golfes entlang, über den Isthmus nach Athen
-führt. Der Golf und seine Umgebung erinnern an die Gegenden des
-Gardasees. Paradiesische Farbe, Glanz, Reichtum und Fülle in einer
-beglückten Natur. Der Isthmus zeigt einen anderen Charakter:
-Weideflächen, vereinzelte Hirten und Niederlassungen. Am Nordrand durch
-Hügel begrenzt, die, bedeckt von den Wipfeln der Aleppo-Kiefer, zum
-Wandern anlocken. Alles ist hier von einer erfrischenden, beinahe
-nordischen Einfachheit.
-
-Die grünen Flächen der Landenge liegen in beträchtlicher Höhe über dem
-Meere. Nach den großartigen und prunkhaften Wirkungen des
-peloponnesischen Nordufers überrascht diese schlichte und herbe
-Landschaft und berührt wohltätig. Eine Empfindung kommt über mich, als
-sähe ich diese Fluren nicht zum ersten Mal. Das Vertraute daran ist, was
-überrascht. Ich kann nicht sagen, daß mich etwa je auf der italienischen
-Halbinsel eine Empfindung des Heimischen, so wie hier, beschlichen
-hätte. Dort blieb immer der Reiz: das schöne Fremdartige. Ich spüre
-schon jetzt: ich liebe dies Land. Schon jetzt, im Anfang, erfaßt die
-Erkenntnis mich, wie ein Rausch, daß eben nur dieser Grund die wahre
-Heimat der Griechen sein konnte.
-
-Ich spreche den Namen Theseus aus. Und nun hat sich in mir ein
-psychischer Vorgang vollzogen, der mich, angesichts des isthmischen,
-ernsten Landgebiets, der griechischen Art, sich Halbgötter vorzustellen,
-näher bringt. Ich empfinde und sehe in Theseus den Mann von Fleisch und
-Blut, der wirklich gelebt und dessen Fuß diese Landenge überschritten
-hat; der, zum Heros gesteigert, noch immer so viel vom Menschen besaß,
-als vom Gott und auch so noch mit der Stätte seines Wanderns und Wirkens
-verbunden blieb.
-
-Warum scheuen wir uns und erachten für trivial, unsere heimischen
-Gegenden, Berge, Flüsse, Täler zu besingen, ja, ihre Namen nur zu
-erwähnen in Gebilden der Poesie? Weil alle diese Dinge, die als Natur
-jahrtausendelang für teuflisch erklärt, nie wahrhaft wieder geheiligt
-worden sind. Hier aber haben Götter und Halbgötter, mit jedem weißen
-Berggipfel, jedem Tal und Tälchen, jedem Baum und Bäumchen, jedem Fluß
-und Quell vermählt, alles geheiligt. Geheiligt war das, was über der
-Erde, auf ihr und in ihr ist. Und rings um sie her, das Meer, war
-geheiligt. Und so vollkommen war diese Heiligung, daß der Spätgeborene,
-um Jahrtausende Verspätete, daß der Barbar noch heut -- und sogar in
-einem Bahncoupé -- von ihr im tiefsten Wesen durchdrungen wird.
-
-Man muß die Bäume dort suchen, wo sie wachsen, die Götter nicht in einem
-gottlosen Lande, auf einem gottlosen Boden. Hier aber sind Götter und
-Helden Landesprodukte. Sie sind dem Landmann gewachsen, wie seine
-Frucht. Des Landbauers Seele war stark und naiv. Stark und naiv waren
-seine Götter.
-
-Theseus, um es noch einmal zu sagen, ist also für mich kein
-riesenmäßiger, leerer Schemen mehr, ich empfinde ihn einerseits nah,
-schlicht und materialisch, als Kind der Landschaft, die mich umgibt.
-Andererseits erkenne ich ihn als das, wozu ihn die Seele des Griechen
-erhoben hat, die aber doch Gott, wie Landeskind, an die Heimat bannte.
-
-Die Landschaft behält, von einer Strecke dicht über dem Meere abgesehen,
-fortan den ernsten Ausdruck. Der Abend beginnt zu dämmern, ja,
-verdüstert sich zu einer großartigen Schwermut, von einem Zauber, der
-eher nordisch, als südlich ist. Es fällt lauer Regen. Das graue Megara,
-das einen Hügel überzieht, wirkt wie eine geplünderte Stadt. Zwischen
-Schutthaufen, in ärmlichen Winkeln halb eingestürzter Häuser, scheinen
-die Menschen zu leben. Man glaubt eine Stadt zu sehen, über die ein
-Eroberer mit Raub, Brand und Mord seinen Weg genommen hat.
-
-Kurz hinter Eleusis steigt der Zug nochmals bergan, durch die Vorhöhen
-des Parnes. Bei tieferer Dunkelheit, zunehmendem Regen und kalter Luft
-kommt mir die steinigte Einöde, in die ich hineinstarre, fast norwegisch
-vor. Ich bin sehr glücklich über den Wetterumschlag, der mir die
-ungesunde Vorstellung eines ewiglachenden Himmels nimmt. Die Gegend ist
-menschenleer. Nur selten begegnet die dunkle Gestalt eines Hirten,
-aufrecht stehend, dicht in den wolligen Mantel gehüllt. Und während der
-kalte und feuchte Wind meine Stirne kühlt, Regentropfen mir ins Gesicht
-wirft, und ich die starke, kalte Regen- und Bergluft in mich einsauge,
-hat sich ein neues Band geknüpft zwischen meinem Herzen und diesem
-Lande.
-
-Was Wunder, wenn durch die Erregung der langen Fahrt, in Dunkelheit, in
-Wind und Wetter, einer höchsten Erfüllung nah, die Seele in einen
-luziden Zustand gerät, wo es ihr möglich wird, von allem Störenden
-abzusehen und deutliche Bilder längst vergangenen Lebens in die
-phantastische, sogenannte Wirklichkeit hineinzutragen. Fast erlebe ich
-so den tapferen Bergmarsch eines Trupps atheniensischer Jünglinge, etwa
-zur Zeit des Perikles, und freue mich, wie sie, gesund und wetterhart,
-der Unbill von Regen und Wind, wie wir selbst es gewohnt sind, wenig
-achten. Ich lerne die ersten Griechen kennen. Ich freunde mich an mit
-diesem Schwarm, ich höre die jungen Leute lachen, schwatzen, rufen und
-atmen. Ich frage mich, ob nicht vielleicht am Ende Alcibiades unter
-ihnen ist? Es ist mir, als ob ich auch ihn erkannt hätte! Und dies
-Erleben wird so durchaus eine Realität, daß irgend etwas so Genanntes
-für mich mehr Realität nicht sein könnte.
-
-Wir rollen hinab in die attische Ebene. Die Lichter einer Stadt, die
-Lichter Athens, tauchen ferne auf. Das Herz will mir stocken ...
-
-Ein grenzenloses Geschrei, ein Gebrüll, das jeder Beschreibung spottet,
-empfängt uns am Bahnhof von Athen. Mehrere hundert Kehlen von Kutschern,
-Gepäckträgern und Hotelbediensteten überbieten sich. Ich habe einen
-solchen Schlachttumult bis diesen Augenblick, der meinen Fuß auf
-athenischen Boden stellt, nicht gehört. Die Nacht ist dunkel, es gießt
-in Strömen.
-
-
-Eine Stadt, wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwischen
-Akropolis und Lykabethos einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn
-überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit
-ungestört hingeben kann. Zum dritten Mal bin ich nun im Theater des
-Dionysos, dessen sonniger Reiz mich immer aufs neue anlockt. Es hält
-schwer, sich an dieser Stelle in die furchtbare Welt der Tragödie zu
-versetzen, hier, wo sie ihre höchste Vollendung gefunden hat. Das, was
-ihr vor allem zu eignen scheint, das Nachtgeborene, ist von den Sitzen,
-aus der Orchestra und von der Bühne durch das offene Licht der Sonne
-verdrängt. Weißer und blendender Dunst bedeckt den Himmel, der Wind weht
-schwül, und der Lärm einer großen Stadt mit Dampfpfeifen, Wagengerassel,
-Handwerksgeräuschen und dem Geschrei der Ausrufer überschwemmt und
-erstickt, von allen Seiten herandringend, jedweden Versuch zur
-Feierlichkeit.
-
-Was aber auch hier sogleich in meiner Seele sich regt und festnistet,
-fast jeder andren Empfindung zuvorkommend, ist die Liebe. Sie gründet
-sich auf den schlichten und phrasenlosen Ausdruck, den hier die Kunst
-eines Volkes gewonnen hat. Alles berührt hier gesund und natürlich, und
-nichts in dieser Anlage erweckt den Eindruck zweckwidriger Üppigkeit
-oder Prahlerei. Irgendwie gewinnt man, lediglich aus diesen
-architektonischen Resten, die Empfindung von etwas Hellem,
-Klar-Geistigem, das mit der Göttin im Einklang steht, deren
-kolossalisches Standbild auf dem hinter mir liegenden Felsen der
-Akropolis errichtet war, und deren heilig gesprochenen Vogel, die Eule,
-man aus den Löchern der Felswand, und zwar in den lichten Tag und bis in
-die Sitzreihen des Theaters hinein, rufen hört.
-
-Ich wüßte nicht, wozu der wahrhaft europäische Geist eine stärkere Liebe
-fühlen sollte, als zum Attischen. Bei Diodor, den ich leider nur in
-Übersetzung zu lesen verstehe, wird gesagt: die alten Ägypter hätten der
-Luft den Namen Athene gegeben, und Glaukopis beziehe sich auf das
-himmlische Blau der Luft. Der Geist, der hier herrschte, blieb leicht
-und rein und durchsichtig, wie die attische Luft, auch nachdem das
-Gewitter der Tragödie sie vorübergehend verfinstert, der Strahl des Zeus
-sie zerrissen hatte.
-
-Als höchste menschliche Lebensform erscheint mir die Heiterkeit: die
-Heiterkeit eines Kindes, die im gealterten Mann oder Volk entweder
-erlischt, oder sich zur Kraft der Komödie steigert. Tragödie und Komödie
-haben das gleiche Stoffgebiet: eine Behauptung, deren verwegenste
-Folgerungen zu ziehen, der Dichter noch kommen muß. Der attische Geist
-erzeugt, wie die Luft eines reinen Herbsttages, in der Brust jenen
-wonnigen Kitzel, der zu einem beinahe nur innen spürbaren Lachen reizt.
-Und dieses Lachen, durch den Blick in die Weite der klaren Luft genährt,
-kann sich wiederum bis zu jenem steigern, das im Tempel des Zeus gehört
-wurde, zu Olympia, als die Sendboten des Caligula Hand anlegten, um das
-Bild des Gottes nach Rom zu schleppen.
-
-Man soll nicht vergessen, daß Tragödie und Komödie volkstümlich waren.
-Es sollen das diejenigen nicht vergessen, die heute in toten Winkeln
-sitzen. Beide, Tragödie, wie Komödie, haben nichts mit schwachen,
-überfeinerten Nerven zu tun, und ebensowenig, wie sie, ihre Dichter --
-am allerwenigsten aber ihr Publikum. Trotzdem aber keiner der Zuschauer
-jener Zeiten, etwa wie viele der heutigen, beim Hühnerschlachten
-ohnmächtig wurde, so blieb, nachdem die Gewalt der Tragödie über ihn
-hingegangen war, die Komödie eines jeden unabweisliche Gegenforderung:
-und das ist gesund und ist gut.
-
-Die ländlichen Dionysien wurden an der Südseite der Akropolis, im
-Lenäon, nach beendeter Weinlese abgehalten. Was hindert mich, trotzdem,
-das sogenannte Schlauchspringen mir unten in der Orchestra meines
-Theaters vorzustellen? Man sprang auf einen geölten, mit Luft gefüllten
-Schlauch, und suchte, einbeinig hüpfend, darauf Fuß zu fassen. Das ist
-der Ausdruck überschäumender Lustigkeit, ein derber überschüssiger
-Lebensmut. Und nicht aus dem Gegenteil, nicht aus der Schwäche und
-Lebensflucht entstehen Tragödie und Komödie!
-
-Ein deutscher Kegelklub betritt, von einem schreienden Führer belehrt,
-den göttlichen Raum. Man sieht es den hilflos tagblinden Augen der
-Herren an, daß sie vergeblich hier etwas Merkwürdiges suchen. Ich würde
-ihren gelangweilten Seelen gönnen, sich wenigstens an der Vorstellung
-aufzuheitern, dem tollen Sprung auf den öligen Schlauch, die mich
-ergötzt.
-
-
-Heut betrete ich, ich glaube zum viertenmal, die Akropolis. Es ist
-länger als fünfundzwanzig Jahre her, daß mein Geist auf dem Götterfelsen
-heimisch wurde. Damals entwickelte uns ein begeisterter Mann, den
-inzwischen ein schweres Schicksal ereilt hat, seine Schönheiten. Es ist
-aber etwas anderes, von jemand belehrt zu werden, der mit eigenen Augen
-gesehen hat, oder selber die steilen Marmorstufen zu den Propyläen
-hinaufzusteigen und mit eignen Augen zu sehn.
-
-Ich finde, daß diese Ruinen einen spröden Charakter haben, sich nicht
-leicht dem Spätgeborenen aufschließen. Ich habe das dunkle Bewußtsein,
-als ob etwa über die Säulen des Parthenon von da ab, als man sie wieder
-zu achten anfing, sehr viel Berauschtes verfaßt worden wäre. Und doch
-glaube ich nicht, daß es viele gibt, die von den Quellen der Berauschung
-trunken gewesen sind, die wirklich im Parthenon ihren Ursprung haben.
-
-Wie der Parthenon jetzt ist, so heißt seine Formel: Kraft und Ernst!
-Davon ist die Kraft fast bis zur Drohung, der Ernst fast bis zur Härte
-gesteigert. Die Sprache der Formen ist so bestimmt, daß ich nicht einmal
-glauben kann, es sei durch die frühere, bunte Bemalung ihrem Ausdruck
-etwas genommen worden.
-
-Ich habe das schwächliche Griechisieren, die blutlose Liebe zu einem
-blutlosen Griechentum niemals leiden mögen. Deshalb schreckt es mich
-auch nicht ab, mir die dorischen Tempel bunt und in einer für manche
-Begriffe barbarischen Weise bemalt zu denken. Ja, mit einer gewissen
-Schadenfreude gönne ich das den Zärtlingen. Ich nehme an, es gab dem
-architektonischen Eindruck eine wilde Beimischung. Möglicherweise
-drückte das Grelle des farbigen Überzugs den naiven Stand der
-Beziehungen zwischen Göttern und Menschen aus, indem er fast
-marktschreierisch zu festlichen Freuden und damit zu tiefer Verehrung
-einfing.
-
-Jeder echte Tempel ist volkstümlich. Trotz unserer europäischen Kirchen
-und Kathedralen glaube ich, gibt es bei uns keine echten Tempel in
-diesem Betrachte mehr. Vielleicht aus dem Grunde, weil sich bei uns die
-Lebensfreude von der Kirche geschieden hat, die nur noch gleichsam den
-Tod und die Gruft verherrlicht. Die Kirchen bei uns sind Mausoleen:
-wobei ich nur an die katholischen denke. Einen protestantischen Tempel
-gibt es nicht. Da nun aber das Leben lebt und lebendig ist, so erzeugt
-sich auch immer unfehlbar wieder der Trieb zur Freude. Und er ist es,
-der heute das Theater, den gefährlichsten Konkurrenten der Kirche,
-geschaffen hat. Ich behaupte, was heut die Menschen zur Kirche treibt,
-ist entweder Todesangst oder Suggestion. Das Theater bedarf solcher
-Mittel nicht, um Menschen in seine Räume zu bringen. Dorthin drängen sie
-sich vielmehr, wie Spatzen, von einem fruchtbeladenen Kirschbaume
-angelockt.
-
-Wenn heut bei uns eine Gauklergesellschaft auf dem Dorfplan Zelte
-errichtet, herrscht sogleich unter der Mehrzahl der Dörfler, vor allem
-aber unter den Kindern, festliche Aufregung. Kunstreiter oder
-Bänkelsänger mit der neuesten Moritat, sie genießen, obgleich in Acht
-und Bann seit Jahrtausenden, immer die gleiche, natürliche Zuneigung.
-Der Karren des Thespis war nicht in Acht und Bann getan; ja, Thespis
-erhielt im Theater, im heiligen Bezirk des Dionysos, seine Statue, und
-doch scheint er auch nur mit der Moritat von Ikarios umhergezogen zu
-sein. Kurz, was heute in Theater und Kirche zerfallen ist, war damals
-ganz und eins; und, weit entfernt ein memento mori zu sein, lockte der
-Tempel ins höhere, festliche Leben, er lockte dazu, wie ein buntes,
-göttliches Gauklerzelt.
-
-Während unsre Kirchen eigentlich nur den Unterirdischen geweiht zu sein
-scheinen, galten die griechischen Tempel als Wohnung der Himmlischen.
-Deshalb senkten sie lichte Schauder ins Herz, statt der dunklen, und die
-Pilger ergriff zugleich, in der olympischen Nähe, Furcht, Seligkeit,
-Sehnsucht und Neid.
-
-
-Starker Wind. Gesundes, sonniges Wetter. In der Luft wohnt deutscher
-Frühling. Der Parthenon: stark, machtvoll, ohne südländisches Pathos,
-rauscht im Winde laut, wie eine Harfe oder das Meer. Ein deutscher
-Grasgarten ist um ihn herum. Frühlingsblumen beben im Luftzug. Um alle
-die heiligen Trümmer auf dem grünen Plateau der Akropolis weht
-Kamillen-Arom. Es ist ein unsäglich entzückender Zustand, zwischen den
-schwankenden Gräsern auf irgendeinem Stück Marmor zu sitzen, die Augen
-schweifen zu lassen, über die blendend helle, attische Landschaft hin.
-Hymettos zur Linken, Penthelikon, als Begrenzung der Ebene. Der Parnes,
-bei leichter Rückwärtswendung des Kopfes sichtbar. Silbergraue
-Gebirgswälle, im weiten Kreisbogen um Athen und den Götterfelsen
-gelagert, der mit dem Parthenon auf dem Scheitel alles beherrscht. Hier
-stand Athene, aufrecht, mit der vergoldeten Speerspitze. Vom Parnes
-grüßte der Zeus Parnethios, vom Hymettos grüßte der Zeus Hymethios. Vom
-Penthele ein zweites Bild der Athene. Attika war von Göttern bewohnt,
-von Göttern auf allen umliegenden Höhen bewacht, die einander mit
-göttlichen Brauen zuwinkten. Geradeaus, unter mir, liegt tiefblau, in
-die herrliche Bucht geschmiegt, das Meer. Aegina und Salamis grüßen
-herüber ... Ich atme tief! ...
-
-
-Ich sitze auf einem Priestersessel im Theater des Dionysos. Hähne
-krähen; es ist, als ob Athen und die Demen nur von Hähnen bewohnt wären.
-Der städtische Lärm tritt heut ein wenig zurück, und das Geschrei der
-Ausrufer ist durch das oft wiederholte Geschrei von weidenden Eseln
-abgelöst. Brütende Sonne erwärmt die gelblichen Marmorsessel und
-Marmorstufen.
-
-Etwa 30000 Zuschauer wurden auf diesen Stufen untergebracht, von denen
-nicht allzuviele Reihen erhalten sind; und hinter und über der letzten,
-obersten Reihe thronten die Götter: denn dort überragt das ganze Theater
-die rötliche Felswand der Akropolis, gewiß noch heut der seltsamste,
-rätselvollste und zugleich lehrreichste Fels der Welt.
-
-Noch heute, jenseit von allem Aberglauben jener Art, wie er im Altertum
-im Volke lebt und dichtet, empfinde ich doch die Kraft, die schaffende
-Kraft dieses Glaubens tief, und wenn mein Wille allein es meistens ist,
-der die ausgestorbene Götterwelt zu beleben sucht, hier, angesichts
-dieses ragenden Felsens, erzeugt sich augenblicksweise, fast
-unwillkürlich ein Rausch der Göttergegenwart. Zweifellos war es ein Grad
-der Ekstase, der jene Dreißigtausend hier, auf dem geheiligten Grund des
-Eleutherischen Dionysos, im Angesichte der heiligen Handlung des
-Schauspiels befiel, den zu entwickeln dem glaubensarmen Geschlecht von
-heut das Mittel abhanden gekommen ist. Und ich stehe nicht an, zu
-behaupten, daß alle Tragiker, bis Euripides, so sehr sie sich von der
-derb naiven Gläubigkeit der Menge gesondert haben mögen, von
-Gottesfurcht oder Götterfurcht und vom Glauben an ihre Wirklichkeit,
-besonders hier, am Fuße und im Bereich des Gespensterfelsens,
-durchdrungen gewesen sind.
-
-Die Akropolis ist ein Gespensterfelsen. In diesem Theater des Dionysos
-gingen Gespenster um. In zahllosen Löchern des rotvioletten Gesteins
-wohnten die Götter, wie Mauerschwalben. Es ist eine enggedrängte,
-überfüllte, göttliche Ansiedelung: hatten doch, nach Pausanias, die
-Athener für das Göttliche einen weit größeren Eifer, als die übrigen
-Griechen. Die Art, wie sie allen möglichen Göttern Asyle und wieder
-Asyle gründeten, deutet auf Angst. Während ich solchen Gedanken
-nachhänge, höre ich hinter mir wiederum den Vogel der Pallas, aus einem
-Felsloch, klägliche Laute in den Tag hineinwimmern und stelle mir vor,
-wie wohl die atemlos lauschenden Tausende ein Schauer bei diesem Ruf
-überrieselt hat.
-
-Die Seelenverfassung der großen Tragiker wurde unter anderem auch von
-dem Umstand bedingt, daß sie Götter als Zuschauer hatten. Daß es so war,
-ist für mich eine Wirklichkeit. Die Woge des Glaubens, die ihnen aus
-dreißigtausend Seelen entgegenschlug, verstärkt durch die Nähe
-göttlicher Troglodyten und Tempelbewohner des Felsens, war allein schon
-wie eine ungeheure Sturzwelle, und jede Skepsis wurde hinweggespült.
-
-»An der sogenannten südlichen Mauer der Burg, dem Theater zugekehrt, ist
-ein vergoldetes Haupt, der Gorgone Medusa geweiht, und um dasselbe ist
-die Ägide angebracht. Am Giebel des Theaters ist im Felsen unter der
-Burg eine Grotte; auch über dieser steht ein Dreifuß; in ihr sind Apollo
-und Artemis, wie sie die Kinder der Niobe töten«, schreibt Pausanias.
-Ein Heiligtum der Artemis Brauronia ist auf der Burg. Der große Tempel
-der Pallas Athene, ein Heiligtum des Erechtheus, des Poseidon, Altäre
-des Zeus, zahllose Statuen von Halbgöttern, Göttern und Heroen sind da,
-Äskulap hat im Felsen sein Heiligtum, Pan seine Grotte, sogar Serapis
-hat seinen Tempel. Zwei Grotten standen Apollon zu, dem »Apoll unter der
-Höhe«. Ein tiefer Felsspalt ist der Ort, wo der Gott Creusa, die Tochter
-Erechtheus', überraschte und den Stammvater aller Jonier mit ihr zeugte.
-Hephästos besaß seinen Altar und so fort.
-
-Alle diese Gottheiten lebten nicht nur auf der Burg. Sie durchwanderten
-bei Nacht und sogar am Tage die Straßen der Stadt. Der Mann aus dem
-Volke, das Weib aus dem Volke war nicht imstande, die Gebilde des
-nächtlichen Traums von denen des täglichen Traums zu sondern. Beide
-waren ihnen so gut, wie das, was sie sonst mit Augen wahrnahmen,
-Wirklichkeit.
-
-Die Tragiker hatten Götter als Zuschauer, und dadurch wurde nicht nur
-die Grundverfassung ihrer Seele mit bedingt, sondern die Art des Dramas,
-das sie hervorbrachten. Auch in diesem Drama traten Götter und Menschen
-im Verkehr miteinander auf, und es ward damit, in einem gewissen Sinne,
-das geheiligte Spiegelbild der ins Erhabene gesteigerten Volksseele. Was
-wäre ein Dichter, dessen Wesen nicht der gesteigerte Ausdruck der
-Volksseele ist!
-
-
-Es ist der Vormittag des 20. April. Ich habe den Felsen des Areopag
-erstiegen. Zwei Soldaten schlafen in einer versteckten Mulde. Esel
-schreien; Hähne krähen. Der Ort ist verunreinigt. An einem Teile des
-Felsens werden Vermessungen vorgenommen. Wieder liegt das weiße,
-blendende Licht über der Landschaft.
-
-Auf diesem Hügel des Ares, heißt es, ist über den Kriegsgott Gericht
-gehalten worden, in Urzeiten, irgend eines vereinzelten Mordes wegen,
-den er begangen hatte. Hier, sagt man, wurde Orestes gerichtet und
-losgesprochen, trotzdem er die Mutter ermordet hatte. In nächster Nähe
-soll hier ein Heiligtum der Erinnyen gewesen sein, der zürnenden
-Gottheiten, die von den Athenern die Ehrwürdigen, oder ähnlich, genannt
-wurden. Ihre Bildnisse sollen nicht schreckenerregend gewesen sein, und
-erst Äschylos hat ihnen Schlangen ins Haar geflochten.
-
-Es fällt wiederum auf, wie überladen mit Götterasylen der nahe
-Burgfelsen ist: mit Nestern, Gottesgenisten könnte man sagen! Jeder
-Spalt, jede Höhle, jeder Fußbreit Stein war für die oberirdischen,
-unterirdischen oder auch für solche Gottheiten, die im Wasser leben,
-ausgenützt. Es ist erstaunlich, daß sie hier untereinander Frieden
-hielten. Vielleicht geschah es, weil Pallas Athene, als Höchstverehrte,
-über den andern stand.
-
-Man ist hier auf dem Areopag erhaben über der Stadt. Man übersieht einen
-Teil von ihr und den Theseustempel. Man sieht gegenüber, durch ein Tal
-getrennt, die Felsplatten der Pnyx. Man hört die zahllosen Schwalben des
-nahen Burgfelsens zwitschern. Dies Zwitschern wird zu einer sonderbaren
-Musik, wenn man sich an den ersten Gesang der Odyssee und an die
-folgenden Verse erinnert:
-
- »Also redete Zeus' blauäugigte Tochter, und eilend
- Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin ...«
-
-und an die Neigung der Himmlischen überhaupt, sich in allerlei Tiere,
-besonders in Vögel, umzuwandeln.
