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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-08 09:51:33 -0800 |
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Hier stand er und +blickte ins Land, auf das Reich seines Schaffens. + +Sein Reich -- eben hatte er den letzten Kampf bestanden, es sich und den +Seinen zu gewinnen. Er kam aus der Kreisstadt. Nach endlosen +Verhandlungen war es ihm heute gelungen, deren Väter, die trägen, die +übelwollenden, die argwöhnischen Gemüter sich zu beugen. Die verfallene +Ziegelei, die niemand kaufen, niemand pachten wollte, war samt dem +Gelände jetzt ihm und seiner Siedler-Mannschaft gesichert. Damit erst +war das ganze Siedlungswerk auf festen Grund gestellt. + +Die Ziegelei mit ihren Tonfeldern, auf der anderen Seite das Moor und +sein Torfstich, ein Stück Kiefernwald, bereit, die Balken und Bretter zu +liefern, reichlich Kulturboden und weites Heideland zum Urbarmachen -- +was brauchte man mehr zum Bauen und Hausen! + +Die Brust schwoll ihm, tief tranken seine Lungen die mondhelle Luft. + +Im Osten strahlte die See, vom Himmel beleuchtet bis an den Saum des +Horizonts. Kein Schiff war zu sehen, kein Dampfer, kein Segler -- das +tote deutsche Meer. + +Da zuckte es schmerzhaft durch ihn hin, und er wandte sich wieder +landeinwärts. Schritt herab von der Höhe, schritt wieder seinen Weg über +die Heide. Er warf den Druck von sich, seine Sehnen federten wie im +Marsch. Das Lied der deutschen Jugend, das durch die Seelen zog, kam ihm +in den gestrafften Sinn, und er sang sich die Worte: + + Wir sind die Jungen, in Not gestählt, + in Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt. + Deutsche Erde, die uns erschuf, + deutsche Erde, uns gilt dein Ruf. + Wir sind geweiht, wir schließen die Reih'n! + Frei sollst du sein! + + Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen + du bist der Ausgang, du das Beginnen. + Nicht einen Bissen von deutschem Korn, + nicht einen Tropfen aus deutschem Born, + Deutschland, daß wir nicht dächten dein! + Frei sollst du sein! + + Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft, + jede Faser gestrafft und gerafft, + wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, + siehst du die nächtigen Wolken lohen? + Wir sind des Frührots lachender Schein! + Frei sollst du sein! + + Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! + Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! + Unter die Füße den tückischen Haß, + seine Ketten zerspringen wie Glas. + Unser Gebet, unser Feldgeschrei: + Frei sollst du sein! + Wir machen dich frei! + +Er war am Ziel. Die Baracke, die an den kiefernbestandenen Hang sich +lehnte, war sein Quartier. + +Der Bretterbau lag dunkel, die Kameraden hatten nicht mehr auf ihn +gewartet. Er klopfte im Dreischlag, der Mann, der die Wache hatte, war +gleich zur Hand, steckte eine Kerze an und öffnete ihm. + +»Guten Abend, Runge, oder Guten Morgen!« grüßte der Eintretende. + +»Guten Abend, Herr Hauptmann.« + +»Wir haben jetzt auch die Ziegelei.« + +»Das ist famost!« In dem verschlafenen viereckigen Gesicht des +Wachmannes tanzten freudig die kleinen Augen wie feurige Punkte. + +Dann berichtete er »nichts zu melden, Herr Hauptmann«, und jeder ging in +sein Losament. Der Wachthabende in das kleine Gemach rechts vom Eingang, +Hauptmann Horst Oldefeld in sein Zimmer, das gegenüber lag. + +Ein kahler, niedriger, einfenstriger Raum, in dem nichts als ein Tisch, +zwei Stühle und ein eiserner Ofen stand. Das Bett war ein +Bretterverschlag an der Wand, mit Strohsack und wollener Decke. Lag es +sich hart und kalt darin, hatte er die Bannworte bereit: Schützengraben +und Champagne! Durch Dreck geschleift -- in Dreck verkrustet! Und er +kuschelte sich ein voll unbändigen Behagens. + +Morgens war er der erste auf. Holte sich die große blecherne +Waschschüssel voll Schnee, und rieb sich mit der himmlischen Frische ab +von Kopf zu Füßen. Dann im Mantel an den Tisch zum Schreibwerk, und er +dampfte von Wärme in dem ausgekühlten Raum. + +Nicht lange, da trat der Hauptmann Dankwart Hamerslag bei ihm ein. Hart, +ernst, wortkarg. Das Lid über dem rechten Auge infolge eines +Kopfschusses halb gesenkt, der linke Arm steif, ein Granatsplitter stak +noch in der Schulter. + +»Morgen, Junge«, grüßte ihn Horst. »Also die Städter hätten wir jetzt +auch erschlagen.« + +»Hörte schon.« + +»Endlich die freie Bahn! Nun geht's aber auch mit heidi! Heut werden +also Bäume gefällt.« + +»Ja.« + +»Ich will selbst den ganzen Tag dabei sein. Du übernimmst dann das +Bureau.« + +»Gern. Nur --« + +»Was?« + +»Ich bin mit meiner technischen Berechnung noch nicht durch --« + +»Für die Kraftanlage?« + +»Ja.« + +»Das geht natürlich vor. Dann muß Gisbert den Schreibkram hier machen. +Ich wollte die beiden Jungen sonst mit rausnehmen.« + +Die beiden Jungen waren die Oberleutnants Gisbert Hegendorf und Kunz +Rutenberg. Sie schliefen und hausten in einem Gelaß. + +Gisbert in seinem Verschlag war der erste, der sich rührte. Langsam +fanden seine schweren Traumaugen den Weg in den Morgen. Die langen +Finger tasteten, der Wirklichkeit ungewiß, wie fragend nach dem Kopf, +dann zuversichtlich geworden, fuhren sie glättend über das weiche blonde +Haar. Und nun reckten sich die schlanken Glieder ins Wache, ins Leben. + +Kunz schlief noch fest. Wie ein kleiner Junge lag er, den harten, +kurzgeschorenen Kopf in den runden Arm geborgen. Zu Füßen seines Lagers +hatte Muz sich hingerollt, ein junger Schäferhund, nicht ganz rein von +Rasse, aber um so reiner von Gesinnung, wie sein Herr kritischer Schärfe +der Betrachtung zu wehren liebte. + +Gisbert streckte die langen Beine in den kalten Weltenraum und rief: +»Kunz!« Kunz machte den Arm noch runder und schlief weiter. + +Gisbert prustete von der Waschschüssel auf: »Kunz!« Kunz knurrte und +schmatzte und schnalzte nach einem Schimpfwort, gurgelte es zurück und +schnarchte wieder ein. + +Jetzt aber trat Muz in Tätigkeit. Erhob sich, zog sich lang und länger +die Hinterfüße aus dem Leib und schleifte sich so zu dem Lager des +Unerbittlichen. Wie tröstend legte er die Schnauze auf die Schlafdecke +und ließ den Schwanz pendeln gleich einem Perpendikel. Es ist Zeit, es +ist Zeit, es ist Zeit -- und allmählich immer lebhafter: es ist hohe, +hohe Zeit! es ist hohe, hohe Zeit! + +Diese leise Weckuhr brachte den Schläfer zuverlässig zur Besinnung. +Seine Finger fühlten sich zu dem weichen Ohr der Uhr, streichelten das +samtene Fell, sie bekamen ihre Regsamkeit und lösten den ganzen Leib aus +seiner Starre. Und jetzt landete Kunz Rutenberg mit schnellem Sprung aus +dem Bett auf dem harten Dasein und schimpfte sich hier vollends +bodenständig. + +»Bande,« rief er, »Bande!« Und gähnte und schalt. »Was wollt ihr +eigentlich von mir, was hab ich eigentlich bei euch zu suchen -- +ihr Eisenfresser der Pflicht -- ihr Barackenheilige -- ihr +Kartoffelsuppenspartaner -- ihr Strohsackasketen -- ihr Flagellanten der +Arbeit -- was soll ich bei euch -- in eurer Arche düsterster +Enthaltsamkeit!« + +Die gekeuchten Worte gaben den Takt, nach dem er sich wusch und sich +frottierte. + +»Das Licht ist, was ich liebe -- das Licht ist, was ich suche -- Geigen +sollen schwirren -- prickelnde, knisternde Weisen will ich -- +Farbenfunken sollen sprühen -- über duftendes Frauenhaar -- das perlende +Leben will ich, aus dem Glas, von den Lippen -- nicht die dunkle, +hundekalte, muffige Öde eures elend ungehobelten Bretterstalls!« + +Er schnob gewaltig. + +Gisbert lächelte schweigend hinein in seine langen, feinen, edel +gebogenen Züge. Dieses Geschmetter in den Morgen brachte ihm an sich +keine Überraschung. Damit pflegte Kunz, der hurtige, Tag für Tag sich +den Mund auszuspülen. Was dem stilleren Stubengenossen eine leise Freude +gab, war die scheinbare Unerschöpflichkeit des Sprachschatzes, der +täglich neue Gaben ausschüttete. + +Kunz war zuerst mit dem Anzug fertig und drängte nun zum Tageswerk. Er +nannte das -- um sich vor sich selber treu zu bleiben -- den Tag +schupsen, daß er eher zu Ende gehe. + +Gisberts sorgliche Genauigkeit bekam jetzt von ihm die Peitsche, und +bald standen auch die beiden bei Horst im Zimmer. Hier hörten sie gleich +von dem Erwerb der Ziegelei, der die Erlösung brachte. Niemand strahlte +froher als Kunz. Und wie leuchteten die Augen bei diesem Sybariten des +Wortes, als er hörte, daß er mit zu der harten Arbeit des Baumfällens +ausersehen sei. + +Mit dem Glockenschlag versammelten sich alle in der Halle zum Frühstück, +alle Siedler, Führer und Mannschaft gemeinsam -- es waren im ganzen +ihrer dreiundzwanzig. + +Sie saßen ohne irgendwelche Rangordnung durcheinander. Der +kameradschaftliche Grundsatz herrschte durchaus vor. Freiwillig hatten +die Männer sich zusammengefunden zu schwerem, ernstem, gemeinsamem Werk, +von dem sie meinten, es könnte vorbildlich sein. Von dem sie hofften, es +könnte Hilfe bringen dem armen, ach so bedürftigen Vaterland -- geringe +nur durch die Leistung selbst, doch größere durch das Beispiel. Ein +Werk, in dem eine Freudigkeit des Glaubens atmete, ein gehobener Wille. + +Bauen, bauen wollen wir -- aufbauen -- was gibt es, das freier wäre, das +mehr in die Höhe ginge, das dem Göttlichen näher käme! + +Und in lebendiger Gemeinsamkeit schaffen wir -- einer so nützlich, so +nötig, so unentbehrlich wie der andere -- alle uns gleich durch die +gleiche Pflicht, den gleichen Stolz, die gleiche Liebe zu dem, was wir +schaffen -- wie Glieder eines lebenden Wesens, das denkt und sorgt und +wirkt! + +Heimstätten bauen wir, aus deutscher Erde, auf deutschem Land. So +unglückselig arm ist das Vaterland geworden, nur eins ist sein Reichtum, +das sind seine Kinder. Die drängen zu ihm hin, die schmiegen sich an +seine Brust, sie wollen, sie müssen bei ihm bleiben. Wie sie alle +kommen, wie sie sich mehren, es fehlen die Herde sie zu wärmen und zu +hüten. Deutsche Herde wollen wir bauen! Helfen wollen wir, daß kein +Deutscher heimatlos sei im deutschen Land. + +Als wir in Wohlfahrt lebten, in übermütigem, gedankenlosem Glück, haben +wir so manche Strecken deutschen Bodens nicht geachtet oder gar +verachtet, haben wir über Ödland die Achseln gezuckt. + +Nun bietet diese arme Erde sich dar, auch sie möchte nützen und helfen. +Und ist sie noch arm, da solche Kraft in ihr lebt? Uns liegt es ob, die +Kraft zu lösen und zu mehren, durch unserer Hirne, unserer Hände, +unserer Herzen Walten und Wirken. Ist das nicht wie Schöpfung? Ist das +nicht Gottesnähe? Ein andächtiges, ein tiefes, ein heiliges Werk. + +Etwas von dieser Weihe lag auf jedem der Männer, die solchem +tiefinnerlichen Dienst an der deutschen Erde sich ergeben hatten. + + + + + Der Herr von Moorhof und die Siedler + + +Sie waren zum Teil Regimentskameraden vom Kriege her, alle aber hatten +sie dann einem Freikorps angehört, das gegen die spartakistischen +Umtriebe sich einsetzte. + +Gerade dieser Küstenstrich hatte schwere Erschütterungen gesehen. Mehr +noch als anderswo hatten sich hier Verbrecherhorden mit den +Schwarmgeistern gemischt. Auf den Gütern vornehmlich gab es Raub, Brand +und Mord. + +Da wurde ein Kommando hierhergelegt, Horst Oldefeld der Führer, Dankwart +Hamerslag als Offizier ihm zur Seite, Gisbert und Kunz standen als +Gemeine mit im Glied. Es waren dreißig Mann. Ihr Hauptquartier hatten +sie in Moorhof, dessen Herr, Baron von Borkhus war es, der ihnen dann +das Hauptgelände für die Siedelung zuwies. + +Das war ein alter Recke und Haudegen, der geborene Häuptling -- hätten +die Raubgesellen ihn nicht angeschossen bei ihrem Überfall, er würde +ganz allein mit seinen Leuten die Landschaft von dem Gesindel reingefegt +haben. + +So war das geschehen, das mit dem Überfall, dem schwere Tat entsprang. + +Zwei Autos rattern auf den Hof, bespickt mit Matrosen und Abenteurern in +Marineuniform. Vorne flattert die rote Fahne. Sie springen aus dem +Wagen, an die fünfzehn Mann, schwingen ihre Handgranaten, besetzen die +Türen von Haus und Stallungen. + +Der Führer ein junger, schlanker Mensch mit geistigem Gesicht, +schwarzen, kaltfanatischen Augen und schmalem höhnischen Mund. Er und +zwei Begleiter, die Pistole in der Hand, die Granaten im Gürtel, begeben +sich ins Herrenhaus. + +Die Mädchen halten sich versteckt, der alte Diener erscheint zaghaft im +Treppenhaus. + +»Wollen den Besitzer sprechen.« + +»Wen darf ich melden?« + +Die drei lachen. »Der sogenannte Besitzer hat sich bei uns zu melden. +Aber plötzlich. Warten tun wir nicht lange.« Der Führer klopft mit dem +Pistolengriff auf den Tisch. + +Schon kommt Baron von Borkhus die Treppe herunter, mit schwerem +wuchtigen Schritt, der gewaltige Mann. Er geht mühsam, sein rechtes Bein +ist von Ischias gekrümmt, die er in den Karpathen sich geholt hat. Er +knöpft sich den Uniformrock zu. Mit Bedacht hat er sich den angelegt, +als er von seinem Zimmer aus diesen Besuch erblickt. + +Seine mächtigen Augen über den Tränensäcken sehen mit einer unheimlich +großen Gelassenheit auf die Gäste. + +Der Führer geht ihm entgegen, die beiden anderen sind im Anschlag. + +»Sie wünschen?« fragt der Herr. + +Der Sprecher redet etwas von einem fantastischen Furagekommando, dann +tritt er nahe an den Baron hinan, der unbewaffnet und ungefährlich vor +ihm steht. + +»Sie erlauben wohl! Wir sind hier doch nicht aufm Maskenball!« Und die +frechen Finger greifen nach den Achselstücken. + +»Hund!« brüllt es ihm entgegen wie ein Orkan, in den glotzenden Augen +ist Wut und Blut, die mächtigen Pranken schlagen sich um die Kehle des +Angreifers und würgen ihn -- würgen ihn -- + +Die anderen -- erst wie betäubt -- wollen zuspringen -- wollen wieder +die Waffen nicht aus den Händen geben -- trauen sich nicht zu schießen, +weil der Gefährte da in den Händen des Berserkers hin und her baumelt -- +inzwischen sind durch die Hintertür bewaffnete Gutsleute vom Inspektor +hereingeführt -- Hände hoch! schreien sie von beiden Seiten -- dann wird +geschossen -- die zwei Matrosen stürzen hinaus -- der Baron ist +zusammengezuckt -- aber seine Hände wie verkrampft in dem einen Willen +und gezwungen, sie lassen nicht los und würgen -- würgen -- + +Draußen haben die beiden Wirtschaftseleven mit ein paar mutigen Leuten +die eingedrungenen unter Feuer genommen. + +Zwei, drei werden getroffen -- nun gibt es kein Halten mehr -- sie +stürzen in die Wagen -- kurbeln an -- lassen Führer Führer sein -- und +rasen davon. + +Wie der Inspektor zurückkommt ins Gutshaus, kauert der Herr in einem +Stuhl des Vestibüls. Um ihn wogt das Grauen. + +Auf dem Teppich liegt die Leiche des erwürgten Führers -- wie sie +hingesunken ist. + +»Sie sind fort«, berichtet der Inspektor kurz. Er ist ein langer, +sehniger Mann mit harten Zügen und kalten Augen. Die blicken nicht +leidig zurück. + +Jetzt sieht er Blut über den rechten Stiefel des Herrn sickern. Er +steigt über die Leiche, die ihm ein Hindernis ist und weiter nichts. + +»Herr Baron, Sie sind verwundet.« + +»Bin ich?« und als sei dieses unwesentlich, rührt er sich nicht, starrt +und versinkt in die Worte: »erwürgt hab' ich ihn.« + +Nun ja -- ein Toter -- es ist Aufruhr, es ist Krieg. Empfindeleien kennt +der Inspektor nicht. Er bleibt bei der Sache. Beordert ein Fuhrwerk in +die Stadt, den Arzt zu holen -- führt den Herrn in das nächste Zimmer -- +entkleidet ihn -- verbindet die Wunde. + +»Grad in das infame Bein«, stöhnt jetzt der Baron. »Nun es geht in einem +hin.« Aber er bleibt nicht lange bei sich selber und starrt dann wieder. + +Drei Tage später kam Horst mit seinem Trupp. + +Der Arzt hatte den Baron ins Bett gesteckt. Die Wunde, an sich nicht +schlimm, verlangte Schonung. Horst saß an seinem Lager. + +Sie sprachen vom Krieg. Aus der unsäglichen Schmach dieser Zeit +flüchteten sie in die blanken Tage der Ehren. + +Der Baron hatte als Major an der Somme gefochten, durch alle Grauen war +er gewatet, durch die Schlammbäche in ihrer Hochflut von Blut, die mit +Tornistern und Kochgeschirr Leichenfetzen und zerrissene Glieder +mischte. + +Welch ein Gefühl der Weihe hatte sie doch getragen, daß all dies +Entsetzen sie nicht mit Wahnsinn schlug! + +Und zwischendurch hielt er inne und sprach schwer: »Haben Sie schon mal +einen Menschen erwürgt -- erwürgt mit eigenen Händen?« + +»Nein, Herr Major --« + +»Einen Deutschen! Ein Deutscher einen Deutschen! Eine Zeit +apokalyptischer Greuel!« + +Dann steuerten sie hart und schnell einen anderen Kurs. Zwangen sich zur +Nüchternheit. Sprachen von wirtschaftlichen Dingen. + +Was wird aus all den entlassenen Offizieren und Unteroffizieren, aus all +den Kämpfern, die der Krieg erwerbslos gemacht hat? + +Land wird gebraucht. Ein eigenes Stück Erde -- ist das nicht der +Inbegriff des sozialen Heils, weil hier ein seelisches Gut +eingeschlossen ist? + +Siedlungsland müssen die großen Güter hergeben. »Ich will der erste sein +und ein Beispiel«, sagte Herr von Borkhus. + +Er hatte gesehen, welch leuchtende Augen der Gedanke an das eigene Land +in Horst Oldefeld entzündete, dem armen, verwehten Offizier, ohne +Heimstätte, ohne Familie. + +Er hatte ihn liebgewonnen in den wenigen Stunden. »Wenn Sie wollen, +sollen Sie sich hier anbauen.« + +Und im Laufe der Tage wurde schnell das Nötigste abgemacht. Baron +Borkhus gab freudig. Einen kräftigen Zipfel schnitt er ab von seinem +Besitztum -- Kulturland und Heide zum Urbarmachen, ein Kieferngehölz und +ein großes Stück Moor. + +»Die Ziegelei von der Stadt müssen wir dazu haben, dann können Sie +selber bauen. Herrgott -- und wenn der Tangentiener noch die kleine Ecke +hergeben wollte, dann hätten Sie ein rundes Reich für sich!« + +Horst war in Geschmack gekommen. »Meinen Sie, daß ich einmal mit Herrn +von Tangentien rede?« + +»Mit Klaus Tangentien?« Der Baron lächelte. »Soll ich Ihnen sagen, wie +der ist? Ich stehe mit ihm auf meinem Acker, nicht weit von unserer +Feldscheide. Da muß er Wasser lassen. Was tut er? Läuft er nicht nach +seinem Feld hinüber und besorgt es da? Daß seinem Boden nicht das +Ammoniak verloren gehe? So ist Klaus Tangentien. Und nun reden Sie mit +ihm.« + +Horst dankte. Aber Herr von Borkhus ließ es sich angelegen sein, für die +wirtschaftliche Sicherstellung das Nötige zu besorgen. + +Die Siedler selbst brachten ein Grundkapital zusammen. Am meisten hatte +Gisbert in die Suppe zu brocken, den sie den reichen Jüngling nannten, +und er gab mit vollen Händen. Auch Dankwart steuerte tüchtig bei. +Weniger hatte Kunz zu geben, am wenigsten Horst, der so gut wie +mittellos war. Von den anderen Kameraden beteiligte sich dieser oder +jener mit kleinen Beträgen. + +Aber diese ganze Summe hätte nur für den Anfang gereicht. Borkhus +brachte einen größeren Fonds zusammen. Er selbst lieh her, soviel er +vermochte. Sobald er wieder auf den Wagen konnte, machte er sich auf die +Walze. Bei Parteifreunden und Nachbarn warb er mit einigem Erfolg -- +Landschaft und Regierung versagten. Immerhin, in ein paar Wochen stand +das Unternehmen auf leidlich festen Füßen. + +Und er hatte sich selbst einigermaßen wiedergefunden in solchem +Liebeswerk. Die Freude, die er machte, leuchtete ihm heraus aus dem +Dunst, mit dem diese Tage ihn ersticken wollten. + +Was bevorstand, trat ein: das Freikorps wurde aufgelöst. Horst und die +drei Offiziere blieben. Dazu neunzehn von den Leuten, die ernsthaftesten +und besten, alte Unteroffiziere in der Mehrzahl. + +Horst war der geborene Führer. Er trug etwas von dem Glanz des +Unzerstörbaren, Unverlierbaren in sich. Er hatte die klare, reine Linie +und hielt sie um so fester, als er um sie kämpfen mußte. + +Denn er war von Haus aus eigentlich ein Träumer gewesen und hatte viel +bunte Märchen gelebt -- daher kam sein Lachen und seine Güte. Aber im +Grunde seiner Art saß wieder eine starke Sehnsucht nach Verantwortung, +eine Inbrunst für das Ziel, eine leidenschaftliche Liebe zur harten Tat. +Und daher stammte sein Ernst. + +Dann die Offenheit seines Auges, die Unbefangenheit seines Wesens, das +von verstecken nichts wußte und auch bei den anderen mit unbekümmertem +Griff aus den Höhlen und der Heimlichkeit herausholte, was das grelle +Tageslicht mied. Wenigen wie ihm taten sich so die Herzen auf. Darum +kannte er auch die Herzen, ihre Kraft, ihre Hoheit wie ihre Tücken und +Nücken. Und eben seines Wesens aufspürende Innigkeit feite ihn gegen +Groll und Gift. Er hatte nun einmal von den großen Eigenschaften, gegen +die es keine Rettung für kleinere Geister gibt -- als die Liebe. + +Machte das Hartsinnige, die starre Unbedingtheit den Führer aus, wäre +Dankwart Hamerslag dafür der geeignetste gewesen. Ihm hatte das Feste, +Spröde, Brüchige seiner Art ein grausames Geschick noch härter +geschmiedet. Als frischer Ehemann war er ins Feld gezogen. Wie er auf +Urlaub nach Hause kam, hatte seine Frau, die er vergötterte, die +kindlich junge, schwärmende, haltlose aus der Ehe sich beurlaubt. Davon +trug sein Leben die Wunde, die nicht verharschen konnte, und die sein +Blut mit Bitternis durchschwärte. + +Er war der Techniker des Kreises, nicht genial und von großen Ideen, +dazu fehlte es ihm an Herz und an Feueratem, aber von beispiellosem +Scharfsinn und reicher Erfindungsgabe. + +Und auch in dieser Seele brannte ein Altar. Das war die Liebe zu seinem +heimatlichen Westfalen. Stunden des Heimwehs hatte er, daß die Augen ihm +übergingen. Dann wetterte er gegen sich selbst. Er, sentimental, er, den +sie die Maschine nannten! Doch dies Gefühl ertrank erst wieder in dem +großen Schmerz um die große deutsche Heimat. + +Das Westfalenland, das Sachsentum, es schlang ein zärtliches Band um die +ungleichsten der Brüder, um ihn und Kunz Rutenberg. + +Er, der Mathematiker von Geblüt, und Kunz der geschworenste aller +Zahlenfeinde, der einmal erklärte: »Es muß ein Leben nach dem Tode +geben! Ich muß mir -- muß mir den Mann bei Licht besehen können, der die +Logarithmentafeln gebaut hat!« + +Kunz mit den frischen Backen, mit den »munteren roten Blutkörperchen«, +trotz dem Elend, das auch an ihm fraß, nicht weniger als an den +Kameraden. Er war ganz gewiß nicht der leichte Obenauf. Genug des +schweren niedersächsischen Sinnes war seinem jungen Frohmut beigemischt. +Und wenn die anderen sich mehr an ihm freuen und über ihn lachen +wollten, als er hergeben konnte, durfte er ernstlich sagen: »Kinder -- +wenn ich auch der Clown bin in eurem Zirkus, Komiker sind keine lustigen +Menschen!« + +Das ist ja wahr, der Versunkenheit und dem Kultus mystischer Weltflucht, +dem sein Stubengenosse Gisbert oft genug erlag, setzte er leicht eine +unbarmherzige Fröhlichkeit entgegen. Nicht mit böser Absicht -- dann +hätte in Gisbert irgendeine wenn auch noch so unbewußte Komödie am Werke +sein müssen. Und dessen Sauberkeit ahnte nun ganz und gar nichts von +Pose. Es geschah aus einer unwillkürlichen aber um so lebhafteren +Reaktion, die Kunz selber schmerzte. Namentlich dann, wenn sein Übermut +eine Ironie hineinpfefferte. + +Gisbert, gewiß der zarteste von ihnen allen, hatte im Kriege das +Schwerste durchgemacht. Vier Tage und drei Nächte lang war er +verschüttet gewesen, alles um ihn war nach und nach verröchelt. Als der +einzig Lebende kam er ans Tageslicht. Die Retter betteten einen +Verklärten, in Visionen Schauernden. Als sie ihn wegtrugen, hob er den +fast schon Seele gewordenen Leib, streckte die fliegenden unkörperlichen +Hände inbrünstig zurück -- und hauchte: »Nicht fort -- ich muß -- ich +muß -- wieder hinein -- dort hab ich Gott geschaut -- --« + +Es stimmte schon, was Horst Oldefeld einmal sagte: »Wir alle haben +Wunden, Gisbert aber hat Wundenmale.« + +Unter den neunzehn Männern, die mit den vier von ihnen selbst gewählten +Führern an dem langen Brettertisch beim Morgenkaffee saßen, fiel einer +besonders auf. Nicht weil er der größte und längste war, sondern weil er +was großes in den Augen hatte. Es war in ihnen die helle Zuversicht der +kindlich reinen Gottesgläubigkeit entzündet. + +Er hatte die ganze niederdeutsche treuherzige Unbeholfenheit in den +schlaksigen Gliedern, über dem kantigen, noch ganz jungen Gesicht, +leuchtete grauweiß sein Haar, das eine Sappenexplosion im Schützengraben +entfärbt hatte. Der tüchtigste Arbeiter wie er der bravste Soldat +gewesen war. In den Mußestunden hielt er sich viel allein, las, nein, +forschte in der Bibel, schrieb nach Hause an seine Mutter, seine Braut. +Gustav Elbenfried war Zimmermann seines Zeichens, sie nannten ihn mit +neckendem Respekt den heiligen Josef. + +Das Wort führte von der einen Ecke aus der ranke, schmeidige Fritz +Eggert. Er war gelernter Barbier und hieß darum »Balbutz«. Aber das +sagte im Grunde nichts von seinem Wesen und Leben. Kaum einen Beruf gab +es, den er nicht geübt hätte. Durch alle Länder Europas war er gewalzt. +Hatte auch sattsam geabenteuert, hatte »in den südlichen gelben +Halunkenländern« seinem Anfangsberuf getreu manch einen über den Löffel +barbiert und lieber selbst Hälse abgeschnitten, als sich begaunern +lassen. Kurz vor Ausbruch des Krieges war ihm Europa zu klein geworden, +er wollte »Afrika auch einmal was Gutes gönnen«. So war er nach Algier +gekommen. Von da trieb es ihn, als der Kriegsruf ihn traf, zu den Fahnen +-- unter beispiellosen Listen, Finten, Entbehrungen und Gefahren +erreichte er deutschen Boden. Dies schuf ihm unter den Brüdern seinen +Wert und sein Gepräge. + +»Also Kinder,« so gab Horst die Tageslosung aus, »heut werden Bäume +gefällt. Wenn wir übers Jahr trockene Bretter haben wollen, wird es +Zeit. Arbeitsleiter ist Elbenfried.« + +So war es ausgemacht und Gesetz, daß bei jedem Werk der fachmännisch +Zuständige das Kommando hatte. Für das Gemeinsamkeitsgefühl gab es +keinen besseren Boden. + +Und nun scharwerkten all die jungen fleißigen Arme in dem Kieferngehölz +am Bergeshang. Die Gedanken und Herzen schlugen für die Heimstätte und +für die große Heimat. + +Schwere Nebel zogen von der See her über die Flur. In Nebel und Not war +das Vaterland. Aber hell und stark klangen durch den Dunst und Daak Säge +und Axt. Und fast froh flammten die Rufe durch die Schatten und Wolken. +Es waren die Stimmen der Arbeit. + + + + + Nieder mit dem Würger! + + +Nebel wogten durchs deutsche Land, Nebel und Rauch von Feuersbrünsten +und Scheiterhaufen. Ein giftig schwelender Brodem zerfraß die Augen, die +Hirne, die Herzen. + +Baron Borkhus und Horst fuhren im Jagdwagen nach der Kreisstadt zu einer +politischen Versammlung. Der Herr kutschierte, neben ihm saß Horst, +hinter ihnen Strempel, der alte Kutscher. + +»Was sind wir für ein Volk!« so wälzte Borkhus an seiner Last. »Daß +Unsersgleichen nicht auf Erden ist, wer will es uns jetzt noch +bestreiten! Die größten Helden sind wir -- ja -- aber auch die größten +Hunde! Hat je ein Volk erst sich selbst heimtückisch gemeuchelt -- dann +sich selber begeifert und bespien -- mit einer Art Wollust schmutzigster +Exhibition sich selbst vor aller Welt an den Schandpranger gestellt! Daß +selbst die schwarzen Bestien sich scheckig lachen vor unbändigem +Vergnügen!« + +»Wir sind krank -- wir sind im Fieber --« + +»Fieber -- seit wann macht Fieber ehrliche Kerle zu Lumpenhunden!« + +Er war schon in der gehörigen rhetorischen Stimmung und im +Öffentlichkeitsfeuer. Er brauchte auch Publikum und dessen Widerhall. Da +Horst nachdenklich schwieg, wandte er sich hinterwärts an sein Faktotum. + +»Hab ich recht, Strempel, oder nicht?« + +»Komplett, Herr Baron,« kaute der zurück, mit seinem breiten, malmenden +Mund. + +Borkhus hatte eine Zärtlichkeit für diesen verschmitzten, verkniffenen +alten Knaben, die Horst nicht begriff. Ihm waren in die Falten des +knochigen, eckäugigen, vergilbten und gegerbten Bereitergesichts alle +Tücken der Welt gesät. + +Es ist gut, dachte im übrigen Horst Oldefeld, dem Baron zugewandt, daß +du vor der Versammlung von dem gröbsten dich entlädtst! Dein Zorn hat +recht, so weit Zorn recht haben kann. Denn Zorn allein kann nicht +helfen, und Hilfe ist, was wir wollen. + +Horst, der selber oft genug seinen Ingrimm mit beiden Händen bändigen +mußte, blieb heute in der Ruhe und strebte in die Tiefe. + +Er sprach davon, wie Deutschland von je das Schlachtfeld gewesen sei, +das blutige, das zerwühlte, nicht nur für alle Heere der Erde, auch für +alle großen Ideen der Welt, die alle, alle sein schmerzensreicher Schoß +getragen und geboren hatte. Aufs Tiefste und Schmerzlichste zerpflügt +das Land vom Schwert und vom Geist. Alles, alles Menschliche umspannen +seine Lebenskräfte, das Niederste bleibt ihnen nicht fremd, bis zu den +reinsten Höhen beschwingen sie sich. Das Niederste, ja, warum es +leugnen? Warum mußten wir uns immer wieder die Ohren und die Sinne +betäuben mit dem lauten Sang von deutscher Treue! Auch deutsche Untreue +gibt es mehr als genug! Aber vom Allererbärmlichsten greift die Spanne +deutschen Wesens bis zum Erlauchtesten empor. Das ist sein Reichtum, ist +seine Größe -- das ist sein Schicksal, sein Fluch. Das ist seine Passion +und -- seine Verklärung! + +So sprach Horst zu Borkhus. + +»Ganz gewiß haben Sie darin recht,« antwortete der, »daß wir uns immer +viel zu viel vorgesungen haben! Was wir für Kerle seien! Wie +geräuschvoll haben wir uns immer unsere Tugenden beteuert! Und mit welch +triefender Empfindsamkeit! Kam einem das alles nicht manchmal vor wie +eine künstlich auf Flaschen gezogene, künstlich kalt gestellte +Sentimentalität, die wir festlich entkorkten, mit der wir feierlich +anstießen und feierlich uns besoffen? Als Idealisten taumelten wir uns +in die Arme! Wieviel fader Muff war doch in diesem Idealismus!« + +Horst sah ihn an, ein scharfes Lächeln im Auge. »Und jetzt -- verfallen +wir jetzt nicht in den entgegengesetzten Fehler --?« + +»Sie meinen?« + +»Haben wir uns früher verhimmelt, bereiten wir uns jetzt ein System +daraus, uns selbst zu beschimpfen!« + +»Soll das auf mich gehen? Aber ich schimpfe ja nur darauf, daß wir uns +jetzt so herabziehen, und mit Schmutz beschmieren -- ebenso wie ich +darauf schimpfe, daß wir selber uns einst so in den siebenten Himmel +gehoben haben! Natürlich beides aus derselben dreimal verdammten +Empfindelei! So lange wir die mit uns herumschleppen -- ehe wir diesen +schmierigen Fetzen nicht von uns abreißen, kommen wir nicht wieder +fußfrei auf die Beine. Wie haben unsere Feinde es geschafft! Dadurch, +daß sie brutal sind -- brutal im Denken, im Handeln -- brutal ihre +Energie, brutal ihre Grausamkeit, ihre Tücke, ihre Feigheit, ihre +Verlogenheit! Noch immer hat Gewalt mit Verbrecherhänden die Weltpolitik +gemacht -- wir aber faseln, auch heute noch, von Weltgewissen. Als ob +das Gewissen der Welt nicht der schamlose Nutzen wäre! Und faseln wir +nicht, keifen wir, wie Weiber auf der Treppe.« + +Tust du letzteres nicht selbst ein wenig, mußte Horst wieder denken. Er +blickte auf den gewaltigen Mann, der in drohender Haltung neben ihm saß, +den Kopf gehoben, die mächtigen Augen geweitet, keuchend wie zum Kampf. +Ehrlich in jeder Faser -- und sah doch in seinem ehrlichen Zorn an etwas +vorbei, das er selber in sich trug. + +Auch einer von denen, die so gern, so gern brutal sein wollten und +konnten es nicht. Dies unser Grimmen und Fluchen -- ist es nicht ein +Sich-Wehren gegen die weiche Stelle in uns, die wir alle haben, die nur +nicht das Mächtige werden darf über uns, ohne die wir aber in unserem +Wesen verstümmelt wären! + +Und Horst will es ihm sagen: wir werden sie nicht los unsere +Empfindsamkeit. Sie gehört zu uns. Sie ist ein Teil unserer Kraft. So +dürfen wir sie auch nicht bekämpfen, und sie und uns damit schwächen -- +nur in die rechte Bahn, in den starken Strom unseres Lebens sollen wir +ihre Quellen leiten, und sie hilft uns zu unserem großen Werk. Ohne sie +können wir nicht siegen, sie wird dabei sein, sie muß dabei sein -- und +der Triumph der Empfindsamkeit ist auch der Triumph und die Freiheit des +deutschen Geistes, des deutschen Volkes! So werden wir siegen! + +Er formte noch an den Worten, daß sie eindringlich sprechen sollten, da +tauchten schon die Lichter der Stadt vor ihnen auf. Borkhus dachte an +die Versammlung und ließ sich den Anfang seiner Rede durch den Kopf +gehen. + +Dann wandte er sich zu Horst, mit treuherzigem Lachen und das Herrische +war im Versinken: »wissen Sie, daß ich einen heillosen Bammel habe?« + +»Wovor?« + +»Nun vorm öffentlichen Auftreten! Lieber ins Trommelfeuer, in einen +Gasangriff als auf die Rednerbühne! Ein Zustand, in dem man sich nach +einem Schlaganfall sehnt --« + +»Dann --« + +»Würden Sie es lassen, wollen Sie sagen!« + +»Ich meinte eigentlich, damit bringen Sie doch der Partei ein großes +Opfer.« + +»Nicht so ganz. Es ist doch hier wie überall ein gehöriger Schuß +Eitelkeit dabei. Und der Ärger, daß man diese Angst, diesen kleinen +Schweinhund, nicht unterkriegt.« Die jungen Pferde gingen unruhig in +seiner Hand. »Sehen Sie, meinen Tatterzustand merken selbst die Rösser.« + +In dem Gasthof, dessen Saal für die Versammlung bestimmt war, spannten +sie aus. Der Wirt, gar nicht unterwürfig, ein trockener, grader, ernster +Mann mit soldatischem Blick nahm den Baron gleich beiseite. + +»Ich habe die Rednerbühne eben noch umstellen lassen.« + +»Warum?« + +»Sie stand doch an der Wand unter dem Altan.« + +»Nun ja -- und?« + +»Die Galerie hat unser Janhagel besetzt.« + +»Ja so. Und nun meinen Sie, aller Segen kommt von oben!« + +»Ich trau ihren Taschen nicht und nicht ihren Manieren, solange die +Berliner Hetzer hier herumwirken.« + +»Die Hetzer. Da haben wir sie wieder.« Aber in des Barons unwillig müde +Züge war jetzt etwas freudig Gespanntes getreten, eine Kampfeslust. Sein +Kulissenfieber war gebannt. + +Der Saal füllte sich, Bürger, Arbeiter, Frauen. Ein paar Mütter kamen +mit Kindern angeschleift. Versteckten sie dann aber, doch bedenklich +geworden, zwischen ihren Knien. + +Behutsam fanden sich jetzt auch einzelne Honoratioren und Akademiker +ein, Herren vom Gericht und vom Gymnasium. Ihre Damen waren wohlweislich +zu Hause geblieben. + +Gar nicht behutsam aber trat Dr. Georg Stump auf den Plan. Er gab +Deutsch, Religion und Turnen am Gymnasium, war mit seinem ungebärdigen +Draufgängertum ein Schrecken des Direktors, aber ein Abgott der jüngeren +Jungen. + +Er musterte die Arena, hob den kurzgeschorenen Bulldoggenkopf mit den +großen runden Augen zu der Galerie empor, auf der sich die knallrote +Jungmannschaft, von zwei Berliner Spartakisten betreut, mit +weltüberlegener Grandezza hinlümmelte. Aha, sagte er sich, da seid ihr +also! Eure Anwesenheit, eure Haltung und Führung verspricht Erlebnisse. + +Jetzt erschien ein Trupp, der auf der Galerie Bewegung weckte. Siedler +waren es, die von Hohenmoor zu Fuß gekommen, zehn Mann, Elbenfried und +Eggert unter ihnen. Dankwart, der sich von seinen Tabellen nicht trennen +konnte, und Gisbert, der im Dienst war, hatten Kunz bewegen wollen, +mitzugehen. Der aber erklärte: »Politische Versammlung -- nee Kinder! +Lieber 'n Geburtshilfekursus in Ostgalizien!« Pfiff seinem Muz, nahm die +Büchsflinte und suchte zwischen Schnee und Mondschein jagdbares Wild. + +Auf der Bühne versammelte sich jetzt das Komitee, Mitglieder der +bürgerlichen Parteien, die wohlmeinend und ganz allgemein zu einer +»Aussprache der Vaterlandsfreunde« eingeladen hatten. Auch die +Sozialisten hatten zwei Redner gemeldet. + +Vorsitzender war Herr Holzhändler Dobbertien, ein ergrauter Demokrat +guten alten Schlages, mit gesundem vaterländischen Empfinden. +Treuherzig, gemütlich, gütig, gerecht, von erklecklicher Ruhe, der +rechte Mann am rechten Platze -- durften nur die Wogen nicht allzu hoch +gehen. + +Er eröffnete die Versammlung. + +»Männer und Frauen«, begann er. Da unterbrach ihn quarrendes +Kindergeschrei. »Und Kinder müßte ich eigentlich fortfahren. Aber das +können Sie wirklich nicht verlangen. Wir sind hier kein Säuglingsheim. +Ich muß Sie bitten, die Kleinen zu Bett zu bringen.« + +Da klang es von der Galerie: »Die haben keen Kinderfräulein zu Hause«, +und der erste Kampfruf, der erste Auftakt für die Feindseligkeiten hatte +sich eingestellt. + +Die Mütter brachten die Kinder hinaus. Der Vorsitzende sprach unbeirrt +weiter. Sprach davon, daß es jetzt heiße, alle Mann an Bord -- alle zu +gemeinsamem Tun! Denn das Schiff sei leck gesprungen, die Stangen +niedergebrochen -- es treibe vorm Winde. Es müsse, müsse wieder +segelfertig werden, müsse dem Steuer wieder gehorchen, sonst gerieten +wir rettungslos auf Grund und müßten untergehen, allesamt. Und nur eine +Hilfe gäbe es aus der großen Not, daß wir allesamt Hand anlegten zu +gemeinsamem Werk. Allesamt, das wäre die Losung. So hätten sich hier +heute aus allen Parteilagern deutsche Männer und Frauen +zusammengefunden, die alle Zwistigkeiten vergessen wollten und Fühlung +miteinander nehmen für die eine große vaterländische Aufgabe. + +Der Ton dieser einfachen Ansprache war echt und warm. In diesem und +jenem Frauenauge glänzte es feucht. + +Die Worte hatten noch nicht ausgeschwungen, da sprang Dr. Stump in die +Höhe. + +»Darf ich ums Wort bitten -- zur Geschäftsordnung!« + +»Bitte!« + +»Oder vielmehr zur Hausordnung. Es ist nicht angemessen und nicht +gebräuchlich, daß in solchen Versammlungen geraucht wird.« + +»Quatsch!« schmetterte einer von oben. + +»Ich ersuche den Herrn Vorsitzenden, im Interesse der Redner das Rauchen +zu verbieten.« Georg Stump war selbst ein leidenschaftlicher Raucher. Er +ärgerte sich, daß er sich anständig benahm, während die anderen pafften. + +Der Vorsitzende zauderte. Seine Unentschlossenheit entfesselte die +Galerie. + +»Rauchfreiheit!« brüllte einer. An alles wird Freiheit als Schwanz +gehängt. Und ein anderer schrie gebietend: »Wenns mir roochert, rooche +ich!« + +»Abstimmen! Abstimmen!« riefen nachdrücklich ein paar Volldemokraten von +der heiligen Majorität. + +Die Glocke des Vorsitzenden drang durch. »Ich will kein Verbot +aussprechen,« erklärte er mit richtiger Taktik, »ich bitte die +Anwesenden im Interesse der Redner und der Damen --« + +Weiter ging es nun wirklich nicht. Warum mußte Vater Dobbertien auch so +altfränkisch sein! + +»Die Damen schmökern ja selbst!« mußte er sich von unten belehren +lassen, wo mehr als eine ihre Rauchkringel durch die Luft drehte. + +Horst schüttelte bedenklich den Kopf. Der Kasten wackelt, ganz +lächerlich wackelt er. Wenn es so weiter geht, fällt er zusammen. + +Immerhin erreichte die Ermahnung des Präsidenten, daß die meisten ihre +Zigarre beiseite legten. Nur die souveräne Lebensart der Bergpartei +lachte ob so zager Rücksichtnahme. + +»Ich werde als ersten Redner jetzt Herrn Baron von Borkhus das Wort +erteilen«, bestimmte der Versammlungsleiter. Das »werde« war falsch. Es +ließ Möglichkeiten offen. + +Ein Murren rollte dumpf -- dann durchschnitt wieder der unsterbliche Ruf +»zur Geschäftsordnung!« die sich spannende Atmosphäre. + +Ein Sozialist erhob sich. Wir sollten doch nicht in den alten Fehler +verfallen. Es gäbe keine Privilegierten mehr, und daß jemand, der der +alten Oberschicht angehörte, den Vortritt vor den anderen Rednern hätte, +entspräche nicht dem Geist der Zeit. + +Mehrfache Bravos stimmten ihm zu. Aber gerade aus dem sozialistischen +Heerbann erstand ihm ein Widerpart. Die Herren »vom überwundenen +Standpunkt« sollten sich nur zuerst aussprechen! Es wäre schon die +richtige Anordnung: erst die alte, veraltete Zeit -- dann die neue! Der +das letzte Wort gebühre. + +Und noch ein Dritter wollte hierzu reden. Horst schlug sich aufs Knie, +daß es knallte. + +Ein junges Mädchen, das neben ihm saß, machte eine unwillige Bewegung. +Er hatte sie bisher gar nicht bemerkt. Jetzt wandte er sich wie zur +Entschuldigung an sie: »Sind wir nicht wieder einmal unsäglich deutsch! +Vor lauter Geschäftsordnung kommen wir nicht zum Geschäft.« + +Ein Paar große Schwärmeraugen glühten ihm ins Gesicht. Ein heißer, +höhnischer Mund sprach: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff.« +Dann drehte die Sprecherin sich ablehnend zur Seite. + +Eine Deutsche war sie -- nicht die Spur eines fremden Lautes war in +ihrer Mundart. Und nun diese leidenschaftliche Absage! In den Worten +schlug Stahl auf Stein -- wie sprühten die Funken! + +Horst lehnte sich lächelnd zurück -- womit hatte er solchen Zorn erregt? +Und spürte den flammenden Odem einer fremden Welt. + +Er besah sich die feindliche Nachbarin. Was mit den Augen, diesen +brausenden Feuern, sich gegen ihn gewandt hatte, war ein ziemlich +breites Gesicht gewesen, mit vollen Nüstern und fleischigen Lippen. + +Wie zart dagegen, wie fein und edel die Linien des Profils. Ein Genuß, +sie mit den Augen nachzuzeichnen. Der schlanken Biegung des Nackens zu +folgen, bis zu dem schweren, dunklen Haarknoten. + +Der ganz erlesene Geschmack ihrer schlichten schwarzen Kleidung zog die +Gedanken noch lebhafter an. + +Wer war sie? + +Aus seiner Frage warf ihn ein Tumult. + +Sie saßen immer noch in der Geschäftsordnungsdebatte. Da war in der +anderen Ecke des Saales jemand aufgesprungen. War dann auf den Tisch +gestiegen, eine junge, knabenhafte Gestalt, und eine helle, schmetternde +Stimme verkündete: »Was treiben wir hier für Albernheiten! Was dreschen +wir hier für Stroh!« + +»Sie haben nicht das Wort«, rief eindringlich der Vorsitzende. + +»Draußen stürmt der Geist der Zeit!« gellte die Stimme ungestört weiter. +»Die neue Revolution! Die volle Arbeit macht! Ohne die falsche verlogene +Sentimentalität! Die uns die erste verpfuscht hat! Das Chaos brauchen +wir! Für die neue Saat --« + +Die Neugierde und Spannung hatte dem eigenwilligen Redner Frist gewährt. +Jetzt drang der Unmut der Ordnungsliebenden durch. Die Glocke vom +Vorstandstisch übertönte die schreiende Willkür des einen. + +Und nun geschah etwas Bezwingendes mit fröhlichem Einklang. Der Riese +der Stadt, ein mächtiger Bierfahrer, nahm schmunzelnd den immer noch +Redenden wie ein Kind auf den Arm und setzte ihn vom Tisch. + +Ein Lachen ging durch den ganzen Saal, das die Galerie auf eine Minute +wehrlos machte. Dann setzten die wilden Rufe ein: »Ausreden lassen!« -- +»Redefreiheit!« -- »Haut den langen Laban!« Aber sie verpufften in dem +Raum, den der Humor ausgepolstert hatte. + +Herr von Borkhus aber durfte der Erwägung sich überlassen, ob es noch +ernstlich lohne, hier ernstlich zu reden! Eine Versammlung? Nein, ein +zwangloses, durch Ulk gewürztes Beisammensein! Der kleine Schweinhund in +ihm gab ihm sehr lebendig recht. Aber schließlich, die Menge wollte ihre +Sensation. Die zu Gast geladenen wollten ihr Bratenstück. Schon griffen +aller Augen nach ihm, dem unleugbar Kraft- und Saftvollsten unter den +Politikern hier, dem Gefeierten und Gescholtenen, dem Verehrten und +Gehaßten. Sie alle wollten ihn hören, die Freunde und erst recht die +Feinde. + +So trat die große schwere Stille ein, als der Vorsitzende verkündete: +»Das Wort hat jetzt als erster Redner Herr von Borkhus!« + +Der Redner erhob sich langsam und trat ruhig vor mit seinen wuchtenden +Schritten. Die Nerven schlugen in dem mächtigen Körper -- in gleichem +Maß schwangen die Fieber all der Menschen, die da unten sich ihm +entgegenspannten. Die Fühlung war hergestellt, der Gleichtakt der Pulse +in Liebe und Haß. + +Mit Orgelklang umfing die Hörer das schwellende Organ, und etwas wie +Feier war in dem, was er sprach. + +»Volksgenossen! Dies ist das deutsche Schicksal, dies der Herzschlag der +deutschen Geschichte: daß nichts auf der Welt die Kinder der deutschen +Erde über alle die Unterschiede, die die einzelnen voneinander trennen +oder gar miteinander verfeinden, zu einer festen Gemeinschaft +zusammenschließen kann -- nichts auf der Welt, als das grimmigste Leid! +Immer nur aus der tiefsten Not wird unsere Einheit geboren. Wann aber +ist unsere Not je so tief gewesen wie heute? Wann hat sie sich je so +tief in unsere Seelen eingefressen -- wann war ihr jemals soviel Schmach +beigemischt! Und darum müssen gerade unsere Tage, trotz aller Wirren und +Zerwürfnisse, uns in eine Zusammengehörigkeit schmieden, wie unsere +Geschichte sie noch nicht gesehen hat! Unsere Zusammengehörigkeit -- das +ist die große lebendige Macht, das ist der mächtige lebendige Wall, den +wir der Hörigkeit entgegenzusetzen haben, mit der die Feinde uns +bedrohen!« + +Mit lautem Bravo grüßten diese Rhetorik Gesinnungsgenossen und Freunde +der Wortprägung. Aber solche allzu frühe laute Anerkennung war +bedenklich. Schon kam Bewegung in die Reihen der Gegner. Horst sah, wie +es im Nacken seiner Nachbarin zuckte, wie feindlich die Nasenflügel +witterten. Die Lippen zogen sich kurz zusammen und entblößten die +spitzen, grausamen Zähne. Ein böses schönes Raubtier spannte sie sich. + +Der Redner spürte die Wellenbewegung wohl -- er wollte sie zwingen! + +Er sprach mit Hingebung von der Nation -- daß das Volkstum erst das +Leben des Staates sei. Es sei aber auch das Leben der Menschheit. Eine +andere Menschheit als die der Völker gäbe es nicht. »Nur als Deutsche +sind wir Menschen und können wir Menschen sein.« + +Hier fingen die Internationalen an, sich gemaßregelt zu fühlen, und ein +schon lebhaftes Murren rollte dumpf durch den Saal. + +Der Redner wußte, daß er ein heikles Gebiet betreten hatte, aber die +Gefahr steigerte und stärkte ihn. Mit hoch erhobener Stimme führte er +den Hammerschlag: »Und wir -- wir Deutsche haben unsere Menschenwürde +nur in unserem deutschen Empfinden!« + +Das schmetterte nieder auf die empfindlich gewordenen. Ein dumpfes +Aufstöhnen von Zorn und Wut -- dann brandete lauter Unwille gegen die +Rednerbühne. Die Geister erhitzten sich mehr und mehr und hetzten sich +leidenschaftlich auf. »Menschenwürde« -- dies Wort wurde zum Verhängnis. + +»Du willst von Menschenwürde reden!« rief es von oben, und dann brüllte +einer durch den Saal: »Du Würger!« + +Jetzt hatten sie den Kampfruf, den vernichtenden! Und wieder schrie es: +»Würger« -- und dann tobten sie da auf der Galerie im Chor und im Takt: +»Würger!« »Würger!« »Würger!« + +Borkhus zuckte zusammen, schmerzlich wild weiteten sich seine mächtigen +Augen. Wie Messer stachen die Rufe weiter auf ihn ein, da die Tobenden +sahen, daß er litt! Die Grausamkeit berauschte sich. Die Bestie hatte +die Pranken gezuckt. Blutdunst legte sich auf die Sinne. + +Alle hatte es aufgezogen von ihren Sitzen. Die einen zum Sturm, die +anderen zur Wehr. + +Eher als Horst war seine Nachbarin aufgesprungen. Ihre Glieder flogen, +Stichflammen brachen aus ihren Augen, durch die Lippen ging ein +zitterndes Schlürfen. Die ganze Gestalt war verzückte Gier. Ihm erschien +sie fast als Dämon dieser Stunde. + +Ihre Finger krallten sich um die Stuhllehne -- im gleichen Augenblick +brach und splitterte Holz auf dem Balkon -- Borkhus, der unter der Wucht +des furchtbaren Wortes sich gebeugt hatte, war jetzt aufgereckt -- die +Arme gestreckt, die Brust geweitet, wie zum Kampf trat er an den +äußersten Rand der Bühne. + +Da in tosendem Wettersturm brach es über ihn her, Trümmer von Stühlen +prasselten von der Galerie auf ihn nieder, zerschlugen ihm Kopf und +Gesicht -- über Augen und Schläfen rann ihm das Blut. + +Frauenstimmen kreischten und gellten auf. + +Horst war gleich an des Wunden Seite. Auch ihm flogen noch Geschosse auf +Schulter und Nacken. + +Schon aber war Dr. Stump fast über die Köpfe hinweg zur Tür geflogen -- +fünf von den Siedlern, der Balbutz und der heilige Josef voran, brachen +ihm nach -- sie wollten die Burschen da oben einsperren und dingfest +machen. + +Im Saale brauste das Meer. Die Glocke des Präsidenten, immerfort +geschwungen, hauchte sich aus in kläglichem Wimmern. Ein Fels in der +Brandung, stand der Riese, der Bierfahrer, die machtvollen Flossen +gehoben, drohend und beschwichtigend zugleich. Sie sagten, was Worte in +dem Tosen nicht vermochten; hier unten Hände in Ruh! + +Die einzelnen Gegner standen wie die jungen Hähne, Auge in Auge, Nase an +Nase -- sie zischten, schrien, keuchten sich ihre Wut ins Gesicht -- +aber die Fäuste blieben gebändigt. + +Und das rinnende Blut dort oben beschwor. Allmählich ebbte die Zornflut +ab -- + +Da tönten Schüsse auf dem Gang -- wieder die gellenden Frauenschreie im +Saal -- mit Schreck und Grauen zog vollends die Besinnung ein. + +Draußen aber zerstob ein erbittertes Handgemenge -- die eingeschlossenen +hatten den Treppenausgang forciert, brachen mit Übermacht durch, einer +schoß auf den feindlichen Stoßtrupp, Dr. Stump kriegte einen Streifschuß +am Ohr -- was seine Fäuste den Fliehenden mitgaben, wurden die in +Monaten nicht wieder los. + +Herr von Borkhus wurde von einem Arzt, der zur Stelle war, im Wohnzimmer +des Wirtes verbunden. Horst, der Handreichung leistete, blieb an seiner +Seite. Im Saal verliefen sich die Wasser. Ein Plätschern war es nur noch +-- schon konnten sie über das Geschehene sprechen, das hinter ihnen und +unter ihnen lag. + +Der Wirt besah sich den Schaden, auf der Galerie, auf der Bühne, und +drehte das Licht aus. Nur eine müde Flamme über dem Podium blieb +brennen. + +Und aus dem Dunkel, wie ein Spuk, schlürfte ein altes gebücktes Weib mit +Scheuertuch und Eimer. Stieg keuchend auf die Bühne und wusch +kopfschüttelnd und brummig das Blut von den Dielen. + + + + + Frei und gut ist dasselbe + + +Es war nicht weit von Mitternacht, als Herr von Borkhus mit Horst den +Wagen wieder bestieg. Strempel mußte fahren. + +Der Mond leuchtete die menschenleere Straße ab. In dem Torweg, dem +Gasthof gegenüber stand eine Frauengestalt. + +Ein junges schlankes Weib -- mehr konnte Horst nicht erkennen, zumal der +Verwundete ihn in Anspruch nahm. Dann aber, da sie abfuhren, blitzte es +ihm durch den Sinn: das ist deine Nachbarin, wer sonst! Was will sie +hier! Und wieder: wer ist sie? Wollte sie sehen, wie es mit dem +Verletzten stand? Um den sich sonst, im ganzen Orte niemand mehr +kümmerte? Sie als die einzige -- was trieb sie dazu? + +Borkhus hatte sich längst wiedergefunden. Die Schmerzen drückten ihn +nicht nieder, sie hoben ihn. Daß er selber litt, daran wuchs seine +Kraft, sein Trotz, das bannte den Schatten. + +»Ich würde es immer wieder tun,« sagte er, »der Würger«, frei und stark. +»Wer mir an die Offiziers- und Mannesehre geht -- wie ich ihn fasse, so +muß er dran glauben! Immer tät ich es wieder!« + +Jetzt dachte er an die vielen beschimpften, entehrten Kameraden. »Und +das tat ich für euch alle!« + +Horst sann nach und nickte düster und sprach: »Daß wir zum Symbol werden +-- jeder nach seines Wesens Bestimmung -- das ist unseres Lebens Sinn!« + +Borkhus nahm seine Hand. »Das ist das Wort! Zum Symbol werden! Wie ein +Ruf erging es an mich! Welt gegen Welt! Und -- ich konnte gar nicht +anders.« + +Es war dann, als käme Müdigkeit über ihn. Wieder aber regte er sich +lebhaft, und es klang fröhlich: »War ich nicht heute abend auch ein +Sinnbild: zerschlagen von den Stuhlbeinen der Galerie! Gibt es was +Erhabeneres? Hüten Sie mich Horst, daß ich nicht größenwahnsinnig +werde!« + +Doch jetzt brauchte er seine Ruhe und sprach nicht mehr. + +Horst aber tauchte zurück in den Abend, mit Trauer, Schmerz, mit Zorn +und mit Scham. + +Deutschland -- machst du es deinen treuen Söhnen nicht allzu schwer? +Sind deine Feinde, deine Folterknechte dir nicht blutig, nicht roh, +nicht feige, nicht heimtückisch genug -- mußt du dir selbst der +tückischste, der feigste Feind von allen sein! + +Ein deutscher Mann spricht die selbstverständlichen deutschen Worte! Er +sagt, daß du, Deutschland, deutsch bist und deutsch sein mußt. Was +geschieht? Er wird aus dem Hinterhalt gemeuchelt! + +In welchem Lande der Welt wäre so etwas denkbar -- dann vor allem +denkbar, wenn die Feinde, schlimmer als es im Kriege geschieht, dieses +Land zerfleischen und zertreten! In Guatemala nicht, bei keinem Stamme +der Maoris! + +Soll man sich immer wieder damit trösten, daß du das Land ohne Beispiel +bist, ohnegleichen im Großen wie im Armseligen, im Guten wie im +Verruchten? Und wie lange soll dieser Trost vorhalten? + +Ist es zu verwundern, wenn man schließlich da landet, wo diese +rätselhafte Fremde sich angebaut hat? Wie sagte sie doch, höhnend und +hart: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff!« + +International also -- pazifistisch -- eine Kommunistin offenbar. +Freilich, er hatte sich die »Petrolösen« anders gedacht. + +Ob sie in der Stadt ansässig war? In der, wie er wußte, seit geraumer +Zeit ein Agitationsherd brannte, mit lichterlohen roten Flammen. + +Ihr Gesicht wurde ihm lebendig. In diesem reizvollen Gegensatz zwischen +seinem Vorn und der Seite. Diese fast derbe, sinnlich grausame +Leidenschaftlichkeit der vollen Züge -- so viel feine spröde Geistigkeit +im Profil. Und in dem Ausdruck des Ganzen ein Schmerzliches -- zu der +flammenden Anklage eine stille Klage. + +Jetzt war er dicht daran, sich auszulachen. Faselt dir nicht deine +Fantasie was vor? Deine Weibentwöhntheit treibt mit dir ihren +Schabernack, den sie als »weiberfest« dich rühmen. + +Zum Teufel mit dem ganzen Weiberkram! Daß der sich immer wieder +ungerufen melden muß! Und ist doch kein Platz für ihn, jetzt in dem +Siedlungswerk. + +Er denkt an die Genossen, die heute auch dabei waren -- die sich wieder +mal einsetzten mit Leib und Leben, wenige gegen viele. Daß man an diesen +deutschen Jungen seine Freude hat, ist das nicht der Inbegriff! + +Wäre es nur nicht deutsch gegen deutsch gegangen! Gegen undeutsch, ja! +Aber gegen dieses Undeutsch, das nun einmal so verteufelt deutsch ist! +War so und wird so sein! Ist unser Fluch! Und stammt aus unseres Wesens +Tiefe! + +Und wieder schlug ihn der große Schmerz. Und der Schmerz schlug ihn +hart. + +So heißt es aus dem Fluch Segen bereiten! Vielleicht, daß wir sonst +einschlafen würden und in Faulheit ersticken! Nun heißt es für uns, +nimmer müde sein! Wachen und schaffen! Und schaffen und wachen! So heißt +es! Und so soll es sein! + +Horst fand die Freunde und die ganze Mannschaft noch auf den Beinen. +Fast gleichzeitig mit ihm waren die Fußgänger eingetroffen. Jetzt ging +es an ein Erzählen. Horst ließ mit Bedacht den Genossen das Wort. + +Der Balbutz übernimmt freudig den Bericht. Schildert mit einer +Anschaulichkeit, die keine falschen Farben nötig hat, der Handlung +Verlauf. Bemüht sich sachlich zu bleiben, bis der Schluß mit seiner +Klopffechterei ihm Gemüt und Stil bewegt und die Schleusen seines +Wortschatzes zieht. + +Die »feigen Halunken« und »elenden Hundeseelen« -- diese Ausrufe seines +Zornes wecken Widerspruch. Mulitz, der Maurer, schüttelt den breiten +Kopf, in den eckigen Augen zuckt etwas auf. »Das mußt nicht sagen, +Balbutz! Ein paar hatten einen Mordsschneid! Und -- Gesinnung ist +schließlich Gesinnung.« + +»Gesinnung -- Stuhlbeine -- viele gegen einen -- der ahnungslos und +wehrlos ist -- das ist Gesinnung? Schweinkram ist es!« + +Fünf stimmen ihm lebhaft zu. Andere nicken gelassener. Einer ruft: »der +heilige Josef soll reden!« Bei dem geht es ins Höhere und Tiefere, aber +sowas wollen sie jetzt. + +Gustav Elbenfried errötet wie ein Mädchen. »Ich soll --« + +»Ja, du sollst«, rufen jetzt viele. + +Der also Bestellte rudert mächtig mit den Armen durch die Luft, wie ein +großer Vogel, dem der Aufflug nicht gelingt. Dann erst kommt er in +Schwung, und seine Kinderaugen leuchten innig auf. + +»Ihr hört von mir immer das alte Lied. Was ist Schuld an dieser Tücke, +an diesem bösartigen Haß? Das, was die ganze Welt krank macht und +verdirbt. Das Geld ist es, der Reichtum. Vom Geld kommt deshalb alles +Üble, weil es das Lieblose ist. Darum macht es die Menschen böse. +Christus wußte schon, was er vom Reichtum sprach. Was hat die Kirche, +die selber Schätze sammelt -- was hat sie von je gerade hieran +herumgedeutet! Aber dies Wort müssen sie doch lassen stahn!« + +Gisbert ist zu dem heiligen Josef getreten. Er sieht in der einen Ecke, +wo der Schreiber Metzling sitzt, so etwas wie mißtrauische Blicke. +Unterschicht -- Oberschicht. Als ob die Offiziere schwiegen, um die +Leute auszuhorchen. Nun nimmt er selbst das Wort. Er spricht schlecht, +aber in dem, was er sagt, ist seine Seele. + +Daß Elbenfried recht habe! In Reichtum und Macht kann niemals der Mensch +sich ausleben, sich ausstrahlen, sich verwirklichen! In seinem Besitz, +in seinen Genüssen, ist er auf sich selbst beschränkt, sein eigener +Gefangener. Und so verdorrt er. Darum -- er muß, muß heraus aus seinem +Selbst. Nur so wird er frei, nur so wird er gut -- denn frei und gut ist +dasselbe. Und so befreit, in selbstloser Hingabe und Güte, gehören wir +nicht uns, gehören wir allen. So erst sind die Kerkermauern unserer +Endlichkeit durchbrochen. So erst haben wir teil an dem All, so erst +sind wir vereinigt mit dem Wirken des Ewigen. + +Dankwart rückt auf dem Stuhl, als brenne Feuer darunter, in seinem +schweren Augenlid wettert es mit Macht. + +Kunz aber springt in die Höhe. Seine Glieder fliegen. Etwas +Ungebändigtes zittert in seinen heißen Augen. »Alle und das All -- +wollen wir herumhampeln im luftleeren Raum! Wollen wir im Äther +vereisen! Deutschland ist das All! Wißt ihr, daß wir die Feinde im Lande +haben -- den Franzmann im Lande haben! Daß er uns das Mark aus den +Knochen zieht! Und daß wir wehrlos sind! Entwaffnet! Entwaffnete +deutsche Männer! Könnt ihr das aus- und zu Ende fühlen! Wollt ihr +darüber eure südasiatische Weisheit kleistern! Das eine will ich jetzt +wissen, ist ein einziger unter uns, der heut und morgen, so lange er +lebt und leibt, nicht mit Jubel und Hurra und Hosianna dem Landesfeind +an den Kragen geht, sobald der Tag der Erlösung naht! Und sich darauf +freut! Das sollt ihr mir jetzt sagen -- Du, Gisbert -- und Gust +Elbenfried, Du -- und Du, Maurer Mulitz. Seid ihr bereit und freut ihr +euch darauf?« + +Die Antworten waren ehrlich und schnell. »Das ist ja ganz was anderes!« +-- »Selbstverständlich ist das!« -- »Und natürlich freut sich jeder +darauf!« + +»Gut,« sagte Kunz und wischte sich die zornig feuchten Augen, und es +löste sich aus ihm wie ein Schluchzen. »Nach eurer Religionsphilosophie +brauchte ich das. Ich mußte das hören! Ich wäre sonst nicht einen Tag +länger in der Gemeinschaft geblieben.« + + + + + Frau Tilde + + +Mit dem Morgengrauen waren sie wieder alle Mann beim Bäumefällen. Auch +Gisbert tat heute hier Arbeit, und er tat fast des Guten zu viel. Was +seine feinen Glieder hergeben wollten, holte er heraus. So +leidenschaftlich war er am Werk, mehr als einmal mußte Elbenfried, der +Arbeitsführer, ihm Ruhepause auferlegen. Sie wußten alle -- und alle +waren ihm herzlich zugetan -- wie sehr er noch immer seine Kräfte zu +schonen hatte. + +Kunz war schlecht gelaunt. Er war heute beim Mundausspülen zu kurz +gekommen. Denn mühsamer als je war das Weckeramt von Gisbert und Muz +verlaufen. Unruhige Träume hatten ihn allzu schwer heimgesucht. + +»Dir verdanke ich das,« so klagte er Gisbert an, »Dir und Deinem +Hindutum. Die ganze Nacht habe ich es mit der Seelenwanderung gehabt. +Und Muz, der auf nächtiger Insektenjagd mit den Schenkeln die Diele +klopfte, gab den Takt dazu. Wisse es: meine Seele fuhr in einen Floh.« + +»Oh!« echote Gisbert munter. + +»Auf Muzens Fell trieb ich mich um, und in was für einer Gesellschaft -- +was für schwarze Seelen waren da beisammen! Weibliche zumeist. Da war +die Frau Potiphar und Herodias und Messalina und die Maintenon und Ninon +de Lenclos, Lola Montez und die Pepita. Die faßten sich an und tanzten +um mich herum im Ringelreihn. Und die dicke Messalina zog mich beiseite. +>Was bist Du für ein nüdlicher kleiner Flohhengst<, sagte sie, >aber so +schüchtern! So schüchtern!< Und weiß Gott, ich wurde verlegen. Floh sein +ist schon nicht so leicht. Aber ich sag euch, ein Floh in Verlegenheit +--! --« + +Die zuhörten, mußten lachen. Auch Muz freute sich. Und tat, was er dann +immer tat. Er drehte sich um sich selbst im Wirbel und spielte Greif mit +seinem Schwanz. + +Gisbert aber hatte genug. Er spähte, wo er sonst Hand anlegen konnte, +und brachte sich auf Hörweite in Sicherheit. + +»Du -- Gisbert -- das Wahre kommt ja erst!« rief Kunz ihm nach. Aber +Gisbert schlug schon mit der Axt, und die Späne sprangen. + +Kunz sägte mit dem Balbutz. Da waren die richtigen Kumpane beisammen, +doch die Arbeit flog. + +»So sind sie nun, die Bramaputraleute.« Kunz schnob vor sich hin. »Jedes +Lebewesen ist heilig! hat er mir eingeprägt. Und wiederum hat er mir +eingeprägt: in jedem unserer Träume ist eine Wahrheit. Nun also! Und +jetzt nimmt er Reißaus vor seiner eigenen Glaubenslehre.« + +Gisbert ließ im Arbeitseifer nicht nach. Eben weil sie ihn für einen +Träumer hielten -- wie gern nannte Kunz ihn die Lotosblume -- eben +deshalb wollte er hier seinen Mann stehen. + +Horst nahm sich den heiligen Josef vor. »Wir müssen uns nach dem +Befinden unseres Patrons erkundigen. Wollen wir nicht unseren Gisbert +dazu bestimmen! Er ist ja wie im Fieber und schuftet sich hier glatt +zuschanden.« + +Gisbert zuckte mit den Brauen bei dem Auftrag -- er fühlte eine +Bevorzugung und Entlastung. Aber die Disziplin saß ihm im Blut. Das Wort +des Werkführers galt. Nun war er auf dem Weg nach dem Gutshaus. Bald, +nach einer kleinen Stunde schon, kam er zurück. Wie schreitet er bloß, +dachte Kunz. Als ob er auf Wolken wandele. Und weiter forschte Kunz, der +ihn so gut kannte: Was hat er in den Augen? Ist das nicht wie ein großer +seliger Schreck? + +Und dann bestellte Gisbert, dem Herrn von Borkhus ginge es gut, seine +Tochter, Frau von Mönkhov wäre gekommen. Beide bäten Horst, Dankwart, +Kunz und ihn selber, abends eine Tasse Tee im Gutshaus zu trinken. + +Die Tochter des Herrn von Borkhus -- nun wußte Kunz, wovon sein Gisbert +so selig, bis in die Seele erschrocken war. -- + +Sie machten sich fein zu dem Abend, Horst, Gisbert und Kunz. Dankwart +konnte von seinen Modellen und Tabellen nicht fort. + +Borkhus war auf den Beinen und empfing sie. Seine schweren Augen +leuchteten gesund unter dem weißen Turban des Verbandes. + +»Der Aderlaß hat mir gut getan«, sagte er. »Meine Ischias hat sich +verblutet. Ich kann laufen wie ein besserer Faßbinder.« + +Und dann hatte er seine Tilde bei sich, seine Tochter. + +Sie hatte etwas still Verhaltenes, fast mädchenhaft Scheues, diese +schlanke, zarte, großäugige Frau, als sie den Herren gegenübertrat. Mit +kindlich verlegener Bewegung strich sie die Strähne zurück, die aus +ihrem reichen hellbraunen Haar sich löste. + +»Was sagt die Welt,« so erklärte der alte Herr die Sachlage, »die +wildesten Gerüchte über mich verheeren das Land! Setzt sich dieses +Mädchen nicht -- und sie soll Haus und Hof hüten, denn ihr Mann ist +nicht daheim -- setzt sie sich nicht vor Morgengrauen in den Schlitten +und läßt die Traber glattweg die fünfzig Kilometer fressen!« + +»Es ist eine glänzende Bahn«, entschuldigte sich Frau Tilde. »Und auch, +wenn wir die nicht hätten --« sie faßte still ihres Vaters Hand. + +Die drei jungen Männer musterten sich. Wie verändert sie waren! Welch +ein Glanz auf ihnen lag, welche Farben sie trugen -- von dem Wesen der +Frau. Sie, die das harte, graue, lichtlose, lustlose Barackenleben +einschloß. Nun rieselte es über sie von der hellen Wonne. + +Und listig lauerte auch wohl jeder, wie die anderen ihre eigenen Farben +spielen ließen, zum Werben. Nur daß Gisbert sich schnell und ganz begrub +in die Märchenferne dieser Frauenaugen. + +Worüber sprachen sie bei Tisch? Über Deutschlands Wunden, in der Andacht +ihres Schmerzes. Von ihrer Unfreiheit, ihrer Knechtschaft, ihrer +Schmach. Frau von Mönkhov sagte: »Nun haben wir es nicht mehr, das +stolze Wort: mein Haus ist meine Burg. Jetzt müssen wir uns schon an +Meister Ekkart halten, der uns lehrt, daß unsere Seele unser Bürglein +sei.« + +Wie schwang und klang es in Gisbert auf. Welch ein Lichtband schlang +sich um ihn und diese innige Frau. + +Horst aber gab seine harte Zweckmäßigkeit darein: »Nur sollen in diesem +Bürglein nicht zu viel der frommen Träume umgehen.« + +»Ihnen ist es ums Schaffen. Mir auch. Aber das bleibt nun die Wahrheit: +produktiv sind wir nur solange als wir religiös sind.« + +Kunz aber kaute schon wieder an seinem Zorn. Daß wir uns vor lauter +Geistigkeit nicht zu lassen wissen, das ist unser Verderb! + +Und der alte Herr, in einer Art mitleidiger Angst, meinte: »Gut, daß +Achim, Dein Mann, Dich nicht hört!« -- Für den war Religion das rote +Tuch. »Religion, so nennen die Menschen ihre Alterserscheinung --!« + +Mit Achim von Mönkhov kamen sie zu den Tagesereignissen. Er hatte seinen +Koch auf den Schub gebracht, und der spielte jetzt in der Kreisstadt +unter den Radikalsten eine Hauptrolle. + +Der Vater wollte Einzelheiten hören. Hier griff die Politik in die +Familie. Zögernd und ungern erzählte Frau Tilde. Der Mann sei von Tag zu +Tag aufsässiger geworden, bedrohlich zuletzt. Da habe ihn Achim +kurzerhand hinten am Rockkragen genommen, ihn vor sich her immer mit +steifem Arm, zum Hause hinaus über den Hof bis zum Tor geschoben. Und +ihm unterwegs in seiner eiskalten Ruhe gesagt: »Zum Lohn für Ihre +unvergessenen Wildpasteten besorge ich dieses eigenhändig.« + +Die Zuhörer wollten dies als ein sehr sauberes Stücklein gelten lassen. +Tilde aber schüttelte ablehnend den Kopf. »Nichts auf der Welt macht so +böses Blut wie diese üblen Handgreiflichkeiten. Und wollen wir uns +untereinander denn immer mehr erbittern!« + +Ihre Augen möchten der Märtyrerkrone ihres Vaters liebes erweisen. Aber +dann erschrak sie vor dem Schatten in seinem Blick. Und der Gedanke an +seine eigene schwere Tat trübte ihr den Sinn. War es nicht die wildeste +aller Handgreiflichkeiten, was auf ihm selber lastete? + +Aber schon war Kunz zur Stelle. »Gnädige Frau, es gibt einen alten +niedersächsischen Spruch: + + »Wur all dat anner beden nich düest, + dor beden am besten de beiden Füest.« + +Diese betenden beiden Fäuste -- sie gehören nun einmal zum Inventar der +deutschen Welt. Und für mich gibt es keine Religion ohne die. Mir soll +nun einmal keiner den Christus nehmen, der das Schwert gebracht hat und +dem seine Mannen Heeresfolge leisteten! So wenig wie den Gott, der Eisen +wachsen ließ.« + +Sie sah den Sprechenden an mit ihren weiten Augen, nicht verweisend, +nicht zustimmend, gütig und doch fern. »Vielleicht bin ich zu müde +geworden für das alles.« Sie mußte wohl diesem lohenden Kreise die +Blässe erklären, die sie selber fühlte. »Vielleicht habe ich mich erst +zu erholen von den vier langen Jahren der Angst. Um die vier, die ich im +Felde hatte. Von denen zwei nicht wiedergekommen sind.« + +Die zwei waren ihre Brüder. Der Vater legte die Hand auf ihren Arm. Sie +strich sich das Haar aus der Stirn. Ihre Augen blieben tapfer. + +Dann suchten und fanden sie alle festen und gesunden Boden in dem +Nächstliegenden, dem Siedlungswerk. + +Frau von Mönkhov begann sich fast freudig zu beleben. Jeder Winkel des +Geländes war ihr vertraut. Sie machte Horst noch besonders auf eine +Mergelgrube aufmerksam, die längst nicht richtig ausgenutzt sei. Wobei +ihr Vater das komisch lange Gesicht eines Getadelten aufsetzte. + +Diese großen Augen der stillen Frau, sie waren jetzt heimgekehrt aus +ihren Fernen, sie hatten einen nahen vertrauten Glanz gewonnen. + +Gisbert saß wie ein Betender. + +Und jetzt fragte sie fraulich, mütterlich nach dem Wohngelaß der +Siedler. + +»Wir haben es sehr gut«, sagte Horst. + +»Wunderbar haben wir's!« erklärte Gisbert. Ihm hatte schon ihre bloße +Frage aus dem Holzstall ein Feenschloß bereitet. + +Nur Kunz machte ein beschauliches Gesicht. »Ich weiß nicht,« bemerkte +er, »ob es fantastisch ist, bei einer Bettstatt an gehobelte Bretter zu +denken. Ein so rühriger Schläfer, wie ich es nun einmal bin, darf +getrost sein Fell nächstens einem Holzhändler zur Ausbeute überlassen.« + +Frau Tilde, lächelnd, erkundigte sich jetzt nach der Beköstigung, nach +der Küche. + +»Unser Essen ist gut«, bestimmte Horst. + +»Herrlich!« sang Gisbert aus seiner Höhe. + +Kunz aber starrte wie entseelt vor sich hin. + +Borkhus, dem er Spaß machte, weckte ihn und forderte genußsüchtig: »Sie +müssen auch Ihr Sprüchlein sagen.« + +»Soll ich? O Du mein! Unser Koch ist Installateur von Beruf. Die +Wasserleitung ist sein Leben. Teekesselfett ist sein Element. An seiner +unsterblichen Kartoffelsuppe hat er unverzagt solange gearbeitet, daß er +jetzt imstande ist, sie sogar ohne Kartoffeln herzustellen.« + +»Danach sehen Sie eigentlich nicht aus«, meinte Frau Tilde. + +»Oh, wenn ich mir nicht dann und wann ein paar Gabelbissen +zusammenwilderte --« + +»Lassen Sie sich nicht dabei kriegen!« drohte Borkhus. »Und wer bereitet +Ihnen wo diese Leckereien zu?« + +»Das sag ich nicht.« Ein Schlingel verkroch sich in seinen Augenwinkeln. + +»Aber erschrecklich unsozial ist das doch!« gab Frau Tilde darein, mit +scherzendem Ernst. + +Kunz schmunzelte: »Eine Krickente -- dreiundzwanzig Kostgänger -- und +die soziale Frage! Da ess' ich den Vogel todesmutig allein. Aber ich +werd mir jetzt alle Mühe geben, genossenschaftlicher zu schießen, und +mir einen Hirsch langen.« + +»Das wird Ihnen leid,« knurrte Borkhus, dem es jetzt doch über die Leber +lief. + +Seine Tochter aber wollte noch mehr von dem Barackenleben wissen, zumal +von seinem geistigen Bau. Und Horst berichtete kurz von ihrem kleinen +Staat. Ein Wahlkönig steht an der Spitze. Von den Mannen erkoren -- und +absetzbar, sobald er versagt. Bei den einzelnen Arbeiten sachverständige +Leiter. Im übrigen keine Rangunterschiede. Jeder hat den Wert seiner +Kraft. + +»Womit die Rangunterschiede gegeben sind!« knurrte der politische alte +Herr. + +Dazu Horst: »Wer kann die Unterschiede aus der Welt schaffen? Die +Unterschiede sind die Welt. Dafür wandeln sich ihre Grenzen und +Übergänge. Gerade in ihrer Beweglichkeit sind sie das Lebendige und das +Ewige. Und darum auch der Inbegriff aller Freiheit. Deren Tod ganz +einfach die Gleichheit wäre.« + +In Gisbert drängten seine Empfindungen zum Worte. Er wußte, wie schwer +er die Rede meisterte. Die natürliche Scheu des Mannes, vor einer Frau +-- und nun gar vor dieser Frau! -- seine Mängel zu zeigen, lag schwer +genug auf ihm. Aber, was er fühlte, wollte ans Licht. + +»Unterschiede -- warum sprechen wir so gerne von den Unterschieden? +Warum nicht lieber von dem Gemeinsamen! Von der großen Sehnsucht, die in +allen lebt. Und in der sich alle zusammenfinden. Wie alle Wasser zum +Strome, wie alle Ströme zum Meere fließen. Derselbe Zug in uns allen. +Suchende, Wandernde wir alle, die der Schmerz unserer Endlichkeit +treibt. Warum uns stören, uns hindern und bekämpfen mit den armseligen +Gegensätzen, statt die große Gemeinschaft uns tragen zu lassen! Zu +unserer aller Ziel -- dem Gemeinsamen! Hinein in das Bewußtsein und den +Besitz der Unendlichkeit!« + +Er rang an den Worten, mit den Worten, in denen mehr war als das karge +ihrer Allgemeinheit. Der Reichtum war in ihrem Klang, und dieser Klang +war Seele von seiner Seele und war wie der Glanz seiner inbrünstigen +Augen. Heilig war ihm, was er bekannte -- aber dann erschrak er, daß er +bekannte. Und die kleinen Fragen kamen: wollten sie das hören -- und +gehörte das hierher? + +Und verlegen fühlte er sich zu Kunz zurück, dem Freunde, dem so anders +beflügelten, aber dem Freunde doch. Der ihn liebevoll aufnahm mit +offenen Augen, wenn auch der lächelnde Unmut nicht schwieg. Die +Lotosblume! Kann das Leuchten nicht lassen! + +Frau Tilde horchte in sich hinein. Da in der Tiefe läuteten dieselben +Glocken. Sie hatte es bisher vermieden, in der Scheu vor dem +Gleichgearteten, dessen sie auf den ersten Blick sich bewußt war, +Gisbert die Arme aufzutun. Jetzt aber, wo der Gleichgestimmte Zeugnis +ablegte, umfaßte sie ihn mit einer Art wehen Zärtlichkeit und blieb an +seiner Seite. + +»Ich fühle wie Sie«, sagte sie einfach und fest. »Und was die Zeit auch +von uns fordert, es ist etwas da, was über der Zeit ist. Dahin schauen +wir, dahin ziehen wir --« + +Horst sprach: »Wir wollen uns die Sterne nicht nehmen lassen. Auch sie +gehören zu der Erde. Aber der Festtag sind sie. Und heute, wenn wir +unser Leben leben wollen -- auch den Festtag müssen wir zum Alltag +machen! Es gibt keine Feste!« Hart, eng, unerbittlich und rauh wurde Ton +und Gedanke. Er stockte und schwieg. + +Kunz aber packte unter dem Tisch seine Hand. »Es gibt keine Sterne! +Solange es kein Deutschland gibt, gibt es keine Sterne!« + +Und das Zeugnis dieser Schwurgenossen, lauter, näher, trotziger als jene +Seelenrufe und voll Bitternis, es blieb Herr über die Geister. Sie alle +bannte es, denn in ihnen allen war das zitternde Schwingen der einen +Not. + +Herr von Borkhus brauchte Ruhe. Die Gäste brachen auf. + +»Müßte ich nicht morgen wieder nach Hause,« so wandte sich Frau Tilde an +Horst, »würde ich mir Ihren Bau einmal ansehen. Und Ihre Kartoffelsuppe +probieren. Und Ihnen« -- jetzt kam Kunz an die Reihe -- »würde ich aus +unserem Handwerkskasten einen Hobel mitbringen.« + +»Für mein Fell oder für meine Seele?« gab der zurück und verbeugte sich +lächelnd. + +Gisbert bekam keine Munterkeit zu hören, ihm gab sie nur still die Hand. + +Und nun schritten die drei Männer durch die Winternacht heimwärts. + +Heimwärts? Das Wesen der Frau geleitete sie wie ein Glanz. Ihre +Zartheit, das Gepflegte des Körpers wie des Geistes, die Kultur Leibes +und der Seele -- von ihrer Stimme der Klang, dies Aufleuchten ihrer +großen Augen aus wehmütiger Tiefe zu strahlender Sicherheit, der +Pulsschlag ihres lebendigen Wortes, der gütige gebende Druck ihrer +feinen sorgenden Hand -- alles das war mit ihnen. Das Frauliche war um +sie. Von der Mutter her, von der Geliebten her, das Gehegtsein, das +Umfangenwerden, das geborgene Hausen -- diese Klänge begleiteten den +Takt ihrer Schritte. + +Was winkte ihnen? Der kalte, düstre, niedere Stall. Wo jeder +eingepfercht war in der lieblosen Verlassenheit seiner Schlafbucht. + +Die Weichheit war bei ihnen allen, das Heimweh. + +Horst machte sich traumfest. Er zog, wie immer dann, den Buckel krumm +gleich einem Tier zum Sprunge und warf sich nun schonungslos in die +Wirklichkeit der Pflichten. + +Kunz aber beschwor mit Bedacht einen weniger holden Geist gegen die +Lichtgestalt, die mit ihnen schwebte: »Wer mag dieser Achim sein, dieser +Ehegatte? Was weiß man sonst von ihm, als daß Religion ihm +Gehirnverkalkung ist? Und er einen Koch im steifen Arm verhungern läßt?« + +Gisbert machte keinen Buckel und beschwor keine Geister -- er zog seine +Lichtbahn. + +Wie die Baracke vor ihnen aufdrohte und die beiden -- hinein ins +Verderben! -- ihre Schritte beschleunigten, blieb er zurück und im Takt +seiner Musik. Als Kunz sich nach ihm umdrehte, erklärte er: »Ich gehe +noch einmal an die See.« + +Sie ließen ihn und sprachen von der Arbeit, von morgen. + +»Wir müssen Pferde kaufen, Kunz. Die Preise steigen ins Schwindelhafte.« + +Kunz, der von der Kavallerie her kam, war ein gewiegter Roßtäuscher und +jedem Pferdeschmeißer und Viehhändler gewachsen. + +Gisbert ging an die See. Der abnehmende Mond, schwer in dunklem Gold, +stieg aus der Flut. Langsam, wie lastend, rollte der rote Schein über +die gebändigten Wellen. Wie in Trunkenheit wiegte sich die leise +Brandung, erschrak, wenn sie rauschte, und gewann das Schweigen. + +Die helle Nacht trank alles in sich auf, was noch sprach und flüsterte. +Alle Stimmen, alle Schwingungen der Welt mündeten in die große +Sternenstille. + +Und Gisbert, was er mit sich trug, was ihn erfüllte und quälte und +bewegte, was in ihm klagte und jubelte -- es löste sich ihm alles in die +lichte Unendlichkeit dieser hohen Ruhe. + +Was die letzten Stunden ihm geschenkt hatten, das Wissen von dieser +Frau, ihre Nähe, die Gemeinschaft mit ihr -- »ich fühle wie Sie,« so +hatte sie gesprochen -- das alles blieb nicht in der Verzückung und in +der Begehrlichkeit des Rausches. Es stieg auf aus der Tiefe, befreite +sich von der Blutwärme, von dem Zittern der Sinne, verklärte sich in +diesem reinen kalten Licht über dem Leben und ging ein in das All. + +Und unter Schauern wird es ihm gewiß, ich habe den Weg, die Bahn steht +mir offen -- ich kenn' es und kann es, das »Stirb und Werde«! + +So stand er, verzaubert. + +Dann aber, als wäre es ihm um diese Sicherheit gewesen, zerbrach er die +Starrheit, reckte die Arme, und da er zurückschritt über die Heide, sang +seine Jugend ihr Lied. + +Sang das Lied dieser Frau. + +Hier meine Hand -- ihre Finger haben sie umschlossen. Meine Hand -- +sieh, Mond, du lieber, dummer, du gescheidter, meine Hand ist dies! +Meine glückselige Hand ist dies! Siehst du, wie sie leuchtet! Und so +leuchte ich selbst! Ganz und gar leuchte ich so. + +Auf Flügelschuhen schritt er, den Kopf gehoben, die Brust geschwellt. +Jauchzend die Seele. + +»Ich fühle wie Sie! Ich fühle wie Sie!« + +Und dann stürmte er jungenhaft über die Halde -- sprang über einen +erratischen Block -- fiel in den Schnee -- wälzte sich wie ein Füllen, +alle Viere gestreckt, und lachte wie ein Narr, wie ein Kind. + +Lebhaft trat er in sein Gelaß. Kunz war im Einschlafen. Ward ungehalten +und lallte ihn an: »Was fällt Dir ein -- Du trampelnder Mondstrahl -- Du +brüllende Ätherwelle -- Du -- Du tobsüchtig gewordener Blütenhauch -- +--« + +Von dem Blütenhauch durfte er sich betäuben lassen zu ruhigem Schlaf. +Der konnte etwas ergiebiger sein, denn morgen war Sonntag. + + + + + Die fremde Frau + + +Der Vormittag gehörte jedem für seine Briefe und eigenen Geschäfte. Nach +Tisch gingen Horst und Kunz auf den Pferdekauf. + +Es war ein erfolgloser Weg. Zuerst war ein Bauernhof an der Reihe. Von +den Pferden kam hier eins in Frage. Das andere, ein Blender, hatte +schlechte Beine. Der Bauer wollte nur beide zusammen verkaufen. So +konnte aus dem Geschäft nichts werden. + +Auf dem Rittergute Buchhof, wohin sie dann gepilgert waren, gedachte +ihnen der Administrator -- der Herr war nicht zu Hause -- ein Paar +tiefsinnige uralte Kracken zu versetzen. Horst dankte kühl. Kunz aber +konnte sich den Zusatz nicht versagen: »Wir wollen nämlich Pferde kaufen +und keine Philosophen. Wir wollen mit den Tieren pflügen und Mist fahren +und uns nicht Memoiren von ihnen erzählen lassen.« + +Blieb noch Claus von Tangentien, der aber nur der Form wegen auf der +Liste stand. Denn zum Pferdehandel mit diesem alten Ammoniakiter -- wie +Kunz ihn getauft hatte -- zogen sie keine zehn Pferde. + +Die Dämmerung fiel schon ein, als die beiden weidlich verdrossen, den +Fuß auf Moorhofer Gebiet setzten. Die Abendsonne hatte sich in den +Nebeln überm Moor verblutet. Von den schneeigen Feldern zogen hungrige +Krähen müden Fluges nach dem Kiefernwald, bäumten dort auf und richteten +sich klagend und frierend ein für die Nacht. Da hinten die See hauchte +eisigen Daak über Dünen und Heide. + +Horst war ungehalten über den verlorenen Nachmittag. Er mußte noch etwas +ausrichten, so konnte er nicht nach Hause. Das Moor da unten +beschäftigte ihn. + +»Ich will jetzt doch endlich mal den alten Torfmeister aufsuchen. Kommst +Du mit, Kunz?« + +»Alte Torfmeister sind mir zu wenig Sonntagsvergnügen. Ich werd mich +aufs Stroh werfen und lesen.« + +Sie trennten sich. Kunz ging geradeaus weiter nach der Baracke zu, Horst +bog links ab die Straße, die am Dorf vorüberführte. + +Aus dem Boden stiegen die Nebel, vom Himmel fielen sie, das Wasser, das +Moor sandte sie her -- so schlugen sie über dem Schreitenden zusammen. +Voll Klage und Schauer war die Welt. Unbändiger als je zwang die +Schwermut ihn nieder. Er fiel in seine dunkle Stunde. Das wozu? und +wofür? saß ihm an der Kehle. War nicht doch alles umsonst und alles +verloren? + +Was hockt er hier -- in diesem kümmerlichen Tun! Was wird damit +geschafft? Was helfen all diese armen Kleinigkeiten, wo selbst das Große +uns nicht retten könnte! Das Große! Wenn wir es hätten! Wenn es +aufstünde unter uns, das Gewaltige, Allbezwingende, das im Sturm uns +fortreißt, in dem einen machtvollen Fühlen und Glühen! Uns alle, alle -- +das Befreiende, die heilige Flamme, das heilige Licht --! + +Was würde geschehen mit diesem Großen? Würden wir selber es dulden? +Würden wir selber es uns nicht in Stücke zerschlagen! + +Wir Deutsche -- wir Deutsche! Wir die ewigen Vandalen an uns selbst! +Wir, die geborenen Zertrümmerer unserer eigenen Größe. + +Deutschland, das ewige Trümmerfeld -- nach unserem eigenen +fluchbeladenen Willen. + +Wozu bauen, was wir selbst doch wieder einreißen! + +Und was ich hier bauen will -- ist es nicht Kinderkram, wie aus der +Spielzeugschachtel! Was soll der Tand! Was soll der nützen! Ein Beispiel +sollte es sein, ein Gleichnis, ein Symbol -- ja -- + +Aber ein Symbol der Arbeit? Wer will das! Wer leistet dem Gefolge! Nehmt +das goldene Kalb und setzt die Dirne drauf oder den Magier, den +Geisterbeschwörer von Geschäft, und ihr habt die Leidenschaften der Zeit +mit ihrem Heerbann. + +Was kaure ich hier unter dem Schutt! Ein Fremder in meinem Vaterland. +Warum dann nicht lieber hinaus in die Fremde! Nach dem Süden, dem +purpurnen! In die Klarheit des Nordens! Nur, daß man sein Brandmal +trägt, den Galeerenstempel! Die Peitschenstriemen auf dem Rücken! Ein +Deutscher -- wehrlos, ehrlos. Wer will ihn! Welches Land öffnet ihm +seine Grenze! + +Vom Leuchtturm auf der Halbinsel ruft das Nebelhorn -- Töne fernher, wie +aus anderer Zeit, aus anderen Welten. Stöhnende Stimmen von +Urzeitriesen, Flüche, Verwünschungen, Todesschreie. Vor mir, um mich das +Niflheim! O ging es hinein in das eisige Vorweltchaos! + +Wie ein Ertrinkender erlebt er noch einmal sein Leben. + +Die jubelnde Jugend unter den strahlenden Augen, der fröhlichen Klugheit +der Mutter, die gesammelte Kraft des Soldatentums, trotz all dem +Kleinlichen und Lachhaften die ganze Größe des »ich dien«. Die Jahre auf +der Kriegsakademie in Berlin, wo Kunst und Liebe ihn so reich +beschenkten, und reich auch die stille Lampe bei seiner Wissenschaft. +Oft haben ihn die Kameraden »Schuster« gescholten, wenn er des Wüsten +und der Ausgelassenheit satt in seiner Werkstätte sich einschloß. Und +gerne saß er bei seinem Leisten, der Kriegsgeschichte. Eine Monographie +von ihm über die Schlacht von Saalfeld wurde gedruckt und trug ihm +brieflichen Verkehr mit Universitätsprofessoren ein. Dann hatte die +Strategie des Großen Kurfürsten es ihm angetan -- da kam der Krieg. + +Der Krieg! Der Krieg! Und nun riß das Grandiose, das Glorreiche, das +Ruhm- und Weihevolle -- ja, ja, das ist es bei allem, das bleibt es bei +allem, und dafür leben und sterben wir! -- wie riß es ihn plötzlich aus +seiner Verlorenheit in Nebel und Not! + +Und jetzt kroch er nicht mehr, er ächzte nicht mehr -- er hatte den Kopf +wieder hoch und schalt sich aus. Schäm dich, Horst Oldefeld -- +Neurastheniker mit Nebelhornbegleitung! Nun faßt du wieder Schritt und +tust, was du sollst und mußt -- und glaubst an dein Müssen -- und läßt +die Ausflüge ins Niflheim und in das eisige Urweltchaos. Du bleibst +hübsch säuberlich auf deutschem Grund in deinem Arbeitsschritt, du +bleibst in deiner Pflicht. Und wenn du das Kleine schaffst, denkst du, +daß aus Kleinem Großes wird, daß darum das Kleine mehr ist als das +Große! Siehst du! Und das denkst du, lachend und zufrieden! Und bist +einer und dünkst dir was! So, mein Junge, und jetzt ist es Abend, du +darfst ausruhen und müde sein. Die Tagesfahrt hat dich enttäuscht -- +sind nicht Enttäuschungen die Schwungfedern des Erfolges? + +Und ist dir für heute nicht noch etwas Sonderliches beschieden? Ein +Sonderling steht dir bevor, der Erdgeist dieses Landes, der +Schatzgräber, der die alten Geheimnisse des Moores ans Licht bringt, +zugleich der Totengräber des Kirchspieles, der neue Geheimnisse in die +Erde senkt. Lud Uhlenbrook, Torfmeister und Friedhofswärter seines +Zeichens. Ein besonderer Mann. + +Wohl muß man sich traumhaft feierlich stimmen, ihm zu begegnen. Und die +Brille zur Hand haben für Geister und Gespenster. + +Sind wir nicht hier an der Kirchhofsmauer? Jetzt steigt die Straße, +jetzt kann man hinüberblicken. + +Schwer hängen Dämmer und Nebel in den Sträuchern, den kahlen Ulmen, den +bereiften Edeltannen und ersticken das matte Schneelicht, das noch von +den Gräbern und Wegen aufsteigen will. + +Was huscht da und flattert zwischen den Grabhügeln? Ein Körperliches? +Ein Schatten? Verschwindet hinter den Bäumen -- schwebt wieder aus dem +Nebel -- eine irrende Seele --? -- + +Eine schwarze Gestalt -- jetzt hält sie der Blick -- eine Frau -- + +Horst kommt an der eisernen Pforte vorbei -- da tritt die Gestalt von +innen an die Kirchhofstür und rüttelt an den eisernen Stangen. Eine +Gefangene der Totenstätte -- -- + +Er geht hinzu. »Ich hab mich verspätet -- man hat mich hier +eingeschlossen!« sagt die Stimme von drüben, mehr ungehalten als +ängstlich und bittend. + +Ein bekannter Klang -- und jetzt sieht er die Züge: die Dame von der +Versammlung ist es. + +»Ich werde den Schlüssel besorgen«, sagt Horst mit schneller +Bereitschaft. + +Bei ihr ein Zögern. Sie betrachtet sich die Pforte, den Mauerpfeiler. +»Wenn Sie mir helfen wollen, komme ich so hinüber«, erklärt sie kurz +entschlossen. + +Er reicht ihr die Hand, sie setzt den Fuß zwischen die Stäbe, dann auch +den anderen -- Horst stützt und streckt den Arm -- sie klettert auf die +Mauer -- beugt sich -- legt die Hände auf seine Schultern und springt zu +Boden. Das alles in einer kühlen Ruhe, ohne betonte Zurückhaltung, ohne +regere Verbindlichkeit. + +Einfach spricht sie ihren Dank, verneigt sich und wendet sich nach der +Chaussee, die zur Stadt führt. + +»Es wird unheimlich dunkel -- und eine Dame jetzt allein den weiten Weg +--« er ist an ihrer Seite. + +»Mir tut niemand etwas.« + +»Wenn ich Sie begleiten darf --« + +»Das ist sehr freundlich. Aber ich kann wirklich allein gehen.« + +Hierin ist nun, bei aller Gelassenheit des Tones, die deutliche +Ablehnung. Horst verbeugt sich und wandert seine Straße. Ein wenig +beschämt -- ein wenig ärgerlich, über sich, über sie. Aber dann schilt +ihn nur noch die Ungehaltenheit über sich selbst. + +Aufdringlich -- ja, ja -- er ist es gewesen und ist ihr so erschienen. +Immer dieselben Funken, wo die beiden Geschlechter in Spannungsnähe +geraten. Die Eitelkeit entzündet sich, die Eroberungslust, die Habsucht. + +Hatte er es nicht ausnutzen wollen, daß er ihr den Dienst erwiesen? + +Gewiß, sie hat etwas, was ihn reizt. Ihre Persönlichkeit, die +schleierhafte Persönlichkeit --? Natürlich das Weib! »Persönlichkeit« -- +auch so einer von diesen Zauberapparaten, mit denen wir uns selbst +Kunststücke vorführen! + +Sie war auf dem Kirchhof. Es gibt Menschen, die für Kirchhöfe eine +Leidenschaft haben -- heißt, so lange sie selbst munter herumspazieren. +Ist sie von denen? + +Daß sie ein Grab hier hätte, sie, die landfremde --? + +Und da fährt es ihm durch den Sinn: der junge Mann liegt hier begraben, +den Borkhus erdrosselt hat! Groß geht es in ihm auf, bis zur Gewißheit: +ja, ja -- sie war an seinem Grabe -- hier ist der Zusammenhang! + +Er hatte es nicht begriffen, was damals aus ihren Augen brach, als +Borkhus in der Versammlung vor ihr auftrat. Das war mehr gewesen als +politischer Haß. Jetzt verstand er dieses Mehr. Der Rachegeist war es +eines vernichteten Lebens, das Blutgericht einer zerstörten Liebe, die +Tod wollte gegen Tod. + +Und wieder ging Horst einen schweren Schritt. + +Ein Schicksal -- und so erst mußte ihm dies zu Bewußtsein kommen. Wie +gedankenlos hatte er bisher diesen Todesfall abgetan. Wie leichtherzig +hatte er ihn als was Gleichgültiges, höchstens als ein Unbehagliches von +sich gewiesen. + +Erst in den Augen dieser Frau mußte sich das Geschehene spiegeln. + +Und es wuchs, über das Grauen der einen Tat, hinein in die große +Tragödie des Volkes. + +Herr von Borkhus selbst hatte es gefühlt, vergraben in die Schauer, +hatte es ausgesprochen, nur vor tauben Ohren: »Ein Deutscher erwürgt +einen Deutschen mit eigenen Händen! In unseren Tagen gemeinsamer Not! +Die Zeit der apokalyptischen Greuel kehrt zurück.« + +Nicht der einzelne -- und doch wieder der einzelne! Denn aus den +einzelnen wird das Volk, und in dem einzelnen ist das Erleben. + +Eines Mannes Ende -- eines Weibes Verlassenheit und Todestrauer. Eine +Nacht nur solcher Verzweiflung -- nur die wenigen, die langen Stunden +einer einzigen, einer langen, langen Nacht! + +Nun ist man im Fühlen, und das Herz schlägt mit. + +Eine Frau! + +Der endlose Zug der Frauen in schwarzen Gewändern wallt vorüber, der +Mütter, der Gattinnen, der Bräute, der Schwestern -- viele, viele wie +die Schatten, denn ihr eigenes Leben gaben sie dahin. + +Doch geheiligt sind sie, die Weihe ist über ihnen, die Weihe des Opfers, +das die Liebe brachte, die Liebe zum deutschen Land. + +Was aber jetzt im Trauerkleide diesem Todeszug sich anschließt, über +denen leuchtet nicht der Segen der Hingabe, sie tragen den Fluch und den +Haß. Um sie zuckt und schwelt das wahnsinnigste aller Verbrechen, der +Bürgerkrieg -- Land- und Eidgenossen morden sich selbst! + +O dieser namenlose Frevel an der deutschen Kraft -- an der Kraft der +deutschen Seele, an der Kraft unserer Wehr. + +Jetzt -- jetzt, wo wir so bitter nötig Eisen und wieder Eisen ins Blut +haben müßten, gerade jetzt spritzen wir uns Gift in die Adern! + +Eisen! Wo ist er, der Führer! Der Held von Eisen! Der große Rufer im +Streit! Der Lindwurmtöter! Der erst die Drachen im eigenen Lande +erschlägt. Und dann die Höllenhunde da draußen. + +Der Feind ist im Land! Das ist der Ruf! Der gellt in die Ohren, er +greift an die deutschen Herzen, und wären sie noch so zag, noch so träge +und weich geworden, noch so dumpf und so niedrig! + +Der Feind ist im Land! Wo ist der Heerkönig! Seine Fahne soll wehen! Wir +kommen alle, wir folgen dir alle! Ein Meer brandet auf, ein Flammenmeer +-- eine Sturmflut von Feuer, so brausen wir über die Feinde! + +Kreuzfahrer sind wir, geweihte, in Frommheit entbrannte, heilig, heilig +ist unser Kampf für das heilige deutsche Land! + +Sie haben Maschinen -- was sind Maschinen -- wir haben den Geist! Und +Gott ist der Geist! In Feuersäulen wandelt er vor uns. + +So brennen wir rein -- die deutsche Erde -- von ihren Schändern -- in +prasselnden Flammen -- so brennen wir rein -- in jubelndem Feuer -- den +deutschen Namen -- von seiner Schande. + +Der Welt stockt der Atem -- und die uns geschmäht -- sie jauchzen uns +zu! + +In hohen Sprüngen war Horst vorwärts gestürmt. Nun stand er keuchend. Wo +ist er, der große Mann! Warum fehlt uns der Führer in der schwersten +Stunde! Warum bin ich selbst ein so armseliger Zwerg! + +Wieder krochen die Nebel um ihn zusammen, wieder wollte er schmerzlich +und schwer in den alten Trott sinken. Da tauchte am Rande des Moores der +strohgedeckte Katen des Torfmeisters vor ihm auf, und das Ziel hob +seinen Blick ins Feste, Grade und Helle. + + + + + Der Torfmeister + + +Ein spärliches Licht aus einem der Fenster grüßte mühsam durch den +Abendnebel. Horst öffnete die Pforte des Heckenzaunes, der einen kleinen +Vorgarten einhegte, und trat dann durch die Haustür auf die dunkle +Diele. Links war das Licht, er klopfte, eine Stimme, die wie Donner +rollte, rief einladend: »Jawoll!« + +In dem niedrigen verräucherten Zimmer hockte ein grauhaarbuschiger +Riese, der Leib war in einen mächtigen schwarzen Wachstuchlehnstuhl +versunken, die Beine durchquerten den ganzen Raum, auf daß die Füße, in +ungeheueren Filzstiefeln, mit dem offenen Ofenfeuer treuliche +Nachbarschaft hielten. + +»Guten Abend!« grüßte Horst. + +»'n Abend«, polterte der Alte mit unglaublich gemütlichem Grollen +zurück. Und dann stöhnte er: »Wollen Sie sich setzen. Eh ich +aufgestanden bin, haben Sie längst vergessen, was Sie von mir wollen.« + +Horst holte sich einen von den schweren eichenen Holzstühlen. Er sagte, +daß er von der Siedlung käme. + +»Hab ich mir gedacht. Und wissen Sie, daß wir Feinde sind!« + +»Feinde?« + +Ȇber 'n Zehntel von meinem Moor haben Sie mir genommen! Aus meinem +Leben ist das rausgeschnitten. Denn mein Moor ist mein Leben.« + +Jetzt stöhnte er wirklich und aus der Tiefe. Die Hausbalken ächzten. +»Seit der Zeit hat es mich gepackt. Und nun ist nichts mehr mit mir los. +Haben Sie 'ne Ahnung, was Moorpodagra ist?« + +»Nein.« + +»Danken Sie Ihrem Schöpfer. Aber --« jetzt rieb er sich die +unermeßlichen Vorderflossen -- »vielleicht erleb ich's noch, daß Ihr +Siedler das auch abkriegt! Wär das -- wär das ein Schützenfest! +Hahahaha!« Das Haus lachte mit, die Wände, die Dielen, die Möbel. + +Mit dieser Verwünschung hatte seine Galle sich entgiftet. Die Augen, +große Spitzbuben von Natur und jung trotz der roten wimperlosen Lider, +waren schon wieder geneigt, das ganze Leben als eine erkleckliche +Schalksnarrheit halb ausgelassen, halb wehmütig zu betrachten. Er rührte +sein Fußwerk, sehr behutsam, es ging besser als er dachte. »Torfwasser! +Fünfzig Jahre Torfwasser! Torfwasser ist 'ne eigne Mixtur, kann ich +Ihnen sagen. Leichen erhält's. Lebendiges frißt es an.« + +Er hatte die Kniee krumm. »Na wollt ihr raus?« sprach er zu seinen +Stiefeln hinunter. Und da sah Horst aus jedem Schaft ein Köpfchen lugen +-- die grellen Augen stachen nach ihm. + +»Was haben Sie da?« fragte er überrascht. + +»Die fressen den Gichtwurm«, gab ihm der Alte zu wissen. »Werden selbst +aber nicht satt davon. Meine Wiesel sind das. Na lauft!« Die +fadenschlanken Tierchen schlüpften aus dem Fußgehäuse, liefen an dem +Riesen in die Höhe, umkreisten spielend seinen Nacken und schlängelten +sich dann hintereinander in ein Loch der Diele. + +Nun stand der Alte, reckte sich, nüsterte und schnob, fegte mit seinem +Haarschopf die Decke, hinkte zu einem Wandschapp und holte eine +Schnapsflasche mit zwei Gläsern. + +Sie saßen an dem klobigen Eichentisch. »Selbst gebrannt. Wacholder«, +erklärte der Alte. + + »Hüt' dich vor sünd'gem Wandel, + vermeide den Machandel! + +Na Prost!« + +Er stöhnte wie ein Ur. + +Horst sagte ihm, daß die Siedler seinen Rat und seine Hilfe brauchten. + +Wirklich! Erst nähmen sie ihm das Beste weg, und zum Lohn dafür sollte +er helfen! Christenlehre! Reißt dir einer die Tabakspfeife aus der Hand +-- gib du ihm Feuer, daß er sie sich auch anrauchen kann! Hahahaha! + +Die Stube schüttelte sich, der Eichentisch tanzte Ballett. + +Dann schimpfte er auf die ganze Moorwirtschaft hier. Nie hätte er +gekonnt, wie er wollte. Der Besitzer, Herr von Borkhus, hätte nun mal +keinen Sinn fürs Moor. Was ein Gemütsfehler wäre. Seine Tochter, Frau +von Mönkhov, hätte diesen Sinn -- und wäre die nicht, gäb es hier den +Torfmeister Lud Uhlenbrook längst nicht mehr. + +Das Zwanzigfache hätte sich allein aus dem Torfstich herausholen lassen. +Aber keine Unternehmungslust, kein Blick, kein Verstand. Selbst für die +kümmerlichsten Abfuhrstraßen hätte er bis aufs Blut kämpfen müssen. + +Und das Moor ist so brav, so fleißig im Nachwachsen, im Nachschaffen, es +gibt und schenkt so gern. So treu ist es gegen die, die es kennen und +liebhaben -- böse nur gegen die, die nichts von ihm wissen und nichts +von ihm wissen wollen. Ob er etwas von ihm wisse? + +Nein. + +Dann solle er sich nur nicht einfallen lassen, in einer Sturmnacht übers +Moor zu wandern. Wenn ihn die Schlünde und Gründe nicht verschluckten, +all das, was dann aufgeschreckt wäre aus den Tiefen -- heillos würde es +ihm die Sinne verstören. + +Arm und zu bedauern sei er, daß er nichts vom Moore wisse. Nichts vom +schlafenden Moor -- nichts von seinen Träumen -- nichts von seinem +Erwachen. Von den Moornebeln nichts, nichts von dem Moorleuchten. Von +seiner Frühlingspracht nichts, wenn die unzähligen goldenen Blumen es +bestirnten -- nichts von all dem Summen und Zirpen und Tirilieren, von +seiner Musik, so vielstimmig und so abgetönt wie keine auf der Welt. + +Und die Abenddämmer, die an das Geschwundene rührten -- die hellen +Nächte, da der Mond die Elfen ruft -- die schwarzgrollenden +Unwetternächte, in denen die geizigen Zwerge und Gnome mit ihren +Irrlichtern nachsuchen, wohin die Blitze ihr Gold gestreut. + +Was ruht alles im Schoß des Moores! Kämpfer und Helden, die das Gewoge +der Schlacht hier hineinstieß. Könige, die der Ruhm hier im Grabe +bettete. Selige selbstvergessene Frauen, die im Traumschritt +hinüberwandelten, und die der Tod hinabzog, selbst wie ein Traum -- +Unselige, die der Gram hier versenkte. + +Das Meer, das grausame, zerstört. Alles, was es hinabschlingt, gibt es +der Verwesung preis, den Zähnen seiner Bewohner, und wirft und speit die +eklen Reste wieder von sich -- das Moor sorgsam und sanft, balsamiert +alles ein, bewahrt dem Toten die Schönheit des Lebens, hat Freude an der +Form und Lust am Erhalten. + +So ist das Moor, denn das Moor hat ein Herz! + +Dies war der Klang, in dem der Alte sich vernehmen ließ, auf seine Art. +Und diese Art stieg über ihn selbst hinaus, da er dem, was ihm ans Leben +gewachsen war, seine Hymnen sang. + +Horst hatte seine Freude an dem Alten. Er wußte, daß sie beide auch +jenseits vom Moor sich nahe kommen würden. »Ich will mich bemühen,« +sagte er, »Ihren Freund zu verstehen. Und womöglich auch Freundschaft +mit ihm zu schließen.« + +Sie sprachen dann über die Torflieferung für den Ziegeleibetrieb. Dem +Siedlungswerk an sich war der Torfmeister zugetan, und er versprach ihm +seine Förderung. + +Und dann strömte auch ihr Fühlen und ihr Gespräch in die große deutsche +Not. Der Torfmeister hatte seine festen Gedanken. Dies war kein grader +Krieg -- schief kam er und aus der Ecke! Was ging uns um Haut und Haar +das an, was da unten bei den Mausefallenhändlern passierte! Ich war 66 +und 70 dabei -- da wußten wir, was wir wollten! Aber hier wußten wir +nicht mal, was die anderen wollten. Und darum, es war krumm und dumm von +vornherein. Und doch krümmer und dümmer, was wir all die Jahre vorher +angestellt haben, uns all die vielen Feinde aufzuhalsen. + +Hierüber brauchten die beiden sich nun nicht weiter zu verständigen. Sie +landeten jetzt bei dem Heute, bei dem, was diesem Landstrich beschieden +war. + +Hier hat es schon vor dem Kriege gezuckt und getuckt, sagte der Alte. +Gewiß, vieles, was so von Leuteschinderei geredet werde, sei Hetze und +Geschwätze. Aber mancher Gutsherr habe doch sein Teil auf dem Kerbholz. +Das Volk wäre ducknackig und trüge viel, aber es fräße alles in sich +hinein, und vergäße nie. Da hätte sich also schon was angesammelt. Und +jetzt, wo die Funken durchs Land flögen --! + +Wie es in Moorhof aussehe? + +Herr von Borkhus gehöre nun gewiß nicht zu den Gewaltherrn. Er habe ein +Herz für die Arbeiter. Aber er behandele sie nicht gleichmäßig. Leicht +risse sein heißes Herrenblut ihn fort -- hinterher täte es ihm leid, und +überschwenglich verwöhnte er dann die Leute. So aber bekäme man sie +nicht in die Hand. + +»Sie meinen also auch, uns steht hier noch verschiedenes bevor?« + +»Ganz gewiß. Wo jetzt die heftigen Brüder von auswärts kommen und das, +was hier glimmt, mit vollen Backen anblasen.« + +»In der Stadt hat sich ja jetzt was zusammengetan.« + +»Ja. Seit da nun noch der rote Magistrat die Fuchtel schwingt.« + +Und nun ist Horst wieder bei seiner Revolutionärin. »Sagen Sie mal, Sie +sind doch auch der Friedhofswärter?« + +»Ja -- und?« + +»Wissen Sie, daß da eben eine Dame eingesperrt war?« + +»Nein. Wer?« + +Horst beschreibt sie. Und jetzt kommt eine fliegende Erregung über den +grauen Riesen. Das sei Lona Grahl gewesen! Seine kleine Freundin! Die +habe das Grab ihres Geliebten besucht! Und nun müßte er, der Alte, mit +seinem kranken Beinwerk gerade den Schlüssel nicht haben! Die +Küsterdirn, die dumme, die sich vor Gespenstern fürchte, habe natürlich +in dem Nebel vor Abend schon blindlings zugeschlossen und danach +spornstreichs Reißaus genommen. »Aber sonst pflegte Lona doch immer nach +ihrem Kirchhofsbesuch bei mir einzusehen! Sollten Sie sie mir vergrämt +haben!« + +Fast zornig flammte es aus den alten jungen Augen gegen Horst. + +Der erhebt sich. »Es tut mir leid. Sie weiß, daß ich politisch ihr +Todfeind bin. Sie weiß auch um meine freundschaftliche Gesinnung für +Herrn von Borkhus.« + +Die schwere Pranke des Alten legt sich auf den Arm seines Gastes. Die +Aufwallung reut ihn. + +»Bleiben Sie noch sitzen. Die Kleine steht mir nahe. Ich hab sie als +Kind auf dem Arm gehabt. Sie stammt aus unserer Gegend. Ihr Vater war +Pastor in Unkvitz. -- Sie sehen die Kirche südwärts vom Moor. Das war +ein Mann -- was haben wir den geliebt! Zu dem gingen wir alle und nicht +zu unserem Pastor hier. Jung war er und fröhlich -- und wenn man ihn +bloß ansah, wurde man schon ein besserer Mensch. Und was konnte er die +Orgel spielen! Jeden zweiten Sonntag gab er ein Kirchenkonzert. Was +Beine hatte und Ohren drängte sich dazu. Und seine Frau sang, wie ein +Engel aus dem Himmel sang sie. Die war eine berühmte Sängerin gewesen, +aber ihren Mann hatte sie lieber als all ihren Ruhm. Und ganz plötzlich +-- ich weiß nicht, was der Herrgott sich dabei gedacht hat -- plötzlich +stirbt dieser Mann. Hatte an einem Krankenbett sich angesteckt. Die Frau +wurde wahnsinnig. Verwandte holten das Kind. Es war damals zwei Jahr. +Ich ging auch gerade zur Bahn. Da habe ich das Wurm den ganzen Tag +getragen. Und das war der Anfang unserer Freundschaft. Dann habe ich die +ganze Zeit nichts von ihr gesehen und gehört. Jetzt ist sie wieder +aufgetaucht. Und schlimm genug ist das, was sie wieder in die Heimat +geführt hat.« + +Der Alte stöhnte und schwieg eine Weile. + +»Als wir ihren Freund hier begruben -- sie war sein einziges Gefolge. +Der Geistliche, der hier damals amtierte -- unser Pastor Wärmann lag +noch verwundet im Lazarett -- na ja, er gab wohl her, was er konnte, +aber schließlich -- der Tote ein Revolutionär. Und sie die Geliebte +eines Revolutionärs. Die wahre Liebe und der wahre Trost war es nicht. +Ich hab dann die Kleine mit nach Hause genommen. Und an meiner Brust hat +sie sich ausgeweint.« + +Horst hörte hingegeben zu. Und nun sah er sie hilfsbedürftig in den +Armen dieses alten Mannes. Hilfsbedürftig -- das reimte sich ihm so +wenig zu ihrer Art. Und ihre Augen in Tränen -- diese Augen mit ihren +wilden Bränden und ihrer schaurigen Erloschenheit. + +Er wollte mehr wissen, aber er brauchte nicht zu fragen. Der Torfmeister +war mit dem Recht seiner Jahre redselig geworden. + +»Jetzt will sie hier bleiben. Sie hat sich in der Stadt niedergelassen. +Als Musiklehrerin. Aber die Musik -- na, vor allem macht sie jetzt hier +die Musik der Revolutionsmänner mit. Ihr Freund war Maler, und sie kommt +von der Musik her, und sie hat mir gesagt, was so die Jungen von der +Kunst wären, die wären alle revolutionär -- oder sie wären taube Nüsse.« + +»Wir haben auch noch eine andere Jugend!« sagte Horst lächelnd, mit +Bedacht. + +»Davon verstehe ich nichts. Aber -- bei alledem ist mir nicht behaglich. +Sie bleibt nicht bloß hier, um das Grab zu pflegen. Sie hat noch etwas +anderes im Sinn. Was manchmal in ihren Augen umgeht! Und wenn man daran +denkt, daß ihre Mutter im Wahnsinn geendet hat --! --« + +Horst packte zu. »Sie meinen, sie will sich rächen.« + +Der Alte sah ihm ins Gesicht. Dann sprach er unumwunden: »Ja. Und wo +hier jetzt die politischen Brandstifter herumwirken --« + +Die beiden Männer schwiegen. Und das Grauen rührte an sie, das durch die +deutschen Lande schlich. + + + + + Winternot + + +Der Februar brachte eine Bärenkälte. Was schimpfte Kunz in dem +bereiften, vereisten Schuppen! Gisbert hatte seinen Ohrenschmaus. + +»In Berlin haben sie vorgestern die hundertsiebenundsechzigste Tanzdiele +aufgemacht! Und mir frieren hier die Zehen ab. Hat deshalb die Schöpfung +in mir alle menschlichen Reize zusammengehäuft, daß ich zu Puppenlappen +verfrieren muß!« + +Gisbert blieb unanfechtbar, schwebend, über den Dingen. + +»Und Du, sag mal, hast Du immer noch Lust, ins All aufzugehen? Der Natur +-- von minus zwanzig Grad -- Dich einzuverleiben? Getreu Deinen Brüdern +am Indus, Ganges und Brahmaputra? Die sich da in die Sonne hinlümmeln +und sich die Bananen oder sonstwas in den Rachen wachsen lassen. Wir, +die wir hier in Schneehütten und Erdhöhlen hausen, Herrgott -- wir +müssen uns schon ganz in uns selbst hineinkonzentrieren! Daß wir +wenigstens etwas Warmes in den Leib kriegen! Der Unterschied zweier +Welten! Aber Du -- Du mit Deinem Astralgebein!« + +Dann kam Tauwetter, eine Regenperiode mit niederträchtigen westlichen +Winden. Und ein böser Gast fand in der Baracke sich ein, die Grippe. +Fast alle lagen sie auf der Nase. Horst, der noch soeben an einer +Lungenentzündung vorbeischrammte, blieb auf den Füßen, pflegte, half und +gab das Steuer nicht aus der Hand. + +Und wie eine Seuche liefen jetzt, wo sie ihre frische Arbeit nicht +hatten, die Unlust, der Überdruß, die fahnenflüchtigen Gedanken durch +die Reihen. Von Schimpfen, Stöhnen und Fluchen über das Barackendasein +klang der Bau. + +Wohl hatte Kunz das Instrument auf diesen Ton gestimmt. Und auch ihm +kamen bitterliche Stunden, in denen er Horst sein Herz ausschüttete. +»Ich mach nicht mehr mit, -- in diesem elenden Kasten -- wie ein Sarg +ist er -- ein Bretterkahn ist er, der in den Orkus hineinfuhrwerkt -- +ich steig aus! Nach der Großstadt will ich. Müll kutschieren will ich +oder den Gummibesen über den Straßenasphalt schieben!« + +»Du bist größenwahnsinnig«, erklärte Horst dazu. + +Dann gab er sich. Er mochte auch nicht zu dem Chorus gehören. Und da +Trübsal und Bitternis nicht abreißen wollten, warf er sich in seinen +alten Übermut, hielt sein Lachen parat, zornig und rüttelnd, und wusch +die Köpfe. + +»Hat das bißchen Schnupfen uns zu Jammerlappen aufgeweicht?« Für die +Braven und Zukunftsstarken schleppte er Rum herbei, ihnen braute er +heilsamen Grog -- wen gab es da, der nicht zukunftsstark wäre? + +Mit seiner Zupfgeige zigeunerte er an den Krankenbetten. Muz saß +andächtig dabei und hatte gespitzte Ohren. Dichtete an seinen Liedern +»vom heimlich-unheimlichen Suff« und sang sie ihnen. + + Jetzt sing ich euch das Lied vom Muselmanne, + er betete getreulich seine Suren, + zuweilen aber kriegt er seine Touren, + und flüchtete zu seiner Fuselkanne. + +Oder er warf ihnen so aus dem Handgelenk ganze Bündel Singsangreimereien +vor. + + + »Prost!« + + Herrgott in unserm Schuppen, + da ist der Deubel los, + wir haben all den Schnuppen, + wie leuchten unsre Kuppen, + im Hals da sitzt 'n Kloß. + Ich niese, du niesest, wir niesen, + uns kriegen am Kragen die Krisen, + und keiner und keiner sagt »prost«! + + Der Arzt verordnet Suppen, + er sagt, die ist famos. + Der Kunz besorgt uns Druppen, + die Schuppen-Schnuppen-Druppen, + wir saufen sie aus Tubben, + Das ist 'ne andre Schos. + Der Alte mit der Hippe, + das gierige Gerippe, + und seine Zippe, die Grippe, + die kamen angetost. + Doch unsere Schnuppen-Druppen, + die Schuppen-Schnuppen-Druppen, + sie, die gesund uns schrubben, + die schlagen dem Tod 'n Knubben! + Wir schwingen unsre Tubben, + er muß von dannen huppen, + und alle brüll'n wir »prost!« + +Den Rundreim faßte Muz jedesmal so auf, daß er sich um sich selbst zu +drehen und nach seinem Schwanz zu jagen habe. Und er tats mit Lust. + +Die Krankheit war erloschen. Aber eine Mattigkeit blieb, Unmut und +Düsternis wichen nicht so bald. Heute kam einer von der Mannschaft zu +Horst ins Schreibzimmer. »Ich möchte aus dem Verbande austreten,« +erklärte er, still, gedrückt. Leicht wurde es ihm nicht, das zu sagen. + +In Horst schrak etwas auf. Aber er blickte fest und gelassen. Er wollte +den Mann halten -- wieviel kam darauf an, daß die Reihe, jetzt in den +Anfängen, geschlossen blieb! Er mußte ihn halten! Dann aber, gerade +darum, in seiner Sprödheit, in der Schamhaftigkeit seines Gemüts, +verschmähte er jedes werbende Wort. + +»Wenn es Ihr klarer Wille ist --« + +»Ich kann eine gute Stelle in einem Bankgeschäft bekommen. Man darf doch +seinem Glück nicht im Wege stehen.« + +»Das darf man nicht.« + +Es war einer von den Lauen, von den Strohfeuermännern, von den weichen +Tieren. Aber einer der Geschicktesten und Arbeitsamsten, auch im +Schreibwerk zu Hause. + +Kunz trat darüber zu, der heute Bureaudienst hatte. Der das hören und +ohne jede Schamhaftigkeit den Mann sich vornehmen! »Das dürfen Sie +nicht, Radatz, und das tun Sie auch nicht. Gewiß, wir haben hier kein +Mönchsgelübde abgelegt -- aber wir wollen was zustande bringen. Man hat +die Augen auf uns gerichtet. Man glaubt an uns. Und -- was die +Hauptsache ist -- wir glauben an uns selbst. Darum gibt es bei uns kein +Abbröckeln. Gibt es nicht. Unsere ganze Siedlung ist ein Beispiel -- und +so ist jeder einzelne von uns ein Beispiel. Sie, Radatz, wie wir alle. +Und was wollen Sie jetzt wohl für ein Beispiel geben?« + +Kunz, der sonst so wortfreudige, sprach nüchtern und trocken. Der also +Bedachte schielte nach einer befreienden Ausgelassenheit und fand sich +gefangen in dem harten zwingenden Ernst. Es gab weiß Gott für Kunz auch +etwas, worin nicht mit ihm zu spaßen war. + +»Glauben Sie, daß sich uns andern nicht auch Aussichten auftun? Vor +allem unserm Baas, Herrn Oldefeld, der vier lebende Sprachen spricht und +darum, wie schon Napoleon sagte, allein so viel ist wie vier Menschen +--« + +Horst winkte heftig ab. + +»Nun ja, das alles erzählen Sie sich am besten selbst. Und jetzt werden +Sie tun, was Sie wollen. Sie werden also bleiben!« + +Der Mann bedachte sich nicht lang. »Ich will nicht der erste sein, der +hier abbaut. So bleibe ich denn.« + +»Hab ichs nicht gesagt. Und jetzt ziehen Sie sich mal Ihren +Sonntagsnachmittagschen wieder aus und vertreten Sie mich heute im Büro. +Ich will uns auf der See 'n paar Wasservögel schießen -- Jürgens und +Wendland nehme ich heute mit. Es soll genug werden für den ganzen Tisch. +Rekonvaleszenten haben Anspruch auf Geflügel.« + +Radatz empfahl sich. + +»So wie Du, hätte ich nun eigentlich sprechen müssen,« meinte Horst. »Im +Grunde bist Du mehr Führer als ich.« + +»Jetzt fängt der auch an!« + +»Freilich muß ich wieder fragen: wird es vorhalten? Und hat es überhaupt +Zweck?« + +»Zweck -- ja willst Du bloß Unsterblichkeiten? Vorläufig haben wir den +Mann wieder.« + +Horst strich sich über die Stirn. »Daß mir das so in die Glieder +gefahren ist! Herrgott, man bleibt doch der alte dumme Junge mit seinen +Illusionen. Natürlich werden wir mit diesem und jenem unserer +Bundesbrüder noch manches erleben. Wenn nur nicht in einem selbst etwas +abbröckelt --« es klang müde und verzagt. + +»Horst!« + +»Hast recht. Man hat wohl noch von dem Krankheitsgift im Leibe. +Vielleicht ist man doch dichter dran gewesen, als man dachte. Der Hades +hat abgefärbt. Der macht immer sensibel.« -- + +Die drei Jäger kamen am Abend mit erklecklicher Jagdbeute heim. Elf +Enten brachten sie und vier Hasen. + +Horst musterte die Vierfüßler mit strengem Blick. »Wasserwild --? --« +fragte er mißbilligend. + +»Hast Du nie von Seehasen gehört?« Aber mit seinen Witzen kam Kunz hier +nicht durch. + +»Du weißt, wie ich über Wildern denke.« + +»Drück mal 'n Auge zu. Die Viecher sind aus dem Dünengelände. Über die +Jagdberechtigung streiten sich seit Anno Priemtobak Stadt und Staat. Wem +habe ich sie also weggeknallt? Keinem. Die Jagd ist strittig -- die +Hasen sind es nicht. Habemus.« + + + + + Lona und die Landarbeiter + + +Die Roten legten sich kräftig ins Zeug. Zur Gründung eines +Landarbeiterbundes wurde in dem zweiten großen Saale der Stadt eine +Versammlung abgehalten. Horst ließ es sich nicht nehmen, sie zu +besuchen. Der heilige Josef und der Balbutz begleiteten ihn. + +Sie kamen spät und fanden in einer Ecke noch notdürftig Platz. Hier +walteten keinerlei Gedanken an ein Rauchverbot. Höllenkräuter waren +entbrannt. Verzweifelt kämpften Nase und Augen und erlagen ehrenvoll. + +Es saßen fast nur Männer im Saal. Die wenigen Frauen duckten und +verkrochen sich, als wären sie auf gefährlichen Abwegen. Auch von den +Männern hockten einige Alte da wie ein Haufen Unglück. Ganz unheimlich +war ihnen diese Staatsaktion. Mehr als einer bangte wohl um Kopf und +Kragen. + +An einem Tisch hatten sie sich erst Mut trinken müssen, zu so +schauerlicher Verschwörung. Und befreiten sich mit sachten Witzen aus +ihrer Beklemmung. »Korl Du moest betahlen. Ick häw mien Portmonee to +Huus vergeten -- wiel nicks in is!« + +Auf einen alten unanfechtbaren Sinnierer redeten Jüngere glaubenseifrig +ein: »Nu sast sehn, Vadder Jahn -- nu wad allens ümrührt, un denn wad 't +anners in de Welt.« + +Er schüttelte den Kopf. »Anners? Rührt ji so veel ji willt. Fett +schwemmt ümmer baben!« + +Munter lärmend aber gaben sich die Jungen. Sie hatten ihre politische +Weisheit aus dem Schützengraben mit nach Hause gebracht und fühlten +jeder Lage sich gewachsen. + +Jetzt erscheinen durch eine Nebentür die Einberufer der Versammlung und +nehmen auf der Empore Platz. Lona ist unter ihnen. + +Es sind ihrer fünf. Der Vorsitzende, ein schlanker, aufrechter Mann mit +scharfen wie gemeißelten Zügen, mit eigentümlich grellen und packenden +Raubvogelaugen. Der Führer steht ihm im Gesicht geschrieben. Er ist aus +der Hauptstadt gekommen. Rechts von ihm sitzt Lona, links der Koch. Er +hat nichts Gemästetes, ist trocken und kantig, der Schädel ist oben +kahl, nur in der Mitte, über der Stirn, brennt eine einsame rothaarige +Flocke. Die Augen stechen und sind heiß. Sein Nachbar ist der zierliche +knabenhafte Mann, der auf der Borkhus-Versammlung die kurze Brandrede +hielt, und den der Bierfahrer vom Tisch heruntersetzte. Er hat ein +hektisches und verbittertes Frauengesicht. Alle Glieder sind bei ihm in +fiebernder Bewegung, in den Augen tobt die Unruhe. Lona hat zu ihrer +anderen Seite einen sehr behäbigen, angegrauten, breitstirnigen Herrn, +der offenbar nicht ausgeschlafen hat, und sich ein paarmal die Hand vor +den gähnenden Mund hält. Zwischendurch tiefsinnig vor sich hinblickt und +mit den Elementen der Fingernägelpflege sich befaßt. Aber in den kleinen +lauernden Augen ist etwas, das nur darauf wartet, geweckt zu werden. So +oft er sich regt, stößt er die Nase vor wie ein witterndes Wild. + +Lona blickt unter halbgesenkten Lidern über die Versammelten. Dann +starrt sie -- Horst hat sich eben seitwärts zum Balbutz gewandt -- jetzt +wird er in die Bahn ihrer Augen gezwungen, die in seine Ecke, die auf +ihn geheftet sind. + +Sie beugt sich ans Ohr des Vorsitzenden, das Falkenauge stößt jetzt auch +auf ihn -- dann erhebt sich der Mann sofort. Klingelt kurz. Stille. + +Durch Horst zuckt es hin: wollt Ihr mir zuleibe? Gut, ihr Leute! Kommt +an! + +»Arbeiter und Arbeiterinnen,« so spricht der Vorsitzende, »das ist meine +Anrede -- Ehre, wem Ehre gebührt! Die Einladung zu dieser Versammlung +ist lediglich an Euch ergangen. Eure Angelegenheiten sollen hier +besprochen und geordnet werden. Die Anwesenheit von Leuten, die nicht +darauf Anspruch erheben können, Landarbeiter zu sein, ist nicht +erwünscht.« + +Ich bin auch Landarbeiter auf meine Art, denkt Horst mit innerem +Schmunzeln. Er soll mir schon deutlicher kommen. + +»Ich muß deshalb alle diejenigen, die nicht diesem Stande angehören, +ersuchen, den Versammlungsraum zu verlassen.