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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-02-08 09:51:33 -0800
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@@ -0,0 +1,10578 @@
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 ***
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+ Max Dreyer
+ Die Siedler von Hohenmoor
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+ Die Siedler
+ von Hohenmoor
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+ Ein Buch
+ des Zornes und der Zuversicht
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+
+ von
+ Max Dreyer
+
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+ L. Staackmann Verlag, Leipzig
+ 1922
+
+
+ Alle Rechte vorbehalten
+ Copyright 1922 by L. Staackmann Verlag, Leipzig
+
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+ Gedruckt bei Dr. Kurt Säuberlich, Leipzig
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+ Die Baracke
+
+
+Er schritt durch die Winternacht über die Heide. Von Kristall war die
+Mondwelt, die Luft klirrte und klang.
+
+Nach der Hügelkette, die ihm zur Seite blieb, sah er hinauf, »die
+Goldberge« hießen die Höhen -- Geheimnisse schliefen in ihrem Schoß.
+
+Nun ließ er seinen Weg und stieg auf die Gipfel. Hier stand er und
+blickte ins Land, auf das Reich seines Schaffens.
+
+Sein Reich -- eben hatte er den letzten Kampf bestanden, es sich und den
+Seinen zu gewinnen. Er kam aus der Kreisstadt. Nach endlosen
+Verhandlungen war es ihm heute gelungen, deren Väter, die trägen, die
+übelwollenden, die argwöhnischen Gemüter sich zu beugen. Die verfallene
+Ziegelei, die niemand kaufen, niemand pachten wollte, war samt dem
+Gelände jetzt ihm und seiner Siedler-Mannschaft gesichert. Damit erst
+war das ganze Siedlungswerk auf festen Grund gestellt.
+
+Die Ziegelei mit ihren Tonfeldern, auf der anderen Seite das Moor und
+sein Torfstich, ein Stück Kiefernwald, bereit, die Balken und Bretter zu
+liefern, reichlich Kulturboden und weites Heideland zum Urbarmachen --
+was brauchte man mehr zum Bauen und Hausen!
+
+Die Brust schwoll ihm, tief tranken seine Lungen die mondhelle Luft.
+
+Im Osten strahlte die See, vom Himmel beleuchtet bis an den Saum des
+Horizonts. Kein Schiff war zu sehen, kein Dampfer, kein Segler -- das
+tote deutsche Meer.
+
+Da zuckte es schmerzhaft durch ihn hin, und er wandte sich wieder
+landeinwärts. Schritt herab von der Höhe, schritt wieder seinen Weg über
+die Heide. Er warf den Druck von sich, seine Sehnen federten wie im
+Marsch. Das Lied der deutschen Jugend, das durch die Seelen zog, kam ihm
+in den gestrafften Sinn, und er sang sich die Worte:
+
+ Wir sind die Jungen, in Not gestählt,
+ in Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt.
+ Deutsche Erde, die uns erschuf,
+ deutsche Erde, uns gilt dein Ruf.
+ Wir sind geweiht, wir schließen die Reih'n!
+ Frei sollst du sein!
+
+ Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen
+ du bist der Ausgang, du das Beginnen.
+ Nicht einen Bissen von deutschem Korn,
+ nicht einen Tropfen aus deutschem Born,
+ Deutschland, daß wir nicht dächten dein!
+ Frei sollst du sein!
+
+ Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft,
+ jede Faser gestrafft und gerafft,
+ wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
+ siehst du die nächtigen Wolken lohen?
+ Wir sind des Frührots lachender Schein!
+ Frei sollst du sein!
+
+ Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
+ Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
+ Unter die Füße den tückischen Haß,
+ seine Ketten zerspringen wie Glas.
+ Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
+ Frei sollst du sein!
+ Wir machen dich frei!
+
+Er war am Ziel. Die Baracke, die an den kiefernbestandenen Hang sich
+lehnte, war sein Quartier.
+
+Der Bretterbau lag dunkel, die Kameraden hatten nicht mehr auf ihn
+gewartet. Er klopfte im Dreischlag, der Mann, der die Wache hatte, war
+gleich zur Hand, steckte eine Kerze an und öffnete ihm.
+
+»Guten Abend, Runge, oder Guten Morgen!« grüßte der Eintretende.
+
+»Guten Abend, Herr Hauptmann.«
+
+»Wir haben jetzt auch die Ziegelei.«
+
+»Das ist famost!« In dem verschlafenen viereckigen Gesicht des
+Wachmannes tanzten freudig die kleinen Augen wie feurige Punkte.
+
+Dann berichtete er »nichts zu melden, Herr Hauptmann«, und jeder ging in
+sein Losament. Der Wachthabende in das kleine Gemach rechts vom Eingang,
+Hauptmann Horst Oldefeld in sein Zimmer, das gegenüber lag.
+
+Ein kahler, niedriger, einfenstriger Raum, in dem nichts als ein Tisch,
+zwei Stühle und ein eiserner Ofen stand. Das Bett war ein
+Bretterverschlag an der Wand, mit Strohsack und wollener Decke. Lag es
+sich hart und kalt darin, hatte er die Bannworte bereit: Schützengraben
+und Champagne! Durch Dreck geschleift -- in Dreck verkrustet! Und er
+kuschelte sich ein voll unbändigen Behagens.
+
+Morgens war er der erste auf. Holte sich die große blecherne
+Waschschüssel voll Schnee, und rieb sich mit der himmlischen Frische ab
+von Kopf zu Füßen. Dann im Mantel an den Tisch zum Schreibwerk, und er
+dampfte von Wärme in dem ausgekühlten Raum.
+
+Nicht lange, da trat der Hauptmann Dankwart Hamerslag bei ihm ein. Hart,
+ernst, wortkarg. Das Lid über dem rechten Auge infolge eines
+Kopfschusses halb gesenkt, der linke Arm steif, ein Granatsplitter stak
+noch in der Schulter.
+
+»Morgen, Junge«, grüßte ihn Horst. »Also die Städter hätten wir jetzt
+auch erschlagen.«
+
+»Hörte schon.«
+
+»Endlich die freie Bahn! Nun geht's aber auch mit heidi! Heut werden
+also Bäume gefällt.«
+
+»Ja.«
+
+»Ich will selbst den ganzen Tag dabei sein. Du übernimmst dann das
+Bureau.«
+
+»Gern. Nur --«
+
+»Was?«
+
+»Ich bin mit meiner technischen Berechnung noch nicht durch --«
+
+»Für die Kraftanlage?«
+
+»Ja.«
+
+»Das geht natürlich vor. Dann muß Gisbert den Schreibkram hier machen.
+Ich wollte die beiden Jungen sonst mit rausnehmen.«
+
+Die beiden Jungen waren die Oberleutnants Gisbert Hegendorf und Kunz
+Rutenberg. Sie schliefen und hausten in einem Gelaß.
+
+Gisbert in seinem Verschlag war der erste, der sich rührte. Langsam
+fanden seine schweren Traumaugen den Weg in den Morgen. Die langen
+Finger tasteten, der Wirklichkeit ungewiß, wie fragend nach dem Kopf,
+dann zuversichtlich geworden, fuhren sie glättend über das weiche blonde
+Haar. Und nun reckten sich die schlanken Glieder ins Wache, ins Leben.
+
+Kunz schlief noch fest. Wie ein kleiner Junge lag er, den harten,
+kurzgeschorenen Kopf in den runden Arm geborgen. Zu Füßen seines Lagers
+hatte Muz sich hingerollt, ein junger Schäferhund, nicht ganz rein von
+Rasse, aber um so reiner von Gesinnung, wie sein Herr kritischer Schärfe
+der Betrachtung zu wehren liebte.
+
+Gisbert streckte die langen Beine in den kalten Weltenraum und rief:
+»Kunz!« Kunz machte den Arm noch runder und schlief weiter.
+
+Gisbert prustete von der Waschschüssel auf: »Kunz!« Kunz knurrte und
+schmatzte und schnalzte nach einem Schimpfwort, gurgelte es zurück und
+schnarchte wieder ein.
+
+Jetzt aber trat Muz in Tätigkeit. Erhob sich, zog sich lang und länger
+die Hinterfüße aus dem Leib und schleifte sich so zu dem Lager des
+Unerbittlichen. Wie tröstend legte er die Schnauze auf die Schlafdecke
+und ließ den Schwanz pendeln gleich einem Perpendikel. Es ist Zeit, es
+ist Zeit, es ist Zeit -- und allmählich immer lebhafter: es ist hohe,
+hohe Zeit! es ist hohe, hohe Zeit!
+
+Diese leise Weckuhr brachte den Schläfer zuverlässig zur Besinnung.
+Seine Finger fühlten sich zu dem weichen Ohr der Uhr, streichelten das
+samtene Fell, sie bekamen ihre Regsamkeit und lösten den ganzen Leib aus
+seiner Starre. Und jetzt landete Kunz Rutenberg mit schnellem Sprung aus
+dem Bett auf dem harten Dasein und schimpfte sich hier vollends
+bodenständig.
+
+»Bande,« rief er, »Bande!« Und gähnte und schalt. »Was wollt ihr
+eigentlich von mir, was hab ich eigentlich bei euch zu suchen --
+ihr Eisenfresser der Pflicht -- ihr Barackenheilige -- ihr
+Kartoffelsuppenspartaner -- ihr Strohsackasketen -- ihr Flagellanten der
+Arbeit -- was soll ich bei euch -- in eurer Arche düsterster
+Enthaltsamkeit!«
+
+Die gekeuchten Worte gaben den Takt, nach dem er sich wusch und sich
+frottierte.
+
+»Das Licht ist, was ich liebe -- das Licht ist, was ich suche -- Geigen
+sollen schwirren -- prickelnde, knisternde Weisen will ich --
+Farbenfunken sollen sprühen -- über duftendes Frauenhaar -- das perlende
+Leben will ich, aus dem Glas, von den Lippen -- nicht die dunkle,
+hundekalte, muffige Öde eures elend ungehobelten Bretterstalls!«
+
+Er schnob gewaltig.
+
+Gisbert lächelte schweigend hinein in seine langen, feinen, edel
+gebogenen Züge. Dieses Geschmetter in den Morgen brachte ihm an sich
+keine Überraschung. Damit pflegte Kunz, der hurtige, Tag für Tag sich
+den Mund auszuspülen. Was dem stilleren Stubengenossen eine leise Freude
+gab, war die scheinbare Unerschöpflichkeit des Sprachschatzes, der
+täglich neue Gaben ausschüttete.
+
+Kunz war zuerst mit dem Anzug fertig und drängte nun zum Tageswerk. Er
+nannte das -- um sich vor sich selber treu zu bleiben -- den Tag
+schupsen, daß er eher zu Ende gehe.
+
+Gisberts sorgliche Genauigkeit bekam jetzt von ihm die Peitsche, und
+bald standen auch die beiden bei Horst im Zimmer. Hier hörten sie gleich
+von dem Erwerb der Ziegelei, der die Erlösung brachte. Niemand strahlte
+froher als Kunz. Und wie leuchteten die Augen bei diesem Sybariten des
+Wortes, als er hörte, daß er mit zu der harten Arbeit des Baumfällens
+ausersehen sei.
+
+Mit dem Glockenschlag versammelten sich alle in der Halle zum Frühstück,
+alle Siedler, Führer und Mannschaft gemeinsam -- es waren im ganzen
+ihrer dreiundzwanzig.
+
+Sie saßen ohne irgendwelche Rangordnung durcheinander. Der
+kameradschaftliche Grundsatz herrschte durchaus vor. Freiwillig hatten
+die Männer sich zusammengefunden zu schwerem, ernstem, gemeinsamem Werk,
+von dem sie meinten, es könnte vorbildlich sein. Von dem sie hofften, es
+könnte Hilfe bringen dem armen, ach so bedürftigen Vaterland -- geringe
+nur durch die Leistung selbst, doch größere durch das Beispiel. Ein
+Werk, in dem eine Freudigkeit des Glaubens atmete, ein gehobener Wille.
+
+Bauen, bauen wollen wir -- aufbauen -- was gibt es, das freier wäre, das
+mehr in die Höhe ginge, das dem Göttlichen näher käme!
+
+Und in lebendiger Gemeinsamkeit schaffen wir -- einer so nützlich, so
+nötig, so unentbehrlich wie der andere -- alle uns gleich durch die
+gleiche Pflicht, den gleichen Stolz, die gleiche Liebe zu dem, was wir
+schaffen -- wie Glieder eines lebenden Wesens, das denkt und sorgt und
+wirkt!
+
+Heimstätten bauen wir, aus deutscher Erde, auf deutschem Land. So
+unglückselig arm ist das Vaterland geworden, nur eins ist sein Reichtum,
+das sind seine Kinder. Die drängen zu ihm hin, die schmiegen sich an
+seine Brust, sie wollen, sie müssen bei ihm bleiben. Wie sie alle
+kommen, wie sie sich mehren, es fehlen die Herde sie zu wärmen und zu
+hüten. Deutsche Herde wollen wir bauen! Helfen wollen wir, daß kein
+Deutscher heimatlos sei im deutschen Land.
+
+Als wir in Wohlfahrt lebten, in übermütigem, gedankenlosem Glück, haben
+wir so manche Strecken deutschen Bodens nicht geachtet oder gar
+verachtet, haben wir über Ödland die Achseln gezuckt.
+
+Nun bietet diese arme Erde sich dar, auch sie möchte nützen und helfen.
+Und ist sie noch arm, da solche Kraft in ihr lebt? Uns liegt es ob, die
+Kraft zu lösen und zu mehren, durch unserer Hirne, unserer Hände,
+unserer Herzen Walten und Wirken. Ist das nicht wie Schöpfung? Ist das
+nicht Gottesnähe? Ein andächtiges, ein tiefes, ein heiliges Werk.
+
+Etwas von dieser Weihe lag auf jedem der Männer, die solchem
+tiefinnerlichen Dienst an der deutschen Erde sich ergeben hatten.
+
+
+
+
+ Der Herr von Moorhof und die Siedler
+
+
+Sie waren zum Teil Regimentskameraden vom Kriege her, alle aber hatten
+sie dann einem Freikorps angehört, das gegen die spartakistischen
+Umtriebe sich einsetzte.
+
+Gerade dieser Küstenstrich hatte schwere Erschütterungen gesehen. Mehr
+noch als anderswo hatten sich hier Verbrecherhorden mit den
+Schwarmgeistern gemischt. Auf den Gütern vornehmlich gab es Raub, Brand
+und Mord.
+
+Da wurde ein Kommando hierhergelegt, Horst Oldefeld der Führer, Dankwart
+Hamerslag als Offizier ihm zur Seite, Gisbert und Kunz standen als
+Gemeine mit im Glied. Es waren dreißig Mann. Ihr Hauptquartier hatten
+sie in Moorhof, dessen Herr, Baron von Borkhus war es, der ihnen dann
+das Hauptgelände für die Siedelung zuwies.
+
+Das war ein alter Recke und Haudegen, der geborene Häuptling -- hätten
+die Raubgesellen ihn nicht angeschossen bei ihrem Überfall, er würde
+ganz allein mit seinen Leuten die Landschaft von dem Gesindel reingefegt
+haben.
+
+So war das geschehen, das mit dem Überfall, dem schwere Tat entsprang.
+
+Zwei Autos rattern auf den Hof, bespickt mit Matrosen und Abenteurern in
+Marineuniform. Vorne flattert die rote Fahne. Sie springen aus dem
+Wagen, an die fünfzehn Mann, schwingen ihre Handgranaten, besetzen die
+Türen von Haus und Stallungen.
+
+Der Führer ein junger, schlanker Mensch mit geistigem Gesicht,
+schwarzen, kaltfanatischen Augen und schmalem höhnischen Mund. Er und
+zwei Begleiter, die Pistole in der Hand, die Granaten im Gürtel, begeben
+sich ins Herrenhaus.
+
+Die Mädchen halten sich versteckt, der alte Diener erscheint zaghaft im
+Treppenhaus.
+
+»Wollen den Besitzer sprechen.«
+
+»Wen darf ich melden?«
+
+Die drei lachen. »Der sogenannte Besitzer hat sich bei uns zu melden.
+Aber plötzlich. Warten tun wir nicht lange.« Der Führer klopft mit dem
+Pistolengriff auf den Tisch.
+
+Schon kommt Baron von Borkhus die Treppe herunter, mit schwerem
+wuchtigen Schritt, der gewaltige Mann. Er geht mühsam, sein rechtes Bein
+ist von Ischias gekrümmt, die er in den Karpathen sich geholt hat. Er
+knöpft sich den Uniformrock zu. Mit Bedacht hat er sich den angelegt,
+als er von seinem Zimmer aus diesen Besuch erblickt.
+
+Seine mächtigen Augen über den Tränensäcken sehen mit einer unheimlich
+großen Gelassenheit auf die Gäste.
+
+Der Führer geht ihm entgegen, die beiden anderen sind im Anschlag.
+
+»Sie wünschen?« fragt der Herr.
+
+Der Sprecher redet etwas von einem fantastischen Furagekommando, dann
+tritt er nahe an den Baron hinan, der unbewaffnet und ungefährlich vor
+ihm steht.
+
+»Sie erlauben wohl! Wir sind hier doch nicht aufm Maskenball!« Und die
+frechen Finger greifen nach den Achselstücken.
+
+»Hund!« brüllt es ihm entgegen wie ein Orkan, in den glotzenden Augen
+ist Wut und Blut, die mächtigen Pranken schlagen sich um die Kehle des
+Angreifers und würgen ihn -- würgen ihn --
+
+Die anderen -- erst wie betäubt -- wollen zuspringen -- wollen wieder
+die Waffen nicht aus den Händen geben -- trauen sich nicht zu schießen,
+weil der Gefährte da in den Händen des Berserkers hin und her baumelt --
+inzwischen sind durch die Hintertür bewaffnete Gutsleute vom Inspektor
+hereingeführt -- Hände hoch! schreien sie von beiden Seiten -- dann wird
+geschossen -- die zwei Matrosen stürzen hinaus -- der Baron ist
+zusammengezuckt -- aber seine Hände wie verkrampft in dem einen Willen
+und gezwungen, sie lassen nicht los und würgen -- würgen --
+
+Draußen haben die beiden Wirtschaftseleven mit ein paar mutigen Leuten
+die eingedrungenen unter Feuer genommen.
+
+Zwei, drei werden getroffen -- nun gibt es kein Halten mehr -- sie
+stürzen in die Wagen -- kurbeln an -- lassen Führer Führer sein -- und
+rasen davon.
+
+Wie der Inspektor zurückkommt ins Gutshaus, kauert der Herr in einem
+Stuhl des Vestibüls. Um ihn wogt das Grauen.
+
+Auf dem Teppich liegt die Leiche des erwürgten Führers -- wie sie
+hingesunken ist.
+
+»Sie sind fort«, berichtet der Inspektor kurz. Er ist ein langer,
+sehniger Mann mit harten Zügen und kalten Augen. Die blicken nicht
+leidig zurück.
+
+Jetzt sieht er Blut über den rechten Stiefel des Herrn sickern. Er
+steigt über die Leiche, die ihm ein Hindernis ist und weiter nichts.
+
+»Herr Baron, Sie sind verwundet.«
+
+»Bin ich?« und als sei dieses unwesentlich, rührt er sich nicht, starrt
+und versinkt in die Worte: »erwürgt hab' ich ihn.«
+
+Nun ja -- ein Toter -- es ist Aufruhr, es ist Krieg. Empfindeleien kennt
+der Inspektor nicht. Er bleibt bei der Sache. Beordert ein Fuhrwerk in
+die Stadt, den Arzt zu holen -- führt den Herrn in das nächste Zimmer --
+entkleidet ihn -- verbindet die Wunde.
+
+»Grad in das infame Bein«, stöhnt jetzt der Baron. »Nun es geht in einem
+hin.« Aber er bleibt nicht lange bei sich selber und starrt dann wieder.
+
+Drei Tage später kam Horst mit seinem Trupp.
+
+Der Arzt hatte den Baron ins Bett gesteckt. Die Wunde, an sich nicht
+schlimm, verlangte Schonung. Horst saß an seinem Lager.
+
+Sie sprachen vom Krieg. Aus der unsäglichen Schmach dieser Zeit
+flüchteten sie in die blanken Tage der Ehren.
+
+Der Baron hatte als Major an der Somme gefochten, durch alle Grauen war
+er gewatet, durch die Schlammbäche in ihrer Hochflut von Blut, die mit
+Tornistern und Kochgeschirr Leichenfetzen und zerrissene Glieder
+mischte.
+
+Welch ein Gefühl der Weihe hatte sie doch getragen, daß all dies
+Entsetzen sie nicht mit Wahnsinn schlug!
+
+Und zwischendurch hielt er inne und sprach schwer: »Haben Sie schon mal
+einen Menschen erwürgt -- erwürgt mit eigenen Händen?«
+
+»Nein, Herr Major --«
+
+»Einen Deutschen! Ein Deutscher einen Deutschen! Eine Zeit
+apokalyptischer Greuel!«
+
+Dann steuerten sie hart und schnell einen anderen Kurs. Zwangen sich zur
+Nüchternheit. Sprachen von wirtschaftlichen Dingen.
+
+Was wird aus all den entlassenen Offizieren und Unteroffizieren, aus all
+den Kämpfern, die der Krieg erwerbslos gemacht hat?
+
+Land wird gebraucht. Ein eigenes Stück Erde -- ist das nicht der
+Inbegriff des sozialen Heils, weil hier ein seelisches Gut
+eingeschlossen ist?
+
+Siedlungsland müssen die großen Güter hergeben. »Ich will der erste sein
+und ein Beispiel«, sagte Herr von Borkhus.
+
+Er hatte gesehen, welch leuchtende Augen der Gedanke an das eigene Land
+in Horst Oldefeld entzündete, dem armen, verwehten Offizier, ohne
+Heimstätte, ohne Familie.
+
+Er hatte ihn liebgewonnen in den wenigen Stunden. »Wenn Sie wollen,
+sollen Sie sich hier anbauen.«
+
+Und im Laufe der Tage wurde schnell das Nötigste abgemacht. Baron
+Borkhus gab freudig. Einen kräftigen Zipfel schnitt er ab von seinem
+Besitztum -- Kulturland und Heide zum Urbarmachen, ein Kieferngehölz und
+ein großes Stück Moor.
+
+»Die Ziegelei von der Stadt müssen wir dazu haben, dann können Sie
+selber bauen. Herrgott -- und wenn der Tangentiener noch die kleine Ecke
+hergeben wollte, dann hätten Sie ein rundes Reich für sich!«
+
+Horst war in Geschmack gekommen. »Meinen Sie, daß ich einmal mit Herrn
+von Tangentien rede?«
+
+»Mit Klaus Tangentien?« Der Baron lächelte. »Soll ich Ihnen sagen, wie
+der ist? Ich stehe mit ihm auf meinem Acker, nicht weit von unserer
+Feldscheide. Da muß er Wasser lassen. Was tut er? Läuft er nicht nach
+seinem Feld hinüber und besorgt es da? Daß seinem Boden nicht das
+Ammoniak verloren gehe? So ist Klaus Tangentien. Und nun reden Sie mit
+ihm.«
+
+Horst dankte. Aber Herr von Borkhus ließ es sich angelegen sein, für die
+wirtschaftliche Sicherstellung das Nötige zu besorgen.
+
+Die Siedler selbst brachten ein Grundkapital zusammen. Am meisten hatte
+Gisbert in die Suppe zu brocken, den sie den reichen Jüngling nannten,
+und er gab mit vollen Händen. Auch Dankwart steuerte tüchtig bei.
+Weniger hatte Kunz zu geben, am wenigsten Horst, der so gut wie
+mittellos war. Von den anderen Kameraden beteiligte sich dieser oder
+jener mit kleinen Beträgen.
+
+Aber diese ganze Summe hätte nur für den Anfang gereicht. Borkhus
+brachte einen größeren Fonds zusammen. Er selbst lieh her, soviel er
+vermochte. Sobald er wieder auf den Wagen konnte, machte er sich auf die
+Walze. Bei Parteifreunden und Nachbarn warb er mit einigem Erfolg --
+Landschaft und Regierung versagten. Immerhin, in ein paar Wochen stand
+das Unternehmen auf leidlich festen Füßen.
+
+Und er hatte sich selbst einigermaßen wiedergefunden in solchem
+Liebeswerk. Die Freude, die er machte, leuchtete ihm heraus aus dem
+Dunst, mit dem diese Tage ihn ersticken wollten.
+
+Was bevorstand, trat ein: das Freikorps wurde aufgelöst. Horst und die
+drei Offiziere blieben. Dazu neunzehn von den Leuten, die ernsthaftesten
+und besten, alte Unteroffiziere in der Mehrzahl.
+
+Horst war der geborene Führer. Er trug etwas von dem Glanz des
+Unzerstörbaren, Unverlierbaren in sich. Er hatte die klare, reine Linie
+und hielt sie um so fester, als er um sie kämpfen mußte.
+
+Denn er war von Haus aus eigentlich ein Träumer gewesen und hatte viel
+bunte Märchen gelebt -- daher kam sein Lachen und seine Güte. Aber im
+Grunde seiner Art saß wieder eine starke Sehnsucht nach Verantwortung,
+eine Inbrunst für das Ziel, eine leidenschaftliche Liebe zur harten Tat.
+Und daher stammte sein Ernst.
+
+Dann die Offenheit seines Auges, die Unbefangenheit seines Wesens, das
+von verstecken nichts wußte und auch bei den anderen mit unbekümmertem
+Griff aus den Höhlen und der Heimlichkeit herausholte, was das grelle
+Tageslicht mied. Wenigen wie ihm taten sich so die Herzen auf. Darum
+kannte er auch die Herzen, ihre Kraft, ihre Hoheit wie ihre Tücken und
+Nücken. Und eben seines Wesens aufspürende Innigkeit feite ihn gegen
+Groll und Gift. Er hatte nun einmal von den großen Eigenschaften, gegen
+die es keine Rettung für kleinere Geister gibt -- als die Liebe.
+
+Machte das Hartsinnige, die starre Unbedingtheit den Führer aus, wäre
+Dankwart Hamerslag dafür der geeignetste gewesen. Ihm hatte das Feste,
+Spröde, Brüchige seiner Art ein grausames Geschick noch härter
+geschmiedet. Als frischer Ehemann war er ins Feld gezogen. Wie er auf
+Urlaub nach Hause kam, hatte seine Frau, die er vergötterte, die
+kindlich junge, schwärmende, haltlose aus der Ehe sich beurlaubt. Davon
+trug sein Leben die Wunde, die nicht verharschen konnte, und die sein
+Blut mit Bitternis durchschwärte.
+
+Er war der Techniker des Kreises, nicht genial und von großen Ideen,
+dazu fehlte es ihm an Herz und an Feueratem, aber von beispiellosem
+Scharfsinn und reicher Erfindungsgabe.
+
+Und auch in dieser Seele brannte ein Altar. Das war die Liebe zu seinem
+heimatlichen Westfalen. Stunden des Heimwehs hatte er, daß die Augen ihm
+übergingen. Dann wetterte er gegen sich selbst. Er, sentimental, er, den
+sie die Maschine nannten! Doch dies Gefühl ertrank erst wieder in dem
+großen Schmerz um die große deutsche Heimat.
+
+Das Westfalenland, das Sachsentum, es schlang ein zärtliches Band um die
+ungleichsten der Brüder, um ihn und Kunz Rutenberg.
+
+Er, der Mathematiker von Geblüt, und Kunz der geschworenste aller
+Zahlenfeinde, der einmal erklärte: »Es muß ein Leben nach dem Tode
+geben! Ich muß mir -- muß mir den Mann bei Licht besehen können, der die
+Logarithmentafeln gebaut hat!«
+
+Kunz mit den frischen Backen, mit den »munteren roten Blutkörperchen«,
+trotz dem Elend, das auch an ihm fraß, nicht weniger als an den
+Kameraden. Er war ganz gewiß nicht der leichte Obenauf. Genug des
+schweren niedersächsischen Sinnes war seinem jungen Frohmut beigemischt.
+Und wenn die anderen sich mehr an ihm freuen und über ihn lachen
+wollten, als er hergeben konnte, durfte er ernstlich sagen: »Kinder --
+wenn ich auch der Clown bin in eurem Zirkus, Komiker sind keine lustigen
+Menschen!«
+
+Das ist ja wahr, der Versunkenheit und dem Kultus mystischer Weltflucht,
+dem sein Stubengenosse Gisbert oft genug erlag, setzte er leicht eine
+unbarmherzige Fröhlichkeit entgegen. Nicht mit böser Absicht -- dann
+hätte in Gisbert irgendeine wenn auch noch so unbewußte Komödie am Werke
+sein müssen. Und dessen Sauberkeit ahnte nun ganz und gar nichts von
+Pose. Es geschah aus einer unwillkürlichen aber um so lebhafteren
+Reaktion, die Kunz selber schmerzte. Namentlich dann, wenn sein Übermut
+eine Ironie hineinpfefferte.
+
+Gisbert, gewiß der zarteste von ihnen allen, hatte im Kriege das
+Schwerste durchgemacht. Vier Tage und drei Nächte lang war er
+verschüttet gewesen, alles um ihn war nach und nach verröchelt. Als der
+einzig Lebende kam er ans Tageslicht. Die Retter betteten einen
+Verklärten, in Visionen Schauernden. Als sie ihn wegtrugen, hob er den
+fast schon Seele gewordenen Leib, streckte die fliegenden unkörperlichen
+Hände inbrünstig zurück -- und hauchte: »Nicht fort -- ich muß -- ich
+muß -- wieder hinein -- dort hab ich Gott geschaut -- --«
+
+Es stimmte schon, was Horst Oldefeld einmal sagte: »Wir alle haben
+Wunden, Gisbert aber hat Wundenmale.«
+
+Unter den neunzehn Männern, die mit den vier von ihnen selbst gewählten
+Führern an dem langen Brettertisch beim Morgenkaffee saßen, fiel einer
+besonders auf. Nicht weil er der größte und längste war, sondern weil er
+was großes in den Augen hatte. Es war in ihnen die helle Zuversicht der
+kindlich reinen Gottesgläubigkeit entzündet.
+
+Er hatte die ganze niederdeutsche treuherzige Unbeholfenheit in den
+schlaksigen Gliedern, über dem kantigen, noch ganz jungen Gesicht,
+leuchtete grauweiß sein Haar, das eine Sappenexplosion im Schützengraben
+entfärbt hatte. Der tüchtigste Arbeiter wie er der bravste Soldat
+gewesen war. In den Mußestunden hielt er sich viel allein, las, nein,
+forschte in der Bibel, schrieb nach Hause an seine Mutter, seine Braut.
+Gustav Elbenfried war Zimmermann seines Zeichens, sie nannten ihn mit
+neckendem Respekt den heiligen Josef.
+
+Das Wort führte von der einen Ecke aus der ranke, schmeidige Fritz
+Eggert. Er war gelernter Barbier und hieß darum »Balbutz«. Aber das
+sagte im Grunde nichts von seinem Wesen und Leben. Kaum einen Beruf gab
+es, den er nicht geübt hätte. Durch alle Länder Europas war er gewalzt.
+Hatte auch sattsam geabenteuert, hatte »in den südlichen gelben
+Halunkenländern« seinem Anfangsberuf getreu manch einen über den Löffel
+barbiert und lieber selbst Hälse abgeschnitten, als sich begaunern
+lassen. Kurz vor Ausbruch des Krieges war ihm Europa zu klein geworden,
+er wollte »Afrika auch einmal was Gutes gönnen«. So war er nach Algier
+gekommen. Von da trieb es ihn, als der Kriegsruf ihn traf, zu den Fahnen
+-- unter beispiellosen Listen, Finten, Entbehrungen und Gefahren
+erreichte er deutschen Boden. Dies schuf ihm unter den Brüdern seinen
+Wert und sein Gepräge.
+
+»Also Kinder,« so gab Horst die Tageslosung aus, »heut werden Bäume
+gefällt. Wenn wir übers Jahr trockene Bretter haben wollen, wird es
+Zeit. Arbeitsleiter ist Elbenfried.«
+
+So war es ausgemacht und Gesetz, daß bei jedem Werk der fachmännisch
+Zuständige das Kommando hatte. Für das Gemeinsamkeitsgefühl gab es
+keinen besseren Boden.
+
+Und nun scharwerkten all die jungen fleißigen Arme in dem Kieferngehölz
+am Bergeshang. Die Gedanken und Herzen schlugen für die Heimstätte und
+für die große Heimat.
+
+Schwere Nebel zogen von der See her über die Flur. In Nebel und Not war
+das Vaterland. Aber hell und stark klangen durch den Dunst und Daak Säge
+und Axt. Und fast froh flammten die Rufe durch die Schatten und Wolken.
+Es waren die Stimmen der Arbeit.
+
+
+
+
+ Nieder mit dem Würger!
+
+
+Nebel wogten durchs deutsche Land, Nebel und Rauch von Feuersbrünsten
+und Scheiterhaufen. Ein giftig schwelender Brodem zerfraß die Augen, die
+Hirne, die Herzen.
+
+Baron Borkhus und Horst fuhren im Jagdwagen nach der Kreisstadt zu einer
+politischen Versammlung. Der Herr kutschierte, neben ihm saß Horst,
+hinter ihnen Strempel, der alte Kutscher.
+
+»Was sind wir für ein Volk!« so wälzte Borkhus an seiner Last. »Daß
+Unsersgleichen nicht auf Erden ist, wer will es uns jetzt noch
+bestreiten! Die größten Helden sind wir -- ja -- aber auch die größten
+Hunde! Hat je ein Volk erst sich selbst heimtückisch gemeuchelt -- dann
+sich selber begeifert und bespien -- mit einer Art Wollust schmutzigster
+Exhibition sich selbst vor aller Welt an den Schandpranger gestellt! Daß
+selbst die schwarzen Bestien sich scheckig lachen vor unbändigem
+Vergnügen!«
+
+»Wir sind krank -- wir sind im Fieber --«
+
+»Fieber -- seit wann macht Fieber ehrliche Kerle zu Lumpenhunden!«
+
+Er war schon in der gehörigen rhetorischen Stimmung und im
+Öffentlichkeitsfeuer. Er brauchte auch Publikum und dessen Widerhall. Da
+Horst nachdenklich schwieg, wandte er sich hinterwärts an sein Faktotum.
+
+»Hab ich recht, Strempel, oder nicht?«
+
+»Komplett, Herr Baron,« kaute der zurück, mit seinem breiten, malmenden
+Mund.
+
+Borkhus hatte eine Zärtlichkeit für diesen verschmitzten, verkniffenen
+alten Knaben, die Horst nicht begriff. Ihm waren in die Falten des
+knochigen, eckäugigen, vergilbten und gegerbten Bereitergesichts alle
+Tücken der Welt gesät.
+
+Es ist gut, dachte im übrigen Horst Oldefeld, dem Baron zugewandt, daß
+du vor der Versammlung von dem gröbsten dich entlädtst! Dein Zorn hat
+recht, so weit Zorn recht haben kann. Denn Zorn allein kann nicht
+helfen, und Hilfe ist, was wir wollen.
+
+Horst, der selber oft genug seinen Ingrimm mit beiden Händen bändigen
+mußte, blieb heute in der Ruhe und strebte in die Tiefe.
+
+Er sprach davon, wie Deutschland von je das Schlachtfeld gewesen sei,
+das blutige, das zerwühlte, nicht nur für alle Heere der Erde, auch für
+alle großen Ideen der Welt, die alle, alle sein schmerzensreicher Schoß
+getragen und geboren hatte. Aufs Tiefste und Schmerzlichste zerpflügt
+das Land vom Schwert und vom Geist. Alles, alles Menschliche umspannen
+seine Lebenskräfte, das Niederste bleibt ihnen nicht fremd, bis zu den
+reinsten Höhen beschwingen sie sich. Das Niederste, ja, warum es
+leugnen? Warum mußten wir uns immer wieder die Ohren und die Sinne
+betäuben mit dem lauten Sang von deutscher Treue! Auch deutsche Untreue
+gibt es mehr als genug! Aber vom Allererbärmlichsten greift die Spanne
+deutschen Wesens bis zum Erlauchtesten empor. Das ist sein Reichtum, ist
+seine Größe -- das ist sein Schicksal, sein Fluch. Das ist seine Passion
+und -- seine Verklärung!
+
+So sprach Horst zu Borkhus.
+
+»Ganz gewiß haben Sie darin recht,« antwortete der, »daß wir uns immer
+viel zu viel vorgesungen haben! Was wir für Kerle seien! Wie
+geräuschvoll haben wir uns immer unsere Tugenden beteuert! Und mit welch
+triefender Empfindsamkeit! Kam einem das alles nicht manchmal vor wie
+eine künstlich auf Flaschen gezogene, künstlich kalt gestellte
+Sentimentalität, die wir festlich entkorkten, mit der wir feierlich
+anstießen und feierlich uns besoffen? Als Idealisten taumelten wir uns
+in die Arme! Wieviel fader Muff war doch in diesem Idealismus!«
+
+Horst sah ihn an, ein scharfes Lächeln im Auge. »Und jetzt -- verfallen
+wir jetzt nicht in den entgegengesetzten Fehler --?«
+
+»Sie meinen?«
+
+»Haben wir uns früher verhimmelt, bereiten wir uns jetzt ein System
+daraus, uns selbst zu beschimpfen!«
+
+»Soll das auf mich gehen? Aber ich schimpfe ja nur darauf, daß wir uns
+jetzt so herabziehen, und mit Schmutz beschmieren -- ebenso wie ich
+darauf schimpfe, daß wir selber uns einst so in den siebenten Himmel
+gehoben haben! Natürlich beides aus derselben dreimal verdammten
+Empfindelei! So lange wir die mit uns herumschleppen -- ehe wir diesen
+schmierigen Fetzen nicht von uns abreißen, kommen wir nicht wieder
+fußfrei auf die Beine. Wie haben unsere Feinde es geschafft! Dadurch,
+daß sie brutal sind -- brutal im Denken, im Handeln -- brutal ihre
+Energie, brutal ihre Grausamkeit, ihre Tücke, ihre Feigheit, ihre
+Verlogenheit! Noch immer hat Gewalt mit Verbrecherhänden die Weltpolitik
+gemacht -- wir aber faseln, auch heute noch, von Weltgewissen. Als ob
+das Gewissen der Welt nicht der schamlose Nutzen wäre! Und faseln wir
+nicht, keifen wir, wie Weiber auf der Treppe.«
+
+Tust du letzteres nicht selbst ein wenig, mußte Horst wieder denken. Er
+blickte auf den gewaltigen Mann, der in drohender Haltung neben ihm saß,
+den Kopf gehoben, die mächtigen Augen geweitet, keuchend wie zum Kampf.
+Ehrlich in jeder Faser -- und sah doch in seinem ehrlichen Zorn an etwas
+vorbei, das er selber in sich trug.
+
+Auch einer von denen, die so gern, so gern brutal sein wollten und
+konnten es nicht. Dies unser Grimmen und Fluchen -- ist es nicht ein
+Sich-Wehren gegen die weiche Stelle in uns, die wir alle haben, die nur
+nicht das Mächtige werden darf über uns, ohne die wir aber in unserem
+Wesen verstümmelt wären!
+
+Und Horst will es ihm sagen: wir werden sie nicht los unsere
+Empfindsamkeit. Sie gehört zu uns. Sie ist ein Teil unserer Kraft. So
+dürfen wir sie auch nicht bekämpfen, und sie und uns damit schwächen --
+nur in die rechte Bahn, in den starken Strom unseres Lebens sollen wir
+ihre Quellen leiten, und sie hilft uns zu unserem großen Werk. Ohne sie
+können wir nicht siegen, sie wird dabei sein, sie muß dabei sein -- und
+der Triumph der Empfindsamkeit ist auch der Triumph und die Freiheit des
+deutschen Geistes, des deutschen Volkes! So werden wir siegen!
+
+Er formte noch an den Worten, daß sie eindringlich sprechen sollten, da
+tauchten schon die Lichter der Stadt vor ihnen auf. Borkhus dachte an
+die Versammlung und ließ sich den Anfang seiner Rede durch den Kopf
+gehen.
+
+Dann wandte er sich zu Horst, mit treuherzigem Lachen und das Herrische
+war im Versinken: »wissen Sie, daß ich einen heillosen Bammel habe?«
+
+»Wovor?«
+
+»Nun vorm öffentlichen Auftreten! Lieber ins Trommelfeuer, in einen
+Gasangriff als auf die Rednerbühne! Ein Zustand, in dem man sich nach
+einem Schlaganfall sehnt --«
+
+»Dann --«
+
+»Würden Sie es lassen, wollen Sie sagen!«
+
+»Ich meinte eigentlich, damit bringen Sie doch der Partei ein großes
+Opfer.«
+
+»Nicht so ganz. Es ist doch hier wie überall ein gehöriger Schuß
+Eitelkeit dabei. Und der Ärger, daß man diese Angst, diesen kleinen
+Schweinhund, nicht unterkriegt.« Die jungen Pferde gingen unruhig in
+seiner Hand. »Sehen Sie, meinen Tatterzustand merken selbst die Rösser.«
+
+In dem Gasthof, dessen Saal für die Versammlung bestimmt war, spannten
+sie aus. Der Wirt, gar nicht unterwürfig, ein trockener, grader, ernster
+Mann mit soldatischem Blick nahm den Baron gleich beiseite.
+
+»Ich habe die Rednerbühne eben noch umstellen lassen.«
+
+»Warum?«
+
+»Sie stand doch an der Wand unter dem Altan.«
+
+»Nun ja -- und?«
+
+»Die Galerie hat unser Janhagel besetzt.«
+
+»Ja so. Und nun meinen Sie, aller Segen kommt von oben!«
+
+»Ich trau ihren Taschen nicht und nicht ihren Manieren, solange die
+Berliner Hetzer hier herumwirken.«
+
+»Die Hetzer. Da haben wir sie wieder.« Aber in des Barons unwillig müde
+Züge war jetzt etwas freudig Gespanntes getreten, eine Kampfeslust. Sein
+Kulissenfieber war gebannt.
+
+Der Saal füllte sich, Bürger, Arbeiter, Frauen. Ein paar Mütter kamen
+mit Kindern angeschleift. Versteckten sie dann aber, doch bedenklich
+geworden, zwischen ihren Knien.
+
+Behutsam fanden sich jetzt auch einzelne Honoratioren und Akademiker
+ein, Herren vom Gericht und vom Gymnasium. Ihre Damen waren wohlweislich
+zu Hause geblieben.
+
+Gar nicht behutsam aber trat Dr. Georg Stump auf den Plan. Er gab
+Deutsch, Religion und Turnen am Gymnasium, war mit seinem ungebärdigen
+Draufgängertum ein Schrecken des Direktors, aber ein Abgott der jüngeren
+Jungen.
+
+Er musterte die Arena, hob den kurzgeschorenen Bulldoggenkopf mit den
+großen runden Augen zu der Galerie empor, auf der sich die knallrote
+Jungmannschaft, von zwei Berliner Spartakisten betreut, mit
+weltüberlegener Grandezza hinlümmelte. Aha, sagte er sich, da seid ihr
+also! Eure Anwesenheit, eure Haltung und Führung verspricht Erlebnisse.
+
+Jetzt erschien ein Trupp, der auf der Galerie Bewegung weckte. Siedler
+waren es, die von Hohenmoor zu Fuß gekommen, zehn Mann, Elbenfried und
+Eggert unter ihnen. Dankwart, der sich von seinen Tabellen nicht trennen
+konnte, und Gisbert, der im Dienst war, hatten Kunz bewegen wollen,
+mitzugehen. Der aber erklärte: »Politische Versammlung -- nee Kinder!
+Lieber 'n Geburtshilfekursus in Ostgalizien!« Pfiff seinem Muz, nahm die
+Büchsflinte und suchte zwischen Schnee und Mondschein jagdbares Wild.
+
+Auf der Bühne versammelte sich jetzt das Komitee, Mitglieder der
+bürgerlichen Parteien, die wohlmeinend und ganz allgemein zu einer
+»Aussprache der Vaterlandsfreunde« eingeladen hatten. Auch die
+Sozialisten hatten zwei Redner gemeldet.
+
+Vorsitzender war Herr Holzhändler Dobbertien, ein ergrauter Demokrat
+guten alten Schlages, mit gesundem vaterländischen Empfinden.
+Treuherzig, gemütlich, gütig, gerecht, von erklecklicher Ruhe, der
+rechte Mann am rechten Platze -- durften nur die Wogen nicht allzu hoch
+gehen.
+
+Er eröffnete die Versammlung.
+
+»Männer und Frauen«, begann er. Da unterbrach ihn quarrendes
+Kindergeschrei. »Und Kinder müßte ich eigentlich fortfahren. Aber das
+können Sie wirklich nicht verlangen. Wir sind hier kein Säuglingsheim.
+Ich muß Sie bitten, die Kleinen zu Bett zu bringen.«
+
+Da klang es von der Galerie: »Die haben keen Kinderfräulein zu Hause«,
+und der erste Kampfruf, der erste Auftakt für die Feindseligkeiten hatte
+sich eingestellt.
+
+Die Mütter brachten die Kinder hinaus. Der Vorsitzende sprach unbeirrt
+weiter. Sprach davon, daß es jetzt heiße, alle Mann an Bord -- alle zu
+gemeinsamem Tun! Denn das Schiff sei leck gesprungen, die Stangen
+niedergebrochen -- es treibe vorm Winde. Es müsse, müsse wieder
+segelfertig werden, müsse dem Steuer wieder gehorchen, sonst gerieten
+wir rettungslos auf Grund und müßten untergehen, allesamt. Und nur eine
+Hilfe gäbe es aus der großen Not, daß wir allesamt Hand anlegten zu
+gemeinsamem Werk. Allesamt, das wäre die Losung. So hätten sich hier
+heute aus allen Parteilagern deutsche Männer und Frauen
+zusammengefunden, die alle Zwistigkeiten vergessen wollten und Fühlung
+miteinander nehmen für die eine große vaterländische Aufgabe.
+
+Der Ton dieser einfachen Ansprache war echt und warm. In diesem und
+jenem Frauenauge glänzte es feucht.
+
+Die Worte hatten noch nicht ausgeschwungen, da sprang Dr. Stump in die
+Höhe.
+
+»Darf ich ums Wort bitten -- zur Geschäftsordnung!«
+
+»Bitte!«
+
+»Oder vielmehr zur Hausordnung. Es ist nicht angemessen und nicht
+gebräuchlich, daß in solchen Versammlungen geraucht wird.«
+
+»Quatsch!« schmetterte einer von oben.
+
+»Ich ersuche den Herrn Vorsitzenden, im Interesse der Redner das Rauchen
+zu verbieten.« Georg Stump war selbst ein leidenschaftlicher Raucher. Er
+ärgerte sich, daß er sich anständig benahm, während die anderen pafften.
+
+Der Vorsitzende zauderte. Seine Unentschlossenheit entfesselte die
+Galerie.
+
+»Rauchfreiheit!« brüllte einer. An alles wird Freiheit als Schwanz
+gehängt. Und ein anderer schrie gebietend: »Wenns mir roochert, rooche
+ich!«
+
+»Abstimmen! Abstimmen!« riefen nachdrücklich ein paar Volldemokraten von
+der heiligen Majorität.
+
+Die Glocke des Vorsitzenden drang durch. »Ich will kein Verbot
+aussprechen,« erklärte er mit richtiger Taktik, »ich bitte die
+Anwesenden im Interesse der Redner und der Damen --«
+
+Weiter ging es nun wirklich nicht. Warum mußte Vater Dobbertien auch so
+altfränkisch sein!
+
+»Die Damen schmökern ja selbst!« mußte er sich von unten belehren
+lassen, wo mehr als eine ihre Rauchkringel durch die Luft drehte.
+
+Horst schüttelte bedenklich den Kopf. Der Kasten wackelt, ganz
+lächerlich wackelt er. Wenn es so weiter geht, fällt er zusammen.
+
+Immerhin erreichte die Ermahnung des Präsidenten, daß die meisten ihre
+Zigarre beiseite legten. Nur die souveräne Lebensart der Bergpartei
+lachte ob so zager Rücksichtnahme.
+
+»Ich werde als ersten Redner jetzt Herrn Baron von Borkhus das Wort
+erteilen«, bestimmte der Versammlungsleiter. Das »werde« war falsch. Es
+ließ Möglichkeiten offen.
+
+Ein Murren rollte dumpf -- dann durchschnitt wieder der unsterbliche Ruf
+»zur Geschäftsordnung!« die sich spannende Atmosphäre.
+
+Ein Sozialist erhob sich. Wir sollten doch nicht in den alten Fehler
+verfallen. Es gäbe keine Privilegierten mehr, und daß jemand, der der
+alten Oberschicht angehörte, den Vortritt vor den anderen Rednern hätte,
+entspräche nicht dem Geist der Zeit.
+
+Mehrfache Bravos stimmten ihm zu. Aber gerade aus dem sozialistischen
+Heerbann erstand ihm ein Widerpart. Die Herren »vom überwundenen
+Standpunkt« sollten sich nur zuerst aussprechen! Es wäre schon die
+richtige Anordnung: erst die alte, veraltete Zeit -- dann die neue! Der
+das letzte Wort gebühre.
+
+Und noch ein Dritter wollte hierzu reden. Horst schlug sich aufs Knie,
+daß es knallte.
+
+Ein junges Mädchen, das neben ihm saß, machte eine unwillige Bewegung.
+Er hatte sie bisher gar nicht bemerkt. Jetzt wandte er sich wie zur
+Entschuldigung an sie: »Sind wir nicht wieder einmal unsäglich deutsch!
+Vor lauter Geschäftsordnung kommen wir nicht zum Geschäft.«
+
+Ein Paar große Schwärmeraugen glühten ihm ins Gesicht. Ein heißer,
+höhnischer Mund sprach: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff.«
+Dann drehte die Sprecherin sich ablehnend zur Seite.
+
+Eine Deutsche war sie -- nicht die Spur eines fremden Lautes war in
+ihrer Mundart. Und nun diese leidenschaftliche Absage! In den Worten
+schlug Stahl auf Stein -- wie sprühten die Funken!
+
+Horst lehnte sich lächelnd zurück -- womit hatte er solchen Zorn erregt?
+Und spürte den flammenden Odem einer fremden Welt.
+
+Er besah sich die feindliche Nachbarin. Was mit den Augen, diesen
+brausenden Feuern, sich gegen ihn gewandt hatte, war ein ziemlich
+breites Gesicht gewesen, mit vollen Nüstern und fleischigen Lippen.
+
+Wie zart dagegen, wie fein und edel die Linien des Profils. Ein Genuß,
+sie mit den Augen nachzuzeichnen. Der schlanken Biegung des Nackens zu
+folgen, bis zu dem schweren, dunklen Haarknoten.
+
+Der ganz erlesene Geschmack ihrer schlichten schwarzen Kleidung zog die
+Gedanken noch lebhafter an.
+
+Wer war sie?
+
+Aus seiner Frage warf ihn ein Tumult.
+
+Sie saßen immer noch in der Geschäftsordnungsdebatte. Da war in der
+anderen Ecke des Saales jemand aufgesprungen. War dann auf den Tisch
+gestiegen, eine junge, knabenhafte Gestalt, und eine helle, schmetternde
+Stimme verkündete: »Was treiben wir hier für Albernheiten! Was dreschen
+wir hier für Stroh!«
+
+»Sie haben nicht das Wort«, rief eindringlich der Vorsitzende.
+
+»Draußen stürmt der Geist der Zeit!« gellte die Stimme ungestört weiter.
+»Die neue Revolution! Die volle Arbeit macht! Ohne die falsche verlogene
+Sentimentalität! Die uns die erste verpfuscht hat! Das Chaos brauchen
+wir! Für die neue Saat --«
+
+Die Neugierde und Spannung hatte dem eigenwilligen Redner Frist gewährt.
+Jetzt drang der Unmut der Ordnungsliebenden durch. Die Glocke vom
+Vorstandstisch übertönte die schreiende Willkür des einen.
+
+Und nun geschah etwas Bezwingendes mit fröhlichem Einklang. Der Riese
+der Stadt, ein mächtiger Bierfahrer, nahm schmunzelnd den immer noch
+Redenden wie ein Kind auf den Arm und setzte ihn vom Tisch.
+
+Ein Lachen ging durch den ganzen Saal, das die Galerie auf eine Minute
+wehrlos machte. Dann setzten die wilden Rufe ein: »Ausreden lassen!« --
+»Redefreiheit!« -- »Haut den langen Laban!« Aber sie verpufften in dem
+Raum, den der Humor ausgepolstert hatte.
+
+Herr von Borkhus aber durfte der Erwägung sich überlassen, ob es noch
+ernstlich lohne, hier ernstlich zu reden! Eine Versammlung? Nein, ein
+zwangloses, durch Ulk gewürztes Beisammensein! Der kleine Schweinhund in
+ihm gab ihm sehr lebendig recht. Aber schließlich, die Menge wollte ihre
+Sensation. Die zu Gast geladenen wollten ihr Bratenstück. Schon griffen
+aller Augen nach ihm, dem unleugbar Kraft- und Saftvollsten unter den
+Politikern hier, dem Gefeierten und Gescholtenen, dem Verehrten und
+Gehaßten. Sie alle wollten ihn hören, die Freunde und erst recht die
+Feinde.
+
+So trat die große schwere Stille ein, als der Vorsitzende verkündete:
+»Das Wort hat jetzt als erster Redner Herr von Borkhus!«
+
+Der Redner erhob sich langsam und trat ruhig vor mit seinen wuchtenden
+Schritten. Die Nerven schlugen in dem mächtigen Körper -- in gleichem
+Maß schwangen die Fieber all der Menschen, die da unten sich ihm
+entgegenspannten. Die Fühlung war hergestellt, der Gleichtakt der Pulse
+in Liebe und Haß.
+
+Mit Orgelklang umfing die Hörer das schwellende Organ, und etwas wie
+Feier war in dem, was er sprach.
+
+»Volksgenossen! Dies ist das deutsche Schicksal, dies der Herzschlag der
+deutschen Geschichte: daß nichts auf der Welt die Kinder der deutschen
+Erde über alle die Unterschiede, die die einzelnen voneinander trennen
+oder gar miteinander verfeinden, zu einer festen Gemeinschaft
+zusammenschließen kann -- nichts auf der Welt, als das grimmigste Leid!
+Immer nur aus der tiefsten Not wird unsere Einheit geboren. Wann aber
+ist unsere Not je so tief gewesen wie heute? Wann hat sie sich je so
+tief in unsere Seelen eingefressen -- wann war ihr jemals soviel Schmach
+beigemischt! Und darum müssen gerade unsere Tage, trotz aller Wirren und
+Zerwürfnisse, uns in eine Zusammengehörigkeit schmieden, wie unsere
+Geschichte sie noch nicht gesehen hat! Unsere Zusammengehörigkeit -- das
+ist die große lebendige Macht, das ist der mächtige lebendige Wall, den
+wir der Hörigkeit entgegenzusetzen haben, mit der die Feinde uns
+bedrohen!«
+
+Mit lautem Bravo grüßten diese Rhetorik Gesinnungsgenossen und Freunde
+der Wortprägung. Aber solche allzu frühe laute Anerkennung war
+bedenklich. Schon kam Bewegung in die Reihen der Gegner. Horst sah, wie
+es im Nacken seiner Nachbarin zuckte, wie feindlich die Nasenflügel
+witterten. Die Lippen zogen sich kurz zusammen und entblößten die
+spitzen, grausamen Zähne. Ein böses schönes Raubtier spannte sie sich.
+
+Der Redner spürte die Wellenbewegung wohl -- er wollte sie zwingen!
+
+Er sprach mit Hingebung von der Nation -- daß das Volkstum erst das
+Leben des Staates sei. Es sei aber auch das Leben der Menschheit. Eine
+andere Menschheit als die der Völker gäbe es nicht. »Nur als Deutsche
+sind wir Menschen und können wir Menschen sein.«
+
+Hier fingen die Internationalen an, sich gemaßregelt zu fühlen, und ein
+schon lebhaftes Murren rollte dumpf durch den Saal.
+
+Der Redner wußte, daß er ein heikles Gebiet betreten hatte, aber die
+Gefahr steigerte und stärkte ihn. Mit hoch erhobener Stimme führte er
+den Hammerschlag: »Und wir -- wir Deutsche haben unsere Menschenwürde
+nur in unserem deutschen Empfinden!«
+
+Das schmetterte nieder auf die empfindlich gewordenen. Ein dumpfes
+Aufstöhnen von Zorn und Wut -- dann brandete lauter Unwille gegen die
+Rednerbühne. Die Geister erhitzten sich mehr und mehr und hetzten sich
+leidenschaftlich auf. »Menschenwürde« -- dies Wort wurde zum Verhängnis.
+
+»Du willst von Menschenwürde reden!« rief es von oben, und dann brüllte
+einer durch den Saal: »Du Würger!«
+
+Jetzt hatten sie den Kampfruf, den vernichtenden! Und wieder schrie es:
+»Würger« -- und dann tobten sie da auf der Galerie im Chor und im Takt:
+»Würger!« »Würger!« »Würger!«
+
+Borkhus zuckte zusammen, schmerzlich wild weiteten sich seine mächtigen
+Augen. Wie Messer stachen die Rufe weiter auf ihn ein, da die Tobenden
+sahen, daß er litt! Die Grausamkeit berauschte sich. Die Bestie hatte
+die Pranken gezuckt. Blutdunst legte sich auf die Sinne.
+
+Alle hatte es aufgezogen von ihren Sitzen. Die einen zum Sturm, die
+anderen zur Wehr.
+
+Eher als Horst war seine Nachbarin aufgesprungen. Ihre Glieder flogen,
+Stichflammen brachen aus ihren Augen, durch die Lippen ging ein
+zitterndes Schlürfen. Die ganze Gestalt war verzückte Gier. Ihm erschien
+sie fast als Dämon dieser Stunde.
+
+Ihre Finger krallten sich um die Stuhllehne -- im gleichen Augenblick
+brach und splitterte Holz auf dem Balkon -- Borkhus, der unter der Wucht
+des furchtbaren Wortes sich gebeugt hatte, war jetzt aufgereckt -- die
+Arme gestreckt, die Brust geweitet, wie zum Kampf trat er an den
+äußersten Rand der Bühne.
+
+Da in tosendem Wettersturm brach es über ihn her, Trümmer von Stühlen
+prasselten von der Galerie auf ihn nieder, zerschlugen ihm Kopf und
+Gesicht -- über Augen und Schläfen rann ihm das Blut.
+
+Frauenstimmen kreischten und gellten auf.
+
+Horst war gleich an des Wunden Seite. Auch ihm flogen noch Geschosse auf
+Schulter und Nacken.
+
+Schon aber war Dr. Stump fast über die Köpfe hinweg zur Tür geflogen --
+fünf von den Siedlern, der Balbutz und der heilige Josef voran, brachen
+ihm nach -- sie wollten die Burschen da oben einsperren und dingfest
+machen.
+
+Im Saale brauste das Meer. Die Glocke des Präsidenten, immerfort
+geschwungen, hauchte sich aus in kläglichem Wimmern. Ein Fels in der
+Brandung, stand der Riese, der Bierfahrer, die machtvollen Flossen
+gehoben, drohend und beschwichtigend zugleich. Sie sagten, was Worte in
+dem Tosen nicht vermochten; hier unten Hände in Ruh!
+
+Die einzelnen Gegner standen wie die jungen Hähne, Auge in Auge, Nase an
+Nase -- sie zischten, schrien, keuchten sich ihre Wut ins Gesicht --
+aber die Fäuste blieben gebändigt.
+
+Und das rinnende Blut dort oben beschwor. Allmählich ebbte die Zornflut
+ab --
+
+Da tönten Schüsse auf dem Gang -- wieder die gellenden Frauenschreie im
+Saal -- mit Schreck und Grauen zog vollends die Besinnung ein.
+
+Draußen aber zerstob ein erbittertes Handgemenge -- die eingeschlossenen
+hatten den Treppenausgang forciert, brachen mit Übermacht durch, einer
+schoß auf den feindlichen Stoßtrupp, Dr. Stump kriegte einen Streifschuß
+am Ohr -- was seine Fäuste den Fliehenden mitgaben, wurden die in
+Monaten nicht wieder los.
+
+Herr von Borkhus wurde von einem Arzt, der zur Stelle war, im Wohnzimmer
+des Wirtes verbunden. Horst, der Handreichung leistete, blieb an seiner
+Seite. Im Saal verliefen sich die Wasser. Ein Plätschern war es nur noch
+-- schon konnten sie über das Geschehene sprechen, das hinter ihnen und
+unter ihnen lag.
+
+Der Wirt besah sich den Schaden, auf der Galerie, auf der Bühne, und
+drehte das Licht aus. Nur eine müde Flamme über dem Podium blieb
+brennen.
+
+Und aus dem Dunkel, wie ein Spuk, schlürfte ein altes gebücktes Weib mit
+Scheuertuch und Eimer. Stieg keuchend auf die Bühne und wusch
+kopfschüttelnd und brummig das Blut von den Dielen.
+
+
+
+
+ Frei und gut ist dasselbe
+
+
+Es war nicht weit von Mitternacht, als Herr von Borkhus mit Horst den
+Wagen wieder bestieg. Strempel mußte fahren.
+
+Der Mond leuchtete die menschenleere Straße ab. In dem Torweg, dem
+Gasthof gegenüber stand eine Frauengestalt.
+
+Ein junges schlankes Weib -- mehr konnte Horst nicht erkennen, zumal der
+Verwundete ihn in Anspruch nahm. Dann aber, da sie abfuhren, blitzte es
+ihm durch den Sinn: das ist deine Nachbarin, wer sonst! Was will sie
+hier! Und wieder: wer ist sie? Wollte sie sehen, wie es mit dem
+Verletzten stand? Um den sich sonst, im ganzen Orte niemand mehr
+kümmerte? Sie als die einzige -- was trieb sie dazu?
+
+Borkhus hatte sich längst wiedergefunden. Die Schmerzen drückten ihn
+nicht nieder, sie hoben ihn. Daß er selber litt, daran wuchs seine
+Kraft, sein Trotz, das bannte den Schatten.
+
+»Ich würde es immer wieder tun,« sagte er, »der Würger«, frei und stark.
+»Wer mir an die Offiziers- und Mannesehre geht -- wie ich ihn fasse, so
+muß er dran glauben! Immer tät ich es wieder!«
+
+Jetzt dachte er an die vielen beschimpften, entehrten Kameraden. »Und
+das tat ich für euch alle!«
+
+Horst sann nach und nickte düster und sprach: »Daß wir zum Symbol werden
+-- jeder nach seines Wesens Bestimmung -- das ist unseres Lebens Sinn!«
+
+Borkhus nahm seine Hand. »Das ist das Wort! Zum Symbol werden! Wie ein
+Ruf erging es an mich! Welt gegen Welt! Und -- ich konnte gar nicht
+anders.«
+
+Es war dann, als käme Müdigkeit über ihn. Wieder aber regte er sich
+lebhaft, und es klang fröhlich: »War ich nicht heute abend auch ein
+Sinnbild: zerschlagen von den Stuhlbeinen der Galerie! Gibt es was
+Erhabeneres? Hüten Sie mich Horst, daß ich nicht größenwahnsinnig
+werde!«
+
+Doch jetzt brauchte er seine Ruhe und sprach nicht mehr.
+
+Horst aber tauchte zurück in den Abend, mit Trauer, Schmerz, mit Zorn
+und mit Scham.
+
+Deutschland -- machst du es deinen treuen Söhnen nicht allzu schwer?
+Sind deine Feinde, deine Folterknechte dir nicht blutig, nicht roh,
+nicht feige, nicht heimtückisch genug -- mußt du dir selbst der
+tückischste, der feigste Feind von allen sein!
+
+Ein deutscher Mann spricht die selbstverständlichen deutschen Worte! Er
+sagt, daß du, Deutschland, deutsch bist und deutsch sein mußt. Was
+geschieht? Er wird aus dem Hinterhalt gemeuchelt!
+
+In welchem Lande der Welt wäre so etwas denkbar -- dann vor allem
+denkbar, wenn die Feinde, schlimmer als es im Kriege geschieht, dieses
+Land zerfleischen und zertreten! In Guatemala nicht, bei keinem Stamme
+der Maoris!
+
+Soll man sich immer wieder damit trösten, daß du das Land ohne Beispiel
+bist, ohnegleichen im Großen wie im Armseligen, im Guten wie im
+Verruchten? Und wie lange soll dieser Trost vorhalten?
+
+Ist es zu verwundern, wenn man schließlich da landet, wo diese
+rätselhafte Fremde sich angebaut hat? Wie sagte sie doch, höhnend und
+hart: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff!«
+
+International also -- pazifistisch -- eine Kommunistin offenbar.
+Freilich, er hatte sich die »Petrolösen« anders gedacht.
+
+Ob sie in der Stadt ansässig war? In der, wie er wußte, seit geraumer
+Zeit ein Agitationsherd brannte, mit lichterlohen roten Flammen.
+
+Ihr Gesicht wurde ihm lebendig. In diesem reizvollen Gegensatz zwischen
+seinem Vorn und der Seite. Diese fast derbe, sinnlich grausame
+Leidenschaftlichkeit der vollen Züge -- so viel feine spröde Geistigkeit
+im Profil. Und in dem Ausdruck des Ganzen ein Schmerzliches -- zu der
+flammenden Anklage eine stille Klage.
+
+Jetzt war er dicht daran, sich auszulachen. Faselt dir nicht deine
+Fantasie was vor? Deine Weibentwöhntheit treibt mit dir ihren
+Schabernack, den sie als »weiberfest« dich rühmen.
+
+Zum Teufel mit dem ganzen Weiberkram! Daß der sich immer wieder
+ungerufen melden muß! Und ist doch kein Platz für ihn, jetzt in dem
+Siedlungswerk.
+
+Er denkt an die Genossen, die heute auch dabei waren -- die sich wieder
+mal einsetzten mit Leib und Leben, wenige gegen viele. Daß man an diesen
+deutschen Jungen seine Freude hat, ist das nicht der Inbegriff!
+
+Wäre es nur nicht deutsch gegen deutsch gegangen! Gegen undeutsch, ja!
+Aber gegen dieses Undeutsch, das nun einmal so verteufelt deutsch ist!
+War so und wird so sein! Ist unser Fluch! Und stammt aus unseres Wesens
+Tiefe!
+
+Und wieder schlug ihn der große Schmerz. Und der Schmerz schlug ihn
+hart.
+
+So heißt es aus dem Fluch Segen bereiten! Vielleicht, daß wir sonst
+einschlafen würden und in Faulheit ersticken! Nun heißt es für uns,
+nimmer müde sein! Wachen und schaffen! Und schaffen und wachen! So heißt
+es! Und so soll es sein!
+
+Horst fand die Freunde und die ganze Mannschaft noch auf den Beinen.
+Fast gleichzeitig mit ihm waren die Fußgänger eingetroffen. Jetzt ging
+es an ein Erzählen. Horst ließ mit Bedacht den Genossen das Wort.
+
+Der Balbutz übernimmt freudig den Bericht. Schildert mit einer
+Anschaulichkeit, die keine falschen Farben nötig hat, der Handlung
+Verlauf. Bemüht sich sachlich zu bleiben, bis der Schluß mit seiner
+Klopffechterei ihm Gemüt und Stil bewegt und die Schleusen seines
+Wortschatzes zieht.
+
+Die »feigen Halunken« und »elenden Hundeseelen« -- diese Ausrufe seines
+Zornes wecken Widerspruch. Mulitz, der Maurer, schüttelt den breiten
+Kopf, in den eckigen Augen zuckt etwas auf. »Das mußt nicht sagen,
+Balbutz! Ein paar hatten einen Mordsschneid! Und -- Gesinnung ist
+schließlich Gesinnung.«
+
+»Gesinnung -- Stuhlbeine -- viele gegen einen -- der ahnungslos und
+wehrlos ist -- das ist Gesinnung? Schweinkram ist es!«
+
+Fünf stimmen ihm lebhaft zu. Andere nicken gelassener. Einer ruft: »der
+heilige Josef soll reden!« Bei dem geht es ins Höhere und Tiefere, aber
+sowas wollen sie jetzt.
+
+Gustav Elbenfried errötet wie ein Mädchen. »Ich soll --«
+
+»Ja, du sollst«, rufen jetzt viele.
+
+Der also Bestellte rudert mächtig mit den Armen durch die Luft, wie ein
+großer Vogel, dem der Aufflug nicht gelingt. Dann erst kommt er in
+Schwung, und seine Kinderaugen leuchten innig auf.
+
+»Ihr hört von mir immer das alte Lied. Was ist Schuld an dieser Tücke,
+an diesem bösartigen Haß? Das, was die ganze Welt krank macht und
+verdirbt. Das Geld ist es, der Reichtum. Vom Geld kommt deshalb alles
+Üble, weil es das Lieblose ist. Darum macht es die Menschen böse.
+Christus wußte schon, was er vom Reichtum sprach. Was hat die Kirche,
+die selber Schätze sammelt -- was hat sie von je gerade hieran
+herumgedeutet! Aber dies Wort müssen sie doch lassen stahn!«
+
+Gisbert ist zu dem heiligen Josef getreten. Er sieht in der einen Ecke,
+wo der Schreiber Metzling sitzt, so etwas wie mißtrauische Blicke.
+Unterschicht -- Oberschicht. Als ob die Offiziere schwiegen, um die
+Leute auszuhorchen. Nun nimmt er selbst das Wort. Er spricht schlecht,
+aber in dem, was er sagt, ist seine Seele.
+
+Daß Elbenfried recht habe! In Reichtum und Macht kann niemals der Mensch
+sich ausleben, sich ausstrahlen, sich verwirklichen! In seinem Besitz,
+in seinen Genüssen, ist er auf sich selbst beschränkt, sein eigener
+Gefangener. Und so verdorrt er. Darum -- er muß, muß heraus aus seinem
+Selbst. Nur so wird er frei, nur so wird er gut -- denn frei und gut ist
+dasselbe. Und so befreit, in selbstloser Hingabe und Güte, gehören wir
+nicht uns, gehören wir allen. So erst sind die Kerkermauern unserer
+Endlichkeit durchbrochen. So erst haben wir teil an dem All, so erst
+sind wir vereinigt mit dem Wirken des Ewigen.
+
+Dankwart rückt auf dem Stuhl, als brenne Feuer darunter, in seinem
+schweren Augenlid wettert es mit Macht.
+
+Kunz aber springt in die Höhe. Seine Glieder fliegen. Etwas
+Ungebändigtes zittert in seinen heißen Augen. »Alle und das All --
+wollen wir herumhampeln im luftleeren Raum! Wollen wir im Äther
+vereisen! Deutschland ist das All! Wißt ihr, daß wir die Feinde im Lande
+haben -- den Franzmann im Lande haben! Daß er uns das Mark aus den
+Knochen zieht! Und daß wir wehrlos sind! Entwaffnet! Entwaffnete
+deutsche Männer! Könnt ihr das aus- und zu Ende fühlen! Wollt ihr
+darüber eure südasiatische Weisheit kleistern! Das eine will ich jetzt
+wissen, ist ein einziger unter uns, der heut und morgen, so lange er
+lebt und leibt, nicht mit Jubel und Hurra und Hosianna dem Landesfeind
+an den Kragen geht, sobald der Tag der Erlösung naht! Und sich darauf
+freut! Das sollt ihr mir jetzt sagen -- Du, Gisbert -- und Gust
+Elbenfried, Du -- und Du, Maurer Mulitz. Seid ihr bereit und freut ihr
+euch darauf?«
+
+Die Antworten waren ehrlich und schnell. »Das ist ja ganz was anderes!«
+-- »Selbstverständlich ist das!« -- »Und natürlich freut sich jeder
+darauf!«
+
+»Gut,« sagte Kunz und wischte sich die zornig feuchten Augen, und es
+löste sich aus ihm wie ein Schluchzen. »Nach eurer Religionsphilosophie
+brauchte ich das. Ich mußte das hören! Ich wäre sonst nicht einen Tag
+länger in der Gemeinschaft geblieben.«
+
+
+
+
+ Frau Tilde
+
+
+Mit dem Morgengrauen waren sie wieder alle Mann beim Bäumefällen. Auch
+Gisbert tat heute hier Arbeit, und er tat fast des Guten zu viel. Was
+seine feinen Glieder hergeben wollten, holte er heraus. So
+leidenschaftlich war er am Werk, mehr als einmal mußte Elbenfried, der
+Arbeitsführer, ihm Ruhepause auferlegen. Sie wußten alle -- und alle
+waren ihm herzlich zugetan -- wie sehr er noch immer seine Kräfte zu
+schonen hatte.
+
+Kunz war schlecht gelaunt. Er war heute beim Mundausspülen zu kurz
+gekommen. Denn mühsamer als je war das Weckeramt von Gisbert und Muz
+verlaufen. Unruhige Träume hatten ihn allzu schwer heimgesucht.
+
+»Dir verdanke ich das,« so klagte er Gisbert an, »Dir und Deinem
+Hindutum. Die ganze Nacht habe ich es mit der Seelenwanderung gehabt.
+Und Muz, der auf nächtiger Insektenjagd mit den Schenkeln die Diele
+klopfte, gab den Takt dazu. Wisse es: meine Seele fuhr in einen Floh.«
+
+»Oh!« echote Gisbert munter.
+
+»Auf Muzens Fell trieb ich mich um, und in was für einer Gesellschaft --
+was für schwarze Seelen waren da beisammen! Weibliche zumeist. Da war
+die Frau Potiphar und Herodias und Messalina und die Maintenon und Ninon
+de Lenclos, Lola Montez und die Pepita. Die faßten sich an und tanzten
+um mich herum im Ringelreihn. Und die dicke Messalina zog mich beiseite.
+>Was bist Du für ein nüdlicher kleiner Flohhengst<, sagte sie, >aber so
+schüchtern! So schüchtern!< Und weiß Gott, ich wurde verlegen. Floh sein
+ist schon nicht so leicht. Aber ich sag euch, ein Floh in Verlegenheit
+--! --«
+
+Die zuhörten, mußten lachen. Auch Muz freute sich. Und tat, was er dann
+immer tat. Er drehte sich um sich selbst im Wirbel und spielte Greif mit
+seinem Schwanz.
+
+Gisbert aber hatte genug. Er spähte, wo er sonst Hand anlegen konnte,
+und brachte sich auf Hörweite in Sicherheit.
+
+»Du -- Gisbert -- das Wahre kommt ja erst!« rief Kunz ihm nach. Aber
+Gisbert schlug schon mit der Axt, und die Späne sprangen.
+
+Kunz sägte mit dem Balbutz. Da waren die richtigen Kumpane beisammen,
+doch die Arbeit flog.
+
+»So sind sie nun, die Bramaputraleute.« Kunz schnob vor sich hin. »Jedes
+Lebewesen ist heilig! hat er mir eingeprägt. Und wiederum hat er mir
+eingeprägt: in jedem unserer Träume ist eine Wahrheit. Nun also! Und
+jetzt nimmt er Reißaus vor seiner eigenen Glaubenslehre.«
+
+Gisbert ließ im Arbeitseifer nicht nach. Eben weil sie ihn für einen
+Träumer hielten -- wie gern nannte Kunz ihn die Lotosblume -- eben
+deshalb wollte er hier seinen Mann stehen.
+
+Horst nahm sich den heiligen Josef vor. »Wir müssen uns nach dem
+Befinden unseres Patrons erkundigen. Wollen wir nicht unseren Gisbert
+dazu bestimmen! Er ist ja wie im Fieber und schuftet sich hier glatt
+zuschanden.«
+
+Gisbert zuckte mit den Brauen bei dem Auftrag -- er fühlte eine
+Bevorzugung und Entlastung. Aber die Disziplin saß ihm im Blut. Das Wort
+des Werkführers galt. Nun war er auf dem Weg nach dem Gutshaus. Bald,
+nach einer kleinen Stunde schon, kam er zurück. Wie schreitet er bloß,
+dachte Kunz. Als ob er auf Wolken wandele. Und weiter forschte Kunz, der
+ihn so gut kannte: Was hat er in den Augen? Ist das nicht wie ein großer
+seliger Schreck?
+
+Und dann bestellte Gisbert, dem Herrn von Borkhus ginge es gut, seine
+Tochter, Frau von Mönkhov wäre gekommen. Beide bäten Horst, Dankwart,
+Kunz und ihn selber, abends eine Tasse Tee im Gutshaus zu trinken.
+
+Die Tochter des Herrn von Borkhus -- nun wußte Kunz, wovon sein Gisbert
+so selig, bis in die Seele erschrocken war. --
+
+Sie machten sich fein zu dem Abend, Horst, Gisbert und Kunz. Dankwart
+konnte von seinen Modellen und Tabellen nicht fort.
+
+Borkhus war auf den Beinen und empfing sie. Seine schweren Augen
+leuchteten gesund unter dem weißen Turban des Verbandes.
+
+»Der Aderlaß hat mir gut getan«, sagte er. »Meine Ischias hat sich
+verblutet. Ich kann laufen wie ein besserer Faßbinder.«
+
+Und dann hatte er seine Tilde bei sich, seine Tochter.
+
+Sie hatte etwas still Verhaltenes, fast mädchenhaft Scheues, diese
+schlanke, zarte, großäugige Frau, als sie den Herren gegenübertrat. Mit
+kindlich verlegener Bewegung strich sie die Strähne zurück, die aus
+ihrem reichen hellbraunen Haar sich löste.
+
+»Was sagt die Welt,« so erklärte der alte Herr die Sachlage, »die
+wildesten Gerüchte über mich verheeren das Land! Setzt sich dieses
+Mädchen nicht -- und sie soll Haus und Hof hüten, denn ihr Mann ist
+nicht daheim -- setzt sie sich nicht vor Morgengrauen in den Schlitten
+und läßt die Traber glattweg die fünfzig Kilometer fressen!«
+
+»Es ist eine glänzende Bahn«, entschuldigte sich Frau Tilde. »Und auch,
+wenn wir die nicht hätten --« sie faßte still ihres Vaters Hand.
+
+Die drei jungen Männer musterten sich. Wie verändert sie waren! Welch
+ein Glanz auf ihnen lag, welche Farben sie trugen -- von dem Wesen der
+Frau. Sie, die das harte, graue, lichtlose, lustlose Barackenleben
+einschloß. Nun rieselte es über sie von der hellen Wonne.
+
+Und listig lauerte auch wohl jeder, wie die anderen ihre eigenen Farben
+spielen ließen, zum Werben. Nur daß Gisbert sich schnell und ganz begrub
+in die Märchenferne dieser Frauenaugen.
+
+Worüber sprachen sie bei Tisch? Über Deutschlands Wunden, in der Andacht
+ihres Schmerzes. Von ihrer Unfreiheit, ihrer Knechtschaft, ihrer
+Schmach. Frau von Mönkhov sagte: »Nun haben wir es nicht mehr, das
+stolze Wort: mein Haus ist meine Burg. Jetzt müssen wir uns schon an
+Meister Ekkart halten, der uns lehrt, daß unsere Seele unser Bürglein
+sei.«
+
+Wie schwang und klang es in Gisbert auf. Welch ein Lichtband schlang
+sich um ihn und diese innige Frau.
+
+Horst aber gab seine harte Zweckmäßigkeit darein: »Nur sollen in diesem
+Bürglein nicht zu viel der frommen Träume umgehen.«
+
+»Ihnen ist es ums Schaffen. Mir auch. Aber das bleibt nun die Wahrheit:
+produktiv sind wir nur solange als wir religiös sind.«
+
+Kunz aber kaute schon wieder an seinem Zorn. Daß wir uns vor lauter
+Geistigkeit nicht zu lassen wissen, das ist unser Verderb!
+
+Und der alte Herr, in einer Art mitleidiger Angst, meinte: »Gut, daß
+Achim, Dein Mann, Dich nicht hört!« -- Für den war Religion das rote
+Tuch. »Religion, so nennen die Menschen ihre Alterserscheinung --!«
+
+Mit Achim von Mönkhov kamen sie zu den Tagesereignissen. Er hatte seinen
+Koch auf den Schub gebracht, und der spielte jetzt in der Kreisstadt
+unter den Radikalsten eine Hauptrolle.
+
+Der Vater wollte Einzelheiten hören. Hier griff die Politik in die
+Familie. Zögernd und ungern erzählte Frau Tilde. Der Mann sei von Tag zu
+Tag aufsässiger geworden, bedrohlich zuletzt. Da habe ihn Achim
+kurzerhand hinten am Rockkragen genommen, ihn vor sich her immer mit
+steifem Arm, zum Hause hinaus über den Hof bis zum Tor geschoben. Und
+ihm unterwegs in seiner eiskalten Ruhe gesagt: »Zum Lohn für Ihre
+unvergessenen Wildpasteten besorge ich dieses eigenhändig.«
+
+Die Zuhörer wollten dies als ein sehr sauberes Stücklein gelten lassen.
+Tilde aber schüttelte ablehnend den Kopf. »Nichts auf der Welt macht so
+böses Blut wie diese üblen Handgreiflichkeiten. Und wollen wir uns
+untereinander denn immer mehr erbittern!«
+
+Ihre Augen möchten der Märtyrerkrone ihres Vaters liebes erweisen. Aber
+dann erschrak sie vor dem Schatten in seinem Blick. Und der Gedanke an
+seine eigene schwere Tat trübte ihr den Sinn. War es nicht die wildeste
+aller Handgreiflichkeiten, was auf ihm selber lastete?
+
+Aber schon war Kunz zur Stelle. »Gnädige Frau, es gibt einen alten
+niedersächsischen Spruch:
+
+ »Wur all dat anner beden nich düest,
+ dor beden am besten de beiden Füest.«
+
+Diese betenden beiden Fäuste -- sie gehören nun einmal zum Inventar der
+deutschen Welt. Und für mich gibt es keine Religion ohne die. Mir soll
+nun einmal keiner den Christus nehmen, der das Schwert gebracht hat und
+dem seine Mannen Heeresfolge leisteten! So wenig wie den Gott, der Eisen
+wachsen ließ.«
+
+Sie sah den Sprechenden an mit ihren weiten Augen, nicht verweisend,
+nicht zustimmend, gütig und doch fern. »Vielleicht bin ich zu müde
+geworden für das alles.« Sie mußte wohl diesem lohenden Kreise die
+Blässe erklären, die sie selber fühlte. »Vielleicht habe ich mich erst
+zu erholen von den vier langen Jahren der Angst. Um die vier, die ich im
+Felde hatte. Von denen zwei nicht wiedergekommen sind.«
+
+Die zwei waren ihre Brüder. Der Vater legte die Hand auf ihren Arm. Sie
+strich sich das Haar aus der Stirn. Ihre Augen blieben tapfer.
+
+Dann suchten und fanden sie alle festen und gesunden Boden in dem
+Nächstliegenden, dem Siedlungswerk.
+
+Frau von Mönkhov begann sich fast freudig zu beleben. Jeder Winkel des
+Geländes war ihr vertraut. Sie machte Horst noch besonders auf eine
+Mergelgrube aufmerksam, die längst nicht richtig ausgenutzt sei. Wobei
+ihr Vater das komisch lange Gesicht eines Getadelten aufsetzte.
+
+Diese großen Augen der stillen Frau, sie waren jetzt heimgekehrt aus
+ihren Fernen, sie hatten einen nahen vertrauten Glanz gewonnen.
+
+Gisbert saß wie ein Betender.
+
+Und jetzt fragte sie fraulich, mütterlich nach dem Wohngelaß der
+Siedler.
+
+»Wir haben es sehr gut«, sagte Horst.
+
+»Wunderbar haben wir's!« erklärte Gisbert. Ihm hatte schon ihre bloße
+Frage aus dem Holzstall ein Feenschloß bereitet.
+
+Nur Kunz machte ein beschauliches Gesicht. »Ich weiß nicht,« bemerkte
+er, »ob es fantastisch ist, bei einer Bettstatt an gehobelte Bretter zu
+denken. Ein so rühriger Schläfer, wie ich es nun einmal bin, darf
+getrost sein Fell nächstens einem Holzhändler zur Ausbeute überlassen.«
+
+Frau Tilde, lächelnd, erkundigte sich jetzt nach der Beköstigung, nach
+der Küche.
+
+»Unser Essen ist gut«, bestimmte Horst.
+
+»Herrlich!« sang Gisbert aus seiner Höhe.
+
+Kunz aber starrte wie entseelt vor sich hin.
+
+Borkhus, dem er Spaß machte, weckte ihn und forderte genußsüchtig: »Sie
+müssen auch Ihr Sprüchlein sagen.«
+
+»Soll ich? O Du mein! Unser Koch ist Installateur von Beruf. Die
+Wasserleitung ist sein Leben. Teekesselfett ist sein Element. An seiner
+unsterblichen Kartoffelsuppe hat er unverzagt solange gearbeitet, daß er
+jetzt imstande ist, sie sogar ohne Kartoffeln herzustellen.«
+
+»Danach sehen Sie eigentlich nicht aus«, meinte Frau Tilde.
+
+»Oh, wenn ich mir nicht dann und wann ein paar Gabelbissen
+zusammenwilderte --«
+
+»Lassen Sie sich nicht dabei kriegen!« drohte Borkhus. »Und wer bereitet
+Ihnen wo diese Leckereien zu?«
+
+»Das sag ich nicht.« Ein Schlingel verkroch sich in seinen Augenwinkeln.
+
+»Aber erschrecklich unsozial ist das doch!« gab Frau Tilde darein, mit
+scherzendem Ernst.
+
+Kunz schmunzelte: »Eine Krickente -- dreiundzwanzig Kostgänger -- und
+die soziale Frage! Da ess' ich den Vogel todesmutig allein. Aber ich
+werd mir jetzt alle Mühe geben, genossenschaftlicher zu schießen, und
+mir einen Hirsch langen.«
+
+»Das wird Ihnen leid,« knurrte Borkhus, dem es jetzt doch über die Leber
+lief.
+
+Seine Tochter aber wollte noch mehr von dem Barackenleben wissen, zumal
+von seinem geistigen Bau. Und Horst berichtete kurz von ihrem kleinen
+Staat. Ein Wahlkönig steht an der Spitze. Von den Mannen erkoren -- und
+absetzbar, sobald er versagt. Bei den einzelnen Arbeiten sachverständige
+Leiter. Im übrigen keine Rangunterschiede. Jeder hat den Wert seiner
+Kraft.
+
+»Womit die Rangunterschiede gegeben sind!« knurrte der politische alte
+Herr.
+
+Dazu Horst: »Wer kann die Unterschiede aus der Welt schaffen? Die
+Unterschiede sind die Welt. Dafür wandeln sich ihre Grenzen und
+Übergänge. Gerade in ihrer Beweglichkeit sind sie das Lebendige und das
+Ewige. Und darum auch der Inbegriff aller Freiheit. Deren Tod ganz
+einfach die Gleichheit wäre.«
+
+In Gisbert drängten seine Empfindungen zum Worte. Er wußte, wie schwer
+er die Rede meisterte. Die natürliche Scheu des Mannes, vor einer Frau
+-- und nun gar vor dieser Frau! -- seine Mängel zu zeigen, lag schwer
+genug auf ihm. Aber, was er fühlte, wollte ans Licht.
+
+»Unterschiede -- warum sprechen wir so gerne von den Unterschieden?
+Warum nicht lieber von dem Gemeinsamen! Von der großen Sehnsucht, die in
+allen lebt. Und in der sich alle zusammenfinden. Wie alle Wasser zum
+Strome, wie alle Ströme zum Meere fließen. Derselbe Zug in uns allen.
+Suchende, Wandernde wir alle, die der Schmerz unserer Endlichkeit
+treibt. Warum uns stören, uns hindern und bekämpfen mit den armseligen
+Gegensätzen, statt die große Gemeinschaft uns tragen zu lassen! Zu
+unserer aller Ziel -- dem Gemeinsamen! Hinein in das Bewußtsein und den
+Besitz der Unendlichkeit!«
+
+Er rang an den Worten, mit den Worten, in denen mehr war als das karge
+ihrer Allgemeinheit. Der Reichtum war in ihrem Klang, und dieser Klang
+war Seele von seiner Seele und war wie der Glanz seiner inbrünstigen
+Augen. Heilig war ihm, was er bekannte -- aber dann erschrak er, daß er
+bekannte. Und die kleinen Fragen kamen: wollten sie das hören -- und
+gehörte das hierher?
+
+Und verlegen fühlte er sich zu Kunz zurück, dem Freunde, dem so anders
+beflügelten, aber dem Freunde doch. Der ihn liebevoll aufnahm mit
+offenen Augen, wenn auch der lächelnde Unmut nicht schwieg. Die
+Lotosblume! Kann das Leuchten nicht lassen!
+
+Frau Tilde horchte in sich hinein. Da in der Tiefe läuteten dieselben
+Glocken. Sie hatte es bisher vermieden, in der Scheu vor dem
+Gleichgearteten, dessen sie auf den ersten Blick sich bewußt war,
+Gisbert die Arme aufzutun. Jetzt aber, wo der Gleichgestimmte Zeugnis
+ablegte, umfaßte sie ihn mit einer Art wehen Zärtlichkeit und blieb an
+seiner Seite.
+
+»Ich fühle wie Sie«, sagte sie einfach und fest. »Und was die Zeit auch
+von uns fordert, es ist etwas da, was über der Zeit ist. Dahin schauen
+wir, dahin ziehen wir --«
+
+Horst sprach: »Wir wollen uns die Sterne nicht nehmen lassen. Auch sie
+gehören zu der Erde. Aber der Festtag sind sie. Und heute, wenn wir
+unser Leben leben wollen -- auch den Festtag müssen wir zum Alltag
+machen! Es gibt keine Feste!« Hart, eng, unerbittlich und rauh wurde Ton
+und Gedanke. Er stockte und schwieg.
+
+Kunz aber packte unter dem Tisch seine Hand. »Es gibt keine Sterne!
+Solange es kein Deutschland gibt, gibt es keine Sterne!«
+
+Und das Zeugnis dieser Schwurgenossen, lauter, näher, trotziger als jene
+Seelenrufe und voll Bitternis, es blieb Herr über die Geister. Sie alle
+bannte es, denn in ihnen allen war das zitternde Schwingen der einen
+Not.
+
+Herr von Borkhus brauchte Ruhe. Die Gäste brachen auf.
+
+»Müßte ich nicht morgen wieder nach Hause,« so wandte sich Frau Tilde an
+Horst, »würde ich mir Ihren Bau einmal ansehen. Und Ihre Kartoffelsuppe
+probieren. Und Ihnen« -- jetzt kam Kunz an die Reihe -- »würde ich aus
+unserem Handwerkskasten einen Hobel mitbringen.«
+
+»Für mein Fell oder für meine Seele?« gab der zurück und verbeugte sich
+lächelnd.
+
+Gisbert bekam keine Munterkeit zu hören, ihm gab sie nur still die Hand.
+
+Und nun schritten die drei Männer durch die Winternacht heimwärts.
+
+Heimwärts? Das Wesen der Frau geleitete sie wie ein Glanz. Ihre
+Zartheit, das Gepflegte des Körpers wie des Geistes, die Kultur Leibes
+und der Seele -- von ihrer Stimme der Klang, dies Aufleuchten ihrer
+großen Augen aus wehmütiger Tiefe zu strahlender Sicherheit, der
+Pulsschlag ihres lebendigen Wortes, der gütige gebende Druck ihrer
+feinen sorgenden Hand -- alles das war mit ihnen. Das Frauliche war um
+sie. Von der Mutter her, von der Geliebten her, das Gehegtsein, das
+Umfangenwerden, das geborgene Hausen -- diese Klänge begleiteten den
+Takt ihrer Schritte.
+
+Was winkte ihnen? Der kalte, düstre, niedere Stall. Wo jeder
+eingepfercht war in der lieblosen Verlassenheit seiner Schlafbucht.
+
+Die Weichheit war bei ihnen allen, das Heimweh.
+
+Horst machte sich traumfest. Er zog, wie immer dann, den Buckel krumm
+gleich einem Tier zum Sprunge und warf sich nun schonungslos in die
+Wirklichkeit der Pflichten.
+
+Kunz aber beschwor mit Bedacht einen weniger holden Geist gegen die
+Lichtgestalt, die mit ihnen schwebte: »Wer mag dieser Achim sein, dieser
+Ehegatte? Was weiß man sonst von ihm, als daß Religion ihm
+Gehirnverkalkung ist? Und er einen Koch im steifen Arm verhungern läßt?«
+
+Gisbert machte keinen Buckel und beschwor keine Geister -- er zog seine
+Lichtbahn.
+
+Wie die Baracke vor ihnen aufdrohte und die beiden -- hinein ins
+Verderben! -- ihre Schritte beschleunigten, blieb er zurück und im Takt
+seiner Musik. Als Kunz sich nach ihm umdrehte, erklärte er: »Ich gehe
+noch einmal an die See.«
+
+Sie ließen ihn und sprachen von der Arbeit, von morgen.
+
+»Wir müssen Pferde kaufen, Kunz. Die Preise steigen ins Schwindelhafte.«
+
+Kunz, der von der Kavallerie her kam, war ein gewiegter Roßtäuscher und
+jedem Pferdeschmeißer und Viehhändler gewachsen.
+
+Gisbert ging an die See. Der abnehmende Mond, schwer in dunklem Gold,
+stieg aus der Flut. Langsam, wie lastend, rollte der rote Schein über
+die gebändigten Wellen. Wie in Trunkenheit wiegte sich die leise
+Brandung, erschrak, wenn sie rauschte, und gewann das Schweigen.
+
+Die helle Nacht trank alles in sich auf, was noch sprach und flüsterte.
+Alle Stimmen, alle Schwingungen der Welt mündeten in die große
+Sternenstille.
+
+Und Gisbert, was er mit sich trug, was ihn erfüllte und quälte und
+bewegte, was in ihm klagte und jubelte -- es löste sich ihm alles in die
+lichte Unendlichkeit dieser hohen Ruhe.
+
+Was die letzten Stunden ihm geschenkt hatten, das Wissen von dieser
+Frau, ihre Nähe, die Gemeinschaft mit ihr -- »ich fühle wie Sie,« so
+hatte sie gesprochen -- das alles blieb nicht in der Verzückung und in
+der Begehrlichkeit des Rausches. Es stieg auf aus der Tiefe, befreite
+sich von der Blutwärme, von dem Zittern der Sinne, verklärte sich in
+diesem reinen kalten Licht über dem Leben und ging ein in das All.
+
+Und unter Schauern wird es ihm gewiß, ich habe den Weg, die Bahn steht
+mir offen -- ich kenn' es und kann es, das »Stirb und Werde«!
+
+So stand er, verzaubert.
+
+Dann aber, als wäre es ihm um diese Sicherheit gewesen, zerbrach er die
+Starrheit, reckte die Arme, und da er zurückschritt über die Heide, sang
+seine Jugend ihr Lied.
+
+Sang das Lied dieser Frau.
+
+Hier meine Hand -- ihre Finger haben sie umschlossen. Meine Hand --
+sieh, Mond, du lieber, dummer, du gescheidter, meine Hand ist dies!
+Meine glückselige Hand ist dies! Siehst du, wie sie leuchtet! Und so
+leuchte ich selbst! Ganz und gar leuchte ich so.
+
+Auf Flügelschuhen schritt er, den Kopf gehoben, die Brust geschwellt.
+Jauchzend die Seele.
+
+»Ich fühle wie Sie! Ich fühle wie Sie!«
+
+Und dann stürmte er jungenhaft über die Halde -- sprang über einen
+erratischen Block -- fiel in den Schnee -- wälzte sich wie ein Füllen,
+alle Viere gestreckt, und lachte wie ein Narr, wie ein Kind.
+
+Lebhaft trat er in sein Gelaß. Kunz war im Einschlafen. Ward ungehalten
+und lallte ihn an: »Was fällt Dir ein -- Du trampelnder Mondstrahl -- Du
+brüllende Ätherwelle -- Du -- Du tobsüchtig gewordener Blütenhauch --
+--«
+
+Von dem Blütenhauch durfte er sich betäuben lassen zu ruhigem Schlaf.
+Der konnte etwas ergiebiger sein, denn morgen war Sonntag.
+
+
+
+
+ Die fremde Frau
+
+
+Der Vormittag gehörte jedem für seine Briefe und eigenen Geschäfte. Nach
+Tisch gingen Horst und Kunz auf den Pferdekauf.
+
+Es war ein erfolgloser Weg. Zuerst war ein Bauernhof an der Reihe. Von
+den Pferden kam hier eins in Frage. Das andere, ein Blender, hatte
+schlechte Beine. Der Bauer wollte nur beide zusammen verkaufen. So
+konnte aus dem Geschäft nichts werden.
+
+Auf dem Rittergute Buchhof, wohin sie dann gepilgert waren, gedachte
+ihnen der Administrator -- der Herr war nicht zu Hause -- ein Paar
+tiefsinnige uralte Kracken zu versetzen. Horst dankte kühl. Kunz aber
+konnte sich den Zusatz nicht versagen: »Wir wollen nämlich Pferde kaufen
+und keine Philosophen. Wir wollen mit den Tieren pflügen und Mist fahren
+und uns nicht Memoiren von ihnen erzählen lassen.«
+
+Blieb noch Claus von Tangentien, der aber nur der Form wegen auf der
+Liste stand. Denn zum Pferdehandel mit diesem alten Ammoniakiter -- wie
+Kunz ihn getauft hatte -- zogen sie keine zehn Pferde.
+
+Die Dämmerung fiel schon ein, als die beiden weidlich verdrossen, den
+Fuß auf Moorhofer Gebiet setzten. Die Abendsonne hatte sich in den
+Nebeln überm Moor verblutet. Von den schneeigen Feldern zogen hungrige
+Krähen müden Fluges nach dem Kiefernwald, bäumten dort auf und richteten
+sich klagend und frierend ein für die Nacht. Da hinten die See hauchte
+eisigen Daak über Dünen und Heide.
+
+Horst war ungehalten über den verlorenen Nachmittag. Er mußte noch etwas
+ausrichten, so konnte er nicht nach Hause. Das Moor da unten
+beschäftigte ihn.
+
+»Ich will jetzt doch endlich mal den alten Torfmeister aufsuchen. Kommst
+Du mit, Kunz?«
+
+»Alte Torfmeister sind mir zu wenig Sonntagsvergnügen. Ich werd mich
+aufs Stroh werfen und lesen.«
+
+Sie trennten sich. Kunz ging geradeaus weiter nach der Baracke zu, Horst
+bog links ab die Straße, die am Dorf vorüberführte.
+
+Aus dem Boden stiegen die Nebel, vom Himmel fielen sie, das Wasser, das
+Moor sandte sie her -- so schlugen sie über dem Schreitenden zusammen.
+Voll Klage und Schauer war die Welt. Unbändiger als je zwang die
+Schwermut ihn nieder. Er fiel in seine dunkle Stunde. Das wozu? und
+wofür? saß ihm an der Kehle. War nicht doch alles umsonst und alles
+verloren?
+
+Was hockt er hier -- in diesem kümmerlichen Tun! Was wird damit
+geschafft? Was helfen all diese armen Kleinigkeiten, wo selbst das Große
+uns nicht retten könnte! Das Große! Wenn wir es hätten! Wenn es
+aufstünde unter uns, das Gewaltige, Allbezwingende, das im Sturm uns
+fortreißt, in dem einen machtvollen Fühlen und Glühen! Uns alle, alle --
+das Befreiende, die heilige Flamme, das heilige Licht --!
+
+Was würde geschehen mit diesem Großen? Würden wir selber es dulden?
+Würden wir selber es uns nicht in Stücke zerschlagen!
+
+Wir Deutsche -- wir Deutsche! Wir die ewigen Vandalen an uns selbst!
+Wir, die geborenen Zertrümmerer unserer eigenen Größe.
+
+Deutschland, das ewige Trümmerfeld -- nach unserem eigenen
+fluchbeladenen Willen.
+
+Wozu bauen, was wir selbst doch wieder einreißen!
+
+Und was ich hier bauen will -- ist es nicht Kinderkram, wie aus der
+Spielzeugschachtel! Was soll der Tand! Was soll der nützen! Ein Beispiel
+sollte es sein, ein Gleichnis, ein Symbol -- ja --
+
+Aber ein Symbol der Arbeit? Wer will das! Wer leistet dem Gefolge! Nehmt
+das goldene Kalb und setzt die Dirne drauf oder den Magier, den
+Geisterbeschwörer von Geschäft, und ihr habt die Leidenschaften der Zeit
+mit ihrem Heerbann.
+
+Was kaure ich hier unter dem Schutt! Ein Fremder in meinem Vaterland.
+Warum dann nicht lieber hinaus in die Fremde! Nach dem Süden, dem
+purpurnen! In die Klarheit des Nordens! Nur, daß man sein Brandmal
+trägt, den Galeerenstempel! Die Peitschenstriemen auf dem Rücken! Ein
+Deutscher -- wehrlos, ehrlos. Wer will ihn! Welches Land öffnet ihm
+seine Grenze!
+
+Vom Leuchtturm auf der Halbinsel ruft das Nebelhorn -- Töne fernher, wie
+aus anderer Zeit, aus anderen Welten. Stöhnende Stimmen von
+Urzeitriesen, Flüche, Verwünschungen, Todesschreie. Vor mir, um mich das
+Niflheim! O ging es hinein in das eisige Vorweltchaos!
+
+Wie ein Ertrinkender erlebt er noch einmal sein Leben.
+
+Die jubelnde Jugend unter den strahlenden Augen, der fröhlichen Klugheit
+der Mutter, die gesammelte Kraft des Soldatentums, trotz all dem
+Kleinlichen und Lachhaften die ganze Größe des »ich dien«. Die Jahre auf
+der Kriegsakademie in Berlin, wo Kunst und Liebe ihn so reich
+beschenkten, und reich auch die stille Lampe bei seiner Wissenschaft.
+Oft haben ihn die Kameraden »Schuster« gescholten, wenn er des Wüsten
+und der Ausgelassenheit satt in seiner Werkstätte sich einschloß. Und
+gerne saß er bei seinem Leisten, der Kriegsgeschichte. Eine Monographie
+von ihm über die Schlacht von Saalfeld wurde gedruckt und trug ihm
+brieflichen Verkehr mit Universitätsprofessoren ein. Dann hatte die
+Strategie des Großen Kurfürsten es ihm angetan -- da kam der Krieg.
+
+Der Krieg! Der Krieg! Und nun riß das Grandiose, das Glorreiche, das
+Ruhm- und Weihevolle -- ja, ja, das ist es bei allem, das bleibt es bei
+allem, und dafür leben und sterben wir! -- wie riß es ihn plötzlich aus
+seiner Verlorenheit in Nebel und Not!
+
+Und jetzt kroch er nicht mehr, er ächzte nicht mehr -- er hatte den Kopf
+wieder hoch und schalt sich aus. Schäm dich, Horst Oldefeld --
+Neurastheniker mit Nebelhornbegleitung! Nun faßt du wieder Schritt und
+tust, was du sollst und mußt -- und glaubst an dein Müssen -- und läßt
+die Ausflüge ins Niflheim und in das eisige Urweltchaos. Du bleibst
+hübsch säuberlich auf deutschem Grund in deinem Arbeitsschritt, du
+bleibst in deiner Pflicht. Und wenn du das Kleine schaffst, denkst du,
+daß aus Kleinem Großes wird, daß darum das Kleine mehr ist als das
+Große! Siehst du! Und das denkst du, lachend und zufrieden! Und bist
+einer und dünkst dir was! So, mein Junge, und jetzt ist es Abend, du
+darfst ausruhen und müde sein. Die Tagesfahrt hat dich enttäuscht --
+sind nicht Enttäuschungen die Schwungfedern des Erfolges?
+
+Und ist dir für heute nicht noch etwas Sonderliches beschieden? Ein
+Sonderling steht dir bevor, der Erdgeist dieses Landes, der
+Schatzgräber, der die alten Geheimnisse des Moores ans Licht bringt,
+zugleich der Totengräber des Kirchspieles, der neue Geheimnisse in die
+Erde senkt. Lud Uhlenbrook, Torfmeister und Friedhofswärter seines
+Zeichens. Ein besonderer Mann.
+
+Wohl muß man sich traumhaft feierlich stimmen, ihm zu begegnen. Und die
+Brille zur Hand haben für Geister und Gespenster.
+
+Sind wir nicht hier an der Kirchhofsmauer? Jetzt steigt die Straße,
+jetzt kann man hinüberblicken.
+
+Schwer hängen Dämmer und Nebel in den Sträuchern, den kahlen Ulmen, den
+bereiften Edeltannen und ersticken das matte Schneelicht, das noch von
+den Gräbern und Wegen aufsteigen will.
+
+Was huscht da und flattert zwischen den Grabhügeln? Ein Körperliches?
+Ein Schatten? Verschwindet hinter den Bäumen -- schwebt wieder aus dem
+Nebel -- eine irrende Seele --? --
+
+Eine schwarze Gestalt -- jetzt hält sie der Blick -- eine Frau --
+
+Horst kommt an der eisernen Pforte vorbei -- da tritt die Gestalt von
+innen an die Kirchhofstür und rüttelt an den eisernen Stangen. Eine
+Gefangene der Totenstätte -- --
+
+Er geht hinzu. »Ich hab mich verspätet -- man hat mich hier
+eingeschlossen!« sagt die Stimme von drüben, mehr ungehalten als
+ängstlich und bittend.
+
+Ein bekannter Klang -- und jetzt sieht er die Züge: die Dame von der
+Versammlung ist es.
+
+»Ich werde den Schlüssel besorgen«, sagt Horst mit schneller
+Bereitschaft.
+
+Bei ihr ein Zögern. Sie betrachtet sich die Pforte, den Mauerpfeiler.
+»Wenn Sie mir helfen wollen, komme ich so hinüber«, erklärt sie kurz
+entschlossen.
+
+Er reicht ihr die Hand, sie setzt den Fuß zwischen die Stäbe, dann auch
+den anderen -- Horst stützt und streckt den Arm -- sie klettert auf die
+Mauer -- beugt sich -- legt die Hände auf seine Schultern und springt zu
+Boden. Das alles in einer kühlen Ruhe, ohne betonte Zurückhaltung, ohne
+regere Verbindlichkeit.
+
+Einfach spricht sie ihren Dank, verneigt sich und wendet sich nach der
+Chaussee, die zur Stadt führt.
+
+»Es wird unheimlich dunkel -- und eine Dame jetzt allein den weiten Weg
+--« er ist an ihrer Seite.
+
+»Mir tut niemand etwas.«
+
+»Wenn ich Sie begleiten darf --«
+
+»Das ist sehr freundlich. Aber ich kann wirklich allein gehen.«
+
+Hierin ist nun, bei aller Gelassenheit des Tones, die deutliche
+Ablehnung. Horst verbeugt sich und wandert seine Straße. Ein wenig
+beschämt -- ein wenig ärgerlich, über sich, über sie. Aber dann schilt
+ihn nur noch die Ungehaltenheit über sich selbst.
+
+Aufdringlich -- ja, ja -- er ist es gewesen und ist ihr so erschienen.
+Immer dieselben Funken, wo die beiden Geschlechter in Spannungsnähe
+geraten. Die Eitelkeit entzündet sich, die Eroberungslust, die Habsucht.
+
+Hatte er es nicht ausnutzen wollen, daß er ihr den Dienst erwiesen?
+
+Gewiß, sie hat etwas, was ihn reizt. Ihre Persönlichkeit, die
+schleierhafte Persönlichkeit --? Natürlich das Weib! »Persönlichkeit« --
+auch so einer von diesen Zauberapparaten, mit denen wir uns selbst
+Kunststücke vorführen!
+
+Sie war auf dem Kirchhof. Es gibt Menschen, die für Kirchhöfe eine
+Leidenschaft haben -- heißt, so lange sie selbst munter herumspazieren.
+Ist sie von denen?
+
+Daß sie ein Grab hier hätte, sie, die landfremde --?
+
+Und da fährt es ihm durch den Sinn: der junge Mann liegt hier begraben,
+den Borkhus erdrosselt hat! Groß geht es in ihm auf, bis zur Gewißheit:
+ja, ja -- sie war an seinem Grabe -- hier ist der Zusammenhang!
+
+Er hatte es nicht begriffen, was damals aus ihren Augen brach, als
+Borkhus in der Versammlung vor ihr auftrat. Das war mehr gewesen als
+politischer Haß. Jetzt verstand er dieses Mehr. Der Rachegeist war es
+eines vernichteten Lebens, das Blutgericht einer zerstörten Liebe, die
+Tod wollte gegen Tod.
+
+Und wieder ging Horst einen schweren Schritt.
+
+Ein Schicksal -- und so erst mußte ihm dies zu Bewußtsein kommen. Wie
+gedankenlos hatte er bisher diesen Todesfall abgetan. Wie leichtherzig
+hatte er ihn als was Gleichgültiges, höchstens als ein Unbehagliches von
+sich gewiesen.
+
+Erst in den Augen dieser Frau mußte sich das Geschehene spiegeln.
+
+Und es wuchs, über das Grauen der einen Tat, hinein in die große
+Tragödie des Volkes.
+
+Herr von Borkhus selbst hatte es gefühlt, vergraben in die Schauer,
+hatte es ausgesprochen, nur vor tauben Ohren: »Ein Deutscher erwürgt
+einen Deutschen mit eigenen Händen! In unseren Tagen gemeinsamer Not!
+Die Zeit der apokalyptischen Greuel kehrt zurück.«
+
+Nicht der einzelne -- und doch wieder der einzelne! Denn aus den
+einzelnen wird das Volk, und in dem einzelnen ist das Erleben.
+
+Eines Mannes Ende -- eines Weibes Verlassenheit und Todestrauer. Eine
+Nacht nur solcher Verzweiflung -- nur die wenigen, die langen Stunden
+einer einzigen, einer langen, langen Nacht!
+
+Nun ist man im Fühlen, und das Herz schlägt mit.
+
+Eine Frau!
+
+Der endlose Zug der Frauen in schwarzen Gewändern wallt vorüber, der
+Mütter, der Gattinnen, der Bräute, der Schwestern -- viele, viele wie
+die Schatten, denn ihr eigenes Leben gaben sie dahin.
+
+Doch geheiligt sind sie, die Weihe ist über ihnen, die Weihe des Opfers,
+das die Liebe brachte, die Liebe zum deutschen Land.
+
+Was aber jetzt im Trauerkleide diesem Todeszug sich anschließt, über
+denen leuchtet nicht der Segen der Hingabe, sie tragen den Fluch und den
+Haß. Um sie zuckt und schwelt das wahnsinnigste aller Verbrechen, der
+Bürgerkrieg -- Land- und Eidgenossen morden sich selbst!
+
+O dieser namenlose Frevel an der deutschen Kraft -- an der Kraft der
+deutschen Seele, an der Kraft unserer Wehr.
+
+Jetzt -- jetzt, wo wir so bitter nötig Eisen und wieder Eisen ins Blut
+haben müßten, gerade jetzt spritzen wir uns Gift in die Adern!
+
+Eisen! Wo ist er, der Führer! Der Held von Eisen! Der große Rufer im
+Streit! Der Lindwurmtöter! Der erst die Drachen im eigenen Lande
+erschlägt. Und dann die Höllenhunde da draußen.
+
+Der Feind ist im Land! Das ist der Ruf! Der gellt in die Ohren, er
+greift an die deutschen Herzen, und wären sie noch so zag, noch so träge
+und weich geworden, noch so dumpf und so niedrig!
+
+Der Feind ist im Land! Wo ist der Heerkönig! Seine Fahne soll wehen! Wir
+kommen alle, wir folgen dir alle! Ein Meer brandet auf, ein Flammenmeer
+-- eine Sturmflut von Feuer, so brausen wir über die Feinde!
+
+Kreuzfahrer sind wir, geweihte, in Frommheit entbrannte, heilig, heilig
+ist unser Kampf für das heilige deutsche Land!
+
+Sie haben Maschinen -- was sind Maschinen -- wir haben den Geist! Und
+Gott ist der Geist! In Feuersäulen wandelt er vor uns.
+
+So brennen wir rein -- die deutsche Erde -- von ihren Schändern -- in
+prasselnden Flammen -- so brennen wir rein -- in jubelndem Feuer -- den
+deutschen Namen -- von seiner Schande.
+
+Der Welt stockt der Atem -- und die uns geschmäht -- sie jauchzen uns
+zu!
+
+In hohen Sprüngen war Horst vorwärts gestürmt. Nun stand er keuchend. Wo
+ist er, der große Mann! Warum fehlt uns der Führer in der schwersten
+Stunde! Warum bin ich selbst ein so armseliger Zwerg!
+
+Wieder krochen die Nebel um ihn zusammen, wieder wollte er schmerzlich
+und schwer in den alten Trott sinken. Da tauchte am Rande des Moores der
+strohgedeckte Katen des Torfmeisters vor ihm auf, und das Ziel hob
+seinen Blick ins Feste, Grade und Helle.
+
+
+
+
+ Der Torfmeister
+
+
+Ein spärliches Licht aus einem der Fenster grüßte mühsam durch den
+Abendnebel. Horst öffnete die Pforte des Heckenzaunes, der einen kleinen
+Vorgarten einhegte, und trat dann durch die Haustür auf die dunkle
+Diele. Links war das Licht, er klopfte, eine Stimme, die wie Donner
+rollte, rief einladend: »Jawoll!«
+
+In dem niedrigen verräucherten Zimmer hockte ein grauhaarbuschiger
+Riese, der Leib war in einen mächtigen schwarzen Wachstuchlehnstuhl
+versunken, die Beine durchquerten den ganzen Raum, auf daß die Füße, in
+ungeheueren Filzstiefeln, mit dem offenen Ofenfeuer treuliche
+Nachbarschaft hielten.
+
+»Guten Abend!« grüßte Horst.
+
+»'n Abend«, polterte der Alte mit unglaublich gemütlichem Grollen
+zurück. Und dann stöhnte er: »Wollen Sie sich setzen. Eh ich
+aufgestanden bin, haben Sie längst vergessen, was Sie von mir wollen.«
+
+Horst holte sich einen von den schweren eichenen Holzstühlen. Er sagte,
+daß er von der Siedlung käme.
+
+»Hab ich mir gedacht. Und wissen Sie, daß wir Feinde sind!«
+
+»Feinde?«
+
+Ȇber 'n Zehntel von meinem Moor haben Sie mir genommen! Aus meinem
+Leben ist das rausgeschnitten. Denn mein Moor ist mein Leben.«
+
+Jetzt stöhnte er wirklich und aus der Tiefe. Die Hausbalken ächzten.
+»Seit der Zeit hat es mich gepackt. Und nun ist nichts mehr mit mir los.
+Haben Sie 'ne Ahnung, was Moorpodagra ist?«
+
+»Nein.«
+
+»Danken Sie Ihrem Schöpfer. Aber --« jetzt rieb er sich die
+unermeßlichen Vorderflossen -- »vielleicht erleb ich's noch, daß Ihr
+Siedler das auch abkriegt! Wär das -- wär das ein Schützenfest!
+Hahahaha!« Das Haus lachte mit, die Wände, die Dielen, die Möbel.
+
+Mit dieser Verwünschung hatte seine Galle sich entgiftet. Die Augen,
+große Spitzbuben von Natur und jung trotz der roten wimperlosen Lider,
+waren schon wieder geneigt, das ganze Leben als eine erkleckliche
+Schalksnarrheit halb ausgelassen, halb wehmütig zu betrachten. Er rührte
+sein Fußwerk, sehr behutsam, es ging besser als er dachte. »Torfwasser!
+Fünfzig Jahre Torfwasser! Torfwasser ist 'ne eigne Mixtur, kann ich
+Ihnen sagen. Leichen erhält's. Lebendiges frißt es an.«
+
+Er hatte die Kniee krumm. »Na wollt ihr raus?« sprach er zu seinen
+Stiefeln hinunter. Und da sah Horst aus jedem Schaft ein Köpfchen lugen
+-- die grellen Augen stachen nach ihm.
+
+»Was haben Sie da?« fragte er überrascht.
+
+»Die fressen den Gichtwurm«, gab ihm der Alte zu wissen. »Werden selbst
+aber nicht satt davon. Meine Wiesel sind das. Na lauft!« Die
+fadenschlanken Tierchen schlüpften aus dem Fußgehäuse, liefen an dem
+Riesen in die Höhe, umkreisten spielend seinen Nacken und schlängelten
+sich dann hintereinander in ein Loch der Diele.
+
+Nun stand der Alte, reckte sich, nüsterte und schnob, fegte mit seinem
+Haarschopf die Decke, hinkte zu einem Wandschapp und holte eine
+Schnapsflasche mit zwei Gläsern.
+
+Sie saßen an dem klobigen Eichentisch. »Selbst gebrannt. Wacholder«,
+erklärte der Alte.
+
+ »Hüt' dich vor sünd'gem Wandel,
+ vermeide den Machandel!
+
+Na Prost!«
+
+Er stöhnte wie ein Ur.
+
+Horst sagte ihm, daß die Siedler seinen Rat und seine Hilfe brauchten.
+
+Wirklich! Erst nähmen sie ihm das Beste weg, und zum Lohn dafür sollte
+er helfen! Christenlehre! Reißt dir einer die Tabakspfeife aus der Hand
+-- gib du ihm Feuer, daß er sie sich auch anrauchen kann! Hahahaha!
+
+Die Stube schüttelte sich, der Eichentisch tanzte Ballett.
+
+Dann schimpfte er auf die ganze Moorwirtschaft hier. Nie hätte er
+gekonnt, wie er wollte. Der Besitzer, Herr von Borkhus, hätte nun mal
+keinen Sinn fürs Moor. Was ein Gemütsfehler wäre. Seine Tochter, Frau
+von Mönkhov, hätte diesen Sinn -- und wäre die nicht, gäb es hier den
+Torfmeister Lud Uhlenbrook längst nicht mehr.
+
+Das Zwanzigfache hätte sich allein aus dem Torfstich herausholen lassen.
+Aber keine Unternehmungslust, kein Blick, kein Verstand. Selbst für die
+kümmerlichsten Abfuhrstraßen hätte er bis aufs Blut kämpfen müssen.
+
+Und das Moor ist so brav, so fleißig im Nachwachsen, im Nachschaffen, es
+gibt und schenkt so gern. So treu ist es gegen die, die es kennen und
+liebhaben -- böse nur gegen die, die nichts von ihm wissen und nichts
+von ihm wissen wollen. Ob er etwas von ihm wisse?
+
+Nein.
+
+Dann solle er sich nur nicht einfallen lassen, in einer Sturmnacht übers
+Moor zu wandern. Wenn ihn die Schlünde und Gründe nicht verschluckten,
+all das, was dann aufgeschreckt wäre aus den Tiefen -- heillos würde es
+ihm die Sinne verstören.
+
+Arm und zu bedauern sei er, daß er nichts vom Moore wisse. Nichts vom
+schlafenden Moor -- nichts von seinen Träumen -- nichts von seinem
+Erwachen. Von den Moornebeln nichts, nichts von dem Moorleuchten. Von
+seiner Frühlingspracht nichts, wenn die unzähligen goldenen Blumen es
+bestirnten -- nichts von all dem Summen und Zirpen und Tirilieren, von
+seiner Musik, so vielstimmig und so abgetönt wie keine auf der Welt.
+
+Und die Abenddämmer, die an das Geschwundene rührten -- die hellen
+Nächte, da der Mond die Elfen ruft -- die schwarzgrollenden
+Unwetternächte, in denen die geizigen Zwerge und Gnome mit ihren
+Irrlichtern nachsuchen, wohin die Blitze ihr Gold gestreut.
+
+Was ruht alles im Schoß des Moores! Kämpfer und Helden, die das Gewoge
+der Schlacht hier hineinstieß. Könige, die der Ruhm hier im Grabe
+bettete. Selige selbstvergessene Frauen, die im Traumschritt
+hinüberwandelten, und die der Tod hinabzog, selbst wie ein Traum --
+Unselige, die der Gram hier versenkte.
+
+Das Meer, das grausame, zerstört. Alles, was es hinabschlingt, gibt es
+der Verwesung preis, den Zähnen seiner Bewohner, und wirft und speit die
+eklen Reste wieder von sich -- das Moor sorgsam und sanft, balsamiert
+alles ein, bewahrt dem Toten die Schönheit des Lebens, hat Freude an der
+Form und Lust am Erhalten.
+
+So ist das Moor, denn das Moor hat ein Herz!
+
+Dies war der Klang, in dem der Alte sich vernehmen ließ, auf seine Art.
+Und diese Art stieg über ihn selbst hinaus, da er dem, was ihm ans Leben
+gewachsen war, seine Hymnen sang.
+
+Horst hatte seine Freude an dem Alten. Er wußte, daß sie beide auch
+jenseits vom Moor sich nahe kommen würden. »Ich will mich bemühen,«
+sagte er, »Ihren Freund zu verstehen. Und womöglich auch Freundschaft
+mit ihm zu schließen.«
+
+Sie sprachen dann über die Torflieferung für den Ziegeleibetrieb. Dem
+Siedlungswerk an sich war der Torfmeister zugetan, und er versprach ihm
+seine Förderung.
+
+Und dann strömte auch ihr Fühlen und ihr Gespräch in die große deutsche
+Not. Der Torfmeister hatte seine festen Gedanken. Dies war kein grader
+Krieg -- schief kam er und aus der Ecke! Was ging uns um Haut und Haar
+das an, was da unten bei den Mausefallenhändlern passierte! Ich war 66
+und 70 dabei -- da wußten wir, was wir wollten! Aber hier wußten wir
+nicht mal, was die anderen wollten. Und darum, es war krumm und dumm von
+vornherein. Und doch krümmer und dümmer, was wir all die Jahre vorher
+angestellt haben, uns all die vielen Feinde aufzuhalsen.
+
+Hierüber brauchten die beiden sich nun nicht weiter zu verständigen. Sie
+landeten jetzt bei dem Heute, bei dem, was diesem Landstrich beschieden
+war.
+
+Hier hat es schon vor dem Kriege gezuckt und getuckt, sagte der Alte.
+Gewiß, vieles, was so von Leuteschinderei geredet werde, sei Hetze und
+Geschwätze. Aber mancher Gutsherr habe doch sein Teil auf dem Kerbholz.
+Das Volk wäre ducknackig und trüge viel, aber es fräße alles in sich
+hinein, und vergäße nie. Da hätte sich also schon was angesammelt. Und
+jetzt, wo die Funken durchs Land flögen --!
+
+Wie es in Moorhof aussehe?
+
+Herr von Borkhus gehöre nun gewiß nicht zu den Gewaltherrn. Er habe ein
+Herz für die Arbeiter. Aber er behandele sie nicht gleichmäßig. Leicht
+risse sein heißes Herrenblut ihn fort -- hinterher täte es ihm leid, und
+überschwenglich verwöhnte er dann die Leute. So aber bekäme man sie
+nicht in die Hand.
+
+»Sie meinen also auch, uns steht hier noch verschiedenes bevor?«
+
+»Ganz gewiß. Wo jetzt die heftigen Brüder von auswärts kommen und das,
+was hier glimmt, mit vollen Backen anblasen.«
+
+»In der Stadt hat sich ja jetzt was zusammengetan.«
+
+»Ja. Seit da nun noch der rote Magistrat die Fuchtel schwingt.«
+
+Und nun ist Horst wieder bei seiner Revolutionärin. »Sagen Sie mal, Sie
+sind doch auch der Friedhofswärter?«
+
+»Ja -- und?«
+
+»Wissen Sie, daß da eben eine Dame eingesperrt war?«
+
+»Nein. Wer?«
+
+Horst beschreibt sie. Und jetzt kommt eine fliegende Erregung über den
+grauen Riesen. Das sei Lona Grahl gewesen! Seine kleine Freundin! Die
+habe das Grab ihres Geliebten besucht! Und nun müßte er, der Alte, mit
+seinem kranken Beinwerk gerade den Schlüssel nicht haben! Die
+Küsterdirn, die dumme, die sich vor Gespenstern fürchte, habe natürlich
+in dem Nebel vor Abend schon blindlings zugeschlossen und danach
+spornstreichs Reißaus genommen. »Aber sonst pflegte Lona doch immer nach
+ihrem Kirchhofsbesuch bei mir einzusehen! Sollten Sie sie mir vergrämt
+haben!«
+
+Fast zornig flammte es aus den alten jungen Augen gegen Horst.
+
+Der erhebt sich. »Es tut mir leid. Sie weiß, daß ich politisch ihr
+Todfeind bin. Sie weiß auch um meine freundschaftliche Gesinnung für
+Herrn von Borkhus.«
+
+Die schwere Pranke des Alten legt sich auf den Arm seines Gastes. Die
+Aufwallung reut ihn.
+
+»Bleiben Sie noch sitzen. Die Kleine steht mir nahe. Ich hab sie als
+Kind auf dem Arm gehabt. Sie stammt aus unserer Gegend. Ihr Vater war
+Pastor in Unkvitz. -- Sie sehen die Kirche südwärts vom Moor. Das war
+ein Mann -- was haben wir den geliebt! Zu dem gingen wir alle und nicht
+zu unserem Pastor hier. Jung war er und fröhlich -- und wenn man ihn
+bloß ansah, wurde man schon ein besserer Mensch. Und was konnte er die
+Orgel spielen! Jeden zweiten Sonntag gab er ein Kirchenkonzert. Was
+Beine hatte und Ohren drängte sich dazu. Und seine Frau sang, wie ein
+Engel aus dem Himmel sang sie. Die war eine berühmte Sängerin gewesen,
+aber ihren Mann hatte sie lieber als all ihren Ruhm. Und ganz plötzlich
+-- ich weiß nicht, was der Herrgott sich dabei gedacht hat -- plötzlich
+stirbt dieser Mann. Hatte an einem Krankenbett sich angesteckt. Die Frau
+wurde wahnsinnig. Verwandte holten das Kind. Es war damals zwei Jahr.
+Ich ging auch gerade zur Bahn. Da habe ich das Wurm den ganzen Tag
+getragen. Und das war der Anfang unserer Freundschaft. Dann habe ich die
+ganze Zeit nichts von ihr gesehen und gehört. Jetzt ist sie wieder
+aufgetaucht. Und schlimm genug ist das, was sie wieder in die Heimat
+geführt hat.«
+
+Der Alte stöhnte und schwieg eine Weile.
+
+»Als wir ihren Freund hier begruben -- sie war sein einziges Gefolge.
+Der Geistliche, der hier damals amtierte -- unser Pastor Wärmann lag
+noch verwundet im Lazarett -- na ja, er gab wohl her, was er konnte,
+aber schließlich -- der Tote ein Revolutionär. Und sie die Geliebte
+eines Revolutionärs. Die wahre Liebe und der wahre Trost war es nicht.
+Ich hab dann die Kleine mit nach Hause genommen. Und an meiner Brust hat
+sie sich ausgeweint.«
+
+Horst hörte hingegeben zu. Und nun sah er sie hilfsbedürftig in den
+Armen dieses alten Mannes. Hilfsbedürftig -- das reimte sich ihm so
+wenig zu ihrer Art. Und ihre Augen in Tränen -- diese Augen mit ihren
+wilden Bränden und ihrer schaurigen Erloschenheit.
+
+Er wollte mehr wissen, aber er brauchte nicht zu fragen. Der Torfmeister
+war mit dem Recht seiner Jahre redselig geworden.
+
+»Jetzt will sie hier bleiben. Sie hat sich in der Stadt niedergelassen.
+Als Musiklehrerin. Aber die Musik -- na, vor allem macht sie jetzt hier
+die Musik der Revolutionsmänner mit. Ihr Freund war Maler, und sie kommt
+von der Musik her, und sie hat mir gesagt, was so die Jungen von der
+Kunst wären, die wären alle revolutionär -- oder sie wären taube Nüsse.«
+
+»Wir haben auch noch eine andere Jugend!« sagte Horst lächelnd, mit
+Bedacht.
+
+»Davon verstehe ich nichts. Aber -- bei alledem ist mir nicht behaglich.
+Sie bleibt nicht bloß hier, um das Grab zu pflegen. Sie hat noch etwas
+anderes im Sinn. Was manchmal in ihren Augen umgeht! Und wenn man daran
+denkt, daß ihre Mutter im Wahnsinn geendet hat --! --«
+
+Horst packte zu. »Sie meinen, sie will sich rächen.«
+
+Der Alte sah ihm ins Gesicht. Dann sprach er unumwunden: »Ja. Und wo
+hier jetzt die politischen Brandstifter herumwirken --«
+
+Die beiden Männer schwiegen. Und das Grauen rührte an sie, das durch die
+deutschen Lande schlich.
+
+
+
+
+ Winternot
+
+
+Der Februar brachte eine Bärenkälte. Was schimpfte Kunz in dem
+bereiften, vereisten Schuppen! Gisbert hatte seinen Ohrenschmaus.
+
+»In Berlin haben sie vorgestern die hundertsiebenundsechzigste Tanzdiele
+aufgemacht! Und mir frieren hier die Zehen ab. Hat deshalb die Schöpfung
+in mir alle menschlichen Reize zusammengehäuft, daß ich zu Puppenlappen
+verfrieren muß!«
+
+Gisbert blieb unanfechtbar, schwebend, über den Dingen.
+
+»Und Du, sag mal, hast Du immer noch Lust, ins All aufzugehen? Der Natur
+-- von minus zwanzig Grad -- Dich einzuverleiben? Getreu Deinen Brüdern
+am Indus, Ganges und Brahmaputra? Die sich da in die Sonne hinlümmeln
+und sich die Bananen oder sonstwas in den Rachen wachsen lassen. Wir,
+die wir hier in Schneehütten und Erdhöhlen hausen, Herrgott -- wir
+müssen uns schon ganz in uns selbst hineinkonzentrieren! Daß wir
+wenigstens etwas Warmes in den Leib kriegen! Der Unterschied zweier
+Welten! Aber Du -- Du mit Deinem Astralgebein!«
+
+Dann kam Tauwetter, eine Regenperiode mit niederträchtigen westlichen
+Winden. Und ein böser Gast fand in der Baracke sich ein, die Grippe.
+Fast alle lagen sie auf der Nase. Horst, der noch soeben an einer
+Lungenentzündung vorbeischrammte, blieb auf den Füßen, pflegte, half und
+gab das Steuer nicht aus der Hand.
+
+Und wie eine Seuche liefen jetzt, wo sie ihre frische Arbeit nicht
+hatten, die Unlust, der Überdruß, die fahnenflüchtigen Gedanken durch
+die Reihen. Von Schimpfen, Stöhnen und Fluchen über das Barackendasein
+klang der Bau.
+
+Wohl hatte Kunz das Instrument auf diesen Ton gestimmt. Und auch ihm
+kamen bitterliche Stunden, in denen er Horst sein Herz ausschüttete.
+»Ich mach nicht mehr mit, -- in diesem elenden Kasten -- wie ein Sarg
+ist er -- ein Bretterkahn ist er, der in den Orkus hineinfuhrwerkt --
+ich steig aus! Nach der Großstadt will ich. Müll kutschieren will ich
+oder den Gummibesen über den Straßenasphalt schieben!«
+
+»Du bist größenwahnsinnig«, erklärte Horst dazu.
+
+Dann gab er sich. Er mochte auch nicht zu dem Chorus gehören. Und da
+Trübsal und Bitternis nicht abreißen wollten, warf er sich in seinen
+alten Übermut, hielt sein Lachen parat, zornig und rüttelnd, und wusch
+die Köpfe.
+
+»Hat das bißchen Schnupfen uns zu Jammerlappen aufgeweicht?« Für die
+Braven und Zukunftsstarken schleppte er Rum herbei, ihnen braute er
+heilsamen Grog -- wen gab es da, der nicht zukunftsstark wäre?
+
+Mit seiner Zupfgeige zigeunerte er an den Krankenbetten. Muz saß
+andächtig dabei und hatte gespitzte Ohren. Dichtete an seinen Liedern
+»vom heimlich-unheimlichen Suff« und sang sie ihnen.
+
+ Jetzt sing ich euch das Lied vom Muselmanne,
+ er betete getreulich seine Suren,
+ zuweilen aber kriegt er seine Touren,
+ und flüchtete zu seiner Fuselkanne.
+
+Oder er warf ihnen so aus dem Handgelenk ganze Bündel Singsangreimereien
+vor.
+
+
+ »Prost!«
+
+ Herrgott in unserm Schuppen,
+ da ist der Deubel los,
+ wir haben all den Schnuppen,
+ wie leuchten unsre Kuppen,
+ im Hals da sitzt 'n Kloß.
+ Ich niese, du niesest, wir niesen,
+ uns kriegen am Kragen die Krisen,
+ und keiner und keiner sagt »prost«!
+
+ Der Arzt verordnet Suppen,
+ er sagt, die ist famos.
+ Der Kunz besorgt uns Druppen,
+ die Schuppen-Schnuppen-Druppen,
+ wir saufen sie aus Tubben,
+ Das ist 'ne andre Schos.
+ Der Alte mit der Hippe,
+ das gierige Gerippe,
+ und seine Zippe, die Grippe,
+ die kamen angetost.
+ Doch unsere Schnuppen-Druppen,
+ die Schuppen-Schnuppen-Druppen,
+ sie, die gesund uns schrubben,
+ die schlagen dem Tod 'n Knubben!
+ Wir schwingen unsre Tubben,
+ er muß von dannen huppen,
+ und alle brüll'n wir »prost!«
+
+Den Rundreim faßte Muz jedesmal so auf, daß er sich um sich selbst zu
+drehen und nach seinem Schwanz zu jagen habe. Und er tats mit Lust.
+
+Die Krankheit war erloschen. Aber eine Mattigkeit blieb, Unmut und
+Düsternis wichen nicht so bald. Heute kam einer von der Mannschaft zu
+Horst ins Schreibzimmer. »Ich möchte aus dem Verbande austreten,«
+erklärte er, still, gedrückt. Leicht wurde es ihm nicht, das zu sagen.
+
+In Horst schrak etwas auf. Aber er blickte fest und gelassen. Er wollte
+den Mann halten -- wieviel kam darauf an, daß die Reihe, jetzt in den
+Anfängen, geschlossen blieb! Er mußte ihn halten! Dann aber, gerade
+darum, in seiner Sprödheit, in der Schamhaftigkeit seines Gemüts,
+verschmähte er jedes werbende Wort.
+
+»Wenn es Ihr klarer Wille ist --«
+
+»Ich kann eine gute Stelle in einem Bankgeschäft bekommen. Man darf doch
+seinem Glück nicht im Wege stehen.«
+
+»Das darf man nicht.«
+
+Es war einer von den Lauen, von den Strohfeuermännern, von den weichen
+Tieren. Aber einer der Geschicktesten und Arbeitsamsten, auch im
+Schreibwerk zu Hause.
+
+Kunz trat darüber zu, der heute Bureaudienst hatte. Der das hören und
+ohne jede Schamhaftigkeit den Mann sich vornehmen! »Das dürfen Sie
+nicht, Radatz, und das tun Sie auch nicht. Gewiß, wir haben hier kein
+Mönchsgelübde abgelegt -- aber wir wollen was zustande bringen. Man hat
+die Augen auf uns gerichtet. Man glaubt an uns. Und -- was die
+Hauptsache ist -- wir glauben an uns selbst. Darum gibt es bei uns kein
+Abbröckeln. Gibt es nicht. Unsere ganze Siedlung ist ein Beispiel -- und
+so ist jeder einzelne von uns ein Beispiel. Sie, Radatz, wie wir alle.
+Und was wollen Sie jetzt wohl für ein Beispiel geben?«
+
+Kunz, der sonst so wortfreudige, sprach nüchtern und trocken. Der also
+Bedachte schielte nach einer befreienden Ausgelassenheit und fand sich
+gefangen in dem harten zwingenden Ernst. Es gab weiß Gott für Kunz auch
+etwas, worin nicht mit ihm zu spaßen war.
+
+»Glauben Sie, daß sich uns andern nicht auch Aussichten auftun? Vor
+allem unserm Baas, Herrn Oldefeld, der vier lebende Sprachen spricht und
+darum, wie schon Napoleon sagte, allein so viel ist wie vier Menschen
+--«
+
+Horst winkte heftig ab.
+
+»Nun ja, das alles erzählen Sie sich am besten selbst. Und jetzt werden
+Sie tun, was Sie wollen. Sie werden also bleiben!«
+
+Der Mann bedachte sich nicht lang. »Ich will nicht der erste sein, der
+hier abbaut. So bleibe ich denn.«
+
+»Hab ichs nicht gesagt. Und jetzt ziehen Sie sich mal Ihren
+Sonntagsnachmittagschen wieder aus und vertreten Sie mich heute im Büro.
+Ich will uns auf der See 'n paar Wasservögel schießen -- Jürgens und
+Wendland nehme ich heute mit. Es soll genug werden für den ganzen Tisch.
+Rekonvaleszenten haben Anspruch auf Geflügel.«
+
+Radatz empfahl sich.
+
+»So wie Du, hätte ich nun eigentlich sprechen müssen,« meinte Horst. »Im
+Grunde bist Du mehr Führer als ich.«
+
+»Jetzt fängt der auch an!«
+
+»Freilich muß ich wieder fragen: wird es vorhalten? Und hat es überhaupt
+Zweck?«
+
+»Zweck -- ja willst Du bloß Unsterblichkeiten? Vorläufig haben wir den
+Mann wieder.«
+
+Horst strich sich über die Stirn. »Daß mir das so in die Glieder
+gefahren ist! Herrgott, man bleibt doch der alte dumme Junge mit seinen
+Illusionen. Natürlich werden wir mit diesem und jenem unserer
+Bundesbrüder noch manches erleben. Wenn nur nicht in einem selbst etwas
+abbröckelt --« es klang müde und verzagt.
+
+»Horst!«
+
+»Hast recht. Man hat wohl noch von dem Krankheitsgift im Leibe.
+Vielleicht ist man doch dichter dran gewesen, als man dachte. Der Hades
+hat abgefärbt. Der macht immer sensibel.« --
+
+Die drei Jäger kamen am Abend mit erklecklicher Jagdbeute heim. Elf
+Enten brachten sie und vier Hasen.
+
+Horst musterte die Vierfüßler mit strengem Blick. »Wasserwild --? --«
+fragte er mißbilligend.
+
+»Hast Du nie von Seehasen gehört?« Aber mit seinen Witzen kam Kunz hier
+nicht durch.
+
+»Du weißt, wie ich über Wildern denke.«
+
+»Drück mal 'n Auge zu. Die Viecher sind aus dem Dünengelände. Über die
+Jagdberechtigung streiten sich seit Anno Priemtobak Stadt und Staat. Wem
+habe ich sie also weggeknallt? Keinem. Die Jagd ist strittig -- die
+Hasen sind es nicht. Habemus.«
+
+
+
+
+ Lona und die Landarbeiter
+
+
+Die Roten legten sich kräftig ins Zeug. Zur Gründung eines
+Landarbeiterbundes wurde in dem zweiten großen Saale der Stadt eine
+Versammlung abgehalten. Horst ließ es sich nicht nehmen, sie zu
+besuchen. Der heilige Josef und der Balbutz begleiteten ihn.
+
+Sie kamen spät und fanden in einer Ecke noch notdürftig Platz. Hier
+walteten keinerlei Gedanken an ein Rauchverbot. Höllenkräuter waren
+entbrannt. Verzweifelt kämpften Nase und Augen und erlagen ehrenvoll.
+
+Es saßen fast nur Männer im Saal. Die wenigen Frauen duckten und
+verkrochen sich, als wären sie auf gefährlichen Abwegen. Auch von den
+Männern hockten einige Alte da wie ein Haufen Unglück. Ganz unheimlich
+war ihnen diese Staatsaktion. Mehr als einer bangte wohl um Kopf und
+Kragen.
+
+An einem Tisch hatten sie sich erst Mut trinken müssen, zu so
+schauerlicher Verschwörung. Und befreiten sich mit sachten Witzen aus
+ihrer Beklemmung. »Korl Du moest betahlen. Ick häw mien Portmonee to
+Huus vergeten -- wiel nicks in is!«
+
+Auf einen alten unanfechtbaren Sinnierer redeten Jüngere glaubenseifrig
+ein: »Nu sast sehn, Vadder Jahn -- nu wad allens ümrührt, un denn wad 't
+anners in de Welt.«
+
+Er schüttelte den Kopf. »Anners? Rührt ji so veel ji willt. Fett
+schwemmt ümmer baben!«
+
+Munter lärmend aber gaben sich die Jungen. Sie hatten ihre politische
+Weisheit aus dem Schützengraben mit nach Hause gebracht und fühlten
+jeder Lage sich gewachsen.
+
+Jetzt erscheinen durch eine Nebentür die Einberufer der Versammlung und
+nehmen auf der Empore Platz. Lona ist unter ihnen.
+
+Es sind ihrer fünf. Der Vorsitzende, ein schlanker, aufrechter Mann mit
+scharfen wie gemeißelten Zügen, mit eigentümlich grellen und packenden
+Raubvogelaugen. Der Führer steht ihm im Gesicht geschrieben. Er ist aus
+der Hauptstadt gekommen. Rechts von ihm sitzt Lona, links der Koch. Er
+hat nichts Gemästetes, ist trocken und kantig, der Schädel ist oben
+kahl, nur in der Mitte, über der Stirn, brennt eine einsame rothaarige
+Flocke. Die Augen stechen und sind heiß. Sein Nachbar ist der zierliche
+knabenhafte Mann, der auf der Borkhus-Versammlung die kurze Brandrede
+hielt, und den der Bierfahrer vom Tisch heruntersetzte. Er hat ein
+hektisches und verbittertes Frauengesicht. Alle Glieder sind bei ihm in
+fiebernder Bewegung, in den Augen tobt die Unruhe. Lona hat zu ihrer
+anderen Seite einen sehr behäbigen, angegrauten, breitstirnigen Herrn,
+der offenbar nicht ausgeschlafen hat, und sich ein paarmal die Hand vor
+den gähnenden Mund hält. Zwischendurch tiefsinnig vor sich hinblickt und
+mit den Elementen der Fingernägelpflege sich befaßt. Aber in den kleinen
+lauernden Augen ist etwas, das nur darauf wartet, geweckt zu werden. So
+oft er sich regt, stößt er die Nase vor wie ein witterndes Wild.
+
+Lona blickt unter halbgesenkten Lidern über die Versammelten. Dann
+starrt sie -- Horst hat sich eben seitwärts zum Balbutz gewandt -- jetzt
+wird er in die Bahn ihrer Augen gezwungen, die in seine Ecke, die auf
+ihn geheftet sind.
+
+Sie beugt sich ans Ohr des Vorsitzenden, das Falkenauge stößt jetzt auch
+auf ihn -- dann erhebt sich der Mann sofort. Klingelt kurz. Stille.
+
+Durch Horst zuckt es hin: wollt Ihr mir zuleibe? Gut, ihr Leute! Kommt
+an!
+
+»Arbeiter und Arbeiterinnen,« so spricht der Vorsitzende, »das ist meine
+Anrede -- Ehre, wem Ehre gebührt! Die Einladung zu dieser Versammlung
+ist lediglich an Euch ergangen. Eure Angelegenheiten sollen hier
+besprochen und geordnet werden. Die Anwesenheit von Leuten, die nicht
+darauf Anspruch erheben können, Landarbeiter zu sein, ist nicht
+erwünscht.«
+
+Ich bin auch Landarbeiter auf meine Art, denkt Horst mit innerem
+Schmunzeln. Er soll mir schon deutlicher kommen.
+
+»Ich muß deshalb alle diejenigen, die nicht diesem Stande angehören,
+ersuchen, den Versammlungsraum zu verlassen.«
+
+Seine Blicke geben aller Augen die Richtung. Viele sind aufgesprungen,
+alle stieren sie in die bezeichnete Ecke. Horst rührt sich nicht. Erst
+recht nicht, da jetzt in Lonas Züge ein häßlich Feindseliges sich
+einwühlt.
+
+Falkenauge aber läßt nicht locker. »Wie ich höre, ist der Leiter der
+Hohenmoorer Siedlung hier anwesend.«
+
+Jetzt erhebt sich Horst.
+
+»Spitzel!« ruft ein Zwanzigjähriger. Mit diesem Wort dünkt der Junge
+sich auf der Höhe und blickt stolz um sich her.
+
+»Wollen Sie mir ein paar Worte gestatten«, beginnt Horst.
+
+»Bitte.«
+
+»Wir Mitglieder der Siedlung arbeiten genossenschaftlich gemeinsam an
+unserem Werk. Ich selbst bin unter allen Umständen Siedler oder, wie man
+sonst sagt, Kolonist. Ich mach ein Stück Land urbar, ich helfe Neuland
+schaffen. Wenn einer sich Landarbeiter nennen darf, sind es meine
+Genossen und ich.« Kurz und bündig.
+
+In die Gesellschaft ist Bewegung gekommen, es wird dafür und dagegen
+gemurmelt. Horst sieht den grauen Schopf des Torfmeisters wackeln und
+hört seine gedämpfte Stimme wie schweres unterirdisches Rollen.
+
+Falkenauge holt zum zweiten Schlage aus. »Diese Einwendungen sind doch
+sehr anfechtbar. Die Siedlung ist ein Unternehmen. Ihr Leiter ein
+Arbeitgeber. Und wenn diese Persönlichkeit nun noch aus dem -- jetzt
+glücklicherweise abgeschafften -- Offizierstande herkommt und vor allem
+mit dem Besitzer von Moorhof, der uns hier in mehr als einer Hinsicht
+beschäftigt, in freundschaftlicher Beziehung steht --! --«
+
+Dies soll das Henkerbeil sein. Horst aber hält mit dem Nacken ganz und
+gar nicht still. »Darf ich noch einmal?«
+
+»Bitte.« Doch diese Gewähr sieht schon einer schroffen Ablehnung gleich.
+
+Horst schmunzelt innerlich. Meine Klinge will ich wenigstens schlagen!
+»Was einer früher war, kann heute und hier doch unmöglich in Frage
+kommen -- ebensowenig wie der Umgang und Verkehr jedes einzelnen der
+hier Erschienenen zur Untersuchung steht. Es handelt sich doch ganz
+ausschließlich um den jetzigen Beruf. Und wenn ich für meine Person
+gefragt werde, welchen Beruf ich heute ausübe, habe ich gar keine
+Möglichkeit etwas anderes zu sagen als: ich bin Landarbeiter,
+Landarbeiter in einem genossenschaftlichen Arbeiterverbande, der, wenn
+Arbeitgeber, doch sein eigener Arbeitgeber und in demselben Maße sein
+eigener Arbeitnehmer ist. Der Herr Vorsitzende hat die Erklärung
+abgegeben, daß die Anwesenheit von Leuten, die nicht Landarbeiter sind,
+nicht erwünscht wäre. Wenn hiernach wirklich verfahren wird, müßten, so
+weit ich über den Stand und Beruf der Herrschaften unterrichtet bin, die
+da oben am Tisch der Versammlungsleitung sitzen, diese zunächst einmal
+samt und sonders ihre Sachen zusammenpacken und den Saal verlassen.«
+
+Ohorufe, erst einzeln, dann anschwellend, werden laut zu diesem
+umgedrehten Spieß. Aber viele denken: ein verfluchter Kerl, und manch
+einer grient im Stillen. Horst aber hat sein unbändiges Behagen an dem
+Flammentanz auf den Gesichtern da oben -- auch die viereckige Stirn des
+Phlegmatikers droht -- an dem furioso in den Augen der Musiklehrerin.
+
+Doch die wetterfeste politische Kultur der geschulten Volksmänner ist
+gleich an der Arbeit. Zuerst und vor allem nieder mit jeder
+Mißtrauensregung! Der Koch bittet ums Wort und spricht: »Ich bin anderer
+Meinung als unser verehrter Herr Vorsitzender. Er wünscht einen engen
+geschlossenen Kreis. Wir haben hier keine Geheimnisse. Im Gegenteil! Ich
+wünschte, es hätten sich hier recht viele von den Unternehmern, den
+Arbeitgebern, den Herren Gutsbesitzern eingefunden. Was sie hier zu
+hören kriegten -- ja, die Ohren würden ihnen schon davon gellen! Aber
+vielleicht würden sie uns dann der Arbeit überheben, einmal mit der
+Faust an ihre Tür klopfen zu müssen!«
+
+Bravo! Jetzt ist der Wagen auf dem richtigen Gleis. Der Fall Horst liegt
+sacht in der Versenkung. Die Tagesordnung steigt.
+
+Der Vorsitzende spricht über die Notwendigkeit der Arbeiterorganisation.
+Die Landarbeiter, die einzigen, die bisher nicht organisiert wären.
+Rückständig wären sie. Arbeiter und rückständig, das gäbe es aber nicht!
+Das Rückständige wäre bei denen da oben zu Hause, und mit denen räumte
+die neue Zeit jetzt gründlich auf. Herren und Knechte -- das wäre deren
+Weisheit und Wille, aber das hätte aufgehört! »Menschenwürde!«
+
+Horst fuhr zusammen. Wieder das Wort!
+
+»Und in Eure eigenen Hände ist die Menschenwürde gelegt. Ihr habt jetzt
+dafür zu sorgen, daß hier auf dem Lande auch menschenwürdige
+Verhältnisse eintreten. Das erste ist höhere Löhne! Und wenn Ihr alle
+einig seid -- die, die auf den Kornsäcken und den Geldsäcken sitzen,
+können, werden und müssen sie zahlen!«
+
+Dies ist der Faden. Und er hat sie an der Strippe.
+
+Horst hörte helläugig zu. Der Mann ist ein Künstler in seiner Art, er
+hat die rechten Finger für das Masseninstrument.
+
+Jetzt wird noch ein Stück in Moll gebraucht. Sie verstehen sich schon
+auf Konzertprogramme. Lona nimmt das Wort.
+
+Zagend steht sie auf, aber dann entfaltet sich das, was sie spricht, wie
+eine Knospe zum Blühen und Glühen.
+
+Sie sei ein Kind dieses Landes. Als Kind habe sie es verlassen. Nun, da
+sie wiedergekommen sei, habe es ihr den Sinn bewegt, wie wenig Menschen
+hier den Kopf hoch tragen. Kaum hebt einer den Blick vom Boden. Das ist
+es: sie tragen eine eigene Not und sie zieht eine eigene Sehnsucht. Von
+der Erde stammt ihre Not, und ihr Sehnen geht zu der Erde. Darum ist auf
+sie, ob sie's selber nicht wissen, ihr schwerer Blick gesenkt. Ein
+eigenes Stück Land, so brennt es in ihrem Herzen. Mit dem Boden sind sie
+verwachsen, durch ihr Schaffen sind sie ihm angetraut. Denn nur die
+Arbeit flicht den lebendigen Bund. Und sie arbeiten nicht für sich
+selbst. Sie dürfen es ja nicht. Ihnen gehört die Erde -- und sie gehört
+ihnen nicht. Das liegt auf ihnen wie ein Fluch. Diesen Fluch gilt es zu
+lösen. »Ihr sollt nicht mehr dulden um die Erde, Ihr sollt leben mit
+ihr, in ihr -- ja Ihr sollt leben!«
+
+Das greift ihnen mit fester und doch linder Hand an die innersten
+Seiten, an ihre heiligen Wünsche. Das ist wie Musik, das ist Seele und
+Sieg. Sie sind alle bezwungen.
+
+Auch über Horst geht ein Zauber. Von der Innigkeit eines wahren Fühlens,
+die wie ein Stern leuchtet durch den dicken Brodem der Versammlung.
+
+Kaum hat er das in ihr gesucht. Nicht, daß dieser Schein aufsteigen
+könnte, dieser stille Schein aus den lohenden Flammen ihres Wesens.
+
+Ein Unrecht bittet er ihr ab, daß er sie bei den wilden Schlagwörtern
+gesucht hat, bei den knalligen Feuerwerkern von Beruf mit ihren hohlen
+Kanonenschlägen, ihren verpuffenden Raketen und windigen Leuchtkugeln.
+
+Und sie können es nun doch nicht lassen, sie sorgen schon wieder dafür,
+daß die Stille und Andacht nicht bleibt. Der Knabenhafte hat das Wort
+bekommen. Lange schon hat es in ihm gefressen. An dem Gedämpften, dem
+Ruhigen, Sanften erstickt er. Mit den Armen fährt er durch die Luft.
+Zwei brandrote Flecken leuchten auf den hageren Backen.
+
+»Ja, Ihr sollt leben! Aber leben heißt kämpfen! Des sollt Ihr eingedenk
+sein, Tag und Nacht und zu jeder Stunde! Und Eurer Kampfgenossen sollt
+Ihr gedenken, in Treue bis zum Tod -- und in Zuversicht! Nie hat die
+Menschheit ein größeres Heer gesehen! Das Heer der Menschheit ist es!
+Verbrüdert als Eidgenossen alle Proletarier der Welt! Gibt es was
+Gewaltigeres? Wer kann uns widerstehen! So müssen wir fühlen -- und die
+Welt ist unser! Wir kennen kein Vaterland, das Deutschland heißt! Unser
+Vaterland ist die Erde!«
+
+Seine Stimme schrillt wie eine zersprungene Saite. Junge Kehlen brüllen
+ihr Bravo. Durch Horst zuckt der Schmerz. Er kennt den Text und die
+Weise -- er will lächeln und es wird eine Grimasse.
+
+In die Versammelten blickt er. Täuscht er sich? Rollt dort nicht ein
+Kopfschütteln durch die Reihe -- prägen sich hier nicht Unmutsfalten in
+alten ernsten Gesichtern?
+
+Und jetzt -- eine mächtige Stimme rauscht auf in der Mitte des Saales --
+langsam hat sich der Torfmeister erhoben -- formelle Einwände des
+Vorsitzenden orgelt er nieder -- er spricht, also hat er das Wort.
+
+»Das hätte der kleine Mann da oben nicht sagen müssen, daß wir kein
+deutsches Vaterland kennen. Was kennen wir denn, wenn wir Deutschland
+nicht kennen? Bloß Deutschland kennen wir, und ein Stück deutsche Erde
+ist ja, was wir wollen! Kann man das Land auf den Nacken nehmen und
+rausschleppen in die weite Welt? Hier ist das Land, und hier sind wir!
+Bloß das geht uns was an, und das ist, wofür wir leben und streben!
+Gewiß, die Unterdrückung soll aufhören, die Knechtung und Unbill. Freie
+Männer wollen wir sein! Aber, wo können wir das anders sein, als auf
+einem eigenen Stück freier deutscher Erde!«
+
+Horst fährt in die Höhe -- er wär am liebsten über all die Köpfe
+gesprungen, hätte den alten Moorriesen ans Herz gedrückt und sich alle
+Rippen an ihm verbogen.
+
+Beifallsgemurmel in den Reihen. Die Schreier sind verdutzt. Dann aber
+neue Kampfrufe aus jungen Kehlen. »Vaterland -- quatsch!« --
+»Proletarier aller Länder!« -- »Hoch die Internationale!«
+
+Heißer wird das träge Blut, Feindschaften entbrennen, tiefer ziehen sich
+die Risse -- die Leiter sind auf der Wacht. Jetzt ist der Behäbige und
+Verschlafene, der Mann mit dem viereckigen Schädel, hell bei der Sache.
+Er stößt die Nase vor und spricht.
+
+»Genossen! Wir begehen den alten Fehler, daß wir an Worten uns erhitzen.
+Und daß unsere Gedanken uns so weit fortfliegen. Darin hat mein
+geschätzter Vorredner recht: Hier, wo wir sind, hat unsere Arbeit
+einzusetzen. Das Nächste ist Trumpf. Ich spreche nicht von Deutschland,
+ich gehe noch viel weiter. Oder richtiger, ich gehe ins Nähere und
+Engere. Von unserer Provinz rede ich. Von unserm Kreis. Über die
+Verhältnisse, gegen die wir hier anzukämpfen haben, will ich Euch ein
+Licht aufstecken. Mit Hilfe von Zahlen, die beweisen!«
+
+Wozu hat man seine Statistik? Er nimmt ein Blatt aus seiner Mappe, und
+läßt seine Ziffern sprechen. Die Leute hören gläubig zu, Unmut und Zorn
+finden ihre Weide. Sie rufen »aha« und »pfui Deubel« und »nieder mit den
+Ausbeutern!«
+
+»So also, Genossen, sieht die Welt hier aus. Und mit dieser Welt werden
+wir aufräumen. Das Frühjahr steht vor der Tür, der Frühling soll alles
+neu machen. Mit der Frühjahrsbestellung werden wir unsere eigene Saat
+säen, die Saat unserer gerechten Sache. Das soll heißen: werden die
+neuen Lohnsätze, über die wir uns noch verständigen müssen, nicht
+bewilligt, dann wird gestreikt!«
+
+»Bravo! -- Bravo!«
+
+»Dann sollen die Herren allein ihr Land bestellen! Wollen sehen, wie sie
+damit fertig werden! Paßt auf, sie kommen auf den Knieen zu uns
+angerutscht. Denn was ist ihr Land ohne uns! Ihr Land? Unser Land!«
+
+»Bravo! -- Bravo! -- Bravo!«
+
+»Dazu ist aber nötig, daß wir einig sind. Dafür ist die Organisation der
+Landarbeiter die Lebensbedingung. Sie wird heute geschaffen. Die Listen
+liegen hier aus. Ich weiß, daß Ihr Euch alle hier einzeichnet! Alle ohne
+Ausnahme! Geschlossen wird unsere Reihe sein. Und unsere Parole für den
+bevorstehenden Kampf: Der Frühling macht alles neu!«
+
+Sie können's, das muß Horst sich wieder und wieder bestätigen. Er sieht
+den Zug, der zu den Listen sich drängt. Einige stehen gesondert,
+zaudern, blicken sich ins Gesicht aus schweren, aus scheuen, aus
+widerspenstigen Augen. Dann zieht die Masse sie an, und sie fügen sich
+ein. Wenige nur schleichen sich abseits, ein paar gehen frei, hart und
+stolz aus dem Saal, ihren eigenen Weg.