-
-Ich lasse mich nieder, lausche und betrachte den zwitschernden
-Götterfelsen, die Akropolis. Ich schließe die Augen und finde mich durch
-das Zwitschern tief und seltsam aufgeregt. Es kommt mir vor, indem ich
-leise immer wieder vor mich hinspreche: Der zwitschernde Fels! Die
-zwitschernden Götter! Der zwitschernde Götterfels! als habe ich etwas
-aus der Seele eines naiven Griechen jener Zeit, da man die Götter noch
-ehrte, herausempfunden. Vielleicht, sage ich mir, ist, wenn man eine
-abgestorbene Empfindung wieder beleben kann, damit auch eine kleine,
-reale Entdeckung gemacht.
-
-Und plötzlich erinnere ich mich der »Vögel« des Aristophanes, und es
-überkommt mich zugleich in gesteigertem Maße Entdeckerfreude. Ich bilde
-mir ein, daß mit dieser Empfindung: »der zwitschernde Fels, die
-zwitschernden Götter«, im Anblick der Burg, der Keim jenes göttlichen
-Werkes in der Seele des freiesten unter den Griechen zuerst ins Leben
-getreten ist. Ich bilde mir ein, vielleicht den reinsten und
-glücklichsten Augenblick, einen Schöpfungsakt seines wahrhaft
-dionysischen Daseins, neu zu durchleben, und will es jemand bezweifeln,
-so raubt er mir doch die heitere, überzeugte Kraft der Stunde nicht.
-
- »... Tioto, tioto, tiotix!
- Widerhallte der ganze Olympos.«
-
-
-Frische, nordische Luft. Nordwind. Eine ungeheure Rauch- und Staubwolke
-wird von Norden nach Süden über das ferne Athen hingejagt. Gegen den
-Hymettos zieht der bräunliche Dunst, Akropolis und Lykabettos in
-Schleier hüllend. Ich verfolge, vom Rande der phalerischen Bucht, ein
-beinahe ausgetrocknetes Flußbett, in der Richtung gegen den Parnes.
-Schwalben flattern über den spärlichen Wasserpfützen in lebhafter
-Erwerbstätigkeit. Ich habe zur Linken die letzten Häuser und Gärten der
-Ansiedelung von Neu-Phaleron, hinter einem Feld grüner Gerste, die in
-Ähren steht. Zur Rechten, jenseit des Flußlaufs, gegen das ferne Athen
-hin, sind ebenfalls ausgedehnte Flächen mit Gerste bebaut. Die Finger
-erstarren mir fast, wie ich diese Bemerkung in mein Buch setze. Die
-Landschaft ist fast ganz nordisch. Vereinzelte Kaktuspflanzen an den
-Feldrainen machen den unwahrscheinlichsten Eindruck. Ich beschreite
-einen Feldweg. Um mich, zu beiden Seiten, wogt tiefgrün die Gerste. Man
-muß die Alten und das Getreide zusammendenken, um ganz in ihre sinnliche
-Nähe zu gelangen, mit ihnen vertraut, bei ihnen heimisch zu sein.
-
-Die Akropolis, mit dem Parthenon, erhebt sich unmittelbar aus der weiten
-Prärie, aus der wogenden See grüner Halme, empor.
-
-Ich kreuze die Landstraße, die von Athen in grader Linie nach dem Piräus
-hinunter führt, und stoße auf eine niederländische Schänke, unter
-mächtigen, alten Eschen, die an Ostade oder Breughel erinnert. Ich
-erblicke, mich gegen Athen wendend, über dem Ausgangspunkt der Straße
-wiederum die Akropolis mit dem Parthenon. Der Verkehr, mit Mäulern und
-Pferden an hochrädrigen Karren, bewegt sich in zwei fast
-ununterbrochenen Reihen von Athen zum Piräus hinunter und umgekehrt. Es
-wird sehr viel Holz nach Athen geschafft. Unter vielen Mühen, in beinahe
-undurchdringlichen Staubwolken, arbeite ich mich gegen eisigen Wind.
-Hunde und Hühner bevölkern die Landstraße. Im Graben, im Grase, das eine
-dicke Staubschicht überzieht, liegt, grau wie der Staub, ein todmüder
-Esel und hebt seinen mageren Kopf mir zu. Kantine an Kantine begleitet
-die Straße rechts und links in arger Verwahrlosung. Ich bin beglückt,
-als ich einen tüchtigen Landmann, mit zwei guten Pferden, die Hand am
-Pflug, seinen Acker bestellen sehe, ein Anblick, der in all diesem
-jämmerlich verstaubten Elend erquickend ist.
-
-Ich weiche dem Staub, verlasse die Straße, und bewege mich weiter, dem
-Parnes zu, in die Felder hinein. Nun sehe ich die Akropolis wiederum und
-zwar in einem bleichen, kreidigen Licht, zunächst über blühenden
-Obstgärten auftauchen. Der Parthenongiebel steht, klein wie ein
-Spielzeug, kreidig-bleich. In langen Linien schießen die Schwalben dicht
-über das Gras der Auen und über die Ähren der Gerstenfelder hin. Ich muß
-an den Flug der Götter denken, an den schemenhaft die ganze Landschaft
-beherrschenden, zwitschernden Götterfels, und wie von Athene gesagt ist:
-
- »Plötzlich entschwand sie den Blicken und gleich der Schwalbe von
- Ansehn
- Flog sie empor ...«
-
-Wie muß dem frommen Landbewohner mitunter der Flug und der Ruf der
-Schwalbe erschienen sein! Wie wird er seinen verehrenden Blick zuzeiten
-bald gegen das Bild des Zeus auf dem nahen Parnes, bald gegen die ferne,
-überall sichtbare, immer leuchtende Burg der Götter gerichtet haben! Von
-dorther strichen die Schwalben, dorthin verschwanden sie in geschwindem
-Flug. Und ähnlich, nicht allzuviel schneller, kamen und gingen die
-Götter, die keineswegs, wie unser Gott, allgegenwärtig gewesen sind.
-
-
-Auf dem heiligen Wege, von Athen nach Eleusis hinüber, liegt an der
-Paßhöhe, zwischen Bergen, das kleine griechische Kloster Daphni. Ich
-weiß nicht, welches rätselhafte Glück mich auf der Fahrt hierher
-überkommen hat. Vielleicht war es zunächst die Freude, mit jedem
-Augenblick tiefer in ein Gebiet des Pan und der Hirten einzudringen.
-
-Überall duftet der Thymian. Er schmückt, strauchartig, die grauen
-Steinhalden, auch dort, wo die wundervolle Aleppo-Kiefer, der Baum des
-Pan, nicht zu wurzeln vermag. Aber Kiefer und Thymian vermischen überall
-ihre Düfte und füllen die reine Luft des schönen Bergtals mit
-Wohlgeruch.
-
-Der Hof des Klosters, in den wir treten, ist ebenfalls von
-weihrauchartigen und von grunelnden Düften erfüllt. Am Grunde schmücken
-ihn zahllose, weiße und gelbe Frühlingsblumen, die ihre Köpfchen den
-warmen Strahlen des griechischen Frühlingsmorgens darbieten. An einem
-gestutzten Baum ist die Glocke des Klosters aufgehängt, Sommers und
-Winters den atmosphärischen Einflüssen preisgegeben und darum bedeckt
-mit einer schönen, bläulichen Patina. Ein Hündchen, im Winkel des Hofes,
-vor seiner Hütte, wedelt uns an. Trotzdem es nach Bienen und Fliegen
-schnappen kann, deren wohlig schwelgerisches Gesumm allenthalben
-vernehmlich ist, scheint es sich doch in dieser entzückenden, gleichsam
-verwunschenen Stille zu langweilen.
-
-Antike Säulenreste, Trommeln und Kapitale, liegen umher, auf denen sich
-Sperlinge, pickend und lärmend, umhertreiben. Sie besuchen den Brunnen,
-an dem eine alte, hohe Cypresse steht, türkischer Sitte gemäß, als
-Wahrzeichen.
-
-Das Innere der Klosterkirche bietet ein Bild der Verwahrlosung. Die
-Mosaiken der Kuppel sind fast vernichtet, die Ziegelwände von Stuck
-entblößt. Aber der häusliche Laut der immerfort piepsenden Sperlinge und
-warme Sonne dringt vom Hofe herein, dazu der Ruf des Kuckuck herab aus
-den Bergen, und der kleine Altar, von gläubigen Händen zärtlich
-geschmückt, verbreitet mit seinem braunen Holzwerk, mit seinen Bildchen
-und brennenden Kerzen, einen treuherzig-freundlichen Geist der
-Einfachheit.
-
-Unsern Weg durch die Hügel abwärts fortsetzend, haben wir eine Stelle zu
-beachten, wo vor Zeiten ein Tempel der Venus stand. Nicht weit davon
-bemerken wir, unter einer Kiefer, in statuarischer Ruhe aufgerichtet,
-die Gestalt eines Hirten, dessen langohrige Schafe, im Schatten des
-Baumes zusammengedrängt, um ihn her lagern und wie ein einziges Fließ
-den Boden bedecken.
-
-Was mich auf dieser heiligen Straße besonders erregt, ist das Hallende.
-Überall zwischen den Bergen schläft der Hall. Die Laute der Stimmen, die
-Rufe der Vögel, wecken ihn in den schlafenden Gründen. Ich stelle mir
-vor, daß jemand, den eine unbezwingliche Sehnsucht treibt, sich in die
-untergegangene Welt der Hellenen, wie in etwas noch Lebendiges
-einzudrängen, auf ein besseres Mittel schmerzhaft-seliger Täuschung
-nicht verfallen könnte, als durch das verwaiste Griechenland nur immer
-geliebte Namen zu rufen, wie Herakles einst den Hylas rief. Gleichwie
-nun die Stimme des Hylas, des Gestorbenen, im Echo gespenstisch, wie
-eines Lebenden Stimme, antwortete, so, meine ich, käme dem Rufe des
-wahren Pilgers jedweder heilige Name, aus dem alten, ewigen Herzen der
-Berge, fremd, lebendig und mit Gegenwartsschauern zurück.
-
-Wir sind nun an den Rand der Eleusinischen Bucht gelangt, die durch die
-Höhenzüge der Insel Salamis gegen das Meer hin geschützt, einem
-friedlichen Landsee ähnlich ist. Ich habe niemals das Galiläische Meer
-gesehen, und doch finde ich mich an Jesus und jene Fischer gemahnt, die
-er zu Menschenfischern zu machen unternahm. Das biblische Vorgefühl
-findet auf der weißen Landstraße längs des Seeufers unerwartet eine
-Bestätigung, als das klassische Bild der Flucht nach Ägypten lebendig an
-uns vorüberzieht: eine junge, griechische Bäuerin auf dem Rücken des
-Maultiers, den Säugling im Arm, von ihrem bärtigen, dunkelhaarigen
-Joseph begleitet.
-
-Die Bucht liegt in einem weißlichen Perlmuttschimmer still und glatt und
-die Augen blendend unter den schönkonturierten Spitzen von Salamis. Die
-Landschaft, im Gegensatz zu dem Tale, aus dem wir kommen, ist offen und
-weit, und scheint einem anderen Lande anzugehören. Dort wo ein seichter
-Fluß, aus den Bergen kommend, sein Wasser mit dem der Bucht vermischt,
-knieen eskimoartig vermummte Wäscherinnen, obgleich weder Haus noch
-Hütte im weiten Umkreis zu sehen ist.
-
-Wie sich etwa die Sinnesart eines Menschen erschließt, durch die
-Scholle, die er bebaut, durch die Heimat, die er für sein Wirken erwählt
-hat, oder durch jene, die ihn hervorbrachte, und festhielt, so
-erschließt sich zum Teil das Wesen der Demeter im Wesen des
-eleusinischen Bezirks. Denn dies ist den griechischen Göttern eigen, daß
-sie mit innigen Banden des Gemüts weniger an den Olymp, als an die
-griechische Muttererde gebunden sind. Kein Gott, der den Griechen
-weniger liebte, als der Grieche den Gott -- oder weniger die griechische
-Heimat liebte und in ihr heimisch wäre, als er!
-
-Jesus, der Heiland und Gottessohn, Jesus der Gott, ist uns durch sein
-irdisch-menschliches Schmerzensschicksal nahegebracht: ebenso den
-Griechen Demeter. Man stelle sich vor, wie der Grieche etwa auf diesem
-heiligen Boden empfand, der wirklich Demeters irdischen Wandel gesehen
-hatte, wo ich, der moderne, skeptische Mensch, sogleich von besonderer
-Weihe durchdrungen ward, als sich das Bild der Landschaft in mir mit
-jener anderen Legende vermählt hatte, die mit einer Kraft ohnegleichen
-heute Zweifler wie Fromme beherrscht.
-
-
-Der heilige Bezirk, mit dem Weihetempel der Demeter, liegt nur wenig
-erhaben über die Spiegelhöhe, am Rande der Bucht. Es sei ferne von mir,
-dieses wärmste und tiefste Mysterium, nämlich das eleusinische,
-ergründen zu wollen: genug, daß es für mich von Sicheln und schweren
-Garben rauscht und daß ich darin das Feuer Apolls mit des Aidoneus
-eisiger Nacht sich vermählen fühle. Übrigens ist ein wahres Mysterium,
-das durch Mysten gepflegt und lebendig erhalten, nicht in Erstarrung
-verfallen kann, ein ewiger Quell der Offenbarung, woraus erhellt, daß
-eben das Unergründliche ganz sein Wesen ist.
-
-Während ich auf den Steinfließen der ehemaligen Vorhalle des Pylon, als
-wäre ich selbst ein Myste, nachdenklich auf und ab schreite, formt sich
-mir aus der hellen, heißen, zitternden Luft, in Riesenmaßen, das Bild
-einer mütterlichen Frau. Ihr Haarschwall, der die Schultern bedeckt und
-herab bis zur Ferse reicht, ist von der Farbe des reifen Getreides. Sie
-wandelt, mehr schwebend als schreitend, aus der Tiefe der fruchtbaren
-eleusinischen Ebene gegen die Bucht heran, und ist von summsenden
-Schwärmen häuslicher Bienen, ihren Priesterinnen, begleitet.
-
-Die wahren Olympier leiden nicht, Demeter ist eine irdisch-leidende
-Göttin, deren mütterliches Schmerzensschicksal selbst durch den
-Richtspruch des Zeus nur gemildert, nicht aufgehoben ist. Auf ihren
-Zügen liegt, unverwischbar, die Erinnerung ausgestandener Qual und es
-kann eine größere Qual nicht geben, als die einer Mutter, die ihr
-verlorenes Kind in grauenhafter Angst und Verzweiflung der Seele sucht.
-Sie hat Persephoneia wieder gefunden und hier zu Eleusis, der
-Weihetempel, auf dessen Boden ich stehe, ist der Ort, von dem aus sie
-die Rückkunft der Tochter und ihre Befreiung aus den Fesseln des
-Tartarus erzwang, und wo Mutter und Tochter das selige Wiedersehen
-feierten. Aber sie genießt auch seither, wie gesagt, nicht das reine,
-ungetrübte, olympische Glück. Nach leidender Menschen Art ist ihr Dasein
-Genuß und Entbehren, Weh der Trennung und Freude der Wiedervereinigung.
-Es ist unlöslich, für immer, gleichwie das Dasein der Menschen, aus
-bitteren Schmerzen und Freuden gemengt.
-
-Das ist es, was sie dem Menschengeschlecht und auch dem Spätgeborenen
-nahebringt, und was sie mehr, als irgendeinen Olympier, heimisch gemacht
-hat auf der Erde.
-
-Es kommt hinzu, daß, während eines Teiles des Jahres, Aidoneus die
-Tochter ins Innere der Erde fordert und dort gefangen hält, wodurch denn
-die seligen Höhen des Olymps, die dem Kerker der Tochter ferne liegen,
-den Füßen der Mutter, mit den eleusinischen Ufern verglichen, unseliger
-Boden sind. Man ist überzeugt, daß Schicksalsschluß die Göttin in das
-Erkenntnisbereich der Menschen verwiesen hat -- in ein beginnendes,
-neues, höheres, zwischen Menschen und Göttern und zwar mit einem
-Ereignis, das, unvergeßlich, das Herz ihres Herzens gleichsam an seinen
-Schauplatz verhaftet hält.
-
-Die »weihrauchduftende« Stadt Eleusis, die Stadt des Keleus, der Königin
-Metaneira sowie ihrer leichtgeschürzten Töchter: Kallidike, Kleissidike,
-Dämo und Kallithoa der »saffranblumengelockten« ist heut nicht mehr,
-aber der Thymianstrauch, der überall um die Ruinen wuchert, verbreitet
-auch heute um die Trümmer warme Gewölke von würzigem Duft. Und die
-Göttin, die fruchtbare, mütterliche, umwandelt noch heut, in alter,
-heiliger Schmerzenshoheit die Tempeltrümmer, die Ebene und die Ufer der
-Bucht. Ich spüre die göttliche Erntemutter, die göttliche Hausfrau, die
-göttliche Kinderbewahrerin, die Gottesgebärerin überall, die ewige
-Trägerin des schmerzhaft süßen Verwandlungswunders.
-
-Was mag es gewesen sein, was die offenen Kellergewölbe unter mir an
-Tagen der großen Feste gesehen haben? Man verehrte hier neben Demeter
-auch den Dionysos. Nimmt man hinzu, daß der Mohn, als Sinnbild der
-Fruchtbarkeit, die heilige Blume der Demeter war, so bedeutet das, in
-zwiefacher Hinsicht, ekstatische Schmerzens- und Glücksraserei. Es
-bleibt ein seltsamer Umstand, daß Brot, Wein und Blut, dazu das
-Martyrium eines Gottes, sein Tod und seine Auferstehung, noch heut den
-Inhalt eines Mysteriums bilden, das einen großen Teil des Erdballs
-beherrscht.
-
-
-Ich liege, unweit von Kloster Daphni, unter Kiefern, auf einem
-Bergabhange hingestreckt. Der Boden ist mit braunen Kiefernadeln
-bedeckt. Zwischen diesen Nadeln haben sich sehr feine, sehr zarte Gräser
-ans Licht gedrängt. Aber ich bin hierher gekommen, verlockt von zarten
-Teppichen weißer Maßliebchen. Sie zogen mich an, wie etwa ein Schwarm
-lieblicher Kinder anzieht, die man aus nächster Nähe sehen, mit denen
-man spielen will. Nun liege ich hier und um mich, am Grunde, nicken die
-zahllosen kleinen, weißen Schwestern mit ihren Köpfchen. Es ist kein
-Wald. Es sind ganz winzige Hungerblümchen, unter denen ich ein
-Ungeheuer, ein wahres Gebirge bin. Und doch strömen sie eine Beseligung
-aus, die ich seit den Tagen meiner Kindheit nicht mehr gefühlt habe.
-
-Und auch damals, in meiner Kindheit, schwebte eine Empfindung, dieser
-ähnlich, nur feiertäglich durch meine Seele. Ich erinnere mich eines
-Traumes, den ich zuweilen in meiner Jugend gehabt habe, und der mir
-jedesmal eine Schwermut in der Seele ließ, da er mir etwas, wie eine
-unwiederbringliche, arkadische Wonne, schattenhaft vorgaukelte. Ich sah
-dann stets einen sonnigen, von alten Buchen bestandenen Hang, auf dem
-ich mit anderen kleinen Kindern bläuliche Leberblümchen abpflückte, die
-sich durch trockenes, goldbraunes Laub zum Lichte hervorgedrängt hatten.
-Mehr war es nicht. Ich nehme an, daß dieser Traum nichts weiter, als die
-Erinnerung eines besonders schönen, wirklich durchlebten
-Frühlingsmorgens war, aber es scheint, daß ein erstes Genießen der
-goldenen Lust, zu der sich die Sinne des Kindes erschlossen, das
-unvergeßliche Glück dieser kurzen Stunde gewesen ist.
-
-Ich liege auf olympischer Erde ausgestreckt. Ich bin, wie ich fühle, zum
-Ursprung meines Kindestraumes zurückgekehrt. Ja, es ward mir noch
-Höheres vorbehalten! Mit reifem Geist, mit bewußten, viel umfassenden
-Sinnen, im vollen Besitz aller schönen Kräfte einer entwickelten Seele,
-ward ich auf dieses feste Erdreich so vieler ahnungsvoll-grundloser
-Träume gestellt, in eine Erfüllung ohnegleichen hinein.
-
-Und ich strecke die Arme weit von mir aus und drücke mein Gesicht
-antäos-zärtlich zwischen die Blumen in diese geliebte Erde hinein. Um
-mich beben die zarten Grashalme. Über mir atmen die niedrigen Wipfel der
-Kiefern weich und geheimnisvoll. Ich habe in mancher Wiese bei
-Sonnenschein auf dem Gesicht oder Rücken gelegen, aber niemals ging von
-dem Grunde eine ähnliche Kraft, ein ähnlicher Zauber aus, noch drang aus
-hartem Geröll, das meine Glieder kantig zu spüren hatten, wie hier ein
-so heißes Glück in mich auf.
-
-Ich bin auf der Rückfahrt von Eleusis nach Athen wieder in diese
-lieblichen Berge gelangt. Die heilige Straße liegt unter mir, die Athen
-mit Eleusis verbindet. Herden von Schafen und Ziegen, die in dem grauen
-Gestein der Talabhänge umhersteigen, grüßen von da und dort mit ihrem
-Geläut, das, melodisch glucksend, an die Geräusche eines plaudernden
-Bächleins erinnert.
-
-In der Nähe beginnt ein Kuckuck zu rufen, zunächst allein: und heiter
-gefragt, schenkt er mir drei Jahrzehnte als Antwort. Es ist mir genug!
-Nun tönt aus den Kiefernhainen von jenseit des heiligen Weges ein
-zweiter Prophet: und beide Propheten beginnen und fahren lange Minuten
-unermüdet fort, sich trotzig und wild, über die ganze Weite des
-Bergpasses hin, wahrscheinlich widersprechende Prophezeiungen zuzurufen.
-
-Und wieder spüre ich um mich das Hallende. Die Rufe der streitenden
-Vögel wecken einen gespenstisch verborgenen Schwarm ihresgleichen zu
-einem Durcheinander von kämpfenden Stimmen auf und mit einer nur
-geringen Kraft der Einbildung höre ich den Lärm des heiligen
-Fackelzuges, von Athen gen Eleusis, aus den Bergen zurückschlagen.
-
-
-Emporgestiegen zu den Gipfeln habe ich rings umher graues Geröll eines
-Bergrückens, Krüppelkiefern und Thymian, Mittagshitze und Mittagslicht.
-Unter mir liegen eingeschlossene Steintäler, verlassen und großartig
-pastoral. Hohe peloponnesische Schneeberge, Hymettos, Likabethos und
-Pentelikon schließen rings den Gesichtskreis ein. Der saronische Golf
-und die eleusinische Bucht leuchten herauf mit blauen Gluten. In heißen,
-zitternden Wolken, zieht überall würzig-bitterer Kräuterduft. Überall
-summen die Bienen der Demeter.
-
-
-Wir betreten heute, gegen zehn Uhr abends, im Lichte des Vollmonds die
-Akropolis. Meine Erwartung, nun gleichsam alle Gespenster der Burg
-lebendig zu sehen, erfüllt sich nicht: Es müßte denn sein, daß sie alle
-in dem heiligen Äther aufgelöst seien, der den ganzen Tempelbezirk
-entmaterialisiert.
-
-Mehr wie am Tage empfinde ich heut, und schon auf den Stufen der
-Propyläen, das Heiligtum, das Bereich der Götter. Ich zögere, weiter zu
-schreiten. Ich lasse mich im tiefen Schlagschatten einer Säule nieder
-und blicke über die Stufen zurück, die ich mir in die magisch-klare
-Tiefe fortgesetzt denke. Zum erstenmal verbindet sich mir das Ganze mit
-dem höheren Geistesleben, besonders des Perikleischen Zeitalters, dem
-der Burgfelsen seine letzte und höchste Weihe verdankt. Das Wirkliche
-wird im Lichte des Mondes schemenhaft unwirklich, und diesem
-Unwirklich-Wirklichen können sich historische Träume leichter
-angleichen.
-
-Als vermöchte der Mond Wärme auszuströmen, so warm ist die Luft und dazu
-klar und still: das Zwitschern der Fledermäuse kommt aus dem Licht-Äther
-unter uns. Man fühlt, wie in solchem göttlichen Äther atmend und
-heimisch in diesem heiligen Bezirk, erlauchte Menschen mit Göttern
-gelebt haben. Hier, über den magischen Abgrund hinausgehoben, in einen
-unsäglich zarten, farbigen Glanz, war der Denker, der Staatsmann, der
-Priester, der Dichter, in Nächten wie diese, mit den Göttern auf
-gleichen Fuß gestellt und atmete, in naher Vertraulichkeit, mit ihnen
-die gleiche elysische Luft.
-
-Man müßte von einem nächtlichen Blühen dieses am Tage so schroffen und
-harten, arg mitgenommenen Olympes reden, von einem Blühen, das
-unerwartet und außerirdisch die alte vergessene Götterglorie um seine
-Felskanten wiederherstellt.
-
-Der Parthenon, von der Hymettosseite gesehen, ist in dieser Nacht nicht
-mehr das Gebilde menschlicher Bauleute. Diese scheinen vielmehr nur
-einem göttlichen Plane dienstbar gewesen zu sein, das Irdische gewollt,
-das Himmlische aber vollbracht zu haben. In diesem Tempel ist jetzt
-nichts Drohendes, nichts Düsteres, nichts Gigantisches mehr, und seine
-Steinmasse, seine irdische Schwere scheint verflüchtigt. Er ist nur ein
-Gebilde der Luft, von den Göttern selbst in einen göttlichen Äther
-hineingedacht und hervorgerufen. Er ist nicht aus totem Marmor
-zusammengefügt, er lebt! von innen heraus warm und farbig leuchtend,
-führt er das selige Dasein der Götter. Alles an ihm wird getragen,
-nichts trägt. Oder aber, es kommt ein Gefühl über dich, daß, wenn du,
-mit deinem profanen Finger, eine der Säulen zu berühren nicht
-unterlassen könntest, diese sogleich zu Staub zerspringen würde vor
-Sprödigkeit.