« + +Seine Blicke geben aller Augen die Richtung. Viele sind aufgesprungen, +alle stieren sie in die bezeichnete Ecke. Horst rührt sich nicht. Erst +recht nicht, da jetzt in Lonas Züge ein häßlich Feindseliges sich +einwühlt. + +Falkenauge aber läßt nicht locker. »Wie ich höre, ist der Leiter der +Hohenmoorer Siedlung hier anwesend.« + +Jetzt erhebt sich Horst. + +»Spitzel!« ruft ein Zwanzigjähriger. Mit diesem Wort dünkt der Junge +sich auf der Höhe und blickt stolz um sich her. + +»Wollen Sie mir ein paar Worte gestatten«, beginnt Horst. + +»Bitte.« + +»Wir Mitglieder der Siedlung arbeiten genossenschaftlich gemeinsam an +unserem Werk. Ich selbst bin unter allen Umständen Siedler oder, wie man +sonst sagt, Kolonist. Ich mach ein Stück Land urbar, ich helfe Neuland +schaffen. Wenn einer sich Landarbeiter nennen darf, sind es meine +Genossen und ich.« Kurz und bündig. + +In die Gesellschaft ist Bewegung gekommen, es wird dafür und dagegen +gemurmelt. Horst sieht den grauen Schopf des Torfmeisters wackeln und +hört seine gedämpfte Stimme wie schweres unterirdisches Rollen. + +Falkenauge holt zum zweiten Schlage aus. »Diese Einwendungen sind doch +sehr anfechtbar. Die Siedlung ist ein Unternehmen. Ihr Leiter ein +Arbeitgeber. Und wenn diese Persönlichkeit nun noch aus dem -- jetzt +glücklicherweise abgeschafften -- Offizierstande herkommt und vor allem +mit dem Besitzer von Moorhof, der uns hier in mehr als einer Hinsicht +beschäftigt, in freundschaftlicher Beziehung steht --! --« + +Dies soll das Henkerbeil sein. Horst aber hält mit dem Nacken ganz und +gar nicht still. »Darf ich noch einmal?« + +»Bitte.« Doch diese Gewähr sieht schon einer schroffen Ablehnung gleich. + +Horst schmunzelt innerlich. Meine Klinge will ich wenigstens schlagen! +»Was einer früher war, kann heute und hier doch unmöglich in Frage +kommen -- ebensowenig wie der Umgang und Verkehr jedes einzelnen der +hier Erschienenen zur Untersuchung steht. Es handelt sich doch ganz +ausschließlich um den jetzigen Beruf. Und wenn ich für meine Person +gefragt werde, welchen Beruf ich heute ausübe, habe ich gar keine +Möglichkeit etwas anderes zu sagen als: ich bin Landarbeiter, +Landarbeiter in einem genossenschaftlichen Arbeiterverbande, der, wenn +Arbeitgeber, doch sein eigener Arbeitgeber und in demselben Maße sein +eigener Arbeitnehmer ist. Der Herr Vorsitzende hat die Erklärung +abgegeben, daß die Anwesenheit von Leuten, die nicht Landarbeiter sind, +nicht erwünscht wäre. Wenn hiernach wirklich verfahren wird, müßten, so +weit ich über den Stand und Beruf der Herrschaften unterrichtet bin, die +da oben am Tisch der Versammlungsleitung sitzen, diese zunächst einmal +samt und sonders ihre Sachen zusammenpacken und den Saal verlassen.« + +Ohorufe, erst einzeln, dann anschwellend, werden laut zu diesem +umgedrehten Spieß. Aber viele denken: ein verfluchter Kerl, und manch +einer grient im Stillen. Horst aber hat sein unbändiges Behagen an dem +Flammentanz auf den Gesichtern da oben -- auch die viereckige Stirn des +Phlegmatikers droht -- an dem furioso in den Augen der Musiklehrerin. + +Doch die wetterfeste politische Kultur der geschulten Volksmänner ist +gleich an der Arbeit. Zuerst und vor allem nieder mit jeder +Mißtrauensregung! Der Koch bittet ums Wort und spricht: »Ich bin anderer +Meinung als unser verehrter Herr Vorsitzender. Er wünscht einen engen +geschlossenen Kreis. Wir haben hier keine Geheimnisse. Im Gegenteil! Ich +wünschte, es hätten sich hier recht viele von den Unternehmern, den +Arbeitgebern, den Herren Gutsbesitzern eingefunden. Was sie hier zu +hören kriegten -- ja, die Ohren würden ihnen schon davon gellen! Aber +vielleicht würden sie uns dann der Arbeit überheben, einmal mit der +Faust an ihre Tür klopfen zu müssen!« + +Bravo! Jetzt ist der Wagen auf dem richtigen Gleis. Der Fall Horst liegt +sacht in der Versenkung. Die Tagesordnung steigt. + +Der Vorsitzende spricht über die Notwendigkeit der Arbeiterorganisation. +Die Landarbeiter, die einzigen, die bisher nicht organisiert wären. +Rückständig wären sie. Arbeiter und rückständig, das gäbe es aber nicht! +Das Rückständige wäre bei denen da oben zu Hause, und mit denen räumte +die neue Zeit jetzt gründlich auf. Herren und Knechte -- das wäre deren +Weisheit und Wille, aber das hätte aufgehört! »Menschenwürde!« + +Horst fuhr zusammen. Wieder das Wort! + +»Und in Eure eigenen Hände ist die Menschenwürde gelegt. Ihr habt jetzt +dafür zu sorgen, daß hier auf dem Lande auch menschenwürdige +Verhältnisse eintreten. Das erste ist höhere Löhne! Und wenn Ihr alle +einig seid -- die, die auf den Kornsäcken und den Geldsäcken sitzen, +können, werden und müssen sie zahlen!« + +Dies ist der Faden. Und er hat sie an der Strippe. + +Horst hörte helläugig zu. Der Mann ist ein Künstler in seiner Art, er +hat die rechten Finger für das Masseninstrument. + +Jetzt wird noch ein Stück in Moll gebraucht. Sie verstehen sich schon +auf Konzertprogramme. Lona nimmt das Wort. + +Zagend steht sie auf, aber dann entfaltet sich das, was sie spricht, wie +eine Knospe zum Blühen und Glühen. + +Sie sei ein Kind dieses Landes. Als Kind habe sie es verlassen. Nun, da +sie wiedergekommen sei, habe es ihr den Sinn bewegt, wie wenig Menschen +hier den Kopf hoch tragen. Kaum hebt einer den Blick vom Boden. Das ist +es: sie tragen eine eigene Not und sie zieht eine eigene Sehnsucht. Von +der Erde stammt ihre Not, und ihr Sehnen geht zu der Erde. Darum ist auf +sie, ob sie's selber nicht wissen, ihr schwerer Blick gesenkt. Ein +eigenes Stück Land, so brennt es in ihrem Herzen. Mit dem Boden sind sie +verwachsen, durch ihr Schaffen sind sie ihm angetraut. Denn nur die +Arbeit flicht den lebendigen Bund. Und sie arbeiten nicht für sich +selbst. Sie dürfen es ja nicht. Ihnen gehört die Erde -- und sie gehört +ihnen nicht. Das liegt auf ihnen wie ein Fluch. Diesen Fluch gilt es zu +lösen. »Ihr sollt nicht mehr dulden um die Erde, Ihr sollt leben mit +ihr, in ihr -- ja Ihr sollt leben!« + +Das greift ihnen mit fester und doch linder Hand an die innersten +Seiten, an ihre heiligen Wünsche. Das ist wie Musik, das ist Seele und +Sieg. Sie sind alle bezwungen. + +Auch über Horst geht ein Zauber. Von der Innigkeit eines wahren Fühlens, +die wie ein Stern leuchtet durch den dicken Brodem der Versammlung. + +Kaum hat er das in ihr gesucht. Nicht, daß dieser Schein aufsteigen +könnte, dieser stille Schein aus den lohenden Flammen ihres Wesens. + +Ein Unrecht bittet er ihr ab, daß er sie bei den wilden Schlagwörtern +gesucht hat, bei den knalligen Feuerwerkern von Beruf mit ihren hohlen +Kanonenschlägen, ihren verpuffenden Raketen und windigen Leuchtkugeln. + +Und sie können es nun doch nicht lassen, sie sorgen schon wieder dafür, +daß die Stille und Andacht nicht bleibt. Der Knabenhafte hat das Wort +bekommen. Lange schon hat es in ihm gefressen. An dem Gedämpften, dem +Ruhigen, Sanften erstickt er. Mit den Armen fährt er durch die Luft. +Zwei brandrote Flecken leuchten auf den hageren Backen. + +»Ja, Ihr sollt leben! Aber leben heißt kämpfen! Des sollt Ihr eingedenk +sein, Tag und Nacht und zu jeder Stunde! Und Eurer Kampfgenossen sollt +Ihr gedenken, in Treue bis zum Tod -- und in Zuversicht! Nie hat die +Menschheit ein größeres Heer gesehen! Das Heer der Menschheit ist es! +Verbrüdert als Eidgenossen alle Proletarier der Welt! Gibt es was +Gewaltigeres? Wer kann uns widerstehen! So müssen wir fühlen -- und die +Welt ist unser! Wir kennen kein Vaterland, das Deutschland heißt! Unser +Vaterland ist die Erde!« + +Seine Stimme schrillt wie eine zersprungene Saite. Junge Kehlen brüllen +ihr Bravo. Durch Horst zuckt der Schmerz. Er kennt den Text und die +Weise -- er will lächeln und es wird eine Grimasse. + +In die Versammelten blickt er. Täuscht er sich? Rollt dort nicht ein +Kopfschütteln durch die Reihe -- prägen sich hier nicht Unmutsfalten in +alten ernsten Gesichtern? + +Und jetzt -- eine mächtige Stimme rauscht auf in der Mitte des Saales -- +langsam hat sich der Torfmeister erhoben -- formelle Einwände des +Vorsitzenden orgelt er nieder -- er spricht, also hat er das Wort. + +»Das hätte der kleine Mann da oben nicht sagen müssen, daß wir kein +deutsches Vaterland kennen. Was kennen wir denn, wenn wir Deutschland +nicht kennen? Bloß Deutschland kennen wir, und ein Stück deutsche Erde +ist ja, was wir wollen! Kann man das Land auf den Nacken nehmen und +rausschleppen in die weite Welt? Hier ist das Land, und hier sind wir! +Bloß das geht uns was an, und das ist, wofür wir leben und streben! +Gewiß, die Unterdrückung soll aufhören, die Knechtung und Unbill. Freie +Männer wollen wir sein! Aber, wo können wir das anders sein, als auf +einem eigenen Stück freier deutscher Erde!« + +Horst fährt in die Höhe -- er wär am liebsten über all die Köpfe +gesprungen, hätte den alten Moorriesen ans Herz gedrückt und sich alle +Rippen an ihm verbogen. + +Beifallsgemurmel in den Reihen. Die Schreier sind verdutzt. Dann aber +neue Kampfrufe aus jungen Kehlen. »Vaterland -- quatsch!« -- +»Proletarier aller Länder!« -- »Hoch die Internationale!« + +Heißer wird das träge Blut, Feindschaften entbrennen, tiefer ziehen sich +die Risse -- die Leiter sind auf der Wacht. Jetzt ist der Behäbige und +Verschlafene, der Mann mit dem viereckigen Schädel, hell bei der Sache. +Er stößt die Nase vor und spricht. + +»Genossen! Wir begehen den alten Fehler, daß wir an Worten uns erhitzen. +Und daß unsere Gedanken uns so weit fortfliegen. Darin hat mein +geschätzter Vorredner recht: Hier, wo wir sind, hat unsere Arbeit +einzusetzen. Das Nächste ist Trumpf. Ich spreche nicht von Deutschland, +ich gehe noch viel weiter. Oder richtiger, ich gehe ins Nähere und +Engere. Von unserer Provinz rede ich. Von unserm Kreis. Über die +Verhältnisse, gegen die wir hier anzukämpfen haben, will ich Euch ein +Licht aufstecken. Mit Hilfe von Zahlen, die beweisen!« + +Wozu hat man seine Statistik? Er nimmt ein Blatt aus seiner Mappe, und +läßt seine Ziffern sprechen. Die Leute hören gläubig zu, Unmut und Zorn +finden ihre Weide. Sie rufen »aha« und »pfui Deubel« und »nieder mit den +Ausbeutern!« + +»So also, Genossen, sieht die Welt hier aus. Und mit dieser Welt werden +wir aufräumen. Das Frühjahr steht vor der Tür, der Frühling soll alles +neu machen. Mit der Frühjahrsbestellung werden wir unsere eigene Saat +säen, die Saat unserer gerechten Sache. Das soll heißen: werden die +neuen Lohnsätze, über die wir uns noch verständigen müssen, nicht +bewilligt, dann wird gestreikt!« + +»Bravo! -- Bravo!« + +»Dann sollen die Herren allein ihr Land bestellen! Wollen sehen, wie sie +damit fertig werden! Paßt auf, sie kommen auf den Knieen zu uns +angerutscht. Denn was ist ihr Land ohne uns! Ihr Land? Unser Land!« + +»Bravo! -- Bravo! -- Bravo!« + +»Dazu ist aber nötig, daß wir einig sind. Dafür ist die Organisation der +Landarbeiter die Lebensbedingung. Sie wird heute geschaffen. Die Listen +liegen hier aus. Ich weiß, daß Ihr Euch alle hier einzeichnet! Alle ohne +Ausnahme! Geschlossen wird unsere Reihe sein. Und unsere Parole für den +bevorstehenden Kampf: Der Frühling macht alles neu!« + +Sie können's, das muß Horst sich wieder und wieder bestätigen. Er sieht +den Zug, der zu den Listen sich drängt. Einige stehen gesondert, +zaudern, blicken sich ins Gesicht aus schweren, aus scheuen, aus +widerspenstigen Augen. Dann zieht die Masse sie an, und sie fügen sich +ein. Wenige nur schleichen sich abseits, ein paar gehen frei, hart und +stolz aus dem Saal, ihren eigenen Weg. + +Als Horst auf die Straße kam, stand da der Torfmeister mit Lona im +Gespräch. Er schritt grüßend vorüber, da rief der Alte ihn an. + +»Gehen Sie nach Hause?« + +»Ja.« + +»Wollen Sie mich mitnehmen?« + +»Gern.« Horst blieb stehen. + +»Sie Beide kennen sich ja wohl«, sagte der Torfmeister. Da sprach Horst +zu Lona ein Wort, aus Artigkeit, doch auch von Herzen. + +»Von dem, was Sie heute gesagt haben, könnte ich jedes Wort +unterschreiben.« + +In ihrem Auge stand ein brüskes: habe ich Sie gefragt! Aber ihr Ton war +farblos, als sie zurückgab: »Und doch werden Sie, wenn es hier zum +Klappen kommt, nicht auf der Seite der Bedrängten stehen.« + +»Für mich gibt es nur eine Bedrängnis.« + +»Deutschlands.« Der Hohn war müde, und dennoch, vielleicht gerade +deshalb fraß er sich ihm bis ins Mark. + +»Gewiß. Mein erster Gedanke ist, das Land vor Schaden zu bewahren.« + +»Gut, daß es verschiedene -- Gedankenwelten gibt.« Sie verneigte sich, +reichte dem Alten die Hand und wandte sich heimwärts. + +Die drei Siedler waren unterwegs mit dem Moormeister. Er hatte sich +schnell mit dem Balbutz angefreundet. Sie sprachen lebhaft. Horst und +der heilige Josef wanderten still und versunken. + +Horst ist bei Lona. Warum läßt diese Frau ihn nicht los? Was ist übler +an ihr, ihre Geistesverfassung, ihre Gesinnung oder diese verstiegene +Selbstüberhebung? Wie hat sie ihre »Gedankenwelt« betont, die hohe und +weite, gegen sein enges, kümmerliches, »monomanes« -- so schilt man es +ja wohl -- gegen sein deutsches Gedenken. Soll er nicht lachen und +lachend sie abtun, ein für allemal? Was muß er immer wieder mit dem +Erschütternden ihres Schicksals sie sich aufdrapieren! + +Er will nicht in eigenen Erlebnissen wühlen. Wie viel Entsetzlicheres +hat er selber gesehen. Warum nur läßt er von diesen Greueln sich nicht +bannen, warum muß ihr Los das Bezwingende sein! + +Was ist's, das ihn so lockt an dieser Frau! Daß er ihr Leben ergründen +will, wissen und fühlen von ihrem Wesen, dem verborgenen. Ja, dem +verborgenen. Hier sind Tiefen, in die er blicken muß -- er fühlt es, er +weiß es, er wird es. + +Daß sie so zur Sphinx ihm wird -- oh, mit dem vollen Grusel, dem +rieselnden vor der tötlichen Rätselhaftigkeit -- sind es nicht bloß die +Sinne, die dieses Bild ihm schaffen und schmücken? Die Sinne, die großen +Lügner dieses Lebens. Ist es in seiner weibverlassenen Einöde dieser +junge schöne Leib, was ihn betört? + +Kunz hat ihn den Eisheiligen getauft, weil er kein Schürzenjäger ist. +Was weiß der von seinem Eis, von seiner Heiligkeit. + +Ja, ja -- warum sich selbst was erzählen! In seine Sinne sind die Funken +geflogen. Ihr Wesen -- was ist an dem weiter zu enträtseln? Es offenbart +sich ja. Es wirkt, es strömt. Es geht ihm ins Blut. + +Was wollen ihre Augen? Was will ihr Mund, mit dem heißen Rot von ihm? +Was will er -- er von ihren schwellenden Lippen? + +Er ist ins Laufen geraten. Der heilige Josef, sein Begleiter, trottet +brav neben ihm her. Schweigend wie er. + +Der Alte kann nicht mit. Weit bleibt das andere Paar hinter ihnen +zurück. Da rollt ein Wagen des Wegs, er hält, der beinmüde Torfmeister +steigt auf und fährt nun grüßend an ihnen vorüber. + +Horst hat jetzt die beiden Kameraden an seiner Seite. Nun ist er in +einer anderen Welt. Der heilige Josef trägt an etwas, seine Hände +schnappen in die Luft, er findet noch nicht die Sprache. + +»Nun, Elbenfried?« fragte Horst, ihn zu beflügeln. + +»Ich hatte so vieles auf der Seele und hab es nicht gesagt -- immer +diese Trägheit des Geistes -- diese Feigheit des Herzens. Eine Schuld +ist das! Denn wir sollen Zeugnis ablegen -- immer wieder! Bekennen +sollen wir und immer wieder bekennen!« + +»Aber wir sollen auch nicht unsere Perlen vor die Säue werfen!« Fritz +Eggert zeigt seine Bibelfestigkeit und möchte sich damit von weiteren +pastoralen Ergüssen loskaufen. + +Gustav schüttelt den schweren Apostelkopf. »Mit keinem Wort der Schrift +betrügen wir uns mehr. Über nichts täuschen wir uns so sehr wie über +das, was Perlen, und das, was Säue sind.« + +»Ganz gewiß«, ermuntert ihn Horst. + +»Ich hätte sprechen müssen. Immer und immer wieder muß man das Licht +entzünden. Schließlich leuchtet es doch durch all den Rauch. Und der +eine und andere brennt sich sein eigenes Licht daran an. Von Brüdern +sprechen sie. Nur in diesem Kreise sprechen sie von Brüdern. Aber +hinwiederum, Brüder sind nur und nur die Proletarier. Und es wird eine +Brüderschaft des Hasses. Warum können sie sich den Blick nicht weiter +machen und nicht das Herz! Warum können sie die Hände nicht +herausreichen über die Hecke, hinter die sie sich einsperren! Und wenn +diese Hände hundertmal leer zurückkommen -- schließlich werden sie doch +einmal ergriffen, und der Bund der Geister nimmt seinen Anfang.« + +»Nun ja -- auf den Anfang kommt es an. Aber wer soll anfangen? Immer +sagt der andere, daß es der eine sein muß!« + +»Daß der Haß so leicht ist und die Liebe so schwer! Wie soll man +sprechen, was soll man tun, daß die Herzen sich öffnen! Wie soll man die +Augen erheben, die immer nur die Not des Leibes sehen! Nicht die +Seelennot aller gequälten Geschöpfe! Wie sie führen, daß sie in der +großen Liebe die Heilung suchen auch für die kleinen Leiden.« + +»Sie verlangen viel, Gustav Elbenfried.« + +»Wir sollen viel verlangen«, spricht er in Verzückung. »Wir müssen das +Höchste wollen, nur so werden wir des Niederen Herr!« + +Sie schweigen. In diesem Bekenntnis lebt das Beste von ihnen allen. + + + + + Besuch in der Baracke + + +Es ging auf den März zu. Nach Erde roch es und zerfließendem Schnee. Vom +Frühling schwirrte und klirrte schon dies zitternde Ahnen durch die +Luft, dieses Surren, in dem die Nerven schwingen und das Blut singt. + +Jetzt wurde der Siedlerbaracke ein sonderlicher Festtag beschieden, Frau +Tilde machte ihr den versprochenen Besuch. Es war gegen Mittag, da kam +sie mit dem Vater die Höhe herabgeschritten. + +Die Siedler marschierten von den Räumungsarbeiten auf der Ziegelei die +Chaussee daher -- Gisbert in dem Arbeitstrott wandelte plötzlich mit +gestreckten Armen wie auf eine Erscheinung zu, er hatte sie zuerst +gesehen. Kunz spürte, wie er ihnen entrückt wurde, und ging seinen +Blicken nach. Und jetzt lief es durch die Reihen: »Damenbesuch«. Alles +war befeuert, hob sich und spannte sich. + +Viel Staat war ja nicht mit ihnen zu machen. Wie die Müllkutscher sahen +sie alle aus, und den eitlen unter ihnen war das peinlich. Gisbert +dachte nicht an sein Kleid, Kunz schon eher, er zog und ordnete und +bürstete unwillkürlich mit den Händen. Als aber die Augen dieser Frau +vor ihnen aufleuchteten, da flog jedwedes Äußerliche über alle Berge, +und sie atmeten wie in einer Lichtflut. + +Es geschah von selbst, daß Gisbert gleich an ihrer Seite war. Und sie +nahm ihn auf, ganz so, als gehöre er zu ihr. Er mußte ihr all die +Herrlichkeiten zeigen -- denn Herrlichkeiten waren es, da ihre Augen +darauf fielen. Er und sie -- Mitläufer die anderen. + +Die Stallungen kamen zuerst an die Reihe. Sie waren ein Teil der +Baracke, alles lag unter einem Dach, wie bei einem niederdeutschen +Bauernhaus. Die Ställe hatten längst noch nicht die ihnen zugedachten +Bewohner. Sie besaßen bisher ein Pferd, ein alter Fliegenschimmel war +es, wehmütig aber treu. Dann zwei Kühe und sieben ganz kleine Ferkel. +Diese sieben die junge Fröhlichkeit des Baues, mit denen Muz seine +ausgelassenen Spiele trieb, von dem Quieken und den frohlockenden +Ringelschwänzchen zu immer neuen Tollheiten begeistert. + +Nebenan aber thronte etwas erschütternd Einsames. Hier in dem +Hühnerstall saß nichts als ein großer schwarzer Hahn in der tragischen +Erhabenheit seines verlorenen Schicksals. + +Gibt es was Jammervolleres als einen Hahn ohne Hühner? + +Muz konnte keinen Blick in diesen Stall tun, ohne mit gesenkten Ohren +trostlos winselnd zu verzagen. + +Kunz, der als »Conferencier« sich in erreichbarer Nähe hielt, mußte nun +doch sein Sprüchlein hersagen. »Dies ist nun unser heiliges Tier.« Den +Zusatz aber, der ihm auf die Zunge wollte: das Wappentier unserer +Barackenaskese -- den tat er angesichts der Besucherin doch lieber in +seine Sparbüchse. + +Frau Tilde aber war auch ohne irgendwelche Erörterungen reichlich +bewegt. »Der arme Kerl -- in Einzelhaft -- was hat denn der nur +verbrochen! Er soll Gesellschaft haben.« Und sie versprach als Stiftung +sieben Hennen von der Mönkhover Zucht, die im Lande berühmt war. + +»Zum Lohn dafür aber müssen Sie mich heute zu Mittag einladen«, sagte +sie munter. + +»Das paßt großartig!« rief Kunz. »Es gibt Kartoffelsuppe.« + +Die verleugnete nun ihre »Blutsverwandtschaft mit der Wasserleitung« +auch heute nicht. Aber wer achtete darauf? Die Wirte nicht und nicht die +Gäste. + +Es war die strahlende Kraft dieser Frauenseele, was sie alle emportrug +über die Dinge. Sie hatte ihren Platz zwischen dem heiligen Josef und +dem Balbutz, und Weltkind wie Prophet sahen zu ihr auf als wie zu +unserer lieben Frau. Sie hatte so viel Freude an all diesen braven +Jungen. Sie meinte, daß in dieser harten, ernsten und stillen +Arbeitsgemeinschaft so etwas wie das Herz Deutschlands schlage. Und leid +tat es ihr, daß sie wie die Sträflinge hausten, in dieser lieblosen +Kahlheit, dieser Farblosigkeit und dürftigen Enge. + +Hier wollten ihre Hände schmücken und beseelen. Wohnlicher sollt Ihr es +haben, Ihr armen Verwaisten und Heimatlosen! Diese traurigleeren +Fenster, die wie tote Augen starrten -- sie hatte Stoff zu Vorhängen, +mit denen wollte sie anfangen, das tote Bretterhaus zu beleben. + +»Und Blumen sollen Sie jetzt im Frühling haben. Einen kleinen Vorgarten +legen wir uns an. Mit Tausendschönchen, Priemeln, Stiefmütterchen. Daß +etwas Leuchtendes Sie in Empfang nimmt, wenn Sie von Ihrer schweren +Arbeit nach Hause kommen.« + +Und all die Blicke der Männer und ihre Herzen erbauten sich an einer +Lichtgestalt. Um den feinen zarten Kopf mit diesen tiefen, versunkenen +Augen, die aus ihrer Versunkenheit ihre Schätze hoben, stand es wie ein +Schein, dieses wunderbar Festliche und Frauliche zugleich -- ein Schein, +vor dem man andächtig ward. + +Herr von Borkhus indessen ließ sich von Horst über die +Arbeiterversammlung berichten. »Natürlich, sie wetzen die Messer. Wir +sollen das Schleifen hören, und wir hören es. Vielleicht, daß es mehr +ist als Drohung. Haben auch die meisten von uns ein gutes Gewissen -- +manch einer hier im Kreise rutscht doch mit der Hose ganz gehörig auf +Grundeis. Hier wird die Rechnung präsentiert werden und -- wie die Sache +nun einmal liegt -- nicht hier allein. Da nun schon -- wer hat es gesagt +-- Frauen, Dummköpfe und politische Bewegungen zu verallgemeinern +lieben.« + +»Den Organisierten wird ja auch nichts anderes übrig bleiben«, bemerkte +Horst. + +Die müden Züge des Herrn von Borkhus -- sie erschienen Horst noch nie so +schmerzlich abgespannt -- erhellte jetzt die junge gläubige Phantastik +seiner Augen. »Ich weiß, auch von meinen Leuten hat der größere Teil +sich eingeschrieben. Überzeugungen glauben nun einmal erst dann an sich +selber, wenn sie abgestempelt sind. Jeder muß nun mal seinen Schein +haben -- wie könnte er sonst auf ihm bestehen! Aber, wenn es ernst wird, +dann sind solche Scheine Papier. Der Herzschlag ist dann der Ton, der +die Musik macht. Und -- ich kenne meine Leute, so gut wie sie mich +kennen!« + +Er warf den Kopf zurück, nun ganz ein froher, sieghafter Führer. Sein +Gesicht belebte sich frisch, dunkler und heißer leuchteten die Augen. +Hier frohlockte eine Zuversicht, die aus der Tiefe seines Wesens quoll, +aus der glückhaft frohen Treue seines eigenen Fühlens. + +Zagend, mit leiser Sorge blickte Horst in diesen Überschwang feuriger +Gewißheit. Er hatte seinen Argwohn, und er fühlte, daß Enttäuschungen +hier ins Leben greifen müßten. In dieses Leben, getragen von dem +Selbstvertrauen des Häuptlings, das durch Geschlechter angezüchtet war. + +Selbstgewißheit! Und kommt es nicht darauf an? Ist das nicht der Kern +alles Wesens, alles Werdens, alles Schaffens! Ist das nicht die +lebendige Urkraft, die schließlich ins Ewige uns finden läßt und zu Gott +-- die Gewißheit, das Gewissen! Beides dasselbe! Des Glaubens Inbegriff! +Des Menschen Seele! + +War ihm, Horst, genug von dieser Urkraft gegeben, genug zur +Führerschaft? Immer wieder die Zweifel. Und die Gefahr des Zerbröckelns. +Ja, wir sind mürbe geworden. Verwittert haben uns die Zeitenstürme. Hab +ich selbst noch so viel innern Halt, den anderen ein Halt zu sein? + +Wie hat es mich geworfen, als die erste Regung zur Fahnenflucht in +unsere Reihen brach. War es ein Gefühl eigener Schuld? Hatte ich die +Fahne nicht tapfer, nicht stark und treu genug getragen? Waren nicht +meine eigenen Gedanken auf der Flucht gewesen? Wie oft hatte ich mich +gesehnt -- ja gesehnt nach meinen Büchern, nach Forschung, nach +Wissenschaft, nach geistigen Fernsichten. Nach Einsamkeit auch, nach den +Freuden stiller Entdeckungen, nach den Verzückungen und Verzauberungen +in ungestörten Träumen. + +Ja -- wie an Ketten trug ich oft an meiner Pflicht. Und nur, weil ich +selber schwankte und treulos werden konnte, kam dieses Wanken in die +Reihe. + +Ist es nicht eine erlesene Schar, die auf mich blickt? Ein Vorbild für +mich, die ich ihr Vorbild sein soll. Und so ist es recht. Nur so ist die +starke Gemeinschaft da. Wir haben sie. Hat Herr von Borkhus sie mit +seinen Leuten? Ich fürchte, er träumt zu leicht. Hat er nicht ein +reichliches Maß dieser lieben Leichtgläubigkeit, die so kindlich ist und +ach, so deutsch! + +Wie hat er sich selbst die Mannestreue des alten Strempel herausgeputzt, +bei dem aus jeder Pore seines gelben Felles der kalte listige +Gelegenheitsmacher schielt. Und richtig, jetzt ist der auch schon als +Kronzeuge da. + +»Lieber Horst, Sie kennen eigentlich von meinen Leuten nur den alten +Strempel. Können Sie sich denken, daß der übermorgen zu mir sagt: >Sie +müssen sich allein anspannen, ich fahre Sie nicht!< Können Sie sich das +vorstellen?« In seinen Blicken war eine unauslöschliche Heiterkeit. + +Horst mußte wenigstens soviel sagen: »Meine Vorstellungswelt ist nun mal +ein wenig aus dem Gelenk wie die ganze Welt überhaupt --« + +»Hier dürfen Sie sie getrost wieder einrenken.« Er winkte fast mitleidig +mit der Hand. »Und nun habe ich eine Bitte an Sie. Mich persönlich +berührt ja der angeblich drohende Streik am wenigsten. Aus politischen +Gründen aber habe ich die Herren aus dem Umkreis für heute nachmittag zu +einer Besprechung gebeten. Sie waren auf der konstitutionellen +Versammlung des Arbeiterverbandes -- Ihre Eindrücke sind uns von Wert.« + + + + + Die Gutsherren + + +Als Horst nach vollbrachtem Tagwerk in das Beratungszimmer trat, waren +die Herren in voller Tätigkeit. + +Junkerliches Ungestüm hatte zuerst die Erörterungen verwirrt. Nun war +ein parlamentarisches System errichtet. Herr von Trent führte den +Vorsitz. + +Sein gelbes kränkliches Marquisgesicht blickte mit kummervoll wartenden +Augen in die Weite. Aber er hielt die Zügel in kundigen Händen. + +Zuerst hatten die Besorgnisse das Wort geführt. Allerdings in halben +Tönen. Angstmeierei war gerade in diesem Kreise nicht eben daheim. Bald +hatten Eigenwille und eine betonte Sprödigkeit gegen neue soziale +Operationen gewonnenes Feld. Vergeblich bemühten sich die Nüchternen und +Sachlichen um eine Gegenorganisation der Besitzer. Umsonst brach der +Kabelsdorfer als Befürworter eines Landbundes seine letzte Lanze. +Formlos, ungepflegt, ein bärtiger Mann mit klugen und warmen braunen +Augen. Ein Bürgerlicher und manchem der Junker nicht nach der Mütze. +Aber sicher einer von denen mit dem reinsten Gewissen. + +»Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren -- von all den Dummheiten, +die die Deutschen stammesmäßig begehen -- und wir Landleute fühlen uns +ja als besonders gute Deutsche -- ist die größte die, daß wir von +unseren Gegnern nichts lernen. Tun wir nicht und wollen wir nicht. Was +erleben wir jetzt hier? Von denen, die sich in unseren Betrieben zum +Kampfe gegen uns rüsten? Sie machen das, was das einzig Verständige ist. +Müssen wir -- wir darum das einzig Unverständige machen? Nur geschlossen +können wir der Geschlossenheit begegnen. Aber nein! Wir laufen ihnen +zuliebe einzeln im Gelände herum, damit sie uns einzeln zur Strecke +bringen und ihr fröhliches Halali haben!« + +Der dicke Poggenhagener mit den schiefen Kalmückenaugen, der sticken +mußte, wenn er seine Witze nicht loswurde, beugte sich zu seinem +Nachbarn, dem Tangentiner. »Es heißt nicht lali, es heißt le lit, das +fröhliche«, und er meckerte wie eine Bekassine. + +Bei dem überlebenslangen, himmelan vertrockneten Ammoniakiter fand er +indessen keine Gegenliebe. Der lachte nicht, denn Lachen war eine +Ausgabe. Aber in solchen Unterhaltungen zeigte sich immerhin, wie wenig +noch von einer gemeinsamen Aktion die Gemüter band. + +Was hier noch an Ängstlichkeit herumkroch, nahm die Maske vor, +versteckte sich hinter großen Worten und größeren Gesten. Und gerade die +Schlotterhosen, die ganz wenigen, plusterten sich auf zu prunkender +Forschheit. + +Dies war die Stimmung, in die nun Horst hineingeriet. Lebhaft begrüßte +man ihn. Ein Teil von den Herren hatte für das Siedlungswerk auf +Betreiben des Herrn von Borkhus opferwillig Beiträge gezeichnet. Alle +aber schenkten sie der Siedlung ihr Wohlwollen. In diesem Artikel kannte +hier wie anderswo die Freigebigkeit keine Grenzen -- nur der Tangentiner +hielt auch seine kostenlosen Regungen zu Rate. + +Herr von Güldenbek, der Mann der Saatkartoffeln, strich durch seinen +grauen, in konservativer Unbeschnittenheit wallenden Vollbart, legte die +väterliche Hand auf Horstens Schulter und sprach gewinnend: »Solche +Männer wie Sie braucht das Vaterland.« Und der Nebengedanke war bei ihm +wie bei manchem andern: auch wir brauchen Dich, Deine Mannschaft und +Eure Maschinengewehre, wenn es hier zum Ausstand und zu Unruhen kommen +sollte. + +Gleich wurde denn auch wie auf Stichwort der eben ergangene +Regierungserlaß über die Waffenablieferung besprochen. + +Horst erklärte: »Ich muß die Hände kennen, in die ich meine Waffen +liefern soll. Ich kenne diese Hände nicht.« Da nickten ihm alle lebhaft +zu, freudig und beruhigt. + +Und dann wurde der sogenannten Regierung aufgespielt. Dies war die +Weise, auf die man sich hier verstand. Wie oft hatte man auch dem alten +geheiligten Regiment frondiert. Und nun dieses _régime de canaille_! +»Den schiefen Absätzen dieser Usurpatoren den Nacken hinhalten --!« So +sagte Herr von Seddewitz, und es funkelte sein scharfes, abgewetztes +Gesicht. + +Hoch gingen die Wellen. Teilnahmlos wie all die Stunden schon blieb Herr +von Borkhus. Immer wieder waren durch seine tiefen Augen die Schatten +gezogen. Dann sprach er leise: »Wie gleichgültig im Grunde, wer da oben +sitzt -- wer die Satrapen sind über unserem Sklavenvolk.« + +Damit ist die große Fuge der deutschen Passion angeschlagen. Und sie +zittert durch die Seelen. All diese Männer -- ihrem Eigenwillen fehlt es +gewiß nicht an Eigennutz. Von größter Unbefangenheit sie alle in der +Bejahung ihres Besitzes, ihres Herrentums. Sie können gar nicht aus +ihrer Haut. In der sie so grad gewachsen sitzen. Nicht alle haben sie +die Hände reingehalten. Aber jeder von ihnen hat dem Vaterlande mit Leib +und Leben gedient. Jeder von ihnen ist im Felde gewesen. Kaum einer, der +nicht für Deutschland geblutet hat. Der deutsche Klang bebt in jedem +Herzen. Selbst in dem, was von dem Tangentiner noch nicht ganz verdorrt +ist, brennt es wund und tödlich schmerzhaft von Schande und Ingrimm. + +Unerschöpflich Neues trugen sie zusammen von den unaufhörlichen, täglich +sich mehrenden Erpressungen, Blutsaugereien, Schändungen und Folterungen +an dem wehrlosen deutschen Volk. Wie durch einen Wald rauschte der +mächtige Zorn durch die versammelten Männer. + +Einer saß stumm, wohl der Jüngste von ihnen. Horst hatte den Namen nicht +verstanden. Aufgefallen waren ihm gleich die geradezu klassisch +geprägten kraftvollen und edlen Züge des bartlosen Gesichts. Ebenso das +wunderbare Ebenmaß des mittelgroßen Wuchses. Wie von Bronze die ganze +Gestalt. Aber in den Augen, so fest und hart sie greifen konnten, war +doch ein Verlorenes, Zerstörtes. Auch ein Gezeichneter der Zeit. Jetzt, +wo ein Nachbar sich laut an ihn wandte, erfuhr Horst, wer er war -- +Achim von Mönkhov, Frau Tildes Mann. Prüfend gingen die Gedanken von ihm +zu ihr. + +Nun sprach er. Etwas seltsam Graues, Trockenes, unwillig Starres hatte +die Stimme. Wie Asche lag es auf all seinen Worten. + +»Größer ist Deutschland niemals gewesen -- im Reden. Wie sieht dagegen +unser Leben aus. In lauter armselige kleine egozentrische Kreise ist es +zerfallen. Von großen Ideen ist nur eine geblieben: das große +Einmaleins.« + +Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb unbewegt. »Wollen +uns doch nichts vormachen. Es gibt bei uns drei Sorten Menschen. Solche, +die sich selbst betrügen, solche, die die anderen betrügen, und solche, +die beides tun. Zu welch letzteren neunundneunzigdreiviertel Prozent +gehören. Nun wollen wir uns jeder seinen Platz suchen und uns begraben +lassen.« + +Das alles in dem unerbittlich grauen Ton. War es der Nihilismus einer +düsteren Stunde? War es das Weltbild eines erloschenen Lebens? + +Herr von Trent, der wie ein müder Marquis aussah, hatte sich erhoben. +Behutsam machte er ein paar Schritte -- er hatte Beine wie ein +Rokokomöbel. Wandernd suchte er nach Worten, die Entrüstung zu +beschwören, und er fand sie. »Wir wissen, daß unsere Moral +reparaturbedürftig ist. Was die Moral übrigens zu allen Zeiten war -- +was vielleicht recht eigentlich zum Wesen aller Moral gehört. Gewiß, +unser Niveau ist gesunken. Aber die Anständigeren unter uns oder« -- mit +einem Zucken des Lids zu Achim hinüber -- »die weniger Unanständigen +unter uns werden dies Niveau wieder heben. Trotz Ihrer Verneinung, die +absolut ist, wenn sie sich auch in der Abstufung hellschwarz, schwarz, +dunkelschwarz gefällt. Um des Himmels willen nur hier die Loslösung von +dem Losgelösten, dem Absoluten! In der Ethik hat schon immer die +Relativitätstheorie gegolten. Und die Besseren unter uns -- so sage ich +nach wie vor -- werden heute mehr als je an einer großen sittlichen Idee +ihren Halt und ihren Mittelpunkt haben. An der Idee des Vaterlandes.« + +»Und worauf läuft Ihre große sittliche Idee des Vaterlandes hinaus?« +fragte Achim, und die Asche seiner Stimme beizte. »Auf die größte +Unsittlichkeit, die Rache.« + +Oho, dachte Horst. So ruft sich nun der Nihilismus den höchsten +Positivismus zur Hilfe. + +Jetzt ließ Herr von Borkhus sich vernehmen. »Die Rache ist mein, spricht +der Herr. Gut, ihm wollen wir sie anvertrauen. Er unser Führer! Das +Werkzeug seiner Rache sein, mehr wollen wir nicht. Aber Rache -- der +Herr spricht ja selbst davon. Und wenn wir sie brauchen für unser Leben! +Wenn sie unsere Rettung ist! Wenn wir elend verrecken -- im Dreck und in +Schande -- ohne diese befreiende Hilfe! Ein Teil unseres Gottesglaubens +ist diese Rache!« + +Er hob sich wie ein Priester. Seine Brust keuchte, seine Augen kreisten +in Flammen. Dann sank er zurück und blickte wieder dumpf vor sich hin, +leidend und matt. + +Horst wollte nicht länger schweigen. Doch hielt er sich mit Bedacht in +niederer Flugbahn. »Wir haben ein Wort: >die Scharte auswetzen<. Gibt es +ein Mannesleben ohne den treibenden Pulsschlag, Erfolg auf einen +Mißerfolg zu setzen? Schimpf mit Ehre auszulöschen, Verachtung mit Ruhm? +Und wie der Mann, so das Volk. Was ist die Schwungkraft, die die +Geschichte der Völker bewegt? Vergeltung! Und immer wieder Vergeltung! +Sofern wir überhaupt ein Volk sind, sofern wir nicht außerhalb der +Geschichte stehen, wir uns selbst nicht außerhalb der Geschichte stellen +-- so lange noch der leiseste Hauch eines lebendigen Atemzuges durch +dieses Volk geht und noch ein Mannesherz aufzucken läßt, Vergeltung ist +der Odem des Lebens! Vergeltung sein Wert und seine Höhe!« + +Jetzt brausten die Geister und brausten ihm zu. Nur Achim blickte +teilnahmlos und gefroren. Selbst der Tangentiner, der ein wenig abseits +mit dem Saatkartoffelbaron der deutschen Seele auf dem Felde der +Kartoffelpreisbildung nachzuspüren gedachte, ging steil empor. Wäre +Alarm geblasen gegen den Landesfeind, der erste wäre er auf dem Gaul +gewesen. Man mochte sagen gegen ihn, was man wollte -- aber jeder Zoll +seines langen Leibes war Kurage. + +Mit diesem Akkord klang die Besprechung aus. Mitteilungen von Horst über +die Landarbeiterversammlung wurden nicht mehr verlangt. Zu politischen +Entschlüssen war man nicht gekommen und würde man vorerst nicht kommen. +Der Entwicklung der Dinge sah man mit geziemendem Männermut entgegen. +Abwarten, Teetrinken! -- mit diesem deutschen Worte des Heils ging man +auseinander. + + + + + Achim + + +Horst blieb noch mit Herrn von Borkhus und Achim zusammen. + +»Nun ja,« sagte der alte Herr, »unser Hornburger Schießen müssen wir nun +einmal haben. Aber es ist mir lieb, daß ich Sie mit den Herren bekannt +machen konnte. Vielleicht wird doch der eine oder andere Hilfe nötig +haben. Wenn es ernst wird.« + +»Es wird ernst, Vater.« + +»Achim --!« Er hob lächelnd die Hand. Das hieß: ein Schwarzseher wie Du. + +»Zum Frühjahr haben wir hier den Ausstand. Wir werden von der Tücke der +Bevölkerung was erleben.« + +»Sie ist nicht tückisch, mein Junge. Wir haben sie nur nicht immer +richtig behandelt.« Er sprach jetzt sehr schonend und mild mit ihm, wie +mit einem Kranken. + +Achim war schon nicht mehr bei der Sache. Er ging, sich nach seiner Frau +umzusehen. Borkhus sprach mit Horst über ihn. + +»Das Herz blutet einem. Was haben Krieg und Frieden aus dem Jungen +gemacht. Man spricht manchmal bei mir von Vertrauensseligkeit --« + +Horst nickte innerlich dazu. + +»Seligkeit -- du lieber Gott --! Bei dem Jungen war es Seligkeit! So was +von einem frohlockenden Zutrauen zu allem und jedem, das Himmel und +Hölle bezwang! Das über jede Enttäuschung hellauf lachte, wie über +Scherz und neue Lebenslust. Seine Augen hätten Sie sehen müssen! Und +jetzt entfärbt, entseelt zu dieser griesen Kälte. Bleifarben. Und wie +sieht es in ihm aus! Zum Heulen!« + +Er hielt klagend inne. Horst rüttelte tröstend an ihm. »Ihr Sohn ist +jung, er hat seine Tätigkeit, er hat Sie und hat die wundervolle Frau.« + +»Das ist ja das Furchtbare. Man kommt nicht mehr zu ihm. Nichts von dem, +was ihm lieb war, rührt noch an ihn. In uns allen ist ja etwas in +Trümmer gegangen. Aber, daß in ihm nur noch Schutt liegt! Argwohn -- +Ablehnung -- Gleichgültigkeit -- eine völlige Gefühlsumnachtung.« + +»Ist Herr von Mönkhov schwer verwundet gewesen, schwer verletzt?« + +»Seinem Körper ist nichts geschehen. Nicht die Haut ist ihm geritzt. Und +er war vorne von Anfang bis zu Ende. Sein Körper -- er ist gewachsen wie +ein Gott -- als ob die Kugeln den wie ein Heiligtum gescheut hätten. +Dafür ist ihm nun die Seele in Fetzen gegangen. Die letzten Kämpfe haben +ihm den Rest gegeben, da zwischen Aisne und Marne. Wie das Unglück hier +herausbrach aus den Wäldern von Villers-Cotterets, das Verhängnis, das +Verderben. Er wußte, jetzt ging es um Deutschlands Leben, um +Deutschlands Tod. Überladen zum Zerspringen von der ganzen gewaltigen +Inbrunst seines letzten Hoffens und Glaubens und Wollens -- und da +zerriß es in ihm. Das Grauenhafteste hat er erlebt -- den Überlauf +ganzer Scharen -- den Verrat der vielen! Wie ein Irrsinniger hat er vor +sich hingelacht -- stundenlang. Er hat es gesehen mit eigenen +ersterbenden Augen, wie Deutschland erschlagen, wie Deutschland +gemeuchelt ward. Dies ist Achims Schicksal.« + +Die Männer schwiegen, versunken, vergraben. Ein gut Teil ihres eigenen +Lebens war so zerbrochen und verdorben. + +»Und nun, Horst, müssen Sie auch noch mehr hören. In der Schlacht war es +zum Handgemenge gekommen, mit Amerikanern. Mannschaften zerschossener +Tanks. Gewehr und Pistole waren leer. Mit den Fäusten gehen Achim und +ein amerikanischer Offizier auf einander los. Einen regelrechten +Boxkampf liefern sie sich, in _fair play_. Inmitten der rasenden Hölle, +des Feuerorkans, der tosenden Geiser und Wirbel giftiger Wolken auf der +zerwühlten, zerrissenen, brüllenden, verzweifelt ihre Fetzen um sich +werfenden Erde. Kämpfen wie auf dem Podium. Angestiert von der verblüfft +glotzenden Umgebung. Die Amerikaner haben vielleicht gewettet. Und Achim +schlägt den Gegner nieder. Der Amerikaner ist geworfen -- aber -- es +gibt keine Symbole mehr -- Amerika wirft uns. Und jetzt passen Sie auf, +von diesem sieghaften Zweikampf her hat er einen Lichtschein mitgenommen +in seine Dämmerung. Der einzige, den er hat. Und er hütet ihn mit einer +Leidenschaft. Er hat von jeher mit Hingabe Sport getrieben, am liebsten +den, bei dem es ganz und allein auf die eigenen Glieder ankommt. Im +Boxen war er immer ein Meister. Jetzt gibt es kaum für ihn etwas anderes +auf der Welt. Sein Tagewerk beginnt mit stundenlangem Training. Immer +hat er Besuch von »Professionals« und von »Amateuren«, mit denen er +stundenlang übt. Auch sein Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist +ein alter erfahrener Faustkämpfer von Beruf. Seines Geistes Nahrung: die +Sportberichte und Sportzeitungen. Für die Wirtschaft bleibt so gut wie +nichts übrig. Und -- das Leben meiner Tochter können Sie sich +vorstellen.« + +Frau Tilde mit ihrer zarten Geistigkeit, ihrer stillen Empfindungskraft +und Tiefe! Wie vieles von der Klage ihrer Augen, von dem wehen Lächeln +um ihren Mund ward Horst verständlich. + +»Eine Leidenschaft -- wie die Spielerleidenschaft, die auch auf Trümmern +wuchert. Und auch unausrottbar ist.« So schloß Herr von Borkhus, stark +bewegt. + +Das Ehepaar kam ins Zimmer. Sie wollten gleich nach Mönkhov +zurückfahren. Frau Tilde begrüßte Horst in aller Freundschaft. »Es ist +mir ein wahrer Trost, daß Vater Sie alle in der Nähe hat. Ihr seid hier +am dichtesten bei der Stadt und hier wird es zuerst losgehen.« + +Und wieder Herr von Borkhus mit seiner überlegenen Zuversicht: »Kinder, +ich rat Euch sehr, an Euch selbst zu denken! Die Ihr mit Eurem Koch eine +Brandfackel in diese Welt geworfen habt. Mir unter meinen Leuten kann +und wird nichts geschehen.« Und in seinen Augen strahlte auf, was noch +an Licht in ihnen war. + + + + + Märzenglanz -- Herzentanz + + +In die deutsche Not jubelte ein früher Frühling hinein. Ein zärtlicher +Hauch läutete die Schalmeien der Primeln, der Leberblümchen und +Anemonen. Über der Heide in Frohlocken taten die Lerchen ihren +Sonnendienst. Knisternde Seide war die Luft. Wer an sie rührte, dem +gingen prickelnde Schauer durchs Blut. + +Ein Sonntag. Die jungen Siedler zogen nachmittags in die Stadt, auf die +Dörfer zum Tanz und suchten sich was zum liebhaben. + +Kunz in holdem Ungestüm dunkler Sehnsucht streifte durch die Welt. Ihm +war's, es müßte ihm heut ein Wunder geschehen. Er schritt allein, ohne +Muz -- auch der war heute auf Frühlingsabenteuer aus. Und nun sang er +sich den Knickbusch entlang, der hier zwischen Wiese und Heide lief, +träumte sich in Kinderspiele hinein und in Märchen. + +So in gedankenlosem Stammeln und Dammeln geriet er auf die Dorfstraße. +Und kam an dem Pfarrhausgarten vorüber. Wie er über die Rotdornhecke +blickte, sah er etwas, was ihn stillstehen hieß. + +Ein kleiner Turnplatz war hier eingerichtet. Eine Mädchengestalt, zum +Entzücken geschmeidig, im Turnanzug, hing am Reck. Jetzt machte sie die +Schwungstemme, leidlich. Sie war selbst nicht zufrieden und wiederholte +die Übung. + +Kunz hatte es nicht mehr draußen gelitten. Er war kurzen Fußes durch die +Pforte eingetreten, stand schon im Sand der Arena und riet +sachverständig, als die ihm abgekehrte zur zweiten Wiederholung sich +anschickte: »Das Kreuz mehr durchdrücken. Und den Kopf weiter zurück.« + +Sie sah hängend über die Schulter zu ihm hin, gar nicht erschreckt, fast +ungestört. Machte den Aufschwung, um nach oben, auf ihre Stange und in +die richtige Position gegen Eindringlinge und Unberufene zu gelangen. +Setzte sich oben hin, den Arm um den Pfosten, und blickte vernichtend +herab auf den Störenfried. + +Er hatte geglaubt, ein Kind vor sich zu haben -- nun brach er zusammen +vor so viel damenhafter Ablehnung und Unnahbarkeit. + +Kunz war nur zweimal in seinem immerhin bewegten Leben verlegen gewesen. +Dies war der dritte Fall. Und er fragte etwas, wie ein Schuljunge, wußte +selbst nicht wonach: ob er hier zum Herrn Pastor käme? + +Da oben der geschürzte Mund bewegte sich nicht, die Augen blieben +drohend -- nur durch das rechte Bein ging ein kurzer Ruck, und die +Fußspitze wies den Weg nach rechts. + +Kunz wurde ratlos. Ratlosigkeit war ihm das Weltenfernste. So wurde er +sinnverwirrt, und seine Haltung zerfiel. Er wollte lachen, aber es wurde +nur so ein geohrfeigtes Lächeln, und eine Heftigkeit stieg ihm in die +Kehle. So kam es denn stoßend heraus: »Sagen Sie mal, sind Sie stumm? +Oder verbergen Sie einen Zungenfehler?« + +Nun wurde aus dem eisigen Drohen da oben eine spitze Niederträchtigkeit. +»O nein -- aber ich kann die dicken Menschen nicht leiden.« + +Kunz, der Arme! Dieses war nun tödlich. Hier gab es keine Rettung. Jetzt +lag er platt auf der Nase. Ein Kübel Eiswasser war ihm über den Schädel +gegossen. Schauernd lief es ihm die Rückenrille hinunter. Bis in Mark +und Seele fror es ihn aus. Nützten ihm die verzweifelten Hilferufe +seiner Selbstgespräche? Dick -- dick! Ich bin nicht dick! Daß ich diesen +unglückseligen Kartoffelkopp habe --! Aber meine Glieder -- könnt ich +die zeigen! Ja -- geschlemmt hab ich ja wohl ein wenig -- in Wildbraten +-- gewildertes schlägt besonders gut an -- aber dick -- um des Himmels +willen -- dick --! -- + +Der Mantel ist schuld! Dieser elende Sack, den sein Vetter, der bauchige +Generalstrebler, ihm vererbt hat! + +Runter mit den Lumpen! Reißt den Mantel ab -- wirft die Mütze hin -- +stürzt sich auf das Reck -- nur die eine Wiedergeburt seiner Ehre gibt +es -- die schnippische Sylphide da oben flattert entsetzt auf und hängt +dann bebend an dem einen eng umarmten Pfosten -- Kunz hat die Stange +ergriffen -- schon fliegen die Beine hoch -- fliegen zurück -- und nun +in tadellosem Riesenschwung schlägt der gestreckte Leib Rad durch die +Luft -- einmal -- zweimal -- dreimal -- viermal -- + +Da aber, in dem wütenden Eifer, versagen die Hände -- sie gleiten von +der glatten Stange -- in hohem Bogen wird der Körper weit +fortgeschleudert und fällt schwer wie ein Klumpen in dem Gesträuch dumpf +auf die Erde. + +Mit geisterhaften Eulenaugen hockt die Turnerin da oben -- wie in eine +Vision geschreckt und gebannt -- dann gleitet sie zu Boden in die +Wirklichkeit -- jetzt weiß sie, was geschehen ist -- ein Unfall -- dem +Gestürzten helfen --! -- + +Sie läuft in das Gebüsch -- da sitzt er, mitten in einem dornigen +Stachelbeerstrauch -- die eine Backe ist blutig geritzt -- er fühlt mit +den Fingern hin -- dann beschmiert er sich lustig indianermäßig das +Gesicht mit Kringeln und Schleifen -- legt die Arme übereinander wie ein +Götzenbild -- verbeugt sich im Sitzen vor der scheu sich Nahenden und +verkündet hohl: »Mein Name ist Rutenberg.« + +Dann lacht er laut und herzhaft mit seinem wunderhübschen Mund. + +Da denkt sie, was ist das für ein lieber fröhlich verrückter Junge, und +sie lacht zurück. »Haben Sie sich auch nichts getan?«, fragt sie sorgend +und hilfsbereit. + +Er schüttelt höchst munter den Kopf. »Aber den Seismographen in den +Erdbebenwarten habe ich gehörig eins ausgewischt.« + +Sein Platz scheint ihm immer noch zu gefallen. Er macht keine Miene, +sich zu erheben, und spricht belehrend weiter: »In unserer Reiterhorde +war ich wegen meines losen Sitzes berühmt. Jetzt weiß ich doch, daß ich +auch im festen Sitz Vorbildliches leiste.« Und damit versucht er +aufzustehen. Es geht langsam, aber dafür tut es weh. + +Sie greift zu, ihn zu stützen, da gibt er sich einen gewaltigen Ruck, +der ihm durch alle Knochen fährt. Doch damit hat er sich beisammen und +ist wieder fest auf den Füßen. + +Nun der Sorge um ihn ledig, sieht die Kleine die Stelle sich an, wo er +so unsanft den Planeten erschüttert hat. Der Stachelbeerbusch ist +heillos verwüstet. Da zieht sich ihr feines Gesicht in die Länge. »Oh, +das ist einer von Vaters neuesten und besten -- im Jahre 17 gepflanzt, +als er auf Urlaub hier war -- ein blood hound. Nun müssen wir hin zu ihm +und ihm gleich alles sagen. Sonst geht es uns schlecht.« + +Wir -- und uns -- so war die Freundschaft geschlossen zwischen Vita +Waermann, dem Pfarrertöchterlein, und Kunz Rutenberg, dem Siedler und +Soldaten, dem Wilderer und Turner, der eher die Erde zertrümmerte, als +daß er dick sein wollte. + +Und nun standen sie vor dem Pastor, einem geraden, schlank gewachsenen, +helläugigen Mann, der viel eher soldatisch, als geistlich sich hielt. Er +war zuerst als Feldprediger draußen gewesen, dann hatte er als Offizier +in der Front gestanden. Jetzt ging er nach schwerer Verwundung am Stock. +Erst vor acht Tagen hatte Vita ihn aus dem Genesungsheim abgeholt und +seit heute, Sonntag, versah er wieder sein Amt. + +Unter den Gottesgelehrten zählte er nicht zu den Gekrönten. Aber in der +Obstzucht war er Baas und ein Vorkämpfer für die Fruchtweinkultur als +eine fruchtbare Erwerbsquelle auf deutschem Boden. Berühmt war sein +eigener Stachelbeerwein, so daß ein zungenfertiger Amtsbruder ihn also +gefeiert hatte: »Ein Pastor und ein Wehrmann und auch ein +Stachelbeermann.« + +Diesen geradezu leidenschaftlich zärtlichen Vater seiner Sträucher mußte +man schonend vorbereiten. Er vernahm alle Einzelheiten, wie das junge +Freundespaar die Bekanntschaft geschlossen hatte -- das Außergewöhnliche +sollte seine Vorstellung auflockern für Ungeahntes, Unsägliches. Aber +die Katastrophe, die seinen Busch zerschlagen hatte, fuhr ihm doch ins +Gekröse. + +Spornstreichs stakte er los in den Garten. Die beiden blieben zurück, +zwei gescholtene, zitternde Kinder -- blieben beieinander, miteinander, +als trügen sie beide an der Schuld. Und durch Kunz strömte die +Glückseligkeit der Gemeinschaft, die sie auf sich genommen hatte -- für +ihn. + +Der Vater Stachelbeermann kam kopfschüttelnd zurück. »Gerade auf den +blood hound.« Vorwurfsvoll: »Und es ist doch so viel Platz im Garten! +Aber, wenn Sie schon eine Sitzgelegenheit in meinen Ribitzeln suchten, +warum haben Sie sich nicht lieber dem Schoße der Queen Mary oder der +smiling beauty anvertraut?« + +Hiermit ging es nun schon schalkhafter zu. Und jetzt flog das letzte des +längst schon lächelnden Unmuts davon, und die Gastfreundschaft öffnete +völlig und warm dem Besucher, der mit einem Riesenschwung in das Leben +des Pfarrhauses sich befördert hatte, die Arme. + +Kriegserinnerungen das erste und die leuchtenden Flammen -- und dann das +würgende Grau der Friedensnot. Und jetzt Glaube und Wille und Gelöbnis. +Wir werden sie zerbrechen, unsere Handschellen! Und dann -- ein gutes +Werk werden unsere freien Hände verrichten -- gute deutsche Arbeit +werden sie tun! Ja, ihr lieben Feinde Deutschlands -- die Zeit kommt -- +sie kommt, sie kommt, und es fluscht mal wieder! + +»Jetzt müssen wir wieder nach einem anderen Katechismus beten«, sagte +Pastor Waermann. »Jetzt hol ich mir wieder meinen alten Ernst Moritz +Arndt hervor. + +»Wer Zwingherrn bekämpft, ist ein heiliger Mann! Wer Übermut steuert, +tut Gottes Dienst! Das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt! Das ist +das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt!« -- So der Alte und so +jetzt wir Neuen. Dies, dies ist unsere Glaubenslehre. Und keine andere +verkündige ich, bis der neue Tag anbricht.« + +Kunz hätte ihm um den Hals fallen mögen. Mit großen, glücklichen Augen +sitzt er da. Wir haben ihn, den Seelsorger, den wir brauchen! So Gutes +ist uns Siedlern beschieden! Und ich habe ihn gefunden -- an der Hand +des wonnesamsten Mägdeleins. Ich wußte ja, daß mir ein Frühlingswunder +geschehen würde! O du gebenedeite, verunglückte Riesenwelle am Reck, die +in diesen Lichtkreis mich fliegen ließ. Mich, den Entdecker, mich, den +Boten des Heils für die Kameraden. + +Vita, jetzt ganz als das Hausmütterchen angetan, das sie in ihrem +Hauptberufe war, brachte den Kaffee. Was hat sie für wundervolle Augen, +denkt Kunz. Nichts als Augen, Augen das ganze holdselige Gesicht. +Graugrün sind sie, wach, hell, groß und weit, und sehen alles, sehen bis +auf den Grund. Katzenaugen sind es, die schönsten der Welt. + +Wie kräuselt sich dieses rotbraun flammende Haar in Löckchen, in +goldigem Flaum um die schmale trotzige Stirn! Wieviel eigenwillige Kraft +spannt sich um diese leicht geschwungenen, ein wenig höhnisch +geschürzten Lippen. + +Sehr ernst und verantwortungsvoll ist jetzt ihr Gesicht, ein wenig +altklug wirkt so viel Würde, denn ihre Erscheinung hat immer noch etwas +Kindliches trotz ihrer achtzehn Jahre. + +Der Vater fährt ihr über die Stirn, die kraushaarige. »Meine Katz im +Schürzenlatz! Ist das nun so schlimm?« + +»Ach ja, Vater.« + +»Dieses »ach ja« hat es in sich. Sie verwünscht ihr Geschlecht. Als es +in den Krieg ging, wollte sie absolut mit. Vierzehn Jahre und ein Mädel. +Festbinden mußte man sie.« + +»Ich wär da draußen schon was nutz gewesen. Und hätte ich Euch bloß +Kugeln in die ersten Reihen getragen. Wie die Johanna Stegen.« + +»Ich trau Dir nicht. Du hättest mitgeschossen.« + +»Vielleicht.« Und dann sagte sie: »Nun, das nächste Mal.« + +Das nächste Mal. Dieses unheimlich große Wort -- in der kindlichen +Leichtherzigkeit, die es sprach, war doch der Klang aus tiefster Qual. +Die die Mädchenseele schlug, wie die Männerherzen. + +Das nächste Mal! Wie ein Denkmal stand vor ihnen dieses Wort. Furchtbar +und erhaben. Gebaut aus schwerster Not und düsterster Notwendigkeit und +gekrönt mit Flammen. + + + + + Die Goldberge + + +Lud Uhlenbrook hatte ein Grab geschaufelt. Frühling der Mörder -- mit +allem, was nur noch wenig Leben hat, macht er ohn Erbarmen kurzen +Prozeß. + +Auf dem Kirchhof war der Alte mit Lona zusammengetroffen. Sie begleitete +ihn nach Hause. Es gab sonst in ihren Gesprächen keine Politik. Aber +hier, wo die Luft und alles, was sie atmete, mit Hochspannung geladen +war, sprach die Politik von selbst. + +»Kommt nun der Streik?« fragte der Alte. + +»Er kommt.« + +»Hier auch?« + +»Hier zuerst.« + +»Und hier haben die Leute es noch am besten.« + +»Eben deshalb zuerst hier.« + +Da blickte der alte Lud nun doch in dunkle, ihm unbehagliche Gründe, und +er schüttelte den Kopf. Aber er rührte nie an anderer Leute Glauben und +Tun, und ließ sich selbst nicht daran rühren. + +»So viel kann ich Euch sagen, ich mache nicht mit.« + +»Lud« -- dies ungleiche Paar nannte sich beim Vornamen und duzte sich -- +»hier gibt es nur ein entweder oder!« + +»Dann also oder.« + +»Und damit stehst Du auf der Seite der andern.« + +»Ich steh für mich allein.« + +»Das gibt es nicht. Ein Allein gibt es nicht. Denn hier ist Krieg, und +hier ist Feind und Freund. Du aber bist unser Freund -- der Freund der +Unterdrückten -- Du selbst ein Mißhandelter.« + +Sie war nun anders, sie rührte schon an den Glauben anderer mit ihrem +Fanatismus, der ganz von selbst Proselyten machen mußte. Und der +Hochschwall der Propaganda brach über den Alten herein. + +Er schüttelte Schopf und Fell und sprühte den Wasserfall wieder von +sich. »Ich hab jetzt 'ne Arbeit, die mir Spaß macht. Und darum bleibe +ich bei der Arbeit. Ich zeig den Siedlern, was Torf ist. Und die Jungs +mag ich leiden.« + +Sie rannte nicht mehr an gegen diesen eigenwilligen Zyklopen. Er hatte +seine Höhle, die Einsamkeit. Wenn man ihn störte, kroch er in den +Schlund. Aber ihre Wut durfte sie befeuern gegen die Siedler, sie, die +gefährlichsten der Gegner, die festesten, die gewappneten und bewehrten. + +In der letzten Zusammenkunft, als der Haß gegen diesen Trupp der +Reaktion die Gemüter aufwühlte, hatte Genosse Knubart, der lauernd +Schläfrige mit der viereckigen Stirn und der sichernden Nase, in seiner +lässigen Art bemerkt: »Ihre Burg ist eine Holzbaracke. Und Holz brennt +so leicht!« + +Seit der Zeit fieberte der Gedanke in ihr: den roten Hahn ihnen aufs +Pappdach! Ein paar Handgranaten, geworfen in der Nacht bei +Frühlingssturm --! -- + +Wie standen diese Männer ihr im Wege bei dem Werk ihrer langsamen, +kalten Rache an dem Zerstörer ihres Lebens -- nicht weniger als bei der +großen Tat der Volkserneuerung. + +Lud, der gute, fühlte es, wie die giftige Glut wieder in ihr auflohen +wollte. Er nahm mit seiner vollen zärtlichen Pranke ihren Arm. +»So, Lütt, jetzt kommst Du mit rein, wir kochen uns einen +Sonntagsnachmittagskaffee. Und Du läßt Dir vom Moor etwas +vormusizieren.« + +Als sie beisammensaßen, klopfte es, und Horst trat in die Stube. Der +Alte, der ihm zugetan war, hieß ihn herzlich willkommen. So setzte er +sich zu ihnen. Zuerst heizten sie mit Torf die Unterhaltung. Horst +brachte eine gute Nachricht. Die alte Schlickeysensche Torfmaschine, die +lange unbrauchbar gelegen hatte, weil niemand hatte entdecken können, +was ihr eigentlich fehlte, war von einem seiner Leute wieder instand +gesetzt worden. Jetzt konnten sie also kräftig ins Zeug gehen! + +Horst war fröhlich und frisch. Mit einer kleinen bewußten Grausamkeit +ließ er diesen Erfolg der Siedlung ausklingen. Er wußte, daß alles, was +mit ihr zusammenhing, Lona zuwider war, die abgekehrt und verschlossen +dasaß. Mit diesem hochmütigen Gesicht und den in sich gekehrten, den +umgekehrten Augen, die er kannte. Sein Frohmut sollte der Abhängigkeit +wehren. + +Das Weib in ihr hatte längst gespürt, daß sie auf ihn wirkte. Ebensogut +empfand sie, wie er jetzt dieser Wirkung widerstrebte. Daß er sich +schützen wollte, bestärkte sie im Bewußtsein ihrer Machtmittel. Aber sie +war nicht verschlagen, nicht verschmitzt und tückisch genug, um +erotische Listen in den politischen Kampf zu tragen. Judithregungen +kleineren oder größeren Formats lagen ihrer Natur fern. Ehrlich wie ihr +Schmerz um den getöteten Freund, ehrlich wie ihre kommunistische +Überzeugung war ihre Feindschaft, ihr Haß, ihre Rachsucht. Vielleicht, +daß aus dieser Wahrhaftigkeit die Kraft stammte, der Horst sich nicht +entziehen konnte. + +Schon war sein Mitleid wieder obenauf, stärker als der Hang, an ihrem +Hochmut, dem unleidlichen, sich auszulassen. Und wieder lockten ihn die +Geheimnisse ihres Wesens, ihres Lebens, ihres Wirkens. + +Heut brech ich den Bann! Ist sie nicht auch ein Mensch, ein Weib, ein +junges Weib -- mehr als Dogma, als Klage, als Anklage und Rache? Atmet +sie nicht den Frühling wie wir? In dieser Breite, die ihre Heimat ist! + +Wer kann von der Heimat sich lösen? Niemand, auch sie nicht. Hat etwas +die Macht, diesen einen Klang in uns auszulöschen? Nichts auf der Welt, +kein Unglaube, kein Glaube, kein Fanatismus in Gedanken und Gefühlen, +keine Ekstase, keine Verdumpfung -- selbst in unsern Wahnsinn tönt der +Klang hinein. Und mag sie noch so gefangen sitzen in ihrem starren +System -- was sind Mauern für diesen Klang? + +Sie ist in der Heimat, die vom Frühling erschauert. Was bleibt bestehen +von der Welt, die sie sich aufgebaut hat in der künstlichen Mühsal +keuchender Gedanken! Hier ist nun einer, der den Frühling Deiner Heimat +mit Dir atmet -- er pocht an Deine Verschlossenheit. Wird ihm nicht +aufgetan? + +Sprichst Du nicht mit deutscher Zunge wie er? Ist nicht in Dir wie in +ihm deutsches Leben -- ob es an ungleich gestimmte Saiten rührt? Sind +nicht beide in Not, er wie Du! Sind beide nicht Suchende, Klimmende, +Steigende -- wenn auch auf verschiedenen Wegen, wenn für den einen der +andere auch in die Irre geht! + +Und vor Horst leben die Worte Gisberts auf -- was reden wir immer und +immer von den Unterschieden! Das Gemeinsame sollen wir suchen, des +Gemeinsamen sollen wir uns bewußt sein, immer und immer! + +Du sprichst deutsch und ich spreche deutsch -- wir sollten nicht +miteinander sprechen können? Und Horst richtet das Wort an Lona. + +»Kennen Sie unsere Goldberge hier?« + +»Ja.« + +»Haben Sie sich einmal von da oben die Welt angesehen, jetzt im +Frühlingsglanz?« + +»Nein.« + +»Das sollten Sie tun. Die See -- das Dünengelände -- die gotischen Türme +der Stadt -- all die Dörfer, eingebettet in Gärten -- ein Schimmer von +Grün haucht schon aus dem Grau. Und wie hierher nach Westen das hüglige +Feld in die Moorniederung verrinnt -- man sieht nicht viel so Schönes in +unserm Norden.« + +Sie ging artig darauf ein, wenn auch kühl und freudlos. »Damit machen +Sie einem beinahe Lust. Leider aber bin ich so einigermaßen +landschaftsblind.« + +»Das glaube ich nicht.« + +»Nicht?« + +»Nein. Weil Sie doch in der Musik leben.« + +Sie stutzte. Was weißt Du und was willst Du von mir? Dann ging sie den +Zusammenhängen in seinen letzten Worten nach. + +Horst aber, da er jetzt bei »musikalisch« war: »Uhlenbrook -- Meister -- +die Goldberge klingen ja -- deutlich hab ich das gehört!« Jungenaugen +glänzten dazu, wie voll von leuchtendem Märchenschreck. + +»Wenn Sie das gehört haben,« sagte der Alte, »dann sind Sie auch einer +von den Erlesenen.« + +»Erlesen? Wozu?« + +»Jetzt will ich Euch erzählen, was das mit den Goldbergen ist.« Wie die +Sage saß er in seiner Tabakswolke. »Da liegt ein König begraben, ein +Heerkönig, ein Seekönig. Der Mächtigste, den es gegeben hat. Der +Reichste an Taten, an Ehren und an Schätzen. Alle Meere hat er befahren, +von allen Küsten brachte er Gold und Gut nach Hause. Das deutsche Meer +aber war sein Reich, hier durfte niemand fahren ohne seinen Willen. Mehr +Jahre hat er gesehen, als die anderen Menschen und war darum auch weiser +als sie. Und wie es zum Sterben mit ihm ging, da befahl er, daß alle +seine Schätze mit ihm ins Grab gesenkt würden. Schätze darf man +erwerben, aber nicht vererben. Er sah seinen Nachfolger -- und sah den +Verfall seines Reichs. Mit einem Fluch über jede gierige Hand, die an +das begrabene Gold rühren würde, streckte er sich auf sein Sterbelager. +Denen aber, die nichts für sich selber wollen und begehren, die alles, +was sie selber haben und selber sind, dem Volke darbringen, denen +klingen die Stimmen aus dem Grunde. Denen singt das versenkte Gold. Ihre +reinen Hände sollen es heben, ihnen soll es die Macht mehren, daß sie +dem Volke helfen zu alter Herrlichkeit.« + +Horst überlief es wie leise zitternde Runen. Lona aber blickte wieder +voll Hohn. + +»Und das Reich des alten Königs zerfiel. Und das deutsche Meer war nicht +mehr deutsch. Sein Nachfolger wollte mit habsüchtigen Händen die Schätze +sich heraufholen, da erschlug ihn ein Nebenbuhler. Den aber meuchelte +ein anderer. Die Herrlichkeit kam nicht wieder herauf. Weil die Sinne +gierig waren und die Hände nicht rein. Und wie um den Kyffhäuser die +Raben, fliegen die Raubmöven um diesen Berg. Wenn aber eines Menschen +Fuß seine Höhe betritt, zu altheiligen Zeiten, zu Frühlingsanfang, zur +Tag- und Nachtgleiche, in der Thomasnacht, der längsten des Jahres, der +ersten der wilden Nächte -- und es tönt dann das Klingen zu ihm auf, so +ergeht an ihn der Ruf. Zum Helfer bist Du erkoren! Bleib getreu und +halte Dich bereit!« + +Bleib getreu und halte Dich bereit, so klang es nach in Horst. Und ihn +störten ganz und gar nicht Lonas hochgezogene Lippen. + +Sie schwiegen eine Weile. Jeder blieb bei seinen Gedanken. Das deutsche +Meer soll wieder deutsch werden! so flammte und lebte es in Horst. + +Jetzt nimmt Lona das Wort. »Es spricht ja wohl so mancherlei für den +alten Herrn Deiner Sage. Obwohl sein großartiger Standpunkt: das Gold +ist verflucht, stiehl Du also möglich viel für Dich zusammen, damit es +den andern nicht schadet -- obwohl dieser Standpunkt ein Maß von Edelmut +bekundet, wie ihn nur der Kapitalismus aufbringen kann. Im übrigen -- +warum die Deutung seines Vermächtnisses nun gerade in Patriotismus und +in Hurra auslaufen muß? Reine Hände und das Wohl der Gemeinschaft -- was +heißt das anderes, als daß sich niemand mit eigenem Besitz besudeln +soll!« + +Über Horst leuchtete eitel Friedfertigkeit. »Ist das nicht das +Wundervolle an unseren Sagen, daß sie mehr sind als ihre Deutungen? Daß +sie alle beschenken, alle beglücken!« + +Lona gab nichts darauf. Sie lehnte sich zurück und sagte dann in ihrer +laschen Überlegenheit: »Der eine Gedanke, muß ich ja sagen, macht mir +gerade hierbei ganz besonderen Spaß. Wie Ihr Teutonen immer über die +Juden herzieht mit ihrem goldenen Kalb. Und über ihre Psalter mit dem +Golde aus Reich Arabien. Seht Euch doch einmal Eure eigenen +Überlieferungen an. Um was geht es denn bei Euch? Nur und immer! Da ist +das Rheingold -- da ist der Nibelungenhort. Im Waltarilied -- diese +begeisternden Kämpfe Eurer Urzeithelden, in denen sie sich frohlockend +Arme und Beine glatt mit dem Schwerte abschlagen, um was werden diese +Heldenkämpfe geführt? Um den Hunnenschatz, den der edle Walter dem alten +Etzel ausgespannt hat. Und dann im ganzen Mittelalter, diese König- und +Kaiserkämpfe! Wer den Kronschatz hat, hat auch die Mannentreue. Die +Geschichte dieses Buschkleppertums -- läuft sie nicht weiter durch die +folgenden Jahrhunderte? Und geht es nicht in derselben Tonart fort bis +in unsere Tage? Was sagt Ihr dazu, Ihr Weisen aus dem Abendlande? Wie +heißt doch Euer Sprichwort? Treu wie Gold!« + +Verdrossen winkte sie selber sich ab, und Horst hatte keine Neigung nun +groß sein Streitroß aufzuschirren. Wogegen? Gegen eine blendende äußere +Dialektik, die an dem tieferen Wesen der Dinge vorbeijongliert? + +Er sagte nur ein bedächtiges Wort, das nicht angriff: »Solange das Gold +konzentriertes Brot ist --! Und solange der Mensch Brot zum Leben nötig +hat --! Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« + +Sie wollten beide nicht die Klingen kreuzen. Auch in ihr kam eine +Sehnsucht nach Stille auf, eine Lust, sich zu dehnen und die leisen +Schwingungen des Frühlings aufzunehmen wie ein streichelndes Heilmittel +für die wehen Nerven und das müde Blut. + +Lud Uhlenbrook hatte die Blicke auf seinem Moor. Dabei stöhnte er +unsäglich. So brüllt nur das Glück. Rehwild zog äsend an dem Waldrande +hin. Durch die leichten Zirruswolken streute die Nachmittagssonne +wehende Lichter wie Blütenflocken auf den grünlichen Dämmer der +erwachenden Gräser. Fröhlich kreisend schwangen sich Kibitze über den +Wiesen. + +Der Alte paffte seinen Knasterdampf vor sich. Dadurch sah ihm seine Welt +noch zauberhafter aus. Mit einer fröhlich herben Absage an die beiden: +»Wenn ich dies hier habe -- was geht mich das da draußen an! Ich pfeif +auf Euren Kram! Schlagt Euch die Köpfe ein, daß ich was zu begraben +kriege! Der Moordeubel bin ich, und der Torfdeubel bleib ich und dem +lieben Gott sein Lieblingsdeubel dazu! So -- und wenn einer gegen mein +Moor was sagt --! --« + +Lona regte sich. »Ich sag was, Lud Uhlenbrook. Du stehst vor Deinem Moor +wie der Ausrufer vor seiner Schaubude. Aber lauter Freud und Wonne ist +es wirklich nicht mit ihm. Ich bin da vor kurzem ganz gefährlich in den +Sumpf geraten -- ein paar Schritte weiter, und Du hättest mich in Deinem +Raritätenkabinett gehabt.« + +»Ja« -- und nun wurde der Alte großäugig angstvoll und warnte schwer, +»wie darfst Du auch weglos auf ihm herumabenteuern!« Die Pfeife wollte +ihm ausgehen. + +»Und ganz übel,« fuhr Lona fort, »ist dieser Fluß, der sich da +hindurchwindet, schwarz, träge und drohend. Ein Fluß, der nicht fließt, +der tückisch schleicht -- er plätschert nicht, er rieselt nicht, er +schult nur immer düster nach einem hin. Und seine angefaulten Weiden, +denen alle struppigen Haare sich sträuben -- menschenfreundlicher machen +sie ihn nicht.« + +Horst, der ihr mit weiten Wimpern zuhörte: »Und Sie wollen keinen Sinn +für Landschaft haben?« + +»Höchstens da, wo die Landschaft -- für mich so lebhaften Sinn hat. Aus +einer Art Notwehr. Ich kann mir nicht helfen, unheimlich ist mir das +Moor geworden.« + +Der Torfmeister sah ihr durch und durch. »Du hast die Moorangst, Kind! +Daß Du es nie ohne mich betrittst! Wer vorm Moore bangt, wird von ihm +gelangt!« Er hatte jetzt etwas Gewaltiges in den Augen. Und seine Worte +zwangen. + +Halb unwillig sagte Lona: »Wie ein alter Zauberer bist Du.« Aber ein +Nachdenkliches blieb über ihr. + + + + + Orgelklänge + + +Lona machte sich zum Heimweg fertig. Auch Horst wollte gehen. Heute +widerstrebte sie seiner Begleitung nicht. + +Erst sprachen sie von dem Alten. Sie hatten Scheu, den neutralen Boden +zu verlassen, den einzigen wohl, den es für sie gab. Dann aber wurde +Horst mutiger. Er wollte von ihrem Leben wissen. Er fragte. + +Sie hatte erst die großen Augen, erstaunt, unwillig. Dann aber -- er war +ihr nun doch schon in größere Nähe gerückt -- dann hörte er von ihr. Daß +sie als Schwester im Felde gewesen war, all die Jahre. Hinausgegangen +mit dem flammenden deutschen Herzen -- heimgekehrt in der Seele den Haß +und den Fluch auf den Krieg, auf das nationale Wüten, den nationalen +Frevel, daran die Menschheit sich zerreißt und zerfleischt und +verblutet. + +In wieviel brechende Augen hab ich gesehen, wieviel letzte Worte hab ich +gehört! Unwahr ist, was in Euern Büchern steht! Von der Verklärung in +Opferwilligkeit! Von dem letzten Licht, dem letzten Gedanken: fürs +Vaterland! Nichts hab ich gefunden als Klage, Groll, als Verzweiflung +und Verwünschung! + +Sie rief es in Ekstase. + +Wie hast Du Dich selbst betrogen, dachte Horst. Nur, was Du sehen +wolltest, hast Du gesehen! Ich weiß auch von brechenden Augen! Ich weiß +auch, wie deutsche Männer gestorben sind! Daß der Tod vorm Feinde ihnen +des Lebens Erfüllung war! + +Das große Sterben -- es war zuviel für Deine Frauenseele. So bist Du +verstört, so ist sie irre geworden. Und in Horst schwang das alte +Mitleid. + +Sie selbst wollte auch jetzt keinen Kampf der Meinungen. Von ihrer +eigenen inneren Wandlung sprach sie nun, offen und mitteilsam. Daß +alles, was sie an Gottesglauben mit herausgetragen habe, ihr im Felde +zertrümmert worden. + +Ich konnte einmal beten -- ich hatte meine Zweifel und kehrte zur +Andacht zurück -- dann aber hatte ich nur noch ein Lachen für mein +Gebet. + +Es war an der Aisne, in der Osterzeit. Unser Feldlazarett war überfüllt +-- wir betteten eine große Anzahl weniger schwer Verwundeter in der +Dorfkirche. Ein paar Operationen waren gemacht. Alle schienen gerettet, +alle, die hier lagen, hofften und träumten sich ins volle Leben hinein. +Der Ostersonntag. Draußen ein geradezu jubelnder Frühling. Da baten sie +mich, ich möchte ihnen doch die Orgel spielen. Ich tat es freudig, ich +selbst war dankbar und fromm. Das Auferstehen war in meinen Klängen. Und +voll Dankbarkeit und Frömmigkeit war das Gotteshaus. Nie ist reinere +Andacht gen Himmel gestiegen. Und plötzlich -- in die innigste Feier der +Seelen hinein -- das Grausigste, das Grausamste an wilder Vernichtung. +Ein Volltreffer aus schwerstem Geschütz. Die Decke stürzt ein. Die +Hilflosen, Schmerzensreichen, ans Kreuz Geschlagenen werden +zerschmettert, verschüttet, zermalmt. Hosianna in der Höhe! Ich mit der +Orgel hänge in dem Gebälk. Ich kann mich nicht rühren, kann nicht +hinunter. Kann nicht helfen. Und niemand kommt. Die Zeit erstarrt in +Grauen. Abenddunkel. Die letzten Schreie sterben, das letzte Röcheln der +Gemarterten erlischt. Ich -- allein. Und -- eine andere geworden -- + +Sie schwiegen. Worte hatten hier nichts zu sagen. + +Verstehen! Das war es, um was Horst im Innersten rang. Und die Frau, die +zerwühlte, zerquälte, wurde ihm vertrauter. Ihrer Welt, der fremden, +feindlichen, verschloß er sich nicht mehr in eigenem Glauben, eigenem +Willen, eigenem Werk. + +Sie aber fühlte, daß hier Schranken fielen. Daß es für sie beide, über +ihre Gegnerschaft und ihre Gegensätze hinaus, ein Schwingen gab, dem sie +nicht mehr widerstrebte. Einen Klang, auf den etwas in ihr lauschen +mußte. Also doch etwas Gemeinsames? + +Und wohl blinkte es in ihr auf: sind hier nicht die Keime einer Macht? +Einer Macht über den Feind? Ihn immer mehr lösen aus dem Selbstgefühl, +der Sicherheit seiner feindlichen Überzeugung! Ihn herüber ziehen -- ihn +gewinnen -- ihn bezwingen -- + +Ein fernes Licht, am fernen Horizont. Aber doch ein Ausblick, ein Ziel +-- ein Träumen noch -- und doch ein ahnungsvolles Hintasten nach der +Wirklichkeit, der Erfüllung -- + +Und wieder ein trotziges Sichzurückziehen. Nichts gibt es zwischen uns! +Nichts als den Kampf auf Leben und Tod. Der Du auf der Seite meines +Todfeindes stehst. Sein Schützling -- und sein Beschützer. Und darum +gehaßt von mir, Du wie er! + +Und doch wieder das Hinneigen. Und das hingegebene Horchen auf das, was +schwang. + +Wieder schwieg alles, was streitbar gegen ihn sich regen wollte. Sie +vergrub sich wieder in sich selbst, in die eigene Wandlung. Sprach mit +einer wehen Offenheit von ihren Kindertagen. Daß sie mit der Orgel groß +geworden sei. Wie sie mit der Orgel Gott gefunden habe -- den sie mit +der Orgel verloren. + +Sie wollte heraus, aber sie sank zurück. Und das Entsetzen wühlte sich +wieder durch sie hin. »Orgelklänge -- des Ewigen Ehre zu loben hat man +sie beflügelt -- ich hab ihm so meinen Fluch ins Gesicht geschrien! Den +Fluch und die Vernichtung! Die Gottesflucherin! Die Gottesmörderin! Nur, +wenn ich Dich glaube, lebst Du! Ich glaube Dich nicht, ich glaube Dich +nicht! Und damit töte ich Dich! Langsam -- quälend -- und mit Bedacht +--« + +Über ihrem Auge lag es wie eine blinde Haut, es flogen ihre Glieder, so +fror ihr das Grauen im Gebein. So schüttelte sie der Wahnsinn. So sank +sie in die tiefe kalte Nacht. + +Horst nahm ihre eisigen Hände. Da wachte sie auf. Und ihn traf ein fast +dankbarer Blick. Als wollte ihr einer Hilfe bringen in ihrer furchtbaren +Erstorbenheit -- als gäbe es für sie Hilfe. + +Dann strich sie das Haar so straff aus der Stirn, daß sie schmerzhaft +zuckte. Klopfte die beiden Schläfen mit beiden Zeigefingern und blickte +jetzt klarer und sprach jetzt still. Mit dämpfender Ironie. »Warum +soviel stilistische Erregung! Wenn man innerlich mit sich im reinen +ist!« + +»Wer ist das! Wann sind wir das! Dies im reinen halte ich meinerseits +nun -- Verzeihung -- für reine Stilistik.« + +Sie sieht ihn fest an. »Und doch, der große Gotteskünder, auf den Ihre +Welt eingeschworen ist, fordert nicht gerade er das Unbedingte? Immer +hat mich dieses »Ja, ja -- nein, nein« erschreckt. Das Grausamste, was +es gibt. Haben wir nicht im Grunde ein Recht auf Zweifel, auf Abwege, +auf Umwege, auf Irrtümer und Kämpfe?« + +»Wir habens! Und darum gibt es, solange Sie leben, auch für Sie keine +religiöse Totenstarre.« + +Zu dem Wort hob sie die Lippen wie zu einem Heiltrank. Aber dann +verschloß sie sich wieder, lehnte Horst ab, ging zu ihrer Musik und fand +eine müde Ruhe. »Wer hat die Musik die Kunst der Erinnerung genannt? Und +soll die Erinnerung selbst nicht Kunst sein? Erhaben ob dem Geschehenen? +Jenseits der Erschütterungen? So hab ich doch auch längst wieder die +Orgel spielen können. Es war zuletzt ganz Spiel um des Spieles willen. +Und die Töne waren über dem Leben.« + +Horst mußte denken, ob Du nicht so wieder heimfindest? + +Er sprach dann von sich selbst, was ihm das Orgelspiel immer gewesen +war. Im Schatten der mächtigsten Kirche einer alten Hansestadt steht das +Wohnhaus seiner Kindheit. Gedämpfte Orgelklänge begleiteten seine ersten +Träume. Was seine Jugend ersehnte, was durch seine junge Seele stürmte +und brauste, jeder Brand, jede Inbrunst seines Herzens -- alles zitterte +und lebte von dem Orgelklang, alles war von ihm durchwebt, von ihm +gehalten und geweiht von ihm. + +»Für mich ist das Orgelspiel Heimat. Und Heimweh.« Da sah sie ihn groß +an, und ihre Augen verstanden ihn. + +Und es bebte in Horst, als er sie bat: »Darf ich Sie nicht einmal Orgel +spielen hören?« + +Sie zuckte zusammen, von der persönlichen Berührung in diesem Wunsche. +Er und sie -- zu meiden hatten sie sich, sich zu bekämpfen, sich zu +vernichten. + +Ein Waffenstillstand? Mit Orgelmusik? + +War nicht die Fremdheit, die Feindschaft von ihnen abgefallen? Wo sie so +miteinander sprachen, hatte sich nicht fast ein Vertrautes eingestellt? + +Und sie gab die Antwort auf seine Bitte. »Ja, wenn sie mich hier noch in +die Kirche ließen!« Dann erzählte sie: mit dem alten weißhaarigen +Organisten von Sankt Nikolai wäre sie gut Freund. Er hätte ihr mehrmals +die Schlüssel zur Kirche gegeben. Die Orgel wäre ein vorzügliches Werk +von dem alten Zacharias Hildebrand. + +»Und jetzt?« + +»Jetzt hat die Geistlichkeit Einspruch erhoben. Sie verteidigt, der Zeit +zum Trotz, mit achtbarem Mut ihre Gotteshäuser. Ich darf mit meinen +umstürzlerischen Händen das heilige Instrument nicht mehr berühren.« + +»Sie sollen diese Ihre hohen Stunden wiederhaben. Ich werde mich dafür +einsetzen, daß Sie wieder Orgel spielen können. Und zur Belohnung darf +ich Ihnen zuhören, nicht wahr?« + +Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug ein. Und so trennten sie sich. + +Was war geschehen? Zwei Menschen, die das Leben zum Kampfe aufgeboten +hatte, die ein Vernichtungskrieg gegeneinander entflammte, die beiden +hatten eine Stunde des Friedens, der Gemeinschaft gefunden. Sie hatten +ausgeruht ineinander. Sie hatten sich beide beschenken können. Und +jetzt? + +Jeder ging wieder zurück in seine Schlachtreihe. Jeder nahm wieder den +Platz ein in seiner Front. Nur, daß sie beide das stille Übereinkommen +geleitete, dieses Beisammensein würde sich wiederholen. Wieder würden +sie denselben stillen Weg gehen und aufsteigen zu derselben sanft +belichteten Anhöhe, die über den Wolken des Tages lag. + +Den Feind verstehen, heißt die Welt begreifen. + +Wie lange aber, wie lange war ihnen die Nähe beschieden? Würde der Krieg +ihnen nicht bald genug diesen friedlichen Hang verwüsten? + +Oder -- gab es hier etwas zu retten für sie beide? Etwas, was mehr war +als die Zwietracht ihrer Gedanken, was über ihrer Feindschaft war und +ihrem Kampf? + +Sie trugen beide an dem Druck ihrer Hände, mit dem sie voneinander +geschieden waren. -- + +Zwei Einsame saßen in der Baracke und hüteten das Haus. Dankwart +Hamerslag arbeitete an seinen Modellen, Gust Elbenfried forschte in der +Schrift. Auch hier war im Schaffen, im Suchen, im Sehnen ein +Auferstehen. + +Einsam auch, ein Schwebender, zog Gisbert durch die Frühlingsheiligkeit. +Gen Osten pilgerte er -- da lag Mönkhov. Die Rhythmen der schönen, +tönenden See begleiteten seine Schritte. In den Dünen machte er Rast, +auf dem höchsten Gipfel schlug er seinen Thron auf, den Thron seiner +Sehnsucht. + +Unverwandt schauten seine Blicke nach Osten. Ganz unkörperlich seine +Sehnsucht, nicht einmal das Bild der Ersehnten nahm Gestalt an. Jenseits +von der Form blieb alles. Ein Lichtnebel die Welt, ein webender Glanz. +Und in ihm atmete das Glück. + +Daß Du lebst! Und daß ich weiß von Deinem Leben! Was will ich mehr? Was +brauche ich mehr? Ich fühle Deine Nähe, durchleuchtet bin ich von der +seligen Sicherheit meiner Habe. Wer kann mir von ihr etwas rauben? Wie +reich bin ich und wie stark! + +Du bist die Geliebte meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken +Dich zu fassen, das Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein +Ohr zu füllen, Deine Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will +ich Dich, nur wissen, daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! + +Rühren Worte an die Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken. +Über allem Sagen und Fragen, wortlos, gedankenlos ein sinnenfreies +Schwimmen im Himmelsraum, ein Ertrinken in Licht -- + +So saß Gisbert in starrer Entrücktheit ein göttlich Entschlafener auf +der Dünenhöhe, dieweil über die Meerflut hin der junge Frühling +schauerte. + +Erst die flüsternde Dämmerung weckte ihn aus seinem seligen Schlaf. Und +nun schlich es doch von Frühlingsangst in seine Jugend, seine junge +Jugend. Was fing so an zu singen in seinem Blut -- leise, leise und sang +doch immerfort. + +Und ein Taumeln, da er sich erhoben hatte, ward sein Schreiten, das nach +Osten ging -- wo er doch westwärts wollte, nach seiner Arbeitsstatt, der +Baracke. Wie er sich umwandte, keuchte er, beladen auch er von der Süße +und Schwere des Frühlings. + +Die Arbeit! Die Arbeit auch seine Zuflucht. Ihr mußte alles zum besten +dienen, alles Fühlen, alle Andacht, aller Kult, auch von Frühling und +Frau -- alles mußte einmünden und aufgehen in den Gottesdienst der +deutschen Arbeit. + + + + + Ausstand + + +Die Ziegelei war im Betrieb. Der erste Ziegelstein war gebrannt. Wie +eine Erstgeburt wurde er betrachtet und gefeiert, wie ein Täufling ging +er von Hand zu Hand. Eine helle Freude gab das und ein strammes Hurra -- +Muz kreiste singend um sich selbst und biß sich in den Schwanz, daß die +Haare stoben. + +Bauen, bauen -- war jetzt Losung und Feldgeschrei. In diesem Sommer noch +sollte das erste Haus unter Dach kommen. Für das Fundament galt es, +Findlingsblöcke zu sprengen, die reichlich im Gelände lagen. So +erfrischte und befeuerte eine Tätigkeit die andere. Im Siedlerhaus war +frohmütiges Wesen. + +Dankwart hatte das Modell einer Mühle konstruiert, die die Kraft des +Windes in Akkumulatoren aufspeichern sollte. Er hoffte auf ein Patent, +das die Finanzen der Siedlung stärken würde. Mit denen stand es nicht +zum besten. Aber auch die Sorgenfalten Mündners, ihres Rechnungsrats, +bügelte die Frühlingssonne aus. + +Die Sprengschüsse in der Felshalde lockten ein paar scheue Gestalten auf +die Höhen -- Müßiggänger, Beobachter? Das Knallen war ihnen nicht +behaglich, Ursache und Zweck schienen sie nicht völlig zu beruhigen. + +»Was sind das da oben für lauernde Vögel?« fragte Kunz. »Was bedeutet +ihr Erscheinen! Ich schließe auf Sturm.« + +Und es ballten sich die Wolken. Die Provinzhauptstadt entsandte ihre +»Agitatoren« und »Organisatoren«. Jetzt, wo es mit allen Händen an die +Frühjahrsbestellung gehen sollte, ward gebohrt und gewühlt. Der +Landarbeiterstreik kam ins Rollen. + +Immer noch hatte Herr von Borkhus sein überlegen gläubiges Lächeln. +Seine Leute waren wie immer. Still, gehorsam -- gehalten, zugeriegelt +und ducknackig. Wär das nicht ihre Art gewesen, hätte es Verdacht wecken +können. Aber so --! -- + +Da tritt eines Morgens sein langer, straffsehniger Inspektor bei ihm +ein. Ein Herr sei unten. Einer von den Roten offenbar. Er wolle mit +Herrn von Borkhus über die Lohnverhältnisse in Moorhof sprechen. + +»Was? Der Hetzer mit mir -- über die Lohnverhältnisse meiner Leute? +Sagen Sie dem Herrn, daß ich mit meinen Leuten über meine und ihre +Angelegenheiten selber zu sprechen pflegte. Daß ich mir seine +Vermittlung verbäte. Daß ich ihn ersuchte, meinen Hof -- nein, meinen +Gutsbezirk sofort zu verlassen! Aber sofort!« + +Schnaubend geht der Baron im Zimmer auf und ab. Der Inspektor setzt noch +seinen eigenen Trumpf auf die Bestellung. Herr Knubart -- dies ist der +abgewiesene Besucher -- zieht sich wohl ingrimmig vom Hofe zurück, auf +dem die Leute gerade zur Mittagspause sich befinden. Aber von ihnen +begleitet, macht er auf der Dorfstraße vor dem Hoftor halt, lehnt sich +an die Mauer und spricht zu den Umstehenden mit einer Ruhe, in der es +höhnisch und boshaft brodelt: »Euer Herr und Gebieter hat mich des +Landes verwiesen. Wie es bei Herrn und Gebietern so Mode ist, wird er +jetzt, wo ich hierbleibe, wohl die Hunde auf mich hetzen.« + +Er kennt das Volk. Er kennt die springenden Funken. In den Jungen flammt +es wild: »dat sall he maken!« Die Alten blicken düster und dumpf, auch +in ihnen schwelt es. + +»Vielleicht zeigt der Herr Baron mir aber,« so fährt der Sprecher fort, +»wie ich Euch besuchen kann, ohne den Grund und Boden, den er sein Eigen +nennt, zu betreten. Oder darf keiner zu Euch kommen, ohne seinen Willen? +Seid Ihr Eingesperrte! Seid Ihr Sträflinge!« + +»Dat wier noch beder!« Hier schreit etwas auf. + +»Sein Grund und Boden. Auf dem stehen wir ja allerdings. Und daran ist +nichts zu ändern. Wenn Ihr nichts daran ändert.« + +Da ist er wieder, der große, berauschende Fernblick. Die Sinne taumeln. +Und das Feld ist wohl bereitet, als der Baron jetzt mit dem Inspektor +hier draußen erscheint. + +»Ich dulde es nicht,« so tritt er dem Führer entgegen, der ihn blaß, +aber in eiskalter Gelassenheit erwartet, »ich dulde es nicht, daß Sie +hier auf meinem Gutsboden mir meine Leute aufputschen! Sie werden sich +auf der Stelle entfernen.« + +»Ich werde es, sobald die Leute sich nicht mehr mit mir zu unterhalten +wünschen. Wir befinden uns hier auf einer öffentlichen Straße --« + +Ȇber die ich aber die Polizeigewalt habe! Und die ich zu politischen +Hetzereien und zu politischen Ansammlungen nicht mißbrauchen lasse!« + +»Von politischer Versammlung ist mir nichts bekannt.« Und jetzt gab er +der Sache die gehörige Wendung. »Wollt Ihr Leute, daß ich, der ich Euer +Gast bin und Euch meinen Rat erteilen möchte, noch mit Euch +zusammenbleibe --?« -- + +»Ja! Ja! Hierbleiben! Wi sünd noch nich farig!« + +Herr von Borkhus hatte das Spiel verloren. Alles krampfte sich in ihm +zusammen -- er konnte nicht auf die Leute einreden, konnte die alten +Bande nicht schürzen, konnte nicht um ihre Seelen werben -- auch wenn +sein Stolz es nicht verschmäht hätte, die Sprache hätte ihm versagt. + +Aber, daß es um ihre Seelen zu werben galt -- gegen den Fremden, den +Volksverführer -- daß seine Mannen von ihm abfallen wollten -- wie hatte +er auf ihre Treue gepocht vor sich und den andern -- wie hatte er eine +Welt aufgebaut auf dieser Treue -- nun lag diese Welt in Trümmern. + +Der Inspektor aber -- ihm dankte der Herr einen großen Teil der +Abtrünnigkeit seiner Leute -- wollte die Karre nicht im Dreck stehen +lassen. Hier konnte nur ein Lachen helfen. Und er rief grinsend: +»Volksbelustigung! Wanderprediger! Kurpfuscher! Anreißer und Hausierer +gehören auf die Landstraße! Unsere Leute wissen schon, was sie von dem +Schwindel zu halten haben.« + +Er führte mit heldenhafter Miene den Baron, der mühsam sich aufstützte, +nach dem Herrenhaus zurück. Die anderen fühlten den Sieg. Das erhitzte +ihnen das Blut. Knubart aber wußte, daß er das Eisen zu schmieden hatte. +Und er schwang den Hammer. + +Nach einer Viertelstunde hatte er sie soweit. Sie faßten den Beschluß -- +die paar Alten, die Scheuen oder Hartnäckigen wurden verängstigt oder +überrannt -- zwei sollten als Abordnung zu dem Gutsherrn gehen und +verlangen, daß er Knubart als ihren Vertrauensmann empfinge und mit ihm +die Verhandlung führte. Weigerte er sich: Ausstand mit dem +Glockenschlag! + +Und so geschah es. Die Abordnung, zwei von den jüngsten Schreiern, flog +hinaus, am Nachmittag ging niemand mehr zur Arbeit. + +Herr von Borkhus saß allein und grübelte dumpf vor sich hin. Die +wirtschaftlichen Gedanken, mit denen der Inspektor ihn überschüttete, +hatte er von sich getan. Seinem Leben hing er nach. + +Was war ihm noch geblieben? Das Vaterland in Schutt gelegt, und jetzt +sein eigenes Haus, das Reich seines eigenen Schaffens unterhöhlt und im +Verfall. Ein Krüppel war er! Die Arme, die ach so müden und doch immer +noch hoffnungsvollen -- waren sie ihm nicht glatt vom Leibe gehauen! Ein +Stumpf war er, nutzlos -- nur daß das Herz noch in ihm schlug, und in +dem Herz schlug der tödliche Gram. + +Und wenn er nicht so ein Tor gewesen wäre! Ein Narr! Ein Kinderspott! +»Meine Leute! Wie verwachsen sind sie mit mir!« Und nun dieser +hergelaufene Fremde, dieser kaltäugige, kaltschnäuzige Gesell, lehnt +sich an die Hofmauer, und von oben hin zieht er all die Männer an der +Nase zu sich her. Läßt sie tanzen, wie er pfeift. Alle, all die Getreuen +ihres Herrn! + +Nach Horst, dem jungen Freunde, ruft seine Seele. Vor dem hat er am +meisten sich gerühmt. Aber der ist ihm gut gesonnen, vor dem braucht er +sich nicht zu schämen. + +Horst findet Strempel, den schrägäugigen, bei dem Baron. Mit seinem +»komplett« hat er aufs neue der Meinung und dem Willen des Herrn sich +zugeschworen. Eine kleine Genugtuung ist das. Und die Dumpfheit ist +wenigstens im weichen. Horst aber findet, daß in den schiefen Lidern und +all den Falten des verkniffenen Gesichtes etwas lauert. Darf er es +sagen? + +Die Herren sitzen beisammen. »Ja, Horst, ich gehöre nicht mehr in die +Zeit. Abgetan -- spurlos. Mitleidlos. Nun selbst zum Schutt, zu den +Scherben geworfen.« + +Horst kam von der Zyklopenarbeit des Felsenrückens. Seine Muskeln +zitterten. Sie wußten von Männerkraft und Männerglauben. + +»Ein glatter Überfall ist dies. Krieg um des Krieges willen. Die +Verständigung planmäßig hintertrieben. Sie wollen den Bruderkampf. Wir +müssen ihnen das Handwerk legen.« + +Auch hier gelte es, ein Beispiel zu liefern! Und den Arbeiterführern, +die die Welt unter sich zu verteilen anfingen, sollte denn doch um ihre +Gottähnlichkeit bange werden. + +Horst stellte dem Baron seine Siedler als Nothelfer zur Verfügung. Alle +würden sie Hand anlegen, die meisten von ihnen wären mit der +Landwirtschaft vertraut. Die Frühjahrsarbeit sollte weitergehen -- und +lange Gesichter würden ihr zuschauen! + +Und in die großen schweren Augen des Barons kehrte ein Leuchten zurück, +abendlich und weh, aber sie hatten doch wieder lebendigen Schein. Die +alte Kampfnatur reckte sich in die Höhe. Er gab als Herr seine +Anordnungen für den folgenden Tag. + +Horst brachte in seiner Körperschaft die Angelegenheit zur Sprache. +Helle Hilfsbereitschaft leuchtete auf. Nur in Mulitz, dem Maurer, und in +Metzling regten sich genossenschaftliche Widerstände. Aber die +Einmütigkeit verschlang sie. Schon in der Nacht fanden die ersten +Siedler auf dem Hof sich ein, das Vieh zu besorgen. Mit dem Morgengrauen +war die Mannschaft auf den Kartoffeläckern. Die Pflanzmaschinen waren in +Betrieb gesetzt, fröhlich ging die Arbeit von statten. Am Wegrand +zeigten sich verdrossene und drohende Gesichter. Streikende +Landarbeiter, denen ihre Macht aus den Händen geschlagen war. + +Kunz sang ihnen lustige Kartoffellieder vor. Wie Knollen flogen die +knolligen Reime ihnen um die Ohren. Wütend schlichen sie beiseite. + +Dann rotteten sie sich zu Hauf. Den Siedlern, diesen »gottverdammten +Hunden« sollte es ans Leder gehen. Die Hitzigsten wollten auf der Stelle +gegen sie losbrechen. Den Bedächtigen gelang es, den Sturm zu +beschwören. Aber am Abend, in der Dunkelheit, sollte es den +Heimkehrenden eingetränkt werden! Daß sie das Wiederkommen vergäßen! + +Horst hatte die Augen und Ohren überall. Er ahnte nichts Gutes. Wilde +Drohworte flogen ihnen zu. Er mußte auch um die Baracke sorgen. Ein +»giftiges Geschwür« hatte sie einer genannt, tobend mit geiferndem Mund +-- ein Geschwür, das »ausgebrannt« werden müßte! + +Die wachsende Wut verhieß auch dem Hof übles für die Nacht. Da bestimmte +Horst, daß die Maschinengewehre hervorgeholt würden. Zwei kamen nach dem +Gut, zwei wurden vor der Baracke aufgestellt. Die Arbeiter schäumten. + +Die Siedler waren bewaffnet, als sie abends heimzogen. In der Dämmerung, +aus dem Knickbusch wurden sie beschossen. Kunz, der den Zug führte, ließ +sofort das Feuer erwidern, dann den Busch stürmen. Die Meuchler hatten +sich in dem Dunkel zerstreut. Von ein paar Streifschüssen war Blut +geflossen. Das Blut gab jetzt dem Groll die Überhand und der +Kampfbegier. + + + + + Feurio + + +Gisbert war mit einem Schutztrupp auf dem Hofe zurückgeblieben. +Verdächtige Gestalten schlichen um die Mauer. Dankwart fand sich ein und +richtete vor dem Maschinengebäude aus altem Material einen Scheinwerfer +her. Es war Krieg. + +Ruhig verliefen die Nachtstunden. Die Mannschaft wurde schläfrig, da es +auf den Morgen zuging. Der Himmel sternenlos, dunstig die Luft und +schwül, unheimlich warm für die Jahreszeit. Kein Hauch regte sich. + +Da zuckt etwas durch die Nacht. Ein leichter Windstoß. Tastend, wie +fragend. Und wieder ein leiser Ruck. Und dann ein kurzes Schnauben. Und +wieder Stille. Und dann holt der Wind tief Atem, und nun pustet er vor +sich hin. Erst noch gemächlich, wie zum Spaß und wie für sich selber. +Dann aber bläst er mit voller Lunge, daß auch die andern was haben. + +Noch ist es dunkel, noch wird er des Dunstes und der Wolken nicht Herr. +Aber der Widerstand reizt ihn und jetzt faucht er zornig sie an. Ein +junger Frühlingssturm braust in die Welt. + +Da -- ein Bersten -- ein Krachen -- als wenn Granaten splittern -- was +ist es, das sein Ungestüm zerbricht? Ist es an den Gebäuden, ist es an +den Bäumen des Parkes? + +Herrgott! Flammen schlagen auf! Da auf dem Strohdach der Scheune! Es +sind wirklich Granaten gewesen. + +»Feuer!« brüllt der Ruf. Alles ist gleich auf den Beinen. Nach dem +Spritzenhaus! + +In fressenden Streifen peitscht der Wind die Glut über das Dach. + +Der Inspektor, halb angezogen, ist zur Stelle. Herr von Borkhus +erscheint am Fenster -- hinkt eiligst zum Hof hinunter -- der Diener, im +Hemd, folgt mit den Kleidern -- notdürftig zieht der Herr sich an. + +Der Diener hat das Feuerhorn von der Wand im Flur gerissen. Nun bläst er +von der Schwelle in die Nacht -- immer im weißen wehenden Hemd -- wie +einer der Cherubim anzusehen. + +In der Baracke hören sie den Ruf, der Torfmeister hört ihn, durch die +Dorfstraße wälzt sich der Schall. + +Helfer kommen. Die Spritze ist am Werk. Der Inspektor befiehlt. + +In wilder Arbeit -- all die rotbegluteten Gestalten -- die feurigen +Gesichter verzerrt in fiebernder Mühsal -- das Scheunendach eine +prasselnde Flamme -- ganze Bündel Feuer reißt der Wind ihm aus -- und +streut sie auf die Ställe -- die gilt es zu retten, auf ihre Dächer den +Wasserstrahl! Pumpen! Pumpen! + +Und das Vieh in Sicherheit bringen! + +Wenn nur der Sturm nicht so mit Flugfeuer wütete. + +Ungebärdig die Tiere. Die Pferde keilen und steigen. Angeschirrt sind +sie, daß man sie halten kann. Wie die Wahnsinnigen toben sie in der +Sturmflut des Lichtes und der Lohe, reißen an den Zügeln, wollen zurück +in den Stall. Wie soll man sie bändigen? + +Und der Sturm peitscht weiter die Feuer in fliegenden Fetzen -- + +Pumpen! Sie pumpen sich die Seele aus dem Leib. + +Der Pferdestall ist der Scheune am nächsten. Schon siedeln sich +Feuerkreise an auf seinem Dach. Wie lange noch wird der Strahl sie +austilgen können? Das Wasser verdunstet im Gluthauch. + +Und gewaltiger wird der Höllenschlund der brennenden Scheuer. +Feuerwolken wallen aus ihr empor. Durch die glühenden leckenden Sparren. +Das Getreide ist in Brand geraten und ballt und wirbelt seine Lohe nach +oben. Wie soll man den Pferdestall schützen gegen diesen Orkan von +fegenden Gluten? + +Männer sind aufs Dach gestiegen -- der heilige Josef sitzt zu oberst. +Ein Junge ist der Handlanger. Gewandt wie ein Kletteraffe. Eimer werden +gereicht. Sie gießen und gießen. Gießen sich selbst Wasser über den +Kopf, über den Leib. Unerträglich ist die Hitze. + +Sie müssen hinunter. Der Junge will nicht. Herunterzerren müssen sie +ihn. Nun taumeln sie auf den Boden, ausgemergelt, welk, kraftlos, +verdorrt. Auch der Stall ist verloren. + +Die hellen Flammen sitzen auf dem Dach und die Männer pumpen, pumpen. + +Ist hier nicht alles Tun umsonst? Gegen Sturm und Feuer im Bunde? Der +Pferdestall -- er wird das Feuer in den Schafstall weitergeben -- von +dem brausen die Flammen zum Kuhstall hinüber -- und diesem einen großen +Meer von fressenden Gluten -- wird das Herrenhaus ihm widerstehen? Die +Vernichtung bricht herein über Moorhof. + +Herr von Borkhus steht selbst an der Pumpe -- auch der Torfmeister ist +da -- auch der lahme Pastor Waermann. Man fragt nicht nacheinander, man +sieht sich kaum. Man arbeitet nur -- man pumpt und pumpt -- + +Keiner auch spricht ein Wort, mit den keuchenden, ausgedörrten Lippen. +Nur kurze, trockene Kommandos des Inspektors schallen, der als +Brandmeister waltet. + +Jetzt -- ein krachendes Getöse -- das Dach der Scheune bricht zusammen +-- einen Höllentanz vollführen die aufgestöberten, befreiten Gluten in +der tosenden Luft -- + +Zerstörung -- unaufhaltsame -- zu schwach sind sie, zu wenig -- kommt +keine Hilfe -- von den andern Gütern -- von der Stadt? + +Mehr Spritzen werden gebraucht. Weithin sichtbar das Feuer! Viele Meilen +in der Runde! Aber auf den Gütern -- auch da wird gestreikt -- sind da +die Mannschaften zur Stelle? Wagen es die Herren, ihre Feuerspritzen +fortzuschicken? Droht nicht auch ihnen der rote Hahn? Der Farbenbruder, +der Parteigänger und Verbündete der roten Gesellen? + +Hufschläge auf dem Pflaster des Hofes -- ist das die fremde Hilfe? Nein +-- Pferde, die sich losgerissen haben -- sie stürmen, voran ein +mächtiger Fuchs, hinein in den brennenden Stall. + +O Grauen! Die unglückseligen Geschöpfe! Es wogt durch die Männerreihen! +Vielleicht ist es noch nicht zu spät -- + +Zwei Männer stürzen den Tieren nach. Nasse, wollene Halstücher um den +Kopf geschlungen. Man kennt sie nicht gleich. Alle starren sie, von +Grauen festgebannt. + +Jetzt heißt es: Gisbert und der heilige Josef -- + +Auch zwei Menschen in dem brennenden Gebäude! Sie pumpen fieberhaft -- +die Augen quellen ihnen aus den Höhlen -- die Gesichter sind +rauchgeschwärzt -- wie büßende Dämonen sehen sie aus, wie verdammte +Seelen -- + +Und starren alle auf die Tür des brennenden Stalles. Da -- ein Paar +Tiere werden hinausgejagt -- ein Paar hinausgeführt von den beiden +Männern, die sich nicht auf den Füßen halten -- sie brechen zusammen -- +die Tiere haben sich losgerissen -- sie stürmen im Kreise und dann mit +gesträubten Mähnen und selbst feuerschnaubend hinweg über die beiden +hingesunkenen Männer wieder hinein in die Tür, die schon anfängt, Feuer +zu speien -- wiehernd hinein in den Flammentod. + +Jetzt sind Helfer bei den liegenden, überrannten, zertretenen Gefährten. +Gust Elbenfried steht mühsam auf -- aber Gisbert -- was ist mit Gisbert? +Aus tiefer Kopfwunde blutet er und ist besinnungslos. + +Horst hält seinen Kopf. »Gisbert -- Du Freund aller Kreatur -- Du +lieber, armer Junge -- und immer unser Sorgenkind --« -- + +Sie tragen ihn ins Haus. Ein Sanitäter verbindet ihn. Die Wunde ist +böse. + +Ein Arzt muß her zu meinem Jungen! Mag hier der Plunder verbrennen! Die +Häuser -- das Vieh! Um Gisbert geht es! + +Horst holt sich ein Pferd und jagt in die Stadt. An den Goldbergen +galoppiert er vorüber. Zuschauer stehen auf den Höhen. Feindlich +gesinnt, da sie nicht helfen. Voll böser Gedanken, mit Verwünschungen. + +Dort auf dem einsamen Hünengrab, dem Hügel abseits, eine einzige +Frauengestalt -- dunkel -- fahl beleuchtet von der fernen Feuersbrunst. +Kauernd, vornübergebeugt, mit all ihren Sinnen, all ihrem Willen +schürend in dem Feuerwerk der Vernichtung. Wie der böse Geist des +nächtigen Unheils. + +Vorüber! Was ist ihm das Weib! Nicht sich mit Gedanken beladen! Leicht +und schnell in die Stadt -- und mit Hilfe zurück zum Jungen. Nur der -- +nur der! + +Der Gaul ist verstört von der Feuersbrunst -- so unruhig -- nur ein +mächtiges Nervenbündel -- und er selbst -- auch ihm zucken alle Fasern +-- sich zusammenhalten -- sich und das Tier -- -- + + * * * * * + +Und jetzt auf dem Hof -- da Gisberts Blut strömte und die Pferde sich +hinopferten -- als wäre das Schicksal versöhnt -- ein Wunder geschieht +-- die Flammen brausen nicht mehr vorwärts -- sie steigen himmelan -- +sie wenden sich -- der Wind hat sich gedreht -- ein großes, tiefes, +freies Atmen geht durch all die stickenden Männerlungen -- beschworen +das Unglück -- gerettet -- gerettet -- + +Nun donnern Wagen den Hof herauf. Die Feuerwehr aus der Stadt -- + +Sie ist willkommen. Ablösung ist not. Und der Brand ist noch längst +nicht erloschen. + +Auf der Diele des Herrenhauses ist ein Büfett hergerichtet. Hier werden +jetzt Stärkungen ausgeschenkt. Strempel ist der Marketender und besser +hier am Platz als da draußen. + +Jetzt, wo die Gefahr bewältigt ist, kann der Baron als Wirt die Ehren +machen. Noch fiebernd von dem Kampf, geschwärzt wie all die +Kampfgenossen, gehoben durch die Gemeinschaft über alle Gedankennot. Er +kippt mit dem Torfmeister einen kräftigen Korn. Und fast fröhlich bebt +ihm der Sinn, als der Alte von selbst erzählt: junge Arbeiter aus der +städtischen Eisengießerei wären hier mit Handgranaten im Gelände +herumgeschlichen -- das wären die Brandstifter, nun und nimmermehr +Moorhofer Leute! + +Da drückte er die Flosse des Alten: »Ich wußt es. Und daß Du, Alter, bei +mir bliebst! Und Strempel auch! Mit der Treue ist es wie mit dem +Verstand -- sie ist immer nur bei wenigen gewesen.« Beruhigt blickte er. + +Männer kamen und gingen, alle schwarz wie die Teufel. »Ein Negerdorf +sind wir«, sagte Borkhus, und hatte Lust zu lachen. + +Eben brachte Kunz einen Negerjungen herein -- der da oben auf dem +Dachfirst des Pferdestalles für drei herumhantiert hatte -- und war doch +ein Mädchen, Vita, das Pfarrertöchterlein im Turnanzug. Ihr Vater +stelzte hinterher. Da gab es ein Erkennen und Lobsprüche, ungemessen, +auf die Heldenjungfrau. + +Ihr aber ging das nicht ein. »Ist das Heldentum, was einem Spaß macht? +Heldentum ist, wenn ich Kaffee kochen muß.« + +Kunz sprang zu Gisbert hinauf. Er brachte den traurigen Bescheid, daß +die Besinnung immer noch nicht wiedergekehrt sei. Er werde sich mit +Horst, der jetzt bei ihm sitze, in der Wache bei dem Freunde teilen. Und +die Schatten der Todesnähe legten sich mit dunkler Ruhe über die +aufgestörten noch immer nicht gesammelten Gemüter. + + + + + Heil dir, du deutsche Jugend! + + +Horst saß an Gisberts Lager und umfaßte seine Hand. Mit aller Inbrunst, +die das Leben des zu Tode Getroffenen halten wollte. Der Schädel war +angeschlagen und zersplittert, eine schwere Gehirnerschütterung hatte +ihn in Nacht geworfen. Der Arzt gab leise Hoffnung. + +Wächsern von dem Blutverlust war das feine Gesicht. Starr gestreckt, +leblos lagen die edlen schlanken Hände. Frauenhände. Und hatten all die +Zeit so schwer und treu gearbeitet an männlichem Werk. + +Du darfst mir nicht sterben, Junge, Du lieber -- so grub und dachte +Horst ohn Unterlaß. Sein Wille wühlte und flehte und zwang. + +Draußen leuchtende Frühlingsmorgenlust. Durch den geöffneten +Fensterspalt drangen die Lieder aus schmetternden Finkenkehlen. + +Vom Hof her gedämpfte Menschenstimmen. Den Rauch und Ruch von der +Brandstätte verwehte der Wind nach anderer Richtung. Das da draußen, der +Ausstand, der Aufruhr -- wie fern lag das alles dem pflegenden Freund. + +Bin ich ein Führer? Die Sache will mich -- die Mannschaft wartet meiner. +Versunken die Sache, die Pflicht, der Beruf. Hier muß ich führen -- die +gelöste Seele wieder ins Leben führen, das ist mein Amt. + +In meiner Hand, die Dich hält, ist mein Wille -- und mein Wille hat +seine Kraft -- Leben ist mein Wille -- in Deine entseelten Finger ström +ich es ein -- + +Die Finken schmettern ohn Unterlaß in den aufleuchtenden Morgen -- stark +ist das Leben und froh -- + +Zuversicht -- des Glaubens Frohheit ist des Willens Odem und Herzschlag +-- ich will, daß Du lebst -- ich glaube, daß Du uns lebst -- Gisbert, Du +geliebter Junge! + +Und sieh -- ist da jetzt nicht ein leises Schwingen -- ganz leise unter +der kalten Haut Deiner Finger -- nur meiner hütenden, Dir ganz ergebenen +Hand vernehmbar -- aber es ist -- es ist! + +Und da -- Hufschläge vor dem Haus -- ein leichter Wagen fährt auf die +Rampe -- wenn es das ist, wenn eine Nähe mir hilft, Dich zu beleben -- +eine Nähe, die Du ahnst, die Du fühlst -- die Dich zurückruft, +zurückschmeichelt in das Diesseits -- + +Ja, eine neue Kraft ist erschienen -- ist ins Haus gekommen -- eine neue +Hilfe, eine bessere, stärkere -- + +Steigt nicht ein leichtes Rot in Dein Gesicht? Beben nicht Deine Lippen? +Zuckt es nicht in den gesenkten Lidern? + +Jetzt -- die Tür tut sich auf -- Frau Tilde tritt ein -- jetzt weiß ich +es, Du wirst gehalten, Du wirst gewahrt, Du wirst gerettet! In ihre Hand +leg ich Deine Finger. Ihrer Sorge, ihrem Willen, ihrem Glauben +überantworte ich Dich. Jetzt habe ich die Gewißheit, daß Du lebst! + +Tilde ist allein mit Gisbert. Schon hat der Schlaf ihn in die Arme +genommen, an das Leben ihn wieder auszuliefern. Der Atem fängt an, ruhig +zu gehen. Der Puls setzt nicht mehr so bedrohlich aus. + +Augen wachen über ihm, in die seines eigenen Daseins Licht sich +eingesenkt hat. Seines Schicksals Sternenglanz bestrahlt ihn. Jetzt hebt +und trägt es ihn diesem Schein entgegen. + +Seine Lider zittern. Ein dünner Spalt -- scheu, angstvoll, ungläubig +noch lugt der Blick hindurch in die entrückte, unfaßbare Wirklichkeit. + +Aber jetzt träufelt und tropft es hinein von dem seligen Glanz -- ein +glückhaftes Erschrecken -- groß im Offenbarungsschauer tut das Auge sich +auf -- und jauchzt in den Schein -- und schließt sich dann wieder, müde +von des Glückes Unendlichkeit. + +So gaben Frau Tildes Augen dem todwunden Gisbert das Leben wieder. + +Jetzt nach diesem Rettungswerk braucht auch der Vater ihre Hilfe. Von +all den Erregungen und der krampfhaften Anspannung der Kräfte ist er +doch zusammengeklappt. Tapfer gibt er sich. Aber die Tochter sieht +tiefer. + +Sie will ein paar Tage hierbleiben. In Mönkhov sei es nicht so schlimm. +Nur ein Teil der Leute habe die Arbeit niedergelegt. + +»Und bei mir alle im Ausstand. Und im Aufstand.« Wie viel Schmerz birgt +sich unter dem Lächeln. + +»Ihr seid hier bei der Stadt. Und Du bist der große Politiker. Du bist +ein Programm. Du, unser Eckpfeiler, wirst am heftigsten berannt.« + +Das gefällt dem alten Kämpen nun wieder. Und er schmunzelt auf: »Gut +denn! Ehre, wem Ehre gebührt.« + +Er hielt sich aufrecht, solange Tilde im Hause war. Die wie ein guter +Geist hier wirkte. Nur, daß auch sie mit den Leuten keine Fühlung +gewann. Als ob die sich schämten vor ihr, zogen sie sich trotzig und +verbissen noch mehr zurück. + +Weiter halfen die Siedler. Und sie huldigten begeistert ihrer lieben +Frau. + +Dann wurde ein Teil von ihnen auf einem Nachbargut begehrt. Auch hier +drohten Gewalttätigkeiten. So ging ein Maschinengewehr dorthin ab. + +Für die Feldarbeit aber fand junge Hilfe aus der Stadt sich ein. Doktor +Georg Stump erschien mit seinen Gymnasiasten, seinen Turnern auf dem +Plan. Mit dem Lied der Jugend an die deutsche Erde kamen sie angerückt. + + Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen + Du bist der Ausgang, Du das Beginnen! + Nicht einen Bissen von deutschem Korn, + nicht einen Tropfen aus deutschem Born, + Deutschland, daß wir nicht dächten Dein! + Frei sollst Du sein! + +Horst ging das Herz auf. Er liebte die Jugend. Und diese nun, unsere +Jugend! Was gräbt sich an Nachdenklichkeit, an Bitternis, an heiligem +Zorn um den Frohmut der hellen Augen. + + Wir sind die Jungen, in Not gestählt, + In Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt! + +Doktor Stump tritt wie zur Meldung vor Horst. Nur zwei seiner Zöglinge +haben sich ausgeschlossen -- der eine aus ehrlicher, verzehrender +Überzeugung, der andere aus ebenso ehrlicher, verfressener +Überzeugungslosigkeit. Der Herr Direktor, Freund der Gesten und Feind +dem Festen, einer von den hochbeinigen Leisetretern habe gewarnt und +abgewinkt. Aber es seien Ferien, und eigene Entschlüsse gelten. + +Horst teilt die Jungmannschaft in Trupps und weist diese den einzelnen +Gütern zu, die am nötigsten Arbeitskräfte brauchen. An die Spitze der +kleinen Schar, die für Moorhof bleibt, setzt er sich selbst. + +Er nimmt sie gehörig heran. Sie müssen Dung fahren und streuen. Er +selbst ihr Vorarbeiter -- die Knochen werden nicht geschont. + +Sie bleiben die Nacht auf dem Hof. Ein Heuboden ihre Ruhestatt. Sie +sehen das Bild der Zerstörung. Die jungen Seelen fühlen, wer im Grunde +die Schuld trägt. Woher die Verzweiflung stammt, die hier gewütet, die +den Bruderkrieg entfesselt hat. Fluch den Zerstörern deutschen Lebens! +Dem altbösen Feind! + +Zum Feierabend führt Horst sie auf die Goldberge. Erzählt ihnen, was der +Alte ihm verraten. All die jungen Augen und Ohren lauschen. Und lauschen +jetzt, ob es in dem Berge klingt. Ja, ja ihnen allen tönt es aus dem +Grunde! + +Sie alle, alle sind berufen! Jubelnd umschlingen sie sich. Blutbrüder +sind sie. Und singen Schwertlieder. + + »Stahl, von Männerfaust gezwungen, + rettet einzig dies Geschlecht!« + +Ein Überschwang von Kraft, von Stolz, von Freude steigt himmelan. Mit +keuchender Brust, die Augen voll Tränen, verwünscht einer die +»Dämonenbrut«. + + »So lang sie in Germanien trotzt, + ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!« + +Und ein anderer, verzückt in die Weihe seines Schwures -- wir wollen +nicht, können nicht als Knechte leben! Und können wir nicht siegen, wir +wollen ihnen zeigen, wie man stirbt! + + »Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert, + hilflos, wie er schon am Abgrund steht. + Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert, + Wert der Leiche, die zu Grabe geht!« + +Heiliger junger Überschwang! Auch Horst werden die Augen feucht. Heil +Dir, Du deutsche Jugend -- so jauchzt und schluchzt es in ihm -- heil +dir, du deutsche Zukunft! + +Eine Freundschaft ist geschlossen zwischen den Jungen und Horst, dem +Mann. Gehärtet im Feuer der flammenden Herzen. + +Horst bespricht sich mit Dr. Stump. Die Jungen sollten wiederkommen. +Auch wenn der Ausstand vorüber wäre. Wöchentlich einmal zu einer Art +Felddienstübung. Und Kriegsgeschichte wollte er sie lehren im Freien. +Sie selbst sollten die Schlachten der Vergangenheit sich darstellen. Und +sollten sich damit entwickeln für die mächtigen Aufgaben der Zukunft. +Horst, der Doktor, die Jungen -- sie alle waren Feuer und Flamme. + +Hier habe ich nun ein neues Feld! Horst atmete tief. Und wenn die alte +Pflicht mir zu schaffen macht, diese neue wird mir helfen, beide zu +tragen. Münden sie nicht beide in mein großes Lebenswerk? Die allgemeine +Arbeitsdienstpflicht mit vorzubereiten! Und aus ihr eine Stamm- und +Lehrtruppe herauszuschulen, als Mittelpunkt der Miliz, die Deutschland +haben muß, wenn es leben soll! + +Gegen eigene Ermüdung, gegen Verzagtheit, gegen Fahnenflucht -- diese +junge Mannschaft als eine Art Schutztruppe ziehe ich mir heran. + +Eine Schutztruppe auch gegen die schweifenden Gedanken. Die als +Forschungstrieb, als Mitgefühl, als Seelenanalyse hinaussegeln -- und +doch das Weib um seiner Selbst willen suchen. + +Hier oben, hier auf den Goldbergen hat er sie zuletzt gesehen. Gestern +in der Brandnacht. Im Schein der Gluten, die ihr Wille, ihr Rachetrieb +geschürt. Die Feindin! Die im Vernichtungskampf steht gegen seine +Freunde, gegen ihn! Eine Priesterin jener Glaubenslehre, die Deutschland +verdirbt, wie sie jede Volksgemeinschaft zerrütten muß. + +Zu Euch, Ihr jungen Freunde! Euch und mir und uns gehören diese +Goldberge. Wie ein Spuk, ein Nachtgespenst schwebte sie über diesen +Boden, als ich hier vorbeijagte. In dieser grauenhaften Nacht. Vorüber, +vorüber --! -- + + + + + Über Gräber vorwärts + + +Frau Tilde war bei Gisbert. Er hatte schon das Bett verlassen und saß im +Stuhl, so schnell ging es mit ihm nach oben. Dankbar war Gisbert. +Dankbar trank er das Leben in sich auf. Und leuchtend sprach er: »Wie +sagt der große chinesische Weise? Was ist der Inbegriff aller Erkenntnis +und ihrer Freude? Ich atme bewußt. Und wem danke ich es?« Zu ihr hob +sich seine Hand. + +Nichts Heimliches, nichts gesucht Vertrauliches -- die ganze große +mutige Selbstverständlichkeit sprach. Sie waren beieinander, als hätten +sie sich von je gekannt. + +Tilde sah ihn an, mit der weiten wehen Klarheit ihrer Augen. »Von Vater +hörte ich eben das Gegenteil. Das »but intoxication«. Wie ist er anders +geworden! Man ist hellsehend bei denen, die man liebt. Und ich sehe -- +das Schlimmste.« + +»Ich fand ihn erfrischt -- durch den Kampf.« + +»Das ist der Rausch, von dem er selber spricht. Wie lange kann ein +Rausch dauern? Ich fürchte mich vor dem Erwachen.« + +Schwerer wurden ihre Augen. »Ich bin immer -- schon als Kind -- diesem +leidenschaftlichen Hang zur Einsamkeit nachgegangen. Das Leben straft +uns an unseren Leidenschaften. Nun werde ich bald niemanden mehr haben.« + +Gisbert bewegte sich zur ihr hin, Ergebenheit bis in den Tod reichten +seine Blicke ihr dar. + +»Und ich hab noch keinem Glück gebracht --« fast warnend sprach sie es +aus -- »keinem, der mir etwas war -- der mich befreite von meiner Sucht, +mich in mich selbst zu begraben. Als ob alle es hätten büßen müssen.« + +»Gnädige Frau --« + +»Ich weiß, das ist wie eine lächerliche Eigenwichtigkeit. Aber, warum +mußte alle, aber auch alle, die mir nahe standen, diese Zeit +verschlingen oder zerbrechen?« + +»Sind wir nicht alle zerbrochen?« + +»Doch nicht so, bis ins Lebensmark. Die mir geblieben sind -- mein +Vater, mein Mann -- bloße Schatten. Und alles andere ist mir gestorben. +Meine Freundin, die einzige, die ich hatte -- der Gram um ihren +gefallenen Mann hat sie ihm nachgezogen. Meine besten Freunde waren +meine Brüder -- sie sind nicht wiedergekommen. So sieht es um mich aus.« + +Du sollst nicht klagen, Du sollst nicht traurig sein -- machtvoll +sehnsüchtig klang es in Gisbert auf. Und ein Glück trug ihn empor. Daß +Du so zu mir sprichst! Dich so mir offenbarst! Ich bin Dir etwas -- Du +fühlst, wie alles, was ich bin, Deinem Wesen zuströmt! Dir dienen will +ich, mit allem, was ich bin! Dir geben, alles, was ich habe! Dir, Dir, +Du Schmerzensreiche, Du Gebenedeite! + +Sie spürte die schwärmende Glut. Sie selbst mußte ihr wehren. Ihre +Sehnen strafften sich. »Gut, daß die Arbeit auf einem liegt. Unser alter +Inspektor ist der Sache nicht mehr gewachsen. Und Achim --« ein weher +Zug grub sich ein -- »bereitet sich auf ein großes Match vor. Dennoch +hätte ich Vater gern was von seiner Bedrängnis abgenommen. Wir sind +glimpflich davon gekommen. Obwohl wir uns das Schlimmste vermuteten. +Oder deshalb? Wie ist Vater, der gutgläubige, für seine Einbildungen +gestraft.« + +Herr von Borkhus kam jetzt, sich selbst nach Gisbert umzusehen. Er war +aufrecht, in fester Haltung, berichtete von dem Ausstand, daß die +Nothilfe der Gymnasiasten die Wut frisch aufgepeitscht habe, und als +Neuestes -- ein ehernes Lachen klang in seinen Worten -- daß Strempel +sich weigere anzuspannen und den Herrn zu fahren. + +»Strempel!« Wie geisterhaft tönte es zurück aus Frau Tildes Mund. Ihre +Augen forschten erschreckt in des Vaters Zügen. Die blieben hart. + +»Ja, Kind. Oh, wir brauchen noch viel Belehrung.« Geradezu ausgelassen: +»Sag Mädel, bin ich nicht einfach gereist auf den Mann? Schaubudenhaft? +Habe ich mich nicht mit ihm dem Publikum gezeigt? Hier seht Ihr es, +meine Herrschaften! Es gibt ein Glück des Gehorchendürfens! Sofern der, +der befiehlt, auch selber am rechten Ort zu gehorchen weiß. Es kann ein +freies und stolzes Wort sein: >ich dien<! Ja, Kind, nun ist die +Schaubude umgeweht. Komplett.« Und er lachte ehrlich. + +»Vater --« + +»Und jetzt -- Herrgott, ganz jung wird man wieder! Was war für mich als +kleinen Bengel die größte Lust? Selber anspannen! So tue ich's also +jetzt wieder und fühl mich als Junge. Ich muß heute noch nach Trent. +Besprechung der Besitzer. Der Korpsgeist hat nun den Stoß, den er +braucht.« + +»Ich fahre Dich, Vater.« + +»Kannst mitkommen. Du gehörst ja auch dahin. Oder ist Achim da?« + +»Nein. Achim -- übt.« + +»Nun, dann komm. Auf Wiedersehen, Herr Hegendorf! Und weiter steife +Ohren.