+
+Als Horst auf die Straße kam, stand da der Torfmeister mit Lona im
+Gespräch. Er schritt grüßend vorüber, da rief der Alte ihn an.
+
+»Gehen Sie nach Hause?«
+
+»Ja.«
+
+»Wollen Sie mich mitnehmen?«
+
+»Gern.« Horst blieb stehen.
+
+»Sie Beide kennen sich ja wohl«, sagte der Torfmeister. Da sprach Horst
+zu Lona ein Wort, aus Artigkeit, doch auch von Herzen.
+
+»Von dem, was Sie heute gesagt haben, könnte ich jedes Wort
+unterschreiben.«
+
+In ihrem Auge stand ein brüskes: habe ich Sie gefragt! Aber ihr Ton war
+farblos, als sie zurückgab: »Und doch werden Sie, wenn es hier zum
+Klappen kommt, nicht auf der Seite der Bedrängten stehen.«
+
+»Für mich gibt es nur eine Bedrängnis.«
+
+»Deutschlands.« Der Hohn war müde, und dennoch, vielleicht gerade
+deshalb fraß er sich ihm bis ins Mark.
+
+»Gewiß. Mein erster Gedanke ist, das Land vor Schaden zu bewahren.«
+
+»Gut, daß es verschiedene -- Gedankenwelten gibt.« Sie verneigte sich,
+reichte dem Alten die Hand und wandte sich heimwärts.
+
+Die drei Siedler waren unterwegs mit dem Moormeister. Er hatte sich
+schnell mit dem Balbutz angefreundet. Sie sprachen lebhaft. Horst und
+der heilige Josef wanderten still und versunken.
+
+Horst ist bei Lona. Warum läßt diese Frau ihn nicht los? Was ist übler
+an ihr, ihre Geistesverfassung, ihre Gesinnung oder diese verstiegene
+Selbstüberhebung? Wie hat sie ihre »Gedankenwelt« betont, die hohe und
+weite, gegen sein enges, kümmerliches, »monomanes« -- so schilt man es
+ja wohl -- gegen sein deutsches Gedenken. Soll er nicht lachen und
+lachend sie abtun, ein für allemal? Was muß er immer wieder mit dem
+Erschütternden ihres Schicksals sie sich aufdrapieren!
+
+Er will nicht in eigenen Erlebnissen wühlen. Wie viel Entsetzlicheres
+hat er selber gesehen. Warum nur läßt er von diesen Greueln sich nicht
+bannen, warum muß ihr Los das Bezwingende sein!
+
+Was ist's, das ihn so lockt an dieser Frau! Daß er ihr Leben ergründen
+will, wissen und fühlen von ihrem Wesen, dem verborgenen. Ja, dem
+verborgenen. Hier sind Tiefen, in die er blicken muß -- er fühlt es, er
+weiß es, er wird es.
+
+Daß sie so zur Sphinx ihm wird -- oh, mit dem vollen Grusel, dem
+rieselnden vor der tötlichen Rätselhaftigkeit -- sind es nicht bloß die
+Sinne, die dieses Bild ihm schaffen und schmücken? Die Sinne, die großen
+Lügner dieses Lebens. Ist es in seiner weibverlassenen Einöde dieser
+junge schöne Leib, was ihn betört?
+
+Kunz hat ihn den Eisheiligen getauft, weil er kein Schürzenjäger ist.
+Was weiß der von seinem Eis, von seiner Heiligkeit.
+
+Ja, ja -- warum sich selbst was erzählen! In seine Sinne sind die Funken
+geflogen. Ihr Wesen -- was ist an dem weiter zu enträtseln? Es offenbart
+sich ja. Es wirkt, es strömt. Es geht ihm ins Blut.
+
+Was wollen ihre Augen? Was will ihr Mund, mit dem heißen Rot von ihm?
+Was will er -- er von ihren schwellenden Lippen?
+
+Er ist ins Laufen geraten. Der heilige Josef, sein Begleiter, trottet
+brav neben ihm her. Schweigend wie er.
+
+Der Alte kann nicht mit. Weit bleibt das andere Paar hinter ihnen
+zurück. Da rollt ein Wagen des Wegs, er hält, der beinmüde Torfmeister
+steigt auf und fährt nun grüßend an ihnen vorüber.
+
+Horst hat jetzt die beiden Kameraden an seiner Seite. Nun ist er in
+einer anderen Welt. Der heilige Josef trägt an etwas, seine Hände
+schnappen in die Luft, er findet noch nicht die Sprache.
+
+»Nun, Elbenfried?« fragte Horst, ihn zu beflügeln.
+
+»Ich hatte so vieles auf der Seele und hab es nicht gesagt -- immer
+diese Trägheit des Geistes -- diese Feigheit des Herzens. Eine Schuld
+ist das! Denn wir sollen Zeugnis ablegen -- immer wieder! Bekennen
+sollen wir und immer wieder bekennen!«
+
+»Aber wir sollen auch nicht unsere Perlen vor die Säue werfen!« Fritz
+Eggert zeigt seine Bibelfestigkeit und möchte sich damit von weiteren
+pastoralen Ergüssen loskaufen.
+
+Gustav schüttelt den schweren Apostelkopf. »Mit keinem Wort der Schrift
+betrügen wir uns mehr. Über nichts täuschen wir uns so sehr wie über
+das, was Perlen, und das, was Säue sind.«
+
+»Ganz gewiß«, ermuntert ihn Horst.
+
+»Ich hätte sprechen müssen. Immer und immer wieder muß man das Licht
+entzünden. Schließlich leuchtet es doch durch all den Rauch. Und der
+eine und andere brennt sich sein eigenes Licht daran an. Von Brüdern
+sprechen sie. Nur in diesem Kreise sprechen sie von Brüdern. Aber
+hinwiederum, Brüder sind nur und nur die Proletarier. Und es wird eine
+Brüderschaft des Hasses. Warum können sie sich den Blick nicht weiter
+machen und nicht das Herz! Warum können sie die Hände nicht
+herausreichen über die Hecke, hinter die sie sich einsperren! Und wenn
+diese Hände hundertmal leer zurückkommen -- schließlich werden sie doch
+einmal ergriffen, und der Bund der Geister nimmt seinen Anfang.«
+
+»Nun ja -- auf den Anfang kommt es an. Aber wer soll anfangen? Immer
+sagt der andere, daß es der eine sein muß!«
+
+»Daß der Haß so leicht ist und die Liebe so schwer! Wie soll man
+sprechen, was soll man tun, daß die Herzen sich öffnen! Wie soll man die
+Augen erheben, die immer nur die Not des Leibes sehen! Nicht die
+Seelennot aller gequälten Geschöpfe! Wie sie führen, daß sie in der
+großen Liebe die Heilung suchen auch für die kleinen Leiden.«
+
+»Sie verlangen viel, Gustav Elbenfried.«
+
+»Wir sollen viel verlangen«, spricht er in Verzückung. »Wir müssen das
+Höchste wollen, nur so werden wir des Niederen Herr!«
+
+Sie schweigen. In diesem Bekenntnis lebt das Beste von ihnen allen.
+
+
+
+
+ Besuch in der Baracke
+
+
+Es ging auf den März zu. Nach Erde roch es und zerfließendem Schnee. Vom
+Frühling schwirrte und klirrte schon dies zitternde Ahnen durch die
+Luft, dieses Surren, in dem die Nerven schwingen und das Blut singt.
+
+Jetzt wurde der Siedlerbaracke ein sonderlicher Festtag beschieden, Frau
+Tilde machte ihr den versprochenen Besuch. Es war gegen Mittag, da kam
+sie mit dem Vater die Höhe herabgeschritten.
+
+Die Siedler marschierten von den Räumungsarbeiten auf der Ziegelei die
+Chaussee daher -- Gisbert in dem Arbeitstrott wandelte plötzlich mit
+gestreckten Armen wie auf eine Erscheinung zu, er hatte sie zuerst
+gesehen. Kunz spürte, wie er ihnen entrückt wurde, und ging seinen
+Blicken nach. Und jetzt lief es durch die Reihen: »Damenbesuch«. Alles
+war befeuert, hob sich und spannte sich.
+
+Viel Staat war ja nicht mit ihnen zu machen. Wie die Müllkutscher sahen
+sie alle aus, und den eitlen unter ihnen war das peinlich. Gisbert
+dachte nicht an sein Kleid, Kunz schon eher, er zog und ordnete und
+bürstete unwillkürlich mit den Händen. Als aber die Augen dieser Frau
+vor ihnen aufleuchteten, da flog jedwedes Äußerliche über alle Berge,
+und sie atmeten wie in einer Lichtflut.
+
+Es geschah von selbst, daß Gisbert gleich an ihrer Seite war. Und sie
+nahm ihn auf, ganz so, als gehöre er zu ihr. Er mußte ihr all die
+Herrlichkeiten zeigen -- denn Herrlichkeiten waren es, da ihre Augen
+darauf fielen. Er und sie -- Mitläufer die anderen.
+
+Die Stallungen kamen zuerst an die Reihe. Sie waren ein Teil der
+Baracke, alles lag unter einem Dach, wie bei einem niederdeutschen
+Bauernhaus. Die Ställe hatten längst noch nicht die ihnen zugedachten
+Bewohner. Sie besaßen bisher ein Pferd, ein alter Fliegenschimmel war
+es, wehmütig aber treu. Dann zwei Kühe und sieben ganz kleine Ferkel.
+Diese sieben die junge Fröhlichkeit des Baues, mit denen Muz seine
+ausgelassenen Spiele trieb, von dem Quieken und den frohlockenden
+Ringelschwänzchen zu immer neuen Tollheiten begeistert.
+
+Nebenan aber thronte etwas erschütternd Einsames. Hier in dem
+Hühnerstall saß nichts als ein großer schwarzer Hahn in der tragischen
+Erhabenheit seines verlorenen Schicksals.
+
+Gibt es was Jammervolleres als einen Hahn ohne Hühner?
+
+Muz konnte keinen Blick in diesen Stall tun, ohne mit gesenkten Ohren
+trostlos winselnd zu verzagen.
+
+Kunz, der als »Conferencier« sich in erreichbarer Nähe hielt, mußte nun
+doch sein Sprüchlein hersagen. »Dies ist nun unser heiliges Tier.« Den
+Zusatz aber, der ihm auf die Zunge wollte: das Wappentier unserer
+Barackenaskese -- den tat er angesichts der Besucherin doch lieber in
+seine Sparbüchse.
+
+Frau Tilde aber war auch ohne irgendwelche Erörterungen reichlich
+bewegt. »Der arme Kerl -- in Einzelhaft -- was hat denn der nur
+verbrochen! Er soll Gesellschaft haben.« Und sie versprach als Stiftung
+sieben Hennen von der Mönkhover Zucht, die im Lande berühmt war.
+
+»Zum Lohn dafür aber müssen Sie mich heute zu Mittag einladen«, sagte
+sie munter.
+
+»Das paßt großartig!« rief Kunz. »Es gibt Kartoffelsuppe.«
+
+Die verleugnete nun ihre »Blutsverwandtschaft mit der Wasserleitung«
+auch heute nicht. Aber wer achtete darauf? Die Wirte nicht und nicht die
+Gäste.
+
+Es war die strahlende Kraft dieser Frauenseele, was sie alle emportrug
+über die Dinge. Sie hatte ihren Platz zwischen dem heiligen Josef und
+dem Balbutz, und Weltkind wie Prophet sahen zu ihr auf als wie zu
+unserer lieben Frau. Sie hatte so viel Freude an all diesen braven
+Jungen. Sie meinte, daß in dieser harten, ernsten und stillen
+Arbeitsgemeinschaft so etwas wie das Herz Deutschlands schlage. Und leid
+tat es ihr, daß sie wie die Sträflinge hausten, in dieser lieblosen
+Kahlheit, dieser Farblosigkeit und dürftigen Enge.
+
+Hier wollten ihre Hände schmücken und beseelen. Wohnlicher sollt Ihr es
+haben, Ihr armen Verwaisten und Heimatlosen! Diese traurigleeren
+Fenster, die wie tote Augen starrten -- sie hatte Stoff zu Vorhängen,
+mit denen wollte sie anfangen, das tote Bretterhaus zu beleben.
+
+»Und Blumen sollen Sie jetzt im Frühling haben. Einen kleinen Vorgarten
+legen wir uns an. Mit Tausendschönchen, Priemeln, Stiefmütterchen. Daß
+etwas Leuchtendes Sie in Empfang nimmt, wenn Sie von Ihrer schweren
+Arbeit nach Hause kommen.«
+
+Und all die Blicke der Männer und ihre Herzen erbauten sich an einer
+Lichtgestalt. Um den feinen zarten Kopf mit diesen tiefen, versunkenen
+Augen, die aus ihrer Versunkenheit ihre Schätze hoben, stand es wie ein
+Schein, dieses wunderbar Festliche und Frauliche zugleich -- ein Schein,
+vor dem man andächtig ward.
+
+Herr von Borkhus indessen ließ sich von Horst über die
+Arbeiterversammlung berichten. »Natürlich, sie wetzen die Messer. Wir
+sollen das Schleifen hören, und wir hören es. Vielleicht, daß es mehr
+ist als Drohung. Haben auch die meisten von uns ein gutes Gewissen --
+manch einer hier im Kreise rutscht doch mit der Hose ganz gehörig auf
+Grundeis. Hier wird die Rechnung präsentiert werden und -- wie die Sache
+nun einmal liegt -- nicht hier allein. Da nun schon -- wer hat es gesagt
+-- Frauen, Dummköpfe und politische Bewegungen zu verallgemeinern
+lieben.«
+
+»Den Organisierten wird ja auch nichts anderes übrig bleiben«, bemerkte
+Horst.
+
+Die müden Züge des Herrn von Borkhus -- sie erschienen Horst noch nie so
+schmerzlich abgespannt -- erhellte jetzt die junge gläubige Phantastik
+seiner Augen. »Ich weiß, auch von meinen Leuten hat der größere Teil
+sich eingeschrieben. Überzeugungen glauben nun einmal erst dann an sich
+selber, wenn sie abgestempelt sind. Jeder muß nun mal seinen Schein
+haben -- wie könnte er sonst auf ihm bestehen! Aber, wenn es ernst wird,
+dann sind solche Scheine Papier. Der Herzschlag ist dann der Ton, der
+die Musik macht. Und -- ich kenne meine Leute, so gut wie sie mich
+kennen!«
+
+Er warf den Kopf zurück, nun ganz ein froher, sieghafter Führer. Sein
+Gesicht belebte sich frisch, dunkler und heißer leuchteten die Augen.
+Hier frohlockte eine Zuversicht, die aus der Tiefe seines Wesens quoll,
+aus der glückhaft frohen Treue seines eigenen Fühlens.
+
+Zagend, mit leiser Sorge blickte Horst in diesen Überschwang feuriger
+Gewißheit. Er hatte seinen Argwohn, und er fühlte, daß Enttäuschungen
+hier ins Leben greifen müßten. In dieses Leben, getragen von dem
+Selbstvertrauen des Häuptlings, das durch Geschlechter angezüchtet war.
+
+Selbstgewißheit! Und kommt es nicht darauf an? Ist das nicht der Kern
+alles Wesens, alles Werdens, alles Schaffens! Ist das nicht die
+lebendige Urkraft, die schließlich ins Ewige uns finden läßt und zu Gott
+-- die Gewißheit, das Gewissen! Beides dasselbe! Des Glaubens Inbegriff!
+Des Menschen Seele!
+
+War ihm, Horst, genug von dieser Urkraft gegeben, genug zur
+Führerschaft? Immer wieder die Zweifel. Und die Gefahr des Zerbröckelns.
+Ja, wir sind mürbe geworden. Verwittert haben uns die Zeitenstürme. Hab
+ich selbst noch so viel innern Halt, den anderen ein Halt zu sein?
+
+Wie hat es mich geworfen, als die erste Regung zur Fahnenflucht in
+unsere Reihen brach. War es ein Gefühl eigener Schuld? Hatte ich die
+Fahne nicht tapfer, nicht stark und treu genug getragen? Waren nicht
+meine eigenen Gedanken auf der Flucht gewesen? Wie oft hatte ich mich
+gesehnt -- ja gesehnt nach meinen Büchern, nach Forschung, nach
+Wissenschaft, nach geistigen Fernsichten. Nach Einsamkeit auch, nach den
+Freuden stiller Entdeckungen, nach den Verzückungen und Verzauberungen
+in ungestörten Träumen.
+
+Ja -- wie an Ketten trug ich oft an meiner Pflicht. Und nur, weil ich
+selber schwankte und treulos werden konnte, kam dieses Wanken in die
+Reihe.
+
+Ist es nicht eine erlesene Schar, die auf mich blickt? Ein Vorbild für
+mich, die ich ihr Vorbild sein soll. Und so ist es recht. Nur so ist die
+starke Gemeinschaft da. Wir haben sie. Hat Herr von Borkhus sie mit
+seinen Leuten? Ich fürchte, er träumt zu leicht. Hat er nicht ein
+reichliches Maß dieser lieben Leichtgläubigkeit, die so kindlich ist und
+ach, so deutsch!
+
+Wie hat er sich selbst die Mannestreue des alten Strempel herausgeputzt,
+bei dem aus jeder Pore seines gelben Felles der kalte listige
+Gelegenheitsmacher schielt. Und richtig, jetzt ist der auch schon als
+Kronzeuge da.
+
+»Lieber Horst, Sie kennen eigentlich von meinen Leuten nur den alten
+Strempel. Können Sie sich denken, daß der übermorgen zu mir sagt: >Sie
+müssen sich allein anspannen, ich fahre Sie nicht!< Können Sie sich das
+vorstellen?« In seinen Blicken war eine unauslöschliche Heiterkeit.
+
+Horst mußte wenigstens soviel sagen: »Meine Vorstellungswelt ist nun mal
+ein wenig aus dem Gelenk wie die ganze Welt überhaupt --«
+
+»Hier dürfen Sie sie getrost wieder einrenken.« Er winkte fast mitleidig
+mit der Hand. »Und nun habe ich eine Bitte an Sie. Mich persönlich
+berührt ja der angeblich drohende Streik am wenigsten. Aus politischen
+Gründen aber habe ich die Herren aus dem Umkreis für heute nachmittag zu
+einer Besprechung gebeten. Sie waren auf der konstitutionellen
+Versammlung des Arbeiterverbandes -- Ihre Eindrücke sind uns von Wert.«
+
+
+
+
+ Die Gutsherren
+
+
+Als Horst nach vollbrachtem Tagwerk in das Beratungszimmer trat, waren
+die Herren in voller Tätigkeit.
+
+Junkerliches Ungestüm hatte zuerst die Erörterungen verwirrt. Nun war
+ein parlamentarisches System errichtet. Herr von Trent führte den
+Vorsitz.
+
+Sein gelbes kränkliches Marquisgesicht blickte mit kummervoll wartenden
+Augen in die Weite. Aber er hielt die Zügel in kundigen Händen.
+
+Zuerst hatten die Besorgnisse das Wort geführt. Allerdings in halben
+Tönen. Angstmeierei war gerade in diesem Kreise nicht eben daheim. Bald
+hatten Eigenwille und eine betonte Sprödigkeit gegen neue soziale
+Operationen gewonnenes Feld. Vergeblich bemühten sich die Nüchternen und
+Sachlichen um eine Gegenorganisation der Besitzer. Umsonst brach der
+Kabelsdorfer als Befürworter eines Landbundes seine letzte Lanze.
+Formlos, ungepflegt, ein bärtiger Mann mit klugen und warmen braunen
+Augen. Ein Bürgerlicher und manchem der Junker nicht nach der Mütze.
+Aber sicher einer von denen mit dem reinsten Gewissen.
+
+»Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren -- von all den Dummheiten,
+die die Deutschen stammesmäßig begehen -- und wir Landleute fühlen uns
+ja als besonders gute Deutsche -- ist die größte die, daß wir von
+unseren Gegnern nichts lernen. Tun wir nicht und wollen wir nicht. Was
+erleben wir jetzt hier? Von denen, die sich in unseren Betrieben zum
+Kampfe gegen uns rüsten? Sie machen das, was das einzig Verständige ist.
+Müssen wir -- wir darum das einzig Unverständige machen? Nur geschlossen
+können wir der Geschlossenheit begegnen. Aber nein! Wir laufen ihnen
+zuliebe einzeln im Gelände herum, damit sie uns einzeln zur Strecke
+bringen und ihr fröhliches Halali haben!«
+
+Der dicke Poggenhagener mit den schiefen Kalmückenaugen, der sticken
+mußte, wenn er seine Witze nicht loswurde, beugte sich zu seinem
+Nachbarn, dem Tangentiner. »Es heißt nicht lali, es heißt le lit, das
+fröhliche«, und er meckerte wie eine Bekassine.
+
+Bei dem überlebenslangen, himmelan vertrockneten Ammoniakiter fand er
+indessen keine Gegenliebe. Der lachte nicht, denn Lachen war eine
+Ausgabe. Aber in solchen Unterhaltungen zeigte sich immerhin, wie wenig
+noch von einer gemeinsamen Aktion die Gemüter band.
+
+Was hier noch an Ängstlichkeit herumkroch, nahm die Maske vor,
+versteckte sich hinter großen Worten und größeren Gesten. Und gerade die
+Schlotterhosen, die ganz wenigen, plusterten sich auf zu prunkender
+Forschheit.
+
+Dies war die Stimmung, in die nun Horst hineingeriet. Lebhaft begrüßte
+man ihn. Ein Teil von den Herren hatte für das Siedlungswerk auf
+Betreiben des Herrn von Borkhus opferwillig Beiträge gezeichnet. Alle
+aber schenkten sie der Siedlung ihr Wohlwollen. In diesem Artikel kannte
+hier wie anderswo die Freigebigkeit keine Grenzen -- nur der Tangentiner
+hielt auch seine kostenlosen Regungen zu Rate.
+
+Herr von Güldenbek, der Mann der Saatkartoffeln, strich durch seinen
+grauen, in konservativer Unbeschnittenheit wallenden Vollbart, legte die
+väterliche Hand auf Horstens Schulter und sprach gewinnend: »Solche
+Männer wie Sie braucht das Vaterland.« Und der Nebengedanke war bei ihm
+wie bei manchem andern: auch wir brauchen Dich, Deine Mannschaft und
+Eure Maschinengewehre, wenn es hier zum Ausstand und zu Unruhen kommen
+sollte.
+
+Gleich wurde denn auch wie auf Stichwort der eben ergangene
+Regierungserlaß über die Waffenablieferung besprochen.
+
+Horst erklärte: »Ich muß die Hände kennen, in die ich meine Waffen
+liefern soll. Ich kenne diese Hände nicht.« Da nickten ihm alle lebhaft
+zu, freudig und beruhigt.
+
+Und dann wurde der sogenannten Regierung aufgespielt. Dies war die
+Weise, auf die man sich hier verstand. Wie oft hatte man auch dem alten
+geheiligten Regiment frondiert. Und nun dieses _régime de canaille_!
+»Den schiefen Absätzen dieser Usurpatoren den Nacken hinhalten --!« So
+sagte Herr von Seddewitz, und es funkelte sein scharfes, abgewetztes
+Gesicht.
+
+Hoch gingen die Wellen. Teilnahmlos wie all die Stunden schon blieb Herr
+von Borkhus. Immer wieder waren durch seine tiefen Augen die Schatten
+gezogen. Dann sprach er leise: »Wie gleichgültig im Grunde, wer da oben
+sitzt -- wer die Satrapen sind über unserem Sklavenvolk.«
+
+Damit ist die große Fuge der deutschen Passion angeschlagen. Und sie
+zittert durch die Seelen. All diese Männer -- ihrem Eigenwillen fehlt es
+gewiß nicht an Eigennutz. Von größter Unbefangenheit sie alle in der
+Bejahung ihres Besitzes, ihres Herrentums. Sie können gar nicht aus
+ihrer Haut. In der sie so grad gewachsen sitzen. Nicht alle haben sie
+die Hände reingehalten. Aber jeder von ihnen hat dem Vaterlande mit Leib
+und Leben gedient. Jeder von ihnen ist im Felde gewesen. Kaum einer, der
+nicht für Deutschland geblutet hat. Der deutsche Klang bebt in jedem
+Herzen. Selbst in dem, was von dem Tangentiner noch nicht ganz verdorrt
+ist, brennt es wund und tödlich schmerzhaft von Schande und Ingrimm.
+
+Unerschöpflich Neues trugen sie zusammen von den unaufhörlichen, täglich
+sich mehrenden Erpressungen, Blutsaugereien, Schändungen und Folterungen
+an dem wehrlosen deutschen Volk. Wie durch einen Wald rauschte der
+mächtige Zorn durch die versammelten Männer.
+
+Einer saß stumm, wohl der Jüngste von ihnen. Horst hatte den Namen nicht
+verstanden. Aufgefallen waren ihm gleich die geradezu klassisch
+geprägten kraftvollen und edlen Züge des bartlosen Gesichts. Ebenso das
+wunderbare Ebenmaß des mittelgroßen Wuchses. Wie von Bronze die ganze
+Gestalt. Aber in den Augen, so fest und hart sie greifen konnten, war
+doch ein Verlorenes, Zerstörtes. Auch ein Gezeichneter der Zeit. Jetzt,
+wo ein Nachbar sich laut an ihn wandte, erfuhr Horst, wer er war --
+Achim von Mönkhov, Frau Tildes Mann. Prüfend gingen die Gedanken von ihm
+zu ihr.
+
+Nun sprach er. Etwas seltsam Graues, Trockenes, unwillig Starres hatte
+die Stimme. Wie Asche lag es auf all seinen Worten.
+
+»Größer ist Deutschland niemals gewesen -- im Reden. Wie sieht dagegen
+unser Leben aus. In lauter armselige kleine egozentrische Kreise ist es
+zerfallen. Von großen Ideen ist nur eine geblieben: das große
+Einmaleins.«
+
+Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb unbewegt. »Wollen
+uns doch nichts vormachen. Es gibt bei uns drei Sorten Menschen. Solche,
+die sich selbst betrügen, solche, die die anderen betrügen, und solche,
+die beides tun. Zu welch letzteren neunundneunzigdreiviertel Prozent
+gehören. Nun wollen wir uns jeder seinen Platz suchen und uns begraben
+lassen.«
+
+Das alles in dem unerbittlich grauen Ton. War es der Nihilismus einer
+düsteren Stunde? War es das Weltbild eines erloschenen Lebens?
+
+Herr von Trent, der wie ein müder Marquis aussah, hatte sich erhoben.
+Behutsam machte er ein paar Schritte -- er hatte Beine wie ein
+Rokokomöbel. Wandernd suchte er nach Worten, die Entrüstung zu
+beschwören, und er fand sie. »Wir wissen, daß unsere Moral
+reparaturbedürftig ist. Was die Moral übrigens zu allen Zeiten war --
+was vielleicht recht eigentlich zum Wesen aller Moral gehört. Gewiß,
+unser Niveau ist gesunken. Aber die Anständigeren unter uns oder« -- mit
+einem Zucken des Lids zu Achim hinüber -- »die weniger Unanständigen
+unter uns werden dies Niveau wieder heben. Trotz Ihrer Verneinung, die
+absolut ist, wenn sie sich auch in der Abstufung hellschwarz, schwarz,
+dunkelschwarz gefällt. Um des Himmels willen nur hier die Loslösung von
+dem Losgelösten, dem Absoluten! In der Ethik hat schon immer die
+Relativitätstheorie gegolten. Und die Besseren unter uns -- so sage ich
+nach wie vor -- werden heute mehr als je an einer großen sittlichen Idee
+ihren Halt und ihren Mittelpunkt haben. An der Idee des Vaterlandes.«
+
+»Und worauf läuft Ihre große sittliche Idee des Vaterlandes hinaus?«
+fragte Achim, und die Asche seiner Stimme beizte. »Auf die größte
+Unsittlichkeit, die Rache.«
+
+Oho, dachte Horst. So ruft sich nun der Nihilismus den höchsten
+Positivismus zur Hilfe.
+
+Jetzt ließ Herr von Borkhus sich vernehmen. »Die Rache ist mein, spricht
+der Herr. Gut, ihm wollen wir sie anvertrauen. Er unser Führer! Das
+Werkzeug seiner Rache sein, mehr wollen wir nicht. Aber Rache -- der
+Herr spricht ja selbst davon. Und wenn wir sie brauchen für unser Leben!
+Wenn sie unsere Rettung ist! Wenn wir elend verrecken -- im Dreck und in
+Schande -- ohne diese befreiende Hilfe! Ein Teil unseres Gottesglaubens
+ist diese Rache!«
+
+Er hob sich wie ein Priester. Seine Brust keuchte, seine Augen kreisten
+in Flammen. Dann sank er zurück und blickte wieder dumpf vor sich hin,
+leidend und matt.
+
+Horst wollte nicht länger schweigen. Doch hielt er sich mit Bedacht in
+niederer Flugbahn. »Wir haben ein Wort: >die Scharte auswetzen<. Gibt es
+ein Mannesleben ohne den treibenden Pulsschlag, Erfolg auf einen
+Mißerfolg zu setzen? Schimpf mit Ehre auszulöschen, Verachtung mit Ruhm?
+Und wie der Mann, so das Volk. Was ist die Schwungkraft, die die
+Geschichte der Völker bewegt? Vergeltung! Und immer wieder Vergeltung!
+Sofern wir überhaupt ein Volk sind, sofern wir nicht außerhalb der
+Geschichte stehen, wir uns selbst nicht außerhalb der Geschichte stellen
+-- so lange noch der leiseste Hauch eines lebendigen Atemzuges durch
+dieses Volk geht und noch ein Mannesherz aufzucken läßt, Vergeltung ist
+der Odem des Lebens! Vergeltung sein Wert und seine Höhe!«
+
+Jetzt brausten die Geister und brausten ihm zu. Nur Achim blickte
+teilnahmlos und gefroren. Selbst der Tangentiner, der ein wenig abseits
+mit dem Saatkartoffelbaron der deutschen Seele auf dem Felde der
+Kartoffelpreisbildung nachzuspüren gedachte, ging steil empor. Wäre
+Alarm geblasen gegen den Landesfeind, der erste wäre er auf dem Gaul
+gewesen. Man mochte sagen gegen ihn, was man wollte -- aber jeder Zoll
+seines langen Leibes war Kurage.
+
+Mit diesem Akkord klang die Besprechung aus. Mitteilungen von Horst über
+die Landarbeiterversammlung wurden nicht mehr verlangt. Zu politischen
+Entschlüssen war man nicht gekommen und würde man vorerst nicht kommen.
+Der Entwicklung der Dinge sah man mit geziemendem Männermut entgegen.
+Abwarten, Teetrinken! -- mit diesem deutschen Worte des Heils ging man
+auseinander.
+
+
+
+
+ Achim
+
+
+Horst blieb noch mit Herrn von Borkhus und Achim zusammen.
+
+»Nun ja,« sagte der alte Herr, »unser Hornburger Schießen müssen wir nun
+einmal haben. Aber es ist mir lieb, daß ich Sie mit den Herren bekannt
+machen konnte. Vielleicht wird doch der eine oder andere Hilfe nötig
+haben. Wenn es ernst wird.«
+
+»Es wird ernst, Vater.«
+
+»Achim --!« Er hob lächelnd die Hand. Das hieß: ein Schwarzseher wie Du.
+
+»Zum Frühjahr haben wir hier den Ausstand. Wir werden von der Tücke der
+Bevölkerung was erleben.«
+
+»Sie ist nicht tückisch, mein Junge. Wir haben sie nur nicht immer
+richtig behandelt.« Er sprach jetzt sehr schonend und mild mit ihm, wie
+mit einem Kranken.
+
+Achim war schon nicht mehr bei der Sache. Er ging, sich nach seiner Frau
+umzusehen. Borkhus sprach mit Horst über ihn.
+
+»Das Herz blutet einem. Was haben Krieg und Frieden aus dem Jungen
+gemacht. Man spricht manchmal bei mir von Vertrauensseligkeit --«
+
+Horst nickte innerlich dazu.
+
+»Seligkeit -- du lieber Gott --! Bei dem Jungen war es Seligkeit! So was
+von einem frohlockenden Zutrauen zu allem und jedem, das Himmel und
+Hölle bezwang! Das über jede Enttäuschung hellauf lachte, wie über
+Scherz und neue Lebenslust. Seine Augen hätten Sie sehen müssen! Und
+jetzt entfärbt, entseelt zu dieser griesen Kälte. Bleifarben. Und wie
+sieht es in ihm aus! Zum Heulen!«
+
+Er hielt klagend inne. Horst rüttelte tröstend an ihm. »Ihr Sohn ist
+jung, er hat seine Tätigkeit, er hat Sie und hat die wundervolle Frau.«
+
+»Das ist ja das Furchtbare. Man kommt nicht mehr zu ihm. Nichts von dem,
+was ihm lieb war, rührt noch an ihn. In uns allen ist ja etwas in
+Trümmer gegangen. Aber, daß in ihm nur noch Schutt liegt! Argwohn --
+Ablehnung -- Gleichgültigkeit -- eine völlige Gefühlsumnachtung.«
+
+»Ist Herr von Mönkhov schwer verwundet gewesen, schwer verletzt?«
+
+»Seinem Körper ist nichts geschehen. Nicht die Haut ist ihm geritzt. Und
+er war vorne von Anfang bis zu Ende. Sein Körper -- er ist gewachsen wie
+ein Gott -- als ob die Kugeln den wie ein Heiligtum gescheut hätten.
+Dafür ist ihm nun die Seele in Fetzen gegangen. Die letzten Kämpfe haben
+ihm den Rest gegeben, da zwischen Aisne und Marne. Wie das Unglück hier
+herausbrach aus den Wäldern von Villers-Cotterets, das Verhängnis, das
+Verderben. Er wußte, jetzt ging es um Deutschlands Leben, um
+Deutschlands Tod. Überladen zum Zerspringen von der ganzen gewaltigen
+Inbrunst seines letzten Hoffens und Glaubens und Wollens -- und da
+zerriß es in ihm. Das Grauenhafteste hat er erlebt -- den Überlauf
+ganzer Scharen -- den Verrat der vielen! Wie ein Irrsinniger hat er vor
+sich hingelacht -- stundenlang. Er hat es gesehen mit eigenen
+ersterbenden Augen, wie Deutschland erschlagen, wie Deutschland
+gemeuchelt ward. Dies ist Achims Schicksal.«
+
+Die Männer schwiegen, versunken, vergraben. Ein gut Teil ihres eigenen
+Lebens war so zerbrochen und verdorben.
+
+»Und nun, Horst, müssen Sie auch noch mehr hören. In der Schlacht war es
+zum Handgemenge gekommen, mit Amerikanern. Mannschaften zerschossener
+Tanks. Gewehr und Pistole waren leer. Mit den Fäusten gehen Achim und
+ein amerikanischer Offizier auf einander los. Einen regelrechten
+Boxkampf liefern sie sich, in _fair play_. Inmitten der rasenden Hölle,
+des Feuerorkans, der tosenden Geiser und Wirbel giftiger Wolken auf der
+zerwühlten, zerrissenen, brüllenden, verzweifelt ihre Fetzen um sich
+werfenden Erde. Kämpfen wie auf dem Podium. Angestiert von der verblüfft
+glotzenden Umgebung. Die Amerikaner haben vielleicht gewettet. Und Achim
+schlägt den Gegner nieder. Der Amerikaner ist geworfen -- aber -- es
+gibt keine Symbole mehr -- Amerika wirft uns. Und jetzt passen Sie auf,
+von diesem sieghaften Zweikampf her hat er einen Lichtschein mitgenommen
+in seine Dämmerung. Der einzige, den er hat. Und er hütet ihn mit einer
+Leidenschaft. Er hat von jeher mit Hingabe Sport getrieben, am liebsten
+den, bei dem es ganz und allein auf die eigenen Glieder ankommt. Im
+Boxen war er immer ein Meister. Jetzt gibt es kaum für ihn etwas anderes
+auf der Welt. Sein Tagewerk beginnt mit stundenlangem Training. Immer
+hat er Besuch von »Professionals« und von »Amateuren«, mit denen er
+stundenlang übt. Auch sein Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist
+ein alter erfahrener Faustkämpfer von Beruf. Seines Geistes Nahrung: die
+Sportberichte und Sportzeitungen. Für die Wirtschaft bleibt so gut wie
+nichts übrig. Und -- das Leben meiner Tochter können Sie sich
+vorstellen.«
+
+Frau Tilde mit ihrer zarten Geistigkeit, ihrer stillen Empfindungskraft
+und Tiefe! Wie vieles von der Klage ihrer Augen, von dem wehen Lächeln
+um ihren Mund ward Horst verständlich.
+
+»Eine Leidenschaft -- wie die Spielerleidenschaft, die auch auf Trümmern
+wuchert. Und auch unausrottbar ist.« So schloß Herr von Borkhus, stark
+bewegt.
+
+Das Ehepaar kam ins Zimmer. Sie wollten gleich nach Mönkhov
+zurückfahren. Frau Tilde begrüßte Horst in aller Freundschaft. »Es ist
+mir ein wahrer Trost, daß Vater Sie alle in der Nähe hat. Ihr seid hier
+am dichtesten bei der Stadt und hier wird es zuerst losgehen.«
+
+Und wieder Herr von Borkhus mit seiner überlegenen Zuversicht: »Kinder,
+ich rat Euch sehr, an Euch selbst zu denken! Die Ihr mit Eurem Koch eine
+Brandfackel in diese Welt geworfen habt. Mir unter meinen Leuten kann
+und wird nichts geschehen.« Und in seinen Augen strahlte auf, was noch
+an Licht in ihnen war.
+
+
+
+
+ Märzenglanz -- Herzentanz
+
+
+In die deutsche Not jubelte ein früher Frühling hinein. Ein zärtlicher
+Hauch läutete die Schalmeien der Primeln, der Leberblümchen und
+Anemonen. Über der Heide in Frohlocken taten die Lerchen ihren
+Sonnendienst. Knisternde Seide war die Luft. Wer an sie rührte, dem
+gingen prickelnde Schauer durchs Blut.
+
+Ein Sonntag. Die jungen Siedler zogen nachmittags in die Stadt, auf die
+Dörfer zum Tanz und suchten sich was zum liebhaben.
+
+Kunz in holdem Ungestüm dunkler Sehnsucht streifte durch die Welt. Ihm
+war's, es müßte ihm heut ein Wunder geschehen. Er schritt allein, ohne
+Muz -- auch der war heute auf Frühlingsabenteuer aus. Und nun sang er
+sich den Knickbusch entlang, der hier zwischen Wiese und Heide lief,
+träumte sich in Kinderspiele hinein und in Märchen.
+
+So in gedankenlosem Stammeln und Dammeln geriet er auf die Dorfstraße.
+Und kam an dem Pfarrhausgarten vorüber. Wie er über die Rotdornhecke
+blickte, sah er etwas, was ihn stillstehen hieß.
+
+Ein kleiner Turnplatz war hier eingerichtet. Eine Mädchengestalt, zum
+Entzücken geschmeidig, im Turnanzug, hing am Reck. Jetzt machte sie die
+Schwungstemme, leidlich. Sie war selbst nicht zufrieden und wiederholte
+die Übung.
+
+Kunz hatte es nicht mehr draußen gelitten. Er war kurzen Fußes durch die
+Pforte eingetreten, stand schon im Sand der Arena und riet
+sachverständig, als die ihm abgekehrte zur zweiten Wiederholung sich
+anschickte: »Das Kreuz mehr durchdrücken. Und den Kopf weiter zurück.«
+
+Sie sah hängend über die Schulter zu ihm hin, gar nicht erschreckt, fast
+ungestört. Machte den Aufschwung, um nach oben, auf ihre Stange und in
+die richtige Position gegen Eindringlinge und Unberufene zu gelangen.
+Setzte sich oben hin, den Arm um den Pfosten, und blickte vernichtend
+herab auf den Störenfried.
+
+Er hatte geglaubt, ein Kind vor sich zu haben -- nun brach er zusammen
+vor so viel damenhafter Ablehnung und Unnahbarkeit.
+
+Kunz war nur zweimal in seinem immerhin bewegten Leben verlegen gewesen.
+Dies war der dritte Fall. Und er fragte etwas, wie ein Schuljunge, wußte
+selbst nicht wonach: ob er hier zum Herrn Pastor käme?
+
+Da oben der geschürzte Mund bewegte sich nicht, die Augen blieben
+drohend -- nur durch das rechte Bein ging ein kurzer Ruck, und die
+Fußspitze wies den Weg nach rechts.
+
+Kunz wurde ratlos. Ratlosigkeit war ihm das Weltenfernste. So wurde er
+sinnverwirrt, und seine Haltung zerfiel. Er wollte lachen, aber es wurde
+nur so ein geohrfeigtes Lächeln, und eine Heftigkeit stieg ihm in die
+Kehle. So kam es denn stoßend heraus: »Sagen Sie mal, sind Sie stumm?
+Oder verbergen Sie einen Zungenfehler?«
+
+Nun wurde aus dem eisigen Drohen da oben eine spitze Niederträchtigkeit.
+»O nein -- aber ich kann die dicken Menschen nicht leiden.«
+
+Kunz, der Arme! Dieses war nun tödlich. Hier gab es keine Rettung. Jetzt
+lag er platt auf der Nase. Ein Kübel Eiswasser war ihm über den Schädel
+gegossen. Schauernd lief es ihm die Rückenrille hinunter. Bis in Mark
+und Seele fror es ihn aus. Nützten ihm die verzweifelten Hilferufe
+seiner Selbstgespräche? Dick -- dick! Ich bin nicht dick! Daß ich diesen
+unglückseligen Kartoffelkopp habe --! Aber meine Glieder -- könnt ich
+die zeigen! Ja -- geschlemmt hab ich ja wohl ein wenig -- in Wildbraten
+-- gewildertes schlägt besonders gut an -- aber dick -- um des Himmels
+willen -- dick --! --
+
+Der Mantel ist schuld! Dieser elende Sack, den sein Vetter, der bauchige
+Generalstrebler, ihm vererbt hat!
+
+Runter mit den Lumpen! Reißt den Mantel ab -- wirft die Mütze hin --
+stürzt sich auf das Reck -- nur die eine Wiedergeburt seiner Ehre gibt
+es -- die schnippische Sylphide da oben flattert entsetzt auf und hängt
+dann bebend an dem einen eng umarmten Pfosten -- Kunz hat die Stange
+ergriffen -- schon fliegen die Beine hoch -- fliegen zurück -- und nun
+in tadellosem Riesenschwung schlägt der gestreckte Leib Rad durch die
+Luft -- einmal -- zweimal -- dreimal -- viermal --
+
+Da aber, in dem wütenden Eifer, versagen die Hände -- sie gleiten von
+der glatten Stange -- in hohem Bogen wird der Körper weit
+fortgeschleudert und fällt schwer wie ein Klumpen in dem Gesträuch dumpf
+auf die Erde.
+
+Mit geisterhaften Eulenaugen hockt die Turnerin da oben -- wie in eine
+Vision geschreckt und gebannt -- dann gleitet sie zu Boden in die
+Wirklichkeit -- jetzt weiß sie, was geschehen ist -- ein Unfall -- dem
+Gestürzten helfen --! --
+
+Sie läuft in das Gebüsch -- da sitzt er, mitten in einem dornigen
+Stachelbeerstrauch -- die eine Backe ist blutig geritzt -- er fühlt mit
+den Fingern hin -- dann beschmiert er sich lustig indianermäßig das
+Gesicht mit Kringeln und Schleifen -- legt die Arme übereinander wie ein
+Götzenbild -- verbeugt sich im Sitzen vor der scheu sich Nahenden und
+verkündet hohl: »Mein Name ist Rutenberg.«
+
+Dann lacht er laut und herzhaft mit seinem wunderhübschen Mund.
+
+Da denkt sie, was ist das für ein lieber fröhlich verrückter Junge, und
+sie lacht zurück. »Haben Sie sich auch nichts getan?«, fragt sie sorgend
+und hilfsbereit.
+
+Er schüttelt höchst munter den Kopf. »Aber den Seismographen in den
+Erdbebenwarten habe ich gehörig eins ausgewischt.«
+
+Sein Platz scheint ihm immer noch zu gefallen. Er macht keine Miene,
+sich zu erheben, und spricht belehrend weiter: »In unserer Reiterhorde
+war ich wegen meines losen Sitzes berühmt. Jetzt weiß ich doch, daß ich
+auch im festen Sitz Vorbildliches leiste.« Und damit versucht er
+aufzustehen. Es geht langsam, aber dafür tut es weh.
+
+Sie greift zu, ihn zu stützen, da gibt er sich einen gewaltigen Ruck,
+der ihm durch alle Knochen fährt. Doch damit hat er sich beisammen und
+ist wieder fest auf den Füßen.
+
+Nun der Sorge um ihn ledig, sieht die Kleine die Stelle sich an, wo er
+so unsanft den Planeten erschüttert hat. Der Stachelbeerbusch ist
+heillos verwüstet. Da zieht sich ihr feines Gesicht in die Länge. »Oh,
+das ist einer von Vaters neuesten und besten -- im Jahre 17 gepflanzt,
+als er auf Urlaub hier war -- ein blood hound. Nun müssen wir hin zu ihm
+und ihm gleich alles sagen. Sonst geht es uns schlecht.«
+
+Wir -- und uns -- so war die Freundschaft geschlossen zwischen Vita
+Waermann, dem Pfarrertöchterlein, und Kunz Rutenberg, dem Siedler und
+Soldaten, dem Wilderer und Turner, der eher die Erde zertrümmerte, als
+daß er dick sein wollte.
+
+Und nun standen sie vor dem Pastor, einem geraden, schlank gewachsenen,
+helläugigen Mann, der viel eher soldatisch, als geistlich sich hielt. Er
+war zuerst als Feldprediger draußen gewesen, dann hatte er als Offizier
+in der Front gestanden. Jetzt ging er nach schwerer Verwundung am Stock.
+Erst vor acht Tagen hatte Vita ihn aus dem Genesungsheim abgeholt und
+seit heute, Sonntag, versah er wieder sein Amt.
+
+Unter den Gottesgelehrten zählte er nicht zu den Gekrönten. Aber in der
+Obstzucht war er Baas und ein Vorkämpfer für die Fruchtweinkultur als
+eine fruchtbare Erwerbsquelle auf deutschem Boden. Berühmt war sein
+eigener Stachelbeerwein, so daß ein zungenfertiger Amtsbruder ihn also
+gefeiert hatte: »Ein Pastor und ein Wehrmann und auch ein
+Stachelbeermann.«
+
+Diesen geradezu leidenschaftlich zärtlichen Vater seiner Sträucher mußte
+man schonend vorbereiten. Er vernahm alle Einzelheiten, wie das junge
+Freundespaar die Bekanntschaft geschlossen hatte -- das Außergewöhnliche
+sollte seine Vorstellung auflockern für Ungeahntes, Unsägliches. Aber
+die Katastrophe, die seinen Busch zerschlagen hatte, fuhr ihm doch ins
+Gekröse.
+
+Spornstreichs stakte er los in den Garten. Die beiden blieben zurück,
+zwei gescholtene, zitternde Kinder -- blieben beieinander, miteinander,
+als trügen sie beide an der Schuld. Und durch Kunz strömte die
+Glückseligkeit der Gemeinschaft, die sie auf sich genommen hatte -- für
+ihn.
+
+Der Vater Stachelbeermann kam kopfschüttelnd zurück. »Gerade auf den
+blood hound.« Vorwurfsvoll: »Und es ist doch so viel Platz im Garten!
+Aber, wenn Sie schon eine Sitzgelegenheit in meinen Ribitzeln suchten,
+warum haben Sie sich nicht lieber dem Schoße der Queen Mary oder der
+smiling beauty anvertraut?«
+
+Hiermit ging es nun schon schalkhafter zu. Und jetzt flog das letzte des
+längst schon lächelnden Unmuts davon, und die Gastfreundschaft öffnete
+völlig und warm dem Besucher, der mit einem Riesenschwung in das Leben
+des Pfarrhauses sich befördert hatte, die Arme.
+
+Kriegserinnerungen das erste und die leuchtenden Flammen -- und dann das
+würgende Grau der Friedensnot. Und jetzt Glaube und Wille und Gelöbnis.
+Wir werden sie zerbrechen, unsere Handschellen! Und dann -- ein gutes
+Werk werden unsere freien Hände verrichten -- gute deutsche Arbeit
+werden sie tun! Ja, ihr lieben Feinde Deutschlands -- die Zeit kommt --
+sie kommt, sie kommt, und es fluscht mal wieder!
+
+»Jetzt müssen wir wieder nach einem anderen Katechismus beten«, sagte
+Pastor Waermann. »Jetzt hol ich mir wieder meinen alten Ernst Moritz
+Arndt hervor.
+
+»Wer Zwingherrn bekämpft, ist ein heiliger Mann! Wer Übermut steuert,
+tut Gottes Dienst! Das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt! Das ist
+das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt!« -- So der Alte und so
+jetzt wir Neuen. Dies, dies ist unsere Glaubenslehre. Und keine andere
+verkündige ich, bis der neue Tag anbricht.«
+
+Kunz hätte ihm um den Hals fallen mögen. Mit großen, glücklichen Augen
+sitzt er da. Wir haben ihn, den Seelsorger, den wir brauchen! So Gutes
+ist uns Siedlern beschieden! Und ich habe ihn gefunden -- an der Hand
+des wonnesamsten Mägdeleins. Ich wußte ja, daß mir ein Frühlingswunder
+geschehen würde! O du gebenedeite, verunglückte Riesenwelle am Reck, die
+in diesen Lichtkreis mich fliegen ließ. Mich, den Entdecker, mich, den
+Boten des Heils für die Kameraden.
+
+Vita, jetzt ganz als das Hausmütterchen angetan, das sie in ihrem
+Hauptberufe war, brachte den Kaffee. Was hat sie für wundervolle Augen,
+denkt Kunz. Nichts als Augen, Augen das ganze holdselige Gesicht.
+Graugrün sind sie, wach, hell, groß und weit, und sehen alles, sehen bis
+auf den Grund. Katzenaugen sind es, die schönsten der Welt.
+
+Wie kräuselt sich dieses rotbraun flammende Haar in Löckchen, in
+goldigem Flaum um die schmale trotzige Stirn! Wieviel eigenwillige Kraft
+spannt sich um diese leicht geschwungenen, ein wenig höhnisch
+geschürzten Lippen.
+
+Sehr ernst und verantwortungsvoll ist jetzt ihr Gesicht, ein wenig
+altklug wirkt so viel Würde, denn ihre Erscheinung hat immer noch etwas
+Kindliches trotz ihrer achtzehn Jahre.
+
+Der Vater fährt ihr über die Stirn, die kraushaarige. »Meine Katz im
+Schürzenlatz! Ist das nun so schlimm?«
+
+»Ach ja, Vater.«
+
+»Dieses »ach ja« hat es in sich. Sie verwünscht ihr Geschlecht. Als es
+in den Krieg ging, wollte sie absolut mit. Vierzehn Jahre und ein Mädel.
+Festbinden mußte man sie.«
+
+»Ich wär da draußen schon was nutz gewesen. Und hätte ich Euch bloß
+Kugeln in die ersten Reihen getragen. Wie die Johanna Stegen.«
+
+»Ich trau Dir nicht. Du hättest mitgeschossen.«
+
+»Vielleicht.« Und dann sagte sie: »Nun, das nächste Mal.«
+
+Das nächste Mal. Dieses unheimlich große Wort -- in der kindlichen
+Leichtherzigkeit, die es sprach, war doch der Klang aus tiefster Qual.
+Die die Mädchenseele schlug, wie die Männerherzen.
+
+Das nächste Mal! Wie ein Denkmal stand vor ihnen dieses Wort. Furchtbar
+und erhaben. Gebaut aus schwerster Not und düsterster Notwendigkeit und
+gekrönt mit Flammen.
+
+
+
+
+ Die Goldberge
+
+
+Lud Uhlenbrook hatte ein Grab geschaufelt. Frühling der Mörder -- mit
+allem, was nur noch wenig Leben hat, macht er ohn Erbarmen kurzen
+Prozeß.
+
+Auf dem Kirchhof war der Alte mit Lona zusammengetroffen. Sie begleitete
+ihn nach Hause. Es gab sonst in ihren Gesprächen keine Politik. Aber
+hier, wo die Luft und alles, was sie atmete, mit Hochspannung geladen
+war, sprach die Politik von selbst.
+
+»Kommt nun der Streik?« fragte der Alte.
+
+»Er kommt.«
+
+»Hier auch?«
+
+»Hier zuerst.«
+
+»Und hier haben die Leute es noch am besten.«
+
+»Eben deshalb zuerst hier.«
+
+Da blickte der alte Lud nun doch in dunkle, ihm unbehagliche Gründe, und
+er schüttelte den Kopf. Aber er rührte nie an anderer Leute Glauben und
+Tun, und ließ sich selbst nicht daran rühren.
+
+»So viel kann ich Euch sagen, ich mache nicht mit.«
+
+»Lud« -- dies ungleiche Paar nannte sich beim Vornamen und duzte sich --
+»hier gibt es nur ein entweder oder!«
+
+»Dann also oder.«
+
+»Und damit stehst Du auf der Seite der andern.«
+
+»Ich steh für mich allein.«
+
+»Das gibt es nicht. Ein Allein gibt es nicht. Denn hier ist Krieg, und
+hier ist Feind und Freund. Du aber bist unser Freund -- der Freund der
+Unterdrückten -- Du selbst ein Mißhandelter.«
+
+Sie war nun anders, sie rührte schon an den Glauben anderer mit ihrem
+Fanatismus, der ganz von selbst Proselyten machen mußte. Und der
+Hochschwall der Propaganda brach über den Alten herein.
+
+Er schüttelte Schopf und Fell und sprühte den Wasserfall wieder von
+sich. »Ich hab jetzt 'ne Arbeit, die mir Spaß macht. Und darum bleibe
+ich bei der Arbeit. Ich zeig den Siedlern, was Torf ist. Und die Jungs
+mag ich leiden.«
+
+Sie rannte nicht mehr an gegen diesen eigenwilligen Zyklopen. Er hatte
+seine Höhle, die Einsamkeit. Wenn man ihn störte, kroch er in den
+Schlund. Aber ihre Wut durfte sie befeuern gegen die Siedler, sie, die
+gefährlichsten der Gegner, die festesten, die gewappneten und bewehrten.
+
+In der letzten Zusammenkunft, als der Haß gegen diesen Trupp der
+Reaktion die Gemüter aufwühlte, hatte Genosse Knubart, der lauernd
+Schläfrige mit der viereckigen Stirn und der sichernden Nase, in seiner
+lässigen Art bemerkt: »Ihre Burg ist eine Holzbaracke. Und Holz brennt
+so leicht!«
+
+Seit der Zeit fieberte der Gedanke in ihr: den roten Hahn ihnen aufs
+Pappdach! Ein paar Handgranaten, geworfen in der Nacht bei
+Frühlingssturm --! --
+
+Wie standen diese Männer ihr im Wege bei dem Werk ihrer langsamen,
+kalten Rache an dem Zerstörer ihres Lebens -- nicht weniger als bei der
+großen Tat der Volkserneuerung.
+
+Lud, der gute, fühlte es, wie die giftige Glut wieder in ihr auflohen
+wollte. Er nahm mit seiner vollen zärtlichen Pranke ihren Arm.
+»So, Lütt, jetzt kommst Du mit rein, wir kochen uns einen
+Sonntagsnachmittagskaffee. Und Du läßt Dir vom Moor etwas
+vormusizieren.«
+
+Als sie beisammensaßen, klopfte es, und Horst trat in die Stube. Der
+Alte, der ihm zugetan war, hieß ihn herzlich willkommen. So setzte er
+sich zu ihnen. Zuerst heizten sie mit Torf die Unterhaltung. Horst
+brachte eine gute Nachricht. Die alte Schlickeysensche Torfmaschine, die
+lange unbrauchbar gelegen hatte, weil niemand hatte entdecken können,
+was ihr eigentlich fehlte, war von einem seiner Leute wieder instand
+gesetzt worden. Jetzt konnten sie also kräftig ins Zeug gehen!
+
+Horst war fröhlich und frisch. Mit einer kleinen bewußten Grausamkeit
+ließ er diesen Erfolg der Siedlung ausklingen. Er wußte, daß alles, was
+mit ihr zusammenhing, Lona zuwider war, die abgekehrt und verschlossen
+dasaß. Mit diesem hochmütigen Gesicht und den in sich gekehrten, den
+umgekehrten Augen, die er kannte. Sein Frohmut sollte der Abhängigkeit
+wehren.
+
+Das Weib in ihr hatte längst gespürt, daß sie auf ihn wirkte. Ebensogut
+empfand sie, wie er jetzt dieser Wirkung widerstrebte. Daß er sich
+schützen wollte, bestärkte sie im Bewußtsein ihrer Machtmittel. Aber sie
+war nicht verschlagen, nicht verschmitzt und tückisch genug, um
+erotische Listen in den politischen Kampf zu tragen. Judithregungen
+kleineren oder größeren Formats lagen ihrer Natur fern. Ehrlich wie ihr
+Schmerz um den getöteten Freund, ehrlich wie ihre kommunistische
+Überzeugung war ihre Feindschaft, ihr Haß, ihre Rachsucht. Vielleicht,
+daß aus dieser Wahrhaftigkeit die Kraft stammte, der Horst sich nicht
+entziehen konnte.
+
+Schon war sein Mitleid wieder obenauf, stärker als der Hang, an ihrem
+Hochmut, dem unleidlichen, sich auszulassen. Und wieder lockten ihn die
+Geheimnisse ihres Wesens, ihres Lebens, ihres Wirkens.
+
+Heut brech ich den Bann! Ist sie nicht auch ein Mensch, ein Weib, ein
+junges Weib -- mehr als Dogma, als Klage, als Anklage und Rache? Atmet
+sie nicht den Frühling wie wir? In dieser Breite, die ihre Heimat ist!
+
+Wer kann von der Heimat sich lösen? Niemand, auch sie nicht. Hat etwas
+die Macht, diesen einen Klang in uns auszulöschen? Nichts auf der Welt,
+kein Unglaube, kein Glaube, kein Fanatismus in Gedanken und Gefühlen,
+keine Ekstase, keine Verdumpfung -- selbst in unsern Wahnsinn tönt der
+Klang hinein. Und mag sie noch so gefangen sitzen in ihrem starren
+System -- was sind Mauern für diesen Klang?
+
+Sie ist in der Heimat, die vom Frühling erschauert. Was bleibt bestehen
+von der Welt, die sie sich aufgebaut hat in der künstlichen Mühsal
+keuchender Gedanken! Hier ist nun einer, der den Frühling Deiner Heimat
+mit Dir atmet -- er pocht an Deine Verschlossenheit. Wird ihm nicht
+aufgetan?
+
+Sprichst Du nicht mit deutscher Zunge wie er? Ist nicht in Dir wie in
+ihm deutsches Leben -- ob es an ungleich gestimmte Saiten rührt? Sind
+nicht beide in Not, er wie Du! Sind beide nicht Suchende, Klimmende,
+Steigende -- wenn auch auf verschiedenen Wegen, wenn für den einen der
+andere auch in die Irre geht!
+
+Und vor Horst leben die Worte Gisberts auf -- was reden wir immer und
+immer von den Unterschieden! Das Gemeinsame sollen wir suchen, des
+Gemeinsamen sollen wir uns bewußt sein, immer und immer!
+
+Du sprichst deutsch und ich spreche deutsch -- wir sollten nicht
+miteinander sprechen können? Und Horst richtet das Wort an Lona.
+
+»Kennen Sie unsere Goldberge hier?«
+
+»Ja.«
+
+»Haben Sie sich einmal von da oben die Welt angesehen, jetzt im
+Frühlingsglanz?«
+
+»Nein.«
+
+»Das sollten Sie tun. Die See -- das Dünengelände -- die gotischen Türme
+der Stadt -- all die Dörfer, eingebettet in Gärten -- ein Schimmer von
+Grün haucht schon aus dem Grau. Und wie hierher nach Westen das hüglige
+Feld in die Moorniederung verrinnt -- man sieht nicht viel so Schönes in
+unserm Norden.«
+
+Sie ging artig darauf ein, wenn auch kühl und freudlos. »Damit machen
+Sie einem beinahe Lust. Leider aber bin ich so einigermaßen
+landschaftsblind.«
+
+»Das glaube ich nicht.«
+
+»Nicht?«
+
+»Nein. Weil Sie doch in der Musik leben.«
+
+Sie stutzte. Was weißt Du und was willst Du von mir? Dann ging sie den
+Zusammenhängen in seinen letzten Worten nach.
+
+Horst aber, da er jetzt bei »musikalisch« war: »Uhlenbrook -- Meister --
+die Goldberge klingen ja -- deutlich hab ich das gehört!« Jungenaugen
+glänzten dazu, wie voll von leuchtendem Märchenschreck.
+
+»Wenn Sie das gehört haben,« sagte der Alte, »dann sind Sie auch einer
+von den Erlesenen.«
+
+»Erlesen? Wozu?«
+
+»Jetzt will ich Euch erzählen, was das mit den Goldbergen ist.« Wie die
+Sage saß er in seiner Tabakswolke. »Da liegt ein König begraben, ein
+Heerkönig, ein Seekönig. Der Mächtigste, den es gegeben hat. Der
+Reichste an Taten, an Ehren und an Schätzen. Alle Meere hat er befahren,
+von allen Küsten brachte er Gold und Gut nach Hause. Das deutsche Meer
+aber war sein Reich, hier durfte niemand fahren ohne seinen Willen. Mehr
+Jahre hat er gesehen, als die anderen Menschen und war darum auch weiser
+als sie. Und wie es zum Sterben mit ihm ging, da befahl er, daß alle
+seine Schätze mit ihm ins Grab gesenkt würden. Schätze darf man
+erwerben, aber nicht vererben. Er sah seinen Nachfolger -- und sah den
+Verfall seines Reichs. Mit einem Fluch über jede gierige Hand, die an
+das begrabene Gold rühren würde, streckte er sich auf sein Sterbelager.
+Denen aber, die nichts für sich selber wollen und begehren, die alles,
+was sie selber haben und selber sind, dem Volke darbringen, denen
+klingen die Stimmen aus dem Grunde. Denen singt das versenkte Gold. Ihre
+reinen Hände sollen es heben, ihnen soll es die Macht mehren, daß sie
+dem Volke helfen zu alter Herrlichkeit.«
+
+Horst überlief es wie leise zitternde Runen. Lona aber blickte wieder
+voll Hohn.
+
+»Und das Reich des alten Königs zerfiel. Und das deutsche Meer war nicht
+mehr deutsch. Sein Nachfolger wollte mit habsüchtigen Händen die Schätze
+sich heraufholen, da erschlug ihn ein Nebenbuhler. Den aber meuchelte
+ein anderer. Die Herrlichkeit kam nicht wieder herauf. Weil die Sinne
+gierig waren und die Hände nicht rein. Und wie um den Kyffhäuser die
+Raben, fliegen die Raubmöven um diesen Berg. Wenn aber eines Menschen
+Fuß seine Höhe betritt, zu altheiligen Zeiten, zu Frühlingsanfang, zur
+Tag- und Nachtgleiche, in der Thomasnacht, der längsten des Jahres, der
+ersten der wilden Nächte -- und es tönt dann das Klingen zu ihm auf, so
+ergeht an ihn der Ruf. Zum Helfer bist Du erkoren! Bleib getreu und
+halte Dich bereit!«
+
+Bleib getreu und halte Dich bereit, so klang es nach in Horst. Und ihn
+störten ganz und gar nicht Lonas hochgezogene Lippen.
+
+Sie schwiegen eine Weile. Jeder blieb bei seinen Gedanken. Das deutsche
+Meer soll wieder deutsch werden! so flammte und lebte es in Horst.
+
+Jetzt nimmt Lona das Wort. »Es spricht ja wohl so mancherlei für den
+alten Herrn Deiner Sage. Obwohl sein großartiger Standpunkt: das Gold
+ist verflucht, stiehl Du also möglich viel für Dich zusammen, damit es
+den andern nicht schadet -- obwohl dieser Standpunkt ein Maß von Edelmut
+bekundet, wie ihn nur der Kapitalismus aufbringen kann. Im übrigen --
+warum die Deutung seines Vermächtnisses nun gerade in Patriotismus und
+in Hurra auslaufen muß? Reine Hände und das Wohl der Gemeinschaft -- was
+heißt das anderes, als daß sich niemand mit eigenem Besitz besudeln
+soll!«
+
+Über Horst leuchtete eitel Friedfertigkeit. »Ist das nicht das
+Wundervolle an unseren Sagen, daß sie mehr sind als ihre Deutungen? Daß
+sie alle beschenken, alle beglücken!«
+
+Lona gab nichts darauf. Sie lehnte sich zurück und sagte dann in ihrer
+laschen Überlegenheit: »Der eine Gedanke, muß ich ja sagen, macht mir
+gerade hierbei ganz besonderen Spaß. Wie Ihr Teutonen immer über die
+Juden herzieht mit ihrem goldenen Kalb. Und über ihre Psalter mit dem
+Golde aus Reich Arabien. Seht Euch doch einmal Eure eigenen
+Überlieferungen an. Um was geht es denn bei Euch? Nur und immer! Da ist
+das Rheingold -- da ist der Nibelungenhort. Im Waltarilied -- diese
+begeisternden Kämpfe Eurer Urzeithelden, in denen sie sich frohlockend
+Arme und Beine glatt mit dem Schwerte abschlagen, um was werden diese
+Heldenkämpfe geführt? Um den Hunnenschatz, den der edle Walter dem alten
+Etzel ausgespannt hat. Und dann im ganzen Mittelalter, diese König- und
+Kaiserkämpfe! Wer den Kronschatz hat, hat auch die Mannentreue. Die
+Geschichte dieses Buschkleppertums -- läuft sie nicht weiter durch die
+folgenden Jahrhunderte? Und geht es nicht in derselben Tonart fort bis
+in unsere Tage? Was sagt Ihr dazu, Ihr Weisen aus dem Abendlande? Wie
+heißt doch Euer Sprichwort? Treu wie Gold!«
+
+Verdrossen winkte sie selber sich ab, und Horst hatte keine Neigung nun
+groß sein Streitroß aufzuschirren. Wogegen? Gegen eine blendende äußere
+Dialektik, die an dem tieferen Wesen der Dinge vorbeijongliert?
+
+Er sagte nur ein bedächtiges Wort, das nicht angriff: »Solange das Gold
+konzentriertes Brot ist --! Und solange der Mensch Brot zum Leben nötig
+hat --! Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.«
+
+Sie wollten beide nicht die Klingen kreuzen. Auch in ihr kam eine
+Sehnsucht nach Stille auf, eine Lust, sich zu dehnen und die leisen
+Schwingungen des Frühlings aufzunehmen wie ein streichelndes Heilmittel
+für die wehen Nerven und das müde Blut.
+
+Lud Uhlenbrook hatte die Blicke auf seinem Moor. Dabei stöhnte er
+unsäglich. So brüllt nur das Glück. Rehwild zog äsend an dem Waldrande
+hin. Durch die leichten Zirruswolken streute die Nachmittagssonne
+wehende Lichter wie Blütenflocken auf den grünlichen Dämmer der
+erwachenden Gräser. Fröhlich kreisend schwangen sich Kibitze über den
+Wiesen.
+
+Der Alte paffte seinen Knasterdampf vor sich. Dadurch sah ihm seine Welt
+noch zauberhafter aus. Mit einer fröhlich herben Absage an die beiden:
+»Wenn ich dies hier habe -- was geht mich das da draußen an! Ich pfeif
+auf Euren Kram! Schlagt Euch die Köpfe ein, daß ich was zu begraben
+kriege! Der Moordeubel bin ich, und der Torfdeubel bleib ich und dem
+lieben Gott sein Lieblingsdeubel dazu! So -- und wenn einer gegen mein
+Moor was sagt --! --«
+
+Lona regte sich. »Ich sag was, Lud Uhlenbrook. Du stehst vor Deinem Moor
+wie der Ausrufer vor seiner Schaubude. Aber lauter Freud und Wonne ist
+es wirklich nicht mit ihm. Ich bin da vor kurzem ganz gefährlich in den
+Sumpf geraten -- ein paar Schritte weiter, und Du hättest mich in Deinem
+Raritätenkabinett gehabt.«
+
+»Ja« -- und nun wurde der Alte großäugig angstvoll und warnte schwer,
+»wie darfst Du auch weglos auf ihm herumabenteuern!« Die Pfeife wollte
+ihm ausgehen.
+
+»Und ganz übel,« fuhr Lona fort, »ist dieser Fluß, der sich da
+hindurchwindet, schwarz, träge und drohend. Ein Fluß, der nicht fließt,
+der tückisch schleicht -- er plätschert nicht, er rieselt nicht, er
+schult nur immer düster nach einem hin. Und seine angefaulten Weiden,
+denen alle struppigen Haare sich sträuben -- menschenfreundlicher machen
+sie ihn nicht.«
+
+Horst, der ihr mit weiten Wimpern zuhörte: »Und Sie wollen keinen Sinn
+für Landschaft haben?«
+
+»Höchstens da, wo die Landschaft -- für mich so lebhaften Sinn hat. Aus
+einer Art Notwehr. Ich kann mir nicht helfen, unheimlich ist mir das
+Moor geworden.«
+
+Der Torfmeister sah ihr durch und durch. »Du hast die Moorangst, Kind!
+Daß Du es nie ohne mich betrittst! Wer vorm Moore bangt, wird von ihm
+gelangt!« Er hatte jetzt etwas Gewaltiges in den Augen. Und seine Worte
+zwangen.
+
+Halb unwillig sagte Lona: »Wie ein alter Zauberer bist Du.« Aber ein
+Nachdenkliches blieb über ihr.
+
+
+
+
+ Orgelklänge
+
+
+Lona machte sich zum Heimweg fertig. Auch Horst wollte gehen. Heute
+widerstrebte sie seiner Begleitung nicht.
+
+Erst sprachen sie von dem Alten. Sie hatten Scheu, den neutralen Boden
+zu verlassen, den einzigen wohl, den es für sie gab. Dann aber wurde
+Horst mutiger. Er wollte von ihrem Leben wissen. Er fragte.
+
+Sie hatte erst die großen Augen, erstaunt, unwillig. Dann aber -- er war
+ihr nun doch schon in größere Nähe gerückt -- dann hörte er von ihr. Daß
+sie als Schwester im Felde gewesen war, all die Jahre. Hinausgegangen
+mit dem flammenden deutschen Herzen -- heimgekehrt in der Seele den Haß
+und den Fluch auf den Krieg, auf das nationale Wüten, den nationalen
+Frevel, daran die Menschheit sich zerreißt und zerfleischt und
+verblutet.
+
+In wieviel brechende Augen hab ich gesehen, wieviel letzte Worte hab ich
+gehört! Unwahr ist, was in Euern Büchern steht! Von der Verklärung in
+Opferwilligkeit! Von dem letzten Licht, dem letzten Gedanken: fürs
+Vaterland! Nichts hab ich gefunden als Klage, Groll, als Verzweiflung
+und Verwünschung!
+
+Sie rief es in Ekstase.
+
+Wie hast Du Dich selbst betrogen, dachte Horst. Nur, was Du sehen
+wolltest, hast Du gesehen! Ich weiß auch von brechenden Augen! Ich weiß
+auch, wie deutsche Männer gestorben sind! Daß der Tod vorm Feinde ihnen
+des Lebens Erfüllung war!
+
+Das große Sterben -- es war zuviel für Deine Frauenseele. So bist Du
+verstört, so ist sie irre geworden. Und in Horst schwang das alte
+Mitleid.
+
+Sie selbst wollte auch jetzt keinen Kampf der Meinungen. Von ihrer
+eigenen inneren Wandlung sprach sie nun, offen und mitteilsam. Daß
+alles, was sie an Gottesglauben mit herausgetragen habe, ihr im Felde
+zertrümmert worden.
+
+Ich konnte einmal beten -- ich hatte meine Zweifel und kehrte zur
+Andacht zurück -- dann aber hatte ich nur noch ein Lachen für mein
+Gebet.
+
+Es war an der Aisne, in der Osterzeit. Unser Feldlazarett war überfüllt
+-- wir betteten eine große Anzahl weniger schwer Verwundeter in der
+Dorfkirche. Ein paar Operationen waren gemacht. Alle schienen gerettet,
+alle, die hier lagen, hofften und träumten sich ins volle Leben hinein.
+Der Ostersonntag. Draußen ein geradezu jubelnder Frühling. Da baten sie
+mich, ich möchte ihnen doch die Orgel spielen. Ich tat es freudig, ich
+selbst war dankbar und fromm. Das Auferstehen war in meinen Klängen. Und
+voll Dankbarkeit und Frömmigkeit war das Gotteshaus. Nie ist reinere
+Andacht gen Himmel gestiegen. Und plötzlich -- in die innigste Feier der
+Seelen hinein -- das Grausigste, das Grausamste an wilder Vernichtung.
+Ein Volltreffer aus schwerstem Geschütz. Die Decke stürzt ein. Die
+Hilflosen, Schmerzensreichen, ans Kreuz Geschlagenen werden
+zerschmettert, verschüttet, zermalmt. Hosianna in der Höhe! Ich mit der
+Orgel hänge in dem Gebälk. Ich kann mich nicht rühren, kann nicht
+hinunter. Kann nicht helfen. Und niemand kommt. Die Zeit erstarrt in
+Grauen. Abenddunkel. Die letzten Schreie sterben, das letzte Röcheln der
+Gemarterten erlischt. Ich -- allein. Und -- eine andere geworden --
+
+Sie schwiegen. Worte hatten hier nichts zu sagen.
+
+Verstehen! Das war es, um was Horst im Innersten rang. Und die Frau, die
+zerwühlte, zerquälte, wurde ihm vertrauter. Ihrer Welt, der fremden,
+feindlichen, verschloß er sich nicht mehr in eigenem Glauben, eigenem
+Willen, eigenem Werk.
+
+Sie aber fühlte, daß hier Schranken fielen. Daß es für sie beide, über
+ihre Gegnerschaft und ihre Gegensätze hinaus, ein Schwingen gab, dem sie
+nicht mehr widerstrebte. Einen Klang, auf den etwas in ihr lauschen
+mußte. Also doch etwas Gemeinsames?
+
+Und wohl blinkte es in ihr auf: sind hier nicht die Keime einer Macht?
+Einer Macht über den Feind? Ihn immer mehr lösen aus dem Selbstgefühl,
+der Sicherheit seiner feindlichen Überzeugung! Ihn herüber ziehen -- ihn
+gewinnen -- ihn bezwingen --
+
+Ein fernes Licht, am fernen Horizont. Aber doch ein Ausblick, ein Ziel
+-- ein Träumen noch -- und doch ein ahnungsvolles Hintasten nach der
+Wirklichkeit, der Erfüllung --
+
+Und wieder ein trotziges Sichzurückziehen. Nichts gibt es zwischen uns!
+Nichts als den Kampf auf Leben und Tod. Der Du auf der Seite meines
+Todfeindes stehst. Sein Schützling -- und sein Beschützer. Und darum
+gehaßt von mir, Du wie er!
+
+Und doch wieder das Hinneigen. Und das hingegebene Horchen auf das, was
+schwang.
+
+Wieder schwieg alles, was streitbar gegen ihn sich regen wollte. Sie
+vergrub sich wieder in sich selbst, in die eigene Wandlung. Sprach mit
+einer wehen Offenheit von ihren Kindertagen. Daß sie mit der Orgel groß
+geworden sei. Wie sie mit der Orgel Gott gefunden habe -- den sie mit
+der Orgel verloren.
+
+Sie wollte heraus, aber sie sank zurück. Und das Entsetzen wühlte sich
+wieder durch sie hin. »Orgelklänge -- des Ewigen Ehre zu loben hat man
+sie beflügelt -- ich hab ihm so meinen Fluch ins Gesicht geschrien! Den
+Fluch und die Vernichtung! Die Gottesflucherin! Die Gottesmörderin! Nur,
+wenn ich Dich glaube, lebst Du! Ich glaube Dich nicht, ich glaube Dich
+nicht! Und damit töte ich Dich! Langsam -- quälend -- und mit Bedacht
+--«
+
+Über ihrem Auge lag es wie eine blinde Haut, es flogen ihre Glieder, so
+fror ihr das Grauen im Gebein. So schüttelte sie der Wahnsinn. So sank
+sie in die tiefe kalte Nacht.
+
+Horst nahm ihre eisigen Hände. Da wachte sie auf. Und ihn traf ein fast
+dankbarer Blick. Als wollte ihr einer Hilfe bringen in ihrer furchtbaren
+Erstorbenheit -- als gäbe es für sie Hilfe.
+
+Dann strich sie das Haar so straff aus der Stirn, daß sie schmerzhaft
+zuckte. Klopfte die beiden Schläfen mit beiden Zeigefingern und blickte
+jetzt klarer und sprach jetzt still. Mit dämpfender Ironie. »Warum
+soviel stilistische Erregung! Wenn man innerlich mit sich im reinen
+ist!«
+
+»Wer ist das! Wann sind wir das! Dies im reinen halte ich meinerseits
+nun -- Verzeihung -- für reine Stilistik.«
+
+Sie sieht ihn fest an. »Und doch, der große Gotteskünder, auf den Ihre
+Welt eingeschworen ist, fordert nicht gerade er das Unbedingte? Immer
+hat mich dieses »Ja, ja -- nein, nein« erschreckt. Das Grausamste, was
+es gibt. Haben wir nicht im Grunde ein Recht auf Zweifel, auf Abwege,
+auf Umwege, auf Irrtümer und Kämpfe?«
+
+»Wir habens! Und darum gibt es, solange Sie leben, auch für Sie keine
+religiöse Totenstarre.«
+
+Zu dem Wort hob sie die Lippen wie zu einem Heiltrank. Aber dann
+verschloß sie sich wieder, lehnte Horst ab, ging zu ihrer Musik und fand
+eine müde Ruhe. »Wer hat die Musik die Kunst der Erinnerung genannt? Und
+soll die Erinnerung selbst nicht Kunst sein? Erhaben ob dem Geschehenen?
+Jenseits der Erschütterungen? So hab ich doch auch längst wieder die
+Orgel spielen können. Es war zuletzt ganz Spiel um des Spieles willen.
+Und die Töne waren über dem Leben.«
+
+Horst mußte denken, ob Du nicht so wieder heimfindest?
+
+Er sprach dann von sich selbst, was ihm das Orgelspiel immer gewesen
+war. Im Schatten der mächtigsten Kirche einer alten Hansestadt steht das
+Wohnhaus seiner Kindheit. Gedämpfte Orgelklänge begleiteten seine ersten
+Träume. Was seine Jugend ersehnte, was durch seine junge Seele stürmte
+und brauste, jeder Brand, jede Inbrunst seines Herzens -- alles zitterte
+und lebte von dem Orgelklang, alles war von ihm durchwebt, von ihm
+gehalten und geweiht von ihm.
+
+»Für mich ist das Orgelspiel Heimat. Und Heimweh.« Da sah sie ihn groß
+an, und ihre Augen verstanden ihn.
+
+Und es bebte in Horst, als er sie bat: »Darf ich Sie nicht einmal Orgel
+spielen hören?«
+
+Sie zuckte zusammen, von der persönlichen Berührung in diesem Wunsche.
+Er und sie -- zu meiden hatten sie sich, sich zu bekämpfen, sich zu
+vernichten.
+
+Ein Waffenstillstand? Mit Orgelmusik?
+
+War nicht die Fremdheit, die Feindschaft von ihnen abgefallen? Wo sie so
+miteinander sprachen, hatte sich nicht fast ein Vertrautes eingestellt?
+
+Und sie gab die Antwort auf seine Bitte. »Ja, wenn sie mich hier noch in
+die Kirche ließen!« Dann erzählte sie: mit dem alten weißhaarigen
+Organisten von Sankt Nikolai wäre sie gut Freund. Er hätte ihr mehrmals
+die Schlüssel zur Kirche gegeben. Die Orgel wäre ein vorzügliches Werk
+von dem alten Zacharias Hildebrand.
+
+»Und jetzt?«
+
+»Jetzt hat die Geistlichkeit Einspruch erhoben. Sie verteidigt, der Zeit
+zum Trotz, mit achtbarem Mut ihre Gotteshäuser. Ich darf mit meinen
+umstürzlerischen Händen das heilige Instrument nicht mehr berühren.«
+
+»Sie sollen diese Ihre hohen Stunden wiederhaben. Ich werde mich dafür
+einsetzen, daß Sie wieder Orgel spielen können. Und zur Belohnung darf
+ich Ihnen zuhören, nicht wahr?«
+
+Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug ein. Und so trennten sie sich.
+
+Was war geschehen? Zwei Menschen, die das Leben zum Kampfe aufgeboten
+hatte, die ein Vernichtungskrieg gegeneinander entflammte, die beiden
+hatten eine Stunde des Friedens, der Gemeinschaft gefunden. Sie hatten
+ausgeruht ineinander. Sie hatten sich beide beschenken können. Und
+jetzt?
+
+Jeder ging wieder zurück in seine Schlachtreihe. Jeder nahm wieder den
+Platz ein in seiner Front. Nur, daß sie beide das stille Übereinkommen
+geleitete, dieses Beisammensein würde sich wiederholen. Wieder würden
+sie denselben stillen Weg gehen und aufsteigen zu derselben sanft
+belichteten Anhöhe, die über den Wolken des Tages lag.
+
+Den Feind verstehen, heißt die Welt begreifen.
+
+Wie lange aber, wie lange war ihnen die Nähe beschieden? Würde der Krieg
+ihnen nicht bald genug diesen friedlichen Hang verwüsten?
+
+Oder -- gab es hier etwas zu retten für sie beide? Etwas, was mehr war
+als die Zwietracht ihrer Gedanken, was über ihrer Feindschaft war und
+ihrem Kampf?
+
+Sie trugen beide an dem Druck ihrer Hände, mit dem sie voneinander
+geschieden waren. --
+
+Zwei Einsame saßen in der Baracke und hüteten das Haus. Dankwart
+Hamerslag arbeitete an seinen Modellen, Gust Elbenfried forschte in der
+Schrift. Auch hier war im Schaffen, im Suchen, im Sehnen ein
+Auferstehen.
+
+Einsam auch, ein Schwebender, zog Gisbert durch die Frühlingsheiligkeit.
+Gen Osten pilgerte er -- da lag Mönkhov. Die Rhythmen der schönen,
+tönenden See begleiteten seine Schritte. In den Dünen machte er Rast,
+auf dem höchsten Gipfel schlug er seinen Thron auf, den Thron seiner
+Sehnsucht.
+
+Unverwandt schauten seine Blicke nach Osten. Ganz unkörperlich seine
+Sehnsucht, nicht einmal das Bild der Ersehnten nahm Gestalt an. Jenseits
+von der Form blieb alles. Ein Lichtnebel die Welt, ein webender Glanz.
+Und in ihm atmete das Glück.
+
+Daß Du lebst! Und daß ich weiß von Deinem Leben! Was will ich mehr? Was
+brauche ich mehr? Ich fühle Deine Nähe, durchleuchtet bin ich von der
+seligen Sicherheit meiner Habe. Wer kann mir von ihr etwas rauben? Wie
+reich bin ich und wie stark!
+
+Du bist die Geliebte meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken
+Dich zu fassen, das Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein
+Ohr zu füllen, Deine Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will
+ich Dich, nur wissen, daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst!
+
+Rühren Worte an die Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken.
+Über allem Sagen und Fragen, wortlos, gedankenlos ein sinnenfreies
+Schwimmen im Himmelsraum, ein Ertrinken in Licht --
+
+So saß Gisbert in starrer Entrücktheit ein göttlich Entschlafener auf
+der Dünenhöhe, dieweil über die Meerflut hin der junge Frühling
+schauerte.
+
+Erst die flüsternde Dämmerung weckte ihn aus seinem seligen Schlaf. Und
+nun schlich es doch von Frühlingsangst in seine Jugend, seine junge
+Jugend. Was fing so an zu singen in seinem Blut -- leise, leise und sang
+doch immerfort.
+
+Und ein Taumeln, da er sich erhoben hatte, ward sein Schreiten, das nach
+Osten ging -- wo er doch westwärts wollte, nach seiner Arbeitsstatt, der
+Baracke. Wie er sich umwandte, keuchte er, beladen auch er von der Süße
+und Schwere des Frühlings.
+
+Die Arbeit! Die Arbeit auch seine Zuflucht. Ihr mußte alles zum besten
+dienen, alles Fühlen, alle Andacht, aller Kult, auch von Frühling und
+Frau -- alles mußte einmünden und aufgehen in den Gottesdienst der
+deutschen Arbeit.
+
+
+
+
+ Ausstand
+
+
+Die Ziegelei war im Betrieb. Der erste Ziegelstein war gebrannt. Wie
+eine Erstgeburt wurde er betrachtet und gefeiert, wie ein Täufling ging
+er von Hand zu Hand. Eine helle Freude gab das und ein strammes Hurra --
+Muz kreiste singend um sich selbst und biß sich in den Schwanz, daß die
+Haare stoben.
+
+Bauen, bauen -- war jetzt Losung und Feldgeschrei. In diesem Sommer noch
+sollte das erste Haus unter Dach kommen. Für das Fundament galt es,
+Findlingsblöcke zu sprengen, die reichlich im Gelände lagen. So
+erfrischte und befeuerte eine Tätigkeit die andere. Im Siedlerhaus war
+frohmütiges Wesen.
+
+Dankwart hatte das Modell einer Mühle konstruiert, die die Kraft des
+Windes in Akkumulatoren aufspeichern sollte. Er hoffte auf ein Patent,
+das die Finanzen der Siedlung stärken würde. Mit denen stand es nicht
+zum besten. Aber auch die Sorgenfalten Mündners, ihres Rechnungsrats,
+bügelte die Frühlingssonne aus.
+
+Die Sprengschüsse in der Felshalde lockten ein paar scheue Gestalten auf
+die Höhen -- Müßiggänger, Beobachter? Das Knallen war ihnen nicht
+behaglich, Ursache und Zweck schienen sie nicht völlig zu beruhigen.
+
+»Was sind das da oben für lauernde Vögel?« fragte Kunz. »Was bedeutet
+ihr Erscheinen! Ich schließe auf Sturm.«
+
+Und es ballten sich die Wolken. Die Provinzhauptstadt entsandte ihre
+»Agitatoren« und »Organisatoren«. Jetzt, wo es mit allen Händen an die
+Frühjahrsbestellung gehen sollte, ward gebohrt und gewühlt. Der
+Landarbeiterstreik kam ins Rollen.
+
+Immer noch hatte Herr von Borkhus sein überlegen gläubiges Lächeln.
+Seine Leute waren wie immer. Still, gehorsam -- gehalten, zugeriegelt
+und ducknackig. Wär das nicht ihre Art gewesen, hätte es Verdacht wecken
+können. Aber so --! --
+
+Da tritt eines Morgens sein langer, straffsehniger Inspektor bei ihm
+ein. Ein Herr sei unten. Einer von den Roten offenbar. Er wolle mit
+Herrn von Borkhus über die Lohnverhältnisse in Moorhof sprechen.
+
+»Was? Der Hetzer mit mir -- über die Lohnverhältnisse meiner Leute?
+Sagen Sie dem Herrn, daß ich mit meinen Leuten über meine und ihre
+Angelegenheiten selber zu sprechen pflegte. Daß ich mir seine
+Vermittlung verbäte. Daß ich ihn ersuchte, meinen Hof -- nein, meinen
+Gutsbezirk sofort zu verlassen! Aber sofort!«
+
+Schnaubend geht der Baron im Zimmer auf und ab. Der Inspektor setzt noch
+seinen eigenen Trumpf auf die Bestellung. Herr Knubart -- dies ist der
+abgewiesene Besucher -- zieht sich wohl ingrimmig vom Hofe zurück, auf
+dem die Leute gerade zur Mittagspause sich befinden. Aber von ihnen
+begleitet, macht er auf der Dorfstraße vor dem Hoftor halt, lehnt sich
+an die Mauer und spricht zu den Umstehenden mit einer Ruhe, in der es
+höhnisch und boshaft brodelt: »Euer Herr und Gebieter hat mich des
+Landes verwiesen. Wie es bei Herrn und Gebietern so Mode ist, wird er
+jetzt, wo ich hierbleibe, wohl die Hunde auf mich hetzen.«
+
+Er kennt das Volk. Er kennt die springenden Funken. In den Jungen flammt
+es wild: »dat sall he maken!« Die Alten blicken düster und dumpf, auch
+in ihnen schwelt es.
+
+»Vielleicht zeigt der Herr Baron mir aber,« so fährt der Sprecher fort,
+»wie ich Euch besuchen kann, ohne den Grund und Boden, den er sein Eigen
+nennt, zu betreten. Oder darf keiner zu Euch kommen, ohne seinen Willen?
+Seid Ihr Eingesperrte! Seid Ihr Sträflinge!«
+
+»Dat wier noch beder!« Hier schreit etwas auf.
+
+»Sein Grund und Boden. Auf dem stehen wir ja allerdings. Und daran ist
+nichts zu ändern. Wenn Ihr nichts daran ändert.«
+
+Da ist er wieder, der große, berauschende Fernblick. Die Sinne taumeln.
+Und das Feld ist wohl bereitet, als der Baron jetzt mit dem Inspektor
+hier draußen erscheint.
+
+»Ich dulde es nicht,« so tritt er dem Führer entgegen, der ihn blaß,
+aber in eiskalter Gelassenheit erwartet, »ich dulde es nicht, daß Sie
+hier auf meinem Gutsboden mir meine Leute aufputschen! Sie werden sich
+auf der Stelle entfernen.«
+
+»Ich werde es, sobald die Leute sich nicht mehr mit mir zu unterhalten
+wünschen. Wir befinden uns hier auf einer öffentlichen Straße --«
+
+Ȇber die ich aber die Polizeigewalt habe! Und die ich zu politischen
+Hetzereien und zu politischen Ansammlungen nicht mißbrauchen lasse!«
+
+»Von politischer Versammlung ist mir nichts bekannt.« Und jetzt gab er
+der Sache die gehörige Wendung. »Wollt Ihr Leute, daß ich, der ich Euer
+Gast bin und Euch meinen Rat erteilen möchte, noch mit Euch
+zusammenbleibe --?« --
+
+»Ja! Ja! Hierbleiben! Wi sünd noch nich farig!«
+
+Herr von Borkhus hatte das Spiel verloren. Alles krampfte sich in ihm
+zusammen -- er konnte nicht auf die Leute einreden, konnte die alten
+Bande nicht schürzen, konnte nicht um ihre Seelen werben -- auch wenn
+sein Stolz es nicht verschmäht hätte, die Sprache hätte ihm versagt.
+
+Aber, daß es um ihre Seelen zu werben galt -- gegen den Fremden, den
+Volksverführer -- daß seine Mannen von ihm abfallen wollten -- wie hatte
+er auf ihre Treue gepocht vor sich und den andern -- wie hatte er eine
+Welt aufgebaut auf dieser Treue -- nun lag diese Welt in Trümmern.
+
+Der Inspektor aber -- ihm dankte der Herr einen großen Teil der
+Abtrünnigkeit seiner Leute -- wollte die Karre nicht im Dreck stehen
+lassen. Hier konnte nur ein Lachen helfen. Und er rief grinsend:
+»Volksbelustigung! Wanderprediger! Kurpfuscher! Anreißer und Hausierer
+gehören auf die Landstraße! Unsere Leute wissen schon, was sie von dem
+Schwindel zu halten haben.«
+
+Er führte mit heldenhafter Miene den Baron, der mühsam sich aufstützte,
+nach dem Herrenhaus zurück. Die anderen fühlten den Sieg. Das erhitzte
+ihnen das Blut. Knubart aber wußte, daß er das Eisen zu schmieden hatte.
+Und er schwang den Hammer.
+
+Nach einer Viertelstunde hatte er sie soweit. Sie faßten den Beschluß --
+die paar Alten, die Scheuen oder Hartnäckigen wurden verängstigt oder
+überrannt -- zwei sollten als Abordnung zu dem Gutsherrn gehen und
+verlangen, daß er Knubart als ihren Vertrauensmann empfinge und mit ihm
+die Verhandlung führte. Weigerte er sich: Ausstand mit dem
+Glockenschlag!
+
+Und so geschah es. Die Abordnung, zwei von den jüngsten Schreiern, flog
+hinaus, am Nachmittag ging niemand mehr zur Arbeit.
+
+Herr von Borkhus saß allein und grübelte dumpf vor sich hin. Die
+wirtschaftlichen Gedanken, mit denen der Inspektor ihn überschüttete,
+hatte er von sich getan. Seinem Leben hing er nach.
+
+Was war ihm noch geblieben? Das Vaterland in Schutt gelegt, und jetzt
+sein eigenes Haus, das Reich seines eigenen Schaffens unterhöhlt und im
+Verfall. Ein Krüppel war er! Die Arme, die ach so müden und doch immer
+noch hoffnungsvollen -- waren sie ihm nicht glatt vom Leibe gehauen! Ein
+Stumpf war er, nutzlos -- nur daß das Herz noch in ihm schlug, und in
+dem Herz schlug der tödliche Gram.
+
+Und wenn er nicht so ein Tor gewesen wäre! Ein Narr! Ein Kinderspott!
+»Meine Leute! Wie verwachsen sind sie mit mir!« Und nun dieser
+hergelaufene Fremde, dieser kaltäugige, kaltschnäuzige Gesell, lehnt
+sich an die Hofmauer, und von oben hin zieht er all die Männer an der
+Nase zu sich her. Läßt sie tanzen, wie er pfeift. Alle, all die Getreuen
+ihres Herrn!
+
+Nach Horst, dem jungen Freunde, ruft seine Seele. Vor dem hat er am
+meisten sich gerühmt. Aber der ist ihm gut gesonnen, vor dem braucht er
+sich nicht zu schämen.
+
+Horst findet Strempel, den schrägäugigen, bei dem Baron. Mit seinem
+»komplett« hat er aufs neue der Meinung und dem Willen des Herrn sich
+zugeschworen. Eine kleine Genugtuung ist das. Und die Dumpfheit ist
+wenigstens im weichen. Horst aber findet, daß in den schiefen Lidern und
+all den Falten des verkniffenen Gesichtes etwas lauert. Darf er es
+sagen?
+
+Die Herren sitzen beisammen. »Ja, Horst, ich gehöre nicht mehr in die
+Zeit. Abgetan -- spurlos. Mitleidlos. Nun selbst zum Schutt, zu den
+Scherben geworfen.«
+
+Horst kam von der Zyklopenarbeit des Felsenrückens. Seine Muskeln
+zitterten. Sie wußten von Männerkraft und Männerglauben.
+
+»Ein glatter Überfall ist dies. Krieg um des Krieges willen. Die
+Verständigung planmäßig hintertrieben. Sie wollen den Bruderkampf. Wir
+müssen ihnen das Handwerk legen.«
+
+Auch hier gelte es, ein Beispiel zu liefern! Und den Arbeiterführern,
+die die Welt unter sich zu verteilen anfingen, sollte denn doch um ihre
+Gottähnlichkeit bange werden.
+
+Horst stellte dem Baron seine Siedler als Nothelfer zur Verfügung. Alle
+würden sie Hand anlegen, die meisten von ihnen wären mit der
+Landwirtschaft vertraut. Die Frühjahrsarbeit sollte weitergehen -- und
+lange Gesichter würden ihr zuschauen!
+
+Und in die großen schweren Augen des Barons kehrte ein Leuchten zurück,
+abendlich und weh, aber sie hatten doch wieder lebendigen Schein. Die
+alte Kampfnatur reckte sich in die Höhe. Er gab als Herr seine
+Anordnungen für den folgenden Tag.
+
+Horst brachte in seiner Körperschaft die Angelegenheit zur Sprache.
+Helle Hilfsbereitschaft leuchtete auf. Nur in Mulitz, dem Maurer, und in
+Metzling regten sich genossenschaftliche Widerstände. Aber die
+Einmütigkeit verschlang sie. Schon in der Nacht fanden die ersten
+Siedler auf dem Hof sich ein, das Vieh zu besorgen. Mit dem Morgengrauen
+war die Mannschaft auf den Kartoffeläckern. Die Pflanzmaschinen waren in
+Betrieb gesetzt, fröhlich ging die Arbeit von statten. Am Wegrand
+zeigten sich verdrossene und drohende Gesichter. Streikende
+Landarbeiter, denen ihre Macht aus den Händen geschlagen war.
+
+Kunz sang ihnen lustige Kartoffellieder vor. Wie Knollen flogen die
+knolligen Reime ihnen um die Ohren. Wütend schlichen sie beiseite.
+
+Dann rotteten sie sich zu Hauf. Den Siedlern, diesen »gottverdammten
+Hunden« sollte es ans Leder gehen. Die Hitzigsten wollten auf der Stelle
+gegen sie losbrechen. Den Bedächtigen gelang es, den Sturm zu
+beschwören. Aber am Abend, in der Dunkelheit, sollte es den
+Heimkehrenden eingetränkt werden! Daß sie das Wiederkommen vergäßen!
+
+Horst hatte die Augen und Ohren überall. Er ahnte nichts Gutes. Wilde
+Drohworte flogen ihnen zu. Er mußte auch um die Baracke sorgen. Ein
+»giftiges Geschwür« hatte sie einer genannt, tobend mit geiferndem Mund
+-- ein Geschwür, das »ausgebrannt« werden müßte!
+
+Die wachsende Wut verhieß auch dem Hof übles für die Nacht. Da bestimmte
+Horst, daß die Maschinengewehre hervorgeholt würden. Zwei kamen nach dem
+Gut, zwei wurden vor der Baracke aufgestellt. Die Arbeiter schäumten.
+
+Die Siedler waren bewaffnet, als sie abends heimzogen. In der Dämmerung,
+aus dem Knickbusch wurden sie beschossen. Kunz, der den Zug führte, ließ
+sofort das Feuer erwidern, dann den Busch stürmen. Die Meuchler hatten
+sich in dem Dunkel zerstreut. Von ein paar Streifschüssen war Blut
+geflossen. Das Blut gab jetzt dem Groll die Überhand und der
+Kampfbegier.
+
+
+
+
+ Feurio
+
+
+Gisbert war mit einem Schutztrupp auf dem Hofe zurückgeblieben.
+Verdächtige Gestalten schlichen um die Mauer. Dankwart fand sich ein und
+richtete vor dem Maschinengebäude aus altem Material einen Scheinwerfer
+her. Es war Krieg.
+
+Ruhig verliefen die Nachtstunden. Die Mannschaft wurde schläfrig, da es
+auf den Morgen zuging. Der Himmel sternenlos, dunstig die Luft und
+schwül, unheimlich warm für die Jahreszeit. Kein Hauch regte sich.
+
+Da zuckt etwas durch die Nacht. Ein leichter Windstoß. Tastend, wie
+fragend. Und wieder ein leiser Ruck. Und dann ein kurzes Schnauben. Und
+wieder Stille. Und dann holt der Wind tief Atem, und nun pustet er vor
+sich hin. Erst noch gemächlich, wie zum Spaß und wie für sich selber.
+Dann aber bläst er mit voller Lunge, daß auch die andern was haben.
+
+Noch ist es dunkel, noch wird er des Dunstes und der Wolken nicht Herr.
+Aber der Widerstand reizt ihn und jetzt faucht er zornig sie an. Ein
+junger Frühlingssturm braust in die Welt.
+
+Da -- ein Bersten -- ein Krachen -- als wenn Granaten splittern -- was
+ist es, das sein Ungestüm zerbricht? Ist es an den Gebäuden, ist es an
+den Bäumen des Parkes?
+
+Herrgott! Flammen schlagen auf! Da auf dem Strohdach der Scheune! Es
+sind wirklich Granaten gewesen.
+
+»Feuer!« brüllt der Ruf. Alles ist gleich auf den Beinen. Nach dem
+Spritzenhaus!
+
+In fressenden Streifen peitscht der Wind die Glut über das Dach.
+
+Der Inspektor, halb angezogen, ist zur Stelle. Herr von Borkhus
+erscheint am Fenster -- hinkt eiligst zum Hof hinunter -- der Diener, im
+Hemd, folgt mit den Kleidern -- notdürftig zieht der Herr sich an.
+
+Der Diener hat das Feuerhorn von der Wand im Flur gerissen. Nun bläst er
+von der Schwelle in die Nacht -- immer im weißen wehenden Hemd -- wie
+einer der Cherubim anzusehen.
+
+In der Baracke hören sie den Ruf, der Torfmeister hört ihn, durch die
+Dorfstraße wälzt sich der Schall.
+
+Helfer kommen. Die Spritze ist am Werk. Der Inspektor befiehlt.
+
+In wilder Arbeit -- all die rotbegluteten Gestalten -- die feurigen
+Gesichter verzerrt in fiebernder Mühsal -- das Scheunendach eine
+prasselnde Flamme -- ganze Bündel Feuer reißt der Wind ihm aus -- und
+streut sie auf die Ställe -- die gilt es zu retten, auf ihre Dächer den
+Wasserstrahl! Pumpen! Pumpen!
+
+Und das Vieh in Sicherheit bringen!
+
+Wenn nur der Sturm nicht so mit Flugfeuer wütete.
+
+Ungebärdig die Tiere. Die Pferde keilen und steigen. Angeschirrt sind
+sie, daß man sie halten kann. Wie die Wahnsinnigen toben sie in der
+Sturmflut des Lichtes und der Lohe, reißen an den Zügeln, wollen zurück
+in den Stall. Wie soll man sie bändigen?
+
+Und der Sturm peitscht weiter die Feuer in fliegenden Fetzen --
+
+Pumpen! Sie pumpen sich die Seele aus dem Leib.
+
+Der Pferdestall ist der Scheune am nächsten. Schon siedeln sich
+Feuerkreise an auf seinem Dach. Wie lange noch wird der Strahl sie
+austilgen können? Das Wasser verdunstet im Gluthauch.
+
+Und gewaltiger wird der Höllenschlund der brennenden Scheuer.
+Feuerwolken wallen aus ihr empor. Durch die glühenden leckenden Sparren.
+Das Getreide ist in Brand geraten und ballt und wirbelt seine Lohe nach
+oben. Wie soll man den Pferdestall schützen gegen diesen Orkan von
+fegenden Gluten?
+
+Männer sind aufs Dach gestiegen -- der heilige Josef sitzt zu oberst.
+Ein Junge ist der Handlanger. Gewandt wie ein Kletteraffe. Eimer werden
+gereicht. Sie gießen und gießen. Gießen sich selbst Wasser über den
+Kopf, über den Leib. Unerträglich ist die Hitze.
+
+Sie müssen hinunter. Der Junge will nicht. Herunterzerren müssen sie
+ihn. Nun taumeln sie auf den Boden, ausgemergelt, welk, kraftlos,
+verdorrt. Auch der Stall ist verloren.
+
+Die hellen Flammen sitzen auf dem Dach und die Männer pumpen, pumpen.
+
+Ist hier nicht alles Tun umsonst? Gegen Sturm und Feuer im Bunde? Der
+Pferdestall -- er wird das Feuer in den Schafstall weitergeben -- von
+dem brausen die Flammen zum Kuhstall hinüber -- und diesem einen großen
+Meer von fressenden Gluten -- wird das Herrenhaus ihm widerstehen? Die
+Vernichtung bricht herein über Moorhof.
+
+Herr von Borkhus steht selbst an der Pumpe -- auch der Torfmeister ist
+da -- auch der lahme Pastor Waermann. Man fragt nicht nacheinander, man
+sieht sich kaum. Man arbeitet nur -- man pumpt und pumpt --
+
+Keiner auch spricht ein Wort, mit den keuchenden, ausgedörrten Lippen.
+Nur kurze, trockene Kommandos des Inspektors schallen, der als
+Brandmeister waltet.
+
+Jetzt -- ein krachendes Getöse -- das Dach der Scheune bricht zusammen
+-- einen Höllentanz vollführen die aufgestöberten, befreiten Gluten in
+der tosenden Luft --
+
+Zerstörung -- unaufhaltsame -- zu schwach sind sie, zu wenig -- kommt
+keine Hilfe -- von den andern Gütern -- von der Stadt?
+
+Mehr Spritzen werden gebraucht. Weithin sichtbar das Feuer! Viele Meilen
+in der Runde! Aber auf den Gütern -- auch da wird gestreikt -- sind da
+die Mannschaften zur Stelle? Wagen es die Herren, ihre Feuerspritzen
+fortzuschicken? Droht nicht auch ihnen der rote Hahn? Der Farbenbruder,
+der Parteigänger und Verbündete der roten Gesellen?
+
+Hufschläge auf dem Pflaster des Hofes -- ist das die fremde Hilfe? Nein
+-- Pferde, die sich losgerissen haben -- sie stürmen, voran ein
+mächtiger Fuchs, hinein in den brennenden Stall.
+
+O Grauen! Die unglückseligen Geschöpfe! Es wogt durch die Männerreihen!
+Vielleicht ist es noch nicht zu spät --
+
+Zwei Männer stürzen den Tieren nach. Nasse, wollene Halstücher um den
+Kopf geschlungen. Man kennt sie nicht gleich. Alle starren sie, von
+Grauen festgebannt.
+
+Jetzt heißt es: Gisbert und der heilige Josef --
+
+Auch zwei Menschen in dem brennenden Gebäude! Sie pumpen fieberhaft --
+die Augen quellen ihnen aus den Höhlen -- die Gesichter sind
+rauchgeschwärzt -- wie büßende Dämonen sehen sie aus, wie verdammte
+Seelen --
+
+Und starren alle auf die Tür des brennenden Stalles. Da -- ein Paar
+Tiere werden hinausgejagt -- ein Paar hinausgeführt von den beiden
+Männern, die sich nicht auf den Füßen halten -- sie brechen zusammen --
+die Tiere haben sich losgerissen -- sie stürmen im Kreise und dann mit
+gesträubten Mähnen und selbst feuerschnaubend hinweg über die beiden
+hingesunkenen Männer wieder hinein in die Tür, die schon anfängt, Feuer
+zu speien -- wiehernd hinein in den Flammentod.
+
+Jetzt sind Helfer bei den liegenden, überrannten, zertretenen Gefährten.
+Gust Elbenfried steht mühsam auf -- aber Gisbert -- was ist mit Gisbert?
+Aus tiefer Kopfwunde blutet er und ist besinnungslos.
+
+Horst hält seinen Kopf. »Gisbert -- Du Freund aller Kreatur -- Du
+lieber, armer Junge -- und immer unser Sorgenkind --« --
+
+Sie tragen ihn ins Haus. Ein Sanitäter verbindet ihn. Die Wunde ist
+böse.
+
+Ein Arzt muß her zu meinem Jungen! Mag hier der Plunder verbrennen! Die
+Häuser -- das Vieh! Um Gisbert geht es!
+
+Horst holt sich ein Pferd und jagt in die Stadt. An den Goldbergen
+galoppiert er vorüber. Zuschauer stehen auf den Höhen. Feindlich
+gesinnt, da sie nicht helfen. Voll böser Gedanken, mit Verwünschungen.
+
+Dort auf dem einsamen Hünengrab, dem Hügel abseits, eine einzige
+Frauengestalt -- dunkel -- fahl beleuchtet von der fernen Feuersbrunst.
+Kauernd, vornübergebeugt, mit all ihren Sinnen, all ihrem Willen
+schürend in dem Feuerwerk der Vernichtung. Wie der böse Geist des
+nächtigen Unheils.
+
+Vorüber! Was ist ihm das Weib! Nicht sich mit Gedanken beladen! Leicht
+und schnell in die Stadt -- und mit Hilfe zurück zum Jungen. Nur der --
+nur der!
+
+Der Gaul ist verstört von der Feuersbrunst -- so unruhig -- nur ein
+mächtiges Nervenbündel -- und er selbst -- auch ihm zucken alle Fasern
+-- sich zusammenhalten -- sich und das Tier -- --
+
+ * * * * *
+
+Und jetzt auf dem Hof -- da Gisberts Blut strömte und die Pferde sich
+hinopferten -- als wäre das Schicksal versöhnt -- ein Wunder geschieht
+-- die Flammen brausen nicht mehr vorwärts -- sie steigen himmelan --
+sie wenden sich -- der Wind hat sich gedreht -- ein großes, tiefes,
+freies Atmen geht durch all die stickenden Männerlungen -- beschworen
+das Unglück -- gerettet -- gerettet --
+
+Nun donnern Wagen den Hof herauf. Die Feuerwehr aus der Stadt --
+
+Sie ist willkommen. Ablösung ist not. Und der Brand ist noch längst
+nicht erloschen.
+
+Auf der Diele des Herrenhauses ist ein Büfett hergerichtet. Hier werden
+jetzt Stärkungen ausgeschenkt. Strempel ist der Marketender und besser
+hier am Platz als da draußen.
+
+Jetzt, wo die Gefahr bewältigt ist, kann der Baron als Wirt die Ehren
+machen. Noch fiebernd von dem Kampf, geschwärzt wie all die
+Kampfgenossen, gehoben durch die Gemeinschaft über alle Gedankennot. Er
+kippt mit dem Torfmeister einen kräftigen Korn. Und fast fröhlich bebt
+ihm der Sinn, als der Alte von selbst erzählt: junge Arbeiter aus der
+städtischen Eisengießerei wären hier mit Handgranaten im Gelände
+herumgeschlichen -- das wären die Brandstifter, nun und nimmermehr
+Moorhofer Leute!
+
+Da drückte er die Flosse des Alten: »Ich wußt es. Und daß Du, Alter, bei
+mir bliebst! Und Strempel auch! Mit der Treue ist es wie mit dem
+Verstand -- sie ist immer nur bei wenigen gewesen.« Beruhigt blickte er.
+
+Männer kamen und gingen, alle schwarz wie die Teufel. »Ein Negerdorf
+sind wir«, sagte Borkhus, und hatte Lust zu lachen.
+
+Eben brachte Kunz einen Negerjungen herein -- der da oben auf dem
+Dachfirst des Pferdestalles für drei herumhantiert hatte -- und war doch
+ein Mädchen, Vita, das Pfarrertöchterlein im Turnanzug. Ihr Vater
+stelzte hinterher. Da gab es ein Erkennen und Lobsprüche, ungemessen,
+auf die Heldenjungfrau.
+
+Ihr aber ging das nicht ein. »Ist das Heldentum, was einem Spaß macht?
+Heldentum ist, wenn ich Kaffee kochen muß.«
+
+Kunz sprang zu Gisbert hinauf. Er brachte den traurigen Bescheid, daß
+die Besinnung immer noch nicht wiedergekehrt sei. Er werde sich mit
+Horst, der jetzt bei ihm sitze, in der Wache bei dem Freunde teilen. Und
+die Schatten der Todesnähe legten sich mit dunkler Ruhe über die
+aufgestörten noch immer nicht gesammelten Gemüter.
+
+
+
+
+ Heil dir, du deutsche Jugend!
+
+
+Horst saß an Gisberts Lager und umfaßte seine Hand. Mit aller Inbrunst,
+die das Leben des zu Tode Getroffenen halten wollte. Der Schädel war
+angeschlagen und zersplittert, eine schwere Gehirnerschütterung hatte
+ihn in Nacht geworfen. Der Arzt gab leise Hoffnung.
+
+Wächsern von dem Blutverlust war das feine Gesicht. Starr gestreckt,
+leblos lagen die edlen schlanken Hände. Frauenhände. Und hatten all die
+Zeit so schwer und treu gearbeitet an männlichem Werk.
+
+Du darfst mir nicht sterben, Junge, Du lieber -- so grub und dachte
+Horst ohn Unterlaß. Sein Wille wühlte und flehte und zwang.
+
+Draußen leuchtende Frühlingsmorgenlust. Durch den geöffneten
+Fensterspalt drangen die Lieder aus schmetternden Finkenkehlen.
+
+Vom Hof her gedämpfte Menschenstimmen. Den Rauch und Ruch von der
+Brandstätte verwehte der Wind nach anderer Richtung. Das da draußen, der
+Ausstand, der Aufruhr -- wie fern lag das alles dem pflegenden Freund.
+
+Bin ich ein Führer? Die Sache will mich -- die Mannschaft wartet meiner.
+Versunken die Sache, die Pflicht, der Beruf. Hier muß ich führen -- die
+gelöste Seele wieder ins Leben führen, das ist mein Amt.
+
+In meiner Hand, die Dich hält, ist mein Wille -- und mein Wille hat
+seine Kraft -- Leben ist mein Wille -- in Deine entseelten Finger ström
+ich es ein --
+
+Die Finken schmettern ohn Unterlaß in den aufleuchtenden Morgen -- stark
+ist das Leben und froh --
+
+Zuversicht -- des Glaubens Frohheit ist des Willens Odem und Herzschlag
+-- ich will, daß Du lebst -- ich glaube, daß Du uns lebst -- Gisbert, Du
+geliebter Junge!
+
+Und sieh -- ist da jetzt nicht ein leises Schwingen -- ganz leise unter
+der kalten Haut Deiner Finger -- nur meiner hütenden, Dir ganz ergebenen
+Hand vernehmbar -- aber es ist -- es ist!
+
+Und da -- Hufschläge vor dem Haus -- ein leichter Wagen fährt auf die
+Rampe -- wenn es das ist, wenn eine Nähe mir hilft, Dich zu beleben --
+eine Nähe, die Du ahnst, die Du fühlst -- die Dich zurückruft,
+zurückschmeichelt in das Diesseits --
+
+Ja, eine neue Kraft ist erschienen -- ist ins Haus gekommen -- eine neue
+Hilfe, eine bessere, stärkere --
+
+Steigt nicht ein leichtes Rot in Dein Gesicht? Beben nicht Deine Lippen?
+Zuckt es nicht in den gesenkten Lidern?
+
+Jetzt -- die Tür tut sich auf -- Frau Tilde tritt ein -- jetzt weiß ich
+es, Du wirst gehalten, Du wirst gewahrt, Du wirst gerettet! In ihre Hand
+leg ich Deine Finger. Ihrer Sorge, ihrem Willen, ihrem Glauben
+überantworte ich Dich. Jetzt habe ich die Gewißheit, daß Du lebst!
+
+Tilde ist allein mit Gisbert. Schon hat der Schlaf ihn in die Arme
+genommen, an das Leben ihn wieder auszuliefern. Der Atem fängt an, ruhig
+zu gehen. Der Puls setzt nicht mehr so bedrohlich aus.
+
+Augen wachen über ihm, in die seines eigenen Daseins Licht sich
+eingesenkt hat. Seines Schicksals Sternenglanz bestrahlt ihn. Jetzt hebt
+und trägt es ihn diesem Schein entgegen.
+
+Seine Lider zittern. Ein dünner Spalt -- scheu, angstvoll, ungläubig
+noch lugt der Blick hindurch in die entrückte, unfaßbare Wirklichkeit.
+
+Aber jetzt träufelt und tropft es hinein von dem seligen Glanz -- ein
+glückhaftes Erschrecken -- groß im Offenbarungsschauer tut das Auge sich
+auf -- und jauchzt in den Schein -- und schließt sich dann wieder, müde
+von des Glückes Unendlichkeit.
+
+So gaben Frau Tildes Augen dem todwunden Gisbert das Leben wieder.
+
+Jetzt nach diesem Rettungswerk braucht auch der Vater ihre Hilfe. Von
+all den Erregungen und der krampfhaften Anspannung der Kräfte ist er
+doch zusammengeklappt. Tapfer gibt er sich. Aber die Tochter sieht
+tiefer.
+
+Sie will ein paar Tage hierbleiben. In Mönkhov sei es nicht so schlimm.
+Nur ein Teil der Leute habe die Arbeit niedergelegt.
+
+»Und bei mir alle im Ausstand. Und im Aufstand.« Wie viel Schmerz birgt
+sich unter dem Lächeln.
+
+»Ihr seid hier bei der Stadt. Und Du bist der große Politiker. Du bist
+ein Programm. Du, unser Eckpfeiler, wirst am heftigsten berannt.«
+
+Das gefällt dem alten Kämpen nun wieder. Und er schmunzelt auf: »Gut
+denn! Ehre, wem Ehre gebührt.«
+
+Er hielt sich aufrecht, solange Tilde im Hause war. Die wie ein guter
+Geist hier wirkte. Nur, daß auch sie mit den Leuten keine Fühlung
+gewann. Als ob die sich schämten vor ihr, zogen sie sich trotzig und
+verbissen noch mehr zurück.
+
+Weiter halfen die Siedler. Und sie huldigten begeistert ihrer lieben
+Frau.
+
+Dann wurde ein Teil von ihnen auf einem Nachbargut begehrt. Auch hier
+drohten Gewalttätigkeiten. So ging ein Maschinengewehr dorthin ab.
+
+Für die Feldarbeit aber fand junge Hilfe aus der Stadt sich ein. Doktor
+Georg Stump erschien mit seinen Gymnasiasten, seinen Turnern auf dem
+Plan. Mit dem Lied der Jugend an die deutsche Erde kamen sie angerückt.
+
+ Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen
+ Du bist der Ausgang, Du das Beginnen!
+ Nicht einen Bissen von deutschem Korn,
+ nicht einen Tropfen aus deutschem Born,
+ Deutschland, daß wir nicht dächten Dein!
+ Frei sollst Du sein!
+
+Horst ging das Herz auf. Er liebte die Jugend. Und diese nun, unsere
+Jugend! Was gräbt sich an Nachdenklichkeit, an Bitternis, an heiligem
+Zorn um den Frohmut der hellen Augen.
+
+ Wir sind die Jungen, in Not gestählt,
+ In Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt!
+
+Doktor Stump tritt wie zur Meldung vor Horst. Nur zwei seiner Zöglinge
+haben sich ausgeschlossen -- der eine aus ehrlicher, verzehrender
+Überzeugung, der andere aus ebenso ehrlicher, verfressener
+Überzeugungslosigkeit. Der Herr Direktor, Freund der Gesten und Feind
+dem Festen, einer von den hochbeinigen Leisetretern habe gewarnt und
+abgewinkt. Aber es seien Ferien, und eigene Entschlüsse gelten.
+
+Horst teilt die Jungmannschaft in Trupps und weist diese den einzelnen
+Gütern zu, die am nötigsten Arbeitskräfte brauchen. An die Spitze der
+kleinen Schar, die für Moorhof bleibt, setzt er sich selbst.
+
+Er nimmt sie gehörig heran. Sie müssen Dung fahren und streuen. Er
+selbst ihr Vorarbeiter -- die Knochen werden nicht geschont.
+
+Sie bleiben die Nacht auf dem Hof. Ein Heuboden ihre Ruhestatt. Sie
+sehen das Bild der Zerstörung. Die jungen Seelen fühlen, wer im Grunde
+die Schuld trägt. Woher die Verzweiflung stammt, die hier gewütet, die
+den Bruderkrieg entfesselt hat. Fluch den Zerstörern deutschen Lebens!
+Dem altbösen Feind!
+
+Zum Feierabend führt Horst sie auf die Goldberge. Erzählt ihnen, was der
+Alte ihm verraten. All die jungen Augen und Ohren lauschen. Und lauschen
+jetzt, ob es in dem Berge klingt. Ja, ja ihnen allen tönt es aus dem
+Grunde!
+
+Sie alle, alle sind berufen! Jubelnd umschlingen sie sich. Blutbrüder
+sind sie. Und singen Schwertlieder.
+
+ »Stahl, von Männerfaust gezwungen,
+ rettet einzig dies Geschlecht!«
+
+Ein Überschwang von Kraft, von Stolz, von Freude steigt himmelan. Mit
+keuchender Brust, die Augen voll Tränen, verwünscht einer die
+»Dämonenbrut«.
+
+ »So lang sie in Germanien trotzt,
+ ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!«
+
+Und ein anderer, verzückt in die Weihe seines Schwures -- wir wollen
+nicht, können nicht als Knechte leben! Und können wir nicht siegen, wir
+wollen ihnen zeigen, wie man stirbt!
+
+ »Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert,
+ hilflos, wie er schon am Abgrund steht.
+ Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert,
+ Wert der Leiche, die zu Grabe geht!«
+
+Heiliger junger Überschwang! Auch Horst werden die Augen feucht. Heil
+Dir, Du deutsche Jugend -- so jauchzt und schluchzt es in ihm -- heil
+dir, du deutsche Zukunft!
+
+Eine Freundschaft ist geschlossen zwischen den Jungen und Horst, dem
+Mann. Gehärtet im Feuer der flammenden Herzen.
+
+Horst bespricht sich mit Dr. Stump. Die Jungen sollten wiederkommen.
+Auch wenn der Ausstand vorüber wäre. Wöchentlich einmal zu einer Art
+Felddienstübung. Und Kriegsgeschichte wollte er sie lehren im Freien.
+Sie selbst sollten die Schlachten der Vergangenheit sich darstellen. Und
+sollten sich damit entwickeln für die mächtigen Aufgaben der Zukunft.
+Horst, der Doktor, die Jungen -- sie alle waren Feuer und Flamme.
+
+Hier habe ich nun ein neues Feld! Horst atmete tief. Und wenn die alte
+Pflicht mir zu schaffen macht, diese neue wird mir helfen, beide zu
+tragen. Münden sie nicht beide in mein großes Lebenswerk? Die allgemeine
+Arbeitsdienstpflicht mit vorzubereiten! Und aus ihr eine Stamm- und
+Lehrtruppe herauszuschulen, als Mittelpunkt der Miliz, die Deutschland
+haben muß, wenn es leben soll!
+
+Gegen eigene Ermüdung, gegen Verzagtheit, gegen Fahnenflucht -- diese
+junge Mannschaft als eine Art Schutztruppe ziehe ich mir heran.
+
+Eine Schutztruppe auch gegen die schweifenden Gedanken. Die als
+Forschungstrieb, als Mitgefühl, als Seelenanalyse hinaussegeln -- und
+doch das Weib um seiner Selbst willen suchen.
+
+Hier oben, hier auf den Goldbergen hat er sie zuletzt gesehen. Gestern
+in der Brandnacht. Im Schein der Gluten, die ihr Wille, ihr Rachetrieb
+geschürt. Die Feindin! Die im Vernichtungskampf steht gegen seine
+Freunde, gegen ihn! Eine Priesterin jener Glaubenslehre, die Deutschland
+verdirbt, wie sie jede Volksgemeinschaft zerrütten muß.
+
+Zu Euch, Ihr jungen Freunde! Euch und mir und uns gehören diese
+Goldberge. Wie ein Spuk, ein Nachtgespenst schwebte sie über diesen
+Boden, als ich hier vorbeijagte. In dieser grauenhaften Nacht. Vorüber,
+vorüber --! --
+
+
+
+
+ Über Gräber vorwärts
+
+
+Frau Tilde war bei Gisbert. Er hatte schon das Bett verlassen und saß im
+Stuhl, so schnell ging es mit ihm nach oben. Dankbar war Gisbert.
+Dankbar trank er das Leben in sich auf. Und leuchtend sprach er: »Wie
+sagt der große chinesische Weise? Was ist der Inbegriff aller Erkenntnis
+und ihrer Freude? Ich atme bewußt. Und wem danke ich es?« Zu ihr hob
+sich seine Hand.
+
+Nichts Heimliches, nichts gesucht Vertrauliches -- die ganze große
+mutige Selbstverständlichkeit sprach. Sie waren beieinander, als hätten
+sie sich von je gekannt.
+
+Tilde sah ihn an, mit der weiten wehen Klarheit ihrer Augen. »Von Vater
+hörte ich eben das Gegenteil. Das »but intoxication«. Wie ist er anders
+geworden! Man ist hellsehend bei denen, die man liebt. Und ich sehe --
+das Schlimmste.«
+
+»Ich fand ihn erfrischt -- durch den Kampf.«
+
+»Das ist der Rausch, von dem er selber spricht. Wie lange kann ein
+Rausch dauern? Ich fürchte mich vor dem Erwachen.«
+
+Schwerer wurden ihre Augen. »Ich bin immer -- schon als Kind -- diesem
+leidenschaftlichen Hang zur Einsamkeit nachgegangen. Das Leben straft
+uns an unseren Leidenschaften. Nun werde ich bald niemanden mehr haben.«
+
+Gisbert bewegte sich zur ihr hin, Ergebenheit bis in den Tod reichten
+seine Blicke ihr dar.
+
+»Und ich hab noch keinem Glück gebracht --« fast warnend sprach sie es
+aus -- »keinem, der mir etwas war -- der mich befreite von meiner Sucht,
+mich in mich selbst zu begraben. Als ob alle es hätten büßen müssen.«
+
+»Gnädige Frau --«
+
+»Ich weiß, das ist wie eine lächerliche Eigenwichtigkeit. Aber, warum
+mußte alle, aber auch alle, die mir nahe standen, diese Zeit
+verschlingen oder zerbrechen?«
+
+»Sind wir nicht alle zerbrochen?«
+
+»Doch nicht so, bis ins Lebensmark. Die mir geblieben sind -- mein
+Vater, mein Mann -- bloße Schatten. Und alles andere ist mir gestorben.
+Meine Freundin, die einzige, die ich hatte -- der Gram um ihren
+gefallenen Mann hat sie ihm nachgezogen. Meine besten Freunde waren
+meine Brüder -- sie sind nicht wiedergekommen. So sieht es um mich aus.«
+
+Du sollst nicht klagen, Du sollst nicht traurig sein -- machtvoll
+sehnsüchtig klang es in Gisbert auf. Und ein Glück trug ihn empor. Daß
+Du so zu mir sprichst! Dich so mir offenbarst! Ich bin Dir etwas -- Du
+fühlst, wie alles, was ich bin, Deinem Wesen zuströmt! Dir dienen will
+ich, mit allem, was ich bin! Dir geben, alles, was ich habe! Dir, Dir,
+Du Schmerzensreiche, Du Gebenedeite!
+
+Sie spürte die schwärmende Glut. Sie selbst mußte ihr wehren. Ihre
+Sehnen strafften sich. »Gut, daß die Arbeit auf einem liegt. Unser alter
+Inspektor ist der Sache nicht mehr gewachsen. Und Achim --« ein weher
+Zug grub sich ein -- »bereitet sich auf ein großes Match vor. Dennoch
+hätte ich Vater gern was von seiner Bedrängnis abgenommen. Wir sind
+glimpflich davon gekommen. Obwohl wir uns das Schlimmste vermuteten.
+Oder deshalb? Wie ist Vater, der gutgläubige, für seine Einbildungen
+gestraft.«
+
+Herr von Borkhus kam jetzt, sich selbst nach Gisbert umzusehen. Er war
+aufrecht, in fester Haltung, berichtete von dem Ausstand, daß die
+Nothilfe der Gymnasiasten die Wut frisch aufgepeitscht habe, und als
+Neuestes -- ein ehernes Lachen klang in seinen Worten -- daß Strempel
+sich weigere anzuspannen und den Herrn zu fahren.
+
+»Strempel!« Wie geisterhaft tönte es zurück aus Frau Tildes Mund. Ihre
+Augen forschten erschreckt in des Vaters Zügen. Die blieben hart.
+
+»Ja, Kind. Oh, wir brauchen noch viel Belehrung.« Geradezu ausgelassen:
+»Sag Mädel, bin ich nicht einfach gereist auf den Mann? Schaubudenhaft?
+Habe ich mich nicht mit ihm dem Publikum gezeigt? Hier seht Ihr es,
+meine Herrschaften! Es gibt ein Glück des Gehorchendürfens! Sofern der,
+der befiehlt, auch selber am rechten Ort zu gehorchen weiß. Es kann ein
+freies und stolzes Wort sein: >ich dien<! Ja, Kind, nun ist die
+Schaubude umgeweht. Komplett.« Und er lachte ehrlich.
+
+»Vater --«
+
+»Und jetzt -- Herrgott, ganz jung wird man wieder! Was war für mich als
+kleinen Bengel die größte Lust? Selber anspannen! So tue ich's also
+jetzt wieder und fühl mich als Junge. Ich muß heute noch nach Trent.
+Besprechung der Besitzer. Der Korpsgeist hat nun den Stoß, den er
+braucht.«
+
+»Ich fahre Dich, Vater.«
+
+»Kannst mitkommen. Du gehörst ja auch dahin. Oder ist Achim da?«
+
+»Nein. Achim -- übt.«
+
+»Nun, dann komm. Auf Wiedersehen, Herr Hegendorf! Und weiter steife
+Ohren.« --
+
+Der Ausstand war zusammengebrochen. Die Führer wüteten. Die
+Industriearbeiter in der Stadt höhnten. Es fehlte diesen »Landlümmeln«
+doch an Schwungkraft und Kampfdisziplin.
+
+Doch aller Haß und Zorn brandete gegen die Siedler. Diese Klopffechter
+des Rückschritts, die der dunklen Sache den Sieg verschafft hatten. Aber
+wir werden es Euch eintränken! Wenn wir die Führer nur fassen! Und wir
+fassen sie. Und dann an die Chausseebäume mit ihnen!
+
+Die Moorhofer Leute fanden sich wieder zur Arbeit ein. Mit einem Lächeln
+sah Herr von Borkhus dem allen zu. Aber seine mächtigen Augen froren
+darüber hin, wie über ein Schauspiel, das ihm innerlich nichts zu geben
+hatte. Und das Lächeln, wie vereist, schwand kaum mehr aus seinem
+Gesicht.
+
+Nicht als Strempel sich wieder zum Dienst meldete, hündisch, verbogen
+und verkniffen. Sie wären alle »komplett verrückt« gewesen.
+
+Steinern machte Herr von Borkhus noch einmal die Runde über seinen
+verwüsteten Hof. Wie er dann abends bei Tisch saß, der Horst, Kunz und
+die neuen Helfer von der Siedlermannschaft als Gäste sah, war er der
+liebenswürdigste Wirt, dankte »seinen Freunden«, sprach aber sonst kein
+Wort von dem, was seinem Moorhof geschehen war. So daß auch die andern
+davon schwiegen.
+
+Statt des, mit einer eigenen eisenkalten, eisenharten Ruhe, wie der Wut
+zum Trotz, die all die Zeit in ihm gebrannt und gefressen hatte, führt
+er selbst die Rede zu dem, was die deutschen Herzen zermalmt. Blickt er
+selbst mit großen, freien, klaren Augen, in denen der unzähmbar wilde
+Grimm sonst wühlte, dem Erbfeind ins Gesicht. Eine schmerzlich stille
+Überlegenheit ist in seinen Worten. Ein fast verklärter Trieb, der
+Wahrhaftigkeit ein letztes Opfer zu bringen.
+
+»Man wird gestraft an dem, wofür man seine Schwäche hat. Was sind wir
+dem Franzmann immer nachgelaufen! Wer von uns, der nicht -- oft unter
+eigenem Widerstreben -- eine Art Zärtlichkeit für Frankreich gehabt
+hat!«
+
+»Ich!« rief Kunz frei und hell. »Stets habe ich wie unser Blücher
+gefühlt: >dies Volk ist mir zuwider<.«
+
+Borkhus hielt, Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit, fest an seinem Gedanken.
+»Und doch frage ich: auf wen haben die geistigen Reize Frankreichs nicht
+gewirkt? Nicht nur die Stilkraft seiner Mode -- die ganze heitere
+Beweglichkeit seines impulsiven Wesens, das in allen Widersprüchen
+schillert!«
+
+Horst stand ihm bei. »Weiß Gott, langweilig war das Volk nie. Dem alles
+ins Schrankenlose, ins Absolute sich überspannt. Absolut in seiner
+Mathematik, seinem Rationalismus, absolut in seiner Mystik. Das Land des
+absoluten Cäsarentums und der absoluten Freiheit. Im Absolutismus
+knieend, wie mit Bewußtsein, um sich im Individualismus zu befreien.
+Immer taumelnd von Aktion zur Reaktion, aber immer aktiv und immer
+radikal. Immer das Umschlagen von der Hingabe zur Auflehnung, von der
+Pietät zum Umsturz. Stets im Gegensatz zu sich selber.«
+
+»Und dabei immer auf Wirkung bedacht, und immer der Wirkung sicher«,
+ergänzte ihn Borkhus wieder. »Der glänzendste Regisseur seiner selbst.
+Denn Theater -- Theater ist ihm nun einmal die Welt, die Geschichte.
+Gewiß, das ist kokett, gefallsüchtig --«
+
+»Weibisch«! schmetterte Kunz darein.
+
+»Ohne Frage«, vermittelte Horst. »So wahr die Frau stets im Mittelpunkt
+der französischen Kultur, auch der französischen Politik und Geschichte
+gestanden hat. Aber auch hier eine Spannweite, wie sie monumentaler
+nicht gedacht werden kann -- von einer Jeanne d'Arc über die Heloise zur
+Maintenon! Auch hier die klassischen Extreme. Auch hier die Größe der
+Antithese. Und in der Bewegung, die sie überwindet, der leichte,
+unbekümmerte, heitere, spielende Flug.«
+
+Für Kunz war das Maß zum Überlaufen voll. »So sind wir also einmal
+wieder objektiv. Und die deutsche Gerechtigkeit darf sich in die Brust
+werfen. Gut. Über das Frankreich von einst mag man so denken. Wer aber
+heute bei uns von der >Schwäche für dieses Volk< nicht geheilt ist« --
+er sprach mit ungehemmter Leidenschaft -- »der ist vermorscht und
+verfault durch die Knochen hindurch bis ins Mark.«
+
+Sie ließen gern sein ehrliches Ungestüm gewähren. Der Baron fragte dann:
+»Sie haben in der französischen Gefangenschaft ihre besonderen
+Erfahrungen machen können?«
+
+»Das habe ich. Und ich freue mich, daß ich der grande nation so habe an
+den Puls fühlen können. Ehre und wiederum Ehre der deutschen Sprache,
+daß sie kein Wort hat für das, was Franzosen an deutschen Gefangenen
+verübt haben! An wehrlosen, kranken, blutenden, hungernden Gefangenen.
+Die Franzosen haben ein Wort dafür. Sie nennen sich >ritterlich<, sie
+nennen sich >großmütig<. Gegrüßt seist du, französische Ritterlichkeit!
+Die Gefangenen, verdurstet, verwundet, lahm, zerlumpt -- mühselig wanken
+sie vorwärts durch die Gassen. Das Volk strömt herbei -- Männer, Weiber,
+Pfaffen, Kinder -- mit Steinen, mit Schmutz, mit Spaten, mit Knütteln
+werden die Hilflosen bearbeitet. Wer am Boden liegt, wird ausgeraubt.
+Ein Triumphgeheul der Sieger in so gloriosem Kampf! Sei gegrüßt,
+französische Großmut! In Kellern, die unter Wasser stehen, auf
+Mistlagern ist das Nachtquartier. In schmierigen Konservenbüchsen wird
+stinkige Brühe gereicht, die der Ekel fortschüttet. Und die
+Wachmannschaft -- die Soldaten -- Kämpfer, die Kämpfer geleiten -- nicht
+wahr, unter der Waffe ist Ehre -- sie wehren dem Graus? O nein, sie
+grinsen dazu -- sie grinsen. Sei gegrüßt, französische Ritterlichkeit!
+Ihr müßt sie ja kennen, ihr Franzosen, die ihr sie benennt! Aber hoch
+preise ich mich, daß auch ich das Brandmal trage, von französischer
+Großmut mir eingepreßt. Immer brennt es, immer flammt es in
+Feuerschrift! Bei mir, wie bei Tausenden! Niemals, so lange wir atmen,
+werden wir aufhören, Zeugnis abzulegen von französischem Geist! Denen,
+die nicht sehen wollen, werden wir in den Augen liegen mit unserem
+Flammenmal! All denen, die nicht mit dem zufrieden sind, was sie hier zu
+Lande jetzt am eigenen Leibe erleben! Und heil uns, heil Deutschland,
+daß wir diesen, diesen Nachbarn haben! Was die deutsche Seele nicht aus
+sich selbst vermag, er, er wird es vollbringen! An französischer
+Ritterlichkeit wird die deutsche Seele genesen und sich erheben!«
+
+Borkhus -- wo war die Verklärung geblieben, die objektive Erhabenheit?
+-- er reichte Kunz mit brennenden Augen stumm über den Tisch seinen
+machtvollen Händedruck.
+
+Und weiterhin ließ Kunz seine Munterkeit aufmarschieren.
+
+»Natürlich fehlte es uns nicht an Komödien. In diesem Lande der
+Komödianten. Wir kamen als Gefangene nach Südfrankreich, in ein altes
+Kastell. Sein Kommandant ein uriger Knochen, giraffenlang, mit ewig
+wiederkauenden Kinnladen -- seine Untergebenen nannten ihn denn auch
+>camé léopard< -- die blaue Nasenspitze wühlte in dem verbasten grauen
+Schnauzbart, nie machten die tranigen Augen die Läden auf -- und immer
+in Sprit! Ein doller Don Quichotte. Und kam sich als der Kriegsgott vor.
+Hatte denn auch als wahrhaft solcher seine Geistesgegenwart in allen
+Schlachten durch Abwesenheit des Körpers dokumentiert. Nun waren außer
+mir noch ein paar schwere Jungen da -- Hatz von der Brah, der bekannte
+Rennreiter, der Munterste. Und in einer Nacht heckten wir wieder einmal
+was aus. Eine klobige Metallsache -- als Zauber im Morgennebel gedacht,
+dem Alten zu Ehren. Alle eisernen Öfen wurden mobil gemacht, samt allen
+Ofenrohren. Kanonen wurden aufgebaut in dem Hof. Unter den Schlafdecken
+machten Kameraden die Gäule, die wir bestiegen, unsere blechernen
+Waschschüsseln als Stahlhelme auf den Häuptern, die eisernen Ofenhaken
+als Schwerter zu Händen. Die wachthabenden poilus hielten sich den Bauch
+ob dem hahnebüchenen Ulk, sie gönnten ihrem Leopardenkamel unseren
+Streich. Und jetzt, wie wir uns aufgestellt haben, da brüllen wir los
+»Deutschland, Deutschland über alles!« Da oben, der Alte ans Fenster,
+visionär klappen die blöden Glotzaugen auf -- Entsetzen -- er schreit:
+aux armes! aux armes! -- fährt in die Kleider, verliert das Herz in die
+Hosen und die Hosen mit dem Herzen. Erst als seine Soldateska sich
+ausgekugelt hat und wir wieder unschädlich gemacht sind, traut er sich
+in unser Verließ. Wie es sich gehört, kommen die Übeltäter ins Prison,
+wir Rädelsführer in schweres. Und das ist unser Glück -- Hatz und ich
+brechen aus. Wie wir uns dann zur Front zurückgefunden haben -- durch
+Mittelfrankreich hindurch, das ist ein Kapitel für sich. Und das
+Verdienst von Hatz. So was wie den hat die Welt nicht mehr gesehen. Der
+häßlichste Kerl, und hatte doch alle Weiber am Bändel. Fröhlich wie ein
+Buchfink, sittenlos wie ein Sperling -- und ein Sprachgenie. Sobald er
+ein Mädel geküßt hatte, redete er ihre Mundart. Sein Patois war unser
+Schutzengel. Nun, von dem allen erzähle ich ein nächstes Mal.«
+
+Es gab noch Dienstliches anzuordnen. Die Siedler verabschiedeten sich
+und brachten ihre Maschinengewehre nach Haus. Horst war der Letzte bei
+Herrn von Borkhus.
+
+Er hatte das Gefühl, als wollte der Baron ihn noch bei sich behalten und
+mit ihm sich aussprechen. Die Hand und auch die Augen ließen ihn nicht
+gleich los. In denen war wieder diese stille Gehobenheit, diese geklärte
+Ferne. Und dann drängte es in ihnen wie ein Bekennenwollen.
+
+Jetzt aber versank Borkhus ganz in sich hinein und sprach leise zu dem
+jungen Freund: »Sie sind müde -- es waren harte Tage. Ich bin es auch --
+sehr müde.« Damit sagten sie sich Lebewohl.
+
+Gleich nach Mitternacht war es, da wurde Gisbert durch einen Schuß
+geweckt. Im Hause war er gefallen. Träumte etwas nach in seinem Ohr?
+
+Ein stilles Lauschen in allen Räumen -- dann lebt es auf, da und dort --
+Türen gehen -- über die Dielen huscht es -- jetzt ein erstickter
+Aufschrei -- aus dem Arbeitszimmer des Herrn --
+
+Gisbert soll noch nicht aufstehen. Aber es duldet ihn nicht auf dem
+Lager. Er kleidet sich notdürftig an. Geht auf den Korridor. Da kommt
+ihm der Diener entgegen mit irrem Blick -- »Herr Baron -- erschossen --«
+stammelt er -- fassungslos irrt er um sich selbst --
+
+Gisbert geht in das Zimmer. Hier liegt Herr von Borkhus den Kopf auf dem
+Schreibtisch. Aus der Schläfe strömt das Blut. Der Körper ist starr und
+tot.
+
+Gisbert kann sich kaum auf den Beinen halten. Aber das Geschehene spannt
+ihn ein. Er gibt die Anordnungen. Zu Frau von Mönkhov, zu Horst soll
+geschickt werden. Auch zum Arzt, obwohl hier nichts mehr zu helfen ist.
+
+Und nun kauert er nieder, er selbst zum Hinsterben schwach, der Kopf
+hohl, das Herz tonlos und flackernd. Selbst ohne Besinnung starrt er auf
+den Entseelten und hält, ein Lebloser, die Totenwacht.
+
+So findet ihn Horst. Der nichts eher zu tun hat, als ihn ins Bett zu
+schaffen und ins Leben zurückzurufen. Dann, da der Puls wieder Dienst
+tut, wenn auch noch unwillig, kehrt Horst in das Totenzimmer zurück.
+
+Das Personal hilft ihm, die Leiche aufs Ruhebett legen. Er drückt die
+schweren Lider zu über die machtvollen Augen, die grauenhaft klagenden
+und drohenden Augen. Und hält stille Andacht.
+
+Dann geht er an den Schreibtisch, den blutüberströmten. Ein Album liegt
+da, schwarzgebunden. Auf die Blätter sind Drucksachen geklebt.
+Zeitungsausschnitte zumeist. All die Dokumente der Erniedrigung, der
+Beschimpfung, der Entehrung, der Plünderung, Verstümmelung und
+Folterung, die dem wehrlosen Deutschland angetan -- tagtäglich -- von
+den trunken zuckenden und gierenden Feindeshänden -- sorgsam gebucht
+seit Anbeginn.
+
+Ein Blutbach hat sich über das weiße Papier ergossen, das vom Schwarz
+des Einbanddeckels gerahmt ist. Von selbst zog es Horst durch den Sinn:
+schwarz-weiß-rot -- die schwarz-weiß-rote Not! Sie hat Dich zum Sterben
+gebracht.
+
+Neben dem Album liegt eine Zeitung. Eine Stelle ist angestrichen,
+bestimmt für die Sammlung, aber nicht mehr hineingelangt. Das letzte --
+heut abend hat er es gefunden.
+
+»In Boppard a. Rh. wurde eine Schülerin vor den Augen ihrer in Grauen
+erstarrten Mutter von einem der schwarzen Franzosen genotzüchtigt.«
+
+An den Rand hatte in wildem, ehrlichen, gedankenlosem Ungestüm seine
+Hand die Worte geworfen: »Hin nach Boppard!« Wie mußte es gezuckt haben
+in der Hand, in dem Herzen!
+
+Herrgott ja, und wem gehen dabei nicht die Sinne durch. Und nur eines,
+eines nur von endlos vielem! Dies war es, was Hartwig von Borkhus
+überwältigte, was ihn in Verzweiflung warf und aus dem Leben.
+
+Das Blutbuch -- der Zeuge Deines Unterganges. Um Deutschland bist Du
+gestorben -- und auch für Deutschland! Wir werden Dein gedenken!
+
+Wie einen Fürsten haben sie Hartwig von Borkhus beigesetzt. Die ganze
+Landschaft hatte zur Trauerfeier sich eingefunden. Pastor Waermann
+sprach die Abschiedsworte. So klangen sie aus: »Dein Tod ist ein Schrei,
+ist ein Ruf, der niemals verhallen wird. Deutsches Ohr wird ihn
+weitergeben an deutsche Lippen. In deutschen Herzen werden sich die
+Feuer sammeln. Bis der Tag kommt, wo die Flammen zum Himmel auflodern.
+Die Geister der Entschlafenen werden mit uns sein! Ihr Heerbann wird uns
+voranleuchten! Für uns aber, die Lebenden, die wir nichts vergessen, die
+wir treu bleiben jedem, der unser war, heißt die Losung, die harte und
+gerade: Über Gräber vorwärts!«
+
+
+
+
+ Verstehen!
+
+
+Gisbert, nach der Todesnacht, war immer noch nicht außer Gefahr. Auf dem
+Friedhof, während der Grabrede, war es plötzlich wie ein wahnsinniger
+Schreck blitzartig durch Frau Tildes verdüstertes Gemüt gefahren: der
+Tote zieht den kranken Hausgenossen nach sich. Und durch all ihre
+Trauer, ihren Gram immer wieder dieser zuckende Gedanke. Es lag ihr auf
+der Seele, dies Furchtbare: alle sterben sie mir hin! Und es hetzte sie
+aus dem Schmerz in die Angst.
+
+Wie sie nach Hause kommt, geht sie gleich zu ihm hinauf. Sie findet
+ihren Kranken in tiefstem Schlaf. Der Arzt, der im Trauergefolge ist,
+und noch einmal vorspricht, erklärt ihr, wenn etwas, gäbe dies die
+Aussicht auf Wiederherstellung. Jetzt kann sie gleichsam wieder ausruhen
+in ihrem Schmerz um den Vater.
+
+Sie blieb in Moorhof. Achim fuhr noch am selben Abend nach Mönkhov
+zurück. Nun saß sie am Arbeitstisch des Vaters, an dem Platz, wo er
+»lieber seine Form zerbrochen« hatte. Sie fing an, gedankenlos, mit
+leeren Augen und müden Händen die Schriftstücke zu ordnen. Da ließ Horst
+sich melden. Er bat um die Erlaubnis, sich noch einmal nach Gisbert
+umsehen zu dürfen, kam zurück mit dem Bescheid, daß der immer noch fest
+schlafe, und saß nun auf Frau Tildes Geheiß bei ihr nieder.
+
+Immer wieder sprachen sie von dem Toten. Von seinem großen
+sozialpolitischen Gedanken: der Ernährung des deutschen Volkes aus
+deutscher Scholle. Ein Zweig dieses Baumes war seine Zärtlichkeit für
+den Siedlungsgedanken gewesen.
+
+Horst war schwer betäubt. Ihm fehlte der Freund, seinem Werk der Vater
+und Berater. Wieder fiel die Schwermut ihn an. Und die alten inneren
+Zerwürfnisse kamen. Erst kämpfend erhob er sich zu der Kraft: nun gerade
+aushalten! Jetzt doppelten Einsatz des Wollens und Schaffens! Gilt es
+nicht auch, ein Vermächtnis hier zu erfüllen?
+
+Und von einem Vermächtnis sprach auch Frau Tilde. Wenn etwas, sei von
+der Hinterlassenschaft des Vaters das Siedlungswerk ihr ans Herz
+gewachsen. Und so viel an ihr liege, wolle sie an ihm mitarbeiten, nach
+ihrem schwachen Vermögen. Dankbar küßte ihr Horst die Hände. --
+
+Er hatte heute noch einen Krankenbesuch zu machen, der alte Torfmeister
+hatte sich gelegt.
+
+Ein Grab hatte er diesmal nicht zu schaufeln gehabt, die Borkhus besaßen
+ihr gemauertes Erbbegräbnis. Aber gewiß hätte er bei der Bestattung
+seines Lehnsherrn nicht gefehlt, wäre ihm nicht das mörderischste
+Frühjahrsrheuma in die alten Gelenke gefahren.
+
+Horst fand ihn hilflos hingestreckt. »Das kommt, weil meine Wieselchen,
+meine Hermännchen, mir aus den Stiefeln gewutscht sind -- hinaus in den
+weiten Frühling. Nun ist der Giftwurm bis in die Scharniere gekrochen. O
+Du Grundgütiger -- es ist zum Posaunenblasen schön!«
+
+Der Alte durfte nicht so allein bleiben. Vielleicht, daß Lona der Pflege
+sich annehmen konnte. Horst, den geschäftliche Besprechungen in die
+Stadt riefen, übernahm es, sie zu benachrichtigen.
+
+Durch den strahlenden Frühlingsnachmittag schreitet er. Wie leuchtet der
+Himmel, wie segnet er die Fluren! Wie schön ist das deutsche Land!
+Sollen Sklaven es bewohnen?
+
+Immer das eine! Und immer daran denken! Und immer, immer davon reden!
+»Eine Nation, die es nicht wagt, kühn zu sprechen, wird es noch viel
+weniger wagen, kühn zu handeln.«
+
+Wir haben die Worte, unsere Großen haben sie uns vorgedacht, uns
+vorgesprochen -- wir haben die Taten, unsere Helden haben sie uns
+vorgelebt. Wir brauchen ihnen nur zu folgen, sie nehmen uns ja an die
+Hand.
+
+Welches Volk hat eine Sprache, die so viel sagen kann, so viel singen
+wie unsere. Und seine Geschichte -- ist sie nicht seiner Sprache wert!
+Wie seine Denker und Sänger sind seine Helden!
+
+Was sind wir reich! Wir brauchen nur die Hände aufzumachen, und sie
+quellen über von Schätzen! An die uns die Räuber nicht rühren können!
+Was sind wir stark! Unsere Lungen atmen die Kraft unserer Geschichte --
+in unserem Blut brausen die Flammen, die in den Augen unserer Helden
+brannten!
+
+Dasselbe Feuer, dieselbe Tat! Wie können wir -- wir in der Knechtschaft
+bleiben. »Eure Ketten zerbrechen wie Glas!«
+
+An den Goldbergen kommt Horst vorbei. Um den höchsten Gipfel fliegen die
+Raubmöven. Noch fliegen sie. Aber die Stunde der Auferstehung naht. Das
+deutsche Meer wird wieder deutsch sein. In deutscher Flut werden die
+weißen Fittiche sich spiegeln. Deutsch das Meer und deutsch das Land --
+Deutschland, mein Deutschland!
+
+In der Stadt traf Horst viele von seinen jungen Freunden. Leuchtende
+Augen grüßten sich. Die Siedlungsgeschäfte, die er zu besorgen hatte,
+zeigten heute ein weniger unfreundliches Gesicht. Er trat guten Muts,
+unbefangen, ohne zu grübeln und zu wühlen den Weg zu Lonas Wohnung an.
+
+Sie hatte zwei Zimmer in einem der alten malerischen Häuser, die von
+Kletterrosen besponnen an das alte Tor sich lehnen und mit träumenden
+Augen über die verfallene Stadtmauer lugen.
+
+Ihre Wirtin, eine flüsternd beredte Küsterwitwe mit blendend weißem
+Scheitel, hatte ungefragt nur Lobsprüche für Lona, obschon deren
+politisches Treiben sie mit unsäglichem Entsetzen erfüllte. Daß ihr
+ganzes Herz den Armen gehöre. Ohne Entgelt gebe sie begabten
+Volksschülern Klavierunterricht. Jetzt sei sie Tag und Nacht als
+Pflegerin tätig, da in der Stadt eine Kinderkrankheit herrsche. Sie habe
+eben Bescheid geschickt, daß sie auf ein paar Stunden nach Hause kommen
+werde.
+
+Als Horst an die Wirtin die Bitte des Alten ausgerichtet hatte und sich
+verabschieden wollte, trat Lona auf den Flur. Sie führte den Besuch zu
+sich hinein, während die Hausfrau in die Küche ging, das Essen zu
+bereiten.
+
+Müde vom Nachtwachen lagen ihre Augen. »Wie geht es Ihren Kranken?«
+fragte Horst.
+
+»Zwei Kinder sind mir gestorben.« Dann blickte sie fest gradaus und sie
+sagte hart, bewußt, wie gerüstet: »Und auch Sie haben einen Todesfall«.
+Sie hielt nun einmal nicht hinter dem Berge.
+
+Nie hat Horst so wechselnde Empfindungen in eines Menschen Antlitz
+gesehen. Hier war der blutige Rausch einer Genugtuung -- ein wildes
+Hochgefühl, darob, daß die Inbrunst eigenen Wünschens, eigener
+Verwünschung das Schicksal gelenkt hatte -- und wieder eine Angst ob
+dieser dunklen Macht -- die Müdigkeit einer Sättigung -- ein Zug scheuer
+sich versenkender Reue -- und über allem blieb etwas von der Charitas,
+ein Priesterliches, das der Umgang mit dem Tode verleiht.
+
+Horst war auf den ersten Blick zurückgefahren und hatte sich verschanzt
+in sich selbst. Tot der Freund -- und hier dessen Todfeind, über den Tod
+hinaus. Was kann es für ihn geben als zornige Abkehr und ein Schweigen
+in Haß!
+
+Aber das, was in ihren Zügen, in ihrem Wesen selbst die Erlösung suchte
+aus einer Qual, das blieb nun doch das Mächtige über ihn.
+
+Haß -- Haß gegen Dich -- Du bist eine Deutsche! Ich habe keinen Haß für
+Volksgenossen. Ich will sie verstehen, nicht sie verfolgen. Mitleid kann
+ich mit ihnen haben, ja ich kann mich ihrer schämen und darum gegen sie
+mich auflehnen. Aber hassen -- unsern Haß halten wir fein säuberlich zu
+Rate, er gehört den andern!
+
+Und ihr gemeinsamer Freund Lud Uhlenbrook führte sie beide nun gar auf
+denselben Weg.
+
+Diese Nacht, so beantwortete sie die Bestellung, müsse sie noch
+hierbleiben. Bei einem Kinde, einem Zögling von ihr, gehe es auf Leben
+und Tod. Morgen komme sie dann zu dem Alten. Und sie wolle sich so
+einrichten, daß sie mehrere Tage bei ihm hausen und ihn gesund pflegen
+könne.
+
+Sie sprachen beide zärtlich über den alten Lud. Ihre Gemeinschaft gab
+Horst ein Recht, sich in dem Zimmer umzusehen.
+
+Die Wände waren mit Bildern bedeckt -- vom jüngsten Geiste waren sie --
+er wußte, von wem sie stammten. Von ihrem Freunde, dem hier getöteten,
+dem hier begrabenen.
+
+Sie fing die Blicke des Beschauers auf, sie fand in ihnen das
+Befremdete, das unsichere Flackern, das Ratlose -- das Verständnislose,
+wie sie es sich nannte. Erst wollte sie mitleidig schweigen. Aber Horst
+war ihr nun einmal immer näher gekommen -- galt er ihr nicht eines
+Bekehrungsversuches wert? War hier nicht vielleicht das Tor, das am
+ehesten sich auftun ließ, ihn hineinzuziehen in ihre Welt? Die
+Proselytenmacherin regte sich nun doch.
+
+»Sie wissen mit dieser Kunst nichts anzufangen?« fragte sie, eine
+gewisse Hilfsbereitschaft im Ton.
+
+»Da ich meinerseits hier durchaus in den Anfängen bin, muß ich schon um
+Nachsicht bitten. Zunächst dringt es wie ein Geschrei von Farben auf
+mich ein. Von Farben, die die Form verschlingen. Und -- sie wieder von
+sich speien.« Er nahm ganz und gar kein Blatt vor den Mund. Sie aber
+konnte das gut vertragen.