-
-In dieser Stunde kommt uns die Ahnung von jenem Sein, das die Götter in
-ihrer Verklärung führen, von irdischen Obliegenheiten befreit. Auch
-Götter hatten Erdengeschäfte. Wir ahnen, von welchem Boden Platon zu
-seiner Erkenntnis der reinen Idee sich aufschwang. Welche Bereiche
-erschlossen sich in solchen schönheitstrunkenen Nächten, die warm und
-kristallklar zu ein und demselben Element mit den Seelen wurden ...
-welche Bereiche erschlossen sich den Künstlern und Philosophen hier, als
-den Gästen und nahen Freunden der Himmlischen!
-
-Und damals, wie heute, drang, wie aus den Zelten eines Lustlagers,
-Gesang und Geschrei herauf aus der Stadt. Man braucht die Augen nicht zu
-schließen, um zu vergessen, daß jenes dumpfe Gebrause aus der Tiefe der
-Lärm des Athens von heute ist: vielmehr hat man Mühe das festzuhalten.
-In dieser Stunde, im Glanze des unendlichen Zaubers der Gottesburg,
-pocht und bebt und rauscht für den echten Pilger in allem der alte Puls.
-Und seltsam eindringlich wird es mir, wie das Griechentum zwar begraben,
-doch nicht gestorben ist. Es ist sehr tief, aber nur in den Seelen
-lebendiger Menschen begraben und wenn man erst alle die Schichten von
-Mergel und Schlacke, unter denen die Griechenseele begraben liegt,
-kennen wird, wie man die Schichten kennt, über den mykenäischen,
-trojanischen oder olympischen Fundstellen alter Kulturreste, aus Stein
-und Erz, so kommt auch vielleicht für das lebendige Griechenerbe die
-große Stunde der Ausgrabung.
-
-
-Wir stehen auf dem hohen Achterdeck eines griechischen Dampfers und
-harren der Abfahrt. Der Lärm des Piräus ist um uns und unter uns. Wir
-wollen gen Delphi, zum Heiligtum des Apoll und Dionysos.
-
-Mehr gegen den Ausgang des Hafens liegt ein weiß angestrichenes Schiff,
-ein Amerikafahrer, rings um ihn her auf der Wasserfläche, über die er
-emporragt, steht, wie auf Dielen, nämlich in kleinen Booten, eng
-gedrängt, eine Menschenmenge. Es sind griechische Auswanderer, Leute,
-die das verwunschene Land der Griechenseele nicht ernähren mag.
-
-Dem Hafengebiet entronnen, genießen wir den frischen Luftzug der Fahrt.
-Unsere Herzen beleben sich. Wir passieren das kahle Inselchen, hinter
-dem die Schlacht bei Salamis ihren Verlauf genommen hat, den niedrigen
-Küstenzug, wo Xerxes seinen gemächlichen Thron errichten und vorzeitig
-abbrechen ließ. Der ganze, bescheidene Schauplatz deutet auf enge
-maritime Verhältnisse.
-
-Die bergige Salamis öffnet in die fruchtbare Fülle des Innern ein weites
-Tal. Liebliche Berglehnen, Haine und Wohnstätten werden dem Seefahrer
-verlockend dargeboten: alles zum Greifen nahe! und es ist wie ein
-Abschied, wenn er vorüber muß.
-
-Man weist uns Megara. Wir hätten es von der See aus nicht wiedererkannt:
-Megara, jetzt nur gespenstisch und bleich von seinen Hügeln winkend, die
-Stadt, die Konstantinopel gegründet hat. Wir werden den Weg der
-megarensischen Schiffe in einigen Wochen ebenfalls einschlagen.
-
-Wenn wir nicht, wie bisher, über Steuerbord unseres Dampfers
-hinausblicken, sondern über seine Spitze, so haben wir in der Ferne
-alpine Schneegipfel des Peloponnes vor uns, darunter, vereinzelt, den
-drohenden Felsen der Burg von Korinth.
-
-Wir suchen durch den zitternden Luftraum dieser augenblendenden Buchten
-den Standort des äginetischen Tempels auf, und meine Seele saugt sich
-fest an die lieblichen Inselfluren von Ägina. Warum sollten wir uns in
-der vollen Muße der Seefahrt, zwischen diesen geheiligten Küsten, der
-Träume enthalten und nicht der lieblichen Jägerin Britomartis
-nachschleichen, einer der vielen Töchter des Zeus, von der die Ägineten
-behaupteten, daß sie alljährlich von Kreta herüberkäme, sie zu besuchen.
-
-Gibt es wohl etwas, das wundervoller anmutete, als die nüchterne
-Realität einer Mitteilung des Pausanias, etwa Britomartis angehend, wo
-niemals die Existenz eines Mitglieds der Götterfamilie, höchstens hie
-und da ein lokaler Anspruch der Menschen mit Vorsicht in Zweifel gezogen
-ist.
-
-Nicht nur die Vasenmalereien beweisen es, daß der Grieche sich in allen
-Formen des niederen Eros auslebte: aber der schaffende Geist, der solche
-Gestalten, wie Britomartis, entstehen ließ und ihnen ewige Dauer
-beilegte, mußte das Element der Reinheit, in Betrachtung des Weibes,
-notwendig in sich bergen, aus dem sie besteht: keusch, frisch,
-unbewußt-jungfräulich, ist Britomartis im Stande glückseliger Unschuld
-bewahrt worden. Sie hat mit Amazonen und Nonnen nichts gemein. Es ist in
-ihr weder Männerhaß noch Entsagung, sondern sie stellt, mit dem freien,
-behenden Gang, dem lachenden Sperberauge, der Freude an Wald, Feld und
-Jagd, die gesunde Blüte frischen und herben Magdtums verewigt dar.
-
-Überall auf der Fahrt sind Inseln und Küstenbereiche von lieblicher
-Intimität, und es ist etwas Ungeheueres, sich vorzustellen, wie hier die
-Phantasie eines Volkes, in dem die ungebrochene Weltanschauung des
-Kindes neben exakter und reifer Weisheit des Greisenalters fortbestand,
-jede Krümmung der Küste, jeden Pfad, jeden nahen Abhang, jeden fernen
-und ferneren Felsen und Schneegipfel mit einer zweiten Welt göttlich
-phantastischen Lebens bedeckt und bevölkert hat. Es ist ein Gewirr von
-Inseln, durch das wir hingleiten, uns jener Stätte mit jeder Minute
-nähernd, wo, gleichsam aus einem dunklen Quell, diese zweite Welt mit
-Rätselworten zurück ins reale Leben wirkte und damit zugleich die
-Atmosphäre des Heimatlandes mit neuem, phantastischem Stoff belud. Es
-gibt bei uns keine Entwicklung des spezifisch Kindlichen, das stets
-bewegt, stets gläubig und sprudelnd von Bildern ist, zum Weinen bereit
-und gleich schnell zum Jauchzen, zum tiefsten Abgrund hinabgestürzt und
-gleich darauf in den siebenten Himmel hinaufgeschnellt, glückselig im
-Spiel, wo nichts das vorstellt, was es eigentlich ist, sondern etwas
-anderes, Erwünschtes, wodurch das Kind es sich, seinem Wesen, seinem
-Herzen zu eigen macht.
-
-Der große Schöpfungsakt des Homer hat dem kosmischen Nebel der
-Griechenseele den reichsten Bestand an Gestalten geschenkt, und die
-Zärtlichkeit, die der spätere Grieche ihnen entgegentrug, zeigt sich
-besonders in mancher Mythe, die wieder lebendig zu machen unternimmt,
-was der blinde Homer vor den Schauern des Hades nicht zu retten
-vermochte. Ich weiß nicht, ob hier herum irgendwo Leuke ist, aber ich
-wüßte keine Sage zu nennen, die tiefer in das Herz des Griechen
-hineinleuchtete, als jene, die Helena dem Achill zur Gattin gibt und
-beide in Wäldern und Tempelhainen der abgeschiedenen kleinen Insel Leuke
-ein ewig seliges Dasein führen läßt.
-
-
-Unser Dampfer ist vor dem Eingang zum isthmischen Durchstich angelangt
-und einige Augenblicke stillgelegt. Mein Wunsch ist, wiederzukehren und
-besonders auch auf dem herrlichen Isthmus umherzustreifen, dieser
-gesunden und frischen Hochfläche, die würdig wäre, von starken,
-heiteren, freien und göttlichen Menschen bewohnt zu sein, die noch nicht
-sind. Das Auge erquickt sich an weitgedehnten, hainartig lockeren
-Kieferbeständen, deren tiefes und samtenes Grün, auf grauen,
-silbererzartigen Klippen, hoch an die blaue Woge des Meeres tritt. Auf
-diesen bewaldeten Höhen zur Linken hat man den Platz der isthmischen
-Spiele zu suchen. Man sollte meinen, daß keiner der zahllosen
-Spielbezirke freier und in Betrachtung des ganzen Griechenlandes
-günstiger lag, und ferner: daß nirgend so belebt und im frischen Zuge
-der Seeluft überschäumend die heilige Spiellust des Griechen sich habe
-auswirken können, wie hier.
-
-Die Einfahrt in den Durchstich erregt uns seltsamerweise feierliche
-Empfindungen. Die Passagiere werden still, im plötzlichen Schatten der
-gelben Wände. Wir blicken schweigend zwischen den ungeheuren,
-braungelben Schnittflächen über uns und suchen den Streifen Himmelsblau,
-der schmal und farbig in unseren gelben Abgrund herableuchtet.
-
-Kleine, taumelnde, braun-graue Raubvögel scheinen in den Sandlöchern
-dieser Wände heimisch, ja, der Farbe nach, von ihnen geboren zu sein.
-Eine Krähe, wahrscheinlich von unserm Dampfer aufgestört, strebt,
-ängstlich gegen die Wände schlagend, an die Oberfläche der Erde hinauf.
-Nun bin ich nicht mehr der späte Pilger durch Griechenland, sondern eher
-Sindbad der Seefahrer, und einige Türken, vorn an der Spitze des
-rauschenden Schiffes, jeder mit seinem roten Fez längs der gelblichen
-Ockerschichten gegen den Lichtstreif des Ausganges hingeführt,
-befestigen diese Illusion.
-
-Der Golf von Korinth tut sich auf. Aber während wir noch zwischen nahen
-und flachen Ufern hingleiten, denn wir haben die weite Fläche des Golfes
-noch nicht erreicht, werden wir an einem kleinen Zigeunerlager
-vorübergeführt und sehen, auf einer Art Landungssteg, zerlumpte Kinder
-der, wie es scheint, auf ein Fährboot wartenden Bande mit wilden
-Sprüngen das Schiff begrüßen.
-
-Nach einiger Zeit, während wir immer zur Linken das neue Korinth, die
-weite, mit Gerstenfeldern bestandene Fläche des einstigen alten, das von
-dem gewaltigen Felsen Akrokorinth drohend beschattet wurde und die
-bergigen Küsten des Peloponnes vor Augen hatten, eröffnet sich zur
-Rechten eine Bucht mit den schneebedeckten Gipfeln des Helikon. Eine
-Stunde und länger bleibt er nun, immer ein wenig rechts von der
-Fahrtrichtung, sichtbar, hinter niedrigen, nackten Bergen, die
-vorgelagert sind. Die Luft war bis hierher schwül und still, nun aber
-fällt ein kühler Wind von den Höhen des Heiligen Berges herab und in
-einige Segel, die leicht und hurtig vor ihm her über das blaue Wasser
-des Golfes vorüberschweben.
-
-Aller Schönheit geht Heiligung voraus. Nur das Geheiligte in der
-Menschennatur konnte göttlich werden, und die Vergötterung der Natur
-ging hervor aus der Kraft zu heiligen, die zugleich auch Mutter der
-Schönheit ist. Wir haben heut eine Wissenschaft von der Natur, die
-leider nicht von einem heiligen Tempelbezirk umschlossen ist. Immerhin
-ist sie, und Wissenschaft überhaupt, eine gemeinsame Sache der Nation,
-ja der Menschheit geworden. Was auf diesem Gebiete geleistet wird, ist
-schließlich und endlich ein gemeinsames Werk. Dagegen bleiben die reinen
-Kräfte der Phantasie heute ungenützt und profaniert, statt daß sie am
-großen sausenden Webstuhl der Zeit gemeinsam der Gottheit lebendiges
-Kleid wie einstmals wirkten.
-
-Und deshalb, weil die Kräfte der Phantasie heut vereinzelt und
-zersplittert sind und keine gemäße Umwelt (das heißt: keinen Mythos)
-vorfinden, außer jenem, wie ihn eben das kurze Einzelleben der
-Einzelkraft hervorbringen kann, so ist für den Spätgeborenen der
-Eintritt in diese unendliche, wohlgegründete Mythenwelt zugleich so
-beflügelnd, befreiend und wahrhaft wohltätig.
-
-Sollte man nicht einer gewissen, nur persönlichen Erkenntnis ohne
-Verantwortung nachhängen dürfen, die den gleichen Vorgang, der jemals
-etwas wie eine Tragödie oder Komödie schuf, als Ursprung des ganzen
-Götterolymps, als Ursprung des gesamten, jenem angenäherten Kreises von
-Heroen und Helden sieht? Wo sollte man jemals zu dergleichen den Mut
-gewinnen, wenn nicht auf einem Schiffe im Golf von Korinth, im
-Angesichte des Helikon? Warum hätte sonst Pan getanzt, als Pindar
-geboren worden war? und welche Freude muß unter den Göttern des Olymps,
-von Zeus bis zu Hephaistos und Aidoneus hinunter, ausgebrochen sein, als
-Homer und mit ihm die Götterwelt aufs neue geboren wurde.
-
-Die ersten Gestalten des ersten Dramas, das je im Haupte des Menschen
-gespielt wurde, waren »ich« und »du«. Je differenzierter das
-Menschenhirn, um so differenzierter wurde das Drama! um so reicher auch
-an Gestalten wurde es und auch um so mannigfaltiger, besonders deshalb,
-weil im Drama eine Gestalt nur durch das, was sie von den übrigen
-unterscheidend absetzt, bestehen kann. Das Drama ist Kampf und ist
-Harmonie zugleich, und mit der Menge seiner Gestalten wächst auch der
-Reichtum seiner Bewegungen: und also, in steter Bewegung Gestalten
-erschaffend, in Tanz und Kampf miteinander treibend, wuchs auch das
-große Götterdrama im Menschenhirn, zu einer Selbständigkeit, zu einer
-glänzenden Schönheit und Kraft empor, die jahrtausendelang ihren
-Ursprung verleugnete.
-
-Polytheismus und Monotheismus schließen einander nicht aus. Wir haben es
-in der Welt mit zahllosen Formen der Gottheit zu tun, und jenseit der
-Welt mit der göttlichen Einheit. Diese eine, ungeteilte Gottheit ist nur
-noch ahnungsweise wahrnehmbar. Sie bleibt ohne jede Vorstellbarkeit.
-Vorstellbarkeit ist aber das wesentliche Glück menschlicher Erkenntnis,
-dem darum Polytheismus mehr entspricht. Wir leben in einer Welt der
-Vorstellungen, oder wir leben nicht mehr in unserer Welt. Kurz: wir
-können irdische Götter nicht entbehren, wenngleich wir den Einen,
-Einzigen, Unbekannten, den Alleinen, hinter allem wissen. Wir wollen
-sehen, fühlen, schmecken und riechen, disharmonisch harmonisch das ganze
-Drama der Demiurgen, mit seinen olympischen und plutonischen
-Darstellern. Im »Christentum« macht der Sohn Gottes einen verunglückten
-Besuch in dieser Welt, bevor er sie aufgibt und also zertrümmert. Wir
-aber wollen sie nicht aufgeben, unsere Mutter, der wir verdanken, was
-wir sind, und wir bleiben im Kampf, verehren die kämpfenden Götter, die
-menschennahen; freilich vergessen wir auch den menschenfernen, den Gott
-des ewigen Friedens nicht.
-
-
-Ein kalter Gebirgswind empfängt uns bei der Einfahrt in die Bucht von
-Galaxidhi, den alten Krisäischen Meerbusen, und überraschenderweise
-scheint es mir, als liefe unser Schiff in einen Fjord und wir befänden
-uns in Norwegen, statt in Griechenland. Beim Anblick der Nadelwälder,
-von denen die steile Flanke der Kiona bedeckt ist, erfüllt mich das
-ganze starke und gesunde Bergglück, das mir eingeboren ist. Es zieht
-mich nach den Gipfeln der waldreichen Kiona hinauf, wohin ich die
-angestrengten Blicke meiner Augen aussende, als vermöchte ich dort noch
-heut einen gottselig begeisterten Schwarm rasender Bacchen zwischen den
-Stämmen aufzustöbern. Es liegt in mir eine Kraft der Zeitlosigkeit, die
-es mir, besonders in solchen Augenblicken, möglich macht, das Leben als
-eine große Gegenwart zu empfinden: und deshalb starre ich immer noch
-forschend hinauf, als ob nicht Tausende von Jahren seit dem letzten
-Auszug bacchischer Schwärme vergangen wären, und es klingt in mir
-ununterbrochen:
-
- Dahin leite mich, Bromios, der die bacchischen Chöre führt!
- Da sind Chariten, Liebe da,
- Da dürfen frei die Bacchen Feste feiern.
-
-Wer hält es sich immer gegenwärtig, daß die Griechen ein Bergvolk
-gewesen sind? Während wir uns Ithea nähern, tiefer und tiefer in einen
-ernsten Gebirgskessel eingleitend, erlebe ich diese Tatsache innerlich
-mit besonderer Deutlichkeit. Die Luft gewinnt an erfrischender Stärke.
-Die Formen der Gipfel stehen im tiefen und kalten Blau des Himmels kalt
-und klar, und jetzt erstrahlt uns zur Rechten, hoch erhaben über der in
-abendlichen Schatten dämmernden Bucht, hinter gewaltig vorgelagerten,
-dunkel zerklüfteten, kahlen Felsmassen ein schneebedecktes parnassisches
-Gipfelbereich.
-
-Nun, wo die Sonne hinter der Kiona versunken ist und chthonische Nebel
-langsam aus den tiefen Flächen der Felsentäler, Terrassen und Risse
-verdüsternd aufsteigen, steht der Höhenstreif des heiligen Berges Parnaß
-noch in einem unwandelbar makellosen und göttlichen Licht. Mehr und
-mehr, indes das Schiff bereits seinen Lauf verlangsamt hat, erdrückt
-mich eine fast übergewaltige Feierlichkeit.
-
-Man fühlt zugleich, daß man hier nicht mehr im Oberflächenbereich der
-griechischen Seele ist, sondern den Ursprüngen nahe kommt, nahe kommt in
-dem Maße, als man sich dem Kern der griechischen Landschaft annähert.
-
-Man findet sich hier einer großen Natur gegenübergestellt, die nordische
-Rauheit und nordischen Ernst mit der Weichheit und Süße des Südens
-vereinigt, die hier und dort ringsumher beschneite Berggipfel in den
-nahen Höhenäther gehoben hat, deren Flanken bis zur Fläche des südlichen
-Golfes herabreichen, bis an die Krisäische Talsohle, die in gleicher
-Ebene, einen einzigen, weitgedehnten Ölwald tragend, den Grund des Tales
-von Krisa erfüllt. Man fühlt, man nähert sich hier den Urmächten, die
-sich den erschlossenen Sinnen eines Bergvolks, nicht anders wie das
-Wasser der Felsenquellen, die Frucht des Ölbaums oder des Weinstocks,
-darboten, so daß der Mensch, gleichwie zwischen Bergen und Bäumen,
-zwischen Abgründen und Felswänden, zwischen Schafen und Ziegen seiner
-Herden oder im Kampf, zwischen Raubtieren, auch allüberall unter
-Göttern, über Göttern und zwischen göttlichen Mächten stand.
-
-
-Wir steigen, angelangt in Ithea, in einen Wagen, vor den drei Pferde
-gespannt sind. Die Fahrt beginnt, und wir werden durch Felder grüner
-Gerste in das Tal von Krisa hineingeführt. Im Getreide tauchen hie und
-da Ölbäume auf, und mehr und mehr, bis sie zu Hainen zusammentreten und
-wir zu beiden Seiten der staubigen Straße von Olivenwäldern begleitet
-sind. Im Halblicht unter den Wipfeln liegen quadratisch begrenzte
-Wasserflächen. Nicht selten steigt ein gewaltiger Baum daraus empor,
-scheinbar mit seinem Stamme in einem glattpolierten Spiegel aus dunklem
-Silber wurzelnd, einem Spiegel, der einen zweiten Olivenbaum, einen
-rötlichen Abendhimmel und einen anderen, nicht minder strahlenden
-Parnassischen Gipfel zeigt.
-
-Bauern, die aus den Feldern heimwärts nach den Wohnungen im Gebirge
-streben, werden von uns im Dämmer der Waldstraße überholt. Es scheint
-ein in mancher Beziehung veredelter deutscher Schlag zu sein, so überaus
-vertraut in Haltung, Gang und Humor, in den Proportionen des Körpers,
-sowie des Angesichts, mit dem blonden Haar und dem blauen Blick, wirken
-auf mich die Trupps der Landleute. Wir lassen zur Linken ein eilig
-wanderndes und mit einer dunklen Genossin plauderndes, blondes Mädchen
-zurück. Sie ist frisch und derb und germanisch kernhaft. Die Art ihres
-übermütigen Grußes ist zugleich wild, verwegen, ungezogen und
-treuherzig. Sie würde sich von der jungen und schönen deutschen
-Bauernmagd, wie ich sie auf den Gütern meiner Heimat gesehen habe, nicht
-unterscheiden, wenn sie nicht doch ein wenig geschmeidiger und wenn sie
-nicht eine Tochter aus Hellas wäre.
-
-Und ich gedenke der Pythia.
-
-Religiöses Empfinden hat seine tiefsten Wurzeln in der Natur; und sofern
-Kultur nicht dazu führt, mit diesem Wurzelsystem stärker, tiefer und
-weiter verzweigt in die Natur zu dringen, ist sie Feindin der Religion.
-In diesem großen und zugleich urgesunden Bereich des nahen, großen
-Mysteriums denkt man nicht an die Götterbilder der Blütezeit, sondern
-höchstens an primitive Holzbilder, jene Symbole, die, durch Alter
-geheiligt, der Gottheit menschliche Proportionen nicht aufzwangen. Man
-gedenkt einer Zeit, wo der Mensch mit allen starken, unverbildeten
-Sinnen noch gleichsam voll ins Geheimnis hinein geboren war: in das
-Geheimnis, von dem er sich Zeit seines Lebens durchaus umgeben fand und
-das zu enthüllen er niemals wünschte.
-
-Nicht der Weltweise war der Ersehnte oder Willkommene unter den Menschen
-jener Zeit, außer wenn er sich gleich dem Jäger oder dem Hirten -- der
-wahre Hirt ist Jäger zugleich! -- zur ach so wenig naiven Verehrung
-eines Idoles, einer beliebigen Rätselerscheinung, der nur im Rätsel
-belebten Natur, verstand, sondern ersehnt und willkommen war immer
-wieder nur das Leben, das tiefere Leben, das den Rausch erzeugende
-Rätsel.
-
-Immer jedoch ist der Mensch dem Menschen Träger und Verkünder der
-tiefsten Rätsel zugleich gewesen und so ward das Rätsel stets am
-höchsten verehrt, wenn es sich durch den Menschen verkündigte, die
-Gottheit, die durch den Menschen spricht. Und um so höher ward es unter
-jenen Menschen verehrt, ward die Gottheit verehrt, je mehr sie den
-schlichten Mann, das gewöhnliche Weib aus dem Hirten- und Jägervolke
-gewaltsam vor aller Augen umbildete, so daß es von Grund auf verändert,
-von einem Gott oder Dämon beherrscht, als Rätsel erschien.
-
-Ein so verändertes Wesen war vor urdenklichen Zeiten die erste bäurische
-Pythia, und sie erschien in den Händen des bogenführenden Jägers und
-Rinderherden besitzenden Hirten, in den Händen des Jäger- und
-Hirtengottes Apollon willenlos. Den Willen des Menschen zerbrach der
-Gott, wie man ein Schloß zerbrechen muß, das die Tür eines fremden
-Hauses verschließt, will man als Herrscher und Herr in dieses eintreten;
-und nicht der menschliche Wille, sondern gleichsam die Knechtschaft im
-göttlichen, nicht Vernunft, sondern Wahnsinn besaß vor den Menschen
-damals allein die Staunen und Schauder verbreitende Autorität.
-
-
-Die Pferde beginnen bergan zu klimmen. Mehr und mehr, während wir aus
-den dunklen Olivenwäldern emportauchen, verdichtet sich um uns die
-Dämmerung. Die Luft ist warm und bewegungslos. Es ist eine Art
-tierischer Wärme in der Luft, die aus dem Erdboden, aus den Steinblöcken
-um uns her, ja überall her zu dunsten scheint. Überall klettern
-Ziegenherden. Ziegenherden kreuzen den Weg oder trollen ihn mit Geläut
-zu Tal. Ich fühle auf einmal, wie hier das Hirten- und Jägerleben nicht
-mehr nur als Idyll zu begreifen ist. In dieser brütenden Atmosphäre, wie
-sie über den schwarzen Olivenwäldern der Tiefe, in dem weiten, gewaltig
-zerklüfteten Abgrund zwischen den Wällen schroffer Gebirge steht, wird
-mein Blut überdies zu einem seltsamen Fieber erregt, und es ist mir, als
-könne aus dieser buhlerisch warmen, stehenden Luft die Frucht des Lebens
-unmittelbar hervorgehen. Das Geheimnis ist ringsum nahe um mich. Fast
-bang empfinde ich seine Berührungen. Es ist, als trennte -- sagen wir
-von den »Müttern«! nur eine dünne Wand oder als läge das ganze
-Geheimnis, in dem wir schlummern, in einem zurückgehaltenen, göttlichen
-Atemzug, dessen leisestes Flüstern uns eine Erkenntnis eröffnen könnte,
-die über die Kraft des Menschen geht.
-
-Ich habe in diesem Augenblick mehr als je zu bedauern, daß mir der
-musikalische Ausdruck verschlossen ist, denn alles um mich wird mehr und
-mehr zu einer einzigen, großen, stummen Musik. Das am tiefsten Stumme
-ist es, was der erhabensten Sprache bedarf, um sich auszudrücken.
