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diff --git a/57928-0.txt b/57928-0.txt new file mode 100644 index 0000000..9ee33aa --- /dev/null +++ b/57928-0.txt @@ -0,0 +1,4445 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 *** + + + + + + + + + + ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER + ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN. + + ERSTE BIS VIERTE AUFLAGE. + + 100 EXEMPL. SIND AUF HANDGESCHÖPFTEM + BÜTTENPAPIER ABGEZOGEN, NUMERIERT UND + IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN; PREIS 15 M. + FÜR DAS EXEMPLAR. + + + [Illustration: Wagenlenker aus Delphi (Nach einem Gipsabguss des + Bronce-Originals)] + + + GERHART HAUPTMANN + + + + + GRIECHISCHER + FRÜHLING + + + 1908 + S. FISCHER / VERLAG / BERLIN + + + HARRY GRAFEN KESSLER GEWIDMET + + + + +Ich befinde mich auf einem Lloyddampfer im Hafen von Triest. Zur Not +haben wir in Kabinen zweiter Klasse noch Platz gefunden. Es ist ziemlich +ungemütlich. Allmählich läßt jedoch das Laufen, Schreien und Rennen der +Gepäckträger nach und das Arbeiten der Krane. Man beginnt, sich zu Hause +zu fühlen, fängt an sich einzurichten, seine Behaglichkeit zu suchen. + +Eine Spießbürgerfamilie hat auf den üblichen Klappstühlen Platz +genommen. Mehrmals ertönt aus ihrer Mitte das Wort »Phäakenland«. +Erfüllt von einer großen Erwartung, wie ich bin, erzeugt mir Klang und +Ausdruck des Wortes in diesem Kreise eine starke Ernüchterung. Wir +schreiben den 26. März. Das Wetter ist gut: warme Luft, leichtes Gewölk +am Himmel. + +Ich nahm heute morgen im Hotel hinter einer sehr großen Fensterscheibe +mein Frühstück ein, als, mit einem grünen Zweiglein im Schnabel, draußen +eine Taube aus dem Mastenwalde des Hafens heran und nach oben, von links +nach rechts, vorbeiflog. Dieses guten Vorzeichens mich erinnernd, fühle +ich Zuversicht. + +Wir entfernen uns nach einem seltsamen Manöver der »Salzburg« von +Triest. Die Gegenden sind ausgebrannt. Alle Färbungen der Asche treten +hervor. Der Karst erscheint wie mit leichtem Schnee bedeckt. Viele gelbe +und orangefarbene Segel ziehen über das Meeresblau. Die Maler sind +entzückt und beschließen, zu längerem Aufenthalt gelegentlich +zurückzukehren. + + +Es ist jetzt fünf Uhr. Seit etwa zwei Stunden sind wir unterwegs. +Beinweiß zieht die nahe Strandlinie an uns vorüber. Wir haben zur linken +das flache dalmatinische Land, ausgetrocknet, weit gedehnt, in +braunrötlichen Färbungen. Beinweiß, wie von ausgebleichten Knochen +errichtet, zeigen sich hie und da Städte und Ortschaften, zuweilen +bedecken sie sanftgewölbte, braungrüne Hügel oder liegen auf dem +braungrünen Teppich der Ebene. Mit scharfem Auge erkennt man fern weiße +Spitzen des Velebitgebirges. + +Allmählich werden diese Bergspitzen höher und der ganze Bergzug tritt +deutlich hervor. Er ist schneebedeckt. Den Blick hinter mich wendend, +bemerke ich: die Sonne steht noch kaum über dem Wasserspiegel, ist im +Untergang. Der Mitreisenden bemächtigt sich jene Erregung, in die sie +immer geraten, wenn die Stunde herannaht, wo sie die Natur zu bewundern +verpflichtet sind. Bemühen wir uns, wahrhaftig zu sein! Der großartige, +kosmische Vorgang hat wohl die Seelen der Menschen von je mit Schauern +erfüllt, lange bevor das malerische Naturgenießen zur Mode geworden ist, +und ich nehme an, daß selbst der naturfremde Durchschnittsmensch unserer +Zeit, und besonders auf See, noch immer im Anblick des Sonnenunterganges +auf ehrliche Weise wortlos ergriffen ist. Freilich hat sein Gefühl an +ursprünglicher, abergläubischer Kraft bis auf schwächliche Reste +eingebüßt. + + +Nach durchaus ruhiger Nacht setzt heut gegen fünf Uhr Vormittag Wind aus +nordöstlicher Richtung ein. Ich merke, noch in der Kabine, bereits das +leichte Stampfen und Rollen des Schiffes. Als erster von allen +Passagieren bin ich an Deck. Ein grauer Dunst überzieht den +Morgenhimmel. Das Meer ist nicht mehr lautlos: es rauscht. Schon +überschlagen sich einzelne Wogen und bilden Kämme von weißem Gischt. Im +Südosten beobachte ich eine düstere Wolkenbank und Wetterleuchten. + +Die »Salzburg« ist ein kleines, nicht gerade sehr komfortables Schiff. +Die Matrosen sind eben dabei, das Deck zu reinigen. Sie spritzen aus +einer »Schlauchspritze« Wassermassen darüber hin, so daß ich fortwährend +flüchten muß und auch so jeden Augenblick in Gefahr bleibe, durchnäßt zu +werden. Es ist kein Tee zu bekommen, trotzdem ich, wärmebedürftig wie +ich bin, mehrmals darum ersuche. Die Einrichtungen hier halten einen +Vergleich mit dem norddeutschen Lloyd nicht aus. + +»O, Tee, in eine Minute fertig«, wiederholt der Steward eben wieder, +nachdem etwa anderthalb Stunden Wartens vorüber sind. + + +Jetzt 7½ Uhr; volle Sonne und Seegang. Unter anderen Wohltaten einer +Seereise ist auch die anzumerken, daß man während der Fahrt die ruhige +und gesicherte Schönheit der großen Weltinseln wiederum tiefer würdigen +lernt. Das Streben des Seefahrers geht auf Land. Statt vieler +auseinanderliegender Ziele bemächtigt sich seine Sehnsucht nur dieses +einen, wie wenige notwendig. Daher noch im Reiche des Idealen +glückselige Inseln auftauchen und als letzte glückselige Ziele genannt +werden. + +Allerlei Vorgänge der Odyssee, die ich wieder gelesen habe, beschäftigen +meine Phantasie. Der schlaue Lügner, der selbst Pallas Athene belügt, +gibt manches zu denken. Welche Partien des Werkes sind, außer den +eingestandenermaßen erlogenen, wohl noch als erfunden zu betrachten, vom +Genius des erfindungsreichen Odysseus? Etwa die ganze Kette von +Abenteuern, deren unsterbliche Schönheit unzerstörbar besteht? Es kommen +zweifellos Stellen vor, die unerlaubt aufschneiden; so diejenige, wo die +Charybdis das Wrack des Odysseus einsaugt, während er sich in das +Gezweige eines Feigenbaumes gerettet hat, und wo das selbe Wrack von ihm +durch einen Sprung wieder erreicht wird, als es die See an die +Oberfläche zurückgibt. + +Die Windstärke hat zugenommen. Hie und da kommt ein Sprühregen über +Deck. Regenbogenfarbene Schleier lösen sich von den Wellenkämmen. Rechts +in der Ferne haben wir italienisches Festland. Ein kleines, scheinbar +flaches Inselchen gibt Gelegenheit, das Spiel der Brandung zu +beobachten. Zuweilen ist es, als sähen wir den Dampf einer pfeilschnell +längs der Klippen hinlaufenden Lokomotive. Weiße Raketen schießen +überall auf, mitunter in so gewaltigem Wurf, daß sie, weißen Türmen +vergleichbar, einen Augenblick lang stillstehen, bevor sie +zusammenstürzen. + +Ich lasse mir sagen, daß es sich hier nicht, wie Augenschein glauben +macht, um _eine_ Insel, sondern um eine Gruppe handelt: die Tremiti. Der +freundliche Schiffsarzt Moser führt mich ins Kartenhaus und weist mir +den Punkt auf der Schiffskarte. Auf den Tremiti halten die Italiener +gewisse Gefangene, die im Inselbezirk bedingte Freiheit genießen. + +Ein Dampfer geht zwischen uns und der Küste gleichen Kurs. + +Allmählich sind wir dem Lande näher gekommen, bei schwächerem Wind und +stärkerer Dünung. Das Wasser, wie immer in der Nähe von Küsten, zeigt +hellgrüne Färbungen. Es gibt schwerlich eine reizvollere Art Landschaft +zu genießen, als von der See aus, vom Verdeck eines Schiffes. Die +Küsten, so gesehen, versprechen, was sie nie halten können. Die Seele +des Schauenden ist so gestimmt, daß sie die Ländereien der Uferstrecken +fast alle in einer phantastischen Steigerung, paradiesisch sieht. + +Vieste, Stadt und malerisches Kastell, tauchen auf und werden dem Auge +deutlich. Die Stadt zieht sich herunter um eine Bucht. Den Hintergrund +bilden Höhenzüge, die ins Meer enden: zum Teil bewaldet, zum Teil mit +Feldern bedeckt. Durch das Fernglas des Kapitäns erkenne ich vereinzelt +gestellte Bäume, die ich für Oliven halte. Eine starke, alte +Befestigungsmauer ist vom Kastell aus um die Bucht heruntergeführt. Es +ist eigentümlich, wie märchenhaft der Anblick des Ganzen anmutet. Man +erinnert sich etwa alter Miniaturen in Bilderhandschriften: Histoire des +batailles de Judée, Teseïde oder an Ähnliches, man denkt an Schiffe von +phantastischer Form im Hafen der Stadt, an Mauren, Ritter und +Kreuzfahrer in ihren Gassen. + +Jene, nicht allzuferne, uns Heutigen doch schon völlig fremde Zeit, wo +der Orient in die abendländische Welt, wie eine bunte Welle, +hineinschlug, jene unwiederbringliche Epoche, vielfältig +ausschweifender, abenteuerlicher Phantastik -- so ist man versucht zu +denken -- müsse in einer dem Gegenwartsblick so gespenstischen Stadt +noch voll in Blüte stehen. Wetterwolken sammeln sich über dem +hochgelegenen Kastell. Die See wogt wie dunkles Silber. Der Wind weht +empfindlich kalt. + + +Homer in der Odyssee läßt den Charakter des Erderschütterers Poseidon +durchaus nicht liebenswürdig erscheinen. Er ist es auch nicht. Er ist +unzuverlässig; er hat unberechenbare Tücken. Ich empfinde die +Seekrankheit, an der viele Damen und einige Herren leiden, als einen +hämischen Racheakt. Der Gott übt Rache. In einer Zeit, wo er, verglichen +mit ehemals, sich in seiner Macht auf eine ungeahnte Weise beschränkt +und zur Duldung verurteilt sieht, rächt er sich auf die +niederträchtigste Art. Ich stelle mir vor, er schickt einen +aalartig-langen Wurm aus der Tiefe herauf, mit dem Kopf zuerst durch den +Mund in den Magen des Seefahrers; aber so, daß der Kopf in den Magen +gelangt, dort eingeschlossen, der Schwanz mittlerweile ruhig im Wasser +hängen bleibt. Der Seefahrer fühlt diesen Wurm, den niemand sieht. +Obgleich er ihn aber nicht sieht, so weiß er doch, daß er grün und +schleimig ist, und endlos lang in die See hinunterhängt, und mit dem +Kopfe im Magen festsitzt. Die schwierige Aufgabe bleibt nun die: den +Wurm, der sich nicht verschlucken und auch nicht ausspucken läßt, aus +dem Innern herauszubekommen. + +Seltsam ist, daß Homer diesen göttlichen Kniff Poseidons unbeschrieben +läßt, zumal er doch sonst im Gräßlichen keine Grenzen kennt und -- von +den vielerlei Todesarten, die er zur Darstellung bringt, abgesehen -- +einen verwandten Zustand, der dem Zyklopen Polyphem zustößt, so +schildert: + + »... dem Rachen entstürzten mit Weine + Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold + ausbrach.« + +Eine Gesellschaft von Tümmlern zeigt sich hie und da augenblicksschnell +überm Wasser in der Nähe des Dampfers. Der Tümmler, vom Seemann als +Schweinfisch bezeichnet, ist ein Delphin, der im Mittelmeer wohl fast +bei jeder Tagesfahrt gesichtet wird. Er ist ein ausgezeichneter +Schwimmer und sehr gefräßig. + + +Wir verlieren die italienische Küste wieder mehr und mehr aus den Augen. +Der Nachmittag schreitet fort durch monotone Stunden, wie sie bei keiner +Seereise ganz fehlen. Regenböen gehen zuweilen über Deck. Ich finde +einen bequemen Sitzplatz, einigermaßen geschützt vor dem Winde. Ich +schließe die Augen. Ich versinke gleichsam in die Geräusche des Meeres. +Das Rauschen umgibt mich. Das große, das machtvolle Rauschen, überall +her eindringend, unwiderstehlich, erfüllt meine Seele, scheint meine +Seele selbst zu sein. + +Ich gedenke früherer Seefahrten; darunter sind solche, die ich mit +beklommener Seele habe machen müssen. Viele Einzelheiten stehen vor +meinem innern Gesicht. Ich vergleiche damit meinen heutigen Zustand. +Damals warf der große Ozean unser stattliches Schiff dreizehn Tage lang. +Die Seeleute machten ernste Gesichter. Was ich selber für ein Gesicht +gemacht habe, weiß ich nicht; denn was mich betrifft: ich erlebte damals +stürmische Wochen auf zwei Meeren, und ich wußte genau, daß, wenn wir +mit unserem bremensischen Dampfer auch wirklich den Hafen erreichen +sollten, dies für mein eigenes, gebrechliches Fahrzeug durchaus nicht +der Hafen sei. + +Ich erwäge plötzlich mit einem gelinden Entsetzen, daß ich mich nun doch +noch auf einer Reise nach jenem Lande befinde, in das es mich schon mit +achtzehn Jahren hyperion-sehnsüchtig zog. Zu jener Zeit erzwang ich mir +einen Aufbruch dahin, aber die Wunder der italienischen Halbinsel +verhinderten mich, mein Ziel zu erreichen. Nun habe ich, das Versäumte +nachzuholen: in 26 Jahren zuweilen gehofft, zuweilen nicht mehr gehofft, +zuweilen gewünscht, zuweilen auch nicht mehr gewünscht; einmal die Reise +geplant, begonnen und liegen gelassen. Und ich gestehe mir ein, daß ich +eigentlich niemals an die Möglichkeit ernstlich geglaubt habe, das Land +der Griechen mit Augen zu sehen. Noch jetzt, indem ich diese Notizen +mache, bin ich mißtrauisch! + +Ich kenne übrigens keine Fahrt, die etwas gleich Unwahrscheinliches an +sich hätte. Ist doch Griechenland eine Provinz jedes europäischen +Geistes geworden; und zwar ist es noch immer die Hauptprovinz. Mit +Dampfschiffen oder auf Eisenbahnen hinreisen zu wollen, erscheint fast +so unsinnig, als etwa in den Himmel eigener Phantasie mit einer +wirklichen Leiter steigen zu wollen. + + +Es ist sechs Uhr und die Sonne eben im Untergehen. Der Schiffsarzt +erzählt mancherlei und kommt auf die Sage vom grünen Strahl. Der grüne +Strahl, den gesehen zu haben Schiffsleute mitunter behaupten, erscheint +in dem Augenblick, ehe die Abendsonne ganz unter die Wasserlinie tritt. +Ich weiß nicht, welche Fülle rätselhaften Naturempfindens diese schöne +Vorstellung in mir auslöst. Die Alten, erklärt uns ein kleiner Herr, +müßten den grünen Strahl gekannt haben; der Name des ägyptischen +Sonnengottes bedeute ursprünglich: grün. Ich weiß nicht, ob es sich so +verhält, aber ich fühle in mir eine Sehnsucht, den grünen Strahl zu +erblicken. Ich könnte mir einen reinen Toren vorstellen, dessen Leben +darin bestünde, über Länder und Meere nach ihm zu suchen, um endlich am +Glanz dieses fremden, herrlichen Lichtes unterzugehen. Befinden wir uns +vielleicht auf einer ähnlichen Pilgerfahrt? Sind wir nicht etwa +Menschen, die das Bereich ihrer Sinne erschöpft haben, nach +andersartigen Reizen für Sinne und Übersinne dürsten? + +Jedenfalls ist der kleine Herr, durch den wir über den grünen Strahl +belehrt wurden, ein seltsamer Pilgersmann. Das putzige Männchen reist in +Schlafschuhen. Sein ganzes Betragen und Wesen erregt zugleich Befremden +und Sympathie. Wohl über die fünfzig hinaus an Jahren, mit bärtigem +Kopf, rundlicher Leibesfülle und kurzen Beinchen, bewegt er sich in +seinen Schlafschuhen mit einer bewunderungswürdigen, stillvergnügten +Gelenkigkeit. Ich habe ihn auf der Regenplane, von der die verschlossene +Öffnung des Schiffsraums überzogen ist, in wahrhaft akrobatischen +Stellungen bequem seine Reisebeobachtungen anstellen sehen. Zum +Beispiel: er saß wie ein Türke da; indessen die Gleichgültigkeit, mit +der er die unwahrscheinlichste Lage seiner Beinchen behandelte, hätte +Theodor Amadeus Hoffmann stutzig gemacht. Übrigens trug er Wadenstrümpfe +und Kniehosen, Lodenmantel und einen kleinen, verwegenen Tirolerhut. +Mitunter machte er mitten am Tage astronomische Studien, wobei er, das +Zeißglas gegen den Himmel gerichtet, die Kniee in unbeschreiblicher +Weise voneinander entfernt, die Fußsohlen glatt aneinander gelegt, auf +dem Rücken lag. + + +Wir gleiten nun schon geraume Weile unter den Sternen des Nachthimmels. +Ein Schlag der Glocke, die vorn auf dem Schiff angebracht ist, bedeutet +Feuer rechts. Der Leuchtturm von Brindisi ist gesichtet. Nach und nach +treten drei Blinkfeuer von der Küste her abwechselnd in Wirkung. Drei +neue Glockenzeichen des vorn wachthaltenden Matrosen ertönen. Sie +bedeuten: Schiff in Fahrtrichtung uns entgegen. Ich habe mich so +aufgestellt, daß ich die Spitze des großen Vordermasts über mir +feierlich schwanken und zwischen den Sternen unaufhaltsam fortrücken +sehe. Erst gegen zehn Uhr erreichen wir die enge Hafeneinfahrt von +Brindisi, durch die wir, an einem Gespensterkastell vorüber, im vollen +Mondlicht langsam gleiten. + +Die Bewohner der Stadt scheinen schlafen gegangen zu sein. Die +Hafenstraßen sind menschenleer. Treppen und Gäßchen zwischen Häusern, +hügelan führend, sind ebenfalls ausgestorben. Kein Laut, nicht einmal +Hundegebell, ertönt. Wir erkennen im Mondlicht und im Scheine einiger +wenigen Laternen Säulenreste antiker Bauwerke. Brindisi war der südliche +Endpunkt der via Appia. + +Unglaublich groß wirkt das Schiff in dem kleinen, teichartigen Hafen. +Aber, so groß es ist, macht es mit vieler Vorsicht am Kai fest, und erst +als es fast ganz ruhig liegt, ist es bemerkt worden. Jetzt werden auf +einmal die Straßen belebt. Und schon sind wir nach wenigen Augenblicken +vom italienischen Lärm umgeben. Die Polizei erscheint an Bord. Wagen mit +Passagieren rasseln von den Hotels heran. Drei Mandoline zupfende, alte +Kerle haben sich auf Deck verpflanzt, die den Gesang einer sehr +phlegmatischen Mignon begleiten. + + +Die Nacht liegt hinter mir. Es ist sechs Uhr früh und der 28. März. Wir +sind dicht unter Land, und die Sonne tritt eben hinter den ziemlich +stark beschneiten Spitzen über die höchste Erhebung des Randgebirges von +Epirus voll hervor. Wenig Stratusgewölk liegt über der blauen Silhouette +der Küste. Übrigens hat der Himmel Scirocco-Charakter. Streifen und +verwaschene Wolkenballen unterbrechen das Himmelsblau. Das Licht der +Sonne scheint blaß und kraftlos. Die Luft weht erkältend, ich spüre +Müdigkeit. + +Ich betrete den Speisesaal der »Salzburg«. An drei Tischen ist das +Frühstück vorbereitet. Dazwischen, auf der Erde, liegen Passagiere. +Einige erheben sich, noch im Hemd, von ihren Matratzen und beginnen die +Kleider anzulegen. Ein großes Glasgefäß mit den verschmierten Resten +einer schwarzbraunen Fruchtmarmelade steht in unappetitlicher Nähe. Der +Löffel steckt seit Beginn der Reise darin. + +Es ist hier alles schon Asien, bedeutet mich ein Mitreisender. Ich kann +nicht sagen, daß ich besonders von diesen Übelständen berührt werde, +weiß ich doch, daß Korfu, die erste Etappe der Reise, nun bald erreicht +ist. Außerdem flüchtet man, nachdem man in Eile etwas Kaffee und Brot +genossen hat, wieder an Deck hinaus. Die Berge der Küste, nicht höher +als die, von denen etwa Lugano umgeben ist, sind noch mit einigem Schnee +bestreut und ähneln ihnen, braunrötlich und kahl, durchaus. Durch diese +Gebirge erscheint das Hinterland wie durch einen gigantischen Wall vor +dem Meere geschützt. + +Man hat jetzt nicht mehr das Gefühl, im offenen Meere zu sein, sondern +wir bewegen uns in einer sich mehr und mehr verengenden Wasserstraße. +Überall tauchen Küsten und Inseln auf, und nun zur Rechten bereits die +Höhen von Korfu. Noch immer schweben mit Gelächter oder Geläut +begleitende Möven über uns. + +Je länger und näher wir an dem nördlichen Rande von Korfu hingleiten, um +so fieberhafter wird das allgemeine Leben an Deck. In schöner Linie +langsam ansteigend, gipfelt das Eiland in zwei Spitzen, sanft darnach +wieder ins Meer verlaufend. Wieder bemächtigt sich unser jenes +Entzücken, das uns eine Küsten-Landschaft bereitet, die man vom Meere +aus sieht. Diesmal ist es in mir fast zu einem inneren Jubel gesteigert, +im Anblick des schönen Berges, den wir allmählich nach Süden umfahren, +und der seine von der Morgensonne beschienenen Abhänge immer deutlicher +und verlockender ausbreitet. Ich sage mir, dieses köstliche, fremde Land +wird nun auf Wochen hinaus -- und Wochen bedeuten auf Reisen viel! -- +für mich eine Heimat sein. + +Was mir bevorsteht, ist eine Art Besitzergreifen. Es ist keine unreale, +materielle Eroberung, sondern mehr. Ich bin wieder jung. Ich bin +berauscht von schönen Erwartungen, denn ich habe von dieser Insel, +solange ich ihren Namen kannte, Träume geträumt. + + +Es ist zehn Uhr. Wir befinden uns nun in einer wahrhaft phäakischen +Bucht. Drepane, Sichel, hieß die Insel im ältesten Altertum, und wir +sind in dem Raume der inneren Krümmung. Aber das Jonische Meer ist hier +einem weiten, paradiesischen Landsee ähnlich, weil auch der offene Teil +der Sichel durch die epirotischen Berge hinter uns scheinbar geschlossen +ist. + + +Ich vermag vor Kopfneuralgien kaum aus den Augen zu sehen. Ich bin +insofern ein wenig enttäuscht, als unser Hotel rings von den Häusern der +Stadt umgeben ist und es nicht leicht erscheint, zu jenen einsamen Wegen +durchzudringen, die mich vom Schiff aus anlockten und die für meine +besondere Lebensweise so notwendig sind. Ein kurzer Gang durch einige +Straßen von Korfu, der Stadt, zwingt mich, die Bemerkung zu machen, daß +hier viele Bettler und Hunde sind. Eine bettelnde Korfiotin, ein +robustes Weib in griechischer Tracht, das Kind auf dem Arm, geht mich um +eine Gabe an, und ich vermag den feurigen Blicken ihrer beiden flehenden +Augen mein hartes Herz nicht erfolgreich entgegenzusetzen. + +Ich sehe die ersten griechischen Priester, die im Schmuck ihrer +schwarzen Bärte, Talare und hohen, röhrenförmigen Kopfbedeckungen +Magiern ähneln, auf Plätzen und Gassen herumstreichen. Die nicht sehr +zahlreichen Fremden gehen mit eingezogenen Köpfen umher, es ist ziemlich +kalt. Im oberen Stock eines Hauses wird Schule gehalten. Die Kinder, im +Innern des Zimmers, singen. Die Lehrer gucken lachend und lebhaft +schwatzend zum Fenster heraus. Die Stimmen der Singenden haben mehr +einen kühlen, deutschen Charakter und nicht den feurigen, italienischen, +an den man im Süden gewöhnt ist. Zuweilen singt einer der Lehrer zum +offenen Fenster heraus lustig mit. + +Die Stadt Korfu ist in ihrem schöneren Teil durch einen sehr breiten, +vergrasten Platz von der Bucht getrennt. Es ist außerordentlich +angenehm, hier zu lustwandeln. Ein Capodistria-Denkmal und ein marmornes +Rundtempelchen verlieren sich fast auf der weiten Grasfläche. Nach dem +Meer hin läuft sie in eine Felszunge aus, die alte Befestigungen aus den +Zeiten der Venezianer trägt. Ich begegne kaum einem Menschen. Die +Morgensonne liegt auf dem grünen Plan, ein Schäfchen grast nicht weit +von mir. Ein Truthahn dreht sich und kollert in der Nähe der langen +Hausreihe, deren zahllose Fenster geöffnet sind und den Gesang von -- +ich weiß nicht wie vielen! -- Harzer Rollern in die erquickende Luft +schicken. + +Wir unternehmen am Nachmittag eine Fahrt über Land; es ist in der Luft +eine außerordentlich starke Helligkeit. Figi d'India-Kakteen säumen +mauerartig die Straße. Wir sehen violette Anemonen unten am Wegrand, +Blumen von neuem und wunderbarem Reiz. Warum will man den Blumen +durchaus Eigenschaften von Tieren oder von Menschen andichten und sie +nicht lieber zu Göttern machen? Diese kleinen göttlichen Wesen, deren +köstlicher Liebreiz uns immer wieder Ausrufe des Entzückens entlockt, +zeigen sich in um so größeren Mengen, je mehr wir uns von der Küste +entfernen, ins Innere des Eilands hinein. + +Der Blick weitet sich bald über Wiesen mit saftig grünen, aber noch +kurzen Gräsern, die fleckweise wie beschneit von Margueriten sind. In +diesen fast nordischen Rasenflächen stehen Zypressen vereinzelt da und +eine südliche Bucht, der Lago di Caliciopolo lacht dahinter auf. In der +Straße, die eben diese Bucht mit dem Meere verbindet, erhebt sich ein +kleiner, von Mauern und Zypressen gekrönter Fels. Die Mauern bilden ein +Mönchskloster. Ponticonisi oder Mausinsel heißt das Ganze, wovon man +behauptet, es sei das Phäakenschiff, das, nachdem es Odysseus nach +seiner Heimat geleitet hatte, bei seiner Rückkehr, fast schon im Hafen, +von Poseidon zu Stein verwandelt worden ist. + +Wiesen und umgeworfene Äcker begleiten uns noch. Vollbusige, griechische +Frauen, in bunter Landestracht, arbeiten in den Feldern. Kleine, +zottelige, unglaublich ruppige Gäule grasen an den Rainen und zwischen +Olivenbäumen, an steinigen Abhängen. Auf winzige Eselchen sind große +Lasten gelegt, und der Treiber sitzt auf der Last oder hinter der Last +noch dazu. + +Wir nähern uns mehr und mehr einem Berggebiet. Die Ölwälder geben der +Landschaft einen ernsten Charakter. Die tausendfach durchlöcherten +Stämme der alten Bäume sind wie aus glanzlosem Silber geflochten. Im +Schutze der Kronen wuchert Gestrüpp und ein wildwachsender Himmel +fremdartiger Blüten auf. + + +Das Achilleion der Kaiserin Elisabeth ist auf einer Höhe errichtet, in +einer Eiland und Meer beherrschenden Lage. Der obere Teil des Gartens +ist ein wenig beengt und kleinlich, besonders angesichts dieser Natur, +die sich um ihn her in die Tiefen ausbreitet. Und jener Teil, der zum +Meere hinuntersteigt, ist zu steil. Von erhabener Art ist die +Achillesverehrung der edlen Frau, obgleich dieser Zug, durch Künstler +der Gegenwart, würdigen Ausdruck hier nicht gefunden hat. Das Denkmal +Heines, eine halbe Stunde entfernt, unten am Meere, können wir, weil es +bereits zu dunkeln beginnt, nicht mehr besuchen. + +Die unvergleichlich Edele unter den Frauengestalten jüngster +Vergangenheit, die, nach ihresgleichen in unserem Zeitalter vergeblich +suchend, einsam geblieben ist, vermochte natürlicherweise den +kunstmäßigen Ausdruck ihrer Persönlichkeit nicht selbst zu finden. Und +leider schufen Handlangernaturen auch hier nur wieder im ganzen und +großen den Ausdruck desselben, dem sie entfliehen wollte. Und nur der +Platz, die Welt, der erhabene Glanz und Ernst, in den sie entfloh, legt +von diesem Wesen noch gültiges Zeugnis ab. + + +Wir schreiben den 30. März. Helle, warme Sonne, blendendes Licht +überall. Der Morgen ist heiter, erfrischend die Luft. Die Stadt ist +erfüllt vom Geschrei der Ausrufer. Viele Menschen liegen jetzt, gegen 9 +Uhr früh, am Rande eines kleinen, öffentlichen Platzes umher und sonnen +sich. Eine ganze Familie ist zu beobachten, die sich an eine Gartenmauer +gelagert hat, in einem sehr notwendigen Wärmebedürfnis wahrscheinlich, +da die Nächte kalt und die Keller, in denen die Armen hier wohnen, nicht +heizbar sind. Sie genießen die Strahlen der Sonne mit Wohlbehagen, wie +Ofenglut. Dabei zeigt sich die Mutter insofern ganz ungeniert durch die +Öffentlichkeit, als sie, gleich einer Äffin, in den verfilzten Haaren +ihres Jüngsten herumfingert, sehr resolut, obgleich der kleine Gelauste +schrecklich weint. + +Am Kai der Kaiserin Elisabeth steigert sich der Glanz des Lichtes noch, +im Angesichte der schönen Bucht. Das Kai ist eine englische Anlage und +die Nachmittagspromenade der korfiotischen Welt. Es wird begleitet von +schönen Baumreihen, die, wo sie nicht aus immergrünen Arten gebildet +sind, erstes, zartes Grün überzieht. Junge Männer haben Teppiche aus den +Häusern geschleppt und auf dem Grase zwischen den Stämmen ausgebreitet. +Ein scheußliches, altes, erotomanisches Weib macht unanständige Sprünge +in den heiteren Morgen hinein. Sie schreit und schimpft: die Männer +lachen, verspotten sie gutmütig. Sie kratzt sich mit obscöner Gebärde, +bevor sie davongeht und hebt ihre Lumpen gegen die Spottlustigen. + +Ich habe jetzt nicht mehr die tiefblaue, köstlich blinkende Bucht zur +Linken, mit den weißen Zelten der albanesischen Berge dahinter, sondern +ein großes Gartengebiet, und wandere weiter, meist unter Ölbäumen, bis +Ponticonisi dicht unter mir liegt. Von hier gegenüber mündet ein kleines +Flüßchen ins Meer und man will dort die Stelle annehmen, wo Odysseus +zuerst ans Ufer gelangte und Nausikaa ihm begegnet ist. + +Goethes Entwurf zur Nausikaa begleitet mich. + + »Was rufen mich für Stimmen aus dem Schlaf? + Wie ein Geschrei, ein laut Gespräch der Frauen + Erklang mir durch die Dämmrung des Erwachens. + Hier seh ich niemand! Scherzen durchs Gebüsch + Die Nymphen? oder ahmt der frische Wind, + Durchs hohe Rohr des Flusses sich bewegend, + Zu meiner Qual die Menschenstimmen nach? + Wo bin ich hingekommen? welchem Lande + Trug mich der Zorn des Wellengottes zu?« + +Ich meine, wenn dieses anziehende Fragment die starke Liebe wieder +erweckt, oder eine ähnlich starke, wie im Herzen seines Dichters war, so +kann dies kein Grund zum Vorwurf sein. Auch dann nicht, wenn diese Liebe +das Fehlende, das Ungeborene, zu erkennen vermeint, oder gar zu ergänzen +unternimmt. Dieser gelassene Ton, der so warm, stark, richtig und +deutsch ist, wird meist durchaus mißverstanden. Man nimmt ihn für kühl +und vergißt auch in der Sprache der Iphigenie die »by very much more +handsome than fine« ist, die alles durchdringende Herzlichkeit. + +Der Rückweg nach der Stadt führt zwischen wahre Dickichte von Orangen, +Granaten und Himbeeren. Eukalyptusbäume mit großgefleckten Stämmen von +wunderbarer Schönheit begegnen. Hie und da wandeln Kühe im hohen Gras +unter niedrig gehaltenen Orangenpflanzungen. Steinerne Häuschen, Höhlen +der Armut, bergen sich inmitten der dichten Gärten. Kinder betteln mit +Fröhlichkeit, starrend von Schmutz. + +Immer weiter zwischen verwilderten Hecken, mit Blüten bedeckten, +schreiten wir. Ich bemerke, außer vielen Brombeeren, dickstämmigen, +alten Weißdorn. Marguerits, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen, +bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von +Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum +Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es +nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen, +liegen im Dreck und sonnen sich. + +Ein griechischer Hirt kommt mir entgegen, ein alter, bärtiger Mann. Die +ganze Erscheinung ist wohlgepflegt. Er trägt kretensische Tracht, ein +rockartiges, blaues Beinkleid, zwischen den Beinen gerafft, +Schnabelschuh', die Waden gebunden, ein blaues Jäckchen mit +Glanzknöpfen, dazu einen strohenen Hut. Fünf Ziegen, nicht mehr, trotten +vor ihm hin. Er klappert mit vielen kleinen Blechkannen, die, an einem +Riemen hängend, er mit sich führt. + + +Ein frischer Nordwest hat eingesetzt, jetzt, am Nachmittag. Zwei alte +Albanesen, dazu ein Knabe, schreiten langsam über die Lespianata. Einer +der würdigen Weißbärte trägt über zwei Mänteln den dritten, dessen +Kapuze er über den Kopf gezogen hat. Der unterste Mantel ist von +hellerem Tuch, der zweite blau, der dritte über und über bedeckt mit +langen, weißlichen Wollzotteln, ähnlich dem Ziegenhaar. Der Sauhirt +Eumäus fällt mir ein und die Erzählung des Bettlers Odysseus von seiner +List, durch die er nicht nur von Thoas, dem Sohne Andrämons, den Mantel +erhielt, sondern auch von Eumäus. + +Es scheint, daß die Zahl der Mäntel den Wohlstand ihrer Träger andeutet. +Denn auch der zweite dieser imponierenden Berghirten hat drei Mäntel +übergeworfen. Dabei tragen sie weiße Wollgamaschen und graulederne +Schnabelschuh'. Jeder von ihnen überdies einen ungeschälten, langen +Stab. Der Knabe trägt ein rotes Fez. Die Schnäbel seiner roten Schuhe +sind länger, als die der Alten und jeder mit einer großen, schwarzen +Quaste geziert. + +Die Hafenstraßen zeigen das übliche Volksgetriebe. Die Läden öffnen sich +auf schmale, hochgelegene Lauben, aus denen man in das Menschengewimmel +der engen Gäßchen hinuntersieht. Ein Mann trägt Fische mit silbernen +Schuppen auf dem flachen Handteller eilend an mir vorbei. Junge Schafe +und Ziegen hängen, ausgeweidet und blutend, vor den Läden der Fleischer. +Über der Tür einer Weinstube voll riesiger Fässer sind im Halbkreis +Flaschen mit verschieden gefärbtem Inhalt an Schnüren ausgehängt. Man +hat schlechte Treppen, übelriechende Winkel zu vermeiden, vertierten +Bettlern aus dem Wege zu gehn. + +Einer dieser Bettler nähert sich mir. Er überbietet jeden sonstigen, +europäischen Eindruck dieser Art. Seine Augen glühen über einem +sackartigen Lumpen hervor, mit dem er Mund, Nase und Brust vermummt hat. +Er hustet in diese Umhüllung hinein. Er bleibt auf der Straße stehen und +hustet, krächzt, pfeift mit Absicht, um aufzufallen, sein fürchterliches +Husten minutenlang. Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes +vorzustellen, als dieses verlauste, unflätige, barfüßige und halbnackte +Gespenst. + + +Ich verbringe die Stunde um Sonnenuntergang in dem schönen, verwilderten +Garten, der dem König von Griechenland gehört. Es ist eine wunderbare +Wildnis von alten Zypressen-, Oliven- und Eukalyptusbäumen, ungerechnet +alle die blühenden Sträucher, in deren Schatten man sich bewegt. +Vielleicht wäre es schade, wenn dieser Garten oft vom König besucht +würde, denn bei größerer Pflege müßte er vieles verlieren von dem Reiz +des Verwunschenen, der ihm jetzt eigen ist. Die Riesenbäume schwanken +gewaltig im Winde und rauschen dazu: ein weiches, aufgestörtes Rauschen, +in das sich der eherne Ton des Meeres einmischt. + + +Wie ich heute morgen das Fenster öffne, ist die Sonne am wolkenlosen +Himmel längst aufgegangen. Ich bemerke, daß alles in einem fast weißen +Lichte unter mir liegt: die Straßen und Dächer der Stadt, der Himmel, +die Landschaft mit ihren Wiesen, Olivenwäldern und fernen Bergen. Als +ich aus dem Hotel trete, muß ich die Augen fast schließen, und lange, +während ich durch den nördlichen Stadtteil Korfus hinauswandere, suche +ich meinen Weg blinzelnd. + +Die Vorstadt zeigt das übliche Bild. Auf kleinen Eselchen sitzen Reiter, +so groß, daß man meint, sie könnten ihr Reittier mühelos in die Tasche +stecken. Ruppige Pferdchen, braunschwarz oder schwarz, mit Schweifen, +die bis zur Erde reichen, tragen allerlei tote Lasten und lebende +Menschen dazu. Vor ihren zumeist einstöckigen Häusern hocken viele +Bewohner und sonnen sich. Eine junge Mutter säugt, auf ihrer Türschwelle +sitzend, ihr jüngstes Kind und laust es zugleich, in aller Behaglichkeit +und Naivetät. Die weißen Mauerflächen werfen das Licht zurück und +erzeugen Augenschmerzen. + +Ich komme nun in die Region der Weiden und Ölgärten. Auf einer ebenen +Straße, die stellenweise vom Meere bespült, dann wieder durch sumpfige +Strecken oder Weideland vom Rande der großen, inneren Bucht getrennt +ist. Ich ruhe ein wenig, auf einem Stück Ufermauer am Ausgang der Stadt. +Die Sonne brennt heiß. Von den angrenzenden Hügeln steigt ein +albanesischer Hirte mit seinen Schafen zur Straße herunter: trotz der +Wärme trägt er seine drei Mäntel, oben den fließartigen, über die +Schultern gehängt. Ein sehr starkes und hochbeiniges Mutterschwein kommt +aus der Stadt und schreitet hinter seinen Ferkeln an mir vorüber. Es +folgt ein Eber, der kleiner ist. + +Es ist natürlich, wenn ich auch hier wieder an Eumäus denke, den +göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer +Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen +Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande +eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen +Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause +geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an +Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten +Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes +Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im +Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für +griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit. + +Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend +anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu +spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht +unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns +zu gewinnen. + +Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch +diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen. +Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu +sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir +auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu +Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde +laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller +Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen, +retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen +Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das +Ausweichen fast unmöglich machen. Eine breitgebaute, griechische Bäuerin +drückt, im _bildlichen_ Sinne, wie sie pompös einherschreitet, ihre +Umgebung an die Wand. Bettler, mit zwei alten Getreidesäcken bekleidet, +den einen unter den Achseln um den Leib geschlungen, den andern über die +Schultern gehängt wie ein Umschlagetuch, sprechen die Inhaber ärmlicher +Läden um Gaben an. Ein junger Priesterzögling von sehr gepflegtem +Äußeren, mit schwarzem Barett und schwarzer Sutane, ein Jüngling, der +schön wie ein Mädchen ist, von einem gemeinen Manne, dem Vater oder +Bruder begleitet, geht mir entgegen. Der Arm des Begleiters ist um die +Schultern des Priesters gelegt, dessen tiefschwarz glänzendes Haar im +Nacken zu einem Knoten geflochten ist. Weiber und Männer blicken ihm +nach. + + +Heute entdecke ich eigentlich erst den Garten des Königs und seine +Wunder. Ich nehme mir vor, von morgen ab mehrere Stunden täglich hier +zuzubringen. Seit längerer Zeit zum ersten Male genieße ich hier jene +köstlichen Augenblicke, die auf Jahre hinaus der Seele Glanz verleihen, +und um derentwillen man eigentlich lebt. Es dringt mir mit voller Macht +ins Gemüt, wo ich bin, und daß ich das Jonische Meer an den felsigen +Rändern des Gartens brausen höre. + + +Wir haben heute den 1. April. Meine Freunde, die Maler sind, und ich, +haben uns am Eingange der Königsvilla von einander getrennt, um, jeder +für sich, in dem weiten, verwilderten Gartenbereich auf Entdeckungen +auszugehen. Es ist ein Morgen von unvergleichlicher Süßigkeit. Ich +schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen, mit Bleistift diese Notizen. +Mein Auge weidet. Das Paradies wird ein Land voll ungekannter, +köstlicher Blumen sein. Die herrlichen Anemonen Korfus tragen mit dazu +bei, daß man Ahnungen einer andern Welt empfindet. Man glaubt beinahe, +auf einem fremden Planeten zu sein. + +In dieser eingebildeten Loslösung liegt eine große Glückseligkeit. + +Ich finde nach einigem Wandern die Marmorreste eines antiken +Tempelchens. Es sind nur Grundmauern; einige Säulentrommeln liegen +umher. Ich lege mich nieder auf die Steine, und eine unsägliche Wollust +des Daseins kommt über mich. Ein feines, glückliches Staunen erfüllt +mich ganz, zunächst fast noch ungläubig, vor diesem nun Ereignis +gewordenen Traum. + +Weniger um etwas zu schaffen, als vielmehr um mich ganz einzuschließen +in die Homerische Welt, beginne ich ein Gedicht zu schreiben, ein +dramatisches, das Telemach, den Sohn des Odysseus, zum Helden hat. +Umgeben von Blumen, umtönt von lautem Bienengesumm, fügt sich mir Vers +zu Vers, und es ist mir allmählich so, als habe sich um mich her nur +mein eigener Traum zu Wahrheit verdichtet. + +Die Lage des Tempelchens am Rande der Böschung, hoch überm Meer, ist +entzückend; alte, ernste Oliven umgeben in einiger Ferne die Vertiefung, +in die es gestellt ist. Welchem Gotte, welchem Heros, welchem +Meergreise, welcher Göttin oder Nymphe war das Tempelchen etwa geweiht, +das in das grüne Stirnband der Uferhöhe eingeflochten, dem nahenden +Schiffer entgegenwinkte? diese kleine, schweigende Wohnung der Seligen, +die, Weihe verbreitend, noch heute das Rauschen der Ölbäume, das +schwelgerische Summen der Bienen, das Duftgewölke der Wiesen als ewige +Opfergaben entgegennimmt. Die kleinen, blinkenden Wellen des Meeres +ziehen, vom leisen Ost bewegt, wie in himmlischer Prozession heran, und +es ist mir, als wäre ich nie etwas anderes, als ein Diener der +unsterblichen Griechengötter gewesen. + +Ich weiß nicht, wie ich auf die Vermutung komme, daß unterhalb des +Tempelchens eine Grotte und eine Quelle sein müsse. Ich steige +verfallene Stufen tief hinab und finde beides. Quellen und Grotten +münden auf grüne von Marguerits übersäte Terrassen, in ihrer versteckten +Lage von süßestem Reiz. Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu +lieben und herrschen zu machen über mich. Deshalb pflücke ich Blumen, +werfe sie in das Becken der Quelle, zu den Najaden und Nymphen flehend, +den lieblichen Töchtern des Zeus. + + +Ein brauner, schwermütiger Sonnenuntergang. Wir finden uns an die +Schwermut norddeutscher Ebenen irgendwie erinnert. Es ist etwas Kühles +in Licht und Landschaft, das vielleicht deutlicher vorstellbar wird, +wenn man es unitalienisch nennt. Das Landvolk, obgleich die Bäuerinnen +imposant und vollbusig sind und von schöner Rasse, erscheint nach außen +hin temperamentlos, im Vergleich mit Italien, und zwar trotz des +italienischen Einschlags. Es kommt uns vor, als wäre das Leben hier +nicht so kurzweilig, wie auf der italienischen Halbinsel. + +Die griechische Bäuerin hat durchaus den graden, treuherzigen Zug, der +den Männern hier abgeht, und den man als einen deutschen gern in +Anspruch nimmt. Sinnliches Feuer scheint ebenso wenig Ausdruck ihrer +besonderen Art zu sein, als bei den homerischen Frauengestalten. +Überhaupt erscheinen mir die homerischen Zustände den frühen +germanischen nicht allzu fern stehend. Der homerische Grieche ist +Krieger durchaus, ein kühner Seefahrer, wie der Normanne verwegener +Pirat, von tiefer Frömmigkeit bis zur Bigotterie, trunkliebend, zur +Völlerei neigend, dem Rausche großartiger Gastereien zugetan, wo der +Gesang des Skalden nicht fehlen durfte. + + +Ich habe mich auf den Resten des antiken Tempelchens, das ich nun schon +zum dritten- oder viertenmal besuche, niedergelassen. Es fällt lauer +Frühlingsregen. Ein großer, überhängender, weidenartiger Strauch umgibt +mich mit dem Arom seiner Blüten. Die Wellen wallfahrten heut mit starkem +Rauschen heran. Immer der gleiche Gottesdienst in der Natur. +Wolkendünste bedecken den Himmel. + +Immer erst, wenn ich auf den Grundmauern dieses kleinen Gotteshauses +gestanden habe, fühle ich mich in den Geist der Alten entrückt und +glaube in diesem Geiste alles rings umher zu empfinden. Ich will nie +diese Stunden vergessen, die in einem ungeahnten Sinne erneuernd sind. +Ich steige ans Meer zu den Najaden hinunter. Auf den Stufen bereits +vernehme ich das Geschrei einer Ziege, von der Grotte und Quelle +empordringend. Ich bemerke, wie das Tier von einem großen, rotbraunen +Segel beunruhigt ist, das sich dem Lande, düster schattend, bis auf +wenige Meter nähert, um hier zu wenden. Unwillkürlich muß ich an Seeraub +denken und das fortwährende, klägliche Hilferufen des geängstigten +Tieres bringt mir, beim Anblick des großen, drohenden Segels, die alte +Angst des einsamen Küstenbewohners, vor Überfällen, nah. + + +Oft ist bei Homer von schwarzen Schiffen die Rede. Ob sie nicht etwa den +Nordlandsdrachen ähnlich gewesen sind? Und ob nicht etwa die homerischen +Griechen, die ja durchaus Seefahrer und Abenteurernaturen waren, auch +das griechische Festland vom Wasser aus zuerst betreten haben? + +Eigentümlich ist es, wie sich in einem Gespräch des Plutarch eine +Verbindung des hohen Nordens mit diesem Süden andeutet; wo von Völkern +griechischen Stammes die Rede ist, die etwa in Kanada angesessen waren, +und von einer Insel Ogygia, wo der von Zeus entthronte Kronos gleichsam +in Banden eines Winterschlafes gefangen saß. Besonders merkwürdig ist +der Zug, daß jener entthronte Gott, Kronos oder Saturn, noch immer alles +dasjenige träumte, was der Sohn und Sieger im Süden, Zeus, im Wachen +sah. Also etwa, was jener träumte, war diesem Wirklichkeit. Und Herakles +begab sich einst in den Norden zurück, und seine Begleiter reinigten +Sitte und Sprache der nördlichen Griechen, die inzwischen verwahrlost +waren. + +Ich strecke mich auf das saftige Grün der Terrasse unter die zahllosen +Gänseblümchen aus, als ob ich, ein erster Grieche, soeben nach vieler +Mühsal gelandet wäre. Ein starkes Frühlingsempfinden dringt durch mich; +und in diesem Gefühle eins mit dem Sprossen, Keimen und Blühen rings um +mich her, empfinde ich jeden Naturkult, jede Art Gottesdienst, jedes +irgendwie geartete höhere Leben des Menschen durch Eros bedingt. + + +Ich beobachte eben, vor Sonnenuntergang, in einer Ausbuchtung der +Kaimauer, zwei Muselmänner. Sie verrichten ihr Abendgebet. Die Gesichter +»nach Mekka« gewendet, gegen das Meer und die epirotischen Berge, stehen +sie ohne Lippenbewegung da. Die Hände sind nicht gefaltet, nur mit den +Spitzen der Finger aneinandergelegt. Jetzt, indem sie sich auf ein Knie +senken, machen sie gleichzeitig eine tiefe Verneigung. Diese Bewegung +wird wiederholt. Sie lassen sich nun auf die Kniee nieder und berühren +mit den Stirnen die Erde. Auch diesen Ausdruck andachtsvoller +Erniedrigung wiederholen sie. Aufgerichtet, beten sie weiter. Nochmals +sinken sie auf die Kniee und berühren mit ihren Stirnen wieder und +wieder den Boden. Alsdann fährt sich, noch kniend, der ältere von den +beiden Männern mit der Rechten über das Angesicht und über den dunklen, +graumelierten Bart, als wollte er einen Traum von der Seele streifen, +und nun kehren sie, erwacht, aus dem inneren Heiligtum in das laute +Straßenleben, das sie umgibt, zurück. Wer diese Kraft zur Vertiefung +sieht, muß die Macht anerkennen und verehren, die hier wirksam ist. + + +Heut werfen die Wellen ihre Schaumschleier über die Kaimauer der Strada +marina. Die Möven halten sich mit Meisterschaft gegen den starken +Südwind über den bewegten Wassern des Golfes von Kastrades. Es herrscht +Leben und Aufregung. Von gestern zu heut sind die Baumwipfel grün +geworden im lauen Regen. + +Die Luft ist feucht. Der Garten, in den ich eintrete, braust laut. Der +Garten der Kirke, wie ich den Garten des Königs jetzt lieber nenne, +braust laut und melodisch und voll. Düfte von zahllosen Blüten dringen +durch dunkle, rauschende Laubgänge und strömen um mich mit der bewegten +Luft. Es ist herrlich! Der Webstuhl der Kirke braust wie Orgeln: +Choräle, endlos und feierlich. Und während die Göttin webt, die +Zauberin, bedeckt sich die Erde mit bunten Teppichen. Aus grünen Wipfeln +brechen die Blüten: gelb, weiß und rot, wie Blut. Das zarteste der +Schönheit entsteht ringsum. Millionen kleiner Blumen trinken den Klang +und wachsen in ihm. Himmelhohe Zypressen wiegen die schwarzen Wedel +ehrwürdig. Der gewaltige Eukalyptus, an dem ich stehe, scheint zu +schaudern vor Wonne, im Ansturm des vollen, erneuten Lebenshauchs. Das +sind Boten, die kommen! Verkündigungen! + +Wie ich tiefer in das verwunschene Reich eindringe, höre ich über mir in +der Luft das beinahe melodische Knarren eines großen Raben. Ich sehe ihn +täglich, nun schon das drittemal: den Lieblingsvogel Apollons. Er +überquert eine kleine Bucht des Gartens. Der Wind trägt seine Stimme +davon, denn ich sehe nur noch, wie er seinen Schnabel öffnet. + +Immer noch umgibt mich das Rauschen, das allgemeine, tiefe Getöse. Es +scheint aus der Erde zu kommen. Es ist, als ob die Erde selbst tief und +gleichmäßig tönte, mitunter bis zu einem unterirdischen Donner +gesteigert. + +Im Schatten der Ölbäume, im langhalmigen Wiesengras, gibt es viele +gemauerte Wasserbrunnen. Über einem, der mir vor Augen liegt, sehe ich +Nymphe und Najade gesellt, denn der Gipfel eines Baumes, dessen Stamm im +Innern der Zisterne heraufdringt, überquillt ihre Öffnung mit jungem +Grün. Die Grazien umtanzen in Gestalt vieler zartester Wiesenblumen den +verschwiegenen Ort. + +Die Gestalten der Kirke und der Kalypso ähneln einander. Jede von ihnen +ist eine »furchtbare Zauberin«, jede von ihnen trägt ein anmutig feines +Silbergewand, einen goldenen Gürtel und einen Schleier ums Haupt. Jede +von ihnen hat einen Webstuhl, an dem sie ein schönes Gewebe webt. Jede +von ihnen wird abwechselnd Nymphe und Göttin genannt. Sie haben beide +eine weibliche Neigung zu Odysseus, der mit jeder von ihnen das Lager +teilen darf. Beide, an bestimmte Wohnplätze gebunden, sind der mythische +Ausdruck sich regender Wachstumskräfte in der Frühlingsnatur, nicht wie +die höheren Gottheiten überall, sondern an diesem und jenem Ort. In +Kirke scheint das Wesen des Mythus, und besonders in ihrer Kraft zu +verwandeln, tiefer und weiter, als in Kalypso ausgebildet zu sein. + +Das Rauschen hat in mir nachgerade einen Rausch erzeugt, der Natur und +Mythus in eins verbindet, ja ihn zum phantasiegemäßen Ausdruck von jener +macht. Auf den Steinen des antiken Tempelchens sitzend, höre ich Gesang +um mich her, Laute von vielen Stimmen. Ich bin, wie durch einen leisen, +unwiderstehlichen Zwang, in meiner Seele willig gemacht, Zeus und den +übrigen Göttern Trankopfer auszugießen, ihre Nähe im Tiefsten +empfindend. Es ist etwas Rätselhaftes auch insofern um die +Menschenseele, als sie zahllose Formen anzunehmen befähigt ist. Eine +große Summe halluzinatorischer Kräfte sehen wir heut als krankhaft an, +und der gesunde Mensch hat sie zum Schweigen gebracht, wenn auch nicht +ausgestoßen. Und doch hat es Zeiten gegeben, wo der Mensch sie voll +Ehrfurcht gelten und menschlich auswirken ließ. + + »Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten + Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten. + Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine + Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.« + +Die schöne Wäscherin, die ich an einem versteckten Röhrenbrunnen +arbeiten sehe, auf meinem Heimwege durch den Park -- die erste schöne +Griechin überhaupt, die ich zu Gesicht bekomme! -- sie scheint mir eine +von Kirkes Mägden zu sein. Und wie sie mir in die Augen blickt, befällt +mich Furcht, als läge die Kraft der Meisterin auch in ihr, Menschen in +Tiere zu verwandeln, und ich sehe mich unwillkürlich nach dem Blümchen +Molly um. + + +Heut, den 5. April, hat ein großes Schiff dreihundert deutsche Männer +und Frauen am Strande von Korfu abgesetzt. Ein mit solchen Männern und +Frauen beladener Wagen kutscht vor mir her. Auf der Strada marina läßt +Gevatter Wurstmacher den Landauer anhalten, steigt heraus und nimmt mit +einigen lieben Anverwandten, eilig, in ungezwungener Stellung, +photographiergerecht, auf der Kaimauer Platz. Ein schwarzbärtiger +Idealist mit langen Beinen und engem Brustkasten erhebt sich auf dem +Kutschbock und photographiert. Am Eingange meines Gartens holt die +Gesellschaft mich wieder ein, die sich durch das unumgängliche +Photographieren verzögert hat. »Palais royal?« tönt nun die Frage an den +Kutscher auf gut Französisch. -- + +Und wie ich den Garten der Zauberin wieder betrete, von heimlichem +Lachen geschüttelt, fällt mir eine Geschichte ein: Mitridates steckte +einst in Kleinasien einen Hain der Eumeniden in Brand, und man hörte +darob ein ungeheures Gelächter. Die beleidigten Götter forderten nach +dem Spruche der Seher Sühnopfer. Die Halswunde jenes Mädchens aber, das +man hierauf geschlachtet hatte, lachte noch auf eine furchtbare Weise +fort. + + +Das eine der Fenster unseres Wohnsaales im Hotel Belle Venise gewährt +den Blick in eine Sackgasse. Dort ist auch ein Abfallwinkel des Hotels. +Der elende Müllhaufen übt eine schreckliche Anziehungskraft auf Tiere +und Menschen aus. So oft ich zum Fenster hinausblicke, bemerke ich ein +anderes hungriges Individuum, Hund oder Mensch, das ihn durchstöbert. +Ohne jeden Sinn für das Ekelhafte greift ein altes Weib in den Unrat, +nagt das sitzengebliebene Fleisch aus Apfelsinenresten und schlingt +Stücke der Schale ganz hinab. Jeden Morgen erscheinen die gleichen +Bettler, abwechselnd mit Hunden, von denen mitunter acht bis zehn auf +einmal den Haufen durchstören. Diese scheußliche Nahrungsquelle +auszunützen, scheint der einzige Beruf vieler unter den ärmsten +Bewohnern Korfus zu sein, die in einem Grade von Armut zu leben +gezwungen sind, der, glaube ich, selbst in Italien selten ist. Von +Müllhaufen zu Müllhaufen wandern, welch ein unbegreifliches Los der +Erbärmlichkeit! Mit Hunden und Katzen um den Wegwurf streiten. Und doch +war es vielleicht mitunter das Los Homers, der, wie Pausanias schreibt, +auch dieses Schicksal gehabt hat, als blinder Bettler von Ort zu Ort zu +ziehn. + + +Der Garten der Kirke liegt diesen Nachmittag in einer düstern +Verzauberung. Die blaßgrünen Schleier der Olivenzweige rieseln leis. Es +ist ein ganz zartes und feines Singen. Von unten tönt laut das eherne +Rauschen des Jonischen Meeres. Ich muß an das unentschiedene +Schlachtengetöse homerischer Kämpfe denken. Der Wolkenversammler +verdunkelt den Himmel, und eine bängliche Finsternis verbreitet sich +zwischen den Stämmen unter den Ölbaumwipfeln. Vereinzelte große +Regentropfen fallen auf mich. Der Efeu erscheint wie ein polypenartig +würgendes Tier, er schlägt in unzerbrechliche Bande: Mauern, steinerne +Stufen, Bäume! Es ist etwas ewig Totes, ewig Stummes, ewig Verlassenes, +ewig Verwandeltes in der Natur und in allem vegetativen Dasein des +Gartens. Die Tiere der Kirke schleichen lautlos, tückisch und +unsichtbar! der bösen, tückischen Kirke Gefangene! Sie erscheinen für +ewig ins Innere dieser Gartenmauer gebannt, wie Sträucher und Bäume an +ihre Stelle. Alle diese uralten, rätselhaft verstrickten Olivenbäume +gleichen unrettbar verknoteten Schlangen, erstarrt, mitten im Kampf, +durch ein schreckliches Zauberwort. + +Aber nun geht eine Angst durch den Garten: etwas wie Angst oder nahes +Glück. Wir alle, unter der drohenden Macht des beklemmenden Rätsels +eines unsagbar traurigen und verwunschenen Daseins, fühlen den nahen +Donner des Gottes voraus. Mächtig grollt es fern auf; und Zeus winkt mit +der Braue ... Kirke erwartet Zeus. + + +Ehe man Potamo auf Korfu erreicht, überschreitet man einen kleinen Fluß. +Die Ortschaft ist mit grauen Häuschen und einem kleinen Glockenturm auf +eine sanft ansteigende Berglehne zwischen Ölbäume und Zypressen +hingestreut. Unter den Bewohnern des Ortes, die alle dunkel sind, fällt +ein Schmied oder Schlosser auf, der in der Tür seiner Werkstatt mit +seinem Schurzfell dasteht, blauäugig, blond und von durchaus kernigem, +deutschem Schlag, seiner Haltung und dem Ausdruck seines Gesichtes nach. + +Das Tal hinter Potamo entwickelt die ganze Fülle der fruchtbaren Insel. +Auf saftigen Wiesenabhängen langhalmiger, üppiger Gräser und Blumen, +stehen, Wipfel an Wipfel, Orangenbäume, jeder mit einem Reichtum +schwerer und reifer Früchte durchwirkt. Die gleiche, lastende Fülle ist, +links vom Wege, in die Talsenkung hinein verbreitet und jenseit die +Abhänge hinauf, bis unter die allgegenwärtigen Ölbäume. Fruchtbare Fülle +liegt wie ein strenger Ernst über diesem gesegneten Tal. Es ist von +Reichtum gleichsam beschwert bis zur Traurigkeit. Es ist etwas fronmäßig +Lasttragendes in diesem Überfluß, so daß hier wiederum das Mysterium der +Fruchtbarkeit, beinahe zu Gestalten verdichtet, dem inneren Sinne sich +aufdrängt. Hier scheint ein dämonischer Reichtum wie dazu bestimmt, +verschlagenen Seefahrern sich für eine angstvolle Schwelgerei +darzubieten, panischen Schrecknissen nahe. + +Gestrüppen, wilden Dickichten gleich, steigen Orangengärten in die +Schluchten hinunter, die von uralten Oliven und Zypressen verfinstert +sind und locken von dort her, aus der verschwiegenen Tiefe mit ihrer +süßen, schweren, fast purpurnen Frucht. Man spürt das Gebärungswunder, +das Wunder nymphenhafter Verwandlungen: ein Wirken, das ebenso süß, als +qualvoll ist. + +Ich sollte hier der Orange von Korfu, als der besten der Welt begeistert +huldigen! -- Man gehe hin und genieße sie. + +Die Straße steigt an und bei einer Wendung tut sich, weithin gedehnt, +eine sanfte Tiefe dem Blicke auf: die Ebene zwischen Govino und Pyrgi +ungefähr, mit ihren umgrenzenden Höhenzügen. Wälder von Olivenbäumen +bedecken sie, ja Gipfel, Abhänge und Ebene überzieht ein einziger Wald. +Der majestätische Ernst des Eindrucks ist mit einem unsäglich weichen +Reiz verbunden. + +Eine Biegung der Straße enthüllt teilweise die blauleuchtende Bucht und +die Höhe des San Salvatore dahinter. Zum Ernst, zur Einfalt, zur +Großheit, darf man sagen, tritt nun die Süße. -- Wir wandeln unter die +Wälder hinein. Das Auge wird immer wieder gefesselt von dem +unvergleichlichen Linienreiz der zerlöcherten und zerklüfteten +Riesenstämme, von denen einige zerrissen und in wilde Windungen +zerborsten, doch, mit erzenem, unbeweglichem Griff in die Erde +verknotet, aufrecht geblieben sind. + +Der Himmel ist grau und bewölkt. Wir entdecken in der Tiefe der +fruchttragenden Waldungen Kinder, Hirtinnen mit gelben Kopftüchern. Bis +an die Straße zu uns her sind kleine, wollige, unwahrscheinliche +Jesusschäfchen verstreut. Ich winke einer der kleinen Hirtinnen: sie +kommt nicht leicht. Ihr Dank für unsere Gabe ist ganz Treuherzigkeit. + +Schemenhaft flüstern die Ölzweige. Weithin geht und weither kommt +ewiges, sanftes, fruchtbares Rauschen. + + +Wir unternehmen heut eine Fahrt nach Pelleka. Dort, von einem gewissen +Punkte aus, überblickt man einen sehr großen Teil der Insel, die Buchten +gegen Epirus hin und zugleich das freie Jonische Meer. + +Heute, am Sonntag, lehnen etwa hundert Männer über die Mauer der Straße, +wo diese eine Kehre macht und gleichsam eine Terrasse oder Rampe der +Ortschaft bildet. Unser Wagen wird sogleich von einer großen Menge +erbärmlich schmutziger Kinder umringt, die zumeist ein verkommenes +Ansehen haben und schlimm husten. Mit uns dem gesuchten Aussichtspunkt +zusteigend -- wir haben den Wagen verlassen! -- verfolgen uns die Kinder +in hellen Haufen. Eingeborene Männer versuchen es immer wieder, sie zu +verscheuchen, stets vergeblich. Die Kleinen lassen uns vorüber, stehen +ein wenig, suchen uns aber gleich darauf wieder auf kürzeren Wegen, +rennend, springend, stürzend, einander stoßend, zuvor zu kommen, um mit +zäher Unermüdlichkeit uns wiederum anzubetteln. + +Sie sind fast durchgängig brünett. Aber es ist auch ein blondes Mädchen +da, blauäugig und von zart weißer Haut: ein großer, vollkommen deutscher +Kopf, der als solcher auf einem Leiblschen Bilde stehen könnte. Bei +diesem Anblick beschleicht mich eine gewissermaßen irrationale +Traurigkeit, denn das Mädchen ist eigentlich die vergnügteste unter +ihren zahllosen dunklen Zufallsschwestern. + +In Gruppen und von den Männern gesondert, stehen am Eingang und Ausgang +des kleinen Fleckens die Frauen von Pelleka. Sie machen in der stämmigen +Fülle des Körpers und der bunten Schönheit der griechischen Tracht den +Eindruck der Wohlhabenheit. Das reiche Haar, das ihre Köpfe in stolzer +Frisur umgibt, ist nicht nur ihr eigenes, sondern durch den Haarschatz +von Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern vermehrt, der als heilige +Erbschaft betrachtet wird. + + +Heut, soeben, begann ich den letzten Tag, der noch auf Korfu enden wird. +Zum Fenster hinausblickend, gewahre ich in der Nähe des Abfallhaufens +eine Versammlung von etwa zwanzig Männern: sie umstehen einen vom Regen +noch feuchten Platz, auf dem sich, wie kleine zerknüllte Lümpchen, +mehrere schmutzige Drachmenscheine befinden. Man schiebt sie mit +Stiefelspitzen von Ort zu Ort. Einer der Männer wirft vom Handrücken aus +zwei kupferne Münzen in die Luft, und je nachdem sie auf dem Kopfe der +Könige liegen, oder diesen nach oben kehren, entscheiden sie über +Verlust und Gewinn. Nachdem ein Wurf des Glücksspiels geschehen ist, +nimmt einer der Spieler, ein schäbiger Kerl, als Gewinner den ziemlich +erheblichen Einsatz vom Erdboden auf und steckt ihn ein. + +Die Bevölkerung Korfus krankt an dieser Spielleidenschaft. Es werden +dabei von armen Leuten Gewinne und Verluste bestritten, die in keinem +Vergleich zu ihrem geringen Besitze stehen. Man sucht dieser Spielwut +entgegenzuwirken. Aber, trotzdem man das stumpfsinnige Laster, sofern es +in Kneipen oder irgendwie öffentlich auftritt, unter Strafe stellt, ist +es dennoch nicht auszurotten. Macht doch die ganze Bevölkerung +gemeinsame Sache gegen die Polizei! So sind zum Beispiel die +Droschkenkutscher auf der breiten Straße, in die unser Sackgäßchen +mündet, freiwillige Wachtposten, die den ziemlich sorglosen Übertretern +der Gesetzesbestimmungen soeben die Annäherung eines Polizeimannes durch +Winke verkündigen, worauf sich der Schwarm sofort zerstreut. + + +Ein griechischer Dampfer liegt am Ufer. Ein italienischer kommt eben +herein. Ihm folgt die »Tirol« vom Triester Lloyd. Menschen und Möwen +werden aufgeregt. + +Die Einschiffung ist nicht angenehm. Wir sind hinter einem Berg von +Gepäck ins Boot gequetscht, und jeden Augenblick drohen die hohen Wogen +das überladene Fahrzeug umzuwerfen. + +Selten ist der Aufenthalt an Deck eines Schiffes im Hafen angenehm. Das +Idyll, sofern nicht das Gegenteil eines Idylls im Schicksalsrate +beschlossen ist ... das Idyll beginnt immer erst nach der Abfahrt. + +Eine schlanke, hohe, jugendschöne Engländerin mit den edlen Zügen +klassischer Frauenbildnisse ist an Bord. Seltsam, ich vermag mir das +homerische Frauenideal, vermag mir eine Penelope, eine Nausikaa, nur von +einer so gearteten Rasse zu denken. + +Langsam gleitet Korfu, die Stadt, und Korfu, die Insel, an uns vorüber: +die alten Befestigungen, die Esplanade, die Strada marina am Golf von +Kastrades, auf der ich so oft nach dem königlichen Garten, nach dem +Garten der Kirke, gewandert bin. Der Garten der Kirke selbst gleitet +vorüber. Ich nehme mein Fernglas und bin noch einmal an dem lieblichen, +jetzt in Schatten gelegten Ort, wo die Trümmer des kleinen antiken +Tempelchens einsam zurückbleiben, und wo ich, seltsam genug bei meinen +Jahren, fast wunschlos glückliche Augenblicke genoß. Oft sah ich von +dort aus Schiffe vorübergleiten und bin nun selbst, der vorübergleitet +auf seinem Schiff. Über den dunklen Wipfelgebieten des Gartens steht die +Sonne hinter gigantischen Wolken im Niedergang und bricht über alles zu +uns und zum Himmel hervor in gewaltigen, limbusartigen Strahlungen, und +im Weitergleiten des Schiffes erfüllt mich nur noch der eine Gedanke: du +bist auf der Pilgerfahrt zur Stätte des goldelfenbeinernen Zeus. + + +Die ersten Stunden auf klassischem Boden, nachdem wir in Patras Morgens +gelandet sind, bieten lärmende unangenehme Eindrücke. Aber, trotzdem wir +nun in einem Bahncoupé, und zwar in einem ziemlich erbärmlichen, sitzen, +saugt sich das Auge an Felder und Hügel dieser an uns vorüberflutenden +Landschaft fest, als wäre sie nicht von dieser Erde. Vielleicht lieben +wir Träume mit stärkerer Liebe, als Wirklichkeit. Aber das innere Auge, +das sich selbst im Schlafe oft genug weit öffnet, legt sich mitunter in +den Wiesen, Hainen und Hügelländern zur Ruh, die sich einem äußeren +Sinne im Lichte des wachen Tages schlicht und gesund darbieten. Und +etwas, wie eines inneren Sinnes Entlastung spüre ich nun. + +Also: um mich ist Griechenland. Das, was ich bisher so nannte, war alles +andere, nur nicht Land. Die Sehnsucht der Seele geht nach Land, der +Sehnsucht des Seefahrers darin ähnlich. Immer ist es zunächst nur +eingebildet, wonach man sich sehnt, und noch so genaue Nachricht, noch +so getreue Schilderung kann aus der schwebenden Insel der Phantasie kein +wirklich am Grunde des Meeres verwurzeltes Eiland machen. Das vermag nur +der Augenblick, wo man es wirklich betritt. + +Was nun so lange durchaus nur ein bloßer Traum der Seele gewesen ist, +das will eben diese Seele, vom Staunen der äußeren Sinne berührt, die, +von dem Ereignis betroffen, rastlos verzückt, fast überwältigt +umherforschen ... das will eben diese Seele nicht gleich für wahr +halten. Auch deshalb