+
+»Für den Anfang ist das gar nicht so schlecht«, sagte sie. »Wenn Sie
+näher hinsehen, werden Sie erkennen, wie die Farben es sind, die die
+Form sich schaffen -- Sie werden die Visionen, die Gesichte der Farben
+erleben, und dann fassen Sie den richtigen Grund.«
+
+Horst vertiefte sich mit bereitwilliger Unbefangenheit. »Ich gebe zu,
+ich sehe hier eine Energie, die über den Raum hinauswill --«
+
+»Das ist es«, sagte sie lebhaft, beinahe freudig. Und werbend fügte sie
+hinzu: »Darauf kommt es ja an, auf die Überwindung der Körperlichkeit,
+des empirischen Daseins. Mit Naturerlebnissen, mit Sinnenerlebnissen hat
+die wahre, die geistige Kunst nichts zu schaffen. Für sie gilt nur der
+Genius innerer Gesichte. Sie hat mehr als das Schöne, Glatte, Abgeklärte
+der Natur, als die artikulierten Laute der Sinnenwelt. Sie lebt in der
+gewaltigen, noch unentwirrten, rätselvollen, gespensterhaften
+Unwirklichkeit. Chaotik ist ihr Wesen. Nur in dieser kosmischen
+Vitalität kann spirituelle Kunst atmen!«
+
+Sie war ganz hingenommen von ihrer Lehre und deren beredtem Rüstzeug,
+sie stand in der Glut ihrer Worte, der Glut und dem Rauch, halb
+Priesterin, halb Dozentin. Und ein Junges, Mädchenhaftes war dabei --
+freudig nahm Horst es hin -- etwas vom Fanatismus der höheren
+Töchterschule.
+
+Er vergaß erst die großen Worte ob diesem Reiz fast verschämter
+Glaubensleidenschaft. Dann aber stiegen ihre Worte wieder empor, in der
+unerbittlichen Großartigkeit.
+
+»Chaotik« -- klang es ihm im Ohr. Chaotik -- reimt sich auf Gotik -- und
+ist als Schlagwort gewollt und gemünzt. O was für gewaltige Blöcke
+werden hier gewälzt, titanenhaft. Nur müssen sie als Trümmer liegen
+bleiben -- es wird nicht gebaut. Bauen ist räumlich, ist Form. Die reine
+Kunst aber und was mit ihr zusammenhängt, muß formlos sein oder sie ist
+nicht!
+
+Schwer schüttelt Horst den Kopf -- auf den er sich stellen müßte, um
+hier mitgehen zu können. Formung, Bindung, das ist und bleibt ihm aller
+Kunst Wesenheit. Das Stammeln von Urlauten ist ihm keine Sprache.
+
+Aber, da er sich aufs neue in die Bilder versenkt, räumte er ein,
+gutwillig und gerecht: »Ganz gewiß spüre ich hier eine machtvolle
+Sehnsucht -- einen, sagen wir, stürmenden Überschwang des Fühlens --«
+
+»Nun also!«
+
+»Aber es ist nun mal -- wie sag ich -- die Verzückung einer Qual -- eine
+krampfartige, fallsüchtige Verzückung -- wie ein Sichselbstzerreißen und
+wie ein Tauchen der Hände ins eigene Blut!«
+
+»Recht so! Nur so, nur so kann man schaffen!«
+
+»Etwas, was uns jagt und verfolgt! Wovor man sich schützt! Was tue ich
+mit einer Kunst, wenn ich mich von ihr mit Händen und Füßen befreien
+muß! Die Kunst soll mich befreien!«
+
+Sie hob abwehrend die Hand. »Wie alt ist das! Ein Golgatha ist die Kunst
+und soll auch unser Golgatha sein. Nur kein irdisches, ein kosmisches
+Golgatha. Aber ich geb Sie längst nicht verloren. Hier ist nun der
+Scheideweg für alle denkenden Wesen. Nicht bloß in der Kunst, auch im
+Leben.« Und mit einem Schlagwort mußte sie schließen. »Jeder hat sich zu
+entscheiden, ob er die Kosmik will oder die Kosmetik. Ob das
+Nivellieren, das Glatt- und Schönmachen in den hübschen Kompromissen von
+Gesellschaft, Staat und Kirche -- ob das Ausschwingen des Geistes in
+Weltenweite!«
+
+Kosmik -- Kosmetik -- das nenne ich einen Abgang, dachte Horst. Sie
+verließen das Gespräch, da die Wirtin kam.
+
+Es sollte nicht das letzte Wort gesagt sein. Beim Torfmeister wollten
+sie sich weiter aussprechen. Mit einem »Auf Wiedersehen« schieden sie.
+
+Horst wanderte heimwärts. Das Gespräch mit dieser Frau, der über alle
+Feindschaft hinweg er die Hand gereicht hatte, begleitete ihn. Er fing
+an, immer mehr von ihr zu begreifen. Ihr geistiges Gesicht gewann für
+ihn Leben. Ihre Gefühls- und Anschauungswelt tat ihm Fernblicke auf, vor
+denen er nicht mehr unmutig und zornvoll die Augen schloß.
+
+War es nur, weil sie, eine Frau, die als Weib auf ihn wirkte, das neue
+Land ihm zeigte?
+
+Und wie ein Messerschnitt durchzuckte es ihn wieder: heute morgen hab
+ich den Freund begraben. Am Nachmittag sitz ich bei ihr, die seinem
+Dasein geflucht, deren Rache wie ein Vampir an seinem Mark gezehrt hat.
+Ist dies nun ein Verrat? Ist es einer, so weiß ich doch nichts von ihm.
+Oder will ich nur nichts von ihm wissen?
+
+Gerecht sein! Um das er von je gerungen hat! Gerechtigkeit!
+
+Daß die Blutrache unter Deutschen umgeht -- Ihr seid es schuld, die Ihr
+Deutschland in die sinnlose, selbstmörderische Verzweiflung gestürzt
+habt! Aus hysterischer Lustgier, wie aus unsäglicher hosenschlotternder
+Angst. Und diese Angst täuscht Euch nicht -- die Abrechnung kommt,
+darauf dürft Ihr Euch verlassen!
+
+Was Ihr aber in Deutschland gegeneinander gehetzt habt in dem
+wahnsinnigsten aller Bruderkämpfe, es wird sich wieder versöhnen. Wird
+sich vereinen und verschmelzen in dem einen großen, dem einzig
+lebendigen Gedanken: ein freies Volk auf freiem Grunde!
+
+Nur, daß jeder helfe an dem Sichverstehen! Dies ist das Erste! Verstehen
+müssen wir uns -- einander durchdringen! Immer und immer will ich daran
+denken, immer und immer daran schaffen! An der deutschen Brüderlichkeit!
+
+Du, Lona, hast mir heute etwas offenbart, was auf den ersten Blick mich
+zurückstieß. Aber jetzt frag ich mich, ist nicht auch all dies Neue so
+deutsch, so ganz und ursprünglich deutsch? Dieser unaufhaltsame,
+machtvolle, aus dem Innersten hervorbrechende Selbstbekenntnistrieb --
+die Schöpferkraft unserer jüngsten Kunst, ist sie nicht schlechthin
+germanisch? Nur deutschem Geist, nur deutschem Fühlen springen diese
+Quellen. Deutsch -- deutsch auch dies -- und auch dies zum Liebhaben!
+Und -- was hier auch krank sein mag, in der kranken Zeit, dies Wirre und
+Aufgepeitschte, das wild Zusammengeballte, dies Überhitzte und Fiebernde
+-- sollte man nicht um so eher eine sachte und sorgende Hand daran legen
+und zärtlich hegende Gedanken?
+
+Daß Du, Lona, mir der Dolmetsch warst für diese Sprache, die bisher
+nicht an mein Ohr geklungen ist, hab ich es Dir nicht zu danken? Und ist
+in dem Dank nicht ein Band, das uns, so lose es sein mag, miteinander
+verknüpft?
+
+Nun will ich Dich spielen hören! Nun sollst Du auf der Orgel zu mir
+sprechen! Von Deines Wesens Tiefe, seinen Nöten, seinen Lichtern! Ich
+werde mehr von Dir lernen, mehr von Dir erfassen, mehr von Dir wissen,
+von Dir und den Deinen. Und immer mehr von der Feindschaft wird
+abfallen. Deutsch und deutsch soll sich gesellen und einig sein!
+
+Nichts will ich beschönigen. Du hast es mir leicht gemacht, dadurch, daß
+Du ein reizvolles junges Weib bist. Gewiß hätte ich zu einem anderen
+Lehrer und Erklärer nicht den Weg gefunden -- oder mich ihm gar aus
+Leibeskräften widersetzt.
+
+Die Sinne -- nun ja -- warum sie als Helfer verschmähen. Sie sind da,
+und so sollen, so müssen sie getrost teilhaben an unserm Werk! So wahr
+sie ein Teil von uns selber sind! Sinnlos, sie zu bekämpfen! Wird nicht
+von ihnen beflügelt, was wir wollen?
+
+Ihr seid ein Teil der Kraft, darum seid gelobt! Wärt Ihr mir lähmend
+über den Kopf gewachsen, hättet Ihr mich verstört und gestört und
+verstrickt -- unter die Füße hätte ich Euch genommen. Jetzt aber, als
+meine Freunde -- als meine Freunde seid gelobt!
+
+Morgen gehe ich zu Pastor Waermann. Er soll Dir erlauben, daß Du die
+Moordorfer Orgel spielst. Der Pastor ist heftig und streng, vielleicht
+auch eng. Aber mein Mittleramt, das ins Größere greift, wird er gelten
+lassen.
+
+
+
+
+ Krisen
+
+
+Getragen schritt Horst durch den Frühlingsabend. Es war so viel
+Hoffnung, so viel Gläubiges in der Natur. Im Westen der letzte
+Feuerstrich, eine freudige Verkündigung neuer Sonnentage. Darüber der
+breite, topasfarbige Streif, irisierend, wie zitternd von dem Zauber der
+Frühlingsnächte, der auf die Erde tropfen will. Und wann wölbt der
+Himmel, der sich bestirnende, so wie jetzt in diesen Tagen des jungen
+Lichtes sich auf zu der Höhe trostreicher Unendlichkeit?
+
+Mit reiner Freude gedachte Horst seiner Arbeit und der Kameraden. Neue
+organisatorische Gedanken gingen ihm auf. Neue geschäftliche Pläne.
+Schichten eines erlesenen Töpfertones waren in dem Ziegeleigelände
+gefunden. Unter den Kameraden war ein gelernter Scheibentöpfer, ein
+geschickter und geschmackvoller Keramiker. Kacheln und Geschirr wollten
+sie herstellen. Eine aussichtsreiche Industrie, die ihre Finanzen, die
+immer bedürftigen, stärken würde.
+
+Vor ihm liegt die Baracke, die gelobte, die geschmähte, im Dunkel. Nur
+spärlicher Lichtschein aus einzelnen Fenstern.
+
+Da -- wie ein Schatten schleicht eine Gestalt den Weg entlang. In Mantel
+und städtischem Hut, einen Reisekoffer in der Hand. Scheu wie ein
+Flüchtling --
+
+Es fährt Horst durch den Kopf: ist das nicht Radatz, der unsichere?
+Natürlich ist er's! Und heimlich reißt er jetzt aus -- da der Führer
+nicht im Bau ist. Soll er laufen, so weit die Beine ihn tragen! Mit
+solchen Brüdern hab ich nichts zu schaffen! Schade um jedes Wort, das
+man an euch verliert!
+
+Aber, daß meine Mannschaft sich nun so zersetzt! Und verstecke ich mich
+nicht selbst, wenn ich den Mann so an mir vorüberschleichen lasse? Keine
+vornehme Bequemlichkeit! Ihn stellen! Bin ich der Führer oder nicht? Er
+soll wenigstens Hals geben! Ich verkriech mich nicht mit ihm zusammen in
+Heimlichtuerei!
+
+»Radatz, sind Sie das?«
+
+»Jawohl, Herr Hauptmann.« Die Stimme knickte ein.
+
+»Wollen Sie verreisen?«
+
+»Ja.«
+
+»Haben Sie Urlaub?«
+
+»Ich -- ich habe eine traurige Nachricht von zu Hause. Mein Onkel ist
+gestorben --« Der Mann log.
+
+»Beruhigen Sie sich. Er ist nur scheintot«, sagte Horst mit
+überwältigender Kühle.
+
+Der Ausreißer stand, eingekeilt zwischen Beschämung und Unmut. Horst
+ließ ihn stehen. Eine kurze Wendung. »Reisen Sie glücklich!« Er hatte
+ihm den Rücken gedreht.
+
+Gleich berief Horst eine Versammlung der Siedlerschaft.
+
+»Kameraden. Der frühere Siedler Radatz hat sich heimlich entfernt. Daß
+er sich entfernt hat, ist seine Sache. Daß er es heimlich tat, seine und
+unsere. Nichts schlägt so wie dies dem Geiste unserer Gemeinschaft ins
+Gesicht. In der vollen Freiheit, vollen Ehrlichkeit ist sie aufgebaut.
+Und so frei und ehrlich soll sie bleiben. Wir glauben an unser Werk. Zum
+Glauben gehören Opfer -- wir bringen sie freudig. Dies unsere Gesinnung
+-- oder ist sie es nicht mehr? Leicht ist unsere Arbeit, unser Leben
+nicht. Lockende Rufe von draußen kommen zu manchem von uns. Und nun will
+ich Euch fragen, ist noch einer oder der andere hier, der nicht mit
+ganzem Herzen weiterschafft an unserer Arbeit -- offen soll er es sagen.
+Wir wollen ihn gewiß nicht hindern, daß er geht -- fördern wollen wir
+ihn auf seinem neuen Weg. Aber Offenheit wollen wir! Lassen wir den
+Betrug sich bei uns einnisten, dann stürzt unser Bau zusammen!«
+
+Die Worte wirkten, der Ton zwang. Alle gelobten sich aufs neue dem
+Siedlungswerke zu.
+
+»Wir sind seit langem wieder einmal in größerem Kreise beisammen. Hat
+einer sonst noch was auf dem Herzen?«
+
+Maurer Mulitz meldete sich. »Ich kann mir nicht helfen -- daß wir damals
+nach Mehrheitsbeschluß allesamt gegen den Streik uns einsetzen mußten --
+das halte ich nicht für richtig.«
+
+Gegenrufe: »Wieso?« -- »Allesamt! Bei uns gibt es nur ein Allesamt!« --
+»Kameraden sind wir!«
+
+»Ich hab da etwas gegen mein Gewissen tun müssen -- als Streikbrecher
+bin ich mir vorgekommen --«
+
+»Lächerlich!« -- »Was war das für ein Streik!« -- »Ein wilder
+allerhöchstens.« -- »Mit Brandstiftung!« -- »Mit Überfall aus dem
+Hinterhalt.«
+
+Mulitz ließ sich nicht beirren. »Ich bin der Meinung, daß wir andere
+Aufgaben haben. Auch zum Polizeidienst sind wir nicht da. Sollte sich so
+etwas wiederholen, muß ich mir ausbitten, daß ich hier in der Siedlung
+bei meiner Arbeit bleiben darf.«
+
+Kunz wurde erregt. »Lieber Mulitz, wir haben uns stets als geschlossenen
+Verband betrachtet! Einer für alle, alle für einen! Wollen wir den
+Mordbrennern zuliebe uns in unsere Bestandteile auflösen? Und einpacken
+mit unserem gemeinsamen Siedlungswerk? Und was haben Sie, gerade Sie
+gegen Mehrheitsbeschlüsse? Damit müßte sich doch Ihr gewerkschaftliches
+Gewissen am ersten beruhigen.«
+
+»Wir sind hier keine Gewerkschaft. Eine Arbeitsgemeinschaft sind wir, in
+der jeder persönlichen Überzeugung Freistatt gewährt ist.«
+
+»Die sich aber doch jederzeit einheitlich zur Nothilfe organisieren
+kann.«
+
+»Um Nothilfe ging es hier doch gar nicht. Handelte es sich hier
+vielleicht um lebenswichtige Betriebe --?«
+
+»Wenn wir schon den neuen Staatskatechismus gelten lassen -- erst recht
+handelt es sich hier darum! Was ist jetzt lebenswichtiger, als daß die
+deutsche Erde bestellt wird? Und dann die Brandstiftung -- ist das nicht
+unmittelbare Lebensbedrohung!«
+
+Es gab parlamentarische Erregung. Die meisten waren für Kunz, wenige für
+Mulitz. Immerhin bildeten sich Parteien. Die Augen hingen an Horst. Er
+nahm das Wort.
+
+»Ich kann den Standpunkt vom Kameraden Mulitz nicht ablehnen.« Kunz hebt
+die Schultern, das Lid von Dankwardt zuckt. »Gewissensnöte müssen wir
+unter allen Umständen ehren. Natürlich liegt mir an nichts so viel, wie
+an unserer Einheit. Und tatsächlich -- wie es auch diesmal geschehen ist
+-- wird ein großer Zug die Bedenken der einzelnen mit sich reißen. Auch
+die Kameradschaftlichkeit von Mulitz hat sich noch immer bewährt. Aber
+wir müssen grundsätzlich anerkennen, daß in solchen und ähnlichen Fällen
+jemand seiner Überzeugung treubleiben darf, ohne sich damit außer dem
+Rahmen unseres Verbandes zu bewegen. Über die sogenannten inneren Feinde
+sind verschiedene Auffassungen möglich. Nur über den äußeren nicht!«
+
+Kleister! schalt Kunz in seinem Gemüt. Er war böse auf Horst. Aber seine
+Disziplin hieß ihn hier schweigen. Unter vier Augen würde das Weitere
+sich finden.
+
+»Noch eins darf ich zur Sprache bringen«, bemerkte Mulitz, der jetzt
+Oberwasser hatte. »Es scheint sich hier so etwas wie Schnüffelei
+ausbilden zu wollen. Man hat mir meinen Verkehr aufgemuzt -- daß ich
+manchmal in der Stadt mit einem alten Freund zusammenkomme. Der ist
+allerdings eingefleischter Kommunist. Aber wenn man darin nicht mehr
+freie Hand haben soll --!«
+
+»Natürlich hat man die«, erklärte Horst. »Wir sind hier doch nicht in
+einer Kleinkinderbewahranstalt.« Und dann fügte er mit Bedacht hinzu,
+und es grub sich die gerade Falte zwischen seinen Brauen: Ȇbrigens bin
+ich in ähnlicher Lage wie Sie. Auch ich -- suche sogar den
+Gedankenaustausch mit kommunistischen Kreisen. Ich meine, wir sollen und
+müssen ergründen, was in deutschen Geistern vorgeht. Nur so können wir
+deutsche Arbeit leisten.« --
+
+Die drei Offiziere saßen in Dankwarts Zimmer. Kunz würgte an seiner
+Erregung. »Nun sind wir so weit. Der Zersetzungsprozeß beginnt! Wenn
+erst dieses Phrasengespenst, die Gewissensfreiheit bei uns herumspukt!
+Mit dem jeder seinen Privatunfug treibt! Dienstpflicht, verdammte, haben
+wir und Kameradschaft. Und Kameradschaft und Dienstpflicht. Vorbildlich!
+Und weiter nichts auf der Welt -- es ist wahrlich genug. Und vor allem
+keine Gespenster!«
+
+»Du gehst durch die Wand, Kunz!«
+
+»Dann ist die Wand danach! Ich bleib dabei, so lange wir immer und immer
+wieder den sozialen Knüppel unserer vaterländischen Empfindung zwischen
+die Beine werfen lassen, so lange, kann ich nur sagen, verdienen wir
+wahrlich den Knüppel!«
+
+Dankwart nickte mit der starren Asketenmiene. »Alles in allem -- da es
+nun mal ohne Politik nicht geht -- können sich eben nur Glaubensgenossen
+in einer Gemeinschaft wie unserer zusammenfinden. Die meisten stehen ja
+glücklicherweise auf unserem Boden. Die paar andern -- hinaus! Und
+geeigneten Ersatz! Es gibt brave Kerle genug ohne Dach -- die gerne
+kommen!«
+
+Horst warf heftig den Kopf. »Nein -- nein. Das ist ja das
+Allerverkehrteste! Damit werden wir ja bloß ein Klüngel mehr! Ein
+Häufchen Partei und weiter nichts! Wir haben doch wahrlich was Größeres
+im Sinn gehabt! Alles, was deutsch ist im Denken und Wollen -- ist nicht
+Gust Elbenfried mit seinem kommunistischen Christentum, mit diesem
+rührend innerlichen Kommunismus der Herzen, einfach eine Notwendigkeit
+in unserm Kreis? Etwas wie ein klein Deutschland wollen wir sein! Und
+nun verschont mich gefälligst mit Ketzergerichten!«
+
+Kunz lachte höhnend. »Ein Deutschland -- ohne Ketzergerichte? Wie
+unvollständig bleibt Dein Abbild!«
+
+Dankwart aber, und die Bronze seines Gesichtes dunkelt unmutig: »Du
+wirst immer mehr zum Schwärmer, Horst. Und das macht mir Sorge. Mir und
+uns.«
+
+»So sägt mich ab.«
+
+Dankwart weiter -- und das schwere Lid hob sich auf zu besonderem
+Vorstoß. »Du hast selbst davon gesprochen, von Deinem Verkehr mit der
+Kommunistendame. Darf ich Dir meine Ansicht sagen?«
+
+»Bitte.«
+
+»Als Führer tätest Du besser, diesen Verkehr einzustellen.«
+
+»Lieber Dankwart --«
+
+»Man wird Dich nicht verstehen. Und ein Führer -- soll verständlich
+sein.«
+
+»Wohl. Aber vor allem soll er doch selbst verstehen, mein ich. Und
+möglichst viel. Meine Methoden müßt Ihr mir schon lassen.« Er hielt die
+Ruhe, aber ein wehrhafter Ton meldete sich.
+
+Dankwart, den bitteren Mund verzogen, mit seinem gelinden Zynismus:
+»Lieber Horst -- hättest Du gesagt: meine weibliche Privatsache, Hände
+davon -- gut! Oder: wenn ich einen Gegner so oder so unschädlich mache,
+seid mir doch dankbar -- besser! Aber ein >geistiger Austausch< -- geht
+dabei etwas verloren, trifft das auch uns. Und darum --«
+
+Horst wurde es der Erörterung zuviel. Sprödigkeit, Stolz, ritterlicher
+Sinn wehrten sich gegen die ganze Art dieser Betrachtung. »Wir geraten
+da nach meinem Geschmack zu sehr ins Persönliche. Meinen Standpunkt in
+der Sache hab ich Euch bezeichnet.«
+
+In den festen Worten war ein metallenes Klingen. Das bedeutete Schluß
+der Vorstellung, die Freunde wußten es.
+
+Kunz, der am ersten sich umstimmte, suchte erfreuliche Mitteilungen in
+das Schweigen zu bringen.
+
+»Ein Paar Pferde habe ich gestohlen.«
+
+»Was? Gestohlen -- wo?«
+
+»Dem Roggendorfer habe ich sie abgeknöpft. Zwei zähe ostpreußische
+Schecken. Kosten so gut wie nichts.«
+
+»Kunz --«
+
+»Horst -- sei Du der Organisator des Sieges. Ich sei der Organisator des
+Geschäfts. Zwei Schälpflüge hab ich uns auch gelangt. In Süldemitz. Auf
+Abzahlung. Ohne Termin. Na -- und da wir keine hastigen Orientalen sind
+--«
+
+»Natürlich dürfen wir nicht --«
+
+»In allem Ernst, Horst -- die lieben Leute haben von uns so unendlichen
+Nutzen gehabt -- da erlauben wir ihnen eben gütigst, sich ein klein
+bißchen erkenntlich zu zeigen. Manus manum. Und weil ich auf diese
+Manikür mich verstehe --«
+
+»Was uns aber nicht an ordnungsmäßiger Abrechnung hindern wird.« Horst
+erhob sich. »Und morgen also zuerst ins Ödland. Gut Nacht!« Er reichte
+den Freunden die Hand und ging.
+
+Die beiden blieben noch eine Weile zusammen.
+
+»Die Höhe hat er,« sagte Kunz, und was ihn ihm zürnte, wurde von der
+Anerkennung verschlungen. »Weshalb wir jetzt auch gegen ihn Stimmung
+machen. Und an ihm stürzen werden.«
+
+»Das tut er ja leider allein.« Dankwarts Auge war wie Nacht.
+»Knochenerweichung geht weiter.«
+
+Kunz schrak auf. »Und was soll werden? Wer soll uns führen? Kannst Du
+es?«
+
+»Nein.«
+
+»Kann ich es? Strammheit allein -- lächerlich. Dazu gehört dies gewisse
+Etwas. Was er hat -- und keiner von uns.«
+
+Dann rückte er sich kräftig zurecht. »Unsinn! Wir übertreiben. Und
+machen Verschwörung. Verschwörer übertreiben immer. Es renkt sich alles
+wieder bei ihm ein. Gesunder Kern -- also!«
+
+»Wenn nicht ein Weib dahinter steckte.« Heiser die Worte, vor
+Bitterkeit, höchstem Mißtrauen und tiefster Verachtung.
+
+»Das bißchen Weib.« Kunz lächelte, er war noch leidlich unbeschwert.
+Dann schlug er lebhaft mit den Flügeln. »Wenn man ihm das Weib auf
+irgendeine Art vom Halse schaffte!«
+
+Sehr abenteuerliche Gedanken brausten ihm durchs Hirn.
+
+
+
+
+ Die Schlacht an der Katzbach
+
+
+Die Siedler arbeiteten im Felde. Über ihnen die klingende
+Frühlingsweite. Kunz pflügte mit seinen Schecken. Er war zufrieden und
+sang. Die Morgenluft hatte alles aus seinem Schädel geweht, was da noch
+dumpf von Krisenstimmung und Palastrevolution herumrumorte.
+
+Und Horst war von der Verantwortung getragen. Jetzt, wo alle Betriebe
+lebten, die Landarbeit, die Ziegelei, der Torfstich, wo alle Fäden in
+seiner Hand zusammenliefen, war er mehr als je der Führer. Er selbst
+betonte sich die Führerschaft, geflissentlich und hart.
+
+Es war da etwas gegen ihn aufgestanden -- in sein Empfindungsleben
+hatten sie greifen wollen -- was im Grunde um so plumper ist, je
+rücksichtsvoller es sich gebärdet! Und wenn nun gar die Freundschaft ihr
+Lied hineinsingt --! Solches lehne ich ab! Ich bin, wer ich bin! Wollt
+Ihr mich nicht so -- ich will mich so! Und es gilt den Kampf.
+
+Er fühlte sich allein. So ist die Höhe. Und stark ist die Einsamkeit.
+
+Nach dem Torfstich wandte er sich, zum Moor. Er würde Lona sehen. Durfte
+er? Mußte er dafür nicht einen Genossenschaftsbeschluß in der Tasche
+haben? Ein Lächeln. Und er dachte an sie mit einer Art trotziger
+Innerlichkeit.
+
+Beim kranken Torfmeister fand er sie. Ihre Pflege hatte Wunder getan,
+der Alte war fast ohne Schmerzen. Die zwei saßen nebeneinander beim
+Fenster. Sie schauten und horchten aufs Moor. Er hatte seine Pranke auf
+ihren Unterarm gelegt, der eine Schönheit war. So zogen seine alten
+Glieder sich die Heilkraft aus ihrem jungen Leib.
+
+»Mein Lütt ist mein Segen«, sagte er. »Und wenn sie sich nun noch aufs
+Moor verstünde -- und das Moor sich auf sie --! --« Dies war sein
+Kummer. »Denken Sie,« sagte er zu Horst, »sie kann hier nicht schlafen.
+Wie kann man hier nicht schlafen, wenn das Moor neben einem atmet.«
+
+»Aber es stöhnt im Schlaf«, rief sie. »Wie ein Riese, der sich den Magen
+verdorben hat.«
+
+Der alte Lud schüttelte den vermoosten Schädel. »So kommt Ihr Euch nicht
+bei.«
+
+Lona trotz ihrer Schlaflosigkeit blickte aus klareren Augen in die Welt.
+Von der Güte der Pflegschaft lag es weich um ihren herben Mund. Etwas
+wie friedliche Versonnenheit war über sie gebreitet.
+
+In Horst ging es auf: ist sie nicht wie befreit, von einer inneren Not,
+einem Druck, einem Zwang? Da die furchtbare Pflicht von ihr genommen ist
+-- die Pflicht ihrer Rache!
+
+Er mußte an sich halten. Gräber wälzten sich gegen ihn, deutsche Gräber.
+Aber das Goethewort hallte in ihm nach: »Über Gräber vorwärts!«
+
+Pastor Waermann hatte es gesprochen. Und hier war eine -- auch ein
+darbendes Kind der deutschen Erde -- die auch vorwärts schritt, auch
+hinaus strebte aus dem Fluch, aus den Fesseln des Vergangenen und enger
+Gelöbnisse. Der sie jetzt die Orgel nicht gönnen wollten, die ihre
+Erhebung war, die auf den Weg zum Ewigen ihr leuchtete.
+
+Morgen am Sonntag rede ich darüber mit Pastor Waermann.
+
+Und er sagte es ihr. Sie hatte dafür einen dankbaren Blick. »Ob ich aber
+gerade bei Pastor Waermann Gegenliebe finde?«
+
+»Bei ihm am ersten.«
+
+»_Pax vobiscum_ beten die Christen -- _bellum aeternum_ den Pazifisten!«
+
+»Darin ist er nun wie ich: um --isten und sowas kümmert er sich nicht,
+auf Endungen gibt er nicht viel. Und der Kern der Sache --«
+
+»Ist, daß Lütt Orgel spielt!« rollte Lud Uhlenbrook dazwischen.
+»Bedanken sollen sie sich, der Pastor und der Herrgott und die Kirche
+und jedeiner, der mit seinen langen Ohren einen Ton davon aufzuschnappen
+kriegt!«
+
+»Lud, was weißt Du von meinem Spiel!« Ganz mädchenhaft war ihre Abwehr.
+
+»Ich hab Deinen Vater spielen hören. Und in meiner besten Stube« -- er
+schlug sich an die Brust -- »ist seit der Zeit Festesfreude. Wenn sie
+Dich nicht spielen lassen -- wir stürmen die Kirche -- was, Herr
+Oldefeld?«
+
+Seine Pranke hob sich zu mächtigem Schlag und ruhte dann wieder aus auf
+der köstlichen Armrundung seines Lieblings.
+
+Dann lud er Horst ein, morgen den Sonntagnachmittag bei ihnen zu
+verbringen. Freudig sagte der zu, ganz glückhaft vergessen. Plötzlich
+fiel es ihm ein: ich kann ja nicht. Und er ließ sie es wissen. Seine
+Jungen kämen morgen aus der Stadt heraus zu ihm.
+
+»Was wollen die?« fragte der Alte.
+
+»Soldat spielen.« Horst hielt nicht hinterm Berge. Er sah, daß es um
+Lonas Mund zuckte. Jugendverführer! mochte das heißen. Er konnte es
+nicht ändern -- o nein und wollte es auch ganz gewiß nicht.
+
+»Natürlich«, knurrte der Alte in zustimmendem Behagen. »Was wollen
+Jungen sonst! Wir haben es so gemacht, und solange die Welt steht, wird
+sie's so machen. Jungs sind Soldaten und wollen Soldaten sein. Und warum
+ist es so?« Hier faßt er dem großen Weltgeheimnis an den Puls. »Weil die
+kleinen Mädchen es so wollen!«
+
+»Lud, das ist nun mäßig.« Lona lehnte sich auf, aber sie ließ ihm ihren
+Arm. »Frauen kennen Besseres als rasselnde Säbel.«
+
+Das war ganz gewiß auch auf Horst gemünzt. Der aber schwieg.
+
+»Lütt, Ihr Aufgeregten guckt so oft an der Welt vorbei -- und glaubt
+dann, sie ist anders. Aber sie bleibt wie sie ist, und Soldat ist und
+bleibt Trumpf für die Frau. Und ich kann Dir auch verraten, wovon das
+ist. Guck, alles könnt Ihr Frauen meinetwegen werden -- Doktor und
+Apotheker und Advokat und Priester und Küster. Bloß nicht Soldat. Und
+weil das das richtig Männliche ist, darum ist das auch das Richtige für
+die Weiber.«
+
+ »Denn das Höchste, Höchste ist für mich ein Reiter,
+ und das Leben labt und lebt und liebt sich weiter!«
+
+Horst brauchte keine Reiterlieder anzustimmen. Von dem blanken
+Mannesmut, dem die Frauenhuld gehört. Die totsichere -- die
+lebenssichere Gewähr dafür, daß dieser Geist sich auch fortpflanzt und
+nun und nimmermehr ausstirbt. Er freute sich daran, wie der Alte die
+Klinge schlug. Und war es zufrieden, daß er selbst im Hintergrund
+bleiben konnte -- jetzt, wo Lona, die Gebändigte, selber in der
+Beschaulichkeit sich hielt.
+
+So sagten sie sich still und friedfertigen Sinnes Lebewohl. Horst
+verhieß, er würde Sonntag abend nach dem Manöver noch herüberkommen und
+den Kirchenschlüssel bringen. --
+
+Die Jungen strömten heraus mit singenden Lungen und hochschlagenden
+Herzen.
+
+Sie lagern am Fuße der Goldberge. Horst, in der Mitte des Kreises, hält
+ihnen Vortrag. Mag das ganze eine Kinderei sein, ein Stammeln im Geiste.
+Aber gleichviel -- auf den Geist kommt es an.
+
+Wir haben hier -- so spricht Horst -- ein ausgezeichnetes
+Katzbach-Gelände. Da, die beiden Rinnsale, die von dem Südhang sich
+abzweigen und ins Moor fließen: Katzbach und Neiße. Drüber die
+Hochebene. Also heute: die Schlacht an der Katzbach!
+
+Begeisterte Zustimmung leuchtet aus all den jungen Augen.
+
+Wie Horst nun begann die Kriegslage zu erläutern, fand auch Kunz sich
+ein. Aber er blickte nicht auf das Schlachtgelände, drehte der Strategie
+den Rücken und hielt mit den Augen die Moordorfer Straße.
+
+Horst erklärte: Napoleon hat versucht, mit großer Übermacht Blücher in
+Schlesien zu stellen. So dumm ist der Alte nicht -- er weicht aus, geht
+vom Bober hinter die Katzbach zurück und wartet, bis der Kaiser mit
+einem Teil seiner Armee nach Sachsen zurück muß, da das böhmische Heer
+anmarschiert. Macdonald erhält den Befehl über die achzigtausend Mann,
+die den -- natürlich! -- >in Auflösung begriffenen Feind< weiter
+verfolgen und vernichten sollen. Bei Blücher haben Russen den rechten
+und linken Flügel, unter Sacken und Langeron. Das Zentrum befehligt
+York. Er hält sich hinter Anhöhen versteckt -- ahnungslos steigen die
+Franzosen zu dem Plateau empor. Blücher befiehlt: laßt so viel Feinde
+herauf, wie Ihr wieder hinunterschmeißen könnt! So geschieht's. Dann
+beginnt die preußische Brigade Hühnerbein den Tanz, mit Bajonett und
+Kolben fegt und schmettert sie die Franzosen den Abhängen zu. Aber
+Macdonald treibt immer neue Massen auf die Höhe. Ein preußischer
+Kavallerieangriff unter Jürgaß verpufft. Da stürmt der Alte selbst und
+sein Liebling Katzeler mit preußischen und russischen Reiterscharen
+gegen den Feind. Kräftig hilft die Infanterie Yorks und Sackens nach --
+während Ehren-Langeron es vorzieht, Gewehr bei Fuß zu bleiben. Der
+Franzose wird ins Neißetal geworfen, in den brausenden Strom. Der Sieg
+ist errungen.
+
+So die kurze Erläuterung. Nun wandern sie durch das Schlachtgebiet.
+Fröhlich schmunzelt die Fantasie zu den »reißenden Gebirgswassern«. Die
+einzelnen Stellungen werden bezeichnet. Dann geht es an das Einteilen
+der Heerkörper, an die Ernennung der Führer.
+
+Natürlich will niemand Franzose sein. Erst wie Horst die Rolle
+Macdonalds übernimmt, bekommt er sein Heer zusammen. Auch die Russen
+sind nicht begehrt. Kunz muß sich erst zu dem Jammerkerl, dem Langeron,
+entäußern. Allerdings hat er dafür den Vorzug, auch sein eigener
+Heerkörper zu sein -- zum Nichtstun bedarf es keiner weiteren Kräfte --
+und in träumerischer Einsamkeit die Spitze des Moordorfer Kirchturms und
+die Straße vom Dorf, die so freundlich verheißende, zu betrachten.
+
+Auch hat der Posten, der ihm zugewiesen ist, alle Anwartschaft darauf,
+nicht mit rührender Treue gehalten zu werden. Vielleicht, daß dieser
+Frühlingssonntag doch noch etwas anderes mit ihm im Sinne hat, als daß
+er hier den traurigsten aller Wutkigenerale an den Pranger der
+Unsterblichkeit stellen muß.
+
+Die Moordorfer Straße -- eine Straße wie die andern auch. Vom grauen
+Staub bedeckt, von grauen Bäumen mürrisch bewacht, die der Frühling noch
+nicht hat entzünden wollen. Und heute ein grauer Himmel über allen
+Dingen.
+
+Wie aber wird dieser graue tote Weg, auf dem heute niemand geht und
+niemand fährt, wie wird er zu leuchten anfangen, ein goldener Streif,
+eine Sonnenbahn, wenn zwei Mädchenfüße ihn betreten!
+
+Wartest Du, Straße, nicht auf diese Füße? Ja, ja -- Du bist nichts als
+ein Warten, als ein Dichdarbieten, als ein Sietragenwollen! Was gibt es
+auch Herrlicheres für einen Weg, als von dieser unsagbaren Anmut zu
+federn und zu schwingen!
+
+Nicht wahr, Du, Straße, sehnsüchtig wie ich, Du führst sie mir her, sie
+weiß ja, daß hier heute Kriegsspiel ist. Was gibt es Lockenderes für
+sie? Und sie ist mein Kamerad. Wenn ich dabei bin, muß sie doch auch
+dabei sein! Straße, gedenke Deines Berufes! Trag ihre Schritte! Bring
+sie mir her!
+
+Der Ehrgeiz der Jungen warb um die Führerstellen. Blücher war natürlich
+Dr. Georg Stump -- an den greisen Marschall hätte auch ihre Bewunderung
+kaum zu rühren gewagt. Eher schon trauten sie an York sich hinan -- der
+primus omnium, ein ernster, kantiger und steifnackiger Junge ward
+auserlesen.
+
+Am meisten umworben war Blüchers Verzug, Katzeler, der kühnste und
+verschlagenste aller Reiterobersten. Als solcher durfte Fritz Röder vor
+seinen Schwadronen bergan traben, ein Junge, rosig, leichtsinnig,
+sorglos und liebenswürdig verschmitzt -- seine Besonderheit war, listig
+sich mit der Kamera lustig verfängliche Situationen zu greifen.
+
+Und nun ist Krieg. Die feindlichen Heere haben sich aufgestellt.
+Horst-Macdonald klimmt mit seinen Scharen die Höhe hinan, die Aufklärung
+versagt plangemäß, in breiter Linie fluten sie auf den Gipfel.
+
+Wie ein unbändiges Meer wogt die versteckte Brigade Hühnerbein. Schwer
+ist sie zu halten. Jetzt! Das Kommando! Sie brechen vor auf die Feinde
+--
+
+Ein erbittertes Handgemenge. In Paaren kugeln sie auf den Boden. Die
+Franzosen müssen zurück. Aber Macdonald -- zu spaßen ist nicht mit dem
+schlachtenerprobten Marschall, dem Helden von Wagram -- er führt neue
+Truppen ins Feuer -- der Kampf steht --
+
+Jetzt ist die Stunde der Reiterei gekommen. Wie das Donnerwetter
+preschen Blücher und Katzeler mit den Regimentern gegen die
+Anstürmenden. Und Yorks Infanterie gibt ihren Senf dazu.
+
+Aber -- aber die gerufenen Geister -- so leicht sind sie nicht los zu
+werden. Ist es die Schwärmerei für Horst, ihren Führer, ist es der Zorn,
+daß sie die Franzosen sein müssen -- Macdonalds Soldaten stehen und
+verbeißen sich. In Einzelkämpfen. Sie sind die gewandteren Ringer und
+bleiben oben. Der große Kavallerie-Angriff und mit ihm das ganze
+Programm droht in die Brüche zu gehen. Kommandos und Signale werden in
+der Kampfeswut nicht mehr gehört, die Franzosen dringen erbittert weiter
+vor, das Bild der Katzbacher Schlacht beginnt, sich heillos zu
+verschieben und zu verzerren --
+
+Da -- was begibt sich? Man weiß, wie oft in die Entscheidungsschlachten
+der Völker überirdische Mächte, himmlische Erscheinungen eingegriffen
+haben -- Erzengel mit dem Flammenschwert, die Geister sagenhafter Helden
+oder heilige Frauen im Glorienschein.
+
+Und hier -- eine Elfengestalt -- ein Wesen aus einer anderen Welt -- an
+die Spitze der wankenden Preußen tritt sie -- eine Begeisterung,
+übermächtig, braust durch die Herzen. Die Reihen schließen sich, sie
+stürmen vor, unaufhaltsam, sie siegen, sie siegen. Und der Feind liegt
+am Boden.
+
+Kunz, wo hast Du Deine Augen gehabt? Hast Du so lange auf die
+Straßenlinie gestarrt, wie das Huhn auf den Kreidestrich, daß Du davon
+eingeschlafen bist?
+
+Vita, Deine Vita ist ja längst zur Stelle. Mit ihrem Vater ist sie
+gekommen, der heute hier auch nicht fehlen darf. Jetzt steht Horst bei
+ihr und drückt ihr die Hand, daß sie die geschichtliche Wahrheit
+gerettet hat. In scheuer Verehrung umkreisen sie die Jungen.
+
+Kunz findet sich schnell hinzu -- es zwickt ihn wie die bittere Wehmut
+einer leichten Eifersucht, es liegt ihm ganz und gar nicht, überflüssig
+zu sein. Sie begrüßt ihn mit ihren hellen eifrigen Augen. Wie
+durchrieselt ihn die Freude an ihrer Kindlichkeit. Die ihm, ihm einmal
+erwachen soll!
+
+Eine Pause gibt es. Wieder lagern sie alle. Die Kritik ist mühelos
+erledigt. Jeder bekommt seinen Wischer. Nur die Vision wird gefeiert,
+der Geist und des »Geistes Tochter«, die Begeisterung.
+
+Die drei Männer, Horst, Pastor Waermann, Dr. Georg Stump unterhalten
+sich über das Leben in Blüchers schlesischem Hauptquartier -- der eine
+weiß dies, der andere das. Die Jungen hören zu mit dürstender Hingabe.
+Hier ist Trank aus deutschen Quellen.
+
+Wie um den Alten, den sie den »rohen Husaren«, den »Landsknecht«
+schalten, das regste geistige Leben blühte. Nichts mehr von dem alten
+bildungsfeindlichen, plumpen Hohn des Kasernentons. Die Helden dieses
+Kreises, Gneisenau voran, Rühle von Lilienstern, mit Heinrich von Kleist
+innig befreundet, Schack, Brandenburg, Oppen, -- Offiziere von weitestem
+Horizont. Und auch die Haudegen Horn, der preußische Bayard, Jürgaß,
+Sohr, Katzeler, der tolle Platen, dem nie die Pfeife ausging -- sie alle
+beileibe keine bloßen Plempenschwinger. Weiß man, daß die Offiziere in
+Blüchers Hauptquartier Shakespeares Dramen mit verteilten Rollen lasen?
+Und wieviel Leuchtkraft strahlte von den »Schriftgelehrten« Karl von
+Raumer, Friedrich Steffens, Friedrich Eichhorn aus! Keine Dumpfheit gab
+es hier, keine Enge, keine Verketzerung! Freimut die Losung! Alles
+Ehrliche galt, alles Faule wurde ausgebrannt, bei Fürsten wie bei
+Untertänigen!
+
+O Du, unser Vater Blücher, auch heute noch -- heute mehr noch als je
+unser Vater! Wie sang Pastor Waermann sein Lied!
+
+»Bewußt und groß!« Erfüllt war sein Bewußtsein von der Sklavennot seines
+Volkes, seiner eigenen unerträglichen Not! Bewußt war er sich seiner
+Führerschaft, seiner Kraft, die Fesseln zu brechen -- bewußt der Liebe
+seines Volkes, der Liebe seines Heeres, der Bereitschaft seiner
+Getreuen, mit ihm in den Tod zu gehen. Keiner ist so klaräugig wie er,
+mit so unverwüstlichem Vertrauen wie er, der Frische, der Kraft, der
+Freiheit deutscher Art sich innegewesen -- groß war er im Glauben! Und
+so -- bewußt und groß hat er die Volksseele gelöst, gehoben, beflügelt
+zum Freiheitsflug. Jeder Blutstropfen in ihm war Freiheit, jeder Hauch
+seines Atems rief nach Freiheit. Der große bewußte Freiheitsheld seines
+Volkes ist er gewesen. Und ist er uns geblieben, unser Schirmherr, unser
+Bannerherr, uns, seinen Urenkeln, auf die wiederum die Knechtschaft fiel
+-- und die wiederum die Knechtschaft zerbrechen werden! In unserer Seele
+brennen und leuchten seine Worte: »Trage Fesseln wer will, -- ich nicht.
+Ich bin frei geboren und muß auch so sterben!«
+
+Es bebten die jungen Herzen, es zuckten die Augen.
+
+Turnspiele folgten. Militärische Übungen. Horst sprach noch einiges über
+Technik in der neuesten Kriegsführung. Dann trennte man sich. Die Jungen
+waren vollgesogen bis ins Mark von stählenden Erlebnissen. Sie hatten
+Eisen ins Blut bekommen. Am nächsten Sonntag wollten sie mit tausend
+Freuden sich wieder einfinden.
+
+Singend zogen sie der Stadt zu, singend das Trostlied ihrem Deutschland:
+
+ Wir sind die Jungen, wir sind die Kraft,
+ jede Faser gestrafft und gerafft.
+ Wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
+ siehst Du die nächtigen Wolken lohen?
+ Wir sind des Frührots lachender Schein!
+ Frei sollst Du sein!
+
+Horst, der Pastor, der Doktor, Vita und Kunz gingen eine Strecke im
+Takte mit. Der Doktor sprach mit Horst. Er war stolz darauf, daß von
+seinen Jungen wieder nur die beiden räudigen Schafe fehlten.
+
+Übrigens der eine von diesen, der Kommunist, ein unheimlich begabter
+Mensch. Ein musikalisches Genie. Lebte als reiche Waise im Hause einer
+halb verrückten Tante, die ihn frei gewähren ließe. Jetzt hätte er
+Klavierstunde genommen bei der Nihilistin, die die Stadt unsicher
+machte.
+
+Lona also. Diese letzte Wendung gefiel Horst nicht. Aber Doktor Stump
+sagte noch mehr von ihr. Natürlich sei der Junge rasend verliebt in sie.
+Eine Gefahr nicht bloß für ihn. Eine Gefahr, die weitere Kreise ziehen
+könne. Höchstwahrscheinlich lasse sie alle Minen springen, um Bresche zu
+legen in die Reihe der Primaner. Für die sie natürlich etwas lockend
+Geheimnisvolles und Verbotenes sei.
+
+Horst trug an einem Unbehagen. Aber die Vertraulichkeit einer
+Entgegnung, einer Auseinandersetzung widerstrebte ihm. Und der Doktor,
+so ehrlich wie befangen, ging weiter im Text. Von all den Aufwieglern in
+der Stadt sei sie ohne Frage die Bedrohlichste, schon als die geistig
+Bedeutendste. Und ihr Zauber, um den die männliche Jugend zu kreisen
+geneigt ist --! --
+
+»Wer weiß,« rief der Lehrer erbost, »ob ich Ihnen das nächste Mal noch
+all diese Jungen wieder hinausbringe!«
+
+»Sie meinen --! --«
+
+»Nicht unmöglich, daß sie ein pazifistisch-musikalisches Jugendkränzchen
+mobil macht, gegen unsere vaterländische Jungmannschaft! Die Erregung
+gegen sie ist im Wachsen. Vielleicht steht ihr so mancherlei bevor!«
+
+Nun richtete Horst sich steil auf. »Sie ist eine Frau, eine Dame --!«
+
+»Sie macht Politik. Und Politik ist geschlechtslos --«
+
+Die anderen traten hinzu, sie wollten umkehren. So verabschiedete man
+sich.
+
+Horst ging versunken den Weg zurück. Die drei Andern sprachen lebhaft,
+er blieb mit sich allein.
+
+Lona -- sie laufen Sturm gegen Dich. Wären wir im Mittelalter, machten
+sie Dir als Hexe den Prozeß. Denn Du trägst Dein Mal. Dein
+unglückseliges zerrissenes Leben, Dein zerwühltes Gemüt, Deine flammende
+Sehnsucht, die der Zeit voran fliegen will, hat Dir das Hexenzeichen
+aufgeprägt.
+
+Ich versteh es, ich seh es, wie die Primanernacken nach Dir sich wenden.
+Wieviel Reiz ist in der blühenden Schlankheit Deines Wuchses, in dem
+Doppelleben Deiner Züge, in der Auferstehung Deiner Augen aus
+vergrabener Tiefe. Wer begreift es nicht, daß gerade junge Fantasie an
+Dir sich entzücken muß!
+
+Dazu Deine Kunst und -- abenteuernden Sinnen ein Zauber -- Deine wilde
+fanatische Kampfstellung, auf geistiger Höhe.
+
+Und nun -- einen Wettstreit soll es zwischen uns geben, um die Seelen
+der Jungen? Ist es das, was mir am nächsten geht? Oder ist es der
+Wettstreit, den ich um Dich auszufechten habe -- mit allen, deren Blicke
+und Gedanken um Dich streichen und werben, ob es die Jungen sind, ob die
+andern alle! Ob der Alte seine haarige Flosse auf Deinen leuchtenden
+Unterarm legt -- was hat sie da zu liegen! Ob Deine Parteigenossen
+Deiner begehren und Dich umgirren!
+
+Er kämpfte schon wie um ein eigenes Besitztum, zornig und heiß.
+
+Was hatte der Schulmeister vorhin gesagt? Daß sie sich nicht scheuen
+werde, ihre Reize spielen zu lassen, um so die Jungen zu sich herüber zu
+ziehen!
+
+War das nicht wie eine Beschimpfung? Wie hatte er das hinnehmen können!
+Und heftig fast wandte er sich jetzt an Pastor Waermann. Er habe eine
+Bitte. Eine ihm bekannte Dame, Künstlerin, Meisterin auf der Orgel,
+möchte dann und wann in der Moordorfer Kirche spielen dürfen. Kunz
+spitzte die Ohren.
+
+»Das soll sie!« Der Pastor gab gern seine Einwilligung.
+
+»In der Stadt macht man ihr Schwierigkeiten,« erklärte Horst ehrlich.
+»Weil sie Kommunistin ist.«
+
+Pastor Waermann wußte von ihr. »Ich muß offen gestehen -- unbehaglich
+ist sie mir ja -- aber darum --!«
+
+Horst, der empfindlich gewordene, wollte gegen das »unbehaglich« sich
+ins Zeug werfen. Dann aber griff er es willig auf. »Sie ist sich selbst
+nicht behaglich -- zerquält, vom Leben zerschlagen. Nur in ihrer Kunst
+kann sie sich wiederfinden. Und gerade die Orgel trägt sie auf andere
+Bahn. Es dämmern Bekehrungsmöglichkeiten --«
+
+Dann brach er jäh und unwirsch ab. So was wie gemeinsames Rettungswerk
+widerstrebte ihm aufs tiefste. Und da er von Wandlungsmöglichkeiten
+sprach, verriet er hier nicht heimliche Hoffnungen?
+
+Kunz mit Vita ließ seinem Unmut die Zügel frei. Längst hatte er vor ihr
+keine Geheimnisse mehr. Eine selbstverständliche Vertraulichkeit band
+die jungen Herzen. »Horst orgelt sich da selbst in etwas hinein. Solche
+innere Mission färbt immer ab. Er soll die Finger davon lassen. Er
+braucht -- wir brauchen seine reinen Hände!«
+
+Schwer ging seine Brust. Vita sah, wie er litt, an quälender Sorge. Sie
+nahm seinen Arm. Da durchrann ihn das Glück. Und er hob sich fröhlicher.
+»Das Siedlungswerk soll nicht untergehen! Deutsche Augen -- deutscher
+Glaube sind auf uns gewandt. Wenn Horst uns versagt -- er darf es nicht,
+denn alles hängt an ihm -- aber wenn, wenn -- Dankwart ist zu sonnenlos
+und Gisbert, der jetzt kaum noch was Irdisches hat, schwimmt in seinen
+Unendlichkeiten. Dann muß ich -- ich wachsen an meinen Pflichten!«
+
+Sie blickte zu ihm empor. Alles Kindliche, Spielerische fiel von den
+beiden ab. Eine Weihe der Kraft schloß die jungen Menschen zusammen.
+
+
+
+
+ Heimweh
+
+
+Horst brachte Lona den Kirchenschlüssel. Sie hatte die Erlaubnis, morgen
+Montag zu einer ihr genehmen Stunde auf der Moordorfer Orgel zu spielen.
+
+Sein Lohn wurde ihm zugesichert, er sollte, wenn sein Tagewerk beendet
+wäre, am späten Nachmittag -- diese Stunde wählte sie -- ihr zuhören.
+
+Horst war hinterm Pfluge gegangen. Er hatte Furchen gezogen durch
+deutsche Erde, der Duft der umbrochenen Schollen hing ihm im Haar, lebte
+noch in seinen Lungen und stählte ihm das Herz. Er fühlte sich sicher
+und reich. Wie ein Gebender erschien er sich, nicht als einer, der
+suchte und beschenkt werden sollte, da er den Weg zur Moordorfer Kirche
+antrat.
+
+Die Luft prickelte und schäumte wie Wein von den Kräften und Säften des
+Frühlings. Dann und wann -- wie ein Mädchenlachen, keck und spröde
+zugleich, zitterte es stoßend und kurz, höhnend und befeuernd durch den
+schweren seidenen Glanz des sinkenden Nachmittags.
+
+Er dachte an Lonas Lippen, die vollen, farbigen, denen die
+schmerzverbissenen Kiefer so schwer zu schaffen machten, die so bitter
+in weher Ironie sich spannten. Hatte er jemals ein Lächeln, ein weiches,
+vergessenes Lächeln um diesen Mund gesehen? Und war doch der rote,
+blühende, lebensheiße Mund eines jungen Weibes.
+
+Er warf die Arme. Ist es nicht aller Weisheit Anfang und Ende, nicht die
+Erlösung aus allen Nöten: die Sprache Mund auf Mund -- gibt es eine
+andere zwischen Mann und Weib? Durch seine Sinne rieselte es. Was gehen
+ihre Gedanken mich an, ihre Dogmatik, ihr Geistesleben, ihr politisches
+Toben!
+
+Vom Verstehen habe ich immer gesprochen, in so schönen Worten
+theoretischer Gesinnung. Was schwatz ich mich so herum um die einzige
+Verständnismöglichkeit, die gegebene, die gebotene, die notwendige? Die
+einzig wahrhaftige, von der all die verlogenen Mätzchen wie weggeblasen
+werden! Gibt es Waffenstillstand für uns, warum sollen diese Stunden
+sich nicht füllen mit allen Gaben der guten Lebensgeister? Die gut sind,
+weil sie nur fühlen, nicht denken. Macht nicht das Denken erst böse?
+
+Und er summte und träumte im Frühlingsrausch.
+
+Wie er sie beim Torfmeister fand, war sie anders als das Bild seiner
+Wünsche. Auf ihrem Gesicht eine krankhafte Blässe, sie sprach wieder von
+schlafloser Nacht, und daß sie das Moor nicht vertrage.
+
+Dem Torfmeister ging es besser, morgen wollte sie in die Stadt zurück.
+
+Nun wanderten die zwei zum Dorf. Eine Befangenheit war um sie. Beide
+empfanden sie stärker als je das Ungewöhnliche ihres Beisammenseins.
+Eine Heimlichkeit vor den Freunden -- und auch eine Heimlichkeit vor
+ihnen selbst, vor ihrem eigenen Wollen, ihren Kämpfen, ihren
+Lebenszielen. Wie ein Verbotenes, wie eine Schuld. Und wieder mit allen
+Reizen des Heimlichen und Schuldhaften.
+
+So suchten und mieden sich verstohlene Blicke und Wünsche in wachsender
+Scheu. Kaum, daß sie ein Wort miteinander sprachen.
+
+An der Kirchentür erwartete sie ein halbtauber Junge, der die Bälge
+treten sollte. Nun gingen sie in das Gotteshaus, darin schon die
+Abendschatten geisterten. Die rostige Stimme der Uhr mahnte sie
+mürrisch: es ist schon sechs! Der geduckte, karge Raum mit seinen
+gedrungenen Säulen und der düsteren Täflung gab den Eindruck einer
+trotzigen verbissenen Frömmigkeit.
+
+Horst setzte sich in einen der schweren Stühle, Lona ging die Treppe zur
+Orgel hinauf -- es war ein Instrument mit freistehendem Spieltisch --
+und machte sich bereit. Die Windladen füllten sich. Liebevoll legten
+sich die dankbaren Finger auf die Tasten.
+
+Leise, im Hauch spielte Lona ein paar Passagen -- die Töne waren
+ungleich, viele grau, alt und quäkend. In trockener, starrer, linearer
+Kühle fügte sich Ton an Ton -- dürr klang es, mechanisch, wie wenn
+Letter an Letter gesetzt wird zu einem mühsam dürftigen Wortgebilde.
+Jetzt aber fand sie es, die Orgel hatte doch Seele, sie konnte lebendig
+werden, konnte sprechen und Zeugnis geben.
+
+Um Horst aber schauerte die Andacht seiner Sehnsucht.
+
+Und es begann. Ein dumpfes Rauschen begann es, aus weiter Ferne,
+gebändigt von Nacht und Finsternis. Wolken schoben sich, ballten sich,
+formten sich gespenstisch. Ein Chaos wie von sich selber träumend, kaum
+seiner selbst sich bewußt. Und es wird ein Schein -- ein Wollen, eine
+Kraft, ein Licht. Und das Licht schafft sich Schatten, die ihm dienen
+müssen -- die vor ihm fliehen wollen -- die sich auflehnen im Kampf --
+die Feuerodem dem Lichte entreißen -- und mit ihm sich beseelen. Körper,
+Wesen, Lebende, Leidende, aus Licht und Finsternis geworden. Menschen.
+Da sie leben wollten, sind sie dem Tode verfallen. In den Wolken, auf
+schwarzen Fittichen rüttelnd, steht der Würgengel. Unter ihm die
+Kreatur, sie verkriecht sich in Klüften, sie winselt, sie schreit. Und
+auf wen der Würgengel stößt, in dem erlischt das Licht, er wird wieder
+zum Schatten. Nun aber, da er gelebt, ist er schuldbeladen -- und des
+Schattens wartet das letzte Gericht, furchtbarer noch als der düstere
+Todesengel. Von Grauen gepeitscht sind die Seelen -- Gewitterstürme
+donnern hernieder über das Weltmeer -- Blitze zerreißen die Finsternisse
+der Himmel -- an die Ränder der Wolken klammern sich die gehetzten
+Schatten -- es gibt einen Tod noch über dem Tod -- und was ist das Leben
+-- was ist sein Sinn -- was ist es mit dem guten Sinn des Lebens? Ein
+Hohngelächter in tausendfachem Echo gellt von den irdischen Abgründen zu
+den zerklüfteten Wolken -- entsetzte Seelenschatten flattern durch den
+erbarmungslosen Raum --
+
+Horst erfror vor dem erhabenen Grauen dieser trostlos verzweifelten
+Visionen. Sie alle getaucht in die schreienden Tinten ihrer neuen Kunst.
+Kosmisches Urweltgestammel über allem. Und doch ein gewaltiges Ringen in
+und zur Wahrhaftigkeit, ein Sichselbstzerwühlen nach den letzten
+Offenbarungen des Ich.
+
+Findet sie keinen Trost, keinen Ausblick, keine Helle? Wo ist das Licht,
+das doch sein muß, damit die Schatten sein können!
+
+Jetzt -- fügte sich, baute sich, wölbte sich nicht etwas in ihren Tönen?
+Über den weichenden Wolken? Die große Kuppel, das Firmament, der
+Himmelsdom. Und Sterne gebiert die Nacht -- sie leuchten, sie künden,
+sie loben.
+
+Wie ein Ausruhen ging es jetzt durch ihr Spiel, wie ein Aufatmen, ein
+Erinnern. Regten sie sich, die Klänge des Heimwehs? Wollte die Kindheit
+lebendig werden -- und der Kindheit gläubige Traumwelt?
+
+Ein Gebetlallen in stammelnder Torheit, gedankenlos verloren, glückhaft
+versunken -- und dann die wachsende Klarheit, wie ein Sonnenaufgang der
+Zuversicht --
+
+Tiefe Klänge aus Bachschen Messen und Kantaten, die eine leuchtende
+Lichtspur ziehen -- und schon jauchzt es auf in dem atemlos gebannten
+Horst: sie findet sich -- sie findet zurück -- sie findet heim --
+
+Plötzlich aber -- was züngelt in die Himmelsklarheit der Töne? Ein
+Überdruß -- ein Spott -- ein Hohn --?
+
+Und Horst stöhnt auf. Fängt sie nicht an, Bach zu travestieren? Ihm das
+Käppchen der Selbstgefälligkeit aufzusetzen? Verzerrt sie nicht die
+Frömmigkeit zur Frömmelei, die Herzenseinfalt in ein kokett bigottes
+Schmachten? Läßt sie die pausbäckigen Engelsjungen sich nicht sich
+selber verlachen und Koboldsfratzen schneiden --
+
+Und dann ein Schluchzen -- ein wildes Weinen -- die Verzweiflung des
+Zweifels -- ich kann nicht -- ich komm nicht auf -- ich muß wieder
+versinken -- ich bleib in der Tiefe. Und ein Trotz -- eine wilde
+Bitterkeit -- und wieder das Schluchzen.
+
+Und plötzlich das tonlose Verhauchen -- das Ersterben in Nichts -- das
+Verstummen. Das Schweigen.
+
+Horst kauert im Gestühl, niedergezwungen von seiner Erschütterung.
+Langsam löst er sich -- er wartet auf Lona -- sie kommt nicht -- da geht
+er, wie tastend erst, die Treppe zur Orgel hinauf -- sie ist über die
+Klaviatur hingesunken und liegt in Ohnmacht.
+
+»Lona« -- flüstert er an ihrem Ohr, er nimmt ihre Schulter, er richtet
+sie auf -- da kommt sie langsam zu sich. Ein Blick seltsam trauriger
+Hingebung bricht aus ihrem Auge -- dann aber aus seiner Verlorenheit
+findet er die alte feste Richtung seines Ausdrucks. Und nun preßt sie
+ihre Schläfen, sie schüttelt den Kopf und stellt sich auf die Füße.
+
+»Es spielt sich so schwer -- das Pedal bringt einen um -- ich bin
+einfach müde zusammengeklappt.« Unwahres sprach sie. Horst aber rührte
+nicht an ihre Zerrissenheit.
+
+Es war ein Anfang -- und alles in allem, ein Schein ist aufgegangen. In
+qualvollem Ringen. Ein Frühschein soll es sein -- es soll, es soll! Nur
+diesem mühsam glimmenden Licht nicht zu nahe kommen. Daß die zarteste
+Hoffnung nicht erlischt. Und heute nur daran denken, mit welcher Macht
+die Kunst in ihr braust! Dankbar daran denken!
+
+Wie hat es ihn geworfen zwischen Himmel und Hölle! Welch eine Windsbraut
+hat ihn als Weltenwanderer getragen, entführt, gewirbelt, ihm die
+Fittiche gesträubt, das Hirn ihm betäubt. Daß Schwindel und Ohnmacht ihn
+selber packten!
+
+Und er griff ihre Hand. »Was können Sie spielen! Ich selbst bin
+umhergeworfen -- von einem Weltenrausch --«
+
+Er suchte nach Worten. Sie versagten sich ihm. Schweigend packte er noch
+einmal ihre Hand, in zügellos heftigem Druck.
+
+Er hatte sie zum Torfmeister heimgebracht. Nun taumelte er durch den
+Abend.
+
+Dies, Kunz und Dankwart, konnte die Baracke nun nicht mir geben! Wißt
+Ihr, daß dies zu mir gehört, daß dies mir gehören muß, für mein Leben,
+mein Schaffen, mein Ziel! Ihr habt die Augen starr auf den einen Punkt
+gerichtet. Bewußt, stier und stur. Ich tadele euch nicht darum! Ihr seid
+gut für unser Land, ihr seid notwendig. Ich aber muß um mich blicken
+können, frei und weit. Und mit gestärkten, geschärften, vertieften
+Blicken suche ich dann wieder das Ziel, das meines wie euer, das unser
+ist! Ich muß mich umtun können im deutschen Land, im deutschen Geist, in
+allen Registern der deutschen Not und Qual. Und wenn ihr meint, ich
+erweiche mich so -- ich sage euch, eben so werde ich fest zu meinem
+Beruf.
+
+Und wenn die, deren tiefsten Erschütterungen ich gelauscht habe, die um
+die Wahrheit ringt und an ihrer Wahrhaftigkeit leidet, mir das Herz
+bewegt -- um so kräftiger schlägt dieses Herz für unseres Lebens Sinn.
+Für des deutschen Lebens Inbegriff und Inbrunst. Alles, alles muß dem
+einen zum besten dienen.
+
+So zog Horst ohne Scheu die Gehetzte, Gepeinigte, Zerwühlte, auch
+Verfehmte und Geschmähte an sich. Immer blieb ihr Auge bei ihm, wie es
+aus der Ohnmacht zu ihm erwachte, die erschrockene Zärtlichkeit, die
+schmerzliche Innigkeit -- wie lebte es davon in seinem Blut!
+
+Er sah die Lichter des Moorhofer Gutshauses. Da lag sein Gisbert noch
+immer in Pflege. In diesen Tagen, morgen, übermorgen sollte er in die
+Baracke heimkehren. Es zog Horst zu dem Jungen. In dessen weiter Seele
+fand er den Widerhall, den die planmäßig verwahrte Enge von Dankwart und
+Kunz ihm versagte. Und das, was in ihm wuchs und ward, es mußte sich
+ausschwingen -- ohne Worte, nur in dem Beisammensein.
+
+Gisbert saß mit Frau Tilde. Sie hatte als Gutsherrin schwer gearbeitet,
+nun lehnte sie müde im Sessel. Horst wurde herzlich begrüßt.
+
+Sie sprach von dem Wiederaufbau der niedergebrannten Stallungen. Einen
+größeren Posten Balken und Bauholz habe sie bei Gelegenheit gekauft.
+Davon werde etwas übrig bleiben, das sollte die Siedlung bekommen für
+ihr erstes Haus.
+
+Welch eine seltene Frau! Diese überirdischen Augen, die Zeugen ihres
+fernen, hohen Fluges -- und dabei doch die feste zugreifende Hand, und
+in ihrer überströmenden Güte die kluge Sorge für den Tag.
+
+»Je eher sie an ein eigenes Haus die Hand legen, um so mehr frohe
+Sicherheit ist bei ihnen.«
+
+Der Diener brachte eine Depesche. Sie öffnete sie, nach leiser
+Überwindung, mit zagender Hand. Um ihre Augen zog ein schwerer Schatten.
+Dann legte sie das Blatt beiseite.
+
+Sie sprach weiter über den Bau, und wie die Seßhaftigkeit der Herren ihr
+ein Trost sei, deren Nachbarschaft ihr eine Hilfe und Freude. Dann
+zuckte es in ihrer Hand.
+
+»Und da wir in einer Gemeinschaft stehen -- da wir mehr oder weniger
+aufeinander angewiesen sind, soll auch volle Offenheit zwischen uns
+sein. Dies hier« -- ihre Finger griffen wieder nach dem Telegramm --
+»gehört so zu meinem Leben und zu meiner Tätigkeit, ich muß mit Ihnen
+darüber reden.«
+
+Sie gab die Drahtnachricht an Horst. Er las: »Bin Amateur-Boxmeister von
+Deutschland. Gegner mit großer Technik, gutem Auge und ausgezeichnetem
+Linken landete mehrfach hart, wurde aber schließlich durch rechten
+Kinnhaken zu Boden gestreckt. Kampfdauer drei Minuten vierundvierzig
+Sekunden. Achim.«
+
+Horst gab auf ihre Bitte an Gisbert die Nachricht weiter. Dann sagte
+sie: »Es ist eine Eitelkeit in uns, die mit unserem Unglück Versteck
+spielt. Ich will mich ganz frei von ihr machen. Sie wissen ja ohnehin,
+daß ich meinen Mann schwer erkrankt aus dem Felde zurückbekommen habe.
+Man hofft immer wieder auf eine Wendung. Und immer geringer wird die
+Hoffnung.«
+
+»Gnädige Frau,« sagte Gisbert, und seine Worte leuchteten wie seine
+Augen, »lassen Sie erst wieder mehr Sonne in Deutschland sein -- sie
+kommt auch zu ihm und erlöst auch ihn.«
+
+»Mehr Sonne, Gisbert?« entgegnete sie, schmerzlich spannte sich ein
+Lächeln um ihren Mund. »Wir werden noch sehr viel mehr Finsternis in
+Deutschland haben. Und -- auch die Sonne kann Zerstörtes nicht wieder
+lebendigmachen.«
+
+Gisbert und auch Horst suchten nach Zuspruch. Mit weher Klarheit fuhr
+sie fort. »Es ist nun mal alles Empfindungsleben in ihm zunichte
+geworden. Und -- was das Schlimmste ist -- man darf selbst auch nicht
+mit irgendeiner Empfindung ihm nahe kommen -- als ob sie Ansprüche auf
+einen Widerhall erhöbe, den es nun einmal nicht geben kann. Die
+erschreckten, gequälten, kranken Augen dann -- das Herz steht einem
+still. Und so ist er nun rettungslos versunken -- in diese rohe
+Spielbetäubung des Gladiatorentums.«
+
+Ihre Hände nahmen wieder das Telegramm. »Dies ist nun eine
+Siegesnachricht. Ich soll an ihr teilhaben -- und darf doch auch wieder
+keinerlei Freude zeigen. Er weiß ja, daß sie nicht echt sein kann, und
+würde noch mißtrauischer werden. Und wenn ich ganz mich zurückhalte --
+man sucht doch schließlich immer noch nach einem Rettungsfaden! Und wir
+gehören doch zusammen.« Unhörbar fast klang es aus.
+
+Eine Freundschaft schloß das Leid dieser Frau um die drei. Daß sie aus
+ihrer leisesten Innigkeit sich so ihnen offenbarte, wie eine unsägliche
+Kostbarkeit empfanden die beiden Männer so viel Zuneigung und Vertrauen.
+In Gisberts blassem Gesicht fluteten die Blutwellen. Das Fieber seiner
+Augen hob und löste sich in der Verklärung eines unerhörten Glücks.
+
+Mit ihrer stillen Tapferkeit war Frau Tilde schon wieder bei der
+Gutswirtschaft, sprach davon, daß sie den Siedlern noch eine Milchkuh
+überlassen könnte, und bat Gisbert, der in den letzten Tagen ihr als
+eine Art Privatsekretär bescheidene Dienste geleistet hatte, in den
+Büchern festzustellen, wie viel Thomasschlacke für das Siedlungsland
+übrig sei. Sie redete dann fachmännisch mit Horst über die Bestellung
+und versprach ihm, sie wolle sich selbst bald einmal nach der
+Ödlandkultur umsehen.
+
+Dankbar nahm Horst von ihr Abschied. Welch ein Schicksal! dachte er. Wie
+klagt das deutsche Leid in immer neuen Weisen, an immer mehr versteckte
+deutsche Gräber stößt unser Fuß.
+
+Und seine Gedanken gehen zu Lona. Kann hier der Schmerz dem Schmerz
+nicht helfen, würden diese beiden Frauen, die ungleichsten der Welt,
+sich nichts zu geben haben, beide so reich an seelischem Gut und beide
+so bedürftig! Würden sie den Weg nicht zueinander finden -- über den
+Abgrund, den das Leben zwischen ihnen aufgerissen hat?
+
+Wenn ich Lona zu ihr führe! Dieser Gedanke, so kühn und doch so
+natürlich, so notwendig, läßt ihn nicht los. Ihr beide -- eben weil ihr
+aus verschiedenen Welten seid, um so mehr habt ihr euch zu offenbaren,
+und je tiefer ihr grabt, euch zu verstehen, um so mehr Schätze werdet
+ihr ans Licht heben. Ihr werdet euch verstehen und werdet mithelfen an
+der großen deutschen Versöhnung! Ihr aus den feindlichen Heerlagern --
+und doch zwei deutsche Frauen!
+
+Und Dich Lona -- aus Deiner Einsamkeit gilt es, Dich zu befreien, aus
+Deiner Abgeschiedenheit von dem, darin Dein Leben seine Wurzeln hatte.
+Möchtest Du nicht selbst zurück? Schluchzte nicht leise die Sehnsucht
+auf in Deinem sturmgewaltigen Orgelspiel, das Heimweh? Mächtiger wird es
+über Dich werden! Und zwischen uns beiden, wird nicht bald mehr zwischen
+uns sein als dieser mühsame Waffenstillstand? Lona, Du rätselhaft liebe
+Du!
+
+Er bebte in der Zärtlichkeit seines Blutes. Und es zogen durch ihn die
+Schatten, die das Schicksal wirft.
+
+Zu Frau Tilde, zu Gisbert wollten seine Gedanken zurückkehren. Die Augen
+des Freundes lebten vor ihm auf, in ihrer unbegrenzten verlorenen
+Glückseligkeit. Auch hier zogen die Schatten --
+
+
+
+
+ Vor dem Sturm
+
+
+Es war ein neuer Befehl der Regierung ergangen, daß alle Heereswaffen
+abgeliefert werden sollten. Militärische Kommandos gingen um und
+überwachten die Erfüllung.
+
+Die Siedler hielten Rat. Und ähnlich wie früher sprach Horst: »Wer sind
+jetzt unsere Landpfleger?«
+
+»Landpläger«, nannte sie Kunz.
+
+»Wer sind sie heute, wer sind sie morgen? Sie selber wissen es nicht.
+Und ich kenne sie nicht. Und ehe ich nicht weiß, in wessen Hände ich
+meine Waffen liefere -- behalte ich sie lieber selbst.«
+
+Sie stimmten ihm zu. Und -- die Waffensuche ging an ihnen vorüber.
+
+In der Stadt war man sehr strenge gefahren. Aus mehreren Kellern, unter
+Fabrikarbeiterwohnungen, wurden Maschinengewehre ans Tageslicht gezogen.
+
+Die Arbeiter wüteten. Man wußte, daß die Siedler ihre Maschinengewehre
+behalten hatten. Man zeigte sie an, bei dem Offizier, der das Kommando
+befehligte. Der hatte für die Denunzianten nur ein frostiges Schweigen.
+
+Natürlich! Die Bande hält zusammen wie Pech und Schwefel! Das alte
+System! Wenn wir's leiden, verdienen wir's nicht besser!
+
+Das Falkenauge ist wieder einmal in der Kreisstadt. Es gärt aufs neue,
+jetzt mit dem Frühling, in dem elend wunden und siechen deutschen
+Volkskörper. Die »betrogenen Proletarier« wollen endlich ihr Recht.
+Wollen Abrechnung mit den sozialreaktionären Verrätern. Im Ruhrgebiet,
+in Mitteldeutschland bereitet sich etwas vor. Überall im Lande müssen
+die Flammen auflodern! Je mehr Herde, um so besser. Um so sicherer der
+große Schlag und der Sieg.
+
+Auch hier müssen wir zupacken! Unter dieser Parole tagten die Führer in
+Knubarts Wohnung hinter verschlossenen Türen. Das Falkenauge, Kittel der
+Buchbinder, Struk der Koch, ein Werkführer aus der Eisengießerei -- er
+war Feldwebelleutnant draußen und ist der Feldherr des Kreises -- und
+Lona. Auch sie ganz im Panzer ihrer Parteigesinnung.
+
+Das Falkenauge hat die Gesamtlage umrissen. Einzelaktionen werden
+verlangt, überall. Hier mit der Stadt als Operationsbasis läßt sich ein
+Vorstoß machen. Hier kann das Heil für die ganze Provinz entzündet
+werden.
+
+»Wenn uns die Siedler nicht als Pfahl im Fleisch säßen!« heißt es
+dagegen.
+
+Stahlboom, der Werkführer, spricht. Er ist schlank und gut gewachsen,
+trägt sich kavaliermäßig, wenn auch mit der Nuance des Fadenscheins, hat
+im Blick etwas fraglos Mutiges und Befehlendes, unterstreicht aber
+unnötig sein Selbstbewußtsein und zeigt zu oft kriegerisch seine
+zementplombierten Zähne.
+
+»Uns hat man die Maschinengewehre genommen. Die Siedler haben sie
+behalten. Das erste muß sein, daß wir diese Maschinengewehre uns holen.
+Ehe wir die nicht haben, liegen wir im Wurstkessel und bleiben da
+liegen! Darum -- die Baracke wird gestürmt! Die nötigen Leute haben wir.
+Gewehre und Handgranaten sind noch da. Noch sage ich. Die nächste
+Waffensuche kann uns auch die nehmen, und was dann!«
+
+»Sturm auf die Baracke!« fordert Kittel mit dem gellend pfeifenden Brand
+seiner Rede. Er war nur noch Feueratem und flammende Augen, sein Leib
+zerfallen, sein ganzes Wesen jetzt vollends von lauter Dynamitgängen
+ausgehöhlt.
+
+»Machen wir uns das eine klar!« betont das Falkenauge -- er hat den
+Weitblick, die Zusammenhänge, das konsequente Denken, »mit diesem Sturm
+auf die Baracke ist es nicht getan. Wenn er gelingt, verpflichtet er zu
+der größeren Aktion. Mißlingt er aber, ist damit für unbestimmte Zeit
+unsere Unternehmungskraft hier zerschlagen.«
+
+Sie berieten. Es wurde beschlossen, daß sie es wagen sollten. Stahlboom
+brachte den Plan in der Tasche mit. Am Abend sollte der Handstreich
+ausgeführt werden. In der Nacht würden sie dann das städtische Rathaus
+besetzen. Die Stadt wäre reif. Gäbe es einen Menschen in ihr, der
+zufrieden wäre? Und wäre es einer, wär er feige. Auf den Mut käme es an,
+auf die Tat! Nur die Tat zwingt die Herzen.
+
+Vorbereitungen sind natürlich zu treffen. Aber diese Tage, die auch
+anderswo die Entscheidung bringen, müssen uns am Werke finden!
+
+Vorbereitungen -- dazu redet Knubart, und er wittert bedachtsam. »Wir
+haben es mit einem gefährlichen Feind zu tun. Kerle sind sie alle, die
+Siedler. Und ihr Führer, der Hauptmann Oldefeld -- Lona, Sie kennen ihn
+ja persönlich.« In seinem Blick ist die lauernde Kälte.
+
+Lona hebt frei die Augen. »Ja, er ist mir bekannt.«
+
+»Sie kommen öfter mit ihm zusammen --«
+
+Nun widerstrebt sie doch, wie einem Verhör. All die Augen, die sich auf
+sie wenden, gebärden die sich nicht wie Richter über sie?
+
+Und ist in ihrem eigenen Gewissen nicht eine Stelle, darin etwas sich
+regt -- wie ein Argwohn gegen sich selber? Darf sie sich wundern, wenn
+in den andern, den Freunden, den Schwurgenossen ein Mißtrauen aufzieht?
+
+Mißtrauen! Ich bin unserer Sache treu! Was mit mir verwachsen ist, durch
+mein Denken, mein Fühlen, mein Leben -- nichts von meinem heiligen
+Glauben habe ich verloren, nichts von ihm habe ich preisgegeben! Wie
+kann ich das, ohne mich selbst zu verlieren! Ich bin bei der Fahne, ich
+bin bei dem Schwert -- bei dem Schwert unserer Fehme, wie nur je ich es
+war! Ich kämpfe mit Euch, mein Leib und Leben für unseren Kampf!
+
+Nur Schleichwege dürft Ihr mich nicht schicken wollen!
+
+Aber in Knubarts trägem, laschem Auge ist die Tücke.
+
+Man wartet auf ihre Antwort. Sie zwingt ihren Unmut nieder. Ohne Frage
+haben die Genossen Anspruch auf ihre Ehrlichkeit. Und wieder schließt
+sich etwas in ihr, wie um ein stilles Besitztum, das von allem Lauten
+entwertet wird. Das an jeder Berührung sterben muß -- das sie jetzt
+selbst berühren und zerstören soll!
+
+Ein Heiligtum also! Zum Lachen! Es gibt für mich kein Heiligtum, außer
+meiner heiligen Sache! Deren Feind Du bist, Horst Oldefeld! Todfeinde
+wir! Todfeind -- man hat das Wort so oft gesprochen, wie eine
+abgegriffene Münze ist es, deren Schrift man kaum mehr kennt. Hier ist
+aber das Wort ehern ins Leben gegossen.
+
+Eure Baracke wird von uns gestürmt! Hier hat nun jeder zu zeigen, wer er
+ist. Hier gibt es keine Empfindungsflausen, keine Gefühlskunststücke,
+keine Gedankenspreizungen im Rahmen unserer gutgespielten
+Friedenskomödie -- hier gelten jetzt die echten Sakramente: Leib und
+Blut!
+
+So hart macht sie sich selbst, so bitter hart -- und sie spricht hastig,
+sich überstürzend die Antwort auf Knubarts trächtige Frage: »Herr
+Oldefeld hat bewirkt, daß ich in Moordorf die Orgel spielen darf -- er
+hat auch schon einmal zugehört. Wir haben einen gemeinsamen Freund, den
+alten Torfmeister. Bei dem auch er Sonntags nachmittags sich einzufinden
+pflegt --«
+
+»Sonntag nachmittag«, wiederholt Knubart schwer. Und alle begreifen
+gleich.
+
+Der Werkführer erklärt: »Dieser Sonntag -- um Neumond herum sind wir,
+dunkel ist es -- der Abend ist für den Sturm die gegebene Zeit. Der
+liebe Sonntag ist ja den lieben deutschen Seelen als Ruhetag in Fleisch
+und Blut übergegangen -- den Tag zum Biertrinken und Spazierengehen, den
+suchen wir uns aus. Und wenn der Führer dann auch bis zum späten Abend
+aus dem Hause ist --«
+
+Weiter kein Wort. Ein Blick auf Lona, und sein Instinkt warnt ihn, mehr
+zu sagen. Sie alle fühlen es: kein Wort mehr. Sie kennen Lona -- ihre
+klare Härte -- die so spröde ist, wie das zarteste Kristall. Nichts von
+ihr, als was ihr Wesen selber ihr befiehlt, im Augenblick der klaren,
+harten Entscheidung. Blank und ehrlich ist nur die Tat.
+
+Militärische Besprechungen schlossen die Tagung. Nachrichten aus den
+andern Lagern sollten abgewartet werden. In zwei Tagen mußte es sich
+endgültig entscheiden, ob der angesetzte Schlag Sonntag geführt werden
+sollte.
+
+Dann kam es: die endgültige Entscheidung fiel auf den Sonntagabend. --
+
+Gisbert war wieder in der Baracke. Er war noch nicht ganz genesen, aber
+wie aus Selbsterhaltungstrieb sehnte sich grade das Zerfließende seiner
+Art nach dem Bandeisen harter Arbeit.
+
+Die Aufsicht über die Stallungen war ihm jetzt zuerteilt. Der Erste war
+er in der Frühe auf den Beinen, auch heute am Sonntag fand das Morgenrot
+ihn wach. Er ließ die Hühner aus dem Stall, sie stammten meistens aus
+Mönkhov, ein Geschenk von Frau Tilde. Es war seine Freude, für seine
+Gedanken, die längst bei ihr waren, in allem, was um ihn lebte,
+Trabanten, Pagen und Schleppenträger zu finden.
+
+Jetzt ging er in die Heide. Auf einen ihrer Hügel stellte er sich. Seine
+Blicke beteten zur aufgehenden Sonne. Unwillkürlich breitete er die
+Hände aus, die Gnadenspende des Lichtes zu empfangen. Dann setzte er
+sich und lehnte sich hin. Und seine Sinne hoben sich in den wachsenden
+Schein. Sie gingen den Weg ins Tor der Unendlichkeit.
+
+Ich suche das Ewige. In mir ist es und um mich ist es. Daß sich beides
+vereine und durchdringe ist des Lebens, ist meines Lebens Sinn.
+
+Das Bewußtsein des Unendlichen in mir! Das gehört zu mir, wie das Licht
+zu der Flamme, die in mir brennt.
+
+Der Unendlichkeit! Der ewigen Freude, ja der Freude, aus der alle Wesen
+geboren sind. Durch die sie erhalten werden. In die sie wieder eingehen.
+
+So befreie ich mich aus dem Schmerz, dem Gefühl der Endlichkeit in die
+Güte des Alls. So löse ich mich in mein größeres Selbst.
+
+Dahin trug Gisbert die Morgenandacht seiner Seele. Wir sind Nichts, was
+wir suchen ist Alles!
+
+Und wie er zurückkehrte in die Welt körperlicher Gedanken, empfing ihn
+das Glück: ich suche ja nicht allein diese Straße des Lichts, Deine
+Sehnsucht, Du meine Freundin, geht denselben Weg.
+
+In seinem Herzen, auf seinen Lippen formten sich die Worte seines
+Hohenliedes.
+
+Die Gesänge meiner Gedanken, solange sie atmen, suchen sie Dich! Ich
+grüße den Morgen, mit der Frohheit des Wachens -- mit den selig sachten
+Schatten der Müdigkeit grüß ich den Abend, den Vater der Nacht, mit
+seinen Enkeln, den Träumen. Meine Träume flüstern Deinen Namen und
+lauschen seinem Klange nach, und flüstern ihn wieder und lauschen -- und
+flüstern und lauschen. So ist meine Nacht beseelt von Deinem Wesen, wie
+mein Tag erfüllt ist von der Gewißheit Deiner Nähe, von der Seligkeit,
+daß Du bist --
+
+Aber nun, all seine Sinne schwingen ein in den Rhythmus, und ihre
+Stimmen singen leise mit. Das Bild der geheiligten geliebten Frau
+zaubern sie herbei. Ihrer Augen tiefe Gewalt leuchtet auf, das weiche
+Haar fällt über die mädchenhaft versonnene Stirn, die feine Hand mit den
+seltsam festen Linien streicht es zurück. Ihre Hand -- wie oft, wie
+lange kann er still liegen und nur an ihre Hand denken -- in der ihre
+Seele ist und auch die Kraft ihres Schaffens. Diese Hand, so voll von
+Musik und doch für sichere Zügelführung begabt.
+
+Und wie in seinen Träumen flüstern jetzt die wachen bewußten Lippen den
+Namen »Tilde« -- »Tilde« --
+
+Ein Schritt pocht auf die Erde. Gisbert fährt zusammen -- wendet sich
+um. Kunz steuert auf ihn zu, in müdem Schlendern. Hockt sich dann neben
+ihn und gähnt sich erst einmal aus.
+
+»So früh heute und das am Sonntag!« fragt Gisbert.
+
+»Weiß der Frühling, was das mit mir ist! Mich flieht der Schlaf -- mich!
+Was liegt da in der Luft? Du mußt es wissen, der Du selbst in der Luft
+liegst, Du Ätherbewohner.« Er blickt um sich: »Ist das ein böses, rotes
+Licht da auf der Heide! Zeichendeuter wird man -- Geisterseher -- was
+hat man bloß!« Dann schlang er den Arm um den Freund und sah ihm
+herzlich ins Auge. »Du, lieber Junge, wirst nun allerdings immer
+magischer. Darf man Dich denn schon wieder frei herumlaufen lassen?«
+
+»Warum nicht?«
+
+»Man wird nun mal die Sorge um Dich nicht los. Sehr viel Blut hast Du
+nicht mehr herzugeben.« Er nahm seine blasse Hand. »Und dann --«
+
+»Was noch?«
+
+»Die Angst -- ich kann mir nicht helfen -- Du könntest Dich nun ganz --
+drei Kreuze vor dem Wort und vor der Sache! -- im Pazifismus Dich
+verblutet haben.«
+
+»Pazifismus -- ich fürchte mich nicht vor Worten, Kunz.«
+
+Bei dem kam das Unwirsche seiner Morgenfrühe jetzt obenauf. »Ah! Wir
+wollen Siedler sein? Arbeiter eines Geistes an einem deutschen Werk?
+Eine politische Menagerie sind wir nächstens.« Wegwerfend schmiß er die
+Hand nach der Baracke zu. »Alle Gattungen findest Du jetzt in dieser
+Arche Noäh beisammen. Wenn ich nicht Schimpfworte vermiede, würde ich
+sagen, wir sind ein Parlament!«
+
+Gisbert schwieg. Kunz bürstete weiter seinen Grimm. »Weltanschauungen!
+Haha! Was haben wir bloß für Weltanschauungen im deutschen Land! Alle,
+die es gibt und nicht gibt. Bloß die deutsche nicht. Seit Horst zum
+Universalgenie geworden ist, flattern wir nun alle lieblich im gütigen
+All. Leb wohl, deutsche Erde!«
+
+Gisbert schwieg noch immer. Das machte Kunz nicht freundlicher. »Warum
+legen wir Siedlungsmönche denn nicht ehrlich und vorbildlich das Gelübde
+des Geprügeltwerdens ab! Warum kleben wir nicht das Wappen der
+friedfertigen Seligkeit an unser Haus, die geschwollene rechte und auch
+linke Backe! Ohrfeigengesichter wir, als Vorkämpfer des deutschen
+Pazifismus! Denn wenn es nichts mehr gibt, einen deutschen Pazifismus
+gibt es! Und weißt Du, wie der geht? Wir versöhnen uns, versöhnen uns
+mit den andern -- und die andern dreschen auf uns los! Das ist deutscher
+Pazifismus, nach unserem eigenen und der ganzen Welt Beschluß!«
+
+Der zuckende Zorn lief durch seine Glieder. Gisbert wußte, wie er litt,
+er sprach jetzt mit seinen stillen, ein wenig hilflosen Worten: »Wir
+wollen ja dasselbe, Kunz. Nur auf anderem Wege wollen wir zu demselben
+Ziel. Es ist gut für Deutschland, daß es Euch gibt. Aber auch uns gibt
+es nun einmal. Und wir müssen uns ergänzen --«
+
+»Müssen wir, was wir nicht können! Ergänzen heißt ganz machen! Ganz --
+mit Euch, durch Euch, die Ihr uns zermürbt! Nihilisten seid Ihr, die
+passiven, die schlimmere Sorte! Was habt Ihr Euch in Asien
+herumzutreiben! Die wir heute mehr als je -- die wir heute nur und nur
+und immer und weiter nichts als zu uns selbst kommen müssen! Was nehmt
+Ihr uns die Heimat des Herzens! Was verdünnt Ihr uns bis zur
+Erschlaffung mit Euren dreimal vermaledeiten Wassern des Ganges unser
+ehrliches eisenhaltiges deutsches Herzblut!« Seine Hände packten ins
+Heidekraut, rissen die Büschel aus und warfen sie in die Luft.
+
+Da Gisbert ihn unbeirrt ansah -- »Du verzeihst mir, mit Deinen
+Gazellenaugen. Gütig seid Ihr und liebevoll, aber nur aus Schwäche seid
+Ihr es. So geschieht's, daß Ihr für alles Verzeihung habt, nur nicht für
+Tugenden, für männliche! Nur nicht für Kraft! Und darum -- gefährlich
+mögt Ihr sein, aber an den Kern unseres Wesens, nein, an den rührt Ihr
+uns nicht!«
+
+Nun hatte Kunz sich vollends wieder. »Ihr haltet unsereinen für dumm. An
+unserer Dummheit liegt es dann wohl, daß Eure Klugheit uns nicht
+aufgehen will. Herrgott, ist das eine baumwollene Weisheit, die Ihr aus
+dem Lande der Baumwolle bezieht! Phrasen! Nichts als Redensarten von
+platzend hohler Allgemeinheit! An ihrer Spitze die große Heilslehre:
+»Gutsein heißt das Leben aller Leben!« Oder die erlösende Antwort auf
+die ewige Frage: welches ist der Weg zur Wahrheit? »Die wechselseitige
+Durchdringung unseres Wesens mit allen Dingen!« O verfluchter Tiefsinn
+heiliger Abstraktion! Was soll ich damit? Wo ist hier Leben, Wärme,
+Licht, wo ist hier Liebe? Und Ihr wollt uns das »verbrauchte«
+Christentum ersetzen! Gebt mir, so gebt mir doch aus Eurer Fülle! Habt
+Ihr etwas, in dem großen heimatlosen Weltraum Eurer leer leuchtenden
+Unendlichkeit, was gegen den kümmerlichsten Lichtstumpf des ärmsten
+Tannenbaums in deutscher Hütte nicht hilflos verblaßt und erlischt und
+erstirbt!«
+
+»Alles Licht leuchtet dem Einen --«
+
+»Alles -- ja -- wo nichts ist, da sagt man alles! Und fühlt sich
+gerettet. Luft -- Luft gebt Ihr statt Brot. Und wär diese Luft nicht
+noch mit Getöse erfüllt! Ihr Stillen des ewigen Friedens, gut, Ihr habt
+wenigstens Stil. Aber diese Brüller des Pazifismus! Die mit furchtbar
+krampfhaften Verrenkungen des Leibes, der Seele und des Worts, Schaum
+vorm Munde und in ihren Versen, ihre Flüche und ihr Wehe schreien!
+Schnaubende Racheengel, tosende Kriegsfurien der Friedfertigkeit! O Du
+Grundgütiger! Wer einen Bauch hat, hält ihn sich!«
+
+Gisbert blickte still in den Freund hinein. »Du nennst mich
+überschwenglich, Kunz -- bist Du es nicht auch? Und wenn nun unser
+Überschwang aus einer Quelle fließt --«
+
+»Verallgemeinere mich nicht!« stöhnte Kunz zornig.
+
+»Verallgemeinern --? Ist es so schlimm für Dich, wenn ich uns beide
+zusammenspanne?«
+
+Gisbert hatte den reinen Herzenston. Kunz war bezwungen. »Kerl -- wenn
+Du nicht so ein unwahrscheinlich anständiger Mensch wärst! Hauen möchte
+man Dich manchmal -- und haut dann lieber sich selbst. Herrgott -- laß
+Dich meinetwegen schaukeln von der Rhythmik der Ewigkeit, aber brauch
+auch die Fäuste, die Dir Gott verliehen hat! Du darfst nicht so viel mit
+Dir selbst zusammenhocken! Mit Dir und mit Deiner Gesinnungsgenossin!
+Dieser herrlichen Frau von Mönkhov! Sie ist herrlich -- aber Eure
+Seelennähe schadet Dir.«
+
+»Kunz --« man hörte in Gisbert die feinsten Saiten schwirren.
+
+»Verzeihung -- ich weiß -- _mulier taceat in ecclesia_ -- über die Frau
+schweigt man wie in der Kirche. Aber sieh, Freundschaft muß nun einmal
+reden. Und nun will ich Dir was sagen. Komm heute nachmittag mit mir ins
+Moordorfer Pfarrhaus.«
+
+»Das will ich gern.«
+
+»Du sollst Vita kennen lernen. Ihr werdet erschrecken voreinander. Du
+vor der fanatischen Enge ihres geistigen Ziellebens, vor der jungenhaft
+trainierten Muskulatur ihres vaterländischen Sinnes. Sie vor Deinem
+überweltlichen Sonnenkultus. Aber wenn Ihr beiden feindlichen Mächte --
+wenn Ihr Euch gegenseitig einander in die Arme schrecktet --! --«
+
+Er hielt inne, sein Atem setzte aus, seine Augen waren qualvoll. Gisbert
+ahnte, daß hier eine Leidenschaft sich grausam gegen sich selbst
+entflammte, er nahm wortlos Kunz bei der Hand. Und der Händedruck sagte:
+Dein liebes Mädchen ist sie, und ich bin Dein Freund -- und dann --
+längst hat mein Geschick sich erfüllt.
+
+Dankwart tauchte auf. Wandelte durch die Morgenluft, erfrischte seine
+Erfinderstirn. Er bog auf sie zu. »Wie sieht die Heide aus? Sie dampft
+in dem roten Schein. Blutdampf sagt man dazu bei uns zu Hause. Jede
+Heide hat Blut gesehen. Raucht sie so rot, gibt es neue Bluttaten.«
+
+Die Heide, die seine Heimat war, machte ihn redselig und phantastisch.
+Er hatte seine Ahnungen, wie Kunz. Gisbert aber war mit seinem Geist
+über den irdischen Visionen, die aus dem Boden rauchen. Dankwart
+erzählte, der Balbutz war gestern in der Stadt. Er hat die feine Nase.
+Und hat sowas von Verschwörung gerochen -- Verschwörung gegen uns.
+
+Es war dann an der Morgentafel davon die Rede. Die Anzeichen wurden
+geprüft. Horst nahm sie nicht schwer. Was sollte ihnen geschehen? Die
+Maschinengewehre bereitgestellt -- stets die nötige Mannschaft in oder
+bei der Baracke -- die andern immer in erreichbarer Nähe -- dann müßten
+die Angreifer schon zu Hunderten über sie einbrechen. Das aber sei der
+große Bürgerkrieg, und der komme nicht über Nacht.
+
+Immerhin -- die Vorsicht wollten sie natürlich nicht außer acht lassen.
+Und je mehr heute am Sonntag häuslich blieben, um so besser.
+
+
+
+
+ Kampf
+
+
+Horst ging am Nachmittag zum Torfmeister. Lona würde da sein. Käme sie
+nicht, würde das freilich zu denken geben. Wäre etwas gegen die Siedlung
+geplant, sie wüßte davon. Und niemals würde sie durch ihr Erscheinen ihn
+in Sicherheit wiegen.
+
+Dann also hieß es auf der Hut sein. Aber erst dann.
+
+Die Sonne hatte sich versteckt. Die Luft war still, grau und lustlos.
+Die Singvögel schwiegen und hielten sich verborgen. Von der Niederung
+her riefen grämlich unsichtbare Brachvögel. Ein Turmfalk rüttelte über
+der Heide.
+
+Nach den Dünen wandte sich Horst. Er wollte einen Blick über die See
+werfen. Tückisch lag sie da, wie tot. Ein blinder Glanz war über sie
+gegossen, bleiern und giftig -- gebändigt, gefesselt, gestorben der
+freie Rhythmus des großen Wassers.
+
+Das war keine Erhebung. Er kehrte schwer und traurig in die Heide
+zurück. Sonne hätte ich heute gebraucht und schäumende Wellen unter
+blauem Himmelslicht! Wie mit Asche bestreut ist die Welt. Wir büßen --
+wir büßen --
+
+Und er schritt dumpf und gebückt --
+
+Dann hob er sich empor. So darfst Du nicht weiterschreiten. Du willst
+helfen und keuchst selbst trostlos unter Hilfsbedürftigkeit. Freimachen
+willst du und schleppst dich lahm an deinem Verzagen. Wenn irgendwo,
+brauchst du hier deine gläubige Kraft.
+
+Lona -- ja -- um Dich geht es jetzt. Ich weiß, daß Deine Starrheit von
+Dir abfallen will. Du selbst suchst, was Dein Dogma Dir nicht geben
+kann. Wärme brauchst Du -- Zärtlichkeit brauchst Du -- denn Du bist ein
+Weib, ein junges Weib. Und meine Zärtlichkeit wirbt um Dich.
+
+Ich betrüge mich selbst nicht länger mit dem, was Dir längst kein
+Geheimnis mehr ist. Und was Du selbst nicht mehr von Dir weisest, ob Du
+zuerst ihm widerstrebtest. Wir wollen zueinander. Es ist etwas, was uns
+zueinander zwingt.
+
+Und -- ist etwas, was Dich herausschauen läßt aus der Gedankenwelt, in
+der Du Dich verbarrikadiert hast mit dem Haßgefühl, das jetzt gestillt
+worden -- etwas, was Dich erhebt über die Mauern, das Schanzwerk --
+etwas, was die Burggräben Dich überfliegen läßt. Du bist dabei, Deine
+Welt zu überwinden. Diese Welt, aus Papier gebaut, aus Gedanken gefügt.
+Ein System! Das Heimweh, das deutsche Heimweh ist in Dir.
+
+Und an meiner Hand wirst Du hinausgeführt werden in das deutsche Leben!
+Ich will Dir helfen. Meine Sinne sollen sich bescheiden. Es gibt mehr in
+mir als Begehrlichkeit, die in den laschen Seelen das Starke ist --
+Besseres, Machtvolleres. Erst die geistige Erfüllung soll auch den
+Sinnen das Glück bescheren.
+
+Aber sie dürfen hoffen, sie dürfen wünschen. Sie leben und haben ihr
+Recht am Leben. So trug es jetzt seine Tritte. --
+
+Kunz wollte mit Gisbert am Nachmittag im Moordorfer Pastorenhaus den
+Besuch machen. Da sah er etwas, was ihm nicht gefiel.
+
+Einzelne Ausflügler aus der Stadt wurden auf den Goldbergen sichtbar.
+Beschauten sich die Gegend, zeigten sich dies und das. Betonten ihre
+Naturliebe, legten die schöne Aussicht sich wechselseitig ans Gemüt.
+Möglich, daß sie harmlos waren. Möglich auch, daß sie Kundschaft
+trieben. Halten wir die Augen offen! Warten wir, ob es einen Gang der
+Handlung geben wird.
+
+Nun zwei Familien mit Kindern -- sogar ein Kinderwagen ist dabei --
+steuern treuherzig auf die Baracke zu. Lagern sich unweit von ihr im
+Freien -- wozu es eigentlich noch zu kühl ist, da die Sonne fehlt. Holen
+ihre Atzung hervor, ziehen Thermophorflaschen aus den Kinderwagenkissen.
+
+Die Kleinen laufen herum, sehen die Hühner und den vornehm wie ein
+ehernes Bildwerk ruhenden Muz. Zutraulich kommen sie näher, mit dem Hund
+möchten sie spielen. Der aber ist nicht kinderlieb und blickt sie nur
+wachsam unnahbar an. Mit den stumpfsinnigen Hühnern läßt sich keine
+Kameradschaft schließen -- die Kinder möchten wissen, was für Getier da
+hinter den Stallwänden sitzt. Sie drängen sich vertrauensvoll an die
+Bretter und hoffen auf eine Ritze.
+
+Jetzt treten die Erzeuger in Tätigkeit. Sie kommen die Anhöhe herunter.
+»Dürft ihr denn das?« Und dann wenden sie sich höflich zu Kunz, der zum
+Ausgehen fertig vor der Baracke sitzt und auf Gisbert wartet. Er faßt
+sie ins Auge -- Arbeiter aus der Stadt offenbar -- anständig gekleidet,
+gewandt.
+
+»Entschuldigen Sie,« sagt der Kleinere und Lebhaftere, »wenn die Bengels
+Ihnen lästig fallen. Aber wenn sie Pferde riechen, sind sie nicht zu
+halten.«
+
+»Das ist recht!« erklärt Kunz, und fröhlich leuchtet er ihnen ins
+Gesicht. »Die sollen einmal zur Kavallerie!«
+
+Die Nasen in den gesinnungstüchtigen Gesichtern werden lang. Da riecht
+an! denkt Kunz, wie Eure Jungens an dem Pferdemist. Aber sie behalten
+sich in Zucht und haben offenbar noch etwas auf dem Herzen. Ist es
+unbefangene Wißbegier? Oder wollen sie tatsächlich spionieren?
+
+Beginnen ein Gespräch. Wie nützlich das Siedlungswerk sei. Und die
+Baracke so praktisch angelegt. Hier Stallungen und die Wohnräume da.
+Aber schwere Arbeit! Und die Sonntagserholung, der Sonntagsausgang
+doppelt nötig.
+
+Zwei Teufel streiten sich, die Kunz reiten möchten. Der eine, mehr von
+der guten Sorte, will da mit ihm hin: »Seht euch ihn mal an, unsern Bau!
+Kommt mal mit herein! Die meisten Siedler tun, was sie immer Sonntag
+nachmittags tun, nach ihrem schweren Alltagswerk. Sie liegen in ihren
+Kojen und schlafen. Sie sind und bleiben zu Haus. Und am Abend sind sie
+auf den Beinen. Hier auf den Gängen aber, da stehen unsere
+Maschinengewehre. Kampfbereit. Vier Stück. Für jede Himmelsrichtung
+eins. Und sind im Handumdrehen vor der Tür. Und wenn einer Lust hat, zu
+erleben, was Feuerbereich ist --!«
+
+Und dann sitzt der andere, der sehr bösartige Teufel ihm im Genick und
+flüstert ihm ins Ohr: »Laßt die Bande doch herauskommen heute abend!
+Warn sie nicht, stör sie nicht! Sag ihnen, alle sind ausgegangen, sich
+zu amüsieren -- und kommen vor Morgengrauen nicht nach Hause. Du und
+Gisbert -- da kommt er gerade -- ihr seid nun die letzten, die gehen!
+Schließ vor ihren Augen die Haustür zu! Und wenn ihr unterwegs seid --
+von den Goldbergen könnt ihr es sehen -- die marschieren schnurstracks
+mit Kind und Kegel in die Stadt und bringen den Genossen Nachricht! Und
+was dann am Abend wird --! --«
+
+Solche Einflüsterung gibt Kunz dann freilich nicht an die Ausfrager
+weiter. Aber was sie nun damit anfangen, daß sie ihn, nachdem er sich
+nicht unfreundlich verabschiedet hat, mit Gisbert sich entfernen sehen,
+das bleibt ihre Sache.
+
+Zum Pfarrhaus aber, so zaubermächtig es ihn zog, begaben sie sich doch
+nicht. Auf den Goldbergen, ihren heiligen Höhen, den weisenden,
+wissenden machten sie halt. Und als sie sich nach der Baracke umdrehten,
+gewahrten sie in der Tat, daß die Ausflügler, wie es schien, in
+beschleunigter Gangart heimwärts zogen.
+
+Jetzt wurde Kunz hell und hart, ganz Verantwortung, ganz Dienst. »Wir
+bleiben zu Hause, Gisbert. Wenigstens ich. Vielleicht bekommen wir heute
+abend nun doch Besuch. Und Besuch -- will empfangen werden.« --
+
+Horst fand den Torfmeister allein. Lud Uhlenbrook war wieder tapfer auf
+den Beinen. »Jedes Jahr acht Tage Lona, und ich sterbe überhaupt nicht!«
+
+Der Alte wunderte sich, daß sie noch nicht da war. Sie wollten mit dem
+Kaffee auf sie warten -- Kaffee aus Moorwasser ist der beste, den es
+gibt -- kommen täte sie bestimmt. Auch vorgestern hätte sie sich
+verspätet. Sie hätten da in der Stadt offenbar wieder mit Sitzungen so
+viel zu tun. Dazu seufzte der Alte, daß der Dachfirst es spürte. Und er
+machte einen seiner grimmigen Witze: all die vielen Sitzungen in
+Deutschland seien Schuld, daß es nicht wieder aufstehe!
+
+»Bravo, alter Lud!« sagte Horst und schlug ihm auf die Schulter, daß
+seine Hand an den Mammutknochen zerschellte.
+
+Der Abend lugte schon in die graue, glasige Welt. Nebel zogen über das
+Moor, es deckte sich zu mit dem Flaum, es wollte schlafen. Die Männer
+waren schweigsam geworden. Sie lauschten auf den Schritt, der nicht
+hallen wollte.
+
+Nun riß es plötzlich an Horst. Eine Mahnung, ein Alarm, ein Kampfruf!
+»Sie kommt nicht mehr«, sprach er schrill. Dies war bedeutsam. Dies
+verkündete Unheil. Das hieß, ich muß jetzt gehen. Auf meinen Posten muß
+ich!
+
+»Sie kommt«, sagte der Alte. Und Horst ließ sich noch einmal nieder.
+Aber es wogte und wirrte in ihm. Sie sprachen dies und das. Vom
+Torfstich, von der Bestellung des Ödlandes. Doch, es litt ihn nicht
+mehr. Diese Moornebel da draußen waren sein Tod.
+
+Er sprang vom Stuhl. »Ich will jetzt doch nach Hause.« Da lauschten sie
+auf. Sie blickten in den Vorgarten. Lona war es.
+
+»Ich komme spät«, sagte sie. In ihrer Stimme war ein gehaltener Klang.
+
+»Was war denn?« fragte Lud.
+
+»In der Kirche war ich --«
+
+»Sie haben Orgel gespielt? --!« rief Horst schmerzlich.
+
+»Es wurde mir schon dunkel in der Kirche. Wär ich erst hierhergegangen,
+hätte ich zuviel Zeit verloren. Und ich brauchte das Spiel heute so.«
+
+»Und ich hab nicht dabei sein dürfen!« Darin war leidenschaftliche
+Klage.
+
+»Hätten Sie es auch so nötig gehabt --« --
+
+»Sie meinen, ich hätte es fühlen müssen, daß Sie da waren!« fiel er
+gleichgestimmt ein, mit hellen, brennenden Augen.
+
+»Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen.« Sie sprach dann
+still mit Lud.
+
+In Horst flog es. Was sie sagte -- und der Klang ihrer Worte -- zitterte
+nicht ein Vorwurf darin, ein Entbehren, eine Enttäuschung? Das Gefühl
+einer Zusammengehörigkeit -- es lebte in ihr, wie in ihm es lebte! Mehr
+noch in ihr, da seine Ahnung versagt hatte --? --
+
+Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen! Sie hatte erwartet,
+daß er da sein würde. Ja, er gehörte dazu! Für ihn wollte sie spielen.
+Ganz gewiß nicht für sich allein.
+
+Ich brauchte es so! Hieß das nicht auch, ich wollte Dich bei mir haben?
+Du solltest mich hören, ich wollte zu Dir sprechen! Wollte mich Dir
+offenbaren aus meines Wesens Tiefe! Dir -- der einzige bist Du, dem ich
+mich so bekenne. Denn wir sind uns nah.
+
+Ich hab nach Dir gerufen -- und Du bist nicht gekommen. Wie
+schmerzlich-zärtlich wallte es in ihm auf unter dieser Klage. Das
+Gewissen peitschte sein Gefühl in heißen Wellen.
+
+Du sollst nicht an mir zweifeln -- nicht an dem Zug meines Lebens, der
+mich zu Dir zwingt. Um so schmerzhaft inniger, da es jetzt wie eine
+Schuld auf mir liegt. Eine Schuld gegen Dein Empfinden.
+
+Aber sieh, es sind so starke Störungen, die die Leitung hemmen und
+erschweren. Der Kampf, der Bruderzwist mit seinen Trübungen, seinem
+Wirrsal, seinem Argwohn und Verdacht. Von diesem Gewühl -- wann wird
+unser Gefühl sich davon losmachen?
+
+Jetzt sind wir soweit, daß unsere Hände sich nehmen -- sie erschrecken
+nicht mehr voreinander. Und unsere Hände sollen sich halten und immer
+mehr sich beschenken. An einer Gabe soll die andere sich beseelen.
+
+Wie still versonnen, wie mädchenhaft scheu hockte sie bei dem alten Lud.
+Dessen Augen in sie »wie in einen goldenen Becher« sahen, dessen schwere
+ehrliche Hand sich mit einer so heilig behutsamen Zärtlichkeit auf ihren
+Arm legte, voll dankbaren Glücks.
+
+In die niedrige Stube bettete die Dunkelheit sich ein. Über dem Moor
+braute der Abend. Hohl rief ein Kauz aus dem Erlengestrüpp.
+
+Da richtete Lona sich auf. »Jetzt ist es Zeit für mich.« Horst sah in
+ihrem Auge eine große Angst, die er nicht begriff, dann ein
+schmerzliches Irren, und wieder waren sie wie nach Innen gewandt. Und
+als sie dann wieder ins Leben blickten, hatten sie den kalten Schein,
+der ihm so schmerzlich war.
+
+Sie nahmen Abschied von dem Alten. Zärtlicher als sonst umfaßte sie ihn,
+daß er wie ein Betrunkener taumelte und grunzte und herumfuhrwerkte.
+Dann ging sie mit Horst.
+
+»Bis zur Mühle nehmen Sie mich mit, nicht wahr?« fragte er. »Wir wollen
+hier auf dem Waldweg bleiben.«
+
+So ließen sie die Baracke weit ab liegen. Lona machte eine Bewegung,
+dann aber folgte sie seiner Führung.
+
+Lind und still ist um sie der Abenddämmer. Die Luft schweigt. Nur von
+fernher aus dem Innern des Waldes tönt das Gurren wilder Tauben, die
+ihre Schlafbäume aufsuchen, in den sanften Rhythmen wie märchenverloren.
+
+Und es verliert sich der Raum in diesem grauen Rinnen und Rieseln, es
+verliert sich die Zeit. In Vergessenheit schreiten sie, in Wolken, in
+Schweigen. Wie Traumgestalten.
+
+Ein Ausruhen ist es ihnen in Körperlosigkeit, wohltuend nach dem
+Ungestüm, den Zuckungen, den Brandungen, in die sie die Zeit geworfen.
+
+Sie haben eine Scheu, dies Land zu verlassen, ängstigen sich vor dem
+leibhaftigen Wort, wandern weiter in Schweigen.
+
+Die Welt von uns abtun -- alles da draußen versinken lassen -- vergessen
+die Zeit, die Bedrängnis des Geschehens -- nichts wollen, nichts denken
+-- nichts wissen -- --
+
+Dann aber, da sie immer tiefer und gedankenloser hinabgleitet, geht
+durch ihn, durch sein wallendes Blut der leise Schlag des Erwachens.
+
+Sie ist bei dir, allein sind wir miteinander. Um uns ist der gütige
+Abend. Kostbar ist die Zeit, kostbar und inhaltschwer. Jede Minute atmet
+schicksalsvoll, in jeder Sekunde pocht das Glück.
+
+Ich bin ausgezogen, Dich zu gewinnen! Herüberholen will ich Dich zu mir!
+Gerade weil Du etwas Eigenes bist, mit eigenem starken Willen und Leben!
+Ob ich sonst um Dich werben würde?
+
+So aber werbe ich um Dich!
+
+Und sein Wort leuchtet sieghaft auf: »Ich kehre nicht um bei der Mühle,
+noch weiter gehe ich mit Ihnen, Lona!« Nun ist sie erschrocken wach.
+
+»Ich will den Abend bei Ihnen sein!« drängt er weiter.
+
+Bei mir -- nicht bei den Kameraden -- nicht auf Deinem Posten --! -- So
+habe ich Dich in der Hand. Und muß ich nicht -- muß ich Dich nicht in
+der Hand haben! Daß Du fern bleibst von Deinen Kameraden!
+
+Unsere Feinde seid Ihr. Unschädlich sollt Ihr gemacht werden!
+Entwaffnet! Das soll und muß sein. Wenn etwas, liegt das in meinem
+Willen.
+
+Nun sind sie eine Truppe ohne Führer. Das ist gut. Damit haben wir, wir
+das Spiel gewonnen.
+
+Und daß ich die Macht über Dich habe! Sie auskosten, den Triumph durch
+alle Sinne sich flammen, sich jagen lassen, durch alle Nerven, alle
+Fasern!
+
+Noch immer ist die Rache in mir, ungestillt! Und wenn etwas von Deinem
+Wesen ins Blut mir gehen will -- was bildest Du Dir ein! Träumst Du von
+zärtlicher Regung! Grausamkeit ist, was sich regt. Wie sie in den Krieg
+gehört! Grausamkeit, die Lust am Quälen! --! --
+
+Denn Krieg ist und bleibt zwischen uns! Darum -- Dein Leben zerstören
+ist das nicht mir aufgegeben -- und mein Wille!
+
+Und wie wird Dein Leben zerstört sein! Da der Schlag gegen Dein Haus
+geführt wird, Du hütest es nicht! Du hast Dich von ihm entfernt -- um
+eines Weibes willen. So wirst Du es Dir nennen, und wirst daran
+vergehen.
+
+Und das Weib bin ich!
+
+Uns hat etwas zueinander getrieben, machtvoll, hindurch durch die
+Fluten, die zwischen uns brausten. Was war es -- was ist es? Gleichviel,
+was es ist! Wir stehen im Kampf!
+
+Du bist ehrlich gegen mich gewesen, offenherzig, weitherzig und warm,
+ganz anders wie Deine Gesinnungsgenossen sind. Und es gab einen Klang
+zwischen uns. Gleichviel -- wir stehen im Kampf. Soll ich meine Freunde
+verraten um Deinetwillen! Meinen Glauben! Der erste wärst Du, der mich
+verachtete!
+
+Der mich verachtete -- und wenn ich nun weiter mit Dir wandere durch den
+Abend in die Nacht -- bedachtsam -- da ich weiß, was Euch bevorsteht --
+und Dich fortschaffe von dem Geschehnis, in das Du gehörst mit Blut und
+Leben -- wird das, was übrig bleibt, nicht der Fluch sein auf mich und
+-- meine Tücke.
+
+Tücke! Darf ich unser Geheimnis Dir preisgeben! Die Freunde soll ich in
+Eure Hände liefern! Soll den Tod über sie bringen -- um Deinetwillen!
+Wahnsinn!
+
+Es braust in ihren Ohren. Sie hört nicht die Worte, mit denen Horst sie
+jetzt umfängt. Aber sie fühlt seine Hand, wie sie ihre Finger nimmt mit
+festem Druck.
+
+Was ist es, daß sie sie ihm läßt! Muß sie ihre Rolle weiterspielen? Oder
+hält sie ehrlich ein ehrliches Geschenk, das sie freut, ein Gefühl, dem
+sie sich neigt im Gleichklang der Sinne und der Seele?
+
+Immer war Waffenstillstand zwischen uns, immer der Friede. Wir waren
+über unserem Kampf. Können wirs nicht bleiben? Vergessen die andern --
+die Welt -- alles da draußen vergessen. Allein sein miteinander --
+allein auf der Welt --
+
+Da -- wie seine Hand ihren Arm greift, bäumt sie sich zurück -- ist es
+der Widerstand des Weibes, die Furcht vor dem Erliegen -- kurz, hastig,
+wie bellend stößt sie hervor: »Sie sollten heute abend lieber in der
+Baracke sein -- und nicht hier bei mir!«
+
+Horst steht und starrt, betäubt. Dann -- ein Blitz zerreißt die Wolken.
+Er sieht das Geschehen -- er fliegt in die Höhe, als wolle er durch die
+Luft. Und dann in wilden Sprüngen stürmt er -- über den Sturzacker -- in
+die Heide --
+
+Und Lona, wie im Ertrinken, greift nach dem Gedanken: so ist nun ehrlich
+die Fehde zwischen uns angesagt -- ich will zu den Freunden!
+
+
+
+
+ Blut auf der Heide
+
+
+Gradenwegs rennt Horst nach seinem Ziel. Vom Abendhimmel fällt jetzt ein
+leichter Schein. Wind hat sich aufgemacht, hat die Wolken ausgesponnen,
+durch den Dunst schimmert es von der feinen Mondsichel und dem
+helljubelnden Liebesstern.
+
+Einzelne Gestalten -- wie Indianer auf dem Kriegspfad -- heben sich vom
+westlichen Horizont -- war das da hinten nicht ein kleiner geschlossener
+Trupp --? Und in dem schwarzen Kieferngehölz -- ein paar mächtige
+Glühwürmchen zucken hin und her -- Taschenlampen -- das Waldstück ist
+besetzt. Die Baracke wird planmäßig eingekreist.
+
+Horst fliegt über die Heide. Bricht ein paarmal in die Knie. Da --
+Männer vor der Baracke -- Kameraden -- sie sind auf der Wacht.
+
+Keuchend wankt er vor sie hin. »Raus mit den Maschinen!«
+
+»Gott sei Dank!« begrüßen sie ihn. Dankwart, Kunz, Gisbert sind da. In
+Kunz ist das harte Feuer: »Wir werden ihnen die Reißzähne zeigen!«
+
+Jeder bewaffnet sich für alle Fälle mit Pistole und Gewehr. Horst
+befiehlt: »Warnungsschüsse natürlich. Nur Warnungsschüsse. Bis zum
+letzten.« Und noch einmal schärft er ihnen ein: »Bis zum letzten.«
+
+»Heißt, bis die andern uns mit 'ner Kugel holen!« knurrt Dankwart.
+
+»Schad nix. Sterben wir in Schönheit!« knurrt Kunz zurück. »An unserer
+Sisasentimentalität.«
+
+Die Feinde zögern. »Blockhaus -- Rothäute. Ganz nickkartermäßig wird
+einem zu Mut.«
+
+Zu lange zögern die Feinde. Die diesige Luft klärt sich auf. Der Himmel
+gibt Sternenschein. Jetzt sind nur noch zwei Seiten gefährlich. Das
+weite Schußfeld der Heide vor ihnen bietet keine Überrumpelungs-, keine
+Angriffsmöglichkeiten mehr. Wenn die Feinde stürmen, kommen sie den Hang
+herunter und brechen aus den Knickbüschen zur Rechten.
+
+Und nun -- sie brechen aus den Knickbüschen. Horst durchzuckt es: nur
+von der einen Seite -- nicht auch zugleich von den Hügeln -- soll das
+eine Kriegslist sein?
+
+Es war eine List. Diese kleine Schar sollte ablenken. Der Hauptstoß
+sollte von oben erfolgen --
+
+Tak -- tak -- tak -- tak -- tak -- das Maschinengewehr gegen die
+Stürmenden. Dieses tödlich unheimliche Tacken -- der scharfe
+Pendelschlag des Verderbens -- die Herzen stocken -- die Reihen wanken
+-- Rufe -- Schreie -- gereckte Arme -- wirbelnde Glieder -- fliehend
+stieben sie auseinander.
+
+Jetzt das Gros von der Höhe -- mit wildem Hurra -- das Brüllen soll das
+Tak-Tak übertönen. Aber scharf reißen diese Todestaktschläge hindurch --
+zwei Maschinen auf dieser Seite -- sie arbeiten gegeneinander auf --
+überbieten sich -- wetteifern im Verderben --
+
+Wer kann dagegen an! Auch hier stocken die Reihen -- wogen durcheinander
+-- fluten zurück -- zerflattern in rasender Flucht -- über ihnen pfeifen
+die Kugeln --
+
+Nur ein kleiner Stoßtrupp, fünf, sechs Mann sind mutig vorgestürmt --
+zwei Handgranaten fliegen -- Knall, Rauch, sprühender Sand, Fetzen von
+Erde -- Handgemenge -- mit einem Kolbenschlag wirft Horst den nieder,
+der gegen ihn anspringt.
+
+Die andern werden überwältigt und entwaffnet. Vier Siedler sind
+getroffen, nicht schwer. Der Gegner von Horst liegt besinnungslos. Die
+Entwaffneten stehen dumpf, geduckt, verbissen. »Geht nach Haus und grüßt
+Eure Großmutter!« sagt ihnen Kunz.
+
+»Wir wollen -- unsern Genossen mitnehmen!« fordert der eine.
+
+Horst hat Umschau gehalten. Von den Feinden ist nichts mehr zu sehen.
+Sie fluten nach der Stadt zurück. Von denen ist nichts mehr zu besorgen.
+
+Jetzt trat er ruhig zu dem Besinnungslosen. »Ich glaube nicht, daß er
+transportfähig ist«, sagte er bestimmt. »Sie müssen ihn schon
+hierlassen.«
+
+»Er soll mit. Wir tragen ihn --« erklärten die Genossen.
+
+»Was jetzt soll, sage ich hier. Nicht Sie. Er bleibt. Ich hoffe, er ist
+zu retten. Aber nur so. Einer von Ihnen kann ja seine Pflege mit
+übernehmen.«
+
+Die Männer berieten. »Wir müssen uns fügen.«
+
+»Ja, das müssen Sie.« So blieb einer zurück, ein Krauskopf mit
+Mulattengesicht. Die andern gingen wortlos von dannen. Kunz aber, der
+Abschiedsworte liebte: »Wir bedanken uns auch bei Euch! Daß Ihr uns
+nicht in Pflege zu nehmen braucht!«
+
+Horst war mit Sellmann, ihrem tüchtigen Sanitäter um den Liegenden
+beschäftigt. »Schwere Gehirnerschütterung«, sagte der Medizinmann. »Der
+Schädel ist offenbar ganz geblieben.« Sie trugen ihn hinein.
+
+»Wir werden das Feld jetzt noch absuchen, zur Sicherung«, beorderte
+Horst. »Und dann -- hoch genug haben wir ja gehalten -- aber vielleicht
+ist doch noch diesem oder jenem etwas geschehen.«
+
+Kunz führte die Streife. Horst ging in seinen Raum. Er warf sich lang
+auf sein Bett. Ein paar Minuten Ruhe! Seine Nerven flogen.
+
+Der rasende Lauf durch das Gelände -- dann der Kampf -- und nicht
+weniger als dies der jähe Sturz aus der Traumwelt, in der er gewandelt
+-- Lona -- von Deiner Seite in den blutigen Kampf mit Deinen Brüdern,
+Mann gegen Mann!
+
+Und Du warst es, die mich warnte. Mich, der ich wie blind neben Dir
+herlief. Der ich mit Dir weiterwandern wollte, hinein in die Stadt. Um
+bei Dir zu sein, die Du mir lieb geworden bist!
+
+Und wie lieb muß ich Dir sein, daß Du mich wecktest aus meiner
+Gedankenlosigkeit und auf den Weg meiner Pflicht mich führtest. Meine
+Pflicht -- die gegen Deine Sache streiten, die ihr die Wunde schlagen
+mußte! Meine Pflicht, gegen die Deine eigene Pflicht sich erhob.
+
+So hast Du mir Dich aufgeopfert! Und hast Du so Deine Welt nicht hinter
+Dir gelassen? Keine Heimat gibt sie Dir mehr. Die Fäden sind zerrissen.
+Du gehörst uns. In mein Leben gehörst Du. Eigenes Heimweh hat in meine
+Welt, hat zu mir Dich gezogen -- nun halt ich Dich fest! Nun bist Du
+mein!
+
+Hohl klingt ein Murmeln an die Wand des Schuppens. Wälzt sich dumpf,
+düster und schwer. Legt sich ihm auf die Brust wie ein Mar. Was friert
+ihm so ins Blut? Was schauert ihm so durch die Seele?
+
+Er springt auf und tritt hinaus in den Gang, tritt vor die Tür. Die
+Streife kehrt zurück. Sie tragen jemanden. Kunz geht voran. Horst ist
+bei ihm. »Eine Frau«, sagt Kunz, weiter nichts. Seine Augen sagen mehr.
+Horst aber weiß es längst, was er jetzt sieht. Lona. Und sie ist ohne
+Leben.
+
+Er weiß es, er sieht es -- und glaubt es wieder nicht. Seine Hände irren
+über ihr eisiges Gesicht -- sie wollen sich irren -- sie rühren, sie
+fassen den Tod.
+
+»Lo-na.« Seine Zähne klappern. »Lo-na.« Zerrissen ihr Name. Ihr Wesen
+zerfallen. Zerbrochen ihre Form. Ihre Seele entflogen.
+
+Ein Schuß mitten durchs Herz.
+
+Und jetzt die Fragen der andern: War sie selbst unter den Stürmenden
+gewesen? Dann am alleräußersten Flügel. Oder hatte sie als Zuschauerin
+abseits gestanden? Kugeln irren sich so gern.
+
+Horst hatte seine Antwort. Hergeworfen -- hergewirbelt hat es Dich --
+nicht ein Gefühl allein -- Du mußtest dabei sein -- nicht bloß sehen, es
+mit erleben -- ein Schuldbewußtsein flocht Dich in die Reihen der
+Genossen -- und doch Deine Gedanken flogen ihnen voraus. Sie waren bei
+mir -- sie suchten mich -- in schmerzlichem Verlangen --
+
+So war es. Steht es nicht so in Deinem Gesicht geschrieben? Ist all das
+Zerwühlte nicht zur Ruhe gebracht? Schwebt darüber nicht etwas wie die
+weiche, bebende, sorgende Zärtlichkeit des Weibes?
+
+In der Halle war die Leiche niedergelegt. Horst hielt bei ihr die
+Totenwacht.
+
+Unwirklich war ihm noch alles. Wie trunken machte ihn der Schmerz. Seine
+Fieber taumelten wie in den Visionen einer Dichtung.
+
+So umgeisterte ihn alles, was er mit Lona erlebt hatte -- seit der
+ersten Stunde, da sie sich fanden. Wie er sie das schöne, böse Raubtier
+sich nannte, in der Versammlung -- als sie zum Sprunge gegen Herrn
+Borkhus sich duckte, den Zerbrecher ihres jungen Glücks. Wie sie ihre
+überhitzte Schulmeinung ihm ins Gesicht sprühte: deutsch ist mir ein zu
+unwesentlicher Begriff! Blieb sie in der Öde solcher Verstiegenheit?
+Fing sie nicht an, auf ihre heimatlichen Wurzeln sich zu besinnen?
+Langsam -- Geduld mußte man mit ihr haben --
+
+Als er aus der Kirchhofshaft sie befreite, da starrte sie noch in Waffen
+gegen ihn. Aber wie der alte Lud dann ihr Wesen ihm gedeutet hatte -- je
+mehr er sie begriff, um so näher rückte sie ihm, um so näher rückte er
+ihr. Was sie auf der Landarbeiterversammlung sprach, Klänge aus der
+Tiefe, die in ihm widerhallten. Und wie sie beide bei Lud sich fanden,
+sich etwas zu sagen und zu geben hatten -- bis sie in der großen
+Offenbarung ihres Orgelspiels mit allem, was in ihrer Seele flutete und
+brauste und kämpfte, verzweifelte und zum Licht sich aufbäumte, mit den
+schmerzvoll heiligen Feuern ihrer Seele ihn überwältigte.
+
+Du suchtest den Weg, der Dir verschüttet war -- Du fandest ihn über
+Trümmer, einen schmalen Pfad -- ich durfte die Hand Dir
+entgegenstrecken, Du wolltest sie ergreifen --
+
+Und jetzt abgestürzt -- zerschmettert -- zerbrochen --
+
+Und nicht mehr rollten die Bilder an ihm vorüber, wie Szenen eines
+Schauspiels, das ihm als Zuschauer den Atem versetzte -- die
+Wirklichkeit riß ihn aus dem Rausch der Todesnähe, das Leben, sein Leben
+packte ihn an -- ein Teil von seinem Leben war ihr Tod. Ein Teil von ihm
+war mit ihr gestorben.
+
+»Lona« -- er umspannte ihre kalten, welken Finger. Vor ein paar Stunden
+hatte er sie noch gehalten -- wie pulsten sie in seiner Hand, wie pochte
+ihr Blut an das seine! Jetzt ist der große Abgrund zwischen uns, über
+den nur die Todesfittiche tragen. Und Du bist auf der geistigen Seite.
+
+Du blasse Lona -- nicht mehr das schöne, böse Raubtier -- o nein -- ein
+schöner, guter, verklärter Geist -- nicht mehr ans Irdische gefesselt,
+nicht mehr dem Körper verhaftet, jetzt hast Du Dir das Jenseits erobert,
+das Dich so quälte. Jetzt sind die Schleier gefallen, die Geheimnisse
+enthüllt -- jetzt siehst Du den Sinn der Welt. Des Lebens! Des Lebens
+vor dem Leben. Des Lebens nach dem Sterben.
+
+Und hat das alles seinen Sinn -- was ist sinnvoll anders als gut? Der
+gute Sinn, der große gute Sinn des Lebens, der große gute Sinn der Welt.
+
+Kann der Tod ihn uns verdunkeln? Führt er nicht gerade, was in uns, den
+Überlebenden, stark und echt und treu ist an Liebe und Kraft, an Fühlen,
+Denken und Wollen, empor zu der Höhe eines Gelöbnisses!
+
+Sich treu bleiben! Seinem Fühlen und Willen treu bleiben! In seinem
+Fühlen und Willen sich klären! In seinem Fühlen und Willen sich
+vollenden!
+
+Wieviele Kameraden hat Horst begraben! Vor jedem Toten hat er so
+gestanden, gehoben, gesteigert, beflügelt in seinem Wesen, gefestigt in
+einem Schwur. So strömt uns neue Kraft zu von unseren Toten. So sind die
+für uns gestorben, die uns lieb waren.
+
+So bist auch Du für mich gestorben, Lona. Die Du mir feind warst, die
+ich Dich lieb gewonnen. Tränen schauerten durch ihn hin. Da machte er
+sich hart.
+
+Sich treu bleiben, seinem Fühlen, seinem Willen treu bleiben. Und so in
+die Höhe wachsen, aus sich, in sich, zu sich selbst empor! Er stand
+aufrecht und frei, von seiner Andacht geweiht.
+
+Kunz kam herein. Er berichtete, der Verletzte wäre zu sich gekommen,
+finge an zu toben, wollte nicht länger bleiben.
+
+Horst ging zu ihm. Er lag, den Oberkörper aufgerichtet, die Hände
+krampfhaft aufgestemmt -- das wirre Haar hing ihm in irre Augen -- »ich
+laß mich nicht einsperren -- schlagt mich tot -- ich laß mich nicht
+quälen --!«
+
+Jeder sah, daß an ein Fortschaffen nicht zu denken war. Auch der Mulatte
+schüttelte den kugelrunden Kopf.
+
+Horst sprach ruhig auf ihn ein. »Sie sind krank und hilfsbedürftig --
+wer wird Ihnen was zuleide tun! Sie werden hier gesund gepflegt. Wenn
+Sie sich ruhig verhalten, können Sie vielleicht morgen schon nach
+Hause.«
+
+Ruhiger wurde er, von den Worten, von dem Stimmklang. Aber in den Augen
+ging es noch weiter um. Dann sah und erkannte er den Genossen. »Was tust
+Du hier? Bist Du auch gefangen -- schämst Dich nicht -- kannst rumlaufen
+-- ich -- den schweren Kopf -- den -- schweren -- Kopf --«
+
+Jetzt sank er zurück, zuckte noch, und dann kam der Schlaf über ihn.
+
+In der Baracke ging man zur Ruhe. Ein guter Teil der Nacht war vorüber.
+Horst mit zwei Kameraden hatte die Wache bis zur Frühe übernommen. Die
+beiden machten es sich im Eingang bequem. Er, im Mantel, setzte sich auf
+die Bank vor der Tür und wartete den Morgen entgegen.
+
+Müde gingen seine Gedanken ein in die große Sternenstille. Müde und
+demütig. Ihr Sterne, ich kann Euch nicht einmal zählen. Wie soll ich
+Euch begreifen? Funken der Ewigkeit ihr --! --
+
+Mein Erdenschicksal -- ein Staubkorn nur dieser kleinen Erde und mir so
+wichtig und schwer --
+
+Und doch -- ich bin nicht verloren -- ich bin in der Unendlichkeit --
+und darum die Unendlichkeit ist in mir -- in mir das Ewige -- den Stolz
+des Lebens, ich darf ihn fühlen. So darf ich in die unermessene Höhe
+sehen, ohne zu verzagen. Darf an ihr wachsen, in sie wachsen, denn sie
+ist mein.
+
+Im Osten zog sich ein fahler Streif, an dem die Sterne verblaßten. Der
+Morgen rieb sich die Augen. Vom Westen her, wo das nächtige Dunkel noch
+fest lag, schob sich langsam eine mächtige Gestalt. Ein dumpfes Murmeln,
+gebändigt und doch ein Donnerrollen, verkündete ihr Nahen. Nur einer
+konnte so brummen -- und jetzt kam er in Sicht -- Horst stand auf, ihn
+zu empfangen. Lud Uhlenbrook war es.
+
+Konnte er wissen, was geschehen war? Zog ihn nur dunkle Ahnung her? Es
+war Ungewißheit, was ihn quälte. Froh packte er Horstens Hand. »Was hab
+ich bloß zurecht geträumt -- von Schlacht und Schießerei. Hin und her
+hat es mich gewälzt. Gut, daß ich Sie finde!«
+
+Nun stutzte er über des Freundes Haltung. Der sagte dann still: »Sie
+haben nicht geträumt.«
+
+»Und ist was passiert?«
+
+»Ja.« Dies eine Wort, so schwer von dem Geschehenen, öffnete ihm den
+Blick.
+
+»Was mit Lona?«
+
+»Wir haben sie hier.«
+
+Der alte Mann sank vornüber -- seine gewaltigen Hände jappten hilflos
+wie zwei Riesenfischköpfe auf Land. Dann trottete er ächzend ins Haus.
+Horst ihm nach führte ihn in die Halle. Der Morgendämmer zeigte ihm die
+Tote.
+
+Lud Uhlenbrook stöhnte auf, einmal -- dann summte es in ihm, so wie der
+Wind in hohen Drahtleitungen summt -- dann ward er selbst totenstill.
+
+Und jetzt, mit einer urlangsamen Selbstverständlichkeit nahm er die Tote
+wie eine Puppe auf den Arm. Nichts Wildes war dabei, nichts Wirres. Nur
+die große Sicherheit seines Tuns.
+
+Wortlos trug er sie hinaus. Trug sie über die Heide. Fahl und wie
+klagend zog der Morgenschein hinter ihm her -- den übermenschlichen,
+gespenstigen Leichenträger.
+
+In Horst lehnte es sich auf. Mein Eigen -- ich laß es mir nicht nehmen!
+
+Ihm nachstürzen will er -- und erschrickt vor seiner Jachheit. Soll ich
+ihn niederwerfen -- ihn mit der Toten! Soll ich um sie mich balgen mit
+dem alten Mann!
+
+Wallt er nicht dahin, so wie die Notwendigkeit schreitet! An die sich
+nicht rühren läßt --! Und ist hier nicht Liebe am Werk? So wollen wir in
+der Gemeinschaft bleiben, wir drei.
+
+Recht ist ja, was Du fühlst und tust! Nicht in die Baracke gehört sie,
+die ihr verhaßt und die ihr feindlich gesinnt war -- in Dein stilles
+Haus, das ihr eine Heimat gewesen. Da soll sie aufgebahrt werden. Da
+wollen wir ihr die Totenfeier rüsten. --
+
+An diesem Tage erholte sich der Betäubte so weit, daß er das Siedlerhaus
+verlassen konnte. Es war der Leiter des Überfalles selbst, der
+Werkführer Stahlboom.
+
+Die Siedler hatten den ganzen Tag hart gearbeitet, auf dem Felde, in der
+Ziegelei, auf dem Moor. Gedenkreden auf den gestrigen Tag hatte das
+Schaffen befeuert. Man erzählte sich, daß die Angreifer mehrere
+Verwundete heimgeschleppt hätten. Das eine Maschinengewehr gegen den
+Abhang hatte nun doch nicht hoch genug gehalten. Wer hat auch in solchen
+Augenblicken Nerv und Hand so in der Gewalt? Der Tod hatte nur das eine
+Opfer sich geholt -- die Frau -- Lona.
+
+Mehr als ein Auge suchte Horst wieder auf. Der war am Werk wie nur je,
+selbst der Fleißigste und Härteste. Daß sein Gesicht blaß war, daß die
+gerade Falte zwischen den Brauen sich tiefer prägte -- wer von ihnen
+trug nicht an dieser Nacht! Und enger waren sie aneinander gerückt,
+dichter war die Reihe geschlossen, Kameradschaft war Trumpf.
+
+Wie sie Feierabend gemacht hatten, trafen sie den Pflegling bei
+Gehversuchen vor der Tür. Als der Anführer wußte er, was er sich
+schuldig war. Er wartete auf Horst, trat ihm in guter Haltung festen
+Auges entgegen und sagte klar: »Ich danke für Pflege und Quartier. Mein
+Wunsch ist, einmal -- Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«
+
+Es war nichts Verstecktes darin, kein lauernder Hohn, es hatte seine
+offene Bedeutung. Und Horst gefiel diese Art. Saubere, ehrliche
+Feindschaft! Damit ließ sich etwas anfangen. Darauf ließ sich sogar
+aufbauen. Nur das Heimtückische zerrüttet.
+
+
+
+
+ Feier
+
+
+Und jetzt kam für die Siedler ein großer, freudenvoller Tag. Der
+Grundstein zum ersten Siedlungshaus wurde gelegt. Findlingsblöcke sein
+Fundament.
+
+Es gab eine stille Feier, zu der Frau Tilde, Pastor Waermann und Vita
+sich einfanden. Horst sprach: »Auf Steinen wirst Du errichtet, Du unser
+erstes Haus, die der Norden uns zugeführt hat. Der Norden, die große
+Heimat der deutschen Stämme. Der harte, helle Norden, der noch heut die
+deutsche Art am treuesten hegt. Wo die Männer von je frei, stolz und
+ungebeugt den Nacken hielten. Keine Knechtschaft duldet der
+Nordlandschein. Reden sollt ihr, ihr Steine! Zeugen sollt ihr uns sein,
+Eidhelfer! Ein deutsches Haus sollt ihr tragen! Deutsche freie Männer
+sollen in ihm wohnen!«
+
+Pastor Waermann sagte seinen Spruch: »Auf diesem Fels wollen wir eine
+Kirche bauen! Eine deutsche Kirche! Jede Andacht, jedes Gebet in ihr,
+jeder Gedanke, jeder Wille in ihr: die deutsche Freiheit!«
+
+Und Frau Tilde weihte das Haus: Ȇber dem Altar der Spruch der
+Gemeinsamen: Ich lebe in Dir -- Du lebst in mir!«
+
+Vita aber flammte empor: »Der Altar dieser Kirche soll ein Amboß sein!
+Schwerter zu schmieden!« Ihre Katzenaugen sprühten von funkelndem
+Phosphor, die Worte sprangen und splitterten in ihrer mutierenden
+Knabenstimme. Alle freuten sich ihres Überschwanges, der so kindlich war
+und doch aus schmerzlicher Tiefe loderte.
+
+Die Maiensonne meinte es gut. Sie saßen zu einem kleinen Imbiß vor der
+Baracke im Freien nieder. Von dem Kampf sprachen sie, von Lonas Tod. Ein
+Schweigen ehrte die Heimgerufene. Keine Frage rührte an Horstens
+Versunkenheit. Jetzt gab Pastor Waermann zu bedenken: dieser Waffengang
+werde weithin alle Geister beschäftigen. Wollte die Siedlung ihre
+Maschinengewehre retten, müßte sie sie verstecken.
+
+Kunz stimmte lebhaft zu. Er wußte die Plätze dafür -- zwischen den
+Steinplatten der Hünengräber, die wieder zugeschüttet würden -- in der
+Gruft bei Herrn von Borkhus, unter seinem Sarge.
+
+Horst lehnte ab. »Wir verstecken die Waffen nicht.« Die Linie zwischen
+den Brauen gab Zeugnis.
+
+Dankwart und Kunz schüttelten den Kopf. War Lonas Tod ein Gewinn?
+
+Dann ließ es Frau Tilde sich nicht nehmen, in die Stallungen einen Blick
+zu tun. Gisbert, der hier Zuständige, übernahm die Führung.
+
+Ein braunweißes Kalb hatten sie, das war ihr Stolz. Ihre beiden
+Milchschafe, erlesener friesischer Rasse, hatten je zwei Lämmer
+geworfen. Zehn Küken purzeln und trippeln und schießen herbei nach den
+Lockrufen der Mutter Henne. Zwei andere Hennen noch brüten in den
+Körben, feierlich in der gewölbten Ruhe ihres heißen, breit gefalteten
+Gefieders, heizend und erhitzt, böse die Augen gegen die Welt, von
+Halbschlaf benommen, versunken in das eigene geheimnisvolle Werk,
+scharlachrot von der Inbrunst des Schaffens der Kopf, der klein geworden
+ist gegen den machtvollen, lebenspendenden Leib.
+
+Frau Tilde sieht alles, prüft alles und ist zufrieden. Glücklich macht
+Gisbert die Anerkennung. »Bienenstände müssen Sie noch haben, die
+gehören zu Ihrem Heideland.«
+
+Und dann begleitet Gisbert die Freundin nach Hause. Die Herrin -- er
+fühlt sich ganz als ihr Wirtschaftseleve. Immer wird er Landmann
+bleiben, nie mehr wird die Stadt ihn sehen, in der die Menschen
+versteinern. Die Naturandacht sein Leben. Seines Daseins Licht diese
+Frau, die nicht müde wird, ihn zu beschenken. Nie mehr kann er von ihrer
+Seite gehen.
+
+Sie blicken von der Höhe über das Land. Obstbäume blühen an dem Wege,
+der zum Moorhofer Herrenhause führt. Wie große weiße Blumensträuße
+stehen sie da, der Königin dieses Reiches ein Fest zu bereiten. Auf dem
+Hügel außerhalb der Parkmauer, der weite Ausschau gewährt, steht ein
+mächtiger Ahorn mit runder Bank. Da setzen sie sich nieder. Leuchtende
+Wolken, erhaben und schöpferisch bildhaft, ziehen ostwärts, von der
+sinkenden Sonne beleuchtet.
+
+Sie schauen hinauf, plötzlich fragt Tilde: »Sind Sie sehr
+shakespearefest?«
+
+»O nein, ganz und gar nicht.«
+
+»Dann kann ich es wagen«, sagt sie und streicht sich ein mädchenhaftes
+Zagen aus der Stirn. »Ich denke an die Szene, wie Hamlet den Höflingen
+Rosenkranz und Güldenstern die Wolke zeigt -- sie nach dem Bilde fragt
+-- ihnen die Antwort in den Mund legt. Sieht sie nicht aus wie ein
+Kamel, wie ein Walfisch, wie ein Wiesel -- für die bestialische
+Reihenfolge wird keine Gewähr übernommen. Ich muß sagen, daß ich mit
+dieser Szene nie das Rechte habe anfangen können.«
+
+»Weil die Wolken so vieldeutig sind --«
+
+»Ja. Ganz gewiß für Menschen, die nichts miteinander gemein haben. Da
+die Wolkenumrisse so schnell zerfließen -- eine ganze wandernde
+Menagerie kann man einem Fremden suggerieren. Der darum noch gar nicht
+liebedienerisch ja zu sagen braucht. Menschen aber, die sich nahe sind
+und miteinander leben -- es ist überraschend, wie sie in den Wolken ganz
+zu gleicher Zeit dieselben Gesichte haben.«
+
+Gisbert blickt in die Wolken, die sollen ein Bild ihm zeigen.
+
+»Wie oft,« spricht Frau Tilde weiter, »haben wir als Kinder, mein Bruder
+Volker und ich, so den Himmel abgesucht. Dann fanden wir etwas --
+gemeinsam -- faßten unsere Hände -- sagten es uns. Und immer war es
+dasselbe. Eine Walküre mit Flügelhelm und wallendem Haar -- ein alter
+Rabbi mit langem Bart -- ein Indianer auf der Büffeljagd -- ein
+buckeliger Pierrot -- eine knieende Beterin. So eng hingen wir beide
+zusammen.«
+
+Durch Gisbert zieht ein stilles Leuchten. Und wir beide? Wie nahe bist
+Du mir -- und mir, ich weiß es, mir gibst auch Du Deine Nähe. »Ich fühle
+wie Sie« -- immer, immer fährt unter dieser Flagge mein Lebensschiff.
+Und was reichst Du täglich meinem Dasein an Geschenken!
+
+Eine Zuversicht hebt ihn, bis in den Himmel. Was die Wolken mir jetzt
+zeigen, ich weiß es, Du siehst es mit mir. Und wie er jetzt suchend
+wieder den Kopf aufrichtet, tut sie es auch. Leicht hebt er die Hand --
+nun zittert er doch in allen Fasern, da die Gewißheit droht -- und leise
+ist sein Wort: »Ein Schwan --«
+
+»Er fliegt. In die Sonne fliegt er.« Ihre Stimme hat den stillen Glanz
+des Selbstverständlichen. Sie sieht, was er sieht.
+
+»Und auf dem Kopf --«
+
+»Eine Krone.«
+
+»Eine Krone von Gold.«
+
+Sie sehen dasselbe, sie fühlen dasselbe, ein und dasselbe sind sie. In
+Gisbert braust es und jauchzt es. Mein gekröntes Glück! -- -- --
+
+Vita und Kunz gingen über die Heide. Der Wind trug ihnen den herben Duft
+der Wacholderbüsche zu. Auf die Dünen zog es sie. Hartblau war die Flut.
+Sie spähten über die See.
+
+»Wieder kein Schiff«, rief Vita klagend schrill.
+
+»Und wär eins da, es wär kein deutsches.«
+
+»Kommen Sie. Wenn man einmal nicht traurig oder zornig genug ist, geht
+man hierher. Aber meist ist man es ja.«
+
+Zurück in die Heide. In Wolkenhöhe kreiste ein Raubvogel. »Kann man den
+schießen?« fragte Vita.
+
+»Mit einer gewöhnlichen Jagdbüchse kaum.«
+
+»Aber mit dem Armeegewehr?«
+
+»Ja.«
+
+»Würden Sie ihn treffen?«
+
+»Schwerlich, ich bin kein Scharfschütze.«
+
+»Aber ich möchte es werden. Ich will schießen lernen. Sie sollen mich
+mit auf die Jagd nehmen.«
+
+»Es gibt jetzt bloß nichts zu jagen. Höchstens Raubzeug.«
+
+»Um so besser.« Und die Augen sprühten ihre grünen Funken.
+
+Kunz lächelte dazu. Was bist Du für ein Kind, dachte er. Wie lange muß
+ich noch auf Dich warten?
+
+Dann aber gab es einen Riß, einen bedrohlichen fast. »Ihren Hund aber
+müssen Sie zu Hause lassen!« erklärte sie.
+
+»Meinen Muz?«
+
+»Hunde kann ich nicht leiden.«
+
+Er starrte in ihre graugrünen Lichter. Bist Du es nun doch, eine Katze
+auf der Seelenwanderung! Dann sprach er beruhigt, mit siegender
+Gelassenheit: »Sie haben noch nie in ein Hundeauge gesehen.«
+
+»Ich mag die Köter nun einmal nicht. Nicht ihren Geruch. Nicht ihr
+Schweifgewedel, nicht ihre geprügelte Treue.«
+
+Kunz lehnte sich zurück, heftig, über das Gleichgewicht und taumelte
+ratlos benommen. Eine Rede der Verteidigung? Was nützt hier -- und
+anderswo -- alles reden. Erleben soll sie Dich, Muz. Und sich zu Dir
+bekehren. Aber seinen Stoß hatte er weg. Und seine Zärtlichkeit trug
+eine Wunde.
+
+Die mußte erst ausheilen. Heute würde es nun doch nicht mehr das Rechte
+mit ihm und seinem Mädchen. Er war nicht trostlos, als der Pastor und
+Horst ihnen in den Wurf kamen, die nach Moordorf zuschritten. Lieferte
+das Kind an den Vater ab und zog allein seine Straße. Er sehnte sich
+nach Muz, nach seinem Auge. --
+
+Allein wanderte dann auch Horst weiter. Zum Torfmeister und zu Lona ging
+sein Weg. Sein Schritt war langsam und schwer.
+
+Mit Feldblumen hatte der Alte die Tote bedacht und besteckt. »Blumen aus
+dem Moor«, sagte er. »Im Tode haben die beiden sich gefunden.«
+
+Er wirkte und wallte umher wie ein Priester. Von der Leiche trennte er
+sich nicht, er gab sie nicht her für Horst zu einsamer Andacht. Manchmal
+schoß auf den, wie auf einen Fremden, einen Eindringling, einen Feind,
+ein fast böser drohender Blick aus den roten Lidern.
+
+Horst stand vor der Toten. Nicht erlöst sind Deine Züge. Um Deinen Mund
+das Lächeln -- es hat nichts Verklärtes -- leidenschaftlich und leidend.
+Dein Los hat sich Dir nicht erfüllt. Sehr viel Sehnsucht trägst Du mit
+hinaus. Auf den dunklen Fittichen quälender Fragen bist Du
+emporgerauscht. Jetzt -- jetzt wandelst Du im Lichte der Antwort.
+
+Der Alte zog herum und ließ ihm nicht die Stille. »Der Pastor soll sie
+nicht zum Begräbnis haben!« murmelte er drohend. »Eine Kriegstrompete
+ist er geworden. Was soll die hier? Hier bläst sie vorbei. Und er stört
+sie bloß. Und sie sollen Dich nicht stören! Alle haben sie Dich gequält.
+Deine Freunde, durch ihr Wüten, Deutsche gegen Deutsche! Und Deine
+Feinde -- dieselbe sinnlose Wut! In diese Brandung bist Du geraten, so
+bist Du verdorben!«
+
+»Schuld seid Ihr ja« -- gegen Westen hob er jetzt in jähem Ruck die
+mächtige haarige Faust -- »Ihr Höllenhunde da drüben! Ihr mit all Euren
+Bundesgenossen, all Euresgleichen -- nur in Rudeln jagt das feige
+Gesindel -- Ihr habt heimtückisch Deutschland zur Strecke und in das
+Elend gebracht! Und in unserm Grauen kehrt unsere Wut sich gegen uns
+selbst. Auch mein Kind habt Ihr feige und tückisch gemordet. Es wird
+Euch heimgezahlt!«
+
+Wie ein Seher und Rächer steht er da mit überweltlichen Augen! Horst
+zwingt es zu ihm hin. Er nimmt die furchtbar bebende Hand. Er grüßt den
+deutschen Herzschlag, der ihm selber die Adern sprengt.
+
+Dann erlischt in den alten Augen die Flamme. Und ein Mißtrauen wehrt dem
+jungen Freund. »Du willst teilhaben an meinem Totenfest. Du hast sie
+lieb gehabt, meinst Du. Hast Du sie lieb gehabt, ohne etwas von ihr zu
+wollen? Ich aber liebte sie und wollte nichts von ihr, und darum ist
+meine Liebe größer als Deine. Darum bin ich mehr als Du und hab mehr
+Rechte als Du. Ich allein begrab sie mir.«
+
+Und da Horst eine Bewegung macht -- »bist Du nicht als Feind im Kampf
+mit ihr gewesen! Hat eine von Euren Kugeln sie nicht getroffen! Hast Du
+-- Du sie nicht getötet! So gut wie mit eigener Hand! Da Du Feuer
+befohlen hast! Und Du willst sie mir streitig machen!«
+
+Die Augen kreisen, Flammenräder einer eifersüchtigen Angst, eines
+eifersüchtigen Zornes. Die beschwichtigende Hand des Nebenbuhlers wird
+mit einem Kopfschütteln abgetan. Aber damit kehrt schon seine Ruhe
+wieder. Doch die Ruhe schärft und härtet sich.
+
+Hoch richtet er sich auf. Die verkrampften Hände packen die Brust: »Ich,
+der Totengräber Lud Uhlenbrook -- der einzige, der diese Tote lieb
+gehabt hat -- und der einzige auch, den die Tote lieb gehabt hat -- nur
+mir gehört sie -- nur mir gehört ihr Begräbnis -- nur mir gehört ihr
+Grab. Allein bestatte ich sie. Niemand soll dabei sein. Mein Moor soll
+sie bewahren. Und die Stätte zeige ich keinem. Mein Moor balsamiert
+Deinen Körper ein und rettet Deine Schönheit. Das Moor läßt keine Würmer
+an Dich hinan. So gut wie lebendig bleibst Du mir. Mir -- die Du mir
+gehörst!«
+
+Es wirft ihn nieder -- er kniet zu ihr hin, er legt die alten,
+blutroten, tränenblinden Augen auf ihre kalte Hand.
+
+Horst hat die Stube verlassen. -- --
+
+Zwischen den Findlingstrümmern, eine einsame Birke über sich -- wie
+duftete das junge Laub! -- saß Kunz mit Muz, seinem Tier, und sprach zu
+ihm. Steil gestellt waren die hohen spitzen Ohren, in den großen
+goldbraunen Augen war alle Klarheit, alle Weisheit, alle Güte, alle
+Wehmut der Welt versammelt.
+
+Jemand hat Dich gelästert, mein Tier, und ich habe ihn nicht getötet.
+Ein Weib -- nein, ein Junge, ein Kind. Nein, eine Katze.
+
+Nun drehst Du den Kopf. Das Wort geht Dir ins Blut. Dies Wort verstehst
+Du, sagen die Einfältigen. Als ob Du nicht jedes Wort verstündest, das
+ich zu Dir spreche.
+
+Nur, daß Du mir nicht antworten kannst in unserer Sprache. In der
+Sprache der Menschen, diesem größten von allen unseren Mysterien. Unsere
+Freiheit, in der wir geknechtet sind, unser Glück, daran wir gekreuzigt,
+der Segen, zu dem wir verdammt worden, die Wahrheit, die uns mit Lüge
+schlägt.