-Allmählich verbreitet sich jenes magische Leuchten in der Natur, das
-alles vor Eintritt völliger Dunkelheit noch einmal in traumhafter Weise
-verklärt. Aber Worte besagen nichts, und ich würde, mit der wahrhaft
-dionysischen Kunst begabt, nach Worten nicht ringen müssen.
-
-Ich empfinde inmitten dieser grenzenlos spielenden Schönheit, die von
-einem grunderhabenen düsteren Glanze gesättigt ist, immer eine fast
-schmerzhafte Spannung, als ob ich mich einem redenden Brunnen, einem
-Urbrunnen aller chthonischen Weisheit gleichsam annäherte, der, wiederum
-einem Urmunde gleich, unmittelbar aus der Seele der Erde geöffnet sein
-würde.
-
-Niemals, außer in Träumen, habe ich Farben gesehen, so wie hier auf dem
-Marktplatze von Chryso, in dessen Nähe das alte Krisa zu denken ist. In
-diesem Bergstädtchen werden unsere Zugtiere getränkt. In Eimern holt man
-das Wasser aus dem nahen städtischen Brunnen, der im vollen, magischen
-Licht des Abends sich, aus dem Felsen rauschend, in sein steinernes
-Becken stürzt. Hier drängen sich griechische Mädchen, Männer und
-Maultiere, während im Schatten des Hauses gegenüber würdige Bauern und
-Hirten beim Weine von den Lasten des Tages ausruhen. Alles dieses wirkt
-feierlich schattenhaft. Es ist, als bestünde in dem Menschengedränge des
-kleinen Platzes die geheiligte Übereinkunft, die innere Sammlung der
-delphischen Pilger nicht durch laute Worte zu stören.
-
-Unter den schweigsam Trinkenden, die uns mit Würde beobachten und ganz
-ohne Zudringlichkeit, fällt manche edle Erscheinung auf. Von einem
-Weißbart vermag ich mein Auge lange nicht abzuwenden. Er ist der
-geborene Edelmann. Die Haltung des schlanken Greises, der seine eigene
-Schönheit durchaus zu schätzen weiß, ist durchdrungen von einem Anstand,
-der eingeboren ist. Aus seinem Antlitz sprechen Güte und Menschlichkeit:
-ich sehe in ihm das Gegenbild aller Barbarei. An diesem Hirten legt jede
-Wendung des Hauptes, jede gelassene Bewegung des Armes von edler
-Herkunft Zeugnis ab: von einer Jahrtausende alten, verfeinerten
-Hirtenwürde! denn wo wäre die Freiheit der Haltung, die stolze
-Gewohnheit des Selbstgenügens, die Würde des Menschen vor dem Tier,
-weniger gestört, als im Hirtenberuf.
-
-
-Es ist, nachdem wir die Stadt verlassen haben und weiter die steilen
-Kehren aufwärts dringen, als sänke sich von allen Seiten, dichter und
-dichter, Finsternis über das Geheimnis, dem wir entgegenziehen,
-schützend herein. Es ist wie eine Art Unschlüssigkeit in der Natur, als
-deren bevorzugtes Kind sich der gläubige Grieche fühlen muß, die sich
-mir aber dahin umdeutet, als sollte erst durch die volle Erkenntnis
-einengender Finsternis der volle Durst zum Orakelbrunnen erzeugt werden.
-
-Noch immer ist die stehende Wärme auch in der fast völligen Dunkelheit
-verbreitet um mich. Der Himmel hat rötlich zuckende Sterne enthüllt,
-aber der Blick ist von nun an beengt und eingeschlossen. Die große
-Empfindung der Götternähe weicht einer gewissen heimlich schleichenden
-Spukhaftigkeit, und so will ich nun auch eine Vorstellung dieser
-spukhaften Art aus dem Erlebnis der unvergleichlichen Stunden
-festhalten.
-
-Mehrmals und immer wieder kam es mir vor, als stiege der Schatten eines
-einzelnen Mannes mit uns nach dem gleichen Ziele hinan, und zwar auf
-einem Fußsteige immer die Kehren der großen Straße abschneidend. Kamen
-wir bis an die Kreuzungsstelle heran, so schien es, als sei er schon
-vorüber, oder er war zurückgeblieben und stieg weit unten, schattenhaft
-über die Böschung der tieferen Straßenschlinge herauf. Auch jetzt
-unterliege ich wieder dem Zwang dieser Vorstellung.
-
-Es ist unumgänglich, daß ein bis ins tiefste religiös erregter,
-christlich erzogener Mensch, auch wenn er das innere Auge abwendet,
-gleichsam mittels des peripherischen Sehens doch immer auf die Gestalt
-des Heilands treffen muß: und dies war mir und ist mir noch jetzt jener
-Schatten. Etwas wie Unruhe, etwas wie Hast und Besorgnis scheint ihn den
-gleichen Weg zu treiben, und etwas, wie der gleiche, immer noch
-ungestillte Durst.
-
-Und ist nicht auch er wiederum ein Hirt? Sah er sich selbst nicht am
-liebsten unter dem Bilde des Hirten? Sehen ihn nicht die Völker als
-Hirten? Und verehren ihn nicht die prunkhaften Hohenpriester von heut,
-mit dem Symbole des Hirtenstabes in der Hand, als göttlichen Hirten, als
-Hirtengott?
-
-
-Heut, am frühen Morgen aus meiner Herberge tretend, befinde ich mich auf
-der sonnigen Dorfstraße eines alpinen Dörfchens. Wenn ich die Straße
-nach rechts entlang blicke, wo sie, nach mäßiger Steigung, in einiger
-Ferne abbricht oder in den weißlichen, heißen und wolkenlosen Himmel
-auszulaufen scheint, so bemerke ich die Spitze eines entfernteren
-Schneeberges, der sie überragt.
-
-Die Straße läuft meist dicht am Abhang hin. Von ihrem Rande ermesse ich
-die gewaltige Tiefe eines schluchtartigen Tales, mit steilen Felswänden
-gegenüber. Die grauen Steinmassen sind durch Thymiansträucher dunkel
-gefleckt.
-
-Der Grund der Schlucht scheint ein Bachbett zu sein, und wie sich Wasser
-von seiner hochgelegenen Quelle herniederwindet, bis es am Ende der
-verbreiterten Schlucht in den weiten See eines größeren Tales tritt,
-ergießen sich hier, gleichsam wie Wogen aus dunklem Silber,
-Olivenwaldungen in die Tiefe, wo sie die Fülle des ölreichen Tales von
-Krisa aufnimmt.
-
-Es ist eine durchaus nur schlichte und ganz gesunde alpine Wonne, die
-mich erfüllt, jener Zustand des bergluftseligen Müßigganges, in dem man
-so gern das Morgenidyll dörflichen Lebens beobachtet.
-
-Hähne und Tauben machen das übliche Morgenkonzert. Es wird in der Nähe
-ein Pferd gestriegelt. Beladene Maultiere trappen vorüber. Alles ist von
-jener erfrischenden Nüchternheit, die wiederum die gesunde Poesie des
-Morgens ist.
-
-Kastri heißt das Dorf, in dem wir sind und genächtigt haben. Einige
-Schritte auf der mit grellstem Lichte blendenden Landstraße um einen
-Felsenvorsprung herum, und der heilige Tempelbezirk von Delphi soll sich
-enthüllen.
-
-In diesem Felsenvorsprung, den wir nun erreichen, sind die offenen
-Höhlen ehemaliger Felsgräber. Nahe dabei haben Wäscherinnen ihren Kessel
-über ein aromatisches Thymianfeuer gestellt, das uns mit Schwaden
-erquickenden Weihrauchs umquillt. Schwalben schrillen an uns vorüber,
-Fliegen summen, irgendwoher dringt das Hungergeschrei junger Nestvögel,
-und die Sonne scheint, triumphierend gleichsam, bis in die letzten
-Winkel der leeren Gräber hinein.
-
-Eine zahlreiche Herde schöner Schafe begegnet uns, und minutenlang
-umgibt uns das freudige Älplergeräusch ihrer Glocken. Ich beobachte eine
-dicke Glockenform mit tiefem Klang, von der man sagt, daß sie antikem
-Vorbild entspreche. Inmitten der Herde bewegt sich der dienende Hirt und
-ein herrenhaft-heiter wandelnder Mann in der knappen, vorwiegend blauen
-Tracht der Landleute.
-
-Dieser Mann erscheint zugleich jung und alt: insofern jung, als er
-schlank und elastisch ist, insofern alt, als ein breiter, vollkommen
-weißer Bart sein Gesicht umrahmt. Doch es ist die Jugend, die in diesem
-Manne triumphiert: das beweist sein schalkhaft blitzendes Auge, beweist
-der freie, übermütige Anstand der ganzen Persönlichkeit, eine Art
-behaglich fröhlichen Stolzes, der weiß, daß er unwiderstehlich
-fasziniert.
-
-Als Staub und Geläut uns am stärksten umgeben, bemerken wir, wie dieser
-schöne und glückliche Mann, der übrigens seine Jagdbüchse über der
-Schulter trägt, den langen Stab aus der Hand seines Hirten nimmt. Gleich
-darauf tritt er uns entgegen und bietet uns, wirklich aus heiterem
-Himmel, eben denselben Stab als Gastgeschenk.
-
-
-Die Wendung des Weges ist erreicht. Die Straße zieht sich in einem
-weiten Bogen eng unter mächtigen roten Felswänden hin, und der erste
-Blick in dieses schluchtartige, delphische Tal sucht vergeblich nach
-einer geeigneten Stätte für menschliche Ansiedelung. Von den roten,
-senkrecht starrenden Riesenmauern der Phädriaden ist ein Böschungsgebiet
-abgebröckelt, das steil und scheinbar unzugänglich über uns liegt.
-Überall in den Alpen trifft man ähnliche Schutt- und Geröllhalden, auf
-denen man, ebenso wie hier, höchstens weidende Ziegen klettern sieht.
-Selten bemerkt man dort, etwa in Gestalt einer besonders ärmlichen
-Hütte, Spuren menschlicher Ansiedelung, während hier der
-unwahrscheinliche Baugrund für ein Gewirr von Tempeln, tempelartigen
-Schatzhäusern, von Priesterwohnungen, von Theater und Stadion, sowie von
-zahllosen Bildern aus Stein und Erz zu denken ist.
-
-Wir schreiten die weiße Straße langsam fort. Wir scheuchen eine
-anderthalb Fuß lange, grüne Eidechse, die den Weg, ein Wölkchen Staub
-vor uns aufregend, überquert. Ein Esel, klein, mit einem Berge von
-Ginster bepackt, begegnet uns: es heißt, daß die Bauern aus Ginster
-Körbe zur Aufbewahrung für Käse flechten. Ein Maultier schleppt eine
-Last von bunten Decken gegen Kastri heran, begleitet von einer
-Handelsfrau, die während des Gehens nicht unterläßt, von dem Wocken aus
-Ziegenhaar fleißig denselben Faden zu spinnen, aus dem jene Decken
-gewoben sind.
-
-Immer die steile Böschung des delphischen Tempelbezirks vor Augen,
-drängt sich mir der Gedanke auf, daß alle die einstigen Priester des
-Apoll sowohl als die des Dionysos, alle diese Tempel, Theater und
-Schatzhäuser von ehemals, alle diese zahllosen Säulen und Statuen den
-Ziegen und einer gewissen Ziegenhirtin gefolgt und nachgeklettert sind.
-
-Das Hirtenleben ist in den meisten Fällen ein Leben der Einsamkeit. Es
-begünstigt also alle Kräfte visionärer Träumerei. Ruhe der äußeren Sinne
-und Müßiggang erzeugen die Welt der Einbildung, und es würde auch heut
-nicht schwer halten, etwa in den Irrenhäusern der Schweiz ländliche
-Mädchen zu finden, die, befangen in einem religiösen Wahn, von ähnlichen
-Dingen überzeugt sind, von ähnlichen Dingen »mit rasendem Munde«
-sprechen, als die erste Seherin, die Sibylle oder ihre Nachfolgerin zu
-Delphi, tat. Diese hielten sich etwa für die angetraute Gattin Apolls,
-oder für seine Schwester, oder erklärten sich für Töchter von ihm.
-
-Wir klettern die steile Straße innerhalb des Tempelbezirkes empor.
-Überall zwischen den Fundamenten ehemaliger Tempel, Schatzhäuser, Altäre
-und Statuen blüht die Kamille in großen Büschen, ebenso wie in Eleusis
-und auf der Akropolis. Die Steine der alten und steilen Straße sind
-glatt, und mit Mühe nur dringen wir, ohne rückwärts zu gleiten, hinan.
-
-Nicht weit von dem Felsenvorsprung, den man den Stein der Sibylle nennt,
-ruhe ich aus. In heiß duftenden Büscheln der Kamille, zwischen die ich
-mich niedergelassen habe, tönt ununterbrochen Bienengesumm. Wer möchte
-an dieser Stelle mit Fug behaupten wollen, daß ihm die ungeheure
-Vergangenheit dieser steilen Felslehne in allem Besonderen gegenwärtig
-sei. Der chthonische Quell, jene, verwirrende Dämpfe ausströmende
-Felsspalte, die Corethas entdeckte, quillt, wie es heißt, nicht mehr,
-und schon zur Zeit des großen Periegeten hatten die Dämonen das Orakel
-verlassen. Werden sie jemals wiederkehren? Und wird, wie es heißt, wenn
-sie wiederkehren, das Orakel gleich einem lange ungenutzten Instrument
-göttlichen Ausdrucks aufs neue erschallen?
-
-Die architektonischen Trümmer umher erregen mir einstweilen nur geringe
-Aufmerksamkeit. Die Kunst inmitten dieser gewaltigen Felsmassen hatte
-wohl immer, nur im Vergleich mit ihnen, Pygmäencharakter. Durchaus
-überragend in wilder, unbeirrbarer Majestät bleibt hier die Natur, und
-wenn sie auch mit Langmut oder auf Göttergebot die Siedelungen der
-menschlichen Ameise duldet, die sich, nicht ohne Verwegenheit, hier
-einnistete, so bleibt die Gewalt ihrer Ruhe, die Gewalt ihrer Sprache,
-die überragende Macht ihres Daseins, das unter allem, hinter allem, über
-und in allem Gegenwärtige.
-
-Man denkt an Apoll, man denkt an Dionysos, aber an ihre Bilder aus Stein
-und Erz denkt man in dieser Umgebung nicht: eher wiederum an gewisse
-Idole, die uralten Holzbilder, deren keines leider auf uns gekommen ist.
-Man sieht die Götter da und dort, leuchtend, unmaterialisch, visionär,
-hauptsächlich aber empfindet man sie in der Kraft ihrer Wirkungen. Hier
-bleiben die Götter das, was unsichtbar gegenwärtig ist: und so bevölkern
-sie, bevölkern unsichtbare Dämonen die Natur.
-
-Ist wirklich der chthonische Quell versiegt? Haben die Dämonen wirklich
-die Orakel verlassen? Sind gar die meisten von ihnen tot, wie es heißt,
-daß der große Pan gestorben ist? Und ist wirklich der große Pan
-gestorben?
-
-Ich glaube, daß eher jeder andere Quell des vorchristlichen Lebensalters
-verschüttet ist als der pythische und glaube, daß der große Pan nicht
-gestorben ist: nicht aus Schwäche des Alters und ebensowenig unter den
-jahrtausendelangen Verfluchungen einer christlichen Klerisei. Und hier,
-zwischen diesen sonnebeschienenen Trümmern, ist mir das ganze
-totgeglaubte Mysterium, sind mir Dämonen und Götter samt dem totgesagten
-Pan gegenwärtig.
-
-Noch heut sind unter den »vielen Strömen, die unsere Erde nach oben
-sendet«, viele, die in den Seelen der Menschen eine Verwirrung und
-Begeisterung hervorrufen, wie in dem Hirten Corethas jener, der in
-Delphi zutage trat, auch wenn wir dieser Begeisterung wenig achten und
-die tiefen Weihen nicht mehr allgemein machen wollen, die mit dem
-heiligen Rausch verbunden sind.
-
-Dieser Parnaß und diese seine roten Schluchten sind Quellgebiet:
-Quellgebiet natürlicher Wasserströme und Quellgebiet jenes
-unversiegbaren, silbernen Stromes der Griechenseele, wie er durch die
-Jahrtausende fließt. Es ist ein anderer Reiz und Geist, der die Quellen,
-ein anderer, der den Lasten und Wimpel tragenden Strom umgibt. Seltsam,
-wie der Ursprung des Stromes und seine Wiege dem urewig Alten am
-nächsten ist: das ewig Alte der ewigen Jugend. Man kann solche
-Quellgebiete nicht einmal mit Fug allein griechisch nennen, denn sie
-sind meist, im Gegensatz zu den Strömen, die sie nähren, namenlos.
-
-Gegenüber, jenseit des Taleinschnitts, tönen von der Felswand, dem Ruf
-des Hornes von Uri nicht unähnlich, gewaltige Laute eines Dudelsacks,
-hervorgerufen von Hirten, die unerkennbar mit ihren Ziegen in den Felsen
-umhersteigen. Diese gesegneten Quellgebiete waren und sind noch heute
-von Hirten umwohnt. Platon nennt die Seele einen Baum, dessen Wurzeln im
-Haupte des Menschen sind und der von dort aus mit Stamm, Ästen und
-Blättern sich in das Bereich des Himmels ausdehnt. Ich betrachte die
-Welt der Sinne als einen Teil der Seele und zugleich ihr Wurzelgebiet,
-und verlege in das menschliche Hirn einen metaphysischen Keim, aus dem
-dann der Baum des Himmels mit Stamm, Ästen, Blättern, Blüten und
-Früchten empordringt.
-
-Nun scheint es mir, daß die Sinne des Jägers, die Sinne des Hirten, die
-Sinne des Jägerhirten, sagen wir, die feinsten und edelsten Wurzeln sind
-und daß ein Hirten- und Jägerleben auf Berghöhen der reichste Boden für
-solche Wurzeln, und also die beste Ernährung für den metaphysischen Keim
-im Menschen ist.
-
-
-Zwischen den Trümmern des steilen Tempelbezirks von Delphi
-umherzusteigen, erfordert einige Mühe und Anstrengung. Am höchsten von
-allen Baulichkeiten lag wohl das Stadion; ein wenig tiefer, doch mit
-seinen obersten Sitzen an die unzugängliche Felswand stoßend, ist das
-Theater dem Felsgrunde abgetrotzt.
-
-Der Eindruck der natürlichen Szenerie, die es umgibt, ist drohend und
-großartig. Ich empfinde eine Art beengender Bangigkeit in dieser
-übergewaltigen Nähe der Natur, dieser geharnischten, roten
-Felsbastionen, die den furchtbarsten Ernst blutiger Schauspiele von den
-Menschen zu fordern scheinen.
-
-In das Innere dieser Felsmassen scheint übrigens ein dämonisches Leben
-hineingebannt. Sie wiederholen, in die tiefe Stille über den rötlichen
-Sitzreihen, die Stimmen unsichtbarer Kinder weit unten im Tal, sie
-lassen gespenstige Herdenglocken, wie in einem hallenden Saale, durch
-sich hin läuten und geben die klangvolle Stimme des fernen Hirten aus
-der Nähe und geläutert zurück. Aus ihrem Inneren dringt Hundegebell, und
-ein fernes und schwaches Dröhnen, aus dem Tale von Krisa her, erregt in
-ihr einen klangvoll breiten, feierlich musikalischen Widerhall.
-
-Das ununterbrochene, mitten im heißen Lichte des Mittags gleichsam
-nächtliche Rauschen der kastalischen Wasser dringt aus der Schlucht der
-Phädriaden herauf.
-
-Die Götter waren grausame Zuschauer. Unter den Schauspielen, die man zu
-ihrer Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor Göttern, und die
-griechischen Zuschauer auf den Sitzreihen trieben, mit schaudernder
-Seele gegenwärtig, Gottesdienst! -- unter den Schauspielen, sage ich,
-waren die, die von Blute trieften, den Göttern vor allen anderen heilig
-und angenehm. Wenn zu Beginn der großen Opferhandlung, die das
-Schauspiel der Griechen ist, das schwarze Blut des Bocks in die
-Opfergefäße schoß, so wurde dadurch das spätere höhere, wenn auch nur
-scheinbare Menschenopfer nur vorbereitet: das Menschenopfer, das die
-blutige Wurzel der Tragödie ist.
-
-Blutdunst stieg von der Bühne, von der Orchestra in den brausenden
-Krater der schaudernden Menge und über sie in die olympischen Reihen
-blutlüsterner Götterschemen hinauf.
-
-Anders wie im Theater von Athen, tiefer und grausamer und mit größerer
-Macht, offenbart sich hier, in der felsigten Pytho, unter der Glut des
-Tagesgestirns, das Tragische, und zwar als die schaudernde Anerkennung
-unabirrbarer Blutbeschlüsse der Schicksalsmächte: keine wahre Tragödie
-ohne den Mord, der zugleich wieder jene Schuld des Lebens ist, ohne die
-sich das Leben nicht fortsetzt, ja, der zugleich immer Schuld und Sühne
-ist.
-
-Gleich einem zweiten Corethas brechen mir überall in dem großen
-parnassischen Seelengebiet -- und so auch in der Tiefe des roten
-Steinkraters, darin ich mich eben befinde! -- neue chthonische Quellen
-auf. Es sind jene Urbrunnen, deren Zuflüsse unerschöpflich sind und die
-noch heute die Seelen der Menschen mit Leben speisen: derjenige aber
-unter ihnen, der dem inneren Auge der Seele und gleicherweise dem
-leiblichen Auge vor allen anderen sichtbar und mystisch ist, bleibt
-immer der springende Brunnen des Bluts.
-
-Ich fühle sehr wohl, welche Gefahren auf den Pilger in solchen
-parnassischen Brunnengebieten lauern, und vergesse nicht, daß die Dünste
-aller chthonischen Quellen von einem furchtbaren Wahnsinn schwanger
-sind. Oft treten sie über dünnen Schichten mürben Grundes ans
-Tageslicht, unter denen glühende Abgründe lauern. Der Tanz der Musen auf
-den parnassischen Gipfeln geschah, da sie Göttinnen waren, mit leichten,
-die Erde nicht belastenden Füßen: das ihnen Verbürgte nimmt uns die
-Schwere des Körpers, die Schwere des Menschenschicksals nicht.
-
-Auch aus der Tiefe des Blutbrunnens unter mir stieg dumpfer, betäubender
-Wahnsinn auf. Indem man die grausame Forderung des sonst wohltätigen
-Gottes im Bocksopfer sinnbildlich darstellte, und im darauffolgenden,
-höheren Sinnbild gotterfüllter dramatischer Kunst, gaben die Felsen den
-furchtbaren Schrei des Menschenopfers unter der Hand des Rächers, den
-dumpfen Fall der rächenden Axt, die Chorklänge der Angst, der Drohung,
-der schrecklichen Bangigkeit, der wilden Verzweiflung und des jubelnden
-Bluttriumphes zurück.
-
-Es kann nicht geleugnet werden, Tragödie heißt: Feindschaft, Verfolgung,
-Haß und Liebe als Lebenswut! Tragödie heißt: Angst, Not, Gefahr, Pein,
-Qual, Marter, heißt Tücke, Verbrechen, Niedertracht, heißt Mord,
-Blutgier, Blutschande, Schlächterei -- wobei die Blutschande nur
-gewaltsam in das Bereich des Grausens gesteigert ist. Eine wahre
-Tragödie sehen hieß, beinahe zu Stein erstarrt, das Angesicht der Medusa
-erblicken, es hieß das Entsetzen vorwegnehmen, wie es das Leben heimlich
-immer, selbst für den Günstling des Glücks, in Bereitschaft hat. Der
-Schrecken herrschte in diesem offenen Theaterraum, und wenn ich bedenke,
-wie Musik das Wesen einfacher Worte, irgend eines Liedes, erregend
-erschließt, so fühle ich bei dem Gedanken an die begleitenden Tänze und
-Klänge der Chöre zu dieser Mordhandlung eisige Schauder im Gebein. Ich
-stelle mir vor, daß aus dem vieltausendköpfigen Griechengewimmel dieses
-Halbtrichters zuweilen ein einziger, furchtbarer Hilfeschrei der Furcht,
-der Angst, des Entsetzens, gräßlich betäubend zum Himmel der Götter
-aufsteigen mußte, damit der grausamste Druck, die grausamste Spannung
-sich nicht in unrettbaren Wahnsinn überschlug.
-
-
-Man muß es sich eingestehen, das ganze Bereich eines Tempelbezirks, und
-so auch diese delphische Böschung, ist blutgetränkt. An vielen Altären
-vollzog sich vor dem versammelten Volk die heilige Schlächterei. Die
-Priester waren vollkommene Schlächter, und das Röcheln sterbender
-Opfertiere war ihnen die gewöhnlichste und ganz vertraute Musik. Die
-Jammertöne der Schlachtopfer machten die Luft erzittern und weckten das
-Echo zwischen den Tempeln und um die Statuen her: sie drangen bis ins
-Innere der Schatzhäuser und in die Gespräche der Philosophen hinein.
-
-Der Qualm der Altäre, auf denen die Ziege, das Schaf mit der Wolle
-verbrannt wurde, wirbelte quellend an den roten Felsen hinauf, und ich
-stelle mir vor, daß dieser Qualm, sich zerteilend, das Tal überdeckte
-und so die Sonne verfinsterte. Der Opferpriester, mit Blut besudelt, der
-einem Zyklopen gleich das geschlachtete Tier zerstückte und ihm das Herz
-aus dem Leibe riß, war dem Volk ein gewöhnlicher Anblick. Er umgoß den
-ganzen Altar mit Blut. Diese ganze Schlachthausromantik in solchen
-heiligen Bezirken ist schrecklich und widerlich, und doch ist es immer
-vor allem der süßliche Dampf des Bluts, der die Fliegen, die Götter des
-Himmels, die Menge der Menschen, ja sogar die Schatten des Hades
-anzieht.
-
-In alledem verrät sich mir wiederum der Hirtenursprung der Götter, ihrer
-Priester und ihres Gottesdienstes, denn das Blutmysterium mußte sich den
-Jägerhirten zuerst aufschließen und dem Hirten mehr als dem Jäger in
-ihm, wenn er, friedlich, friedlich von ihm gehütete, zahme Tiere
-abschlachtete, zuerst das Grausen und hernach den festlichen Schmaus
-genoß.