nicht, weil damit in einem anderen Sinne etwas, zum +mindesten der Teil eines Traumbesitzes, in sich versinkt. Dies gilt aber +nur für Augenblicke. Es gibt in einem gesund gearteten Geiste keine +Todfeindschaft mit der Wirklichkeit: und was sie etwa in einem solchen +Geiste zerstört, das hilft sie kräftiger wiederum aufrichten. + +Die Landschaft von Elis, durch die wir reisen, berührt mich heimisch. +Wir haben zur Rechten das Meer, hinter roter Erde, in unglaublicher +Farbenglut. Wie bläulicher Duft liegen Inseln darin: erst wird uns +Ithaka, dann Cephalonia, später Zakynthos deutlich. Wir werden an Hügeln +vorübergetragen, niedrigen Bergzügen, vor denen Fluren sich ausbreiten, +die mit Rebenkulturen bestanden sind. Die Berge zur Linken weichen +zurück hinter eine weite Talebene, die sie mit ihren Schneehäuptern +begleiten. Einfache, grüne Weideflächen erfreuen den Blick. Und +plötzlich erscheinen Bäume, einzelstehend, knorrig, weitverzweigt, die +für das zu erklären, was sie wirklich sind, ich kaum getraue. Aber es +sind und bleiben doch Eichen, deutsche Eichen, so alt und mächtig +entwickelt, wie in der Heimat sie gesehen zu haben ich mich nicht +erinnern kann. + +Stundenweit dehnen sich nun diese Eichenbestände. Doch sind die jetzt +noch fast kahlen Kronen so weit voneinander entfernt, daß ihre Zweige, +so breit sie umherreichen, sich nicht berühren. In den einsamen +Weideländern darunter zeigen sich hie und da Hirten mit Herden. + +Es kommt mir vor, als ob ich unter den vielen, die mit uns reisen, einem +großartigen Festtumulte zustrebte. Und durchaus ungewollt drängt sich +mir nach und nach die Vision eines olympischen Tages auf: der Kopf und +nackte Arm eines jungen Griechen, ein Schrei, eine Bitte, ein +Pferdegewieher, Beifallstoben, ein Fluch des Besiegten. Ein Ringer, der +sich den Schweiß abwischt. Ein Antlitz, im Kampfe angespannt, fast +gequält in übermenschlicher Anstrengung. Donnernder Hufschlag, +Rädergekreisch: alles vereinzelt, blitzartig, fragmentarisch. + + +Wir sind in Olympia. + +Auf diesem verlassenen Festplatz ist kaum etwas anderes, als das sanfte +und weiche Rauschen der Aleppokiefer vernehmlich, die den niedrigen +Kronoshügel bedeckt und hie und da in den Ruinen des alten Tempelbezirks +ihre niedrigen Wipfel ausbreitet. + +Dieses freundliche Tal des Alpheios ist dermaßen unscheinbar, daß man, +den ungeheuren Klang seines Ruhmes im Herzen, bei seinem Anblick in +eigentümlicher Weise ergriffen ist. Aber es ist auch von einer +bestrickenden Lieblichkeit. Es ist ein Versteck, durch einen niedrigen +Höhenzug jenseits des Flusses -- und diesseits durch niedrige Berge +getrennt von der Welt. Und jemand, der sich von dieser Welt ohne Haß zu +verschließen gedächte, könnte nirgend geborgener sein. + +Ein kleines, idyllisches Tal für Hirten -- eine schlichte, beschränkte +Wirklichkeit! -- mit einem versandeten Flußlauf, Kiefern und kärglichem +Weideland, und doch: es mag hier gewesen sein, es weigert nichts in dem +Pilger, für wahr hinzunehmen, daß hier der Kronide, der Ägiserschütterer +Zeus, mit Kronos um die Herrschaft der Welt gerungen hat. -- Das ist das +Wunderbare und Seltsame. + + +Die Abhänge jenseit des Alpheios färben sich braun. Die Sonne eines +warmen und reinen Frühlingstages dringt nicht mehr mit ihren Strahlen +bis an die Ruinen, zu mir. Zwei Elstern fliegen von Baum zu Baum, von +Säulentrommel zu Säulentrommel. Sie gebärden sich hier wie in einem +unbestrittnen Bereich. Ein Kuckuck ruft fortwährend aus den Wipfeln des +Kronoshügels herab. -- Ich werde diesen olympischen Kuckuck vom zwölften +April des Jahres Neunzehnhundertundsieben nicht vergessen. + +Die Dunkelheit und die Kühle bricht herein. Noch immer ist das Rauschen +des sanften Windes in den Wipfeln die leise und tiefe Musik der Stille. +Es ist ein ewiges, flüsterndes Aufatmen, traumhaftes Aufrauschen, +gleichsam Aufwachen, von etwas, das zugleich in einem schweren, +unerwecklichen Schlaf gebunden ist. Das Leben von einst scheint ins +Innere dieses Schlafes gesunken. Wer nie diesen Boden betreten hat, dem +ist es schwer begreiflich zu machen, bis zu welchem Grade Rauschen und +Rauschen verschieden ist. + +Es ist ganz dunkel geworden. Ich unterliege mehr und mehr wieder inneren +Eindrücken gespenstischer Wettspiele. Es ist mir, als fielen da und +dorther Schreie von Läufern und Ringern aus der nächtlichen Luft. Ich +empfinde Getümmel und wilde Bewegungen; und diese hastig fliehenden +Dinge begleiten mich wie irgendein Rhythmus, eine Melodie, dergleichen +sich manchmal einnistet und nicht zu tilgen ist. + +Plötzlich wird, von irgendeinem Hirtenjungen gespielt, der kunstlose +Klang einer Rohrflöte laut: er begleitet mich auf dem Heimwege. + + +Der Morgen duftet nach frischen Saaten und allerlei Feldblumen. +Sperlinge lärmen um unsere Herberge. Ich stehe auf dem Vorplatz des +hübschen, luftigen Hauses und überblicke von hier aus das enge, +freundliche Tal, das die olympischen Trümmer birgt. Hähne krähen in den +Höfen verschiedener kleiner Anwesen in der Nähe, von denen jedoch hier +nur eines, ein Hüttchen, am Fuße des Kronoshügels, sichtbar ist. + +Man müßte ein Tälchen von ähnlichem Reiz, ähnlicher Intimität vielleicht +in Thüringen suchen. Wenn man es aber so eng, so niedlich und voller +idyllischer Anmut gefunden hätte, so würde man doch nicht, wie hier, so +tiefe und göttliche Atemzüge tun. + +Mich durchdringt eine staunende Heiterkeit. Der harzige Kiefernadelduft, +die heimisch-ländliche Morgenmusik beleben mich. Wie so ganz nah und +natürlich berührt nun auf einmal das Griechentum, das durchaus nicht nur +im Sinne Homers oder gar im Sinne der Tragiker zu begreifen ist. Viel +näher in diesem Augenblick ist mir die Seele des Aristophanes, dessen +»Frösche« ich von den Alpheiossümpfen herüber quaken höre. So laut und +energisch quakt der griechische Frosch -- ich konnte das während der +gestrigen Fahrt wiederholt bemerken! -- daß er literarisch durchaus +nicht zu übersehen, noch weniger zu überhören war. + +Überall schlängeln sich schmale Pfade über die Hügel und zwischen den +Hügeln hindurch. Sie sind wie Bänder durch einen Flußlauf gelegt, der +zum Alpheios fließt. Kleine Karawanen, Trupps von Eseln und Mauleseln +tauchen auf und verschwinden wieder. Man hört ihre Glöckchen, bevor man +die Tiere sieht, und nachdem sie den Gesichtskreis verlassen haben. Am +Himmel zeigen sich streifige Windwolken. In der braunen Niederung des +Alpheios weiden Schafherden. + +Man wird an ein großartiges Idyll zu denken haben, das in diesem Tälchen +geblüht hat. Es lebte hier eine Priestergemeinschaft nahe den Göttern; +aber diese, Götter und Halbgötter, waren die eigentlichen Bewohner des +Ortes. Wie wurde doch gerade dieses anspruchslose Stückchen Natur so von +ihnen begnadet, daß es gleich einem entfernten Fixstern -- einer vor +tausend Jahren erloschenen Sonne gleich -- noch mit seinem vollen, +ruhmstrahlenden Lichte in uns ist? + +Diese bescheidenen Wiesen und Anhöhen lockten ein Gedränge von Göttern +an, dazu Scharen glanzbegieriger Menschen, die von hier einen Platz +unter den Sternen suchten. Nicht alle fanden ihn, aber es lag doch in +der Macht des olympischen Zweiges, von einem schlichten Ölbaum dieser +Flur gebrochen, Auserwählten Unsterblichkeit zu gewähren. + + +Ich ersteige den Kronoshügel. Es riecht nach Kiefernharz. Einige Vögel +singen in den Zweigen schön und anhaltend. Im Schatten der Nadelwipfel +gedeiht eine zarte Ilexart. Die gewundenen Stämme der Kiefern mit tief +eingerissener Borke haben etwas Wildkräftiges. Ich pflücke eine +blutrote, anemonenartige Blume, überschreite das Band einer Wanderraupe, +fünfzehn bis zwanzig Fuß lang. Die Windungen des Alpheios erscheinen: +des Gottes, der gen Orthygia hinstrebt, jenseits des Meeres, wo +Arethusa, die Nymphe, wohnt, die Geliebte. + +Die Fundamente und Trümmer des Tempelbezirks liegen unter mir. Dort, wo +der goldelfenbeinerne Zeus gestanden hat, auf den Platten der Cella des +Zeustempels, spielt ein Knabe. Es ist mein Sohn. Etwas vollkommen +Ahnungsloses, mit leichten, glücklichen Füßen die Stelle umhüpfend, die +das Bildnis des Gottes trug, jenes Weltwunder der Kunst, von dem unter +den Alten die Rede ging, daß, wer es gesehen habe, ganz unglücklich +niemals werden könne. + +Die Kiefern rauschen leise und traumhaft über mir. Herdenglocken, wie in +den Hochalpen oder auf den Hochflächen des Riesengebirges, klingen von +überall her. Dazu kommt das Rauschen des gelben Stroms, der in seinem +breiten, versandeten Bette ein Rinnsal bildet, und das Quaken der +Frösche in den Tümpeln stehender Wässer seiner Ufer. + +Immer noch hüpft der Knabe um den Standort des Götterbildes, das, +hervorgegangen aus den Händen des Phidias, den Wolkenversammler, den +Vater der Götter und Menschen darstellte; und ich denke daran, wie, der +Sage nach, der Gott mit seinem Blitz in die Cella schlug und auf diese +Art dem Meister seine Zufriedenheit ausdrückte. Was war das für ein +Meister und ein Geschlecht, das Blitzschlag für Zustimmung nahm! Und was +war das für eine Kunst, die Götter zu Kritikern hatte! + +Die Hügel jenseits des Alpheios bilden eine Art Halbkreis, und ich +empfinde sie fast, unwillkürlich forschend hinüberblickend, als einen +amphitheatralischen Rundbau für göttliche Zuschauer. Rangen doch auf dem +schlichten Festplatz unter mir Götter und Menschen um den Preis. + +Meinen Sinn zu den Himmlischen wendend, steige ich langsam wieder in das +Vergessenheit und Verlassenheit atmende Wiesental: das Tal des Zeus, das +Tal des Dionysos und der Chariten, das Tal des idäischen Herakles, das +Tal der sechzehn Frauen der Hera, wo auf dem Altar des Pan Tag und Nacht +Opfer brannten, das Tal der Sieger, das Tal des Ehrgeizes, des Ruhmes, +der Anbetung und Verherrlichung, das Tal der Wettkämpfe, wo es dem +Herakles nicht erspart blieb, mit den Fliegen zu kämpfen, die er aber +nur mit Hilfe des Zeus besiegte und dort hinüber, hinter das jenseitige +Ufer des Alpheios, trieb. + +Und wieder schreite ich zwischen den grauen Trümmern hin, die eine +schöne Wiese bedecken. Überall saftiges Grün und gelbe Maiblumen. Das +Elsternpaar von gestern fliegt vor mir her. Die Säulen des Zeustempels +liegen, wie sie gefallen sind: die riesigen Porostrommeln schräg +voneinander gerutscht. Überall duftet es nach Blumen und Thymian um die +Steinmassen, die sich im wohltätigen Scheine der Morgensonne warm +anfühlen. Von einem jungen Ölbäumchen, nahe dem Zeustempel, breche ich +mir, in unüberwindlicher Lüsternheit, seltsamerweise zugleich fast scheu +wie ein Dieb, den geheiligten Zweig. + + +Abschiednehmend trete ich heut das zweitemal vor die Giebelfiguren des +Zeustempels, in dem kleinen Museum zu Olympia, und dann vor den Hermes +des Praxiteles. Ich lasse dahingestellt, was offenkundig diese Bildwerke +unterscheidet, und sehe in Hermes weniger das Werk des Künstlers, als +den Gott. Es ist hier möglich, den Gott zu sehen, in der Stille des +kleinen Raums, an den die Äcker und Wiesen dicht herantreten. Und so +gewiß man in den Museen der großen Städte Kunstwerke sehen kann, vermag +man hier in die lebendige Seele des Marmors besser zu dringen und fühlt +heraus, was an solchen Gebilden mehr, als Kunstwerk ist. Die +griechischen Götter sind nicht von Ewigkeit. Sie sind gezeugt und +geboren worden. + +Dieser Gott ist besonders bedauernswert in seiner Verstümmelung, da ihm +eine überaus zärtliche Schönheit, ein weicher und lieblicher Adel eigen +ist. Ambrosische Sohlen sind immer zwischen ihm und der Erde gewesen. +Man hat ein Bedauern mit seiner Vereinsamung, weil die unverletzliche, +unverletzte, olympisch-weltferne Ruhe und Heiterkeit noch auf seinem +Antlitz zu lesen ist, während draußen Altäre und Tempel, fast dem +Erdboden gleichgemacht, in Trümmern liegen. + +Seltsam ist die hingebende Liebe und Schwärmerei, die dem Bildner den +Meißel geführt hat, als er den Rinderdieb, den Schalk, den Täuscher, den +schlauen Lügner, den lustigen Meineidigen, den Maultier-Gott und +Götterboten darstellte, der allerdings auch die Leier erfand. + + +Wie schwärmende Bienen am Ast eines Baumes, so hängen die Menschen am +Zuge, während wir langsam in Patras einfahren. Lärm, Schmutz, Staub +überall. Auch noch in das Hotelzimmer dringt der Lärm ohrenbetäubend. +Geräusche, als ob Raketen platzten oder Bomben geworfen würden, +unterbrechen das Gebrüll der Ausrufer. Patras ist, nächst dem Piräus, +der wichtigste Hafenplatz des modernen Griechenland. Wir sehnen uns in +das Unmoderne. + + +Endlich, nachdem wir eine Nacht hier haben zubringen müssen, sitzen wir, +zur Abfahrt fertig, wieder im Bahncoupé. Vor den Türen der Waggons +spielt sich ein tumultuarisches Leben mit allerlei bettelhaften Humoren +ab. Ein junger, griechischer Bonvivant schenkt einem zerlumpten, +lümmelhaft aussehenden Menschen Geld, zeigt flüchtig auf einen der +jugendlichen Händler, die allerlei Waren feilbieten, und sofort stürzt +sich der bezahlte, tierische Halbidiot auf eben den Händler und walkt +ihn durch. Noch niemals habe ich überhaupt binnen kurzer Zeit so viele, +wütende Balgereien gesehen. An zwei, drei Stellen des Volksgewimmels +klatschen fast gleichzeitig die Maulschellen. Man verfolgt, bringt zu +Fall, bearbeitet gegenseitig die Gesichter mit den Fäusten: alles, wie +wenn es so sein müßte, in großer Harmlosigkeit. + + +Zu den schönsten Bahnlinien der Welt gehört diejenige, die von Patras, +am Südufer des korinthischen Golfes entlang, über den Isthmus nach Athen +führt. Der Golf und seine Umgebung erinnern an die Gegenden des +Gardasees. Paradiesische Farbe, Glanz, Reichtum und Fülle in einer +beglückten Natur. Der Isthmus zeigt einen anderen Charakter: +Weideflächen, vereinzelte Hirten und Niederlassungen. Am Nordrand durch +Hügel begrenzt, die, bedeckt von den Wipfeln der Aleppo-Kiefer, zum +Wandern anlocken. Alles ist hier von einer erfrischenden, beinahe +nordischen Einfachheit. + +Die grünen Flächen der Landenge liegen in beträchtlicher Höhe über dem +Meere. Nach den großartigen und prunkhaften Wirkungen des +peloponnesischen Nordufers überrascht diese schlichte und herbe +Landschaft und berührt wohltätig. Eine Empfindung kommt über mich, als +sähe ich diese Fluren nicht zum ersten Mal. Das Vertraute daran ist, was +überrascht. Ich kann nicht sagen, daß mich etwa je auf der italienischen +Halbinsel eine Empfindung des Heimischen, so wie hier, beschlichen +hätte. Dort blieb immer der Reiz: das schöne Fremdartige. Ich spüre +schon jetzt: ich liebe dies Land. Schon jetzt, im Anfang, erfaßt die +Erkenntnis mich, wie ein Rausch, daß eben nur dieser Grund die wahre +Heimat der Griechen sein konnte. + +Ich spreche den Namen Theseus aus. Und nun hat sich in mir ein +psychischer Vorgang vollzogen, der mich, angesichts des isthmischen, +ernsten Landgebiets, der griechischen Art, sich Halbgötter vorzustellen, +näher bringt. Ich empfinde und sehe in Theseus den Mann von Fleisch und +Blut, der wirklich gelebt und dessen Fuß diese Landenge überschritten +hat; der, zum Heros gesteigert, noch immer so viel vom Menschen besaß, +als vom Gott und auch so noch mit der Stätte seines Wanderns und Wirkens +verbunden blieb. + +Warum scheuen wir uns und erachten für trivial, unsere heimischen +Gegenden, Berge, Flüsse, Täler zu besingen, ja, ihre Namen nur zu +erwähnen in Gebilden der Poesie? Weil alle diese Dinge, die als Natur +jahrtausendelang für teuflisch erklärt, nie wahrhaft wieder geheiligt +worden sind. Hier aber haben Götter und Halbgötter, mit jedem weißen +Berggipfel, jedem Tal und Tälchen, jedem Baum und Bäumchen, jedem Fluß +und Quell vermählt, alles geheiligt. Geheiligt war das, was über der +Erde, auf ihr und in ihr ist. Und rings um sie her, das Meer, war +geheiligt. Und so vollkommen war diese Heiligung, daß der Spätgeborene, +um Jahrtausende Verspätete, daß der Barbar noch heut -- und sogar in +einem Bahncoupé -- von ihr im tiefsten Wesen durchdrungen wird. + +Man muß die Bäume dort suchen, wo sie wachsen, die Götter nicht in einem +gottlosen Lande, auf einem gottlosen Boden. Hier aber sind Götter und +Helden Landesprodukte. Sie sind dem Landmann gewachsen, wie seine +Frucht. Des Landbauers Seele war stark und naiv. Stark und naiv waren +seine Götter. + +Theseus, um es noch einmal zu sagen, ist also für mich kein +riesenmäßiger, leerer Schemen mehr, ich empfinde ihn einerseits nah, +schlicht und materialisch, als Kind der Landschaft, die mich umgibt. +Andererseits erkenne ich ihn als das, wozu ihn die Seele des Griechen +erhoben hat, die aber doch Gott, wie Landeskind, an die Heimat bannte. + +Die Landschaft behält, von einer Strecke dicht über dem Meere abgesehen, +fortan den ernsten Ausdruck. Der Abend beginnt zu dämmern, ja, +verdüstert sich zu einer großartigen Schwermut, von einem Zauber, der +eher nordisch, als südlich ist. Es fällt lauer Regen. Das graue Megara, +das einen Hügel überzieht, wirkt wie eine geplünderte Stadt. Zwischen +Schutthaufen, in ärmlichen Winkeln halb eingestürzter Häuser, scheinen +die Menschen zu leben. Man glaubt eine Stadt zu sehen, über die ein +Eroberer mit Raub, Brand und Mord seinen Weg genommen hat. + +Kurz hinter Eleusis steigt der Zug nochmals bergan, durch die Vorhöhen +des Parnes. Bei tieferer Dunkelheit, zunehmendem Regen und kalter Luft +kommt mir die steinigte Einöde, in die ich hineinstarre, fast norwegisch +vor. Ich bin sehr glücklich über den Wetterumschlag, der mir die +ungesunde Vorstellung eines ewiglachenden Himmels nimmt. Die Gegend ist +menschenleer. Nur selten begegnet die dunkle Gestalt eines Hirten, +aufrecht stehend, dicht in den wolligen Mantel gehüllt. Und während der +kalte und feuchte Wind meine Stirne kühlt, Regentropfen mir ins Gesicht +wirft, und ich die starke, kalte Regen- und Bergluft in mich einsauge, +hat sich ein neues Band geknüpft zwischen meinem Herzen und diesem +Lande. + +Was Wunder, wenn durch die Erregung der langen Fahrt, in Dunkelheit, in +Wind und Wetter, einer höchsten Erfüllung nah, die Seele in einen +luziden Zustand gerät, wo es ihr möglich wird, von allem Störenden +abzusehen und deutliche Bilder längst vergangenen Lebens in die +phantastische, sogenannte Wirklichkeit hineinzutragen. Fast erlebe ich +so den tapferen Bergmarsch eines Trupps atheniensischer Jünglinge, etwa +zur Zeit des Perikles, und freue mich, wie sie, gesund und wetterhart, +der Unbill von Regen und Wind, wie wir selbst es gewohnt sind, wenig +achten. Ich lerne die ersten Griechen kennen. Ich freunde mich an mit +diesem Schwarm, ich höre die jungen Leute lachen, schwatzen, rufen und +atmen. Ich frage mich, ob nicht vielleicht am Ende Alcibiades unter +ihnen ist? Es ist mir, als ob ich auch ihn erkannt hätte! Und dies +Erleben wird so durchaus eine Realität, daß irgend etwas so Genanntes +für mich mehr Realität nicht sein könnte. + +Wir rollen hinab in die attische Ebene. Die Lichter einer Stadt, die +Lichter Athens, tauchen ferne auf. Das Herz will mir stocken ... + +Ein grenzenloses Geschrei, ein Gebrüll, das jeder Beschreibung spottet, +empfängt uns am Bahnhof von Athen. Mehrere hundert Kehlen von Kutschern, +Gepäckträgern und Hotelbediensteten überbieten sich. Ich habe einen +solchen Schlachttumult bis diesen Augenblick, der meinen Fuß auf +athenischen Boden stellt, nicht gehört. Die Nacht ist dunkel, es gießt +in Strömen. + + +Eine Stadt, wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwischen +Akropolis und Lykabethos einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn +überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit +ungestört hingeben kann. Zum dritten Mal bin ich nun im Theater des +Dionysos, dessen sonniger Reiz mich immer aufs neue anlockt. Es hält +schwer, sich an dieser Stelle in die furchtbare Welt der Tragödie zu +versetzen, hier, wo sie ihre höchste Vollendung gefunden hat. Das, was +ihr vor allem zu eignen scheint, das Nachtgeborene, ist von den Sitzen, +aus der Orchestra und von der Bühne durch das offene Licht der Sonne +verdrängt. Weißer und blendender Dunst bedeckt den Himmel, der Wind weht +schwül, und der Lärm einer großen Stadt mit Dampfpfeifen, Wagengerassel, +Handwerksgeräuschen und dem Geschrei der Ausrufer überschwemmt und +erstickt, von allen Seiten herandringend, jedweden Versuch zur +Feierlichkeit. + +Was aber auch hier sogleich in meiner Seele sich regt und festnistet, +fast jeder andren Empfindung zuvorkommend, ist die Liebe. Sie gründet +sich auf den schlichten und phrasenlosen Ausdruck, den hier die Kunst +eines Volkes gewonnen hat. Alles berührt hier gesund und natürlich, und +nichts in dieser Anlage erweckt den Eindruck zweckwidriger Üppigkeit +oder Prahlerei. Irgendwie gewinnt man, lediglich aus diesen +architektonischen Resten, die Empfindung von etwas Hellem, +Klar-Geistigem, das mit der Göttin im Einklang steht, deren +kolossalisches Standbild auf dem hinter mir liegenden Felsen der +Akropolis errichtet war, und deren heilig gesprochenen Vogel, die Eule, +man aus den Löchern der Felswand, und zwar in den lichten Tag und bis in +die Sitzreihen des Theaters hinein, rufen hört. + +Ich wüßte nicht, wozu der wahrhaft europäische Geist eine stärkere Liebe +fühlen sollte, als zum Attischen. Bei Diodor, den ich leider nur in +Übersetzung zu lesen verstehe, wird gesagt: die alten Ägypter hätten der +Luft den Namen Athene gegeben, und Glaukopis beziehe sich auf das +himmlische Blau der Luft. Der Geist, der hier herrschte, blieb leicht +und rein und durchsichtig, wie die attische Luft, auch nachdem das +Gewitter der Tragödie sie vorübergehend verfinstert, der Strahl des Zeus +sie zerrissen hatte. + +Als höchste menschliche Lebensform erscheint mir die Heiterkeit: die +Heiterkeit eines Kindes, die im gealterten Mann oder Volk entweder +erlischt, oder sich zur Kraft der Komödie steigert. Tragödie und Komödie +haben das gleiche Stoffgebiet: eine Behauptung, deren verwegenste +Folgerungen zu ziehen, der Dichter noch kommen muß. Der attische Geist +erzeugt, wie die Luft eines reinen Herbsttages, in der Brust jenen +wonnigen Kitzel, der zu einem beinahe nur innen spürbaren Lachen reizt. +Und dieses Lachen, durch den Blick in die Weite der klaren Luft genährt, +kann sich wiederum bis zu jenem steigern, das im Tempel des Zeus gehört +wurde, zu Olympia, als die Sendboten des Caligula Hand anlegten, um das +Bild des Gottes nach Rom zu schleppen. + +Man soll nicht vergessen, daß Tragödie und Komödie volkstümlich waren. +Es sollen das diejenigen nicht vergessen, die heute in toten Winkeln +sitzen. Beide, Tragödie, wie Komödie, haben nichts mit schwachen, +überfeinerten Nerven zu tun, und ebensowenig, wie sie, ihre Dichter -- +am allerwenigsten aber ihr Publikum. Trotzdem aber keiner der Zuschauer +jener Zeiten, etwa wie viele der heutigen, beim Hühnerschlachten +ohnmächtig wurde, so blieb, nachdem die Gewalt der Tragödie über ihn +hingegangen war, die Komödie eines jeden unabweisliche Gegenforderung: +und das ist gesund und ist gut. + +Die ländlichen Dionysien wurden an der Südseite der Akropolis, im +Lenäon, nach beendeter Weinlese abgehalten. Was hindert mich, trotzdem, +das sogenannte Schlauchspringen mir unten in der Orchestra meines +Theaters vorzustellen? Man sprang auf einen geölten, mit Luft gefüllten +Schlauch, und suchte, einbeinig hüpfend, darauf Fuß zu fassen. Das ist +der Ausdruck überschäumender Lustigkeit, ein derber überschüssiger +Lebensmut. Und nicht aus dem Gegenteil, nicht aus der Schwäche und +Lebensflucht entstehen Tragödie und Komödie! + +Ein deutscher Kegelklub betritt, von einem schreienden Führer belehrt, +den göttlichen Raum. Man sieht es den hilflos tagblinden Augen der +Herren an, daß sie vergeblich hier etwas Merkwürdiges suchen. Ich würde +ihren gelangweilten Seelen gönnen, sich wenigstens an der Vorstellung +aufzuheitern, dem tollen Sprung auf den öligen Schlauch, die mich +ergötzt. + + +Heut betrete ich, ich glaube zum viertenmal, die Akropolis. Es ist +länger als fünfundzwanzig Jahre her, daß mein Geist auf dem Götterfelsen +heimisch wurde. Damals entwickelte uns ein begeisterter Mann, den +inzwischen ein schweres Schicksal ereilt hat, seine Schönheiten. Es ist +aber etwas anderes, von jemand belehrt zu werden, der mit eigenen Augen +gesehen hat, oder selber die steilen Marmorstufen zu den Propyläen +hinaufzusteigen und mit eignen Augen zu sehn. + +Ich finde, daß diese Ruinen einen spröden Charakter haben, sich nicht +leicht dem Spätgeborenen aufschließen. Ich habe das dunkle Bewußtsein, +als ob etwa über die Säulen des Parthenon von da ab, als man sie wieder +zu achten anfing, sehr viel Berauschtes verfaßt worden wäre. Und doch +glaube ich nicht, daß es viele gibt, die von den Quellen der Berauschung +trunken gewesen sind, die wirklich im Parthenon ihren Ursprung haben. + +Wie der Parthenon jetzt ist, so heißt seine Formel: Kraft und Ernst! +Davon ist die Kraft fast bis zur Drohung, der Ernst fast bis zur Härte +gesteigert. Die Sprache der Formen ist so bestimmt, daß ich nicht einmal +glauben kann, es sei durch die frühere, bunte Bemalung ihrem Ausdruck +etwas genommen worden. + +Ich habe das schwächliche Griechisieren, die blutlose Liebe zu einem +blutlosen Griechentum niemals leiden mögen. Deshalb schreckt es mich +auch nicht ab, mir die dorischen Tempel bunt und in einer für manche +Begriffe barbarischen Weise bemalt zu denken. Ja, mit einer gewissen +Schadenfreude gönne ich das den Zärtlingen. Ich nehme an, es gab dem +architektonischen Eindruck eine wilde Beimischung. Möglicherweise +drückte das Grelle des farbigen Überzugs den naiven Stand der +Beziehungen zwischen Göttern und Menschen aus, indem er fast +marktschreierisch zu festlichen Freuden und damit zu tiefer Verehrung +einfing. + +Jeder echte Tempel ist volkstümlich. Trotz unserer europäischen Kirchen +und Kathedralen glaube ich, gibt es bei uns keine echten Tempel in +diesem Betrachte mehr. Vielleicht aus dem Grunde, weil sich bei uns die +Lebensfreude von der Kirche geschieden hat, die nur noch gleichsam den +Tod und die Gruft verherrlicht. Die Kirchen bei uns sind Mausoleen: +wobei ich nur an die katholischen denke. Einen protestantischen Tempel +gibt es nicht. Da nun aber das Leben lebt und lebendig ist, so erzeugt +sich auch immer unfehlbar wieder der Trieb zur Freude. Und er ist es, +der heute das Theater, den gefährlichsten Konkurrenten der Kirche, +geschaffen hat. Ich behaupte, was heut die Menschen zur Kirche treibt, +ist entweder Todesangst oder Suggestion. Das Theater bedarf solcher +Mittel nicht, um Menschen in seine Räume zu bringen. Dorthin drängen sie +sich vielmehr, wie Spatzen, von einem fruchtbeladenen Kirschbaume +angelockt. + +Wenn heut bei uns eine Gauklergesellschaft auf dem Dorfplan Zelte +errichtet, herrscht sogleich unter der Mehrzahl der Dörfler, vor allem +aber unter den Kindern, festliche Aufregung. Kunstreiter oder +Bänkelsänger mit der neuesten Moritat, sie genießen, obgleich in Acht +und Bann seit Jahrtausenden, immer die gleiche, natürliche Zuneigung. +Der Karren des Thespis war nicht in Acht und Bann getan; ja, Thespis +erhielt im Theater, im heiligen Bezirk des Dionysos, seine Statue, und +doch scheint er auch nur mit der Moritat von Ikarios umhergezogen zu +sein. Kurz, was heute in Theater und Kirche zerfallen ist, war damals +ganz und eins; und, weit entfernt ein memento mori zu sein, lockte der +Tempel ins höhere, festliche Leben, er lockte dazu, wie ein buntes, +göttliches Gauklerzelt. + +Während unsre Kirchen eigentlich nur den Unterirdischen geweiht zu sein +scheinen, galten die griechischen Tempel als Wohnung der Himmlischen. +Deshalb senkten sie lichte Schauder ins Herz, statt der dunklen, und die +Pilger ergriff zugleich, in der olympischen Nähe, Furcht, Seligkeit, +Sehnsucht und Neid. + + +Starker Wind. Gesundes, sonniges Wetter. In der Luft wohnt deutscher +Frühling. Der Parthenon: stark, machtvoll, ohne südländisches Pathos, +rauscht im Winde laut, wie eine Harfe oder das Meer. Ein deutscher +Grasgarten ist um ihn herum. Frühlingsblumen beben im Luftzug. Um alle +die heiligen Trümmer auf dem grünen Plateau der Akropolis weht +Kamillen-Arom. Es ist ein unsäglich entzückender Zustand, zwischen den +schwankenden Gräsern auf irgendeinem Stück Marmor zu sitzen, die Augen +schweifen zu lassen, über die blendend helle, attische Landschaft hin. +Hymettos zur Linken, Penthelikon, als Begrenzung der Ebene. Der Parnes, +bei leichter Rückwärtswendung des Kopfes sichtbar. Silbergraue +Gebirgswälle, im weiten Kreisbogen um Athen und den Götterfelsen +gelagert, der mit dem Parthenon auf dem Scheitel alles beherrscht. Hier +stand Athene, aufrecht, mit der vergoldeten Speerspitze. Vom Parnes +grüßte der Zeus Parnethios, vom Hymettos grüßte der Zeus Hymethios. Vom +Penthele ein zweites Bild der Athene. Attika war von Göttern bewohnt, +von Göttern auf allen umliegenden Höhen bewacht, die einander mit +göttlichen Brauen zuwinkten. Geradeaus, unter mir, liegt tiefblau, in +die herrliche Bucht geschmiegt, das Meer. Aegina und Salamis grüßen +herüber ... Ich atme tief! ... + + +Ich sitze auf einem Priestersessel im Theater des Dionysos. Hähne +krähen; es ist, als ob Athen und die Demen nur von Hähnen bewohnt wären. +Der städtische Lärm tritt heut ein wenig zurück, und das Geschrei der +Ausrufer ist durch das oft wiederholte Geschrei von weidenden Eseln +abgelöst. Brütende Sonne erwärmt die gelblichen Marmorsessel und +Marmorstufen. + +Etwa 30000 Zuschauer wurden auf diesen Stufen untergebracht, von denen +nicht allzuviele Reihen erhalten sind; und hinter und über der letzten, +obersten Reihe thronten die Götter: denn dort überragt das ganze Theater +die rötliche Felswand der Akropolis, gewiß noch heut der seltsamste, +rätselvollste und zugleich lehrreichste Fels der Welt. + +Noch heute, jenseit von allem Aberglauben jener Art, wie er im Altertum +im Volke lebt und dichtet, empfinde ich doch die Kraft, die schaffende +Kraft dieses Glaubens tief, und wenn mein Wille allein es meistens ist, +der die ausgestorbene Götterwelt zu beleben sucht, hier, angesichts +dieses ragenden Felsens, erzeugt sich augenblicksweise, fast +unwillkürlich ein Rausch der Göttergegenwart. Zweifellos war es ein Grad +der Ekstase, der jene Dreißigtausend hier, auf dem geheiligten Grund des +Eleutherischen Dionysos, im Angesichte der heiligen Handlung des +Schauspiels befiel, den zu entwickeln dem glaubensarmen Geschlecht von +heut das Mittel abhanden gekommen ist. Und ich stehe nicht an, zu +behaupten, daß alle Tragiker, bis Euripides, so sehr sie sich von der +derb naiven Gläubigkeit der Menge gesondert haben mögen, von +Gottesfurcht oder Götterfurcht und vom Glauben an ihre Wirklichkeit, +besonders hier, am Fuße und im Bereich des Gespensterfelsens, +durchdrungen gewesen sind. + +Die Akropolis ist ein Gespensterfelsen. In diesem Theater des Dionysos +gingen Gespenster um. In zahllosen Löchern des rotvioletten Gesteins +wohnten die Götter, wie Mauerschwalben. Es ist eine enggedrängte, +überfüllte, göttliche Ansiedelung: hatten doch, nach Pausanias, die +Athener für das Göttliche einen weit größeren Eifer, als die übrigen +Griechen. Die Art, wie sie allen möglichen Göttern Asyle und wieder +Asyle gründeten, deutet auf Angst. Während ich solchen Gedanken +nachhänge, höre ich hinter mir wiederum den Vogel der Pallas, aus einem +Felsloch, klägliche Laute in den Tag hineinwimmern und stelle mir vor, +wie wohl die atemlos lauschenden Tausende ein Schauer bei diesem Ruf +überrieselt hat. + +Die Seelenverfassung der großen Tragiker wurde unter anderem auch von +dem Umstand bedingt, daß sie Götter als Zuschauer hatten. Daß es so war, +ist für mich eine Wirklichkeit. Die Woge des Glaubens, die ihnen aus +dreißigtausend Seelen entgegenschlug, verstärkt durch die Nähe +göttlicher Troglodyten und Tempelbewohner des Felsens, war allein schon +wie eine ungeheure Sturzwelle, und jede Skepsis wurde hinweggespült. + +»An der sogenannten südlichen Mauer der Burg, dem Theater zugekehrt, ist +ein vergoldetes Haupt, der Gorgone Medusa geweiht, und um dasselbe ist +die Ägide angebracht. Am Giebel des Theaters ist im Felsen unter der +Burg eine Grotte; auch über dieser steht ein Dreifuß; in ihr sind Apollo +und Artemis, wie sie die Kinder der Niobe töten«, schreibt Pausanias. +Ein Heiligtum der Artemis Brauronia ist auf der Burg. Der große Tempel +der Pallas Athene, ein Heiligtum des Erechtheus, des Poseidon, Altäre +des Zeus, zahllose Statuen von Halbgöttern, Göttern und Heroen sind da, +Äskulap hat im Felsen sein Heiligtum, Pan seine Grotte, sogar Serapis +hat seinen Tempel. Zwei Grotten standen Apollon zu, dem »Apoll unter der +Höhe«. Ein tiefer Felsspalt ist der Ort, wo der Gott Creusa, die Tochter +Erechtheus', überraschte und den Stammvater aller Jonier mit ihr zeugte. +Hephästos besaß seinen Altar und so fort. + +Alle diese Gottheiten lebten nicht nur auf der Burg. Sie durchwanderten +bei Nacht und sogar am Tage die Straßen der Stadt. Der Mann aus dem +Volke, das Weib aus dem Volke war nicht imstande, die Gebilde des +nächtlichen Traums von denen des täglichen Traums zu sondern. Beide +waren ihnen so gut, wie das, was sie sonst mit Augen wahrnahmen, +Wirklichkeit. + +Die Tragiker hatten Götter als Zuschauer, und dadurch wurde nicht nur +die Grundverfassung ihrer Seele mit bedingt, sondern die Art des Dramas, +das sie hervorbrachten. Auch in diesem Drama traten Götter und Menschen +im Verkehr miteinander auf, und es ward damit, in einem gewissen Sinne, +das geheiligte Spiegelbild der ins Erhabene gesteigerten Volksseele. Was +wäre ein Dichter, dessen Wesen nicht der gesteigerte Ausdruck der +Volksseele ist! + + +Es ist der Vormittag des 20. April. Ich habe den Felsen des Areopag +erstiegen. Zwei Soldaten schlafen in einer versteckten Mulde. Esel +schreien; Hähne krähen. Der Ort ist verunreinigt. An einem Teile des +Felsens werden Vermessungen vorgenommen. Wieder liegt das weiße, +blendende Licht über der Landschaft. + +Auf diesem Hügel des Ares, heißt es, ist über den Kriegsgott Gericht +gehalten worden, in Urzeiten, irgend eines vereinzelten Mordes wegen, +den er begangen hatte. Hier, sagt man, wurde Orestes gerichtet und +losgesprochen, trotzdem er die Mutter ermordet hatte. In nächster Nähe +soll hier ein Heiligtum der Erinnyen gewesen sein, der zürnenden +Gottheiten, die von den Athenern die Ehrwürdigen, oder ähnlich, genannt +wurden. Ihre Bildnisse sollen nicht schreckenerregend gewesen sein, und +erst Äschylos hat ihnen Schlangen ins Haar geflochten. + +Es fällt wiederum auf, wie überladen mit Götterasylen der nahe +Burgfelsen ist: mit Nestern, Gottesgenisten könnte man sagen! Jeder +Spalt, jede Höhle, jeder Fußbreit Stein war für die oberirdischen, +unterirdischen oder auch für solche Gottheiten, die im Wasser leben, +ausgenützt. Es ist erstaunlich, daß sie hier untereinander Frieden +hielten. Vielleicht geschah es, weil Pallas Athene, als Höchstverehrte, +über den andern stand. + +Man ist hier auf dem Areopag erhaben über der Stadt. Man übersieht einen +Teil von ihr und den Theseustempel. Man sieht gegenüber, durch ein Tal +getrennt, die Felsplatten der Pnyx. Man hört die zahllosen Schwalben des +nahen Burgfelsens zwitschern. Dies Zwitschern wird zu einer sonderbaren +Musik, wenn man sich an den ersten Gesang der Odyssee und an die +folgenden Verse erinnert: + + »Also redete Zeus' blauäugigte Tochter, und eilend + Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin ...« + +und an die Neigung der Himmlischen überhaupt, sich in allerlei Tiere, +besonders in Vögel, umzuwandeln. + +Ich lasse mich nieder, lausche und betrachte den zwitschernden +Götterfelsen, die Akropolis. Ich schließe die Augen und finde mich durch +das Zwitschern tief und seltsam aufgeregt. Es kommt mir vor, indem ich +leise immer wieder vor mich hinspreche: Der zwitschernde Fels! Die +zwitschernden Götter! Der zwitschernde Götterfels! als habe ich etwas +aus der Seele eines naiven Griechen jener Zeit, da man die Götter noch +ehrte, herausempfunden. Vielleicht, sage ich mir, ist, wenn man eine +abgestorbene Empfindung wieder beleben kann, damit auch eine kleine, +reale Entdeckung gemacht. + +Und plötzlich erinnere ich mich der »Vögel« des Aristophanes, und es +überkommt mich zugleich in gesteigertem Maße Entdeckerfreude. Ich bilde +mir ein, daß mit dieser Empfindung: »der zwitschernde Fels, die +zwitschernden Götter«, im Anblick der Burg, der Keim jenes göttlichen +Werkes in der Seele des freiesten unter den Griechen zuerst ins Leben +getreten ist. Ich bilde mir ein, vielleicht den reinsten und +glücklichsten Augenblick, einen Schöpfungsakt seines wahrhaft +dionysischen Daseins, neu zu durchleben, und will es jemand bezweifeln, +so raubt er mir doch die heitere, überzeugte Kraft der Stunde nicht. + + »... Tioto, tioto, tiotix! + Widerhallte der ganze Olympos.« + + +Frische, nordische Luft. Nordwind. Eine ungeheure Rauch- und Staubwolke +wird von Norden nach Süden über das ferne Athen hingejagt. Gegen den +Hymettos zieht der bräunliche Dunst, Akropolis und Lykabettos in +Schleier hüllend. Ich verfolge, vom Rande der phalerischen Bucht, ein +beinahe ausgetrocknetes Flußbett, in der Richtung gegen den Parnes. +Schwalben flattern über den spärlichen Wasserpfützen in lebhafter +Erwerbstätigkeit. Ich habe zur Linken die letzten Häuser und Gärten der +Ansiedelung von Neu-Phaleron, hinter einem Feld grüner Gerste, die in +Ähren steht. Zur Rechten, jenseit des Flußlaufs, gegen das ferne Athen +hin, sind ebenfalls ausgedehnte Flächen mit Gerste bebaut. Die Finger +erstarren mir fast, wie ich diese Bemerkung in mein Buch setze. Die +Landschaft ist fast ganz nordisch. Vereinzelte Kaktuspflanzen an den +Feldrainen machen den unwahrscheinlichsten Eindruck. Ich beschreite +einen Feldweg. Um mich, zu beiden Seiten, wogt tiefgrün die Gerste. Man +muß die Alten und das Getreide zusammendenken, um ganz in ihre sinnliche +Nähe zu gelangen, mit ihnen vertraut, bei ihnen heimisch zu sein. + +Die Akropolis, mit dem Parthenon, erhebt sich unmittelbar aus der weiten +Prärie, aus der wogenden See grüner Halme, empor. + +Ich kreuze die Landstraße, die von Athen in grader Linie nach dem Piräus +hinunter führt, und stoße auf eine niederländische Schänke, unter +mächtigen, alten Eschen, die an Ostade oder Breughel erinnert. Ich +erblicke, mich gegen Athen wendend, über dem Ausgangspunkt der Straße +wiederum die Akropolis mit dem Parthenon. Der Verkehr, mit Mäulern und +Pferden an hochrädrigen Karren, bewegt sich in zwei fast +ununterbrochenen Reihen von Athen zum Piräus hinunter und umgekehrt. Es +wird sehr viel Holz nach Athen geschafft. Unter vielen Mühen, in beinahe +undurchdringlichen Staubwolken, arbeite ich mich gegen eisigen Wind. +Hunde und Hühner bevölkern die Landstraße. Im Graben, im Grase, das eine +dicke Staubschicht überzieht, liegt, grau wie der Staub, ein todmüder +Esel und hebt seinen mageren Kopf mir zu. Kantine an Kantine begleitet +die Straße rechts und links in arger Verwahrlosung. Ich bin beglückt, +als ich einen tüchtigen Landmann, mit zwei guten Pferden, die Hand am +Pflug, seinen Acker bestellen sehe, ein Anblick, der in all diesem +jämmerlich verstaubten Elend erquickend ist. + +Ich weiche dem Staub, verlasse die Straße, und bewege mich weiter, dem +Parnes zu, in die Felder hinein. Nun sehe ich die Akropolis wiederum und +zwar in einem bleichen, kreidigen Licht, zunächst über blühenden +Obstgärten auftauchen. Der Parthenongiebel steht, klein wie ein +Spielzeug, kreidig-bleich. In langen Linien schießen die Schwalben dicht +über das Gras der Auen und über die Ähren der Gerstenfelder hin. Ich muß +an den Flug der Götter denken, an den schemenhaft die ganze Landschaft +beherrschenden, zwitschernden Götterfels, und wie von Athene gesagt ist: + + »Plötzlich entschwand sie den Blicken und gleich der Schwalbe von + Ansehn + Flog sie empor ...« + +Wie muß dem frommen Landbewohner mitunter der Flug und der Ruf der +Schwalbe erschienen sein! Wie wird er seinen verehrenden Blick zuzeiten +bald gegen das Bild des Zeus auf dem nahen Parnes, bald gegen die ferne, +überall sichtbare, immer leuchtende Burg der Götter gerichtet haben! Von +dorther strichen die Schwalben, dorthin verschwanden sie in geschwindem +Flug. Und ähnlich, nicht allzuviel schneller, kamen und gingen die +Götter, die keineswegs, wie unser Gott, allgegenwärtig gewesen sind. + + +Auf dem heiligen Wege, von Athen nach Eleusis hinüber, liegt an der +Paßhöhe, zwischen Bergen, das kleine griechische Kloster Daphni. Ich +weiß nicht, welches rätselhafte Glück mich auf der Fahrt hierher +überkommen hat. Vielleicht war es zunächst die Freude, mit jedem +Augenblick tiefer in ein Gebiet des Pan und der Hirten einzudringen. + +Überall duftet der Thymian. Er schmückt, strauchartig, die grauen +Steinhalden, auch dort, wo die wundervolle Aleppo-Kiefer, der Baum des +Pan, nicht zu wurzeln vermag. Aber Kiefer und Thymian vermischen überall +ihre Düfte und füllen die reine Luft des schönen Bergtals mit +Wohlgeruch. + +Der Hof des Klosters, in den wir treten, ist ebenfalls von +weihrauchartigen und von grunelnden Düften erfüllt. Am Grunde schmücken +ihn zahllose, weiße und gelbe Frühlingsblumen, die ihre Köpfchen den +warmen Strahlen des griechischen Frühlingsmorgens darbieten. An einem +gestutzten Baum ist die Glocke des Klosters aufgehängt, Sommers und +Winters den atmosphärischen Einflüssen preisgegeben und darum bedeckt +mit einer schönen, bläulichen Patina. Ein Hündchen, im Winkel des Hofes, +vor seiner Hütte, wedelt uns an. Trotzdem es nach Bienen und Fliegen +schnappen kann, deren wohlig schwelgerisches Gesumm allenthalben +vernehmlich ist, scheint es sich doch in dieser entzückenden, gleichsam +verwunschenen Stille zu langweilen. + +Antike Säulenreste, Trommeln und Kapitale, liegen umher, auf denen sich +Sperlinge, pickend und lärmend, umhertreiben. Sie besuchen den Brunnen, +an dem eine alte, hohe Cypresse steht, türkischer Sitte gemäß, als +Wahrzeichen. + +Das Innere der Klosterkirche bietet ein Bild der Verwahrlosung. Die +Mosaiken der Kuppel sind fast vernichtet, die Ziegelwände von Stuck +entblößt. Aber der häusliche Laut der immerfort piepsenden Sperlinge und +warme Sonne dringt vom Hofe herein, dazu der Ruf des Kuckuck herab aus +den Bergen, und der kleine Altar, von gläubigen Händen zärtlich +geschmückt, verbreitet mit seinem braunen Holzwerk, mit seinen Bildchen +und brennenden Kerzen, einen treuherzig-freundlichen Geist der +Einfachheit. + +Unsern Weg durch die Hügel abwärts fortsetzend, haben wir eine Stelle zu +beachten, wo vor Zeiten ein Tempel der Venus stand. Nicht weit davon +bemerken wir, unter einer Kiefer, in statuarischer Ruhe aufgerichtet, +die Gestalt eines Hirten, dessen langohrige Schafe, im Schatten des +Baumes zusammengedrängt, um ihn her lagern und wie ein einziges Fließ +den Boden bedecken. + +Was mich auf dieser heiligen Straße besonders erregt, ist das Hallende. +Überall zwischen den Bergen schläft der Hall. Die Laute der Stimmen, die +Rufe der Vögel, wecken ihn in den schlafenden Gründen. Ich stelle mir +vor, daß jemand, den eine unbezwingliche Sehnsucht treibt, sich in die +untergegangene Welt der Hellenen, wie in etwas noch Lebendiges +einzudrängen, auf ein besseres Mittel schmerzhaft-seliger Täuschung +nicht verfallen könnte, als durch das verwaiste Griechenland nur immer +geliebte Namen zu rufen, wie Herakles einst den Hylas rief. Gleichwie +nun die Stimme des Hylas, des Gestorbenen, im Echo gespenstisch, wie +eines Lebenden Stimme, antwortete, so, meine ich, käme dem Rufe des +wahren Pilgers jedweder heilige Name, aus dem alten, ewigen Herzen der +Berge, fremd, lebendig und mit Gegenwartsschauern zurück. + +Wir sind nun an den Rand der Eleusinischen Bucht gelangt, die durch die +Höhenzüge der Insel Salamis gegen das Meer hin geschützt, einem +friedlichen Landsee ähnlich ist. Ich habe niemals das Galiläische Meer +gesehen, und doch finde ich mich an Jesus und jene Fischer gemahnt, die +er zu Menschenfischern zu machen unternahm. Das biblische Vorgefühl +findet auf der weißen Landstraße längs des Seeufers unerwartet eine +Bestätigung, als das klassische Bild der Flucht nach Ägypten lebendig an +uns vorüberzieht: eine junge, griechische Bäuerin auf dem Rücken des +Maultiers, den Säugling im Arm, von ihrem bärtigen, dunkelhaarigen +Joseph begleitet. + +Die Bucht liegt in einem weißlichen Perlmuttschimmer still und glatt und +die Augen blendend unter den schönkonturierten Spitzen von Salamis. Die +Landschaft, im Gegensatz zu dem Tale, aus dem wir kommen, ist offen und +weit, und scheint einem anderen Lande anzugehören. Dort wo ein seichter +Fluß, aus den Bergen kommend, sein Wasser mit dem der Bucht vermischt, +knieen eskimoartig vermummte Wäscherinnen, obgleich weder Haus noch +Hütte im weiten Umkreis zu sehen ist. + +Wie sich etwa die Sinnesart eines Menschen erschließt, durch die +Scholle, die er bebaut, durch die Heimat, die er für sein Wirken erwählt +hat, oder durch jene, die ihn hervorbrachte, und festhielt, so +erschließt sich zum Teil das Wesen der Demeter im Wesen des +eleusinischen Bezirks. Denn dies ist den griechischen Göttern eigen, daß +sie mit innigen Banden des Gemüts weniger an den Olymp, als an die +griechische Muttererde gebunden sind. Kein Gott, der den Griechen +weniger liebte, als der Grieche den Gott -- oder weniger die griechische +Heimat liebte und in ihr heimisch wäre, als er! + +Jesus, der Heiland und Gottessohn, Jesus der Gott, ist uns durch sein +irdisch-menschliches Schmerzensschicksal nahegebracht: ebenso den +Griechen Demeter. Man stelle sich vor, wie der Grieche etwa auf diesem +heiligen Boden empfand, der wirklich Demeters irdischen Wandel gesehen +hatte, wo ich, der moderne, skeptische Mensch, sogleich von besonderer +Weihe durchdrungen ward, als sich das Bild der Landschaft in mir mit +jener anderen Legende vermählt hatte, die mit einer Kraft ohnegleichen +heute Zweifler wie Fromme beherrscht. + + +Der heilige Bezirk, mit dem Weihetempel der Demeter, liegt nur wenig +erhaben über die Spiegelhöhe, am Rande der Bucht. Es sei ferne von mir, +dieses wärmste und tiefste Mysterium, nämlich das eleusinische, +ergründen zu wollen: genug, daß es für mich von Sicheln und schweren +Garben rauscht und daß ich darin das Feuer Apolls mit des Aidoneus +eisiger Nacht sich vermählen fühle. Übrigens ist ein wahres Mysterium, +das durch Mysten gepflegt und lebendig erhalten, nicht in Erstarrung +verfallen kann, ein ewiger Quell der Offenbarung, woraus erhellt, daß +eben das Unergründliche ganz sein Wesen ist. + +Während ich auf den Steinfließen der ehemaligen Vorhalle des Pylon, als +wäre ich selbst ein Myste, nachdenklich auf und ab schreite, formt sich +mir aus der hellen, heißen, zitternden Luft, in Riesenmaßen, das Bild +einer mütterlichen Frau. Ihr Haarschwall, der die Schultern bedeckt und +herab bis zur Ferse reicht, ist von der Farbe des reifen Getreides. Sie +wandelt, mehr schwebend als schreitend, aus der Tiefe der fruchtbaren +eleusinischen Ebene gegen die Bucht heran, und ist von summsenden +Schwärmen häuslicher Bienen, ihren Priesterinnen, begleitet. + +Die wahren Olympier leiden nicht, Demeter ist eine irdisch-leidende +Göttin, deren mütterliches Schmerzensschicksal selbst durch den +Richtspruch des Zeus nur gemildert, nicht aufgehoben ist. Auf ihren +Zügen liegt, unverwischbar, die Erinnerung ausgestandener Qual und es +kann eine größere Qual nicht geben, als die einer Mutter, die ihr +verlorenes Kind in grauenhafter Angst und Verzweiflung der Seele sucht. +Sie hat Persephoneia wieder gefunden und hier zu Eleusis, der +Weihetempel, auf dessen Boden ich stehe, ist der Ort, von dem aus sie +die Rückkunft der Tochter und ihre Befreiung aus den Fesseln des +Tartarus erzwang, und wo Mutter und Tochter das selige Wiedersehen +feierten. Aber sie genießt auch seither, wie gesagt, nicht das reine, +ungetrübte, olympische Glück. Nach leidender Menschen Art ist ihr Dasein +Genuß und Entbehren, Weh der Trennung und Freude der Wiedervereinigung. +Es ist unlöslich, für immer, gleichwie das Dasein der Menschen, aus +bitteren Schmerzen und Freuden gemengt. + +Das ist es, was sie dem Menschengeschlecht und auch dem Spätgeborenen +nahebringt, und was sie mehr, als irgendeinen Olympier, heimisch gemacht +hat auf der Erde. + +Es kommt hinzu, daß, während eines Teiles des Jahres, Aidoneus die +Tochter ins Innere der Erde fordert und dort gefangen hält, wodurch denn +die seligen Höhen des Olymps, die dem Kerker der Tochter ferne liegen, +den Füßen der Mutter, mit den eleusinischen Ufern verglichen, unseliger +Boden sind. Man ist überzeugt, daß Schicksalsschluß die Göttin in das +Erkenntnisbereich der Menschen verwiesen hat -- in ein beginnendes, +neues, höheres, zwischen Menschen und Göttern und zwar mit einem +Ereignis, das, unvergeßlich, das Herz ihres Herzens gleichsam an seinen +Schauplatz verhaftet hält. + +Die »weihrauchduftende« Stadt Eleusis, die Stadt des Keleus, der Königin +Metaneira sowie ihrer leichtgeschürzten Töchter: Kallidike, Kleissidike, +Dämo und Kallithoa der »saffranblumengelockten« ist heut nicht mehr, +aber der Thymianstrauch, der überall um die Ruinen wuchert, verbreitet +auch heute um die Trümmer warme Gewölke von würzigem Duft. Und die +Göttin, die fruchtbare, mütterliche, umwandelt noch heut, in alter, +heiliger Schmerzenshoheit die Tempeltrümmer, die Ebene und die Ufer der +Bucht. Ich spüre die göttliche Erntemutter, die göttliche Hausfrau, die +göttliche Kinderbewahrerin, die Gottesgebärerin überall, die ewige +Trägerin des schmerzhaft süßen Verwandlungswunders. + +Was mag es gewesen sein, was die offenen Kellergewölbe unter mir an +Tagen der großen Feste gesehen haben? Man verehrte hier neben Demeter +auch den Dionysos. Nimmt man hinzu, daß der Mohn, als Sinnbild der +Fruchtbarkeit, die heilige Blume der Demeter war, so bedeutet das, in +zwiefacher Hinsicht, ekstatische Schmerzens- und Glücksraserei. Es +bleibt ein seltsamer Umstand, daß Brot, Wein und Blut, dazu das +Martyrium eines Gottes, sein Tod und seine Auferstehung, noch heut den +Inhalt eines Mysteriums bilden, das einen großen Teil des Erdballs +beherrscht. + + +Ich liege, unweit von Kloster Daphni, unter Kiefern, auf einem +Bergabhange hingestreckt. Der Boden ist mit braunen Kiefernadeln +bedeckt. Zwischen diesen Nadeln haben sich sehr feine, sehr zarte Gräser +ans Licht gedrängt. Aber ich bin hierher gekommen, verlockt von zarten +Teppichen weißer Maßliebchen. Sie zogen mich an, wie etwa ein Schwarm +lieblicher Kinder anzieht, die man aus nächster Nähe sehen, mit denen +man spielen will. Nun liege ich hier und um mich, am Grunde, nicken die +zahllosen kleinen, weißen Schwestern mit ihren Köpfchen. Es ist kein +Wald. Es sind ganz winzige Hungerblümchen, unter denen ich ein +Ungeheuer, ein wahres Gebirge bin. Und doch strömen sie eine Beseligung +aus, die ich seit den Tagen meiner Kindheit nicht mehr gefühlt habe. + +Und auch damals, in meiner Kindheit, schwebte eine Empfindung, dieser +ähnlich, nur feiertäglich durch meine Seele. Ich erinnere mich eines +Traumes, den ich zuweilen in meiner Jugend gehabt habe, und der mir +jedesmal eine Schwermut in der Seele ließ, da er mir etwas, wie eine +unwiederbringliche, arkadische Wonne, schattenhaft vorgaukelte. Ich sah +dann stets einen sonnigen, von alten Buchen bestandenen Hang, auf dem +ich mit anderen kleinen Kindern bläuliche Leberblümchen abpflückte, die +sich durch trockenes, goldbraunes Laub zum Lichte hervorgedrängt hatten. +Mehr war es nicht. Ich nehme an, daß dieser Traum nichts weiter, als die +Erinnerung eines besonders schönen, wirklich durchlebten +Frühlingsmorgens war, aber es scheint, daß ein erstes Genießen der +goldenen Lust, zu der sich die Sinne des Kindes erschlossen, das +unvergeßliche Glück dieser kurzen Stunde gewesen ist. + +Ich liege auf olympischer Erde ausgestreckt. Ich bin, wie ich fühle, zum +Ursprung meines Kindestraumes zurückgekehrt. Ja, es ward mir noch +Höheres vorbehalten! Mit reifem Geist, mit bewußten, viel umfassenden +Sinnen, im vollen Besitz aller schönen Kräfte einer entwickelten Seele, +ward ich auf dieses feste Erdreich so vieler ahnungsvoll-grundloser +Träume gestellt, in eine Erfüllung ohnegleichen hinein. + +Und ich strecke die Arme weit von mir aus und drücke mein Gesicht +antäos-zärtlich zwischen die Blumen in diese geliebte Erde hinein. Um +mich beben die zarten Grashalme. Über mir atmen die niedrigen Wipfel der +Kiefern weich und geheimnisvoll. Ich habe in mancher Wiese bei +Sonnenschein auf dem Gesicht oder Rücken gelegen, aber niemals ging von +dem Grunde eine ähnliche Kraft, ein ähnlicher Zauber aus, noch drang aus +hartem Geröll, das meine Glieder kantig zu spüren hatten, wie hier ein +so heißes Glück in mich auf. + +Ich bin auf der Rückfahrt von Eleusis nach Athen wieder in diese +lieblichen Berge gelangt. Die heilige Straße liegt unter mir, die Athen +mit Eleusis verbindet. Herden von Schafen und Ziegen, die in dem grauen +Gestein der Talabhänge umhersteigen, grüßen von da und dort mit ihrem +Geläut, das, melodisch glucksend, an die Geräusche eines plaudernden +Bächleins erinnert. + +In der Nähe beginnt ein Kuckuck zu rufen, zunächst allein: und heiter +gefragt, schenkt er mir drei Jahrzehnte als Antwort. Es ist mir genug! +Nun tönt aus den Kiefernhainen von jenseit des heiligen Weges ein +zweiter Prophet: und beide Propheten beginnen und fahren lange Minuten +unermüdet fort, sich trotzig und wild, über die ganze Weite des +Bergpasses hin, wahrscheinlich widersprechende Prophezeiungen zuzurufen. + +Und wieder spüre ich um mich das Hallende. Die Rufe der streitenden +Vögel wecken einen gespenstisch verborgenen Schwarm ihresgleichen zu +einem Durcheinander von kämpfenden Stimmen auf und mit einer nur +geringen Kraft der Einbildung höre ich den Lärm des heiligen +Fackelzuges, von Athen gen Eleusis, aus den Bergen zurückschlagen. + + +Emporgestiegen zu den Gipfeln habe ich rings umher graues Geröll eines +Bergrückens, Krüppelkiefern und Thymian, Mittagshitze und Mittagslicht. +Unter mir liegen eingeschlossene Steintäler, verlassen und großartig +pastoral. Hohe peloponnesische Schneeberge, Hymettos, Likabethos und +Pentelikon schließen rings den Gesichtskreis ein. Der saronische Golf +und die eleusinische Bucht leuchten herauf mit blauen Gluten. In heißen, +zitternden Wolken, zieht überall würzig-bitterer Kräuterduft. Überall +summen die Bienen der Demeter. + + +Wir betreten heute, gegen zehn Uhr abends, im Lichte des Vollmonds die +Akropolis. Meine Erwartung, nun gleichsam alle Gespenster der Burg +lebendig zu sehen, erfüllt sich nicht: Es müßte denn sein, daß sie alle +in dem heiligen Äther aufgelöst seien, der den ganzen Tempelbezirk +entmaterialisiert. + +Mehr wie am Tage empfinde ich heut, und schon auf den Stufen der +Propyläen, das Heiligtum, das Bereich der Götter. Ich zögere, weiter zu +schreiten. Ich lasse mich im tiefen Schlagschatten einer Säule nieder +und blicke über die Stufen zurück, die ich mir in die magisch-klare +Tiefe fortgesetzt denke. Zum erstenmal verbindet sich mir das Ganze mit +dem höheren Geistesleben, besonders des Perikleischen Zeitalters, dem +der Burgfelsen seine letzte und höchste Weihe verdankt. Das Wirkliche +wird im Lichte des Mondes schemenhaft unwirklich, und diesem +Unwirklich-Wirklichen können sich historische Träume leichter +angleichen. + +Als vermöchte der Mond Wärme auszuströmen, so warm ist die Luft und dazu +klar und still: das Zwitschern der Fledermäuse kommt aus dem Licht-Äther +unter uns. Man fühlt, wie in solchem göttlichen Äther atmend und +heimisch in diesem heiligen Bezirk, erlauchte Menschen mit Göttern +gelebt haben. Hier, über den magischen Abgrund hinausgehoben, in einen +unsäglich zarten, farbigen Glanz, war der Denker, der Staatsmann, der +Priester, der Dichter, in Nächten wie diese, mit den Göttern auf +gleichen Fuß gestellt und atmete, in naher Vertraulichkeit, mit ihnen +die gleiche elysische Luft. + +Man müßte von einem nächtlichen Blühen dieses am Tage so schroffen und +harten, arg mitgenommenen Olympes reden, von einem Blühen, das +unerwartet und außerirdisch die alte vergessene Götterglorie um seine +Felskanten wiederherstellt. + +Der Parthenon, von der Hymettosseite gesehen, ist in dieser Nacht nicht +mehr das Gebilde menschlicher Bauleute. Diese scheinen vielmehr nur +einem göttlichen Plane dienstbar gewesen zu sein, das Irdische gewollt, +das Himmlische aber vollbracht zu haben. In diesem Tempel ist jetzt +nichts Drohendes, nichts Düsteres, nichts Gigantisches mehr, und seine +Steinmasse, seine irdische Schwere scheint verflüchtigt. Er ist nur ein +Gebilde der Luft, von den Göttern selbst in einen göttlichen Äther +hineingedacht und hervorgerufen. Er ist nicht aus totem Marmor +zusammengefügt, er lebt! von innen heraus warm und farbig leuchtend, +führt er das selige Dasein der Götter. Alles an ihm wird getragen, +nichts trägt. Oder aber, es kommt ein Gefühl über dich, daß, wenn du, +mit deinem profanen Finger, eine der Säulen zu berühren nicht +unterlassen könntest, diese sogleich zu Staub zerspringen würde vor +Sprödigkeit. + +In dieser Stunde kommt uns die Ahnung von jenem Sein, das die Götter in +ihrer Verklärung führen, von irdischen Obliegenheiten befreit. Auch +Götter hatten Erdengeschäfte. Wir ahnen, von welchem Boden Platon zu +seiner Erkenntnis der reinen Idee sich aufschwang. Welche Bereiche +erschlossen sich in solchen schönheitstrunkenen Nächten, die warm und +kristallklar zu ein und demselben Element mit den Seelen wurden ... +welche Bereiche erschlossen sich den Künstlern und Philosophen hier, als +den Gästen und nahen Freunden der Himmlischen! + +Und damals, wie heute, drang, wie aus den Zelten eines Lustlagers, +Gesang und Geschrei herauf aus der Stadt. Man braucht die Augen nicht zu +schließen, um zu vergessen, daß jenes dumpfe Gebrause aus der Tiefe der +Lärm des Athens von heute ist: vielmehr hat man Mühe das festzuhalten. +In dieser Stunde, im Glanze des unendlichen Zaubers der Gottesburg, +pocht und bebt und rauscht für den echten Pilger in allem der alte Puls. +Und seltsam eindringlich wird es mir, wie das Griechentum zwar begraben, +doch nicht gestorben ist. Es ist sehr tief, aber nur in den Seelen +lebendiger Menschen begraben und wenn man erst alle die Schichten von +Mergel und Schlacke, unter denen die Griechenseele begraben liegt, +kennen wird, wie man die Schichten kennt, über den mykenäischen, +trojanischen oder olympischen Fundstellen alter Kulturreste, aus Stein +und Erz, so kommt auch vielleicht für das lebendige Griechenerbe die +große Stunde der Ausgrabung. + + +Wir stehen auf dem hohen Achterdeck eines griechischen Dampfers und +harren der Abfahrt. Der Lärm des Piräus ist um uns und unter uns. Wir +wollen gen Delphi, zum Heiligtum des Apoll und Dionysos. + +Mehr gegen den Ausgang des Hafens liegt ein weiß angestrichenes Schiff, +ein Amerikafahrer, rings um ihn her auf der Wasserfläche, über die er +emporragt, steht, wie auf Dielen, nämlich in kleinen Booten, eng +gedrängt, eine Menschenmenge. Es sind griechische Auswanderer, Leute, +die das verwunschene Land der Griechenseele nicht ernähren mag. + +Dem Hafengebiet entronnen, genießen wir den frischen Luftzug der Fahrt. +Unsere Herzen beleben sich. Wir passieren das kahle Inselchen, hinter +dem die Schlacht bei Salamis ihren Verlauf genommen hat, den niedrigen +Küstenzug, wo Xerxes seinen gemächlichen Thron errichten und vorzeitig +abbrechen ließ. Der ganze, bescheidene Schauplatz deutet auf enge +maritime Verhältnisse. + +Die bergige Salamis öffnet in die fruchtbare Fülle des Innern ein weites +Tal. Liebliche Berglehnen, Haine und Wohnstätten werden dem Seefahrer +verlockend dargeboten: alles zum Greifen nahe! und es ist wie ein +Abschied, wenn er vorüber muß. + +Man weist uns Megara. Wir hätten es von der See aus nicht wiedererkannt: +Megara, jetzt nur gespenstisch und bleich von seinen Hügeln winkend, die +Stadt, die Konstantinopel gegründet hat. Wir werden den Weg der +megarensischen Schiffe in einigen Wochen ebenfalls einschlagen. + +Wenn wir nicht, wie bisher, über Steuerbord unseres Dampfers +hinausblicken, sondern über seine Spitze, so haben wir in der Ferne +alpine Schneegipfel des Peloponnes vor uns, darunter, vereinzelt, den +drohenden Felsen der Burg von Korinth. + +Wir suchen durch den zitternden Luftraum dieser augenblendenden Buchten +den Standort des äginetischen Tempels auf, und meine Seele saugt sich +fest an die lieblichen Inselfluren von Ägina. Warum sollten wir uns in +der vollen Muße der Seefahrt, zwischen diesen geheiligten Küsten, der +Träume enthalten und nicht der lieblichen Jägerin Britomartis +nachschleichen, einer der vielen Töchter des Zeus, von der die Ägineten +behaupteten, daß sie alljährlich von Kreta herüberkäme, sie zu besuchen. + +Gibt es wohl etwas, das wundervoller anmutete, als die nüchterne +Realität einer Mitteilung des Pausanias, etwa Britomartis angehend, wo +niemals die Existenz eines Mitglieds der Götterfamilie, höchstens hie +und da ein lokaler Anspruch der Menschen mit Vorsicht in Zweifel gezogen +ist. + +Nicht nur die Vasenmalereien beweisen es, daß der Grieche sich in allen +Formen des niederen Eros auslebte: aber der schaffende Geist, der solche +Gestalten, wie Britomartis, entstehen ließ und ihnen ewige Dauer +beilegte, mußte das Element der Reinheit, in Betrachtung des Weibes, +notwendig in sich bergen, aus dem sie besteht: keusch, frisch, +unbewußt-jungfräulich, ist Britomartis im Stande glückseliger Unschuld +bewahrt worden. Sie hat mit Amazonen und Nonnen nichts gemein. Es ist in +ihr weder Männerhaß noch Entsagung, sondern sie stellt, mit dem freien, +behenden Gang, dem lachenden Sperberauge, der Freude an Wald, Feld und +Jagd, die gesunde Blüte frischen und herben Magdtums verewigt dar. + +Überall auf der Fahrt sind Inseln und Küstenbereiche von lieblicher +Intimität, und es ist etwas Ungeheueres, sich vorzustellen, wie hier die +Phantasie eines Volkes, in dem die ungebrochene Weltanschauung des +Kindes neben exakter und reifer Weisheit des Greisenalters fortbestand, +jede Krümmung der Küste, jeden Pfad, jeden nahen Abhang, jeden fernen +und ferneren Felsen und Schneegipfel mit einer zweiten Welt göttlich +phantastischen Lebens bedeckt und bevölkert hat. Es ist ein Gewirr von +Inseln, durch das wir hingleiten, uns jener Stätte mit jeder Minute +nähernd, wo, gleichsam aus einem dunklen Quell, diese zweite Welt mit +Rätselworten zurück ins reale Leben wirkte und damit zugleich die +Atmosphäre des Heimatlandes mit neuem, phantastischem Stoff belud. Es +gibt bei uns keine Entwicklung des spezifisch