+
+Was da in Deinem Auge, dem unermeßlich tiefen, dem unermeßlich scheuen
+vor der eigenen unergründlichen schwermütigen Klarheit, was da spricht
+und schweigt -- heißt das: ich klage und traure, daß ich nicht Worte
+habe wie ihr, euch zu antworten, wie ihr mich fragt?
+
+Oder heißt es ganz anders! Ist es Dein Schmerz, daß wir, wir mit der
+Sprache gesegnete Verfluchten nicht Deine Augen haben! In denen die
+Seele ist, die wir auf die Zunge heben und so veräußerlichen! Die wir in
+leeren Schall zerflattern lassen!
+
+Heilig sind Deine Augen, fromm machen Deine Augen! Sie soll
+hineinblicken, das Weib, das Kind und Katze ist. Und soll niederknien!
+
+Das ist ja wahr, Muz, außer Deinen Augen bist Du noch so mancherlei.
+Eine Bestie, ein Bandit, ein Herumtreiber, ein Hund mit einem Wort. Ein
+Lumpenhund von einem Hund!
+
+Von Deinen Liebeshändeln will ich nichts sagen, obwohl sie heftig dazu
+herausfordern. Aber -- hast Du mir nicht vorgestern erst aus meiner
+ahnungslosen Jacke, die bei der Arbeit sich mit der Maiensonne nicht
+vertrug, mein Frühstück gestohlen! Das Papier mit Zähnen und Pfote
+weggefetzt und die Stulle verputzt! Meine, Deines Herrn und Gebieters
+Frühstücksstulle. Der redlich und rechtschaffen hungrig war.
+Amerikanisches Schmalz war darauf -- Du lieber Gott, in der Not frißt
+der Deubel Amerikaner. Du fraßest, und mich ließest Du den Daumen
+lutschen, Du ungetreuestes aller Mistviecher Du.
+
+Aber Deine Augen -- und wieder und immer wieder Deine Augen! Heilig,
+heilig sind sie und Andacht sollen sie lehren das Weib, das ein Kind,
+ein Junge und eine Katze ist!
+
+Muz, Muz, Du kennst meine Vita. Du hast sie gesehen, freilich nur aus
+der Ferne. Denn Du drängst Dich denen nicht auf, die Dich nicht wollen.
+Ist sie nicht ein verschlossen und verzaubert Köstliches!
+
+Vita, noch schläft alles Leben in Dir! Ich will es mir wecken, mir
+sollst Du einmal auferstehen. Eine Knospe bist Du, hart und spitz. Und
+die Knospe sticht. Die mir, mir ihre Blüte verheißt und bewahrt.
+
+Einfältig bist Du, ja, so einfältig kannst Du sein, daß man manchmal Rad
+schlägt vor Schreck und vor Freude -- wie wirst Du Dich mir entfalten!
+Ein dummer Junge oft -- ich ruf es mir wach, das liebe kluge Mädchen!
+Ich küss' es mir auf!
+
+Und Kunz schlägt die Arme um sich und umarmt die Luft. Entsetzt fährt
+Muz in die Höhe -- zum Tierarzt! ist sein erster Gedanke. Der Mann ist
+verrückt!
+
+Aber schon ist der Mann wieder friedsam geworden, kauert sich zu dem
+Hund, läßt die samtenen Ohren sich durch die Hände gehen und erzählt ihm
+weiter.
+
+Ja, mein Tier -- Dir sag ich alles. Du verstehst jedes Wort und birgst
+es in der Seele. Du willst nicht alles besser wissen und schwätzest
+nicht dazwischen, wie diese entsetzlichen Klookschieter von Menschen!
+
+Froh bin ich, Muz, und kann lachen. Und hab klug reden, wenn die andern
+auf unseren Stall schimpfen und gern ausreißen möchten. Wo mein Glück
+hier neben mir wohnt!
+
+Was aber wird aus Horst? Jetzt, wo die Frau aus seinem Leben genommen
+ist, die auf andere Bahnen ihn zog -- auf verschlungene Pfade, die
+abseits lagen von unserer geraden Straße. Wird er den Weg zurückfinden?
+Wird sie als Geist ihn weiter bannen? Haben sich nicht die Schatten zu
+tief in ihn eingefressen? Kann er uns wieder der Alte sein in alter
+Helle?
+
+Anfällig Horst auch Du -- seid Ihr nicht alle krank geworden am
+deutschen Leid? Bin ich nicht der einzige gesund geblieben, ich, der
+Dickfellige, in bekömmlicher Gedankenarmut!
+
+Auch Gesundheit steckt an! Nicht müde werden will ich, Euch mit meinem
+Gesundheitsstoff zu infizieren! Dich, Horst, Dich, Gisbert, und
+Dankwart, auch Dich! Du Mann mit dem verlorenen Lachen. Lachen sollst Du
+wieder können oder doch lächeln. Denn, wenn wir nicht lachen, wir Wachen
+im deutschen Lande, so schaffen wir es nun und nimmermehr.
+
+
+
+
+ Ingeborg
+
+
+Bitterlich zu kämpfen gilt es ja um das Lachen.
+
+Am andern Tage, die Maisonne jubelte grausam, kam aus der
+Provinzialhauptstadt ein hoher Beamter mit militärischer Begleitung. Er
+und der Offizier Männer mit den schmerzweiten Augen, wie sie durch
+Deutschland klagen -- beide nur an Bord geblieben, damit das Schiff
+nicht ohne Mannschaft sei, abgeneigt der Führung des Fahrzeuges, ohne
+Vertrauen zu seiner Steuerung und doch gehalten von der Disziplin des
+Gehorsams, der dem Vaterlande gilt. Mit halbem Herzen führten sie den
+Auftrag aus. Nur das Nötigste wurde gesprochen. »Vier Maschinengewehre
+sind hier am Sonntag abend in Tätigkeit gewesen. Die Maschinengewehre
+gehören dem Staat. Sie haben sie abzuliefern. Wir sind hier, sie in
+Empfang zu nehmen.«
+
+Horst sagte ein ruhiges: »Bitte.«
+
+»Weiter möchte ich Sie ersuchen, mir über die Vorgänge am Sonntag abend
+Auskunft zu geben. Ich muß sie zu Protokoll nehmen.« Horst berichtete,
+was er wußte.
+
+»Wo befindet sich die Tote?«
+
+»Im Hause des Torfmeisters zu Moordorf.«
+
+Kein überflüssiges Wort. Was man fühlte, wurde in Schweigen eingesargt.
+Wenige waren dabei. Kunz als der Waffenmeister, drei von den Siedlern,
+die Hausdienst hatten. Die andern waren beim Bau und auf den Feldern.
+
+An der Mittagstafel natürlich bewegte dies die Geister aufs tiefste.
+»Unsere Burg ist geschleift«, sagte Kunz. Das war der Grundton.
+
+»Wir sind und bleiben Soldaten!« rief einer. »Und ein Soldat ohne Waffen
+-- was ist das? Die Hunde heben das Bein dagegen auf!«
+
+Es ging ihnen nicht bloß an den Stolz, an die Ehre der Wehrhaftigkeit.
+An das Gefühl der Sicherheit griff es. »Jetzt können sie uns mit
+Knüppeln totschlagen.«
+
+Metzling, der Grundsätzliche, versuchte eine Rede. Der Zorn der andern
+wäre ja gerade durch die Maschinengewehre erregt worden. Sie empfanden
+es als Ungerechtigkeit, daß wir welche hatten und sie nicht --
+
+»Und als Gerechtigkeit hätten sie es dann empfunden, wenn sie sie
+gekriegt hätten und gingen uns damit zu Leibe!« Ein Einwurf, den das
+Lachen der meisten billigte und trug. Für die Minderheit aber, die
+theoretischen Schwärmer, wurde die Gerechtigkeit nun doch zum Kampfruf.
+Gleiche Waffen -- gleiche Waffenlosigkeit. Nur so kann der Bruderkrieg
+aufhören, nur so eine Möglichkeit der Verständigung und Eintracht.
+
+O Ihr weichen Seelen -- schalt Kunz dagegen -- o Ihr erweichten Hirne!
+
+Mit der Idee kam die Erhitzung in die Gemüter, es gab Streit und
+Zerklüftung. Zum erstenmal grub sich ein tieferer Riß durch die
+Siedlerschaft.
+
+Und wieder an Horst hängten sich die Augen. Er hatte finster dagesessen,
+wie abgekehrt, bewegungslos und ehern. Jetzt belebte er sich. Und nahm
+das Steuer in die Hand.
+
+»So geraten wir uns also selbst in die Haare. Wollt Ihr einander dies
+eine Euch klarmachen. Sie haben uns die Waffen genommen. Sie sagen, daß
+die nicht uns, daß die dem Staate gehören. Dem Staat -- wir wollen sie
+nicht fragen, wer das ist. Aber bleiben sie dem Staat? Liefert der sie
+nicht an unsere Feinde aus? Daran denkt! Und denkt daran, wie nicht bloß
+unsere Waffen, wie auch unsere Arbeit dem Feinde ausgeliefert wird.
+Alles, was wir schaffen, alle Werte, die wir erzeugen. Unser Haus --
+auch das bauen wir für die Feinde. Es wird kein deutsches, es wird ein
+französisches Haus. Wenn wir nicht einig sind! Wenn wir nicht einig und
+groß uns erheben! Daran denkt, nur daran! Alles -- alles hat dem zu
+dienen.«
+
+Es ist der alte Klang in seinem Wort, der alte Führergeist in seiner
+Rede Tat. Und seine Augen haben den Mut seiner Worte. Dem beugen sich
+alle, dem folgen sie alle. Und in Kunz glüht es: er hat die Höhe, er hat
+auch die Hand. Daß er den Willen behalte und die Kraft!
+
+Sie gehen an ihr Tagewerk. Wir fronen nicht! Wer unsere Gedanken hat,
+unseren Willen, unseren Mut, der arbeitet frei an freiem deutschen Werk,
+Deutschland zur Ehr, Deutschland zur Wehr!
+
+Wir weben am Schicksal des Vaterlands. Schicksal -- was ist Schicksal?
+Was wir schaffen ist Schicksal! So bändigen unsere Hände das Geschick,
+unsere Zuversicht, die Kraft unserer Sehnsucht, unseres begeisterten
+Willens schafft eine neue Wirklichkeit.
+
+Dieser Glaube, von Horst bezeugt, dem Führer, dem Propheten, lebte in
+ihrer Arbeit. Ihr Werk gedieh und stärkte sie durch sein Wachstum.
+
+Horst aber -- und Kunz wurde seines Mißtrauens nicht Herr -- blieb wie
+zugeriegelt und suchte die Einsamkeit.
+
+Der alte Hüne im Moor hatte sein Kind allein begraben. Niemand hatte die
+Stunde gewußt, niemand erfuhr die Stelle. Die Genossen hatten eine große
+Leichenfeier gewollt. Die Blutzeugin für die große Sache! Wie konnte die
+Straße ihrer entbehren! Sie kamen zu dem Alten und forderten. Er wies
+sie ab. Sie drohten, da jagte er sie zum Teufel.
+
+Und als sie zum drittenmal anrückten, mit Verfügungen der Behörde, da
+war es zu spät, da war die Tote nicht mehr über der Erde. Die Behörde
+hatte wichtigeres zu tun, als gegen den »alten Narren« gesetzlich
+vorzugehen. So behielt Lud Uhlenbrook recht, und das Moor behielt Lona,
+sein Kind.
+
+Fremd war der Alte für Horst geworden. Er und sein Moor. Da sie den
+letzten Abschied von Lona, von Lonas Bild ihm versagt hatten. Den
+Gräberkult hatte der Krieg ihm abgewöhnt, er brauchte auch hier keine
+Stätte des Gedenkens. Aber die Gesinnung des Alten, sein eifersüchtiger
+Haß -- er konnte das böse Auge des wilden Druiden nicht vergessen -- war
+nicht ein Feindseliges darin?
+
+Bald würde er ja dafür sein Lächeln haben, aber noch schwärte etwas.
+Vielleicht, weil er den Riesen so gut begriff, wie ein Verwandtes. Weil
+er sich sagte, ich hätte es auch getan -- hätte es auch tun mögen.
+
+Er trug nun mal die leere Stelle in sich, da Lona von ihm gegangen war.
+Weit voneinander standen die Pfeiler unseres Glaubens. Aber da sie
+wuchsen aneinander, aufstrebten gegen einander, wölbten sie sich nicht
+einander entgegen? Hätten sie nicht zu einem Kuppelbau helfen können für
+das eine große deutsche Wollen?
+
+Von mir zu Dir sollte die große Einheitslinie reichen. Gewiß, wärest Du
+nicht ein Weib gewesen, mir ein Wohlgefallen und eine Sehnsucht, meine
+Blicke hätten nicht immer und immer zu Dir den Weg genommen, unbeirrt,
+hinüber über all die Fluten, die zwischen uns und gegen uns brandeten.
+
+Zu Herrn Knubart hätten sich von mir nicht diese Fäden gesponnen.
+
+Nun, da Du hinsankst, ist die Brücke eingestürzt -- ob sie leicht war,
+von schönen Träumen gehalten, sie war doch, und fester wäre sie
+geworden, und einmal hätte sie getragen. Die Brücke ist zerstört und die
+Fluten branden weiter.
+
+Hat es Sinn, gegen sie anzukämpfen, sie einzudämmen, mit neuen Brücken
+sie zu überspannen? Der innere Feind! Steht er nicht als Verhängnis in
+den Sternen uns geschrieben? Unser unabwendbares Verderben?
+
+Das Tagewerk lag hinter ihm. Schwer und ehrlich hatten sie wieder
+gescharwerkt. Er ging an den jungen dem Ödland abgerungenen Feldern
+vorüber. Das Moorkorn, der Hafer, sproß, auch die Kartoffeln zeigten
+schon ihre kräftigen, bewußten, schwarzgrünen Schößlinge. Es lag wie ein
+Segen auf den Breiten, und er war nicht froh. Eine Kraft war nun einmal
+von ihm gegangen, ein Teil seines Lebens war verdorrt, und wieder warf
+das Verzagen ihn nieder.
+
+Was können wir noch, was wollen wir noch? Haben die Ängste, die Nöte,
+die Qualen, die Schauer des Krieges und die schlimmeren des Friedens
+nicht unser Wesen welk und blaß unser Blut gemacht? Wir haben nichts und
+können uns nichts geben, so viel und heftig wir bei uns anpochen! Sind
+wir nicht die bekannten Bettler, die an eigenen Türen betteln? Kann von
+uns der Erlöser kommen?
+
+Er wanderte nach Westen. Über den Himmel zog, da die Sonne sich neigte,
+der Perlmutterglanz eines brechenden Auges. Da vor ihm lag das Moor.
+Schatten schreckten über ihn hin, er kehrte sich um und ging zurück, den
+Goldbergen entgegen. Belastet schritt er und geduckt und blickte nicht
+auf.
+
+Was huscht da, zuckt und zupft an seinen gesenkten Wimpern? Ein
+Lichtschein von Osten, da es Abend wird?
+
+Augenflimmern eines überreizten Gehirns -- er hält es der Mühe nicht
+wert, die Lider zu heben. Aber das Licht pocht und klopft und fordert.
+Es ist, als wenn jemand das Sonnenlicht mit einer Spiegelscheibe
+auffängt und ihm schräg gegen den Sehnerv peitscht.
+
+Nun muß er mit dem Blick in die Höhe und da -- oben auf den Goldbergen
+-- hier sprudelt des Glanzes Quell -- eine Lichtgestalt -- ein
+Strahlendiadem zu Häupten -- ein weibliches Wesen -- ist es erdgeboren?
+
+Hoch und schlank und königlich -- nie hat auf Erden eine solche
+Haarkrone geleuchtet! Mit den Lichtern ihres Hauptes spielen die
+Sonnenstrahlen wie mit Schwestern.
+
+Verzaubert in dem Lichtkegel steht Horst. Jetzt bewegt sich die Gestalt
+schreitet herab, in den Schatten, die Sonne löst sich aus den Flechten,
+der Strahlenbann erlischt, Horst ist wieder im Menschenland.
+
+Er geht der hellen Frau entgegen, immer noch tastend, geblendet und
+unfrei. Sie aber ist die leuchtend junge Unbefangenheit und nimmt ihren
+Weg gradaus zu ihm.
+
+Da sie vor ihm steht, atmet er erleichtert auf -- all dies Überirdische
+und Vollkommene hat sich zu einer annehmbaren Wirklichkeit gewandelt.
+Beruhigende Mängel zeigen sich, das Gesicht hat gar nichts Erhabenes und
+Verklärtes, die Züge sind nicht einmal schön, nur herzerfrischend offen,
+und die stahlblauen Augen nicht groß, nicht tief, aber daseinsinnig, die
+alles, was sie sehen, als eigenes mehr oder weniger selbstverständliches
+Geschenk an sich nehmen. Die Nase erscheint breiter als sie ist, weil
+ein kleiner Sattel von Sommersprossen sie deckt. Die prachtvollen,
+weitläufig gestellten Zähne in dem vollen Mund schlürfen die Lebensluft
+wie einen köstlichen Trank.
+
+Ein daseinsfrohes, daseinsstarkes, freies, gerades Menschenkind wie
+andere auch -- nur das Haar, das wundervolle, in dem das Licht alle
+Goldfarben aufklingen läßt, von der Waberlohe des Braungold bis zu dem
+stillen schweren Glanz des reifenden Weizens bleibt in märchenhafter
+Höhe.
+
+Sie spricht, die Stimme ist hell, ein wenig hart für einen Mädchenmund.
+Das behutsame Schriftdeutsch, das zuerst etwas nach dem Fremdenführer
+schmeckt, hat nordischen Klang.
+
+»Verzeihen Sie mir, mein Herr. Sind Sie bekannt in dieser Gegend?«
+
+»O ja, wenn ich mich Ihnen zur Verfügung stellen darf.«
+
+»Ich bin nun einmal so abscheulich pedantisch -- ich muß von allen
+Sachen den Namen wissen -- besonders in geographischen Dingen -- meine
+Freundinnen sagen, daß ich recht eigentlich nach Deutschland gehöre.«
+
+»Wo alles so schrecklich pedantisch ist.«
+
+Sie errötet und bekommt ein liebes verlegenes kindliches Gesicht. »Ich
+wollte damit sagen, weil es das Land der Geographie ist. Der großen
+Geographen und der Atlanten. Ich will nichts Böses sagen gegen Ihr
+Deutschland. Jetzt am allerwenigsten. Ich habe Deutschland lieb. Mehr,
+als viele Deutsche es haben.«
+
+Nun fliegt Horst mit ganzem Herzen zu ihr. Ich habe Deutschland lieb!
+
+Sie gehen auf den höchsten der Hügel. Er hört von ihr, daß sie Schwedin
+sei, mit ihrem Vater unterwegs, der eine Studienreise mache.
+Kriegsgeschichtler sei er -- also ein Fachgenosse, denkt Horst. Im
+Archiv der Kreisstadt seien wichtige Dokumente aus der Schwedenzeit.
+Auch im Pfarrarchiv von Moordorf. Sie hätten hier ein kleines Landhaus
+an der See gemietet und wollten wochenlang bleiben. Dann führen sie in
+ihrer Jacht wieder nach Hause.
+
+Horst vergilt Offenheit mit Offenheit. Bald wissen sie voneinander wie
+alte Bekannte.
+
+»Ich möchte, daß Sie Vater kennen lernten«, sagt Ingeborg Thorild. »Er
+ist zu dem Herrn Pfarrer nach Moordorf gegangen. Ich soll ihm
+entgegenkommen. Wollen Sie mich begleiten?«
+
+Ob Horst das will! So geht er mit ihr den Weg zurück, den er gekommen
+ist in Düsternis. Jetzt ist Licht um ihn her, er kann aus seinem
+seelisch zerwühlten Gesicht in die Welt blicken wie ein glücklicher
+Knabe.
+
+Sie mit ihrer jungen unbekümmerten Wichtigkeit führt das Gespräch.
+Erzählt von ihrer Heimat, die sie leidenschaftlich liebt. Auf einem
+alten halb verfallenen Edelsitz in Södermanland wohne sie. Ihr Vater mit
+seinem Bruder, beide alte Offiziere, haben ihn billig gekauft. Nun werde
+er so nach und nach wieder aufgebaut. Bis heute seien die bewohnbaren
+Räume fast ganz von der Bücherei ihres Vaters eingenommen. Die
+Gutswirtschaft führe ihr Onkel. Aber der sei kränklich, und der Arbeit
+sei es zu viel für ihn.
+
+»Kennen Sie Schweden?«
+
+»Nein.«
+
+»Seltsam -- dieser Landstrich hier könnte auch bei uns sein. Die Heide,
+das Moor, die Findlingsblöcke. Nur haben wir mehr, und sie sind
+mächtiger. Und düsterer sind unsere Wälder.«
+
+Sie kommen an dem Moor vorüber, das all seine goldenen Blumen entzündet
+hat. Die Abendfeuer sprühen über sie hin.
+
+Ingeborg bleibt stehen. »Jetzt fängt wohl auch mein Moor zu blühen an.
+Als wir abfuhren, schlief es noch.« Es ist eine Zärtlichkeit in den
+Worten, und Horst, in dem ein Dunkles aufsteigt, fragt: »Sie haben zu
+Ihrem Moor ein besonderes Verhältnis?«
+
+»Ja, das hab ich. Es ist wie ein alter Freund. Niemand erzählt mir so
+schöne Geschichten.«
+
+Jetzt denkt Horst an die Frau, die hier im Moorgrund liegt. Die immer
+nur Schauer vor dem Moore erlebt hat. Wie sagte der Alte damals? Wer
+vorm Moore bangt, wird von ihm gelangt! An diese leuchtende, lachende
+Nordländerin rührt solches Grauen nicht. Wie gut habt Ihrs gehabt,
+weitab von Kriegsnot und Friedensleid, daran unsere deutschen Frauen
+vergehen.
+
+Ihr habt gut Lachen und Leuchten, Ihr Fremden -- ja, Ihr Fremden! Und
+eine Absage, ein Widerstand, fast eine Feindschaft erhebt sich in Horst
+gegen dieses vom Glück gepflegte Mädchen. Bei Lona sind seine Gedanken,
+der deutschen Frau, die das deutsche Schicksal zerschlug und zerbrach.
+
+Was gehst Du mich an, Du Fremde, in Deinem Glanz? Kalt ist er mir,
+kalter und ferner Nordlandschein.
+
+Und der alte Herr, der uns da entgegenkommt -- ja lauf ihm nur in die
+Arme! Was kümmert Ihr mich, Ihr beide!
+
+Dokumente »aus der Schwedenzeit« will er hier aufstöbern. Und sie sagt
+das mit ihrem strahlenden Gleichmut. Die Schwedenzeit! Wißt Ihr nicht,
+daß sie ein Brandmal ist und ein Schandmal! Für uns das eine, das andere
+für Euch. Wie habt Ihr die deutschen Lande gebrandschatzt, ihre Bewohner
+gefoltert, die deutschen Seelen gepeinigt und verheert. Was habt Ihr als
+Raubgut über die Ostsee verfrachtet! Das ausgeplünderte Deutschland,
+Eure Schlösser, Eure Geschlechter hat es reich gemacht.
+
+Und nun kommst Du, der Erforscher dieser verruchten und verfluchten Zeit
+-- fast so verrucht und verflucht wie die unsere! Kommst Du nicht mit
+einem Kopf daher, der wie geschnitten ist aus einem Bild jener zehnfach
+vermaledeiten Tage! Den Du noch barhaupt trägst, mit dem Hut in der
+Hand, ihn besonders zu bekräftigen!
+
+Das graue Haar hängt lang bis auf den breiten Klappkragen hinab -- warum
+ist es kein Spitzenkragen? Der paßte schon zu dem betonten Knebelbart!
+Und der Reiterobrist in Baners oder Torstensons Heerschar wäre fertig.
+Weht an dem grauen Schlapphut nicht die Straußenfeder?
+
+Will dieser Mann einen alten Schweden uns vormimen? Will er uns höhnen
+mit dem dreißigjährigen Krieg, will er -- was noch schlimmer wäre --
+unsere heutige höllenböse Zeit mit ihm trösten?
+
+Gewappnet tritt Horst dem Herrn entgegen. Aber, wie er ihm in die Augen
+sieht, machen die ihn wehrlos. Von so junger, fast jungenhafter
+Treuherzigkeit sind sie und von so inniger Kraft reifen Denkens und
+ehrlichen Glaubens. Hier ist nichts von Schaustellung, von Pose und
+Geste. Ganz natürlich ist das Gepräge des Gesichts hineingewachsen in
+die Zeit, in die seine Arbeit sich vertieft. Der vornehme Kopf eines
+ernsten Forschers neigt sich grüßend von der hohen, sehnigen Gestalt zu
+Horst herüber.
+
+Das gemeinsame Fachgebiet führt sie gleich enger zusammen. Mitteilsam,
+wie seine Tochter, erzählt Oberst Thorild, daß er hier den Spuren Bauers
+nachgehe, dessen Leben und Kriegskunst seine letzten Untersuchungen
+behandeln.
+
+Wie frei und froh sie sich aussprechen, diese glücklichen, unberührten,
+von Krieg und Not und Schmach nicht zu Tode geschundenen Menschen! Was
+hat das Elend, die Unehre, die Schande aus uns gemacht! Was sind wir
+karg und schweigsam geworden, mürrisch, mißtrauisch, verschlossen und
+verkrochen! Und mit Neid blickt er die beiden an, und wieder mit einem
+Zorn.
+
+Dann aber, als auch der Vater sein Bekenntnis für Deutschland ablegt,
+hebt sich sein Sinn wieder höher und flammt und schlägt dem Bekenner
+entgegen.
+
+Der alte Herr hält sich tapfer zurück. Nicht zu viel seines Mitgefühls
+gibt er mit einem Male her, um das Bejammernswerte nicht allzu
+schmerzlich hervorzukehren. Dafür muß erst noch ihre Freundschaft
+wachsen.
+
+Ermutigendes spricht er. In dem Siedlungswerk sieht er ein Heil.
+Auch bei ihnen in Schweden sei es not, neue Wohnungs- und
+Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und die Menschen bodenständig zu
+machen, zu erdfesten eigenen Herren. Er selbst sei in der
+Siedlungsbewegung tätig und habe eigenes Land hergegeben. Gern würde er
+sich einmal die Hohenmoorer Niederlassung ansehen. Dann bat er Horst,
+sie in ihrem nahen Landhause zu besuchen. Und Ingeborg fügte hinzu:
+»Nicht wahr, Sie kommen bald!«
+
+So klang in dem Lebensakkord von Horst ein neuer Ton auf. Die Freunde
+hoben den Kopf, als er heute abend heimkam. Kunz, dem Gisbert immer mehr
+entglitt, schnaufte fröhlich vor sich hin. Man gewöhnte sich schon
+daran, unter Schemen und Gespenstern hinzugleiten -- wollen wir jetzt
+wieder an unsere Blutwärme glauben, an unsere Muskeln?
+
+Und nun weiter zum Krieg gegen die Friedensnot! Freudig hart werde unser
+Sinn, hart wie unsere Hände!
+
+
+
+
+ Die Liebenden
+
+
+Gisbert war auf dem Wege nach Moorhof zu Frau Tilde. Er hatte heute
+wieder schwer gearbeitet, bei dem Neubau des Hauses. Seine Frauenhände
+waren voller Schwielen, aber sein Sinn wurde nicht hart, nicht so, wie
+Kunz es wollte.
+
+Auf Tildes Schultern lag die ganze Last zweier Gutswirtschaften. Mit dem
+Morgengrauen war sie auf den Beinen und des Abends rechtschaffen müde.
+Manch stille Stunde saßen die beiden Menschen zusammen und ruhten
+ineinander aus. Sie waren sich so nahe und vertraut, daß in ihrem
+Schweigen die tiefsten Harmonien klangen.
+
+Heute traf Gisbert eine Gutsnachbarin bei ihr, die umfangreichste Dame
+des Umkreises, seelisch angefüllt von Viehpreisen und Fragen der
+Milchwirtschaft. Zum Glück war sie im Begriff zu gehen.
+
+Als sie hinausgewuchtet war, sann Frau Tilde der Masse nach, schüttelte
+den Kopf und sprach still vor sich hin: »Das Goethewort: Materie nie
+ohne Geist!« Das war scherzhaft milde gemeint, und doch horchte Gisbert
+auf. Denn zum ersten Mal fand er so etwas wie Bitterkeit und Schärfe in
+Wort und Wesen der vergötterten Frau. Und seine Knabenaugen starrten
+ratlos auf die leise Unruhe, in der sie bebte.
+
+Immer nur hatte sein eigenes Glück ihm geschienen, immer hatte er in
+dessen Widerschein die Herrin gesehen. Immer war das Gefühl der
+Gemeinsamkeit über ihm -- was er selbst empfand, ließ er auch sie
+empfinden. Wollte der Dienende sein, und ließ nur sein Eigenleben
+leuchten. Hatte er je den feinen Schattierungen ihres Fühlens
+nachgespürt? Wieviel an Schicksal trug doch diese Frau.
+
+Und nun -- an einer leisen Regung bei ihr -- ward es ihm bewußt, wie
+sehr ihr Leben Mangel litt, und er mußte sich fragen: was habe ich, ich
+ihr zu geben? Was kann die Blässe meines Gedankentums ihr sein?
+
+Vor dieser Frage aber erschrak er tief. In seine junge Ahnungslosigkeit
+griff das Grauen: werde ich sie halten können, muß ich sie nicht
+verlieren? Sie halten? Wer war er! Hatte er ein Recht auf sie? Ihr
+Knecht war er, ihr treuer Fridolin, in Stücke ließ er sich für sie
+zerhauen. Und wenn der Geistesflug in gleiche Bahnen sie führte, blieb
+er nicht auch hier nur als Knappe ihr zur Seite?
+
+Unbarmherzig sah er das Leben, strich die Schwärmerei aus Augen und
+Sinnen und packte die harte Wirklichkeit an.
+
+Was ist das Los dieser reichsten, herrlichsten, innigsten der Frauen?
+Mit einem gemütskranken Mann muß sie das Leben teilen. Und lag nicht das
+Unglück auf all ihren Wegen? Sind nicht alle von ihr gegangen? Um die
+ihre Liebe sich schlang?
+
+Wo ist die Hand, die in ein neues Dasein sie reißt! Die kraftvolle
+Männerhand, die sie erlöst! Ins Glück sie erlöst! Nur so, nur so kann
+ihr Leben sich erfüllen! Und schonungslos betrachtete er sich selbst,
+wie wenig er selber hatte von kraftvoller Hand, von einem Erfüller und
+Vollender.
+
+Dann wieder regte es sich gläubig in seinem jungen Herzen. Bin ich nicht
+noch im Werden, im Wachsen! Und wie kann ich wachsen, gerade am Wesen
+dieser Frau! Und eben in diesem jungen Herzen sprühten jetzt die Funken:
+wie schön ist sie! Und die Flammen erschreckten ihn, er mußte sie
+zerdrücken und austilgen mit allen Kräften seiner Seele.
+
+Es war eine Rettung, daß Frau Tilde von ihrer fleischigen Nachbarin zu
+reden anfing. Die hätte, über ihre Buttermaschinen hinaus, ihr die
+Einladung zu einer spiritistischen Sitzung gebracht. Nun lachte Gisbert
+hell auf. Frau Tilde, aus den Höhen und Weihen ihrer spirituellen
+Einsamkeit, der allein sich das Übersinnliche auftun konnte,
+hineinversetzt in die beklagenswerte Runde tischrückender Sekten!
+
+Beklagenswert -- das war der Grundton in Tildes Betrachtung. Diese armen
+Menschen! Und dieser armen Menschen arme Geister! Die auf Tischbeinen
+einherspazieren und die übelsten Trivialitäten den verzückten Gläubigen
+in die offenen Münder fliegen lassen.
+
+Wer nicht den innersten Trieb hat mit seinen Geistern allein zu sein,
+wer ein Gesellschaftsspiel mit ihnen vollführt, wer sie sich erst durch
+die Hirne anderer, ob krankhaft ob nicht, hindurchfiltrieren lassen muß,
+wie unsagbar traurig sieht es in solchen Seelen aus!
+
+Mir allein gehören meine Geister, zu mir allein sprechen sie, nie werden
+sie die anderen vernehmen lassen, was uns verbindet. Nicht nur meine
+Träume, die nur meine sind, führen sie zu mir, nicht nur die Andacht
+meiner Nächte, auch die dürstende, »an der Sphäre saugende« Sehnsucht
+meiner wachen Stunden. Und sie kommen zu mir, im Waldesschatten, im
+Quellengemurmel, aus den Sonnenkreisen des Buchengrundes steigen sie
+auf, von den lichtumsäumten Wolkenbildern schweben sie zu mir nieder.
+Und sie sprechen zu mir, nur zu mir, denn nur ich verstehe ihre Sprache.
+Und ich weiß, daß sie sind -- so wahr ich bin und so wahr ich sein werde
+wie sie.
+
+Nun aber, nach diesem milden Bedauern, stieg ein ehrlicher Zorn auf.
+Mein Mitleid allen dumpfen Gehirnen, die nur im Dunst des Herdentums
+ihre Regungen haben! Duldung auch den gutgläubigen Priestern und
+Hohenpriestern dieses für mich armseligsten und schwachsinnigsten aller
+Kulte. Was aber soll man zu den Ausbeutern sagen, die sich hier eine
+Macht und eine Industrie aus geistig Bedürftigen bereiten! Gewiß, trübe
+Neurastheniker zum Teil, die sich suggerieren, sie glauben das, was sie
+die andern glauben machen wollen. Die vielen aber unsaubere Scharlatane
+von Beruf, die mit Bewußtsein die Seelen und Börsen in ihre schmierigen
+Erpresserhände nehmen und froh sind, sich ins Unkontrollierbare gerettet
+zu haben.
+
+So Frau Tilde. Nie hatte Gisbert solch harte Worte von ihr gehört. Waren
+es eigene Erlebnisse, die so steil und spitz sie aufrichteten? Und
+wieder, an ihrem Zorn wie vorhin an ihrer Bitterkeit, empfand er etwas
+von der Lücke, die durch ihr Leben ging.
+
+Er hatte, wenn er sie nicht bei der Arbeit sah, sie versenkt gefunden in
+ihre gläubige Güte, erhoben in ein abgeklärtes Schauen. Jetzt, wo die
+Erregung sie durchpulste und in ihren Augen Feuer zuckten, floß es heiß
+durch ihn selber hin und seine Sinne loderten. Wieder die singenden
+Flammen!
+
+Und wie er heimwärts schritt, sang das Feuer in ihm weiter. Und über ihm
+immer die eine Frage. Meine Herrin darbt und ist in Not. Sie friert in
+ihrer Höhe. Läutet nicht irdisches Sehnen auch in ihrem jungen Herzen?
+Was kann ich ihr sein? Was kann ich ihr geben?
+
+Dann wies er diese Frage, diese rohe Frage von sich. Die alles in das
+Elend der werbenden Sinne zog. Und er hob sich empor auf den Schwingen
+seiner alten selig reinen Liebesweise.
+
+Ich lebe in dem Gedanken, daß Du bist. Ich atme die Gewißheit Deiner
+Nähe. Meine Träume flüstern Deinen Namen -- beseelt ist mein Dasein von
+Deinem Wesen -- --
+
+Aber das Lied verklang im Entstehen, seine Melodien starben hin, seine
+Macht ging unter in dem Rauschen des Blutes.
+
+Und bei ihm blieb das große Grauen, wie schön sie war. --
+
+In Gisberts und Kunzens Verschlag flatterten diese Nacht flügelschwere
+Träume.
+
+Kunz hatte von der Jagdstreife mit seiner Vita ein blutunterlaufenes
+Auge nach Hause getragen.
+
+Dies eine war ihm gleich das erstemal aufgegangen: mit seinem Mädchen
+als Scharfschütz war es nichts und konnte es nichts werden. Schon auf
+dem Scheibenstand hatten Auge und Hand versagt. »Die Pappe ist nichts
+für mich!« war ihre Ausrede, und die grünen Augen gleißten, »jagdbares
+Wild muß ich vor dem Lauf haben!«
+
+Kunz nickte ihr zu, listig und anfeuernd. »Dann soll es aber auch gleich
+einen Massenmord geben! Wir wollen uns die Kaninchen beibiegen, die da
+oben in der Kiefernschonung wimmeln. Kommen Sie, Vita. Herrin über den
+Tod.«
+
+In ihrem Auge war Zorn. Scherzreden vertrug sie nicht, weil sie unsicher
+war.
+
+Durch Hochwald müssen sie, durch Eichen, Buchen, Edeltannen. Still
+schmiegt sich das Sonnenlicht um die unbewegten Wipfel. Da, ein
+Schaukeln in den Zweigen, ein Rauschen. Sie blicken auf. Vita sieht nur
+die geschnellten Äste. »Holen Sie sich den!« ruft Kunz. Sie weiß noch
+nicht, was er meint. Endlich, da sie seinem Finger folgt, gewahrt auch
+sie das Eichhörnchen.
+
+»Das soll ich schießen?«
+
+»Natürlich.«
+
+Sie nimmt die Büchsflinte an die Backe -- zielt -- schlägt an -- und
+fehlt. Schnalzend hüpft das Tier weiter. Hohn sind diese Zungenlaute.
+Die Jägerin stampft mit dem Fuß auf.
+
+So neugierig still hat der Nager gesessen. Besser hätte es ihr gar nicht
+werden können. Sie weiß es selbst, schielt nach Kunz, der sich nichts
+merken läßt, und gerade so reizt er ihre Wut. Und sie spricht
+Unbedachtes. »Es war ein Seelisches dabei.«
+
+»So.«
+
+»Ich hab die Eichkätzchen so gern.«
+
+»Versteh ich. Obschon sie die mordgierigsten aller Waldräuber sind.«
+
+»Gleichviel. Ich lieb sie. Und wenn es keine bestimmte Absicht war, daß
+ich vorbeischoß -- eine innere Stimme sprach mit.«
+
+»Nun, bei den Kaninchen wird keine innere Stimme mitsprechen.« Er sieht
+todernst aus, feierlich. Und Vita haßt ihn.
+
+Sie nähern sich dem Kiefernbestand, den sandigen Anhöhen. Da hoppeln
+schon ein paar von den »gottvergessenen Grauen« über die Schneise. Vom
+Wege her, der die Schonung umsäumt, leuchten die Goldtupfen der
+blühenden Ginstersträuche ihnen zu.
+
+»Da setzen wir uns hin«, sagt Kunz. »Dann haben wir eine ganze Kolonie
+dieses fidelen Gesindels vor uns.« Und sie kauern sich unter die
+Blütenpracht. Was ist Kunz das Jagen? Vita aber will töten. Und die
+Kreatur des Waldes läßt es an sich nicht fehlen.
+
+Eine unterirdische Stadt der wühlenden Kobolde liegt ihnen gegenüber.
+Bei dem sonnigen Wetter sind viele vor den Toren, äsen, springen,
+spielen, punktieren mit den weißen Schwanzlichtern fröhlich den
+Waldesdämmer. Kunz lädt das Gewehr. »Jetzt wollen wir also Verhängnis
+sein.«
+
+Diese dummen hohen Worte in der absichtlichen Tonlosigkeit -- weiß er
+nicht, wie sehr die sie stören, wie unsicher die sie machen! Ist das
+noch Freundschaft!
+
+Trotzig reißt sie die Flinte an sich, schießt -- und macht wieder, mit
+all den Schrotkörnern, nur Löcher in die Luft. Die Tiere hat die gute
+Mutter Erde eingeschluckt.
+
+Wie ein Lämmerschwanz schlägt ihr das kleine Herz. So heftig böse ist
+sie, zerbeißt sich die verschluckten Tränen im Munde und zischt sie von
+sich.
+
+Kunz aber, der verkehrt Trostreiche, spricht: »Das war nun erstmal die
+Warnung! So sind wir, denn blindes Schicksal sind wir nicht. Nun soll
+aber den Ersten, den Frechsten, der sich wieder zeigt, das verdiente Los
+treffen.«
+
+Wieder steckt er die Patrone in den Lauf. Sie lehnt in dem Ginstergold.
+Was da irisiert in ihren Augen -- ist nicht ein Schmerz dabei, eine
+Klage, ein Zagen, ein Bedürftiges, eine Demut? Aber hastig greift sie
+nach der geladenen Waffe, wie nach ihrem Recht, ihrer Rechtfertigung,
+ihrem Ausweis. Diesmal muß es gelingen!
+
+Sie liegen auf der Lauer. Noch sind die Viecher vergrämt. Hier und da
+lugen ein paar scheue runde Augen aus den Erdröhren.
+
+Da -- ein Neugierling hebt den Kopf zum Bau heraus -- dreht ihn und lugt
+-- hebt ihn weiter -- die Vorderfüße kommen nach -- nun steht der
+Bursche auf vier Beinen -- blickt sich noch einmal um und putzt sich
+dann sorglos die Nase.
+
+Ein Knall --
+
+Er bleibt sitzen, ganz erstaunte Frage. Macht seine Männchen zu Ende --
+Vita hört die Bestie kichern -- und flitzt dann erst wieder in sein
+Erdloch.
+
+Nun ist es mit der Jägerin aus und vorbei. Sie hat sich ins Gras
+geworfen, drückt das Gesicht in die Halme, und nur die trommelnden Beine
+führen eine beredte Sprache ihrer Herzensnot.
+
+Hier ist jetzt der redliche Trost am Platz. Kunz redet ihr zu. »Liebe
+kleine Vita -- das Schießen fordert nun einmal eine gewisse plumpe
+Begabung -- wie das Bauchreden und das Mitdenohrenwackeln. Wer dies
+nicht kann oder das nicht kann -- braucht der sich der Verzweiflung zu
+ergeben?«
+
+Und nun erzählt er und lügt er ihr vor aus dem Schatz seiner Unbildung.
+»Wissen Sie, daß Lykurgos, der große spartanische Kriegsheld, dem Titus
+Livius zufolge im Bogenschießen als Junge das Mitleid aller seiner
+Mitschüler in der Arena erregte? Karl der Große war auf der Jagd ein
+höchst mäßiger Speerwerfer, während Karl der Dicke nie ein Wild fehlte.
+Wenn Prinz Eugen eine Reiterpistole zur Hand nahm, duckte sich nicht
+bloß seine Umgebung, meilenweit in der Runde alle österreichischen
+Regimenter duckten sich. Und der alte Zieten kniff beim Zielen immer das
+verkehrte Auge zu.« Aber viel hilft das alles nicht, Vita bleibt
+verstockt in ihrem Schmerz, fühlt sich immer mehr gekränkt, je mehr er
+sie tröstet, und schließlich durch ihn gekränkt, den Tröster, der auch
+ihr Lehrmeister gewesen. Ein schöner Lehrmeister! An ihm liegt die
+Schuld!
+
+Und alles, was so in dem Köpfchen herumtanzt an Wirbel und Wolken, das
+schlägt sich dann nieder. Sie starrt in die Weite, sucht irgendeine
+Zuflucht, sehnsüchtig vertieft sich das Grün der Augen zu tiefstem
+Smaragd, und Perlen leuchten auf seinem Grunde, richtige Tränen.
+
+Dies ist die Stunde, von Schönheit gesegnet, die letzte ihrer lieben
+lächerlichen Kinderschmerzen -- jetzt wird in ihr das Magedin geboren!
+Von jetzt an wird sie mein Mädchen sein.
+
+Und Kunz zieht sich näher zu ihr hinan. Seine Hand nimmt innig ihre
+spitze Knabenschulter. Steil setzt sie sich hin, zur Abwehr und Gewähr.
+Kunz aber fackelt jetzt nicht lange. Ihren Nacken umschlingt er, ihren
+Kopf, ihre Lippen beugt er sich zu.
+
+Da aber -- ein Schreck, glückhaft und furchtbar in seiner Seligkeit --
+und dann ist alles phosphoreszierende Wildheit und fauchendes Ungestüm.
+Sie greift das Gewehr mit beiden Händen, hält es breit ihm entgegen,
+Schlagbaum, trennende Grenze soll es sein -- er achtet den
+Trennungsstrich nicht und dringt siegreich lachend auf sie ein -- da
+stößt sie blindlings den schweren Stab zwischen den beiden Fäusten ihm
+entgegen, hart trifft das Schloß das Stirnbein über dem Auge -- die
+Funken sprühen ihm -- unwillkürlich zuckt er zurück -- da springt sie
+auf und rennt von ihm -- kehrt halbwegs wieder um, zu sehen, was sie ihm
+getan -- und will ihm helfen und kann es nicht -- und stürzt in hohen
+Sprüngen waldeinwärts.
+
+Und Kunz -- Kunz ist vor den Kopf geschlagen. Dann verfällt er in
+schweres Sinnen. Ich dachte, es wäre soweit. Und nun war es zu früh. Und
+was ich jetzt angerichtet habe! War ich ein Unhold gegen pastorale
+Sitten? Er faßt sich an den Kopf.
+
+ O du Penthesilea
+ Mein Aug tut immer weha.
+
+Wie hab ich von holdseligem Liebesleben geträumt! Aber für ein
+Liebesleben mit Dir muß man erst einen Kursus bei Achim, dem
+Knochenkrachim, nehmen.
+
+Was wird nun werden? »Mädchenseelen sind von Kristall!« Er hört es in
+der Trompetenstimme seiner nunmehr antiker Form sich nähernden
+jungfräulichen Tante Olga, die es ganz gewiß wissen mußte. Hat er hier
+etwas zerschlagen und zersplittert?
+
+Was wird nun werden? Und der nackenfeste Kunz schleicht doch jetzt etwas
+geduckt nach Hause.
+
+O Kater Kunz, was hat Dein Kätzchen Dich gestriegelt! Und seine Träume
+sind voll Krallen.
+
+
+
+
+ Das Haus
+
+
+Weidlich gezaust und gekraust wachte er am andern Morgen auf und war
+ganz in der Verfassung, mit Dankwart, dem Skeptiker, in den kommenden
+Tag sich hineinzugrimmen.
+
+Dessen Gedanken waren wie ihrer aller bei dem Haus, das kräftig und frei
+und stolz in die Höhe ging, aber er hatte seine bösen Beklemmungen, die
+er los werden mußte. Stoßweise kam es hervor. »Das Haus -- wird man
+seiner recht froh? Wenn auch alle ihre frömmsten und kugelrundesten
+Augen dazu machen.«
+
+»Das laß sie.« Kunz blies in dasselbe Horn. »Immer gefühlvoll -- wie
+können wir auch anders! Es gibt eine Franzosenkrankheit, und es gibt
+eine deutsche Krankheit -- und unsere ist die Sentimentalität. Das Haus
+-- die holde Stätte des Friedens. Und das eine ist selbstverständlich:
+jetzt kommt das Vielliebe auch über uns, sie, die ganze soziale Wonne.«
+
+»Mit der Frage, wer dieses Haus beziehen soll.«
+
+»Die eigentlich keine Frage ist.«
+
+»Du meinst, Horst gehört da hinein.«
+
+»Natürlich. Und Du mit Deiner Werkstatt. Und das Bureau.«
+
+»Das meinst Du. Aber die andern meinen auch. Und sie meinen anders. Wird
+unser heiliger Zimmermann nicht predigen?«
+
+»Natürlich wird er das. >Die Ersten sollen die Letzten sein!< wird er
+predigen. Wobei man sich immer fragt: wie lange, nachdem nun die Letzten
+die Ersten geworden sind! Und unser praktischer Maurer wird daraus die
+ihm genehme Forderung ziehen. Und mein Liebling, der Metzling, grinst
+als Abgesang seine sozialwissenschaftlichen Theorien herunter -- hol der
+Deixer den Feixer! Aber, Du lieber Gott -- was wollen die! Horst hat ja
+doch schließlich alles in der Hand.«
+
+»Ja. Wenn er die Hand noch hätte! Überall und auch hier kommt erst mal
+das Geistige -- früher hätte er so gesprochen!«
+
+»Das wird er ihnen auch heute sagen. Und das wollen sie ja hören. Sie
+sehnen sich danach, gerade die am meisten, die ihre armselige Materie
+herauskehren. Führerschaft ist, was sie wollen! Was sie brauchen!«
+
+»Bloß Horst -- will er denn noch seine eigene Führerschaft?«
+
+»Wie kannst Du das sagen! Er hat sich doch längst wieder beisammen.«
+
+»Nein, Kunz, das hat er eben nicht. Und das kriegt er auch nicht. Und
+darum kriegt er auch uns hier nicht mehr zusammen. Du wirst es ja sehen.
+Und nun laß mich. Ich hab die eine Schraube noch nicht.«
+
+Er arbeitete an einem Flugzeugmodell mit ganz neuem Propeller-System und
+zog sinnend über die Heide. Und Kunz blieb allein. Nie waren seine
+Gedanken so schwer über Liebe und Leben. Aber stecken blieb er nicht in
+dem zähen Brei. Es gab etwas zu tun. Über Horst zu reden, das lag ihm
+weniger. Mit Horst wollte er sprechen, frei von der Leber.
+
+Horst saß in dem engen Verschlag, der sich Bureau nannte, über den
+Rechnungsbüchern.
+
+»Nun, wie stehen die Papiere?« fragte Kunz.
+
+»Kümmerlich.«
+
+»Wie können sie hier anders als kümmern. Zum Rechnen gehört auch ein
+genius loci. Hier aber ist mehr locus als genius. Im neuen Haus wirst Du
+den angemessenen Raum haben.«
+
+»Ich -- im neuen Haus? Und einen Bureauraum! Die Stimmung ist anders.«
+Er sagte es dumpf und unfroh.
+
+»Stimmung -- was Stimmung! Stimmung wird gemacht und Du wirst sie
+machen!«
+
+Horst sah ihn an mit großen Augen. Sie waren nicht ganz bei der Sache.
+Ihr Ausdruck war müde. Dann sprach er still und fest: »Gerade hier will
+ich nicht eingreifen. Es geht Dir um Selbstverständliches -- mir im
+Grunde auch. Aber eben deshalb lasse ich die Sache an mich herankommen.
+Ein Führer braucht etwas, was ihn trägt.«
+
+Weiter war er nicht zu sprechen, der Rechnungsabschluß drängte. Kunz
+aber fragte sich: ist das ein Wort, ein Manneswort? Ist es einer Ausrede
+ähnlich? Wie schlimm, daß solches Mißtrauen an einem schmarutzt! Aber --
+hat Dankwart nicht recht und bleibt es nicht dabei, daß Horst nicht mehr
+der Alte ist? --
+
+Sitzung der Siedler. In vierzehn Tagen etwa steht das Richtfest des
+Hauses bevor. Sie wollen sich heute schlüssig werden, wer es beziehen
+soll. Für zwei Familien ist es berechnet. Darum ist auch Familie das
+Merkwort für die Geister.
+
+Horst nimmt vorher die Freunde beiseite. »Wir wollen die Leute ruhig
+sich ausdenken und ausreden lassen.«
+
+Kunz erhebt Einwand. »Ausreden, Du lieber Gott! Soll hier jeder wieder
+seinen Ochsenmaulsalat bereiten! Gut -- wir sind hier an
+Mehrheitsbeschlüsse gebunden. Wir sind in der Politik. In der Politik
+aber gilt die Agitation und nichts Dümmeres gibt es hier als die spröde
+Vornehmheit.«
+
+Doch der Wunsch von Horst bleibt bestehen. Soviel Kunz auch schilt: nun
+horstet er wieder in seiner Erhabenheit. Und es kommt im wesentlichen,
+wie Dankwart es angekündigt hat.
+
+Horst spricht die einleitenden Worte: es sei davon die Rede gewesen, zu
+losen. Aber dies blöde, blinde Ungefähr sei ihrer nicht würdig. Wählen
+wollten sie. Er bitte um Vorschläge.
+
+Maurer Mulitz ist treulich zur Stelle. Sie hätten sich das durch den
+Kopf gehen lassen. Zwei Kameraden wären so gut wie Familienhäupter.
+Zuerst Lüders, der mit einer Witfrau, Mutter von zwei Kindern, verlobt
+wäre. Und dann Hofmann, dessen Braut ein Kind erwarte. Beides Kameraden,
+gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Sie, so wäre die Meinung,
+hätten die erste Anwartschaft auf das neue Siedlerhaus.
+
+Ist die Begründung für alle zwingend? Aber Meinung ist jedenfalls
+Meinung. Und Klassensinn bleibt Klassensinn.
+
+Gegenvorschläge tragen ihr Mal an der Stirn. Und Kunz, der sie macht,
+befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er zornig ist. »Ich habe
+ja gewiß nichts gegen Lüders und Hoffmann einzuwenden. Auch für Bräute
+und Witwen mit und ohne Kinder habe ich eine fühlende Brust. Aber bei
+jedem Werk ist nun mal die Leitung die Hauptsache, und der Kopf muß
+besser und höher liegen als die Beine. Darum und um dessentwillen: unser
+erstes Haus gehört zuerst einmal dem Gründer und Führer unserer
+Siedlerschaft für seine Arbeit an unserem Werk. Da er nicht alle Räume
+für sich braucht, mag er sich seinen oder seine Hausgenossen aussuchen!«
+
+In den Worten, deren Ton mühselig die Grenze wahrt, schnaubt seine
+Erregung. Und die ist es, die Widerhall und Widerstand erweckt. Die
+Meinung steift sich gegen ihn, in dem sattsam gehegten und gepflegten
+Zeichen des Sozialen. Und der schlaue Metzling weiß wohl, was er
+spricht: »Wir möchten, daß Herr Oldefeld sich selbst hierzu äußert. Wenn
+es sein ausdrücklicher Wunsch ist --« Die Pause ist inhaltschwer.
+
+Darauf Horst sehr gehalten: »Ich soll hier einen Wunsch aussprechen, der
+von mir ausgesprochen kein Wunsch mehr ist.«
+
+Kunz schlägt sich aufs Knie und blickt zuckend zu Dankwart hinüber. Nun
+hat er sich von dem Feixer auf den Leim locken lassen und spricht
+Feinheiten. Und noch schlimmer, empfindet sie. Die andern aber haben es
+nicht nötig, sie zu verstehen. Wenn sie überhaupt Sinn dafür haben. Um
+so bereitwilliger fliegt ihr Verständnis den letzten Worten von Horst
+entgegen: »Im übrigen bin ich dadurch, daß ich an der Spitze stehe,
+bevorzugt genug. Und dieser Vorzug nimmt gern die kleinen
+Unbequemlichkeiten in Kauf. Außerdem sollen bei uns ganz gewiß auch die
+Rangverhältnisse des Bedarfes und der Bedürftigkeit gelten. Die beiden
+Kameraden brauchen zuerst ein Nest -- sie sollen es haben.«
+
+In den Worten, die immer bestimmter wurden, fehlte etwas von dem alten
+Herzenston, der sonst die Gemüter zwang. Aber die Wirkung blieb nicht
+aus, die Augen leuchteten ihm zu.
+
+Dankwarts harte Dürftigkeit grollte: Ist er jetzt wie einer, der bei der
+Masse sich schustern will! Immer schwerer, aus ihm klug zu werden!
+
+Gisbert, treu bei der Sache, sobald er seine Gedanken in die Erdenbahn
+gezwungen, stand lebhaft auf und drückte Horst die Hand. Kunz aber
+stöhnte laut auf zu diesem lebenden Bild, zu solcher politischen Gruppe.
+Nun ist er bei der Lotosblume angelangt, jetzt wird er mit dem
+Hinduknaben sich weiter zerpflücken und zerfasern. Sein Grimm, der
+Scheltworte brauchte, benannte die beiden vor Dankwart »die
+Indiafaserkompagnie«, und der quittierte mit gezerrtem Lachen. Und Kunz
+klagte sich aus: so bleibt also wieder mal die Empfindsamkeit Trumpf,
+und wie ist sie uns so not, so bitter not, die gesunde Rohheit unserer
+Urnatur!
+
+Die beiden, Horst und Gisbert, gingen in den Abend hinein. Mit ganzer
+Zärtlichkeit umfing Horst den jungen Freund. Er fand in dessen Augen,
+die sonst so gläubig sich verklärten, die Tiefen einer dunklen Angst. Er
+ahnte wohl, was ihn so quälte und umtrieb. Aber war dies nicht zarter
+und feiner, als daß hieran selbst Gedanken rühren durften!
+
+Sie wanderten still. Horst war auf dem Wege zu dem Landhaus der
+Schweden, wo er den Abend verbringen sollte. Er dachte nicht anders, als
+daß Gisberts Ziel das Moorhofer Herrenhaus sei. Aber wie ihre Wege sich
+trennten, ging er die Höhen hinauf, nach den Dünen zu, an die See.
+
+Sie alle badeten am Tage, meist in der Morgenfrühe. Er war der einzige,
+der den Abend dazu wählte. Wie alles bei ihm Naturandacht war, so auch
+sein Schwimmen.
+
+Hineintauchen in die Dunkelheit, mit dem weißen Leib die schwarze Flut
+beseelen, der Lichtbahn eines Sterns sich hingeben, dem Staub der Erde
+entfliehen, aufgehen in das schweigende, sternenhohe, gütig verhüllte,
+gnädig sich entschleiernde selige All -- das war seines Schwimmens
+heilige Lust.
+
+Er hatte wie keiner die Kunst, sich auf die Flut zu legen, sich von ihr
+tragen zu lassen, ohne daß er ein Glied rührte, auszuruhen auf ihr in
+Schlaf und Traum. Wie eine Mutter hielt ihn das Meer in den Armen.
+
+Noch war es ihm zu früh für sein Bad. Auf einem der Hügel ließ er sich
+nieder, hier sah Horst ihn sitzen, die Hände verschränkt um die Knie,
+und mit zurückgebeugtem Antlitz in den Abendstern, den der Osten
+emportrug, sich hineinheben.
+
+Der Abendstern, der Morgenstern, der Liebesstern -- aller Zeiten der
+Stern bist Du!
+
+Und Du, Gisbert, flüchtest Du Dich nicht bewußt aus der Sinnenwelt in
+diesen Sternenglanz?
+
+Lange noch sah Horst die Silhouette gegen den Abendhimmel -- die feine
+überschlanke Gestalt, diese zarten in die Dämmerung gestrichelten, mit
+der Dämmerung sich lösenden Linien, die schon nichts Körperliches mehr
+hatten.
+
+Und Horst stockte der Fuß auf seinem Weg. Da geh ich nun zu den Fremden
+-- und Gisbert, mein lieber Junge, schwindet uns hier unter den Händen.
+Muß ich -- ich vor den andern ihn nicht halten und hegen!
+
+Wär nicht diese Scheu um ihn, diese sprödeste Wehr, und in ihm dies
+Rührmichnichtan, das vor jedem Wort versteinert, das schon vor einem
+Ahnen des andern zusammenschauert. Was hat es zu leiden, das deutsche
+Blut!
+
+Wie kann er dem Freunde helfen, da er nur erschrecken und wehtun würde.
+Und ist in ihm selbst nicht diese Scheu? Dieses Heiligtum der
+Schweigsamkeit, das niemand betreten darf?
+
+Jetzt führt ihn sein Weg zu den Fremden, denen aufs neue er widerstrebt.
+Was will er bei ihnen, was soll er bei ihnen? Blutsverwandte ja -- aber
+wie weit blieben sie vom Schuß! Diese lieben germanischen Neutralen! Wie
+haben sie sich gepflegt, da die Not uns verzehrte, wie wohl lassen sie
+es jetzt sich sein, da Elend und Schande uns zerfressen. Was soll ich
+bei diesen Menschen mit den wohlig satten Muskeln und den gut genährten
+Gehirnen?
+
+
+
+
+ Freunde in der Not
+
+
+In Freundschaft aber löste dieser Abend allen Unmut und Unwillen.
+
+Eine Flut von Licht empfing ihn, in dem einfachen hellen Landhaus mit
+seinen strahlenden Birkenmöbeln. Alle Lampen brannten, auch die in den
+unbenutzten Räumen. Das liebte Herr Thorild so. Wieder bei Horst so
+etwas wie Zorn: nun ja, sie haben es und können es, denn sie haben die
+Valuta.
+
+Aber auch in diesen Menschen brannte alles Licht ihrer Herzlichkeit. Und
+sein Mißtrauen, das dagegen aufflackerte, als ob hier zuviel Güte und
+Mitleid wäre, war bald im Erlöschen.
+
+Wie gut sprachen sie von Deutschland, wie gut verstanden sie deutsche
+Art, das deutsche Leid, die deutsche Schuld, das bresthafte deutsche
+Dasein.
+
+Mehr als einmal schüttelte Oberst Thorild schwer den Kopf. »Daß Ihr aus
+der Parteizerrissenheit nicht herauskommt, nicht aus Eurer
+Selbstzerfleischung! Die Fremden peitschen Euch in Wut -- und Ihr geht
+Euch selber an die Gurgel. Nicht leicht ist es, Euch zu begreifen. Kein
+Land hat soviel Herz und Hirn -- kein Land, dank seiner Parteipolitik,
+so viel herzlose Rechner und hirnwütige Verbrecher.«
+
+Horst nickte dazu mit düsteren Augen.
+
+»Euer großer Physiker hat mit dem von ihm gefundenen Gesetz das deutsche
+Wesen auf die rechte Formel gebracht: innere Wärme entlädt sich in
+äußere Bewegung. Vielleicht ist es Euer Fluch, daß Ihr zu viel innere
+Wärme habt, daß die sich in zu viel äußere Bewegung umsetzt, die Euch so
+heillos in Fetzen zerreißt. Das Stillhalten freilich ist nie unsere, der
+Germanen Sache gewesen. Im Draufgehen waren wir groß und im Dulden klein
+-- schon Tacitus hat es uns bezeugt.«
+
+In diesem »uns« war ein Bekenntnis.
+
+Und dann schloß er diese Gedankenreihe: »Im Ertragen von Leiden sind
+Euch die Serben, die Franzosen und andere Völkerschaften nun schon
+überlegen. Die Franzosen zumal, das femininste aller Mischvölker, das in
+den Wehen sich schon eher zu Hause fühlt. So feminin sind Eure lieben
+Nachbarn, daß sie es nicht einmal fertiggebracht haben, für >Mann< ein
+Wort zu besitzen. Wo sie es nicht gut entbehren können, begnügen sie
+sich stolz wie immer mit dem nichtssagenden, bedeutungslosen >Mensch<!«
+
+So sprach Ivar Thorild, der Schwede. Und der Deutsche Horst Oldefeld
+fühlte sich nicht veranlaßt, ihm zu widersprechen. So wenig, wie das
+alte Lied von Hysterie und weibischer Grausamkeit nun noch besonders
+anzustimmen.
+
+»Daß Ihr jetzt, in der furchtbarsten Not, nicht zur Einigkeit gelangen
+könnt!« hob der schwedische Oberst wieder an. »Wir sind auch hier mitten
+in einer Schuldfrage. Denn es gibt auch eine Schuld nach dem Kriege. Und
+bürdet sie nicht dem Feindesbund auf, der Euch vergewaltigt! Hättet Ihr
+den Bund im eigenen Land, brauchtet Ihr Euch nicht knechten zu lassen.
+All die Schändungen und Verbrechen -- »Sanktionen« heißt der erhabene
+Name dafür -- ich sage nur Rheinland, Saargebiet, Oberschlesien -- die
+große heilige Zornwelle eines gewaltig sich erhebenden einigen Volkes
+hätte diesen Frevel hinweggespült! Aber, Ihr habt was Besseres zu tun,
+Ihr müßt Euch untereinander begeifern, abwürgen und zu Boden schlagen.«
+
+Wahrheit, alte, immer neue, nicht oft genug zu predigende Wahrheit!
+
+»Und jetzt die andere, die viel berufene Schuldfrage. Die bekannte große
+Schuldlüge. Hier beschränke ich mich nun nicht auf völkerpsychologische
+Glossen. Hier kann ich mit freundschaftlich praktischer Arbeit
+aufwarten. Ich bin nicht ganz unbeteiligt an der neutralen
+unparteiischen Kommission zur Untersuchung der Kriegsursachen. Sie hat
+demnächst an Herrn Poincaree einige Fragen zu richten, auf deren
+Beantwortung oder -- Nichtbeantwortung wir gespannt sind. Daß die
+deutsche Regierung nicht blankzieht, daß sie immer nur den Fälschern im
+eigenen Lager das Wort läßt, das ist wieder etwas, was wir nun und
+nimmer begreifen! Vielleicht ist dies das Unbegreiflichste von allem!
+Herrgott« -- und nun spricht der ehrliche Zorn des Blutsverwandten, den
+gemeinsame Sache bewegt -- »wollt Ihr denn das gemeinste und verlogenste
+Unrecht von der Welt stillschweigend dulden! Die Ihr überhaupt nicht zum
+Dulden erschaffen seid. Nicht dulden könnt! Und nicht dulden werdet!
+Unrecht am letzten! So bodenlos verlogenes Unrecht am letzten!«
+
+In diesen Worten brauste ein Kampf- und Kriegsruf. Horst stimmte ein mit
+schmerzlich, freudig zuckendem Herzen. Von außen muß uns solches
+verkündet werden. Nicht bloß Feinde hat Deutschland auf Erden! Und noch
+mehr Freunde würden wir haben, wenn wir selbst noch mehr unsere Freunde
+wären, unsere starken, gläubigen, wagemutigen Freunde!
+
+Und weiter Herr Thorild: »Was laufen auf unserem Planeten für Geister
+zweibeinig herum! Daß sie die hirnverbrannteste aller Faseleien sich
+aufbinden lassen! Deutschland hat den Krieg vorbereitet. Nicht die
+anderen Großmächte der Erde haben Deutschland eingekreist, nein,
+Deutschland hat die Welt eingekreist -- Deutschland hat eingekreist! Ist
+es nicht zum Radschlagen! Aber grandios einfach die Genialität der
+politischen Scharlatane, die mit diesem beispiellosen schlechthin
+blödsinnigen Schwindel Geschichte -- und ihre Geschäfte machen. Derselbe
+unsägliche Schwindel, mit dem die edlen Franzosen jetzt nach dem Kriege
+vor sich und der Welt als die Sieger, als die Sieger schlechthin
+paradieren. Dieselbe Nation, die Ihr in ehrlichem Kampfe Volk gegen Volk
+derartig zusammengedroschen hättet, daß nichts von ihr übriggeblieben
+wäre -- nachdem sie in diesem schmachvollen Würgekrieg mit all den
+andern Mächten als Spießgesellen Euch durch das Massengewicht
+naturnotwendig erdrückt hat, o Glorie ohne Ende! -- diese Nation
+entblödet sich nicht, als die Siegerin sich in die Brust zu werfen! Da
+die andern soviel Schamgefühl besitzen, dieses Sieges sich nicht eben zu
+rühmen, darf sie allein das Maul vollnehmen von victoire und gloire! Daß
+selbst ihre Verbündeten für solche -- Bescheidenheit nur noch ein
+Lächeln haben.«
+
+Auf all die schmerzlichen Erschütterungen, die durch Horst hinbebten,
+legte Ingeborg warm den vollen Glanz ihrer jungen lebensinnigen Augen.
+Welche Heilkraft strömte von diesem blonden, leuchtenden Mädchentum aus.
+Wie Genesung fühlte Horst es durch die wunden Nerven, durch die kranke
+Seele rinnen. Was sagt Kunz, der Lebenskundige? Gesundheit steckt an.
+Wann war Horst das Blut in so vollen, reichen, kräftigen, frisch
+brausenden Wogen durch die Adern geflutet!
+
+Die Männer sprachen dann über ihre kriegsgeschichtlichen Forschungen.
+»Mein Material häuft sich bergehoch,« klagte Herr Thorild, »und ich
+werde mit meiner Arbeit nicht fertig. Einen Kompagnon brauche ich. Ich
+komme nicht einmal dazu, meine Bücherei zu ordnen --«
+
+Hier rutschte Ingeborg auf ihrem Stuhl und machte ein längliches,
+wundervoll schelmisch gescholtenes Gesicht.
+
+»Denn mehr als je hat mich, sobald es Frühling wurde, mein Famulus im
+Stich gelassen.«
+
+»Vater -- nach dem langen Winter!«
+
+»Dem Winter -- mit seinen Eissegelfahrten und seinem
+Schlittschuhlaufen!« lächelnd nahm der Vater ihr Kinn.
+
+Horst sah sie in der farbenjauchzenden dalekarnischen Landestracht mit
+fliegenden Zöpfen über das Eis ihre Bogen schlagen! Welch ein Bild.
+
+Er selbst war ein leidenschaftlicher und kunstvoller Eisläufer. Wieviel
+blanke blitzende Kindheits- und Jugenderinnerungen zuckten durch ihn
+hin. Wie fröhlich jung er wieder war! Was hatte er diesen beiden
+Menschen zu danken!
+
+Und jetzt schlug der Oberst schlankweg auf den Tisch. »Wie wär es, Herr
+Oldefeld, wenn Sie hier einmal Atem holten. Wenn Sie sich einmal unser
+Land ansähen, Ihrer Urväter Heimat. Und mein kleines Landgut, mein Haus,
+meine Bücherei. Sie sollen auch kein müßiger Zuschauer sein. Ja, als
+Lehrmeister brauche ich Sie! Ich sagte Ihnen, daß wir auch siedeln
+wollen. Die Gedanken, die Sie mir entwickelt haben, und an denen Sie
+hier arbeiten -- vorzüglich! Ich brauche Sie, Herr Oldefeld! Und wäre
+Ihnen herzlich dankbar für Ihre Hilfe. Und Sie würden vielleicht neue
+Kraft sammeln für Ihren schweren Dienst -- an ihrem Lande.«
+
+Jetzt fiel auch Ingeborg ein, und wie klang ihrer Worte Melodie! »Sie
+fahren mit uns, nicht wahr? Sie kommen in unsere schönste Zeit. Das
+Summen unter unseren Sommerlinden sollen Sie erleben. Lindheim heißt
+unser Gut. Nirgendwo auf der Welt gibt es solche Linden. Nur noch in der
+Heldensage findet man ihresgleichen.«
+
+Horst konnte nur leise, mit hochatmender Brust den Kopf schütteln zu so
+herzbetörender Lockung. »Es soll ja noch heute nicht sein«, sagte er
+tonlos, gehalten zwischen Wehmut und Sehnsucht, sich selbst zu leisem
+Trost.
+
+»In vierzehn Tagen bin ich hier fertig«, erklärte der Oberst.
+
+»Nun inzwischen werden wir uns ja hoffentlich noch öfter sehen!« Horst
+bat die beiden, doch einmal die Siedlung zu besuchen. Ob Sie nicht am
+Sonntag kommen möchten? Dann wären auch seine jungen Freunde aus der
+Stadt da. Kriegsspiele würde es geben. Die Schlacht bei Großgörschen
+wäre an der Reihe.
+
+»Ei der Tausend! Da kommen wir natürlich mit doppelter Freude.« --
+
+Am Sonntag, da die Schüler nach Hohenmoor hinauszogen, trug nicht die
+alte Freude ihre Schritte. Ihre Mienen und ihre Lieder waren voll Trotz.
+
+Dr. Georg Stumps ehrliche Bulldoggenaugen waren blutunterlaufen, so
+hatte er sich gebost. Auf den Stachelspitzen seiner Haare tanzten
+Elmsfeuer. Das Provinzialschulkollegium hatte eine Verfügung erlassen
+und dem gesinnungstüchtigen Direx des Gymnasiums die entschlossene
+Direktive gegeben. Alle militärischen oder »den militärischen ähnlichen«
+Übungen der Schüler waren streng verboten. Aber immerhin, Singen und
+Turnen durften sie noch -- wie lange freilich, das weiß kein Mensch! Und
+so mußte es draußen, am Fuße der Goldberge, vorläufig bei Turnspielen
+bleiben.
+
+Auch Horst ballt zu dem Ukas die Fäuste. Welch eine Beschämung vor den
+schwedischen Gästen! In diesem Sklavenland -- wie soll man das Leben
+weiter und auf die Dauer ertragen!
+
+Mit einigen der Jungen, die technische Neigungen haben, ist Dankwart
+angefreundet. Sie besuchen ihn in seiner Werkstatt. Über neue
+Flugzeugprobleme belehrt er sie, zukunftsgläubig vor diesen jungen
+Augen. Für die nächste Zeit schon verheißt er ihnen den Probeflug seines
+neuen kleinen Modells.
+
+Ingeborg kommt, zunächst ohne den Vater, der noch dem Moordorfer
+Pfarrarchiv einen Besuch zu machen hat. Wie erfrischend diese nordische
+Ungezwungenheit und Unbefangenheit, mit der sie unter all die Männer
+tritt.
+
+Kunz, der Wächter von Horstens Seele, gibt sich überwunden und gefangen.
+Dankwart verschanzt sich, angstvoller noch und mißtrauischer als vor
+Frau Tilde hinter dem Eisenwerk seiner Konstruktionen -- welch eine
+Huldigung für die Frau! Und auch in Gisberts weltflüchtigen Augen lehnt
+sich etwas an die warme, licht- und farbenprächtige Erdennähe.
+
+Sie tritt Horst zur Seite, als gehöre sie zu ihm. Gleich fühlt sie, daß
+eine neue Wunde ihn brennt. »Was ist?« fragt sie leise und vertraut.
+
+Er schüttelt leicht den Kopf. »Die Erniedrigungen nehmen kein Ende.«
+
+Und schon tritt ein Gendarm auf den Plan, Bitterkeit in dem hellen Auge,
+Schwermut in dem hängenden Schnauzbart. Sein Auftrag kommt ihm selbst
+hart genug an. Sein eigener Schmerz ist mehr als all die subalterne
+Wichtigkeit.
+
+Er macht vor Horst militärische Ehrenbezeugung. Befehl der Regierung.
+Soll Herrn Hauptmann Oldefeld darauf hinweisen, daß die militärischen
+Übungen mit den Gymnasiasten der Kreisstadt unliebsames Aufsehen erregt
+haben und nicht zulässig seien. Soll darüber wachen, daß der heutige
+Sonntag nicht wieder zu solchen »unerlaubten Veranstaltungen« benutzt
+werde.
+
+Jetzt also unter Polizeiaufsicht. Auf wessen Geheiß? Horst hat eine
+Ahnung. »Wollen und können Sie mir sagen, wem wir hier »unliebsam«
+geworden sind?«
+
+Der Beamte besinnt sich eine Weile. Dann spricht er offen, ein
+Gleichgesinnter, und seine Brauen ziehen sich zusammen. »Die
+Ententekommission hat sich an die Regierung gewandt.« Jetzt stockt er,
+und mühselig kommt es über die zusammengezogenen Lippen. »Bei den
+Feinden ist von unserer eigenen Bevölkerung hier Anzeige eingelaufen.«
+
+Die Männer sehen sich an, schmerzlich bohren sich ihre Augen ineinander.
+Sie schweigen tief und lange. Dann sagt Horst gehalten: »Ihr Dienst ist
+wahrhaftig nicht leicht. Ich will ihn Ihnen ganz gewiß nicht erschweren.
+Es wird hier heute nichts Verbotenes geschehen. Darf ich Sie bitten, in
+der Baracke unser Gast zu sein.«
+
+Nun, da er mit Ingeborg allein ist, rüttelt der ganze Schmerz an ihm.
+Dazu die tiefe Demütigung, daß sie, die Ausländerin, von diesem
+unsäglichen deutschen Schandwerk hören mußte! Daß Deutsche bei den
+Landesfeinden Deutsche denunzieren! Der Denunziant -- an sich schon der
+größte Schuft im ganzen Land! Aber auf die eigenen Volksgenossen die
+Fronvögte hetzen! Die eigenen Brüder den Folterknechten ans Messer
+liefern!
+
+Und gerade in dieser Stunde wird sie ihm erst recht wie ein Freund, und
+in der Vertraulichkeit kommen ihm die schmerzensreichsten aller Worte:
+»O Deutschland! Deutschland!«
+
+Sie sieht, wie er leidet, sie greift mit der Hand nach seinem Arm. »Ich
+kann Ihnen nicht sagen, wie nah mir das alles geht.«
+
+»Ja -- manchmal ist es einem wirklich, als müßte man den Verstand
+verlieren!«
+
+Die Verzweiflung gräbt sich in seine zerspannten Züge, die Augen starren
+leer und verlassen. Sie aber, von ihrem Mitgefühl durchflutet und
+hilfreich beseelt, gewinnt ihn lieber und lieber. Und zärtlicher neigt
+sie sich zu ihm hin.
+
+Da gibt es ein Blühen in seinem Blut und ein Frohlocken in seinem
+Herzen. Warum reiß ich sie nicht an mich, dieses liebreizendste aller
+Geschöpfe -- als meinen Halt, meine Rettung, meine Genesung, meine
+Kraft, meine Seligkeit!
+
+Er fühlt es: wenn ich Dich nehme, gehörst Du mir! Und Du willst, daß ich
+Dich nehmen soll.
+
+Aber dann klingt in ihm der Ruf aus der dunklen Tiefe -- Deutschland, o
+Deutschland! Und wie gegen eine Verführerin wendet er sich gegen das
+junge, das herrliche Weib, die Fremde, mit der lockenden Ferne, die ihn
+heimatlos, die ihn untreu machen will.
+
+Ein weher Schreck durchfährt ihre Hand, von der er sich löst, und es
+klagt auf in ihren Blicken. Da gibt er ihr ein liebes Wort. »Ich denke
+so viel an den Platz unter Ihren Linden.«
+
+»Er wartet auf Sie. Und nicht wahr -- Sie lassen ihn nicht warten!«
+
+Der Vater tauchte in der Ferne auf. Die Jungen hatten sich inzwischen
+zum Abmarsch aufgestellt. Sie wollten sich an einer langen
+Strandwanderung, so gut es ging, schadlos halten.
+
+Sie haben die Jungen mir und mich den Jungen verboten. Aber den Geist
+bütteln sie doch nicht tot! Er raffte sich hoch, aber mühsam trug er den
+Kopf auf gesteiftem Nacken.
+
+Über die Goldberge zogen die Jungen. Sie sangen, dann auf der Höhe
+verstummte das Marschlied. Dem Klang aus dem Grunde lauschten sie. Wohl
+hatten sie ihn vernommen, denn machtvoller, sieghafter, zuversichtlicher
+und stolzer rauschte jetzt ihr Gesang, da sie den jenseitigen Hang zur
+See hinunterschritten.
+
+ Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
+ Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
+ Unter die Füße den tückischen Haß,
+ seine Ketten zerspringen wie Glas.
+ Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
+ Frei sollst du sein!
+ Wir machen dich frei!
+
+Ihr werdet den Zauber lösen, der in den Bergen schläft. Ihr werdet
+Deutschlands Freiheit wiedersehen! Ob wir noch, die wir heute Männer
+sind? Es ist so schwer, so bitter schwer von dem Gedanken sich zu
+scheiden!
+
+Ihr aber werdet sie nicht mehr sehen, ihr Grauen und Müden! Was ist das
+für eine kleine mühselige Schar von Alten, Gebückten und Beladenen, die
+da im Staub des Heidewegs zu den heiligen Höhen herangepilgert kommen?
+Öfter schon haben einzelne Wallfahrer hier gekniet und gebetet, das
+Wunder wach zu flehen, das hier unter den Hügeln ruht. Das Wunder der
+Erlösung des armseligen deutschen Volkes. Heute finden sich wohl ein
+Dutzend der Gläubigen ein. Männlein und Weiblein, alle so elend
+verwittert, alle so gramvoll sehnsüchtig. Hilf uns doch, Du Retter, Du
+Ritter, Du Schlafender! So bitter nötig haben wir Dein Erwachen!
+
+Zum Liebhaben sie alle. Aber man darf sie nicht stören. Still müssen sie
+mit mummelndem Munde ihre Formeln sprechen. Horst wendet sich ab und
+zwingt an seinen Tränen. Deutschland -- mein Deutschland --!
+
+Und jetzt war auch Herr Thorild bei Ingeborg und Horst. Der mußte sich
+begnügen, den Gästen und Freunden die Siedlung zu zeigen. Er verschwieg
+nicht die schwere wirtschaftliche Not, gegen die sie rangen. Aber sie
+wollten und mußten durch! Und hier setzten seine willenshellen Augen
+wieder die alten Lichter auf.
+
+Eine Fülle von Anregungen gewann der Oberst aus seinen Eindrücken. Und
+alles klang wieder aus in dem Wunsch und der Bitte: Sie müssen zu uns
+kommen!
+
+Wie eine Rührung wogte es durch Horst. Was haben diese Menschen an Dir?
+Und wieder der Gedanke: So sind wir Deutschen doch nicht schlechthin im
+Ausland die Verachteten, die Verfehmten. Nur unsere Würde sollen wir
+wahren. Und Treue ist Würde! Treue auch zum Unglück! Ja, sein Unglück
+lieben -- nur so wird man seiner Herr!
+
+In solchem Selbstgefühl durfte er den Freunden frei die Hand reichen.
+Ich empfange nicht bloß, ich gebe so gut wie Ihr.
+
+Aber die Schatten blieben. Und schwerer und dunkler zogen sie. Es kam
+für die Siedlung ein schwarzer Tag.
+
+
+
+
+ Und die Not nimmt überhand
+
+
+Gisbert, der ihrer aller Liebling war, löste sich immer mehr von ihnen.
+Wie ein Nachtwandler war er, den man zu rufen sich scheute.
+
+Der einzige, der immer noch fest zupackte, war Kunz. Aber auch er griff
+jetzt immer mehr ins Leere. Und dann, er hatte genug mit eigener
+Herzenserschütterung zu tun. Vita war ihm entschwebt. Wie ein Traumbild
+war sie ihm zerronnen. Wohin hatte er sie geschreckt?
+
+So trübte sich Kunz der Blick für des Gefährten Schicksal, den die Not
+seiner Liebe immer mehr von dem Irdischen trennte. Von der Erde, die,
+seit sie ihn verschüttet, begraben, erstickt hatte, seinen entrückten
+Sinnen nie mehr die rechte Heimat gewesen war.
+
+In Gisbert selbst tastete noch etwas nach dem Gegenständlichen dieser
+Welt, nach Freundeshand, nach Zwiesprache, nach Austausch der
+Empfindungen. Und so klammerte sich etwas von ihm an Kunz, gerade heut.
+
+Der Wind trug am Nachmittag den Glockenhall von Moordorf herüber.
+»Wollen wir zusammen in die Kirche?« fragte er Kunz, mit knabenhaften
+Augen, fromm von kindlichen Gedanken.
+
+Der hatte schon ein »Ja« auf der Zunge. Da fuhr es ihm durch den Sinn:
+in Vitas Bereich! Wenn ich mich hineinbegebe, muß ich allein es tun!
+Denn für alles, was hier geschehen kann, brauch ich meine Einsamkeit.
+Und er schüttelte den Kopf zu dem Vorschlag. So ging Gisbert ohne ihn.
+Und es trug ihn wie ein Abschiednehmen -- er wußte nicht wie.
+
+Er wußte auch nicht, was eigentlich in die Kirche ihn zog. Halbe
+Wirklichkeit war in allem. Der Raum, die Andächtigen, der Gesang, der
+Prediger --
+
+Wirklichkeit -- was ist das? Es gibt etwas über der Wirklichkeit. Das
+ist seine Herrin. Das ist dieser Abend, der ihn zu ihr führt.
+
+Schall ohne Sinn war ihm auch erst Pastor Waermanns hell aufstrebende
+Predigt. Der wieder der Mittler seines geliebten Ernst Moritz Arndt war,
+des deutschen Stimmführers aller Zeiten.
+
+»Du mußt Gott bitten, daß er dir gebe einen stillen freundlichen und
+festen Geist, daß du alle deine deutschen Brüder zu dir versammeln
+magst.
+
+Denn durch der Herzen Zwietracht ist das Unheil gekommen, und durch die
+Torheit der Feigen plagen fremde Henker dich.
+
+Und ihr sollet euch wieder brüderlich gesellen zueinander, alle, die ihr
+Deutsche heißet und in deutscher Zunge redet, und den Trug bejammern,
+der euch solange entzweit hat.
+
+Und sollet in Einmütigkeit und Friedseligkeit erkennen, daß ihr einen
+Gott habet, den alten treuen Gott, und daß ihr ein Vaterland habet, das
+alte treue Deutschland.
+
+Und sollet gedenken, wie ihr ein freies Land von euren Vätern empfangen
+habet, und wie ihr euren Kindern und Kindeskindern die Freiheit
+hinterlassen müßt!«
+
+Das klang denn doch in Gisbert nach, das weckte in ihm schlummernde
+Stimmen. Die Stimmen, die sein Dasein begleitet hatten, die seiner
+Arbeit Melodie gewesen waren. Sie schlangen das Band zwischen ihm und
+den Kameraden, den Freunden. Und er ruhte aus in diesen Harmonien.
+
+Aber sie hielten ihn nicht, sie trugen ihn nicht, und er entschwebte
+wieder in seine Welten. Und alles, die Siedlung, das Vaterland, die
+Gefährten wie der Kirchgang, der Gottesdienst wurden ihm nur zu einer
+alten Weise wehmütiger Erinnerungen.
+
+Ein paar schrille Weckrufe: zwei Mädchenaugen hängten sich an ihn, von
+so heller und scharfer fast heftiger Daseinskraft. So viel gesammeltes
+Leben -- es brannte und stach. Den Traumfernen erreichte die fragende
+Leidenschaft. Bleiben sollst Du und Rede mir stehen! Allein bist Du! Wo
+hast Du den andern! Ich will ihn nicht! Aber, wo ist er? Das will ich
+wissen! Und warum er Dich allein hat kommen lassen! Ich will ihn nicht!
+Will nicht seine packende Hand, seinen dürstenden Mund! Aber, er soll
+mich suchen! Suchen soll er mich, daß ich ihn abweisen kann, ihn von mir
+stoßen! Was tut er's nicht!
+
+Und Gisbert wußte es, dieses Mädchen, das nichts ist als Augen, nichts
+als fordernde, starrende, bannende, naturkindliche Leidenschaft der
+Augen, es konnte nur Vita sein, das Mädchen seines Kunz.
+
+Jetzt war der Freund doch ganz nahe bei ihm. Von dem er ahnte, daß er um
+das Mädchen litt. Helfen -- ihm, dem lieben, getreuen -- und auch ihr,
+in deren Augen der sehnsüchtige Trotz einer Qual Fieber und Bitterkeit
+wirkte.
+
+Predigen -- von der Liebe predigen! Hier, wo der Ort dafür war! Von der
+Liebe, die mehr ist als ein Gefühl. Von der Liebe, die die Wahrheit ist.
+Die Wahrheit und die Freude, aus der jede Kreatur, aus der das All, die
+Unendlichkeit ihr Leben hat.
+
+Aber die Worte dafür -- immer ist das Wort mit seiner Erdenschwere
+hinter ihm zurückgeblieben. Nun hat es ihn ganz verlassen. Das lichte
+Schweigen ist um ihn.
+
+Und mit dem Wort, das er nicht findet, versinkt ihm all das, was ihn
+eben noch gerufen und bewegt hat. Ob er es halten möchte, es schwindet
+ihm hin. Und wieder wie ein Traumwandler zieht er seine Straße, die zu
+seiner Herrin ihn führt.
+
+Das Auto, das ihm auf der Chaussee entgegenrast, der Staub, den es
+emporwirbelt, die Hupentöne, die es ausstößt -- all das bleibt weit,
+weit unter ihm.
+
+Er weiß nichts von der Erde, er sieht auch den Himmel nicht, nicht seine
+grüne Abendflut, die wie brennende, schmelzende Patina ist. Erst wie er
+in Tildes Zimmer steht, wird er erlöst aus seiner blutleeren
+Wesenlosigkeit.
+
+Und wieder ist es ein Klagendes in ihren Augen, was ihn erdhaft macht.
+Keine Wehmut und Weichheit, die nach Mitleid ausblickt. Eine Bitterkeit,
+die sich immer mehr verhärtet, und die Härte als Hilfe braucht. Wie ein
+Trotz ist es aufgestiegen aus der Tiefe dieser Augen. Die schwere Arbeit
+der Tage, das Übermaß der Pflichten schmiedet ihres Wesens Metall.
+
+Hilflos, wie verschüchtert sitzt wieder Gisbert vor ihr. Und wieder die
+Frage über ihm: was kann ich Dir sein? Ich, der ich mich verblutet habe
+-- ich weiß es selbst -- dem das Beste seiner Jugend, seiner jungen
+Kraft zerronnen ist -- »Gedankenblässe«, das ist das Wort! Das ist der
+Stempel, den ich trage. Ein Schatten, ein Schemen, schwebe ich vor Dir.
+Und je tiefer sein feines Spüren in die Augen der Frau sich einsenkt --
+lebt in ihnen nicht eine fast zornige Forderung an das Leben auf?
+
+Über wirtschaftliche Dinge spricht die Herrin mit ihm, trocken,
+geschäftlich. Dazwischen müde Pausen des Ausruhens und des Schweigens.
+Sie plant noch ein paar Neubauten und hat Budgetsorgen. Er kann sie nur
+anhören, kann nicht raten.
+
+So einsam ist diese Frau. Der natürliche Gehilfe und Berater,
+wahnbefangen, der Arbeit verloren, hält sich fern.
+
+Zugleich mit ihm kommt ihr -- wie sind sie sich doch nahe -- der Gedanke
+an den, der ihr fehlt. »Achim war eben im Auto hier -- nur auf eine
+Minute. Er ist gleich zur Bahn gefahren. Er will nach Holland zu einem
+internationalen Match.«
+
+Die Worte reihen sich gleichmäßig auf, fast unbewegt von dem Schicksal,
+das durch sie hindurchgeht. Und wieder ist das Schweigen um sie beide,
+gut, heilend und treu. Dann sagt sie: »Kommen Sie, Gisbert. Ich möchte
+noch ein wenig in den Park.«
+
+Sie gehen hinein in den lichten Abend. Es ist die Johanniszeit, die
+hellsten, längsten Tage herrschen, die Kraft der Sonne durchwebt die
+Dämmerung, webt durch die Nacht hindurch dem Morgen entgegen und nimmt
+sich selbst wieder in Empfang.
+
+»Heut ist des Sommers heilige Nacht«, sagt Frau Tilde. Ihre Blicke ruhen
+auf dem jungen Freund. Ist er nicht wie der Heilige dieser Helle? Er
+selbst so durchsichtig, so unirdisch, so verklärt. Und wehklagend zieht
+es durch sie hin: Armer, lieber Junge. So hast Du Dein Leben
+hingeströmt! Und ist nicht wie Du ein großer Teil der deutschen Jugend
+-- viele, die unter uns hinschweben, kaum etwas anderes als die Schatten
+Erschlagener!
+
+Die Johannisnacht beschäftigt ihn. Er spricht von den Sonnwendfeiern,
+erzählt von einem sanften Brauch, den Frau Tilde nicht kennt -- sie weiß
+nur von den Feuern und Flammentänzen dieser Nacht -- von dem Johannisbad
+erzählt er, dem Blumenopfer, das man den Flüssen darbringt. Und gar
+nicht bedeutungsschwer, mit einer leisen Fröhlichkeit fügt er hinzu: »In
+dieser Nacht werden die Lose der Menschen geworfen.«
+
+Sie haben den Park durchschritten. Da vor dem Tor ragt auf der kleinen
+Anhöhe der mächtige Ahorn in den grünglasigen Abendhimmel. Hier auf der
+runden Bank haben sie damals gesessen, in die Wolken geblickt und von
+ihnen beide dasselbe vernommen. Und wieder lassen sie sich hier nieder.
+
+Über die Felder gleiten die Blicke. In Tilde regt sich die Landfrau.
+»Wie gut der Roggen steht!« Bis zu ihren Füßen zittert das grüne Meer in
+dem Hauch, den die See landeinwärts sendet. »Was hätte Vater für eine
+Freude daran gehabt!« Nun ist sie bei ihren Toten und in großer
+Verlassenheit.
+
+»Ach, lieber Junge!« sagt sie dann und streicht ihm übers Haar. Was ist
+alles in ihren Augen, so viel Mütterliches, sorgend und schützend, und
+wieder ein Frauliches, das zärtlich nach Hilfe ruft. Und er starrt in
+diese wogende Tiefe.
+
+Dann nimmt sie seinen Kopf in die Hände und küßt ihn auf die Stirn, und
+küßt ihn auf den Mund. Schon hat sie sich erhoben und reicht ihm die
+Hand. »Und jetzt Gut Nacht«, sagt sie einfach. Und weiter nichts.
+Schreitet zum Park, tritt in das Tor und verschwindet unter den Bäumen.
+
+Gisbert bleibt, bewegungslos. Alle Stimmen seines Lebens klingen
+zusammen in dieses letzte Wort. All seine Schmerzen, seine Seligkeit,
+seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Taten und Leiden, sein
+Träumen, seine Visionen, seines Wesens Beginn, seines Daseins Ausklang
+--
+
+Aber auf den Lippen -- da brennt es -- ein Feuer -- so wie eine
+Todeswunde brennt -- schmerzlich und überschmerzlich, bestrahlt schon
+von den ewigen Wonnen.
+
+Ein Feuer, das bleibt und brennt. Davon das Blut ihm kocht und braust.
+Das wenige Blut, das noch durch seine Adern flutet.
+
+Ich sehne mich, sehne mich nach Dir! Mit allem, was an Kraft und Leben
+in mir ist, sehne ich mich nach Dir.
+
+Und Du -- jetzt wird alles, was in ihm Leben hat, Glut und Glanz eines
+stolzen Glückes -- singt und schluchzt und jauchzt nicht in Dir dieselbe
+Weise? Sind wir nicht wiedergeboren einer in des andern Herzen? Muß ich
+nicht bei Dir sein und Du bei mir! Warum bist Du gegangen! Was läßt Du
+mich allein!
+
+Fliehst Du mich, daß ich Dich suchen soll? So fiebert es grell in ihm
+auf. Und dann: oder lächelt sie über mich? Lächelt sie, daß ich so
+weltenfern, so im Übersinnlichen meine Kreise ziehe!
+
+Nun entsetzt er sich, daß er so in die Niederung gerät! Mit den Gedanken
+an diese Frau. Und überwindet den Schreck und blickt mutig dem Leben ins
+Gesicht, mit seinen Knabenaugen.
+
+Den Wirbel sieht er, der Lachen mit Grauen mischt, den Wirbel um das
+Mysterium Weib. Er flieht vor ihm -- und seine Gedanken werden immer
+mehr hineingezogen in den Taumel.
+
+Wenn dieser Tanz mich erlöst aus meiner Verlorenheit? Wenn ich gesund
+werde -- ein gesundes, junges Blut? Und habe meine Geliebte, habe mein
+Weib --
+
+Eines andern Weib -- Untreue, Betrug -- das Grauen fällt über ihn her!
+Was wird geschehen? Was wird sein!
+
+Und es peitscht ihn das Entsetzen vor der öden, schalen
+Geschlechtlichkeit -- die Verzweiflung, daß er das Bild seiner Herrin in
+diesen Wust herabzieht. Das strahlende, heilige, beseligende Bild der
+Gnade!
+
+Wie hat er zu ihm gebetet, zu ihm aufgesungen: Du bist die Geliebte
+meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken Dich zu fassen, das
+Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein Ohr zu füllen, Deine
+Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will ich Dich, nur wissen,
+daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! Rühren Worte an die
+Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken!
+
+Nun haben die Gedanken doch an sie gerührt -- das Begehren hat nach ihr
+gegriffen, das gemeine Begehren.
+
+Er ist fortgestürmt, hinein in die dämmernden Weiten. Der Dünensand
+hemmt seinen Lauf. Nun steht er atemlos -- vor ihm schauert das Meer im
+Hauch der Nacht.
+
+Und dort im Osten aus dem Dunst über der Flut hebt sich der Mond,
+dunkel, glühend, groß und tief. Drohend und schwül. Feindlich, grausam
+und böse. Wie ein Schicksalsspruch, wie ein Gericht über Sünde und
+Schuld, wie der Henker im Scharlachmantel.
+
+Gesenkten Hauptes steht Gisbert. Er trägt den Leib wie eine Last. Dann
+hebt er sich auf, die Sterne sucht er, noch sind sie bleich -- erst
+allmählich entzünden sie ihre Kraft, ihre Hilfe, ihren Trost. Jetzt aber
+haben sie die Macht ihrer Sprache. Und Gisbert liest die Verse des
+Firmaments, die Dichtung des Himmels, die Hymne der Nacht, der Allmutter
+Nacht. Und er ist daheim.
+
+Der Nacht antwortet das Meer. Und alles klingt zusammen in dem großen
+Sphärengesang: Güte und Freude ist alles -- alles geht aus von der
+Freude -- alles geht ein in die Freude -- gut, gut ist das Leben, gut
+ist das Ewige, ewig das Leben, ewig die Freude --
+
+Der Mond ist emporgetaucht aus dem dumpfen blutigen Dunst -- alles Böse
+hat er abgetan, er hat sein gutes helles Licht gewonnen. Ich bin die
+Güte, ich bin ein Freund! Und eine Straße baut er über die andächtig
+stille und ergebene Meerflut.
+
+Gisbert ist am Strande. Zu seinem nächtlichen Bade entkleidet er sich.
+Vor seine Füße wallt diese leuchtende Straße. Wohin führt sie? Wohin
+will sie mich leiten? In das All und seine Freude --
+
+Ja, Du strahlender, Du guter Weg -- Dir vertrau ich mich an. Du kennst
+mein Ziel, Du offenbarst mir meine Bestimmung, meine Erfüllung und
+Vollendung. Abtun will ich meine Schlacken -- der reinen Freude will ich
+ins Antlitz sehen --
+
+Er schwimmt -- schwimmt in der lichtgesättigten Flut -- in alle Poren
+dringt der Glanz -- die Lungen leuchten -- das Herz ist voll Schein --
+ein verzitterndes Lichtbeben sein Schlag --
+
+Ein Lichtstrahl gleitet sein Leib durch die goldene Flut, hinein in die
+Wellen des schimmernden Äthers -- hinein in das All -- in die gute große
+freudige Heimat -- -- --
+
+Die Männer standen vor der Baracke -- Horst, Dankwart und Kunz. Wie
+Deutschland Deutschland verrät, das geht ihnen durchs Gemüt. Der Gendarm
+hat erzählt, Ententeoffiziere wären in der Provinz auf Waffensuche
+unterwegs. Sie hätten selbst erklärt, daß sie sich vor deutschen
+Denunziationen nicht retten könnten. Der englische Hauptmann hätte
+heftig dazu ausgespuckt.
+
+Diese letzten Worte wollen Horst nicht aus dem Ohr. Immer hört er sie in
+dem trockenen, schmerzlich heiseren Tonfall des Gendarms. Wo er geht und
+steht, krächzen sie ihm nach.
+
+Bei Kunz ist der Grimm schon weitergestürmt. »Wenn die Henker zu uns
+kommen -- wenn sie bei uns schnüffeln -- wenn sie frech werden -- was
+geschieht dann! Was tun wir dann!« Wild schlägt es in seinen Stirnadern.
+Seine Fantasie schwelgt.
+
+Horst ist allein in die Dünen gegangen. Wie soll man das alles ertragen.
+Zu der Last, unter der man schon zusammenbricht -- immer mehr wird zu
+ihr aufgepackt. Ich kann nicht -- kann nicht mehr! Und will auch nicht
+mehr!
+
+Gegen den Schmutz, die niederste Gemeinheit kämpfen, welch ein übler
+Irrsinn! Der Schmutz läßt sich nicht besiegen, und man selbst -- nicht
+nur, daß man unterliegt, besudelt unterliegt man! Und der Ekel würgt
+einen ab.
+
+Nach Norden blickt er. Dort auf der Landzunge steht das Haus, in dem
+seine Freunde wohnen. Und blickt man weiter, in derselben Richtung,
+hinter dem deutschen Meer liegt Nordland, liegt Schweden.
+
+ »Meine Gedanken wandern über die See,
+ Weiße Schwäne sind sie, leuchtend wie Schnee.«
+
+Heraus aus dem Schmutz, dem Ekel, an dem ich vergehe! Ein anderes Land
+öffnet mir die Arme, eine neue Heimat winkt mir -- keine neue, die alte,
+die unserer Ahnen. Der klare Norden mit seinem Stolz, seiner Ehre,
+seiner Sauberkeit, seiner gesunden Kraft. Aufrecht! Wieder einmal
+aufrecht stehen und gehen! Liebe Menschen nehmen ihn dazu an die Hand.
+
+Liebe Menschen -- und hier? Die Kameraden hier? Kunz, Dankwart -- hat
+sich zwischen ihnen und ihm nicht eine Kluft befestigt? Längst ist er
+ihnen nicht stur genug, nicht der Unbedingte, der Stürmer nicht, den sie
+wollen. Mit halbem Herzen nur folgen sie ihm, der ihnen nicht als Ganzer
+gilt. Sollte er ihnen nicht die Siedlung überlassen! Daß sie sie neu
+bauten in ihrem Geiste! Ein Stoßtrupp hartdeutscher Gesinnung -- warum
+nicht! Vielleicht das beste.
+
+Denn der linke Flügel, die Mulitz und Metzling, fangen an, bedenklich zu
+werden, weil ihre Macht ganz unverhältnismäßig anwächst. Durch meine
+Schuld? Weil ich das Steuer nicht fest genug halte? Nicht mit der
+sichern, gläubigen Hand, nicht unter dem klaren, unbeirrten, weiten
+Blick?
+
+Unleugbar, die Widersprüche, die Zerwürfnisse mehren sich. Droht dem
+Werke der Zerfall -- weil ich ihn nicht hindere? Der ich meiner Arbeit
+mich entfremde -- aus Überdruß an meinem Vaterland!
+
+Entfremdet meiner Arbeit -- entfremdet den Kameraden -- und dem einen,
+dem Jungen, dem Gisbert untreu, der wenn einer mich braucht! Um den
+meine Sorge so viel gewacht, an den sie so oft dachte in diesen letzten
+Tagen -- nur daß sie nicht zugriff, wie es sich gehörte.
+
+Wie nötig hat der Junge den treuen, festen Freundesarm, Muskeln und
+Knochen -- er, der sich ganz hinausgeistern will aus dieser körperlichen
+Welt -- nun noch gesteigert, getragen, erhöht und zugleich gescheucht
+und flüchtig von der Schwärmerei für diese Frau, die selbst hier keine
+rechte Heimat hat. Bist Du nicht wie entleibt unter uns gewandelt? Wo
+gibt es ein solches Sichlösen, Sichentäußern, Sichbefreien und
+Sichbeseelen als in deutschen Herzen? Nennt es Kraft, weil es eine
+Inbrunst, nennt es Unkraft, weil es ein Zerfließen ist. Und ist nicht
+ein Stück Gisbert in uns allen?
+
+Seine Augen schweifen über das Wasser. Jetzt nimmt die leuchtende Straße
+seine Blicke an sich. Die Flut, vom Licht gebändigt, sanft und geduldig,
+wie hingegeben trägt sie die goldene Brücke zum Mond.
+
+Da hinten aber -- weit, weit dem Himmel nahe -- was ist es, was sich da
+bewegt, in Wellen des Glanzes, in blitzenden Strahlen -- ein Dunkles,
+das jetzt in dem Schimmern verzittert? Schon hat das Licht die Wasser
+wieder geglättet -- war es ein mondtrunkener Delphin? Glatt gefügt
+spannt sich wieder die leuchtende Brücke.
+
+Und weiter nach dem nördlichen Vorsprung zieht es seine Blicke. Dort auf
+der äußersten Spitze -- ist es ein Zauber dieser hellen Nacht -- eine
+weiße Mädchengestalt --? -- Trug! Welches Menschenauge kann so weit
+sehen --
+
+Und doch! Was flammt denn zu Häupten dieser Gestalt! Und hebt sie selbst
+in den Glanz? Nur eins gibt es auf Erden, was so leuchtet, Ingeborgs
+Haar.
+
+Ein Leuchtfeuer -- das nach Norden weist und ruft -- das Leuchtfeuer
+seiner Zukunft --
+
+Und doch ein Trugbild? Horst will wissen, ob diese kürzeste der Nächte,
+die zauberkräftige, ihn narrt. Er schreitet die Dünen hinunter, am
+Strande entlang, der Landzunge entgegen. Da sieht er ein Dunkles auf dem
+weißen Sande -- Kleider -- eines Badenden -- im Wasser ist niemand zu
+erblicken.
+
+Es fährt ihm durchs Hirn -- das Körperliche, das vorhin da in dem
+Mondstreif sich zeigte -- und sein zweiter Gedanke: Gisbert, der
+Abendschwimmer --
+
+Prüfend betrachtet er die Kleider -- ja, Gisbert gehören sie. Er späht
+über die Flut, die der Nachtglanz ableuchtet -- da hinten ein Segel, ein
+einziges Boot, ruhend in der Windstille, gespensterhaft -- sonst nichts,
+nichts so weit das Auge greift. Das leidenschaftlich forschende, jetzt
+erstarrende Auge. Und eisig schneidet es ihm durchs Hirn: Gisbert ist
+von uns gegangen.
+
+Helfen -- Hilfe holen -- wie sollen sie helfen, und wem! Wenn er es war,
+der da hinten, am Horizont in dem Mondstreifen trieb, in die Lichtbahn
+sich löste --! --
+
+Leer ist die Mondstraße, leer ist die Flut ringsum --
+
+Aber, da man nichts tun kann, nicht weiß, was man tun soll, da man
+hilflos ist -- wie furchtbar dieses Alleinsein mit dem Geschehenen! Die
+Kameraden -- Kunz muß es wissen, er muß es hören, muß was sagen, muß
+dabei sein!
+
+Schon ist Horst nach der Baracke unterwegs. Er holt sich Kunz aus dem
+Verschlag. Nun stehen sie beide an den Kleidern und forschen über die
+See.
+
+Dann stehen beide schweigend, und halten eine eigene Totenwacht.
+
+Ruckweis befreit sich Horst von dem Schmerz, der ihn lähmen will. »Er
+hat es geschafft. Auch einer, der zu schade war -- für das was uns
+beschieden ist.«
+
+»Sollen wir so sprechen?« Kunz macht der erste Schmerz nur noch härter,
+wehrhaft, wahrhaft, unerbittlich. »Zu schade?« Er spielt wie grausam mit
+dem Wort. »Zu sehr beschädigt. Zu wund und zu weich.« Und noch rauher
+gegen den eigenen, zuckenden Gram: »Was welk ist in Deutschland, geht
+ein.«
+
+Dann ist es fast, als kehrt er sich, wie zur Ablenkung, gegen Horst, den
+selbst nicht mehr Wurzelfesten. So daß etwas in ihrem Schmerz die beiden
+Männer gegeneinander entflammt.
+
+Schon aber führt in Horst der Leitende das Wort, der seine Anordnungen
+trifft, bis zum Äußersten. Er hat keine Hoffnung mehr, aber das letzte
+muß getan werden. »Ins Boot. Das Wasser absuchen. Nicht unmöglich, daß
+er müde geworden ist, und der Segler da hinten hat ihn an Bord.«
+
+Sie gehen nach dem Vorsprung zu. Da liegen Boote am Strand. Sie schieben
+eins ins Wasser und rudern hinaus, schweigend, mit gleichmäßig mächtigem
+Schlag. Und suchen, suchen -- hoffnungslos und doch treu.
+
+Jetzt sind sie schon weit draußen. Auf das Segelboot halten sie zu.
+Immer mit der Umschau, immer in der Erwartung, der Entseelte müsse
+auftauchen.
+
+Ein Fischerboot, das mit klatschenden Segeln daliegt. Hat es den
+Ermüdeten aufgenommen? Ein letzter Schimmer --
+
+Die Insassen, verschlafen, drusen dem Morgenwind entgegen. Von einem
+Schwimmer haben sie nichts bemerkt. Einen treibenden Körper haben sie
+nicht gesichtet.
+
+Die Suchenden wenden und fahren zurück an Land. Jetzt ist es gewiß, die
+See hat ihn genommen. Wird sie seinen Leib wieder hergeben?
+
+Gisbert ist tot! So pulst es in ihrem Herzen. Das ist der Takt ihres
+Ruderschlages. Gisbert ist tot. Sie starren in eine Leere. Jetzt ist die
+große Klage um sie und fügt sie zusammen. Und nichts kehrt sie gegen
+einander. Geschlossen, versöhnt der Unterschied, der Zwiespalt ihres
+Fühlens. Nur der Schmerz um den Freund bewegt ihre Seele. Gisbert ist
+tot. Wie klein sind alle Worte, die seiner gedenken wollen -- sie
+scheuen sich und schweigen.
+
+Die Männer landeten wieder. Und da sie die harte Erde betraten, kamen
+Forderungen an sie. Gemeinsame, so dachte Kunz. Er mit seiner
+lebensfesten Hand nahm die Kleider auf, packte sie zu einem Bündel und
+wandte sich heim. Das »über Gräber vorwärts« lag ihm im Blut.
+
+Er meinte nicht anders, als daß Horst mit ihm gehen würde. Der aber
+blieb, versonnen, versponnen. Kunz wartete -- dann ein fragender Blick,
+aber kein Wort -- dann etwas wie ein leichtes Achselzucken, in dem der
+alte Schmerz bebte: man lasse die Träumer den Träumen -- und er ging
+allein. Da war es wieder, was in ihm nagte: auch von Horst geht immer
+mehr verloren. Die Sorge um die Siedlung ließ ihn von jetzt ab nicht
+mehr los.
+
+Wieder war der Mißklang zwischen den beiden, das Mißtrauen, das nun
+einmal gerufen war -- tiefer griff es in die Gemüter, die der Schmerz
+zart und feinfühlig gestimmt hatte. In der Empfindsamkeit des Grames
+fand es neue Nahrung.
+
+Horst spürte es, er wußte, was in Kunz sich von ihm abwandte. Das riß an
+den gespannten Saiten, und wieder gab es den Zorn, die Bitterkeit, die
+eigene trotzige Abkehr und Selbstverschanzung.
+
+Ich bin Euer Führer, ich hab Euch etwas geschaffen, etwas gegeben -- zum
+Lohn dafür haltet Ihr Gericht über mich, beobachtet mich, nehmt mich
+unter Aufsicht. So war es schon, und es mehrt sich zur Unleidlichkeit.
+
+Ihr solltet wissen, daß ich das nicht ertrage. Ihr solltet mir meine
+Arbeit, die mir wahrlich nicht leicht fällt, nicht noch erschweren. Sie
+mir nicht verbittern! Kein besseres Mittel könnt Ihr dafür finden.
+
+Wen hab ich nun noch in der Siedlung? Da Gisbert mir fehlt. Er, mit dem
+zarten, zerschlagenen, blutleeren Leib, der Wärmste, der Innigste von
+Euch allen. Und darum auch allen unentbehrlich, da er zwischen allen die
+seelischen Fäden wob. Allein steh ich jetzt. Er war es, der mich verband
+mit den Schwärmern, den blinden Heißspornen, den kühlen Rechnern, den
+Gleichmütigen, den Matten und Trägen. In ihm fanden sie sich alle, denn
+alle hatten ihn lieb. Ist mit ihm nicht das Licht der Siedlung
+erloschen? Ein blasses Licht, ja -- aber vielleicht, daß gerade die
+unirdische Blässe die Herzensandacht schuf!
+
+Gewiß, es war allzuwenig von dem landläufig Gesunden in Dir, gar nichts
+Lebensstarkes und Robustes. Ein Kind noch warst Du, als Du ins Feld
+zogst. Die Pubertätsjahre verschlang der Krieg, nun kam, krankhaft
+verspätet, verfeinert und gesteigert die ganze Empfindsamkeit der
+Jünglingschaft über Dich -- und zerbrach an Weibesliebe. So fein und
+edel zart, wie es nur deutscher Jugend, die deutsches Leid versehrt,
+geschehen kann.
+
+Und jetzt steh ich allein. Die Kameradschaft durchlöchert und im
+Verfall. Argwohn -- Übelwollen. Jetzt, wo alles sich ergeben sein müßte
+auf Leben und Tod! Und die Jungen haben sie mir verwehrt! Neue Ketten
+schmieden sie. Die Luft im Bagno -- wie soll ich sie länger atmen! Und
+wär nicht die ganze deutsche Luft verpestet -- verpestet von Verrat!
+Rein muß ich atmen können! Ich ersticke hier, ich verderbe in dem Dunst
+-- ich will nicht verderben!
+
+Und wieder suchen seine Blicke die Landzunge. Da steht sie noch immer
+die weiße Gestalt und schaut auf die See. Jetzt haben die Augen das
+sichere Bild. Kein Trug -- Ingeborg ist es. Zu ihr will ich! In ihrem
+Schein gesund mich atmen.
+
+Er wandert mit eiligen, mit festlichen Schritten. Sein Leuchtfeuer zieht
+ihn, ruft ihn, grüßt ihn. Er steigt die Dünen hinan, klimmt dann den
+Abhang empor.
+
+Da oben steht sie. Und sie sieht ihm entgegen, als habe sie ihn
+erwartet. Sie streckt ihm die Hand zu. Die Freude ihres Blickes trübt
+sich, da sie von seinen Zügen das Unheil abliest. Und er sagt ihr, was
+geschehen ist. Dann, da er seinen Trost findet in dem treuen Druck ihrer
+Finger, in dem feuchten Glanz ihrer Augen, schüttet er sein Herz ihr
+aus.
+
+Immer mehr löst sich von mir, eins nach dem andern fällt von mir ab,
+vereinsamt bin ich in meinem Heimatland, kraftlos -- was bin ich ihm
+nutz? Kann ich so dem Vaterlande dienen?
+
+Und immer klarer spricht er so zu sich selbst. Ich brauche meine Kraft!
+Wo kann ich sie wiederfinden -- wo als in der nordischen
+Gastfreundschaft! Da werd ich gesund und stark, von da werd ich
+zurückkehren mit ungetrübtem Wikingermut. Frei von allem, was mich hier
+lähmt -- selbst frei und ein Befreier!
+
+Sie sitzen beieinander, Ingeborg und Horst. Die helle Zaubernacht ist um
+sie. Er birgt sich in den Glanz ihrer Flechten, wie in einen Goldpanzer
+hüllt er sich, allem Trüben, allem Düstern, allem Üblen und Niedern eine
+Wehr. Er nimmt ihre Hand. »Wenn Sie wollen, höre ich nun doch noch in
+diesem Sommer das Summen unter Ihren Linden.« Da sind ihre Augen voll
+Seligkeit.
+
+
+
+
+ Das Richtfest
+
+
+Den Feinden der Siedlung war das neue Haus ein Dorn im Auge. Es schwoll
+ihr Zorn, je höher es wuchs.
+
+»Steinerne Zwingburgen errichten sie«, so lärmten die Schlagwörter in
+dem Konvent. »Und Zwingburgen werden niedergelegt!« forderte die
+Nutzanwendung.
+
+Es war ihnen bekannt, das eine hochnotpeinliche Waffensuche unter
+Aufsicht von Ententeoffizieren den Kreis bedrohte.
+
+»So wissen wir also, wo wir unsere Handgranaten zu verwenden haben --
+ehe sie uns genommen werden!« rief Kittel, der Buchbinder, und gellend
+pfiff der Atem aus seiner schmalen keuchenden Brust.
+
+Stahlboom wandte sich dagegen. Er wollte alle Waffen aufgespart haben
+für die große Aktion, die bevorstand. Die Suche gälte auch nicht ihnen,
+den Proletariern, sondern den monarchistischen, den reaktionären
+Banditen. Sie selbst dürften beruhigt sein. Da sprach einer ein Wort
+furchtbarer Wahrheit: »Wenn die Verräter nicht wären! Wer ist jetzt in
+Deutschland vor Verrat sicher?« Und das Grausige, das hier aufschrie,
+verwilderte wiederum die Gemüter.
+
+Die Wüsten waren nicht zu bändigen. Das Richtfest am nächsten Sonntag --
+sie wollten ihren Trumpf daraufsetzen, es sollte den Siedlern gesegnet
+werden! Und der schwarze, der blutige Sonntag vom Mai würde seine Sühne
+finden.
+
+Die Siedler arbeiteten mit verdoppelter Kraft. Zu früh war der Termin
+für die Richtung des Hauses angesetzt worden -- es war ihr Ehrgeiz, ihn
+inne zu halten. Alles, was die Seelen bewegte und erregte, der Tod
+Gisberts, Horst in seiner Verschlossenheit, die zur Abkehr und Abweisung
+sich schärfte und anfing böses Blut zu machen, die Reibungen,
+Quertreibereien, Scheidungen und Zerwürfnisse innerhalb der Baracke --
+alles ward dem einen Gedanken untertan, dem Gedanken an das Haus und
+seine Vollendung.
+
+Ein großer Tag sollte es werden. Alle, denen das Siedlungswerk etwas
+bedeutete, sollten mit feiern. Was einer an Freundschaft hatte, wollte
+er bitten, jeder Biedermann sollte geladen sein. Ein Volksfest! Mit
+eifriger Hingabe sie alle bei der Vorbereitung. Kein Wort gab es, das
+nicht von der Richtfeier sprach. Wie Kinder vor dem Weihnachtsfest waren
+die Männer.
+
+Horst berief Dankwart und Kunz zu einer Unterredung. Er sprach ohne
+Umschweif, mutig und frei. Die schweren Worte wurden von einer harten,
+hellen Entschlußkraft wie emporgeschnellt. »Ich gebe mit dem Richtfest
+das Siedlungswerk in Eure Hände. Ich hab mit der Gründung meine Kraft
+aufgebraucht. Ich kann hier nicht mehr wirken, nichts mehr leisten, ich
+bin nur noch im Wege. Erst muß ich mich selbst erneuern. Das kann ich
+nicht in dieser Luft. Darum will ich eine Zeitlang außer Landes gehen.
+Meine neuen schwedischen Freunde haben mich eingeladen. Ich fahre mit
+ihnen.«
+
+So weit war er also! Die Kameraden hatten ja sein Wanken gespürt. Daß er
+jetzt ganz von ihnen wich, daß er sie und seine Sache verlassen wollte
+-- wenn sie es auch in dunklen Stunden gefürchtet hatten, jetzt traf es
+sie wie ein jäher Schlag. Keinem von den beiden lag es, zu klagen, zu
+jammern, zu bitten, ob sie gleich wußten, was über die Siedlung
+hereinbrach. Waren sich auch wohl klar darüber, daß mit Flehen und
+Winseln hier nichts zu schaffen sei.
+
+Dankwart, finster, sprach in sich versunken ein klanglos leeres Wort:
+»Das ist sehr zu beklagen.« Kunz, beweglicher, weiter greifend,
+heftiger: »Dann können wir hier also einpacken!«
+
+»Was heißt das!« Horst lehnte sich dem entgegen. »Das Werk bleibt. Und
+wenn ich nicht bleibe -- jeder ist zu ersetzen. Vielleicht ist es meine
+Sache, etwas anzuregen, etwas in die Wege zu leiten. Aber es fest an der
+Hand zu halten -- das ist mir offenbar nicht gegeben. Ihr seid die
+Stetigen, die Beharrlichen, die Harten -- führt Ihr das Werk weiter.«
+
+Kunz war in die Höhe gesprungen. »Ob das wahr ist, ob das falsch ist --
+ich habe die eine Frage, die Du immer gestellt hast! Wo bleibt das
+Beispiel, frage ich! Bist Du es nicht, auf den alles blickt!«
+
+»Man blickt auf mich, sagst Du -- nun, so wie ich bin, darf ich mich
+nicht länger zeigen. Ich muß wieder anders werden -- ehrlich will ich
+mich darum mühen. Ich will ja auch nicht für immer fort.« Und nun
+schlugen seine Arme wie gehemmte, verschnittene Flügel. »Nur ein Ausflug
+soll es sein -- aber ich brauche den Flug!«
+
+Darauf Kunz, seine Stimme pfiff wie eine Klinge: »Horst -- Du kommst
+nicht wieder.« Hierin war soviel Klage, soviel Zorn, soviel Schmerz, die
+Männer zuckten zusammen, alle drei. Und ein Schweigen schloß sie ein.
+
+Horst riß sich auf. Eine leichtere Haltung gab er sich, einen lächelnden
+Ton. »Wenn Du es sagst --! --« Aber es zersprang etwas in ihm. Ein
+Schmerz schnitt ihm durchs Mark. Und brüchig ward, was er weiter sprach,
+aber er gab nicht nach. »Dies das Hauptsächliche. Meinen Entschluß kennt
+Ihr. Das einzelne besprechen wir noch.«
+
+Er hatte Bestimmungen zu treffen, der Tagesdienst holte ihn. Dankwart
+und Kunz blieben allein.
+
+Beide starrten sie, dumpf, hohl, düster. Dann stieß Kunz rauh und
+krächzend hervor: »Wie die Siedlung erschlagen ward. Kein Heldenlied ist
+dies.«
+
+»Gut.« Dankwart hat sich schmerzlich fest wieder beisammen. »Wir stehen
+auf verlorenem Posten. Aber Posten ist Posten. Und wir halten ihn. Bis
+in uns nichts mehr hält!«
+
+Jetzt ist Kunz an seiner Seite. »Ja, Dankwart, ja. Die Sache will es.
+Wir wollen es. Und so geschieht's! Mag denn die alte Siedlung
+zusammenbrechen -- eine neue gilt es zu schaffen. Und dann also lustig!
+Mit dem Großreinemachen zu Hause fangen wir an.«
+
+Auch Dankwart rief es zu der Arbeit. Sein letztes Wort, heiser und
+bitter, war das: »Und auch hier wieder ein Weib!«
+
+Ingeborg -- der Gedanke war bei Kunz gekommen und gegangen. Jetzt saß er
+fest bei ihm. Natürlich war sie es, die den Ausschlag gab.
+
+Und seine eigene Liebesnot packte ihn immer grausamer an. Hatte er nicht
+sein Mädchen verloren! Verloren, da er nicht gleich den Weg zu ihr
+gefunden, da die Stunden, die ungenutzten, immer mehr Hindernisse
+aufgebaut, immer mehr an Trotz und Scheu. Konnten sie beide noch hinüber
+-- und wollten sie es noch? Das war ja das Schlimmste: wollten sie es
+noch? War nicht das Köstliche gestorben?
+
+Und gegen Horst wandte sich seine Wut. Du verstehst es, Dir es besser zu
+bereiten. Was habe ich früher gefabelt von Deiner Weiberfestigkeit,
+Deinem Weiberstolz -- alles, alles bitt ich Dir ab! Wer so wie Du
+Gelegenheiten wahrnimmt! Wer wie Du in allen möglichen Sätteln gerecht
+ist!
+
+Wie hast Du um Lona Dich angestellt! Und jetzt, wo das schöne blonde
+Schwedenmädchen Dir in den Wurf kommt -- dieses weiße, blonde, und
+dieses reiche, dieses reiche, ja!
+
+Er suchte sein Ventil, in seine Reimereien giftete er sich hinein:
+
+ Den einen nahm der Brahmaputra --
+ Den andern langt sich die Valuta.
+
+Und entgiftete sich wieder, denn hier erschrak er nun doch vor sich
+selbst, vor des Hasses Häßlichkeit.
+
+Nein, Horst -- das ist es nicht. Soweit ist es nun doch nicht mit Dir.
+Aber ist es nicht weit genug? Und kommt nicht eins zum andern!
+
+Ist es nicht genug, daß Du von uns gehen willst! Uns im Stich lassen --
+ja, ja, so nenn ich es! Uns untreu werden und Dir selber.
+
+Wie habe ich immer zu Dir aufgeschaut! Und was bist Du mir gewesen!
+Wohl, nicht immer war, was Du tatst und ließest, mir nach dem Herzen.
+Aber die große Linie Deines Wesens -- wie zwang sie mich immer wieder zu
+Dir hin. So gut wie sie alle bezwang, wie sie all unseren Kräften die
+Richtung gab, das gemeinsam starke, gemeinsam freudige Ziel.
+
+Nun ist sie verbogen, geknickt, gebrochen. Da Du Dein eigenes Werk
+verläßt und verrätst. Ja, und tausendmal ja, verrätst! Ein
+Fahnenflüchtiger bist Du! Nichts wird hier beschönigt, verschleiert,
+bemäntelt. Ein Verräter bist Du! Und Dein Werk geht an Dir zugrunde.
+
+Dankwart und ich, die wir bleiben -- er hat es richtig bezeichnet, auf
+verlorenem Posten stehen wir. Und das Beste unseres Lebens wird hier
+zerschellen.
+
+Nicht steht es in unserer beider Macht, was Du vermochtest, als Du noch
+bei Dir und auch bei uns warst, das Auseinanderstrebende, das sich
+Widerstrebende zu binden! Gewiß, daß dies das Höhere, das Größere war!
+Wir beide, wir werden zerklüften, zerreißen -- der Kampf im eigenen
+Hause, das ist es, was wir bedeuten! Aber hast Du nicht selbst gesagt,
+ein Kleindeutschland soll dies hier sein! Nun, so sei es das auch ganz,
+mit der vollen Zerrüttung im Bruderzwist! Der Wahn eines wilden
+vernichtenden Hohnes brach aus seinen Augen.
+
+Wir werden unterliegen, gewiß, denn die Masse siegt. Aber besser
+untergehen, als Masse sein! Die Mulitz und Metzling werden uns zu Boden
+treten -- sollen sie! Aber Dir werden wir es gedenken, denn dies alles
+danken wir Dir! Und wieder ruft es in ihm: Verräter! Wilder und wilder
+brausen in seinem Schädel die Flammen, der nur noch mühsam in seinen
+Nähten festsitzt. Von der Hirnwut, die durch die deutschen Lande rast,
+befällt es auch ihn. Und es wühlt sich etwas in ihn ein.
+
+Sichtbar sind wir, wir haben die Pflicht der Höhe! Er hat es immer am
+meisten gepredigt, mit Brustton verkündet, er, der uns jetzt im Stich
+läßt. Der jetzt sich in Sicherheit bringt, der ins Ausland flüchtet, vor
+der wachsenden deutschen Not. Ein Verräter!
+
+Und wir -- wer sind wir, die wir den Verrat in unseren Reihen dulden!
+Nein, nicht in unseren Reihen! Den Verrat unseres Führers! Sind wir
+damit nicht seiner wert! Sind wir damit nicht schuldig wie er!
+
+Verräter wie er, wenn wir ihn ziehen lassen! Und es frißt sich ihm ins
+Blut: er darf nicht fort! Und wenn es auf Tod und Leben geht -- er darf
+nicht fort!
+
+Was wär bei den Römern geschehen, was bei den alten Germanen! Sollen wir
+der Väter nicht würdig sein -- heut mehr als jemals! Sollen unseren
+Jungen nicht Vorbilder leuchten! Und sie blicken auf uns! Auf mich! Ich
+habe meine Sendung.
+
+Das Unerbittliche brauchen wir. Das Unerbittliche. Jetzt, wo alles
+fließt in Deutschland, fließt und zerrinnt. Wenn nur einer hart ist und
+treu! Ein Kern nur -- ein Kern wird gebraucht -- und sei er noch so
+klein!
+
+Richtfest ist am Sonntag. Das Wort brennt sich ihm in die Sinne.
+Richtfest -- Gerichtstag wird gehalten! Wir werden richten! Ich -- ich!
+Wie ein Wächter steht Kunz, ehern, in Gluten gehärtet. Das Herz leer,
+dem die Freundschaft starb, dem die Liebe verklang.
+
+Die Siedlermannschaft erfuhr nichts von dem Entschluß des Führers. Nach
+der Einweihung sollten sie es hören. Daß etwas in der Luft lag,
+verspürten wohl die feineren Nasen. Aber man hing dem nicht nach. Die
+Festgedanken fieberten durch die Seelen.
+
+Und jetzt zieht der festliche Sonntag auf. Noch die Nacht hindurch haben
+sie gearbeitet, das Morgenrot sieht den Rohbau mit dem Dachgerüst
+vollendet, der Tag gehört der Feier.
+
+Laubgewinde wird gebunden, eine mächtige Krone wird geflochten und mit
+farbigen Bändern geziert.
+
+Vier von den Männern schleichen geheimnisvoll abseits, verkriechen sich
+in das Dickicht und üben hier noch einmal das Quartett, mit dem sie die
+Gefährten überraschen wollen. Die tiefste Einsamkeit sucht Mulitz, der
+Maurerpolier, der die Kranzrede halten soll. Noch einmal memoriert er,
+was er mit Benutzung alter Sprüche für die Weihe des Hauses sich
+aufgesetzt hat.
+
+Die Sonne segnet den Tag. Für die Bewirtung der geladenen Gäste werden
+noch Tische und Bänke im Freien gezimmert -- große Sprünge können die
+Siedler nicht machen, mehr als Bier wird nicht verzapft, und auch das
+schon reißt ein übergroßes Loch in die Finanzen. Aber was hilft es,
+Vornehmheit verpflichtet. Und heute wollen sie einmal alle Sorgen dem
+Wind vor die Füße schmeißen!
+
+Am frühen Nachmittag soll die Feier beginnen. Als die ersten finden die
+Jungen aus der Stadt sich ein. Fragen, ob sie noch irgendwie helfen
+können. Fritz Röder und zwei andere noch haben ihre Kameras mitgebracht.
+Sie wollen alle Einzelheiten des Festes verewigen und viele
+Gruppenaufnahmen machen. Damit sind sie besonders willkommen.
+
+Dankwart holt seine jungen Freunde zu sich herein. Sein Modell ist
+flugfertig. Es soll über dem Bau kreisen, wenn die Weiherede steigt.
+Ganz hingegeben erklärt er ihnen noch einmal das Neue der Konstruktion.
+Ebenso hingegeben hörten die jungen Köpfe zu. Wie freuen sich alle auf
+diese so hohe Überraschung. Wie sind sie getragen von dem Geheimnis, das
+sie feierlich bewahren.
+
+Siedler empfangen ihre Eingeladenen. Im weiteren Umkreise werden
+Zuschauer sichtbar. Neugierige machen sich näher heran, andere lagern
+sich abseits im Heidekraut.
+
+Von Moorhof her kommt eine Frau, schwarz gekleidet, in Begleitung von
+Pastor Waermann. Die Patronin der Siedlung ist es, Frau Tilde. Wie ein
+Flor wallt es um sie her. Ernst wird es allen zu Sinn. Verehrungsvoll
+verneigen sich die Männer. Einer macht sich gleich auf den Weg, Meldung
+an Horst auszurichten, der in seinem Raum immer noch mit der Ordnung von
+Schriftstücken beschäftigt ist. Er tritt sofort heraus, den erlesenen
+Besuch zu empfangen.
+
+In voller Uniform mit Ordensschmuck ist er, dem Tage die Ehre zu geben,
+wie Dankwart und Kunz auch, wie die meisten der Siedler. Horst trägt nur
+das kurze Seitengewehr. Dankwart und Kunz haben auch die Pistole im
+Gürtel.
+
+Horst reicht Tilde still die Hand, bei Gisbert sind ihrer beider
+Gedanken. Seit er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes überbracht,
+haben sie sich nicht mehr gesehen. Edelsteinhart sind ihre Augen
+geworden, nur von Pflicht und Arbeit wissen sie. Um ihren beseelten Mund
+hat ein starrer Zug sich gegraben. Sie versteinert von dem Fluch der
+Einsamkeit, dem ihr Leben erliegt.
+
+Kunz findet sich zur Begrüßung ein. Horst und er sehen sich heute zum
+erstenmal. Sie mustern sich wie zwei Kämpfer, kalt, feindlich. Seit
+Tagen ist kein Wort zwischen ihnen geredet.
+
+Horst spricht mit Tilde, der Pastor mit Kunz. »Warum habe ich Sie so
+lange nicht gesehen?« fragt Waermann.
+
+Kunz schweigt. Wo hast Du Vita? will es ihm auf die Lippen. Aber dann
+denkt er, wie gleichgültig ist dies. Gegen das, was hier geschieht. Und
+sein Blick greift zu Horst hinüber. Der Pastor sieht diesen Blick, und
+schrickt zusammen. Was ist mit Kunz? Hier ist mehr als Schmerz und Klage
+um den toten Freund. Etwas Wildes, grausam Gewaltsames züngelt hier.
+Etwas wahnhaft Verbohrtes wühlt hier. Und wieder gewahrt er das in dem
+Blick, mit dem Kunz die neuen Gäste, die Schweden aufnimmt. Was geht
+hier vor?
+
+Oberst Thorild und seine Tochter sind dem Pastor bekannt, Frau Tilde
+werden sie vorgestellt. Kunz löst sich von der Gruppe, um die ein
+gemeinsames Gespräch sich schlingt. Er starrt vor sich hin, in seinem
+Gehirn ist eine leere tote Stelle.
+
+Dann schweifen seine Augen mechanisch über die Versammelten ringsum. Er
+sieht ein paar Gesichter, die ihm nicht gefallen -- Bekannte, von dem
+Barackensturm her? Wie ein Schleier liegt es über allem.
+
+Und dann doch die Frage: Was wollen die hier? Wie wach und hell hätte
+ihn früher dieser Gedanke gemacht. Wie hätte der all seine Kräfte
+angespannt. Jetzt schleichen sie träge. Nur, daß durch ihn das eine
+hinblitzt: führten sie doch etwas im Schilde! Käme es doch wieder zu
+blutigem Kampf! Nur Blut könnte hier heilen! Und würde hier alles
+zerstört und dem Boden gleich gemacht -- vielleicht das beste! Besser
+ein ganzes Nichts als dies halbe Dasein des kümmernden Werks! Und er
+selbst wird in dem Untergang begraben und ist frei und erlöst, ist ledig
+aller Pflichten -- aller Taten --
+
+Ein Schleier liegt ihm über der Welt, ein rötlicher Dunst ist über den
+Dingen.
+
+Der alte Torfmeister wuchtet zu ihm her -- spricht gewaltig auf ihn ein
+-- seine Ohren dröhnen, die leere Stelle in seinem Hirn füllt sich mit
+tosenden Schmerzen -- er nickt benommen zu allem, was er hört, und weiß
+von nichts und starrt in die verschleierte Welt. Den Schleier zu
+zerreißen -- mir liegt es ob!
+
+Jetzt tritt Mulitz, der Polier, zum Bericht vor Horst. Es sei alles für
+die Feier vorbereitet. Wenn es recht sei, könne sie beginnen.
+
+»Dann wollen wir also!« bestimmt Horst. Wie matte Bronze ist sein
+Gesicht, verbissen sein Mund, um seine Augen sind Schatten, aber er ist
+fest und bereit.
+
+Und bereit ist auch Kunz.
+
+Zwischen Ingeborg und Oberst Thorild geht Horst, da sie nun alle zum
+Neubau wandern. Die beiden wissen, wie Schweres er trägt. Es ist
+abgemacht, daß sie gleich nach der Feier abfahren. Die Segeljacht ist
+bereit. Ihre Koffer haben sie gepackt. Aber sie wollen nicht daran
+erinnern, nicht davon sprechen.
+
+Doch Horst bringt selbst die Rede darauf. »Darf ich fragen, Herr Oberst,
+ob es bei dem Reisetermin bleibt?«
+
+»Wenn Sie einen Aufschub wünschen --«
+
+»Aber ich bitte. Meine Sachen sind geordnet. Ich bin freudig dabei.«
+
+Ingeborgs Augen strahlen zu ihm empor.
+
+Sein Führerblick übersieht den Kreis. Ganz dahinten -- eine besondere
+Gruppe fällt ihm auf. In ihr ist lebhafte Bewegung. Einer redet jetzt
+eben -- gestikuliert verzweifelt -- ein anderer beschwichtigt -- hält
+zurück -- bändigt -- beschwört. Die Köpfe sind nicht zu erkennen. Doch
+nach der Haltung, der Bewegung, der Gestalt -- der Bändiger, der Lange,
+ist das nicht Stahlboom? Die Kommunisten -- was wollen sie hier?
+Bereiten sie sowas wie einen Anschlag vor? Er behält sie im Auge.
+
+Hat die schwarz-weiß-rote Fahne sie erregt, die eben über dem First des
+Neubaus an dem Flaggenmast in die Höhe steigt, von Sonne und Wind mit
+Jubel gegrüßt?
+
+Von der Baracke her ist Dankwart mit den Jungen erschienen. Sie tragen
+sein Flugzeugmodell. Auf die Goldberge steigt er mit ihnen und bringt
+den Apparat in Stellung.
+
+Vor dem Hause machen Mulitz und der heilige Josef die Ehren. Die
+Versammelten -- eine große Schar ist es geworden -- stellen im Halbkreis
+sich auf. Der Polier will ins Haus, will das Gerüst unter der Krone
+besteigen und die Kranzrede halten. Da, wie jetzt das Schweigen sich
+über sie breitet, knattert ein Automobil in der Nähe. Sie horchen auf.
+Kommt noch hoher Besuch?
+
+Jetzt hört es sich an, als wolle es auf der Straße, die man von hier aus
+nicht sehen kann, vorüberfahren. Dann hält es. Dann nimmt es eine neue
+Richtung. Jetzt kommt es querfeldein über die Heide. Wen bringt es?
+Uniformen blitzen darin.
+
+Das Gelände wird sandig und hüglig. Der Wagen stockt und steht. Die
+Insassen steigen aus. Ententeoffiziere. Ein französischer, ein
+englischer Hauptmann. Sie schreiten auf die Versammelten zu. Zwei
+französische Sergeanten hinter ihnen.
+
+Ein Todesschweigen über all den Menschen. Eine Stille ringsum, als halte
+die Welt den Atem an. Als drehe die Erde sich nicht mehr. Nur die
+schwarz-weiß-rote Fahne rauscht im Winde.
+
+Der französische Kapitän, geschniegelt, kokett, bewußt, der Rangälteste
+und Wortführer, greift sich mit den Blicken Horst heraus, den er gleich
+als die leitende Persönlichkeit erkennt. Mustert ihn, in seiner
+deutschen Offiziersuniform, mit unverschämten Blick, von Kopf zu Füßen.
+Erklärt dann in einer Art leutseligen Gesprächigkeit: sie hätten heute
+am Sonntag eigentlich nur einen Vergnügungsausflug vorgehabt -- _à votre
+océan_ -- und die Frechheit ist wieder obenauf. »_Mais maintenant votre
+noir-blanc-rouge nous a attiré. On revient toujours -- vous savez -- à
+ses premières amours!_« Horst steht kühl, aufrecht, in voller Höhe vor
+ihm und würdigt ihn keiner Antwort. Sein Blick ist dem Franzmann
+unangenehm. Er weicht ihm aus und spricht jetzt herrisch und giftig: da
+sie nun einmal hier wären, wollten sie »das Nützliche mit dem
+Angenehmen« verbinden -- er schlägt mit dem Handstock seine
+Ledergamasche -- und hier an Ort und Stelle gleich die Waffensuche
+vornehmen. »_S'il vous plaît_« -- wendet er sich an den Engländer, der
+schläfrig dasteht und aus seiner kurzen Shagpfeife pafft. Kaum hält er
+es für nötig, mit dem Kopf zu nicken oder ein »_yes_« zu kauen.
+
+Der Franzose sieht sich im Kreise um, er mustert das Publikum bei diesem
+Schauspiel, dessen Hauptheld er ist, da trifft von den Goldbergen her
+ein Flimmern sein Auge. Das Flugzeugmodell blitzt in der Sonne.
+
+Er setzt den Feldstecher an. »_Ah -- un modèle d'aéroplane! voilà des
+essais, qu'il faut surveiller avant tout!_« Er wendet sich an den
+englischen Hauptmann -- »_vous arrange -- t-il?_« -- und schreitet auf
+die Höhe zu. Der Englischmann grunzt und bleibt an seiner Seite. Die
+Sergeanten folgen.
+
+Horst auf anderem Wege überholt sie. Dies alles geht ihn natürlich
+zuerst an. Kunz ist an seinen Fersen. Der eiserne Ring, der ihm um die
+Brust saß, ist gesprengt. Eine neue Tonart spielt das Leben. Er kann
+wieder Luft holen. Er trinkt sie tief in sich ein. Bis in den Hals
+schlägt ihm das Herz.
+
+Mit Dankwart zusammen nehmen Horst und Kunz die Feinde in Empfang.
+
+Die Menge ist an den Fuß der Goldberge geströmt. All die Köpfe sind
+gehoben, all die Gesichter, die Augen glänzen auf zu der Höhe. In allen
+Herzen klopft es: was wird geschehen? Daß hier etwas geschehen wird, sie
+fühlen, sie wissen, sie fordern es alle. Und so sind sie einig,
+geschlossen, eine große Gemeinschaft in diesem einen Gefühl. Von Pastor
+Waermann, dem Freiheitshelden, bis zu Stahlboom, dem Kommunisten -- in
+Frau Tilde, in Oberst Thorild, Ingeborg, dem Torfmeister, in allen
+Siedlern, allen Geladenen und Ungeladenen -- in allen, allen pulsen die
+Nerven denselben Takt.
+
+Auch in den frommen Wallern, die heute wieder erschienen sind -- zuerst
+haben sie sich gesondert gehalten und ferne -- in scheuer Andacht -- wie
+eifersüchtig auf ihre Sehnsucht -- jetzt rücken sie näher -- und bald
+werden sie sich ganz dem großen Chore einverleibt haben. Ist nicht in
+allen dieselbe Not, dasselbe Gebet? Werden nicht die vielen vereinten
+Hände, geeinten Herzen am ersten das Wunder beschwören? Am ersten ein
+Zeichen erwirken? Ein Zeichen des Trostes, und wenn nur ein kleines, das
+Hoffnung gibt auf die Erlösung!
+
+Da oben, eingespannt in den hellen, vollen, harten, wahrhaftigen Glanz
+der Sonne, stehen sie -- deutsche Offiziere -- feindliche Offiziere. Im
+Schmuck ihres Kleides, im Glanz ihrer Waffen, ihrer Ehren. Stehen sich
+gegenüber -- Welt gegen Welt. Was wird geschehen?
+
+Was entspinnt sich da? Der Kapitän besichtigt das Modell. »_Instrument
+de guerre_«, erklärt er. »_Vous le briserez sur le champ moi présent!_«
+
+Dankwart hat dafür kein Wort. Er wendet dem Heischenden den Rücken und
+legt beide Arme auf die Maschine.
+
+Der Franzose zischt wie eine Natter -- packt Dankwarts Schulter -- der
+schüttelt ihn ab, daß er taumelt.
+
+Da, in maßloser Wut hebt der Franzose den Stock und schlägt Dankwart
+über den Kopf! Dankwart, den Krüppel!
+
+Ein dumpfer Aufschrei preßt sich aus all den Herzen, den Kehlen --
+
+Horst -- schon hat er den Burschen am Kragen -- holt ihn sich hintenüber
+-- reißt ihm den Stock aus der Hand -- legt ihn sich übers Knie und läßt
+seine Hiebe auf ihn hageln.
+
+Blitzschnell das alles. Der Engländer steht regungslos. Die Sergeanten
+wollen zuspringen. Die Hand mit der Shagpfeife weist sie zurück. »_Fair
+play!_« Um den breiten Mund ist das Lächeln einer ehrlichen kleinen
+Teufelei.
+
+Blitzschnell ist es vorüber. Atemlos, im Bann, in verzücktem Schweigen
+-- so haben all die Herzen, die Hirne das Bild getrunken. Sie haben es,
+sie halten es, verwachsen ist es mit ihnen.
+
+Jetzt, da Horst den Gezüchtigten beiseite geschmissen hat -- da dieser
+mit schäumendem Mund und irrem Auge die Pistole aus dem Gürtel reißt --
+mit donnerndem Hurra sind all die Siedler den Berg hinaufgestürmt.
+
+Der englische Hauptmann hat den Arm des Verstörten genommen. Sein »_we
+shall see!_« kaut er und führt ihn gemessen den Berg hinunter, zu ihrem
+Auto.
+
+Ein Jubel hat sich aufgemacht wie eine Windsbraut. Das große Meer des
+Zornes eines edlen, mächtigen, geknechteten, geschändeten Volkes -- hier
+schlägt es seine Wellen empor, himmelan. Sie klatschen in die Hände, sie
+umarmen sich, sie brausen, sie taumeln unter Weinen und Lachen. Muz wie
+ein Feuerrad rast um sich selbst -- man sieht nur ein tosendes Rund und
+sprühende Funken. Ein donnerndes Rollen steigt zum Firmament. Lud
+Uhlenbrook lacht und lacht aus vollem Herzen -- so brüllt das Glück.
+Außer Rand und Band ist die ganze sonnenselige Welt. Das blanke hohe
+Himmelszelt spannt sich zum Zerspringen -- zerreißt es nicht -- bricht
+nicht ein Blitz aus dem Blau -- ein Gottesantlitz?
+
+Horst über ihnen allen, strahlend wie Michael, die Augen geweitet, die
+Nüstern gebläht, ein unergründlich glückliches Lächeln um den Mund. Noch
+meiden sie ihn, wie ein Höheres, ein Heiliges.
+
+Dann aber stürzen die Jungen zu ihm. Fritz Röder -- will es schreien --
+und erstickt an seiner Seligkeit -- und stößt es dann mühsam aus
+verschluckten Tränen hervor -- »ich hab es geknipst!« Und zwei andere
+stammeln »ich auch!« Und Fritz verkündet es heiser, lallend,
+zusammenbrechend -- »ein Bild ist das -- ein Titelbild -- für die
+Geschichte -- in alle Lande, in alle Städte, in alle Dörfer soll es
+fliegen -- für die Weltgeschichte -- für die deutsche Geschichte -- ein
+Titelbild -- ich hab es geknipst --«
+
+Wie ein vom Strick Losgeschnittener steht Kunz. Zu heftig hat sich die
+hohle Stelle in seinem Brägen wieder gefüllt. Noch blickt er verblödet.
+
+Da schleicht von hinten etwas zu ihm, springt ihn an, drückt ihm die
+Lider zu mit kindlichen Händen -- wer ist es? -- was fragt er, da er es
+fühlt?
+
+Und sein Mädchen schenkt ihm der deutsche Jubel! In seinen Armen hängt
+Vita und küßt ihn mit fast mänadenhafter Glut. Daß er aufs neue
+verblödet. Aber plötzlich ist er so hell und gescheit wie noch nie in
+seinem Leben und packt zu und hält fest. Und ist der bedeutendste und
+mächtigste aller Menschen.
+
+Und ist wieder der Junge, ganz der Junge -- schreit auf wie ein
+Verrückter -- schlägt Purzelbäume, sieben hintereinander und brüllt
+zwischendurch zu seiner Vita hinüber: »Bin ich dick?«
+
+Dann bleibt er besinnlich im Grase sitzen. Ist das ein Tag -- eine Tat.
+Ich muß sie besingen. Die Welt erwartet es von mir. Ein Heldenepos! Ich
+hab auch schon einen Titel: der Büchsenspanner Seiner Majestät des
+deutschen Volkes. Nein, ein Volkslied muß es werden. Ein Kutschkelied.
+Und soll noch von den Enkeln gesungen werden in allen Gauen.
+
+ »Da sprach der Horst, das ist mir Worst,
+ Und haut ihm, daß die Hose borst.«
+
+Ingeborg ist bei Horst. Sie läßt das Glück ihrer Augen leuchten, wenn es
+auch schwer dahinter dämmert. Sie packt seine Hand mit beiden Händen.
+Das wiegt alle Worte auf. Dann spricht sie leise: »Aber nun wird Ihnen
+hier Schweres bevorstehen.«
+
+»Wer das nicht fröhlich auf sich nimmt --!« Gleichwohl schweifen ihre
+Blicke zur See hinunter und etwas in ihnen spricht: da liegt unsere
+Jacht segelfertig. Du tust gut, Gras wachsen zu lassen über das, was
+hier geschehen ist! Komm jetzt! Fahr mit uns! Mit mir!
+
+Doch, wie sie das Auge wieder voll zu ihm wendet, erschrickt sie vor
+diesem eigenen versteckten Denken und Wünschen. Ich würde es selbst
+nicht wollen, daß Du Dich von hier entfernst! Daß Du mit uns fährst. Ich
+würde Dich selbst so nicht wollen! Und ein harter reiner Schmerz bändigt
+ihre Flammen.
+
+Oberst Thorild tritt hinzu. »Ein Wahrzeichen -- ein Wappen -- eine Fahne
+sind Sie geworden!« Seine Augen sind voll Feuer.
+
+»So darf man denn das -- Abgedroschene, das Triviale gelten lassen, weil
+es die stärkste Anschaulichkeit, die größte Bildkraft hat. Dafür werden
+die Abstrakten im Lande Zeter über mich schreien.«
+
+»Die lassen Sie nur.«
+
+»Und die nützlich Ängstlichen noch mehr. Ich hör es schon in ihren
+Blättern rauschen. Kostspielig wird die Sache -- schädlich
+verbrecherisch ist Deine Tat! Nur ein Volksfeind konnte so handeln!«
+
+»Die lassen Sie erst recht. Ich sag Ihnen, noch ein Dutzend solcher
+symbolischen Handlungen, und das Volksgewissen bekommt sein Mousseux,
+seinen Aufstieg. Ich glaube es lohnt, in diesem Volksgewissen zu leben!
+Dafür aber, mein Freund -- so darf ich Sie nennen -- sind wir, Ingeborg
+und ich, jetzt die Leidtragenden. Da Sie jetzt nicht mit uns fahren.«
+
+»Ich denke, wir werden uns damit nicht verlieren.«
+
+»Niemals. So wie wir uns gefunden haben! Aber jetzt müssen wir Sie mit
+Ihren Kameraden allein lassen. Leben Sie wohl!«
+
+Mit starkem Händedruck nehmen sie Abschied voneinander. Lange liegt
+Ingeborgs Hand in der seinen. Dann bleiben ihre Augen nicht mehr fest,
+und sie wendet sich jäh von ihm.
+
+Horst blickt den Schreitenden nach. Oft noch dreht Ingeborg sich um und
+winkt mit dem Tuch. Er muß bitter hart die Zähne aufeinander beißen.
+Wieder ist eine Kraft von ihm gegangen. Wieder eine Saite in ihm
+zersprungen. Aber, was er noch hat, treu muß er es bewahren, denn es
+gehört nicht ihm allein.
+
+Und wie er jetzt die Kameraden sucht, da tritt jemand vor ihn hin, ein
+Unerwarteter. Stahlboom, der Kommunist. Der Feind, mit dem er gekämpft
+auf Leben und Tod. Der Feind -- der Landsmann jetzt, der Deutsche.
+Reicht ihm die Hand, schnell, hastig -- aber Hand ruht doch in Hand. Ob
+heimlich, wie beiläufig, ärgerlich fast -- die Hände haben sich doch
+gefunden! Wahrhaftig und notwendig! Die Hände und die Herzen! In diesem
+Zeichen wachsen sie zusammen.
+
+Da leuchtet es nun erst über Horst hin -- der Lichtstrahl der
+glückhaften Erfüllung! Die deutsche Einheit -- die Front ihrer Streiter
+-- sie ist kein Traum -- sie kann sein -- sie wird sein -- sie ist! Nur
+braucht sie ihr Signal! Die rechte Fahne muß wehen! Dafür leben und
+sterben!
+
+Horst ist mit den Kameraden zusammen. »Ja,« sagt Horst, »ob Ihr mich bei
+Euch behaltet? Ob Ihr nicht die Suppe, die ich auch Euch eingebrockt
+habe, mich lieber allein auslöffeln laßt --! --« Da lachen all die
+Siedler laut hinweg, was er sonst noch hätte sagen können.
+
+Kunz packt seine Hand und reißt ihn zur Seite. Und mit einem
+unbeschreiblichen Blick, in dem ein Bekenntnis liegt voll aller
+Düsternis und aller Helle dieser Welt, mit seinem lächelnden Knabenmund:
+»Ich dank Dir auch, Horst -- dank Dir, daß ich Dich nicht hab um die
+Ecke zu bringen brauchen.«
+
+Horst blickt in diese Tiefen und versteht den Freund, und ihre
+Freundschaft ist geheiligt.
+
+»Und jetzt weihen wir unser Haus! Ihr Jungen, singt Deutschland Euer
+junges Lied! Wir stimmen mit ein.«
+
+Und zur Sonne empor braust es:
+
+ Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft,
+ jede Faser gestrafft und gerafft,
+ wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
+ siehst du die nächtigen Wolken lohen?
+ Wir sind des Frührots lachender Schein!
+ Frei sollst du sein!
+
+ Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
+ Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
+ Unter die Füße den tückischen Haß,
+ seine Ketten zerspringen wie Glas.
+ Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
+ Frei sollst du sein!
+ Wir machen dich frei!
+
+
+
+
+ Vom gleichen Verfasser erschienen
+ in demselben Verlag
+
+ Die Ecke der Welt
+
+ Eine Erzählung. -- 5. Tausend.
+
+ »Mit _großer dichterischer Kraft_ hat Dreyer hier die Geschichte
+ von einer Frau und drei Männern erzählt, und er erweist sich auch
+ jetzt wieder als ein _Meister der Epik_, als unerschrockener
+ Seelenkünder. Das ganze Geschehen ist von der herben
+ Landschaftsstimmung des nordischen Küstenlandes umhüllt; im
+ knappen Aufbau der Erzählung verrät sich die dramatische Schulung
+ und die Schilderung erreicht eine seltene Farbigkeit und
+ psychologische Klarheit, die Gabe eines unserer _feinsten
+ Dichter_.«
+
+ (Hamburger Nachrichten)
+
+ *
+
+ Die Insel
+
+ Geschichten aus dem Winkel. -- 5. Tausend.
+
+ »Sieben _feine, kleine Geschichten_, anmutig in ihrer schlichten,
+ zu Herzen gehenden Art, eine Insel, auf die wir uns flüchten wollen
+ in den Wirren dieser Zeit. Die Naturschilderungen, die nicht
+ breit und platznehmend, dennoch vielfach im Vordergrund stehen,
+ sind von _schöner Kraft_. Die Skizzen sind _liebevoll ausgeführt_
+ und haben zumeist einen Humor, der welterkennend lächelnd über
+ den Dingen steht.«
+
+ (Eva Duncker im »Abendblatt«, Berlin)
+
+ *
+
+ Nachwuchs
+
+ Roman. -- 5. Tausend.
+
+ »In eigenartiger Weise behandelt Max Dreyers neues Buch das
+ Problem, das nach einem an Blutopfern überreichen Kriege für jedes
+ Volk das wichtigste ist: Die Frage nach dem Ersatz für alle die
+ Jünglinge und Männer, die ihr Leben dem Vaterlande hingegeben
+ haben. _Kräftiger Realismus vermählt sich in dem packend
+ geschriebenen Roman mit einer den feinsten Seelenregungen
+ nachspürenden psychologischen Kunst._«
+
+ (Hannov. Courier, Hannover)
+
+
+ Vom gleichen Verfasser erschienen
+ früher in demselben Verlag
+
+ Der deutsche Morgen
+
+ Das Leben eines Mannes
+ 15. Tausend.
+
+ *
+
+ Ohm Peter
+
+ Roman
+ 18. Tausend.
+
+ *
+
+ Lautes und Leises
+
+ Ein Geschichtenbuch
+ 11. Tausend.
+
+ *
+
+ Strand
+
+ Ein Geschichtenbuch
+ 3. Auflage.
+
+ Einen ausführlichen Prospekt über die Werke von _Max
+ Dreyer_ liefert jede Buchhandlung oder der Verlag
+ kostenlos.
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
+Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere
+Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 20]:
+ ... ihn unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ...
+ ... ihm unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ...
+
+ [S. 27]:
+ ... warm. In diesem und jenen Frauenauge glänzte es ...
+ ... warm. In diesem und jenem Frauenauge glänzte es ...
+
+ [S. 51]:
+ ... -- es löste sich ihm all in die lichte Unendlichkeit dieser ...
+ ... -- es löste sich ihm alles in die lichte Unendlichkeit dieser ...
+
+ [S. 94]:
+ ... Die Widersprüche stürzen nur so über ihn. Er blieb ...
+ ... Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb ...
+
+ [S. 98]:
+ ... Diener -- der ihm ein Vermögen kostet -- ist ein alter ...
+ ... Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist ein alter ...
+
+ [S. 102]:
+ ... auch nichts getan«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ...
+ ... auch nichts getan?«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ...
+
+ [S. 237]:
+ ... in dieser Gegend.« ...
+ ... in dieser Gegend?« ...
+
+ [S. 298]:
+ ... ich hab es geknipst --« ...
+ ... -- ich hab es geknipst --« ...