-
-
-Wir sind den steilen Abhang des delphischen Tempelbezirks bis an den
-obersten Rand emporgeklommen. Ich bin erstaunt, hier, wo aus dem
-scheinbar Unzugänglichen die rote unzugängliche Felswand sich erhebt,
-auf eine schöne, eingeschlossene Fläche zu stoßen, hier oben, gleichsam
-in der Gegend der Adlernester, zwischen Felsenklippen, auf ein Stadion.
-
-Es ist still. Es ist vollkommen still und einsam hier. Das schöne Oblong
-der Rennbahn, eingeschlossen von den roten Steinen der Sitzreihen, ist
-mit zarten Gräsern bedeckt. Inmitten dieser verlassenen Wiese hat sich
-eine Regenlache gebildet, darin man die roten Umfassungsmauern des
-Felsendomes, mit vielen gelben Blumenbüscheln widergespiegelt sieht.
-
-Ist nicht das Stadion dann am schönsten, wenn der Lärm der Ringer und
-Renner, wenn die Menge der Zuschauer es verlassen hat? Ich glaube, daß
-der göttliche Priester Apolls, Plutarch, oft, wie ich jetzt, im leeren
-Stadion der einzige Zuschauer war und den Gesichten und Stimmen der
-Stille lauschte.
-
-Es sind Gesichte von Jugend und Glanz, Gesichte der Kraft, Kühnheit und
-Ehrbegier, es sind Stimmen gottbegeisterter Sänger, die unter sich
-wetteifernd den Sieger oder den Gott preisen. Es ist der herrlichste
-Teil der griechischen Phantasmagorie, die hier für den nicht erloschen
-ist, der gekommen ist, Gesichte zu sehen und Stimmen zu hören.
-
-Die schrecklichen Dünste des Blutbrunnens drangen nicht bis in dieses
-Bereich, ebensowenig das Todesröcheln der Menschen- und Tieropfer. Hier
-herrschte das Lachen, hier herrschte die freie, von Erdenschwere
-befreite, kraftvolle Heiterkeit.
-
-Nur im Stadion, und ganz besonders in dem zu Delphi, das über allen
-Tempeln und allen Altären des Götterbezirks erhaben ist, atmet man jene
-leichte, reine und himmlische Luft, die unseren Heroen die Brust mit
-Begeisterung füllte. Der Schrei und Ruf, der von hier aus über die Welt
-erscholl, war weder der Ruf des Hirten, der seine Herde lockt, noch war
-es der wilde Jagdruf des Jägers: es war weder ein Racheschrei noch ein
-Todesschrei, sondern es war der wild glückselige Schrei und
-Begeisterungsruf des Lebens.
-
-Mit diesem göttlichen Siegesruf der lebendigen Menschenbrust begrüßte
-der Grieche den Griechen über die Fjorde und Fjelle seines herrlichen
-Berglands hinweg, dieses Jauchzen erscholl von Spielplatz zu Spielplatz:
-von Delphi hinüber nach Korinth, von Korinth nach Argos, von Argos bis
-Sparta, von Sparta hinüber nach Olympia, von dort gen Athen und
-umgekehrt.
-
-Ich glaube, nur vom Stadion aus erschließt sich die Griechenseele in
-alledem, was ihr edelster Ruhm und Reichtum ist; von hier aus gesehen,
-entwickelt sie ihre reinsten Tugenden. Was wäre die Welt des Griechen
-ohne friedlichen Wettkampf und Stadion? Was ohne olympischen Ölzweig und
-Siegerbinde? eben das gleiche erdgebundene Chaos brütender, ringender
-und quellender Mächte, wie es auch andere Völker darstellen.
-
-Es wird mir nicht leicht, diesen schwebenden und versteckten Spielplatz
-zwischen parnassischen Klippen zu verlassen, der so wundervoll einsam
-und wie für Meditationen geschaffen ist. Hier findet sich der sinnende
-Geist gleichsam in einen nährenden Glanz versenkt, und der Reichtum
-dessen, was in ihn strömt, kann in seiner Überfülle kaum bewahrt und
-behalten sein.
-
-Man müßte vom Spiel reden. Man müßte das eigene Denken der Kinder- und
-Jünglingsjahre heraufrufen und jener Wegeswendung sich erinnern, wo man
-in eine mißmutige und freudlose Welt einzubiegen gezwungen war, die das
-Spiel, die höchste Gabe der Götter, verpönt. Man könnte hervorheben, daß
-bei uns mehr Kinder gemordet werden, als jemals in irgendeinem Bethlehem
-von irgendeinem Herodes gemordet worden sind: denn man läßt nie das Kind
-bei uns groß werden, man tötet das Kind im Kinde schon, geschweige, daß
-man es im Jüngling und Manne leben ließe.
-
-Nackt wurde der Sieger, der Athlet oder Läufer dargestellt, und ehe
-Praxiteles, ehe Skopas seine Statuen bildete, entstanden ihre Urbilder
-hier im Stadion. Hier ist für die Schönheit und den Adel der
-griechischen Seele, für Schönheit und Adel des Körpers der Muttergrund.
-Hier wurde das schon Geschaffene umgeschaffen, das Umgeschaffene zum
-ewigen Beispiel und auch als Ansporn für höhere Artung in Erz oder
-Marmor dargestellt. Hier hatte die Bildung ihre Bildstätte, wenn anders
-Bildung das Werk eines Bildners ist.
-
-Wer je sein Ohr an die Wände jener Werkstatt gelegt hat, deren Meister
-den Namen Goethe trug, der wird erkennen, daß nicht nur Wagner, der
-Famulus, den Menschen mit Göttersinn und Menschenhand zu bilden und
-hervorzurufen versuchte: alles Sinnen, Grübeln, Wirken, Dichten und
-Trachten des Meisters war eben demselben Endzweck rastlos untertan. Und
-wer nicht in jedweder Bildung seines Geistes und seiner Hände das
-glühende Ringen nach Inkarnation des neuen und höheren Menschen spürt,
-der hat den Magier nicht verstanden.
-
-Es ist bekannt, wie gewissen griechischen Weisen, und so dem Lykurg!
-Bildung ein Bilden im lebendigen Fleische, nicht animalisch unbewußt,
-sondern bewußt »mit Göttersinn und Menschenhand« bedeutete. Was wäre ein
-Arzt, der seine Kranken bekleidet sieht, und was ein Erzieher, dem jener
-Leib samt dem Geiste, dem er höhere Bildung zu geben beabsichtigt, nicht
-nackt vor der Seele stünde? Aus dem Grunde der Stadien sproßten, nackt,
-die athletischen Stämme einer göttlichen Saat des Geistes hervor. Und
-hier, auf dem Boden des delphischen Stadions, gebrauche ich nun zum
-ersten Male in diesen Aufzeichnungen das Wort Kultur: nämlich als eine
-fleischliche Bildung zu kraftvoll gefestigter, heiterer, heldenhaft
-freier Menschlichkeit.
-
-
-Zwei Vögel, unsern Zeisigen ähnlich, stürzen sich plötzlich aus irgend
-einem Schlupfloch der Felsen quirlend herab und löschen den Durst aus
-dem Spiegel der Lache vor mir im Stadion. Ihr piepsendes Spiel weckt
-Widerhall, und das winzige Leben, der sorglose, dünne Lärm der kleinen
-Geschöpfe, die niemand stört, offenbaren erst gleichsam das Schicksal
-dieser Stätte in seiner ganzen Verwunschenheit.
-
-Während ich auf die grüne Erde hinstarre und der Füße jener zahllosen
-Läufer und Kämpfer gedenke, aller jener göttergleichen, jugendlich
-kraftvoll schönen Hellenen, die sie erdröhnen machten, vernehme ich
-wiederum aus den Felsen den gewaltigen Widerhall von Geräuschen, die mir
-verborgen sind. Aus irgend einem Grunde erhebe ich mich, rufe laut und
-erhalte ein sechsfaches mächtiges Echo: sechsfach schallt der Name des
-delphischen Gottes, des Python-Besiegers, aus dem Inneren der Berge
-zurück.
-
-Ich bin allein. Die dämonische Antwort der alten parnassischen Wände hat
-bewirkt, daß mich die Kraft der Vergangenheit mit ihren triumphierenden
-Gegenwarts-Schauern durchdringt und erfaßt und daß ich etwas wie ein Bad
-von Glanz und Feuer empfinde. Beinahe zitternd horche ich in die neu
-hereingesunkene, fast noch tiefere Stille hier oben hinein.
-
-
-Der Morgen ist frisch. Wir schrieben den ersten Mai ins Fremdenbuch. Vor
-der Türe des Gasthauses warten schäbige Esel und Maultiere, die uns nach
-Hossios Lucas bringen sollen. Ins Freie tretend, beginne ich mit letzten
-Blicken Abschied zu nehmen. Ich begrüße die Kiona, den weißen Gipfel des
-Korax-Gebirges, dort, wo die Dorfstraße, wie es scheint, in den Luftraum
-verläuft. Ich begrüße drei kleine Mädchen, die, trödelnd, ebenso viele
-Schäfchen vor sich her treiben, begrüße sie mit einer ihnen
-unverständlichen Herzlichkeit. Eines der hübschen Kinder küßt mir zum
-Dank für ein kleines, unerbetenes Geschenk die Hand.
-
-Wir lassen die Mäuler voranklingeln. Wieder schreiten wir an den Felsen
-vorüber, mit den Höhlungen leerer Gräber darin, und wieder erschließt
-sich dem Auge die steinigte Böschung des delphischen Tempelbezirks. Wer
-alles dieses tiefer begreifen wollte, müßte mehr als ein flüchtiger
-Wanderer sein. Immerhin sind mir auch hier die Steine nicht stumm
-gewesen.
-
-Wir haben den Grund von Delphi, der Stadt, die unterhalb unseres Weges
-lag, über allerlei Mauern und Treppchen kletternd, durchstreift, und
-während wir jetzt unsere Reise fortsetzen, zieht uns das Leuchten der
-Tempeltrümmer, zwischen tausendjährigen Ölbäumen, zieht uns der weiße
-Marmor umgestürzter Säulen an. An den kastalischen Wassern nehmen wir
-wiederum einen kleinen Aufenthalt. Ich habe mich auf einen großen
-Felsblock niedergelassen, in der wundervoll hallenden und rauschenden
-Kluft, den Felsenbassins jenes alten Brunnen- und Baderaums gegenüber,
-wo die delphischen Pilger von einst sich reinigten.
-
-Ein Tempelchen, mit Nischen der Nymphen, war grottenartig in die
-Felswand gestellt.
-
-Heut sind die Bachläufe arg verunreinigt, die Wasserbecken mit Schlamm
-gefüllt. Oben durch die feuchte und kalte Klamm fliegen lange
-Turmschwalben und jagen einander mit raubvogelartigem, zwitscherndem
-Pfiff.
-
-
-Wir wiegen uns nun bereits eine gute Weile auf unseren Maultieren. Der
-Weinstock, das Gewächs des Dionysos, begleitet uns in wohlgepflegten,
-wohlgeordneten Feldern die parnassischen Höhen hinan. Immer wieder
-begegnen uns wollige Herden mit ihren Hirten. Ich bemerke plötzlich den
-mir von gestern bekannten stattlichen Weißbart auf dem Bauche im Grase
-liegend am Straßenrand und empfinde mit ihm, was sein leise ironisches,
-überlegen lachendes Antlitz zum Ausdruck bringt. Hinter dem Patriarchen
-steigen seine Herden zwischen Rainen, Steinen und saftigen Gräsern umher
-und füllen die Luft mit der Glockenmusik seines reichen Besitzes. Die
-Sonne strahlt, der Tag wird heiß.
-
-Schon im Altertum wurden solche Wege wie diese auf Mäulern zurückgelegt.
-So wird auch das Um und An einer Bergreise, an Rufen, Geräuschen und
-Empfindungen, nicht anders gewesen sein, als es heute ist. Maultiere
-haben die Eigentümlichkeit, am liebsten nicht in der Mitte des Weges,
-sondern immer womöglich an steilen Rändern zu schreiten: was dem
-ungewohnten Reiter zuweilen natürlich Schwindel erregt. Allmählich
-gewinne ich im Vertrauen auf das sich mehr und mehr entfaltende
-Klettertalent meines Reittieres eine gewisse, schwindelfreie
-Sorglosigkeit. Immer wilder und einsamer wird die Berggegend, bis hinter
-Arachova die Einöde, das heißt die parnassische Höhenzone beginnt. Von
-der gesamten südlichen Flora ist nichts übrig geblieben. Der letzte
-Weinstock, der letzte Feigenbaum, die letzte Olive liegt hinter uns. Nun
-aber tut sich ein weiter und grüner Gebirgssattel vor uns auf, von jener
-gesunden, alpinen Schönheit, die ebenso heimatlich, als über alles
-erquickend ist.
-
-Der weite Paß, mit flach geschweifter, beinahe ebener Grundfläche, ist
-Weideland: das heißt, ein saftiger Wiesenplan, auf dem der Huf des
-schreitenden Maultiers lautlos wird und der Pfad sich verliert. Das
-helle, ruhige Grün dieser schönen Alm ist eine tiefe Wohltat für Auge
-und Herz, und der starke, düster-trotzige Föhrenstand, der die steile
-Flanke einer nahen Bergwand hinaufklettert, fordert heraus, ihm
-nachzutun. Ich weiß nicht, was in dieser Landschaft so fremdartig sein
-sollte, daß man es nicht in den deutschen Alpengebirgen, um diese oder
-jene Sennhütte her, ebenso antreffen könnte, und doch würde der gesunde
-Jodler des einsamen Sennen hier einen Zauber vernichten, der
-unaussprechlich ist.
-
-Das hurtige Glöckchen des Maultieres klingelt am Rand einer teichartig
-weit verbreiteten Wasserlache dahin, die, in den hellen Smaragd der
-Bergwiese eingefügt, den blauen Abgrund des griechischen Himmels, die
-ernste Wand der wetterharten Apolloföhren, und das hastende, kleine
-Vögelchen in einem ruhigen Spiegel wiedergibt.
-
-
-Über die Art, wie für den, der sich einmal in das Innere des Mythos
-hineinbegeben hat, jeder neue sinnliche Eindruck wiederum ganz unlöslich
-mit diesem Mythos verbunden wird und ihn zu einer fast überzeugenden
-Wahrheit und Gegenwart steigert, möchte manches zu sagen sein. Es
-beträfe nicht nur den Prozeß eines gläubigen Wiedererweckens, sondern
-jenen, durch den die menschliche Schöpfung der Welt überhaupt entstanden
-ist, es beträfe das Wesen jener zeugenden Kraft, die im dichtenden
-Genius eines Volkes lebendig ist und darin sich die Seele des Volkes
-verklärt.
-
-Plötzlich taucht in der panisch beinahe beängstigenden, nordischen
-Vision von Bergeinsamkeit die wilde Gestalt eines bärtigen Hirten auf,
-der uns in schneller Gangart, fünf schwarze Böcke vor sich hertreibend,
-von jenseit, über die grüne Matte entgegenkommt. Die schönen Tiere, die
-von gleicher Größe und, wie gesagt, schwarz wie Teufel sind, machen
-den überraschendsten Eindruck. Noch niemals sah ich ein so
-unwahrscheinliches Fünfgespann. Wer wollte da, wenn eine auserlesene
-Koppel solcher Böcke, wie zum Opfer geführt, ihm entgegenkommt, und zwar
-über einen parnassischen Weidegrund, die Nähe des Gottes ableugnen, der
-einst durch Zeus in die Gestalt eines Bockes verwandelt ward, um ihn vor
-Heres Rache zu schützen, und dem diese Höhen geheiligt sind.
-
-Wie diese Tiere einhertrotten, unwillig, durch den rauhen Treiber mehr
-gestört als in Angst versetzt, mit dem böse funkelnden Blick
-beobachtend, jeder mit seinem zottligen Bart, jeder unter der Last und
-gewundenen Krönung eines gewaltigen Hörnerpaares, scheinen sie selber
-inkarnierte Dämonen zu sein, und in wessen Seele nur etwas von dem alten
-Urväter-Hirten-Drama noch rumort, der fühlt in diesem klassischen Tier
-einen wahrhaft dämonischen Ausdruck zeugender Kräfte, dem es leider auch
-seinen Blocksberg-Verruf in der verderbten Weltanschauung der
-christlichen Zeit zu verdanken hat.
-
-
-Wir besteigen nach kurzer Rast unsere Maultiere, die wiederum mager,
-schäbig und scheinbar kraftlos, wie zu Anfang der Reise dastehen. Das
-unscheinbare Äußere dieser Tiere täuscht uns nicht mehr über den Grad
-ihrer Zähigkeit.
-
-Zur Linken haben wir nun eine rötlich graue, senkrechte Wand
-parnassischer Felsmassen, deren Rand einen Gießbach aus großer Höhe
-herabschüttet. Es ist ein lautloser Wasserfall, der, ehe er noch den
-Talgrund erreicht, in Schleiern verweht.
-
-Die Maultiere müssen neben dem Lauf eines ausgetrockneten
-Felsenflußbettes abwärts klettern und erweisen, mehr und mehr
-erstaunlich für uns, ihre wundervolle Geschicklichkeit. Man würde
-vielleicht von diesen Felstälern sagen können, daß sie Einöden sind,
-wenn ihre zitternde, leuchtende und balsamische Luft nicht überall von
-den wasserartig glucksenden Lauten zahlloser Herdengeläute erfüllt wäre.
-
-Der Paris-artige Knabe, der vorhin, während wir Rast hielten, mit
-zwitschernden Lauten unsere Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein Hirt.
-Hoch auf der Spitze eines vereinzelten Felskegels, der an der
-Kreuzungsstelle einiger Hochtäler sich erhebt, steht, gegen den Himmel
-scharf abgegrenzt, wiederum ein romantisch drapierter Ziegenhirt, mit
-dem landesüblichen Hirtenstabe. Sofern uns ein Mensch begegnet, ist es
-ein Hirt, sofern unser Auge in der felsigten Wildnis Menschengestalt zu
-unterscheiden vermag, unterscheidet es auch ringsum sogleich ein
-Gewimmel von Schafen oder Thymian rupfenden Ziegen.
-
-In einem Engpaß, durch den wir müssen, hat sich ein Strom von dicker,
-wandelnder Wolle gestaut, der sich, wohl oder übel, vor den Hufen des
-langsam schreitenden Maultiers teilen muß. Der Reiter streift mit den
-Sohlen über die braunen Vliese hin, nachdem die Leitböcke ihre
-gewaltigen, tiefgetönten Glocken antiker Form, feurig glotzend, ungnädig
-prustend, vorüber getragen haben.
-
-Diese steinigten Hochtäler, zwischen Parnaß und Helikon, erklingen --
-nicht von Kirchengeläut! -- aber sie sind beständig und überall
-durchzittert vom Klange der Herdenglocken. Sie sind von einer Musik
-erfüllt, die das überall glucksende, rinnende, plätschernde Element
-einer echten parnassischen Quelle ist. Ob nicht vielleicht die Glocke
-unter dem Halse des weidenden Tieres, die Mutter der Glocke im Turme der
-Kirche ist, die ja, ins Geistige übertragen, den Parallelismus zum
-Hirtenleben nirgend verleugnen will? Dann wäre es von besonderem Reiz,
-den appollinischen Klang zu empfinden, den alten parnassischen
-Weideklang, der in dem Gedröhne städtischer Sonntagsglocken enthalten
-sein müßte.
-
-Im Klangelement dieser parnassischen Quelle, dieses Jungbrunnens, bade
-ich. Es beschleicht mich eine Bezauberung. Ich fühle Appollon unter den
-Hirten und zwar in schlichter Menschengestalt, als Schäferknecht, wie
-wir sagen würden, so, wie er die Herden des Laomedon und Admetos hütete.
-Ich sehe ihn, wie er in dieser Gestalt jede gewöhnliche Arbeit des
-Hirten verrichten muß, dabei gelegentlich Mäuse vertilgt und den
-Eidechsen nachstellt. Ich sehe ihn weiter, wie er, ähnlich mir, in der
-lieblich monotonen Musik dieser Täler gleichsam aufgelöst und versunken
-ist und wie es ihm endlich, besser als mir, gelingt, die Chariten auf
-seine Hand zu nehmen. Chariten, musische Instrumente tragend, auf der
-Hand, war er zu Delphi dargestellt.
-
-Vorsichtig schreitet mein Reittier über eine große Schildkröte, die von
-den Treibern nicht beachtet wird; ich lasse sie aufheben und die
-lachenden Aggogiaten reichen mir das, zwischen gewaltigen
-Schildpattschalen, lebhaft protestierende Tier. Ich sehe an den Mienen
-der Leute, daß die Schildkröte unter ihnen sich der Popularität eines
-allbeliebten Komikers zu erfreuen hat, eines lustigen Rats, über den man
-lacht, sobald er erscheint und bevor er den Mund öffnet. In das
-Vergnügen der Leute mischt sich dabei eine leise Verlegenheit, wie sie
-den ernsten Landmann unverkennbar überschleicht, der auf den Holzbänken
-einer Jahrmarktsbude sein Entzücken über die albernen Späße des
-Hanswurst nicht zu verbergen vermag. Auch fühlt man heraus, wie das
-schöne Tier nicht minder geringschätzt, ja verachtet ist, als beliebt:
-eine Verachtung, eine Geringschätzung, die in seinem friedlichen Wesen
-und seiner Hilflosigkeit gegenüber den Menschen, trotz seines doppelten
-Panzers, ihren Ursprung hat.
-
- »Als er sie sah, da lacht er alsbald und sagte die Worte:
- Du glückbringendes Zeichen, ich schmähe dich nicht, sei willkommen.
- Freudegeberin heil! Gesellin des Tanzes und Schmauses.«
-
-»Als er sie sah, da lacht er alsbald!« nämlich Hermes, der Gott, vor
-Zeiten. Ganz so ergreift unsere kleine Reisegesellschaft beim Anblick
-des klassischen Tieres unwiderstehliche Heiterkeit.
-
-
-Wir ziehen weiter, nachdem wir das alte homerische Lachen, das Lachen
-des Gottes, zu Ende gelacht haben. Aber wir töten nicht, wie Hermes, das
-Tier, sondern nehmen es lebend unter unseren Gepäckstücken mit. Ich
-denke darüber nach, wie wohl die Leier ausgesehen und wie wohl geklungen
-hat, die Hermes aus dem Panzer der Schildkröte und aus Schafsdärmen
-bildete und die in den Händen Apolls ihren Himmel und Erde
-durchhallenden Ruhm gewann.
-
-Aber wir sind nun in sengenden Gluten des Mittagslichts zu einem
-wirklichen, reichlich Wasser spendenden parnassischen Brunnen gelangt,
-aus dem die Tiere und Treiber gierig trinken. Dicke Strahlen köstlichen
-Wassers stürzen aus ihrer gemauerten Fassung hervor und rauschend und
-brausend in das steinerne Becken hinein. Es ist wie ein Reichtum, der
-sich hier ausschüttet, der nirgends so, als in einem heißen und
-wasserarmen Lande empfunden wird.
-
-Wir ruhen aus in dem wohligen Lärm und dem kühlen Gestäube des
-lebenspendenden Elementes.
-
-
-Das Kloster Hossios Lukas bietet uns Quartier für die Nacht. Vom
-behäbigen Prior empfangen, geleitet von dienstfertigen Mönchen, treten
-wir, durch ein kleines Vorgärtchen, ohne Treppen zu steigen, ins Haus.
-Gleich linker Hand ist ein Zimmer, das uns überwiesen wird. Auf den
-gebrechlichen Holzaltan des Zimmerchens tretend, blicken wir in den
-tiefen Klosterhof und zugleich über die Dächer der Mönchskasernen in das
-vollkommen einsame, wilde Hochtal hinaus.
-
-Eng und nur wenig Hofraum lassend, sind die Klostergebäude in, wie es
-scheint, geschlossenem Kreis um eine alte byzantinische Kirche gestellt,
-die sie zugleich beschützen und liebevoll einschließen. Das Hauptportal
-der Kirche liegt schräg in der Tiefe unter uns. Wir können mit den nahen
-Wipfeln alter Zypressen Zwiesprache halten, die seit Jahrhunderten
-Wächter vor diesem Eingang sind.
-
-Der Prior wünscht uns die Kirche zu zeigen, die innen ein trauriges Bild
-der Verarmung ist. Reste von Mosaiken machen wenig Eindruck auf mich,
-desto mehr ein Geldschrank, der, an sich befremdlich in diesem geweihten
-Raum, zugleich ein wunderlicher Kontrast zu seinem kahlen, ausgepoverten
-Zustand ist.
-
-Dem Prior geht ein jugendlich schöner Mönch mit weiblicher Haartracht an
-die Hand. Er öffnet Truhen und Krypten mit rostigen Schlüsseln. Das Auge
-des jungen Mönches verfolgt uns unablässig mit bohrendem Blick. Als wir
-jetzt wiederum auf dem Balkon unseres Zimmers sind, taucht er auf einem
-nahen Altane neugierig auf.
-
-Während über den Dächern und in der Wildnis draußen noch Helle des
-sinkenden Tages verbreitet ist, liegt der Hof unter uns bereits in
-nächtlicher Dämmerung. Ich horche minutenlang in die wundervolle Stille
-hinunter, die durch das Geplätscher eines lebendigen Brunnens nur noch
-tiefer und friedlicher wird. Mit einem Male ist es, als sei die Seele
-dieser alten winkligen Gottesburg aus tausendjährigem Schlummer erwacht.
-Arme werden hereingelassen und es wird von den Brüdern unterm
-Klosterportale ziemlich geräuschvoll Brot verteilt.
-
-Nach einigem Rufen, Treppengehen und Türenschließen tritt wieder die
-alte verwunschene Stille ein, mit den einsamen Lauten des
-Röhrenbrunnens. Dann klappert die dicke Bernsteinkette des freundlichen
-Priors unten im Hof. Man hört genau, wie er sein Spielwerk
-gewohnheitsgemäß bearbeitet, das heißt die Bernsteinkugeln
-ununterbrochen durch die Finger gleiten läßt und gegeneinander schiebt.
-
-Ich gehe zur Ruhe, im Ohre feierlich summenden Meßgesang, der schwach
-aus dem Innern der Kirche dringt.