Kindlichen, das stets +bewegt, stets gläubig und sprudelnd von Bildern ist, zum Weinen bereit +und gleich schnell zum Jauchzen, zum tiefsten Abgrund hinabgestürzt und +gleich darauf in den siebenten Himmel hinaufgeschnellt, glückselig im +Spiel, wo nichts das vorstellt, was es eigentlich ist, sondern etwas +anderes, Erwünschtes, wodurch das Kind es sich, seinem Wesen, seinem +Herzen zu eigen macht. + +Der große Schöpfungsakt des Homer hat dem kosmischen Nebel der +Griechenseele den reichsten Bestand an Gestalten geschenkt, und die +Zärtlichkeit, die der spätere Grieche ihnen entgegentrug, zeigt sich +besonders in mancher Mythe, die wieder lebendig zu machen unternimmt, +was der blinde Homer vor den Schauern des Hades nicht zu retten +vermochte. Ich weiß nicht, ob hier herum irgendwo Leuke ist, aber ich +wüßte keine Sage zu nennen, die tiefer in das Herz des Griechen +hineinleuchtete, als jene, die Helena dem Achill zur Gattin gibt und +beide in Wäldern und Tempelhainen der abgeschiedenen kleinen Insel Leuke +ein ewig seliges Dasein führen läßt. + + +Unser Dampfer ist vor dem Eingang zum isthmischen Durchstich angelangt +und einige Augenblicke stillgelegt. Mein Wunsch ist, wiederzukehren und +besonders auch auf dem herrlichen Isthmus umherzustreifen, dieser +gesunden und frischen Hochfläche, die würdig wäre, von starken, +heiteren, freien und göttlichen Menschen bewohnt zu sein, die noch nicht +sind. Das Auge erquickt sich an weitgedehnten, hainartig lockeren +Kieferbeständen, deren tiefes und samtenes Grün, auf grauen, +silbererzartigen Klippen, hoch an die blaue Woge des Meeres tritt. Auf +diesen bewaldeten Höhen zur Linken hat man den Platz der isthmischen +Spiele zu suchen. Man sollte meinen, daß keiner der zahllosen +Spielbezirke freier und in Betrachtung des ganzen Griechenlandes +günstiger lag, und ferner: daß nirgend so belebt und im frischen Zuge +der Seeluft überschäumend die heilige Spiellust des Griechen sich habe +auswirken können, wie hier. + +Die Einfahrt in den Durchstich erregt uns seltsamerweise feierliche +Empfindungen. Die Passagiere werden still, im plötzlichen Schatten der +gelben Wände. Wir blicken schweigend zwischen den ungeheuren, +braungelben Schnittflächen über uns und suchen den Streifen Himmelsblau, +der schmal und farbig in unseren gelben Abgrund herableuchtet. + +Kleine, taumelnde, braun-graue Raubvögel scheinen in den Sandlöchern +dieser Wände heimisch, ja, der Farbe nach, von ihnen geboren zu sein. +Eine Krähe, wahrscheinlich von unserm Dampfer aufgestört, strebt, +ängstlich gegen die Wände schlagend, an die Oberfläche der Erde hinauf. +Nun bin ich nicht mehr der späte Pilger durch Griechenland, sondern eher +Sindbad der Seefahrer, und einige Türken, vorn an der Spitze des +rauschenden Schiffes, jeder mit seinem roten Fez längs der gelblichen +Ockerschichten gegen den Lichtstreif des Ausganges hingeführt, +befestigen diese Illusion. + +Der Golf von Korinth tut sich auf. Aber während wir noch zwischen nahen +und flachen Ufern hingleiten, denn wir haben die weite Fläche des Golfes +noch nicht erreicht, werden wir an einem kleinen Zigeunerlager +vorübergeführt und sehen, auf einer Art Landungssteg, zerlumpte Kinder +der, wie es scheint, auf ein Fährboot wartenden Bande mit wilden +Sprüngen das Schiff begrüßen. + +Nach einiger Zeit, während wir immer zur Linken das neue Korinth, die +weite, mit Gerstenfeldern bestandene Fläche des einstigen alten, das von +dem gewaltigen Felsen Akrokorinth drohend beschattet wurde und die +bergigen Küsten des Peloponnes vor Augen hatten, eröffnet sich zur +Rechten eine Bucht mit den schneebedeckten Gipfeln des Helikon. Eine +Stunde und länger bleibt er nun, immer ein wenig rechts von der +Fahrtrichtung, sichtbar, hinter niedrigen, nackten Bergen, die +vorgelagert sind. Die Luft war bis hierher schwül und still, nun aber +fällt ein kühler Wind von den Höhen des Heiligen Berges herab und in +einige Segel, die leicht und hurtig vor ihm her über das blaue Wasser +des Golfes vorüberschweben. + +Aller Schönheit geht Heiligung voraus. Nur das Geheiligte in der +Menschennatur konnte göttlich werden, und die Vergötterung der Natur +ging hervor aus der Kraft zu heiligen, die zugleich auch Mutter der +Schönheit ist. Wir haben heut eine Wissenschaft von der Natur, die +leider nicht von einem heiligen Tempelbezirk umschlossen ist. Immerhin +ist sie, und Wissenschaft überhaupt, eine gemeinsame Sache der Nation, +ja der Menschheit geworden. Was auf diesem Gebiete geleistet wird, ist +schließlich und endlich ein gemeinsames Werk. Dagegen bleiben die reinen +Kräfte der Phantasie heute ungenützt und profaniert, statt daß sie am +großen sausenden Webstuhl der Zeit gemeinsam der Gottheit lebendiges +Kleid wie einstmals wirkten. + +Und deshalb, weil die Kräfte der Phantasie heut vereinzelt und +zersplittert sind und keine gemäße Umwelt (das heißt: keinen Mythos) +vorfinden, außer jenem, wie ihn eben das kurze Einzelleben der +Einzelkraft hervorbringen kann, so ist für den Spätgeborenen der +Eintritt in diese unendliche, wohlgegründete Mythenwelt zugleich so +beflügelnd, befreiend und wahrhaft wohltätig. + +Sollte man nicht einer gewissen, nur persönlichen Erkenntnis ohne +Verantwortung nachhängen dürfen, die den gleichen Vorgang, der jemals +etwas wie eine Tragödie oder Komödie schuf, als Ursprung des ganzen +Götterolymps, als Ursprung des gesamten, jenem angenäherten Kreises von +Heroen und Helden sieht? Wo sollte man jemals zu dergleichen den Mut +gewinnen, wenn nicht auf einem Schiffe im Golf von Korinth, im +Angesichte des Helikon? Warum hätte sonst Pan getanzt, als Pindar +geboren worden war? und welche Freude muß unter den Göttern des Olymps, +von Zeus bis zu Hephaistos und Aidoneus hinunter, ausgebrochen sein, als +Homer und mit ihm die Götterwelt aufs neue geboren wurde. + +Die ersten Gestalten des ersten Dramas, das je im Haupte des Menschen +gespielt wurde, waren »ich« und »du«. Je differenzierter das +Menschenhirn, um so differenzierter wurde das Drama! um so reicher auch +an Gestalten wurde es und auch um so mannigfaltiger, besonders deshalb, +weil im Drama eine Gestalt nur durch das, was sie von den übrigen +unterscheidend absetzt, bestehen kann. Das Drama ist Kampf und ist +Harmonie zugleich, und mit der Menge seiner Gestalten wächst auch der +Reichtum seiner Bewegungen: und also, in steter Bewegung Gestalten +erschaffend, in Tanz und Kampf miteinander treibend, wuchs auch das +große Götterdrama im Menschenhirn, zu einer Selbständigkeit, zu einer +glänzenden Schönheit und Kraft empor, die jahrtausendelang ihren +Ursprung verleugnete. + +Polytheismus und Monotheismus schließen einander nicht aus. Wir haben es +in der Welt mit zahllosen Formen der Gottheit zu tun, und jenseit der +Welt mit der göttlichen Einheit. Diese eine, ungeteilte Gottheit ist nur +noch ahnungsweise wahrnehmbar. Sie bleibt ohne jede Vorstellbarkeit. +Vorstellbarkeit ist aber das wesentliche Glück menschlicher Erkenntnis, +dem darum Polytheismus mehr entspricht. Wir leben in einer Welt der +Vorstellungen, oder wir leben nicht mehr in unserer Welt. Kurz: wir +können irdische Götter nicht entbehren, wenngleich wir den Einen, +Einzigen, Unbekannten, den Alleinen, hinter allem wissen. Wir wollen +sehen, fühlen, schmecken und riechen, disharmonisch harmonisch das ganze +Drama der Demiurgen, mit seinen olympischen und plutonischen +Darstellern. Im »Christentum« macht der Sohn Gottes einen verunglückten +Besuch in dieser Welt, bevor er sie aufgibt und also zertrümmert. Wir +aber wollen sie nicht aufgeben, unsere Mutter, der wir verdanken, was +wir sind, und wir bleiben im Kampf, verehren die kämpfenden Götter, die +menschennahen; freilich vergessen wir auch den menschenfernen, den Gott +des ewigen Friedens nicht. + + +Ein kalter Gebirgswind empfängt uns bei der Einfahrt in die Bucht von +Galaxidhi, den alten Krisäischen Meerbusen, und überraschenderweise +scheint es mir, als liefe unser Schiff in einen Fjord und wir befänden +uns in Norwegen, statt in Griechenland. Beim Anblick der Nadelwälder, +von denen die steile Flanke der Kiona bedeckt ist, erfüllt mich das +ganze starke und gesunde Bergglück, das mir eingeboren ist. Es zieht +mich nach den Gipfeln der waldreichen Kiona hinauf, wohin ich die +angestrengten Blicke meiner Augen aussende, als vermöchte ich dort noch +heut einen gottselig begeisterten Schwarm rasender Bacchen zwischen den +Stämmen aufzustöbern. Es liegt in mir eine Kraft der Zeitlosigkeit, die +es mir, besonders in solchen Augenblicken, möglich macht, das Leben als +eine große Gegenwart zu empfinden: und deshalb starre ich immer noch +forschend hinauf, als ob nicht Tausende von Jahren seit dem letzten +Auszug bacchischer Schwärme vergangen wären, und es klingt in mir +ununterbrochen: + + Dahin leite mich, Bromios, der die bacchischen Chöre führt! + Da sind Chariten, Liebe da, + Da dürfen frei die Bacchen Feste feiern. + +Wer hält es sich immer gegenwärtig, daß die Griechen ein Bergvolk +gewesen sind? Während wir uns Ithea nähern, tiefer und tiefer in einen +ernsten Gebirgskessel eingleitend, erlebe ich diese Tatsache innerlich +mit besonderer Deutlichkeit. Die Luft gewinnt an erfrischender Stärke. +Die Formen der Gipfel stehen im tiefen und kalten Blau des Himmels kalt +und klar, und jetzt erstrahlt uns zur Rechten, hoch erhaben über der in +abendlichen Schatten dämmernden Bucht, hinter gewaltig vorgelagerten, +dunkel zerklüfteten, kahlen Felsmassen ein schneebedecktes parnassisches +Gipfelbereich. + +Nun, wo die Sonne hinter der Kiona versunken ist und chthonische Nebel +langsam aus den tiefen Flächen der Felsentäler, Terrassen und Risse +verdüsternd aufsteigen, steht der Höhenstreif des heiligen Berges Parnaß +noch in einem unwandelbar makellosen und göttlichen Licht. Mehr und +mehr, indes das Schiff bereits seinen Lauf verlangsamt hat, erdrückt +mich eine fast übergewaltige Feierlichkeit. + +Man fühlt zugleich, daß man hier nicht mehr im Oberflächenbereich der +griechischen Seele ist, sondern den Ursprüngen nahe kommt, nahe kommt in +dem Maße, als man sich dem Kern der griechischen Landschaft annähert. + +Man findet sich hier einer großen Natur gegenübergestellt, die nordische +Rauheit und nordischen Ernst mit der Weichheit und Süße des Südens +vereinigt, die hier und dort ringsumher beschneite Berggipfel in den +nahen Höhenäther gehoben hat, deren Flanken bis zur Fläche des südlichen +Golfes herabreichen, bis an die Krisäische Talsohle, die in gleicher +Ebene, einen einzigen, weitgedehnten Ölwald tragend, den Grund des Tales +von Krisa erfüllt. Man fühlt, man nähert sich hier den Urmächten, die +sich den erschlossenen Sinnen eines Bergvolks, nicht anders wie das +Wasser der Felsenquellen, die Frucht des Ölbaums oder des Weinstocks, +darboten, so daß der Mensch, gleichwie zwischen Bergen und Bäumen, +zwischen Abgründen und Felswänden, zwischen Schafen und Ziegen seiner +Herden oder im Kampf, zwischen Raubtieren, auch allüberall unter +Göttern, über Göttern und zwischen göttlichen Mächten stand. + + +Wir steigen, angelangt in Ithea, in einen Wagen, vor den drei Pferde +gespannt sind. Die Fahrt beginnt, und wir werden durch Felder grüner +Gerste in das Tal von Krisa hineingeführt. Im Getreide tauchen hie und +da Ölbäume auf, und mehr und mehr, bis sie zu Hainen zusammentreten und +wir zu beiden Seiten der staubigen Straße von Olivenwäldern begleitet +sind. Im Halblicht unter den Wipfeln liegen quadratisch begrenzte +Wasserflächen. Nicht selten steigt ein gewaltiger Baum daraus empor, +scheinbar mit seinem Stamme in einem glattpolierten Spiegel aus dunklem +Silber wurzelnd, einem Spiegel, der einen zweiten Olivenbaum, einen +rötlichen Abendhimmel und einen anderen, nicht minder strahlenden +Parnassischen Gipfel zeigt. + +Bauern, die aus den Feldern heimwärts nach den Wohnungen im Gebirge +streben, werden von uns im Dämmer der Waldstraße überholt. Es scheint +ein in mancher Beziehung veredelter deutscher Schlag zu sein, so überaus +vertraut in Haltung, Gang und Humor, in den Proportionen des Körpers, +sowie des Angesichts, mit dem blonden Haar und dem blauen Blick, wirken +auf mich die Trupps der Landleute. Wir lassen zur Linken ein eilig +wanderndes und mit einer dunklen Genossin plauderndes, blondes Mädchen +zurück. Sie ist frisch und derb und germanisch kernhaft. Die Art ihres +übermütigen Grußes ist zugleich wild, verwegen, ungezogen und +treuherzig. Sie würde sich von der jungen und schönen deutschen +Bauernmagd, wie ich sie auf den Gütern meiner Heimat gesehen habe, nicht +unterscheiden, wenn sie nicht doch ein wenig geschmeidiger und wenn sie +nicht eine Tochter aus Hellas wäre. + +Und ich gedenke der Pythia. + +Religiöses Empfinden hat seine tiefsten Wurzeln in der Natur; und sofern +Kultur nicht dazu führt, mit diesem Wurzelsystem stärker, tiefer und +weiter verzweigt in die Natur zu dringen, ist sie Feindin der Religion. +In diesem großen und zugleich urgesunden Bereich des nahen, großen +Mysteriums denkt man nicht an die Götterbilder der Blütezeit, sondern +höchstens an primitive Holzbilder, jene Symbole, die, durch Alter +geheiligt, der Gottheit menschliche Proportionen nicht aufzwangen. Man +gedenkt einer Zeit, wo der Mensch mit allen starken, unverbildeten +Sinnen noch gleichsam voll ins Geheimnis hinein geboren war: in das +Geheimnis, von dem er sich Zeit seines Lebens durchaus umgeben fand und +das zu enthüllen er niemals wünschte. + +Nicht der Weltweise war der Ersehnte oder Willkommene unter den Menschen +jener Zeit, außer wenn er sich gleich dem Jäger oder dem Hirten -- der +wahre Hirt ist Jäger zugleich! -- zur ach so wenig naiven Verehrung +eines Idoles, einer beliebigen Rätselerscheinung, der nur im Rätsel +belebten Natur, verstand, sondern ersehnt und willkommen war immer +wieder nur das Leben, das tiefere Leben, das den Rausch erzeugende +Rätsel. + +Immer jedoch ist der Mensch dem Menschen Träger und Verkünder der +tiefsten Rätsel zugleich gewesen und so ward das Rätsel stets am +höchsten verehrt, wenn es sich durch den Menschen verkündigte, die +Gottheit, die durch den Menschen spricht. Und um so höher ward es unter +jenen Menschen verehrt, ward die Gottheit verehrt, je mehr sie den +schlichten Mann, das gewöhnliche Weib aus dem Hirten- und Jägervolke +gewaltsam vor aller Augen umbildete, so daß es von Grund auf verändert, +von einem Gott oder Dämon beherrscht, als Rätsel erschien. + +Ein so verändertes Wesen war vor urdenklichen Zeiten die erste bäurische +Pythia, und sie erschien in den Händen des bogenführenden Jägers und +Rinderherden besitzenden Hirten, in den Händen des Jäger- und +Hirtengottes Apollon willenlos. Den Willen des Menschen zerbrach der +Gott, wie man ein Schloß zerbrechen muß, das die Tür eines fremden +Hauses verschließt, will man als Herrscher und Herr in dieses eintreten; +und nicht der menschliche Wille, sondern gleichsam die Knechtschaft im +göttlichen, nicht Vernunft, sondern Wahnsinn besaß vor den Menschen +damals allein die Staunen und Schauder verbreitende Autorität. + + +Die Pferde beginnen bergan zu klimmen. Mehr und mehr, während wir aus +den dunklen Olivenwäldern emportauchen, verdichtet sich um uns die +Dämmerung. Die Luft ist warm und bewegungslos. Es ist eine Art +tierischer Wärme in der Luft, die aus dem Erdboden, aus den Steinblöcken +um uns her, ja überall her zu dunsten scheint. Überall klettern +Ziegenherden. Ziegenherden kreuzen den Weg oder trollen ihn mit Geläut +zu Tal. Ich fühle auf einmal, wie hier das Hirten- und Jägerleben nicht +mehr nur als Idyll zu begreifen ist. In dieser brütenden Atmosphäre, wie +sie über den schwarzen Olivenwäldern der Tiefe, in dem weiten, gewaltig +zerklüfteten Abgrund zwischen den Wällen schroffer Gebirge steht, wird +mein Blut überdies zu einem seltsamen Fieber erregt, und es ist mir, als +könne aus dieser buhlerisch warmen, stehenden Luft die Frucht des Lebens +unmittelbar hervorgehen. Das Geheimnis ist ringsum nahe um mich. Fast +bang empfinde ich seine Berührungen. Es ist, als trennte -- sagen wir +von den »Müttern«! nur eine dünne Wand oder als läge das ganze +Geheimnis, in dem wir schlummern, in einem zurückgehaltenen, göttlichen +Atemzug, dessen leisestes Flüstern uns eine Erkenntnis eröffnen könnte, +die über die Kraft des Menschen geht. + +Ich habe in diesem Augenblick mehr als je zu bedauern, daß mir der +musikalische Ausdruck verschlossen ist, denn alles um mich wird mehr und +mehr zu einer einzigen, großen, stummen Musik. Das am tiefsten Stumme +ist es, was der erhabensten Sprache bedarf, um sich auszudrücken. +Allmählich verbreitet sich jenes magische Leuchten in der Natur, das +alles vor Eintritt völliger Dunkelheit noch einmal in traumhafter Weise +verklärt. Aber Worte besagen nichts, und ich würde, mit der wahrhaft +dionysischen Kunst begabt, nach Worten nicht ringen müssen. + +Ich empfinde inmitten dieser grenzenlos spielenden Schönheit, die von +einem grunderhabenen düsteren Glanze gesättigt ist, immer eine fast +schmerzhafte Spannung, als ob ich mich einem redenden Brunnen, einem +Urbrunnen aller chthonischen Weisheit gleichsam annäherte, der, wiederum +einem Urmunde gleich, unmittelbar aus der Seele der Erde geöffnet sein +würde. + +Niemals, außer in Träumen, habe ich Farben gesehen, so wie hier auf dem +Marktplatze von Chryso, in dessen Nähe das alte Krisa zu denken ist. In +diesem Bergstädtchen werden unsere Zugtiere getränkt. In Eimern holt man +das Wasser aus dem nahen städtischen Brunnen, der im vollen, magischen +Licht des Abends sich, aus dem Felsen rauschend, in sein steinernes +Becken stürzt. Hier drängen sich griechische Mädchen, Männer und +Maultiere, während im Schatten des Hauses gegenüber würdige Bauern und +Hirten beim Weine von den Lasten des Tages ausruhen. Alles dieses wirkt +feierlich schattenhaft. Es ist, als bestünde in dem Menschengedränge des +kleinen Platzes die geheiligte Übereinkunft, die innere Sammlung der +delphischen Pilger nicht durch laute Worte zu stören. + +Unter den schweigsam Trinkenden, die uns mit Würde beobachten und ganz +ohne Zudringlichkeit, fällt manche edle Erscheinung auf. Von einem +Weißbart vermag ich mein Auge lange nicht abzuwenden. Er ist der +geborene Edelmann. Die Haltung des schlanken Greises, der seine eigene +Schönheit durchaus zu schätzen weiß, ist durchdrungen von einem Anstand, +der eingeboren ist. Aus seinem Antlitz sprechen Güte und Menschlichkeit: +ich sehe in ihm das Gegenbild aller Barbarei. An diesem Hirten legt jede +Wendung des Hauptes, jede gelassene Bewegung des Armes von edler +Herkunft Zeugnis ab: von einer Jahrtausende alten, verfeinerten +Hirtenwürde! denn wo wäre die Freiheit der Haltung, die stolze +Gewohnheit des Selbstgenügens, die Würde des Menschen vor dem Tier, +weniger gestört, als im Hirtenberuf. + + +Es ist, nachdem wir die Stadt verlassen haben und weiter die steilen +Kehren aufwärts dringen, als sänke sich von allen Seiten, dichter und +dichter, Finsternis über das Geheimnis, dem wir entgegenziehen, +schützend herein. Es ist wie eine Art Unschlüssigkeit in der Natur, als +deren bevorzugtes Kind sich der gläubige Grieche fühlen muß, die sich +mir aber dahin umdeutet, als sollte erst durch die volle Erkenntnis +einengender Finsternis der volle Durst zum Orakelbrunnen erzeugt werden. + +Noch immer ist die stehende Wärme auch in der fast völligen Dunkelheit +verbreitet um mich. Der Himmel hat rötlich zuckende Sterne enthüllt, +aber der Blick ist von nun an beengt und eingeschlossen. Die große +Empfindung der Götternähe weicht einer gewissen heimlich schleichenden +Spukhaftigkeit, und so will ich nun auch eine Vorstellung dieser +spukhaften Art aus dem Erlebnis der unvergleichlichen Stunden +festhalten. + +Mehrmals und immer wieder kam es mir vor, als stiege der Schatten eines +einzelnen Mannes mit uns nach dem gleichen Ziele hinan, und zwar auf +einem Fußsteige immer die Kehren der großen Straße abschneidend. Kamen +wir bis an die Kreuzungsstelle heran, so schien es, als sei er schon +vorüber, oder er war zurückgeblieben und stieg weit unten, schattenhaft +über die Böschung der tieferen Straßenschlinge herauf. Auch jetzt +unterliege ich wieder dem Zwang dieser Vorstellung. + +Es ist unumgänglich, daß ein bis ins tiefste religiös erregter, +christlich erzogener Mensch, auch wenn er das innere Auge abwendet, +gleichsam mittels des peripherischen Sehens doch immer auf die Gestalt +des Heilands treffen muß: und dies war mir und ist mir noch jetzt jener +Schatten. Etwas wie Unruhe, etwas wie Hast und Besorgnis scheint ihn den +gleichen Weg zu treiben, und etwas, wie der gleiche, immer noch +ungestillte Durst. + +Und ist nicht auch er wiederum ein Hirt? Sah er sich selbst nicht am +liebsten unter dem Bilde des Hirten? Sehen ihn nicht die Völker als +Hirten? Und verehren ihn nicht die prunkhaften Hohenpriester von heut, +mit dem Symbole des Hirtenstabes in der Hand, als göttlichen Hirten, als +Hirtengott? + + +Heut, am frühen Morgen aus meiner Herberge tretend, befinde ich mich auf +der sonnigen Dorfstraße eines alpinen Dörfchens. Wenn ich die Straße +nach rechts entlang blicke, wo sie, nach mäßiger Steigung, in einiger +Ferne abbricht oder in den weißlichen, heißen und wolkenlosen Himmel +auszulaufen scheint, so bemerke ich die Spitze eines entfernteren +Schneeberges, der sie überragt. + +Die Straße läuft meist dicht am Abhang hin. Von ihrem Rande ermesse ich +die gewaltige Tiefe eines schluchtartigen Tales, mit steilen Felswänden +gegenüber. Die grauen Steinmassen sind durch Thymiansträucher dunkel +gefleckt. + +Der Grund der Schlucht scheint ein Bachbett zu sein, und wie sich Wasser +von seiner hochgelegenen Quelle herniederwindet, bis es am Ende der +verbreiterten Schlucht in den weiten See eines größeren Tales tritt, +ergießen sich hier, gleichsam wie Wogen aus dunklem Silber, +Olivenwaldungen in die Tiefe, wo sie die Fülle des ölreichen Tales von +Krisa aufnimmt. + +Es ist eine durchaus nur schlichte und ganz gesunde alpine Wonne, die +mich erfüllt, jener Zustand des bergluftseligen Müßigganges, in dem man +so gern das Morgenidyll dörflichen Lebens beobachtet. + +Hähne und Tauben machen das übliche Morgenkonzert. Es wird in der Nähe +ein Pferd gestriegelt. Beladene Maultiere trappen vorüber. Alles ist von +jener erfrischenden Nüchternheit, die wiederum die gesunde Poesie des +Morgens ist. + +Kastri heißt das Dorf, in dem wir sind und genächtigt haben. Einige +Schritte auf der mit grellstem Lichte blendenden Landstraße um einen +Felsenvorsprung herum, und der heilige Tempelbezirk von Delphi soll sich +enthüllen. + +In diesem Felsenvorsprung, den wir nun erreichen, sind die offenen +Höhlen ehemaliger Felsgräber. Nahe dabei haben Wäscherinnen ihren Kessel +über ein aromatisches Thymianfeuer gestellt, das uns mit Schwaden +erquickenden Weihrauchs umquillt. Schwalben schrillen an uns vorüber, +Fliegen summen, irgendwoher dringt das Hungergeschrei junger Nestvögel, +und die Sonne scheint, triumphierend gleichsam, bis in die letzten +Winkel der leeren Gräber hinein. + +Eine zahlreiche Herde schöner Schafe begegnet uns, und minutenlang +umgibt uns das freudige Älplergeräusch ihrer Glocken. Ich beobachte eine +dicke Glockenform mit tiefem Klang, von der man sagt, daß sie antikem +Vorbild entspreche. Inmitten der Herde bewegt sich der dienende Hirt und +ein herrenhaft-heiter wandelnder Mann in der knappen, vorwiegend blauen +Tracht der Landleute. + +Dieser Mann erscheint zugleich jung und alt: insofern jung, als er +schlank und elastisch ist, insofern alt, als ein breiter, vollkommen +weißer Bart sein Gesicht umrahmt. Doch es ist die Jugend, die in diesem +Manne triumphiert: das beweist sein schalkhaft blitzendes Auge, beweist +der freie, übermütige Anstand der ganzen Persönlichkeit, eine Art +behaglich fröhlichen Stolzes, der weiß, daß er unwiderstehlich +fasziniert. + +Als Staub und Geläut uns am stärksten umgeben, bemerken wir, wie dieser +schöne und glückliche Mann, der übrigens seine Jagdbüchse über der +Schulter trägt, den langen Stab aus der Hand seines Hirten nimmt. Gleich +darauf tritt er uns entgegen und bietet uns, wirklich aus heiterem +Himmel, eben denselben Stab als Gastgeschenk. + + +Die Wendung des Weges ist erreicht. Die Straße zieht sich in einem +weiten Bogen eng unter mächtigen roten Felswänden hin, und der erste +Blick in dieses schluchtartige, delphische Tal sucht vergeblich nach +einer geeigneten Stätte für menschliche Ansiedelung. Von den roten, +senkrecht starrenden Riesenmauern der Phädriaden ist ein Böschungsgebiet +abgebröckelt, das steil und scheinbar unzugänglich über uns liegt. +Überall in den Alpen trifft man ähnliche Schutt- und Geröllhalden, auf +denen man, ebenso wie hier, höchstens weidende Ziegen klettern sieht. +Selten bemerkt man dort, etwa in Gestalt einer besonders ärmlichen +Hütte, Spuren menschlicher Ansiedelung, während hier der +unwahrscheinliche Baugrund für ein Gewirr von Tempeln, tempelartigen +Schatzhäusern, von Priesterwohnungen, von Theater und Stadion, sowie von +zahllosen Bildern aus Stein und Erz zu denken ist. + +Wir schreiten die weiße Straße langsam fort. Wir scheuchen eine +anderthalb Fuß lange, grüne Eidechse, die den Weg, ein Wölkchen Staub +vor uns aufregend, überquert. Ein Esel, klein, mit einem Berge von +Ginster bepackt, begegnet uns: es heißt, daß die Bauern aus Ginster +Körbe zur Aufbewahrung für Käse flechten. Ein Maultier schleppt eine +Last von bunten Decken gegen Kastri heran, begleitet von einer +Handelsfrau, die während des Gehens nicht unterläßt, von dem Wocken aus +Ziegenhaar fleißig denselben Faden zu spinnen, aus dem jene Decken +gewoben sind. + +Immer die steile Böschung des delphischen Tempelbezirks vor Augen, +drängt sich mir der Gedanke auf, daß alle die einstigen Priester des +Apoll sowohl als die des Dionysos, alle diese Tempel, Theater und +Schatzhäuser von ehemals, alle diese zahllosen Säulen und Statuen den +Ziegen und einer gewissen Ziegenhirtin gefolgt und nachgeklettert sind. + +Das Hirtenleben ist in den meisten Fällen ein Leben der Einsamkeit. Es +begünstigt also alle Kräfte visionärer Träumerei. Ruhe der äußeren Sinne +und Müßiggang erzeugen die Welt der Einbildung, und es würde auch heut +nicht schwer halten, etwa in den Irrenhäusern der Schweiz ländliche +Mädchen zu finden, die, befangen in einem religiösen Wahn, von ähnlichen +Dingen überzeugt sind, von ähnlichen Dingen »mit rasendem Munde« +sprechen, als die erste Seherin, die Sibylle oder ihre Nachfolgerin zu +Delphi, tat. Diese hielten sich etwa für die angetraute Gattin Apolls, +oder für seine Schwester, oder erklärten sich für Töchter von ihm. + +Wir klettern die steile Straße innerhalb des Tempelbezirkes empor. +Überall zwischen den Fundamenten ehemaliger Tempel, Schatzhäuser, Altäre +und Statuen blüht die Kamille in großen Büschen, ebenso wie in Eleusis +und auf der Akropolis. Die Steine der alten und steilen Straße sind +glatt, und mit Mühe nur dringen wir, ohne rückwärts zu gleiten, hinan. + +Nicht weit von dem Felsenvorsprung, den man den Stein der Sibylle nennt, +ruhe ich aus. In heiß duftenden Büscheln der Kamille, zwischen die ich +mich niedergelassen habe, tönt ununterbrochen Bienengesumm. Wer möchte +an dieser Stelle mit Fug behaupten wollen, daß ihm die ungeheure +Vergangenheit dieser steilen Felslehne in allem Besonderen gegenwärtig +sei. Der chthonische Quell, jene, verwirrende Dämpfe ausströmende +Felsspalte, die Corethas entdeckte, quillt, wie es heißt, nicht mehr, +und schon zur Zeit des großen Periegeten hatten die Dämonen das Orakel +verlassen. Werden sie jemals wiederkehren? Und wird, wie es heißt, wenn +sie wiederkehren, das Orakel gleich einem lange ungenutzten Instrument +göttlichen Ausdrucks aufs neue erschallen? + +Die architektonischen Trümmer umher erregen mir einstweilen nur geringe +Aufmerksamkeit. Die Kunst inmitten dieser gewaltigen Felsmassen hatte +wohl immer, nur im Vergleich mit ihnen, Pygmäencharakter. Durchaus +überragend in wilder, unbeirrbarer Majestät bleibt hier die Natur, und +wenn sie auch mit Langmut oder auf Göttergebot die Siedelungen der +menschlichen Ameise duldet, die sich, nicht ohne Verwegenheit, hier +einnistete, so bleibt die Gewalt ihrer Ruhe, die Gewalt ihrer Sprache, +die überragende Macht ihres Daseins, das unter allem, hinter allem, über +und in allem Gegenwärtige. + +Man denkt an Apoll, man denkt an Dionysos, aber an ihre Bilder aus Stein +und Erz denkt man in dieser Umgebung nicht: eher wiederum an gewisse +Idole, die uralten Holzbilder, deren keines leider auf uns gekommen ist. +Man sieht die Götter da und dort, leuchtend, unmaterialisch, visionär, +hauptsächlich aber empfindet man sie in der Kraft ihrer Wirkungen. Hier +bleiben die Götter das, was unsichtbar gegenwärtig ist: und so bevölkern +sie, bevölkern unsichtbare Dämonen die Natur. + +Ist wirklich der chthonische Quell versiegt? Haben die Dämonen wirklich +die Orakel verlassen? Sind gar die meisten von ihnen tot, wie es heißt, +daß der große Pan gestorben ist? Und ist wirklich der große Pan +gestorben? + +Ich glaube, daß eher jeder andere Quell des vorchristlichen Lebensalters +verschüttet ist als der pythische und glaube, daß der große Pan nicht +gestorben ist: nicht aus Schwäche des Alters und ebensowenig unter den +jahrtausendelangen Verfluchungen einer christlichen Klerisei. Und hier, +zwischen diesen sonnebeschienenen Trümmern, ist mir das ganze +totgeglaubte Mysterium, sind mir Dämonen und Götter samt dem totgesagten +Pan gegenwärtig. + +Noch heut sind unter den »vielen Strömen, die unsere Erde nach oben +sendet«, viele, die in den Seelen der Menschen eine Verwirrung und +Begeisterung hervorrufen, wie in dem Hirten Corethas jener, der in +Delphi zutage trat, auch wenn wir dieser Begeisterung wenig achten und +die tiefen Weihen nicht mehr allgemein machen wollen, die mit dem +heiligen Rausch verbunden sind. + +Dieser Parnaß und diese seine roten Schluchten sind Quellgebiet: +Quellgebiet natürlicher Wasserströme und Quellgebiet jenes +unversiegbaren, silbernen Stromes der Griechenseele, wie er durch die +Jahrtausende fließt. Es ist ein anderer Reiz und Geist, der die Quellen, +ein anderer, der den Lasten und Wimpel tragenden Strom umgibt. Seltsam, +wie der Ursprung des Stromes und seine Wiege dem urewig Alten am +nächsten ist: das ewig Alte der ewigen Jugend. Man kann solche +Quellgebiete nicht einmal mit Fug allein griechisch nennen, denn sie +sind meist, im Gegensatz zu den Strömen, die sie nähren, namenlos. + +Gegenüber, jenseit des Taleinschnitts, tönen von der Felswand, dem Ruf +des Hornes von Uri nicht unähnlich, gewaltige Laute eines Dudelsacks, +hervorgerufen von Hirten, die unerkennbar mit ihren Ziegen in den Felsen +umhersteigen. Diese gesegneten Quellgebiete waren und sind noch heute +von Hirten umwohnt. Platon nennt die Seele einen Baum, dessen Wurzeln im +Haupte des Menschen sind und der von dort aus mit Stamm, Ästen und +Blättern sich in das Bereich des Himmels ausdehnt. Ich betrachte die +Welt der Sinne als einen Teil der Seele und zugleich ihr Wurzelgebiet, +und verlege in das menschliche Hirn einen metaphysischen Keim, aus dem +dann der Baum des Himmels mit Stamm, Ästen, Blättern, Blüten und +Früchten empordringt. + +Nun scheint es mir, daß die Sinne des Jägers, die Sinne des Hirten, die +Sinne des Jägerhirten, sagen wir, die feinsten und edelsten Wurzeln sind +und daß ein Hirten- und Jägerleben auf Berghöhen der reichste Boden für +solche Wurzeln, und also die beste Ernährung für den metaphysischen Keim +im Menschen ist. + + +Zwischen den Trümmern des steilen Tempelbezirks von Delphi +umherzusteigen, erfordert einige Mühe und Anstrengung. Am höchsten von +allen Baulichkeiten lag wohl das Stadion; ein wenig tiefer, doch mit +seinen obersten Sitzen an die unzugängliche Felswand stoßend, ist das +Theater dem Felsgrunde abgetrotzt. + +Der Eindruck der natürlichen Szenerie, die es umgibt, ist drohend und +großartig. Ich empfinde eine Art beengender Bangigkeit in dieser +übergewaltigen Nähe der Natur, dieser geharnischten, roten +Felsbastionen, die den furchtbarsten Ernst blutiger Schauspiele von den +Menschen zu fordern scheinen. + +In das Innere dieser Felsmassen scheint übrigens ein dämonisches Leben +hineingebannt. Sie wiederholen, in die tiefe Stille über den rötlichen +Sitzreihen, die Stimmen unsichtbarer Kinder weit unten im Tal, sie +lassen gespenstige Herdenglocken, wie in einem hallenden Saale, durch +sich hin läuten und geben die klangvolle Stimme des fernen Hirten aus +der Nähe und geläutert zurück. Aus ihrem Inneren dringt Hundegebell, und +ein fernes und schwaches Dröhnen, aus dem Tale von Krisa her, erregt in +ihr einen klangvoll breiten, feierlich musikalischen Widerhall. + +Das ununterbrochene, mitten im heißen Lichte des Mittags gleichsam +nächtliche Rauschen der kastalischen Wasser dringt aus der Schlucht der +Phädriaden herauf. + +Die Götter waren grausame Zuschauer. Unter den Schauspielen, die man zu +ihrer Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor Göttern, und die +griechischen Zuschauer auf den Sitzreihen trieben, mit schaudernder +Seele gegenwärtig, Gottesdienst! -- unter den Schauspielen, sage ich, +waren die, die von Blute trieften, den Göttern vor allen anderen heilig +und angenehm. Wenn zu Beginn der großen Opferhandlung, die das +Schauspiel der Griechen ist, das schwarze Blut des Bocks in die +Opfergefäße schoß, so wurde dadurch das spätere höhere, wenn auch nur +scheinbare Menschenopfer nur vorbereitet: das Menschenopfer, das die +blutige Wurzel der Tragödie ist. + +Blutdunst stieg von der Bühne, von der Orchestra in den brausenden +Krater der schaudernden Menge und über sie in die olympischen Reihen +blutlüsterner Götterschemen hinauf. + +Anders wie im Theater von Athen, tiefer und grausamer und mit größerer +Macht, offenbart sich hier, in der felsigten Pytho, unter der Glut des +Tagesgestirns, das Tragische, und zwar als die schaudernde Anerkennung +unabirrbarer Blutbeschlüsse der Schicksalsmächte: keine wahre Tragödie +ohne den Mord, der zugleich wieder jene Schuld des Lebens ist, ohne die +sich das Leben nicht fortsetzt, ja, der zugleich immer Schuld und Sühne +ist. + +Gleich einem zweiten Corethas brechen mir überall in dem großen +parnassischen Seelengebiet -- und so auch in der Tiefe des roten +Steinkraters, darin ich mich eben befinde! -- neue chthonische Quellen +auf. Es sind jene Urbrunnen, deren Zuflüsse unerschöpflich sind und die +noch heute die Seelen der Menschen mit Leben speisen: derjenige aber +unter ihnen, der dem inneren Auge der Seele und gleicherweise dem +leiblichen Auge vor allen anderen sichtbar und mystisch ist, bleibt +immer der springende Brunnen des Bluts. + +Ich fühle sehr wohl, welche Gefahren auf den Pilger in solchen +parnassischen Brunnengebieten lauern, und vergesse nicht, daß die Dünste +aller chthonischen Quellen von einem furchtbaren Wahnsinn schwanger +sind. Oft treten sie über dünnen Schichten mürben Grundes ans +Tageslicht, unter denen glühende Abgründe lauern. Der Tanz der Musen auf +den parnassischen Gipfeln geschah, da sie Göttinnen waren, mit leichten, +die Erde nicht belastenden Füßen: das ihnen Verbürgte nimmt uns die +Schwere des Körpers, die Schwere des Menschenschicksals nicht. + +Auch aus der Tiefe des Blutbrunnens unter mir stieg dumpfer, betäubender +Wahnsinn auf. Indem man die grausame Forderung des sonst wohltätigen +Gottes im Bocksopfer sinnbildlich darstellte, und im darauffolgenden, +höheren Sinnbild gotterfüllter dramatischer Kunst, gaben die Felsen den +furchtbaren Schrei des Menschenopfers unter der Hand des Rächers, den +dumpfen Fall der rächenden Axt, die Chorklänge der Angst, der Drohung, +der schrecklichen Bangigkeit, der wilden Verzweiflung und des jubelnden +Bluttriumphes zurück. + +Es kann nicht geleugnet werden, Tragödie heißt: Feindschaft, Verfolgung, +Haß und Liebe als Lebenswut! Tragödie heißt: Angst, Not, Gefahr, Pein, +Qual, Marter, heißt Tücke, Verbrechen, Niedertracht, heißt Mord, +Blutgier, Blutschande, Schlächterei -- wobei die Blutschande nur +gewaltsam in das Bereich des Grausens gesteigert ist. Eine wahre +Tragödie sehen hieß, beinahe zu Stein erstarrt, das Angesicht der Medusa +erblicken, es hieß das Entsetzen vorwegnehmen, wie es das Leben heimlich +immer, selbst für den Günstling des Glücks, in Bereitschaft hat. Der +Schrecken herrschte in diesem offenen Theaterraum, und wenn ich bedenke, +wie Musik das Wesen einfacher Worte, irgend eines Liedes, erregend +erschließt, so fühle ich bei dem Gedanken an die begleitenden Tänze und +Klänge der Chöre zu dieser Mordhandlung eisige Schauder im Gebein. Ich +stelle mir vor, daß aus dem vieltausendköpfigen Griechengewimmel dieses +Halbtrichters zuweilen ein einziger, furchtbarer Hilfeschrei der Furcht, +der Angst, des Entsetzens, gräßlich betäubend zum Himmel der Götter +aufsteigen mußte, damit der grausamste Druck, die grausamste Spannung +sich nicht in unrettbaren Wahnsinn überschlug. + + +Man muß es sich eingestehen, das ganze Bereich eines Tempelbezirks, und +so auch diese delphische Böschung, ist blutgetränkt. An vielen Altären +vollzog sich vor dem versammelten Volk die heilige Schlächterei. Die +Priester waren vollkommene Schlächter, und das Röcheln sterbender +Opfertiere war ihnen die gewöhnlichste und ganz vertraute Musik. Die +Jammertöne der Schlachtopfer machten die Luft erzittern und weckten das +Echo zwischen den Tempeln und um die Statuen her: sie drangen bis ins +Innere der Schatzhäuser und in die Gespräche der Philosophen hinein. + +Der Qualm der Altäre, auf denen die Ziege, das Schaf mit der Wolle +verbrannt wurde, wirbelte quellend an den roten Felsen hinauf, und ich +stelle mir vor, daß dieser Qualm, sich zerteilend, das Tal überdeckte +und so die Sonne verfinsterte. Der Opferpriester, mit Blut besudelt, der +einem Zyklopen gleich das geschlachtete Tier zerstückte und ihm das Herz +aus dem Leibe riß, war dem Volk ein gewöhnlicher Anblick. Er umgoß den +ganzen Altar mit Blut. Diese ganze Schlachthausromantik in solchen +heiligen Bezirken ist schrecklich und widerlich, und doch ist es immer +vor allem der süßliche Dampf des Bluts, der die Fliegen, die Götter des +Himmels, die Menge der Menschen, ja sogar die Schatten des Hades +anzieht. + +In alledem verrät sich mir wiederum der Hirtenursprung der Götter, ihrer +Priester und ihres Gottesdienstes, denn das Blutmysterium mußte sich den +Jägerhirten zuerst aufschließen und dem Hirten mehr als dem Jäger in +ihm, wenn er, friedlich, friedlich von ihm gehütete, zahme Tiere +abschlachtete, zuerst das Grausen und hernach den festlichen Schmaus +genoß. + + +Wir sind den steilen Abhang des delphischen Tempelbezirks bis an den +obersten Rand emporgeklommen. Ich bin erstaunt, hier, wo aus dem +scheinbar Unzugänglichen die rote unzugängliche Felswand sich erhebt, +auf eine schöne, eingeschlossene Fläche zu stoßen, hier oben, gleichsam +in der Gegend der Adlernester, zwischen Felsenklippen, auf ein Stadion. + +Es ist still. Es ist vollkommen still und einsam hier. Das schöne Oblong +der Rennbahn, eingeschlossen von den roten Steinen der Sitzreihen, ist +mit zarten Gräsern bedeckt. Inmitten dieser verlassenen Wiese hat sich +eine Regenlache gebildet, darin man die roten Umfassungsmauern des +Felsendomes, mit vielen gelben Blumenbüscheln widergespiegelt sieht. + +Ist nicht das Stadion dann am schönsten, wenn der Lärm der Ringer und +Renner, wenn die Menge der Zuschauer es verlassen hat? Ich glaube, daß +der göttliche Priester Apolls, Plutarch, oft, wie ich jetzt, im leeren +Stadion der einzige Zuschauer war und den Gesichten und Stimmen der +Stille lauschte. + +Es sind Gesichte von Jugend und Glanz, Gesichte der Kraft, Kühnheit und +Ehrbegier, es sind Stimmen gottbegeisterter Sänger, die unter sich +wetteifernd den Sieger oder den Gott preisen. Es ist der herrlichste +Teil der griechischen Phantasmagorie, die hier für den nicht erloschen +ist, der gekommen ist, Gesichte zu sehen und Stimmen zu hören. + +Die schrecklichen Dünste des Blutbrunnens drangen nicht bis in dieses +Bereich, ebensowenig das Todesröcheln der Menschen- und Tieropfer. Hier +herrschte das Lachen, hier herrschte die freie, von Erdenschwere +befreite, kraftvolle Heiterkeit. + +Nur im Stadion, und ganz besonders in dem zu Delphi, das über allen +Tempeln und allen Altären des Götterbezirks erhaben ist, atmet man jene +leichte, reine und himmlische Luft, die unseren Heroen die Brust mit +Begeisterung füllte. Der Schrei und Ruf, der von hier aus über die Welt +erscholl, war weder der Ruf des Hirten, der seine Herde lockt, noch war +es der wilde Jagdruf des Jägers: es war weder ein Racheschrei noch ein +Todesschrei, sondern es war der wild glückselige Schrei und +Begeisterungsruf des Lebens. + +Mit diesem göttlichen Siegesruf der lebendigen Menschenbrust begrüßte +der Grieche den Griechen über die Fjorde und Fjelle seines herrlichen +Berglands hinweg, dieses Jauchzen erscholl von Spielplatz zu Spielplatz: +von Delphi hinüber nach Korinth, von Korinth nach Argos, von Argos bis +Sparta, von Sparta hinüber nach Olympia, von dort gen Athen und +umgekehrt. + +Ich glaube, nur vom Stadion aus erschließt sich die Griechenseele in +alledem, was ihr edelster Ruhm und Reichtum ist; von hier aus gesehen, +entwickelt sie ihre reinsten Tugenden. Was wäre die Welt des Griechen +ohne friedlichen Wettkampf und Stadion? Was ohne olympischen Ölzweig und +Siegerbinde? eben das gleiche erdgebundene Chaos brütender, ringender +und quellender Mächte, wie es auch andere Völker darstellen. + +Es wird mir nicht leicht, diesen schwebenden und versteckten Spielplatz +zwischen parnassischen Klippen zu verlassen, der so wundervoll einsam +und wie für Meditationen geschaffen ist. Hier findet sich der sinnende +Geist gleichsam in einen nährenden Glanz versenkt, und der Reichtum +dessen, was in ihn strömt, kann in seiner Überfülle kaum bewahrt und +behalten sein. + +Man müßte vom Spiel reden. Man müßte das eigene Denken der Kinder- und +Jünglingsjahre heraufrufen und jener Wegeswendung sich erinnern, wo man +in eine mißmutige und freudlose Welt einzubiegen gezwungen war, die das +Spiel, die höchste Gabe der Götter, verpönt. Man könnte hervorheben, daß +bei uns mehr Kinder gemordet werden, als jemals in irgendeinem Bethlehem +von irgendeinem Herodes gemordet worden sind: denn man läßt nie das Kind +bei uns groß werden, man tötet das Kind im Kinde schon, geschweige, daß +man es im Jüngling und Manne leben ließe. + +Nackt wurde der Sieger, der Athlet oder Läufer dargestellt, und ehe +Praxiteles, ehe Skopas seine Statuen bildete, entstanden ihre Urbilder +hier im Stadion. Hier ist für die Schönheit und den Adel der +griechischen Seele, für Schönheit und Adel des Körpers der Muttergrund. +Hier wurde das schon Geschaffene umgeschaffen, das Umgeschaffene zum +ewigen Beispiel und auch als Ansporn für höhere Artung in Erz oder +Marmor dargestellt. Hier hatte die Bildung ihre Bildstätte, wenn anders +Bildung das Werk eines Bildners ist. + +Wer je sein Ohr an die Wände jener Werkstatt gelegt hat, deren Meister +den Namen Goethe trug, der wird erkennen, daß nicht nur Wagner, der +Famulus, den Menschen mit Göttersinn und Menschenhand zu bilden und +hervorzurufen versuchte: alles Sinnen, Grübeln, Wirken, Dichten und +Trachten des Meisters war eben demselben Endzweck rastlos untertan. Und +wer nicht in jedweder Bildung seines Geistes und seiner Hände das +glühende Ringen nach Inkarnation des neuen und höheren Menschen spürt, +der hat den Magier nicht verstanden. + +Es ist bekannt, wie gewissen griechischen Weisen, und so dem Lykurg! +Bildung ein Bilden im lebendigen Fleische, nicht animalisch unbewußt, +sondern bewußt »mit Göttersinn und Menschenhand« bedeutete. Was wäre ein +Arzt, der seine Kranken bekleidet sieht, und was ein Erzieher, dem jener +Leib samt dem Geiste, dem er höhere Bildung zu geben beabsichtigt, nicht +nackt vor der Seele stünde? Aus dem Grunde der Stadien sproßten, nackt, +die athletischen Stämme einer göttlichen Saat des Geistes hervor. Und +hier, auf dem Boden des delphischen Stadions, gebrauche ich nun zum +ersten Male in diesen Aufzeichnungen das Wort Kultur: nämlich als eine +fleischliche Bildung zu kraftvoll gefestigter, heiterer, heldenhaft +freier Menschlichkeit. + + +Zwei Vögel, unsern Zeisigen ähnlich, stürzen sich plötzlich aus irgend +einem Schlupfloch der Felsen quirlend herab und löschen den Durst aus +dem Spiegel der Lache vor mir im Stadion. Ihr piepsendes Spiel weckt +Widerhall, und das winzige Leben, der sorglose, dünne Lärm der kleinen +Geschöpfe, die niemand stört, offenbaren erst gleichsam das Schicksal +dieser Stätte in seiner ganzen Verwunschenheit. + +Während ich auf die grüne Erde hinstarre und der Füße jener zahllosen +Läufer und Kämpfer gedenke, aller jener göttergleichen, jugendlich +kraftvoll schönen Hellenen, die sie erdröhnen machten, vernehme ich +wiederum aus den Felsen den gewaltigen Widerhall von Geräuschen, die mir +verborgen sind. Aus irgend einem Grunde erhebe ich mich, rufe laut und +erhalte ein sechsfaches mächtiges Echo: sechsfach schallt der Name des +delphischen Gottes, des Python-Besiegers, aus dem Inneren der Berge +zurück. + +Ich bin allein. Die dämonische Antwort der alten parnassischen Wände hat +bewirkt, daß mich die Kraft der Vergangenheit mit ihren triumphierenden +Gegenwarts-Schauern durchdringt und erfaßt und daß ich etwas wie ein Bad +von Glanz und Feuer empfinde. Beinahe zitternd horche ich in die neu +hereingesunkene, fast noch tiefere Stille hier oben hinein. + + +Der Morgen ist frisch. Wir schrieben den ersten Mai ins Fremdenbuch. Vor +der Türe des Gasthauses warten schäbige Esel und Maultiere, die uns nach +Hossios Lucas bringen sollen. Ins Freie tretend, beginne ich mit letzten +Blicken Abschied zu nehmen. Ich begrüße die Kiona, den weißen Gipfel des +Korax-Gebirges, dort, wo die Dorfstraße, wie es scheint, in den Luftraum +verläuft. Ich begrüße drei kleine Mädchen, die, trödelnd, ebenso viele +Schäfchen vor sich her treiben, begrüße sie mit einer ihnen +unverständlichen Herzlichkeit. Eines der hübschen Kinder küßt mir zum +Dank für ein kleines, unerbetenes Geschenk die Hand. + +Wir lassen die Mäuler voranklingeln. Wieder schreiten wir an den Felsen +vorüber, mit den Höhlungen leerer Gräber darin, und wieder erschließt +sich dem Auge die steinigte Böschung des delphischen Tempelbezirks. Wer +alles dieses tiefer begreifen wollte, müßte mehr als ein flüchtiger +Wanderer sein. Immerhin sind mir auch hier die Steine nicht stumm +gewesen. + +Wir haben den Grund von Delphi, der Stadt, die unterhalb unseres Weges +lag, über allerlei Mauern und Treppchen kletternd, durchstreift, und +während wir jetzt unsere Reise fortsetzen, zieht uns das Leuchten der +Tempeltrümmer, zwischen tausendjährigen Ölbäumen, zieht uns der weiße +Marmor umgestürzter Säulen an. An den kastalischen Wassern nehmen wir +wiederum einen kleinen Aufenthalt. Ich habe mich auf einen großen +Felsblock niedergelassen, in der wundervoll hallenden und rauschenden +Kluft, den Felsenbassins jenes alten Brunnen- und Baderaums gegenüber, +wo die delphischen Pilger von einst sich reinigten. + +Ein Tempelchen, mit Nischen der Nymphen, war grottenartig in die +Felswand gestellt. + +Heut sind die Bachläufe arg verunreinigt, die Wasserbecken mit Schlamm +gefüllt. Oben durch die feuchte und kalte Klamm fliegen lange +Turmschwalben und jagen einander mit raubvogelartigem, zwitscherndem +Pfiff. + + +Wir wiegen uns nun bereits eine gute Weile auf unseren Maultieren. Der +Weinstock, das Gewächs des Dionysos, begleitet uns in wohlgepflegten, +wohlgeordneten Feldern die parnassischen Höhen hinan. Immer wieder +begegnen uns wollige Herden mit ihren Hirten. Ich bemerke plötzlich den +mir von gestern bekannten stattlichen Weißbart auf dem Bauche im Grase +liegend am Straßenrand und empfinde mit ihm, was sein leise ironisches, +überlegen lachendes Antlitz zum Ausdruck bringt. Hinter dem Patriarchen +steigen seine Herden zwischen Rainen, Steinen und saftigen Gräsern umher +und füllen die Luft mit der Glockenmusik seines reichen Besitzes. Die +Sonne strahlt, der Tag wird heiß. + +Schon im Altertum wurden solche Wege wie diese auf Mäulern zurückgelegt. +So wird auch das Um und An einer Bergreise, an Rufen, Geräuschen und +Empfindungen, nicht anders gewesen sein, als es heute ist. Maultiere +haben die Eigentümlichkeit, am liebsten nicht in der Mitte des Weges, +sondern immer womöglich an steilen Rändern zu schreiten: was dem +ungewohnten Reiter zuweilen natürlich Schwindel erregt. Allmählich +gewinne ich im Vertrauen auf das sich mehr und mehr entfaltende +Klettertalent meines Reittieres eine gewisse, schwindelfreie +Sorglosigkeit. Immer wilder und einsamer wird die Berggegend, bis hinter +Arachova die Einöde, das heißt die parnassische Höhenzone beginnt. Von +der gesamten südlichen Flora ist nichts übrig geblieben. Der letzte +Weinstock, der letzte Feigenbaum, die letzte Olive liegt hinter uns. Nun +aber tut sich ein weiter und grüner Gebirgssattel vor uns auf, von jener +gesunden, alpinen Schönheit, die ebenso heimatlich, als über alles +erquickend ist. + +Der weite Paß, mit flach geschweifter, beinahe ebener Grundfläche, ist +Weideland: das heißt, ein saftiger Wiesenplan, auf dem der Huf des +schreitenden Maultiers lautlos wird und der Pfad sich verliert. Das +helle, ruhige Grün dieser schönen Alm ist eine tiefe Wohltat für Auge +und Herz, und der starke, düster-trotzige Föhrenstand, der die steile +Flanke einer nahen Bergwand hinaufklettert, fordert heraus, ihm +nachzutun. Ich weiß nicht, was in dieser Landschaft so fremdartig sein +sollte, daß man es nicht in den deutschen Alpengebirgen, um diese oder +jene Sennhütte her, ebenso antreffen könnte, und doch würde der gesunde +Jodler des einsamen Sennen hier einen Zauber vernichten, der +unaussprechlich ist. + +Das hurtige Glöckchen des Maultieres klingelt am Rand einer teichartig +weit verbreiteten Wasserlache dahin, die, in den hellen Smaragd der +Bergwiese eingefügt, den blauen Abgrund des griechischen Himmels, die +ernste Wand der wetterharten Apolloföhren, und das hastende, kleine +Vögelchen in einem ruhigen Spiegel wiedergibt. + + +Über die Art, wie für den, der sich einmal in das Innere des Mythos +hineinbegeben hat, jeder neue sinnliche Eindruck wiederum ganz unlöslich +mit diesem Mythos verbunden wird und ihn zu einer fast überzeugenden +Wahrheit und Gegenwart steigert, möchte manches zu sagen sein. Es +beträfe nicht nur den Prozeß eines gläubigen Wiedererweckens, sondern +jenen, durch den die menschliche Schöpfung der Welt überhaupt entstanden +ist, es beträfe das Wesen jener zeugenden Kraft, die im dichtenden +Genius eines Volkes lebendig ist und darin sich die Seele des Volkes +verklärt. + +Plötzlich taucht in der panisch beinahe beängstigenden, nordischen +Vision von Bergeinsamkeit die wilde Gestalt eines bärtigen Hirten auf, +der uns in schneller Gangart, fünf schwarze Böcke vor sich hertreibend, +von jenseit, über die grüne Matte entgegenkommt. Die schönen Tiere, die +von gleicher Größe und, wie gesagt, schwarz wie Teufel sind, machen +den überraschendsten Eindruck. Noch niemals sah ich ein so +unwahrscheinliches Fünfgespann. Wer wollte da, wenn eine auserlesene +Koppel solcher Böcke, wie zum Opfer geführt, ihm entgegenkommt, und zwar +über einen parnassischen Weidegrund, die Nähe des Gottes ableugnen, der +einst durch Zeus in die Gestalt eines Bockes verwandelt ward, um ihn vor +Heres Rache zu schützen, und dem diese Höhen geheiligt sind. + +Wie diese Tiere einhertrotten, unwillig, durch den rauhen Treiber mehr +gestört als in Angst versetzt, mit dem böse funkelnden Blick +beobachtend, jeder mit seinem zottligen Bart, jeder unter der Last und +gewundenen Krönung eines gewaltigen Hörnerpaares, scheinen sie selber +inkarnierte Dämonen zu sein, und in wessen Seele nur etwas von dem alten +Urväter-Hirten-Drama noch rumort, der fühlt in diesem klassischen Tier +einen wahrhaft dämonischen Ausdruck zeugender Kräfte, dem es leider auch +seinen Blocksberg-Verruf in der verderbten Weltanschauung der +christlichen Zeit zu verdanken hat. + + +Wir besteigen nach kurzer Rast unsere Maultiere, die wiederum mager, +schäbig und scheinbar kraftlos, wie zu Anfang der Reise dastehen. Das +unscheinbare Äußere dieser Tiere täuscht uns nicht mehr über den Grad +ihrer Zähigkeit. + +Zur Linken haben wir nun eine rötlich graue, senkrechte Wand +parnassischer Felsmassen, deren Rand einen Gießbach aus großer Höhe +herabschüttet. Es ist ein lautloser Wasserfall, der, ehe er noch den +Talgrund erreicht, in Schleiern verweht. + +Die Maultiere müssen neben dem Lauf eines ausgetrockneten +Felsenflußbettes abwärts klettern und erweisen, mehr und mehr +erstaunlich für uns, ihre wundervolle Geschicklichkeit. Man würde +vielleicht von diesen Felstälern sagen können, daß sie Einöden sind, +wenn ihre zitternde, leuchtende und balsamische Luft nicht überall von +den wasserartig glucksenden Lauten zahlloser Herdengeläute erfüllt wäre. + +Der Paris-artige Knabe, der vorhin, während wir Rast hielten, mit +zwitschernden Lauten unsere Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein Hirt. +Hoch auf der Spitze eines vereinzelten Felskegels, der an der +Kreuzungsstelle einiger Hochtäler sich erhebt, steht, gegen den Himmel +scharf abgegrenzt, wiederum ein romantisch drapierter Ziegenhirt, mit +dem landesüblichen Hirtenstabe. Sofern uns ein Mensch begegnet, ist es +ein Hirt, sofern unser Auge in der felsigten Wildnis Menschengestalt zu +unterscheiden vermag, unterscheidet es auch ringsum sogleich ein +Gewimmel von Schafen oder Thymian rupfenden Ziegen. + +In einem Engpaß, durch den wir müssen, hat sich ein Strom von dicker, +wandelnder Wolle gestaut, der sich, wohl oder übel, vor den Hufen des +langsam schreitenden Maultiers teilen muß. Der Reiter streift mit den +Sohlen über die braunen Vliese hin, nachdem die Leitböcke ihre +gewaltigen, tiefgetönten Glocken antiker Form, feurig glotzend, ungnädig +prustend, vorüber getragen haben. + +Diese steinigten Hochtäler, zwischen Parnaß und Helikon, erklingen -- +nicht von Kirchengeläut! -- aber sie sind beständig und überall +durchzittert vom Klange der Herdenglocken. Sie sind von einer Musik +erfüllt, die das überall glucksende, rinnende, plätschernde Element +einer echten parnassischen Quelle ist. Ob nicht vielleicht die Glocke +unter dem Halse des weidenden Tieres, die Mutter der Glocke im Turme der +Kirche ist, die ja, ins Geistige übertragen, den Parallelismus zum +Hirtenleben nirgend verleugnen will? Dann wäre es von besonderem Reiz, +den appollinischen Klang zu empfinden, den alten parnassischen +Weideklang, der in dem Gedröhne städtischer Sonntagsglocken enthalten +sein müßte. + +Im Klangelement dieser parnassischen Quelle, dieses Jungbrunnens, bade +ich. Es beschleicht mich eine Bezauberung. Ich fühle Appollon unter den +Hirten und zwar in schlichter Menschengestalt, als Schäferknecht, wie +wir sagen würden, so, wie er die Herden des Laomedon und Admetos hütete. +Ich sehe ihn, wie er in dieser Gestalt jede gewöhnliche Arbeit des +Hirten verrichten muß, dabei gelegentlich Mäuse vertilgt und den +Eidechsen nachstellt. Ich sehe ihn weiter, wie er, ähnlich mir, in der +lieblich monotonen Musik dieser Täler gleichsam aufgelöst und versunken +ist und wie es ihm endlich, besser als mir, gelingt, die Chariten auf +seine Hand zu nehmen. Chariten, musische Instrumente tragend, auf der +Hand, war er zu Delphi dargestellt. + +Vorsichtig schreitet mein Reittier über eine große Schildkröte, die von +den Treibern nicht beachtet wird; ich lasse sie aufheben und die +lachenden Aggogiaten reichen mir das, zwischen gewaltigen +Schildpattschalen, lebhaft protestierende Tier. Ich sehe an den Mienen +der Leute, daß die Schildkröte unter ihnen sich der Popularität eines +allbeliebten Komikers zu erfreuen hat, eines lustigen Rats, über den man +lacht, sobald er erscheint und bevor er den Mund öffnet. In das +Vergnügen der Leute mischt sich dabei eine leise Verlegenheit, wie sie +den ernsten Landmann unverkennbar überschleicht, der auf den Holzbänken +einer Jahrmarktsbude sein Entzücken über die albernen Späße des +Hanswurst nicht zu verbergen vermag. Auch fühlt man heraus, wie das +schöne Tier nicht minder geringschätzt, ja verachtet ist, als beliebt: +eine Verachtung, eine Geringschätzung, die in seinem friedlichen Wesen +und seiner Hilflosigkeit gegenüber den Menschen, trotz seines doppelten +Panzers, ihren Ursprung hat. + + »Als er sie sah, da lacht er alsbald und sagte die Worte: + Du glückbringendes Zeichen, ich schmähe dich nicht, sei willkommen. + Freudegeberin heil! Gesellin des Tanzes und Schmauses.« + +»Als er sie sah, da lacht er alsbald!