« -- + +Der Ausstand war zusammengebrochen. Die Führer wüteten. Die +Industriearbeiter in der Stadt höhnten. Es fehlte diesen »Landlümmeln« +doch an Schwungkraft und Kampfdisziplin. + +Doch aller Haß und Zorn brandete gegen die Siedler. Diese Klopffechter +des Rückschritts, die der dunklen Sache den Sieg verschafft hatten. Aber +wir werden es Euch eintränken! Wenn wir die Führer nur fassen! Und wir +fassen sie. Und dann an die Chausseebäume mit ihnen! + +Die Moorhofer Leute fanden sich wieder zur Arbeit ein. Mit einem Lächeln +sah Herr von Borkhus dem allen zu. Aber seine mächtigen Augen froren +darüber hin, wie über ein Schauspiel, das ihm innerlich nichts zu geben +hatte. Und das Lächeln, wie vereist, schwand kaum mehr aus seinem +Gesicht. + +Nicht als Strempel sich wieder zum Dienst meldete, hündisch, verbogen +und verkniffen. Sie wären alle »komplett verrückt« gewesen. + +Steinern machte Herr von Borkhus noch einmal die Runde über seinen +verwüsteten Hof. Wie er dann abends bei Tisch saß, der Horst, Kunz und +die neuen Helfer von der Siedlermannschaft als Gäste sah, war er der +liebenswürdigste Wirt, dankte »seinen Freunden«, sprach aber sonst kein +Wort von dem, was seinem Moorhof geschehen war. So daß auch die andern +davon schwiegen. + +Statt des, mit einer eigenen eisenkalten, eisenharten Ruhe, wie der Wut +zum Trotz, die all die Zeit in ihm gebrannt und gefressen hatte, führt +er selbst die Rede zu dem, was die deutschen Herzen zermalmt. Blickt er +selbst mit großen, freien, klaren Augen, in denen der unzähmbar wilde +Grimm sonst wühlte, dem Erbfeind ins Gesicht. Eine schmerzlich stille +Überlegenheit ist in seinen Worten. Ein fast verklärter Trieb, der +Wahrhaftigkeit ein letztes Opfer zu bringen. + +»Man wird gestraft an dem, wofür man seine Schwäche hat. Was sind wir +dem Franzmann immer nachgelaufen! Wer von uns, der nicht -- oft unter +eigenem Widerstreben -- eine Art Zärtlichkeit für Frankreich gehabt +hat!« + +»Ich!« rief Kunz frei und hell. »Stets habe ich wie unser Blücher +gefühlt: >dies Volk ist mir zuwider<.« + +Borkhus hielt, Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit, fest an seinem Gedanken. +»Und doch frage ich: auf wen haben die geistigen Reize Frankreichs nicht +gewirkt? Nicht nur die Stilkraft seiner Mode -- die ganze heitere +Beweglichkeit seines impulsiven Wesens, das in allen Widersprüchen +schillert!« + +Horst stand ihm bei. »Weiß Gott, langweilig war das Volk nie. Dem alles +ins Schrankenlose, ins Absolute sich überspannt. Absolut in seiner +Mathematik, seinem Rationalismus, absolut in seiner Mystik. Das Land des +absoluten Cäsarentums und der absoluten Freiheit. Im Absolutismus +knieend, wie mit Bewußtsein, um sich im Individualismus zu befreien. +Immer taumelnd von Aktion zur Reaktion, aber immer aktiv und immer +radikal. Immer das Umschlagen von der Hingabe zur Auflehnung, von der +Pietät zum Umsturz. Stets im Gegensatz zu sich selber.« + +»Und dabei immer auf Wirkung bedacht, und immer der Wirkung sicher«, +ergänzte ihn Borkhus wieder. »Der glänzendste Regisseur seiner selbst. +Denn Theater -- Theater ist ihm nun einmal die Welt, die Geschichte. +Gewiß, das ist kokett, gefallsüchtig --« + +»Weibisch«! schmetterte Kunz darein. + +»Ohne Frage«, vermittelte Horst. »So wahr die Frau stets im Mittelpunkt +der französischen Kultur, auch der französischen Politik und Geschichte +gestanden hat. Aber auch hier eine Spannweite, wie sie monumentaler +nicht gedacht werden kann -- von einer Jeanne d'Arc über die Heloise zur +Maintenon! Auch hier die klassischen Extreme. Auch hier die Größe der +Antithese. Und in der Bewegung, die sie überwindet, der leichte, +unbekümmerte, heitere, spielende Flug.« + +Für Kunz war das Maß zum Überlaufen voll. »So sind wir also einmal +wieder objektiv. Und die deutsche Gerechtigkeit darf sich in die Brust +werfen. Gut. Über das Frankreich von einst mag man so denken. Wer aber +heute bei uns von der >Schwäche für dieses Volk< nicht geheilt ist« -- +er sprach mit ungehemmter Leidenschaft -- »der ist vermorscht und +verfault durch die Knochen hindurch bis ins Mark.« + +Sie ließen gern sein ehrliches Ungestüm gewähren. Der Baron fragte dann: +»Sie haben in der französischen Gefangenschaft ihre besonderen +Erfahrungen machen können?« + +»Das habe ich. Und ich freue mich, daß ich der grande nation so habe an +den Puls fühlen können. Ehre und wiederum Ehre der deutschen Sprache, +daß sie kein Wort hat für das, was Franzosen an deutschen Gefangenen +verübt haben! An wehrlosen, kranken, blutenden, hungernden Gefangenen. +Die Franzosen haben ein Wort dafür. Sie nennen sich >ritterlich<, sie +nennen sich >großmütig<. Gegrüßt seist du, französische Ritterlichkeit! +Die Gefangenen, verdurstet, verwundet, lahm, zerlumpt -- mühselig wanken +sie vorwärts durch die Gassen. Das Volk strömt herbei -- Männer, Weiber, +Pfaffen, Kinder -- mit Steinen, mit Schmutz, mit Spaten, mit Knütteln +werden die Hilflosen bearbeitet. Wer am Boden liegt, wird ausgeraubt. +Ein Triumphgeheul der Sieger in so gloriosem Kampf! Sei gegrüßt, +französische Großmut! In Kellern, die unter Wasser stehen, auf +Mistlagern ist das Nachtquartier. In schmierigen Konservenbüchsen wird +stinkige Brühe gereicht, die der Ekel fortschüttet. Und die +Wachmannschaft -- die Soldaten -- Kämpfer, die Kämpfer geleiten -- nicht +wahr, unter der Waffe ist Ehre -- sie wehren dem Graus? O nein, sie +grinsen dazu -- sie grinsen. Sei gegrüßt, französische Ritterlichkeit! +Ihr müßt sie ja kennen, ihr Franzosen, die ihr sie benennt! Aber hoch +preise ich mich, daß auch ich das Brandmal trage, von französischer +Großmut mir eingepreßt. Immer brennt es, immer flammt es in +Feuerschrift! Bei mir, wie bei Tausenden! Niemals, so lange wir atmen, +werden wir aufhören, Zeugnis abzulegen von französischem Geist! Denen, +die nicht sehen wollen, werden wir in den Augen liegen mit unserem +Flammenmal! All denen, die nicht mit dem zufrieden sind, was sie hier zu +Lande jetzt am eigenen Leibe erleben! Und heil uns, heil Deutschland, +daß wir diesen, diesen Nachbarn haben! Was die deutsche Seele nicht aus +sich selbst vermag, er, er wird es vollbringen! An französischer +Ritterlichkeit wird die deutsche Seele genesen und sich erheben!« + +Borkhus -- wo war die Verklärung geblieben, die objektive Erhabenheit? +-- er reichte Kunz mit brennenden Augen stumm über den Tisch seinen +machtvollen Händedruck. + +Und weiterhin ließ Kunz seine Munterkeit aufmarschieren. + +»Natürlich fehlte es uns nicht an Komödien. In diesem Lande der +Komödianten. Wir kamen als Gefangene nach Südfrankreich, in ein altes +Kastell. Sein Kommandant ein uriger Knochen, giraffenlang, mit ewig +wiederkauenden Kinnladen -- seine Untergebenen nannten ihn denn auch +>camé léopard< -- die blaue Nasenspitze wühlte in dem verbasten grauen +Schnauzbart, nie machten die tranigen Augen die Läden auf -- und immer +in Sprit! Ein doller Don Quichotte. Und kam sich als der Kriegsgott vor. +Hatte denn auch als wahrhaft solcher seine Geistesgegenwart in allen +Schlachten durch Abwesenheit des Körpers dokumentiert. Nun waren außer +mir noch ein paar schwere Jungen da -- Hatz von der Brah, der bekannte +Rennreiter, der Munterste. Und in einer Nacht heckten wir wieder einmal +was aus. Eine klobige Metallsache -- als Zauber im Morgennebel gedacht, +dem Alten zu Ehren. Alle eisernen Öfen wurden mobil gemacht, samt allen +Ofenrohren. Kanonen wurden aufgebaut in dem Hof. Unter den Schlafdecken +machten Kameraden die Gäule, die wir bestiegen, unsere blechernen +Waschschüsseln als Stahlhelme auf den Häuptern, die eisernen Ofenhaken +als Schwerter zu Händen. Die wachthabenden poilus hielten sich den Bauch +ob dem hahnebüchenen Ulk, sie gönnten ihrem Leopardenkamel unseren +Streich. Und jetzt, wie wir uns aufgestellt haben, da brüllen wir los +»Deutschland, Deutschland über alles!« Da oben, der Alte ans Fenster, +visionär klappen die blöden Glotzaugen auf -- Entsetzen -- er schreit: +aux armes! aux armes! -- fährt in die Kleider, verliert das Herz in die +Hosen und die Hosen mit dem Herzen. Erst als seine Soldateska sich +ausgekugelt hat und wir wieder unschädlich gemacht sind, traut er sich +in unser Verließ. Wie es sich gehört, kommen die Übeltäter ins Prison, +wir Rädelsführer in schweres. Und das ist unser Glück -- Hatz und ich +brechen aus. Wie wir uns dann zur Front zurückgefunden haben -- durch +Mittelfrankreich hindurch, das ist ein Kapitel für sich. Und das +Verdienst von Hatz. So was wie den hat die Welt nicht mehr gesehen. Der +häßlichste Kerl, und hatte doch alle Weiber am Bändel. Fröhlich wie ein +Buchfink, sittenlos wie ein Sperling -- und ein Sprachgenie. Sobald er +ein Mädel geküßt hatte, redete er ihre Mundart. Sein Patois war unser +Schutzengel. Nun, von dem allen erzähle ich ein nächstes Mal.« + +Es gab noch Dienstliches anzuordnen. Die Siedler verabschiedeten sich +und brachten ihre Maschinengewehre nach Haus. Horst war der Letzte bei +Herrn von Borkhus. + +Er hatte das Gefühl, als wollte der Baron ihn noch bei sich behalten und +mit ihm sich aussprechen. Die Hand und auch die Augen ließen ihn nicht +gleich los. In denen war wieder diese stille Gehobenheit, diese geklärte +Ferne. Und dann drängte es in ihnen wie ein Bekennenwollen. + +Jetzt aber versank Borkhus ganz in sich hinein und sprach leise zu dem +jungen Freund: »Sie sind müde -- es waren harte Tage. Ich bin es auch -- +sehr müde.« Damit sagten sie sich Lebewohl. + +Gleich nach Mitternacht war es, da wurde Gisbert durch einen Schuß +geweckt. Im Hause war er gefallen. Träumte etwas nach in seinem Ohr? + +Ein stilles Lauschen in allen Räumen -- dann lebt es auf, da und dort -- +Türen gehen -- über die Dielen huscht es -- jetzt ein erstickter +Aufschrei -- aus dem Arbeitszimmer des Herrn -- + +Gisbert soll noch nicht aufstehen. Aber es duldet ihn nicht auf dem +Lager. Er kleidet sich notdürftig an. Geht auf den Korridor. Da kommt +ihm der Diener entgegen mit irrem Blick -- »Herr Baron -- erschossen --« +stammelt er -- fassungslos irrt er um sich selbst -- + +Gisbert geht in das Zimmer. Hier liegt Herr von Borkhus den Kopf auf dem +Schreibtisch. Aus der Schläfe strömt das Blut. Der Körper ist starr und +tot. + +Gisbert kann sich kaum auf den Beinen halten. Aber das Geschehene spannt +ihn ein. Er gibt die Anordnungen. Zu Frau von Mönkhov, zu Horst soll +geschickt werden. Auch zum Arzt, obwohl hier nichts mehr zu helfen ist. + +Und nun kauert er nieder, er selbst zum Hinsterben schwach, der Kopf +hohl, das Herz tonlos und flackernd. Selbst ohne Besinnung starrt er auf +den Entseelten und hält, ein Lebloser, die Totenwacht. + +So findet ihn Horst. Der nichts eher zu tun hat, als ihn ins Bett zu +schaffen und ins Leben zurückzurufen. Dann, da der Puls wieder Dienst +tut, wenn auch noch unwillig, kehrt Horst in das Totenzimmer zurück. + +Das Personal hilft ihm, die Leiche aufs Ruhebett legen. Er drückt die +schweren Lider zu über die machtvollen Augen, die grauenhaft klagenden +und drohenden Augen. Und hält stille Andacht. + +Dann geht er an den Schreibtisch, den blutüberströmten. Ein Album liegt +da, schwarzgebunden. Auf die Blätter sind Drucksachen geklebt. +Zeitungsausschnitte zumeist. All die Dokumente der Erniedrigung, der +Beschimpfung, der Entehrung, der Plünderung, Verstümmelung und +Folterung, die dem wehrlosen Deutschland angetan -- tagtäglich -- von +den trunken zuckenden und gierenden Feindeshänden -- sorgsam gebucht +seit Anbeginn. + +Ein Blutbach hat sich über das weiße Papier ergossen, das vom Schwarz +des Einbanddeckels gerahmt ist. Von selbst zog es Horst durch den Sinn: +schwarz-weiß-rot -- die schwarz-weiß-rote Not! Sie hat Dich zum Sterben +gebracht. + +Neben dem Album liegt eine Zeitung. Eine Stelle ist angestrichen, +bestimmt für die Sammlung, aber nicht mehr hineingelangt. Das letzte -- +heut abend hat er es gefunden. + +»In Boppard a. Rh. wurde eine Schülerin vor den Augen ihrer in Grauen +erstarrten Mutter von einem der schwarzen Franzosen genotzüchtigt.« + +An den Rand hatte in wildem, ehrlichen, gedankenlosem Ungestüm seine +Hand die Worte geworfen: »Hin nach Boppard!« Wie mußte es gezuckt haben +in der Hand, in dem Herzen! + +Herrgott ja, und wem gehen dabei nicht die Sinne durch. Und nur eines, +eines nur von endlos vielem! Dies war es, was Hartwig von Borkhus +überwältigte, was ihn in Verzweiflung warf und aus dem Leben. + +Das Blutbuch -- der Zeuge Deines Unterganges. Um Deutschland bist Du +gestorben -- und auch für Deutschland! Wir werden Dein gedenken! + +Wie einen Fürsten haben sie Hartwig von Borkhus beigesetzt. Die ganze +Landschaft hatte zur Trauerfeier sich eingefunden. Pastor Waermann +sprach die Abschiedsworte. So klangen sie aus: »Dein Tod ist ein Schrei, +ist ein Ruf, der niemals verhallen wird. Deutsches Ohr wird ihn +weitergeben an deutsche Lippen. In deutschen Herzen werden sich die +Feuer sammeln. Bis der Tag kommt, wo die Flammen zum Himmel auflodern. +Die Geister der Entschlafenen werden mit uns sein! Ihr Heerbann wird uns +voranleuchten! Für uns aber, die Lebenden, die wir nichts vergessen, die +wir treu bleiben jedem, der unser war, heißt die Losung, die harte und +gerade: Über Gräber vorwärts!« + + + + + Verstehen! + + +Gisbert, nach der Todesnacht, war immer noch nicht außer Gefahr. Auf dem +Friedhof, während der Grabrede, war es plötzlich wie ein wahnsinniger +Schreck blitzartig durch Frau Tildes verdüstertes Gemüt gefahren: der +Tote zieht den kranken Hausgenossen nach sich. Und durch all ihre +Trauer, ihren Gram immer wieder dieser zuckende Gedanke. Es lag ihr auf +der Seele, dies Furchtbare: alle sterben sie mir hin! Und es hetzte sie +aus dem Schmerz in die Angst. + +Wie sie nach Hause kommt, geht sie gleich zu ihm hinauf. Sie findet +ihren Kranken in tiefstem Schlaf. Der Arzt, der im Trauergefolge ist, +und noch einmal vorspricht, erklärt ihr, wenn etwas, gäbe dies die +Aussicht auf Wiederherstellung. Jetzt kann sie gleichsam wieder ausruhen +in ihrem Schmerz um den Vater. + +Sie blieb in Moorhof. Achim fuhr noch am selben Abend nach Mönkhov +zurück. Nun saß sie am Arbeitstisch des Vaters, an dem Platz, wo er +»lieber seine Form zerbrochen« hatte. Sie fing an, gedankenlos, mit +leeren Augen und müden Händen die Schriftstücke zu ordnen. Da ließ Horst +sich melden. Er bat um die Erlaubnis, sich noch einmal nach Gisbert +umsehen zu dürfen, kam zurück mit dem Bescheid, daß der immer noch fest +schlafe, und saß nun auf Frau Tildes Geheiß bei ihr nieder. + +Immer wieder sprachen sie von dem Toten. Von seinem großen +sozialpolitischen Gedanken: der Ernährung des deutschen Volkes aus +deutscher Scholle. Ein Zweig dieses Baumes war seine Zärtlichkeit für +den Siedlungsgedanken gewesen. + +Horst war schwer betäubt. Ihm fehlte der Freund, seinem Werk der Vater +und Berater. Wieder fiel die Schwermut ihn an. Und die alten inneren +Zerwürfnisse kamen. Erst kämpfend erhob er sich zu der Kraft: nun gerade +aushalten! Jetzt doppelten Einsatz des Wollens und Schaffens! Gilt es +nicht auch, ein Vermächtnis hier zu erfüllen? + +Und von einem Vermächtnis sprach auch Frau Tilde. Wenn etwas, sei von +der Hinterlassenschaft des Vaters das Siedlungswerk ihr ans Herz +gewachsen. Und so viel an ihr liege, wolle sie an ihm mitarbeiten, nach +ihrem schwachen Vermögen. Dankbar küßte ihr Horst die Hände. -- + +Er hatte heute noch einen Krankenbesuch zu machen, der alte Torfmeister +hatte sich gelegt. + +Ein Grab hatte er diesmal nicht zu schaufeln gehabt, die Borkhus besaßen +ihr gemauertes Erbbegräbnis. Aber gewiß hätte er bei der Bestattung +seines Lehnsherrn nicht gefehlt, wäre ihm nicht das mörderischste +Frühjahrsrheuma in die alten Gelenke gefahren. + +Horst fand ihn hilflos hingestreckt. »Das kommt, weil meine Wieselchen, +meine Hermännchen, mir aus den Stiefeln gewutscht sind -- hinaus in den +weiten Frühling. Nun ist der Giftwurm bis in die Scharniere gekrochen. O +Du Grundgütiger -- es ist zum Posaunenblasen schön!« + +Der Alte durfte nicht so allein bleiben. Vielleicht, daß Lona der Pflege +sich annehmen konnte. Horst, den geschäftliche Besprechungen in die +Stadt riefen, übernahm es, sie zu benachrichtigen. + +Durch den strahlenden Frühlingsnachmittag schreitet er. Wie leuchtet der +Himmel, wie segnet er die Fluren! Wie schön ist das deutsche Land! +Sollen Sklaven es bewohnen? + +Immer das eine! Und immer daran denken! Und immer, immer davon reden! +»Eine Nation, die es nicht wagt, kühn zu sprechen, wird es noch viel +weniger wagen, kühn zu handeln.« + +Wir haben die Worte, unsere Großen haben sie uns vorgedacht, uns +vorgesprochen -- wir haben die Taten, unsere Helden haben sie uns +vorgelebt. Wir brauchen ihnen nur zu folgen, sie nehmen uns ja an die +Hand. + +Welches Volk hat eine Sprache, die so viel sagen kann, so viel singen +wie unsere. Und seine Geschichte -- ist sie nicht seiner Sprache wert! +Wie seine Denker und Sänger sind seine Helden! + +Was sind wir reich! Wir brauchen nur die Hände aufzumachen, und sie +quellen über von Schätzen! An die uns die Räuber nicht rühren können! +Was sind wir stark! Unsere Lungen atmen die Kraft unserer Geschichte -- +in unserem Blut brausen die Flammen, die in den Augen unserer Helden +brannten! + +Dasselbe Feuer, dieselbe Tat! Wie können wir -- wir in der Knechtschaft +bleiben. »Eure Ketten zerbrechen wie Glas!« + +An den Goldbergen kommt Horst vorbei. Um den höchsten Gipfel fliegen die +Raubmöven. Noch fliegen sie. Aber die Stunde der Auferstehung naht. Das +deutsche Meer wird wieder deutsch sein. In deutscher Flut werden die +weißen Fittiche sich spiegeln. Deutsch das Meer und deutsch das Land -- +Deutschland, mein Deutschland! + +In der Stadt traf Horst viele von seinen jungen Freunden. Leuchtende +Augen grüßten sich. Die Siedlungsgeschäfte, die er zu besorgen hatte, +zeigten heute ein weniger unfreundliches Gesicht. Er trat guten Muts, +unbefangen, ohne zu grübeln und zu wühlen den Weg zu Lonas Wohnung an. + +Sie hatte zwei Zimmer in einem der alten malerischen Häuser, die von +Kletterrosen besponnen an das alte Tor sich lehnen und mit träumenden +Augen über die verfallene Stadtmauer lugen. + +Ihre Wirtin, eine flüsternd beredte Küsterwitwe mit blendend weißem +Scheitel, hatte ungefragt nur Lobsprüche für Lona, obschon deren +politisches Treiben sie mit unsäglichem Entsetzen erfüllte. Daß ihr +ganzes Herz den Armen gehöre. Ohne Entgelt gebe sie begabten +Volksschülern Klavierunterricht. Jetzt sei sie Tag und Nacht als +Pflegerin tätig, da in der Stadt eine Kinderkrankheit herrsche. Sie habe +eben Bescheid geschickt, daß sie auf ein paar Stunden nach Hause kommen +werde. + +Als Horst an die Wirtin die Bitte des Alten ausgerichtet hatte und sich +verabschieden wollte, trat Lona auf den Flur. Sie führte den Besuch zu +sich hinein, während die Hausfrau in die Küche ging, das Essen zu +bereiten. + +Müde vom Nachtwachen lagen ihre Augen. »Wie geht es Ihren Kranken?« +fragte Horst. + +»Zwei Kinder sind mir gestorben.« Dann blickte sie fest gradaus und sie +sagte hart, bewußt, wie gerüstet: »Und auch Sie haben einen Todesfall«. +Sie hielt nun einmal nicht hinter dem Berge. + +Nie hat Horst so wechselnde Empfindungen in eines Menschen Antlitz +gesehen. Hier war der blutige Rausch einer Genugtuung -- ein wildes +Hochgefühl, darob, daß die Inbrunst eigenen Wünschens, eigener +Verwünschung das Schicksal gelenkt hatte -- und wieder eine Angst ob +dieser dunklen Macht -- die Müdigkeit einer Sättigung -- ein Zug scheuer +sich versenkender Reue -- und über allem blieb etwas von der Charitas, +ein Priesterliches, das der Umgang mit dem Tode verleiht. + +Horst war auf den ersten Blick zurückgefahren und hatte sich verschanzt +in sich selbst. Tot der Freund -- und hier dessen Todfeind, über den Tod +hinaus. Was kann es für ihn geben als zornige Abkehr und ein Schweigen +in Haß! + +Aber das, was in ihren Zügen, in ihrem Wesen selbst die Erlösung suchte +aus einer Qual, das blieb nun doch das Mächtige über ihn. + +Haß -- Haß gegen Dich -- Du bist eine Deutsche! Ich habe keinen Haß für +Volksgenossen. Ich will sie verstehen, nicht sie verfolgen. Mitleid kann +ich mit ihnen haben, ja ich kann mich ihrer schämen und darum gegen sie +mich auflehnen. Aber hassen -- unsern Haß halten wir fein säuberlich zu +Rate, er gehört den andern! + +Und ihr gemeinsamer Freund Lud Uhlenbrook führte sie beide nun gar auf +denselben Weg. + +Diese Nacht, so beantwortete sie die Bestellung, müsse sie noch +hierbleiben. Bei einem Kinde, einem Zögling von ihr, gehe es auf Leben +und Tod. Morgen komme sie dann zu dem Alten. Und sie wolle sich so +einrichten, daß sie mehrere Tage bei ihm hausen und ihn gesund pflegen +könne. + +Sie sprachen beide zärtlich über den alten Lud. Ihre Gemeinschaft gab +Horst ein Recht, sich in dem Zimmer umzusehen. + +Die Wände waren mit Bildern bedeckt -- vom jüngsten Geiste waren sie -- +er wußte, von wem sie stammten. Von ihrem Freunde, dem hier getöteten, +dem hier begrabenen. + +Sie fing die Blicke des Beschauers auf, sie fand in ihnen das +Befremdete, das unsichere Flackern, das Ratlose -- das Verständnislose, +wie sie es sich nannte. Erst wollte sie mitleidig schweigen. Aber Horst +war ihr nun einmal immer näher gekommen -- galt er ihr nicht eines +Bekehrungsversuches wert? War hier nicht vielleicht das Tor, das am +ehesten sich auftun ließ, ihn hineinzuziehen in ihre Welt? Die +Proselytenmacherin regte sich nun doch. + +»Sie wissen mit dieser Kunst nichts anzufangen?« fragte sie, eine +gewisse Hilfsbereitschaft im Ton. + +»Da ich meinerseits hier durchaus in den Anfängen bin, muß ich schon um +Nachsicht bitten. Zunächst dringt es wie ein Geschrei von Farben auf +mich ein. Von Farben, die die Form verschlingen. Und -- sie wieder von +sich speien.« Er nahm ganz und gar kein Blatt vor den Mund. Sie aber +konnte das gut vertragen. + +»Für den Anfang ist das gar nicht so schlecht«, sagte sie. »Wenn Sie +näher hinsehen, werden Sie erkennen, wie die Farben es sind, die die +Form sich schaffen -- Sie werden die Visionen, die Gesichte der Farben +erleben, und dann fassen Sie den richtigen Grund.« + +Horst vertiefte sich mit bereitwilliger Unbefangenheit. »Ich gebe zu, +ich sehe hier eine Energie, die über den Raum hinauswill --« + +»Das ist es«, sagte sie lebhaft, beinahe freudig. Und werbend fügte sie +hinzu: »Darauf kommt es ja an, auf die Überwindung der Körperlichkeit, +des empirischen Daseins. Mit Naturerlebnissen, mit Sinnenerlebnissen hat +die wahre, die geistige Kunst nichts zu schaffen. Für sie gilt nur der +Genius innerer Gesichte. Sie hat mehr als das Schöne, Glatte, Abgeklärte +der Natur, als die artikulierten Laute der Sinnenwelt. Sie lebt in der +gewaltigen, noch unentwirrten, rätselvollen, gespensterhaften +Unwirklichkeit. Chaotik ist ihr Wesen. Nur in dieser kosmischen +Vitalität kann spirituelle Kunst atmen!« + +Sie war ganz hingenommen von ihrer Lehre und deren beredtem Rüstzeug, +sie stand in der Glut ihrer Worte, der Glut und dem Rauch, halb +Priesterin, halb Dozentin. Und ein Junges, Mädchenhaftes war dabei -- +freudig nahm Horst es hin -- etwas vom Fanatismus der höheren +Töchterschule. + +Er vergaß erst die großen Worte ob diesem Reiz fast verschämter +Glaubensleidenschaft. Dann aber stiegen ihre Worte wieder empor, in der +unerbittlichen Großartigkeit. + +»Chaotik« -- klang es ihm im Ohr. Chaotik -- reimt sich auf Gotik -- und +ist als Schlagwort gewollt und gemünzt. O was für gewaltige Blöcke +werden hier gewälzt, titanenhaft. Nur müssen sie als Trümmer liegen +bleiben -- es wird nicht gebaut. Bauen ist räumlich, ist Form. Die reine +Kunst aber und was mit ihr zusammenhängt, muß formlos sein oder sie ist +nicht! + +Schwer schüttelt Horst den Kopf -- auf den er sich stellen müßte, um +hier mitgehen zu können. Formung, Bindung, das ist und bleibt ihm aller +Kunst Wesenheit. Das Stammeln von Urlauten ist ihm keine Sprache. + +Aber, da er sich aufs neue in die Bilder versenkt, räumte er ein, +gutwillig und gerecht: »Ganz gewiß spüre ich hier eine machtvolle +Sehnsucht -- einen, sagen wir, stürmenden Überschwang des Fühlens --« + +»Nun also!« + +»Aber es ist nun mal -- wie sag ich -- die Verzückung einer Qual -- eine +krampfartige, fallsüchtige Verzückung -- wie ein Sichselbstzerreißen und +wie ein Tauchen der Hände ins eigene Blut!« + +»Recht so! Nur so, nur so kann man schaffen!« + +»Etwas, was uns jagt und verfolgt! Wovor man sich schützt! Was tue ich +mit einer Kunst, wenn ich mich von ihr mit Händen und Füßen befreien +muß! Die Kunst soll mich befreien!« + +Sie hob abwehrend die Hand. »Wie alt ist das! Ein Golgatha ist die Kunst +und soll auch unser Golgatha sein. Nur kein irdisches, ein kosmisches +Golgatha. Aber ich geb Sie längst nicht verloren. Hier ist nun der +Scheideweg für alle denkenden Wesen. Nicht bloß in der Kunst, auch im +Leben.« Und mit einem Schlagwort mußte sie schließen. »Jeder hat sich zu +entscheiden, ob er die Kosmik will oder die Kosmetik. Ob das +Nivellieren, das Glatt- und Schönmachen in den hübschen Kompromissen von +Gesellschaft, Staat und Kirche -- ob das Ausschwingen des Geistes in +Weltenweite!« + +Kosmik -- Kosmetik -- das nenne ich einen Abgang, dachte Horst. Sie +verließen das Gespräch, da die Wirtin kam. + +Es sollte nicht das letzte Wort gesagt sein. Beim Torfmeister wollten +sie sich weiter aussprechen. Mit einem »Auf Wiedersehen« schieden sie. + +Horst wanderte heimwärts. Das Gespräch mit dieser Frau, der über alle +Feindschaft hinweg er die Hand gereicht hatte, begleitete ihn. Er fing +an, immer mehr von ihr zu begreifen. Ihr geistiges Gesicht gewann für +ihn Leben. Ihre Gefühls- und Anschauungswelt tat ihm Fernblicke auf, vor +denen er nicht mehr unmutig und zornvoll die Augen schloß. + +War es nur, weil sie, eine Frau, die als Weib auf ihn wirkte, das neue +Land ihm zeigte? + +Und wie ein Messerschnitt durchzuckte es ihn wieder: heute morgen hab +ich den Freund begraben. Am Nachmittag sitz ich bei ihr, die seinem +Dasein geflucht, deren Rache wie ein Vampir an seinem Mark gezehrt hat. +Ist dies nun ein Verrat? Ist es einer, so weiß ich doch nichts von ihm. +Oder will ich nur nichts von ihm wissen? + +Gerecht sein! Um das er von je gerungen hat! Gerechtigkeit! + +Daß die Blutrache unter Deutschen umgeht -- Ihr seid es schuld, die Ihr +Deutschland in die sinnlose, selbstmörderische Verzweiflung gestürzt +habt! Aus hysterischer Lustgier, wie aus unsäglicher hosenschlotternder +Angst. Und diese Angst täuscht Euch nicht -- die Abrechnung kommt, +darauf dürft Ihr Euch verlassen! + +Was Ihr aber in Deutschland gegeneinander gehetzt habt in dem +wahnsinnigsten aller Bruderkämpfe, es wird sich wieder versöhnen. Wird +sich vereinen und verschmelzen in dem einen großen, dem einzig +lebendigen Gedanken: ein freies Volk auf freiem Grunde! + +Nur, daß jeder helfe an dem Sichverstehen! Dies ist das Erste! Verstehen +müssen wir uns -- einander durchdringen! Immer und immer will ich daran +denken, immer und immer daran schaffen! An der deutschen Brüderlichkeit! + +Du, Lona, hast mir heute etwas offenbart, was auf den ersten Blick mich +zurückstieß. Aber jetzt frag ich mich, ist nicht auch all dies Neue so +deutsch, so ganz und ursprünglich deutsch? Dieser unaufhaltsame, +machtvolle, aus dem Innersten hervorbrechende Selbstbekenntnistrieb -- +die Schöpferkraft unserer jüngsten Kunst, ist sie nicht schlechthin +germanisch? Nur deutschem Geist, nur deutschem Fühlen springen diese +Quellen. Deutsch -- deutsch auch dies -- und auch dies zum Liebhaben! +Und -- was hier auch krank sein mag, in der kranken Zeit, dies Wirre und +Aufgepeitschte, das wild Zusammengeballte, dies Überhitzte und Fiebernde +-- sollte man nicht um so eher eine sachte und sorgende Hand daran legen +und zärtlich hegende Gedanken? + +Daß Du, Lona, mir der Dolmetsch warst für diese Sprache, die bisher +nicht an mein Ohr geklungen ist, hab ich es Dir nicht zu danken? Und ist +in dem Dank nicht ein Band, das uns, so lose es sein mag, miteinander +verknüpft? + +Nun will ich Dich spielen hören! Nun sollst Du auf der Orgel zu mir +sprechen! Von Deines Wesens Tiefe, seinen Nöten, seinen Lichtern! Ich +werde mehr von Dir lernen, mehr von Dir erfassen, mehr von Dir wissen, +von Dir und den Deinen. Und immer mehr von der Feindschaft wird +abfallen. Deutsch und deutsch soll sich gesellen und einig sein! + +Nichts will ich beschönigen. Du hast es mir leicht gemacht, dadurch, daß +Du ein reizvolles junges Weib bist. Gewiß hätte ich zu einem anderen +Lehrer und Erklärer nicht den Weg gefunden -- oder mich ihm gar aus +Leibeskräften widersetzt. + +Die Sinne -- nun ja -- warum sie als Helfer verschmähen. Sie sind da, +und so sollen, so müssen sie getrost teilhaben an unserm Werk! So wahr +sie ein Teil von uns selber sind! Sinnlos, sie zu bekämpfen! Wird nicht +von ihnen beflügelt, was wir wollen? + +Ihr seid ein Teil der Kraft, darum seid gelobt! Wärt Ihr mir lähmend +über den Kopf gewachsen, hättet Ihr mich verstört und gestört und +verstrickt -- unter die Füße hätte ich Euch genommen. Jetzt aber, als +meine Freunde -- als meine Freunde seid gelobt! + +Morgen gehe ich zu Pastor Waermann. Er soll Dir erlauben, daß Du die +Moordorfer Orgel spielst. Der Pastor ist heftig und streng, vielleicht +auch eng. Aber mein Mittleramt, das ins Größere greift, wird er gelten +lassen. + + + + + Krisen + + +Getragen schritt Horst durch den Frühlingsabend. Es war so viel +Hoffnung, so viel Gläubiges in der Natur. Im Westen der letzte +Feuerstrich, eine freudige Verkündigung neuer Sonnentage. Darüber der +breite, topasfarbige Streif, irisierend, wie zitternd von dem Zauber der +Frühlingsnächte, der auf die Erde tropfen will. Und wann wölbt der +Himmel, der sich bestirnende, so wie jetzt in diesen Tagen des jungen +Lichtes sich auf zu der Höhe trostreicher Unendlichkeit? + +Mit reiner Freude gedachte Horst seiner Arbeit und der Kameraden. Neue +organisatorische Gedanken gingen ihm auf. Neue geschäftliche Pläne. +Schichten eines erlesenen Töpfertones waren in dem Ziegeleigelände +gefunden. Unter den Kameraden war ein gelernter Scheibentöpfer, ein +geschickter und geschmackvoller Keramiker. Kacheln und Geschirr wollten +sie herstellen. Eine aussichtsreiche Industrie, die ihre Finanzen, die +immer bedürftigen, stärken würde. + +Vor ihm liegt die Baracke, die gelobte, die geschmähte, im Dunkel. Nur +spärlicher Lichtschein aus einzelnen Fenstern. + +Da -- wie ein Schatten schleicht eine Gestalt den Weg entlang. In Mantel +und städtischem Hut, einen Reisekoffer in der Hand. Scheu wie ein +Flüchtling -- + +Es fährt Horst durch den Kopf: ist das nicht Radatz, der unsichere? +Natürlich ist er's! Und heimlich reißt er jetzt aus -- da der Führer +nicht im Bau ist. Soll er laufen, so weit die Beine ihn tragen! Mit +solchen Brüdern hab ich nichts zu schaffen! Schade um jedes Wort, das +man an euch verliert! + +Aber, daß meine Mannschaft sich nun so zersetzt! Und verstecke ich mich +nicht selbst, wenn ich den Mann so an mir vorüberschleichen lasse? Keine +vornehme Bequemlichkeit! Ihn stellen! Bin ich der Führer oder nicht? Er +soll wenigstens Hals geben! Ich verkriech mich nicht mit ihm zusammen in +Heimlichtuerei! + +»Radatz, sind Sie das?« + +»Jawohl, Herr Hauptmann.« Die Stimme knickte ein. + +»Wollen Sie verreisen?« + +»Ja.« + +»Haben Sie Urlaub?« + +»Ich -- ich habe eine traurige Nachricht von zu Hause. Mein Onkel ist +gestorben --« Der Mann log. + +»Beruhigen Sie sich. Er ist nur scheintot«, sagte Horst mit +überwältigender Kühle. + +Der Ausreißer stand, eingekeilt zwischen Beschämung und Unmut. Horst +ließ ihn stehen. Eine kurze Wendung. »Reisen Sie glücklich!« Er hatte +ihm den Rücken gedreht. + +Gleich berief Horst eine Versammlung der Siedlerschaft. + +»Kameraden. Der frühere Siedler Radatz hat sich heimlich entfernt. Daß +er sich entfernt hat, ist seine Sache. Daß er es heimlich tat, seine und +unsere. Nichts schlägt so wie dies dem Geiste unserer Gemeinschaft ins +Gesicht. In der vollen Freiheit, vollen Ehrlichkeit ist sie aufgebaut. +Und so frei und ehrlich soll sie bleiben. Wir glauben an unser Werk. Zum +Glauben gehören Opfer -- wir bringen sie freudig. Dies unsere Gesinnung +-- oder ist sie es nicht mehr? Leicht ist unsere Arbeit, unser Leben +nicht. Lockende Rufe von draußen kommen zu manchem von uns. Und nun will +ich Euch fragen, ist noch einer oder der andere hier, der nicht mit +ganzem Herzen weiterschafft an unserer Arbeit -- offen soll er es sagen. +Wir wollen ihn gewiß nicht hindern, daß er geht -- fördern wollen wir +ihn auf seinem neuen Weg. Aber Offenheit wollen wir! Lassen wir den +Betrug sich bei uns einnisten, dann stürzt unser Bau zusammen!« + +Die Worte wirkten, der Ton zwang. Alle gelobten sich aufs neue dem +Siedlungswerke zu. + +»Wir sind seit langem wieder einmal in größerem Kreise beisammen. Hat +einer sonst noch was auf dem Herzen?« + +Maurer Mulitz meldete sich. »Ich kann mir nicht helfen -- daß wir damals +nach Mehrheitsbeschluß allesamt gegen den Streik uns einsetzen mußten -- +das halte ich nicht für richtig.« + +Gegenrufe: »Wieso?« -- »Allesamt! Bei uns gibt es nur ein Allesamt!« -- +»Kameraden sind wir!« + +»Ich hab da etwas gegen mein Gewissen tun müssen -- als Streikbrecher +bin ich mir vorgekommen --« + +»Lächerlich!« -- »Was war das für ein Streik!« -- »Ein wilder +allerhöchstens.« -- »Mit Brandstiftung!« -- »Mit Überfall aus dem +Hinterhalt.« + +Mulitz ließ sich nicht beirren. »Ich bin der Meinung, daß wir andere +Aufgaben haben. Auch zum Polizeidienst sind wir nicht da. Sollte sich so +etwas wiederholen, muß ich mir ausbitten, daß ich hier in der Siedlung +bei meiner Arbeit bleiben darf.« + +Kunz wurde erregt. »Lieber Mulitz, wir haben uns stets als geschlossenen +Verband betrachtet! Einer für alle, alle für einen! Wollen wir den +Mordbrennern zuliebe uns in unsere Bestandteile auflösen? Und einpacken +mit unserem gemeinsamen Siedlungswerk? Und was haben Sie, gerade Sie +gegen Mehrheitsbeschlüsse? Damit müßte sich doch Ihr gewerkschaftliches +Gewissen am ersten beruhigen.« + +»Wir sind hier keine Gewerkschaft. Eine Arbeitsgemeinschaft sind wir, in +der jeder persönlichen Überzeugung Freistatt gewährt ist.« + +»Die sich aber doch jederzeit einheitlich zur Nothilfe organisieren +kann.« + +»Um Nothilfe ging es hier doch gar nicht. Handelte es sich hier +vielleicht um lebenswichtige Betriebe --?« + +»Wenn wir schon den neuen Staatskatechismus gelten lassen -- erst recht +handelt es sich hier darum! Was ist jetzt lebenswichtiger, als daß die +deutsche Erde bestellt wird? Und dann die Brandstiftung -- ist das nicht +unmittelbare Lebensbedrohung!« + +Es gab parlamentarische Erregung. Die meisten waren für Kunz, wenige für +Mulitz. Immerhin bildeten sich Parteien. Die Augen hingen an Horst. Er +nahm das Wort. + +»Ich kann den Standpunkt vom Kameraden Mulitz nicht ablehnen.« Kunz hebt +die Schultern, das Lid von Dankwardt zuckt. »Gewissensnöte müssen wir +unter allen Umständen ehren. Natürlich liegt mir an nichts so viel, wie +an unserer Einheit. Und tatsächlich -- wie es auch diesmal geschehen ist +-- wird ein großer Zug die Bedenken der einzelnen mit sich reißen. Auch +die Kameradschaftlichkeit von Mulitz hat sich noch immer bewährt. Aber +wir müssen grundsätzlich anerkennen, daß in solchen und ähnlichen Fällen +jemand seiner Überzeugung treubleiben darf, ohne sich damit außer dem +Rahmen unseres Verbandes zu bewegen. Über die sogenannten inneren Feinde +sind verschiedene Auffassungen möglich. Nur über den äußeren nicht!« + +Kleister! schalt Kunz in seinem Gemüt. Er war böse auf Horst. Aber seine +Disziplin hieß ihn hier schweigen. Unter vier Augen würde das Weitere +sich finden. + +»Noch eins darf ich zur Sprache bringen«, bemerkte Mulitz, der jetzt +Oberwasser hatte. »Es scheint sich hier so etwas wie Schnüffelei +ausbilden zu wollen. Man hat mir meinen Verkehr aufgemuzt -- daß ich +manchmal in der Stadt mit einem alten Freund zusammenkomme. Der ist +allerdings eingefleischter Kommunist. Aber wenn man darin nicht mehr +freie Hand haben soll --!« + +»Natürlich hat man die«, erklärte Horst. »Wir sind hier doch nicht in +einer Kleinkinderbewahranstalt.« Und dann fügte er mit Bedacht hinzu, +und es grub sich die gerade Falte zwischen seinen Brauen: Ȇbrigens bin +ich in ähnlicher Lage wie Sie. Auch ich -- suche sogar den +Gedankenaustausch mit kommunistischen Kreisen. Ich meine, wir sollen und +müssen ergründen, was in deutschen Geistern vorgeht. Nur so können wir +deutsche Arbeit leisten.« -- + +Die drei Offiziere saßen in Dankwarts Zimmer. Kunz würgte an seiner +Erregung. »Nun sind wir so weit. Der Zersetzungsprozeß beginnt! Wenn +erst dieses Phrasengespenst, die Gewissensfreiheit bei uns herumspukt! +Mit dem jeder seinen Privatunfug treibt! Dienstpflicht, verdammte, haben +wir und Kameradschaft. Und Kameradschaft und Dienstpflicht. Vorbildlich! +Und weiter nichts auf der Welt -- es ist wahrlich genug. Und vor allem +keine Gespenster!« + +»Du gehst durch die Wand, Kunz!« + +»Dann ist die Wand danach! Ich bleib dabei, so lange wir immer und immer +wieder den sozialen Knüppel unserer vaterländischen Empfindung zwischen +die Beine werfen lassen, so lange, kann ich nur sagen, verdienen wir +wahrlich den Knüppel!« + +Dankwart nickte mit der starren Asketenmiene. »Alles in allem -- da es +nun mal ohne Politik nicht geht -- können sich eben nur Glaubensgenossen +in einer Gemeinschaft wie unserer zusammenfinden. Die meisten stehen ja +glücklicherweise auf unserem Boden. Die paar andern -- hinaus! Und +geeigneten Ersatz! Es gibt brave Kerle genug ohne Dach -- die gerne +kommen!« + +Horst warf heftig den Kopf. »Nein -- nein. Das ist ja das +Allerverkehrteste! Damit werden wir ja bloß ein Klüngel mehr! Ein +Häufchen Partei und weiter nichts! Wir haben doch wahrlich was Größeres +im Sinn gehabt! Alles, was deutsch ist im Denken und Wollen -- ist nicht +Gust Elbenfried mit seinem kommunistischen Christentum, mit diesem +rührend innerlichen Kommunismus der Herzen, einfach eine Notwendigkeit +in unserm Kreis? Etwas wie ein klein Deutschland wollen wir sein! Und +nun verschont mich gefälligst mit Ketzergerichten!« + +Kunz lachte höhnend. »Ein Deutschland -- ohne Ketzergerichte? Wie +unvollständig bleibt Dein Abbild!« + +Dankwart aber, und die Bronze seines Gesichtes dunkelt unmutig: »Du +wirst immer mehr zum Schwärmer, Horst. Und das macht mir Sorge. Mir und +uns.« + +»So sägt mich ab.« + +Dankwart weiter -- und das schwere Lid hob sich auf zu besonderem +Vorstoß. »Du hast selbst davon gesprochen, von Deinem Verkehr mit der +Kommunistendame. Darf ich Dir meine Ansicht sagen?« + +»Bitte.« + +»Als Führer tätest Du besser, diesen Verkehr einzustellen.« + +»Lieber Dankwart --« + +»Man wird Dich nicht verstehen. Und ein Führer -- soll verständlich +sein.« + +»Wohl. Aber vor allem soll er doch selbst verstehen, mein ich. Und +möglichst viel. Meine Methoden müßt Ihr mir schon lassen.« Er hielt die +Ruhe, aber ein wehrhafter Ton meldete sich. + +Dankwart, den bitteren Mund verzogen, mit seinem gelinden Zynismus: +»Lieber Horst -- hättest Du gesagt: meine weibliche Privatsache, Hände +davon -- gut! Oder: wenn ich einen Gegner so oder so unschädlich mache, +seid mir doch dankbar -- besser! Aber ein >geistiger Austausch< -- geht +dabei etwas verloren, trifft das auch uns. Und darum --« + +Horst wurde es der Erörterung zuviel. Sprödigkeit, Stolz, ritterlicher +Sinn wehrten sich gegen die ganze Art dieser Betrachtung. »Wir geraten +da nach meinem Geschmack zu sehr ins Persönliche. Meinen Standpunkt in +der Sache hab ich Euch bezeichnet.« + +In den festen Worten war ein metallenes Klingen. Das bedeutete Schluß +der Vorstellung, die Freunde wußten es. + +Kunz, der am ersten sich umstimmte, suchte erfreuliche Mitteilungen in +das Schweigen zu bringen. + +»Ein Paar Pferde habe ich gestohlen.« + +»Was? Gestohlen -- wo?« + +»Dem Roggendorfer habe ich sie abgeknöpft. Zwei zähe ostpreußische +Schecken. Kosten so gut wie nichts.« + +»Kunz --« + +»Horst -- sei Du der Organisator des Sieges. Ich sei der Organisator des +Geschäfts. Zwei Schälpflüge hab ich uns auch gelangt. In Süldemitz. Auf +Abzahlung. Ohne Termin. Na -- und da wir keine hastigen Orientalen sind +--« + +»Natürlich dürfen wir nicht --« + +»In allem Ernst, Horst -- die lieben Leute haben von uns so unendlichen +Nutzen gehabt -- da erlauben wir ihnen eben gütigst, sich ein klein +bißchen erkenntlich zu zeigen. Manus manum. Und weil ich auf diese +Manikür mich verstehe --« + +»Was uns aber nicht an ordnungsmäßiger Abrechnung hindern wird.« Horst +erhob sich. »Und morgen also zuerst ins Ödland. Gut Nacht!« Er reichte +den Freunden die Hand und ging. + +Die beiden blieben noch eine Weile zusammen. + +»Die Höhe hat er,« sagte Kunz, und was ihn ihm zürnte, wurde von der +Anerkennung verschlungen. »Weshalb wir jetzt auch gegen ihn Stimmung +machen. Und an ihm stürzen werden.« + +»Das tut er ja leider allein.« Dankwarts Auge war wie Nacht. +»Knochenerweichung geht weiter.« + +Kunz schrak auf. »Und was soll werden? Wer soll uns führen? Kannst Du +es?« + +»Nein.« + +»Kann ich es? Strammheit allein -- lächerlich. Dazu gehört dies gewisse +Etwas. Was er hat -- und keiner von uns.« + +Dann rückte er sich kräftig zurecht. »Unsinn! Wir übertreiben. Und +machen Verschwörung. Verschwörer übertreiben immer. Es renkt sich alles +wieder bei ihm ein. Gesunder Kern -- also!« + +»Wenn nicht ein Weib dahinter steckte.« Heiser die Worte, vor +Bitterkeit, höchstem Mißtrauen und tiefster Verachtung. + +»Das bißchen Weib.« Kunz lächelte, er war noch leidlich unbeschwert. +Dann schlug er lebhaft mit den Flügeln. »Wenn man ihm das Weib auf +irgendeine Art vom Halse schaffte!« + +Sehr abenteuerliche Gedanken brausten ihm durchs Hirn. + + + + + Die Schlacht an der Katzbach + + +Die Siedler arbeiteten im Felde. Über ihnen die klingende +Frühlingsweite. Kunz pflügte mit seinen Schecken. Er war zufrieden und +sang. Die Morgenluft hatte alles aus seinem Schädel geweht, was da noch +dumpf von Krisenstimmung und Palastrevolution herumrumorte. + +Und Horst war von der Verantwortung getragen. Jetzt, wo alle Betriebe +lebten, die Landarbeit, die Ziegelei, der Torfstich, wo alle Fäden in +seiner Hand zusammenliefen, war er mehr als je der Führer. Er selbst +betonte sich die Führerschaft, geflissentlich und hart. + +Es war da etwas gegen ihn aufgestanden -- in sein Empfindungsleben +hatten sie greifen wollen -- was im Grunde um so plumper ist, je +rücksichtsvoller es sich gebärdet! Und wenn nun gar die Freundschaft ihr +Lied hineinsingt --! Solches lehne ich ab! Ich bin, wer ich bin! Wollt +Ihr mich nicht so -- ich will mich so! Und es gilt den Kampf. + +Er fühlte sich allein. So ist die Höhe. Und stark ist die Einsamkeit. + +Nach dem Torfstich wandte er sich, zum Moor. Er würde Lona sehen. Durfte +er? Mußte er dafür nicht einen Genossenschaftsbeschluß in der Tasche +haben? Ein Lächeln. Und er dachte an sie mit einer Art trotziger +Innerlichkeit. + +Beim kranken Torfmeister fand er sie. Ihre Pflege hatte Wunder getan, +der Alte war fast ohne Schmerzen. Die zwei saßen nebeneinander beim +Fenster. Sie schauten und horchten aufs Moor. Er hatte seine Pranke auf +ihren Unterarm gelegt, der eine Schönheit war. So zogen seine alten +Glieder sich die Heilkraft aus ihrem jungen Leib. + +»Mein Lütt ist mein Segen«, sagte er. »Und wenn sie sich nun noch aufs +Moor verstünde -- und das Moor sich auf sie --! --« Dies war sein +Kummer. »Denken Sie,« sagte er zu Horst, »sie kann hier nicht schlafen. +Wie kann man hier nicht schlafen, wenn das Moor neben einem atmet.« + +»Aber es stöhnt im Schlaf«, rief sie. »Wie ein Riese, der sich den Magen +verdorben hat.« + +Der alte Lud schüttelte den vermoosten Schädel. »So kommt Ihr Euch nicht +bei.« + +Lona trotz ihrer Schlaflosigkeit blickte aus klareren Augen in die Welt. +Von der Güte der Pflegschaft lag es weich um ihren herben Mund. Etwas +wie friedliche Versonnenheit war über sie gebreitet. + +In Horst ging es auf: ist sie nicht wie befreit, von einer inneren Not, +einem Druck, einem Zwang? Da die furchtbare Pflicht von ihr genommen ist +-- die Pflicht ihrer Rache! + +Er mußte an sich halten. Gräber wälzten sich gegen ihn, deutsche Gräber. +Aber das Goethewort hallte in ihm nach: Ȇber Gräber vorwärts!« + +Pastor Waermann hatte es gesprochen. Und hier war eine -- auch ein +darbendes Kind der deutschen Erde -- die auch vorwärts schritt, auch +hinaus strebte aus dem Fluch, aus den Fesseln des Vergangenen und enger +Gelöbnisse. Der sie jetzt die Orgel nicht gönnen wollten, die ihre +Erhebung war, die auf den Weg zum Ewigen ihr leuchtete. + +Morgen am Sonntag rede ich darüber mit Pastor Waermann. + +Und er sagte es ihr. Sie hatte dafür einen dankbaren Blick. »Ob ich aber +gerade bei Pastor Waermann Gegenliebe finde?« + +»Bei ihm am ersten.« + +»_Pax vobiscum_ beten die Christen -- _bellum aeternum_ den Pazifisten!« + +»Darin ist er nun wie ich: um --isten und sowas kümmert er sich nicht, +auf Endungen gibt er nicht viel. Und der Kern der Sache --« + +»Ist, daß Lütt Orgel spielt!« rollte Lud Uhlenbrook dazwischen. +»Bedanken sollen sie sich, der Pastor und der Herrgott und die Kirche +und jedeiner, der mit seinen langen Ohren einen Ton davon aufzuschnappen +kriegt!« + +»Lud, was weißt Du von meinem Spiel!« Ganz mädchenhaft war ihre Abwehr. + +»Ich hab Deinen Vater spielen hören. Und in meiner besten Stube« -- er +schlug sich an die Brust -- »ist seit der Zeit Festesfreude. Wenn sie +Dich nicht spielen lassen -- wir stürmen die Kirche -- was, Herr +Oldefeld?« + +Seine Pranke hob sich zu mächtigem Schlag und ruhte dann wieder aus auf +der köstlichen Armrundung seines Lieblings. + +Dann lud er Horst ein, morgen den Sonntagnachmittag bei ihnen zu +verbringen. Freudig sagte der zu, ganz glückhaft vergessen. Plötzlich +fiel es ihm ein: ich kann ja nicht. Und er ließ sie es wissen. Seine +Jungen kämen morgen aus der Stadt heraus zu ihm. + +»Was wollen die?« fragte der Alte. + +»Soldat spielen.« Horst hielt nicht hinterm Berge. Er sah, daß es um +Lonas Mund zuckte. Jugendverführer! mochte das heißen. Er konnte es +nicht ändern -- o nein und wollte es auch ganz gewiß nicht. + +»Natürlich«, knurrte der Alte in zustimmendem Behagen. »Was wollen +Jungen sonst! Wir haben es so gemacht, und solange die Welt steht, wird +sie's so machen. Jungs sind Soldaten und wollen Soldaten sein. Und warum +ist es so?« Hier faßt er dem großen Weltgeheimnis an den Puls. »Weil die +kleinen Mädchen es so wollen!« + +»Lud, das ist nun mäßig.« Lona lehnte sich auf, aber sie ließ ihm ihren +Arm. »Frauen kennen Besseres als rasselnde Säbel.« + +Das war ganz gewiß auch auf Horst gemünzt. Der aber schwieg. + +»Lütt, Ihr Aufgeregten guckt so oft an der Welt vorbei -- und glaubt +dann, sie ist anders. Aber sie bleibt wie sie ist, und Soldat ist und +bleibt Trumpf für die Frau. Und ich kann Dir auch verraten, wovon das +ist. Guck, alles könnt Ihr Frauen meinetwegen werden -- Doktor und +Apotheker und Advokat und Priester und Küster. Bloß nicht Soldat. Und +weil das das richtig Männliche ist, darum ist das auch das Richtige für +die Weiber.« + + »Denn das Höchste, Höchste ist für mich ein Reiter, + und das Leben labt und lebt und liebt sich weiter!« + +Horst brauchte keine Reiterlieder anzustimmen. Von dem blanken +Mannesmut, dem die Frauenhuld gehört. Die totsichere -- die +lebenssichere Gewähr dafür, daß dieser Geist sich auch fortpflanzt und +nun und nimmermehr ausstirbt. Er freute sich daran, wie der Alte die +Klinge schlug. Und war es zufrieden, daß er selbst im Hintergrund +bleiben konnte -- jetzt, wo Lona, die Gebändigte, selber in der +Beschaulichkeit sich hielt. + +So sagten sie sich still und friedfertigen Sinnes Lebewohl. Horst +verhieß, er würde Sonntag abend nach dem Manöver noch herüberkommen und +den Kirchenschlüssel bringen. -- + +Die Jungen strömten heraus mit singenden Lungen und hochschlagenden +Herzen. + +Sie lagern am Fuße der Goldberge. Horst, in der Mitte des Kreises, hält +ihnen Vortrag. Mag das ganze eine Kinderei sein, ein Stammeln im Geiste. +Aber gleichviel -- auf den Geist kommt es an. + +Wir haben hier -- so spricht Horst -- ein ausgezeichnetes +Katzbach-Gelände. Da, die beiden Rinnsale, die von dem Südhang sich +abzweigen und ins Moor fließen: Katzbach und Neiße. Drüber die +Hochebene. Also heute: die Schlacht an der Katzbach! + +Begeisterte Zustimmung leuchtet aus all den jungen Augen. + +Wie Horst nun begann die Kriegslage zu erläutern, fand auch Kunz sich +ein. Aber er blickte nicht auf das Schlachtgelände, drehte der Strategie +den Rücken und hielt mit den Augen die Moordorfer Straße. + +Horst erklärte: Napoleon hat versucht, mit großer Übermacht Blücher in +Schlesien zu stellen. So dumm ist der Alte nicht -- er weicht aus, geht +vom Bober hinter die Katzbach zurück und wartet, bis der Kaiser mit +einem Teil seiner Armee nach Sachsen zurück muß, da das böhmische Heer +anmarschiert. Macdonald erhält den Befehl über die achzigtausend Mann, +die den -- natürlich! -- >in Auflösung begriffenen Feind< weiter +verfolgen und vernichten sollen. Bei Blücher haben Russen den rechten +und linken Flügel, unter Sacken und Langeron. Das Zentrum befehligt +York. Er hält sich hinter Anhöhen versteckt -- ahnungslos steigen die +Franzosen zu dem Plateau empor. Blücher befiehlt: laßt so viel Feinde +herauf, wie Ihr wieder hinunterschmeißen könnt! So geschieht's. Dann +beginnt die preußische Brigade Hühnerbein den Tanz, mit Bajonett und +Kolben fegt und schmettert sie die Franzosen den Abhängen zu. Aber +Macdonald treibt immer neue Massen auf die Höhe. Ein preußischer +Kavallerieangriff unter Jürgaß verpufft. Da stürmt der Alte selbst und +sein Liebling Katzeler mit preußischen und russischen Reiterscharen +gegen den Feind. Kräftig hilft die Infanterie Yorks und Sackens nach -- +während Ehren-Langeron es vorzieht, Gewehr bei Fuß zu bleiben. Der +Franzose wird ins Neißetal geworfen, in den brausenden Strom. Der Sieg +ist errungen. + +So die kurze Erläuterung. Nun wandern sie durch das Schlachtgebiet. +Fröhlich schmunzelt die Fantasie zu den »reißenden Gebirgswassern«. Die +einzelnen Stellungen werden bezeichnet. Dann geht es an das Einteilen +der Heerkörper, an die Ernennung der Führer. + +Natürlich will niemand Franzose sein. Erst wie Horst die Rolle +Macdonalds übernimmt, bekommt er sein Heer zusammen. Auch die Russen +sind nicht begehrt. Kunz muß sich erst zu dem Jammerkerl, dem Langeron, +entäußern. Allerdings hat er dafür den Vorzug, auch sein eigener +Heerkörper zu sein -- zum Nichtstun bedarf es keiner weiteren Kräfte -- +und in träumerischer Einsamkeit die Spitze des Moordorfer Kirchturms und +die Straße vom Dorf, die so freundlich verheißende, zu betrachten. + +Auch hat der Posten, der ihm zugewiesen ist, alle Anwartschaft darauf, +nicht mit rührender Treue gehalten zu werden. Vielleicht, daß dieser +Frühlingssonntag doch noch etwas anderes mit ihm im Sinne hat, als daß +er hier den traurigsten aller Wutkigenerale an den Pranger der +Unsterblichkeit stellen muß. + +Die Moordorfer Straße -- eine Straße wie die andern auch. Vom grauen +Staub bedeckt, von grauen Bäumen mürrisch bewacht, die der Frühling noch +nicht hat entzünden wollen. Und heute ein grauer Himmel über allen +Dingen. + +Wie aber wird dieser graue tote Weg, auf dem heute niemand geht und +niemand fährt, wie wird er zu leuchten anfangen, ein goldener Streif, +eine Sonnenbahn, wenn zwei Mädchenfüße ihn betreten! + +Wartest Du, Straße, nicht auf diese Füße? Ja, ja -- Du bist nichts als +ein Warten, als ein Dichdarbieten, als ein Sietragenwollen! Was gibt es +auch Herrlicheres für einen Weg, als von dieser unsagbaren Anmut zu +federn und zu schwingen! + +Nicht wahr, Du, Straße, sehnsüchtig wie ich, Du führst sie mir her, sie +weiß ja, daß hier heute Kriegsspiel ist. Was gibt es Lockenderes für +sie? Und sie ist mein Kamerad. Wenn ich dabei bin, muß sie doch auch +dabei sein! Straße, gedenke Deines Berufes! Trag ihre Schritte! Bring +sie mir her! + +Der Ehrgeiz der Jungen warb um die Führerstellen. Blücher war natürlich +Dr. Georg Stump -- an den greisen Marschall hätte auch ihre Bewunderung +kaum zu rühren gewagt. Eher schon trauten sie an York sich hinan -- der +primus omnium, ein ernster, kantiger und steifnackiger Junge ward +auserlesen. + +Am meisten umworben war Blüchers Verzug, Katzeler, der kühnste und +verschlagenste aller Reiterobersten. Als solcher durfte Fritz Röder vor +seinen Schwadronen bergan traben, ein Junge, rosig, leichtsinnig, +sorglos und liebenswürdig verschmitzt -- seine Besonderheit war, listig +sich mit der Kamera lustig verfängliche Situationen zu greifen. + +Und nun ist Krieg. Die feindlichen Heere haben sich aufgestellt. +Horst-Macdonald klimmt mit seinen Scharen die Höhe hinan, die Aufklärung +versagt plangemäß, in breiter Linie fluten sie auf den Gipfel. + +Wie ein unbändiges Meer wogt die versteckte Brigade Hühnerbein. Schwer +ist sie zu halten. Jetzt! Das Kommando! Sie brechen vor auf die Feinde +-- + +Ein erbittertes Handgemenge. In Paaren kugeln sie auf den Boden. Die +Franzosen müssen zurück. Aber Macdonald -- zu spaßen ist nicht mit dem +schlachtenerprobten Marschall, dem Helden von Wagram -- er führt neue +Truppen ins Feuer -- der Kampf steht -- + +Jetzt ist die Stunde der Reiterei gekommen. Wie das Donnerwetter +preschen Blücher und Katzeler mit den Regimentern gegen die +Anstürmenden. Und Yorks Infanterie gibt ihren Senf dazu. + +Aber -- aber die gerufenen Geister -- so leicht sind sie nicht los zu +werden. Ist es die Schwärmerei für Horst, ihren Führer, ist es der Zorn, +daß sie die Franzosen sein müssen -- Macdonalds Soldaten stehen und +verbeißen sich. In Einzelkämpfen. Sie sind die gewandteren Ringer und +bleiben oben. Der große Kavallerie-Angriff und mit ihm das ganze +Programm droht in die Brüche zu gehen. Kommandos und Signale werden in +der Kampfeswut nicht mehr gehört, die Franzosen dringen erbittert weiter +vor, das Bild der Katzbacher Schlacht beginnt, sich heillos zu +verschieben und zu verzerren -- + +Da -- was begibt sich? Man weiß, wie oft in die Entscheidungsschlachten +der Völker überirdische Mächte, himmlische Erscheinungen eingegriffen +haben -- Erzengel mit dem Flammenschwert, die Geister sagenhafter Helden +oder heilige Frauen im Glorienschein. + +Und hier -- eine Elfengestalt -- ein Wesen aus einer anderen Welt -- an +die Spitze der wankenden Preußen tritt sie -- eine Begeisterung, +übermächtig, braust durch die Herzen. Die Reihen schließen sich, sie +stürmen vor, unaufhaltsam, sie siegen, sie siegen. Und der Feind liegt +am Boden. + +Kunz, wo hast Du Deine Augen gehabt? Hast Du so lange auf die +Straßenlinie gestarrt, wie das Huhn auf den Kreidestrich, daß Du davon +eingeschlafen bist? + +Vita, Deine Vita ist ja längst zur Stelle. Mit ihrem Vater ist sie +gekommen, der heute hier auch nicht fehlen darf. Jetzt steht Horst bei +ihr und drückt ihr die Hand, daß sie die geschichtliche Wahrheit +gerettet hat. In scheuer Verehrung umkreisen sie die Jungen. + +Kunz findet sich schnell hinzu -- es zwickt ihn wie die bittere Wehmut +einer leichten Eifersucht, es liegt ihm ganz und gar nicht, überflüssig +zu sein. Sie begrüßt ihn mit ihren hellen eifrigen Augen. Wie +durchrieselt ihn die Freude an ihrer Kindlichkeit. Die ihm, ihm einmal +erwachen soll! + +Eine Pause gibt es. Wieder lagern sie alle. Die Kritik ist mühelos +erledigt. Jeder bekommt seinen Wischer. Nur die Vision wird gefeiert, +der Geist und des »Geistes Tochter«, die Begeisterung. + +Die drei Männer, Horst, Pastor Waermann, Dr. Georg Stump unterhalten +sich über das Leben in Blüchers schlesischem Hauptquartier -- der eine +weiß dies, der andere das. Die Jungen hören zu mit dürstender Hingabe. +Hier ist Trank aus deutschen Quellen. + +Wie um den Alten, den sie den »rohen Husaren«, den »Landsknecht« +schalten, das regste geistige Leben blühte. Nichts mehr von dem alten +bildungsfeindlichen, plumpen Hohn des Kasernentons. Die Helden dieses +Kreises, Gneisenau voran, Rühle von Lilienstern, mit Heinrich von Kleist +innig befreundet, Schack, Brandenburg, Oppen, -- Offiziere von weitestem +Horizont. Und auch die Haudegen Horn, der preußische Bayard, Jürgaß, +Sohr, Katzeler, der tolle Platen, dem nie die Pfeife ausging -- sie alle +beileibe keine bloßen Plempenschwinger. Weiß man, daß die Offiziere in +Blüchers Hauptquartier Shakespeares Dramen mit verteilten Rollen lasen? +Und wieviel Leuchtkraft strahlte von den »Schriftgelehrten« Karl von +Raumer, Friedrich Steffens, Friedrich Eichhorn aus! Keine Dumpfheit gab +es hier, keine Enge, keine Verketzerung! Freimut die Losung! Alles +Ehrliche galt, alles Faule wurde ausgebrannt, bei Fürsten wie bei +Untertänigen! + +O Du, unser Vater Blücher, auch heute noch -- heute mehr noch als je +unser Vater! Wie sang Pastor Waermann sein Lied! + +»Bewußt und groß!« Erfüllt war sein Bewußtsein von der Sklavennot seines +Volkes, seiner eigenen unerträglichen Not! Bewußt war er sich seiner +Führerschaft, seiner Kraft, die Fesseln zu brechen -- bewußt der Liebe +seines Volkes, der Liebe seines Heeres, der Bereitschaft seiner +Getreuen, mit ihm in den Tod zu gehen. Keiner ist so klaräugig wie er, +mit so unverwüstlichem Vertrauen wie er, der Frische, der Kraft, der +Freiheit deutscher Art sich innegewesen -- groß war er im Glauben! Und +so -- bewußt und groß hat er die Volksseele gelöst, gehoben, beflügelt +zum Freiheitsflug. Jeder Blutstropfen in ihm war Freiheit, jeder Hauch +seines Atems rief nach Freiheit. Der große bewußte Freiheitsheld seines +Volkes ist er gewesen. Und ist er uns geblieben, unser Schirmherr, unser +Bannerherr, uns, seinen Urenkeln, auf die wiederum die Knechtschaft fiel +-- und die wiederum die Knechtschaft zerbrechen werden! In unserer Seele +brennen und leuchten seine Worte: »Trage Fesseln wer will, -- ich nicht. +Ich bin frei geboren und muß auch so sterben!« + +Es bebten die jungen Herzen, es zuckten die Augen. + +Turnspiele folgten. Militärische Übungen. Horst sprach noch einiges über +Technik in der neuesten Kriegsführung. Dann trennte man sich. Die Jungen +waren vollgesogen bis ins Mark von stählenden Erlebnissen. Sie hatten +Eisen ins Blut bekommen. Am nächsten Sonntag wollten sie mit tausend +Freuden sich wieder einfinden. + +Singend zogen sie der Stadt zu, singend das Trostlied ihrem Deutschland: + + Wir sind die Jungen, wir sind die Kraft, + jede Faser gestrafft und gerafft. + Wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, + siehst Du die nächtigen Wolken lohen? + Wir sind des Frührots lachender Schein! + Frei sollst Du sein! + +Horst, der Pastor, der Doktor, Vita und Kunz gingen eine Strecke im +Takte mit. Der Doktor sprach mit Horst. Er war stolz darauf, daß von +seinen Jungen wieder nur die beiden räudigen Schafe fehlten. + +Übrigens der eine von diesen, der Kommunist, ein unheimlich begabter +Mensch. Ein musikalisches Genie. Lebte als reiche Waise im Hause einer +halb verrückten Tante, die ihn frei gewähren ließe. Jetzt hätte er +Klavierstunde genommen bei der Nihilistin, die die Stadt unsicher +machte. + +Lona also. Diese letzte Wendung gefiel Horst nicht. Aber Doktor Stump +sagte noch mehr von ihr. Natürlich sei der Junge rasend verliebt in sie. +Eine Gefahr nicht bloß für ihn. Eine Gefahr, die weitere Kreise ziehen +könne. Höchstwahrscheinlich lasse sie alle Minen springen, um Bresche zu +legen in die Reihe der Primaner. Für die sie natürlich etwas lockend +Geheimnisvolles und Verbotenes sei. + +Horst trug an einem Unbehagen. Aber die Vertraulichkeit einer +Entgegnung, einer Auseinandersetzung widerstrebte ihm. Und der Doktor, +so ehrlich wie befangen, ging weiter im Text. Von all den Aufwieglern in +der Stadt sei sie ohne Frage die Bedrohlichste, schon als die geistig +Bedeutendste. Und ihr Zauber, um den die männliche Jugend zu kreisen +geneigt ist --! -- + +»Wer weiß,« rief der Lehrer erbost, »ob ich Ihnen das nächste Mal noch +all diese Jungen wieder hinausbringe!« + +»Sie meinen --! --« + +»Nicht unmöglich, daß sie ein pazifistisch-musikalisches Jugendkränzchen +mobil macht, gegen unsere vaterländische Jungmannschaft! Die Erregung +gegen sie ist im Wachsen. Vielleicht steht ihr so mancherlei bevor!« + +Nun richtete Horst sich steil auf. »Sie ist eine Frau, eine Dame --!« + +»Sie macht Politik. Und Politik ist geschlechtslos --« + +Die anderen traten hinzu, sie wollten umkehren. So verabschiedete man +sich. + +Horst ging versunken den Weg zurück. Die drei Andern sprachen lebhaft, +er blieb mit sich allein. + +Lona -- sie laufen Sturm gegen Dich. Wären wir im Mittelalter, machten +sie Dir als Hexe den Prozeß. Denn Du trägst Dein Mal. Dein +unglückseliges zerrissenes Leben, Dein zerwühltes Gemüt, Deine flammende +Sehnsucht, die der Zeit voran fliegen will, hat Dir das Hexenzeichen +aufgeprägt. + +Ich versteh es, ich seh es, wie die Primanernacken nach Dir sich wenden. +Wieviel Reiz ist in der blühenden Schlankheit Deines Wuchses, in dem +Doppelleben Deiner Züge, in der Auferstehung Deiner Augen aus +vergrabener Tiefe. Wer begreift es nicht, daß gerade junge Fantasie an +Dir sich entzücken muß! + +Dazu Deine Kunst und -- abenteuernden Sinnen ein Zauber -- Deine wilde +fanatische Kampfstellung, auf geistiger Höhe. + +Und nun -- einen Wettstreit soll es zwischen uns geben, um die Seelen +der Jungen? Ist es das, was mir am nächsten geht? Oder ist es der +Wettstreit, den ich um Dich auszufechten habe -- mit allen, deren Blicke +und Gedanken um Dich streichen und werben, ob es die Jungen sind, ob die +andern alle! Ob der Alte seine haarige Flosse auf Deinen leuchtenden +Unterarm legt -- was hat sie da zu liegen! Ob Deine Parteigenossen +Deiner begehren und Dich umgirren! + +Er kämpfte schon wie um ein eigenes Besitztum, zornig und heiß. + +Was hatte der Schulmeister vorhin gesagt? Daß sie sich nicht scheuen +werde, ihre Reize spielen zu lassen, um so die Jungen zu sich herüber zu +ziehen! + +War das nicht wie eine Beschimpfung? Wie hatte er das hinnehmen können! +Und heftig fast wandte er sich jetzt an Pastor Waermann. Er habe eine +Bitte. Eine ihm bekannte Dame, Künstlerin, Meisterin auf der Orgel, +möchte dann und wann in der Moordorfer Kirche spielen dürfen. Kunz +spitzte die Ohren. + +»Das soll sie!« Der Pastor gab gern seine Einwilligung. + +»In der Stadt macht man ihr Schwierigkeiten,« erklärte Horst ehrlich. +»Weil sie Kommunistin ist.« + +Pastor Waermann wußte von ihr. »Ich muß offen gestehen -- unbehaglich +ist sie mir ja -- aber darum --!« + +Horst, der empfindlich gewordene, wollte gegen das »unbehaglich« sich +ins Zeug werfen. Dann aber griff er es willig auf. »Sie ist sich selbst +nicht behaglich -- zerquält, vom Leben zerschlagen. Nur in ihrer Kunst +kann sie sich wiederfinden. Und gerade die Orgel trägt sie auf andere +Bahn. Es dämmern Bekehrungsmöglichkeiten --« + +Dann brach er jäh und unwirsch ab. So was wie gemeinsames Rettungswerk +widerstrebte ihm aufs tiefste. Und da er von Wandlungsmöglichkeiten +sprach, verriet er hier nicht heimliche Hoffnungen? + +Kunz mit Vita ließ seinem Unmut die Zügel frei. Längst hatte er vor ihr +keine Geheimnisse mehr. Eine selbstverständliche Vertraulichkeit band +die jungen Herzen. »Horst orgelt sich da selbst in etwas hinein. Solche +innere Mission färbt immer ab. Er soll die Finger davon lassen. Er +braucht -- wir brauchen seine reinen Hände!« + +Schwer ging seine Brust. Vita sah, wie er litt, an quälender Sorge. Sie +nahm seinen Arm. Da durchrann ihn das Glück. Und er hob sich fröhlicher. +»Das Siedlungswerk soll nicht untergehen! Deutsche Augen -- deutscher +Glaube sind auf uns gewandt. Wenn Horst uns versagt -- er darf es nicht, +denn alles hängt an ihm -- aber wenn, wenn -- Dankwart ist zu sonnenlos +und Gisbert, der jetzt kaum noch was Irdisches hat, schwimmt in seinen +Unendlichkeiten. Dann muß ich -- ich wachsen an meinen Pflichten!« + +Sie blickte zu ihm empor. Alles Kindliche, Spielerische fiel von den +beiden ab. Eine Weihe der Kraft schloß die jungen Menschen zusammen. + + + + + Heimweh + + +Horst brachte Lona den Kirchenschlüssel. Sie hatte die Erlaubnis, morgen +Montag zu einer ihr genehmen Stunde auf der Moordorfer Orgel zu spielen. + +Sein Lohn wurde ihm zugesichert, er sollte, wenn sein Tagewerk beendet +wäre, am späten Nachmittag -- diese Stunde wählte sie -- ihr zuhören. + +Horst war hinterm Pfluge gegangen. Er hatte Furchen gezogen durch +deutsche Erde, der Duft der umbrochenen Schollen hing ihm im Haar, lebte +noch in seinen Lungen und stählte ihm das Herz. Er fühlte sich sicher +und reich. Wie ein Gebender erschien er sich, nicht als einer, der +suchte und beschenkt werden sollte, da er den Weg zur Moordorfer Kirche +antrat. + +Die Luft prickelte und schäumte wie Wein von den Kräften und Säften des +Frühlings. Dann und wann -- wie ein Mädchenlachen, keck und spröde +zugleich, zitterte es stoßend und kurz, höhnend und befeuernd durch den +schweren seidenen Glanz des sinkenden Nachmittags. + +Er dachte an Lonas Lippen, die vollen, farbigen, denen die +schmerzverbissenen Kiefer so schwer zu schaffen machten, die so bitter +in weher Ironie sich spannten. Hatte er jemals ein Lächeln, ein weiches, +vergessenes Lächeln um diesen Mund gesehen? Und war doch der rote, +blühende, lebensheiße Mund eines jungen Weibes. + +Er warf die Arme. Ist es nicht aller Weisheit Anfang und Ende, nicht die +Erlösung aus allen Nöten: die Sprache Mund auf Mund -- gibt es eine +andere zwischen Mann und Weib? Durch seine Sinne rieselte es. Was gehen +ihre Gedanken mich an, ihre Dogmatik, ihr Geistesleben, ihr politisches +Toben! + +Vom Verstehen habe ich immer gesprochen, in so schönen Worten +theoretischer Gesinnung. Was schwatz ich mich so herum um die einzige +Verständnismöglichkeit, die gegebene, die gebotene, die notwendige? Die +einzig wahrhaftige, von der all die verlogenen Mätzchen wie weggeblasen +werden! Gibt es Waffenstillstand für uns, warum sollen diese Stunden +sich nicht füllen mit allen Gaben der guten Lebensgeister? Die gut sind, +weil sie nur fühlen, nicht denken. Macht nicht das Denken erst böse? + +Und er summte und träumte im Frühlingsrausch. + +Wie er sie beim Torfmeister fand, war sie anders als das Bild seiner +Wünsche. Auf ihrem Gesicht eine krankhafte Blässe, sie sprach wieder von +schlafloser Nacht, und daß sie das Moor nicht vertrage. + +Dem Torfmeister ging es besser, morgen wollte sie in die Stadt zurück. + +Nun wanderten die zwei zum Dorf. Eine Befangenheit war um sie. Beide +empfanden sie stärker als je das Ungewöhnliche ihres Beisammenseins. +Eine Heimlichkeit vor den Freunden -- und auch eine Heimlichkeit vor +ihnen selbst, vor ihrem eigenen Wollen, ihren Kämpfen, ihren +Lebenszielen. Wie ein Verbotenes, wie eine Schuld. Und wieder mit allen +Reizen des Heimlichen und Schuldhaften. + +So suchten und mieden sich verstohlene Blicke und Wünsche in wachsender +Scheu. Kaum, daß sie ein Wort miteinander sprachen. + +An der Kirchentür erwartete sie ein halbtauber Junge, der die Bälge +treten sollte. Nun gingen sie in das Gotteshaus, darin schon die +Abendschatten geisterten. Die rostige Stimme der Uhr mahnte sie +mürrisch: es ist schon sechs! Der geduckte, karge Raum mit seinen +gedrungenen Säulen und der düsteren Täflung gab den Eindruck einer +trotzigen verbissenen Frömmigkeit. + +Horst setzte sich in einen der schweren Stühle, Lona ging die Treppe zur +Orgel hinauf -- es war ein Instrument mit freistehendem Spieltisch -- +und machte sich bereit. Die Windladen füllten sich. Liebevoll legten +sich die dankbaren Finger auf die Tasten. + +Leise, im Hauch spielte Lona ein paar Passagen -- die Töne waren +ungleich, viele grau, alt und quäkend. In trockener, starrer, linearer +Kühle fügte sich Ton an Ton -- dürr klang es, mechanisch, wie wenn +Letter an Letter gesetzt wird zu einem mühsam dürftigen Wortgebilde. +Jetzt aber fand sie es, die Orgel hatte doch Seele, sie konnte lebendig +werden, konnte sprechen und Zeugnis geben. + +Um Horst aber schauerte die Andacht seiner Sehnsucht. + +Und es begann. Ein dumpfes Rauschen begann es, aus weiter Ferne, +gebändigt von Nacht und Finsternis. Wolken schoben sich, ballten sich, +formten sich gespenstisch. Ein Chaos wie von sich selber träumend, kaum +seiner selbst sich bewußt. Und es wird ein Schein -- ein Wollen, eine +Kraft, ein Licht. Und das Licht schafft sich Schatten, die ihm dienen +müssen -- die vor ihm fliehen wollen -- die sich auflehnen im Kampf -- +die Feuerodem dem Lichte entreißen -- und mit ihm sich beseelen. Körper, +Wesen, Lebende, Leidende, aus Licht und Finsternis geworden. Menschen. +Da sie leben wollten, sind sie dem Tode verfallen. In den Wolken, auf +schwarzen Fittichen rüttelnd, steht der Würgengel. Unter ihm die +Kreatur, sie verkriecht sich in Klüften, sie winselt, sie schreit. Und +auf wen der Würgengel stößt, in dem erlischt das Licht, er wird wieder +zum Schatten. Nun aber, da er gelebt, ist er schuldbeladen -- und des +Schattens wartet das letzte Gericht, furchtbarer noch als der düstere +Todesengel. Von Grauen gepeitscht sind die Seelen -- Gewitterstürme +donnern hernieder über das Weltmeer -- Blitze zerreißen die Finsternisse +der Himmel -- an die Ränder der Wolken klammern sich die gehetzten +Schatten -- es gibt einen Tod noch über dem Tod -- und was ist das Leben +-- was ist sein Sinn -- was ist es mit dem guten Sinn des Lebens? Ein +Hohngelächter in tausendfachem Echo gellt von den irdischen Abgründen zu +den zerklüfteten Wolken -- entsetzte Seelenschatten flattern durch den +erbarmungslosen Raum -- + +Horst erfror vor dem erhabenen Grauen dieser trostlos verzweifelten +Visionen. Sie alle getaucht in die schreienden Tinten ihrer neuen Kunst. +Kosmisches Urweltgestammel über allem. Und doch ein gewaltiges Ringen in +und zur Wahrhaftigkeit, ein Sichselbstzerwühlen nach den letzten +Offenbarungen des Ich. + +Findet sie keinen Trost, keinen Ausblick, keine Helle? Wo ist das Licht, +das doch sein muß, damit die Schatten sein können! + +Jetzt -- fügte sich, baute sich, wölbte sich nicht etwas in ihren Tönen? +Über den weichenden Wolken? Die große Kuppel, das Firmament, der +Himmelsdom. Und Sterne gebiert die Nacht -- sie leuchten, sie künden, +sie loben. + +Wie ein Ausruhen ging es jetzt durch ihr Spiel, wie ein Aufatmen, ein +Erinnern. Regten sie sich, die Klänge des Heimwehs? Wollte die Kindheit +lebendig werden -- und der Kindheit gläubige Traumwelt? + +Ein Gebetlallen in stammelnder Torheit, gedankenlos verloren, glückhaft +versunken -- und dann die wachsende Klarheit, wie ein Sonnenaufgang der +Zuversicht -- + +Tiefe Klänge aus Bachschen Messen und Kantaten, die eine leuchtende +Lichtspur ziehen -- und schon jauchzt es auf in dem atemlos gebannten +Horst: sie findet sich -- sie findet zurück -- sie findet heim -- + +Plötzlich aber -- was züngelt in die Himmelsklarheit der Töne? Ein +Überdruß -- ein Spott -- ein Hohn --? + +Und Horst stöhnt auf. Fängt sie nicht an, Bach zu travestieren? Ihm das +Käppchen der Selbstgefälligkeit aufzusetzen? Verzerrt sie nicht die +Frömmigkeit zur Frömmelei, die Herzenseinfalt in ein kokett bigottes +Schmachten? Läßt sie die pausbäckigen Engelsjungen sich nicht sich +selber verlachen und Koboldsfratzen schneiden -- + +Und dann ein Schluchzen -- ein wildes Weinen -- die Verzweiflung des +Zweifels -- ich kann nicht -- ich komm nicht auf -- ich muß wieder +versinken -- ich bleib in der Tiefe. Und ein Trotz -- eine wilde +Bitterkeit -- und wieder das Schluchzen. + +Und plötzlich das tonlose Verhauchen -- das Ersterben in Nichts -- das +Verstummen. Das Schweigen. + +Horst kauert im Gestühl, niedergezwungen von seiner Erschütterung. +Langsam löst er sich -- er wartet auf Lona -- sie kommt nicht -- da geht +er, wie tastend erst, die Treppe zur Orgel hinauf -- sie ist über die +Klaviatur hingesunken und liegt in Ohnmacht. + +»Lona« -- flüstert er an ihrem Ohr, er nimmt ihre Schulter, er richtet +sie auf -- da kommt sie langsam zu sich. Ein Blick seltsam trauriger +Hingebung bricht aus ihrem Auge -- dann aber aus seiner Verlorenheit +findet er die alte feste Richtung seines Ausdrucks. Und nun preßt sie +ihre Schläfen, sie schüttelt den Kopf und stellt sich auf die Füße. + +»Es spielt sich so schwer -- das Pedal bringt einen um -- ich bin +einfach müde zusammengeklappt.« Unwahres sprach sie. Horst aber rührte +nicht an ihre Zerrissenheit. + +Es war ein Anfang -- und alles in allem, ein Schein ist aufgegangen. In +qualvollem Ringen. Ein Frühschein soll es sein -- es soll, es soll! Nur +diesem mühsam glimmenden Licht nicht zu nahe kommen. Daß die zarteste +Hoffnung nicht erlischt. Und heute nur daran denken, mit welcher Macht +die Kunst in ihr braust! Dankbar daran denken! + +Wie hat es ihn geworfen zwischen Himmel und Hölle! Welch eine Windsbraut +hat ihn als Weltenwanderer getragen, entführt, gewirbelt, ihm die +Fittiche gesträubt, das Hirn ihm betäubt. Daß Schwindel und Ohnmacht ihn +selber packten! + +Und er griff ihre Hand. »Was können Sie spielen! Ich selbst bin +umhergeworfen -- von einem Weltenrausch --« + +Er suchte nach Worten. Sie versagten sich ihm. Schweigend packte er noch +einmal ihre Hand, in zügellos heftigem Druck. + +Er hatte sie zum Torfmeister heimgebracht. Nun taumelte er durch den +Abend. + +Dies, Kunz und Dankwart, konnte die Baracke nun nicht mir geben! Wißt +Ihr, daß dies zu mir gehört, daß dies mir gehören muß, für mein Leben, +mein Schaffen, mein Ziel! Ihr habt die Augen starr auf den einen Punkt +gerichtet. Bewußt, stier und stur. Ich tadele euch nicht darum! Ihr seid +gut für unser Land, ihr seid notwendig. Ich aber muß um mich blicken +können, frei und weit. Und mit gestärkten, geschärften, vertieften +Blicken suche ich dann wieder das Ziel, das meines wie euer, das unser +ist! Ich muß mich umtun können im deutschen Land, im deutschen Geist, in +allen Registern der deutschen Not und Qual. Und wenn ihr meint, ich +erweiche mich so -- ich sage euch, eben so werde ich fest zu meinem +Beruf. + +Und wenn die, deren tiefsten Erschütterungen ich gelauscht habe, die um +die Wahrheit ringt und an ihrer Wahrhaftigkeit leidet, mir das Herz +bewegt -- um so kräftiger schlägt dieses Herz für unseres Lebens Sinn. +Für des deutschen Lebens Inbegriff und Inbrunst. Alles, alles muß dem +einen zum besten dienen. + +So zog Horst ohne Scheu die Gehetzte, Gepeinigte, Zerwühlte, auch +Verfehmte und Geschmähte an sich. Immer blieb ihr Auge bei ihm, wie es +aus der Ohnmacht zu ihm erwachte, die erschrockene Zärtlichkeit, die +schmerzliche Innigkeit -- wie lebte es davon in seinem Blut! + +Er sah die Lichter des Moorhofer Gutshauses. Da lag sein Gisbert noch +immer in Pflege. In diesen Tagen, morgen, übermorgen sollte er in die +Baracke heimkehren. Es zog Horst zu dem Jungen. In dessen weiter Seele +fand er den Widerhall, den die planmäßig verwahrte Enge von Dankwart und +Kunz ihm versagte. Und das, was in ihm wuchs und ward, es mußte sich +ausschwingen -- ohne Worte, nur in dem Beisammensein. + +Gisbert saß mit Frau Tilde. Sie hatte als Gutsherrin schwer gearbeitet, +nun lehnte sie müde im Sessel. Horst wurde herzlich begrüßt. + +Sie sprach von dem Wiederaufbau der niedergebrannten Stallungen. Einen +größeren Posten Balken und Bauholz habe sie bei Gelegenheit gekauft. +Davon werde etwas übrig bleiben, das sollte die Siedlung bekommen für +ihr erstes Haus. + +Welch eine seltene Frau! Diese überirdischen Augen, die Zeugen ihres +fernen, hohen Fluges -- und dabei doch die feste zugreifende Hand, und +in ihrer überströmenden Güte die kluge Sorge für den Tag. + +»Je eher sie an ein eigenes Haus die Hand legen, um so mehr frohe +Sicherheit ist bei ihnen.« + +Der Diener brachte eine Depesche. Sie öffnete sie, nach leiser +Überwindung, mit zagender Hand. Um ihre Augen zog ein schwerer Schatten. +Dann legte sie das Blatt beiseite. + +Sie sprach weiter über den Bau, und wie die Seßhaftigkeit der Herren ihr +ein Trost sei, deren Nachbarschaft ihr eine Hilfe und Freude. Dann +zuckte es in ihrer Hand. + +»Und da wir in einer Gemeinschaft stehen -- da wir mehr oder weniger +aufeinander angewiesen sind, soll auch volle Offenheit zwischen uns +sein. Dies hier« -- ihre Finger griffen wieder nach dem Telegramm -- +»gehört so zu meinem Leben und zu meiner Tätigkeit, ich muß mit Ihnen +darüber reden.« + +Sie gab die Drahtnachricht an Horst. Er las: »Bin Amateur-Boxmeister von +Deutschland. Gegner mit großer Technik, gutem Auge und ausgezeichnetem +Linken landete mehrfach hart, wurde aber schließlich durch rechten +Kinnhaken zu Boden gestreckt. Kampfdauer drei Minuten vierundvierzig +Sekunden. Achim.« + +Horst gab auf ihre Bitte an Gisbert die Nachricht weiter. Dann sagte +sie: »Es ist eine Eitelkeit in uns, die mit unserem Unglück Versteck +spielt. Ich will mich ganz frei von ihr machen. Sie wissen ja ohnehin, +daß ich meinen Mann schwer erkrankt aus dem Felde zurückbekommen habe. +Man hofft immer wieder auf eine Wendung. Und immer geringer wird die +Hoffnung.« + +»Gnädige Frau,« sagte Gisbert, und seine Worte leuchteten wie seine +Augen, »lassen Sie erst wieder mehr Sonne in Deutschland sein -- sie +kommt auch zu ihm und erlöst auch ihn.« + +»Mehr Sonne, Gisbert?« entgegnete sie, schmerzlich spannte sich ein +Lächeln um ihren Mund. »Wir werden noch sehr viel mehr Finsternis in +Deutschland haben. Und -- auch die Sonne kann Zerstörtes nicht wieder +lebendigmachen.« + +Gisbert und auch Horst suchten nach Zuspruch. Mit weher Klarheit fuhr +sie fort. »Es ist nun mal alles Empfindungsleben in ihm zunichte +geworden. Und -- was das Schlimmste ist -- man darf selbst auch nicht +mit irgendeiner Empfindung ihm nahe kommen -- als ob sie Ansprüche auf +einen Widerhall erhöbe, den es nun einmal nicht geben kann. Die +erschreckten, gequälten, kranken Augen dann -- das Herz steht einem +still. Und so ist er nun rettungslos versunken -- in diese rohe +Spielbetäubung des Gladiatorentums.« + +Ihre Hände nahmen wieder das Telegramm. »Dies ist nun eine +Siegesnachricht. Ich soll an ihr teilhaben -- und darf doch auch wieder +keinerlei Freude zeigen. Er weiß ja, daß sie nicht echt sein kann, und +würde noch mißtrauischer werden. Und wenn ich ganz mich zurückhalte -- +man sucht doch schließlich immer noch nach einem Rettungsfaden! Und wir +gehören doch zusammen.« Unhörbar fast klang es aus. + +Eine Freundschaft schloß das Leid dieser Frau um die drei. Daß sie aus +ihrer leisesten Innigkeit sich so ihnen offenbarte, wie eine unsägliche +Kostbarkeit empfanden die beiden Männer so viel Zuneigung und Vertrauen. +In Gisberts blassem Gesicht fluteten die Blutwellen. Das Fieber seiner +Augen hob und löste sich in der Verklärung eines unerhörten Glücks. + +Mit ihrer stillen Tapferkeit war Frau Tilde schon wieder bei der +Gutswirtschaft, sprach davon, daß sie den Siedlern noch eine Milchkuh +überlassen könnte, und bat Gisbert, der in den letzten Tagen ihr als +eine Art Privatsekretär bescheidene Dienste geleistet hatte, in den +Büchern festzustellen, wie viel Thomasschlacke für das Siedlungsland +übrig sei. Sie redete dann fachmännisch mit Horst über die Bestellung +und versprach ihm, sie wolle sich selbst bald einmal nach der +Ödlandkultur umsehen. + +Dankbar nahm Horst von ihr Abschied. Welch ein Schicksal! dachte er. Wie +klagt das deutsche Leid in immer neuen Weisen, an immer mehr versteckte +deutsche Gräber stößt unser Fuß. + +Und seine Gedanken gehen zu Lona. Kann hier der Schmerz dem Schmerz +nicht helfen, würden diese beiden Frauen, die ungleichsten der Welt, +sich nichts zu geben haben, beide so reich an seelischem Gut und beide +so bedürftig! Würden sie den Weg nicht zueinander finden -- über den +Abgrund, den das Leben zwischen ihnen aufgerissen hat? + +Wenn ich Lona zu ihr führe! Dieser Gedanke, so kühn und doch so +natürlich, so notwendig, läßt ihn nicht los. Ihr beide -- eben weil ihr +aus verschiedenen Welten seid, um so mehr habt ihr euch zu offenbaren, +und je tiefer ihr grabt, euch zu verstehen, um so mehr Schätze werdet +ihr ans Licht heben. Ihr werdet euch verstehen und werdet mithelfen an +der großen deutschen Versöhnung! Ihr aus den feindlichen Heerlagern -- +und doch zwei deutsche Frauen! + +Und Dich Lona -- aus Deiner Einsamkeit gilt es, Dich zu befreien, aus +Deiner Abgeschiedenheit von dem, darin Dein Leben seine Wurzeln hatte. +Möchtest Du nicht selbst zurück? Schluchzte nicht leise die Sehnsucht +auf in Deinem sturmgewaltigen Orgelspiel, das Heimweh? Mächtiger wird es +über Dich werden! Und zwischen uns beiden, wird nicht bald mehr zwischen +uns sein als dieser mühsame Waffenstillstand? Lona, Du rätselhaft liebe +Du! + +Er bebte in der Zärtlichkeit seines Blutes. Und es zogen durch ihn die +Schatten, die das Schicksal wirft. + +Zu Frau Tilde, zu Gisbert wollten seine Gedanken zurückkehren. Die Augen +des Freundes lebten vor ihm auf, in ihrer unbegrenzten verlorenen +Glückseligkeit. Auch hier zogen die Schatten -- + + + + + Vor dem Sturm + + +Es war ein neuer Befehl der Regierung ergangen, daß alle Heereswaffen +abgeliefert werden sollten. Militärische Kommandos gingen um und +überwachten die Erfüllung. + +Die Siedler hielten Rat. Und ähnlich wie früher sprach Horst: »Wer sind +jetzt unsere Landpfleger?« + +»Landpläger«, nannte sie Kunz. + +»Wer sind sie heute, wer sind sie morgen? Sie selber wissen es nicht. +Und ich kenne sie nicht. Und ehe ich nicht weiß, in wessen Hände ich +meine Waffen liefere -- behalte ich sie lieber selbst.« + +Sie stimmten ihm zu. Und -- die Waffensuche ging an ihnen vorüber. + +In der Stadt war man sehr strenge gefahren. Aus mehreren Kellern, unter +Fabrikarbeiterwohnungen, wurden Maschinengewehre ans Tageslicht gezogen. + +Die Arbeiter wüteten. Man wußte, daß die Siedler ihre Maschinengewehre +behalten hatten. Man zeigte sie an, bei dem Offizier, der das Kommando +befehligte. Der hatte für die Denunzianten nur ein frostiges Schweigen. + +Natürlich! Die Bande hält zusammen wie Pech und Schwefel! Das alte +System! Wenn wir's leiden, verdienen wir's nicht besser! + +Das Falkenauge ist wieder einmal in der Kreisstadt. Es gärt aufs neue, +jetzt mit dem Frühling, in dem elend wunden und siechen deutschen +Volkskörper. Die »betrogenen Proletarier« wollen endlich ihr Recht. +Wollen Abrechnung mit den sozialreaktionären Verrätern. Im Ruhrgebiet, +in Mitteldeutschland bereitet sich etwas vor. Überall im Lande müssen +die Flammen auflodern! Je mehr Herde, um so besser. Um so sicherer der +große Schlag und der Sieg. + +Auch hier müssen wir zupacken! Unter dieser Parole tagten die Führer in +Knubarts Wohnung hinter verschlossenen Türen. Das Falkenauge, Kittel der +Buchbinder, Struk der Koch, ein Werkführer aus der Eisengießerei -- er +war Feldwebelleutnant draußen und ist der Feldherr des Kreises -- und +Lona. Auch sie ganz im Panzer ihrer Parteigesinnung. + +Das Falkenauge hat die Gesamtlage umrissen. Einzelaktionen werden +verlangt, überall. Hier mit der Stadt als Operationsbasis läßt sich ein +Vorstoß machen. Hier kann das Heil für die ganze Provinz entzündet +werden. + +»Wenn uns die Siedler nicht als Pfahl im Fleisch säßen!« heißt es +dagegen. + +Stahlboom, der Werkführer, spricht. Er ist schlank und gut gewachsen, +trägt sich kavaliermäßig, wenn auch mit der Nuance des Fadenscheins, hat +im Blick etwas fraglos Mutiges und Befehlendes, unterstreicht aber +unnötig sein Selbstbewußtsein und zeigt zu oft kriegerisch seine +zementplombierten Zähne. + +»Uns hat man die Maschinengewehre genommen. Die Siedler haben sie +behalten. Das erste muß sein, daß wir diese Maschinengewehre uns holen. +Ehe wir die nicht haben, liegen wir im Wurstkessel und bleiben da +liegen! Darum -- die Baracke wird gestürmt! Die nötigen Leute haben wir. +Gewehre und Handgranaten sind noch da. Noch sage ich. Die nächste +Waffensuche kann uns auch die nehmen, und was dann!« + +»Sturm auf die Baracke!« fordert Kittel mit dem gellend pfeifenden Brand +seiner Rede. Er war nur noch Feueratem und flammende Augen, sein Leib +zerfallen, sein ganzes Wesen jetzt vollends von lauter Dynamitgängen +ausgehöhlt. + +»Machen wir uns das eine klar!« betont das Falkenauge -- er hat den +Weitblick, die Zusammenhänge, das konsequente Denken, »mit diesem Sturm +auf die Baracke ist es nicht getan. Wenn er gelingt, verpflichtet er zu +der größeren Aktion. Mißlingt er aber, ist damit für unbestimmte Zeit +unsere Unternehmungskraft hier zerschlagen.« + +Sie berieten. Es wurde beschlossen, daß sie es wagen sollten. Stahlboom +brachte den Plan in der Tasche mit. Am Abend sollte der Handstreich +ausgeführt werden. In der Nacht würden sie dann das städtische Rathaus +besetzen. Die Stadt wäre reif. Gäbe es einen Menschen in ihr, der +zufrieden wäre? Und wäre es einer, wär er feige. Auf den Mut käme es an, +auf die Tat! Nur die Tat zwingt die Herzen. + +Vorbereitungen sind natürlich zu treffen. Aber diese Tage, die auch +anderswo die Entscheidung bringen, müssen uns am Werke finden! + +Vorbereitungen -- dazu redet Knubart, und er wittert bedachtsam. »Wir +haben es mit einem gefährlichen Feind zu tun. Kerle sind sie alle, die +Siedler. Und ihr Führer, der Hauptmann Oldefeld -- Lona, Sie kennen ihn +ja persönlich.« In seinem Blick ist die lauernde Kälte. + +Lona hebt frei die Augen. »Ja, er ist mir bekannt.« + +»Sie kommen öfter mit ihm zusammen --« + +Nun widerstrebt sie doch, wie einem Verhör. All die Augen, die sich auf +sie wenden, gebärden die sich nicht wie Richter über sie? + +Und ist in ihrem eigenen Gewissen nicht eine Stelle, darin etwas sich +regt -- wie ein Argwohn gegen sich selber? Darf sie sich wundern, wenn +in den andern, den Freunden, den Schwurgenossen ein Mißtrauen aufzieht? + +Mißtrauen! Ich bin unserer Sache treu! Was mit mir verwachsen ist, durch +mein Denken, mein Fühlen, mein Leben -- nichts von meinem heiligen +Glauben habe ich verloren, nichts von ihm habe ich preisgegeben! Wie +kann ich das, ohne mich selbst zu verlieren! Ich bin bei der Fahne, ich +bin bei dem Schwert -- bei dem Schwert unserer Fehme, wie nur je ich es +war! Ich kämpfe mit Euch, mein Leib und Leben für unseren Kampf! + +Nur Schleichwege dürft Ihr mich nicht schicken wollen! + +Aber in Knubarts trägem, laschem Auge ist die Tücke. + +Man wartet auf ihre Antwort. Sie zwingt ihren Unmut nieder. Ohne Frage +haben die Genossen Anspruch auf ihre Ehrlichkeit. Und wieder schließt +sich etwas in ihr, wie um ein stilles Besitztum, das von allem Lauten +entwertet wird. Das an jeder Berührung sterben muß -- das sie jetzt +selbst berühren und zerstören soll! + +Ein Heiligtum also! Zum Lachen! Es gibt für mich kein Heiligtum, außer +meiner heiligen Sache! Deren Feind Du bist, Horst Oldefeld! Todfeinde +wir! Todfeind -- man hat das Wort so oft gesprochen, wie eine +abgegriffene Münze ist es, deren Schrift man kaum mehr kennt. Hier ist +aber das Wort ehern ins Leben gegossen. + +Eure Baracke wird von uns gestürmt! Hier hat nun jeder zu zeigen, wer er +ist. Hier gibt es keine Empfindungsflausen, keine Gefühlskunststücke, +keine Gedankenspreizungen im Rahmen unserer gutgespielten +Friedenskomödie -- hier gelten jetzt die echten Sakramente: Leib und +Blut! + +So hart macht sie sich selbst, so bitter hart -- und sie spricht hastig, +sich überstürzend die Antwort auf Knubarts trächtige Frage: »Herr +Oldefeld hat bewirkt, daß ich in Moordorf die Orgel spielen darf -- er +hat auch schon einmal zugehört. Wir haben einen gemeinsamen Freund, den +alten Torfmeister. Bei dem auch er Sonntags nachmittags sich einzufinden +pflegt --« + +»Sonntag nachmittag«, wiederholt Knubart schwer. Und alle begreifen +gleich. + +Der Werkführer erklärt: »Dieser Sonntag -- um Neumond herum sind wir, +dunkel ist es -- der Abend ist für den Sturm die gegebene Zeit. Der +liebe Sonntag ist ja den lieben deutschen Seelen als Ruhetag in Fleisch +und Blut übergegangen -- den Tag zum Biertrinken und Spazierengehen, den +suchen wir uns aus. Und wenn der Führer dann auch bis zum späten Abend +aus dem Hause ist --« + +Weiter kein Wort. Ein Blick auf Lona, und sein Instinkt warnt ihn, mehr +zu sagen. Sie alle fühlen es: kein Wort mehr. Sie kennen Lona -- ihre +klare Härte -- die so spröde ist, wie das zarteste Kristall. Nichts von +ihr, als was ihr Wesen selber ihr befiehlt, im Augenblick der klaren, +harten Entscheidung. Blank und ehrlich ist nur die Tat. + +Militärische Besprechungen schlossen die Tagung. Nachrichten aus den +andern Lagern sollten abgewartet werden. In zwei Tagen mußte es sich +endgültig entscheiden, ob der angesetzte Schlag Sonntag geführt werden +sollte. + +Dann kam es: die endgültige Entscheidung fiel auf den Sonntagabend. -- + +Gisbert war wieder in der Baracke. Er war noch nicht ganz genesen, aber +wie aus Selbsterhaltungstrieb sehnte sich grade das Zerfließende seiner +Art nach dem Bandeisen harter Arbeit. + +Die Aufsicht über die Stallungen war ihm jetzt zuerteilt. Der Erste war +er in der Frühe auf den Beinen, auch heute am Sonntag fand das Morgenrot +ihn wach. Er ließ die Hühner aus dem Stall, sie stammten meistens aus +Mönkhov, ein Geschenk von Frau Tilde. Es war seine Freude, für seine +Gedanken, die längst bei ihr waren, in allem, was um ihn lebte, +Trabanten, Pagen und Schleppenträger zu finden. + +Jetzt ging er in die Heide. Auf einen ihrer Hügel stellte er sich. Seine +Blicke beteten zur aufgehenden Sonne. Unwillkürlich breitete er die +Hände aus, die Gnadenspende des Lichtes zu empfangen. Dann setzte er +sich und lehnte sich hin. Und seine Sinne hoben sich in den wachsenden +Schein. Sie gingen den Weg ins Tor der Unendlichkeit. + +Ich suche das Ewige. In mir ist es und um mich ist es. Daß sich beides +vereine und durchdringe ist des Lebens, ist meines Lebens Sinn. + +Das Bewußtsein des Unendlichen in mir! Das gehört zu mir, wie das Licht +zu der Flamme, die in mir brennt. + +Der Unendlichkeit! Der ewigen Freude, ja der Freude, aus der alle Wesen +geboren sind. Durch die sie erhalten werden. In die sie wieder eingehen. + +So befreie ich mich aus dem Schmerz, dem Gefühl der Endlichkeit in die +Güte des Alls. So löse ich mich in mein größeres Selbst. + +Dahin trug Gisbert die Morgenandacht seiner Seele. Wir sind Nichts, was +wir suchen ist Alles! + +Und wie er zurückkehrte in die Welt körperlicher Gedanken, empfing ihn +das Glück: ich suche ja nicht allein diese Straße des Lichts, Deine +Sehnsucht, Du meine Freundin, geht denselben Weg. + +In seinem Herzen, auf seinen Lippen formten sich die Worte seines +Hohenliedes. + +Die Gesänge meiner Gedanken, solange sie atmen, suchen sie Dich! Ich +grüße den Morgen, mit der Frohheit des Wachens -- mit den selig sachten +Schatten der Müdigkeit grüß ich den Abend, den Vater der Nacht, mit +seinen Enkeln, den Träumen. Meine Träume flüstern Deinen Namen und +lauschen seinem Klange nach, und flüstern ihn wieder und lauschen -- und +flüstern und lauschen. So ist meine Nacht beseelt von Deinem Wesen, wie +mein Tag erfüllt ist von der Gewißheit Deiner Nähe, von der Seligkeit, +daß Du bist -- + +Aber nun, all seine Sinne schwingen ein in den Rhythmus, und ihre +Stimmen singen leise mit. Das Bild der geheiligten geliebten Frau +zaubern sie herbei. Ihrer Augen tiefe Gewalt leuchtet auf, das weiche +Haar fällt über die mädchenhaft versonnene Stirn, die feine Hand mit den +seltsam festen Linien streicht es zurück. Ihre Hand -- wie oft, wie +lange kann er still liegen und nur an ihre Hand denken -- in der ihre +Seele ist und auch die Kraft ihres Schaffens. Diese Hand, so voll von +Musik und doch für sichere Zügelführung begabt. + +Und wie in seinen Träumen flüstern jetzt die wachen bewußten Lippen den +Namen »Tilde« -- »Tilde« -- + +Ein Schritt pocht auf die Erde. Gisbert fährt zusammen -- wendet sich +um. Kunz steuert auf ihn zu, in müdem Schlendern. Hockt sich dann neben +ihn und gähnt sich erst einmal aus. + +»So früh heute und das am Sonntag!« fragt Gisbert. + +»Weiß der Frühling, was das mit mir ist! Mich flieht der Schlaf -- mich! +Was liegt da in der Luft? Du mußt es wissen, der Du selbst in der Luft +liegst, Du Ätherbewohner.« Er blickt um sich: »Ist das ein böses, rotes +Licht da auf der Heide! Zeichendeuter wird man -- Geisterseher -- was +hat man bloß!« Dann schlang er den Arm um den Freund und sah ihm +herzlich ins Auge. »Du, lieber Junge, wirst nun allerdings immer +magischer. Darf man Dich denn schon wieder frei herumlaufen lassen?« + +»Warum nicht?« + +»Man wird nun mal die Sorge um Dich nicht los. Sehr viel Blut hast Du +nicht mehr herzugeben.« Er nahm seine blasse Hand. »Und dann --« + +»Was noch?« + +»Die Angst -- ich kann mir nicht helfen -- Du könntest Dich nun ganz -- +drei Kreuze vor dem Wort und vor der Sache! -- im Pazifismus Dich +verblutet haben.« + +»Pazifismus -- ich fürchte mich nicht vor Worten, Kunz.« + +Bei dem kam das Unwirsche seiner Morgenfrühe jetzt obenauf. »Ah! Wir +wollen Siedler sein? Arbeiter eines Geistes an einem deutschen Werk? +Eine politische Menagerie sind wir nächstens.« Wegwerfend schmiß er die +Hand nach der Baracke zu. »Alle Gattungen findest Du jetzt in dieser +Arche Noäh beisammen. Wenn ich nicht Schimpfworte vermiede, würde ich +sagen, wir sind ein Parlament!« + +Gisbert schwieg. Kunz bürstete weiter seinen Grimm. »Weltanschauungen! +Haha! Was haben wir bloß für Weltanschauungen im deutschen Land! Alle, +die es gibt und nicht gibt. Bloß die deutsche nicht. Seit Horst zum +Universalgenie geworden ist, flattern wir nun alle lieblich im gütigen +All. Leb wohl, deutsche Erde!« + +Gisbert schwieg noch immer. Das machte Kunz nicht freundlicher. »Warum +legen wir Siedlungsmönche denn nicht ehrlich und vorbildlich das Gelübde +des Geprügeltwerdens ab! Warum kleben wir nicht das Wappen der +friedfertigen Seligkeit an unser Haus, die geschwollene rechte und auch +linke Backe! Ohrfeigengesichter wir, als Vorkämpfer des deutschen +Pazifismus! Denn wenn es nichts mehr gibt, einen deutschen Pazifismus +gibt es! Und weißt Du, wie der geht? Wir versöhnen uns, versöhnen uns +mit den andern -- und die andern dreschen auf uns los! Das ist deutscher +Pazifismus, nach unserem eigenen und der ganzen Welt Beschluß!« + +Der zuckende Zorn lief durch seine Glieder. Gisbert wußte, wie er litt, +er sprach jetzt mit seinen stillen, ein wenig hilflosen Worten: »Wir +wollen ja dasselbe, Kunz. Nur auf anderem Wege wollen wir zu demselben +Ziel. Es ist gut für Deutschland, daß es Euch gibt. Aber auch uns gibt +es nun einmal. Und wir müssen uns ergänzen --« + +»Müssen wir, was wir nicht können! Ergänzen heißt ganz machen! Ganz -- +mit Euch, durch Euch, die Ihr uns zermürbt! Nihilisten seid Ihr, die +passiven, die schlimmere Sorte! Was habt Ihr Euch in Asien +herumzutreiben! Die wir heute mehr als je -- die wir heute nur und nur +und immer und weiter nichts als zu uns selbst kommen müssen! Was nehmt +Ihr uns die Heimat des Herzens! Was verdünnt Ihr uns bis zur +Erschlaffung mit Euren dreimal vermaledeiten Wassern des Ganges unser +ehrliches eisenhaltiges deutsches Herzblut!« Seine Hände packten ins +Heidekraut, rissen die Büschel aus und warfen sie in die Luft. + +Da Gisbert ihn unbeirrt ansah -- »Du verzeihst mir, mit Deinen +Gazellenaugen. Gütig seid Ihr und liebevoll, aber nur aus Schwäche seid +Ihr es. So geschieht's, daß Ihr für alles Verzeihung habt, nur nicht für +Tugenden, für männliche! Nur nicht für Kraft! Und darum -- gefährlich +mögt Ihr sein, aber an den Kern unseres Wesens, nein, an den rührt Ihr +uns nicht!« + +Nun hatte Kunz sich vollends wieder. »Ihr haltet unsereinen für dumm. An +unserer Dummheit liegt es dann wohl, daß Eure Klugheit uns nicht +aufgehen will. Herrgott, ist das eine baumwollene Weisheit, die Ihr aus +dem Lande der Baumwolle bezieht! Phrasen! Nichts als Redensarten von +platzend hohler Allgemeinheit! An ihrer Spitze die große Heilslehre: +»Gutsein heißt das Leben aller Leben!« Oder die erlösende Antwort auf +die ewige Frage: welches ist der Weg zur Wahrheit? »Die wechselseitige +Durchdringung unseres Wesens mit allen Dingen!« O verfluchter Tiefsinn +heiliger Abstraktion! Was soll ich damit? Wo ist hier Leben, Wärme, +Licht, wo ist hier Liebe? Und Ihr wollt uns das »verbrauchte« +Christentum ersetzen! Gebt mir, so gebt mir doch aus Eurer Fülle! Habt +Ihr etwas, in dem großen heimatlosen Weltraum Eurer leer leuchtenden +Unendlichkeit, was gegen den kümmerlichsten Lichtstumpf des ärmsten +Tannenbaums in deutscher Hütte nicht hilflos verblaßt und erlischt und +erstirbt!« + +»Alles Licht leuchtet dem Einen --« + +»Alles -- ja -- wo nichts ist, da sagt man alles! Und fühlt sich +gerettet. Luft -- Luft gebt Ihr statt Brot. Und wär diese Luft nicht +noch mit Getöse erfüllt! Ihr Stillen des ewigen Friedens, gut, Ihr habt +wenigstens Stil. Aber diese Brüller des Pazifismus! Die mit furchtbar +krampfhaften Verrenkungen des Leibes, der Seele und des Worts, Schaum +vorm Munde und in ihren Versen, ihre Flüche und ihr Wehe schreien! +Schnaubende Racheengel, tosende Kriegsfurien der Friedfertigkeit! O Du +Grundgütiger! Wer einen Bauch hat, hält ihn sich!« + +Gisbert blickte still in den Freund hinein. »Du nennst mich +überschwenglich, Kunz -- bist Du es nicht auch? Und wenn nun unser +Überschwang aus einer Quelle fließt --« + +»Verallgemeinere mich nicht!« stöhnte Kunz zornig. + +»Verallgemeinern --? Ist es so schlimm für Dich, wenn ich uns beide +zusammenspanne?« + +Gisbert hatte den reinen Herzenston. Kunz war bezwungen. »Kerl -- wenn +Du nicht so ein unwahrscheinlich anständiger Mensch wärst! Hauen möchte +man Dich manchmal -- und haut dann lieber sich selbst. Herrgott -- laß +Dich meinetwegen schaukeln von der Rhythmik der Ewigkeit, aber brauch +auch die Fäuste, die Dir Gott verliehen hat! Du darfst nicht so viel mit +Dir selbst zusammenhocken! Mit Dir und mit Deiner Gesinnungsgenossin! +Dieser herrlichen Frau von Mönkhov! Sie ist herrlich -- aber Eure +Seelennähe schadet Dir.« + +»Kunz --« man hörte in Gisbert die feinsten Saiten schwirren. + +»Verzeihung -- ich weiß -- _mulier taceat in ecclesia_ -- über die Frau +schweigt man wie in der Kirche. Aber sieh, Freundschaft muß nun einmal +reden. Und nun will ich Dir was sagen. Komm heute nachmittag mit mir ins +Moordorfer Pfarrhaus.« + +»Das will ich gern.« + +»Du sollst Vita kennen lernen. Ihr werdet erschrecken voreinander. Du +vor der fanatischen Enge ihres geistigen Ziellebens, vor der jungenhaft +trainierten Muskulatur ihres vaterländischen Sinnes. Sie vor Deinem +überweltlichen Sonnenkultus. Aber wenn Ihr beiden feindlichen Mächte -- +wenn Ihr Euch gegenseitig einander in die Arme schrecktet --! --« + +Er hielt inne, sein Atem setzte aus, seine Augen waren qualvoll. Gisbert +ahnte, daß hier eine Leidenschaft sich grausam gegen sich selbst +entflammte, er nahm wortlos Kunz bei der Hand. Und der Händedruck sagte: +Dein liebes Mädchen ist sie, und ich bin Dein Freund -- und dann -- +längst hat mein Geschick sich erfüllt. + +Dankwart tauchte auf. Wandelte durch die Morgenluft, erfrischte seine +Erfinderstirn. Er bog auf sie zu. »Wie sieht die Heide aus? Sie dampft +in dem roten Schein. Blutdampf sagt man dazu bei uns zu Hause. Jede +Heide hat Blut gesehen. Raucht sie so rot, gibt es neue Bluttaten.« + +Die Heide, die seine Heimat war, machte ihn redselig und phantastisch. +Er hatte seine Ahnungen, wie Kunz. Gisbert aber war mit seinem Geist +über den irdischen Visionen, die aus dem Boden rauchen. Dankwart +erzählte, der Balbutz war gestern in der Stadt. Er hat die feine Nase. +Und hat sowas von Verschwörung gerochen -- Verschwörung gegen uns. + +Es war dann an der Morgentafel davon die Rede. Die Anzeichen wurden +geprüft. Horst nahm sie nicht schwer. Was sollte ihnen geschehen? Die +Maschinengewehre bereitgestellt -- stets die nötige Mannschaft in oder +bei der Baracke -- die andern immer in erreichbarer Nähe -- dann müßten +die Angreifer schon zu Hunderten über sie einbrechen. Das aber sei der +große Bürgerkrieg, und der komme nicht über Nacht. + +Immerhin -- die Vorsicht wollten sie natürlich nicht außer acht lassen. +Und je mehr heute am Sonntag häuslich blieben, um so besser. + + + + + Kampf + + +Horst ging am Nachmittag zum Torfmeister. Lona würde da sein. Käme sie +nicht, würde das freilich zu denken geben. Wäre etwas gegen die Siedlung +geplant, sie wüßte davon. Und niemals würde sie durch ihr Erscheinen ihn +in Sicherheit wiegen. + +Dann also hieß es auf der Hut sein. Aber erst dann. + +Die Sonne hatte sich versteckt. Die Luft war still, grau und lustlos. +Die Singvögel schwiegen und hielten sich verborgen. Von der Niederung +her riefen grämlich unsichtbare Brachvögel. Ein Turmfalk rüttelte über +der Heide. + +Nach den Dünen wandte sich Horst. Er wollte einen Blick über die See +werfen. Tückisch lag sie da, wie tot. Ein blinder Glanz war über sie +gegossen, bleiern und giftig -- gebändigt, gefesselt, gestorben der +freie Rhythmus des großen Wassers. + +Das war keine Erhebung. Er kehrte schwer und traurig in die Heide +zurück. Sonne hätte ich heute gebraucht und schäumende Wellen unter +blauem Himmelslicht! Wie mit Asche bestreut ist die Welt. Wir büßen -- +wir büßen -- + +Und er schritt dumpf und gebückt -- + +Dann hob er sich empor. So darfst Du nicht weiterschreiten. Du willst +helfen und keuchst selbst trostlos unter Hilfsbedürftigkeit. Freimachen +willst du und schleppst dich lahm an deinem Verzagen. Wenn irgendwo, +brauchst du hier deine gläubige Kraft. + +Lona -- ja -- um Dich geht es jetzt. Ich weiß, daß Deine Starrheit von +Dir abfallen will. Du selbst suchst, was Dein Dogma Dir nicht geben +kann. Wärme brauchst Du -- Zärtlichkeit brauchst Du -- denn Du bist ein +Weib, ein junges Weib. Und meine Zärtlichkeit wirbt um Dich. + +Ich betrüge mich selbst nicht länger mit dem, was Dir längst kein +Geheimnis mehr ist. Und was Du selbst nicht mehr von Dir weisest, ob Du +zuerst ihm widerstrebtest. Wir wollen zueinander. Es ist etwas, was uns +zueinander zwingt. + +Und -- ist etwas, was Dich herausschauen läßt aus der Gedankenwelt, in +der Du Dich verbarrikadiert hast mit dem Haßgefühl, das jetzt gestillt +worden -- etwas, was Dich erhebt über die Mauern, das Schanzwerk -- +etwas, was die Burggräben Dich überfliegen läßt. Du bist dabei, Deine +Welt zu überwinden. Diese Welt, aus Papier gebaut, aus Gedanken gefügt. +Ein System! Das Heimweh, das deutsche Heimweh ist in Dir. + +Und an meiner Hand wirst Du hinausgeführt werden in das deutsche Leben! +Ich will Dir helfen. Meine Sinne sollen sich bescheiden. Es gibt mehr in +mir als Begehrlichkeit, die in den laschen Seelen das Starke ist -- +Besseres, Machtvolleres. Erst die geistige Erfüllung soll auch den +Sinnen das Glück bescheren. + +Aber sie dürfen hoffen, sie dürfen wünschen. Sie leben und haben ihr +Recht am Leben. So trug es jetzt seine Tritte. -- + +Kunz wollte mit Gisbert am Nachmittag im Moordorfer Pastorenhaus den +Besuch machen. Da sah er etwas, was ihm nicht gefiel. + +Einzelne Ausflügler aus der Stadt wurden auf den Goldbergen sichtbar. +Beschauten sich die Gegend, zeigten sich dies und das. Betonten ihre +Naturliebe, legten die schöne Aussicht sich wechselseitig ans Gemüt. +Möglich, daß sie harmlos waren. Möglich auch, daß sie Kundschaft +trieben. Halten wir die Augen offen! Warten wir, ob es einen Gang der +Handlung geben wird. + +Nun zwei Familien mit Kindern -- sogar ein Kinderwagen ist dabei -- +steuern treuherzig auf die Baracke zu. Lagern sich unweit von ihr im +Freien -- wozu es eigentlich noch zu kühl ist, da die Sonne fehlt. Holen +ihre Atzung hervor, ziehen Thermophorflaschen aus den Kinderwagenkissen. + +Die Kleinen laufen herum, sehen die Hühner und den vornehm wie ein +ehernes Bildwerk ruhenden Muz. Zutraulich kommen sie näher, mit dem Hund +möchten sie spielen. Der aber ist nicht kinderlieb und blickt sie nur +wachsam unnahbar an. Mit den stumpfsinnigen Hühnern läßt sich keine +Kameradschaft schließen -- die Kinder möchten wissen, was für Getier da +hinter den Stallwänden sitzt. Sie drängen sich vertrauensvoll an die +Bretter und hoffen auf eine Ritze. + +Jetzt treten die Erzeuger in Tätigkeit. Sie kommen die Anhöhe herunter. +»Dürft ihr denn das?« Und dann wenden sie sich höflich zu Kunz, der zum +Ausgehen fertig vor der Baracke sitzt und auf Gisbert wartet. Er faßt +sie ins Auge -- Arbeiter aus der Stadt offenbar -- anständig gekleidet, +gewandt. + +»Entschuldigen Sie,« sagt der Kleinere und Lebhaftere, »wenn die Bengels +Ihnen lästig fallen. Aber wenn sie Pferde riechen, sind sie nicht zu +halten.« + +»Das ist recht!« erklärt Kunz, und fröhlich leuchtet er ihnen ins +Gesicht. »Die sollen einmal zur Kavallerie!« + +Die Nasen in den gesinnungstüchtigen Gesichtern werden lang. Da riecht +an! denkt Kunz, wie Eure Jungens an dem Pferdemist. Aber sie behalten +sich in Zucht und haben offenbar noch etwas auf dem Herzen. Ist es +unbefangene Wißbegier? Oder wollen sie tatsächlich spionieren? + +Beginnen ein Gespräch. Wie nützlich das Siedlungswerk sei. Und die +Baracke so praktisch angelegt. Hier Stallungen und die Wohnräume da. +Aber schwere Arbeit! Und die Sonntagserholung, der Sonntagsausgang +doppelt nötig. + +Zwei Teufel streiten sich, die Kunz reiten möchten. Der eine, mehr von +der guten Sorte, will da mit ihm hin: »Seht euch ihn mal an, unsern Bau! +Kommt mal mit herein! Die meisten Siedler tun, was sie immer Sonntag +nachmittags tun, nach ihrem schweren Alltagswerk. Sie liegen in ihren +Kojen und schlafen. Sie sind und bleiben zu Haus. Und am Abend sind sie +auf den Beinen. Hier auf den Gängen aber, da stehen unsere +Maschinengewehre. Kampfbereit. Vier Stück. Für jede Himmelsrichtung +eins. Und sind im Handumdrehen vor der Tür. Und wenn einer Lust hat, zu +erleben, was Feuerbereich ist --!« + +Und dann sitzt der andere, der sehr bösartige Teufel ihm im Genick und +flüstert ihm ins Ohr: »Laßt die Bande doch herauskommen heute abend! +Warn sie nicht, stör sie nicht! Sag ihnen, alle sind ausgegangen, sich +zu amüsieren -- und kommen vor Morgengrauen nicht nach Hause. Du und +Gisbert -- da kommt er gerade -- ihr seid nun die letzten, die gehen! +Schließ vor ihren Augen die Haustür zu! Und wenn ihr unterwegs seid -- +von den Goldbergen könnt ihr es sehen -- die marschieren schnurstracks +mit Kind und Kegel in die Stadt und bringen den Genossen Nachricht! Und +was dann am Abend wird --! --« + +Solche Einflüsterung gibt Kunz dann freilich nicht an die Ausfrager +weiter. Aber was sie nun damit anfangen, daß sie ihn, nachdem er sich +nicht unfreundlich verabschiedet hat, mit Gisbert sich entfernen sehen, +das bleibt ihre Sache. + +Zum Pfarrhaus aber, so zaubermächtig es ihn zog, begaben sie sich doch +nicht. Auf den Goldbergen, ihren heiligen Höhen, den weisenden, +wissenden machten sie halt. Und als sie sich nach der Baracke umdrehten, +gewahrten sie in der Tat, daß die Ausflügler, wie es schien, in +beschleunigter Gangart heimwärts zogen. + +Jetzt wurde Kunz hell und hart, ganz Verantwortung, ganz Dienst. »Wir +bleiben zu Hause, Gisbert. Wenigstens ich. Vielleicht bekommen wir heute +abend nun doch Besuch. Und Besuch -- will empfangen werden.« -- + +Horst fand den Torfmeister allein. Lud Uhlenbrook war wieder tapfer auf +den Beinen. »Jedes Jahr acht Tage Lona, und ich sterbe überhaupt nicht!« + +Der Alte wunderte sich, daß sie noch nicht da war. Sie wollten mit dem +Kaffee auf sie warten -- Kaffee aus Moorwasser ist der beste, den es +gibt -- kommen täte sie bestimmt. Auch vorgestern hätte sie sich +verspätet. Sie hätten da in der Stadt offenbar wieder mit Sitzungen so +viel zu tun. Dazu seufzte der Alte, daß der Dachfirst es spürte. Und er +machte einen seiner grimmigen Witze: all die vielen Sitzungen in +Deutschland seien Schuld, daß es nicht wieder aufstehe! + +»Bravo, alter Lud!« sagte Horst und schlug ihm auf die Schulter, daß +seine Hand an den Mammutknochen zerschellte. + +Der Abend lugte schon in die graue, glasige Welt. Nebel zogen über das +Moor, es deckte sich zu mit dem Flaum, es wollte schlafen. Die Männer +waren schweigsam geworden. Sie lauschten auf den Schritt, der nicht +hallen wollte. + +Nun riß es plötzlich an Horst. Eine Mahnung, ein Alarm, ein Kampfruf! +»Sie kommt nicht mehr«, sprach er schrill. Dies war bedeutsam. Dies +verkündete Unheil. Das hieß, ich muß jetzt gehen. Auf meinen Posten muß +ich! + +»Sie kommt«, sagte der Alte. Und Horst ließ sich noch einmal nieder. +Aber es wogte und wirrte in ihm. Sie sprachen dies und das. Vom +Torfstich, von der Bestellung des Ödlandes. Doch, es litt ihn nicht +mehr. Diese Moornebel da draußen waren sein Tod. + +Er sprang vom Stuhl. »Ich will jetzt doch nach Hause.« Da lauschten sie +auf. Sie blickten in den Vorgarten. Lona war es. + +»Ich komme spät«, sagte sie. In ihrer Stimme war ein gehaltener Klang. + +»Was war denn?« fragte Lud. + +»In der Kirche war ich --« + +»Sie haben Orgel gespielt? --!« rief Horst schmerzlich. + +»Es wurde mir schon dunkel in der Kirche. Wär ich erst hierhergegangen, +hätte ich zuviel Zeit verloren. Und ich brauchte das Spiel heute so.« + +»Und ich hab nicht dabei sein dürfen!« Darin war leidenschaftliche +Klage. + +»Hätten Sie es auch so nötig gehabt --« -- + +»Sie meinen, ich hätte es fühlen müssen, daß Sie da waren!« fiel er +gleichgestimmt ein, mit hellen, brennenden Augen. + +»Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen.« Sie sprach dann +still mit Lud. + +In Horst flog es. Was sie sagte -- und der Klang ihrer Worte -- zitterte +nicht ein Vorwurf darin, ein Entbehren, eine Enttäuschung? Das Gefühl +einer Zusammengehörigkeit -- es lebte in ihr, wie in ihm es lebte! Mehr +noch in ihr, da seine Ahnung versagt hatte --? -- + +Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen! Sie hatte erwartet, +daß er da sein würde. Ja, er gehörte dazu! Für ihn wollte sie spielen. +Ganz gewiß nicht für sich allein. + +Ich brauchte es so! Hieß das nicht auch, ich wollte Dich bei mir haben? +Du solltest mich hören, ich wollte zu Dir sprechen! Wollte mich Dir +offenbaren aus meines Wesens Tiefe! Dir -- der einzige bist Du, dem ich +mich so bekenne. Denn wir sind uns nah. + +Ich hab nach Dir gerufen -- und Du bist nicht gekommen. Wie +schmerzlich-zärtlich wallte es in ihm auf unter dieser Klage. Das +Gewissen peitschte sein Gefühl in heißen Wellen. + +Du sollst nicht an mir zweifeln -- nicht an dem Zug meines Lebens, der +mich zu Dir zwingt. Um so schmerzhaft inniger, da es jetzt wie eine +Schuld auf mir liegt. Eine Schuld gegen Dein Empfinden. + +Aber sieh, es sind so starke Störungen, die die Leitung hemmen und +erschweren. Der Kampf, der Bruderzwist mit seinen Trübungen, seinem +Wirrsal, seinem Argwohn und Verdacht. Von diesem Gewühl -- wann wird +unser Gefühl sich davon losmachen? + +Jetzt sind wir soweit, daß unsere Hände sich nehmen -- sie erschrecken +nicht mehr voreinander. Und unsere Hände sollen sich halten und immer +mehr sich beschenken. An einer Gabe soll die andere sich beseelen. + +Wie still versonnen, wie mädchenhaft scheu hockte sie bei dem alten Lud. +Dessen Augen in sie »wie in einen goldenen Becher« sahen, dessen schwere +ehrliche Hand sich mit einer so heilig behutsamen Zärtlichkeit auf ihren +Arm legte, voll dankbaren Glücks. + +In die niedrige Stube bettete die Dunkelheit sich ein. Über dem Moor +braute der Abend. Hohl rief ein Kauz aus dem Erlengestrüpp. + +Da richtete Lona sich auf. »Jetzt ist es Zeit für mich.« Horst sah in +ihrem Auge eine große Angst, die er nicht begriff, dann ein +schmerzliches Irren, und wieder waren sie wie nach Innen gewandt. Und +als sie dann wieder ins Leben blickten, hatten sie den kalten Schein, +der ihm so schmerzlich war. + +Sie nahmen Abschied von dem Alten. Zärtlicher als sonst umfaßte sie ihn, +daß er wie ein Betrunkener taumelte und grunzte und herumfuhrwerkte. +Dann ging sie mit Horst. + +»Bis zur Mühle nehmen Sie mich mit, nicht wahr?« fragte er. »Wir wollen +hier auf dem Waldweg bleiben.« + +So ließen sie die Baracke weit ab liegen. Lona machte eine Bewegung, +dann aber folgte sie seiner Führung. + +Lind und still ist um sie der Abenddämmer. Die Luft schweigt. Nur von +fernher aus dem Innern des Waldes tönt das Gurren wilder Tauben, die +ihre Schlafbäume aufsuchen, in den sanften Rhythmen wie märchenverloren. + +Und es verliert sich der Raum in diesem grauen Rinnen und Rieseln, es +verliert sich die Zeit. In Vergessenheit schreiten sie, in Wolken, in +Schweigen. Wie Traumgestalten. + +Ein Ausruhen ist es ihnen in Körperlosigkeit, wohltuend nach dem +Ungestüm, den Zuckungen, den Brandungen, in die sie die Zeit geworfen. + +Sie haben eine Scheu, dies Land zu verlassen, ängstigen sich vor dem +leibhaftigen Wort, wandern weiter in Schweigen. + +Die Welt von uns abtun -- alles da draußen versinken lassen -- vergessen +die Zeit, die Bedrängnis des Geschehens -- nichts wollen, nichts denken +-- nichts wissen -- -- + +Dann aber, da sie immer tiefer und gedankenloser hinabgleitet, geht +durch ihn, durch sein wallendes Blut der leise Schlag des Erwachens. + +Sie ist bei dir, allein sind wir miteinander. Um uns ist der gütige +Abend. Kostbar ist die Zeit, kostbar und inhaltschwer. Jede Minute atmet +schicksalsvoll, in jeder Sekunde pocht das Glück. + +Ich bin ausgezogen, Dich zu gewinnen! Herüberholen will ich Dich zu mir! +Gerade weil Du etwas Eigenes bist, mit eigenem starken Willen und Leben! +Ob ich sonst um Dich werben würde? + +So aber werbe ich um Dich! + +Und sein Wort leuchtet sieghaft auf: »Ich kehre nicht um bei der Mühle, +noch weiter gehe ich mit Ihnen, Lona!« Nun ist sie erschrocken wach. + +»Ich will den Abend bei Ihnen sein!« drängt er weiter. + +Bei mir -- nicht bei den Kameraden -- nicht auf Deinem Posten --! -- So +habe ich Dich in der Hand. Und muß ich nicht -- muß ich Dich nicht in +der Hand haben! Daß Du fern bleibst von Deinen Kameraden! + +Unsere Feinde seid Ihr. Unschädlich sollt Ihr gemacht werden! +Entwaffnet! Das soll und muß sein. Wenn etwas, liegt das in meinem +Willen. + +Nun sind sie eine Truppe ohne Führer. Das ist gut. Damit haben wir, wir +das Spiel gewonnen. + +Und daß ich die Macht über Dich habe! Sie auskosten, den Triumph durch +alle Sinne sich flammen, sich jagen lassen, durch alle Nerven, alle +Fasern! + +Noch immer ist die Rache in mir, ungestillt! Und wenn etwas von Deinem +Wesen ins Blut mir gehen will -- was bildest Du Dir ein! Träumst Du von +zärtlicher Regung! Grausamkeit ist, was sich regt. Wie sie in den Krieg +gehört! Grausamkeit, die Lust am Quälen! --! -- + +Denn Krieg ist und bleibt zwischen uns! Darum -- Dein Leben zerstören +ist das nicht mir aufgegeben -- und mein Wille! + +Und wie wird Dein Leben zerstört sein! Da der Schlag gegen Dein Haus +geführt wird, Du hütest es nicht! Du hast Dich von ihm entfernt -- um +eines Weibes willen. So wirst Du es Dir nennen, und wirst daran +vergehen. + +Und das Weib bin ich! + +Uns hat etwas zueinander getrieben, machtvoll, hindurch durch die +Fluten, die zwischen uns brausten. Was war es -- was ist es? Gleichviel, +was es ist! Wir stehen im Kampf! + +Du bist ehrlich gegen mich gewesen, offenherzig, weitherzig und warm, +ganz anders wie Deine Gesinnungsgenossen sind. Und es gab einen Klang +zwischen uns. Gleichviel -- wir stehen im Kampf. Soll ich meine Freunde +verraten um Deinetwillen! Meinen Glauben! Der erste wärst Du, der mich +verachtete! + +Der mich verachtete -- und wenn ich nun weiter mit Dir wandere durch den +Abend in die Nacht -- bedachtsam -- da ich weiß, was Euch bevorsteht -- +und Dich fortschaffe von dem Geschehnis, in das Du gehörst mit Blut und +Leben -- wird das, was übrig bleibt, nicht der Fluch sein auf mich und +-- meine Tücke. + +Tücke! Darf ich unser Geheimnis Dir preisgeben! Die Freunde soll ich in +Eure Hände liefern! Soll den Tod über sie bringen -- um Deinetwillen! +Wahnsinn! + +Es braust in ihren Ohren. Sie hört nicht die Worte, mit denen Horst sie +jetzt umfängt. Aber sie fühlt seine Hand, wie sie ihre Finger nimmt mit +festem Druck. + +Was ist es, daß sie sie ihm läßt! Muß sie ihre Rolle weiterspielen? Oder +hält sie ehrlich ein ehrliches Geschenk, das sie freut, ein Gefühl, dem +sie sich neigt im Gleichklang der Sinne und der Seele? + +Immer war Waffenstillstand zwischen uns, immer der Friede. Wir waren +über unserem Kampf. Können wirs nicht bleiben? Vergessen die andern -- +die Welt -- alles da draußen vergessen. Allein sein miteinander -- +allein auf der Welt -- + +Da -- wie seine Hand ihren Arm greift, bäumt sie sich zurück -- ist es +der Widerstand des Weibes, die Furcht vor dem Erliegen -- kurz, hastig, +wie bellend stößt sie hervor: »Sie sollten heute abend lieber in der +Baracke sein -- und nicht hier bei mir!