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 ***
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--- a/57872-8.txt
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@@ -1,10962 +0,0 @@
-The Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
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-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Die Siedler von Hohenmoor
- Ein Buch des Zornes und der Zuversicht
-
-Author: Max Dreyer
-
-Release Date: September 9, 2018 [EBook #57872]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
- Max Dreyer
- Die Siedler von Hohenmoor
-
-
-
-
- Die Siedler
- von Hohenmoor
-
-
- Ein Buch
- des Zornes und der Zuversicht
-
-
- von
- Max Dreyer
-
-
- L. Staackmann Verlag, Leipzig
- 1922
-
-
- Alle Rechte vorbehalten
- Copyright 1922 by L. Staackmann Verlag, Leipzig
-
-
- Gedruckt bei Dr. Kurt Säuberlich, Leipzig
-
-
-
-
- Die Baracke
-
-
-Er schritt durch die Winternacht über die Heide. Von Kristall war die
-Mondwelt, die Luft klirrte und klang.
-
-Nach der Hügelkette, die ihm zur Seite blieb, sah er hinauf, »die
-Goldberge« hießen die Höhen -- Geheimnisse schliefen in ihrem Schoß.
-
-Nun ließ er seinen Weg und stieg auf die Gipfel. Hier stand er und
-blickte ins Land, auf das Reich seines Schaffens.
-
-Sein Reich -- eben hatte er den letzten Kampf bestanden, es sich und den
-Seinen zu gewinnen. Er kam aus der Kreisstadt. Nach endlosen
-Verhandlungen war es ihm heute gelungen, deren Väter, die trägen, die
-übelwollenden, die argwöhnischen Gemüter sich zu beugen. Die verfallene
-Ziegelei, die niemand kaufen, niemand pachten wollte, war samt dem
-Gelände jetzt ihm und seiner Siedler-Mannschaft gesichert. Damit erst
-war das ganze Siedlungswerk auf festen Grund gestellt.
-
-Die Ziegelei mit ihren Tonfeldern, auf der anderen Seite das Moor und
-sein Torfstich, ein Stück Kiefernwald, bereit, die Balken und Bretter zu
-liefern, reichlich Kulturboden und weites Heideland zum Urbarmachen --
-was brauchte man mehr zum Bauen und Hausen!
-
-Die Brust schwoll ihm, tief tranken seine Lungen die mondhelle Luft.
-
-Im Osten strahlte die See, vom Himmel beleuchtet bis an den Saum des
-Horizonts. Kein Schiff war zu sehen, kein Dampfer, kein Segler -- das
-tote deutsche Meer.
-
-Da zuckte es schmerzhaft durch ihn hin, und er wandte sich wieder
-landeinwärts. Schritt herab von der Höhe, schritt wieder seinen Weg über
-die Heide. Er warf den Druck von sich, seine Sehnen federten wie im
-Marsch. Das Lied der deutschen Jugend, das durch die Seelen zog, kam ihm
-in den gestrafften Sinn, und er sang sich die Worte:
-
- Wir sind die Jungen, in Not gestählt,
- in Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt.
- Deutsche Erde, die uns erschuf,
- deutsche Erde, uns gilt dein Ruf.
- Wir sind geweiht, wir schließen die Reih'n!
- Frei sollst du sein!
-
- Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen
- du bist der Ausgang, du das Beginnen.
- Nicht einen Bissen von deutschem Korn,
- nicht einen Tropfen aus deutschem Born,
- Deutschland, daß wir nicht dächten dein!
- Frei sollst du sein!
-
- Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft,
- jede Faser gestrafft und gerafft,
- wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
- siehst du die nächtigen Wolken lohen?
- Wir sind des Frührots lachender Schein!
- Frei sollst du sein!
-
- Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
- Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
- Unter die Füße den tückischen Haß,
- seine Ketten zerspringen wie Glas.
- Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
- Frei sollst du sein!
- Wir machen dich frei!
-
-Er war am Ziel. Die Baracke, die an den kiefernbestandenen Hang sich
-lehnte, war sein Quartier.
-
-Der Bretterbau lag dunkel, die Kameraden hatten nicht mehr auf ihn
-gewartet. Er klopfte im Dreischlag, der Mann, der die Wache hatte, war
-gleich zur Hand, steckte eine Kerze an und öffnete ihm.
-
-»Guten Abend, Runge, oder Guten Morgen!« grüßte der Eintretende.
-
-»Guten Abend, Herr Hauptmann.«
-
-»Wir haben jetzt auch die Ziegelei.«
-
-»Das ist famost!« In dem verschlafenen viereckigen Gesicht des
-Wachmannes tanzten freudig die kleinen Augen wie feurige Punkte.
-
-Dann berichtete er »nichts zu melden, Herr Hauptmann«, und jeder ging in
-sein Losament. Der Wachthabende in das kleine Gemach rechts vom Eingang,
-Hauptmann Horst Oldefeld in sein Zimmer, das gegenüber lag.
-
-Ein kahler, niedriger, einfenstriger Raum, in dem nichts als ein Tisch,
-zwei Stühle und ein eiserner Ofen stand. Das Bett war ein
-Bretterverschlag an der Wand, mit Strohsack und wollener Decke. Lag es
-sich hart und kalt darin, hatte er die Bannworte bereit: Schützengraben
-und Champagne! Durch Dreck geschleift -- in Dreck verkrustet! Und er
-kuschelte sich ein voll unbändigen Behagens.
-
-Morgens war er der erste auf. Holte sich die große blecherne
-Waschschüssel voll Schnee, und rieb sich mit der himmlischen Frische ab
-von Kopf zu Füßen. Dann im Mantel an den Tisch zum Schreibwerk, und er
-dampfte von Wärme in dem ausgekühlten Raum.
-
-Nicht lange, da trat der Hauptmann Dankwart Hamerslag bei ihm ein. Hart,
-ernst, wortkarg. Das Lid über dem rechten Auge infolge eines
-Kopfschusses halb gesenkt, der linke Arm steif, ein Granatsplitter stak
-noch in der Schulter.
-
-»Morgen, Junge«, grüßte ihn Horst. »Also die Städter hätten wir jetzt
-auch erschlagen.«
-
-»Hörte schon.«
-
-»Endlich die freie Bahn! Nun geht's aber auch mit heidi! Heut werden
-also Bäume gefällt.«
-
-»Ja.«
-
-»Ich will selbst den ganzen Tag dabei sein. Du übernimmst dann das
-Bureau.«
-
-»Gern. Nur --«
-
-»Was?«
-
-»Ich bin mit meiner technischen Berechnung noch nicht durch --«
-
-»Für die Kraftanlage?«
-
-»Ja.«
-
-»Das geht natürlich vor. Dann muß Gisbert den Schreibkram hier machen.
-Ich wollte die beiden Jungen sonst mit rausnehmen.«
-
-Die beiden Jungen waren die Oberleutnants Gisbert Hegendorf und Kunz
-Rutenberg. Sie schliefen und hausten in einem Gelaß.
-
-Gisbert in seinem Verschlag war der erste, der sich rührte. Langsam
-fanden seine schweren Traumaugen den Weg in den Morgen. Die langen
-Finger tasteten, der Wirklichkeit ungewiß, wie fragend nach dem Kopf,
-dann zuversichtlich geworden, fuhren sie glättend über das weiche blonde
-Haar. Und nun reckten sich die schlanken Glieder ins Wache, ins Leben.
-
-Kunz schlief noch fest. Wie ein kleiner Junge lag er, den harten,
-kurzgeschorenen Kopf in den runden Arm geborgen. Zu Füßen seines Lagers
-hatte Muz sich hingerollt, ein junger Schäferhund, nicht ganz rein von
-Rasse, aber um so reiner von Gesinnung, wie sein Herr kritischer Schärfe
-der Betrachtung zu wehren liebte.
-
-Gisbert streckte die langen Beine in den kalten Weltenraum und rief:
-»Kunz!« Kunz machte den Arm noch runder und schlief weiter.
-
-Gisbert prustete von der Waschschüssel auf: »Kunz!« Kunz knurrte und
-schmatzte und schnalzte nach einem Schimpfwort, gurgelte es zurück und
-schnarchte wieder ein.
-
-Jetzt aber trat Muz in Tätigkeit. Erhob sich, zog sich lang und länger
-die Hinterfüße aus dem Leib und schleifte sich so zu dem Lager des
-Unerbittlichen. Wie tröstend legte er die Schnauze auf die Schlafdecke
-und ließ den Schwanz pendeln gleich einem Perpendikel. Es ist Zeit, es
-ist Zeit, es ist Zeit -- und allmählich immer lebhafter: es ist hohe,
-hohe Zeit! es ist hohe, hohe Zeit!
-
-Diese leise Weckuhr brachte den Schläfer zuverlässig zur Besinnung.
-Seine Finger fühlten sich zu dem weichen Ohr der Uhr, streichelten das
-samtene Fell, sie bekamen ihre Regsamkeit und lösten den ganzen Leib aus
-seiner Starre. Und jetzt landete Kunz Rutenberg mit schnellem Sprung aus
-dem Bett auf dem harten Dasein und schimpfte sich hier vollends
-bodenständig.
-
-»Bande,« rief er, »Bande!« Und gähnte und schalt. »Was wollt ihr
-eigentlich von mir, was hab ich eigentlich bei euch zu suchen --
-ihr Eisenfresser der Pflicht -- ihr Barackenheilige -- ihr
-Kartoffelsuppenspartaner -- ihr Strohsackasketen -- ihr Flagellanten der
-Arbeit -- was soll ich bei euch -- in eurer Arche düsterster
-Enthaltsamkeit!«
-
-Die gekeuchten Worte gaben den Takt, nach dem er sich wusch und sich
-frottierte.
-
-»Das Licht ist, was ich liebe -- das Licht ist, was ich suche -- Geigen
-sollen schwirren -- prickelnde, knisternde Weisen will ich --
-Farbenfunken sollen sprühen -- über duftendes Frauenhaar -- das perlende
-Leben will ich, aus dem Glas, von den Lippen -- nicht die dunkle,
-hundekalte, muffige Öde eures elend ungehobelten Bretterstalls!«
-
-Er schnob gewaltig.
-
-Gisbert lächelte schweigend hinein in seine langen, feinen, edel
-gebogenen Züge. Dieses Geschmetter in den Morgen brachte ihm an sich
-keine Überraschung. Damit pflegte Kunz, der hurtige, Tag für Tag sich
-den Mund auszuspülen. Was dem stilleren Stubengenossen eine leise Freude
-gab, war die scheinbare Unerschöpflichkeit des Sprachschatzes, der
-täglich neue Gaben ausschüttete.
-
-Kunz war zuerst mit dem Anzug fertig und drängte nun zum Tageswerk. Er
-nannte das -- um sich vor sich selber treu zu bleiben -- den Tag
-schupsen, daß er eher zu Ende gehe.
-
-Gisberts sorgliche Genauigkeit bekam jetzt von ihm die Peitsche, und
-bald standen auch die beiden bei Horst im Zimmer. Hier hörten sie gleich
-von dem Erwerb der Ziegelei, der die Erlösung brachte. Niemand strahlte
-froher als Kunz. Und wie leuchteten die Augen bei diesem Sybariten des
-Wortes, als er hörte, daß er mit zu der harten Arbeit des Baumfällens
-ausersehen sei.
-
-Mit dem Glockenschlag versammelten sich alle in der Halle zum Frühstück,
-alle Siedler, Führer und Mannschaft gemeinsam -- es waren im ganzen
-ihrer dreiundzwanzig.
-
-Sie saßen ohne irgendwelche Rangordnung durcheinander. Der
-kameradschaftliche Grundsatz herrschte durchaus vor. Freiwillig hatten
-die Männer sich zusammengefunden zu schwerem, ernstem, gemeinsamem Werk,
-von dem sie meinten, es könnte vorbildlich sein. Von dem sie hofften, es
-könnte Hilfe bringen dem armen, ach so bedürftigen Vaterland -- geringe
-nur durch die Leistung selbst, doch größere durch das Beispiel. Ein
-Werk, in dem eine Freudigkeit des Glaubens atmete, ein gehobener Wille.
-
-Bauen, bauen wollen wir -- aufbauen -- was gibt es, das freier wäre, das
-mehr in die Höhe ginge, das dem Göttlichen näher käme!
-
-Und in lebendiger Gemeinsamkeit schaffen wir -- einer so nützlich, so
-nötig, so unentbehrlich wie der andere -- alle uns gleich durch die
-gleiche Pflicht, den gleichen Stolz, die gleiche Liebe zu dem, was wir
-schaffen -- wie Glieder eines lebenden Wesens, das denkt und sorgt und
-wirkt!
-
-Heimstätten bauen wir, aus deutscher Erde, auf deutschem Land. So
-unglückselig arm ist das Vaterland geworden, nur eins ist sein Reichtum,
-das sind seine Kinder. Die drängen zu ihm hin, die schmiegen sich an
-seine Brust, sie wollen, sie müssen bei ihm bleiben. Wie sie alle
-kommen, wie sie sich mehren, es fehlen die Herde sie zu wärmen und zu
-hüten. Deutsche Herde wollen wir bauen! Helfen wollen wir, daß kein
-Deutscher heimatlos sei im deutschen Land.
-
-Als wir in Wohlfahrt lebten, in übermütigem, gedankenlosem Glück, haben
-wir so manche Strecken deutschen Bodens nicht geachtet oder gar
-verachtet, haben wir über Ödland die Achseln gezuckt.
-
-Nun bietet diese arme Erde sich dar, auch sie möchte nützen und helfen.
-Und ist sie noch arm, da solche Kraft in ihr lebt? Uns liegt es ob, die
-Kraft zu lösen und zu mehren, durch unserer Hirne, unserer Hände,
-unserer Herzen Walten und Wirken. Ist das nicht wie Schöpfung? Ist das
-nicht Gottesnähe? Ein andächtiges, ein tiefes, ein heiliges Werk.
-
-Etwas von dieser Weihe lag auf jedem der Männer, die solchem
-tiefinnerlichen Dienst an der deutschen Erde sich ergeben hatten.
-
-
-
-
- Der Herr von Moorhof und die Siedler
-
-
-Sie waren zum Teil Regimentskameraden vom Kriege her, alle aber hatten
-sie dann einem Freikorps angehört, das gegen die spartakistischen
-Umtriebe sich einsetzte.
-
-Gerade dieser Küstenstrich hatte schwere Erschütterungen gesehen. Mehr
-noch als anderswo hatten sich hier Verbrecherhorden mit den
-Schwarmgeistern gemischt. Auf den Gütern vornehmlich gab es Raub, Brand
-und Mord.
-
-Da wurde ein Kommando hierhergelegt, Horst Oldefeld der Führer, Dankwart
-Hamerslag als Offizier ihm zur Seite, Gisbert und Kunz standen als
-Gemeine mit im Glied. Es waren dreißig Mann. Ihr Hauptquartier hatten
-sie in Moorhof, dessen Herr, Baron von Borkhus war es, der ihnen dann
-das Hauptgelände für die Siedelung zuwies.
-
-Das war ein alter Recke und Haudegen, der geborene Häuptling -- hätten
-die Raubgesellen ihn nicht angeschossen bei ihrem Überfall, er würde
-ganz allein mit seinen Leuten die Landschaft von dem Gesindel reingefegt
-haben.
-
-So war das geschehen, das mit dem Überfall, dem schwere Tat entsprang.
-
-Zwei Autos rattern auf den Hof, bespickt mit Matrosen und Abenteurern in
-Marineuniform. Vorne flattert die rote Fahne. Sie springen aus dem
-Wagen, an die fünfzehn Mann, schwingen ihre Handgranaten, besetzen die
-Türen von Haus und Stallungen.
-
-Der Führer ein junger, schlanker Mensch mit geistigem Gesicht,
-schwarzen, kaltfanatischen Augen und schmalem höhnischen Mund. Er und
-zwei Begleiter, die Pistole in der Hand, die Granaten im Gürtel, begeben
-sich ins Herrenhaus.
-
-Die Mädchen halten sich versteckt, der alte Diener erscheint zaghaft im
-Treppenhaus.
-
-»Wollen den Besitzer sprechen.«
-
-»Wen darf ich melden?«
-
-Die drei lachen. »Der sogenannte Besitzer hat sich bei uns zu melden.
-Aber plötzlich. Warten tun wir nicht lange.« Der Führer klopft mit dem
-Pistolengriff auf den Tisch.
-
-Schon kommt Baron von Borkhus die Treppe herunter, mit schwerem
-wuchtigen Schritt, der gewaltige Mann. Er geht mühsam, sein rechtes Bein
-ist von Ischias gekrümmt, die er in den Karpathen sich geholt hat. Er
-knöpft sich den Uniformrock zu. Mit Bedacht hat er sich den angelegt,
-als er von seinem Zimmer aus diesen Besuch erblickt.
-
-Seine mächtigen Augen über den Tränensäcken sehen mit einer unheimlich
-großen Gelassenheit auf die Gäste.
-
-Der Führer geht ihm entgegen, die beiden anderen sind im Anschlag.
-
-»Sie wünschen?« fragt der Herr.
-
-Der Sprecher redet etwas von einem fantastischen Furagekommando, dann
-tritt er nahe an den Baron hinan, der unbewaffnet und ungefährlich vor
-ihm steht.
-
-»Sie erlauben wohl! Wir sind hier doch nicht aufm Maskenball!« Und die
-frechen Finger greifen nach den Achselstücken.
-
-»Hund!« brüllt es ihm entgegen wie ein Orkan, in den glotzenden Augen
-ist Wut und Blut, die mächtigen Pranken schlagen sich um die Kehle des
-Angreifers und würgen ihn -- würgen ihn --
-
-Die anderen -- erst wie betäubt -- wollen zuspringen -- wollen wieder
-die Waffen nicht aus den Händen geben -- trauen sich nicht zu schießen,
-weil der Gefährte da in den Händen des Berserkers hin und her baumelt --
-inzwischen sind durch die Hintertür bewaffnete Gutsleute vom Inspektor
-hereingeführt -- Hände hoch! schreien sie von beiden Seiten -- dann wird
-geschossen -- die zwei Matrosen stürzen hinaus -- der Baron ist
-zusammengezuckt -- aber seine Hände wie verkrampft in dem einen Willen
-und gezwungen, sie lassen nicht los und würgen -- würgen --
-
-Draußen haben die beiden Wirtschaftseleven mit ein paar mutigen Leuten
-die eingedrungenen unter Feuer genommen.
-
-Zwei, drei werden getroffen -- nun gibt es kein Halten mehr -- sie
-stürzen in die Wagen -- kurbeln an -- lassen Führer Führer sein -- und
-rasen davon.
-
-Wie der Inspektor zurückkommt ins Gutshaus, kauert der Herr in einem
-Stuhl des Vestibüls. Um ihn wogt das Grauen.
-
-Auf dem Teppich liegt die Leiche des erwürgten Führers -- wie sie
-hingesunken ist.
-
-»Sie sind fort«, berichtet der Inspektor kurz. Er ist ein langer,
-sehniger Mann mit harten Zügen und kalten Augen. Die blicken nicht
-leidig zurück.
-
-Jetzt sieht er Blut über den rechten Stiefel des Herrn sickern. Er
-steigt über die Leiche, die ihm ein Hindernis ist und weiter nichts.
-
-»Herr Baron, Sie sind verwundet.«
-
-»Bin ich?« und als sei dieses unwesentlich, rührt er sich nicht, starrt
-und versinkt in die Worte: »erwürgt hab' ich ihn.«
-
-Nun ja -- ein Toter -- es ist Aufruhr, es ist Krieg. Empfindeleien kennt
-der Inspektor nicht. Er bleibt bei der Sache. Beordert ein Fuhrwerk in
-die Stadt, den Arzt zu holen -- führt den Herrn in das nächste Zimmer --
-entkleidet ihn -- verbindet die Wunde.
-
-»Grad in das infame Bein«, stöhnt jetzt der Baron. »Nun es geht in einem
-hin.« Aber er bleibt nicht lange bei sich selber und starrt dann wieder.
-
-Drei Tage später kam Horst mit seinem Trupp.
-
-Der Arzt hatte den Baron ins Bett gesteckt. Die Wunde, an sich nicht
-schlimm, verlangte Schonung. Horst saß an seinem Lager.
-
-Sie sprachen vom Krieg. Aus der unsäglichen Schmach dieser Zeit
-flüchteten sie in die blanken Tage der Ehren.
-
-Der Baron hatte als Major an der Somme gefochten, durch alle Grauen war
-er gewatet, durch die Schlammbäche in ihrer Hochflut von Blut, die mit
-Tornistern und Kochgeschirr Leichenfetzen und zerrissene Glieder
-mischte.
-
-Welch ein Gefühl der Weihe hatte sie doch getragen, daß all dies
-Entsetzen sie nicht mit Wahnsinn schlug!
-
-Und zwischendurch hielt er inne und sprach schwer: »Haben Sie schon mal
-einen Menschen erwürgt -- erwürgt mit eigenen Händen?«
-
-»Nein, Herr Major --«
-
-»Einen Deutschen! Ein Deutscher einen Deutschen! Eine Zeit
-apokalyptischer Greuel!«
-
-Dann steuerten sie hart und schnell einen anderen Kurs. Zwangen sich zur
-Nüchternheit. Sprachen von wirtschaftlichen Dingen.
-
-Was wird aus all den entlassenen Offizieren und Unteroffizieren, aus all
-den Kämpfern, die der Krieg erwerbslos gemacht hat?
-
-Land wird gebraucht. Ein eigenes Stück Erde -- ist das nicht der
-Inbegriff des sozialen Heils, weil hier ein seelisches Gut
-eingeschlossen ist?
-
-Siedlungsland müssen die großen Güter hergeben. »Ich will der erste sein
-und ein Beispiel«, sagte Herr von Borkhus.
-
-Er hatte gesehen, welch leuchtende Augen der Gedanke an das eigene Land
-in Horst Oldefeld entzündete, dem armen, verwehten Offizier, ohne
-Heimstätte, ohne Familie.
-
-Er hatte ihn liebgewonnen in den wenigen Stunden. »Wenn Sie wollen,
-sollen Sie sich hier anbauen.«
-
-Und im Laufe der Tage wurde schnell das Nötigste abgemacht. Baron
-Borkhus gab freudig. Einen kräftigen Zipfel schnitt er ab von seinem
-Besitztum -- Kulturland und Heide zum Urbarmachen, ein Kieferngehölz und
-ein großes Stück Moor.
-
-»Die Ziegelei von der Stadt müssen wir dazu haben, dann können Sie
-selber bauen. Herrgott -- und wenn der Tangentiener noch die kleine Ecke
-hergeben wollte, dann hätten Sie ein rundes Reich für sich!«
-
-Horst war in Geschmack gekommen. »Meinen Sie, daß ich einmal mit Herrn
-von Tangentien rede?«
-
-»Mit Klaus Tangentien?« Der Baron lächelte. »Soll ich Ihnen sagen, wie
-der ist? Ich stehe mit ihm auf meinem Acker, nicht weit von unserer
-Feldscheide. Da muß er Wasser lassen. Was tut er? Läuft er nicht nach
-seinem Feld hinüber und besorgt es da? Daß seinem Boden nicht das
-Ammoniak verloren gehe? So ist Klaus Tangentien. Und nun reden Sie mit
-ihm.«
-
-Horst dankte. Aber Herr von Borkhus ließ es sich angelegen sein, für die
-wirtschaftliche Sicherstellung das Nötige zu besorgen.
-
-Die Siedler selbst brachten ein Grundkapital zusammen. Am meisten hatte
-Gisbert in die Suppe zu brocken, den sie den reichen Jüngling nannten,
-und er gab mit vollen Händen. Auch Dankwart steuerte tüchtig bei.
-Weniger hatte Kunz zu geben, am wenigsten Horst, der so gut wie
-mittellos war. Von den anderen Kameraden beteiligte sich dieser oder
-jener mit kleinen Beträgen.
-
-Aber diese ganze Summe hätte nur für den Anfang gereicht. Borkhus
-brachte einen größeren Fonds zusammen. Er selbst lieh her, soviel er
-vermochte. Sobald er wieder auf den Wagen konnte, machte er sich auf die
-Walze. Bei Parteifreunden und Nachbarn warb er mit einigem Erfolg --
-Landschaft und Regierung versagten. Immerhin, in ein paar Wochen stand
-das Unternehmen auf leidlich festen Füßen.
-
-Und er hatte sich selbst einigermaßen wiedergefunden in solchem
-Liebeswerk. Die Freude, die er machte, leuchtete ihm heraus aus dem
-Dunst, mit dem diese Tage ihn ersticken wollten.
-
-Was bevorstand, trat ein: das Freikorps wurde aufgelöst. Horst und die
-drei Offiziere blieben. Dazu neunzehn von den Leuten, die ernsthaftesten
-und besten, alte Unteroffiziere in der Mehrzahl.
-
-Horst war der geborene Führer. Er trug etwas von dem Glanz des
-Unzerstörbaren, Unverlierbaren in sich. Er hatte die klare, reine Linie
-und hielt sie um so fester, als er um sie kämpfen mußte.
-
-Denn er war von Haus aus eigentlich ein Träumer gewesen und hatte viel
-bunte Märchen gelebt -- daher kam sein Lachen und seine Güte. Aber im
-Grunde seiner Art saß wieder eine starke Sehnsucht nach Verantwortung,
-eine Inbrunst für das Ziel, eine leidenschaftliche Liebe zur harten Tat.
-Und daher stammte sein Ernst.
-
-Dann die Offenheit seines Auges, die Unbefangenheit seines Wesens, das
-von verstecken nichts wußte und auch bei den anderen mit unbekümmertem
-Griff aus den Höhlen und der Heimlichkeit herausholte, was das grelle
-Tageslicht mied. Wenigen wie ihm taten sich so die Herzen auf. Darum
-kannte er auch die Herzen, ihre Kraft, ihre Hoheit wie ihre Tücken und
-Nücken. Und eben seines Wesens aufspürende Innigkeit feite ihn gegen
-Groll und Gift. Er hatte nun einmal von den großen Eigenschaften, gegen
-die es keine Rettung für kleinere Geister gibt -- als die Liebe.
-
-Machte das Hartsinnige, die starre Unbedingtheit den Führer aus, wäre
-Dankwart Hamerslag dafür der geeignetste gewesen. Ihm hatte das Feste,
-Spröde, Brüchige seiner Art ein grausames Geschick noch härter
-geschmiedet. Als frischer Ehemann war er ins Feld gezogen. Wie er auf
-Urlaub nach Hause kam, hatte seine Frau, die er vergötterte, die
-kindlich junge, schwärmende, haltlose aus der Ehe sich beurlaubt. Davon
-trug sein Leben die Wunde, die nicht verharschen konnte, und die sein
-Blut mit Bitternis durchschwärte.
-
-Er war der Techniker des Kreises, nicht genial und von großen Ideen,
-dazu fehlte es ihm an Herz und an Feueratem, aber von beispiellosem
-Scharfsinn und reicher Erfindungsgabe.
-
-Und auch in dieser Seele brannte ein Altar. Das war die Liebe zu seinem
-heimatlichen Westfalen. Stunden des Heimwehs hatte er, daß die Augen ihm
-übergingen. Dann wetterte er gegen sich selbst. Er, sentimental, er, den
-sie die Maschine nannten! Doch dies Gefühl ertrank erst wieder in dem
-großen Schmerz um die große deutsche Heimat.
-
-Das Westfalenland, das Sachsentum, es schlang ein zärtliches Band um die
-ungleichsten der Brüder, um ihn und Kunz Rutenberg.
-
-Er, der Mathematiker von Geblüt, und Kunz der geschworenste aller
-Zahlenfeinde, der einmal erklärte: »Es muß ein Leben nach dem Tode
-geben! Ich muß mir -- muß mir den Mann bei Licht besehen können, der die
-Logarithmentafeln gebaut hat!«
-
-Kunz mit den frischen Backen, mit den »munteren roten Blutkörperchen«,
-trotz dem Elend, das auch an ihm fraß, nicht weniger als an den
-Kameraden. Er war ganz gewiß nicht der leichte Obenauf. Genug des
-schweren niedersächsischen Sinnes war seinem jungen Frohmut beigemischt.
-Und wenn die anderen sich mehr an ihm freuen und über ihn lachen
-wollten, als er hergeben konnte, durfte er ernstlich sagen: »Kinder --
-wenn ich auch der Clown bin in eurem Zirkus, Komiker sind keine lustigen
-Menschen!«
-
-Das ist ja wahr, der Versunkenheit und dem Kultus mystischer Weltflucht,
-dem sein Stubengenosse Gisbert oft genug erlag, setzte er leicht eine
-unbarmherzige Fröhlichkeit entgegen. Nicht mit böser Absicht -- dann
-hätte in Gisbert irgendeine wenn auch noch so unbewußte Komödie am Werke
-sein müssen. Und dessen Sauberkeit ahnte nun ganz und gar nichts von
-Pose. Es geschah aus einer unwillkürlichen aber um so lebhafteren
-Reaktion, die Kunz selber schmerzte. Namentlich dann, wenn sein Übermut
-eine Ironie hineinpfefferte.
-
-Gisbert, gewiß der zarteste von ihnen allen, hatte im Kriege das
-Schwerste durchgemacht. Vier Tage und drei Nächte lang war er
-verschüttet gewesen, alles um ihn war nach und nach verröchelt. Als der
-einzig Lebende kam er ans Tageslicht. Die Retter betteten einen
-Verklärten, in Visionen Schauernden. Als sie ihn wegtrugen, hob er den
-fast schon Seele gewordenen Leib, streckte die fliegenden unkörperlichen
-Hände inbrünstig zurück -- und hauchte: »Nicht fort -- ich muß -- ich
-muß -- wieder hinein -- dort hab ich Gott geschaut -- --«
-
-Es stimmte schon, was Horst Oldefeld einmal sagte: »Wir alle haben
-Wunden, Gisbert aber hat Wundenmale.«
-
-Unter den neunzehn Männern, die mit den vier von ihnen selbst gewählten
-Führern an dem langen Brettertisch beim Morgenkaffee saßen, fiel einer
-besonders auf. Nicht weil er der größte und längste war, sondern weil er
-was großes in den Augen hatte. Es war in ihnen die helle Zuversicht der
-kindlich reinen Gottesgläubigkeit entzündet.
-
-Er hatte die ganze niederdeutsche treuherzige Unbeholfenheit in den
-schlaksigen Gliedern, über dem kantigen, noch ganz jungen Gesicht,
-leuchtete grauweiß sein Haar, das eine Sappenexplosion im Schützengraben
-entfärbt hatte. Der tüchtigste Arbeiter wie er der bravste Soldat
-gewesen war. In den Mußestunden hielt er sich viel allein, las, nein,
-forschte in der Bibel, schrieb nach Hause an seine Mutter, seine Braut.
-Gustav Elbenfried war Zimmermann seines Zeichens, sie nannten ihn mit
-neckendem Respekt den heiligen Josef.
-
-Das Wort führte von der einen Ecke aus der ranke, schmeidige Fritz
-Eggert. Er war gelernter Barbier und hieß darum »Balbutz«. Aber das
-sagte im Grunde nichts von seinem Wesen und Leben. Kaum einen Beruf gab
-es, den er nicht geübt hätte. Durch alle Länder Europas war er gewalzt.
-Hatte auch sattsam geabenteuert, hatte »in den südlichen gelben
-Halunkenländern« seinem Anfangsberuf getreu manch einen über den Löffel
-barbiert und lieber selbst Hälse abgeschnitten, als sich begaunern
-lassen. Kurz vor Ausbruch des Krieges war ihm Europa zu klein geworden,
-er wollte »Afrika auch einmal was Gutes gönnen«. So war er nach Algier
-gekommen. Von da trieb es ihn, als der Kriegsruf ihn traf, zu den Fahnen
--- unter beispiellosen Listen, Finten, Entbehrungen und Gefahren
-erreichte er deutschen Boden. Dies schuf ihm unter den Brüdern seinen
-Wert und sein Gepräge.
-
-»Also Kinder,« so gab Horst die Tageslosung aus, »heut werden Bäume
-gefällt. Wenn wir übers Jahr trockene Bretter haben wollen, wird es
-Zeit. Arbeitsleiter ist Elbenfried.«
-
-So war es ausgemacht und Gesetz, daß bei jedem Werk der fachmännisch
-Zuständige das Kommando hatte. Für das Gemeinsamkeitsgefühl gab es
-keinen besseren Boden.
-
-Und nun scharwerkten all die jungen fleißigen Arme in dem Kieferngehölz
-am Bergeshang. Die Gedanken und Herzen schlugen für die Heimstätte und
-für die große Heimat.
-
-Schwere Nebel zogen von der See her über die Flur. In Nebel und Not war
-das Vaterland. Aber hell und stark klangen durch den Dunst und Daak Säge
-und Axt. Und fast froh flammten die Rufe durch die Schatten und Wolken.
-Es waren die Stimmen der Arbeit.
-
-
-
-
- Nieder mit dem Würger!
-
-
-Nebel wogten durchs deutsche Land, Nebel und Rauch von Feuersbrünsten
-und Scheiterhaufen. Ein giftig schwelender Brodem zerfraß die Augen, die
-Hirne, die Herzen.
-
-Baron Borkhus und Horst fuhren im Jagdwagen nach der Kreisstadt zu einer
-politischen Versammlung. Der Herr kutschierte, neben ihm saß Horst,
-hinter ihnen Strempel, der alte Kutscher.
-
-»Was sind wir für ein Volk!« so wälzte Borkhus an seiner Last. »Daß
-Unsersgleichen nicht auf Erden ist, wer will es uns jetzt noch
-bestreiten! Die größten Helden sind wir -- ja -- aber auch die größten
-Hunde! Hat je ein Volk erst sich selbst heimtückisch gemeuchelt -- dann
-sich selber begeifert und bespien -- mit einer Art Wollust schmutzigster
-Exhibition sich selbst vor aller Welt an den Schandpranger gestellt! Daß
-selbst die schwarzen Bestien sich scheckig lachen vor unbändigem
-Vergnügen!«
-
-»Wir sind krank -- wir sind im Fieber --«
-
-»Fieber -- seit wann macht Fieber ehrliche Kerle zu Lumpenhunden!«
-
-Er war schon in der gehörigen rhetorischen Stimmung und im
-Öffentlichkeitsfeuer. Er brauchte auch Publikum und dessen Widerhall. Da
-Horst nachdenklich schwieg, wandte er sich hinterwärts an sein Faktotum.
-
-»Hab ich recht, Strempel, oder nicht?«
-
-»Komplett, Herr Baron,« kaute der zurück, mit seinem breiten, malmenden
-Mund.
-
-Borkhus hatte eine Zärtlichkeit für diesen verschmitzten, verkniffenen
-alten Knaben, die Horst nicht begriff. Ihm waren in die Falten des
-knochigen, eckäugigen, vergilbten und gegerbten Bereitergesichts alle
-Tücken der Welt gesät.
-
-Es ist gut, dachte im übrigen Horst Oldefeld, dem Baron zugewandt, daß
-du vor der Versammlung von dem gröbsten dich entlädtst! Dein Zorn hat
-recht, so weit Zorn recht haben kann. Denn Zorn allein kann nicht
-helfen, und Hilfe ist, was wir wollen.
-
-Horst, der selber oft genug seinen Ingrimm mit beiden Händen bändigen
-mußte, blieb heute in der Ruhe und strebte in die Tiefe.
-
-Er sprach davon, wie Deutschland von je das Schlachtfeld gewesen sei,
-das blutige, das zerwühlte, nicht nur für alle Heere der Erde, auch für
-alle großen Ideen der Welt, die alle, alle sein schmerzensreicher Schoß
-getragen und geboren hatte. Aufs Tiefste und Schmerzlichste zerpflügt
-das Land vom Schwert und vom Geist. Alles, alles Menschliche umspannen
-seine Lebenskräfte, das Niederste bleibt ihnen nicht fremd, bis zu den
-reinsten Höhen beschwingen sie sich. Das Niederste, ja, warum es
-leugnen? Warum mußten wir uns immer wieder die Ohren und die Sinne
-betäuben mit dem lauten Sang von deutscher Treue! Auch deutsche Untreue
-gibt es mehr als genug! Aber vom Allererbärmlichsten greift die Spanne
-deutschen Wesens bis zum Erlauchtesten empor. Das ist sein Reichtum, ist
-seine Größe -- das ist sein Schicksal, sein Fluch. Das ist seine Passion
-und -- seine Verklärung!
-
-So sprach Horst zu Borkhus.
-
-»Ganz gewiß haben Sie darin recht,« antwortete der, »daß wir uns immer
-viel zu viel vorgesungen haben! Was wir für Kerle seien! Wie
-geräuschvoll haben wir uns immer unsere Tugenden beteuert! Und mit welch
-triefender Empfindsamkeit! Kam einem das alles nicht manchmal vor wie
-eine künstlich auf Flaschen gezogene, künstlich kalt gestellte
-Sentimentalität, die wir festlich entkorkten, mit der wir feierlich
-anstießen und feierlich uns besoffen? Als Idealisten taumelten wir uns
-in die Arme! Wieviel fader Muff war doch in diesem Idealismus!«
-
-Horst sah ihn an, ein scharfes Lächeln im Auge. »Und jetzt -- verfallen
-wir jetzt nicht in den entgegengesetzten Fehler --?«
-
-»Sie meinen?«
-
-»Haben wir uns früher verhimmelt, bereiten wir uns jetzt ein System
-daraus, uns selbst zu beschimpfen!«
-
-»Soll das auf mich gehen? Aber ich schimpfe ja nur darauf, daß wir uns
-jetzt so herabziehen, und mit Schmutz beschmieren -- ebenso wie ich
-darauf schimpfe, daß wir selber uns einst so in den siebenten Himmel
-gehoben haben! Natürlich beides aus derselben dreimal verdammten
-Empfindelei! So lange wir die mit uns herumschleppen -- ehe wir diesen
-schmierigen Fetzen nicht von uns abreißen, kommen wir nicht wieder
-fußfrei auf die Beine. Wie haben unsere Feinde es geschafft! Dadurch,
-daß sie brutal sind -- brutal im Denken, im Handeln -- brutal ihre
-Energie, brutal ihre Grausamkeit, ihre Tücke, ihre Feigheit, ihre
-Verlogenheit! Noch immer hat Gewalt mit Verbrecherhänden die Weltpolitik
-gemacht -- wir aber faseln, auch heute noch, von Weltgewissen. Als ob
-das Gewissen der Welt nicht der schamlose Nutzen wäre! Und faseln wir
-nicht, keifen wir, wie Weiber auf der Treppe.«
-
-Tust du letzteres nicht selbst ein wenig, mußte Horst wieder denken. Er
-blickte auf den gewaltigen Mann, der in drohender Haltung neben ihm saß,
-den Kopf gehoben, die mächtigen Augen geweitet, keuchend wie zum Kampf.
-Ehrlich in jeder Faser -- und sah doch in seinem ehrlichen Zorn an etwas
-vorbei, das er selber in sich trug.
-
-Auch einer von denen, die so gern, so gern brutal sein wollten und
-konnten es nicht. Dies unser Grimmen und Fluchen -- ist es nicht ein
-Sich-Wehren gegen die weiche Stelle in uns, die wir alle haben, die nur
-nicht das Mächtige werden darf über uns, ohne die wir aber in unserem
-Wesen verstümmelt wären!
-
-Und Horst will es ihm sagen: wir werden sie nicht los unsere
-Empfindsamkeit. Sie gehört zu uns. Sie ist ein Teil unserer Kraft. So
-dürfen wir sie auch nicht bekämpfen, und sie und uns damit schwächen --
-nur in die rechte Bahn, in den starken Strom unseres Lebens sollen wir
-ihre Quellen leiten, und sie hilft uns zu unserem großen Werk. Ohne sie
-können wir nicht siegen, sie wird dabei sein, sie muß dabei sein -- und
-der Triumph der Empfindsamkeit ist auch der Triumph und die Freiheit des
-deutschen Geistes, des deutschen Volkes! So werden wir siegen!
-
-Er formte noch an den Worten, daß sie eindringlich sprechen sollten, da
-tauchten schon die Lichter der Stadt vor ihnen auf. Borkhus dachte an
-die Versammlung und ließ sich den Anfang seiner Rede durch den Kopf
-gehen.
-
-Dann wandte er sich zu Horst, mit treuherzigem Lachen und das Herrische
-war im Versinken: »wissen Sie, daß ich einen heillosen Bammel habe?«
-
-»Wovor?«
-
-»Nun vorm öffentlichen Auftreten! Lieber ins Trommelfeuer, in einen
-Gasangriff als auf die Rednerbühne! Ein Zustand, in dem man sich nach
-einem Schlaganfall sehnt --«
-
-»Dann --«
-
-»Würden Sie es lassen, wollen Sie sagen!«
-
-»Ich meinte eigentlich, damit bringen Sie doch der Partei ein großes
-Opfer.«
-
-»Nicht so ganz. Es ist doch hier wie überall ein gehöriger Schuß
-Eitelkeit dabei. Und der Ärger, daß man diese Angst, diesen kleinen
-Schweinhund, nicht unterkriegt.« Die jungen Pferde gingen unruhig in
-seiner Hand. »Sehen Sie, meinen Tatterzustand merken selbst die Rösser.«
-
-In dem Gasthof, dessen Saal für die Versammlung bestimmt war, spannten
-sie aus. Der Wirt, gar nicht unterwürfig, ein trockener, grader, ernster
-Mann mit soldatischem Blick nahm den Baron gleich beiseite.
-
-»Ich habe die Rednerbühne eben noch umstellen lassen.«
-
-»Warum?«
-
-»Sie stand doch an der Wand unter dem Altan.«
-
-»Nun ja -- und?«
-
-»Die Galerie hat unser Janhagel besetzt.«
-
-»Ja so. Und nun meinen Sie, aller Segen kommt von oben!«
-
-»Ich trau ihren Taschen nicht und nicht ihren Manieren, solange die
-Berliner Hetzer hier herumwirken.«
-
-»Die Hetzer. Da haben wir sie wieder.« Aber in des Barons unwillig müde
-Züge war jetzt etwas freudig Gespanntes getreten, eine Kampfeslust. Sein
-Kulissenfieber war gebannt.
-
-Der Saal füllte sich, Bürger, Arbeiter, Frauen. Ein paar Mütter kamen
-mit Kindern angeschleift. Versteckten sie dann aber, doch bedenklich
-geworden, zwischen ihren Knien.
-
-Behutsam fanden sich jetzt auch einzelne Honoratioren und Akademiker
-ein, Herren vom Gericht und vom Gymnasium. Ihre Damen waren wohlweislich
-zu Hause geblieben.
-
-Gar nicht behutsam aber trat Dr. Georg Stump auf den Plan. Er gab
-Deutsch, Religion und Turnen am Gymnasium, war mit seinem ungebärdigen
-Draufgängertum ein Schrecken des Direktors, aber ein Abgott der jüngeren
-Jungen.
-
-Er musterte die Arena, hob den kurzgeschorenen Bulldoggenkopf mit den
-großen runden Augen zu der Galerie empor, auf der sich die knallrote
-Jungmannschaft, von zwei Berliner Spartakisten betreut, mit
-weltüberlegener Grandezza hinlümmelte. Aha, sagte er sich, da seid ihr
-also! Eure Anwesenheit, eure Haltung und Führung verspricht Erlebnisse.
-
-Jetzt erschien ein Trupp, der auf der Galerie Bewegung weckte. Siedler
-waren es, die von Hohenmoor zu Fuß gekommen, zehn Mann, Elbenfried und
-Eggert unter ihnen. Dankwart, der sich von seinen Tabellen nicht trennen
-konnte, und Gisbert, der im Dienst war, hatten Kunz bewegen wollen,
-mitzugehen. Der aber erklärte: »Politische Versammlung -- nee Kinder!
-Lieber 'n Geburtshilfekursus in Ostgalizien!« Pfiff seinem Muz, nahm die
-Büchsflinte und suchte zwischen Schnee und Mondschein jagdbares Wild.
-
-Auf der Bühne versammelte sich jetzt das Komitee, Mitglieder der
-bürgerlichen Parteien, die wohlmeinend und ganz allgemein zu einer
-»Aussprache der Vaterlandsfreunde« eingeladen hatten. Auch die
-Sozialisten hatten zwei Redner gemeldet.
-
-Vorsitzender war Herr Holzhändler Dobbertien, ein ergrauter Demokrat
-guten alten Schlages, mit gesundem vaterländischen Empfinden.
-Treuherzig, gemütlich, gütig, gerecht, von erklecklicher Ruhe, der
-rechte Mann am rechten Platze -- durften nur die Wogen nicht allzu hoch
-gehen.
-
-Er eröffnete die Versammlung.
-
-»Männer und Frauen«, begann er. Da unterbrach ihn quarrendes
-Kindergeschrei. »Und Kinder müßte ich eigentlich fortfahren. Aber das
-können Sie wirklich nicht verlangen. Wir sind hier kein Säuglingsheim.
-Ich muß Sie bitten, die Kleinen zu Bett zu bringen.«
-
-Da klang es von der Galerie: »Die haben keen Kinderfräulein zu Hause«,
-und der erste Kampfruf, der erste Auftakt für die Feindseligkeiten hatte
-sich eingestellt.
-
-Die Mütter brachten die Kinder hinaus. Der Vorsitzende sprach unbeirrt
-weiter. Sprach davon, daß es jetzt heiße, alle Mann an Bord -- alle zu
-gemeinsamem Tun! Denn das Schiff sei leck gesprungen, die Stangen
-niedergebrochen -- es treibe vorm Winde. Es müsse, müsse wieder
-segelfertig werden, müsse dem Steuer wieder gehorchen, sonst gerieten
-wir rettungslos auf Grund und müßten untergehen, allesamt. Und nur eine
-Hilfe gäbe es aus der großen Not, daß wir allesamt Hand anlegten zu
-gemeinsamem Werk. Allesamt, das wäre die Losung. So hätten sich hier
-heute aus allen Parteilagern deutsche Männer und Frauen
-zusammengefunden, die alle Zwistigkeiten vergessen wollten und Fühlung
-miteinander nehmen für die eine große vaterländische Aufgabe.
-
-Der Ton dieser einfachen Ansprache war echt und warm. In diesem und
-jenem Frauenauge glänzte es feucht.
-
-Die Worte hatten noch nicht ausgeschwungen, da sprang Dr. Stump in die
-Höhe.
-
-»Darf ich ums Wort bitten -- zur Geschäftsordnung!«
-
-»Bitte!«
-
-»Oder vielmehr zur Hausordnung. Es ist nicht angemessen und nicht
-gebräuchlich, daß in solchen Versammlungen geraucht wird.«
-
-»Quatsch!« schmetterte einer von oben.
-
-»Ich ersuche den Herrn Vorsitzenden, im Interesse der Redner das Rauchen
-zu verbieten.« Georg Stump war selbst ein leidenschaftlicher Raucher. Er
-ärgerte sich, daß er sich anständig benahm, während die anderen pafften.
-
-Der Vorsitzende zauderte. Seine Unentschlossenheit entfesselte die
-Galerie.
-
-»Rauchfreiheit!« brüllte einer. An alles wird Freiheit als Schwanz
-gehängt. Und ein anderer schrie gebietend: »Wenns mir roochert, rooche
-ich!«
-
-»Abstimmen! Abstimmen!« riefen nachdrücklich ein paar Volldemokraten von
-der heiligen Majorität.
-
-Die Glocke des Vorsitzenden drang durch. »Ich will kein Verbot
-aussprechen,« erklärte er mit richtiger Taktik, »ich bitte die
-Anwesenden im Interesse der Redner und der Damen --«
-
-Weiter ging es nun wirklich nicht. Warum mußte Vater Dobbertien auch so
-altfränkisch sein!
-
-»Die Damen schmökern ja selbst!« mußte er sich von unten belehren
-lassen, wo mehr als eine ihre Rauchkringel durch die Luft drehte.
-
-Horst schüttelte bedenklich den Kopf. Der Kasten wackelt, ganz
-lächerlich wackelt er. Wenn es so weiter geht, fällt er zusammen.
-
-Immerhin erreichte die Ermahnung des Präsidenten, daß die meisten ihre
-Zigarre beiseite legten. Nur die souveräne Lebensart der Bergpartei
-lachte ob so zager Rücksichtnahme.
-
-»Ich werde als ersten Redner jetzt Herrn Baron von Borkhus das Wort
-erteilen«, bestimmte der Versammlungsleiter. Das »werde« war falsch. Es
-ließ Möglichkeiten offen.
-
-Ein Murren rollte dumpf -- dann durchschnitt wieder der unsterbliche Ruf
-»zur Geschäftsordnung!« die sich spannende Atmosphäre.
-
-Ein Sozialist erhob sich. Wir sollten doch nicht in den alten Fehler
-verfallen. Es gäbe keine Privilegierten mehr, und daß jemand, der der
-alten Oberschicht angehörte, den Vortritt vor den anderen Rednern hätte,
-entspräche nicht dem Geist der Zeit.
-
-Mehrfache Bravos stimmten ihm zu. Aber gerade aus dem sozialistischen
-Heerbann erstand ihm ein Widerpart. Die Herren »vom überwundenen
-Standpunkt« sollten sich nur zuerst aussprechen! Es wäre schon die
-richtige Anordnung: erst die alte, veraltete Zeit -- dann die neue! Der
-das letzte Wort gebühre.
-
-Und noch ein Dritter wollte hierzu reden. Horst schlug sich aufs Knie,
-daß es knallte.
-
-Ein junges Mädchen, das neben ihm saß, machte eine unwillige Bewegung.
-Er hatte sie bisher gar nicht bemerkt. Jetzt wandte er sich wie zur
-Entschuldigung an sie: »Sind wir nicht wieder einmal unsäglich deutsch!
-Vor lauter Geschäftsordnung kommen wir nicht zum Geschäft.«
-
-Ein Paar große Schwärmeraugen glühten ihm ins Gesicht. Ein heißer,
-höhnischer Mund sprach: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff.«
-Dann drehte die Sprecherin sich ablehnend zur Seite.
-
-Eine Deutsche war sie -- nicht die Spur eines fremden Lautes war in
-ihrer Mundart. Und nun diese leidenschaftliche Absage! In den Worten
-schlug Stahl auf Stein -- wie sprühten die Funken!
-
-Horst lehnte sich lächelnd zurück -- womit hatte er solchen Zorn erregt?
-Und spürte den flammenden Odem einer fremden Welt.
-
-Er besah sich die feindliche Nachbarin. Was mit den Augen, diesen
-brausenden Feuern, sich gegen ihn gewandt hatte, war ein ziemlich
-breites Gesicht gewesen, mit vollen Nüstern und fleischigen Lippen.
-
-Wie zart dagegen, wie fein und edel die Linien des Profils. Ein Genuß,
-sie mit den Augen nachzuzeichnen. Der schlanken Biegung des Nackens zu
-folgen, bis zu dem schweren, dunklen Haarknoten.
-
-Der ganz erlesene Geschmack ihrer schlichten schwarzen Kleidung zog die
-Gedanken noch lebhafter an.
-
-Wer war sie?
-
-Aus seiner Frage warf ihn ein Tumult.
-
-Sie saßen immer noch in der Geschäftsordnungsdebatte. Da war in der
-anderen Ecke des Saales jemand aufgesprungen. War dann auf den Tisch
-gestiegen, eine junge, knabenhafte Gestalt, und eine helle, schmetternde
-Stimme verkündete: »Was treiben wir hier für Albernheiten! Was dreschen
-wir hier für Stroh!«
-
-»Sie haben nicht das Wort«, rief eindringlich der Vorsitzende.
-
-»Draußen stürmt der Geist der Zeit!« gellte die Stimme ungestört weiter.
-»Die neue Revolution! Die volle Arbeit macht! Ohne die falsche verlogene
-Sentimentalität! Die uns die erste verpfuscht hat! Das Chaos brauchen
-wir! Für die neue Saat --«
-
-Die Neugierde und Spannung hatte dem eigenwilligen Redner Frist gewährt.
-Jetzt drang der Unmut der Ordnungsliebenden durch. Die Glocke vom
-Vorstandstisch übertönte die schreiende Willkür des einen.
-
-Und nun geschah etwas Bezwingendes mit fröhlichem Einklang. Der Riese
-der Stadt, ein mächtiger Bierfahrer, nahm schmunzelnd den immer noch
-Redenden wie ein Kind auf den Arm und setzte ihn vom Tisch.
-
-Ein Lachen ging durch den ganzen Saal, das die Galerie auf eine Minute
-wehrlos machte. Dann setzten die wilden Rufe ein: »Ausreden lassen!« --
-»Redefreiheit!« -- »Haut den langen Laban!« Aber sie verpufften in dem
-Raum, den der Humor ausgepolstert hatte.
-
-Herr von Borkhus aber durfte der Erwägung sich überlassen, ob es noch
-ernstlich lohne, hier ernstlich zu reden! Eine Versammlung? Nein, ein
-zwangloses, durch Ulk gewürztes Beisammensein! Der kleine Schweinhund in
-ihm gab ihm sehr lebendig recht. Aber schließlich, die Menge wollte ihre
-Sensation. Die zu Gast geladenen wollten ihr Bratenstück. Schon griffen
-aller Augen nach ihm, dem unleugbar Kraft- und Saftvollsten unter den
-Politikern hier, dem Gefeierten und Gescholtenen, dem Verehrten und
-Gehaßten. Sie alle wollten ihn hören, die Freunde und erst recht die
-Feinde.
-
-So trat die große schwere Stille ein, als der Vorsitzende verkündete:
-»Das Wort hat jetzt als erster Redner Herr von Borkhus!«
-
-Der Redner erhob sich langsam und trat ruhig vor mit seinen wuchtenden
-Schritten. Die Nerven schlugen in dem mächtigen Körper -- in gleichem
-Maß schwangen die Fieber all der Menschen, die da unten sich ihm
-entgegenspannten. Die Fühlung war hergestellt, der Gleichtakt der Pulse
-in Liebe und Haß.
-
-Mit Orgelklang umfing die Hörer das schwellende Organ, und etwas wie
-Feier war in dem, was er sprach.
-
-»Volksgenossen! Dies ist das deutsche Schicksal, dies der Herzschlag der
-deutschen Geschichte: daß nichts auf der Welt die Kinder der deutschen
-Erde über alle die Unterschiede, die die einzelnen voneinander trennen
-oder gar miteinander verfeinden, zu einer festen Gemeinschaft
-zusammenschließen kann -- nichts auf der Welt, als das grimmigste Leid!
-Immer nur aus der tiefsten Not wird unsere Einheit geboren. Wann aber
-ist unsere Not je so tief gewesen wie heute? Wann hat sie sich je so
-tief in unsere Seelen eingefressen -- wann war ihr jemals soviel Schmach
-beigemischt! Und darum müssen gerade unsere Tage, trotz aller Wirren und
-Zerwürfnisse, uns in eine Zusammengehörigkeit schmieden, wie unsere
-Geschichte sie noch nicht gesehen hat! Unsere Zusammengehörigkeit -- das
-ist die große lebendige Macht, das ist der mächtige lebendige Wall, den
-wir der Hörigkeit entgegenzusetzen haben, mit der die Feinde uns
-bedrohen!«
-
-Mit lautem Bravo grüßten diese Rhetorik Gesinnungsgenossen und Freunde
-der Wortprägung. Aber solche allzu frühe laute Anerkennung war
-bedenklich. Schon kam Bewegung in die Reihen der Gegner. Horst sah, wie
-es im Nacken seiner Nachbarin zuckte, wie feindlich die Nasenflügel
-witterten. Die Lippen zogen sich kurz zusammen und entblößten die
-spitzen, grausamen Zähne. Ein böses schönes Raubtier spannte sie sich.
-
-Der Redner spürte die Wellenbewegung wohl -- er wollte sie zwingen!
-
-Er sprach mit Hingebung von der Nation -- daß das Volkstum erst das
-Leben des Staates sei. Es sei aber auch das Leben der Menschheit. Eine
-andere Menschheit als die der Völker gäbe es nicht. »Nur als Deutsche
-sind wir Menschen und können wir Menschen sein.«
-
-Hier fingen die Internationalen an, sich gemaßregelt zu fühlen, und ein
-schon lebhaftes Murren rollte dumpf durch den Saal.
-
-Der Redner wußte, daß er ein heikles Gebiet betreten hatte, aber die
-Gefahr steigerte und stärkte ihn. Mit hoch erhobener Stimme führte er
-den Hammerschlag: »Und wir -- wir Deutsche haben unsere Menschenwürde
-nur in unserem deutschen Empfinden!«
-
-Das schmetterte nieder auf die empfindlich gewordenen. Ein dumpfes
-Aufstöhnen von Zorn und Wut -- dann brandete lauter Unwille gegen die
-Rednerbühne. Die Geister erhitzten sich mehr und mehr und hetzten sich
-leidenschaftlich auf. »Menschenwürde« -- dies Wort wurde zum Verhängnis.
-
-»Du willst von Menschenwürde reden!« rief es von oben, und dann brüllte
-einer durch den Saal: »Du Würger!«
-
-Jetzt hatten sie den Kampfruf, den vernichtenden! Und wieder schrie es:
-»Würger« -- und dann tobten sie da auf der Galerie im Chor und im Takt:
-»Würger!« »Würger!« »Würger!«
-
-Borkhus zuckte zusammen, schmerzlich wild weiteten sich seine mächtigen
-Augen. Wie Messer stachen die Rufe weiter auf ihn ein, da die Tobenden
-sahen, daß er litt! Die Grausamkeit berauschte sich. Die Bestie hatte
-die Pranken gezuckt. Blutdunst legte sich auf die Sinne.
-
-Alle hatte es aufgezogen von ihren Sitzen. Die einen zum Sturm, die
-anderen zur Wehr.
-
-Eher als Horst war seine Nachbarin aufgesprungen. Ihre Glieder flogen,
-Stichflammen brachen aus ihren Augen, durch die Lippen ging ein
-zitterndes Schlürfen. Die ganze Gestalt war verzückte Gier. Ihm erschien
-sie fast als Dämon dieser Stunde.
-
-Ihre Finger krallten sich um die Stuhllehne -- im gleichen Augenblick
-brach und splitterte Holz auf dem Balkon -- Borkhus, der unter der Wucht
-des furchtbaren Wortes sich gebeugt hatte, war jetzt aufgereckt -- die
-Arme gestreckt, die Brust geweitet, wie zum Kampf trat er an den
-äußersten Rand der Bühne.
-
-Da in tosendem Wettersturm brach es über ihn her, Trümmer von Stühlen
-prasselten von der Galerie auf ihn nieder, zerschlugen ihm Kopf und
-Gesicht -- über Augen und Schläfen rann ihm das Blut.
-
-Frauenstimmen kreischten und gellten auf.
-
-Horst war gleich an des Wunden Seite. Auch ihm flogen noch Geschosse auf
-Schulter und Nacken.
-
-Schon aber war Dr. Stump fast über die Köpfe hinweg zur Tür geflogen --
-fünf von den Siedlern, der Balbutz und der heilige Josef voran, brachen
-ihm nach -- sie wollten die Burschen da oben einsperren und dingfest
-machen.
-
-Im Saale brauste das Meer. Die Glocke des Präsidenten, immerfort
-geschwungen, hauchte sich aus in kläglichem Wimmern. Ein Fels in der
-Brandung, stand der Riese, der Bierfahrer, die machtvollen Flossen
-gehoben, drohend und beschwichtigend zugleich. Sie sagten, was Worte in
-dem Tosen nicht vermochten; hier unten Hände in Ruh!
-
-Die einzelnen Gegner standen wie die jungen Hähne, Auge in Auge, Nase an
-Nase -- sie zischten, schrien, keuchten sich ihre Wut ins Gesicht --
-aber die Fäuste blieben gebändigt.
-
-Und das rinnende Blut dort oben beschwor. Allmählich ebbte die Zornflut
-ab --
-
-Da tönten Schüsse auf dem Gang -- wieder die gellenden Frauenschreie im
-Saal -- mit Schreck und Grauen zog vollends die Besinnung ein.
-
-Draußen aber zerstob ein erbittertes Handgemenge -- die eingeschlossenen
-hatten den Treppenausgang forciert, brachen mit Übermacht durch, einer
-schoß auf den feindlichen Stoßtrupp, Dr. Stump kriegte einen Streifschuß
-am Ohr -- was seine Fäuste den Fliehenden mitgaben, wurden die in
-Monaten nicht wieder los.
-
-Herr von Borkhus wurde von einem Arzt, der zur Stelle war, im Wohnzimmer
-des Wirtes verbunden. Horst, der Handreichung leistete, blieb an seiner
-Seite. Im Saal verliefen sich die Wasser. Ein Plätschern war es nur noch
--- schon konnten sie über das Geschehene sprechen, das hinter ihnen und
-unter ihnen lag.
-
-Der Wirt besah sich den Schaden, auf der Galerie, auf der Bühne, und
-drehte das Licht aus. Nur eine müde Flamme über dem Podium blieb
-brennen.
-
-Und aus dem Dunkel, wie ein Spuk, schlürfte ein altes gebücktes Weib mit
-Scheuertuch und Eimer. Stieg keuchend auf die Bühne und wusch
-kopfschüttelnd und brummig das Blut von den Dielen.
-
-
-
-
- Frei und gut ist dasselbe
-
-
-Es war nicht weit von Mitternacht, als Herr von Borkhus mit Horst den
-Wagen wieder bestieg. Strempel mußte fahren.
-
-Der Mond leuchtete die menschenleere Straße ab. In dem Torweg, dem
-Gasthof gegenüber stand eine Frauengestalt.
-
-Ein junges schlankes Weib -- mehr konnte Horst nicht erkennen, zumal der
-Verwundete ihn in Anspruch nahm. Dann aber, da sie abfuhren, blitzte es
-ihm durch den Sinn: das ist deine Nachbarin, wer sonst! Was will sie
-hier! Und wieder: wer ist sie? Wollte sie sehen, wie es mit dem
-Verletzten stand? Um den sich sonst, im ganzen Orte niemand mehr
-kümmerte? Sie als die einzige -- was trieb sie dazu?
-
-Borkhus hatte sich längst wiedergefunden. Die Schmerzen drückten ihn
-nicht nieder, sie hoben ihn. Daß er selber litt, daran wuchs seine
-Kraft, sein Trotz, das bannte den Schatten.
-
-»Ich würde es immer wieder tun,« sagte er, »der Würger«, frei und stark.
-»Wer mir an die Offiziers- und Mannesehre geht -- wie ich ihn fasse, so
-muß er dran glauben! Immer tät ich es wieder!«
-
-Jetzt dachte er an die vielen beschimpften, entehrten Kameraden. »Und
-das tat ich für euch alle!«
-
-Horst sann nach und nickte düster und sprach: »Daß wir zum Symbol werden
--- jeder nach seines Wesens Bestimmung -- das ist unseres Lebens Sinn!«
-
-Borkhus nahm seine Hand. »Das ist das Wort! Zum Symbol werden! Wie ein
-Ruf erging es an mich! Welt gegen Welt! Und -- ich konnte gar nicht
-anders.«
-
-Es war dann, als käme Müdigkeit über ihn. Wieder aber regte er sich
-lebhaft, und es klang fröhlich: »War ich nicht heute abend auch ein
-Sinnbild: zerschlagen von den Stuhlbeinen der Galerie! Gibt es was
-Erhabeneres? Hüten Sie mich Horst, daß ich nicht größenwahnsinnig
-werde!«
-
-Doch jetzt brauchte er seine Ruhe und sprach nicht mehr.
-
-Horst aber tauchte zurück in den Abend, mit Trauer, Schmerz, mit Zorn
-und mit Scham.
-
-Deutschland -- machst du es deinen treuen Söhnen nicht allzu schwer?
-Sind deine Feinde, deine Folterknechte dir nicht blutig, nicht roh,
-nicht feige, nicht heimtückisch genug -- mußt du dir selbst der
-tückischste, der feigste Feind von allen sein!
-
-Ein deutscher Mann spricht die selbstverständlichen deutschen Worte! Er
-sagt, daß du, Deutschland, deutsch bist und deutsch sein mußt. Was
-geschieht? Er wird aus dem Hinterhalt gemeuchelt!
-
-In welchem Lande der Welt wäre so etwas denkbar -- dann vor allem
-denkbar, wenn die Feinde, schlimmer als es im Kriege geschieht, dieses
-Land zerfleischen und zertreten! In Guatemala nicht, bei keinem Stamme
-der Maoris!
-
-Soll man sich immer wieder damit trösten, daß du das Land ohne Beispiel
-bist, ohnegleichen im Großen wie im Armseligen, im Guten wie im
-Verruchten? Und wie lange soll dieser Trost vorhalten?
-
-Ist es zu verwundern, wenn man schließlich da landet, wo diese
-rätselhafte Fremde sich angebaut hat? Wie sagte sie doch, höhnend und
-hart: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff!«
-
-International also -- pazifistisch -- eine Kommunistin offenbar.
-Freilich, er hatte sich die »Petrolösen« anders gedacht.
-
-Ob sie in der Stadt ansässig war? In der, wie er wußte, seit geraumer
-Zeit ein Agitationsherd brannte, mit lichterlohen roten Flammen.
-
-Ihr Gesicht wurde ihm lebendig. In diesem reizvollen Gegensatz zwischen
-seinem Vorn und der Seite. Diese fast derbe, sinnlich grausame
-Leidenschaftlichkeit der vollen Züge -- so viel feine spröde Geistigkeit
-im Profil. Und in dem Ausdruck des Ganzen ein Schmerzliches -- zu der
-flammenden Anklage eine stille Klage.
-
-Jetzt war er dicht daran, sich auszulachen. Faselt dir nicht deine
-Fantasie was vor? Deine Weibentwöhntheit treibt mit dir ihren
-Schabernack, den sie als »weiberfest« dich rühmen.
-
-Zum Teufel mit dem ganzen Weiberkram! Daß der sich immer wieder
-ungerufen melden muß! Und ist doch kein Platz für ihn, jetzt in dem
-Siedlungswerk.
-
-Er denkt an die Genossen, die heute auch dabei waren -- die sich wieder
-mal einsetzten mit Leib und Leben, wenige gegen viele. Daß man an diesen
-deutschen Jungen seine Freude hat, ist das nicht der Inbegriff!
-
-Wäre es nur nicht deutsch gegen deutsch gegangen! Gegen undeutsch, ja!
-Aber gegen dieses Undeutsch, das nun einmal so verteufelt deutsch ist!
-War so und wird so sein! Ist unser Fluch! Und stammt aus unseres Wesens
-Tiefe!
-
-Und wieder schlug ihn der große Schmerz. Und der Schmerz schlug ihn
-hart.
-
-So heißt es aus dem Fluch Segen bereiten! Vielleicht, daß wir sonst
-einschlafen würden und in Faulheit ersticken! Nun heißt es für uns,
-nimmer müde sein! Wachen und schaffen! Und schaffen und wachen! So heißt
-es! Und so soll es sein!
-
-Horst fand die Freunde und die ganze Mannschaft noch auf den Beinen.
-Fast gleichzeitig mit ihm waren die Fußgänger eingetroffen. Jetzt ging
-es an ein Erzählen. Horst ließ mit Bedacht den Genossen das Wort.
-
-Der Balbutz übernimmt freudig den Bericht. Schildert mit einer
-Anschaulichkeit, die keine falschen Farben nötig hat, der Handlung
-Verlauf. Bemüht sich sachlich zu bleiben, bis der Schluß mit seiner
-Klopffechterei ihm Gemüt und Stil bewegt und die Schleusen seines
-Wortschatzes zieht.
-
-Die »feigen Halunken« und »elenden Hundeseelen« -- diese Ausrufe seines
-Zornes wecken Widerspruch. Mulitz, der Maurer, schüttelt den breiten
-Kopf, in den eckigen Augen zuckt etwas auf. »Das mußt nicht sagen,
-Balbutz! Ein paar hatten einen Mordsschneid! Und -- Gesinnung ist
-schließlich Gesinnung.«
-
-»Gesinnung -- Stuhlbeine -- viele gegen einen -- der ahnungslos und
-wehrlos ist -- das ist Gesinnung? Schweinkram ist es!«
-
-Fünf stimmen ihm lebhaft zu. Andere nicken gelassener. Einer ruft: »der
-heilige Josef soll reden!« Bei dem geht es ins Höhere und Tiefere, aber
-sowas wollen sie jetzt.
-
-Gustav Elbenfried errötet wie ein Mädchen. »Ich soll --«
-
-»Ja, du sollst«, rufen jetzt viele.
-
-Der also Bestellte rudert mächtig mit den Armen durch die Luft, wie ein
-großer Vogel, dem der Aufflug nicht gelingt. Dann erst kommt er in
-Schwung, und seine Kinderaugen leuchten innig auf.
-
-»Ihr hört von mir immer das alte Lied. Was ist Schuld an dieser Tücke,
-an diesem bösartigen Haß? Das, was die ganze Welt krank macht und
-verdirbt. Das Geld ist es, der Reichtum. Vom Geld kommt deshalb alles
-Üble, weil es das Lieblose ist. Darum macht es die Menschen böse.
-Christus wußte schon, was er vom Reichtum sprach. Was hat die Kirche,
-die selber Schätze sammelt -- was hat sie von je gerade hieran
-herumgedeutet! Aber dies Wort müssen sie doch lassen stahn!«
-
-Gisbert ist zu dem heiligen Josef getreten. Er sieht in der einen Ecke,
-wo der Schreiber Metzling sitzt, so etwas wie mißtrauische Blicke.
-Unterschicht -- Oberschicht. Als ob die Offiziere schwiegen, um die
-Leute auszuhorchen. Nun nimmt er selbst das Wort. Er spricht schlecht,
-aber in dem, was er sagt, ist seine Seele.
-
-Daß Elbenfried recht habe! In Reichtum und Macht kann niemals der Mensch
-sich ausleben, sich ausstrahlen, sich verwirklichen! In seinem Besitz,
-in seinen Genüssen, ist er auf sich selbst beschränkt, sein eigener
-Gefangener. Und so verdorrt er. Darum -- er muß, muß heraus aus seinem
-Selbst. Nur so wird er frei, nur so wird er gut -- denn frei und gut ist
-dasselbe. Und so befreit, in selbstloser Hingabe und Güte, gehören wir
-nicht uns, gehören wir allen. So erst sind die Kerkermauern unserer
-Endlichkeit durchbrochen. So erst haben wir teil an dem All, so erst
-sind wir vereinigt mit dem Wirken des Ewigen.
-
-Dankwart rückt auf dem Stuhl, als brenne Feuer darunter, in seinem
-schweren Augenlid wettert es mit Macht.
-
-Kunz aber springt in die Höhe. Seine Glieder fliegen. Etwas
-Ungebändigtes zittert in seinen heißen Augen. »Alle und das All --
-wollen wir herumhampeln im luftleeren Raum! Wollen wir im Äther
-vereisen! Deutschland ist das All! Wißt ihr, daß wir die Feinde im Lande
-haben -- den Franzmann im Lande haben! Daß er uns das Mark aus den
-Knochen zieht! Und daß wir wehrlos sind! Entwaffnet! Entwaffnete
-deutsche Männer! Könnt ihr das aus- und zu Ende fühlen! Wollt ihr
-darüber eure südasiatische Weisheit kleistern! Das eine will ich jetzt
-wissen, ist ein einziger unter uns, der heut und morgen, so lange er
-lebt und leibt, nicht mit Jubel und Hurra und Hosianna dem Landesfeind
-an den Kragen geht, sobald der Tag der Erlösung naht! Und sich darauf
-freut! Das sollt ihr mir jetzt sagen -- Du, Gisbert -- und Gust
-Elbenfried, Du -- und Du, Maurer Mulitz. Seid ihr bereit und freut ihr
-euch darauf?«
-
-Die Antworten waren ehrlich und schnell. »Das ist ja ganz was anderes!«
--- »Selbstverständlich ist das!« -- »Und natürlich freut sich jeder
-darauf!«
-
-»Gut,« sagte Kunz und wischte sich die zornig feuchten Augen, und es
-löste sich aus ihm wie ein Schluchzen. »Nach eurer Religionsphilosophie
-brauchte ich das. Ich mußte das hören! Ich wäre sonst nicht einen Tag
-länger in der Gemeinschaft geblieben.«
-
-
-
-
- Frau Tilde
-
-
-Mit dem Morgengrauen waren sie wieder alle Mann beim Bäumefällen. Auch
-Gisbert tat heute hier Arbeit, und er tat fast des Guten zu viel. Was
-seine feinen Glieder hergeben wollten, holte er heraus. So
-leidenschaftlich war er am Werk, mehr als einmal mußte Elbenfried, der
-Arbeitsführer, ihm Ruhepause auferlegen. Sie wußten alle -- und alle
-waren ihm herzlich zugetan -- wie sehr er noch immer seine Kräfte zu
-schonen hatte.
-
-Kunz war schlecht gelaunt. Er war heute beim Mundausspülen zu kurz
-gekommen. Denn mühsamer als je war das Weckeramt von Gisbert und Muz
-verlaufen. Unruhige Träume hatten ihn allzu schwer heimgesucht.
-
-»Dir verdanke ich das,« so klagte er Gisbert an, »Dir und Deinem
-Hindutum. Die ganze Nacht habe ich es mit der Seelenwanderung gehabt.
-Und Muz, der auf nächtiger Insektenjagd mit den Schenkeln die Diele
-klopfte, gab den Takt dazu. Wisse es: meine Seele fuhr in einen Floh.«
-
-»Oh!« echote Gisbert munter.
-
-»Auf Muzens Fell trieb ich mich um, und in was für einer Gesellschaft --
-was für schwarze Seelen waren da beisammen! Weibliche zumeist. Da war
-die Frau Potiphar und Herodias und Messalina und die Maintenon und Ninon
-de Lenclos, Lola Montez und die Pepita. Die faßten sich an und tanzten
-um mich herum im Ringelreihn. Und die dicke Messalina zog mich beiseite.
->Was bist Du für ein nüdlicher kleiner Flohhengst<, sagte sie, >aber so
-schüchtern! So schüchtern!< Und weiß Gott, ich wurde verlegen. Floh sein
-ist schon nicht so leicht. Aber ich sag euch, ein Floh in Verlegenheit
---! --«
-
-Die zuhörten, mußten lachen. Auch Muz freute sich. Und tat, was er dann
-immer tat. Er drehte sich um sich selbst im Wirbel und spielte Greif mit
-seinem Schwanz.
-
-Gisbert aber hatte genug. Er spähte, wo er sonst Hand anlegen konnte,
-und brachte sich auf Hörweite in Sicherheit.
-
-»Du -- Gisbert -- das Wahre kommt ja erst!« rief Kunz ihm nach. Aber
-Gisbert schlug schon mit der Axt, und die Späne sprangen.
-
-Kunz sägte mit dem Balbutz. Da waren die richtigen Kumpane beisammen,
-doch die Arbeit flog.
-
-»So sind sie nun, die Bramaputraleute.« Kunz schnob vor sich hin. »Jedes
-Lebewesen ist heilig! hat er mir eingeprägt. Und wiederum hat er mir
-eingeprägt: in jedem unserer Träume ist eine Wahrheit. Nun also! Und
-jetzt nimmt er Reißaus vor seiner eigenen Glaubenslehre.«
-
-Gisbert ließ im Arbeitseifer nicht nach. Eben weil sie ihn für einen
-Träumer hielten -- wie gern nannte Kunz ihn die Lotosblume -- eben
-deshalb wollte er hier seinen Mann stehen.
-
-Horst nahm sich den heiligen Josef vor. »Wir müssen uns nach dem
-Befinden unseres Patrons erkundigen. Wollen wir nicht unseren Gisbert
-dazu bestimmen! Er ist ja wie im Fieber und schuftet sich hier glatt
-zuschanden.«
-
-Gisbert zuckte mit den Brauen bei dem Auftrag -- er fühlte eine
-Bevorzugung und Entlastung. Aber die Disziplin saß ihm im Blut. Das Wort
-des Werkführers galt. Nun war er auf dem Weg nach dem Gutshaus. Bald,
-nach einer kleinen Stunde schon, kam er zurück. Wie schreitet er bloß,
-dachte Kunz. Als ob er auf Wolken wandele. Und weiter forschte Kunz, der
-ihn so gut kannte: Was hat er in den Augen? Ist das nicht wie ein großer
-seliger Schreck?
-
-Und dann bestellte Gisbert, dem Herrn von Borkhus ginge es gut, seine
-Tochter, Frau von Mönkhov wäre gekommen. Beide bäten Horst, Dankwart,
-Kunz und ihn selber, abends eine Tasse Tee im Gutshaus zu trinken.
-
-Die Tochter des Herrn von Borkhus -- nun wußte Kunz, wovon sein Gisbert
-so selig, bis in die Seele erschrocken war. --
-
-Sie machten sich fein zu dem Abend, Horst, Gisbert und Kunz. Dankwart
-konnte von seinen Modellen und Tabellen nicht fort.
-
-Borkhus war auf den Beinen und empfing sie. Seine schweren Augen
-leuchteten gesund unter dem weißen Turban des Verbandes.
-
-»Der Aderlaß hat mir gut getan«, sagte er. »Meine Ischias hat sich
-verblutet. Ich kann laufen wie ein besserer Faßbinder.«
-
-Und dann hatte er seine Tilde bei sich, seine Tochter.
-
-Sie hatte etwas still Verhaltenes, fast mädchenhaft Scheues, diese
-schlanke, zarte, großäugige Frau, als sie den Herren gegenübertrat. Mit
-kindlich verlegener Bewegung strich sie die Strähne zurück, die aus
-ihrem reichen hellbraunen Haar sich löste.
-
-»Was sagt die Welt,« so erklärte der alte Herr die Sachlage, »die
-wildesten Gerüchte über mich verheeren das Land! Setzt sich dieses
-Mädchen nicht -- und sie soll Haus und Hof hüten, denn ihr Mann ist
-nicht daheim -- setzt sie sich nicht vor Morgengrauen in den Schlitten
-und läßt die Traber glattweg die fünfzig Kilometer fressen!«
-
-»Es ist eine glänzende Bahn«, entschuldigte sich Frau Tilde. »Und auch,
-wenn wir die nicht hätten --« sie faßte still ihres Vaters Hand.
-
-Die drei jungen Männer musterten sich. Wie verändert sie waren! Welch
-ein Glanz auf ihnen lag, welche Farben sie trugen -- von dem Wesen der
-Frau. Sie, die das harte, graue, lichtlose, lustlose Barackenleben
-einschloß. Nun rieselte es über sie von der hellen Wonne.
-
-Und listig lauerte auch wohl jeder, wie die anderen ihre eigenen Farben
-spielen ließen, zum Werben. Nur daß Gisbert sich schnell und ganz begrub
-in die Märchenferne dieser Frauenaugen.
-
-Worüber sprachen sie bei Tisch? Über Deutschlands Wunden, in der Andacht
-ihres Schmerzes. Von ihrer Unfreiheit, ihrer Knechtschaft, ihrer
-Schmach. Frau von Mönkhov sagte: »Nun haben wir es nicht mehr, das
-stolze Wort: mein Haus ist meine Burg. Jetzt müssen wir uns schon an
-Meister Ekkart halten, der uns lehrt, daß unsere Seele unser Bürglein
-sei.«
-
-Wie schwang und klang es in Gisbert auf. Welch ein Lichtband schlang
-sich um ihn und diese innige Frau.
-
-Horst aber gab seine harte Zweckmäßigkeit darein: »Nur sollen in diesem
-Bürglein nicht zu viel der frommen Träume umgehen.«
-
-»Ihnen ist es ums Schaffen. Mir auch. Aber das bleibt nun die Wahrheit:
-produktiv sind wir nur solange als wir religiös sind.«
-
-Kunz aber kaute schon wieder an seinem Zorn. Daß wir uns vor lauter
-Geistigkeit nicht zu lassen wissen, das ist unser Verderb!
-
-Und der alte Herr, in einer Art mitleidiger Angst, meinte: »Gut, daß
-Achim, Dein Mann, Dich nicht hört!« -- Für den war Religion das rote
-Tuch. »Religion, so nennen die Menschen ihre Alterserscheinung --!«
-
-Mit Achim von Mönkhov kamen sie zu den Tagesereignissen. Er hatte seinen
-Koch auf den Schub gebracht, und der spielte jetzt in der Kreisstadt
-unter den Radikalsten eine Hauptrolle.
-
-Der Vater wollte Einzelheiten hören. Hier griff die Politik in die
-Familie. Zögernd und ungern erzählte Frau Tilde. Der Mann sei von Tag zu
-Tag aufsässiger geworden, bedrohlich zuletzt. Da habe ihn Achim
-kurzerhand hinten am Rockkragen genommen, ihn vor sich her immer mit
-steifem Arm, zum Hause hinaus über den Hof bis zum Tor geschoben. Und
-ihm unterwegs in seiner eiskalten Ruhe gesagt: »Zum Lohn für Ihre
-unvergessenen Wildpasteten besorge ich dieses eigenhändig.«
-
-Die Zuhörer wollten dies als ein sehr sauberes Stücklein gelten lassen.
-Tilde aber schüttelte ablehnend den Kopf. »Nichts auf der Welt macht so
-böses Blut wie diese üblen Handgreiflichkeiten. Und wollen wir uns
-untereinander denn immer mehr erbittern!«
-
-Ihre Augen möchten der Märtyrerkrone ihres Vaters liebes erweisen. Aber
-dann erschrak sie vor dem Schatten in seinem Blick. Und der Gedanke an
-seine eigene schwere Tat trübte ihr den Sinn. War es nicht die wildeste
-aller Handgreiflichkeiten, was auf ihm selber lastete?
-
-Aber schon war Kunz zur Stelle. »Gnädige Frau, es gibt einen alten
-niedersächsischen Spruch:
-
- »Wur all dat anner beden nich düest,
- dor beden am besten de beiden Füest.«
-
-Diese betenden beiden Fäuste -- sie gehören nun einmal zum Inventar der
-deutschen Welt. Und für mich gibt es keine Religion ohne die. Mir soll
-nun einmal keiner den Christus nehmen, der das Schwert gebracht hat und
-dem seine Mannen Heeresfolge leisteten! So wenig wie den Gott, der Eisen
-wachsen ließ.«
-
-Sie sah den Sprechenden an mit ihren weiten Augen, nicht verweisend,
-nicht zustimmend, gütig und doch fern. »Vielleicht bin ich zu müde
-geworden für das alles.« Sie mußte wohl diesem lohenden Kreise die
-Blässe erklären, die sie selber fühlte. »Vielleicht habe ich mich erst
-zu erholen von den vier langen Jahren der Angst. Um die vier, die ich im
-Felde hatte. Von denen zwei nicht wiedergekommen sind.«
-
-Die zwei waren ihre Brüder. Der Vater legte die Hand auf ihren Arm. Sie
-strich sich das Haar aus der Stirn. Ihre Augen blieben tapfer.
-
-Dann suchten und fanden sie alle festen und gesunden Boden in dem
-Nächstliegenden, dem Siedlungswerk.
-
-Frau von Mönkhov begann sich fast freudig zu beleben. Jeder Winkel des
-Geländes war ihr vertraut. Sie machte Horst noch besonders auf eine
-Mergelgrube aufmerksam, die längst nicht richtig ausgenutzt sei. Wobei
-ihr Vater das komisch lange Gesicht eines Getadelten aufsetzte.
-
-Diese großen Augen der stillen Frau, sie waren jetzt heimgekehrt aus
-ihren Fernen, sie hatten einen nahen vertrauten Glanz gewonnen.
-
-Gisbert saß wie ein Betender.
-
-Und jetzt fragte sie fraulich, mütterlich nach dem Wohngelaß der
-Siedler.
-
-»Wir haben es sehr gut«, sagte Horst.
-
-»Wunderbar haben wir's!« erklärte Gisbert. Ihm hatte schon ihre bloße
-Frage aus dem Holzstall ein Feenschloß bereitet.
-
-Nur Kunz machte ein beschauliches Gesicht. »Ich weiß nicht,« bemerkte
-er, »ob es fantastisch ist, bei einer Bettstatt an gehobelte Bretter zu
-denken. Ein so rühriger Schläfer, wie ich es nun einmal bin, darf
-getrost sein Fell nächstens einem Holzhändler zur Ausbeute überlassen.«
-
-Frau Tilde, lächelnd, erkundigte sich jetzt nach der Beköstigung, nach
-der Küche.
-
-»Unser Essen ist gut«, bestimmte Horst.
-
-»Herrlich!« sang Gisbert aus seiner Höhe.
-
-Kunz aber starrte wie entseelt vor sich hin.
-
-Borkhus, dem er Spaß machte, weckte ihn und forderte genußsüchtig: »Sie
-müssen auch Ihr Sprüchlein sagen.«
-
-»Soll ich? O Du mein! Unser Koch ist Installateur von Beruf. Die
-Wasserleitung ist sein Leben. Teekesselfett ist sein Element. An seiner
-unsterblichen Kartoffelsuppe hat er unverzagt solange gearbeitet, daß er
-jetzt imstande ist, sie sogar ohne Kartoffeln herzustellen.«
-
-»Danach sehen Sie eigentlich nicht aus«, meinte Frau Tilde.
-
-»Oh, wenn ich mir nicht dann und wann ein paar Gabelbissen
-zusammenwilderte --«
-
-»Lassen Sie sich nicht dabei kriegen!« drohte Borkhus. »Und wer bereitet
-Ihnen wo diese Leckereien zu?«
-
-»Das sag ich nicht.« Ein Schlingel verkroch sich in seinen Augenwinkeln.
-
-»Aber erschrecklich unsozial ist das doch!« gab Frau Tilde darein, mit
-scherzendem Ernst.
-
-Kunz schmunzelte: »Eine Krickente -- dreiundzwanzig Kostgänger -- und
-die soziale Frage! Da ess' ich den Vogel todesmutig allein. Aber ich
-werd mir jetzt alle Mühe geben, genossenschaftlicher zu schießen, und
-mir einen Hirsch langen.«
-
-»Das wird Ihnen leid,« knurrte Borkhus, dem es jetzt doch über die Leber
-lief.
-
-Seine Tochter aber wollte noch mehr von dem Barackenleben wissen, zumal
-von seinem geistigen Bau. Und Horst berichtete kurz von ihrem kleinen
-Staat. Ein Wahlkönig steht an der Spitze. Von den Mannen erkoren -- und
-absetzbar, sobald er versagt. Bei den einzelnen Arbeiten sachverständige
-Leiter. Im übrigen keine Rangunterschiede. Jeder hat den Wert seiner
-Kraft.
-
-»Womit die Rangunterschiede gegeben sind!« knurrte der politische alte
-Herr.
-
-Dazu Horst: »Wer kann die Unterschiede aus der Welt schaffen? Die
-Unterschiede sind die Welt. Dafür wandeln sich ihre Grenzen und
-Übergänge. Gerade in ihrer Beweglichkeit sind sie das Lebendige und das
-Ewige. Und darum auch der Inbegriff aller Freiheit. Deren Tod ganz
-einfach die Gleichheit wäre.«
-
-In Gisbert drängten seine Empfindungen zum Worte. Er wußte, wie schwer
-er die Rede meisterte. Die natürliche Scheu des Mannes, vor einer Frau
--- und nun gar vor dieser Frau! -- seine Mängel zu zeigen, lag schwer
-genug auf ihm. Aber, was er fühlte, wollte ans Licht.
-
-»Unterschiede -- warum sprechen wir so gerne von den Unterschieden?
-Warum nicht lieber von dem Gemeinsamen! Von der großen Sehnsucht, die in
-allen lebt. Und in der sich alle zusammenfinden. Wie alle Wasser zum
-Strome, wie alle Ströme zum Meere fließen. Derselbe Zug in uns allen.
-Suchende, Wandernde wir alle, die der Schmerz unserer Endlichkeit
-treibt. Warum uns stören, uns hindern und bekämpfen mit den armseligen
-Gegensätzen, statt die große Gemeinschaft uns tragen zu lassen! Zu
-unserer aller Ziel -- dem Gemeinsamen! Hinein in das Bewußtsein und den
-Besitz der Unendlichkeit!«
-
-Er rang an den Worten, mit den Worten, in denen mehr war als das karge
-ihrer Allgemeinheit. Der Reichtum war in ihrem Klang, und dieser Klang
-war Seele von seiner Seele und war wie der Glanz seiner inbrünstigen
-Augen. Heilig war ihm, was er bekannte -- aber dann erschrak er, daß er
-bekannte. Und die kleinen Fragen kamen: wollten sie das hören -- und
-gehörte das hierher?
-
-Und verlegen fühlte er sich zu Kunz zurück, dem Freunde, dem so anders
-beflügelten, aber dem Freunde doch. Der ihn liebevoll aufnahm mit
-offenen Augen, wenn auch der lächelnde Unmut nicht schwieg. Die
-Lotosblume! Kann das Leuchten nicht lassen!
-
-Frau Tilde horchte in sich hinein. Da in der Tiefe läuteten dieselben
-Glocken. Sie hatte es bisher vermieden, in der Scheu vor dem
-Gleichgearteten, dessen sie auf den ersten Blick sich bewußt war,
-Gisbert die Arme aufzutun. Jetzt aber, wo der Gleichgestimmte Zeugnis
-ablegte, umfaßte sie ihn mit einer Art wehen Zärtlichkeit und blieb an
-seiner Seite.
-
-»Ich fühle wie Sie«, sagte sie einfach und fest. »Und was die Zeit auch
-von uns fordert, es ist etwas da, was über der Zeit ist. Dahin schauen
-wir, dahin ziehen wir --«
-
-Horst sprach: »Wir wollen uns die Sterne nicht nehmen lassen. Auch sie
-gehören zu der Erde. Aber der Festtag sind sie. Und heute, wenn wir
-unser Leben leben wollen -- auch den Festtag müssen wir zum Alltag
-machen! Es gibt keine Feste!« Hart, eng, unerbittlich und rauh wurde Ton
-und Gedanke. Er stockte und schwieg.
-
-Kunz aber packte unter dem Tisch seine Hand. »Es gibt keine Sterne!
-Solange es kein Deutschland gibt, gibt es keine Sterne!«
-
-Und das Zeugnis dieser Schwurgenossen, lauter, näher, trotziger als jene
-Seelenrufe und voll Bitternis, es blieb Herr über die Geister. Sie alle
-bannte es, denn in ihnen allen war das zitternde Schwingen der einen
-Not.
-
-Herr von Borkhus brauchte Ruhe. Die Gäste brachen auf.
-
-»Müßte ich nicht morgen wieder nach Hause,« so wandte sich Frau Tilde an
-Horst, »würde ich mir Ihren Bau einmal ansehen. Und Ihre Kartoffelsuppe
-probieren. Und Ihnen« -- jetzt kam Kunz an die Reihe -- »würde ich aus
-unserem Handwerkskasten einen Hobel mitbringen.«
-
-»Für mein Fell oder für meine Seele?« gab der zurück und verbeugte sich
-lächelnd.
-
-Gisbert bekam keine Munterkeit zu hören, ihm gab sie nur still die Hand.
-
-Und nun schritten die drei Männer durch die Winternacht heimwärts.
-
-Heimwärts? Das Wesen der Frau geleitete sie wie ein Glanz. Ihre
-Zartheit, das Gepflegte des Körpers wie des Geistes, die Kultur Leibes
-und der Seele -- von ihrer Stimme der Klang, dies Aufleuchten ihrer
-großen Augen aus wehmütiger Tiefe zu strahlender Sicherheit, der
-Pulsschlag ihres lebendigen Wortes, der gütige gebende Druck ihrer
-feinen sorgenden Hand -- alles das war mit ihnen. Das Frauliche war um
-sie. Von der Mutter her, von der Geliebten her, das Gehegtsein, das
-Umfangenwerden, das geborgene Hausen -- diese Klänge begleiteten den
-Takt ihrer Schritte.
-
-Was winkte ihnen? Der kalte, düstre, niedere Stall. Wo jeder
-eingepfercht war in der lieblosen Verlassenheit seiner Schlafbucht.
-
-Die Weichheit war bei ihnen allen, das Heimweh.
-
-Horst machte sich traumfest. Er zog, wie immer dann, den Buckel krumm
-gleich einem Tier zum Sprunge und warf sich nun schonungslos in die
-Wirklichkeit der Pflichten.
-
-Kunz aber beschwor mit Bedacht einen weniger holden Geist gegen die
-Lichtgestalt, die mit ihnen schwebte: »Wer mag dieser Achim sein, dieser
-Ehegatte? Was weiß man sonst von ihm, als daß Religion ihm
-Gehirnverkalkung ist? Und er einen Koch im steifen Arm verhungern läßt?«
-
-Gisbert machte keinen Buckel und beschwor keine Geister -- er zog seine
-Lichtbahn.
-
-Wie die Baracke vor ihnen aufdrohte und die beiden -- hinein ins
-Verderben! -- ihre Schritte beschleunigten, blieb er zurück und im Takt
-seiner Musik. Als Kunz sich nach ihm umdrehte, erklärte er: »Ich gehe
-noch einmal an die See.«
-
-Sie ließen ihn und sprachen von der Arbeit, von morgen.
-
-»Wir müssen Pferde kaufen, Kunz. Die Preise steigen ins Schwindelhafte.«
-
-Kunz, der von der Kavallerie her kam, war ein gewiegter Roßtäuscher und
-jedem Pferdeschmeißer und Viehhändler gewachsen.
-
-Gisbert ging an die See. Der abnehmende Mond, schwer in dunklem Gold,
-stieg aus der Flut. Langsam, wie lastend, rollte der rote Schein über
-die gebändigten Wellen. Wie in Trunkenheit wiegte sich die leise
-Brandung, erschrak, wenn sie rauschte, und gewann das Schweigen.
-
-Die helle Nacht trank alles in sich auf, was noch sprach und flüsterte.
-Alle Stimmen, alle Schwingungen der Welt mündeten in die große
-Sternenstille.
-
-Und Gisbert, was er mit sich trug, was ihn erfüllte und quälte und
-bewegte, was in ihm klagte und jubelte -- es löste sich ihm alles in die
-lichte Unendlichkeit dieser hohen Ruhe.
-
-Was die letzten Stunden ihm geschenkt hatten, das Wissen von dieser
-Frau, ihre Nähe, die Gemeinschaft mit ihr -- »ich fühle wie Sie,« so
-hatte sie gesprochen -- das alles blieb nicht in der Verzückung und in
-der Begehrlichkeit des Rausches. Es stieg auf aus der Tiefe, befreite
-sich von der Blutwärme, von dem Zittern der Sinne, verklärte sich in
-diesem reinen kalten Licht über dem Leben und ging ein in das All.
-
-Und unter Schauern wird es ihm gewiß, ich habe den Weg, die Bahn steht
-mir offen -- ich kenn' es und kann es, das »Stirb und Werde«!
-
-So stand er, verzaubert.
-
-Dann aber, als wäre es ihm um diese Sicherheit gewesen, zerbrach er die
-Starrheit, reckte die Arme, und da er zurückschritt über die Heide, sang
-seine Jugend ihr Lied.
-
-Sang das Lied dieser Frau.
-
-Hier meine Hand -- ihre Finger haben sie umschlossen. Meine Hand --
-sieh, Mond, du lieber, dummer, du gescheidter, meine Hand ist dies!
-Meine glückselige Hand ist dies! Siehst du, wie sie leuchtet! Und so
-leuchte ich selbst! Ganz und gar leuchte ich so.
-
-Auf Flügelschuhen schritt er, den Kopf gehoben, die Brust geschwellt.
-Jauchzend die Seele.
-
-»Ich fühle wie Sie! Ich fühle wie Sie!«
-
-Und dann stürmte er jungenhaft über die Halde -- sprang über einen
-erratischen Block -- fiel in den Schnee -- wälzte sich wie ein Füllen,
-alle Viere gestreckt, und lachte wie ein Narr, wie ein Kind.
-
-Lebhaft trat er in sein Gelaß. Kunz war im Einschlafen. Ward ungehalten
-und lallte ihn an: »Was fällt Dir ein -- Du trampelnder Mondstrahl -- Du
-brüllende Ätherwelle -- Du -- Du tobsüchtig gewordener Blütenhauch --
---«
-
-Von dem Blütenhauch durfte er sich betäuben lassen zu ruhigem Schlaf.
-Der konnte etwas ergiebiger sein, denn morgen war Sonntag.
-
-
-
-
- Die fremde Frau
-
-
-Der Vormittag gehörte jedem für seine Briefe und eigenen Geschäfte. Nach
-Tisch gingen Horst und Kunz auf den Pferdekauf.
-
-Es war ein erfolgloser Weg. Zuerst war ein Bauernhof an der Reihe. Von
-den Pferden kam hier eins in Frage. Das andere, ein Blender, hatte
-schlechte Beine. Der Bauer wollte nur beide zusammen verkaufen. So
-konnte aus dem Geschäft nichts werden.
-
-Auf dem Rittergute Buchhof, wohin sie dann gepilgert waren, gedachte
-ihnen der Administrator -- der Herr war nicht zu Hause -- ein Paar
-tiefsinnige uralte Kracken zu versetzen. Horst dankte kühl. Kunz aber
-konnte sich den Zusatz nicht versagen: »Wir wollen nämlich Pferde kaufen
-und keine Philosophen. Wir wollen mit den Tieren pflügen und Mist fahren
-und uns nicht Memoiren von ihnen erzählen lassen.«
-
-Blieb noch Claus von Tangentien, der aber nur der Form wegen auf der
-Liste stand. Denn zum Pferdehandel mit diesem alten Ammoniakiter -- wie
-Kunz ihn getauft hatte -- zogen sie keine zehn Pferde.
-
-Die Dämmerung fiel schon ein, als die beiden weidlich verdrossen, den
-Fuß auf Moorhofer Gebiet setzten. Die Abendsonne hatte sich in den
-Nebeln überm Moor verblutet. Von den schneeigen Feldern zogen hungrige
-Krähen müden Fluges nach dem Kiefernwald, bäumten dort auf und richteten
-sich klagend und frierend ein für die Nacht. Da hinten die See hauchte
-eisigen Daak über Dünen und Heide.
-
-Horst war ungehalten über den verlorenen Nachmittag. Er mußte noch etwas
-ausrichten, so konnte er nicht nach Hause. Das Moor da unten
-beschäftigte ihn.
-
-»Ich will jetzt doch endlich mal den alten Torfmeister aufsuchen. Kommst
-Du mit, Kunz?«
-
-»Alte Torfmeister sind mir zu wenig Sonntagsvergnügen. Ich werd mich
-aufs Stroh werfen und lesen.«
-
-Sie trennten sich. Kunz ging geradeaus weiter nach der Baracke zu, Horst
-bog links ab die Straße, die am Dorf vorüberführte.
-
-Aus dem Boden stiegen die Nebel, vom Himmel fielen sie, das Wasser, das
-Moor sandte sie her -- so schlugen sie über dem Schreitenden zusammen.
-Voll Klage und Schauer war die Welt. Unbändiger als je zwang die
-Schwermut ihn nieder. Er fiel in seine dunkle Stunde. Das wozu? und
-wofür? saß ihm an der Kehle. War nicht doch alles umsonst und alles
-verloren?
-
-Was hockt er hier -- in diesem kümmerlichen Tun! Was wird damit
-geschafft? Was helfen all diese armen Kleinigkeiten, wo selbst das Große
-uns nicht retten könnte! Das Große! Wenn wir es hätten! Wenn es
-aufstünde unter uns, das Gewaltige, Allbezwingende, das im Sturm uns
-fortreißt, in dem einen machtvollen Fühlen und Glühen! Uns alle, alle --
-das Befreiende, die heilige Flamme, das heilige Licht --!
-
-Was würde geschehen mit diesem Großen? Würden wir selber es dulden?
-Würden wir selber es uns nicht in Stücke zerschlagen!
-
-Wir Deutsche -- wir Deutsche! Wir die ewigen Vandalen an uns selbst!
-Wir, die geborenen Zertrümmerer unserer eigenen Größe.
-
-Deutschland, das ewige Trümmerfeld -- nach unserem eigenen
-fluchbeladenen Willen.
-
-Wozu bauen, was wir selbst doch wieder einreißen!
-
-Und was ich hier bauen will -- ist es nicht Kinderkram, wie aus der
-Spielzeugschachtel! Was soll der Tand! Was soll der nützen! Ein Beispiel
-sollte es sein, ein Gleichnis, ein Symbol -- ja --
-
-Aber ein Symbol der Arbeit? Wer will das! Wer leistet dem Gefolge! Nehmt
-das goldene Kalb und setzt die Dirne drauf oder den Magier, den
-Geisterbeschwörer von Geschäft, und ihr habt die Leidenschaften der Zeit
-mit ihrem Heerbann.
-
-Was kaure ich hier unter dem Schutt! Ein Fremder in meinem Vaterland.
-Warum dann nicht lieber hinaus in die Fremde! Nach dem Süden, dem
-purpurnen! In die Klarheit des Nordens! Nur, daß man sein Brandmal
-trägt, den Galeerenstempel! Die Peitschenstriemen auf dem Rücken! Ein
-Deutscher -- wehrlos, ehrlos. Wer will ihn! Welches Land öffnet ihm
-seine Grenze!
-
-Vom Leuchtturm auf der Halbinsel ruft das Nebelhorn -- Töne fernher, wie
-aus anderer Zeit, aus anderen Welten. Stöhnende Stimmen von
-Urzeitriesen, Flüche, Verwünschungen, Todesschreie. Vor mir, um mich das
-Niflheim! O ging es hinein in das eisige Vorweltchaos!
-
-Wie ein Ertrinkender erlebt er noch einmal sein Leben.
-
-Die jubelnde Jugend unter den strahlenden Augen, der fröhlichen Klugheit
-der Mutter, die gesammelte Kraft des Soldatentums, trotz all dem
-Kleinlichen und Lachhaften die ganze Größe des »ich dien«. Die Jahre auf
-der Kriegsakademie in Berlin, wo Kunst und Liebe ihn so reich
-beschenkten, und reich auch die stille Lampe bei seiner Wissenschaft.
-Oft haben ihn die Kameraden »Schuster« gescholten, wenn er des Wüsten
-und der Ausgelassenheit satt in seiner Werkstätte sich einschloß. Und
-gerne saß er bei seinem Leisten, der Kriegsgeschichte. Eine Monographie
-von ihm über die Schlacht von Saalfeld wurde gedruckt und trug ihm
-brieflichen Verkehr mit Universitätsprofessoren ein. Dann hatte die
-Strategie des Großen Kurfürsten es ihm angetan -- da kam der Krieg.
-
-Der Krieg! Der Krieg! Und nun riß das Grandiose, das Glorreiche, das
-Ruhm- und Weihevolle -- ja, ja, das ist es bei allem, das bleibt es bei
-allem, und dafür leben und sterben wir! -- wie riß es ihn plötzlich aus
-seiner Verlorenheit in Nebel und Not!
-
-Und jetzt kroch er nicht mehr, er ächzte nicht mehr -- er hatte den Kopf
-wieder hoch und schalt sich aus. Schäm dich, Horst Oldefeld --
-Neurastheniker mit Nebelhornbegleitung! Nun faßt du wieder Schritt und
-tust, was du sollst und mußt -- und glaubst an dein Müssen -- und läßt
-die Ausflüge ins Niflheim und in das eisige Urweltchaos. Du bleibst
-hübsch säuberlich auf deutschem Grund in deinem Arbeitsschritt, du
-bleibst in deiner Pflicht. Und wenn du das Kleine schaffst, denkst du,
-daß aus Kleinem Großes wird, daß darum das Kleine mehr ist als das
-Große! Siehst du! Und das denkst du, lachend und zufrieden! Und bist
-einer und dünkst dir was! So, mein Junge, und jetzt ist es Abend, du
-darfst ausruhen und müde sein. Die Tagesfahrt hat dich enttäuscht --
-sind nicht Enttäuschungen die Schwungfedern des Erfolges?
-
-Und ist dir für heute nicht noch etwas Sonderliches beschieden? Ein
-Sonderling steht dir bevor, der Erdgeist dieses Landes, der
-Schatzgräber, der die alten Geheimnisse des Moores ans Licht bringt,
-zugleich der Totengräber des Kirchspieles, der neue Geheimnisse in die
-Erde senkt. Lud Uhlenbrook, Torfmeister und Friedhofswärter seines
-Zeichens. Ein besonderer Mann.
-
-Wohl muß man sich traumhaft feierlich stimmen, ihm zu begegnen. Und die
-Brille zur Hand haben für Geister und Gespenster.
-
-Sind wir nicht hier an der Kirchhofsmauer? Jetzt steigt die Straße,
-jetzt kann man hinüberblicken.
-
-Schwer hängen Dämmer und Nebel in den Sträuchern, den kahlen Ulmen, den
-bereiften Edeltannen und ersticken das matte Schneelicht, das noch von
-den Gräbern und Wegen aufsteigen will.
-
-Was huscht da und flattert zwischen den Grabhügeln? Ein Körperliches?
-Ein Schatten? Verschwindet hinter den Bäumen -- schwebt wieder aus dem
-Nebel -- eine irrende Seele --? --
-
-Eine schwarze Gestalt -- jetzt hält sie der Blick -- eine Frau --
-
-Horst kommt an der eisernen Pforte vorbei -- da tritt die Gestalt von
-innen an die Kirchhofstür und rüttelt an den eisernen Stangen. Eine
-Gefangene der Totenstätte -- --
-
-Er geht hinzu. »Ich hab mich verspätet -- man hat mich hier
-eingeschlossen!« sagt die Stimme von drüben, mehr ungehalten als
-ängstlich und bittend.
-
-Ein bekannter Klang -- und jetzt sieht er die Züge: die Dame von der
-Versammlung ist es.
-
-»Ich werde den Schlüssel besorgen«, sagt Horst mit schneller
-Bereitschaft.
-
-Bei ihr ein Zögern. Sie betrachtet sich die Pforte, den Mauerpfeiler.
-»Wenn Sie mir helfen wollen, komme ich so hinüber«, erklärt sie kurz
-entschlossen.
-
-Er reicht ihr die Hand, sie setzt den Fuß zwischen die Stäbe, dann auch
-den anderen -- Horst stützt und streckt den Arm -- sie klettert auf die
-Mauer -- beugt sich -- legt die Hände auf seine Schultern und springt zu
-Boden. Das alles in einer kühlen Ruhe, ohne betonte Zurückhaltung, ohne
-regere Verbindlichkeit.
-
-Einfach spricht sie ihren Dank, verneigt sich und wendet sich nach der
-Chaussee, die zur Stadt führt.
-
-»Es wird unheimlich dunkel -- und eine Dame jetzt allein den weiten Weg
---« er ist an ihrer Seite.
-
-»Mir tut niemand etwas.«
-
-»Wenn ich Sie begleiten darf --«
-
-»Das ist sehr freundlich. Aber ich kann wirklich allein gehen.«
-
-Hierin ist nun, bei aller Gelassenheit des Tones, die deutliche
-Ablehnung. Horst verbeugt sich und wandert seine Straße. Ein wenig
-beschämt -- ein wenig ärgerlich, über sich, über sie. Aber dann schilt
-ihn nur noch die Ungehaltenheit über sich selbst.
-
-Aufdringlich -- ja, ja -- er ist es gewesen und ist ihr so erschienen.
-Immer dieselben Funken, wo die beiden Geschlechter in Spannungsnähe
-geraten. Die Eitelkeit entzündet sich, die Eroberungslust, die Habsucht.
-
-Hatte er es nicht ausnutzen wollen, daß er ihr den Dienst erwiesen?
-
-Gewiß, sie hat etwas, was ihn reizt. Ihre Persönlichkeit, die
-schleierhafte Persönlichkeit --? Natürlich das Weib! »Persönlichkeit« --
-auch so einer von diesen Zauberapparaten, mit denen wir uns selbst
-Kunststücke vorführen!
-
-Sie war auf dem Kirchhof. Es gibt Menschen, die für Kirchhöfe eine
-Leidenschaft haben -- heißt, so lange sie selbst munter herumspazieren.
-Ist sie von denen?
-
-Daß sie ein Grab hier hätte, sie, die landfremde --?
-
-Und da fährt es ihm durch den Sinn: der junge Mann liegt hier begraben,
-den Borkhus erdrosselt hat! Groß geht es in ihm auf, bis zur Gewißheit:
-ja, ja -- sie war an seinem Grabe -- hier ist der Zusammenhang!
-
-Er hatte es nicht begriffen, was damals aus ihren Augen brach, als
-Borkhus in der Versammlung vor ihr auftrat. Das war mehr gewesen als
-politischer Haß. Jetzt verstand er dieses Mehr. Der Rachegeist war es
-eines vernichteten Lebens, das Blutgericht einer zerstörten Liebe, die
-Tod wollte gegen Tod.
-
-Und wieder ging Horst einen schweren Schritt.
-
-Ein Schicksal -- und so erst mußte ihm dies zu Bewußtsein kommen. Wie
-gedankenlos hatte er bisher diesen Todesfall abgetan. Wie leichtherzig
-hatte er ihn als was Gleichgültiges, höchstens als ein Unbehagliches von
-sich gewiesen.
-
-Erst in den Augen dieser Frau mußte sich das Geschehene spiegeln.
-
-Und es wuchs, über das Grauen der einen Tat, hinein in die große
-Tragödie des Volkes.
-
-Herr von Borkhus selbst hatte es gefühlt, vergraben in die Schauer,
-hatte es ausgesprochen, nur vor tauben Ohren: »Ein Deutscher erwürgt
-einen Deutschen mit eigenen Händen! In unseren Tagen gemeinsamer Not!
-Die Zeit der apokalyptischen Greuel kehrt zurück.«
-
-Nicht der einzelne -- und doch wieder der einzelne! Denn aus den
-einzelnen wird das Volk, und in dem einzelnen ist das Erleben.
-
-Eines Mannes Ende -- eines Weibes Verlassenheit und Todestrauer. Eine
-Nacht nur solcher Verzweiflung -- nur die wenigen, die langen Stunden
-einer einzigen, einer langen, langen Nacht!
-
-Nun ist man im Fühlen, und das Herz schlägt mit.
-
-Eine Frau!
-
-Der endlose Zug der Frauen in schwarzen Gewändern wallt vorüber, der
-Mütter, der Gattinnen, der Bräute, der Schwestern -- viele, viele wie
-die Schatten, denn ihr eigenes Leben gaben sie dahin.
-
-Doch geheiligt sind sie, die Weihe ist über ihnen, die Weihe des Opfers,
-das die Liebe brachte, die Liebe zum deutschen Land.
-
-Was aber jetzt im Trauerkleide diesem Todeszug sich anschließt, über
-denen leuchtet nicht der Segen der Hingabe, sie tragen den Fluch und den
-Haß. Um sie zuckt und schwelt das wahnsinnigste aller Verbrechen, der
-Bürgerkrieg -- Land- und Eidgenossen morden sich selbst!
-
-O dieser namenlose Frevel an der deutschen Kraft -- an der Kraft der
-deutschen Seele, an der Kraft unserer Wehr.
-
-Jetzt -- jetzt, wo wir so bitter nötig Eisen und wieder Eisen ins Blut
-haben müßten, gerade jetzt spritzen wir uns Gift in die Adern!
-
-Eisen! Wo ist er, der Führer! Der Held von Eisen! Der große Rufer im
-Streit! Der Lindwurmtöter! Der erst die Drachen im eigenen Lande
-erschlägt. Und dann die Höllenhunde da draußen.
-
-Der Feind ist im Land! Das ist der Ruf! Der gellt in die Ohren, er
-greift an die deutschen Herzen, und wären sie noch so zag, noch so träge
-und weich geworden, noch so dumpf und so niedrig!
-
-Der Feind ist im Land! Wo ist der Heerkönig! Seine Fahne soll wehen! Wir
-kommen alle, wir folgen dir alle! Ein Meer brandet auf, ein Flammenmeer
--- eine Sturmflut von Feuer, so brausen wir über die Feinde!
-
-Kreuzfahrer sind wir, geweihte, in Frommheit entbrannte, heilig, heilig
-ist unser Kampf für das heilige deutsche Land!
-
-Sie haben Maschinen -- was sind Maschinen -- wir haben den Geist! Und
-Gott ist der Geist! In Feuersäulen wandelt er vor uns.
-
-So brennen wir rein -- die deutsche Erde -- von ihren Schändern -- in
-prasselnden Flammen -- so brennen wir rein -- in jubelndem Feuer -- den
-deutschen Namen -- von seiner Schande.
-
-Der Welt stockt der Atem -- und die uns geschmäht -- sie jauchzen uns
-zu!
-
-In hohen Sprüngen war Horst vorwärts gestürmt. Nun stand er keuchend. Wo
-ist er, der große Mann! Warum fehlt uns der Führer in der schwersten
-Stunde! Warum bin ich selbst ein so armseliger Zwerg!
-
-Wieder krochen die Nebel um ihn zusammen, wieder wollte er schmerzlich
-und schwer in den alten Trott sinken. Da tauchte am Rande des Moores der
-strohgedeckte Katen des Torfmeisters vor ihm auf, und das Ziel hob
-seinen Blick ins Feste, Grade und Helle.
-
-
-
-
- Der Torfmeister
-
-
-Ein spärliches Licht aus einem der Fenster grüßte mühsam durch den
-Abendnebel. Horst öffnete die Pforte des Heckenzaunes, der einen kleinen
-Vorgarten einhegte, und trat dann durch die Haustür auf die dunkle
-Diele. Links war das Licht, er klopfte, eine Stimme, die wie Donner
-rollte, rief einladend: »Jawoll!«
-
-In dem niedrigen verräucherten Zimmer hockte ein grauhaarbuschiger
-Riese, der Leib war in einen mächtigen schwarzen Wachstuchlehnstuhl
-versunken, die Beine durchquerten den ganzen Raum, auf daß die Füße, in
-ungeheueren Filzstiefeln, mit dem offenen Ofenfeuer treuliche
-Nachbarschaft hielten.
-
-»Guten Abend!« grüßte Horst.
-
-»'n Abend«, polterte der Alte mit unglaublich gemütlichem Grollen
-zurück. Und dann stöhnte er: »Wollen Sie sich setzen. Eh ich
-aufgestanden bin, haben Sie längst vergessen, was Sie von mir wollen.«
-
-Horst holte sich einen von den schweren eichenen Holzstühlen. Er sagte,
-daß er von der Siedlung käme.
-
-»Hab ich mir gedacht. Und wissen Sie, daß wir Feinde sind!«
-
-»Feinde?«
-
-Ȇber 'n Zehntel von meinem Moor haben Sie mir genommen! Aus meinem
-Leben ist das rausgeschnitten. Denn mein Moor ist mein Leben.«
-
-Jetzt stöhnte er wirklich und aus der Tiefe. Die Hausbalken ächzten.
-»Seit der Zeit hat es mich gepackt. Und nun ist nichts mehr mit mir los.
-Haben Sie 'ne Ahnung, was Moorpodagra ist?«
-
-»Nein.«
-
-»Danken Sie Ihrem Schöpfer. Aber --« jetzt rieb er sich die
-unermeßlichen Vorderflossen -- »vielleicht erleb ich's noch, daß Ihr
-Siedler das auch abkriegt! Wär das -- wär das ein Schützenfest!
-Hahahaha!« Das Haus lachte mit, die Wände, die Dielen, die Möbel.
-
-Mit dieser Verwünschung hatte seine Galle sich entgiftet. Die Augen,
-große Spitzbuben von Natur und jung trotz der roten wimperlosen Lider,
-waren schon wieder geneigt, das ganze Leben als eine erkleckliche
-Schalksnarrheit halb ausgelassen, halb wehmütig zu betrachten. Er rührte
-sein Fußwerk, sehr behutsam, es ging besser als er dachte. »Torfwasser!
-Fünfzig Jahre Torfwasser! Torfwasser ist 'ne eigne Mixtur, kann ich
-Ihnen sagen. Leichen erhält's. Lebendiges frißt es an.«
-
-Er hatte die Kniee krumm. »Na wollt ihr raus?« sprach er zu seinen
-Stiefeln hinunter. Und da sah Horst aus jedem Schaft ein Köpfchen lugen
--- die grellen Augen stachen nach ihm.
-
-»Was haben Sie da?« fragte er überrascht.
-
-»Die fressen den Gichtwurm«, gab ihm der Alte zu wissen. »Werden selbst
-aber nicht satt davon. Meine Wiesel sind das. Na lauft!« Die
-fadenschlanken Tierchen schlüpften aus dem Fußgehäuse, liefen an dem
-Riesen in die Höhe, umkreisten spielend seinen Nacken und schlängelten
-sich dann hintereinander in ein Loch der Diele.
-
-Nun stand der Alte, reckte sich, nüsterte und schnob, fegte mit seinem
-Haarschopf die Decke, hinkte zu einem Wandschapp und holte eine
-Schnapsflasche mit zwei Gläsern.
-
-Sie saßen an dem klobigen Eichentisch. »Selbst gebrannt. Wacholder«,
-erklärte der Alte.
-
- »Hüt' dich vor sünd'gem Wandel,
- vermeide den Machandel!
-
-Na Prost!«
-
-Er stöhnte wie ein Ur.
-
-Horst sagte ihm, daß die Siedler seinen Rat und seine Hilfe brauchten.
-
-Wirklich! Erst nähmen sie ihm das Beste weg, und zum Lohn dafür sollte
-er helfen! Christenlehre! Reißt dir einer die Tabakspfeife aus der Hand
--- gib du ihm Feuer, daß er sie sich auch anrauchen kann! Hahahaha!
-
-Die Stube schüttelte sich, der Eichentisch tanzte Ballett.
-
-Dann schimpfte er auf die ganze Moorwirtschaft hier. Nie hätte er
-gekonnt, wie er wollte. Der Besitzer, Herr von Borkhus, hätte nun mal
-keinen Sinn fürs Moor. Was ein Gemütsfehler wäre. Seine Tochter, Frau
-von Mönkhov, hätte diesen Sinn -- und wäre die nicht, gäb es hier den
-Torfmeister Lud Uhlenbrook längst nicht mehr.
-
-Das Zwanzigfache hätte sich allein aus dem Torfstich herausholen lassen.
-Aber keine Unternehmungslust, kein Blick, kein Verstand. Selbst für die
-kümmerlichsten Abfuhrstraßen hätte er bis aufs Blut kämpfen müssen.
-
-Und das Moor ist so brav, so fleißig im Nachwachsen, im Nachschaffen, es
-gibt und schenkt so gern. So treu ist es gegen die, die es kennen und
-liebhaben -- böse nur gegen die, die nichts von ihm wissen und nichts
-von ihm wissen wollen. Ob er etwas von ihm wisse?
-
-Nein.
-
-Dann solle er sich nur nicht einfallen lassen, in einer Sturmnacht übers
-Moor zu wandern. Wenn ihn die Schlünde und Gründe nicht verschluckten,
-all das, was dann aufgeschreckt wäre aus den Tiefen -- heillos würde es
-ihm die Sinne verstören.
-
-Arm und zu bedauern sei er, daß er nichts vom Moore wisse. Nichts vom
-schlafenden Moor -- nichts von seinen Träumen -- nichts von seinem
-Erwachen. Von den Moornebeln nichts, nichts von dem Moorleuchten. Von
-seiner Frühlingspracht nichts, wenn die unzähligen goldenen Blumen es
-bestirnten -- nichts von all dem Summen und Zirpen und Tirilieren, von
-seiner Musik, so vielstimmig und so abgetönt wie keine auf der Welt.
-
-Und die Abenddämmer, die an das Geschwundene rührten -- die hellen
-Nächte, da der Mond die Elfen ruft -- die schwarzgrollenden
-Unwetternächte, in denen die geizigen Zwerge und Gnome mit ihren
-Irrlichtern nachsuchen, wohin die Blitze ihr Gold gestreut.
-
-Was ruht alles im Schoß des Moores! Kämpfer und Helden, die das Gewoge
-der Schlacht hier hineinstieß. Könige, die der Ruhm hier im Grabe
-bettete. Selige selbstvergessene Frauen, die im Traumschritt
-hinüberwandelten, und die der Tod hinabzog, selbst wie ein Traum --
-Unselige, die der Gram hier versenkte.
-
-Das Meer, das grausame, zerstört. Alles, was es hinabschlingt, gibt es
-der Verwesung preis, den Zähnen seiner Bewohner, und wirft und speit die
-eklen Reste wieder von sich -- das Moor sorgsam und sanft, balsamiert
-alles ein, bewahrt dem Toten die Schönheit des Lebens, hat Freude an der
-Form und Lust am Erhalten.
-
-So ist das Moor, denn das Moor hat ein Herz!
-
-Dies war der Klang, in dem der Alte sich vernehmen ließ, auf seine Art.
-Und diese Art stieg über ihn selbst hinaus, da er dem, was ihm ans Leben
-gewachsen war, seine Hymnen sang.
-
-Horst hatte seine Freude an dem Alten. Er wußte, daß sie beide auch
-jenseits vom Moor sich nahe kommen würden. »Ich will mich bemühen,«
-sagte er, »Ihren Freund zu verstehen. Und womöglich auch Freundschaft
-mit ihm zu schließen.«
-
-Sie sprachen dann über die Torflieferung für den Ziegeleibetrieb. Dem
-Siedlungswerk an sich war der Torfmeister zugetan, und er versprach ihm
-seine Förderung.
-
-Und dann strömte auch ihr Fühlen und ihr Gespräch in die große deutsche
-Not. Der Torfmeister hatte seine festen Gedanken. Dies war kein grader
-Krieg -- schief kam er und aus der Ecke! Was ging uns um Haut und Haar
-das an, was da unten bei den Mausefallenhändlern passierte! Ich war 66
-und 70 dabei -- da wußten wir, was wir wollten! Aber hier wußten wir
-nicht mal, was die anderen wollten. Und darum, es war krumm und dumm von
-vornherein. Und doch krümmer und dümmer, was wir all die Jahre vorher
-angestellt haben, uns all die vielen Feinde aufzuhalsen.
-
-Hierüber brauchten die beiden sich nun nicht weiter zu verständigen. Sie
-landeten jetzt bei dem Heute, bei dem, was diesem Landstrich beschieden
-war.
-
-Hier hat es schon vor dem Kriege gezuckt und getuckt, sagte der Alte.
-Gewiß, vieles, was so von Leuteschinderei geredet werde, sei Hetze und
-Geschwätze. Aber mancher Gutsherr habe doch sein Teil auf dem Kerbholz.
-Das Volk wäre ducknackig und trüge viel, aber es fräße alles in sich
-hinein, und vergäße nie. Da hätte sich also schon was angesammelt. Und
-jetzt, wo die Funken durchs Land flögen --!
-
-Wie es in Moorhof aussehe?
-
-Herr von Borkhus gehöre nun gewiß nicht zu den Gewaltherrn. Er habe ein
-Herz für die Arbeiter. Aber er behandele sie nicht gleichmäßig. Leicht
-risse sein heißes Herrenblut ihn fort -- hinterher täte es ihm leid, und
-überschwenglich verwöhnte er dann die Leute. So aber bekäme man sie
-nicht in die Hand.
-
-»Sie meinen also auch, uns steht hier noch verschiedenes bevor?«
-
-»Ganz gewiß. Wo jetzt die heftigen Brüder von auswärts kommen und das,
-was hier glimmt, mit vollen Backen anblasen.«
-
-»In der Stadt hat sich ja jetzt was zusammengetan.«
-
-»Ja. Seit da nun noch der rote Magistrat die Fuchtel schwingt.«
-
-Und nun ist Horst wieder bei seiner Revolutionärin. »Sagen Sie mal, Sie
-sind doch auch der Friedhofswärter?«
-
-»Ja -- und?«
-
-»Wissen Sie, daß da eben eine Dame eingesperrt war?«
-
-»Nein. Wer?«
-
-Horst beschreibt sie. Und jetzt kommt eine fliegende Erregung über den
-grauen Riesen. Das sei Lona Grahl gewesen! Seine kleine Freundin! Die
-habe das Grab ihres Geliebten besucht! Und nun müßte er, der Alte, mit
-seinem kranken Beinwerk gerade den Schlüssel nicht haben! Die
-Küsterdirn, die dumme, die sich vor Gespenstern fürchte, habe natürlich
-in dem Nebel vor Abend schon blindlings zugeschlossen und danach
-spornstreichs Reißaus genommen. »Aber sonst pflegte Lona doch immer nach
-ihrem Kirchhofsbesuch bei mir einzusehen! Sollten Sie sie mir vergrämt
-haben!«
-
-Fast zornig flammte es aus den alten jungen Augen gegen Horst.
-
-Der erhebt sich. »Es tut mir leid. Sie weiß, daß ich politisch ihr
-Todfeind bin. Sie weiß auch um meine freundschaftliche Gesinnung für
-Herrn von Borkhus.«
-
-Die schwere Pranke des Alten legt sich auf den Arm seines Gastes. Die
-Aufwallung reut ihn.
-
-»Bleiben Sie noch sitzen. Die Kleine steht mir nahe. Ich hab sie als
-Kind auf dem Arm gehabt. Sie stammt aus unserer Gegend. Ihr Vater war
-Pastor in Unkvitz. -- Sie sehen die Kirche südwärts vom Moor. Das war
-ein Mann -- was haben wir den geliebt! Zu dem gingen wir alle und nicht
-zu unserem Pastor hier. Jung war er und fröhlich -- und wenn man ihn
-bloß ansah, wurde man schon ein besserer Mensch. Und was konnte er die
-Orgel spielen! Jeden zweiten Sonntag gab er ein Kirchenkonzert. Was
-Beine hatte und Ohren drängte sich dazu. Und seine Frau sang, wie ein
-Engel aus dem Himmel sang sie. Die war eine berühmte Sängerin gewesen,
-aber ihren Mann hatte sie lieber als all ihren Ruhm. Und ganz plötzlich
--- ich weiß nicht, was der Herrgott sich dabei gedacht hat -- plötzlich
-stirbt dieser Mann. Hatte an einem Krankenbett sich angesteckt. Die Frau
-wurde wahnsinnig. Verwandte holten das Kind. Es war damals zwei Jahr.
-Ich ging auch gerade zur Bahn. Da habe ich das Wurm den ganzen Tag
-getragen. Und das war der Anfang unserer Freundschaft. Dann habe ich die
-ganze Zeit nichts von ihr gesehen und gehört. Jetzt ist sie wieder
-aufgetaucht. Und schlimm genug ist das, was sie wieder in die Heimat
-geführt hat.«
-
-Der Alte stöhnte und schwieg eine Weile.
-
-»Als wir ihren Freund hier begruben -- sie war sein einziges Gefolge.
-Der Geistliche, der hier damals amtierte -- unser Pastor Wärmann lag
-noch verwundet im Lazarett -- na ja, er gab wohl her, was er konnte,
-aber schließlich -- der Tote ein Revolutionär. Und sie die Geliebte
-eines Revolutionärs. Die wahre Liebe und der wahre Trost war es nicht.
-Ich hab dann die Kleine mit nach Hause genommen. Und an meiner Brust hat
-sie sich ausgeweint.«
-
-Horst hörte hingegeben zu. Und nun sah er sie hilfsbedürftig in den
-Armen dieses alten Mannes. Hilfsbedürftig -- das reimte sich ihm so
-wenig zu ihrer Art. Und ihre Augen in Tränen -- diese Augen mit ihren
-wilden Bränden und ihrer schaurigen Erloschenheit.
-
-Er wollte mehr wissen, aber er brauchte nicht zu fragen. Der Torfmeister
-war mit dem Recht seiner Jahre redselig geworden.
-
-»Jetzt will sie hier bleiben. Sie hat sich in der Stadt niedergelassen.
-Als Musiklehrerin. Aber die Musik -- na, vor allem macht sie jetzt hier
-die Musik der Revolutionsmänner mit. Ihr Freund war Maler, und sie kommt
-von der Musik her, und sie hat mir gesagt, was so die Jungen von der
-Kunst wären, die wären alle revolutionär -- oder sie wären taube Nüsse.«
-
-»Wir haben auch noch eine andere Jugend!« sagte Horst lächelnd, mit
-Bedacht.
-
-»Davon verstehe ich nichts. Aber -- bei alledem ist mir nicht behaglich.
-Sie bleibt nicht bloß hier, um das Grab zu pflegen. Sie hat noch etwas
-anderes im Sinn. Was manchmal in ihren Augen umgeht! Und wenn man daran
-denkt, daß ihre Mutter im Wahnsinn geendet hat --! --«
-
-Horst packte zu. »Sie meinen, sie will sich rächen.«
-
-Der Alte sah ihm ins Gesicht. Dann sprach er unumwunden: »Ja. Und wo
-hier jetzt die politischen Brandstifter herumwirken --«
-
-Die beiden Männer schwiegen. Und das Grauen rührte an sie, das durch die
-deutschen Lande schlich.
-
-
-
-
- Winternot
-
-
-Der Februar brachte eine Bärenkälte. Was schimpfte Kunz in dem
-bereiften, vereisten Schuppen! Gisbert hatte seinen Ohrenschmaus.
-
-»In Berlin haben sie vorgestern die hundertsiebenundsechzigste Tanzdiele
-aufgemacht! Und mir frieren hier die Zehen ab. Hat deshalb die Schöpfung
-in mir alle menschlichen Reize zusammengehäuft, daß ich zu Puppenlappen
-verfrieren muß!«
-
-Gisbert blieb unanfechtbar, schwebend, über den Dingen.
-
-»Und Du, sag mal, hast Du immer noch Lust, ins All aufzugehen? Der Natur
--- von minus zwanzig Grad -- Dich einzuverleiben? Getreu Deinen Brüdern
-am Indus, Ganges und Brahmaputra? Die sich da in die Sonne hinlümmeln
-und sich die Bananen oder sonstwas in den Rachen wachsen lassen. Wir,
-die wir hier in Schneehütten und Erdhöhlen hausen, Herrgott -- wir
-müssen uns schon ganz in uns selbst hineinkonzentrieren! Daß wir
-wenigstens etwas Warmes in den Leib kriegen! Der Unterschied zweier
-Welten! Aber Du -- Du mit Deinem Astralgebein!«
-
-Dann kam Tauwetter, eine Regenperiode mit niederträchtigen westlichen
-Winden. Und ein böser Gast fand in der Baracke sich ein, die Grippe.
-Fast alle lagen sie auf der Nase. Horst, der noch soeben an einer
-Lungenentzündung vorbeischrammte, blieb auf den Füßen, pflegte, half und
-gab das Steuer nicht aus der Hand.
-
-Und wie eine Seuche liefen jetzt, wo sie ihre frische Arbeit nicht
-hatten, die Unlust, der Überdruß, die fahnenflüchtigen Gedanken durch
-die Reihen. Von Schimpfen, Stöhnen und Fluchen über das Barackendasein
-klang der Bau.
-
-Wohl hatte Kunz das Instrument auf diesen Ton gestimmt. Und auch ihm
-kamen bitterliche Stunden, in denen er Horst sein Herz ausschüttete.
-»Ich mach nicht mehr mit, -- in diesem elenden Kasten -- wie ein Sarg
-ist er -- ein Bretterkahn ist er, der in den Orkus hineinfuhrwerkt --
-ich steig aus! Nach der Großstadt will ich. Müll kutschieren will ich
-oder den Gummibesen über den Straßenasphalt schieben!«
-
-»Du bist größenwahnsinnig«, erklärte Horst dazu.
-
-Dann gab er sich. Er mochte auch nicht zu dem Chorus gehören. Und da
-Trübsal und Bitternis nicht abreißen wollten, warf er sich in seinen
-alten Übermut, hielt sein Lachen parat, zornig und rüttelnd, und wusch
-die Köpfe.
-
-»Hat das bißchen Schnupfen uns zu Jammerlappen aufgeweicht?« Für die
-Braven und Zukunftsstarken schleppte er Rum herbei, ihnen braute er
-heilsamen Grog -- wen gab es da, der nicht zukunftsstark wäre?
-
-Mit seiner Zupfgeige zigeunerte er an den Krankenbetten. Muz saß
-andächtig dabei und hatte gespitzte Ohren. Dichtete an seinen Liedern
-»vom heimlich-unheimlichen Suff« und sang sie ihnen.
-
- Jetzt sing ich euch das Lied vom Muselmanne,
- er betete getreulich seine Suren,
- zuweilen aber kriegt er seine Touren,
- und flüchtete zu seiner Fuselkanne.
-
-Oder er warf ihnen so aus dem Handgelenk ganze Bündel Singsangreimereien
-vor.
-
-
- »Prost!«
-
- Herrgott in unserm Schuppen,
- da ist der Deubel los,
- wir haben all den Schnuppen,
- wie leuchten unsre Kuppen,
- im Hals da sitzt 'n Kloß.
- Ich niese, du niesest, wir niesen,
- uns kriegen am Kragen die Krisen,
- und keiner und keiner sagt »prost«!
-
- Der Arzt verordnet Suppen,
- er sagt, die ist famos.
- Der Kunz besorgt uns Druppen,
- die Schuppen-Schnuppen-Druppen,
- wir saufen sie aus Tubben,
- Das ist 'ne andre Schos.
- Der Alte mit der Hippe,
- das gierige Gerippe,
- und seine Zippe, die Grippe,
- die kamen angetost.
- Doch unsere Schnuppen-Druppen,
- die Schuppen-Schnuppen-Druppen,
- sie, die gesund uns schrubben,
- die schlagen dem Tod 'n Knubben!
- Wir schwingen unsre Tubben,
- er muß von dannen huppen,
- und alle brüll'n wir »prost!«
-
-Den Rundreim faßte Muz jedesmal so auf, daß er sich um sich selbst zu
-drehen und nach seinem Schwanz zu jagen habe. Und er tats mit Lust.
-
-Die Krankheit war erloschen. Aber eine Mattigkeit blieb, Unmut und
-Düsternis wichen nicht so bald. Heute kam einer von der Mannschaft zu
-Horst ins Schreibzimmer. »Ich möchte aus dem Verbande austreten,«
-erklärte er, still, gedrückt. Leicht wurde es ihm nicht, das zu sagen.
-
-In Horst schrak etwas auf. Aber er blickte fest und gelassen. Er wollte
-den Mann halten -- wieviel kam darauf an, daß die Reihe, jetzt in den
-Anfängen, geschlossen blieb! Er mußte ihn halten! Dann aber, gerade
-darum, in seiner Sprödheit, in der Schamhaftigkeit seines Gemüts,
-verschmähte er jedes werbende Wort.
-
-»Wenn es Ihr klarer Wille ist --«
-
-»Ich kann eine gute Stelle in einem Bankgeschäft bekommen. Man darf doch
-seinem Glück nicht im Wege stehen.«
-
-»Das darf man nicht.«
-
-Es war einer von den Lauen, von den Strohfeuermännern, von den weichen
-Tieren. Aber einer der Geschicktesten und Arbeitsamsten, auch im
-Schreibwerk zu Hause.
-
-Kunz trat darüber zu, der heute Bureaudienst hatte. Der das hören und
-ohne jede Schamhaftigkeit den Mann sich vornehmen! »Das dürfen Sie
-nicht, Radatz, und das tun Sie auch nicht. Gewiß, wir haben hier kein
-Mönchsgelübde abgelegt -- aber wir wollen was zustande bringen. Man hat
-die Augen auf uns gerichtet. Man glaubt an uns. Und -- was die
-Hauptsache ist -- wir glauben an uns selbst. Darum gibt es bei uns kein
-Abbröckeln. Gibt es nicht. Unsere ganze Siedlung ist ein Beispiel -- und
-so ist jeder einzelne von uns ein Beispiel. Sie, Radatz, wie wir alle.
-Und was wollen Sie jetzt wohl für ein Beispiel geben?«
-
-Kunz, der sonst so wortfreudige, sprach nüchtern und trocken. Der also
-Bedachte schielte nach einer befreienden Ausgelassenheit und fand sich
-gefangen in dem harten zwingenden Ernst. Es gab weiß Gott für Kunz auch
-etwas, worin nicht mit ihm zu spaßen war.
-
-»Glauben Sie, daß sich uns andern nicht auch Aussichten auftun? Vor
-allem unserm Baas, Herrn Oldefeld, der vier lebende Sprachen spricht und
-darum, wie schon Napoleon sagte, allein so viel ist wie vier Menschen
---«
-
-Horst winkte heftig ab.
-
-»Nun ja, das alles erzählen Sie sich am besten selbst. Und jetzt werden
-Sie tun, was Sie wollen. Sie werden also bleiben!«
-
-Der Mann bedachte sich nicht lang. »Ich will nicht der erste sein, der
-hier abbaut. So bleibe ich denn.«
-
-»Hab ichs nicht gesagt. Und jetzt ziehen Sie sich mal Ihren
-Sonntagsnachmittagschen wieder aus und vertreten Sie mich heute im Büro.
-Ich will uns auf der See 'n paar Wasservögel schießen -- Jürgens und
-Wendland nehme ich heute mit. Es soll genug werden für den ganzen Tisch.
-Rekonvaleszenten haben Anspruch auf Geflügel.«
-
-Radatz empfahl sich.
-
-»So wie Du, hätte ich nun eigentlich sprechen müssen,« meinte Horst. »Im
-Grunde bist Du mehr Führer als ich.«
-
-»Jetzt fängt der auch an!«
-
-»Freilich muß ich wieder fragen: wird es vorhalten? Und hat es überhaupt
-Zweck?«
-
-»Zweck -- ja willst Du bloß Unsterblichkeiten? Vorläufig haben wir den
-Mann wieder.«
-
-Horst strich sich über die Stirn. »Daß mir das so in die Glieder
-gefahren ist! Herrgott, man bleibt doch der alte dumme Junge mit seinen
-Illusionen. Natürlich werden wir mit diesem und jenem unserer
-Bundesbrüder noch manches erleben. Wenn nur nicht in einem selbst etwas
-abbröckelt --« es klang müde und verzagt.
-
-»Horst!«
-
-»Hast recht. Man hat wohl noch von dem Krankheitsgift im Leibe.
-Vielleicht ist man doch dichter dran gewesen, als man dachte. Der Hades
-hat abgefärbt. Der macht immer sensibel.« --
-
-Die drei Jäger kamen am Abend mit erklecklicher Jagdbeute heim. Elf
-Enten brachten sie und vier Hasen.
-
-Horst musterte die Vierfüßler mit strengem Blick. »Wasserwild --? --«
-fragte er mißbilligend.
-
-»Hast Du nie von Seehasen gehört?« Aber mit seinen Witzen kam Kunz hier
-nicht durch.
-
-»Du weißt, wie ich über Wildern denke.«
-
-»Drück mal 'n Auge zu. Die Viecher sind aus dem Dünengelände. Über die
-Jagdberechtigung streiten sich seit Anno Priemtobak Stadt und Staat. Wem
-habe ich sie also weggeknallt? Keinem. Die Jagd ist strittig -- die
-Hasen sind es nicht. Habemus.«
-
-
-
-
- Lona und die Landarbeiter
-
-
-Die Roten legten sich kräftig ins Zeug. Zur Gründung eines
-Landarbeiterbundes wurde in dem zweiten großen Saale der Stadt eine
-Versammlung abgehalten. Horst ließ es sich nicht nehmen, sie zu
-besuchen. Der heilige Josef und der Balbutz begleiteten ihn.
-
-Sie kamen spät und fanden in einer Ecke noch notdürftig Platz. Hier
-walteten keinerlei Gedanken an ein Rauchverbot. Höllenkräuter waren
-entbrannt. Verzweifelt kämpften Nase und Augen und erlagen ehrenvoll.
-
-Es saßen fast nur Männer im Saal. Die wenigen Frauen duckten und
-verkrochen sich, als wären sie auf gefährlichen Abwegen. Auch von den
-Männern hockten einige Alte da wie ein Haufen Unglück. Ganz unheimlich
-war ihnen diese Staatsaktion. Mehr als einer bangte wohl um Kopf und
-Kragen.
-
-An einem Tisch hatten sie sich erst Mut trinken müssen, zu so
-schauerlicher Verschwörung. Und befreiten sich mit sachten Witzen aus
-ihrer Beklemmung. »Korl Du moest betahlen. Ick häw mien Portmonee to
-Huus vergeten -- wiel nicks in is!«
-
-Auf einen alten unanfechtbaren Sinnierer redeten Jüngere glaubenseifrig
-ein: »Nu sast sehn, Vadder Jahn -- nu wad allens ümrührt, un denn wad 't
-anners in de Welt.«
-
-Er schüttelte den Kopf. »Anners? Rührt ji so veel ji willt. Fett
-schwemmt ümmer baben!«
-
-Munter lärmend aber gaben sich die Jungen. Sie hatten ihre politische
-Weisheit aus dem Schützengraben mit nach Hause gebracht und fühlten
-jeder Lage sich gewachsen.
-
-Jetzt erscheinen durch eine Nebentür die Einberufer der Versammlung und
-nehmen auf der Empore Platz. Lona ist unter ihnen.
-
-Es sind ihrer fünf. Der Vorsitzende, ein schlanker, aufrechter Mann mit
-scharfen wie gemeißelten Zügen, mit eigentümlich grellen und packenden
-Raubvogelaugen. Der Führer steht ihm im Gesicht geschrieben. Er ist aus
-der Hauptstadt gekommen. Rechts von ihm sitzt Lona, links der Koch. Er
-hat nichts Gemästetes, ist trocken und kantig, der Schädel ist oben
-kahl, nur in der Mitte, über der Stirn, brennt eine einsame rothaarige
-Flocke. Die Augen stechen und sind heiß. Sein Nachbar ist der zierliche
-knabenhafte Mann, der auf der Borkhus-Versammlung die kurze Brandrede
-hielt, und den der Bierfahrer vom Tisch heruntersetzte. Er hat ein
-hektisches und verbittertes Frauengesicht. Alle Glieder sind bei ihm in
-fiebernder Bewegung, in den Augen tobt die Unruhe. Lona hat zu ihrer
-anderen Seite einen sehr behäbigen, angegrauten, breitstirnigen Herrn,
-der offenbar nicht ausgeschlafen hat, und sich ein paarmal die Hand vor
-den gähnenden Mund hält. Zwischendurch tiefsinnig vor sich hinblickt und
-mit den Elementen der Fingernägelpflege sich befaßt. Aber in den kleinen
-lauernden Augen ist etwas, das nur darauf wartet, geweckt zu werden. So
-oft er sich regt, stößt er die Nase vor wie ein witterndes Wild.
-
-Lona blickt unter halbgesenkten Lidern über die Versammelten. Dann
-starrt sie -- Horst hat sich eben seitwärts zum Balbutz gewandt -- jetzt
-wird er in die Bahn ihrer Augen gezwungen, die in seine Ecke, die auf
-ihn geheftet sind.
-
-Sie beugt sich ans Ohr des Vorsitzenden, das Falkenauge stößt jetzt auch
-auf ihn -- dann erhebt sich der Mann sofort. Klingelt kurz. Stille.
-
-Durch Horst zuckt es hin: wollt Ihr mir zuleibe? Gut, ihr Leute! Kommt
-an!
-
-»Arbeiter und Arbeiterinnen,« so spricht der Vorsitzende, »das ist meine
-Anrede -- Ehre, wem Ehre gebührt! Die Einladung zu dieser Versammlung
-ist lediglich an Euch ergangen. Eure Angelegenheiten sollen hier
-besprochen und geordnet werden. Die Anwesenheit von Leuten, die nicht
-darauf Anspruch erheben können, Landarbeiter zu sein, ist nicht
-erwünscht.«
-
-Ich bin auch Landarbeiter auf meine Art, denkt Horst mit innerem
-Schmunzeln. Er soll mir schon deutlicher kommen.
-
-»Ich muß deshalb alle diejenigen, die nicht diesem Stande angehören,
-ersuchen, den Versammlungsraum zu verlassen.«
-
-Seine Blicke geben aller Augen die Richtung. Viele sind aufgesprungen,
-alle stieren sie in die bezeichnete Ecke. Horst rührt sich nicht. Erst
-recht nicht, da jetzt in Lonas Züge ein häßlich Feindseliges sich
-einwühlt.
-
-Falkenauge aber läßt nicht locker. »Wie ich höre, ist der Leiter der
-Hohenmoorer Siedlung hier anwesend.«
-
-Jetzt erhebt sich Horst.
-
-»Spitzel!« ruft ein Zwanzigjähriger. Mit diesem Wort dünkt der Junge
-sich auf der Höhe und blickt stolz um sich her.
-
-»Wollen Sie mir ein paar Worte gestatten«, beginnt Horst.
-
-»Bitte.«
-
-»Wir Mitglieder der Siedlung arbeiten genossenschaftlich gemeinsam an
-unserem Werk. Ich selbst bin unter allen Umständen Siedler oder, wie man
-sonst sagt, Kolonist. Ich mach ein Stück Land urbar, ich helfe Neuland
-schaffen. Wenn einer sich Landarbeiter nennen darf, sind es meine
-Genossen und ich.« Kurz und bündig.
-
-In die Gesellschaft ist Bewegung gekommen, es wird dafür und dagegen
-gemurmelt. Horst sieht den grauen Schopf des Torfmeisters wackeln und
-hört seine gedämpfte Stimme wie schweres unterirdisches Rollen.
-
-Falkenauge holt zum zweiten Schlage aus. »Diese Einwendungen sind doch
-sehr anfechtbar. Die Siedlung ist ein Unternehmen. Ihr Leiter ein
-Arbeitgeber. Und wenn diese Persönlichkeit nun noch aus dem -- jetzt
-glücklicherweise abgeschafften -- Offizierstande herkommt und vor allem
-mit dem Besitzer von Moorhof, der uns hier in mehr als einer Hinsicht
-beschäftigt, in freundschaftlicher Beziehung steht --! --«
-
-Dies soll das Henkerbeil sein. Horst aber hält mit dem Nacken ganz und
-gar nicht still. »Darf ich noch einmal?«
-
-»Bitte.« Doch diese Gewähr sieht schon einer schroffen Ablehnung gleich.
-
-Horst schmunzelt innerlich. Meine Klinge will ich wenigstens schlagen!
-»Was einer früher war, kann heute und hier doch unmöglich in Frage
-kommen -- ebensowenig wie der Umgang und Verkehr jedes einzelnen der
-hier Erschienenen zur Untersuchung steht. Es handelt sich doch ganz
-ausschließlich um den jetzigen Beruf. Und wenn ich für meine Person
-gefragt werde, welchen Beruf ich heute ausübe, habe ich gar keine
-Möglichkeit etwas anderes zu sagen als: ich bin Landarbeiter,
-Landarbeiter in einem genossenschaftlichen Arbeiterverbande, der, wenn
-Arbeitgeber, doch sein eigener Arbeitgeber und in demselben Maße sein
-eigener Arbeitnehmer ist. Der Herr Vorsitzende hat die Erklärung
-abgegeben, daß die Anwesenheit von Leuten, die nicht Landarbeiter sind,
-nicht erwünscht wäre. Wenn hiernach wirklich verfahren wird, müßten, so
-weit ich über den Stand und Beruf der Herrschaften unterrichtet bin, die
-da oben am Tisch der Versammlungsleitung sitzen, diese zunächst einmal
-samt und sonders ihre Sachen zusammenpacken und den Saal verlassen.«
-
-Ohorufe, erst einzeln, dann anschwellend, werden laut zu diesem
-umgedrehten Spieß. Aber viele denken: ein verfluchter Kerl, und manch
-einer grient im Stillen. Horst aber hat sein unbändiges Behagen an dem
-Flammentanz auf den Gesichtern da oben -- auch die viereckige Stirn des
-Phlegmatikers droht -- an dem furioso in den Augen der Musiklehrerin.
-
-Doch die wetterfeste politische Kultur der geschulten Volksmänner ist
-gleich an der Arbeit. Zuerst und vor allem nieder mit jeder
-Mißtrauensregung! Der Koch bittet ums Wort und spricht: »Ich bin anderer
-Meinung als unser verehrter Herr Vorsitzender. Er wünscht einen engen
-geschlossenen Kreis. Wir haben hier keine Geheimnisse. Im Gegenteil! Ich
-wünschte, es hätten sich hier recht viele von den Unternehmern, den
-Arbeitgebern, den Herren Gutsbesitzern eingefunden. Was sie hier zu
-hören kriegten -- ja, die Ohren würden ihnen schon davon gellen! Aber
-vielleicht würden sie uns dann der Arbeit überheben, einmal mit der
-Faust an ihre Tür klopfen zu müssen!«
-
-Bravo! Jetzt ist der Wagen auf dem richtigen Gleis. Der Fall Horst liegt
-sacht in der Versenkung. Die Tagesordnung steigt.
-
-Der Vorsitzende spricht über die Notwendigkeit der Arbeiterorganisation.
-Die Landarbeiter, die einzigen, die bisher nicht organisiert wären.
-Rückständig wären sie. Arbeiter und rückständig, das gäbe es aber nicht!
-Das Rückständige wäre bei denen da oben zu Hause, und mit denen räumte
-die neue Zeit jetzt gründlich auf. Herren und Knechte -- das wäre deren
-Weisheit und Wille, aber das hätte aufgehört! »Menschenwürde!«
-
-Horst fuhr zusammen. Wieder das Wort!
-
-»Und in Eure eigenen Hände ist die Menschenwürde gelegt. Ihr habt jetzt
-dafür zu sorgen, daß hier auf dem Lande auch menschenwürdige
-Verhältnisse eintreten. Das erste ist höhere Löhne! Und wenn Ihr alle
-einig seid -- die, die auf den Kornsäcken und den Geldsäcken sitzen,
-können, werden und müssen sie zahlen!«
-
-Dies ist der Faden. Und er hat sie an der Strippe.
-
-Horst hörte helläugig zu. Der Mann ist ein Künstler in seiner Art, er
-hat die rechten Finger für das Masseninstrument.
-
-Jetzt wird noch ein Stück in Moll gebraucht. Sie verstehen sich schon
-auf Konzertprogramme. Lona nimmt das Wort.
-
-Zagend steht sie auf, aber dann entfaltet sich das, was sie spricht, wie
-eine Knospe zum Blühen und Glühen.
-
-Sie sei ein Kind dieses Landes. Als Kind habe sie es verlassen. Nun, da
-sie wiedergekommen sei, habe es ihr den Sinn bewegt, wie wenig Menschen
-hier den Kopf hoch tragen. Kaum hebt einer den Blick vom Boden. Das ist
-es: sie tragen eine eigene Not und sie zieht eine eigene Sehnsucht. Von
-der Erde stammt ihre Not, und ihr Sehnen geht zu der Erde. Darum ist auf
-sie, ob sie's selber nicht wissen, ihr schwerer Blick gesenkt. Ein
-eigenes Stück Land, so brennt es in ihrem Herzen. Mit dem Boden sind sie
-verwachsen, durch ihr Schaffen sind sie ihm angetraut. Denn nur die
-Arbeit flicht den lebendigen Bund. Und sie arbeiten nicht für sich
-selbst. Sie dürfen es ja nicht. Ihnen gehört die Erde -- und sie gehört
-ihnen nicht. Das liegt auf ihnen wie ein Fluch. Diesen Fluch gilt es zu
-lösen. »Ihr sollt nicht mehr dulden um die Erde, Ihr sollt leben mit
-ihr, in ihr -- ja Ihr sollt leben!«
-
-Das greift ihnen mit fester und doch linder Hand an die innersten
-Seiten, an ihre heiligen Wünsche. Das ist wie Musik, das ist Seele und
-Sieg. Sie sind alle bezwungen.
-
-Auch über Horst geht ein Zauber. Von der Innigkeit eines wahren Fühlens,
-die wie ein Stern leuchtet durch den dicken Brodem der Versammlung.
-
-Kaum hat er das in ihr gesucht. Nicht, daß dieser Schein aufsteigen
-könnte, dieser stille Schein aus den lohenden Flammen ihres Wesens.
-
-Ein Unrecht bittet er ihr ab, daß er sie bei den wilden Schlagwörtern
-gesucht hat, bei den knalligen Feuerwerkern von Beruf mit ihren hohlen
-Kanonenschlägen, ihren verpuffenden Raketen und windigen Leuchtkugeln.
-
-Und sie können es nun doch nicht lassen, sie sorgen schon wieder dafür,
-daß die Stille und Andacht nicht bleibt. Der Knabenhafte hat das Wort
-bekommen. Lange schon hat es in ihm gefressen. An dem Gedämpften, dem
-Ruhigen, Sanften erstickt er. Mit den Armen fährt er durch die Luft.
-Zwei brandrote Flecken leuchten auf den hageren Backen.
-
-»Ja, Ihr sollt leben! Aber leben heißt kämpfen! Des sollt Ihr eingedenk
-sein, Tag und Nacht und zu jeder Stunde! Und Eurer Kampfgenossen sollt
-Ihr gedenken, in Treue bis zum Tod -- und in Zuversicht! Nie hat die
-Menschheit ein größeres Heer gesehen! Das Heer der Menschheit ist es!
-Verbrüdert als Eidgenossen alle Proletarier der Welt! Gibt es was
-Gewaltigeres? Wer kann uns widerstehen! So müssen wir fühlen -- und die
-Welt ist unser! Wir kennen kein Vaterland, das Deutschland heißt! Unser
-Vaterland ist die Erde!«
-
-Seine Stimme schrillt wie eine zersprungene Saite. Junge Kehlen brüllen
-ihr Bravo. Durch Horst zuckt der Schmerz. Er kennt den Text und die
-Weise -- er will lächeln und es wird eine Grimasse.
-
-In die Versammelten blickt er. Täuscht er sich? Rollt dort nicht ein
-Kopfschütteln durch die Reihe -- prägen sich hier nicht Unmutsfalten in
-alten ernsten Gesichtern?
-
-Und jetzt -- eine mächtige Stimme rauscht auf in der Mitte des Saales --
-langsam hat sich der Torfmeister erhoben -- formelle Einwände des
-Vorsitzenden orgelt er nieder -- er spricht, also hat er das Wort.
-
-»Das hätte der kleine Mann da oben nicht sagen müssen, daß wir kein
-deutsches Vaterland kennen. Was kennen wir denn, wenn wir Deutschland
-nicht kennen? Bloß Deutschland kennen wir, und ein Stück deutsche Erde
-ist ja, was wir wollen! Kann man das Land auf den Nacken nehmen und
-rausschleppen in die weite Welt? Hier ist das Land, und hier sind wir!
-Bloß das geht uns was an, und das ist, wofür wir leben und streben!
-Gewiß, die Unterdrückung soll aufhören, die Knechtung und Unbill. Freie
-Männer wollen wir sein! Aber, wo können wir das anders sein, als auf
-einem eigenen Stück freier deutscher Erde!«
-
-Horst fährt in die Höhe -- er wär am liebsten über all die Köpfe
-gesprungen, hätte den alten Moorriesen ans Herz gedrückt und sich alle
-Rippen an ihm verbogen.
-
-Beifallsgemurmel in den Reihen. Die Schreier sind verdutzt. Dann aber
-neue Kampfrufe aus jungen Kehlen. »Vaterland -- quatsch!« --
-»Proletarier aller Länder!« -- »Hoch die Internationale!«
-
-Heißer wird das träge Blut, Feindschaften entbrennen, tiefer ziehen sich
-die Risse -- die Leiter sind auf der Wacht. Jetzt ist der Behäbige und
-Verschlafene, der Mann mit dem viereckigen Schädel, hell bei der Sache.
-Er stößt die Nase vor und spricht.
-
-»Genossen! Wir begehen den alten Fehler, daß wir an Worten uns erhitzen.
-Und daß unsere Gedanken uns so weit fortfliegen. Darin hat mein
-geschätzter Vorredner recht: Hier, wo wir sind, hat unsere Arbeit
-einzusetzen. Das Nächste ist Trumpf. Ich spreche nicht von Deutschland,
-ich gehe noch viel weiter. Oder richtiger, ich gehe ins Nähere und
-Engere. Von unserer Provinz rede ich. Von unserm Kreis. Über die
-Verhältnisse, gegen die wir hier anzukämpfen haben, will ich Euch ein
-Licht aufstecken. Mit Hilfe von Zahlen, die beweisen!«
-
-Wozu hat man seine Statistik? Er nimmt ein Blatt aus seiner Mappe, und
-läßt seine Ziffern sprechen. Die Leute hören gläubig zu, Unmut und Zorn
-finden ihre Weide. Sie rufen »aha« und »pfui Deubel« und »nieder mit den
-Ausbeutern!«
-
-»So also, Genossen, sieht die Welt hier aus. Und mit dieser Welt werden
-wir aufräumen. Das Frühjahr steht vor der Tür, der Frühling soll alles
-neu machen. Mit der Frühjahrsbestellung werden wir unsere eigene Saat
-säen, die Saat unserer gerechten Sache. Das soll heißen: werden die
-neuen Lohnsätze, über die wir uns noch verständigen müssen, nicht
-bewilligt, dann wird gestreikt!«
-
-»Bravo! -- Bravo!«
-
-»Dann sollen die Herren allein ihr Land bestellen! Wollen sehen, wie sie
-damit fertig werden! Paßt auf, sie kommen auf den Knieen zu uns
-angerutscht. Denn was ist ihr Land ohne uns! Ihr Land? Unser Land!«
-
-»Bravo! -- Bravo! -- Bravo!«
-
-»Dazu ist aber nötig, daß wir einig sind. Dafür ist die Organisation der
-Landarbeiter die Lebensbedingung. Sie wird heute geschaffen. Die Listen
-liegen hier aus. Ich weiß, daß Ihr Euch alle hier einzeichnet! Alle ohne
-Ausnahme! Geschlossen wird unsere Reihe sein. Und unsere Parole für den
-bevorstehenden Kampf: Der Frühling macht alles neu!«
-
-Sie können's, das muß Horst sich wieder und wieder bestätigen. Er sieht
-den Zug, der zu den Listen sich drängt. Einige stehen gesondert,
-zaudern, blicken sich ins Gesicht aus schweren, aus scheuen, aus
-widerspenstigen Augen. Dann zieht die Masse sie an, und sie fügen sich
-ein. Wenige nur schleichen sich abseits, ein paar gehen frei, hart und
-stolz aus dem Saal, ihren eigenen Weg.