« nämlich Hermes, der Gott, vor +Zeiten. Ganz so ergreift unsere kleine Reisegesellschaft beim Anblick +des klassischen Tieres unwiderstehliche Heiterkeit. + + +Wir ziehen weiter, nachdem wir das alte homerische Lachen, das Lachen +des Gottes, zu Ende gelacht haben. Aber wir töten nicht, wie Hermes, das +Tier, sondern nehmen es lebend unter unseren Gepäckstücken mit. Ich +denke darüber nach, wie wohl die Leier ausgesehen und wie wohl geklungen +hat, die Hermes aus dem Panzer der Schildkröte und aus Schafsdärmen +bildete und die in den Händen Apolls ihren Himmel und Erde +durchhallenden Ruhm gewann. + +Aber wir sind nun in sengenden Gluten des Mittagslichts zu einem +wirklichen, reichlich Wasser spendenden parnassischen Brunnen gelangt, +aus dem die Tiere und Treiber gierig trinken. Dicke Strahlen köstlichen +Wassers stürzen aus ihrer gemauerten Fassung hervor und rauschend und +brausend in das steinerne Becken hinein. Es ist wie ein Reichtum, der +sich hier ausschüttet, der nirgends so, als in einem heißen und +wasserarmen Lande empfunden wird. + +Wir ruhen aus in dem wohligen Lärm und dem kühlen Gestäube des +lebenspendenden Elementes. + + +Das Kloster Hossios Lukas bietet uns Quartier für die Nacht. Vom +behäbigen Prior empfangen, geleitet von dienstfertigen Mönchen, treten +wir, durch ein kleines Vorgärtchen, ohne Treppen zu steigen, ins Haus. +Gleich linker Hand ist ein Zimmer, das uns überwiesen wird. Auf den +gebrechlichen Holzaltan des Zimmerchens tretend, blicken wir in den +tiefen Klosterhof und zugleich über die Dächer der Mönchskasernen in das +vollkommen einsame, wilde Hochtal hinaus. + +Eng und nur wenig Hofraum lassend, sind die Klostergebäude in, wie es +scheint, geschlossenem Kreis um eine alte byzantinische Kirche gestellt, +die sie zugleich beschützen und liebevoll einschließen. Das Hauptportal +der Kirche liegt schräg in der Tiefe unter uns. Wir können mit den nahen +Wipfeln alter Zypressen Zwiesprache halten, die seit Jahrhunderten +Wächter vor diesem Eingang sind. + +Der Prior wünscht uns die Kirche zu zeigen, die innen ein trauriges Bild +der Verarmung ist. Reste von Mosaiken machen wenig Eindruck auf mich, +desto mehr ein Geldschrank, der, an sich befremdlich in diesem geweihten +Raum, zugleich ein wunderlicher Kontrast zu seinem kahlen, ausgepoverten +Zustand ist. + +Dem Prior geht ein jugendlich schöner Mönch mit weiblicher Haartracht an +die Hand. Er öffnet Truhen und Krypten mit rostigen Schlüsseln. Das Auge +des jungen Mönches verfolgt uns unablässig mit bohrendem Blick. Als wir +jetzt wiederum auf dem Balkon unseres Zimmers sind, taucht er auf einem +nahen Altane neugierig auf. + +Während über den Dächern und in der Wildnis draußen noch Helle des +sinkenden Tages verbreitet ist, liegt der Hof unter uns bereits in +nächtlicher Dämmerung. Ich horche minutenlang in die wundervolle Stille +hinunter, die durch das Geplätscher eines lebendigen Brunnens nur noch +tiefer und friedlicher wird. Mit einem Male ist es, als sei die Seele +dieser alten winkligen Gottesburg aus tausendjährigem Schlummer erwacht. +Arme werden hereingelassen und es wird von den Brüdern unterm +Klosterportale ziemlich geräuschvoll Brot verteilt. + +Nach einigem Rufen, Treppengehen und Türenschließen tritt wieder die +alte verwunschene Stille ein, mit den einsamen Lauten des +Röhrenbrunnens. Dann klappert die dicke Bernsteinkette des freundlichen +Priors unten im Hof. Man hört genau, wie er sein Spielwerk +gewohnheitsgemäß bearbeitet, das heißt die Bernsteinkugeln +ununterbrochen durch die Finger gleiten läßt und gegeneinander schiebt. + +Ich gehe zur Ruhe, im Ohre feierlich summenden Meßgesang, der schwach +aus dem Innern der Kirche dringt. + + +Der Aufbruch von Hossios Lukas geschieht unter vielen freundlichen +Worten und Blicken der Mönche, die um uns versammelt sind. Ich komme +eben von einer schönen Terrasse des Klosters zurück, die, inmitten der +steinigten Ödenei, von alten, vollbelaubten Platanen beschattet ist. +Terrassen für den Gemüsebau setzten sich in die Tiefe fort und hie und +da sind dem Felsenschutt des verlassenen Tales Wiesen und Ackerstreifen +abgerungen. Ich sah die kleinen »Mädchen für alles« der älteren Brüder +und Patres mit Besen und Wassereimern in lebhafter Tätigkeit, die Patres +selber, wie sie rotkarrierte Betten auf ihren morschen Balkonen +ausbreiteten. Die kleinen »Mädchen für alles« sind junge Lehrlinge, +deren schönes, langes Haar, wie das von Mädchen, im Nacken zu einem +Knoten aufgenommen ist. Es ist ein wolkenlos heiterer Morgen mit einer +frühlingshaften Wonne der Luft, die göttlich ist und die in jedem Auge +wiederleuchtet. Noch klingt mir der Gruß des Bruders Küper, sein +frisches [Griechisch: Kalimera] im Ohr, womit er mich grüßte, als ich +unten am Brunnen vorüberging, wo er trällernd ein Weinfaß reinigte. Es +war ein Gruß, der ebenfalls von dem frischen Glück dieses Morgens +widerklang. + + +Kaum hat unsere kleinere Karawane sich nur ein wenig, zwischen Gebüschen +von Steineichen hintrottend, aus dem Bereich des Klosteridylls entfernt +und schon umgibt uns wieder das alte ewige Hirtenidyll. Ich unterscheide +mit einem Blick vier einzelne Schafherden, deren Geläute herüberdringt, +und plötzlich erscheinen, Wölfen gleich, gewaltige Schäferhunde über uns +an der Wegböschung. Man scheucht sie mit großen Steinen zurück. + + +Wir biegen nach einem längeren Ritt in ein abwärts führendes, enges Tal, +das, wie es scheint, recht eigentlich das Dionysische ist. Wir müssen +zunächst durch eine gedrängte Herde schwarzer Ziegen förmlich +hindurchschwimmen, unter denen sich prächtige Böcke auszeichnen, jenen +ähnlich, die ich auf der Höhe des Passes sah. Und wie ich die Blicke +über die steinigten Talwände forschend ausschicke, sehe ich sie mit +schwarzen Ziegen, wie mit überall hängenden, kletternden, kleinen +schwarzen Dämonen bedeckt. + +Der Eingang des schwärzlich wimmelnden Tales wird von dem vollen Glanz +des Parnasses beherrscht, der aber endlich dem Auge entschwindet, je +weiter wir in das Tal hinabdringen: das Tal der Dämonen, das Tal des +Dionysos und des Pan, das immer mehr und mehr von gleichmäßig schwarzen +Ziegen wimmelt. Wohl eine Viertelstunde lang und länger ziehen wir +mitten durch die Herden dahin, die zu beiden Seiten unseres +gestrüppreichen Pfades schnauben, Steineichenblätter abrupfen und hie +und da leise meckern dazu. Überall raschelt, reißt, stampft und prustet +es zwischen den Felsen, in den Gebüschen: da und dort wird ein Glöckchen +geschlenkert. Mitunter kommen wir in ein ganzes Glockenkonzert hinein, +dessen Lärm das gesprochene Wort verschlingt. + +Ich habe, auf meinem Maultier hängend, Augenblicke, wo mir dies alles +nicht mehr wirklich ist. Ein alter Knecht und Geschichtenerzähler fällt +mir ein, der mir in ländlichen Winterabenden ähnliche Bilder als +Visionen geschildert hat. Er war ein Trinker, und als solcher ja auch +verknüpft mit Dionysos. In seinen Delirien sah er die Welt, je nachdem, +von schwarzen Ziegen oder Katzen erfüllt, wobei er von alpdruckartiger +Angst gepeinigt wurde. + +Der Schritt des Maultiers, die Glocke des Maultiers, allüberall das +Eindringen dieser fremden Welt, dazu die ungewöhnliche Lichtfülle, die +Existenz in freier Luft, Ermüdung des Körpers durch ungewöhnliche +Reisestrapazen, jagen auch mir einen Anflug von Angst ins Blut. Ich habe +vielleicht eine Vision und es ist mir manchmal, als müsse ich diese +zahllosen schwarzen Ziegen vor meinen Augen wegwischen, denen mein Blick +nicht entgehen kann. + +Ein weites Quertal nimmt uns auf und wie ein Spuk liegt nun die Vision +der schwarzglänzenden Ziegen hinter mir. Wir überholen einen reisenden +Kaufmann, dessen Maultier von einem kleinen Jungen getrieben wird. So +schön und vollständig, wie nie zuvor, steht der Parnaß, von dem wir +bereits Abschied genommen hatten, vor uns aufgerichtet: ein breiter +silberner Wall mit weißen Gipfeln. Ich gewinne den Eindruck, der +appollinisch strahlende Glanz strömt in das Tal, das der Berg +beherrscht. + + +Wir reisen nun schon seit einiger Zeit durch die Ebene hin. Neben +flacheren Felsgebieten und einem verzweigten Flußbett, das mit Gebüschen +bewachsen ist, breiten sich Flächen grüner Saat, über denen klangreich +die Lerche zittert. + +Es ist faszinierend, zu sehen, wie der Parnaß nun wiederum diese Ebene +überragt. Auf breitester Basis ruhend, baut sich der göttliche Berg aus +eitel Glanz in majestätischer Schönheit auf. Hier wird es deutlich, wie +die bezwingende Gegenwart solcher Höhen göttlichen Ruhm vor den +Menschen, die sie umwohnen, durchsetzen und behaupten muß. Ich empfinde +nicht anders, als stammte der trillernde Rausch des Lerchengeschmetters, +das leuchtende Grün der Saaten, der zitternde Glanz der Luft von diesem +geheiligten Berge ab und nähre sich nur von seinem Glanze. + +Oftmals wende ich mich auf meinem Maultier nach der verlassenen +Felsenwelt der Hirten und Herden zurück, während sich über mir Parnaß +und Helikon mit dem Glanz ihrer silbernen Helme über die weite Ebene +grüßen. Flössen doch alle Quellen dieser heiligsten Berge wieder +reichlich voll und frisch in die abgestorbenen Gebiete der europäischen +Seele hinein! Möchte das starre Leuchten dieser olympischen Vision +wiederum in sie hineinwachsen und den übelriechenden Dunst verzehren, +mit dem sie, wie ein schlecht gelüftetes Zimmer, beladen ist. + +Nun sitze ich, von der glühenden Sonne nicht ganz geschützt, unterm +Vordach einer Weinschenke. Parnassische Hirten und Hirtenhunde umgeben +mich, unter den wettergebräunten Männern sind blonde Köpfe, deren +antiker Schnitt unverkennbar ist. Der kühne Blick verrät dionysisches +Feuer im Blut. Der Bartwuchs, ohne gepflegt zu sein, ähnelt in Form, +Dichte und Kräuselung durchaus gewissen antiken Plastiken, die Helden +oder Halbgötter darstellen. + +Ich teile die Reste meiner Mahlzeit mit einem weißen, gewaltigen +Schäferhund. Und nachdem wir einen Blick auf den schmerzvoll grinsenden +Löwen von Cheronea geworfen, ist der parnassische Hirtentraum zu Ende +geträumt. Doch nein, an der kleinen Haltestelle der Eisenbahn, die wir +erreicht haben, und die von einem Sumpfe voll quakender Frösche umgeben +ist, finden wir ein gefesseltes schwarzes Lamm. Es hat, mit dem Rücken +nach unten, am Sattel eines Maultieres hängend, eine Reise von zehn +Stunden, durch die Hochtäler des Parnaß, von Delphi her, im Sonnenbrande +zurückgelegt. Es trägt den Ausdruck hoffnungsloser Fügung im Angesicht. +Sein Eigentümer ist jener Kaufmann, den wir überholten, und dessen +Maultier ein Knabe trieb. Er wird um sein Osterlamm beneidet und +Bahnbeamte treten hinzu, fühlen es ab nach Preis und Gewicht und +Fettgehalt. Schließlich legt man das arme, unsäglich leidende, schwarze +parnassische Lamm, mit zusammengebundenen Füßen dicht an die Geleise, +damit es leicht zu verladen ist. Ich sehe noch, wie es an seinen Fesseln +reißt und verzweifelt emporzuspringen versucht, als die Maschine +herandonnert und gewaltig an ihm vorüberdröhnt. + + +Wir haben Athen verlassen, um über Korinth, Mykene, Argos und andere +klassische Plätze schließlich nach Sparta zu gelangen. Am Nachmittag ist +Korinth erreicht, nach längerer Bahnfahrt, die uns nun schon bekannte +Bilder wiederum vor die Augen geführt hat, darunter flüchtige und doch +warme Eindrücke von Eleusis, Megara, dem schönen Isthmus und der +Eginetischen Bucht. + +Ein Wagen führt uns unweit vom Rande des Golfes, dem Fuße von +Akrokorinth entgegen, einer drohenden Felsmasse, die von den Resten +roher Befestigungen verunziert ist. + +Über den Golf herüber weht eine frische, fast nordische Luft, aus der +Gegend des Helikon, dessen leuchtender Gipfel schemenhaft sichtbar +bleibt. Der Wagen rollt auf schlechten Feldwegen zwischen grünen Saaten +dahin. + +Der korinthische Knabe hatte für Körper und Geist einen weiten, +unsäglich mannigfaltigen Tummelplatz. Den furchtbarsten Burgfelsen über +sich, schwamm er im Lärm und Getriebe einer Hafenstadt, die im weiten +Kreise von grünen oder nackten Hügeln umgeben war. Überall erlangte sein +Blick die geheiligten Höhen der Götter- und Hirtenwelt, die wiederum bis +in das Herz der Stadt hineinreichte. Für Wanderungen oder Fahrten taten +sich Peloponnes und Isthmus auf und auf diesem herrlichen Erdenfleck +genoß er die gleichsam geborgene Schönheit eines südlichen Alpensees und +auch die grenzenlose Wonne des freieren Meeres. + + +Wir besteigen Pferde, und diese erkletterten nun mühsam den Felsen von +Akrokorinth, der mehr und mehr, je weiter wir an ihm hinaufkriechen, wie +eine verdammte Stätte erscheint: ein düsteres Tor durch einen Ring von +Befestigungsmauern, führt in ein ödes Felsenbereich. + +Wir sind -- die Pferde haben wir vor dem ersten Tore zurückgelassen! -- +einer zweiten Ringmauer gegenübergestellt, die abermals ein Tor +durchbricht. Eilig klimmen wir weiter aufwärts: eine weißliche Sonne hat +sich schon nahe bis an den Horizont herabgesenkt. Kalter Bergwind fegt +durch ein zweites ungeheures Trümmerbereich, und wir finden uns vor dem +engsten jener Mauerringe, die den Gipfel des Festungsberges +einschließen. Diesen Gipfel erkletterten wir nun durch ein drittes Tor. +Es ist eine Wüstenei, ein Steinchaos. Fremd und schon halb und halb in +Schatten gesunken, liegt die gewaltige Bergwelt des Peloponnes unter +uns. Wir eilen, aus dieser entsetzlichen Zwingburg durch die Trümmerhöfe +wieder hinabzukommen. Wirkliches Grauen, wirkliche Angst tritt uns an. + +Nach den geheiligten Hügeln und Bergen, deren Bereich ich in den letzten +Wochen betrat oder wenigstens mit dem Blick erreichte, ist dies der +erste, der unter einem unabwendbaren Fluch verödet scheint. + + +Seltsam wie das bange Gefühl, was der nahende Abend einflößt mit dem +kleinen Kreis sonderbar banger Phantasiegestalten in Einstimmung ist, +die für mich, seitdem ich ein bewußteres Leben führe, mit dem Namen +Korinth verbunden sind. Schon vor etwa achtundzwanzig Jahren, während +einer kurzen akademischen Studienzeit, drängten sich mir die +rätselvollen Gestalten des Periander, seiner Gattin Melissa und des +Lykophron, seines Sohnes, auf. Ich darf wohl sagen, daß die Tragödie +dieser drei Menschen in ihrer unsäglich bittersüßen Schwermut all die +Jahre meine Seele beschäftigt hat. + +Periander! Melissa! Lykophron! + +Periander, auf dem Burgfelsen hausend, Tyrann von Korinth, allmählich +ähnlich wie Saul, ähnlich wie der spartanische König Pausanias, in einen +finsteren Wahnsinn versinkend. Leidend an jenem unausbleiblichen +Schicksal großer Herrschernaturen, die nach erreichtem Ziel von jenen +Dämonen verfolgt werden, die ihnen dahin lockend voranschritten. Er +hatte die Einwohnerschaft Korinths von den furchtbaren Felsen herunter +terrorisiert und dezimiert. Er hatte Lyside, die Tochter des Tyrannen +Prokles, geheiratet, der zu Epidaurus saß. Die Gattin, zärtlich von ihm +Melissa genannt, ward später von ihm aus unbekannten Gründen heimlich +ermordet: zum wenigsten wurde ihr Tod Periandern zur Last gelegt. +Prokles, Lysidens Vater, ließ eines Tages vor den beiden inzwischen +herangewachsenen Enkeln, Kypselos und Lykophron, den Söhnen Melissens +und Perianders, Worte fallen, die besonders dem Lykophron eine Ahnung +von dem Verbrechen des Vaters aufgehen ließen, und diese Ahnung bewirkte +nach und nach zwischen Sohn und Vater den tiefsten Zerfall. + +Der große Britte hat die Tragödie eines Sohnes geschrieben, dessen +Mutter am Morde ihres Gatten, seines Vaters, beteiligt war. Er hat die +psychologischen Möglichkeiten, die in dem Vorwurf liegen, nicht bis zu +jeder Tiefe erschöpft. Wie denn ein solcher Gegenstand seinem Wesen nach +überhaupt unerschöpflich ist, derart zwar, daß er sich selber in immer +neuen Formen, aus immer neuen Tiefen manifestieren kann. Vielleicht ist +das Problem Periander Lykophron noch rätselvoller und furchtbarer, als +es das Rätsel Hamlets und seiner Mutter ist. Dabei hat dieser göttliche +Jüngling Lykophron mit dem Dänenprinzen Ähnlichkeit ... man könnte ihn +als den korinthischen, ja den griechischen Hamlet bezeichnen. + +Gleichwohl war in seiner Natur ein Zug von finstrer Entschlossenheit. + +Während Periander in der wesentlichen Vereinsamung der Herrschbegier -- +denn der Herrschende will allein herrschen und wenn er auch andere +Herrscher dulden muß, so erreicht er doch die Trennung von allen, das +Alleinsein, immer gewiß. Er gräbt sich meistens jeden gemütischen Zufluß +der Seele ab, wodurch sie denn, wie ein Baum bei Dürre, qualvoll langsam +zugrunde geht. + +Also während Periander, sagte ich, vereinsamt, als Herrscher von +Korinth, in seinem Palast auf dem öden Burgfelsen, mit den Dämonen und +mit dem Schatten Melissens rang, hatte sich Lykophron nicht nur von ihm +abgekehrt, sondern von Grund aus alles und jedes, außer das Leben! was +er ihm zu verdanken hatte -- alles und jedes, was ihm durch Geburt an +Glanz und Prunk mit dem Vater gemeinsam war, dermaßen gründlich von sich +getan, daß er, obdachlos und verwahrlost, in den Hallen und Gassen des +reichen Korinth umherlungernd, von irgendeinem anderen Bettler nicht +mehr zu unterscheiden war. + +Hier noch wurde er aber von dem allmächtigen Vater mit rücksichtsloser +Strenge verfolgt, dann wieder mit leidenschaftlicher Vaterliebe; doch +weder Härte noch Zärtlichkeit vermochten den qualvollen Trotz der +vergifteten Liebe abzuschwächen. + +Die Tat des Periander wurde mit dem Schicksale dieses Lykophron zum +Doppelmord: zum Morde der Gattin und des Sohnes. Und hierin liegt die +Eigenart der Tragik, die in der Brust Perianders wütete, daß er einen +geliebten und bewunderten Sohn, das köstlichste Gut seines späteren +Lebens, plötzlich und unerwartet durch den Fluch seiner häßlichen Tat +vernichtet fand. Damit war ihm vielleicht der einzige Zustrom seines +Gemütes abgeschnitten und das Herz des alternden Mannes ward von dem +Grauen der großen Leere, der großen Öde umschränkt. + +Ich bin überzeugt, daß tiefe Zwiste unter nahen Verwandten unter die +grauenvollsten Phänomene der menschlichen Psyche zu rechnen sind. In +solchen Kämpfen kann es geschehen, daß glühende Zuneigung und glühender +Haß parallel laufen -- daß Liebe und Haß in jedem der Kämpfenden +gleichzeitig und von gleicher Stärke sind: das bedingt die ausgesuchten +Qualen und die Endlosigkeit solcher Gegensätze. Liebe verewigt sie, Haß +allein würde sie schnell zum Austrag bringen. Was könnte im übrigen +furchtbarer sein, als es die Fremdheit derer, die sich kennen, ist? + +Periander sendete Boten an das Totenorakel am Acheron, um irgendeine +Frage, die ihn quälte, durch den Schatten Melissens beantwortet zu +sehen. Melissa dagegen beklagte sich, statt Antwort zu geben und +erklärte, sie friere, denn man habe bei der Bestattung ihre Kleider +nicht mit verbrannt. + +Als die Boten heimkehrten, hierher nach Korinth, konnte Periander nicht +daran zweifeln, daß wirklich der Schatten Melissens zu ihnen geredet +hatte, denn sie brachten in rätselhaften Worten die Andeutung eines +Geheimnisses, dessen einziger Hüter Periander zu sein glaubte. + +Durch dieses Geheimnis wurde ein perverses Verbrechen des Gatten +verdeckt, der seine Gattin nicht allein getötet, sondern noch im +Leichnam mißbraucht hatte: eine finstere Tat, die das schreckliche Wesen +des Tyrannen gleichsam mit einem höllischen Strahle der Liebe verklärt. + +Er ließ nun in einem Anfall schwerer Gewissensangst die Weiber Korinths, +wie zum Fest in den Tempel der Hera berufen. Dort rissen seine +Landsknechte ihnen gewaltsam Zierat und Festkleider ab und diese wurden +zu Ehren Melissens, und um ihren Schatten zu versöhnen, in später +Totenfeier verbrannt. + +Periander, Melissa, Lykophron. Es hat immer wieder, während beinahe +dreier Jahrzehnte, Tage gegeben, wo ich diese Namen lebendig in mir, ja +oft auf der Zunge trug. Sie waren es auch, die, Sehnsucht erweckend, vor +mir her schwebten, als ich das erstemal den Anker gehoben hatte, um +hierher zu ziehen. Auch während der kleinen Schiffsreise jüngst, durch +den Golf von Korinth, hat mein Mund zuweilen diese drei Namen lautlos +geformt, nicht minder oft auf der Fahrt nach Akrokorinth. Und hier, im +fröstelnden Schauder heftiger Windstöße, auf dem gespenstischen Gipfel +des Burgfelsens, habe ich im kraftlosen Licht einer bleichen Sonne, die +unterging, die fröstelnden Schatten Perianders, Melissens und Lykophrons +dicht um mich gespürt. + + +Unten, im Dämmer der Rückfahrt, während die Feldgeister über der in +Gerstenhalmen wogenden Gräberstätte des alten Korinth sich zu regen +beginnen, zuckt im Rädergeroll der nächtlichen Fahrt ein und das andere +Bild der lärmenden alten Stadt vor der Seele auf. Mitunter ist alles +plötzlich von einer so tosenden Gegenwart, daß ich Geschwätz und +Geschrei des Marktes um mich zu hören glaubte, und alles dieses mit dem +Anblick weiter abgelegener Felder verquickt, die sich rings um den +übermächtig hineingelagerten, finsteren Gewalttäterfelsen wie +Leichentücher weit umherbreiten. + +Und ohne daß dieser tote Dämmer, dieses ewig teilnahmlose Gegenwartsbild +verändert wird, sehe ich die Lohe der Totenfeier Melissens nächtlich +hervorbrechen und fühle das Fieber, das die leidenschaftliche Kraft des +großen Periander auf die Bewohner der geknechteten Stadt überträgt. Der +Heratempel ist vom Geschrei der Weiber erfüllt, denen die Bravi die +Kleider vom Leibe reißen, die Gassen vom Geschrei jener anderen, die +nackt und beraubt entkommen sind. Nicht weit vom Tempel, den Blick in +den rötlichen Schein der Feuersbrunst mit einem starren Lächeln +gerichtet, steht Lykophron: durch Schmerz und die Wollust der +Selbstkasteiung fast irrsinnig, das Antlitz durch Hunger und innere Wut +verzerrt, aber in diesem Augenblick nicht nur vom Wiederscheine des +Feuers, sondern von einem bösen Triumphe verklärt. Rings lärmen und +brüllen die Leute um ihn: es ist durch Verordnung Perianders aufs +strengste verboten, ihn anzureden. + +Als aber am folgenden Tage Periander selbst dies zu tun unternimmt, +erhält er von seinem Sohne nur diese Antwort: man wird dich in Strafe +nehmen, weil du mit Lykophron gesprochen hast. + + +Gegen zwölf Uhr mittags, nachdem wir am Morgen Korinth verlassen haben, +befinde ich mich in einer Herberge, von der aus man die argivische Ebene +übersieht. Sie ist begrenzt von gewaltigen peloponnesischen Bergzügen +und augenblicklich durchbraust von einem heißen Wind, der in der +blendenden Helle des Mittags die Saatfelder wogen macht. + +Der Raum, in dem die Kuriere das Frühstück auftragen, hat den +gestampften Boden einer Lehmtenne. Er ist zugleich Kaufladen und +Weinausschank. Es riecht nach Kattun. Blaue Kattune sind in den +Wandregalen aufgestapelt. Dank den Kurieren, die in Athen eine +Korporation bilden, herrscht in den Herbergen, die sie bevorzugen, eine +gewisse Sauberkeit. + +Ich bin vor die Tür des kleinen Wirtshauses getreten. Die von den Bergen +Arkadiens eingeschlossene Ebene ist noch immer durchbraust von Sturm und +steht noch immer in weißer Glut. In weißlich blendendem Dunst liegt der +Himmel über uns. Die Burg von Argos, Larissa, ist in der Talferne +sichtbar, der Boden des Tals ist in weite Gewände abgegrenzt, die teils +von wogender Gerste bedeckt, teils unbestellt und die trockene rote +Scholle zeigend, daliegen. + +Diese Landschaft erscheint auf den ersten Blick ein wenig kahl, ein +wenig nüchtern in ihrer Weiträumigkeit. Ich bin nicht geneigt, sie als +Heimat jener blutigen Schatten anzusprechen, die unter den Namen +Agamemnon, Klytämnestra, Tyest und Orestes ruhelos durch die +Jahrtausende wandern. Ihre Heimat war im Haupte des Äschylos und des +Sophokles. + +Die Gestalten der großen Tragödiendichter der Alten sind von einem +Element des Grauens getragen und in ihm zu körperlosen Schatten +aufgelöst. Es ist in ihnen etwas von den Qualen abgeschiedener Seelen +enthalten, die durch die unwiderstehliche Macht einer Totenbeschwörung, +zu einer verhaßten Existenz im Lichte gezwungen sind. Auf diese Weise +wecken sie die Empfindung in uns, als stünden sie unter einem Fluch, der +ihnen aber, so lange sie noch als Menschen unter Menschen ihr Leben +lebten, nicht anhaftete. Der schlichte Eindruck einer realen +landschaftlichen Natur bei Tageslicht widerlegt jeden Fluch und zwingt +der bis zum Zerreißen überspannten Seele den Segen natürlicher Maße auf. + +Den Tragikern bleibt in dieser Beziehung Homer vollkommen gesondert +gegenübergestellt. Seine Dichtungen sind keine Totenbeschwörungen. Über +seinen Gedichten ist nirgend das Haupt der Medusa aufgehängt. Gleicht +das Gedicht des Tragikers einem Klagegesang -- seines gleicht überall +einem Lobgesang, und wenn das Kunstwerk des Tragikers von dem Element +der Klage, wie von seinem Lebensblute durchdrungen ist, so ist das +Gedicht Homers eine einzige Vibration der Lobpreisung. Die dichtende +Klage und heimliche Anklage und das dichtende Lob, wer kann mir sagen, +welches von beiden göttlicher ist? + +Die Tragödie ist immer eine Art Höllenzwang. Die Schatten werden mit +Hilfe von Blut gelockt, gewaltsam eingefangen und brutal, als ob sie +nicht Schatten wären, durch Schauspieler ins reale Leben gestellt: da +müssen sie nun nichts anderes als ihre Verbrechen, ihre Niederlagen, +ihre Schande und ihre Bestrafungen öffentlich darstellen. Hierin +verfährt man mit ihnen erbarmungslos. + +Seit Beginn meiner Reise liegt mir eine wundervolle Stelle der Odyssee +im Sinn. Der Sonnengott, dem man seine geliebte Rinderherde getötet hat, +klagt die Frevler, die es getan haben, die Genossen des Odysseus, im +Kreise der Götter an und droht, er werde, sofern man ihn nicht an den +Tätern räche, fortan nicht mehr den Lebenden, sondern den Toten +leuchten: + + »Büßen die Frevler mir nicht vollgütige Buße des Raubes; + Steig' ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!« + +Wer wollte diese erhabenste und zugleich herrlichste Drohung in ihren +überwältigenden Aspekten nicht empfinden. Es ist nicht mehr und nicht +weniger als der ganze Inhalt eines künftigen Welt-Epos, dessen Dante +geboren werden wird. Aber wenn nicht mit der ganzen apollinischen +Lichtgewalt, so doch mit einem Strahle davon erscheinen die Gestalten +Homers beglückt und sind damit aus dem Abgrund der Toten zu neuem Leben +geweckt worden und es ist nicht einzusehen, warum der Gott nicht auch +dem dramatischen Dichter einen von seinen Strahlen leihen sollte. Ist +doch das Dramatische und das Epische niemals rein getrennt, ebensowenig +wie die Tendenzen der Zeit und des Ortes. Und wer wüßte nicht, wie das +Epos Homers zugleich auch das gewaltigste Drama und Mutter zahlloser +späterer Dramen ist. + +Wenn wir einen Durchbruch des apollinischen Glanzes in die Bereiche des +Hades als möglich erachteten, so möchte ich die Tragödie, cum grano +salis, mit einem Durchbruch der unterirdischen Mächte, oder mit einem +Vorstoß dieser Mächte ins Licht vergleichen. Ich meine damit die +Tragödie seit Äschylos, von dem es heißt, daß er es gewesen ist, der den +Erinnyen Schlangen ins Haar geflochten hat. + +Nehmen wir an, die Tragödie habe dem gleichen Instinkt gedient, wie das +Menschenopfer. Dann trat allerdings an Stelle der blutigen Handlung der +unblutige Schein. Trotzdem in Wahrheit aber Menschenblut nicht vergossen +wurde, hatte die bange und schreckliche Wirkung an Macht gewonnen und +sich vertieft: derart, daß erst jetzt eine chthonische Wolke gewaltsam +lastend und verdüsternd in den olympischen Äther stieg, deren +grauenerregende Formen mit den homerischen Lichtgewölken olympischen +Ursprungs rangen, und schließlich den ganzen Olymp der Griechen +verdüsterten. + + +Wir brechen auf, um die Trümmer von Mykene und die unterirdischen Bauten +zu sehen, die man Schatzhäuser nennt. Ich bin durchaus homerisch +gestimmt, wie denn mein ganzes Wesen dem Homerischen huldigt, auch wenn +ich nicht des wundervollen Schatzes gedenken müßte, der im Museum zu +Athen geborgen liegt und der aus den Gräbern von Mykene gehoben ist. Wo +ist das Blutlicht, mit dem Äschylos und Sophokles durch die Jahrhunderte +rückwärts diese Stätte beleuchteten? Es ist von der Sonne Homers +getilgt. Und ich sehe in diesem Augenblick die Greueltaten der +Klytämnestra, des Agist und des Orest höchstens mit den Augen des +Menelaos in Sparta an, als er dem jugendlichen Telemach, der gekommen +ist, nach Odysseus, seinem Vater, zu forschen, davon erzählt. + + »Aber indessen erschlug mir meinen Bruder ein Anderer + Heimlich mit Meuchelmord durch die List des heillosen Weibes ... + Dennoch, wie sehr ich auch trauere, bewein' ich alle nicht so sehr + Als den einen ...« + +womit er Odysseus -- nicht einmal Agamemnon! -- meint, den lange +Vermißten. + +Wer, der die kerngesunde Königsidylle jenes Besuches liest, den Telemach +in Sparta abstattet, könnte dagegen des Glaubens sein, daß der erprobte +Held, Mann und Bruder sich sophokleischen Blutträumen überlassen hätte? +Zumal, wenn er sagt: + + »Laßt uns also des Grams und unserer Tränen vergessen« + +oder wenn Helena bei ihm ruhte, noch immer »Die Schönste unter den +Weibern.« + + +Das Löwentor, der mykenaische Schutthügel und die Hügel ringsum sind von +Sonne durchglüht und von Sturm umbraust. Überall füllt Duft von Thymian +und Myrrhen die Luft. Ganz Griechenland duftet jetzt von Thymian und +Majoran. In den Kalksteintrümmern der alten Stadt schreien Eulen +einander zu, wach und lebhaft, trotz hellblendender Sonne. Weiß wie +Schlacke liegt Trümmerstück an Trümmerstück. + +Die Burg hat eine raubnestartige Anlage: in Hügeln versteckt und von +höheren felsigen Bergen gedeckt, übersah sie das ganze rossenährende +Argos. Zur Seite hatte sie eine wilde Kluft, die jeden Zugang +verhinderte. + +Es ist von eigentümlichem Reiz, sich nach den mykenaischen Gräberfunden +in dieser Umgebung ein Leben in Üppigkeit und Luxus vorzustellen: Männer +und Frauen, die sich schnürten, und besonders Frauen, deren Toiletten an +Glanz und Raffinement der Toilette einer spanischen Tänzerin, die in +einem pariser Theater tanzt, gleichgekommen sind. Aber schließlich ist +es wieder Homer, der überall den Sinn für Komfort und Luxus entwickelt +und nie vergißt, Bäder, duftende Betten, reinliches Linnen, hohe und +hallende Säle, Schmuck und Schönheit der Weiber, ja sogar den +Wohlgeschmack des Getränks und der Speisen gebührend zu würdigen. + + +Die unterirdischen Kuppelbauten, die Pausanias Schatzhäuser nennt, sind +ihrer eigentlichen Bestimmung nach noch heute ein Rätsel. Sie waren +bekannt, wie es scheint, durch das ganze griechische Altertum und +wahrscheinlich, so weit sie frei lagen, wie noch heute, erfüllt von +Bienengesumm. Das »Schatzhaus des Atreus«, ist vollkommen freigelegt. +Die weiche, sausende Chormusik der kleinen honigmachenden Priesterinnen +der Demeter, die den unterirdischen Bau erfüllt, verbreitet mystische +Feierlichkeit. Sie scheinen im Halblicht der hohen Kuppel +umherzutaumeln. Sie fliegen, an den unbestrittenen Besitz dieser Räume +gewöhnt, gegen die Köpfe der Eintretenden. Ihr sonorer Flug bewegt sich +mit Gehen und Kommen in eine niedrige Nebenkammer, die sehr wohl eine +Grabkammer sein könnte. Aber die Menge der Schatzhäuser würde durch eine +Bestimmung als unterirdische Tempelgräber, für Totenopfer und Totenkult, +nicht erklärt. Ich stelle mir aber gern inmitten dieses sogenannten +Artreusschatzhauses einen Altar vor und das Feuer darauf, das den Raum +erleuchtet und lärmend belebt und dessen Rauch durch die kleine runde +Öffnung der Kuppel abzieht und oben scheinbar aus der Erde selber +hervordringt. + + +Drei Schimmel ziehen unsern Wagen im Galopp durch die Vorstädte von +Tripolitza in die arkadische Landschaft hinaus. Der wolkenlose Himmel +ist über weite Ackerflächen gespannt, auf denen Reihen bunter, +griechischer Landleute arbeiten. Der Tag wird heiß. Die Luft ist erfüllt +von Froschgequak. + +Nun, nach einer längeren Fahrt durch kleine Ortschaften, verlassen wir +die Ebene von Thegea. Die schöne Landstraße steigt bergan, und statt der +Felder haben wir rötlich-graue Massen kahlen Gesteins zur Rechten und +Linken, die spärlich mit Thymiansträuchern bewachsen sind. Es beginnt +damit ein Arkadien, das mehr einer Wüstenei, als dem Paradiese ähnlich +sieht. Nach einiger Zeit ist in der Höhe ein Dorf zu sehen, mit einigen +langen, dünn belaubten Pappeln, die das Auge hungrig begrüßt. Nur wenig +lösen sich die Häuser der Ortschaft von ihrem steinigten Hintergrund, +der mit schmalen Gartenstreifen rötlicher Erde durchsetzt ist. + +Die Spitzen des Parnon werden zur Linken sichtbar, auf denen der Schnee +zu schwinden beginnt. Ein kühler Wind setzt ein und erquickt inmitten +dieser arkadischen Wüste. + +Ich hatte hier einen womöglich noch größeren Reichtum an Herden zu sehen +gehofft, als zwischen Parnaß und Helikon: aber auf weitgedehnten, +endlosen Trümmerhalden und auf der Landstraße begegnet nur selten Herde +und Hirt. Die Gegend ist arm und ausgestorben, die ehemals das +waldreiche Paradies der Jäger und Hirten gewesen ist. + +Die Straße wendet sich auf einer freien Paßhöhe rechts und tritt in das +Gebiet von Lakonika. Der Taygetos liegt nun breit und mächtig mit weißen +Gipfeln vor uns da. + +Aus einer ärmlichen Schenke ertönt Gesang. Und zwar ist es eine Musik, +die an das Kommersbuchtreiben deutscher Studentenkneipen erinnert. Die +Stimmen gehören Gymnasiallehrern aus Sparta an, die, noch im +Osterferien-Rausch, fröhlich dorthin zurückreisen. + +Es erscheinen jetzt Äcker, Gartenflächen, Wiesen und Bäume oasenartig. +Die Erde zwischen Felsen und Bäumen ist rot, und hier und da stehen +rötliche Wasserlachen. + +Der Parnon verschwindet und taucht wieder auf. Die Gegend gewinnt, +nachdem wir die Paßhöhe überschritten haben, an Großartigkeit. Einige +der vielen steinigten Hochtäler, die man übersieht, zeigen Baumwuchs +inselartig in ihrer Tiefe. Es ist mir, so lange mein Auge durch diese +uferlosen, kochenden Wüsteneien schweift, als ob ich das traurig-nackte, +ausgetrocknete Griechenland mit einem Mantel grüner Nadelwälder bedecken +müßte, und meine Träumereien führen Armeen tätiger Menschen hierher, +die, vom sorglich gepflegten Saatkamp aus, in geduldiger Arbeit Arkadien +aufforsten. Mit tiefem Respekt gedenke ich der zähen Kraft und +Tüchtigkeit jener Männer und Frauen meiner engeren Heimat, auch derer +mit krummgezogenem Rücken, die den Forst ernähren, mehr wie sie der +Forst ernährt, und mit Staunen vergegenwärtige ich die Schöpferkraft, +die in der harten Faust der Arbeit liegt. + + +Wir halten Rast. Die Herberge ist an eine Krümmung der Bergstraße +gestellt. Unter uns liegt ein weites Tal, das der Taygetos mit einer +Kette von Schneegipfeln mächtig beherrscht. Der Himmel glüht in einer +fast weißen Glut. Hügelige Abhänge in der Nähe, von Olivenhainen +bestanden, erscheinen ausgebrannt. + +Unsere Herberge hat etwas Japanisches. Das Schilfdach über der +schwankenden Veranda, auf der wir stehen, ist durch dünne Stangen +gestützt. Unten klingeln die müden Pferde mit ihren Halsglöckchen. Die +trinkfrohen Lehrer aus Sparta haben uns eingeholt und sitzen lärmend +unten im Gastzimmer. Wir werden in ein oberes Zimmer geführt, dessen +Dielen dünn wie Oblaten sind. Durch fingerbreite Fugen zwischen den +Brettern können wir zu den Lehrern hinabblicken. Der Kurier trägt ein +Frühstück auf. Indessen schwelgen die Augen und ruhen zugleich im jungen +Blättergrün eines Pappelbaums, der, vom heißen Winde bewegt, jenseits +der Straße schwankt und rauscht. + +Nachdem wir gegessen haben, ruhen wir auf der Veranda aus. Bei jedem +Schritt, den wir etwa tun, schaukelt die ganze Herberge. Zwei Schwalben +sitzen nahe bei mir unter dem Schilfdach auf der Geländerstange. Überall +um uns ist lebhaftes Fliegengesumm. + + +Wir haben vor etwa einer Stunde das Kahni verlassen, wo uns die Lehrer +aus Sparta eingeholt hatten. Ihr Einspännerwägelchen stand, als wir +abfuhren, vor der Tür und wartete auf die indessen lustig zechenden +Gäste. Sonderbar, wie in diesem heißen, stillen und menschenleeren Lande +die brave Turnerfidelitas anmutete, die immer wieder in einem gewaltigen +Rundgesang gipfelte! + +Die Straße beginnt sich stärker zu senken. Wir fahren weite Schlingen +und Bogen an tiefen Abstürzen hin, die aber jetzt den Blick in eine +immer reicher ausgestaltete Tiefe ziehen. Wir nähern uns der Gegend von +Sparta, dem schönen Tal des Eurotas an. + +Es ist eine wundervolle Fahrt, durch immer reicher mit Wein, +Feigenbäumen und Orangenhainen bestandene Abhänge. Ziegen klettern zur +Linken über uns und zur Rechten unter uns. Lieblich gelegene +Ansiedelungen mit weißem Gemäuer mehren sich, bis wir endlich das flache +Aderngeflecht des Eurotas und zugleich die weite Talsohle überblicken +können. + +Fast wie Vögel senken wir uns aus gewaltiger Höhe auf das moderne Sparta +herab, das, mit weißen Häusern, aus Olivenhainen, Orangengärten und +Laubbäumen, weiß heraufleuchtet. Es ist mir dabei, als beginne das +strenge und gleichsam erzene Wort Sparta, sich in eine entzückende, +ungeahnte südliche Vision aufzulösen. Eine augenblendende Vision von +Glanz und Duft. + +Ich kann nicht glauben, daß irgendein Land an landschaftlichen Reizen +und in der Harmonie solcher Reize mit dem griechischen wetteifern +könnte. Es zeigt den überraschendsten Wechsel an Formen und überall eine +bestrickende Wohnlichkeit. Man begreift sogleich, daß auch dieses Tal +von Sparta eine festgeschlossene Heimat ist, mit der die Bewohner, +ähnlich wie mit einem Zimmer, einem Hause verwachsen mußten. + +Ich möchte behaupten, daß der Reichtum der griechischen Seele zum Teil +eine Folge des eigenartigen Reichtums der griechischen Muttererde ist. +Wobei ich von dem landschaftlichen Sinn der Alten den allerhöchsten +Begriff habe. Natürlich nicht einem landschaftlichen Sinn in der Weise +moderner Malerei, sondern als einer Art Empfindsamkeit, die eine Seele +immer wieder zum unbewußten Reflex der Landschaft macht. + +Zweifellos war die Phantasie im Geiste des Menschen die erste und lange +Zeit alleinige Herrscherin, aber das im Wechsel der Tages- und +Jahreszeiten feste Relief des Heimatsbodens blieb in einem gewissen +Sinne ihr Tummelplatz. Was an bewegten Gestalten von ihr mit diesem +Boden verbunden wurde, das hatte dieser Boden auch miterzeugt. + +Das unbewußte Wirken des Geistes, im Kinde so wie im Greise, ist immer +wesentlich künstlerisch, und Bildnertrieb ist eine allgemein verbreitete +Eigenschaft, auch wo er sich nie dem äußeren Auge sichtbar kundgibt. +Auch der Naivste unter den Menschen wohnt in einer Welt, an deren +Entstehung er den hauptsächlichsten Anteil hat und die zu ergründen +ebenso reizvoll sein würde, als es die Bereisung irgendeines +unentdeckten Gebietes von Tibet ist. Unter diesen Naivsten aber ist +wiederum keiner, der nicht das Beste, was er geschaffen hat, mit Hilfe +des kleinen Stückchens Heimat geschaffen hätte, dahinein er geboren ist. + + +Ich befinde mich im Garten eines kleinen Privathauses zu Sparta. Vor +etwa einer Stunde sind wir hier angelangt. Ich habe mich beeilt, aus dem +dürftigen Zimmerchen, das man uns angewiesen hat, wieder ins Freie zu +gelangen. Es war eine sogenannte gute Stube, und es fehlte darin nicht +einmal das Makartbukett. + +Irgendwie, ich weiß zunächst nicht wodurch, bin ich in diesem +Grasegarten an längst vergangene Tage erinnert. Eindrücke meines frühen +Jünglingsalters steigen auf. Ich vergesse minutenlang, daß die +verwilderte Rasenfläche unter meinen Füßen der Boden von Sparta ist. +Dann kommt es mir vor, als wandle ich in jenem kleinen Obstgarten, der +an das Gutshaus meines Onkels stieß, und etwas vom Tanze der nackten +Mädchen Spartas und erster Liebe ginge mir durch den Kopf. + +Es ist aber wirklich ein Garten in Sparta und nicht das Gehöft meiner +guten Verwandten, wo ich jetzt bin. In der nahen Gartenzisterne quakt +ein spartanischer Frosch, ich schreite an einer spartanischen +Weißdornhecke hin und spartanische Sperlinge lärmen. + +Auf der Konsole des Nußbaumspiegels, dessen sich das Quartier meiner +Gastfreunde rühmen kann, fand ich unter anderen Photographien auch ein +Bild, -- das Bild eines hübschen, ländlichen Mädchens! -- das mir +sogleich ins Auge fiel. Sie mag wohl längst gestorben sein oder ist etwa +vor dreißig Jahren jung gewesen, um jene Zeit, als auch das Mädchen, an +das ich mich jetzt erinnern muß, siebzehnjährig durch Garten, Hof und +Haus meiner schlesischen Anverwandten schritt. + +Die Bergwand des Taygetos ist zum Greifen nahe. Die Sonne versinkt +soeben hinter die hohe Kammlinie und beinahe das ganze Tal des Eurotas +ist in Schatten gelegt. Die Landschaft ringsum ist zu dieser Stunde +zugleich heroisch und anheimelnd. + +Plötzlich finde ich mich mit lebhaftem Griechisch angeredet. Ein Mann +hat mich zwischen Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern entdeckt, ist +herzugetreten und setzt voraus, daß ich Griechisch verstehe. Kurze Zeit +bin ich hilflos gegen seine neuspartanische Zudringlichkeit, dann aber +wird im Giebel unseres Häuschens -- das übrigens, windschief, wie es +ist, von außen betrachtet unbewohnbar scheint -- ein Fenster geöffnet, +und das schöne Mädchen, die schöne Spartanerin, noch ganz so jung, wie +das Bild sie zeigte, lehnt sich heraus. + +Der Mann von der Straße wird nun durch eine tiefe, sonore Frauenstimme +zurecht-, das heißt aus dem Garten gewiesen, und ich habe, mit +gebundener Zunge, Antlitz und Blick der hübschen Spartanerin über mir. + + »Gott grüß euch schönes Jungfräulein + Wo bind ich mein Rößlein hin? -- + Nimm du dein Rößlein beim Zügel, beim Zaum, + Binds an den Feigenbaum.« + + +Der irrationale Wunsch und Zwang, eine Stätte wie die des alten Sparta +zu sehen, erklärt sich zwar nicht durch den Namen Lykurg, aber doch ist +es vor allem der Genius dieses Namens, der Genius, dessen Wirken eine so +unvergleichliche Folge hatte, den man in dieser Landschaft sucht. Man +konnte nicht hoffen oder erwarten wollen, hier irgendein Jugendidyll, +auch nur in Erinnerung, sich erneuern zu sehen: dennoch nimmt mich, +statt jeder historischen Träumerei, eine solche Erinnerung jetzt in +Besitz. + +Nicht zweimal schwimmst du durch die gleiche Welle, sagt Heraklit, und +es ist nicht dieselbe, die um mich und durch mich flutet, als jene +Frühlingswoge, durch die ich vor Jahren geschwommen bin: aber es ist +doch auch wieder etwas von ewiger Wiederkehr in ihr. + +Ich sage mir, daß Lykurg wiederum nichts weiter, als ein großer Hirte, +ein großer Schäfer gewesen ist, der den Nachwuchs seines Volkes in +»Herde« teilte. Daß seine Gedanken in der Hauptsache sehr entschlossene +Züchtergedanken gewesen sind, wie sie aus den Erfahrungen eines +Hirtenlebens sich ergeben und zwar mit Notwendigkeit. Lykurg, der +trotzdem mit Delphi Verbindung hatte, war überwiegend ein Mann der +kalten Vernunft, gesteh ich mir, und wußte, wie keiner außer ihm, das +zeitliche Leben vom ewigen und ihre Zwecke rein zu sondern. Allein durch +alle diese Erwägungen vermag ich meine Seele nicht von dem spartanischen +Ebenbilde meiner ländlichen Jugendliebe abzuwenden. + +Jungens, nicht anders wie Jungens sind, gucken über den Zaun, der hier +allerdings von dem krebsscherenartig, stachlig-grünen Gerank der Agave +gebildet ist. Sie sind neugierig, werfen Steine in blühende Obstbäume, +suchen etwas für ihre Tatkraft, stören mich. Der gleiche Fall veranlaßte +mich vor Jahren, an einem denkwürdigen Tage, aus begreiflichen Gründen +zu vergeblicher Heftigkeit, dagegen gelang es dem deutschen Urbilde der +Spartanerin, das damals neben mir durch den Grasegarten schritt, die +Knaben mit wenigen gütigen Worten zu bewegen, von ihren Störungen +abzulassen. + + +Nun ist das schöne Mädchen im Garten erschienen. Ich grüße sie und werde +dann magisch in die gleiche Richtung gezogen, die sie eingeschlagen hat, +und durch dasselbe Pförtchen im Heckenzaun, durch das sie verschwunden +ist. + +Ich stehe auf einer kleinen begrasten Halbinsel hinter dem Garten, um +die der starke Bergbach eilig sein klares und rauschendes Wasser trägt. +Es kommt, eisfrisch, vom Taygetus. Kaum fünf Schritt von mir entfernt +haben Zigeuner ihr Zelt aufgeschlagen. Der Vater steht in guterhaltener +kretensischer Tracht, mit ruhiger Würde, pfeiferauchend, am Bachesrand. +Die Mutter, von zwei Kindern umspielt, hockt an der Erde und schnitzelt +Gemüse für die Abendsuppe zurecht, die allbereits über einem +bescheidenen Feuerchen brodelt. Zwischen den braunen, halbnackten +Kindern springt ein zähnefletschendes Äffchen umher: Dies alles, +besonders das kleine Äffchen, wird mit kindlicher Freude bewundert von +meiner Dorfschönen. + +Ich sehe nun, sie ist kräftig gebaut und jünger, als ich nach dem Bilde, +nach der Erscheinung am Fenster und nach den Lauten ihrer Stimme +geurteilt hatte, wahrscheinlich nicht über fünfzehn Jahre alt. Sie +erinnert mich an den derben Schlag der Deutsch-Schweizerin. Die +Zigeunermutter hat, sobald sie meiner ansichtig wurde, ihrem singenden, +springenden Lausetöchterchen das Tamburin zugeworfen, womit es sich +augenblicklich klirrend vor mir im Tanze zu drehen beginnt. In der +Freude darüber trifft sich mein Blick mit dem der jungen Spartanerin. + +Inzwischen ist alles um uns her mehr und mehr in abendliche Schatten +gesunken. Die Glocke einer nahen Kirche wird angeschlagen. Gebrüll von +Rindern dringt von den dämmrigen Weideflächen am Fuß des Taygetus. Das +ganze Gebirge ist nur noch eine einzige, ungeheure, blauschwarze +Schattenwand, die, scheinbar ganz nahe, den Bach zu meinen Füßen zu +speisen scheint, dessen Wasser blauschwarz und rauschend, wie flüssiger +Schatten heranwandelt. + +Grillen zirpen. Ein märchenhaftes Leuchten ist in der Luft. Kalte und +warme Strömungen machen die Blätter der Pappeln und Weiden flüstern, +die, zu ernsten, ja feierlichen Gruppen gesellt, die Ränder des breiten +Baches begleiten. + + +Es ist ein Uhr nachts, aber in der Mondeshelle draußen herrscht trotzdem +dämonischer Lärm. Hühner und Hähne piepsen und krähen laut, Hunde +kläffen und heulen ununterbrochen. Mitunter klingt es wie Stimmen von +Kindern, die mit lautem Geschrei lustig und doch auch gespenstisch ihr +nächtliches Spiel treiben. In der Gartenzisterne quakt oder trillert +immer der gleiche Frosch. + +Die alten Spartaner befolgten jahrhundertelang eine Züchtungsmoral. Es +hat den Anschein, als wenn die Moral des Lykurg in einem größeren Umfang +noch einmal aufleben wollte. Dann würde sein kühnes und vereinzeltes +Experiment, mit allen seinen bisherigen Folgen vielleicht nur der +bescheidene Anfang einer gewaltigen Umgestaltung des ganzen +Menschengeschlechtes sein. + +Wenn etwas vorüber ist, so ist es am Ende für unsere Vorstellungskraft +gleichgültig, ob es gestern geschah, oder vor mehr als zweitausend +Jahren, besonders, wenn es menschlich voll begreifliche Dinge sind. Ob +also die spartanischen Mädchen gestern nackt auf der Wiese getanzt +haben, damit die Jünglinge ihre Zuchtwahl treffen konnten, oder vor +dreitausend Jahren, ist einerlei. Ich nehme an, es sei gestern gewesen. +Ich nehme an, daß man noch gestern hier die Willenskraft, den +persönlichen Mut, die Disziplin, Gewandtheit, Körperstärke und jedwede +Form der Abhärtung vor allem gepflegt und gewürdigt hat. Und daß +meinethalben die Epheben noch heute Nacht im Heiligtum des Phöbus, +draußen auf den dämmrigen Wiesen, wo ich sie nicht sehe, wie unsre +Zigeuner dem Monde, einen Hund opfern. + +Ihr Gesetzgeber war Lykurg, ihr Ideal Herakles. Die Standbilder beider +Heroen standen auf beiden Brücken, die über den Wassergraben zum +Spielplatz bei den Platanen führten. Leider ging es auf eine sinnlose +Weise roh, mit Treten, Beißen und Augenausbohren, bei diesen +Ephebenkämpfen zu. + + +Immer noch herrscht im Mondschein draußen derselbe dämonische +Höllenlärm. Durch Ort, Stunde, Mondschein und Reiseermüdung aufgeregt, +bevölkert sich meine Phantasie mit einer Menge wechselnder +Vorstellungen, gleichsam einem altspartanischen Gespenster- und +Kirchhofspuk. Bald sehe ich zappelnde Säuglinge im Taygetus ausgesetzt, +bald löffle ich selbst bei der gemeinsamen öffentlichen Männermahlzeit +die greuliche, schwarze Suppe ein, bald bin ich gleichzeitig dort, wo +ein Ephebe zu Ehren der Artemis nackt im Tempel gegeißelt wird und sehe +auf dem entfernten Stadion Odysseus mit den ersten Freiern der +jungfräulichen Penelope wettlaufen. + +Zaudern ist, wie es scheint, schon damals eine Schwäche des edlen Weibes +gewesen: ich führe auch die Mißwirtschaft der Freier, im Hause des +Gatten, auf sie zurück. Ikarios, der Vater Penelopes, wollte sie aus dem +Elternhause in Sparta nicht mit Odysseus ziehen lassen und folgte dem +Paare, als es nun doch nicht zurückzuhalten war, im Wagen nach. Dem +Odysseus aber, der das Herz seines Weibes noch auf der Reise schwankend +sah, ist, nach einem Bericht des Pausanias, die Geduld gerissen, und er +hat kurzer Hand seinem Weibe an einer gewissen Stelle des Weges zur Wahl +gestellt: entweder nun entschlossen mit ihm nach Ithaka, oder mit ihrem +Vater und einem Abschied für immer wieder nach Sparta heimzureisen. + + +Der Spuk der Nacht ist dem Lichte des Tages gewichen. Unten im Garten +grasen Ziegen und eine Kuh. Das Zigeunermädchen sucht nach irgend etwas +die Hecken ab. Man hört drei- oder viermal die Pauke der Zigeuner +anschlagen. Es ist kein Tropfen Tau gefallen in der Nacht. Ich schreite +trockenen Fußes durchs hohe Gras. + +Der Zigeuner und seine Frau hocken auf Decken vor ihrem Zelt. Er hat den +roten Schal des Kretensers bereits um die Hüften und schmaucht +behaglich, indes die zerlumpte Gattin Knöpfe an seiner geöffneten Weste, +mit Zwirn und Nadel, sorgsam festmacht. Der Bergfluß rauscht um die +Lagerstatt. + + +Herr Allan I. B. Wace, Pembroke College, Cambridge, hat die +Freundlichkeit, uns im kleinen Museum von Sparta mit Erklärungen an die +Hand zu gehen. Er geleitet uns durch ausgedehnte Olivenhaine, trotz +brennender Sonnenglut, zur Ausgrabungsstätte am Eurotas. Zu hunderten, +ja zu tausenden werden hier in den Fundamenten eines Athenatempels +Figürchen nach Art unserer Bleisoldaten aufgefunden. Diese Figürchen, +von denen viele zutage lagen, so daß die spartanischen Kinder mit ihnen +spielten, verrieten das unterirdische Heiligtum. + + +Gegen Mittag besteigen wir Maultiere, nicht ohne Mühe, weil diese +spartanischen Mulis besonders tückisch sind. Die schöne Tochter unseres +Gastfreundes, die uns noch gestern abend, mit tremolierender Stimme +etwas zur Laute sang, lehnt im Fenster der kleinen Baracke, nicht sehr +weit über uns, und beobachtet die Vorbereitungen für unsere Abreise mit +kalter Bequemlichkeit. Das hübsche, naive Kind von gestern, dessen +Gegenwart mir die Erinnerung eines zarten Jugendidylls erneuern konnte, +ist nur noch eine träge, unempfindliche Südländerin. + +Ich erinnere mich -- und schon ist dieses Gestern wieder Erinnerung! -- +Wie mir die Kleine nochmals im Garten begegnete, mir ins Gesicht sah und +mich anlachte, mit einer offenen Lustigkeit, die keine Schranke mehr +übrig läßt. Nun aber blickt sie über mich fort, als ob sie mich nie +gesehen hätte, mit vollendeter Gleichgültigkeit. + + +Wir frühstücken gegen ein Uhr mittags im Hofe eines byzantinischen +Klosters -- einer Halbruine unter Ruinen! -- an den steilen Abhängen der +Ruinenstätte Mistra. + +Der quadratische Hof ist an drei Seiten von Säulengängen umgeben. Sie +tragen eine zweite, offene Galerie. Die vierte Seite des Hofes ist nur +durch eine niedrige Mauer vom Abgrund getrennt und eröffnet einen +unvergleichlichen Blick in die Ferne und Tiefe des Eurotastales hinab. + +Den kurzen Ritt von Sparta herauf haben wir unter brennender Sonne +zurückgelegt. Hier ist es kühl. Eine Zypresse, uralt, ragt jenseits der +niedrigen Mauer auf. Sie hat ihre Wurzeln hart am Rande der Tiefe +eingeschlagen. Ich suche den Lauf des Eurotas und erkenne ihn an seiner +Begleitung hoher und frischgrüner Pappeln. Ich verfolge ihn bis zu dem +Ort, wo das heutige Sparta liegt: mit seinen weißen Häusern in +Olivenwäldern, unter Laubbäumen halb versteckt. + +Dieses mächtige, überaus glanzvolle südliche Tal, mit den fruchtreichen +Ebenen seiner Grundfläche, widerspricht dem strengen Begriff des +Spartanertums. Es ist vielmehr von einer großgearteten Lieblichkeit und +scheint zu sorglosem Lebensgenusse einzuladen. + +Herr Adamantios Adamantiu, Ephor der Denkmäler des Mittelalters in +Mistra, stellt sich uns vor und hat die Freundlichkeit, seine Begleitung +durch die Ruinen anzutragen. Seine Mutter und er bewohnen einige kleine +Räume eben des selben ausgestorbenen Klosters, in dem wir jetzt sind. + +Oben, auf einer der Galerien, hat sich ein lustiger Kreis gebildet. Es +sind die gleichen, lebenslustigen Pädagogen, denen wir bereits auf dem +Wege nach Sparta mehrmals begegnet sind. Sie befinden sich noch immer im +Enthusiasmus des Weins und singen unermüdlich griechische, italienische, +ja sogar deutsche Trinklieder. + +Ich kann nicht sagen, daß dieser Studentenlärm nach deutschem Muster, +mir an dieser Stätte besonders willkommen ist, und doch muß ich lachen, +als einer der fröhlichen Zecher, ein älterer Herr, im weinselig-rauhen +Sologesang ausführlich darlegt, daß er weder Herzog, Kaiser noch Papst, +sondern, lieber als alles, Sultan sein möchte. + +Der lebenslustige Sänger, spartanischer Gymnasialprofessor, spricht mich +unten im Hofe an. Er macht mir die Freude, zu erklären, ich sei ihm seit +lange kein Unbekannter, was mir begreiflicherweise hier, an dem +entlegenen Abhange des Taygetus, seltsam zu hören ist. + + +Die Herren Lehrer haben Abschied genommen und sich entfernt. Herr +Adamantios Adamantiu hat mittels eines altertümlichen Schlüssels ein +unscheinbares Pförtchen geöffnet und wir sind, durch einen Schritt, aus +dem hellen Säulengang in Dunkelheit und zugleich in ein liebliches +Märchen versetzt. + +Der blumige Dämmer des kleinen geheiligten Raumes, in den wir getreten +sind, ist erfüllt von dem Summen vieler Bienen. Es scheint, die kleinen +heidnischen Priesterinnen verwalten seit lange in dieser verlassenen +Kirche Christi allein den Gottesdienst. Allmählich treten Gold und bunte +Farben der Mosaiken mehr und mehr aus der Dunkelheit. Die kleine Kanzel, +halbrund und graziös, erscheint, mit einer bemalten Hand verziert, die +eine zierliche, bunte Taube, das Symbol des heiligen Geistes, hält. + +Dieses enge, byzantinische Gotteshaus ist zugleich im zartesten Sinne +bezaubernd und ehrwürdig. Man findet sich nach dem derben +Schmollistreiben der Herren Lehrer ganz unvermutet plötzlich in ein +unterirdisches Wunder der Schehrazade versetzt, gleichsam in eine +liebliche Gruft, eine blumige Kammer des Paradieses, abgeschieden von +dem rauhen Treiben irdischer Wirklichkeit. + +Herr Adamantios Adamantiu, der Ephor, liebt die ihm anvertrauten Ruinen +mit Hingebung, und was mich betrifft, so empfinde ich schmerzlich in +diesem Augenblick, daß ich mich schon im nächsten von dem reinen +Vergnügen dieses Anblicks trennen muß. Reichtum und Fülle köstlichen +Schmucks wird hier vollkommener Ausdruck des Traulichsten, Ausdruck der +Einfalt und einer blumigen Religiosität. Das byzantinische Täubchen am +Rande der Kanzel verkörpert ebensowohl einen häuslichen, als den +heiligen Geist. + +Es scheint, daß Herr Adamantios Adamantiu keinen heißeren Wunsch im +Herzen trägt, als dauernd diese Ruinen zu hüten: und ich bin überrascht, +im Laufe der Unterhaltung wahrzunehmen, wie sehr verwandt der Geist des +lauteren Mannes mit jenem ist, der dieses Kirchlein schuf und erfüllt. + +Mit leuchtenden Augen erklärt er mir, daß ich, glücklicher als der große +Goethe, diese Stätten mit leiblichen Augen sehen kann, wo Faust und +Helena sich gefunden haben. + +In dieses Heiligtum gehört keine Orgel noch Bachsche Fuge hinein, +sondern durchaus nur das Summen der Bienen, die von den zahllosen Blüten +der bunten Mosaiken Nektar für ihre Waben zu ernten scheinen. + + +Sparta und Helena scheinen einander auszuschließen. Was sollte ein +Gemeinwesen mit der Schönheit als Selbstzweck beginnen, wo man den Wert +eines Suppenkoches höher als den eines Harfenspielers einschätzte? Was +hätte Helena mit der spartanischen Strenge, Härte, Roheit, Nüchternheit +und Tugendboldigkeit etwa gemein? + +Ein junger Spartaner rief, als man beim Gastmahl eine Lyra +herbeibrachte: Solche Tändeleien treiben sei nicht lakonisch. Wer möchte +nun, da Helena und die Leier Homers nicht zu trennen sind, behaupten +wollen, daß Sparta Helenen eine wirkliche Heimat sein konnte? + +Herr Adamantios Adamantiu geleitet uns stundenlang auf mühsamen +Fußpfaden durch die fränkisch-byzantinisch-türkische Trümmerstadt, die +erst im Jahre 1834 durch Ibrahim Pascha zerstört worden ist. Das alte +Mistra war an die schwindelerregenden Felswände des Taygetus wie eine +Ansiedlung von Paradiesvogelnestern festgeklebt. Einzelne Kirchen werden +durch wenige Arbeiter unter Aufsicht des Herrn Ephoren sorgsam, Stein um +Stein, wieder hergestellt: Baudenkmäler von größter Zartheit und +Lieblichkeit, deren Zerstörung durch die Türken einen unendlich +beklagenswerten Verlust bedeutet. + +Überall von den Innenwänden der Tempel spricht uns das Zierliche, +Köstliche, Höfische an, in dem sich der Farbenreichtum des Orients mit +dem zarten Kultus der Freude des deutschen Minnesanges durchdrungen zu +haben scheint. Die Reste herrlicher Mosaiken, soweit sie der Brand und +die Spieße der Türken übriggelassen haben, scheinen, auch wenn sie +heilige Gegenstände behandeln, nur immer die Themen: Ritterdienst, +Frauendienst, Gottesdienst durcheinanderzuflechten. + +Mittels eines nassen Schwammes bringt der Herr Ephor, auf einer Leiter +stehend, eigenhändig die erblindeten Mosaiken zu einem flüchtigen +Leuchten im alten Glanz. + +»Ein innerer Burghof, umgeben von reichen, phantastischen Gebäuden des +Mittelalters« ist der Schauplatz, in dem Helena sich gefangen fühlt, +bevor ihr Faust, im zweiten Teil des gleichgenannten Gedichts, in +ritterlicher Hoftracht des Mittelalters entgegentritt. Und mehr als +einmal umgibt mich hier das Urbild jener geheiligten Szenerie, darin +sich die Vermählung des unruhig suchenden deutschen Genius mit dem +weiblichen Idealbild griechischer Schönheit vollzog. + + +Herr Adamantios Adamantiu, der etwa dreißig Jahre alt und von zarter +Gesundheit ist, stellt uns auf einer der Galerien des Klosterhofes +seiner würdigen Mutter vor. Diese beiden lieben Menschen und Gastfreunde +wollen uns, wie es scheint, nicht mehr fortlassen. Die Mutter bietet +meiner Reisegefährtin für die Nacht ihr eigenes Lager an, ihr Sohn +dagegen das seine mir. + +Von seinem Zimmerchen aus überblickt man die ganze Weite und Tiefe des +Eurotastales, bis zu den weißen Gipfeln des Parnon, die hineinleuchten: +das Zimmer selber aber ist klein, und enthält nichts weiter als ein +kleines Regal für Bücher, Tisch, Stuhl und Feldbettstelle, dazu im +Winkel ein ewiges Lämpchen unter einem griechisch-katholischen +Gnadenbild. Natürlich, daß in einem verlassenen Kloster die Fenster +undicht, die Wände schlecht verputzt -- und daß in den rohen +Bretterdielen klaffende Fugen sind. + +Ganz Sohnesliebe, ganz Vaterlandsliebe und ganz von seinem besonderen +Beruf erfüllt: der Pflege jener vaterländischen Altertümer! bringt Herr +Adamantios Adamantiu in weltentsagender Tätigkeit seine jungen Jahre zu +und beklagt es, daß manche seiner Mitbürger so leicht die mütterliche +Scholle aufgeben mögen, die ihrer Kinder so sehr bedarf. + +Der hingebungsvolle Geist dieses jungen Griechen erweckt in meiner Seele +wärmste Bewunderung und ich rechne die Begegnung mit ihm zu den +schönsten Ereignissen meiner bisherigen Reise durch Griechenland. Wie er +unverdrossen und mit reinster Geduld Werkstück um Werkstück aus dem +Schutt der Verwüstung zu sammeln sucht, um in mühsamen Jahren hier und +da etwas Weniges liebevoll wieder herzustellen, von der ganzen, beinahe +in einem Augenblicke vernichteten, unersetzlichen Herrlichkeit, das legt +von einem Idealismus ohnegleichen Zeugnis ab. + + +Wir nehmen Abschied von unsern Wirten, um noch vor Einbruch der Nacht +den Ritt bis Tripi zu tun: Tripi am Eingang jener mächtigen Schlucht, +die sich in die Tiefe des Taygetus fortsetzt, den wir übersteigen +wollen. + +Unsere Maultiere fangen wie Ziegen oder Gemsen zu klettern an: bald geht +es fast lotrecht in die Höhe, bald ebenso lotrecht wieder hinab, so daß +ich mitunter die Überzeugung habe, unsere Tiere hätten den eigensinnigen +Vorsatz gefaßt, um jeden Preis auf dem Kopfe zu stehen. Wenn man, mit +den Blicken vorauseilend, als Unerfahrener die drohenden Schwierigkeiten +des Weges im Geiste zu überwinden sucht, so glaubt man mitunter verzagen +zu sollen, denn es eröffnet sich scheinbar nur selten für ein +Weiterkommen die Möglichkeit. + +Aber das Maultier nimmt mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit jedes +Hindernis: über Böschungen rutschen wir an steinige Bäche hinunter und +jenseits des Wassers klettern wir wieder empor. In einem Bachbett +steigen wir lange Zeit von einem kantigen Block zum andern bergan und +zwar bereits von der Dunkelheit überrascht, bis wir das Wasser am +Ausgang der Langada in dem steilen Tale von Tripi rauschen hören. Über +eine Geröllhalde geht es alsdann in gefährlicher Eile hinab, bis wir, +die Lichter von Tripi vor Augen, auf einer breiten, gesicherten Straße +geborgen sind. + + +Gegen vier Uhr des Morgens wecken mich die Nachtigallen von Tripi. Ich +glaube, daß alle Singvögel der ganzen Welt den Aufgang der Sonne mit +einem kurzen Konzert begrüßen. Zweifellos ist dies Gottesdienst. + +Unser Haus ist in schwindelerregender Höhe über der Talwand erbaut. Wir +haben in einem Raume übernachtet, der drei Wände von Glas ohne Vorhänge +hat. Büsche reichen bis zu den Fenstern. Mächtige Wipfel alter Laubbäume +sind unter uns und bekleiden die steilen Wände der Schlucht. + +Während das einsame Licht zunimmt, schlagen die Nachtigallen lauter aus +dem Abgrund herauf. Nach einiger Zeit beginnen alle Hähne des Dorfes +einen lauten Sturm, der die Nachtigallen sofort verstummen macht. + +Auf einem Felsen, scheinbar unzugänglich, inmitten der Schlucht, +erscheint die Kirche von Tripi im Morgenlicht. Die Pfade von Tripi, die +ganze Anlage dieses Ortes sind ebenso malerisch wie halsbrecherisch. + + +Die Maultiere klettern schwindelerregende Pfade. Sie halten sich +meistens am Rande der Abgründe. Die Langada beginnt großartig, aber kahl +und baumlos. Die Gesteinmassen des Bachbettes, auf dem Grunde der +gewaltigen Schlucht, liegen bleich, verwaschen und trocken da. Das Tal +ist tot. Kein Vogellaut, kein Wasserrauschen! + +Indem wir ein wenig höher gelangen, zeigt sich geringe Vegetation. +Einige Vögel beginnen zu piepsen. Nach einiger Zeit fällt uns der Ruf +eines Kuckucks ins Ohr. + +Weiter oben erschließt sich ein Tal, auf dessen Sohle lebendiges Wasser +rauscht. Wir steigen in dieses Tal, das eigentlich eine Schlucht ist, +hinunter. Die Abhänge sind von Ziegenherden belebt. Eng in die Felswände +eingeschlossen, schallen die Herdenglocken laut. + +Bis hierher war es, trotz der Frühe, ziemlich heiß. Nun werden wir von +erquickenden Winden begrüßt. Erfrischt von der gleichen Strömung der +Luft, winken die grünen Wedel der Steineichen von den Felsspitzen. +Plötzlich haben wir nickende Büsche überall. Efeuranken klettern wohl +hundert Meter und höher die Steinwand hinauf. + +Immer wasserreicher erscheinen die Höhen, in die wir aufdringen. +Mehrmals werden reißende Bäche überquert. Eine erste, gewaltige Kiefer +grüßt vom Abhange. Anemonen, blendend rote, zeigen sich. Kleine Trupps +zarter Alpenveilchen. Aus Seitenschachten stürzen klare Wasser über den +Weg und ergießen sich in das Sammelbett des größeren Baches. + +Wir halten die erste Rast, etwa 2300 Meter hoch im Taygetus, unter einem +blühenden Kirschbaum vor der Herberge, genannt zur kleinen +Himmelsmutter. Der Bergstrom rauscht. Kirschblüten fallen auf uns +herunter. Wir haben herrliche Abhänge gegenüber, die mit starken +Aleppokiefern bewaldet sind. + +Es ist köstlich hier, entzückend der Blick durch die tiefgesenkten +Blütenzweige in die ebenso wilde als wonnige Bergwelt hinein. + +Man fühlt hier oben das unbestrittene Reich der göttlichen Jägerin +Artemis, die in Lakonien vielfach verehrt wurde. Hier ist für ein +freies, seliges Jägerleben noch heut der eigentlich arkadische +Tummelplatz. Hier oben fanden auch Opfer statt. Und zwar jene selben +Sonnenopfer, die bei den alten Germanen üblich gewesen sind und bei +denen die Spartiaten, nicht anders wie unsere Vorfahren, Pferde +schlachteten. + + +Wir haben den Hochpaß überstiegen und nach einem ermüdenden Ritt, meist +steil bergab, das Dörfchen Lada erreicht. Ein Bergstrom hat die steinige +Straße der Ortschaft mit seinen stürzenden Wellen überschwemmt und +niemand denkt daran, ihn in sein Bett zurückzuleiten. Mit Ausnahme eines +kleinen Bezirks um die Ansiedelungen Ladas, ist das weite Tal eine +einzige Steinwüste. + +Träge, fast unwillig, öffnet auf das Klopfen unseres Führers eine derbe, +blonde, noch nicht zwanzigjährige Bäuerin die Tür zur Herberge. Ein +Ferkel wühlt zwischen Tisch und Bank, in einem finsteren, kellerartigen +Raum, dessen Hintergrund ein Lager mit gewaltigen Fässern ausfüllt. In +einer hölzernen Schlachtermulde auf dem Tische schläft ein neugeborenes +Kind. + + +Die Jachten der Königin von England und des Königs von Griechenland +liegen im Hafen zur Abfahrt bereit. Eben hat sich die »Galata« des +Norddeutschen Lloyd in Bewegung gesetzt, die uns nach Konstantinopel +führen soll. Die Häuser des Pyräus stehen im weißen Licht. + +Athen ist das Licht, das Auge, das Herz, das Haupt, die atmende Brust, +die Blüte von Griechenland: heute des neuen, wie einst des alten! Ich +empfand das lebhaft, trotz aller großen Landschaftseindrücke meiner +peloponnesischen Fahrt, als ich nach ununterbrochener Reise von Kalamata +wieder hier anlangte. Athen ist durch seine Lage geschaffen, und +Griechenland ohne Athen wäre niemals geworden, was es war und was es uns +ist. Der freie, attische Götterflug hat den freien attischen Geistesflug +hervorgerufen. + +Indem wir, Abschied nehmend, die Küste zur Linken, hingleiten, vorüber +an dem kleinen Hafen Munichia, vorbei an den Siedelungen von +Neu-Pharleron, steigt noch einmal das ganze attische Wunder vor uns auf. + +Dieser Hymettos, dieser Pentele, dieser Lykabettos, dieser Fels der +Akropolis sind keine Zufälligkeit. Alles dieses trägt den Adel seiner +Bestimmung im Angesicht. + +Wir trinken gierig den Hauch des herrlichen Götterlandes, solange er +noch herüberdringt und saugen uns mit den Blicken in seine silberne +Anmut fest, bis alles unseren Augen entschwindet. + + + Ende + + + [Illustration: Kopf des Wagenlenkers aus Delphi + (Originalaufnahme)] + + + Druck von _W. Drugulin_, Leipzig. + + + Anmerkungen zur Transkription + +Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. +Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere +Änderungen, teilweise unter Verwendung anderer Ausgaben sind hier +aufgeführt (vorher/nachher): + + [S. 11]: + ... wird. Er ist ausgezeichneter Schwimmer ... + ... wird. Er ist ein ausgezeichneter Schwimmer ... + + [S. 33]: + ... Es ist schwer, etwas so Abstoßendes ... + ... Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes ... + + [S. 168]: + ... Ehre -- man spielte für Götter und vor ... + ... Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor ... + + [S. 204]: + ... sein, ähnelt sich in Form, Dichte und Kräuselung ... + ... sein, ähnelt in Form, Dichte und Kräuselung ... + + [S. 221]: + ... den Tälern räche, fortan nicht mehr den ... + ... den Tätern räche, fortan nicht mehr den ... + + + + + + +End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 *** diff --git a/57928-8.txt b/57928-8.txt deleted file mode 100644 index 2795b58..0000000 --- a/57928-8.txt +++ /dev/null @@ -1,4832 +0,0 @@ -The Project Gutenberg EBook of Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Griechischer Frühling - -Author: Gerhart Hauptmann - -Release Date: September 18, 2018 [EBook #57928] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive. - - - - - - - ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER - ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN. - - ERSTE BIS VIERTE AUFLAGE. - - 100 EXEMPL. SIND AUF HANDGESCHÖPFTEM - BÜTTENPAPIER ABGEZOGEN, NUMERIERT UND - IN GANZPERGAMENT GEBUNDEN; PREIS 15 M. - FÜR DAS EXEMPLAR. - - - [Illustration: Wagenlenker aus Delphi (Nach einem Gipsabguss des - Bronce-Originals)] - - - GERHART HAUPTMANN - - - - - GRIECHISCHER - FRÜHLING - - - 1908 - S. FISCHER / VERLAG / BERLIN - - - HARRY GRAFEN KESSLER GEWIDMET - - - - -Ich befinde mich auf einem Lloyddampfer im Hafen von Triest. Zur Not -haben wir in Kabinen zweiter Klasse noch Platz gefunden. Es ist ziemlich -ungemütlich. Allmählich läßt jedoch das Laufen, Schreien und Rennen der -Gepäckträger nach und das Arbeiten der Krane. Man beginnt, sich zu Hause -zu fühlen, fängt an sich einzurichten, seine Behaglichkeit zu suchen. - -Eine Spießbürgerfamilie hat auf den üblichen Klappstühlen Platz -genommen. Mehrmals ertönt aus ihrer Mitte das Wort »Phäakenland«. -Erfüllt von einer großen Erwartung, wie ich bin, erzeugt mir Klang und -Ausdruck des Wortes in diesem Kreise eine starke Ernüchterung. Wir -schreiben den 26. März. Das Wetter ist gut: warme Luft, leichtes Gewölk -am Himmel. - -Ich nahm heute morgen im Hotel hinter einer sehr großen Fensterscheibe -mein Frühstück ein, als, mit einem grünen Zweiglein im Schnabel, draußen -eine Taube aus dem Mastenwalde des Hafens heran und nach oben, von links -nach rechts, vorbeiflog. Dieses guten Vorzeichens mich erinnernd, fühle -ich Zuversicht. - -Wir entfernen uns nach einem seltsamen Manöver der »Salzburg« von -Triest. Die Gegenden sind ausgebrannt. Alle Färbungen der Asche treten -hervor. Der Karst erscheint wie mit leichtem Schnee bedeckt. Viele gelbe -und orangefarbene Segel ziehen über das Meeresblau. Die Maler sind -entzückt und beschließen, zu längerem Aufenthalt gelegentlich -zurückzukehren. - - -Es ist jetzt fünf Uhr. Seit etwa zwei Stunden sind wir unterwegs. -Beinweiß zieht die nahe Strandlinie an uns vorüber. Wir haben zur linken -das flache dalmatinische Land, ausgetrocknet, weit gedehnt, in -braunrötlichen Färbungen. Beinweiß, wie von ausgebleichten Knochen -errichtet, zeigen sich hie und da Städte und Ortschaften, zuweilen -bedecken sie sanftgewölbte, braungrüne Hügel oder liegen auf dem -braungrünen Teppich der Ebene. Mit scharfem Auge erkennt man fern weiße -Spitzen des Velebitgebirges. - -Allmählich werden diese Bergspitzen höher und der ganze Bergzug tritt -deutlich hervor. Er ist schneebedeckt. Den Blick hinter mich wendend, -bemerke ich: die Sonne steht noch kaum über dem Wasserspiegel, ist im -Untergang. Der Mitreisenden bemächtigt sich jene Erregung, in die sie -immer geraten, wenn die Stunde herannaht, wo sie die Natur zu bewundern -verpflichtet sind. Bemühen wir uns, wahrhaftig zu sein! Der großartige, -kosmische Vorgang hat wohl die Seelen der Menschen von je mit Schauern -erfüllt, lange bevor das malerische Naturgenießen zur Mode geworden ist, -und ich nehme an, daß selbst der naturfremde Durchschnittsmensch unserer -Zeit, und besonders auf See, noch immer im Anblick des Sonnenunterganges -auf ehrliche Weise wortlos ergriffen ist. Freilich hat sein Gefühl an -ursprünglicher, abergläubischer Kraft bis auf schwächliche Reste -eingebüßt. - - -Nach durchaus ruhiger Nacht setzt heut gegen fünf Uhr Vormittag Wind aus -nordöstlicher Richtung ein. Ich merke, noch in der Kabine, bereits das -leichte Stampfen und Rollen des Schiffes. Als erster von allen -Passagieren bin ich an Deck. Ein grauer Dunst überzieht den -Morgenhimmel. Das Meer ist nicht mehr lautlos: es rauscht. Schon -überschlagen sich einzelne Wogen und bilden Kämme von weißem Gischt. Im -Südosten beobachte ich eine düstere Wolkenbank und Wetterleuchten. - -Die »Salzburg« ist ein kleines, nicht gerade sehr komfortables Schiff. -Die Matrosen sind eben dabei, das Deck zu reinigen. Sie spritzen aus -einer »Schlauchspritze« Wassermassen darüber hin, so daß ich fortwährend -flüchten muß und auch so jeden Augenblick in Gefahr bleibe, durchnäßt zu -werden. Es ist kein Tee zu bekommen, trotzdem ich, wärmebedürftig wie -ich bin, mehrmals darum ersuche. Die Einrichtungen hier halten einen -Vergleich mit dem norddeutschen Lloyd nicht aus. - -»O, Tee, in eine Minute fertig«, wiederholt der Steward eben wieder, -nachdem etwa anderthalb Stunden Wartens vorüber sind. - - -Jetzt 7½ Uhr; volle Sonne und Seegang. Unter anderen Wohltaten einer -Seereise ist auch die anzumerken, daß man während der Fahrt die ruhige -und gesicherte Schönheit der großen Weltinseln wiederum tiefer würdigen -lernt. Das Streben des Seefahrers geht auf Land. Statt vieler -auseinanderliegender Ziele bemächtigt sich seine Sehnsucht nur dieses -einen, wie wenige notwendig. Daher noch im Reiche des Idealen -glückselige Inseln auftauchen und als letzte glückselige Ziele genannt -werden. - -Allerlei Vorgänge der Odyssee, die ich wieder gelesen habe, beschäftigen -meine Phantasie. Der schlaue Lügner, der selbst Pallas Athene belügt, -gibt manches zu denken. Welche Partien des Werkes sind, außer den -eingestandenermaßen erlogenen, wohl noch als erfunden zu betrachten, vom -Genius des erfindungsreichen Odysseus? Etwa die ganze Kette von -Abenteuern, deren unsterbliche Schönheit unzerstörbar besteht? Es kommen -zweifellos Stellen vor, die unerlaubt aufschneiden; so diejenige, wo die -Charybdis das Wrack des Odysseus einsaugt, während er sich in das -Gezweige eines Feigenbaumes gerettet hat, und wo das selbe Wrack von ihm -durch einen Sprung wieder erreicht wird, als es die See an die -Oberfläche zurückgibt. - -Die Windstärke hat zugenommen. Hie und da kommt ein Sprühregen über -Deck. Regenbogenfarbene Schleier lösen sich von den Wellenkämmen. Rechts -in der Ferne haben wir italienisches Festland. Ein kleines, scheinbar -flaches Inselchen gibt Gelegenheit, das Spiel der Brandung zu -beobachten. Zuweilen ist es, als sähen wir den Dampf einer pfeilschnell -längs der Klippen hinlaufenden Lokomotive. Weiße Raketen schießen -überall auf, mitunter in so gewaltigem Wurf, daß sie, weißen Türmen -vergleichbar, einen Augenblick lang stillstehen, bevor sie -zusammenstürzen. - -Ich lasse mir sagen, daß es sich hier nicht, wie Augenschein glauben -macht, um _eine_ Insel, sondern um eine Gruppe handelt: die Tremiti. Der -freundliche Schiffsarzt Moser führt mich ins Kartenhaus und weist mir -den Punkt auf der Schiffskarte. Auf den Tremiti halten die Italiener -gewisse Gefangene, die im Inselbezirk bedingte Freiheit genießen. - -Ein Dampfer geht zwischen uns und der Küste gleichen Kurs. - -Allmählich sind wir dem Lande näher gekommen, bei schwächerem Wind und -stärkerer Dünung. Das Wasser, wie immer in der Nähe von Küsten, zeigt -hellgrüne Färbungen. Es gibt schwerlich eine reizvollere Art Landschaft -zu genießen, als von der See aus, vom Verdeck eines Schiffes. Die -Küsten, so gesehen, versprechen, was sie nie halten können. Die Seele -des Schauenden ist so gestimmt, daß sie die Ländereien der Uferstrecken -fast alle in einer phantastischen Steigerung, paradiesisch sieht. - -Vieste, Stadt und malerisches Kastell, tauchen auf und werden dem Auge -deutlich. Die Stadt zieht sich herunter um eine Bucht. Den Hintergrund -bilden Höhenzüge, die ins Meer enden: zum Teil bewaldet, zum Teil mit -Feldern bedeckt. Durch das Fernglas des Kapitäns erkenne ich vereinzelt -gestellte Bäume, die ich für Oliven halte. Eine starke, alte -Befestigungsmauer ist vom Kastell aus um die Bucht heruntergeführt. Es -ist eigentümlich, wie märchenhaft der Anblick des Ganzen anmutet. Man -erinnert sich etwa alter Miniaturen in Bilderhandschriften: Histoire des -batailles de Judée, Teseïde oder an Ähnliches, man denkt an Schiffe von -phantastischer Form im Hafen der Stadt, an Mauren, Ritter und -Kreuzfahrer in ihren Gassen. - -Jene, nicht allzuferne, uns Heutigen doch schon völlig fremde Zeit, wo -der Orient in die abendländische Welt, wie eine bunte Welle, -hineinschlug, jene unwiederbringliche Epoche, vielfältig -ausschweifender, abenteuerlicher Phantastik -- so ist man versucht zu -denken -- müsse in einer dem Gegenwartsblick so gespenstischen Stadt -noch voll in Blüte stehen. Wetterwolken sammeln sich über dem -hochgelegenen Kastell. Die See wogt wie dunkles Silber. Der Wind weht -empfindlich kalt. - - -Homer in der Odyssee läßt den Charakter des Erderschütterers Poseidon -durchaus nicht liebenswürdig erscheinen. Er ist es auch nicht. Er ist -unzuverlässig; er hat unberechenbare Tücken. Ich empfinde die -Seekrankheit, an der viele Damen und einige Herren leiden, als einen -hämischen Racheakt. Der Gott übt Rache. In einer Zeit, wo er, verglichen -mit ehemals, sich in seiner Macht auf eine ungeahnte Weise beschränkt -und zur Duldung verurteilt sieht, rächt er sich auf die -niederträchtigste Art. Ich stelle mir vor, er schickt einen -aalartig-langen Wurm aus der Tiefe herauf, mit dem Kopf zuerst durch den -Mund in den Magen des Seefahrers; aber so, daß der Kopf in den Magen -gelangt, dort eingeschlossen, der Schwanz mittlerweile ruhig im Wasser -hängen bleibt. Der Seefahrer fühlt diesen Wurm, den niemand sieht. -Obgleich er ihn aber nicht sieht, so weiß er doch, daß er grün und -schleimig ist, und endlos lang in die See hinunterhängt, und mit dem -Kopfe im Magen festsitzt. Die schwierige Aufgabe bleibt nun die: den -Wurm, der sich nicht verschlucken und auch nicht ausspucken läßt, aus -dem Innern herauszubekommen. - -Seltsam ist, daß Homer diesen göttlichen Kniff Poseidons unbeschrieben -läßt, zumal er doch sonst im Gräßlichen keine Grenzen kennt und -- von -den vielerlei Todesarten, die er zur Darstellung bringt, abgesehen -- -einen verwandten Zustand, der dem Zyklopen Polyphem zustößt, so -schildert: - - »... dem Rachen entstürzten mit Weine - Stücke von Menschenfleisch, die der schnarchende Trunkenbold - ausbrach.« - -Eine Gesellschaft von Tümmlern zeigt sich hie und da augenblicksschnell -überm Wasser in der Nähe des Dampfers. Der Tümmler, vom Seemann als -Schweinfisch bezeichnet, ist ein Delphin, der im Mittelmeer wohl fast -bei jeder Tagesfahrt gesichtet wird. Er ist ein ausgezeichneter -Schwimmer und sehr gefräßig. - - -Wir verlieren die italienische Küste wieder mehr und mehr aus den Augen. -Der Nachmittag schreitet fort durch monotone Stunden, wie sie bei keiner -Seereise ganz fehlen. Regenböen gehen zuweilen über Deck. Ich finde -einen bequemen Sitzplatz, einigermaßen geschützt vor dem Winde. Ich -schließe die Augen. Ich versinke gleichsam in die Geräusche des Meeres. -Das Rauschen umgibt mich. Das große, das machtvolle Rauschen, überall -her eindringend, unwiderstehlich, erfüllt meine Seele, scheint meine -Seele selbst zu sein. - -Ich gedenke früherer Seefahrten; darunter sind solche, die ich mit -beklommener Seele habe machen müssen. Viele Einzelheiten stehen vor -meinem innern Gesicht. Ich vergleiche damit meinen heutigen Zustand. -Damals warf der große Ozean unser stattliches Schiff dreizehn Tage lang. -Die Seeleute machten ernste Gesichter. Was ich selber für ein Gesicht -gemacht habe, weiß ich nicht; denn was mich betrifft: ich erlebte damals -stürmische Wochen auf zwei Meeren, und ich wußte genau, daß, wenn wir -mit unserem bremensischen Dampfer auch wirklich den Hafen erreichen -sollten, dies für mein eigenes, gebrechliches Fahrzeug durchaus nicht -der Hafen sei. - -Ich erwäge plötzlich mit einem gelinden Entsetzen, daß ich mich nun doch -noch auf einer Reise nach jenem Lande befinde, in das es mich schon mit -achtzehn Jahren hyperion-sehnsüchtig zog. Zu jener Zeit erzwang ich mir -einen Aufbruch dahin, aber die Wunder der italienischen Halbinsel -verhinderten mich, mein Ziel zu erreichen. Nun habe ich, das Versäumte -nachzuholen: in 26 Jahren zuweilen gehofft, zuweilen nicht mehr gehofft, -zuweilen gewünscht, zuweilen auch nicht mehr gewünscht; einmal die Reise -geplant, begonnen und liegen gelassen. Und ich gestehe mir ein, daß ich -eigentlich niemals an die Möglichkeit ernstlich geglaubt habe, das Land -der Griechen mit Augen zu sehen. Noch jetzt, indem ich diese Notizen -mache, bin ich mißtrauisch! - -Ich kenne übrigens keine Fahrt, die etwas gleich Unwahrscheinliches an -sich hätte. Ist doch Griechenland eine Provinz jedes europäischen -Geistes geworden; und zwar ist es noch immer die Hauptprovinz. Mit -Dampfschiffen oder auf Eisenbahnen hinreisen zu wollen, erscheint fast -so unsinnig, als etwa in den Himmel eigener Phantasie mit einer -wirklichen Leiter steigen zu wollen. - - -Es ist sechs Uhr und die Sonne eben im Untergehen. Der Schiffsarzt -erzählt mancherlei und kommt auf die Sage vom grünen Strahl. Der grüne -Strahl, den gesehen zu haben Schiffsleute mitunter behaupten, erscheint -in dem Augenblick, ehe die Abendsonne ganz unter die Wasserlinie tritt. -Ich weiß nicht, welche Fülle rätselhaften Naturempfindens diese schöne -Vorstellung in mir auslöst. Die Alten, erklärt uns ein kleiner Herr, -müßten den grünen Strahl gekannt haben; der Name des ägyptischen -Sonnengottes bedeute ursprünglich: grün. Ich weiß nicht, ob es sich so -verhält, aber ich fühle in mir eine Sehnsucht, den grünen Strahl zu -erblicken. Ich könnte mir einen reinen Toren vorstellen, dessen Leben -darin bestünde, über Länder und Meere nach ihm zu suchen, um endlich am -Glanz dieses fremden, herrlichen Lichtes unterzugehen. Befinden wir uns -vielleicht auf einer ähnlichen Pilgerfahrt? Sind wir nicht etwa -Menschen, die das Bereich ihrer Sinne erschöpft haben, nach -andersartigen Reizen für Sinne und Übersinne dürsten? - -Jedenfalls ist der kleine Herr, durch den wir über den grünen Strahl -belehrt wurden, ein seltsamer Pilgersmann. Das putzige Männchen reist in -Schlafschuhen. Sein ganzes Betragen und Wesen erregt zugleich Befremden -und Sympathie. Wohl über die fünfzig hinaus an Jahren, mit bärtigem -Kopf, rundlicher Leibesfülle und kurzen Beinchen, bewegt er sich in -seinen Schlafschuhen mit einer bewunderungswürdigen, stillvergnügten -Gelenkigkeit. Ich habe ihn auf der Regenplane, von der die verschlossene -Öffnung des Schiffsraums überzogen ist, in wahrhaft akrobatischen -Stellungen bequem seine Reisebeobachtungen anstellen sehen. Zum -Beispiel: er saß wie ein Türke da; indessen die Gleichgültigkeit, mit -der er die unwahrscheinlichste Lage seiner Beinchen behandelte, hätte -Theodor Amadeus Hoffmann stutzig gemacht. Übrigens trug er Wadenstrümpfe -und Kniehosen, Lodenmantel und einen kleinen, verwegenen Tirolerhut. -Mitunter machte er mitten am Tage astronomische Studien, wobei er, das -Zeißglas gegen den Himmel gerichtet, die Kniee in unbeschreiblicher -Weise voneinander entfernt, die Fußsohlen glatt aneinander gelegt, auf -dem Rücken lag. - - -Wir gleiten nun schon geraume Weile unter den Sternen des Nachthimmels. -Ein Schlag der Glocke, die vorn auf dem Schiff angebracht ist, bedeutet -Feuer rechts. Der Leuchtturm von Brindisi ist gesichtet. Nach und nach -treten drei Blinkfeuer von der Küste her abwechselnd in Wirkung. Drei -neue Glockenzeichen des vorn wachthaltenden Matrosen ertönen. Sie -bedeuten: Schiff in Fahrtrichtung uns entgegen. Ich habe mich so -aufgestellt, daß ich die Spitze des großen Vordermasts über mir -feierlich schwanken und zwischen den Sternen unaufhaltsam fortrücken -sehe. Erst gegen zehn Uhr erreichen wir die enge Hafeneinfahrt von -Brindisi, durch die wir, an einem Gespensterkastell vorüber, im vollen -Mondlicht langsam gleiten. - -Die Bewohner der Stadt scheinen schlafen gegangen zu sein. Die -Hafenstraßen sind menschenleer. Treppen und Gäßchen zwischen Häusern, -hügelan führend, sind ebenfalls ausgestorben. Kein Laut, nicht einmal -Hundegebell, ertönt. Wir erkennen im Mondlicht und im Scheine einiger -wenigen Laternen Säulenreste antiker Bauwerke. Brindisi war der südliche -Endpunkt der via Appia. - -Unglaublich groß wirkt das Schiff in dem kleinen, teichartigen Hafen. -Aber, so groß es ist, macht es mit vieler Vorsicht am Kai fest, und erst -als es fast ganz ruhig liegt, ist es bemerkt worden. Jetzt werden auf -einmal die Straßen belebt. Und schon sind wir nach wenigen Augenblicken -vom italienischen Lärm umgeben. Die Polizei erscheint an Bord. Wagen mit -Passagieren rasseln von den Hotels heran. Drei Mandoline zupfende, alte -Kerle haben sich auf Deck verpflanzt, die den Gesang einer sehr -phlegmatischen Mignon begleiten. - - -Die Nacht liegt hinter mir. Es ist sechs Uhr früh und der 28. März. Wir -sind dicht unter Land, und die Sonne tritt eben hinter den ziemlich -stark beschneiten Spitzen über die höchste Erhebung des Randgebirges von -Epirus voll hervor. Wenig Stratusgewölk liegt über der blauen Silhouette -der Küste. Übrigens hat der Himmel Scirocco-Charakter. Streifen und -verwaschene Wolkenballen unterbrechen das Himmelsblau. Das Licht der -Sonne scheint blaß und kraftlos. Die Luft weht erkältend, ich spüre -Müdigkeit. - -Ich betrete den Speisesaal der »Salzburg«. An drei Tischen ist das -Frühstück vorbereitet. Dazwischen, auf der Erde, liegen Passagiere. -Einige erheben sich, noch im Hemd, von ihren Matratzen und beginnen die -Kleider anzulegen. Ein großes Glasgefäß mit den verschmierten Resten -einer schwarzbraunen Fruchtmarmelade steht in unappetitlicher Nähe. Der -Löffel steckt seit Beginn der Reise darin. - -Es ist hier alles schon Asien, bedeutet mich ein Mitreisender. Ich kann -nicht sagen, daß ich besonders von diesen Übelständen berührt werde, -weiß ich doch, daß Korfu, die erste Etappe der Reise, nun bald erreicht -ist. Außerdem flüchtet man, nachdem man in Eile etwas Kaffee und Brot -genossen hat, wieder an Deck hinaus. Die Berge der Küste, nicht höher -als die, von denen etwa Lugano umgeben ist, sind noch mit einigem Schnee -bestreut und ähneln ihnen, braunrötlich und kahl, durchaus. Durch diese -Gebirge erscheint das Hinterland wie durch einen gigantischen Wall vor -dem Meere geschützt. - -Man hat jetzt nicht mehr das Gefühl, im offenen Meere zu sein, sondern -wir bewegen uns in einer sich mehr und mehr verengenden Wasserstraße. -Überall tauchen Küsten und Inseln auf, und nun zur Rechten bereits die -Höhen von Korfu. Noch immer schweben mit Gelächter oder Geläut -begleitende Möven über uns. - -Je länger und näher wir an dem nördlichen Rande von Korfu hingleiten, um -so fieberhafter wird das allgemeine Leben an Deck. In schöner Linie -langsam ansteigend, gipfelt das Eiland in zwei Spitzen, sanft darnach -wieder ins Meer verlaufend. Wieder bemächtigt sich unser jenes -Entzücken, das uns eine Küsten-Landschaft bereitet, die man vom Meere -aus sieht. Diesmal ist es in mir fast zu einem inneren Jubel gesteigert, -im Anblick des schönen Berges, den wir allmählich nach Süden umfahren, -und der seine von der Morgensonne beschienenen Abhänge immer deutlicher -und verlockender ausbreitet. Ich sage mir, dieses köstliche, fremde Land -wird nun auf Wochen hinaus -- und Wochen bedeuten auf Reisen viel! -- -für mich eine Heimat sein. - -Was mir bevorsteht, ist eine Art Besitzergreifen. Es ist keine unreale, -materielle Eroberung, sondern mehr. Ich bin wieder jung. Ich bin -berauscht von schönen Erwartungen, denn ich habe von dieser Insel, -solange ich ihren Namen kannte, Träume geträumt. - - -Es ist zehn Uhr. Wir befinden uns nun in einer wahrhaft phäakischen -Bucht. Drepane, Sichel, hieß die Insel im ältesten Altertum, und wir -sind in dem Raume der inneren Krümmung. Aber das Jonische Meer ist hier -einem weiten, paradiesischen Landsee ähnlich, weil auch der offene Teil -der Sichel durch die epirotischen Berge hinter uns scheinbar geschlossen -ist. - - -Ich vermag vor Kopfneuralgien kaum aus den Augen zu sehen. Ich bin -insofern ein wenig enttäuscht, als unser Hotel rings von den Häusern der -Stadt umgeben ist und es nicht leicht erscheint, zu jenen einsamen Wegen -durchzudringen, die mich vom Schiff aus anlockten und die für meine -besondere Lebensweise so notwendig sind. Ein kurzer Gang durch einige -Straßen von Korfu, der Stadt, zwingt mich, die Bemerkung zu machen, daß -hier viele Bettler und Hunde sind. Eine bettelnde Korfiotin, ein -robustes Weib in griechischer Tracht, das Kind auf dem Arm, geht mich um -eine Gabe an, und ich vermag den feurigen Blicken ihrer beiden flehenden -Augen mein hartes Herz nicht erfolgreich entgegenzusetzen. - -Ich sehe die ersten griechischen Priester, die im Schmuck ihrer -schwarzen Bärte, Talare und hohen, röhrenförmigen Kopfbedeckungen -Magiern ähneln, auf Plätzen und Gassen herumstreichen. Die nicht sehr -zahlreichen Fremden gehen mit eingezogenen Köpfen umher, es ist ziemlich -kalt. Im oberen Stock eines Hauses wird Schule gehalten. Die Kinder, im -Innern des Zimmers, singen. Die Lehrer gucken lachend und lebhaft -schwatzend zum Fenster heraus. Die Stimmen der Singenden haben mehr -einen kühlen, deutschen Charakter und nicht den feurigen, italienischen, -an den man im Süden gewöhnt ist. Zuweilen singt einer der Lehrer zum -offenen Fenster heraus lustig mit. - -Die Stadt Korfu ist in ihrem schöneren Teil durch einen sehr breiten, -vergrasten Platz von der Bucht getrennt. Es ist außerordentlich -angenehm, hier zu lustwandeln. Ein Capodistria-Denkmal und ein marmornes -Rundtempelchen verlieren sich fast auf der weiten Grasfläche. Nach dem -Meer hin läuft sie in eine Felszunge aus, die alte Befestigungen aus den -Zeiten der Venezianer trägt. Ich begegne kaum einem Menschen. Die -Morgensonne liegt auf dem grünen Plan, ein Schäfchen grast nicht weit -von mir. Ein Truthahn dreht sich und kollert in der Nähe der langen -Hausreihe, deren zahllose Fenster geöffnet sind und den Gesang von -- -ich weiß nicht wie vielen! -- Harzer Rollern in die erquickende Luft -schicken. - -Wir unternehmen am Nachmittag eine Fahrt über Land; es ist in der Luft -eine außerordentlich starke Helligkeit. Figi d'India-Kakteen säumen -mauerartig die Straße. Wir sehen violette Anemonen unten am Wegrand, -Blumen von neuem und wunderbarem Reiz. Warum will man den Blumen -durchaus Eigenschaften von Tieren oder von Menschen andichten und sie -nicht lieber zu Göttern machen? Diese kleinen göttlichen Wesen, deren -köstlicher Liebreiz uns immer wieder Ausrufe des Entzückens entlockt, -zeigen sich in um so größeren Mengen, je mehr wir uns von der Küste -entfernen, ins Innere des Eilands hinein. - -Der Blick weitet sich bald über Wiesen mit saftig grünen, aber noch -kurzen Gräsern, die fleckweise wie beschneit von Margueriten sind. In -diesen fast nordischen Rasenflächen stehen Zypressen vereinzelt da und -eine südliche Bucht, der Lago di Caliciopolo lacht dahinter auf. In der -Straße, die eben diese Bucht mit dem Meere verbindet, erhebt sich ein -kleiner, von Mauern und Zypressen gekrönter Fels. Die Mauern bilden ein -Mönchskloster. Ponticonisi oder Mausinsel heißt das Ganze, wovon man -behauptet, es sei das Phäakenschiff, das, nachdem es Odysseus nach -seiner Heimat geleitet hatte, bei seiner Rückkehr, fast schon im Hafen, -von Poseidon zu Stein verwandelt worden ist. - -Wiesen und umgeworfene Äcker begleiten uns noch. Vollbusige, griechische -Frauen, in bunter Landestracht, arbeiten in den Feldern. Kleine, -zottelige, unglaublich ruppige Gäule grasen an den Rainen und zwischen -Olivenbäumen, an steinigen Abhängen. Auf winzige Eselchen sind große -Lasten gelegt, und der Treiber sitzt auf der Last oder hinter der Last -noch dazu. - -Wir nähern uns mehr und mehr einem Berggebiet. Die Ölwälder geben der -Landschaft einen ernsten Charakter. Die tausendfach durchlöcherten -Stämme der alten Bäume sind wie aus glanzlosem Silber geflochten. Im -Schutze der Kronen wuchert Gestrüpp und ein wildwachsender Himmel -fremdartiger Blüten auf. - - -Das Achilleion der Kaiserin Elisabeth ist auf einer Höhe errichtet, in -einer Eiland und Meer beherrschenden Lage. Der obere Teil des Gartens -ist ein wenig beengt und kleinlich, besonders angesichts dieser Natur, -die sich um ihn her in die Tiefen ausbreitet. Und jener Teil, der zum -Meere hinuntersteigt, ist zu steil. Von erhabener Art ist die -Achillesverehrung der edlen Frau, obgleich dieser Zug, durch Künstler -der Gegenwart, würdigen Ausdruck hier nicht gefunden hat. Das Denkmal -Heines, eine halbe Stunde entfernt, unten am Meere, können wir, weil es -bereits zu dunkeln beginnt, nicht mehr besuchen. - -Die unvergleichlich Edele unter den Frauengestalten jüngster -Vergangenheit, die, nach ihresgleichen in unserem Zeitalter vergeblich -suchend, einsam geblieben ist, vermochte natürlicherweise den -kunstmäßigen Ausdruck ihrer Persönlichkeit nicht selbst zu finden. Und -leider schufen Handlangernaturen auch hier nur wieder im ganzen und -großen den Ausdruck desselben, dem sie entfliehen wollte. Und nur der -Platz, die Welt, der erhabene Glanz und Ernst, in den sie entfloh, legt -von diesem Wesen noch gültiges Zeugnis ab. - - -Wir schreiben den 30. März. Helle, warme Sonne, blendendes Licht -überall. Der Morgen ist heiter, erfrischend die Luft. Die Stadt ist -erfüllt vom Geschrei der Ausrufer. Viele Menschen liegen jetzt, gegen 9 -Uhr früh, am Rande eines kleinen, öffentlichen Platzes umher und sonnen -sich. Eine ganze Familie ist zu beobachten, die sich an eine Gartenmauer -gelagert hat, in einem sehr notwendigen Wärmebedürfnis wahrscheinlich, -da die Nächte kalt und die Keller, in denen die Armen hier wohnen, nicht -heizbar sind. Sie genießen die Strahlen der Sonne mit Wohlbehagen, wie -Ofenglut. Dabei zeigt sich die Mutter insofern ganz ungeniert durch die -Öffentlichkeit, als sie, gleich einer Äffin, in den verfilzten Haaren -ihres Jüngsten herumfingert, sehr resolut, obgleich der kleine Gelauste -schrecklich weint. - -Am Kai der Kaiserin Elisabeth steigert sich der Glanz des Lichtes noch, -im Angesichte der schönen Bucht. Das Kai ist eine englische Anlage und -die Nachmittagspromenade der korfiotischen Welt. Es wird begleitet von -schönen Baumreihen, die, wo sie nicht aus immergrünen Arten gebildet -sind, erstes, zartes Grün überzieht. Junge Männer haben Teppiche aus den -Häusern geschleppt und auf dem Grase zwischen den Stämmen ausgebreitet. -Ein scheußliches, altes, erotomanisches Weib macht unanständige Sprünge -in den heiteren Morgen hinein. Sie schreit und schimpft: die Männer -lachen, verspotten sie gutmütig. Sie kratzt sich mit obscöner Gebärde, -bevor sie davongeht und hebt ihre Lumpen gegen die Spottlustigen. - -Ich habe jetzt nicht mehr die tiefblaue, köstlich blinkende Bucht zur -Linken, mit den weißen Zelten der albanesischen Berge dahinter, sondern -ein großes Gartengebiet, und wandere weiter, meist unter Ölbäumen, bis -Ponticonisi dicht unter mir liegt. Von hier gegenüber mündet ein kleines -Flüßchen ins Meer und man will dort die Stelle annehmen, wo Odysseus -zuerst ans Ufer gelangte und Nausikaa ihm begegnet ist. - -Goethes Entwurf zur Nausikaa begleitet mich. - - »Was rufen mich für Stimmen aus dem Schlaf? - Wie ein Geschrei, ein laut Gespräch der Frauen - Erklang mir durch die Dämmrung des Erwachens. - Hier seh ich niemand! Scherzen durchs Gebüsch - Die Nymphen? oder ahmt der frische Wind, - Durchs hohe Rohr des Flusses sich bewegend, - Zu meiner Qual die Menschenstimmen nach? - Wo bin ich hingekommen? welchem Lande - Trug mich der Zorn des Wellengottes zu?« - -Ich meine, wenn dieses anziehende Fragment die starke Liebe wieder -erweckt, oder eine ähnlich starke, wie im Herzen seines Dichters war, so -kann dies kein Grund zum Vorwurf sein. Auch dann nicht, wenn diese Liebe -das Fehlende, das Ungeborene, zu erkennen vermeint, oder gar zu ergänzen -unternimmt. Dieser gelassene Ton, der so warm, stark, richtig und -deutsch ist, wird meist durchaus mißverstanden. Man nimmt ihn für kühl -und vergißt auch in der Sprache der Iphigenie die »by very much more -handsome than fine« ist, die alles durchdringende Herzlichkeit. - -Der Rückweg nach der Stadt führt zwischen wahre Dickichte von Orangen, -Granaten und Himbeeren. Eukalyptusbäume mit großgefleckten Stämmen von -wunderbarer Schönheit begegnen. Hie und da wandeln Kühe im hohen Gras -unter niedrig gehaltenen Orangenpflanzungen. Steinerne Häuschen, Höhlen -der Armut, bergen sich inmitten der dichten Gärten. Kinder betteln mit -Fröhlichkeit, starrend von Schmutz. - -Immer weiter zwischen verwilderten Hecken, mit Blüten bedeckten, -schreiten wir. Ich bemerke, außer vielen Brombeeren, dickstämmigen, -alten Weißdorn. Marguerits, wie Schnee über Wegrändern und Wiesen, -bilden weiße, liebliche Teppiche des Elends. Erbärmliche Höfe sind von -Aloepflanzen eingehegt, über deren Stacheln unglaubliche Lumpen zum -Trocknen gebreitet sind, und in der Nähe solcher Wohnstätten riecht es -nach Müll. Ich sehe nur Männer bei der Feldarbeit. Die Weiber faulenzen, -liegen im Dreck und sonnen sich. - -Ein griechischer Hirt kommt mir entgegen, ein alter, bärtiger Mann. Die -ganze Erscheinung ist wohlgepflegt. Er trägt kretensische Tracht, ein -rockartiges, blaues Beinkleid, zwischen den Beinen gerafft, -Schnabelschuh', die Waden gebunden, ein blaues Jäckchen mit -Glanzknöpfen, dazu einen strohenen Hut. Fünf Ziegen, nicht mehr, trotten -vor ihm hin. Er klappert mit vielen kleinen Blechkannen, die, an einem -Riemen hängend, er mit sich führt. - - -Ein frischer Nordwest hat eingesetzt, jetzt, am Nachmittag. Zwei alte -Albanesen, dazu ein Knabe, schreiten langsam über die Lespianata. Einer -der würdigen Weißbärte trägt über zwei Mänteln den dritten, dessen -Kapuze er über den Kopf gezogen hat. Der unterste Mantel ist von -hellerem Tuch, der zweite blau, der dritte über und über bedeckt mit -langen, weißlichen Wollzotteln, ähnlich dem Ziegenhaar. Der Sauhirt -Eumäus fällt mir ein und die Erzählung des Bettlers Odysseus von seiner -List, durch die er nicht nur von Thoas, dem Sohne Andrämons, den Mantel -erhielt, sondern auch von Eumäus. - -Es scheint, daß die Zahl der Mäntel den Wohlstand ihrer Träger andeutet. -Denn auch der zweite dieser imponierenden Berghirten hat drei Mäntel -übergeworfen. Dabei tragen sie weiße Wollgamaschen und graulederne -Schnabelschuh'. Jeder von ihnen überdies einen ungeschälten, langen -Stab. Der Knabe trägt ein rotes Fez. Die Schnäbel seiner roten Schuhe -sind länger, als die der Alten und jeder mit einer großen, schwarzen -Quaste geziert. - -Die Hafenstraßen zeigen das übliche Volksgetriebe. Die Läden öffnen sich -auf schmale, hochgelegene Lauben, aus denen man in das Menschengewimmel -der engen Gäßchen hinuntersieht. Ein Mann trägt Fische mit silbernen -Schuppen auf dem flachen Handteller eilend an mir vorbei. Junge Schafe -und Ziegen hängen, ausgeweidet und blutend, vor den Läden der Fleischer. -Über der Tür einer Weinstube voll riesiger Fässer sind im Halbkreis -Flaschen mit verschieden gefärbtem Inhalt an Schnüren ausgehängt. Man -hat schlechte Treppen, übelriechende Winkel zu vermeiden, vertierten -Bettlern aus dem Wege zu gehn. - -Einer dieser Bettler nähert sich mir. Er überbietet jeden sonstigen, -europäischen Eindruck dieser Art. Seine Augen glühen über einem -sackartigen Lumpen hervor, mit dem er Mund, Nase und Brust vermummt hat. -Er hustet in diese Umhüllung hinein. Er bleibt auf der Straße stehen und -hustet, krächzt, pfeift mit Absicht, um aufzufallen, sein fürchterliches -Husten minutenlang. Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes -vorzustellen, als dieses verlauste, unflätige, barfüßige und halbnackte -Gespenst. - - -Ich verbringe die Stunde um Sonnenuntergang in dem schönen, verwilderten -Garten, der dem König von Griechenland gehört. Es ist eine wunderbare -Wildnis von alten Zypressen-, Oliven- und Eukalyptusbäumen, ungerechnet -alle die blühenden Sträucher, in deren Schatten man sich bewegt. -Vielleicht wäre es schade, wenn dieser Garten oft vom König besucht -würde, denn bei größerer Pflege müßte er vieles verlieren von dem Reiz -des Verwunschenen, der ihm jetzt eigen ist. Die Riesenbäume schwanken -gewaltig im Winde und rauschen dazu: ein weiches, aufgestörtes Rauschen, -in das sich der eherne Ton des Meeres einmischt. - - -Wie ich heute morgen das Fenster öffne, ist die Sonne am wolkenlosen -Himmel längst aufgegangen. Ich bemerke, daß alles in einem fast weißen -Lichte unter mir liegt: die Straßen und Dächer der Stadt, der Himmel, -die Landschaft mit ihren Wiesen, Olivenwäldern und fernen Bergen. Als -ich aus dem Hotel trete, muß ich die Augen fast schließen, und lange, -während ich durch den nördlichen Stadtteil Korfus hinauswandere, suche -ich meinen Weg blinzelnd. - -Die Vorstadt zeigt das übliche Bild. Auf kleinen Eselchen sitzen Reiter, -so groß, daß man meint, sie könnten ihr Reittier mühelos in die Tasche -stecken. Ruppige Pferdchen, braunschwarz oder schwarz, mit Schweifen, -die bis zur Erde reichen, tragen allerlei tote Lasten und lebende -Menschen dazu. Vor ihren zumeist einstöckigen Häusern hocken viele -Bewohner und sonnen sich. Eine junge Mutter säugt, auf ihrer Türschwelle -sitzend, ihr jüngstes Kind und laust es zugleich, in aller Behaglichkeit -und Naivetät. Die weißen Mauerflächen werfen das Licht zurück und -erzeugen Augenschmerzen. - -Ich komme nun in die Region der Weiden und Ölgärten. Auf einer ebenen -Straße, die stellenweise vom Meere bespült, dann wieder durch sumpfige -Strecken oder Weideland vom Rande der großen, inneren Bucht getrennt -ist. Ich ruhe ein wenig, auf einem Stück Ufermauer am Ausgang der Stadt. -Die Sonne brennt heiß. Von den angrenzenden Hügeln steigt ein -albanesischer Hirte mit seinen Schafen zur Straße herunter: trotz der -Wärme trägt er seine drei Mäntel, oben den fließartigen, über die -Schultern gehängt. Ein sehr starkes und hochbeiniges Mutterschwein kommt -aus der Stadt und schreitet hinter seinen Ferkeln an mir vorüber. Es -folgt ein Eber, der kleiner ist. - -Es ist natürlich, wenn ich auch hier wieder an Eumäus denke, den -göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer -Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen -Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande -eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen -Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause -geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an -Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten -Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes -Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im -Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für -griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit. - -Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend -anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu -spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht -unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns -zu gewinnen. - -Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch -diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen. -Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu -sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir -auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu -Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde -laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller -Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen, -retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen -Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das -Ausweichen fast unmöglich machen. Eine breitgebaute, griechische Bäuerin -drückt, im _bildlichen_ Sinne, wie sie pompös einherschreitet, ihre -Umgebung an die Wand. Bettler, mit zwei alten Getreidesäcken bekleidet, -den einen unter den Achseln um den Leib geschlungen, den andern über die -Schultern gehängt wie ein Umschlagetuch, sprechen die Inhaber ärmlicher -Läden um Gaben an. Ein junger Priesterzögling von sehr gepflegtem -Äußeren, mit schwarzem Barett und schwarzer Sutane, ein Jüngling, der -schön wie ein Mädchen ist, von einem gemeinen Manne, dem Vater oder -Bruder begleitet, geht mir entgegen. Der Arm des Begleiters ist um die -Schultern des Priesters gelegt, dessen tiefschwarz glänzendes Haar im -Nacken zu einem Knoten geflochten ist. Weiber und Männer blicken ihm -nach. - - -Heute entdecke ich eigentlich erst den Garten des Königs und seine -Wunder. Ich nehme mir vor, von morgen ab mehrere Stunden täglich hier -zuzubringen. Seit längerer Zeit zum ersten Male genieße ich hier jene -köstlichen Augenblicke, die auf Jahre hinaus der Seele Glanz verleihen, -und um derentwillen man eigentlich lebt. Es dringt mir mit voller Macht -ins Gemüt, wo ich bin, und daß ich das Jonische Meer an den felsigen -Rändern des Gartens brausen höre. - - -Wir haben heute den 1. April. Meine Freunde, die Maler sind, und ich, -haben uns am Eingange der Königsvilla von einander getrennt, um, jeder -für sich, in dem weiten, verwilderten Gartenbereich auf Entdeckungen -auszugehen. Es ist ein Morgen von unvergleichlicher Süßigkeit. Ich -schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen, mit Bleistift diese Notizen. -Mein Auge weidet. Das Paradies wird ein Land voll ungekannter, -köstlicher Blumen sein. Die herrlichen Anemonen Korfus tragen mit dazu -bei, daß man Ahnungen einer andern Welt empfindet. Man glaubt beinahe, -auf einem fremden Planeten zu sein. - -In dieser eingebildeten Loslösung liegt eine große Glückseligkeit. - -Ich finde nach einigem Wandern die Marmorreste eines antiken -Tempelchens. Es sind nur Grundmauern; einige Säulentrommeln liegen -umher. Ich lege mich nieder auf die Steine, und eine unsägliche Wollust -des Daseins kommt über mich. Ein feines, glückliches Staunen erfüllt -mich ganz, zunächst fast noch ungläubig, vor diesem nun Ereignis -gewordenen Traum. - -Weniger um etwas zu schaffen, als vielmehr um mich ganz einzuschließen -in die Homerische Welt, beginne ich ein Gedicht zu schreiben, ein -dramatisches, das Telemach, den Sohn des Odysseus, zum Helden hat. -Umgeben von Blumen, umtönt von lautem Bienengesumm, fügt sich mir Vers -zu Vers, und es ist mir allmählich so, als habe sich um mich her nur -mein eigener Traum zu Wahrheit verdichtet. - -Die Lage des Tempelchens am Rande der Böschung, hoch überm Meer, ist -entzückend; alte, ernste Oliven umgeben in einiger Ferne die Vertiefung, -in die es gestellt ist. Welchem Gotte, welchem Heros, welchem -Meergreise, welcher Göttin oder Nymphe war das Tempelchen etwa geweiht, -das in das grüne Stirnband der Uferhöhe eingeflochten, dem nahenden -Schiffer entgegenwinkte? diese kleine, schweigende Wohnung der Seligen, -die, Weihe verbreitend, noch heute das Rauschen der Ölbäume, das -schwelgerische Summen der Bienen, das Duftgewölke der Wiesen als ewige -Opfergaben entgegennimmt. Die kleinen, blinkenden Wellen des Meeres -ziehen, vom leisen Ost bewegt, wie in himmlischer Prozession heran, und -es ist mir, als wäre ich nie etwas anderes, als ein Diener der -unsterblichen Griechengötter gewesen. - -Ich weiß nicht, wie ich auf die Vermutung komme, daß unterhalb des -Tempelchens eine Grotte und eine Quelle sein müsse. Ich steige -verfallene Stufen tief hinab und finde beides. Quellen und Grotten -münden auf grüne von Marguerits übersäte Terrassen, in ihrer versteckten -Lage von süßestem Reiz. Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu -lieben und herrschen zu machen über mich. Deshalb pflücke ich Blumen, -werfe sie in das Becken der Quelle, zu den Najaden und Nymphen flehend, -den lieblichen Töchtern des Zeus. - - -Ein brauner, schwermütiger Sonnenuntergang. Wir finden uns an die -Schwermut norddeutscher Ebenen irgendwie erinnert. Es ist etwas Kühles -in Licht und Landschaft, das vielleicht deutlicher vorstellbar wird, -wenn man es unitalienisch nennt. Das Landvolk, obgleich die Bäuerinnen -imposant und vollbusig sind und von schöner Rasse, erscheint nach außen -hin temperamentlos, im Vergleich mit Italien, und zwar trotz des -italienischen Einschlags. Es kommt uns vor, als wäre das Leben hier -nicht so kurzweilig, wie auf der italienischen Halbinsel. - -Die griechische Bäuerin hat durchaus den graden, treuherzigen Zug, der -den Männern hier abgeht, und den man als einen deutschen gern in -Anspruch nimmt. Sinnliches Feuer scheint ebenso wenig Ausdruck ihrer -besonderen Art zu sein, als bei den homerischen Frauengestalten. -Überhaupt erscheinen mir die homerischen Zustände den frühen -germanischen nicht allzu fern stehend. Der homerische Grieche ist -Krieger durchaus, ein kühner Seefahrer, wie der Normanne verwegener -Pirat, von tiefer Frömmigkeit bis zur Bigotterie, trunkliebend, zur -Völlerei neigend, dem Rausche großartiger Gastereien zugetan, wo der -Gesang des Skalden nicht fehlen durfte. - - -Ich habe mich auf den Resten des antiken Tempelchens, das ich nun schon -zum dritten- oder viertenmal besuche, niedergelassen. Es fällt lauer -Frühlingsregen. Ein großer, überhängender, weidenartiger Strauch umgibt -mich mit dem Arom seiner Blüten. Die Wellen wallfahrten heut mit starkem -Rauschen heran. Immer der gleiche Gottesdienst in der Natur. -Wolkendünste bedecken den Himmel. - -Immer erst, wenn ich auf den Grundmauern dieses kleinen Gotteshauses -gestanden habe, fühle ich mich in den Geist der Alten entrückt und -glaube in diesem Geiste alles rings umher zu empfinden. Ich will nie -diese Stunden vergessen, die in einem ungeahnten Sinne erneuernd sind. -Ich steige ans Meer zu den Najaden hinunter. Auf den Stufen bereits -vernehme ich das Geschrei einer Ziege, von der Grotte und Quelle -empordringend. Ich bemerke, wie das Tier von einem großen, rotbraunen -Segel beunruhigt ist, das sich dem Lande, düster schattend, bis auf -wenige Meter nähert, um hier zu wenden. Unwillkürlich muß ich an Seeraub -denken und das fortwährende, klägliche Hilferufen des geängstigten -Tieres bringt mir, beim Anblick des großen, drohenden Segels, die alte -Angst des einsamen Küstenbewohners, vor Überfällen, nah. - - -Oft ist bei Homer von schwarzen Schiffen die Rede. Ob sie nicht etwa den -Nordlandsdrachen ähnlich gewesen sind? Und ob nicht etwa die homerischen -Griechen, die ja durchaus Seefahrer und Abenteurernaturen waren, auch -das griechische Festland vom Wasser aus zuerst betreten haben? - -Eigentümlich ist es, wie sich in einem Gespräch des Plutarch eine -Verbindung des hohen Nordens mit diesem Süden andeutet; wo von Völkern -griechischen Stammes die Rede ist, die etwa in Kanada angesessen waren, -und von einer Insel Ogygia, wo der von Zeus entthronte Kronos gleichsam -in Banden eines Winterschlafes gefangen saß. Besonders merkwürdig ist -der Zug, daß jener entthronte Gott, Kronos oder Saturn, noch immer alles -dasjenige träumte, was der Sohn und Sieger im Süden, Zeus, im Wachen -sah. Also etwa, was jener träumte, war diesem Wirklichkeit. Und Herakles -begab sich einst in den Norden zurück, und seine Begleiter reinigten -Sitte und Sprache der nördlichen Griechen, die inzwischen verwahrlost -waren. - -Ich strecke mich auf das saftige Grün der Terrasse unter die zahllosen -Gänseblümchen aus, als ob ich, ein erster Grieche, soeben nach vieler -Mühsal gelandet wäre. Ein starkes Frühlingsempfinden dringt durch mich; -und in diesem Gefühle eins mit dem Sprossen, Keimen und Blühen rings um -mich her, empfinde ich jeden Naturkult, jede Art Gottesdienst, jedes -irgendwie geartete höhere Leben des Menschen durch Eros bedingt. - - -Ich beobachte eben, vor Sonnenuntergang, in einer Ausbuchtung der -Kaimauer, zwei Muselmänner. Sie verrichten ihr Abendgebet. Die Gesichter -»nach Mekka« gewendet, gegen das Meer und die epirotischen Berge, stehen -sie ohne Lippenbewegung da. Die Hände sind nicht gefaltet, nur mit den -Spitzen der Finger aneinandergelegt. Jetzt, indem sie sich auf ein Knie -senken, machen sie gleichzeitig eine tiefe Verneigung. Diese Bewegung -wird wiederholt. Sie lassen sich nun auf die Kniee nieder und berühren -mit den Stirnen die Erde. Auch diesen Ausdruck andachtsvoller -Erniedrigung wiederholen sie. Aufgerichtet, beten sie weiter. Nochmals -sinken sie auf die Kniee und berühren mit ihren Stirnen wieder und -wieder den Boden. Alsdann fährt sich, noch kniend, der ältere von den -beiden Männern mit der Rechten über das Angesicht und über den dunklen, -graumelierten Bart, als wollte er einen Traum von der Seele streifen, -und nun kehren sie, erwacht, aus dem inneren Heiligtum in das laute -Straßenleben, das sie umgibt, zurück. Wer diese Kraft zur Vertiefung -sieht, muß die Macht anerkennen und verehren, die hier wirksam ist. - - -Heut werfen die Wellen ihre Schaumschleier über die Kaimauer der Strada -marina. Die Möven halten sich mit Meisterschaft gegen den starken -Südwind über den bewegten Wassern des Golfes von Kastrades. Es herrscht -Leben und Aufregung. Von gestern zu heut sind die Baumwipfel grün -geworden im lauen Regen. - -Die Luft ist feucht. Der Garten, in den ich eintrete, braust laut. Der -Garten der Kirke, wie ich den Garten des Königs jetzt lieber nenne, -braust laut und melodisch und voll. Düfte von zahllosen Blüten dringen -durch dunkle, rauschende Laubgänge und strömen um mich mit der bewegten -Luft. Es ist herrlich! Der Webstuhl der Kirke braust wie Orgeln: -Choräle, endlos und feierlich. Und während die Göttin webt, die -Zauberin, bedeckt sich die Erde mit bunten Teppichen. Aus grünen Wipfeln -brechen die Blüten: gelb, weiß und rot, wie Blut. Das zarteste der -Schönheit entsteht ringsum. Millionen kleiner Blumen trinken den Klang -und wachsen in ihm. Himmelhohe Zypressen wiegen die schwarzen Wedel -ehrwürdig. Der gewaltige Eukalyptus, an dem ich stehe, scheint zu -schaudern vor Wonne, im Ansturm des vollen, erneuten Lebenshauchs. Das -sind Boten, die kommen! Verkündigungen! - -Wie ich tiefer in das verwunschene Reich eindringe, höre ich über mir in -der Luft das beinahe melodische Knarren eines großen Raben. Ich sehe ihn -täglich, nun schon das drittemal: den Lieblingsvogel Apollons. Er -überquert eine kleine Bucht des Gartens. Der Wind trägt seine Stimme -davon, denn ich sehe nur noch, wie er seinen Schnabel öffnet. - -Immer noch umgibt mich das Rauschen, das allgemeine, tiefe Getöse. Es -scheint aus der Erde zu kommen. Es ist, als ob die Erde selbst tief und -gleichmäßig tönte, mitunter bis zu einem unterirdischen Donner -gesteigert. - -Im Schatten der Ölbäume, im langhalmigen Wiesengras, gibt es viele -gemauerte Wasserbrunnen. Über einem, der mir vor Augen liegt, sehe ich -Nymphe und Najade gesellt, denn der Gipfel eines Baumes, dessen Stamm im -Innern der Zisterne heraufdringt, überquillt ihre Öffnung mit jungem -Grün. Die Grazien umtanzen in Gestalt vieler zartester Wiesenblumen den -verschwiegenen Ort. - -Die Gestalten der Kirke und der Kalypso ähneln einander. Jede von ihnen -ist eine »furchtbare Zauberin«, jede von ihnen trägt ein anmutig feines -Silbergewand, einen goldenen Gürtel und einen Schleier ums Haupt. Jede -von ihnen hat einen Webstuhl, an dem sie ein schönes Gewebe webt. Jede -von ihnen wird abwechselnd Nymphe und Göttin genannt. Sie haben beide -eine weibliche Neigung zu Odysseus, der mit jeder von ihnen das Lager -teilen darf. Beide, an bestimmte Wohnplätze gebunden, sind der mythische -Ausdruck sich regender Wachstumskräfte in der Frühlingsnatur, nicht wie -die höheren Gottheiten überall, sondern an diesem und jenem Ort. In -Kirke scheint das Wesen des Mythus, und besonders in ihrer Kraft zu -verwandeln, tiefer und weiter, als in Kalypso ausgebildet zu sein. - -Das Rauschen hat in mir nachgerade einen Rausch erzeugt, der Natur und -Mythus in eins verbindet, ja ihn zum phantasiegemäßen Ausdruck von jener -macht. Auf den Steinen des antiken Tempelchens sitzend, höre ich Gesang -um mich her, Laute von vielen Stimmen. Ich bin, wie durch einen leisen, -unwiderstehlichen Zwang, in meiner Seele willig gemacht, Zeus und den -übrigen Göttern Trankopfer auszugießen, ihre Nähe im Tiefsten -empfindend. Es ist etwas Rätselhaftes auch insofern um die -Menschenseele, als sie zahllose Formen anzunehmen befähigt ist. Eine -große Summe halluzinatorischer Kräfte sehen wir heut als krankhaft an, -und der gesunde Mensch hat sie zum Schweigen gebracht, wenn auch nicht -ausgestoßen. Und doch hat es Zeiten gegeben, wo der Mensch sie voll -Ehrfurcht gelten und menschlich auswirken ließ. - - »Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten - Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten. - Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine - Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.« - -Die schöne Wäscherin, die ich an einem versteckten Röhrenbrunnen -arbeiten sehe, auf meinem Heimwege durch den Park -- die erste schöne -Griechin überhaupt, die ich zu Gesicht bekomme! -- sie scheint mir eine -von Kirkes Mägden zu sein. Und wie sie mir in die Augen blickt, befällt -mich Furcht, als läge die Kraft der Meisterin auch in ihr, Menschen in -Tiere zu verwandeln, und ich sehe mich unwillkürlich nach dem Blümchen -Molly um. - - -Heut, den 5. April, hat ein großes Schiff dreihundert deutsche Männer -und Frauen am Strande von Korfu abgesetzt. Ein mit solchen Männern und -Frauen beladener Wagen kutscht vor mir her. Auf der Strada marina läßt -Gevatter Wurstmacher den Landauer anhalten, steigt heraus und nimmt mit -einigen lieben Anverwandten, eilig, in ungezwungener Stellung, -photographiergerecht, auf der Kaimauer Platz. Ein schwarzbärtiger -Idealist mit langen Beinen und engem Brustkasten erhebt sich auf dem -Kutschbock und photographiert. Am Eingange meines Gartens holt die -Gesellschaft mich wieder ein, die sich durch das unumgängliche -Photographieren verzögert hat. »Palais royal?« tönt nun die Frage an den -Kutscher auf gut Französisch. -- - -Und wie ich den Garten der Zauberin wieder betrete, von heimlichem -Lachen geschüttelt, fällt mir eine Geschichte ein: Mitridates steckte -einst in Kleinasien einen Hain der Eumeniden in Brand, und man hörte -darob ein ungeheures Gelächter. Die beleidigten Götter forderten nach -dem Spruche der Seher Sühnopfer. Die Halswunde jenes Mädchens aber, das -man hierauf geschlachtet hatte, lachte noch auf eine furchtbare Weise -fort. - - -Das eine der Fenster unseres Wohnsaales im Hotel Belle Venise gewährt -den Blick in eine Sackgasse. Dort ist auch ein Abfallwinkel des Hotels. -Der elende Müllhaufen übt eine schreckliche Anziehungskraft auf Tiere -und Menschen aus. So oft ich zum Fenster hinausblicke, bemerke ich ein -anderes hungriges Individuum, Hund oder Mensch, das ihn durchstöbert. -Ohne jeden Sinn für das Ekelhafte greift ein altes Weib in den Unrat, -nagt das sitzengebliebene Fleisch aus Apfelsinenresten und schlingt -Stücke der Schale ganz hinab. Jeden Morgen erscheinen die gleichen -Bettler, abwechselnd mit Hunden, von denen mitunter acht bis zehn auf -einmal den Haufen durchstören. Diese scheußliche Nahrungsquelle -auszunützen, scheint der einzige Beruf vieler unter den ärmsten -Bewohnern Korfus zu sein, die in einem Grade von Armut zu leben -gezwungen sind, der, glaube ich, selbst in Italien selten ist. Von -Müllhaufen zu Müllhaufen wandern, welch ein unbegreifliches Los der -Erbärmlichkeit! Mit Hunden und Katzen um den Wegwurf streiten. Und doch -war es vielleicht mitunter das Los Homers, der, wie Pausanias schreibt, -auch dieses Schicksal gehabt hat, als blinder Bettler von Ort zu Ort zu -ziehn. - - -Der Garten der Kirke liegt diesen Nachmittag in einer düstern -Verzauberung. Die blaßgrünen Schleier der Olivenzweige rieseln leis. Es -ist ein ganz zartes und feines Singen. Von unten tönt laut das eherne -Rauschen des Jonischen Meeres. Ich muß an das unentschiedene -Schlachtengetöse homerischer Kämpfe denken. Der Wolkenversammler -verdunkelt den Himmel, und eine bängliche Finsternis verbreitet sich -zwischen den Stämmen unter den Ölbaumwipfeln. Vereinzelte große -Regentropfen fallen auf mich. Der Efeu erscheint wie ein polypenartig -würgendes Tier, er schlägt in unzerbrechliche Bande: Mauern, steinerne -Stufen, Bäume! Es ist etwas ewig Totes, ewig Stummes, ewig Verlassenes, -ewig Verwandeltes in der Natur und in allem vegetativen Dasein des -Gartens. Die Tiere der Kirke schleichen lautlos, tückisch und -unsichtbar! der bösen, tückischen Kirke Gefangene! Sie erscheinen für -ewig ins Innere dieser Gartenmauer gebannt, wie Sträucher und Bäume an -ihre Stelle. Alle diese uralten, rätselhaft verstrickten Olivenbäume -gleichen unrettbar verknoteten Schlangen, erstarrt, mitten im Kampf, -durch ein schreckliches Zauberwort. - -Aber nun geht eine Angst durch den Garten: etwas wie Angst oder nahes -Glück. Wir alle, unter der drohenden Macht des beklemmenden Rätsels -eines unsagbar traurigen und verwunschenen Daseins, fühlen den nahen -Donner des Gottes voraus. Mächtig grollt es fern auf; und Zeus winkt mit -der Braue ... Kirke erwartet Zeus. - - -Ehe man Potamo auf Korfu erreicht, überschreitet man einen kleinen Fluß. -Die Ortschaft ist mit grauen Häuschen und einem kleinen Glockenturm auf -eine sanft ansteigende Berglehne zwischen Ölbäume und Zypressen -hingestreut. Unter den Bewohnern des Ortes, die alle dunkel sind, fällt -ein Schmied oder Schlosser auf, der in der Tür seiner Werkstatt mit -seinem Schurzfell dasteht, blauäugig, blond und von durchaus kernigem, -deutschem Schlag, seiner Haltung und dem Ausdruck seines Gesichtes nach. - -Das Tal hinter Potamo entwickelt die ganze Fülle der fruchtbaren Insel. -Auf saftigen Wiesenabhängen langhalmiger, üppiger Gräser und Blumen, -stehen, Wipfel an Wipfel, Orangenbäume, jeder mit einem Reichtum -schwerer und reifer Früchte durchwirkt. Die gleiche, lastende Fülle ist, -links vom Wege, in die Talsenkung hinein verbreitet und jenseit die -Abhänge hinauf, bis unter die allgegenwärtigen Ölbäume. Fruchtbare Fülle -liegt wie ein strenger Ernst über diesem gesegneten Tal. Es ist von -Reichtum gleichsam beschwert bis zur Traurigkeit. Es ist etwas fronmäßig -Lasttragendes in diesem Überfluß, so daß hier wiederum das Mysterium der -Fruchtbarkeit, beinahe zu Gestalten verdichtet, dem inneren Sinne sich -aufdrängt. Hier scheint ein dämonischer Reichtum wie dazu bestimmt, -verschlagenen Seefahrern sich für eine angstvolle Schwelgerei -darzubieten, panischen Schrecknissen nahe. - -Gestrüppen, wilden Dickichten gleich, steigen Orangengärten in die -Schluchten hinunter, die von uralten Oliven und Zypressen verfinstert -sind und locken von dort her, aus der verschwiegenen Tiefe mit ihrer -süßen, schweren, fast purpurnen Frucht. Man spürt das Gebärungswunder, -das Wunder nymphenhafter Verwandlungen: ein Wirken, das ebenso süß, als -qualvoll ist. - -Ich sollte hier der Orange von Korfu, als der besten der Welt begeistert -huldigen! -- Man gehe hin und genieße sie. - -Die Straße steigt an und bei einer Wendung tut sich, weithin gedehnt, -eine sanfte Tiefe dem Blicke auf: die Ebene zwischen Govino und Pyrgi -ungefähr, mit ihren umgrenzenden Höhenzügen. Wälder von Olivenbäumen -bedecken sie, ja Gipfel, Abhänge und Ebene überzieht ein einziger Wald. -Der majestätische Ernst des Eindrucks ist mit einem unsäglich weichen -Reiz verbunden. - -Eine Biegung der Straße enthüllt teilweise die blauleuchtende Bucht und -die Höhe des San Salvatore dahinter. Zum Ernst, zur Einfalt, zur -Großheit, darf man sagen, tritt nun die Süße. -- Wir wandeln unter die -Wälder hinein. Das Auge wird immer wieder gefesselt von dem -unvergleichlichen Linienreiz der zerlöcherten und zerklüfteten -Riesenstämme, von denen einige zerrissen und in wilde Windungen -zerborsten, doch, mit erzenem, unbeweglichem Griff in die Erde -verknotet, aufrecht geblieben sind. - -Der Himmel ist grau und bewölkt. Wir entdecken in der Tiefe der -fruchttragenden Waldungen Kinder, Hirtinnen mit gelben Kopftüchern. Bis -an die Straße zu uns her sind kleine, wollige, unwahrscheinliche -Jesusschäfchen verstreut. Ich winke einer der kleinen Hirtinnen: sie -kommt nicht leicht. Ihr Dank für unsere Gabe ist ganz Treuherzigkeit. - -Schemenhaft flüstern die Ölzweige. Weithin geht und weither kommt -ewiges, sanftes, fruchtbares Rauschen. - - -Wir unternehmen heut eine Fahrt nach Pelleka. Dort, von einem gewissen -Punkte aus, überblickt man einen sehr großen Teil der Insel, die Buchten -gegen Epirus hin und zugleich das freie Jonische Meer. - -Heute, am Sonntag, lehnen etwa hundert Männer über die Mauer der Straße, -wo diese eine Kehre macht und gleichsam eine Terrasse oder Rampe der -Ortschaft bildet. Unser Wagen wird sogleich von einer großen Menge -erbärmlich schmutziger Kinder umringt, die zumeist ein verkommenes -Ansehen haben und schlimm husten. Mit uns dem gesuchten Aussichtspunkt -zusteigend -- wir haben den Wagen verlassen! -- verfolgen uns die Kinder -in hellen Haufen. Eingeborene Männer versuchen es immer wieder, sie zu -verscheuchen, stets vergeblich. Die Kleinen lassen uns vorüber, stehen -ein wenig, suchen uns aber gleich darauf wieder auf kürzeren Wegen, -rennend, springend, stürzend, einander stoßend, zuvor zu kommen, um mit -zäher Unermüdlichkeit uns wiederum anzubetteln. - -Sie sind fast durchgängig brünett. Aber es ist auch ein blondes Mädchen -da, blauäugig und von zart weißer Haut: ein großer, vollkommen deutscher -Kopf, der als solcher auf einem Leiblschen Bilde stehen könnte. Bei -diesem Anblick beschleicht mich eine gewissermaßen irrationale -Traurigkeit, denn das Mädchen ist eigentlich die vergnügteste unter -ihren zahllosen dunklen Zufallsschwestern. - -In Gruppen und von den Männern gesondert, stehen am Eingang und Ausgang -des kleinen Fleckens die Frauen von Pelleka. Sie machen in der stämmigen -Fülle des Körpers und der bunten Schönheit der griechischen Tracht den -Eindruck der Wohlhabenheit. Das reiche Haar, das ihre Köpfe in stolzer -Frisur umgibt, ist nicht nur ihr eigenes, sondern durch den Haarschatz -von Müttern, Großmüttern und Urgroßmüttern vermehrt, der als heilige -Erbschaft betrachtet wird. - - -Heut, soeben, begann ich den letzten Tag, der noch auf Korfu enden wird. -Zum Fenster hinausblickend, gewahre ich in der Nähe des Abfallhaufens -eine Versammlung von etwa zwanzig Männern: sie umstehen einen vom Regen -noch feuchten Platz, auf dem sich, wie kleine zerknüllte Lümpchen, -mehrere schmutzige Drachmenscheine befinden. Man schiebt sie mit -Stiefelspitzen von Ort zu Ort. Einer der Männer wirft vom Handrücken aus -zwei kupferne Münzen in die Luft, und je nachdem sie auf dem Kopfe der -Könige liegen, oder diesen nach oben kehren, entscheiden sie über -Verlust und Gewinn. Nachdem ein Wurf des Glücksspiels geschehen ist, -nimmt einer der Spieler, ein schäbiger Kerl, als Gewinner den ziemlich -erheblichen Einsatz vom Erdboden auf und steckt ihn ein. - -Die Bevölkerung Korfus krankt an dieser Spielleidenschaft. Es werden -dabei von armen Leuten Gewinne und Verluste bestritten, die in keinem -Vergleich zu ihrem geringen Besitze stehen. Man sucht dieser Spielwut -entgegenzuwirken. Aber, trotzdem man das stumpfsinnige Laster, sofern es -in Kneipen oder irgendwie öffentlich auftritt, unter Strafe stellt, ist -es dennoch nicht auszurotten. Macht doch die ganze Bevölkerung -gemeinsame Sache gegen die Polizei! So sind zum Beispiel die -Droschkenkutscher auf der breiten Straße, in die unser Sackgäßchen -mündet, freiwillige Wachtposten, die den ziemlich sorglosen Übertretern -der Gesetzesbestimmungen soeben die Annäherung eines Polizeimannes durch -Winke verkündigen, worauf sich der Schwarm sofort zerstreut. - - -Ein griechischer Dampfer liegt am Ufer. Ein italienischer kommt eben -herein. Ihm folgt die »Tirol« vom Triester Lloyd. Menschen und Möwen -werden aufgeregt. - -Die Einschiffung ist nicht angenehm. Wir sind hinter einem Berg von -Gepäck ins Boot gequetscht, und jeden Augenblick drohen die hohen Wogen -das überladene Fahrzeug umzuwerfen. - -Selten ist der Aufenthalt an Deck eines Schiffes im Hafen angenehm. Das -Idyll, sofern nicht das Gegenteil eines Idylls im Schicksalsrate -beschlossen ist ... das Idyll beginnt immer erst nach der Abfahrt. - -Eine schlanke, hohe, jugendschöne Engländerin mit den edlen Zügen -klassischer Frauenbildnisse ist an Bord. Seltsam, ich vermag mir das -homerische Frauenideal, vermag mir eine Penelope, eine Nausikaa, nur von -einer so gearteten Rasse zu denken. - -Langsam gleitet Korfu, die Stadt, und Korfu, die Insel, an uns vorüber: -die alten Befestigungen, die Esplanade, die Strada marina am Golf von -Kastrades, auf der ich so oft nach dem königlichen Garten, nach dem -Garten der Kirke, gewandert bin. Der Garten der Kirke selbst gleitet -vorüber. Ich nehme mein Fernglas und bin noch einmal an dem lieblichen, -jetzt in Schatten gelegten Ort, wo die Trümmer des kleinen antiken -Tempelchens einsam zurückbleiben, und wo ich, seltsam genug bei meinen -Jahren, fast wunschlos glückliche Augenblicke genoß. Oft sah ich von -dort aus Schiffe vorübergleiten und bin nun selbst, der vorübergleitet -auf seinem Schiff. Über den dunklen Wipfelgebieten des Gartens steht die -Sonne hinter gigantischen Wolken im Niedergang und bricht über alles zu -uns und zum Himmel hervor in gewaltigen, limbusartigen Strahlungen, und -im Weitergleiten des Schiffes erfüllt mich nur noch der eine Gedanke: du -bist auf der Pilgerfahrt zur Stätte des goldelfenbeinernen Zeus. - - -Die ersten Stunden auf klassischem Boden, nachdem wir in Patras Morgens -gelandet sind, bieten lärmende unangenehme Eindrücke. Aber, trotzdem wir -nun in einem Bahncoupé, und zwar in einem ziemlich erbärmlichen, sitzen, -saugt sich das Auge an Felder und Hügel dieser an uns vorüberflutenden -Landschaft fest, als wäre sie nicht von dieser Erde. Vielleicht lieben -wir Träume mit stärkerer Liebe, als Wirklichkeit. Aber das innere Auge, -das sich selbst im Schlafe oft genug weit öffnet, legt sich mitunter in -den Wiesen, Hainen und Hügelländern zur Ruh, die sich einem äußeren -Sinne im Lichte des wachen Tages schlicht und gesund darbieten. Und -etwas, wie eines inneren Sinnes Entlastung spüre ich nun. - -Also: um mich ist Griechenland. Das, was ich bisher so nannte, war alles -andere, nur nicht Land. Die Sehnsucht der Seele geht nach Land, der -Sehnsucht des Seefahrers darin ähnlich. Immer ist es zunächst nur -eingebildet, wonach man sich sehnt, und noch so genaue Nachricht, noch -so getreue Schilderung kann aus der schwebenden Insel der Phantasie kein -wirklich am Grunde des Meeres verwurzeltes Eiland machen. Das vermag nur -der Augenblick, wo man es wirklich betritt. - -Was nun so lange durchaus nur ein bloßer Traum der Seele gewesen ist, -das will eben diese Seele, vom Staunen der äußeren Sinne berührt, die, -von dem Ereignis betroffen, rastlos verzückt, fast überwältigt -umherforschen ... das will eben diese Seele nicht gleich für wahr -halten. Auch deshalb nicht, weil damit in einem anderen Sinne etwas, zum -mindesten der Teil eines Traumbesitzes, in sich versinkt. Dies gilt aber -nur für Augenblicke. Es gibt in einem gesund gearteten Geiste keine -Todfeindschaft mit der Wirklichkeit: und was sie etwa in einem solchen -Geiste zerstört, das hilft sie kräftiger wiederum aufrichten. - -Die Landschaft von Elis, durch die wir reisen, berührt mich heimisch. -Wir haben zur Rechten das Meer, hinter roter Erde, in unglaublicher -Farbenglut. Wie bläulicher Duft liegen Inseln darin: erst wird uns -Ithaka, dann Cephalonia, später Zakynthos deutlich. Wir werden an Hügeln -vorübergetragen, niedrigen Bergzügen, vor denen Fluren sich ausbreiten, -die mit Rebenkulturen bestanden sind. Die Berge zur Linken weichen -zurück hinter eine weite Talebene, die sie mit ihren Schneehäuptern -begleiten. Einfache, grüne Weideflächen erfreuen den Blick. Und -plötzlich erscheinen Bäume, einzelstehend, knorrig, weitverzweigt, die -für das zu erklären, was sie wirklich sind, ich kaum getraue. Aber es -sind und bleiben doch Eichen, deutsche Eichen, so alt und mächtig -entwickelt, wie in der Heimat sie gesehen zu haben ich mich nicht -erinnern kann. - -Stundenweit dehnen sich nun diese Eichenbestände. Doch sind die jetzt -noch fast kahlen Kronen so weit voneinander entfernt, daß ihre Zweige, -so breit sie umherreichen, sich nicht berühren. In den einsamen -Weideländern darunter zeigen sich hie und da Hirten mit Herden. - -Es kommt mir vor, als ob ich unter den vielen, die mit uns reisen, einem -großartigen Festtumulte zustrebte. Und durchaus ungewollt drängt sich -mir nach und nach die Vision eines olympischen Tages auf: der Kopf und -nackte Arm eines jungen Griechen, ein Schrei, eine Bitte, ein -Pferdegewieher, Beifallstoben, ein Fluch des Besiegten. Ein Ringer, der -sich den Schweiß abwischt. Ein Antlitz, im Kampfe angespannt, fast -gequält in übermenschlicher Anstrengung. Donnernder Hufschlag, -Rädergekreisch: alles vereinzelt, blitzartig, fragmentarisch. - - -Wir sind in Olympia. - -Auf diesem verlassenen Festplatz ist kaum etwas anderes, als das sanfte -und weiche Rauschen der Aleppokiefer vernehmlich, die den niedrigen -Kronoshügel bedeckt und hie und da in den Ruinen des alten Tempelbezirks -ihre niedrigen Wipfel ausbreitet. - -Dieses freundliche Tal des Alpheios ist dermaßen unscheinbar, daß man, -den ungeheuren Klang seines Ruhmes im Herzen, bei seinem Anblick in -eigentümlicher Weise ergriffen ist. Aber es ist auch von einer -bestrickenden Lieblichkeit. Es ist ein Versteck, durch einen niedrigen -Höhenzug jenseits des Flusses -- und diesseits durch niedrige Berge -getrennt von der Welt. Und jemand, der sich von dieser Welt ohne Haß zu -verschließen gedächte, könnte nirgend geborgener sein. - -Ein kleines, idyllisches Tal für Hirten -- eine schlichte, beschränkte -Wirklichkeit! -- mit einem versandeten Flußlauf, Kiefern und kärglichem -Weideland, und doch: es mag hier gewesen sein, es weigert nichts in dem -Pilger, für wahr hinzunehmen, daß hier der Kronide, der Ägiserschütterer -Zeus, mit Kronos um die Herrschaft der Welt gerungen hat. -- Das ist das -Wunderbare und Seltsame. - - -Die Abhänge jenseit des Alpheios färben sich braun. Die Sonne eines -warmen und reinen Frühlingstages dringt nicht mehr mit ihren Strahlen -bis an die Ruinen, zu mir. Zwei Elstern fliegen von Baum zu Baum, von -Säulentrommel zu Säulentrommel. Sie gebärden sich hier wie in einem -unbestrittnen Bereich. Ein Kuckuck ruft fortwährend aus den Wipfeln des -Kronoshügels herab. -- Ich werde diesen olympischen Kuckuck vom zwölften -April des Jahres Neunzehnhundertundsieben nicht vergessen. - -Die Dunkelheit und die Kühle bricht herein. Noch immer ist das Rauschen -des sanften Windes in den Wipfeln die leise und tiefe Musik der Stille. -Es ist ein ewiges, flüsterndes Aufatmen, traumhaftes Aufrauschen, -gleichsam Aufwachen, von etwas, das zugleich in einem schweren, -unerwecklichen Schlaf gebunden ist. Das Leben von einst scheint ins -Innere dieses Schlafes gesunken. Wer nie diesen Boden betreten hat, dem -ist es schwer begreiflich zu machen, bis zu welchem Grade Rauschen und -Rauschen verschieden ist. - -Es ist ganz dunkel geworden. Ich unterliege mehr und mehr wieder inneren -Eindrücken gespenstischer Wettspiele. Es ist mir, als fielen da und -dorther Schreie von Läufern und Ringern aus der nächtlichen Luft. Ich -empfinde Getümmel und wilde Bewegungen; und diese hastig fliehenden -Dinge begleiten mich wie irgendein Rhythmus, eine Melodie, dergleichen -sich manchmal einnistet und nicht zu tilgen ist. - -Plötzlich wird, von irgendeinem Hirtenjungen gespielt, der kunstlose -Klang einer Rohrflöte laut: er begleitet mich auf dem Heimwege. - - -Der Morgen duftet nach frischen Saaten und allerlei Feldblumen. -Sperlinge lärmen um unsere Herberge. Ich stehe auf dem Vorplatz des -hübschen, luftigen Hauses und überblicke von hier aus das enge, -freundliche Tal, das die olympischen Trümmer birgt. Hähne krähen in den -Höfen verschiedener kleiner Anwesen in der Nähe, von denen jedoch hier -nur eines, ein Hüttchen, am Fuße des Kronoshügels, sichtbar ist. - -Man müßte ein Tälchen von ähnlichem Reiz, ähnlicher Intimität vielleicht -in Thüringen suchen. Wenn man es aber so eng, so niedlich und voller -idyllischer Anmut gefunden hätte, so würde man doch nicht, wie hier, so -tiefe und göttliche Atemzüge tun. - -Mich durchdringt eine staunende Heiterkeit. Der harzige Kiefernadelduft, -die heimisch-ländliche Morgenmusik beleben mich. Wie so ganz nah und -natürlich berührt nun auf einmal das Griechentum, das durchaus nicht nur -im Sinne Homers oder gar im Sinne der Tragiker zu begreifen ist. Viel -näher in diesem Augenblick ist mir die Seele des Aristophanes, dessen -»Frösche« ich von den Alpheiossümpfen herüber quaken höre. So laut und -energisch quakt der griechische Frosch -- ich konnte das während der -gestrigen Fahrt wiederholt bemerken! -- daß er literarisch durchaus -nicht zu übersehen, noch weniger zu überhören war. - -Überall schlängeln sich schmale Pfade über die Hügel und zwischen den -Hügeln hindurch. Sie sind wie Bänder durch einen Flußlauf gelegt, der -zum Alpheios fließt. Kleine Karawanen, Trupps von Eseln und Mauleseln -tauchen auf und verschwinden wieder. Man hört ihre Glöckchen, bevor man -die Tiere sieht, und nachdem sie den Gesichtskreis verlassen haben. Am -Himmel zeigen sich streifige Windwolken. In der braunen Niederung des -Alpheios weiden Schafherden. - -Man wird an ein großartiges Idyll zu denken haben, das in diesem Tälchen -geblüht hat. Es lebte hier eine Priestergemeinschaft nahe den Göttern; -aber diese, Götter und Halbgötter, waren die eigentlichen Bewohner des -Ortes. Wie wurde doch gerade dieses anspruchslose Stückchen Natur so von -ihnen begnadet, daß es gleich einem entfernten Fixstern -- einer vor -tausend Jahren erloschenen Sonne gleich -- noch mit seinem vollen, -ruhmstrahlenden Lichte in uns ist? - -Diese bescheidenen Wiesen und Anhöhen lockten ein Gedränge von Göttern -an, dazu Scharen glanzbegieriger Menschen, die von hier einen Platz -unter den Sternen suchten. Nicht alle fanden ihn, aber es lag doch in -der Macht des olympischen Zweiges, von einem schlichten Ölbaum dieser -Flur gebrochen, Auserwählten Unsterblichkeit zu gewähren. - - -Ich ersteige den Kronoshügel. Es riecht nach Kiefernharz. Einige Vögel -singen in den Zweigen schön und anhaltend. Im Schatten der Nadelwipfel -gedeiht eine zarte Ilexart. Die gewundenen Stämme der Kiefern mit tief -eingerissener Borke haben etwas Wildkräftiges. Ich pflücke eine -blutrote, anemonenartige Blume, überschreite das Band einer Wanderraupe, -fünfzehn bis zwanzig Fuß lang. Die Windungen des Alpheios erscheinen: -des Gottes, der gen Orthygia hinstrebt, jenseits des Meeres, wo -Arethusa, die Nymphe, wohnt, die Geliebte. - -Die Fundamente und Trümmer des Tempelbezirks liegen unter mir. Dort, wo -der goldelfenbeinerne Zeus gestanden hat, auf den Platten der Cella des -Zeustempels, spielt ein Knabe. Es ist mein Sohn. Etwas vollkommen -Ahnungsloses, mit leichten, glücklichen Füßen die Stelle umhüpfend, die -das Bildnis des Gottes trug, jenes Weltwunder der Kunst, von dem unter -den Alten die Rede ging, daß, wer es gesehen habe, ganz unglücklich -niemals werden könne. - -Die Kiefern rauschen leise und traumhaft über mir. Herdenglocken, wie in -den Hochalpen oder auf den Hochflächen des Riesengebirges, klingen von -überall her. Dazu kommt das Rauschen des gelben Stroms, der in seinem -breiten, versandeten Bette ein Rinnsal bildet, und das Quaken der -Frösche in den Tümpeln stehender Wässer seiner Ufer. - -Immer noch hüpft der Knabe um den Standort des Götterbildes, das, -hervorgegangen aus den Händen des Phidias, den Wolkenversammler, den -Vater der Götter und Menschen darstellte; und ich denke daran, wie, der -Sage nach, der Gott mit seinem Blitz in die Cella schlug und auf diese -Art dem Meister seine Zufriedenheit ausdrückte. Was war das für ein -Meister und ein Geschlecht, das Blitzschlag für Zustimmung nahm! Und was -war das für eine Kunst, die Götter zu Kritikern hatte! - -Die Hügel jenseits des Alpheios bilden eine Art Halbkreis, und ich -empfinde sie fast, unwillkürlich forschend hinüberblickend, als einen -amphitheatralischen Rundbau für göttliche Zuschauer. Rangen doch auf dem -schlichten Festplatz unter mir Götter und Menschen um den Preis. - -Meinen Sinn zu den Himmlischen wendend, steige ich langsam wieder in das -Vergessenheit und Verlassenheit atmende Wiesental: das Tal des Zeus, das -Tal des Dionysos und der Chariten, das Tal des idäischen Herakles, das -Tal der sechzehn Frauen der Hera, wo auf dem Altar des Pan Tag und Nacht -Opfer brannten, das Tal der Sieger, das Tal des Ehrgeizes, des Ruhmes, -der Anbetung und Verherrlichung, das Tal der Wettkämpfe, wo es dem -Herakles nicht erspart blieb, mit den Fliegen zu kämpfen, die er aber -nur mit Hilfe des Zeus besiegte und dort hinüber, hinter das jenseitige -Ufer des Alpheios, trieb. - -Und wieder schreite ich zwischen den grauen Trümmern hin, die eine -schöne Wiese bedecken. Überall saftiges Grün und gelbe Maiblumen. Das -Elsternpaar von gestern fliegt vor mir her. Die Säulen des Zeustempels -liegen, wie sie gefallen sind: die riesigen Porostrommeln schräg -voneinander gerutscht. Überall duftet es nach Blumen und Thymian um die -Steinmassen, die sich im wohltätigen Scheine der Morgensonne warm -anfühlen. Von einem jungen Ölbäumchen, nahe dem Zeustempel, breche ich -mir, in unüberwindlicher Lüsternheit, seltsamerweise zugleich fast scheu -wie ein Dieb, den geheiligten Zweig. - - -Abschiednehmend trete ich heut das zweitemal vor die Giebelfiguren des -Zeustempels, in dem kleinen Museum zu Olympia, und dann vor den Hermes -des Praxiteles. Ich lasse dahingestellt, was offenkundig diese Bildwerke -unterscheidet, und sehe in Hermes weniger das Werk des Künstlers, als -den Gott. Es ist hier möglich, den Gott zu sehen, in der Stille des -kleinen Raums, an den die Äcker und Wiesen dicht herantreten. Und so -gewiß man in den Museen der großen Städte Kunstwerke sehen kann, vermag -man hier in die lebendige Seele des Marmors besser zu dringen und fühlt -heraus, was an solchen Gebilden mehr, als Kunstwerk ist. Die -griechischen Götter sind nicht von Ewigkeit. Sie sind gezeugt und -geboren worden. - -Dieser Gott ist besonders bedauernswert in seiner Verstümmelung, da ihm -eine überaus zärtliche Schönheit, ein weicher und lieblicher Adel eigen -ist. Ambrosische Sohlen sind immer zwischen ihm und der Erde gewesen. -Man hat ein Bedauern mit seiner Vereinsamung, weil die unverletzliche, -unverletzte, olympisch-weltferne Ruhe und Heiterkeit noch auf seinem -Antlitz zu lesen ist, während draußen Altäre und Tempel, fast dem -Erdboden gleichgemacht, in Trümmern liegen. - -Seltsam ist die hingebende Liebe und Schwärmerei, die dem Bildner den -Meißel geführt hat, als er den Rinderdieb, den Schalk, den Täuscher, den -schlauen Lügner, den lustigen Meineidigen, den Maultier-Gott und -Götterboten darstellte, der allerdings auch die Leier erfand. - - -Wie schwärmende Bienen am Ast eines Baumes, so hängen die Menschen am -Zuge, während wir langsam in Patras einfahren. Lärm, Schmutz, Staub -überall. Auch noch in das Hotelzimmer dringt der Lärm ohrenbetäubend. -Geräusche, als ob Raketen platzten oder Bomben geworfen würden, -unterbrechen das Gebrüll der Ausrufer. Patras ist, nächst dem Piräus, -der wichtigste Hafenplatz des modernen Griechenland. Wir sehnen uns in -das Unmoderne. - - -Endlich, nachdem wir eine Nacht hier haben zubringen müssen, sitzen wir, -zur Abfahrt fertig, wieder im Bahncoupé. Vor den Türen der Waggons -spielt sich ein tumultuarisches Leben mit allerlei bettelhaften Humoren -ab. Ein junger, griechischer Bonvivant schenkt einem zerlumpten, -lümmelhaft aussehenden Menschen Geld, zeigt flüchtig auf einen der -jugendlichen Händler, die allerlei Waren feilbieten, und sofort stürzt -sich der bezahlte, tierische Halbidiot auf eben den Händler und walkt -ihn durch. Noch niemals habe ich überhaupt binnen kurzer Zeit so viele, -wütende Balgereien gesehen. An zwei, drei Stellen des Volksgewimmels -klatschen fast gleichzeitig die Maulschellen. Man verfolgt, bringt zu -Fall, bearbeitet gegenseitig die Gesichter mit den Fäusten: alles, wie -wenn es so sein müßte, in großer Harmlosigkeit. - - -Zu den schönsten Bahnlinien der Welt gehört diejenige, die von Patras, -am Südufer des korinthischen Golfes entlang, über den Isthmus nach Athen -führt. Der Golf und seine Umgebung erinnern an die Gegenden des -Gardasees. Paradiesische Farbe, Glanz, Reichtum und Fülle in einer -beglückten Natur. Der Isthmus zeigt einen anderen Charakter: -Weideflächen, vereinzelte Hirten und Niederlassungen. Am Nordrand durch -Hügel begrenzt, die, bedeckt von den Wipfeln der Aleppo-Kiefer, zum -Wandern anlocken. Alles ist hier von einer erfrischenden, beinahe -nordischen Einfachheit. - -Die grünen Flächen der Landenge liegen in beträchtlicher Höhe über dem -Meere. Nach den großartigen und prunkhaften Wirkungen des -peloponnesischen Nordufers überrascht diese schlichte und herbe -Landschaft und berührt wohltätig. Eine Empfindung kommt über mich, als -sähe ich diese Fluren nicht zum ersten Mal. Das Vertraute daran ist, was -überrascht. Ich kann nicht sagen, daß mich etwa je auf der italienischen -Halbinsel eine Empfindung des Heimischen, so wie hier, beschlichen -hätte. Dort blieb immer der Reiz: das schöne Fremdartige. Ich spüre -schon jetzt: ich liebe dies Land. Schon jetzt, im Anfang, erfaßt die -Erkenntnis mich, wie ein Rausch, daß eben nur dieser Grund die wahre -Heimat der Griechen sein konnte. - -Ich spreche den Namen Theseus aus. Und nun hat sich in mir ein -psychischer Vorgang vollzogen, der mich, angesichts des isthmischen, -ernsten Landgebiets, der griechischen Art, sich Halbgötter vorzustellen, -näher bringt. Ich empfinde und sehe in Theseus den Mann von Fleisch und -Blut, der wirklich gelebt und dessen Fuß diese Landenge überschritten -hat; der, zum Heros gesteigert, noch immer so viel vom Menschen besaß, -als vom Gott und auch so noch mit der Stätte seines Wanderns und Wirkens -verbunden blieb. - -Warum scheuen wir uns und erachten für trivial, unsere heimischen -Gegenden, Berge, Flüsse, Täler zu besingen, ja, ihre Namen nur zu -erwähnen in Gebilden der Poesie? Weil alle diese Dinge, die als Natur -jahrtausendelang für teuflisch erklärt, nie wahrhaft wieder geheiligt -worden sind. Hier aber haben Götter und Halbgötter, mit jedem weißen -Berggipfel, jedem Tal und Tälchen, jedem Baum und Bäumchen, jedem Fluß -und Quell vermählt, alles geheiligt. Geheiligt war das, was über der -Erde, auf ihr und in ihr ist. Und rings um sie her, das Meer, war -geheiligt. Und so vollkommen war diese Heiligung, daß der Spätgeborene, -um Jahrtausende Verspätete, daß der Barbar noch heut -- und sogar in -einem Bahncoupé -- von ihr im tiefsten Wesen durchdrungen wird. - -Man muß die Bäume dort suchen, wo sie wachsen, die Götter nicht in einem -gottlosen Lande, auf einem gottlosen Boden. Hier aber sind Götter und -Helden Landesprodukte. Sie sind dem Landmann gewachsen, wie seine -Frucht. Des Landbauers Seele war stark und naiv. Stark und naiv waren -seine Götter. - -Theseus, um es noch einmal zu sagen, ist also für mich kein -riesenmäßiger, leerer Schemen mehr, ich empfinde ihn einerseits nah, -schlicht und materialisch, als Kind der Landschaft, die mich umgibt. -Andererseits erkenne ich ihn als das, wozu ihn die Seele des Griechen -erhoben hat, die aber doch Gott, wie Landeskind, an die Heimat bannte. - -Die Landschaft behält, von einer Strecke dicht über dem Meere abgesehen, -fortan den ernsten Ausdruck. Der Abend beginnt zu dämmern, ja, -verdüstert sich zu einer großartigen Schwermut, von einem Zauber, der -eher nordisch, als südlich ist. Es fällt lauer Regen. Das graue Megara, -das einen Hügel überzieht, wirkt wie eine geplünderte Stadt. Zwischen -Schutthaufen, in ärmlichen Winkeln halb eingestürzter Häuser, scheinen -die Menschen zu leben. Man glaubt eine Stadt zu sehen, über die ein -Eroberer mit Raub, Brand und Mord seinen Weg genommen hat. - -Kurz hinter Eleusis steigt der Zug nochmals bergan, durch die Vorhöhen -des Parnes. Bei tieferer Dunkelheit, zunehmendem Regen und kalter Luft -kommt mir die steinigte Einöde, in die ich hineinstarre, fast norwegisch -vor. Ich bin sehr glücklich über den Wetterumschlag, der mir die -ungesunde Vorstellung eines ewiglachenden Himmels nimmt. Die Gegend ist -menschenleer. Nur selten begegnet die dunkle Gestalt eines Hirten, -aufrecht stehend, dicht in den wolligen Mantel gehüllt. Und während der -kalte und feuchte Wind meine Stirne kühlt, Regentropfen mir ins Gesicht -wirft, und ich die starke, kalte Regen- und Bergluft in mich einsauge, -hat sich ein neues Band geknüpft zwischen meinem Herzen und diesem -Lande. - -Was Wunder, wenn durch die Erregung der langen Fahrt, in Dunkelheit, in -Wind und Wetter, einer höchsten Erfüllung nah, die Seele in einen -luziden Zustand gerät, wo es ihr möglich wird, von allem Störenden -abzusehen und deutliche Bilder längst vergangenen Lebens in die -phantastische, sogenannte Wirklichkeit hineinzutragen. Fast erlebe ich -so den tapferen Bergmarsch eines Trupps atheniensischer Jünglinge, etwa -zur Zeit des Perikles, und freue mich, wie sie, gesund und wetterhart, -der Unbill von Regen und Wind, wie wir selbst es gewohnt sind, wenig -achten. Ich lerne die ersten Griechen kennen. Ich freunde mich an mit -diesem Schwarm, ich höre die jungen Leute lachen, schwatzen, rufen und -atmen. Ich frage mich, ob nicht vielleicht am Ende Alcibiades unter -ihnen ist? Es ist mir, als ob ich auch ihn erkannt hätte! Und dies -Erleben wird so durchaus eine Realität, daß irgend etwas so Genanntes -für mich mehr Realität nicht sein könnte. - -Wir rollen hinab in die attische Ebene. Die Lichter einer Stadt, die -Lichter Athens, tauchen ferne auf. Das Herz will mir stocken ... - -Ein grenzenloses Geschrei, ein Gebrüll, das jeder Beschreibung spottet, -empfängt uns am Bahnhof von Athen. Mehrere hundert Kehlen von Kutschern, -Gepäckträgern und Hotelbediensteten überbieten sich. Ich habe einen -solchen Schlachttumult bis diesen Augenblick, der meinen Fuß auf -athenischen Boden stellt, nicht gehört. Die Nacht ist dunkel, es gießt -in Strömen. - - -Eine Stadt, wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwischen -Akropolis und Lykabethos einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn -überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit -ungestört hingeben kann. Zum dritten Mal bin ich nun im Theater des -Dionysos, dessen sonniger Reiz mich immer aufs neue anlockt. Es hält -schwer, sich an dieser Stelle in die furchtbare Welt der Tragödie zu -versetzen, hier, wo sie ihre höchste Vollendung gefunden hat. Das, was -ihr vor allem zu eignen scheint, das Nachtgeborene, ist von den Sitzen, -aus der Orchestra und von der Bühne durch das offene Licht der Sonne -verdrängt. Weißer und blendender Dunst bedeckt den Himmel, der Wind weht -schwül, und der Lärm einer großen Stadt mit Dampfpfeifen, Wagengerassel, -Handwerksgeräuschen und dem Geschrei der Ausrufer überschwemmt und -erstickt, von allen Seiten herandringend, jedweden Versuch zur -Feierlichkeit. - -Was aber auch hier sogleich in meiner Seele sich regt und festnistet, -fast jeder andren Empfindung zuvorkommend, ist die Liebe. Sie gründet -sich auf den schlichten und phrasenlosen Ausdruck, den hier die Kunst -eines Volkes gewonnen hat. Alles berührt hier gesund und natürlich, und -nichts in dieser Anlage erweckt den Eindruck zweckwidriger Üppigkeit -oder Prahlerei. Irgendwie gewinnt man, lediglich aus diesen -architektonischen Resten, die Empfindung von etwas Hellem, -Klar-Geistigem, das mit der Göttin im Einklang steht, deren -kolossalisches Standbild auf dem hinter mir liegenden Felsen der -Akropolis errichtet war, und deren heilig gesprochenen Vogel, die Eule, -man aus den Löchern der Felswand, und zwar in den lichten Tag und bis in -die Sitzreihen des Theaters hinein, rufen hört. - -Ich wüßte nicht, wozu der wahrhaft europäische Geist eine stärkere Liebe -fühlen sollte, als zum Attischen. Bei Diodor, den ich leider nur in -Übersetzung zu lesen verstehe, wird gesagt: die alten Ägypter hätten der -Luft den Namen Athene gegeben, und Glaukopis beziehe sich auf das -himmlische Blau der Luft. Der Geist, der hier herrschte, blieb leicht -und rein und durchsichtig, wie die attische Luft, auch nachdem das -Gewitter der Tragödie sie vorübergehend verfinstert, der Strahl des Zeus -sie zerrissen hatte. - -Als höchste menschliche Lebensform erscheint mir die Heiterkeit: die -Heiterkeit eines Kindes, die im gealterten Mann oder Volk entweder -erlischt, oder sich zur Kraft der Komödie steigert. Tragödie und Komödie -haben das gleiche Stoffgebiet: eine Behauptung, deren verwegenste -Folgerungen zu ziehen, der Dichter noch kommen muß. Der attische Geist -erzeugt, wie die Luft eines reinen Herbsttages, in der Brust jenen -wonnigen Kitzel, der zu einem beinahe nur innen spürbaren Lachen reizt. -Und dieses Lachen, durch den Blick in die Weite der klaren Luft genährt, -kann sich wiederum bis zu jenem steigern, das im Tempel des Zeus gehört -wurde, zu Olympia, als die Sendboten des Caligula Hand anlegten, um das -Bild des Gottes nach Rom zu schleppen. - -Man soll nicht vergessen, daß Tragödie und Komödie volkstümlich waren. -Es sollen das diejenigen nicht vergessen, die heute in toten Winkeln -sitzen. Beide, Tragödie, wie Komödie, haben nichts mit schwachen, -überfeinerten Nerven zu tun, und ebensowenig, wie sie, ihre Dichter -- -am allerwenigsten aber ihr Publikum. Trotzdem aber keiner der Zuschauer -jener Zeiten, etwa wie viele der heutigen, beim Hühnerschlachten -ohnmächtig wurde, so blieb, nachdem die Gewalt der Tragödie über ihn -hingegangen war, die Komödie eines jeden unabweisliche Gegenforderung: -und das ist gesund und ist gut. - -Die ländlichen Dionysien wurden an der Südseite der Akropolis, im -Lenäon, nach beendeter Weinlese abgehalten. Was hindert mich, trotzdem, -das sogenannte Schlauchspringen mir unten in der Orchestra meines -Theaters vorzustellen? Man sprang auf einen geölten, mit Luft gefüllten -Schlauch, und suchte, einbeinig hüpfend, darauf Fuß zu fassen. Das ist -der Ausdruck überschäumender Lustigkeit, ein derber überschüssiger -Lebensmut. Und nicht aus dem Gegenteil, nicht aus der Schwäche und -Lebensflucht entstehen Tragödie und Komödie! - -Ein deutscher Kegelklub betritt, von einem schreienden Führer belehrt, -den göttlichen Raum. Man sieht es den hilflos tagblinden Augen der -Herren an, daß sie vergeblich hier etwas Merkwürdiges suchen. Ich würde -ihren gelangweilten Seelen gönnen, sich wenigstens an der Vorstellung -aufzuheitern, dem tollen Sprung auf den öligen Schlauch, die mich -ergötzt. - - -Heut betrete ich, ich glaube zum viertenmal, die Akropolis. Es ist -länger als fünfundzwanzig Jahre her, daß mein Geist auf dem Götterfelsen -heimisch wurde. Damals entwickelte uns ein begeisterter Mann, den -inzwischen ein schweres Schicksal ereilt hat, seine Schönheiten. Es ist -aber etwas anderes, von jemand belehrt zu werden, der mit eigenen Augen -gesehen hat, oder selber die steilen Marmorstufen zu den Propyläen -hinaufzusteigen und mit eignen Augen zu sehn. - -Ich finde, daß diese Ruinen einen spröden Charakter haben, sich nicht -leicht dem Spätgeborenen aufschließen. Ich habe das dunkle Bewußtsein, -als ob etwa über die Säulen des Parthenon von da ab, als man sie wieder -zu achten anfing, sehr viel Berauschtes verfaßt worden wäre. Und doch -glaube ich nicht, daß es viele gibt, die von den Quellen der Berauschung -trunken gewesen sind, die wirklich im Parthenon ihren Ursprung haben. - -Wie der Parthenon jetzt ist, so heißt seine Formel: Kraft und Ernst! -Davon ist die Kraft fast bis zur Drohung, der Ernst fast bis zur Härte -gesteigert. Die Sprache der Formen ist so bestimmt, daß ich nicht einmal -glauben kann, es sei durch die frühere, bunte Bemalung ihrem Ausdruck -etwas genommen worden. - -Ich habe das schwächliche Griechisieren, die blutlose Liebe zu einem -blutlosen Griechentum niemals leiden mögen. Deshalb schreckt es mich -auch nicht ab, mir die dorischen Tempel bunt und in einer für manche -Begriffe barbarischen Weise bemalt zu denken. Ja, mit einer gewissen -Schadenfreude gönne ich das den Zärtlingen. Ich nehme an, es gab dem -architektonischen Eindruck eine wilde Beimischung. Möglicherweise -drückte das Grelle des farbigen Überzugs den naiven Stand der -Beziehungen zwischen Göttern und Menschen aus, indem er fast -marktschreierisch zu festlichen Freuden und damit zu tiefer Verehrung -einfing. - -Jeder echte Tempel ist volkstümlich. Trotz unserer europäischen Kirchen -und Kathedralen glaube ich, gibt es bei uns keine echten Tempel in -diesem Betrachte mehr. Vielleicht aus dem Grunde, weil sich bei uns die -Lebensfreude von der Kirche geschieden hat, die nur noch gleichsam den -Tod und die Gruft verherrlicht. Die Kirchen bei uns sind Mausoleen: -wobei ich nur an die katholischen denke. Einen protestantischen Tempel -gibt es nicht. Da nun aber das Leben lebt und lebendig ist, so erzeugt -sich auch immer unfehlbar wieder der Trieb zur Freude. Und er ist es, -der heute das Theater, den gefährlichsten Konkurrenten der Kirche, -geschaffen hat. Ich behaupte, was heut die Menschen zur Kirche treibt, -ist entweder Todesangst oder Suggestion. Das Theater bedarf solcher -Mittel nicht, um Menschen in seine Räume zu bringen. Dorthin drängen sie -sich vielmehr, wie Spatzen, von einem fruchtbeladenen Kirschbaume -angelockt. - -Wenn heut bei uns eine Gauklergesellschaft auf dem Dorfplan Zelte -errichtet, herrscht sogleich unter der Mehrzahl der Dörfler, vor allem -aber unter den Kindern, festliche Aufregung. Kunstreiter oder -Bänkelsänger mit der neuesten Moritat, sie genießen, obgleich in Acht -und Bann seit Jahrtausenden, immer die gleiche, natürliche Zuneigung. -Der Karren des Thespis war nicht in Acht und Bann getan; ja, Thespis -erhielt im Theater, im heiligen Bezirk des Dionysos, seine Statue, und -doch scheint er auch nur mit der Moritat von Ikarios umhergezogen zu -sein. Kurz, was heute in Theater und Kirche zerfallen ist, war damals -ganz und eins; und, weit entfernt ein memento mori zu sein, lockte der -Tempel ins höhere, festliche Leben, er lockte dazu, wie ein buntes, -göttliches Gauklerzelt. - -Während unsre Kirchen eigentlich nur den Unterirdischen geweiht zu sein -scheinen, galten die griechischen Tempel als Wohnung der Himmlischen. -Deshalb senkten sie lichte Schauder ins Herz, statt der dunklen, und die -Pilger ergriff zugleich, in der olympischen Nähe, Furcht, Seligkeit, -Sehnsucht und Neid. - - -Starker Wind. Gesundes, sonniges Wetter. In der Luft wohnt deutscher -Frühling. Der Parthenon: stark, machtvoll, ohne südländisches Pathos, -rauscht im Winde laut, wie eine Harfe oder das Meer. Ein deutscher -Grasgarten ist um ihn herum. Frühlingsblumen beben im Luftzug. Um alle -die heiligen Trümmer auf dem grünen Plateau der Akropolis weht -Kamillen-Arom. Es ist ein unsäglich entzückender Zustand, zwischen den -schwankenden Gräsern auf irgendeinem Stück Marmor zu sitzen, die Augen -schweifen zu lassen, über die blendend helle, attische Landschaft hin. -Hymettos zur Linken, Penthelikon, als Begrenzung der Ebene. Der Parnes, -bei leichter Rückwärtswendung des Kopfes sichtbar. Silbergraue -Gebirgswälle, im weiten Kreisbogen um Athen und den Götterfelsen -gelagert, der mit dem Parthenon auf dem Scheitel alles beherrscht. Hier -stand Athene, aufrecht, mit der vergoldeten Speerspitze. Vom Parnes -grüßte der Zeus Parnethios, vom Hymettos grüßte der Zeus Hymethios. Vom -Penthele ein zweites Bild der Athene. Attika war von Göttern bewohnt, -von Göttern auf allen umliegenden Höhen bewacht, die einander mit -göttlichen Brauen zuwinkten. Geradeaus, unter mir, liegt tiefblau, in -die herrliche Bucht geschmiegt, das Meer. Aegina und Salamis grüßen -herüber ... Ich atme tief! ... - - -Ich sitze auf einem Priestersessel im Theater des Dionysos. Hähne -krähen; es ist, als ob Athen und die Demen nur von Hähnen bewohnt wären. -Der städtische Lärm tritt heut ein wenig zurück, und das Geschrei der -Ausrufer ist durch das oft wiederholte Geschrei von weidenden Eseln -abgelöst. Brütende Sonne erwärmt die gelblichen Marmorsessel und -Marmorstufen. - -Etwa 30000 Zuschauer wurden auf diesen Stufen untergebracht, von denen -nicht allzuviele Reihen erhalten sind; und hinter und über der letzten, -obersten Reihe thronten die Götter: denn dort überragt das ganze Theater -die rötliche Felswand der Akropolis, gewiß noch heut der seltsamste, -rätselvollste und zugleich lehrreichste Fels der Welt. - -Noch heute, jenseit von allem Aberglauben jener Art, wie er im Altertum -im Volke lebt und dichtet, empfinde ich doch die Kraft, die schaffende -Kraft dieses Glaubens tief, und wenn mein Wille allein es meistens ist, -der die ausgestorbene Götterwelt zu beleben sucht, hier, angesichts -dieses ragenden Felsens, erzeugt sich augenblicksweise, fast -unwillkürlich ein Rausch der Göttergegenwart. Zweifellos war es ein Grad -der Ekstase, der jene Dreißigtausend hier, auf dem geheiligten Grund des -Eleutherischen Dionysos, im Angesichte der heiligen Handlung des -Schauspiels befiel, den zu entwickeln dem glaubensarmen Geschlecht von -heut das Mittel abhanden gekommen ist. Und ich stehe nicht an, zu -behaupten, daß alle Tragiker, bis Euripides, so sehr sie sich von der -derb naiven Gläubigkeit der Menge gesondert haben mögen, von -Gottesfurcht oder Götterfurcht und vom Glauben an ihre Wirklichkeit, -besonders hier, am Fuße und im Bereich des Gespensterfelsens, -durchdrungen gewesen sind. - -Die Akropolis ist ein Gespensterfelsen. In diesem Theater des Dionysos -gingen Gespenster um. In zahllosen Löchern des rotvioletten Gesteins -wohnten die Götter, wie Mauerschwalben. Es ist eine enggedrängte, -überfüllte, göttliche Ansiedelung: hatten doch, nach Pausanias, die -Athener für das Göttliche einen weit größeren Eifer, als die übrigen -Griechen. Die Art, wie sie allen möglichen Göttern Asyle und wieder -Asyle gründeten, deutet auf Angst. Während ich solchen Gedanken -nachhänge, höre ich hinter mir wiederum den Vogel der Pallas, aus einem -Felsloch, klägliche Laute in den Tag hineinwimmern und stelle mir vor, -wie wohl die atemlos lauschenden Tausende ein Schauer bei diesem Ruf -überrieselt hat. - -Die Seelenverfassung der großen Tragiker wurde unter anderem auch von -dem Umstand bedingt, daß sie Götter als Zuschauer hatten. Daß es so war, -ist für mich eine Wirklichkeit. Die Woge des Glaubens, die ihnen aus -dreißigtausend Seelen entgegenschlug, verstärkt durch die Nähe -göttlicher Troglodyten und Tempelbewohner des Felsens, war allein schon -wie eine ungeheure Sturzwelle, und jede Skepsis wurde hinweggespült. - -»An der sogenannten südlichen Mauer der Burg, dem Theater zugekehrt, ist -ein vergoldetes Haupt, der Gorgone Medusa geweiht, und um dasselbe ist -die Ägide angebracht. Am Giebel des Theaters ist im Felsen unter der -Burg eine Grotte; auch über dieser steht ein Dreifuß; in ihr sind Apollo -und Artemis, wie sie die Kinder der Niobe töten«, schreibt Pausanias. -Ein Heiligtum der Artemis Brauronia ist auf der Burg. Der große Tempel -der Pallas Athene, ein Heiligtum des Erechtheus, des Poseidon, Altäre -des Zeus, zahllose Statuen von Halbgöttern, Göttern und Heroen sind da, -Äskulap hat im Felsen sein Heiligtum, Pan seine Grotte, sogar Serapis -hat seinen Tempel. Zwei Grotten standen Apollon zu, dem »Apoll unter der -Höhe«. Ein tiefer Felsspalt ist der Ort, wo der Gott Creusa, die Tochter -Erechtheus', überraschte und den Stammvater aller Jonier mit ihr zeugte. -Hephästos besaß seinen Altar und so fort. - -Alle diese Gottheiten lebten nicht nur auf der Burg. Sie durchwanderten -bei Nacht und sogar am Tage die Straßen der Stadt. Der Mann aus dem -Volke, das Weib aus dem Volke war nicht imstande, die Gebilde des -nächtlichen Traums von denen des täglichen Traums zu sondern. Beide -waren ihnen so gut, wie das, was sie sonst mit Augen wahrnahmen, -Wirklichkeit. - -Die Tragiker hatten Götter als Zuschauer, und dadurch wurde nicht nur -die Grundverfassung ihrer Seele mit bedingt, sondern die Art des Dramas, -das sie hervorbrachten. Auch in diesem Drama traten Götter und Menschen -im Verkehr miteinander auf, und es ward damit, in einem gewissen Sinne, -das geheiligte Spiegelbild der ins Erhabene gesteigerten Volksseele. Was -wäre ein Dichter, dessen Wesen nicht der gesteigerte Ausdruck der -Volksseele ist! - - -Es ist der Vormittag des 20. April. Ich habe den Felsen des Areopag -erstiegen. Zwei Soldaten schlafen in einer versteckten Mulde. Esel -schreien; Hähne krähen. Der Ort ist verunreinigt. An einem Teile des -Felsens werden Vermessungen vorgenommen. Wieder liegt das weiße, -blendende Licht über der Landschaft. - -Auf diesem Hügel des Ares, heißt es, ist über den Kriegsgott Gericht -gehalten worden, in Urzeiten, irgend eines vereinzelten Mordes wegen, -den er begangen hatte. Hier, sagt man, wurde Orestes gerichtet und -losgesprochen, trotzdem er die Mutter ermordet hatte. In nächster Nähe -soll hier ein Heiligtum der Erinnyen gewesen sein, der zürnenden -Gottheiten, die von den Athenern die Ehrwürdigen, oder ähnlich, genannt -wurden. Ihre Bildnisse sollen nicht schreckenerregend gewesen sein, und -erst Äschylos hat ihnen Schlangen ins Haar geflochten. - -Es fällt wiederum auf, wie überladen mit Götterasylen der nahe -Burgfelsen ist: mit Nestern, Gottesgenisten könnte man sagen! Jeder -Spalt, jede Höhle, jeder Fußbreit Stein war für die oberirdischen, -unterirdischen oder auch für solche Gottheiten, die im Wasser leben, -ausgenützt. Es ist erstaunlich, daß sie hier untereinander Frieden -hielten. Vielleicht geschah es, weil Pallas Athene, als Höchstverehrte, -über den andern stand. - -Man ist hier auf dem Areopag erhaben über der Stadt. Man übersieht einen -Teil von ihr und den Theseustempel. Man sieht gegenüber, durch ein Tal -getrennt, die Felsplatten der Pnyx. Man hört die zahllosen Schwalben des -nahen Burgfelsens zwitschern. Dies Zwitschern wird zu einer sonderbaren -Musik, wenn man sich an den ersten Gesang der Odyssee und an die -folgenden Verse erinnert: - - »Also redete Zeus' blauäugigte Tochter, und eilend - Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin ...« - -und an die Neigung der Himmlischen überhaupt, sich in allerlei Tiere, -besonders in Vögel, umzuwandeln. - -Ich lasse mich nieder, lausche und betrachte den zwitschernden -Götterfelsen, die Akropolis. Ich schließe die Augen und finde mich durch -das Zwitschern tief und seltsam aufgeregt. Es kommt mir vor, indem ich -leise immer wieder vor mich hinspreche: Der zwitschernde Fels! Die -zwitschernden Götter! Der zwitschernde Götterfels! als habe ich etwas -aus der Seele eines naiven Griechen jener Zeit, da man die Götter noch -ehrte, herausempfunden. Vielleicht, sage ich mir, ist, wenn man eine -abgestorbene Empfindung wieder beleben kann, damit auch eine kleine, -reale Entdeckung gemacht. - -Und plötzlich erinnere ich mich der »Vögel« des Aristophanes, und es -überkommt mich zugleich in gesteigertem Maße Entdeckerfreude. Ich bilde -mir ein, daß mit dieser Empfindung: »der zwitschernde Fels, die -zwitschernden Götter«, im Anblick der Burg, der Keim jenes göttlichen -Werkes in der Seele des freiesten unter den Griechen zuerst ins Leben -getreten ist. Ich bilde mir ein, vielleicht den reinsten und -glücklichsten Augenblick, einen Schöpfungsakt seines wahrhaft -dionysischen Daseins, neu zu durchleben, und will es jemand bezweifeln, -so raubt er mir doch die heitere, überzeugte Kraft der Stunde nicht. - - »... Tioto, tioto, tiotix! - Widerhallte der ganze Olympos.« - - -Frische, nordische Luft. Nordwind. Eine ungeheure Rauch- und Staubwolke -wird von Norden nach Süden über das ferne Athen hingejagt. Gegen den -Hymettos zieht der bräunliche Dunst, Akropolis und Lykabettos in -Schleier hüllend. Ich verfolge, vom Rande der phalerischen Bucht, ein -beinahe ausgetrocknetes Flußbett, in der Richtung gegen den Parnes. -Schwalben flattern über den spärlichen Wasserpfützen in lebhafter -Erwerbstätigkeit. Ich habe zur Linken die letzten Häuser und Gärten der -Ansiedelung von Neu-Phaleron, hinter einem Feld grüner Gerste, die in -Ähren steht. Zur Rechten, jenseit des Flußlaufs, gegen das ferne Athen -hin, sind ebenfalls ausgedehnte Flächen mit Gerste bebaut. Die Finger -erstarren mir fast, wie ich diese Bemerkung in mein Buch setze. Die -Landschaft ist fast ganz nordisch. Vereinzelte Kaktuspflanzen an den -Feldrainen machen den unwahrscheinlichsten Eindruck. Ich beschreite -einen Feldweg. Um mich, zu beiden Seiten, wogt tiefgrün die Gerste. Man -muß die Alten und das Getreide zusammendenken, um ganz in ihre sinnliche -Nähe zu gelangen, mit ihnen vertraut, bei ihnen heimisch zu sein. - -Die Akropolis, mit dem Parthenon, erhebt sich unmittelbar aus der weiten -Prärie, aus der wogenden See grüner Halme, empor. - -Ich kreuze die Landstraße, die von Athen in grader Linie nach dem Piräus -hinunter führt, und stoße auf eine niederländische Schänke, unter -mächtigen, alten Eschen, die an Ostade oder Breughel erinnert. Ich -erblicke, mich gegen Athen wendend, über dem Ausgangspunkt der Straße -wiederum die Akropolis mit dem Parthenon. Der Verkehr, mit Mäulern und -Pferden an hochrädrigen Karren, bewegt sich in zwei fast -ununterbrochenen Reihen von Athen zum Piräus hinunter und umgekehrt. Es -wird sehr viel Holz nach Athen geschafft. Unter vielen Mühen, in beinahe -undurchdringlichen Staubwolken, arbeite ich mich gegen eisigen Wind. -Hunde und Hühner bevölkern die Landstraße. Im Graben, im Grase, das eine -dicke Staubschicht überzieht, liegt, grau wie der Staub, ein todmüder -Esel und hebt seinen mageren Kopf mir zu. Kantine an Kantine begleitet -die Straße rechts und links in arger Verwahrlosung. Ich bin beglückt, -als ich einen tüchtigen Landmann, mit zwei guten Pferden, die Hand am -Pflug, seinen Acker bestellen sehe, ein Anblick, der in all diesem -jämmerlich verstaubten Elend erquickend ist. - -Ich weiche dem Staub, verlasse die Straße, und bewege mich weiter, dem -Parnes zu, in die Felder hinein. Nun sehe ich die Akropolis wiederum und -zwar in einem bleichen, kreidigen Licht, zunächst über blühenden -Obstgärten auftauchen. Der Parthenongiebel steht, klein wie ein -Spielzeug, kreidig-bleich. In langen Linien schießen die Schwalben dicht -über das Gras der Auen und über die Ähren der Gerstenfelder hin. Ich muß -an den Flug der Götter denken, an den schemenhaft die ganze Landschaft -beherrschenden, zwitschernden Götterfels, und wie von Athene gesagt ist: - - »Plötzlich entschwand sie den Blicken und gleich der Schwalbe von - Ansehn - Flog sie empor ...« - -Wie muß dem frommen Landbewohner mitunter der Flug und der Ruf der -Schwalbe erschienen sein! Wie wird er seinen verehrenden Blick zuzeiten -bald gegen das Bild des Zeus auf dem nahen Parnes, bald gegen die ferne, -überall sichtbare, immer leuchtende Burg der Götter gerichtet haben! Von -dorther strichen die Schwalben, dorthin verschwanden sie in geschwindem -Flug. Und ähnlich, nicht allzuviel schneller, kamen und gingen die -Götter, die keineswegs, wie unser Gott, allgegenwärtig gewesen sind. - - -Auf dem heiligen Wege, von Athen nach Eleusis hinüber, liegt an der -Paßhöhe, zwischen Bergen, das kleine griechische Kloster Daphni. Ich -weiß nicht, welches rätselhafte Glück mich auf der Fahrt hierher -überkommen hat. Vielleicht war es zunächst die Freude, mit jedem -Augenblick tiefer in ein Gebiet des Pan und der Hirten einzudringen. - -Überall duftet der Thymian. Er schmückt, strauchartig, die grauen -Steinhalden, auch dort, wo die wundervolle Aleppo-Kiefer, der Baum des -Pan, nicht zu wurzeln vermag. Aber Kiefer und Thymian vermischen überall -ihre Düfte und füllen die reine Luft des schönen Bergtals mit -Wohlgeruch. - -Der Hof des Klosters, in den wir treten, ist ebenfalls von -weihrauchartigen und von grunelnden Düften erfüllt. Am Grunde schmücken -ihn zahllose, weiße und gelbe Frühlingsblumen, die ihre Köpfchen den -warmen Strahlen des griechischen Frühlingsmorgens darbieten. An einem -gestutzten Baum ist die Glocke des Klosters aufgehängt, Sommers und -Winters den atmosphärischen Einflüssen preisgegeben und darum bedeckt -mit einer schönen, bläulichen Patina. Ein Hündchen, im Winkel des Hofes, -vor seiner Hütte, wedelt uns an. Trotzdem es nach Bienen und Fliegen -schnappen kann, deren wohlig schwelgerisches Gesumm allenthalben -vernehmlich ist, scheint es sich doch in dieser entzückenden, gleichsam -verwunschenen Stille zu langweilen. - -Antike Säulenreste, Trommeln und Kapitale, liegen umher, auf denen sich -Sperlinge, pickend und lärmend, umhertreiben. Sie besuchen den Brunnen, -an dem eine alte, hohe Cypresse steht, türkischer Sitte gemäß, als -Wahrzeichen. - -Das Innere der Klosterkirche bietet ein Bild der Verwahrlosung. Die -Mosaiken der Kuppel sind fast vernichtet, die Ziegelwände von Stuck -entblößt. Aber der häusliche Laut der immerfort piepsenden Sperlinge und -warme Sonne dringt vom Hofe herein, dazu der Ruf des Kuckuck herab aus -den Bergen, und der kleine Altar, von gläubigen Händen zärtlich -geschmückt, verbreitet mit seinem braunen Holzwerk, mit seinen Bildchen -und brennenden Kerzen, einen treuherzig-freundlichen Geist der -Einfachheit. - -Unsern Weg durch die Hügel abwärts fortsetzend, haben wir eine Stelle zu -beachten, wo vor Zeiten ein Tempel der Venus stand. Nicht weit davon -bemerken wir, unter einer Kiefer, in statuarischer Ruhe aufgerichtet, -die Gestalt eines Hirten, dessen langohrige Schafe, im Schatten des -Baumes zusammengedrängt, um ihn her lagern und wie ein einziges Fließ -den Boden bedecken. - -Was mich auf dieser heiligen Straße besonders erregt, ist das Hallende. -Überall zwischen den Bergen schläft der Hall. Die Laute der Stimmen, die -Rufe der Vögel, wecken ihn in den schlafenden Gründen. Ich stelle mir -vor, daß jemand, den eine unbezwingliche Sehnsucht treibt, sich in die -untergegangene Welt der Hellenen, wie in etwas noch Lebendiges -einzudrängen, auf ein besseres Mittel schmerzhaft-seliger Täuschung -nicht verfallen könnte, als durch das verwaiste Griechenland nur immer -geliebte Namen zu rufen, wie Herakles einst den Hylas rief. Gleichwie -nun die Stimme des Hylas, des Gestorbenen, im Echo gespenstisch, wie -eines Lebenden Stimme, antwortete, so, meine ich, käme dem Rufe des -wahren Pilgers jedweder heilige Name, aus dem alten, ewigen Herzen der -Berge, fremd, lebendig und mit Gegenwartsschauern zurück. - -Wir sind nun an den Rand der Eleusinischen Bucht gelangt, die durch die -Höhenzüge der Insel Salamis gegen das Meer hin geschützt, einem -friedlichen Landsee ähnlich ist. Ich habe niemals das Galiläische Meer -gesehen, und doch finde ich mich an Jesus und jene Fischer gemahnt, die -er zu Menschenfischern zu machen unternahm. Das biblische Vorgefühl -findet auf der weißen Landstraße längs des Seeufers unerwartet eine -Bestätigung, als das klassische Bild der Flucht nach Ägypten lebendig an -uns vorüberzieht: eine junge, griechische Bäuerin auf dem Rücken des -Maultiers, den Säugling im Arm, von ihrem bärtigen, dunkelhaarigen -Joseph begleitet. - -Die Bucht liegt in einem weißlichen Perlmuttschimmer still und glatt und -die Augen blendend unter den schönkonturierten Spitzen von Salamis. Die -Landschaft, im Gegensatz zu dem Tale, aus dem wir kommen, ist offen und -weit, und scheint einem anderen Lande anzugehören. Dort wo ein seichter -Fluß, aus den Bergen kommend, sein Wasser mit dem der Bucht vermischt, -knieen eskimoartig vermummte Wäscherinnen, obgleich weder Haus noch -Hütte im weiten Umkreis zu sehen ist. - -Wie sich etwa die Sinnesart eines Menschen erschließt, durch die -Scholle, die er bebaut, durch die Heimat, die er für sein Wirken erwählt -hat, oder durch jene, die ihn hervorbrachte, und festhielt, so -erschließt sich zum Teil das Wesen der Demeter im Wesen des -eleusinischen Bezirks. Denn dies ist den griechischen Göttern eigen, daß -sie mit innigen Banden des Gemüts weniger an den Olymp, als an die -griechische Muttererde gebunden sind. Kein Gott, der den Griechen -weniger liebte, als der Grieche den Gott -- oder weniger die griechische -Heimat liebte und in ihr heimisch wäre, als er! - -Jesus, der Heiland und Gottessohn, Jesus der Gott, ist uns durch sein -irdisch-menschliches Schmerzensschicksal nahegebracht: ebenso den -Griechen Demeter. Man stelle sich vor, wie der Grieche etwa auf diesem -heiligen Boden empfand, der wirklich Demeters irdischen Wandel gesehen -hatte, wo ich, der moderne, skeptische Mensch, sogleich von besonderer -Weihe durchdrungen ward, als sich das Bild der Landschaft in mir mit -jener anderen Legende vermählt hatte, die mit einer Kraft ohnegleichen -heute Zweifler wie Fromme beherrscht. - - -Der heilige Bezirk, mit dem Weihetempel der Demeter, liegt nur wenig -erhaben über die Spiegelhöhe, am Rande der Bucht. Es sei ferne von mir, -dieses wärmste und tiefste Mysterium, nämlich das eleusinische, -ergründen zu wollen: genug, daß es für mich von Sicheln und schweren -Garben rauscht und daß ich darin das Feuer Apolls mit des Aidoneus -eisiger Nacht sich vermählen fühle. Übrigens ist ein wahres Mysterium, -das durch Mysten gepflegt und lebendig erhalten, nicht in Erstarrung -verfallen kann, ein ewiger Quell der Offenbarung, woraus erhellt, daß -eben das Unergründliche ganz sein Wesen ist. - -Während ich auf den Steinfließen der ehemaligen Vorhalle des Pylon, als -wäre ich selbst ein Myste, nachdenklich auf und ab schreite, formt sich -mir aus der hellen, heißen, zitternden Luft, in Riesenmaßen, das Bild -einer mütterlichen Frau. Ihr Haarschwall, der die Schultern bedeckt und -herab bis zur Ferse reicht, ist von der Farbe des reifen Getreides. Sie -wandelt, mehr schwebend als schreitend, aus der Tiefe der fruchtbaren -eleusinischen Ebene gegen die Bucht heran, und ist von summsenden -Schwärmen häuslicher Bienen, ihren Priesterinnen, begleitet. - -Die wahren Olympier leiden nicht, Demeter ist eine irdisch-leidende -Göttin, deren mütterliches Schmerzensschicksal selbst durch den -Richtspruch des Zeus nur gemildert, nicht aufgehoben ist. Auf ihren -Zügen liegt, unverwischbar, die Erinnerung ausgestandener Qual und es -kann eine größere Qual nicht geben, als die einer Mutter, die ihr -verlorenes Kind in grauenhafter Angst und Verzweiflung der Seele sucht. -Sie hat Persephoneia wieder gefunden und hier zu Eleusis, der -Weihetempel, auf dessen Boden ich stehe, ist der Ort, von dem aus sie -die Rückkunft der Tochter und ihre Befreiung aus den Fesseln des -Tartarus erzwang, und wo Mutter und Tochter das selige Wiedersehen -feierten. Aber sie genießt auch seither, wie gesagt, nicht das reine, -ungetrübte, olympische Glück. Nach leidender Menschen Art ist ihr Dasein -Genuß und Entbehren, Weh der Trennung und Freude der Wiedervereinigung. -Es ist unlöslich, für immer, gleichwie das Dasein der Menschen, aus -bitteren Schmerzen und Freuden gemengt. - -Das ist es, was sie dem Menschengeschlecht und auch dem Spätgeborenen -nahebringt, und was sie mehr, als irgendeinen Olympier, heimisch gemacht -hat auf der Erde. - -Es kommt hinzu, daß, während eines Teiles des Jahres, Aidoneus die -Tochter ins Innere der Erde fordert und dort gefangen hält, wodurch denn -die seligen Höhen des Olymps, die dem Kerker der Tochter ferne liegen, -den Füßen der Mutter, mit den eleusinischen Ufern verglichen, unseliger -Boden sind. Man ist überzeugt, daß Schicksalsschluß die Göttin in das -Erkenntnisbereich der Menschen verwiesen hat -- in ein beginnendes, -neues, höheres, zwischen Menschen und Göttern und zwar mit einem -Ereignis, das, unvergeßlich, das Herz ihres Herzens gleichsam an seinen -Schauplatz verhaftet hält. - -Die »weihrauchduftende« Stadt Eleusis, die Stadt des Keleus, der Königin -Metaneira sowie ihrer leichtgeschürzten Töchter: Kallidike, Kleissidike, -Dämo und Kallithoa der »saffranblumengelockten« ist heut nicht mehr, -aber der Thymianstrauch, der überall um die Ruinen wuchert, verbreitet -auch heute um die Trümmer warme Gewölke von würzigem Duft. Und die -Göttin, die fruchtbare, mütterliche, umwandelt noch heut, in alter, -heiliger Schmerzenshoheit die Tempeltrümmer, die Ebene und die Ufer der -Bucht. Ich spüre die göttliche Erntemutter, die göttliche Hausfrau, die -göttliche Kinderbewahrerin, die Gottesgebärerin überall, die ewige -Trägerin des schmerzhaft süßen Verwandlungswunders. - -Was mag es gewesen sein, was die offenen Kellergewölbe unter mir an -Tagen der großen Feste gesehen haben? Man verehrte hier neben Demeter -auch den Dionysos. Nimmt man hinzu, daß der Mohn, als Sinnbild der -Fruchtbarkeit, die heilige Blume der Demeter war, so bedeutet das, in -zwiefacher Hinsicht, ekstatische Schmerzens- und Glücksraserei. Es -bleibt ein seltsamer Umstand, daß Brot, Wein und Blut, dazu das -Martyrium eines Gottes, sein Tod und seine Auferstehung, noch heut den -Inhalt eines Mysteriums bilden, das einen großen Teil des Erdballs -beherrscht. - - -Ich liege, unweit von Kloster Daphni, unter Kiefern, auf einem -Bergabhange hingestreckt. Der Boden ist mit braunen Kiefernadeln -bedeckt. Zwischen diesen Nadeln haben sich sehr feine, sehr zarte Gräser -ans Licht gedrängt. Aber ich bin hierher gekommen, verlockt von zarten -Teppichen weißer Maßliebchen. Sie zogen mich an, wie etwa ein Schwarm -lieblicher Kinder anzieht, die man aus nächster Nähe sehen, mit denen -man spielen will. Nun liege ich hier und um mich, am Grunde, nicken die -zahllosen kleinen, weißen Schwestern mit ihren Köpfchen. Es ist kein -Wald. Es sind ganz winzige Hungerblümchen, unter denen ich ein -Ungeheuer, ein wahres Gebirge bin. Und doch strömen sie eine Beseligung -aus, die ich seit den Tagen meiner Kindheit nicht mehr gefühlt habe. - -Und auch damals, in meiner Kindheit, schwebte eine Empfindung, dieser -ähnlich, nur feiertäglich durch meine Seele. Ich erinnere mich eines -Traumes, den ich zuweilen in meiner Jugend gehabt habe, und der mir -jedesmal eine Schwermut in der Seele ließ, da er mir etwas, wie eine -unwiederbringliche, arkadische Wonne, schattenhaft vorgaukelte. Ich sah -dann stets einen sonnigen, von alten Buchen bestandenen Hang, auf dem -ich mit anderen kleinen Kindern bläuliche Leberblümchen abpflückte, die -sich durch trockenes, goldbraunes Laub zum Lichte hervorgedrängt hatten. -Mehr war es nicht. Ich nehme an, daß dieser Traum nichts weiter, als die -Erinnerung eines besonders schönen, wirklich durchlebten -Frühlingsmorgens war, aber es scheint, daß ein erstes Genießen der -goldenen Lust, zu der sich die Sinne des Kindes erschlossen, das -unvergeßliche Glück dieser kurzen Stunde gewesen ist. - -Ich liege auf olympischer Erde ausgestreckt. Ich bin, wie ich fühle, zum -Ursprung meines Kindestraumes zurückgekehrt. Ja, es ward mir noch -Höheres vorbehalten! Mit reifem Geist, mit bewußten, viel umfassenden -Sinnen, im vollen Besitz aller schönen Kräfte einer entwickelten Seele, -ward ich auf dieses feste Erdreich so vieler ahnungsvoll-grundloser -Träume gestellt, in eine Erfüllung ohnegleichen hinein. - -Und ich strecke die Arme weit von mir aus und drücke mein Gesicht -antäos-zärtlich zwischen die Blumen in diese geliebte Erde hinein. Um -mich beben die zarten Grashalme. Über mir atmen die niedrigen Wipfel der -Kiefern weich und geheimnisvoll. Ich habe in mancher Wiese bei -Sonnenschein auf dem Gesicht oder Rücken gelegen, aber niemals ging von -dem Grunde eine ähnliche Kraft, ein ähnlicher Zauber aus, noch drang aus -hartem Geröll, das meine Glieder kantig zu spüren hatten, wie hier ein -so heißes Glück in mich auf. - -Ich bin auf der Rückfahrt von Eleusis nach Athen wieder in diese -lieblichen Berge gelangt. Die heilige Straße liegt unter mir, die Athen -mit Eleusis verbindet. Herden von Schafen und Ziegen, die in dem grauen -Gestein der Talabhänge umhersteigen, grüßen von da und dort mit ihrem -Geläut, das, melodisch glucksend, an die Geräusche eines plaudernden -Bächleins erinnert. - -In der Nähe beginnt ein Kuckuck zu rufen, zunächst allein: und heiter -gefragt, schenkt er mir drei Jahrzehnte als Antwort. Es ist mir genug! -Nun tönt aus den Kiefernhainen von jenseit des heiligen Weges ein -zweiter Prophet: und beide Propheten beginnen und fahren lange Minuten -unermüdet fort, sich trotzig und wild, über die ganze Weite des -Bergpasses hin, wahrscheinlich widersprechende Prophezeiungen zuzurufen. - -Und wieder spüre ich um mich das Hallende. Die Rufe der streitenden -Vögel wecken einen gespenstisch verborgenen Schwarm ihresgleichen zu -einem Durcheinander von kämpfenden Stimmen auf und mit einer nur -geringen Kraft der Einbildung höre ich den Lärm des heiligen -Fackelzuges, von Athen gen Eleusis, aus den Bergen zurückschlagen. - - -Emporgestiegen zu den Gipfeln habe ich rings umher graues Geröll eines -Bergrückens, Krüppelkiefern und Thymian, Mittagshitze und Mittagslicht. -Unter mir liegen eingeschlossene Steintäler, verlassen und großartig -pastoral. Hohe peloponnesische Schneeberge, Hymettos, Likabethos und -Pentelikon schließen rings den Gesichtskreis ein. Der saronische Golf -und die eleusinische Bucht leuchten herauf mit blauen Gluten. In heißen, -zitternden Wolken, zieht überall würzig-bitterer Kräuterduft. Überall -summen die Bienen der Demeter. - - -Wir betreten heute, gegen zehn Uhr abends, im Lichte des Vollmonds die -Akropolis. Meine Erwartung, nun gleichsam alle Gespenster der Burg -lebendig zu sehen, erfüllt sich nicht: Es müßte denn sein, daß sie alle -in dem heiligen Äther aufgelöst seien, der den ganzen Tempelbezirk -entmaterialisiert. - -Mehr wie am Tage empfinde ich heut, und schon auf den Stufen der -Propyläen, das Heiligtum, das Bereich der Götter. Ich zögere, weiter zu -schreiten. Ich lasse mich im tiefen Schlagschatten einer Säule nieder -und blicke über die Stufen zurück, die ich mir in die magisch-klare -Tiefe fortgesetzt denke. Zum erstenmal verbindet sich mir das Ganze mit -dem höheren Geistesleben, besonders des Perikleischen Zeitalters, dem -der Burgfelsen seine letzte und höchste Weihe verdankt. Das Wirkliche -wird im Lichte des Mondes schemenhaft unwirklich, und diesem -Unwirklich-Wirklichen können sich historische Träume leichter -angleichen. - -Als vermöchte der Mond Wärme auszuströmen, so warm ist die Luft und dazu -klar und still: das Zwitschern der Fledermäuse kommt aus dem Licht-Äther -unter uns. Man fühlt, wie in solchem göttlichen Äther atmend und -heimisch in diesem heiligen Bezirk, erlauchte Menschen mit Göttern -gelebt haben. Hier, über den magischen Abgrund hinausgehoben, in einen -unsäglich zarten, farbigen Glanz, war der Denker, der Staatsmann, der -Priester, der Dichter, in Nächten wie diese, mit den Göttern auf -gleichen Fuß gestellt und atmete, in naher Vertraulichkeit, mit ihnen -die gleiche elysische Luft. - -Man müßte von einem nächtlichen Blühen dieses am Tage so schroffen und -harten, arg mitgenommenen Olympes reden, von einem Blühen, das -unerwartet und außerirdisch die alte vergessene Götterglorie um seine -Felskanten wiederherstellt. - -Der Parthenon, von der Hymettosseite gesehen, ist in dieser Nacht nicht -mehr das Gebilde menschlicher Bauleute. Diese scheinen vielmehr nur -einem göttlichen Plane dienstbar gewesen zu sein, das Irdische gewollt, -das Himmlische aber vollbracht zu haben. In diesem Tempel ist jetzt -nichts Drohendes, nichts Düsteres, nichts Gigantisches mehr, und seine -Steinmasse, seine irdische Schwere scheint verflüchtigt. Er ist nur ein -Gebilde der Luft, von den Göttern selbst in einen göttlichen Äther -hineingedacht und hervorgerufen. Er ist nicht aus totem Marmor -zusammengefügt, er lebt! von innen heraus warm und farbig leuchtend, -führt er das selige Dasein der Götter. Alles an ihm wird getragen, -nichts trägt. Oder aber, es kommt ein Gefühl über dich, daß, wenn du, -mit deinem profanen Finger, eine der Säulen zu berühren nicht -unterlassen könntest, diese sogleich zu Staub zerspringen würde vor -Sprödigkeit. - -In dieser Stunde kommt uns die Ahnung von jenem Sein, das die Götter in -ihrer Verklärung führen, von irdischen Obliegenheiten befreit. Auch -Götter hatten Erdengeschäfte. Wir ahnen, von welchem Boden Platon zu -seiner Erkenntnis der reinen Idee sich aufschwang. Welche Bereiche -erschlossen sich in solchen schönheitstrunkenen Nächten, die warm und -kristallklar zu ein und demselben Element mit den Seelen wurden ... -welche Bereiche erschlossen sich den Künstlern und Philosophen hier, als -den Gästen und nahen Freunden der Himmlischen! - -Und damals, wie heute, drang, wie aus den Zelten eines Lustlagers, -Gesang und Geschrei herauf aus der Stadt. Man braucht die Augen nicht zu -schließen, um zu vergessen, daß jenes dumpfe Gebrause aus der Tiefe der -Lärm des Athens von heute ist: vielmehr hat man Mühe das festzuhalten. -In dieser Stunde, im Glanze des unendlichen Zaubers der Gottesburg, -pocht und bebt und rauscht für den echten Pilger in allem der alte Puls. -Und seltsam eindringlich wird es mir, wie das Griechentum zwar begraben, -doch nicht gestorben ist. Es ist sehr tief, aber nur in den Seelen -lebendiger Menschen begraben und wenn man erst alle die Schichten von -Mergel und Schlacke, unter denen die Griechenseele begraben liegt, -kennen wird, wie man die Schichten kennt, über den mykenäischen, -trojanischen oder olympischen Fundstellen alter Kulturreste, aus Stein -und Erz, so kommt auch vielleicht für das lebendige Griechenerbe die -große Stunde der Ausgrabung. - - -Wir stehen auf dem hohen Achterdeck eines griechischen Dampfers und -harren der Abfahrt. Der Lärm des Piräus ist um uns und unter uns. Wir -wollen gen Delphi, zum Heiligtum des Apoll und Dionysos. - -Mehr gegen den Ausgang des Hafens liegt ein weiß angestrichenes Schiff, -ein Amerikafahrer, rings um ihn her auf der Wasserfläche, über die er -emporragt, steht, wie auf Dielen, nämlich in kleinen Booten, eng -gedrängt, eine Menschenmenge. Es sind griechische Auswanderer, Leute, -die das verwunschene Land der Griechenseele nicht ernähren mag. - -Dem Hafengebiet entronnen, genießen wir den frischen Luftzug der Fahrt. -Unsere Herzen beleben sich. Wir passieren das kahle Inselchen, hinter -dem die Schlacht bei Salamis ihren Verlauf genommen hat, den niedrigen -Küstenzug, wo Xerxes seinen gemächlichen Thron errichten und vorzeitig -abbrechen ließ. Der ganze, bescheidene Schauplatz deutet auf enge -maritime Verhältnisse. - -Die bergige Salamis öffnet in die fruchtbare Fülle des Innern ein weites -Tal. Liebliche Berglehnen, Haine und Wohnstätten werden dem Seefahrer -verlockend dargeboten: alles zum Greifen nahe! und es ist wie ein -Abschied, wenn er vorüber muß. - -Man weist uns Megara. Wir hätten es von der See aus nicht wiedererkannt: -Megara, jetzt nur gespenstisch und bleich von seinen Hügeln winkend, die -Stadt, die Konstantinopel gegründet hat. Wir werden den Weg der -megarensischen Schiffe in einigen Wochen ebenfalls einschlagen. - -Wenn wir nicht, wie bisher, über Steuerbord unseres Dampfers -hinausblicken, sondern über seine Spitze, so haben wir in der Ferne -alpine Schneegipfel des Peloponnes vor uns, darunter, vereinzelt, den -drohenden Felsen der Burg von Korinth. - -Wir suchen durch den zitternden Luftraum dieser augenblendenden Buchten -den Standort des äginetischen Tempels auf, und meine Seele saugt sich -fest an die lieblichen Inselfluren von Ägina. Warum sollten wir uns in -der vollen Muße der Seefahrt, zwischen diesen geheiligten Küsten, der -Träume enthalten und nicht der lieblichen Jägerin Britomartis -nachschleichen, einer der vielen Töchter des Zeus, von der die Ägineten -behaupteten, daß sie alljährlich von Kreta herüberkäme, sie zu besuchen. - -Gibt es wohl etwas, das wundervoller anmutete, als die nüchterne -Realität einer Mitteilung des Pausanias, etwa Britomartis angehend, wo -niemals die Existenz eines Mitglieds der Götterfamilie, höchstens hie -und da ein lokaler Anspruch der Menschen mit Vorsicht in Zweifel gezogen -ist. - -Nicht nur die Vasenmalereien beweisen es, daß der Grieche sich in allen -Formen des niederen Eros auslebte: aber der schaffende Geist, der solche -Gestalten, wie Britomartis, entstehen ließ und ihnen ewige Dauer -beilegte, mußte das Element der Reinheit, in Betrachtung des Weibes, -notwendig in sich bergen, aus dem sie besteht: keusch, frisch, -unbewußt-jungfräulich, ist Britomartis im Stande glückseliger Unschuld -bewahrt worden. Sie hat mit Amazonen und Nonnen nichts gemein. Es ist in -ihr weder Männerhaß noch Entsagung, sondern sie stellt, mit dem freien, -behenden Gang, dem lachenden Sperberauge, der Freude an Wald, Feld und -Jagd, die gesunde Blüte frischen und herben Magdtums verewigt dar. - -Überall auf der Fahrt sind Inseln und Küstenbereiche von lieblicher -Intimität, und es ist etwas Ungeheueres, sich vorzustellen, wie hier die -Phantasie eines Volkes, in dem die ungebrochene Weltanschauung des -Kindes neben exakter und reifer Weisheit des Greisenalters fortbestand, -jede Krümmung der Küste, jeden Pfad, jeden nahen Abhang, jeden fernen -und ferneren Felsen und Schneegipfel mit einer zweiten Welt göttlich -phantastischen Lebens bedeckt und bevölkert hat. Es ist ein Gewirr von -Inseln, durch das wir hingleiten, uns jener Stätte mit jeder Minute -nähernd, wo, gleichsam aus einem dunklen Quell, diese zweite Welt mit -Rätselworten zurück ins reale Leben wirkte und damit zugleich die -Atmosphäre des Heimatlandes mit neuem, phantastischem Stoff belud. Es -gibt bei uns keine Entwicklung des spezifisch Kindlichen, das stets -bewegt, stets gläubig und sprudelnd von Bildern ist, zum Weinen bereit -und gleich schnell zum Jauchzen, zum tiefsten Abgrund hinabgestürzt und -gleich darauf in den siebenten Himmel hinaufgeschnellt, glückselig im -Spiel, wo nichts das vorstellt, was es eigentlich ist, sondern etwas -anderes, Erwünschtes, wodurch das Kind es sich, seinem Wesen, seinem -Herzen zu eigen macht. - -Der große Schöpfungsakt des Homer hat dem kosmischen Nebel der -Griechenseele den reichsten Bestand an Gestalten geschenkt, und die -Zärtlichkeit, die der spätere Grieche ihnen entgegentrug, zeigt sich -besonders