« + +Horst steht und starrt, betäubt. Dann -- ein Blitz zerreißt die Wolken. +Er sieht das Geschehen -- er fliegt in die Höhe, als wolle er durch die +Luft. Und dann in wilden Sprüngen stürmt er -- über den Sturzacker -- in +die Heide -- + +Und Lona, wie im Ertrinken, greift nach dem Gedanken: so ist nun ehrlich +die Fehde zwischen uns angesagt -- ich will zu den Freunden! + + + + + Blut auf der Heide + + +Gradenwegs rennt Horst nach seinem Ziel. Vom Abendhimmel fällt jetzt ein +leichter Schein. Wind hat sich aufgemacht, hat die Wolken ausgesponnen, +durch den Dunst schimmert es von der feinen Mondsichel und dem +helljubelnden Liebesstern. + +Einzelne Gestalten -- wie Indianer auf dem Kriegspfad -- heben sich vom +westlichen Horizont -- war das da hinten nicht ein kleiner geschlossener +Trupp --? Und in dem schwarzen Kieferngehölz -- ein paar mächtige +Glühwürmchen zucken hin und her -- Taschenlampen -- das Waldstück ist +besetzt. Die Baracke wird planmäßig eingekreist. + +Horst fliegt über die Heide. Bricht ein paarmal in die Knie. Da -- +Männer vor der Baracke -- Kameraden -- sie sind auf der Wacht. + +Keuchend wankt er vor sie hin. »Raus mit den Maschinen!« + +»Gott sei Dank!« begrüßen sie ihn. Dankwart, Kunz, Gisbert sind da. In +Kunz ist das harte Feuer: »Wir werden ihnen die Reißzähne zeigen!« + +Jeder bewaffnet sich für alle Fälle mit Pistole und Gewehr. Horst +befiehlt: »Warnungsschüsse natürlich. Nur Warnungsschüsse. Bis zum +letzten.« Und noch einmal schärft er ihnen ein: »Bis zum letzten.« + +»Heißt, bis die andern uns mit 'ner Kugel holen!« knurrt Dankwart. + +»Schad nix. Sterben wir in Schönheit!« knurrt Kunz zurück. »An unserer +Sisasentimentalität.« + +Die Feinde zögern. »Blockhaus -- Rothäute. Ganz nickkartermäßig wird +einem zu Mut.« + +Zu lange zögern die Feinde. Die diesige Luft klärt sich auf. Der Himmel +gibt Sternenschein. Jetzt sind nur noch zwei Seiten gefährlich. Das +weite Schußfeld der Heide vor ihnen bietet keine Überrumpelungs-, keine +Angriffsmöglichkeiten mehr. Wenn die Feinde stürmen, kommen sie den Hang +herunter und brechen aus den Knickbüschen zur Rechten. + +Und nun -- sie brechen aus den Knickbüschen. Horst durchzuckt es: nur +von der einen Seite -- nicht auch zugleich von den Hügeln -- soll das +eine Kriegslist sein? + +Es war eine List. Diese kleine Schar sollte ablenken. Der Hauptstoß +sollte von oben erfolgen -- + +Tak -- tak -- tak -- tak -- tak -- das Maschinengewehr gegen die +Stürmenden. Dieses tödlich unheimliche Tacken -- der scharfe +Pendelschlag des Verderbens -- die Herzen stocken -- die Reihen wanken +-- Rufe -- Schreie -- gereckte Arme -- wirbelnde Glieder -- fliehend +stieben sie auseinander. + +Jetzt das Gros von der Höhe -- mit wildem Hurra -- das Brüllen soll das +Tak-Tak übertönen. Aber scharf reißen diese Todestaktschläge hindurch -- +zwei Maschinen auf dieser Seite -- sie arbeiten gegeneinander auf -- +überbieten sich -- wetteifern im Verderben -- + +Wer kann dagegen an! Auch hier stocken die Reihen -- wogen durcheinander +-- fluten zurück -- zerflattern in rasender Flucht -- über ihnen pfeifen +die Kugeln -- + +Nur ein kleiner Stoßtrupp, fünf, sechs Mann sind mutig vorgestürmt -- +zwei Handgranaten fliegen -- Knall, Rauch, sprühender Sand, Fetzen von +Erde -- Handgemenge -- mit einem Kolbenschlag wirft Horst den nieder, +der gegen ihn anspringt. + +Die andern werden überwältigt und entwaffnet. Vier Siedler sind +getroffen, nicht schwer. Der Gegner von Horst liegt besinnungslos. Die +Entwaffneten stehen dumpf, geduckt, verbissen. »Geht nach Haus und grüßt +Eure Großmutter!« sagt ihnen Kunz. + +»Wir wollen -- unsern Genossen mitnehmen!« fordert der eine. + +Horst hat Umschau gehalten. Von den Feinden ist nichts mehr zu sehen. +Sie fluten nach der Stadt zurück. Von denen ist nichts mehr zu besorgen. + +Jetzt trat er ruhig zu dem Besinnungslosen. »Ich glaube nicht, daß er +transportfähig ist«, sagte er bestimmt. »Sie müssen ihn schon +hierlassen.« + +»Er soll mit. Wir tragen ihn --« erklärten die Genossen. + +»Was jetzt soll, sage ich hier. Nicht Sie. Er bleibt. Ich hoffe, er ist +zu retten. Aber nur so. Einer von Ihnen kann ja seine Pflege mit +übernehmen.« + +Die Männer berieten. »Wir müssen uns fügen.« + +»Ja, das müssen Sie.« So blieb einer zurück, ein Krauskopf mit +Mulattengesicht. Die andern gingen wortlos von dannen. Kunz aber, der +Abschiedsworte liebte: »Wir bedanken uns auch bei Euch! Daß Ihr uns +nicht in Pflege zu nehmen braucht!« + +Horst war mit Sellmann, ihrem tüchtigen Sanitäter um den Liegenden +beschäftigt. »Schwere Gehirnerschütterung«, sagte der Medizinmann. »Der +Schädel ist offenbar ganz geblieben.« Sie trugen ihn hinein. + +»Wir werden das Feld jetzt noch absuchen, zur Sicherung«, beorderte +Horst. »Und dann -- hoch genug haben wir ja gehalten -- aber vielleicht +ist doch noch diesem oder jenem etwas geschehen.« + +Kunz führte die Streife. Horst ging in seinen Raum. Er warf sich lang +auf sein Bett. Ein paar Minuten Ruhe! Seine Nerven flogen. + +Der rasende Lauf durch das Gelände -- dann der Kampf -- und nicht +weniger als dies der jähe Sturz aus der Traumwelt, in der er gewandelt +-- Lona -- von Deiner Seite in den blutigen Kampf mit Deinen Brüdern, +Mann gegen Mann! + +Und Du warst es, die mich warnte. Mich, der ich wie blind neben Dir +herlief. Der ich mit Dir weiterwandern wollte, hinein in die Stadt. Um +bei Dir zu sein, die Du mir lieb geworden bist! + +Und wie lieb muß ich Dir sein, daß Du mich wecktest aus meiner +Gedankenlosigkeit und auf den Weg meiner Pflicht mich führtest. Meine +Pflicht -- die gegen Deine Sache streiten, die ihr die Wunde schlagen +mußte! Meine Pflicht, gegen die Deine eigene Pflicht sich erhob. + +So hast Du mir Dich aufgeopfert! Und hast Du so Deine Welt nicht hinter +Dir gelassen? Keine Heimat gibt sie Dir mehr. Die Fäden sind zerrissen. +Du gehörst uns. In mein Leben gehörst Du. Eigenes Heimweh hat in meine +Welt, hat zu mir Dich gezogen -- nun halt ich Dich fest! Nun bist Du +mein! + +Hohl klingt ein Murmeln an die Wand des Schuppens. Wälzt sich dumpf, +düster und schwer. Legt sich ihm auf die Brust wie ein Mar. Was friert +ihm so ins Blut? Was schauert ihm so durch die Seele? + +Er springt auf und tritt hinaus in den Gang, tritt vor die Tür. Die +Streife kehrt zurück. Sie tragen jemanden. Kunz geht voran. Horst ist +bei ihm. »Eine Frau«, sagt Kunz, weiter nichts. Seine Augen sagen mehr. +Horst aber weiß es längst, was er jetzt sieht. Lona. Und sie ist ohne +Leben. + +Er weiß es, er sieht es -- und glaubt es wieder nicht. Seine Hände irren +über ihr eisiges Gesicht -- sie wollen sich irren -- sie rühren, sie +fassen den Tod. + +»Lo-na.« Seine Zähne klappern. »Lo-na.« Zerrissen ihr Name. Ihr Wesen +zerfallen. Zerbrochen ihre Form. Ihre Seele entflogen. + +Ein Schuß mitten durchs Herz. + +Und jetzt die Fragen der andern: War sie selbst unter den Stürmenden +gewesen? Dann am alleräußersten Flügel. Oder hatte sie als Zuschauerin +abseits gestanden? Kugeln irren sich so gern. + +Horst hatte seine Antwort. Hergeworfen -- hergewirbelt hat es Dich -- +nicht ein Gefühl allein -- Du mußtest dabei sein -- nicht bloß sehen, es +mit erleben -- ein Schuldbewußtsein flocht Dich in die Reihen der +Genossen -- und doch Deine Gedanken flogen ihnen voraus. Sie waren bei +mir -- sie suchten mich -- in schmerzlichem Verlangen -- + +So war es. Steht es nicht so in Deinem Gesicht geschrieben? Ist all das +Zerwühlte nicht zur Ruhe gebracht? Schwebt darüber nicht etwas wie die +weiche, bebende, sorgende Zärtlichkeit des Weibes? + +In der Halle war die Leiche niedergelegt. Horst hielt bei ihr die +Totenwacht. + +Unwirklich war ihm noch alles. Wie trunken machte ihn der Schmerz. Seine +Fieber taumelten wie in den Visionen einer Dichtung. + +So umgeisterte ihn alles, was er mit Lona erlebt hatte -- seit der +ersten Stunde, da sie sich fanden. Wie er sie das schöne, böse Raubtier +sich nannte, in der Versammlung -- als sie zum Sprunge gegen Herrn +Borkhus sich duckte, den Zerbrecher ihres jungen Glücks. Wie sie ihre +überhitzte Schulmeinung ihm ins Gesicht sprühte: deutsch ist mir ein zu +unwesentlicher Begriff! Blieb sie in der Öde solcher Verstiegenheit? +Fing sie nicht an, auf ihre heimatlichen Wurzeln sich zu besinnen? +Langsam -- Geduld mußte man mit ihr haben -- + +Als er aus der Kirchhofshaft sie befreite, da starrte sie noch in Waffen +gegen ihn. Aber wie der alte Lud dann ihr Wesen ihm gedeutet hatte -- je +mehr er sie begriff, um so näher rückte sie ihm, um so näher rückte er +ihr. Was sie auf der Landarbeiterversammlung sprach, Klänge aus der +Tiefe, die in ihm widerhallten. Und wie sie beide bei Lud sich fanden, +sich etwas zu sagen und zu geben hatten -- bis sie in der großen +Offenbarung ihres Orgelspiels mit allem, was in ihrer Seele flutete und +brauste und kämpfte, verzweifelte und zum Licht sich aufbäumte, mit den +schmerzvoll heiligen Feuern ihrer Seele ihn überwältigte. + +Du suchtest den Weg, der Dir verschüttet war -- Du fandest ihn über +Trümmer, einen schmalen Pfad -- ich durfte die Hand Dir +entgegenstrecken, Du wolltest sie ergreifen -- + +Und jetzt abgestürzt -- zerschmettert -- zerbrochen -- + +Und nicht mehr rollten die Bilder an ihm vorüber, wie Szenen eines +Schauspiels, das ihm als Zuschauer den Atem versetzte -- die +Wirklichkeit riß ihn aus dem Rausch der Todesnähe, das Leben, sein Leben +packte ihn an -- ein Teil von seinem Leben war ihr Tod. Ein Teil von ihm +war mit ihr gestorben. + +»Lona« -- er umspannte ihre kalten, welken Finger. Vor ein paar Stunden +hatte er sie noch gehalten -- wie pulsten sie in seiner Hand, wie pochte +ihr Blut an das seine! Jetzt ist der große Abgrund zwischen uns, über +den nur die Todesfittiche tragen. Und Du bist auf der geistigen Seite. + +Du blasse Lona -- nicht mehr das schöne, böse Raubtier -- o nein -- ein +schöner, guter, verklärter Geist -- nicht mehr ans Irdische gefesselt, +nicht mehr dem Körper verhaftet, jetzt hast Du Dir das Jenseits erobert, +das Dich so quälte. Jetzt sind die Schleier gefallen, die Geheimnisse +enthüllt -- jetzt siehst Du den Sinn der Welt. Des Lebens! Des Lebens +vor dem Leben. Des Lebens nach dem Sterben. + +Und hat das alles seinen Sinn -- was ist sinnvoll anders als gut? Der +gute Sinn, der große gute Sinn des Lebens, der große gute Sinn der Welt. + +Kann der Tod ihn uns verdunkeln? Führt er nicht gerade, was in uns, den +Überlebenden, stark und echt und treu ist an Liebe und Kraft, an Fühlen, +Denken und Wollen, empor zu der Höhe eines Gelöbnisses! + +Sich treu bleiben! Seinem Fühlen und Willen treu bleiben! In seinem +Fühlen und Willen sich klären! In seinem Fühlen und Willen sich +vollenden! + +Wieviele Kameraden hat Horst begraben! Vor jedem Toten hat er so +gestanden, gehoben, gesteigert, beflügelt in seinem Wesen, gefestigt in +einem Schwur. So strömt uns neue Kraft zu von unseren Toten. So sind die +für uns gestorben, die uns lieb waren. + +So bist auch Du für mich gestorben, Lona. Die Du mir feind warst, die +ich Dich lieb gewonnen. Tränen schauerten durch ihn hin. Da machte er +sich hart. + +Sich treu bleiben, seinem Fühlen, seinem Willen treu bleiben. Und so in +die Höhe wachsen, aus sich, in sich, zu sich selbst empor! Er stand +aufrecht und frei, von seiner Andacht geweiht. + +Kunz kam herein. Er berichtete, der Verletzte wäre zu sich gekommen, +finge an zu toben, wollte nicht länger bleiben. + +Horst ging zu ihm. Er lag, den Oberkörper aufgerichtet, die Hände +krampfhaft aufgestemmt -- das wirre Haar hing ihm in irre Augen -- »ich +laß mich nicht einsperren -- schlagt mich tot -- ich laß mich nicht +quälen --!« + +Jeder sah, daß an ein Fortschaffen nicht zu denken war. Auch der Mulatte +schüttelte den kugelrunden Kopf. + +Horst sprach ruhig auf ihn ein. »Sie sind krank und hilfsbedürftig -- +wer wird Ihnen was zuleide tun! Sie werden hier gesund gepflegt. Wenn +Sie sich ruhig verhalten, können Sie vielleicht morgen schon nach +Hause.« + +Ruhiger wurde er, von den Worten, von dem Stimmklang. Aber in den Augen +ging es noch weiter um. Dann sah und erkannte er den Genossen. »Was tust +Du hier? Bist Du auch gefangen -- schämst Dich nicht -- kannst rumlaufen +-- ich -- den schweren Kopf -- den -- schweren -- Kopf --« + +Jetzt sank er zurück, zuckte noch, und dann kam der Schlaf über ihn. + +In der Baracke ging man zur Ruhe. Ein guter Teil der Nacht war vorüber. +Horst mit zwei Kameraden hatte die Wache bis zur Frühe übernommen. Die +beiden machten es sich im Eingang bequem. Er, im Mantel, setzte sich auf +die Bank vor der Tür und wartete den Morgen entgegen. + +Müde gingen seine Gedanken ein in die große Sternenstille. Müde und +demütig. Ihr Sterne, ich kann Euch nicht einmal zählen. Wie soll ich +Euch begreifen? Funken der Ewigkeit ihr --! -- + +Mein Erdenschicksal -- ein Staubkorn nur dieser kleinen Erde und mir so +wichtig und schwer -- + +Und doch -- ich bin nicht verloren -- ich bin in der Unendlichkeit -- +und darum die Unendlichkeit ist in mir -- in mir das Ewige -- den Stolz +des Lebens, ich darf ihn fühlen. So darf ich in die unermessene Höhe +sehen, ohne zu verzagen. Darf an ihr wachsen, in sie wachsen, denn sie +ist mein. + +Im Osten zog sich ein fahler Streif, an dem die Sterne verblaßten. Der +Morgen rieb sich die Augen. Vom Westen her, wo das nächtige Dunkel noch +fest lag, schob sich langsam eine mächtige Gestalt. Ein dumpfes Murmeln, +gebändigt und doch ein Donnerrollen, verkündete ihr Nahen. Nur einer +konnte so brummen -- und jetzt kam er in Sicht -- Horst stand auf, ihn +zu empfangen. Lud Uhlenbrook war es. + +Konnte er wissen, was geschehen war? Zog ihn nur dunkle Ahnung her? Es +war Ungewißheit, was ihn quälte. Froh packte er Horstens Hand. »Was hab +ich bloß zurecht geträumt -- von Schlacht und Schießerei. Hin und her +hat es mich gewälzt. Gut, daß ich Sie finde!« + +Nun stutzte er über des Freundes Haltung. Der sagte dann still: »Sie +haben nicht geträumt.« + +»Und ist was passiert?« + +»Ja.« Dies eine Wort, so schwer von dem Geschehenen, öffnete ihm den +Blick. + +»Was mit Lona?« + +»Wir haben sie hier.« + +Der alte Mann sank vornüber -- seine gewaltigen Hände jappten hilflos +wie zwei Riesenfischköpfe auf Land. Dann trottete er ächzend ins Haus. +Horst ihm nach führte ihn in die Halle. Der Morgendämmer zeigte ihm die +Tote. + +Lud Uhlenbrook stöhnte auf, einmal -- dann summte es in ihm, so wie der +Wind in hohen Drahtleitungen summt -- dann ward er selbst totenstill. + +Und jetzt, mit einer urlangsamen Selbstverständlichkeit nahm er die Tote +wie eine Puppe auf den Arm. Nichts Wildes war dabei, nichts Wirres. Nur +die große Sicherheit seines Tuns. + +Wortlos trug er sie hinaus. Trug sie über die Heide. Fahl und wie +klagend zog der Morgenschein hinter ihm her -- den übermenschlichen, +gespenstigen Leichenträger. + +In Horst lehnte es sich auf. Mein Eigen -- ich laß es mir nicht nehmen! + +Ihm nachstürzen will er -- und erschrickt vor seiner Jachheit. Soll ich +ihn niederwerfen -- ihn mit der Toten! Soll ich um sie mich balgen mit +dem alten Mann! + +Wallt er nicht dahin, so wie die Notwendigkeit schreitet! An die sich +nicht rühren läßt --! Und ist hier nicht Liebe am Werk? So wollen wir in +der Gemeinschaft bleiben, wir drei. + +Recht ist ja, was Du fühlst und tust! Nicht in die Baracke gehört sie, +die ihr verhaßt und die ihr feindlich gesinnt war -- in Dein stilles +Haus, das ihr eine Heimat gewesen. Da soll sie aufgebahrt werden. Da +wollen wir ihr die Totenfeier rüsten. -- + +An diesem Tage erholte sich der Betäubte so weit, daß er das Siedlerhaus +verlassen konnte. Es war der Leiter des Überfalles selbst, der +Werkführer Stahlboom. + +Die Siedler hatten den ganzen Tag hart gearbeitet, auf dem Felde, in der +Ziegelei, auf dem Moor. Gedenkreden auf den gestrigen Tag hatte das +Schaffen befeuert. Man erzählte sich, daß die Angreifer mehrere +Verwundete heimgeschleppt hätten. Das eine Maschinengewehr gegen den +Abhang hatte nun doch nicht hoch genug gehalten. Wer hat auch in solchen +Augenblicken Nerv und Hand so in der Gewalt? Der Tod hatte nur das eine +Opfer sich geholt -- die Frau -- Lona. + +Mehr als ein Auge suchte Horst wieder auf. Der war am Werk wie nur je, +selbst der Fleißigste und Härteste. Daß sein Gesicht blaß war, daß die +gerade Falte zwischen den Brauen sich tiefer prägte -- wer von ihnen +trug nicht an dieser Nacht! Und enger waren sie aneinander gerückt, +dichter war die Reihe geschlossen, Kameradschaft war Trumpf. + +Wie sie Feierabend gemacht hatten, trafen sie den Pflegling bei +Gehversuchen vor der Tür. Als der Anführer wußte er, was er sich +schuldig war. Er wartete auf Horst, trat ihm in guter Haltung festen +Auges entgegen und sagte klar: »Ich danke für Pflege und Quartier. Mein +Wunsch ist, einmal -- Gleiches mit Gleichem zu vergelten.« + +Es war nichts Verstecktes darin, kein lauernder Hohn, es hatte seine +offene Bedeutung. Und Horst gefiel diese Art. Saubere, ehrliche +Feindschaft! Damit ließ sich etwas anfangen. Darauf ließ sich sogar +aufbauen. Nur das Heimtückische zerrüttet. + + + + + Feier + + +Und jetzt kam für die Siedler ein großer, freudenvoller Tag. Der +Grundstein zum ersten Siedlungshaus wurde gelegt. Findlingsblöcke sein +Fundament. + +Es gab eine stille Feier, zu der Frau Tilde, Pastor Waermann und Vita +sich einfanden. Horst sprach: »Auf Steinen wirst Du errichtet, Du unser +erstes Haus, die der Norden uns zugeführt hat. Der Norden, die große +Heimat der deutschen Stämme. Der harte, helle Norden, der noch heut die +deutsche Art am treuesten hegt. Wo die Männer von je frei, stolz und +ungebeugt den Nacken hielten. Keine Knechtschaft duldet der +Nordlandschein. Reden sollt ihr, ihr Steine! Zeugen sollt ihr uns sein, +Eidhelfer! Ein deutsches Haus sollt ihr tragen! Deutsche freie Männer +sollen in ihm wohnen!« + +Pastor Waermann sagte seinen Spruch: »Auf diesem Fels wollen wir eine +Kirche bauen! Eine deutsche Kirche! Jede Andacht, jedes Gebet in ihr, +jeder Gedanke, jeder Wille in ihr: die deutsche Freiheit!« + +Und Frau Tilde weihte das Haus: Ȇber dem Altar der Spruch der +Gemeinsamen: Ich lebe in Dir -- Du lebst in mir!« + +Vita aber flammte empor: »Der Altar dieser Kirche soll ein Amboß sein! +Schwerter zu schmieden!« Ihre Katzenaugen sprühten von funkelndem +Phosphor, die Worte sprangen und splitterten in ihrer mutierenden +Knabenstimme. Alle freuten sich ihres Überschwanges, der so kindlich war +und doch aus schmerzlicher Tiefe loderte. + +Die Maiensonne meinte es gut. Sie saßen zu einem kleinen Imbiß vor der +Baracke im Freien nieder. Von dem Kampf sprachen sie, von Lonas Tod. Ein +Schweigen ehrte die Heimgerufene. Keine Frage rührte an Horstens +Versunkenheit. Jetzt gab Pastor Waermann zu bedenken: dieser Waffengang +werde weithin alle Geister beschäftigen. Wollte die Siedlung ihre +Maschinengewehre retten, müßte sie sie verstecken. + +Kunz stimmte lebhaft zu. Er wußte die Plätze dafür -- zwischen den +Steinplatten der Hünengräber, die wieder zugeschüttet würden -- in der +Gruft bei Herrn von Borkhus, unter seinem Sarge. + +Horst lehnte ab. »Wir verstecken die Waffen nicht.« Die Linie zwischen +den Brauen gab Zeugnis. + +Dankwart und Kunz schüttelten den Kopf. War Lonas Tod ein Gewinn? + +Dann ließ es Frau Tilde sich nicht nehmen, in die Stallungen einen Blick +zu tun. Gisbert, der hier Zuständige, übernahm die Führung. + +Ein braunweißes Kalb hatten sie, das war ihr Stolz. Ihre beiden +Milchschafe, erlesener friesischer Rasse, hatten je zwei Lämmer +geworfen. Zehn Küken purzeln und trippeln und schießen herbei nach den +Lockrufen der Mutter Henne. Zwei andere Hennen noch brüten in den +Körben, feierlich in der gewölbten Ruhe ihres heißen, breit gefalteten +Gefieders, heizend und erhitzt, böse die Augen gegen die Welt, von +Halbschlaf benommen, versunken in das eigene geheimnisvolle Werk, +scharlachrot von der Inbrunst des Schaffens der Kopf, der klein geworden +ist gegen den machtvollen, lebenspendenden Leib. + +Frau Tilde sieht alles, prüft alles und ist zufrieden. Glücklich macht +Gisbert die Anerkennung. »Bienenstände müssen Sie noch haben, die +gehören zu Ihrem Heideland.« + +Und dann begleitet Gisbert die Freundin nach Hause. Die Herrin -- er +fühlt sich ganz als ihr Wirtschaftseleve. Immer wird er Landmann +bleiben, nie mehr wird die Stadt ihn sehen, in der die Menschen +versteinern. Die Naturandacht sein Leben. Seines Daseins Licht diese +Frau, die nicht müde wird, ihn zu beschenken. Nie mehr kann er von ihrer +Seite gehen. + +Sie blicken von der Höhe über das Land. Obstbäume blühen an dem Wege, +der zum Moorhofer Herrenhause führt. Wie große weiße Blumensträuße +stehen sie da, der Königin dieses Reiches ein Fest zu bereiten. Auf dem +Hügel außerhalb der Parkmauer, der weite Ausschau gewährt, steht ein +mächtiger Ahorn mit runder Bank. Da setzen sie sich nieder. Leuchtende +Wolken, erhaben und schöpferisch bildhaft, ziehen ostwärts, von der +sinkenden Sonne beleuchtet. + +Sie schauen hinauf, plötzlich fragt Tilde: »Sind Sie sehr +shakespearefest?« + +»O nein, ganz und gar nicht.« + +»Dann kann ich es wagen«, sagt sie und streicht sich ein mädchenhaftes +Zagen aus der Stirn. »Ich denke an die Szene, wie Hamlet den Höflingen +Rosenkranz und Güldenstern die Wolke zeigt -- sie nach dem Bilde fragt +-- ihnen die Antwort in den Mund legt. Sieht sie nicht aus wie ein +Kamel, wie ein Walfisch, wie ein Wiesel -- für die bestialische +Reihenfolge wird keine Gewähr übernommen. Ich muß sagen, daß ich mit +dieser Szene nie das Rechte habe anfangen können.« + +»Weil die Wolken so vieldeutig sind --« + +»Ja. Ganz gewiß für Menschen, die nichts miteinander gemein haben. Da +die Wolkenumrisse so schnell zerfließen -- eine ganze wandernde +Menagerie kann man einem Fremden suggerieren. Der darum noch gar nicht +liebedienerisch ja zu sagen braucht. Menschen aber, die sich nahe sind +und miteinander leben -- es ist überraschend, wie sie in den Wolken ganz +zu gleicher Zeit dieselben Gesichte haben.« + +Gisbert blickt in die Wolken, die sollen ein Bild ihm zeigen. + +»Wie oft,« spricht Frau Tilde weiter, »haben wir als Kinder, mein Bruder +Volker und ich, so den Himmel abgesucht. Dann fanden wir etwas -- +gemeinsam -- faßten unsere Hände -- sagten es uns. Und immer war es +dasselbe. Eine Walküre mit Flügelhelm und wallendem Haar -- ein alter +Rabbi mit langem Bart -- ein Indianer auf der Büffeljagd -- ein +buckeliger Pierrot -- eine knieende Beterin. So eng hingen wir beide +zusammen.« + +Durch Gisbert zieht ein stilles Leuchten. Und wir beide? Wie nahe bist +Du mir -- und mir, ich weiß es, mir gibst auch Du Deine Nähe. »Ich fühle +wie Sie« -- immer, immer fährt unter dieser Flagge mein Lebensschiff. +Und was reichst Du täglich meinem Dasein an Geschenken! + +Eine Zuversicht hebt ihn, bis in den Himmel. Was die Wolken mir jetzt +zeigen, ich weiß es, Du siehst es mit mir. Und wie er jetzt suchend +wieder den Kopf aufrichtet, tut sie es auch. Leicht hebt er die Hand -- +nun zittert er doch in allen Fasern, da die Gewißheit droht -- und leise +ist sein Wort: »Ein Schwan --« + +»Er fliegt. In die Sonne fliegt er.« Ihre Stimme hat den stillen Glanz +des Selbstverständlichen. Sie sieht, was er sieht. + +»Und auf dem Kopf --« + +»Eine Krone.« + +»Eine Krone von Gold.« + +Sie sehen dasselbe, sie fühlen dasselbe, ein und dasselbe sind sie. In +Gisbert braust es und jauchzt es. Mein gekröntes Glück! -- -- -- + +Vita und Kunz gingen über die Heide. Der Wind trug ihnen den herben Duft +der Wacholderbüsche zu. Auf die Dünen zog es sie. Hartblau war die Flut. +Sie spähten über die See. + +»Wieder kein Schiff«, rief Vita klagend schrill. + +»Und wär eins da, es wär kein deutsches.« + +»Kommen Sie. Wenn man einmal nicht traurig oder zornig genug ist, geht +man hierher. Aber meist ist man es ja.« + +Zurück in die Heide. In Wolkenhöhe kreiste ein Raubvogel. »Kann man den +schießen?« fragte Vita. + +»Mit einer gewöhnlichen Jagdbüchse kaum.« + +»Aber mit dem Armeegewehr?« + +»Ja.« + +»Würden Sie ihn treffen?« + +»Schwerlich, ich bin kein Scharfschütze.« + +»Aber ich möchte es werden. Ich will schießen lernen. Sie sollen mich +mit auf die Jagd nehmen.« + +»Es gibt jetzt bloß nichts zu jagen. Höchstens Raubzeug.« + +»Um so besser.« Und die Augen sprühten ihre grünen Funken. + +Kunz lächelte dazu. Was bist Du für ein Kind, dachte er. Wie lange muß +ich noch auf Dich warten? + +Dann aber gab es einen Riß, einen bedrohlichen fast. »Ihren Hund aber +müssen Sie zu Hause lassen!« erklärte sie. + +»Meinen Muz?« + +»Hunde kann ich nicht leiden.« + +Er starrte in ihre graugrünen Lichter. Bist Du es nun doch, eine Katze +auf der Seelenwanderung! Dann sprach er beruhigt, mit siegender +Gelassenheit: »Sie haben noch nie in ein Hundeauge gesehen.« + +»Ich mag die Köter nun einmal nicht. Nicht ihren Geruch. Nicht ihr +Schweifgewedel, nicht ihre geprügelte Treue.« + +Kunz lehnte sich zurück, heftig, über das Gleichgewicht und taumelte +ratlos benommen. Eine Rede der Verteidigung? Was nützt hier -- und +anderswo -- alles reden. Erleben soll sie Dich, Muz. Und sich zu Dir +bekehren. Aber seinen Stoß hatte er weg. Und seine Zärtlichkeit trug +eine Wunde. + +Die mußte erst ausheilen. Heute würde es nun doch nicht mehr das Rechte +mit ihm und seinem Mädchen. Er war nicht trostlos, als der Pastor und +Horst ihnen in den Wurf kamen, die nach Moordorf zuschritten. Lieferte +das Kind an den Vater ab und zog allein seine Straße. Er sehnte sich +nach Muz, nach seinem Auge. -- + +Allein wanderte dann auch Horst weiter. Zum Torfmeister und zu Lona ging +sein Weg. Sein Schritt war langsam und schwer. + +Mit Feldblumen hatte der Alte die Tote bedacht und besteckt. »Blumen aus +dem Moor«, sagte er. »Im Tode haben die beiden sich gefunden.« + +Er wirkte und wallte umher wie ein Priester. Von der Leiche trennte er +sich nicht, er gab sie nicht her für Horst zu einsamer Andacht. Manchmal +schoß auf den, wie auf einen Fremden, einen Eindringling, einen Feind, +ein fast böser drohender Blick aus den roten Lidern. + +Horst stand vor der Toten. Nicht erlöst sind Deine Züge. Um Deinen Mund +das Lächeln -- es hat nichts Verklärtes -- leidenschaftlich und leidend. +Dein Los hat sich Dir nicht erfüllt. Sehr viel Sehnsucht trägst Du mit +hinaus. Auf den dunklen Fittichen quälender Fragen bist Du +emporgerauscht. Jetzt -- jetzt wandelst Du im Lichte der Antwort. + +Der Alte zog herum und ließ ihm nicht die Stille. »Der Pastor soll sie +nicht zum Begräbnis haben!« murmelte er drohend. »Eine Kriegstrompete +ist er geworden. Was soll die hier? Hier bläst sie vorbei. Und er stört +sie bloß. Und sie sollen Dich nicht stören! Alle haben sie Dich gequält. +Deine Freunde, durch ihr Wüten, Deutsche gegen Deutsche! Und Deine +Feinde -- dieselbe sinnlose Wut! In diese Brandung bist Du geraten, so +bist Du verdorben!« + +»Schuld seid Ihr ja« -- gegen Westen hob er jetzt in jähem Ruck die +mächtige haarige Faust -- »Ihr Höllenhunde da drüben! Ihr mit all Euren +Bundesgenossen, all Euresgleichen -- nur in Rudeln jagt das feige +Gesindel -- Ihr habt heimtückisch Deutschland zur Strecke und in das +Elend gebracht! Und in unserm Grauen kehrt unsere Wut sich gegen uns +selbst. Auch mein Kind habt Ihr feige und tückisch gemordet. Es wird +Euch heimgezahlt!« + +Wie ein Seher und Rächer steht er da mit überweltlichen Augen! Horst +zwingt es zu ihm hin. Er nimmt die furchtbar bebende Hand. Er grüßt den +deutschen Herzschlag, der ihm selber die Adern sprengt. + +Dann erlischt in den alten Augen die Flamme. Und ein Mißtrauen wehrt dem +jungen Freund. »Du willst teilhaben an meinem Totenfest. Du hast sie +lieb gehabt, meinst Du. Hast Du sie lieb gehabt, ohne etwas von ihr zu +wollen? Ich aber liebte sie und wollte nichts von ihr, und darum ist +meine Liebe größer als Deine. Darum bin ich mehr als Du und hab mehr +Rechte als Du. Ich allein begrab sie mir.« + +Und da Horst eine Bewegung macht -- »bist Du nicht als Feind im Kampf +mit ihr gewesen! Hat eine von Euren Kugeln sie nicht getroffen! Hast Du +-- Du sie nicht getötet! So gut wie mit eigener Hand! Da Du Feuer +befohlen hast! Und Du willst sie mir streitig machen!« + +Die Augen kreisen, Flammenräder einer eifersüchtigen Angst, eines +eifersüchtigen Zornes. Die beschwichtigende Hand des Nebenbuhlers wird +mit einem Kopfschütteln abgetan. Aber damit kehrt schon seine Ruhe +wieder. Doch die Ruhe schärft und härtet sich. + +Hoch richtet er sich auf. Die verkrampften Hände packen die Brust: »Ich, +der Totengräber Lud Uhlenbrook -- der einzige, der diese Tote lieb +gehabt hat -- und der einzige auch, den die Tote lieb gehabt hat -- nur +mir gehört sie -- nur mir gehört ihr Begräbnis -- nur mir gehört ihr +Grab. Allein bestatte ich sie. Niemand soll dabei sein. Mein Moor soll +sie bewahren. Und die Stätte zeige ich keinem. Mein Moor balsamiert +Deinen Körper ein und rettet Deine Schönheit. Das Moor läßt keine Würmer +an Dich hinan. So gut wie lebendig bleibst Du mir. Mir -- die Du mir +gehörst!« + +Es wirft ihn nieder -- er kniet zu ihr hin, er legt die alten, +blutroten, tränenblinden Augen auf ihre kalte Hand. + +Horst hat die Stube verlassen. -- -- + +Zwischen den Findlingstrümmern, eine einsame Birke über sich -- wie +duftete das junge Laub! -- saß Kunz mit Muz, seinem Tier, und sprach zu +ihm. Steil gestellt waren die hohen spitzen Ohren, in den großen +goldbraunen Augen war alle Klarheit, alle Weisheit, alle Güte, alle +Wehmut der Welt versammelt. + +Jemand hat Dich gelästert, mein Tier, und ich habe ihn nicht getötet. +Ein Weib -- nein, ein Junge, ein Kind. Nein, eine Katze. + +Nun drehst Du den Kopf. Das Wort geht Dir ins Blut. Dies Wort verstehst +Du, sagen die Einfältigen. Als ob Du nicht jedes Wort verstündest, das +ich zu Dir spreche. + +Nur, daß Du mir nicht antworten kannst in unserer Sprache. In der +Sprache der Menschen, diesem größten von allen unseren Mysterien. Unsere +Freiheit, in der wir geknechtet sind, unser Glück, daran wir gekreuzigt, +der Segen, zu dem wir verdammt worden, die Wahrheit, die uns mit Lüge +schlägt. + +Was da in Deinem Auge, dem unermeßlich tiefen, dem unermeßlich scheuen +vor der eigenen unergründlichen schwermütigen Klarheit, was da spricht +und schweigt -- heißt das: ich klage und traure, daß ich nicht Worte +habe wie ihr, euch zu antworten, wie ihr mich fragt? + +Oder heißt es ganz anders! Ist es Dein Schmerz, daß wir, wir mit der +Sprache gesegnete Verfluchten nicht Deine Augen haben! In denen die +Seele ist, die wir auf die Zunge heben und so veräußerlichen! Die wir in +leeren Schall zerflattern lassen! + +Heilig sind Deine Augen, fromm machen Deine Augen! Sie soll +hineinblicken, das Weib, das Kind und Katze ist. Und soll niederknien! + +Das ist ja wahr, Muz, außer Deinen Augen bist Du noch so mancherlei. +Eine Bestie, ein Bandit, ein Herumtreiber, ein Hund mit einem Wort. Ein +Lumpenhund von einem Hund! + +Von Deinen Liebeshändeln will ich nichts sagen, obwohl sie heftig dazu +herausfordern. Aber -- hast Du mir nicht vorgestern erst aus meiner +ahnungslosen Jacke, die bei der Arbeit sich mit der Maiensonne nicht +vertrug, mein Frühstück gestohlen! Das Papier mit Zähnen und Pfote +weggefetzt und die Stulle verputzt! Meine, Deines Herrn und Gebieters +Frühstücksstulle. Der redlich und rechtschaffen hungrig war. +Amerikanisches Schmalz war darauf -- Du lieber Gott, in der Not frißt +der Deubel Amerikaner. Du fraßest, und mich ließest Du den Daumen +lutschen, Du ungetreuestes aller Mistviecher Du. + +Aber Deine Augen -- und wieder und immer wieder Deine Augen! Heilig, +heilig sind sie und Andacht sollen sie lehren das Weib, das ein Kind, +ein Junge und eine Katze ist! + +Muz, Muz, Du kennst meine Vita. Du hast sie gesehen, freilich nur aus +der Ferne. Denn Du drängst Dich denen nicht auf, die Dich nicht wollen. +Ist sie nicht ein verschlossen und verzaubert Köstliches! + +Vita, noch schläft alles Leben in Dir! Ich will es mir wecken, mir +sollst Du einmal auferstehen. Eine Knospe bist Du, hart und spitz. Und +die Knospe sticht. Die mir, mir ihre Blüte verheißt und bewahrt. + +Einfältig bist Du, ja, so einfältig kannst Du sein, daß man manchmal Rad +schlägt vor Schreck und vor Freude -- wie wirst Du Dich mir entfalten! +Ein dummer Junge oft -- ich ruf es mir wach, das liebe kluge Mädchen! +Ich küss' es mir auf! + +Und Kunz schlägt die Arme um sich und umarmt die Luft. Entsetzt fährt +Muz in die Höhe -- zum Tierarzt! ist sein erster Gedanke. Der Mann ist +verrückt! + +Aber schon ist der Mann wieder friedsam geworden, kauert sich zu dem +Hund, läßt die samtenen Ohren sich durch die Hände gehen und erzählt ihm +weiter. + +Ja, mein Tier -- Dir sag ich alles. Du verstehst jedes Wort und birgst +es in der Seele. Du willst nicht alles besser wissen und schwätzest +nicht dazwischen, wie diese entsetzlichen Klookschieter von Menschen! + +Froh bin ich, Muz, und kann lachen. Und hab klug reden, wenn die andern +auf unseren Stall schimpfen und gern ausreißen möchten. Wo mein Glück +hier neben mir wohnt! + +Was aber wird aus Horst? Jetzt, wo die Frau aus seinem Leben genommen +ist, die auf andere Bahnen ihn zog -- auf verschlungene Pfade, die +abseits lagen von unserer geraden Straße. Wird er den Weg zurückfinden? +Wird sie als Geist ihn weiter bannen? Haben sich nicht die Schatten zu +tief in ihn eingefressen? Kann er uns wieder der Alte sein in alter +Helle? + +Anfällig Horst auch Du -- seid Ihr nicht alle krank geworden am +deutschen Leid? Bin ich nicht der einzige gesund geblieben, ich, der +Dickfellige, in bekömmlicher Gedankenarmut! + +Auch Gesundheit steckt an! Nicht müde werden will ich, Euch mit meinem +Gesundheitsstoff zu infizieren! Dich, Horst, Dich, Gisbert, und +Dankwart, auch Dich! Du Mann mit dem verlorenen Lachen. Lachen sollst Du +wieder können oder doch lächeln. Denn, wenn wir nicht lachen, wir Wachen +im deutschen Lande, so schaffen wir es nun und nimmermehr. + + + + + Ingeborg + + +Bitterlich zu kämpfen gilt es ja um das Lachen. + +Am andern Tage, die Maisonne jubelte grausam, kam aus der +Provinzialhauptstadt ein hoher Beamter mit militärischer Begleitung. Er +und der Offizier Männer mit den schmerzweiten Augen, wie sie durch +Deutschland klagen -- beide nur an Bord geblieben, damit das Schiff +nicht ohne Mannschaft sei, abgeneigt der Führung des Fahrzeuges, ohne +Vertrauen zu seiner Steuerung und doch gehalten von der Disziplin des +Gehorsams, der dem Vaterlande gilt. Mit halbem Herzen führten sie den +Auftrag aus. Nur das Nötigste wurde gesprochen. »Vier Maschinengewehre +sind hier am Sonntag abend in Tätigkeit gewesen. Die Maschinengewehre +gehören dem Staat. Sie haben sie abzuliefern. Wir sind hier, sie in +Empfang zu nehmen.« + +Horst sagte ein ruhiges: »Bitte.« + +»Weiter möchte ich Sie ersuchen, mir über die Vorgänge am Sonntag abend +Auskunft zu geben. Ich muß sie zu Protokoll nehmen.« Horst berichtete, +was er wußte. + +»Wo befindet sich die Tote?« + +»Im Hause des Torfmeisters zu Moordorf.« + +Kein überflüssiges Wort. Was man fühlte, wurde in Schweigen eingesargt. +Wenige waren dabei. Kunz als der Waffenmeister, drei von den Siedlern, +die Hausdienst hatten. Die andern waren beim Bau und auf den Feldern. + +An der Mittagstafel natürlich bewegte dies die Geister aufs tiefste. +»Unsere Burg ist geschleift«, sagte Kunz. Das war der Grundton. + +»Wir sind und bleiben Soldaten!« rief einer. »Und ein Soldat ohne Waffen +-- was ist das? Die Hunde heben das Bein dagegen auf!« + +Es ging ihnen nicht bloß an den Stolz, an die Ehre der Wehrhaftigkeit. +An das Gefühl der Sicherheit griff es. »Jetzt können sie uns mit +Knüppeln totschlagen.« + +Metzling, der Grundsätzliche, versuchte eine Rede. Der Zorn der andern +wäre ja gerade durch die Maschinengewehre erregt worden. Sie empfanden +es als Ungerechtigkeit, daß wir welche hatten und sie nicht -- + +»Und als Gerechtigkeit hätten sie es dann empfunden, wenn sie sie +gekriegt hätten und gingen uns damit zu Leibe!« Ein Einwurf, den das +Lachen der meisten billigte und trug. Für die Minderheit aber, die +theoretischen Schwärmer, wurde die Gerechtigkeit nun doch zum Kampfruf. +Gleiche Waffen -- gleiche Waffenlosigkeit. Nur so kann der Bruderkrieg +aufhören, nur so eine Möglichkeit der Verständigung und Eintracht. + +O Ihr weichen Seelen -- schalt Kunz dagegen -- o Ihr erweichten Hirne! + +Mit der Idee kam die Erhitzung in die Gemüter, es gab Streit und +Zerklüftung. Zum erstenmal grub sich ein tieferer Riß durch die +Siedlerschaft. + +Und wieder an Horst hängten sich die Augen. Er hatte finster dagesessen, +wie abgekehrt, bewegungslos und ehern. Jetzt belebte er sich. Und nahm +das Steuer in die Hand. + +»So geraten wir uns also selbst in die Haare. Wollt Ihr einander dies +eine Euch klarmachen. Sie haben uns die Waffen genommen. Sie sagen, daß +die nicht uns, daß die dem Staate gehören. Dem Staat -- wir wollen sie +nicht fragen, wer das ist. Aber bleiben sie dem Staat? Liefert der sie +nicht an unsere Feinde aus? Daran denkt! Und denkt daran, wie nicht bloß +unsere Waffen, wie auch unsere Arbeit dem Feinde ausgeliefert wird. +Alles, was wir schaffen, alle Werte, die wir erzeugen. Unser Haus -- +auch das bauen wir für die Feinde. Es wird kein deutsches, es wird ein +französisches Haus. Wenn wir nicht einig sind! Wenn wir nicht einig und +groß uns erheben! Daran denkt, nur daran! Alles -- alles hat dem zu +dienen.« + +Es ist der alte Klang in seinem Wort, der alte Führergeist in seiner +Rede Tat. Und seine Augen haben den Mut seiner Worte. Dem beugen sich +alle, dem folgen sie alle. Und in Kunz glüht es: er hat die Höhe, er hat +auch die Hand. Daß er den Willen behalte und die Kraft! + +Sie gehen an ihr Tagewerk. Wir fronen nicht! Wer unsere Gedanken hat, +unseren Willen, unseren Mut, der arbeitet frei an freiem deutschen Werk, +Deutschland zur Ehr, Deutschland zur Wehr! + +Wir weben am Schicksal des Vaterlands. Schicksal -- was ist Schicksal? +Was wir schaffen ist Schicksal! So bändigen unsere Hände das Geschick, +unsere Zuversicht, die Kraft unserer Sehnsucht, unseres begeisterten +Willens schafft eine neue Wirklichkeit. + +Dieser Glaube, von Horst bezeugt, dem Führer, dem Propheten, lebte in +ihrer Arbeit. Ihr Werk gedieh und stärkte sie durch sein Wachstum. + +Horst aber -- und Kunz wurde seines Mißtrauens nicht Herr -- blieb wie +zugeriegelt und suchte die Einsamkeit. + +Der alte Hüne im Moor hatte sein Kind allein begraben. Niemand hatte die +Stunde gewußt, niemand erfuhr die Stelle. Die Genossen hatten eine große +Leichenfeier gewollt. Die Blutzeugin für die große Sache! Wie konnte die +Straße ihrer entbehren! Sie kamen zu dem Alten und forderten. Er wies +sie ab. Sie drohten, da jagte er sie zum Teufel. + +Und als sie zum drittenmal anrückten, mit Verfügungen der Behörde, da +war es zu spät, da war die Tote nicht mehr über der Erde. Die Behörde +hatte wichtigeres zu tun, als gegen den »alten Narren« gesetzlich +vorzugehen. So behielt Lud Uhlenbrook recht, und das Moor behielt Lona, +sein Kind. + +Fremd war der Alte für Horst geworden. Er und sein Moor. Da sie den +letzten Abschied von Lona, von Lonas Bild ihm versagt hatten. Den +Gräberkult hatte der Krieg ihm abgewöhnt, er brauchte auch hier keine +Stätte des Gedenkens. Aber die Gesinnung des Alten, sein eifersüchtiger +Haß -- er konnte das böse Auge des wilden Druiden nicht vergessen -- war +nicht ein Feindseliges darin? + +Bald würde er ja dafür sein Lächeln haben, aber noch schwärte etwas. +Vielleicht, weil er den Riesen so gut begriff, wie ein Verwandtes. Weil +er sich sagte, ich hätte es auch getan -- hätte es auch tun mögen. + +Er trug nun mal die leere Stelle in sich, da Lona von ihm gegangen war. +Weit voneinander standen die Pfeiler unseres Glaubens. Aber da sie +wuchsen aneinander, aufstrebten gegen einander, wölbten sie sich nicht +einander entgegen? Hätten sie nicht zu einem Kuppelbau helfen können für +das eine große deutsche Wollen? + +Von mir zu Dir sollte die große Einheitslinie reichen. Gewiß, wärest Du +nicht ein Weib gewesen, mir ein Wohlgefallen und eine Sehnsucht, meine +Blicke hätten nicht immer und immer zu Dir den Weg genommen, unbeirrt, +hinüber über all die Fluten, die zwischen uns und gegen uns brandeten. + +Zu Herrn Knubart hätten sich von mir nicht diese Fäden gesponnen. + +Nun, da Du hinsankst, ist die Brücke eingestürzt -- ob sie leicht war, +von schönen Träumen gehalten, sie war doch, und fester wäre sie +geworden, und einmal hätte sie getragen. Die Brücke ist zerstört und die +Fluten branden weiter. + +Hat es Sinn, gegen sie anzukämpfen, sie einzudämmen, mit neuen Brücken +sie zu überspannen? Der innere Feind! Steht er nicht als Verhängnis in +den Sternen uns geschrieben? Unser unabwendbares Verderben? + +Das Tagewerk lag hinter ihm. Schwer und ehrlich hatten sie wieder +gescharwerkt. Er ging an den jungen dem Ödland abgerungenen Feldern +vorüber. Das Moorkorn, der Hafer, sproß, auch die Kartoffeln zeigten +schon ihre kräftigen, bewußten, schwarzgrünen Schößlinge. Es lag wie ein +Segen auf den Breiten, und er war nicht froh. Eine Kraft war nun einmal +von ihm gegangen, ein Teil seines Lebens war verdorrt, und wieder warf +das Verzagen ihn nieder. + +Was können wir noch, was wollen wir noch? Haben die Ängste, die Nöte, +die Qualen, die Schauer des Krieges und die schlimmeren des Friedens +nicht unser Wesen welk und blaß unser Blut gemacht? Wir haben nichts und +können uns nichts geben, so viel und heftig wir bei uns anpochen! Sind +wir nicht die bekannten Bettler, die an eigenen Türen betteln? Kann von +uns der Erlöser kommen? + +Er wanderte nach Westen. Über den Himmel zog, da die Sonne sich neigte, +der Perlmutterglanz eines brechenden Auges. Da vor ihm lag das Moor. +Schatten schreckten über ihn hin, er kehrte sich um und ging zurück, den +Goldbergen entgegen. Belastet schritt er und geduckt und blickte nicht +auf. + +Was huscht da, zuckt und zupft an seinen gesenkten Wimpern? Ein +Lichtschein von Osten, da es Abend wird? + +Augenflimmern eines überreizten Gehirns -- er hält es der Mühe nicht +wert, die Lider zu heben. Aber das Licht pocht und klopft und fordert. +Es ist, als wenn jemand das Sonnenlicht mit einer Spiegelscheibe +auffängt und ihm schräg gegen den Sehnerv peitscht. + +Nun muß er mit dem Blick in die Höhe und da -- oben auf den Goldbergen +-- hier sprudelt des Glanzes Quell -- eine Lichtgestalt -- ein +Strahlendiadem zu Häupten -- ein weibliches Wesen -- ist es erdgeboren? + +Hoch und schlank und königlich -- nie hat auf Erden eine solche +Haarkrone geleuchtet! Mit den Lichtern ihres Hauptes spielen die +Sonnenstrahlen wie mit Schwestern. + +Verzaubert in dem Lichtkegel steht Horst. Jetzt bewegt sich die Gestalt +schreitet herab, in den Schatten, die Sonne löst sich aus den Flechten, +der Strahlenbann erlischt, Horst ist wieder im Menschenland. + +Er geht der hellen Frau entgegen, immer noch tastend, geblendet und +unfrei. Sie aber ist die leuchtend junge Unbefangenheit und nimmt ihren +Weg gradaus zu ihm. + +Da sie vor ihm steht, atmet er erleichtert auf -- all dies Überirdische +und Vollkommene hat sich zu einer annehmbaren Wirklichkeit gewandelt. +Beruhigende Mängel zeigen sich, das Gesicht hat gar nichts Erhabenes und +Verklärtes, die Züge sind nicht einmal schön, nur herzerfrischend offen, +und die stahlblauen Augen nicht groß, nicht tief, aber daseinsinnig, die +alles, was sie sehen, als eigenes mehr oder weniger selbstverständliches +Geschenk an sich nehmen. Die Nase erscheint breiter als sie ist, weil +ein kleiner Sattel von Sommersprossen sie deckt. Die prachtvollen, +weitläufig gestellten Zähne in dem vollen Mund schlürfen die Lebensluft +wie einen köstlichen Trank. + +Ein daseinsfrohes, daseinsstarkes, freies, gerades Menschenkind wie +andere auch -- nur das Haar, das wundervolle, in dem das Licht alle +Goldfarben aufklingen läßt, von der Waberlohe des Braungold bis zu dem +stillen schweren Glanz des reifenden Weizens bleibt in märchenhafter +Höhe. + +Sie spricht, die Stimme ist hell, ein wenig hart für einen Mädchenmund. +Das behutsame Schriftdeutsch, das zuerst etwas nach dem Fremdenführer +schmeckt, hat nordischen Klang. + +»Verzeihen Sie mir, mein Herr. Sind Sie bekannt in dieser Gegend?« + +»O ja, wenn ich mich Ihnen zur Verfügung stellen darf.« + +»Ich bin nun einmal so abscheulich pedantisch -- ich muß von allen +Sachen den Namen wissen -- besonders in geographischen Dingen -- meine +Freundinnen sagen, daß ich recht eigentlich nach Deutschland gehöre.« + +»Wo alles so schrecklich pedantisch ist.« + +Sie errötet und bekommt ein liebes verlegenes kindliches Gesicht. »Ich +wollte damit sagen, weil es das Land der Geographie ist. Der großen +Geographen und der Atlanten. Ich will nichts Böses sagen gegen Ihr +Deutschland. Jetzt am allerwenigsten. Ich habe Deutschland lieb. Mehr, +als viele Deutsche es haben.« + +Nun fliegt Horst mit ganzem Herzen zu ihr. Ich habe Deutschland lieb! + +Sie gehen auf den höchsten der Hügel. Er hört von ihr, daß sie Schwedin +sei, mit ihrem Vater unterwegs, der eine Studienreise mache. +Kriegsgeschichtler sei er -- also ein Fachgenosse, denkt Horst. Im +Archiv der Kreisstadt seien wichtige Dokumente aus der Schwedenzeit. +Auch im Pfarrarchiv von Moordorf. Sie hätten hier ein kleines Landhaus +an der See gemietet und wollten wochenlang bleiben. Dann führen sie in +ihrer Jacht wieder nach Hause. + +Horst vergilt Offenheit mit Offenheit. Bald wissen sie voneinander wie +alte Bekannte. + +»Ich möchte, daß Sie Vater kennen lernten«, sagt Ingeborg Thorild. »Er +ist zu dem Herrn Pfarrer nach Moordorf gegangen. Ich soll ihm +entgegenkommen. Wollen Sie mich begleiten?« + +Ob Horst das will! So geht er mit ihr den Weg zurück, den er gekommen +ist in Düsternis. Jetzt ist Licht um ihn her, er kann aus seinem +seelisch zerwühlten Gesicht in die Welt blicken wie ein glücklicher +Knabe. + +Sie mit ihrer jungen unbekümmerten Wichtigkeit führt das Gespräch. +Erzählt von ihrer Heimat, die sie leidenschaftlich liebt. Auf einem +alten halb verfallenen Edelsitz in Södermanland wohne sie. Ihr Vater mit +seinem Bruder, beide alte Offiziere, haben ihn billig gekauft. Nun werde +er so nach und nach wieder aufgebaut. Bis heute seien die bewohnbaren +Räume fast ganz von der Bücherei ihres Vaters eingenommen. Die +Gutswirtschaft führe ihr Onkel. Aber der sei kränklich, und der Arbeit +sei es zu viel für ihn. + +»Kennen Sie Schweden?« + +»Nein.« + +»Seltsam -- dieser Landstrich hier könnte auch bei uns sein. Die Heide, +das Moor, die Findlingsblöcke. Nur haben wir mehr, und sie sind +mächtiger. Und düsterer sind unsere Wälder.« + +Sie kommen an dem Moor vorüber, das all seine goldenen Blumen entzündet +hat. Die Abendfeuer sprühen über sie hin. + +Ingeborg bleibt stehen. »Jetzt fängt wohl auch mein Moor zu blühen an. +Als wir abfuhren, schlief es noch.« Es ist eine Zärtlichkeit in den +Worten, und Horst, in dem ein Dunkles aufsteigt, fragt: »Sie haben zu +Ihrem Moor ein besonderes Verhältnis?« + +»Ja, das hab ich. Es ist wie ein alter Freund. Niemand erzählt mir so +schöne Geschichten.« + +Jetzt denkt Horst an die Frau, die hier im Moorgrund liegt. Die immer +nur Schauer vor dem Moore erlebt hat. Wie sagte der Alte damals? Wer +vorm Moore bangt, wird von ihm gelangt! An diese leuchtende, lachende +Nordländerin rührt solches Grauen nicht. Wie gut habt Ihrs gehabt, +weitab von Kriegsnot und Friedensleid, daran unsere deutschen Frauen +vergehen. + +Ihr habt gut Lachen und Leuchten, Ihr Fremden -- ja, Ihr Fremden! Und +eine Absage, ein Widerstand, fast eine Feindschaft erhebt sich in Horst +gegen dieses vom Glück gepflegte Mädchen. Bei Lona sind seine Gedanken, +der deutschen Frau, die das deutsche Schicksal zerschlug und zerbrach. + +Was gehst Du mich an, Du Fremde, in Deinem Glanz? Kalt ist er mir, +kalter und ferner Nordlandschein. + +Und der alte Herr, der uns da entgegenkommt -- ja lauf ihm nur in die +Arme! Was kümmert Ihr mich, Ihr beide! + +Dokumente »aus der Schwedenzeit« will er hier aufstöbern. Und sie sagt +das mit ihrem strahlenden Gleichmut. Die Schwedenzeit! Wißt Ihr nicht, +daß sie ein Brandmal ist und ein Schandmal! Für uns das eine, das andere +für Euch. Wie habt Ihr die deutschen Lande gebrandschatzt, ihre Bewohner +gefoltert, die deutschen Seelen gepeinigt und verheert. Was habt Ihr als +Raubgut über die Ostsee verfrachtet! Das ausgeplünderte Deutschland, +Eure Schlösser, Eure Geschlechter hat es reich gemacht. + +Und nun kommst Du, der Erforscher dieser verruchten und verfluchten Zeit +-- fast so verrucht und verflucht wie die unsere! Kommst Du nicht mit +einem Kopf daher, der wie geschnitten ist aus einem Bild jener zehnfach +vermaledeiten Tage! Den Du noch barhaupt trägst, mit dem Hut in der +Hand, ihn besonders zu bekräftigen! + +Das graue Haar hängt lang bis auf den breiten Klappkragen hinab -- warum +ist es kein Spitzenkragen? Der paßte schon zu dem betonten Knebelbart! +Und der Reiterobrist in Baners oder Torstensons Heerschar wäre fertig. +Weht an dem grauen Schlapphut nicht die Straußenfeder? + +Will dieser Mann einen alten Schweden uns vormimen? Will er uns höhnen +mit dem dreißigjährigen Krieg, will er -- was noch schlimmer wäre -- +unsere heutige höllenböse Zeit mit ihm trösten? + +Gewappnet tritt Horst dem Herrn entgegen. Aber, wie er ihm in die Augen +sieht, machen die ihn wehrlos. Von so junger, fast jungenhafter +Treuherzigkeit sind sie und von so inniger Kraft reifen Denkens und +ehrlichen Glaubens. Hier ist nichts von Schaustellung, von Pose und +Geste. Ganz natürlich ist das Gepräge des Gesichts hineingewachsen in +die Zeit, in die seine Arbeit sich vertieft. Der vornehme Kopf eines +ernsten Forschers neigt sich grüßend von der hohen, sehnigen Gestalt zu +Horst herüber. + +Das gemeinsame Fachgebiet führt sie gleich enger zusammen. Mitteilsam, +wie seine Tochter, erzählt Oberst Thorild, daß er hier den Spuren Bauers +nachgehe, dessen Leben und Kriegskunst seine letzten Untersuchungen +behandeln. + +Wie frei und froh sie sich aussprechen, diese glücklichen, unberührten, +von Krieg und Not und Schmach nicht zu Tode geschundenen Menschen! Was +hat das Elend, die Unehre, die Schande aus uns gemacht! Was sind wir +karg und schweigsam geworden, mürrisch, mißtrauisch, verschlossen und +verkrochen! Und mit Neid blickt er die beiden an, und wieder mit einem +Zorn. + +Dann aber, als auch der Vater sein Bekenntnis für Deutschland ablegt, +hebt sich sein Sinn wieder höher und flammt und schlägt dem Bekenner +entgegen. + +Der alte Herr hält sich tapfer zurück. Nicht zu viel seines Mitgefühls +gibt er mit einem Male her, um das Bejammernswerte nicht allzu +schmerzlich hervorzukehren. Dafür muß erst noch ihre Freundschaft +wachsen. + +Ermutigendes spricht er. In dem Siedlungswerk sieht er ein Heil. +Auch bei ihnen in Schweden sei es not, neue Wohnungs- und +Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und die Menschen bodenständig zu +machen, zu erdfesten eigenen Herren. Er selbst sei in der +Siedlungsbewegung tätig und habe eigenes Land hergegeben. Gern würde er +sich einmal die Hohenmoorer Niederlassung ansehen. Dann bat er Horst, +sie in ihrem nahen Landhause zu besuchen. Und Ingeborg fügte hinzu: +»Nicht wahr, Sie kommen bald!« + +So klang in dem Lebensakkord von Horst ein neuer Ton auf. Die Freunde +hoben den Kopf, als er heute abend heimkam. Kunz, dem Gisbert immer mehr +entglitt, schnaufte fröhlich vor sich hin. Man gewöhnte sich schon +daran, unter Schemen und Gespenstern hinzugleiten -- wollen wir jetzt +wieder an unsere Blutwärme glauben, an unsere Muskeln? + +Und nun weiter zum Krieg gegen die Friedensnot! Freudig hart werde unser +Sinn, hart wie unsere Hände! + + + + + Die Liebenden + + +Gisbert war auf dem Wege nach Moorhof zu Frau Tilde. Er hatte heute +wieder schwer gearbeitet, bei dem Neubau des Hauses. Seine Frauenhände +waren voller Schwielen, aber sein Sinn wurde nicht hart, nicht so, wie +Kunz es wollte. + +Auf Tildes Schultern lag die ganze Last zweier Gutswirtschaften. Mit dem +Morgengrauen war sie auf den Beinen und des Abends rechtschaffen müde. +Manch stille Stunde saßen die beiden Menschen zusammen und ruhten +ineinander aus. Sie waren sich so nahe und vertraut, daß in ihrem +Schweigen die tiefsten Harmonien klangen. + +Heute traf Gisbert eine Gutsnachbarin bei ihr, die umfangreichste Dame +des Umkreises, seelisch angefüllt von Viehpreisen und Fragen der +Milchwirtschaft. Zum Glück war sie im Begriff zu gehen. + +Als sie hinausgewuchtet war, sann Frau Tilde der Masse nach, schüttelte +den Kopf und sprach still vor sich hin: »Das Goethewort: Materie nie +ohne Geist!« Das war scherzhaft milde gemeint, und doch horchte Gisbert +auf. Denn zum ersten Mal fand er so etwas wie Bitterkeit und Schärfe in +Wort und Wesen der vergötterten Frau. Und seine Knabenaugen starrten +ratlos auf die leise Unruhe, in der sie bebte. + +Immer nur hatte sein eigenes Glück ihm geschienen, immer hatte er in +dessen Widerschein die Herrin gesehen. Immer war das Gefühl der +Gemeinsamkeit über ihm -- was er selbst empfand, ließ er auch sie +empfinden. Wollte der Dienende sein, und ließ nur sein Eigenleben +leuchten. Hatte er je den feinen Schattierungen ihres Fühlens +nachgespürt? Wieviel an Schicksal trug doch diese Frau. + +Und nun -- an einer leisen Regung bei ihr -- ward es ihm bewußt, wie +sehr ihr Leben Mangel litt, und er mußte sich fragen: was habe ich, ich +ihr zu geben? Was kann die Blässe meines Gedankentums ihr sein? + +Vor dieser Frage aber erschrak er tief. In seine junge Ahnungslosigkeit +griff das Grauen: werde ich sie halten können, muß ich sie nicht +verlieren? Sie halten? Wer war er! Hatte er ein Recht auf sie? Ihr +Knecht war er, ihr treuer Fridolin, in Stücke ließ er sich für sie +zerhauen. Und wenn der Geistesflug in gleiche Bahnen sie führte, blieb +er nicht auch hier nur als Knappe ihr zur Seite? + +Unbarmherzig sah er das Leben, strich die Schwärmerei aus Augen und +Sinnen und packte die harte Wirklichkeit an. + +Was ist das Los dieser reichsten, herrlichsten, innigsten der Frauen? +Mit einem gemütskranken Mann muß sie das Leben teilen. Und lag nicht das +Unglück auf all ihren Wegen? Sind nicht alle von ihr gegangen? Um die +ihre Liebe sich schlang? + +Wo ist die Hand, die in ein neues Dasein sie reißt! Die kraftvolle +Männerhand, die sie erlöst! Ins Glück sie erlöst! Nur so, nur so kann +ihr Leben sich erfüllen! Und schonungslos betrachtete er sich selbst, +wie wenig er selber hatte von kraftvoller Hand, von einem Erfüller und +Vollender. + +Dann wieder regte es sich gläubig in seinem jungen Herzen. Bin ich nicht +noch im Werden, im Wachsen! Und wie kann ich wachsen, gerade am Wesen +dieser Frau! Und eben in diesem jungen Herzen sprühten jetzt die Funken: +wie schön ist sie! Und die Flammen erschreckten ihn, er mußte sie +zerdrücken und austilgen mit allen Kräften seiner Seele. + +Es war eine Rettung, daß Frau Tilde von ihrer fleischigen Nachbarin zu +reden anfing. Die hätte, über ihre Buttermaschinen hinaus, ihr die +Einladung zu einer spiritistischen Sitzung gebracht. Nun lachte Gisbert +hell auf. Frau Tilde, aus den Höhen und Weihen ihrer spirituellen +Einsamkeit, der allein sich das Übersinnliche auftun konnte, +hineinversetzt in die beklagenswerte Runde tischrückender Sekten! + +Beklagenswert -- das war der Grundton in Tildes Betrachtung. Diese armen +Menschen! Und dieser armen Menschen arme Geister! Die auf Tischbeinen +einherspazieren und die übelsten Trivialitäten den verzückten Gläubigen +in die offenen Münder fliegen lassen. + +Wer nicht den innersten Trieb hat mit seinen Geistern allein zu sein, +wer ein Gesellschaftsspiel mit ihnen vollführt, wer sie sich erst durch +die Hirne anderer, ob krankhaft ob nicht, hindurchfiltrieren lassen muß, +wie unsagbar traurig sieht es in solchen Seelen aus! + +Mir allein gehören meine Geister, zu mir allein sprechen sie, nie werden +sie die anderen vernehmen lassen, was uns verbindet. Nicht nur meine +Träume, die nur meine sind, führen sie zu mir, nicht nur die Andacht +meiner Nächte, auch die dürstende, »an der Sphäre saugende« Sehnsucht +meiner wachen Stunden. Und sie kommen zu mir, im Waldesschatten, im +Quellengemurmel, aus den Sonnenkreisen des Buchengrundes steigen sie +auf, von den lichtumsäumten Wolkenbildern schweben sie zu mir nieder. +Und sie sprechen zu mir, nur zu mir, denn nur ich verstehe ihre Sprache. +Und ich weiß, daß sie sind -- so wahr ich bin und so wahr ich sein werde +wie sie. + +Nun aber, nach diesem milden Bedauern, stieg ein ehrlicher Zorn auf. +Mein Mitleid allen dumpfen Gehirnen, die nur im Dunst des Herdentums +ihre Regungen haben! Duldung auch den gutgläubigen Priestern und +Hohenpriestern dieses für mich armseligsten und schwachsinnigsten aller +Kulte. Was aber soll man zu den Ausbeutern sagen, die sich hier eine +Macht und eine Industrie aus geistig Bedürftigen bereiten! Gewiß, trübe +Neurastheniker zum Teil, die sich suggerieren, sie glauben das, was sie +die andern glauben machen wollen. Die vielen aber unsaubere Scharlatane +von Beruf, die mit Bewußtsein die Seelen und Börsen in ihre schmierigen +Erpresserhände nehmen und froh sind, sich ins Unkontrollierbare gerettet +zu haben. + +So Frau Tilde. Nie hatte Gisbert solch harte Worte von ihr gehört. Waren +es eigene Erlebnisse, die so steil und spitz sie aufrichteten? Und +wieder, an ihrem Zorn wie vorhin an ihrer Bitterkeit, empfand er etwas +von der Lücke, die durch ihr Leben ging. + +Er hatte, wenn er sie nicht bei der Arbeit sah, sie versenkt gefunden in +ihre gläubige Güte, erhoben in ein abgeklärtes Schauen. Jetzt, wo die +Erregung sie durchpulste und in ihren Augen Feuer zuckten, floß es heiß +durch ihn selber hin und seine Sinne loderten. Wieder die singenden +Flammen! + +Und wie er heimwärts schritt, sang das Feuer in ihm weiter. Und über ihm +immer die eine Frage. Meine Herrin darbt und ist in Not. Sie friert in +ihrer Höhe. Läutet nicht irdisches Sehnen auch in ihrem jungen Herzen? +Was kann ich ihr sein? Was kann ich ihr geben? + +Dann wies er diese Frage, diese rohe Frage von sich. Die alles in das +Elend der werbenden Sinne zog. Und er hob sich empor auf den Schwingen +seiner alten selig reinen Liebesweise. + +Ich lebe in dem Gedanken, daß Du bist. Ich atme die Gewißheit Deiner +Nähe. Meine Träume flüstern Deinen Namen -- beseelt ist mein Dasein von +Deinem Wesen -- -- + +Aber das Lied verklang im Entstehen, seine Melodien starben hin, seine +Macht ging unter in dem Rauschen des Blutes. + +Und bei ihm blieb das große Grauen, wie schön sie war. -- + +In Gisberts und Kunzens Verschlag flatterten diese Nacht flügelschwere +Träume. + +Kunz hatte von der Jagdstreife mit seiner Vita ein blutunterlaufenes +Auge nach Hause getragen. + +Dies eine war ihm gleich das erstemal aufgegangen: mit seinem Mädchen +als Scharfschütz war es nichts und konnte es nichts werden. Schon auf +dem Scheibenstand hatten Auge und Hand versagt. »Die Pappe ist nichts +für mich!« war ihre Ausrede, und die grünen Augen gleißten, »jagdbares +Wild muß ich vor dem Lauf haben!« + +Kunz nickte ihr zu, listig und anfeuernd. »Dann soll es aber auch gleich +einen Massenmord geben! Wir wollen uns die Kaninchen beibiegen, die da +oben in der Kiefernschonung wimmeln. Kommen Sie, Vita. Herrin über den +Tod.« + +In ihrem Auge war Zorn. Scherzreden vertrug sie nicht, weil sie unsicher +war. + +Durch Hochwald müssen sie, durch Eichen, Buchen, Edeltannen. Still +schmiegt sich das Sonnenlicht um die unbewegten Wipfel. Da, ein +Schaukeln in den Zweigen, ein Rauschen. Sie blicken auf. Vita sieht nur +die geschnellten Äste. »Holen Sie sich den!« ruft Kunz. Sie weiß noch +nicht, was er meint. Endlich, da sie seinem Finger folgt, gewahrt auch +sie das Eichhörnchen. + +»Das soll ich schießen?« + +»Natürlich.« + +Sie nimmt die Büchsflinte an die Backe -- zielt -- schlägt an -- und +fehlt. Schnalzend hüpft das Tier weiter. Hohn sind diese Zungenlaute. +Die Jägerin stampft mit dem Fuß auf. + +So neugierig still hat der Nager gesessen. Besser hätte es ihr gar nicht +werden können. Sie weiß es selbst, schielt nach Kunz, der sich nichts +merken läßt, und gerade so reizt er ihre Wut. Und sie spricht +Unbedachtes. »Es war ein Seelisches dabei.« + +»So.« + +»Ich hab die Eichkätzchen so gern.« + +»Versteh ich. Obschon sie die mordgierigsten aller Waldräuber sind.« + +»Gleichviel. Ich lieb sie. Und wenn es keine bestimmte Absicht war, daß +ich vorbeischoß -- eine innere Stimme sprach mit.« + +»Nun, bei den Kaninchen wird keine innere Stimme mitsprechen.« Er sieht +todernst aus, feierlich. Und Vita haßt ihn. + +Sie nähern sich dem Kiefernbestand, den sandigen Anhöhen. Da hoppeln +schon ein paar von den »gottvergessenen Grauen« über die Schneise. Vom +Wege her, der die Schonung umsäumt, leuchten die Goldtupfen der +blühenden Ginstersträuche ihnen zu. + +»Da setzen wir uns hin«, sagt Kunz. »Dann haben wir eine ganze Kolonie +dieses fidelen Gesindels vor uns.« Und sie kauern sich unter die +Blütenpracht. Was ist Kunz das Jagen? Vita aber will töten. Und die +Kreatur des Waldes läßt es an sich nicht fehlen. + +Eine unterirdische Stadt der wühlenden Kobolde liegt ihnen gegenüber. +Bei dem sonnigen Wetter sind viele vor den Toren, äsen, springen, +spielen, punktieren mit den weißen Schwanzlichtern fröhlich den +Waldesdämmer. Kunz lädt das Gewehr. »Jetzt wollen wir also Verhängnis +sein.« + +Diese dummen hohen Worte in der absichtlichen Tonlosigkeit -- weiß er +nicht, wie sehr die sie stören, wie unsicher die sie machen! Ist das +noch Freundschaft! + +Trotzig reißt sie die Flinte an sich, schießt -- und macht wieder, mit +all den Schrotkörnern, nur Löcher in die Luft. Die Tiere hat die gute +Mutter Erde eingeschluckt. + +Wie ein Lämmerschwanz schlägt ihr das kleine Herz. So heftig böse ist +sie, zerbeißt sich die verschluckten Tränen im Munde und zischt sie von +sich. + +Kunz aber, der verkehrt Trostreiche, spricht: »Das war nun erstmal die +Warnung! So sind wir, denn blindes Schicksal sind wir nicht. Nun soll +aber den Ersten, den Frechsten, der sich wieder zeigt, das verdiente Los +treffen.« + +Wieder steckt er die Patrone in den Lauf. Sie lehnt in dem Ginstergold. +Was da irisiert in ihren Augen -- ist nicht ein Schmerz dabei, eine +Klage, ein Zagen, ein Bedürftiges, eine Demut? Aber hastig greift sie +nach der geladenen Waffe, wie nach ihrem Recht, ihrer Rechtfertigung, +ihrem Ausweis. Diesmal muß es gelingen! + +Sie liegen auf der Lauer. Noch sind die Viecher vergrämt. Hier und da +lugen ein paar scheue runde Augen aus den Erdröhren. + +Da -- ein Neugierling hebt den Kopf zum Bau heraus -- dreht ihn und lugt +-- hebt ihn weiter -- die Vorderfüße kommen nach -- nun steht der +Bursche auf vier Beinen -- blickt sich noch einmal um und putzt sich +dann sorglos die Nase. + +Ein Knall -- + +Er bleibt sitzen, ganz erstaunte Frage. Macht seine Männchen zu Ende -- +Vita hört die Bestie kichern -- und flitzt dann erst wieder in sein +Erdloch. + +Nun ist es mit der Jägerin aus und vorbei. Sie hat sich ins Gras +geworfen, drückt das Gesicht in die Halme, und nur die trommelnden Beine +führen eine beredte Sprache ihrer Herzensnot. + +Hier ist jetzt der redliche Trost am Platz. Kunz redet ihr zu. »Liebe +kleine Vita -- das Schießen fordert nun einmal eine gewisse plumpe +Begabung -- wie das Bauchreden und das Mitdenohrenwackeln. Wer dies +nicht kann oder das nicht kann -- braucht der sich der Verzweiflung zu +ergeben?« + +Und nun erzählt er und lügt er ihr vor aus dem Schatz seiner Unbildung. +»Wissen Sie, daß Lykurgos, der große spartanische Kriegsheld, dem Titus +Livius zufolge im Bogenschießen als Junge das Mitleid aller seiner +Mitschüler in der Arena erregte? Karl der Große war auf der Jagd ein +höchst mäßiger Speerwerfer, während Karl der Dicke nie ein Wild fehlte. +Wenn Prinz Eugen eine Reiterpistole zur Hand nahm, duckte sich nicht +bloß seine Umgebung, meilenweit in der Runde alle österreichischen +Regimenter duckten sich. Und der alte Zieten kniff beim Zielen immer das +verkehrte Auge zu.« Aber viel hilft das alles nicht, Vita bleibt +verstockt in ihrem Schmerz, fühlt sich immer mehr gekränkt, je mehr er +sie tröstet, und schließlich durch ihn gekränkt, den Tröster, der auch +ihr Lehrmeister gewesen. Ein schöner Lehrmeister! An ihm liegt die +Schuld! + +Und alles, was so in dem Köpfchen herumtanzt an Wirbel und Wolken, das +schlägt sich dann nieder. Sie starrt in die Weite, sucht irgendeine +Zuflucht, sehnsüchtig vertieft sich das Grün der Augen zu tiefstem +Smaragd, und Perlen leuchten auf seinem Grunde, richtige Tränen. + +Dies ist die Stunde, von Schönheit gesegnet, die letzte ihrer lieben +lächerlichen Kinderschmerzen -- jetzt wird in ihr das Magedin geboren! +Von jetzt an wird sie mein Mädchen sein. + +Und Kunz zieht sich näher zu ihr hinan. Seine Hand nimmt innig ihre +spitze Knabenschulter. Steil setzt sie sich hin, zur Abwehr und Gewähr. +Kunz aber fackelt jetzt nicht lange. Ihren Nacken umschlingt er, ihren +Kopf, ihre Lippen beugt er sich zu. + +Da aber -- ein Schreck, glückhaft und furchtbar in seiner Seligkeit -- +und dann ist alles phosphoreszierende Wildheit und fauchendes Ungestüm. +Sie greift das Gewehr mit beiden Händen, hält es breit ihm entgegen, +Schlagbaum, trennende Grenze soll es sein -- er achtet den +Trennungsstrich nicht und dringt siegreich lachend auf sie ein -- da +stößt sie blindlings den schweren Stab zwischen den beiden Fäusten ihm +entgegen, hart trifft das Schloß das Stirnbein über dem Auge -- die +Funken sprühen ihm -- unwillkürlich zuckt er zurück -- da springt sie +auf und rennt von ihm -- kehrt halbwegs wieder um, zu sehen, was sie ihm +getan -- und will ihm helfen und kann es nicht -- und stürzt in hohen +Sprüngen waldeinwärts. + +Und Kunz -- Kunz ist vor den Kopf geschlagen. Dann verfällt er in +schweres Sinnen. Ich dachte, es wäre soweit. Und nun war es zu früh. Und +was ich jetzt angerichtet habe! War ich ein Unhold gegen pastorale +Sitten? Er faßt sich an den Kopf. + + O du Penthesilea + Mein Aug tut immer weha. + +Wie hab ich von holdseligem Liebesleben geträumt! Aber für ein +Liebesleben mit Dir muß man erst einen Kursus bei Achim, dem +Knochenkrachim, nehmen. + +Was wird nun werden? »Mädchenseelen sind von Kristall!« Er hört es in +der Trompetenstimme seiner nunmehr antiker Form sich nähernden +jungfräulichen Tante Olga, die es ganz gewiß wissen mußte. Hat er hier +etwas zerschlagen und zersplittert? + +Was wird nun werden? Und der nackenfeste Kunz schleicht doch jetzt etwas +geduckt nach Hause. + +O Kater Kunz, was hat Dein Kätzchen Dich gestriegelt! Und seine Träume +sind voll Krallen. + + + + + Das Haus + + +Weidlich gezaust und gekraust wachte er am andern Morgen auf und war +ganz in der Verfassung, mit Dankwart, dem Skeptiker, in den kommenden +Tag sich hineinzugrimmen. + +Dessen Gedanken waren wie ihrer aller bei dem Haus, das kräftig und frei +und stolz in die Höhe ging, aber er hatte seine bösen Beklemmungen, die +er los werden mußte. Stoßweise kam es hervor. »Das Haus -- wird man +seiner recht froh? Wenn auch alle ihre frömmsten und kugelrundesten +Augen dazu machen.« + +»Das laß sie.« Kunz blies in dasselbe Horn. »Immer gefühlvoll -- wie +können wir auch anders! Es gibt eine Franzosenkrankheit, und es gibt +eine deutsche Krankheit -- und unsere ist die Sentimentalität. Das Haus +-- die holde Stätte des Friedens. Und das eine ist selbstverständlich: +jetzt kommt das Vielliebe auch über uns, sie, die ganze soziale Wonne.« + +»Mit der Frage, wer dieses Haus beziehen soll.« + +»Die eigentlich keine Frage ist.« + +»Du meinst, Horst gehört da hinein.« + +»Natürlich. Und Du mit Deiner Werkstatt. Und das Bureau.« + +»Das meinst Du. Aber die andern meinen auch. Und sie meinen anders. Wird +unser heiliger Zimmermann nicht predigen?« + +»Natürlich wird er das. >Die Ersten sollen die Letzten sein!< wird er +predigen. Wobei man sich immer fragt: wie lange, nachdem nun die Letzten +die Ersten geworden sind! Und unser praktischer Maurer wird daraus die +ihm genehme Forderung ziehen. Und mein Liebling, der Metzling, grinst +als Abgesang seine sozialwissenschaftlichen Theorien herunter -- hol der +Deixer den Feixer! Aber, Du lieber Gott -- was wollen die! Horst hat ja +doch schließlich alles in der Hand.« + +»Ja. Wenn er die Hand noch hätte! Überall und auch hier kommt erst mal +das Geistige -- früher hätte er so gesprochen!« + +»Das wird er ihnen auch heute sagen. Und das wollen sie ja hören. Sie +sehnen sich danach, gerade die am meisten, die ihre armselige Materie +herauskehren. Führerschaft ist, was sie wollen! Was sie brauchen!« + +»Bloß Horst -- will er denn noch seine eigene Führerschaft?« + +»Wie kannst Du das sagen! Er hat sich doch längst wieder beisammen.« + +»Nein, Kunz, das hat er eben nicht. Und das kriegt er auch nicht. Und +darum kriegt er auch uns hier nicht mehr zusammen. Du wirst es ja sehen. +Und nun laß mich. Ich hab die eine Schraube noch nicht.« + +Er arbeitete an einem Flugzeugmodell mit ganz neuem Propeller-System und +zog sinnend über die Heide. Und Kunz blieb allein. Nie waren seine +Gedanken so schwer über Liebe und Leben. Aber stecken blieb er nicht in +dem zähen Brei. Es gab etwas zu tun. Über Horst zu reden, das lag ihm +weniger. Mit Horst wollte er sprechen, frei von der Leber. + +Horst saß in dem engen Verschlag, der sich Bureau nannte, über den +Rechnungsbüchern. + +»Nun, wie stehen die Papiere?« fragte Kunz. + +»Kümmerlich.« + +»Wie können sie hier anders als kümmern. Zum Rechnen gehört auch ein +genius loci. Hier aber ist mehr locus als genius. Im neuen Haus wirst Du +den angemessenen Raum haben.« + +»Ich -- im neuen Haus? Und einen Bureauraum! Die Stimmung ist anders.« +Er sagte es dumpf und unfroh. + +»Stimmung -- was Stimmung! Stimmung wird gemacht und Du wirst sie +machen!« + +Horst sah ihn an mit großen Augen. Sie waren nicht ganz bei der Sache. +Ihr Ausdruck war müde. Dann sprach er still und fest: »Gerade hier will +ich nicht eingreifen. Es geht Dir um Selbstverständliches -- mir im +Grunde auch. Aber eben deshalb lasse ich die Sache an mich herankommen. +Ein Führer braucht etwas, was ihn trägt.« + +Weiter war er nicht zu sprechen, der Rechnungsabschluß drängte. Kunz +aber fragte sich: ist das ein Wort, ein Manneswort? Ist es einer Ausrede +ähnlich? Wie schlimm, daß solches Mißtrauen an einem schmarutzt! Aber -- +hat Dankwart nicht recht und bleibt es nicht dabei, daß Horst nicht mehr +der Alte ist? -- + +Sitzung der Siedler. In vierzehn Tagen etwa steht das Richtfest des +Hauses bevor. Sie wollen sich heute schlüssig werden, wer es beziehen +soll. Für zwei Familien ist es berechnet. Darum ist auch Familie das +Merkwort für die Geister. + +Horst nimmt vorher die Freunde beiseite. »Wir wollen die Leute ruhig +sich ausdenken und ausreden lassen.« + +Kunz erhebt Einwand. »Ausreden, Du lieber Gott! Soll hier jeder wieder +seinen Ochsenmaulsalat bereiten! Gut -- wir sind hier an +Mehrheitsbeschlüsse gebunden. Wir sind in der Politik. In der Politik +aber gilt die Agitation und nichts Dümmeres gibt es hier als die spröde +Vornehmheit.« + +Doch der Wunsch von Horst bleibt bestehen. Soviel Kunz auch schilt: nun +horstet er wieder in seiner Erhabenheit. Und es kommt im wesentlichen, +wie Dankwart es angekündigt hat. + +Horst spricht die einleitenden Worte: es sei davon die Rede gewesen, zu +losen. Aber dies blöde, blinde Ungefähr sei ihrer nicht würdig. Wählen +wollten sie. Er bitte um Vorschläge. + +Maurer Mulitz ist treulich zur Stelle. Sie hätten sich das durch den +Kopf gehen lassen. Zwei Kameraden wären so gut wie Familienhäupter. +Zuerst Lüders, der mit einer Witfrau, Mutter von zwei Kindern, verlobt +wäre. Und dann Hofmann, dessen Braut ein Kind erwarte. Beides Kameraden, +gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Sie, so wäre die Meinung, +hätten die erste Anwartschaft auf das neue Siedlerhaus. + +Ist die Begründung für alle zwingend? Aber Meinung ist jedenfalls +Meinung. Und Klassensinn bleibt Klassensinn. + +Gegenvorschläge tragen ihr Mal an der Stirn. Und Kunz, der sie macht, +befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er zornig ist. »Ich habe +ja gewiß nichts gegen Lüders und Hoffmann einzuwenden. Auch für Bräute +und Witwen mit und ohne Kinder habe ich eine fühlende Brust. Aber bei +jedem Werk ist nun mal die Leitung die Hauptsache, und der Kopf muß +besser und höher liegen als die Beine. Darum und um dessentwillen: unser +erstes Haus gehört zuerst einmal dem Gründer und Führer unserer +Siedlerschaft für seine Arbeit an unserem Werk. Da er nicht alle Räume +für sich braucht, mag er sich seinen oder seine Hausgenossen aussuchen!« + +In den Worten, deren Ton mühselig die Grenze wahrt, schnaubt seine +Erregung. Und die ist es, die Widerhall und Widerstand erweckt. Die +Meinung steift sich gegen ihn, in dem sattsam gehegten und gepflegten +Zeichen des Sozialen. Und der schlaue Metzling weiß wohl, was er +spricht: »Wir möchten, daß Herr Oldefeld sich selbst hierzu äußert. Wenn +es sein ausdrücklicher Wunsch ist --« Die Pause ist inhaltschwer. + +Darauf Horst sehr gehalten: »Ich soll hier einen Wunsch aussprechen, der +von mir ausgesprochen kein Wunsch mehr ist.« + +Kunz schlägt sich aufs Knie und blickt zuckend zu Dankwart hinüber. Nun +hat er sich von dem Feixer auf den Leim locken lassen und spricht +Feinheiten. Und noch schlimmer, empfindet sie. Die andern aber haben es +nicht nötig, sie zu verstehen. Wenn sie überhaupt Sinn dafür haben. Um +so bereitwilliger fliegt ihr Verständnis den letzten Worten von Horst +entgegen: »Im übrigen bin ich dadurch, daß ich an der Spitze stehe, +bevorzugt genug. Und dieser Vorzug nimmt gern die kleinen +Unbequemlichkeiten in Kauf. Außerdem sollen bei uns ganz gewiß auch die +Rangverhältnisse des Bedarfes und der Bedürftigkeit gelten. Die beiden +Kameraden brauchen zuerst ein Nest -- sie sollen es haben.« + +In den Worten, die immer bestimmter wurden, fehlte etwas von dem alten +Herzenston, der sonst die Gemüter zwang. Aber die Wirkung blieb nicht +aus, die Augen leuchteten ihm zu. + +Dankwarts harte Dürftigkeit grollte: Ist er jetzt wie einer, der bei der +Masse sich schustern will! Immer schwerer, aus ihm klug zu werden! + +Gisbert, treu bei der Sache, sobald er seine Gedanken in die Erdenbahn +gezwungen, stand lebhaft auf und drückte Horst die Hand. Kunz aber +stöhnte laut auf zu diesem lebenden Bild, zu solcher politischen Gruppe. +Nun ist er bei der Lotosblume angelangt, jetzt wird er mit dem +Hinduknaben sich weiter zerpflücken und zerfasern. Sein Grimm, der +Scheltworte brauchte, benannte die beiden vor Dankwart »die +Indiafaserkompagnie«, und der quittierte mit gezerrtem Lachen. Und Kunz +klagte sich aus: so bleibt also wieder mal die Empfindsamkeit Trumpf, +und wie ist sie uns so not, so bitter not, die gesunde Rohheit unserer +Urnatur! + +Die beiden, Horst und Gisbert, gingen in den Abend hinein. Mit ganzer +Zärtlichkeit umfing Horst den jungen Freund. Er fand in dessen Augen, +die sonst so gläubig sich verklärten, die Tiefen einer dunklen Angst. Er +ahnte wohl, was ihn so quälte und umtrieb. Aber war dies nicht zarter +und feiner, als daß hieran selbst Gedanken rühren durften! + +Sie wanderten still. Horst war auf dem Wege zu dem Landhaus der +Schweden, wo er den Abend verbringen sollte. Er dachte nicht anders, als +daß Gisberts Ziel das Moorhofer Herrenhaus sei. Aber wie ihre Wege sich +trennten, ging er die Höhen hinauf, nach den Dünen zu, an die See. + +Sie alle badeten am Tage, meist in der Morgenfrühe. Er war der einzige, +der den Abend dazu wählte. Wie alles bei ihm Naturandacht war, so auch +sein Schwimmen. + +Hineintauchen in die Dunkelheit, mit dem weißen Leib die schwarze Flut +beseelen, der Lichtbahn eines Sterns sich hingeben, dem Staub der Erde +entfliehen, aufgehen in das schweigende, sternenhohe, gütig verhüllte, +gnädig sich entschleiernde selige All -- das war seines Schwimmens +heilige Lust. + +Er hatte wie keiner die Kunst, sich auf die Flut zu legen, sich von ihr +tragen zu lassen, ohne daß er ein Glied rührte, auszuruhen auf ihr in +Schlaf und Traum. Wie eine Mutter hielt ihn das Meer in den Armen. + +Noch war es ihm zu früh für sein Bad. Auf einem der Hügel ließ er sich +nieder, hier sah Horst ihn sitzen, die Hände verschränkt um die Knie, +und mit zurückgebeugtem Antlitz in den Abendstern, den der Osten +emportrug, sich hineinheben. + +Der Abendstern, der Morgenstern, der Liebesstern -- aller Zeiten der +Stern bist Du! + +Und Du, Gisbert, flüchtest Du Dich nicht bewußt aus der Sinnenwelt in +diesen Sternenglanz? + +Lange noch sah Horst die Silhouette gegen den Abendhimmel -- die feine +überschlanke Gestalt, diese zarten in die Dämmerung gestrichelten, mit +der Dämmerung sich lösenden Linien, die schon nichts Körperliches mehr +hatten. + +Und Horst stockte der Fuß auf seinem Weg. Da geh ich nun zu den Fremden +-- und Gisbert, mein lieber Junge, schwindet uns hier unter den Händen. +Muß ich -- ich vor den andern ihn nicht halten und hegen! + +Wär nicht diese Scheu um ihn, diese sprödeste Wehr, und in ihm dies +Rührmichnichtan, das vor jedem Wort versteinert, das schon vor einem +Ahnen des andern zusammenschauert. Was hat es zu leiden, das deutsche +Blut! + +Wie kann er dem Freunde helfen, da er nur erschrecken und wehtun würde. +Und ist in ihm selbst nicht diese Scheu? Dieses Heiligtum der +Schweigsamkeit, das niemand betreten darf? + +Jetzt führt ihn sein Weg zu den Fremden, denen aufs neue er widerstrebt. +Was will er bei ihnen, was soll er bei ihnen? Blutsverwandte ja -- aber +wie weit blieben sie vom Schuß! Diese lieben germanischen Neutralen! Wie +haben sie sich gepflegt, da die Not uns verzehrte, wie wohl lassen sie +es jetzt sich sein, da Elend und Schande uns zerfressen. Was soll ich +bei diesen Menschen mit den wohlig satten Muskeln und den gut genährten +Gehirnen? + + + + + Freunde in der Not + + +In Freundschaft aber löste dieser Abend allen Unmut und Unwillen. + +Eine Flut von Licht empfing ihn, in dem einfachen hellen Landhaus mit +seinen strahlenden Birkenmöbeln. Alle Lampen brannten, auch die in den +unbenutzten Räumen. Das liebte Herr Thorild so. Wieder bei Horst so +etwas wie Zorn: nun ja, sie haben es und können es, denn sie haben die +Valuta. + +Aber auch in diesen Menschen brannte alles Licht ihrer Herzlichkeit. Und +sein Mißtrauen, das dagegen aufflackerte, als ob hier zuviel Güte und +Mitleid wäre, war bald im Erlöschen. + +Wie gut sprachen sie von Deutschland, wie gut verstanden sie deutsche +Art, das deutsche Leid, die deutsche Schuld, das bresthafte deutsche +Dasein. + +Mehr als einmal schüttelte Oberst Thorild schwer den Kopf. »Daß Ihr aus +der Parteizerrissenheit nicht herauskommt, nicht aus Eurer +Selbstzerfleischung! Die Fremden peitschen Euch in Wut -- und Ihr geht +Euch selber an die Gurgel. Nicht leicht ist es, Euch zu begreifen. Kein +Land hat soviel Herz und Hirn -- kein Land, dank seiner Parteipolitik, +so viel herzlose Rechner und hirnwütige Verbrecher.« + +Horst nickte dazu mit düsteren Augen. + +»Euer großer Physiker hat mit dem von ihm gefundenen Gesetz das deutsche +Wesen auf die rechte Formel gebracht: innere Wärme entlädt sich in +äußere Bewegung. Vielleicht ist es Euer Fluch, daß Ihr zu viel innere +Wärme habt, daß die sich in zu viel äußere Bewegung umsetzt, die Euch so +heillos in Fetzen zerreißt. Das Stillhalten freilich ist nie unsere, der +Germanen Sache gewesen. Im Draufgehen waren wir groß und im Dulden klein +-- schon Tacitus hat es uns bezeugt.« + +In diesem »uns« war ein Bekenntnis. + +Und dann schloß er diese Gedankenreihe: »Im Ertragen von Leiden sind +Euch die Serben, die Franzosen und andere Völkerschaften nun schon +überlegen. Die Franzosen zumal, das femininste aller Mischvölker, das in +den Wehen sich schon eher zu Hause fühlt. So feminin sind Eure lieben +Nachbarn, daß sie es nicht einmal fertiggebracht haben, für >Mann< ein +Wort zu besitzen. Wo sie es nicht gut entbehren können, begnügen sie +sich stolz wie immer mit dem nichtssagenden, bedeutungslosen >Mensch<!« + +So sprach Ivar Thorild, der Schwede. Und der Deutsche Horst Oldefeld +fühlte sich nicht veranlaßt, ihm zu widersprechen. So wenig, wie das +alte Lied von Hysterie und weibischer Grausamkeit nun noch besonders +anzustimmen. + +»Daß Ihr jetzt, in der furchtbarsten Not, nicht zur Einigkeit gelangen +könnt!« hob der schwedische Oberst wieder an. »Wir sind auch hier mitten +in einer Schuldfrage. Denn es gibt auch eine Schuld nach dem Kriege. Und +bürdet sie nicht dem Feindesbund auf, der Euch vergewaltigt! Hättet Ihr +den Bund im eigenen Land, brauchtet Ihr Euch nicht knechten zu lassen. +All die Schändungen und Verbrechen -- »Sanktionen« heißt der erhabene +Name dafür -- ich sage nur Rheinland, Saargebiet, Oberschlesien -- die +große heilige Zornwelle eines gewaltig sich erhebenden einigen Volkes +hätte diesen Frevel hinweggespült! Aber, Ihr habt was Besseres zu tun, +Ihr müßt Euch untereinander begeifern, abwürgen und zu Boden schlagen.« + +Wahrheit, alte, immer neue, nicht oft genug zu predigende Wahrheit! + +»Und jetzt die andere, die viel berufene Schuldfrage. Die bekannte große +Schuldlüge. Hier beschränke ich mich nun nicht auf völkerpsychologische +Glossen. Hier kann ich mit freundschaftlich praktischer Arbeit +aufwarten. Ich bin nicht ganz unbeteiligt an der neutralen +unparteiischen Kommission zur Untersuchung der Kriegsursachen. Sie hat +demnächst an Herrn Poincaree einige Fragen zu richten, auf deren +Beantwortung oder -- Nichtbeantwortung wir gespannt sind. Daß die +deutsche Regierung nicht blankzieht, daß sie immer nur den Fälschern im +eigenen Lager das Wort läßt, das ist wieder etwas, was wir nun und +nimmer begreifen! Vielleicht ist dies das Unbegreiflichste von allem! +Herrgott« -- und nun spricht der ehrliche Zorn des Blutsverwandten, den +gemeinsame Sache bewegt -- »wollt Ihr denn das gemeinste und verlogenste +Unrecht von der Welt stillschweigend dulden! Die Ihr überhaupt nicht zum +Dulden erschaffen seid. Nicht dulden könnt! Und nicht dulden werdet! +Unrecht am letzten! So bodenlos verlogenes Unrecht am letzten!« + +In diesen Worten brauste ein Kampf- und Kriegsruf. Horst stimmte ein mit +schmerzlich, freudig zuckendem Herzen. Von außen muß uns solches +verkündet werden. Nicht bloß Feinde hat Deutschland auf Erden! Und noch +mehr Freunde würden wir haben, wenn wir selbst noch mehr unsere Freunde +wären, unsere starken, gläubigen, wagemutigen Freunde! + +Und weiter Herr Thorild: »Was laufen auf unserem Planeten für Geister +zweibeinig herum! Daß sie die hirnverbrannteste aller Faseleien sich +aufbinden lassen! Deutschland hat den Krieg vorbereitet. Nicht die +anderen Großmächte der Erde haben Deutschland eingekreist, nein, +Deutschland hat die Welt eingekreist -- Deutschland hat eingekreist! Ist +es nicht zum Radschlagen! Aber grandios einfach die Genialität der +politischen Scharlatane, die mit diesem beispiellosen schlechthin +blödsinnigen Schwindel Geschichte -- und ihre Geschäfte machen. Derselbe +unsägliche Schwindel, mit dem die edlen Franzosen jetzt nach dem Kriege +vor sich und der Welt als die Sieger, als die Sieger schlechthin +paradieren. Dieselbe Nation, die Ihr in ehrlichem Kampfe Volk gegen Volk +derartig zusammengedroschen hättet, daß nichts von ihr übriggeblieben +wäre -- nachdem sie in diesem schmachvollen Würgekrieg mit all den +andern Mächten als Spießgesellen Euch durch das Massengewicht +naturnotwendig erdrückt hat, o Glorie ohne Ende! -- diese Nation +entblödet sich nicht, als die Siegerin sich in die Brust zu werfen! Da +die andern soviel Schamgefühl besitzen, dieses Sieges sich nicht eben zu +rühmen, darf sie allein das Maul vollnehmen von victoire und gloire! Daß +selbst ihre Verbündeten für solche -- Bescheidenheit nur noch ein +Lächeln haben.« + +Auf all die schmerzlichen Erschütterungen, die durch Horst hinbebten, +legte Ingeborg warm den vollen Glanz ihrer jungen lebensinnigen Augen. +Welche Heilkraft strömte von diesem blonden, leuchtenden Mädchentum aus. +Wie Genesung fühlte Horst es durch die wunden Nerven, durch die kranke +Seele rinnen. Was sagt Kunz, der Lebenskundige? Gesundheit steckt an. +Wann war Horst das Blut in so vollen, reichen, kräftigen, frisch +brausenden Wogen durch die Adern geflutet! + +Die Männer sprachen dann über ihre kriegsgeschichtlichen Forschungen. +»Mein Material häuft sich bergehoch,« klagte Herr Thorild, »und ich +werde mit meiner Arbeit nicht fertig. Einen Kompagnon brauche ich. Ich +komme nicht einmal dazu, meine Bücherei zu ordnen --« + +Hier rutschte Ingeborg auf ihrem Stuhl und machte ein längliches, +wundervoll schelmisch gescholtenes Gesicht. + +»Denn mehr als je hat mich, sobald es Frühling wurde, mein Famulus im +Stich gelassen.« + +»Vater -- nach dem langen Winter!« + +»Dem Winter -- mit seinen Eissegelfahrten und seinem +Schlittschuhlaufen!« lächelnd nahm der Vater ihr Kinn. + +Horst sah sie in der farbenjauchzenden dalekarnischen Landestracht mit +fliegenden Zöpfen über das Eis ihre Bogen schlagen! Welch ein Bild. + +Er selbst war ein leidenschaftlicher und kunstvoller Eisläufer. Wieviel +blanke blitzende Kindheits- und Jugenderinnerungen zuckten durch ihn +hin. Wie fröhlich jung er wieder war! Was hatte er diesen beiden +Menschen zu danken! + +Und jetzt schlug der Oberst schlankweg auf den Tisch. »Wie wär es, Herr +Oldefeld, wenn Sie hier einmal Atem holten. Wenn Sie sich einmal unser +Land ansähen, Ihrer Urväter Heimat. Und mein kleines Landgut, mein Haus, +meine Bücherei. Sie sollen auch kein müßiger Zuschauer sein. Ja, als +Lehrmeister brauche ich Sie! Ich sagte Ihnen, daß wir auch siedeln +wollen. Die Gedanken, die Sie mir entwickelt haben, und an denen Sie +hier arbeiten -- vorzüglich! Ich brauche Sie, Herr Oldefeld! Und wäre +Ihnen herzlich dankbar für Ihre Hilfe. Und Sie würden vielleicht neue +Kraft sammeln für Ihren schweren Dienst -- an ihrem Lande.« + +Jetzt fiel auch Ingeborg ein, und wie klang ihrer Worte Melodie! »Sie +fahren mit uns, nicht wahr? Sie kommen in unsere schönste Zeit. Das +Summen unter unseren Sommerlinden sollen Sie erleben. Lindheim heißt +unser Gut. Nirgendwo auf der Welt gibt es solche Linden. Nur noch in der +Heldensage findet man ihresgleichen.« + +Horst konnte nur leise, mit hochatmender Brust den Kopf schütteln zu so +herzbetörender Lockung. »Es soll ja noch heute nicht sein«, sagte er +tonlos, gehalten zwischen Wehmut und Sehnsucht, sich selbst zu leisem +Trost. + +»In vierzehn Tagen bin ich hier fertig«, erklärte der Oberst. + +»Nun inzwischen werden wir uns ja hoffentlich noch öfter sehen!« Horst +bat die beiden, doch einmal die Siedlung zu besuchen. Ob Sie nicht am +Sonntag kommen möchten? Dann wären auch seine jungen Freunde aus der +Stadt da. Kriegsspiele würde es geben. Die Schlacht bei Großgörschen +wäre an der Reihe. + +»Ei der Tausend! Da kommen wir natürlich mit doppelter Freude.« -- + +Am Sonntag, da die Schüler nach Hohenmoor hinauszogen, trug nicht die +alte Freude ihre Schritte. Ihre Mienen und ihre Lieder waren voll Trotz. + +Dr. Georg Stumps ehrliche Bulldoggenaugen waren blutunterlaufen, so +hatte er sich gebost. Auf den Stachelspitzen seiner Haare tanzten +Elmsfeuer. Das Provinzialschulkollegium hatte eine Verfügung erlassen +und dem gesinnungstüchtigen Direx des Gymnasiums die entschlossene +Direktive gegeben. Alle militärischen oder »den militärischen ähnlichen« +Übungen der Schüler waren streng verboten. Aber immerhin, Singen und +Turnen durften sie noch -- wie lange freilich, das weiß kein Mensch! Und +so mußte es draußen, am Fuße der Goldberge, vorläufig bei Turnspielen +bleiben. + +Auch Horst ballt zu dem Ukas die Fäuste. Welch eine Beschämung vor den +schwedischen Gästen! In diesem Sklavenland -- wie soll man das Leben +weiter und auf die Dauer ertragen! + +Mit einigen der Jungen, die technische Neigungen haben, ist Dankwart +angefreundet. Sie besuchen ihn in seiner Werkstatt. Über neue +Flugzeugprobleme belehrt er sie, zukunftsgläubig vor diesen jungen +Augen. Für die nächste Zeit schon verheißt er ihnen den Probeflug seines +neuen kleinen Modells. + +Ingeborg kommt, zunächst ohne den Vater, der noch dem Moordorfer +Pfarrarchiv einen Besuch zu machen hat. Wie erfrischend diese nordische +Ungezwungenheit und Unbefangenheit, mit der sie unter all die Männer +tritt. + +Kunz, der Wächter von Horstens Seele, gibt sich überwunden und gefangen. +Dankwart verschanzt sich, angstvoller noch und mißtrauischer als vor +Frau Tilde hinter dem Eisenwerk seiner Konstruktionen -- welch eine +Huldigung für die Frau! Und auch in Gisberts weltflüchtigen Augen lehnt +sich etwas an die warme, licht- und farbenprächtige Erdennähe. + +Sie tritt Horst zur Seite, als gehöre sie zu ihm. Gleich fühlt sie, daß +eine neue Wunde ihn brennt. »Was ist?« fragt sie leise und vertraut. + +Er schüttelt leicht den Kopf. »Die Erniedrigungen nehmen kein Ende.« + +Und schon tritt ein Gendarm auf den Plan, Bitterkeit in dem hellen Auge, +Schwermut in dem hängenden Schnauzbart. Sein Auftrag kommt ihm selbst +hart genug an. Sein eigener Schmerz ist mehr als all die subalterne +Wichtigkeit. + +Er macht vor Horst militärische Ehrenbezeugung. Befehl der Regierung. +Soll Herrn Hauptmann Oldefeld darauf hinweisen, daß die militärischen +Übungen mit den Gymnasiasten der Kreisstadt unliebsames Aufsehen erregt +haben und nicht zulässig seien. Soll darüber wachen, daß der heutige +Sonntag nicht wieder zu solchen »unerlaubten Veranstaltungen« benutzt +werde. + +Jetzt also unter Polizeiaufsicht. Auf wessen Geheiß? Horst hat eine +Ahnung. »Wollen und können Sie mir sagen, wem wir hier »unliebsam« +geworden sind?« + +Der Beamte besinnt sich eine Weile. Dann spricht er offen, ein +Gleichgesinnter, und seine Brauen ziehen sich zusammen. »Die +Ententekommission hat sich an die Regierung gewandt.« Jetzt stockt er, +und mühselig kommt es über die zusammengezogenen Lippen. »Bei den +Feinden ist von unserer eigenen Bevölkerung hier Anzeige eingelaufen.« + +Die Männer sehen sich an, schmerzlich bohren sich ihre Augen ineinander. +Sie schweigen tief und lange. Dann sagt Horst gehalten: »Ihr Dienst ist +wahrhaftig nicht leicht. Ich will ihn Ihnen ganz gewiß nicht erschweren. +Es wird hier heute nichts Verbotenes geschehen. Darf ich Sie bitten, in +der Baracke unser Gast zu sein.« + +Nun, da er mit Ingeborg allein ist, rüttelt der ganze Schmerz an ihm. +Dazu die tiefe Demütigung, daß sie, die Ausländerin, von diesem +unsäglichen deutschen Schandwerk hören mußte! Daß Deutsche bei den +Landesfeinden Deutsche denunzieren! Der Denunziant -- an sich schon der +größte Schuft im ganzen Land! Aber auf die eigenen Volksgenossen die +Fronvögte hetzen! Die eigenen Brüder den Folterknechten ans Messer +liefern! + +Und gerade in dieser Stunde wird sie ihm erst recht wie ein Freund, und +in der Vertraulichkeit kommen ihm die schmerzensreichsten aller Worte: +»O Deutschland! Deutschland!« + +Sie sieht, wie er leidet, sie greift mit der Hand nach seinem Arm. »Ich +kann Ihnen nicht sagen, wie nah mir das alles geht.« + +»Ja -- manchmal ist es einem wirklich, als müßte man den Verstand +verlieren!« + +Die Verzweiflung gräbt sich in seine zerspannten Züge, die Augen starren +leer und verlassen. Sie aber, von ihrem Mitgefühl durchflutet und +hilfreich beseelt, gewinnt ihn lieber und lieber. Und zärtlicher neigt +sie sich zu ihm hin. + +Da gibt es ein Blühen in seinem Blut und ein Frohlocken in seinem +Herzen. Warum reiß ich sie nicht an mich, dieses liebreizendste aller +Geschöpfe -- als meinen Halt, meine Rettung, meine Genesung, meine +Kraft, meine Seligkeit! + +Er fühlt es: wenn ich Dich nehme, gehörst Du mir! Und Du willst, daß ich +Dich nehmen soll. + +Aber dann klingt in ihm der Ruf aus der dunklen Tiefe -- Deutschland, o +Deutschland! Und wie gegen eine Verführerin wendet er sich gegen das +junge, das herrliche Weib, die Fremde, mit der lockenden Ferne, die ihn +heimatlos, die ihn untreu machen will. + +Ein weher Schreck durchfährt ihre Hand, von der er sich löst, und es +klagt auf in ihren Blicken. Da gibt er ihr ein liebes Wort. »Ich denke +so viel an den Platz unter Ihren Linden.« + +»Er wartet auf Sie. Und nicht wahr -- Sie lassen ihn nicht warten!« + +Der Vater tauchte in der Ferne auf. Die Jungen hatten sich inzwischen +zum Abmarsch aufgestellt. Sie wollten sich an einer langen +Strandwanderung, so gut es ging, schadlos halten. + +Sie haben die Jungen mir und mich den Jungen verboten. Aber den Geist +bütteln sie doch nicht tot! Er raffte sich hoch, aber mühsam trug er den +Kopf auf gesteiftem Nacken. + +Über die Goldberge zogen die Jungen. Sie sangen, dann auf der Höhe +verstummte das Marschlied. Dem Klang aus dem Grunde lauschten sie. Wohl +hatten sie ihn vernommen, denn machtvoller, sieghafter, zuversichtlicher +und stolzer rauschte jetzt ihr Gesang, da sie den jenseitigen Hang zur +See hinunterschritten. + + Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! + Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! + Unter die Füße den tückischen Haß, + seine Ketten zerspringen wie Glas. + Unser Gebet, unser Feldgeschrei: + Frei sollst du sein! + Wir machen dich frei! + +Ihr werdet den Zauber lösen, der in den Bergen schläft. Ihr werdet +Deutschlands Freiheit wiedersehen! Ob wir noch, die wir heute Männer +sind? Es ist so schwer, so bitter schwer von dem Gedanken sich zu +scheiden! + +Ihr aber werdet sie nicht mehr sehen, ihr Grauen und Müden! Was ist das +für eine kleine mühselige Schar von Alten, Gebückten und Beladenen, die +da im Staub des Heidewegs zu den heiligen Höhen herangepilgert kommen? +Öfter schon haben einzelne Wallfahrer hier gekniet und gebetet, das +Wunder wach zu flehen, das hier unter den Hügeln ruht. Das Wunder der +Erlösung des armseligen deutschen Volkes. Heute finden sich wohl ein +Dutzend der Gläubigen ein. Männlein und Weiblein, alle so elend +verwittert, alle so gramvoll sehnsüchtig. Hilf uns doch, Du Retter, Du +Ritter, Du Schlafender! So bitter nötig haben wir Dein Erwachen! + +Zum Liebhaben sie alle. Aber man darf sie nicht stören. Still müssen sie +mit mummelndem Munde ihre Formeln sprechen. Horst wendet sich ab und +zwingt an seinen Tränen. Deutschland -- mein Deutschland --! + +Und jetzt war auch Herr Thorild bei Ingeborg und Horst. Der mußte sich +begnügen, den Gästen und Freunden die Siedlung zu zeigen. Er verschwieg +nicht die schwere wirtschaftliche Not, gegen die sie rangen. Aber sie +wollten und mußten durch! Und hier setzten seine willenshellen Augen +wieder die alten Lichter auf. + +Eine Fülle von Anregungen gewann der Oberst aus seinen Eindrücken. Und +alles klang wieder aus in dem Wunsch und der Bitte: Sie müssen zu uns +kommen! + +Wie eine Rührung wogte es durch Horst. Was haben diese Menschen an Dir? +Und wieder der Gedanke: So sind wir Deutschen doch nicht schlechthin im +Ausland die Verachteten, die Verfehmten. Nur unsere Würde sollen wir +wahren. Und Treue ist Würde! Treue auch zum Unglück! Ja, sein Unglück +lieben -- nur so wird man seiner Herr! + +In solchem Selbstgefühl durfte er den Freunden frei die Hand reichen. +Ich empfange nicht bloß, ich gebe so gut wie Ihr. + +Aber die Schatten blieben. Und schwerer und dunkler zogen sie. Es kam +für die Siedlung ein schwarzer Tag. + + + + + Und die Not nimmt überhand + + +Gisbert, der ihrer aller Liebling war, löste sich immer mehr von ihnen. +Wie ein Nachtwandler war er, den man zu rufen sich scheute. + +Der einzige, der immer noch fest zupackte, war Kunz. Aber auch er griff +jetzt immer mehr ins Leere. Und dann, er hatte genug mit eigener +Herzenserschütterung zu tun. Vita war ihm entschwebt. Wie ein Traumbild +war sie ihm zerronnen. Wohin hatte er sie geschreckt? + +So trübte sich Kunz der Blick für des Gefährten Schicksal, den die Not +seiner Liebe immer mehr von dem Irdischen trennte. Von der Erde, die, +seit sie ihn verschüttet, begraben, erstickt hatte, seinen entrückten +Sinnen nie mehr die rechte Heimat gewesen war. + +In Gisbert selbst tastete noch etwas nach dem Gegenständlichen dieser +Welt, nach Freundeshand, nach Zwiesprache, nach Austausch der +Empfindungen. Und so klammerte sich etwas von ihm an Kunz, gerade heut. + +Der Wind trug am Nachmittag den Glockenhall von Moordorf herüber. +»Wollen wir zusammen in die Kirche?« fragte er Kunz, mit knabenhaften +Augen, fromm von kindlichen Gedanken. + +Der hatte schon ein »Ja« auf der Zunge. Da fuhr es ihm durch den Sinn: +in Vitas Bereich! Wenn ich mich hineinbegebe, muß ich allein es tun! +Denn für alles, was hier geschehen kann, brauch ich meine Einsamkeit. +Und er schüttelte den Kopf zu dem Vorschlag. So ging Gisbert ohne ihn. +Und es trug ihn wie ein Abschiednehmen -- er wußte nicht wie. + +Er wußte auch nicht, was eigentlich in die Kirche ihn zog. Halbe +Wirklichkeit war in allem. Der Raum, die Andächtigen, der Gesang, der +Prediger -- + +Wirklichkeit -- was ist das? Es gibt etwas über der Wirklichkeit. Das +ist seine Herrin. Das ist dieser Abend, der ihn zu ihr führt. + +Schall ohne Sinn war ihm auch erst Pastor Waermanns hell aufstrebende +Predigt. Der wieder der Mittler seines geliebten Ernst Moritz Arndt war, +des deutschen Stimmführers aller Zeiten. + +»Du mußt Gott bitten, daß er dir gebe einen stillen freundlichen und +festen Geist, daß du alle deine deutschen Brüder zu dir versammeln +magst. + +Denn durch der Herzen Zwietracht ist das Unheil gekommen, und durch die +Torheit der Feigen plagen fremde Henker dich. + +Und ihr sollet euch wieder brüderlich gesellen zueinander, alle, die ihr +Deutsche heißet und in deutscher Zunge redet, und den Trug bejammern, +der euch solange entzweit hat. + +Und sollet in Einmütigkeit und Friedseligkeit erkennen, daß ihr einen +Gott habet, den alten treuen Gott, und daß ihr ein Vaterland habet, das +alte treue Deutschland. + +Und sollet gedenken, wie ihr ein freies Land von euren Vätern empfangen +habet, und wie ihr euren Kindern und Kindeskindern die Freiheit +hinterlassen müßt!« + +Das klang denn doch in Gisbert nach, das weckte in ihm schlummernde +Stimmen. Die Stimmen, die sein Dasein begleitet hatten, die seiner +Arbeit Melodie gewesen waren. Sie schlangen das Band zwischen ihm und +den Kameraden, den Freunden. Und er ruhte aus in diesen Harmonien. + +Aber sie hielten ihn nicht, sie trugen ihn nicht, und er entschwebte +wieder in seine Welten. Und alles, die Siedlung, das Vaterland, die +Gefährten wie der Kirchgang, der Gottesdienst wurden ihm nur zu einer +alten Weise wehmütiger Erinnerungen. + +Ein paar schrille Weckrufe: zwei Mädchenaugen hängten sich an ihn, von +so heller und scharfer fast heftiger Daseinskraft. So viel gesammeltes +Leben -- es brannte und stach. Den Traumfernen erreichte die fragende +Leidenschaft. Bleiben sollst Du und Rede mir stehen! Allein bist Du! Wo +hast Du den andern! Ich will ihn nicht! Aber, wo ist er? Das will ich +wissen! Und warum er Dich allein hat kommen lassen! Ich will ihn nicht! +Will nicht seine packende Hand, seinen dürstenden Mund! Aber, er soll +mich suchen! Suchen soll er mich, daß ich ihn abweisen kann, ihn von mir +stoßen! Was tut er's nicht! + +Und Gisbert wußte es, dieses Mädchen, das nichts ist als Augen, nichts +als fordernde, starrende, bannende, naturkindliche Leidenschaft der +Augen, es konnte nur Vita sein, das Mädchen seines Kunz. + +Jetzt war der Freund doch ganz nahe bei ihm. Von dem er ahnte, daß er um +das Mädchen litt. Helfen -- ihm, dem lieben, getreuen -- und auch ihr, +in deren Augen der sehnsüchtige Trotz einer Qual Fieber und Bitterkeit +wirkte. + +Predigen -- von der Liebe predigen! Hier, wo der Ort dafür war! Von der +Liebe, die mehr ist als ein Gefühl. Von der Liebe, die die Wahrheit ist. +Die Wahrheit und die Freude, aus der jede Kreatur, aus der das All, die +Unendlichkeit ihr Leben hat. + +Aber die Worte dafür -- immer ist das Wort mit seiner Erdenschwere +hinter ihm zurückgeblieben. Nun hat es ihn ganz verlassen. Das lichte +Schweigen ist um ihn. + +Und mit dem Wort, das er nicht findet, versinkt ihm all das, was ihn +eben noch gerufen und bewegt hat. Ob er es halten möchte, es schwindet +ihm hin. Und wieder wie ein Traumwandler zieht er seine Straße, die zu +seiner Herrin ihn führt. + +Das Auto, das ihm auf der Chaussee entgegenrast, der Staub, den es +emporwirbelt, die Hupentöne, die es ausstößt -- all das bleibt weit, +weit unter ihm. + +Er weiß nichts von der Erde, er sieht auch den Himmel nicht, nicht seine +grüne Abendflut, die wie brennende, schmelzende Patina ist. Erst wie er +in Tildes Zimmer steht, wird er erlöst aus seiner blutleeren +Wesenlosigkeit. + +Und wieder ist es ein Klagendes in ihren Augen, was ihn erdhaft macht. +Keine Wehmut und Weichheit, die nach Mitleid ausblickt. Eine Bitterkeit, +die sich immer mehr verhärtet, und die Härte als Hilfe braucht. Wie ein +Trotz ist es aufgestiegen aus der Tiefe dieser Augen. Die schwere Arbeit +der Tage, das Übermaß der Pflichten schmiedet ihres Wesens Metall. + +Hilflos, wie verschüchtert sitzt wieder Gisbert vor ihr. Und wieder die +Frage über ihm: was kann ich Dir sein? Ich, der ich mich verblutet habe +-- ich weiß es selbst -- dem das Beste seiner Jugend, seiner jungen +Kraft zerronnen ist -- »Gedankenblässe«, das ist das Wort! Das ist der +Stempel, den ich trage. Ein Schatten, ein Schemen, schwebe ich vor Dir. +Und je tiefer sein feines Spüren in die Augen der Frau sich einsenkt -- +lebt in ihnen nicht eine fast zornige Forderung an das Leben auf? + +Über wirtschaftliche Dinge spricht die Herrin mit ihm, trocken, +geschäftlich. Dazwischen müde Pausen des Ausruhens und des Schweigens. +Sie plant noch ein paar Neubauten und hat Budgetsorgen. Er kann sie nur +anhören, kann nicht raten. + +So einsam ist diese Frau. Der natürliche Gehilfe und Berater, +wahnbefangen, der Arbeit verloren, hält sich fern. + +Zugleich mit ihm kommt ihr -- wie sind sie sich doch nahe -- der Gedanke +an den, der ihr fehlt. »Achim war eben im Auto hier -- nur auf eine +Minute. Er ist gleich zur Bahn gefahren. Er will nach Holland zu einem +internationalen Match.« + +Die Worte reihen sich gleichmäßig auf, fast unbewegt von dem Schicksal, +das durch sie hindurchgeht. Und wieder ist das Schweigen um sie beide, +gut, heilend und treu. Dann sagt sie: »Kommen Sie, Gisbert. Ich möchte +noch ein wenig in den Park.« + +Sie gehen hinein in den lichten Abend. Es ist die Johanniszeit, die +hellsten, längsten Tage herrschen, die Kraft der Sonne durchwebt die +Dämmerung, webt durch die Nacht hindurch dem Morgen entgegen und nimmt +sich selbst wieder in Empfang. + +»Heut ist des Sommers heilige Nacht«, sagt Frau Tilde. Ihre Blicke ruhen +auf dem jungen Freund. Ist er nicht wie der Heilige dieser Helle? Er +selbst so durchsichtig, so unirdisch, so verklärt. Und wehklagend zieht +es durch sie hin: Armer, lieber Junge. So hast Du Dein Leben +hingeströmt! Und ist nicht wie Du ein großer Teil der deutschen Jugend +-- viele, die unter uns hinschweben, kaum etwas anderes als die Schatten +Erschlagener! + +Die Johannisnacht beschäftigt ihn. Er spricht von den Sonnwendfeiern, +erzählt von einem sanften Brauch, den Frau Tilde nicht kennt -- sie weiß +nur von den Feuern und Flammentänzen dieser Nacht -- von dem Johannisbad +erzählt er, dem Blumenopfer, das man den Flüssen darbringt. Und gar +nicht bedeutungsschwer, mit einer leisen Fröhlichkeit fügt er hinzu: »In +dieser Nacht werden die Lose der Menschen geworfen.« + +Sie haben den Park durchschritten. Da vor dem Tor ragt auf der kleinen +Anhöhe der mächtige Ahorn in den grünglasigen Abendhimmel. Hier auf der +runden Bank haben sie damals gesessen, in die Wolken geblickt und von +ihnen beide dasselbe vernommen. Und wieder lassen sie sich hier nieder. + +Über die Felder gleiten die Blicke. In Tilde regt sich die Landfrau. +»Wie gut der Roggen steht!« Bis zu ihren Füßen zittert das grüne Meer in +dem Hauch, den die See landeinwärts sendet. »Was hätte Vater für eine +Freude daran gehabt!« Nun ist sie bei ihren Toten und in großer +Verlassenheit. + +»Ach, lieber Junge!« sagt sie dann und streicht ihm übers Haar. Was ist +alles in ihren Augen, so viel Mütterliches, sorgend und schützend, und +wieder ein Frauliches, das zärtlich nach Hilfe ruft. Und er starrt in +diese wogende Tiefe. + +Dann nimmt sie seinen Kopf in die Hände und küßt ihn auf die Stirn, und +küßt ihn auf den Mund. Schon hat sie sich erhoben und reicht ihm die +Hand. »Und jetzt Gut Nacht«, sagt sie einfach. Und weiter nichts. +Schreitet zum Park, tritt in das Tor und verschwindet unter den Bäumen. + +Gisbert bleibt, bewegungslos. Alle Stimmen seines Lebens klingen +zusammen in dieses letzte Wort. All seine Schmerzen, seine Seligkeit, +seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Taten und Leiden, sein +Träumen, seine Visionen, seines Wesens Beginn, seines Daseins Ausklang +-- + +Aber auf den Lippen -- da brennt es -- ein Feuer -- so wie eine +Todeswunde brennt -- schmerzlich und überschmerzlich, bestrahlt schon +von den ewigen Wonnen. + +Ein Feuer, das bleibt und brennt. Davon das Blut ihm kocht und braust. +Das wenige Blut, das noch durch seine Adern flutet. + +Ich sehne mich, sehne mich nach Dir! Mit allem, was an Kraft und Leben +in mir ist, sehne ich mich nach Dir. + +Und Du -- jetzt wird alles, was in ihm Leben hat, Glut und Glanz eines +stolzen Glückes -- singt und schluchzt und jauchzt nicht in Dir dieselbe +Weise? Sind wir nicht wiedergeboren einer in des andern Herzen? Muß ich +nicht bei Dir sein und Du bei mir! Warum bist Du gegangen! Was läßt Du +mich allein! + +Fliehst Du mich, daß ich Dich suchen soll? So fiebert es grell in ihm +auf. Und dann: oder lächelt sie über mich? Lächelt sie, daß ich so +weltenfern, so im Übersinnlichen meine Kreise ziehe! + +Nun entsetzt er sich, daß er so in die Niederung gerät! Mit den Gedanken +an diese Frau. Und überwindet den Schreck und blickt mutig dem Leben ins +Gesicht, mit seinen Knabenaugen. + +Den Wirbel sieht er, der Lachen mit Grauen mischt, den Wirbel um das +Mysterium Weib. Er flieht vor ihm -- und seine Gedanken werden immer +mehr hineingezogen in den Taumel. + +Wenn dieser Tanz mich erlöst aus meiner Verlorenheit? Wenn ich gesund +werde -- ein gesundes, junges Blut? Und habe meine Geliebte, habe mein +Weib -- + +Eines andern Weib -- Untreue, Betrug -- das Grauen fällt über ihn her! +Was wird geschehen? Was wird sein! + +Und es peitscht ihn das Entsetzen vor der öden, schalen +Geschlechtlichkeit -- die Verzweiflung, daß er das Bild seiner Herrin in +diesen Wust herabzieht. Das strahlende, heilige, beseligende Bild der +Gnade! + +Wie hat er zu ihm gebetet, zu ihm aufgesungen: Du bist die Geliebte +meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken Dich zu fassen, das +Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein Ohr zu füllen, Deine +Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will ich Dich, nur wissen, +daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! Rühren Worte an die +Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken! + +Nun haben die Gedanken doch an sie gerührt -- das Begehren hat nach ihr +gegriffen, das gemeine Begehren. + +Er ist fortgestürmt, hinein in die dämmernden Weiten. Der Dünensand +hemmt seinen Lauf. Nun steht er atemlos -- vor ihm schauert das Meer im +Hauch der Nacht. + +Und dort im Osten aus dem Dunst über der Flut hebt sich der Mond, +dunkel, glühend, groß und tief. Drohend und schwül. Feindlich, grausam +und böse. Wie ein Schicksalsspruch, wie ein Gericht über Sünde und +Schuld, wie der Henker im Scharlachmantel. + +Gesenkten Hauptes steht Gisbert. Er trägt den Leib wie eine Last. Dann +hebt er sich auf, die Sterne sucht er, noch sind sie bleich -- erst +allmählich entzünden sie ihre Kraft, ihre Hilfe, ihren Trost. Jetzt aber +haben sie die Macht ihrer Sprache. Und Gisbert liest die Verse des +Firmaments, die Dichtung des Himmels, die Hymne der Nacht, der Allmutter +Nacht. Und er ist daheim. + +Der Nacht antwortet das Meer. Und alles klingt zusammen in dem großen +Sphärengesang: Güte und Freude ist alles -- alles geht aus von der +Freude -- alles geht ein in die Freude -- gut, gut ist das Leben, gut +ist das Ewige, ewig das Leben, ewig die Freude -- + +Der Mond ist emporgetaucht aus dem dumpfen blutigen Dunst -- alles Böse +hat er abgetan, er hat sein gutes helles Licht gewonnen. Ich bin die +Güte, ich bin ein Freund! Und eine Straße baut er über die andächtig +stille und ergebene Meerflut. + +Gisbert ist am Strande. Zu seinem nächtlichen Bade entkleidet er sich. +Vor seine Füße wallt diese leuchtende Straße. Wohin führt sie? Wohin +will sie mich leiten? In das All und seine Freude -- + +Ja, Du strahlender, Du guter Weg -- Dir vertrau ich mich an. Du kennst +mein Ziel, Du offenbarst mir meine Bestimmung, meine Erfüllung und +Vollendung. Abtun will ich meine Schlacken -- der reinen Freude will ich +ins Antlitz sehen -- + +Er schwimmt -- schwimmt in der lichtgesättigten Flut -- in alle Poren +dringt der Glanz -- die Lungen leuchten -- das Herz ist voll Schein -- +ein verzitterndes Lichtbeben sein Schlag -- + +Ein Lichtstrahl gleitet sein Leib durch die goldene Flut, hinein in die +Wellen des schimmernden Äthers -- hinein in das All -- in die gute große +freudige Heimat -- -- -- + +Die Männer standen vor der Baracke -- Horst, Dankwart und Kunz. Wie +Deutschland Deutschland verrät, das geht ihnen durchs Gemüt. Der Gendarm +hat erzählt, Ententeoffiziere wären in der Provinz auf Waffensuche +unterwegs. Sie hätten selbst erklärt, daß sie sich vor deutschen +Denunziationen nicht retten könnten. Der englische Hauptmann hätte +heftig dazu ausgespuckt. + +Diese letzten Worte wollen Horst nicht aus dem Ohr. Immer hört er sie in +dem trockenen, schmerzlich heiseren Tonfall des Gendarms. Wo er geht und +steht, krächzen sie ihm nach. + +Bei Kunz ist der Grimm schon weitergestürmt. »Wenn die Henker zu uns +kommen -- wenn sie bei uns schnüffeln -- wenn sie frech werden -- was +geschieht dann! Was tun wir dann!« Wild schlägt es in seinen Stirnadern. +Seine Fantasie schwelgt. + +Horst ist allein in die Dünen gegangen. Wie soll man das alles ertragen. +Zu der Last, unter der man schon zusammenbricht -- immer mehr wird zu +ihr aufgepackt. Ich kann nicht -- kann nicht mehr! Und will auch nicht +mehr! + +Gegen den Schmutz, die niederste Gemeinheit kämpfen, welch ein übler +Irrsinn! Der Schmutz läßt sich nicht besiegen, und man selbst -- nicht +nur, daß man unterliegt, besudelt unterliegt man! Und der Ekel würgt +einen ab. + +Nach Norden blickt er. Dort auf der Landzunge steht das Haus, in dem +seine Freunde wohnen. Und blickt man weiter, in derselben Richtung, +hinter dem deutschen Meer liegt Nordland, liegt Schweden. + + »Meine Gedanken wandern über die See, + Weiße Schwäne sind sie, leuchtend wie Schnee.« + +Heraus aus dem Schmutz, dem Ekel, an dem ich vergehe! Ein anderes Land +öffnet mir die Arme, eine neue Heimat winkt mir -- keine neue, die alte, +die unserer Ahnen. Der klare Norden mit seinem Stolz, seiner Ehre, +seiner Sauberkeit, seiner gesunden Kraft. Aufrecht! Wieder einmal +aufrecht stehen und gehen! Liebe Menschen nehmen ihn dazu an die Hand. + +Liebe Menschen -- und hier? Die Kameraden hier? Kunz, Dankwart -- hat +sich zwischen ihnen und ihm nicht eine Kluft befestigt? Längst ist er +ihnen nicht stur genug, nicht der Unbedingte, der Stürmer nicht, den sie +wollen. Mit halbem Herzen nur folgen sie ihm, der ihnen nicht als Ganzer +gilt. Sollte er ihnen nicht die Siedlung überlassen! Daß sie sie neu +bauten in ihrem Geiste! Ein Stoßtrupp hartdeutscher Gesinnung -- warum +nicht! Vielleicht das beste. + +Denn der linke Flügel, die Mulitz und Metzling, fangen an, bedenklich zu +werden, weil ihre Macht ganz unverhältnismäßig anwächst. Durch meine +Schuld? Weil ich das Steuer nicht fest genug halte? Nicht mit der +sichern, gläubigen Hand, nicht unter dem klaren, unbeirrten, weiten +Blick? + +Unleugbar, die Widersprüche, die Zerwürfnisse mehren sich. Droht dem +Werke der Zerfall -- weil ich ihn nicht hindere? Der ich meiner Arbeit +mich entfremde -- aus Überdruß an meinem Vaterland! + +Entfremdet meiner Arbeit -- entfremdet den Kameraden -- und dem einen, +dem Jungen, dem Gisbert untreu, der wenn einer mich braucht! Um den +meine Sorge so viel gewacht, an den sie so oft dachte in diesen letzten +Tagen -- nur daß sie nicht zugriff, wie es sich gehörte. + +Wie nötig hat der Junge den treuen, festen Freundesarm, Muskeln und +Knochen -- er, der sich ganz hinausgeistern will aus dieser körperlichen +Welt -- nun noch gesteigert, getragen, erhöht und zugleich gescheucht +und flüchtig von der Schwärmerei für diese Frau, die selbst hier keine +rechte Heimat hat. Bist Du nicht wie entleibt unter uns gewandelt? Wo +gibt es ein solches Sichlösen, Sichentäußern, Sichbefreien und +Sichbeseelen als in deutschen Herzen? Nennt es Kraft, weil es eine +Inbrunst, nennt es Unkraft, weil es ein Zerfließen ist. Und ist nicht +ein Stück Gisbert in uns allen? + +Seine Augen schweifen über das Wasser. Jetzt nimmt die leuchtende Straße +seine Blicke an sich. Die Flut, vom Licht gebändigt, sanft und geduldig, +wie hingegeben trägt sie die goldene Brücke zum Mond. + +Da hinten aber -- weit, weit dem Himmel nahe -- was ist es, was sich da +bewegt, in Wellen des Glanzes, in blitzenden Strahlen -- ein Dunkles, +das jetzt in dem Schimmern verzittert? Schon hat das Licht die Wasser +wieder geglättet -- war es ein mondtrunkener Delphin? Glatt gefügt +spannt sich wieder die leuchtende Brücke. + +Und weiter nach dem nördlichen Vorsprung zieht es seine Blicke. Dort auf +der äußersten Spitze -- ist es ein Zauber dieser hellen Nacht -- eine +weiße Mädchengestalt --? -- Trug! Welches Menschenauge kann so weit +sehen -- + +Und doch! Was flammt denn zu Häupten dieser Gestalt! Und hebt sie selbst +in den Glanz? Nur eins gibt es auf Erden, was so leuchtet, Ingeborgs +Haar. + +Ein Leuchtfeuer -- das nach Norden weist und ruft -- das Leuchtfeuer +seiner Zukunft -- + +Und doch ein Trugbild? Horst will wissen, ob diese kürzeste der Nächte, +die zauberkräftige, ihn narrt. Er schreitet die Dünen hinunter, am +Strande entlang, der Landzunge entgegen. Da sieht er ein Dunkles auf dem +weißen Sande -- Kleider -- eines Badenden -- im Wasser ist niemand zu +erblicken. + +Es fährt ihm durchs Hirn -- das Körperliche, das vorhin da in dem +Mondstreif sich zeigte -- und sein zweiter Gedanke: Gisbert, der +Abendschwimmer -- + +Prüfend betrachtet er die Kleider -- ja, Gisbert gehören sie. Er späht +über die Flut, die der Nachtglanz ableuchtet -- da hinten ein Segel, ein +einziges Boot, ruhend in der Windstille, gespensterhaft -- sonst nichts, +nichts so weit das Auge greift. Das leidenschaftlich forschende, jetzt +erstarrende Auge. Und eisig schneidet es ihm durchs Hirn: Gisbert ist +von uns gegangen. + +Helfen -- Hilfe holen -- wie sollen sie helfen, und wem! Wenn er es war, +der da hinten, am Horizont in dem Mondstreifen trieb, in die Lichtbahn +sich löste --! -- + +Leer ist die Mondstraße, leer ist die Flut ringsum -- + +Aber, da man nichts tun kann, nicht weiß, was man tun soll, da man +hilflos ist -- wie furchtbar dieses Alleinsein mit dem Geschehenen! Die +Kameraden -- Kunz muß es wissen, er muß es hören, muß was sagen, muß +dabei sein! + +Schon ist Horst nach der Baracke unterwegs. Er holt sich Kunz aus dem +Verschlag. Nun stehen sie beide an den Kleidern und forschen über die +See. + +Dann stehen beide schweigend, und halten eine eigene Totenwacht. + +Ruckweis befreit sich Horst von dem Schmerz, der ihn lähmen will. »Er +hat es geschafft. Auch einer, der zu schade war -- für das was uns +beschieden ist.