-
-
-Der Aufbruch von Hossios Lukas geschieht unter vielen freundlichen
-Worten und Blicken der Mönche, die um uns versammelt sind. Ich komme
-eben von einer schönen Terrasse des Klosters zurück, die, inmitten der
-steinigten Ödenei, von alten, vollbelaubten Platanen beschattet ist.
-Terrassen für den Gemüsebau setzten sich in die Tiefe fort und hie und
-da sind dem Felsenschutt des verlassenen Tales Wiesen und Ackerstreifen
-abgerungen. Ich sah die kleinen »Mädchen für alles« der älteren Brüder
-und Patres mit Besen und Wassereimern in lebhafter Tätigkeit, die Patres
-selber, wie sie rotkarrierte Betten auf ihren morschen Balkonen
-ausbreiteten. Die kleinen »Mädchen für alles« sind junge Lehrlinge,
-deren schönes, langes Haar, wie das von Mädchen, im Nacken zu einem
-Knoten aufgenommen ist. Es ist ein wolkenlos heiterer Morgen mit einer
-frühlingshaften Wonne der Luft, die göttlich ist und die in jedem Auge
-wiederleuchtet. Noch klingt mir der Gruß des Bruders Küper, sein
-frisches [Griechisch: Kalimera] im Ohr, womit er mich grüßte, als ich
-unten am Brunnen vorüberging, wo er trällernd ein Weinfaß reinigte. Es
-war ein Gruß, der ebenfalls von dem frischen Glück dieses Morgens
-widerklang.
-
-
-Kaum hat unsere kleinere Karawane sich nur ein wenig, zwischen Gebüschen
-von Steineichen hintrottend, aus dem Bereich des Klosteridylls entfernt
-und schon umgibt uns wieder das alte ewige Hirtenidyll. Ich unterscheide
-mit einem Blick vier einzelne Schafherden, deren Geläute herüberdringt,
-und plötzlich erscheinen, Wölfen gleich, gewaltige Schäferhunde über uns
-an der Wegböschung. Man scheucht sie mit großen Steinen zurück.
-
-
-Wir biegen nach einem längeren Ritt in ein abwärts führendes, enges Tal,
-das, wie es scheint, recht eigentlich das Dionysische ist. Wir müssen
-zunächst durch eine gedrängte Herde schwarzer Ziegen förmlich
-hindurchschwimmen, unter denen sich prächtige Böcke auszeichnen, jenen
-ähnlich, die ich auf der Höhe des Passes sah. Und wie ich die Blicke
-über die steinigten Talwände forschend ausschicke, sehe ich sie mit
-schwarzen Ziegen, wie mit überall hängenden, kletternden, kleinen
-schwarzen Dämonen bedeckt.
-
-Der Eingang des schwärzlich wimmelnden Tales wird von dem vollen Glanz
-des Parnasses beherrscht, der aber endlich dem Auge entschwindet, je
-weiter wir in das Tal hinabdringen: das Tal der Dämonen, das Tal des
-Dionysos und des Pan, das immer mehr und mehr von gleichmäßig schwarzen
-Ziegen wimmelt. Wohl eine Viertelstunde lang und länger ziehen wir
-mitten durch die Herden dahin, die zu beiden Seiten unseres
-gestrüppreichen Pfades schnauben, Steineichenblätter abrupfen und hie
-und da leise meckern dazu. Überall raschelt, reißt, stampft und prustet
-es zwischen den Felsen, in den Gebüschen: da und dort wird ein Glöckchen
-geschlenkert. Mitunter kommen wir in ein ganzes Glockenkonzert hinein,
-dessen Lärm das gesprochene Wort verschlingt.
-
-Ich habe, auf meinem Maultier hängend, Augenblicke, wo mir dies alles
-nicht mehr wirklich ist. Ein alter Knecht und Geschichtenerzähler fällt
-mir ein, der mir in ländlichen Winterabenden ähnliche Bilder als
-Visionen geschildert hat. Er war ein Trinker, und als solcher ja auch
-verknüpft mit Dionysos. In seinen Delirien sah er die Welt, je nachdem,
-von schwarzen Ziegen oder Katzen erfüllt, wobei er von alpdruckartiger
-Angst gepeinigt wurde.
-
-Der Schritt des Maultiers, die Glocke des Maultiers, allüberall das
-Eindringen dieser fremden Welt, dazu die ungewöhnliche Lichtfülle, die
-Existenz in freier Luft, Ermüdung des Körpers durch ungewöhnliche
-Reisestrapazen, jagen auch mir einen Anflug von Angst ins Blut. Ich habe
-vielleicht eine Vision und es ist mir manchmal, als müsse ich diese
-zahllosen schwarzen Ziegen vor meinen Augen wegwischen, denen mein Blick
-nicht entgehen kann.
-
-Ein weites Quertal nimmt uns auf und wie ein Spuk liegt nun die Vision
-der schwarzglänzenden Ziegen hinter mir. Wir überholen einen reisenden
-Kaufmann, dessen Maultier von einem kleinen Jungen getrieben wird. So
-schön und vollständig, wie nie zuvor, steht der Parnaß, von dem wir
-bereits Abschied genommen hatten, vor uns aufgerichtet: ein breiter
-silberner Wall mit weißen Gipfeln. Ich gewinne den Eindruck, der
-appollinisch strahlende Glanz strömt in das Tal, das der Berg
-beherrscht.
-
-
-Wir reisen nun schon seit einiger Zeit durch die Ebene hin. Neben
-flacheren Felsgebieten und einem verzweigten Flußbett, das mit Gebüschen
-bewachsen ist, breiten sich Flächen grüner Saat, über denen klangreich
-die Lerche zittert.
-
-Es ist faszinierend, zu sehen, wie der Parnaß nun wiederum diese Ebene
-überragt. Auf breitester Basis ruhend, baut sich der göttliche Berg aus
-eitel Glanz in majestätischer Schönheit auf. Hier wird es deutlich, wie
-die bezwingende Gegenwart solcher Höhen göttlichen Ruhm vor den
-Menschen, die sie umwohnen, durchsetzen und behaupten muß. Ich empfinde
-nicht anders, als stammte der trillernde Rausch des Lerchengeschmetters,
-das leuchtende Grün der Saaten, der zitternde Glanz der Luft von diesem
-geheiligten Berge ab und nähre sich nur von seinem Glanze.
-
-Oftmals wende ich mich auf meinem Maultier nach der verlassenen
-Felsenwelt der Hirten und Herden zurück, während sich über mir Parnaß
-und Helikon mit dem Glanz ihrer silbernen Helme über die weite Ebene
-grüßen. Flössen doch alle Quellen dieser heiligsten Berge wieder
-reichlich voll und frisch in die abgestorbenen Gebiete der europäischen
-Seele hinein! Möchte das starre Leuchten dieser olympischen Vision
-wiederum in sie hineinwachsen und den übelriechenden Dunst verzehren,
-mit dem sie, wie ein schlecht gelüftetes Zimmer, beladen ist.
-
-Nun sitze ich, von der glühenden Sonne nicht ganz geschützt, unterm
-Vordach einer Weinschenke. Parnassische Hirten und Hirtenhunde umgeben
-mich, unter den wettergebräunten Männern sind blonde Köpfe, deren
-antiker Schnitt unverkennbar ist. Der kühne Blick verrät dionysisches
-Feuer im Blut. Der Bartwuchs, ohne gepflegt zu sein, ähnelt in Form,
-Dichte und Kräuselung durchaus gewissen antiken Plastiken, die Helden
-oder Halbgötter darstellen.
-
-Ich teile die Reste meiner Mahlzeit mit einem weißen, gewaltigen
-Schäferhund. Und nachdem wir einen Blick auf den schmerzvoll grinsenden
-Löwen von Cheronea geworfen, ist der parnassische Hirtentraum zu Ende
-geträumt. Doch nein, an der kleinen Haltestelle der Eisenbahn, die wir
-erreicht haben, und die von einem Sumpfe voll quakender Frösche umgeben
-ist, finden wir ein gefesseltes schwarzes Lamm. Es hat, mit dem Rücken
-nach unten, am Sattel eines Maultieres hängend, eine Reise von zehn
-Stunden, durch die Hochtäler des Parnaß, von Delphi her, im Sonnenbrande
-zurückgelegt. Es trägt den Ausdruck hoffnungsloser Fügung im Angesicht.
-Sein Eigentümer ist jener Kaufmann, den wir überholten, und dessen
-Maultier ein Knabe trieb. Er wird um sein Osterlamm beneidet und
-Bahnbeamte treten hinzu, fühlen es ab nach Preis und Gewicht und
-Fettgehalt. Schließlich legt man das arme, unsäglich leidende, schwarze
-parnassische Lamm, mit zusammengebundenen Füßen dicht an die Geleise,
-damit es leicht zu verladen ist. Ich sehe noch, wie es an seinen Fesseln
-reißt und verzweifelt emporzuspringen versucht, als die Maschine
-herandonnert und gewaltig an ihm vorüberdröhnt.
-
-
-Wir haben Athen verlassen, um über Korinth, Mykene, Argos und andere
-klassische Plätze schließlich nach Sparta zu gelangen. Am Nachmittag ist
-Korinth erreicht, nach längerer Bahnfahrt, die uns nun schon bekannte
-Bilder wiederum vor die Augen geführt hat, darunter flüchtige und doch
-warme Eindrücke von Eleusis, Megara, dem schönen Isthmus und der
-Eginetischen Bucht.
-
-Ein Wagen führt uns unweit vom Rande des Golfes, dem Fuße von
-Akrokorinth entgegen, einer drohenden Felsmasse, die von den Resten
-roher Befestigungen verunziert ist.
-
-Über den Golf herüber weht eine frische, fast nordische Luft, aus der
-Gegend des Helikon, dessen leuchtender Gipfel schemenhaft sichtbar
-bleibt. Der Wagen rollt auf schlechten Feldwegen zwischen grünen Saaten
-dahin.
-
-Der korinthische Knabe hatte für Körper und Geist einen weiten,
-unsäglich mannigfaltigen Tummelplatz. Den furchtbarsten Burgfelsen über
-sich, schwamm er im Lärm und Getriebe einer Hafenstadt, die im weiten
-Kreise von grünen oder nackten Hügeln umgeben war. Überall erlangte sein
-Blick die geheiligten Höhen der Götter- und Hirtenwelt, die wiederum bis
-in das Herz der Stadt hineinreichte. Für Wanderungen oder Fahrten taten
-sich Peloponnes und Isthmus auf und auf diesem herrlichen Erdenfleck
-genoß er die gleichsam geborgene Schönheit eines südlichen Alpensees und
-auch die grenzenlose Wonne des freieren Meeres.
-
-
-Wir besteigen Pferde, und diese erkletterten nun mühsam den Felsen von
-Akrokorinth, der mehr und mehr, je weiter wir an ihm hinaufkriechen, wie
-eine verdammte Stätte erscheint: ein düsteres Tor durch einen Ring von
-Befestigungsmauern, führt in ein ödes Felsenbereich.
-
-Wir sind -- die Pferde haben wir vor dem ersten Tore zurückgelassen! --
-einer zweiten Ringmauer gegenübergestellt, die abermals ein Tor
-durchbricht. Eilig klimmen wir weiter aufwärts: eine weißliche Sonne hat
-sich schon nahe bis an den Horizont herabgesenkt. Kalter Bergwind fegt
-durch ein zweites ungeheures Trümmerbereich, und wir finden uns vor dem
-engsten jener Mauerringe, die den Gipfel des Festungsberges
-einschließen. Diesen Gipfel erkletterten wir nun durch ein drittes Tor.
-Es ist eine Wüstenei, ein Steinchaos. Fremd und schon halb und halb in
-Schatten gesunken, liegt die gewaltige Bergwelt des Peloponnes unter
-uns. Wir eilen, aus dieser entsetzlichen Zwingburg durch die Trümmerhöfe
-wieder hinabzukommen. Wirkliches Grauen, wirkliche Angst tritt uns an.
-
-Nach den geheiligten Hügeln und Bergen, deren Bereich ich in den letzten
-Wochen betrat oder wenigstens mit dem Blick erreichte, ist dies der
-erste, der unter einem unabwendbaren Fluch verödet scheint.
-
-
-Seltsam wie das bange Gefühl, was der nahende Abend einflößt mit dem
-kleinen Kreis sonderbar banger Phantasiegestalten in Einstimmung ist,
-die für mich, seitdem ich ein bewußteres Leben führe, mit dem Namen
-Korinth verbunden sind. Schon vor etwa achtundzwanzig Jahren, während
-einer kurzen akademischen Studienzeit, drängten sich mir die
-rätselvollen Gestalten des Periander, seiner Gattin Melissa und des
-Lykophron, seines Sohnes, auf. Ich darf wohl sagen, daß die Tragödie
-dieser drei Menschen in ihrer unsäglich bittersüßen Schwermut all die
-Jahre meine Seele beschäftigt hat.
-
-Periander! Melissa! Lykophron!
-
-Periander, auf dem Burgfelsen hausend, Tyrann von Korinth, allmählich
-ähnlich wie Saul, ähnlich wie der spartanische König Pausanias, in einen
-finsteren Wahnsinn versinkend. Leidend an jenem unausbleiblichen
-Schicksal großer Herrschernaturen, die nach erreichtem Ziel von jenen
-Dämonen verfolgt werden, die ihnen dahin lockend voranschritten. Er
-hatte die Einwohnerschaft Korinths von den furchtbaren Felsen herunter
-terrorisiert und dezimiert. Er hatte Lyside, die Tochter des Tyrannen
-Prokles, geheiratet, der zu Epidaurus saß. Die Gattin, zärtlich von ihm
-Melissa genannt, ward später von ihm aus unbekannten Gründen heimlich
-ermordet: zum wenigsten wurde ihr Tod Periandern zur Last gelegt.
-Prokles, Lysidens Vater, ließ eines Tages vor den beiden inzwischen
-herangewachsenen Enkeln, Kypselos und Lykophron, den Söhnen Melissens
-und Perianders, Worte fallen, die besonders dem Lykophron eine Ahnung
-von dem Verbrechen des Vaters aufgehen ließen, und diese Ahnung bewirkte
-nach und nach zwischen Sohn und Vater den tiefsten Zerfall.
-
-Der große Britte hat die Tragödie eines Sohnes geschrieben, dessen
-Mutter am Morde ihres Gatten, seines Vaters, beteiligt war. Er hat die
-psychologischen Möglichkeiten, die in dem Vorwurf liegen, nicht bis zu
-jeder Tiefe erschöpft. Wie denn ein solcher Gegenstand seinem Wesen nach
-überhaupt unerschöpflich ist, derart zwar, daß er sich selber in immer
-neuen Formen, aus immer neuen Tiefen manifestieren kann. Vielleicht ist
-das Problem Periander Lykophron noch rätselvoller und furchtbarer, als
-es das Rätsel Hamlets und seiner Mutter ist. Dabei hat dieser göttliche
-Jüngling Lykophron mit dem Dänenprinzen Ähnlichkeit ... man könnte ihn
-als den korinthischen, ja den griechischen Hamlet bezeichnen.
-
-Gleichwohl war in seiner Natur ein Zug von finstrer Entschlossenheit.
-
-Während Periander in der wesentlichen Vereinsamung der Herrschbegier --
-denn der Herrschende will allein herrschen und wenn er auch andere
-Herrscher dulden muß, so erreicht er doch die Trennung von allen, das
-Alleinsein, immer gewiß. Er gräbt sich meistens jeden gemütischen Zufluß
-der Seele ab, wodurch sie denn, wie ein Baum bei Dürre, qualvoll langsam
-zugrunde geht.
-
-Also während Periander, sagte ich, vereinsamt, als Herrscher von
-Korinth, in seinem Palast auf dem öden Burgfelsen, mit den Dämonen und
-mit dem Schatten Melissens rang, hatte sich Lykophron nicht nur von ihm
-abgekehrt, sondern von Grund aus alles und jedes, außer das Leben! was
-er ihm zu verdanken hatte -- alles und jedes, was ihm durch Geburt an
-Glanz und Prunk mit dem Vater gemeinsam war, dermaßen gründlich von sich
-getan, daß er, obdachlos und verwahrlost, in den Hallen und Gassen des
-reichen Korinth umherlungernd, von irgendeinem anderen Bettler nicht
-mehr zu unterscheiden war.
-
-Hier noch wurde er aber von dem allmächtigen Vater mit rücksichtsloser
-Strenge verfolgt, dann wieder mit leidenschaftlicher Vaterliebe; doch
-weder Härte noch Zärtlichkeit vermochten den qualvollen Trotz der
-vergifteten Liebe abzuschwächen.
-
-Die Tat des Periander wurde mit dem Schicksale dieses Lykophron zum
-Doppelmord: zum Morde der Gattin und des Sohnes. Und hierin liegt die
-Eigenart der Tragik, die in der Brust Perianders wütete, daß er einen
-geliebten und bewunderten Sohn, das köstlichste Gut seines späteren
-Lebens, plötzlich und unerwartet durch den Fluch seiner häßlichen Tat
-vernichtet fand. Damit war ihm vielleicht der einzige Zustrom seines
-Gemütes abgeschnitten und das Herz des alternden Mannes ward von dem
-Grauen der großen Leere, der großen Öde umschränkt.
-
-Ich bin überzeugt, daß tiefe Zwiste unter nahen Verwandten unter die
-grauenvollsten Phänomene der menschlichen Psyche zu rechnen sind. In
-solchen Kämpfen kann es geschehen, daß glühende Zuneigung und glühender
-Haß parallel laufen -- daß Liebe und Haß in jedem der Kämpfenden
-gleichzeitig und von gleicher Stärke sind: das bedingt die ausgesuchten
-Qualen und die Endlosigkeit solcher Gegensätze. Liebe verewigt sie, Haß
-allein würde sie schnell zum Austrag bringen. Was könnte im übrigen
-furchtbarer sein, als es die Fremdheit derer, die sich kennen, ist?
-
-Periander sendete Boten an das Totenorakel am Acheron, um irgendeine
-Frage, die ihn quälte, durch den Schatten Melissens beantwortet zu
-sehen. Melissa dagegen beklagte sich, statt Antwort zu geben und
-erklärte, sie friere, denn man habe bei der Bestattung ihre Kleider
-nicht mit verbrannt.
-
-Als die Boten heimkehrten, hierher nach Korinth, konnte Periander nicht
-daran zweifeln, daß wirklich der Schatten Melissens zu ihnen geredet
-hatte, denn sie brachten in rätselhaften Worten die Andeutung eines
-Geheimnisses, dessen einziger Hüter Periander zu sein glaubte.
-
-Durch dieses Geheimnis wurde ein perverses Verbrechen des Gatten
-verdeckt, der seine Gattin nicht allein getötet, sondern noch im
-Leichnam mißbraucht hatte: eine finstere Tat, die das schreckliche Wesen
-des Tyrannen gleichsam mit einem höllischen Strahle der Liebe verklärt.
-
-Er ließ nun in einem Anfall schwerer Gewissensangst die Weiber Korinths,
-wie zum Fest in den Tempel der Hera berufen. Dort rissen seine
-Landsknechte ihnen gewaltsam Zierat und Festkleider ab und diese wurden
-zu Ehren Melissens, und um ihren Schatten zu versöhnen, in später
-Totenfeier verbrannt.
-
-Periander, Melissa, Lykophron. Es hat immer wieder, während beinahe
-dreier Jahrzehnte, Tage gegeben, wo ich diese Namen lebendig in mir, ja
-oft auf der Zunge trug. Sie waren es auch, die, Sehnsucht erweckend, vor
-mir her schwebten, als ich das erstemal den Anker gehoben hatte, um
-hierher zu ziehen. Auch während der kleinen Schiffsreise jüngst, durch
-den Golf von Korinth, hat mein Mund zuweilen diese drei Namen lautlos
-geformt, nicht minder oft auf der Fahrt nach Akrokorinth. Und hier, im
-fröstelnden Schauder heftiger Windstöße, auf dem gespenstischen Gipfel
-des Burgfelsens, habe ich im kraftlosen Licht einer bleichen Sonne, die
-unterging, die fröstelnden Schatten Perianders, Melissens und Lykophrons
-dicht um mich gespürt.
-
-
-Unten, im Dämmer der Rückfahrt, während die Feldgeister über der in
-Gerstenhalmen wogenden Gräberstätte des alten Korinth sich zu regen
-beginnen, zuckt im Rädergeroll der nächtlichen Fahrt ein und das andere
-Bild der lärmenden alten Stadt vor der Seele auf. Mitunter ist alles
-plötzlich von einer so tosenden Gegenwart, daß ich Geschwätz und
-Geschrei des Marktes um mich zu hören glaubte, und alles dieses mit dem
-Anblick weiter abgelegener Felder verquickt, die sich rings um den
-übermächtig hineingelagerten, finsteren Gewalttäterfelsen wie
-Leichentücher weit umherbreiten.
-
-Und ohne daß dieser tote Dämmer, dieses ewig teilnahmlose Gegenwartsbild
-verändert wird, sehe ich die Lohe der Totenfeier Melissens nächtlich
-hervorbrechen und fühle das Fieber, das die leidenschaftliche Kraft des
-großen Periander auf die Bewohner der geknechteten Stadt überträgt. Der
-Heratempel ist vom Geschrei der Weiber erfüllt, denen die Bravi die
-Kleider vom Leibe reißen, die Gassen vom Geschrei jener anderen, die
-nackt und beraubt entkommen sind. Nicht weit vom Tempel, den Blick in
-den rötlichen Schein der Feuersbrunst mit einem starren Lächeln
-gerichtet, steht Lykophron: durch Schmerz und die Wollust der
-Selbstkasteiung fast irrsinnig, das Antlitz durch Hunger und innere Wut
-verzerrt, aber in diesem Augenblick nicht nur vom Wiederscheine des
-Feuers, sondern von einem bösen Triumphe verklärt. Rings lärmen und
-brüllen die Leute um ihn: es ist durch Verordnung Perianders aufs
-strengste verboten, ihn anzureden.
-
-Als aber am folgenden Tage Periander selbst dies zu tun unternimmt,
-erhält er von seinem Sohne nur diese Antwort: man wird dich in Strafe
-nehmen, weil du mit Lykophron gesprochen hast.
-
-
-Gegen zwölf Uhr mittags, nachdem wir am Morgen Korinth verlassen haben,
-befinde ich mich in einer Herberge, von der aus man die argivische Ebene
-übersieht. Sie ist begrenzt von gewaltigen peloponnesischen Bergzügen
-und augenblicklich durchbraust von einem heißen Wind, der in der
-blendenden Helle des Mittags die Saatfelder wogen macht.
-
-Der Raum, in dem die Kuriere das Frühstück auftragen, hat den
-gestampften Boden einer Lehmtenne. Er ist zugleich Kaufladen und
-Weinausschank. Es riecht nach Kattun. Blaue Kattune sind in den
-Wandregalen aufgestapelt. Dank den Kurieren, die in Athen eine
-Korporation bilden, herrscht in den Herbergen, die sie bevorzugen, eine
-gewisse Sauberkeit.
-
-Ich bin vor die Tür des kleinen Wirtshauses getreten. Die von den Bergen
-Arkadiens eingeschlossene Ebene ist noch immer durchbraust von Sturm und
-steht noch immer in weißer Glut. In weißlich blendendem Dunst liegt der
-Himmel über uns. Die Burg von Argos, Larissa, ist in der Talferne
-sichtbar, der Boden des Tals ist in weite Gewände abgegrenzt, die teils
-von wogender Gerste bedeckt, teils unbestellt und die trockene rote
-Scholle zeigend, daliegen.
-
-Diese Landschaft erscheint auf den ersten Blick ein wenig kahl, ein
-wenig nüchtern in ihrer Weiträumigkeit. Ich bin nicht geneigt, sie als
-Heimat jener blutigen Schatten anzusprechen, die unter den Namen
-Agamemnon, Klytämnestra, Tyest und Orestes ruhelos durch die
-Jahrtausende wandern. Ihre Heimat war im Haupte des Äschylos und des
-Sophokles.
-
-Die Gestalten der großen Tragödiendichter der Alten sind von einem
-Element des Grauens getragen und in ihm zu körperlosen Schatten
-aufgelöst. Es ist in ihnen etwas von den Qualen abgeschiedener Seelen
-enthalten, die durch die unwiderstehliche Macht einer Totenbeschwörung,
-zu einer verhaßten Existenz im Lichte gezwungen sind. Auf diese Weise
-wecken sie die Empfindung in uns, als stünden sie unter einem Fluch, der
-ihnen aber, so lange sie noch als Menschen unter Menschen ihr Leben
-lebten, nicht anhaftete. Der schlichte Eindruck einer realen
-landschaftlichen Natur bei Tageslicht widerlegt jeden Fluch und zwingt
-der bis zum Zerreißen überspannten Seele den Segen natürlicher Maße auf.
-
-Den Tragikern bleibt in dieser Beziehung Homer vollkommen gesondert
-gegenübergestellt. Seine Dichtungen sind keine Totenbeschwörungen. Über
-seinen Gedichten ist nirgend das Haupt der Medusa aufgehängt. Gleicht
-das Gedicht des Tragikers einem Klagegesang -- seines gleicht überall
-einem Lobgesang, und wenn das Kunstwerk des Tragikers von dem Element
-der Klage, wie von seinem Lebensblute durchdrungen ist, so ist das
-Gedicht Homers eine einzige Vibration der Lobpreisung. Die dichtende
-Klage und heimliche Anklage und das dichtende Lob, wer kann mir sagen,
-welches von beiden göttlicher ist?
-
-Die Tragödie ist immer eine Art Höllenzwang. Die Schatten werden mit
-Hilfe von Blut gelockt, gewaltsam eingefangen und brutal, als ob sie
-nicht Schatten wären, durch Schauspieler ins reale Leben gestellt: da
-müssen sie nun nichts anderes als ihre Verbrechen, ihre Niederlagen,
-ihre Schande und ihre Bestrafungen öffentlich darstellen. Hierin
-verfährt man mit ihnen erbarmungslos.