-
-Als Horst auf die Straße kam, stand da der Torfmeister mit Lona im
-Gespräch. Er schritt grüßend vorüber, da rief der Alte ihn an.
-
-»Gehen Sie nach Hause?«
-
-»Ja.«
-
-»Wollen Sie mich mitnehmen?«
-
-»Gern.« Horst blieb stehen.
-
-»Sie Beide kennen sich ja wohl«, sagte der Torfmeister. Da sprach Horst
-zu Lona ein Wort, aus Artigkeit, doch auch von Herzen.
-
-»Von dem, was Sie heute gesagt haben, könnte ich jedes Wort
-unterschreiben.«
-
-In ihrem Auge stand ein brüskes: habe ich Sie gefragt! Aber ihr Ton war
-farblos, als sie zurückgab: »Und doch werden Sie, wenn es hier zum
-Klappen kommt, nicht auf der Seite der Bedrängten stehen.«
-
-»Für mich gibt es nur eine Bedrängnis.«
-
-»Deutschlands.« Der Hohn war müde, und dennoch, vielleicht gerade
-deshalb fraß er sich ihm bis ins Mark.
-
-»Gewiß. Mein erster Gedanke ist, das Land vor Schaden zu bewahren.«
-
-»Gut, daß es verschiedene -- Gedankenwelten gibt.« Sie verneigte sich,
-reichte dem Alten die Hand und wandte sich heimwärts.
-
-Die drei Siedler waren unterwegs mit dem Moormeister. Er hatte sich
-schnell mit dem Balbutz angefreundet. Sie sprachen lebhaft. Horst und
-der heilige Josef wanderten still und versunken.
-
-Horst ist bei Lona. Warum läßt diese Frau ihn nicht los? Was ist übler
-an ihr, ihre Geistesverfassung, ihre Gesinnung oder diese verstiegene
-Selbstüberhebung? Wie hat sie ihre »Gedankenwelt« betont, die hohe und
-weite, gegen sein enges, kümmerliches, »monomanes« -- so schilt man es
-ja wohl -- gegen sein deutsches Gedenken. Soll er nicht lachen und
-lachend sie abtun, ein für allemal? Was muß er immer wieder mit dem
-Erschütternden ihres Schicksals sie sich aufdrapieren!
-
-Er will nicht in eigenen Erlebnissen wühlen. Wie viel Entsetzlicheres
-hat er selber gesehen. Warum nur läßt er von diesen Greueln sich nicht
-bannen, warum muß ihr Los das Bezwingende sein!
-
-Was ist's, das ihn so lockt an dieser Frau! Daß er ihr Leben ergründen
-will, wissen und fühlen von ihrem Wesen, dem verborgenen. Ja, dem
-verborgenen. Hier sind Tiefen, in die er blicken muß -- er fühlt es, er
-weiß es, er wird es.
-
-Daß sie so zur Sphinx ihm wird -- oh, mit dem vollen Grusel, dem
-rieselnden vor der tötlichen Rätselhaftigkeit -- sind es nicht bloß die
-Sinne, die dieses Bild ihm schaffen und schmücken? Die Sinne, die großen
-Lügner dieses Lebens. Ist es in seiner weibverlassenen Einöde dieser
-junge schöne Leib, was ihn betört?
-
-Kunz hat ihn den Eisheiligen getauft, weil er kein Schürzenjäger ist.
-Was weiß der von seinem Eis, von seiner Heiligkeit.
-
-Ja, ja -- warum sich selbst was erzählen! In seine Sinne sind die Funken
-geflogen. Ihr Wesen -- was ist an dem weiter zu enträtseln? Es offenbart
-sich ja. Es wirkt, es strömt. Es geht ihm ins Blut.
-
-Was wollen ihre Augen? Was will ihr Mund, mit dem heißen Rot von ihm?
-Was will er -- er von ihren schwellenden Lippen?
-
-Er ist ins Laufen geraten. Der heilige Josef, sein Begleiter, trottet
-brav neben ihm her. Schweigend wie er.
-
-Der Alte kann nicht mit. Weit bleibt das andere Paar hinter ihnen
-zurück. Da rollt ein Wagen des Wegs, er hält, der beinmüde Torfmeister
-steigt auf und fährt nun grüßend an ihnen vorüber.
-
-Horst hat jetzt die beiden Kameraden an seiner Seite. Nun ist er in
-einer anderen Welt. Der heilige Josef trägt an etwas, seine Hände
-schnappen in die Luft, er findet noch nicht die Sprache.
-
-»Nun, Elbenfried?« fragte Horst, ihn zu beflügeln.
-
-»Ich hatte so vieles auf der Seele und hab es nicht gesagt -- immer
-diese Trägheit des Geistes -- diese Feigheit des Herzens. Eine Schuld
-ist das! Denn wir sollen Zeugnis ablegen -- immer wieder! Bekennen
-sollen wir und immer wieder bekennen!«
-
-»Aber wir sollen auch nicht unsere Perlen vor die Säue werfen!« Fritz
-Eggert zeigt seine Bibelfestigkeit und möchte sich damit von weiteren
-pastoralen Ergüssen loskaufen.
-
-Gustav schüttelt den schweren Apostelkopf. »Mit keinem Wort der Schrift
-betrügen wir uns mehr. Über nichts täuschen wir uns so sehr wie über
-das, was Perlen, und das, was Säue sind.«
-
-»Ganz gewiß«, ermuntert ihn Horst.
-
-»Ich hätte sprechen müssen. Immer und immer wieder muß man das Licht
-entzünden. Schließlich leuchtet es doch durch all den Rauch. Und der
-eine und andere brennt sich sein eigenes Licht daran an. Von Brüdern
-sprechen sie. Nur in diesem Kreise sprechen sie von Brüdern. Aber
-hinwiederum, Brüder sind nur und nur die Proletarier. Und es wird eine
-Brüderschaft des Hasses. Warum können sie sich den Blick nicht weiter
-machen und nicht das Herz! Warum können sie die Hände nicht
-herausreichen über die Hecke, hinter die sie sich einsperren! Und wenn
-diese Hände hundertmal leer zurückkommen -- schließlich werden sie doch
-einmal ergriffen, und der Bund der Geister nimmt seinen Anfang.«
-
-»Nun ja -- auf den Anfang kommt es an. Aber wer soll anfangen? Immer
-sagt der andere, daß es der eine sein muß!«
-
-»Daß der Haß so leicht ist und die Liebe so schwer! Wie soll man
-sprechen, was soll man tun, daß die Herzen sich öffnen! Wie soll man die
-Augen erheben, die immer nur die Not des Leibes sehen! Nicht die
-Seelennot aller gequälten Geschöpfe! Wie sie führen, daß sie in der
-großen Liebe die Heilung suchen auch für die kleinen Leiden.«
-
-»Sie verlangen viel, Gustav Elbenfried.«
-
-»Wir sollen viel verlangen«, spricht er in Verzückung. »Wir müssen das
-Höchste wollen, nur so werden wir des Niederen Herr!«
-
-Sie schweigen. In diesem Bekenntnis lebt das Beste von ihnen allen.
-
-
-
-
- Besuch in der Baracke
-
-
-Es ging auf den März zu. Nach Erde roch es und zerfließendem Schnee. Vom
-Frühling schwirrte und klirrte schon dies zitternde Ahnen durch die
-Luft, dieses Surren, in dem die Nerven schwingen und das Blut singt.
-
-Jetzt wurde der Siedlerbaracke ein sonderlicher Festtag beschieden, Frau
-Tilde machte ihr den versprochenen Besuch. Es war gegen Mittag, da kam
-sie mit dem Vater die Höhe herabgeschritten.
-
-Die Siedler marschierten von den Räumungsarbeiten auf der Ziegelei die
-Chaussee daher -- Gisbert in dem Arbeitstrott wandelte plötzlich mit
-gestreckten Armen wie auf eine Erscheinung zu, er hatte sie zuerst
-gesehen. Kunz spürte, wie er ihnen entrückt wurde, und ging seinen
-Blicken nach. Und jetzt lief es durch die Reihen: »Damenbesuch«. Alles
-war befeuert, hob sich und spannte sich.
-
-Viel Staat war ja nicht mit ihnen zu machen. Wie die Müllkutscher sahen
-sie alle aus, und den eitlen unter ihnen war das peinlich. Gisbert
-dachte nicht an sein Kleid, Kunz schon eher, er zog und ordnete und
-bürstete unwillkürlich mit den Händen. Als aber die Augen dieser Frau
-vor ihnen aufleuchteten, da flog jedwedes Äußerliche über alle Berge,
-und sie atmeten wie in einer Lichtflut.
-
-Es geschah von selbst, daß Gisbert gleich an ihrer Seite war. Und sie
-nahm ihn auf, ganz so, als gehöre er zu ihr. Er mußte ihr all die
-Herrlichkeiten zeigen -- denn Herrlichkeiten waren es, da ihre Augen
-darauf fielen. Er und sie -- Mitläufer die anderen.
-
-Die Stallungen kamen zuerst an die Reihe. Sie waren ein Teil der
-Baracke, alles lag unter einem Dach, wie bei einem niederdeutschen
-Bauernhaus. Die Ställe hatten längst noch nicht die ihnen zugedachten
-Bewohner. Sie besaßen bisher ein Pferd, ein alter Fliegenschimmel war
-es, wehmütig aber treu. Dann zwei Kühe und sieben ganz kleine Ferkel.
-Diese sieben die junge Fröhlichkeit des Baues, mit denen Muz seine
-ausgelassenen Spiele trieb, von dem Quieken und den frohlockenden
-Ringelschwänzchen zu immer neuen Tollheiten begeistert.
-
-Nebenan aber thronte etwas erschütternd Einsames. Hier in dem
-Hühnerstall saß nichts als ein großer schwarzer Hahn in der tragischen
-Erhabenheit seines verlorenen Schicksals.
-
-Gibt es was Jammervolleres als einen Hahn ohne Hühner?
-
-Muz konnte keinen Blick in diesen Stall tun, ohne mit gesenkten Ohren
-trostlos winselnd zu verzagen.
-
-Kunz, der als »Conferencier« sich in erreichbarer Nähe hielt, mußte nun
-doch sein Sprüchlein hersagen. »Dies ist nun unser heiliges Tier.« Den
-Zusatz aber, der ihm auf die Zunge wollte: das Wappentier unserer
-Barackenaskese -- den tat er angesichts der Besucherin doch lieber in
-seine Sparbüchse.
-
-Frau Tilde aber war auch ohne irgendwelche Erörterungen reichlich
-bewegt. »Der arme Kerl -- in Einzelhaft -- was hat denn der nur
-verbrochen! Er soll Gesellschaft haben.« Und sie versprach als Stiftung
-sieben Hennen von der Mönkhover Zucht, die im Lande berühmt war.
-
-»Zum Lohn dafür aber müssen Sie mich heute zu Mittag einladen«, sagte
-sie munter.
-
-»Das paßt großartig!« rief Kunz. »Es gibt Kartoffelsuppe.«
-
-Die verleugnete nun ihre »Blutsverwandtschaft mit der Wasserleitung«
-auch heute nicht. Aber wer achtete darauf? Die Wirte nicht und nicht die
-Gäste.
-
-Es war die strahlende Kraft dieser Frauenseele, was sie alle emportrug
-über die Dinge. Sie hatte ihren Platz zwischen dem heiligen Josef und
-dem Balbutz, und Weltkind wie Prophet sahen zu ihr auf als wie zu
-unserer lieben Frau. Sie hatte so viel Freude an all diesen braven
-Jungen. Sie meinte, daß in dieser harten, ernsten und stillen
-Arbeitsgemeinschaft so etwas wie das Herz Deutschlands schlage. Und leid
-tat es ihr, daß sie wie die Sträflinge hausten, in dieser lieblosen
-Kahlheit, dieser Farblosigkeit und dürftigen Enge.
-
-Hier wollten ihre Hände schmücken und beseelen. Wohnlicher sollt Ihr es
-haben, Ihr armen Verwaisten und Heimatlosen! Diese traurigleeren
-Fenster, die wie tote Augen starrten -- sie hatte Stoff zu Vorhängen,
-mit denen wollte sie anfangen, das tote Bretterhaus zu beleben.
-
-»Und Blumen sollen Sie jetzt im Frühling haben. Einen kleinen Vorgarten
-legen wir uns an. Mit Tausendschönchen, Priemeln, Stiefmütterchen. Daß
-etwas Leuchtendes Sie in Empfang nimmt, wenn Sie von Ihrer schweren
-Arbeit nach Hause kommen.«
-
-Und all die Blicke der Männer und ihre Herzen erbauten sich an einer
-Lichtgestalt. Um den feinen zarten Kopf mit diesen tiefen, versunkenen
-Augen, die aus ihrer Versunkenheit ihre Schätze hoben, stand es wie ein
-Schein, dieses wunderbar Festliche und Frauliche zugleich -- ein Schein,
-vor dem man andächtig ward.
-
-Herr von Borkhus indessen ließ sich von Horst über die
-Arbeiterversammlung berichten. »Natürlich, sie wetzen die Messer. Wir
-sollen das Schleifen hören, und wir hören es. Vielleicht, daß es mehr
-ist als Drohung. Haben auch die meisten von uns ein gutes Gewissen --
-manch einer hier im Kreise rutscht doch mit der Hose ganz gehörig auf
-Grundeis. Hier wird die Rechnung präsentiert werden und -- wie die Sache
-nun einmal liegt -- nicht hier allein. Da nun schon -- wer hat es gesagt
--- Frauen, Dummköpfe und politische Bewegungen zu verallgemeinern
-lieben.«
-
-»Den Organisierten wird ja auch nichts anderes übrig bleiben«, bemerkte
-Horst.
-
-Die müden Züge des Herrn von Borkhus -- sie erschienen Horst noch nie so
-schmerzlich abgespannt -- erhellte jetzt die junge gläubige Phantastik
-seiner Augen. »Ich weiß, auch von meinen Leuten hat der größere Teil
-sich eingeschrieben. Überzeugungen glauben nun einmal erst dann an sich
-selber, wenn sie abgestempelt sind. Jeder muß nun mal seinen Schein
-haben -- wie könnte er sonst auf ihm bestehen! Aber, wenn es ernst wird,
-dann sind solche Scheine Papier. Der Herzschlag ist dann der Ton, der
-die Musik macht. Und -- ich kenne meine Leute, so gut wie sie mich
-kennen!«
-
-Er warf den Kopf zurück, nun ganz ein froher, sieghafter Führer. Sein
-Gesicht belebte sich frisch, dunkler und heißer leuchteten die Augen.
-Hier frohlockte eine Zuversicht, die aus der Tiefe seines Wesens quoll,
-aus der glückhaft frohen Treue seines eigenen Fühlens.
-
-Zagend, mit leiser Sorge blickte Horst in diesen Überschwang feuriger
-Gewißheit. Er hatte seinen Argwohn, und er fühlte, daß Enttäuschungen
-hier ins Leben greifen müßten. In dieses Leben, getragen von dem
-Selbstvertrauen des Häuptlings, das durch Geschlechter angezüchtet war.
-
-Selbstgewißheit! Und kommt es nicht darauf an? Ist das nicht der Kern
-alles Wesens, alles Werdens, alles Schaffens! Ist das nicht die
-lebendige Urkraft, die schließlich ins Ewige uns finden läßt und zu Gott
--- die Gewißheit, das Gewissen! Beides dasselbe! Des Glaubens Inbegriff!
-Des Menschen Seele!
-
-War ihm, Horst, genug von dieser Urkraft gegeben, genug zur
-Führerschaft? Immer wieder die Zweifel. Und die Gefahr des Zerbröckelns.
-Ja, wir sind mürbe geworden. Verwittert haben uns die Zeitenstürme. Hab
-ich selbst noch so viel innern Halt, den anderen ein Halt zu sein?
-
-Wie hat es mich geworfen, als die erste Regung zur Fahnenflucht in
-unsere Reihen brach. War es ein Gefühl eigener Schuld? Hatte ich die
-Fahne nicht tapfer, nicht stark und treu genug getragen? Waren nicht
-meine eigenen Gedanken auf der Flucht gewesen? Wie oft hatte ich mich
-gesehnt -- ja gesehnt nach meinen Büchern, nach Forschung, nach
-Wissenschaft, nach geistigen Fernsichten. Nach Einsamkeit auch, nach den
-Freuden stiller Entdeckungen, nach den Verzückungen und Verzauberungen
-in ungestörten Träumen.
-
-Ja -- wie an Ketten trug ich oft an meiner Pflicht. Und nur, weil ich
-selber schwankte und treulos werden konnte, kam dieses Wanken in die
-Reihe.
-
-Ist es nicht eine erlesene Schar, die auf mich blickt? Ein Vorbild für
-mich, die ich ihr Vorbild sein soll. Und so ist es recht. Nur so ist die
-starke Gemeinschaft da. Wir haben sie. Hat Herr von Borkhus sie mit
-seinen Leuten? Ich fürchte, er träumt zu leicht. Hat er nicht ein
-reichliches Maß dieser lieben Leichtgläubigkeit, die so kindlich ist und
-ach, so deutsch!
-
-Wie hat er sich selbst die Mannestreue des alten Strempel herausgeputzt,
-bei dem aus jeder Pore seines gelben Felles der kalte listige
-Gelegenheitsmacher schielt. Und richtig, jetzt ist der auch schon als
-Kronzeuge da.
-
-»Lieber Horst, Sie kennen eigentlich von meinen Leuten nur den alten
-Strempel. Können Sie sich denken, daß der übermorgen zu mir sagt: >Sie
-müssen sich allein anspannen, ich fahre Sie nicht!< Können Sie sich das
-vorstellen?« In seinen Blicken war eine unauslöschliche Heiterkeit.
-
-Horst mußte wenigstens soviel sagen: »Meine Vorstellungswelt ist nun mal
-ein wenig aus dem Gelenk wie die ganze Welt überhaupt --«
-
-»Hier dürfen Sie sie getrost wieder einrenken.« Er winkte fast mitleidig
-mit der Hand. »Und nun habe ich eine Bitte an Sie. Mich persönlich
-berührt ja der angeblich drohende Streik am wenigsten. Aus politischen
-Gründen aber habe ich die Herren aus dem Umkreis für heute nachmittag zu
-einer Besprechung gebeten. Sie waren auf der konstitutionellen
-Versammlung des Arbeiterverbandes -- Ihre Eindrücke sind uns von Wert.«
-
-
-
-
- Die Gutsherren
-
-
-Als Horst nach vollbrachtem Tagwerk in das Beratungszimmer trat, waren
-die Herren in voller Tätigkeit.
-
-Junkerliches Ungestüm hatte zuerst die Erörterungen verwirrt. Nun war
-ein parlamentarisches System errichtet. Herr von Trent führte den
-Vorsitz.
-
-Sein gelbes kränkliches Marquisgesicht blickte mit kummervoll wartenden
-Augen in die Weite. Aber er hielt die Zügel in kundigen Händen.
-
-Zuerst hatten die Besorgnisse das Wort geführt. Allerdings in halben
-Tönen. Angstmeierei war gerade in diesem Kreise nicht eben daheim. Bald
-hatten Eigenwille und eine betonte Sprödigkeit gegen neue soziale
-Operationen gewonnenes Feld. Vergeblich bemühten sich die Nüchternen und
-Sachlichen um eine Gegenorganisation der Besitzer. Umsonst brach der
-Kabelsdorfer als Befürworter eines Landbundes seine letzte Lanze.
-Formlos, ungepflegt, ein bärtiger Mann mit klugen und warmen braunen
-Augen. Ein Bürgerlicher und manchem der Junker nicht nach der Mütze.
-Aber sicher einer von denen mit dem reinsten Gewissen.
-
-»Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren -- von all den Dummheiten,
-die die Deutschen stammesmäßig begehen -- und wir Landleute fühlen uns
-ja als besonders gute Deutsche -- ist die größte die, daß wir von
-unseren Gegnern nichts lernen. Tun wir nicht und wollen wir nicht. Was
-erleben wir jetzt hier? Von denen, die sich in unseren Betrieben zum
-Kampfe gegen uns rüsten? Sie machen das, was das einzig Verständige ist.
-Müssen wir -- wir darum das einzig Unverständige machen? Nur geschlossen
-können wir der Geschlossenheit begegnen. Aber nein! Wir laufen ihnen
-zuliebe einzeln im Gelände herum, damit sie uns einzeln zur Strecke
-bringen und ihr fröhliches Halali haben!«
-
-Der dicke Poggenhagener mit den schiefen Kalmückenaugen, der sticken
-mußte, wenn er seine Witze nicht loswurde, beugte sich zu seinem
-Nachbarn, dem Tangentiner. »Es heißt nicht lali, es heißt le lit, das
-fröhliche«, und er meckerte wie eine Bekassine.
-
-Bei dem überlebenslangen, himmelan vertrockneten Ammoniakiter fand er
-indessen keine Gegenliebe. Der lachte nicht, denn Lachen war eine
-Ausgabe. Aber in solchen Unterhaltungen zeigte sich immerhin, wie wenig
-noch von einer gemeinsamen Aktion die Gemüter band.
-
-Was hier noch an Ängstlichkeit herumkroch, nahm die Maske vor,
-versteckte sich hinter großen Worten und größeren Gesten. Und gerade die
-Schlotterhosen, die ganz wenigen, plusterten sich auf zu prunkender
-Forschheit.
-
-Dies war die Stimmung, in die nun Horst hineingeriet. Lebhaft begrüßte
-man ihn. Ein Teil von den Herren hatte für das Siedlungswerk auf
-Betreiben des Herrn von Borkhus opferwillig Beiträge gezeichnet. Alle
-aber schenkten sie der Siedlung ihr Wohlwollen. In diesem Artikel kannte
-hier wie anderswo die Freigebigkeit keine Grenzen -- nur der Tangentiner
-hielt auch seine kostenlosen Regungen zu Rate.
-
-Herr von Güldenbek, der Mann der Saatkartoffeln, strich durch seinen
-grauen, in konservativer Unbeschnittenheit wallenden Vollbart, legte die
-väterliche Hand auf Horstens Schulter und sprach gewinnend: »Solche
-Männer wie Sie braucht das Vaterland.« Und der Nebengedanke war bei ihm
-wie bei manchem andern: auch wir brauchen Dich, Deine Mannschaft und
-Eure Maschinengewehre, wenn es hier zum Ausstand und zu Unruhen kommen
-sollte.
-
-Gleich wurde denn auch wie auf Stichwort der eben ergangene
-Regierungserlaß über die Waffenablieferung besprochen.
-
-Horst erklärte: »Ich muß die Hände kennen, in die ich meine Waffen
-liefern soll. Ich kenne diese Hände nicht.« Da nickten ihm alle lebhaft
-zu, freudig und beruhigt.
-
-Und dann wurde der sogenannten Regierung aufgespielt. Dies war die
-Weise, auf die man sich hier verstand. Wie oft hatte man auch dem alten
-geheiligten Regiment frondiert. Und nun dieses _régime de canaille_!
-»Den schiefen Absätzen dieser Usurpatoren den Nacken hinhalten --!« So
-sagte Herr von Seddewitz, und es funkelte sein scharfes, abgewetztes
-Gesicht.
-
-Hoch gingen die Wellen. Teilnahmlos wie all die Stunden schon blieb Herr
-von Borkhus. Immer wieder waren durch seine tiefen Augen die Schatten
-gezogen. Dann sprach er leise: »Wie gleichgültig im Grunde, wer da oben
-sitzt -- wer die Satrapen sind über unserem Sklavenvolk.«
-
-Damit ist die große Fuge der deutschen Passion angeschlagen. Und sie
-zittert durch die Seelen. All diese Männer -- ihrem Eigenwillen fehlt es
-gewiß nicht an Eigennutz. Von größter Unbefangenheit sie alle in der
-Bejahung ihres Besitzes, ihres Herrentums. Sie können gar nicht aus
-ihrer Haut. In der sie so grad gewachsen sitzen. Nicht alle haben sie
-die Hände reingehalten. Aber jeder von ihnen hat dem Vaterlande mit Leib
-und Leben gedient. Jeder von ihnen ist im Felde gewesen. Kaum einer, der
-nicht für Deutschland geblutet hat. Der deutsche Klang bebt in jedem
-Herzen. Selbst in dem, was von dem Tangentiner noch nicht ganz verdorrt
-ist, brennt es wund und tödlich schmerzhaft von Schande und Ingrimm.
-
-Unerschöpflich Neues trugen sie zusammen von den unaufhörlichen, täglich
-sich mehrenden Erpressungen, Blutsaugereien, Schändungen und Folterungen
-an dem wehrlosen deutschen Volk. Wie durch einen Wald rauschte der
-mächtige Zorn durch die versammelten Männer.
-
-Einer saß stumm, wohl der Jüngste von ihnen. Horst hatte den Namen nicht
-verstanden. Aufgefallen waren ihm gleich die geradezu klassisch
-geprägten kraftvollen und edlen Züge des bartlosen Gesichts. Ebenso das
-wunderbare Ebenmaß des mittelgroßen Wuchses. Wie von Bronze die ganze
-Gestalt. Aber in den Augen, so fest und hart sie greifen konnten, war
-doch ein Verlorenes, Zerstörtes. Auch ein Gezeichneter der Zeit. Jetzt,
-wo ein Nachbar sich laut an ihn wandte, erfuhr Horst, wer er war --
-Achim von Mönkhov, Frau Tildes Mann. Prüfend gingen die Gedanken von ihm
-zu ihr.
-
-Nun sprach er. Etwas seltsam Graues, Trockenes, unwillig Starres hatte
-die Stimme. Wie Asche lag es auf all seinen Worten.
-
-»Größer ist Deutschland niemals gewesen -- im Reden. Wie sieht dagegen
-unser Leben aus. In lauter armselige kleine egozentrische Kreise ist es
-zerfallen. Von großen Ideen ist nur eine geblieben: das große
-Einmaleins.«
-
-Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb unbewegt. »Wollen
-uns doch nichts vormachen. Es gibt bei uns drei Sorten Menschen. Solche,
-die sich selbst betrügen, solche, die die anderen betrügen, und solche,
-die beides tun. Zu welch letzteren neunundneunzigdreiviertel Prozent
-gehören. Nun wollen wir uns jeder seinen Platz suchen und uns begraben
-lassen.«
-
-Das alles in dem unerbittlich grauen Ton. War es der Nihilismus einer
-düsteren Stunde? War es das Weltbild eines erloschenen Lebens?
-
-Herr von Trent, der wie ein müder Marquis aussah, hatte sich erhoben.
-Behutsam machte er ein paar Schritte -- er hatte Beine wie ein
-Rokokomöbel. Wandernd suchte er nach Worten, die Entrüstung zu
-beschwören, und er fand sie. »Wir wissen, daß unsere Moral
-reparaturbedürftig ist. Was die Moral übrigens zu allen Zeiten war --
-was vielleicht recht eigentlich zum Wesen aller Moral gehört. Gewiß,
-unser Niveau ist gesunken. Aber die Anständigeren unter uns oder« -- mit
-einem Zucken des Lids zu Achim hinüber -- »die weniger Unanständigen
-unter uns werden dies Niveau wieder heben. Trotz Ihrer Verneinung, die
-absolut ist, wenn sie sich auch in der Abstufung hellschwarz, schwarz,
-dunkelschwarz gefällt. Um des Himmels willen nur hier die Loslösung von
-dem Losgelösten, dem Absoluten! In der Ethik hat schon immer die
-Relativitätstheorie gegolten. Und die Besseren unter uns -- so sage ich
-nach wie vor -- werden heute mehr als je an einer großen sittlichen Idee
-ihren Halt und ihren Mittelpunkt haben. An der Idee des Vaterlandes.«
-
-»Und worauf läuft Ihre große sittliche Idee des Vaterlandes hinaus?«
-fragte Achim, und die Asche seiner Stimme beizte. »Auf die größte
-Unsittlichkeit, die Rache.«
-
-Oho, dachte Horst. So ruft sich nun der Nihilismus den höchsten
-Positivismus zur Hilfe.
-
-Jetzt ließ Herr von Borkhus sich vernehmen. »Die Rache ist mein, spricht
-der Herr. Gut, ihm wollen wir sie anvertrauen. Er unser Führer! Das
-Werkzeug seiner Rache sein, mehr wollen wir nicht. Aber Rache -- der
-Herr spricht ja selbst davon. Und wenn wir sie brauchen für unser Leben!
-Wenn sie unsere Rettung ist! Wenn wir elend verrecken -- im Dreck und in
-Schande -- ohne diese befreiende Hilfe! Ein Teil unseres Gottesglaubens
-ist diese Rache!«
-
-Er hob sich wie ein Priester. Seine Brust keuchte, seine Augen kreisten
-in Flammen. Dann sank er zurück und blickte wieder dumpf vor sich hin,
-leidend und matt.
-
-Horst wollte nicht länger schweigen. Doch hielt er sich mit Bedacht in
-niederer Flugbahn. »Wir haben ein Wort: >die Scharte auswetzen<. Gibt es
-ein Mannesleben ohne den treibenden Pulsschlag, Erfolg auf einen
-Mißerfolg zu setzen? Schimpf mit Ehre auszulöschen, Verachtung mit Ruhm?
-Und wie der Mann, so das Volk. Was ist die Schwungkraft, die die
-Geschichte der Völker bewegt? Vergeltung! Und immer wieder Vergeltung!
-Sofern wir überhaupt ein Volk sind, sofern wir nicht außerhalb der
-Geschichte stehen, wir uns selbst nicht außerhalb der Geschichte stellen
--- so lange noch der leiseste Hauch eines lebendigen Atemzuges durch
-dieses Volk geht und noch ein Mannesherz aufzucken läßt, Vergeltung ist
-der Odem des Lebens! Vergeltung sein Wert und seine Höhe!«
-
-Jetzt brausten die Geister und brausten ihm zu. Nur Achim blickte
-teilnahmlos und gefroren. Selbst der Tangentiner, der ein wenig abseits
-mit dem Saatkartoffelbaron der deutschen Seele auf dem Felde der
-Kartoffelpreisbildung nachzuspüren gedachte, ging steil empor. Wäre
-Alarm geblasen gegen den Landesfeind, der erste wäre er auf dem Gaul
-gewesen. Man mochte sagen gegen ihn, was man wollte -- aber jeder Zoll
-seines langen Leibes war Kurage.
-
-Mit diesem Akkord klang die Besprechung aus. Mitteilungen von Horst über
-die Landarbeiterversammlung wurden nicht mehr verlangt. Zu politischen
-Entschlüssen war man nicht gekommen und würde man vorerst nicht kommen.
-Der Entwicklung der Dinge sah man mit geziemendem Männermut entgegen.
-Abwarten, Teetrinken! -- mit diesem deutschen Worte des Heils ging man
-auseinander.
-
-
-
-
- Achim
-
-
-Horst blieb noch mit Herrn von Borkhus und Achim zusammen.
-
-»Nun ja,« sagte der alte Herr, »unser Hornburger Schießen müssen wir nun
-einmal haben. Aber es ist mir lieb, daß ich Sie mit den Herren bekannt
-machen konnte. Vielleicht wird doch der eine oder andere Hilfe nötig
-haben. Wenn es ernst wird.«
-
-»Es wird ernst, Vater.«
-
-»Achim --!« Er hob lächelnd die Hand. Das hieß: ein Schwarzseher wie Du.
-
-»Zum Frühjahr haben wir hier den Ausstand. Wir werden von der Tücke der
-Bevölkerung was erleben.«
-
-»Sie ist nicht tückisch, mein Junge. Wir haben sie nur nicht immer
-richtig behandelt.« Er sprach jetzt sehr schonend und mild mit ihm, wie
-mit einem Kranken.
-
-Achim war schon nicht mehr bei der Sache. Er ging, sich nach seiner Frau
-umzusehen. Borkhus sprach mit Horst über ihn.
-
-»Das Herz blutet einem. Was haben Krieg und Frieden aus dem Jungen
-gemacht. Man spricht manchmal bei mir von Vertrauensseligkeit --«
-
-Horst nickte innerlich dazu.
-
-»Seligkeit -- du lieber Gott --! Bei dem Jungen war es Seligkeit! So was
-von einem frohlockenden Zutrauen zu allem und jedem, das Himmel und
-Hölle bezwang! Das über jede Enttäuschung hellauf lachte, wie über
-Scherz und neue Lebenslust. Seine Augen hätten Sie sehen müssen! Und
-jetzt entfärbt, entseelt zu dieser griesen Kälte. Bleifarben. Und wie
-sieht es in ihm aus! Zum Heulen!«
-
-Er hielt klagend inne. Horst rüttelte tröstend an ihm. »Ihr Sohn ist
-jung, er hat seine Tätigkeit, er hat Sie und hat die wundervolle Frau.«
-
-»Das ist ja das Furchtbare. Man kommt nicht mehr zu ihm. Nichts von dem,
-was ihm lieb war, rührt noch an ihn. In uns allen ist ja etwas in
-Trümmer gegangen. Aber, daß in ihm nur noch Schutt liegt! Argwohn --
-Ablehnung -- Gleichgültigkeit -- eine völlige Gefühlsumnachtung.«
-
-»Ist Herr von Mönkhov schwer verwundet gewesen, schwer verletzt?«
-
-»Seinem Körper ist nichts geschehen. Nicht die Haut ist ihm geritzt. Und
-er war vorne von Anfang bis zu Ende. Sein Körper -- er ist gewachsen wie
-ein Gott -- als ob die Kugeln den wie ein Heiligtum gescheut hätten.
-Dafür ist ihm nun die Seele in Fetzen gegangen. Die letzten Kämpfe haben
-ihm den Rest gegeben, da zwischen Aisne und Marne. Wie das Unglück hier
-herausbrach aus den Wäldern von Villers-Cotterets, das Verhängnis, das
-Verderben. Er wußte, jetzt ging es um Deutschlands Leben, um
-Deutschlands Tod. Überladen zum Zerspringen von der ganzen gewaltigen
-Inbrunst seines letzten Hoffens und Glaubens und Wollens -- und da
-zerriß es in ihm. Das Grauenhafteste hat er erlebt -- den Überlauf
-ganzer Scharen -- den Verrat der vielen! Wie ein Irrsinniger hat er vor
-sich hingelacht -- stundenlang. Er hat es gesehen mit eigenen
-ersterbenden Augen, wie Deutschland erschlagen, wie Deutschland
-gemeuchelt ward. Dies ist Achims Schicksal.«
-
-Die Männer schwiegen, versunken, vergraben. Ein gut Teil ihres eigenen
-Lebens war so zerbrochen und verdorben.
-
-»Und nun, Horst, müssen Sie auch noch mehr hören. In der Schlacht war es
-zum Handgemenge gekommen, mit Amerikanern. Mannschaften zerschossener
-Tanks. Gewehr und Pistole waren leer. Mit den Fäusten gehen Achim und
-ein amerikanischer Offizier auf einander los. Einen regelrechten
-Boxkampf liefern sie sich, in _fair play_. Inmitten der rasenden Hölle,
-des Feuerorkans, der tosenden Geiser und Wirbel giftiger Wolken auf der
-zerwühlten, zerrissenen, brüllenden, verzweifelt ihre Fetzen um sich
-werfenden Erde. Kämpfen wie auf dem Podium. Angestiert von der verblüfft
-glotzenden Umgebung. Die Amerikaner haben vielleicht gewettet. Und Achim
-schlägt den Gegner nieder. Der Amerikaner ist geworfen -- aber -- es
-gibt keine Symbole mehr -- Amerika wirft uns. Und jetzt passen Sie auf,
-von diesem sieghaften Zweikampf her hat er einen Lichtschein mitgenommen
-in seine Dämmerung. Der einzige, den er hat. Und er hütet ihn mit einer
-Leidenschaft. Er hat von jeher mit Hingabe Sport getrieben, am liebsten
-den, bei dem es ganz und allein auf die eigenen Glieder ankommt. Im
-Boxen war er immer ein Meister. Jetzt gibt es kaum für ihn etwas anderes
-auf der Welt. Sein Tagewerk beginnt mit stundenlangem Training. Immer
-hat er Besuch von »Professionals« und von »Amateuren«, mit denen er
-stundenlang übt. Auch sein Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist
-ein alter erfahrener Faustkämpfer von Beruf. Seines Geistes Nahrung: die
-Sportberichte und Sportzeitungen. Für die Wirtschaft bleibt so gut wie
-nichts übrig. Und -- das Leben meiner Tochter können Sie sich
-vorstellen.«
-
-Frau Tilde mit ihrer zarten Geistigkeit, ihrer stillen Empfindungskraft
-und Tiefe! Wie vieles von der Klage ihrer Augen, von dem wehen Lächeln
-um ihren Mund ward Horst verständlich.
-
-»Eine Leidenschaft -- wie die Spielerleidenschaft, die auch auf Trümmern
-wuchert. Und auch unausrottbar ist.« So schloß Herr von Borkhus, stark
-bewegt.
-
-Das Ehepaar kam ins Zimmer. Sie wollten gleich nach Mönkhov
-zurückfahren. Frau Tilde begrüßte Horst in aller Freundschaft. »Es ist
-mir ein wahrer Trost, daß Vater Sie alle in der Nähe hat. Ihr seid hier
-am dichtesten bei der Stadt und hier wird es zuerst losgehen.«
-
-Und wieder Herr von Borkhus mit seiner überlegenen Zuversicht: »Kinder,
-ich rat Euch sehr, an Euch selbst zu denken! Die Ihr mit Eurem Koch eine
-Brandfackel in diese Welt geworfen habt. Mir unter meinen Leuten kann
-und wird nichts geschehen.« Und in seinen Augen strahlte auf, was noch
-an Licht in ihnen war.
-
-
-
-
- Märzenglanz -- Herzentanz
-
-
-In die deutsche Not jubelte ein früher Frühling hinein. Ein zärtlicher
-Hauch läutete die Schalmeien der Primeln, der Leberblümchen und
-Anemonen. Über der Heide in Frohlocken taten die Lerchen ihren
-Sonnendienst. Knisternde Seide war die Luft. Wer an sie rührte, dem
-gingen prickelnde Schauer durchs Blut.
-
-Ein Sonntag. Die jungen Siedler zogen nachmittags in die Stadt, auf die
-Dörfer zum Tanz und suchten sich was zum liebhaben.
-
-Kunz in holdem Ungestüm dunkler Sehnsucht streifte durch die Welt. Ihm
-war's, es müßte ihm heut ein Wunder geschehen. Er schritt allein, ohne
-Muz -- auch der war heute auf Frühlingsabenteuer aus. Und nun sang er
-sich den Knickbusch entlang, der hier zwischen Wiese und Heide lief,
-träumte sich in Kinderspiele hinein und in Märchen.
-
-So in gedankenlosem Stammeln und Dammeln geriet er auf die Dorfstraße.
-Und kam an dem Pfarrhausgarten vorüber. Wie er über die Rotdornhecke
-blickte, sah er etwas, was ihn stillstehen hieß.
-
-Ein kleiner Turnplatz war hier eingerichtet. Eine Mädchengestalt, zum
-Entzücken geschmeidig, im Turnanzug, hing am Reck. Jetzt machte sie die
-Schwungstemme, leidlich. Sie war selbst nicht zufrieden und wiederholte
-die Übung.
-
-Kunz hatte es nicht mehr draußen gelitten. Er war kurzen Fußes durch die
-Pforte eingetreten, stand schon im Sand der Arena und riet
-sachverständig, als die ihm abgekehrte zur zweiten Wiederholung sich
-anschickte: »Das Kreuz mehr durchdrücken. Und den Kopf weiter zurück.«
-
-Sie sah hängend über die Schulter zu ihm hin, gar nicht erschreckt, fast
-ungestört. Machte den Aufschwung, um nach oben, auf ihre Stange und in
-die richtige Position gegen Eindringlinge und Unberufene zu gelangen.
-Setzte sich oben hin, den Arm um den Pfosten, und blickte vernichtend
-herab auf den Störenfried.
-
-Er hatte geglaubt, ein Kind vor sich zu haben -- nun brach er zusammen
-vor so viel damenhafter Ablehnung und Unnahbarkeit.
-
-Kunz war nur zweimal in seinem immerhin bewegten Leben verlegen gewesen.
-Dies war der dritte Fall. Und er fragte etwas, wie ein Schuljunge, wußte
-selbst nicht wonach: ob er hier zum Herrn Pastor käme?
-
-Da oben der geschürzte Mund bewegte sich nicht, die Augen blieben
-drohend -- nur durch das rechte Bein ging ein kurzer Ruck, und die
-Fußspitze wies den Weg nach rechts.
-
-Kunz wurde ratlos. Ratlosigkeit war ihm das Weltenfernste. So wurde er
-sinnverwirrt, und seine Haltung zerfiel. Er wollte lachen, aber es wurde
-nur so ein geohrfeigtes Lächeln, und eine Heftigkeit stieg ihm in die
-Kehle. So kam es denn stoßend heraus: »Sagen Sie mal, sind Sie stumm?
-Oder verbergen Sie einen Zungenfehler?«
-
-Nun wurde aus dem eisigen Drohen da oben eine spitze Niederträchtigkeit.
-»O nein -- aber ich kann die dicken Menschen nicht leiden.«
-
-Kunz, der Arme! Dieses war nun tödlich. Hier gab es keine Rettung. Jetzt
-lag er platt auf der Nase. Ein Kübel Eiswasser war ihm über den Schädel
-gegossen. Schauernd lief es ihm die Rückenrille hinunter. Bis in Mark
-und Seele fror es ihn aus. Nützten ihm die verzweifelten Hilferufe
-seiner Selbstgespräche? Dick -- dick! Ich bin nicht dick! Daß ich diesen
-unglückseligen Kartoffelkopp habe --! Aber meine Glieder -- könnt ich
-die zeigen! Ja -- geschlemmt hab ich ja wohl ein wenig -- in Wildbraten
--- gewildertes schlägt besonders gut an -- aber dick -- um des Himmels
-willen -- dick --! --
-
-Der Mantel ist schuld! Dieser elende Sack, den sein Vetter, der bauchige
-Generalstrebler, ihm vererbt hat!
-
-Runter mit den Lumpen! Reißt den Mantel ab -- wirft die Mütze hin --
-stürzt sich auf das Reck -- nur die eine Wiedergeburt seiner Ehre gibt
-es -- die schnippische Sylphide da oben flattert entsetzt auf und hängt
-dann bebend an dem einen eng umarmten Pfosten -- Kunz hat die Stange
-ergriffen -- schon fliegen die Beine hoch -- fliegen zurück -- und nun
-in tadellosem Riesenschwung schlägt der gestreckte Leib Rad durch die
-Luft -- einmal -- zweimal -- dreimal -- viermal --
-
-Da aber, in dem wütenden Eifer, versagen die Hände -- sie gleiten von
-der glatten Stange -- in hohem Bogen wird der Körper weit
-fortgeschleudert und fällt schwer wie ein Klumpen in dem Gesträuch dumpf
-auf die Erde.
-
-Mit geisterhaften Eulenaugen hockt die Turnerin da oben -- wie in eine
-Vision geschreckt und gebannt -- dann gleitet sie zu Boden in die
-Wirklichkeit -- jetzt weiß sie, was geschehen ist -- ein Unfall -- dem
-Gestürzten helfen --! --
-
-Sie läuft in das Gebüsch -- da sitzt er, mitten in einem dornigen
-Stachelbeerstrauch -- die eine Backe ist blutig geritzt -- er fühlt mit
-den Fingern hin -- dann beschmiert er sich lustig indianermäßig das
-Gesicht mit Kringeln und Schleifen -- legt die Arme übereinander wie ein
-Götzenbild -- verbeugt sich im Sitzen vor der scheu sich Nahenden und
-verkündet hohl: »Mein Name ist Rutenberg.«
-
-Dann lacht er laut und herzhaft mit seinem wunderhübschen Mund.
-
-Da denkt sie, was ist das für ein lieber fröhlich verrückter Junge, und
-sie lacht zurück. »Haben Sie sich auch nichts getan?«, fragt sie sorgend
-und hilfsbereit.
-
-Er schüttelt höchst munter den Kopf. »Aber den Seismographen in den
-Erdbebenwarten habe ich gehörig eins ausgewischt.«
-
-Sein Platz scheint ihm immer noch zu gefallen. Er macht keine Miene,
-sich zu erheben, und spricht belehrend weiter: »In unserer Reiterhorde
-war ich wegen meines losen Sitzes berühmt. Jetzt weiß ich doch, daß ich
-auch im festen Sitz Vorbildliches leiste.« Und damit versucht er
-aufzustehen. Es geht langsam, aber dafür tut es weh.
-
-Sie greift zu, ihn zu stützen, da gibt er sich einen gewaltigen Ruck,
-der ihm durch alle Knochen fährt. Doch damit hat er sich beisammen und
-ist wieder fest auf den Füßen.
-
-Nun der Sorge um ihn ledig, sieht die Kleine die Stelle sich an, wo er
-so unsanft den Planeten erschüttert hat. Der Stachelbeerbusch ist
-heillos verwüstet. Da zieht sich ihr feines Gesicht in die Länge. »Oh,
-das ist einer von Vaters neuesten und besten -- im Jahre 17 gepflanzt,
-als er auf Urlaub hier war -- ein blood hound. Nun müssen wir hin zu ihm
-und ihm gleich alles sagen. Sonst geht es uns schlecht.«
-
-Wir -- und uns -- so war die Freundschaft geschlossen zwischen Vita
-Waermann, dem Pfarrertöchterlein, und Kunz Rutenberg, dem Siedler und
-Soldaten, dem Wilderer und Turner, der eher die Erde zertrümmerte, als
-daß er dick sein wollte.
-
-Und nun standen sie vor dem Pastor, einem geraden, schlank gewachsenen,
-helläugigen Mann, der viel eher soldatisch, als geistlich sich hielt. Er
-war zuerst als Feldprediger draußen gewesen, dann hatte er als Offizier
-in der Front gestanden. Jetzt ging er nach schwerer Verwundung am Stock.
-Erst vor acht Tagen hatte Vita ihn aus dem Genesungsheim abgeholt und
-seit heute, Sonntag, versah er wieder sein Amt.
-
-Unter den Gottesgelehrten zählte er nicht zu den Gekrönten. Aber in der
-Obstzucht war er Baas und ein Vorkämpfer für die Fruchtweinkultur als
-eine fruchtbare Erwerbsquelle auf deutschem Boden. Berühmt war sein
-eigener Stachelbeerwein, so daß ein zungenfertiger Amtsbruder ihn also
-gefeiert hatte: »Ein Pastor und ein Wehrmann und auch ein
-Stachelbeermann.«
-
-Diesen geradezu leidenschaftlich zärtlichen Vater seiner Sträucher mußte
-man schonend vorbereiten. Er vernahm alle Einzelheiten, wie das junge
-Freundespaar die Bekanntschaft geschlossen hatte -- das Außergewöhnliche
-sollte seine Vorstellung auflockern für Ungeahntes, Unsägliches. Aber
-die Katastrophe, die seinen Busch zerschlagen hatte, fuhr ihm doch ins
-Gekröse.
-
-Spornstreichs stakte er los in den Garten. Die beiden blieben zurück,
-zwei gescholtene, zitternde Kinder -- blieben beieinander, miteinander,
-als trügen sie beide an der Schuld. Und durch Kunz strömte die
-Glückseligkeit der Gemeinschaft, die sie auf sich genommen hatte -- für
-ihn.
-
-Der Vater Stachelbeermann kam kopfschüttelnd zurück. »Gerade auf den
-blood hound.« Vorwurfsvoll: »Und es ist doch so viel Platz im Garten!
-Aber, wenn Sie schon eine Sitzgelegenheit in meinen Ribitzeln suchten,
-warum haben Sie sich nicht lieber dem Schoße der Queen Mary oder der
-smiling beauty anvertraut?«
-
-Hiermit ging es nun schon schalkhafter zu. Und jetzt flog das letzte des
-längst schon lächelnden Unmuts davon, und die Gastfreundschaft öffnete
-völlig und warm dem Besucher, der mit einem Riesenschwung in das Leben
-des Pfarrhauses sich befördert hatte, die Arme.
-
-Kriegserinnerungen das erste und die leuchtenden Flammen -- und dann das
-würgende Grau der Friedensnot. Und jetzt Glaube und Wille und Gelöbnis.
-Wir werden sie zerbrechen, unsere Handschellen! Und dann -- ein gutes
-Werk werden unsere freien Hände verrichten -- gute deutsche Arbeit
-werden sie tun! Ja, ihr lieben Feinde Deutschlands -- die Zeit kommt --
-sie kommt, sie kommt, und es fluscht mal wieder!
-
-»Jetzt müssen wir wieder nach einem anderen Katechismus beten«, sagte
-Pastor Waermann. »Jetzt hol ich mir wieder meinen alten Ernst Moritz
-Arndt hervor.
-
-»Wer Zwingherrn bekämpft, ist ein heiliger Mann! Wer Übermut steuert,
-tut Gottes Dienst! Das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt! Das ist
-das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt!« -- So der Alte und so
-jetzt wir Neuen. Dies, dies ist unsere Glaubenslehre. Und keine andere
-verkündige ich, bis der neue Tag anbricht.«
-
-Kunz hätte ihm um den Hals fallen mögen. Mit großen, glücklichen Augen
-sitzt er da. Wir haben ihn, den Seelsorger, den wir brauchen! So Gutes
-ist uns Siedlern beschieden! Und ich habe ihn gefunden -- an der Hand
-des wonnesamsten Mägdeleins. Ich wußte ja, daß mir ein Frühlingswunder
-geschehen würde! O du gebenedeite, verunglückte Riesenwelle am Reck, die
-in diesen Lichtkreis mich fliegen ließ. Mich, den Entdecker, mich, den
-Boten des Heils für die Kameraden.
-
-Vita, jetzt ganz als das Hausmütterchen angetan, das sie in ihrem
-Hauptberufe war, brachte den Kaffee. Was hat sie für wundervolle Augen,
-denkt Kunz. Nichts als Augen, Augen das ganze holdselige Gesicht.
-Graugrün sind sie, wach, hell, groß und weit, und sehen alles, sehen bis
-auf den Grund. Katzenaugen sind es, die schönsten der Welt.
-
-Wie kräuselt sich dieses rotbraun flammende Haar in Löckchen, in
-goldigem Flaum um die schmale trotzige Stirn! Wieviel eigenwillige Kraft
-spannt sich um diese leicht geschwungenen, ein wenig höhnisch
-geschürzten Lippen.
-
-Sehr ernst und verantwortungsvoll ist jetzt ihr Gesicht, ein wenig
-altklug wirkt so viel Würde, denn ihre Erscheinung hat immer noch etwas
-Kindliches trotz ihrer achtzehn Jahre.
-
-Der Vater fährt ihr über die Stirn, die kraushaarige. »Meine Katz im
-Schürzenlatz! Ist das nun so schlimm?«
-
-»Ach ja, Vater.«
-
-»Dieses »ach ja« hat es in sich. Sie verwünscht ihr Geschlecht. Als es
-in den Krieg ging, wollte sie absolut mit. Vierzehn Jahre und ein Mädel.
-Festbinden mußte man sie.«
-
-»Ich wär da draußen schon was nutz gewesen. Und hätte ich Euch bloß
-Kugeln in die ersten Reihen getragen. Wie die Johanna Stegen.«
-
-»Ich trau Dir nicht. Du hättest mitgeschossen.«
-
-»Vielleicht.« Und dann sagte sie: »Nun, das nächste Mal.«
-
-Das nächste Mal. Dieses unheimlich große Wort -- in der kindlichen
-Leichtherzigkeit, die es sprach, war doch der Klang aus tiefster Qual.
-Die die Mädchenseele schlug, wie die Männerherzen.
-
-Das nächste Mal! Wie ein Denkmal stand vor ihnen dieses Wort. Furchtbar
-und erhaben. Gebaut aus schwerster Not und düsterster Notwendigkeit und
-gekrönt mit Flammen.
-
-
-
-
- Die Goldberge
-
-
-Lud Uhlenbrook hatte ein Grab geschaufelt. Frühling der Mörder -- mit
-allem, was nur noch wenig Leben hat, macht er ohn Erbarmen kurzen
-Prozeß.
-
-Auf dem Kirchhof war der Alte mit Lona zusammengetroffen. Sie begleitete
-ihn nach Hause. Es gab sonst in ihren Gesprächen keine Politik. Aber
-hier, wo die Luft und alles, was sie atmete, mit Hochspannung geladen
-war, sprach die Politik von selbst.
-
-»Kommt nun der Streik?« fragte der Alte.
-
-»Er kommt.«
-
-»Hier auch?«
-
-»Hier zuerst.«
-
-»Und hier haben die Leute es noch am besten.«
-
-»Eben deshalb zuerst hier.«
-
-Da blickte der alte Lud nun doch in dunkle, ihm unbehagliche Gründe, und
-er schüttelte den Kopf. Aber er rührte nie an anderer Leute Glauben und
-Tun, und ließ sich selbst nicht daran rühren.
-
-»So viel kann ich Euch sagen, ich mache nicht mit.«
-
-»Lud« -- dies ungleiche Paar nannte sich beim Vornamen und duzte sich --
-»hier gibt es nur ein entweder oder!«
-
-»Dann also oder.«
-
-»Und damit stehst Du auf der Seite der andern.«
-
-»Ich steh für mich allein.«
-
-»Das gibt es nicht. Ein Allein gibt es nicht. Denn hier ist Krieg, und
-hier ist Feind und Freund. Du aber bist unser Freund -- der Freund der
-Unterdrückten -- Du selbst ein Mißhandelter.«
-
-Sie war nun anders, sie rührte schon an den Glauben anderer mit ihrem
-Fanatismus, der ganz von selbst Proselyten machen mußte. Und der
-Hochschwall der Propaganda brach über den Alten herein.
-
-Er schüttelte Schopf und Fell und sprühte den Wasserfall wieder von
-sich. »Ich hab jetzt 'ne Arbeit, die mir Spaß macht. Und darum bleibe
-ich bei der Arbeit. Ich zeig den Siedlern, was Torf ist. Und die Jungs
-mag ich leiden.«
-
-Sie rannte nicht mehr an gegen diesen eigenwilligen Zyklopen. Er hatte
-seine Höhle, die Einsamkeit. Wenn man ihn störte, kroch er in den
-Schlund. Aber ihre Wut durfte sie befeuern gegen die Siedler, sie, die
-gefährlichsten der Gegner, die festesten, die gewappneten und bewehrten.
-
-In der letzten Zusammenkunft, als der Haß gegen diesen Trupp der
-Reaktion die Gemüter aufwühlte, hatte Genosse Knubart, der lauernd
-Schläfrige mit der viereckigen Stirn und der sichernden Nase, in seiner
-lässigen Art bemerkt: »Ihre Burg ist eine Holzbaracke. Und Holz brennt
-so leicht!«
-
-Seit der Zeit fieberte der Gedanke in ihr: den roten Hahn ihnen aufs
-Pappdach! Ein paar Handgranaten, geworfen in der Nacht bei
-Frühlingssturm --! --
-
-Wie standen diese Männer ihr im Wege bei dem Werk ihrer langsamen,
-kalten Rache an dem Zerstörer ihres Lebens -- nicht weniger als bei der
-großen Tat der Volkserneuerung.
-
-Lud, der gute, fühlte es, wie die giftige Glut wieder in ihr auflohen
-wollte. Er nahm mit seiner vollen zärtlichen Pranke ihren Arm.
-»So, Lütt, jetzt kommst Du mit rein, wir kochen uns einen
-Sonntagsnachmittagskaffee. Und Du läßt Dir vom Moor etwas
-vormusizieren.«
-
-Als sie beisammensaßen, klopfte es, und Horst trat in die Stube. Der
-Alte, der ihm zugetan war, hieß ihn herzlich willkommen. So setzte er
-sich zu ihnen. Zuerst heizten sie mit Torf die Unterhaltung. Horst
-brachte eine gute Nachricht. Die alte Schlickeysensche Torfmaschine, die
-lange unbrauchbar gelegen hatte, weil niemand hatte entdecken können,
-was ihr eigentlich fehlte, war von einem seiner Leute wieder instand
-gesetzt worden. Jetzt konnten sie also kräftig ins Zeug gehen!
-
-Horst war fröhlich und frisch. Mit einer kleinen bewußten Grausamkeit
-ließ er diesen Erfolg der Siedlung ausklingen. Er wußte, daß alles, was
-mit ihr zusammenhing, Lona zuwider war, die abgekehrt und verschlossen
-dasaß. Mit diesem hochmütigen Gesicht und den in sich gekehrten, den
-umgekehrten Augen, die er kannte. Sein Frohmut sollte der Abhängigkeit
-wehren.
-
-Das Weib in ihr hatte längst gespürt, daß sie auf ihn wirkte. Ebensogut
-empfand sie, wie er jetzt dieser Wirkung widerstrebte. Daß er sich
-schützen wollte, bestärkte sie im Bewußtsein ihrer Machtmittel. Aber sie
-war nicht verschlagen, nicht verschmitzt und tückisch genug, um
-erotische Listen in den politischen Kampf zu tragen. Judithregungen
-kleineren oder größeren Formats lagen ihrer Natur fern. Ehrlich wie ihr
-Schmerz um den getöteten Freund, ehrlich wie ihre kommunistische
-Überzeugung war ihre Feindschaft, ihr Haß, ihre Rachsucht. Vielleicht,
-daß aus dieser Wahrhaftigkeit die Kraft stammte, der Horst sich nicht
-entziehen konnte.
-
-Schon war sein Mitleid wieder obenauf, stärker als der Hang, an ihrem
-Hochmut, dem unleidlichen, sich auszulassen. Und wieder lockten ihn die
-Geheimnisse ihres Wesens, ihres Lebens, ihres Wirkens.
-
-Heut brech ich den Bann! Ist sie nicht auch ein Mensch, ein Weib, ein
-junges Weib -- mehr als Dogma, als Klage, als Anklage und Rache? Atmet
-sie nicht den Frühling wie wir? In dieser Breite, die ihre Heimat ist!
-
-Wer kann von der Heimat sich lösen? Niemand, auch sie nicht. Hat etwas
-die Macht, diesen einen Klang in uns auszulöschen? Nichts auf der Welt,
-kein Unglaube, kein Glaube, kein Fanatismus in Gedanken und Gefühlen,
-keine Ekstase, keine Verdumpfung -- selbst in unsern Wahnsinn tönt der
-Klang hinein. Und mag sie noch so gefangen sitzen in ihrem starren
-System -- was sind Mauern für diesen Klang?
-
-Sie ist in der Heimat, die vom Frühling erschauert. Was bleibt bestehen
-von der Welt, die sie sich aufgebaut hat in der künstlichen Mühsal
-keuchender Gedanken! Hier ist nun einer, der den Frühling Deiner Heimat
-mit Dir atmet -- er pocht an Deine Verschlossenheit. Wird ihm nicht
-aufgetan?
-
-Sprichst Du nicht mit deutscher Zunge wie er? Ist nicht in Dir wie in
-ihm deutsches Leben -- ob es an ungleich gestimmte Saiten rührt? Sind
-nicht beide in Not, er wie Du! Sind beide nicht Suchende, Klimmende,
-Steigende -- wenn auch auf verschiedenen Wegen, wenn für den einen der
-andere auch in die Irre geht!
-
-Und vor Horst leben die Worte Gisberts auf -- was reden wir immer und
-immer von den Unterschieden! Das Gemeinsame sollen wir suchen, des
-Gemeinsamen sollen wir uns bewußt sein, immer und immer!
-
-Du sprichst deutsch und ich spreche deutsch -- wir sollten nicht
-miteinander sprechen können? Und Horst richtet das Wort an Lona.
-
-»Kennen Sie unsere Goldberge hier?«
-
-»Ja.«
-
-»Haben Sie sich einmal von da oben die Welt angesehen, jetzt im
-Frühlingsglanz?«
-
-»Nein.«
-
-»Das sollten Sie tun. Die See -- das Dünengelände -- die gotischen Türme
-der Stadt -- all die Dörfer, eingebettet in Gärten -- ein Schimmer von
-Grün haucht schon aus dem Grau. Und wie hierher nach Westen das hüglige
-Feld in die Moorniederung verrinnt -- man sieht nicht viel so Schönes in
-unserm Norden.«
-
-Sie ging artig darauf ein, wenn auch kühl und freudlos. »Damit machen
-Sie einem beinahe Lust. Leider aber bin ich so einigermaßen
-landschaftsblind.«
-
-»Das glaube ich nicht.«
-
-»Nicht?«
-
-»Nein. Weil Sie doch in der Musik leben.«
-
-Sie stutzte. Was weißt Du und was willst Du von mir? Dann ging sie den
-Zusammenhängen in seinen letzten Worten nach.
-
-Horst aber, da er jetzt bei »musikalisch« war: »Uhlenbrook -- Meister --
-die Goldberge klingen ja -- deutlich hab ich das gehört!« Jungenaugen
-glänzten dazu, wie voll von leuchtendem Märchenschreck.
-
-»Wenn Sie das gehört haben,« sagte der Alte, »dann sind Sie auch einer
-von den Erlesenen.«
-
-»Erlesen? Wozu?«
-
-»Jetzt will ich Euch erzählen, was das mit den Goldbergen ist.« Wie die
-Sage saß er in seiner Tabakswolke. »Da liegt ein König begraben, ein
-Heerkönig, ein Seekönig. Der Mächtigste, den es gegeben hat. Der
-Reichste an Taten, an Ehren und an Schätzen. Alle Meere hat er befahren,
-von allen Küsten brachte er Gold und Gut nach Hause. Das deutsche Meer
-aber war sein Reich, hier durfte niemand fahren ohne seinen Willen. Mehr
-Jahre hat er gesehen, als die anderen Menschen und war darum auch weiser
-als sie. Und wie es zum Sterben mit ihm ging, da befahl er, daß alle
-seine Schätze mit ihm ins Grab gesenkt würden. Schätze darf man
-erwerben, aber nicht vererben. Er sah seinen Nachfolger -- und sah den
-Verfall seines Reichs. Mit einem Fluch über jede gierige Hand, die an
-das begrabene Gold rühren würde, streckte er sich auf sein Sterbelager.
-Denen aber, die nichts für sich selber wollen und begehren, die alles,
-was sie selber haben und selber sind, dem Volke darbringen, denen
-klingen die Stimmen aus dem Grunde. Denen singt das versenkte Gold. Ihre
-reinen Hände sollen es heben, ihnen soll es die Macht mehren, daß sie
-dem Volke helfen zu alter Herrlichkeit.«
-
-Horst überlief es wie leise zitternde Runen. Lona aber blickte wieder
-voll Hohn.
-
-»Und das Reich des alten Königs zerfiel. Und das deutsche Meer war nicht
-mehr deutsch. Sein Nachfolger wollte mit habsüchtigen Händen die Schätze
-sich heraufholen, da erschlug ihn ein Nebenbuhler. Den aber meuchelte
-ein anderer. Die Herrlichkeit kam nicht wieder herauf. Weil die Sinne
-gierig waren und die Hände nicht rein. Und wie um den Kyffhäuser die
-Raben, fliegen die Raubmöven um diesen Berg. Wenn aber eines Menschen
-Fuß seine Höhe betritt, zu altheiligen Zeiten, zu Frühlingsanfang, zur
-Tag- und Nachtgleiche, in der Thomasnacht, der längsten des Jahres, der
-ersten der wilden Nächte -- und es tönt dann das Klingen zu ihm auf, so
-ergeht an ihn der Ruf. Zum Helfer bist Du erkoren! Bleib getreu und
-halte Dich bereit!«
-
-Bleib getreu und halte Dich bereit, so klang es nach in Horst. Und ihn
-störten ganz und gar nicht Lonas hochgezogene Lippen.
-
-Sie schwiegen eine Weile. Jeder blieb bei seinen Gedanken. Das deutsche
-Meer soll wieder deutsch werden! so flammte und lebte es in Horst.
-
-Jetzt nimmt Lona das Wort. »Es spricht ja wohl so mancherlei für den
-alten Herrn Deiner Sage. Obwohl sein großartiger Standpunkt: das Gold
-ist verflucht, stiehl Du also möglich viel für Dich zusammen, damit es
-den andern nicht schadet -- obwohl dieser Standpunkt ein Maß von Edelmut
-bekundet, wie ihn nur der Kapitalismus aufbringen kann. Im übrigen --
-warum die Deutung seines Vermächtnisses nun gerade in Patriotismus und
-in Hurra auslaufen muß? Reine Hände und das Wohl der Gemeinschaft -- was
-heißt das anderes, als daß sich niemand mit eigenem Besitz besudeln
-soll!«
-
-Über Horst leuchtete eitel Friedfertigkeit. »Ist das nicht das
-Wundervolle an unseren Sagen, daß sie mehr sind als ihre Deutungen? Daß
-sie alle beschenken, alle beglücken!«
-
-Lona gab nichts darauf. Sie lehnte sich zurück und sagte dann in ihrer
-laschen Überlegenheit: »Der eine Gedanke, muß ich ja sagen, macht mir
-gerade hierbei ganz besonderen Spaß. Wie Ihr Teutonen immer über die
-Juden herzieht mit ihrem goldenen Kalb. Und über ihre Psalter mit dem
-Golde aus Reich Arabien. Seht Euch doch einmal Eure eigenen
-Überlieferungen an. Um was geht es denn bei Euch? Nur und immer! Da ist
-das Rheingold -- da ist der Nibelungenhort. Im Waltarilied -- diese
-begeisternden Kämpfe Eurer Urzeithelden, in denen sie sich frohlockend
-Arme und Beine glatt mit dem Schwerte abschlagen, um was werden diese
-Heldenkämpfe geführt? Um den Hunnenschatz, den der edle Walter dem alten
-Etzel ausgespannt hat. Und dann im ganzen Mittelalter, diese König- und
-Kaiserkämpfe! Wer den Kronschatz hat, hat auch die Mannentreue. Die
-Geschichte dieses Buschkleppertums -- läuft sie nicht weiter durch die
-folgenden Jahrhunderte? Und geht es nicht in derselben Tonart fort bis
-in unsere Tage? Was sagt Ihr dazu, Ihr Weisen aus dem Abendlande? Wie
-heißt doch Euer Sprichwort? Treu wie Gold!«
-
-Verdrossen winkte sie selber sich ab, und Horst hatte keine Neigung nun
-groß sein Streitroß aufzuschirren. Wogegen? Gegen eine blendende äußere
-Dialektik, die an dem tieferen Wesen der Dinge vorbeijongliert?
-
-Er sagte nur ein bedächtiges Wort, das nicht angriff: »Solange das Gold
-konzentriertes Brot ist --! Und solange der Mensch Brot zum Leben nötig
-hat --! Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.«
-
-Sie wollten beide nicht die Klingen kreuzen. Auch in ihr kam eine
-Sehnsucht nach Stille auf, eine Lust, sich zu dehnen und die leisen
-Schwingungen des Frühlings aufzunehmen wie ein streichelndes Heilmittel
-für die wehen Nerven und das müde Blut.
-
-Lud Uhlenbrook hatte die Blicke auf seinem Moor. Dabei stöhnte er
-unsäglich. So brüllt nur das Glück. Rehwild zog äsend an dem Waldrande
-hin. Durch die leichten Zirruswolken streute die Nachmittagssonne
-wehende Lichter wie Blütenflocken auf den grünlichen Dämmer der
-erwachenden Gräser. Fröhlich kreisend schwangen sich Kibitze über den
-Wiesen.
-
-Der Alte paffte seinen Knasterdampf vor sich. Dadurch sah ihm seine Welt
-noch zauberhafter aus. Mit einer fröhlich herben Absage an die beiden:
-»Wenn ich dies hier habe -- was geht mich das da draußen an! Ich pfeif
-auf Euren Kram! Schlagt Euch die Köpfe ein, daß ich was zu begraben
-kriege! Der Moordeubel bin ich, und der Torfdeubel bleib ich und dem
-lieben Gott sein Lieblingsdeubel dazu! So -- und wenn einer gegen mein
-Moor was sagt --! --«
-
-Lona regte sich. »Ich sag was, Lud Uhlenbrook. Du stehst vor Deinem Moor
-wie der Ausrufer vor seiner Schaubude. Aber lauter Freud und Wonne ist
-es wirklich nicht mit ihm. Ich bin da vor kurzem ganz gefährlich in den
-Sumpf geraten -- ein paar Schritte weiter, und Du hättest mich in Deinem
-Raritätenkabinett gehabt.«
-
-»Ja« -- und nun wurde der Alte großäugig angstvoll und warnte schwer,
-»wie darfst Du auch weglos auf ihm herumabenteuern!« Die Pfeife wollte
-ihm ausgehen.
-
-»Und ganz übel,« fuhr Lona fort, »ist dieser Fluß, der sich da
-hindurchwindet, schwarz, träge und drohend. Ein Fluß, der nicht fließt,
-der tückisch schleicht -- er plätschert nicht, er rieselt nicht, er
-schult nur immer düster nach einem hin. Und seine angefaulten Weiden,
-denen alle struppigen Haare sich sträuben -- menschenfreundlicher machen
-sie ihn nicht.«
-
-Horst, der ihr mit weiten Wimpern zuhörte: »Und Sie wollen keinen Sinn
-für Landschaft haben?«
-
-»Höchstens da, wo die Landschaft -- für mich so lebhaften Sinn hat. Aus
-einer Art Notwehr. Ich kann mir nicht helfen, unheimlich ist mir das
-Moor geworden.«
-
-Der Torfmeister sah ihr durch und durch. »Du hast die Moorangst, Kind!
-Daß Du es nie ohne mich betrittst! Wer vorm Moore bangt, wird von ihm
-gelangt!« Er hatte jetzt etwas Gewaltiges in den Augen. Und seine Worte
-zwangen.
-
-Halb unwillig sagte Lona: »Wie ein alter Zauberer bist Du.« Aber ein
-Nachdenkliches blieb über ihr.
-
-
-
-
- Orgelklänge
-
-
-Lona machte sich zum Heimweg fertig. Auch Horst wollte gehen. Heute
-widerstrebte sie seiner Begleitung nicht.
-
-Erst sprachen sie von dem Alten. Sie hatten Scheu, den neutralen Boden
-zu verlassen, den einzigen wohl, den es für sie gab. Dann aber wurde
-Horst mutiger. Er wollte von ihrem Leben wissen. Er fragte.
-
-Sie hatte erst die großen Augen, erstaunt, unwillig. Dann aber -- er war
-ihr nun doch schon in größere Nähe gerückt -- dann hörte er von ihr. Daß
-sie als Schwester im Felde gewesen war, all die Jahre. Hinausgegangen
-mit dem flammenden deutschen Herzen -- heimgekehrt in der Seele den Haß
-und den Fluch auf den Krieg, auf das nationale Wüten, den nationalen
-Frevel, daran die Menschheit sich zerreißt und zerfleischt und
-verblutet.
-
-In wieviel brechende Augen hab ich gesehen, wieviel letzte Worte hab ich
-gehört! Unwahr ist, was in Euern Büchern steht! Von der Verklärung in
-Opferwilligkeit! Von dem letzten Licht, dem letzten Gedanken: fürs
-Vaterland! Nichts hab ich gefunden als Klage, Groll, als Verzweiflung
-und Verwünschung!
-
-Sie rief es in Ekstase.
-
-Wie hast Du Dich selbst betrogen, dachte Horst. Nur, was Du sehen
-wolltest, hast Du gesehen! Ich weiß auch von brechenden Augen! Ich weiß
-auch, wie deutsche Männer gestorben sind! Daß der Tod vorm Feinde ihnen
-des Lebens Erfüllung war!
-
-Das große Sterben -- es war zuviel für Deine Frauenseele. So bist Du
-verstört, so ist sie irre geworden. Und in Horst schwang das alte
-Mitleid.
-
-Sie selbst wollte auch jetzt keinen Kampf der Meinungen. Von ihrer
-eigenen inneren Wandlung sprach sie nun, offen und mitteilsam. Daß
-alles, was sie an Gottesglauben mit herausgetragen habe, ihr im Felde
-zertrümmert worden.
-
-Ich konnte einmal beten -- ich hatte meine Zweifel und kehrte zur
-Andacht zurück -- dann aber hatte ich nur noch ein Lachen für mein
-Gebet.
-
-Es war an der Aisne, in der Osterzeit. Unser Feldlazarett war überfüllt
--- wir betteten eine große Anzahl weniger schwer Verwundeter in der
-Dorfkirche. Ein paar Operationen waren gemacht. Alle schienen gerettet,
-alle, die hier lagen, hofften und träumten sich ins volle Leben hinein.
-Der Ostersonntag. Draußen ein geradezu jubelnder Frühling. Da baten sie
-mich, ich möchte ihnen doch die Orgel spielen. Ich tat es freudig, ich
-selbst war dankbar und fromm. Das Auferstehen war in meinen Klängen. Und
-voll Dankbarkeit und Frömmigkeit war das Gotteshaus. Nie ist reinere
-Andacht gen Himmel gestiegen. Und plötzlich -- in die innigste Feier der
-Seelen hinein -- das Grausigste, das Grausamste an wilder Vernichtung.
-Ein Volltreffer aus schwerstem Geschütz. Die Decke stürzt ein. Die
-Hilflosen, Schmerzensreichen, ans Kreuz Geschlagenen werden
-zerschmettert, verschüttet, zermalmt. Hosianna in der Höhe! Ich mit der
-Orgel hänge in dem Gebälk. Ich kann mich nicht rühren, kann nicht
-hinunter. Kann nicht helfen. Und niemand kommt. Die Zeit erstarrt in
-Grauen. Abenddunkel. Die letzten Schreie sterben, das letzte Röcheln der
-Gemarterten erlischt. Ich -- allein. Und -- eine andere geworden --
-
-Sie schwiegen. Worte hatten hier nichts zu sagen.
-
-Verstehen! Das war es, um was Horst im Innersten rang. Und die Frau, die
-zerwühlte, zerquälte, wurde ihm vertrauter. Ihrer Welt, der fremden,
-feindlichen, verschloß er sich nicht mehr in eigenem Glauben, eigenem
-Willen, eigenem Werk.
-
-Sie aber fühlte, daß hier Schranken fielen. Daß es für sie beide, über
-ihre Gegnerschaft und ihre Gegensätze hinaus, ein Schwingen gab, dem sie
-nicht mehr widerstrebte. Einen Klang, auf den etwas in ihr lauschen
-mußte. Also doch etwas Gemeinsames?
-
-Und wohl blinkte es in ihr auf: sind hier nicht die Keime einer Macht?
-Einer Macht über den Feind? Ihn immer mehr lösen aus dem Selbstgefühl,
-der Sicherheit seiner feindlichen Überzeugung! Ihn herüber ziehen -- ihn
-gewinnen -- ihn bezwingen --
-
-Ein fernes Licht, am fernen Horizont. Aber doch ein Ausblick, ein Ziel
--- ein Träumen noch -- und doch ein ahnungsvolles Hintasten nach der
-Wirklichkeit, der Erfüllung --
-
-Und wieder ein trotziges Sichzurückziehen. Nichts gibt es zwischen uns!
-Nichts als den Kampf auf Leben und Tod. Der Du auf der Seite meines
-Todfeindes stehst. Sein Schützling -- und sein Beschützer. Und darum
-gehaßt von mir, Du wie er!
-
-Und doch wieder das Hinneigen. Und das hingegebene Horchen auf das, was
-schwang.
-
-Wieder schwieg alles, was streitbar gegen ihn sich regen wollte. Sie
-vergrub sich wieder in sich selbst, in die eigene Wandlung. Sprach mit
-einer wehen Offenheit von ihren Kindertagen. Daß sie mit der Orgel groß
-geworden sei. Wie sie mit der Orgel Gott gefunden habe -- den sie mit
-der Orgel verloren.
-
-Sie wollte heraus, aber sie sank zurück. Und das Entsetzen wühlte sich
-wieder durch sie hin. »Orgelklänge -- des Ewigen Ehre zu loben hat man
-sie beflügelt -- ich hab ihm so meinen Fluch ins Gesicht geschrien! Den
-Fluch und die Vernichtung! Die Gottesflucherin! Die Gottesmörderin! Nur,
-wenn ich Dich glaube, lebst Du! Ich glaube Dich nicht, ich glaube Dich
-nicht! Und damit töte ich Dich! Langsam -- quälend -- und mit Bedacht
---«
-
-Über ihrem Auge lag es wie eine blinde Haut, es flogen ihre Glieder, so
-fror ihr das Grauen im Gebein. So schüttelte sie der Wahnsinn. So sank
-sie in die tiefe kalte Nacht.
-
-Horst nahm ihre eisigen Hände. Da wachte sie auf. Und ihn traf ein fast
-dankbarer Blick. Als wollte ihr einer Hilfe bringen in ihrer furchtbaren
-Erstorbenheit -- als gäbe es für sie Hilfe.
-
-Dann strich sie das Haar so straff aus der Stirn, daß sie schmerzhaft
-zuckte. Klopfte die beiden Schläfen mit beiden Zeigefingern und blickte
-jetzt klarer und sprach jetzt still. Mit dämpfender Ironie. »Warum
-soviel stilistische Erregung! Wenn man innerlich mit sich im reinen
-ist!«
-
-»Wer ist das! Wann sind wir das! Dies im reinen halte ich meinerseits
-nun -- Verzeihung -- für reine Stilistik.«
-
-Sie sieht ihn fest an. »Und doch, der große Gotteskünder, auf den Ihre
-Welt eingeschworen ist, fordert nicht gerade er das Unbedingte? Immer
-hat mich dieses »Ja, ja -- nein, nein« erschreckt. Das Grausamste, was
-es gibt. Haben wir nicht im Grunde ein Recht auf Zweifel, auf Abwege,
-auf Umwege, auf Irrtümer und Kämpfe?«
-
-»Wir habens! Und darum gibt es, solange Sie leben, auch für Sie keine
-religiöse Totenstarre.«
-
-Zu dem Wort hob sie die Lippen wie zu einem Heiltrank. Aber dann
-verschloß sie sich wieder, lehnte Horst ab, ging zu ihrer Musik und fand
-eine müde Ruhe. »Wer hat die Musik die Kunst der Erinnerung genannt? Und
-soll die Erinnerung selbst nicht Kunst sein? Erhaben ob dem Geschehenen?
-Jenseits der Erschütterungen? So hab ich doch auch längst wieder die
-Orgel spielen können. Es war zuletzt ganz Spiel um des Spieles willen.
-Und die Töne waren über dem Leben.«
-
-Horst mußte denken, ob Du nicht so wieder heimfindest?
-
-Er sprach dann von sich selbst, was ihm das Orgelspiel immer gewesen
-war. Im Schatten der mächtigsten Kirche einer alten Hansestadt steht das
-Wohnhaus seiner Kindheit. Gedämpfte Orgelklänge begleiteten seine ersten
-Träume. Was seine Jugend ersehnte, was durch seine junge Seele stürmte
-und brauste, jeder Brand, jede Inbrunst seines Herzens -- alles zitterte
-und lebte von dem Orgelklang, alles war von ihm durchwebt, von ihm
-gehalten und geweiht von ihm.
-
-»Für mich ist das Orgelspiel Heimat. Und Heimweh.« Da sah sie ihn groß
-an, und ihre Augen verstanden ihn.
-
-Und es bebte in Horst, als er sie bat: »Darf ich Sie nicht einmal Orgel
-spielen hören?«
-
-Sie zuckte zusammen, von der persönlichen Berührung in diesem Wunsche.
-Er und sie -- zu meiden hatten sie sich, sich zu bekämpfen, sich zu
-vernichten.
-
-Ein Waffenstillstand? Mit Orgelmusik?
-
-War nicht die Fremdheit, die Feindschaft von ihnen abgefallen? Wo sie so
-miteinander sprachen, hatte sich nicht fast ein Vertrautes eingestellt?
-
-Und sie gab die Antwort auf seine Bitte. »Ja, wenn sie mich hier noch in
-die Kirche ließen!« Dann erzählte sie: mit dem alten weißhaarigen
-Organisten von Sankt Nikolai wäre sie gut Freund. Er hätte ihr mehrmals
-die Schlüssel zur Kirche gegeben. Die Orgel wäre ein vorzügliches Werk
-von dem alten Zacharias Hildebrand.
-
-»Und jetzt?«
-
-»Jetzt hat die Geistlichkeit Einspruch erhoben. Sie verteidigt, der Zeit
-zum Trotz, mit achtbarem Mut ihre Gotteshäuser. Ich darf mit meinen
-umstürzlerischen Händen das heilige Instrument nicht mehr berühren.«
-
-»Sie sollen diese Ihre hohen Stunden wiederhaben. Ich werde mich dafür
-einsetzen, daß Sie wieder Orgel spielen können. Und zur Belohnung darf
-ich Ihnen zuhören, nicht wahr?«
-
-Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug ein. Und so trennten sie sich.
-
-Was war geschehen? Zwei Menschen, die das Leben zum Kampfe aufgeboten
-hatte, die ein Vernichtungskrieg gegeneinander entflammte, die beiden
-hatten eine Stunde des Friedens, der Gemeinschaft gefunden. Sie hatten
-ausgeruht ineinander. Sie hatten sich beide beschenken können. Und
-jetzt?
-
-Jeder ging wieder zurück in seine Schlachtreihe. Jeder nahm wieder den
-Platz ein in seiner Front. Nur, daß sie beide das stille Übereinkommen
-geleitete, dieses Beisammensein würde sich wiederholen. Wieder würden
-sie denselben stillen Weg gehen und aufsteigen zu derselben sanft
-belichteten Anhöhe, die über den Wolken des Tages lag.
-
-Den Feind verstehen, heißt die Welt begreifen.
-
-Wie lange aber, wie lange war ihnen die Nähe beschieden? Würde der Krieg
-ihnen nicht bald genug diesen friedlichen Hang verwüsten?
-
-Oder -- gab es hier etwas zu retten für sie beide? Etwas, was mehr war
-als die Zwietracht ihrer Gedanken, was über ihrer Feindschaft war und
-ihrem Kampf?
-
-Sie trugen beide an dem Druck ihrer Hände, mit dem sie voneinander
-geschieden waren. --
-
-Zwei Einsame saßen in der Baracke und hüteten das Haus. Dankwart
-Hamerslag arbeitete an seinen Modellen, Gust Elbenfried forschte in der
-Schrift. Auch hier war im Schaffen, im Suchen, im Sehnen ein
-Auferstehen.
-
-Einsam auch, ein Schwebender, zog Gisbert durch die Frühlingsheiligkeit.
-Gen Osten pilgerte er -- da lag Mönkhov. Die Rhythmen der schönen,
-tönenden See begleiteten seine Schritte. In den Dünen machte er Rast,
-auf dem höchsten Gipfel schlug er seinen Thron auf, den Thron seiner
-Sehnsucht.
-
-Unverwandt schauten seine Blicke nach Osten. Ganz unkörperlich seine
-Sehnsucht, nicht einmal das Bild der Ersehnten nahm Gestalt an. Jenseits
-von der Form blieb alles. Ein Lichtnebel die Welt, ein webender Glanz.
-Und in ihm atmete das Glück.
-
-Daß Du lebst! Und daß ich weiß von Deinem Leben! Was will ich mehr? Was
-brauche ich mehr? Ich fühle Deine Nähe, durchleuchtet bin ich von der
-seligen Sicherheit meiner Habe. Wer kann mir von ihr etwas rauben? Wie
-reich bin ich und wie stark!
-
-Du bist die Geliebte meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken
-Dich zu fassen, das Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein
-Ohr zu füllen, Deine Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will
-ich Dich, nur wissen, daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst!
-
-Rühren Worte an die Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken.
-Über allem Sagen und Fragen, wortlos, gedankenlos ein sinnenfreies
-Schwimmen im Himmelsraum, ein Ertrinken in Licht --
-
-So saß Gisbert in starrer Entrücktheit ein göttlich Entschlafener auf
-der Dünenhöhe, dieweil über die Meerflut hin der junge Frühling
-schauerte.
-
-Erst die flüsternde Dämmerung weckte ihn aus seinem seligen Schlaf. Und
-nun schlich es doch von Frühlingsangst in seine Jugend, seine junge
-Jugend. Was fing so an zu singen in seinem Blut -- leise, leise und sang
-doch immerfort.
-
-Und ein Taumeln, da er sich erhoben hatte, ward sein Schreiten, das nach
-Osten ging -- wo er doch westwärts wollte, nach seiner Arbeitsstatt, der
-Baracke. Wie er sich umwandte, keuchte er, beladen auch er von der Süße
-und Schwere des Frühlings.
-
-Die Arbeit! Die Arbeit auch seine Zuflucht. Ihr mußte alles zum besten
-dienen, alles Fühlen, alle Andacht, aller Kult, auch von Frühling und
-Frau -- alles mußte einmünden und aufgehen in den Gottesdienst der
-deutschen Arbeit.
-
-
-
-
- Ausstand
-
-
-Die Ziegelei war im Betrieb. Der erste Ziegelstein war gebrannt. Wie
-eine Erstgeburt wurde er betrachtet und gefeiert, wie ein Täufling ging
-er von Hand zu Hand. Eine helle Freude gab das und ein strammes Hurra --
-Muz kreiste singend um sich selbst und biß sich in den Schwanz, daß die
-Haare stoben.
-
-Bauen, bauen -- war jetzt Losung und Feldgeschrei. In diesem Sommer noch
-sollte das erste Haus unter Dach kommen. Für das Fundament galt es,
-Findlingsblöcke zu sprengen, die reichlich im Gelände lagen. So
-erfrischte und befeuerte eine Tätigkeit die andere. Im Siedlerhaus war
-frohmütiges Wesen.
-
-Dankwart hatte das Modell einer Mühle konstruiert, die die Kraft des
-Windes in Akkumulatoren aufspeichern sollte. Er hoffte auf ein Patent,
-das die Finanzen der Siedlung stärken würde. Mit denen stand es nicht
-zum besten. Aber auch die Sorgenfalten Mündners, ihres Rechnungsrats,
-bügelte die Frühlingssonne aus.
-
-Die Sprengschüsse in der Felshalde lockten ein paar scheue Gestalten auf
-die Höhen -- Müßiggänger, Beobachter? Das Knallen war ihnen nicht
-behaglich, Ursache und Zweck schienen sie nicht völlig zu beruhigen.
-
-»Was sind das da oben für lauernde Vögel?« fragte Kunz. »Was bedeutet
-ihr Erscheinen! Ich schließe auf Sturm.«
-
-Und es ballten sich die Wolken. Die Provinzhauptstadt entsandte ihre
-»Agitatoren« und »Organisatoren«. Jetzt, wo es mit allen Händen an die
-Frühjahrsbestellung gehen sollte, ward gebohrt und gewühlt. Der
-Landarbeiterstreik kam ins Rollen.
-
-Immer noch hatte Herr von Borkhus sein überlegen gläubiges Lächeln.
-Seine Leute waren wie immer. Still, gehorsam -- gehalten, zugeriegelt
-und ducknackig. Wär das nicht ihre Art gewesen, hätte es Verdacht wecken
-können. Aber so --! --
-
-Da tritt eines Morgens sein langer, straffsehniger Inspektor bei ihm
-ein. Ein Herr sei unten. Einer von den Roten offenbar. Er wolle mit
-Herrn von Borkhus über die Lohnverhältnisse in Moorhof sprechen.
-
-»Was? Der Hetzer mit mir -- über die Lohnverhältnisse meiner Leute?
-Sagen Sie dem Herrn, daß ich mit meinen Leuten über meine und ihre
-Angelegenheiten selber zu sprechen pflegte. Daß ich mir seine
-Vermittlung verbäte. Daß ich ihn ersuchte, meinen Hof -- nein, meinen
-Gutsbezirk sofort zu verlassen! Aber sofort!«
-
-Schnaubend geht der Baron im Zimmer auf und ab. Der Inspektor setzt noch
-seinen eigenen Trumpf auf die Bestellung. Herr Knubart -- dies ist der
-abgewiesene Besucher -- zieht sich wohl ingrimmig vom Hofe zurück, auf
-dem die Leute gerade zur Mittagspause sich befinden. Aber von ihnen
-begleitet, macht er auf der Dorfstraße vor dem Hoftor halt, lehnt sich
-an die Mauer und spricht zu den Umstehenden mit einer Ruhe, in der es
-höhnisch und boshaft brodelt: »Euer Herr und Gebieter hat mich des
-Landes verwiesen. Wie es bei Herrn und Gebietern so Mode ist, wird er
-jetzt, wo ich hierbleibe, wohl die Hunde auf mich hetzen.«
-
-Er kennt das Volk. Er kennt die springenden Funken. In den Jungen flammt
-es wild: »dat sall he maken!« Die Alten blicken düster und dumpf, auch
-in ihnen schwelt es.
-
-»Vielleicht zeigt der Herr Baron mir aber,« so fährt der Sprecher fort,
-»wie ich Euch besuchen kann, ohne den Grund und Boden, den er sein Eigen
-nennt, zu betreten. Oder darf keiner zu Euch kommen, ohne seinen Willen?
-Seid Ihr Eingesperrte! Seid Ihr Sträflinge!«
-
-»Dat wier noch beder!« Hier schreit etwas auf.
-
-»Sein Grund und Boden. Auf dem stehen wir ja allerdings. Und daran ist
-nichts zu ändern. Wenn Ihr nichts daran ändert.«
-
-Da ist er wieder, der große, berauschende Fernblick. Die Sinne taumeln.
-Und das Feld ist wohl bereitet, als der Baron jetzt mit dem Inspektor
-hier draußen erscheint.
-
-»Ich dulde es nicht,« so tritt er dem Führer entgegen, der ihn blaß,
-aber in eiskalter Gelassenheit erwartet, »ich dulde es nicht, daß Sie
-hier auf meinem Gutsboden mir meine Leute aufputschen! Sie werden sich
-auf der Stelle entfernen.«
-
-»Ich werde es, sobald die Leute sich nicht mehr mit mir zu unterhalten
-wünschen. Wir befinden uns hier auf einer öffentlichen Straße --«
-
-Ȇber die ich aber die Polizeigewalt habe! Und die ich zu politischen
-Hetzereien und zu politischen Ansammlungen nicht mißbrauchen lasse!«
-
-»Von politischer Versammlung ist mir nichts bekannt.« Und jetzt gab er
-der Sache die gehörige Wendung. »Wollt Ihr Leute, daß ich, der ich Euer
-Gast bin und Euch meinen Rat erteilen möchte, noch mit Euch
-zusammenbleibe --?« --
-
-»Ja! Ja! Hierbleiben! Wi sünd noch nich farig!«
-
-Herr von Borkhus hatte das Spiel verloren. Alles krampfte sich in ihm
-zusammen -- er konnte nicht auf die Leute einreden, konnte die alten
-Bande nicht schürzen, konnte nicht um ihre Seelen werben -- auch wenn
-sein Stolz es nicht verschmäht hätte, die Sprache hätte ihm versagt.
-
-Aber, daß es um ihre Seelen zu werben galt -- gegen den Fremden, den
-Volksverführer -- daß seine Mannen von ihm abfallen wollten -- wie hatte
-er auf ihre Treue gepocht vor sich und den andern -- wie hatte er eine
-Welt aufgebaut auf dieser Treue -- nun lag diese Welt in Trümmern.
-
-Der Inspektor aber -- ihm dankte der Herr einen großen Teil der
-Abtrünnigkeit seiner Leute -- wollte die Karre nicht im Dreck stehen
-lassen. Hier konnte nur ein Lachen helfen. Und er rief grinsend:
-»Volksbelustigung! Wanderprediger! Kurpfuscher! Anreißer und Hausierer
-gehören auf die Landstraße! Unsere Leute wissen schon, was sie von dem
-Schwindel zu halten haben.«
-
-Er führte mit heldenhafter Miene den Baron, der mühsam sich aufstützte,
-nach dem Herrenhaus zurück. Die anderen fühlten den Sieg. Das erhitzte
-ihnen das Blut. Knubart aber wußte, daß er das Eisen zu schmieden hatte.
-Und er schwang den Hammer.
-
-Nach einer Viertelstunde hatte er sie soweit. Sie faßten den Beschluß --
-die paar Alten, die Scheuen oder Hartnäckigen wurden verängstigt oder
-überrannt -- zwei sollten als Abordnung zu dem Gutsherrn gehen und
-verlangen, daß er Knubart als ihren Vertrauensmann empfinge und mit ihm
-die Verhandlung führte. Weigerte er sich: Ausstand mit dem
-Glockenschlag!
-
-Und so geschah es. Die Abordnung, zwei von den jüngsten Schreiern, flog
-hinaus, am Nachmittag ging niemand mehr zur Arbeit.
-
-Herr von Borkhus saß allein und grübelte dumpf vor sich hin. Die
-wirtschaftlichen Gedanken, mit denen der Inspektor ihn überschüttete,
-hatte er von sich getan. Seinem Leben hing er nach.
-
-Was war ihm noch geblieben? Das Vaterland in Schutt gelegt, und jetzt
-sein eigenes Haus, das Reich seines eigenen Schaffens unterhöhlt und im
-Verfall. Ein Krüppel war er! Die Arme, die ach so müden und doch immer
-noch hoffnungsvollen -- waren sie ihm nicht glatt vom Leibe gehauen! Ein
-Stumpf war er, nutzlos -- nur daß das Herz noch in ihm schlug, und in
-dem Herz schlug der tödliche Gram.
-
-Und wenn er nicht so ein Tor gewesen wäre! Ein Narr! Ein Kinderspott!
-»Meine Leute! Wie verwachsen sind sie mit mir!« Und nun dieser
-hergelaufene Fremde, dieser kaltäugige, kaltschnäuzige Gesell, lehnt
-sich an die Hofmauer, und von oben hin zieht er all die Männer an der
-Nase zu sich her. Läßt sie tanzen, wie er pfeift. Alle, all die Getreuen
-ihres Herrn!
-
-Nach Horst, dem jungen Freunde, ruft seine Seele. Vor dem hat er am
-meisten sich gerühmt. Aber der ist ihm gut gesonnen, vor dem braucht er
-sich nicht zu schämen.
-
-Horst findet Strempel, den schrägäugigen, bei dem Baron. Mit seinem
-»komplett« hat er aufs neue der Meinung und dem Willen des Herrn sich
-zugeschworen. Eine kleine Genugtuung ist das. Und die Dumpfheit ist
-wenigstens im weichen. Horst aber findet, daß in den schiefen Lidern und
-all den Falten des verkniffenen Gesichtes etwas lauert. Darf er es
-sagen?
-
-Die Herren sitzen beisammen. »Ja, Horst, ich gehöre nicht mehr in die
-Zeit. Abgetan -- spurlos. Mitleidlos. Nun selbst zum Schutt, zu den
-Scherben geworfen.«
-
-Horst kam von der Zyklopenarbeit des Felsenrückens. Seine Muskeln
-zitterten. Sie wußten von Männerkraft und Männerglauben.
-
-»Ein glatter Überfall ist dies. Krieg um des Krieges willen. Die
-Verständigung planmäßig hintertrieben. Sie wollen den Bruderkampf. Wir
-müssen ihnen das Handwerk legen.«
-
-Auch hier gelte es, ein Beispiel zu liefern! Und den Arbeiterführern,
-die die Welt unter sich zu verteilen anfingen, sollte denn doch um ihre
-Gottähnlichkeit bange werden.
-
-Horst stellte dem Baron seine Siedler als Nothelfer zur Verfügung. Alle
-würden sie Hand anlegen, die meisten von ihnen wären mit der
-Landwirtschaft vertraut. Die Frühjahrsarbeit sollte weitergehen -- und
-lange Gesichter würden ihr zuschauen!
-
-Und in die großen schweren Augen des Barons kehrte ein Leuchten zurück,
-abendlich und weh, aber sie hatten doch wieder lebendigen Schein. Die
-alte Kampfnatur reckte sich in die Höhe. Er gab als Herr seine
-Anordnungen für den folgenden Tag.
-
-Horst brachte in seiner Körperschaft die Angelegenheit zur Sprache.
-Helle Hilfsbereitschaft leuchtete auf. Nur in Mulitz, dem Maurer, und in
-Metzling regten sich genossenschaftliche Widerstände. Aber die
-Einmütigkeit verschlang sie. Schon in der Nacht fanden die ersten
-Siedler auf dem Hof sich ein, das Vieh zu besorgen. Mit dem Morgengrauen
-war die Mannschaft auf den Kartoffeläckern. Die Pflanzmaschinen waren in
-Betrieb gesetzt, fröhlich ging die Arbeit von statten. Am Wegrand
-zeigten sich verdrossene und drohende Gesichter. Streikende
-Landarbeiter, denen ihre Macht aus den Händen geschlagen war.
-
-Kunz sang ihnen lustige Kartoffellieder vor. Wie Knollen flogen die
-knolligen Reime ihnen um die Ohren. Wütend schlichen sie beiseite.
-
-Dann rotteten sie sich zu Hauf. Den Siedlern, diesen »gottverdammten
-Hunden« sollte es ans Leder gehen. Die Hitzigsten wollten auf der Stelle
-gegen sie losbrechen. Den Bedächtigen gelang es, den Sturm zu
-beschwören. Aber am Abend, in der Dunkelheit, sollte es den
-Heimkehrenden eingetränkt werden! Daß sie das Wiederkommen vergäßen!
-
-Horst hatte die Augen und Ohren überall. Er ahnte nichts Gutes. Wilde
-Drohworte flogen ihnen zu. Er mußte auch um die Baracke sorgen. Ein
-»giftiges Geschwür« hatte sie einer genannt, tobend mit geiferndem Mund
--- ein Geschwür, das »ausgebrannt« werden müßte!
-
-Die wachsende Wut verhieß auch dem Hof übles für die Nacht. Da bestimmte
-Horst, daß die Maschinengewehre hervorgeholt würden. Zwei kamen nach dem
-Gut, zwei wurden vor der Baracke aufgestellt. Die Arbeiter schäumten.
-
-Die Siedler waren bewaffnet, als sie abends heimzogen. In der Dämmerung,
-aus dem Knickbusch wurden sie beschossen. Kunz, der den Zug führte, ließ
-sofort das Feuer erwidern, dann den Busch stürmen. Die Meuchler hatten
-sich in dem Dunkel zerstreut. Von ein paar Streifschüssen war Blut
-geflossen. Das Blut gab jetzt dem Groll die Überhand und der
-Kampfbegier.
-
-
-
-
- Feurio
-
-
-Gisbert war mit einem Schutztrupp auf dem Hofe zurückgeblieben.
-Verdächtige Gestalten schlichen um die Mauer. Dankwart fand sich ein und
-richtete vor dem Maschinengebäude aus altem Material einen Scheinwerfer
-her. Es war Krieg.
-
-Ruhig verliefen die Nachtstunden. Die Mannschaft wurde schläfrig, da es
-auf den Morgen zuging. Der Himmel sternenlos, dunstig die Luft und
-schwül, unheimlich warm für die Jahreszeit. Kein Hauch regte sich.
-
-Da zuckt etwas durch die Nacht. Ein leichter Windstoß. Tastend, wie
-fragend. Und wieder ein leiser Ruck. Und dann ein kurzes Schnauben. Und
-wieder Stille. Und dann holt der Wind tief Atem, und nun pustet er vor
-sich hin. Erst noch gemächlich, wie zum Spaß und wie für sich selber.
-Dann aber bläst er mit voller Lunge, daß auch die andern was haben.
-
-Noch ist es dunkel, noch wird er des Dunstes und der Wolken nicht Herr.
-Aber der Widerstand reizt ihn und jetzt faucht er zornig sie an. Ein
-junger Frühlingssturm braust in die Welt.
-
-Da -- ein Bersten -- ein Krachen -- als wenn Granaten splittern -- was
-ist es, das sein Ungestüm zerbricht? Ist es an den Gebäuden, ist es an
-den Bäumen des Parkes?
-
-Herrgott! Flammen schlagen auf! Da auf dem Strohdach der Scheune! Es
-sind wirklich Granaten gewesen.
-
-»Feuer!« brüllt der Ruf. Alles ist gleich auf den Beinen. Nach dem
-Spritzenhaus!
-
-In fressenden Streifen peitscht der Wind die Glut über das Dach.
-
-Der Inspektor, halb angezogen, ist zur Stelle. Herr von Borkhus
-erscheint am Fenster -- hinkt eiligst zum Hof hinunter -- der Diener, im
-Hemd, folgt mit den Kleidern -- notdürftig zieht der Herr sich an.
-
-Der Diener hat das Feuerhorn von der Wand im Flur gerissen. Nun bläst er
-von der Schwelle in die Nacht -- immer im weißen wehenden Hemd -- wie
-einer der Cherubim anzusehen.
-
-In der Baracke hören sie den Ruf, der Torfmeister hört ihn, durch die
-Dorfstraße wälzt sich der Schall.
-
-Helfer kommen. Die Spritze ist am Werk. Der Inspektor befiehlt.
-
-In wilder Arbeit -- all die rotbegluteten Gestalten -- die feurigen
-Gesichter verzerrt in fiebernder Mühsal -- das Scheunendach eine
-prasselnde Flamme -- ganze Bündel Feuer reißt der Wind ihm aus -- und
-streut sie auf die Ställe -- die gilt es zu retten, auf ihre Dächer den
-Wasserstrahl! Pumpen! Pumpen!
-
-Und das Vieh in Sicherheit bringen!
-
-Wenn nur der Sturm nicht so mit Flugfeuer wütete.
-
-Ungebärdig die Tiere. Die Pferde keilen und steigen. Angeschirrt sind
-sie, daß man sie halten kann. Wie die Wahnsinnigen toben sie in der
-Sturmflut des Lichtes und der Lohe, reißen an den Zügeln, wollen zurück
-in den Stall. Wie soll man sie bändigen?
-
-Und der Sturm peitscht weiter die Feuer in fliegenden Fetzen --
-
-Pumpen! Sie pumpen sich die Seele aus dem Leib.
-
-Der Pferdestall ist der Scheune am nächsten. Schon siedeln sich
-Feuerkreise an auf seinem Dach. Wie lange noch wird der Strahl sie
-austilgen können? Das Wasser verdunstet im Gluthauch.
-
-Und gewaltiger wird der Höllenschlund der brennenden Scheuer.
-Feuerwolken wallen aus ihr empor. Durch die glühenden leckenden Sparren.
-Das Getreide ist in Brand geraten und ballt und wirbelt seine Lohe nach
-oben. Wie soll man den Pferdestall schützen gegen diesen Orkan von
-fegenden Gluten?
-
-Männer sind aufs Dach gestiegen -- der heilige Josef sitzt zu oberst.
-Ein Junge ist der Handlanger. Gewandt wie ein Kletteraffe. Eimer werden
-gereicht. Sie gießen und gießen. Gießen sich selbst Wasser über den
-Kopf, über den Leib. Unerträglich ist die Hitze.
-
-Sie müssen hinunter. Der Junge will nicht. Herunterzerren müssen sie
-ihn. Nun taumeln sie auf den Boden, ausgemergelt, welk, kraftlos,
-verdorrt. Auch der Stall ist verloren.
-
-Die hellen Flammen sitzen auf dem Dach und die Männer pumpen, pumpen.
-
-Ist hier nicht alles Tun umsonst? Gegen Sturm und Feuer im Bunde? Der
-Pferdestall -- er wird das Feuer in den Schafstall weitergeben -- von
-dem brausen die Flammen zum Kuhstall hinüber -- und diesem einen großen
-Meer von fressenden Gluten -- wird das Herrenhaus ihm widerstehen? Die
-Vernichtung bricht herein über Moorhof.
-
-Herr von Borkhus steht selbst an der Pumpe -- auch der Torfmeister ist
-da -- auch der lahme Pastor Waermann. Man fragt nicht nacheinander, man
-sieht sich kaum. Man arbeitet nur -- man pumpt und pumpt --
-
-Keiner auch spricht ein Wort, mit den keuchenden, ausgedörrten Lippen.
-Nur kurze, trockene Kommandos des Inspektors schallen, der als
-Brandmeister waltet.
-
-Jetzt -- ein krachendes Getöse -- das Dach der Scheune bricht zusammen
--- einen Höllentanz vollführen die aufgestöberten, befreiten Gluten in
-der tosenden Luft --
-
-Zerstörung -- unaufhaltsame -- zu schwach sind sie, zu wenig -- kommt
-keine Hilfe -- von den andern Gütern -- von der Stadt?
-
-Mehr Spritzen werden gebraucht. Weithin sichtbar das Feuer! Viele Meilen
-in der Runde! Aber auf den Gütern -- auch da wird gestreikt -- sind da
-die Mannschaften zur Stelle? Wagen es die Herren, ihre Feuerspritzen
-fortzuschicken? Droht nicht auch ihnen der rote Hahn? Der Farbenbruder,
-der Parteigänger und Verbündete der roten Gesellen?
-
-Hufschläge auf dem Pflaster des Hofes -- ist das die fremde Hilfe? Nein
--- Pferde, die sich losgerissen haben -- sie stürmen, voran ein
-mächtiger Fuchs, hinein in den brennenden Stall.
-
-O Grauen! Die unglückseligen Geschöpfe! Es wogt durch die Männerreihen!
-Vielleicht ist es noch nicht zu spät --
-
-Zwei Männer stürzen den Tieren nach. Nasse, wollene Halstücher um den
-Kopf geschlungen. Man kennt sie nicht gleich. Alle starren sie, von
-Grauen festgebannt.
-
-Jetzt heißt es: Gisbert und der heilige Josef --
-
-Auch zwei Menschen in dem brennenden Gebäude! Sie pumpen fieberhaft --
-die Augen quellen ihnen aus den Höhlen -- die Gesichter sind
-rauchgeschwärzt -- wie büßende Dämonen sehen sie aus, wie verdammte
-Seelen --
-
-Und starren alle auf die Tür des brennenden Stalles. Da -- ein Paar
-Tiere werden hinausgejagt -- ein Paar hinausgeführt von den beiden
-Männern, die sich nicht auf den Füßen halten -- sie brechen zusammen --
-die Tiere haben sich losgerissen -- sie stürmen im Kreise und dann mit
-gesträubten Mähnen und selbst feuerschnaubend hinweg über die beiden
-hingesunkenen Männer wieder hinein in die Tür, die schon anfängt, Feuer
-zu speien -- wiehernd hinein in den Flammentod.
-
-Jetzt sind Helfer bei den liegenden, überrannten, zertretenen Gefährten.
-Gust Elbenfried steht mühsam auf -- aber Gisbert -- was ist mit Gisbert?
-Aus tiefer Kopfwunde blutet er und ist besinnungslos.
-
-Horst hält seinen Kopf. »Gisbert -- Du Freund aller Kreatur -- Du
-lieber, armer Junge -- und immer unser Sorgenkind --« --
-
-Sie tragen ihn ins Haus. Ein Sanitäter verbindet ihn. Die Wunde ist
-böse.
-
-Ein Arzt muß her zu meinem Jungen! Mag hier der Plunder verbrennen! Die
-Häuser -- das Vieh! Um Gisbert geht es!
-
-Horst holt sich ein Pferd und jagt in die Stadt. An den Goldbergen
-galoppiert er vorüber. Zuschauer stehen auf den Höhen. Feindlich
-gesinnt, da sie nicht helfen. Voll böser Gedanken, mit Verwünschungen.
-
-Dort auf dem einsamen Hünengrab, dem Hügel abseits, eine einzige
-Frauengestalt -- dunkel -- fahl beleuchtet von der fernen Feuersbrunst.
-Kauernd, vornübergebeugt, mit all ihren Sinnen, all ihrem Willen
-schürend in dem Feuerwerk der Vernichtung. Wie der böse Geist des
-nächtigen Unheils.
-
-Vorüber! Was ist ihm das Weib! Nicht sich mit Gedanken beladen! Leicht
-und schnell in die Stadt -- und mit Hilfe zurück zum Jungen. Nur der --
-nur der!
-
-Der Gaul ist verstört von der Feuersbrunst -- so unruhig -- nur ein
-mächtiges Nervenbündel -- und er selbst -- auch ihm zucken alle Fasern
--- sich zusammenhalten -- sich und das Tier -- --
-
- * * * * *
-
-Und jetzt auf dem Hof -- da Gisberts Blut strömte und die Pferde sich
-hinopferten -- als wäre das Schicksal versöhnt -- ein Wunder geschieht
--- die Flammen brausen nicht mehr vorwärts -- sie steigen himmelan --
-sie wenden sich -- der Wind hat sich gedreht -- ein großes, tiefes,
-freies Atmen geht durch all die stickenden Männerlungen -- beschworen
-das Unglück -- gerettet -- gerettet --
-
-Nun donnern Wagen den Hof herauf. Die Feuerwehr aus der Stadt --
-
-Sie ist willkommen. Ablösung ist not. Und der Brand ist noch längst
-nicht erloschen.
-
-Auf der Diele des Herrenhauses ist ein Büfett hergerichtet. Hier werden
-jetzt Stärkungen ausgeschenkt. Strempel ist der Marketender und besser
-hier am Platz als da draußen.
-
-Jetzt, wo die Gefahr bewältigt ist, kann der Baron als Wirt die Ehren
-machen. Noch fiebernd von dem Kampf, geschwärzt wie all die
-Kampfgenossen, gehoben durch die Gemeinschaft über alle Gedankennot. Er
-kippt mit dem Torfmeister einen kräftigen Korn. Und fast fröhlich bebt
-ihm der Sinn, als der Alte von selbst erzählt: junge Arbeiter aus der
-städtischen Eisengießerei wären hier mit Handgranaten im Gelände
-herumgeschlichen -- das wären die Brandstifter, nun und nimmermehr
-Moorhofer Leute!
-
-Da drückte er die Flosse des Alten: »Ich wußt es. Und daß Du, Alter, bei
-mir bliebst! Und Strempel auch! Mit der Treue ist es wie mit dem
-Verstand -- sie ist immer nur bei wenigen gewesen.« Beruhigt blickte er.
-
-Männer kamen und gingen, alle schwarz wie die Teufel. »Ein Negerdorf
-sind wir«, sagte Borkhus, und hatte Lust zu lachen.
-
-Eben brachte Kunz einen Negerjungen herein -- der da oben auf dem
-Dachfirst des Pferdestalles für drei herumhantiert hatte -- und war doch
-ein Mädchen, Vita, das Pfarrertöchterlein im Turnanzug. Ihr Vater
-stelzte hinterher. Da gab es ein Erkennen und Lobsprüche, ungemessen,
-auf die Heldenjungfrau.
-
-Ihr aber ging das nicht ein. »Ist das Heldentum, was einem Spaß macht?
-Heldentum ist, wenn ich Kaffee kochen muß.«
-
-Kunz sprang zu Gisbert hinauf. Er brachte den traurigen Bescheid, daß
-die Besinnung immer noch nicht wiedergekehrt sei. Er werde sich mit
-Horst, der jetzt bei ihm sitze, in der Wache bei dem Freunde teilen. Und
-die Schatten der Todesnähe legten sich mit dunkler Ruhe über die
-aufgestörten noch immer nicht gesammelten Gemüter.
-
-
-
-
- Heil dir, du deutsche Jugend!
-
-
-Horst saß an Gisberts Lager und umfaßte seine Hand. Mit aller Inbrunst,
-die das Leben des zu Tode Getroffenen halten wollte. Der Schädel war
-angeschlagen und zersplittert, eine schwere Gehirnerschütterung hatte
-ihn in Nacht geworfen. Der Arzt gab leise Hoffnung.
-
-Wächsern von dem Blutverlust war das feine Gesicht. Starr gestreckt,
-leblos lagen die edlen schlanken Hände. Frauenhände. Und hatten all die
-Zeit so schwer und treu gearbeitet an männlichem Werk.
-
-Du darfst mir nicht sterben, Junge, Du lieber -- so grub und dachte
-Horst ohn Unterlaß. Sein Wille wühlte und flehte und zwang.
-
-Draußen leuchtende Frühlingsmorgenlust. Durch den geöffneten
-Fensterspalt drangen die Lieder aus schmetternden Finkenkehlen.
-
-Vom Hof her gedämpfte Menschenstimmen. Den Rauch und Ruch von der
-Brandstätte verwehte der Wind nach anderer Richtung. Das da draußen, der
-Ausstand, der Aufruhr -- wie fern lag das alles dem pflegenden Freund.
-
-Bin ich ein Führer? Die Sache will mich -- die Mannschaft wartet meiner.
-Versunken die Sache, die Pflicht, der Beruf. Hier muß ich führen -- die
-gelöste Seele wieder ins Leben führen, das ist mein Amt.
-
-In meiner Hand, die Dich hält, ist mein Wille -- und mein Wille hat
-seine Kraft -- Leben ist mein Wille -- in Deine entseelten Finger ström
-ich es ein --
-
-Die Finken schmettern ohn Unterlaß in den aufleuchtenden Morgen -- stark
-ist das Leben und froh --
-
-Zuversicht -- des Glaubens Frohheit ist des Willens Odem und Herzschlag
--- ich will, daß Du lebst -- ich glaube, daß Du uns lebst -- Gisbert, Du
-geliebter Junge!
-
-Und sieh -- ist da jetzt nicht ein leises Schwingen -- ganz leise unter
-der kalten Haut Deiner Finger -- nur meiner hütenden, Dir ganz ergebenen
-Hand vernehmbar -- aber es ist -- es ist!
-
-Und da -- Hufschläge vor dem Haus -- ein leichter Wagen fährt auf die
-Rampe -- wenn es das ist, wenn eine Nähe mir hilft, Dich zu beleben --
-eine Nähe, die Du ahnst, die Du fühlst -- die Dich zurückruft,
-zurückschmeichelt in das Diesseits --
-
-Ja, eine neue Kraft ist erschienen -- ist ins Haus gekommen -- eine neue
-Hilfe, eine bessere, stärkere --
-
-Steigt nicht ein leichtes Rot in Dein Gesicht? Beben nicht Deine Lippen?
-Zuckt es nicht in den gesenkten Lidern?
-
-Jetzt -- die Tür tut sich auf -- Frau Tilde tritt ein -- jetzt weiß ich
-es, Du wirst gehalten, Du wirst gewahrt, Du wirst gerettet! In ihre Hand
-leg ich Deine Finger. Ihrer Sorge, ihrem Willen, ihrem Glauben
-überantworte ich Dich. Jetzt habe ich die Gewißheit, daß Du lebst!
-
-Tilde ist allein mit Gisbert. Schon hat der Schlaf ihn in die Arme
-genommen, an das Leben ihn wieder auszuliefern. Der Atem fängt an, ruhig
-zu gehen. Der Puls setzt nicht mehr so bedrohlich aus.
-
-Augen wachen über ihm, in die seines eigenen Daseins Licht sich
-eingesenkt hat. Seines Schicksals Sternenglanz bestrahlt ihn. Jetzt hebt
-und trägt es ihn diesem Schein entgegen.
-
-Seine Lider zittern. Ein dünner Spalt -- scheu, angstvoll, ungläubig
-noch lugt der Blick hindurch in die entrückte, unfaßbare Wirklichkeit.
-
-Aber jetzt träufelt und tropft es hinein von dem seligen Glanz -- ein
-glückhaftes Erschrecken -- groß im Offenbarungsschauer tut das Auge sich
-auf -- und jauchzt in den Schein -- und schließt sich dann wieder, müde
-von des Glückes Unendlichkeit.
-
-So gaben Frau Tildes Augen dem todwunden Gisbert das Leben wieder.
-
-Jetzt nach diesem Rettungswerk braucht auch der Vater ihre Hilfe. Von
-all den Erregungen und der krampfhaften Anspannung der Kräfte ist er
-doch zusammengeklappt. Tapfer gibt er sich. Aber die Tochter sieht
-tiefer.
-
-Sie will ein paar Tage hierbleiben. In Mönkhov sei es nicht so schlimm.
-Nur ein Teil der Leute habe die Arbeit niedergelegt.
-
-»Und bei mir alle im Ausstand. Und im Aufstand.« Wie viel Schmerz birgt
-sich unter dem Lächeln.
-
-»Ihr seid hier bei der Stadt. Und Du bist der große Politiker. Du bist
-ein Programm. Du, unser Eckpfeiler, wirst am heftigsten berannt.«
-
-Das gefällt dem alten Kämpen nun wieder. Und er schmunzelt auf: »Gut
-denn! Ehre, wem Ehre gebührt.«
-
-Er hielt sich aufrecht, solange Tilde im Hause war. Die wie ein guter
-Geist hier wirkte. Nur, daß auch sie mit den Leuten keine Fühlung
-gewann. Als ob die sich schämten vor ihr, zogen sie sich trotzig und
-verbissen noch mehr zurück.
-
-Weiter halfen die Siedler. Und sie huldigten begeistert ihrer lieben
-Frau.
-
-Dann wurde ein Teil von ihnen auf einem Nachbargut begehrt. Auch hier
-drohten Gewalttätigkeiten. So ging ein Maschinengewehr dorthin ab.
-
-Für die Feldarbeit aber fand junge Hilfe aus der Stadt sich ein. Doktor
-Georg Stump erschien mit seinen Gymnasiasten, seinen Turnern auf dem
-Plan. Mit dem Lied der Jugend an die deutsche Erde kamen sie angerückt.
-
- Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen
- Du bist der Ausgang, Du das Beginnen!
- Nicht einen Bissen von deutschem Korn,
- nicht einen Tropfen aus deutschem Born,
- Deutschland, daß wir nicht dächten Dein!
- Frei sollst Du sein!
-
-Horst ging das Herz auf. Er liebte die Jugend. Und diese nun, unsere
-Jugend! Was gräbt sich an Nachdenklichkeit, an Bitternis, an heiligem
-Zorn um den Frohmut der hellen Augen.
-
- Wir sind die Jungen, in Not gestählt,
- In Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt!
-
-Doktor Stump tritt wie zur Meldung vor Horst. Nur zwei seiner Zöglinge
-haben sich ausgeschlossen -- der eine aus ehrlicher, verzehrender
-Überzeugung, der andere aus ebenso ehrlicher, verfressener
-Überzeugungslosigkeit. Der Herr Direktor, Freund der Gesten und Feind
-dem Festen, einer von den hochbeinigen Leisetretern habe gewarnt und
-abgewinkt. Aber es seien Ferien, und eigene Entschlüsse gelten.
-
-Horst teilt die Jungmannschaft in Trupps und weist diese den einzelnen
-Gütern zu, die am nötigsten Arbeitskräfte brauchen. An die Spitze der
-kleinen Schar, die für Moorhof bleibt, setzt er sich selbst.
-
-Er nimmt sie gehörig heran. Sie müssen Dung fahren und streuen. Er
-selbst ihr Vorarbeiter -- die Knochen werden nicht geschont.
-
-Sie bleiben die Nacht auf dem Hof. Ein Heuboden ihre Ruhestatt. Sie
-sehen das Bild der Zerstörung. Die jungen Seelen fühlen, wer im Grunde
-die Schuld trägt. Woher die Verzweiflung stammt, die hier gewütet, die
-den Bruderkrieg entfesselt hat. Fluch den Zerstörern deutschen Lebens!
-Dem altbösen Feind!
-
-Zum Feierabend führt Horst sie auf die Goldberge. Erzählt ihnen, was der
-Alte ihm verraten. All die jungen Augen und Ohren lauschen. Und lauschen
-jetzt, ob es in dem Berge klingt. Ja, ja ihnen allen tönt es aus dem
-Grunde!
-
-Sie alle, alle sind berufen! Jubelnd umschlingen sie sich. Blutbrüder
-sind sie. Und singen Schwertlieder.
-
- »Stahl, von Männerfaust gezwungen,
- rettet einzig dies Geschlecht!«
-
-Ein Überschwang von Kraft, von Stolz, von Freude steigt himmelan. Mit
-keuchender Brust, die Augen voll Tränen, verwünscht einer die
-»Dämonenbrut«.
-
- »So lang sie in Germanien trotzt,
- ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!«
-
-Und ein anderer, verzückt in die Weihe seines Schwures -- wir wollen
-nicht, können nicht als Knechte leben! Und können wir nicht siegen, wir
-wollen ihnen zeigen, wie man stirbt!
-
- »Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert,
- hilflos, wie er schon am Abgrund steht.
- Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert,
- Wert der Leiche, die zu Grabe geht!«
-
-Heiliger junger Überschwang! Auch Horst werden die Augen feucht. Heil
-Dir, Du deutsche Jugend -- so jauchzt und schluchzt es in ihm -- heil
-dir, du deutsche Zukunft!
-
-Eine Freundschaft ist geschlossen zwischen den Jungen und Horst, dem
-Mann. Gehärtet im Feuer der flammenden Herzen.
-
-Horst bespricht sich mit Dr. Stump. Die Jungen sollten wiederkommen.
-Auch wenn der Ausstand vorüber wäre. Wöchentlich einmal zu einer Art
-Felddienstübung. Und Kriegsgeschichte wollte er sie lehren im Freien.
-Sie selbst sollten die Schlachten der Vergangenheit sich darstellen. Und
-sollten sich damit entwickeln für die mächtigen Aufgaben der Zukunft.
-Horst, der Doktor, die Jungen -- sie alle waren Feuer und Flamme.
-
-Hier habe ich nun ein neues Feld! Horst atmete tief. Und wenn die alte
-Pflicht mir zu schaffen macht, diese neue wird mir helfen, beide zu
-tragen. Münden sie nicht beide in mein großes Lebenswerk? Die allgemeine
-Arbeitsdienstpflicht mit vorzubereiten! Und aus ihr eine Stamm- und
-Lehrtruppe herauszuschulen, als Mittelpunkt der Miliz, die Deutschland
-haben muß, wenn es leben soll!
-
-Gegen eigene Ermüdung, gegen Verzagtheit, gegen Fahnenflucht -- diese
-junge Mannschaft als eine Art Schutztruppe ziehe ich mir heran.
-
-Eine Schutztruppe auch gegen die schweifenden Gedanken. Die als
-Forschungstrieb, als Mitgefühl, als Seelenanalyse hinaussegeln -- und
-doch das Weib um seiner Selbst willen suchen.
-
-Hier oben, hier auf den Goldbergen hat er sie zuletzt gesehen. Gestern
-in der Brandnacht. Im Schein der Gluten, die ihr Wille, ihr Rachetrieb
-geschürt. Die Feindin! Die im Vernichtungskampf steht gegen seine
-Freunde, gegen ihn! Eine Priesterin jener Glaubenslehre, die Deutschland
-verdirbt, wie sie jede Volksgemeinschaft zerrütten muß.
-
-Zu Euch, Ihr jungen Freunde! Euch und mir und uns gehören diese
-Goldberge. Wie ein Spuk, ein Nachtgespenst schwebte sie über diesen
-Boden, als ich hier vorbeijagte. In dieser grauenhaften Nacht. Vorüber,
-vorüber --! --
-
-
-
-
- Über Gräber vorwärts
-
-
-Frau Tilde war bei Gisbert. Er hatte schon das Bett verlassen und saß im
-Stuhl, so schnell ging es mit ihm nach oben. Dankbar war Gisbert.
-Dankbar trank er das Leben in sich auf. Und leuchtend sprach er: »Wie
-sagt der große chinesische Weise? Was ist der Inbegriff aller Erkenntnis
-und ihrer Freude? Ich atme bewußt. Und wem danke ich es?« Zu ihr hob
-sich seine Hand.
-
-Nichts Heimliches, nichts gesucht Vertrauliches -- die ganze große
-mutige Selbstverständlichkeit sprach. Sie waren beieinander, als hätten
-sie sich von je gekannt.
-
-Tilde sah ihn an, mit der weiten wehen Klarheit ihrer Augen. »Von Vater
-hörte ich eben das Gegenteil. Das »but intoxication«. Wie ist er anders
-geworden! Man ist hellsehend bei denen, die man liebt. Und ich sehe --
-das Schlimmste.«
-
-»Ich fand ihn erfrischt -- durch den Kampf.«
-
-»Das ist der Rausch, von dem er selber spricht. Wie lange kann ein
-Rausch dauern? Ich fürchte mich vor dem Erwachen.«
-
-Schwerer wurden ihre Augen. »Ich bin immer -- schon als Kind -- diesem
-leidenschaftlichen Hang zur Einsamkeit nachgegangen. Das Leben straft
-uns an unseren Leidenschaften. Nun werde ich bald niemanden mehr haben.«
-
-Gisbert bewegte sich zur ihr hin, Ergebenheit bis in den Tod reichten
-seine Blicke ihr dar.
-
-»Und ich hab noch keinem Glück gebracht --« fast warnend sprach sie es
-aus -- »keinem, der mir etwas war -- der mich befreite von meiner Sucht,
-mich in mich selbst zu begraben. Als ob alle es hätten büßen müssen.«
-
-»Gnädige Frau --«
-
-»Ich weiß, das ist wie eine lächerliche Eigenwichtigkeit. Aber, warum
-mußte alle, aber auch alle, die mir nahe standen, diese Zeit
-verschlingen oder zerbrechen?«
-
-»Sind wir nicht alle zerbrochen?«
-
-»Doch nicht so, bis ins Lebensmark. Die mir geblieben sind -- mein
-Vater, mein Mann -- bloße Schatten. Und alles andere ist mir gestorben.
-Meine Freundin, die einzige, die ich hatte -- der Gram um ihren
-gefallenen Mann hat sie ihm nachgezogen. Meine besten Freunde waren
-meine Brüder -- sie sind nicht wiedergekommen. So sieht es um mich aus.«
-
-Du sollst nicht klagen, Du sollst nicht traurig sein -- machtvoll
-sehnsüchtig klang es in Gisbert auf. Und ein Glück trug ihn empor. Daß
-Du so zu mir sprichst! Dich so mir offenbarst! Ich bin Dir etwas -- Du
-fühlst, wie alles, was ich bin, Deinem Wesen zuströmt! Dir dienen will
-ich, mit allem, was ich bin! Dir geben, alles, was ich habe! Dir, Dir,
-Du Schmerzensreiche, Du Gebenedeite!
-
-Sie spürte die schwärmende Glut. Sie selbst mußte ihr wehren. Ihre
-Sehnen strafften sich. »Gut, daß die Arbeit auf einem liegt. Unser alter
-Inspektor ist der Sache nicht mehr gewachsen. Und Achim --« ein weher
-Zug grub sich ein -- »bereitet sich auf ein großes Match vor. Dennoch
-hätte ich Vater gern was von seiner Bedrängnis abgenommen. Wir sind
-glimpflich davon gekommen. Obwohl wir uns das Schlimmste vermuteten.
-Oder deshalb? Wie ist Vater, der gutgläubige, für seine Einbildungen
-gestraft.«
-
-Herr von Borkhus kam jetzt, sich selbst nach Gisbert umzusehen. Er war
-aufrecht, in fester Haltung, berichtete von dem Ausstand, daß die
-Nothilfe der Gymnasiasten die Wut frisch aufgepeitscht habe, und als
-Neuestes -- ein ehernes Lachen klang in seinen Worten -- daß Strempel
-sich weigere anzuspannen und den Herrn zu fahren.
-
-»Strempel!« Wie geisterhaft tönte es zurück aus Frau Tildes Mund. Ihre
-Augen forschten erschreckt in des Vaters Zügen. Die blieben hart.
-
-»Ja, Kind. Oh, wir brauchen noch viel Belehrung.« Geradezu ausgelassen:
-»Sag Mädel, bin ich nicht einfach gereist auf den Mann? Schaubudenhaft?
-Habe ich mich nicht mit ihm dem Publikum gezeigt? Hier seht Ihr es,
-meine Herrschaften! Es gibt ein Glück des Gehorchendürfens! Sofern der,
-der befiehlt, auch selber am rechten Ort zu gehorchen weiß. Es kann ein
-freies und stolzes Wort sein: >ich dien<! Ja, Kind, nun ist die
-Schaubude umgeweht. Komplett.« Und er lachte ehrlich.
-
-»Vater --«
-
-»Und jetzt -- Herrgott, ganz jung wird man wieder! Was war für mich als
-kleinen Bengel die größte Lust? Selber anspannen! So tue ich's also
-jetzt wieder und fühl mich als Junge. Ich muß heute noch nach Trent.
-Besprechung der Besitzer. Der Korpsgeist hat nun den Stoß, den er
-braucht.«
-
-»Ich fahre Dich, Vater.«
-
-»Kannst mitkommen. Du gehörst ja auch dahin. Oder ist Achim da?«
-
-»Nein. Achim -- übt.«
-
-»Nun, dann komm. Auf Wiedersehen, Herr Hegendorf! Und weiter steife
-Ohren.« --
-
-Der Ausstand war zusammengebrochen. Die Führer wüteten. Die
-Industriearbeiter in der Stadt höhnten. Es fehlte diesen »Landlümmeln«
-doch an Schwungkraft und Kampfdisziplin.
-
-Doch aller Haß und Zorn brandete gegen die Siedler. Diese Klopffechter
-des Rückschritts, die der dunklen Sache den Sieg verschafft hatten. Aber
-wir werden es Euch eintränken! Wenn wir die Führer nur fassen! Und wir
-fassen sie. Und dann an die Chausseebäume mit ihnen!
-
-Die Moorhofer Leute fanden sich wieder zur Arbeit ein. Mit einem Lächeln
-sah Herr von Borkhus dem allen zu. Aber seine mächtigen Augen froren
-darüber hin, wie über ein Schauspiel, das ihm innerlich nichts zu geben
-hatte. Und das Lächeln, wie vereist, schwand kaum mehr aus seinem
-Gesicht.
-
-Nicht als Strempel sich wieder zum Dienst meldete, hündisch, verbogen
-und verkniffen. Sie wären alle »komplett verrückt« gewesen.
-
-Steinern machte Herr von Borkhus noch einmal die Runde über seinen
-verwüsteten Hof. Wie er dann abends bei Tisch saß, der Horst, Kunz und
-die neuen Helfer von der Siedlermannschaft als Gäste sah, war er der
-liebenswürdigste Wirt, dankte »seinen Freunden«, sprach aber sonst kein
-Wort von dem, was seinem Moorhof geschehen war. So daß auch die andern
-davon schwiegen.
-
-Statt des, mit einer eigenen eisenkalten, eisenharten Ruhe, wie der Wut
-zum Trotz, die all die Zeit in ihm gebrannt und gefressen hatte, führt
-er selbst die Rede zu dem, was die deutschen Herzen zermalmt. Blickt er
-selbst mit großen, freien, klaren Augen, in denen der unzähmbar wilde
-Grimm sonst wühlte, dem Erbfeind ins Gesicht. Eine schmerzlich stille
-Überlegenheit ist in seinen Worten. Ein fast verklärter Trieb, der
-Wahrhaftigkeit ein letztes Opfer zu bringen.
-
-»Man wird gestraft an dem, wofür man seine Schwäche hat. Was sind wir
-dem Franzmann immer nachgelaufen! Wer von uns, der nicht -- oft unter
-eigenem Widerstreben -- eine Art Zärtlichkeit für Frankreich gehabt
-hat!«
-
-»Ich!« rief Kunz frei und hell. »Stets habe ich wie unser Blücher
-gefühlt: >dies Volk ist mir zuwider<.«
-
-Borkhus hielt, Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit, fest an seinem Gedanken.
-»Und doch frage ich: auf wen haben die geistigen Reize Frankreichs nicht
-gewirkt? Nicht nur die Stilkraft seiner Mode -- die ganze heitere
-Beweglichkeit seines impulsiven Wesens, das in allen Widersprüchen
-schillert!«
-
-Horst stand ihm bei. »Weiß Gott, langweilig war das Volk nie. Dem alles
-ins Schrankenlose, ins Absolute sich überspannt. Absolut in seiner
-Mathematik, seinem Rationalismus, absolut in seiner Mystik. Das Land des
-absoluten Cäsarentums und der absoluten Freiheit. Im Absolutismus
-knieend, wie mit Bewußtsein, um sich im Individualismus zu befreien.
-Immer taumelnd von Aktion zur Reaktion, aber immer aktiv und immer
-radikal. Immer das Umschlagen von der Hingabe zur Auflehnung, von der
-Pietät zum Umsturz. Stets im Gegensatz zu sich selber.«
-
-»Und dabei immer auf Wirkung bedacht, und immer der Wirkung sicher«,
-ergänzte ihn Borkhus wieder. »Der glänzendste Regisseur seiner selbst.
-Denn Theater -- Theater ist ihm nun einmal die Welt, die Geschichte.
-Gewiß, das ist kokett, gefallsüchtig --«
-
-»Weibisch«! schmetterte Kunz darein.
-
-»Ohne Frage«, vermittelte Horst. »So wahr die Frau stets im Mittelpunkt
-der französischen Kultur, auch der französischen Politik und Geschichte
-gestanden hat. Aber auch hier eine Spannweite, wie sie monumentaler
-nicht gedacht werden kann -- von einer Jeanne d'Arc über die Heloise zur
-Maintenon! Auch hier die klassischen Extreme. Auch hier die Größe der
-Antithese. Und in der Bewegung, die sie überwindet, der leichte,
-unbekümmerte, heitere, spielende Flug.«
-
-Für Kunz war das Maß zum Überlaufen voll. »So sind wir also einmal
-wieder objektiv. Und die deutsche Gerechtigkeit darf sich in die Brust
-werfen. Gut. Über das Frankreich von einst mag man so denken. Wer aber
-heute bei uns von der >Schwäche für dieses Volk< nicht geheilt ist« --
-er sprach mit ungehemmter Leidenschaft -- »der ist vermorscht und
-verfault durch die Knochen hindurch bis ins Mark.«
-
-Sie ließen gern sein ehrliches Ungestüm gewähren. Der Baron fragte dann:
-»Sie haben in der französischen Gefangenschaft ihre besonderen
-Erfahrungen machen können?«
-
-»Das habe ich. Und ich freue mich, daß ich der grande nation so habe an
-den Puls fühlen können. Ehre und wiederum Ehre der deutschen Sprache,
-daß sie kein Wort hat für das, was Franzosen an deutschen Gefangenen
-verübt haben! An wehrlosen, kranken, blutenden, hungernden Gefangenen.
-Die Franzosen haben ein Wort dafür. Sie nennen sich >ritterlich<, sie
-nennen sich >großmütig<. Gegrüßt seist du, französische Ritterlichkeit!
-Die Gefangenen, verdurstet, verwundet, lahm, zerlumpt -- mühselig wanken
-sie vorwärts durch die Gassen. Das Volk strömt herbei -- Männer, Weiber,
-Pfaffen, Kinder -- mit Steinen, mit Schmutz, mit Spaten, mit Knütteln
-werden die Hilflosen bearbeitet. Wer am Boden liegt, wird ausgeraubt.
-Ein Triumphgeheul der Sieger in so gloriosem Kampf! Sei gegrüßt,
-französische Großmut! In Kellern, die unter Wasser stehen, auf
-Mistlagern ist das Nachtquartier. In schmierigen Konservenbüchsen wird
-stinkige Brühe gereicht, die der Ekel fortschüttet. Und die
-Wachmannschaft -- die Soldaten -- Kämpfer, die Kämpfer geleiten -- nicht
-wahr, unter der Waffe ist Ehre -- sie wehren dem Graus? O nein, sie
-grinsen dazu -- sie grinsen. Sei gegrüßt, französische Ritterlichkeit!
-Ihr müßt sie ja kennen, ihr Franzosen, die ihr sie benennt! Aber hoch
-preise ich mich, daß auch ich das Brandmal trage, von französischer
-Großmut mir eingepreßt. Immer brennt es, immer flammt es in
-Feuerschrift! Bei mir, wie bei Tausenden! Niemals, so lange wir atmen,
-werden wir aufhören, Zeugnis abzulegen von französischem Geist! Denen,
-die nicht sehen wollen, werden wir in den Augen liegen mit unserem
-Flammenmal! All denen, die nicht mit dem zufrieden sind, was sie hier zu
-Lande jetzt am eigenen Leibe erleben! Und heil uns, heil Deutschland,
-daß wir diesen, diesen Nachbarn haben! Was die deutsche Seele nicht aus
-sich selbst vermag, er, er wird es vollbringen! An französischer
-Ritterlichkeit wird die deutsche Seele genesen und sich erheben!«
-
-Borkhus -- wo war die Verklärung geblieben, die objektive Erhabenheit?
--- er reichte Kunz mit brennenden Augen stumm über den Tisch seinen
-machtvollen Händedruck.
-
-Und weiterhin ließ Kunz seine Munterkeit aufmarschieren.
-
-»Natürlich fehlte es uns nicht an Komödien. In diesem Lande der
-Komödianten. Wir kamen als Gefangene nach Südfrankreich, in ein altes
-Kastell. Sein Kommandant ein uriger Knochen, giraffenlang, mit ewig
-wiederkauenden Kinnladen -- seine Untergebenen nannten ihn denn auch
->camé léopard< -- die blaue Nasenspitze wühlte in dem verbasten grauen
-Schnauzbart, nie machten die tranigen Augen die Läden auf -- und immer
-in Sprit! Ein doller Don Quichotte. Und kam sich als der Kriegsgott vor.
-Hatte denn auch als wahrhaft solcher seine Geistesgegenwart in allen
-Schlachten durch Abwesenheit des Körpers dokumentiert. Nun waren außer
-mir noch ein paar schwere Jungen da -- Hatz von der Brah, der bekannte
-Rennreiter, der Munterste. Und in einer Nacht heckten wir wieder einmal
-was aus. Eine klobige Metallsache -- als Zauber im Morgennebel gedacht,
-dem Alten zu Ehren. Alle eisernen Öfen wurden mobil gemacht, samt allen
-Ofenrohren. Kanonen wurden aufgebaut in dem Hof. Unter den Schlafdecken
-machten Kameraden die Gäule, die wir bestiegen, unsere blechernen
-Waschschüsseln als Stahlhelme auf den Häuptern, die eisernen Ofenhaken
-als Schwerter zu Händen. Die wachthabenden poilus hielten sich den Bauch
-ob dem hahnebüchenen Ulk, sie gönnten ihrem Leopardenkamel unseren
-Streich. Und jetzt, wie wir uns aufgestellt haben, da brüllen wir los
-»Deutschland, Deutschland über alles!« Da oben, der Alte ans Fenster,
-visionär klappen die blöden Glotzaugen auf -- Entsetzen -- er schreit:
-aux armes! aux armes! -- fährt in die Kleider, verliert das Herz in die
-Hosen und die Hosen mit dem Herzen. Erst als seine Soldateska sich
-ausgekugelt hat und wir wieder unschädlich gemacht sind, traut er sich
-in unser Verließ. Wie es sich gehört, kommen die Übeltäter ins Prison,
-wir Rädelsführer in schweres. Und das ist unser Glück -- Hatz und ich
-brechen aus. Wie wir uns dann zur Front zurückgefunden haben -- durch
-Mittelfrankreich hindurch, das ist ein Kapitel für sich. Und das
-Verdienst von Hatz. So was wie den hat die Welt nicht mehr gesehen. Der
-häßlichste Kerl, und hatte doch alle Weiber am Bändel. Fröhlich wie ein
-Buchfink, sittenlos wie ein Sperling -- und ein Sprachgenie. Sobald er
-ein Mädel geküßt hatte, redete er ihre Mundart. Sein Patois war unser
-Schutzengel. Nun, von dem allen erzähle ich ein nächstes Mal.«
-
-Es gab noch Dienstliches anzuordnen. Die Siedler verabschiedeten sich
-und brachten ihre Maschinengewehre nach Haus. Horst war der Letzte bei
-Herrn von Borkhus.
-
-Er hatte das Gefühl, als wollte der Baron ihn noch bei sich behalten und
-mit ihm sich aussprechen. Die Hand und auch die Augen ließen ihn nicht
-gleich los. In denen war wieder diese stille Gehobenheit, diese geklärte
-Ferne. Und dann drängte es in ihnen wie ein Bekennenwollen.
-
-Jetzt aber versank Borkhus ganz in sich hinein und sprach leise zu dem
-jungen Freund: »Sie sind müde -- es waren harte Tage. Ich bin es auch --
-sehr müde.« Damit sagten sie sich Lebewohl.
-
-Gleich nach Mitternacht war es, da wurde Gisbert durch einen Schuß
-geweckt. Im Hause war er gefallen. Träumte etwas nach in seinem Ohr?
-
-Ein stilles Lauschen in allen Räumen -- dann lebt es auf, da und dort --
-Türen gehen -- über die Dielen huscht es -- jetzt ein erstickter
-Aufschrei -- aus dem Arbeitszimmer des Herrn --
-
-Gisbert soll noch nicht aufstehen. Aber es duldet ihn nicht auf dem
-Lager. Er kleidet sich notdürftig an. Geht auf den Korridor. Da kommt
-ihm der Diener entgegen mit irrem Blick -- »Herr Baron -- erschossen --«
-stammelt er -- fassungslos irrt er um sich selbst --
-
-Gisbert geht in das Zimmer. Hier liegt Herr von Borkhus den Kopf auf dem
-Schreibtisch. Aus der Schläfe strömt das Blut. Der Körper ist starr und
-tot.
-
-Gisbert kann sich kaum auf den Beinen halten. Aber das Geschehene spannt
-ihn ein. Er gibt die Anordnungen. Zu Frau von Mönkhov, zu Horst soll
-geschickt werden. Auch zum Arzt, obwohl hier nichts mehr zu helfen ist.
-
-Und nun kauert er nieder, er selbst zum Hinsterben schwach, der Kopf
-hohl, das Herz tonlos und flackernd. Selbst ohne Besinnung starrt er auf
-den Entseelten und hält, ein Lebloser, die Totenwacht.
-
-So findet ihn Horst. Der nichts eher zu tun hat, als ihn ins Bett zu
-schaffen und ins Leben zurückzurufen. Dann, da der Puls wieder Dienst
-tut, wenn auch noch unwillig, kehrt Horst in das Totenzimmer zurück.
-
-Das Personal hilft ihm, die Leiche aufs Ruhebett legen. Er drückt die
-schweren Lider zu über die machtvollen Augen, die grauenhaft klagenden
-und drohenden Augen. Und hält stille Andacht.
-
-Dann geht er an den Schreibtisch, den blutüberströmten. Ein Album liegt
-da, schwarzgebunden. Auf die Blätter sind Drucksachen geklebt.
-Zeitungsausschnitte zumeist. All die Dokumente der Erniedrigung, der
-Beschimpfung, der Entehrung, der Plünderung, Verstümmelung und
-Folterung, die dem wehrlosen Deutschland angetan -- tagtäglich -- von
-den trunken zuckenden und gierenden Feindeshänden -- sorgsam gebucht
-seit Anbeginn.
-
-Ein Blutbach hat sich über das weiße Papier ergossen, das vom Schwarz
-des Einbanddeckels gerahmt ist. Von selbst zog es Horst durch den Sinn:
-schwarz-weiß-rot -- die schwarz-weiß-rote Not! Sie hat Dich zum Sterben
-gebracht.
-
-Neben dem Album liegt eine Zeitung. Eine Stelle ist angestrichen,
-bestimmt für die Sammlung, aber nicht mehr hineingelangt. Das letzte --
-heut abend hat er es gefunden.
-
-»In Boppard a. Rh. wurde eine Schülerin vor den Augen ihrer in Grauen
-erstarrten Mutter von einem der schwarzen Franzosen genotzüchtigt.«
-
-An den Rand hatte in wildem, ehrlichen, gedankenlosem Ungestüm seine
-Hand die Worte geworfen: »Hin nach Boppard!« Wie mußte es gezuckt haben
-in der Hand, in dem Herzen!
-
-Herrgott ja, und wem gehen dabei nicht die Sinne durch. Und nur eines,
-eines nur von endlos vielem! Dies war es, was Hartwig von Borkhus
-überwältigte, was ihn in Verzweiflung warf und aus dem Leben.
-
-Das Blutbuch -- der Zeuge Deines Unterganges. Um Deutschland bist Du
-gestorben -- und auch für Deutschland! Wir werden Dein gedenken!
-
-Wie einen Fürsten haben sie Hartwig von Borkhus beigesetzt. Die ganze
-Landschaft hatte zur Trauerfeier sich eingefunden. Pastor Waermann
-sprach die Abschiedsworte. So klangen sie aus: »Dein Tod ist ein Schrei,
-ist ein Ruf, der niemals verhallen wird. Deutsches Ohr wird ihn
-weitergeben an deutsche Lippen. In deutschen Herzen werden sich die
-Feuer sammeln. Bis der Tag kommt, wo die Flammen zum Himmel auflodern.
-Die Geister der Entschlafenen werden mit uns sein! Ihr Heerbann wird uns
-voranleuchten! Für uns aber, die Lebenden, die wir nichts vergessen, die
-wir treu bleiben jedem, der unser war, heißt die Losung, die harte und
-gerade: Über Gräber vorwärts!«
-
-
-
-
- Verstehen!
-
-
-Gisbert, nach der Todesnacht, war immer noch nicht außer Gefahr. Auf dem
-Friedhof, während der Grabrede, war es plötzlich wie ein wahnsinniger
-Schreck blitzartig durch Frau Tildes verdüstertes Gemüt gefahren: der
-Tote zieht den kranken Hausgenossen nach sich. Und durch all ihre
-Trauer, ihren Gram immer wieder dieser zuckende Gedanke. Es lag ihr auf
-der Seele, dies Furchtbare: alle sterben sie mir hin! Und es hetzte sie
-aus dem Schmerz in die Angst.
-
-Wie sie nach Hause kommt, geht sie gleich zu ihm hinauf. Sie findet
-ihren Kranken in tiefstem Schlaf. Der Arzt, der im Trauergefolge ist,
-und noch einmal vorspricht, erklärt ihr, wenn etwas, gäbe dies die
-Aussicht auf Wiederherstellung. Jetzt kann sie gleichsam wieder ausruhen
-in ihrem Schmerz um den Vater.
-
-Sie blieb in Moorhof. Achim fuhr noch am selben Abend nach Mönkhov
-zurück. Nun saß sie am Arbeitstisch des Vaters, an dem Platz, wo er
-»lieber seine Form zerbrochen« hatte. Sie fing an, gedankenlos, mit
-leeren Augen und müden Händen die Schriftstücke zu ordnen. Da ließ Horst
-sich melden. Er bat um die Erlaubnis, sich noch einmal nach Gisbert
-umsehen zu dürfen, kam zurück mit dem Bescheid, daß der immer noch fest
-schlafe, und saß nun auf Frau Tildes Geheiß bei ihr nieder.
-
-Immer wieder sprachen sie von dem Toten. Von seinem großen
-sozialpolitischen Gedanken: der Ernährung des deutschen Volkes aus
-deutscher Scholle. Ein Zweig dieses Baumes war seine Zärtlichkeit für
-den Siedlungsgedanken gewesen.
-
-Horst war schwer betäubt. Ihm fehlte der Freund, seinem Werk der Vater
-und Berater. Wieder fiel die Schwermut ihn an. Und die alten inneren
-Zerwürfnisse kamen. Erst kämpfend erhob er sich zu der Kraft: nun gerade
-aushalten! Jetzt doppelten Einsatz des Wollens und Schaffens! Gilt es
-nicht auch, ein Vermächtnis hier zu erfüllen?
-
-Und von einem Vermächtnis sprach auch Frau Tilde. Wenn etwas, sei von
-der Hinterlassenschaft des Vaters das Siedlungswerk ihr ans Herz
-gewachsen. Und so viel an ihr liege, wolle sie an ihm mitarbeiten, nach
-ihrem schwachen Vermögen. Dankbar küßte ihr Horst die Hände. --
-
-Er hatte heute noch einen Krankenbesuch zu machen, der alte Torfmeister
-hatte sich gelegt.
-
-Ein Grab hatte er diesmal nicht zu schaufeln gehabt, die Borkhus besaßen
-ihr gemauertes Erbbegräbnis. Aber gewiß hätte er bei der Bestattung
-seines Lehnsherrn nicht gefehlt, wäre ihm nicht das mörderischste
-Frühjahrsrheuma in die alten Gelenke gefahren.
-
-Horst fand ihn hilflos hingestreckt. »Das kommt, weil meine Wieselchen,
-meine Hermännchen, mir aus den Stiefeln gewutscht sind -- hinaus in den
-weiten Frühling. Nun ist der Giftwurm bis in die Scharniere gekrochen. O
-Du Grundgütiger -- es ist zum Posaunenblasen schön!«
-
-Der Alte durfte nicht so allein bleiben. Vielleicht, daß Lona der Pflege
-sich annehmen konnte. Horst, den geschäftliche Besprechungen in die
-Stadt riefen, übernahm es, sie zu benachrichtigen.
-
-Durch den strahlenden Frühlingsnachmittag schreitet er. Wie leuchtet der
-Himmel, wie segnet er die Fluren! Wie schön ist das deutsche Land!
-Sollen Sklaven es bewohnen?
-
-Immer das eine! Und immer daran denken! Und immer, immer davon reden!
-»Eine Nation, die es nicht wagt, kühn zu sprechen, wird es noch viel
-weniger wagen, kühn zu handeln.«
-
-Wir haben die Worte, unsere Großen haben sie uns vorgedacht, uns
-vorgesprochen -- wir haben die Taten, unsere Helden haben sie uns
-vorgelebt. Wir brauchen ihnen nur zu folgen, sie nehmen uns ja an die
-Hand.
-
-Welches Volk hat eine Sprache, die so viel sagen kann, so viel singen
-wie unsere. Und seine Geschichte -- ist sie nicht seiner Sprache wert!
-Wie seine Denker und Sänger sind seine Helden!
-
-Was sind wir reich! Wir brauchen nur die Hände aufzumachen, und sie
-quellen über von Schätzen! An die uns die Räuber nicht rühren können!
-Was sind wir stark! Unsere Lungen atmen die Kraft unserer Geschichte --
-in unserem Blut brausen die Flammen, die in den Augen unserer Helden
-brannten!
-
-Dasselbe Feuer, dieselbe Tat! Wie können wir -- wir in der Knechtschaft
-bleiben. »Eure Ketten zerbrechen wie Glas!«
-
-An den Goldbergen kommt Horst vorbei. Um den höchsten Gipfel fliegen die
-Raubmöven. Noch fliegen sie. Aber die Stunde der Auferstehung naht. Das
-deutsche Meer wird wieder deutsch sein. In deutscher Flut werden die
-weißen Fittiche sich spiegeln. Deutsch das Meer und deutsch das Land --
-Deutschland, mein Deutschland!
-
-In der Stadt traf Horst viele von seinen jungen Freunden. Leuchtende
-Augen grüßten sich. Die Siedlungsgeschäfte, die er zu besorgen hatte,
-zeigten heute ein weniger unfreundliches Gesicht. Er trat guten Muts,
-unbefangen, ohne zu grübeln und zu wühlen den Weg zu Lonas Wohnung an.
-
-Sie hatte zwei Zimmer in einem der alten malerischen Häuser, die von
-Kletterrosen besponnen an das alte Tor sich lehnen und mit träumenden
-Augen über die verfallene Stadtmauer lugen.
-
-Ihre Wirtin, eine flüsternd beredte Küsterwitwe mit blendend weißem
-Scheitel, hatte ungefragt nur Lobsprüche für Lona, obschon deren
-politisches Treiben sie mit unsäglichem Entsetzen erfüllte. Daß ihr
-ganzes Herz den Armen gehöre. Ohne Entgelt gebe sie begabten
-Volksschülern Klavierunterricht. Jetzt sei sie Tag und Nacht als
-Pflegerin tätig, da in der Stadt eine Kinderkrankheit herrsche. Sie habe
-eben Bescheid geschickt, daß sie auf ein paar Stunden nach Hause kommen
-werde.
-
-Als Horst an die Wirtin die Bitte des Alten ausgerichtet hatte und sich
-verabschieden wollte, trat Lona auf den Flur. Sie führte den Besuch zu
-sich hinein, während die Hausfrau in die Küche ging, das Essen zu
-bereiten.
-
-Müde vom Nachtwachen lagen ihre Augen. »Wie geht es Ihren Kranken?«
-fragte Horst.
-
-»Zwei Kinder sind mir gestorben.« Dann blickte sie fest gradaus und sie
-sagte hart, bewußt, wie gerüstet: »Und auch Sie haben einen Todesfall«.
-Sie hielt nun einmal nicht hinter dem Berge.
-
-Nie hat Horst so wechselnde Empfindungen in eines Menschen Antlitz
-gesehen. Hier war der blutige Rausch einer Genugtuung -- ein wildes
-Hochgefühl, darob, daß die Inbrunst eigenen Wünschens, eigener
-Verwünschung das Schicksal gelenkt hatte -- und wieder eine Angst ob
-dieser dunklen Macht -- die Müdigkeit einer Sättigung -- ein Zug scheuer
-sich versenkender Reue -- und über allem blieb etwas von der Charitas,
-ein Priesterliches, das der Umgang mit dem Tode verleiht.
-
-Horst war auf den ersten Blick zurückgefahren und hatte sich verschanzt
-in sich selbst. Tot der Freund -- und hier dessen Todfeind, über den Tod
-hinaus. Was kann es für ihn geben als zornige Abkehr und ein Schweigen
-in Haß!
-
-Aber das, was in ihren Zügen, in ihrem Wesen selbst die Erlösung suchte
-aus einer Qual, das blieb nun doch das Mächtige über ihn.
-
-Haß -- Haß gegen Dich -- Du bist eine Deutsche! Ich habe keinen Haß für
-Volksgenossen. Ich will sie verstehen, nicht sie verfolgen. Mitleid kann
-ich mit ihnen haben, ja ich kann mich ihrer schämen und darum gegen sie
-mich auflehnen. Aber hassen -- unsern Haß halten wir fein säuberlich zu
-Rate, er gehört den andern!
-
-Und ihr gemeinsamer Freund Lud Uhlenbrook führte sie beide nun gar auf
-denselben Weg.
-
-Diese Nacht, so beantwortete sie die Bestellung, müsse sie noch
-hierbleiben. Bei einem Kinde, einem Zögling von ihr, gehe es auf Leben
-und Tod. Morgen komme sie dann zu dem Alten. Und sie wolle sich so
-einrichten, daß sie mehrere Tage bei ihm hausen und ihn gesund pflegen
-könne.
-
-Sie sprachen beide zärtlich über den alten Lud. Ihre Gemeinschaft gab
-Horst ein Recht, sich in dem Zimmer umzusehen.
-
-Die Wände waren mit Bildern bedeckt -- vom jüngsten Geiste waren sie --
-er wußte, von wem sie stammten. Von ihrem Freunde, dem hier getöteten,
-dem hier begrabenen.
-
-Sie fing die Blicke des Beschauers auf, sie fand in ihnen das
-Befremdete, das unsichere Flackern, das Ratlose -- das Verständnislose,
-wie sie es sich nannte. Erst wollte sie mitleidig schweigen. Aber Horst
-war ihr nun einmal immer näher gekommen -- galt er ihr nicht eines
-Bekehrungsversuches wert? War hier nicht vielleicht das Tor, das am
-ehesten sich auftun ließ, ihn hineinzuziehen in ihre Welt? Die
-Proselytenmacherin regte sich nun doch.
-
-»Sie wissen mit dieser Kunst nichts anzufangen?« fragte sie, eine
-gewisse Hilfsbereitschaft im Ton.
-
-»Da ich meinerseits hier durchaus in den Anfängen bin, muß ich schon um
-Nachsicht bitten. Zunächst dringt es wie ein Geschrei von Farben auf
-mich ein. Von Farben, die die Form verschlingen. Und -- sie wieder von
-sich speien.« Er nahm ganz und gar kein Blatt vor den Mund. Sie aber
-konnte das gut vertragen.