« + +»Sollen wir so sprechen?« Kunz macht der erste Schmerz nur noch härter, +wehrhaft, wahrhaft, unerbittlich. »Zu schade?« Er spielt wie grausam mit +dem Wort. »Zu sehr beschädigt. Zu wund und zu weich.« Und noch rauher +gegen den eigenen, zuckenden Gram: »Was welk ist in Deutschland, geht +ein.« + +Dann ist es fast, als kehrt er sich, wie zur Ablenkung, gegen Horst, den +selbst nicht mehr Wurzelfesten. So daß etwas in ihrem Schmerz die beiden +Männer gegeneinander entflammt. + +Schon aber führt in Horst der Leitende das Wort, der seine Anordnungen +trifft, bis zum Äußersten. Er hat keine Hoffnung mehr, aber das letzte +muß getan werden. »Ins Boot. Das Wasser absuchen. Nicht unmöglich, daß +er müde geworden ist, und der Segler da hinten hat ihn an Bord.« + +Sie gehen nach dem Vorsprung zu. Da liegen Boote am Strand. Sie schieben +eins ins Wasser und rudern hinaus, schweigend, mit gleichmäßig mächtigem +Schlag. Und suchen, suchen -- hoffnungslos und doch treu. + +Jetzt sind sie schon weit draußen. Auf das Segelboot halten sie zu. +Immer mit der Umschau, immer in der Erwartung, der Entseelte müsse +auftauchen. + +Ein Fischerboot, das mit klatschenden Segeln daliegt. Hat es den +Ermüdeten aufgenommen? Ein letzter Schimmer -- + +Die Insassen, verschlafen, drusen dem Morgenwind entgegen. Von einem +Schwimmer haben sie nichts bemerkt. Einen treibenden Körper haben sie +nicht gesichtet. + +Die Suchenden wenden und fahren zurück an Land. Jetzt ist es gewiß, die +See hat ihn genommen. Wird sie seinen Leib wieder hergeben? + +Gisbert ist tot! So pulst es in ihrem Herzen. Das ist der Takt ihres +Ruderschlages. Gisbert ist tot. Sie starren in eine Leere. Jetzt ist die +große Klage um sie und fügt sie zusammen. Und nichts kehrt sie gegen +einander. Geschlossen, versöhnt der Unterschied, der Zwiespalt ihres +Fühlens. Nur der Schmerz um den Freund bewegt ihre Seele. Gisbert ist +tot. Wie klein sind alle Worte, die seiner gedenken wollen -- sie +scheuen sich und schweigen. + +Die Männer landeten wieder. Und da sie die harte Erde betraten, kamen +Forderungen an sie. Gemeinsame, so dachte Kunz. Er mit seiner +lebensfesten Hand nahm die Kleider auf, packte sie zu einem Bündel und +wandte sich heim. Das ȟber Gräber vorwärts« lag ihm im Blut. + +Er meinte nicht anders, als daß Horst mit ihm gehen würde. Der aber +blieb, versonnen, versponnen. Kunz wartete -- dann ein fragender Blick, +aber kein Wort -- dann etwas wie ein leichtes Achselzucken, in dem der +alte Schmerz bebte: man lasse die Träumer den Träumen -- und er ging +allein. Da war es wieder, was in ihm nagte: auch von Horst geht immer +mehr verloren. Die Sorge um die Siedlung ließ ihn von jetzt ab nicht +mehr los. + +Wieder war der Mißklang zwischen den beiden, das Mißtrauen, das nun +einmal gerufen war -- tiefer griff es in die Gemüter, die der Schmerz +zart und feinfühlig gestimmt hatte. In der Empfindsamkeit des Grames +fand es neue Nahrung. + +Horst spürte es, er wußte, was in Kunz sich von ihm abwandte. Das riß an +den gespannten Saiten, und wieder gab es den Zorn, die Bitterkeit, die +eigene trotzige Abkehr und Selbstverschanzung. + +Ich bin Euer Führer, ich hab Euch etwas geschaffen, etwas gegeben -- zum +Lohn dafür haltet Ihr Gericht über mich, beobachtet mich, nehmt mich +unter Aufsicht. So war es schon, und es mehrt sich zur Unleidlichkeit. + +Ihr solltet wissen, daß ich das nicht ertrage. Ihr solltet mir meine +Arbeit, die mir wahrlich nicht leicht fällt, nicht noch erschweren. Sie +mir nicht verbittern! Kein besseres Mittel könnt Ihr dafür finden. + +Wen hab ich nun noch in der Siedlung? Da Gisbert mir fehlt. Er, mit dem +zarten, zerschlagenen, blutleeren Leib, der Wärmste, der Innigste von +Euch allen. Und darum auch allen unentbehrlich, da er zwischen allen die +seelischen Fäden wob. Allein steh ich jetzt. Er war es, der mich verband +mit den Schwärmern, den blinden Heißspornen, den kühlen Rechnern, den +Gleichmütigen, den Matten und Trägen. In ihm fanden sie sich alle, denn +alle hatten ihn lieb. Ist mit ihm nicht das Licht der Siedlung +erloschen? Ein blasses Licht, ja -- aber vielleicht, daß gerade die +unirdische Blässe die Herzensandacht schuf! + +Gewiß, es war allzuwenig von dem landläufig Gesunden in Dir, gar nichts +Lebensstarkes und Robustes. Ein Kind noch warst Du, als Du ins Feld +zogst. Die Pubertätsjahre verschlang der Krieg, nun kam, krankhaft +verspätet, verfeinert und gesteigert die ganze Empfindsamkeit der +Jünglingschaft über Dich -- und zerbrach an Weibesliebe. So fein und +edel zart, wie es nur deutscher Jugend, die deutsches Leid versehrt, +geschehen kann. + +Und jetzt steh ich allein. Die Kameradschaft durchlöchert und im +Verfall. Argwohn -- Übelwollen. Jetzt, wo alles sich ergeben sein müßte +auf Leben und Tod! Und die Jungen haben sie mir verwehrt! Neue Ketten +schmieden sie. Die Luft im Bagno -- wie soll ich sie länger atmen! Und +wär nicht die ganze deutsche Luft verpestet -- verpestet von Verrat! +Rein muß ich atmen können! Ich ersticke hier, ich verderbe in dem Dunst +-- ich will nicht verderben! + +Und wieder suchen seine Blicke die Landzunge. Da steht sie noch immer +die weiße Gestalt und schaut auf die See. Jetzt haben die Augen das +sichere Bild. Kein Trug -- Ingeborg ist es. Zu ihr will ich! In ihrem +Schein gesund mich atmen. + +Er wandert mit eiligen, mit festlichen Schritten. Sein Leuchtfeuer zieht +ihn, ruft ihn, grüßt ihn. Er steigt die Dünen hinan, klimmt dann den +Abhang empor. + +Da oben steht sie. Und sie sieht ihm entgegen, als habe sie ihn +erwartet. Sie streckt ihm die Hand zu. Die Freude ihres Blickes trübt +sich, da sie von seinen Zügen das Unheil abliest. Und er sagt ihr, was +geschehen ist. Dann, da er seinen Trost findet in dem treuen Druck ihrer +Finger, in dem feuchten Glanz ihrer Augen, schüttet er sein Herz ihr +aus. + +Immer mehr löst sich von mir, eins nach dem andern fällt von mir ab, +vereinsamt bin ich in meinem Heimatland, kraftlos -- was bin ich ihm +nutz? Kann ich so dem Vaterlande dienen? + +Und immer klarer spricht er so zu sich selbst. Ich brauche meine Kraft! +Wo kann ich sie wiederfinden -- wo als in der nordischen +Gastfreundschaft! Da werd ich gesund und stark, von da werd ich +zurückkehren mit ungetrübtem Wikingermut. Frei von allem, was mich hier +lähmt -- selbst frei und ein Befreier! + +Sie sitzen beieinander, Ingeborg und Horst. Die helle Zaubernacht ist um +sie. Er birgt sich in den Glanz ihrer Flechten, wie in einen Goldpanzer +hüllt er sich, allem Trüben, allem Düstern, allem Üblen und Niedern eine +Wehr. Er nimmt ihre Hand. »Wenn Sie wollen, höre ich nun doch noch in +diesem Sommer das Summen unter Ihren Linden.« Da sind ihre Augen voll +Seligkeit. + + + + + Das Richtfest + + +Den Feinden der Siedlung war das neue Haus ein Dorn im Auge. Es schwoll +ihr Zorn, je höher es wuchs. + +»Steinerne Zwingburgen errichten sie«, so lärmten die Schlagwörter in +dem Konvent. »Und Zwingburgen werden niedergelegt!« forderte die +Nutzanwendung. + +Es war ihnen bekannt, das eine hochnotpeinliche Waffensuche unter +Aufsicht von Ententeoffizieren den Kreis bedrohte. + +»So wissen wir also, wo wir unsere Handgranaten zu verwenden haben -- +ehe sie uns genommen werden!« rief Kittel, der Buchbinder, und gellend +pfiff der Atem aus seiner schmalen keuchenden Brust. + +Stahlboom wandte sich dagegen. Er wollte alle Waffen aufgespart haben +für die große Aktion, die bevorstand. Die Suche gälte auch nicht ihnen, +den Proletariern, sondern den monarchistischen, den reaktionären +Banditen. Sie selbst dürften beruhigt sein. Da sprach einer ein Wort +furchtbarer Wahrheit: »Wenn die Verräter nicht wären! Wer ist jetzt in +Deutschland vor Verrat sicher?« Und das Grausige, das hier aufschrie, +verwilderte wiederum die Gemüter. + +Die Wüsten waren nicht zu bändigen. Das Richtfest am nächsten Sonntag -- +sie wollten ihren Trumpf daraufsetzen, es sollte den Siedlern gesegnet +werden! Und der schwarze, der blutige Sonntag vom Mai würde seine Sühne +finden. + +Die Siedler arbeiteten mit verdoppelter Kraft. Zu früh war der Termin +für die Richtung des Hauses angesetzt worden -- es war ihr Ehrgeiz, ihn +inne zu halten. Alles, was die Seelen bewegte und erregte, der Tod +Gisberts, Horst in seiner Verschlossenheit, die zur Abkehr und Abweisung +sich schärfte und anfing böses Blut zu machen, die Reibungen, +Quertreibereien, Scheidungen und Zerwürfnisse innerhalb der Baracke -- +alles ward dem einen Gedanken untertan, dem Gedanken an das Haus und +seine Vollendung. + +Ein großer Tag sollte es werden. Alle, denen das Siedlungswerk etwas +bedeutete, sollten mit feiern. Was einer an Freundschaft hatte, wollte +er bitten, jeder Biedermann sollte geladen sein. Ein Volksfest! Mit +eifriger Hingabe sie alle bei der Vorbereitung. Kein Wort gab es, das +nicht von der Richtfeier sprach. Wie Kinder vor dem Weihnachtsfest waren +die Männer. + +Horst berief Dankwart und Kunz zu einer Unterredung. Er sprach ohne +Umschweif, mutig und frei. Die schweren Worte wurden von einer harten, +hellen Entschlußkraft wie emporgeschnellt. »Ich gebe mit dem Richtfest +das Siedlungswerk in Eure Hände. Ich hab mit der Gründung meine Kraft +aufgebraucht. Ich kann hier nicht mehr wirken, nichts mehr leisten, ich +bin nur noch im Wege. Erst muß ich mich selbst erneuern. Das kann ich +nicht in dieser Luft. Darum will ich eine Zeitlang außer Landes gehen. +Meine neuen schwedischen Freunde haben mich eingeladen. Ich fahre mit +ihnen.« + +So weit war er also! Die Kameraden hatten ja sein Wanken gespürt. Daß er +jetzt ganz von ihnen wich, daß er sie und seine Sache verlassen wollte +-- wenn sie es auch in dunklen Stunden gefürchtet hatten, jetzt traf es +sie wie ein jäher Schlag. Keinem von den beiden lag es, zu klagen, zu +jammern, zu bitten, ob sie gleich wußten, was über die Siedlung +hereinbrach. Waren sich auch wohl klar darüber, daß mit Flehen und +Winseln hier nichts zu schaffen sei. + +Dankwart, finster, sprach in sich versunken ein klanglos leeres Wort: +»Das ist sehr zu beklagen.« Kunz, beweglicher, weiter greifend, +heftiger: »Dann können wir hier also einpacken!« + +»Was heißt das!« Horst lehnte sich dem entgegen. »Das Werk bleibt. Und +wenn ich nicht bleibe -- jeder ist zu ersetzen. Vielleicht ist es meine +Sache, etwas anzuregen, etwas in die Wege zu leiten. Aber es fest an der +Hand zu halten -- das ist mir offenbar nicht gegeben. Ihr seid die +Stetigen, die Beharrlichen, die Harten -- führt Ihr das Werk weiter.« + +Kunz war in die Höhe gesprungen. »Ob das wahr ist, ob das falsch ist -- +ich habe die eine Frage, die Du immer gestellt hast! Wo bleibt das +Beispiel, frage ich! Bist Du es nicht, auf den alles blickt!« + +»Man blickt auf mich, sagst Du -- nun, so wie ich bin, darf ich mich +nicht länger zeigen. Ich muß wieder anders werden -- ehrlich will ich +mich darum mühen. Ich will ja auch nicht für immer fort.« Und nun +schlugen seine Arme wie gehemmte, verschnittene Flügel. »Nur ein Ausflug +soll es sein -- aber ich brauche den Flug!« + +Darauf Kunz, seine Stimme pfiff wie eine Klinge: »Horst -- Du kommst +nicht wieder.« Hierin war soviel Klage, soviel Zorn, soviel Schmerz, die +Männer zuckten zusammen, alle drei. Und ein Schweigen schloß sie ein. + +Horst riß sich auf. Eine leichtere Haltung gab er sich, einen lächelnden +Ton. »Wenn Du es sagst --! --« Aber es zersprang etwas in ihm. Ein +Schmerz schnitt ihm durchs Mark. Und brüchig ward, was er weiter sprach, +aber er gab nicht nach. »Dies das Hauptsächliche. Meinen Entschluß kennt +Ihr. Das einzelne besprechen wir noch.« + +Er hatte Bestimmungen zu treffen, der Tagesdienst holte ihn. Dankwart +und Kunz blieben allein. + +Beide starrten sie, dumpf, hohl, düster. Dann stieß Kunz rauh und +krächzend hervor: »Wie die Siedlung erschlagen ward. Kein Heldenlied ist +dies.« + +»Gut.« Dankwart hat sich schmerzlich fest wieder beisammen. »Wir stehen +auf verlorenem Posten. Aber Posten ist Posten. Und wir halten ihn. Bis +in uns nichts mehr hält!« + +Jetzt ist Kunz an seiner Seite. »Ja, Dankwart, ja. Die Sache will es. +Wir wollen es. Und so geschieht's! Mag denn die alte Siedlung +zusammenbrechen -- eine neue gilt es zu schaffen. Und dann also lustig! +Mit dem Großreinemachen zu Hause fangen wir an.« + +Auch Dankwart rief es zu der Arbeit. Sein letztes Wort, heiser und +bitter, war das: »Und auch hier wieder ein Weib!« + +Ingeborg -- der Gedanke war bei Kunz gekommen und gegangen. Jetzt saß er +fest bei ihm. Natürlich war sie es, die den Ausschlag gab. + +Und seine eigene Liebesnot packte ihn immer grausamer an. Hatte er nicht +sein Mädchen verloren! Verloren, da er nicht gleich den Weg zu ihr +gefunden, da die Stunden, die ungenutzten, immer mehr Hindernisse +aufgebaut, immer mehr an Trotz und Scheu. Konnten sie beide noch hinüber +-- und wollten sie es noch? Das war ja das Schlimmste: wollten sie es +noch? War nicht das Köstliche gestorben? + +Und gegen Horst wandte sich seine Wut. Du verstehst es, Dir es besser zu +bereiten. Was habe ich früher gefabelt von Deiner Weiberfestigkeit, +Deinem Weiberstolz -- alles, alles bitt ich Dir ab! Wer so wie Du +Gelegenheiten wahrnimmt! Wer wie Du in allen möglichen Sätteln gerecht +ist! + +Wie hast Du um Lona Dich angestellt! Und jetzt, wo das schöne blonde +Schwedenmädchen Dir in den Wurf kommt -- dieses weiße, blonde, und +dieses reiche, dieses reiche, ja! + +Er suchte sein Ventil, in seine Reimereien giftete er sich hinein: + + Den einen nahm der Brahmaputra -- + Den andern langt sich die Valuta. + +Und entgiftete sich wieder, denn hier erschrak er nun doch vor sich +selbst, vor des Hasses Häßlichkeit. + +Nein, Horst -- das ist es nicht. Soweit ist es nun doch nicht mit Dir. +Aber ist es nicht weit genug? Und kommt nicht eins zum andern! + +Ist es nicht genug, daß Du von uns gehen willst! Uns im Stich lassen -- +ja, ja, so nenn ich es! Uns untreu werden und Dir selber. + +Wie habe ich immer zu Dir aufgeschaut! Und was bist Du mir gewesen! +Wohl, nicht immer war, was Du tatst und ließest, mir nach dem Herzen. +Aber die große Linie Deines Wesens -- wie zwang sie mich immer wieder zu +Dir hin. So gut wie sie alle bezwang, wie sie all unseren Kräften die +Richtung gab, das gemeinsam starke, gemeinsam freudige Ziel. + +Nun ist sie verbogen, geknickt, gebrochen. Da Du Dein eigenes Werk +verläßt und verrätst. Ja, und tausendmal ja, verrätst! Ein +Fahnenflüchtiger bist Du! Nichts wird hier beschönigt, verschleiert, +bemäntelt. Ein Verräter bist Du! Und Dein Werk geht an Dir zugrunde. + +Dankwart und ich, die wir bleiben -- er hat es richtig bezeichnet, auf +verlorenem Posten stehen wir. Und das Beste unseres Lebens wird hier +zerschellen. + +Nicht steht es in unserer beider Macht, was Du vermochtest, als Du noch +bei Dir und auch bei uns warst, das Auseinanderstrebende, das sich +Widerstrebende zu binden! Gewiß, daß dies das Höhere, das Größere war! +Wir beide, wir werden zerklüften, zerreißen -- der Kampf im eigenen +Hause, das ist es, was wir bedeuten! Aber hast Du nicht selbst gesagt, +ein Kleindeutschland soll dies hier sein! Nun, so sei es das auch ganz, +mit der vollen Zerrüttung im Bruderzwist! Der Wahn eines wilden +vernichtenden Hohnes brach aus seinen Augen. + +Wir werden unterliegen, gewiß, denn die Masse siegt. Aber besser +untergehen, als Masse sein! Die Mulitz und Metzling werden uns zu Boden +treten -- sollen sie! Aber Dir werden wir es gedenken, denn dies alles +danken wir Dir! Und wieder ruft es in ihm: Verräter! Wilder und wilder +brausen in seinem Schädel die Flammen, der nur noch mühsam in seinen +Nähten festsitzt. Von der Hirnwut, die durch die deutschen Lande rast, +befällt es auch ihn. Und es wühlt sich etwas in ihn ein. + +Sichtbar sind wir, wir haben die Pflicht der Höhe! Er hat es immer am +meisten gepredigt, mit Brustton verkündet, er, der uns jetzt im Stich +läßt. Der jetzt sich in Sicherheit bringt, der ins Ausland flüchtet, vor +der wachsenden deutschen Not. Ein Verräter! + +Und wir -- wer sind wir, die wir den Verrat in unseren Reihen dulden! +Nein, nicht in unseren Reihen! Den Verrat unseres Führers! Sind wir +damit nicht seiner wert! Sind wir damit nicht schuldig wie er! + +Verräter wie er, wenn wir ihn ziehen lassen! Und es frißt sich ihm ins +Blut: er darf nicht fort! Und wenn es auf Tod und Leben geht -- er darf +nicht fort! + +Was wär bei den Römern geschehen, was bei den alten Germanen! Sollen wir +der Väter nicht würdig sein -- heut mehr als jemals! Sollen unseren +Jungen nicht Vorbilder leuchten! Und sie blicken auf uns! Auf mich! Ich +habe meine Sendung. + +Das Unerbittliche brauchen wir. Das Unerbittliche. Jetzt, wo alles +fließt in Deutschland, fließt und zerrinnt. Wenn nur einer hart ist und +treu! Ein Kern nur -- ein Kern wird gebraucht -- und sei er noch so +klein! + +Richtfest ist am Sonntag. Das Wort brennt sich ihm in die Sinne. +Richtfest -- Gerichtstag wird gehalten! Wir werden richten! Ich -- ich! +Wie ein Wächter steht Kunz, ehern, in Gluten gehärtet. Das Herz leer, +dem die Freundschaft starb, dem die Liebe verklang. + +Die Siedlermannschaft erfuhr nichts von dem Entschluß des Führers. Nach +der Einweihung sollten sie es hören. Daß etwas in der Luft lag, +verspürten wohl die feineren Nasen. Aber man hing dem nicht nach. Die +Festgedanken fieberten durch die Seelen. + +Und jetzt zieht der festliche Sonntag auf. Noch die Nacht hindurch haben +sie gearbeitet, das Morgenrot sieht den Rohbau mit dem Dachgerüst +vollendet, der Tag gehört der Feier. + +Laubgewinde wird gebunden, eine mächtige Krone wird geflochten und mit +farbigen Bändern geziert. + +Vier von den Männern schleichen geheimnisvoll abseits, verkriechen sich +in das Dickicht und üben hier noch einmal das Quartett, mit dem sie die +Gefährten überraschen wollen. Die tiefste Einsamkeit sucht Mulitz, der +Maurerpolier, der die Kranzrede halten soll. Noch einmal memoriert er, +was er mit Benutzung alter Sprüche für die Weihe des Hauses sich +aufgesetzt hat. + +Die Sonne segnet den Tag. Für die Bewirtung der geladenen Gäste werden +noch Tische und Bänke im Freien gezimmert -- große Sprünge können die +Siedler nicht machen, mehr als Bier wird nicht verzapft, und auch das +schon reißt ein übergroßes Loch in die Finanzen. Aber was hilft es, +Vornehmheit verpflichtet. Und heute wollen sie einmal alle Sorgen dem +Wind vor die Füße schmeißen! + +Am frühen Nachmittag soll die Feier beginnen. Als die ersten finden die +Jungen aus der Stadt sich ein. Fragen, ob sie noch irgendwie helfen +können. Fritz Röder und zwei andere noch haben ihre Kameras mitgebracht. +Sie wollen alle Einzelheiten des Festes verewigen und viele +Gruppenaufnahmen machen. Damit sind sie besonders willkommen. + +Dankwart holt seine jungen Freunde zu sich herein. Sein Modell ist +flugfertig. Es soll über dem Bau kreisen, wenn die Weiherede steigt. +Ganz hingegeben erklärt er ihnen noch einmal das Neue der Konstruktion. +Ebenso hingegeben hörten die jungen Köpfe zu. Wie freuen sich alle auf +diese so hohe Überraschung. Wie sind sie getragen von dem Geheimnis, das +sie feierlich bewahren. + +Siedler empfangen ihre Eingeladenen. Im weiteren Umkreise werden +Zuschauer sichtbar. Neugierige machen sich näher heran, andere lagern +sich abseits im Heidekraut. + +Von Moorhof her kommt eine Frau, schwarz gekleidet, in Begleitung von +Pastor Waermann. Die Patronin der Siedlung ist es, Frau Tilde. Wie ein +Flor wallt es um sie her. Ernst wird es allen zu Sinn. Verehrungsvoll +verneigen sich die Männer. Einer macht sich gleich auf den Weg, Meldung +an Horst auszurichten, der in seinem Raum immer noch mit der Ordnung von +Schriftstücken beschäftigt ist. Er tritt sofort heraus, den erlesenen +Besuch zu empfangen. + +In voller Uniform mit Ordensschmuck ist er, dem Tage die Ehre zu geben, +wie Dankwart und Kunz auch, wie die meisten der Siedler. Horst trägt nur +das kurze Seitengewehr. Dankwart und Kunz haben auch die Pistole im +Gürtel. + +Horst reicht Tilde still die Hand, bei Gisbert sind ihrer beider +Gedanken. Seit er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes überbracht, +haben sie sich nicht mehr gesehen. Edelsteinhart sind ihre Augen +geworden, nur von Pflicht und Arbeit wissen sie. Um ihren beseelten Mund +hat ein starrer Zug sich gegraben. Sie versteinert von dem Fluch der +Einsamkeit, dem ihr Leben erliegt. + +Kunz findet sich zur Begrüßung ein. Horst und er sehen sich heute zum +erstenmal. Sie mustern sich wie zwei Kämpfer, kalt, feindlich. Seit +Tagen ist kein Wort zwischen ihnen geredet. + +Horst spricht mit Tilde, der Pastor mit Kunz. »Warum habe ich Sie so +lange nicht gesehen?« fragt Waermann. + +Kunz schweigt. Wo hast Du Vita? will es ihm auf die Lippen. Aber dann +denkt er, wie gleichgültig ist dies. Gegen das, was hier geschieht. Und +sein Blick greift zu Horst hinüber. Der Pastor sieht diesen Blick, und +schrickt zusammen. Was ist mit Kunz? Hier ist mehr als Schmerz und Klage +um den toten Freund. Etwas Wildes, grausam Gewaltsames züngelt hier. +Etwas wahnhaft Verbohrtes wühlt hier. Und wieder gewahrt er das in dem +Blick, mit dem Kunz die neuen Gäste, die Schweden aufnimmt. Was geht +hier vor? + +Oberst Thorild und seine Tochter sind dem Pastor bekannt, Frau Tilde +werden sie vorgestellt. Kunz löst sich von der Gruppe, um die ein +gemeinsames Gespräch sich schlingt. Er starrt vor sich hin, in seinem +Gehirn ist eine leere tote Stelle. + +Dann schweifen seine Augen mechanisch über die Versammelten ringsum. Er +sieht ein paar Gesichter, die ihm nicht gefallen -- Bekannte, von dem +Barackensturm her? Wie ein Schleier liegt es über allem. + +Und dann doch die Frage: Was wollen die hier? Wie wach und hell hätte +ihn früher dieser Gedanke gemacht. Wie hätte der all seine Kräfte +angespannt. Jetzt schleichen sie träge. Nur, daß durch ihn das eine +hinblitzt: führten sie doch etwas im Schilde! Käme es doch wieder zu +blutigem Kampf! Nur Blut könnte hier heilen! Und würde hier alles +zerstört und dem Boden gleich gemacht -- vielleicht das beste! Besser +ein ganzes Nichts als dies halbe Dasein des kümmernden Werks! Und er +selbst wird in dem Untergang begraben und ist frei und erlöst, ist ledig +aller Pflichten -- aller Taten -- + +Ein Schleier liegt ihm über der Welt, ein rötlicher Dunst ist über den +Dingen. + +Der alte Torfmeister wuchtet zu ihm her -- spricht gewaltig auf ihn ein +-- seine Ohren dröhnen, die leere Stelle in seinem Hirn füllt sich mit +tosenden Schmerzen -- er nickt benommen zu allem, was er hört, und weiß +von nichts und starrt in die verschleierte Welt. Den Schleier zu +zerreißen -- mir liegt es ob! + +Jetzt tritt Mulitz, der Polier, zum Bericht vor Horst. Es sei alles für +die Feier vorbereitet. Wenn es recht sei, könne sie beginnen. + +»Dann wollen wir also!« bestimmt Horst. Wie matte Bronze ist sein +Gesicht, verbissen sein Mund, um seine Augen sind Schatten, aber er ist +fest und bereit. + +Und bereit ist auch Kunz. + +Zwischen Ingeborg und Oberst Thorild geht Horst, da sie nun alle zum +Neubau wandern. Die beiden wissen, wie Schweres er trägt. Es ist +abgemacht, daß sie gleich nach der Feier abfahren. Die Segeljacht ist +bereit. Ihre Koffer haben sie gepackt. Aber sie wollen nicht daran +erinnern, nicht davon sprechen. + +Doch Horst bringt selbst die Rede darauf. »Darf ich fragen, Herr Oberst, +ob es bei dem Reisetermin bleibt?« + +»Wenn Sie einen Aufschub wünschen --« + +»Aber ich bitte. Meine Sachen sind geordnet. Ich bin freudig dabei.« + +Ingeborgs Augen strahlen zu ihm empor. + +Sein Führerblick übersieht den Kreis. Ganz dahinten -- eine besondere +Gruppe fällt ihm auf. In ihr ist lebhafte Bewegung. Einer redet jetzt +eben -- gestikuliert verzweifelt -- ein anderer beschwichtigt -- hält +zurück -- bändigt -- beschwört. Die Köpfe sind nicht zu erkennen. Doch +nach der Haltung, der Bewegung, der Gestalt -- der Bändiger, der Lange, +ist das nicht Stahlboom? Die Kommunisten -- was wollen sie hier? +Bereiten sie sowas wie einen Anschlag vor? Er behält sie im Auge. + +Hat die schwarz-weiß-rote Fahne sie erregt, die eben über dem First des +Neubaus an dem Flaggenmast in die Höhe steigt, von Sonne und Wind mit +Jubel gegrüßt? + +Von der Baracke her ist Dankwart mit den Jungen erschienen. Sie tragen +sein Flugzeugmodell. Auf die Goldberge steigt er mit ihnen und bringt +den Apparat in Stellung. + +Vor dem Hause machen Mulitz und der heilige Josef die Ehren. Die +Versammelten -- eine große Schar ist es geworden -- stellen im Halbkreis +sich auf. Der Polier will ins Haus, will das Gerüst unter der Krone +besteigen und die Kranzrede halten. Da, wie jetzt das Schweigen sich +über sie breitet, knattert ein Automobil in der Nähe. Sie horchen auf. +Kommt noch hoher Besuch? + +Jetzt hört es sich an, als wolle es auf der Straße, die man von hier aus +nicht sehen kann, vorüberfahren. Dann hält es. Dann nimmt es eine neue +Richtung. Jetzt kommt es querfeldein über die Heide. Wen bringt es? +Uniformen blitzen darin. + +Das Gelände wird sandig und hüglig. Der Wagen stockt und steht. Die +Insassen steigen aus. Ententeoffiziere. Ein französischer, ein +englischer Hauptmann. Sie schreiten auf die Versammelten zu. Zwei +französische Sergeanten hinter ihnen. + +Ein Todesschweigen über all den Menschen. Eine Stille ringsum, als halte +die Welt den Atem an. Als drehe die Erde sich nicht mehr. Nur die +schwarz-weiß-rote Fahne rauscht im Winde. + +Der französische Kapitän, geschniegelt, kokett, bewußt, der Rangälteste +und Wortführer, greift sich mit den Blicken Horst heraus, den er gleich +als die leitende Persönlichkeit erkennt. Mustert ihn, in seiner +deutschen Offiziersuniform, mit unverschämten Blick, von Kopf zu Füßen. +Erklärt dann in einer Art leutseligen Gesprächigkeit: sie hätten heute +am Sonntag eigentlich nur einen Vergnügungsausflug vorgehabt -- _à votre +océan_ -- und die Frechheit ist wieder obenauf. »_Mais maintenant votre +noir-blanc-rouge nous a attiré. On revient toujours -- vous savez -- à +ses premières amours!_« Horst steht kühl, aufrecht, in voller Höhe vor +ihm und würdigt ihn keiner Antwort. Sein Blick ist dem Franzmann +unangenehm. Er weicht ihm aus und spricht jetzt herrisch und giftig: da +sie nun einmal hier wären, wollten sie »das Nützliche mit dem +Angenehmen« verbinden -- er schlägt mit dem Handstock seine +Ledergamasche -- und hier an Ort und Stelle gleich die Waffensuche +vornehmen. »_S'il vous plaît_« -- wendet er sich an den Engländer, der +schläfrig dasteht und aus seiner kurzen Shagpfeife pafft. Kaum hält er +es für nötig, mit dem Kopf zu nicken oder ein »_yes_« zu kauen. + +Der Franzose sieht sich im Kreise um, er mustert das Publikum bei diesem +Schauspiel, dessen Hauptheld er ist, da trifft von den Goldbergen her +ein Flimmern sein Auge. Das Flugzeugmodell blitzt in der Sonne. + +Er setzt den Feldstecher an. »_Ah -- un modèle d'aéroplane! voilà des +essais, qu'il faut surveiller avant tout!_« Er wendet sich an den +englischen Hauptmann -- »_vous arrange -- t-il?_« -- und schreitet auf +die Höhe zu. Der Englischmann grunzt und bleibt an seiner Seite. Die +Sergeanten folgen. + +Horst auf anderem Wege überholt sie. Dies alles geht ihn natürlich +zuerst an. Kunz ist an seinen Fersen. Der eiserne Ring, der ihm um die +Brust saß, ist gesprengt. Eine neue Tonart spielt das Leben. Er kann +wieder Luft holen. Er trinkt sie tief in sich ein. Bis in den Hals +schlägt ihm das Herz. + +Mit Dankwart zusammen nehmen Horst und Kunz die Feinde in Empfang. + +Die Menge ist an den Fuß der Goldberge geströmt. All die Köpfe sind +gehoben, all die Gesichter, die Augen glänzen auf zu der Höhe. In allen +Herzen klopft es: was wird geschehen? Daß hier etwas geschehen wird, sie +fühlen, sie wissen, sie fordern es alle. Und so sind sie einig, +geschlossen, eine große Gemeinschaft in diesem einen Gefühl. Von Pastor +Waermann, dem Freiheitshelden, bis zu Stahlboom, dem Kommunisten -- in +Frau Tilde, in Oberst Thorild, Ingeborg, dem Torfmeister, in allen +Siedlern, allen Geladenen und Ungeladenen -- in allen, allen pulsen die +Nerven denselben Takt. + +Auch in den frommen Wallern, die heute wieder erschienen sind -- zuerst +haben sie sich gesondert gehalten und ferne -- in scheuer Andacht -- wie +eifersüchtig auf ihre Sehnsucht -- jetzt rücken sie näher -- und bald +werden sie sich ganz dem großen Chore einverleibt haben. Ist nicht in +allen dieselbe Not, dasselbe Gebet? Werden nicht die vielen vereinten +Hände, geeinten Herzen am ersten das Wunder beschwören? Am ersten ein +Zeichen erwirken? Ein Zeichen des Trostes, und wenn nur ein kleines, das +Hoffnung gibt auf die Erlösung! + +Da oben, eingespannt in den hellen, vollen, harten, wahrhaftigen Glanz +der Sonne, stehen sie -- deutsche Offiziere -- feindliche Offiziere. Im +Schmuck ihres Kleides, im Glanz ihrer Waffen, ihrer Ehren. Stehen sich +gegenüber -- Welt gegen Welt. Was wird geschehen? + +Was entspinnt sich da? Der Kapitän besichtigt das Modell. »_Instrument +de guerre_«, erklärt er. »_Vous le briserez sur le champ moi présent!_« + +Dankwart hat dafür kein Wort. Er wendet dem Heischenden den Rücken und +legt beide Arme auf die Maschine. + +Der Franzose zischt wie eine Natter -- packt Dankwarts Schulter -- der +schüttelt ihn ab, daß er taumelt. + +Da, in maßloser Wut hebt der Franzose den Stock und schlägt Dankwart +über den Kopf! Dankwart, den Krüppel! + +Ein dumpfer Aufschrei preßt sich aus all den Herzen, den Kehlen -- + +Horst -- schon hat er den Burschen am Kragen -- holt ihn sich hintenüber +-- reißt ihm den Stock aus der Hand -- legt ihn sich übers Knie und läßt +seine Hiebe auf ihn hageln. + +Blitzschnell das alles. Der Engländer steht regungslos. Die Sergeanten +wollen zuspringen. Die Hand mit der Shagpfeife weist sie zurück. »_Fair +play!_« Um den breiten Mund ist das Lächeln einer ehrlichen kleinen +Teufelei. + +Blitzschnell ist es vorüber. Atemlos, im Bann, in verzücktem Schweigen +-- so haben all die Herzen, die Hirne das Bild getrunken. Sie haben es, +sie halten es, verwachsen ist es mit ihnen. + +Jetzt, da Horst den Gezüchtigten beiseite geschmissen hat -- da dieser +mit schäumendem Mund und irrem Auge die Pistole aus dem Gürtel reißt -- +mit donnerndem Hurra sind all die Siedler den Berg hinaufgestürmt. + +Der englische Hauptmann hat den Arm des Verstörten genommen. Sein »_we +shall see!_« kaut er und führt ihn gemessen den Berg hinunter, zu ihrem +Auto. + +Ein Jubel hat sich aufgemacht wie eine Windsbraut. Das große Meer des +Zornes eines edlen, mächtigen, geknechteten, geschändeten Volkes -- hier +schlägt es seine Wellen empor, himmelan. Sie klatschen in die Hände, sie +umarmen sich, sie brausen, sie taumeln unter Weinen und Lachen. Muz wie +ein Feuerrad rast um sich selbst -- man sieht nur ein tosendes Rund und +sprühende Funken. Ein donnerndes Rollen steigt zum Firmament. Lud +Uhlenbrook lacht und lacht aus vollem Herzen -- so brüllt das Glück. +Außer Rand und Band ist die ganze sonnenselige Welt. Das blanke hohe +Himmelszelt spannt sich zum Zerspringen -- zerreißt es nicht -- bricht +nicht ein Blitz aus dem Blau -- ein Gottesantlitz? + +Horst über ihnen allen, strahlend wie Michael, die Augen geweitet, die +Nüstern gebläht, ein unergründlich glückliches Lächeln um den Mund. Noch +meiden sie ihn, wie ein Höheres, ein Heiliges. + +Dann aber stürzen die Jungen zu ihm. Fritz Röder -- will es schreien -- +und erstickt an seiner Seligkeit -- und stößt es dann mühsam aus +verschluckten Tränen hervor -- »ich hab es geknipst!« Und zwei andere +stammeln »ich auch!« Und Fritz verkündet es heiser, lallend, +zusammenbrechend -- »ein Bild ist das -- ein Titelbild -- für die +Geschichte -- in alle Lande, in alle Städte, in alle Dörfer soll es +fliegen -- für die Weltgeschichte -- für die deutsche Geschichte -- ein +Titelbild -- ich hab es geknipst --« + +Wie ein vom Strick Losgeschnittener steht Kunz. Zu heftig hat sich die +hohle Stelle in seinem Brägen wieder gefüllt. Noch blickt er verblödet. + +Da schleicht von hinten etwas zu ihm, springt ihn an, drückt ihm die +Lider zu mit kindlichen Händen -- wer ist es? -- was fragt er, da er es +fühlt? + +Und sein Mädchen schenkt ihm der deutsche Jubel! In seinen Armen hängt +Vita und küßt ihn mit fast mänadenhafter Glut. Daß er aufs neue +verblödet. Aber plötzlich ist er so hell und gescheit wie noch nie in +seinem Leben und packt zu und hält fest. Und ist der bedeutendste und +mächtigste aller Menschen. + +Und ist wieder der Junge, ganz der Junge -- schreit auf wie ein +Verrückter -- schlägt Purzelbäume, sieben hintereinander und brüllt +zwischendurch zu seiner Vita hinüber: »Bin ich dick?« + +Dann bleibt er besinnlich im Grase sitzen. Ist das ein Tag -- eine Tat. +Ich muß sie besingen. Die Welt erwartet es von mir. Ein Heldenepos! Ich +hab auch schon einen Titel: der Büchsenspanner Seiner Majestät des +deutschen Volkes. Nein, ein Volkslied muß es werden. Ein Kutschkelied. +Und soll noch von den Enkeln gesungen werden in allen Gauen. + + »Da sprach der Horst, das ist mir Worst, + Und haut ihm, daß die Hose borst.« + +Ingeborg ist bei Horst. Sie läßt das Glück ihrer Augen leuchten, wenn es +auch schwer dahinter dämmert. Sie packt seine Hand mit beiden Händen. +Das wiegt alle Worte auf. Dann spricht sie leise: »Aber nun wird Ihnen +hier Schweres bevorstehen.« + +»Wer das nicht fröhlich auf sich nimmt --!« Gleichwohl schweifen ihre +Blicke zur See hinunter und etwas in ihnen spricht: da liegt unsere +Jacht segelfertig. Du tust gut, Gras wachsen zu lassen über das, was +hier geschehen ist! Komm jetzt! Fahr mit uns! Mit mir! + +Doch, wie sie das Auge wieder voll zu ihm wendet, erschrickt sie vor +diesem eigenen versteckten Denken und Wünschen. Ich würde es selbst +nicht wollen, daß Du Dich von hier entfernst! Daß Du mit uns fährst. Ich +würde Dich selbst so nicht wollen! Und ein harter reiner Schmerz bändigt +ihre Flammen. + +Oberst Thorild tritt hinzu. »Ein Wahrzeichen -- ein Wappen -- eine Fahne +sind Sie geworden!« Seine Augen sind voll Feuer. + +»So darf man denn das -- Abgedroschene, das Triviale gelten lassen, weil +es die stärkste Anschaulichkeit, die größte Bildkraft hat. Dafür werden +die Abstrakten im Lande Zeter über mich schreien.« + +»Die lassen Sie nur.« + +»Und die nützlich Ängstlichen noch mehr. Ich hör es schon in ihren +Blättern rauschen. Kostspielig wird die Sache -- schädlich +verbrecherisch ist Deine Tat! Nur ein Volksfeind konnte so handeln!« + +»Die lassen Sie erst recht. Ich sag Ihnen, noch ein Dutzend solcher +symbolischen Handlungen, und das Volksgewissen bekommt sein Mousseux, +seinen Aufstieg. Ich glaube es lohnt, in diesem Volksgewissen zu leben! +Dafür aber, mein Freund -- so darf ich Sie nennen -- sind wir, Ingeborg +und ich, jetzt die Leidtragenden. Da Sie jetzt nicht mit uns fahren.« + +»Ich denke, wir werden uns damit nicht verlieren.« + +»Niemals. So wie wir uns gefunden haben! Aber jetzt müssen wir Sie mit +Ihren Kameraden allein lassen. Leben Sie wohl!« + +Mit starkem Händedruck nehmen sie Abschied voneinander. Lange liegt +Ingeborgs Hand in der seinen. Dann bleiben ihre Augen nicht mehr fest, +und sie wendet sich jäh von ihm. + +Horst blickt den Schreitenden nach. Oft noch dreht Ingeborg sich um und +winkt mit dem Tuch. Er muß bitter hart die Zähne aufeinander beißen. +Wieder ist eine Kraft von ihm gegangen. Wieder eine Saite in ihm +zersprungen. Aber, was er noch hat, treu muß er es bewahren, denn es +gehört nicht ihm allein. + +Und wie er jetzt die Kameraden sucht, da tritt jemand vor ihn hin, ein +Unerwarteter. Stahlboom, der Kommunist. Der Feind, mit dem er gekämpft +auf Leben und Tod. Der Feind -- der Landsmann jetzt, der Deutsche. +Reicht ihm die Hand, schnell, hastig -- aber Hand ruht doch in Hand. Ob +heimlich, wie beiläufig, ärgerlich fast -- die Hände haben sich doch +gefunden! Wahrhaftig und notwendig! Die Hände und die Herzen! In diesem +Zeichen wachsen sie zusammen. + +Da leuchtet es nun erst über Horst hin -- der Lichtstrahl der +glückhaften Erfüllung! Die deutsche Einheit -- die Front ihrer Streiter +-- sie ist kein Traum -- sie kann sein -- sie wird sein -- sie ist! Nur +braucht sie ihr Signal! Die rechte Fahne muß wehen! Dafür leben und +sterben! + +Horst ist mit den Kameraden zusammen. »Ja,« sagt Horst, »ob Ihr mich bei +Euch behaltet? Ob Ihr nicht die Suppe, die ich auch Euch eingebrockt +habe, mich lieber allein auslöffeln laßt --! --« Da lachen all die +Siedler laut hinweg, was er sonst noch hätte sagen können. + +Kunz packt seine Hand und reißt ihn zur Seite. Und mit einem +unbeschreiblichen Blick, in dem ein Bekenntnis liegt voll aller +Düsternis und aller Helle dieser Welt, mit seinem lächelnden Knabenmund: +»Ich dank Dir auch, Horst -- dank Dir, daß ich Dich nicht hab um die +Ecke zu bringen brauchen.« + +Horst blickt in diese Tiefen und versteht den Freund, und ihre +Freundschaft ist geheiligt. + +»Und jetzt weihen wir unser Haus! Ihr Jungen, singt Deutschland Euer +junges Lied! Wir stimmen mit ein.« + +Und zur Sonne empor braust es: + + Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft, + jede Faser gestrafft und gerafft, + wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, + siehst du die nächtigen Wolken lohen? + Wir sind des Frührots lachender Schein! + Frei sollst du sein! + + Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! + Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! + Unter die Füße den tückischen Haß, + seine Ketten zerspringen wie Glas. + Unser Gebet, unser Feldgeschrei: + Frei sollst du sein! + Wir machen dich frei! + + + + + Vom gleichen Verfasser erschienen + in demselben Verlag + + Die Ecke der Welt + + Eine Erzählung. -- 5. Tausend. + + »Mit _großer dichterischer Kraft_ hat Dreyer hier die Geschichte + von einer Frau und drei Männern erzählt, und er erweist sich auch + jetzt wieder als ein _Meister der Epik_, als unerschrockener + Seelenkünder. Das ganze Geschehen ist von der herben + Landschaftsstimmung des nordischen Küstenlandes umhüllt; im + knappen Aufbau der Erzählung verrät sich die dramatische Schulung + und die Schilderung erreicht eine seltene Farbigkeit und + psychologische Klarheit, die Gabe eines unserer _feinsten + Dichter_.« + + (Hamburger Nachrichten) + + * + + Die Insel + + Geschichten aus dem Winkel. -- 5. Tausend. + + »Sieben _feine, kleine Geschichten_, anmutig in ihrer schlichten, + zu Herzen gehenden Art, eine Insel, auf die wir uns flüchten wollen + in den Wirren dieser Zeit. Die Naturschilderungen, die nicht + breit und platznehmend, dennoch vielfach im Vordergrund stehen, + sind von _schöner Kraft_. Die Skizzen sind _liebevoll ausgeführt_ + und haben zumeist einen Humor, der welterkennend lächelnd über + den Dingen steht.« + + (Eva Duncker im »Abendblatt«, Berlin) + + * + + Nachwuchs + + Roman. -- 5. Tausend. + + »In eigenartiger Weise behandelt Max Dreyers neues Buch das + Problem, das nach einem an Blutopfern überreichen Kriege für jedes + Volk das wichtigste ist: Die Frage nach dem Ersatz für alle die + Jünglinge und Männer, die ihr Leben dem Vaterlande hingegeben + haben. _Kräftiger Realismus vermählt sich in dem packend + geschriebenen Roman mit einer den feinsten Seelenregungen + nachspürenden psychologischen Kunst._« + + (Hannov. Courier, Hannover) + + + Vom gleichen Verfasser erschienen + früher in demselben Verlag + + Der deutsche Morgen + + Das Leben eines Mannes + 15. Tausend. + + * + + Ohm Peter + + Roman + 18. Tausend. + + * + + Lautes und Leises + + Ein Geschichtenbuch + 11. Tausend. + + * + + Strand + + Ein Geschichtenbuch + 3. Auflage. + + Einen ausführlichen Prospekt über die Werke von _Max + Dreyer_ liefert jede Buchhandlung oder der Verlag + kostenlos. + + + Anmerkungen zur Transkription + +Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. +Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere +Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): + + [S. 20]: + ... ihn unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ... + ... ihm unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ... + + [S. 27]: + ... warm. In diesem und jenen Frauenauge glänzte es ... + ... warm. In diesem und jenem Frauenauge glänzte es ... + + [S. 51]: + ... -- es löste sich ihm all in die lichte Unendlichkeit dieser ... + ... -- es löste sich ihm alles in die lichte Unendlichkeit dieser ... + + [S. 94]: + ... Die Widersprüche stürzen nur so über ihn. Er blieb ... + ... Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb ... + + [S. 98]: + ... Diener -- der ihm ein Vermögen kostet -- ist ein alter ... + ... Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist ein alter ... + + [S. 102]: + ... auch nichts getan«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ... + ... auch nichts getan?«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ... + + [S. 237]: + ... in dieser Gegend.« ... + ... in dieser Gegend?« ... + + [S. 298]: + ... ich hab es geknipst --« ... + ... -- ich hab es geknipst --« ... + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 *** diff --git a/57872-8.txt b/57872-8.txt deleted file mode 100644 index e04c3e7..0000000 --- a/57872-8.txt +++ /dev/null @@ -1,10962 +0,0 @@ -The Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die Siedler von Hohenmoor - Ein Buch des Zornes und der Zuversicht - -Author: Max Dreyer - -Release Date: September 9, 2018 [EBook #57872] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - - Max Dreyer - Die Siedler von Hohenmoor - - - - - Die Siedler - von Hohenmoor - - - Ein Buch - des Zornes und der Zuversicht - - - von - Max Dreyer - - - L. Staackmann Verlag, Leipzig - 1922 - - - Alle Rechte vorbehalten - Copyright 1922 by L. Staackmann Verlag, Leipzig - - - Gedruckt bei Dr. Kurt Säuberlich, Leipzig - - - - - Die Baracke - - -Er schritt durch die Winternacht über die Heide. Von Kristall war die -Mondwelt, die Luft klirrte und klang. - -Nach der Hügelkette, die ihm zur Seite blieb, sah er hinauf, »die -Goldberge« hießen die Höhen -- Geheimnisse schliefen in ihrem Schoß. - -Nun ließ er seinen Weg und stieg auf die Gipfel. Hier stand er und -blickte ins Land, auf das Reich seines Schaffens. - -Sein Reich -- eben hatte er den letzten Kampf bestanden, es sich und den -Seinen zu gewinnen. Er kam aus der Kreisstadt. Nach endlosen -Verhandlungen war es ihm heute gelungen, deren Väter, die trägen, die -übelwollenden, die argwöhnischen Gemüter sich zu beugen. Die verfallene -Ziegelei, die niemand kaufen, niemand pachten wollte, war samt dem -Gelände jetzt ihm und seiner Siedler-Mannschaft gesichert. Damit erst -war das ganze Siedlungswerk auf festen Grund gestellt. - -Die Ziegelei mit ihren Tonfeldern, auf der anderen Seite das Moor und -sein Torfstich, ein Stück Kiefernwald, bereit, die Balken und Bretter zu -liefern, reichlich Kulturboden und weites Heideland zum Urbarmachen -- -was brauchte man mehr zum Bauen und Hausen! - -Die Brust schwoll ihm, tief tranken seine Lungen die mondhelle Luft. - -Im Osten strahlte die See, vom Himmel beleuchtet bis an den Saum des -Horizonts. Kein Schiff war zu sehen, kein Dampfer, kein Segler -- das -tote deutsche Meer. - -Da zuckte es schmerzhaft durch ihn hin, und er wandte sich wieder -landeinwärts. Schritt herab von der Höhe, schritt wieder seinen Weg über -die Heide. Er warf den Druck von sich, seine Sehnen federten wie im -Marsch. Das Lied der deutschen Jugend, das durch die Seelen zog, kam ihm -in den gestrafften Sinn, und er sang sich die Worte: - - Wir sind die Jungen, in Not gestählt, - in Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt. - Deutsche Erde, die uns erschuf, - deutsche Erde, uns gilt dein Ruf. - Wir sind geweiht, wir schließen die Reih'n! - Frei sollst du sein! - - Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen - du bist der Ausgang, du das Beginnen. - Nicht einen Bissen von deutschem Korn, - nicht einen Tropfen aus deutschem Born, - Deutschland, daß wir nicht dächten dein! - Frei sollst du sein! - - Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft, - jede Faser gestrafft und gerafft, - wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, - siehst du die nächtigen Wolken lohen? - Wir sind des Frührots lachender Schein! - Frei sollst du sein! - - Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! - Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! - Unter die Füße den tückischen Haß, - seine Ketten zerspringen wie Glas. - Unser Gebet, unser Feldgeschrei: - Frei sollst du sein! - Wir machen dich frei! - -Er war am Ziel. Die Baracke, die an den kiefernbestandenen Hang sich -lehnte, war sein Quartier. - -Der Bretterbau lag dunkel, die Kameraden hatten nicht mehr auf ihn -gewartet. Er klopfte im Dreischlag, der Mann, der die Wache hatte, war -gleich zur Hand, steckte eine Kerze an und öffnete ihm. - -»Guten Abend, Runge, oder Guten Morgen!« grüßte der Eintretende. - -»Guten Abend, Herr Hauptmann.« - -»Wir haben jetzt auch die Ziegelei.« - -»Das ist famost!« In dem verschlafenen viereckigen Gesicht des -Wachmannes tanzten freudig die kleinen Augen wie feurige Punkte. - -Dann berichtete er »nichts zu melden, Herr Hauptmann«, und jeder ging in -sein Losament. Der Wachthabende in das kleine Gemach rechts vom Eingang, -Hauptmann Horst Oldefeld in sein Zimmer, das gegenüber lag. - -Ein kahler, niedriger, einfenstriger Raum, in dem nichts als ein Tisch, -zwei Stühle und ein eiserner Ofen stand. Das Bett war ein -Bretterverschlag an der Wand, mit Strohsack und wollener Decke. Lag es -sich hart und kalt darin, hatte er die Bannworte bereit: Schützengraben -und Champagne! Durch Dreck geschleift -- in Dreck verkrustet! Und er -kuschelte sich ein voll unbändigen Behagens. - -Morgens war er der erste auf. Holte sich die große blecherne -Waschschüssel voll Schnee, und rieb sich mit der himmlischen Frische ab -von Kopf zu Füßen. Dann im Mantel an den Tisch zum Schreibwerk, und er -dampfte von Wärme in dem ausgekühlten Raum. - -Nicht lange, da trat der Hauptmann Dankwart Hamerslag bei ihm ein. Hart, -ernst, wortkarg. Das Lid über dem rechten Auge infolge eines -Kopfschusses halb gesenkt, der linke Arm steif, ein Granatsplitter stak -noch in der Schulter. - -»Morgen, Junge«, grüßte ihn Horst. »Also die Städter hätten wir jetzt -auch erschlagen.« - -»Hörte schon.« - -»Endlich die freie Bahn! Nun geht's aber auch mit heidi! Heut werden -also Bäume gefällt.« - -»Ja.« - -»Ich will selbst den ganzen Tag dabei sein. Du übernimmst dann das -Bureau.« - -»Gern. Nur --« - -»Was?« - -»Ich bin mit meiner technischen Berechnung noch nicht durch --« - -»Für die Kraftanlage?« - -»Ja.« - -»Das geht natürlich vor. Dann muß Gisbert den Schreibkram hier machen. -Ich wollte die beiden Jungen sonst mit rausnehmen.« - -Die beiden Jungen waren die Oberleutnants Gisbert Hegendorf und Kunz -Rutenberg. Sie schliefen und hausten in einem Gelaß. - -Gisbert in seinem Verschlag war der erste, der sich rührte. Langsam -fanden seine schweren Traumaugen den Weg in den Morgen. Die langen -Finger tasteten, der Wirklichkeit ungewiß, wie fragend nach dem Kopf, -dann zuversichtlich geworden, fuhren sie glättend über das weiche blonde -Haar. Und nun reckten sich die schlanken Glieder ins Wache, ins Leben. - -Kunz schlief noch fest. Wie ein kleiner Junge lag er, den harten, -kurzgeschorenen Kopf in den runden Arm geborgen. Zu Füßen seines Lagers -hatte Muz sich hingerollt, ein junger Schäferhund, nicht ganz rein von -Rasse, aber um so reiner von Gesinnung, wie sein Herr kritischer Schärfe -der Betrachtung zu wehren liebte. - -Gisbert streckte die langen Beine in den kalten Weltenraum und rief: -»Kunz!« Kunz machte den Arm noch runder und schlief weiter. - -Gisbert prustete von der Waschschüssel auf: »Kunz!« Kunz knurrte und -schmatzte und schnalzte nach einem Schimpfwort, gurgelte es zurück und -schnarchte wieder ein. - -Jetzt aber trat Muz in Tätigkeit. Erhob sich, zog sich lang und länger -die Hinterfüße aus dem Leib und schleifte sich so zu dem Lager des -Unerbittlichen. Wie tröstend legte er die Schnauze auf die Schlafdecke -und ließ den Schwanz pendeln gleich einem Perpendikel. Es ist Zeit, es -ist Zeit, es ist Zeit -- und allmählich immer lebhafter: es ist hohe, -hohe Zeit! es ist hohe, hohe Zeit! - -Diese leise Weckuhr brachte den Schläfer zuverlässig zur Besinnung. -Seine Finger fühlten sich zu dem weichen Ohr der Uhr, streichelten das -samtene Fell, sie bekamen ihre Regsamkeit und lösten den ganzen Leib aus -seiner Starre. Und jetzt landete Kunz Rutenberg mit schnellem Sprung aus -dem Bett auf dem harten Dasein und schimpfte sich hier vollends -bodenständig. - -»Bande,« rief er, »Bande!« Und gähnte und schalt. »Was wollt ihr -eigentlich von mir, was hab ich eigentlich bei euch zu suchen -- -ihr Eisenfresser der Pflicht -- ihr Barackenheilige -- ihr -Kartoffelsuppenspartaner -- ihr Strohsackasketen -- ihr Flagellanten der -Arbeit -- was soll ich bei euch -- in eurer Arche düsterster -Enthaltsamkeit!« - -Die gekeuchten Worte gaben den Takt, nach dem er sich wusch und sich -frottierte. - -»Das Licht ist, was ich liebe -- das Licht ist, was ich suche -- Geigen -sollen schwirren -- prickelnde, knisternde Weisen will ich -- -Farbenfunken sollen sprühen -- über duftendes Frauenhaar -- das perlende -Leben will ich, aus dem Glas, von den Lippen -- nicht die dunkle, -hundekalte, muffige Öde eures elend ungehobelten Bretterstalls!« - -Er schnob gewaltig. - -Gisbert lächelte schweigend hinein in seine langen, feinen, edel -gebogenen Züge. Dieses Geschmetter in den Morgen brachte ihm an sich -keine Überraschung. Damit pflegte Kunz, der hurtige, Tag für Tag sich -den Mund auszuspülen. Was dem stilleren Stubengenossen eine leise Freude -gab, war die scheinbare Unerschöpflichkeit des Sprachschatzes, der -täglich neue Gaben ausschüttete. - -Kunz war zuerst mit dem Anzug fertig und drängte nun zum Tageswerk. Er -nannte das -- um sich vor sich selber treu zu bleiben -- den Tag -schupsen, daß er eher zu Ende gehe. - -Gisberts sorgliche Genauigkeit bekam jetzt von ihm die Peitsche, und -bald standen auch die beiden bei Horst im Zimmer. Hier hörten sie gleich -von dem Erwerb der Ziegelei, der die Erlösung brachte. Niemand strahlte -froher als Kunz. Und wie leuchteten die Augen bei diesem Sybariten des -Wortes, als er hörte, daß er mit zu der harten Arbeit des Baumfällens -ausersehen sei. - -Mit dem Glockenschlag versammelten sich alle in der Halle zum Frühstück, -alle Siedler, Führer und Mannschaft gemeinsam -- es waren im ganzen -ihrer dreiundzwanzig. - -Sie saßen ohne irgendwelche Rangordnung durcheinander. Der -kameradschaftliche Grundsatz herrschte durchaus vor. Freiwillig hatten -die Männer sich zusammengefunden zu schwerem, ernstem, gemeinsamem Werk, -von dem sie meinten, es könnte vorbildlich sein. Von dem sie hofften, es -könnte Hilfe bringen dem armen, ach so bedürftigen Vaterland -- geringe -nur durch die Leistung selbst, doch größere durch das Beispiel. Ein -Werk, in dem eine Freudigkeit des Glaubens atmete, ein gehobener Wille. - -Bauen, bauen wollen wir -- aufbauen -- was gibt es, das freier wäre, das -mehr in die Höhe ginge, das dem Göttlichen näher käme! - -Und in lebendiger Gemeinsamkeit schaffen wir -- einer so nützlich, so -nötig, so unentbehrlich wie der andere -- alle uns gleich durch die -gleiche Pflicht, den gleichen Stolz, die gleiche Liebe zu dem, was wir -schaffen -- wie Glieder eines lebenden Wesens, das denkt und sorgt und -wirkt! - -Heimstätten bauen wir, aus deutscher Erde, auf deutschem Land. So -unglückselig arm ist das Vaterland geworden, nur eins ist sein Reichtum, -das sind seine Kinder. Die drängen zu ihm hin, die schmiegen sich an -seine Brust, sie wollen, sie müssen bei ihm bleiben. Wie sie alle -kommen, wie sie sich mehren, es fehlen die Herde sie zu wärmen und zu -hüten. Deutsche Herde wollen wir bauen! Helfen wollen wir, daß kein -Deutscher heimatlos sei im deutschen Land. - -Als wir in Wohlfahrt lebten, in übermütigem, gedankenlosem Glück, haben -wir so manche Strecken deutschen Bodens nicht geachtet oder gar -verachtet, haben wir über Ödland die Achseln gezuckt. - -Nun bietet diese arme Erde sich dar, auch sie möchte nützen und helfen. -Und ist sie noch arm, da solche Kraft in ihr lebt? Uns liegt es ob, die -Kraft zu lösen und zu mehren, durch unserer Hirne, unserer Hände, -unserer Herzen Walten und Wirken. Ist das nicht wie Schöpfung? Ist das -nicht Gottesnähe? Ein andächtiges, ein tiefes, ein heiliges Werk. - -Etwas von dieser Weihe lag auf jedem der Männer, die solchem -tiefinnerlichen Dienst an der deutschen Erde sich ergeben hatten. - - - - - Der Herr von Moorhof und die Siedler - - -Sie waren zum Teil Regimentskameraden vom Kriege her, alle aber hatten -sie dann einem Freikorps angehört, das gegen die spartakistischen -Umtriebe sich einsetzte. - -Gerade dieser Küstenstrich hatte schwere Erschütterungen gesehen. Mehr -noch als anderswo hatten sich hier Verbrecherhorden mit den -Schwarmgeistern gemischt. Auf den Gütern vornehmlich gab es Raub, Brand -und Mord. - -Da wurde ein Kommando hierhergelegt, Horst Oldefeld der Führer, Dankwart -Hamerslag als Offizier ihm zur Seite, Gisbert und Kunz standen als -Gemeine mit im Glied. Es waren dreißig Mann. Ihr Hauptquartier hatten -sie in Moorhof, dessen Herr, Baron von Borkhus war es, der ihnen dann -das Hauptgelände für die Siedelung zuwies. - -Das war ein alter Recke und Haudegen, der geborene Häuptling -- hätten -die Raubgesellen ihn nicht angeschossen bei ihrem Überfall, er würde -ganz allein mit seinen Leuten die Landschaft von dem Gesindel reingefegt -haben. - -So war das geschehen, das mit dem Überfall, dem schwere Tat entsprang. - -Zwei Autos rattern auf den Hof, bespickt mit Matrosen und Abenteurern in -Marineuniform. Vorne flattert die rote Fahne. Sie springen aus dem -Wagen, an die fünfzehn Mann, schwingen ihre Handgranaten, besetzen die -Türen von Haus und Stallungen. - -Der Führer ein junger, schlanker Mensch mit geistigem Gesicht, -schwarzen, kaltfanatischen Augen und schmalem höhnischen Mund. Er und -zwei Begleiter, die Pistole in der Hand, die Granaten im Gürtel, begeben -sich ins Herrenhaus. - -Die Mädchen halten sich versteckt, der alte Diener erscheint zaghaft im -Treppenhaus. - -»Wollen den Besitzer sprechen.« - -»Wen darf ich melden?« - -Die drei lachen. »Der sogenannte Besitzer hat sich bei uns zu melden. -Aber plötzlich. Warten tun wir nicht lange.« Der Führer klopft mit dem -Pistolengriff auf den Tisch. - -Schon kommt Baron von Borkhus die Treppe herunter, mit schwerem -wuchtigen Schritt, der gewaltige Mann. Er geht mühsam, sein rechtes Bein -ist von Ischias gekrümmt, die er in den Karpathen sich geholt hat. Er -knöpft sich den Uniformrock zu. Mit Bedacht hat er sich den angelegt, -als er von seinem Zimmer aus diesen Besuch erblickt. - -Seine mächtigen Augen über den Tränensäcken sehen mit einer unheimlich -großen Gelassenheit auf die Gäste. - -Der Führer geht ihm entgegen, die beiden anderen sind im Anschlag. - -»Sie wünschen?« fragt der Herr. - -Der Sprecher redet etwas von einem fantastischen Furagekommando, dann -tritt er nahe an den Baron hinan, der unbewaffnet und ungefährlich vor -ihm steht. - -»Sie erlauben wohl! Wir sind hier doch nicht aufm Maskenball!« Und die -frechen Finger greifen nach den Achselstücken. - -»Hund!« brüllt es ihm entgegen wie ein Orkan, in den glotzenden Augen -ist Wut und Blut, die mächtigen Pranken schlagen sich um die Kehle des -Angreifers und würgen ihn -- würgen ihn -- - -Die anderen -- erst wie betäubt -- wollen zuspringen -- wollen wieder -die Waffen nicht aus den Händen geben -- trauen sich nicht zu schießen, -weil der Gefährte da in den Händen des Berserkers hin und her baumelt -- -inzwischen sind durch die Hintertür bewaffnete Gutsleute vom Inspektor -hereingeführt -- Hände hoch! schreien sie von beiden Seiten -- dann wird -geschossen -- die zwei Matrosen stürzen hinaus -- der Baron ist -zusammengezuckt -- aber seine Hände wie verkrampft in dem einen Willen -und gezwungen, sie lassen nicht los und würgen -- würgen -- - -Draußen haben die beiden Wirtschaftseleven mit ein paar mutigen Leuten -die eingedrungenen unter Feuer genommen. - -Zwei, drei werden getroffen -- nun gibt es kein Halten mehr -- sie -stürzen in die Wagen -- kurbeln an -- lassen Führer Führer sein -- und -rasen davon. - -Wie der Inspektor zurückkommt ins Gutshaus, kauert der Herr in einem -Stuhl des Vestibüls. Um ihn wogt das Grauen. - -Auf dem Teppich liegt die Leiche des erwürgten Führers -- wie sie -hingesunken ist. - -»Sie sind fort«, berichtet der Inspektor kurz. Er ist ein langer, -sehniger Mann mit harten Zügen und kalten Augen. Die blicken nicht -leidig zurück. - -Jetzt sieht er Blut über den rechten Stiefel des Herrn sickern. Er -steigt über die Leiche, die ihm ein Hindernis ist und weiter nichts. - -»Herr Baron, Sie sind verwundet.« - -»Bin ich?« und als sei dieses unwesentlich, rührt er sich nicht, starrt -und versinkt in die Worte: »erwürgt hab' ich ihn.« - -Nun ja -- ein Toter -- es ist Aufruhr, es ist Krieg. Empfindeleien kennt -der Inspektor nicht. Er bleibt bei der Sache. Beordert ein Fuhrwerk in -die Stadt, den Arzt zu holen -- führt den Herrn in das nächste Zimmer -- -entkleidet ihn -- verbindet die Wunde. - -»Grad in das infame Bein«, stöhnt jetzt der Baron. »Nun es geht in einem -hin.« Aber er bleibt nicht lange bei sich selber und starrt dann wieder. - -Drei Tage später kam Horst mit seinem Trupp. - -Der Arzt hatte den Baron ins Bett gesteckt. Die Wunde, an sich nicht -schlimm, verlangte Schonung. Horst saß an seinem Lager. - -Sie sprachen vom Krieg. Aus der unsäglichen Schmach dieser Zeit -flüchteten sie in die blanken Tage der Ehren. - -Der Baron hatte als Major an der Somme gefochten, durch alle Grauen war -er gewatet, durch die Schlammbäche in ihrer Hochflut von Blut, die mit -Tornistern und Kochgeschirr Leichenfetzen und zerrissene Glieder -mischte. - -Welch ein Gefühl der Weihe hatte sie doch getragen, daß all dies -Entsetzen sie nicht mit Wahnsinn schlug! - -Und zwischendurch hielt er inne und sprach schwer: »Haben Sie schon mal -einen Menschen erwürgt -- erwürgt mit eigenen Händen?« - -»Nein, Herr Major --« - -»Einen Deutschen! Ein Deutscher einen Deutschen! Eine Zeit -apokalyptischer Greuel!« - -Dann steuerten sie hart und schnell einen anderen Kurs. Zwangen sich zur -Nüchternheit. Sprachen von wirtschaftlichen Dingen. - -Was wird aus all den entlassenen Offizieren und Unteroffizieren, aus all -den Kämpfern, die der Krieg erwerbslos gemacht hat? - -Land wird gebraucht. Ein eigenes Stück Erde -- ist das nicht der -Inbegriff des sozialen Heils, weil hier ein seelisches Gut -eingeschlossen ist? - -Siedlungsland müssen die großen Güter hergeben. »Ich will der erste sein -und ein Beispiel«, sagte Herr von Borkhus. - -Er hatte gesehen, welch leuchtende Augen der Gedanke an das eigene Land -in Horst Oldefeld entzündete, dem armen, verwehten Offizier, ohne -Heimstätte, ohne Familie. - -Er hatte ihn liebgewonnen in den wenigen Stunden. »Wenn Sie wollen, -sollen Sie sich hier anbauen.« - -Und im Laufe der Tage wurde schnell das Nötigste abgemacht. Baron -Borkhus gab freudig. Einen kräftigen Zipfel schnitt er ab von seinem -Besitztum -- Kulturland und Heide zum Urbarmachen, ein Kieferngehölz und -ein großes Stück Moor. - -»Die Ziegelei von der Stadt müssen wir dazu haben, dann können Sie -selber bauen. Herrgott -- und wenn der Tangentiener noch die kleine Ecke -hergeben wollte, dann hätten Sie ein rundes Reich für sich!« - -Horst war in Geschmack gekommen. »Meinen Sie, daß ich einmal mit Herrn -von Tangentien rede?« - -»Mit Klaus Tangentien?« Der Baron lächelte. »Soll ich Ihnen sagen, wie -der ist? Ich stehe mit ihm auf meinem Acker, nicht weit von unserer -Feldscheide. Da muß er Wasser lassen. Was tut er? Läuft er nicht nach -seinem Feld hinüber und besorgt es da? Daß seinem Boden nicht das -Ammoniak verloren gehe? So ist Klaus Tangentien. Und nun reden Sie mit -ihm.« - -Horst dankte. Aber Herr von Borkhus ließ es sich angelegen sein, für die -wirtschaftliche Sicherstellung das Nötige zu besorgen. - -Die Siedler selbst brachten ein Grundkapital zusammen. Am meisten hatte -Gisbert in die Suppe zu brocken, den sie den reichen Jüngling nannten, -und er gab mit vollen Händen. Auch Dankwart steuerte tüchtig bei. -Weniger hatte Kunz zu geben, am wenigsten Horst, der so gut wie -mittellos war. Von den anderen Kameraden beteiligte sich dieser oder -jener mit kleinen Beträgen. - -Aber diese ganze Summe hätte nur für den Anfang gereicht. Borkhus -brachte einen größeren Fonds zusammen. Er selbst lieh her, soviel er -vermochte. Sobald er wieder auf den Wagen konnte, machte er sich auf die -Walze. Bei Parteifreunden und Nachbarn warb er mit einigem Erfolg -- -Landschaft und Regierung versagten. Immerhin, in ein paar Wochen stand -das Unternehmen auf leidlich festen Füßen. - -Und er hatte sich selbst einigermaßen wiedergefunden in solchem -Liebeswerk. Die Freude, die er machte, leuchtete ihm heraus aus dem -Dunst, mit dem diese Tage ihn ersticken wollten. - -Was bevorstand, trat ein: das Freikorps wurde aufgelöst. Horst und die -drei Offiziere blieben. Dazu neunzehn von den Leuten, die ernsthaftesten -und besten, alte Unteroffiziere in der Mehrzahl. - -Horst war der geborene Führer. Er trug etwas von dem Glanz des -Unzerstörbaren, Unverlierbaren in sich. Er hatte die klare, reine Linie -und hielt sie um so fester, als er um sie kämpfen mußte. - -Denn er war von Haus aus eigentlich ein Träumer gewesen und hatte viel -bunte Märchen gelebt -- daher kam sein Lachen und seine Güte. Aber im -Grunde seiner Art saß wieder eine starke Sehnsucht nach Verantwortung, -eine Inbrunst für das Ziel, eine leidenschaftliche Liebe zur harten Tat. -Und daher stammte sein Ernst. - -Dann die Offenheit seines Auges, die Unbefangenheit seines Wesens, das -von verstecken nichts wußte und auch bei den anderen mit unbekümmertem -Griff aus den Höhlen und der Heimlichkeit herausholte, was das grelle -Tageslicht mied. Wenigen wie ihm taten sich so die Herzen auf. Darum -kannte er auch die Herzen, ihre Kraft, ihre Hoheit wie ihre Tücken und -Nücken. Und eben seines Wesens aufspürende Innigkeit feite ihn gegen -Groll und Gift. Er hatte nun einmal von den großen Eigenschaften, gegen -die es keine Rettung für kleinere Geister gibt -- als die Liebe. - -Machte das Hartsinnige, die starre Unbedingtheit den Führer aus, wäre -Dankwart Hamerslag dafür der geeignetste gewesen. Ihm hatte das Feste, -Spröde, Brüchige seiner Art ein grausames Geschick noch härter -geschmiedet. Als frischer Ehemann war er ins Feld gezogen. Wie er auf -Urlaub nach Hause kam, hatte seine Frau, die er vergötterte, die -kindlich junge, schwärmende, haltlose aus der Ehe sich beurlaubt. Davon -trug sein Leben die Wunde, die nicht verharschen konnte, und die sein -Blut mit Bitternis durchschwärte. - -Er war der Techniker des Kreises, nicht genial und von großen Ideen, -dazu fehlte es ihm an Herz und an Feueratem, aber von beispiellosem -Scharfsinn und reicher Erfindungsgabe. - -Und auch in dieser Seele brannte ein Altar. Das war die Liebe zu seinem -heimatlichen Westfalen. Stunden des Heimwehs hatte er, daß die Augen ihm -übergingen. Dann wetterte er gegen sich selbst. Er, sentimental, er, den -sie die Maschine nannten! Doch dies Gefühl ertrank erst wieder in dem -großen Schmerz um die große deutsche Heimat. - -Das Westfalenland, das Sachsentum, es schlang ein zärtliches Band um die -ungleichsten der Brüder, um ihn und Kunz Rutenberg. - -Er, der Mathematiker von Geblüt, und Kunz der geschworenste aller -Zahlenfeinde, der einmal erklärte: »Es muß ein Leben nach dem Tode -geben! Ich muß mir -- muß mir den Mann bei Licht besehen können, der die -Logarithmentafeln gebaut hat!« - -Kunz mit den frischen Backen, mit den »munteren roten Blutkörperchen«, -trotz dem Elend, das auch an ihm fraß, nicht weniger als an den -Kameraden. Er war ganz gewiß nicht der leichte Obenauf. Genug des -schweren niedersächsischen Sinnes war seinem jungen Frohmut beigemischt. -Und wenn die anderen sich mehr an ihm freuen und über ihn lachen -wollten, als er hergeben konnte, durfte er ernstlich sagen: »Kinder -- -wenn ich auch der Clown bin in eurem Zirkus, Komiker sind keine lustigen -Menschen!« - -Das ist ja wahr, der Versunkenheit und dem Kultus mystischer Weltflucht, -dem sein Stubengenosse Gisbert oft genug erlag, setzte er leicht eine -unbarmherzige Fröhlichkeit entgegen. Nicht mit böser Absicht -- dann -hätte in Gisbert irgendeine wenn auch noch so unbewußte Komödie am Werke -sein müssen. Und dessen Sauberkeit ahnte nun ganz und gar nichts von -Pose. Es geschah aus einer unwillkürlichen aber um so lebhafteren -Reaktion, die Kunz selber schmerzte. Namentlich dann, wenn sein Übermut -eine Ironie hineinpfefferte. - -Gisbert, gewiß der zarteste von ihnen allen, hatte im Kriege das -Schwerste durchgemacht. Vier Tage und drei Nächte lang war er -verschüttet gewesen, alles um ihn war nach und nach verröchelt. Als der -einzig Lebende kam er ans Tageslicht. Die Retter betteten einen -Verklärten, in Visionen Schauernden. Als sie ihn wegtrugen, hob er den -fast schon Seele gewordenen Leib, streckte die fliegenden unkörperlichen -Hände inbrünstig zurück -- und hauchte: »Nicht fort -- ich muß -- ich -muß -- wieder hinein -- dort hab ich Gott geschaut -- --« - -Es stimmte schon, was Horst Oldefeld einmal sagte: »Wir alle haben -Wunden, Gisbert aber hat Wundenmale.« - -Unter den neunzehn Männern, die mit den vier von ihnen selbst gewählten -Führern an dem langen Brettertisch beim Morgenkaffee saßen, fiel einer -besonders auf. Nicht weil er der größte und längste war, sondern weil er -was großes in den Augen hatte. Es war in ihnen die helle Zuversicht der -kindlich reinen Gottesgläubigkeit entzündet. - -Er hatte die ganze niederdeutsche treuherzige Unbeholfenheit in den -schlaksigen Gliedern, über dem kantigen, noch ganz jungen Gesicht, -leuchtete grauweiß sein Haar, das eine Sappenexplosion im Schützengraben -entfärbt hatte. Der tüchtigste Arbeiter wie er der bravste Soldat -gewesen war. In den Mußestunden hielt er sich viel allein, las, nein, -forschte in der Bibel, schrieb nach Hause an seine Mutter, seine Braut. -Gustav Elbenfried war Zimmermann seines Zeichens, sie nannten ihn mit -neckendem Respekt den heiligen Josef. - -Das Wort führte von der einen Ecke aus der ranke, schmeidige Fritz -Eggert. Er war gelernter Barbier und hieß darum »Balbutz«. Aber das -sagte im Grunde nichts von seinem Wesen und Leben. Kaum einen Beruf gab -es, den er nicht geübt hätte. Durch alle Länder Europas war er gewalzt. -Hatte auch sattsam geabenteuert, hatte »in den südlichen gelben -Halunkenländern« seinem Anfangsberuf getreu manch einen über den Löffel -barbiert und lieber selbst Hälse abgeschnitten, als sich begaunern -lassen. Kurz vor Ausbruch des Krieges war ihm Europa zu klein geworden, -er wollte »Afrika auch einmal was Gutes gönnen«. So war er nach Algier -gekommen. Von da trieb es ihn, als der Kriegsruf ihn traf, zu den Fahnen --- unter beispiellosen Listen, Finten, Entbehrungen und Gefahren -erreichte er deutschen Boden. Dies schuf ihm unter den Brüdern seinen -Wert und sein Gepräge. - -»Also Kinder,« so gab Horst die Tageslosung aus, »heut werden Bäume -gefällt. Wenn wir übers Jahr trockene Bretter haben wollen, wird es -Zeit. Arbeitsleiter ist Elbenfried.« - -So war es ausgemacht und Gesetz, daß bei jedem Werk der fachmännisch -Zuständige das Kommando hatte. Für das Gemeinsamkeitsgefühl gab es -keinen besseren Boden. - -Und nun scharwerkten all die jungen fleißigen Arme in dem Kieferngehölz -am Bergeshang. Die Gedanken und Herzen schlugen für die Heimstätte und -für die große Heimat. - -Schwere Nebel zogen von der See her über die Flur. In Nebel und Not war -das Vaterland. Aber hell und stark klangen durch den Dunst und Daak Säge -und Axt. Und fast froh flammten die Rufe durch die Schatten und Wolken. -Es waren die Stimmen der Arbeit. - - - - - Nieder mit dem Würger! - - -Nebel wogten durchs deutsche Land, Nebel und Rauch von Feuersbrünsten -und Scheiterhaufen. Ein giftig schwelender Brodem zerfraß die Augen, die -Hirne, die Herzen. - -Baron Borkhus und Horst fuhren im Jagdwagen nach der Kreisstadt zu einer -politischen Versammlung. Der Herr kutschierte, neben ihm saß Horst, -hinter ihnen Strempel, der alte Kutscher. - -»Was sind wir für ein Volk!« so wälzte Borkhus an seiner Last. »Daß -Unsersgleichen nicht auf Erden ist, wer will es uns jetzt noch -bestreiten! Die größten Helden sind wir -- ja -- aber auch die größten -Hunde! Hat je ein Volk erst sich selbst heimtückisch gemeuchelt -- dann -sich selber begeifert und bespien -- mit einer Art Wollust schmutzigster -Exhibition sich selbst vor aller Welt an den Schandpranger gestellt! Daß -selbst die schwarzen Bestien sich scheckig lachen vor unbändigem -Vergnügen!« - -»Wir sind krank -- wir sind im Fieber --« - -»Fieber -- seit wann macht Fieber ehrliche Kerle zu Lumpenhunden!« - -Er war schon in der gehörigen rhetorischen Stimmung und im -Öffentlichkeitsfeuer. Er brauchte auch Publikum und dessen Widerhall. Da -Horst nachdenklich schwieg, wandte er sich hinterwärts an sein Faktotum. - -»Hab ich recht, Strempel, oder nicht?« - -»Komplett, Herr Baron,« kaute der zurück, mit seinem breiten, malmenden -Mund. - -Borkhus hatte eine Zärtlichkeit für diesen verschmitzten, verkniffenen -alten Knaben, die Horst nicht begriff. Ihm waren in die Falten des -knochigen, eckäugigen, vergilbten und gegerbten Bereitergesichts alle -Tücken der Welt gesät. - -Es ist gut, dachte im übrigen Horst Oldefeld, dem Baron zugewandt, daß -du vor der Versammlung von dem gröbsten dich entlädtst! Dein Zorn hat -recht, so weit Zorn recht haben kann. Denn Zorn allein kann nicht -helfen, und Hilfe ist, was wir wollen. - -Horst, der selber oft genug seinen Ingrimm mit beiden Händen bändigen -mußte, blieb heute in der Ruhe und strebte in die Tiefe. - -Er sprach davon, wie Deutschland von je das Schlachtfeld gewesen sei, -das blutige, das zerwühlte, nicht nur für alle Heere der Erde, auch für -alle großen Ideen der Welt, die alle, alle sein schmerzensreicher Schoß -getragen und geboren hatte. Aufs Tiefste und Schmerzlichste zerpflügt -das Land vom Schwert und vom Geist. Alles, alles Menschliche umspannen -seine Lebenskräfte, das Niederste bleibt ihnen nicht fremd, bis zu den -reinsten Höhen beschwingen sie sich. Das Niederste, ja, warum es -leugnen? Warum mußten wir uns immer wieder die Ohren und die Sinne -betäuben mit dem lauten Sang von deutscher Treue! Auch deutsche Untreue -gibt es mehr als genug! Aber vom Allererbärmlichsten greift die Spanne -deutschen Wesens bis zum Erlauchtesten empor. Das ist sein Reichtum, ist -seine Größe -- das ist sein Schicksal, sein Fluch. Das ist seine Passion -und -- seine Verklärung! - -So sprach Horst zu Borkhus. - -»Ganz gewiß haben Sie darin recht,« antwortete der, »daß wir uns immer -viel zu viel vorgesungen haben! Was wir für Kerle seien! Wie -geräuschvoll haben wir uns immer unsere Tugenden beteuert! Und mit welch -triefender Empfindsamkeit! Kam einem das alles nicht manchmal vor wie -eine künstlich auf Flaschen gezogene, künstlich kalt gestellte -Sentimentalität, die wir festlich entkorkten, mit der wir feierlich -anstießen und feierlich uns besoffen? Als Idealisten taumelten wir uns -in die Arme! Wieviel fader Muff war doch in diesem Idealismus!« - -Horst sah ihn an, ein scharfes Lächeln im Auge. »Und jetzt -- verfallen -wir jetzt nicht in den entgegengesetzten Fehler --?« - -»Sie meinen?« - -»Haben wir uns früher verhimmelt, bereiten wir uns jetzt ein System -daraus, uns selbst zu beschimpfen!« - -»Soll das auf mich gehen? Aber ich schimpfe ja nur darauf, daß wir uns -jetzt so herabziehen, und mit Schmutz beschmieren -- ebenso wie ich -darauf schimpfe, daß wir selber uns einst so in den siebenten Himmel -gehoben haben! Natürlich beides aus derselben dreimal verdammten -Empfindelei! So lange wir die mit uns herumschleppen -- ehe wir diesen -schmierigen Fetzen nicht von uns abreißen, kommen wir nicht wieder -fußfrei auf die Beine. Wie haben unsere Feinde es geschafft! Dadurch, -daß sie brutal sind -- brutal im Denken, im Handeln -- brutal ihre -Energie, brutal ihre Grausamkeit, ihre Tücke, ihre Feigheit, ihre -Verlogenheit! Noch immer hat Gewalt mit Verbrecherhänden die Weltpolitik -gemacht -- wir aber faseln, auch heute noch, von Weltgewissen. Als ob -das Gewissen der Welt nicht der schamlose Nutzen wäre! Und faseln wir -nicht, keifen wir, wie Weiber auf der Treppe.« - -Tust du letzteres nicht selbst ein wenig, mußte Horst wieder denken. Er -blickte auf den gewaltigen Mann, der in drohender Haltung neben ihm saß, -den Kopf gehoben, die mächtigen Augen geweitet, keuchend wie zum Kampf. -Ehrlich in jeder Faser -- und sah doch in seinem ehrlichen Zorn an etwas -vorbei, das er selber in sich trug. - -Auch einer von denen, die so gern, so gern brutal sein wollten und -konnten es nicht. Dies unser Grimmen und Fluchen -- ist es nicht ein -Sich-Wehren gegen die weiche Stelle in uns, die wir alle haben, die nur -nicht das Mächtige werden darf über uns, ohne die wir aber in unserem -Wesen verstümmelt wären! - -Und Horst will es ihm sagen: wir werden sie nicht los unsere -Empfindsamkeit. Sie gehört zu uns. Sie ist ein Teil unserer Kraft. So -dürfen wir sie auch nicht bekämpfen, und sie und uns damit schwächen -- -nur in die rechte Bahn, in den starken Strom unseres Lebens sollen wir -ihre Quellen leiten, und sie hilft uns zu unserem großen Werk. Ohne sie -können wir nicht siegen, sie wird dabei sein, sie muß dabei sein -- und -der Triumph der Empfindsamkeit ist auch der Triumph und die Freiheit des -deutschen Geistes, des deutschen Volkes! So werden wir siegen! - -Er formte noch an den Worten, daß sie eindringlich sprechen sollten, da -tauchten schon die Lichter der Stadt vor ihnen auf. Borkhus dachte an -die Versammlung und ließ sich den Anfang seiner Rede durch den Kopf -gehen. - -Dann wandte er sich zu Horst, mit treuherzigem Lachen und das Herrische -war im Versinken: »wissen Sie, daß ich einen heillosen Bammel habe?« - -»Wovor?« - -»Nun vorm öffentlichen Auftreten! Lieber ins Trommelfeuer, in einen -Gasangriff als auf die Rednerbühne! Ein Zustand, in dem man sich nach -einem Schlaganfall sehnt --« - -»Dann --« - -»Würden Sie es lassen, wollen Sie sagen!« - -»Ich meinte eigentlich, damit bringen Sie doch der Partei ein großes -Opfer.« - -»Nicht so ganz. Es ist doch hier wie überall ein gehöriger Schuß -Eitelkeit dabei. Und der Ärger, daß man diese Angst, diesen kleinen -Schweinhund, nicht unterkriegt.« Die jungen Pferde gingen unruhig in -seiner Hand. »Sehen Sie, meinen Tatterzustand merken selbst die Rösser.« - -In dem Gasthof, dessen Saal für die Versammlung bestimmt war, spannten -sie aus. Der Wirt, gar nicht unterwürfig, ein trockener, grader, ernster -Mann mit soldatischem Blick nahm den Baron gleich beiseite. - -»Ich habe die Rednerbühne eben noch umstellen lassen.« - -»Warum?« - -»Sie stand doch an der Wand unter dem Altan.« - -»Nun ja -- und?« - -»Die Galerie hat unser Janhagel besetzt.« - -»Ja so. Und nun meinen Sie, aller Segen kommt von oben!« - -»Ich trau ihren Taschen nicht und nicht ihren Manieren, solange die -Berliner Hetzer hier herumwirken.« - -»Die Hetzer. Da haben wir sie wieder.« Aber in des Barons unwillig müde -Züge war jetzt etwas freudig Gespanntes getreten, eine Kampfeslust. Sein -Kulissenfieber war gebannt. - -Der Saal füllte sich, Bürger, Arbeiter, Frauen. Ein paar Mütter kamen -mit Kindern angeschleift. Versteckten sie dann aber, doch bedenklich -geworden, zwischen ihren Knien. - -Behutsam fanden sich jetzt auch einzelne Honoratioren und Akademiker -ein, Herren vom Gericht und vom Gymnasium. Ihre Damen waren wohlweislich -zu Hause geblieben. - -Gar nicht behutsam aber trat Dr. Georg Stump auf den Plan. Er gab -Deutsch, Religion und Turnen am Gymnasium, war mit seinem ungebärdigen -Draufgängertum ein Schrecken des Direktors, aber ein Abgott der jüngeren -Jungen. - -Er musterte die Arena, hob den kurzgeschorenen Bulldoggenkopf mit den -großen runden Augen zu der Galerie empor, auf der sich die knallrote -Jungmannschaft, von zwei Berliner Spartakisten betreut, mit -weltüberlegener Grandezza hinlümmelte. Aha, sagte er sich, da seid ihr -also! Eure Anwesenheit, eure Haltung und Führung verspricht Erlebnisse. - -Jetzt erschien ein Trupp, der auf der Galerie Bewegung weckte. Siedler -waren es, die von Hohenmoor zu Fuß gekommen, zehn Mann, Elbenfried und -Eggert unter ihnen. Dankwart, der sich von seinen Tabellen nicht trennen -konnte, und Gisbert, der im Dienst war, hatten Kunz bewegen wollen, -mitzugehen. Der aber erklärte: »Politische Versammlung -- nee Kinder! -Lieber 'n Geburtshilfekursus in Ostgalizien!« Pfiff seinem Muz, nahm die -Büchsflinte und suchte zwischen Schnee und Mondschein jagdbares Wild. - -Auf der Bühne versammelte sich jetzt das Komitee, Mitglieder der -bürgerlichen Parteien, die wohlmeinend und ganz allgemein zu einer -»Aussprache der Vaterlandsfreunde« eingeladen hatten. Auch die -Sozialisten hatten zwei Redner gemeldet. - -Vorsitzender war Herr Holzhändler Dobbertien, ein ergrauter Demokrat -guten alten Schlages, mit gesundem vaterländischen Empfinden. -Treuherzig, gemütlich, gütig, gerecht, von erklecklicher Ruhe, der -rechte Mann am rechten Platze -- durften nur die Wogen nicht allzu hoch -gehen. - -Er eröffnete die Versammlung. - -»Männer und Frauen«, begann er. Da unterbrach ihn quarrendes -Kindergeschrei. »Und Kinder müßte ich eigentlich fortfahren. Aber das -können Sie wirklich nicht verlangen. Wir sind hier kein Säuglingsheim. -Ich muß Sie bitten, die Kleinen zu Bett zu bringen.« - -Da klang es von der Galerie: »Die haben keen Kinderfräulein zu Hause«, -und der erste Kampfruf, der erste Auftakt für die Feindseligkeiten hatte -sich eingestellt. - -Die Mütter brachten die Kinder hinaus. Der Vorsitzende sprach unbeirrt -weiter. Sprach davon, daß es jetzt heiße, alle Mann an Bord -- alle zu -gemeinsamem Tun! Denn das Schiff sei leck gesprungen, die Stangen -niedergebrochen -- es treibe vorm Winde. Es müsse, müsse wieder -segelfertig werden, müsse dem Steuer wieder gehorchen, sonst gerieten -wir rettungslos auf Grund und müßten untergehen, allesamt. Und nur eine -Hilfe gäbe es aus der großen Not, daß wir allesamt Hand anlegten zu -gemeinsamem Werk. Allesamt, das wäre die Losung. So hätten sich hier -heute aus allen Parteilagern deutsche Männer und Frauen -zusammengefunden, die alle Zwistigkeiten vergessen wollten und Fühlung -miteinander nehmen für die eine große vaterländische Aufgabe. - -Der Ton dieser einfachen Ansprache war echt und warm. In diesem und -jenem Frauenauge glänzte es feucht. - -Die Worte hatten noch nicht ausgeschwungen, da sprang Dr. Stump in die -Höhe. - -»Darf ich ums Wort bitten -- zur Geschäftsordnung!« - -»Bitte!« - -»Oder vielmehr zur Hausordnung. Es ist nicht angemessen und nicht -gebräuchlich, daß in solchen Versammlungen geraucht wird.« - -»Quatsch!« schmetterte einer von oben. - -»Ich ersuche den Herrn Vorsitzenden, im Interesse der Redner das Rauchen -zu verbieten.« Georg Stump war selbst ein leidenschaftlicher Raucher. Er -ärgerte sich, daß er sich anständig benahm, während die anderen pafften. - -Der Vorsitzende zauderte. Seine Unentschlossenheit entfesselte die -Galerie. - -»Rauchfreiheit!« brüllte einer. An alles wird Freiheit als Schwanz -gehängt. Und ein anderer schrie gebietend: »Wenns mir roochert, rooche -ich!« - -»Abstimmen! Abstimmen!« riefen nachdrücklich ein paar Volldemokraten von -der heiligen Majorität. - -Die Glocke des Vorsitzenden drang durch. »Ich will kein Verbot -aussprechen,« erklärte er mit richtiger Taktik, »ich bitte die -Anwesenden im Interesse der Redner und der Damen --« - -Weiter ging es nun wirklich nicht. Warum mußte Vater Dobbertien auch so -altfränkisch sein! - -»Die Damen schmökern ja selbst!« mußte er sich von unten belehren -lassen, wo mehr als eine ihre Rauchkringel durch die Luft drehte. - -Horst schüttelte bedenklich den Kopf. Der Kasten wackelt, ganz -lächerlich wackelt er. Wenn es so weiter geht, fällt er zusammen. - -Immerhin erreichte die Ermahnung des Präsidenten, daß die meisten ihre -Zigarre beiseite legten. Nur die souveräne Lebensart der Bergpartei -lachte ob so zager Rücksichtnahme. - -»Ich werde als ersten Redner jetzt Herrn Baron von Borkhus das Wort -erteilen«, bestimmte der Versammlungsleiter. Das »werde« war falsch. Es -ließ Möglichkeiten offen. - -Ein Murren rollte dumpf -- dann durchschnitt wieder der unsterbliche Ruf -»zur Geschäftsordnung!« die sich spannende Atmosphäre. - -Ein Sozialist erhob sich. Wir sollten doch nicht in den alten Fehler -verfallen. Es gäbe keine Privilegierten mehr, und daß jemand, der der -alten Oberschicht angehörte, den Vortritt vor den anderen Rednern hätte, -entspräche nicht dem Geist der Zeit. - -Mehrfache Bravos stimmten ihm zu. Aber gerade aus dem sozialistischen -Heerbann erstand ihm ein Widerpart. Die Herren »vom überwundenen -Standpunkt« sollten sich nur zuerst aussprechen! Es wäre schon die -richtige Anordnung: erst die alte, veraltete Zeit -- dann die neue! Der -das letzte Wort gebühre. - -Und noch ein Dritter wollte hierzu reden. Horst schlug sich aufs Knie, -daß es knallte. - -Ein junges Mädchen, das neben ihm saß, machte eine unwillige Bewegung. -Er hatte sie bisher gar nicht bemerkt. Jetzt wandte er sich wie zur -Entschuldigung an sie: »Sind wir nicht wieder einmal unsäglich deutsch! -Vor lauter Geschäftsordnung kommen wir nicht zum Geschäft.« - -Ein Paar große Schwärmeraugen glühten ihm ins Gesicht. Ein heißer, -höhnischer Mund sprach: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff.« -Dann drehte die Sprecherin sich ablehnend zur Seite. - -Eine Deutsche war sie -- nicht die Spur eines fremden Lautes war in -ihrer Mundart. Und nun diese leidenschaftliche Absage! In den Worten -schlug Stahl auf Stein -- wie sprühten die Funken! - -Horst lehnte sich lächelnd zurück -- womit hatte er solchen Zorn erregt? -Und spürte den flammenden Odem einer fremden Welt. - -Er besah sich die feindliche Nachbarin. Was mit den Augen, diesen -brausenden Feuern, sich gegen ihn gewandt hatte, war ein ziemlich -breites Gesicht gewesen, mit vollen Nüstern und fleischigen Lippen. - -Wie zart dagegen, wie fein und edel die Linien des Profils. Ein Genuß, -sie mit den Augen nachzuzeichnen. Der schlanken Biegung des Nackens zu -folgen, bis zu dem schweren, dunklen Haarknoten. - -Der ganz erlesene Geschmack ihrer schlichten schwarzen Kleidung zog die -Gedanken noch lebhafter an. - -Wer war sie? - -Aus seiner Frage warf ihn ein Tumult. - -Sie saßen immer noch in der Geschäftsordnungsdebatte. Da war in der -anderen Ecke des Saales jemand aufgesprungen. War dann auf den Tisch -gestiegen, eine junge, knabenhafte Gestalt, und eine helle, schmetternde -Stimme verkündete: »Was treiben wir hier für Albernheiten! Was dreschen -wir hier für Stroh!« - -»Sie haben nicht das Wort«, rief eindringlich der Vorsitzende. - -»Draußen stürmt der Geist der Zeit!« gellte die Stimme ungestört weiter. -»Die neue Revolution! Die volle Arbeit macht! Ohne die falsche verlogene -Sentimentalität! Die uns die erste verpfuscht hat! Das Chaos brauchen -wir! Für die neue Saat --« - -Die Neugierde und Spannung hatte dem eigenwilligen Redner Frist gewährt. -Jetzt drang der Unmut der Ordnungsliebenden durch. Die Glocke vom -Vorstandstisch übertönte die schreiende Willkür des einen. - -Und nun geschah etwas Bezwingendes mit fröhlichem Einklang. Der Riese -der Stadt, ein mächtiger Bierfahrer, nahm schmunzelnd den immer noch -Redenden wie ein Kind auf den Arm und setzte ihn vom Tisch. - -Ein Lachen ging durch den ganzen Saal, das die Galerie auf eine Minute -wehrlos machte. Dann setzten die wilden Rufe ein: »Ausreden lassen!« -- -»Redefreiheit!« -- »Haut den langen Laban!« Aber sie verpufften in dem -Raum, den der Humor ausgepolstert hatte. - -Herr von Borkhus aber durfte der Erwägung sich überlassen, ob es noch -ernstlich lohne, hier ernstlich zu reden! Eine Versammlung? Nein, ein -zwangloses, durch Ulk gewürztes Beisammensein! Der kleine Schweinhund in -ihm gab ihm sehr lebendig recht. Aber schließlich, die Menge wollte ihre -Sensation. Die zu Gast geladenen wollten ihr Bratenstück. Schon griffen -aller Augen nach ihm, dem unleugbar Kraft- und Saftvollsten unter den -Politikern hier, dem Gefeierten und Gescholtenen, dem Verehrten und -Gehaßten. Sie alle wollten ihn hören, die Freunde und erst recht die -Feinde. - -So trat die große schwere Stille ein, als der Vorsitzende verkündete: -»Das Wort hat jetzt als erster Redner Herr von Borkhus!« - -Der Redner erhob sich langsam und trat ruhig vor mit seinen wuchtenden -Schritten. Die Nerven schlugen in dem mächtigen Körper -- in gleichem -Maß schwangen die Fieber all der Menschen, die da unten sich ihm -entgegenspannten. Die Fühlung war hergestellt, der Gleichtakt der Pulse -in Liebe und Haß. - -Mit Orgelklang umfing die Hörer das schwellende Organ, und etwas wie -Feier war in dem, was er sprach. - -»Volksgenossen! Dies ist das deutsche Schicksal, dies der Herzschlag der -deutschen Geschichte: daß nichts auf der Welt die Kinder der deutschen -Erde über alle die Unterschiede, die die einzelnen voneinander trennen -oder gar miteinander verfeinden, zu einer festen Gemeinschaft -zusammenschließen kann -- nichts auf der Welt, als das grimmigste Leid! -Immer nur aus der tiefsten Not wird unsere Einheit geboren. Wann aber -ist unsere Not je so tief gewesen wie heute? Wann hat sie sich je so -tief in unsere Seelen eingefressen -- wann war ihr jemals soviel Schmach -beigemischt! Und darum müssen gerade unsere Tage, trotz aller Wirren und -Zerwürfnisse, uns in eine Zusammengehörigkeit schmieden, wie unsere -Geschichte sie noch nicht gesehen hat! Unsere Zusammengehörigkeit -- das -ist die große lebendige Macht, das ist der mächtige lebendige Wall, den -wir der Hörigkeit entgegenzusetzen haben, mit der die Feinde uns -bedrohen!« - -Mit lautem Bravo grüßten diese Rhetorik Gesinnungsgenossen und Freunde -der Wortprägung. Aber solche allzu frühe laute Anerkennung war -bedenklich. Schon kam Bewegung in die Reihen der Gegner. Horst sah, wie -es im Nacken seiner Nachbarin zuckte, wie feindlich die Nasenflügel -witterten. Die Lippen zogen sich kurz zusammen und entblößten die -spitzen, grausamen Zähne. Ein böses schönes Raubtier spannte sie sich. - -Der Redner spürte die Wellenbewegung wohl -- er wollte sie zwingen! - -Er sprach mit Hingebung von der Nation -- daß das Volkstum erst das -Leben des Staates sei. Es sei aber auch das Leben der Menschheit. Eine -andere Menschheit als die der Völker gäbe es nicht. »Nur als Deutsche -sind wir Menschen und können wir Menschen sein.« - -Hier fingen die Internationalen an, sich gemaßregelt zu fühlen, und ein -schon lebhaftes Murren rollte dumpf durch den Saal. - -Der Redner wußte, daß er ein heikles Gebiet betreten hatte, aber die -Gefahr steigerte und stärkte ihn. Mit hoch erhobener Stimme führte er -den Hammerschlag: »Und wir -- wir Deutsche haben unsere Menschenwürde -nur in unserem deutschen Empfinden!« - -Das schmetterte nieder auf die empfindlich gewordenen. Ein dumpfes -Aufstöhnen von Zorn und Wut -- dann brandete lauter Unwille gegen die -Rednerbühne. Die Geister erhitzten sich mehr und mehr und hetzten sich -leidenschaftlich auf. »Menschenwürde« -- dies Wort wurde zum Verhängnis. - -»Du willst von Menschenwürde reden!« rief es von oben, und dann brüllte -einer durch den Saal: »Du Würger!« - -Jetzt hatten sie den Kampfruf, den vernichtenden! Und wieder schrie es: -»Würger« -- und dann tobten sie da auf der Galerie im Chor und im Takt: -»Würger!« »Würger!« »Würger!« - -Borkhus zuckte zusammen, schmerzlich wild weiteten sich seine mächtigen -Augen. Wie Messer stachen die Rufe weiter auf ihn ein, da die Tobenden -sahen, daß er litt! Die Grausamkeit berauschte sich. Die Bestie hatte -die Pranken gezuckt. Blutdunst legte sich auf die Sinne. - -Alle hatte es aufgezogen von ihren Sitzen. Die einen zum Sturm, die -anderen zur Wehr. - -Eher als Horst war seine Nachbarin aufgesprungen. Ihre Glieder flogen, -Stichflammen brachen aus ihren Augen, durch die Lippen ging ein -zitterndes Schlürfen. Die ganze Gestalt war verzückte Gier. Ihm erschien -sie fast als Dämon dieser Stunde. - -Ihre Finger krallten sich um die Stuhllehne -- im gleichen Augenblick -brach und splitterte Holz auf dem Balkon -- Borkhus, der unter der Wucht -des furchtbaren Wortes sich gebeugt hatte, war jetzt aufgereckt -- die -Arme gestreckt, die Brust geweitet, wie zum Kampf trat er an den -äußersten Rand der Bühne. - -Da in tosendem Wettersturm brach es über ihn her, Trümmer von Stühlen -prasselten von der Galerie auf ihn nieder, zerschlugen ihm Kopf und -Gesicht -- über Augen und Schläfen rann ihm das Blut. - -Frauenstimmen kreischten und gellten auf. - -Horst war gleich an des Wunden Seite. Auch ihm flogen noch Geschosse auf -Schulter und Nacken. - -Schon aber war Dr. Stump fast über die Köpfe hinweg zur Tür geflogen -- -fünf von den Siedlern, der Balbutz und der heilige Josef voran, brachen -ihm nach -- sie wollten die Burschen da oben einsperren und dingfest -machen. - -Im Saale brauste das Meer. Die Glocke des Präsidenten, immerfort -geschwungen, hauchte sich aus in kläglichem Wimmern. Ein Fels in der -Brandung, stand der Riese, der Bierfahrer, die machtvollen Flossen -gehoben, drohend und beschwichtigend zugleich. Sie sagten, was Worte in -dem Tosen nicht vermochten; hier unten Hände in Ruh! - -Die einzelnen Gegner standen wie die jungen Hähne, Auge in Auge, Nase an -Nase -- sie zischten, schrien, keuchten sich ihre Wut ins Gesicht -- -aber die Fäuste blieben gebändigt. - -Und das rinnende Blut dort oben beschwor. Allmählich ebbte die Zornflut -ab -- - -Da tönten Schüsse auf dem Gang -- wieder die gellenden Frauenschreie im -Saal -- mit Schreck und Grauen zog vollends die Besinnung ein. - -Draußen aber zerstob ein erbittertes Handgemenge -- die eingeschlossenen -hatten den Treppenausgang forciert, brachen mit Übermacht durch, einer -schoß auf den feindlichen Stoßtrupp, Dr. Stump kriegte einen Streifschuß -am Ohr -- was seine Fäuste den Fliehenden mitgaben, wurden die in -Monaten nicht wieder los. - -Herr von Borkhus wurde von einem Arzt, der zur Stelle war, im Wohnzimmer -des Wirtes verbunden. Horst, der Handreichung leistete, blieb an seiner -Seite. Im Saal verliefen sich die Wasser. Ein Plätschern war es nur noch --- schon konnten sie über das Geschehene sprechen, das hinter ihnen und -unter ihnen lag. - -Der Wirt besah sich den Schaden, auf der Galerie, auf der Bühne, und -drehte das Licht aus. Nur eine müde Flamme über dem Podium blieb -brennen. - -Und aus dem Dunkel, wie ein Spuk, schlürfte ein altes gebücktes Weib mit -Scheuertuch und Eimer. Stieg keuchend auf die Bühne und wusch -kopfschüttelnd und brummig das Blut von den Dielen. - - - - - Frei und gut ist dasselbe - - -Es war nicht weit von Mitternacht, als Herr von Borkhus mit Horst den -Wagen wieder bestieg. Strempel mußte fahren. - -Der Mond leuchtete die menschenleere Straße ab. In dem Torweg, dem -Gasthof gegenüber stand eine Frauengestalt. - -Ein junges schlankes Weib -- mehr konnte Horst nicht erkennen, zumal der -Verwundete ihn in Anspruch nahm. Dann aber, da sie abfuhren, blitzte es -ihm durch den Sinn: das ist deine Nachbarin, wer sonst! Was will sie -hier! Und wieder: wer ist sie? Wollte sie sehen, wie es mit dem -Verletzten stand? Um den sich sonst, im ganzen Orte niemand mehr -kümmerte? Sie als die einzige -- was trieb sie dazu? - -Borkhus hatte sich längst wiedergefunden. Die Schmerzen drückten ihn -nicht nieder, sie hoben ihn. Daß er selber litt, daran wuchs seine -Kraft, sein Trotz, das bannte den Schatten. - -»Ich würde es immer wieder tun,« sagte er, »der Würger«, frei und stark. -»Wer mir an die Offiziers- und Mannesehre geht -- wie ich ihn fasse, so -muß er dran glauben! Immer tät ich es wieder!« - -Jetzt dachte er an die vielen beschimpften, entehrten Kameraden. »Und -das tat ich für euch alle!« - -Horst sann nach und nickte düster und sprach: »Daß wir zum Symbol werden --- jeder nach seines Wesens Bestimmung -- das ist unseres Lebens Sinn!« - -Borkhus nahm seine Hand. »Das ist das Wort! Zum Symbol werden! Wie ein -Ruf erging es an mich! Welt gegen Welt! Und -- ich konnte gar nicht -anders.« - -Es war dann, als käme Müdigkeit über ihn. Wieder aber regte er sich -lebhaft, und es klang fröhlich: »War ich nicht heute abend auch ein -Sinnbild: zerschlagen von den Stuhlbeinen der Galerie! Gibt es was -Erhabeneres? Hüten Sie mich Horst, daß ich nicht größenwahnsinnig -werde!« - -Doch jetzt brauchte er seine Ruhe und sprach nicht mehr. - -Horst aber tauchte zurück in den Abend, mit Trauer, Schmerz, mit Zorn -und mit Scham. - -Deutschland -- machst du es deinen treuen Söhnen nicht allzu schwer? -Sind deine Feinde, deine Folterknechte dir nicht blutig, nicht roh, -nicht feige, nicht heimtückisch genug -- mußt du dir selbst der -tückischste, der feigste Feind von allen sein! - -Ein deutscher Mann spricht die selbstverständlichen deutschen Worte! Er -sagt, daß du, Deutschland, deutsch bist und deutsch sein mußt. Was -geschieht? Er wird aus dem Hinterhalt gemeuchelt! - -In welchem Lande der Welt wäre so etwas denkbar -- dann vor allem -denkbar, wenn die Feinde, schlimmer als es im Kriege geschieht, dieses -Land zerfleischen und zertreten! In Guatemala nicht, bei keinem Stamme -der Maoris! - -Soll man sich immer wieder damit trösten, daß du das Land ohne Beispiel -bist, ohnegleichen im Großen wie im Armseligen, im Guten wie im -Verruchten? Und wie lange soll dieser Trost vorhalten? - -Ist es zu verwundern, wenn man schließlich da landet, wo diese -rätselhafte Fremde sich angebaut hat? Wie sagte sie doch, höhnend und -hart: »Deutsch ist mir ein zu unwesentlicher Begriff!« - -International also -- pazifistisch -- eine Kommunistin offenbar. -Freilich, er hatte sich die »Petrolösen« anders gedacht. - -Ob sie in der Stadt ansässig war? In der, wie er wußte, seit geraumer -Zeit ein Agitationsherd brannte, mit lichterlohen roten Flammen. - -Ihr Gesicht wurde ihm lebendig. In diesem reizvollen Gegensatz zwischen -seinem Vorn und der Seite. Diese fast derbe, sinnlich grausame -Leidenschaftlichkeit der vollen Züge -- so viel feine spröde Geistigkeit -im Profil. Und in dem Ausdruck des Ganzen ein Schmerzliches -- zu der -flammenden Anklage eine stille Klage. - -Jetzt war er dicht daran, sich auszulachen. Faselt dir nicht deine -Fantasie was vor? Deine Weibentwöhntheit treibt mit dir ihren -Schabernack, den sie als »weiberfest« dich rühmen. - -Zum Teufel mit dem ganzen Weiberkram! Daß der sich immer wieder -ungerufen melden muß! Und ist doch kein Platz für ihn, jetzt in dem -Siedlungswerk. - -Er denkt an die Genossen, die heute auch dabei waren -- die sich wieder -mal einsetzten mit Leib und Leben, wenige gegen viele. Daß man an diesen -deutschen Jungen seine Freude hat, ist das nicht der Inbegriff! - -Wäre es nur nicht deutsch gegen deutsch gegangen! Gegen undeutsch, ja! -Aber gegen dieses Undeutsch, das nun einmal so verteufelt deutsch ist! -War so und wird so sein! Ist unser Fluch! Und stammt aus unseres Wesens -Tiefe! - -Und wieder schlug ihn der große Schmerz. Und der Schmerz schlug ihn -hart. - -So heißt es aus dem Fluch Segen bereiten! Vielleicht, daß wir sonst -einschlafen würden und in Faulheit ersticken! Nun heißt es für uns, -nimmer müde sein! Wachen und schaffen! Und schaffen und wachen! So heißt -es! Und so soll es sein! - -Horst fand die Freunde und die ganze Mannschaft noch auf den Beinen. -Fast gleichzeitig mit ihm waren die Fußgänger eingetroffen. Jetzt ging -es an ein Erzählen. Horst ließ mit Bedacht den Genossen das Wort. - -Der Balbutz übernimmt freudig den Bericht. Schildert mit einer -Anschaulichkeit, die keine falschen Farben nötig hat, der Handlung -Verlauf. Bemüht sich sachlich zu bleiben, bis der Schluß mit seiner -Klopffechterei ihm Gemüt und Stil bewegt und die Schleusen seines -Wortschatzes zieht. - -Die »feigen Halunken« und »elenden Hundeseelen« -- diese Ausrufe seines -Zornes wecken Widerspruch. Mulitz, der Maurer, schüttelt den breiten -Kopf, in den eckigen Augen zuckt etwas auf. »Das mußt nicht sagen, -Balbutz! Ein paar hatten einen Mordsschneid! Und -- Gesinnung ist -schließlich Gesinnung.« - -»Gesinnung -- Stuhlbeine -- viele gegen einen -- der ahnungslos und -wehrlos ist -- das ist Gesinnung? Schweinkram ist es!« - -Fünf stimmen ihm lebhaft zu. Andere nicken gelassener. Einer ruft: »der -heilige Josef soll reden!« Bei dem geht es ins Höhere und Tiefere, aber -sowas wollen sie jetzt. - -Gustav Elbenfried errötet wie ein Mädchen. »Ich soll --« - -»Ja, du sollst«, rufen jetzt viele. - -Der also Bestellte rudert mächtig mit den Armen durch die Luft, wie ein -großer Vogel, dem der Aufflug nicht gelingt. Dann erst kommt er in -Schwung, und seine Kinderaugen leuchten innig auf. - -»Ihr hört von mir immer das alte Lied. Was ist Schuld an dieser Tücke, -an diesem bösartigen Haß? Das, was die ganze Welt krank macht und -verdirbt. Das Geld ist es, der Reichtum. Vom Geld kommt deshalb alles -Üble, weil es das Lieblose ist. Darum macht es die Menschen böse. -Christus wußte schon, was er vom Reichtum sprach. Was hat die Kirche, -die selber Schätze sammelt -- was hat sie von je gerade hieran -herumgedeutet! Aber dies Wort müssen sie doch lassen stahn!« - -Gisbert ist zu dem heiligen Josef getreten. Er sieht in der einen Ecke, -wo der Schreiber Metzling sitzt, so etwas wie mißtrauische Blicke. -Unterschicht -- Oberschicht. Als ob die Offiziere schwiegen, um die -Leute auszuhorchen. Nun nimmt er selbst das Wort. Er spricht schlecht, -aber in dem, was er sagt, ist seine Seele. - -Daß Elbenfried recht habe! In Reichtum und Macht kann niemals der Mensch -sich ausleben, sich ausstrahlen, sich verwirklichen! In seinem Besitz, -in seinen Genüssen, ist er auf sich selbst beschränkt, sein eigener -Gefangener. Und so verdorrt er. Darum -- er muß, muß heraus aus seinem -Selbst. Nur so wird er frei, nur so wird er gut -- denn frei und gut ist -dasselbe. Und so befreit, in selbstloser Hingabe und Güte, gehören wir -nicht uns, gehören wir allen. So erst sind die Kerkermauern unserer -Endlichkeit durchbrochen. So erst haben wir teil an dem All, so erst -sind wir vereinigt mit dem Wirken des Ewigen. - -Dankwart rückt auf dem Stuhl, als brenne Feuer darunter, in seinem -schweren Augenlid wettert es mit Macht. - -Kunz aber springt in die Höhe. Seine Glieder fliegen. Etwas -Ungebändigtes zittert in seinen heißen Augen. »Alle und das All -- -wollen wir herumhampeln im luftleeren Raum! Wollen wir im Äther -vereisen! Deutschland ist das All! Wißt ihr, daß wir die Feinde im Lande -haben -- den Franzmann im Lande haben! Daß er uns das Mark aus den -Knochen zieht! Und daß wir wehrlos sind! Entwaffnet! Entwaffnete -deutsche Männer! Könnt ihr das aus- und zu Ende fühlen! Wollt ihr -darüber eure südasiatische Weisheit kleistern! Das eine will ich jetzt -wissen, ist ein einziger unter uns, der heut und morgen, so lange er -lebt und leibt, nicht mit Jubel und Hurra und Hosianna dem Landesfeind -an den Kragen geht, sobald der Tag der Erlösung naht! Und sich darauf -freut! Das sollt ihr mir jetzt sagen -- Du, Gisbert -- und Gust -Elbenfried, Du -- und Du, Maurer Mulitz. Seid ihr bereit und freut ihr -euch darauf?« - -Die Antworten waren ehrlich und schnell. »Das ist ja ganz was anderes!« --- »Selbstverständlich ist das!« -- »Und natürlich freut sich jeder -darauf!« - -»Gut,« sagte Kunz und wischte sich die zornig feuchten Augen, und es -löste sich aus ihm wie ein Schluchzen. »Nach eurer Religionsphilosophie -brauchte ich das. Ich mußte das hören! Ich wäre sonst nicht einen Tag -länger in der Gemeinschaft geblieben.« - - - - - Frau Tilde - - -Mit dem Morgengrauen waren sie wieder alle Mann beim Bäumefällen. Auch -Gisbert tat heute hier Arbeit, und er tat fast des Guten zu viel. Was -seine feinen Glieder hergeben wollten, holte er heraus. So -leidenschaftlich war er am Werk, mehr als einmal mußte Elbenfried, der -Arbeitsführer, ihm Ruhepause auferlegen. Sie wußten alle -- und alle -waren ihm herzlich zugetan -- wie sehr er noch immer seine Kräfte zu -schonen hatte. - -Kunz war schlecht gelaunt. Er war heute beim Mundausspülen zu kurz -gekommen. Denn mühsamer als je war das Weckeramt von Gisbert und Muz -verlaufen. Unruhige Träume hatten ihn allzu schwer heimgesucht. - -»Dir verdanke ich das,« so klagte er Gisbert an, »Dir und Deinem -Hindutum. Die ganze Nacht habe ich es mit der Seelenwanderung gehabt. -Und Muz, der auf nächtiger Insektenjagd mit den Schenkeln die Diele -klopfte, gab den Takt dazu. Wisse es: meine Seele fuhr in einen Floh.« - -»Oh!« echote Gisbert munter. - -»Auf Muzens Fell trieb ich mich um, und in was für einer Gesellschaft -- -was für schwarze Seelen waren da beisammen! Weibliche zumeist. Da war -die Frau Potiphar und Herodias und Messalina und die Maintenon und Ninon -de Lenclos, Lola Montez und die Pepita. Die faßten sich an und tanzten -um mich herum im Ringelreihn. Und die dicke Messalina zog mich beiseite. ->Was bist Du für ein nüdlicher kleiner Flohhengst<, sagte sie, >aber so -schüchtern! So schüchtern!< Und weiß Gott, ich wurde verlegen. Floh sein -ist schon nicht so leicht. Aber ich sag euch, ein Floh in Verlegenheit ---! --« - -Die zuhörten, mußten lachen. Auch Muz freute sich. Und tat, was er dann -immer tat. Er drehte sich um sich selbst im Wirbel und spielte Greif mit -seinem Schwanz. - -Gisbert aber hatte genug. Er spähte, wo er sonst Hand anlegen konnte, -und brachte sich auf Hörweite in Sicherheit. - -»Du -- Gisbert -- das Wahre kommt ja erst!« rief Kunz ihm nach. Aber -Gisbert schlug schon mit der Axt, und die Späne sprangen. - -Kunz sägte mit dem Balbutz. Da waren die richtigen Kumpane beisammen, -doch die Arbeit flog. - -»So sind sie nun, die Bramaputraleute.« Kunz schnob vor sich hin. »Jedes -Lebewesen ist heilig! hat er mir eingeprägt. Und wiederum hat er mir -eingeprägt: in jedem unserer Träume ist eine Wahrheit. Nun also! Und -jetzt nimmt er Reißaus vor seiner eigenen Glaubenslehre.« - -Gisbert ließ im Arbeitseifer nicht nach. Eben weil sie ihn für einen -Träumer hielten -- wie gern nannte Kunz ihn die Lotosblume -- eben -deshalb wollte er hier seinen Mann stehen. - -Horst nahm sich den heiligen Josef vor. »Wir müssen uns nach dem -Befinden unseres Patrons erkundigen. Wollen wir nicht unseren Gisbert -dazu bestimmen! Er ist ja wie im Fieber und schuftet sich hier glatt -zuschanden.« - -Gisbert zuckte mit den Brauen bei dem Auftrag -- er fühlte eine -Bevorzugung und Entlastung. Aber die Disziplin saß ihm im Blut. Das Wort -des Werkführers galt. Nun war er auf dem Weg nach dem Gutshaus. Bald, -nach einer kleinen Stunde schon, kam er zurück. Wie schreitet er bloß, -dachte Kunz. Als ob er auf Wolken wandele. Und weiter forschte Kunz, der -ihn so gut kannte: Was hat er in den Augen? Ist das nicht wie ein großer -seliger Schreck? - -Und dann bestellte Gisbert, dem Herrn von Borkhus ginge es gut, seine -Tochter, Frau von Mönkhov wäre gekommen. Beide bäten Horst, Dankwart, -Kunz und ihn selber, abends eine Tasse Tee im Gutshaus zu trinken. - -Die Tochter des Herrn von Borkhus -- nun wußte Kunz, wovon sein Gisbert -so selig, bis in die Seele erschrocken war. -- - -Sie machten sich fein zu dem Abend, Horst, Gisbert und Kunz. Dankwart -konnte von seinen Modellen und Tabellen nicht fort. - -Borkhus war auf den Beinen und empfing sie. Seine schweren Augen -leuchteten gesund unter dem weißen Turban des Verbandes. - -»Der Aderlaß hat mir gut getan«, sagte er. »Meine Ischias hat sich -verblutet. Ich kann laufen wie ein besserer Faßbinder.« - -Und dann hatte er seine Tilde bei sich, seine Tochter. - -Sie hatte etwas still Verhaltenes, fast mädchenhaft Scheues, diese -schlanke, zarte, großäugige Frau, als sie den Herren gegenübertrat. Mit -kindlich verlegener Bewegung strich sie die Strähne zurück, die aus -ihrem reichen hellbraunen Haar sich löste. - -»Was sagt die Welt,« so erklärte der alte Herr die Sachlage, »die -wildesten Gerüchte über mich verheeren das Land! Setzt sich dieses -Mädchen nicht -- und sie soll Haus und Hof hüten, denn ihr Mann ist -nicht daheim -- setzt sie sich nicht vor Morgengrauen in den Schlitten -und läßt die Traber glattweg die fünfzig Kilometer fressen!« - -»Es ist eine glänzende Bahn«, entschuldigte sich Frau Tilde. »Und auch, -wenn wir die nicht hätten --« sie faßte still ihres Vaters Hand. - -Die drei jungen Männer musterten sich. Wie verändert sie waren! Welch -ein Glanz auf ihnen lag, welche Farben sie trugen -- von dem Wesen der -Frau. Sie, die das harte, graue, lichtlose, lustlose Barackenleben -einschloß. Nun rieselte es über sie von der hellen Wonne. - -Und listig lauerte auch wohl jeder, wie die anderen ihre eigenen Farben -spielen ließen, zum Werben. Nur daß Gisbert sich schnell und ganz begrub -in die Märchenferne dieser Frauenaugen. - -Worüber sprachen sie bei Tisch? Über Deutschlands Wunden, in der Andacht -ihres Schmerzes. Von ihrer Unfreiheit, ihrer Knechtschaft, ihrer -Schmach. Frau von Mönkhov sagte: »Nun haben wir es nicht mehr, das -stolze Wort: mein Haus ist meine Burg. Jetzt müssen wir uns schon an -Meister Ekkart halten, der uns lehrt, daß unsere Seele unser Bürglein -sei.« - -Wie schwang und klang es in Gisbert auf. Welch ein Lichtband schlang -sich um ihn und diese innige Frau. - -Horst aber gab seine harte Zweckmäßigkeit darein: »Nur sollen in diesem -Bürglein nicht zu viel der frommen Träume umgehen.« - -»Ihnen ist es ums Schaffen. Mir auch. Aber das bleibt nun die Wahrheit: -produktiv sind wir nur solange als wir religiös sind.« - -Kunz aber kaute schon wieder an seinem Zorn. Daß wir uns vor lauter -Geistigkeit nicht zu lassen wissen, das ist unser Verderb! - -Und der alte Herr, in einer Art mitleidiger Angst, meinte: »Gut, daß -Achim, Dein Mann, Dich nicht hört!« -- Für den war Religion das rote -Tuch. »Religion, so nennen die Menschen ihre Alterserscheinung --!« - -Mit Achim von Mönkhov kamen sie zu den Tagesereignissen. Er hatte seinen -Koch auf den Schub gebracht, und der spielte jetzt in der Kreisstadt -unter den Radikalsten eine Hauptrolle. - -Der Vater wollte Einzelheiten hören. Hier griff die Politik in die -Familie. Zögernd und ungern erzählte Frau Tilde. Der Mann sei von Tag zu -Tag aufsässiger geworden, bedrohlich zuletzt. Da habe ihn Achim -kurzerhand hinten am Rockkragen genommen, ihn vor sich her immer mit -steifem Arm, zum Hause hinaus über den Hof bis zum Tor geschoben. Und -ihm unterwegs in seiner eiskalten Ruhe gesagt: »Zum Lohn für Ihre -unvergessenen Wildpasteten besorge ich dieses eigenhändig.« - -Die Zuhörer wollten dies als ein sehr sauberes Stücklein gelten lassen. -Tilde aber schüttelte ablehnend den Kopf. »Nichts auf der Welt macht so -böses Blut wie diese üblen Handgreiflichkeiten. Und wollen wir uns -untereinander denn immer mehr erbittern!« - -Ihre Augen möchten der Märtyrerkrone ihres Vaters liebes erweisen. Aber -dann erschrak sie vor dem Schatten in seinem Blick. Und der Gedanke an -seine eigene schwere Tat trübte ihr den Sinn. War es nicht die wildeste -aller Handgreiflichkeiten, was auf ihm selber lastete? - -Aber schon war Kunz zur Stelle. »Gnädige Frau, es gibt einen alten -niedersächsischen Spruch: - - »Wur all dat anner beden nich düest, - dor beden am besten de beiden Füest.« - -Diese betenden beiden Fäuste -- sie gehören nun einmal zum Inventar der -deutschen Welt. Und für mich gibt es keine Religion ohne die. Mir soll -nun einmal keiner den Christus nehmen, der das Schwert gebracht hat und -dem seine Mannen Heeresfolge leisteten! So wenig wie den Gott, der Eisen -wachsen ließ.« - -Sie sah den Sprechenden an mit ihren weiten Augen, nicht verweisend, -nicht zustimmend, gütig und doch fern. »Vielleicht bin ich zu müde -geworden für das alles.« Sie mußte wohl diesem lohenden Kreise die -Blässe erklären, die sie selber fühlte. »Vielleicht habe ich mich erst -zu erholen von den vier langen Jahren der Angst. Um die vier, die ich im -Felde hatte. Von denen zwei nicht wiedergekommen sind.« - -Die zwei waren ihre Brüder. Der Vater legte die Hand auf ihren Arm. Sie -strich sich das Haar aus der Stirn. Ihre Augen blieben tapfer. - -Dann suchten und fanden sie alle festen und gesunden Boden in dem -Nächstliegenden, dem Siedlungswerk. - -Frau von Mönkhov begann sich fast freudig zu beleben. Jeder Winkel des -Geländes war ihr vertraut. Sie machte Horst noch besonders auf eine -Mergelgrube aufmerksam, die längst nicht richtig ausgenutzt sei. Wobei -ihr Vater das komisch lange Gesicht eines Getadelten aufsetzte. - -Diese großen Augen der stillen Frau, sie waren jetzt heimgekehrt aus -ihren Fernen, sie hatten einen nahen vertrauten Glanz gewonnen. - -Gisbert saß wie ein Betender. - -Und jetzt fragte sie fraulich, mütterlich nach dem Wohngelaß der -Siedler. - -»Wir haben es sehr gut«, sagte Horst. - -»Wunderbar haben wir's!« erklärte Gisbert. Ihm hatte schon ihre bloße -Frage aus dem Holzstall ein Feenschloß bereitet. - -Nur Kunz machte ein beschauliches Gesicht. »Ich weiß nicht,« bemerkte -er, »ob es fantastisch ist, bei einer Bettstatt an gehobelte Bretter zu -denken. Ein so rühriger Schläfer, wie ich es nun einmal bin, darf -getrost sein Fell nächstens einem Holzhändler zur Ausbeute überlassen.« - -Frau Tilde, lächelnd, erkundigte sich jetzt nach der Beköstigung, nach -der Küche. - -»Unser Essen ist gut«, bestimmte Horst. - -»Herrlich!« sang Gisbert aus seiner Höhe. - -Kunz aber starrte wie entseelt vor sich hin. - -Borkhus, dem er Spaß machte, weckte ihn und forderte genußsüchtig: »Sie -müssen auch Ihr Sprüchlein sagen.« - -»Soll ich? O Du mein! Unser Koch ist Installateur von Beruf. Die -Wasserleitung ist sein Leben. Teekesselfett ist sein Element. An seiner -unsterblichen Kartoffelsuppe hat er unverzagt solange gearbeitet, daß er -jetzt imstande ist, sie sogar ohne Kartoffeln herzustellen.« - -»Danach sehen Sie eigentlich nicht aus«, meinte Frau Tilde. - -»Oh, wenn ich mir nicht dann und wann ein paar Gabelbissen -zusammenwilderte --« - -»Lassen Sie sich nicht dabei kriegen!« drohte Borkhus. »Und wer bereitet -Ihnen wo diese Leckereien zu?« - -»Das sag ich nicht.« Ein Schlingel verkroch sich in seinen Augenwinkeln. - -»Aber erschrecklich unsozial ist das doch!« gab Frau Tilde darein, mit -scherzendem Ernst. - -Kunz schmunzelte: »Eine Krickente -- dreiundzwanzig Kostgänger -- und -die soziale Frage! Da ess' ich den Vogel todesmutig allein. Aber ich -werd mir jetzt alle Mühe geben, genossenschaftlicher zu schießen, und -mir einen Hirsch langen.« - -»Das wird Ihnen leid,« knurrte Borkhus, dem es jetzt doch über die Leber -lief. - -Seine Tochter aber wollte noch mehr von dem Barackenleben wissen, zumal -von seinem geistigen Bau. Und Horst berichtete kurz von ihrem kleinen -Staat. Ein Wahlkönig steht an der Spitze. Von den Mannen erkoren -- und -absetzbar, sobald er versagt. Bei den einzelnen Arbeiten sachverständige -Leiter. Im übrigen keine Rangunterschiede. Jeder hat den Wert seiner -Kraft. - -»Womit die Rangunterschiede gegeben sind!« knurrte der politische alte -Herr. - -Dazu Horst: »Wer kann die Unterschiede aus der Welt schaffen? Die -Unterschiede sind die Welt. Dafür wandeln sich ihre Grenzen und -Übergänge. Gerade in ihrer Beweglichkeit sind sie das Lebendige und das -Ewige. Und darum auch der Inbegriff aller Freiheit. Deren Tod ganz -einfach die Gleichheit wäre.« - -In Gisbert drängten seine Empfindungen zum Worte. Er wußte, wie schwer -er die Rede meisterte. Die natürliche Scheu des Mannes, vor einer Frau --- und nun gar vor dieser Frau! -- seine Mängel zu zeigen, lag schwer -genug auf ihm. Aber, was er fühlte, wollte ans Licht. - -»Unterschiede -- warum sprechen wir so gerne von den Unterschieden? -Warum nicht lieber von dem Gemeinsamen! Von der großen Sehnsucht, die in -allen lebt. Und in der sich alle zusammenfinden. Wie alle Wasser zum -Strome, wie alle Ströme zum Meere fließen. Derselbe Zug in uns allen. -Suchende, Wandernde wir alle, die der Schmerz unserer Endlichkeit -treibt. Warum uns stören, uns hindern und bekämpfen mit den armseligen -Gegensätzen, statt die große Gemeinschaft uns tragen zu lassen! Zu -unserer aller Ziel -- dem Gemeinsamen! Hinein in das Bewußtsein und den -Besitz der Unendlichkeit!