in mancher Mythe, die wieder lebendig zu machen unternimmt, -was der blinde Homer vor den Schauern des Hades nicht zu retten -vermochte. Ich weiß nicht, ob hier herum irgendwo Leuke ist, aber ich -wüßte keine Sage zu nennen, die tiefer in das Herz des Griechen -hineinleuchtete, als jene, die Helena dem Achill zur Gattin gibt und -beide in Wäldern und Tempelhainen der abgeschiedenen kleinen Insel Leuke -ein ewig seliges Dasein führen läßt. - - -Unser Dampfer ist vor dem Eingang zum isthmischen Durchstich angelangt -und einige Augenblicke stillgelegt. Mein Wunsch ist, wiederzukehren und -besonders auch auf dem herrlichen Isthmus umherzustreifen, dieser -gesunden und frischen Hochfläche, die würdig wäre, von starken, -heiteren, freien und göttlichen Menschen bewohnt zu sein, die noch nicht -sind. Das Auge erquickt sich an weitgedehnten, hainartig lockeren -Kieferbeständen, deren tiefes und samtenes Grün, auf grauen, -silbererzartigen Klippen, hoch an die blaue Woge des Meeres tritt. Auf -diesen bewaldeten Höhen zur Linken hat man den Platz der isthmischen -Spiele zu suchen. Man sollte meinen, daß keiner der zahllosen -Spielbezirke freier und in Betrachtung des ganzen Griechenlandes -günstiger lag, und ferner: daß nirgend so belebt und im frischen Zuge -der Seeluft überschäumend die heilige Spiellust des Griechen sich habe -auswirken können, wie hier. - -Die Einfahrt in den Durchstich erregt uns seltsamerweise feierliche -Empfindungen. Die Passagiere werden still, im plötzlichen Schatten der -gelben Wände. Wir blicken schweigend zwischen den ungeheuren, -braungelben Schnittflächen über uns und suchen den Streifen Himmelsblau, -der schmal und farbig in unseren gelben Abgrund herableuchtet. - -Kleine, taumelnde, braun-graue Raubvögel scheinen in den Sandlöchern -dieser Wände heimisch, ja, der Farbe nach, von ihnen geboren zu sein. -Eine Krähe, wahrscheinlich von unserm Dampfer aufgestört, strebt, -ängstlich gegen die Wände schlagend, an die Oberfläche der Erde hinauf. -Nun bin ich nicht mehr der späte Pilger durch Griechenland, sondern eher -Sindbad der Seefahrer, und einige Türken, vorn an der Spitze des -rauschenden Schiffes, jeder mit seinem roten Fez längs der gelblichen -Ockerschichten gegen den Lichtstreif des Ausganges hingeführt, -befestigen diese Illusion. - -Der Golf von Korinth tut sich auf. Aber während wir noch zwischen nahen -und flachen Ufern hingleiten, denn wir haben die weite Fläche des Golfes -noch nicht erreicht, werden wir an einem kleinen Zigeunerlager -vorübergeführt und sehen, auf einer Art Landungssteg, zerlumpte Kinder -der, wie es scheint, auf ein Fährboot wartenden Bande mit wilden -Sprüngen das Schiff begrüßen. - -Nach einiger Zeit, während wir immer zur Linken das neue Korinth, die -weite, mit Gerstenfeldern bestandene Fläche des einstigen alten, das von -dem gewaltigen Felsen Akrokorinth drohend beschattet wurde und die -bergigen Küsten des Peloponnes vor Augen hatten, eröffnet sich zur -Rechten eine Bucht mit den schneebedeckten Gipfeln des Helikon. Eine -Stunde und länger bleibt er nun, immer ein wenig rechts von der -Fahrtrichtung, sichtbar, hinter niedrigen, nackten Bergen, die -vorgelagert sind. Die Luft war bis hierher schwül und still, nun aber -fällt ein kühler Wind von den Höhen des Heiligen Berges herab und in -einige Segel, die leicht und hurtig vor ihm her über das blaue Wasser -des Golfes vorüberschweben. - -Aller Schönheit geht Heiligung voraus. Nur das Geheiligte in der -Menschennatur konnte göttlich werden, und die Vergötterung der Natur -ging hervor aus der Kraft zu heiligen, die zugleich auch Mutter der -Schönheit ist. Wir haben heut eine Wissenschaft von der Natur, die -leider nicht von einem heiligen Tempelbezirk umschlossen ist. Immerhin -ist sie, und Wissenschaft überhaupt, eine gemeinsame Sache der Nation, -ja der Menschheit geworden. Was auf diesem Gebiete geleistet wird, ist -schließlich und endlich ein gemeinsames Werk. Dagegen bleiben die reinen -Kräfte der Phantasie heute ungenützt und profaniert, statt daß sie am -großen sausenden Webstuhl der Zeit gemeinsam der Gottheit lebendiges -Kleid wie einstmals wirkten. - -Und deshalb, weil die Kräfte der Phantasie heut vereinzelt und -zersplittert sind und keine gemäße Umwelt (das heißt: keinen Mythos) -vorfinden, außer jenem, wie ihn eben das kurze Einzelleben der -Einzelkraft hervorbringen kann, so ist für den Spätgeborenen der -Eintritt in diese unendliche, wohlgegründete Mythenwelt zugleich so -beflügelnd, befreiend und wahrhaft wohltätig. - -Sollte man nicht einer gewissen, nur persönlichen Erkenntnis ohne -Verantwortung nachhängen dürfen, die den gleichen Vorgang, der jemals -etwas wie eine Tragödie oder Komödie schuf, als Ursprung des ganzen -Götterolymps, als Ursprung des gesamten, jenem angenäherten Kreises von -Heroen und Helden sieht? Wo sollte man jemals zu dergleichen den Mut -gewinnen, wenn nicht auf einem Schiffe im Golf von Korinth, im -Angesichte des Helikon? Warum hätte sonst Pan getanzt, als Pindar -geboren worden war? und welche Freude muß unter den Göttern des Olymps, -von Zeus bis zu Hephaistos und Aidoneus hinunter, ausgebrochen sein, als -Homer und mit ihm die Götterwelt aufs neue geboren wurde. - -Die ersten Gestalten des ersten Dramas, das je im Haupte des Menschen -gespielt wurde, waren »ich« und »du«. Je differenzierter das -Menschenhirn, um so differenzierter wurde das Drama! um so reicher auch -an Gestalten wurde es und auch um so mannigfaltiger, besonders deshalb, -weil im Drama eine Gestalt nur durch das, was sie von den übrigen -unterscheidend absetzt, bestehen kann. Das Drama ist Kampf und ist -Harmonie zugleich, und mit der Menge seiner Gestalten wächst auch der -Reichtum seiner Bewegungen: und also, in steter Bewegung Gestalten -erschaffend, in Tanz und Kampf miteinander treibend, wuchs auch das -große Götterdrama im Menschenhirn, zu einer Selbständigkeit, zu einer -glänzenden Schönheit und Kraft empor, die jahrtausendelang ihren -Ursprung verleugnete. - -Polytheismus und Monotheismus schließen einander nicht aus. Wir haben es -in der Welt mit zahllosen Formen der Gottheit zu tun, und jenseit der -Welt mit der göttlichen Einheit. Diese eine, ungeteilte Gottheit ist nur -noch ahnungsweise wahrnehmbar. Sie bleibt ohne jede Vorstellbarkeit. -Vorstellbarkeit ist aber das wesentliche Glück menschlicher Erkenntnis, -dem darum Polytheismus mehr entspricht. Wir leben in einer Welt der -Vorstellungen, oder wir leben nicht mehr in unserer Welt. Kurz: wir -können irdische Götter nicht entbehren, wenngleich wir den Einen, -Einzigen, Unbekannten, den Alleinen, hinter allem wissen. Wir wollen -sehen, fühlen, schmecken und riechen, disharmonisch harmonisch das ganze -Drama der Demiurgen, mit seinen olympischen und plutonischen -Darstellern. Im »Christentum« macht der Sohn Gottes einen verunglückten -Besuch in dieser Welt, bevor er sie aufgibt und also zertrümmert. Wir -aber wollen sie nicht aufgeben, unsere Mutter, der wir verdanken, was -wir sind, und wir bleiben im Kampf, verehren die kämpfenden Götter, die -menschennahen; freilich vergessen wir auch den menschenfernen, den Gott -des ewigen Friedens nicht. - - -Ein kalter Gebirgswind empfängt uns bei der Einfahrt in die Bucht von -Galaxidhi, den alten Krisäischen Meerbusen, und überraschenderweise -scheint es mir, als liefe unser Schiff in einen Fjord und wir befänden -uns in Norwegen, statt in Griechenland. Beim Anblick der Nadelwälder, -von denen die steile Flanke der Kiona bedeckt ist, erfüllt mich das -ganze starke und gesunde Bergglück, das mir eingeboren ist. Es zieht -mich nach den Gipfeln der waldreichen Kiona hinauf, wohin ich die -angestrengten Blicke meiner Augen aussende, als vermöchte ich dort noch -heut einen gottselig begeisterten Schwarm rasender Bacchen zwischen den -Stämmen aufzustöbern. Es liegt in mir eine Kraft der Zeitlosigkeit, die -es mir, besonders in solchen Augenblicken, möglich macht, das Leben als -eine große Gegenwart zu empfinden: und deshalb starre ich immer noch -forschend hinauf, als ob nicht Tausende von Jahren seit dem letzten -Auszug bacchischer Schwärme vergangen wären, und es klingt in mir -ununterbrochen: - - Dahin leite mich, Bromios, der die bacchischen Chöre führt! - Da sind Chariten, Liebe da, - Da dürfen frei die Bacchen Feste feiern. - -Wer hält es sich immer gegenwärtig, daß die Griechen ein Bergvolk -gewesen sind? Während wir uns Ithea nähern, tiefer und tiefer in einen -ernsten Gebirgskessel eingleitend, erlebe ich diese Tatsache innerlich -mit besonderer Deutlichkeit. Die Luft gewinnt an erfrischender Stärke. -Die Formen der Gipfel stehen im tiefen und kalten Blau des Himmels kalt -und klar, und jetzt erstrahlt uns zur Rechten, hoch erhaben über der in -abendlichen Schatten dämmernden Bucht, hinter gewaltig vorgelagerten, -dunkel zerklüfteten, kahlen Felsmassen ein schneebedecktes parnassisches -Gipfelbereich. - -Nun, wo die Sonne hinter der Kiona versunken ist und chthonische Nebel -langsam aus den tiefen Flächen der Felsentäler, Terrassen und Risse -verdüsternd aufsteigen, steht der Höhenstreif des heiligen Berges Parnaß -noch in einem unwandelbar makellosen und göttlichen Licht. Mehr und -mehr, indes das Schiff bereits seinen Lauf verlangsamt hat, erdrückt -mich eine fast übergewaltige Feierlichkeit. - -Man fühlt zugleich, daß man hier nicht mehr im Oberflächenbereich der -griechischen Seele ist, sondern den Ursprüngen nahe kommt, nahe kommt in -dem Maße, als man sich dem Kern der griechischen Landschaft annähert. - -Man findet sich hier einer großen Natur gegenübergestellt, die nordische -Rauheit und nordischen Ernst mit der Weichheit und Süße des Südens -vereinigt, die hier und dort ringsumher beschneite Berggipfel in den -nahen Höhenäther gehoben hat, deren Flanken bis zur Fläche des südlichen -Golfes herabreichen, bis an die Krisäische Talsohle, die in gleicher -Ebene, einen einzigen, weitgedehnten Ölwald tragend, den Grund des Tales -von Krisa erfüllt. Man fühlt, man nähert sich hier den Urmächten, die -sich den erschlossenen Sinnen eines Bergvolks, nicht anders wie das -Wasser der Felsenquellen, die Frucht des Ölbaums oder des Weinstocks, -darboten, so daß der Mensch, gleichwie zwischen Bergen und Bäumen, -zwischen Abgründen und Felswänden, zwischen Schafen und Ziegen seiner -Herden oder im Kampf, zwischen Raubtieren, auch allüberall unter -Göttern, über Göttern und zwischen göttlichen Mächten stand. - - -Wir steigen, angelangt in Ithea, in einen Wagen, vor den drei Pferde -gespannt sind. Die Fahrt beginnt, und wir werden durch Felder grüner -Gerste in das Tal von Krisa hineingeführt. Im Getreide tauchen hie und -da Ölbäume auf, und mehr und mehr, bis sie zu Hainen zusammentreten und -wir zu beiden Seiten der staubigen Straße von Olivenwäldern begleitet -sind. Im Halblicht unter den Wipfeln liegen quadratisch begrenzte -Wasserflächen. Nicht selten steigt ein gewaltiger Baum daraus empor, -scheinbar mit seinem Stamme in einem glattpolierten Spiegel aus dunklem -Silber wurzelnd, einem Spiegel, der einen zweiten Olivenbaum, einen -rötlichen Abendhimmel und einen anderen, nicht minder strahlenden -Parnassischen Gipfel zeigt. - -Bauern, die aus den Feldern heimwärts nach den Wohnungen im Gebirge -streben, werden von uns im Dämmer der Waldstraße überholt. Es scheint -ein in mancher Beziehung veredelter deutscher Schlag zu sein, so überaus -vertraut in Haltung, Gang und Humor, in den Proportionen des Körpers, -sowie des Angesichts, mit dem blonden Haar und dem blauen Blick, wirken -auf mich die Trupps der Landleute. Wir lassen zur Linken ein eilig -wanderndes und mit einer dunklen Genossin plauderndes, blondes Mädchen -zurück. Sie ist frisch und derb und germanisch kernhaft. Die Art ihres -übermütigen Grußes ist zugleich wild, verwegen, ungezogen und -treuherzig. Sie würde sich von der jungen und schönen deutschen -Bauernmagd, wie ich sie auf den Gütern meiner Heimat gesehen habe, nicht -unterscheiden, wenn sie nicht doch ein wenig geschmeidiger und wenn sie -nicht eine Tochter aus Hellas wäre. - -Und ich gedenke der Pythia. - -Religiöses Empfinden hat seine tiefsten Wurzeln in der Natur; und sofern -Kultur nicht dazu führt, mit diesem Wurzelsystem stärker, tiefer und -weiter verzweigt in die Natur zu dringen, ist sie Feindin der Religion. -In diesem großen und zugleich urgesunden Bereich des nahen, großen -Mysteriums denkt man nicht an die Götterbilder der Blütezeit, sondern -höchstens an primitive Holzbilder, jene Symbole, die, durch Alter -geheiligt, der Gottheit menschliche Proportionen nicht aufzwangen. Man -gedenkt einer Zeit, wo der Mensch mit allen starken, unverbildeten -Sinnen noch gleichsam voll ins Geheimnis hinein geboren war: in das -Geheimnis, von dem er sich Zeit seines Lebens durchaus umgeben fand und -das zu enthüllen er niemals wünschte. - -Nicht der Weltweise war der Ersehnte oder Willkommene unter den Menschen -jener Zeit, außer wenn er sich gleich dem Jäger oder dem Hirten -- der -wahre Hirt ist Jäger zugleich! -- zur ach so wenig naiven Verehrung -eines Idoles, einer beliebigen Rätselerscheinung, der nur im Rätsel -belebten Natur, verstand, sondern ersehnt und willkommen war immer -wieder nur das Leben, das tiefere Leben, das den Rausch erzeugende -Rätsel. - -Immer jedoch ist der Mensch dem Menschen Träger und Verkünder der -tiefsten Rätsel zugleich gewesen und so ward das Rätsel stets am -höchsten verehrt, wenn es sich durch den Menschen verkündigte, die -Gottheit, die durch den Menschen spricht. Und um so höher ward es unter -jenen Menschen verehrt, ward die Gottheit verehrt, je mehr sie den -schlichten Mann, das gewöhnliche Weib aus dem Hirten- und Jägervolke -gewaltsam vor aller Augen umbildete, so daß es von Grund auf verändert, -von einem Gott oder Dämon beherrscht, als Rätsel erschien. - -Ein so verändertes Wesen war vor urdenklichen Zeiten die erste bäurische -Pythia, und sie erschien in den Händen des bogenführenden Jägers und -Rinderherden besitzenden Hirten, in den Händen des Jäger- und -Hirtengottes Apollon willenlos. Den Willen des Menschen zerbrach der -Gott, wie man ein Schloß zerbrechen muß, das die Tür eines fremden -Hauses verschließt, will man als Herrscher und Herr in dieses eintreten; -und nicht der menschliche Wille, sondern gleichsam die Knechtschaft im -göttlichen, nicht Vernunft, sondern Wahnsinn besaß vor den Menschen -damals allein die Staunen und Schauder verbreitende Autorität. - - -Die Pferde beginnen bergan zu klimmen. Mehr und mehr, während wir aus -den dunklen Olivenwäldern emportauchen, verdichtet sich um uns die -Dämmerung. Die Luft ist warm und bewegungslos. Es ist eine Art -tierischer Wärme in der Luft, die aus dem Erdboden, aus den Steinblöcken -um uns her, ja überall her zu dunsten scheint. Überall klettern -Ziegenherden. Ziegenherden kreuzen den Weg oder trollen ihn mit Geläut -zu Tal. Ich fühle auf einmal, wie hier das Hirten- und Jägerleben nicht -mehr nur als Idyll zu begreifen ist. In dieser brütenden Atmosphäre, wie -sie über den schwarzen Olivenwäldern der Tiefe, in dem weiten, gewaltig -zerklüfteten Abgrund zwischen den Wällen schroffer Gebirge steht, wird -mein Blut überdies zu einem seltsamen Fieber erregt, und es ist mir, als -könne aus dieser buhlerisch warmen, stehenden Luft die Frucht des Lebens -unmittelbar hervorgehen. Das Geheimnis ist ringsum nahe um mich. Fast -bang empfinde ich seine Berührungen. Es ist, als trennte -- sagen wir -von den »Müttern«! nur eine dünne Wand oder als läge das ganze -Geheimnis, in dem wir schlummern, in einem zurückgehaltenen, göttlichen -Atemzug, dessen leisestes Flüstern uns eine Erkenntnis eröffnen könnte, -die über die Kraft des Menschen geht. - -Ich habe in diesem Augenblick mehr als je zu bedauern, daß mir der -musikalische Ausdruck verschlossen ist, denn alles um mich wird mehr und -mehr zu einer einzigen, großen, stummen Musik. Das am tiefsten Stumme -ist es, was der erhabensten Sprache bedarf, um sich auszudrücken. -Allmählich verbreitet sich jenes magische Leuchten in der Natur, das -alles vor Eintritt völliger Dunkelheit noch einmal in traumhafter Weise -verklärt. Aber Worte besagen nichts, und ich würde, mit der wahrhaft -dionysischen Kunst begabt, nach Worten nicht ringen müssen. - -Ich empfinde inmitten dieser grenzenlos spielenden Schönheit, die von -einem grunderhabenen düsteren Glanze gesättigt ist, immer eine fast -schmerzhafte Spannung, als ob ich mich einem redenden Brunnen, einem -Urbrunnen aller chthonischen Weisheit gleichsam annäherte, der, wiederum -einem Urmunde gleich, unmittelbar aus der Seele der Erde geöffnet sein -würde. - -Niemals, außer in Träumen, habe ich Farben gesehen, so wie hier auf dem -Marktplatze von Chryso, in dessen Nähe das alte Krisa zu denken ist. In -diesem Bergstädtchen werden unsere Zugtiere getränkt. In Eimern holt man -das Wasser aus dem nahen städtischen Brunnen, der im vollen, magischen -Licht des Abends sich, aus dem Felsen rauschend, in sein steinernes -Becken stürzt. Hier drängen sich griechische Mädchen, Männer und -Maultiere, während im Schatten des Hauses gegenüber würdige Bauern und -Hirten beim Weine von den Lasten des Tages ausruhen. Alles dieses wirkt -feierlich schattenhaft. Es ist, als bestünde in dem Menschengedränge des -kleinen Platzes die geheiligte Übereinkunft, die innere Sammlung der -delphischen Pilger nicht durch laute Worte zu stören. - -Unter den schweigsam Trinkenden, die uns mit Würde beobachten und ganz -ohne Zudringlichkeit, fällt manche edle Erscheinung auf. Von einem -Weißbart vermag ich mein Auge lange nicht abzuwenden. Er ist der -geborene Edelmann. Die Haltung des schlanken Greises, der seine eigene -Schönheit durchaus zu schätzen weiß, ist durchdrungen von einem Anstand, -der eingeboren ist. Aus seinem Antlitz sprechen Güte und Menschlichkeit: -ich sehe in ihm das Gegenbild aller Barbarei. An diesem Hirten legt jede -Wendung des Hauptes, jede gelassene Bewegung des Armes von edler -Herkunft Zeugnis ab: von einer Jahrtausende alten, verfeinerten -Hirtenwürde! denn wo wäre die Freiheit der Haltung, die stolze -Gewohnheit des Selbstgenügens, die Würde des Menschen vor dem Tier, -weniger gestört, als im Hirtenberuf. - - -Es ist, nachdem wir die Stadt verlassen haben und weiter die steilen -Kehren aufwärts dringen, als sänke sich von allen Seiten, dichter und -dichter, Finsternis über das Geheimnis, dem wir entgegenziehen, -schützend herein. Es ist wie eine Art Unschlüssigkeit in der Natur, als -deren bevorzugtes Kind sich der gläubige Grieche fühlen muß, die sich -mir aber dahin umdeutet, als sollte erst durch die volle Erkenntnis -einengender Finsternis der volle Durst zum Orakelbrunnen erzeugt werden. - -Noch immer ist die stehende Wärme auch in der fast völligen Dunkelheit -verbreitet um mich. Der Himmel hat rötlich zuckende Sterne enthüllt, -aber der Blick ist von nun an beengt und eingeschlossen. Die große -Empfindung der Götternähe weicht einer gewissen heimlich schleichenden -Spukhaftigkeit, und so will ich nun auch eine Vorstellung dieser -spukhaften Art aus dem Erlebnis der unvergleichlichen Stunden -festhalten. - -Mehrmals und immer wieder kam es mir vor, als stiege der Schatten eines -einzelnen Mannes mit uns nach dem gleichen Ziele hinan, und zwar auf -einem Fußsteige immer die Kehren der großen Straße abschneidend. Kamen -wir bis an die Kreuzungsstelle heran, so schien es, als sei er schon -vorüber, oder er war zurückgeblieben und stieg weit unten, schattenhaft -über die Böschung der tieferen Straßenschlinge herauf. Auch jetzt -unterliege ich wieder dem Zwang dieser Vorstellung. - -Es ist unumgänglich, daß ein bis ins tiefste religiös erregter, -christlich erzogener Mensch, auch wenn er das innere Auge abwendet, -gleichsam mittels des peripherischen Sehens doch immer auf die Gestalt -des Heilands treffen muß: und dies war mir und ist mir noch jetzt jener -Schatten. Etwas wie Unruhe, etwas wie Hast und Besorgnis scheint ihn den -gleichen Weg zu treiben, und etwas, wie der gleiche, immer noch -ungestillte Durst. - -Und ist nicht auch er wiederum ein Hirt? Sah er sich selbst nicht am -liebsten unter dem Bilde des Hirten? Sehen ihn nicht die Völker als -Hirten? Und verehren ihn nicht die prunkhaften Hohenpriester von heut, -mit dem Symbole des Hirtenstabes in der Hand, als göttlichen Hirten, als -Hirtengott? - - -Heut, am frühen Morgen aus meiner Herberge tretend, befinde ich mich auf -der sonnigen Dorfstraße eines alpinen Dörfchens. Wenn ich die Straße -nach rechts entlang blicke, wo sie, nach mäßiger Steigung, in einiger -Ferne abbricht oder in den weißlichen, heißen und wolkenlosen Himmel -auszulaufen scheint, so bemerke ich die Spitze eines entfernteren -Schneeberges, der sie überragt. - -Die Straße läuft meist dicht am Abhang hin. Von ihrem Rande ermesse ich -die gewaltige Tiefe eines schluchtartigen Tales, mit steilen Felswänden -gegenüber. Die grauen Steinmassen sind durch Thymiansträucher dunkel -gefleckt. - -Der Grund der Schlucht scheint ein Bachbett zu sein, und wie sich Wasser -von seiner hochgelegenen Quelle herniederwindet, bis es am Ende der -verbreiterten Schlucht in den weiten See eines größeren Tales tritt, -ergießen sich hier, gleichsam wie Wogen aus dunklem Silber, -Olivenwaldungen in die Tiefe, wo sie die Fülle des ölreichen Tales von -Krisa aufnimmt. - -Es ist eine durchaus nur schlichte und ganz gesunde alpine Wonne, die -mich erfüllt, jener Zustand des bergluftseligen Müßigganges, in dem man -so gern das Morgenidyll dörflichen Lebens beobachtet. - -Hähne und Tauben machen das übliche Morgenkonzert. Es wird in der Nähe -ein Pferd gestriegelt. Beladene Maultiere trappen vorüber. Alles ist von -jener erfrischenden Nüchternheit, die wiederum die gesunde Poesie des -Morgens ist. - -Kastri heißt das Dorf, in dem wir sind und genächtigt haben. Einige -Schritte auf der mit grellstem Lichte blendenden Landstraße um einen -Felsenvorsprung herum, und der heilige Tempelbezirk von Delphi soll sich -enthüllen. - -In diesem Felsenvorsprung, den wir nun erreichen, sind die offenen -Höhlen ehemaliger Felsgräber. Nahe dabei haben Wäscherinnen ihren Kessel -über ein aromatisches Thymianfeuer gestellt, das uns mit Schwaden -erquickenden Weihrauchs umquillt. Schwalben schrillen an uns vorüber, -Fliegen summen, irgendwoher dringt das Hungergeschrei junger Nestvögel, -und die Sonne scheint, triumphierend gleichsam, bis in die letzten -Winkel der leeren Gräber hinein. - -Eine zahlreiche Herde schöner Schafe begegnet uns, und minutenlang -umgibt uns das freudige Älplergeräusch ihrer Glocken. Ich beobachte eine -dicke Glockenform mit tiefem Klang, von der man sagt, daß sie antikem -Vorbild entspreche. Inmitten der Herde bewegt sich der dienende Hirt und -ein herrenhaft-heiter wandelnder Mann in der knappen, vorwiegend blauen -Tracht der Landleute. - -Dieser Mann erscheint zugleich jung und alt: insofern jung, als er -schlank und elastisch ist, insofern alt, als ein breiter, vollkommen -weißer Bart sein Gesicht umrahmt. Doch es ist die Jugend, die in diesem -Manne triumphiert: das beweist sein schalkhaft blitzendes Auge, beweist -der freie, übermütige Anstand der ganzen Persönlichkeit, eine Art -behaglich fröhlichen Stolzes, der weiß, daß er unwiderstehlich -fasziniert. - -Als Staub und Geläut uns am stärksten umgeben, bemerken wir, wie dieser -schöne und glückliche Mann, der übrigens seine Jagdbüchse über der -Schulter trägt, den langen Stab aus der Hand seines Hirten nimmt. Gleich -darauf tritt er uns entgegen und bietet uns, wirklich aus heiterem -Himmel, eben denselben Stab als Gastgeschenk. - - -Die Wendung des Weges ist erreicht. Die Straße zieht sich in einem -weiten Bogen eng unter mächtigen roten Felswänden hin, und der erste -Blick in dieses schluchtartige, delphische Tal sucht vergeblich nach -einer geeigneten Stätte für menschliche Ansiedelung. Von den roten, -senkrecht starrenden Riesenmauern der Phädriaden ist ein Böschungsgebiet -abgebröckelt, das steil und scheinbar unzugänglich über uns liegt. -Überall in den Alpen trifft man ähnliche Schutt- und Geröllhalden, auf -denen man, ebenso wie hier, höchstens weidende Ziegen klettern sieht. -Selten bemerkt man dort, etwa in Gestalt einer besonders ärmlichen -Hütte, Spuren menschlicher Ansiedelung, während hier der -unwahrscheinliche Baugrund für ein Gewirr von Tempeln, tempelartigen -Schatzhäusern, von Priesterwohnungen, von Theater und Stadion, sowie von -zahllosen Bildern aus Stein und Erz zu denken ist. - -Wir schreiten die weiße Straße langsam fort. Wir scheuchen eine -anderthalb Fuß lange, grüne Eidechse, die den Weg, ein Wölkchen Staub -vor uns aufregend, überquert. Ein Esel, klein, mit einem Berge von -Ginster bepackt, begegnet uns: es heißt, daß die Bauern aus Ginster -Körbe zur Aufbewahrung für Käse flechten. Ein Maultier schleppt eine -Last von bunten Decken gegen Kastri heran, begleitet von einer -Handelsfrau, die während des Gehens nicht unterläßt, von dem Wocken aus -Ziegenhaar fleißig denselben Faden zu spinnen, aus dem jene Decken -gewoben sind. - -Immer die steile Böschung des delphischen Tempelbezirks vor Augen, -drängt sich mir der Gedanke auf, daß alle die einstigen Priester des -Apoll sowohl als die des Dionysos, alle diese Tempel, Theater und -Schatzhäuser von ehemals, alle diese zahllosen Säulen und Statuen den -Ziegen und einer gewissen Ziegenhirtin gefolgt und nachgeklettert sind. - -Das Hirtenleben ist in den meisten Fällen ein Leben der Einsamkeit. Es -begünstigt also alle Kräfte visionärer Träumerei. Ruhe der äußeren Sinne -und Müßiggang erzeugen die Welt der Einbildung, und es würde auch heut -nicht schwer halten, etwa in den Irrenhäusern der Schweiz ländliche -Mädchen zu finden, die, befangen in einem religiösen Wahn, von ähnlichen -Dingen überzeugt sind, von ähnlichen Dingen »mit rasendem Munde« -sprechen, als die erste Seherin, die Sibylle oder ihre Nachfolgerin zu -Delphi, tat. Diese hielten sich etwa für die angetraute Gattin Apolls, -oder für seine Schwester, oder erklärten sich für Töchter von ihm. - -Wir klettern die steile Straße innerhalb des Tempelbezirkes empor. -Überall zwischen den Fundamenten ehemaliger Tempel, Schatzhäuser, Altäre -und Statuen blüht die Kamille in großen Büschen, ebenso wie in Eleusis -und auf der Akropolis. Die Steine der alten und steilen Straße sind -glatt, und mit Mühe nur dringen wir, ohne rückwärts zu gleiten, hinan. - -Nicht weit von dem Felsenvorsprung, den man den Stein der Sibylle nennt, -ruhe ich aus. In heiß duftenden Büscheln der Kamille, zwischen die ich -mich niedergelassen habe, tönt ununterbrochen Bienengesumm. Wer möchte -an dieser Stelle mit Fug behaupten wollen, daß ihm die ungeheure -Vergangenheit dieser steilen Felslehne in allem Besonderen gegenwärtig -sei. Der chthonische Quell, jene, verwirrende Dämpfe ausströmende -Felsspalte, die Corethas entdeckte, quillt, wie es heißt, nicht mehr, -und schon zur Zeit des großen Periegeten hatten die Dämonen das Orakel -verlassen. Werden sie jemals wiederkehren? Und wird, wie es heißt, wenn -sie wiederkehren, das Orakel gleich einem lange ungenutzten Instrument -göttlichen Ausdrucks aufs neue erschallen? - -Die architektonischen Trümmer umher erregen mir einstweilen nur geringe -Aufmerksamkeit. Die Kunst inmitten dieser gewaltigen Felsmassen hatte -wohl immer, nur im Vergleich mit ihnen, Pygmäencharakter. Durchaus -überragend in wilder, unbeirrbarer Majestät bleibt hier die Natur, und -wenn sie auch mit Langmut oder auf Göttergebot die Siedelungen der -menschlichen Ameise duldet, die sich, nicht ohne Verwegenheit, hier -einnistete, so bleibt die Gewalt ihrer Ruhe, die Gewalt ihrer Sprache, -die überragende Macht ihres Daseins, das unter allem, hinter allem, über -und in allem Gegenwärtige. - -Man denkt an Apoll, man denkt an Dionysos, aber an ihre Bilder aus Stein -und Erz denkt man in dieser Umgebung nicht: eher wiederum an gewisse -Idole, die uralten Holzbilder, deren keines leider auf uns gekommen ist. -Man sieht die Götter da und dort, leuchtend, unmaterialisch, visionär, -hauptsächlich aber empfindet man sie in der Kraft ihrer Wirkungen. Hier -bleiben die Götter das, was unsichtbar gegenwärtig ist: und so bevölkern -sie, bevölkern unsichtbare Dämonen die Natur. - -Ist wirklich der chthonische Quell versiegt? Haben die Dämonen wirklich -die Orakel verlassen? Sind gar die meisten von ihnen tot, wie es heißt, -daß der große Pan gestorben ist? Und ist wirklich der große Pan -gestorben? - -Ich glaube, daß eher jeder andere Quell des vorchristlichen Lebensalters -verschüttet ist als der pythische und glaube, daß der große Pan nicht -gestorben ist: nicht aus Schwäche des Alters und ebensowenig unter den -jahrtausendelangen Verfluchungen einer christlichen Klerisei. Und hier, -zwischen diesen sonnebeschienenen Trümmern, ist mir das ganze -totgeglaubte Mysterium, sind mir Dämonen und Götter samt dem totgesagten -Pan gegenwärtig. - -Noch heut sind unter den »vielen Strömen, die unsere Erde nach oben -sendet«, viele, die in den Seelen der Menschen eine Verwirrung und -Begeisterung hervorrufen, wie in dem Hirten Corethas jener, der in -Delphi zutage trat, auch wenn wir dieser Begeisterung wenig achten und -die tiefen Weihen nicht mehr allgemein machen wollen, die mit dem -heiligen Rausch verbunden sind. - -Dieser Parnaß und diese seine roten Schluchten sind Quellgebiet: -Quellgebiet natürlicher Wasserströme und Quellgebiet jenes -unversiegbaren, silbernen Stromes der Griechenseele, wie er durch die -Jahrtausende fließt. Es ist ein anderer Reiz und Geist, der die Quellen, -ein anderer, der den Lasten und Wimpel tragenden Strom umgibt. Seltsam, -wie der Ursprung des Stromes und seine Wiege dem urewig Alten am -nächsten ist: das ewig Alte der ewigen Jugend. Man kann solche -Quellgebiete nicht einmal mit Fug allein griechisch nennen, denn sie -sind meist, im Gegensatz zu den Strömen, die sie nähren, namenlos. - -Gegenüber, jenseit des Taleinschnitts, tönen von der Felswand, dem Ruf -des Hornes von Uri nicht unähnlich, gewaltige Laute eines Dudelsacks, -hervorgerufen von Hirten, die unerkennbar mit ihren Ziegen in den Felsen -umhersteigen. Diese gesegneten Quellgebiete waren und sind noch heute -von Hirten umwohnt. Platon nennt die Seele einen Baum, dessen Wurzeln im -Haupte des Menschen sind und der von dort aus mit Stamm, Ästen und -Blättern sich in das Bereich des Himmels ausdehnt. Ich betrachte die -Welt der Sinne als einen Teil der Seele und zugleich ihr Wurzelgebiet, -und verlege in das menschliche Hirn einen metaphysischen Keim, aus dem -dann der Baum des Himmels mit Stamm, Ästen, Blättern, Blüten und -Früchten empordringt. - -Nun scheint es mir, daß die Sinne des Jägers, die Sinne des Hirten, die -Sinne des Jägerhirten, sagen wir, die feinsten und edelsten Wurzeln sind -und daß ein Hirten- und Jägerleben auf Berghöhen der reichste Boden für -solche Wurzeln, und also die beste Ernährung für den metaphysischen Keim -im Menschen ist. - - -Zwischen den Trümmern des steilen Tempelbezirks von Delphi -umherzusteigen, erfordert einige Mühe und Anstrengung. Am höchsten von -allen Baulichkeiten lag wohl das Stadion; ein wenig tiefer, doch mit -seinen obersten Sitzen an die unzugängliche Felswand stoßend, ist das -Theater dem Felsgrunde abgetrotzt. - -Der Eindruck der natürlichen Szenerie, die es umgibt, ist drohend und -großartig. Ich empfinde eine Art beengender Bangigkeit in dieser -übergewaltigen Nähe der Natur, dieser geharnischten, roten -Felsbastionen, die den furchtbarsten Ernst blutiger Schauspiele von den -Menschen zu fordern scheinen. - -In das Innere dieser Felsmassen scheint übrigens ein dämonisches Leben -hineingebannt. Sie wiederholen, in die tiefe Stille über den rötlichen -Sitzreihen, die Stimmen unsichtbarer Kinder weit unten im Tal, sie -lassen gespenstige Herdenglocken, wie in einem hallenden Saale, durch -sich hin läuten und geben die klangvolle Stimme des fernen Hirten aus -der Nähe und geläutert zurück. Aus ihrem Inneren dringt Hundegebell, und -ein fernes und schwaches Dröhnen, aus dem Tale von Krisa her, erregt in -ihr einen klangvoll breiten, feierlich musikalischen Widerhall. - -Das ununterbrochene, mitten im heißen Lichte des Mittags gleichsam -nächtliche Rauschen der kastalischen Wasser dringt aus der Schlucht der -Phädriaden herauf. - -Die Götter waren grausame Zuschauer. Unter den Schauspielen, die man zu -ihrer Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor Göttern, und die -griechischen Zuschauer auf den Sitzreihen trieben, mit schaudernder -Seele gegenwärtig, Gottesdienst! -- unter den Schauspielen, sage ich, -waren die, die von Blute trieften, den Göttern vor allen anderen heilig -und angenehm. Wenn zu Beginn der großen Opferhandlung, die das -Schauspiel der Griechen ist, das schwarze Blut des Bocks in die -Opfergefäße schoß, so wurde dadurch das spätere höhere, wenn auch nur -scheinbare Menschenopfer nur vorbereitet: das Menschenopfer, das die -blutige Wurzel der Tragödie ist. - -Blutdunst stieg von der Bühne, von der Orchestra in den brausenden -Krater der schaudernden Menge und über sie in die olympischen Reihen -blutlüsterner Götterschemen hinauf. - -Anders wie im Theater von Athen, tiefer und grausamer und mit größerer -Macht, offenbart sich hier, in der felsigten Pytho, unter der Glut des -Tagesgestirns, das Tragische, und zwar als die schaudernde Anerkennung -unabirrbarer Blutbeschlüsse der Schicksalsmächte: keine wahre Tragödie -ohne den Mord, der zugleich wieder jene Schuld des Lebens ist, ohne die -sich das Leben nicht fortsetzt, ja, der zugleich immer Schuld und Sühne -ist. - -Gleich einem zweiten Corethas brechen mir überall in dem großen -parnassischen Seelengebiet -- und so auch in der Tiefe des roten -Steinkraters, darin ich mich eben befinde! -- neue chthonische Quellen -auf. Es sind jene Urbrunnen, deren Zuflüsse unerschöpflich sind und die -noch heute die Seelen der Menschen mit Leben speisen: derjenige aber -unter ihnen, der dem inneren Auge der Seele und gleicherweise dem -leiblichen Auge vor allen anderen sichtbar und mystisch ist, bleibt -immer der springende Brunnen des Bluts. - -Ich fühle sehr wohl, welche Gefahren auf den Pilger in solchen -parnassischen Brunnengebieten lauern, und vergesse nicht, daß die Dünste -aller chthonischen Quellen von einem furchtbaren Wahnsinn schwanger -sind. Oft treten sie über dünnen Schichten mürben Grundes ans -Tageslicht, unter denen glühende Abgründe lauern. Der Tanz der Musen auf -den parnassischen Gipfeln geschah, da sie Göttinnen waren, mit leichten, -die Erde nicht belastenden Füßen: das ihnen Verbürgte nimmt uns die -Schwere des Körpers, die Schwere des Menschenschicksals nicht. - -Auch aus der Tiefe des Blutbrunnens unter mir stieg dumpfer, betäubender -Wahnsinn auf. Indem man die grausame Forderung des sonst wohltätigen -Gottes im Bocksopfer sinnbildlich darstellte, und im darauffolgenden, -höheren Sinnbild gotterfüllter dramatischer Kunst, gaben die Felsen den -furchtbaren Schrei des Menschenopfers unter der Hand des Rächers, den -dumpfen Fall der rächenden Axt, die Chorklänge der Angst, der Drohung, -der schrecklichen Bangigkeit, der wilden Verzweiflung und des jubelnden -Bluttriumphes zurück. - -Es kann nicht geleugnet werden, Tragödie heißt: Feindschaft, Verfolgung, -Haß und Liebe als Lebenswut! Tragödie heißt: Angst, Not, Gefahr, Pein, -Qual, Marter, heißt Tücke, Verbrechen, Niedertracht, heißt Mord, -Blutgier, Blutschande, Schlächterei -- wobei die Blutschande nur -gewaltsam in das Bereich des Grausens gesteigert ist. Eine wahre -Tragödie sehen hieß, beinahe zu Stein erstarrt, das Angesicht der Medusa -erblicken, es hieß das Entsetzen vorwegnehmen, wie es das Leben heimlich -immer, selbst für den Günstling des Glücks, in Bereitschaft hat. Der -Schrecken herrschte in diesem offenen Theaterraum, und wenn ich bedenke, -wie Musik das Wesen einfacher Worte, irgend eines Liedes, erregend -erschließt, so fühle ich bei dem Gedanken an die begleitenden Tänze und -Klänge der Chöre zu dieser Mordhandlung eisige Schauder im Gebein. Ich -stelle mir vor, daß aus dem vieltausendköpfigen Griechengewimmel dieses -Halbtrichters zuweilen ein einziger, furchtbarer Hilfeschrei der Furcht, -der Angst, des Entsetzens, gräßlich betäubend zum Himmel der Götter -aufsteigen mußte, damit der grausamste Druck, die grausamste Spannung -sich nicht in unrettbaren Wahnsinn überschlug. - - -Man muß es sich eingestehen, das ganze Bereich eines Tempelbezirks, und -so auch diese delphische Böschung, ist blutgetränkt. An vielen Altären -vollzog sich vor dem versammelten Volk die heilige Schlächterei. Die -Priester waren vollkommene Schlächter, und das Röcheln sterbender -Opfertiere war ihnen die gewöhnlichste und ganz vertraute Musik. Die -Jammertöne der Schlachtopfer machten die Luft erzittern und weckten das -Echo zwischen den Tempeln und um die Statuen her: sie drangen bis ins -Innere der Schatzhäuser und in die Gespräche der Philosophen hinein. - -Der Qualm der Altäre, auf denen die Ziege, das Schaf mit der Wolle -verbrannt wurde, wirbelte quellend an den roten Felsen hinauf, und ich -stelle mir vor, daß dieser Qualm, sich zerteilend, das Tal überdeckte -und so die Sonne verfinsterte. Der Opferpriester, mit Blut besudelt, der -einem Zyklopen gleich das geschlachtete Tier zerstückte und ihm das Herz -aus dem Leibe riß, war dem Volk ein gewöhnlicher Anblick. Er umgoß den -ganzen Altar mit Blut. Diese ganze Schlachthausromantik in solchen -heiligen Bezirken ist schrecklich und widerlich, und doch ist es immer -vor allem der süßliche Dampf des Bluts, der die Fliegen, die Götter des -Himmels, die Menge der Menschen, ja sogar die Schatten des Hades -anzieht. - -In alledem verrät sich mir wiederum der Hirtenursprung der Götter, ihrer -Priester und ihres Gottesdienstes, denn das Blutmysterium mußte sich den -Jägerhirten zuerst aufschließen und dem Hirten mehr als dem Jäger in -ihm, wenn er, friedlich, friedlich von ihm gehütete, zahme Tiere -abschlachtete, zuerst das Grausen und hernach den festlichen Schmaus -genoß. - - -Wir sind den steilen Abhang des delphischen Tempelbezirks bis an den -obersten Rand emporgeklommen. Ich bin erstaunt, hier, wo aus dem -scheinbar Unzugänglichen die rote unzugängliche Felswand sich erhebt, -auf eine schöne, eingeschlossene Fläche zu stoßen, hier oben, gleichsam -in der Gegend der Adlernester, zwischen Felsenklippen, auf ein Stadion. - -Es ist still. Es ist vollkommen still und einsam hier. Das schöne Oblong -der Rennbahn, eingeschlossen von den roten Steinen der Sitzreihen, ist -mit zarten Gräsern bedeckt. Inmitten dieser verlassenen Wiese hat sich -eine Regenlache gebildet, darin man die roten Umfassungsmauern des -Felsendomes, mit vielen gelben Blumenbüscheln widergespiegelt sieht. - -Ist nicht das Stadion dann am schönsten, wenn der Lärm der Ringer und -Renner, wenn die Menge der Zuschauer es verlassen hat? Ich glaube, daß -der göttliche Priester Apolls, Plutarch, oft, wie ich jetzt, im leeren -Stadion der einzige Zuschauer war und den Gesichten und Stimmen der -Stille lauschte. - -Es sind Gesichte von Jugend und Glanz, Gesichte der Kraft, Kühnheit und -Ehrbegier, es sind Stimmen gottbegeisterter Sänger, die unter sich -wetteifernd den Sieger oder den Gott preisen. Es ist der herrlichste -Teil der griechischen Phantasmagorie, die hier für den nicht erloschen -ist, der gekommen ist, Gesichte zu sehen und Stimmen zu hören. - -Die schrecklichen Dünste des Blutbrunnens drangen nicht bis in dieses -Bereich, ebensowenig das Todesröcheln der Menschen- und Tieropfer. Hier -herrschte das Lachen, hier herrschte die freie, von Erdenschwere -befreite, kraftvolle Heiterkeit. - -Nur im Stadion, und ganz besonders in dem zu Delphi, das über allen -Tempeln und allen Altären des Götterbezirks erhaben ist, atmet man jene -leichte, reine und himmlische Luft, die unseren Heroen die Brust mit -Begeisterung füllte. Der Schrei und Ruf, der von hier aus über die Welt -erscholl, war weder der Ruf des Hirten, der seine Herde lockt, noch war -es der wilde Jagdruf des Jägers: es war weder ein Racheschrei noch ein -Todesschrei, sondern es war der wild glückselige Schrei und -Begeisterungsruf des Lebens. - -Mit diesem göttlichen Siegesruf der lebendigen Menschenbrust begrüßte -der Grieche den Griechen über die Fjorde und Fjelle seines herrlichen -Berglands hinweg, dieses Jauchzen erscholl von Spielplatz zu Spielplatz: -von Delphi hinüber nach Korinth, von Korinth nach Argos, von Argos bis -Sparta, von Sparta hinüber nach Olympia, von dort gen Athen und -umgekehrt. - -Ich glaube, nur vom Stadion aus erschließt sich die Griechenseele in -alledem, was ihr edelster Ruhm und Reichtum ist; von hier aus gesehen, -entwickelt sie ihre reinsten Tugenden. Was wäre die Welt des Griechen -ohne friedlichen Wettkampf und Stadion? Was ohne olympischen Ölzweig und -Siegerbinde? eben das gleiche erdgebundene Chaos brütender, ringender -und quellender Mächte, wie es auch andere Völker darstellen. - -Es wird mir nicht leicht, diesen schwebenden und versteckten Spielplatz -zwischen parnassischen Klippen zu verlassen, der so wundervoll einsam -und wie für Meditationen geschaffen ist. Hier findet sich der sinnende -Geist gleichsam in einen nährenden Glanz versenkt, und der Reichtum -dessen, was in ihn strömt, kann in seiner Überfülle kaum bewahrt und -behalten sein. - -Man müßte vom Spiel reden. Man müßte das eigene Denken der Kinder- und -Jünglingsjahre heraufrufen und jener Wegeswendung sich erinnern, wo man -in eine mißmutige und freudlose Welt einzubiegen gezwungen war, die das -Spiel, die höchste Gabe der Götter, verpönt. Man könnte hervorheben, daß -bei uns mehr Kinder gemordet werden, als jemals in irgendeinem Bethlehem -von irgendeinem Herodes gemordet worden sind: denn man läßt nie das Kind -bei uns groß werden, man tötet das Kind im Kinde schon, geschweige, daß -man es im Jüngling und Manne leben ließe. - -Nackt wurde der Sieger, der Athlet oder Läufer dargestellt, und ehe -Praxiteles, ehe Skopas seine Statuen bildete, entstanden ihre Urbilder -hier im Stadion. Hier ist für die Schönheit und den Adel der -griechischen Seele, für Schönheit und Adel des Körpers der Muttergrund. -Hier wurde das schon Geschaffene umgeschaffen, das Umgeschaffene zum -ewigen Beispiel und auch als Ansporn für höhere Artung in Erz oder -Marmor dargestellt. Hier hatte die Bildung ihre Bildstätte, wenn anders -Bildung das Werk eines Bildners ist. - -Wer je sein Ohr an die Wände jener Werkstatt gelegt hat, deren Meister -den Namen Goethe trug, der wird erkennen, daß nicht nur Wagner, der -Famulus, den Menschen mit Göttersinn und Menschenhand zu bilden und -hervorzurufen versuchte: alles Sinnen, Grübeln, Wirken, Dichten und -Trachten des Meisters war eben demselben Endzweck rastlos untertan. Und -wer nicht in jedweder Bildung seines Geistes und seiner Hände das -glühende Ringen nach Inkarnation des neuen und höheren Menschen spürt, -der hat den Magier nicht verstanden. - -Es ist bekannt, wie gewissen griechischen Weisen, und so dem Lykurg! -Bildung ein Bilden im lebendigen Fleische, nicht animalisch unbewußt, -sondern bewußt »mit Göttersinn und Menschenhand« bedeutete. Was wäre ein -Arzt, der seine Kranken bekleidet sieht, und was ein Erzieher, dem jener -Leib samt dem Geiste, dem er höhere Bildung zu geben beabsichtigt, nicht -nackt vor der Seele stünde? Aus dem Grunde der Stadien sproßten, nackt, -die athletischen Stämme einer göttlichen Saat des Geistes hervor. Und -hier, auf dem Boden des delphischen Stadions, gebrauche ich nun zum -ersten Male in diesen Aufzeichnungen das Wort Kultur: nämlich als eine -fleischliche Bildung zu kraftvoll gefestigter, heiterer, heldenhaft -freier Menschlichkeit. - - -Zwei Vögel, unsern Zeisigen ähnlich, stürzen sich plötzlich aus irgend -einem Schlupfloch der Felsen quirlend herab und löschen den Durst aus -dem Spiegel der Lache vor mir im Stadion. Ihr piepsendes Spiel weckt -Widerhall, und das winzige Leben, der sorglose, dünne Lärm der kleinen -Geschöpfe, die niemand stört, offenbaren erst gleichsam das Schicksal -dieser Stätte in seiner ganzen Verwunschenheit. - -Während ich auf die grüne Erde hinstarre und der Füße jener zahllosen -Läufer und Kämpfer gedenke, aller jener göttergleichen, jugendlich -kraftvoll schönen Hellenen, die sie erdröhnen machten, vernehme ich -wiederum aus den Felsen den gewaltigen Widerhall von Geräuschen, die mir -verborgen sind. Aus irgend einem Grunde erhebe ich mich, rufe laut und -erhalte ein sechsfaches mächtiges Echo: sechsfach schallt der Name des -delphischen Gottes, des Python-Besiegers, aus dem Inneren der Berge -zurück. - -Ich bin allein. Die dämonische Antwort der alten parnassischen Wände hat -bewirkt, daß mich die Kraft der Vergangenheit mit ihren triumphierenden -Gegenwarts-Schauern durchdringt und erfaßt und daß ich etwas wie ein Bad -von Glanz und Feuer empfinde. Beinahe zitternd horche ich in die neu -hereingesunkene, fast noch tiefere Stille hier oben hinein. - - -Der Morgen ist frisch. Wir schrieben den ersten Mai ins Fremdenbuch. Vor -der Türe des Gasthauses warten schäbige Esel und Maultiere, die uns nach -Hossios Lucas bringen sollen. Ins Freie tretend, beginne ich mit letzten -Blicken Abschied zu nehmen. Ich begrüße die Kiona, den weißen Gipfel des -Korax-Gebirges, dort, wo die Dorfstraße, wie es scheint, in den Luftraum -verläuft. Ich begrüße drei kleine Mädchen, die, trödelnd, ebenso viele -Schäfchen vor sich her treiben, begrüße sie mit einer ihnen -unverständlichen Herzlichkeit. Eines der hübschen Kinder küßt mir zum -Dank für ein kleines, unerbetenes Geschenk die Hand. - -Wir lassen die Mäuler voranklingeln. Wieder schreiten wir an den Felsen -vorüber, mit den Höhlungen leerer Gräber darin, und wieder erschließt -sich dem Auge die steinigte Böschung des delphischen Tempelbezirks. Wer -alles dieses tiefer begreifen wollte, müßte mehr als ein flüchtiger -Wanderer sein. Immerhin sind mir auch hier die Steine nicht stumm -gewesen. - -Wir haben den Grund von Delphi, der Stadt, die unterhalb unseres Weges -lag, über allerlei Mauern und Treppchen kletternd, durchstreift, und -während wir jetzt unsere Reise fortsetzen, zieht uns das Leuchten der -Tempeltrümmer, zwischen tausendjährigen Ölbäumen, zieht uns der weiße -Marmor umgestürzter Säulen an. An den kastalischen Wassern nehmen wir -wiederum einen kleinen Aufenthalt. Ich habe mich auf einen großen -Felsblock niedergelassen, in der wundervoll hallenden und rauschenden -Kluft, den Felsenbassins jenes alten Brunnen- und Baderaums gegenüber, -wo die delphischen Pilger von einst sich reinigten. - -Ein Tempelchen, mit Nischen der Nymphen, war grottenartig in die -Felswand gestellt. - -Heut sind die Bachläufe arg verunreinigt, die Wasserbecken mit Schlamm -gefüllt. Oben durch die feuchte und kalte Klamm fliegen lange -Turmschwalben und jagen einander mit raubvogelartigem, zwitscherndem -Pfiff. - - -Wir wiegen uns nun bereits eine gute Weile auf unseren Maultieren. Der -Weinstock, das Gewächs des Dionysos, begleitet uns in wohlgepflegten, -wohlgeordneten Feldern die parnassischen Höhen hinan. Immer wieder -begegnen uns wollige Herden mit ihren Hirten. Ich bemerke plötzlich den -mir von gestern bekannten stattlichen Weißbart auf dem Bauche im Grase -liegend am Straßenrand und empfinde mit ihm, was sein leise ironisches, -überlegen lachendes Antlitz zum Ausdruck bringt. Hinter dem Patriarchen -steigen seine Herden zwischen Rainen, Steinen und saftigen Gräsern umher -und füllen die Luft mit der Glockenmusik seines reichen Besitzes. Die -Sonne strahlt, der Tag wird heiß. - -Schon im Altertum wurden solche Wege wie diese auf Mäulern zurückgelegt. -So wird auch das Um und An einer Bergreise, an Rufen, Geräuschen und -Empfindungen, nicht anders gewesen sein, als es heute ist. Maultiere -haben die Eigentümlichkeit, am liebsten nicht in der Mitte des Weges, -sondern immer womöglich an steilen Rändern zu schreiten: was dem -ungewohnten Reiter zuweilen natürlich Schwindel erregt. Allmählich -gewinne ich im Vertrauen auf das sich mehr und mehr entfaltende -Klettertalent meines Reittieres eine gewisse, schwindelfreie -Sorglosigkeit. Immer wilder und einsamer wird die Berggegend, bis hinter -Arachova die Einöde, das heißt die parnassische Höhenzone beginnt. Von -der gesamten südlichen Flora ist nichts übrig geblieben. Der letzte -Weinstock, der letzte Feigenbaum, die letzte Olive liegt hinter uns. Nun -aber tut sich ein weiter und grüner Gebirgssattel vor uns auf, von jener -gesunden, alpinen Schönheit, die ebenso heimatlich, als über alles -erquickend ist. - -Der weite Paß, mit flach geschweifter, beinahe ebener Grundfläche, ist -Weideland: das heißt, ein saftiger Wiesenplan, auf dem der Huf des -schreitenden Maultiers lautlos wird und der Pfad sich verliert. Das -helle, ruhige Grün dieser schönen Alm ist eine tiefe Wohltat für Auge -und Herz, und der starke, düster-trotzige Föhrenstand, der die steile -Flanke einer nahen Bergwand hinaufklettert, fordert heraus, ihm -nachzutun. Ich weiß nicht, was in dieser Landschaft so fremdartig sein -sollte, daß man es nicht in den deutschen Alpengebirgen, um diese oder -jene Sennhütte her, ebenso antreffen könnte, und doch würde der gesunde -Jodler des einsamen Sennen hier einen Zauber vernichten, der -unaussprechlich ist. - -Das hurtige Glöckchen des Maultieres klingelt am Rand einer teichartig -weit verbreiteten Wasserlache dahin, die, in den hellen Smaragd der -Bergwiese eingefügt, den blauen Abgrund des griechischen Himmels, die -ernste Wand der wetterharten Apolloföhren, und das hastende, kleine -Vögelchen in einem ruhigen Spiegel wiedergibt. - - -Über die Art, wie für den, der sich einmal in das Innere des Mythos -hineinbegeben hat, jeder neue sinnliche Eindruck wiederum ganz unlöslich -mit diesem Mythos verbunden wird und ihn zu einer fast überzeugenden -Wahrheit und Gegenwart steigert, möchte manches zu sagen sein. Es -beträfe nicht nur den Prozeß eines gläubigen Wiedererweckens, sondern -jenen, durch den die menschliche Schöpfung der Welt überhaupt entstanden -ist, es beträfe das Wesen jener zeugenden Kraft, die im dichtenden -Genius eines Volkes lebendig ist und darin sich die Seele des Volkes -verklärt. - -Plötzlich taucht in der panisch beinahe beängstigenden, nordischen -Vision von Bergeinsamkeit die wilde Gestalt eines bärtigen Hirten auf, -der uns in schneller Gangart, fünf schwarze Böcke vor sich hertreibend, -von jenseit, über die grüne Matte entgegenkommt. Die schönen Tiere, die -von gleicher Größe und, wie gesagt, schwarz wie Teufel sind, machen -den überraschendsten Eindruck. Noch niemals sah ich ein so -unwahrscheinliches Fünfgespann. Wer wollte da, wenn eine auserlesene -Koppel solcher Böcke, wie zum Opfer geführt, ihm entgegenkommt, und zwar -über einen parnassischen Weidegrund, die Nähe des Gottes ableugnen, der -einst durch Zeus in die Gestalt eines Bockes verwandelt ward, um ihn vor -Heres Rache zu schützen, und dem diese Höhen geheiligt sind. - -Wie diese Tiere einhertrotten, unwillig, durch den rauhen Treiber mehr -gestört als in Angst versetzt, mit dem böse funkelnden Blick -beobachtend, jeder mit seinem zottligen Bart, jeder unter der Last und -gewundenen Krönung eines gewaltigen Hörnerpaares, scheinen sie selber -inkarnierte Dämonen zu sein, und in wessen Seele nur etwas von dem alten -Urväter-Hirten-Drama noch rumort, der fühlt in diesem klassischen Tier -einen wahrhaft dämonischen Ausdruck zeugender Kräfte, dem es leider auch -seinen Blocksberg-Verruf in der verderbten Weltanschauung der -christlichen Zeit zu verdanken hat. - - -Wir besteigen nach kurzer Rast unsere Maultiere, die wiederum mager, -schäbig und scheinbar kraftlos, wie zu Anfang der Reise dastehen. Das -unscheinbare Äußere dieser Tiere täuscht uns nicht mehr über den Grad -ihrer Zähigkeit. - -Zur Linken haben wir nun eine rötlich graue, senkrechte Wand -parnassischer Felsmassen, deren Rand einen Gießbach aus großer Höhe -herabschüttet. Es ist ein lautloser Wasserfall, der, ehe er noch den -Talgrund erreicht, in Schleiern verweht. - -Die Maultiere müssen neben dem Lauf eines ausgetrockneten -Felsenflußbettes abwärts klettern und erweisen, mehr und mehr -erstaunlich für uns, ihre wundervolle Geschicklichkeit. Man würde -vielleicht von diesen Felstälern sagen können, daß sie Einöden sind, -wenn ihre zitternde, leuchtende und balsamische Luft nicht überall von -den wasserartig glucksenden Lauten zahlloser Herdengeläute erfüllt wäre. - -Der Paris-artige Knabe, der vorhin, während wir Rast hielten, mit -zwitschernden Lauten unsere Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein Hirt. -Hoch auf der Spitze eines vereinzelten Felskegels, der an der -Kreuzungsstelle einiger Hochtäler sich erhebt, steht, gegen den Himmel -scharf abgegrenzt, wiederum ein romantisch drapierter Ziegenhirt, mit -dem landesüblichen Hirtenstabe. Sofern uns ein Mensch begegnet, ist es -ein Hirt, sofern unser Auge in der felsigten Wildnis Menschengestalt zu -unterscheiden vermag, unterscheidet es auch ringsum sogleich ein -Gewimmel von Schafen oder Thymian rupfenden Ziegen. - -In einem Engpaß, durch den wir müssen, hat sich ein Strom von dicker, -wandelnder Wolle gestaut, der sich, wohl oder übel, vor den Hufen des -langsam schreitenden Maultiers teilen muß. Der Reiter streift mit den -Sohlen über die braunen Vliese hin, nachdem die Leitböcke ihre -gewaltigen, tiefgetönten Glocken antiker Form, feurig glotzend, ungnädig -prustend, vorüber getragen haben. - -Diese steinigten Hochtäler, zwischen Parnaß und Helikon, erklingen -- -nicht von Kirchengeläut! -- aber sie sind beständig und überall -durchzittert vom Klange der Herdenglocken. Sie sind von einer Musik -erfüllt, die das überall glucksende, rinnende, plätschernde Element -einer echten parnassischen Quelle ist. Ob nicht vielleicht die Glocke -unter dem Halse des weidenden Tieres, die Mutter der Glocke im Turme der -Kirche ist, die ja, ins Geistige übertragen, den Parallelismus zum -Hirtenleben nirgend verleugnen will? Dann wäre es von besonderem Reiz, -den appollinischen Klang zu empfinden, den alten parnassischen -Weideklang, der in dem Gedröhne städtischer Sonntagsglocken enthalten -sein müßte. - -Im Klangelement dieser parnassischen Quelle, dieses Jungbrunnens, bade -ich. Es beschleicht mich eine Bezauberung. Ich fühle Appollon unter den -Hirten und zwar in schlichter Menschengestalt, als Schäferknecht, wie -wir sagen würden, so, wie er die Herden des Laomedon und Admetos hütete. -Ich sehe ihn, wie er in dieser Gestalt jede gewöhnliche Arbeit des -Hirten verrichten muß, dabei gelegentlich Mäuse vertilgt und den -Eidechsen nachstellt. Ich sehe ihn weiter, wie er, ähnlich mir, in der -lieblich monotonen Musik dieser Täler gleichsam aufgelöst und versunken -ist und wie es ihm endlich, besser als mir, gelingt, die Chariten auf -seine Hand zu nehmen. Chariten, musische Instrumente tragend, auf der -Hand, war er zu Delphi dargestellt. - -Vorsichtig schreitet mein Reittier über eine große Schildkröte, die von -den Treibern nicht beachtet wird; ich lasse sie aufheben und die -lachenden Aggogiaten reichen mir das, zwischen gewaltigen -Schildpattschalen, lebhaft protestierende Tier. Ich sehe an den Mienen -der Leute, daß die Schildkröte unter ihnen sich der Popularität eines -allbeliebten Komikers zu erfreuen hat, eines lustigen Rats, über den man -lacht, sobald er erscheint und bevor er den Mund öffnet. In das -Vergnügen der Leute mischt sich dabei eine leise Verlegenheit, wie sie -den ernsten Landmann unverkennbar überschleicht, der auf den Holzbänken -einer Jahrmarktsbude sein Entzücken über die albernen Späße des -Hanswurst nicht zu verbergen vermag. Auch fühlt man heraus, wie das -schöne Tier nicht minder geringschätzt, ja verachtet ist, als beliebt: -eine Verachtung, eine Geringschätzung, die in seinem friedlichen Wesen -und seiner Hilflosigkeit gegenüber den Menschen, trotz seines doppelten -Panzers, ihren Ursprung hat. - - »Als er sie sah, da lacht er alsbald und sagte die Worte: - Du glückbringendes Zeichen, ich schmähe dich nicht, sei willkommen. - Freudegeberin heil! Gesellin des Tanzes und Schmauses.« - -»Als er sie sah, da lacht er alsbald!