-
-Seit Beginn meiner Reise liegt mir eine wundervolle Stelle der Odyssee
-im Sinn. Der Sonnengott, dem man seine geliebte Rinderherde getötet hat,
-klagt die Frevler, die es getan haben, die Genossen des Odysseus, im
-Kreise der Götter an und droht, er werde, sofern man ihn nicht an den
-Tätern räche, fortan nicht mehr den Lebenden, sondern den Toten
-leuchten:
-
- »Büßen die Frevler mir nicht vollgütige Buße des Raubes;
- Steig' ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!«
-
-Wer wollte diese erhabenste und zugleich herrlichste Drohung in ihren
-überwältigenden Aspekten nicht empfinden. Es ist nicht mehr und nicht
-weniger als der ganze Inhalt eines künftigen Welt-Epos, dessen Dante
-geboren werden wird. Aber wenn nicht mit der ganzen apollinischen
-Lichtgewalt, so doch mit einem Strahle davon erscheinen die Gestalten
-Homers beglückt und sind damit aus dem Abgrund der Toten zu neuem Leben
-geweckt worden und es ist nicht einzusehen, warum der Gott nicht auch
-dem dramatischen Dichter einen von seinen Strahlen leihen sollte. Ist
-doch das Dramatische und das Epische niemals rein getrennt, ebensowenig
-wie die Tendenzen der Zeit und des Ortes. Und wer wüßte nicht, wie das
-Epos Homers zugleich auch das gewaltigste Drama und Mutter zahlloser
-späterer Dramen ist.
-
-Wenn wir einen Durchbruch des apollinischen Glanzes in die Bereiche des
-Hades als möglich erachteten, so möchte ich die Tragödie, cum grano
-salis, mit einem Durchbruch der unterirdischen Mächte, oder mit einem
-Vorstoß dieser Mächte ins Licht vergleichen. Ich meine damit die
-Tragödie seit Äschylos, von dem es heißt, daß er es gewesen ist, der den
-Erinnyen Schlangen ins Haar geflochten hat.
-
-Nehmen wir an, die Tragödie habe dem gleichen Instinkt gedient, wie das
-Menschenopfer. Dann trat allerdings an Stelle der blutigen Handlung der
-unblutige Schein. Trotzdem in Wahrheit aber Menschenblut nicht vergossen
-wurde, hatte die bange und schreckliche Wirkung an Macht gewonnen und
-sich vertieft: derart, daß erst jetzt eine chthonische Wolke gewaltsam
-lastend und verdüsternd in den olympischen Äther stieg, deren
-grauenerregende Formen mit den homerischen Lichtgewölken olympischen
-Ursprungs rangen, und schließlich den ganzen Olymp der Griechen
-verdüsterten.
-
-
-Wir brechen auf, um die Trümmer von Mykene und die unterirdischen Bauten
-zu sehen, die man Schatzhäuser nennt. Ich bin durchaus homerisch
-gestimmt, wie denn mein ganzes Wesen dem Homerischen huldigt, auch wenn
-ich nicht des wundervollen Schatzes gedenken müßte, der im Museum zu
-Athen geborgen liegt und der aus den Gräbern von Mykene gehoben ist. Wo
-ist das Blutlicht, mit dem Äschylos und Sophokles durch die Jahrhunderte
-rückwärts diese Stätte beleuchteten? Es ist von der Sonne Homers
-getilgt. Und ich sehe in diesem Augenblick die Greueltaten der
-Klytämnestra, des Agist und des Orest höchstens mit den Augen des
-Menelaos in Sparta an, als er dem jugendlichen Telemach, der gekommen
-ist, nach Odysseus, seinem Vater, zu forschen, davon erzählt.
-
- »Aber indessen erschlug mir meinen Bruder ein Anderer
- Heimlich mit Meuchelmord durch die List des heillosen Weibes ...
- Dennoch, wie sehr ich auch trauere, bewein' ich alle nicht so sehr
- Als den einen ...«
-
-womit er Odysseus -- nicht einmal Agamemnon! -- meint, den lange
-Vermißten.
-
-Wer, der die kerngesunde Königsidylle jenes Besuches liest, den Telemach
-in Sparta abstattet, könnte dagegen des Glaubens sein, daß der erprobte
-Held, Mann und Bruder sich sophokleischen Blutträumen überlassen hätte?
-Zumal, wenn er sagt:
-
- »Laßt uns also des Grams und unserer Tränen vergessen«
-
-oder wenn Helena bei ihm ruhte, noch immer »Die Schönste unter den
-Weibern.«
-
-
-Das Löwentor, der mykenaische Schutthügel und die Hügel ringsum sind von
-Sonne durchglüht und von Sturm umbraust. Überall füllt Duft von Thymian
-und Myrrhen die Luft. Ganz Griechenland duftet jetzt von Thymian und
-Majoran. In den Kalksteintrümmern der alten Stadt schreien Eulen
-einander zu, wach und lebhaft, trotz hellblendender Sonne. Weiß wie
-Schlacke liegt Trümmerstück an Trümmerstück.
-
-Die Burg hat eine raubnestartige Anlage: in Hügeln versteckt und von
-höheren felsigen Bergen gedeckt, übersah sie das ganze rossenährende
-Argos. Zur Seite hatte sie eine wilde Kluft, die jeden Zugang
-verhinderte.
-
-Es ist von eigentümlichem Reiz, sich nach den mykenaischen Gräberfunden
-in dieser Umgebung ein Leben in Üppigkeit und Luxus vorzustellen: Männer
-und Frauen, die sich schnürten, und besonders Frauen, deren Toiletten an
-Glanz und Raffinement der Toilette einer spanischen Tänzerin, die in
-einem pariser Theater tanzt, gleichgekommen sind. Aber schließlich ist
-es wieder Homer, der überall den Sinn für Komfort und Luxus entwickelt
-und nie vergißt, Bäder, duftende Betten, reinliches Linnen, hohe und
-hallende Säle, Schmuck und Schönheit der Weiber, ja sogar den
-Wohlgeschmack des Getränks und der Speisen gebührend zu würdigen.
-
-
-Die unterirdischen Kuppelbauten, die Pausanias Schatzhäuser nennt, sind
-ihrer eigentlichen Bestimmung nach noch heute ein Rätsel. Sie waren
-bekannt, wie es scheint, durch das ganze griechische Altertum und
-wahrscheinlich, so weit sie frei lagen, wie noch heute, erfüllt von
-Bienengesumm. Das »Schatzhaus des Atreus«, ist vollkommen freigelegt.
-Die weiche, sausende Chormusik der kleinen honigmachenden Priesterinnen
-der Demeter, die den unterirdischen Bau erfüllt, verbreitet mystische
-Feierlichkeit. Sie scheinen im Halblicht der hohen Kuppel
-umherzutaumeln. Sie fliegen, an den unbestrittenen Besitz dieser Räume
-gewöhnt, gegen die Köpfe der Eintretenden. Ihr sonorer Flug bewegt sich
-mit Gehen und Kommen in eine niedrige Nebenkammer, die sehr wohl eine
-Grabkammer sein könnte. Aber die Menge der Schatzhäuser würde durch eine
-Bestimmung als unterirdische Tempelgräber, für Totenopfer und Totenkult,
-nicht erklärt. Ich stelle mir aber gern inmitten dieses sogenannten
-Artreusschatzhauses einen Altar vor und das Feuer darauf, das den Raum
-erleuchtet und lärmend belebt und dessen Rauch durch die kleine runde
-Öffnung der Kuppel abzieht und oben scheinbar aus der Erde selber
-hervordringt.
-
-
-Drei Schimmel ziehen unsern Wagen im Galopp durch die Vorstädte von
-Tripolitza in die arkadische Landschaft hinaus. Der wolkenlose Himmel
-ist über weite Ackerflächen gespannt, auf denen Reihen bunter,
-griechischer Landleute arbeiten. Der Tag wird heiß. Die Luft ist erfüllt
-von Froschgequak.
-
-Nun, nach einer längeren Fahrt durch kleine Ortschaften, verlassen wir
-die Ebene von Thegea. Die schöne Landstraße steigt bergan, und statt der
-Felder haben wir rötlich-graue Massen kahlen Gesteins zur Rechten und
-Linken, die spärlich mit Thymiansträuchern bewachsen sind. Es beginnt
-damit ein Arkadien, das mehr einer Wüstenei, als dem Paradiese ähnlich
-sieht. Nach einiger Zeit ist in der Höhe ein Dorf zu sehen, mit einigen
-langen, dünn belaubten Pappeln, die das Auge hungrig begrüßt. Nur wenig
-lösen sich die Häuser der Ortschaft von ihrem steinigten Hintergrund,
-der mit schmalen Gartenstreifen rötlicher Erde durchsetzt ist.
-
-Die Spitzen des Parnon werden zur Linken sichtbar, auf denen der Schnee
-zu schwinden beginnt. Ein kühler Wind setzt ein und erquickt inmitten
-dieser arkadischen Wüste.
-
-Ich hatte hier einen womöglich noch größeren Reichtum an Herden zu sehen
-gehofft, als zwischen Parnaß und Helikon: aber auf weitgedehnten,
-endlosen Trümmerhalden und auf der Landstraße begegnet nur selten Herde
-und Hirt. Die Gegend ist arm und ausgestorben, die ehemals das
-waldreiche Paradies der Jäger und Hirten gewesen ist.
-
-Die Straße wendet sich auf einer freien Paßhöhe rechts und tritt in das
-Gebiet von Lakonika. Der Taygetos liegt nun breit und mächtig mit weißen
-Gipfeln vor uns da.
-
-Aus einer ärmlichen Schenke ertönt Gesang. Und zwar ist es eine Musik,
-die an das Kommersbuchtreiben deutscher Studentenkneipen erinnert. Die
-Stimmen gehören Gymnasiallehrern aus Sparta an, die, noch im
-Osterferien-Rausch, fröhlich dorthin zurückreisen.
-
-Es erscheinen jetzt Äcker, Gartenflächen, Wiesen und Bäume oasenartig.
-Die Erde zwischen Felsen und Bäumen ist rot, und hier und da stehen
-rötliche Wasserlachen.
-
-Der Parnon verschwindet und taucht wieder auf. Die Gegend gewinnt,
-nachdem wir die Paßhöhe überschritten haben, an Großartigkeit. Einige
-der vielen steinigten Hochtäler, die man übersieht, zeigen Baumwuchs
-inselartig in ihrer Tiefe. Es ist mir, so lange mein Auge durch diese
-uferlosen, kochenden Wüsteneien schweift, als ob ich das traurig-nackte,
-ausgetrocknete Griechenland mit einem Mantel grüner Nadelwälder bedecken
-müßte, und meine Träumereien führen Armeen tätiger Menschen hierher,
-die, vom sorglich gepflegten Saatkamp aus, in geduldiger Arbeit Arkadien
-aufforsten. Mit tiefem Respekt gedenke ich der zähen Kraft und
-Tüchtigkeit jener Männer und Frauen meiner engeren Heimat, auch derer
-mit krummgezogenem Rücken, die den Forst ernähren, mehr wie sie der
-Forst ernährt, und mit Staunen vergegenwärtige ich die Schöpferkraft,
-die in der harten Faust der Arbeit liegt.
-
-
-Wir halten Rast. Die Herberge ist an eine Krümmung der Bergstraße
-gestellt. Unter uns liegt ein weites Tal, das der Taygetos mit einer
-Kette von Schneegipfeln mächtig beherrscht. Der Himmel glüht in einer
-fast weißen Glut. Hügelige Abhänge in der Nähe, von Olivenhainen
-bestanden, erscheinen ausgebrannt.
-
-Unsere Herberge hat etwas Japanisches. Das Schilfdach über der
-schwankenden Veranda, auf der wir stehen, ist durch dünne Stangen
-gestützt. Unten klingeln die müden Pferde mit ihren Halsglöckchen. Die
-trinkfrohen Lehrer aus Sparta haben uns eingeholt und sitzen lärmend
-unten im Gastzimmer. Wir werden in ein oberes Zimmer geführt, dessen
-Dielen dünn wie Oblaten sind. Durch fingerbreite Fugen zwischen den
-Brettern können wir zu den Lehrern hinabblicken. Der Kurier trägt ein
-Frühstück auf. Indessen schwelgen die Augen und ruhen zugleich im jungen
-Blättergrün eines Pappelbaums, der, vom heißen Winde bewegt, jenseits
-der Straße schwankt und rauscht.
-
-Nachdem wir gegessen haben, ruhen wir auf der Veranda aus. Bei jedem
-Schritt, den wir etwa tun, schaukelt die ganze Herberge. Zwei Schwalben
-sitzen nahe bei mir unter dem Schilfdach auf der Geländerstange. Überall
-um uns ist lebhaftes Fliegengesumm.
-
-
-Wir haben vor etwa einer Stunde das Kahni verlassen, wo uns die Lehrer
-aus Sparta eingeholt hatten. Ihr Einspännerwägelchen stand, als wir
-abfuhren, vor der Tür und wartete auf die indessen lustig zechenden
-Gäste. Sonderbar, wie in diesem heißen, stillen und menschenleeren Lande
-die brave Turnerfidelitas anmutete, die immer wieder in einem gewaltigen
-Rundgesang gipfelte!
-
-Die Straße beginnt sich stärker zu senken. Wir fahren weite Schlingen
-und Bogen an tiefen Abstürzen hin, die aber jetzt den Blick in eine
-immer reicher ausgestaltete Tiefe ziehen. Wir nähern uns der Gegend von
-Sparta, dem schönen Tal des Eurotas an.
-
-Es ist eine wundervolle Fahrt, durch immer reicher mit Wein,
-Feigenbäumen und Orangenhainen bestandene Abhänge. Ziegen klettern zur
-Linken über uns und zur Rechten unter uns. Lieblich gelegene
-Ansiedelungen mit weißem Gemäuer mehren sich, bis wir endlich das flache
-Aderngeflecht des Eurotas und zugleich die weite Talsohle überblicken
-können.
-
-Fast wie Vögel senken wir uns aus gewaltiger Höhe auf das moderne Sparta
-herab, das, mit weißen Häusern, aus Olivenhainen, Orangengärten und
-Laubbäumen, weiß heraufleuchtet. Es ist mir dabei, als beginne das
-strenge und gleichsam erzene Wort Sparta, sich in eine entzückende,
-ungeahnte südliche Vision aufzulösen. Eine augenblendende Vision von
-Glanz und Duft.
-
-Ich kann nicht glauben, daß irgendein Land an landschaftlichen Reizen
-und in der Harmonie solcher Reize mit dem griechischen wetteifern
-könnte. Es zeigt den überraschendsten Wechsel an Formen und überall eine
-bestrickende Wohnlichkeit. Man begreift sogleich, daß auch dieses Tal
-von Sparta eine festgeschlossene Heimat ist, mit der die Bewohner,
-ähnlich wie mit einem Zimmer, einem Hause verwachsen mußten.
-
-Ich möchte behaupten, daß der Reichtum der griechischen Seele zum Teil
-eine Folge des eigenartigen Reichtums der griechischen Muttererde ist.
-Wobei ich von dem landschaftlichen Sinn der Alten den allerhöchsten
-Begriff habe. Natürlich nicht einem landschaftlichen Sinn in der Weise
-moderner Malerei, sondern als einer Art Empfindsamkeit, die eine Seele
-immer wieder zum unbewußten Reflex der Landschaft macht.
-
-Zweifellos war die Phantasie im Geiste des Menschen die erste und lange
-Zeit alleinige Herrscherin, aber das im Wechsel der Tages- und
-Jahreszeiten feste Relief des Heimatsbodens blieb in einem gewissen
-Sinne ihr Tummelplatz. Was an bewegten Gestalten von ihr mit diesem
-Boden verbunden wurde, das hatte dieser Boden auch miterzeugt.
-
-Das unbewußte Wirken des Geistes, im Kinde so wie im Greise, ist immer
-wesentlich künstlerisch, und Bildnertrieb ist eine allgemein verbreitete
-Eigenschaft, auch wo er sich nie dem äußeren Auge sichtbar kundgibt.
-Auch der Naivste unter den Menschen wohnt in einer Welt, an deren
-Entstehung er den hauptsächlichsten Anteil hat und die zu ergründen
-ebenso reizvoll sein würde, als es die Bereisung irgendeines
-unentdeckten Gebietes von Tibet ist. Unter diesen Naivsten aber ist
-wiederum keiner, der nicht das Beste, was er geschaffen hat, mit Hilfe
-des kleinen Stückchens Heimat geschaffen hätte, dahinein er geboren ist.
-
-
-Ich befinde mich im Garten eines kleinen Privathauses zu Sparta. Vor
-etwa einer Stunde sind wir hier angelangt. Ich habe mich beeilt, aus dem
-dürftigen Zimmerchen, das man uns angewiesen hat, wieder ins Freie zu
-gelangen. Es war eine sogenannte gute Stube, und es fehlte darin nicht
-einmal das Makartbukett.
-
-Irgendwie, ich weiß zunächst nicht wodurch, bin ich in diesem
-Grasegarten an längst vergangene Tage erinnert. Eindrücke meines frühen
-Jünglingsalters steigen auf. Ich vergesse minutenlang, daß die
-verwilderte Rasenfläche unter meinen Füßen der Boden von Sparta ist.
-Dann kommt es mir vor, als wandle ich in jenem kleinen Obstgarten, der
-an das Gutshaus meines Onkels stieß, und etwas vom Tanze der nackten
-Mädchen Spartas und erster Liebe ginge mir durch den Kopf.
-
-Es ist aber wirklich ein Garten in Sparta und nicht das Gehöft meiner
-guten Verwandten, wo ich jetzt bin. In der nahen Gartenzisterne quakt
-ein spartanischer Frosch, ich schreite an einer spartanischen
-Weißdornhecke hin und spartanische Sperlinge lärmen.
-
-Auf der Konsole des Nußbaumspiegels, dessen sich das Quartier meiner
-Gastfreunde rühmen kann, fand ich unter anderen Photographien auch ein
-Bild, -- das Bild eines hübschen, ländlichen Mädchens! -- das mir
-sogleich ins Auge fiel. Sie mag wohl längst gestorben sein oder ist etwa
-vor dreißig Jahren jung gewesen, um jene Zeit, als auch das Mädchen, an
-das ich mich jetzt erinnern muß, siebzehnjährig durch Garten, Hof und
-Haus meiner schlesischen Anverwandten schritt.
-
-Die Bergwand des Taygetos ist zum Greifen nahe. Die Sonne versinkt
-soeben hinter die hohe Kammlinie und beinahe das ganze Tal des Eurotas
-ist in Schatten gelegt. Die Landschaft ringsum ist zu dieser Stunde
-zugleich heroisch und anheimelnd.
-
-Plötzlich finde ich mich mit lebhaftem Griechisch angeredet. Ein Mann
-hat mich zwischen Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern entdeckt, ist
-herzugetreten und setzt voraus, daß ich Griechisch verstehe. Kurze Zeit
-bin ich hilflos gegen seine neuspartanische Zudringlichkeit, dann aber
-wird im Giebel unseres Häuschens -- das übrigens, windschief, wie es
-ist, von außen betrachtet unbewohnbar scheint -- ein Fenster geöffnet,
-und das schöne Mädchen, die schöne Spartanerin, noch ganz so jung, wie
-das Bild sie zeigte, lehnt sich heraus.
-
-Der Mann von der Straße wird nun durch eine tiefe, sonore Frauenstimme
-zurecht-, das heißt aus dem Garten gewiesen, und ich habe, mit
-gebundener Zunge, Antlitz und Blick der hübschen Spartanerin über mir.
-
- »Gott grüß euch schönes Jungfräulein
- Wo bind ich mein Rößlein hin? --
- Nimm du dein Rößlein beim Zügel, beim Zaum,
- Binds an den Feigenbaum.«
-
-
-Der irrationale Wunsch und Zwang, eine Stätte wie die des alten Sparta
-zu sehen, erklärt sich zwar nicht durch den Namen Lykurg, aber doch ist
-es vor allem der Genius dieses Namens, der Genius, dessen Wirken eine so
-unvergleichliche Folge hatte, den man in dieser Landschaft sucht. Man
-konnte nicht hoffen oder erwarten wollen, hier irgendein Jugendidyll,
-auch nur in Erinnerung, sich erneuern zu sehen: dennoch nimmt mich,
-statt jeder historischen Träumerei, eine solche Erinnerung jetzt in
-Besitz.
-
-Nicht zweimal schwimmst du durch die gleiche Welle, sagt Heraklit, und
-es ist nicht dieselbe, die um mich und durch mich flutet, als jene
-Frühlingswoge, durch die ich vor Jahren geschwommen bin: aber es ist
-doch auch wieder etwas von ewiger Wiederkehr in ihr.
-
-Ich sage mir, daß Lykurg wiederum nichts weiter, als ein großer Hirte,
-ein großer Schäfer gewesen ist, der den Nachwuchs seines Volkes in
-»Herde« teilte. Daß seine Gedanken in der Hauptsache sehr entschlossene
-Züchtergedanken gewesen sind, wie sie aus den Erfahrungen eines
-Hirtenlebens sich ergeben und zwar mit Notwendigkeit. Lykurg, der
-trotzdem mit Delphi Verbindung hatte, war überwiegend ein Mann der
-kalten Vernunft, gesteh ich mir, und wußte, wie keiner außer ihm, das
-zeitliche Leben vom ewigen und ihre Zwecke rein zu sondern. Allein durch
-alle diese Erwägungen vermag ich meine Seele nicht von dem spartanischen
-Ebenbilde meiner ländlichen Jugendliebe abzuwenden.
-
-Jungens, nicht anders wie Jungens sind, gucken über den Zaun, der hier
-allerdings von dem krebsscherenartig, stachlig-grünen Gerank der Agave
-gebildet ist. Sie sind neugierig, werfen Steine in blühende Obstbäume,
-suchen etwas für ihre Tatkraft, stören mich. Der gleiche Fall veranlaßte
-mich vor Jahren, an einem denkwürdigen Tage, aus begreiflichen Gründen
-zu vergeblicher Heftigkeit, dagegen gelang es dem deutschen Urbilde der
-Spartanerin, das damals neben mir durch den Grasegarten schritt, die
-Knaben mit wenigen gütigen Worten zu bewegen, von ihren Störungen
-abzulassen.
-
-
-Nun ist das schöne Mädchen im Garten erschienen. Ich grüße sie und werde
-dann magisch in die gleiche Richtung gezogen, die sie eingeschlagen hat,
-und durch dasselbe Pförtchen im Heckenzaun, durch das sie verschwunden
-ist.
-
-Ich stehe auf einer kleinen begrasten Halbinsel hinter dem Garten, um
-die der starke Bergbach eilig sein klares und rauschendes Wasser trägt.
-Es kommt, eisfrisch, vom Taygetus. Kaum fünf Schritt von mir entfernt
-haben Zigeuner ihr Zelt aufgeschlagen. Der Vater steht in guterhaltener
-kretensischer Tracht, mit ruhiger Würde, pfeiferauchend, am Bachesrand.
-Die Mutter, von zwei Kindern umspielt, hockt an der Erde und schnitzelt
-Gemüse für die Abendsuppe zurecht, die allbereits über einem
-bescheidenen Feuerchen brodelt. Zwischen den braunen, halbnackten
-Kindern springt ein zähnefletschendes Äffchen umher: Dies alles,
-besonders das kleine Äffchen, wird mit kindlicher Freude bewundert von
-meiner Dorfschönen.
-
-Ich sehe nun, sie ist kräftig gebaut und jünger, als ich nach dem Bilde,
-nach der Erscheinung am Fenster und nach den Lauten ihrer Stimme
-geurteilt hatte, wahrscheinlich nicht über fünfzehn Jahre alt. Sie
-erinnert mich an den derben Schlag der Deutsch-Schweizerin. Die
-Zigeunermutter hat, sobald sie meiner ansichtig wurde, ihrem singenden,
-springenden Lausetöchterchen das Tamburin zugeworfen, womit es sich
-augenblicklich klirrend vor mir im Tanze zu drehen beginnt. In der
-Freude darüber trifft sich mein Blick mit dem der jungen Spartanerin.
-
-Inzwischen ist alles um uns her mehr und mehr in abendliche Schatten
-gesunken. Die Glocke einer nahen Kirche wird angeschlagen. Gebrüll von
-Rindern dringt von den dämmrigen Weideflächen am Fuß des Taygetus. Das
-ganze Gebirge ist nur noch eine einzige, ungeheure, blauschwarze
-Schattenwand, die, scheinbar ganz nahe, den Bach zu meinen Füßen zu
-speisen scheint, dessen Wasser blauschwarz und rauschend, wie flüssiger
-Schatten heranwandelt.
-
-Grillen zirpen. Ein märchenhaftes Leuchten ist in der Luft. Kalte und
-warme Strömungen machen die Blätter der Pappeln und Weiden flüstern,
-die, zu ernsten, ja feierlichen Gruppen gesellt, die Ränder des breiten
-Baches begleiten.
-
-
-Es ist ein Uhr nachts, aber in der Mondeshelle draußen herrscht trotzdem
-dämonischer Lärm. Hühner und Hähne piepsen und krähen laut, Hunde
-kläffen und heulen ununterbrochen. Mitunter klingt es wie Stimmen von
-Kindern, die mit lautem Geschrei lustig und doch auch gespenstisch ihr
-nächtliches Spiel treiben. In der Gartenzisterne quakt oder trillert
-immer der gleiche Frosch.
-
-Die alten Spartaner befolgten jahrhundertelang eine Züchtungsmoral. Es
-hat den Anschein, als wenn die Moral des Lykurg in einem größeren Umfang
-noch einmal aufleben wollte. Dann würde sein kühnes und vereinzeltes
-Experiment, mit allen seinen bisherigen Folgen vielleicht nur der
-bescheidene Anfang einer gewaltigen Umgestaltung des ganzen
-Menschengeschlechtes sein.
-
-Wenn etwas vorüber ist, so ist es am Ende für unsere Vorstellungskraft
-gleichgültig, ob es gestern geschah, oder vor mehr als zweitausend
-Jahren, besonders, wenn es menschlich voll begreifliche Dinge sind. Ob
-also die spartanischen Mädchen gestern nackt auf der Wiese getanzt
-haben, damit die Jünglinge ihre Zuchtwahl treffen konnten, oder vor
-dreitausend Jahren, ist einerlei. Ich nehme an, es sei gestern gewesen.
-Ich nehme an, daß man noch gestern hier die Willenskraft, den
-persönlichen Mut, die Disziplin, Gewandtheit, Körperstärke und jedwede
-Form der Abhärtung vor allem gepflegt und gewürdigt hat. Und daß
-meinethalben die Epheben noch heute Nacht im Heiligtum des Phöbus,
-draußen auf den dämmrigen Wiesen, wo ich sie nicht sehe, wie unsre
-Zigeuner dem Monde, einen Hund opfern.