-
-»Für den Anfang ist das gar nicht so schlecht«, sagte sie. »Wenn Sie
-näher hinsehen, werden Sie erkennen, wie die Farben es sind, die die
-Form sich schaffen -- Sie werden die Visionen, die Gesichte der Farben
-erleben, und dann fassen Sie den richtigen Grund.«
-
-Horst vertiefte sich mit bereitwilliger Unbefangenheit. »Ich gebe zu,
-ich sehe hier eine Energie, die über den Raum hinauswill --«
-
-»Das ist es«, sagte sie lebhaft, beinahe freudig. Und werbend fügte sie
-hinzu: »Darauf kommt es ja an, auf die Überwindung der Körperlichkeit,
-des empirischen Daseins. Mit Naturerlebnissen, mit Sinnenerlebnissen hat
-die wahre, die geistige Kunst nichts zu schaffen. Für sie gilt nur der
-Genius innerer Gesichte. Sie hat mehr als das Schöne, Glatte, Abgeklärte
-der Natur, als die artikulierten Laute der Sinnenwelt. Sie lebt in der
-gewaltigen, noch unentwirrten, rätselvollen, gespensterhaften
-Unwirklichkeit. Chaotik ist ihr Wesen. Nur in dieser kosmischen
-Vitalität kann spirituelle Kunst atmen!«
-
-Sie war ganz hingenommen von ihrer Lehre und deren beredtem Rüstzeug,
-sie stand in der Glut ihrer Worte, der Glut und dem Rauch, halb
-Priesterin, halb Dozentin. Und ein Junges, Mädchenhaftes war dabei --
-freudig nahm Horst es hin -- etwas vom Fanatismus der höheren
-Töchterschule.
-
-Er vergaß erst die großen Worte ob diesem Reiz fast verschämter
-Glaubensleidenschaft. Dann aber stiegen ihre Worte wieder empor, in der
-unerbittlichen Großartigkeit.
-
-»Chaotik« -- klang es ihm im Ohr. Chaotik -- reimt sich auf Gotik -- und
-ist als Schlagwort gewollt und gemünzt. O was für gewaltige Blöcke
-werden hier gewälzt, titanenhaft. Nur müssen sie als Trümmer liegen
-bleiben -- es wird nicht gebaut. Bauen ist räumlich, ist Form. Die reine
-Kunst aber und was mit ihr zusammenhängt, muß formlos sein oder sie ist
-nicht!
-
-Schwer schüttelt Horst den Kopf -- auf den er sich stellen müßte, um
-hier mitgehen zu können. Formung, Bindung, das ist und bleibt ihm aller
-Kunst Wesenheit. Das Stammeln von Urlauten ist ihm keine Sprache.
-
-Aber, da er sich aufs neue in die Bilder versenkt, räumte er ein,
-gutwillig und gerecht: »Ganz gewiß spüre ich hier eine machtvolle
-Sehnsucht -- einen, sagen wir, stürmenden Überschwang des Fühlens --«
-
-»Nun also!«
-
-»Aber es ist nun mal -- wie sag ich -- die Verzückung einer Qual -- eine
-krampfartige, fallsüchtige Verzückung -- wie ein Sichselbstzerreißen und
-wie ein Tauchen der Hände ins eigene Blut!«
-
-»Recht so! Nur so, nur so kann man schaffen!«
-
-»Etwas, was uns jagt und verfolgt! Wovor man sich schützt! Was tue ich
-mit einer Kunst, wenn ich mich von ihr mit Händen und Füßen befreien
-muß! Die Kunst soll mich befreien!«
-
-Sie hob abwehrend die Hand. »Wie alt ist das! Ein Golgatha ist die Kunst
-und soll auch unser Golgatha sein. Nur kein irdisches, ein kosmisches
-Golgatha. Aber ich geb Sie längst nicht verloren. Hier ist nun der
-Scheideweg für alle denkenden Wesen. Nicht bloß in der Kunst, auch im
-Leben.« Und mit einem Schlagwort mußte sie schließen. »Jeder hat sich zu
-entscheiden, ob er die Kosmik will oder die Kosmetik. Ob das
-Nivellieren, das Glatt- und Schönmachen in den hübschen Kompromissen von
-Gesellschaft, Staat und Kirche -- ob das Ausschwingen des Geistes in
-Weltenweite!«
-
-Kosmik -- Kosmetik -- das nenne ich einen Abgang, dachte Horst. Sie
-verließen das Gespräch, da die Wirtin kam.
-
-Es sollte nicht das letzte Wort gesagt sein. Beim Torfmeister wollten
-sie sich weiter aussprechen. Mit einem »Auf Wiedersehen« schieden sie.
-
-Horst wanderte heimwärts. Das Gespräch mit dieser Frau, der über alle
-Feindschaft hinweg er die Hand gereicht hatte, begleitete ihn. Er fing
-an, immer mehr von ihr zu begreifen. Ihr geistiges Gesicht gewann für
-ihn Leben. Ihre Gefühls- und Anschauungswelt tat ihm Fernblicke auf, vor
-denen er nicht mehr unmutig und zornvoll die Augen schloß.
-
-War es nur, weil sie, eine Frau, die als Weib auf ihn wirkte, das neue
-Land ihm zeigte?
-
-Und wie ein Messerschnitt durchzuckte es ihn wieder: heute morgen hab
-ich den Freund begraben. Am Nachmittag sitz ich bei ihr, die seinem
-Dasein geflucht, deren Rache wie ein Vampir an seinem Mark gezehrt hat.
-Ist dies nun ein Verrat? Ist es einer, so weiß ich doch nichts von ihm.
-Oder will ich nur nichts von ihm wissen?
-
-Gerecht sein! Um das er von je gerungen hat! Gerechtigkeit!
-
-Daß die Blutrache unter Deutschen umgeht -- Ihr seid es schuld, die Ihr
-Deutschland in die sinnlose, selbstmörderische Verzweiflung gestürzt
-habt! Aus hysterischer Lustgier, wie aus unsäglicher hosenschlotternder
-Angst. Und diese Angst täuscht Euch nicht -- die Abrechnung kommt,
-darauf dürft Ihr Euch verlassen!
-
-Was Ihr aber in Deutschland gegeneinander gehetzt habt in dem
-wahnsinnigsten aller Bruderkämpfe, es wird sich wieder versöhnen. Wird
-sich vereinen und verschmelzen in dem einen großen, dem einzig
-lebendigen Gedanken: ein freies Volk auf freiem Grunde!
-
-Nur, daß jeder helfe an dem Sichverstehen! Dies ist das Erste! Verstehen
-müssen wir uns -- einander durchdringen! Immer und immer will ich daran
-denken, immer und immer daran schaffen! An der deutschen Brüderlichkeit!
-
-Du, Lona, hast mir heute etwas offenbart, was auf den ersten Blick mich
-zurückstieß. Aber jetzt frag ich mich, ist nicht auch all dies Neue so
-deutsch, so ganz und ursprünglich deutsch? Dieser unaufhaltsame,
-machtvolle, aus dem Innersten hervorbrechende Selbstbekenntnistrieb --
-die Schöpferkraft unserer jüngsten Kunst, ist sie nicht schlechthin
-germanisch? Nur deutschem Geist, nur deutschem Fühlen springen diese
-Quellen. Deutsch -- deutsch auch dies -- und auch dies zum Liebhaben!
-Und -- was hier auch krank sein mag, in der kranken Zeit, dies Wirre und
-Aufgepeitschte, das wild Zusammengeballte, dies Überhitzte und Fiebernde
--- sollte man nicht um so eher eine sachte und sorgende Hand daran legen
-und zärtlich hegende Gedanken?
-
-Daß Du, Lona, mir der Dolmetsch warst für diese Sprache, die bisher
-nicht an mein Ohr geklungen ist, hab ich es Dir nicht zu danken? Und ist
-in dem Dank nicht ein Band, das uns, so lose es sein mag, miteinander
-verknüpft?
-
-Nun will ich Dich spielen hören! Nun sollst Du auf der Orgel zu mir
-sprechen! Von Deines Wesens Tiefe, seinen Nöten, seinen Lichtern! Ich
-werde mehr von Dir lernen, mehr von Dir erfassen, mehr von Dir wissen,
-von Dir und den Deinen. Und immer mehr von der Feindschaft wird
-abfallen. Deutsch und deutsch soll sich gesellen und einig sein!
-
-Nichts will ich beschönigen. Du hast es mir leicht gemacht, dadurch, daß
-Du ein reizvolles junges Weib bist. Gewiß hätte ich zu einem anderen
-Lehrer und Erklärer nicht den Weg gefunden -- oder mich ihm gar aus
-Leibeskräften widersetzt.
-
-Die Sinne -- nun ja -- warum sie als Helfer verschmähen. Sie sind da,
-und so sollen, so müssen sie getrost teilhaben an unserm Werk! So wahr
-sie ein Teil von uns selber sind! Sinnlos, sie zu bekämpfen! Wird nicht
-von ihnen beflügelt, was wir wollen?
-
-Ihr seid ein Teil der Kraft, darum seid gelobt! Wärt Ihr mir lähmend
-über den Kopf gewachsen, hättet Ihr mich verstört und gestört und
-verstrickt -- unter die Füße hätte ich Euch genommen. Jetzt aber, als
-meine Freunde -- als meine Freunde seid gelobt!
-
-Morgen gehe ich zu Pastor Waermann. Er soll Dir erlauben, daß Du die
-Moordorfer Orgel spielst. Der Pastor ist heftig und streng, vielleicht
-auch eng. Aber mein Mittleramt, das ins Größere greift, wird er gelten
-lassen.
-
-
-
-
- Krisen
-
-
-Getragen schritt Horst durch den Frühlingsabend. Es war so viel
-Hoffnung, so viel Gläubiges in der Natur. Im Westen der letzte
-Feuerstrich, eine freudige Verkündigung neuer Sonnentage. Darüber der
-breite, topasfarbige Streif, irisierend, wie zitternd von dem Zauber der
-Frühlingsnächte, der auf die Erde tropfen will. Und wann wölbt der
-Himmel, der sich bestirnende, so wie jetzt in diesen Tagen des jungen
-Lichtes sich auf zu der Höhe trostreicher Unendlichkeit?
-
-Mit reiner Freude gedachte Horst seiner Arbeit und der Kameraden. Neue
-organisatorische Gedanken gingen ihm auf. Neue geschäftliche Pläne.
-Schichten eines erlesenen Töpfertones waren in dem Ziegeleigelände
-gefunden. Unter den Kameraden war ein gelernter Scheibentöpfer, ein
-geschickter und geschmackvoller Keramiker. Kacheln und Geschirr wollten
-sie herstellen. Eine aussichtsreiche Industrie, die ihre Finanzen, die
-immer bedürftigen, stärken würde.
-
-Vor ihm liegt die Baracke, die gelobte, die geschmähte, im Dunkel. Nur
-spärlicher Lichtschein aus einzelnen Fenstern.
-
-Da -- wie ein Schatten schleicht eine Gestalt den Weg entlang. In Mantel
-und städtischem Hut, einen Reisekoffer in der Hand. Scheu wie ein
-Flüchtling --
-
-Es fährt Horst durch den Kopf: ist das nicht Radatz, der unsichere?
-Natürlich ist er's! Und heimlich reißt er jetzt aus -- da der Führer
-nicht im Bau ist. Soll er laufen, so weit die Beine ihn tragen! Mit
-solchen Brüdern hab ich nichts zu schaffen! Schade um jedes Wort, das
-man an euch verliert!
-
-Aber, daß meine Mannschaft sich nun so zersetzt! Und verstecke ich mich
-nicht selbst, wenn ich den Mann so an mir vorüberschleichen lasse? Keine
-vornehme Bequemlichkeit! Ihn stellen! Bin ich der Führer oder nicht? Er
-soll wenigstens Hals geben! Ich verkriech mich nicht mit ihm zusammen in
-Heimlichtuerei!
-
-»Radatz, sind Sie das?«
-
-»Jawohl, Herr Hauptmann.« Die Stimme knickte ein.
-
-»Wollen Sie verreisen?«
-
-»Ja.«
-
-»Haben Sie Urlaub?«
-
-»Ich -- ich habe eine traurige Nachricht von zu Hause. Mein Onkel ist
-gestorben --« Der Mann log.
-
-»Beruhigen Sie sich. Er ist nur scheintot«, sagte Horst mit
-überwältigender Kühle.
-
-Der Ausreißer stand, eingekeilt zwischen Beschämung und Unmut. Horst
-ließ ihn stehen. Eine kurze Wendung. »Reisen Sie glücklich!« Er hatte
-ihm den Rücken gedreht.
-
-Gleich berief Horst eine Versammlung der Siedlerschaft.
-
-»Kameraden. Der frühere Siedler Radatz hat sich heimlich entfernt. Daß
-er sich entfernt hat, ist seine Sache. Daß er es heimlich tat, seine und
-unsere. Nichts schlägt so wie dies dem Geiste unserer Gemeinschaft ins
-Gesicht. In der vollen Freiheit, vollen Ehrlichkeit ist sie aufgebaut.
-Und so frei und ehrlich soll sie bleiben. Wir glauben an unser Werk. Zum
-Glauben gehören Opfer -- wir bringen sie freudig. Dies unsere Gesinnung
--- oder ist sie es nicht mehr? Leicht ist unsere Arbeit, unser Leben
-nicht. Lockende Rufe von draußen kommen zu manchem von uns. Und nun will
-ich Euch fragen, ist noch einer oder der andere hier, der nicht mit
-ganzem Herzen weiterschafft an unserer Arbeit -- offen soll er es sagen.
-Wir wollen ihn gewiß nicht hindern, daß er geht -- fördern wollen wir
-ihn auf seinem neuen Weg. Aber Offenheit wollen wir! Lassen wir den
-Betrug sich bei uns einnisten, dann stürzt unser Bau zusammen!«
-
-Die Worte wirkten, der Ton zwang. Alle gelobten sich aufs neue dem
-Siedlungswerke zu.
-
-»Wir sind seit langem wieder einmal in größerem Kreise beisammen. Hat
-einer sonst noch was auf dem Herzen?«
-
-Maurer Mulitz meldete sich. »Ich kann mir nicht helfen -- daß wir damals
-nach Mehrheitsbeschluß allesamt gegen den Streik uns einsetzen mußten --
-das halte ich nicht für richtig.«
-
-Gegenrufe: »Wieso?« -- »Allesamt! Bei uns gibt es nur ein Allesamt!« --
-»Kameraden sind wir!«
-
-»Ich hab da etwas gegen mein Gewissen tun müssen -- als Streikbrecher
-bin ich mir vorgekommen --«
-
-»Lächerlich!« -- »Was war das für ein Streik!« -- »Ein wilder
-allerhöchstens.« -- »Mit Brandstiftung!« -- »Mit Überfall aus dem
-Hinterhalt.«
-
-Mulitz ließ sich nicht beirren. »Ich bin der Meinung, daß wir andere
-Aufgaben haben. Auch zum Polizeidienst sind wir nicht da. Sollte sich so
-etwas wiederholen, muß ich mir ausbitten, daß ich hier in der Siedlung
-bei meiner Arbeit bleiben darf.«
-
-Kunz wurde erregt. »Lieber Mulitz, wir haben uns stets als geschlossenen
-Verband betrachtet! Einer für alle, alle für einen! Wollen wir den
-Mordbrennern zuliebe uns in unsere Bestandteile auflösen? Und einpacken
-mit unserem gemeinsamen Siedlungswerk? Und was haben Sie, gerade Sie
-gegen Mehrheitsbeschlüsse? Damit müßte sich doch Ihr gewerkschaftliches
-Gewissen am ersten beruhigen.«
-
-»Wir sind hier keine Gewerkschaft. Eine Arbeitsgemeinschaft sind wir, in
-der jeder persönlichen Überzeugung Freistatt gewährt ist.«
-
-»Die sich aber doch jederzeit einheitlich zur Nothilfe organisieren
-kann.«
-
-»Um Nothilfe ging es hier doch gar nicht. Handelte es sich hier
-vielleicht um lebenswichtige Betriebe --?«
-
-»Wenn wir schon den neuen Staatskatechismus gelten lassen -- erst recht
-handelt es sich hier darum! Was ist jetzt lebenswichtiger, als daß die
-deutsche Erde bestellt wird? Und dann die Brandstiftung -- ist das nicht
-unmittelbare Lebensbedrohung!«
-
-Es gab parlamentarische Erregung. Die meisten waren für Kunz, wenige für
-Mulitz. Immerhin bildeten sich Parteien. Die Augen hingen an Horst. Er
-nahm das Wort.
-
-»Ich kann den Standpunkt vom Kameraden Mulitz nicht ablehnen.« Kunz hebt
-die Schultern, das Lid von Dankwardt zuckt. »Gewissensnöte müssen wir
-unter allen Umständen ehren. Natürlich liegt mir an nichts so viel, wie
-an unserer Einheit. Und tatsächlich -- wie es auch diesmal geschehen ist
--- wird ein großer Zug die Bedenken der einzelnen mit sich reißen. Auch
-die Kameradschaftlichkeit von Mulitz hat sich noch immer bewährt. Aber
-wir müssen grundsätzlich anerkennen, daß in solchen und ähnlichen Fällen
-jemand seiner Überzeugung treubleiben darf, ohne sich damit außer dem
-Rahmen unseres Verbandes zu bewegen. Über die sogenannten inneren Feinde
-sind verschiedene Auffassungen möglich. Nur über den äußeren nicht!«
-
-Kleister! schalt Kunz in seinem Gemüt. Er war böse auf Horst. Aber seine
-Disziplin hieß ihn hier schweigen. Unter vier Augen würde das Weitere
-sich finden.
-
-»Noch eins darf ich zur Sprache bringen«, bemerkte Mulitz, der jetzt
-Oberwasser hatte. »Es scheint sich hier so etwas wie Schnüffelei
-ausbilden zu wollen. Man hat mir meinen Verkehr aufgemuzt -- daß ich
-manchmal in der Stadt mit einem alten Freund zusammenkomme. Der ist
-allerdings eingefleischter Kommunist. Aber wenn man darin nicht mehr
-freie Hand haben soll --!«
-
-»Natürlich hat man die«, erklärte Horst. »Wir sind hier doch nicht in
-einer Kleinkinderbewahranstalt.« Und dann fügte er mit Bedacht hinzu,
-und es grub sich die gerade Falte zwischen seinen Brauen: Ȇbrigens bin
-ich in ähnlicher Lage wie Sie. Auch ich -- suche sogar den
-Gedankenaustausch mit kommunistischen Kreisen. Ich meine, wir sollen und
-müssen ergründen, was in deutschen Geistern vorgeht. Nur so können wir
-deutsche Arbeit leisten.« --
-
-Die drei Offiziere saßen in Dankwarts Zimmer. Kunz würgte an seiner
-Erregung. »Nun sind wir so weit. Der Zersetzungsprozeß beginnt! Wenn
-erst dieses Phrasengespenst, die Gewissensfreiheit bei uns herumspukt!
-Mit dem jeder seinen Privatunfug treibt! Dienstpflicht, verdammte, haben
-wir und Kameradschaft. Und Kameradschaft und Dienstpflicht. Vorbildlich!
-Und weiter nichts auf der Welt -- es ist wahrlich genug. Und vor allem
-keine Gespenster!«
-
-»Du gehst durch die Wand, Kunz!«
-
-»Dann ist die Wand danach! Ich bleib dabei, so lange wir immer und immer
-wieder den sozialen Knüppel unserer vaterländischen Empfindung zwischen
-die Beine werfen lassen, so lange, kann ich nur sagen, verdienen wir
-wahrlich den Knüppel!«
-
-Dankwart nickte mit der starren Asketenmiene. »Alles in allem -- da es
-nun mal ohne Politik nicht geht -- können sich eben nur Glaubensgenossen
-in einer Gemeinschaft wie unserer zusammenfinden. Die meisten stehen ja
-glücklicherweise auf unserem Boden. Die paar andern -- hinaus! Und
-geeigneten Ersatz! Es gibt brave Kerle genug ohne Dach -- die gerne
-kommen!«
-
-Horst warf heftig den Kopf. »Nein -- nein. Das ist ja das
-Allerverkehrteste! Damit werden wir ja bloß ein Klüngel mehr! Ein
-Häufchen Partei und weiter nichts! Wir haben doch wahrlich was Größeres
-im Sinn gehabt! Alles, was deutsch ist im Denken und Wollen -- ist nicht
-Gust Elbenfried mit seinem kommunistischen Christentum, mit diesem
-rührend innerlichen Kommunismus der Herzen, einfach eine Notwendigkeit
-in unserm Kreis? Etwas wie ein klein Deutschland wollen wir sein! Und
-nun verschont mich gefälligst mit Ketzergerichten!«
-
-Kunz lachte höhnend. »Ein Deutschland -- ohne Ketzergerichte? Wie
-unvollständig bleibt Dein Abbild!«
-
-Dankwart aber, und die Bronze seines Gesichtes dunkelt unmutig: »Du
-wirst immer mehr zum Schwärmer, Horst. Und das macht mir Sorge. Mir und
-uns.«
-
-»So sägt mich ab.«
-
-Dankwart weiter -- und das schwere Lid hob sich auf zu besonderem
-Vorstoß. »Du hast selbst davon gesprochen, von Deinem Verkehr mit der
-Kommunistendame. Darf ich Dir meine Ansicht sagen?«
-
-»Bitte.«
-
-»Als Führer tätest Du besser, diesen Verkehr einzustellen.«
-
-»Lieber Dankwart --«
-
-»Man wird Dich nicht verstehen. Und ein Führer -- soll verständlich
-sein.«
-
-»Wohl. Aber vor allem soll er doch selbst verstehen, mein ich. Und
-möglichst viel. Meine Methoden müßt Ihr mir schon lassen.« Er hielt die
-Ruhe, aber ein wehrhafter Ton meldete sich.
-
-Dankwart, den bitteren Mund verzogen, mit seinem gelinden Zynismus:
-»Lieber Horst -- hättest Du gesagt: meine weibliche Privatsache, Hände
-davon -- gut! Oder: wenn ich einen Gegner so oder so unschädlich mache,
-seid mir doch dankbar -- besser! Aber ein >geistiger Austausch< -- geht
-dabei etwas verloren, trifft das auch uns. Und darum --«
-
-Horst wurde es der Erörterung zuviel. Sprödigkeit, Stolz, ritterlicher
-Sinn wehrten sich gegen die ganze Art dieser Betrachtung. »Wir geraten
-da nach meinem Geschmack zu sehr ins Persönliche. Meinen Standpunkt in
-der Sache hab ich Euch bezeichnet.«
-
-In den festen Worten war ein metallenes Klingen. Das bedeutete Schluß
-der Vorstellung, die Freunde wußten es.
-
-Kunz, der am ersten sich umstimmte, suchte erfreuliche Mitteilungen in
-das Schweigen zu bringen.
-
-»Ein Paar Pferde habe ich gestohlen.«
-
-»Was? Gestohlen -- wo?«
-
-»Dem Roggendorfer habe ich sie abgeknöpft. Zwei zähe ostpreußische
-Schecken. Kosten so gut wie nichts.«
-
-»Kunz --«
-
-»Horst -- sei Du der Organisator des Sieges. Ich sei der Organisator des
-Geschäfts. Zwei Schälpflüge hab ich uns auch gelangt. In Süldemitz. Auf
-Abzahlung. Ohne Termin. Na -- und da wir keine hastigen Orientalen sind
---«
-
-»Natürlich dürfen wir nicht --«
-
-»In allem Ernst, Horst -- die lieben Leute haben von uns so unendlichen
-Nutzen gehabt -- da erlauben wir ihnen eben gütigst, sich ein klein
-bißchen erkenntlich zu zeigen. Manus manum. Und weil ich auf diese
-Manikür mich verstehe --«
-
-»Was uns aber nicht an ordnungsmäßiger Abrechnung hindern wird.« Horst
-erhob sich. »Und morgen also zuerst ins Ödland. Gut Nacht!« Er reichte
-den Freunden die Hand und ging.
-
-Die beiden blieben noch eine Weile zusammen.
-
-»Die Höhe hat er,« sagte Kunz, und was ihn ihm zürnte, wurde von der
-Anerkennung verschlungen. »Weshalb wir jetzt auch gegen ihn Stimmung
-machen. Und an ihm stürzen werden.«
-
-»Das tut er ja leider allein.« Dankwarts Auge war wie Nacht.
-»Knochenerweichung geht weiter.«
-
-Kunz schrak auf. »Und was soll werden? Wer soll uns führen? Kannst Du
-es?«
-
-»Nein.«
-
-»Kann ich es? Strammheit allein -- lächerlich. Dazu gehört dies gewisse
-Etwas. Was er hat -- und keiner von uns.«
-
-Dann rückte er sich kräftig zurecht. »Unsinn! Wir übertreiben. Und
-machen Verschwörung. Verschwörer übertreiben immer. Es renkt sich alles
-wieder bei ihm ein. Gesunder Kern -- also!«
-
-»Wenn nicht ein Weib dahinter steckte.« Heiser die Worte, vor
-Bitterkeit, höchstem Mißtrauen und tiefster Verachtung.
-
-»Das bißchen Weib.« Kunz lächelte, er war noch leidlich unbeschwert.
-Dann schlug er lebhaft mit den Flügeln. »Wenn man ihm das Weib auf
-irgendeine Art vom Halse schaffte!«
-
-Sehr abenteuerliche Gedanken brausten ihm durchs Hirn.
-
-
-
-
- Die Schlacht an der Katzbach
-
-
-Die Siedler arbeiteten im Felde. Über ihnen die klingende
-Frühlingsweite. Kunz pflügte mit seinen Schecken. Er war zufrieden und
-sang. Die Morgenluft hatte alles aus seinem Schädel geweht, was da noch
-dumpf von Krisenstimmung und Palastrevolution herumrumorte.
-
-Und Horst war von der Verantwortung getragen. Jetzt, wo alle Betriebe
-lebten, die Landarbeit, die Ziegelei, der Torfstich, wo alle Fäden in
-seiner Hand zusammenliefen, war er mehr als je der Führer. Er selbst
-betonte sich die Führerschaft, geflissentlich und hart.
-
-Es war da etwas gegen ihn aufgestanden -- in sein Empfindungsleben
-hatten sie greifen wollen -- was im Grunde um so plumper ist, je
-rücksichtsvoller es sich gebärdet! Und wenn nun gar die Freundschaft ihr
-Lied hineinsingt --! Solches lehne ich ab! Ich bin, wer ich bin! Wollt
-Ihr mich nicht so -- ich will mich so! Und es gilt den Kampf.
-
-Er fühlte sich allein. So ist die Höhe. Und stark ist die Einsamkeit.
-
-Nach dem Torfstich wandte er sich, zum Moor. Er würde Lona sehen. Durfte
-er? Mußte er dafür nicht einen Genossenschaftsbeschluß in der Tasche
-haben? Ein Lächeln. Und er dachte an sie mit einer Art trotziger
-Innerlichkeit.
-
-Beim kranken Torfmeister fand er sie. Ihre Pflege hatte Wunder getan,
-der Alte war fast ohne Schmerzen. Die zwei saßen nebeneinander beim
-Fenster. Sie schauten und horchten aufs Moor. Er hatte seine Pranke auf
-ihren Unterarm gelegt, der eine Schönheit war. So zogen seine alten
-Glieder sich die Heilkraft aus ihrem jungen Leib.
-
-»Mein Lütt ist mein Segen«, sagte er. »Und wenn sie sich nun noch aufs
-Moor verstünde -- und das Moor sich auf sie --! --« Dies war sein
-Kummer. »Denken Sie,« sagte er zu Horst, »sie kann hier nicht schlafen.
-Wie kann man hier nicht schlafen, wenn das Moor neben einem atmet.«
-
-»Aber es stöhnt im Schlaf«, rief sie. »Wie ein Riese, der sich den Magen
-verdorben hat.«
-
-Der alte Lud schüttelte den vermoosten Schädel. »So kommt Ihr Euch nicht
-bei.«
-
-Lona trotz ihrer Schlaflosigkeit blickte aus klareren Augen in die Welt.
-Von der Güte der Pflegschaft lag es weich um ihren herben Mund. Etwas
-wie friedliche Versonnenheit war über sie gebreitet.
-
-In Horst ging es auf: ist sie nicht wie befreit, von einer inneren Not,
-einem Druck, einem Zwang? Da die furchtbare Pflicht von ihr genommen ist
--- die Pflicht ihrer Rache!
-
-Er mußte an sich halten. Gräber wälzten sich gegen ihn, deutsche Gräber.
-Aber das Goethewort hallte in ihm nach: »Über Gräber vorwärts!«
-
-Pastor Waermann hatte es gesprochen. Und hier war eine -- auch ein
-darbendes Kind der deutschen Erde -- die auch vorwärts schritt, auch
-hinaus strebte aus dem Fluch, aus den Fesseln des Vergangenen und enger
-Gelöbnisse. Der sie jetzt die Orgel nicht gönnen wollten, die ihre
-Erhebung war, die auf den Weg zum Ewigen ihr leuchtete.
-
-Morgen am Sonntag rede ich darüber mit Pastor Waermann.
-
-Und er sagte es ihr. Sie hatte dafür einen dankbaren Blick. »Ob ich aber
-gerade bei Pastor Waermann Gegenliebe finde?«
-
-»Bei ihm am ersten.«
-
-»_Pax vobiscum_ beten die Christen -- _bellum aeternum_ den Pazifisten!«
-
-»Darin ist er nun wie ich: um --isten und sowas kümmert er sich nicht,
-auf Endungen gibt er nicht viel. Und der Kern der Sache --«
-
-»Ist, daß Lütt Orgel spielt!« rollte Lud Uhlenbrook dazwischen.
-»Bedanken sollen sie sich, der Pastor und der Herrgott und die Kirche
-und jedeiner, der mit seinen langen Ohren einen Ton davon aufzuschnappen
-kriegt!«
-
-»Lud, was weißt Du von meinem Spiel!« Ganz mädchenhaft war ihre Abwehr.
-
-»Ich hab Deinen Vater spielen hören. Und in meiner besten Stube« -- er
-schlug sich an die Brust -- »ist seit der Zeit Festesfreude. Wenn sie
-Dich nicht spielen lassen -- wir stürmen die Kirche -- was, Herr
-Oldefeld?«
-
-Seine Pranke hob sich zu mächtigem Schlag und ruhte dann wieder aus auf
-der köstlichen Armrundung seines Lieblings.
-
-Dann lud er Horst ein, morgen den Sonntagnachmittag bei ihnen zu
-verbringen. Freudig sagte der zu, ganz glückhaft vergessen. Plötzlich
-fiel es ihm ein: ich kann ja nicht. Und er ließ sie es wissen. Seine
-Jungen kämen morgen aus der Stadt heraus zu ihm.
-
-»Was wollen die?« fragte der Alte.
-
-»Soldat spielen.« Horst hielt nicht hinterm Berge. Er sah, daß es um
-Lonas Mund zuckte. Jugendverführer! mochte das heißen. Er konnte es
-nicht ändern -- o nein und wollte es auch ganz gewiß nicht.
-
-»Natürlich«, knurrte der Alte in zustimmendem Behagen. »Was wollen
-Jungen sonst! Wir haben es so gemacht, und solange die Welt steht, wird
-sie's so machen. Jungs sind Soldaten und wollen Soldaten sein. Und warum
-ist es so?« Hier faßt er dem großen Weltgeheimnis an den Puls. »Weil die
-kleinen Mädchen es so wollen!«
-
-»Lud, das ist nun mäßig.« Lona lehnte sich auf, aber sie ließ ihm ihren
-Arm. »Frauen kennen Besseres als rasselnde Säbel.«
-
-Das war ganz gewiß auch auf Horst gemünzt. Der aber schwieg.
-
-»Lütt, Ihr Aufgeregten guckt so oft an der Welt vorbei -- und glaubt
-dann, sie ist anders. Aber sie bleibt wie sie ist, und Soldat ist und
-bleibt Trumpf für die Frau. Und ich kann Dir auch verraten, wovon das
-ist. Guck, alles könnt Ihr Frauen meinetwegen werden -- Doktor und
-Apotheker und Advokat und Priester und Küster. Bloß nicht Soldat. Und
-weil das das richtig Männliche ist, darum ist das auch das Richtige für
-die Weiber.«
-
- »Denn das Höchste, Höchste ist für mich ein Reiter,
- und das Leben labt und lebt und liebt sich weiter!«
-
-Horst brauchte keine Reiterlieder anzustimmen. Von dem blanken
-Mannesmut, dem die Frauenhuld gehört. Die totsichere -- die
-lebenssichere Gewähr dafür, daß dieser Geist sich auch fortpflanzt und
-nun und nimmermehr ausstirbt. Er freute sich daran, wie der Alte die
-Klinge schlug. Und war es zufrieden, daß er selbst im Hintergrund
-bleiben konnte -- jetzt, wo Lona, die Gebändigte, selber in der
-Beschaulichkeit sich hielt.
-
-So sagten sie sich still und friedfertigen Sinnes Lebewohl. Horst
-verhieß, er würde Sonntag abend nach dem Manöver noch herüberkommen und
-den Kirchenschlüssel bringen. --
-
-Die Jungen strömten heraus mit singenden Lungen und hochschlagenden
-Herzen.
-
-Sie lagern am Fuße der Goldberge. Horst, in der Mitte des Kreises, hält
-ihnen Vortrag. Mag das ganze eine Kinderei sein, ein Stammeln im Geiste.
-Aber gleichviel -- auf den Geist kommt es an.
-
-Wir haben hier -- so spricht Horst -- ein ausgezeichnetes
-Katzbach-Gelände. Da, die beiden Rinnsale, die von dem Südhang sich
-abzweigen und ins Moor fließen: Katzbach und Neiße. Drüber die
-Hochebene. Also heute: die Schlacht an der Katzbach!
-
-Begeisterte Zustimmung leuchtet aus all den jungen Augen.
-
-Wie Horst nun begann die Kriegslage zu erläutern, fand auch Kunz sich
-ein. Aber er blickte nicht auf das Schlachtgelände, drehte der Strategie
-den Rücken und hielt mit den Augen die Moordorfer Straße.
-
-Horst erklärte: Napoleon hat versucht, mit großer Übermacht Blücher in
-Schlesien zu stellen. So dumm ist der Alte nicht -- er weicht aus, geht
-vom Bober hinter die Katzbach zurück und wartet, bis der Kaiser mit
-einem Teil seiner Armee nach Sachsen zurück muß, da das böhmische Heer
-anmarschiert. Macdonald erhält den Befehl über die achzigtausend Mann,
-die den -- natürlich! -- >in Auflösung begriffenen Feind< weiter
-verfolgen und vernichten sollen. Bei Blücher haben Russen den rechten
-und linken Flügel, unter Sacken und Langeron. Das Zentrum befehligt
-York. Er hält sich hinter Anhöhen versteckt -- ahnungslos steigen die
-Franzosen zu dem Plateau empor. Blücher befiehlt: laßt so viel Feinde
-herauf, wie Ihr wieder hinunterschmeißen könnt! So geschieht's. Dann
-beginnt die preußische Brigade Hühnerbein den Tanz, mit Bajonett und
-Kolben fegt und schmettert sie die Franzosen den Abhängen zu. Aber
-Macdonald treibt immer neue Massen auf die Höhe. Ein preußischer
-Kavallerieangriff unter Jürgaß verpufft. Da stürmt der Alte selbst und
-sein Liebling Katzeler mit preußischen und russischen Reiterscharen
-gegen den Feind. Kräftig hilft die Infanterie Yorks und Sackens nach --
-während Ehren-Langeron es vorzieht, Gewehr bei Fuß zu bleiben. Der
-Franzose wird ins Neißetal geworfen, in den brausenden Strom. Der Sieg
-ist errungen.
-
-So die kurze Erläuterung. Nun wandern sie durch das Schlachtgebiet.
-Fröhlich schmunzelt die Fantasie zu den »reißenden Gebirgswassern«. Die
-einzelnen Stellungen werden bezeichnet. Dann geht es an das Einteilen
-der Heerkörper, an die Ernennung der Führer.
-
-Natürlich will niemand Franzose sein. Erst wie Horst die Rolle
-Macdonalds übernimmt, bekommt er sein Heer zusammen. Auch die Russen
-sind nicht begehrt. Kunz muß sich erst zu dem Jammerkerl, dem Langeron,
-entäußern. Allerdings hat er dafür den Vorzug, auch sein eigener
-Heerkörper zu sein -- zum Nichtstun bedarf es keiner weiteren Kräfte --
-und in träumerischer Einsamkeit die Spitze des Moordorfer Kirchturms und
-die Straße vom Dorf, die so freundlich verheißende, zu betrachten.
-
-Auch hat der Posten, der ihm zugewiesen ist, alle Anwartschaft darauf,
-nicht mit rührender Treue gehalten zu werden. Vielleicht, daß dieser
-Frühlingssonntag doch noch etwas anderes mit ihm im Sinne hat, als daß
-er hier den traurigsten aller Wutkigenerale an den Pranger der
-Unsterblichkeit stellen muß.
-
-Die Moordorfer Straße -- eine Straße wie die andern auch. Vom grauen
-Staub bedeckt, von grauen Bäumen mürrisch bewacht, die der Frühling noch
-nicht hat entzünden wollen. Und heute ein grauer Himmel über allen
-Dingen.
-
-Wie aber wird dieser graue tote Weg, auf dem heute niemand geht und
-niemand fährt, wie wird er zu leuchten anfangen, ein goldener Streif,
-eine Sonnenbahn, wenn zwei Mädchenfüße ihn betreten!
-
-Wartest Du, Straße, nicht auf diese Füße? Ja, ja -- Du bist nichts als
-ein Warten, als ein Dichdarbieten, als ein Sietragenwollen! Was gibt es
-auch Herrlicheres für einen Weg, als von dieser unsagbaren Anmut zu
-federn und zu schwingen!
-
-Nicht wahr, Du, Straße, sehnsüchtig wie ich, Du führst sie mir her, sie
-weiß ja, daß hier heute Kriegsspiel ist. Was gibt es Lockenderes für
-sie? Und sie ist mein Kamerad. Wenn ich dabei bin, muß sie doch auch
-dabei sein! Straße, gedenke Deines Berufes! Trag ihre Schritte! Bring
-sie mir her!
-
-Der Ehrgeiz der Jungen warb um die Führerstellen. Blücher war natürlich
-Dr. Georg Stump -- an den greisen Marschall hätte auch ihre Bewunderung
-kaum zu rühren gewagt. Eher schon trauten sie an York sich hinan -- der
-primus omnium, ein ernster, kantiger und steifnackiger Junge ward
-auserlesen.
-
-Am meisten umworben war Blüchers Verzug, Katzeler, der kühnste und
-verschlagenste aller Reiterobersten. Als solcher durfte Fritz Röder vor
-seinen Schwadronen bergan traben, ein Junge, rosig, leichtsinnig,
-sorglos und liebenswürdig verschmitzt -- seine Besonderheit war, listig
-sich mit der Kamera lustig verfängliche Situationen zu greifen.
-
-Und nun ist Krieg. Die feindlichen Heere haben sich aufgestellt.
-Horst-Macdonald klimmt mit seinen Scharen die Höhe hinan, die Aufklärung
-versagt plangemäß, in breiter Linie fluten sie auf den Gipfel.
-
-Wie ein unbändiges Meer wogt die versteckte Brigade Hühnerbein. Schwer
-ist sie zu halten. Jetzt! Das Kommando! Sie brechen vor auf die Feinde
---
-
-Ein erbittertes Handgemenge. In Paaren kugeln sie auf den Boden. Die
-Franzosen müssen zurück. Aber Macdonald -- zu spaßen ist nicht mit dem
-schlachtenerprobten Marschall, dem Helden von Wagram -- er führt neue
-Truppen ins Feuer -- der Kampf steht --
-
-Jetzt ist die Stunde der Reiterei gekommen. Wie das Donnerwetter
-preschen Blücher und Katzeler mit den Regimentern gegen die
-Anstürmenden. Und Yorks Infanterie gibt ihren Senf dazu.
-
-Aber -- aber die gerufenen Geister -- so leicht sind sie nicht los zu
-werden. Ist es die Schwärmerei für Horst, ihren Führer, ist es der Zorn,
-daß sie die Franzosen sein müssen -- Macdonalds Soldaten stehen und
-verbeißen sich. In Einzelkämpfen. Sie sind die gewandteren Ringer und
-bleiben oben. Der große Kavallerie-Angriff und mit ihm das ganze
-Programm droht in die Brüche zu gehen. Kommandos und Signale werden in
-der Kampfeswut nicht mehr gehört, die Franzosen dringen erbittert weiter
-vor, das Bild der Katzbacher Schlacht beginnt, sich heillos zu
-verschieben und zu verzerren --
-
-Da -- was begibt sich? Man weiß, wie oft in die Entscheidungsschlachten
-der Völker überirdische Mächte, himmlische Erscheinungen eingegriffen
-haben -- Erzengel mit dem Flammenschwert, die Geister sagenhafter Helden
-oder heilige Frauen im Glorienschein.
-
-Und hier -- eine Elfengestalt -- ein Wesen aus einer anderen Welt -- an
-die Spitze der wankenden Preußen tritt sie -- eine Begeisterung,
-übermächtig, braust durch die Herzen. Die Reihen schließen sich, sie
-stürmen vor, unaufhaltsam, sie siegen, sie siegen. Und der Feind liegt
-am Boden.
-
-Kunz, wo hast Du Deine Augen gehabt? Hast Du so lange auf die
-Straßenlinie gestarrt, wie das Huhn auf den Kreidestrich, daß Du davon
-eingeschlafen bist?
-
-Vita, Deine Vita ist ja längst zur Stelle. Mit ihrem Vater ist sie
-gekommen, der heute hier auch nicht fehlen darf. Jetzt steht Horst bei
-ihr und drückt ihr die Hand, daß sie die geschichtliche Wahrheit
-gerettet hat. In scheuer Verehrung umkreisen sie die Jungen.
-
-Kunz findet sich schnell hinzu -- es zwickt ihn wie die bittere Wehmut
-einer leichten Eifersucht, es liegt ihm ganz und gar nicht, überflüssig
-zu sein. Sie begrüßt ihn mit ihren hellen eifrigen Augen. Wie
-durchrieselt ihn die Freude an ihrer Kindlichkeit. Die ihm, ihm einmal
-erwachen soll!
-
-Eine Pause gibt es. Wieder lagern sie alle. Die Kritik ist mühelos
-erledigt. Jeder bekommt seinen Wischer. Nur die Vision wird gefeiert,
-der Geist und des »Geistes Tochter«, die Begeisterung.
-
-Die drei Männer, Horst, Pastor Waermann, Dr. Georg Stump unterhalten
-sich über das Leben in Blüchers schlesischem Hauptquartier -- der eine
-weiß dies, der andere das. Die Jungen hören zu mit dürstender Hingabe.
-Hier ist Trank aus deutschen Quellen.
-
-Wie um den Alten, den sie den »rohen Husaren«, den »Landsknecht«
-schalten, das regste geistige Leben blühte. Nichts mehr von dem alten
-bildungsfeindlichen, plumpen Hohn des Kasernentons. Die Helden dieses
-Kreises, Gneisenau voran, Rühle von Lilienstern, mit Heinrich von Kleist
-innig befreundet, Schack, Brandenburg, Oppen, -- Offiziere von weitestem
-Horizont. Und auch die Haudegen Horn, der preußische Bayard, Jürgaß,
-Sohr, Katzeler, der tolle Platen, dem nie die Pfeife ausging -- sie alle
-beileibe keine bloßen Plempenschwinger. Weiß man, daß die Offiziere in
-Blüchers Hauptquartier Shakespeares Dramen mit verteilten Rollen lasen?
-Und wieviel Leuchtkraft strahlte von den »Schriftgelehrten« Karl von
-Raumer, Friedrich Steffens, Friedrich Eichhorn aus! Keine Dumpfheit gab
-es hier, keine Enge, keine Verketzerung! Freimut die Losung! Alles
-Ehrliche galt, alles Faule wurde ausgebrannt, bei Fürsten wie bei
-Untertänigen!
-
-O Du, unser Vater Blücher, auch heute noch -- heute mehr noch als je
-unser Vater! Wie sang Pastor Waermann sein Lied!
-
-»Bewußt und groß!« Erfüllt war sein Bewußtsein von der Sklavennot seines
-Volkes, seiner eigenen unerträglichen Not! Bewußt war er sich seiner
-Führerschaft, seiner Kraft, die Fesseln zu brechen -- bewußt der Liebe
-seines Volkes, der Liebe seines Heeres, der Bereitschaft seiner
-Getreuen, mit ihm in den Tod zu gehen. Keiner ist so klaräugig wie er,
-mit so unverwüstlichem Vertrauen wie er, der Frische, der Kraft, der
-Freiheit deutscher Art sich innegewesen -- groß war er im Glauben! Und
-so -- bewußt und groß hat er die Volksseele gelöst, gehoben, beflügelt
-zum Freiheitsflug. Jeder Blutstropfen in ihm war Freiheit, jeder Hauch
-seines Atems rief nach Freiheit. Der große bewußte Freiheitsheld seines
-Volkes ist er gewesen. Und ist er uns geblieben, unser Schirmherr, unser
-Bannerherr, uns, seinen Urenkeln, auf die wiederum die Knechtschaft fiel
--- und die wiederum die Knechtschaft zerbrechen werden! In unserer Seele
-brennen und leuchten seine Worte: »Trage Fesseln wer will, -- ich nicht.
-Ich bin frei geboren und muß auch so sterben!«
-
-Es bebten die jungen Herzen, es zuckten die Augen.
-
-Turnspiele folgten. Militärische Übungen. Horst sprach noch einiges über
-Technik in der neuesten Kriegsführung. Dann trennte man sich. Die Jungen
-waren vollgesogen bis ins Mark von stählenden Erlebnissen. Sie hatten
-Eisen ins Blut bekommen. Am nächsten Sonntag wollten sie mit tausend
-Freuden sich wieder einfinden.
-
-Singend zogen sie der Stadt zu, singend das Trostlied ihrem Deutschland:
-
- Wir sind die Jungen, wir sind die Kraft,
- jede Faser gestrafft und gerafft.
- Wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
- siehst Du die nächtigen Wolken lohen?
- Wir sind des Frührots lachender Schein!
- Frei sollst Du sein!
-
-Horst, der Pastor, der Doktor, Vita und Kunz gingen eine Strecke im
-Takte mit. Der Doktor sprach mit Horst. Er war stolz darauf, daß von
-seinen Jungen wieder nur die beiden räudigen Schafe fehlten.
-
-Übrigens der eine von diesen, der Kommunist, ein unheimlich begabter
-Mensch. Ein musikalisches Genie. Lebte als reiche Waise im Hause einer
-halb verrückten Tante, die ihn frei gewähren ließe. Jetzt hätte er
-Klavierstunde genommen bei der Nihilistin, die die Stadt unsicher
-machte.
-
-Lona also. Diese letzte Wendung gefiel Horst nicht. Aber Doktor Stump
-sagte noch mehr von ihr. Natürlich sei der Junge rasend verliebt in sie.
-Eine Gefahr nicht bloß für ihn. Eine Gefahr, die weitere Kreise ziehen
-könne. Höchstwahrscheinlich lasse sie alle Minen springen, um Bresche zu
-legen in die Reihe der Primaner. Für die sie natürlich etwas lockend
-Geheimnisvolles und Verbotenes sei.
-
-Horst trug an einem Unbehagen. Aber die Vertraulichkeit einer
-Entgegnung, einer Auseinandersetzung widerstrebte ihm. Und der Doktor,
-so ehrlich wie befangen, ging weiter im Text. Von all den Aufwieglern in
-der Stadt sei sie ohne Frage die Bedrohlichste, schon als die geistig
-Bedeutendste. Und ihr Zauber, um den die männliche Jugend zu kreisen
-geneigt ist --! --
-
-»Wer weiß,« rief der Lehrer erbost, »ob ich Ihnen das nächste Mal noch
-all diese Jungen wieder hinausbringe!«
-
-»Sie meinen --! --«
-
-»Nicht unmöglich, daß sie ein pazifistisch-musikalisches Jugendkränzchen
-mobil macht, gegen unsere vaterländische Jungmannschaft! Die Erregung
-gegen sie ist im Wachsen. Vielleicht steht ihr so mancherlei bevor!«
-
-Nun richtete Horst sich steil auf. »Sie ist eine Frau, eine Dame --!«
-
-»Sie macht Politik. Und Politik ist geschlechtslos --«
-
-Die anderen traten hinzu, sie wollten umkehren. So verabschiedete man
-sich.
-
-Horst ging versunken den Weg zurück. Die drei Andern sprachen lebhaft,
-er blieb mit sich allein.
-
-Lona -- sie laufen Sturm gegen Dich. Wären wir im Mittelalter, machten
-sie Dir als Hexe den Prozeß. Denn Du trägst Dein Mal. Dein
-unglückseliges zerrissenes Leben, Dein zerwühltes Gemüt, Deine flammende
-Sehnsucht, die der Zeit voran fliegen will, hat Dir das Hexenzeichen
-aufgeprägt.
-
-Ich versteh es, ich seh es, wie die Primanernacken nach Dir sich wenden.
-Wieviel Reiz ist in der blühenden Schlankheit Deines Wuchses, in dem
-Doppelleben Deiner Züge, in der Auferstehung Deiner Augen aus
-vergrabener Tiefe. Wer begreift es nicht, daß gerade junge Fantasie an
-Dir sich entzücken muß!
-
-Dazu Deine Kunst und -- abenteuernden Sinnen ein Zauber -- Deine wilde
-fanatische Kampfstellung, auf geistiger Höhe.
-
-Und nun -- einen Wettstreit soll es zwischen uns geben, um die Seelen
-der Jungen? Ist es das, was mir am nächsten geht? Oder ist es der
-Wettstreit, den ich um Dich auszufechten habe -- mit allen, deren Blicke
-und Gedanken um Dich streichen und werben, ob es die Jungen sind, ob die
-andern alle! Ob der Alte seine haarige Flosse auf Deinen leuchtenden
-Unterarm legt -- was hat sie da zu liegen! Ob Deine Parteigenossen
-Deiner begehren und Dich umgirren!
-
-Er kämpfte schon wie um ein eigenes Besitztum, zornig und heiß.
-
-Was hatte der Schulmeister vorhin gesagt? Daß sie sich nicht scheuen
-werde, ihre Reize spielen zu lassen, um so die Jungen zu sich herüber zu
-ziehen!
-
-War das nicht wie eine Beschimpfung? Wie hatte er das hinnehmen können!
-Und heftig fast wandte er sich jetzt an Pastor Waermann. Er habe eine
-Bitte. Eine ihm bekannte Dame, Künstlerin, Meisterin auf der Orgel,
-möchte dann und wann in der Moordorfer Kirche spielen dürfen. Kunz
-spitzte die Ohren.
-
-»Das soll sie!« Der Pastor gab gern seine Einwilligung.
-
-»In der Stadt macht man ihr Schwierigkeiten,« erklärte Horst ehrlich.
-»Weil sie Kommunistin ist.«
-
-Pastor Waermann wußte von ihr. »Ich muß offen gestehen -- unbehaglich
-ist sie mir ja -- aber darum --!«
-
-Horst, der empfindlich gewordene, wollte gegen das »unbehaglich« sich
-ins Zeug werfen. Dann aber griff er es willig auf. »Sie ist sich selbst
-nicht behaglich -- zerquält, vom Leben zerschlagen. Nur in ihrer Kunst
-kann sie sich wiederfinden. Und gerade die Orgel trägt sie auf andere
-Bahn. Es dämmern Bekehrungsmöglichkeiten --«
-
-Dann brach er jäh und unwirsch ab. So was wie gemeinsames Rettungswerk
-widerstrebte ihm aufs tiefste. Und da er von Wandlungsmöglichkeiten
-sprach, verriet er hier nicht heimliche Hoffnungen?
-
-Kunz mit Vita ließ seinem Unmut die Zügel frei. Längst hatte er vor ihr
-keine Geheimnisse mehr. Eine selbstverständliche Vertraulichkeit band
-die jungen Herzen. »Horst orgelt sich da selbst in etwas hinein. Solche
-innere Mission färbt immer ab. Er soll die Finger davon lassen. Er
-braucht -- wir brauchen seine reinen Hände!«
-
-Schwer ging seine Brust. Vita sah, wie er litt, an quälender Sorge. Sie
-nahm seinen Arm. Da durchrann ihn das Glück. Und er hob sich fröhlicher.
-»Das Siedlungswerk soll nicht untergehen! Deutsche Augen -- deutscher
-Glaube sind auf uns gewandt. Wenn Horst uns versagt -- er darf es nicht,
-denn alles hängt an ihm -- aber wenn, wenn -- Dankwart ist zu sonnenlos
-und Gisbert, der jetzt kaum noch was Irdisches hat, schwimmt in seinen
-Unendlichkeiten. Dann muß ich -- ich wachsen an meinen Pflichten!«
-
-Sie blickte zu ihm empor. Alles Kindliche, Spielerische fiel von den
-beiden ab. Eine Weihe der Kraft schloß die jungen Menschen zusammen.
-
-
-
-
- Heimweh
-
-
-Horst brachte Lona den Kirchenschlüssel. Sie hatte die Erlaubnis, morgen
-Montag zu einer ihr genehmen Stunde auf der Moordorfer Orgel zu spielen.
-
-Sein Lohn wurde ihm zugesichert, er sollte, wenn sein Tagewerk beendet
-wäre, am späten Nachmittag -- diese Stunde wählte sie -- ihr zuhören.
-
-Horst war hinterm Pfluge gegangen. Er hatte Furchen gezogen durch
-deutsche Erde, der Duft der umbrochenen Schollen hing ihm im Haar, lebte
-noch in seinen Lungen und stählte ihm das Herz. Er fühlte sich sicher
-und reich. Wie ein Gebender erschien er sich, nicht als einer, der
-suchte und beschenkt werden sollte, da er den Weg zur Moordorfer Kirche
-antrat.
-
-Die Luft prickelte und schäumte wie Wein von den Kräften und Säften des
-Frühlings. Dann und wann -- wie ein Mädchenlachen, keck und spröde
-zugleich, zitterte es stoßend und kurz, höhnend und befeuernd durch den
-schweren seidenen Glanz des sinkenden Nachmittags.
-
-Er dachte an Lonas Lippen, die vollen, farbigen, denen die
-schmerzverbissenen Kiefer so schwer zu schaffen machten, die so bitter
-in weher Ironie sich spannten. Hatte er jemals ein Lächeln, ein weiches,
-vergessenes Lächeln um diesen Mund gesehen? Und war doch der rote,
-blühende, lebensheiße Mund eines jungen Weibes.
-
-Er warf die Arme. Ist es nicht aller Weisheit Anfang und Ende, nicht die
-Erlösung aus allen Nöten: die Sprache Mund auf Mund -- gibt es eine
-andere zwischen Mann und Weib? Durch seine Sinne rieselte es. Was gehen
-ihre Gedanken mich an, ihre Dogmatik, ihr Geistesleben, ihr politisches
-Toben!
-
-Vom Verstehen habe ich immer gesprochen, in so schönen Worten
-theoretischer Gesinnung. Was schwatz ich mich so herum um die einzige
-Verständnismöglichkeit, die gegebene, die gebotene, die notwendige? Die
-einzig wahrhaftige, von der all die verlogenen Mätzchen wie weggeblasen
-werden! Gibt es Waffenstillstand für uns, warum sollen diese Stunden
-sich nicht füllen mit allen Gaben der guten Lebensgeister? Die gut sind,
-weil sie nur fühlen, nicht denken. Macht nicht das Denken erst böse?
-
-Und er summte und träumte im Frühlingsrausch.
-
-Wie er sie beim Torfmeister fand, war sie anders als das Bild seiner
-Wünsche. Auf ihrem Gesicht eine krankhafte Blässe, sie sprach wieder von
-schlafloser Nacht, und daß sie das Moor nicht vertrage.
-
-Dem Torfmeister ging es besser, morgen wollte sie in die Stadt zurück.
-
-Nun wanderten die zwei zum Dorf. Eine Befangenheit war um sie. Beide
-empfanden sie stärker als je das Ungewöhnliche ihres Beisammenseins.
-Eine Heimlichkeit vor den Freunden -- und auch eine Heimlichkeit vor
-ihnen selbst, vor ihrem eigenen Wollen, ihren Kämpfen, ihren
-Lebenszielen. Wie ein Verbotenes, wie eine Schuld. Und wieder mit allen
-Reizen des Heimlichen und Schuldhaften.
-
-So suchten und mieden sich verstohlene Blicke und Wünsche in wachsender
-Scheu. Kaum, daß sie ein Wort miteinander sprachen.
-
-An der Kirchentür erwartete sie ein halbtauber Junge, der die Bälge
-treten sollte. Nun gingen sie in das Gotteshaus, darin schon die
-Abendschatten geisterten. Die rostige Stimme der Uhr mahnte sie
-mürrisch: es ist schon sechs! Der geduckte, karge Raum mit seinen
-gedrungenen Säulen und der düsteren Täflung gab den Eindruck einer
-trotzigen verbissenen Frömmigkeit.
-
-Horst setzte sich in einen der schweren Stühle, Lona ging die Treppe zur
-Orgel hinauf -- es war ein Instrument mit freistehendem Spieltisch --
-und machte sich bereit. Die Windladen füllten sich. Liebevoll legten
-sich die dankbaren Finger auf die Tasten.
-
-Leise, im Hauch spielte Lona ein paar Passagen -- die Töne waren
-ungleich, viele grau, alt und quäkend. In trockener, starrer, linearer
-Kühle fügte sich Ton an Ton -- dürr klang es, mechanisch, wie wenn
-Letter an Letter gesetzt wird zu einem mühsam dürftigen Wortgebilde.
-Jetzt aber fand sie es, die Orgel hatte doch Seele, sie konnte lebendig
-werden, konnte sprechen und Zeugnis geben.
-
-Um Horst aber schauerte die Andacht seiner Sehnsucht.
-
-Und es begann. Ein dumpfes Rauschen begann es, aus weiter Ferne,
-gebändigt von Nacht und Finsternis. Wolken schoben sich, ballten sich,
-formten sich gespenstisch. Ein Chaos wie von sich selber träumend, kaum
-seiner selbst sich bewußt. Und es wird ein Schein -- ein Wollen, eine
-Kraft, ein Licht. Und das Licht schafft sich Schatten, die ihm dienen
-müssen -- die vor ihm fliehen wollen -- die sich auflehnen im Kampf --
-die Feuerodem dem Lichte entreißen -- und mit ihm sich beseelen. Körper,
-Wesen, Lebende, Leidende, aus Licht und Finsternis geworden. Menschen.
-Da sie leben wollten, sind sie dem Tode verfallen. In den Wolken, auf
-schwarzen Fittichen rüttelnd, steht der Würgengel. Unter ihm die
-Kreatur, sie verkriecht sich in Klüften, sie winselt, sie schreit. Und
-auf wen der Würgengel stößt, in dem erlischt das Licht, er wird wieder
-zum Schatten. Nun aber, da er gelebt, ist er schuldbeladen -- und des
-Schattens wartet das letzte Gericht, furchtbarer noch als der düstere
-Todesengel. Von Grauen gepeitscht sind die Seelen -- Gewitterstürme
-donnern hernieder über das Weltmeer -- Blitze zerreißen die Finsternisse
-der Himmel -- an die Ränder der Wolken klammern sich die gehetzten
-Schatten -- es gibt einen Tod noch über dem Tod -- und was ist das Leben
--- was ist sein Sinn -- was ist es mit dem guten Sinn des Lebens? Ein
-Hohngelächter in tausendfachem Echo gellt von den irdischen Abgründen zu
-den zerklüfteten Wolken -- entsetzte Seelenschatten flattern durch den
-erbarmungslosen Raum --
-
-Horst erfror vor dem erhabenen Grauen dieser trostlos verzweifelten
-Visionen. Sie alle getaucht in die schreienden Tinten ihrer neuen Kunst.
-Kosmisches Urweltgestammel über allem. Und doch ein gewaltiges Ringen in
-und zur Wahrhaftigkeit, ein Sichselbstzerwühlen nach den letzten
-Offenbarungen des Ich.
-
-Findet sie keinen Trost, keinen Ausblick, keine Helle? Wo ist das Licht,
-das doch sein muß, damit die Schatten sein können!
-
-Jetzt -- fügte sich, baute sich, wölbte sich nicht etwas in ihren Tönen?
-Über den weichenden Wolken? Die große Kuppel, das Firmament, der
-Himmelsdom. Und Sterne gebiert die Nacht -- sie leuchten, sie künden,
-sie loben.
-
-Wie ein Ausruhen ging es jetzt durch ihr Spiel, wie ein Aufatmen, ein
-Erinnern. Regten sie sich, die Klänge des Heimwehs? Wollte die Kindheit
-lebendig werden -- und der Kindheit gläubige Traumwelt?
-
-Ein Gebetlallen in stammelnder Torheit, gedankenlos verloren, glückhaft
-versunken -- und dann die wachsende Klarheit, wie ein Sonnenaufgang der
-Zuversicht --
-
-Tiefe Klänge aus Bachschen Messen und Kantaten, die eine leuchtende
-Lichtspur ziehen -- und schon jauchzt es auf in dem atemlos gebannten
-Horst: sie findet sich -- sie findet zurück -- sie findet heim --
-
-Plötzlich aber -- was züngelt in die Himmelsklarheit der Töne? Ein
-Überdruß -- ein Spott -- ein Hohn --?
-
-Und Horst stöhnt auf. Fängt sie nicht an, Bach zu travestieren? Ihm das
-Käppchen der Selbstgefälligkeit aufzusetzen? Verzerrt sie nicht die
-Frömmigkeit zur Frömmelei, die Herzenseinfalt in ein kokett bigottes
-Schmachten? Läßt sie die pausbäckigen Engelsjungen sich nicht sich
-selber verlachen und Koboldsfratzen schneiden --
-
-Und dann ein Schluchzen -- ein wildes Weinen -- die Verzweiflung des
-Zweifels -- ich kann nicht -- ich komm nicht auf -- ich muß wieder
-versinken -- ich bleib in der Tiefe. Und ein Trotz -- eine wilde
-Bitterkeit -- und wieder das Schluchzen.
-
-Und plötzlich das tonlose Verhauchen -- das Ersterben in Nichts -- das
-Verstummen. Das Schweigen.
-
-Horst kauert im Gestühl, niedergezwungen von seiner Erschütterung.
-Langsam löst er sich -- er wartet auf Lona -- sie kommt nicht -- da geht
-er, wie tastend erst, die Treppe zur Orgel hinauf -- sie ist über die
-Klaviatur hingesunken und liegt in Ohnmacht.
-
-»Lona« -- flüstert er an ihrem Ohr, er nimmt ihre Schulter, er richtet
-sie auf -- da kommt sie langsam zu sich. Ein Blick seltsam trauriger
-Hingebung bricht aus ihrem Auge -- dann aber aus seiner Verlorenheit
-findet er die alte feste Richtung seines Ausdrucks. Und nun preßt sie
-ihre Schläfen, sie schüttelt den Kopf und stellt sich auf die Füße.
-
-»Es spielt sich so schwer -- das Pedal bringt einen um -- ich bin
-einfach müde zusammengeklappt.« Unwahres sprach sie. Horst aber rührte
-nicht an ihre Zerrissenheit.
-
-Es war ein Anfang -- und alles in allem, ein Schein ist aufgegangen. In
-qualvollem Ringen. Ein Frühschein soll es sein -- es soll, es soll! Nur
-diesem mühsam glimmenden Licht nicht zu nahe kommen. Daß die zarteste
-Hoffnung nicht erlischt. Und heute nur daran denken, mit welcher Macht
-die Kunst in ihr braust! Dankbar daran denken!
-
-Wie hat es ihn geworfen zwischen Himmel und Hölle! Welch eine Windsbraut
-hat ihn als Weltenwanderer getragen, entführt, gewirbelt, ihm die
-Fittiche gesträubt, das Hirn ihm betäubt. Daß Schwindel und Ohnmacht ihn
-selber packten!
-
-Und er griff ihre Hand. »Was können Sie spielen! Ich selbst bin
-umhergeworfen -- von einem Weltenrausch --«
-
-Er suchte nach Worten. Sie versagten sich ihm. Schweigend packte er noch
-einmal ihre Hand, in zügellos heftigem Druck.
-
-Er hatte sie zum Torfmeister heimgebracht. Nun taumelte er durch den
-Abend.
-
-Dies, Kunz und Dankwart, konnte die Baracke nun nicht mir geben! Wißt
-Ihr, daß dies zu mir gehört, daß dies mir gehören muß, für mein Leben,
-mein Schaffen, mein Ziel! Ihr habt die Augen starr auf den einen Punkt
-gerichtet. Bewußt, stier und stur. Ich tadele euch nicht darum! Ihr seid
-gut für unser Land, ihr seid notwendig. Ich aber muß um mich blicken
-können, frei und weit. Und mit gestärkten, geschärften, vertieften
-Blicken suche ich dann wieder das Ziel, das meines wie euer, das unser
-ist! Ich muß mich umtun können im deutschen Land, im deutschen Geist, in
-allen Registern der deutschen Not und Qual. Und wenn ihr meint, ich
-erweiche mich so -- ich sage euch, eben so werde ich fest zu meinem
-Beruf.
-
-Und wenn die, deren tiefsten Erschütterungen ich gelauscht habe, die um
-die Wahrheit ringt und an ihrer Wahrhaftigkeit leidet, mir das Herz
-bewegt -- um so kräftiger schlägt dieses Herz für unseres Lebens Sinn.
-Für des deutschen Lebens Inbegriff und Inbrunst. Alles, alles muß dem
-einen zum besten dienen.
-
-So zog Horst ohne Scheu die Gehetzte, Gepeinigte, Zerwühlte, auch
-Verfehmte und Geschmähte an sich. Immer blieb ihr Auge bei ihm, wie es
-aus der Ohnmacht zu ihm erwachte, die erschrockene Zärtlichkeit, die
-schmerzliche Innigkeit -- wie lebte es davon in seinem Blut!
-
-Er sah die Lichter des Moorhofer Gutshauses. Da lag sein Gisbert noch
-immer in Pflege. In diesen Tagen, morgen, übermorgen sollte er in die
-Baracke heimkehren. Es zog Horst zu dem Jungen. In dessen weiter Seele
-fand er den Widerhall, den die planmäßig verwahrte Enge von Dankwart und
-Kunz ihm versagte. Und das, was in ihm wuchs und ward, es mußte sich
-ausschwingen -- ohne Worte, nur in dem Beisammensein.
-
-Gisbert saß mit Frau Tilde. Sie hatte als Gutsherrin schwer gearbeitet,
-nun lehnte sie müde im Sessel. Horst wurde herzlich begrüßt.
-
-Sie sprach von dem Wiederaufbau der niedergebrannten Stallungen. Einen
-größeren Posten Balken und Bauholz habe sie bei Gelegenheit gekauft.
-Davon werde etwas übrig bleiben, das sollte die Siedlung bekommen für
-ihr erstes Haus.
-
-Welch eine seltene Frau! Diese überirdischen Augen, die Zeugen ihres
-fernen, hohen Fluges -- und dabei doch die feste zugreifende Hand, und
-in ihrer überströmenden Güte die kluge Sorge für den Tag.
-
-»Je eher sie an ein eigenes Haus die Hand legen, um so mehr frohe
-Sicherheit ist bei ihnen.«
-
-Der Diener brachte eine Depesche. Sie öffnete sie, nach leiser
-Überwindung, mit zagender Hand. Um ihre Augen zog ein schwerer Schatten.
-Dann legte sie das Blatt beiseite.
-
-Sie sprach weiter über den Bau, und wie die Seßhaftigkeit der Herren ihr
-ein Trost sei, deren Nachbarschaft ihr eine Hilfe und Freude. Dann
-zuckte es in ihrer Hand.
-
-»Und da wir in einer Gemeinschaft stehen -- da wir mehr oder weniger
-aufeinander angewiesen sind, soll auch volle Offenheit zwischen uns
-sein. Dies hier« -- ihre Finger griffen wieder nach dem Telegramm --
-»gehört so zu meinem Leben und zu meiner Tätigkeit, ich muß mit Ihnen
-darüber reden.«
-
-Sie gab die Drahtnachricht an Horst. Er las: »Bin Amateur-Boxmeister von
-Deutschland. Gegner mit großer Technik, gutem Auge und ausgezeichnetem
-Linken landete mehrfach hart, wurde aber schließlich durch rechten
-Kinnhaken zu Boden gestreckt. Kampfdauer drei Minuten vierundvierzig
-Sekunden. Achim.«
-
-Horst gab auf ihre Bitte an Gisbert die Nachricht weiter. Dann sagte
-sie: »Es ist eine Eitelkeit in uns, die mit unserem Unglück Versteck
-spielt. Ich will mich ganz frei von ihr machen. Sie wissen ja ohnehin,
-daß ich meinen Mann schwer erkrankt aus dem Felde zurückbekommen habe.
-Man hofft immer wieder auf eine Wendung. Und immer geringer wird die
-Hoffnung.«
-
-»Gnädige Frau,« sagte Gisbert, und seine Worte leuchteten wie seine
-Augen, »lassen Sie erst wieder mehr Sonne in Deutschland sein -- sie
-kommt auch zu ihm und erlöst auch ihn.«
-
-»Mehr Sonne, Gisbert?« entgegnete sie, schmerzlich spannte sich ein
-Lächeln um ihren Mund. »Wir werden noch sehr viel mehr Finsternis in
-Deutschland haben. Und -- auch die Sonne kann Zerstörtes nicht wieder
-lebendigmachen.«
-
-Gisbert und auch Horst suchten nach Zuspruch. Mit weher Klarheit fuhr
-sie fort. »Es ist nun mal alles Empfindungsleben in ihm zunichte
-geworden. Und -- was das Schlimmste ist -- man darf selbst auch nicht
-mit irgendeiner Empfindung ihm nahe kommen -- als ob sie Ansprüche auf
-einen Widerhall erhöbe, den es nun einmal nicht geben kann. Die
-erschreckten, gequälten, kranken Augen dann -- das Herz steht einem
-still. Und so ist er nun rettungslos versunken -- in diese rohe
-Spielbetäubung des Gladiatorentums.«
-
-Ihre Hände nahmen wieder das Telegramm. »Dies ist nun eine
-Siegesnachricht. Ich soll an ihr teilhaben -- und darf doch auch wieder
-keinerlei Freude zeigen. Er weiß ja, daß sie nicht echt sein kann, und
-würde noch mißtrauischer werden. Und wenn ich ganz mich zurückhalte --
-man sucht doch schließlich immer noch nach einem Rettungsfaden! Und wir
-gehören doch zusammen.« Unhörbar fast klang es aus.
-
-Eine Freundschaft schloß das Leid dieser Frau um die drei. Daß sie aus
-ihrer leisesten Innigkeit sich so ihnen offenbarte, wie eine unsägliche
-Kostbarkeit empfanden die beiden Männer so viel Zuneigung und Vertrauen.
-In Gisberts blassem Gesicht fluteten die Blutwellen. Das Fieber seiner
-Augen hob und löste sich in der Verklärung eines unerhörten Glücks.
-
-Mit ihrer stillen Tapferkeit war Frau Tilde schon wieder bei der
-Gutswirtschaft, sprach davon, daß sie den Siedlern noch eine Milchkuh
-überlassen könnte, und bat Gisbert, der in den letzten Tagen ihr als
-eine Art Privatsekretär bescheidene Dienste geleistet hatte, in den
-Büchern festzustellen, wie viel Thomasschlacke für das Siedlungsland
-übrig sei. Sie redete dann fachmännisch mit Horst über die Bestellung
-und versprach ihm, sie wolle sich selbst bald einmal nach der
-Ödlandkultur umsehen.
-
-Dankbar nahm Horst von ihr Abschied. Welch ein Schicksal! dachte er. Wie
-klagt das deutsche Leid in immer neuen Weisen, an immer mehr versteckte
-deutsche Gräber stößt unser Fuß.
-
-Und seine Gedanken gehen zu Lona. Kann hier der Schmerz dem Schmerz
-nicht helfen, würden diese beiden Frauen, die ungleichsten der Welt,
-sich nichts zu geben haben, beide so reich an seelischem Gut und beide
-so bedürftig! Würden sie den Weg nicht zueinander finden -- über den
-Abgrund, den das Leben zwischen ihnen aufgerissen hat?
-
-Wenn ich Lona zu ihr führe! Dieser Gedanke, so kühn und doch so
-natürlich, so notwendig, läßt ihn nicht los. Ihr beide -- eben weil ihr
-aus verschiedenen Welten seid, um so mehr habt ihr euch zu offenbaren,
-und je tiefer ihr grabt, euch zu verstehen, um so mehr Schätze werdet
-ihr ans Licht heben. Ihr werdet euch verstehen und werdet mithelfen an
-der großen deutschen Versöhnung! Ihr aus den feindlichen Heerlagern --
-und doch zwei deutsche Frauen!
-
-Und Dich Lona -- aus Deiner Einsamkeit gilt es, Dich zu befreien, aus
-Deiner Abgeschiedenheit von dem, darin Dein Leben seine Wurzeln hatte.
-Möchtest Du nicht selbst zurück? Schluchzte nicht leise die Sehnsucht
-auf in Deinem sturmgewaltigen Orgelspiel, das Heimweh? Mächtiger wird es
-über Dich werden! Und zwischen uns beiden, wird nicht bald mehr zwischen
-uns sein als dieser mühsame Waffenstillstand? Lona, Du rätselhaft liebe
-Du!
-
-Er bebte in der Zärtlichkeit seines Blutes. Und es zogen durch ihn die
-Schatten, die das Schicksal wirft.
-
-Zu Frau Tilde, zu Gisbert wollten seine Gedanken zurückkehren. Die Augen
-des Freundes lebten vor ihm auf, in ihrer unbegrenzten verlorenen
-Glückseligkeit. Auch hier zogen die Schatten --
-
-
-
-
- Vor dem Sturm
-
-
-Es war ein neuer Befehl der Regierung ergangen, daß alle Heereswaffen
-abgeliefert werden sollten. Militärische Kommandos gingen um und
-überwachten die Erfüllung.
-
-Die Siedler hielten Rat. Und ähnlich wie früher sprach Horst: »Wer sind
-jetzt unsere Landpfleger?«
-
-»Landpläger«, nannte sie Kunz.
-
-»Wer sind sie heute, wer sind sie morgen? Sie selber wissen es nicht.
-Und ich kenne sie nicht. Und ehe ich nicht weiß, in wessen Hände ich
-meine Waffen liefere -- behalte ich sie lieber selbst.«
-
-Sie stimmten ihm zu. Und -- die Waffensuche ging an ihnen vorüber.
-
-In der Stadt war man sehr strenge gefahren. Aus mehreren Kellern, unter
-Fabrikarbeiterwohnungen, wurden Maschinengewehre ans Tageslicht gezogen.
-
-Die Arbeiter wüteten. Man wußte, daß die Siedler ihre Maschinengewehre
-behalten hatten. Man zeigte sie an, bei dem Offizier, der das Kommando
-befehligte. Der hatte für die Denunzianten nur ein frostiges Schweigen.
-
-Natürlich! Die Bande hält zusammen wie Pech und Schwefel! Das alte
-System! Wenn wir's leiden, verdienen wir's nicht besser!
-
-Das Falkenauge ist wieder einmal in der Kreisstadt. Es gärt aufs neue,
-jetzt mit dem Frühling, in dem elend wunden und siechen deutschen
-Volkskörper. Die »betrogenen Proletarier« wollen endlich ihr Recht.
-Wollen Abrechnung mit den sozialreaktionären Verrätern. Im Ruhrgebiet,
-in Mitteldeutschland bereitet sich etwas vor. Überall im Lande müssen
-die Flammen auflodern! Je mehr Herde, um so besser. Um so sicherer der
-große Schlag und der Sieg.
-
-Auch hier müssen wir zupacken! Unter dieser Parole tagten die Führer in
-Knubarts Wohnung hinter verschlossenen Türen. Das Falkenauge, Kittel der
-Buchbinder, Struk der Koch, ein Werkführer aus der Eisengießerei -- er
-war Feldwebelleutnant draußen und ist der Feldherr des Kreises -- und
-Lona. Auch sie ganz im Panzer ihrer Parteigesinnung.
-
-Das Falkenauge hat die Gesamtlage umrissen. Einzelaktionen werden
-verlangt, überall. Hier mit der Stadt als Operationsbasis läßt sich ein
-Vorstoß machen. Hier kann das Heil für die ganze Provinz entzündet
-werden.
-
-»Wenn uns die Siedler nicht als Pfahl im Fleisch säßen!« heißt es
-dagegen.
-
-Stahlboom, der Werkführer, spricht. Er ist schlank und gut gewachsen,
-trägt sich kavaliermäßig, wenn auch mit der Nuance des Fadenscheins, hat
-im Blick etwas fraglos Mutiges und Befehlendes, unterstreicht aber
-unnötig sein Selbstbewußtsein und zeigt zu oft kriegerisch seine
-zementplombierten Zähne.
-
-»Uns hat man die Maschinengewehre genommen. Die Siedler haben sie
-behalten. Das erste muß sein, daß wir diese Maschinengewehre uns holen.
-Ehe wir die nicht haben, liegen wir im Wurstkessel und bleiben da
-liegen! Darum -- die Baracke wird gestürmt! Die nötigen Leute haben wir.
-Gewehre und Handgranaten sind noch da. Noch sage ich. Die nächste
-Waffensuche kann uns auch die nehmen, und was dann!«
-
-»Sturm auf die Baracke!« fordert Kittel mit dem gellend pfeifenden Brand
-seiner Rede. Er war nur noch Feueratem und flammende Augen, sein Leib
-zerfallen, sein ganzes Wesen jetzt vollends von lauter Dynamitgängen
-ausgehöhlt.
-
-»Machen wir uns das eine klar!« betont das Falkenauge -- er hat den
-Weitblick, die Zusammenhänge, das konsequente Denken, »mit diesem Sturm
-auf die Baracke ist es nicht getan. Wenn er gelingt, verpflichtet er zu
-der größeren Aktion. Mißlingt er aber, ist damit für unbestimmte Zeit
-unsere Unternehmungskraft hier zerschlagen.«
-
-Sie berieten. Es wurde beschlossen, daß sie es wagen sollten. Stahlboom
-brachte den Plan in der Tasche mit. Am Abend sollte der Handstreich
-ausgeführt werden. In der Nacht würden sie dann das städtische Rathaus
-besetzen. Die Stadt wäre reif. Gäbe es einen Menschen in ihr, der
-zufrieden wäre? Und wäre es einer, wär er feige. Auf den Mut käme es an,
-auf die Tat! Nur die Tat zwingt die Herzen.
-
-Vorbereitungen sind natürlich zu treffen. Aber diese Tage, die auch
-anderswo die Entscheidung bringen, müssen uns am Werke finden!
-
-Vorbereitungen -- dazu redet Knubart, und er wittert bedachtsam. »Wir
-haben es mit einem gefährlichen Feind zu tun. Kerle sind sie alle, die
-Siedler. Und ihr Führer, der Hauptmann Oldefeld -- Lona, Sie kennen ihn
-ja persönlich.« In seinem Blick ist die lauernde Kälte.
-
-Lona hebt frei die Augen. »Ja, er ist mir bekannt.«
-
-»Sie kommen öfter mit ihm zusammen --«
-
-Nun widerstrebt sie doch, wie einem Verhör. All die Augen, die sich auf
-sie wenden, gebärden die sich nicht wie Richter über sie?
-
-Und ist in ihrem eigenen Gewissen nicht eine Stelle, darin etwas sich
-regt -- wie ein Argwohn gegen sich selber? Darf sie sich wundern, wenn
-in den andern, den Freunden, den Schwurgenossen ein Mißtrauen aufzieht?
-
-Mißtrauen! Ich bin unserer Sache treu! Was mit mir verwachsen ist, durch
-mein Denken, mein Fühlen, mein Leben -- nichts von meinem heiligen
-Glauben habe ich verloren, nichts von ihm habe ich preisgegeben! Wie
-kann ich das, ohne mich selbst zu verlieren! Ich bin bei der Fahne, ich
-bin bei dem Schwert -- bei dem Schwert unserer Fehme, wie nur je ich es
-war! Ich kämpfe mit Euch, mein Leib und Leben für unseren Kampf!
-
-Nur Schleichwege dürft Ihr mich nicht schicken wollen!
-
-Aber in Knubarts trägem, laschem Auge ist die Tücke.
-
-Man wartet auf ihre Antwort. Sie zwingt ihren Unmut nieder. Ohne Frage
-haben die Genossen Anspruch auf ihre Ehrlichkeit. Und wieder schließt
-sich etwas in ihr, wie um ein stilles Besitztum, das von allem Lauten
-entwertet wird. Das an jeder Berührung sterben muß -- das sie jetzt
-selbst berühren und zerstören soll!
-
-Ein Heiligtum also! Zum Lachen! Es gibt für mich kein Heiligtum, außer
-meiner heiligen Sache! Deren Feind Du bist, Horst Oldefeld! Todfeinde
-wir! Todfeind -- man hat das Wort so oft gesprochen, wie eine
-abgegriffene Münze ist es, deren Schrift man kaum mehr kennt. Hier ist
-aber das Wort ehern ins Leben gegossen.
-
-Eure Baracke wird von uns gestürmt! Hier hat nun jeder zu zeigen, wer er
-ist. Hier gibt es keine Empfindungsflausen, keine Gefühlskunststücke,
-keine Gedankenspreizungen im Rahmen unserer gutgespielten
-Friedenskomödie -- hier gelten jetzt die echten Sakramente: Leib und
-Blut!
-
-So hart macht sie sich selbst, so bitter hart -- und sie spricht hastig,
-sich überstürzend die Antwort auf Knubarts trächtige Frage: »Herr
-Oldefeld hat bewirkt, daß ich in Moordorf die Orgel spielen darf -- er
-hat auch schon einmal zugehört. Wir haben einen gemeinsamen Freund, den
-alten Torfmeister. Bei dem auch er Sonntags nachmittags sich einzufinden
-pflegt --«
-
-»Sonntag nachmittag«, wiederholt Knubart schwer. Und alle begreifen
-gleich.
-
-Der Werkführer erklärt: »Dieser Sonntag -- um Neumond herum sind wir,
-dunkel ist es -- der Abend ist für den Sturm die gegebene Zeit. Der
-liebe Sonntag ist ja den lieben deutschen Seelen als Ruhetag in Fleisch
-und Blut übergegangen -- den Tag zum Biertrinken und Spazierengehen, den
-suchen wir uns aus. Und wenn der Führer dann auch bis zum späten Abend
-aus dem Hause ist --«
-
-Weiter kein Wort. Ein Blick auf Lona, und sein Instinkt warnt ihn, mehr
-zu sagen. Sie alle fühlen es: kein Wort mehr. Sie kennen Lona -- ihre
-klare Härte -- die so spröde ist, wie das zarteste Kristall. Nichts von
-ihr, als was ihr Wesen selber ihr befiehlt, im Augenblick der klaren,
-harten Entscheidung. Blank und ehrlich ist nur die Tat.
-
-Militärische Besprechungen schlossen die Tagung. Nachrichten aus den
-andern Lagern sollten abgewartet werden. In zwei Tagen mußte es sich
-endgültig entscheiden, ob der angesetzte Schlag Sonntag geführt werden
-sollte.
-
-Dann kam es: die endgültige Entscheidung fiel auf den Sonntagabend. --
-
-Gisbert war wieder in der Baracke. Er war noch nicht ganz genesen, aber
-wie aus Selbsterhaltungstrieb sehnte sich grade das Zerfließende seiner
-Art nach dem Bandeisen harter Arbeit.
-
-Die Aufsicht über die Stallungen war ihm jetzt zuerteilt. Der Erste war
-er in der Frühe auf den Beinen, auch heute am Sonntag fand das Morgenrot
-ihn wach. Er ließ die Hühner aus dem Stall, sie stammten meistens aus
-Mönkhov, ein Geschenk von Frau Tilde. Es war seine Freude, für seine
-Gedanken, die längst bei ihr waren, in allem, was um ihn lebte,
-Trabanten, Pagen und Schleppenträger zu finden.
-
-Jetzt ging er in die Heide. Auf einen ihrer Hügel stellte er sich. Seine
-Blicke beteten zur aufgehenden Sonne. Unwillkürlich breitete er die
-Hände aus, die Gnadenspende des Lichtes zu empfangen. Dann setzte er
-sich und lehnte sich hin. Und seine Sinne hoben sich in den wachsenden
-Schein. Sie gingen den Weg ins Tor der Unendlichkeit.
-
-Ich suche das Ewige. In mir ist es und um mich ist es. Daß sich beides
-vereine und durchdringe ist des Lebens, ist meines Lebens Sinn.
-
-Das Bewußtsein des Unendlichen in mir! Das gehört zu mir, wie das Licht
-zu der Flamme, die in mir brennt.
-
-Der Unendlichkeit! Der ewigen Freude, ja der Freude, aus der alle Wesen
-geboren sind. Durch die sie erhalten werden. In die sie wieder eingehen.
-
-So befreie ich mich aus dem Schmerz, dem Gefühl der Endlichkeit in die
-Güte des Alls. So löse ich mich in mein größeres Selbst.
-
-Dahin trug Gisbert die Morgenandacht seiner Seele. Wir sind Nichts, was
-wir suchen ist Alles!
-
-Und wie er zurückkehrte in die Welt körperlicher Gedanken, empfing ihn
-das Glück: ich suche ja nicht allein diese Straße des Lichts, Deine
-Sehnsucht, Du meine Freundin, geht denselben Weg.
-
-In seinem Herzen, auf seinen Lippen formten sich die Worte seines
-Hohenliedes.
-
-Die Gesänge meiner Gedanken, solange sie atmen, suchen sie Dich! Ich
-grüße den Morgen, mit der Frohheit des Wachens -- mit den selig sachten
-Schatten der Müdigkeit grüß ich den Abend, den Vater der Nacht, mit
-seinen Enkeln, den Träumen. Meine Träume flüstern Deinen Namen und
-lauschen seinem Klange nach, und flüstern ihn wieder und lauschen -- und
-flüstern und lauschen. So ist meine Nacht beseelt von Deinem Wesen, wie
-mein Tag erfüllt ist von der Gewißheit Deiner Nähe, von der Seligkeit,
-daß Du bist --
-
-Aber nun, all seine Sinne schwingen ein in den Rhythmus, und ihre
-Stimmen singen leise mit. Das Bild der geheiligten geliebten Frau
-zaubern sie herbei. Ihrer Augen tiefe Gewalt leuchtet auf, das weiche
-Haar fällt über die mädchenhaft versonnene Stirn, die feine Hand mit den
-seltsam festen Linien streicht es zurück. Ihre Hand -- wie oft, wie
-lange kann er still liegen und nur an ihre Hand denken -- in der ihre
-Seele ist und auch die Kraft ihres Schaffens. Diese Hand, so voll von
-Musik und doch für sichere Zügelführung begabt.
-
-Und wie in seinen Träumen flüstern jetzt die wachen bewußten Lippen den
-Namen »Tilde« -- »Tilde« --
-
-Ein Schritt pocht auf die Erde. Gisbert fährt zusammen -- wendet sich
-um. Kunz steuert auf ihn zu, in müdem Schlendern. Hockt sich dann neben
-ihn und gähnt sich erst einmal aus.
-
-»So früh heute und das am Sonntag!« fragt Gisbert.
-
-»Weiß der Frühling, was das mit mir ist! Mich flieht der Schlaf -- mich!
-Was liegt da in der Luft? Du mußt es wissen, der Du selbst in der Luft
-liegst, Du Ätherbewohner.« Er blickt um sich: »Ist das ein böses, rotes
-Licht da auf der Heide! Zeichendeuter wird man -- Geisterseher -- was
-hat man bloß!« Dann schlang er den Arm um den Freund und sah ihm
-herzlich ins Auge. »Du, lieber Junge, wirst nun allerdings immer
-magischer. Darf man Dich denn schon wieder frei herumlaufen lassen?«
-
-»Warum nicht?«
-
-»Man wird nun mal die Sorge um Dich nicht los. Sehr viel Blut hast Du
-nicht mehr herzugeben.« Er nahm seine blasse Hand. »Und dann --«
-
-»Was noch?«
-
-»Die Angst -- ich kann mir nicht helfen -- Du könntest Dich nun ganz --
-drei Kreuze vor dem Wort und vor der Sache! -- im Pazifismus Dich
-verblutet haben.«
-
-»Pazifismus -- ich fürchte mich nicht vor Worten, Kunz.«
-
-Bei dem kam das Unwirsche seiner Morgenfrühe jetzt obenauf. »Ah! Wir
-wollen Siedler sein? Arbeiter eines Geistes an einem deutschen Werk?
-Eine politische Menagerie sind wir nächstens.« Wegwerfend schmiß er die
-Hand nach der Baracke zu. »Alle Gattungen findest Du jetzt in dieser
-Arche Noäh beisammen. Wenn ich nicht Schimpfworte vermiede, würde ich
-sagen, wir sind ein Parlament!«
-
-Gisbert schwieg. Kunz bürstete weiter seinen Grimm. »Weltanschauungen!
-Haha! Was haben wir bloß für Weltanschauungen im deutschen Land! Alle,
-die es gibt und nicht gibt. Bloß die deutsche nicht. Seit Horst zum
-Universalgenie geworden ist, flattern wir nun alle lieblich im gütigen
-All. Leb wohl, deutsche Erde!«
-
-Gisbert schwieg noch immer. Das machte Kunz nicht freundlicher. »Warum
-legen wir Siedlungsmönche denn nicht ehrlich und vorbildlich das Gelübde
-des Geprügeltwerdens ab! Warum kleben wir nicht das Wappen der
-friedfertigen Seligkeit an unser Haus, die geschwollene rechte und auch
-linke Backe! Ohrfeigengesichter wir, als Vorkämpfer des deutschen
-Pazifismus! Denn wenn es nichts mehr gibt, einen deutschen Pazifismus
-gibt es! Und weißt Du, wie der geht? Wir versöhnen uns, versöhnen uns
-mit den andern -- und die andern dreschen auf uns los! Das ist deutscher
-Pazifismus, nach unserem eigenen und der ganzen Welt Beschluß!«
-
-Der zuckende Zorn lief durch seine Glieder. Gisbert wußte, wie er litt,
-er sprach jetzt mit seinen stillen, ein wenig hilflosen Worten: »Wir
-wollen ja dasselbe, Kunz. Nur auf anderem Wege wollen wir zu demselben
-Ziel. Es ist gut für Deutschland, daß es Euch gibt. Aber auch uns gibt
-es nun einmal. Und wir müssen uns ergänzen --«
-
-»Müssen wir, was wir nicht können! Ergänzen heißt ganz machen! Ganz --
-mit Euch, durch Euch, die Ihr uns zermürbt! Nihilisten seid Ihr, die
-passiven, die schlimmere Sorte! Was habt Ihr Euch in Asien
-herumzutreiben! Die wir heute mehr als je -- die wir heute nur und nur
-und immer und weiter nichts als zu uns selbst kommen müssen! Was nehmt
-Ihr uns die Heimat des Herzens! Was verdünnt Ihr uns bis zur
-Erschlaffung mit Euren dreimal vermaledeiten Wassern des Ganges unser
-ehrliches eisenhaltiges deutsches Herzblut!« Seine Hände packten ins
-Heidekraut, rissen die Büschel aus und warfen sie in die Luft.
-
-Da Gisbert ihn unbeirrt ansah -- »Du verzeihst mir, mit Deinen
-Gazellenaugen. Gütig seid Ihr und liebevoll, aber nur aus Schwäche seid
-Ihr es. So geschieht's, daß Ihr für alles Verzeihung habt, nur nicht für
-Tugenden, für männliche! Nur nicht für Kraft! Und darum -- gefährlich
-mögt Ihr sein, aber an den Kern unseres Wesens, nein, an den rührt Ihr
-uns nicht!«
-
-Nun hatte Kunz sich vollends wieder. »Ihr haltet unsereinen für dumm. An
-unserer Dummheit liegt es dann wohl, daß Eure Klugheit uns nicht
-aufgehen will. Herrgott, ist das eine baumwollene Weisheit, die Ihr aus
-dem Lande der Baumwolle bezieht! Phrasen! Nichts als Redensarten von
-platzend hohler Allgemeinheit! An ihrer Spitze die große Heilslehre:
-»Gutsein heißt das Leben aller Leben!« Oder die erlösende Antwort auf
-die ewige Frage: welches ist der Weg zur Wahrheit? »Die wechselseitige
-Durchdringung unseres Wesens mit allen Dingen!« O verfluchter Tiefsinn
-heiliger Abstraktion! Was soll ich damit? Wo ist hier Leben, Wärme,
-Licht, wo ist hier Liebe? Und Ihr wollt uns das »verbrauchte«
-Christentum ersetzen! Gebt mir, so gebt mir doch aus Eurer Fülle! Habt
-Ihr etwas, in dem großen heimatlosen Weltraum Eurer leer leuchtenden
-Unendlichkeit, was gegen den kümmerlichsten Lichtstumpf des ärmsten
-Tannenbaums in deutscher Hütte nicht hilflos verblaßt und erlischt und
-erstirbt!«
-
-»Alles Licht leuchtet dem Einen --«
-
-»Alles -- ja -- wo nichts ist, da sagt man alles! Und fühlt sich
-gerettet. Luft -- Luft gebt Ihr statt Brot. Und wär diese Luft nicht
-noch mit Getöse erfüllt! Ihr Stillen des ewigen Friedens, gut, Ihr habt
-wenigstens Stil. Aber diese Brüller des Pazifismus! Die mit furchtbar
-krampfhaften Verrenkungen des Leibes, der Seele und des Worts, Schaum
-vorm Munde und in ihren Versen, ihre Flüche und ihr Wehe schreien!
-Schnaubende Racheengel, tosende Kriegsfurien der Friedfertigkeit! O Du
-Grundgütiger! Wer einen Bauch hat, hält ihn sich!«
-
-Gisbert blickte still in den Freund hinein. »Du nennst mich
-überschwenglich, Kunz -- bist Du es nicht auch? Und wenn nun unser
-Überschwang aus einer Quelle fließt --«
-
-»Verallgemeinere mich nicht!« stöhnte Kunz zornig.
-
-»Verallgemeinern --? Ist es so schlimm für Dich, wenn ich uns beide
-zusammenspanne?«
-
-Gisbert hatte den reinen Herzenston. Kunz war bezwungen. »Kerl -- wenn
-Du nicht so ein unwahrscheinlich anständiger Mensch wärst! Hauen möchte
-man Dich manchmal -- und haut dann lieber sich selbst. Herrgott -- laß
-Dich meinetwegen schaukeln von der Rhythmik der Ewigkeit, aber brauch
-auch die Fäuste, die Dir Gott verliehen hat! Du darfst nicht so viel mit
-Dir selbst zusammenhocken! Mit Dir und mit Deiner Gesinnungsgenossin!
-Dieser herrlichen Frau von Mönkhov! Sie ist herrlich -- aber Eure
-Seelennähe schadet Dir.«
-
-»Kunz --« man hörte in Gisbert die feinsten Saiten schwirren.
-
-»Verzeihung -- ich weiß -- _mulier taceat in ecclesia_ -- über die Frau
-schweigt man wie in der Kirche. Aber sieh, Freundschaft muß nun einmal
-reden. Und nun will ich Dir was sagen. Komm heute nachmittag mit mir ins
-Moordorfer Pfarrhaus.«
-
-»Das will ich gern.«
-
-»Du sollst Vita kennen lernen. Ihr werdet erschrecken voreinander. Du
-vor der fanatischen Enge ihres geistigen Ziellebens, vor der jungenhaft
-trainierten Muskulatur ihres vaterländischen Sinnes. Sie vor Deinem
-überweltlichen Sonnenkultus. Aber wenn Ihr beiden feindlichen Mächte --
-wenn Ihr Euch gegenseitig einander in die Arme schrecktet --! --«
-
-Er hielt inne, sein Atem setzte aus, seine Augen waren qualvoll. Gisbert
-ahnte, daß hier eine Leidenschaft sich grausam gegen sich selbst
-entflammte, er nahm wortlos Kunz bei der Hand. Und der Händedruck sagte:
-Dein liebes Mädchen ist sie, und ich bin Dein Freund -- und dann --
-längst hat mein Geschick sich erfüllt.
-
-Dankwart tauchte auf. Wandelte durch die Morgenluft, erfrischte seine
-Erfinderstirn. Er bog auf sie zu. »Wie sieht die Heide aus? Sie dampft
-in dem roten Schein. Blutdampf sagt man dazu bei uns zu Hause. Jede
-Heide hat Blut gesehen. Raucht sie so rot, gibt es neue Bluttaten.«
-
-Die Heide, die seine Heimat war, machte ihn redselig und phantastisch.
-Er hatte seine Ahnungen, wie Kunz. Gisbert aber war mit seinem Geist
-über den irdischen Visionen, die aus dem Boden rauchen. Dankwart
-erzählte, der Balbutz war gestern in der Stadt. Er hat die feine Nase.
-Und hat sowas von Verschwörung gerochen -- Verschwörung gegen uns.
-
-Es war dann an der Morgentafel davon die Rede. Die Anzeichen wurden
-geprüft. Horst nahm sie nicht schwer. Was sollte ihnen geschehen? Die
-Maschinengewehre bereitgestellt -- stets die nötige Mannschaft in oder
-bei der Baracke -- die andern immer in erreichbarer Nähe -- dann müßten
-die Angreifer schon zu Hunderten über sie einbrechen. Das aber sei der
-große Bürgerkrieg, und der komme nicht über Nacht.
-
-Immerhin -- die Vorsicht wollten sie natürlich nicht außer acht lassen.
-Und je mehr heute am Sonntag häuslich blieben, um so besser.
-
-
-
-
- Kampf
-
-
-Horst ging am Nachmittag zum Torfmeister. Lona würde da sein. Käme sie
-nicht, würde das freilich zu denken geben. Wäre etwas gegen die Siedlung
-geplant, sie wüßte davon. Und niemals würde sie durch ihr Erscheinen ihn
-in Sicherheit wiegen.
-
-Dann also hieß es auf der Hut sein. Aber erst dann.
-
-Die Sonne hatte sich versteckt. Die Luft war still, grau und lustlos.
-Die Singvögel schwiegen und hielten sich verborgen. Von der Niederung
-her riefen grämlich unsichtbare Brachvögel. Ein Turmfalk rüttelte über
-der Heide.
-
-Nach den Dünen wandte sich Horst. Er wollte einen Blick über die See
-werfen. Tückisch lag sie da, wie tot. Ein blinder Glanz war über sie
-gegossen, bleiern und giftig -- gebändigt, gefesselt, gestorben der
-freie Rhythmus des großen Wassers.
-
-Das war keine Erhebung. Er kehrte schwer und traurig in die Heide
-zurück. Sonne hätte ich heute gebraucht und schäumende Wellen unter
-blauem Himmelslicht! Wie mit Asche bestreut ist die Welt. Wir büßen --
-wir büßen --
-
-Und er schritt dumpf und gebückt --
-
-Dann hob er sich empor. So darfst Du nicht weiterschreiten. Du willst
-helfen und keuchst selbst trostlos unter Hilfsbedürftigkeit. Freimachen
-willst du und schleppst dich lahm an deinem Verzagen. Wenn irgendwo,
-brauchst du hier deine gläubige Kraft.
-
-Lona -- ja -- um Dich geht es jetzt. Ich weiß, daß Deine Starrheit von
-Dir abfallen will. Du selbst suchst, was Dein Dogma Dir nicht geben
-kann. Wärme brauchst Du -- Zärtlichkeit brauchst Du -- denn Du bist ein
-Weib, ein junges Weib. Und meine Zärtlichkeit wirbt um Dich.
-
-Ich betrüge mich selbst nicht länger mit dem, was Dir längst kein
-Geheimnis mehr ist. Und was Du selbst nicht mehr von Dir weisest, ob Du
-zuerst ihm widerstrebtest. Wir wollen zueinander. Es ist etwas, was uns
-zueinander zwingt.
-
-Und -- ist etwas, was Dich herausschauen läßt aus der Gedankenwelt, in
-der Du Dich verbarrikadiert hast mit dem Haßgefühl, das jetzt gestillt
-worden -- etwas, was Dich erhebt über die Mauern, das Schanzwerk --
-etwas, was die Burggräben Dich überfliegen läßt. Du bist dabei, Deine
-Welt zu überwinden. Diese Welt, aus Papier gebaut, aus Gedanken gefügt.
-Ein System! Das Heimweh, das deutsche Heimweh ist in Dir.
-
-Und an meiner Hand wirst Du hinausgeführt werden in das deutsche Leben!
-Ich will Dir helfen. Meine Sinne sollen sich bescheiden. Es gibt mehr in
-mir als Begehrlichkeit, die in den laschen Seelen das Starke ist --
-Besseres, Machtvolleres. Erst die geistige Erfüllung soll auch den
-Sinnen das Glück bescheren.
-
-Aber sie dürfen hoffen, sie dürfen wünschen. Sie leben und haben ihr
-Recht am Leben. So trug es jetzt seine Tritte. --
-
-Kunz wollte mit Gisbert am Nachmittag im Moordorfer Pastorenhaus den
-Besuch machen. Da sah er etwas, was ihm nicht gefiel.
-
-Einzelne Ausflügler aus der Stadt wurden auf den Goldbergen sichtbar.
-Beschauten sich die Gegend, zeigten sich dies und das. Betonten ihre
-Naturliebe, legten die schöne Aussicht sich wechselseitig ans Gemüt.
-Möglich, daß sie harmlos waren. Möglich auch, daß sie Kundschaft
-trieben. Halten wir die Augen offen! Warten wir, ob es einen Gang der
-Handlung geben wird.
-
-Nun zwei Familien mit Kindern -- sogar ein Kinderwagen ist dabei --
-steuern treuherzig auf die Baracke zu. Lagern sich unweit von ihr im
-Freien -- wozu es eigentlich noch zu kühl ist, da die Sonne fehlt. Holen
-ihre Atzung hervor, ziehen Thermophorflaschen aus den Kinderwagenkissen.
-
-Die Kleinen laufen herum, sehen die Hühner und den vornehm wie ein
-ehernes Bildwerk ruhenden Muz. Zutraulich kommen sie näher, mit dem Hund
-möchten sie spielen. Der aber ist nicht kinderlieb und blickt sie nur
-wachsam unnahbar an. Mit den stumpfsinnigen Hühnern läßt sich keine
-Kameradschaft schließen -- die Kinder möchten wissen, was für Getier da
-hinter den Stallwänden sitzt. Sie drängen sich vertrauensvoll an die
-Bretter und hoffen auf eine Ritze.
-
-Jetzt treten die Erzeuger in Tätigkeit. Sie kommen die Anhöhe herunter.
-»Dürft ihr denn das?« Und dann wenden sie sich höflich zu Kunz, der zum
-Ausgehen fertig vor der Baracke sitzt und auf Gisbert wartet. Er faßt
-sie ins Auge -- Arbeiter aus der Stadt offenbar -- anständig gekleidet,
-gewandt.
-
-»Entschuldigen Sie,« sagt der Kleinere und Lebhaftere, »wenn die Bengels
-Ihnen lästig fallen. Aber wenn sie Pferde riechen, sind sie nicht zu
-halten.«
-
-»Das ist recht!« erklärt Kunz, und fröhlich leuchtet er ihnen ins
-Gesicht. »Die sollen einmal zur Kavallerie!«
-
-Die Nasen in den gesinnungstüchtigen Gesichtern werden lang. Da riecht
-an! denkt Kunz, wie Eure Jungens an dem Pferdemist. Aber sie behalten
-sich in Zucht und haben offenbar noch etwas auf dem Herzen. Ist es
-unbefangene Wißbegier? Oder wollen sie tatsächlich spionieren?
-
-Beginnen ein Gespräch. Wie nützlich das Siedlungswerk sei. Und die
-Baracke so praktisch angelegt. Hier Stallungen und die Wohnräume da.
-Aber schwere Arbeit! Und die Sonntagserholung, der Sonntagsausgang
-doppelt nötig.
-
-Zwei Teufel streiten sich, die Kunz reiten möchten. Der eine, mehr von
-der guten Sorte, will da mit ihm hin: »Seht euch ihn mal an, unsern Bau!
-Kommt mal mit herein! Die meisten Siedler tun, was sie immer Sonntag
-nachmittags tun, nach ihrem schweren Alltagswerk. Sie liegen in ihren
-Kojen und schlafen. Sie sind und bleiben zu Haus. Und am Abend sind sie
-auf den Beinen. Hier auf den Gängen aber, da stehen unsere
-Maschinengewehre. Kampfbereit. Vier Stück. Für jede Himmelsrichtung
-eins. Und sind im Handumdrehen vor der Tür. Und wenn einer Lust hat, zu
-erleben, was Feuerbereich ist --!«
-
-Und dann sitzt der andere, der sehr bösartige Teufel ihm im Genick und
-flüstert ihm ins Ohr: »Laßt die Bande doch herauskommen heute abend!
-Warn sie nicht, stör sie nicht! Sag ihnen, alle sind ausgegangen, sich
-zu amüsieren -- und kommen vor Morgengrauen nicht nach Hause. Du und
-Gisbert -- da kommt er gerade -- ihr seid nun die letzten, die gehen!
-Schließ vor ihren Augen die Haustür zu! Und wenn ihr unterwegs seid --
-von den Goldbergen könnt ihr es sehen -- die marschieren schnurstracks
-mit Kind und Kegel in die Stadt und bringen den Genossen Nachricht! Und
-was dann am Abend wird --! --«
-
-Solche Einflüsterung gibt Kunz dann freilich nicht an die Ausfrager
-weiter. Aber was sie nun damit anfangen, daß sie ihn, nachdem er sich
-nicht unfreundlich verabschiedet hat, mit Gisbert sich entfernen sehen,
-das bleibt ihre Sache.
-
-Zum Pfarrhaus aber, so zaubermächtig es ihn zog, begaben sie sich doch
-nicht. Auf den Goldbergen, ihren heiligen Höhen, den weisenden,
-wissenden machten sie halt. Und als sie sich nach der Baracke umdrehten,
-gewahrten sie in der Tat, daß die Ausflügler, wie es schien, in
-beschleunigter Gangart heimwärts zogen.
-
-Jetzt wurde Kunz hell und hart, ganz Verantwortung, ganz Dienst. »Wir
-bleiben zu Hause, Gisbert. Wenigstens ich. Vielleicht bekommen wir heute
-abend nun doch Besuch. Und Besuch -- will empfangen werden.« --
-
-Horst fand den Torfmeister allein. Lud Uhlenbrook war wieder tapfer auf
-den Beinen. »Jedes Jahr acht Tage Lona, und ich sterbe überhaupt nicht!«
-
-Der Alte wunderte sich, daß sie noch nicht da war. Sie wollten mit dem
-Kaffee auf sie warten -- Kaffee aus Moorwasser ist der beste, den es
-gibt -- kommen täte sie bestimmt. Auch vorgestern hätte sie sich
-verspätet. Sie hätten da in der Stadt offenbar wieder mit Sitzungen so
-viel zu tun. Dazu seufzte der Alte, daß der Dachfirst es spürte. Und er
-machte einen seiner grimmigen Witze: all die vielen Sitzungen in
-Deutschland seien Schuld, daß es nicht wieder aufstehe!
-
-»Bravo, alter Lud!« sagte Horst und schlug ihm auf die Schulter, daß
-seine Hand an den Mammutknochen zerschellte.
-
-Der Abend lugte schon in die graue, glasige Welt. Nebel zogen über das
-Moor, es deckte sich zu mit dem Flaum, es wollte schlafen. Die Männer
-waren schweigsam geworden. Sie lauschten auf den Schritt, der nicht
-hallen wollte.
-
-Nun riß es plötzlich an Horst. Eine Mahnung, ein Alarm, ein Kampfruf!
-»Sie kommt nicht mehr«, sprach er schrill. Dies war bedeutsam. Dies
-verkündete Unheil. Das hieß, ich muß jetzt gehen. Auf meinen Posten muß
-ich!
-
-»Sie kommt«, sagte der Alte. Und Horst ließ sich noch einmal nieder.
-Aber es wogte und wirrte in ihm. Sie sprachen dies und das. Vom
-Torfstich, von der Bestellung des Ödlandes. Doch, es litt ihn nicht
-mehr. Diese Moornebel da draußen waren sein Tod.
-
-Er sprang vom Stuhl. »Ich will jetzt doch nach Hause.« Da lauschten sie
-auf. Sie blickten in den Vorgarten. Lona war es.
-
-»Ich komme spät«, sagte sie. In ihrer Stimme war ein gehaltener Klang.
-
-»Was war denn?« fragte Lud.
-
-»In der Kirche war ich --«
-
-»Sie haben Orgel gespielt? --!« rief Horst schmerzlich.
-
-»Es wurde mir schon dunkel in der Kirche. Wär ich erst hierhergegangen,
-hätte ich zuviel Zeit verloren. Und ich brauchte das Spiel heute so.«
-
-»Und ich hab nicht dabei sein dürfen!« Darin war leidenschaftliche
-Klage.
-
-»Hätten Sie es auch so nötig gehabt --« --
-
-»Sie meinen, ich hätte es fühlen müssen, daß Sie da waren!« fiel er
-gleichgestimmt ein, mit hellen, brennenden Augen.
-
-»Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen.« Sie sprach dann
-still mit Lud.
-
-In Horst flog es. Was sie sagte -- und der Klang ihrer Worte -- zitterte
-nicht ein Vorwurf darin, ein Entbehren, eine Enttäuschung? Das Gefühl
-einer Zusammengehörigkeit -- es lebte in ihr, wie in ihm es lebte! Mehr
-noch in ihr, da seine Ahnung versagt hatte --? --
-
-Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen! Sie hatte erwartet,
-daß er da sein würde. Ja, er gehörte dazu! Für ihn wollte sie spielen.
-Ganz gewiß nicht für sich allein.
-
-Ich brauchte es so! Hieß das nicht auch, ich wollte Dich bei mir haben?
-Du solltest mich hören, ich wollte zu Dir sprechen! Wollte mich Dir
-offenbaren aus meines Wesens Tiefe! Dir -- der einzige bist Du, dem ich
-mich so bekenne. Denn wir sind uns nah.
-
-Ich hab nach Dir gerufen -- und Du bist nicht gekommen. Wie
-schmerzlich-zärtlich wallte es in ihm auf unter dieser Klage. Das
-Gewissen peitschte sein Gefühl in heißen Wellen.
-
-Du sollst nicht an mir zweifeln -- nicht an dem Zug meines Lebens, der
-mich zu Dir zwingt. Um so schmerzhaft inniger, da es jetzt wie eine
-Schuld auf mir liegt. Eine Schuld gegen Dein Empfinden.
-
-Aber sieh, es sind so starke Störungen, die die Leitung hemmen und
-erschweren. Der Kampf, der Bruderzwist mit seinen Trübungen, seinem
-Wirrsal, seinem Argwohn und Verdacht. Von diesem Gewühl -- wann wird
-unser Gefühl sich davon losmachen?
-
-Jetzt sind wir soweit, daß unsere Hände sich nehmen -- sie erschrecken
-nicht mehr voreinander. Und unsere Hände sollen sich halten und immer
-mehr sich beschenken. An einer Gabe soll die andere sich beseelen.
-
-Wie still versonnen, wie mädchenhaft scheu hockte sie bei dem alten Lud.
-Dessen Augen in sie »wie in einen goldenen Becher« sahen, dessen schwere
-ehrliche Hand sich mit einer so heilig behutsamen Zärtlichkeit auf ihren
-Arm legte, voll dankbaren Glücks.
-
-In die niedrige Stube bettete die Dunkelheit sich ein. Über dem Moor
-braute der Abend. Hohl rief ein Kauz aus dem Erlengestrüpp.
-
-Da richtete Lona sich auf. »Jetzt ist es Zeit für mich.« Horst sah in
-ihrem Auge eine große Angst, die er nicht begriff, dann ein
-schmerzliches Irren, und wieder waren sie wie nach Innen gewandt. Und
-als sie dann wieder ins Leben blickten, hatten sie den kalten Schein,
-der ihm so schmerzlich war.
-
-Sie nahmen Abschied von dem Alten. Zärtlicher als sonst umfaßte sie ihn,
-daß er wie ein Betrunkener taumelte und grunzte und herumfuhrwerkte.
-Dann ging sie mit Horst.
-
-»Bis zur Mühle nehmen Sie mich mit, nicht wahr?« fragte er. »Wir wollen
-hier auf dem Waldweg bleiben.«
-
-So ließen sie die Baracke weit ab liegen. Lona machte eine Bewegung,
-dann aber folgte sie seiner Führung.
-
-Lind und still ist um sie der Abenddämmer. Die Luft schweigt. Nur von
-fernher aus dem Innern des Waldes tönt das Gurren wilder Tauben, die
-ihre Schlafbäume aufsuchen, in den sanften Rhythmen wie märchenverloren.
-
-Und es verliert sich der Raum in diesem grauen Rinnen und Rieseln, es
-verliert sich die Zeit. In Vergessenheit schreiten sie, in Wolken, in
-Schweigen. Wie Traumgestalten.
-
-Ein Ausruhen ist es ihnen in Körperlosigkeit, wohltuend nach dem
-Ungestüm, den Zuckungen, den Brandungen, in die sie die Zeit geworfen.
-
-Sie haben eine Scheu, dies Land zu verlassen, ängstigen sich vor dem
-leibhaftigen Wort, wandern weiter in Schweigen.
-
-Die Welt von uns abtun -- alles da draußen versinken lassen -- vergessen
-die Zeit, die Bedrängnis des Geschehens -- nichts wollen, nichts denken
--- nichts wissen -- --
-
-Dann aber, da sie immer tiefer und gedankenloser hinabgleitet, geht
-durch ihn, durch sein wallendes Blut der leise Schlag des Erwachens.
-
-Sie ist bei dir, allein sind wir miteinander. Um uns ist der gütige
-Abend. Kostbar ist die Zeit, kostbar und inhaltschwer. Jede Minute atmet
-schicksalsvoll, in jeder Sekunde pocht das Glück.
-
-Ich bin ausgezogen, Dich zu gewinnen! Herüberholen will ich Dich zu mir!
-Gerade weil Du etwas Eigenes bist, mit eigenem starken Willen und Leben!
-Ob ich sonst um Dich werben würde?
-
-So aber werbe ich um Dich!
-
-Und sein Wort leuchtet sieghaft auf: »Ich kehre nicht um bei der Mühle,
-noch weiter gehe ich mit Ihnen, Lona!« Nun ist sie erschrocken wach.
-
-»Ich will den Abend bei Ihnen sein!« drängt er weiter.
-
-Bei mir -- nicht bei den Kameraden -- nicht auf Deinem Posten --! -- So
-habe ich Dich in der Hand. Und muß ich nicht -- muß ich Dich nicht in
-der Hand haben! Daß Du fern bleibst von Deinen Kameraden!
-
-Unsere Feinde seid Ihr. Unschädlich sollt Ihr gemacht werden!
-Entwaffnet! Das soll und muß sein. Wenn etwas, liegt das in meinem
-Willen.
-
-Nun sind sie eine Truppe ohne Führer. Das ist gut. Damit haben wir, wir
-das Spiel gewonnen.
-
-Und daß ich die Macht über Dich habe! Sie auskosten, den Triumph durch
-alle Sinne sich flammen, sich jagen lassen, durch alle Nerven, alle
-Fasern!
-
-Noch immer ist die Rache in mir, ungestillt! Und wenn etwas von Deinem
-Wesen ins Blut mir gehen will -- was bildest Du Dir ein! Träumst Du von
-zärtlicher Regung! Grausamkeit ist, was sich regt. Wie sie in den Krieg
-gehört! Grausamkeit, die Lust am Quälen! --! --
-
-Denn Krieg ist und bleibt zwischen uns! Darum -- Dein Leben zerstören
-ist das nicht mir aufgegeben -- und mein Wille!
-
-Und wie wird Dein Leben zerstört sein! Da der Schlag gegen Dein Haus
-geführt wird, Du hütest es nicht! Du hast Dich von ihm entfernt -- um
-eines Weibes willen. So wirst Du es Dir nennen, und wirst daran
-vergehen.
-
-Und das Weib bin ich!
-
-Uns hat etwas zueinander getrieben, machtvoll, hindurch durch die
-Fluten, die zwischen uns brausten. Was war es -- was ist es? Gleichviel,
-was es ist! Wir stehen im Kampf!
-
-Du bist ehrlich gegen mich gewesen, offenherzig, weitherzig und warm,
-ganz anders wie Deine Gesinnungsgenossen sind. Und es gab einen Klang
-zwischen uns. Gleichviel -- wir stehen im Kampf. Soll ich meine Freunde
-verraten um Deinetwillen! Meinen Glauben! Der erste wärst Du, der mich
-verachtete!
-
-Der mich verachtete -- und wenn ich nun weiter mit Dir wandere durch den
-Abend in die Nacht -- bedachtsam -- da ich weiß, was Euch bevorsteht --
-und Dich fortschaffe von dem Geschehnis, in das Du gehörst mit Blut und
-Leben -- wird das, was übrig bleibt, nicht der Fluch sein auf mich und
--- meine Tücke.
-
-Tücke! Darf ich unser Geheimnis Dir preisgeben! Die Freunde soll ich in
-Eure Hände liefern! Soll den Tod über sie bringen -- um Deinetwillen!
-Wahnsinn!
-
-Es braust in ihren Ohren. Sie hört nicht die Worte, mit denen Horst sie
-jetzt umfängt. Aber sie fühlt seine Hand, wie sie ihre Finger nimmt mit
-festem Druck.
-
-Was ist es, daß sie sie ihm läßt! Muß sie ihre Rolle weiterspielen? Oder
-hält sie ehrlich ein ehrliches Geschenk, das sie freut, ein Gefühl, dem
-sie sich neigt im Gleichklang der Sinne und der Seele?
-
-Immer war Waffenstillstand zwischen uns, immer der Friede. Wir waren
-über unserem Kampf. Können wirs nicht bleiben? Vergessen die andern --
-die Welt -- alles da draußen vergessen. Allein sein miteinander --
-allein auf der Welt --
-
-Da -- wie seine Hand ihren Arm greift, bäumt sie sich zurück -- ist es
-der Widerstand des Weibes, die Furcht vor dem Erliegen -- kurz, hastig,
-wie bellend stößt sie hervor: »Sie sollten heute abend lieber in der
-Baracke sein -- und nicht hier bei mir!«
-
-Horst steht und starrt, betäubt. Dann -- ein Blitz zerreißt die Wolken.
-Er sieht das Geschehen -- er fliegt in die Höhe, als wolle er durch die
-Luft. Und dann in wilden Sprüngen stürmt er -- über den Sturzacker -- in
-die Heide --
-
-Und Lona, wie im Ertrinken, greift nach dem Gedanken: so ist nun ehrlich
-die Fehde zwischen uns angesagt -- ich will zu den Freunden!
-
-
-
-
- Blut auf der Heide
-
-
-Gradenwegs rennt Horst nach seinem Ziel. Vom Abendhimmel fällt jetzt ein
-leichter Schein. Wind hat sich aufgemacht, hat die Wolken ausgesponnen,
-durch den Dunst schimmert es von der feinen Mondsichel und dem
-helljubelnden Liebesstern.
-
-Einzelne Gestalten -- wie Indianer auf dem Kriegspfad -- heben sich vom
-westlichen Horizont -- war das da hinten nicht ein kleiner geschlossener
-Trupp --? Und in dem schwarzen Kieferngehölz -- ein paar mächtige
-Glühwürmchen zucken hin und her -- Taschenlampen -- das Waldstück ist
-besetzt. Die Baracke wird planmäßig eingekreist.
-
-Horst fliegt über die Heide. Bricht ein paarmal in die Knie. Da --
-Männer vor der Baracke -- Kameraden -- sie sind auf der Wacht.
-
-Keuchend wankt er vor sie hin. »Raus mit den Maschinen!«
-
-»Gott sei Dank!« begrüßen sie ihn. Dankwart, Kunz, Gisbert sind da. In
-Kunz ist das harte Feuer: »Wir werden ihnen die Reißzähne zeigen!«
-
-Jeder bewaffnet sich für alle Fälle mit Pistole und Gewehr. Horst
-befiehlt: »Warnungsschüsse natürlich. Nur Warnungsschüsse. Bis zum
-letzten.« Und noch einmal schärft er ihnen ein: »Bis zum letzten.«
-
-»Heißt, bis die andern uns mit 'ner Kugel holen!« knurrt Dankwart.
-
-»Schad nix. Sterben wir in Schönheit!« knurrt Kunz zurück. »An unserer
-Sisasentimentalität.«
-
-Die Feinde zögern. »Blockhaus -- Rothäute. Ganz nickkartermäßig wird
-einem zu Mut.«
-
-Zu lange zögern die Feinde. Die diesige Luft klärt sich auf. Der Himmel
-gibt Sternenschein. Jetzt sind nur noch zwei Seiten gefährlich. Das
-weite Schußfeld der Heide vor ihnen bietet keine Überrumpelungs-, keine
-Angriffsmöglichkeiten mehr. Wenn die Feinde stürmen, kommen sie den Hang
-herunter und brechen aus den Knickbüschen zur Rechten.
-
-Und nun -- sie brechen aus den Knickbüschen. Horst durchzuckt es: nur
-von der einen Seite -- nicht auch zugleich von den Hügeln -- soll das
-eine Kriegslist sein?
-
-Es war eine List. Diese kleine Schar sollte ablenken. Der Hauptstoß
-sollte von oben erfolgen --
-
-Tak -- tak -- tak -- tak -- tak -- das Maschinengewehr gegen die
-Stürmenden. Dieses tödlich unheimliche Tacken -- der scharfe
-Pendelschlag des Verderbens -- die Herzen stocken -- die Reihen wanken
--- Rufe -- Schreie -- gereckte Arme -- wirbelnde Glieder -- fliehend
-stieben sie auseinander.
-
-Jetzt das Gros von der Höhe -- mit wildem Hurra -- das Brüllen soll das
-Tak-Tak übertönen. Aber scharf reißen diese Todestaktschläge hindurch --
-zwei Maschinen auf dieser Seite -- sie arbeiten gegeneinander auf --
-überbieten sich -- wetteifern im Verderben --
-
-Wer kann dagegen an! Auch hier stocken die Reihen -- wogen durcheinander
--- fluten zurück -- zerflattern in rasender Flucht -- über ihnen pfeifen
-die Kugeln --
-
-Nur ein kleiner Stoßtrupp, fünf, sechs Mann sind mutig vorgestürmt --
-zwei Handgranaten fliegen -- Knall, Rauch, sprühender Sand, Fetzen von
-Erde -- Handgemenge -- mit einem Kolbenschlag wirft Horst den nieder,
-der gegen ihn anspringt.
-
-Die andern werden überwältigt und entwaffnet. Vier Siedler sind
-getroffen, nicht schwer. Der Gegner von Horst liegt besinnungslos. Die
-Entwaffneten stehen dumpf, geduckt, verbissen. »Geht nach Haus und grüßt
-Eure Großmutter!« sagt ihnen Kunz.
-
-»Wir wollen -- unsern Genossen mitnehmen!« fordert der eine.
-
-Horst hat Umschau gehalten. Von den Feinden ist nichts mehr zu sehen.
-Sie fluten nach der Stadt zurück. Von denen ist nichts mehr zu besorgen.
-
-Jetzt trat er ruhig zu dem Besinnungslosen. »Ich glaube nicht, daß er
-transportfähig ist«, sagte er bestimmt. »Sie müssen ihn schon
-hierlassen.«
-
-»Er soll mit. Wir tragen ihn --« erklärten die Genossen.
-
-»Was jetzt soll, sage ich hier. Nicht Sie. Er bleibt. Ich hoffe, er ist
-zu retten. Aber nur so. Einer von Ihnen kann ja seine Pflege mit
-übernehmen.«
-
-Die Männer berieten. »Wir müssen uns fügen.«
-
-»Ja, das müssen Sie.« So blieb einer zurück, ein Krauskopf mit
-Mulattengesicht. Die andern gingen wortlos von dannen. Kunz aber, der
-Abschiedsworte liebte: »Wir bedanken uns auch bei Euch! Daß Ihr uns
-nicht in Pflege zu nehmen braucht!«
-
-Horst war mit Sellmann, ihrem tüchtigen Sanitäter um den Liegenden
-beschäftigt. »Schwere Gehirnerschütterung«, sagte der Medizinmann. »Der
-Schädel ist offenbar ganz geblieben.« Sie trugen ihn hinein.
-
-»Wir werden das Feld jetzt noch absuchen, zur Sicherung«, beorderte
-Horst. »Und dann -- hoch genug haben wir ja gehalten -- aber vielleicht
-ist doch noch diesem oder jenem etwas geschehen.«
-
-Kunz führte die Streife. Horst ging in seinen Raum. Er warf sich lang
-auf sein Bett. Ein paar Minuten Ruhe! Seine Nerven flogen.
-
-Der rasende Lauf durch das Gelände -- dann der Kampf -- und nicht
-weniger als dies der jähe Sturz aus der Traumwelt, in der er gewandelt
--- Lona -- von Deiner Seite in den blutigen Kampf mit Deinen Brüdern,
-Mann gegen Mann!
-
-Und Du warst es, die mich warnte. Mich, der ich wie blind neben Dir
-herlief. Der ich mit Dir weiterwandern wollte, hinein in die Stadt. Um
-bei Dir zu sein, die Du mir lieb geworden bist!
-
-Und wie lieb muß ich Dir sein, daß Du mich wecktest aus meiner
-Gedankenlosigkeit und auf den Weg meiner Pflicht mich führtest. Meine
-Pflicht -- die gegen Deine Sache streiten, die ihr die Wunde schlagen
-mußte! Meine Pflicht, gegen die Deine eigene Pflicht sich erhob.
-
-So hast Du mir Dich aufgeopfert! Und hast Du so Deine Welt nicht hinter
-Dir gelassen? Keine Heimat gibt sie Dir mehr. Die Fäden sind zerrissen.
-Du gehörst uns. In mein Leben gehörst Du. Eigenes Heimweh hat in meine
-Welt, hat zu mir Dich gezogen -- nun halt ich Dich fest! Nun bist Du
-mein!
-
-Hohl klingt ein Murmeln an die Wand des Schuppens. Wälzt sich dumpf,
-düster und schwer. Legt sich ihm auf die Brust wie ein Mar. Was friert
-ihm so ins Blut? Was schauert ihm so durch die Seele?
-
-Er springt auf und tritt hinaus in den Gang, tritt vor die Tür. Die
-Streife kehrt zurück. Sie tragen jemanden. Kunz geht voran. Horst ist
-bei ihm. »Eine Frau«, sagt Kunz, weiter nichts. Seine Augen sagen mehr.
-Horst aber weiß es längst, was er jetzt sieht. Lona. Und sie ist ohne
-Leben.
-
-Er weiß es, er sieht es -- und glaubt es wieder nicht. Seine Hände irren
-über ihr eisiges Gesicht -- sie wollen sich irren -- sie rühren, sie
-fassen den Tod.
-
-»Lo-na.« Seine Zähne klappern. »Lo-na.« Zerrissen ihr Name. Ihr Wesen
-zerfallen. Zerbrochen ihre Form. Ihre Seele entflogen.
-
-Ein Schuß mitten durchs Herz.
-
-Und jetzt die Fragen der andern: War sie selbst unter den Stürmenden
-gewesen? Dann am alleräußersten Flügel. Oder hatte sie als Zuschauerin
-abseits gestanden? Kugeln irren sich so gern.
-
-Horst hatte seine Antwort. Hergeworfen -- hergewirbelt hat es Dich --
-nicht ein Gefühl allein -- Du mußtest dabei sein -- nicht bloß sehen, es
-mit erleben -- ein Schuldbewußtsein flocht Dich in die Reihen der
-Genossen -- und doch Deine Gedanken flogen ihnen voraus. Sie waren bei
-mir -- sie suchten mich -- in schmerzlichem Verlangen --
-
-So war es. Steht es nicht so in Deinem Gesicht geschrieben? Ist all das
-Zerwühlte nicht zur Ruhe gebracht? Schwebt darüber nicht etwas wie die
-weiche, bebende, sorgende Zärtlichkeit des Weibes?
-
-In der Halle war die Leiche niedergelegt. Horst hielt bei ihr die
-Totenwacht.
-
-Unwirklich war ihm noch alles. Wie trunken machte ihn der Schmerz. Seine
-Fieber taumelten wie in den Visionen einer Dichtung.
-
-So umgeisterte ihn alles, was er mit Lona erlebt hatte -- seit der
-ersten Stunde, da sie sich fanden. Wie er sie das schöne, böse Raubtier
-sich nannte, in der Versammlung -- als sie zum Sprunge gegen Herrn
-Borkhus sich duckte, den Zerbrecher ihres jungen Glücks. Wie sie ihre
-überhitzte Schulmeinung ihm ins Gesicht sprühte: deutsch ist mir ein zu
-unwesentlicher Begriff! Blieb sie in der Öde solcher Verstiegenheit?
-Fing sie nicht an, auf ihre heimatlichen Wurzeln sich zu besinnen?
-Langsam -- Geduld mußte man mit ihr haben --
-
-Als er aus der Kirchhofshaft sie befreite, da starrte sie noch in Waffen
-gegen ihn. Aber wie der alte Lud dann ihr Wesen ihm gedeutet hatte -- je
-mehr er sie begriff, um so näher rückte sie ihm, um so näher rückte er
-ihr. Was sie auf der Landarbeiterversammlung sprach, Klänge aus der
-Tiefe, die in ihm widerhallten. Und wie sie beide bei Lud sich fanden,
-sich etwas zu sagen und zu geben hatten -- bis sie in der großen
-Offenbarung ihres Orgelspiels mit allem, was in ihrer Seele flutete und
-brauste und kämpfte, verzweifelte und zum Licht sich aufbäumte, mit den
-schmerzvoll heiligen Feuern ihrer Seele ihn überwältigte.
-
-Du suchtest den Weg, der Dir verschüttet war -- Du fandest ihn über
-Trümmer, einen schmalen Pfad -- ich durfte die Hand Dir
-entgegenstrecken, Du wolltest sie ergreifen --
-
-Und jetzt abgestürzt -- zerschmettert -- zerbrochen --
-
-Und nicht mehr rollten die Bilder an ihm vorüber, wie Szenen eines
-Schauspiels, das ihm als Zuschauer den Atem versetzte -- die
-Wirklichkeit riß ihn aus dem Rausch der Todesnähe, das Leben, sein Leben
-packte ihn an -- ein Teil von seinem Leben war ihr Tod. Ein Teil von ihm
-war mit ihr gestorben.
-
-»Lona« -- er umspannte ihre kalten, welken Finger. Vor ein paar Stunden
-hatte er sie noch gehalten -- wie pulsten sie in seiner Hand, wie pochte
-ihr Blut an das seine! Jetzt ist der große Abgrund zwischen uns, über
-den nur die Todesfittiche tragen. Und Du bist auf der geistigen Seite.
-
-Du blasse Lona -- nicht mehr das schöne, böse Raubtier -- o nein -- ein
-schöner, guter, verklärter Geist -- nicht mehr ans Irdische gefesselt,
-nicht mehr dem Körper verhaftet, jetzt hast Du Dir das Jenseits erobert,
-das Dich so quälte. Jetzt sind die Schleier gefallen, die Geheimnisse
-enthüllt -- jetzt siehst Du den Sinn der Welt. Des Lebens! Des Lebens
-vor dem Leben. Des Lebens nach dem Sterben.
-
-Und hat das alles seinen Sinn -- was ist sinnvoll anders als gut? Der
-gute Sinn, der große gute Sinn des Lebens, der große gute Sinn der Welt.
-
-Kann der Tod ihn uns verdunkeln? Führt er nicht gerade, was in uns, den
-Überlebenden, stark und echt und treu ist an Liebe und Kraft, an Fühlen,
-Denken und Wollen, empor zu der Höhe eines Gelöbnisses!
-
-Sich treu bleiben! Seinem Fühlen und Willen treu bleiben! In seinem
-Fühlen und Willen sich klären! In seinem Fühlen und Willen sich
-vollenden!
-
-Wieviele Kameraden hat Horst begraben! Vor jedem Toten hat er so
-gestanden, gehoben, gesteigert, beflügelt in seinem Wesen, gefestigt in
-einem Schwur. So strömt uns neue Kraft zu von unseren Toten. So sind die
-für uns gestorben, die uns lieb waren.
-
-So bist auch Du für mich gestorben, Lona. Die Du mir feind warst, die
-ich Dich lieb gewonnen. Tränen schauerten durch ihn hin. Da machte er
-sich hart.
-
-Sich treu bleiben, seinem Fühlen, seinem Willen treu bleiben. Und so in
-die Höhe wachsen, aus sich, in sich, zu sich selbst empor! Er stand
-aufrecht und frei, von seiner Andacht geweiht.
-
-Kunz kam herein. Er berichtete, der Verletzte wäre zu sich gekommen,
-finge an zu toben, wollte nicht länger bleiben.
-
-Horst ging zu ihm. Er lag, den Oberkörper aufgerichtet, die Hände
-krampfhaft aufgestemmt -- das wirre Haar hing ihm in irre Augen -- »ich
-laß mich nicht einsperren -- schlagt mich tot -- ich laß mich nicht
-quälen --!«
-
-Jeder sah, daß an ein Fortschaffen nicht zu denken war. Auch der Mulatte
-schüttelte den kugelrunden Kopf.
-
-Horst sprach ruhig auf ihn ein. »Sie sind krank und hilfsbedürftig --
-wer wird Ihnen was zuleide tun! Sie werden hier gesund gepflegt. Wenn
-Sie sich ruhig verhalten, können Sie vielleicht morgen schon nach
-Hause.«
-
-Ruhiger wurde er, von den Worten, von dem Stimmklang. Aber in den Augen
-ging es noch weiter um. Dann sah und erkannte er den Genossen. »Was tust
-Du hier? Bist Du auch gefangen -- schämst Dich nicht -- kannst rumlaufen
--- ich -- den schweren Kopf -- den -- schweren -- Kopf --«
-
-Jetzt sank er zurück, zuckte noch, und dann kam der Schlaf über ihn.
-
-In der Baracke ging man zur Ruhe. Ein guter Teil der Nacht war vorüber.
-Horst mit zwei Kameraden hatte die Wache bis zur Frühe übernommen. Die
-beiden machten es sich im Eingang bequem. Er, im Mantel, setzte sich auf
-die Bank vor der Tür und wartete den Morgen entgegen.
-
-Müde gingen seine Gedanken ein in die große Sternenstille. Müde und
-demütig. Ihr Sterne, ich kann Euch nicht einmal zählen. Wie soll ich
-Euch begreifen? Funken der Ewigkeit ihr --! --
-
-Mein Erdenschicksal -- ein Staubkorn nur dieser kleinen Erde und mir so
-wichtig und schwer --
-
-Und doch -- ich bin nicht verloren -- ich bin in der Unendlichkeit --
-und darum die Unendlichkeit ist in mir -- in mir das Ewige -- den Stolz
-des Lebens, ich darf ihn fühlen. So darf ich in die unermessene Höhe
-sehen, ohne zu verzagen. Darf an ihr wachsen, in sie wachsen, denn sie
-ist mein.
-
-Im Osten zog sich ein fahler Streif, an dem die Sterne verblaßten. Der
-Morgen rieb sich die Augen. Vom Westen her, wo das nächtige Dunkel noch
-fest lag, schob sich langsam eine mächtige Gestalt. Ein dumpfes Murmeln,
-gebändigt und doch ein Donnerrollen, verkündete ihr Nahen. Nur einer
-konnte so brummen -- und jetzt kam er in Sicht -- Horst stand auf, ihn
-zu empfangen. Lud Uhlenbrook war es.
-
-Konnte er wissen, was geschehen war? Zog ihn nur dunkle Ahnung her? Es
-war Ungewißheit, was ihn quälte. Froh packte er Horstens Hand. »Was hab
-ich bloß zurecht geträumt -- von Schlacht und Schießerei. Hin und her
-hat es mich gewälzt. Gut, daß ich Sie finde!«
-
-Nun stutzte er über des Freundes Haltung. Der sagte dann still: »Sie
-haben nicht geträumt.«
-
-»Und ist was passiert?«
-
-»Ja.« Dies eine Wort, so schwer von dem Geschehenen, öffnete ihm den
-Blick.
-
-»Was mit Lona?«
-
-»Wir haben sie hier.«
-
-Der alte Mann sank vornüber -- seine gewaltigen Hände jappten hilflos
-wie zwei Riesenfischköpfe auf Land. Dann trottete er ächzend ins Haus.
-Horst ihm nach führte ihn in die Halle. Der Morgendämmer zeigte ihm die
-Tote.
-
-Lud Uhlenbrook stöhnte auf, einmal -- dann summte es in ihm, so wie der
-Wind in hohen Drahtleitungen summt -- dann ward er selbst totenstill.
-
-Und jetzt, mit einer urlangsamen Selbstverständlichkeit nahm er die Tote
-wie eine Puppe auf den Arm. Nichts Wildes war dabei, nichts Wirres. Nur
-die große Sicherheit seines Tuns.
-
-Wortlos trug er sie hinaus. Trug sie über die Heide. Fahl und wie
-klagend zog der Morgenschein hinter ihm her -- den übermenschlichen,
-gespenstigen Leichenträger.
-
-In Horst lehnte es sich auf. Mein Eigen -- ich laß es mir nicht nehmen!
-
-Ihm nachstürzen will er -- und erschrickt vor seiner Jachheit. Soll ich
-ihn niederwerfen -- ihn mit der Toten! Soll ich um sie mich balgen mit
-dem alten Mann!
-
-Wallt er nicht dahin, so wie die Notwendigkeit schreitet! An die sich
-nicht rühren läßt --! Und ist hier nicht Liebe am Werk? So wollen wir in
-der Gemeinschaft bleiben, wir drei.
-
-Recht ist ja, was Du fühlst und tust! Nicht in die Baracke gehört sie,
-die ihr verhaßt und die ihr feindlich gesinnt war -- in Dein stilles
-Haus, das ihr eine Heimat gewesen. Da soll sie aufgebahrt werden. Da
-wollen wir ihr die Totenfeier rüsten. --
-
-An diesem Tage erholte sich der Betäubte so weit, daß er das Siedlerhaus
-verlassen konnte. Es war der Leiter des Überfalles selbst, der
-Werkführer Stahlboom.
-
-Die Siedler hatten den ganzen Tag hart gearbeitet, auf dem Felde, in der
-Ziegelei, auf dem Moor. Gedenkreden auf den gestrigen Tag hatte das
-Schaffen befeuert. Man erzählte sich, daß die Angreifer mehrere
-Verwundete heimgeschleppt hätten. Das eine Maschinengewehr gegen den
-Abhang hatte nun doch nicht hoch genug gehalten. Wer hat auch in solchen
-Augenblicken Nerv und Hand so in der Gewalt? Der Tod hatte nur das eine
-Opfer sich geholt -- die Frau -- Lona.
-
-Mehr als ein Auge suchte Horst wieder auf. Der war am Werk wie nur je,
-selbst der Fleißigste und Härteste. Daß sein Gesicht blaß war, daß die
-gerade Falte zwischen den Brauen sich tiefer prägte -- wer von ihnen
-trug nicht an dieser Nacht! Und enger waren sie aneinander gerückt,
-dichter war die Reihe geschlossen, Kameradschaft war Trumpf.
-
-Wie sie Feierabend gemacht hatten, trafen sie den Pflegling bei
-Gehversuchen vor der Tür. Als der Anführer wußte er, was er sich
-schuldig war. Er wartete auf Horst, trat ihm in guter Haltung festen
-Auges entgegen und sagte klar: »Ich danke für Pflege und Quartier. Mein
-Wunsch ist, einmal -- Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«
-
-Es war nichts Verstecktes darin, kein lauernder Hohn, es hatte seine
-offene Bedeutung. Und Horst gefiel diese Art. Saubere, ehrliche
-Feindschaft! Damit ließ sich etwas anfangen. Darauf ließ sich sogar
-aufbauen. Nur das Heimtückische zerrüttet.
-
-
-
-
- Feier
-
-
-Und jetzt kam für die Siedler ein großer, freudenvoller Tag. Der
-Grundstein zum ersten Siedlungshaus wurde gelegt. Findlingsblöcke sein
-Fundament.
-
-Es gab eine stille Feier, zu der Frau Tilde, Pastor Waermann und Vita
-sich einfanden. Horst sprach: »Auf Steinen wirst Du errichtet, Du unser
-erstes Haus, die der Norden uns zugeführt hat. Der Norden, die große
-Heimat der deutschen Stämme. Der harte, helle Norden, der noch heut die
-deutsche Art am treuesten hegt. Wo die Männer von je frei, stolz und
-ungebeugt den Nacken hielten. Keine Knechtschaft duldet der
-Nordlandschein. Reden sollt ihr, ihr Steine! Zeugen sollt ihr uns sein,
-Eidhelfer! Ein deutsches Haus sollt ihr tragen! Deutsche freie Männer
-sollen in ihm wohnen!«
-
-Pastor Waermann sagte seinen Spruch: »Auf diesem Fels wollen wir eine
-Kirche bauen! Eine deutsche Kirche! Jede Andacht, jedes Gebet in ihr,
-jeder Gedanke, jeder Wille in ihr: die deutsche Freiheit!«
-
-Und Frau Tilde weihte das Haus: Ȇber dem Altar der Spruch der
-Gemeinsamen: Ich lebe in Dir -- Du lebst in mir!«
-
-Vita aber flammte empor: »Der Altar dieser Kirche soll ein Amboß sein!
-Schwerter zu schmieden!« Ihre Katzenaugen sprühten von funkelndem
-Phosphor, die Worte sprangen und splitterten in ihrer mutierenden
-Knabenstimme. Alle freuten sich ihres Überschwanges, der so kindlich war
-und doch aus schmerzlicher Tiefe loderte.
-
-Die Maiensonne meinte es gut. Sie saßen zu einem kleinen Imbiß vor der
-Baracke im Freien nieder. Von dem Kampf sprachen sie, von Lonas Tod. Ein
-Schweigen ehrte die Heimgerufene. Keine Frage rührte an Horstens
-Versunkenheit. Jetzt gab Pastor Waermann zu bedenken: dieser Waffengang
-werde weithin alle Geister beschäftigen. Wollte die Siedlung ihre
-Maschinengewehre retten, müßte sie sie verstecken.
-
-Kunz stimmte lebhaft zu. Er wußte die Plätze dafür -- zwischen den
-Steinplatten der Hünengräber, die wieder zugeschüttet würden -- in der
-Gruft bei Herrn von Borkhus, unter seinem Sarge.
-
-Horst lehnte ab. »Wir verstecken die Waffen nicht.« Die Linie zwischen
-den Brauen gab Zeugnis.
-
-Dankwart und Kunz schüttelten den Kopf. War Lonas Tod ein Gewinn?
-
-Dann ließ es Frau Tilde sich nicht nehmen, in die Stallungen einen Blick
-zu tun. Gisbert, der hier Zuständige, übernahm die Führung.
-
-Ein braunweißes Kalb hatten sie, das war ihr Stolz. Ihre beiden
-Milchschafe, erlesener friesischer Rasse, hatten je zwei Lämmer
-geworfen. Zehn Küken purzeln und trippeln und schießen herbei nach den
-Lockrufen der Mutter Henne. Zwei andere Hennen noch brüten in den
-Körben, feierlich in der gewölbten Ruhe ihres heißen, breit gefalteten
-Gefieders, heizend und erhitzt, böse die Augen gegen die Welt, von
-Halbschlaf benommen, versunken in das eigene geheimnisvolle Werk,
-scharlachrot von der Inbrunst des Schaffens der Kopf, der klein geworden
-ist gegen den machtvollen, lebenspendenden Leib.
-
-Frau Tilde sieht alles, prüft alles und ist zufrieden. Glücklich macht
-Gisbert die Anerkennung. »Bienenstände müssen Sie noch haben, die
-gehören zu Ihrem Heideland.«
-
-Und dann begleitet Gisbert die Freundin nach Hause. Die Herrin -- er
-fühlt sich ganz als ihr Wirtschaftseleve. Immer wird er Landmann
-bleiben, nie mehr wird die Stadt ihn sehen, in der die Menschen
-versteinern. Die Naturandacht sein Leben. Seines Daseins Licht diese
-Frau, die nicht müde wird, ihn zu beschenken. Nie mehr kann er von ihrer
-Seite gehen.
-
-Sie blicken von der Höhe über das Land. Obstbäume blühen an dem Wege,
-der zum Moorhofer Herrenhause führt. Wie große weiße Blumensträuße
-stehen sie da, der Königin dieses Reiches ein Fest zu bereiten. Auf dem
-Hügel außerhalb der Parkmauer, der weite Ausschau gewährt, steht ein
-mächtiger Ahorn mit runder Bank. Da setzen sie sich nieder. Leuchtende
-Wolken, erhaben und schöpferisch bildhaft, ziehen ostwärts, von der
-sinkenden Sonne beleuchtet.
-
-Sie schauen hinauf, plötzlich fragt Tilde: »Sind Sie sehr
-shakespearefest?«
-
-»O nein, ganz und gar nicht.«
-
-»Dann kann ich es wagen«, sagt sie und streicht sich ein mädchenhaftes
-Zagen aus der Stirn. »Ich denke an die Szene, wie Hamlet den Höflingen
-Rosenkranz und Güldenstern die Wolke zeigt -- sie nach dem Bilde fragt
--- ihnen die Antwort in den Mund legt. Sieht sie nicht aus wie ein
-Kamel, wie ein Walfisch, wie ein Wiesel -- für die bestialische
-Reihenfolge wird keine Gewähr übernommen. Ich muß sagen, daß ich mit
-dieser Szene nie das Rechte habe anfangen können.«
-
-»Weil die Wolken so vieldeutig sind --«
-
-»Ja. Ganz gewiß für Menschen, die nichts miteinander gemein haben. Da
-die Wolkenumrisse so schnell zerfließen -- eine ganze wandernde
-Menagerie kann man einem Fremden suggerieren. Der darum noch gar nicht
-liebedienerisch ja zu sagen braucht. Menschen aber, die sich nahe sind
-und miteinander leben -- es ist überraschend, wie sie in den Wolken ganz
-zu gleicher Zeit dieselben Gesichte haben.«
-
-Gisbert blickt in die Wolken, die sollen ein Bild ihm zeigen.
-
-»Wie oft,« spricht Frau Tilde weiter, »haben wir als Kinder, mein Bruder
-Volker und ich, so den Himmel abgesucht. Dann fanden wir etwas --
-gemeinsam -- faßten unsere Hände -- sagten es uns. Und immer war es
-dasselbe. Eine Walküre mit Flügelhelm und wallendem Haar -- ein alter
-Rabbi mit langem Bart -- ein Indianer auf der Büffeljagd -- ein
-buckeliger Pierrot -- eine knieende Beterin. So eng hingen wir beide
-zusammen.«
-
-Durch Gisbert zieht ein stilles Leuchten. Und wir beide? Wie nahe bist
-Du mir -- und mir, ich weiß es, mir gibst auch Du Deine Nähe. »Ich fühle
-wie Sie« -- immer, immer fährt unter dieser Flagge mein Lebensschiff.
-Und was reichst Du täglich meinem Dasein an Geschenken!
-
-Eine Zuversicht hebt ihn, bis in den Himmel. Was die Wolken mir jetzt
-zeigen, ich weiß es, Du siehst es mit mir. Und wie er jetzt suchend
-wieder den Kopf aufrichtet, tut sie es auch. Leicht hebt er die Hand --
-nun zittert er doch in allen Fasern, da die Gewißheit droht -- und leise
-ist sein Wort: »Ein Schwan --«
-
-»Er fliegt. In die Sonne fliegt er.« Ihre Stimme hat den stillen Glanz
-des Selbstverständlichen. Sie sieht, was er sieht.
-
-»Und auf dem Kopf --«
-
-»Eine Krone.«
-
-»Eine Krone von Gold.«
-
-Sie sehen dasselbe, sie fühlen dasselbe, ein und dasselbe sind sie. In
-Gisbert braust es und jauchzt es. Mein gekröntes Glück! -- -- --
-
-Vita und Kunz gingen über die Heide. Der Wind trug ihnen den herben Duft
-der Wacholderbüsche zu. Auf die Dünen zog es sie. Hartblau war die Flut.
-Sie spähten über die See.
-
-»Wieder kein Schiff«, rief Vita klagend schrill.
-
-»Und wär eins da, es wär kein deutsches.«
-
-»Kommen Sie. Wenn man einmal nicht traurig oder zornig genug ist, geht
-man hierher. Aber meist ist man es ja.«
-
-Zurück in die Heide. In Wolkenhöhe kreiste ein Raubvogel. »Kann man den
-schießen?« fragte Vita.
-
-»Mit einer gewöhnlichen Jagdbüchse kaum.«
-
-»Aber mit dem Armeegewehr?«
-
-»Ja.«
-
-»Würden Sie ihn treffen?«
-
-»Schwerlich, ich bin kein Scharfschütze.«
-
-»Aber ich möchte es werden. Ich will schießen lernen. Sie sollen mich
-mit auf die Jagd nehmen.«
-
-»Es gibt jetzt bloß nichts zu jagen. Höchstens Raubzeug.«
-
-»Um so besser.« Und die Augen sprühten ihre grünen Funken.
-
-Kunz lächelte dazu. Was bist Du für ein Kind, dachte er. Wie lange muß
-ich noch auf Dich warten?
-
-Dann aber gab es einen Riß, einen bedrohlichen fast. »Ihren Hund aber
-müssen Sie zu Hause lassen!« erklärte sie.
-
-»Meinen Muz?«
-
-»Hunde kann ich nicht leiden.«
-
-Er starrte in ihre graugrünen Lichter. Bist Du es nun doch, eine Katze
-auf der Seelenwanderung! Dann sprach er beruhigt, mit siegender
-Gelassenheit: »Sie haben noch nie in ein Hundeauge gesehen.«
-
-»Ich mag die Köter nun einmal nicht. Nicht ihren Geruch. Nicht ihr
-Schweifgewedel, nicht ihre geprügelte Treue.«
-
-Kunz lehnte sich zurück, heftig, über das Gleichgewicht und taumelte
-ratlos benommen. Eine Rede der Verteidigung? Was nützt hier -- und
-anderswo -- alles reden. Erleben soll sie Dich, Muz. Und sich zu Dir
-bekehren. Aber seinen Stoß hatte er weg. Und seine Zärtlichkeit trug
-eine Wunde.
-
-Die mußte erst ausheilen. Heute würde es nun doch nicht mehr das Rechte
-mit ihm und seinem Mädchen. Er war nicht trostlos, als der Pastor und
-Horst ihnen in den Wurf kamen, die nach Moordorf zuschritten. Lieferte
-das Kind an den Vater ab und zog allein seine Straße. Er sehnte sich
-nach Muz, nach seinem Auge. --
-
-Allein wanderte dann auch Horst weiter. Zum Torfmeister und zu Lona ging
-sein Weg. Sein Schritt war langsam und schwer.
-
-Mit Feldblumen hatte der Alte die Tote bedacht und besteckt. »Blumen aus
-dem Moor«, sagte er. »Im Tode haben die beiden sich gefunden.«
-
-Er wirkte und wallte umher wie ein Priester. Von der Leiche trennte er
-sich nicht, er gab sie nicht her für Horst zu einsamer Andacht. Manchmal
-schoß auf den, wie auf einen Fremden, einen Eindringling, einen Feind,
-ein fast böser drohender Blick aus den roten Lidern.
-
-Horst stand vor der Toten. Nicht erlöst sind Deine Züge. Um Deinen Mund
-das Lächeln -- es hat nichts Verklärtes -- leidenschaftlich und leidend.
-Dein Los hat sich Dir nicht erfüllt. Sehr viel Sehnsucht trägst Du mit
-hinaus. Auf den dunklen Fittichen quälender Fragen bist Du
-emporgerauscht. Jetzt -- jetzt wandelst Du im Lichte der Antwort.
-
-Der Alte zog herum und ließ ihm nicht die Stille. »Der Pastor soll sie
-nicht zum Begräbnis haben!« murmelte er drohend. »Eine Kriegstrompete
-ist er geworden. Was soll die hier? Hier bläst sie vorbei. Und er stört
-sie bloß. Und sie sollen Dich nicht stören! Alle haben sie Dich gequält.
-Deine Freunde, durch ihr Wüten, Deutsche gegen Deutsche! Und Deine
-Feinde -- dieselbe sinnlose Wut! In diese Brandung bist Du geraten, so
-bist Du verdorben!«
-
-»Schuld seid Ihr ja« -- gegen Westen hob er jetzt in jähem Ruck die
-mächtige haarige Faust -- »Ihr Höllenhunde da drüben! Ihr mit all Euren
-Bundesgenossen, all Euresgleichen -- nur in Rudeln jagt das feige
-Gesindel -- Ihr habt heimtückisch Deutschland zur Strecke und in das
-Elend gebracht! Und in unserm Grauen kehrt unsere Wut sich gegen uns
-selbst. Auch mein Kind habt Ihr feige und tückisch gemordet. Es wird
-Euch heimgezahlt!«
-
-Wie ein Seher und Rächer steht er da mit überweltlichen Augen! Horst
-zwingt es zu ihm hin. Er nimmt die furchtbar bebende Hand. Er grüßt den
-deutschen Herzschlag, der ihm selber die Adern sprengt.
-
-Dann erlischt in den alten Augen die Flamme. Und ein Mißtrauen wehrt dem
-jungen Freund. »Du willst teilhaben an meinem Totenfest. Du hast sie
-lieb gehabt, meinst Du. Hast Du sie lieb gehabt, ohne etwas von ihr zu
-wollen? Ich aber liebte sie und wollte nichts von ihr, und darum ist
-meine Liebe größer als Deine. Darum bin ich mehr als Du und hab mehr
-Rechte als Du. Ich allein begrab sie mir.«
-
-Und da Horst eine Bewegung macht -- »bist Du nicht als Feind im Kampf
-mit ihr gewesen! Hat eine von Euren Kugeln sie nicht getroffen! Hast Du
--- Du sie nicht getötet! So gut wie mit eigener Hand! Da Du Feuer
-befohlen hast! Und Du willst sie mir streitig machen!«
-
-Die Augen kreisen, Flammenräder einer eifersüchtigen Angst, eines
-eifersüchtigen Zornes. Die beschwichtigende Hand des Nebenbuhlers wird
-mit einem Kopfschütteln abgetan. Aber damit kehrt schon seine Ruhe
-wieder. Doch die Ruhe schärft und härtet sich.
-
-Hoch richtet er sich auf. Die verkrampften Hände packen die Brust: »Ich,
-der Totengräber Lud Uhlenbrook -- der einzige, der diese Tote lieb
-gehabt hat -- und der einzige auch, den die Tote lieb gehabt hat -- nur
-mir gehört sie -- nur mir gehört ihr Begräbnis -- nur mir gehört ihr
-Grab. Allein bestatte ich sie. Niemand soll dabei sein. Mein Moor soll
-sie bewahren. Und die Stätte zeige ich keinem. Mein Moor balsamiert
-Deinen Körper ein und rettet Deine Schönheit. Das Moor läßt keine Würmer
-an Dich hinan. So gut wie lebendig bleibst Du mir. Mir -- die Du mir
-gehörst!«
-
-Es wirft ihn nieder -- er kniet zu ihr hin, er legt die alten,
-blutroten, tränenblinden Augen auf ihre kalte Hand.
-
-Horst hat die Stube verlassen. -- --
-
-Zwischen den Findlingstrümmern, eine einsame Birke über sich -- wie
-duftete das junge Laub! -- saß Kunz mit Muz, seinem Tier, und sprach zu
-ihm. Steil gestellt waren die hohen spitzen Ohren, in den großen
-goldbraunen Augen war alle Klarheit, alle Weisheit, alle Güte, alle
-Wehmut der Welt versammelt.
-
-Jemand hat Dich gelästert, mein Tier, und ich habe ihn nicht getötet.
-Ein Weib -- nein, ein Junge, ein Kind. Nein, eine Katze.
-
-Nun drehst Du den Kopf. Das Wort geht Dir ins Blut. Dies Wort verstehst
-Du, sagen die Einfältigen. Als ob Du nicht jedes Wort verstündest, das
-ich zu Dir spreche.
-
-Nur, daß Du mir nicht antworten kannst in unserer Sprache. In der
-Sprache der Menschen, diesem größten von allen unseren Mysterien. Unsere
-Freiheit, in der wir geknechtet sind, unser Glück, daran wir gekreuzigt,
-der Segen, zu dem wir verdammt worden, die Wahrheit, die uns mit Lüge
-schlägt.
-
-Was da in Deinem Auge, dem unermeßlich tiefen, dem unermeßlich scheuen
-vor der eigenen unergründlichen schwermütigen Klarheit, was da spricht
-und schweigt -- heißt das: ich klage und traure, daß ich nicht Worte
-habe wie ihr, euch zu antworten, wie ihr mich fragt?