« - -Er rang an den Worten, mit den Worten, in denen mehr war als das karge -ihrer Allgemeinheit. Der Reichtum war in ihrem Klang, und dieser Klang -war Seele von seiner Seele und war wie der Glanz seiner inbrünstigen -Augen. Heilig war ihm, was er bekannte -- aber dann erschrak er, daß er -bekannte. Und die kleinen Fragen kamen: wollten sie das hören -- und -gehörte das hierher? - -Und verlegen fühlte er sich zu Kunz zurück, dem Freunde, dem so anders -beflügelten, aber dem Freunde doch. Der ihn liebevoll aufnahm mit -offenen Augen, wenn auch der lächelnde Unmut nicht schwieg. Die -Lotosblume! Kann das Leuchten nicht lassen! - -Frau Tilde horchte in sich hinein. Da in der Tiefe läuteten dieselben -Glocken. Sie hatte es bisher vermieden, in der Scheu vor dem -Gleichgearteten, dessen sie auf den ersten Blick sich bewußt war, -Gisbert die Arme aufzutun. Jetzt aber, wo der Gleichgestimmte Zeugnis -ablegte, umfaßte sie ihn mit einer Art wehen Zärtlichkeit und blieb an -seiner Seite. - -»Ich fühle wie Sie«, sagte sie einfach und fest. »Und was die Zeit auch -von uns fordert, es ist etwas da, was über der Zeit ist. Dahin schauen -wir, dahin ziehen wir --« - -Horst sprach: »Wir wollen uns die Sterne nicht nehmen lassen. Auch sie -gehören zu der Erde. Aber der Festtag sind sie. Und heute, wenn wir -unser Leben leben wollen -- auch den Festtag müssen wir zum Alltag -machen! Es gibt keine Feste!« Hart, eng, unerbittlich und rauh wurde Ton -und Gedanke. Er stockte und schwieg. - -Kunz aber packte unter dem Tisch seine Hand. »Es gibt keine Sterne! -Solange es kein Deutschland gibt, gibt es keine Sterne!« - -Und das Zeugnis dieser Schwurgenossen, lauter, näher, trotziger als jene -Seelenrufe und voll Bitternis, es blieb Herr über die Geister. Sie alle -bannte es, denn in ihnen allen war das zitternde Schwingen der einen -Not. - -Herr von Borkhus brauchte Ruhe. Die Gäste brachen auf. - -»Müßte ich nicht morgen wieder nach Hause,« so wandte sich Frau Tilde an -Horst, »würde ich mir Ihren Bau einmal ansehen. Und Ihre Kartoffelsuppe -probieren. Und Ihnen« -- jetzt kam Kunz an die Reihe -- »würde ich aus -unserem Handwerkskasten einen Hobel mitbringen.« - -»Für mein Fell oder für meine Seele?« gab der zurück und verbeugte sich -lächelnd. - -Gisbert bekam keine Munterkeit zu hören, ihm gab sie nur still die Hand. - -Und nun schritten die drei Männer durch die Winternacht heimwärts. - -Heimwärts? Das Wesen der Frau geleitete sie wie ein Glanz. Ihre -Zartheit, das Gepflegte des Körpers wie des Geistes, die Kultur Leibes -und der Seele -- von ihrer Stimme der Klang, dies Aufleuchten ihrer -großen Augen aus wehmütiger Tiefe zu strahlender Sicherheit, der -Pulsschlag ihres lebendigen Wortes, der gütige gebende Druck ihrer -feinen sorgenden Hand -- alles das war mit ihnen. Das Frauliche war um -sie. Von der Mutter her, von der Geliebten her, das Gehegtsein, das -Umfangenwerden, das geborgene Hausen -- diese Klänge begleiteten den -Takt ihrer Schritte. - -Was winkte ihnen? Der kalte, düstre, niedere Stall. Wo jeder -eingepfercht war in der lieblosen Verlassenheit seiner Schlafbucht. - -Die Weichheit war bei ihnen allen, das Heimweh. - -Horst machte sich traumfest. Er zog, wie immer dann, den Buckel krumm -gleich einem Tier zum Sprunge und warf sich nun schonungslos in die -Wirklichkeit der Pflichten. - -Kunz aber beschwor mit Bedacht einen weniger holden Geist gegen die -Lichtgestalt, die mit ihnen schwebte: »Wer mag dieser Achim sein, dieser -Ehegatte? Was weiß man sonst von ihm, als daß Religion ihm -Gehirnverkalkung ist? Und er einen Koch im steifen Arm verhungern läßt?« - -Gisbert machte keinen Buckel und beschwor keine Geister -- er zog seine -Lichtbahn. - -Wie die Baracke vor ihnen aufdrohte und die beiden -- hinein ins -Verderben! -- ihre Schritte beschleunigten, blieb er zurück und im Takt -seiner Musik. Als Kunz sich nach ihm umdrehte, erklärte er: »Ich gehe -noch einmal an die See.« - -Sie ließen ihn und sprachen von der Arbeit, von morgen. - -»Wir müssen Pferde kaufen, Kunz. Die Preise steigen ins Schwindelhafte.« - -Kunz, der von der Kavallerie her kam, war ein gewiegter Roßtäuscher und -jedem Pferdeschmeißer und Viehhändler gewachsen. - -Gisbert ging an die See. Der abnehmende Mond, schwer in dunklem Gold, -stieg aus der Flut. Langsam, wie lastend, rollte der rote Schein über -die gebändigten Wellen. Wie in Trunkenheit wiegte sich die leise -Brandung, erschrak, wenn sie rauschte, und gewann das Schweigen. - -Die helle Nacht trank alles in sich auf, was noch sprach und flüsterte. -Alle Stimmen, alle Schwingungen der Welt mündeten in die große -Sternenstille. - -Und Gisbert, was er mit sich trug, was ihn erfüllte und quälte und -bewegte, was in ihm klagte und jubelte -- es löste sich ihm alles in die -lichte Unendlichkeit dieser hohen Ruhe. - -Was die letzten Stunden ihm geschenkt hatten, das Wissen von dieser -Frau, ihre Nähe, die Gemeinschaft mit ihr -- »ich fühle wie Sie,« so -hatte sie gesprochen -- das alles blieb nicht in der Verzückung und in -der Begehrlichkeit des Rausches. Es stieg auf aus der Tiefe, befreite -sich von der Blutwärme, von dem Zittern der Sinne, verklärte sich in -diesem reinen kalten Licht über dem Leben und ging ein in das All. - -Und unter Schauern wird es ihm gewiß, ich habe den Weg, die Bahn steht -mir offen -- ich kenn' es und kann es, das »Stirb und Werde«! - -So stand er, verzaubert. - -Dann aber, als wäre es ihm um diese Sicherheit gewesen, zerbrach er die -Starrheit, reckte die Arme, und da er zurückschritt über die Heide, sang -seine Jugend ihr Lied. - -Sang das Lied dieser Frau. - -Hier meine Hand -- ihre Finger haben sie umschlossen. Meine Hand -- -sieh, Mond, du lieber, dummer, du gescheidter, meine Hand ist dies! -Meine glückselige Hand ist dies! Siehst du, wie sie leuchtet! Und so -leuchte ich selbst! Ganz und gar leuchte ich so. - -Auf Flügelschuhen schritt er, den Kopf gehoben, die Brust geschwellt. -Jauchzend die Seele. - -»Ich fühle wie Sie! Ich fühle wie Sie!« - -Und dann stürmte er jungenhaft über die Halde -- sprang über einen -erratischen Block -- fiel in den Schnee -- wälzte sich wie ein Füllen, -alle Viere gestreckt, und lachte wie ein Narr, wie ein Kind. - -Lebhaft trat er in sein Gelaß. Kunz war im Einschlafen. Ward ungehalten -und lallte ihn an: »Was fällt Dir ein -- Du trampelnder Mondstrahl -- Du -brüllende Ätherwelle -- Du -- Du tobsüchtig gewordener Blütenhauch -- ---« - -Von dem Blütenhauch durfte er sich betäuben lassen zu ruhigem Schlaf. -Der konnte etwas ergiebiger sein, denn morgen war Sonntag. - - - - - Die fremde Frau - - -Der Vormittag gehörte jedem für seine Briefe und eigenen Geschäfte. Nach -Tisch gingen Horst und Kunz auf den Pferdekauf. - -Es war ein erfolgloser Weg. Zuerst war ein Bauernhof an der Reihe. Von -den Pferden kam hier eins in Frage. Das andere, ein Blender, hatte -schlechte Beine. Der Bauer wollte nur beide zusammen verkaufen. So -konnte aus dem Geschäft nichts werden. - -Auf dem Rittergute Buchhof, wohin sie dann gepilgert waren, gedachte -ihnen der Administrator -- der Herr war nicht zu Hause -- ein Paar -tiefsinnige uralte Kracken zu versetzen. Horst dankte kühl. Kunz aber -konnte sich den Zusatz nicht versagen: »Wir wollen nämlich Pferde kaufen -und keine Philosophen. Wir wollen mit den Tieren pflügen und Mist fahren -und uns nicht Memoiren von ihnen erzählen lassen.« - -Blieb noch Claus von Tangentien, der aber nur der Form wegen auf der -Liste stand. Denn zum Pferdehandel mit diesem alten Ammoniakiter -- wie -Kunz ihn getauft hatte -- zogen sie keine zehn Pferde. - -Die Dämmerung fiel schon ein, als die beiden weidlich verdrossen, den -Fuß auf Moorhofer Gebiet setzten. Die Abendsonne hatte sich in den -Nebeln überm Moor verblutet. Von den schneeigen Feldern zogen hungrige -Krähen müden Fluges nach dem Kiefernwald, bäumten dort auf und richteten -sich klagend und frierend ein für die Nacht. Da hinten die See hauchte -eisigen Daak über Dünen und Heide. - -Horst war ungehalten über den verlorenen Nachmittag. Er mußte noch etwas -ausrichten, so konnte er nicht nach Hause. Das Moor da unten -beschäftigte ihn. - -»Ich will jetzt doch endlich mal den alten Torfmeister aufsuchen. Kommst -Du mit, Kunz?« - -»Alte Torfmeister sind mir zu wenig Sonntagsvergnügen. Ich werd mich -aufs Stroh werfen und lesen.« - -Sie trennten sich. Kunz ging geradeaus weiter nach der Baracke zu, Horst -bog links ab die Straße, die am Dorf vorüberführte. - -Aus dem Boden stiegen die Nebel, vom Himmel fielen sie, das Wasser, das -Moor sandte sie her -- so schlugen sie über dem Schreitenden zusammen. -Voll Klage und Schauer war die Welt. Unbändiger als je zwang die -Schwermut ihn nieder. Er fiel in seine dunkle Stunde. Das wozu? und -wofür? saß ihm an der Kehle. War nicht doch alles umsonst und alles -verloren? - -Was hockt er hier -- in diesem kümmerlichen Tun! Was wird damit -geschafft? Was helfen all diese armen Kleinigkeiten, wo selbst das Große -uns nicht retten könnte! Das Große! Wenn wir es hätten! Wenn es -aufstünde unter uns, das Gewaltige, Allbezwingende, das im Sturm uns -fortreißt, in dem einen machtvollen Fühlen und Glühen! Uns alle, alle -- -das Befreiende, die heilige Flamme, das heilige Licht --! - -Was würde geschehen mit diesem Großen? Würden wir selber es dulden? -Würden wir selber es uns nicht in Stücke zerschlagen! - -Wir Deutsche -- wir Deutsche! Wir die ewigen Vandalen an uns selbst! -Wir, die geborenen Zertrümmerer unserer eigenen Größe. - -Deutschland, das ewige Trümmerfeld -- nach unserem eigenen -fluchbeladenen Willen. - -Wozu bauen, was wir selbst doch wieder einreißen! - -Und was ich hier bauen will -- ist es nicht Kinderkram, wie aus der -Spielzeugschachtel! Was soll der Tand! Was soll der nützen! Ein Beispiel -sollte es sein, ein Gleichnis, ein Symbol -- ja -- - -Aber ein Symbol der Arbeit? Wer will das! Wer leistet dem Gefolge! Nehmt -das goldene Kalb und setzt die Dirne drauf oder den Magier, den -Geisterbeschwörer von Geschäft, und ihr habt die Leidenschaften der Zeit -mit ihrem Heerbann. - -Was kaure ich hier unter dem Schutt! Ein Fremder in meinem Vaterland. -Warum dann nicht lieber hinaus in die Fremde! Nach dem Süden, dem -purpurnen! In die Klarheit des Nordens! Nur, daß man sein Brandmal -trägt, den Galeerenstempel! Die Peitschenstriemen auf dem Rücken! Ein -Deutscher -- wehrlos, ehrlos. Wer will ihn! Welches Land öffnet ihm -seine Grenze! - -Vom Leuchtturm auf der Halbinsel ruft das Nebelhorn -- Töne fernher, wie -aus anderer Zeit, aus anderen Welten. Stöhnende Stimmen von -Urzeitriesen, Flüche, Verwünschungen, Todesschreie. Vor mir, um mich das -Niflheim! O ging es hinein in das eisige Vorweltchaos! - -Wie ein Ertrinkender erlebt er noch einmal sein Leben. - -Die jubelnde Jugend unter den strahlenden Augen, der fröhlichen Klugheit -der Mutter, die gesammelte Kraft des Soldatentums, trotz all dem -Kleinlichen und Lachhaften die ganze Größe des »ich dien«. Die Jahre auf -der Kriegsakademie in Berlin, wo Kunst und Liebe ihn so reich -beschenkten, und reich auch die stille Lampe bei seiner Wissenschaft. -Oft haben ihn die Kameraden »Schuster« gescholten, wenn er des Wüsten -und der Ausgelassenheit satt in seiner Werkstätte sich einschloß. Und -gerne saß er bei seinem Leisten, der Kriegsgeschichte. Eine Monographie -von ihm über die Schlacht von Saalfeld wurde gedruckt und trug ihm -brieflichen Verkehr mit Universitätsprofessoren ein. Dann hatte die -Strategie des Großen Kurfürsten es ihm angetan -- da kam der Krieg. - -Der Krieg! Der Krieg! Und nun riß das Grandiose, das Glorreiche, das -Ruhm- und Weihevolle -- ja, ja, das ist es bei allem, das bleibt es bei -allem, und dafür leben und sterben wir! -- wie riß es ihn plötzlich aus -seiner Verlorenheit in Nebel und Not! - -Und jetzt kroch er nicht mehr, er ächzte nicht mehr -- er hatte den Kopf -wieder hoch und schalt sich aus. Schäm dich, Horst Oldefeld -- -Neurastheniker mit Nebelhornbegleitung! Nun faßt du wieder Schritt und -tust, was du sollst und mußt -- und glaubst an dein Müssen -- und läßt -die Ausflüge ins Niflheim und in das eisige Urweltchaos. Du bleibst -hübsch säuberlich auf deutschem Grund in deinem Arbeitsschritt, du -bleibst in deiner Pflicht. Und wenn du das Kleine schaffst, denkst du, -daß aus Kleinem Großes wird, daß darum das Kleine mehr ist als das -Große! Siehst du! Und das denkst du, lachend und zufrieden! Und bist -einer und dünkst dir was! So, mein Junge, und jetzt ist es Abend, du -darfst ausruhen und müde sein. Die Tagesfahrt hat dich enttäuscht -- -sind nicht Enttäuschungen die Schwungfedern des Erfolges? - -Und ist dir für heute nicht noch etwas Sonderliches beschieden? Ein -Sonderling steht dir bevor, der Erdgeist dieses Landes, der -Schatzgräber, der die alten Geheimnisse des Moores ans Licht bringt, -zugleich der Totengräber des Kirchspieles, der neue Geheimnisse in die -Erde senkt. Lud Uhlenbrook, Torfmeister und Friedhofswärter seines -Zeichens. Ein besonderer Mann. - -Wohl muß man sich traumhaft feierlich stimmen, ihm zu begegnen. Und die -Brille zur Hand haben für Geister und Gespenster. - -Sind wir nicht hier an der Kirchhofsmauer? Jetzt steigt die Straße, -jetzt kann man hinüberblicken. - -Schwer hängen Dämmer und Nebel in den Sträuchern, den kahlen Ulmen, den -bereiften Edeltannen und ersticken das matte Schneelicht, das noch von -den Gräbern und Wegen aufsteigen will. - -Was huscht da und flattert zwischen den Grabhügeln? Ein Körperliches? -Ein Schatten? Verschwindet hinter den Bäumen -- schwebt wieder aus dem -Nebel -- eine irrende Seele --? -- - -Eine schwarze Gestalt -- jetzt hält sie der Blick -- eine Frau -- - -Horst kommt an der eisernen Pforte vorbei -- da tritt die Gestalt von -innen an die Kirchhofstür und rüttelt an den eisernen Stangen. Eine -Gefangene der Totenstätte -- -- - -Er geht hinzu. »Ich hab mich verspätet -- man hat mich hier -eingeschlossen!« sagt die Stimme von drüben, mehr ungehalten als -ängstlich und bittend. - -Ein bekannter Klang -- und jetzt sieht er die Züge: die Dame von der -Versammlung ist es. - -»Ich werde den Schlüssel besorgen«, sagt Horst mit schneller -Bereitschaft. - -Bei ihr ein Zögern. Sie betrachtet sich die Pforte, den Mauerpfeiler. -»Wenn Sie mir helfen wollen, komme ich so hinüber«, erklärt sie kurz -entschlossen. - -Er reicht ihr die Hand, sie setzt den Fuß zwischen die Stäbe, dann auch -den anderen -- Horst stützt und streckt den Arm -- sie klettert auf die -Mauer -- beugt sich -- legt die Hände auf seine Schultern und springt zu -Boden. Das alles in einer kühlen Ruhe, ohne betonte Zurückhaltung, ohne -regere Verbindlichkeit. - -Einfach spricht sie ihren Dank, verneigt sich und wendet sich nach der -Chaussee, die zur Stadt führt. - -»Es wird unheimlich dunkel -- und eine Dame jetzt allein den weiten Weg ---« er ist an ihrer Seite. - -»Mir tut niemand etwas.« - -»Wenn ich Sie begleiten darf --« - -»Das ist sehr freundlich. Aber ich kann wirklich allein gehen.« - -Hierin ist nun, bei aller Gelassenheit des Tones, die deutliche -Ablehnung. Horst verbeugt sich und wandert seine Straße. Ein wenig -beschämt -- ein wenig ärgerlich, über sich, über sie. Aber dann schilt -ihn nur noch die Ungehaltenheit über sich selbst. - -Aufdringlich -- ja, ja -- er ist es gewesen und ist ihr so erschienen. -Immer dieselben Funken, wo die beiden Geschlechter in Spannungsnähe -geraten. Die Eitelkeit entzündet sich, die Eroberungslust, die Habsucht. - -Hatte er es nicht ausnutzen wollen, daß er ihr den Dienst erwiesen? - -Gewiß, sie hat etwas, was ihn reizt. Ihre Persönlichkeit, die -schleierhafte Persönlichkeit --? Natürlich das Weib! »Persönlichkeit« -- -auch so einer von diesen Zauberapparaten, mit denen wir uns selbst -Kunststücke vorführen! - -Sie war auf dem Kirchhof. Es gibt Menschen, die für Kirchhöfe eine -Leidenschaft haben -- heißt, so lange sie selbst munter herumspazieren. -Ist sie von denen? - -Daß sie ein Grab hier hätte, sie, die landfremde --? - -Und da fährt es ihm durch den Sinn: der junge Mann liegt hier begraben, -den Borkhus erdrosselt hat! Groß geht es in ihm auf, bis zur Gewißheit: -ja, ja -- sie war an seinem Grabe -- hier ist der Zusammenhang! - -Er hatte es nicht begriffen, was damals aus ihren Augen brach, als -Borkhus in der Versammlung vor ihr auftrat. Das war mehr gewesen als -politischer Haß. Jetzt verstand er dieses Mehr. Der Rachegeist war es -eines vernichteten Lebens, das Blutgericht einer zerstörten Liebe, die -Tod wollte gegen Tod. - -Und wieder ging Horst einen schweren Schritt. - -Ein Schicksal -- und so erst mußte ihm dies zu Bewußtsein kommen. Wie -gedankenlos hatte er bisher diesen Todesfall abgetan. Wie leichtherzig -hatte er ihn als was Gleichgültiges, höchstens als ein Unbehagliches von -sich gewiesen. - -Erst in den Augen dieser Frau mußte sich das Geschehene spiegeln. - -Und es wuchs, über das Grauen der einen Tat, hinein in die große -Tragödie des Volkes. - -Herr von Borkhus selbst hatte es gefühlt, vergraben in die Schauer, -hatte es ausgesprochen, nur vor tauben Ohren: »Ein Deutscher erwürgt -einen Deutschen mit eigenen Händen! In unseren Tagen gemeinsamer Not! -Die Zeit der apokalyptischen Greuel kehrt zurück.« - -Nicht der einzelne -- und doch wieder der einzelne! Denn aus den -einzelnen wird das Volk, und in dem einzelnen ist das Erleben. - -Eines Mannes Ende -- eines Weibes Verlassenheit und Todestrauer. Eine -Nacht nur solcher Verzweiflung -- nur die wenigen, die langen Stunden -einer einzigen, einer langen, langen Nacht! - -Nun ist man im Fühlen, und das Herz schlägt mit. - -Eine Frau! - -Der endlose Zug der Frauen in schwarzen Gewändern wallt vorüber, der -Mütter, der Gattinnen, der Bräute, der Schwestern -- viele, viele wie -die Schatten, denn ihr eigenes Leben gaben sie dahin. - -Doch geheiligt sind sie, die Weihe ist über ihnen, die Weihe des Opfers, -das die Liebe brachte, die Liebe zum deutschen Land. - -Was aber jetzt im Trauerkleide diesem Todeszug sich anschließt, über -denen leuchtet nicht der Segen der Hingabe, sie tragen den Fluch und den -Haß. Um sie zuckt und schwelt das wahnsinnigste aller Verbrechen, der -Bürgerkrieg -- Land- und Eidgenossen morden sich selbst! - -O dieser namenlose Frevel an der deutschen Kraft -- an der Kraft der -deutschen Seele, an der Kraft unserer Wehr. - -Jetzt -- jetzt, wo wir so bitter nötig Eisen und wieder Eisen ins Blut -haben müßten, gerade jetzt spritzen wir uns Gift in die Adern! - -Eisen! Wo ist er, der Führer! Der Held von Eisen! Der große Rufer im -Streit! Der Lindwurmtöter! Der erst die Drachen im eigenen Lande -erschlägt. Und dann die Höllenhunde da draußen. - -Der Feind ist im Land! Das ist der Ruf! Der gellt in die Ohren, er -greift an die deutschen Herzen, und wären sie noch so zag, noch so träge -und weich geworden, noch so dumpf und so niedrig! - -Der Feind ist im Land! Wo ist der Heerkönig! Seine Fahne soll wehen! Wir -kommen alle, wir folgen dir alle! Ein Meer brandet auf, ein Flammenmeer --- eine Sturmflut von Feuer, so brausen wir über die Feinde! - -Kreuzfahrer sind wir, geweihte, in Frommheit entbrannte, heilig, heilig -ist unser Kampf für das heilige deutsche Land! - -Sie haben Maschinen -- was sind Maschinen -- wir haben den Geist! Und -Gott ist der Geist! In Feuersäulen wandelt er vor uns. - -So brennen wir rein -- die deutsche Erde -- von ihren Schändern -- in -prasselnden Flammen -- so brennen wir rein -- in jubelndem Feuer -- den -deutschen Namen -- von seiner Schande. - -Der Welt stockt der Atem -- und die uns geschmäht -- sie jauchzen uns -zu! - -In hohen Sprüngen war Horst vorwärts gestürmt. Nun stand er keuchend. Wo -ist er, der große Mann! Warum fehlt uns der Führer in der schwersten -Stunde! Warum bin ich selbst ein so armseliger Zwerg! - -Wieder krochen die Nebel um ihn zusammen, wieder wollte er schmerzlich -und schwer in den alten Trott sinken. Da tauchte am Rande des Moores der -strohgedeckte Katen des Torfmeisters vor ihm auf, und das Ziel hob -seinen Blick ins Feste, Grade und Helle. - - - - - Der Torfmeister - - -Ein spärliches Licht aus einem der Fenster grüßte mühsam durch den -Abendnebel. Horst öffnete die Pforte des Heckenzaunes, der einen kleinen -Vorgarten einhegte, und trat dann durch die Haustür auf die dunkle -Diele. Links war das Licht, er klopfte, eine Stimme, die wie Donner -rollte, rief einladend: »Jawoll!« - -In dem niedrigen verräucherten Zimmer hockte ein grauhaarbuschiger -Riese, der Leib war in einen mächtigen schwarzen Wachstuchlehnstuhl -versunken, die Beine durchquerten den ganzen Raum, auf daß die Füße, in -ungeheueren Filzstiefeln, mit dem offenen Ofenfeuer treuliche -Nachbarschaft hielten. - -»Guten Abend!« grüßte Horst. - -»'n Abend«, polterte der Alte mit unglaublich gemütlichem Grollen -zurück. Und dann stöhnte er: »Wollen Sie sich setzen. Eh ich -aufgestanden bin, haben Sie längst vergessen, was Sie von mir wollen.« - -Horst holte sich einen von den schweren eichenen Holzstühlen. Er sagte, -daß er von der Siedlung käme. - -»Hab ich mir gedacht. Und wissen Sie, daß wir Feinde sind!« - -»Feinde?« - -»Über 'n Zehntel von meinem Moor haben Sie mir genommen! Aus meinem -Leben ist das rausgeschnitten. Denn mein Moor ist mein Leben.« - -Jetzt stöhnte er wirklich und aus der Tiefe. Die Hausbalken ächzten. -»Seit der Zeit hat es mich gepackt. Und nun ist nichts mehr mit mir los. -Haben Sie 'ne Ahnung, was Moorpodagra ist?« - -»Nein.« - -»Danken Sie Ihrem Schöpfer. Aber --« jetzt rieb er sich die -unermeßlichen Vorderflossen -- »vielleicht erleb ich's noch, daß Ihr -Siedler das auch abkriegt! Wär das -- wär das ein Schützenfest! -Hahahaha!« Das Haus lachte mit, die Wände, die Dielen, die Möbel. - -Mit dieser Verwünschung hatte seine Galle sich entgiftet. Die Augen, -große Spitzbuben von Natur und jung trotz der roten wimperlosen Lider, -waren schon wieder geneigt, das ganze Leben als eine erkleckliche -Schalksnarrheit halb ausgelassen, halb wehmütig zu betrachten. Er rührte -sein Fußwerk, sehr behutsam, es ging besser als er dachte. »Torfwasser! -Fünfzig Jahre Torfwasser! Torfwasser ist 'ne eigne Mixtur, kann ich -Ihnen sagen. Leichen erhält's. Lebendiges frißt es an.« - -Er hatte die Kniee krumm. »Na wollt ihr raus?« sprach er zu seinen -Stiefeln hinunter. Und da sah Horst aus jedem Schaft ein Köpfchen lugen --- die grellen Augen stachen nach ihm. - -»Was haben Sie da?« fragte er überrascht. - -»Die fressen den Gichtwurm«, gab ihm der Alte zu wissen. »Werden selbst -aber nicht satt davon. Meine Wiesel sind das. Na lauft!« Die -fadenschlanken Tierchen schlüpften aus dem Fußgehäuse, liefen an dem -Riesen in die Höhe, umkreisten spielend seinen Nacken und schlängelten -sich dann hintereinander in ein Loch der Diele. - -Nun stand der Alte, reckte sich, nüsterte und schnob, fegte mit seinem -Haarschopf die Decke, hinkte zu einem Wandschapp und holte eine -Schnapsflasche mit zwei Gläsern. - -Sie saßen an dem klobigen Eichentisch. »Selbst gebrannt. Wacholder«, -erklärte der Alte. - - »Hüt' dich vor sünd'gem Wandel, - vermeide den Machandel! - -Na Prost!« - -Er stöhnte wie ein Ur. - -Horst sagte ihm, daß die Siedler seinen Rat und seine Hilfe brauchten. - -Wirklich! Erst nähmen sie ihm das Beste weg, und zum Lohn dafür sollte -er helfen! Christenlehre! Reißt dir einer die Tabakspfeife aus der Hand --- gib du ihm Feuer, daß er sie sich auch anrauchen kann! Hahahaha! - -Die Stube schüttelte sich, der Eichentisch tanzte Ballett. - -Dann schimpfte er auf die ganze Moorwirtschaft hier. Nie hätte er -gekonnt, wie er wollte. Der Besitzer, Herr von Borkhus, hätte nun mal -keinen Sinn fürs Moor. Was ein Gemütsfehler wäre. Seine Tochter, Frau -von Mönkhov, hätte diesen Sinn -- und wäre die nicht, gäb es hier den -Torfmeister Lud Uhlenbrook längst nicht mehr. - -Das Zwanzigfache hätte sich allein aus dem Torfstich herausholen lassen. -Aber keine Unternehmungslust, kein Blick, kein Verstand. Selbst für die -kümmerlichsten Abfuhrstraßen hätte er bis aufs Blut kämpfen müssen. - -Und das Moor ist so brav, so fleißig im Nachwachsen, im Nachschaffen, es -gibt und schenkt so gern. So treu ist es gegen die, die es kennen und -liebhaben -- böse nur gegen die, die nichts von ihm wissen und nichts -von ihm wissen wollen. Ob er etwas von ihm wisse? - -Nein. - -Dann solle er sich nur nicht einfallen lassen, in einer Sturmnacht übers -Moor zu wandern. Wenn ihn die Schlünde und Gründe nicht verschluckten, -all das, was dann aufgeschreckt wäre aus den Tiefen -- heillos würde es -ihm die Sinne verstören. - -Arm und zu bedauern sei er, daß er nichts vom Moore wisse. Nichts vom -schlafenden Moor -- nichts von seinen Träumen -- nichts von seinem -Erwachen. Von den Moornebeln nichts, nichts von dem Moorleuchten. Von -seiner Frühlingspracht nichts, wenn die unzähligen goldenen Blumen es -bestirnten -- nichts von all dem Summen und Zirpen und Tirilieren, von -seiner Musik, so vielstimmig und so abgetönt wie keine auf der Welt. - -Und die Abenddämmer, die an das Geschwundene rührten -- die hellen -Nächte, da der Mond die Elfen ruft -- die schwarzgrollenden -Unwetternächte, in denen die geizigen Zwerge und Gnome mit ihren -Irrlichtern nachsuchen, wohin die Blitze ihr Gold gestreut. - -Was ruht alles im Schoß des Moores! Kämpfer und Helden, die das Gewoge -der Schlacht hier hineinstieß. Könige, die der Ruhm hier im Grabe -bettete. Selige selbstvergessene Frauen, die im Traumschritt -hinüberwandelten, und die der Tod hinabzog, selbst wie ein Traum -- -Unselige, die der Gram hier versenkte. - -Das Meer, das grausame, zerstört. Alles, was es hinabschlingt, gibt es -der Verwesung preis, den Zähnen seiner Bewohner, und wirft und speit die -eklen Reste wieder von sich -- das Moor sorgsam und sanft, balsamiert -alles ein, bewahrt dem Toten die Schönheit des Lebens, hat Freude an der -Form und Lust am Erhalten. - -So ist das Moor, denn das Moor hat ein Herz! - -Dies war der Klang, in dem der Alte sich vernehmen ließ, auf seine Art. -Und diese Art stieg über ihn selbst hinaus, da er dem, was ihm ans Leben -gewachsen war, seine Hymnen sang. - -Horst hatte seine Freude an dem Alten. Er wußte, daß sie beide auch -jenseits vom Moor sich nahe kommen würden. »Ich will mich bemühen,« -sagte er, »Ihren Freund zu verstehen. Und womöglich auch Freundschaft -mit ihm zu schließen.« - -Sie sprachen dann über die Torflieferung für den Ziegeleibetrieb. Dem -Siedlungswerk an sich war der Torfmeister zugetan, und er versprach ihm -seine Förderung. - -Und dann strömte auch ihr Fühlen und ihr Gespräch in die große deutsche -Not. Der Torfmeister hatte seine festen Gedanken. Dies war kein grader -Krieg -- schief kam er und aus der Ecke! Was ging uns um Haut und Haar -das an, was da unten bei den Mausefallenhändlern passierte! Ich war 66 -und 70 dabei -- da wußten wir, was wir wollten! Aber hier wußten wir -nicht mal, was die anderen wollten. Und darum, es war krumm und dumm von -vornherein. Und doch krümmer und dümmer, was wir all die Jahre vorher -angestellt haben, uns all die vielen Feinde aufzuhalsen. - -Hierüber brauchten die beiden sich nun nicht weiter zu verständigen. Sie -landeten jetzt bei dem Heute, bei dem, was diesem Landstrich beschieden -war. - -Hier hat es schon vor dem Kriege gezuckt und getuckt, sagte der Alte. -Gewiß, vieles, was so von Leuteschinderei geredet werde, sei Hetze und -Geschwätze. Aber mancher Gutsherr habe doch sein Teil auf dem Kerbholz. -Das Volk wäre ducknackig und trüge viel, aber es fräße alles in sich -hinein, und vergäße nie. Da hätte sich also schon was angesammelt. Und -jetzt, wo die Funken durchs Land flögen --! - -Wie es in Moorhof aussehe? - -Herr von Borkhus gehöre nun gewiß nicht zu den Gewaltherrn. Er habe ein -Herz für die Arbeiter. Aber er behandele sie nicht gleichmäßig. Leicht -risse sein heißes Herrenblut ihn fort -- hinterher täte es ihm leid, und -überschwenglich verwöhnte er dann die Leute. So aber bekäme man sie -nicht in die Hand. - -»Sie meinen also auch, uns steht hier noch verschiedenes bevor?« - -»Ganz gewiß. Wo jetzt die heftigen Brüder von auswärts kommen und das, -was hier glimmt, mit vollen Backen anblasen.« - -»In der Stadt hat sich ja jetzt was zusammengetan.« - -»Ja. Seit da nun noch der rote Magistrat die Fuchtel schwingt.« - -Und nun ist Horst wieder bei seiner Revolutionärin. »Sagen Sie mal, Sie -sind doch auch der Friedhofswärter?« - -»Ja -- und?« - -»Wissen Sie, daß da eben eine Dame eingesperrt war?« - -»Nein. Wer?« - -Horst beschreibt sie. Und jetzt kommt eine fliegende Erregung über den -grauen Riesen. Das sei Lona Grahl gewesen! Seine kleine Freundin! Die -habe das Grab ihres Geliebten besucht! Und nun müßte er, der Alte, mit -seinem kranken Beinwerk gerade den Schlüssel nicht haben! Die -Küsterdirn, die dumme, die sich vor Gespenstern fürchte, habe natürlich -in dem Nebel vor Abend schon blindlings zugeschlossen und danach -spornstreichs Reißaus genommen. »Aber sonst pflegte Lona doch immer nach -ihrem Kirchhofsbesuch bei mir einzusehen! Sollten Sie sie mir vergrämt -haben!« - -Fast zornig flammte es aus den alten jungen Augen gegen Horst. - -Der erhebt sich. »Es tut mir leid. Sie weiß, daß ich politisch ihr -Todfeind bin. Sie weiß auch um meine freundschaftliche Gesinnung für -Herrn von Borkhus.« - -Die schwere Pranke des Alten legt sich auf den Arm seines Gastes. Die -Aufwallung reut ihn. - -»Bleiben Sie noch sitzen. Die Kleine steht mir nahe. Ich hab sie als -Kind auf dem Arm gehabt. Sie stammt aus unserer Gegend. Ihr Vater war -Pastor in Unkvitz. -- Sie sehen die Kirche südwärts vom Moor. Das war -ein Mann -- was haben wir den geliebt! Zu dem gingen wir alle und nicht -zu unserem Pastor hier. Jung war er und fröhlich -- und wenn man ihn -bloß ansah, wurde man schon ein besserer Mensch. Und was konnte er die -Orgel spielen! Jeden zweiten Sonntag gab er ein Kirchenkonzert. Was -Beine hatte und Ohren drängte sich dazu. Und seine Frau sang, wie ein -Engel aus dem Himmel sang sie. Die war eine berühmte Sängerin gewesen, -aber ihren Mann hatte sie lieber als all ihren Ruhm. Und ganz plötzlich --- ich weiß nicht, was der Herrgott sich dabei gedacht hat -- plötzlich -stirbt dieser Mann. Hatte an einem Krankenbett sich angesteckt. Die Frau -wurde wahnsinnig. Verwandte holten das Kind. Es war damals zwei Jahr. -Ich ging auch gerade zur Bahn. Da habe ich das Wurm den ganzen Tag -getragen. Und das war der Anfang unserer Freundschaft. Dann habe ich die -ganze Zeit nichts von ihr gesehen und gehört. Jetzt ist sie wieder -aufgetaucht. Und schlimm genug ist das, was sie wieder in die Heimat -geführt hat.« - -Der Alte stöhnte und schwieg eine Weile. - -»Als wir ihren Freund hier begruben -- sie war sein einziges Gefolge. -Der Geistliche, der hier damals amtierte -- unser Pastor Wärmann lag -noch verwundet im Lazarett -- na ja, er gab wohl her, was er konnte, -aber schließlich -- der Tote ein Revolutionär. Und sie die Geliebte -eines Revolutionärs. Die wahre Liebe und der wahre Trost war es nicht. -Ich hab dann die Kleine mit nach Hause genommen. Und an meiner Brust hat -sie sich ausgeweint.« - -Horst hörte hingegeben zu. Und nun sah er sie hilfsbedürftig in den -Armen dieses alten Mannes. Hilfsbedürftig -- das reimte sich ihm so -wenig zu ihrer Art. Und ihre Augen in Tränen -- diese Augen mit ihren -wilden Bränden und ihrer schaurigen Erloschenheit. - -Er wollte mehr wissen, aber er brauchte nicht zu fragen. Der Torfmeister -war mit dem Recht seiner Jahre redselig geworden. - -»Jetzt will sie hier bleiben. Sie hat sich in der Stadt niedergelassen. -Als Musiklehrerin. Aber die Musik -- na, vor allem macht sie jetzt hier -die Musik der Revolutionsmänner mit. Ihr Freund war Maler, und sie kommt -von der Musik her, und sie hat mir gesagt, was so die Jungen von der -Kunst wären, die wären alle revolutionär -- oder sie wären taube Nüsse.« - -»Wir haben auch noch eine andere Jugend!« sagte Horst lächelnd, mit -Bedacht. - -»Davon verstehe ich nichts. Aber -- bei alledem ist mir nicht behaglich. -Sie bleibt nicht bloß hier, um das Grab zu pflegen. Sie hat noch etwas -anderes im Sinn. Was manchmal in ihren Augen umgeht! Und wenn man daran -denkt, daß ihre Mutter im Wahnsinn geendet hat --! --« - -Horst packte zu. »Sie meinen, sie will sich rächen.« - -Der Alte sah ihm ins Gesicht. Dann sprach er unumwunden: »Ja. Und wo -hier jetzt die politischen Brandstifter herumwirken --« - -Die beiden Männer schwiegen. Und das Grauen rührte an sie, das durch die -deutschen Lande schlich. - - - - - Winternot - - -Der Februar brachte eine Bärenkälte. Was schimpfte Kunz in dem -bereiften, vereisten Schuppen! Gisbert hatte seinen Ohrenschmaus. - -»In Berlin haben sie vorgestern die hundertsiebenundsechzigste Tanzdiele -aufgemacht! Und mir frieren hier die Zehen ab. Hat deshalb die Schöpfung -in mir alle menschlichen Reize zusammengehäuft, daß ich zu Puppenlappen -verfrieren muß!« - -Gisbert blieb unanfechtbar, schwebend, über den Dingen. - -»Und Du, sag mal, hast Du immer noch Lust, ins All aufzugehen? Der Natur --- von minus zwanzig Grad -- Dich einzuverleiben? Getreu Deinen Brüdern -am Indus, Ganges und Brahmaputra? Die sich da in die Sonne hinlümmeln -und sich die Bananen oder sonstwas in den Rachen wachsen lassen. Wir, -die wir hier in Schneehütten und Erdhöhlen hausen, Herrgott -- wir -müssen uns schon ganz in uns selbst hineinkonzentrieren! Daß wir -wenigstens etwas Warmes in den Leib kriegen! Der Unterschied zweier -Welten! Aber Du -- Du mit Deinem Astralgebein!« - -Dann kam Tauwetter, eine Regenperiode mit niederträchtigen westlichen -Winden. Und ein böser Gast fand in der Baracke sich ein, die Grippe. -Fast alle lagen sie auf der Nase. Horst, der noch soeben an einer -Lungenentzündung vorbeischrammte, blieb auf den Füßen, pflegte, half und -gab das Steuer nicht aus der Hand. - -Und wie eine Seuche liefen jetzt, wo sie ihre frische Arbeit nicht -hatten, die Unlust, der Überdruß, die fahnenflüchtigen Gedanken durch -die Reihen. Von Schimpfen, Stöhnen und Fluchen über das Barackendasein -klang der Bau. - -Wohl hatte Kunz das Instrument auf diesen Ton gestimmt. Und auch ihm -kamen bitterliche Stunden, in denen er Horst sein Herz ausschüttete. -»Ich mach nicht mehr mit, -- in diesem elenden Kasten -- wie ein Sarg -ist er -- ein Bretterkahn ist er, der in den Orkus hineinfuhrwerkt -- -ich steig aus! Nach der Großstadt will ich. Müll kutschieren will ich -oder den Gummibesen über den Straßenasphalt schieben!« - -»Du bist größenwahnsinnig«, erklärte Horst dazu. - -Dann gab er sich. Er mochte auch nicht zu dem Chorus gehören. Und da -Trübsal und Bitternis nicht abreißen wollten, warf er sich in seinen -alten Übermut, hielt sein Lachen parat, zornig und rüttelnd, und wusch -die Köpfe. - -»Hat das bißchen Schnupfen uns zu Jammerlappen aufgeweicht?« Für die -Braven und Zukunftsstarken schleppte er Rum herbei, ihnen braute er -heilsamen Grog -- wen gab es da, der nicht zukunftsstark wäre? - -Mit seiner Zupfgeige zigeunerte er an den Krankenbetten. Muz saß -andächtig dabei und hatte gespitzte Ohren. Dichtete an seinen Liedern -»vom heimlich-unheimlichen Suff« und sang sie ihnen. - - Jetzt sing ich euch das Lied vom Muselmanne, - er betete getreulich seine Suren, - zuweilen aber kriegt er seine Touren, - und flüchtete zu seiner Fuselkanne. - -Oder er warf ihnen so aus dem Handgelenk ganze Bündel Singsangreimereien -vor. - - - »Prost!« - - Herrgott in unserm Schuppen, - da ist der Deubel los, - wir haben all den Schnuppen, - wie leuchten unsre Kuppen, - im Hals da sitzt 'n Kloß. - Ich niese, du niesest, wir niesen, - uns kriegen am Kragen die Krisen, - und keiner und keiner sagt »prost«! - - Der Arzt verordnet Suppen, - er sagt, die ist famos. - Der Kunz besorgt uns Druppen, - die Schuppen-Schnuppen-Druppen, - wir saufen sie aus Tubben, - Das ist 'ne andre Schos. - Der Alte mit der Hippe, - das gierige Gerippe, - und seine Zippe, die Grippe, - die kamen angetost. - Doch unsere Schnuppen-Druppen, - die Schuppen-Schnuppen-Druppen, - sie, die gesund uns schrubben, - die schlagen dem Tod 'n Knubben! - Wir schwingen unsre Tubben, - er muß von dannen huppen, - und alle brüll'n wir »prost!« - -Den Rundreim faßte Muz jedesmal so auf, daß er sich um sich selbst zu -drehen und nach seinem Schwanz zu jagen habe. Und er tats mit Lust. - -Die Krankheit war erloschen. Aber eine Mattigkeit blieb, Unmut und -Düsternis wichen nicht so bald. Heute kam einer von der Mannschaft zu -Horst ins Schreibzimmer. »Ich möchte aus dem Verbande austreten,« -erklärte er, still, gedrückt. Leicht wurde es ihm nicht, das zu sagen. - -In Horst schrak etwas auf. Aber er blickte fest und gelassen. Er wollte -den Mann halten -- wieviel kam darauf an, daß die Reihe, jetzt in den -Anfängen, geschlossen blieb! Er mußte ihn halten! Dann aber, gerade -darum, in seiner Sprödheit, in der Schamhaftigkeit seines Gemüts, -verschmähte er jedes werbende Wort. - -»Wenn es Ihr klarer Wille ist --« - -»Ich kann eine gute Stelle in einem Bankgeschäft bekommen. Man darf doch -seinem Glück nicht im Wege stehen.« - -»Das darf man nicht.« - -Es war einer von den Lauen, von den Strohfeuermännern, von den weichen -Tieren. Aber einer der Geschicktesten und Arbeitsamsten, auch im -Schreibwerk zu Hause. - -Kunz trat darüber zu, der heute Bureaudienst hatte. Der das hören und -ohne jede Schamhaftigkeit den Mann sich vornehmen! »Das dürfen Sie -nicht, Radatz, und das tun Sie auch nicht. Gewiß, wir haben hier kein -Mönchsgelübde abgelegt -- aber wir wollen was zustande bringen. Man hat -die Augen auf uns gerichtet. Man glaubt an uns. Und -- was die -Hauptsache ist -- wir glauben an uns selbst. Darum gibt es bei uns kein -Abbröckeln. Gibt es nicht. Unsere ganze Siedlung ist ein Beispiel -- und -so ist jeder einzelne von uns ein Beispiel. Sie, Radatz, wie wir alle. -Und was wollen Sie jetzt wohl für ein Beispiel geben?« - -Kunz, der sonst so wortfreudige, sprach nüchtern und trocken. Der also -Bedachte schielte nach einer befreienden Ausgelassenheit und fand sich -gefangen in dem harten zwingenden Ernst. Es gab weiß Gott für Kunz auch -etwas, worin nicht mit ihm zu spaßen war. - -»Glauben Sie, daß sich uns andern nicht auch Aussichten auftun? Vor -allem unserm Baas, Herrn Oldefeld, der vier lebende Sprachen spricht und -darum, wie schon Napoleon sagte, allein so viel ist wie vier Menschen ---« - -Horst winkte heftig ab. - -»Nun ja, das alles erzählen Sie sich am besten selbst. Und jetzt werden -Sie tun, was Sie wollen. Sie werden also bleiben!« - -Der Mann bedachte sich nicht lang. »Ich will nicht der erste sein, der -hier abbaut. So bleibe ich denn.« - -»Hab ichs nicht gesagt. Und jetzt ziehen Sie sich mal Ihren -Sonntagsnachmittagschen wieder aus und vertreten Sie mich heute im Büro. -Ich will uns auf der See 'n paar Wasservögel schießen -- Jürgens und -Wendland nehme ich heute mit. Es soll genug werden für den ganzen Tisch. -Rekonvaleszenten haben Anspruch auf Geflügel.« - -Radatz empfahl sich. - -»So wie Du, hätte ich nun eigentlich sprechen müssen,« meinte Horst. »Im -Grunde bist Du mehr Führer als ich.« - -»Jetzt fängt der auch an!« - -»Freilich muß ich wieder fragen: wird es vorhalten? Und hat es überhaupt -Zweck?« - -»Zweck -- ja willst Du bloß Unsterblichkeiten? Vorläufig haben wir den -Mann wieder.« - -Horst strich sich über die Stirn. »Daß mir das so in die Glieder -gefahren ist! Herrgott, man bleibt doch der alte dumme Junge mit seinen -Illusionen. Natürlich werden wir mit diesem und jenem unserer -Bundesbrüder noch manches erleben. Wenn nur nicht in einem selbst etwas -abbröckelt --« es klang müde und verzagt. - -»Horst!« - -»Hast recht. Man hat wohl noch von dem Krankheitsgift im Leibe. -Vielleicht ist man doch dichter dran gewesen, als man dachte. Der Hades -hat abgefärbt. Der macht immer sensibel.« -- - -Die drei Jäger kamen am Abend mit erklecklicher Jagdbeute heim. Elf -Enten brachten sie und vier Hasen. - -Horst musterte die Vierfüßler mit strengem Blick. »Wasserwild --? --« -fragte er mißbilligend. - -»Hast Du nie von Seehasen gehört?« Aber mit seinen Witzen kam Kunz hier -nicht durch. - -»Du weißt, wie ich über Wildern denke.« - -»Drück mal 'n Auge zu. Die Viecher sind aus dem Dünengelände. Über die -Jagdberechtigung streiten sich seit Anno Priemtobak Stadt und Staat. Wem -habe ich sie also weggeknallt? Keinem. Die Jagd ist strittig -- die -Hasen sind es nicht. Habemus.« - - - - - Lona und die Landarbeiter - - -Die Roten legten sich kräftig ins Zeug. Zur Gründung eines -Landarbeiterbundes wurde in dem zweiten großen Saale der Stadt eine -Versammlung abgehalten. Horst ließ es sich nicht nehmen, sie zu -besuchen. Der heilige Josef und der Balbutz begleiteten ihn. - -Sie kamen spät und fanden in einer Ecke noch notdürftig Platz. Hier -walteten keinerlei Gedanken an ein Rauchverbot. Höllenkräuter waren -entbrannt. Verzweifelt kämpften Nase und Augen und erlagen ehrenvoll. - -Es saßen fast nur Männer im Saal. Die wenigen Frauen duckten und -verkrochen sich, als wären sie auf gefährlichen Abwegen. Auch von den -Männern hockten einige Alte da wie ein Haufen Unglück. Ganz unheimlich -war ihnen diese Staatsaktion. Mehr als einer bangte wohl um Kopf und -Kragen. - -An einem Tisch hatten sie sich erst Mut trinken müssen, zu so -schauerlicher Verschwörung. Und befreiten sich mit sachten Witzen aus -ihrer Beklemmung. »Korl Du moest betahlen. Ick häw mien Portmonee to -Huus vergeten -- wiel nicks in is!« - -Auf einen alten unanfechtbaren Sinnierer redeten Jüngere glaubenseifrig -ein: »Nu sast sehn, Vadder Jahn -- nu wad allens ümrührt, un denn wad 't -anners in de Welt.« - -Er schüttelte den Kopf. »Anners? Rührt ji so veel ji willt. Fett -schwemmt ümmer baben!« - -Munter lärmend aber gaben sich die Jungen. Sie hatten ihre politische -Weisheit aus dem Schützengraben mit nach Hause gebracht und fühlten -jeder Lage sich gewachsen. - -Jetzt erscheinen durch eine Nebentür die Einberufer der Versammlung und -nehmen auf der Empore Platz. Lona ist unter ihnen. - -Es sind ihrer fünf. Der Vorsitzende, ein schlanker, aufrechter Mann mit -scharfen wie gemeißelten Zügen, mit eigentümlich grellen und packenden -Raubvogelaugen. Der Führer steht ihm im Gesicht geschrieben. Er ist aus -der Hauptstadt gekommen. Rechts von ihm sitzt Lona, links der Koch. Er -hat nichts Gemästetes, ist trocken und kantig, der Schädel ist oben -kahl, nur in der Mitte, über der Stirn, brennt eine einsame rothaarige -Flocke. Die Augen stechen und sind heiß. Sein Nachbar ist der zierliche -knabenhafte Mann, der auf der Borkhus-Versammlung die kurze Brandrede -hielt, und den der Bierfahrer vom Tisch heruntersetzte. Er hat ein -hektisches und verbittertes Frauengesicht. Alle Glieder sind bei ihm in -fiebernder Bewegung, in den Augen tobt die Unruhe. Lona hat zu ihrer -anderen Seite einen sehr behäbigen, angegrauten, breitstirnigen Herrn, -der offenbar nicht ausgeschlafen hat, und sich ein paarmal die Hand vor -den gähnenden Mund hält. Zwischendurch tiefsinnig vor sich hinblickt und -mit den Elementen der Fingernägelpflege sich befaßt. Aber in den kleinen -lauernden Augen ist etwas, das nur darauf wartet, geweckt zu werden. So -oft er sich regt, stößt er die Nase vor wie ein witterndes Wild. - -Lona blickt unter halbgesenkten Lidern über die Versammelten. Dann -starrt sie -- Horst hat sich eben seitwärts zum Balbutz gewandt -- jetzt -wird er in die Bahn ihrer Augen gezwungen, die in seine Ecke, die auf -ihn geheftet sind. - -Sie beugt sich ans Ohr des Vorsitzenden, das Falkenauge stößt jetzt auch -auf ihn -- dann erhebt sich der Mann sofort. Klingelt kurz. Stille. - -Durch Horst zuckt es hin: wollt Ihr mir zuleibe? Gut, ihr Leute! Kommt -an! - -»Arbeiter und Arbeiterinnen,« so spricht der Vorsitzende, »das ist meine -Anrede -- Ehre, wem Ehre gebührt! Die Einladung zu dieser Versammlung -ist lediglich an Euch ergangen. Eure Angelegenheiten sollen hier -besprochen und geordnet werden. Die Anwesenheit von Leuten, die nicht -darauf Anspruch erheben können, Landarbeiter zu sein, ist nicht -erwünscht.« - -Ich bin auch Landarbeiter auf meine Art, denkt Horst mit innerem -Schmunzeln. Er soll mir schon deutlicher kommen. - -»Ich muß deshalb alle diejenigen, die nicht diesem Stande angehören, -ersuchen, den Versammlungsraum zu verlassen.« - -Seine Blicke geben aller Augen die Richtung. Viele sind aufgesprungen, -alle stieren sie in die bezeichnete Ecke. Horst rührt sich nicht. Erst -recht nicht, da jetzt in Lonas Züge ein häßlich Feindseliges sich -einwühlt. - -Falkenauge aber läßt nicht locker. »Wie ich höre, ist der Leiter der -Hohenmoorer Siedlung hier anwesend.« - -Jetzt erhebt sich Horst. - -»Spitzel!« ruft ein Zwanzigjähriger. Mit diesem Wort dünkt der Junge -sich auf der Höhe und blickt stolz um sich her. - -»Wollen Sie mir ein paar Worte gestatten«, beginnt Horst. - -»Bitte.« - -»Wir Mitglieder der Siedlung arbeiten genossenschaftlich gemeinsam an -unserem Werk. Ich selbst bin unter allen Umständen Siedler oder, wie man -sonst sagt, Kolonist. Ich mach ein Stück Land urbar, ich helfe Neuland -schaffen. Wenn einer sich Landarbeiter nennen darf, sind es meine -Genossen und ich.« Kurz und bündig. - -In die Gesellschaft ist Bewegung gekommen, es wird dafür und dagegen -gemurmelt. Horst sieht den grauen Schopf des Torfmeisters wackeln und -hört seine gedämpfte Stimme wie schweres unterirdisches Rollen. - -Falkenauge holt zum zweiten Schlage aus. »Diese Einwendungen sind doch -sehr anfechtbar. Die Siedlung ist ein Unternehmen. Ihr Leiter ein -Arbeitgeber. Und wenn diese Persönlichkeit nun noch aus dem -- jetzt -glücklicherweise abgeschafften -- Offizierstande herkommt und vor allem -mit dem Besitzer von Moorhof, der uns hier in mehr als einer Hinsicht -beschäftigt, in freundschaftlicher Beziehung steht --! --« - -Dies soll das Henkerbeil sein. Horst aber hält mit dem Nacken ganz und -gar nicht still. »Darf ich noch einmal?« - -»Bitte.« Doch diese Gewähr sieht schon einer schroffen Ablehnung gleich. - -Horst schmunzelt innerlich. Meine Klinge will ich wenigstens schlagen! -»Was einer früher war, kann heute und hier doch unmöglich in Frage -kommen -- ebensowenig wie der Umgang und Verkehr jedes einzelnen der -hier Erschienenen zur Untersuchung steht. Es handelt sich doch ganz -ausschließlich um den jetzigen Beruf. Und wenn ich für meine Person -gefragt werde, welchen Beruf ich heute ausübe, habe ich gar keine -Möglichkeit etwas anderes zu sagen als: ich bin Landarbeiter, -Landarbeiter in einem genossenschaftlichen Arbeiterverbande, der, wenn -Arbeitgeber, doch sein eigener Arbeitgeber und in demselben Maße sein -eigener Arbeitnehmer ist. Der Herr Vorsitzende hat die Erklärung -abgegeben, daß die Anwesenheit von Leuten, die nicht Landarbeiter sind, -nicht erwünscht wäre. Wenn hiernach wirklich verfahren wird, müßten, so -weit ich über den Stand und Beruf der Herrschaften unterrichtet bin, die -da oben am Tisch der Versammlungsleitung sitzen, diese zunächst einmal -samt und sonders ihre Sachen zusammenpacken und den Saal verlassen.« - -Ohorufe, erst einzeln, dann anschwellend, werden laut zu diesem -umgedrehten Spieß. Aber viele denken: ein verfluchter Kerl, und manch -einer grient im Stillen. Horst aber hat sein unbändiges Behagen an dem -Flammentanz auf den Gesichtern da oben -- auch die viereckige Stirn des -Phlegmatikers droht -- an dem furioso in den Augen der Musiklehrerin. - -Doch die wetterfeste politische Kultur der geschulten Volksmänner ist -gleich an der Arbeit. Zuerst und vor allem nieder mit jeder -Mißtrauensregung! Der Koch bittet ums Wort und spricht: »Ich bin anderer -Meinung als unser verehrter Herr Vorsitzender. Er wünscht einen engen -geschlossenen Kreis. Wir haben hier keine Geheimnisse. Im Gegenteil! Ich -wünschte, es hätten sich hier recht viele von den Unternehmern, den -Arbeitgebern, den Herren Gutsbesitzern eingefunden. Was sie hier zu -hören kriegten -- ja, die Ohren würden ihnen schon davon gellen! Aber -vielleicht würden sie uns dann der Arbeit überheben, einmal mit der -Faust an ihre Tür klopfen zu müssen!« - -Bravo! Jetzt ist der Wagen auf dem richtigen Gleis. Der Fall Horst liegt -sacht in der Versenkung. Die Tagesordnung steigt. - -Der Vorsitzende spricht über die Notwendigkeit der Arbeiterorganisation. -Die Landarbeiter, die einzigen, die bisher nicht organisiert wären. -Rückständig wären sie. Arbeiter und rückständig, das gäbe es aber nicht! -Das Rückständige wäre bei denen da oben zu Hause, und mit denen räumte -die neue Zeit jetzt gründlich auf. Herren und Knechte -- das wäre deren -Weisheit und Wille, aber das hätte aufgehört! »Menschenwürde!« - -Horst fuhr zusammen. Wieder das Wort! - -»Und in Eure eigenen Hände ist die Menschenwürde gelegt. Ihr habt jetzt -dafür zu sorgen, daß hier auf dem Lande auch menschenwürdige -Verhältnisse eintreten. Das erste ist höhere Löhne! Und wenn Ihr alle -einig seid -- die, die auf den Kornsäcken und den Geldsäcken sitzen, -können, werden und müssen sie zahlen!« - -Dies ist der Faden. Und er hat sie an der Strippe. - -Horst hörte helläugig zu. Der Mann ist ein Künstler in seiner Art, er -hat die rechten Finger für das Masseninstrument. - -Jetzt wird noch ein Stück in Moll gebraucht. Sie verstehen sich schon -auf Konzertprogramme. Lona nimmt das Wort. - -Zagend steht sie auf, aber dann entfaltet sich das, was sie spricht, wie -eine Knospe zum Blühen und Glühen. - -Sie sei ein Kind dieses Landes. Als Kind habe sie es verlassen. Nun, da -sie wiedergekommen sei, habe es ihr den Sinn bewegt, wie wenig Menschen -hier den Kopf hoch tragen. Kaum hebt einer den Blick vom Boden. Das ist -es: sie tragen eine eigene Not und sie zieht eine eigene Sehnsucht. Von -der Erde stammt ihre Not, und ihr Sehnen geht zu der Erde. Darum ist auf -sie, ob sie's selber nicht wissen, ihr schwerer Blick gesenkt. Ein -eigenes Stück Land, so brennt es in ihrem Herzen. Mit dem Boden sind sie -verwachsen, durch ihr Schaffen sind sie ihm angetraut. Denn nur die -Arbeit flicht den lebendigen Bund. Und sie arbeiten nicht für sich -selbst. Sie dürfen es ja nicht. Ihnen gehört die Erde -- und sie gehört -ihnen nicht. Das liegt auf ihnen wie ein Fluch. Diesen Fluch gilt es zu -lösen. »Ihr sollt nicht mehr dulden um die Erde, Ihr sollt leben mit -ihr, in ihr -- ja Ihr sollt leben!« - -Das greift ihnen mit fester und doch linder Hand an die innersten -Seiten, an ihre heiligen Wünsche. Das ist wie Musik, das ist Seele und -Sieg. Sie sind alle bezwungen. - -Auch über Horst geht ein Zauber. Von der Innigkeit eines wahren Fühlens, -die wie ein Stern leuchtet durch den dicken Brodem der Versammlung. - -Kaum hat er das in ihr gesucht. Nicht, daß dieser Schein aufsteigen -könnte, dieser stille Schein aus den lohenden Flammen ihres Wesens. - -Ein Unrecht bittet er ihr ab, daß er sie bei den wilden Schlagwörtern -gesucht hat, bei den knalligen Feuerwerkern von Beruf mit ihren hohlen -Kanonenschlägen, ihren verpuffenden Raketen und windigen Leuchtkugeln. - -Und sie können es nun doch nicht lassen, sie sorgen schon wieder dafür, -daß die Stille und Andacht nicht bleibt. Der Knabenhafte hat das Wort -bekommen. Lange schon hat es in ihm gefressen. An dem Gedämpften, dem -Ruhigen, Sanften erstickt er. Mit den Armen fährt er durch die Luft. -Zwei brandrote Flecken leuchten auf den hageren Backen. - -»Ja, Ihr sollt leben! Aber leben heißt kämpfen! Des sollt Ihr eingedenk -sein, Tag und Nacht und zu jeder Stunde! Und Eurer Kampfgenossen sollt -Ihr gedenken, in Treue bis zum Tod -- und in Zuversicht! Nie hat die -Menschheit ein größeres Heer gesehen! Das Heer der Menschheit ist es! -Verbrüdert als Eidgenossen alle Proletarier der Welt! Gibt es was -Gewaltigeres? Wer kann uns widerstehen! So müssen wir fühlen -- und die -Welt ist unser! Wir kennen kein Vaterland, das Deutschland heißt! Unser -Vaterland ist die Erde!« - -Seine Stimme schrillt wie eine zersprungene Saite. Junge Kehlen brüllen -ihr Bravo. Durch Horst zuckt der Schmerz. Er kennt den Text und die -Weise -- er will lächeln und es wird eine Grimasse. - -In die Versammelten blickt er. Täuscht er sich? Rollt dort nicht ein -Kopfschütteln durch die Reihe -- prägen sich hier nicht Unmutsfalten in -alten ernsten Gesichtern? - -Und jetzt -- eine mächtige Stimme rauscht auf in der Mitte des Saales -- -langsam hat sich der Torfmeister erhoben -- formelle Einwände des -Vorsitzenden orgelt er nieder -- er spricht, also hat er das Wort. - -»Das hätte der kleine Mann da oben nicht sagen müssen, daß wir kein -deutsches Vaterland kennen. Was kennen wir denn, wenn wir Deutschland -nicht kennen? Bloß Deutschland kennen wir, und ein Stück deutsche Erde -ist ja, was wir wollen! Kann man das Land auf den Nacken nehmen und -rausschleppen in die weite Welt? Hier ist das Land, und hier sind wir! -Bloß das geht uns was an, und das ist, wofür wir leben und streben! -Gewiß, die Unterdrückung soll aufhören, die Knechtung und Unbill. Freie -Männer wollen wir sein! Aber, wo können wir das anders sein, als auf -einem eigenen Stück freier deutscher Erde!« - -Horst fährt in die Höhe -- er wär am liebsten über all die Köpfe -gesprungen, hätte den alten Moorriesen ans Herz gedrückt und sich alle -Rippen an ihm verbogen. - -Beifallsgemurmel in den Reihen. Die Schreier sind verdutzt. Dann aber -neue Kampfrufe aus jungen Kehlen. »Vaterland -- quatsch!« -- -»Proletarier aller Länder!« -- »Hoch die Internationale!« - -Heißer wird das träge Blut, Feindschaften entbrennen, tiefer ziehen sich -die Risse -- die Leiter sind auf der Wacht. Jetzt ist der Behäbige und -Verschlafene, der Mann mit dem viereckigen Schädel, hell bei der Sache. -Er stößt die Nase vor und spricht. - -»Genossen! Wir begehen den alten Fehler, daß wir an Worten uns erhitzen. -Und daß unsere Gedanken uns so weit fortfliegen. Darin hat mein -geschätzter Vorredner recht: Hier, wo wir sind, hat unsere Arbeit -einzusetzen. Das Nächste ist Trumpf. Ich spreche nicht von Deutschland, -ich gehe noch viel weiter. Oder richtiger, ich gehe ins Nähere und -Engere. Von unserer Provinz rede ich. Von unserm Kreis. Über die -Verhältnisse, gegen die wir hier anzukämpfen haben, will ich Euch ein -Licht aufstecken. Mit Hilfe von Zahlen, die beweisen!« - -Wozu hat man seine Statistik? Er nimmt ein Blatt aus seiner Mappe, und -läßt seine Ziffern sprechen. Die Leute hören gläubig zu, Unmut und Zorn -finden ihre Weide. Sie rufen »aha« und »pfui Deubel« und »nieder mit den -Ausbeutern!« - -»So also, Genossen, sieht die Welt hier aus. Und mit dieser Welt werden -wir aufräumen. Das Frühjahr steht vor der Tür, der Frühling soll alles -neu machen. Mit der Frühjahrsbestellung werden wir unsere eigene Saat -säen, die Saat unserer gerechten Sache. Das soll heißen: werden die -neuen Lohnsätze, über die wir uns noch verständigen müssen, nicht -bewilligt, dann wird gestreikt!« - -»Bravo! -- Bravo!« - -»Dann sollen die Herren allein ihr Land bestellen! Wollen sehen, wie sie -damit fertig werden! Paßt auf, sie kommen auf den Knieen zu uns -angerutscht. Denn was ist ihr Land ohne uns! Ihr Land? Unser Land!« - -»Bravo! -- Bravo! -- Bravo!« - -»Dazu ist aber nötig, daß wir einig sind. Dafür ist die Organisation der -Landarbeiter die Lebensbedingung. Sie wird heute geschaffen. Die Listen -liegen hier aus. Ich weiß, daß Ihr Euch alle hier einzeichnet! Alle ohne -Ausnahme! Geschlossen wird unsere Reihe sein. Und unsere Parole für den -bevorstehenden Kampf: Der Frühling macht alles neu!« - -Sie können's, das muß Horst sich wieder und wieder bestätigen. Er sieht -den Zug, der zu den Listen sich drängt. Einige stehen gesondert, -zaudern, blicken sich ins Gesicht aus schweren, aus scheuen, aus -widerspenstigen Augen. Dann zieht die Masse sie an, und sie fügen sich -ein. Wenige nur schleichen sich abseits, ein paar gehen frei, hart und -stolz aus dem Saal, ihren eigenen Weg. - -Als Horst auf die Straße kam, stand da der Torfmeister mit Lona im -Gespräch. Er schritt grüßend vorüber, da rief der Alte ihn an. - -»Gehen Sie nach Hause?« - -»Ja.« - -»Wollen Sie mich mitnehmen?« - -»Gern.« Horst blieb stehen. - -»Sie Beide kennen sich ja wohl«, sagte der Torfmeister. Da sprach Horst -zu Lona ein Wort, aus Artigkeit, doch auch von Herzen. - -»Von dem, was Sie heute gesagt haben, könnte ich jedes Wort -unterschreiben.« - -In ihrem Auge stand ein brüskes: habe ich Sie gefragt! Aber ihr Ton war -farblos, als sie zurückgab: »Und doch werden Sie, wenn es hier zum -Klappen kommt, nicht auf der Seite der Bedrängten stehen.« - -»Für mich gibt es nur eine Bedrängnis.« - -»Deutschlands.« Der Hohn war müde, und dennoch, vielleicht gerade -deshalb fraß er sich ihm bis ins Mark. - -»Gewiß. Mein erster Gedanke ist, das Land vor Schaden zu bewahren.« - -»Gut, daß es verschiedene -- Gedankenwelten gibt.« Sie verneigte sich, -reichte dem Alten die Hand und wandte sich heimwärts. - -Die drei Siedler waren unterwegs mit dem Moormeister. Er hatte sich -schnell mit dem Balbutz angefreundet. Sie sprachen lebhaft. Horst und -der heilige Josef wanderten still und versunken. - -Horst ist bei Lona. Warum läßt diese Frau ihn nicht los? Was ist übler -an ihr, ihre Geistesverfassung, ihre Gesinnung oder diese verstiegene -Selbstüberhebung? Wie hat sie ihre »Gedankenwelt« betont, die hohe und -weite, gegen sein enges, kümmerliches, »monomanes« -- so schilt man es -ja wohl -- gegen sein deutsches Gedenken. Soll er nicht lachen und -lachend sie abtun, ein für allemal? Was muß er immer wieder mit dem -Erschütternden ihres Schicksals sie sich aufdrapieren! - -Er will nicht in eigenen Erlebnissen wühlen. Wie viel Entsetzlicheres -hat er selber gesehen. Warum nur läßt er von diesen Greueln sich nicht -bannen, warum muß ihr Los das Bezwingende sein! - -Was ist's, das ihn so lockt an dieser Frau! Daß er ihr Leben ergründen -will, wissen und fühlen von ihrem Wesen, dem verborgenen. Ja, dem -verborgenen. Hier sind Tiefen, in die er blicken muß -- er fühlt es, er -weiß es, er wird es. - -Daß sie so zur Sphinx ihm wird -- oh, mit dem vollen Grusel, dem -rieselnden vor der tötlichen Rätselhaftigkeit -- sind es nicht bloß die -Sinne, die dieses Bild ihm schaffen und schmücken? Die Sinne, die großen -Lügner dieses Lebens. Ist es in seiner weibverlassenen Einöde dieser -junge schöne Leib, was ihn betört? - -Kunz hat ihn den Eisheiligen getauft, weil er kein Schürzenjäger ist. -Was weiß der von seinem Eis, von seiner Heiligkeit. - -Ja, ja -- warum sich selbst was erzählen! In seine Sinne sind die Funken -geflogen. Ihr Wesen -- was ist an dem weiter zu enträtseln? Es offenbart -sich ja. Es wirkt, es strömt. Es geht ihm ins Blut. - -Was wollen ihre Augen? Was will ihr Mund, mit dem heißen Rot von ihm? -Was will er -- er von ihren schwellenden Lippen? - -Er ist ins Laufen geraten. Der heilige Josef, sein Begleiter, trottet -brav neben ihm her. Schweigend wie er. - -Der Alte kann nicht mit. Weit bleibt das andere Paar hinter ihnen -zurück. Da rollt ein Wagen des Wegs, er hält, der beinmüde Torfmeister -steigt auf und fährt nun grüßend an ihnen vorüber. - -Horst hat jetzt die beiden Kameraden an seiner Seite. Nun ist er in -einer anderen Welt. Der heilige Josef trägt an etwas, seine Hände -schnappen in die Luft, er findet noch nicht die Sprache. - -»Nun, Elbenfried?« fragte Horst, ihn zu beflügeln. - -»Ich hatte so vieles auf der Seele und hab es nicht gesagt -- immer -diese Trägheit des Geistes -- diese Feigheit des Herzens. Eine Schuld -ist das! Denn wir sollen Zeugnis ablegen -- immer wieder! Bekennen -sollen wir und immer wieder bekennen!« - -»Aber wir sollen auch nicht unsere Perlen vor die Säue werfen!« Fritz -Eggert zeigt seine Bibelfestigkeit und möchte sich damit von weiteren -pastoralen Ergüssen loskaufen. - -Gustav schüttelt den schweren Apostelkopf. »Mit keinem Wort der Schrift -betrügen wir uns mehr. Über nichts täuschen wir uns so sehr wie über -das, was Perlen, und das, was Säue sind.« - -»Ganz gewiß«, ermuntert ihn Horst. - -»Ich hätte sprechen müssen. Immer und immer wieder muß man das Licht -entzünden. Schließlich leuchtet es doch durch all den Rauch. Und der -eine und andere brennt sich sein eigenes Licht daran an. Von Brüdern -sprechen sie. Nur in diesem Kreise sprechen sie von Brüdern. Aber -hinwiederum, Brüder sind nur und nur die Proletarier. Und es wird eine -Brüderschaft des Hasses. Warum können sie sich den Blick nicht weiter -machen und nicht das Herz! Warum können sie die Hände nicht -herausreichen über die Hecke, hinter die sie sich einsperren! Und wenn -diese Hände hundertmal leer zurückkommen -- schließlich werden sie doch -einmal ergriffen, und der Bund der Geister nimmt seinen Anfang.« - -»Nun ja -- auf den Anfang kommt es an. Aber wer soll anfangen? Immer -sagt der andere, daß es der eine sein muß!« - -»Daß der Haß so leicht ist und die Liebe so schwer! Wie soll man -sprechen, was soll man tun, daß die Herzen sich öffnen! Wie soll man die -Augen erheben, die immer nur die Not des Leibes sehen! Nicht die -Seelennot aller gequälten Geschöpfe! Wie sie führen, daß sie in der -großen Liebe die Heilung suchen auch für die kleinen Leiden.« - -»Sie verlangen viel, Gustav Elbenfried.« - -»Wir sollen viel verlangen«, spricht er in Verzückung. »Wir müssen das -Höchste wollen, nur so werden wir des Niederen Herr!« - -Sie schweigen. In diesem Bekenntnis lebt das Beste von ihnen allen. - - - - - Besuch in der Baracke - - -Es ging auf den März zu. Nach Erde roch es und zerfließendem Schnee. Vom -Frühling schwirrte und klirrte schon dies zitternde Ahnen durch die -Luft, dieses Surren, in dem die Nerven schwingen und das Blut singt. - -Jetzt wurde der Siedlerbaracke ein sonderlicher Festtag beschieden, Frau -Tilde machte ihr den versprochenen Besuch. Es war gegen Mittag, da kam -sie mit dem Vater die Höhe herabgeschritten. - -Die Siedler marschierten von den Räumungsarbeiten auf der Ziegelei die -Chaussee daher -- Gisbert in dem Arbeitstrott wandelte plötzlich mit -gestreckten Armen wie auf eine Erscheinung zu, er hatte sie zuerst -gesehen. Kunz spürte, wie er ihnen entrückt wurde, und ging seinen -Blicken nach. Und jetzt lief es durch die Reihen: »Damenbesuch«. Alles -war befeuert, hob sich und spannte sich. - -Viel Staat war ja nicht mit ihnen zu machen. Wie die Müllkutscher sahen -sie alle aus, und den eitlen unter ihnen war das peinlich. Gisbert -dachte nicht an sein Kleid, Kunz schon eher, er zog und ordnete und -bürstete unwillkürlich mit den Händen. Als aber die Augen dieser Frau -vor ihnen aufleuchteten, da flog jedwedes Äußerliche über alle Berge, -und sie atmeten wie in einer Lichtflut. - -Es geschah von selbst, daß Gisbert gleich an ihrer Seite war. Und sie -nahm ihn auf, ganz so, als gehöre er zu ihr. Er mußte ihr all die -Herrlichkeiten zeigen -- denn Herrlichkeiten waren es, da ihre Augen -darauf fielen. Er und sie -- Mitläufer die anderen. - -Die Stallungen kamen zuerst an die Reihe. Sie waren ein Teil der -Baracke, alles lag unter einem Dach, wie bei einem niederdeutschen -Bauernhaus. Die Ställe hatten längst noch nicht die ihnen zugedachten -Bewohner. Sie besaßen bisher ein Pferd, ein alter Fliegenschimmel war -es, wehmütig aber treu. Dann zwei Kühe und sieben ganz kleine Ferkel. -Diese sieben die junge Fröhlichkeit des Baues, mit denen Muz seine -ausgelassenen Spiele trieb, von dem Quieken und den frohlockenden -Ringelschwänzchen zu immer neuen Tollheiten begeistert. - -Nebenan aber thronte etwas erschütternd Einsames. Hier in dem -Hühnerstall saß nichts als ein großer schwarzer Hahn in der tragischen -Erhabenheit seines verlorenen Schicksals. - -Gibt es was Jammervolleres als einen Hahn ohne Hühner? - -Muz konnte keinen Blick in diesen Stall tun, ohne mit gesenkten Ohren -trostlos winselnd zu verzagen. - -Kunz, der als »Conferencier« sich in erreichbarer Nähe hielt, mußte nun -doch sein Sprüchlein hersagen. »Dies ist nun unser heiliges Tier.« Den -Zusatz aber, der ihm auf die Zunge wollte: das Wappentier unserer -Barackenaskese -- den tat er angesichts der Besucherin doch lieber in -seine Sparbüchse. - -Frau Tilde aber war auch ohne irgendwelche Erörterungen reichlich -bewegt. »Der arme Kerl -- in Einzelhaft -- was hat denn der nur -verbrochen! Er soll Gesellschaft haben.« Und sie versprach als Stiftung -sieben Hennen von der Mönkhover Zucht, die im Lande berühmt war. - -»Zum Lohn dafür aber müssen Sie mich heute zu Mittag einladen«, sagte -sie munter. - -»Das paßt großartig!« rief Kunz. »Es gibt Kartoffelsuppe.« - -Die verleugnete nun ihre »Blutsverwandtschaft mit der Wasserleitung« -auch heute nicht. Aber wer achtete darauf? Die Wirte nicht und nicht die -Gäste. - -Es war die strahlende Kraft dieser Frauenseele, was sie alle emportrug -über die Dinge. Sie hatte ihren Platz zwischen dem heiligen Josef und -dem Balbutz, und Weltkind wie Prophet sahen zu ihr auf als wie zu -unserer lieben Frau. Sie hatte so viel Freude an all diesen braven -Jungen. Sie meinte, daß in dieser harten, ernsten und stillen -Arbeitsgemeinschaft so etwas wie das Herz Deutschlands schlage. Und leid -tat es ihr, daß sie wie die Sträflinge hausten, in dieser lieblosen -Kahlheit, dieser Farblosigkeit und dürftigen Enge. - -Hier wollten ihre Hände schmücken und beseelen. Wohnlicher sollt Ihr es -haben, Ihr armen Verwaisten und Heimatlosen! Diese traurigleeren -Fenster, die wie tote Augen starrten -- sie hatte Stoff zu Vorhängen, -mit denen wollte sie anfangen, das tote Bretterhaus zu beleben. - -»Und Blumen sollen Sie jetzt im Frühling haben. Einen kleinen Vorgarten -legen wir uns an. Mit Tausendschönchen, Priemeln, Stiefmütterchen. Daß -etwas Leuchtendes Sie in Empfang nimmt, wenn Sie von Ihrer schweren -Arbeit nach Hause kommen.« - -Und all die Blicke der Männer und ihre Herzen erbauten sich an einer -Lichtgestalt. Um den feinen zarten Kopf mit diesen tiefen, versunkenen -Augen, die aus ihrer Versunkenheit ihre Schätze hoben, stand es wie ein -Schein, dieses wunderbar Festliche und Frauliche zugleich -- ein Schein, -vor dem man andächtig ward. - -Herr von Borkhus indessen ließ sich von Horst über die -Arbeiterversammlung berichten. »Natürlich, sie wetzen die Messer. Wir -sollen das Schleifen hören, und wir hören es. Vielleicht, daß es mehr -ist als Drohung. Haben auch die meisten von uns ein gutes Gewissen -- -manch einer hier im Kreise rutscht doch mit der Hose ganz gehörig auf -Grundeis. Hier wird die Rechnung präsentiert werden und -- wie die Sache -nun einmal liegt -- nicht hier allein. Da nun schon -- wer hat es gesagt --- Frauen, Dummköpfe und politische Bewegungen zu verallgemeinern -lieben.« - -»Den Organisierten wird ja auch nichts anderes übrig bleiben«, bemerkte -Horst. - -Die müden Züge des Herrn von Borkhus -- sie erschienen Horst noch nie so -schmerzlich abgespannt -- erhellte jetzt die junge gläubige Phantastik -seiner Augen. »Ich weiß, auch von meinen Leuten hat der größere Teil -sich eingeschrieben. Überzeugungen glauben nun einmal erst dann an sich -selber, wenn sie abgestempelt sind. Jeder muß nun mal seinen Schein -haben -- wie könnte er sonst auf ihm bestehen! Aber, wenn es ernst wird, -dann sind solche Scheine Papier. Der Herzschlag ist dann der Ton, der -die Musik macht. Und -- ich kenne meine Leute, so gut wie sie mich -kennen!« - -Er warf den Kopf zurück, nun ganz ein froher, sieghafter Führer. Sein -Gesicht belebte sich frisch, dunkler und heißer leuchteten die Augen. -Hier frohlockte eine Zuversicht, die aus der Tiefe seines Wesens quoll, -aus der glückhaft frohen Treue seines eigenen Fühlens. - -Zagend, mit leiser Sorge blickte Horst in diesen Überschwang feuriger -Gewißheit. Er hatte seinen Argwohn, und er fühlte, daß Enttäuschungen -hier ins Leben greifen müßten. In dieses Leben, getragen von dem -Selbstvertrauen des Häuptlings, das durch Geschlechter angezüchtet war. - -Selbstgewißheit! Und kommt es nicht darauf an? Ist das nicht der Kern -alles Wesens, alles Werdens, alles Schaffens! Ist das nicht die -lebendige Urkraft, die schließlich ins Ewige uns finden läßt und zu Gott --- die Gewißheit, das Gewissen! Beides dasselbe! Des Glaubens Inbegriff! -Des Menschen Seele! - -War ihm, Horst, genug von dieser Urkraft gegeben, genug zur -Führerschaft? Immer wieder die Zweifel. Und die Gefahr des Zerbröckelns. -Ja, wir sind mürbe geworden. Verwittert haben uns die Zeitenstürme. Hab -ich selbst noch so viel innern Halt, den anderen ein Halt zu sein? - -Wie hat es mich geworfen, als die erste Regung zur Fahnenflucht in -unsere Reihen brach. War es ein Gefühl eigener Schuld? Hatte ich die -Fahne nicht tapfer, nicht stark und treu genug getragen? Waren nicht -meine eigenen Gedanken auf der Flucht gewesen? Wie oft hatte ich mich -gesehnt -- ja gesehnt nach meinen Büchern, nach Forschung, nach -Wissenschaft, nach geistigen Fernsichten. Nach Einsamkeit auch, nach den -Freuden stiller Entdeckungen, nach den Verzückungen und Verzauberungen -in ungestörten Träumen. - -Ja -- wie an Ketten trug ich oft an meiner Pflicht. Und nur, weil ich -selber schwankte und treulos werden konnte, kam dieses Wanken in die -Reihe. - -Ist es nicht eine erlesene Schar, die auf mich blickt? Ein Vorbild für -mich, die ich ihr Vorbild sein soll. Und so ist es recht. Nur so ist die -starke Gemeinschaft da. Wir haben sie. Hat Herr von Borkhus sie mit -seinen Leuten? Ich fürchte, er träumt zu leicht. Hat er nicht ein -reichliches Maß dieser lieben Leichtgläubigkeit, die so kindlich ist und -ach, so deutsch! - -Wie hat er sich selbst die Mannestreue des alten Strempel herausgeputzt, -bei dem aus jeder Pore seines gelben Felles der kalte listige -Gelegenheitsmacher schielt. Und richtig, jetzt ist der auch schon als -Kronzeuge da. - -»Lieber Horst, Sie kennen eigentlich von meinen Leuten nur den alten -Strempel. Können Sie sich denken, daß der übermorgen zu mir sagt: >Sie -müssen sich allein anspannen, ich fahre Sie nicht!< Können Sie sich das -vorstellen?« In seinen Blicken war eine unauslöschliche Heiterkeit. - -Horst mußte wenigstens soviel sagen: »Meine Vorstellungswelt ist nun mal -ein wenig aus dem Gelenk wie die ganze Welt überhaupt --« - -»Hier dürfen Sie sie getrost wieder einrenken.« Er winkte fast mitleidig -mit der Hand. »Und nun habe ich eine Bitte an Sie. Mich persönlich -berührt ja der angeblich drohende Streik am wenigsten. Aus politischen -Gründen aber habe ich die Herren aus dem Umkreis für heute nachmittag zu -einer Besprechung gebeten. Sie waren auf der konstitutionellen -Versammlung des Arbeiterverbandes -- Ihre Eindrücke sind uns von Wert.« - - - - - Die Gutsherren - - -Als Horst nach vollbrachtem Tagwerk in das Beratungszimmer trat, waren -die Herren in voller Tätigkeit. - -Junkerliches Ungestüm hatte zuerst die Erörterungen verwirrt. Nun war -ein parlamentarisches System errichtet. Herr von Trent führte den -Vorsitz. - -Sein gelbes kränkliches Marquisgesicht blickte mit kummervoll wartenden -Augen in die Weite. Aber er hielt die Zügel in kundigen Händen. - -Zuerst hatten die Besorgnisse das Wort geführt. Allerdings in halben -Tönen. Angstmeierei war gerade in diesem Kreise nicht eben daheim. Bald -hatten Eigenwille und eine betonte Sprödigkeit gegen neue soziale -Operationen gewonnenes Feld. Vergeblich bemühten sich die Nüchternen und -Sachlichen um eine Gegenorganisation der Besitzer. Umsonst brach der -Kabelsdorfer als Befürworter eines Landbundes seine letzte Lanze. -Formlos, ungepflegt, ein bärtiger Mann mit klugen und warmen braunen -Augen. Ein Bürgerlicher und manchem der Junker nicht nach der Mütze. -Aber sicher einer von denen mit dem reinsten Gewissen. - -»Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren -- von all den Dummheiten, -die die Deutschen stammesmäßig begehen -- und wir Landleute fühlen uns -ja als besonders gute Deutsche -- ist die größte die, daß wir von -unseren Gegnern nichts lernen. Tun wir nicht und wollen wir nicht. Was -erleben wir jetzt hier? Von denen, die sich in unseren Betrieben zum -Kampfe gegen uns rüsten? Sie machen das, was das einzig Verständige ist. -Müssen wir -- wir darum das einzig Unverständige machen? Nur geschlossen -können wir der Geschlossenheit begegnen. Aber nein! Wir laufen ihnen -zuliebe einzeln im Gelände herum, damit sie uns einzeln zur Strecke -bringen und ihr fröhliches Halali haben!« - -Der dicke Poggenhagener mit den schiefen Kalmückenaugen, der sticken -mußte, wenn er seine Witze nicht loswurde, beugte sich zu seinem -Nachbarn, dem Tangentiner. »Es heißt nicht lali, es heißt le lit, das -fröhliche«, und er meckerte wie eine Bekassine. - -Bei dem überlebenslangen, himmelan vertrockneten Ammoniakiter fand er -indessen keine Gegenliebe. Der lachte nicht, denn Lachen war eine -Ausgabe. Aber in solchen Unterhaltungen zeigte sich immerhin, wie wenig -noch von einer gemeinsamen Aktion die Gemüter band. - -Was hier noch an Ängstlichkeit herumkroch, nahm die Maske vor, -versteckte sich hinter großen Worten und größeren Gesten. Und gerade die -Schlotterhosen, die ganz wenigen, plusterten sich auf zu prunkender -Forschheit. - -Dies war die Stimmung, in die nun Horst hineingeriet. Lebhaft begrüßte -man ihn. Ein Teil von den Herren hatte für das Siedlungswerk auf -Betreiben des Herrn von Borkhus opferwillig Beiträge gezeichnet. Alle -aber schenkten sie der Siedlung ihr Wohlwollen. In diesem Artikel kannte -hier wie anderswo die Freigebigkeit keine Grenzen -- nur der Tangentiner -hielt auch seine kostenlosen Regungen zu Rate. - -Herr von Güldenbek, der Mann der Saatkartoffeln, strich durch seinen -grauen, in konservativer Unbeschnittenheit wallenden Vollbart, legte die -väterliche Hand auf Horstens Schulter und sprach gewinnend: »Solche -Männer wie Sie braucht das Vaterland.« Und der Nebengedanke war bei ihm -wie bei manchem andern: auch wir brauchen Dich, Deine Mannschaft und -Eure Maschinengewehre, wenn es hier zum Ausstand und zu Unruhen kommen -sollte. - -Gleich wurde denn auch wie auf Stichwort der eben ergangene -Regierungserlaß über die Waffenablieferung besprochen. - -Horst erklärte: »Ich muß die Hände kennen, in die ich meine Waffen -liefern soll. Ich kenne diese Hände nicht.« Da nickten ihm alle lebhaft -zu, freudig und beruhigt. - -Und dann wurde der sogenannten Regierung aufgespielt. Dies war die -Weise, auf die man sich hier verstand. Wie oft hatte man auch dem alten -geheiligten Regiment frondiert. Und nun dieses _régime de canaille_! -»Den schiefen Absätzen dieser Usurpatoren den Nacken hinhalten --!« So -sagte Herr von Seddewitz, und es funkelte sein scharfes, abgewetztes -Gesicht. - -Hoch gingen die Wellen. Teilnahmlos wie all die Stunden schon blieb Herr -von Borkhus. Immer wieder waren durch seine tiefen Augen die Schatten -gezogen. Dann sprach er leise: »Wie gleichgültig im Grunde, wer da oben -sitzt -- wer die Satrapen sind über unserem Sklavenvolk.« - -Damit ist die große Fuge der deutschen Passion angeschlagen. Und sie -zittert durch die Seelen. All diese Männer -- ihrem Eigenwillen fehlt es -gewiß nicht an Eigennutz. Von größter Unbefangenheit sie alle in der -Bejahung ihres Besitzes, ihres Herrentums. Sie können gar nicht aus -ihrer Haut. In der sie so grad gewachsen sitzen. Nicht alle haben sie -die Hände reingehalten. Aber jeder von ihnen hat dem Vaterlande mit Leib -und Leben gedient. Jeder von ihnen ist im Felde gewesen. Kaum einer, der -nicht für Deutschland geblutet hat. Der deutsche Klang bebt in jedem -Herzen. Selbst in dem, was von dem Tangentiner noch nicht ganz verdorrt -ist, brennt es wund und tödlich schmerzhaft von Schande und Ingrimm. - -Unerschöpflich Neues trugen sie zusammen von den unaufhörlichen, täglich -sich mehrenden Erpressungen, Blutsaugereien, Schändungen und Folterungen -an dem wehrlosen deutschen Volk. Wie durch einen Wald rauschte der -mächtige Zorn durch die versammelten Männer. - -Einer saß stumm, wohl der Jüngste von ihnen. Horst hatte den Namen nicht -verstanden. Aufgefallen waren ihm gleich die geradezu klassisch -geprägten kraftvollen und edlen Züge des bartlosen Gesichts. Ebenso das -wunderbare Ebenmaß des mittelgroßen Wuchses. Wie von Bronze die ganze -Gestalt. Aber in den Augen, so fest und hart sie greifen konnten, war -doch ein Verlorenes, Zerstörtes. Auch ein Gezeichneter der Zeit. Jetzt, -wo ein Nachbar sich laut an ihn wandte, erfuhr Horst, wer er war -- -Achim von Mönkhov, Frau Tildes Mann. Prüfend gingen die Gedanken von ihm -zu ihr. - -Nun sprach er. Etwas seltsam Graues, Trockenes, unwillig Starres hatte -die Stimme. Wie Asche lag es auf all seinen Worten. - -»Größer ist Deutschland niemals gewesen -- im Reden. Wie sieht dagegen -unser Leben aus. In lauter armselige kleine egozentrische Kreise ist es -zerfallen. Von großen Ideen ist nur eine geblieben: das große -Einmaleins.« - -Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb unbewegt. »Wollen -uns doch nichts vormachen. Es gibt bei uns drei Sorten Menschen. Solche, -die sich selbst betrügen, solche, die die anderen betrügen, und solche, -die beides tun. Zu welch letzteren neunundneunzigdreiviertel Prozent -gehören. Nun wollen wir uns jeder seinen Platz suchen und uns begraben -lassen.« - -Das alles in dem unerbittlich grauen Ton. War es der Nihilismus einer -düsteren Stunde? War es das Weltbild eines erloschenen Lebens? - -Herr von Trent, der wie ein müder Marquis aussah, hatte sich erhoben. -Behutsam machte er ein paar Schritte -- er hatte Beine wie ein -Rokokomöbel. Wandernd suchte er nach Worten, die Entrüstung zu -beschwören, und er fand sie. »Wir wissen, daß unsere Moral -reparaturbedürftig ist. Was die Moral übrigens zu allen Zeiten war -- -was vielleicht recht eigentlich zum Wesen aller Moral gehört. Gewiß, -unser Niveau ist gesunken. Aber die Anständigeren unter uns oder« -- mit -einem Zucken des Lids zu Achim hinüber -- »die weniger Unanständigen -unter uns werden dies Niveau wieder heben. Trotz Ihrer Verneinung, die -absolut ist, wenn sie sich auch in der Abstufung hellschwarz, schwarz, -dunkelschwarz gefällt. Um des Himmels willen nur hier die Loslösung von -dem Losgelösten, dem Absoluten! In der Ethik hat schon immer die -Relativitätstheorie gegolten. Und die Besseren unter uns -- so sage ich -nach wie vor -- werden heute mehr als je an einer großen sittlichen Idee -ihren Halt und ihren Mittelpunkt haben. An der Idee des Vaterlandes.« - -»Und worauf läuft Ihre große sittliche Idee des Vaterlandes hinaus?« -fragte Achim, und die Asche seiner Stimme beizte. »Auf die größte -Unsittlichkeit, die Rache.« - -Oho, dachte Horst. So ruft sich nun der Nihilismus den höchsten -Positivismus zur Hilfe. - -Jetzt ließ Herr von Borkhus sich vernehmen. »Die Rache ist mein, spricht -der Herr. Gut, ihm wollen wir sie anvertrauen. Er unser Führer! Das -Werkzeug seiner Rache sein, mehr wollen wir nicht. Aber Rache -- der -Herr spricht ja selbst davon. Und wenn wir sie brauchen für unser Leben! -Wenn sie unsere Rettung ist! Wenn wir elend verrecken -- im Dreck und in -Schande -- ohne diese befreiende Hilfe! Ein Teil unseres Gottesglaubens -ist diese Rache!« - -Er hob sich wie ein Priester. Seine Brust keuchte, seine Augen kreisten -in Flammen. Dann sank er zurück und blickte wieder dumpf vor sich hin, -leidend und matt. - -Horst wollte nicht länger schweigen. Doch hielt er sich mit Bedacht in -niederer Flugbahn. »Wir haben ein Wort: >die Scharte auswetzen<. Gibt es -ein Mannesleben ohne den treibenden Pulsschlag, Erfolg auf einen -Mißerfolg zu setzen? Schimpf mit Ehre auszulöschen, Verachtung mit Ruhm? -Und wie der Mann, so das Volk. Was ist die Schwungkraft, die die -Geschichte der Völker bewegt? Vergeltung! Und immer wieder Vergeltung! -Sofern wir überhaupt ein Volk sind, sofern wir nicht außerhalb der -Geschichte stehen, wir uns selbst nicht außerhalb der Geschichte stellen --- so lange noch der leiseste Hauch eines lebendigen Atemzuges durch -dieses Volk geht und noch ein Mannesherz aufzucken läßt, Vergeltung ist -der Odem des Lebens! Vergeltung sein Wert und seine Höhe!« - -Jetzt brausten die Geister und brausten ihm zu. Nur Achim blickte -teilnahmlos und gefroren. Selbst der Tangentiner, der ein wenig abseits -mit dem Saatkartoffelbaron der deutschen Seele auf dem Felde der -Kartoffelpreisbildung nachzuspüren gedachte, ging steil empor. Wäre -Alarm geblasen gegen den Landesfeind, der erste wäre er auf dem Gaul -gewesen. Man mochte sagen gegen ihn, was man wollte -- aber jeder Zoll -seines langen Leibes war Kurage. - -Mit diesem Akkord klang die Besprechung aus. Mitteilungen von Horst über -die Landarbeiterversammlung wurden nicht mehr verlangt. Zu politischen -Entschlüssen war man nicht gekommen und würde man vorerst nicht kommen. -Der Entwicklung der Dinge sah man mit geziemendem Männermut entgegen. -Abwarten, Teetrinken! -- mit diesem deutschen Worte des Heils ging man -auseinander. - - - - - Achim - - -Horst blieb noch mit Herrn von Borkhus und Achim zusammen. - -»Nun ja,« sagte der alte Herr, »unser Hornburger Schießen müssen wir nun -einmal haben. Aber es ist mir lieb, daß ich Sie mit den Herren bekannt -machen konnte. Vielleicht wird doch der eine oder andere Hilfe nötig -haben. Wenn es ernst wird.« - -»Es wird ernst, Vater.« - -»Achim --!« Er hob lächelnd die Hand. Das hieß: ein Schwarzseher wie Du. - -»Zum Frühjahr haben wir hier den Ausstand. Wir werden von der Tücke der -Bevölkerung was erleben.« - -»Sie ist nicht tückisch, mein Junge. Wir haben sie nur nicht immer -richtig behandelt.« Er sprach jetzt sehr schonend und mild mit ihm, wie -mit einem Kranken. - -Achim war schon nicht mehr bei der Sache. Er ging, sich nach seiner Frau -umzusehen. Borkhus sprach mit Horst über ihn. - -»Das Herz blutet einem. Was haben Krieg und Frieden aus dem Jungen -gemacht. Man spricht manchmal bei mir von Vertrauensseligkeit --« - -Horst nickte innerlich dazu. - -»Seligkeit -- du lieber Gott --! Bei dem Jungen war es Seligkeit! So was -von einem frohlockenden Zutrauen zu allem und jedem, das Himmel und -Hölle bezwang! Das über jede Enttäuschung hellauf lachte, wie über -Scherz und neue Lebenslust. Seine Augen hätten Sie sehen müssen! Und -jetzt entfärbt, entseelt zu dieser griesen Kälte. Bleifarben. Und wie -sieht es in ihm aus! Zum Heulen!« - -Er hielt klagend inne. Horst rüttelte tröstend an ihm. »Ihr Sohn ist -jung, er hat seine Tätigkeit, er hat Sie und hat die wundervolle Frau.« - -»Das ist ja das Furchtbare. Man kommt nicht mehr zu ihm. Nichts von dem, -was ihm lieb war, rührt noch an ihn. In uns allen ist ja etwas in -Trümmer gegangen. Aber, daß in ihm nur noch Schutt liegt! Argwohn -- -Ablehnung -- Gleichgültigkeit -- eine völlige Gefühlsumnachtung.« - -»Ist Herr von Mönkhov schwer verwundet gewesen, schwer verletzt?« - -»Seinem Körper ist nichts geschehen. Nicht die Haut ist ihm geritzt. Und -er war vorne von Anfang bis zu Ende. Sein Körper -- er ist gewachsen wie -ein Gott -- als ob die Kugeln den wie ein Heiligtum gescheut hätten. -Dafür ist ihm nun die Seele in Fetzen gegangen. Die letzten Kämpfe haben -ihm den Rest gegeben, da zwischen Aisne und Marne. Wie das Unglück hier -herausbrach aus den Wäldern von Villers-Cotterets, das Verhängnis, das -Verderben. Er wußte, jetzt ging es um Deutschlands Leben, um -Deutschlands Tod. Überladen zum Zerspringen von der ganzen gewaltigen -Inbrunst seines letzten Hoffens und Glaubens und Wollens -- und da -zerriß es in ihm. Das Grauenhafteste hat er erlebt -- den Überlauf -ganzer Scharen -- den Verrat der vielen! Wie ein Irrsinniger hat er vor -sich hingelacht -- stundenlang. Er hat es gesehen mit eigenen -ersterbenden Augen, wie Deutschland erschlagen, wie Deutschland -gemeuchelt ward. Dies ist Achims Schicksal.« - -Die Männer schwiegen, versunken, vergraben. Ein gut Teil ihres eigenen -Lebens war so zerbrochen und verdorben. - -»Und nun, Horst, müssen Sie auch noch mehr hören. In der Schlacht war es -zum Handgemenge gekommen, mit Amerikanern. Mannschaften zerschossener -Tanks. Gewehr und Pistole waren leer. Mit den Fäusten gehen Achim und -ein amerikanischer Offizier auf einander los. Einen regelrechten -Boxkampf liefern sie sich, in _fair play_. Inmitten der rasenden Hölle, -des Feuerorkans, der tosenden Geiser und Wirbel giftiger Wolken auf der -zerwühlten, zerrissenen, brüllenden, verzweifelt ihre Fetzen um sich -werfenden Erde. Kämpfen wie auf dem Podium. Angestiert von der verblüfft -glotzenden Umgebung. Die Amerikaner haben vielleicht gewettet. Und Achim -schlägt den Gegner nieder. Der Amerikaner ist geworfen -- aber -- es -gibt keine Symbole mehr -- Amerika wirft uns. Und jetzt passen Sie auf, -von diesem sieghaften Zweikampf her hat er einen Lichtschein mitgenommen -in seine Dämmerung. Der einzige, den er hat. Und er hütet ihn mit einer -Leidenschaft. Er hat von jeher mit Hingabe Sport getrieben, am liebsten -den, bei dem es ganz und allein auf die eigenen Glieder ankommt. Im -Boxen war er immer ein Meister. Jetzt gibt es kaum für ihn etwas anderes -auf der Welt. Sein Tagewerk beginnt mit stundenlangem Training. Immer -hat er Besuch von »Professionals« und von »Amateuren«, mit denen er -stundenlang übt. Auch sein Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist -ein alter erfahrener Faustkämpfer von Beruf. Seines Geistes Nahrung: die -Sportberichte und Sportzeitungen. Für die Wirtschaft bleibt so gut wie -nichts übrig. Und -- das Leben meiner Tochter können Sie sich -vorstellen.« - -Frau Tilde mit ihrer zarten Geistigkeit, ihrer stillen Empfindungskraft -und Tiefe! Wie vieles von der Klage ihrer Augen, von dem wehen Lächeln -um ihren Mund ward Horst verständlich. - -»Eine Leidenschaft -- wie die Spielerleidenschaft, die auch auf Trümmern -wuchert. Und auch unausrottbar ist.« So schloß Herr von Borkhus, stark -bewegt. - -Das Ehepaar kam ins Zimmer. Sie wollten gleich nach Mönkhov -zurückfahren. Frau Tilde begrüßte Horst in aller Freundschaft. »Es ist -mir ein wahrer Trost, daß Vater Sie alle in der Nähe hat. Ihr seid hier -am dichtesten bei der Stadt und hier wird es zuerst losgehen.« - -Und wieder Herr von Borkhus mit seiner überlegenen Zuversicht: »Kinder, -ich rat Euch sehr, an Euch selbst zu denken! Die Ihr mit Eurem Koch eine -Brandfackel in diese Welt geworfen habt. Mir unter meinen Leuten kann -und wird nichts geschehen.« Und in seinen Augen strahlte auf, was noch -an Licht in ihnen war. - - - - - Märzenglanz -- Herzentanz - - -In die deutsche Not jubelte ein früher Frühling hinein. Ein zärtlicher -Hauch läutete die Schalmeien der Primeln, der Leberblümchen und -Anemonen. Über der Heide in Frohlocken taten die Lerchen ihren -Sonnendienst. Knisternde Seide war die Luft. Wer an sie rührte, dem -gingen prickelnde Schauer durchs Blut. - -Ein Sonntag. Die jungen Siedler zogen nachmittags in die Stadt, auf die -Dörfer zum Tanz und suchten sich was zum liebhaben. - -Kunz in holdem Ungestüm dunkler Sehnsucht streifte durch die Welt. Ihm -war's, es müßte ihm heut ein Wunder geschehen. Er schritt allein, ohne -Muz -- auch der war heute auf Frühlingsabenteuer aus. Und nun sang er -sich den Knickbusch entlang, der hier zwischen Wiese und Heide lief, -träumte sich in Kinderspiele hinein und in Märchen. - -So in gedankenlosem Stammeln und Dammeln geriet er auf die Dorfstraße. -Und kam an dem Pfarrhausgarten vorüber. Wie er über die Rotdornhecke -blickte, sah er etwas, was ihn stillstehen hieß. - -Ein kleiner Turnplatz war hier eingerichtet. Eine Mädchengestalt, zum -Entzücken geschmeidig, im Turnanzug, hing am Reck. Jetzt machte sie die -Schwungstemme, leidlich. Sie war selbst nicht zufrieden und wiederholte -die Übung. - -Kunz hatte es nicht mehr draußen gelitten. Er war kurzen Fußes durch die -Pforte eingetreten, stand schon im Sand der Arena und riet -sachverständig, als die ihm abgekehrte zur zweiten Wiederholung sich -anschickte: »Das Kreuz mehr durchdrücken. Und den Kopf weiter zurück.« - -Sie sah hängend über die Schulter zu ihm hin, gar nicht erschreckt, fast -ungestört. Machte den Aufschwung, um nach oben, auf ihre Stange und in -die richtige Position gegen Eindringlinge und Unberufene zu gelangen. -Setzte sich oben hin, den Arm um den Pfosten, und blickte vernichtend -herab auf den Störenfried. - -Er hatte geglaubt, ein Kind vor sich zu haben -- nun brach er zusammen -vor so viel damenhafter Ablehnung und Unnahbarkeit. - -Kunz war nur zweimal in seinem immerhin bewegten Leben verlegen gewesen. -Dies war der dritte Fall. Und er fragte etwas, wie ein Schuljunge, wußte -selbst nicht wonach: ob er hier zum Herrn Pastor käme? - -Da oben der geschürzte Mund bewegte sich nicht, die Augen blieben -drohend -- nur durch das rechte Bein ging ein kurzer Ruck, und die -Fußspitze wies den Weg nach rechts. - -Kunz wurde ratlos. Ratlosigkeit war ihm das Weltenfernste. So wurde er -sinnverwirrt, und seine Haltung zerfiel. Er wollte lachen, aber es wurde -nur so ein geohrfeigtes Lächeln, und eine Heftigkeit stieg ihm in die -Kehle. So kam es denn stoßend heraus: »Sagen Sie mal, sind Sie stumm? -Oder verbergen Sie einen Zungenfehler?« - -Nun wurde aus dem eisigen Drohen da oben eine spitze Niederträchtigkeit. -»O nein -- aber ich kann die dicken Menschen nicht leiden.« - -Kunz, der Arme! Dieses war nun tödlich. Hier gab es keine Rettung. Jetzt -lag er platt auf der Nase. Ein Kübel Eiswasser war ihm über den Schädel -gegossen. Schauernd lief es ihm die Rückenrille hinunter. Bis in Mark -und Seele fror es ihn aus. Nützten ihm die verzweifelten Hilferufe -seiner Selbstgespräche? Dick -- dick! Ich bin nicht dick! Daß ich diesen -unglückseligen Kartoffelkopp habe --! Aber meine Glieder -- könnt ich -die zeigen! Ja -- geschlemmt hab ich ja wohl ein wenig -- in Wildbraten --- gewildertes schlägt besonders gut an -- aber dick -- um des Himmels -willen -- dick --! -- - -Der Mantel ist schuld! Dieser elende Sack, den sein Vetter, der bauchige -Generalstrebler, ihm vererbt hat! - -Runter mit den Lumpen! Reißt den Mantel ab -- wirft die Mütze hin -- -stürzt sich auf das Reck -- nur die eine Wiedergeburt seiner Ehre gibt -es -- die schnippische Sylphide da oben flattert entsetzt auf und hängt -dann bebend an dem einen eng umarmten Pfosten -- Kunz hat die Stange -ergriffen -- schon fliegen die Beine hoch -- fliegen zurück -- und nun -in tadellosem Riesenschwung schlägt der gestreckte Leib Rad durch die -Luft -- einmal -- zweimal -- dreimal -- viermal -- - -Da aber, in dem wütenden Eifer, versagen die Hände -- sie gleiten von -der glatten Stange -- in hohem Bogen wird der Körper weit -fortgeschleudert und fällt schwer wie ein Klumpen in dem Gesträuch dumpf -auf die Erde. - -Mit geisterhaften Eulenaugen hockt die Turnerin da oben -- wie in eine -Vision geschreckt und gebannt -- dann gleitet sie zu Boden in die -Wirklichkeit -- jetzt weiß sie, was geschehen ist -- ein Unfall -- dem -Gestürzten helfen --! -- - -Sie läuft in das Gebüsch -- da sitzt er, mitten in einem dornigen -Stachelbeerstrauch -- die eine Backe ist blutig geritzt -- er fühlt mit -den Fingern hin -- dann beschmiert er sich lustig indianermäßig das -Gesicht mit Kringeln und Schleifen -- legt die Arme übereinander wie ein -Götzenbild -- verbeugt sich im Sitzen vor der scheu sich Nahenden und -verkündet hohl: »Mein Name ist Rutenberg.« - -Dann lacht er laut und herzhaft mit seinem wunderhübschen Mund. - -Da denkt sie, was ist das für ein lieber fröhlich verrückter Junge, und -sie lacht zurück. »Haben Sie sich auch nichts getan?«, fragt sie sorgend -und hilfsbereit. - -Er schüttelt höchst munter den Kopf. »Aber den Seismographen in den -Erdbebenwarten habe ich gehörig eins ausgewischt.« - -Sein Platz scheint ihm immer noch zu gefallen. Er macht keine Miene, -sich zu erheben, und spricht belehrend weiter: »In unserer Reiterhorde -war ich wegen meines losen Sitzes berühmt. Jetzt weiß ich doch, daß ich -auch im festen Sitz Vorbildliches leiste.« Und damit versucht er -aufzustehen. Es geht langsam, aber dafür tut es weh. - -Sie greift zu, ihn zu stützen, da gibt er sich einen gewaltigen Ruck, -der ihm durch alle Knochen fährt. Doch damit hat er sich beisammen und -ist wieder fest auf den Füßen. - -Nun der Sorge um ihn ledig, sieht die Kleine die Stelle sich an, wo er -so unsanft den Planeten erschüttert hat. Der Stachelbeerbusch ist -heillos verwüstet. Da zieht sich ihr feines Gesicht in die Länge. »Oh, -das ist einer von Vaters neuesten und besten -- im Jahre 17 gepflanzt, -als er auf Urlaub hier war -- ein blood hound. Nun müssen wir hin zu ihm -und ihm gleich alles sagen. Sonst geht es uns schlecht.« - -Wir -- und uns -- so war die Freundschaft geschlossen zwischen Vita -Waermann, dem Pfarrertöchterlein, und Kunz Rutenberg, dem Siedler und -Soldaten, dem Wilderer und Turner, der eher die Erde zertrümmerte, als -daß er dick sein wollte. - -Und nun standen sie vor dem Pastor, einem geraden, schlank gewachsenen, -helläugigen Mann, der viel eher soldatisch, als geistlich sich hielt. Er -war zuerst als Feldprediger draußen gewesen, dann hatte er als Offizier -in der Front gestanden. Jetzt ging er nach schwerer Verwundung am Stock. -Erst vor acht Tagen hatte Vita ihn aus dem Genesungsheim abgeholt und -seit heute, Sonntag, versah er wieder sein Amt. - -Unter den Gottesgelehrten zählte er nicht zu den Gekrönten. Aber in der -Obstzucht war er Baas und ein Vorkämpfer für die Fruchtweinkultur als -eine fruchtbare Erwerbsquelle auf deutschem Boden. Berühmt war sein -eigener Stachelbeerwein, so daß ein zungenfertiger Amtsbruder ihn also -gefeiert hatte: »Ein Pastor und ein Wehrmann und auch ein -Stachelbeermann.« - -Diesen geradezu leidenschaftlich zärtlichen Vater seiner Sträucher mußte -man schonend vorbereiten. Er vernahm alle Einzelheiten, wie das junge -Freundespaar die Bekanntschaft geschlossen hatte -- das Außergewöhnliche -sollte seine Vorstellung auflockern für Ungeahntes, Unsägliches. Aber -die Katastrophe, die seinen Busch zerschlagen hatte, fuhr ihm doch ins -Gekröse. - -Spornstreichs stakte er los in den Garten. Die beiden blieben zurück, -zwei gescholtene, zitternde Kinder -- blieben beieinander, miteinander, -als trügen sie beide an der Schuld. Und durch Kunz strömte die -Glückseligkeit der Gemeinschaft, die sie auf sich genommen hatte -- für -ihn. - -Der Vater Stachelbeermann kam kopfschüttelnd zurück. »Gerade auf den -blood hound.« Vorwurfsvoll: »Und es ist doch so viel Platz im Garten! -Aber, wenn Sie schon eine Sitzgelegenheit in meinen Ribitzeln suchten, -warum haben Sie sich nicht lieber dem Schoße der Queen Mary oder der -smiling beauty anvertraut?« - -Hiermit ging es nun schon schalkhafter zu. Und jetzt flog das letzte des -längst schon lächelnden Unmuts davon, und die Gastfreundschaft öffnete -völlig und warm dem Besucher, der mit einem Riesenschwung in das Leben -des Pfarrhauses sich befördert hatte, die Arme. - -Kriegserinnerungen das erste und die leuchtenden Flammen -- und dann das -würgende Grau der Friedensnot. Und jetzt Glaube und Wille und Gelöbnis. -Wir werden sie zerbrechen, unsere Handschellen! Und dann -- ein gutes -Werk werden unsere freien Hände verrichten -- gute deutsche Arbeit -werden sie tun! Ja, ihr lieben Feinde Deutschlands -- die Zeit kommt -- -sie kommt, sie kommt, und es fluscht mal wieder! - -»Jetzt müssen wir wieder nach einem anderen Katechismus beten«, sagte -Pastor Waermann. »Jetzt hol ich mir wieder meinen alten Ernst Moritz -Arndt hervor. - -»Wer Zwingherrn bekämpft, ist ein heiliger Mann! Wer Übermut steuert, -tut Gottes Dienst! Das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt! Das ist -das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt!« -- So der Alte und so -jetzt wir Neuen. Dies, dies ist unsere Glaubenslehre. Und keine andere -verkündige ich, bis der neue Tag anbricht.« - -Kunz hätte ihm um den Hals fallen mögen. Mit großen, glücklichen Augen -sitzt er da. Wir haben ihn, den Seelsorger, den wir brauchen! So Gutes -ist uns Siedlern beschieden! Und ich habe ihn gefunden -- an der Hand -des wonnesamsten Mägdeleins. Ich wußte ja, daß mir ein Frühlingswunder -geschehen würde! O du gebenedeite, verunglückte Riesenwelle am Reck, die -in diesen Lichtkreis mich fliegen ließ. Mich, den Entdecker, mich, den -Boten des Heils für die Kameraden. - -Vita, jetzt ganz als das Hausmütterchen angetan, das sie in ihrem -Hauptberufe war, brachte den Kaffee. Was hat sie für wundervolle Augen, -denkt Kunz. Nichts als Augen, Augen das ganze holdselige Gesicht. -Graugrün sind sie, wach, hell, groß und weit, und sehen alles, sehen bis -auf den Grund. Katzenaugen sind es, die schönsten der Welt. - -Wie kräuselt sich dieses rotbraun flammende Haar in Löckchen, in -goldigem Flaum um die schmale trotzige Stirn! Wieviel eigenwillige Kraft -spannt sich um diese leicht geschwungenen, ein wenig höhnisch -geschürzten Lippen. - -Sehr ernst und verantwortungsvoll ist jetzt ihr Gesicht, ein wenig -altklug wirkt so viel Würde, denn ihre Erscheinung hat immer noch etwas -Kindliches trotz ihrer achtzehn Jahre. - -Der Vater fährt ihr über die Stirn, die kraushaarige. »Meine Katz im -Schürzenlatz! Ist das nun so schlimm?« - -»Ach ja, Vater.« - -»Dieses »ach ja« hat es in sich. Sie verwünscht ihr Geschlecht. Als es -in den Krieg ging, wollte sie absolut mit. Vierzehn Jahre und ein Mädel. -Festbinden mußte man sie.« - -»Ich wär da draußen schon was nutz gewesen. Und hätte ich Euch bloß -Kugeln in die ersten Reihen getragen. Wie die Johanna Stegen.« - -»Ich trau Dir nicht. Du hättest mitgeschossen.« - -»Vielleicht.« Und dann sagte sie: »Nun, das nächste Mal.« - -Das nächste Mal. Dieses unheimlich große Wort -- in der kindlichen -Leichtherzigkeit, die es sprach, war doch der Klang aus tiefster Qual. -Die die Mädchenseele schlug, wie die Männerherzen. - -Das nächste Mal! Wie ein Denkmal stand vor ihnen dieses Wort. Furchtbar -und erhaben. Gebaut aus schwerster Not und düsterster Notwendigkeit und -gekrönt mit Flammen. - - - - - Die Goldberge - - -Lud Uhlenbrook hatte ein Grab geschaufelt. Frühling der Mörder -- mit -allem, was nur noch wenig Leben hat, macht er ohn Erbarmen kurzen -Prozeß. - -Auf dem Kirchhof war der Alte mit Lona zusammengetroffen. Sie begleitete -ihn nach Hause. Es gab sonst in ihren Gesprächen keine Politik. Aber -hier, wo die Luft und alles, was sie atmete, mit Hochspannung geladen -war, sprach die Politik von selbst. - -»Kommt nun der Streik?« fragte der Alte. - -»Er kommt.« - -»Hier auch?« - -»Hier zuerst.« - -»Und hier haben die Leute es noch am besten.« - -»Eben deshalb zuerst hier.« - -Da blickte der alte Lud nun doch in dunkle, ihm unbehagliche Gründe, und -er schüttelte den Kopf. Aber er rührte nie an anderer Leute Glauben und -Tun, und ließ sich selbst nicht daran rühren. - -»So viel kann ich Euch sagen, ich mache nicht mit.« - -»Lud« -- dies ungleiche Paar nannte sich beim Vornamen und duzte sich -- -»hier gibt es nur ein entweder oder!« - -»Dann also oder.« - -»Und damit stehst Du auf der Seite der andern.« - -»Ich steh für mich allein.« - -»Das gibt es nicht. Ein Allein gibt es nicht. Denn hier ist Krieg, und -hier ist Feind und Freund. Du aber bist unser Freund -- der Freund der -Unterdrückten -- Du selbst ein Mißhandelter.« - -Sie war nun anders, sie rührte schon an den Glauben anderer mit ihrem -Fanatismus, der ganz von selbst Proselyten machen mußte. Und der -Hochschwall der Propaganda brach über den Alten herein. - -Er schüttelte Schopf und Fell und sprühte den Wasserfall wieder von -sich. »Ich hab jetzt 'ne Arbeit, die mir Spaß macht. Und darum bleibe -ich bei der Arbeit. Ich zeig den Siedlern, was Torf ist. Und die Jungs -mag ich leiden.« - -Sie rannte nicht mehr an gegen diesen eigenwilligen Zyklopen. Er hatte -seine Höhle, die Einsamkeit. Wenn man ihn störte, kroch er in den -Schlund. Aber ihre Wut durfte sie befeuern gegen die Siedler, sie, die -gefährlichsten der Gegner, die festesten, die gewappneten und bewehrten. - -In der letzten Zusammenkunft, als der Haß gegen diesen Trupp der -Reaktion die Gemüter aufwühlte, hatte Genosse Knubart, der lauernd -Schläfrige mit der viereckigen Stirn und der sichernden Nase, in seiner -lässigen Art bemerkt: »Ihre Burg ist eine Holzbaracke. Und Holz brennt -so leicht!« - -Seit der Zeit fieberte der Gedanke in ihr: den roten Hahn ihnen aufs -Pappdach! Ein paar Handgranaten, geworfen in der Nacht bei -Frühlingssturm --! -- - -Wie standen diese Männer ihr im Wege bei dem Werk ihrer langsamen, -kalten Rache an dem Zerstörer ihres Lebens -- nicht weniger als bei der -großen Tat der Volkserneuerung. - -Lud, der gute, fühlte es, wie die giftige Glut wieder in ihr auflohen -wollte. Er nahm mit seiner vollen zärtlichen Pranke ihren Arm. -»So, Lütt, jetzt kommst Du mit rein, wir kochen uns einen -Sonntagsnachmittagskaffee. Und Du läßt Dir vom Moor etwas -vormusizieren.« - -Als sie beisammensaßen, klopfte es, und Horst trat in die Stube. Der -Alte, der ihm zugetan war, hieß ihn herzlich willkommen. So setzte er -sich zu ihnen. Zuerst heizten sie mit Torf die Unterhaltung. Horst -brachte eine gute Nachricht. Die alte Schlickeysensche Torfmaschine, die -lange unbrauchbar gelegen hatte, weil niemand hatte entdecken können, -was ihr eigentlich fehlte, war von einem seiner Leute wieder instand -gesetzt worden. Jetzt konnten sie also kräftig ins Zeug gehen! - -Horst war fröhlich und frisch. Mit einer kleinen bewußten Grausamkeit -ließ er diesen Erfolg der Siedlung ausklingen. Er wußte, daß alles, was -mit ihr zusammenhing, Lona zuwider war, die abgekehrt und verschlossen -dasaß. Mit diesem hochmütigen Gesicht und den in sich gekehrten, den -umgekehrten Augen, die er kannte. Sein Frohmut sollte der Abhängigkeit -wehren. - -Das Weib in ihr hatte längst gespürt, daß sie auf ihn wirkte. Ebensogut -empfand sie, wie er jetzt dieser Wirkung widerstrebte. Daß er sich -schützen wollte, bestärkte sie im Bewußtsein ihrer Machtmittel. Aber sie -war nicht verschlagen, nicht verschmitzt und tückisch genug, um -erotische Listen in den politischen Kampf zu tragen. Judithregungen -kleineren oder größeren Formats lagen ihrer Natur fern. Ehrlich wie ihr -Schmerz um den getöteten Freund, ehrlich wie ihre kommunistische -Überzeugung war ihre Feindschaft, ihr Haß, ihre Rachsucht. Vielleicht, -daß aus dieser Wahrhaftigkeit die Kraft stammte, der Horst sich nicht -entziehen konnte. - -Schon war sein Mitleid wieder obenauf, stärker als der Hang, an ihrem -Hochmut, dem unleidlichen, sich auszulassen. Und wieder lockten ihn die -Geheimnisse ihres Wesens, ihres Lebens, ihres Wirkens. - -Heut brech ich den Bann! Ist sie nicht auch ein Mensch, ein Weib, ein -junges Weib -- mehr als Dogma, als Klage, als Anklage und Rache? Atmet -sie nicht den Frühling wie wir? In dieser Breite, die ihre Heimat ist! - -Wer kann von der Heimat sich lösen? Niemand, auch sie nicht. Hat etwas -die Macht, diesen einen Klang in uns auszulöschen? Nichts auf der Welt, -kein Unglaube, kein Glaube, kein Fanatismus in Gedanken und Gefühlen, -keine Ekstase, keine Verdumpfung -- selbst in unsern Wahnsinn tönt der -Klang hinein. Und mag sie noch so gefangen sitzen in ihrem starren -System -- was sind Mauern für diesen Klang? - -Sie ist in der Heimat, die vom Frühling erschauert. Was bleibt bestehen -von der Welt, die sie sich aufgebaut hat in der künstlichen Mühsal -keuchender Gedanken! Hier ist nun einer, der den Frühling Deiner Heimat -mit Dir atmet -- er pocht an Deine Verschlossenheit. Wird ihm nicht -aufgetan? - -Sprichst Du nicht mit deutscher Zunge wie er? Ist nicht in Dir wie in -ihm deutsches Leben -- ob es an ungleich gestimmte Saiten rührt? Sind -nicht beide in Not, er wie Du! Sind beide nicht Suchende, Klimmende, -Steigende -- wenn auch auf verschiedenen Wegen, wenn für den einen der -andere auch in die Irre geht! - -Und vor Horst leben die Worte Gisberts auf -- was reden wir immer und -immer von den Unterschieden! Das Gemeinsame sollen wir suchen, des -Gemeinsamen sollen wir uns bewußt sein, immer und immer! - -Du sprichst deutsch und ich spreche deutsch -- wir sollten nicht -miteinander sprechen können? Und Horst richtet das Wort an Lona. - -»Kennen Sie unsere Goldberge hier?« - -»Ja.« - -»Haben Sie sich einmal von da oben die Welt angesehen, jetzt im -Frühlingsglanz?« - -»Nein.« - -»Das sollten Sie tun. Die See -- das Dünengelände -- die gotischen Türme -der Stadt -- all die Dörfer, eingebettet in Gärten -- ein Schimmer von -Grün haucht schon aus dem Grau. Und wie hierher nach Westen das hüglige -Feld in die Moorniederung verrinnt -- man sieht nicht viel so Schönes in -unserm Norden.« - -Sie ging artig darauf ein, wenn auch kühl und freudlos. »Damit machen -Sie einem beinahe Lust. Leider aber bin ich so einigermaßen -landschaftsblind.« - -»Das glaube ich nicht.« - -»Nicht?« - -»Nein. Weil Sie doch in der Musik leben.« - -Sie stutzte. Was weißt Du und was willst Du von mir? Dann ging sie den -Zusammenhängen in seinen letzten Worten nach. - -Horst aber, da er jetzt bei »musikalisch« war: »Uhlenbrook -- Meister -- -die Goldberge klingen ja -- deutlich hab ich das gehört!« Jungenaugen -glänzten dazu, wie voll von leuchtendem Märchenschreck. - -»Wenn Sie das gehört haben,« sagte der Alte, »dann sind Sie auch einer -von den Erlesenen.« - -»Erlesen? Wozu?« - -»Jetzt will ich Euch erzählen, was das mit den Goldbergen ist.« Wie die -Sage saß er in seiner Tabakswolke. »Da liegt ein König begraben, ein -Heerkönig, ein Seekönig. Der Mächtigste, den es gegeben hat. Der -Reichste an Taten, an Ehren und an Schätzen. Alle Meere hat er befahren, -von allen Küsten brachte er Gold und Gut nach Hause. Das deutsche Meer -aber war sein Reich, hier durfte niemand fahren ohne seinen Willen. Mehr -Jahre hat er gesehen, als die anderen Menschen und war darum auch weiser -als sie. Und wie es zum Sterben mit ihm ging, da befahl er, daß alle -seine Schätze mit ihm ins Grab gesenkt würden. Schätze darf man -erwerben, aber nicht vererben. Er sah seinen Nachfolger -- und sah den -Verfall seines Reichs. Mit einem Fluch über jede gierige Hand, die an -das begrabene Gold rühren würde, streckte er sich auf sein Sterbelager. -Denen aber, die nichts für sich selber wollen und begehren, die alles, -was sie selber haben und selber sind, dem Volke darbringen, denen -klingen die Stimmen aus dem Grunde. Denen singt das versenkte Gold. Ihre -reinen Hände sollen es heben, ihnen soll es die Macht mehren, daß sie -dem Volke helfen zu alter Herrlichkeit.« - -Horst überlief es wie leise zitternde Runen. Lona aber blickte wieder -voll Hohn. - -»Und das Reich des alten Königs zerfiel. Und das deutsche Meer war nicht -mehr deutsch. Sein Nachfolger wollte mit habsüchtigen Händen die Schätze -sich heraufholen, da erschlug ihn ein Nebenbuhler. Den aber meuchelte -ein anderer. Die Herrlichkeit kam nicht wieder herauf. Weil die Sinne -gierig waren und die Hände nicht rein. Und wie um den Kyffhäuser die -Raben, fliegen die Raubmöven um diesen Berg. Wenn aber eines Menschen -Fuß seine Höhe betritt, zu altheiligen Zeiten, zu Frühlingsanfang, zur -Tag- und Nachtgleiche, in der Thomasnacht, der längsten des Jahres, der -ersten der wilden Nächte -- und es tönt dann das Klingen zu ihm auf, so -ergeht an ihn der Ruf. Zum Helfer bist Du erkoren! Bleib getreu und -halte Dich bereit!« - -Bleib getreu und halte Dich bereit, so klang es nach in Horst. Und ihn -störten ganz und gar nicht Lonas hochgezogene Lippen. - -Sie schwiegen eine Weile. Jeder blieb bei seinen Gedanken. Das deutsche -Meer soll wieder deutsch werden! so flammte und lebte es in Horst. - -Jetzt nimmt Lona das Wort. »Es spricht ja wohl so mancherlei für den -alten Herrn Deiner Sage. Obwohl sein großartiger Standpunkt: das Gold -ist verflucht, stiehl Du also möglich viel für Dich zusammen, damit es -den andern nicht schadet -- obwohl dieser Standpunkt ein Maß von Edelmut -bekundet, wie ihn nur der Kapitalismus aufbringen kann. Im übrigen -- -warum die Deutung seines Vermächtnisses nun gerade in Patriotismus und -in Hurra auslaufen muß? Reine Hände und das Wohl der Gemeinschaft -- was -heißt das anderes, als daß sich niemand mit eigenem Besitz besudeln -soll!« - -Über Horst leuchtete eitel Friedfertigkeit. »Ist das nicht das -Wundervolle an unseren Sagen, daß sie mehr sind als ihre Deutungen? Daß -sie alle beschenken, alle beglücken!« - -Lona gab nichts darauf. Sie lehnte sich zurück und sagte dann in ihrer -laschen Überlegenheit: »Der eine Gedanke, muß ich ja sagen, macht mir -gerade hierbei ganz besonderen Spaß. Wie Ihr Teutonen immer über die -Juden herzieht mit ihrem goldenen Kalb. Und über ihre Psalter mit dem -Golde aus Reich Arabien. Seht Euch doch einmal Eure eigenen -Überlieferungen an. Um was geht es denn bei Euch? Nur und immer! Da ist -das Rheingold -- da ist der Nibelungenhort. Im Waltarilied -- diese -begeisternden Kämpfe Eurer Urzeithelden, in denen sie sich frohlockend -Arme und Beine glatt mit dem Schwerte abschlagen, um was werden diese -Heldenkämpfe geführt? Um den Hunnenschatz, den der edle Walter dem alten -Etzel ausgespannt hat. Und dann im ganzen Mittelalter, diese König- und -Kaiserkämpfe! Wer den Kronschatz hat, hat auch die Mannentreue. Die -Geschichte dieses Buschkleppertums -- läuft sie nicht weiter durch die -folgenden Jahrhunderte? Und geht es nicht in derselben Tonart fort bis -in unsere Tage? Was sagt Ihr dazu, Ihr Weisen aus dem Abendlande? Wie -heißt doch Euer Sprichwort? Treu wie Gold!« - -Verdrossen winkte sie selber sich ab, und Horst hatte keine Neigung nun -groß sein Streitroß aufzuschirren. Wogegen? Gegen eine blendende äußere -Dialektik, die an dem tieferen Wesen der Dinge vorbeijongliert? - -Er sagte nur ein bedächtiges Wort, das nicht angriff: »Solange das Gold -konzentriertes Brot ist --! Und solange der Mensch Brot zum Leben nötig -hat --! Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« - -Sie wollten beide nicht die Klingen kreuzen. Auch in ihr kam eine -Sehnsucht nach Stille auf, eine Lust, sich zu dehnen und die leisen -Schwingungen des Frühlings aufzunehmen wie ein streichelndes Heilmittel -für die wehen Nerven und das müde Blut. - -Lud Uhlenbrook hatte die Blicke auf seinem Moor. Dabei stöhnte er -unsäglich. So brüllt nur das Glück. Rehwild zog äsend an dem Waldrande -hin. Durch die leichten Zirruswolken streute die Nachmittagssonne -wehende Lichter wie Blütenflocken auf den grünlichen Dämmer der -erwachenden Gräser. Fröhlich kreisend schwangen sich Kibitze über den -Wiesen. - -Der Alte paffte seinen Knasterdampf vor sich. Dadurch sah ihm seine Welt -noch zauberhafter aus. Mit einer fröhlich herben Absage an die beiden: -»Wenn ich dies hier habe -- was geht mich das da draußen an! Ich pfeif -auf Euren Kram! Schlagt Euch die Köpfe ein, daß ich was zu begraben -kriege! Der Moordeubel bin ich, und der Torfdeubel bleib ich und dem -lieben Gott sein Lieblingsdeubel dazu! So -- und wenn einer gegen mein -Moor was sagt --! --« - -Lona regte sich. »Ich sag was, Lud Uhlenbrook. Du stehst vor Deinem Moor -wie der Ausrufer vor seiner Schaubude. Aber lauter Freud und Wonne ist -es wirklich nicht mit ihm. Ich bin da vor kurzem ganz gefährlich in den -Sumpf geraten -- ein paar Schritte weiter, und Du hättest mich in Deinem -Raritätenkabinett gehabt.« - -»Ja« -- und nun wurde der Alte großäugig angstvoll und warnte schwer, -»wie darfst Du auch weglos auf ihm herumabenteuern!« Die Pfeife wollte -ihm ausgehen. - -»Und ganz übel,« fuhr Lona fort, »ist dieser Fluß, der sich da -hindurchwindet, schwarz, träge und drohend. Ein Fluß, der nicht fließt, -der tückisch schleicht -- er plätschert nicht, er rieselt nicht, er -schult nur immer düster nach einem hin. Und seine angefaulten Weiden, -denen alle struppigen Haare sich sträuben -- menschenfreundlicher machen -sie ihn nicht.« - -Horst, der ihr mit weiten Wimpern zuhörte: »Und Sie wollen keinen Sinn -für Landschaft haben?« - -»Höchstens da, wo die Landschaft -- für mich so lebhaften Sinn hat. Aus -einer Art Notwehr. Ich kann mir nicht helfen, unheimlich ist mir das -Moor geworden.« - -Der Torfmeister sah ihr durch und durch. »Du hast die Moorangst, Kind! -Daß Du es nie ohne mich betrittst! Wer vorm Moore bangt, wird von ihm -gelangt!« Er hatte jetzt etwas Gewaltiges in den Augen. Und seine Worte -zwangen. - -Halb unwillig sagte Lona: »Wie ein alter Zauberer bist Du.« Aber ein -Nachdenkliches blieb über ihr. - - - - - Orgelklänge - - -Lona machte sich zum Heimweg fertig. Auch Horst wollte gehen. Heute -widerstrebte sie seiner Begleitung nicht. - -Erst sprachen sie von dem Alten. Sie hatten Scheu, den neutralen Boden -zu verlassen, den einzigen wohl, den es für sie gab. Dann aber wurde -Horst mutiger. Er wollte von ihrem Leben wissen. Er fragte. - -Sie hatte erst die großen Augen, erstaunt, unwillig. Dann aber -- er war -ihr nun doch schon in größere Nähe gerückt -- dann hörte er von ihr. Daß -sie als Schwester im Felde gewesen war, all die Jahre. Hinausgegangen -mit dem flammenden deutschen Herzen -- heimgekehrt in der Seele den Haß -und den Fluch auf den Krieg, auf das nationale Wüten, den nationalen -Frevel, daran die Menschheit sich zerreißt und zerfleischt und -verblutet. - -In wieviel brechende Augen hab ich gesehen, wieviel letzte Worte hab ich -gehört! Unwahr ist, was in Euern Büchern steht! Von der Verklärung in -Opferwilligkeit! Von dem letzten Licht, dem letzten Gedanken: fürs -Vaterland! Nichts hab ich gefunden als Klage, Groll, als Verzweiflung -und Verwünschung! - -Sie rief es in Ekstase. - -Wie hast Du Dich selbst betrogen, dachte Horst. Nur, was Du sehen -wolltest, hast Du gesehen! Ich weiß auch von brechenden Augen! Ich weiß -auch, wie deutsche Männer gestorben sind! Daß der Tod vorm Feinde ihnen -des Lebens Erfüllung war! - -Das große Sterben -- es war zuviel für Deine Frauenseele. So bist Du -verstört, so ist sie irre geworden. Und in Horst schwang das alte -Mitleid. - -Sie selbst wollte auch jetzt keinen Kampf der Meinungen. Von ihrer -eigenen inneren Wandlung sprach sie nun, offen und mitteilsam. Daß -alles, was sie an Gottesglauben mit herausgetragen habe, ihr im Felde -zertrümmert worden. - -Ich konnte einmal beten -- ich hatte meine Zweifel und kehrte zur -Andacht zurück -- dann aber hatte ich nur noch ein Lachen für mein -Gebet. - -Es war an der Aisne, in der Osterzeit. Unser Feldlazarett war überfüllt --- wir betteten eine große Anzahl weniger schwer Verwundeter in der -Dorfkirche. Ein paar Operationen waren gemacht. Alle schienen gerettet, -alle, die hier lagen, hofften und träumten sich ins volle Leben hinein. -Der Ostersonntag. Draußen ein geradezu jubelnder Frühling. Da baten sie -mich, ich möchte ihnen doch die Orgel spielen. Ich tat es freudig, ich -selbst war dankbar und fromm. Das Auferstehen war in meinen Klängen. Und -voll Dankbarkeit und Frömmigkeit war das Gotteshaus. Nie ist reinere -Andacht gen Himmel gestiegen. Und plötzlich -- in die innigste Feier der -Seelen hinein -- das Grausigste, das Grausamste an wilder Vernichtung. -Ein Volltreffer aus schwerstem Geschütz. Die Decke stürzt ein. Die -Hilflosen, Schmerzensreichen, ans Kreuz Geschlagenen werden -zerschmettert, verschüttet, zermalmt. Hosianna in der Höhe! Ich mit der -Orgel hänge in dem Gebälk. Ich kann mich nicht rühren, kann nicht -hinunter. Kann nicht helfen. Und niemand kommt. Die Zeit erstarrt in -Grauen. Abenddunkel. Die letzten Schreie sterben, das letzte Röcheln der -Gemarterten erlischt. Ich -- allein. Und -- eine andere geworden -- - -Sie schwiegen. Worte hatten hier nichts zu sagen. - -Verstehen! Das war es, um was Horst im Innersten rang. Und die Frau, die -zerwühlte, zerquälte, wurde ihm vertrauter. Ihrer Welt, der fremden, -feindlichen, verschloß er sich nicht mehr in eigenem Glauben, eigenem -Willen, eigenem Werk. - -Sie aber fühlte, daß hier Schranken fielen. Daß es für sie beide, über -ihre Gegnerschaft und ihre Gegensätze hinaus, ein Schwingen gab, dem sie -nicht mehr widerstrebte. Einen Klang, auf den etwas in ihr lauschen -mußte. Also doch etwas Gemeinsames? - -Und wohl blinkte es in ihr auf: sind hier nicht die Keime einer Macht? -Einer Macht über den Feind? Ihn immer mehr lösen aus dem Selbstgefühl, -der Sicherheit seiner feindlichen Überzeugung! Ihn herüber ziehen -- ihn -gewinnen -- ihn bezwingen -- - -Ein fernes Licht, am fernen Horizont. Aber doch ein Ausblick, ein Ziel --- ein Träumen noch -- und doch ein ahnungsvolles Hintasten nach der -Wirklichkeit, der Erfüllung -- - -Und wieder ein trotziges Sichzurückziehen. Nichts gibt es zwischen uns! -Nichts als den Kampf auf Leben und Tod. Der Du auf der Seite meines -Todfeindes stehst. Sein Schützling -- und sein Beschützer. Und darum -gehaßt von mir, Du wie er! - -Und doch wieder das Hinneigen. Und das hingegebene Horchen auf das, was -schwang. - -Wieder schwieg alles, was streitbar gegen ihn sich regen wollte. Sie -vergrub sich wieder in sich selbst, in die eigene Wandlung. Sprach mit -einer wehen Offenheit von ihren Kindertagen. Daß sie mit der Orgel groß -geworden sei. Wie sie mit der Orgel Gott gefunden habe -- den sie mit -der Orgel verloren. - -Sie wollte heraus, aber sie sank zurück. Und das Entsetzen wühlte sich -wieder durch sie hin. »Orgelklänge -- des Ewigen Ehre zu loben hat man -sie beflügelt -- ich hab ihm so meinen Fluch ins Gesicht geschrien! Den -Fluch und die Vernichtung! Die Gottesflucherin! Die Gottesmörderin! Nur, -wenn ich Dich glaube, lebst Du! Ich glaube Dich nicht, ich glaube Dich -nicht! Und damit töte ich Dich! Langsam -- quälend -- und mit Bedacht ---« - -Über ihrem Auge lag es wie eine blinde Haut, es flogen ihre Glieder, so -fror ihr das Grauen im Gebein. So schüttelte sie der Wahnsinn. So sank -sie in die tiefe kalte Nacht. - -Horst nahm ihre eisigen Hände. Da wachte sie auf. Und ihn traf ein fast -dankbarer Blick. Als wollte ihr einer Hilfe bringen in ihrer furchtbaren -Erstorbenheit -- als gäbe es für sie Hilfe. - -Dann strich sie das Haar so straff aus der Stirn, daß sie schmerzhaft -zuckte. Klopfte die beiden Schläfen mit beiden Zeigefingern und blickte -jetzt klarer und sprach jetzt still. Mit dämpfender Ironie. »Warum -soviel stilistische Erregung! Wenn man innerlich mit sich im reinen -ist!