« nämlich Hermes, der Gott, vor -Zeiten. Ganz so ergreift unsere kleine Reisegesellschaft beim Anblick -des klassischen Tieres unwiderstehliche Heiterkeit. - - -Wir ziehen weiter, nachdem wir das alte homerische Lachen, das Lachen -des Gottes, zu Ende gelacht haben. Aber wir töten nicht, wie Hermes, das -Tier, sondern nehmen es lebend unter unseren Gepäckstücken mit. Ich -denke darüber nach, wie wohl die Leier ausgesehen und wie wohl geklungen -hat, die Hermes aus dem Panzer der Schildkröte und aus Schafsdärmen -bildete und die in den Händen Apolls ihren Himmel und Erde -durchhallenden Ruhm gewann. - -Aber wir sind nun in sengenden Gluten des Mittagslichts zu einem -wirklichen, reichlich Wasser spendenden parnassischen Brunnen gelangt, -aus dem die Tiere und Treiber gierig trinken. Dicke Strahlen köstlichen -Wassers stürzen aus ihrer gemauerten Fassung hervor und rauschend und -brausend in das steinerne Becken hinein. Es ist wie ein Reichtum, der -sich hier ausschüttet, der nirgends so, als in einem heißen und -wasserarmen Lande empfunden wird. - -Wir ruhen aus in dem wohligen Lärm und dem kühlen Gestäube des -lebenspendenden Elementes. - - -Das Kloster Hossios Lukas bietet uns Quartier für die Nacht. Vom -behäbigen Prior empfangen, geleitet von dienstfertigen Mönchen, treten -wir, durch ein kleines Vorgärtchen, ohne Treppen zu steigen, ins Haus. -Gleich linker Hand ist ein Zimmer, das uns überwiesen wird. Auf den -gebrechlichen Holzaltan des Zimmerchens tretend, blicken wir in den -tiefen Klosterhof und zugleich über die Dächer der Mönchskasernen in das -vollkommen einsame, wilde Hochtal hinaus. - -Eng und nur wenig Hofraum lassend, sind die Klostergebäude in, wie es -scheint, geschlossenem Kreis um eine alte byzantinische Kirche gestellt, -die sie zugleich beschützen und liebevoll einschließen. Das Hauptportal -der Kirche liegt schräg in der Tiefe unter uns. Wir können mit den nahen -Wipfeln alter Zypressen Zwiesprache halten, die seit Jahrhunderten -Wächter vor diesem Eingang sind. - -Der Prior wünscht uns die Kirche zu zeigen, die innen ein trauriges Bild -der Verarmung ist. Reste von Mosaiken machen wenig Eindruck auf mich, -desto mehr ein Geldschrank, der, an sich befremdlich in diesem geweihten -Raum, zugleich ein wunderlicher Kontrast zu seinem kahlen, ausgepoverten -Zustand ist. - -Dem Prior geht ein jugendlich schöner Mönch mit weiblicher Haartracht an -die Hand. Er öffnet Truhen und Krypten mit rostigen Schlüsseln. Das Auge -des jungen Mönches verfolgt uns unablässig mit bohrendem Blick. Als wir -jetzt wiederum auf dem Balkon unseres Zimmers sind, taucht er auf einem -nahen Altane neugierig auf. - -Während über den Dächern und in der Wildnis draußen noch Helle des -sinkenden Tages verbreitet ist, liegt der Hof unter uns bereits in -nächtlicher Dämmerung. Ich horche minutenlang in die wundervolle Stille -hinunter, die durch das Geplätscher eines lebendigen Brunnens nur noch -tiefer und friedlicher wird. Mit einem Male ist es, als sei die Seele -dieser alten winkligen Gottesburg aus tausendjährigem Schlummer erwacht. -Arme werden hereingelassen und es wird von den Brüdern unterm -Klosterportale ziemlich geräuschvoll Brot verteilt. - -Nach einigem Rufen, Treppengehen und Türenschließen tritt wieder die -alte verwunschene Stille ein, mit den einsamen Lauten des -Röhrenbrunnens. Dann klappert die dicke Bernsteinkette des freundlichen -Priors unten im Hof. Man hört genau, wie er sein Spielwerk -gewohnheitsgemäß bearbeitet, das heißt die Bernsteinkugeln -ununterbrochen durch die Finger gleiten läßt und gegeneinander schiebt. - -Ich gehe zur Ruhe, im Ohre feierlich summenden Meßgesang, der schwach -aus dem Innern der Kirche dringt. - - -Der Aufbruch von Hossios Lukas geschieht unter vielen freundlichen -Worten und Blicken der Mönche, die um uns versammelt sind. Ich komme -eben von einer schönen Terrasse des Klosters zurück, die, inmitten der -steinigten Ödenei, von alten, vollbelaubten Platanen beschattet ist. -Terrassen für den Gemüsebau setzten sich in die Tiefe fort und hie und -da sind dem Felsenschutt des verlassenen Tales Wiesen und Ackerstreifen -abgerungen. Ich sah die kleinen »Mädchen für alles« der älteren Brüder -und Patres mit Besen und Wassereimern in lebhafter Tätigkeit, die Patres -selber, wie sie rotkarrierte Betten auf ihren morschen Balkonen -ausbreiteten. Die kleinen »Mädchen für alles« sind junge Lehrlinge, -deren schönes, langes Haar, wie das von Mädchen, im Nacken zu einem -Knoten aufgenommen ist. Es ist ein wolkenlos heiterer Morgen mit einer -frühlingshaften Wonne der Luft, die göttlich ist und die in jedem Auge -wiederleuchtet. Noch klingt mir der Gruß des Bruders Küper, sein -frisches [Griechisch: Kalimera] im Ohr, womit er mich grüßte, als ich -unten am Brunnen vorüberging, wo er trällernd ein Weinfaß reinigte. Es -war ein Gruß, der ebenfalls von dem frischen Glück dieses Morgens -widerklang. - - -Kaum hat unsere kleinere Karawane sich nur ein wenig, zwischen Gebüschen -von Steineichen hintrottend, aus dem Bereich des Klosteridylls entfernt -und schon umgibt uns wieder das alte ewige Hirtenidyll. Ich unterscheide -mit einem Blick vier einzelne Schafherden, deren Geläute herüberdringt, -und plötzlich erscheinen, Wölfen gleich, gewaltige Schäferhunde über uns -an der Wegböschung. Man scheucht sie mit großen Steinen zurück. - - -Wir biegen nach einem längeren Ritt in ein abwärts führendes, enges Tal, -das, wie es scheint, recht eigentlich das Dionysische ist. Wir müssen -zunächst durch eine gedrängte Herde schwarzer Ziegen förmlich -hindurchschwimmen, unter denen sich prächtige Böcke auszeichnen, jenen -ähnlich, die ich auf der Höhe des Passes sah. Und wie ich die Blicke -über die steinigten Talwände forschend ausschicke, sehe ich sie mit -schwarzen Ziegen, wie mit überall hängenden, kletternden, kleinen -schwarzen Dämonen bedeckt. - -Der Eingang des schwärzlich wimmelnden Tales wird von dem vollen Glanz -des Parnasses beherrscht, der aber endlich dem Auge entschwindet, je -weiter wir in das Tal hinabdringen: das Tal der Dämonen, das Tal des -Dionysos und des Pan, das immer mehr und mehr von gleichmäßig schwarzen -Ziegen wimmelt. Wohl eine Viertelstunde lang und länger ziehen wir -mitten durch die Herden dahin, die zu beiden Seiten unseres -gestrüppreichen Pfades schnauben, Steineichenblätter abrupfen und hie -und da leise meckern dazu. Überall raschelt, reißt, stampft und prustet -es zwischen den Felsen, in den Gebüschen: da und dort wird ein Glöckchen -geschlenkert. Mitunter kommen wir in ein ganzes Glockenkonzert hinein, -dessen Lärm das gesprochene Wort verschlingt. - -Ich habe, auf meinem Maultier hängend, Augenblicke, wo mir dies alles -nicht mehr wirklich ist. Ein alter Knecht und Geschichtenerzähler fällt -mir ein, der mir in ländlichen Winterabenden ähnliche Bilder als -Visionen geschildert hat. Er war ein Trinker, und als solcher ja auch -verknüpft mit Dionysos. In seinen Delirien sah er die Welt, je nachdem, -von schwarzen Ziegen oder Katzen erfüllt, wobei er von alpdruckartiger -Angst gepeinigt wurde. - -Der Schritt des Maultiers, die Glocke des Maultiers, allüberall das -Eindringen dieser fremden Welt, dazu die ungewöhnliche Lichtfülle, die -Existenz in freier Luft, Ermüdung des Körpers durch ungewöhnliche -Reisestrapazen, jagen auch mir einen Anflug von Angst ins Blut. Ich habe -vielleicht eine Vision und es ist mir manchmal, als müsse ich diese -zahllosen schwarzen Ziegen vor meinen Augen wegwischen, denen mein Blick -nicht entgehen kann. - -Ein weites Quertal nimmt uns auf und wie ein Spuk liegt nun die Vision -der schwarzglänzenden Ziegen hinter mir. Wir überholen einen reisenden -Kaufmann, dessen Maultier von einem kleinen Jungen getrieben wird. So -schön und vollständig, wie nie zuvor, steht der Parnaß, von dem wir -bereits Abschied genommen hatten, vor uns aufgerichtet: ein breiter -silberner Wall mit weißen Gipfeln. Ich gewinne den Eindruck, der -appollinisch strahlende Glanz strömt in das Tal, das der Berg -beherrscht. - - -Wir reisen nun schon seit einiger Zeit durch die Ebene hin. Neben -flacheren Felsgebieten und einem verzweigten Flußbett, das mit Gebüschen -bewachsen ist, breiten sich Flächen grüner Saat, über denen klangreich -die Lerche zittert. - -Es ist faszinierend, zu sehen, wie der Parnaß nun wiederum diese Ebene -überragt. Auf breitester Basis ruhend, baut sich der göttliche Berg aus -eitel Glanz in majestätischer Schönheit auf. Hier wird es deutlich, wie -die bezwingende Gegenwart solcher Höhen göttlichen Ruhm vor den -Menschen, die sie umwohnen, durchsetzen und behaupten muß. Ich empfinde -nicht anders, als stammte der trillernde Rausch des Lerchengeschmetters, -das leuchtende Grün der Saaten, der zitternde Glanz der Luft von diesem -geheiligten Berge ab und nähre sich nur von seinem Glanze. - -Oftmals wende ich mich auf meinem Maultier nach der verlassenen -Felsenwelt der Hirten und Herden zurück, während sich über mir Parnaß -und Helikon mit dem Glanz ihrer silbernen Helme über die weite Ebene -grüßen. Flössen doch alle Quellen dieser heiligsten Berge wieder -reichlich voll und frisch in die abgestorbenen Gebiete der europäischen -Seele hinein! Möchte das starre Leuchten dieser olympischen Vision -wiederum in sie hineinwachsen und den übelriechenden Dunst verzehren, -mit dem sie, wie ein schlecht gelüftetes Zimmer, beladen ist. - -Nun sitze ich, von der glühenden Sonne nicht ganz geschützt, unterm -Vordach einer Weinschenke. Parnassische Hirten und Hirtenhunde umgeben -mich, unter den wettergebräunten Männern sind blonde Köpfe, deren -antiker Schnitt unverkennbar ist. Der kühne Blick verrät dionysisches -Feuer im Blut. Der Bartwuchs, ohne gepflegt zu sein, ähnelt in Form, -Dichte und Kräuselung durchaus gewissen antiken Plastiken, die Helden -oder Halbgötter darstellen. - -Ich teile die Reste meiner Mahlzeit mit einem weißen, gewaltigen -Schäferhund. Und nachdem wir einen Blick auf den schmerzvoll grinsenden -Löwen von Cheronea geworfen, ist der parnassische Hirtentraum zu Ende -geträumt. Doch nein, an der kleinen Haltestelle der Eisenbahn, die wir -erreicht haben, und die von einem Sumpfe voll quakender Frösche umgeben -ist, finden wir ein gefesseltes schwarzes Lamm. Es hat, mit dem Rücken -nach unten, am Sattel eines Maultieres hängend, eine Reise von zehn -Stunden, durch die Hochtäler des Parnaß, von Delphi her, im Sonnenbrande -zurückgelegt. Es trägt den Ausdruck hoffnungsloser Fügung im Angesicht. -Sein Eigentümer ist jener Kaufmann, den wir überholten, und dessen -Maultier ein Knabe trieb. Er wird um sein Osterlamm beneidet und -Bahnbeamte treten hinzu, fühlen es ab nach Preis und Gewicht und -Fettgehalt. Schließlich legt man das arme, unsäglich leidende, schwarze -parnassische Lamm, mit zusammengebundenen Füßen dicht an die Geleise, -damit es leicht zu verladen ist. Ich sehe noch, wie es an seinen Fesseln -reißt und verzweifelt emporzuspringen versucht, als die Maschine -herandonnert und gewaltig an ihm vorüberdröhnt. - - -Wir haben Athen verlassen, um über Korinth, Mykene, Argos und andere -klassische Plätze schließlich nach Sparta zu gelangen. Am Nachmittag ist -Korinth erreicht, nach längerer Bahnfahrt, die uns nun schon bekannte -Bilder wiederum vor die Augen geführt hat, darunter flüchtige und doch -warme Eindrücke von Eleusis, Megara, dem schönen Isthmus und der -Eginetischen Bucht. - -Ein Wagen führt uns unweit vom Rande des Golfes, dem Fuße von -Akrokorinth entgegen, einer drohenden Felsmasse, die von den Resten -roher Befestigungen verunziert ist. - -Über den Golf herüber weht eine frische, fast nordische Luft, aus der -Gegend des Helikon, dessen leuchtender Gipfel schemenhaft sichtbar -bleibt. Der Wagen rollt auf schlechten Feldwegen zwischen grünen Saaten -dahin. - -Der korinthische Knabe hatte für Körper und Geist einen weiten, -unsäglich mannigfaltigen Tummelplatz. Den furchtbarsten Burgfelsen über -sich, schwamm er im Lärm und Getriebe einer Hafenstadt, die im weiten -Kreise von grünen oder nackten Hügeln umgeben war. Überall erlangte sein -Blick die geheiligten Höhen der Götter- und Hirtenwelt, die wiederum bis -in das Herz der Stadt hineinreichte. Für Wanderungen oder Fahrten taten -sich Peloponnes und Isthmus auf und auf diesem herrlichen Erdenfleck -genoß er die gleichsam geborgene Schönheit eines südlichen Alpensees und -auch die grenzenlose Wonne des freieren Meeres. - - -Wir besteigen Pferde, und diese erkletterten nun mühsam den Felsen von -Akrokorinth, der mehr und mehr, je weiter wir an ihm hinaufkriechen, wie -eine verdammte Stätte erscheint: ein düsteres Tor durch einen Ring von -Befestigungsmauern, führt in ein ödes Felsenbereich. - -Wir sind -- die Pferde haben wir vor dem ersten Tore zurückgelassen! -- -einer zweiten Ringmauer gegenübergestellt, die abermals ein Tor -durchbricht. Eilig klimmen wir weiter aufwärts: eine weißliche Sonne hat -sich schon nahe bis an den Horizont herabgesenkt. Kalter Bergwind fegt -durch ein zweites ungeheures Trümmerbereich, und wir finden uns vor dem -engsten jener Mauerringe, die den Gipfel des Festungsberges -einschließen. Diesen Gipfel erkletterten wir nun durch ein drittes Tor. -Es ist eine Wüstenei, ein Steinchaos. Fremd und schon halb und halb in -Schatten gesunken, liegt die gewaltige Bergwelt des Peloponnes unter -uns. Wir eilen, aus dieser entsetzlichen Zwingburg durch die Trümmerhöfe -wieder hinabzukommen. Wirkliches Grauen, wirkliche Angst tritt uns an. - -Nach den geheiligten Hügeln und Bergen, deren Bereich ich in den letzten -Wochen betrat oder wenigstens mit dem Blick erreichte, ist dies der -erste, der unter einem unabwendbaren Fluch verödet scheint. - - -Seltsam wie das bange Gefühl, was der nahende Abend einflößt mit dem -kleinen Kreis sonderbar banger Phantasiegestalten in Einstimmung ist, -die für mich, seitdem ich ein bewußteres Leben führe, mit dem Namen -Korinth verbunden sind. Schon vor etwa achtundzwanzig Jahren, während -einer kurzen akademischen Studienzeit, drängten sich mir die -rätselvollen Gestalten des Periander, seiner Gattin Melissa und des -Lykophron, seines Sohnes, auf. Ich darf wohl sagen, daß die Tragödie -dieser drei Menschen in ihrer unsäglich bittersüßen Schwermut all die -Jahre meine Seele beschäftigt hat. - -Periander! Melissa! Lykophron! - -Periander, auf dem Burgfelsen hausend, Tyrann von Korinth, allmählich -ähnlich wie Saul, ähnlich wie der spartanische König Pausanias, in einen -finsteren Wahnsinn versinkend. Leidend an jenem unausbleiblichen -Schicksal großer Herrschernaturen, die nach erreichtem Ziel von jenen -Dämonen verfolgt werden, die ihnen dahin lockend voranschritten. Er -hatte die Einwohnerschaft Korinths von den furchtbaren Felsen herunter -terrorisiert und dezimiert. Er hatte Lyside, die Tochter des Tyrannen -Prokles, geheiratet, der zu Epidaurus saß. Die Gattin, zärtlich von ihm -Melissa genannt, ward später von ihm aus unbekannten Gründen heimlich -ermordet: zum wenigsten wurde ihr Tod Periandern zur Last gelegt. -Prokles, Lysidens Vater, ließ eines Tages vor den beiden inzwischen -herangewachsenen Enkeln, Kypselos und Lykophron, den Söhnen Melissens -und Perianders, Worte fallen, die besonders dem Lykophron eine Ahnung -von dem Verbrechen des Vaters aufgehen ließen, und diese Ahnung bewirkte -nach und nach zwischen Sohn und Vater den tiefsten Zerfall. - -Der große Britte hat die Tragödie eines Sohnes geschrieben, dessen -Mutter am Morde ihres Gatten, seines Vaters, beteiligt war. Er hat die -psychologischen Möglichkeiten, die in dem Vorwurf liegen, nicht bis zu -jeder Tiefe erschöpft. Wie denn ein solcher Gegenstand seinem Wesen nach -überhaupt unerschöpflich ist, derart zwar, daß er sich selber in immer -neuen Formen, aus immer neuen Tiefen manifestieren kann. Vielleicht ist -das Problem Periander Lykophron noch rätselvoller und furchtbarer, als -es das Rätsel Hamlets und seiner Mutter ist. Dabei hat dieser göttliche -Jüngling Lykophron mit dem Dänenprinzen Ähnlichkeit ... man könnte ihn -als den korinthischen, ja den griechischen Hamlet bezeichnen. - -Gleichwohl war in seiner Natur ein Zug von finstrer Entschlossenheit. - -Während Periander in der wesentlichen Vereinsamung der Herrschbegier -- -denn der Herrschende will allein herrschen und wenn er auch andere -Herrscher dulden muß, so erreicht er doch die Trennung von allen, das -Alleinsein, immer gewiß. Er gräbt sich meistens jeden gemütischen Zufluß -der Seele ab, wodurch sie denn, wie ein Baum bei Dürre, qualvoll langsam -zugrunde geht. - -Also während Periander, sagte ich, vereinsamt, als Herrscher von -Korinth, in seinem Palast auf dem öden Burgfelsen, mit den Dämonen und -mit dem Schatten Melissens rang, hatte sich Lykophron nicht nur von ihm -abgekehrt, sondern von Grund aus alles und jedes, außer das Leben! was -er ihm zu verdanken hatte -- alles und jedes, was ihm durch Geburt an -Glanz und Prunk mit dem Vater gemeinsam war, dermaßen gründlich von sich -getan, daß er, obdachlos und verwahrlost, in den Hallen und Gassen des -reichen Korinth umherlungernd, von irgendeinem anderen Bettler nicht -mehr zu unterscheiden war. - -Hier noch wurde er aber von dem allmächtigen Vater mit rücksichtsloser -Strenge verfolgt, dann wieder mit leidenschaftlicher Vaterliebe; doch -weder Härte noch Zärtlichkeit vermochten den qualvollen Trotz der -vergifteten Liebe abzuschwächen. - -Die Tat des Periander wurde mit dem Schicksale dieses Lykophron zum -Doppelmord: zum Morde der Gattin und des Sohnes. Und hierin liegt die -Eigenart der Tragik, die in der Brust Perianders wütete, daß er einen -geliebten und bewunderten Sohn, das köstlichste Gut seines späteren -Lebens, plötzlich und unerwartet durch den Fluch seiner häßlichen Tat -vernichtet fand. Damit war ihm vielleicht der einzige Zustrom seines -Gemütes abgeschnitten und das Herz des alternden Mannes ward von dem -Grauen der großen Leere, der großen Öde umschränkt. - -Ich bin überzeugt, daß tiefe Zwiste unter nahen Verwandten unter die -grauenvollsten Phänomene der menschlichen Psyche zu rechnen sind. In -solchen Kämpfen kann es geschehen, daß glühende Zuneigung und glühender -Haß parallel laufen -- daß Liebe und Haß in jedem der Kämpfenden -gleichzeitig und von gleicher Stärke sind: das bedingt die ausgesuchten -Qualen und die Endlosigkeit solcher Gegensätze. Liebe verewigt sie, Haß -allein würde sie schnell zum Austrag bringen. Was könnte im übrigen -furchtbarer sein, als es die Fremdheit derer, die sich kennen, ist? - -Periander sendete Boten an das Totenorakel am Acheron, um irgendeine -Frage, die ihn quälte, durch den Schatten Melissens beantwortet zu -sehen. Melissa dagegen beklagte sich, statt Antwort zu geben und -erklärte, sie friere, denn man habe bei der Bestattung ihre Kleider -nicht mit verbrannt. - -Als die Boten heimkehrten, hierher nach Korinth, konnte Periander nicht -daran zweifeln, daß wirklich der Schatten Melissens zu ihnen geredet -hatte, denn sie brachten in rätselhaften Worten die Andeutung eines -Geheimnisses, dessen einziger Hüter Periander zu sein glaubte. - -Durch dieses Geheimnis wurde ein perverses Verbrechen des Gatten -verdeckt, der seine Gattin nicht allein getötet, sondern noch im -Leichnam mißbraucht hatte: eine finstere Tat, die das schreckliche Wesen -des Tyrannen gleichsam mit einem höllischen Strahle der Liebe verklärt. - -Er ließ nun in einem Anfall schwerer Gewissensangst die Weiber Korinths, -wie zum Fest in den Tempel der Hera berufen. Dort rissen seine -Landsknechte ihnen gewaltsam Zierat und Festkleider ab und diese wurden -zu Ehren Melissens, und um ihren Schatten zu versöhnen, in später -Totenfeier verbrannt. - -Periander, Melissa, Lykophron. Es hat immer wieder, während beinahe -dreier Jahrzehnte, Tage gegeben, wo ich diese Namen lebendig in mir, ja -oft auf der Zunge trug. Sie waren es auch, die, Sehnsucht erweckend, vor -mir her schwebten, als ich das erstemal den Anker gehoben hatte, um -hierher zu ziehen. Auch während der kleinen Schiffsreise jüngst, durch -den Golf von Korinth, hat mein Mund zuweilen diese drei Namen lautlos -geformt, nicht minder oft auf der Fahrt nach Akrokorinth. Und hier, im -fröstelnden Schauder heftiger Windstöße, auf dem gespenstischen Gipfel -des Burgfelsens, habe ich im kraftlosen Licht einer bleichen Sonne, die -unterging, die fröstelnden Schatten Perianders, Melissens und Lykophrons -dicht um mich gespürt. - - -Unten, im Dämmer der Rückfahrt, während die Feldgeister über der in -Gerstenhalmen wogenden Gräberstätte des alten Korinth sich zu regen -beginnen, zuckt im Rädergeroll der nächtlichen Fahrt ein und das andere -Bild der lärmenden alten Stadt vor der Seele auf. Mitunter ist alles -plötzlich von einer so tosenden Gegenwart, daß ich Geschwätz und -Geschrei des Marktes um mich zu hören glaubte, und alles dieses mit dem -Anblick weiter abgelegener Felder verquickt, die sich rings um den -übermächtig hineingelagerten, finsteren Gewalttäterfelsen wie -Leichentücher weit umherbreiten. - -Und ohne daß dieser tote Dämmer, dieses ewig teilnahmlose Gegenwartsbild -verändert wird, sehe ich die Lohe der Totenfeier Melissens nächtlich -hervorbrechen und fühle das Fieber, das die leidenschaftliche Kraft des -großen Periander auf die Bewohner der geknechteten Stadt überträgt. Der -Heratempel ist vom Geschrei der Weiber erfüllt, denen die Bravi die -Kleider vom Leibe reißen, die Gassen vom Geschrei jener anderen, die -nackt und beraubt entkommen sind. Nicht weit vom Tempel, den Blick in -den rötlichen Schein der Feuersbrunst mit einem starren Lächeln -gerichtet, steht Lykophron: durch Schmerz und die Wollust der -Selbstkasteiung fast irrsinnig, das Antlitz durch Hunger und innere Wut -verzerrt, aber in diesem Augenblick nicht nur vom Wiederscheine des -Feuers, sondern von einem bösen Triumphe verklärt. Rings lärmen und -brüllen die Leute um ihn: es ist durch Verordnung Perianders aufs -strengste verboten, ihn anzureden. - -Als aber am folgenden Tage Periander selbst dies zu tun unternimmt, -erhält er von seinem Sohne nur diese Antwort: man wird dich in Strafe -nehmen, weil du mit Lykophron gesprochen hast. - - -Gegen zwölf Uhr mittags, nachdem wir am Morgen Korinth verlassen haben, -befinde ich mich in einer Herberge, von der aus man die argivische Ebene -übersieht. Sie ist begrenzt von gewaltigen peloponnesischen Bergzügen -und augenblicklich durchbraust von einem heißen Wind, der in der -blendenden Helle des Mittags die Saatfelder wogen macht. - -Der Raum, in dem die Kuriere das Frühstück auftragen, hat den -gestampften Boden einer Lehmtenne. Er ist zugleich Kaufladen und -Weinausschank. Es riecht nach Kattun. Blaue Kattune sind in den -Wandregalen aufgestapelt. Dank den Kurieren, die in Athen eine -Korporation bilden, herrscht in den Herbergen, die sie bevorzugen, eine -gewisse Sauberkeit. - -Ich bin vor die Tür des kleinen Wirtshauses getreten. Die von den Bergen -Arkadiens eingeschlossene Ebene ist noch immer durchbraust von Sturm und -steht noch immer in weißer Glut. In weißlich blendendem Dunst liegt der -Himmel über uns. Die Burg von Argos, Larissa, ist in der Talferne -sichtbar, der Boden des Tals ist in weite Gewände abgegrenzt, die teils -von wogender Gerste bedeckt, teils unbestellt und die trockene rote -Scholle zeigend, daliegen. - -Diese Landschaft erscheint auf den ersten Blick ein wenig kahl, ein -wenig nüchtern in ihrer Weiträumigkeit. Ich bin nicht geneigt, sie als -Heimat jener blutigen Schatten anzusprechen, die unter den Namen -Agamemnon, Klytämnestra, Tyest und Orestes ruhelos durch die -Jahrtausende wandern. Ihre Heimat war im Haupte des Äschylos und des -Sophokles. - -Die Gestalten der großen Tragödiendichter der Alten sind von einem -Element des Grauens getragen und in ihm zu körperlosen Schatten -aufgelöst. Es ist in ihnen etwas von den Qualen abgeschiedener Seelen -enthalten, die durch die unwiderstehliche Macht einer Totenbeschwörung, -zu einer verhaßten Existenz im Lichte gezwungen sind. Auf diese Weise -wecken sie die Empfindung in uns, als stünden sie unter einem Fluch, der -ihnen aber, so lange sie noch als Menschen unter Menschen ihr Leben -lebten, nicht anhaftete. Der schlichte Eindruck einer realen -landschaftlichen Natur bei Tageslicht widerlegt jeden Fluch und zwingt -der bis zum Zerreißen überspannten Seele den Segen natürlicher Maße auf. - -Den Tragikern bleibt in dieser Beziehung Homer vollkommen gesondert -gegenübergestellt. Seine Dichtungen sind keine Totenbeschwörungen. Über -seinen Gedichten ist nirgend das Haupt der Medusa aufgehängt. Gleicht -das Gedicht des Tragikers einem Klagegesang -- seines gleicht überall -einem Lobgesang, und wenn das Kunstwerk des Tragikers von dem Element -der Klage, wie von seinem Lebensblute durchdrungen ist, so ist das -Gedicht Homers eine einzige Vibration der Lobpreisung. Die dichtende -Klage und heimliche Anklage und das dichtende Lob, wer kann mir sagen, -welches von beiden göttlicher ist? - -Die Tragödie ist immer eine Art Höllenzwang. Die Schatten werden mit -Hilfe von Blut gelockt, gewaltsam eingefangen und brutal, als ob sie -nicht Schatten wären, durch Schauspieler ins reale Leben gestellt: da -müssen sie nun nichts anderes als ihre Verbrechen, ihre Niederlagen, -ihre Schande und ihre Bestrafungen öffentlich darstellen. Hierin -verfährt man mit ihnen erbarmungslos. - -Seit Beginn meiner Reise liegt mir eine wundervolle Stelle der Odyssee -im Sinn. Der Sonnengott, dem man seine geliebte Rinderherde getötet hat, -klagt die Frevler, die es getan haben, die Genossen des Odysseus, im -Kreise der Götter an und droht, er werde, sofern man ihn nicht an den -Tätern räche, fortan nicht mehr den Lebenden, sondern den Toten -leuchten: - - »Büßen die Frevler mir nicht vollgütige Buße des Raubes; - Steig' ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!« - -Wer wollte diese erhabenste und zugleich herrlichste Drohung in ihren -überwältigenden Aspekten nicht empfinden. Es ist nicht mehr und nicht -weniger als der ganze Inhalt eines künftigen Welt-Epos, dessen Dante -geboren werden wird. Aber wenn nicht mit der ganzen apollinischen -Lichtgewalt, so doch mit einem Strahle davon erscheinen die Gestalten -Homers beglückt und sind damit aus dem Abgrund der Toten zu neuem Leben -geweckt worden und es ist nicht einzusehen, warum der Gott nicht auch -dem dramatischen Dichter einen von seinen Strahlen leihen sollte. Ist -doch das Dramatische und das Epische niemals rein getrennt, ebensowenig -wie die Tendenzen der Zeit und des Ortes. Und wer wüßte nicht, wie das -Epos Homers zugleich auch das gewaltigste Drama und Mutter zahlloser -späterer Dramen ist. - -Wenn wir einen Durchbruch des apollinischen Glanzes in die Bereiche des -Hades als möglich erachteten, so möchte ich die Tragödie, cum grano -salis, mit einem Durchbruch der unterirdischen Mächte, oder mit einem -Vorstoß dieser Mächte ins Licht vergleichen. Ich meine damit die -Tragödie seit Äschylos, von dem es heißt, daß er es gewesen ist, der den -Erinnyen Schlangen ins Haar geflochten hat. - -Nehmen wir an, die Tragödie habe dem gleichen Instinkt gedient, wie das -Menschenopfer. Dann trat allerdings an Stelle der blutigen Handlung der -unblutige Schein. Trotzdem in Wahrheit aber Menschenblut nicht vergossen -wurde, hatte die bange und schreckliche Wirkung an Macht gewonnen und -sich vertieft: derart, daß erst jetzt eine chthonische Wolke gewaltsam -lastend und verdüsternd in den olympischen Äther stieg, deren -grauenerregende Formen mit den homerischen Lichtgewölken olympischen -Ursprungs rangen, und schließlich den ganzen Olymp der Griechen -verdüsterten. - - -Wir brechen auf, um die Trümmer von Mykene und die unterirdischen Bauten -zu sehen, die man Schatzhäuser nennt. Ich bin durchaus homerisch -gestimmt, wie denn mein ganzes Wesen dem Homerischen huldigt, auch wenn -ich nicht des wundervollen Schatzes gedenken müßte, der im Museum zu -Athen geborgen liegt und der aus den Gräbern von Mykene gehoben ist. Wo -ist das Blutlicht, mit dem Äschylos und Sophokles durch die Jahrhunderte -rückwärts diese Stätte beleuchteten? Es ist von der Sonne Homers -getilgt. Und ich sehe in diesem Augenblick die Greueltaten der -Klytämnestra, des Agist und des Orest höchstens mit den Augen des -Menelaos in Sparta an, als er dem jugendlichen Telemach, der gekommen -ist, nach Odysseus, seinem Vater, zu forschen, davon erzählt. - - »Aber indessen erschlug mir meinen Bruder ein Anderer - Heimlich mit Meuchelmord durch die List des heillosen Weibes ... - Dennoch, wie sehr ich auch trauere, bewein' ich alle nicht so sehr - Als den einen ...« - -womit er Odysseus -- nicht einmal Agamemnon! -- meint, den lange -Vermißten. - -Wer, der die kerngesunde Königsidylle jenes Besuches liest, den Telemach -in Sparta abstattet, könnte dagegen des Glaubens sein, daß der erprobte -Held, Mann und Bruder sich sophokleischen Blutträumen überlassen hätte? -Zumal, wenn er sagt: - - »Laßt uns also des Grams und unserer Tränen vergessen« - -oder wenn Helena bei ihm ruhte, noch immer »Die Schönste unter den -Weibern.« - - -Das Löwentor, der mykenaische Schutthügel und die Hügel ringsum sind von -Sonne durchglüht und von Sturm umbraust. Überall füllt Duft von Thymian -und Myrrhen die Luft. Ganz Griechenland duftet jetzt von Thymian und -Majoran. In den Kalksteintrümmern der alten Stadt schreien Eulen -einander zu, wach und lebhaft, trotz hellblendender Sonne. Weiß wie -Schlacke liegt Trümmerstück an Trümmerstück. - -Die Burg hat eine raubnestartige Anlage: in Hügeln versteckt und von -höheren felsigen Bergen gedeckt, übersah sie das ganze rossenährende -Argos. Zur Seite hatte sie eine wilde Kluft, die jeden Zugang -verhinderte. - -Es ist von eigentümlichem Reiz, sich nach den mykenaischen Gräberfunden -in dieser Umgebung ein Leben in Üppigkeit und Luxus vorzustellen: Männer -und Frauen, die sich schnürten, und besonders Frauen, deren Toiletten an -Glanz und Raffinement der Toilette einer spanischen Tänzerin, die in -einem pariser Theater tanzt, gleichgekommen sind. Aber schließlich ist -es wieder Homer, der überall den Sinn für Komfort und Luxus entwickelt -und nie vergißt, Bäder, duftende Betten, reinliches Linnen, hohe und -hallende Säle, Schmuck und Schönheit der Weiber, ja sogar den -Wohlgeschmack des Getränks und der Speisen gebührend zu würdigen. - - -Die unterirdischen Kuppelbauten, die Pausanias Schatzhäuser nennt, sind -ihrer eigentlichen Bestimmung nach noch heute ein Rätsel. Sie waren -bekannt, wie es scheint, durch das ganze griechische Altertum und -wahrscheinlich, so weit sie frei lagen, wie noch heute, erfüllt von -Bienengesumm. Das »Schatzhaus des Atreus«, ist vollkommen freigelegt. -Die weiche, sausende Chormusik der kleinen honigmachenden Priesterinnen -der Demeter, die den unterirdischen Bau erfüllt, verbreitet mystische -Feierlichkeit. Sie scheinen im Halblicht der hohen Kuppel -umherzutaumeln. Sie fliegen, an den unbestrittenen Besitz dieser Räume -gewöhnt, gegen die Köpfe der Eintretenden. Ihr sonorer Flug bewegt sich -mit Gehen und Kommen in eine niedrige Nebenkammer, die sehr wohl eine -Grabkammer sein könnte. Aber die Menge der Schatzhäuser würde durch eine -Bestimmung als unterirdische Tempelgräber, für Totenopfer und Totenkult, -nicht erklärt. Ich stelle mir aber gern inmitten dieses sogenannten -Artreusschatzhauses einen Altar vor und das Feuer darauf, das den Raum -erleuchtet und lärmend belebt und dessen Rauch durch die kleine runde -Öffnung der Kuppel abzieht und oben scheinbar aus der Erde selber -hervordringt. - - -Drei Schimmel ziehen unsern Wagen im Galopp durch die Vorstädte von -Tripolitza in die arkadische Landschaft hinaus. Der wolkenlose Himmel -ist über weite Ackerflächen gespannt, auf denen Reihen bunter, -griechischer Landleute arbeiten. Der Tag wird heiß. Die Luft ist erfüllt -von Froschgequak. - -Nun, nach einer längeren Fahrt durch kleine Ortschaften, verlassen wir -die Ebene von Thegea. Die schöne Landstraße steigt bergan, und statt der -Felder haben wir rötlich-graue Massen kahlen Gesteins zur Rechten und -Linken, die spärlich mit Thymiansträuchern bewachsen sind. Es beginnt -damit ein Arkadien, das mehr einer Wüstenei, als dem Paradiese ähnlich -sieht. Nach einiger Zeit ist in der Höhe ein Dorf zu sehen, mit einigen -langen, dünn belaubten Pappeln, die das Auge hungrig begrüßt. Nur wenig -lösen sich die Häuser der Ortschaft von ihrem steinigten Hintergrund, -der mit schmalen Gartenstreifen rötlicher Erde durchsetzt ist. - -Die Spitzen des Parnon werden zur Linken sichtbar, auf denen der Schnee -zu schwinden beginnt. Ein kühler Wind setzt ein und erquickt inmitten -dieser arkadischen Wüste. - -Ich hatte hier einen womöglich noch größeren Reichtum an Herden zu sehen -gehofft, als zwischen Parnaß und Helikon: aber auf weitgedehnten, -endlosen Trümmerhalden und auf der Landstraße begegnet nur selten Herde -und Hirt. Die Gegend ist arm und ausgestorben, die ehemals das -waldreiche Paradies der Jäger und Hirten gewesen ist. - -Die Straße wendet sich auf einer freien Paßhöhe rechts und tritt in das -Gebiet von Lakonika. Der Taygetos liegt nun breit und mächtig mit weißen -Gipfeln vor uns da. - -Aus einer ärmlichen Schenke ertönt Gesang. Und zwar ist es eine Musik, -die an das Kommersbuchtreiben deutscher Studentenkneipen erinnert. Die -Stimmen gehören Gymnasiallehrern aus Sparta an, die, noch im -Osterferien-Rausch, fröhlich dorthin zurückreisen. - -Es erscheinen jetzt Äcker, Gartenflächen, Wiesen und Bäume oasenartig. -Die Erde zwischen Felsen und Bäumen ist rot, und hier und da stehen -rötliche Wasserlachen. - -Der Parnon verschwindet und taucht wieder auf. Die Gegend gewinnt, -nachdem wir die Paßhöhe überschritten haben, an Großartigkeit. Einige -der vielen steinigten Hochtäler, die man übersieht, zeigen Baumwuchs -inselartig in ihrer Tiefe. Es ist mir, so lange mein Auge durch diese -uferlosen, kochenden Wüsteneien schweift, als ob ich das traurig-nackte, -ausgetrocknete Griechenland mit einem Mantel grüner Nadelwälder bedecken -müßte, und meine Träumereien führen Armeen tätiger Menschen hierher, -die, vom sorglich gepflegten Saatkamp aus, in geduldiger Arbeit Arkadien -aufforsten. Mit tiefem Respekt gedenke ich der zähen Kraft und -Tüchtigkeit jener Männer und Frauen meiner engeren Heimat, auch derer -mit krummgezogenem Rücken, die den Forst ernähren, mehr wie sie der -Forst ernährt, und mit Staunen vergegenwärtige ich die Schöpferkraft, -die in der harten Faust der Arbeit liegt. - - -Wir halten Rast. Die Herberge ist an eine Krümmung der Bergstraße -gestellt. Unter uns liegt ein weites Tal, das der Taygetos mit einer -Kette von Schneegipfeln mächtig beherrscht. Der Himmel glüht in einer -fast weißen Glut. Hügelige Abhänge in der Nähe, von Olivenhainen -bestanden, erscheinen ausgebrannt. - -Unsere Herberge hat etwas Japanisches. Das Schilfdach über der -schwankenden Veranda, auf der wir stehen, ist durch dünne Stangen -gestützt. Unten klingeln die müden Pferde mit ihren Halsglöckchen. Die -trinkfrohen Lehrer aus Sparta haben uns eingeholt und sitzen lärmend -unten im Gastzimmer. Wir werden in ein oberes Zimmer geführt, dessen -Dielen dünn wie Oblaten sind. Durch fingerbreite Fugen zwischen den -Brettern können wir zu den Lehrern hinabblicken. Der Kurier trägt ein -Frühstück auf. Indessen schwelgen die Augen und ruhen zugleich im jungen -Blättergrün eines Pappelbaums, der, vom heißen Winde bewegt, jenseits -der Straße schwankt und rauscht. - -Nachdem wir gegessen haben, ruhen wir auf der Veranda aus. Bei jedem -Schritt, den wir etwa tun, schaukelt die ganze Herberge. Zwei Schwalben -sitzen nahe bei mir unter dem Schilfdach auf der Geländerstange. Überall -um uns ist lebhaftes Fliegengesumm. - - -Wir haben vor etwa einer Stunde das Kahni verlassen, wo uns die Lehrer -aus Sparta eingeholt hatten. Ihr Einspännerwägelchen stand, als wir -abfuhren, vor der Tür und wartete auf die indessen lustig zechenden -Gäste. Sonderbar, wie in diesem heißen, stillen und menschenleeren Lande -die brave Turnerfidelitas anmutete, die immer wieder in einem gewaltigen -Rundgesang gipfelte! - -Die Straße beginnt sich stärker zu senken. Wir fahren weite Schlingen -und Bogen an tiefen Abstürzen hin, die aber jetzt den Blick in eine -immer reicher ausgestaltete Tiefe ziehen. Wir nähern uns der Gegend von -Sparta, dem schönen Tal des Eurotas an. - -Es ist eine wundervolle Fahrt, durch immer reicher mit Wein, -Feigenbäumen und Orangenhainen bestandene Abhänge. Ziegen klettern zur -Linken über uns und zur Rechten unter uns. Lieblich gelegene -Ansiedelungen mit weißem Gemäuer mehren sich, bis wir endlich das flache -Aderngeflecht des Eurotas und zugleich die weite Talsohle überblicken -können. - -Fast wie Vögel senken wir uns aus gewaltiger Höhe auf das moderne Sparta -herab, das, mit weißen Häusern, aus Olivenhainen, Orangengärten und -Laubbäumen, weiß heraufleuchtet. Es ist mir dabei, als beginne das -strenge und gleichsam erzene Wort Sparta, sich in eine entzückende, -ungeahnte südliche Vision aufzulösen. Eine augenblendende Vision von -Glanz und Duft. - -Ich kann nicht glauben, daß irgendein Land an landschaftlichen Reizen -und in der Harmonie solcher Reize mit dem griechischen wetteifern -könnte. Es zeigt den überraschendsten Wechsel an Formen und überall eine -bestrickende Wohnlichkeit. Man begreift sogleich, daß auch dieses Tal -von Sparta eine festgeschlossene Heimat ist, mit der die Bewohner, -ähnlich wie mit einem Zimmer, einem Hause verwachsen mußten. - -Ich möchte behaupten, daß der Reichtum der griechischen Seele zum Teil -eine Folge des eigenartigen Reichtums der griechischen Muttererde ist. -Wobei ich von dem landschaftlichen Sinn der Alten den allerhöchsten -Begriff habe. Natürlich nicht einem landschaftlichen Sinn in der Weise -moderner Malerei, sondern als einer Art Empfindsamkeit, die eine Seele -immer wieder zum unbewußten Reflex der Landschaft macht. - -Zweifellos war die Phantasie im Geiste des Menschen die erste und lange -Zeit alleinige Herrscherin, aber das im Wechsel der Tages- und -Jahreszeiten feste Relief des Heimatsbodens blieb in einem gewissen -Sinne ihr Tummelplatz. Was an bewegten Gestalten von ihr mit diesem -Boden verbunden wurde, das hatte dieser Boden auch miterzeugt. - -Das unbewußte Wirken des Geistes, im Kinde so wie im Greise, ist immer -wesentlich künstlerisch, und Bildnertrieb ist eine allgemein verbreitete -Eigenschaft, auch wo er sich nie dem äußeren Auge sichtbar kundgibt. -Auch der Naivste unter den Menschen wohnt in einer Welt, an deren -Entstehung er den hauptsächlichsten Anteil hat und die zu ergründen -ebenso reizvoll sein würde, als es die Bereisung irgendeines -unentdeckten Gebietes von Tibet ist. Unter diesen Naivsten aber ist -wiederum keiner, der nicht das Beste, was er geschaffen hat, mit Hilfe -des kleinen Stückchens Heimat geschaffen hätte, dahinein er geboren ist. - - -Ich befinde mich im Garten eines kleinen Privathauses zu Sparta. Vor -etwa einer Stunde sind wir hier angelangt. Ich habe mich beeilt, aus dem -dürftigen Zimmerchen, das man uns angewiesen hat, wieder ins Freie zu -gelangen. Es war eine sogenannte gute Stube, und es fehlte darin nicht -einmal das Makartbukett. - -Irgendwie, ich weiß zunächst nicht wodurch, bin ich in diesem -Grasegarten an längst vergangene Tage erinnert. Eindrücke meines frühen -Jünglingsalters steigen auf. Ich vergesse minutenlang, daß die -verwilderte Rasenfläche unter meinen Füßen der Boden von Sparta ist. -Dann kommt es mir vor, als wandle ich in jenem kleinen Obstgarten, der -an das Gutshaus meines Onkels stieß, und etwas vom Tanze der nackten -Mädchen Spartas und erster Liebe ginge mir durch den Kopf. - -Es ist aber wirklich ein Garten in Sparta und nicht das Gehöft meiner -guten Verwandten, wo ich jetzt bin. In der nahen Gartenzisterne quakt -ein spartanischer Frosch, ich schreite an einer spartanischen -Weißdornhecke hin und spartanische Sperlinge lärmen. - -Auf der Konsole des Nußbaumspiegels, dessen sich das Quartier meiner -Gastfreunde rühmen kann, fand ich unter anderen Photographien auch ein -Bild, -- das Bild eines hübschen, ländlichen Mädchens! -- das mir -sogleich ins Auge fiel. Sie mag wohl längst gestorben sein oder ist etwa -vor dreißig Jahren jung gewesen, um jene Zeit, als auch das Mädchen, an -das ich mich jetzt erinnern muß, siebzehnjährig durch Garten, Hof und -Haus meiner schlesischen Anverwandten schritt. - -Die Bergwand des Taygetos ist zum Greifen nahe. Die Sonne versinkt -soeben hinter die hohe Kammlinie und beinahe das ganze Tal des Eurotas -ist in Schatten gelegt. Die Landschaft ringsum ist zu dieser Stunde -zugleich heroisch und anheimelnd. - -Plötzlich finde ich mich mit lebhaftem Griechisch angeredet. Ein Mann -hat mich zwischen Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern entdeckt, ist -herzugetreten und setzt voraus, daß ich Griechisch verstehe. Kurze Zeit -bin ich hilflos gegen seine neuspartanische Zudringlichkeit, dann aber -wird im Giebel unseres Häuschens -- das übrigens, windschief, wie es -ist, von außen betrachtet unbewohnbar scheint -- ein Fenster geöffnet, -und das schöne Mädchen, die schöne Spartanerin, noch ganz so jung, wie -das Bild sie zeigte, lehnt sich heraus. - -Der Mann von der Straße wird nun durch eine tiefe, sonore Frauenstimme -zurecht-, das heißt aus dem Garten gewiesen, und ich habe, mit -gebundener Zunge, Antlitz und Blick der hübschen Spartanerin über mir. - - »Gott grüß euch schönes Jungfräulein - Wo bind ich mein Rößlein hin? -- - Nimm du dein Rößlein beim Zügel, beim Zaum, - Binds an den Feigenbaum.« - - -Der irrationale Wunsch und Zwang, eine Stätte wie die des alten Sparta -zu sehen, erklärt sich zwar nicht durch den Namen Lykurg, aber doch ist -es vor allem der Genius dieses Namens, der Genius, dessen Wirken eine so -unvergleichliche Folge hatte, den man in dieser Landschaft sucht. Man -konnte nicht hoffen oder erwarten wollen, hier irgendein Jugendidyll, -auch nur in Erinnerung, sich erneuern zu sehen: dennoch nimmt mich, -statt jeder historischen Träumerei, eine solche Erinnerung jetzt in -Besitz. - -Nicht zweimal schwimmst du durch die gleiche Welle, sagt Heraklit, und -es ist nicht dieselbe, die um mich und durch mich flutet, als jene -Frühlingswoge, durch die ich vor Jahren geschwommen bin: aber es ist -doch auch wieder etwas von ewiger Wiederkehr in ihr. - -Ich sage mir, daß Lykurg wiederum nichts weiter, als ein großer Hirte, -ein großer Schäfer gewesen ist, der den Nachwuchs seines Volkes in -»Herde« teilte. Daß seine Gedanken in der Hauptsache sehr entschlossene -Züchtergedanken gewesen sind, wie sie aus den Erfahrungen eines -Hirtenlebens sich ergeben und zwar mit Notwendigkeit. Lykurg, der -trotzdem mit Delphi Verbindung hatte, war überwiegend ein Mann der -kalten Vernunft, gesteh ich mir, und wußte, wie keiner außer ihm, das -zeitliche Leben vom ewigen und ihre Zwecke rein zu sondern. Allein durch -alle diese Erwägungen vermag ich meine Seele nicht von dem spartanischen -Ebenbilde meiner ländlichen Jugendliebe abzuwenden. - -Jungens, nicht anders wie Jungens sind, gucken über den Zaun, der hier -allerdings von dem krebsscherenartig, stachlig-grünen Gerank der Agave -gebildet ist. Sie sind neugierig, werfen Steine in blühende Obstbäume, -suchen etwas für ihre Tatkraft, stören mich. Der gleiche Fall veranlaßte -mich vor Jahren, an einem denkwürdigen Tage, aus begreiflichen Gründen -zu vergeblicher Heftigkeit, dagegen gelang es dem deutschen Urbilde der -Spartanerin, das damals neben mir durch den Grasegarten schritt, die -Knaben mit wenigen gütigen Worten zu bewegen, von ihren Störungen -abzulassen. - - -Nun ist das schöne Mädchen im Garten erschienen. Ich grüße sie und werde -dann magisch in die gleiche Richtung gezogen, die sie eingeschlagen hat, -und durch dasselbe Pförtchen im Heckenzaun, durch das sie verschwunden -ist. - -Ich stehe auf einer kleinen begrasten Halbinsel hinter dem Garten, um -die der starke Bergbach eilig sein klares und rauschendes Wasser trägt. -Es kommt, eisfrisch, vom Taygetus. Kaum fünf Schritt von mir entfernt -haben Zigeuner ihr Zelt aufgeschlagen. Der Vater steht in guterhaltener -kretensischer Tracht, mit ruhiger Würde, pfeiferauchend, am Bachesrand. -Die Mutter, von zwei Kindern umspielt, hockt an der Erde und schnitzelt -Gemüse für die Abendsuppe zurecht, die allbereits über einem -bescheidenen Feuerchen brodelt. Zwischen den braunen, halbnackten -Kindern springt ein zähnefletschendes Äffchen umher: Dies alles, -besonders das kleine Äffchen, wird mit kindlicher Freude bewundert von -meiner Dorfschönen. - -Ich sehe nun, sie ist kräftig gebaut und jünger, als ich nach dem Bilde, -nach der Erscheinung am Fenster und nach den Lauten ihrer Stimme -geurteilt hatte, wahrscheinlich nicht über fünfzehn Jahre alt. Sie -erinnert mich an den derben Schlag der Deutsch-Schweizerin. Die -Zigeunermutter hat, sobald sie meiner ansichtig wurde, ihrem singenden, -springenden Lausetöchterchen das Tamburin zugeworfen, womit es sich -augenblicklich klirrend vor mir im Tanze zu drehen beginnt. In der -Freude darüber trifft sich mein Blick mit dem der jungen Spartanerin. - -Inzwischen ist alles um uns her mehr und mehr in abendliche Schatten -gesunken. Die Glocke einer nahen Kirche wird angeschlagen. Gebrüll von -Rindern dringt von den dämmrigen Weideflächen am Fuß des Taygetus. Das -ganze Gebirge ist nur noch eine einzige, ungeheure, blauschwarze -Schattenwand, die, scheinbar ganz nahe, den Bach zu meinen Füßen zu -speisen scheint, dessen Wasser blauschwarz und rauschend, wie flüssiger -Schatten heranwandelt. - -Grillen zirpen. Ein märchenhaftes Leuchten ist in der Luft. Kalte und -warme Strömungen machen die Blätter der Pappeln und Weiden flüstern, -die, zu ernsten, ja feierlichen Gruppen gesellt, die Ränder des breiten -Baches begleiten. - - -Es ist ein Uhr nachts, aber in der Mondeshelle draußen herrscht trotzdem -dämonischer Lärm. Hühner und Hähne piepsen und krähen laut, Hunde -kläffen und heulen ununterbrochen. Mitunter klingt es wie Stimmen von -Kindern, die mit lautem Geschrei lustig und doch auch gespenstisch ihr -nächtliches Spiel treiben. In der Gartenzisterne quakt oder trillert -immer der gleiche Frosch. - -Die alten Spartaner befolgten jahrhundertelang eine Züchtungsmoral. Es -hat den Anschein, als wenn die Moral des Lykurg in einem größeren Umfang -noch einmal aufleben wollte. Dann würde sein kühnes und vereinzeltes -Experiment, mit allen seinen bisherigen Folgen vielleicht nur der -bescheidene Anfang einer gewaltigen Umgestaltung des ganzen -Menschengeschlechtes sein. - -Wenn etwas vorüber ist, so ist es am Ende für unsere Vorstellungskraft -gleichgültig, ob es gestern geschah, oder vor mehr als zweitausend -Jahren, besonders, wenn es menschlich voll begreifliche Dinge sind. Ob -also die spartanischen Mädchen gestern nackt auf der Wiese getanzt -haben, damit die Jünglinge ihre Zuchtwahl treffen konnten, oder vor -dreitausend Jahren, ist einerlei. Ich nehme an, es sei gestern gewesen. -Ich nehme an, daß man noch gestern hier die Willenskraft, den -persönlichen Mut, die Disziplin, Gewandtheit, Körperstärke und jedwede -Form der Abhärtung vor allem gepflegt und gewürdigt hat. Und daß -meinethalben die Epheben noch heute Nacht im Heiligtum des Phöbus, -draußen auf den dämmrigen Wiesen, wo ich sie nicht sehe, wie unsre -Zigeuner dem Monde, einen Hund opfern. - -Ihr Gesetzgeber war Lykurg, ihr Ideal Herakles. Die Standbilder beider -Heroen standen auf beiden Brücken, die über den Wassergraben zum -Spielplatz bei den Platanen führten. Leider ging es auf eine sinnlose -Weise roh, mit Treten, Beißen und Augenausbohren, bei diesen -Ephebenkämpfen zu. - - -Immer noch herrscht im Mondschein draußen derselbe dämonische -Höllenlärm. Durch Ort, Stunde, Mondschein und Reiseermüdung aufgeregt, -bevölkert sich meine Phantasie mit einer Menge wechselnder -Vorstellungen, gleichsam einem altspartanischen Gespenster- und -Kirchhofspuk. Bald sehe ich zappelnde Säuglinge im Taygetus ausgesetzt, -bald löffle ich selbst bei der gemeinsamen öffentlichen Männermahlzeit -die greuliche, schwarze Suppe ein, bald bin ich gleichzeitig dort, wo -ein Ephebe zu Ehren der Artemis nackt im Tempel gegeißelt wird und sehe -auf dem entfernten Stadion Odysseus mit den ersten Freiern der -jungfräulichen Penelope wettlaufen. - -Zaudern ist, wie es scheint, schon damals eine Schwäche des edlen Weibes -gewesen: ich führe auch die Mißwirtschaft der Freier, im Hause des -Gatten, auf sie zurück. Ikarios, der Vater Penelopes, wollte sie aus dem -Elternhause in Sparta nicht mit Odysseus ziehen lassen und folgte dem -Paare, als es nun doch nicht zurückzuhalten war, im Wagen nach. Dem -Odysseus aber, der das Herz seines Weibes noch auf der Reise schwankend -sah, ist, nach einem Bericht des Pausanias, die Geduld gerissen, und er -hat kurzer Hand seinem Weibe an einer gewissen Stelle des Weges zur Wahl -gestellt: entweder nun entschlossen mit ihm nach Ithaka, oder mit ihrem -Vater und einem Abschied für immer wieder nach Sparta heimzureisen. - - -Der Spuk der Nacht ist dem Lichte des Tages gewichen. Unten im Garten -grasen Ziegen und eine Kuh. Das Zigeunermädchen sucht nach irgend etwas -die Hecken ab. Man hört drei- oder viermal die Pauke der Zigeuner -anschlagen. Es ist kein Tropfen Tau gefallen in der Nacht. Ich schreite -trockenen Fußes durchs hohe Gras. - -Der Zigeuner und seine Frau hocken auf Decken vor ihrem Zelt. Er hat den -roten Schal des Kretensers bereits um die Hüften und schmaucht -behaglich, indes die zerlumpte Gattin Knöpfe an seiner geöffneten Weste, -mit Zwirn und Nadel, sorgsam festmacht. Der Bergfluß rauscht um die -Lagerstatt. - - -Herr Allan I. B. Wace, Pembroke College, Cambridge, hat die -Freundlichkeit, uns im kleinen Museum von Sparta mit Erklärungen an die -Hand zu gehen. Er geleitet uns durch ausgedehnte Olivenhaine, trotz -brennender Sonnenglut, zur Ausgrabungsstätte am Eurotas. Zu hunderten, -ja zu tausenden werden hier in den Fundamenten eines Athenatempels -Figürchen nach Art unserer Bleisoldaten aufgefunden. Diese Figürchen, -von denen viele zutage lagen, so daß die spartanischen Kinder mit ihnen -spielten, verrieten das unterirdische Heiligtum. - - -Gegen Mittag besteigen wir Maultiere, nicht ohne Mühe, weil diese -spartanischen Mulis besonders tückisch sind. Die schöne Tochter unseres -Gastfreundes, die uns noch gestern abend, mit tremolierender Stimme -etwas zur Laute sang, lehnt im Fenster der kleinen Baracke, nicht sehr -weit über uns, und beobachtet die Vorbereitungen für unsere Abreise mit -kalter Bequemlichkeit. Das hübsche, naive Kind von gestern, dessen -Gegenwart mir die Erinnerung eines zarten Jugendidylls erneuern konnte, -ist nur noch eine träge, unempfindliche Südländerin. - -Ich erinnere mich -- und schon ist dieses Gestern wieder Erinnerung! -- -Wie mir die Kleine nochmals im Garten begegnete, mir ins Gesicht sah und -mich anlachte, mit einer offenen Lustigkeit, die keine Schranke mehr -übrig läßt. Nun aber blickt sie über mich fort, als ob sie mich nie -gesehen hätte, mit vollendeter Gleichgültigkeit. - - -Wir frühstücken gegen ein Uhr mittags im Hofe eines byzantinischen -Klosters -- einer Halbruine unter Ruinen! -- an den steilen Abhängen der -Ruinenstätte Mistra. - -Der quadratische Hof ist an drei Seiten von Säulengängen umgeben. Sie -tragen eine zweite, offene Galerie. Die vierte Seite des Hofes ist nur -durch eine niedrige Mauer vom Abgrund getrennt und eröffnet einen -unvergleichlichen Blick in die Ferne und Tiefe des Eurotastales hinab. - -Den kurzen Ritt von Sparta herauf haben wir unter brennender Sonne -zurückgelegt. Hier ist es kühl. Eine Zypresse, uralt, ragt jenseits der -niedrigen Mauer auf. Sie hat ihre Wurzeln hart am Rande der Tiefe -eingeschlagen. Ich suche den Lauf des Eurotas und erkenne ihn an seiner -Begleitung hoher und frischgrüner Pappeln. Ich verfolge ihn bis zu dem -Ort, wo das heutige Sparta liegt: mit seinen weißen Häusern in -Olivenwäldern, unter Laubbäumen halb versteckt. - -Dieses mächtige, überaus glanzvolle südliche Tal, mit den fruchtreichen -Ebenen seiner Grundfläche, widerspricht dem strengen Begriff des -Spartanertums. Es ist vielmehr von einer großgearteten Lieblichkeit und -scheint zu sorglosem Lebensgenusse einzuladen. - -Herr Adamantios Adamantiu, Ephor der Denkmäler des Mittelalters in -Mistra, stellt sich uns vor und hat die Freundlichkeit, seine Begleitung -durch die Ruinen anzutragen. Seine Mutter und er bewohnen einige kleine -Räume eben des selben ausgestorbenen Klosters, in dem wir jetzt sind. - -Oben, auf einer der Galerien, hat sich ein lustiger Kreis gebildet. Es -sind die gleichen, lebenslustigen Pädagogen, denen wir bereits auf dem -Wege nach Sparta mehrmals begegnet sind. Sie befinden sich noch immer im -Enthusiasmus des Weins und singen unermüdlich griechische, italienische, -ja sogar deutsche Trinklieder. - -Ich kann nicht sagen, daß dieser Studentenlärm nach deutschem Muster, -mir an dieser Stätte besonders willkommen ist, und doch muß ich lachen, -als einer der fröhlichen Zecher, ein älterer Herr, im weinselig-rauhen -Sologesang ausführlich darlegt, daß er weder Herzog, Kaiser noch Papst, -sondern, lieber als alles, Sultan sein möchte. - -Der lebenslustige Sänger, spartanischer Gymnasialprofessor, spricht mich -unten im Hofe an. Er macht mir die Freude, zu erklären, ich sei ihm seit -lange kein Unbekannter, was mir begreiflicherweise hier, an dem -entlegenen Abhange des Taygetus, seltsam zu hören ist. - - -Die Herren Lehrer haben Abschied genommen und sich entfernt. Herr -Adamantios Adamantiu hat mittels eines altertümlichen Schlüssels ein -unscheinbares Pförtchen geöffnet und wir sind, durch einen Schritt, aus -dem hellen Säulengang in Dunkelheit und zugleich in ein liebliches -Märchen versetzt. - -Der blumige Dämmer des kleinen geheiligten Raumes, in den wir getreten -sind, ist erfüllt von dem Summen vieler Bienen. Es scheint, die kleinen -heidnischen Priesterinnen verwalten seit lange in dieser verlassenen -Kirche Christi allein den Gottesdienst. Allmählich treten Gold und bunte -Farben der Mosaiken mehr und mehr aus der Dunkelheit. Die kleine Kanzel, -halbrund und graziös, erscheint, mit einer bemalten Hand verziert, die -eine zierliche, bunte Taube, das Symbol des heiligen Geistes, hält. - -Dieses enge, byzantinische Gotteshaus ist zugleich im zartesten Sinne -bezaubernd und ehrwürdig. Man findet sich nach dem derben -Schmollistreiben der Herren Lehrer ganz unvermutet plötzlich in ein -unterirdisches Wunder der Schehrazade versetzt, gleichsam in eine -liebliche Gruft, eine blumige Kammer des Paradieses, abgeschieden von -dem rauhen Treiben irdischer Wirklichkeit. - -Herr Adamantios Adamantiu, der Ephor, liebt die ihm anvertrauten Ruinen -mit Hingebung, und was mich betrifft, so empfinde ich schmerzlich in -diesem Augenblick, daß ich mich schon im nächsten von dem reinen -Vergnügen dieses Anblicks trennen muß. Reichtum und Fülle köstlichen -Schmucks wird hier vollkommener Ausdruck des Traulichsten, Ausdruck der -Einfalt und einer blumigen Religiosität. Das byzantinische Täubchen am -Rande der Kanzel verkörpert ebensowohl einen häuslichen, als den -heiligen Geist. - -Es scheint, daß Herr Adamantios Adamantiu keinen heißeren Wunsch im -Herzen trägt, als dauernd diese Ruinen zu hüten: und ich bin überrascht, -im Laufe der Unterhaltung wahrzunehmen, wie sehr verwandt der Geist des -lauteren Mannes mit jenem ist, der dieses Kirchlein schuf und erfüllt. - -Mit leuchtenden Augen erklärt er mir, daß ich, glücklicher als der große -Goethe, diese Stätten mit leiblichen Augen sehen kann, wo Faust und -Helena sich gefunden haben. - -In dieses Heiligtum gehört keine Orgel noch Bachsche Fuge hinein, -sondern durchaus nur das Summen der Bienen, die von den zahllosen Blüten -der bunten Mosaiken Nektar für ihre Waben zu ernten scheinen. - - -Sparta und Helena scheinen einander auszuschließen. Was sollte ein -Gemeinwesen mit der Schönheit als Selbstzweck beginnen, wo man den Wert -eines Suppenkoches höher als den eines Harfenspielers einschätzte? Was -hätte Helena mit der spartanischen Strenge, Härte, Roheit, Nüchternheit -und Tugendboldigkeit etwa gemein? - -Ein junger Spartaner rief, als man beim Gastmahl eine Lyra -herbeibrachte: Solche Tändeleien treiben sei nicht lakonisch. Wer möchte -nun, da Helena und die Leier Homers nicht zu trennen sind, behaupten -wollen, daß Sparta Helenen eine wirkliche Heimat sein konnte? - -Herr Adamantios Adamantiu geleitet uns stundenlang auf mühsamen -Fußpfaden durch die fränkisch-byzantinisch-türkische Trümmerstadt, die -erst im Jahre 1834 durch Ibrahim Pascha zerstört worden ist. Das alte -Mistra war an die schwindelerregenden Felswände des Taygetus wie eine -Ansiedlung von Paradiesvogelnestern festgeklebt. Einzelne Kirchen werden -durch wenige Arbeiter unter Aufsicht des Herrn Ephoren sorgsam, Stein um -Stein, wieder hergestellt: Baudenkmäler von größter Zartheit und -Lieblichkeit, deren Zerstörung durch die Türken einen unendlich -beklagenswerten Verlust bedeutet. - -Überall von den Innenwänden der Tempel spricht uns das Zierliche, -Köstliche, Höfische an, in dem sich der Farbenreichtum des Orients mit -dem zarten Kultus der Freude des deutschen Minnesanges durchdrungen zu -haben scheint. Die Reste herrlicher Mosaiken, soweit sie der Brand und -die Spieße der Türken übriggelassen haben, scheinen, auch wenn sie -heilige Gegenstände behandeln, nur immer die Themen: Ritterdienst, -Frauendienst, Gottesdienst durcheinanderzuflechten. - -Mittels eines nassen Schwammes bringt der Herr Ephor, auf einer Leiter -stehend, eigenhändig die erblindeten Mosaiken zu einem flüchtigen -Leuchten im alten Glanz. - -»Ein innerer Burghof, umgeben von reichen, phantastischen Gebäuden des -Mittelalters« ist der Schauplatz, in dem Helena sich gefangen fühlt, -bevor ihr Faust, im zweiten Teil des gleichgenannten Gedichts, in -ritterlicher Hoftracht des Mittelalters entgegentritt. Und mehr als -einmal umgibt mich hier das Urbild jener geheiligten Szenerie, darin -sich die Vermählung des unruhig suchenden deutschen Genius mit dem -weiblichen Idealbild griechischer Schönheit vollzog. - - -Herr Adamantios Adamantiu, der etwa dreißig Jahre alt und von zarter -Gesundheit ist, stellt uns auf einer der Galerien des Klosterhofes -seiner würdigen Mutter vor. Diese beiden lieben Menschen und Gastfreunde -wollen uns, wie es scheint, nicht mehr fortlassen. Die Mutter bietet -meiner Reisegefährtin für die Nacht ihr eigenes Lager an, ihr Sohn -dagegen das seine mir. - -Von seinem Zimmerchen aus überblickt man die ganze Weite und Tiefe des -Eurotastales, bis zu den weißen Gipfeln des Parnon, die hineinleuchten: -das Zimmer selber aber ist klein, und enthält nichts weiter als ein -kleines Regal für Bücher, Tisch, Stuhl und Feldbettstelle, dazu im -Winkel ein ewiges Lämpchen unter einem griechisch-katholischen -Gnadenbild. Natürlich, daß in einem verlassenen Kloster die Fenster -undicht, die Wände schlecht verputzt -- und daß in den rohen -Bretterdielen klaffende Fugen sind. - -Ganz Sohnesliebe, ganz Vaterlandsliebe und ganz von seinem besonderen -Beruf erfüllt: der Pflege jener vaterländischen Altertümer! bringt Herr -Adamantios Adamantiu in weltentsagender Tätigkeit seine jungen Jahre zu -und beklagt es, daß manche seiner Mitbürger so leicht die mütterliche -Scholle aufgeben mögen, die ihrer Kinder so sehr bedarf. - -Der hingebungsvolle Geist dieses jungen Griechen erweckt in meiner Seele -wärmste Bewunderung und ich rechne die Begegnung mit ihm zu den -schönsten Ereignissen meiner bisherigen Reise durch Griechenland. Wie er -unverdrossen und mit reinster Geduld Werkstück um Werkstück aus dem -Schutt der Verwüstung zu sammeln sucht, um in mühsamen Jahren hier und -da etwas Weniges liebevoll wieder herzustellen, von der ganzen, beinahe -in einem Augenblicke vernichteten, unersetzlichen Herrlichkeit, das legt -von einem Idealismus ohnegleichen Zeugnis ab. - - -Wir nehmen Abschied von unsern Wirten, um noch vor Einbruch der Nacht -den Ritt bis Tripi zu tun: Tripi am Eingang jener mächtigen Schlucht, -die sich in die Tiefe des Taygetus fortsetzt, den wir übersteigen -wollen. - -Unsere Maultiere fangen wie Ziegen oder Gemsen zu klettern an: bald geht -es fast lotrecht in die Höhe, bald ebenso lotrecht wieder hinab, so daß -ich mitunter die Überzeugung habe, unsere Tiere hätten den eigensinnigen -Vorsatz gefaßt, um jeden Preis auf dem Kopfe zu stehen. Wenn man, mit -den Blicken vorauseilend, als Unerfahrener die drohenden Schwierigkeiten -des Weges im Geiste zu überwinden sucht, so glaubt man mitunter verzagen -zu sollen, denn es eröffnet sich scheinbar nur selten für ein -Weiterkommen die Möglichkeit. - -Aber das Maultier nimmt mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit jedes -Hindernis: über Böschungen rutschen wir an steinige Bäche hinunter und -jenseits des Wassers klettern wir wieder empor. In einem Bachbett -steigen wir lange Zeit von einem kantigen Block zum andern bergan und -zwar bereits von der Dunkelheit überrascht, bis wir das Wasser am -Ausgang der Langada in dem steilen Tale von Tripi rauschen hören. Über -eine Geröllhalde geht es alsdann in gefährlicher Eile hinab, bis wir, -die Lichter von Tripi vor Augen, auf einer breiten, gesicherten Straße -geborgen sind. - - -Gegen vier Uhr des Morgens wecken mich die Nachtigallen von Tripi. Ich -glaube, daß alle Singvögel der ganzen Welt den Aufgang der Sonne mit -einem kurzen Konzert begrüßen. Zweifellos ist dies Gottesdienst. - -Unser Haus ist in schwindelerregender Höhe über der Talwand erbaut. Wir -haben in einem Raume übernachtet, der drei Wände von Glas ohne Vorhänge -hat. Büsche reichen bis zu den Fenstern. Mächtige Wipfel alter Laubbäume -sind unter uns und bekleiden die steilen Wände der Schlucht. - -Während das einsame Licht zunimmt, schlagen die Nachtigallen lauter aus -dem Abgrund herauf. Nach einiger Zeit beginnen alle Hähne des Dorfes -einen lauten Sturm, der die Nachtigallen sofort verstummen macht. - -Auf einem Felsen, scheinbar unzugänglich, inmitten der Schlucht, -erscheint die Kirche von Tripi im Morgenlicht. Die Pfade von Tripi, die -ganze Anlage dieses Ortes sind ebenso malerisch wie halsbrecherisch. - - -Die Maultiere klettern schwindelerregende Pfade. Sie halten sich -meistens am Rande der Abgründe. Die Langada beginnt großartig, aber kahl -und baumlos. Die Gesteinmassen des Bachbettes, auf dem Grunde der -gewaltigen Schlucht, liegen bleich, verwaschen und trocken da. Das Tal -ist tot. Kein Vogellaut, kein Wasserrauschen! - -Indem wir ein wenig höher gelangen, zeigt sich geringe Vegetation. -Einige Vögel beginnen zu piepsen. Nach einiger Zeit fällt uns der Ruf -eines Kuckucks ins Ohr. - -Weiter oben erschließt sich ein Tal, auf dessen Sohle lebendiges Wasser -rauscht. Wir steigen in dieses Tal, das eigentlich eine Schlucht ist, -hinunter. Die Abhänge sind von Ziegenherden belebt. Eng in die Felswände -eingeschlossen, schallen die Herdenglocken laut. - -Bis hierher war es, trotz der Frühe, ziemlich heiß. Nun werden wir von -erquickenden Winden begrüßt. Erfrischt von der gleichen Strömung der -Luft, winken die grünen Wedel der Steineichen von den Felsspitzen. -Plötzlich haben wir nickende Büsche überall. Efeuranken klettern wohl -hundert Meter und höher die Steinwand hinauf. - -Immer wasserreicher erscheinen die Höhen, in die wir aufdringen. -Mehrmals werden reißende Bäche überquert. Eine erste, gewaltige Kiefer -grüßt vom Abhange. Anemonen, blendend rote, zeigen sich. Kleine Trupps -zarter Alpenveilchen. Aus Seitenschachten stürzen klare Wasser über den -Weg und ergießen sich in das Sammelbett des größeren Baches. - -Wir halten die erste Rast, etwa 2300 Meter hoch im Taygetus, unter einem -blühenden Kirschbaum vor der Herberge, genannt zur kleinen -Himmelsmutter. Der Bergstrom rauscht. Kirschblüten fallen auf uns -herunter. Wir haben herrliche Abhänge gegenüber, die mit starken -Aleppokiefern bewaldet sind. - -Es ist köstlich hier, entzückend der Blick durch die tiefgesenkten -Blütenzweige in die ebenso wilde als wonnige Bergwelt hinein. - -Man fühlt hier oben das unbestrittene Reich der göttlichen Jägerin -Artemis, die in Lakonien vielfach verehrt wurde. Hier ist für ein -freies, seliges Jägerleben noch heut der eigentlich arkadische -Tummelplatz. Hier oben fanden auch Opfer statt. Und zwar jene selben -Sonnenopfer, die bei den alten Germanen üblich gewesen sind und bei -denen die Spartiaten, nicht anders wie unsere Vorfahren, Pferde -schlachteten. - - -Wir haben den Hochpaß überstiegen und nach einem ermüdenden Ritt, meist -steil bergab, das Dörfchen Lada erreicht. Ein Bergstrom hat die steinige -Straße der Ortschaft mit seinen stürzenden Wellen überschwemmt und -niemand denkt daran, ihn in sein Bett zurückzuleiten. Mit Ausnahme eines -kleinen Bezirks um die Ansiedelungen Ladas, ist das weite Tal eine -einzige Steinwüste. - -Träge, fast unwillig, öffnet auf das Klopfen unseres Führers eine derbe, -blonde, noch nicht zwanzigjährige Bäuerin die Tür zur Herberge. Ein -Ferkel wühlt zwischen Tisch und Bank, in einem finsteren, kellerartigen -Raum, dessen Hintergrund ein Lager mit gewaltigen Fässern ausfüllt. In -einer hölzernen Schlachtermulde auf dem Tische schläft ein neugeborenes -Kind. - - -Die Jachten der Königin von England und des Königs von Griechenland -liegen im Hafen zur Abfahrt bereit. Eben hat sich die »Galata« des -Norddeutschen Lloyd in Bewegung gesetzt, die uns nach Konstantinopel -führen soll. Die Häuser des Pyräus stehen im weißen Licht. - -Athen ist das Licht, das Auge, das Herz, das Haupt, die atmende Brust, -die Blüte von Griechenland: heute des neuen, wie einst des alten! Ich -empfand das lebhaft, trotz aller großen Landschaftseindrücke meiner -peloponnesischen Fahrt, als ich nach ununterbrochener Reise von Kalamata -wieder hier anlangte. Athen ist durch seine Lage geschaffen, und -Griechenland ohne Athen wäre niemals geworden, was es war und was es uns -ist. Der freie, attische Götterflug hat den freien attischen Geistesflug -hervorgerufen. - -Indem wir, Abschied nehmend, die Küste zur Linken, hingleiten, vorüber -an dem kleinen Hafen Munichia, vorbei an den Siedelungen von -Neu-Pharleron, steigt noch einmal das ganze attische Wunder vor uns auf. - -Dieser Hymettos, dieser Pentele, dieser Lykabettos, dieser Fels der -Akropolis sind keine Zufälligkeit. Alles dieses trägt den Adel seiner -Bestimmung im Angesicht. - -Wir trinken gierig den Hauch des herrlichen Götterlandes, solange er -noch herüberdringt und saugen uns mit den Blicken in seine silberne -Anmut fest, bis alles unseren Augen entschwindet. - - - Ende - - - [Illustration: Kopf des Wagenlenkers aus Delphi - (Originalaufnahme)] - - - Druck von _W. Drugulin_, Leipzig. - - - Anmerkungen zur Transkription - -Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. -Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere -Änderungen, teilweise unter Verwendung anderer Ausgaben sind hier -aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 11]: - ... wird. Er ist ausgezeichneter Schwimmer ... - ... wird. Er ist ein ausgezeichneter Schwimmer ... - - [S. 33]: - ... Es ist schwer, etwas so Abstoßendes ... - ... Es ist schwer, sich etwas so Abstoßendes ... - - [S. 168]: - ... Ehre -- man spielte für Götter und vor ... - ... Ehre darstellte -- man spielte für Götter und vor ... - - [S. 204]: - ... sein, ähnelt sich in Form, Dichte und Kräuselung ... - ... sein, ähnelt in Form, Dichte und Kräuselung ... - - [S. 221]: - ... den Tälern räche, fortan nicht mehr den ... - ... den Tätern räche, fortan nicht mehr den ... - - - - - - -End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING *** - -***** This file should be named 57928-8.txt or 57928-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/9/2/57928/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. 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Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/57928-h/57928-h.htm b/57928-h/57928-h.htm index 7af0415..9e8dc65 100644 --- a/57928-h/57928-h.htm +++ b/57928-h/57928-h.htm @@ -95,43 +95,7 @@ div.centerpic { text-align:center; text-indent:0; display:block; } <body> -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Griechischer Frühling - -Author: Gerhart Hauptmann - -Release Date: September 18, 2018 [EBook #57928] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive. - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 ***</div> <div class="frontmatter"> @@ -8327,381 +8291,7 @@ sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -<pre> - - - - - -End of Project Gutenberg's Griechischer Frühling, by Gerhart Hauptmann - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GRIECHISCHER FRÜHLING *** - -***** This file should be named 57928-h.htm or 57928-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/9/2/57928/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. 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The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57928 ***</div> </body> </html> |