-
-Oder heißt es ganz anders! Ist es Dein Schmerz, daß wir, wir mit der
-Sprache gesegnete Verfluchten nicht Deine Augen haben! In denen die
-Seele ist, die wir auf die Zunge heben und so veräußerlichen! Die wir in
-leeren Schall zerflattern lassen!
-
-Heilig sind Deine Augen, fromm machen Deine Augen! Sie soll
-hineinblicken, das Weib, das Kind und Katze ist. Und soll niederknien!
-
-Das ist ja wahr, Muz, außer Deinen Augen bist Du noch so mancherlei.
-Eine Bestie, ein Bandit, ein Herumtreiber, ein Hund mit einem Wort. Ein
-Lumpenhund von einem Hund!
-
-Von Deinen Liebeshändeln will ich nichts sagen, obwohl sie heftig dazu
-herausfordern. Aber -- hast Du mir nicht vorgestern erst aus meiner
-ahnungslosen Jacke, die bei der Arbeit sich mit der Maiensonne nicht
-vertrug, mein Frühstück gestohlen! Das Papier mit Zähnen und Pfote
-weggefetzt und die Stulle verputzt! Meine, Deines Herrn und Gebieters
-Frühstücksstulle. Der redlich und rechtschaffen hungrig war.
-Amerikanisches Schmalz war darauf -- Du lieber Gott, in der Not frißt
-der Deubel Amerikaner. Du fraßest, und mich ließest Du den Daumen
-lutschen, Du ungetreuestes aller Mistviecher Du.
-
-Aber Deine Augen -- und wieder und immer wieder Deine Augen! Heilig,
-heilig sind sie und Andacht sollen sie lehren das Weib, das ein Kind,
-ein Junge und eine Katze ist!
-
-Muz, Muz, Du kennst meine Vita. Du hast sie gesehen, freilich nur aus
-der Ferne. Denn Du drängst Dich denen nicht auf, die Dich nicht wollen.
-Ist sie nicht ein verschlossen und verzaubert Köstliches!
-
-Vita, noch schläft alles Leben in Dir! Ich will es mir wecken, mir
-sollst Du einmal auferstehen. Eine Knospe bist Du, hart und spitz. Und
-die Knospe sticht. Die mir, mir ihre Blüte verheißt und bewahrt.
-
-Einfältig bist Du, ja, so einfältig kannst Du sein, daß man manchmal Rad
-schlägt vor Schreck und vor Freude -- wie wirst Du Dich mir entfalten!
-Ein dummer Junge oft -- ich ruf es mir wach, das liebe kluge Mädchen!
-Ich küss' es mir auf!
-
-Und Kunz schlägt die Arme um sich und umarmt die Luft. Entsetzt fährt
-Muz in die Höhe -- zum Tierarzt! ist sein erster Gedanke. Der Mann ist
-verrückt!
-
-Aber schon ist der Mann wieder friedsam geworden, kauert sich zu dem
-Hund, läßt die samtenen Ohren sich durch die Hände gehen und erzählt ihm
-weiter.
-
-Ja, mein Tier -- Dir sag ich alles. Du verstehst jedes Wort und birgst
-es in der Seele. Du willst nicht alles besser wissen und schwätzest
-nicht dazwischen, wie diese entsetzlichen Klookschieter von Menschen!
-
-Froh bin ich, Muz, und kann lachen. Und hab klug reden, wenn die andern
-auf unseren Stall schimpfen und gern ausreißen möchten. Wo mein Glück
-hier neben mir wohnt!
-
-Was aber wird aus Horst? Jetzt, wo die Frau aus seinem Leben genommen
-ist, die auf andere Bahnen ihn zog -- auf verschlungene Pfade, die
-abseits lagen von unserer geraden Straße. Wird er den Weg zurückfinden?
-Wird sie als Geist ihn weiter bannen? Haben sich nicht die Schatten zu
-tief in ihn eingefressen? Kann er uns wieder der Alte sein in alter
-Helle?
-
-Anfällig Horst auch Du -- seid Ihr nicht alle krank geworden am
-deutschen Leid? Bin ich nicht der einzige gesund geblieben, ich, der
-Dickfellige, in bekömmlicher Gedankenarmut!
-
-Auch Gesundheit steckt an! Nicht müde werden will ich, Euch mit meinem
-Gesundheitsstoff zu infizieren! Dich, Horst, Dich, Gisbert, und
-Dankwart, auch Dich! Du Mann mit dem verlorenen Lachen. Lachen sollst Du
-wieder können oder doch lächeln. Denn, wenn wir nicht lachen, wir Wachen
-im deutschen Lande, so schaffen wir es nun und nimmermehr.
-
-
-
-
- Ingeborg
-
-
-Bitterlich zu kämpfen gilt es ja um das Lachen.
-
-Am andern Tage, die Maisonne jubelte grausam, kam aus der
-Provinzialhauptstadt ein hoher Beamter mit militärischer Begleitung. Er
-und der Offizier Männer mit den schmerzweiten Augen, wie sie durch
-Deutschland klagen -- beide nur an Bord geblieben, damit das Schiff
-nicht ohne Mannschaft sei, abgeneigt der Führung des Fahrzeuges, ohne
-Vertrauen zu seiner Steuerung und doch gehalten von der Disziplin des
-Gehorsams, der dem Vaterlande gilt. Mit halbem Herzen führten sie den
-Auftrag aus. Nur das Nötigste wurde gesprochen. »Vier Maschinengewehre
-sind hier am Sonntag abend in Tätigkeit gewesen. Die Maschinengewehre
-gehören dem Staat. Sie haben sie abzuliefern. Wir sind hier, sie in
-Empfang zu nehmen.«
-
-Horst sagte ein ruhiges: »Bitte.«
-
-»Weiter möchte ich Sie ersuchen, mir über die Vorgänge am Sonntag abend
-Auskunft zu geben. Ich muß sie zu Protokoll nehmen.« Horst berichtete,
-was er wußte.
-
-»Wo befindet sich die Tote?«
-
-»Im Hause des Torfmeisters zu Moordorf.«
-
-Kein überflüssiges Wort. Was man fühlte, wurde in Schweigen eingesargt.
-Wenige waren dabei. Kunz als der Waffenmeister, drei von den Siedlern,
-die Hausdienst hatten. Die andern waren beim Bau und auf den Feldern.
-
-An der Mittagstafel natürlich bewegte dies die Geister aufs tiefste.
-»Unsere Burg ist geschleift«, sagte Kunz. Das war der Grundton.
-
-»Wir sind und bleiben Soldaten!« rief einer. »Und ein Soldat ohne Waffen
--- was ist das? Die Hunde heben das Bein dagegen auf!«
-
-Es ging ihnen nicht bloß an den Stolz, an die Ehre der Wehrhaftigkeit.
-An das Gefühl der Sicherheit griff es. »Jetzt können sie uns mit
-Knüppeln totschlagen.«
-
-Metzling, der Grundsätzliche, versuchte eine Rede. Der Zorn der andern
-wäre ja gerade durch die Maschinengewehre erregt worden. Sie empfanden
-es als Ungerechtigkeit, daß wir welche hatten und sie nicht --
-
-»Und als Gerechtigkeit hätten sie es dann empfunden, wenn sie sie
-gekriegt hätten und gingen uns damit zu Leibe!« Ein Einwurf, den das
-Lachen der meisten billigte und trug. Für die Minderheit aber, die
-theoretischen Schwärmer, wurde die Gerechtigkeit nun doch zum Kampfruf.
-Gleiche Waffen -- gleiche Waffenlosigkeit. Nur so kann der Bruderkrieg
-aufhören, nur so eine Möglichkeit der Verständigung und Eintracht.
-
-O Ihr weichen Seelen -- schalt Kunz dagegen -- o Ihr erweichten Hirne!
-
-Mit der Idee kam die Erhitzung in die Gemüter, es gab Streit und
-Zerklüftung. Zum erstenmal grub sich ein tieferer Riß durch die
-Siedlerschaft.
-
-Und wieder an Horst hängten sich die Augen. Er hatte finster dagesessen,
-wie abgekehrt, bewegungslos und ehern. Jetzt belebte er sich. Und nahm
-das Steuer in die Hand.
-
-»So geraten wir uns also selbst in die Haare. Wollt Ihr einander dies
-eine Euch klarmachen. Sie haben uns die Waffen genommen. Sie sagen, daß
-die nicht uns, daß die dem Staate gehören. Dem Staat -- wir wollen sie
-nicht fragen, wer das ist. Aber bleiben sie dem Staat? Liefert der sie
-nicht an unsere Feinde aus? Daran denkt! Und denkt daran, wie nicht bloß
-unsere Waffen, wie auch unsere Arbeit dem Feinde ausgeliefert wird.
-Alles, was wir schaffen, alle Werte, die wir erzeugen. Unser Haus --
-auch das bauen wir für die Feinde. Es wird kein deutsches, es wird ein
-französisches Haus. Wenn wir nicht einig sind! Wenn wir nicht einig und
-groß uns erheben! Daran denkt, nur daran! Alles -- alles hat dem zu
-dienen.«
-
-Es ist der alte Klang in seinem Wort, der alte Führergeist in seiner
-Rede Tat. Und seine Augen haben den Mut seiner Worte. Dem beugen sich
-alle, dem folgen sie alle. Und in Kunz glüht es: er hat die Höhe, er hat
-auch die Hand. Daß er den Willen behalte und die Kraft!
-
-Sie gehen an ihr Tagewerk. Wir fronen nicht! Wer unsere Gedanken hat,
-unseren Willen, unseren Mut, der arbeitet frei an freiem deutschen Werk,
-Deutschland zur Ehr, Deutschland zur Wehr!
-
-Wir weben am Schicksal des Vaterlands. Schicksal -- was ist Schicksal?
-Was wir schaffen ist Schicksal! So bändigen unsere Hände das Geschick,
-unsere Zuversicht, die Kraft unserer Sehnsucht, unseres begeisterten
-Willens schafft eine neue Wirklichkeit.
-
-Dieser Glaube, von Horst bezeugt, dem Führer, dem Propheten, lebte in
-ihrer Arbeit. Ihr Werk gedieh und stärkte sie durch sein Wachstum.
-
-Horst aber -- und Kunz wurde seines Mißtrauens nicht Herr -- blieb wie
-zugeriegelt und suchte die Einsamkeit.
-
-Der alte Hüne im Moor hatte sein Kind allein begraben. Niemand hatte die
-Stunde gewußt, niemand erfuhr die Stelle. Die Genossen hatten eine große
-Leichenfeier gewollt. Die Blutzeugin für die große Sache! Wie konnte die
-Straße ihrer entbehren! Sie kamen zu dem Alten und forderten. Er wies
-sie ab. Sie drohten, da jagte er sie zum Teufel.
-
-Und als sie zum drittenmal anrückten, mit Verfügungen der Behörde, da
-war es zu spät, da war die Tote nicht mehr über der Erde. Die Behörde
-hatte wichtigeres zu tun, als gegen den »alten Narren« gesetzlich
-vorzugehen. So behielt Lud Uhlenbrook recht, und das Moor behielt Lona,
-sein Kind.
-
-Fremd war der Alte für Horst geworden. Er und sein Moor. Da sie den
-letzten Abschied von Lona, von Lonas Bild ihm versagt hatten. Den
-Gräberkult hatte der Krieg ihm abgewöhnt, er brauchte auch hier keine
-Stätte des Gedenkens. Aber die Gesinnung des Alten, sein eifersüchtiger
-Haß -- er konnte das böse Auge des wilden Druiden nicht vergessen -- war
-nicht ein Feindseliges darin?
-
-Bald würde er ja dafür sein Lächeln haben, aber noch schwärte etwas.
-Vielleicht, weil er den Riesen so gut begriff, wie ein Verwandtes. Weil
-er sich sagte, ich hätte es auch getan -- hätte es auch tun mögen.
-
-Er trug nun mal die leere Stelle in sich, da Lona von ihm gegangen war.
-Weit voneinander standen die Pfeiler unseres Glaubens. Aber da sie
-wuchsen aneinander, aufstrebten gegen einander, wölbten sie sich nicht
-einander entgegen? Hätten sie nicht zu einem Kuppelbau helfen können für
-das eine große deutsche Wollen?
-
-Von mir zu Dir sollte die große Einheitslinie reichen. Gewiß, wärest Du
-nicht ein Weib gewesen, mir ein Wohlgefallen und eine Sehnsucht, meine
-Blicke hätten nicht immer und immer zu Dir den Weg genommen, unbeirrt,
-hinüber über all die Fluten, die zwischen uns und gegen uns brandeten.
-
-Zu Herrn Knubart hätten sich von mir nicht diese Fäden gesponnen.
-
-Nun, da Du hinsankst, ist die Brücke eingestürzt -- ob sie leicht war,
-von schönen Träumen gehalten, sie war doch, und fester wäre sie
-geworden, und einmal hätte sie getragen. Die Brücke ist zerstört und die
-Fluten branden weiter.
-
-Hat es Sinn, gegen sie anzukämpfen, sie einzudämmen, mit neuen Brücken
-sie zu überspannen? Der innere Feind! Steht er nicht als Verhängnis in
-den Sternen uns geschrieben? Unser unabwendbares Verderben?
-
-Das Tagewerk lag hinter ihm. Schwer und ehrlich hatten sie wieder
-gescharwerkt. Er ging an den jungen dem Ödland abgerungenen Feldern
-vorüber. Das Moorkorn, der Hafer, sproß, auch die Kartoffeln zeigten
-schon ihre kräftigen, bewußten, schwarzgrünen Schößlinge. Es lag wie ein
-Segen auf den Breiten, und er war nicht froh. Eine Kraft war nun einmal
-von ihm gegangen, ein Teil seines Lebens war verdorrt, und wieder warf
-das Verzagen ihn nieder.
-
-Was können wir noch, was wollen wir noch? Haben die Ängste, die Nöte,
-die Qualen, die Schauer des Krieges und die schlimmeren des Friedens
-nicht unser Wesen welk und blaß unser Blut gemacht? Wir haben nichts und
-können uns nichts geben, so viel und heftig wir bei uns anpochen! Sind
-wir nicht die bekannten Bettler, die an eigenen Türen betteln? Kann von
-uns der Erlöser kommen?
-
-Er wanderte nach Westen. Über den Himmel zog, da die Sonne sich neigte,
-der Perlmutterglanz eines brechenden Auges. Da vor ihm lag das Moor.
-Schatten schreckten über ihn hin, er kehrte sich um und ging zurück, den
-Goldbergen entgegen. Belastet schritt er und geduckt und blickte nicht
-auf.
-
-Was huscht da, zuckt und zupft an seinen gesenkten Wimpern? Ein
-Lichtschein von Osten, da es Abend wird?
-
-Augenflimmern eines überreizten Gehirns -- er hält es der Mühe nicht
-wert, die Lider zu heben. Aber das Licht pocht und klopft und fordert.
-Es ist, als wenn jemand das Sonnenlicht mit einer Spiegelscheibe
-auffängt und ihm schräg gegen den Sehnerv peitscht.
-
-Nun muß er mit dem Blick in die Höhe und da -- oben auf den Goldbergen
--- hier sprudelt des Glanzes Quell -- eine Lichtgestalt -- ein
-Strahlendiadem zu Häupten -- ein weibliches Wesen -- ist es erdgeboren?
-
-Hoch und schlank und königlich -- nie hat auf Erden eine solche
-Haarkrone geleuchtet! Mit den Lichtern ihres Hauptes spielen die
-Sonnenstrahlen wie mit Schwestern.
-
-Verzaubert in dem Lichtkegel steht Horst. Jetzt bewegt sich die Gestalt
-schreitet herab, in den Schatten, die Sonne löst sich aus den Flechten,
-der Strahlenbann erlischt, Horst ist wieder im Menschenland.
-
-Er geht der hellen Frau entgegen, immer noch tastend, geblendet und
-unfrei. Sie aber ist die leuchtend junge Unbefangenheit und nimmt ihren
-Weg gradaus zu ihm.
-
-Da sie vor ihm steht, atmet er erleichtert auf -- all dies Überirdische
-und Vollkommene hat sich zu einer annehmbaren Wirklichkeit gewandelt.
-Beruhigende Mängel zeigen sich, das Gesicht hat gar nichts Erhabenes und
-Verklärtes, die Züge sind nicht einmal schön, nur herzerfrischend offen,
-und die stahlblauen Augen nicht groß, nicht tief, aber daseinsinnig, die
-alles, was sie sehen, als eigenes mehr oder weniger selbstverständliches
-Geschenk an sich nehmen. Die Nase erscheint breiter als sie ist, weil
-ein kleiner Sattel von Sommersprossen sie deckt. Die prachtvollen,
-weitläufig gestellten Zähne in dem vollen Mund schlürfen die Lebensluft
-wie einen köstlichen Trank.
-
-Ein daseinsfrohes, daseinsstarkes, freies, gerades Menschenkind wie
-andere auch -- nur das Haar, das wundervolle, in dem das Licht alle
-Goldfarben aufklingen läßt, von der Waberlohe des Braungold bis zu dem
-stillen schweren Glanz des reifenden Weizens bleibt in märchenhafter
-Höhe.
-
-Sie spricht, die Stimme ist hell, ein wenig hart für einen Mädchenmund.
-Das behutsame Schriftdeutsch, das zuerst etwas nach dem Fremdenführer
-schmeckt, hat nordischen Klang.
-
-»Verzeihen Sie mir, mein Herr. Sind Sie bekannt in dieser Gegend?«
-
-»O ja, wenn ich mich Ihnen zur Verfügung stellen darf.«
-
-»Ich bin nun einmal so abscheulich pedantisch -- ich muß von allen
-Sachen den Namen wissen -- besonders in geographischen Dingen -- meine
-Freundinnen sagen, daß ich recht eigentlich nach Deutschland gehöre.«
-
-»Wo alles so schrecklich pedantisch ist.«
-
-Sie errötet und bekommt ein liebes verlegenes kindliches Gesicht. »Ich
-wollte damit sagen, weil es das Land der Geographie ist. Der großen
-Geographen und der Atlanten. Ich will nichts Böses sagen gegen Ihr
-Deutschland. Jetzt am allerwenigsten. Ich habe Deutschland lieb. Mehr,
-als viele Deutsche es haben.«
-
-Nun fliegt Horst mit ganzem Herzen zu ihr. Ich habe Deutschland lieb!
-
-Sie gehen auf den höchsten der Hügel. Er hört von ihr, daß sie Schwedin
-sei, mit ihrem Vater unterwegs, der eine Studienreise mache.
-Kriegsgeschichtler sei er -- also ein Fachgenosse, denkt Horst. Im
-Archiv der Kreisstadt seien wichtige Dokumente aus der Schwedenzeit.
-Auch im Pfarrarchiv von Moordorf. Sie hätten hier ein kleines Landhaus
-an der See gemietet und wollten wochenlang bleiben. Dann führen sie in
-ihrer Jacht wieder nach Hause.
-
-Horst vergilt Offenheit mit Offenheit. Bald wissen sie voneinander wie
-alte Bekannte.
-
-»Ich möchte, daß Sie Vater kennen lernten«, sagt Ingeborg Thorild. »Er
-ist zu dem Herrn Pfarrer nach Moordorf gegangen. Ich soll ihm
-entgegenkommen. Wollen Sie mich begleiten?«
-
-Ob Horst das will! So geht er mit ihr den Weg zurück, den er gekommen
-ist in Düsternis. Jetzt ist Licht um ihn her, er kann aus seinem
-seelisch zerwühlten Gesicht in die Welt blicken wie ein glücklicher
-Knabe.
-
-Sie mit ihrer jungen unbekümmerten Wichtigkeit führt das Gespräch.
-Erzählt von ihrer Heimat, die sie leidenschaftlich liebt. Auf einem
-alten halb verfallenen Edelsitz in Södermanland wohne sie. Ihr Vater mit
-seinem Bruder, beide alte Offiziere, haben ihn billig gekauft. Nun werde
-er so nach und nach wieder aufgebaut. Bis heute seien die bewohnbaren
-Räume fast ganz von der Bücherei ihres Vaters eingenommen. Die
-Gutswirtschaft führe ihr Onkel. Aber der sei kränklich, und der Arbeit
-sei es zu viel für ihn.
-
-»Kennen Sie Schweden?«
-
-»Nein.«
-
-»Seltsam -- dieser Landstrich hier könnte auch bei uns sein. Die Heide,
-das Moor, die Findlingsblöcke. Nur haben wir mehr, und sie sind
-mächtiger. Und düsterer sind unsere Wälder.«
-
-Sie kommen an dem Moor vorüber, das all seine goldenen Blumen entzündet
-hat. Die Abendfeuer sprühen über sie hin.
-
-Ingeborg bleibt stehen. »Jetzt fängt wohl auch mein Moor zu blühen an.
-Als wir abfuhren, schlief es noch.« Es ist eine Zärtlichkeit in den
-Worten, und Horst, in dem ein Dunkles aufsteigt, fragt: »Sie haben zu
-Ihrem Moor ein besonderes Verhältnis?«
-
-»Ja, das hab ich. Es ist wie ein alter Freund. Niemand erzählt mir so
-schöne Geschichten.«
-
-Jetzt denkt Horst an die Frau, die hier im Moorgrund liegt. Die immer
-nur Schauer vor dem Moore erlebt hat. Wie sagte der Alte damals? Wer
-vorm Moore bangt, wird von ihm gelangt! An diese leuchtende, lachende
-Nordländerin rührt solches Grauen nicht. Wie gut habt Ihrs gehabt,
-weitab von Kriegsnot und Friedensleid, daran unsere deutschen Frauen
-vergehen.
-
-Ihr habt gut Lachen und Leuchten, Ihr Fremden -- ja, Ihr Fremden! Und
-eine Absage, ein Widerstand, fast eine Feindschaft erhebt sich in Horst
-gegen dieses vom Glück gepflegte Mädchen. Bei Lona sind seine Gedanken,
-der deutschen Frau, die das deutsche Schicksal zerschlug und zerbrach.
-
-Was gehst Du mich an, Du Fremde, in Deinem Glanz? Kalt ist er mir,
-kalter und ferner Nordlandschein.
-
-Und der alte Herr, der uns da entgegenkommt -- ja lauf ihm nur in die
-Arme! Was kümmert Ihr mich, Ihr beide!
-
-Dokumente »aus der Schwedenzeit« will er hier aufstöbern. Und sie sagt
-das mit ihrem strahlenden Gleichmut. Die Schwedenzeit! Wißt Ihr nicht,
-daß sie ein Brandmal ist und ein Schandmal! Für uns das eine, das andere
-für Euch. Wie habt Ihr die deutschen Lande gebrandschatzt, ihre Bewohner
-gefoltert, die deutschen Seelen gepeinigt und verheert. Was habt Ihr als
-Raubgut über die Ostsee verfrachtet! Das ausgeplünderte Deutschland,
-Eure Schlösser, Eure Geschlechter hat es reich gemacht.
-
-Und nun kommst Du, der Erforscher dieser verruchten und verfluchten Zeit
--- fast so verrucht und verflucht wie die unsere! Kommst Du nicht mit
-einem Kopf daher, der wie geschnitten ist aus einem Bild jener zehnfach
-vermaledeiten Tage! Den Du noch barhaupt trägst, mit dem Hut in der
-Hand, ihn besonders zu bekräftigen!
-
-Das graue Haar hängt lang bis auf den breiten Klappkragen hinab -- warum
-ist es kein Spitzenkragen? Der paßte schon zu dem betonten Knebelbart!
-Und der Reiterobrist in Baners oder Torstensons Heerschar wäre fertig.
-Weht an dem grauen Schlapphut nicht die Straußenfeder?
-
-Will dieser Mann einen alten Schweden uns vormimen? Will er uns höhnen
-mit dem dreißigjährigen Krieg, will er -- was noch schlimmer wäre --
-unsere heutige höllenböse Zeit mit ihm trösten?
-
-Gewappnet tritt Horst dem Herrn entgegen. Aber, wie er ihm in die Augen
-sieht, machen die ihn wehrlos. Von so junger, fast jungenhafter
-Treuherzigkeit sind sie und von so inniger Kraft reifen Denkens und
-ehrlichen Glaubens. Hier ist nichts von Schaustellung, von Pose und
-Geste. Ganz natürlich ist das Gepräge des Gesichts hineingewachsen in
-die Zeit, in die seine Arbeit sich vertieft. Der vornehme Kopf eines
-ernsten Forschers neigt sich grüßend von der hohen, sehnigen Gestalt zu
-Horst herüber.
-
-Das gemeinsame Fachgebiet führt sie gleich enger zusammen. Mitteilsam,
-wie seine Tochter, erzählt Oberst Thorild, daß er hier den Spuren Bauers
-nachgehe, dessen Leben und Kriegskunst seine letzten Untersuchungen
-behandeln.
-
-Wie frei und froh sie sich aussprechen, diese glücklichen, unberührten,
-von Krieg und Not und Schmach nicht zu Tode geschundenen Menschen! Was
-hat das Elend, die Unehre, die Schande aus uns gemacht! Was sind wir
-karg und schweigsam geworden, mürrisch, mißtrauisch, verschlossen und
-verkrochen! Und mit Neid blickt er die beiden an, und wieder mit einem
-Zorn.
-
-Dann aber, als auch der Vater sein Bekenntnis für Deutschland ablegt,
-hebt sich sein Sinn wieder höher und flammt und schlägt dem Bekenner
-entgegen.
-
-Der alte Herr hält sich tapfer zurück. Nicht zu viel seines Mitgefühls
-gibt er mit einem Male her, um das Bejammernswerte nicht allzu
-schmerzlich hervorzukehren. Dafür muß erst noch ihre Freundschaft
-wachsen.
-
-Ermutigendes spricht er. In dem Siedlungswerk sieht er ein Heil.
-Auch bei ihnen in Schweden sei es not, neue Wohnungs- und
-Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und die Menschen bodenständig zu
-machen, zu erdfesten eigenen Herren. Er selbst sei in der
-Siedlungsbewegung tätig und habe eigenes Land hergegeben. Gern würde er
-sich einmal die Hohenmoorer Niederlassung ansehen. Dann bat er Horst,
-sie in ihrem nahen Landhause zu besuchen. Und Ingeborg fügte hinzu:
-»Nicht wahr, Sie kommen bald!«
-
-So klang in dem Lebensakkord von Horst ein neuer Ton auf. Die Freunde
-hoben den Kopf, als er heute abend heimkam. Kunz, dem Gisbert immer mehr
-entglitt, schnaufte fröhlich vor sich hin. Man gewöhnte sich schon
-daran, unter Schemen und Gespenstern hinzugleiten -- wollen wir jetzt
-wieder an unsere Blutwärme glauben, an unsere Muskeln?
-
-Und nun weiter zum Krieg gegen die Friedensnot! Freudig hart werde unser
-Sinn, hart wie unsere Hände!
-
-
-
-
- Die Liebenden
-
-
-Gisbert war auf dem Wege nach Moorhof zu Frau Tilde. Er hatte heute
-wieder schwer gearbeitet, bei dem Neubau des Hauses. Seine Frauenhände
-waren voller Schwielen, aber sein Sinn wurde nicht hart, nicht so, wie
-Kunz es wollte.
-
-Auf Tildes Schultern lag die ganze Last zweier Gutswirtschaften. Mit dem
-Morgengrauen war sie auf den Beinen und des Abends rechtschaffen müde.
-Manch stille Stunde saßen die beiden Menschen zusammen und ruhten
-ineinander aus. Sie waren sich so nahe und vertraut, daß in ihrem
-Schweigen die tiefsten Harmonien klangen.
-
-Heute traf Gisbert eine Gutsnachbarin bei ihr, die umfangreichste Dame
-des Umkreises, seelisch angefüllt von Viehpreisen und Fragen der
-Milchwirtschaft. Zum Glück war sie im Begriff zu gehen.
-
-Als sie hinausgewuchtet war, sann Frau Tilde der Masse nach, schüttelte
-den Kopf und sprach still vor sich hin: »Das Goethewort: Materie nie
-ohne Geist!« Das war scherzhaft milde gemeint, und doch horchte Gisbert
-auf. Denn zum ersten Mal fand er so etwas wie Bitterkeit und Schärfe in
-Wort und Wesen der vergötterten Frau. Und seine Knabenaugen starrten
-ratlos auf die leise Unruhe, in der sie bebte.
-
-Immer nur hatte sein eigenes Glück ihm geschienen, immer hatte er in
-dessen Widerschein die Herrin gesehen. Immer war das Gefühl der
-Gemeinsamkeit über ihm -- was er selbst empfand, ließ er auch sie
-empfinden. Wollte der Dienende sein, und ließ nur sein Eigenleben
-leuchten. Hatte er je den feinen Schattierungen ihres Fühlens
-nachgespürt? Wieviel an Schicksal trug doch diese Frau.
-
-Und nun -- an einer leisen Regung bei ihr -- ward es ihm bewußt, wie
-sehr ihr Leben Mangel litt, und er mußte sich fragen: was habe ich, ich
-ihr zu geben? Was kann die Blässe meines Gedankentums ihr sein?
-
-Vor dieser Frage aber erschrak er tief. In seine junge Ahnungslosigkeit
-griff das Grauen: werde ich sie halten können, muß ich sie nicht
-verlieren? Sie halten? Wer war er! Hatte er ein Recht auf sie? Ihr
-Knecht war er, ihr treuer Fridolin, in Stücke ließ er sich für sie
-zerhauen. Und wenn der Geistesflug in gleiche Bahnen sie führte, blieb
-er nicht auch hier nur als Knappe ihr zur Seite?
-
-Unbarmherzig sah er das Leben, strich die Schwärmerei aus Augen und
-Sinnen und packte die harte Wirklichkeit an.
-
-Was ist das Los dieser reichsten, herrlichsten, innigsten der Frauen?
-Mit einem gemütskranken Mann muß sie das Leben teilen. Und lag nicht das
-Unglück auf all ihren Wegen? Sind nicht alle von ihr gegangen? Um die
-ihre Liebe sich schlang?
-
-Wo ist die Hand, die in ein neues Dasein sie reißt! Die kraftvolle
-Männerhand, die sie erlöst! Ins Glück sie erlöst! Nur so, nur so kann
-ihr Leben sich erfüllen! Und schonungslos betrachtete er sich selbst,
-wie wenig er selber hatte von kraftvoller Hand, von einem Erfüller und
-Vollender.
-
-Dann wieder regte es sich gläubig in seinem jungen Herzen. Bin ich nicht
-noch im Werden, im Wachsen! Und wie kann ich wachsen, gerade am Wesen
-dieser Frau! Und eben in diesem jungen Herzen sprühten jetzt die Funken:
-wie schön ist sie! Und die Flammen erschreckten ihn, er mußte sie
-zerdrücken und austilgen mit allen Kräften seiner Seele.
-
-Es war eine Rettung, daß Frau Tilde von ihrer fleischigen Nachbarin zu
-reden anfing. Die hätte, über ihre Buttermaschinen hinaus, ihr die
-Einladung zu einer spiritistischen Sitzung gebracht. Nun lachte Gisbert
-hell auf. Frau Tilde, aus den Höhen und Weihen ihrer spirituellen
-Einsamkeit, der allein sich das Übersinnliche auftun konnte,
-hineinversetzt in die beklagenswerte Runde tischrückender Sekten!
-
-Beklagenswert -- das war der Grundton in Tildes Betrachtung. Diese armen
-Menschen! Und dieser armen Menschen arme Geister! Die auf Tischbeinen
-einherspazieren und die übelsten Trivialitäten den verzückten Gläubigen
-in die offenen Münder fliegen lassen.
-
-Wer nicht den innersten Trieb hat mit seinen Geistern allein zu sein,
-wer ein Gesellschaftsspiel mit ihnen vollführt, wer sie sich erst durch
-die Hirne anderer, ob krankhaft ob nicht, hindurchfiltrieren lassen muß,
-wie unsagbar traurig sieht es in solchen Seelen aus!
-
-Mir allein gehören meine Geister, zu mir allein sprechen sie, nie werden
-sie die anderen vernehmen lassen, was uns verbindet. Nicht nur meine
-Träume, die nur meine sind, führen sie zu mir, nicht nur die Andacht
-meiner Nächte, auch die dürstende, »an der Sphäre saugende« Sehnsucht
-meiner wachen Stunden. Und sie kommen zu mir, im Waldesschatten, im
-Quellengemurmel, aus den Sonnenkreisen des Buchengrundes steigen sie
-auf, von den lichtumsäumten Wolkenbildern schweben sie zu mir nieder.
-Und sie sprechen zu mir, nur zu mir, denn nur ich verstehe ihre Sprache.
-Und ich weiß, daß sie sind -- so wahr ich bin und so wahr ich sein werde
-wie sie.
-
-Nun aber, nach diesem milden Bedauern, stieg ein ehrlicher Zorn auf.
-Mein Mitleid allen dumpfen Gehirnen, die nur im Dunst des Herdentums
-ihre Regungen haben! Duldung auch den gutgläubigen Priestern und
-Hohenpriestern dieses für mich armseligsten und schwachsinnigsten aller
-Kulte. Was aber soll man zu den Ausbeutern sagen, die sich hier eine
-Macht und eine Industrie aus geistig Bedürftigen bereiten! Gewiß, trübe
-Neurastheniker zum Teil, die sich suggerieren, sie glauben das, was sie
-die andern glauben machen wollen. Die vielen aber unsaubere Scharlatane
-von Beruf, die mit Bewußtsein die Seelen und Börsen in ihre schmierigen
-Erpresserhände nehmen und froh sind, sich ins Unkontrollierbare gerettet
-zu haben.
-
-So Frau Tilde. Nie hatte Gisbert solch harte Worte von ihr gehört. Waren
-es eigene Erlebnisse, die so steil und spitz sie aufrichteten? Und
-wieder, an ihrem Zorn wie vorhin an ihrer Bitterkeit, empfand er etwas
-von der Lücke, die durch ihr Leben ging.
-
-Er hatte, wenn er sie nicht bei der Arbeit sah, sie versenkt gefunden in
-ihre gläubige Güte, erhoben in ein abgeklärtes Schauen. Jetzt, wo die
-Erregung sie durchpulste und in ihren Augen Feuer zuckten, floß es heiß
-durch ihn selber hin und seine Sinne loderten. Wieder die singenden
-Flammen!
-
-Und wie er heimwärts schritt, sang das Feuer in ihm weiter. Und über ihm
-immer die eine Frage. Meine Herrin darbt und ist in Not. Sie friert in
-ihrer Höhe. Läutet nicht irdisches Sehnen auch in ihrem jungen Herzen?
-Was kann ich ihr sein? Was kann ich ihr geben?
-
-Dann wies er diese Frage, diese rohe Frage von sich. Die alles in das
-Elend der werbenden Sinne zog. Und er hob sich empor auf den Schwingen
-seiner alten selig reinen Liebesweise.
-
-Ich lebe in dem Gedanken, daß Du bist. Ich atme die Gewißheit Deiner
-Nähe. Meine Träume flüstern Deinen Namen -- beseelt ist mein Dasein von
-Deinem Wesen -- --
-
-Aber das Lied verklang im Entstehen, seine Melodien starben hin, seine
-Macht ging unter in dem Rauschen des Blutes.
-
-Und bei ihm blieb das große Grauen, wie schön sie war. --
-
-In Gisberts und Kunzens Verschlag flatterten diese Nacht flügelschwere
-Träume.
-
-Kunz hatte von der Jagdstreife mit seiner Vita ein blutunterlaufenes
-Auge nach Hause getragen.
-
-Dies eine war ihm gleich das erstemal aufgegangen: mit seinem Mädchen
-als Scharfschütz war es nichts und konnte es nichts werden. Schon auf
-dem Scheibenstand hatten Auge und Hand versagt. »Die Pappe ist nichts
-für mich!« war ihre Ausrede, und die grünen Augen gleißten, »jagdbares
-Wild muß ich vor dem Lauf haben!«
-
-Kunz nickte ihr zu, listig und anfeuernd. »Dann soll es aber auch gleich
-einen Massenmord geben! Wir wollen uns die Kaninchen beibiegen, die da
-oben in der Kiefernschonung wimmeln. Kommen Sie, Vita. Herrin über den
-Tod.«
-
-In ihrem Auge war Zorn. Scherzreden vertrug sie nicht, weil sie unsicher
-war.
-
-Durch Hochwald müssen sie, durch Eichen, Buchen, Edeltannen. Still
-schmiegt sich das Sonnenlicht um die unbewegten Wipfel. Da, ein
-Schaukeln in den Zweigen, ein Rauschen. Sie blicken auf. Vita sieht nur
-die geschnellten Äste. »Holen Sie sich den!« ruft Kunz. Sie weiß noch
-nicht, was er meint. Endlich, da sie seinem Finger folgt, gewahrt auch
-sie das Eichhörnchen.
-
-»Das soll ich schießen?«
-
-»Natürlich.«
-
-Sie nimmt die Büchsflinte an die Backe -- zielt -- schlägt an -- und
-fehlt. Schnalzend hüpft das Tier weiter. Hohn sind diese Zungenlaute.
-Die Jägerin stampft mit dem Fuß auf.
-
-So neugierig still hat der Nager gesessen. Besser hätte es ihr gar nicht
-werden können. Sie weiß es selbst, schielt nach Kunz, der sich nichts
-merken läßt, und gerade so reizt er ihre Wut. Und sie spricht
-Unbedachtes. »Es war ein Seelisches dabei.«
-
-»So.«
-
-»Ich hab die Eichkätzchen so gern.«
-
-»Versteh ich. Obschon sie die mordgierigsten aller Waldräuber sind.«
-
-»Gleichviel. Ich lieb sie. Und wenn es keine bestimmte Absicht war, daß
-ich vorbeischoß -- eine innere Stimme sprach mit.«
-
-»Nun, bei den Kaninchen wird keine innere Stimme mitsprechen.« Er sieht
-todernst aus, feierlich. Und Vita haßt ihn.
-
-Sie nähern sich dem Kiefernbestand, den sandigen Anhöhen. Da hoppeln
-schon ein paar von den »gottvergessenen Grauen« über die Schneise. Vom
-Wege her, der die Schonung umsäumt, leuchten die Goldtupfen der
-blühenden Ginstersträuche ihnen zu.
-
-»Da setzen wir uns hin«, sagt Kunz. »Dann haben wir eine ganze Kolonie
-dieses fidelen Gesindels vor uns.« Und sie kauern sich unter die
-Blütenpracht. Was ist Kunz das Jagen? Vita aber will töten. Und die
-Kreatur des Waldes läßt es an sich nicht fehlen.
-
-Eine unterirdische Stadt der wühlenden Kobolde liegt ihnen gegenüber.
-Bei dem sonnigen Wetter sind viele vor den Toren, äsen, springen,
-spielen, punktieren mit den weißen Schwanzlichtern fröhlich den
-Waldesdämmer. Kunz lädt das Gewehr. »Jetzt wollen wir also Verhängnis
-sein.«
-
-Diese dummen hohen Worte in der absichtlichen Tonlosigkeit -- weiß er
-nicht, wie sehr die sie stören, wie unsicher die sie machen! Ist das
-noch Freundschaft!
-
-Trotzig reißt sie die Flinte an sich, schießt -- und macht wieder, mit
-all den Schrotkörnern, nur Löcher in die Luft. Die Tiere hat die gute
-Mutter Erde eingeschluckt.
-
-Wie ein Lämmerschwanz schlägt ihr das kleine Herz. So heftig böse ist
-sie, zerbeißt sich die verschluckten Tränen im Munde und zischt sie von
-sich.
-
-Kunz aber, der verkehrt Trostreiche, spricht: »Das war nun erstmal die
-Warnung! So sind wir, denn blindes Schicksal sind wir nicht. Nun soll
-aber den Ersten, den Frechsten, der sich wieder zeigt, das verdiente Los
-treffen.«
-
-Wieder steckt er die Patrone in den Lauf. Sie lehnt in dem Ginstergold.
-Was da irisiert in ihren Augen -- ist nicht ein Schmerz dabei, eine
-Klage, ein Zagen, ein Bedürftiges, eine Demut? Aber hastig greift sie
-nach der geladenen Waffe, wie nach ihrem Recht, ihrer Rechtfertigung,
-ihrem Ausweis. Diesmal muß es gelingen!
-
-Sie liegen auf der Lauer. Noch sind die Viecher vergrämt. Hier und da
-lugen ein paar scheue runde Augen aus den Erdröhren.
-
-Da -- ein Neugierling hebt den Kopf zum Bau heraus -- dreht ihn und lugt
--- hebt ihn weiter -- die Vorderfüße kommen nach -- nun steht der
-Bursche auf vier Beinen -- blickt sich noch einmal um und putzt sich
-dann sorglos die Nase.
-
-Ein Knall --
-
-Er bleibt sitzen, ganz erstaunte Frage. Macht seine Männchen zu Ende --
-Vita hört die Bestie kichern -- und flitzt dann erst wieder in sein
-Erdloch.
-
-Nun ist es mit der Jägerin aus und vorbei. Sie hat sich ins Gras
-geworfen, drückt das Gesicht in die Halme, und nur die trommelnden Beine
-führen eine beredte Sprache ihrer Herzensnot.
-
-Hier ist jetzt der redliche Trost am Platz. Kunz redet ihr zu. »Liebe
-kleine Vita -- das Schießen fordert nun einmal eine gewisse plumpe
-Begabung -- wie das Bauchreden und das Mitdenohrenwackeln. Wer dies
-nicht kann oder das nicht kann -- braucht der sich der Verzweiflung zu
-ergeben?«
-
-Und nun erzählt er und lügt er ihr vor aus dem Schatz seiner Unbildung.
-»Wissen Sie, daß Lykurgos, der große spartanische Kriegsheld, dem Titus
-Livius zufolge im Bogenschießen als Junge das Mitleid aller seiner
-Mitschüler in der Arena erregte? Karl der Große war auf der Jagd ein
-höchst mäßiger Speerwerfer, während Karl der Dicke nie ein Wild fehlte.
-Wenn Prinz Eugen eine Reiterpistole zur Hand nahm, duckte sich nicht
-bloß seine Umgebung, meilenweit in der Runde alle österreichischen
-Regimenter duckten sich. Und der alte Zieten kniff beim Zielen immer das
-verkehrte Auge zu.« Aber viel hilft das alles nicht, Vita bleibt
-verstockt in ihrem Schmerz, fühlt sich immer mehr gekränkt, je mehr er
-sie tröstet, und schließlich durch ihn gekränkt, den Tröster, der auch
-ihr Lehrmeister gewesen. Ein schöner Lehrmeister! An ihm liegt die
-Schuld!
-
-Und alles, was so in dem Köpfchen herumtanzt an Wirbel und Wolken, das
-schlägt sich dann nieder. Sie starrt in die Weite, sucht irgendeine
-Zuflucht, sehnsüchtig vertieft sich das Grün der Augen zu tiefstem
-Smaragd, und Perlen leuchten auf seinem Grunde, richtige Tränen.
-
-Dies ist die Stunde, von Schönheit gesegnet, die letzte ihrer lieben
-lächerlichen Kinderschmerzen -- jetzt wird in ihr das Magedin geboren!
-Von jetzt an wird sie mein Mädchen sein.
-
-Und Kunz zieht sich näher zu ihr hinan. Seine Hand nimmt innig ihre
-spitze Knabenschulter. Steil setzt sie sich hin, zur Abwehr und Gewähr.
-Kunz aber fackelt jetzt nicht lange. Ihren Nacken umschlingt er, ihren
-Kopf, ihre Lippen beugt er sich zu.
-
-Da aber -- ein Schreck, glückhaft und furchtbar in seiner Seligkeit --
-und dann ist alles phosphoreszierende Wildheit und fauchendes Ungestüm.
-Sie greift das Gewehr mit beiden Händen, hält es breit ihm entgegen,
-Schlagbaum, trennende Grenze soll es sein -- er achtet den
-Trennungsstrich nicht und dringt siegreich lachend auf sie ein -- da
-stößt sie blindlings den schweren Stab zwischen den beiden Fäusten ihm
-entgegen, hart trifft das Schloß das Stirnbein über dem Auge -- die
-Funken sprühen ihm -- unwillkürlich zuckt er zurück -- da springt sie
-auf und rennt von ihm -- kehrt halbwegs wieder um, zu sehen, was sie ihm
-getan -- und will ihm helfen und kann es nicht -- und stürzt in hohen
-Sprüngen waldeinwärts.
-
-Und Kunz -- Kunz ist vor den Kopf geschlagen. Dann verfällt er in
-schweres Sinnen. Ich dachte, es wäre soweit. Und nun war es zu früh. Und
-was ich jetzt angerichtet habe! War ich ein Unhold gegen pastorale
-Sitten? Er faßt sich an den Kopf.
-
- O du Penthesilea
- Mein Aug tut immer weha.
-
-Wie hab ich von holdseligem Liebesleben geträumt! Aber für ein
-Liebesleben mit Dir muß man erst einen Kursus bei Achim, dem
-Knochenkrachim, nehmen.
-
-Was wird nun werden? »Mädchenseelen sind von Kristall!« Er hört es in
-der Trompetenstimme seiner nunmehr antiker Form sich nähernden
-jungfräulichen Tante Olga, die es ganz gewiß wissen mußte. Hat er hier
-etwas zerschlagen und zersplittert?
-
-Was wird nun werden? Und der nackenfeste Kunz schleicht doch jetzt etwas
-geduckt nach Hause.
-
-O Kater Kunz, was hat Dein Kätzchen Dich gestriegelt! Und seine Träume
-sind voll Krallen.
-
-
-
-
- Das Haus
-
-
-Weidlich gezaust und gekraust wachte er am andern Morgen auf und war
-ganz in der Verfassung, mit Dankwart, dem Skeptiker, in den kommenden
-Tag sich hineinzugrimmen.
-
-Dessen Gedanken waren wie ihrer aller bei dem Haus, das kräftig und frei
-und stolz in die Höhe ging, aber er hatte seine bösen Beklemmungen, die
-er los werden mußte. Stoßweise kam es hervor. »Das Haus -- wird man
-seiner recht froh? Wenn auch alle ihre frömmsten und kugelrundesten
-Augen dazu machen.«
-
-»Das laß sie.« Kunz blies in dasselbe Horn. »Immer gefühlvoll -- wie
-können wir auch anders! Es gibt eine Franzosenkrankheit, und es gibt
-eine deutsche Krankheit -- und unsere ist die Sentimentalität. Das Haus
--- die holde Stätte des Friedens. Und das eine ist selbstverständlich:
-jetzt kommt das Vielliebe auch über uns, sie, die ganze soziale Wonne.«
-
-»Mit der Frage, wer dieses Haus beziehen soll.«
-
-»Die eigentlich keine Frage ist.«
-
-»Du meinst, Horst gehört da hinein.«
-
-»Natürlich. Und Du mit Deiner Werkstatt. Und das Bureau.«
-
-»Das meinst Du. Aber die andern meinen auch. Und sie meinen anders. Wird
-unser heiliger Zimmermann nicht predigen?«
-
-»Natürlich wird er das. >Die Ersten sollen die Letzten sein!< wird er
-predigen. Wobei man sich immer fragt: wie lange, nachdem nun die Letzten
-die Ersten geworden sind! Und unser praktischer Maurer wird daraus die
-ihm genehme Forderung ziehen. Und mein Liebling, der Metzling, grinst
-als Abgesang seine sozialwissenschaftlichen Theorien herunter -- hol der
-Deixer den Feixer! Aber, Du lieber Gott -- was wollen die! Horst hat ja
-doch schließlich alles in der Hand.«
-
-»Ja. Wenn er die Hand noch hätte! Überall und auch hier kommt erst mal
-das Geistige -- früher hätte er so gesprochen!«
-
-»Das wird er ihnen auch heute sagen. Und das wollen sie ja hören. Sie
-sehnen sich danach, gerade die am meisten, die ihre armselige Materie
-herauskehren. Führerschaft ist, was sie wollen! Was sie brauchen!«
-
-»Bloß Horst -- will er denn noch seine eigene Führerschaft?«
-
-»Wie kannst Du das sagen! Er hat sich doch längst wieder beisammen.«
-
-»Nein, Kunz, das hat er eben nicht. Und das kriegt er auch nicht. Und
-darum kriegt er auch uns hier nicht mehr zusammen. Du wirst es ja sehen.
-Und nun laß mich. Ich hab die eine Schraube noch nicht.«
-
-Er arbeitete an einem Flugzeugmodell mit ganz neuem Propeller-System und
-zog sinnend über die Heide. Und Kunz blieb allein. Nie waren seine
-Gedanken so schwer über Liebe und Leben. Aber stecken blieb er nicht in
-dem zähen Brei. Es gab etwas zu tun. Über Horst zu reden, das lag ihm
-weniger. Mit Horst wollte er sprechen, frei von der Leber.
-
-Horst saß in dem engen Verschlag, der sich Bureau nannte, über den
-Rechnungsbüchern.
-
-»Nun, wie stehen die Papiere?« fragte Kunz.
-
-»Kümmerlich.«
-
-»Wie können sie hier anders als kümmern. Zum Rechnen gehört auch ein
-genius loci. Hier aber ist mehr locus als genius. Im neuen Haus wirst Du
-den angemessenen Raum haben.«
-
-»Ich -- im neuen Haus? Und einen Bureauraum! Die Stimmung ist anders.«
-Er sagte es dumpf und unfroh.
-
-»Stimmung -- was Stimmung! Stimmung wird gemacht und Du wirst sie
-machen!«
-
-Horst sah ihn an mit großen Augen. Sie waren nicht ganz bei der Sache.
-Ihr Ausdruck war müde. Dann sprach er still und fest: »Gerade hier will
-ich nicht eingreifen. Es geht Dir um Selbstverständliches -- mir im
-Grunde auch. Aber eben deshalb lasse ich die Sache an mich herankommen.
-Ein Führer braucht etwas, was ihn trägt.«
-
-Weiter war er nicht zu sprechen, der Rechnungsabschluß drängte. Kunz
-aber fragte sich: ist das ein Wort, ein Manneswort? Ist es einer Ausrede
-ähnlich? Wie schlimm, daß solches Mißtrauen an einem schmarutzt! Aber --
-hat Dankwart nicht recht und bleibt es nicht dabei, daß Horst nicht mehr
-der Alte ist? --
-
-Sitzung der Siedler. In vierzehn Tagen etwa steht das Richtfest des
-Hauses bevor. Sie wollen sich heute schlüssig werden, wer es beziehen
-soll. Für zwei Familien ist es berechnet. Darum ist auch Familie das
-Merkwort für die Geister.
-
-Horst nimmt vorher die Freunde beiseite. »Wir wollen die Leute ruhig
-sich ausdenken und ausreden lassen.«
-
-Kunz erhebt Einwand. »Ausreden, Du lieber Gott! Soll hier jeder wieder
-seinen Ochsenmaulsalat bereiten! Gut -- wir sind hier an
-Mehrheitsbeschlüsse gebunden. Wir sind in der Politik. In der Politik
-aber gilt die Agitation und nichts Dümmeres gibt es hier als die spröde
-Vornehmheit.«
-
-Doch der Wunsch von Horst bleibt bestehen. Soviel Kunz auch schilt: nun
-horstet er wieder in seiner Erhabenheit. Und es kommt im wesentlichen,
-wie Dankwart es angekündigt hat.
-
-Horst spricht die einleitenden Worte: es sei davon die Rede gewesen, zu
-losen. Aber dies blöde, blinde Ungefähr sei ihrer nicht würdig. Wählen
-wollten sie. Er bitte um Vorschläge.
-
-Maurer Mulitz ist treulich zur Stelle. Sie hätten sich das durch den
-Kopf gehen lassen. Zwei Kameraden wären so gut wie Familienhäupter.
-Zuerst Lüders, der mit einer Witfrau, Mutter von zwei Kindern, verlobt
-wäre. Und dann Hofmann, dessen Braut ein Kind erwarte. Beides Kameraden,
-gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Sie, so wäre die Meinung,
-hätten die erste Anwartschaft auf das neue Siedlerhaus.
-
-Ist die Begründung für alle zwingend? Aber Meinung ist jedenfalls
-Meinung. Und Klassensinn bleibt Klassensinn.
-
-Gegenvorschläge tragen ihr Mal an der Stirn. Und Kunz, der sie macht,
-befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er zornig ist. »Ich habe
-ja gewiß nichts gegen Lüders und Hoffmann einzuwenden. Auch für Bräute
-und Witwen mit und ohne Kinder habe ich eine fühlende Brust. Aber bei
-jedem Werk ist nun mal die Leitung die Hauptsache, und der Kopf muß
-besser und höher liegen als die Beine. Darum und um dessentwillen: unser
-erstes Haus gehört zuerst einmal dem Gründer und Führer unserer
-Siedlerschaft für seine Arbeit an unserem Werk. Da er nicht alle Räume
-für sich braucht, mag er sich seinen oder seine Hausgenossen aussuchen!«
-
-In den Worten, deren Ton mühselig die Grenze wahrt, schnaubt seine
-Erregung. Und die ist es, die Widerhall und Widerstand erweckt. Die
-Meinung steift sich gegen ihn, in dem sattsam gehegten und gepflegten
-Zeichen des Sozialen. Und der schlaue Metzling weiß wohl, was er
-spricht: »Wir möchten, daß Herr Oldefeld sich selbst hierzu äußert. Wenn
-es sein ausdrücklicher Wunsch ist --« Die Pause ist inhaltschwer.
-
-Darauf Horst sehr gehalten: »Ich soll hier einen Wunsch aussprechen, der
-von mir ausgesprochen kein Wunsch mehr ist.«
-
-Kunz schlägt sich aufs Knie und blickt zuckend zu Dankwart hinüber. Nun
-hat er sich von dem Feixer auf den Leim locken lassen und spricht
-Feinheiten. Und noch schlimmer, empfindet sie. Die andern aber haben es
-nicht nötig, sie zu verstehen. Wenn sie überhaupt Sinn dafür haben. Um
-so bereitwilliger fliegt ihr Verständnis den letzten Worten von Horst
-entgegen: »Im übrigen bin ich dadurch, daß ich an der Spitze stehe,
-bevorzugt genug. Und dieser Vorzug nimmt gern die kleinen
-Unbequemlichkeiten in Kauf. Außerdem sollen bei uns ganz gewiß auch die
-Rangverhältnisse des Bedarfes und der Bedürftigkeit gelten. Die beiden
-Kameraden brauchen zuerst ein Nest -- sie sollen es haben.«
-
-In den Worten, die immer bestimmter wurden, fehlte etwas von dem alten
-Herzenston, der sonst die Gemüter zwang. Aber die Wirkung blieb nicht
-aus, die Augen leuchteten ihm zu.
-
-Dankwarts harte Dürftigkeit grollte: Ist er jetzt wie einer, der bei der
-Masse sich schustern will! Immer schwerer, aus ihm klug zu werden!
-
-Gisbert, treu bei der Sache, sobald er seine Gedanken in die Erdenbahn
-gezwungen, stand lebhaft auf und drückte Horst die Hand. Kunz aber
-stöhnte laut auf zu diesem lebenden Bild, zu solcher politischen Gruppe.
-Nun ist er bei der Lotosblume angelangt, jetzt wird er mit dem
-Hinduknaben sich weiter zerpflücken und zerfasern. Sein Grimm, der
-Scheltworte brauchte, benannte die beiden vor Dankwart »die
-Indiafaserkompagnie«, und der quittierte mit gezerrtem Lachen. Und Kunz
-klagte sich aus: so bleibt also wieder mal die Empfindsamkeit Trumpf,
-und wie ist sie uns so not, so bitter not, die gesunde Rohheit unserer
-Urnatur!
-
-Die beiden, Horst und Gisbert, gingen in den Abend hinein. Mit ganzer
-Zärtlichkeit umfing Horst den jungen Freund. Er fand in dessen Augen,
-die sonst so gläubig sich verklärten, die Tiefen einer dunklen Angst. Er
-ahnte wohl, was ihn so quälte und umtrieb. Aber war dies nicht zarter
-und feiner, als daß hieran selbst Gedanken rühren durften!
-
-Sie wanderten still. Horst war auf dem Wege zu dem Landhaus der
-Schweden, wo er den Abend verbringen sollte. Er dachte nicht anders, als
-daß Gisberts Ziel das Moorhofer Herrenhaus sei. Aber wie ihre Wege sich
-trennten, ging er die Höhen hinauf, nach den Dünen zu, an die See.
-
-Sie alle badeten am Tage, meist in der Morgenfrühe. Er war der einzige,
-der den Abend dazu wählte. Wie alles bei ihm Naturandacht war, so auch
-sein Schwimmen.
-
-Hineintauchen in die Dunkelheit, mit dem weißen Leib die schwarze Flut
-beseelen, der Lichtbahn eines Sterns sich hingeben, dem Staub der Erde
-entfliehen, aufgehen in das schweigende, sternenhohe, gütig verhüllte,
-gnädig sich entschleiernde selige All -- das war seines Schwimmens
-heilige Lust.
-
-Er hatte wie keiner die Kunst, sich auf die Flut zu legen, sich von ihr
-tragen zu lassen, ohne daß er ein Glied rührte, auszuruhen auf ihr in
-Schlaf und Traum. Wie eine Mutter hielt ihn das Meer in den Armen.
-
-Noch war es ihm zu früh für sein Bad. Auf einem der Hügel ließ er sich
-nieder, hier sah Horst ihn sitzen, die Hände verschränkt um die Knie,
-und mit zurückgebeugtem Antlitz in den Abendstern, den der Osten
-emportrug, sich hineinheben.
-
-Der Abendstern, der Morgenstern, der Liebesstern -- aller Zeiten der
-Stern bist Du!
-
-Und Du, Gisbert, flüchtest Du Dich nicht bewußt aus der Sinnenwelt in
-diesen Sternenglanz?
-
-Lange noch sah Horst die Silhouette gegen den Abendhimmel -- die feine
-überschlanke Gestalt, diese zarten in die Dämmerung gestrichelten, mit
-der Dämmerung sich lösenden Linien, die schon nichts Körperliches mehr
-hatten.
-
-Und Horst stockte der Fuß auf seinem Weg. Da geh ich nun zu den Fremden
--- und Gisbert, mein lieber Junge, schwindet uns hier unter den Händen.
-Muß ich -- ich vor den andern ihn nicht halten und hegen!
-
-Wär nicht diese Scheu um ihn, diese sprödeste Wehr, und in ihm dies
-Rührmichnichtan, das vor jedem Wort versteinert, das schon vor einem
-Ahnen des andern zusammenschauert. Was hat es zu leiden, das deutsche
-Blut!
-
-Wie kann er dem Freunde helfen, da er nur erschrecken und wehtun würde.
-Und ist in ihm selbst nicht diese Scheu? Dieses Heiligtum der
-Schweigsamkeit, das niemand betreten darf?
-
-Jetzt führt ihn sein Weg zu den Fremden, denen aufs neue er widerstrebt.
-Was will er bei ihnen, was soll er bei ihnen? Blutsverwandte ja -- aber
-wie weit blieben sie vom Schuß! Diese lieben germanischen Neutralen! Wie
-haben sie sich gepflegt, da die Not uns verzehrte, wie wohl lassen sie
-es jetzt sich sein, da Elend und Schande uns zerfressen. Was soll ich
-bei diesen Menschen mit den wohlig satten Muskeln und den gut genährten
-Gehirnen?
-
-
-
-
- Freunde in der Not
-
-
-In Freundschaft aber löste dieser Abend allen Unmut und Unwillen.
-
-Eine Flut von Licht empfing ihn, in dem einfachen hellen Landhaus mit
-seinen strahlenden Birkenmöbeln. Alle Lampen brannten, auch die in den
-unbenutzten Räumen. Das liebte Herr Thorild so. Wieder bei Horst so
-etwas wie Zorn: nun ja, sie haben es und können es, denn sie haben die
-Valuta.
-
-Aber auch in diesen Menschen brannte alles Licht ihrer Herzlichkeit. Und
-sein Mißtrauen, das dagegen aufflackerte, als ob hier zuviel Güte und
-Mitleid wäre, war bald im Erlöschen.
-
-Wie gut sprachen sie von Deutschland, wie gut verstanden sie deutsche
-Art, das deutsche Leid, die deutsche Schuld, das bresthafte deutsche
-Dasein.
-
-Mehr als einmal schüttelte Oberst Thorild schwer den Kopf. »Daß Ihr aus
-der Parteizerrissenheit nicht herauskommt, nicht aus Eurer
-Selbstzerfleischung! Die Fremden peitschen Euch in Wut -- und Ihr geht
-Euch selber an die Gurgel. Nicht leicht ist es, Euch zu begreifen. Kein
-Land hat soviel Herz und Hirn -- kein Land, dank seiner Parteipolitik,
-so viel herzlose Rechner und hirnwütige Verbrecher.«
-
-Horst nickte dazu mit düsteren Augen.
-
-»Euer großer Physiker hat mit dem von ihm gefundenen Gesetz das deutsche
-Wesen auf die rechte Formel gebracht: innere Wärme entlädt sich in
-äußere Bewegung. Vielleicht ist es Euer Fluch, daß Ihr zu viel innere
-Wärme habt, daß die sich in zu viel äußere Bewegung umsetzt, die Euch so
-heillos in Fetzen zerreißt. Das Stillhalten freilich ist nie unsere, der
-Germanen Sache gewesen. Im Draufgehen waren wir groß und im Dulden klein
--- schon Tacitus hat es uns bezeugt.«
-
-In diesem »uns« war ein Bekenntnis.
-
-Und dann schloß er diese Gedankenreihe: »Im Ertragen von Leiden sind
-Euch die Serben, die Franzosen und andere Völkerschaften nun schon
-überlegen. Die Franzosen zumal, das femininste aller Mischvölker, das in
-den Wehen sich schon eher zu Hause fühlt. So feminin sind Eure lieben
-Nachbarn, daß sie es nicht einmal fertiggebracht haben, für >Mann< ein
-Wort zu besitzen. Wo sie es nicht gut entbehren können, begnügen sie
-sich stolz wie immer mit dem nichtssagenden, bedeutungslosen >Mensch<!«
-
-So sprach Ivar Thorild, der Schwede. Und der Deutsche Horst Oldefeld
-fühlte sich nicht veranlaßt, ihm zu widersprechen. So wenig, wie das
-alte Lied von Hysterie und weibischer Grausamkeit nun noch besonders
-anzustimmen.
-
-»Daß Ihr jetzt, in der furchtbarsten Not, nicht zur Einigkeit gelangen
-könnt!« hob der schwedische Oberst wieder an. »Wir sind auch hier mitten
-in einer Schuldfrage. Denn es gibt auch eine Schuld nach dem Kriege. Und
-bürdet sie nicht dem Feindesbund auf, der Euch vergewaltigt! Hättet Ihr
-den Bund im eigenen Land, brauchtet Ihr Euch nicht knechten zu lassen.
-All die Schändungen und Verbrechen -- »Sanktionen« heißt der erhabene
-Name dafür -- ich sage nur Rheinland, Saargebiet, Oberschlesien -- die
-große heilige Zornwelle eines gewaltig sich erhebenden einigen Volkes
-hätte diesen Frevel hinweggespült! Aber, Ihr habt was Besseres zu tun,
-Ihr müßt Euch untereinander begeifern, abwürgen und zu Boden schlagen.«
-
-Wahrheit, alte, immer neue, nicht oft genug zu predigende Wahrheit!
-
-»Und jetzt die andere, die viel berufene Schuldfrage. Die bekannte große
-Schuldlüge. Hier beschränke ich mich nun nicht auf völkerpsychologische
-Glossen. Hier kann ich mit freundschaftlich praktischer Arbeit
-aufwarten. Ich bin nicht ganz unbeteiligt an der neutralen
-unparteiischen Kommission zur Untersuchung der Kriegsursachen. Sie hat
-demnächst an Herrn Poincaree einige Fragen zu richten, auf deren
-Beantwortung oder -- Nichtbeantwortung wir gespannt sind. Daß die
-deutsche Regierung nicht blankzieht, daß sie immer nur den Fälschern im
-eigenen Lager das Wort läßt, das ist wieder etwas, was wir nun und
-nimmer begreifen! Vielleicht ist dies das Unbegreiflichste von allem!
-Herrgott« -- und nun spricht der ehrliche Zorn des Blutsverwandten, den
-gemeinsame Sache bewegt -- »wollt Ihr denn das gemeinste und verlogenste
-Unrecht von der Welt stillschweigend dulden! Die Ihr überhaupt nicht zum
-Dulden erschaffen seid. Nicht dulden könnt! Und nicht dulden werdet!
-Unrecht am letzten! So bodenlos verlogenes Unrecht am letzten!«
-
-In diesen Worten brauste ein Kampf- und Kriegsruf. Horst stimmte ein mit
-schmerzlich, freudig zuckendem Herzen. Von außen muß uns solches
-verkündet werden. Nicht bloß Feinde hat Deutschland auf Erden! Und noch
-mehr Freunde würden wir haben, wenn wir selbst noch mehr unsere Freunde
-wären, unsere starken, gläubigen, wagemutigen Freunde!
-
-Und weiter Herr Thorild: »Was laufen auf unserem Planeten für Geister
-zweibeinig herum! Daß sie die hirnverbrannteste aller Faseleien sich
-aufbinden lassen! Deutschland hat den Krieg vorbereitet. Nicht die
-anderen Großmächte der Erde haben Deutschland eingekreist, nein,
-Deutschland hat die Welt eingekreist -- Deutschland hat eingekreist! Ist
-es nicht zum Radschlagen! Aber grandios einfach die Genialität der
-politischen Scharlatane, die mit diesem beispiellosen schlechthin
-blödsinnigen Schwindel Geschichte -- und ihre Geschäfte machen. Derselbe
-unsägliche Schwindel, mit dem die edlen Franzosen jetzt nach dem Kriege
-vor sich und der Welt als die Sieger, als die Sieger schlechthin
-paradieren. Dieselbe Nation, die Ihr in ehrlichem Kampfe Volk gegen Volk
-derartig zusammengedroschen hättet, daß nichts von ihr übriggeblieben
-wäre -- nachdem sie in diesem schmachvollen Würgekrieg mit all den
-andern Mächten als Spießgesellen Euch durch das Massengewicht
-naturnotwendig erdrückt hat, o Glorie ohne Ende! -- diese Nation
-entblödet sich nicht, als die Siegerin sich in die Brust zu werfen! Da
-die andern soviel Schamgefühl besitzen, dieses Sieges sich nicht eben zu
-rühmen, darf sie allein das Maul vollnehmen von victoire und gloire! Daß
-selbst ihre Verbündeten für solche -- Bescheidenheit nur noch ein
-Lächeln haben.«
-
-Auf all die schmerzlichen Erschütterungen, die durch Horst hinbebten,
-legte Ingeborg warm den vollen Glanz ihrer jungen lebensinnigen Augen.
-Welche Heilkraft strömte von diesem blonden, leuchtenden Mädchentum aus.
-Wie Genesung fühlte Horst es durch die wunden Nerven, durch die kranke
-Seele rinnen. Was sagt Kunz, der Lebenskundige? Gesundheit steckt an.
-Wann war Horst das Blut in so vollen, reichen, kräftigen, frisch
-brausenden Wogen durch die Adern geflutet!
-
-Die Männer sprachen dann über ihre kriegsgeschichtlichen Forschungen.
-»Mein Material häuft sich bergehoch,« klagte Herr Thorild, »und ich
-werde mit meiner Arbeit nicht fertig. Einen Kompagnon brauche ich. Ich
-komme nicht einmal dazu, meine Bücherei zu ordnen --«
-
-Hier rutschte Ingeborg auf ihrem Stuhl und machte ein längliches,
-wundervoll schelmisch gescholtenes Gesicht.
-
-»Denn mehr als je hat mich, sobald es Frühling wurde, mein Famulus im
-Stich gelassen.«
-
-»Vater -- nach dem langen Winter!«
-
-»Dem Winter -- mit seinen Eissegelfahrten und seinem
-Schlittschuhlaufen!« lächelnd nahm der Vater ihr Kinn.
-
-Horst sah sie in der farbenjauchzenden dalekarnischen Landestracht mit
-fliegenden Zöpfen über das Eis ihre Bogen schlagen! Welch ein Bild.
-
-Er selbst war ein leidenschaftlicher und kunstvoller Eisläufer. Wieviel
-blanke blitzende Kindheits- und Jugenderinnerungen zuckten durch ihn
-hin. Wie fröhlich jung er wieder war! Was hatte er diesen beiden
-Menschen zu danken!
-
-Und jetzt schlug der Oberst schlankweg auf den Tisch. »Wie wär es, Herr
-Oldefeld, wenn Sie hier einmal Atem holten. Wenn Sie sich einmal unser
-Land ansähen, Ihrer Urväter Heimat. Und mein kleines Landgut, mein Haus,
-meine Bücherei. Sie sollen auch kein müßiger Zuschauer sein. Ja, als
-Lehrmeister brauche ich Sie! Ich sagte Ihnen, daß wir auch siedeln
-wollen. Die Gedanken, die Sie mir entwickelt haben, und an denen Sie
-hier arbeiten -- vorzüglich! Ich brauche Sie, Herr Oldefeld! Und wäre
-Ihnen herzlich dankbar für Ihre Hilfe. Und Sie würden vielleicht neue
-Kraft sammeln für Ihren schweren Dienst -- an ihrem Lande.«
-
-Jetzt fiel auch Ingeborg ein, und wie klang ihrer Worte Melodie! »Sie
-fahren mit uns, nicht wahr? Sie kommen in unsere schönste Zeit. Das
-Summen unter unseren Sommerlinden sollen Sie erleben. Lindheim heißt
-unser Gut. Nirgendwo auf der Welt gibt es solche Linden. Nur noch in der
-Heldensage findet man ihresgleichen.«
-
-Horst konnte nur leise, mit hochatmender Brust den Kopf schütteln zu so
-herzbetörender Lockung. »Es soll ja noch heute nicht sein«, sagte er
-tonlos, gehalten zwischen Wehmut und Sehnsucht, sich selbst zu leisem
-Trost.
-
-»In vierzehn Tagen bin ich hier fertig«, erklärte der Oberst.
-
-»Nun inzwischen werden wir uns ja hoffentlich noch öfter sehen!« Horst
-bat die beiden, doch einmal die Siedlung zu besuchen. Ob Sie nicht am
-Sonntag kommen möchten? Dann wären auch seine jungen Freunde aus der
-Stadt da. Kriegsspiele würde es geben. Die Schlacht bei Großgörschen
-wäre an der Reihe.
-
-»Ei der Tausend! Da kommen wir natürlich mit doppelter Freude.« --
-
-Am Sonntag, da die Schüler nach Hohenmoor hinauszogen, trug nicht die
-alte Freude ihre Schritte. Ihre Mienen und ihre Lieder waren voll Trotz.
-
-Dr. Georg Stumps ehrliche Bulldoggenaugen waren blutunterlaufen, so
-hatte er sich gebost. Auf den Stachelspitzen seiner Haare tanzten
-Elmsfeuer. Das Provinzialschulkollegium hatte eine Verfügung erlassen
-und dem gesinnungstüchtigen Direx des Gymnasiums die entschlossene
-Direktive gegeben. Alle militärischen oder »den militärischen ähnlichen«
-Übungen der Schüler waren streng verboten. Aber immerhin, Singen und
-Turnen durften sie noch -- wie lange freilich, das weiß kein Mensch! Und
-so mußte es draußen, am Fuße der Goldberge, vorläufig bei Turnspielen
-bleiben.
-
-Auch Horst ballt zu dem Ukas die Fäuste. Welch eine Beschämung vor den
-schwedischen Gästen! In diesem Sklavenland -- wie soll man das Leben
-weiter und auf die Dauer ertragen!
-
-Mit einigen der Jungen, die technische Neigungen haben, ist Dankwart
-angefreundet. Sie besuchen ihn in seiner Werkstatt. Über neue
-Flugzeugprobleme belehrt er sie, zukunftsgläubig vor diesen jungen
-Augen. Für die nächste Zeit schon verheißt er ihnen den Probeflug seines
-neuen kleinen Modells.
-
-Ingeborg kommt, zunächst ohne den Vater, der noch dem Moordorfer
-Pfarrarchiv einen Besuch zu machen hat. Wie erfrischend diese nordische
-Ungezwungenheit und Unbefangenheit, mit der sie unter all die Männer
-tritt.
-
-Kunz, der Wächter von Horstens Seele, gibt sich überwunden und gefangen.
-Dankwart verschanzt sich, angstvoller noch und mißtrauischer als vor
-Frau Tilde hinter dem Eisenwerk seiner Konstruktionen -- welch eine
-Huldigung für die Frau! Und auch in Gisberts weltflüchtigen Augen lehnt
-sich etwas an die warme, licht- und farbenprächtige Erdennähe.
-
-Sie tritt Horst zur Seite, als gehöre sie zu ihm. Gleich fühlt sie, daß
-eine neue Wunde ihn brennt. »Was ist?« fragt sie leise und vertraut.
-
-Er schüttelt leicht den Kopf. »Die Erniedrigungen nehmen kein Ende.«
-
-Und schon tritt ein Gendarm auf den Plan, Bitterkeit in dem hellen Auge,
-Schwermut in dem hängenden Schnauzbart. Sein Auftrag kommt ihm selbst
-hart genug an. Sein eigener Schmerz ist mehr als all die subalterne
-Wichtigkeit.
-
-Er macht vor Horst militärische Ehrenbezeugung. Befehl der Regierung.
-Soll Herrn Hauptmann Oldefeld darauf hinweisen, daß die militärischen
-Übungen mit den Gymnasiasten der Kreisstadt unliebsames Aufsehen erregt
-haben und nicht zulässig seien. Soll darüber wachen, daß der heutige
-Sonntag nicht wieder zu solchen »unerlaubten Veranstaltungen« benutzt
-werde.
-
-Jetzt also unter Polizeiaufsicht. Auf wessen Geheiß? Horst hat eine
-Ahnung. »Wollen und können Sie mir sagen, wem wir hier »unliebsam«
-geworden sind?«
-
-Der Beamte besinnt sich eine Weile. Dann spricht er offen, ein
-Gleichgesinnter, und seine Brauen ziehen sich zusammen. »Die
-Ententekommission hat sich an die Regierung gewandt.« Jetzt stockt er,
-und mühselig kommt es über die zusammengezogenen Lippen. »Bei den
-Feinden ist von unserer eigenen Bevölkerung hier Anzeige eingelaufen.«
-
-Die Männer sehen sich an, schmerzlich bohren sich ihre Augen ineinander.
-Sie schweigen tief und lange. Dann sagt Horst gehalten: »Ihr Dienst ist
-wahrhaftig nicht leicht. Ich will ihn Ihnen ganz gewiß nicht erschweren.
-Es wird hier heute nichts Verbotenes geschehen. Darf ich Sie bitten, in
-der Baracke unser Gast zu sein.«
-
-Nun, da er mit Ingeborg allein ist, rüttelt der ganze Schmerz an ihm.
-Dazu die tiefe Demütigung, daß sie, die Ausländerin, von diesem
-unsäglichen deutschen Schandwerk hören mußte! Daß Deutsche bei den
-Landesfeinden Deutsche denunzieren! Der Denunziant -- an sich schon der
-größte Schuft im ganzen Land! Aber auf die eigenen Volksgenossen die
-Fronvögte hetzen! Die eigenen Brüder den Folterknechten ans Messer
-liefern!
-
-Und gerade in dieser Stunde wird sie ihm erst recht wie ein Freund, und
-in der Vertraulichkeit kommen ihm die schmerzensreichsten aller Worte:
-»O Deutschland! Deutschland!«
-
-Sie sieht, wie er leidet, sie greift mit der Hand nach seinem Arm. »Ich
-kann Ihnen nicht sagen, wie nah mir das alles geht.«
-
-»Ja -- manchmal ist es einem wirklich, als müßte man den Verstand
-verlieren!«
-
-Die Verzweiflung gräbt sich in seine zerspannten Züge, die Augen starren
-leer und verlassen. Sie aber, von ihrem Mitgefühl durchflutet und
-hilfreich beseelt, gewinnt ihn lieber und lieber. Und zärtlicher neigt
-sie sich zu ihm hin.
-
-Da gibt es ein Blühen in seinem Blut und ein Frohlocken in seinem
-Herzen. Warum reiß ich sie nicht an mich, dieses liebreizendste aller
-Geschöpfe -- als meinen Halt, meine Rettung, meine Genesung, meine
-Kraft, meine Seligkeit!
-
-Er fühlt es: wenn ich Dich nehme, gehörst Du mir! Und Du willst, daß ich
-Dich nehmen soll.
-
-Aber dann klingt in ihm der Ruf aus der dunklen Tiefe -- Deutschland, o
-Deutschland! Und wie gegen eine Verführerin wendet er sich gegen das
-junge, das herrliche Weib, die Fremde, mit der lockenden Ferne, die ihn
-heimatlos, die ihn untreu machen will.
-
-Ein weher Schreck durchfährt ihre Hand, von der er sich löst, und es
-klagt auf in ihren Blicken. Da gibt er ihr ein liebes Wort. »Ich denke
-so viel an den Platz unter Ihren Linden.«
-
-»Er wartet auf Sie. Und nicht wahr -- Sie lassen ihn nicht warten!«
-
-Der Vater tauchte in der Ferne auf. Die Jungen hatten sich inzwischen
-zum Abmarsch aufgestellt. Sie wollten sich an einer langen
-Strandwanderung, so gut es ging, schadlos halten.
-
-Sie haben die Jungen mir und mich den Jungen verboten. Aber den Geist
-bütteln sie doch nicht tot! Er raffte sich hoch, aber mühsam trug er den
-Kopf auf gesteiftem Nacken.
-
-Über die Goldberge zogen die Jungen. Sie sangen, dann auf der Höhe
-verstummte das Marschlied. Dem Klang aus dem Grunde lauschten sie. Wohl
-hatten sie ihn vernommen, denn machtvoller, sieghafter, zuversichtlicher
-und stolzer rauschte jetzt ihr Gesang, da sie den jenseitigen Hang zur
-See hinunterschritten.
-
- Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
- Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
- Unter die Füße den tückischen Haß,
- seine Ketten zerspringen wie Glas.
- Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
- Frei sollst du sein!
- Wir machen dich frei!
-
-Ihr werdet den Zauber lösen, der in den Bergen schläft. Ihr werdet
-Deutschlands Freiheit wiedersehen! Ob wir noch, die wir heute Männer
-sind? Es ist so schwer, so bitter schwer von dem Gedanken sich zu
-scheiden!
-
-Ihr aber werdet sie nicht mehr sehen, ihr Grauen und Müden! Was ist das
-für eine kleine mühselige Schar von Alten, Gebückten und Beladenen, die
-da im Staub des Heidewegs zu den heiligen Höhen herangepilgert kommen?
-Öfter schon haben einzelne Wallfahrer hier gekniet und gebetet, das
-Wunder wach zu flehen, das hier unter den Hügeln ruht. Das Wunder der
-Erlösung des armseligen deutschen Volkes. Heute finden sich wohl ein
-Dutzend der Gläubigen ein. Männlein und Weiblein, alle so elend
-verwittert, alle so gramvoll sehnsüchtig. Hilf uns doch, Du Retter, Du
-Ritter, Du Schlafender! So bitter nötig haben wir Dein Erwachen!
-
-Zum Liebhaben sie alle. Aber man darf sie nicht stören. Still müssen sie
-mit mummelndem Munde ihre Formeln sprechen. Horst wendet sich ab und
-zwingt an seinen Tränen. Deutschland -- mein Deutschland --!
-
-Und jetzt war auch Herr Thorild bei Ingeborg und Horst. Der mußte sich
-begnügen, den Gästen und Freunden die Siedlung zu zeigen. Er verschwieg
-nicht die schwere wirtschaftliche Not, gegen die sie rangen. Aber sie
-wollten und mußten durch! Und hier setzten seine willenshellen Augen
-wieder die alten Lichter auf.
-
-Eine Fülle von Anregungen gewann der Oberst aus seinen Eindrücken. Und
-alles klang wieder aus in dem Wunsch und der Bitte: Sie müssen zu uns
-kommen!
-
-Wie eine Rührung wogte es durch Horst. Was haben diese Menschen an Dir?
-Und wieder der Gedanke: So sind wir Deutschen doch nicht schlechthin im
-Ausland die Verachteten, die Verfehmten. Nur unsere Würde sollen wir
-wahren. Und Treue ist Würde! Treue auch zum Unglück! Ja, sein Unglück
-lieben -- nur so wird man seiner Herr!
-
-In solchem Selbstgefühl durfte er den Freunden frei die Hand reichen.
-Ich empfange nicht bloß, ich gebe so gut wie Ihr.
-
-Aber die Schatten blieben. Und schwerer und dunkler zogen sie. Es kam
-für die Siedlung ein schwarzer Tag.
-
-
-
-
- Und die Not nimmt überhand
-
-
-Gisbert, der ihrer aller Liebling war, löste sich immer mehr von ihnen.
-Wie ein Nachtwandler war er, den man zu rufen sich scheute.
-
-Der einzige, der immer noch fest zupackte, war Kunz. Aber auch er griff
-jetzt immer mehr ins Leere. Und dann, er hatte genug mit eigener
-Herzenserschütterung zu tun. Vita war ihm entschwebt. Wie ein Traumbild
-war sie ihm zerronnen. Wohin hatte er sie geschreckt?
-
-So trübte sich Kunz der Blick für des Gefährten Schicksal, den die Not
-seiner Liebe immer mehr von dem Irdischen trennte. Von der Erde, die,
-seit sie ihn verschüttet, begraben, erstickt hatte, seinen entrückten
-Sinnen nie mehr die rechte Heimat gewesen war.
-
-In Gisbert selbst tastete noch etwas nach dem Gegenständlichen dieser
-Welt, nach Freundeshand, nach Zwiesprache, nach Austausch der
-Empfindungen. Und so klammerte sich etwas von ihm an Kunz, gerade heut.
-
-Der Wind trug am Nachmittag den Glockenhall von Moordorf herüber.
-»Wollen wir zusammen in die Kirche?« fragte er Kunz, mit knabenhaften
-Augen, fromm von kindlichen Gedanken.
-
-Der hatte schon ein »Ja« auf der Zunge. Da fuhr es ihm durch den Sinn:
-in Vitas Bereich! Wenn ich mich hineinbegebe, muß ich allein es tun!
-Denn für alles, was hier geschehen kann, brauch ich meine Einsamkeit.
-Und er schüttelte den Kopf zu dem Vorschlag. So ging Gisbert ohne ihn.
-Und es trug ihn wie ein Abschiednehmen -- er wußte nicht wie.
-
-Er wußte auch nicht, was eigentlich in die Kirche ihn zog. Halbe
-Wirklichkeit war in allem. Der Raum, die Andächtigen, der Gesang, der
-Prediger --
-
-Wirklichkeit -- was ist das? Es gibt etwas über der Wirklichkeit. Das
-ist seine Herrin. Das ist dieser Abend, der ihn zu ihr führt.
-
-Schall ohne Sinn war ihm auch erst Pastor Waermanns hell aufstrebende
-Predigt. Der wieder der Mittler seines geliebten Ernst Moritz Arndt war,
-des deutschen Stimmführers aller Zeiten.
-
-»Du mußt Gott bitten, daß er dir gebe einen stillen freundlichen und
-festen Geist, daß du alle deine deutschen Brüder zu dir versammeln
-magst.
-
-Denn durch der Herzen Zwietracht ist das Unheil gekommen, und durch die
-Torheit der Feigen plagen fremde Henker dich.
-
-Und ihr sollet euch wieder brüderlich gesellen zueinander, alle, die ihr
-Deutsche heißet und in deutscher Zunge redet, und den Trug bejammern,
-der euch solange entzweit hat.
-
-Und sollet in Einmütigkeit und Friedseligkeit erkennen, daß ihr einen
-Gott habet, den alten treuen Gott, und daß ihr ein Vaterland habet, das
-alte treue Deutschland.
-
-Und sollet gedenken, wie ihr ein freies Land von euren Vätern empfangen
-habet, und wie ihr euren Kindern und Kindeskindern die Freiheit
-hinterlassen müßt!«
-
-Das klang denn doch in Gisbert nach, das weckte in ihm schlummernde
-Stimmen. Die Stimmen, die sein Dasein begleitet hatten, die seiner
-Arbeit Melodie gewesen waren. Sie schlangen das Band zwischen ihm und
-den Kameraden, den Freunden. Und er ruhte aus in diesen Harmonien.
-
-Aber sie hielten ihn nicht, sie trugen ihn nicht, und er entschwebte
-wieder in seine Welten. Und alles, die Siedlung, das Vaterland, die
-Gefährten wie der Kirchgang, der Gottesdienst wurden ihm nur zu einer
-alten Weise wehmütiger Erinnerungen.
-
-Ein paar schrille Weckrufe: zwei Mädchenaugen hängten sich an ihn, von
-so heller und scharfer fast heftiger Daseinskraft. So viel gesammeltes
-Leben -- es brannte und stach. Den Traumfernen erreichte die fragende
-Leidenschaft. Bleiben sollst Du und Rede mir stehen! Allein bist Du! Wo
-hast Du den andern! Ich will ihn nicht! Aber, wo ist er? Das will ich
-wissen! Und warum er Dich allein hat kommen lassen! Ich will ihn nicht!
-Will nicht seine packende Hand, seinen dürstenden Mund! Aber, er soll
-mich suchen! Suchen soll er mich, daß ich ihn abweisen kann, ihn von mir
-stoßen! Was tut er's nicht!
-
-Und Gisbert wußte es, dieses Mädchen, das nichts ist als Augen, nichts
-als fordernde, starrende, bannende, naturkindliche Leidenschaft der
-Augen, es konnte nur Vita sein, das Mädchen seines Kunz.
-
-Jetzt war der Freund doch ganz nahe bei ihm. Von dem er ahnte, daß er um
-das Mädchen litt. Helfen -- ihm, dem lieben, getreuen -- und auch ihr,
-in deren Augen der sehnsüchtige Trotz einer Qual Fieber und Bitterkeit
-wirkte.
-
-Predigen -- von der Liebe predigen! Hier, wo der Ort dafür war! Von der
-Liebe, die mehr ist als ein Gefühl. Von der Liebe, die die Wahrheit ist.
-Die Wahrheit und die Freude, aus der jede Kreatur, aus der das All, die
-Unendlichkeit ihr Leben hat.
-
-Aber die Worte dafür -- immer ist das Wort mit seiner Erdenschwere
-hinter ihm zurückgeblieben. Nun hat es ihn ganz verlassen. Das lichte
-Schweigen ist um ihn.
-
-Und mit dem Wort, das er nicht findet, versinkt ihm all das, was ihn
-eben noch gerufen und bewegt hat. Ob er es halten möchte, es schwindet
-ihm hin. Und wieder wie ein Traumwandler zieht er seine Straße, die zu
-seiner Herrin ihn führt.
-
-Das Auto, das ihm auf der Chaussee entgegenrast, der Staub, den es
-emporwirbelt, die Hupentöne, die es ausstößt -- all das bleibt weit,
-weit unter ihm.
-
-Er weiß nichts von der Erde, er sieht auch den Himmel nicht, nicht seine
-grüne Abendflut, die wie brennende, schmelzende Patina ist. Erst wie er
-in Tildes Zimmer steht, wird er erlöst aus seiner blutleeren
-Wesenlosigkeit.
-
-Und wieder ist es ein Klagendes in ihren Augen, was ihn erdhaft macht.
-Keine Wehmut und Weichheit, die nach Mitleid ausblickt. Eine Bitterkeit,
-die sich immer mehr verhärtet, und die Härte als Hilfe braucht. Wie ein
-Trotz ist es aufgestiegen aus der Tiefe dieser Augen. Die schwere Arbeit
-der Tage, das Übermaß der Pflichten schmiedet ihres Wesens Metall.
-
-Hilflos, wie verschüchtert sitzt wieder Gisbert vor ihr. Und wieder die
-Frage über ihm: was kann ich Dir sein? Ich, der ich mich verblutet habe
--- ich weiß es selbst -- dem das Beste seiner Jugend, seiner jungen
-Kraft zerronnen ist -- »Gedankenblässe«, das ist das Wort! Das ist der
-Stempel, den ich trage. Ein Schatten, ein Schemen, schwebe ich vor Dir.
-Und je tiefer sein feines Spüren in die Augen der Frau sich einsenkt --
-lebt in ihnen nicht eine fast zornige Forderung an das Leben auf?
-
-Über wirtschaftliche Dinge spricht die Herrin mit ihm, trocken,
-geschäftlich. Dazwischen müde Pausen des Ausruhens und des Schweigens.
-Sie plant noch ein paar Neubauten und hat Budgetsorgen. Er kann sie nur
-anhören, kann nicht raten.
-
-So einsam ist diese Frau. Der natürliche Gehilfe und Berater,
-wahnbefangen, der Arbeit verloren, hält sich fern.
-
-Zugleich mit ihm kommt ihr -- wie sind sie sich doch nahe -- der Gedanke
-an den, der ihr fehlt. »Achim war eben im Auto hier -- nur auf eine
-Minute. Er ist gleich zur Bahn gefahren. Er will nach Holland zu einem
-internationalen Match.«
-
-Die Worte reihen sich gleichmäßig auf, fast unbewegt von dem Schicksal,
-das durch sie hindurchgeht. Und wieder ist das Schweigen um sie beide,
-gut, heilend und treu. Dann sagt sie: »Kommen Sie, Gisbert. Ich möchte
-noch ein wenig in den Park.«
-
-Sie gehen hinein in den lichten Abend. Es ist die Johanniszeit, die
-hellsten, längsten Tage herrschen, die Kraft der Sonne durchwebt die
-Dämmerung, webt durch die Nacht hindurch dem Morgen entgegen und nimmt
-sich selbst wieder in Empfang.
-
-»Heut ist des Sommers heilige Nacht«, sagt Frau Tilde. Ihre Blicke ruhen
-auf dem jungen Freund. Ist er nicht wie der Heilige dieser Helle? Er
-selbst so durchsichtig, so unirdisch, so verklärt. Und wehklagend zieht
-es durch sie hin: Armer, lieber Junge. So hast Du Dein Leben
-hingeströmt! Und ist nicht wie Du ein großer Teil der deutschen Jugend
--- viele, die unter uns hinschweben, kaum etwas anderes als die Schatten
-Erschlagener!
-
-Die Johannisnacht beschäftigt ihn. Er spricht von den Sonnwendfeiern,
-erzählt von einem sanften Brauch, den Frau Tilde nicht kennt -- sie weiß
-nur von den Feuern und Flammentänzen dieser Nacht -- von dem Johannisbad
-erzählt er, dem Blumenopfer, das man den Flüssen darbringt. Und gar
-nicht bedeutungsschwer, mit einer leisen Fröhlichkeit fügt er hinzu: »In
-dieser Nacht werden die Lose der Menschen geworfen.«
-
-Sie haben den Park durchschritten. Da vor dem Tor ragt auf der kleinen
-Anhöhe der mächtige Ahorn in den grünglasigen Abendhimmel. Hier auf der
-runden Bank haben sie damals gesessen, in die Wolken geblickt und von
-ihnen beide dasselbe vernommen. Und wieder lassen sie sich hier nieder.
-
-Über die Felder gleiten die Blicke. In Tilde regt sich die Landfrau.
-»Wie gut der Roggen steht!« Bis zu ihren Füßen zittert das grüne Meer in
-dem Hauch, den die See landeinwärts sendet. »Was hätte Vater für eine
-Freude daran gehabt!« Nun ist sie bei ihren Toten und in großer
-Verlassenheit.
-
-»Ach, lieber Junge!« sagt sie dann und streicht ihm übers Haar. Was ist
-alles in ihren Augen, so viel Mütterliches, sorgend und schützend, und
-wieder ein Frauliches, das zärtlich nach Hilfe ruft. Und er starrt in
-diese wogende Tiefe.
-
-Dann nimmt sie seinen Kopf in die Hände und küßt ihn auf die Stirn, und
-küßt ihn auf den Mund. Schon hat sie sich erhoben und reicht ihm die
-Hand. »Und jetzt Gut Nacht«, sagt sie einfach. Und weiter nichts.
-Schreitet zum Park, tritt in das Tor und verschwindet unter den Bäumen.
-
-Gisbert bleibt, bewegungslos. Alle Stimmen seines Lebens klingen
-zusammen in dieses letzte Wort. All seine Schmerzen, seine Seligkeit,
-seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Taten und Leiden, sein
-Träumen, seine Visionen, seines Wesens Beginn, seines Daseins Ausklang
---
-
-Aber auf den Lippen -- da brennt es -- ein Feuer -- so wie eine
-Todeswunde brennt -- schmerzlich und überschmerzlich, bestrahlt schon
-von den ewigen Wonnen.
-
-Ein Feuer, das bleibt und brennt. Davon das Blut ihm kocht und braust.
-Das wenige Blut, das noch durch seine Adern flutet.
-
-Ich sehne mich, sehne mich nach Dir! Mit allem, was an Kraft und Leben
-in mir ist, sehne ich mich nach Dir.
-
-Und Du -- jetzt wird alles, was in ihm Leben hat, Glut und Glanz eines
-stolzen Glückes -- singt und schluchzt und jauchzt nicht in Dir dieselbe
-Weise? Sind wir nicht wiedergeboren einer in des andern Herzen? Muß ich
-nicht bei Dir sein und Du bei mir! Warum bist Du gegangen! Was läßt Du
-mich allein!
-
-Fliehst Du mich, daß ich Dich suchen soll? So fiebert es grell in ihm
-auf. Und dann: oder lächelt sie über mich? Lächelt sie, daß ich so
-weltenfern, so im Übersinnlichen meine Kreise ziehe!
-
-Nun entsetzt er sich, daß er so in die Niederung gerät! Mit den Gedanken
-an diese Frau. Und überwindet den Schreck und blickt mutig dem Leben ins
-Gesicht, mit seinen Knabenaugen.
-
-Den Wirbel sieht er, der Lachen mit Grauen mischt, den Wirbel um das
-Mysterium Weib. Er flieht vor ihm -- und seine Gedanken werden immer
-mehr hineingezogen in den Taumel.
-
-Wenn dieser Tanz mich erlöst aus meiner Verlorenheit? Wenn ich gesund
-werde -- ein gesundes, junges Blut? Und habe meine Geliebte, habe mein
-Weib --
-
-Eines andern Weib -- Untreue, Betrug -- das Grauen fällt über ihn her!
-Was wird geschehen? Was wird sein!
-
-Und es peitscht ihn das Entsetzen vor der öden, schalen
-Geschlechtlichkeit -- die Verzweiflung, daß er das Bild seiner Herrin in
-diesen Wust herabzieht. Das strahlende, heilige, beseligende Bild der
-Gnade!
-
-Wie hat er zu ihm gebetet, zu ihm aufgesungen: Du bist die Geliebte
-meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken Dich zu fassen, das
-Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein Ohr zu füllen, Deine
-Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will ich Dich, nur wissen,
-daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! Rühren Worte an die
-Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken!
-
-Nun haben die Gedanken doch an sie gerührt -- das Begehren hat nach ihr
-gegriffen, das gemeine Begehren.
-
-Er ist fortgestürmt, hinein in die dämmernden Weiten. Der Dünensand
-hemmt seinen Lauf. Nun steht er atemlos -- vor ihm schauert das Meer im
-Hauch der Nacht.
-
-Und dort im Osten aus dem Dunst über der Flut hebt sich der Mond,
-dunkel, glühend, groß und tief. Drohend und schwül. Feindlich, grausam
-und böse. Wie ein Schicksalsspruch, wie ein Gericht über Sünde und
-Schuld, wie der Henker im Scharlachmantel.
-
-Gesenkten Hauptes steht Gisbert. Er trägt den Leib wie eine Last. Dann
-hebt er sich auf, die Sterne sucht er, noch sind sie bleich -- erst
-allmählich entzünden sie ihre Kraft, ihre Hilfe, ihren Trost. Jetzt aber
-haben sie die Macht ihrer Sprache. Und Gisbert liest die Verse des
-Firmaments, die Dichtung des Himmels, die Hymne der Nacht, der Allmutter
-Nacht. Und er ist daheim.
-
-Der Nacht antwortet das Meer. Und alles klingt zusammen in dem großen
-Sphärengesang: Güte und Freude ist alles -- alles geht aus von der
-Freude -- alles geht ein in die Freude -- gut, gut ist das Leben, gut
-ist das Ewige, ewig das Leben, ewig die Freude --
-
-Der Mond ist emporgetaucht aus dem dumpfen blutigen Dunst -- alles Böse
-hat er abgetan, er hat sein gutes helles Licht gewonnen. Ich bin die
-Güte, ich bin ein Freund! Und eine Straße baut er über die andächtig
-stille und ergebene Meerflut.
-
-Gisbert ist am Strande. Zu seinem nächtlichen Bade entkleidet er sich.
-Vor seine Füße wallt diese leuchtende Straße. Wohin führt sie? Wohin
-will sie mich leiten? In das All und seine Freude --
-
-Ja, Du strahlender, Du guter Weg -- Dir vertrau ich mich an. Du kennst
-mein Ziel, Du offenbarst mir meine Bestimmung, meine Erfüllung und
-Vollendung. Abtun will ich meine Schlacken -- der reinen Freude will ich
-ins Antlitz sehen --
-
-Er schwimmt -- schwimmt in der lichtgesättigten Flut -- in alle Poren
-dringt der Glanz -- die Lungen leuchten -- das Herz ist voll Schein --
-ein verzitterndes Lichtbeben sein Schlag --
-
-Ein Lichtstrahl gleitet sein Leib durch die goldene Flut, hinein in die
-Wellen des schimmernden Äthers -- hinein in das All -- in die gute große
-freudige Heimat -- -- --
-
-Die Männer standen vor der Baracke -- Horst, Dankwart und Kunz. Wie
-Deutschland Deutschland verrät, das geht ihnen durchs Gemüt. Der Gendarm
-hat erzählt, Ententeoffiziere wären in der Provinz auf Waffensuche
-unterwegs. Sie hätten selbst erklärt, daß sie sich vor deutschen
-Denunziationen nicht retten könnten. Der englische Hauptmann hätte
-heftig dazu ausgespuckt.
-
-Diese letzten Worte wollen Horst nicht aus dem Ohr. Immer hört er sie in
-dem trockenen, schmerzlich heiseren Tonfall des Gendarms. Wo er geht und
-steht, krächzen sie ihm nach.
-
-Bei Kunz ist der Grimm schon weitergestürmt. »Wenn die Henker zu uns
-kommen -- wenn sie bei uns schnüffeln -- wenn sie frech werden -- was
-geschieht dann! Was tun wir dann!« Wild schlägt es in seinen Stirnadern.
-Seine Fantasie schwelgt.
-
-Horst ist allein in die Dünen gegangen. Wie soll man das alles ertragen.
-Zu der Last, unter der man schon zusammenbricht -- immer mehr wird zu
-ihr aufgepackt. Ich kann nicht -- kann nicht mehr! Und will auch nicht
-mehr!
-
-Gegen den Schmutz, die niederste Gemeinheit kämpfen, welch ein übler
-Irrsinn! Der Schmutz läßt sich nicht besiegen, und man selbst -- nicht
-nur, daß man unterliegt, besudelt unterliegt man! Und der Ekel würgt
-einen ab.
-
-Nach Norden blickt er. Dort auf der Landzunge steht das Haus, in dem
-seine Freunde wohnen. Und blickt man weiter, in derselben Richtung,
-hinter dem deutschen Meer liegt Nordland, liegt Schweden.
-
- »Meine Gedanken wandern über die See,
- Weiße Schwäne sind sie, leuchtend wie Schnee.«
-
-Heraus aus dem Schmutz, dem Ekel, an dem ich vergehe! Ein anderes Land
-öffnet mir die Arme, eine neue Heimat winkt mir -- keine neue, die alte,
-die unserer Ahnen. Der klare Norden mit seinem Stolz, seiner Ehre,
-seiner Sauberkeit, seiner gesunden Kraft. Aufrecht! Wieder einmal
-aufrecht stehen und gehen! Liebe Menschen nehmen ihn dazu an die Hand.
-
-Liebe Menschen -- und hier? Die Kameraden hier? Kunz, Dankwart -- hat
-sich zwischen ihnen und ihm nicht eine Kluft befestigt? Längst ist er
-ihnen nicht stur genug, nicht der Unbedingte, der Stürmer nicht, den sie
-wollen. Mit halbem Herzen nur folgen sie ihm, der ihnen nicht als Ganzer
-gilt. Sollte er ihnen nicht die Siedlung überlassen! Daß sie sie neu
-bauten in ihrem Geiste! Ein Stoßtrupp hartdeutscher Gesinnung -- warum
-nicht! Vielleicht das beste.
-
-Denn der linke Flügel, die Mulitz und Metzling, fangen an, bedenklich zu
-werden, weil ihre Macht ganz unverhältnismäßig anwächst. Durch meine
-Schuld? Weil ich das Steuer nicht fest genug halte? Nicht mit der
-sichern, gläubigen Hand, nicht unter dem klaren, unbeirrten, weiten
-Blick?
-
-Unleugbar, die Widersprüche, die Zerwürfnisse mehren sich. Droht dem
-Werke der Zerfall -- weil ich ihn nicht hindere? Der ich meiner Arbeit
-mich entfremde -- aus Überdruß an meinem Vaterland!
-
-Entfremdet meiner Arbeit -- entfremdet den Kameraden -- und dem einen,
-dem Jungen, dem Gisbert untreu, der wenn einer mich braucht! Um den
-meine Sorge so viel gewacht, an den sie so oft dachte in diesen letzten
-Tagen -- nur daß sie nicht zugriff, wie es sich gehörte.
-
-Wie nötig hat der Junge den treuen, festen Freundesarm, Muskeln und
-Knochen -- er, der sich ganz hinausgeistern will aus dieser körperlichen
-Welt -- nun noch gesteigert, getragen, erhöht und zugleich gescheucht
-und flüchtig von der Schwärmerei für diese Frau, die selbst hier keine
-rechte Heimat hat. Bist Du nicht wie entleibt unter uns gewandelt? Wo
-gibt es ein solches Sichlösen, Sichentäußern, Sichbefreien und
-Sichbeseelen als in deutschen Herzen? Nennt es Kraft, weil es eine
-Inbrunst, nennt es Unkraft, weil es ein Zerfließen ist. Und ist nicht
-ein Stück Gisbert in uns allen?
-
-Seine Augen schweifen über das Wasser. Jetzt nimmt die leuchtende Straße
-seine Blicke an sich. Die Flut, vom Licht gebändigt, sanft und geduldig,
-wie hingegeben trägt sie die goldene Brücke zum Mond.
-
-Da hinten aber -- weit, weit dem Himmel nahe -- was ist es, was sich da
-bewegt, in Wellen des Glanzes, in blitzenden Strahlen -- ein Dunkles,
-das jetzt in dem Schimmern verzittert? Schon hat das Licht die Wasser
-wieder geglättet -- war es ein mondtrunkener Delphin? Glatt gefügt
-spannt sich wieder die leuchtende Brücke.
-
-Und weiter nach dem nördlichen Vorsprung zieht es seine Blicke. Dort auf
-der äußersten Spitze -- ist es ein Zauber dieser hellen Nacht -- eine
-weiße Mädchengestalt --? -- Trug! Welches Menschenauge kann so weit
-sehen --
-
-Und doch! Was flammt denn zu Häupten dieser Gestalt! Und hebt sie selbst
-in den Glanz? Nur eins gibt es auf Erden, was so leuchtet, Ingeborgs
-Haar.
-
-Ein Leuchtfeuer -- das nach Norden weist und ruft -- das Leuchtfeuer
-seiner Zukunft --
-
-Und doch ein Trugbild? Horst will wissen, ob diese kürzeste der Nächte,
-die zauberkräftige, ihn narrt. Er schreitet die Dünen hinunter, am
-Strande entlang, der Landzunge entgegen. Da sieht er ein Dunkles auf dem
-weißen Sande -- Kleider -- eines Badenden -- im Wasser ist niemand zu
-erblicken.
-
-Es fährt ihm durchs Hirn -- das Körperliche, das vorhin da in dem
-Mondstreif sich zeigte -- und sein zweiter Gedanke: Gisbert, der
-Abendschwimmer --
-
-Prüfend betrachtet er die Kleider -- ja, Gisbert gehören sie. Er späht
-über die Flut, die der Nachtglanz ableuchtet -- da hinten ein Segel, ein
-einziges Boot, ruhend in der Windstille, gespensterhaft -- sonst nichts,
-nichts so weit das Auge greift. Das leidenschaftlich forschende, jetzt
-erstarrende Auge. Und eisig schneidet es ihm durchs Hirn: Gisbert ist
-von uns gegangen.
-
-Helfen -- Hilfe holen -- wie sollen sie helfen, und wem! Wenn er es war,
-der da hinten, am Horizont in dem Mondstreifen trieb, in die Lichtbahn
-sich löste --! --
-
-Leer ist die Mondstraße, leer ist die Flut ringsum --
-
-Aber, da man nichts tun kann, nicht weiß, was man tun soll, da man
-hilflos ist -- wie furchtbar dieses Alleinsein mit dem Geschehenen! Die
-Kameraden -- Kunz muß es wissen, er muß es hören, muß was sagen, muß
-dabei sein!
-
-Schon ist Horst nach der Baracke unterwegs. Er holt sich Kunz aus dem
-Verschlag. Nun stehen sie beide an den Kleidern und forschen über die
-See.
-
-Dann stehen beide schweigend, und halten eine eigene Totenwacht.
-
-Ruckweis befreit sich Horst von dem Schmerz, der ihn lähmen will. »Er
-hat es geschafft. Auch einer, der zu schade war -- für das was uns
-beschieden ist.«
-
-»Sollen wir so sprechen?« Kunz macht der erste Schmerz nur noch härter,
-wehrhaft, wahrhaft, unerbittlich. »Zu schade?« Er spielt wie grausam mit
-dem Wort. »Zu sehr beschädigt. Zu wund und zu weich.« Und noch rauher
-gegen den eigenen, zuckenden Gram: »Was welk ist in Deutschland, geht
-ein.«
-
-Dann ist es fast, als kehrt er sich, wie zur Ablenkung, gegen Horst, den
-selbst nicht mehr Wurzelfesten. So daß etwas in ihrem Schmerz die beiden
-Männer gegeneinander entflammt.
-
-Schon aber führt in Horst der Leitende das Wort, der seine Anordnungen
-trifft, bis zum Äußersten. Er hat keine Hoffnung mehr, aber das letzte
-muß getan werden. »Ins Boot. Das Wasser absuchen. Nicht unmöglich, daß
-er müde geworden ist, und der Segler da hinten hat ihn an Bord.«
-
-Sie gehen nach dem Vorsprung zu. Da liegen Boote am Strand. Sie schieben
-eins ins Wasser und rudern hinaus, schweigend, mit gleichmäßig mächtigem
-Schlag. Und suchen, suchen -- hoffnungslos und doch treu.
-
-Jetzt sind sie schon weit draußen. Auf das Segelboot halten sie zu.
-Immer mit der Umschau, immer in der Erwartung, der Entseelte müsse
-auftauchen.
-
-Ein Fischerboot, das mit klatschenden Segeln daliegt. Hat es den
-Ermüdeten aufgenommen? Ein letzter Schimmer --
-
-Die Insassen, verschlafen, drusen dem Morgenwind entgegen. Von einem
-Schwimmer haben sie nichts bemerkt. Einen treibenden Körper haben sie
-nicht gesichtet.
-
-Die Suchenden wenden und fahren zurück an Land. Jetzt ist es gewiß, die
-See hat ihn genommen. Wird sie seinen Leib wieder hergeben?
-
-Gisbert ist tot! So pulst es in ihrem Herzen. Das ist der Takt ihres
-Ruderschlages. Gisbert ist tot. Sie starren in eine Leere. Jetzt ist die
-große Klage um sie und fügt sie zusammen. Und nichts kehrt sie gegen
-einander. Geschlossen, versöhnt der Unterschied, der Zwiespalt ihres
-Fühlens. Nur der Schmerz um den Freund bewegt ihre Seele. Gisbert ist
-tot. Wie klein sind alle Worte, die seiner gedenken wollen -- sie
-scheuen sich und schweigen.
-
-Die Männer landeten wieder. Und da sie die harte Erde betraten, kamen
-Forderungen an sie. Gemeinsame, so dachte Kunz. Er mit seiner
-lebensfesten Hand nahm die Kleider auf, packte sie zu einem Bündel und
-wandte sich heim. Das »über Gräber vorwärts« lag ihm im Blut.
-
-Er meinte nicht anders, als daß Horst mit ihm gehen würde. Der aber
-blieb, versonnen, versponnen. Kunz wartete -- dann ein fragender Blick,
-aber kein Wort -- dann etwas wie ein leichtes Achselzucken, in dem der
-alte Schmerz bebte: man lasse die Träumer den Träumen -- und er ging
-allein. Da war es wieder, was in ihm nagte: auch von Horst geht immer
-mehr verloren. Die Sorge um die Siedlung ließ ihn von jetzt ab nicht
-mehr los.
-
-Wieder war der Mißklang zwischen den beiden, das Mißtrauen, das nun
-einmal gerufen war -- tiefer griff es in die Gemüter, die der Schmerz
-zart und feinfühlig gestimmt hatte. In der Empfindsamkeit des Grames
-fand es neue Nahrung.
-
-Horst spürte es, er wußte, was in Kunz sich von ihm abwandte. Das riß an
-den gespannten Saiten, und wieder gab es den Zorn, die Bitterkeit, die
-eigene trotzige Abkehr und Selbstverschanzung.
-
-Ich bin Euer Führer, ich hab Euch etwas geschaffen, etwas gegeben -- zum
-Lohn dafür haltet Ihr Gericht über mich, beobachtet mich, nehmt mich
-unter Aufsicht. So war es schon, und es mehrt sich zur Unleidlichkeit.
-
-Ihr solltet wissen, daß ich das nicht ertrage. Ihr solltet mir meine
-Arbeit, die mir wahrlich nicht leicht fällt, nicht noch erschweren. Sie
-mir nicht verbittern! Kein besseres Mittel könnt Ihr dafür finden.
-
-Wen hab ich nun noch in der Siedlung? Da Gisbert mir fehlt. Er, mit dem
-zarten, zerschlagenen, blutleeren Leib, der Wärmste, der Innigste von
-Euch allen. Und darum auch allen unentbehrlich, da er zwischen allen die
-seelischen Fäden wob. Allein steh ich jetzt. Er war es, der mich verband
-mit den Schwärmern, den blinden Heißspornen, den kühlen Rechnern, den
-Gleichmütigen, den Matten und Trägen. In ihm fanden sie sich alle, denn
-alle hatten ihn lieb. Ist mit ihm nicht das Licht der Siedlung
-erloschen? Ein blasses Licht, ja -- aber vielleicht, daß gerade die
-unirdische Blässe die Herzensandacht schuf!
-
-Gewiß, es war allzuwenig von dem landläufig Gesunden in Dir, gar nichts
-Lebensstarkes und Robustes. Ein Kind noch warst Du, als Du ins Feld
-zogst. Die Pubertätsjahre verschlang der Krieg, nun kam, krankhaft
-verspätet, verfeinert und gesteigert die ganze Empfindsamkeit der
-Jünglingschaft über Dich -- und zerbrach an Weibesliebe. So fein und
-edel zart, wie es nur deutscher Jugend, die deutsches Leid versehrt,
-geschehen kann.
-
-Und jetzt steh ich allein. Die Kameradschaft durchlöchert und im
-Verfall. Argwohn -- Übelwollen. Jetzt, wo alles sich ergeben sein müßte
-auf Leben und Tod! Und die Jungen haben sie mir verwehrt! Neue Ketten
-schmieden sie. Die Luft im Bagno -- wie soll ich sie länger atmen! Und
-wär nicht die ganze deutsche Luft verpestet -- verpestet von Verrat!
-Rein muß ich atmen können! Ich ersticke hier, ich verderbe in dem Dunst
--- ich will nicht verderben!
-
-Und wieder suchen seine Blicke die Landzunge. Da steht sie noch immer
-die weiße Gestalt und schaut auf die See. Jetzt haben die Augen das
-sichere Bild. Kein Trug -- Ingeborg ist es. Zu ihr will ich! In ihrem
-Schein gesund mich atmen.
-
-Er wandert mit eiligen, mit festlichen Schritten. Sein Leuchtfeuer zieht
-ihn, ruft ihn, grüßt ihn. Er steigt die Dünen hinan, klimmt dann den
-Abhang empor.
-
-Da oben steht sie. Und sie sieht ihm entgegen, als habe sie ihn
-erwartet. Sie streckt ihm die Hand zu. Die Freude ihres Blickes trübt
-sich, da sie von seinen Zügen das Unheil abliest. Und er sagt ihr, was
-geschehen ist. Dann, da er seinen Trost findet in dem treuen Druck ihrer
-Finger, in dem feuchten Glanz ihrer Augen, schüttet er sein Herz ihr
-aus.
-
-Immer mehr löst sich von mir, eins nach dem andern fällt von mir ab,
-vereinsamt bin ich in meinem Heimatland, kraftlos -- was bin ich ihm
-nutz? Kann ich so dem Vaterlande dienen?
-
-Und immer klarer spricht er so zu sich selbst. Ich brauche meine Kraft!
-Wo kann ich sie wiederfinden -- wo als in der nordischen
-Gastfreundschaft! Da werd ich gesund und stark, von da werd ich
-zurückkehren mit ungetrübtem Wikingermut. Frei von allem, was mich hier
-lähmt -- selbst frei und ein Befreier!
-
-Sie sitzen beieinander, Ingeborg und Horst. Die helle Zaubernacht ist um
-sie. Er birgt sich in den Glanz ihrer Flechten, wie in einen Goldpanzer
-hüllt er sich, allem Trüben, allem Düstern, allem Üblen und Niedern eine
-Wehr. Er nimmt ihre Hand. »Wenn Sie wollen, höre ich nun doch noch in
-diesem Sommer das Summen unter Ihren Linden.« Da sind ihre Augen voll
-Seligkeit.
-
-
-
-
- Das Richtfest
-
-
-Den Feinden der Siedlung war das neue Haus ein Dorn im Auge. Es schwoll
-ihr Zorn, je höher es wuchs.
-
-»Steinerne Zwingburgen errichten sie«, so lärmten die Schlagwörter in
-dem Konvent. »Und Zwingburgen werden niedergelegt!« forderte die
-Nutzanwendung.
-
-Es war ihnen bekannt, das eine hochnotpeinliche Waffensuche unter
-Aufsicht von Ententeoffizieren den Kreis bedrohte.
-
-»So wissen wir also, wo wir unsere Handgranaten zu verwenden haben --
-ehe sie uns genommen werden!« rief Kittel, der Buchbinder, und gellend
-pfiff der Atem aus seiner schmalen keuchenden Brust.
-
-Stahlboom wandte sich dagegen. Er wollte alle Waffen aufgespart haben
-für die große Aktion, die bevorstand. Die Suche gälte auch nicht ihnen,
-den Proletariern, sondern den monarchistischen, den reaktionären
-Banditen. Sie selbst dürften beruhigt sein. Da sprach einer ein Wort
-furchtbarer Wahrheit: »Wenn die Verräter nicht wären! Wer ist jetzt in
-Deutschland vor Verrat sicher?« Und das Grausige, das hier aufschrie,
-verwilderte wiederum die Gemüter.
-
-Die Wüsten waren nicht zu bändigen. Das Richtfest am nächsten Sonntag --
-sie wollten ihren Trumpf daraufsetzen, es sollte den Siedlern gesegnet
-werden! Und der schwarze, der blutige Sonntag vom Mai würde seine Sühne
-finden.
-
-Die Siedler arbeiteten mit verdoppelter Kraft. Zu früh war der Termin
-für die Richtung des Hauses angesetzt worden -- es war ihr Ehrgeiz, ihn
-inne zu halten. Alles, was die Seelen bewegte und erregte, der Tod
-Gisberts, Horst in seiner Verschlossenheit, die zur Abkehr und Abweisung
-sich schärfte und anfing böses Blut zu machen, die Reibungen,
-Quertreibereien, Scheidungen und Zerwürfnisse innerhalb der Baracke --
-alles ward dem einen Gedanken untertan, dem Gedanken an das Haus und
-seine Vollendung.
-
-Ein großer Tag sollte es werden. Alle, denen das Siedlungswerk etwas
-bedeutete, sollten mit feiern. Was einer an Freundschaft hatte, wollte
-er bitten, jeder Biedermann sollte geladen sein. Ein Volksfest! Mit
-eifriger Hingabe sie alle bei der Vorbereitung. Kein Wort gab es, das
-nicht von der Richtfeier sprach. Wie Kinder vor dem Weihnachtsfest waren
-die Männer.
-
-Horst berief Dankwart und Kunz zu einer Unterredung. Er sprach ohne
-Umschweif, mutig und frei. Die schweren Worte wurden von einer harten,
-hellen Entschlußkraft wie emporgeschnellt. »Ich gebe mit dem Richtfest
-das Siedlungswerk in Eure Hände. Ich hab mit der Gründung meine Kraft
-aufgebraucht. Ich kann hier nicht mehr wirken, nichts mehr leisten, ich
-bin nur noch im Wege. Erst muß ich mich selbst erneuern. Das kann ich
-nicht in dieser Luft. Darum will ich eine Zeitlang außer Landes gehen.
-Meine neuen schwedischen Freunde haben mich eingeladen. Ich fahre mit
-ihnen.«
-
-So weit war er also! Die Kameraden hatten ja sein Wanken gespürt. Daß er
-jetzt ganz von ihnen wich, daß er sie und seine Sache verlassen wollte
--- wenn sie es auch in dunklen Stunden gefürchtet hatten, jetzt traf es
-sie wie ein jäher Schlag. Keinem von den beiden lag es, zu klagen, zu
-jammern, zu bitten, ob sie gleich wußten, was über die Siedlung
-hereinbrach. Waren sich auch wohl klar darüber, daß mit Flehen und
-Winseln hier nichts zu schaffen sei.
-
-Dankwart, finster, sprach in sich versunken ein klanglos leeres Wort:
-»Das ist sehr zu beklagen.« Kunz, beweglicher, weiter greifend,
-heftiger: »Dann können wir hier also einpacken!«
-
-»Was heißt das!« Horst lehnte sich dem entgegen. »Das Werk bleibt. Und
-wenn ich nicht bleibe -- jeder ist zu ersetzen. Vielleicht ist es meine
-Sache, etwas anzuregen, etwas in die Wege zu leiten. Aber es fest an der
-Hand zu halten -- das ist mir offenbar nicht gegeben. Ihr seid die
-Stetigen, die Beharrlichen, die Harten -- führt Ihr das Werk weiter.«
-
-Kunz war in die Höhe gesprungen. »Ob das wahr ist, ob das falsch ist --
-ich habe die eine Frage, die Du immer gestellt hast! Wo bleibt das
-Beispiel, frage ich! Bist Du es nicht, auf den alles blickt!«
-
-»Man blickt auf mich, sagst Du -- nun, so wie ich bin, darf ich mich
-nicht länger zeigen. Ich muß wieder anders werden -- ehrlich will ich
-mich darum mühen. Ich will ja auch nicht für immer fort.« Und nun
-schlugen seine Arme wie gehemmte, verschnittene Flügel. »Nur ein Ausflug
-soll es sein -- aber ich brauche den Flug!«
-
-Darauf Kunz, seine Stimme pfiff wie eine Klinge: »Horst -- Du kommst
-nicht wieder.« Hierin war soviel Klage, soviel Zorn, soviel Schmerz, die
-Männer zuckten zusammen, alle drei. Und ein Schweigen schloß sie ein.
-
-Horst riß sich auf. Eine leichtere Haltung gab er sich, einen lächelnden
-Ton. »Wenn Du es sagst --! --« Aber es zersprang etwas in ihm. Ein
-Schmerz schnitt ihm durchs Mark. Und brüchig ward, was er weiter sprach,
-aber er gab nicht nach. »Dies das Hauptsächliche. Meinen Entschluß kennt
-Ihr. Das einzelne besprechen wir noch.«
-
-Er hatte Bestimmungen zu treffen, der Tagesdienst holte ihn. Dankwart
-und Kunz blieben allein.
-
-Beide starrten sie, dumpf, hohl, düster. Dann stieß Kunz rauh und
-krächzend hervor: »Wie die Siedlung erschlagen ward. Kein Heldenlied ist
-dies.«
-
-»Gut.« Dankwart hat sich schmerzlich fest wieder beisammen. »Wir stehen
-auf verlorenem Posten. Aber Posten ist Posten. Und wir halten ihn. Bis
-in uns nichts mehr hält!«
-
-Jetzt ist Kunz an seiner Seite. »Ja, Dankwart, ja. Die Sache will es.
-Wir wollen es. Und so geschieht's! Mag denn die alte Siedlung
-zusammenbrechen -- eine neue gilt es zu schaffen. Und dann also lustig!
-Mit dem Großreinemachen zu Hause fangen wir an.«
-
-Auch Dankwart rief es zu der Arbeit. Sein letztes Wort, heiser und
-bitter, war das: »Und auch hier wieder ein Weib!«
-
-Ingeborg -- der Gedanke war bei Kunz gekommen und gegangen. Jetzt saß er
-fest bei ihm. Natürlich war sie es, die den Ausschlag gab.
-
-Und seine eigene Liebesnot packte ihn immer grausamer an. Hatte er nicht
-sein Mädchen verloren! Verloren, da er nicht gleich den Weg zu ihr
-gefunden, da die Stunden, die ungenutzten, immer mehr Hindernisse
-aufgebaut, immer mehr an Trotz und Scheu. Konnten sie beide noch hinüber
--- und wollten sie es noch? Das war ja das Schlimmste: wollten sie es
-noch? War nicht das Köstliche gestorben?
-
-Und gegen Horst wandte sich seine Wut. Du verstehst es, Dir es besser zu
-bereiten. Was habe ich früher gefabelt von Deiner Weiberfestigkeit,
-Deinem Weiberstolz -- alles, alles bitt ich Dir ab! Wer so wie Du
-Gelegenheiten wahrnimmt! Wer wie Du in allen möglichen Sätteln gerecht
-ist!
-
-Wie hast Du um Lona Dich angestellt! Und jetzt, wo das schöne blonde
-Schwedenmädchen Dir in den Wurf kommt -- dieses weiße, blonde, und
-dieses reiche, dieses reiche, ja!
-
-Er suchte sein Ventil, in seine Reimereien giftete er sich hinein:
-
- Den einen nahm der Brahmaputra --
- Den andern langt sich die Valuta.
-
-Und entgiftete sich wieder, denn hier erschrak er nun doch vor sich
-selbst, vor des Hasses Häßlichkeit.
-
-Nein, Horst -- das ist es nicht. Soweit ist es nun doch nicht mit Dir.
-Aber ist es nicht weit genug? Und kommt nicht eins zum andern!
-
-Ist es nicht genug, daß Du von uns gehen willst! Uns im Stich lassen --
-ja, ja, so nenn ich es! Uns untreu werden und Dir selber.
-
-Wie habe ich immer zu Dir aufgeschaut! Und was bist Du mir gewesen!
-Wohl, nicht immer war, was Du tatst und ließest, mir nach dem Herzen.
-Aber die große Linie Deines Wesens -- wie zwang sie mich immer wieder zu
-Dir hin. So gut wie sie alle bezwang, wie sie all unseren Kräften die
-Richtung gab, das gemeinsam starke, gemeinsam freudige Ziel.
-
-Nun ist sie verbogen, geknickt, gebrochen. Da Du Dein eigenes Werk
-verläßt und verrätst. Ja, und tausendmal ja, verrätst! Ein
-Fahnenflüchtiger bist Du! Nichts wird hier beschönigt, verschleiert,
-bemäntelt. Ein Verräter bist Du! Und Dein Werk geht an Dir zugrunde.
-
-Dankwart und ich, die wir bleiben -- er hat es richtig bezeichnet, auf
-verlorenem Posten stehen wir. Und das Beste unseres Lebens wird hier
-zerschellen.
-
-Nicht steht es in unserer beider Macht, was Du vermochtest, als Du noch
-bei Dir und auch bei uns warst, das Auseinanderstrebende, das sich
-Widerstrebende zu binden! Gewiß, daß dies das Höhere, das Größere war!
-Wir beide, wir werden zerklüften, zerreißen -- der Kampf im eigenen
-Hause, das ist es, was wir bedeuten! Aber hast Du nicht selbst gesagt,
-ein Kleindeutschland soll dies hier sein! Nun, so sei es das auch ganz,
-mit der vollen Zerrüttung im Bruderzwist! Der Wahn eines wilden
-vernichtenden Hohnes brach aus seinen Augen.
-
-Wir werden unterliegen, gewiß, denn die Masse siegt. Aber besser
-untergehen, als Masse sein! Die Mulitz und Metzling werden uns zu Boden
-treten -- sollen sie! Aber Dir werden wir es gedenken, denn dies alles
-danken wir Dir! Und wieder ruft es in ihm: Verräter! Wilder und wilder
-brausen in seinem Schädel die Flammen, der nur noch mühsam in seinen
-Nähten festsitzt. Von der Hirnwut, die durch die deutschen Lande rast,
-befällt es auch ihn. Und es wühlt sich etwas in ihn ein.
-
-Sichtbar sind wir, wir haben die Pflicht der Höhe! Er hat es immer am
-meisten gepredigt, mit Brustton verkündet, er, der uns jetzt im Stich
-läßt. Der jetzt sich in Sicherheit bringt, der ins Ausland flüchtet, vor
-der wachsenden deutschen Not. Ein Verräter!
-
-Und wir -- wer sind wir, die wir den Verrat in unseren Reihen dulden!
-Nein, nicht in unseren Reihen! Den Verrat unseres Führers! Sind wir
-damit nicht seiner wert! Sind wir damit nicht schuldig wie er!
-
-Verräter wie er, wenn wir ihn ziehen lassen! Und es frißt sich ihm ins
-Blut: er darf nicht fort! Und wenn es auf Tod und Leben geht -- er darf
-nicht fort!
-
-Was wär bei den Römern geschehen, was bei den alten Germanen! Sollen wir
-der Väter nicht würdig sein -- heut mehr als jemals! Sollen unseren
-Jungen nicht Vorbilder leuchten! Und sie blicken auf uns! Auf mich! Ich
-habe meine Sendung.
-
-Das Unerbittliche brauchen wir. Das Unerbittliche. Jetzt, wo alles
-fließt in Deutschland, fließt und zerrinnt. Wenn nur einer hart ist und
-treu! Ein Kern nur -- ein Kern wird gebraucht -- und sei er noch so
-klein!
-
-Richtfest ist am Sonntag. Das Wort brennt sich ihm in die Sinne.
-Richtfest -- Gerichtstag wird gehalten! Wir werden richten! Ich -- ich!
-Wie ein Wächter steht Kunz, ehern, in Gluten gehärtet. Das Herz leer,
-dem die Freundschaft starb, dem die Liebe verklang.
-
-Die Siedlermannschaft erfuhr nichts von dem Entschluß des Führers. Nach
-der Einweihung sollten sie es hören. Daß etwas in der Luft lag,
-verspürten wohl die feineren Nasen. Aber man hing dem nicht nach. Die
-Festgedanken fieberten durch die Seelen.
-
-Und jetzt zieht der festliche Sonntag auf. Noch die Nacht hindurch haben
-sie gearbeitet, das Morgenrot sieht den Rohbau mit dem Dachgerüst
-vollendet, der Tag gehört der Feier.
-
-Laubgewinde wird gebunden, eine mächtige Krone wird geflochten und mit
-farbigen Bändern geziert.
-
-Vier von den Männern schleichen geheimnisvoll abseits, verkriechen sich
-in das Dickicht und üben hier noch einmal das Quartett, mit dem sie die
-Gefährten überraschen wollen. Die tiefste Einsamkeit sucht Mulitz, der
-Maurerpolier, der die Kranzrede halten soll. Noch einmal memoriert er,
-was er mit Benutzung alter Sprüche für die Weihe des Hauses sich
-aufgesetzt hat.
-
-Die Sonne segnet den Tag. Für die Bewirtung der geladenen Gäste werden
-noch Tische und Bänke im Freien gezimmert -- große Sprünge können die
-Siedler nicht machen, mehr als Bier wird nicht verzapft, und auch das
-schon reißt ein übergroßes Loch in die Finanzen. Aber was hilft es,
-Vornehmheit verpflichtet. Und heute wollen sie einmal alle Sorgen dem
-Wind vor die Füße schmeißen!
-
-Am frühen Nachmittag soll die Feier beginnen. Als die ersten finden die
-Jungen aus der Stadt sich ein. Fragen, ob sie noch irgendwie helfen
-können. Fritz Röder und zwei andere noch haben ihre Kameras mitgebracht.
-Sie wollen alle Einzelheiten des Festes verewigen und viele
-Gruppenaufnahmen machen. Damit sind sie besonders willkommen.
-
-Dankwart holt seine jungen Freunde zu sich herein. Sein Modell ist
-flugfertig. Es soll über dem Bau kreisen, wenn die Weiherede steigt.
-Ganz hingegeben erklärt er ihnen noch einmal das Neue der Konstruktion.
-Ebenso hingegeben hörten die jungen Köpfe zu. Wie freuen sich alle auf
-diese so hohe Überraschung. Wie sind sie getragen von dem Geheimnis, das
-sie feierlich bewahren.
-
-Siedler empfangen ihre Eingeladenen. Im weiteren Umkreise werden
-Zuschauer sichtbar. Neugierige machen sich näher heran, andere lagern
-sich abseits im Heidekraut.
-
-Von Moorhof her kommt eine Frau, schwarz gekleidet, in Begleitung von
-Pastor Waermann. Die Patronin der Siedlung ist es, Frau Tilde. Wie ein
-Flor wallt es um sie her. Ernst wird es allen zu Sinn. Verehrungsvoll
-verneigen sich die Männer. Einer macht sich gleich auf den Weg, Meldung
-an Horst auszurichten, der in seinem Raum immer noch mit der Ordnung von
-Schriftstücken beschäftigt ist. Er tritt sofort heraus, den erlesenen
-Besuch zu empfangen.
-
-In voller Uniform mit Ordensschmuck ist er, dem Tage die Ehre zu geben,
-wie Dankwart und Kunz auch, wie die meisten der Siedler. Horst trägt nur
-das kurze Seitengewehr. Dankwart und Kunz haben auch die Pistole im
-Gürtel.
-
-Horst reicht Tilde still die Hand, bei Gisbert sind ihrer beider
-Gedanken. Seit er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes überbracht,
-haben sie sich nicht mehr gesehen. Edelsteinhart sind ihre Augen
-geworden, nur von Pflicht und Arbeit wissen sie. Um ihren beseelten Mund
-hat ein starrer Zug sich gegraben. Sie versteinert von dem Fluch der
-Einsamkeit, dem ihr Leben erliegt.
-
-Kunz findet sich zur Begrüßung ein. Horst und er sehen sich heute zum
-erstenmal. Sie mustern sich wie zwei Kämpfer, kalt, feindlich. Seit
-Tagen ist kein Wort zwischen ihnen geredet.
-
-Horst spricht mit Tilde, der Pastor mit Kunz. »Warum habe ich Sie so
-lange nicht gesehen?« fragt Waermann.
-
-Kunz schweigt. Wo hast Du Vita? will es ihm auf die Lippen. Aber dann
-denkt er, wie gleichgültig ist dies. Gegen das, was hier geschieht. Und
-sein Blick greift zu Horst hinüber. Der Pastor sieht diesen Blick, und
-schrickt zusammen. Was ist mit Kunz? Hier ist mehr als Schmerz und Klage
-um den toten Freund. Etwas Wildes, grausam Gewaltsames züngelt hier.
-Etwas wahnhaft Verbohrtes wühlt hier. Und wieder gewahrt er das in dem
-Blick, mit dem Kunz die neuen Gäste, die Schweden aufnimmt. Was geht
-hier vor?
-
-Oberst Thorild und seine Tochter sind dem Pastor bekannt, Frau Tilde
-werden sie vorgestellt. Kunz löst sich von der Gruppe, um die ein
-gemeinsames Gespräch sich schlingt. Er starrt vor sich hin, in seinem
-Gehirn ist eine leere tote Stelle.
-
-Dann schweifen seine Augen mechanisch über die Versammelten ringsum. Er
-sieht ein paar Gesichter, die ihm nicht gefallen -- Bekannte, von dem
-Barackensturm her? Wie ein Schleier liegt es über allem.
-
-Und dann doch die Frage: Was wollen die hier? Wie wach und hell hätte
-ihn früher dieser Gedanke gemacht. Wie hätte der all seine Kräfte
-angespannt. Jetzt schleichen sie träge. Nur, daß durch ihn das eine
-hinblitzt: führten sie doch etwas im Schilde! Käme es doch wieder zu
-blutigem Kampf! Nur Blut könnte hier heilen! Und würde hier alles
-zerstört und dem Boden gleich gemacht -- vielleicht das beste! Besser
-ein ganzes Nichts als dies halbe Dasein des kümmernden Werks! Und er
-selbst wird in dem Untergang begraben und ist frei und erlöst, ist ledig
-aller Pflichten -- aller Taten --
-
-Ein Schleier liegt ihm über der Welt, ein rötlicher Dunst ist über den
-Dingen.
-
-Der alte Torfmeister wuchtet zu ihm her -- spricht gewaltig auf ihn ein
--- seine Ohren dröhnen, die leere Stelle in seinem Hirn füllt sich mit
-tosenden Schmerzen -- er nickt benommen zu allem, was er hört, und weiß
-von nichts und starrt in die verschleierte Welt. Den Schleier zu
-zerreißen -- mir liegt es ob!
-
-Jetzt tritt Mulitz, der Polier, zum Bericht vor Horst. Es sei alles für
-die Feier vorbereitet. Wenn es recht sei, könne sie beginnen.
-
-»Dann wollen wir also!« bestimmt Horst. Wie matte Bronze ist sein
-Gesicht, verbissen sein Mund, um seine Augen sind Schatten, aber er ist
-fest und bereit.
-
-Und bereit ist auch Kunz.
-
-Zwischen Ingeborg und Oberst Thorild geht Horst, da sie nun alle zum
-Neubau wandern. Die beiden wissen, wie Schweres er trägt. Es ist
-abgemacht, daß sie gleich nach der Feier abfahren. Die Segeljacht ist
-bereit. Ihre Koffer haben sie gepackt. Aber sie wollen nicht daran
-erinnern, nicht davon sprechen.
-
-Doch Horst bringt selbst die Rede darauf. »Darf ich fragen, Herr Oberst,
-ob es bei dem Reisetermin bleibt?«
-
-»Wenn Sie einen Aufschub wünschen --«
-
-»Aber ich bitte. Meine Sachen sind geordnet. Ich bin freudig dabei.«
-
-Ingeborgs Augen strahlen zu ihm empor.
-
-Sein Führerblick übersieht den Kreis. Ganz dahinten -- eine besondere
-Gruppe fällt ihm auf. In ihr ist lebhafte Bewegung. Einer redet jetzt
-eben -- gestikuliert verzweifelt -- ein anderer beschwichtigt -- hält
-zurück -- bändigt -- beschwört. Die Köpfe sind nicht zu erkennen. Doch
-nach der Haltung, der Bewegung, der Gestalt -- der Bändiger, der Lange,
-ist das nicht Stahlboom? Die Kommunisten -- was wollen sie hier?
-Bereiten sie sowas wie einen Anschlag vor? Er behält sie im Auge.
-
-Hat die schwarz-weiß-rote Fahne sie erregt, die eben über dem First des
-Neubaus an dem Flaggenmast in die Höhe steigt, von Sonne und Wind mit
-Jubel gegrüßt?
-
-Von der Baracke her ist Dankwart mit den Jungen erschienen. Sie tragen
-sein Flugzeugmodell. Auf die Goldberge steigt er mit ihnen und bringt
-den Apparat in Stellung.
-
-Vor dem Hause machen Mulitz und der heilige Josef die Ehren. Die
-Versammelten -- eine große Schar ist es geworden -- stellen im Halbkreis
-sich auf. Der Polier will ins Haus, will das Gerüst unter der Krone
-besteigen und die Kranzrede halten. Da, wie jetzt das Schweigen sich
-über sie breitet, knattert ein Automobil in der Nähe. Sie horchen auf.
-Kommt noch hoher Besuch?
-
-Jetzt hört es sich an, als wolle es auf der Straße, die man von hier aus
-nicht sehen kann, vorüberfahren. Dann hält es. Dann nimmt es eine neue
-Richtung. Jetzt kommt es querfeldein über die Heide. Wen bringt es?
-Uniformen blitzen darin.
-
-Das Gelände wird sandig und hüglig. Der Wagen stockt und steht. Die
-Insassen steigen aus. Ententeoffiziere. Ein französischer, ein
-englischer Hauptmann. Sie schreiten auf die Versammelten zu. Zwei
-französische Sergeanten hinter ihnen.
-
-Ein Todesschweigen über all den Menschen. Eine Stille ringsum, als halte
-die Welt den Atem an. Als drehe die Erde sich nicht mehr. Nur die
-schwarz-weiß-rote Fahne rauscht im Winde.
-
-Der französische Kapitän, geschniegelt, kokett, bewußt, der Rangälteste
-und Wortführer, greift sich mit den Blicken Horst heraus, den er gleich
-als die leitende Persönlichkeit erkennt. Mustert ihn, in seiner
-deutschen Offiziersuniform, mit unverschämten Blick, von Kopf zu Füßen.
-Erklärt dann in einer Art leutseligen Gesprächigkeit: sie hätten heute
-am Sonntag eigentlich nur einen Vergnügungsausflug vorgehabt -- _à votre
-océan_ -- und die Frechheit ist wieder obenauf. »_Mais maintenant votre
-noir-blanc-rouge nous a attiré. On revient toujours -- vous savez -- à
-ses premières amours!_« Horst steht kühl, aufrecht, in voller Höhe vor
-ihm und würdigt ihn keiner Antwort. Sein Blick ist dem Franzmann
-unangenehm. Er weicht ihm aus und spricht jetzt herrisch und giftig: da
-sie nun einmal hier wären, wollten sie »das Nützliche mit dem
-Angenehmen« verbinden -- er schlägt mit dem Handstock seine
-Ledergamasche -- und hier an Ort und Stelle gleich die Waffensuche
-vornehmen. »_S'il vous plaît_« -- wendet er sich an den Engländer, der
-schläfrig dasteht und aus seiner kurzen Shagpfeife pafft. Kaum hält er
-es für nötig, mit dem Kopf zu nicken oder ein »_yes_« zu kauen.
-
-Der Franzose sieht sich im Kreise um, er mustert das Publikum bei diesem
-Schauspiel, dessen Hauptheld er ist, da trifft von den Goldbergen her
-ein Flimmern sein Auge. Das Flugzeugmodell blitzt in der Sonne.
-
-Er setzt den Feldstecher an. »_Ah -- un modèle d'aéroplane! voilà des
-essais, qu'il faut surveiller avant tout!_« Er wendet sich an den
-englischen Hauptmann -- »_vous arrange -- t-il?_« -- und schreitet auf
-die Höhe zu. Der Englischmann grunzt und bleibt an seiner Seite. Die
-Sergeanten folgen.
-
-Horst auf anderem Wege überholt sie. Dies alles geht ihn natürlich
-zuerst an. Kunz ist an seinen Fersen. Der eiserne Ring, der ihm um die
-Brust saß, ist gesprengt. Eine neue Tonart spielt das Leben. Er kann
-wieder Luft holen. Er trinkt sie tief in sich ein. Bis in den Hals
-schlägt ihm das Herz.
-
-Mit Dankwart zusammen nehmen Horst und Kunz die Feinde in Empfang.
-
-Die Menge ist an den Fuß der Goldberge geströmt. All die Köpfe sind
-gehoben, all die Gesichter, die Augen glänzen auf zu der Höhe. In allen
-Herzen klopft es: was wird geschehen? Daß hier etwas geschehen wird, sie
-fühlen, sie wissen, sie fordern es alle. Und so sind sie einig,
-geschlossen, eine große Gemeinschaft in diesem einen Gefühl. Von Pastor
-Waermann, dem Freiheitshelden, bis zu Stahlboom, dem Kommunisten -- in
-Frau Tilde, in Oberst Thorild, Ingeborg, dem Torfmeister, in allen
-Siedlern, allen Geladenen und Ungeladenen -- in allen, allen pulsen die
-Nerven denselben Takt.
-
-Auch in den frommen Wallern, die heute wieder erschienen sind -- zuerst
-haben sie sich gesondert gehalten und ferne -- in scheuer Andacht -- wie
-eifersüchtig auf ihre Sehnsucht -- jetzt rücken sie näher -- und bald
-werden sie sich ganz dem großen Chore einverleibt haben. Ist nicht in
-allen dieselbe Not, dasselbe Gebet? Werden nicht die vielen vereinten
-Hände, geeinten Herzen am ersten das Wunder beschwören? Am ersten ein
-Zeichen erwirken? Ein Zeichen des Trostes, und wenn nur ein kleines, das
-Hoffnung gibt auf die Erlösung!
-
-Da oben, eingespannt in den hellen, vollen, harten, wahrhaftigen Glanz
-der Sonne, stehen sie -- deutsche Offiziere -- feindliche Offiziere. Im
-Schmuck ihres Kleides, im Glanz ihrer Waffen, ihrer Ehren. Stehen sich
-gegenüber -- Welt gegen Welt. Was wird geschehen?
-
-Was entspinnt sich da? Der Kapitän besichtigt das Modell. »_Instrument
-de guerre_«, erklärt er. »_Vous le briserez sur le champ moi présent!_«
-
-Dankwart hat dafür kein Wort. Er wendet dem Heischenden den Rücken und
-legt beide Arme auf die Maschine.
-
-Der Franzose zischt wie eine Natter -- packt Dankwarts Schulter -- der
-schüttelt ihn ab, daß er taumelt.
-
-Da, in maßloser Wut hebt der Franzose den Stock und schlägt Dankwart
-über den Kopf! Dankwart, den Krüppel!
-
-Ein dumpfer Aufschrei preßt sich aus all den Herzen, den Kehlen --
-
-Horst -- schon hat er den Burschen am Kragen -- holt ihn sich hintenüber
--- reißt ihm den Stock aus der Hand -- legt ihn sich übers Knie und läßt
-seine Hiebe auf ihn hageln.
-
-Blitzschnell das alles. Der Engländer steht regungslos. Die Sergeanten
-wollen zuspringen. Die Hand mit der Shagpfeife weist sie zurück. »_Fair
-play!_« Um den breiten Mund ist das Lächeln einer ehrlichen kleinen
-Teufelei.
-
-Blitzschnell ist es vorüber. Atemlos, im Bann, in verzücktem Schweigen
--- so haben all die Herzen, die Hirne das Bild getrunken. Sie haben es,
-sie halten es, verwachsen ist es mit ihnen.
-
-Jetzt, da Horst den Gezüchtigten beiseite geschmissen hat -- da dieser
-mit schäumendem Mund und irrem Auge die Pistole aus dem Gürtel reißt --
-mit donnerndem Hurra sind all die Siedler den Berg hinaufgestürmt.
-
-Der englische Hauptmann hat den Arm des Verstörten genommen. Sein »_we
-shall see!_« kaut er und führt ihn gemessen den Berg hinunter, zu ihrem
-Auto.
-
-Ein Jubel hat sich aufgemacht wie eine Windsbraut. Das große Meer des
-Zornes eines edlen, mächtigen, geknechteten, geschändeten Volkes -- hier
-schlägt es seine Wellen empor, himmelan. Sie klatschen in die Hände, sie
-umarmen sich, sie brausen, sie taumeln unter Weinen und Lachen. Muz wie
-ein Feuerrad rast um sich selbst -- man sieht nur ein tosendes Rund und
-sprühende Funken. Ein donnerndes Rollen steigt zum Firmament. Lud
-Uhlenbrook lacht und lacht aus vollem Herzen -- so brüllt das Glück.
-Außer Rand und Band ist die ganze sonnenselige Welt. Das blanke hohe
-Himmelszelt spannt sich zum Zerspringen -- zerreißt es nicht -- bricht
-nicht ein Blitz aus dem Blau -- ein Gottesantlitz?
-
-Horst über ihnen allen, strahlend wie Michael, die Augen geweitet, die
-Nüstern gebläht, ein unergründlich glückliches Lächeln um den Mund. Noch
-meiden sie ihn, wie ein Höheres, ein Heiliges.
-
-Dann aber stürzen die Jungen zu ihm. Fritz Röder -- will es schreien --
-und erstickt an seiner Seligkeit -- und stößt es dann mühsam aus
-verschluckten Tränen hervor -- »ich hab es geknipst!« Und zwei andere
-stammeln »ich auch!« Und Fritz verkündet es heiser, lallend,
-zusammenbrechend -- »ein Bild ist das -- ein Titelbild -- für die
-Geschichte -- in alle Lande, in alle Städte, in alle Dörfer soll es
-fliegen -- für die Weltgeschichte -- für die deutsche Geschichte -- ein
-Titelbild -- ich hab es geknipst --«
-
-Wie ein vom Strick Losgeschnittener steht Kunz. Zu heftig hat sich die
-hohle Stelle in seinem Brägen wieder gefüllt. Noch blickt er verblödet.
-
-Da schleicht von hinten etwas zu ihm, springt ihn an, drückt ihm die
-Lider zu mit kindlichen Händen -- wer ist es? -- was fragt er, da er es
-fühlt?
-
-Und sein Mädchen schenkt ihm der deutsche Jubel! In seinen Armen hängt
-Vita und küßt ihn mit fast mänadenhafter Glut. Daß er aufs neue
-verblödet. Aber plötzlich ist er so hell und gescheit wie noch nie in
-seinem Leben und packt zu und hält fest. Und ist der bedeutendste und
-mächtigste aller Menschen.
-
-Und ist wieder der Junge, ganz der Junge -- schreit auf wie ein
-Verrückter -- schlägt Purzelbäume, sieben hintereinander und brüllt
-zwischendurch zu seiner Vita hinüber: »Bin ich dick?«
-
-Dann bleibt er besinnlich im Grase sitzen. Ist das ein Tag -- eine Tat.
-Ich muß sie besingen. Die Welt erwartet es von mir. Ein Heldenepos! Ich
-hab auch schon einen Titel: der Büchsenspanner Seiner Majestät des
-deutschen Volkes. Nein, ein Volkslied muß es werden. Ein Kutschkelied.
-Und soll noch von den Enkeln gesungen werden in allen Gauen.
-
- »Da sprach der Horst, das ist mir Worst,
- Und haut ihm, daß die Hose borst.«
-
-Ingeborg ist bei Horst. Sie läßt das Glück ihrer Augen leuchten, wenn es
-auch schwer dahinter dämmert. Sie packt seine Hand mit beiden Händen.
-Das wiegt alle Worte auf. Dann spricht sie leise: »Aber nun wird Ihnen
-hier Schweres bevorstehen.«
-
-»Wer das nicht fröhlich auf sich nimmt --!« Gleichwohl schweifen ihre
-Blicke zur See hinunter und etwas in ihnen spricht: da liegt unsere
-Jacht segelfertig. Du tust gut, Gras wachsen zu lassen über das, was
-hier geschehen ist! Komm jetzt! Fahr mit uns! Mit mir!
-
-Doch, wie sie das Auge wieder voll zu ihm wendet, erschrickt sie vor
-diesem eigenen versteckten Denken und Wünschen. Ich würde es selbst
-nicht wollen, daß Du Dich von hier entfernst! Daß Du mit uns fährst. Ich
-würde Dich selbst so nicht wollen! Und ein harter reiner Schmerz bändigt
-ihre Flammen.
-
-Oberst Thorild tritt hinzu. »Ein Wahrzeichen -- ein Wappen -- eine Fahne
-sind Sie geworden!« Seine Augen sind voll Feuer.
-
-»So darf man denn das -- Abgedroschene, das Triviale gelten lassen, weil
-es die stärkste Anschaulichkeit, die größte Bildkraft hat. Dafür werden
-die Abstrakten im Lande Zeter über mich schreien.«
-
-»Die lassen Sie nur.«
-
-»Und die nützlich Ängstlichen noch mehr. Ich hör es schon in ihren
-Blättern rauschen. Kostspielig wird die Sache -- schädlich
-verbrecherisch ist Deine Tat! Nur ein Volksfeind konnte so handeln!«
-
-»Die lassen Sie erst recht. Ich sag Ihnen, noch ein Dutzend solcher
-symbolischen Handlungen, und das Volksgewissen bekommt sein Mousseux,
-seinen Aufstieg. Ich glaube es lohnt, in diesem Volksgewissen zu leben!
-Dafür aber, mein Freund -- so darf ich Sie nennen -- sind wir, Ingeborg
-und ich, jetzt die Leidtragenden. Da Sie jetzt nicht mit uns fahren.«
-
-»Ich denke, wir werden uns damit nicht verlieren.«
-
-»Niemals. So wie wir uns gefunden haben! Aber jetzt müssen wir Sie mit
-Ihren Kameraden allein lassen. Leben Sie wohl!«
-
-Mit starkem Händedruck nehmen sie Abschied voneinander. Lange liegt
-Ingeborgs Hand in der seinen. Dann bleiben ihre Augen nicht mehr fest,
-und sie wendet sich jäh von ihm.
-
-Horst blickt den Schreitenden nach. Oft noch dreht Ingeborg sich um und
-winkt mit dem Tuch. Er muß bitter hart die Zähne aufeinander beißen.
-Wieder ist eine Kraft von ihm gegangen. Wieder eine Saite in ihm
-zersprungen. Aber, was er noch hat, treu muß er es bewahren, denn es
-gehört nicht ihm allein.
-
-Und wie er jetzt die Kameraden sucht, da tritt jemand vor ihn hin, ein
-Unerwarteter. Stahlboom, der Kommunist. Der Feind, mit dem er gekämpft
-auf Leben und Tod. Der Feind -- der Landsmann jetzt, der Deutsche.
-Reicht ihm die Hand, schnell, hastig -- aber Hand ruht doch in Hand. Ob
-heimlich, wie beiläufig, ärgerlich fast -- die Hände haben sich doch
-gefunden! Wahrhaftig und notwendig! Die Hände und die Herzen! In diesem
-Zeichen wachsen sie zusammen.
-
-Da leuchtet es nun erst über Horst hin -- der Lichtstrahl der
-glückhaften Erfüllung! Die deutsche Einheit -- die Front ihrer Streiter
--- sie ist kein Traum -- sie kann sein -- sie wird sein -- sie ist! Nur
-braucht sie ihr Signal! Die rechte Fahne muß wehen! Dafür leben und
-sterben!
-
-Horst ist mit den Kameraden zusammen. »Ja,« sagt Horst, »ob Ihr mich bei
-Euch behaltet? Ob Ihr nicht die Suppe, die ich auch Euch eingebrockt
-habe, mich lieber allein auslöffeln laßt --! --« Da lachen all die
-Siedler laut hinweg, was er sonst noch hätte sagen können.
-
-Kunz packt seine Hand und reißt ihn zur Seite. Und mit einem
-unbeschreiblichen Blick, in dem ein Bekenntnis liegt voll aller
-Düsternis und aller Helle dieser Welt, mit seinem lächelnden Knabenmund:
-»Ich dank Dir auch, Horst -- dank Dir, daß ich Dich nicht hab um die
-Ecke zu bringen brauchen.«
-
-Horst blickt in diese Tiefen und versteht den Freund, und ihre
-Freundschaft ist geheiligt.
-
-»Und jetzt weihen wir unser Haus! Ihr Jungen, singt Deutschland Euer
-junges Lied! Wir stimmen mit ein.«
-
-Und zur Sonne empor braust es:
-
- Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft,
- jede Faser gestrafft und gerafft,
- wir sind die Jungen, wir sind die Frohen,
- siehst du die nächtigen Wolken lohen?
- Wir sind des Frührots lachender Schein!
- Frei sollst du sein!
-
- Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen!
- Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen!
- Unter die Füße den tückischen Haß,
- seine Ketten zerspringen wie Glas.
- Unser Gebet, unser Feldgeschrei:
- Frei sollst du sein!
- Wir machen dich frei!
-
-
-
-
- Vom gleichen Verfasser erschienen
- in demselben Verlag
-
- Die Ecke der Welt
-
- Eine Erzählung. -- 5. Tausend.
-
- »Mit _großer dichterischer Kraft_ hat Dreyer hier die Geschichte
- von einer Frau und drei Männern erzählt, und er erweist sich auch
- jetzt wieder als ein _Meister der Epik_, als unerschrockener
- Seelenkünder. Das ganze Geschehen ist von der herben
- Landschaftsstimmung des nordischen Küstenlandes umhüllt; im
- knappen Aufbau der Erzählung verrät sich die dramatische Schulung
- und die Schilderung erreicht eine seltene Farbigkeit und
- psychologische Klarheit, die Gabe eines unserer _feinsten
- Dichter_.«
-
- (Hamburger Nachrichten)
-
- *
-
- Die Insel
-
- Geschichten aus dem Winkel. -- 5. Tausend.
-
- »Sieben _feine, kleine Geschichten_, anmutig in ihrer schlichten,
- zu Herzen gehenden Art, eine Insel, auf die wir uns flüchten wollen
- in den Wirren dieser Zeit. Die Naturschilderungen, die nicht
- breit und platznehmend, dennoch vielfach im Vordergrund stehen,
- sind von _schöner Kraft_. Die Skizzen sind _liebevoll ausgeführt_
- und haben zumeist einen Humor, der welterkennend lächelnd über
- den Dingen steht.«
-
- (Eva Duncker im »Abendblatt«, Berlin)
-
- *
-
- Nachwuchs
-
- Roman. -- 5. Tausend.
-
- »In eigenartiger Weise behandelt Max Dreyers neues Buch das
- Problem, das nach einem an Blutopfern überreichen Kriege für jedes
- Volk das wichtigste ist: Die Frage nach dem Ersatz für alle die
- Jünglinge und Männer, die ihr Leben dem Vaterlande hingegeben
- haben. _Kräftiger Realismus vermählt sich in dem packend
- geschriebenen Roman mit einer den feinsten Seelenregungen
- nachspürenden psychologischen Kunst._«
-
- (Hannov. Courier, Hannover)
-
-
- Vom gleichen Verfasser erschienen
- früher in demselben Verlag
-
- Der deutsche Morgen
-
- Das Leben eines Mannes
- 15. Tausend.
-
- *
-
- Ohm Peter
-
- Roman
- 18. Tausend.
-
- *
-
- Lautes und Leises
-
- Ein Geschichtenbuch
- 11. Tausend.
-
- *
-
- Strand
-
- Ein Geschichtenbuch
- 3. Auflage.
-
- Einen ausführlichen Prospekt über die Werke von _Max
- Dreyer_ liefert jede Buchhandlung oder der Verlag
- kostenlos.
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
-Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere
-Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-
- [S. 20]:
- ... ihn unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ...
- ... ihm unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ...
-
- [S. 27]:
- ... warm. In diesem und jenen Frauenauge glänzte es ...
- ... warm. In diesem und jenem Frauenauge glänzte es ...
-
- [S. 51]:
- ... -- es löste sich ihm all in die lichte Unendlichkeit dieser ...
- ... -- es löste sich ihm alles in die lichte Unendlichkeit dieser ...
-
- [S. 94]:
- ... Die Widersprüche stürzen nur so über ihn. Er blieb ...
- ... Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb ...
-
- [S. 98]:
- ... Diener -- der ihm ein Vermögen kostet -- ist ein alter ...
- ... Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist ein alter ...
-
- [S. 102]:
- ... auch nichts getan«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ...
- ... auch nichts getan?«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ...
-
- [S. 237]:
- ... in dieser Gegend.« ...
- ... in dieser Gegend?« ...
-
- [S. 298]:
- ... ich hab es geknipst --« ...
- ... -- ich hab es geknipst --« ...
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR ***
-
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-electronic works. See paragraph 1.E below.
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-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
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-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium
-with your written explanation. The person or entity that provided you
-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
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-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
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-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
-
-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
-For additional contact information:
-
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
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-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Die Siedler von Hohenmoor
- Ein Buch des Zornes und der Zuversicht
-
-Author: Max Dreyer
-
-Release Date: September 9, 2018 [EBook #57872]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 ***</div>
<div class="frontmatter">
@@ -17885,379 +17850,7 @@ Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR ***
-
-***** This file should be named 57872-h.htm or 57872-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/7/8/7/57872/
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
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-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
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-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
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-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
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-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
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-* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
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- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
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- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
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- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
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-
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-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
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-received the work on a physical medium, you must return the medium
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-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
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-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
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-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
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-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
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-
-For additional contact information:
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- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
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-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
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-
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-spread public support and donations to carry out its mission of
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-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
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-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
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-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
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-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
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-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 ***</div>
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