« - -»Wer ist das! Wann sind wir das! Dies im reinen halte ich meinerseits -nun -- Verzeihung -- für reine Stilistik.« - -Sie sieht ihn fest an. »Und doch, der große Gotteskünder, auf den Ihre -Welt eingeschworen ist, fordert nicht gerade er das Unbedingte? Immer -hat mich dieses »Ja, ja -- nein, nein« erschreckt. Das Grausamste, was -es gibt. Haben wir nicht im Grunde ein Recht auf Zweifel, auf Abwege, -auf Umwege, auf Irrtümer und Kämpfe?« - -»Wir habens! Und darum gibt es, solange Sie leben, auch für Sie keine -religiöse Totenstarre.« - -Zu dem Wort hob sie die Lippen wie zu einem Heiltrank. Aber dann -verschloß sie sich wieder, lehnte Horst ab, ging zu ihrer Musik und fand -eine müde Ruhe. »Wer hat die Musik die Kunst der Erinnerung genannt? Und -soll die Erinnerung selbst nicht Kunst sein? Erhaben ob dem Geschehenen? -Jenseits der Erschütterungen? So hab ich doch auch längst wieder die -Orgel spielen können. Es war zuletzt ganz Spiel um des Spieles willen. -Und die Töne waren über dem Leben.« - -Horst mußte denken, ob Du nicht so wieder heimfindest? - -Er sprach dann von sich selbst, was ihm das Orgelspiel immer gewesen -war. Im Schatten der mächtigsten Kirche einer alten Hansestadt steht das -Wohnhaus seiner Kindheit. Gedämpfte Orgelklänge begleiteten seine ersten -Träume. Was seine Jugend ersehnte, was durch seine junge Seele stürmte -und brauste, jeder Brand, jede Inbrunst seines Herzens -- alles zitterte -und lebte von dem Orgelklang, alles war von ihm durchwebt, von ihm -gehalten und geweiht von ihm. - -»Für mich ist das Orgelspiel Heimat. Und Heimweh.« Da sah sie ihn groß -an, und ihre Augen verstanden ihn. - -Und es bebte in Horst, als er sie bat: »Darf ich Sie nicht einmal Orgel -spielen hören?« - -Sie zuckte zusammen, von der persönlichen Berührung in diesem Wunsche. -Er und sie -- zu meiden hatten sie sich, sich zu bekämpfen, sich zu -vernichten. - -Ein Waffenstillstand? Mit Orgelmusik? - -War nicht die Fremdheit, die Feindschaft von ihnen abgefallen? Wo sie so -miteinander sprachen, hatte sich nicht fast ein Vertrautes eingestellt? - -Und sie gab die Antwort auf seine Bitte. »Ja, wenn sie mich hier noch in -die Kirche ließen!« Dann erzählte sie: mit dem alten weißhaarigen -Organisten von Sankt Nikolai wäre sie gut Freund. Er hätte ihr mehrmals -die Schlüssel zur Kirche gegeben. Die Orgel wäre ein vorzügliches Werk -von dem alten Zacharias Hildebrand. - -»Und jetzt?« - -»Jetzt hat die Geistlichkeit Einspruch erhoben. Sie verteidigt, der Zeit -zum Trotz, mit achtbarem Mut ihre Gotteshäuser. Ich darf mit meinen -umstürzlerischen Händen das heilige Instrument nicht mehr berühren.« - -»Sie sollen diese Ihre hohen Stunden wiederhaben. Ich werde mich dafür -einsetzen, daß Sie wieder Orgel spielen können. Und zur Belohnung darf -ich Ihnen zuhören, nicht wahr?« - -Er hielt ihr die Hand hin, sie schlug ein. Und so trennten sie sich. - -Was war geschehen? Zwei Menschen, die das Leben zum Kampfe aufgeboten -hatte, die ein Vernichtungskrieg gegeneinander entflammte, die beiden -hatten eine Stunde des Friedens, der Gemeinschaft gefunden. Sie hatten -ausgeruht ineinander. Sie hatten sich beide beschenken können. Und -jetzt? - -Jeder ging wieder zurück in seine Schlachtreihe. Jeder nahm wieder den -Platz ein in seiner Front. Nur, daß sie beide das stille Übereinkommen -geleitete, dieses Beisammensein würde sich wiederholen. Wieder würden -sie denselben stillen Weg gehen und aufsteigen zu derselben sanft -belichteten Anhöhe, die über den Wolken des Tages lag. - -Den Feind verstehen, heißt die Welt begreifen. - -Wie lange aber, wie lange war ihnen die Nähe beschieden? Würde der Krieg -ihnen nicht bald genug diesen friedlichen Hang verwüsten? - -Oder -- gab es hier etwas zu retten für sie beide? Etwas, was mehr war -als die Zwietracht ihrer Gedanken, was über ihrer Feindschaft war und -ihrem Kampf? - -Sie trugen beide an dem Druck ihrer Hände, mit dem sie voneinander -geschieden waren. -- - -Zwei Einsame saßen in der Baracke und hüteten das Haus. Dankwart -Hamerslag arbeitete an seinen Modellen, Gust Elbenfried forschte in der -Schrift. Auch hier war im Schaffen, im Suchen, im Sehnen ein -Auferstehen. - -Einsam auch, ein Schwebender, zog Gisbert durch die Frühlingsheiligkeit. -Gen Osten pilgerte er -- da lag Mönkhov. Die Rhythmen der schönen, -tönenden See begleiteten seine Schritte. In den Dünen machte er Rast, -auf dem höchsten Gipfel schlug er seinen Thron auf, den Thron seiner -Sehnsucht. - -Unverwandt schauten seine Blicke nach Osten. Ganz unkörperlich seine -Sehnsucht, nicht einmal das Bild der Ersehnten nahm Gestalt an. Jenseits -von der Form blieb alles. Ein Lichtnebel die Welt, ein webender Glanz. -Und in ihm atmete das Glück. - -Daß Du lebst! Und daß ich weiß von Deinem Leben! Was will ich mehr? Was -brauche ich mehr? Ich fühle Deine Nähe, durchleuchtet bin ich von der -seligen Sicherheit meiner Habe. Wer kann mir von ihr etwas rauben? Wie -reich bin ich und wie stark! - -Du bist die Geliebte meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken -Dich zu fassen, das Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein -Ohr zu füllen, Deine Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will -ich Dich, nur wissen, daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! - -Rühren Worte an die Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken. -Über allem Sagen und Fragen, wortlos, gedankenlos ein sinnenfreies -Schwimmen im Himmelsraum, ein Ertrinken in Licht -- - -So saß Gisbert in starrer Entrücktheit ein göttlich Entschlafener auf -der Dünenhöhe, dieweil über die Meerflut hin der junge Frühling -schauerte. - -Erst die flüsternde Dämmerung weckte ihn aus seinem seligen Schlaf. Und -nun schlich es doch von Frühlingsangst in seine Jugend, seine junge -Jugend. Was fing so an zu singen in seinem Blut -- leise, leise und sang -doch immerfort. - -Und ein Taumeln, da er sich erhoben hatte, ward sein Schreiten, das nach -Osten ging -- wo er doch westwärts wollte, nach seiner Arbeitsstatt, der -Baracke. Wie er sich umwandte, keuchte er, beladen auch er von der Süße -und Schwere des Frühlings. - -Die Arbeit! Die Arbeit auch seine Zuflucht. Ihr mußte alles zum besten -dienen, alles Fühlen, alle Andacht, aller Kult, auch von Frühling und -Frau -- alles mußte einmünden und aufgehen in den Gottesdienst der -deutschen Arbeit. - - - - - Ausstand - - -Die Ziegelei war im Betrieb. Der erste Ziegelstein war gebrannt. Wie -eine Erstgeburt wurde er betrachtet und gefeiert, wie ein Täufling ging -er von Hand zu Hand. Eine helle Freude gab das und ein strammes Hurra -- -Muz kreiste singend um sich selbst und biß sich in den Schwanz, daß die -Haare stoben. - -Bauen, bauen -- war jetzt Losung und Feldgeschrei. In diesem Sommer noch -sollte das erste Haus unter Dach kommen. Für das Fundament galt es, -Findlingsblöcke zu sprengen, die reichlich im Gelände lagen. So -erfrischte und befeuerte eine Tätigkeit die andere. Im Siedlerhaus war -frohmütiges Wesen. - -Dankwart hatte das Modell einer Mühle konstruiert, die die Kraft des -Windes in Akkumulatoren aufspeichern sollte. Er hoffte auf ein Patent, -das die Finanzen der Siedlung stärken würde. Mit denen stand es nicht -zum besten. Aber auch die Sorgenfalten Mündners, ihres Rechnungsrats, -bügelte die Frühlingssonne aus. - -Die Sprengschüsse in der Felshalde lockten ein paar scheue Gestalten auf -die Höhen -- Müßiggänger, Beobachter? Das Knallen war ihnen nicht -behaglich, Ursache und Zweck schienen sie nicht völlig zu beruhigen. - -»Was sind das da oben für lauernde Vögel?« fragte Kunz. »Was bedeutet -ihr Erscheinen! Ich schließe auf Sturm.« - -Und es ballten sich die Wolken. Die Provinzhauptstadt entsandte ihre -»Agitatoren« und »Organisatoren«. Jetzt, wo es mit allen Händen an die -Frühjahrsbestellung gehen sollte, ward gebohrt und gewühlt. Der -Landarbeiterstreik kam ins Rollen. - -Immer noch hatte Herr von Borkhus sein überlegen gläubiges Lächeln. -Seine Leute waren wie immer. Still, gehorsam -- gehalten, zugeriegelt -und ducknackig. Wär das nicht ihre Art gewesen, hätte es Verdacht wecken -können. Aber so --! -- - -Da tritt eines Morgens sein langer, straffsehniger Inspektor bei ihm -ein. Ein Herr sei unten. Einer von den Roten offenbar. Er wolle mit -Herrn von Borkhus über die Lohnverhältnisse in Moorhof sprechen. - -»Was? Der Hetzer mit mir -- über die Lohnverhältnisse meiner Leute? -Sagen Sie dem Herrn, daß ich mit meinen Leuten über meine und ihre -Angelegenheiten selber zu sprechen pflegte. Daß ich mir seine -Vermittlung verbäte. Daß ich ihn ersuchte, meinen Hof -- nein, meinen -Gutsbezirk sofort zu verlassen! Aber sofort!« - -Schnaubend geht der Baron im Zimmer auf und ab. Der Inspektor setzt noch -seinen eigenen Trumpf auf die Bestellung. Herr Knubart -- dies ist der -abgewiesene Besucher -- zieht sich wohl ingrimmig vom Hofe zurück, auf -dem die Leute gerade zur Mittagspause sich befinden. Aber von ihnen -begleitet, macht er auf der Dorfstraße vor dem Hoftor halt, lehnt sich -an die Mauer und spricht zu den Umstehenden mit einer Ruhe, in der es -höhnisch und boshaft brodelt: »Euer Herr und Gebieter hat mich des -Landes verwiesen. Wie es bei Herrn und Gebietern so Mode ist, wird er -jetzt, wo ich hierbleibe, wohl die Hunde auf mich hetzen.« - -Er kennt das Volk. Er kennt die springenden Funken. In den Jungen flammt -es wild: »dat sall he maken!« Die Alten blicken düster und dumpf, auch -in ihnen schwelt es. - -»Vielleicht zeigt der Herr Baron mir aber,« so fährt der Sprecher fort, -»wie ich Euch besuchen kann, ohne den Grund und Boden, den er sein Eigen -nennt, zu betreten. Oder darf keiner zu Euch kommen, ohne seinen Willen? -Seid Ihr Eingesperrte! Seid Ihr Sträflinge!« - -»Dat wier noch beder!« Hier schreit etwas auf. - -»Sein Grund und Boden. Auf dem stehen wir ja allerdings. Und daran ist -nichts zu ändern. Wenn Ihr nichts daran ändert.« - -Da ist er wieder, der große, berauschende Fernblick. Die Sinne taumeln. -Und das Feld ist wohl bereitet, als der Baron jetzt mit dem Inspektor -hier draußen erscheint. - -»Ich dulde es nicht,« so tritt er dem Führer entgegen, der ihn blaß, -aber in eiskalter Gelassenheit erwartet, »ich dulde es nicht, daß Sie -hier auf meinem Gutsboden mir meine Leute aufputschen! Sie werden sich -auf der Stelle entfernen.« - -»Ich werde es, sobald die Leute sich nicht mehr mit mir zu unterhalten -wünschen. Wir befinden uns hier auf einer öffentlichen Straße --« - -»Über die ich aber die Polizeigewalt habe! Und die ich zu politischen -Hetzereien und zu politischen Ansammlungen nicht mißbrauchen lasse!« - -»Von politischer Versammlung ist mir nichts bekannt.« Und jetzt gab er -der Sache die gehörige Wendung. »Wollt Ihr Leute, daß ich, der ich Euer -Gast bin und Euch meinen Rat erteilen möchte, noch mit Euch -zusammenbleibe --?« -- - -»Ja! Ja! Hierbleiben! Wi sünd noch nich farig!« - -Herr von Borkhus hatte das Spiel verloren. Alles krampfte sich in ihm -zusammen -- er konnte nicht auf die Leute einreden, konnte die alten -Bande nicht schürzen, konnte nicht um ihre Seelen werben -- auch wenn -sein Stolz es nicht verschmäht hätte, die Sprache hätte ihm versagt. - -Aber, daß es um ihre Seelen zu werben galt -- gegen den Fremden, den -Volksverführer -- daß seine Mannen von ihm abfallen wollten -- wie hatte -er auf ihre Treue gepocht vor sich und den andern -- wie hatte er eine -Welt aufgebaut auf dieser Treue -- nun lag diese Welt in Trümmern. - -Der Inspektor aber -- ihm dankte der Herr einen großen Teil der -Abtrünnigkeit seiner Leute -- wollte die Karre nicht im Dreck stehen -lassen. Hier konnte nur ein Lachen helfen. Und er rief grinsend: -»Volksbelustigung! Wanderprediger! Kurpfuscher! Anreißer und Hausierer -gehören auf die Landstraße! Unsere Leute wissen schon, was sie von dem -Schwindel zu halten haben.« - -Er führte mit heldenhafter Miene den Baron, der mühsam sich aufstützte, -nach dem Herrenhaus zurück. Die anderen fühlten den Sieg. Das erhitzte -ihnen das Blut. Knubart aber wußte, daß er das Eisen zu schmieden hatte. -Und er schwang den Hammer. - -Nach einer Viertelstunde hatte er sie soweit. Sie faßten den Beschluß -- -die paar Alten, die Scheuen oder Hartnäckigen wurden verängstigt oder -überrannt -- zwei sollten als Abordnung zu dem Gutsherrn gehen und -verlangen, daß er Knubart als ihren Vertrauensmann empfinge und mit ihm -die Verhandlung führte. Weigerte er sich: Ausstand mit dem -Glockenschlag! - -Und so geschah es. Die Abordnung, zwei von den jüngsten Schreiern, flog -hinaus, am Nachmittag ging niemand mehr zur Arbeit. - -Herr von Borkhus saß allein und grübelte dumpf vor sich hin. Die -wirtschaftlichen Gedanken, mit denen der Inspektor ihn überschüttete, -hatte er von sich getan. Seinem Leben hing er nach. - -Was war ihm noch geblieben? Das Vaterland in Schutt gelegt, und jetzt -sein eigenes Haus, das Reich seines eigenen Schaffens unterhöhlt und im -Verfall. Ein Krüppel war er! Die Arme, die ach so müden und doch immer -noch hoffnungsvollen -- waren sie ihm nicht glatt vom Leibe gehauen! Ein -Stumpf war er, nutzlos -- nur daß das Herz noch in ihm schlug, und in -dem Herz schlug der tödliche Gram. - -Und wenn er nicht so ein Tor gewesen wäre! Ein Narr! Ein Kinderspott! -»Meine Leute! Wie verwachsen sind sie mit mir!« Und nun dieser -hergelaufene Fremde, dieser kaltäugige, kaltschnäuzige Gesell, lehnt -sich an die Hofmauer, und von oben hin zieht er all die Männer an der -Nase zu sich her. Läßt sie tanzen, wie er pfeift. Alle, all die Getreuen -ihres Herrn! - -Nach Horst, dem jungen Freunde, ruft seine Seele. Vor dem hat er am -meisten sich gerühmt. Aber der ist ihm gut gesonnen, vor dem braucht er -sich nicht zu schämen. - -Horst findet Strempel, den schrägäugigen, bei dem Baron. Mit seinem -»komplett« hat er aufs neue der Meinung und dem Willen des Herrn sich -zugeschworen. Eine kleine Genugtuung ist das. Und die Dumpfheit ist -wenigstens im weichen. Horst aber findet, daß in den schiefen Lidern und -all den Falten des verkniffenen Gesichtes etwas lauert. Darf er es -sagen? - -Die Herren sitzen beisammen. »Ja, Horst, ich gehöre nicht mehr in die -Zeit. Abgetan -- spurlos. Mitleidlos. Nun selbst zum Schutt, zu den -Scherben geworfen.« - -Horst kam von der Zyklopenarbeit des Felsenrückens. Seine Muskeln -zitterten. Sie wußten von Männerkraft und Männerglauben. - -»Ein glatter Überfall ist dies. Krieg um des Krieges willen. Die -Verständigung planmäßig hintertrieben. Sie wollen den Bruderkampf. Wir -müssen ihnen das Handwerk legen.« - -Auch hier gelte es, ein Beispiel zu liefern! Und den Arbeiterführern, -die die Welt unter sich zu verteilen anfingen, sollte denn doch um ihre -Gottähnlichkeit bange werden. - -Horst stellte dem Baron seine Siedler als Nothelfer zur Verfügung. Alle -würden sie Hand anlegen, die meisten von ihnen wären mit der -Landwirtschaft vertraut. Die Frühjahrsarbeit sollte weitergehen -- und -lange Gesichter würden ihr zuschauen! - -Und in die großen schweren Augen des Barons kehrte ein Leuchten zurück, -abendlich und weh, aber sie hatten doch wieder lebendigen Schein. Die -alte Kampfnatur reckte sich in die Höhe. Er gab als Herr seine -Anordnungen für den folgenden Tag. - -Horst brachte in seiner Körperschaft die Angelegenheit zur Sprache. -Helle Hilfsbereitschaft leuchtete auf. Nur in Mulitz, dem Maurer, und in -Metzling regten sich genossenschaftliche Widerstände. Aber die -Einmütigkeit verschlang sie. Schon in der Nacht fanden die ersten -Siedler auf dem Hof sich ein, das Vieh zu besorgen. Mit dem Morgengrauen -war die Mannschaft auf den Kartoffeläckern. Die Pflanzmaschinen waren in -Betrieb gesetzt, fröhlich ging die Arbeit von statten. Am Wegrand -zeigten sich verdrossene und drohende Gesichter. Streikende -Landarbeiter, denen ihre Macht aus den Händen geschlagen war. - -Kunz sang ihnen lustige Kartoffellieder vor. Wie Knollen flogen die -knolligen Reime ihnen um die Ohren. Wütend schlichen sie beiseite. - -Dann rotteten sie sich zu Hauf. Den Siedlern, diesen »gottverdammten -Hunden« sollte es ans Leder gehen. Die Hitzigsten wollten auf der Stelle -gegen sie losbrechen. Den Bedächtigen gelang es, den Sturm zu -beschwören. Aber am Abend, in der Dunkelheit, sollte es den -Heimkehrenden eingetränkt werden! Daß sie das Wiederkommen vergäßen! - -Horst hatte die Augen und Ohren überall. Er ahnte nichts Gutes. Wilde -Drohworte flogen ihnen zu. Er mußte auch um die Baracke sorgen. Ein -»giftiges Geschwür« hatte sie einer genannt, tobend mit geiferndem Mund --- ein Geschwür, das »ausgebrannt« werden müßte! - -Die wachsende Wut verhieß auch dem Hof übles für die Nacht. Da bestimmte -Horst, daß die Maschinengewehre hervorgeholt würden. Zwei kamen nach dem -Gut, zwei wurden vor der Baracke aufgestellt. Die Arbeiter schäumten. - -Die Siedler waren bewaffnet, als sie abends heimzogen. In der Dämmerung, -aus dem Knickbusch wurden sie beschossen. Kunz, der den Zug führte, ließ -sofort das Feuer erwidern, dann den Busch stürmen. Die Meuchler hatten -sich in dem Dunkel zerstreut. Von ein paar Streifschüssen war Blut -geflossen. Das Blut gab jetzt dem Groll die Überhand und der -Kampfbegier. - - - - - Feurio - - -Gisbert war mit einem Schutztrupp auf dem Hofe zurückgeblieben. -Verdächtige Gestalten schlichen um die Mauer. Dankwart fand sich ein und -richtete vor dem Maschinengebäude aus altem Material einen Scheinwerfer -her. Es war Krieg. - -Ruhig verliefen die Nachtstunden. Die Mannschaft wurde schläfrig, da es -auf den Morgen zuging. Der Himmel sternenlos, dunstig die Luft und -schwül, unheimlich warm für die Jahreszeit. Kein Hauch regte sich. - -Da zuckt etwas durch die Nacht. Ein leichter Windstoß. Tastend, wie -fragend. Und wieder ein leiser Ruck. Und dann ein kurzes Schnauben. Und -wieder Stille. Und dann holt der Wind tief Atem, und nun pustet er vor -sich hin. Erst noch gemächlich, wie zum Spaß und wie für sich selber. -Dann aber bläst er mit voller Lunge, daß auch die andern was haben. - -Noch ist es dunkel, noch wird er des Dunstes und der Wolken nicht Herr. -Aber der Widerstand reizt ihn und jetzt faucht er zornig sie an. Ein -junger Frühlingssturm braust in die Welt. - -Da -- ein Bersten -- ein Krachen -- als wenn Granaten splittern -- was -ist es, das sein Ungestüm zerbricht? Ist es an den Gebäuden, ist es an -den Bäumen des Parkes? - -Herrgott! Flammen schlagen auf! Da auf dem Strohdach der Scheune! Es -sind wirklich Granaten gewesen. - -»Feuer!« brüllt der Ruf. Alles ist gleich auf den Beinen. Nach dem -Spritzenhaus! - -In fressenden Streifen peitscht der Wind die Glut über das Dach. - -Der Inspektor, halb angezogen, ist zur Stelle. Herr von Borkhus -erscheint am Fenster -- hinkt eiligst zum Hof hinunter -- der Diener, im -Hemd, folgt mit den Kleidern -- notdürftig zieht der Herr sich an. - -Der Diener hat das Feuerhorn von der Wand im Flur gerissen. Nun bläst er -von der Schwelle in die Nacht -- immer im weißen wehenden Hemd -- wie -einer der Cherubim anzusehen. - -In der Baracke hören sie den Ruf, der Torfmeister hört ihn, durch die -Dorfstraße wälzt sich der Schall. - -Helfer kommen. Die Spritze ist am Werk. Der Inspektor befiehlt. - -In wilder Arbeit -- all die rotbegluteten Gestalten -- die feurigen -Gesichter verzerrt in fiebernder Mühsal -- das Scheunendach eine -prasselnde Flamme -- ganze Bündel Feuer reißt der Wind ihm aus -- und -streut sie auf die Ställe -- die gilt es zu retten, auf ihre Dächer den -Wasserstrahl! Pumpen! Pumpen! - -Und das Vieh in Sicherheit bringen! - -Wenn nur der Sturm nicht so mit Flugfeuer wütete. - -Ungebärdig die Tiere. Die Pferde keilen und steigen. Angeschirrt sind -sie, daß man sie halten kann. Wie die Wahnsinnigen toben sie in der -Sturmflut des Lichtes und der Lohe, reißen an den Zügeln, wollen zurück -in den Stall. Wie soll man sie bändigen? - -Und der Sturm peitscht weiter die Feuer in fliegenden Fetzen -- - -Pumpen! Sie pumpen sich die Seele aus dem Leib. - -Der Pferdestall ist der Scheune am nächsten. Schon siedeln sich -Feuerkreise an auf seinem Dach. Wie lange noch wird der Strahl sie -austilgen können? Das Wasser verdunstet im Gluthauch. - -Und gewaltiger wird der Höllenschlund der brennenden Scheuer. -Feuerwolken wallen aus ihr empor. Durch die glühenden leckenden Sparren. -Das Getreide ist in Brand geraten und ballt und wirbelt seine Lohe nach -oben. Wie soll man den Pferdestall schützen gegen diesen Orkan von -fegenden Gluten? - -Männer sind aufs Dach gestiegen -- der heilige Josef sitzt zu oberst. -Ein Junge ist der Handlanger. Gewandt wie ein Kletteraffe. Eimer werden -gereicht. Sie gießen und gießen. Gießen sich selbst Wasser über den -Kopf, über den Leib. Unerträglich ist die Hitze. - -Sie müssen hinunter. Der Junge will nicht. Herunterzerren müssen sie -ihn. Nun taumeln sie auf den Boden, ausgemergelt, welk, kraftlos, -verdorrt. Auch der Stall ist verloren. - -Die hellen Flammen sitzen auf dem Dach und die Männer pumpen, pumpen. - -Ist hier nicht alles Tun umsonst? Gegen Sturm und Feuer im Bunde? Der -Pferdestall -- er wird das Feuer in den Schafstall weitergeben -- von -dem brausen die Flammen zum Kuhstall hinüber -- und diesem einen großen -Meer von fressenden Gluten -- wird das Herrenhaus ihm widerstehen? Die -Vernichtung bricht herein über Moorhof. - -Herr von Borkhus steht selbst an der Pumpe -- auch der Torfmeister ist -da -- auch der lahme Pastor Waermann. Man fragt nicht nacheinander, man -sieht sich kaum. Man arbeitet nur -- man pumpt und pumpt -- - -Keiner auch spricht ein Wort, mit den keuchenden, ausgedörrten Lippen. -Nur kurze, trockene Kommandos des Inspektors schallen, der als -Brandmeister waltet. - -Jetzt -- ein krachendes Getöse -- das Dach der Scheune bricht zusammen --- einen Höllentanz vollführen die aufgestöberten, befreiten Gluten in -der tosenden Luft -- - -Zerstörung -- unaufhaltsame -- zu schwach sind sie, zu wenig -- kommt -keine Hilfe -- von den andern Gütern -- von der Stadt? - -Mehr Spritzen werden gebraucht. Weithin sichtbar das Feuer! Viele Meilen -in der Runde! Aber auf den Gütern -- auch da wird gestreikt -- sind da -die Mannschaften zur Stelle? Wagen es die Herren, ihre Feuerspritzen -fortzuschicken? Droht nicht auch ihnen der rote Hahn? Der Farbenbruder, -der Parteigänger und Verbündete der roten Gesellen? - -Hufschläge auf dem Pflaster des Hofes -- ist das die fremde Hilfe? Nein --- Pferde, die sich losgerissen haben -- sie stürmen, voran ein -mächtiger Fuchs, hinein in den brennenden Stall. - -O Grauen! Die unglückseligen Geschöpfe! Es wogt durch die Männerreihen! -Vielleicht ist es noch nicht zu spät -- - -Zwei Männer stürzen den Tieren nach. Nasse, wollene Halstücher um den -Kopf geschlungen. Man kennt sie nicht gleich. Alle starren sie, von -Grauen festgebannt. - -Jetzt heißt es: Gisbert und der heilige Josef -- - -Auch zwei Menschen in dem brennenden Gebäude! Sie pumpen fieberhaft -- -die Augen quellen ihnen aus den Höhlen -- die Gesichter sind -rauchgeschwärzt -- wie büßende Dämonen sehen sie aus, wie verdammte -Seelen -- - -Und starren alle auf die Tür des brennenden Stalles. Da -- ein Paar -Tiere werden hinausgejagt -- ein Paar hinausgeführt von den beiden -Männern, die sich nicht auf den Füßen halten -- sie brechen zusammen -- -die Tiere haben sich losgerissen -- sie stürmen im Kreise und dann mit -gesträubten Mähnen und selbst feuerschnaubend hinweg über die beiden -hingesunkenen Männer wieder hinein in die Tür, die schon anfängt, Feuer -zu speien -- wiehernd hinein in den Flammentod. - -Jetzt sind Helfer bei den liegenden, überrannten, zertretenen Gefährten. -Gust Elbenfried steht mühsam auf -- aber Gisbert -- was ist mit Gisbert? -Aus tiefer Kopfwunde blutet er und ist besinnungslos. - -Horst hält seinen Kopf. »Gisbert -- Du Freund aller Kreatur -- Du -lieber, armer Junge -- und immer unser Sorgenkind --« -- - -Sie tragen ihn ins Haus. Ein Sanitäter verbindet ihn. Die Wunde ist -böse. - -Ein Arzt muß her zu meinem Jungen! Mag hier der Plunder verbrennen! Die -Häuser -- das Vieh! Um Gisbert geht es! - -Horst holt sich ein Pferd und jagt in die Stadt. An den Goldbergen -galoppiert er vorüber. Zuschauer stehen auf den Höhen. Feindlich -gesinnt, da sie nicht helfen. Voll böser Gedanken, mit Verwünschungen. - -Dort auf dem einsamen Hünengrab, dem Hügel abseits, eine einzige -Frauengestalt -- dunkel -- fahl beleuchtet von der fernen Feuersbrunst. -Kauernd, vornübergebeugt, mit all ihren Sinnen, all ihrem Willen -schürend in dem Feuerwerk der Vernichtung. Wie der böse Geist des -nächtigen Unheils. - -Vorüber! Was ist ihm das Weib! Nicht sich mit Gedanken beladen! Leicht -und schnell in die Stadt -- und mit Hilfe zurück zum Jungen. Nur der -- -nur der! - -Der Gaul ist verstört von der Feuersbrunst -- so unruhig -- nur ein -mächtiges Nervenbündel -- und er selbst -- auch ihm zucken alle Fasern --- sich zusammenhalten -- sich und das Tier -- -- - - * * * * * - -Und jetzt auf dem Hof -- da Gisberts Blut strömte und die Pferde sich -hinopferten -- als wäre das Schicksal versöhnt -- ein Wunder geschieht --- die Flammen brausen nicht mehr vorwärts -- sie steigen himmelan -- -sie wenden sich -- der Wind hat sich gedreht -- ein großes, tiefes, -freies Atmen geht durch all die stickenden Männerlungen -- beschworen -das Unglück -- gerettet -- gerettet -- - -Nun donnern Wagen den Hof herauf. Die Feuerwehr aus der Stadt -- - -Sie ist willkommen. Ablösung ist not. Und der Brand ist noch längst -nicht erloschen. - -Auf der Diele des Herrenhauses ist ein Büfett hergerichtet. Hier werden -jetzt Stärkungen ausgeschenkt. Strempel ist der Marketender und besser -hier am Platz als da draußen. - -Jetzt, wo die Gefahr bewältigt ist, kann der Baron als Wirt die Ehren -machen. Noch fiebernd von dem Kampf, geschwärzt wie all die -Kampfgenossen, gehoben durch die Gemeinschaft über alle Gedankennot. Er -kippt mit dem Torfmeister einen kräftigen Korn. Und fast fröhlich bebt -ihm der Sinn, als der Alte von selbst erzählt: junge Arbeiter aus der -städtischen Eisengießerei wären hier mit Handgranaten im Gelände -herumgeschlichen -- das wären die Brandstifter, nun und nimmermehr -Moorhofer Leute! - -Da drückte er die Flosse des Alten: »Ich wußt es. Und daß Du, Alter, bei -mir bliebst! Und Strempel auch! Mit der Treue ist es wie mit dem -Verstand -- sie ist immer nur bei wenigen gewesen.« Beruhigt blickte er. - -Männer kamen und gingen, alle schwarz wie die Teufel. »Ein Negerdorf -sind wir«, sagte Borkhus, und hatte Lust zu lachen. - -Eben brachte Kunz einen Negerjungen herein -- der da oben auf dem -Dachfirst des Pferdestalles für drei herumhantiert hatte -- und war doch -ein Mädchen, Vita, das Pfarrertöchterlein im Turnanzug. Ihr Vater -stelzte hinterher. Da gab es ein Erkennen und Lobsprüche, ungemessen, -auf die Heldenjungfrau. - -Ihr aber ging das nicht ein. »Ist das Heldentum, was einem Spaß macht? -Heldentum ist, wenn ich Kaffee kochen muß.« - -Kunz sprang zu Gisbert hinauf. Er brachte den traurigen Bescheid, daß -die Besinnung immer noch nicht wiedergekehrt sei. Er werde sich mit -Horst, der jetzt bei ihm sitze, in der Wache bei dem Freunde teilen. Und -die Schatten der Todesnähe legten sich mit dunkler Ruhe über die -aufgestörten noch immer nicht gesammelten Gemüter. - - - - - Heil dir, du deutsche Jugend! - - -Horst saß an Gisberts Lager und umfaßte seine Hand. Mit aller Inbrunst, -die das Leben des zu Tode Getroffenen halten wollte. Der Schädel war -angeschlagen und zersplittert, eine schwere Gehirnerschütterung hatte -ihn in Nacht geworfen. Der Arzt gab leise Hoffnung. - -Wächsern von dem Blutverlust war das feine Gesicht. Starr gestreckt, -leblos lagen die edlen schlanken Hände. Frauenhände. Und hatten all die -Zeit so schwer und treu gearbeitet an männlichem Werk. - -Du darfst mir nicht sterben, Junge, Du lieber -- so grub und dachte -Horst ohn Unterlaß. Sein Wille wühlte und flehte und zwang. - -Draußen leuchtende Frühlingsmorgenlust. Durch den geöffneten -Fensterspalt drangen die Lieder aus schmetternden Finkenkehlen. - -Vom Hof her gedämpfte Menschenstimmen. Den Rauch und Ruch von der -Brandstätte verwehte der Wind nach anderer Richtung. Das da draußen, der -Ausstand, der Aufruhr -- wie fern lag das alles dem pflegenden Freund. - -Bin ich ein Führer? Die Sache will mich -- die Mannschaft wartet meiner. -Versunken die Sache, die Pflicht, der Beruf. Hier muß ich führen -- die -gelöste Seele wieder ins Leben führen, das ist mein Amt. - -In meiner Hand, die Dich hält, ist mein Wille -- und mein Wille hat -seine Kraft -- Leben ist mein Wille -- in Deine entseelten Finger ström -ich es ein -- - -Die Finken schmettern ohn Unterlaß in den aufleuchtenden Morgen -- stark -ist das Leben und froh -- - -Zuversicht -- des Glaubens Frohheit ist des Willens Odem und Herzschlag --- ich will, daß Du lebst -- ich glaube, daß Du uns lebst -- Gisbert, Du -geliebter Junge! - -Und sieh -- ist da jetzt nicht ein leises Schwingen -- ganz leise unter -der kalten Haut Deiner Finger -- nur meiner hütenden, Dir ganz ergebenen -Hand vernehmbar -- aber es ist -- es ist! - -Und da -- Hufschläge vor dem Haus -- ein leichter Wagen fährt auf die -Rampe -- wenn es das ist, wenn eine Nähe mir hilft, Dich zu beleben -- -eine Nähe, die Du ahnst, die Du fühlst -- die Dich zurückruft, -zurückschmeichelt in das Diesseits -- - -Ja, eine neue Kraft ist erschienen -- ist ins Haus gekommen -- eine neue -Hilfe, eine bessere, stärkere -- - -Steigt nicht ein leichtes Rot in Dein Gesicht? Beben nicht Deine Lippen? -Zuckt es nicht in den gesenkten Lidern? - -Jetzt -- die Tür tut sich auf -- Frau Tilde tritt ein -- jetzt weiß ich -es, Du wirst gehalten, Du wirst gewahrt, Du wirst gerettet! In ihre Hand -leg ich Deine Finger. Ihrer Sorge, ihrem Willen, ihrem Glauben -überantworte ich Dich. Jetzt habe ich die Gewißheit, daß Du lebst! - -Tilde ist allein mit Gisbert. Schon hat der Schlaf ihn in die Arme -genommen, an das Leben ihn wieder auszuliefern. Der Atem fängt an, ruhig -zu gehen. Der Puls setzt nicht mehr so bedrohlich aus. - -Augen wachen über ihm, in die seines eigenen Daseins Licht sich -eingesenkt hat. Seines Schicksals Sternenglanz bestrahlt ihn. Jetzt hebt -und trägt es ihn diesem Schein entgegen. - -Seine Lider zittern. Ein dünner Spalt -- scheu, angstvoll, ungläubig -noch lugt der Blick hindurch in die entrückte, unfaßbare Wirklichkeit. - -Aber jetzt träufelt und tropft es hinein von dem seligen Glanz -- ein -glückhaftes Erschrecken -- groß im Offenbarungsschauer tut das Auge sich -auf -- und jauchzt in den Schein -- und schließt sich dann wieder, müde -von des Glückes Unendlichkeit. - -So gaben Frau Tildes Augen dem todwunden Gisbert das Leben wieder. - -Jetzt nach diesem Rettungswerk braucht auch der Vater ihre Hilfe. Von -all den Erregungen und der krampfhaften Anspannung der Kräfte ist er -doch zusammengeklappt. Tapfer gibt er sich. Aber die Tochter sieht -tiefer. - -Sie will ein paar Tage hierbleiben. In Mönkhov sei es nicht so schlimm. -Nur ein Teil der Leute habe die Arbeit niedergelegt. - -»Und bei mir alle im Ausstand. Und im Aufstand.« Wie viel Schmerz birgt -sich unter dem Lächeln. - -»Ihr seid hier bei der Stadt. Und Du bist der große Politiker. Du bist -ein Programm. Du, unser Eckpfeiler, wirst am heftigsten berannt.« - -Das gefällt dem alten Kämpen nun wieder. Und er schmunzelt auf: »Gut -denn! Ehre, wem Ehre gebührt.« - -Er hielt sich aufrecht, solange Tilde im Hause war. Die wie ein guter -Geist hier wirkte. Nur, daß auch sie mit den Leuten keine Fühlung -gewann. Als ob die sich schämten vor ihr, zogen sie sich trotzig und -verbissen noch mehr zurück. - -Weiter halfen die Siedler. Und sie huldigten begeistert ihrer lieben -Frau. - -Dann wurde ein Teil von ihnen auf einem Nachbargut begehrt. Auch hier -drohten Gewalttätigkeiten. So ging ein Maschinengewehr dorthin ab. - -Für die Feldarbeit aber fand junge Hilfe aus der Stadt sich ein. Doktor -Georg Stump erschien mit seinen Gymnasiasten, seinen Turnern auf dem -Plan. Mit dem Lied der Jugend an die deutsche Erde kamen sie angerückt. - - Wir sind die Jungen! In unserm Sinnen - Du bist der Ausgang, Du das Beginnen! - Nicht einen Bissen von deutschem Korn, - nicht einen Tropfen aus deutschem Born, - Deutschland, daß wir nicht dächten Dein! - Frei sollst Du sein! - -Horst ging das Herz auf. Er liebte die Jugend. Und diese nun, unsere -Jugend! Was gräbt sich an Nachdenklichkeit, an Bitternis, an heiligem -Zorn um den Frohmut der hellen Augen. - - Wir sind die Jungen, in Not gestählt, - In Schmerzen geworden, in Schmerzen erwählt! - -Doktor Stump tritt wie zur Meldung vor Horst. Nur zwei seiner Zöglinge -haben sich ausgeschlossen -- der eine aus ehrlicher, verzehrender -Überzeugung, der andere aus ebenso ehrlicher, verfressener -Überzeugungslosigkeit. Der Herr Direktor, Freund der Gesten und Feind -dem Festen, einer von den hochbeinigen Leisetretern habe gewarnt und -abgewinkt. Aber es seien Ferien, und eigene Entschlüsse gelten. - -Horst teilt die Jungmannschaft in Trupps und weist diese den einzelnen -Gütern zu, die am nötigsten Arbeitskräfte brauchen. An die Spitze der -kleinen Schar, die für Moorhof bleibt, setzt er sich selbst. - -Er nimmt sie gehörig heran. Sie müssen Dung fahren und streuen. Er -selbst ihr Vorarbeiter -- die Knochen werden nicht geschont. - -Sie bleiben die Nacht auf dem Hof. Ein Heuboden ihre Ruhestatt. Sie -sehen das Bild der Zerstörung. Die jungen Seelen fühlen, wer im Grunde -die Schuld trägt. Woher die Verzweiflung stammt, die hier gewütet, die -den Bruderkrieg entfesselt hat. Fluch den Zerstörern deutschen Lebens! -Dem altbösen Feind! - -Zum Feierabend führt Horst sie auf die Goldberge. Erzählt ihnen, was der -Alte ihm verraten. All die jungen Augen und Ohren lauschen. Und lauschen -jetzt, ob es in dem Berge klingt. Ja, ja ihnen allen tönt es aus dem -Grunde! - -Sie alle, alle sind berufen! Jubelnd umschlingen sie sich. Blutbrüder -sind sie. Und singen Schwertlieder. - - »Stahl, von Männerfaust gezwungen, - rettet einzig dies Geschlecht!« - -Ein Überschwang von Kraft, von Stolz, von Freude steigt himmelan. Mit -keuchender Brust, die Augen voll Tränen, verwünscht einer die -»Dämonenbrut«. - - »So lang sie in Germanien trotzt, - ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!« - -Und ein anderer, verzückt in die Weihe seines Schwures -- wir wollen -nicht, können nicht als Knechte leben! Und können wir nicht siegen, wir -wollen ihnen zeigen, wie man stirbt! - - »Nicht der Sieg ist's, den der Deutsche fodert, - hilflos, wie er schon am Abgrund steht. - Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert, - Wert der Leiche, die zu Grabe geht!« - -Heiliger junger Überschwang! Auch Horst werden die Augen feucht. Heil -Dir, Du deutsche Jugend -- so jauchzt und schluchzt es in ihm -- heil -dir, du deutsche Zukunft! - -Eine Freundschaft ist geschlossen zwischen den Jungen und Horst, dem -Mann. Gehärtet im Feuer der flammenden Herzen. - -Horst bespricht sich mit Dr. Stump. Die Jungen sollten wiederkommen. -Auch wenn der Ausstand vorüber wäre. Wöchentlich einmal zu einer Art -Felddienstübung. Und Kriegsgeschichte wollte er sie lehren im Freien. -Sie selbst sollten die Schlachten der Vergangenheit sich darstellen. Und -sollten sich damit entwickeln für die mächtigen Aufgaben der Zukunft. -Horst, der Doktor, die Jungen -- sie alle waren Feuer und Flamme. - -Hier habe ich nun ein neues Feld! Horst atmete tief. Und wenn die alte -Pflicht mir zu schaffen macht, diese neue wird mir helfen, beide zu -tragen. Münden sie nicht beide in mein großes Lebenswerk? Die allgemeine -Arbeitsdienstpflicht mit vorzubereiten! Und aus ihr eine Stamm- und -Lehrtruppe herauszuschulen, als Mittelpunkt der Miliz, die Deutschland -haben muß, wenn es leben soll! - -Gegen eigene Ermüdung, gegen Verzagtheit, gegen Fahnenflucht -- diese -junge Mannschaft als eine Art Schutztruppe ziehe ich mir heran. - -Eine Schutztruppe auch gegen die schweifenden Gedanken. Die als -Forschungstrieb, als Mitgefühl, als Seelenanalyse hinaussegeln -- und -doch das Weib um seiner Selbst willen suchen. - -Hier oben, hier auf den Goldbergen hat er sie zuletzt gesehen. Gestern -in der Brandnacht. Im Schein der Gluten, die ihr Wille, ihr Rachetrieb -geschürt. Die Feindin! Die im Vernichtungskampf steht gegen seine -Freunde, gegen ihn! Eine Priesterin jener Glaubenslehre, die Deutschland -verdirbt, wie sie jede Volksgemeinschaft zerrütten muß. - -Zu Euch, Ihr jungen Freunde! Euch und mir und uns gehören diese -Goldberge. Wie ein Spuk, ein Nachtgespenst schwebte sie über diesen -Boden, als ich hier vorbeijagte. In dieser grauenhaften Nacht. Vorüber, -vorüber --! -- - - - - - Über Gräber vorwärts - - -Frau Tilde war bei Gisbert. Er hatte schon das Bett verlassen und saß im -Stuhl, so schnell ging es mit ihm nach oben. Dankbar war Gisbert. -Dankbar trank er das Leben in sich auf. Und leuchtend sprach er: »Wie -sagt der große chinesische Weise? Was ist der Inbegriff aller Erkenntnis -und ihrer Freude? Ich atme bewußt. Und wem danke ich es?« Zu ihr hob -sich seine Hand. - -Nichts Heimliches, nichts gesucht Vertrauliches -- die ganze große -mutige Selbstverständlichkeit sprach. Sie waren beieinander, als hätten -sie sich von je gekannt. - -Tilde sah ihn an, mit der weiten wehen Klarheit ihrer Augen. »Von Vater -hörte ich eben das Gegenteil. Das »but intoxication«. Wie ist er anders -geworden! Man ist hellsehend bei denen, die man liebt. Und ich sehe -- -das Schlimmste.« - -»Ich fand ihn erfrischt -- durch den Kampf.« - -»Das ist der Rausch, von dem er selber spricht. Wie lange kann ein -Rausch dauern? Ich fürchte mich vor dem Erwachen.« - -Schwerer wurden ihre Augen. »Ich bin immer -- schon als Kind -- diesem -leidenschaftlichen Hang zur Einsamkeit nachgegangen. Das Leben straft -uns an unseren Leidenschaften. Nun werde ich bald niemanden mehr haben.« - -Gisbert bewegte sich zur ihr hin, Ergebenheit bis in den Tod reichten -seine Blicke ihr dar. - -»Und ich hab noch keinem Glück gebracht --« fast warnend sprach sie es -aus -- »keinem, der mir etwas war -- der mich befreite von meiner Sucht, -mich in mich selbst zu begraben. Als ob alle es hätten büßen müssen.« - -»Gnädige Frau --« - -»Ich weiß, das ist wie eine lächerliche Eigenwichtigkeit. Aber, warum -mußte alle, aber auch alle, die mir nahe standen, diese Zeit -verschlingen oder zerbrechen?« - -»Sind wir nicht alle zerbrochen?« - -»Doch nicht so, bis ins Lebensmark. Die mir geblieben sind -- mein -Vater, mein Mann -- bloße Schatten. Und alles andere ist mir gestorben. -Meine Freundin, die einzige, die ich hatte -- der Gram um ihren -gefallenen Mann hat sie ihm nachgezogen. Meine besten Freunde waren -meine Brüder -- sie sind nicht wiedergekommen. So sieht es um mich aus.« - -Du sollst nicht klagen, Du sollst nicht traurig sein -- machtvoll -sehnsüchtig klang es in Gisbert auf. Und ein Glück trug ihn empor. Daß -Du so zu mir sprichst! Dich so mir offenbarst! Ich bin Dir etwas -- Du -fühlst, wie alles, was ich bin, Deinem Wesen zuströmt! Dir dienen will -ich, mit allem, was ich bin! Dir geben, alles, was ich habe! Dir, Dir, -Du Schmerzensreiche, Du Gebenedeite! - -Sie spürte die schwärmende Glut. Sie selbst mußte ihr wehren. Ihre -Sehnen strafften sich. »Gut, daß die Arbeit auf einem liegt. Unser alter -Inspektor ist der Sache nicht mehr gewachsen. Und Achim --« ein weher -Zug grub sich ein -- »bereitet sich auf ein großes Match vor. Dennoch -hätte ich Vater gern was von seiner Bedrängnis abgenommen. Wir sind -glimpflich davon gekommen. Obwohl wir uns das Schlimmste vermuteten. -Oder deshalb? Wie ist Vater, der gutgläubige, für seine Einbildungen -gestraft.« - -Herr von Borkhus kam jetzt, sich selbst nach Gisbert umzusehen. Er war -aufrecht, in fester Haltung, berichtete von dem Ausstand, daß die -Nothilfe der Gymnasiasten die Wut frisch aufgepeitscht habe, und als -Neuestes -- ein ehernes Lachen klang in seinen Worten -- daß Strempel -sich weigere anzuspannen und den Herrn zu fahren. - -»Strempel!« Wie geisterhaft tönte es zurück aus Frau Tildes Mund. Ihre -Augen forschten erschreckt in des Vaters Zügen. Die blieben hart. - -»Ja, Kind. Oh, wir brauchen noch viel Belehrung.« Geradezu ausgelassen: -»Sag Mädel, bin ich nicht einfach gereist auf den Mann? Schaubudenhaft? -Habe ich mich nicht mit ihm dem Publikum gezeigt? Hier seht Ihr es, -meine Herrschaften! Es gibt ein Glück des Gehorchendürfens! Sofern der, -der befiehlt, auch selber am rechten Ort zu gehorchen weiß. Es kann ein -freies und stolzes Wort sein: >ich dien<! Ja, Kind, nun ist die -Schaubude umgeweht. Komplett.« Und er lachte ehrlich. - -»Vater --« - -»Und jetzt -- Herrgott, ganz jung wird man wieder! Was war für mich als -kleinen Bengel die größte Lust? Selber anspannen! So tue ich's also -jetzt wieder und fühl mich als Junge. Ich muß heute noch nach Trent. -Besprechung der Besitzer. Der Korpsgeist hat nun den Stoß, den er -braucht.« - -»Ich fahre Dich, Vater.« - -»Kannst mitkommen. Du gehörst ja auch dahin. Oder ist Achim da?« - -»Nein. Achim -- übt.« - -»Nun, dann komm. Auf Wiedersehen, Herr Hegendorf! Und weiter steife -Ohren.« -- - -Der Ausstand war zusammengebrochen. Die Führer wüteten. Die -Industriearbeiter in der Stadt höhnten. Es fehlte diesen »Landlümmeln« -doch an Schwungkraft und Kampfdisziplin. - -Doch aller Haß und Zorn brandete gegen die Siedler. Diese Klopffechter -des Rückschritts, die der dunklen Sache den Sieg verschafft hatten. Aber -wir werden es Euch eintränken! Wenn wir die Führer nur fassen! Und wir -fassen sie. Und dann an die Chausseebäume mit ihnen! - -Die Moorhofer Leute fanden sich wieder zur Arbeit ein. Mit einem Lächeln -sah Herr von Borkhus dem allen zu. Aber seine mächtigen Augen froren -darüber hin, wie über ein Schauspiel, das ihm innerlich nichts zu geben -hatte. Und das Lächeln, wie vereist, schwand kaum mehr aus seinem -Gesicht. - -Nicht als Strempel sich wieder zum Dienst meldete, hündisch, verbogen -und verkniffen. Sie wären alle »komplett verrückt« gewesen. - -Steinern machte Herr von Borkhus noch einmal die Runde über seinen -verwüsteten Hof. Wie er dann abends bei Tisch saß, der Horst, Kunz und -die neuen Helfer von der Siedlermannschaft als Gäste sah, war er der -liebenswürdigste Wirt, dankte »seinen Freunden«, sprach aber sonst kein -Wort von dem, was seinem Moorhof geschehen war. So daß auch die andern -davon schwiegen. - -Statt des, mit einer eigenen eisenkalten, eisenharten Ruhe, wie der Wut -zum Trotz, die all die Zeit in ihm gebrannt und gefressen hatte, führt -er selbst die Rede zu dem, was die deutschen Herzen zermalmt. Blickt er -selbst mit großen, freien, klaren Augen, in denen der unzähmbar wilde -Grimm sonst wühlte, dem Erbfeind ins Gesicht. Eine schmerzlich stille -Überlegenheit ist in seinen Worten. Ein fast verklärter Trieb, der -Wahrhaftigkeit ein letztes Opfer zu bringen. - -»Man wird gestraft an dem, wofür man seine Schwäche hat. Was sind wir -dem Franzmann immer nachgelaufen! Wer von uns, der nicht -- oft unter -eigenem Widerstreben -- eine Art Zärtlichkeit für Frankreich gehabt -hat!« - -»Ich!« rief Kunz frei und hell. »Stets habe ich wie unser Blücher -gefühlt: >dies Volk ist mir zuwider<.« - -Borkhus hielt, Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit, fest an seinem Gedanken. -»Und doch frage ich: auf wen haben die geistigen Reize Frankreichs nicht -gewirkt? Nicht nur die Stilkraft seiner Mode -- die ganze heitere -Beweglichkeit seines impulsiven Wesens, das in allen Widersprüchen -schillert!« - -Horst stand ihm bei. »Weiß Gott, langweilig war das Volk nie. Dem alles -ins Schrankenlose, ins Absolute sich überspannt. Absolut in seiner -Mathematik, seinem Rationalismus, absolut in seiner Mystik. Das Land des -absoluten Cäsarentums und der absoluten Freiheit. Im Absolutismus -knieend, wie mit Bewußtsein, um sich im Individualismus zu befreien. -Immer taumelnd von Aktion zur Reaktion, aber immer aktiv und immer -radikal. Immer das Umschlagen von der Hingabe zur Auflehnung, von der -Pietät zum Umsturz. Stets im Gegensatz zu sich selber.« - -»Und dabei immer auf Wirkung bedacht, und immer der Wirkung sicher«, -ergänzte ihn Borkhus wieder. »Der glänzendste Regisseur seiner selbst. -Denn Theater -- Theater ist ihm nun einmal die Welt, die Geschichte. -Gewiß, das ist kokett, gefallsüchtig --« - -»Weibisch«! schmetterte Kunz darein. - -»Ohne Frage«, vermittelte Horst. »So wahr die Frau stets im Mittelpunkt -der französischen Kultur, auch der französischen Politik und Geschichte -gestanden hat. Aber auch hier eine Spannweite, wie sie monumentaler -nicht gedacht werden kann -- von einer Jeanne d'Arc über die Heloise zur -Maintenon! Auch hier die klassischen Extreme. Auch hier die Größe der -Antithese. Und in der Bewegung, die sie überwindet, der leichte, -unbekümmerte, heitere, spielende Flug.« - -Für Kunz war das Maß zum Überlaufen voll. »So sind wir also einmal -wieder objektiv. Und die deutsche Gerechtigkeit darf sich in die Brust -werfen. Gut. Über das Frankreich von einst mag man so denken. Wer aber -heute bei uns von der >Schwäche für dieses Volk< nicht geheilt ist« -- -er sprach mit ungehemmter Leidenschaft -- »der ist vermorscht und -verfault durch die Knochen hindurch bis ins Mark.« - -Sie ließen gern sein ehrliches Ungestüm gewähren. Der Baron fragte dann: -»Sie haben in der französischen Gefangenschaft ihre besonderen -Erfahrungen machen können?« - -»Das habe ich. Und ich freue mich, daß ich der grande nation so habe an -den Puls fühlen können. Ehre und wiederum Ehre der deutschen Sprache, -daß sie kein Wort hat für das, was Franzosen an deutschen Gefangenen -verübt haben! An wehrlosen, kranken, blutenden, hungernden Gefangenen. -Die Franzosen haben ein Wort dafür. Sie nennen sich >ritterlich<, sie -nennen sich >großmütig<. Gegrüßt seist du, französische Ritterlichkeit! -Die Gefangenen, verdurstet, verwundet, lahm, zerlumpt -- mühselig wanken -sie vorwärts durch die Gassen. Das Volk strömt herbei -- Männer, Weiber, -Pfaffen, Kinder -- mit Steinen, mit Schmutz, mit Spaten, mit Knütteln -werden die Hilflosen bearbeitet. Wer am Boden liegt, wird ausgeraubt. -Ein Triumphgeheul der Sieger in so gloriosem Kampf! Sei gegrüßt, -französische Großmut! In Kellern, die unter Wasser stehen, auf -Mistlagern ist das Nachtquartier. In schmierigen Konservenbüchsen wird -stinkige Brühe gereicht, die der Ekel fortschüttet. Und die -Wachmannschaft -- die Soldaten -- Kämpfer, die Kämpfer geleiten -- nicht -wahr, unter der Waffe ist Ehre -- sie wehren dem Graus? O nein, sie -grinsen dazu -- sie grinsen. Sei gegrüßt, französische Ritterlichkeit! -Ihr müßt sie ja kennen, ihr Franzosen, die ihr sie benennt! Aber hoch -preise ich mich, daß auch ich das Brandmal trage, von französischer -Großmut mir eingepreßt. Immer brennt es, immer flammt es in -Feuerschrift! Bei mir, wie bei Tausenden! Niemals, so lange wir atmen, -werden wir aufhören, Zeugnis abzulegen von französischem Geist! Denen, -die nicht sehen wollen, werden wir in den Augen liegen mit unserem -Flammenmal! All denen, die nicht mit dem zufrieden sind, was sie hier zu -Lande jetzt am eigenen Leibe erleben! Und heil uns, heil Deutschland, -daß wir diesen, diesen Nachbarn haben! Was die deutsche Seele nicht aus -sich selbst vermag, er, er wird es vollbringen! An französischer -Ritterlichkeit wird die deutsche Seele genesen und sich erheben!« - -Borkhus -- wo war die Verklärung geblieben, die objektive Erhabenheit? --- er reichte Kunz mit brennenden Augen stumm über den Tisch seinen -machtvollen Händedruck. - -Und weiterhin ließ Kunz seine Munterkeit aufmarschieren. - -»Natürlich fehlte es uns nicht an Komödien. In diesem Lande der -Komödianten. Wir kamen als Gefangene nach Südfrankreich, in ein altes -Kastell. Sein Kommandant ein uriger Knochen, giraffenlang, mit ewig -wiederkauenden Kinnladen -- seine Untergebenen nannten ihn denn auch ->camé léopard< -- die blaue Nasenspitze wühlte in dem verbasten grauen -Schnauzbart, nie machten die tranigen Augen die Läden auf -- und immer -in Sprit! Ein doller Don Quichotte. Und kam sich als der Kriegsgott vor. -Hatte denn auch als wahrhaft solcher seine Geistesgegenwart in allen -Schlachten durch Abwesenheit des Körpers dokumentiert. Nun waren außer -mir noch ein paar schwere Jungen da -- Hatz von der Brah, der bekannte -Rennreiter, der Munterste. Und in einer Nacht heckten wir wieder einmal -was aus. Eine klobige Metallsache -- als Zauber im Morgennebel gedacht, -dem Alten zu Ehren. Alle eisernen Öfen wurden mobil gemacht, samt allen -Ofenrohren. Kanonen wurden aufgebaut in dem Hof. Unter den Schlafdecken -machten Kameraden die Gäule, die wir bestiegen, unsere blechernen -Waschschüsseln als Stahlhelme auf den Häuptern, die eisernen Ofenhaken -als Schwerter zu Händen. Die wachthabenden poilus hielten sich den Bauch -ob dem hahnebüchenen Ulk, sie gönnten ihrem Leopardenkamel unseren -Streich. Und jetzt, wie wir uns aufgestellt haben, da brüllen wir los -»Deutschland, Deutschland über alles!« Da oben, der Alte ans Fenster, -visionär klappen die blöden Glotzaugen auf -- Entsetzen -- er schreit: -aux armes! aux armes! -- fährt in die Kleider, verliert das Herz in die -Hosen und die Hosen mit dem Herzen. Erst als seine Soldateska sich -ausgekugelt hat und wir wieder unschädlich gemacht sind, traut er sich -in unser Verließ. Wie es sich gehört, kommen die Übeltäter ins Prison, -wir Rädelsführer in schweres. Und das ist unser Glück -- Hatz und ich -brechen aus. Wie wir uns dann zur Front zurückgefunden haben -- durch -Mittelfrankreich hindurch, das ist ein Kapitel für sich. Und das -Verdienst von Hatz. So was wie den hat die Welt nicht mehr gesehen. Der -häßlichste Kerl, und hatte doch alle Weiber am Bändel. Fröhlich wie ein -Buchfink, sittenlos wie ein Sperling -- und ein Sprachgenie. Sobald er -ein Mädel geküßt hatte, redete er ihre Mundart. Sein Patois war unser -Schutzengel. Nun, von dem allen erzähle ich ein nächstes Mal.« - -Es gab noch Dienstliches anzuordnen. Die Siedler verabschiedeten sich -und brachten ihre Maschinengewehre nach Haus. Horst war der Letzte bei -Herrn von Borkhus. - -Er hatte das Gefühl, als wollte der Baron ihn noch bei sich behalten und -mit ihm sich aussprechen. Die Hand und auch die Augen ließen ihn nicht -gleich los. In denen war wieder diese stille Gehobenheit, diese geklärte -Ferne. Und dann drängte es in ihnen wie ein Bekennenwollen. - -Jetzt aber versank Borkhus ganz in sich hinein und sprach leise zu dem -jungen Freund: »Sie sind müde -- es waren harte Tage. Ich bin es auch -- -sehr müde.« Damit sagten sie sich Lebewohl. - -Gleich nach Mitternacht war es, da wurde Gisbert durch einen Schuß -geweckt. Im Hause war er gefallen. Träumte etwas nach in seinem Ohr? - -Ein stilles Lauschen in allen Räumen -- dann lebt es auf, da und dort -- -Türen gehen -- über die Dielen huscht es -- jetzt ein erstickter -Aufschrei -- aus dem Arbeitszimmer des Herrn -- - -Gisbert soll noch nicht aufstehen. Aber es duldet ihn nicht auf dem -Lager. Er kleidet sich notdürftig an. Geht auf den Korridor. Da kommt -ihm der Diener entgegen mit irrem Blick -- »Herr Baron -- erschossen --« -stammelt er -- fassungslos irrt er um sich selbst -- - -Gisbert geht in das Zimmer. Hier liegt Herr von Borkhus den Kopf auf dem -Schreibtisch. Aus der Schläfe strömt das Blut. Der Körper ist starr und -tot. - -Gisbert kann sich kaum auf den Beinen halten. Aber das Geschehene spannt -ihn ein. Er gibt die Anordnungen. Zu Frau von Mönkhov, zu Horst soll -geschickt werden. Auch zum Arzt, obwohl hier nichts mehr zu helfen ist. - -Und nun kauert er nieder, er selbst zum Hinsterben schwach, der Kopf -hohl, das Herz tonlos und flackernd. Selbst ohne Besinnung starrt er auf -den Entseelten und hält, ein Lebloser, die Totenwacht. - -So findet ihn Horst. Der nichts eher zu tun hat, als ihn ins Bett zu -schaffen und ins Leben zurückzurufen. Dann, da der Puls wieder Dienst -tut, wenn auch noch unwillig, kehrt Horst in das Totenzimmer zurück. - -Das Personal hilft ihm, die Leiche aufs Ruhebett legen. Er drückt die -schweren Lider zu über die machtvollen Augen, die grauenhaft klagenden -und drohenden Augen. Und hält stille Andacht. - -Dann geht er an den Schreibtisch, den blutüberströmten. Ein Album liegt -da, schwarzgebunden. Auf die Blätter sind Drucksachen geklebt. -Zeitungsausschnitte zumeist. All die Dokumente der Erniedrigung, der -Beschimpfung, der Entehrung, der Plünderung, Verstümmelung und -Folterung, die dem wehrlosen Deutschland angetan -- tagtäglich -- von -den trunken zuckenden und gierenden Feindeshänden -- sorgsam gebucht -seit Anbeginn. - -Ein Blutbach hat sich über das weiße Papier ergossen, das vom Schwarz -des Einbanddeckels gerahmt ist. Von selbst zog es Horst durch den Sinn: -schwarz-weiß-rot -- die schwarz-weiß-rote Not! Sie hat Dich zum Sterben -gebracht. - -Neben dem Album liegt eine Zeitung. Eine Stelle ist angestrichen, -bestimmt für die Sammlung, aber nicht mehr hineingelangt. Das letzte -- -heut abend hat er es gefunden. - -»In Boppard a. Rh. wurde eine Schülerin vor den Augen ihrer in Grauen -erstarrten Mutter von einem der schwarzen Franzosen genotzüchtigt.« - -An den Rand hatte in wildem, ehrlichen, gedankenlosem Ungestüm seine -Hand die Worte geworfen: »Hin nach Boppard!« Wie mußte es gezuckt haben -in der Hand, in dem Herzen! - -Herrgott ja, und wem gehen dabei nicht die Sinne durch. Und nur eines, -eines nur von endlos vielem! Dies war es, was Hartwig von Borkhus -überwältigte, was ihn in Verzweiflung warf und aus dem Leben. - -Das Blutbuch -- der Zeuge Deines Unterganges. Um Deutschland bist Du -gestorben -- und auch für Deutschland! Wir werden Dein gedenken! - -Wie einen Fürsten haben sie Hartwig von Borkhus beigesetzt. Die ganze -Landschaft hatte zur Trauerfeier sich eingefunden. Pastor Waermann -sprach die Abschiedsworte. So klangen sie aus: »Dein Tod ist ein Schrei, -ist ein Ruf, der niemals verhallen wird. Deutsches Ohr wird ihn -weitergeben an deutsche Lippen. In deutschen Herzen werden sich die -Feuer sammeln. Bis der Tag kommt, wo die Flammen zum Himmel auflodern. -Die Geister der Entschlafenen werden mit uns sein! Ihr Heerbann wird uns -voranleuchten! Für uns aber, die Lebenden, die wir nichts vergessen, die -wir treu bleiben jedem, der unser war, heißt die Losung, die harte und -gerade: Über Gräber vorwärts!« - - - - - Verstehen! - - -Gisbert, nach der Todesnacht, war immer noch nicht außer Gefahr. Auf dem -Friedhof, während der Grabrede, war es plötzlich wie ein wahnsinniger -Schreck blitzartig durch Frau Tildes verdüstertes Gemüt gefahren: der -Tote zieht den kranken Hausgenossen nach sich. Und durch all ihre -Trauer, ihren Gram immer wieder dieser zuckende Gedanke. Es lag ihr auf -der Seele, dies Furchtbare: alle sterben sie mir hin! Und es hetzte sie -aus dem Schmerz in die Angst. - -Wie sie nach Hause kommt, geht sie gleich zu ihm hinauf. Sie findet -ihren Kranken in tiefstem Schlaf. Der Arzt, der im Trauergefolge ist, -und noch einmal vorspricht, erklärt ihr, wenn etwas, gäbe dies die -Aussicht auf Wiederherstellung. Jetzt kann sie gleichsam wieder ausruhen -in ihrem Schmerz um den Vater. - -Sie blieb in Moorhof. Achim fuhr noch am selben Abend nach Mönkhov -zurück. Nun saß sie am Arbeitstisch des Vaters, an dem Platz, wo er -»lieber seine Form zerbrochen« hatte. Sie fing an, gedankenlos, mit -leeren Augen und müden Händen die Schriftstücke zu ordnen. Da ließ Horst -sich melden. Er bat um die Erlaubnis, sich noch einmal nach Gisbert -umsehen zu dürfen, kam zurück mit dem Bescheid, daß der immer noch fest -schlafe, und saß nun auf Frau Tildes Geheiß bei ihr nieder. - -Immer wieder sprachen sie von dem Toten. Von seinem großen -sozialpolitischen Gedanken: der Ernährung des deutschen Volkes aus -deutscher Scholle. Ein Zweig dieses Baumes war seine Zärtlichkeit für -den Siedlungsgedanken gewesen. - -Horst war schwer betäubt. Ihm fehlte der Freund, seinem Werk der Vater -und Berater. Wieder fiel die Schwermut ihn an. Und die alten inneren -Zerwürfnisse kamen. Erst kämpfend erhob er sich zu der Kraft: nun gerade -aushalten! Jetzt doppelten Einsatz des Wollens und Schaffens! Gilt es -nicht auch, ein Vermächtnis hier zu erfüllen? - -Und von einem Vermächtnis sprach auch Frau Tilde. Wenn etwas, sei von -der Hinterlassenschaft des Vaters das Siedlungswerk ihr ans Herz -gewachsen. Und so viel an ihr liege, wolle sie an ihm mitarbeiten, nach -ihrem schwachen Vermögen. Dankbar küßte ihr Horst die Hände. -- - -Er hatte heute noch einen Krankenbesuch zu machen, der alte Torfmeister -hatte sich gelegt. - -Ein Grab hatte er diesmal nicht zu schaufeln gehabt, die Borkhus besaßen -ihr gemauertes Erbbegräbnis. Aber gewiß hätte er bei der Bestattung -seines Lehnsherrn nicht gefehlt, wäre ihm nicht das mörderischste -Frühjahrsrheuma in die alten Gelenke gefahren. - -Horst fand ihn hilflos hingestreckt. »Das kommt, weil meine Wieselchen, -meine Hermännchen, mir aus den Stiefeln gewutscht sind -- hinaus in den -weiten Frühling. Nun ist der Giftwurm bis in die Scharniere gekrochen. O -Du Grundgütiger -- es ist zum Posaunenblasen schön!« - -Der Alte durfte nicht so allein bleiben. Vielleicht, daß Lona der Pflege -sich annehmen konnte. Horst, den geschäftliche Besprechungen in die -Stadt riefen, übernahm es, sie zu benachrichtigen. - -Durch den strahlenden Frühlingsnachmittag schreitet er. Wie leuchtet der -Himmel, wie segnet er die Fluren! Wie schön ist das deutsche Land! -Sollen Sklaven es bewohnen? - -Immer das eine! Und immer daran denken! Und immer, immer davon reden! -»Eine Nation, die es nicht wagt, kühn zu sprechen, wird es noch viel -weniger wagen, kühn zu handeln.« - -Wir haben die Worte, unsere Großen haben sie uns vorgedacht, uns -vorgesprochen -- wir haben die Taten, unsere Helden haben sie uns -vorgelebt. Wir brauchen ihnen nur zu folgen, sie nehmen uns ja an die -Hand. - -Welches Volk hat eine Sprache, die so viel sagen kann, so viel singen -wie unsere. Und seine Geschichte -- ist sie nicht seiner Sprache wert! -Wie seine Denker und Sänger sind seine Helden! - -Was sind wir reich! Wir brauchen nur die Hände aufzumachen, und sie -quellen über von Schätzen! An die uns die Räuber nicht rühren können! -Was sind wir stark! Unsere Lungen atmen die Kraft unserer Geschichte -- -in unserem Blut brausen die Flammen, die in den Augen unserer Helden -brannten! - -Dasselbe Feuer, dieselbe Tat! Wie können wir -- wir in der Knechtschaft -bleiben. »Eure Ketten zerbrechen wie Glas!« - -An den Goldbergen kommt Horst vorbei. Um den höchsten Gipfel fliegen die -Raubmöven. Noch fliegen sie. Aber die Stunde der Auferstehung naht. Das -deutsche Meer wird wieder deutsch sein. In deutscher Flut werden die -weißen Fittiche sich spiegeln. Deutsch das Meer und deutsch das Land -- -Deutschland, mein Deutschland! - -In der Stadt traf Horst viele von seinen jungen Freunden. Leuchtende -Augen grüßten sich. Die Siedlungsgeschäfte, die er zu besorgen hatte, -zeigten heute ein weniger unfreundliches Gesicht. Er trat guten Muts, -unbefangen, ohne zu grübeln und zu wühlen den Weg zu Lonas Wohnung an. - -Sie hatte zwei Zimmer in einem der alten malerischen Häuser, die von -Kletterrosen besponnen an das alte Tor sich lehnen und mit träumenden -Augen über die verfallene Stadtmauer lugen. - -Ihre Wirtin, eine flüsternd beredte Küsterwitwe mit blendend weißem -Scheitel, hatte ungefragt nur Lobsprüche für Lona, obschon deren -politisches Treiben sie mit unsäglichem Entsetzen erfüllte. Daß ihr -ganzes Herz den Armen gehöre. Ohne Entgelt gebe sie begabten -Volksschülern Klavierunterricht. Jetzt sei sie Tag und Nacht als -Pflegerin tätig, da in der Stadt eine Kinderkrankheit herrsche. Sie habe -eben Bescheid geschickt, daß sie auf ein paar Stunden nach Hause kommen -werde. - -Als Horst an die Wirtin die Bitte des Alten ausgerichtet hatte und sich -verabschieden wollte, trat Lona auf den Flur. Sie führte den Besuch zu -sich hinein, während die Hausfrau in die Küche ging, das Essen zu -bereiten. - -Müde vom Nachtwachen lagen ihre Augen. »Wie geht es Ihren Kranken?« -fragte Horst. - -»Zwei Kinder sind mir gestorben.« Dann blickte sie fest gradaus und sie -sagte hart, bewußt, wie gerüstet: »Und auch Sie haben einen Todesfall«. -Sie hielt nun einmal nicht hinter dem Berge. - -Nie hat Horst so wechselnde Empfindungen in eines Menschen Antlitz -gesehen. Hier war der blutige Rausch einer Genugtuung -- ein wildes -Hochgefühl, darob, daß die Inbrunst eigenen Wünschens, eigener -Verwünschung das Schicksal gelenkt hatte -- und wieder eine Angst ob -dieser dunklen Macht -- die Müdigkeit einer Sättigung -- ein Zug scheuer -sich versenkender Reue -- und über allem blieb etwas von der Charitas, -ein Priesterliches, das der Umgang mit dem Tode verleiht. - -Horst war auf den ersten Blick zurückgefahren und hatte sich verschanzt -in sich selbst. Tot der Freund -- und hier dessen Todfeind, über den Tod -hinaus. Was kann es für ihn geben als zornige Abkehr und ein Schweigen -in Haß! - -Aber das, was in ihren Zügen, in ihrem Wesen selbst die Erlösung suchte -aus einer Qual, das blieb nun doch das Mächtige über ihn. - -Haß -- Haß gegen Dich -- Du bist eine Deutsche! Ich habe keinen Haß für -Volksgenossen. Ich will sie verstehen, nicht sie verfolgen. Mitleid kann -ich mit ihnen haben, ja ich kann mich ihrer schämen und darum gegen sie -mich auflehnen. Aber hassen -- unsern Haß halten wir fein säuberlich zu -Rate, er gehört den andern! - -Und ihr gemeinsamer Freund Lud Uhlenbrook führte sie beide nun gar auf -denselben Weg. - -Diese Nacht, so beantwortete sie die Bestellung, müsse sie noch -hierbleiben. Bei einem Kinde, einem Zögling von ihr, gehe es auf Leben -und Tod. Morgen komme sie dann zu dem Alten. Und sie wolle sich so -einrichten, daß sie mehrere Tage bei ihm hausen und ihn gesund pflegen -könne. - -Sie sprachen beide zärtlich über den alten Lud. Ihre Gemeinschaft gab -Horst ein Recht, sich in dem Zimmer umzusehen. - -Die Wände waren mit Bildern bedeckt -- vom jüngsten Geiste waren sie -- -er wußte, von wem sie stammten. Von ihrem Freunde, dem hier getöteten, -dem hier begrabenen. - -Sie fing die Blicke des Beschauers auf, sie fand in ihnen das -Befremdete, das unsichere Flackern, das Ratlose -- das Verständnislose, -wie sie es sich nannte. Erst wollte sie mitleidig schweigen. Aber Horst -war ihr nun einmal immer näher gekommen -- galt er ihr nicht eines -Bekehrungsversuches wert? War hier nicht vielleicht das Tor, das am -ehesten sich auftun ließ, ihn hineinzuziehen in ihre Welt? Die -Proselytenmacherin regte sich nun doch. - -»Sie wissen mit dieser Kunst nichts anzufangen?« fragte sie, eine -gewisse Hilfsbereitschaft im Ton. - -»Da ich meinerseits hier durchaus in den Anfängen bin, muß ich schon um -Nachsicht bitten. Zunächst dringt es wie ein Geschrei von Farben auf -mich ein. Von Farben, die die Form verschlingen. Und -- sie wieder von -sich speien.« Er nahm ganz und gar kein Blatt vor den Mund. Sie aber -konnte das gut vertragen. - -»Für den Anfang ist das gar nicht so schlecht«, sagte sie. »Wenn Sie -näher hinsehen, werden Sie erkennen, wie die Farben es sind, die die -Form sich schaffen -- Sie werden die Visionen, die Gesichte der Farben -erleben, und dann fassen Sie den richtigen Grund.« - -Horst vertiefte sich mit bereitwilliger Unbefangenheit. »Ich gebe zu, -ich sehe hier eine Energie, die über den Raum hinauswill --« - -»Das ist es«, sagte sie lebhaft, beinahe freudig. Und werbend fügte sie -hinzu: »Darauf kommt es ja an, auf die Überwindung der Körperlichkeit, -des empirischen Daseins. Mit Naturerlebnissen, mit Sinnenerlebnissen hat -die wahre, die geistige Kunst nichts zu schaffen. Für sie gilt nur der -Genius innerer Gesichte. Sie hat mehr als das Schöne, Glatte, Abgeklärte -der Natur, als die artikulierten Laute der Sinnenwelt. Sie lebt in der -gewaltigen, noch unentwirrten, rätselvollen, gespensterhaften -Unwirklichkeit. Chaotik ist ihr Wesen. Nur in dieser kosmischen -Vitalität kann spirituelle Kunst atmen!« - -Sie war ganz hingenommen von ihrer Lehre und deren beredtem Rüstzeug, -sie stand in der Glut ihrer Worte, der Glut und dem Rauch, halb -Priesterin, halb Dozentin. Und ein Junges, Mädchenhaftes war dabei -- -freudig nahm Horst es hin -- etwas vom Fanatismus der höheren -Töchterschule. - -Er vergaß erst die großen Worte ob diesem Reiz fast verschämter -Glaubensleidenschaft. Dann aber stiegen ihre Worte wieder empor, in der -unerbittlichen Großartigkeit. - -»Chaotik« -- klang es ihm im Ohr. Chaotik -- reimt sich auf Gotik -- und -ist als Schlagwort gewollt und gemünzt. O was für gewaltige Blöcke -werden hier gewälzt, titanenhaft. Nur müssen sie als Trümmer liegen -bleiben -- es wird nicht gebaut. Bauen ist räumlich, ist Form. Die reine -Kunst aber und was mit ihr zusammenhängt, muß formlos sein oder sie ist -nicht! - -Schwer schüttelt Horst den Kopf -- auf den er sich stellen müßte, um -hier mitgehen zu können. Formung, Bindung, das ist und bleibt ihm aller -Kunst Wesenheit. Das Stammeln von Urlauten ist ihm keine Sprache. - -Aber, da er sich aufs neue in die Bilder versenkt, räumte er ein, -gutwillig und gerecht: »Ganz gewiß spüre ich hier eine machtvolle -Sehnsucht -- einen, sagen wir, stürmenden Überschwang des Fühlens --« - -»Nun also!« - -»Aber es ist nun mal -- wie sag ich -- die Verzückung einer Qual -- eine -krampfartige, fallsüchtige Verzückung -- wie ein Sichselbstzerreißen und -wie ein Tauchen der Hände ins eigene Blut!« - -»Recht so! Nur so, nur so kann man schaffen!« - -»Etwas, was uns jagt und verfolgt! Wovor man sich schützt! Was tue ich -mit einer Kunst, wenn ich mich von ihr mit Händen und Füßen befreien -muß! Die Kunst soll mich befreien!« - -Sie hob abwehrend die Hand. »Wie alt ist das! Ein Golgatha ist die Kunst -und soll auch unser Golgatha sein. Nur kein irdisches, ein kosmisches -Golgatha. Aber ich geb Sie längst nicht verloren. Hier ist nun der -Scheideweg für alle denkenden Wesen. Nicht bloß in der Kunst, auch im -Leben.« Und mit einem Schlagwort mußte sie schließen. »Jeder hat sich zu -entscheiden, ob er die Kosmik will oder die Kosmetik. Ob das -Nivellieren, das Glatt- und Schönmachen in den hübschen Kompromissen von -Gesellschaft, Staat und Kirche -- ob das Ausschwingen des Geistes in -Weltenweite!« - -Kosmik -- Kosmetik -- das nenne ich einen Abgang, dachte Horst. Sie -verließen das Gespräch, da die Wirtin kam. - -Es sollte nicht das letzte Wort gesagt sein. Beim Torfmeister wollten -sie sich weiter aussprechen. Mit einem »Auf Wiedersehen« schieden sie. - -Horst wanderte heimwärts. Das Gespräch mit dieser Frau, der über alle -Feindschaft hinweg er die Hand gereicht hatte, begleitete ihn. Er fing -an, immer mehr von ihr zu begreifen. Ihr geistiges Gesicht gewann für -ihn Leben. Ihre Gefühls- und Anschauungswelt tat ihm Fernblicke auf, vor -denen er nicht mehr unmutig und zornvoll die Augen schloß. - -War es nur, weil sie, eine Frau, die als Weib auf ihn wirkte, das neue -Land ihm zeigte? - -Und wie ein Messerschnitt durchzuckte es ihn wieder: heute morgen hab -ich den Freund begraben. Am Nachmittag sitz ich bei ihr, die seinem -Dasein geflucht, deren Rache wie ein Vampir an seinem Mark gezehrt hat. -Ist dies nun ein Verrat? Ist es einer, so weiß ich doch nichts von ihm. -Oder will ich nur nichts von ihm wissen? - -Gerecht sein! Um das er von je gerungen hat! Gerechtigkeit! - -Daß die Blutrache unter Deutschen umgeht -- Ihr seid es schuld, die Ihr -Deutschland in die sinnlose, selbstmörderische Verzweiflung gestürzt -habt! Aus hysterischer Lustgier, wie aus unsäglicher hosenschlotternder -Angst. Und diese Angst täuscht Euch nicht -- die Abrechnung kommt, -darauf dürft Ihr Euch verlassen! - -Was Ihr aber in Deutschland gegeneinander gehetzt habt in dem -wahnsinnigsten aller Bruderkämpfe, es wird sich wieder versöhnen. Wird -sich vereinen und verschmelzen in dem einen großen, dem einzig -lebendigen Gedanken: ein freies Volk auf freiem Grunde! - -Nur, daß jeder helfe an dem Sichverstehen! Dies ist das Erste! Verstehen -müssen wir uns -- einander durchdringen! Immer und immer will ich daran -denken, immer und immer daran schaffen! An der deutschen Brüderlichkeit! - -Du, Lona, hast mir heute etwas offenbart, was auf den ersten Blick mich -zurückstieß. Aber jetzt frag ich mich, ist nicht auch all dies Neue so -deutsch, so ganz und ursprünglich deutsch? Dieser unaufhaltsame, -machtvolle, aus dem Innersten hervorbrechende Selbstbekenntnistrieb -- -die Schöpferkraft unserer jüngsten Kunst, ist sie nicht schlechthin -germanisch? Nur deutschem Geist, nur deutschem Fühlen springen diese -Quellen. Deutsch -- deutsch auch dies -- und auch dies zum Liebhaben! -Und -- was hier auch krank sein mag, in der kranken Zeit, dies Wirre und -Aufgepeitschte, das wild Zusammengeballte, dies Überhitzte und Fiebernde --- sollte man nicht um so eher eine sachte und sorgende Hand daran legen -und zärtlich hegende Gedanken? - -Daß Du, Lona, mir der Dolmetsch warst für diese Sprache, die bisher -nicht an mein Ohr geklungen ist, hab ich es Dir nicht zu danken? Und ist -in dem Dank nicht ein Band, das uns, so lose es sein mag, miteinander -verknüpft? - -Nun will ich Dich spielen hören! Nun sollst Du auf der Orgel zu mir -sprechen! Von Deines Wesens Tiefe, seinen Nöten, seinen Lichtern! Ich -werde mehr von Dir lernen, mehr von Dir erfassen, mehr von Dir wissen, -von Dir und den Deinen. Und immer mehr von der Feindschaft wird -abfallen. Deutsch und deutsch soll sich gesellen und einig sein! - -Nichts will ich beschönigen. Du hast es mir leicht gemacht, dadurch, daß -Du ein reizvolles junges Weib bist. Gewiß hätte ich zu einem anderen -Lehrer und Erklärer nicht den Weg gefunden -- oder mich ihm gar aus -Leibeskräften widersetzt. - -Die Sinne -- nun ja -- warum sie als Helfer verschmähen. Sie sind da, -und so sollen, so müssen sie getrost teilhaben an unserm Werk! So wahr -sie ein Teil von uns selber sind! Sinnlos, sie zu bekämpfen! Wird nicht -von ihnen beflügelt, was wir wollen? - -Ihr seid ein Teil der Kraft, darum seid gelobt! Wärt Ihr mir lähmend -über den Kopf gewachsen, hättet Ihr mich verstört und gestört und -verstrickt -- unter die Füße hätte ich Euch genommen. Jetzt aber, als -meine Freunde -- als meine Freunde seid gelobt! - -Morgen gehe ich zu Pastor Waermann. Er soll Dir erlauben, daß Du die -Moordorfer Orgel spielst. Der Pastor ist heftig und streng, vielleicht -auch eng. Aber mein Mittleramt, das ins Größere greift, wird er gelten -lassen. - - - - - Krisen - - -Getragen schritt Horst durch den Frühlingsabend. Es war so viel -Hoffnung, so viel Gläubiges in der Natur. Im Westen der letzte -Feuerstrich, eine freudige Verkündigung neuer Sonnentage. Darüber der -breite, topasfarbige Streif, irisierend, wie zitternd von dem Zauber der -Frühlingsnächte, der auf die Erde tropfen will. Und wann wölbt der -Himmel, der sich bestirnende, so wie jetzt in diesen Tagen des jungen -Lichtes sich auf zu der Höhe trostreicher Unendlichkeit? - -Mit reiner Freude gedachte Horst seiner Arbeit und der Kameraden. Neue -organisatorische Gedanken gingen ihm auf. Neue geschäftliche Pläne. -Schichten eines erlesenen Töpfertones waren in dem Ziegeleigelände -gefunden. Unter den Kameraden war ein gelernter Scheibentöpfer, ein -geschickter und geschmackvoller Keramiker. Kacheln und Geschirr wollten -sie herstellen. Eine aussichtsreiche Industrie, die ihre Finanzen, die -immer bedürftigen, stärken würde. - -Vor ihm liegt die Baracke, die gelobte, die geschmähte, im Dunkel. Nur -spärlicher Lichtschein aus einzelnen Fenstern. - -Da -- wie ein Schatten schleicht eine Gestalt den Weg entlang. In Mantel -und städtischem Hut, einen Reisekoffer in der Hand. Scheu wie ein -Flüchtling -- - -Es fährt Horst durch den Kopf: ist das nicht Radatz, der unsichere? -Natürlich ist er's! Und heimlich reißt er jetzt aus -- da der Führer -nicht im Bau ist. Soll er laufen, so weit die Beine ihn tragen! Mit -solchen Brüdern hab ich nichts zu schaffen! Schade um jedes Wort, das -man an euch verliert! - -Aber, daß meine Mannschaft sich nun so zersetzt! Und verstecke ich mich -nicht selbst, wenn ich den Mann so an mir vorüberschleichen lasse? Keine -vornehme Bequemlichkeit! Ihn stellen! Bin ich der Führer oder nicht? Er -soll wenigstens Hals geben! Ich verkriech mich nicht mit ihm zusammen in -Heimlichtuerei! - -»Radatz, sind Sie das?« - -»Jawohl, Herr Hauptmann.« Die Stimme knickte ein. - -»Wollen Sie verreisen?« - -»Ja.« - -»Haben Sie Urlaub?« - -»Ich -- ich habe eine traurige Nachricht von zu Hause. Mein Onkel ist -gestorben --« Der Mann log. - -»Beruhigen Sie sich. Er ist nur scheintot«, sagte Horst mit -überwältigender Kühle. - -Der Ausreißer stand, eingekeilt zwischen Beschämung und Unmut. Horst -ließ ihn stehen. Eine kurze Wendung. »Reisen Sie glücklich!« Er hatte -ihm den Rücken gedreht. - -Gleich berief Horst eine Versammlung der Siedlerschaft. - -»Kameraden. Der frühere Siedler Radatz hat sich heimlich entfernt. Daß -er sich entfernt hat, ist seine Sache. Daß er es heimlich tat, seine und -unsere. Nichts schlägt so wie dies dem Geiste unserer Gemeinschaft ins -Gesicht. In der vollen Freiheit, vollen Ehrlichkeit ist sie aufgebaut. -Und so frei und ehrlich soll sie bleiben. Wir glauben an unser Werk. Zum -Glauben gehören Opfer -- wir bringen sie freudig. Dies unsere Gesinnung --- oder ist sie es nicht mehr? Leicht ist unsere Arbeit, unser Leben -nicht. Lockende Rufe von draußen kommen zu manchem von uns. Und nun will -ich Euch fragen, ist noch einer oder der andere hier, der nicht mit -ganzem Herzen weiterschafft an unserer Arbeit -- offen soll er es sagen. -Wir wollen ihn gewiß nicht hindern, daß er geht -- fördern wollen wir -ihn auf seinem neuen Weg. Aber Offenheit wollen wir! Lassen wir den -Betrug sich bei uns einnisten, dann stürzt unser Bau zusammen!« - -Die Worte wirkten, der Ton zwang. Alle gelobten sich aufs neue dem -Siedlungswerke zu. - -»Wir sind seit langem wieder einmal in größerem Kreise beisammen. Hat -einer sonst noch was auf dem Herzen?« - -Maurer Mulitz meldete sich. »Ich kann mir nicht helfen -- daß wir damals -nach Mehrheitsbeschluß allesamt gegen den Streik uns einsetzen mußten -- -das halte ich nicht für richtig.« - -Gegenrufe: »Wieso?« -- »Allesamt! Bei uns gibt es nur ein Allesamt!« -- -»Kameraden sind wir!« - -»Ich hab da etwas gegen mein Gewissen tun müssen -- als Streikbrecher -bin ich mir vorgekommen --« - -»Lächerlich!« -- »Was war das für ein Streik!« -- »Ein wilder -allerhöchstens.« -- »Mit Brandstiftung!« -- »Mit Überfall aus dem -Hinterhalt.« - -Mulitz ließ sich nicht beirren. »Ich bin der Meinung, daß wir andere -Aufgaben haben. Auch zum Polizeidienst sind wir nicht da. Sollte sich so -etwas wiederholen, muß ich mir ausbitten, daß ich hier in der Siedlung -bei meiner Arbeit bleiben darf.« - -Kunz wurde erregt. »Lieber Mulitz, wir haben uns stets als geschlossenen -Verband betrachtet! Einer für alle, alle für einen! Wollen wir den -Mordbrennern zuliebe uns in unsere Bestandteile auflösen? Und einpacken -mit unserem gemeinsamen Siedlungswerk? Und was haben Sie, gerade Sie -gegen Mehrheitsbeschlüsse? Damit müßte sich doch Ihr gewerkschaftliches -Gewissen am ersten beruhigen.« - -»Wir sind hier keine Gewerkschaft. Eine Arbeitsgemeinschaft sind wir, in -der jeder persönlichen Überzeugung Freistatt gewährt ist.« - -»Die sich aber doch jederzeit einheitlich zur Nothilfe organisieren -kann.« - -»Um Nothilfe ging es hier doch gar nicht. Handelte es sich hier -vielleicht um lebenswichtige Betriebe --?« - -»Wenn wir schon den neuen Staatskatechismus gelten lassen -- erst recht -handelt es sich hier darum! Was ist jetzt lebenswichtiger, als daß die -deutsche Erde bestellt wird? Und dann die Brandstiftung -- ist das nicht -unmittelbare Lebensbedrohung!« - -Es gab parlamentarische Erregung. Die meisten waren für Kunz, wenige für -Mulitz. Immerhin bildeten sich Parteien. Die Augen hingen an Horst. Er -nahm das Wort. - -»Ich kann den Standpunkt vom Kameraden Mulitz nicht ablehnen.« Kunz hebt -die Schultern, das Lid von Dankwardt zuckt. »Gewissensnöte müssen wir -unter allen Umständen ehren. Natürlich liegt mir an nichts so viel, wie -an unserer Einheit. Und tatsächlich -- wie es auch diesmal geschehen ist --- wird ein großer Zug die Bedenken der einzelnen mit sich reißen. Auch -die Kameradschaftlichkeit von Mulitz hat sich noch immer bewährt. Aber -wir müssen grundsätzlich anerkennen, daß in solchen und ähnlichen Fällen -jemand seiner Überzeugung treubleiben darf, ohne sich damit außer dem -Rahmen unseres Verbandes zu bewegen. Über die sogenannten inneren Feinde -sind verschiedene Auffassungen möglich. Nur über den äußeren nicht!« - -Kleister! schalt Kunz in seinem Gemüt. Er war böse auf Horst. Aber seine -Disziplin hieß ihn hier schweigen. Unter vier Augen würde das Weitere -sich finden. - -»Noch eins darf ich zur Sprache bringen«, bemerkte Mulitz, der jetzt -Oberwasser hatte. »Es scheint sich hier so etwas wie Schnüffelei -ausbilden zu wollen. Man hat mir meinen Verkehr aufgemuzt -- daß ich -manchmal in der Stadt mit einem alten Freund zusammenkomme. Der ist -allerdings eingefleischter Kommunist. Aber wenn man darin nicht mehr -freie Hand haben soll --!« - -»Natürlich hat man die«, erklärte Horst. »Wir sind hier doch nicht in -einer Kleinkinderbewahranstalt.« Und dann fügte er mit Bedacht hinzu, -und es grub sich die gerade Falte zwischen seinen Brauen: »Übrigens bin -ich in ähnlicher Lage wie Sie. Auch ich -- suche sogar den -Gedankenaustausch mit kommunistischen Kreisen. Ich meine, wir sollen und -müssen ergründen, was in deutschen Geistern vorgeht. Nur so können wir -deutsche Arbeit leisten.« -- - -Die drei Offiziere saßen in Dankwarts Zimmer. Kunz würgte an seiner -Erregung. »Nun sind wir so weit. Der Zersetzungsprozeß beginnt! Wenn -erst dieses Phrasengespenst, die Gewissensfreiheit bei uns herumspukt! -Mit dem jeder seinen Privatunfug treibt! Dienstpflicht, verdammte, haben -wir und Kameradschaft. Und Kameradschaft und Dienstpflicht. Vorbildlich! -Und weiter nichts auf der Welt -- es ist wahrlich genug. Und vor allem -keine Gespenster!« - -»Du gehst durch die Wand, Kunz!« - -»Dann ist die Wand danach! Ich bleib dabei, so lange wir immer und immer -wieder den sozialen Knüppel unserer vaterländischen Empfindung zwischen -die Beine werfen lassen, so lange, kann ich nur sagen, verdienen wir -wahrlich den Knüppel!« - -Dankwart nickte mit der starren Asketenmiene. »Alles in allem -- da es -nun mal ohne Politik nicht geht -- können sich eben nur Glaubensgenossen -in einer Gemeinschaft wie unserer zusammenfinden. Die meisten stehen ja -glücklicherweise auf unserem Boden. Die paar andern -- hinaus! Und -geeigneten Ersatz! Es gibt brave Kerle genug ohne Dach -- die gerne -kommen!« - -Horst warf heftig den Kopf. »Nein -- nein. Das ist ja das -Allerverkehrteste! Damit werden wir ja bloß ein Klüngel mehr! Ein -Häufchen Partei und weiter nichts! Wir haben doch wahrlich was Größeres -im Sinn gehabt! Alles, was deutsch ist im Denken und Wollen -- ist nicht -Gust Elbenfried mit seinem kommunistischen Christentum, mit diesem -rührend innerlichen Kommunismus der Herzen, einfach eine Notwendigkeit -in unserm Kreis? Etwas wie ein klein Deutschland wollen wir sein! Und -nun verschont mich gefälligst mit Ketzergerichten!« - -Kunz lachte höhnend. »Ein Deutschland -- ohne Ketzergerichte? Wie -unvollständig bleibt Dein Abbild!« - -Dankwart aber, und die Bronze seines Gesichtes dunkelt unmutig: »Du -wirst immer mehr zum Schwärmer, Horst. Und das macht mir Sorge. Mir und -uns.« - -»So sägt mich ab.« - -Dankwart weiter -- und das schwere Lid hob sich auf zu besonderem -Vorstoß. »Du hast selbst davon gesprochen, von Deinem Verkehr mit der -Kommunistendame. Darf ich Dir meine Ansicht sagen?« - -»Bitte.« - -»Als Führer tätest Du besser, diesen Verkehr einzustellen.« - -»Lieber Dankwart --« - -»Man wird Dich nicht verstehen. Und ein Führer -- soll verständlich -sein.« - -»Wohl. Aber vor allem soll er doch selbst verstehen, mein ich. Und -möglichst viel. Meine Methoden müßt Ihr mir schon lassen.« Er hielt die -Ruhe, aber ein wehrhafter Ton meldete sich. - -Dankwart, den bitteren Mund verzogen, mit seinem gelinden Zynismus: -»Lieber Horst -- hättest Du gesagt: meine weibliche Privatsache, Hände -davon -- gut! Oder: wenn ich einen Gegner so oder so unschädlich mache, -seid mir doch dankbar -- besser! Aber ein >geistiger Austausch< -- geht -dabei etwas verloren, trifft das auch uns. Und darum --« - -Horst wurde es der Erörterung zuviel. Sprödigkeit, Stolz, ritterlicher -Sinn wehrten sich gegen die ganze Art dieser Betrachtung. »Wir geraten -da nach meinem Geschmack zu sehr ins Persönliche. Meinen Standpunkt in -der Sache hab ich Euch bezeichnet.« - -In den festen Worten war ein metallenes Klingen. Das bedeutete Schluß -der Vorstellung, die Freunde wußten es. - -Kunz, der am ersten sich umstimmte, suchte erfreuliche Mitteilungen in -das Schweigen zu bringen. - -»Ein Paar Pferde habe ich gestohlen.« - -»Was? Gestohlen -- wo?« - -»Dem Roggendorfer habe ich sie abgeknöpft. Zwei zähe ostpreußische -Schecken. Kosten so gut wie nichts.« - -»Kunz --« - -»Horst -- sei Du der Organisator des Sieges. Ich sei der Organisator des -Geschäfts. Zwei Schälpflüge hab ich uns auch gelangt. In Süldemitz. Auf -Abzahlung. Ohne Termin. Na -- und da wir keine hastigen Orientalen sind ---« - -»Natürlich dürfen wir nicht --« - -»In allem Ernst, Horst -- die lieben Leute haben von uns so unendlichen -Nutzen gehabt -- da erlauben wir ihnen eben gütigst, sich ein klein -bißchen erkenntlich zu zeigen. Manus manum. Und weil ich auf diese -Manikür mich verstehe --« - -»Was uns aber nicht an ordnungsmäßiger Abrechnung hindern wird.« Horst -erhob sich. »Und morgen also zuerst ins Ödland. Gut Nacht!« Er reichte -den Freunden die Hand und ging. - -Die beiden blieben noch eine Weile zusammen. - -»Die Höhe hat er,« sagte Kunz, und was ihn ihm zürnte, wurde von der -Anerkennung verschlungen. »Weshalb wir jetzt auch gegen ihn Stimmung -machen. Und an ihm stürzen werden.« - -»Das tut er ja leider allein.« Dankwarts Auge war wie Nacht. -»Knochenerweichung geht weiter.« - -Kunz schrak auf. »Und was soll werden? Wer soll uns führen? Kannst Du -es?« - -»Nein.« - -»Kann ich es? Strammheit allein -- lächerlich. Dazu gehört dies gewisse -Etwas. Was er hat -- und keiner von uns.« - -Dann rückte er sich kräftig zurecht. »Unsinn! Wir übertreiben. Und -machen Verschwörung. Verschwörer übertreiben immer. Es renkt sich alles -wieder bei ihm ein. Gesunder Kern -- also!« - -»Wenn nicht ein Weib dahinter steckte.« Heiser die Worte, vor -Bitterkeit, höchstem Mißtrauen und tiefster Verachtung. - -»Das bißchen Weib.« Kunz lächelte, er war noch leidlich unbeschwert. -Dann schlug er lebhaft mit den Flügeln. »Wenn man ihm das Weib auf -irgendeine Art vom Halse schaffte!« - -Sehr abenteuerliche Gedanken brausten ihm durchs Hirn. - - - - - Die Schlacht an der Katzbach - - -Die Siedler arbeiteten im Felde. Über ihnen die klingende -Frühlingsweite. Kunz pflügte mit seinen Schecken. Er war zufrieden und -sang. Die Morgenluft hatte alles aus seinem Schädel geweht, was da noch -dumpf von Krisenstimmung und Palastrevolution herumrumorte. - -Und Horst war von der Verantwortung getragen. Jetzt, wo alle Betriebe -lebten, die Landarbeit, die Ziegelei, der Torfstich, wo alle Fäden in -seiner Hand zusammenliefen, war er mehr als je der Führer. Er selbst -betonte sich die Führerschaft, geflissentlich und hart. - -Es war da etwas gegen ihn aufgestanden -- in sein Empfindungsleben -hatten sie greifen wollen -- was im Grunde um so plumper ist, je -rücksichtsvoller es sich gebärdet! Und wenn nun gar die Freundschaft ihr -Lied hineinsingt --! Solches lehne ich ab! Ich bin, wer ich bin! Wollt -Ihr mich nicht so -- ich will mich so! Und es gilt den Kampf. - -Er fühlte sich allein. So ist die Höhe. Und stark ist die Einsamkeit. - -Nach dem Torfstich wandte er sich, zum Moor. Er würde Lona sehen. Durfte -er? Mußte er dafür nicht einen Genossenschaftsbeschluß in der Tasche -haben? Ein Lächeln. Und er dachte an sie mit einer Art trotziger -Innerlichkeit. - -Beim kranken Torfmeister fand er sie. Ihre Pflege hatte Wunder getan, -der Alte war fast ohne Schmerzen. Die zwei saßen nebeneinander beim -Fenster. Sie schauten und horchten aufs Moor. Er hatte seine Pranke auf -ihren Unterarm gelegt, der eine Schönheit war. So zogen seine alten -Glieder sich die Heilkraft aus ihrem jungen Leib. - -»Mein Lütt ist mein Segen«, sagte er. »Und wenn sie sich nun noch aufs -Moor verstünde -- und das Moor sich auf sie --! --« Dies war sein -Kummer. »Denken Sie,« sagte er zu Horst, »sie kann hier nicht schlafen. -Wie kann man hier nicht schlafen, wenn das Moor neben einem atmet.« - -»Aber es stöhnt im Schlaf«, rief sie. »Wie ein Riese, der sich den Magen -verdorben hat.« - -Der alte Lud schüttelte den vermoosten Schädel. »So kommt Ihr Euch nicht -bei.« - -Lona trotz ihrer Schlaflosigkeit blickte aus klareren Augen in die Welt. -Von der Güte der Pflegschaft lag es weich um ihren herben Mund. Etwas -wie friedliche Versonnenheit war über sie gebreitet. - -In Horst ging es auf: ist sie nicht wie befreit, von einer inneren Not, -einem Druck, einem Zwang? Da die furchtbare Pflicht von ihr genommen ist --- die Pflicht ihrer Rache! - -Er mußte an sich halten. Gräber wälzten sich gegen ihn, deutsche Gräber. -Aber das Goethewort hallte in ihm nach: »Über Gräber vorwärts!« - -Pastor Waermann hatte es gesprochen. Und hier war eine -- auch ein -darbendes Kind der deutschen Erde -- die auch vorwärts schritt, auch -hinaus strebte aus dem Fluch, aus den Fesseln des Vergangenen und enger -Gelöbnisse. Der sie jetzt die Orgel nicht gönnen wollten, die ihre -Erhebung war, die auf den Weg zum Ewigen ihr leuchtete. - -Morgen am Sonntag rede ich darüber mit Pastor Waermann. - -Und er sagte es ihr. Sie hatte dafür einen dankbaren Blick. »Ob ich aber -gerade bei Pastor Waermann Gegenliebe finde?« - -»Bei ihm am ersten.« - -»_Pax vobiscum_ beten die Christen -- _bellum aeternum_ den Pazifisten!« - -»Darin ist er nun wie ich: um --isten und sowas kümmert er sich nicht, -auf Endungen gibt er nicht viel. Und der Kern der Sache --« - -»Ist, daß Lütt Orgel spielt!« rollte Lud Uhlenbrook dazwischen. -»Bedanken sollen sie sich, der Pastor und der Herrgott und die Kirche -und jedeiner, der mit seinen langen Ohren einen Ton davon aufzuschnappen -kriegt!« - -»Lud, was weißt Du von meinem Spiel!« Ganz mädchenhaft war ihre Abwehr. - -»Ich hab Deinen Vater spielen hören. Und in meiner besten Stube« -- er -schlug sich an die Brust -- »ist seit der Zeit Festesfreude. Wenn sie -Dich nicht spielen lassen -- wir stürmen die Kirche -- was, Herr -Oldefeld?« - -Seine Pranke hob sich zu mächtigem Schlag und ruhte dann wieder aus auf -der köstlichen Armrundung seines Lieblings. - -Dann lud er Horst ein, morgen den Sonntagnachmittag bei ihnen zu -verbringen. Freudig sagte der zu, ganz glückhaft vergessen. Plötzlich -fiel es ihm ein: ich kann ja nicht. Und er ließ sie es wissen. Seine -Jungen kämen morgen aus der Stadt heraus zu ihm. - -»Was wollen die?« fragte der Alte. - -»Soldat spielen.« Horst hielt nicht hinterm Berge. Er sah, daß es um -Lonas Mund zuckte. Jugendverführer! mochte das heißen. Er konnte es -nicht ändern -- o nein und wollte es auch ganz gewiß nicht. - -»Natürlich«, knurrte der Alte in zustimmendem Behagen. »Was wollen -Jungen sonst! Wir haben es so gemacht, und solange die Welt steht, wird -sie's so machen. Jungs sind Soldaten und wollen Soldaten sein. Und warum -ist es so?« Hier faßt er dem großen Weltgeheimnis an den Puls. »Weil die -kleinen Mädchen es so wollen!« - -»Lud, das ist nun mäßig.« Lona lehnte sich auf, aber sie ließ ihm ihren -Arm. »Frauen kennen Besseres als rasselnde Säbel.« - -Das war ganz gewiß auch auf Horst gemünzt. Der aber schwieg. - -»Lütt, Ihr Aufgeregten guckt so oft an der Welt vorbei -- und glaubt -dann, sie ist anders. Aber sie bleibt wie sie ist, und Soldat ist und -bleibt Trumpf für die Frau. Und ich kann Dir auch verraten, wovon das -ist. Guck, alles könnt Ihr Frauen meinetwegen werden -- Doktor und -Apotheker und Advokat und Priester und Küster. Bloß nicht Soldat. Und -weil das das richtig Männliche ist, darum ist das auch das Richtige für -die Weiber.« - - »Denn das Höchste, Höchste ist für mich ein Reiter, - und das Leben labt und lebt und liebt sich weiter!« - -Horst brauchte keine Reiterlieder anzustimmen. Von dem blanken -Mannesmut, dem die Frauenhuld gehört. Die totsichere -- die -lebenssichere Gewähr dafür, daß dieser Geist sich auch fortpflanzt und -nun und nimmermehr ausstirbt. Er freute sich daran, wie der Alte die -Klinge schlug. Und war es zufrieden, daß er selbst im Hintergrund -bleiben konnte -- jetzt, wo Lona, die Gebändigte, selber in der -Beschaulichkeit sich hielt. - -So sagten sie sich still und friedfertigen Sinnes Lebewohl. Horst -verhieß, er würde Sonntag abend nach dem Manöver noch herüberkommen und -den Kirchenschlüssel bringen. -- - -Die Jungen strömten heraus mit singenden Lungen und hochschlagenden -Herzen. - -Sie lagern am Fuße der Goldberge. Horst, in der Mitte des Kreises, hält -ihnen Vortrag. Mag das ganze eine Kinderei sein, ein Stammeln im Geiste. -Aber gleichviel -- auf den Geist kommt es an. - -Wir haben hier -- so spricht Horst -- ein ausgezeichnetes -Katzbach-Gelände. Da, die beiden Rinnsale, die von dem Südhang sich -abzweigen und ins Moor fließen: Katzbach und Neiße. Drüber die -Hochebene. Also heute: die Schlacht an der Katzbach! - -Begeisterte Zustimmung leuchtet aus all den jungen Augen. - -Wie Horst nun begann die Kriegslage zu erläutern, fand auch Kunz sich -ein. Aber er blickte nicht auf das Schlachtgelände, drehte der Strategie -den Rücken und hielt mit den Augen die Moordorfer Straße. - -Horst erklärte: Napoleon hat versucht, mit großer Übermacht Blücher in -Schlesien zu stellen. So dumm ist der Alte nicht -- er weicht aus, geht -vom Bober hinter die Katzbach zurück und wartet, bis der Kaiser mit -einem Teil seiner Armee nach Sachsen zurück muß, da das böhmische Heer -anmarschiert. Macdonald erhält den Befehl über die achzigtausend Mann, -die den -- natürlich! -- >in Auflösung begriffenen Feind< weiter -verfolgen und vernichten sollen. Bei Blücher haben Russen den rechten -und linken Flügel, unter Sacken und Langeron. Das Zentrum befehligt -York. Er hält sich hinter Anhöhen versteckt -- ahnungslos steigen die -Franzosen zu dem Plateau empor. Blücher befiehlt: laßt so viel Feinde -herauf, wie Ihr wieder hinunterschmeißen könnt! So geschieht's. Dann -beginnt die preußische Brigade Hühnerbein den Tanz, mit Bajonett und -Kolben fegt und schmettert sie die Franzosen den Abhängen zu. Aber -Macdonald treibt immer neue Massen auf die Höhe. Ein preußischer -Kavallerieangriff unter Jürgaß verpufft. Da stürmt der Alte selbst und -sein Liebling Katzeler mit preußischen und russischen Reiterscharen -gegen den Feind. Kräftig hilft die Infanterie Yorks und Sackens nach -- -während Ehren-Langeron es vorzieht, Gewehr bei Fuß zu bleiben. Der -Franzose wird ins Neißetal geworfen, in den brausenden Strom. Der Sieg -ist errungen. - -So die kurze Erläuterung. Nun wandern sie durch das Schlachtgebiet. -Fröhlich schmunzelt die Fantasie zu den »reißenden Gebirgswassern«. Die -einzelnen Stellungen werden bezeichnet. Dann geht es an das Einteilen -der Heerkörper, an die Ernennung der Führer. - -Natürlich will niemand Franzose sein. Erst wie Horst die Rolle -Macdonalds übernimmt, bekommt er sein Heer zusammen. Auch die Russen -sind nicht begehrt. Kunz muß sich erst zu dem Jammerkerl, dem Langeron, -entäußern. Allerdings hat er dafür den Vorzug, auch sein eigener -Heerkörper zu sein -- zum Nichtstun bedarf es keiner weiteren Kräfte -- -und in träumerischer Einsamkeit die Spitze des Moordorfer Kirchturms und -die Straße vom Dorf, die so freundlich verheißende, zu betrachten. - -Auch hat der Posten, der ihm zugewiesen ist, alle Anwartschaft darauf, -nicht mit rührender Treue gehalten zu werden. Vielleicht, daß dieser -Frühlingssonntag doch noch etwas anderes mit ihm im Sinne hat, als daß -er hier den traurigsten aller Wutkigenerale an den Pranger der -Unsterblichkeit stellen muß. - -Die Moordorfer Straße -- eine Straße wie die andern auch. Vom grauen -Staub bedeckt, von grauen Bäumen mürrisch bewacht, die der Frühling noch -nicht hat entzünden wollen. Und heute ein grauer Himmel über allen -Dingen. - -Wie aber wird dieser graue tote Weg, auf dem heute niemand geht und -niemand fährt, wie wird er zu leuchten anfangen, ein goldener Streif, -eine Sonnenbahn, wenn zwei Mädchenfüße ihn betreten! - -Wartest Du, Straße, nicht auf diese Füße? Ja, ja -- Du bist nichts als -ein Warten, als ein Dichdarbieten, als ein Sietragenwollen! Was gibt es -auch Herrlicheres für einen Weg, als von dieser unsagbaren Anmut zu -federn und zu schwingen! - -Nicht wahr, Du, Straße, sehnsüchtig wie ich, Du führst sie mir her, sie -weiß ja, daß hier heute Kriegsspiel ist. Was gibt es Lockenderes für -sie? Und sie ist mein Kamerad. Wenn ich dabei bin, muß sie doch auch -dabei sein! Straße, gedenke Deines Berufes! Trag ihre Schritte! Bring -sie mir her! - -Der Ehrgeiz der Jungen warb um die Führerstellen. Blücher war natürlich -Dr. Georg Stump -- an den greisen Marschall hätte auch ihre Bewunderung -kaum zu rühren gewagt. Eher schon trauten sie an York sich hinan -- der -primus omnium, ein ernster, kantiger und steifnackiger Junge ward -auserlesen. - -Am meisten umworben war Blüchers Verzug, Katzeler, der kühnste und -verschlagenste aller Reiterobersten. Als solcher durfte Fritz Röder vor -seinen Schwadronen bergan traben, ein Junge, rosig, leichtsinnig, -sorglos und liebenswürdig verschmitzt -- seine Besonderheit war, listig -sich mit der Kamera lustig verfängliche Situationen zu greifen. - -Und nun ist Krieg. Die feindlichen Heere haben sich aufgestellt. -Horst-Macdonald klimmt mit seinen Scharen die Höhe hinan, die Aufklärung -versagt plangemäß, in breiter Linie fluten sie auf den Gipfel. - -Wie ein unbändiges Meer wogt die versteckte Brigade Hühnerbein. Schwer -ist sie zu halten. Jetzt! Das Kommando! Sie brechen vor auf die Feinde --- - -Ein erbittertes Handgemenge. In Paaren kugeln sie auf den Boden. Die -Franzosen müssen zurück. Aber Macdonald -- zu spaßen ist nicht mit dem -schlachtenerprobten Marschall, dem Helden von Wagram -- er führt neue -Truppen ins Feuer -- der Kampf steht -- - -Jetzt ist die Stunde der Reiterei gekommen. Wie das Donnerwetter -preschen Blücher und Katzeler mit den Regimentern gegen die -Anstürmenden. Und Yorks Infanterie gibt ihren Senf dazu. - -Aber -- aber die gerufenen Geister -- so leicht sind sie nicht los zu -werden. Ist es die Schwärmerei für Horst, ihren Führer, ist es der Zorn, -daß sie die Franzosen sein müssen -- Macdonalds Soldaten stehen und -verbeißen sich. In Einzelkämpfen. Sie sind die gewandteren Ringer und -bleiben oben. Der große Kavallerie-Angriff und mit ihm das ganze -Programm droht in die Brüche zu gehen. Kommandos und Signale werden in -der Kampfeswut nicht mehr gehört, die Franzosen dringen erbittert weiter -vor, das Bild der Katzbacher Schlacht beginnt, sich heillos zu -verschieben und zu verzerren -- - -Da -- was begibt sich? Man weiß, wie oft in die Entscheidungsschlachten -der Völker überirdische Mächte, himmlische Erscheinungen eingegriffen -haben -- Erzengel mit dem Flammenschwert, die Geister sagenhafter Helden -oder heilige Frauen im Glorienschein. - -Und hier -- eine Elfengestalt -- ein Wesen aus einer anderen Welt -- an -die Spitze der wankenden Preußen tritt sie -- eine Begeisterung, -übermächtig, braust durch die Herzen. Die Reihen schließen sich, sie -stürmen vor, unaufhaltsam, sie siegen, sie siegen. Und der Feind liegt -am Boden. - -Kunz, wo hast Du Deine Augen gehabt? Hast Du so lange auf die -Straßenlinie gestarrt, wie das Huhn auf den Kreidestrich, daß Du davon -eingeschlafen bist? - -Vita, Deine Vita ist ja längst zur Stelle. Mit ihrem Vater ist sie -gekommen, der heute hier auch nicht fehlen darf. Jetzt steht Horst bei -ihr und drückt ihr die Hand, daß sie die geschichtliche Wahrheit -gerettet hat. In scheuer Verehrung umkreisen sie die Jungen. - -Kunz findet sich schnell hinzu -- es zwickt ihn wie die bittere Wehmut -einer leichten Eifersucht, es liegt ihm ganz und gar nicht, überflüssig -zu sein. Sie begrüßt ihn mit ihren hellen eifrigen Augen. Wie -durchrieselt ihn die Freude an ihrer Kindlichkeit. Die ihm, ihm einmal -erwachen soll! - -Eine Pause gibt es. Wieder lagern sie alle. Die Kritik ist mühelos -erledigt. Jeder bekommt seinen Wischer. Nur die Vision wird gefeiert, -der Geist und des »Geistes Tochter«, die Begeisterung. - -Die drei Männer, Horst, Pastor Waermann, Dr. Georg Stump unterhalten -sich über das Leben in Blüchers schlesischem Hauptquartier -- der eine -weiß dies, der andere das. Die Jungen hören zu mit dürstender Hingabe. -Hier ist Trank aus deutschen Quellen. - -Wie um den Alten, den sie den »rohen Husaren«, den »Landsknecht« -schalten, das regste geistige Leben blühte. Nichts mehr von dem alten -bildungsfeindlichen, plumpen Hohn des Kasernentons. Die Helden dieses -Kreises, Gneisenau voran, Rühle von Lilienstern, mit Heinrich von Kleist -innig befreundet, Schack, Brandenburg, Oppen, -- Offiziere von weitestem -Horizont. Und auch die Haudegen Horn, der preußische Bayard, Jürgaß, -Sohr, Katzeler, der tolle Platen, dem nie die Pfeife ausging -- sie alle -beileibe keine bloßen Plempenschwinger. Weiß man, daß die Offiziere in -Blüchers Hauptquartier Shakespeares Dramen mit verteilten Rollen lasen? -Und wieviel Leuchtkraft strahlte von den »Schriftgelehrten« Karl von -Raumer, Friedrich Steffens, Friedrich Eichhorn aus! Keine Dumpfheit gab -es hier, keine Enge, keine Verketzerung! Freimut die Losung! Alles -Ehrliche galt, alles Faule wurde ausgebrannt, bei Fürsten wie bei -Untertänigen! - -O Du, unser Vater Blücher, auch heute noch -- heute mehr noch als je -unser Vater! Wie sang Pastor Waermann sein Lied! - -»Bewußt und groß!« Erfüllt war sein Bewußtsein von der Sklavennot seines -Volkes, seiner eigenen unerträglichen Not! Bewußt war er sich seiner -Führerschaft, seiner Kraft, die Fesseln zu brechen -- bewußt der Liebe -seines Volkes, der Liebe seines Heeres, der Bereitschaft seiner -Getreuen, mit ihm in den Tod zu gehen. Keiner ist so klaräugig wie er, -mit so unverwüstlichem Vertrauen wie er, der Frische, der Kraft, der -Freiheit deutscher Art sich innegewesen -- groß war er im Glauben! Und -so -- bewußt und groß hat er die Volksseele gelöst, gehoben, beflügelt -zum Freiheitsflug. Jeder Blutstropfen in ihm war Freiheit, jeder Hauch -seines Atems rief nach Freiheit. Der große bewußte Freiheitsheld seines -Volkes ist er gewesen. Und ist er uns geblieben, unser Schirmherr, unser -Bannerherr, uns, seinen Urenkeln, auf die wiederum die Knechtschaft fiel --- und die wiederum die Knechtschaft zerbrechen werden! In unserer Seele -brennen und leuchten seine Worte: »Trage Fesseln wer will, -- ich nicht. -Ich bin frei geboren und muß auch so sterben!« - -Es bebten die jungen Herzen, es zuckten die Augen. - -Turnspiele folgten. Militärische Übungen. Horst sprach noch einiges über -Technik in der neuesten Kriegsführung. Dann trennte man sich. Die Jungen -waren vollgesogen bis ins Mark von stählenden Erlebnissen. Sie hatten -Eisen ins Blut bekommen. Am nächsten Sonntag wollten sie mit tausend -Freuden sich wieder einfinden. - -Singend zogen sie der Stadt zu, singend das Trostlied ihrem Deutschland: - - Wir sind die Jungen, wir sind die Kraft, - jede Faser gestrafft und gerafft. - Wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, - siehst Du die nächtigen Wolken lohen? - Wir sind des Frührots lachender Schein! - Frei sollst Du sein! - -Horst, der Pastor, der Doktor, Vita und Kunz gingen eine Strecke im -Takte mit. Der Doktor sprach mit Horst. Er war stolz darauf, daß von -seinen Jungen wieder nur die beiden räudigen Schafe fehlten. - -Übrigens der eine von diesen, der Kommunist, ein unheimlich begabter -Mensch. Ein musikalisches Genie. Lebte als reiche Waise im Hause einer -halb verrückten Tante, die ihn frei gewähren ließe. Jetzt hätte er -Klavierstunde genommen bei der Nihilistin, die die Stadt unsicher -machte. - -Lona also. Diese letzte Wendung gefiel Horst nicht. Aber Doktor Stump -sagte noch mehr von ihr. Natürlich sei der Junge rasend verliebt in sie. -Eine Gefahr nicht bloß für ihn. Eine Gefahr, die weitere Kreise ziehen -könne. Höchstwahrscheinlich lasse sie alle Minen springen, um Bresche zu -legen in die Reihe der Primaner. Für die sie natürlich etwas lockend -Geheimnisvolles und Verbotenes sei. - -Horst trug an einem Unbehagen. Aber die Vertraulichkeit einer -Entgegnung, einer Auseinandersetzung widerstrebte ihm. Und der Doktor, -so ehrlich wie befangen, ging weiter im Text. Von all den Aufwieglern in -der Stadt sei sie ohne Frage die Bedrohlichste, schon als die geistig -Bedeutendste. Und ihr Zauber, um den die männliche Jugend zu kreisen -geneigt ist --! -- - -»Wer weiß,« rief der Lehrer erbost, »ob ich Ihnen das nächste Mal noch -all diese Jungen wieder hinausbringe!« - -»Sie meinen --! --« - -»Nicht unmöglich, daß sie ein pazifistisch-musikalisches Jugendkränzchen -mobil macht, gegen unsere vaterländische Jungmannschaft! Die Erregung -gegen sie ist im Wachsen. Vielleicht steht ihr so mancherlei bevor!« - -Nun richtete Horst sich steil auf. »Sie ist eine Frau, eine Dame --!« - -»Sie macht Politik. Und Politik ist geschlechtslos --« - -Die anderen traten hinzu, sie wollten umkehren. So verabschiedete man -sich. - -Horst ging versunken den Weg zurück. Die drei Andern sprachen lebhaft, -er blieb mit sich allein. - -Lona -- sie laufen Sturm gegen Dich. Wären wir im Mittelalter, machten -sie Dir als Hexe den Prozeß. Denn Du trägst Dein Mal. Dein -unglückseliges zerrissenes Leben, Dein zerwühltes Gemüt, Deine flammende -Sehnsucht, die der Zeit voran fliegen will, hat Dir das Hexenzeichen -aufgeprägt. - -Ich versteh es, ich seh es, wie die Primanernacken nach Dir sich wenden. -Wieviel Reiz ist in der blühenden Schlankheit Deines Wuchses, in dem -Doppelleben Deiner Züge, in der Auferstehung Deiner Augen aus -vergrabener Tiefe. Wer begreift es nicht, daß gerade junge Fantasie an -Dir sich entzücken muß! - -Dazu Deine Kunst und -- abenteuernden Sinnen ein Zauber -- Deine wilde -fanatische Kampfstellung, auf geistiger Höhe. - -Und nun -- einen Wettstreit soll es zwischen uns geben, um die Seelen -der Jungen? Ist es das, was mir am nächsten geht? Oder ist es der -Wettstreit, den ich um Dich auszufechten habe -- mit allen, deren Blicke -und Gedanken um Dich streichen und werben, ob es die Jungen sind, ob die -andern alle! Ob der Alte seine haarige Flosse auf Deinen leuchtenden -Unterarm legt -- was hat sie da zu liegen! Ob Deine Parteigenossen -Deiner begehren und Dich umgirren! - -Er kämpfte schon wie um ein eigenes Besitztum, zornig und heiß. - -Was hatte der Schulmeister vorhin gesagt? Daß sie sich nicht scheuen -werde, ihre Reize spielen zu lassen, um so die Jungen zu sich herüber zu -ziehen! - -War das nicht wie eine Beschimpfung? Wie hatte er das hinnehmen können! -Und heftig fast wandte er sich jetzt an Pastor Waermann. Er habe eine -Bitte. Eine ihm bekannte Dame, Künstlerin, Meisterin auf der Orgel, -möchte dann und wann in der Moordorfer Kirche spielen dürfen. Kunz -spitzte die Ohren. - -»Das soll sie!« Der Pastor gab gern seine Einwilligung. - -»In der Stadt macht man ihr Schwierigkeiten,« erklärte Horst ehrlich. -»Weil sie Kommunistin ist.« - -Pastor Waermann wußte von ihr. »Ich muß offen gestehen -- unbehaglich -ist sie mir ja -- aber darum --!« - -Horst, der empfindlich gewordene, wollte gegen das »unbehaglich« sich -ins Zeug werfen. Dann aber griff er es willig auf. »Sie ist sich selbst -nicht behaglich -- zerquält, vom Leben zerschlagen. Nur in ihrer Kunst -kann sie sich wiederfinden. Und gerade die Orgel trägt sie auf andere -Bahn. Es dämmern Bekehrungsmöglichkeiten --« - -Dann brach er jäh und unwirsch ab. So was wie gemeinsames Rettungswerk -widerstrebte ihm aufs tiefste. Und da er von Wandlungsmöglichkeiten -sprach, verriet er hier nicht heimliche Hoffnungen? - -Kunz mit Vita ließ seinem Unmut die Zügel frei. Längst hatte er vor ihr -keine Geheimnisse mehr. Eine selbstverständliche Vertraulichkeit band -die jungen Herzen. »Horst orgelt sich da selbst in etwas hinein. Solche -innere Mission färbt immer ab. Er soll die Finger davon lassen. Er -braucht -- wir brauchen seine reinen Hände!« - -Schwer ging seine Brust. Vita sah, wie er litt, an quälender Sorge. Sie -nahm seinen Arm. Da durchrann ihn das Glück. Und er hob sich fröhlicher. -»Das Siedlungswerk soll nicht untergehen! Deutsche Augen -- deutscher -Glaube sind auf uns gewandt. Wenn Horst uns versagt -- er darf es nicht, -denn alles hängt an ihm -- aber wenn, wenn -- Dankwart ist zu sonnenlos -und Gisbert, der jetzt kaum noch was Irdisches hat, schwimmt in seinen -Unendlichkeiten. Dann muß ich -- ich wachsen an meinen Pflichten!« - -Sie blickte zu ihm empor. Alles Kindliche, Spielerische fiel von den -beiden ab. Eine Weihe der Kraft schloß die jungen Menschen zusammen. - - - - - Heimweh - - -Horst brachte Lona den Kirchenschlüssel. Sie hatte die Erlaubnis, morgen -Montag zu einer ihr genehmen Stunde auf der Moordorfer Orgel zu spielen. - -Sein Lohn wurde ihm zugesichert, er sollte, wenn sein Tagewerk beendet -wäre, am späten Nachmittag -- diese Stunde wählte sie -- ihr zuhören. - -Horst war hinterm Pfluge gegangen. Er hatte Furchen gezogen durch -deutsche Erde, der Duft der umbrochenen Schollen hing ihm im Haar, lebte -noch in seinen Lungen und stählte ihm das Herz. Er fühlte sich sicher -und reich. Wie ein Gebender erschien er sich, nicht als einer, der -suchte und beschenkt werden sollte, da er den Weg zur Moordorfer Kirche -antrat. - -Die Luft prickelte und schäumte wie Wein von den Kräften und Säften des -Frühlings. Dann und wann -- wie ein Mädchenlachen, keck und spröde -zugleich, zitterte es stoßend und kurz, höhnend und befeuernd durch den -schweren seidenen Glanz des sinkenden Nachmittags. - -Er dachte an Lonas Lippen, die vollen, farbigen, denen die -schmerzverbissenen Kiefer so schwer zu schaffen machten, die so bitter -in weher Ironie sich spannten. Hatte er jemals ein Lächeln, ein weiches, -vergessenes Lächeln um diesen Mund gesehen? Und war doch der rote, -blühende, lebensheiße Mund eines jungen Weibes. - -Er warf die Arme. Ist es nicht aller Weisheit Anfang und Ende, nicht die -Erlösung aus allen Nöten: die Sprache Mund auf Mund -- gibt es eine -andere zwischen Mann und Weib? Durch seine Sinne rieselte es. Was gehen -ihre Gedanken mich an, ihre Dogmatik, ihr Geistesleben, ihr politisches -Toben! - -Vom Verstehen habe ich immer gesprochen, in so schönen Worten -theoretischer Gesinnung. Was schwatz ich mich so herum um die einzige -Verständnismöglichkeit, die gegebene, die gebotene, die notwendige? Die -einzig wahrhaftige, von der all die verlogenen Mätzchen wie weggeblasen -werden! Gibt es Waffenstillstand für uns, warum sollen diese Stunden -sich nicht füllen mit allen Gaben der guten Lebensgeister? Die gut sind, -weil sie nur fühlen, nicht denken. Macht nicht das Denken erst böse? - -Und er summte und träumte im Frühlingsrausch. - -Wie er sie beim Torfmeister fand, war sie anders als das Bild seiner -Wünsche. Auf ihrem Gesicht eine krankhafte Blässe, sie sprach wieder von -schlafloser Nacht, und daß sie das Moor nicht vertrage. - -Dem Torfmeister ging es besser, morgen wollte sie in die Stadt zurück. - -Nun wanderten die zwei zum Dorf. Eine Befangenheit war um sie. Beide -empfanden sie stärker als je das Ungewöhnliche ihres Beisammenseins. -Eine Heimlichkeit vor den Freunden -- und auch eine Heimlichkeit vor -ihnen selbst, vor ihrem eigenen Wollen, ihren Kämpfen, ihren -Lebenszielen. Wie ein Verbotenes, wie eine Schuld. Und wieder mit allen -Reizen des Heimlichen und Schuldhaften. - -So suchten und mieden sich verstohlene Blicke und Wünsche in wachsender -Scheu. Kaum, daß sie ein Wort miteinander sprachen. - -An der Kirchentür erwartete sie ein halbtauber Junge, der die Bälge -treten sollte. Nun gingen sie in das Gotteshaus, darin schon die -Abendschatten geisterten. Die rostige Stimme der Uhr mahnte sie -mürrisch: es ist schon sechs! Der geduckte, karge Raum mit seinen -gedrungenen Säulen und der düsteren Täflung gab den Eindruck einer -trotzigen verbissenen Frömmigkeit. - -Horst setzte sich in einen der schweren Stühle, Lona ging die Treppe zur -Orgel hinauf -- es war ein Instrument mit freistehendem Spieltisch -- -und machte sich bereit. Die Windladen füllten sich. Liebevoll legten -sich die dankbaren Finger auf die Tasten. - -Leise, im Hauch spielte Lona ein paar Passagen -- die Töne waren -ungleich, viele grau, alt und quäkend. In trockener, starrer, linearer -Kühle fügte sich Ton an Ton -- dürr klang es, mechanisch, wie wenn -Letter an Letter gesetzt wird zu einem mühsam dürftigen Wortgebilde. -Jetzt aber fand sie es, die Orgel hatte doch Seele, sie konnte lebendig -werden, konnte sprechen und Zeugnis geben. - -Um Horst aber schauerte die Andacht seiner Sehnsucht. - -Und es begann. Ein dumpfes Rauschen begann es, aus weiter Ferne, -gebändigt von Nacht und Finsternis. Wolken schoben sich, ballten sich, -formten sich gespenstisch. Ein Chaos wie von sich selber träumend, kaum -seiner selbst sich bewußt. Und es wird ein Schein -- ein Wollen, eine -Kraft, ein Licht. Und das Licht schafft sich Schatten, die ihm dienen -müssen -- die vor ihm fliehen wollen -- die sich auflehnen im Kampf -- -die Feuerodem dem Lichte entreißen -- und mit ihm sich beseelen. Körper, -Wesen, Lebende, Leidende, aus Licht und Finsternis geworden. Menschen. -Da sie leben wollten, sind sie dem Tode verfallen. In den Wolken, auf -schwarzen Fittichen rüttelnd, steht der Würgengel. Unter ihm die -Kreatur, sie verkriecht sich in Klüften, sie winselt, sie schreit. Und -auf wen der Würgengel stößt, in dem erlischt das Licht, er wird wieder -zum Schatten. Nun aber, da er gelebt, ist er schuldbeladen -- und des -Schattens wartet das letzte Gericht, furchtbarer noch als der düstere -Todesengel. Von Grauen gepeitscht sind die Seelen -- Gewitterstürme -donnern hernieder über das Weltmeer -- Blitze zerreißen die Finsternisse -der Himmel -- an die Ränder der Wolken klammern sich die gehetzten -Schatten -- es gibt einen Tod noch über dem Tod -- und was ist das Leben --- was ist sein Sinn -- was ist es mit dem guten Sinn des Lebens? Ein -Hohngelächter in tausendfachem Echo gellt von den irdischen Abgründen zu -den zerklüfteten Wolken -- entsetzte Seelenschatten flattern durch den -erbarmungslosen Raum -- - -Horst erfror vor dem erhabenen Grauen dieser trostlos verzweifelten -Visionen. Sie alle getaucht in die schreienden Tinten ihrer neuen Kunst. -Kosmisches Urweltgestammel über allem. Und doch ein gewaltiges Ringen in -und zur Wahrhaftigkeit, ein Sichselbstzerwühlen nach den letzten -Offenbarungen des Ich. - -Findet sie keinen Trost, keinen Ausblick, keine Helle? Wo ist das Licht, -das doch sein muß, damit die Schatten sein können! - -Jetzt -- fügte sich, baute sich, wölbte sich nicht etwas in ihren Tönen? -Über den weichenden Wolken? Die große Kuppel, das Firmament, der -Himmelsdom. Und Sterne gebiert die Nacht -- sie leuchten, sie künden, -sie loben. - -Wie ein Ausruhen ging es jetzt durch ihr Spiel, wie ein Aufatmen, ein -Erinnern. Regten sie sich, die Klänge des Heimwehs? Wollte die Kindheit -lebendig werden -- und der Kindheit gläubige Traumwelt? - -Ein Gebetlallen in stammelnder Torheit, gedankenlos verloren, glückhaft -versunken -- und dann die wachsende Klarheit, wie ein Sonnenaufgang der -Zuversicht -- - -Tiefe Klänge aus Bachschen Messen und Kantaten, die eine leuchtende -Lichtspur ziehen -- und schon jauchzt es auf in dem atemlos gebannten -Horst: sie findet sich -- sie findet zurück -- sie findet heim -- - -Plötzlich aber -- was züngelt in die Himmelsklarheit der Töne? Ein -Überdruß -- ein Spott -- ein Hohn --? - -Und Horst stöhnt auf. Fängt sie nicht an, Bach zu travestieren? Ihm das -Käppchen der Selbstgefälligkeit aufzusetzen? Verzerrt sie nicht die -Frömmigkeit zur Frömmelei, die Herzenseinfalt in ein kokett bigottes -Schmachten? Läßt sie die pausbäckigen Engelsjungen sich nicht sich -selber verlachen und Koboldsfratzen schneiden -- - -Und dann ein Schluchzen -- ein wildes Weinen -- die Verzweiflung des -Zweifels -- ich kann nicht -- ich komm nicht auf -- ich muß wieder -versinken -- ich bleib in der Tiefe. Und ein Trotz -- eine wilde -Bitterkeit -- und wieder das Schluchzen. - -Und plötzlich das tonlose Verhauchen -- das Ersterben in Nichts -- das -Verstummen. Das Schweigen. - -Horst kauert im Gestühl, niedergezwungen von seiner Erschütterung. -Langsam löst er sich -- er wartet auf Lona -- sie kommt nicht -- da geht -er, wie tastend erst, die Treppe zur Orgel hinauf -- sie ist über die -Klaviatur hingesunken und liegt in Ohnmacht. - -»Lona« -- flüstert er an ihrem Ohr, er nimmt ihre Schulter, er richtet -sie auf -- da kommt sie langsam zu sich. Ein Blick seltsam trauriger -Hingebung bricht aus ihrem Auge -- dann aber aus seiner Verlorenheit -findet er die alte feste Richtung seines Ausdrucks. Und nun preßt sie -ihre Schläfen, sie schüttelt den Kopf und stellt sich auf die Füße. - -»Es spielt sich so schwer -- das Pedal bringt einen um -- ich bin -einfach müde zusammengeklappt.