-
-Ihr Gesetzgeber war Lykurg, ihr Ideal Herakles. Die Standbilder beider
-Heroen standen auf beiden Brücken, die über den Wassergraben zum
-Spielplatz bei den Platanen führten. Leider ging es auf eine sinnlose
-Weise roh, mit Treten, Beißen und Augenausbohren, bei diesen
-Ephebenkämpfen zu.
-
-
-Immer noch herrscht im Mondschein draußen derselbe dämonische
-Höllenlärm. Durch Ort, Stunde, Mondschein und Reiseermüdung aufgeregt,
-bevölkert sich meine Phantasie mit einer Menge wechselnder
-Vorstellungen, gleichsam einem altspartanischen Gespenster- und
-Kirchhofspuk. Bald sehe ich zappelnde Säuglinge im Taygetus ausgesetzt,
-bald löffle ich selbst bei der gemeinsamen öffentlichen Männermahlzeit
-die greuliche, schwarze Suppe ein, bald bin ich gleichzeitig dort, wo
-ein Ephebe zu Ehren der Artemis nackt im Tempel gegeißelt wird und sehe
-auf dem entfernten Stadion Odysseus mit den ersten Freiern der
-jungfräulichen Penelope wettlaufen.
-
-Zaudern ist, wie es scheint, schon damals eine Schwäche des edlen Weibes
-gewesen: ich führe auch die Mißwirtschaft der Freier, im Hause des
-Gatten, auf sie zurück. Ikarios, der Vater Penelopes, wollte sie aus dem
-Elternhause in Sparta nicht mit Odysseus ziehen lassen und folgte dem
-Paare, als es nun doch nicht zurückzuhalten war, im Wagen nach. Dem
-Odysseus aber, der das Herz seines Weibes noch auf der Reise schwankend
-sah, ist, nach einem Bericht des Pausanias, die Geduld gerissen, und er
-hat kurzer Hand seinem Weibe an einer gewissen Stelle des Weges zur Wahl
-gestellt: entweder nun entschlossen mit ihm nach Ithaka, oder mit ihrem
-Vater und einem Abschied für immer wieder nach Sparta heimzureisen.
-
-
-Der Spuk der Nacht ist dem Lichte des Tages gewichen. Unten im Garten
-grasen Ziegen und eine Kuh. Das Zigeunermädchen sucht nach irgend etwas
-die Hecken ab. Man hört drei- oder viermal die Pauke der Zigeuner
-anschlagen. Es ist kein Tropfen Tau gefallen in der Nacht. Ich schreite
-trockenen Fußes durchs hohe Gras.
-
-Der Zigeuner und seine Frau hocken auf Decken vor ihrem Zelt. Er hat den
-roten Schal des Kretensers bereits um die Hüften und schmaucht
-behaglich, indes die zerlumpte Gattin Knöpfe an seiner geöffneten Weste,
-mit Zwirn und Nadel, sorgsam festmacht. Der Bergfluß rauscht um die
-Lagerstatt.
-
-
-Herr Allan I. B. Wace, Pembroke College, Cambridge, hat die
-Freundlichkeit, uns im kleinen Museum von Sparta mit Erklärungen an die
-Hand zu gehen. Er geleitet uns durch ausgedehnte Olivenhaine, trotz
-brennender Sonnenglut, zur Ausgrabungsstätte am Eurotas. Zu hunderten,
-ja zu tausenden werden hier in den Fundamenten eines Athenatempels
-Figürchen nach Art unserer Bleisoldaten aufgefunden. Diese Figürchen,
-von denen viele zutage lagen, so daß die spartanischen Kinder mit ihnen
-spielten, verrieten das unterirdische Heiligtum.
-
-
-Gegen Mittag besteigen wir Maultiere, nicht ohne Mühe, weil diese
-spartanischen Mulis besonders tückisch sind. Die schöne Tochter unseres
-Gastfreundes, die uns noch gestern abend, mit tremolierender Stimme
-etwas zur Laute sang, lehnt im Fenster der kleinen Baracke, nicht sehr
-weit über uns, und beobachtet die Vorbereitungen für unsere Abreise mit
-kalter Bequemlichkeit. Das hübsche, naive Kind von gestern, dessen
-Gegenwart mir die Erinnerung eines zarten Jugendidylls erneuern konnte,
-ist nur noch eine träge, unempfindliche Südländerin.
-
-Ich erinnere mich -- und schon ist dieses Gestern wieder Erinnerung! --
-Wie mir die Kleine nochmals im Garten begegnete, mir ins Gesicht sah und
-mich anlachte, mit einer offenen Lustigkeit, die keine Schranke mehr
-übrig läßt. Nun aber blickt sie über mich fort, als ob sie mich nie
-gesehen hätte, mit vollendeter Gleichgültigkeit.
-
-
-Wir frühstücken gegen ein Uhr mittags im Hofe eines byzantinischen
-Klosters -- einer Halbruine unter Ruinen! -- an den steilen Abhängen der
-Ruinenstätte Mistra.
-
-Der quadratische Hof ist an drei Seiten von Säulengängen umgeben. Sie
-tragen eine zweite, offene Galerie. Die vierte Seite des Hofes ist nur
-durch eine niedrige Mauer vom Abgrund getrennt und eröffnet einen
-unvergleichlichen Blick in die Ferne und Tiefe des Eurotastales hinab.
-
-Den kurzen Ritt von Sparta herauf haben wir unter brennender Sonne
-zurückgelegt. Hier ist es kühl. Eine Zypresse, uralt, ragt jenseits der
-niedrigen Mauer auf. Sie hat ihre Wurzeln hart am Rande der Tiefe
-eingeschlagen. Ich suche den Lauf des Eurotas und erkenne ihn an seiner
-Begleitung hoher und frischgrüner Pappeln. Ich verfolge ihn bis zu dem
-Ort, wo das heutige Sparta liegt: mit seinen weißen Häusern in
-Olivenwäldern, unter Laubbäumen halb versteckt.
-
-Dieses mächtige, überaus glanzvolle südliche Tal, mit den fruchtreichen
-Ebenen seiner Grundfläche, widerspricht dem strengen Begriff des
-Spartanertums. Es ist vielmehr von einer großgearteten Lieblichkeit und
-scheint zu sorglosem Lebensgenusse einzuladen.
-
-Herr Adamantios Adamantiu, Ephor der Denkmäler des Mittelalters in
-Mistra, stellt sich uns vor und hat die Freundlichkeit, seine Begleitung
-durch die Ruinen anzutragen. Seine Mutter und er bewohnen einige kleine
-Räume eben des selben ausgestorbenen Klosters, in dem wir jetzt sind.
-
-Oben, auf einer der Galerien, hat sich ein lustiger Kreis gebildet. Es
-sind die gleichen, lebenslustigen Pädagogen, denen wir bereits auf dem
-Wege nach Sparta mehrmals begegnet sind. Sie befinden sich noch immer im
-Enthusiasmus des Weins und singen unermüdlich griechische, italienische,
-ja sogar deutsche Trinklieder.
-
-Ich kann nicht sagen, daß dieser Studentenlärm nach deutschem Muster,
-mir an dieser Stätte besonders willkommen ist, und doch muß ich lachen,
-als einer der fröhlichen Zecher, ein älterer Herr, im weinselig-rauhen
-Sologesang ausführlich darlegt, daß er weder Herzog, Kaiser noch Papst,
-sondern, lieber als alles, Sultan sein möchte.
-
-Der lebenslustige Sänger, spartanischer Gymnasialprofessor, spricht mich
-unten im Hofe an. Er macht mir die Freude, zu erklären, ich sei ihm seit
-lange kein Unbekannter, was mir begreiflicherweise hier, an dem
-entlegenen Abhange des Taygetus, seltsam zu hören ist.
-
-
-Die Herren Lehrer haben Abschied genommen und sich entfernt. Herr
-Adamantios Adamantiu hat mittels eines altertümlichen Schlüssels ein
-unscheinbares Pförtchen geöffnet und wir sind, durch einen Schritt, aus
-dem hellen Säulengang in Dunkelheit und zugleich in ein liebliches
-Märchen versetzt.
-
-Der blumige Dämmer des kleinen geheiligten Raumes, in den wir getreten
-sind, ist erfüllt von dem Summen vieler Bienen. Es scheint, die kleinen
-heidnischen Priesterinnen verwalten seit lange in dieser verlassenen
-Kirche Christi allein den Gottesdienst. Allmählich treten Gold und bunte
-Farben der Mosaiken mehr und mehr aus der Dunkelheit. Die kleine Kanzel,
-halbrund und graziös, erscheint, mit einer bemalten Hand verziert, die
-eine zierliche, bunte Taube, das Symbol des heiligen Geistes, hält.
-
-Dieses enge, byzantinische Gotteshaus ist zugleich im zartesten Sinne
-bezaubernd und ehrwürdig. Man findet sich nach dem derben
-Schmollistreiben der Herren Lehrer ganz unvermutet plötzlich in ein
-unterirdisches Wunder der Schehrazade versetzt, gleichsam in eine
-liebliche Gruft, eine blumige Kammer des Paradieses, abgeschieden von
-dem rauhen Treiben irdischer Wirklichkeit.
-
-Herr Adamantios Adamantiu, der Ephor, liebt die ihm anvertrauten Ruinen
-mit Hingebung, und was mich betrifft, so empfinde ich schmerzlich in
-diesem Augenblick, daß ich mich schon im nächsten von dem reinen
-Vergnügen dieses Anblicks trennen muß. Reichtum und Fülle köstlichen
-Schmucks wird hier vollkommener Ausdruck des Traulichsten, Ausdruck der
-Einfalt und einer blumigen Religiosität. Das byzantinische Täubchen am
-Rande der Kanzel verkörpert ebensowohl einen häuslichen, als den
-heiligen Geist.
-
-Es scheint, daß Herr Adamantios Adamantiu keinen heißeren Wunsch im
-Herzen trägt, als dauernd diese Ruinen zu hüten: und ich bin überrascht,
-im Laufe der Unterhaltung wahrzunehmen, wie sehr verwandt der Geist des
-lauteren Mannes mit jenem ist, der dieses Kirchlein schuf und erfüllt.
-
-Mit leuchtenden Augen erklärt er mir, daß ich, glücklicher als der große
-Goethe, diese Stätten mit leiblichen Augen sehen kann, wo Faust und
-Helena sich gefunden haben.
-
-In dieses Heiligtum gehört keine Orgel noch Bachsche Fuge hinein,
-sondern durchaus nur das Summen der Bienen, die von den zahllosen Blüten
-der bunten Mosaiken Nektar für ihre Waben zu ernten scheinen.
-
-
-Sparta und Helena scheinen einander auszuschließen. Was sollte ein
-Gemeinwesen mit der Schönheit als Selbstzweck beginnen, wo man den Wert
-eines Suppenkoches höher als den eines Harfenspielers einschätzte? Was
-hätte Helena mit der spartanischen Strenge, Härte, Roheit, Nüchternheit
-und Tugendboldigkeit etwa gemein?
-
-Ein junger Spartaner rief, als man beim Gastmahl eine Lyra
-herbeibrachte: Solche Tändeleien treiben sei nicht lakonisch. Wer möchte
-nun, da Helena und die Leier Homers nicht zu trennen sind, behaupten
-wollen, daß Sparta Helenen eine wirkliche Heimat sein konnte?
-
-Herr Adamantios Adamantiu geleitet uns stundenlang auf mühsamen
-Fußpfaden durch die fränkisch-byzantinisch-türkische Trümmerstadt, die
-erst im Jahre 1834 durch Ibrahim Pascha zerstört worden ist. Das alte
-Mistra war an die schwindelerregenden Felswände des Taygetus wie eine
-Ansiedlung von Paradiesvogelnestern festgeklebt. Einzelne Kirchen werden
-durch wenige Arbeiter unter Aufsicht des Herrn Ephoren sorgsam, Stein um
-Stein, wieder hergestellt: Baudenkmäler von größter Zartheit und
-Lieblichkeit, deren Zerstörung durch die Türken einen unendlich
-beklagenswerten Verlust bedeutet.
-
-Überall von den Innenwänden der Tempel spricht uns das Zierliche,
-Köstliche, Höfische an, in dem sich der Farbenreichtum des Orients mit
-dem zarten Kultus der Freude des deutschen Minnesanges durchdrungen zu
-haben scheint. Die Reste herrlicher Mosaiken, soweit sie der Brand und
-die Spieße der Türken übriggelassen haben, scheinen, auch wenn sie
-heilige Gegenstände behandeln, nur immer die Themen: Ritterdienst,
-Frauendienst, Gottesdienst durcheinanderzuflechten.
-
-Mittels eines nassen Schwammes bringt der Herr Ephor, auf einer Leiter
-stehend, eigenhändig die erblindeten Mosaiken zu einem flüchtigen
-Leuchten im alten Glanz.
-
-»Ein innerer Burghof, umgeben von reichen, phantastischen Gebäuden des
-Mittelalters« ist der Schauplatz, in dem Helena sich gefangen fühlt,
-bevor ihr Faust, im zweiten Teil des gleichgenannten Gedichts, in
-ritterlicher Hoftracht des Mittelalters entgegentritt. Und mehr als
-einmal umgibt mich hier das Urbild jener geheiligten Szenerie, darin
-sich die Vermählung des unruhig suchenden deutschen Genius mit dem
-weiblichen Idealbild griechischer Schönheit vollzog.
-
-
-Herr Adamantios Adamantiu, der etwa dreißig Jahre alt und von zarter
-Gesundheit ist, stellt uns auf einer der Galerien des Klosterhofes
-seiner würdigen Mutter vor. Diese beiden lieben Menschen und Gastfreunde
-wollen uns, wie es scheint, nicht mehr fortlassen. Die Mutter bietet
-meiner Reisegefährtin für die Nacht ihr eigenes Lager an, ihr Sohn
-dagegen das seine mir.
-
-Von seinem Zimmerchen aus überblickt man die ganze Weite und Tiefe des
-Eurotastales, bis zu den weißen Gipfeln des Parnon, die hineinleuchten:
-das Zimmer selber aber ist klein, und enthält nichts weiter als ein
-kleines Regal für Bücher, Tisch, Stuhl und Feldbettstelle, dazu im
-Winkel ein ewiges Lämpchen unter einem griechisch-katholischen
-Gnadenbild. Natürlich, daß in einem verlassenen Kloster die Fenster
-undicht, die Wände schlecht verputzt -- und daß in den rohen
-Bretterdielen klaffende Fugen sind.
-
-Ganz Sohnesliebe, ganz Vaterlandsliebe und ganz von seinem besonderen
-Beruf erfüllt: der Pflege jener vaterländischen Altertümer! bringt Herr
-Adamantios Adamantiu in weltentsagender Tätigkeit seine jungen Jahre zu
-und beklagt es, daß manche seiner Mitbürger so leicht die mütterliche
-Scholle aufgeben mögen, die ihrer Kinder so sehr bedarf.
-
-Der hingebungsvolle Geist dieses jungen Griechen erweckt in meiner Seele
-wärmste Bewunderung und ich rechne die Begegnung mit ihm zu den
-schönsten Ereignissen meiner bisherigen Reise durch Griechenland. Wie er
-unverdrossen und mit reinster Geduld Werkstück um Werkstück aus dem
-Schutt der Verwüstung zu sammeln sucht, um in mühsamen Jahren hier und
-da etwas Weniges liebevoll wieder herzustellen, von der ganzen, beinahe
-in einem Augenblicke vernichteten, unersetzlichen Herrlichkeit, das legt
-von einem Idealismus ohnegleichen Zeugnis ab.
-
-
-Wir nehmen Abschied von unsern Wirten, um noch vor Einbruch der Nacht
-den Ritt bis Tripi zu tun: Tripi am Eingang jener mächtigen Schlucht,
-die sich in die Tiefe des Taygetus fortsetzt, den wir übersteigen
-wollen.
-
-Unsere Maultiere fangen wie Ziegen oder Gemsen zu klettern an: bald geht
-es fast lotrecht in die Höhe, bald ebenso lotrecht wieder hinab, so daß
-ich mitunter die Überzeugung habe, unsere Tiere hätten den eigensinnigen
-Vorsatz gefaßt, um jeden Preis auf dem Kopfe zu stehen. Wenn man, mit
-den Blicken vorauseilend, als Unerfahrener die drohenden Schwierigkeiten
-des Weges im Geiste zu überwinden sucht, so glaubt man mitunter verzagen
-zu sollen, denn es eröffnet sich scheinbar nur selten für ein
-Weiterkommen die Möglichkeit.
-
-Aber das Maultier nimmt mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit jedes
-Hindernis: über Böschungen rutschen wir an steinige Bäche hinunter und
-jenseits des Wassers klettern wir wieder empor. In einem Bachbett
-steigen wir lange Zeit von einem kantigen Block zum andern bergan und
-zwar bereits von der Dunkelheit überrascht, bis wir das Wasser am
-Ausgang der Langada in dem steilen Tale von Tripi rauschen hören. Über
-eine Geröllhalde geht es alsdann in gefährlicher Eile hinab, bis wir,
-die Lichter von Tripi vor Augen, auf einer breiten, gesicherten Straße
-geborgen sind.
-
-
-Gegen vier Uhr des Morgens wecken mich die Nachtigallen von Tripi. Ich
-glaube, daß alle Singvögel der ganzen Welt den Aufgang der Sonne mit
-einem kurzen Konzert begrüßen. Zweifellos ist dies Gottesdienst.
-
-Unser Haus ist in schwindelerregender Höhe über der Talwand erbaut. Wir
-haben in einem Raume übernachtet, der drei Wände von Glas ohne Vorhänge
-hat. Büsche reichen bis zu den Fenstern. Mächtige Wipfel alter Laubbäume
-sind unter uns und bekleiden die steilen Wände der Schlucht.
-
-Während das einsame Licht zunimmt, schlagen die Nachtigallen lauter aus
-dem Abgrund herauf. Nach einiger Zeit beginnen alle Hähne des Dorfes
-einen lauten Sturm, der die Nachtigallen sofort verstummen macht.
-
-Auf einem Felsen, scheinbar unzugänglich, inmitten der Schlucht,
-erscheint die Kirche von Tripi im Morgenlicht. Die Pfade von Tripi, die
-ganze Anlage dieses Ortes sind ebenso malerisch wie halsbrecherisch.
-
-
-Die Maultiere klettern schwindelerregende Pfade. Sie halten sich
-meistens am Rande der Abgründe. Die Langada beginnt großartig, aber kahl
-und baumlos. Die Gesteinmassen des Bachbettes, auf dem Grunde der
-gewaltigen Schlucht, liegen bleich, verwaschen und trocken da. Das Tal
-ist tot. Kein Vogellaut, kein Wasserrauschen!
-
-Indem wir ein wenig höher gelangen, zeigt sich geringe Vegetation.
-Einige Vögel beginnen zu piepsen. Nach einiger Zeit fällt uns der Ruf
-eines Kuckucks ins Ohr.
-
-Weiter oben erschließt sich ein Tal, auf dessen Sohle lebendiges Wasser
-rauscht. Wir steigen in dieses Tal, das eigentlich eine Schlucht ist,
-hinunter. Die Abhänge sind von Ziegenherden belebt. Eng in die Felswände
-eingeschlossen, schallen die Herdenglocken laut.
-
-Bis hierher war es, trotz der Frühe, ziemlich heiß. Nun werden wir von
-erquickenden Winden begrüßt. Erfrischt von der gleichen Strömung der
-Luft, winken die grünen Wedel der Steineichen von den Felsspitzen.
-Plötzlich haben wir nickende Büsche überall. Efeuranken klettern wohl
-hundert Meter und höher die Steinwand hinauf.
-
-Immer wasserreicher erscheinen die Höhen, in die wir aufdringen.
-Mehrmals werden reißende Bäche überquert. Eine erste, gewaltige Kiefer
-grüßt vom Abhange. Anemonen, blendend rote, zeigen sich. Kleine Trupps
-zarter Alpenveilchen. Aus Seitenschachten stürzen klare Wasser über den
-Weg und ergießen sich in das Sammelbett des größeren Baches.
-
-Wir halten die erste Rast, etwa 2300 Meter hoch im Taygetus, unter einem
-blühenden Kirschbaum vor der Herberge, genannt zur kleinen
-Himmelsmutter. Der Bergstrom rauscht. Kirschblüten fallen auf uns
-herunter. Wir haben herrliche Abhänge gegenüber, die mit starken
-Aleppokiefern bewaldet sind.
-
-Es ist köstlich hier, entzückend der Blick durch die tiefgesenkten
-Blütenzweige in die ebenso wilde als wonnige Bergwelt hinein.
-
-Man fühlt hier oben das unbestrittene Reich der göttlichen Jägerin
-Artemis, die in Lakonien vielfach verehrt wurde. Hier ist für ein
-freies, seliges Jägerleben noch heut der eigentlich arkadische
-Tummelplatz. Hier oben fanden auch Opfer statt. Und zwar jene selben
-Sonnenopfer, die bei den alten Germanen üblich gewesen sind und bei
-denen die Spartiaten, nicht anders wie unsere Vorfahren, Pferde
-schlachteten.
-
-
-Wir haben den Hochpaß überstiegen und nach einem ermüdenden Ritt, meist
-steil bergab, das Dörfchen Lada erreicht. Ein Bergstrom hat die steinige
-Straße der Ortschaft mit seinen stürzenden Wellen überschwemmt und
-niemand denkt daran, ihn in sein Bett zurückzuleiten. Mit Ausnahme eines
-kleinen Bezirks um die Ansiedelungen Ladas, ist das weite Tal eine
-einzige Steinwüste.
-
-Träge, fast unwillig, öffnet auf das Klopfen unseres Führers eine derbe,
-blonde, noch nicht zwanzigjährige Bäuerin die Tür zur Herberge. Ein
-Ferkel wühlt zwischen Tisch und Bank, in einem finsteren, kellerartigen
-Raum, dessen Hintergrund ein Lager mit gewaltigen Fässern ausfüllt. In
-einer hölzernen Schlachtermulde auf dem Tische schläft ein neugeborenes
-Kind.
-
-
-Die Jachten der Königin von England und des Königs von Griechenland
-liegen im Hafen zur Abfahrt bereit. Eben hat sich die »Galata« des
-Norddeutschen Lloyd in Bewegung gesetzt, die uns nach Konstantinopel
-führen soll. Die Häuser des Pyräus stehen im weißen Licht.
-
-Athen ist das Licht, das Auge, das Herz, das Haupt, die atmende Brust,
-die Blüte von Griechenland: heute des neuen, wie einst des alten! Ich
-empfand das lebhaft, trotz aller großen Landschaftseindrücke meiner
-peloponnesischen Fahrt, als ich nach ununterbrochener Reise von Kalamata
-wieder hier anlangte. Athen ist durch seine Lage geschaffen, und
-Griechenland ohne Athen wäre niemals geworden, was es war und was es uns
-ist. Der freie, attische Götterflug hat den freien attischen Geistesflug
-hervorgerufen.
-
-Indem wir, Abschied nehmend, die Küste zur Linken, hingleiten, vorüber
-an dem kleinen Hafen Munichia, vorbei an den Siedelungen von
-Neu-Pharleron, steigt noch einmal das ganze attische Wunder vor uns auf.
-
-Dieser Hymettos, dieser Pentele, dieser Lykabettos, dieser Fels der
-Akropolis sind keine Zufälligkeit. Alles dieses trägt den Adel seiner
-Bestimmung im Angesicht.
-
-Wir trinken gierig den Hauch des herrlichen Götterlandes, solange er
-noch herüberdringt und saugen uns mit den Blicken in seine silberne
-Anmut fest, bis alles unseren Augen entschwindet.
-
-
- Ende
-
-
- [Illustration: Kopf des Wagenlenkers aus Delphi
- (Originalaufnahme)]
-
-
- Druck von _W. Drugulin_, Leipzig.
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
-Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere
-Änderungen, teilweise unter Verwendung anderer Ausgaben sind hier
-aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 11]:
- ... wird. Er ist ausgezeichneter Schwimmer ...
- ... wird. Er ist ein ausgezeichneter Schwimmer ...
-
- [S. 33]:
- ... Es ist schwer, etwas so Abstoßendes ...
- ... Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes ...
-
- [S. 168]:
- ... Ehre -- man spielte für Götter und vor ...
- ... Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor ...
-
- [S. 204]:
- ... sein, ähnelt sich in Form, Dichte und Kräuselung ...
- ... sein, ähnelt in Form, Dichte und Kräuselung ...
-
- [S. 221]:
- ... den Tälern räche, fortan nicht mehr den ...
- ... den Tätern räche, fortan nicht mehr den ...
-
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING ***
-
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
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-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
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-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
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-increasing the number of public domain and licensed works that can be
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-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
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-status with the IRS.
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-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
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-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
diff --git a/57928-h/57928-h.htm b/57928-h/57928-h.htm
index 7af0415..9e8dc65 100644
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Griechischer Frühling
-
-Author: Gerhart Hauptmann
-
-Release Date: September 18, 2018 [EBook #57928]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive.
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 ***</div>
<div class="frontmatter">
@@ -8327,381 +8291,7 @@ sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING ***
-
-***** This file should be named 57928-h.htm or 57928-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/7/9/2/57928/
-
-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This
-file was produced from images generously made available
-by The Internet Archive.
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
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-of this license, apply to copying and distributing Project
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-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
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-START: FULL LICENSE
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
-agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
-electronic works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
-works in the collection are in the public domain in the United
-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
-United States and you are located in the United States, we do not
-claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
-displaying or creating derivative works based on the work as long as
-all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
-that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
-free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
-works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
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-comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
-same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
-you share it without charge with others.
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-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
-in a constant state of change. If you are outside the United States,
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-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
-
-1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
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-on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
-phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
-performed, viewed, copied or distributed:
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- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
- most other parts of the world at no cost and with almost no
- restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
- under the terms of the Project Gutenberg License included with this
- eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
- United States, you'll have to check the laws of the country where you
- are located before using this ebook.
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-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
-derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
-copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
-the United States without paying any fees or charges. If you are
-redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
-Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
-either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
-obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
-trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
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-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
-additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
-will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
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-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
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-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
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-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
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-provided that
-
-* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
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- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
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- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.
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-contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
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-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
-
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
-For additional contact information:
-
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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