« Unwahres sprach sie. Horst aber rührte -nicht an ihre Zerrissenheit. - -Es war ein Anfang -- und alles in allem, ein Schein ist aufgegangen. In -qualvollem Ringen. Ein Frühschein soll es sein -- es soll, es soll! Nur -diesem mühsam glimmenden Licht nicht zu nahe kommen. Daß die zarteste -Hoffnung nicht erlischt. Und heute nur daran denken, mit welcher Macht -die Kunst in ihr braust! Dankbar daran denken! - -Wie hat es ihn geworfen zwischen Himmel und Hölle! Welch eine Windsbraut -hat ihn als Weltenwanderer getragen, entführt, gewirbelt, ihm die -Fittiche gesträubt, das Hirn ihm betäubt. Daß Schwindel und Ohnmacht ihn -selber packten! - -Und er griff ihre Hand. »Was können Sie spielen! Ich selbst bin -umhergeworfen -- von einem Weltenrausch --« - -Er suchte nach Worten. Sie versagten sich ihm. Schweigend packte er noch -einmal ihre Hand, in zügellos heftigem Druck. - -Er hatte sie zum Torfmeister heimgebracht. Nun taumelte er durch den -Abend. - -Dies, Kunz und Dankwart, konnte die Baracke nun nicht mir geben! Wißt -Ihr, daß dies zu mir gehört, daß dies mir gehören muß, für mein Leben, -mein Schaffen, mein Ziel! Ihr habt die Augen starr auf den einen Punkt -gerichtet. Bewußt, stier und stur. Ich tadele euch nicht darum! Ihr seid -gut für unser Land, ihr seid notwendig. Ich aber muß um mich blicken -können, frei und weit. Und mit gestärkten, geschärften, vertieften -Blicken suche ich dann wieder das Ziel, das meines wie euer, das unser -ist! Ich muß mich umtun können im deutschen Land, im deutschen Geist, in -allen Registern der deutschen Not und Qual. Und wenn ihr meint, ich -erweiche mich so -- ich sage euch, eben so werde ich fest zu meinem -Beruf. - -Und wenn die, deren tiefsten Erschütterungen ich gelauscht habe, die um -die Wahrheit ringt und an ihrer Wahrhaftigkeit leidet, mir das Herz -bewegt -- um so kräftiger schlägt dieses Herz für unseres Lebens Sinn. -Für des deutschen Lebens Inbegriff und Inbrunst. Alles, alles muß dem -einen zum besten dienen. - -So zog Horst ohne Scheu die Gehetzte, Gepeinigte, Zerwühlte, auch -Verfehmte und Geschmähte an sich. Immer blieb ihr Auge bei ihm, wie es -aus der Ohnmacht zu ihm erwachte, die erschrockene Zärtlichkeit, die -schmerzliche Innigkeit -- wie lebte es davon in seinem Blut! - -Er sah die Lichter des Moorhofer Gutshauses. Da lag sein Gisbert noch -immer in Pflege. In diesen Tagen, morgen, übermorgen sollte er in die -Baracke heimkehren. Es zog Horst zu dem Jungen. In dessen weiter Seele -fand er den Widerhall, den die planmäßig verwahrte Enge von Dankwart und -Kunz ihm versagte. Und das, was in ihm wuchs und ward, es mußte sich -ausschwingen -- ohne Worte, nur in dem Beisammensein. - -Gisbert saß mit Frau Tilde. Sie hatte als Gutsherrin schwer gearbeitet, -nun lehnte sie müde im Sessel. Horst wurde herzlich begrüßt. - -Sie sprach von dem Wiederaufbau der niedergebrannten Stallungen. Einen -größeren Posten Balken und Bauholz habe sie bei Gelegenheit gekauft. -Davon werde etwas übrig bleiben, das sollte die Siedlung bekommen für -ihr erstes Haus. - -Welch eine seltene Frau! Diese überirdischen Augen, die Zeugen ihres -fernen, hohen Fluges -- und dabei doch die feste zugreifende Hand, und -in ihrer überströmenden Güte die kluge Sorge für den Tag. - -»Je eher sie an ein eigenes Haus die Hand legen, um so mehr frohe -Sicherheit ist bei ihnen.« - -Der Diener brachte eine Depesche. Sie öffnete sie, nach leiser -Überwindung, mit zagender Hand. Um ihre Augen zog ein schwerer Schatten. -Dann legte sie das Blatt beiseite. - -Sie sprach weiter über den Bau, und wie die Seßhaftigkeit der Herren ihr -ein Trost sei, deren Nachbarschaft ihr eine Hilfe und Freude. Dann -zuckte es in ihrer Hand. - -»Und da wir in einer Gemeinschaft stehen -- da wir mehr oder weniger -aufeinander angewiesen sind, soll auch volle Offenheit zwischen uns -sein. Dies hier« -- ihre Finger griffen wieder nach dem Telegramm -- -»gehört so zu meinem Leben und zu meiner Tätigkeit, ich muß mit Ihnen -darüber reden.« - -Sie gab die Drahtnachricht an Horst. Er las: »Bin Amateur-Boxmeister von -Deutschland. Gegner mit großer Technik, gutem Auge und ausgezeichnetem -Linken landete mehrfach hart, wurde aber schließlich durch rechten -Kinnhaken zu Boden gestreckt. Kampfdauer drei Minuten vierundvierzig -Sekunden. Achim.« - -Horst gab auf ihre Bitte an Gisbert die Nachricht weiter. Dann sagte -sie: »Es ist eine Eitelkeit in uns, die mit unserem Unglück Versteck -spielt. Ich will mich ganz frei von ihr machen. Sie wissen ja ohnehin, -daß ich meinen Mann schwer erkrankt aus dem Felde zurückbekommen habe. -Man hofft immer wieder auf eine Wendung. Und immer geringer wird die -Hoffnung.« - -»Gnädige Frau,« sagte Gisbert, und seine Worte leuchteten wie seine -Augen, »lassen Sie erst wieder mehr Sonne in Deutschland sein -- sie -kommt auch zu ihm und erlöst auch ihn.« - -»Mehr Sonne, Gisbert?« entgegnete sie, schmerzlich spannte sich ein -Lächeln um ihren Mund. »Wir werden noch sehr viel mehr Finsternis in -Deutschland haben. Und -- auch die Sonne kann Zerstörtes nicht wieder -lebendigmachen.« - -Gisbert und auch Horst suchten nach Zuspruch. Mit weher Klarheit fuhr -sie fort. »Es ist nun mal alles Empfindungsleben in ihm zunichte -geworden. Und -- was das Schlimmste ist -- man darf selbst auch nicht -mit irgendeiner Empfindung ihm nahe kommen -- als ob sie Ansprüche auf -einen Widerhall erhöbe, den es nun einmal nicht geben kann. Die -erschreckten, gequälten, kranken Augen dann -- das Herz steht einem -still. Und so ist er nun rettungslos versunken -- in diese rohe -Spielbetäubung des Gladiatorentums.« - -Ihre Hände nahmen wieder das Telegramm. »Dies ist nun eine -Siegesnachricht. Ich soll an ihr teilhaben -- und darf doch auch wieder -keinerlei Freude zeigen. Er weiß ja, daß sie nicht echt sein kann, und -würde noch mißtrauischer werden. Und wenn ich ganz mich zurückhalte -- -man sucht doch schließlich immer noch nach einem Rettungsfaden! Und wir -gehören doch zusammen.« Unhörbar fast klang es aus. - -Eine Freundschaft schloß das Leid dieser Frau um die drei. Daß sie aus -ihrer leisesten Innigkeit sich so ihnen offenbarte, wie eine unsägliche -Kostbarkeit empfanden die beiden Männer so viel Zuneigung und Vertrauen. -In Gisberts blassem Gesicht fluteten die Blutwellen. Das Fieber seiner -Augen hob und löste sich in der Verklärung eines unerhörten Glücks. - -Mit ihrer stillen Tapferkeit war Frau Tilde schon wieder bei der -Gutswirtschaft, sprach davon, daß sie den Siedlern noch eine Milchkuh -überlassen könnte, und bat Gisbert, der in den letzten Tagen ihr als -eine Art Privatsekretär bescheidene Dienste geleistet hatte, in den -Büchern festzustellen, wie viel Thomasschlacke für das Siedlungsland -übrig sei. Sie redete dann fachmännisch mit Horst über die Bestellung -und versprach ihm, sie wolle sich selbst bald einmal nach der -Ödlandkultur umsehen. - -Dankbar nahm Horst von ihr Abschied. Welch ein Schicksal! dachte er. Wie -klagt das deutsche Leid in immer neuen Weisen, an immer mehr versteckte -deutsche Gräber stößt unser Fuß. - -Und seine Gedanken gehen zu Lona. Kann hier der Schmerz dem Schmerz -nicht helfen, würden diese beiden Frauen, die ungleichsten der Welt, -sich nichts zu geben haben, beide so reich an seelischem Gut und beide -so bedürftig! Würden sie den Weg nicht zueinander finden -- über den -Abgrund, den das Leben zwischen ihnen aufgerissen hat? - -Wenn ich Lona zu ihr führe! Dieser Gedanke, so kühn und doch so -natürlich, so notwendig, läßt ihn nicht los. Ihr beide -- eben weil ihr -aus verschiedenen Welten seid, um so mehr habt ihr euch zu offenbaren, -und je tiefer ihr grabt, euch zu verstehen, um so mehr Schätze werdet -ihr ans Licht heben. Ihr werdet euch verstehen und werdet mithelfen an -der großen deutschen Versöhnung! Ihr aus den feindlichen Heerlagern -- -und doch zwei deutsche Frauen! - -Und Dich Lona -- aus Deiner Einsamkeit gilt es, Dich zu befreien, aus -Deiner Abgeschiedenheit von dem, darin Dein Leben seine Wurzeln hatte. -Möchtest Du nicht selbst zurück? Schluchzte nicht leise die Sehnsucht -auf in Deinem sturmgewaltigen Orgelspiel, das Heimweh? Mächtiger wird es -über Dich werden! Und zwischen uns beiden, wird nicht bald mehr zwischen -uns sein als dieser mühsame Waffenstillstand? Lona, Du rätselhaft liebe -Du! - -Er bebte in der Zärtlichkeit seines Blutes. Und es zogen durch ihn die -Schatten, die das Schicksal wirft. - -Zu Frau Tilde, zu Gisbert wollten seine Gedanken zurückkehren. Die Augen -des Freundes lebten vor ihm auf, in ihrer unbegrenzten verlorenen -Glückseligkeit. Auch hier zogen die Schatten -- - - - - - Vor dem Sturm - - -Es war ein neuer Befehl der Regierung ergangen, daß alle Heereswaffen -abgeliefert werden sollten. Militärische Kommandos gingen um und -überwachten die Erfüllung. - -Die Siedler hielten Rat. Und ähnlich wie früher sprach Horst: »Wer sind -jetzt unsere Landpfleger?« - -»Landpläger«, nannte sie Kunz. - -»Wer sind sie heute, wer sind sie morgen? Sie selber wissen es nicht. -Und ich kenne sie nicht. Und ehe ich nicht weiß, in wessen Hände ich -meine Waffen liefere -- behalte ich sie lieber selbst.« - -Sie stimmten ihm zu. Und -- die Waffensuche ging an ihnen vorüber. - -In der Stadt war man sehr strenge gefahren. Aus mehreren Kellern, unter -Fabrikarbeiterwohnungen, wurden Maschinengewehre ans Tageslicht gezogen. - -Die Arbeiter wüteten. Man wußte, daß die Siedler ihre Maschinengewehre -behalten hatten. Man zeigte sie an, bei dem Offizier, der das Kommando -befehligte. Der hatte für die Denunzianten nur ein frostiges Schweigen. - -Natürlich! Die Bande hält zusammen wie Pech und Schwefel! Das alte -System! Wenn wir's leiden, verdienen wir's nicht besser! - -Das Falkenauge ist wieder einmal in der Kreisstadt. Es gärt aufs neue, -jetzt mit dem Frühling, in dem elend wunden und siechen deutschen -Volkskörper. Die »betrogenen Proletarier« wollen endlich ihr Recht. -Wollen Abrechnung mit den sozialreaktionären Verrätern. Im Ruhrgebiet, -in Mitteldeutschland bereitet sich etwas vor. Überall im Lande müssen -die Flammen auflodern! Je mehr Herde, um so besser. Um so sicherer der -große Schlag und der Sieg. - -Auch hier müssen wir zupacken! Unter dieser Parole tagten die Führer in -Knubarts Wohnung hinter verschlossenen Türen. Das Falkenauge, Kittel der -Buchbinder, Struk der Koch, ein Werkführer aus der Eisengießerei -- er -war Feldwebelleutnant draußen und ist der Feldherr des Kreises -- und -Lona. Auch sie ganz im Panzer ihrer Parteigesinnung. - -Das Falkenauge hat die Gesamtlage umrissen. Einzelaktionen werden -verlangt, überall. Hier mit der Stadt als Operationsbasis läßt sich ein -Vorstoß machen. Hier kann das Heil für die ganze Provinz entzündet -werden. - -»Wenn uns die Siedler nicht als Pfahl im Fleisch säßen!« heißt es -dagegen. - -Stahlboom, der Werkführer, spricht. Er ist schlank und gut gewachsen, -trägt sich kavaliermäßig, wenn auch mit der Nuance des Fadenscheins, hat -im Blick etwas fraglos Mutiges und Befehlendes, unterstreicht aber -unnötig sein Selbstbewußtsein und zeigt zu oft kriegerisch seine -zementplombierten Zähne. - -»Uns hat man die Maschinengewehre genommen. Die Siedler haben sie -behalten. Das erste muß sein, daß wir diese Maschinengewehre uns holen. -Ehe wir die nicht haben, liegen wir im Wurstkessel und bleiben da -liegen! Darum -- die Baracke wird gestürmt! Die nötigen Leute haben wir. -Gewehre und Handgranaten sind noch da. Noch sage ich. Die nächste -Waffensuche kann uns auch die nehmen, und was dann!« - -»Sturm auf die Baracke!« fordert Kittel mit dem gellend pfeifenden Brand -seiner Rede. Er war nur noch Feueratem und flammende Augen, sein Leib -zerfallen, sein ganzes Wesen jetzt vollends von lauter Dynamitgängen -ausgehöhlt. - -»Machen wir uns das eine klar!« betont das Falkenauge -- er hat den -Weitblick, die Zusammenhänge, das konsequente Denken, »mit diesem Sturm -auf die Baracke ist es nicht getan. Wenn er gelingt, verpflichtet er zu -der größeren Aktion. Mißlingt er aber, ist damit für unbestimmte Zeit -unsere Unternehmungskraft hier zerschlagen.« - -Sie berieten. Es wurde beschlossen, daß sie es wagen sollten. Stahlboom -brachte den Plan in der Tasche mit. Am Abend sollte der Handstreich -ausgeführt werden. In der Nacht würden sie dann das städtische Rathaus -besetzen. Die Stadt wäre reif. Gäbe es einen Menschen in ihr, der -zufrieden wäre? Und wäre es einer, wär er feige. Auf den Mut käme es an, -auf die Tat! Nur die Tat zwingt die Herzen. - -Vorbereitungen sind natürlich zu treffen. Aber diese Tage, die auch -anderswo die Entscheidung bringen, müssen uns am Werke finden! - -Vorbereitungen -- dazu redet Knubart, und er wittert bedachtsam. »Wir -haben es mit einem gefährlichen Feind zu tun. Kerle sind sie alle, die -Siedler. Und ihr Führer, der Hauptmann Oldefeld -- Lona, Sie kennen ihn -ja persönlich.« In seinem Blick ist die lauernde Kälte. - -Lona hebt frei die Augen. »Ja, er ist mir bekannt.« - -»Sie kommen öfter mit ihm zusammen --« - -Nun widerstrebt sie doch, wie einem Verhör. All die Augen, die sich auf -sie wenden, gebärden die sich nicht wie Richter über sie? - -Und ist in ihrem eigenen Gewissen nicht eine Stelle, darin etwas sich -regt -- wie ein Argwohn gegen sich selber? Darf sie sich wundern, wenn -in den andern, den Freunden, den Schwurgenossen ein Mißtrauen aufzieht? - -Mißtrauen! Ich bin unserer Sache treu! Was mit mir verwachsen ist, durch -mein Denken, mein Fühlen, mein Leben -- nichts von meinem heiligen -Glauben habe ich verloren, nichts von ihm habe ich preisgegeben! Wie -kann ich das, ohne mich selbst zu verlieren! Ich bin bei der Fahne, ich -bin bei dem Schwert -- bei dem Schwert unserer Fehme, wie nur je ich es -war! Ich kämpfe mit Euch, mein Leib und Leben für unseren Kampf! - -Nur Schleichwege dürft Ihr mich nicht schicken wollen! - -Aber in Knubarts trägem, laschem Auge ist die Tücke. - -Man wartet auf ihre Antwort. Sie zwingt ihren Unmut nieder. Ohne Frage -haben die Genossen Anspruch auf ihre Ehrlichkeit. Und wieder schließt -sich etwas in ihr, wie um ein stilles Besitztum, das von allem Lauten -entwertet wird. Das an jeder Berührung sterben muß -- das sie jetzt -selbst berühren und zerstören soll! - -Ein Heiligtum also! Zum Lachen! Es gibt für mich kein Heiligtum, außer -meiner heiligen Sache! Deren Feind Du bist, Horst Oldefeld! Todfeinde -wir! Todfeind -- man hat das Wort so oft gesprochen, wie eine -abgegriffene Münze ist es, deren Schrift man kaum mehr kennt. Hier ist -aber das Wort ehern ins Leben gegossen. - -Eure Baracke wird von uns gestürmt! Hier hat nun jeder zu zeigen, wer er -ist. Hier gibt es keine Empfindungsflausen, keine Gefühlskunststücke, -keine Gedankenspreizungen im Rahmen unserer gutgespielten -Friedenskomödie -- hier gelten jetzt die echten Sakramente: Leib und -Blut! - -So hart macht sie sich selbst, so bitter hart -- und sie spricht hastig, -sich überstürzend die Antwort auf Knubarts trächtige Frage: »Herr -Oldefeld hat bewirkt, daß ich in Moordorf die Orgel spielen darf -- er -hat auch schon einmal zugehört. Wir haben einen gemeinsamen Freund, den -alten Torfmeister. Bei dem auch er Sonntags nachmittags sich einzufinden -pflegt --« - -»Sonntag nachmittag«, wiederholt Knubart schwer. Und alle begreifen -gleich. - -Der Werkführer erklärt: »Dieser Sonntag -- um Neumond herum sind wir, -dunkel ist es -- der Abend ist für den Sturm die gegebene Zeit. Der -liebe Sonntag ist ja den lieben deutschen Seelen als Ruhetag in Fleisch -und Blut übergegangen -- den Tag zum Biertrinken und Spazierengehen, den -suchen wir uns aus. Und wenn der Führer dann auch bis zum späten Abend -aus dem Hause ist --« - -Weiter kein Wort. Ein Blick auf Lona, und sein Instinkt warnt ihn, mehr -zu sagen. Sie alle fühlen es: kein Wort mehr. Sie kennen Lona -- ihre -klare Härte -- die so spröde ist, wie das zarteste Kristall. Nichts von -ihr, als was ihr Wesen selber ihr befiehlt, im Augenblick der klaren, -harten Entscheidung. Blank und ehrlich ist nur die Tat. - -Militärische Besprechungen schlossen die Tagung. Nachrichten aus den -andern Lagern sollten abgewartet werden. In zwei Tagen mußte es sich -endgültig entscheiden, ob der angesetzte Schlag Sonntag geführt werden -sollte. - -Dann kam es: die endgültige Entscheidung fiel auf den Sonntagabend. -- - -Gisbert war wieder in der Baracke. Er war noch nicht ganz genesen, aber -wie aus Selbsterhaltungstrieb sehnte sich grade das Zerfließende seiner -Art nach dem Bandeisen harter Arbeit. - -Die Aufsicht über die Stallungen war ihm jetzt zuerteilt. Der Erste war -er in der Frühe auf den Beinen, auch heute am Sonntag fand das Morgenrot -ihn wach. Er ließ die Hühner aus dem Stall, sie stammten meistens aus -Mönkhov, ein Geschenk von Frau Tilde. Es war seine Freude, für seine -Gedanken, die längst bei ihr waren, in allem, was um ihn lebte, -Trabanten, Pagen und Schleppenträger zu finden. - -Jetzt ging er in die Heide. Auf einen ihrer Hügel stellte er sich. Seine -Blicke beteten zur aufgehenden Sonne. Unwillkürlich breitete er die -Hände aus, die Gnadenspende des Lichtes zu empfangen. Dann setzte er -sich und lehnte sich hin. Und seine Sinne hoben sich in den wachsenden -Schein. Sie gingen den Weg ins Tor der Unendlichkeit. - -Ich suche das Ewige. In mir ist es und um mich ist es. Daß sich beides -vereine und durchdringe ist des Lebens, ist meines Lebens Sinn. - -Das Bewußtsein des Unendlichen in mir! Das gehört zu mir, wie das Licht -zu der Flamme, die in mir brennt. - -Der Unendlichkeit! Der ewigen Freude, ja der Freude, aus der alle Wesen -geboren sind. Durch die sie erhalten werden. In die sie wieder eingehen. - -So befreie ich mich aus dem Schmerz, dem Gefühl der Endlichkeit in die -Güte des Alls. So löse ich mich in mein größeres Selbst. - -Dahin trug Gisbert die Morgenandacht seiner Seele. Wir sind Nichts, was -wir suchen ist Alles! - -Und wie er zurückkehrte in die Welt körperlicher Gedanken, empfing ihn -das Glück: ich suche ja nicht allein diese Straße des Lichts, Deine -Sehnsucht, Du meine Freundin, geht denselben Weg. - -In seinem Herzen, auf seinen Lippen formten sich die Worte seines -Hohenliedes. - -Die Gesänge meiner Gedanken, solange sie atmen, suchen sie Dich! Ich -grüße den Morgen, mit der Frohheit des Wachens -- mit den selig sachten -Schatten der Müdigkeit grüß ich den Abend, den Vater der Nacht, mit -seinen Enkeln, den Träumen. Meine Träume flüstern Deinen Namen und -lauschen seinem Klange nach, und flüstern ihn wieder und lauschen -- und -flüstern und lauschen. So ist meine Nacht beseelt von Deinem Wesen, wie -mein Tag erfüllt ist von der Gewißheit Deiner Nähe, von der Seligkeit, -daß Du bist -- - -Aber nun, all seine Sinne schwingen ein in den Rhythmus, und ihre -Stimmen singen leise mit. Das Bild der geheiligten geliebten Frau -zaubern sie herbei. Ihrer Augen tiefe Gewalt leuchtet auf, das weiche -Haar fällt über die mädchenhaft versonnene Stirn, die feine Hand mit den -seltsam festen Linien streicht es zurück. Ihre Hand -- wie oft, wie -lange kann er still liegen und nur an ihre Hand denken -- in der ihre -Seele ist und auch die Kraft ihres Schaffens. Diese Hand, so voll von -Musik und doch für sichere Zügelführung begabt. - -Und wie in seinen Träumen flüstern jetzt die wachen bewußten Lippen den -Namen »Tilde« -- »Tilde« -- - -Ein Schritt pocht auf die Erde. Gisbert fährt zusammen -- wendet sich -um. Kunz steuert auf ihn zu, in müdem Schlendern. Hockt sich dann neben -ihn und gähnt sich erst einmal aus. - -»So früh heute und das am Sonntag!« fragt Gisbert. - -»Weiß der Frühling, was das mit mir ist! Mich flieht der Schlaf -- mich! -Was liegt da in der Luft? Du mußt es wissen, der Du selbst in der Luft -liegst, Du Ätherbewohner.« Er blickt um sich: »Ist das ein böses, rotes -Licht da auf der Heide! Zeichendeuter wird man -- Geisterseher -- was -hat man bloß!« Dann schlang er den Arm um den Freund und sah ihm -herzlich ins Auge. »Du, lieber Junge, wirst nun allerdings immer -magischer. Darf man Dich denn schon wieder frei herumlaufen lassen?« - -»Warum nicht?« - -»Man wird nun mal die Sorge um Dich nicht los. Sehr viel Blut hast Du -nicht mehr herzugeben.« Er nahm seine blasse Hand. »Und dann --« - -»Was noch?« - -»Die Angst -- ich kann mir nicht helfen -- Du könntest Dich nun ganz -- -drei Kreuze vor dem Wort und vor der Sache! -- im Pazifismus Dich -verblutet haben.« - -»Pazifismus -- ich fürchte mich nicht vor Worten, Kunz.« - -Bei dem kam das Unwirsche seiner Morgenfrühe jetzt obenauf. »Ah! Wir -wollen Siedler sein? Arbeiter eines Geistes an einem deutschen Werk? -Eine politische Menagerie sind wir nächstens.« Wegwerfend schmiß er die -Hand nach der Baracke zu. »Alle Gattungen findest Du jetzt in dieser -Arche Noäh beisammen. Wenn ich nicht Schimpfworte vermiede, würde ich -sagen, wir sind ein Parlament!« - -Gisbert schwieg. Kunz bürstete weiter seinen Grimm. »Weltanschauungen! -Haha! Was haben wir bloß für Weltanschauungen im deutschen Land! Alle, -die es gibt und nicht gibt. Bloß die deutsche nicht. Seit Horst zum -Universalgenie geworden ist, flattern wir nun alle lieblich im gütigen -All. Leb wohl, deutsche Erde!« - -Gisbert schwieg noch immer. Das machte Kunz nicht freundlicher. »Warum -legen wir Siedlungsmönche denn nicht ehrlich und vorbildlich das Gelübde -des Geprügeltwerdens ab! Warum kleben wir nicht das Wappen der -friedfertigen Seligkeit an unser Haus, die geschwollene rechte und auch -linke Backe! Ohrfeigengesichter wir, als Vorkämpfer des deutschen -Pazifismus! Denn wenn es nichts mehr gibt, einen deutschen Pazifismus -gibt es! Und weißt Du, wie der geht? Wir versöhnen uns, versöhnen uns -mit den andern -- und die andern dreschen auf uns los! Das ist deutscher -Pazifismus, nach unserem eigenen und der ganzen Welt Beschluß!« - -Der zuckende Zorn lief durch seine Glieder. Gisbert wußte, wie er litt, -er sprach jetzt mit seinen stillen, ein wenig hilflosen Worten: »Wir -wollen ja dasselbe, Kunz. Nur auf anderem Wege wollen wir zu demselben -Ziel. Es ist gut für Deutschland, daß es Euch gibt. Aber auch uns gibt -es nun einmal. Und wir müssen uns ergänzen --« - -»Müssen wir, was wir nicht können! Ergänzen heißt ganz machen! Ganz -- -mit Euch, durch Euch, die Ihr uns zermürbt! Nihilisten seid Ihr, die -passiven, die schlimmere Sorte! Was habt Ihr Euch in Asien -herumzutreiben! Die wir heute mehr als je -- die wir heute nur und nur -und immer und weiter nichts als zu uns selbst kommen müssen! Was nehmt -Ihr uns die Heimat des Herzens! Was verdünnt Ihr uns bis zur -Erschlaffung mit Euren dreimal vermaledeiten Wassern des Ganges unser -ehrliches eisenhaltiges deutsches Herzblut!« Seine Hände packten ins -Heidekraut, rissen die Büschel aus und warfen sie in die Luft. - -Da Gisbert ihn unbeirrt ansah -- »Du verzeihst mir, mit Deinen -Gazellenaugen. Gütig seid Ihr und liebevoll, aber nur aus Schwäche seid -Ihr es. So geschieht's, daß Ihr für alles Verzeihung habt, nur nicht für -Tugenden, für männliche! Nur nicht für Kraft! Und darum -- gefährlich -mögt Ihr sein, aber an den Kern unseres Wesens, nein, an den rührt Ihr -uns nicht!« - -Nun hatte Kunz sich vollends wieder. »Ihr haltet unsereinen für dumm. An -unserer Dummheit liegt es dann wohl, daß Eure Klugheit uns nicht -aufgehen will. Herrgott, ist das eine baumwollene Weisheit, die Ihr aus -dem Lande der Baumwolle bezieht! Phrasen! Nichts als Redensarten von -platzend hohler Allgemeinheit! An ihrer Spitze die große Heilslehre: -»Gutsein heißt das Leben aller Leben!« Oder die erlösende Antwort auf -die ewige Frage: welches ist der Weg zur Wahrheit? »Die wechselseitige -Durchdringung unseres Wesens mit allen Dingen!« O verfluchter Tiefsinn -heiliger Abstraktion! Was soll ich damit? Wo ist hier Leben, Wärme, -Licht, wo ist hier Liebe? Und Ihr wollt uns das »verbrauchte« -Christentum ersetzen! Gebt mir, so gebt mir doch aus Eurer Fülle! Habt -Ihr etwas, in dem großen heimatlosen Weltraum Eurer leer leuchtenden -Unendlichkeit, was gegen den kümmerlichsten Lichtstumpf des ärmsten -Tannenbaums in deutscher Hütte nicht hilflos verblaßt und erlischt und -erstirbt!« - -»Alles Licht leuchtet dem Einen --« - -»Alles -- ja -- wo nichts ist, da sagt man alles! Und fühlt sich -gerettet. Luft -- Luft gebt Ihr statt Brot. Und wär diese Luft nicht -noch mit Getöse erfüllt! Ihr Stillen des ewigen Friedens, gut, Ihr habt -wenigstens Stil. Aber diese Brüller des Pazifismus! Die mit furchtbar -krampfhaften Verrenkungen des Leibes, der Seele und des Worts, Schaum -vorm Munde und in ihren Versen, ihre Flüche und ihr Wehe schreien! -Schnaubende Racheengel, tosende Kriegsfurien der Friedfertigkeit! O Du -Grundgütiger! Wer einen Bauch hat, hält ihn sich!« - -Gisbert blickte still in den Freund hinein. »Du nennst mich -überschwenglich, Kunz -- bist Du es nicht auch? Und wenn nun unser -Überschwang aus einer Quelle fließt --« - -»Verallgemeinere mich nicht!« stöhnte Kunz zornig. - -»Verallgemeinern --? Ist es so schlimm für Dich, wenn ich uns beide -zusammenspanne?« - -Gisbert hatte den reinen Herzenston. Kunz war bezwungen. »Kerl -- wenn -Du nicht so ein unwahrscheinlich anständiger Mensch wärst! Hauen möchte -man Dich manchmal -- und haut dann lieber sich selbst. Herrgott -- laß -Dich meinetwegen schaukeln von der Rhythmik der Ewigkeit, aber brauch -auch die Fäuste, die Dir Gott verliehen hat! Du darfst nicht so viel mit -Dir selbst zusammenhocken! Mit Dir und mit Deiner Gesinnungsgenossin! -Dieser herrlichen Frau von Mönkhov! Sie ist herrlich -- aber Eure -Seelennähe schadet Dir.« - -»Kunz --« man hörte in Gisbert die feinsten Saiten schwirren. - -»Verzeihung -- ich weiß -- _mulier taceat in ecclesia_ -- über die Frau -schweigt man wie in der Kirche. Aber sieh, Freundschaft muß nun einmal -reden. Und nun will ich Dir was sagen. Komm heute nachmittag mit mir ins -Moordorfer Pfarrhaus.« - -»Das will ich gern.« - -»Du sollst Vita kennen lernen. Ihr werdet erschrecken voreinander. Du -vor der fanatischen Enge ihres geistigen Ziellebens, vor der jungenhaft -trainierten Muskulatur ihres vaterländischen Sinnes. Sie vor Deinem -überweltlichen Sonnenkultus. Aber wenn Ihr beiden feindlichen Mächte -- -wenn Ihr Euch gegenseitig einander in die Arme schrecktet --! --« - -Er hielt inne, sein Atem setzte aus, seine Augen waren qualvoll. Gisbert -ahnte, daß hier eine Leidenschaft sich grausam gegen sich selbst -entflammte, er nahm wortlos Kunz bei der Hand. Und der Händedruck sagte: -Dein liebes Mädchen ist sie, und ich bin Dein Freund -- und dann -- -längst hat mein Geschick sich erfüllt. - -Dankwart tauchte auf. Wandelte durch die Morgenluft, erfrischte seine -Erfinderstirn. Er bog auf sie zu. »Wie sieht die Heide aus? Sie dampft -in dem roten Schein. Blutdampf sagt man dazu bei uns zu Hause. Jede -Heide hat Blut gesehen. Raucht sie so rot, gibt es neue Bluttaten.« - -Die Heide, die seine Heimat war, machte ihn redselig und phantastisch. -Er hatte seine Ahnungen, wie Kunz. Gisbert aber war mit seinem Geist -über den irdischen Visionen, die aus dem Boden rauchen. Dankwart -erzählte, der Balbutz war gestern in der Stadt. Er hat die feine Nase. -Und hat sowas von Verschwörung gerochen -- Verschwörung gegen uns. - -Es war dann an der Morgentafel davon die Rede. Die Anzeichen wurden -geprüft. Horst nahm sie nicht schwer. Was sollte ihnen geschehen? Die -Maschinengewehre bereitgestellt -- stets die nötige Mannschaft in oder -bei der Baracke -- die andern immer in erreichbarer Nähe -- dann müßten -die Angreifer schon zu Hunderten über sie einbrechen. Das aber sei der -große Bürgerkrieg, und der komme nicht über Nacht. - -Immerhin -- die Vorsicht wollten sie natürlich nicht außer acht lassen. -Und je mehr heute am Sonntag häuslich blieben, um so besser. - - - - - Kampf - - -Horst ging am Nachmittag zum Torfmeister. Lona würde da sein. Käme sie -nicht, würde das freilich zu denken geben. Wäre etwas gegen die Siedlung -geplant, sie wüßte davon. Und niemals würde sie durch ihr Erscheinen ihn -in Sicherheit wiegen. - -Dann also hieß es auf der Hut sein. Aber erst dann. - -Die Sonne hatte sich versteckt. Die Luft war still, grau und lustlos. -Die Singvögel schwiegen und hielten sich verborgen. Von der Niederung -her riefen grämlich unsichtbare Brachvögel. Ein Turmfalk rüttelte über -der Heide. - -Nach den Dünen wandte sich Horst. Er wollte einen Blick über die See -werfen. Tückisch lag sie da, wie tot. Ein blinder Glanz war über sie -gegossen, bleiern und giftig -- gebändigt, gefesselt, gestorben der -freie Rhythmus des großen Wassers. - -Das war keine Erhebung. Er kehrte schwer und traurig in die Heide -zurück. Sonne hätte ich heute gebraucht und schäumende Wellen unter -blauem Himmelslicht! Wie mit Asche bestreut ist die Welt. Wir büßen -- -wir büßen -- - -Und er schritt dumpf und gebückt -- - -Dann hob er sich empor. So darfst Du nicht weiterschreiten. Du willst -helfen und keuchst selbst trostlos unter Hilfsbedürftigkeit. Freimachen -willst du und schleppst dich lahm an deinem Verzagen. Wenn irgendwo, -brauchst du hier deine gläubige Kraft. - -Lona -- ja -- um Dich geht es jetzt. Ich weiß, daß Deine Starrheit von -Dir abfallen will. Du selbst suchst, was Dein Dogma Dir nicht geben -kann. Wärme brauchst Du -- Zärtlichkeit brauchst Du -- denn Du bist ein -Weib, ein junges Weib. Und meine Zärtlichkeit wirbt um Dich. - -Ich betrüge mich selbst nicht länger mit dem, was Dir längst kein -Geheimnis mehr ist. Und was Du selbst nicht mehr von Dir weisest, ob Du -zuerst ihm widerstrebtest. Wir wollen zueinander. Es ist etwas, was uns -zueinander zwingt. - -Und -- ist etwas, was Dich herausschauen läßt aus der Gedankenwelt, in -der Du Dich verbarrikadiert hast mit dem Haßgefühl, das jetzt gestillt -worden -- etwas, was Dich erhebt über die Mauern, das Schanzwerk -- -etwas, was die Burggräben Dich überfliegen läßt. Du bist dabei, Deine -Welt zu überwinden. Diese Welt, aus Papier gebaut, aus Gedanken gefügt. -Ein System! Das Heimweh, das deutsche Heimweh ist in Dir. - -Und an meiner Hand wirst Du hinausgeführt werden in das deutsche Leben! -Ich will Dir helfen. Meine Sinne sollen sich bescheiden. Es gibt mehr in -mir als Begehrlichkeit, die in den laschen Seelen das Starke ist -- -Besseres, Machtvolleres. Erst die geistige Erfüllung soll auch den -Sinnen das Glück bescheren. - -Aber sie dürfen hoffen, sie dürfen wünschen. Sie leben und haben ihr -Recht am Leben. So trug es jetzt seine Tritte. -- - -Kunz wollte mit Gisbert am Nachmittag im Moordorfer Pastorenhaus den -Besuch machen. Da sah er etwas, was ihm nicht gefiel. - -Einzelne Ausflügler aus der Stadt wurden auf den Goldbergen sichtbar. -Beschauten sich die Gegend, zeigten sich dies und das. Betonten ihre -Naturliebe, legten die schöne Aussicht sich wechselseitig ans Gemüt. -Möglich, daß sie harmlos waren. Möglich auch, daß sie Kundschaft -trieben. Halten wir die Augen offen! Warten wir, ob es einen Gang der -Handlung geben wird. - -Nun zwei Familien mit Kindern -- sogar ein Kinderwagen ist dabei -- -steuern treuherzig auf die Baracke zu. Lagern sich unweit von ihr im -Freien -- wozu es eigentlich noch zu kühl ist, da die Sonne fehlt. Holen -ihre Atzung hervor, ziehen Thermophorflaschen aus den Kinderwagenkissen. - -Die Kleinen laufen herum, sehen die Hühner und den vornehm wie ein -ehernes Bildwerk ruhenden Muz. Zutraulich kommen sie näher, mit dem Hund -möchten sie spielen. Der aber ist nicht kinderlieb und blickt sie nur -wachsam unnahbar an. Mit den stumpfsinnigen Hühnern läßt sich keine -Kameradschaft schließen -- die Kinder möchten wissen, was für Getier da -hinter den Stallwänden sitzt. Sie drängen sich vertrauensvoll an die -Bretter und hoffen auf eine Ritze. - -Jetzt treten die Erzeuger in Tätigkeit. Sie kommen die Anhöhe herunter. -»Dürft ihr denn das?« Und dann wenden sie sich höflich zu Kunz, der zum -Ausgehen fertig vor der Baracke sitzt und auf Gisbert wartet. Er faßt -sie ins Auge -- Arbeiter aus der Stadt offenbar -- anständig gekleidet, -gewandt. - -»Entschuldigen Sie,« sagt der Kleinere und Lebhaftere, »wenn die Bengels -Ihnen lästig fallen. Aber wenn sie Pferde riechen, sind sie nicht zu -halten.« - -»Das ist recht!« erklärt Kunz, und fröhlich leuchtet er ihnen ins -Gesicht. »Die sollen einmal zur Kavallerie!« - -Die Nasen in den gesinnungstüchtigen Gesichtern werden lang. Da riecht -an! denkt Kunz, wie Eure Jungens an dem Pferdemist. Aber sie behalten -sich in Zucht und haben offenbar noch etwas auf dem Herzen. Ist es -unbefangene Wißbegier? Oder wollen sie tatsächlich spionieren? - -Beginnen ein Gespräch. Wie nützlich das Siedlungswerk sei. Und die -Baracke so praktisch angelegt. Hier Stallungen und die Wohnräume da. -Aber schwere Arbeit! Und die Sonntagserholung, der Sonntagsausgang -doppelt nötig. - -Zwei Teufel streiten sich, die Kunz reiten möchten. Der eine, mehr von -der guten Sorte, will da mit ihm hin: »Seht euch ihn mal an, unsern Bau! -Kommt mal mit herein! Die meisten Siedler tun, was sie immer Sonntag -nachmittags tun, nach ihrem schweren Alltagswerk. Sie liegen in ihren -Kojen und schlafen. Sie sind und bleiben zu Haus. Und am Abend sind sie -auf den Beinen. Hier auf den Gängen aber, da stehen unsere -Maschinengewehre. Kampfbereit. Vier Stück. Für jede Himmelsrichtung -eins. Und sind im Handumdrehen vor der Tür. Und wenn einer Lust hat, zu -erleben, was Feuerbereich ist --!« - -Und dann sitzt der andere, der sehr bösartige Teufel ihm im Genick und -flüstert ihm ins Ohr: »Laßt die Bande doch herauskommen heute abend! -Warn sie nicht, stör sie nicht! Sag ihnen, alle sind ausgegangen, sich -zu amüsieren -- und kommen vor Morgengrauen nicht nach Hause. Du und -Gisbert -- da kommt er gerade -- ihr seid nun die letzten, die gehen! -Schließ vor ihren Augen die Haustür zu! Und wenn ihr unterwegs seid -- -von den Goldbergen könnt ihr es sehen -- die marschieren schnurstracks -mit Kind und Kegel in die Stadt und bringen den Genossen Nachricht! Und -was dann am Abend wird --! --« - -Solche Einflüsterung gibt Kunz dann freilich nicht an die Ausfrager -weiter. Aber was sie nun damit anfangen, daß sie ihn, nachdem er sich -nicht unfreundlich verabschiedet hat, mit Gisbert sich entfernen sehen, -das bleibt ihre Sache. - -Zum Pfarrhaus aber, so zaubermächtig es ihn zog, begaben sie sich doch -nicht. Auf den Goldbergen, ihren heiligen Höhen, den weisenden, -wissenden machten sie halt. Und als sie sich nach der Baracke umdrehten, -gewahrten sie in der Tat, daß die Ausflügler, wie es schien, in -beschleunigter Gangart heimwärts zogen. - -Jetzt wurde Kunz hell und hart, ganz Verantwortung, ganz Dienst. »Wir -bleiben zu Hause, Gisbert. Wenigstens ich. Vielleicht bekommen wir heute -abend nun doch Besuch. Und Besuch -- will empfangen werden.« -- - -Horst fand den Torfmeister allein. Lud Uhlenbrook war wieder tapfer auf -den Beinen. »Jedes Jahr acht Tage Lona, und ich sterbe überhaupt nicht!« - -Der Alte wunderte sich, daß sie noch nicht da war. Sie wollten mit dem -Kaffee auf sie warten -- Kaffee aus Moorwasser ist der beste, den es -gibt -- kommen täte sie bestimmt. Auch vorgestern hätte sie sich -verspätet. Sie hätten da in der Stadt offenbar wieder mit Sitzungen so -viel zu tun. Dazu seufzte der Alte, daß der Dachfirst es spürte. Und er -machte einen seiner grimmigen Witze: all die vielen Sitzungen in -Deutschland seien Schuld, daß es nicht wieder aufstehe! - -»Bravo, alter Lud!« sagte Horst und schlug ihm auf die Schulter, daß -seine Hand an den Mammutknochen zerschellte. - -Der Abend lugte schon in die graue, glasige Welt. Nebel zogen über das -Moor, es deckte sich zu mit dem Flaum, es wollte schlafen. Die Männer -waren schweigsam geworden. Sie lauschten auf den Schritt, der nicht -hallen wollte. - -Nun riß es plötzlich an Horst. Eine Mahnung, ein Alarm, ein Kampfruf! -»Sie kommt nicht mehr«, sprach er schrill. Dies war bedeutsam. Dies -verkündete Unheil. Das hieß, ich muß jetzt gehen. Auf meinen Posten muß -ich! - -»Sie kommt«, sagte der Alte. Und Horst ließ sich noch einmal nieder. -Aber es wogte und wirrte in ihm. Sie sprachen dies und das. Vom -Torfstich, von der Bestellung des Ödlandes. Doch, es litt ihn nicht -mehr. Diese Moornebel da draußen waren sein Tod. - -Er sprang vom Stuhl. »Ich will jetzt doch nach Hause.« Da lauschten sie -auf. Sie blickten in den Vorgarten. Lona war es. - -»Ich komme spät«, sagte sie. In ihrer Stimme war ein gehaltener Klang. - -»Was war denn?« fragte Lud. - -»In der Kirche war ich --« - -»Sie haben Orgel gespielt? --!« rief Horst schmerzlich. - -»Es wurde mir schon dunkel in der Kirche. Wär ich erst hierhergegangen, -hätte ich zuviel Zeit verloren. Und ich brauchte das Spiel heute so.« - -»Und ich hab nicht dabei sein dürfen!« Darin war leidenschaftliche -Klage. - -»Hätten Sie es auch so nötig gehabt --« -- - -»Sie meinen, ich hätte es fühlen müssen, daß Sie da waren!« fiel er -gleichgestimmt ein, mit hellen, brennenden Augen. - -»Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen.« Sie sprach dann -still mit Lud. - -In Horst flog es. Was sie sagte -- und der Klang ihrer Worte -- zitterte -nicht ein Vorwurf darin, ein Entbehren, eine Enttäuschung? Das Gefühl -einer Zusammengehörigkeit -- es lebte in ihr, wie in ihm es lebte! Mehr -noch in ihr, da seine Ahnung versagt hatte --? -- - -Ich habe mich vor der Kirche nach Ihnen umgesehen! Sie hatte erwartet, -daß er da sein würde. Ja, er gehörte dazu! Für ihn wollte sie spielen. -Ganz gewiß nicht für sich allein. - -Ich brauchte es so! Hieß das nicht auch, ich wollte Dich bei mir haben? -Du solltest mich hören, ich wollte zu Dir sprechen! Wollte mich Dir -offenbaren aus meines Wesens Tiefe! Dir -- der einzige bist Du, dem ich -mich so bekenne. Denn wir sind uns nah. - -Ich hab nach Dir gerufen -- und Du bist nicht gekommen. Wie -schmerzlich-zärtlich wallte es in ihm auf unter dieser Klage. Das -Gewissen peitschte sein Gefühl in heißen Wellen. - -Du sollst nicht an mir zweifeln -- nicht an dem Zug meines Lebens, der -mich zu Dir zwingt. Um so schmerzhaft inniger, da es jetzt wie eine -Schuld auf mir liegt. Eine Schuld gegen Dein Empfinden. - -Aber sieh, es sind so starke Störungen, die die Leitung hemmen und -erschweren. Der Kampf, der Bruderzwist mit seinen Trübungen, seinem -Wirrsal, seinem Argwohn und Verdacht. Von diesem Gewühl -- wann wird -unser Gefühl sich davon losmachen? - -Jetzt sind wir soweit, daß unsere Hände sich nehmen -- sie erschrecken -nicht mehr voreinander. Und unsere Hände sollen sich halten und immer -mehr sich beschenken. An einer Gabe soll die andere sich beseelen. - -Wie still versonnen, wie mädchenhaft scheu hockte sie bei dem alten Lud. -Dessen Augen in sie »wie in einen goldenen Becher« sahen, dessen schwere -ehrliche Hand sich mit einer so heilig behutsamen Zärtlichkeit auf ihren -Arm legte, voll dankbaren Glücks. - -In die niedrige Stube bettete die Dunkelheit sich ein. Über dem Moor -braute der Abend. Hohl rief ein Kauz aus dem Erlengestrüpp. - -Da richtete Lona sich auf. »Jetzt ist es Zeit für mich.« Horst sah in -ihrem Auge eine große Angst, die er nicht begriff, dann ein -schmerzliches Irren, und wieder waren sie wie nach Innen gewandt. Und -als sie dann wieder ins Leben blickten, hatten sie den kalten Schein, -der ihm so schmerzlich war. - -Sie nahmen Abschied von dem Alten. Zärtlicher als sonst umfaßte sie ihn, -daß er wie ein Betrunkener taumelte und grunzte und herumfuhrwerkte. -Dann ging sie mit Horst. - -»Bis zur Mühle nehmen Sie mich mit, nicht wahr?« fragte er. »Wir wollen -hier auf dem Waldweg bleiben.« - -So ließen sie die Baracke weit ab liegen. Lona machte eine Bewegung, -dann aber folgte sie seiner Führung. - -Lind und still ist um sie der Abenddämmer. Die Luft schweigt. Nur von -fernher aus dem Innern des Waldes tönt das Gurren wilder Tauben, die -ihre Schlafbäume aufsuchen, in den sanften Rhythmen wie märchenverloren. - -Und es verliert sich der Raum in diesem grauen Rinnen und Rieseln, es -verliert sich die Zeit. In Vergessenheit schreiten sie, in Wolken, in -Schweigen. Wie Traumgestalten. - -Ein Ausruhen ist es ihnen in Körperlosigkeit, wohltuend nach dem -Ungestüm, den Zuckungen, den Brandungen, in die sie die Zeit geworfen. - -Sie haben eine Scheu, dies Land zu verlassen, ängstigen sich vor dem -leibhaftigen Wort, wandern weiter in Schweigen. - -Die Welt von uns abtun -- alles da draußen versinken lassen -- vergessen -die Zeit, die Bedrängnis des Geschehens -- nichts wollen, nichts denken --- nichts wissen -- -- - -Dann aber, da sie immer tiefer und gedankenloser hinabgleitet, geht -durch ihn, durch sein wallendes Blut der leise Schlag des Erwachens. - -Sie ist bei dir, allein sind wir miteinander. Um uns ist der gütige -Abend. Kostbar ist die Zeit, kostbar und inhaltschwer. Jede Minute atmet -schicksalsvoll, in jeder Sekunde pocht das Glück. - -Ich bin ausgezogen, Dich zu gewinnen! Herüberholen will ich Dich zu mir! -Gerade weil Du etwas Eigenes bist, mit eigenem starken Willen und Leben! -Ob ich sonst um Dich werben würde? - -So aber werbe ich um Dich! - -Und sein Wort leuchtet sieghaft auf: »Ich kehre nicht um bei der Mühle, -noch weiter gehe ich mit Ihnen, Lona!« Nun ist sie erschrocken wach. - -»Ich will den Abend bei Ihnen sein!« drängt er weiter. - -Bei mir -- nicht bei den Kameraden -- nicht auf Deinem Posten --! -- So -habe ich Dich in der Hand. Und muß ich nicht -- muß ich Dich nicht in -der Hand haben! Daß Du fern bleibst von Deinen Kameraden! - -Unsere Feinde seid Ihr. Unschädlich sollt Ihr gemacht werden! -Entwaffnet! Das soll und muß sein. Wenn etwas, liegt das in meinem -Willen. - -Nun sind sie eine Truppe ohne Führer. Das ist gut. Damit haben wir, wir -das Spiel gewonnen. - -Und daß ich die Macht über Dich habe! Sie auskosten, den Triumph durch -alle Sinne sich flammen, sich jagen lassen, durch alle Nerven, alle -Fasern! - -Noch immer ist die Rache in mir, ungestillt! Und wenn etwas von Deinem -Wesen ins Blut mir gehen will -- was bildest Du Dir ein! Träumst Du von -zärtlicher Regung! Grausamkeit ist, was sich regt. Wie sie in den Krieg -gehört! Grausamkeit, die Lust am Quälen! --! -- - -Denn Krieg ist und bleibt zwischen uns! Darum -- Dein Leben zerstören -ist das nicht mir aufgegeben -- und mein Wille! - -Und wie wird Dein Leben zerstört sein! Da der Schlag gegen Dein Haus -geführt wird, Du hütest es nicht! Du hast Dich von ihm entfernt -- um -eines Weibes willen. So wirst Du es Dir nennen, und wirst daran -vergehen. - -Und das Weib bin ich! - -Uns hat etwas zueinander getrieben, machtvoll, hindurch durch die -Fluten, die zwischen uns brausten. Was war es -- was ist es? Gleichviel, -was es ist! Wir stehen im Kampf! - -Du bist ehrlich gegen mich gewesen, offenherzig, weitherzig und warm, -ganz anders wie Deine Gesinnungsgenossen sind. Und es gab einen Klang -zwischen uns. Gleichviel -- wir stehen im Kampf. Soll ich meine Freunde -verraten um Deinetwillen! Meinen Glauben! Der erste wärst Du, der mich -verachtete! - -Der mich verachtete -- und wenn ich nun weiter mit Dir wandere durch den -Abend in die Nacht -- bedachtsam -- da ich weiß, was Euch bevorsteht -- -und Dich fortschaffe von dem Geschehnis, in das Du gehörst mit Blut und -Leben -- wird das, was übrig bleibt, nicht der Fluch sein auf mich und --- meine Tücke. - -Tücke! Darf ich unser Geheimnis Dir preisgeben! Die Freunde soll ich in -Eure Hände liefern! Soll den Tod über sie bringen -- um Deinetwillen! -Wahnsinn! - -Es braust in ihren Ohren. Sie hört nicht die Worte, mit denen Horst sie -jetzt umfängt. Aber sie fühlt seine Hand, wie sie ihre Finger nimmt mit -festem Druck. - -Was ist es, daß sie sie ihm läßt! Muß sie ihre Rolle weiterspielen? Oder -hält sie ehrlich ein ehrliches Geschenk, das sie freut, ein Gefühl, dem -sie sich neigt im Gleichklang der Sinne und der Seele? - -Immer war Waffenstillstand zwischen uns, immer der Friede. Wir waren -über unserem Kampf. Können wirs nicht bleiben? Vergessen die andern -- -die Welt -- alles da draußen vergessen. Allein sein miteinander -- -allein auf der Welt -- - -Da -- wie seine Hand ihren Arm greift, bäumt sie sich zurück -- ist es -der Widerstand des Weibes, die Furcht vor dem Erliegen -- kurz, hastig, -wie bellend stößt sie hervor: »Sie sollten heute abend lieber in der -Baracke sein -- und nicht hier bei mir!« - -Horst steht und starrt, betäubt. Dann -- ein Blitz zerreißt die Wolken. -Er sieht das Geschehen -- er fliegt in die Höhe, als wolle er durch die -Luft. Und dann in wilden Sprüngen stürmt er -- über den Sturzacker -- in -die Heide -- - -Und Lona, wie im Ertrinken, greift nach dem Gedanken: so ist nun ehrlich -die Fehde zwischen uns angesagt -- ich will zu den Freunden! - - - - - Blut auf der Heide - - -Gradenwegs rennt Horst nach seinem Ziel. Vom Abendhimmel fällt jetzt ein -leichter Schein. Wind hat sich aufgemacht, hat die Wolken ausgesponnen, -durch den Dunst schimmert es von der feinen Mondsichel und dem -helljubelnden Liebesstern. - -Einzelne Gestalten -- wie Indianer auf dem Kriegspfad -- heben sich vom -westlichen Horizont -- war das da hinten nicht ein kleiner geschlossener -Trupp --? Und in dem schwarzen Kieferngehölz -- ein paar mächtige -Glühwürmchen zucken hin und her -- Taschenlampen -- das Waldstück ist -besetzt. Die Baracke wird planmäßig eingekreist. - -Horst fliegt über die Heide. Bricht ein paarmal in die Knie. Da -- -Männer vor der Baracke -- Kameraden -- sie sind auf der Wacht. - -Keuchend wankt er vor sie hin. »Raus mit den Maschinen!« - -»Gott sei Dank!« begrüßen sie ihn. Dankwart, Kunz, Gisbert sind da. In -Kunz ist das harte Feuer: »Wir werden ihnen die Reißzähne zeigen!« - -Jeder bewaffnet sich für alle Fälle mit Pistole und Gewehr. Horst -befiehlt: »Warnungsschüsse natürlich. Nur Warnungsschüsse. Bis zum -letzten.« Und noch einmal schärft er ihnen ein: »Bis zum letzten.« - -»Heißt, bis die andern uns mit 'ner Kugel holen!« knurrt Dankwart. - -»Schad nix. Sterben wir in Schönheit!« knurrt Kunz zurück. »An unserer -Sisasentimentalität.« - -Die Feinde zögern. »Blockhaus -- Rothäute. Ganz nickkartermäßig wird -einem zu Mut.« - -Zu lange zögern die Feinde. Die diesige Luft klärt sich auf. Der Himmel -gibt Sternenschein. Jetzt sind nur noch zwei Seiten gefährlich. Das -weite Schußfeld der Heide vor ihnen bietet keine Überrumpelungs-, keine -Angriffsmöglichkeiten mehr. Wenn die Feinde stürmen, kommen sie den Hang -herunter und brechen aus den Knickbüschen zur Rechten. - -Und nun -- sie brechen aus den Knickbüschen. Horst durchzuckt es: nur -von der einen Seite -- nicht auch zugleich von den Hügeln -- soll das -eine Kriegslist sein? - -Es war eine List. Diese kleine Schar sollte ablenken. Der Hauptstoß -sollte von oben erfolgen -- - -Tak -- tak -- tak -- tak -- tak -- das Maschinengewehr gegen die -Stürmenden. Dieses tödlich unheimliche Tacken -- der scharfe -Pendelschlag des Verderbens -- die Herzen stocken -- die Reihen wanken --- Rufe -- Schreie -- gereckte Arme -- wirbelnde Glieder -- fliehend -stieben sie auseinander. - -Jetzt das Gros von der Höhe -- mit wildem Hurra -- das Brüllen soll das -Tak-Tak übertönen. Aber scharf reißen diese Todestaktschläge hindurch -- -zwei Maschinen auf dieser Seite -- sie arbeiten gegeneinander auf -- -überbieten sich -- wetteifern im Verderben -- - -Wer kann dagegen an! Auch hier stocken die Reihen -- wogen durcheinander --- fluten zurück -- zerflattern in rasender Flucht -- über ihnen pfeifen -die Kugeln -- - -Nur ein kleiner Stoßtrupp, fünf, sechs Mann sind mutig vorgestürmt -- -zwei Handgranaten fliegen -- Knall, Rauch, sprühender Sand, Fetzen von -Erde -- Handgemenge -- mit einem Kolbenschlag wirft Horst den nieder, -der gegen ihn anspringt. - -Die andern werden überwältigt und entwaffnet. Vier Siedler sind -getroffen, nicht schwer. Der Gegner von Horst liegt besinnungslos. Die -Entwaffneten stehen dumpf, geduckt, verbissen. »Geht nach Haus und grüßt -Eure Großmutter!« sagt ihnen Kunz. - -»Wir wollen -- unsern Genossen mitnehmen!« fordert der eine. - -Horst hat Umschau gehalten. Von den Feinden ist nichts mehr zu sehen. -Sie fluten nach der Stadt zurück. Von denen ist nichts mehr zu besorgen. - -Jetzt trat er ruhig zu dem Besinnungslosen. »Ich glaube nicht, daß er -transportfähig ist«, sagte er bestimmt. »Sie müssen ihn schon -hierlassen.« - -»Er soll mit. Wir tragen ihn --« erklärten die Genossen. - -»Was jetzt soll, sage ich hier. Nicht Sie. Er bleibt. Ich hoffe, er ist -zu retten. Aber nur so. Einer von Ihnen kann ja seine Pflege mit -übernehmen.« - -Die Männer berieten. »Wir müssen uns fügen.« - -»Ja, das müssen Sie.« So blieb einer zurück, ein Krauskopf mit -Mulattengesicht. Die andern gingen wortlos von dannen. Kunz aber, der -Abschiedsworte liebte: »Wir bedanken uns auch bei Euch! Daß Ihr uns -nicht in Pflege zu nehmen braucht!« - -Horst war mit Sellmann, ihrem tüchtigen Sanitäter um den Liegenden -beschäftigt. »Schwere Gehirnerschütterung«, sagte der Medizinmann. »Der -Schädel ist offenbar ganz geblieben.« Sie trugen ihn hinein. - -»Wir werden das Feld jetzt noch absuchen, zur Sicherung«, beorderte -Horst. »Und dann -- hoch genug haben wir ja gehalten -- aber vielleicht -ist doch noch diesem oder jenem etwas geschehen.« - -Kunz führte die Streife. Horst ging in seinen Raum. Er warf sich lang -auf sein Bett. Ein paar Minuten Ruhe! Seine Nerven flogen. - -Der rasende Lauf durch das Gelände -- dann der Kampf -- und nicht -weniger als dies der jähe Sturz aus der Traumwelt, in der er gewandelt --- Lona -- von Deiner Seite in den blutigen Kampf mit Deinen Brüdern, -Mann gegen Mann! - -Und Du warst es, die mich warnte. Mich, der ich wie blind neben Dir -herlief. Der ich mit Dir weiterwandern wollte, hinein in die Stadt. Um -bei Dir zu sein, die Du mir lieb geworden bist! - -Und wie lieb muß ich Dir sein, daß Du mich wecktest aus meiner -Gedankenlosigkeit und auf den Weg meiner Pflicht mich führtest. Meine -Pflicht -- die gegen Deine Sache streiten, die ihr die Wunde schlagen -mußte! Meine Pflicht, gegen die Deine eigene Pflicht sich erhob. - -So hast Du mir Dich aufgeopfert! Und hast Du so Deine Welt nicht hinter -Dir gelassen? Keine Heimat gibt sie Dir mehr. Die Fäden sind zerrissen. -Du gehörst uns. In mein Leben gehörst Du. Eigenes Heimweh hat in meine -Welt, hat zu mir Dich gezogen -- nun halt ich Dich fest! Nun bist Du -mein! - -Hohl klingt ein Murmeln an die Wand des Schuppens. Wälzt sich dumpf, -düster und schwer. Legt sich ihm auf die Brust wie ein Mar. Was friert -ihm so ins Blut? Was schauert ihm so durch die Seele? - -Er springt auf und tritt hinaus in den Gang, tritt vor die Tür. Die -Streife kehrt zurück. Sie tragen jemanden. Kunz geht voran. Horst ist -bei ihm. »Eine Frau«, sagt Kunz, weiter nichts. Seine Augen sagen mehr. -Horst aber weiß es längst, was er jetzt sieht. Lona. Und sie ist ohne -Leben. - -Er weiß es, er sieht es -- und glaubt es wieder nicht. Seine Hände irren -über ihr eisiges Gesicht -- sie wollen sich irren -- sie rühren, sie -fassen den Tod. - -»Lo-na.« Seine Zähne klappern. »Lo-na.« Zerrissen ihr Name. Ihr Wesen -zerfallen. Zerbrochen ihre Form. Ihre Seele entflogen. - -Ein Schuß mitten durchs Herz. - -Und jetzt die Fragen der andern: War sie selbst unter den Stürmenden -gewesen? Dann am alleräußersten Flügel. Oder hatte sie als Zuschauerin -abseits gestanden? Kugeln irren sich so gern. - -Horst hatte seine Antwort. Hergeworfen -- hergewirbelt hat es Dich -- -nicht ein Gefühl allein -- Du mußtest dabei sein -- nicht bloß sehen, es -mit erleben -- ein Schuldbewußtsein flocht Dich in die Reihen der -Genossen -- und doch Deine Gedanken flogen ihnen voraus. Sie waren bei -mir -- sie suchten mich -- in schmerzlichem Verlangen -- - -So war es. Steht es nicht so in Deinem Gesicht geschrieben? Ist all das -Zerwühlte nicht zur Ruhe gebracht? Schwebt darüber nicht etwas wie die -weiche, bebende, sorgende Zärtlichkeit des Weibes? - -In der Halle war die Leiche niedergelegt. Horst hielt bei ihr die -Totenwacht. - -Unwirklich war ihm noch alles. Wie trunken machte ihn der Schmerz. Seine -Fieber taumelten wie in den Visionen einer Dichtung. - -So umgeisterte ihn alles, was er mit Lona erlebt hatte -- seit der -ersten Stunde, da sie sich fanden. Wie er sie das schöne, böse Raubtier -sich nannte, in der Versammlung -- als sie zum Sprunge gegen Herrn -Borkhus sich duckte, den Zerbrecher ihres jungen Glücks. Wie sie ihre -überhitzte Schulmeinung ihm ins Gesicht sprühte: deutsch ist mir ein zu -unwesentlicher Begriff! Blieb sie in der Öde solcher Verstiegenheit? -Fing sie nicht an, auf ihre heimatlichen Wurzeln sich zu besinnen? -Langsam -- Geduld mußte man mit ihr haben -- - -Als er aus der Kirchhofshaft sie befreite, da starrte sie noch in Waffen -gegen ihn. Aber wie der alte Lud dann ihr Wesen ihm gedeutet hatte -- je -mehr er sie begriff, um so näher rückte sie ihm, um so näher rückte er -ihr. Was sie auf der Landarbeiterversammlung sprach, Klänge aus der -Tiefe, die in ihm widerhallten. Und wie sie beide bei Lud sich fanden, -sich etwas zu sagen und zu geben hatten -- bis sie in der großen -Offenbarung ihres Orgelspiels mit allem, was in ihrer Seele flutete und -brauste und kämpfte, verzweifelte und zum Licht sich aufbäumte, mit den -schmerzvoll heiligen Feuern ihrer Seele ihn überwältigte. - -Du suchtest den Weg, der Dir verschüttet war -- Du fandest ihn über -Trümmer, einen schmalen Pfad -- ich durfte die Hand Dir -entgegenstrecken, Du wolltest sie ergreifen -- - -Und jetzt abgestürzt -- zerschmettert -- zerbrochen -- - -Und nicht mehr rollten die Bilder an ihm vorüber, wie Szenen eines -Schauspiels, das ihm als Zuschauer den Atem versetzte -- die -Wirklichkeit riß ihn aus dem Rausch der Todesnähe, das Leben, sein Leben -packte ihn an -- ein Teil von seinem Leben war ihr Tod. Ein Teil von ihm -war mit ihr gestorben. - -»Lona« -- er umspannte ihre kalten, welken Finger. Vor ein paar Stunden -hatte er sie noch gehalten -- wie pulsten sie in seiner Hand, wie pochte -ihr Blut an das seine! Jetzt ist der große Abgrund zwischen uns, über -den nur die Todesfittiche tragen. Und Du bist auf der geistigen Seite. - -Du blasse Lona -- nicht mehr das schöne, böse Raubtier -- o nein -- ein -schöner, guter, verklärter Geist -- nicht mehr ans Irdische gefesselt, -nicht mehr dem Körper verhaftet, jetzt hast Du Dir das Jenseits erobert, -das Dich so quälte. Jetzt sind die Schleier gefallen, die Geheimnisse -enthüllt -- jetzt siehst Du den Sinn der Welt. Des Lebens! Des Lebens -vor dem Leben. Des Lebens nach dem Sterben. - -Und hat das alles seinen Sinn -- was ist sinnvoll anders als gut? Der -gute Sinn, der große gute Sinn des Lebens, der große gute Sinn der Welt. - -Kann der Tod ihn uns verdunkeln? Führt er nicht gerade, was in uns, den -Überlebenden, stark und echt und treu ist an Liebe und Kraft, an Fühlen, -Denken und Wollen, empor zu der Höhe eines Gelöbnisses! - -Sich treu bleiben! Seinem Fühlen und Willen treu bleiben! In seinem -Fühlen und Willen sich klären! In seinem Fühlen und Willen sich -vollenden! - -Wieviele Kameraden hat Horst begraben! Vor jedem Toten hat er so -gestanden, gehoben, gesteigert, beflügelt in seinem Wesen, gefestigt in -einem Schwur. So strömt uns neue Kraft zu von unseren Toten. So sind die -für uns gestorben, die uns lieb waren. - -So bist auch Du für mich gestorben, Lona. Die Du mir feind warst, die -ich Dich lieb gewonnen. Tränen schauerten durch ihn hin. Da machte er -sich hart. - -Sich treu bleiben, seinem Fühlen, seinem Willen treu bleiben. Und so in -die Höhe wachsen, aus sich, in sich, zu sich selbst empor! Er stand -aufrecht und frei, von seiner Andacht geweiht. - -Kunz kam herein. Er berichtete, der Verletzte wäre zu sich gekommen, -finge an zu toben, wollte nicht länger bleiben. - -Horst ging zu ihm. Er lag, den Oberkörper aufgerichtet, die Hände -krampfhaft aufgestemmt -- das wirre Haar hing ihm in irre Augen -- »ich -laß mich nicht einsperren -- schlagt mich tot -- ich laß mich nicht -quälen --!« - -Jeder sah, daß an ein Fortschaffen nicht zu denken war. Auch der Mulatte -schüttelte den kugelrunden Kopf. - -Horst sprach ruhig auf ihn ein. »Sie sind krank und hilfsbedürftig -- -wer wird Ihnen was zuleide tun! Sie werden hier gesund gepflegt. Wenn -Sie sich ruhig verhalten, können Sie vielleicht morgen schon nach -Hause.« - -Ruhiger wurde er, von den Worten, von dem Stimmklang. Aber in den Augen -ging es noch weiter um. Dann sah und erkannte er den Genossen. »Was tust -Du hier? Bist Du auch gefangen -- schämst Dich nicht -- kannst rumlaufen --- ich -- den schweren Kopf -- den -- schweren -- Kopf --« - -Jetzt sank er zurück, zuckte noch, und dann kam der Schlaf über ihn. - -In der Baracke ging man zur Ruhe. Ein guter Teil der Nacht war vorüber. -Horst mit zwei Kameraden hatte die Wache bis zur Frühe übernommen. Die -beiden machten es sich im Eingang bequem. Er, im Mantel, setzte sich auf -die Bank vor der Tür und wartete den Morgen entgegen. - -Müde gingen seine Gedanken ein in die große Sternenstille. Müde und -demütig. Ihr Sterne, ich kann Euch nicht einmal zählen. Wie soll ich -Euch begreifen? Funken der Ewigkeit ihr --! -- - -Mein Erdenschicksal -- ein Staubkorn nur dieser kleinen Erde und mir so -wichtig und schwer -- - -Und doch -- ich bin nicht verloren -- ich bin in der Unendlichkeit -- -und darum die Unendlichkeit ist in mir -- in mir das Ewige -- den Stolz -des Lebens, ich darf ihn fühlen. So darf ich in die unermessene Höhe -sehen, ohne zu verzagen. Darf an ihr wachsen, in sie wachsen, denn sie -ist mein. - -Im Osten zog sich ein fahler Streif, an dem die Sterne verblaßten. Der -Morgen rieb sich die Augen. Vom Westen her, wo das nächtige Dunkel noch -fest lag, schob sich langsam eine mächtige Gestalt. Ein dumpfes Murmeln, -gebändigt und doch ein Donnerrollen, verkündete ihr Nahen. Nur einer -konnte so brummen -- und jetzt kam er in Sicht -- Horst stand auf, ihn -zu empfangen. Lud Uhlenbrook war es. - -Konnte er wissen, was geschehen war? Zog ihn nur dunkle Ahnung her? Es -war Ungewißheit, was ihn quälte. Froh packte er Horstens Hand. »Was hab -ich bloß zurecht geträumt -- von Schlacht und Schießerei. Hin und her -hat es mich gewälzt. Gut, daß ich Sie finde!« - -Nun stutzte er über des Freundes Haltung. Der sagte dann still: »Sie -haben nicht geträumt.« - -»Und ist was passiert?« - -»Ja.« Dies eine Wort, so schwer von dem Geschehenen, öffnete ihm den -Blick. - -»Was mit Lona?« - -»Wir haben sie hier.« - -Der alte Mann sank vornüber -- seine gewaltigen Hände jappten hilflos -wie zwei Riesenfischköpfe auf Land. Dann trottete er ächzend ins Haus. -Horst ihm nach führte ihn in die Halle. Der Morgendämmer zeigte ihm die -Tote. - -Lud Uhlenbrook stöhnte auf, einmal -- dann summte es in ihm, so wie der -Wind in hohen Drahtleitungen summt -- dann ward er selbst totenstill. - -Und jetzt, mit einer urlangsamen Selbstverständlichkeit nahm er die Tote -wie eine Puppe auf den Arm. Nichts Wildes war dabei, nichts Wirres. Nur -die große Sicherheit seines Tuns. - -Wortlos trug er sie hinaus. Trug sie über die Heide. Fahl und wie -klagend zog der Morgenschein hinter ihm her -- den übermenschlichen, -gespenstigen Leichenträger. - -In Horst lehnte es sich auf. Mein Eigen -- ich laß es mir nicht nehmen! - -Ihm nachstürzen will er -- und erschrickt vor seiner Jachheit. Soll ich -ihn niederwerfen -- ihn mit der Toten! Soll ich um sie mich balgen mit -dem alten Mann! - -Wallt er nicht dahin, so wie die Notwendigkeit schreitet! An die sich -nicht rühren läßt --! Und ist hier nicht Liebe am Werk? So wollen wir in -der Gemeinschaft bleiben, wir drei. - -Recht ist ja, was Du fühlst und tust! Nicht in die Baracke gehört sie, -die ihr verhaßt und die ihr feindlich gesinnt war -- in Dein stilles -Haus, das ihr eine Heimat gewesen. Da soll sie aufgebahrt werden. Da -wollen wir ihr die Totenfeier rüsten. -- - -An diesem Tage erholte sich der Betäubte so weit, daß er das Siedlerhaus -verlassen konnte. Es war der Leiter des Überfalles selbst, der -Werkführer Stahlboom. - -Die Siedler hatten den ganzen Tag hart gearbeitet, auf dem Felde, in der -Ziegelei, auf dem Moor. Gedenkreden auf den gestrigen Tag hatte das -Schaffen befeuert. Man erzählte sich, daß die Angreifer mehrere -Verwundete heimgeschleppt hätten. Das eine Maschinengewehr gegen den -Abhang hatte nun doch nicht hoch genug gehalten. Wer hat auch in solchen -Augenblicken Nerv und Hand so in der Gewalt? Der Tod hatte nur das eine -Opfer sich geholt -- die Frau -- Lona. - -Mehr als ein Auge suchte Horst wieder auf. Der war am Werk wie nur je, -selbst der Fleißigste und Härteste. Daß sein Gesicht blaß war, daß die -gerade Falte zwischen den Brauen sich tiefer prägte -- wer von ihnen -trug nicht an dieser Nacht! Und enger waren sie aneinander gerückt, -dichter war die Reihe geschlossen, Kameradschaft war Trumpf. - -Wie sie Feierabend gemacht hatten, trafen sie den Pflegling bei -Gehversuchen vor der Tür. Als der Anführer wußte er, was er sich -schuldig war. Er wartete auf Horst, trat ihm in guter Haltung festen -Auges entgegen und sagte klar: »Ich danke für Pflege und Quartier. Mein -Wunsch ist, einmal -- Gleiches mit Gleichem zu vergelten.« - -Es war nichts Verstecktes darin, kein lauernder Hohn, es hatte seine -offene Bedeutung. Und Horst gefiel diese Art. Saubere, ehrliche -Feindschaft! Damit ließ sich etwas anfangen. Darauf ließ sich sogar -aufbauen. Nur das Heimtückische zerrüttet. - - - - - Feier - - -Und jetzt kam für die Siedler ein großer, freudenvoller Tag. Der -Grundstein zum ersten Siedlungshaus wurde gelegt. Findlingsblöcke sein -Fundament. - -Es gab eine stille Feier, zu der Frau Tilde, Pastor Waermann und Vita -sich einfanden. Horst sprach: »Auf Steinen wirst Du errichtet, Du unser -erstes Haus, die der Norden uns zugeführt hat. Der Norden, die große -Heimat der deutschen Stämme. Der harte, helle Norden, der noch heut die -deutsche Art am treuesten hegt. Wo die Männer von je frei, stolz und -ungebeugt den Nacken hielten. Keine Knechtschaft duldet der -Nordlandschein. Reden sollt ihr, ihr Steine! Zeugen sollt ihr uns sein, -Eidhelfer! Ein deutsches Haus sollt ihr tragen! Deutsche freie Männer -sollen in ihm wohnen!« - -Pastor Waermann sagte seinen Spruch: »Auf diesem Fels wollen wir eine -Kirche bauen! Eine deutsche Kirche! Jede Andacht, jedes Gebet in ihr, -jeder Gedanke, jeder Wille in ihr: die deutsche Freiheit!« - -Und Frau Tilde weihte das Haus: »Über dem Altar der Spruch der -Gemeinsamen: Ich lebe in Dir -- Du lebst in mir!« - -Vita aber flammte empor: »Der Altar dieser Kirche soll ein Amboß sein! -Schwerter zu schmieden!« Ihre Katzenaugen sprühten von funkelndem -Phosphor, die Worte sprangen und splitterten in ihrer mutierenden -Knabenstimme. Alle freuten sich ihres Überschwanges, der so kindlich war -und doch aus schmerzlicher Tiefe loderte. - -Die Maiensonne meinte es gut. Sie saßen zu einem kleinen Imbiß vor der -Baracke im Freien nieder. Von dem Kampf sprachen sie, von Lonas Tod. Ein -Schweigen ehrte die Heimgerufene. Keine Frage rührte an Horstens -Versunkenheit. Jetzt gab Pastor Waermann zu bedenken: dieser Waffengang -werde weithin alle Geister beschäftigen. Wollte die Siedlung ihre -Maschinengewehre retten, müßte sie sie verstecken. - -Kunz stimmte lebhaft zu. Er wußte die Plätze dafür -- zwischen den -Steinplatten der Hünengräber, die wieder zugeschüttet würden -- in der -Gruft bei Herrn von Borkhus, unter seinem Sarge. - -Horst lehnte ab. »Wir verstecken die Waffen nicht.« Die Linie zwischen -den Brauen gab Zeugnis. - -Dankwart und Kunz schüttelten den Kopf. War Lonas Tod ein Gewinn? - -Dann ließ es Frau Tilde sich nicht nehmen, in die Stallungen einen Blick -zu tun. Gisbert, der hier Zuständige, übernahm die Führung. - -Ein braunweißes Kalb hatten sie, das war ihr Stolz. Ihre beiden -Milchschafe, erlesener friesischer Rasse, hatten je zwei Lämmer -geworfen. Zehn Küken purzeln und trippeln und schießen herbei nach den -Lockrufen der Mutter Henne. Zwei andere Hennen noch brüten in den -Körben, feierlich in der gewölbten Ruhe ihres heißen, breit gefalteten -Gefieders, heizend und erhitzt, böse die Augen gegen die Welt, von -Halbschlaf benommen, versunken in das eigene geheimnisvolle Werk, -scharlachrot von der Inbrunst des Schaffens der Kopf, der klein geworden -ist gegen den machtvollen, lebenspendenden Leib. - -Frau Tilde sieht alles, prüft alles und ist zufrieden. Glücklich macht -Gisbert die Anerkennung. »Bienenstände müssen Sie noch haben, die -gehören zu Ihrem Heideland.« - -Und dann begleitet Gisbert die Freundin nach Hause. Die Herrin -- er -fühlt sich ganz als ihr Wirtschaftseleve. Immer wird er Landmann -bleiben, nie mehr wird die Stadt ihn sehen, in der die Menschen -versteinern. Die Naturandacht sein Leben. Seines Daseins Licht diese -Frau, die nicht müde wird, ihn zu beschenken. Nie mehr kann er von ihrer -Seite gehen. - -Sie blicken von der Höhe über das Land. Obstbäume blühen an dem Wege, -der zum Moorhofer Herrenhause führt. Wie große weiße Blumensträuße -stehen sie da, der Königin dieses Reiches ein Fest zu bereiten. Auf dem -Hügel außerhalb der Parkmauer, der weite Ausschau gewährt, steht ein -mächtiger Ahorn mit runder Bank. Da setzen sie sich nieder. Leuchtende -Wolken, erhaben und schöpferisch bildhaft, ziehen ostwärts, von der -sinkenden Sonne beleuchtet. - -Sie schauen hinauf, plötzlich fragt Tilde: »Sind Sie sehr -shakespearefest?« - -»O nein, ganz und gar nicht.« - -»Dann kann ich es wagen«, sagt sie und streicht sich ein mädchenhaftes -Zagen aus der Stirn. »Ich denke an die Szene, wie Hamlet den Höflingen -Rosenkranz und Güldenstern die Wolke zeigt -- sie nach dem Bilde fragt --- ihnen die Antwort in den Mund legt. Sieht sie nicht aus wie ein -Kamel, wie ein Walfisch, wie ein Wiesel -- für die bestialische -Reihenfolge wird keine Gewähr übernommen. Ich muß sagen, daß ich mit -dieser Szene nie das Rechte habe anfangen können.« - -»Weil die Wolken so vieldeutig sind --« - -»Ja. Ganz gewiß für Menschen, die nichts miteinander gemein haben. Da -die Wolkenumrisse so schnell zerfließen -- eine ganze wandernde -Menagerie kann man einem Fremden suggerieren. Der darum noch gar nicht -liebedienerisch ja zu sagen braucht. Menschen aber, die sich nahe sind -und miteinander leben -- es ist überraschend, wie sie in den Wolken ganz -zu gleicher Zeit dieselben Gesichte haben.« - -Gisbert blickt in die Wolken, die sollen ein Bild ihm zeigen. - -»Wie oft,« spricht Frau Tilde weiter, »haben wir als Kinder, mein Bruder -Volker und ich, so den Himmel abgesucht. Dann fanden wir etwas -- -gemeinsam -- faßten unsere Hände -- sagten es uns. Und immer war es -dasselbe. Eine Walküre mit Flügelhelm und wallendem Haar -- ein alter -Rabbi mit langem Bart -- ein Indianer auf der Büffeljagd -- ein -buckeliger Pierrot -- eine knieende Beterin. So eng hingen wir beide -zusammen.« - -Durch Gisbert zieht ein stilles Leuchten. Und wir beide? Wie nahe bist -Du mir -- und mir, ich weiß es, mir gibst auch Du Deine Nähe. »Ich fühle -wie Sie« -- immer, immer fährt unter dieser Flagge mein Lebensschiff. -Und was reichst Du täglich meinem Dasein an Geschenken! - -Eine Zuversicht hebt ihn, bis in den Himmel. Was die Wolken mir jetzt -zeigen, ich weiß es, Du siehst es mit mir. Und wie er jetzt suchend -wieder den Kopf aufrichtet, tut sie es auch. Leicht hebt er die Hand -- -nun zittert er doch in allen Fasern, da die Gewißheit droht -- und leise -ist sein Wort: »Ein Schwan --« - -»Er fliegt. In die Sonne fliegt er.« Ihre Stimme hat den stillen Glanz -des Selbstverständlichen. Sie sieht, was er sieht. - -»Und auf dem Kopf --« - -»Eine Krone.« - -»Eine Krone von Gold.« - -Sie sehen dasselbe, sie fühlen dasselbe, ein und dasselbe sind sie. In -Gisbert braust es und jauchzt es. Mein gekröntes Glück! -- -- -- - -Vita und Kunz gingen über die Heide. Der Wind trug ihnen den herben Duft -der Wacholderbüsche zu. Auf die Dünen zog es sie. Hartblau war die Flut. -Sie spähten über die See. - -»Wieder kein Schiff«, rief Vita klagend schrill. - -»Und wär eins da, es wär kein deutsches.« - -»Kommen Sie. Wenn man einmal nicht traurig oder zornig genug ist, geht -man hierher. Aber meist ist man es ja.« - -Zurück in die Heide. In Wolkenhöhe kreiste ein Raubvogel. »Kann man den -schießen?« fragte Vita. - -»Mit einer gewöhnlichen Jagdbüchse kaum.« - -»Aber mit dem Armeegewehr?« - -»Ja.« - -»Würden Sie ihn treffen?« - -»Schwerlich, ich bin kein Scharfschütze.« - -»Aber ich möchte es werden. Ich will schießen lernen. Sie sollen mich -mit auf die Jagd nehmen.« - -»Es gibt jetzt bloß nichts zu jagen. Höchstens Raubzeug.« - -»Um so besser.« Und die Augen sprühten ihre grünen Funken. - -Kunz lächelte dazu. Was bist Du für ein Kind, dachte er. Wie lange muß -ich noch auf Dich warten? - -Dann aber gab es einen Riß, einen bedrohlichen fast. »Ihren Hund aber -müssen Sie zu Hause lassen!« erklärte sie. - -»Meinen Muz?« - -»Hunde kann ich nicht leiden.« - -Er starrte in ihre graugrünen Lichter. Bist Du es nun doch, eine Katze -auf der Seelenwanderung! Dann sprach er beruhigt, mit siegender -Gelassenheit: »Sie haben noch nie in ein Hundeauge gesehen.« - -»Ich mag die Köter nun einmal nicht. Nicht ihren Geruch. Nicht ihr -Schweifgewedel, nicht ihre geprügelte Treue.« - -Kunz lehnte sich zurück, heftig, über das Gleichgewicht und taumelte -ratlos benommen. Eine Rede der Verteidigung? Was nützt hier -- und -anderswo -- alles reden. Erleben soll sie Dich, Muz. Und sich zu Dir -bekehren. Aber seinen Stoß hatte er weg. Und seine Zärtlichkeit trug -eine Wunde. - -Die mußte erst ausheilen. Heute würde es nun doch nicht mehr das Rechte -mit ihm und seinem Mädchen. Er war nicht trostlos, als der Pastor und -Horst ihnen in den Wurf kamen, die nach Moordorf zuschritten. Lieferte -das Kind an den Vater ab und zog allein seine Straße. Er sehnte sich -nach Muz, nach seinem Auge. -- - -Allein wanderte dann auch Horst weiter. Zum Torfmeister und zu Lona ging -sein Weg. Sein Schritt war langsam und schwer. - -Mit Feldblumen hatte der Alte die Tote bedacht und besteckt. »Blumen aus -dem Moor«, sagte er. »Im Tode haben die beiden sich gefunden.« - -Er wirkte und wallte umher wie ein Priester. Von der Leiche trennte er -sich nicht, er gab sie nicht her für Horst zu einsamer Andacht. Manchmal -schoß auf den, wie auf einen Fremden, einen Eindringling, einen Feind, -ein fast böser drohender Blick aus den roten Lidern. - -Horst stand vor der Toten. Nicht erlöst sind Deine Züge. Um Deinen Mund -das Lächeln -- es hat nichts Verklärtes -- leidenschaftlich und leidend. -Dein Los hat sich Dir nicht erfüllt. Sehr viel Sehnsucht trägst Du mit -hinaus. Auf den dunklen Fittichen quälender Fragen bist Du -emporgerauscht. Jetzt -- jetzt wandelst Du im Lichte der Antwort. - -Der Alte zog herum und ließ ihm nicht die Stille. »Der Pastor soll sie -nicht zum Begräbnis haben!« murmelte er drohend. »Eine Kriegstrompete -ist er geworden. Was soll die hier? Hier bläst sie vorbei. Und er stört -sie bloß. Und sie sollen Dich nicht stören! Alle haben sie Dich gequält. -Deine Freunde, durch ihr Wüten, Deutsche gegen Deutsche! Und Deine -Feinde -- dieselbe sinnlose Wut! In diese Brandung bist Du geraten, so -bist Du verdorben!« - -»Schuld seid Ihr ja« -- gegen Westen hob er jetzt in jähem Ruck die -mächtige haarige Faust -- »Ihr Höllenhunde da drüben! Ihr mit all Euren -Bundesgenossen, all Euresgleichen -- nur in Rudeln jagt das feige -Gesindel -- Ihr habt heimtückisch Deutschland zur Strecke und in das -Elend gebracht! Und in unserm Grauen kehrt unsere Wut sich gegen uns -selbst. Auch mein Kind habt Ihr feige und tückisch gemordet. Es wird -Euch heimgezahlt!« - -Wie ein Seher und Rächer steht er da mit überweltlichen Augen! Horst -zwingt es zu ihm hin. Er nimmt die furchtbar bebende Hand. Er grüßt den -deutschen Herzschlag, der ihm selber die Adern sprengt. - -Dann erlischt in den alten Augen die Flamme. Und ein Mißtrauen wehrt dem -jungen Freund. »Du willst teilhaben an meinem Totenfest. Du hast sie -lieb gehabt, meinst Du. Hast Du sie lieb gehabt, ohne etwas von ihr zu -wollen? Ich aber liebte sie und wollte nichts von ihr, und darum ist -meine Liebe größer als Deine. Darum bin ich mehr als Du und hab mehr -Rechte als Du. Ich allein begrab sie mir.« - -Und da Horst eine Bewegung macht -- »bist Du nicht als Feind im Kampf -mit ihr gewesen! Hat eine von Euren Kugeln sie nicht getroffen! Hast Du --- Du sie nicht getötet! So gut wie mit eigener Hand! Da Du Feuer -befohlen hast! Und Du willst sie mir streitig machen!« - -Die Augen kreisen, Flammenräder einer eifersüchtigen Angst, eines -eifersüchtigen Zornes. Die beschwichtigende Hand des Nebenbuhlers wird -mit einem Kopfschütteln abgetan. Aber damit kehrt schon seine Ruhe -wieder. Doch die Ruhe schärft und härtet sich. - -Hoch richtet er sich auf. Die verkrampften Hände packen die Brust: »Ich, -der Totengräber Lud Uhlenbrook -- der einzige, der diese Tote lieb -gehabt hat -- und der einzige auch, den die Tote lieb gehabt hat -- nur -mir gehört sie -- nur mir gehört ihr Begräbnis -- nur mir gehört ihr -Grab. Allein bestatte ich sie. Niemand soll dabei sein. Mein Moor soll -sie bewahren. Und die Stätte zeige ich keinem. Mein Moor balsamiert -Deinen Körper ein und rettet Deine Schönheit. Das Moor läßt keine Würmer -an Dich hinan. So gut wie lebendig bleibst Du mir. Mir -- die Du mir -gehörst!« - -Es wirft ihn nieder -- er kniet zu ihr hin, er legt die alten, -blutroten, tränenblinden Augen auf ihre kalte Hand. - -Horst hat die Stube verlassen. -- -- - -Zwischen den Findlingstrümmern, eine einsame Birke über sich -- wie -duftete das junge Laub! -- saß Kunz mit Muz, seinem Tier, und sprach zu -ihm. Steil gestellt waren die hohen spitzen Ohren, in den großen -goldbraunen Augen war alle Klarheit, alle Weisheit, alle Güte, alle -Wehmut der Welt versammelt. - -Jemand hat Dich gelästert, mein Tier, und ich habe ihn nicht getötet. -Ein Weib -- nein, ein Junge, ein Kind. Nein, eine Katze. - -Nun drehst Du den Kopf. Das Wort geht Dir ins Blut. Dies Wort verstehst -Du, sagen die Einfältigen. Als ob Du nicht jedes Wort verstündest, das -ich zu Dir spreche. - -Nur, daß Du mir nicht antworten kannst in unserer Sprache. In der -Sprache der Menschen, diesem größten von allen unseren Mysterien. Unsere -Freiheit, in der wir geknechtet sind, unser Glück, daran wir gekreuzigt, -der Segen, zu dem wir verdammt worden, die Wahrheit, die uns mit Lüge -schlägt. - -Was da in Deinem Auge, dem unermeßlich tiefen, dem unermeßlich scheuen -vor der eigenen unergründlichen schwermütigen Klarheit, was da spricht -und schweigt -- heißt das: ich klage und traure, daß ich nicht Worte -habe wie ihr, euch zu antworten, wie ihr mich fragt? - -Oder heißt es ganz anders! Ist es Dein Schmerz, daß wir, wir mit der -Sprache gesegnete Verfluchten nicht Deine Augen haben! In denen die -Seele ist, die wir auf die Zunge heben und so veräußerlichen! Die wir in -leeren Schall zerflattern lassen! - -Heilig sind Deine Augen, fromm machen Deine Augen! Sie soll -hineinblicken, das Weib, das Kind und Katze ist. Und soll niederknien! - -Das ist ja wahr, Muz, außer Deinen Augen bist Du noch so mancherlei. -Eine Bestie, ein Bandit, ein Herumtreiber, ein Hund mit einem Wort. Ein -Lumpenhund von einem Hund! - -Von Deinen Liebeshändeln will ich nichts sagen, obwohl sie heftig dazu -herausfordern. Aber -- hast Du mir nicht vorgestern erst aus meiner -ahnungslosen Jacke, die bei der Arbeit sich mit der Maiensonne nicht -vertrug, mein Frühstück gestohlen! Das Papier mit Zähnen und Pfote -weggefetzt und die Stulle verputzt! Meine, Deines Herrn und Gebieters -Frühstücksstulle. Der redlich und rechtschaffen hungrig war. -Amerikanisches Schmalz war darauf -- Du lieber Gott, in der Not frißt -der Deubel Amerikaner. Du fraßest, und mich ließest Du den Daumen -lutschen, Du ungetreuestes aller Mistviecher Du. - -Aber Deine Augen -- und wieder und immer wieder Deine Augen! Heilig, -heilig sind sie und Andacht sollen sie lehren das Weib, das ein Kind, -ein Junge und eine Katze ist! - -Muz, Muz, Du kennst meine Vita. Du hast sie gesehen, freilich nur aus -der Ferne. Denn Du drängst Dich denen nicht auf, die Dich nicht wollen. -Ist sie nicht ein verschlossen und verzaubert Köstliches! - -Vita, noch schläft alles Leben in Dir! Ich will es mir wecken, mir -sollst Du einmal auferstehen. Eine Knospe bist Du, hart und spitz. Und -die Knospe sticht. Die mir, mir ihre Blüte verheißt und bewahrt. - -Einfältig bist Du, ja, so einfältig kannst Du sein, daß man manchmal Rad -schlägt vor Schreck und vor Freude -- wie wirst Du Dich mir entfalten! -Ein dummer Junge oft -- ich ruf es mir wach, das liebe kluge Mädchen! -Ich küss' es mir auf! - -Und Kunz schlägt die Arme um sich und umarmt die Luft. Entsetzt fährt -Muz in die Höhe -- zum Tierarzt! ist sein erster Gedanke. Der Mann ist -verrückt! - -Aber schon ist der Mann wieder friedsam geworden, kauert sich zu dem -Hund, läßt die samtenen Ohren sich durch die Hände gehen und erzählt ihm -weiter. - -Ja, mein Tier -- Dir sag ich alles. Du verstehst jedes Wort und birgst -es in der Seele. Du willst nicht alles besser wissen und schwätzest -nicht dazwischen, wie diese entsetzlichen Klookschieter von Menschen! - -Froh bin ich, Muz, und kann lachen. Und hab klug reden, wenn die andern -auf unseren Stall schimpfen und gern ausreißen möchten. Wo mein Glück -hier neben mir wohnt! - -Was aber wird aus Horst? Jetzt, wo die Frau aus seinem Leben genommen -ist, die auf andere Bahnen ihn zog -- auf verschlungene Pfade, die -abseits lagen von unserer geraden Straße. Wird er den Weg zurückfinden? -Wird sie als Geist ihn weiter bannen? Haben sich nicht die Schatten zu -tief in ihn eingefressen? Kann er uns wieder der Alte sein in alter -Helle? - -Anfällig Horst auch Du -- seid Ihr nicht alle krank geworden am -deutschen Leid? Bin ich nicht der einzige gesund geblieben, ich, der -Dickfellige, in bekömmlicher Gedankenarmut! - -Auch Gesundheit steckt an! Nicht müde werden will ich, Euch mit meinem -Gesundheitsstoff zu infizieren! Dich, Horst, Dich, Gisbert, und -Dankwart, auch Dich! Du Mann mit dem verlorenen Lachen. Lachen sollst Du -wieder können oder doch lächeln. Denn, wenn wir nicht lachen, wir Wachen -im deutschen Lande, so schaffen wir es nun und nimmermehr. - - - - - Ingeborg - - -Bitterlich zu kämpfen gilt es ja um das Lachen. - -Am andern Tage, die Maisonne jubelte grausam, kam aus der -Provinzialhauptstadt ein hoher Beamter mit militärischer Begleitung. Er -und der Offizier Männer mit den schmerzweiten Augen, wie sie durch -Deutschland klagen -- beide nur an Bord geblieben, damit das Schiff -nicht ohne Mannschaft sei, abgeneigt der Führung des Fahrzeuges, ohne -Vertrauen zu seiner Steuerung und doch gehalten von der Disziplin des -Gehorsams, der dem Vaterlande gilt. Mit halbem Herzen führten sie den -Auftrag aus. Nur das Nötigste wurde gesprochen. »Vier Maschinengewehre -sind hier am Sonntag abend in Tätigkeit gewesen. Die Maschinengewehre -gehören dem Staat. Sie haben sie abzuliefern. Wir sind hier, sie in -Empfang zu nehmen.« - -Horst sagte ein ruhiges: »Bitte.« - -»Weiter möchte ich Sie ersuchen, mir über die Vorgänge am Sonntag abend -Auskunft zu geben. Ich muß sie zu Protokoll nehmen.« Horst berichtete, -was er wußte. - -»Wo befindet sich die Tote?« - -»Im Hause des Torfmeisters zu Moordorf.« - -Kein überflüssiges Wort. Was man fühlte, wurde in Schweigen eingesargt. -Wenige waren dabei. Kunz als der Waffenmeister, drei von den Siedlern, -die Hausdienst hatten. Die andern waren beim Bau und auf den Feldern. - -An der Mittagstafel natürlich bewegte dies die Geister aufs tiefste. -»Unsere Burg ist geschleift«, sagte Kunz. Das war der Grundton. - -»Wir sind und bleiben Soldaten!« rief einer. »Und ein Soldat ohne Waffen --- was ist das? Die Hunde heben das Bein dagegen auf!« - -Es ging ihnen nicht bloß an den Stolz, an die Ehre der Wehrhaftigkeit. -An das Gefühl der Sicherheit griff es. »Jetzt können sie uns mit -Knüppeln totschlagen.« - -Metzling, der Grundsätzliche, versuchte eine Rede. Der Zorn der andern -wäre ja gerade durch die Maschinengewehre erregt worden. Sie empfanden -es als Ungerechtigkeit, daß wir welche hatten und sie nicht -- - -»Und als Gerechtigkeit hätten sie es dann empfunden, wenn sie sie -gekriegt hätten und gingen uns damit zu Leibe!« Ein Einwurf, den das -Lachen der meisten billigte und trug. Für die Minderheit aber, die -theoretischen Schwärmer, wurde die Gerechtigkeit nun doch zum Kampfruf. -Gleiche Waffen -- gleiche Waffenlosigkeit. Nur so kann der Bruderkrieg -aufhören, nur so eine Möglichkeit der Verständigung und Eintracht. - -O Ihr weichen Seelen -- schalt Kunz dagegen -- o Ihr erweichten Hirne! - -Mit der Idee kam die Erhitzung in die Gemüter, es gab Streit und -Zerklüftung. Zum erstenmal grub sich ein tieferer Riß durch die -Siedlerschaft. - -Und wieder an Horst hängten sich die Augen. Er hatte finster dagesessen, -wie abgekehrt, bewegungslos und ehern. Jetzt belebte er sich. Und nahm -das Steuer in die Hand. - -»So geraten wir uns also selbst in die Haare. Wollt Ihr einander dies -eine Euch klarmachen. Sie haben uns die Waffen genommen. Sie sagen, daß -die nicht uns, daß die dem Staate gehören. Dem Staat -- wir wollen sie -nicht fragen, wer das ist. Aber bleiben sie dem Staat? Liefert der sie -nicht an unsere Feinde aus? Daran denkt! Und denkt daran, wie nicht bloß -unsere Waffen, wie auch unsere Arbeit dem Feinde ausgeliefert wird. -Alles, was wir schaffen, alle Werte, die wir erzeugen. Unser Haus -- -auch das bauen wir für die Feinde. Es wird kein deutsches, es wird ein -französisches Haus. Wenn wir nicht einig sind! Wenn wir nicht einig und -groß uns erheben! Daran denkt, nur daran! Alles -- alles hat dem zu -dienen.« - -Es ist der alte Klang in seinem Wort, der alte Führergeist in seiner -Rede Tat. Und seine Augen haben den Mut seiner Worte. Dem beugen sich -alle, dem folgen sie alle. Und in Kunz glüht es: er hat die Höhe, er hat -auch die Hand. Daß er den Willen behalte und die Kraft! - -Sie gehen an ihr Tagewerk. Wir fronen nicht! Wer unsere Gedanken hat, -unseren Willen, unseren Mut, der arbeitet frei an freiem deutschen Werk, -Deutschland zur Ehr, Deutschland zur Wehr! - -Wir weben am Schicksal des Vaterlands. Schicksal -- was ist Schicksal? -Was wir schaffen ist Schicksal! So bändigen unsere Hände das Geschick, -unsere Zuversicht, die Kraft unserer Sehnsucht, unseres begeisterten -Willens schafft eine neue Wirklichkeit. - -Dieser Glaube, von Horst bezeugt, dem Führer, dem Propheten, lebte in -ihrer Arbeit. Ihr Werk gedieh und stärkte sie durch sein Wachstum. - -Horst aber -- und Kunz wurde seines Mißtrauens nicht Herr -- blieb wie -zugeriegelt und suchte die Einsamkeit. - -Der alte Hüne im Moor hatte sein Kind allein begraben. Niemand hatte die -Stunde gewußt, niemand erfuhr die Stelle. Die Genossen hatten eine große -Leichenfeier gewollt. Die Blutzeugin für die große Sache! Wie konnte die -Straße ihrer entbehren! Sie kamen zu dem Alten und forderten. Er wies -sie ab. Sie drohten, da jagte er sie zum Teufel. - -Und als sie zum drittenmal anrückten, mit Verfügungen der Behörde, da -war es zu spät, da war die Tote nicht mehr über der Erde. Die Behörde -hatte wichtigeres zu tun, als gegen den »alten Narren« gesetzlich -vorzugehen. So behielt Lud Uhlenbrook recht, und das Moor behielt Lona, -sein Kind. - -Fremd war der Alte für Horst geworden. Er und sein Moor. Da sie den -letzten Abschied von Lona, von Lonas Bild ihm versagt hatten. Den -Gräberkult hatte der Krieg ihm abgewöhnt, er brauchte auch hier keine -Stätte des Gedenkens. Aber die Gesinnung des Alten, sein eifersüchtiger -Haß -- er konnte das böse Auge des wilden Druiden nicht vergessen -- war -nicht ein Feindseliges darin? - -Bald würde er ja dafür sein Lächeln haben, aber noch schwärte etwas. -Vielleicht, weil er den Riesen so gut begriff, wie ein Verwandtes. Weil -er sich sagte, ich hätte es auch getan -- hätte es auch tun mögen. - -Er trug nun mal die leere Stelle in sich, da Lona von ihm gegangen war. -Weit voneinander standen die Pfeiler unseres Glaubens. Aber da sie -wuchsen aneinander, aufstrebten gegen einander, wölbten sie sich nicht -einander entgegen? Hätten sie nicht zu einem Kuppelbau helfen können für -das eine große deutsche Wollen? - -Von mir zu Dir sollte die große Einheitslinie reichen. Gewiß, wärest Du -nicht ein Weib gewesen, mir ein Wohlgefallen und eine Sehnsucht, meine -Blicke hätten nicht immer und immer zu Dir den Weg genommen, unbeirrt, -hinüber über all die Fluten, die zwischen uns und gegen uns brandeten. - -Zu Herrn Knubart hätten sich von mir nicht diese Fäden gesponnen. - -Nun, da Du hinsankst, ist die Brücke eingestürzt -- ob sie leicht war, -von schönen Träumen gehalten, sie war doch, und fester wäre sie -geworden, und einmal hätte sie getragen. Die Brücke ist zerstört und die -Fluten branden weiter. - -Hat es Sinn, gegen sie anzukämpfen, sie einzudämmen, mit neuen Brücken -sie zu überspannen? Der innere Feind! Steht er nicht als Verhängnis in -den Sternen uns geschrieben? Unser unabwendbares Verderben? - -Das Tagewerk lag hinter ihm. Schwer und ehrlich hatten sie wieder -gescharwerkt. Er ging an den jungen dem Ödland abgerungenen Feldern -vorüber. Das Moorkorn, der Hafer, sproß, auch die Kartoffeln zeigten -schon ihre kräftigen, bewußten, schwarzgrünen Schößlinge. Es lag wie ein -Segen auf den Breiten, und er war nicht froh. Eine Kraft war nun einmal -von ihm gegangen, ein Teil seines Lebens war verdorrt, und wieder warf -das Verzagen ihn nieder. - -Was können wir noch, was wollen wir noch? Haben die Ängste, die Nöte, -die Qualen, die Schauer des Krieges und die schlimmeren des Friedens -nicht unser Wesen welk und blaß unser Blut gemacht? Wir haben nichts und -können uns nichts geben, so viel und heftig wir bei uns anpochen! Sind -wir nicht die bekannten Bettler, die an eigenen Türen betteln? Kann von -uns der Erlöser kommen? - -Er wanderte nach Westen. Über den Himmel zog, da die Sonne sich neigte, -der Perlmutterglanz eines brechenden Auges. Da vor ihm lag das Moor. -Schatten schreckten über ihn hin, er kehrte sich um und ging zurück, den -Goldbergen entgegen. Belastet schritt er und geduckt und blickte nicht -auf. - -Was huscht da, zuckt und zupft an seinen gesenkten Wimpern? Ein -Lichtschein von Osten, da es Abend wird? - -Augenflimmern eines überreizten Gehirns -- er hält es der Mühe nicht -wert, die Lider zu heben. Aber das Licht pocht und klopft und fordert. -Es ist, als wenn jemand das Sonnenlicht mit einer Spiegelscheibe -auffängt und ihm schräg gegen den Sehnerv peitscht. - -Nun muß er mit dem Blick in die Höhe und da -- oben auf den Goldbergen --- hier sprudelt des Glanzes Quell -- eine Lichtgestalt -- ein -Strahlendiadem zu Häupten -- ein weibliches Wesen -- ist es erdgeboren? - -Hoch und schlank und königlich -- nie hat auf Erden eine solche -Haarkrone geleuchtet! Mit den Lichtern ihres Hauptes spielen die -Sonnenstrahlen wie mit Schwestern. - -Verzaubert in dem Lichtkegel steht Horst. Jetzt bewegt sich die Gestalt -schreitet herab, in den Schatten, die Sonne löst sich aus den Flechten, -der Strahlenbann erlischt, Horst ist wieder im Menschenland. - -Er geht der hellen Frau entgegen, immer noch tastend, geblendet und -unfrei. Sie aber ist die leuchtend junge Unbefangenheit und nimmt ihren -Weg gradaus zu ihm. - -Da sie vor ihm steht, atmet er erleichtert auf -- all dies Überirdische -und Vollkommene hat sich zu einer annehmbaren Wirklichkeit gewandelt. -Beruhigende Mängel zeigen sich, das Gesicht hat gar nichts Erhabenes und -Verklärtes, die Züge sind nicht einmal schön, nur herzerfrischend offen, -und die stahlblauen Augen nicht groß, nicht tief, aber daseinsinnig, die -alles, was sie sehen, als eigenes mehr oder weniger selbstverständliches -Geschenk an sich nehmen. Die Nase erscheint breiter als sie ist, weil -ein kleiner Sattel von Sommersprossen sie deckt. Die prachtvollen, -weitläufig gestellten Zähne in dem vollen Mund schlürfen die Lebensluft -wie einen köstlichen Trank. - -Ein daseinsfrohes, daseinsstarkes, freies, gerades Menschenkind wie -andere auch -- nur das Haar, das wundervolle, in dem das Licht alle -Goldfarben aufklingen läßt, von der Waberlohe des Braungold bis zu dem -stillen schweren Glanz des reifenden Weizens bleibt in märchenhafter -Höhe. - -Sie spricht, die Stimme ist hell, ein wenig hart für einen Mädchenmund. -Das behutsame Schriftdeutsch, das zuerst etwas nach dem Fremdenführer -schmeckt, hat nordischen Klang. - -»Verzeihen Sie mir, mein Herr. Sind Sie bekannt in dieser Gegend?« - -»O ja, wenn ich mich Ihnen zur Verfügung stellen darf.« - -»Ich bin nun einmal so abscheulich pedantisch -- ich muß von allen -Sachen den Namen wissen -- besonders in geographischen Dingen -- meine -Freundinnen sagen, daß ich recht eigentlich nach Deutschland gehöre.« - -»Wo alles so schrecklich pedantisch ist.« - -Sie errötet und bekommt ein liebes verlegenes kindliches Gesicht. »Ich -wollte damit sagen, weil es das Land der Geographie ist. Der großen -Geographen und der Atlanten. Ich will nichts Böses sagen gegen Ihr -Deutschland. Jetzt am allerwenigsten. Ich habe Deutschland lieb. Mehr, -als viele Deutsche es haben.« - -Nun fliegt Horst mit ganzem Herzen zu ihr. Ich habe Deutschland lieb! - -Sie gehen auf den höchsten der Hügel. Er hört von ihr, daß sie Schwedin -sei, mit ihrem Vater unterwegs, der eine Studienreise mache. -Kriegsgeschichtler sei er -- also ein Fachgenosse, denkt Horst. Im -Archiv der Kreisstadt seien wichtige Dokumente aus der Schwedenzeit. -Auch im Pfarrarchiv von Moordorf. Sie hätten hier ein kleines Landhaus -an der See gemietet und wollten wochenlang bleiben. Dann führen sie in -ihrer Jacht wieder nach Hause. - -Horst vergilt Offenheit mit Offenheit. Bald wissen sie voneinander wie -alte Bekannte. - -»Ich möchte, daß Sie Vater kennen lernten«, sagt Ingeborg Thorild. »Er -ist zu dem Herrn Pfarrer nach Moordorf gegangen. Ich soll ihm -entgegenkommen. Wollen Sie mich begleiten?« - -Ob Horst das will! So geht er mit ihr den Weg zurück, den er gekommen -ist in Düsternis. Jetzt ist Licht um ihn her, er kann aus seinem -seelisch zerwühlten Gesicht in die Welt blicken wie ein glücklicher -Knabe. - -Sie mit ihrer jungen unbekümmerten Wichtigkeit führt das Gespräch. -Erzählt von ihrer Heimat, die sie leidenschaftlich liebt. Auf einem -alten halb verfallenen Edelsitz in Södermanland wohne sie. Ihr Vater mit -seinem Bruder, beide alte Offiziere, haben ihn billig gekauft. Nun werde -er so nach und nach wieder aufgebaut. Bis heute seien die bewohnbaren -Räume fast ganz von der Bücherei ihres Vaters eingenommen. Die -Gutswirtschaft führe ihr Onkel. Aber der sei kränklich, und der Arbeit -sei es zu viel für ihn. - -»Kennen Sie Schweden?« - -»Nein.« - -»Seltsam -- dieser Landstrich hier könnte auch bei uns sein. Die Heide, -das Moor, die Findlingsblöcke. Nur haben wir mehr, und sie sind -mächtiger. Und düsterer sind unsere Wälder.« - -Sie kommen an dem Moor vorüber, das all seine goldenen Blumen entzündet -hat. Die Abendfeuer sprühen über sie hin. - -Ingeborg bleibt stehen. »Jetzt fängt wohl auch mein Moor zu blühen an. -Als wir abfuhren, schlief es noch.« Es ist eine Zärtlichkeit in den -Worten, und Horst, in dem ein Dunkles aufsteigt, fragt: »Sie haben zu -Ihrem Moor ein besonderes Verhältnis?« - -»Ja, das hab ich. Es ist wie ein alter Freund. Niemand erzählt mir so -schöne Geschichten.« - -Jetzt denkt Horst an die Frau, die hier im Moorgrund liegt. Die immer -nur Schauer vor dem Moore erlebt hat. Wie sagte der Alte damals? Wer -vorm Moore bangt, wird von ihm gelangt! An diese leuchtende, lachende -Nordländerin rührt solches Grauen nicht. Wie gut habt Ihrs gehabt, -weitab von Kriegsnot und Friedensleid, daran unsere deutschen Frauen -vergehen. - -Ihr habt gut Lachen und Leuchten, Ihr Fremden -- ja, Ihr Fremden! Und -eine Absage, ein Widerstand, fast eine Feindschaft erhebt sich in Horst -gegen dieses vom Glück gepflegte Mädchen. Bei Lona sind seine Gedanken, -der deutschen Frau, die das deutsche Schicksal zerschlug und zerbrach. - -Was gehst Du mich an, Du Fremde, in Deinem Glanz? Kalt ist er mir, -kalter und ferner Nordlandschein. - -Und der alte Herr, der uns da entgegenkommt -- ja lauf ihm nur in die -Arme! Was kümmert Ihr mich, Ihr beide! - -Dokumente »aus der Schwedenzeit« will er hier aufstöbern. Und sie sagt -das mit ihrem strahlenden Gleichmut. Die Schwedenzeit! Wißt Ihr nicht, -daß sie ein Brandmal ist und ein Schandmal! Für uns das eine, das andere -für Euch. Wie habt Ihr die deutschen Lande gebrandschatzt, ihre Bewohner -gefoltert, die deutschen Seelen gepeinigt und verheert. Was habt Ihr als -Raubgut über die Ostsee verfrachtet! Das ausgeplünderte Deutschland, -Eure Schlösser, Eure Geschlechter hat es reich gemacht. - -Und nun kommst Du, der Erforscher dieser verruchten und verfluchten Zeit --- fast so verrucht und verflucht wie die unsere! Kommst Du nicht mit -einem Kopf daher, der wie geschnitten ist aus einem Bild jener zehnfach -vermaledeiten Tage! Den Du noch barhaupt trägst, mit dem Hut in der -Hand, ihn besonders zu bekräftigen! - -Das graue Haar hängt lang bis auf den breiten Klappkragen hinab -- warum -ist es kein Spitzenkragen? Der paßte schon zu dem betonten Knebelbart! -Und der Reiterobrist in Baners oder Torstensons Heerschar wäre fertig. -Weht an dem grauen Schlapphut nicht die Straußenfeder? - -Will dieser Mann einen alten Schweden uns vormimen? Will er uns höhnen -mit dem dreißigjährigen Krieg, will er -- was noch schlimmer wäre -- -unsere heutige höllenböse Zeit mit ihm trösten? - -Gewappnet tritt Horst dem Herrn entgegen. Aber, wie er ihm in die Augen -sieht, machen die ihn wehrlos. Von so junger, fast jungenhafter -Treuherzigkeit sind sie und von so inniger Kraft reifen Denkens und -ehrlichen Glaubens. Hier ist nichts von Schaustellung, von Pose und -Geste. Ganz natürlich ist das Gepräge des Gesichts hineingewachsen in -die Zeit, in die seine Arbeit sich vertieft. Der vornehme Kopf eines -ernsten Forschers neigt sich grüßend von der hohen, sehnigen Gestalt zu -Horst herüber. - -Das gemeinsame Fachgebiet führt sie gleich enger zusammen. Mitteilsam, -wie seine Tochter, erzählt Oberst Thorild, daß er hier den Spuren Bauers -nachgehe, dessen Leben und Kriegskunst seine letzten Untersuchungen -behandeln. - -Wie frei und froh sie sich aussprechen, diese glücklichen, unberührten, -von Krieg und Not und Schmach nicht zu Tode geschundenen Menschen! Was -hat das Elend, die Unehre, die Schande aus uns gemacht! Was sind wir -karg und schweigsam geworden, mürrisch, mißtrauisch, verschlossen und -verkrochen! Und mit Neid blickt er die beiden an, und wieder mit einem -Zorn. - -Dann aber, als auch der Vater sein Bekenntnis für Deutschland ablegt, -hebt sich sein Sinn wieder höher und flammt und schlägt dem Bekenner -entgegen. - -Der alte Herr hält sich tapfer zurück. Nicht zu viel seines Mitgefühls -gibt er mit einem Male her, um das Bejammernswerte nicht allzu -schmerzlich hervorzukehren. Dafür muß erst noch ihre Freundschaft -wachsen. - -Ermutigendes spricht er. In dem Siedlungswerk sieht er ein Heil. -Auch bei ihnen in Schweden sei es not, neue Wohnungs- und -Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und die Menschen bodenständig zu -machen, zu erdfesten eigenen Herren. Er selbst sei in der -Siedlungsbewegung tätig und habe eigenes Land hergegeben. Gern würde er -sich einmal die Hohenmoorer Niederlassung ansehen. Dann bat er Horst, -sie in ihrem nahen Landhause zu besuchen. Und Ingeborg fügte hinzu: -»Nicht wahr, Sie kommen bald!« - -So klang in dem Lebensakkord von Horst ein neuer Ton auf. Die Freunde -hoben den Kopf, als er heute abend heimkam. Kunz, dem Gisbert immer mehr -entglitt, schnaufte fröhlich vor sich hin. Man gewöhnte sich schon -daran, unter Schemen und Gespenstern hinzugleiten -- wollen wir jetzt -wieder an unsere Blutwärme glauben, an unsere Muskeln? - -Und nun weiter zum Krieg gegen die Friedensnot! Freudig hart werde unser -Sinn, hart wie unsere Hände! - - - - - Die Liebenden - - -Gisbert war auf dem Wege nach Moorhof zu Frau Tilde. Er hatte heute -wieder schwer gearbeitet, bei dem Neubau des Hauses. Seine Frauenhände -waren voller Schwielen, aber sein Sinn wurde nicht hart, nicht so, wie -Kunz es wollte. - -Auf Tildes Schultern lag die ganze Last zweier Gutswirtschaften. Mit dem -Morgengrauen war sie auf den Beinen und des Abends rechtschaffen müde. -Manch stille Stunde saßen die beiden Menschen zusammen und ruhten -ineinander aus. Sie waren sich so nahe und vertraut, daß in ihrem -Schweigen die tiefsten Harmonien klangen. - -Heute traf Gisbert eine Gutsnachbarin bei ihr, die umfangreichste Dame -des Umkreises, seelisch angefüllt von Viehpreisen und Fragen der -Milchwirtschaft. Zum Glück war sie im Begriff zu gehen. - -Als sie hinausgewuchtet war, sann Frau Tilde der Masse nach, schüttelte -den Kopf und sprach still vor sich hin: »Das Goethewort: Materie nie -ohne Geist!« Das war scherzhaft milde gemeint, und doch horchte Gisbert -auf. Denn zum ersten Mal fand er so etwas wie Bitterkeit und Schärfe in -Wort und Wesen der vergötterten Frau. Und seine Knabenaugen starrten -ratlos auf die leise Unruhe, in der sie bebte. - -Immer nur hatte sein eigenes Glück ihm geschienen, immer hatte er in -dessen Widerschein die Herrin gesehen. Immer war das Gefühl der -Gemeinsamkeit über ihm -- was er selbst empfand, ließ er auch sie -empfinden. Wollte der Dienende sein, und ließ nur sein Eigenleben -leuchten. Hatte er je den feinen Schattierungen ihres Fühlens -nachgespürt? Wieviel an Schicksal trug doch diese Frau. - -Und nun -- an einer leisen Regung bei ihr -- ward es ihm bewußt, wie -sehr ihr Leben Mangel litt, und er mußte sich fragen: was habe ich, ich -ihr zu geben? Was kann die Blässe meines Gedankentums ihr sein? - -Vor dieser Frage aber erschrak er tief. In seine junge Ahnungslosigkeit -griff das Grauen: werde ich sie halten können, muß ich sie nicht -verlieren? Sie halten? Wer war er! Hatte er ein Recht auf sie? Ihr -Knecht war er, ihr treuer Fridolin, in Stücke ließ er sich für sie -zerhauen. Und wenn der Geistesflug in gleiche Bahnen sie führte, blieb -er nicht auch hier nur als Knappe ihr zur Seite? - -Unbarmherzig sah er das Leben, strich die Schwärmerei aus Augen und -Sinnen und packte die harte Wirklichkeit an. - -Was ist das Los dieser reichsten, herrlichsten, innigsten der Frauen? -Mit einem gemütskranken Mann muß sie das Leben teilen. Und lag nicht das -Unglück auf all ihren Wegen? Sind nicht alle von ihr gegangen? Um die -ihre Liebe sich schlang? - -Wo ist die Hand, die in ein neues Dasein sie reißt! Die kraftvolle -Männerhand, die sie erlöst! Ins Glück sie erlöst! Nur so, nur so kann -ihr Leben sich erfüllen! Und schonungslos betrachtete er sich selbst, -wie wenig er selber hatte von kraftvoller Hand, von einem Erfüller und -Vollender. - -Dann wieder regte es sich gläubig in seinem jungen Herzen. Bin ich nicht -noch im Werden, im Wachsen! Und wie kann ich wachsen, gerade am Wesen -dieser Frau! Und eben in diesem jungen Herzen sprühten jetzt die Funken: -wie schön ist sie! Und die Flammen erschreckten ihn, er mußte sie -zerdrücken und austilgen mit allen Kräften seiner Seele. - -Es war eine Rettung, daß Frau Tilde von ihrer fleischigen Nachbarin zu -reden anfing. Die hätte, über ihre Buttermaschinen hinaus, ihr die -Einladung zu einer spiritistischen Sitzung gebracht. Nun lachte Gisbert -hell auf. Frau Tilde, aus den Höhen und Weihen ihrer spirituellen -Einsamkeit, der allein sich das Übersinnliche auftun konnte, -hineinversetzt in die beklagenswerte Runde tischrückender Sekten! - -Beklagenswert -- das war der Grundton in Tildes Betrachtung. Diese armen -Menschen! Und dieser armen Menschen arme Geister! Die auf Tischbeinen -einherspazieren und die übelsten Trivialitäten den verzückten Gläubigen -in die offenen Münder fliegen lassen. - -Wer nicht den innersten Trieb hat mit seinen Geistern allein zu sein, -wer ein Gesellschaftsspiel mit ihnen vollführt, wer sie sich erst durch -die Hirne anderer, ob krankhaft ob nicht, hindurchfiltrieren lassen muß, -wie unsagbar traurig sieht es in solchen Seelen aus! - -Mir allein gehören meine Geister, zu mir allein sprechen sie, nie werden -sie die anderen vernehmen lassen, was uns verbindet. Nicht nur meine -Träume, die nur meine sind, führen sie zu mir, nicht nur die Andacht -meiner Nächte, auch die dürstende, »an der Sphäre saugende« Sehnsucht -meiner wachen Stunden. Und sie kommen zu mir, im Waldesschatten, im -Quellengemurmel, aus den Sonnenkreisen des Buchengrundes steigen sie -auf, von den lichtumsäumten Wolkenbildern schweben sie zu mir nieder. -Und sie sprechen zu mir, nur zu mir, denn nur ich verstehe ihre Sprache. -Und ich weiß, daß sie sind -- so wahr ich bin und so wahr ich sein werde -wie sie. - -Nun aber, nach diesem milden Bedauern, stieg ein ehrlicher Zorn auf. -Mein Mitleid allen dumpfen Gehirnen, die nur im Dunst des Herdentums -ihre Regungen haben! Duldung auch den gutgläubigen Priestern und -Hohenpriestern dieses für mich armseligsten und schwachsinnigsten aller -Kulte. Was aber soll man zu den Ausbeutern sagen, die sich hier eine -Macht und eine Industrie aus geistig Bedürftigen bereiten! Gewiß, trübe -Neurastheniker zum Teil, die sich suggerieren, sie glauben das, was sie -die andern glauben machen wollen. Die vielen aber unsaubere Scharlatane -von Beruf, die mit Bewußtsein die Seelen und Börsen in ihre schmierigen -Erpresserhände nehmen und froh sind, sich ins Unkontrollierbare gerettet -zu haben. - -So Frau Tilde. Nie hatte Gisbert solch harte Worte von ihr gehört. Waren -es eigene Erlebnisse, die so steil und spitz sie aufrichteten? Und -wieder, an ihrem Zorn wie vorhin an ihrer Bitterkeit, empfand er etwas -von der Lücke, die durch ihr Leben ging. - -Er hatte, wenn er sie nicht bei der Arbeit sah, sie versenkt gefunden in -ihre gläubige Güte, erhoben in ein abgeklärtes Schauen. Jetzt, wo die -Erregung sie durchpulste und in ihren Augen Feuer zuckten, floß es heiß -durch ihn selber hin und seine Sinne loderten. Wieder die singenden -Flammen! - -Und wie er heimwärts schritt, sang das Feuer in ihm weiter. Und über ihm -immer die eine Frage. Meine Herrin darbt und ist in Not. Sie friert in -ihrer Höhe. Läutet nicht irdisches Sehnen auch in ihrem jungen Herzen? -Was kann ich ihr sein? Was kann ich ihr geben? - -Dann wies er diese Frage, diese rohe Frage von sich. Die alles in das -Elend der werbenden Sinne zog. Und er hob sich empor auf den Schwingen -seiner alten selig reinen Liebesweise. - -Ich lebe in dem Gedanken, daß Du bist. Ich atme die Gewißheit Deiner -Nähe. Meine Träume flüstern Deinen Namen -- beseelt ist mein Dasein von -Deinem Wesen -- -- - -Aber das Lied verklang im Entstehen, seine Melodien starben hin, seine -Macht ging unter in dem Rauschen des Blutes. - -Und bei ihm blieb das große Grauen, wie schön sie war. -- - -In Gisberts und Kunzens Verschlag flatterten diese Nacht flügelschwere -Träume. - -Kunz hatte von der Jagdstreife mit seiner Vita ein blutunterlaufenes -Auge nach Hause getragen. - -Dies eine war ihm gleich das erstemal aufgegangen: mit seinem Mädchen -als Scharfschütz war es nichts und konnte es nichts werden. Schon auf -dem Scheibenstand hatten Auge und Hand versagt. »Die Pappe ist nichts -für mich!« war ihre Ausrede, und die grünen Augen gleißten, »jagdbares -Wild muß ich vor dem Lauf haben!« - -Kunz nickte ihr zu, listig und anfeuernd. »Dann soll es aber auch gleich -einen Massenmord geben! Wir wollen uns die Kaninchen beibiegen, die da -oben in der Kiefernschonung wimmeln. Kommen Sie, Vita. Herrin über den -Tod.« - -In ihrem Auge war Zorn. Scherzreden vertrug sie nicht, weil sie unsicher -war. - -Durch Hochwald müssen sie, durch Eichen, Buchen, Edeltannen. Still -schmiegt sich das Sonnenlicht um die unbewegten Wipfel. Da, ein -Schaukeln in den Zweigen, ein Rauschen. Sie blicken auf. Vita sieht nur -die geschnellten Äste. »Holen Sie sich den!« ruft Kunz. Sie weiß noch -nicht, was er meint. Endlich, da sie seinem Finger folgt, gewahrt auch -sie das Eichhörnchen. - -»Das soll ich schießen?« - -»Natürlich.« - -Sie nimmt die Büchsflinte an die Backe -- zielt -- schlägt an -- und -fehlt. Schnalzend hüpft das Tier weiter. Hohn sind diese Zungenlaute. -Die Jägerin stampft mit dem Fuß auf. - -So neugierig still hat der Nager gesessen. Besser hätte es ihr gar nicht -werden können. Sie weiß es selbst, schielt nach Kunz, der sich nichts -merken läßt, und gerade so reizt er ihre Wut. Und sie spricht -Unbedachtes. »Es war ein Seelisches dabei.« - -»So.« - -»Ich hab die Eichkätzchen so gern.« - -»Versteh ich. Obschon sie die mordgierigsten aller Waldräuber sind.« - -»Gleichviel. Ich lieb sie. Und wenn es keine bestimmte Absicht war, daß -ich vorbeischoß -- eine innere Stimme sprach mit.« - -»Nun, bei den Kaninchen wird keine innere Stimme mitsprechen.« Er sieht -todernst aus, feierlich. Und Vita haßt ihn. - -Sie nähern sich dem Kiefernbestand, den sandigen Anhöhen. Da hoppeln -schon ein paar von den »gottvergessenen Grauen« über die Schneise. Vom -Wege her, der die Schonung umsäumt, leuchten die Goldtupfen der -blühenden Ginstersträuche ihnen zu. - -»Da setzen wir uns hin«, sagt Kunz. »Dann haben wir eine ganze Kolonie -dieses fidelen Gesindels vor uns.« Und sie kauern sich unter die -Blütenpracht. Was ist Kunz das Jagen? Vita aber will töten. Und die -Kreatur des Waldes läßt es an sich nicht fehlen. - -Eine unterirdische Stadt der wühlenden Kobolde liegt ihnen gegenüber. -Bei dem sonnigen Wetter sind viele vor den Toren, äsen, springen, -spielen, punktieren mit den weißen Schwanzlichtern fröhlich den -Waldesdämmer. Kunz lädt das Gewehr. »Jetzt wollen wir also Verhängnis -sein.« - -Diese dummen hohen Worte in der absichtlichen Tonlosigkeit -- weiß er -nicht, wie sehr die sie stören, wie unsicher die sie machen! Ist das -noch Freundschaft! - -Trotzig reißt sie die Flinte an sich, schießt -- und macht wieder, mit -all den Schrotkörnern, nur Löcher in die Luft. Die Tiere hat die gute -Mutter Erde eingeschluckt. - -Wie ein Lämmerschwanz schlägt ihr das kleine Herz. So heftig böse ist -sie, zerbeißt sich die verschluckten Tränen im Munde und zischt sie von -sich. - -Kunz aber, der verkehrt Trostreiche, spricht: »Das war nun erstmal die -Warnung! So sind wir, denn blindes Schicksal sind wir nicht. Nun soll -aber den Ersten, den Frechsten, der sich wieder zeigt, das verdiente Los -treffen.« - -Wieder steckt er die Patrone in den Lauf. Sie lehnt in dem Ginstergold. -Was da irisiert in ihren Augen -- ist nicht ein Schmerz dabei, eine -Klage, ein Zagen, ein Bedürftiges, eine Demut? Aber hastig greift sie -nach der geladenen Waffe, wie nach ihrem Recht, ihrer Rechtfertigung, -ihrem Ausweis. Diesmal muß es gelingen! - -Sie liegen auf der Lauer. Noch sind die Viecher vergrämt. Hier und da -lugen ein paar scheue runde Augen aus den Erdröhren. - -Da -- ein Neugierling hebt den Kopf zum Bau heraus -- dreht ihn und lugt --- hebt ihn weiter -- die Vorderfüße kommen nach -- nun steht der -Bursche auf vier Beinen -- blickt sich noch einmal um und putzt sich -dann sorglos die Nase. - -Ein Knall -- - -Er bleibt sitzen, ganz erstaunte Frage. Macht seine Männchen zu Ende -- -Vita hört die Bestie kichern -- und flitzt dann erst wieder in sein -Erdloch. - -Nun ist es mit der Jägerin aus und vorbei. Sie hat sich ins Gras -geworfen, drückt das Gesicht in die Halme, und nur die trommelnden Beine -führen eine beredte Sprache ihrer Herzensnot. - -Hier ist jetzt der redliche Trost am Platz. Kunz redet ihr zu. »Liebe -kleine Vita -- das Schießen fordert nun einmal eine gewisse plumpe -Begabung -- wie das Bauchreden und das Mitdenohrenwackeln. Wer dies -nicht kann oder das nicht kann -- braucht der sich der Verzweiflung zu -ergeben?« - -Und nun erzählt er und lügt er ihr vor aus dem Schatz seiner Unbildung. -»Wissen Sie, daß Lykurgos, der große spartanische Kriegsheld, dem Titus -Livius zufolge im Bogenschießen als Junge das Mitleid aller seiner -Mitschüler in der Arena erregte? Karl der Große war auf der Jagd ein -höchst mäßiger Speerwerfer, während Karl der Dicke nie ein Wild fehlte. -Wenn Prinz Eugen eine Reiterpistole zur Hand nahm, duckte sich nicht -bloß seine Umgebung, meilenweit in der Runde alle österreichischen -Regimenter duckten sich. Und der alte Zieten kniff beim Zielen immer das -verkehrte Auge zu.« Aber viel hilft das alles nicht, Vita bleibt -verstockt in ihrem Schmerz, fühlt sich immer mehr gekränkt, je mehr er -sie tröstet, und schließlich durch ihn gekränkt, den Tröster, der auch -ihr Lehrmeister gewesen. Ein schöner Lehrmeister! An ihm liegt die -Schuld! - -Und alles, was so in dem Köpfchen herumtanzt an Wirbel und Wolken, das -schlägt sich dann nieder. Sie starrt in die Weite, sucht irgendeine -Zuflucht, sehnsüchtig vertieft sich das Grün der Augen zu tiefstem -Smaragd, und Perlen leuchten auf seinem Grunde, richtige Tränen. - -Dies ist die Stunde, von Schönheit gesegnet, die letzte ihrer lieben -lächerlichen Kinderschmerzen -- jetzt wird in ihr das Magedin geboren! -Von jetzt an wird sie mein Mädchen sein. - -Und Kunz zieht sich näher zu ihr hinan. Seine Hand nimmt innig ihre -spitze Knabenschulter. Steil setzt sie sich hin, zur Abwehr und Gewähr. -Kunz aber fackelt jetzt nicht lange. Ihren Nacken umschlingt er, ihren -Kopf, ihre Lippen beugt er sich zu. - -Da aber -- ein Schreck, glückhaft und furchtbar in seiner Seligkeit -- -und dann ist alles phosphoreszierende Wildheit und fauchendes Ungestüm. -Sie greift das Gewehr mit beiden Händen, hält es breit ihm entgegen, -Schlagbaum, trennende Grenze soll es sein -- er achtet den -Trennungsstrich nicht und dringt siegreich lachend auf sie ein -- da -stößt sie blindlings den schweren Stab zwischen den beiden Fäusten ihm -entgegen, hart trifft das Schloß das Stirnbein über dem Auge -- die -Funken sprühen ihm -- unwillkürlich zuckt er zurück -- da springt sie -auf und rennt von ihm -- kehrt halbwegs wieder um, zu sehen, was sie ihm -getan -- und will ihm helfen und kann es nicht -- und stürzt in hohen -Sprüngen waldeinwärts. - -Und Kunz -- Kunz ist vor den Kopf geschlagen. Dann verfällt er in -schweres Sinnen. Ich dachte, es wäre soweit. Und nun war es zu früh. Und -was ich jetzt angerichtet habe! War ich ein Unhold gegen pastorale -Sitten? Er faßt sich an den Kopf. - - O du Penthesilea - Mein Aug tut immer weha. - -Wie hab ich von holdseligem Liebesleben geträumt! Aber für ein -Liebesleben mit Dir muß man erst einen Kursus bei Achim, dem -Knochenkrachim, nehmen. - -Was wird nun werden? »Mädchenseelen sind von Kristall!« Er hört es in -der Trompetenstimme seiner nunmehr antiker Form sich nähernden -jungfräulichen Tante Olga, die es ganz gewiß wissen mußte. Hat er hier -etwas zerschlagen und zersplittert? - -Was wird nun werden? Und der nackenfeste Kunz schleicht doch jetzt etwas -geduckt nach Hause. - -O Kater Kunz, was hat Dein Kätzchen Dich gestriegelt! Und seine Träume -sind voll Krallen. - - - - - Das Haus - - -Weidlich gezaust und gekraust wachte er am andern Morgen auf und war -ganz in der Verfassung, mit Dankwart, dem Skeptiker, in den kommenden -Tag sich hineinzugrimmen. - -Dessen Gedanken waren wie ihrer aller bei dem Haus, das kräftig und frei -und stolz in die Höhe ging, aber er hatte seine bösen Beklemmungen, die -er los werden mußte. Stoßweise kam es hervor. »Das Haus -- wird man -seiner recht froh? Wenn auch alle ihre frömmsten und kugelrundesten -Augen dazu machen.« - -»Das laß sie.« Kunz blies in dasselbe Horn. »Immer gefühlvoll -- wie -können wir auch anders! Es gibt eine Franzosenkrankheit, und es gibt -eine deutsche Krankheit -- und unsere ist die Sentimentalität. Das Haus --- die holde Stätte des Friedens. Und das eine ist selbstverständlich: -jetzt kommt das Vielliebe auch über uns, sie, die ganze soziale Wonne.« - -»Mit der Frage, wer dieses Haus beziehen soll.« - -»Die eigentlich keine Frage ist.« - -»Du meinst, Horst gehört da hinein.« - -»Natürlich. Und Du mit Deiner Werkstatt. Und das Bureau.« - -»Das meinst Du. Aber die andern meinen auch. Und sie meinen anders. Wird -unser heiliger Zimmermann nicht predigen?« - -»Natürlich wird er das. >Die Ersten sollen die Letzten sein!< wird er -predigen. Wobei man sich immer fragt: wie lange, nachdem nun die Letzten -die Ersten geworden sind! Und unser praktischer Maurer wird daraus die -ihm genehme Forderung ziehen. Und mein Liebling, der Metzling, grinst -als Abgesang seine sozialwissenschaftlichen Theorien herunter -- hol der -Deixer den Feixer! Aber, Du lieber Gott -- was wollen die! Horst hat ja -doch schließlich alles in der Hand.« - -»Ja. Wenn er die Hand noch hätte! Überall und auch hier kommt erst mal -das Geistige -- früher hätte er so gesprochen!« - -»Das wird er ihnen auch heute sagen. Und das wollen sie ja hören. Sie -sehnen sich danach, gerade die am meisten, die ihre armselige Materie -herauskehren. Führerschaft ist, was sie wollen! Was sie brauchen!« - -»Bloß Horst -- will er denn noch seine eigene Führerschaft?« - -»Wie kannst Du das sagen! Er hat sich doch längst wieder beisammen.« - -»Nein, Kunz, das hat er eben nicht. Und das kriegt er auch nicht. Und -darum kriegt er auch uns hier nicht mehr zusammen. Du wirst es ja sehen. -Und nun laß mich. Ich hab die eine Schraube noch nicht.« - -Er arbeitete an einem Flugzeugmodell mit ganz neuem Propeller-System und -zog sinnend über die Heide. Und Kunz blieb allein. Nie waren seine -Gedanken so schwer über Liebe und Leben. Aber stecken blieb er nicht in -dem zähen Brei. Es gab etwas zu tun. Über Horst zu reden, das lag ihm -weniger. Mit Horst wollte er sprechen, frei von der Leber. - -Horst saß in dem engen Verschlag, der sich Bureau nannte, über den -Rechnungsbüchern. - -»Nun, wie stehen die Papiere?« fragte Kunz. - -»Kümmerlich.« - -»Wie können sie hier anders als kümmern. Zum Rechnen gehört auch ein -genius loci. Hier aber ist mehr locus als genius. Im neuen Haus wirst Du -den angemessenen Raum haben.« - -»Ich -- im neuen Haus? Und einen Bureauraum! Die Stimmung ist anders.« -Er sagte es dumpf und unfroh. - -»Stimmung -- was Stimmung! Stimmung wird gemacht und Du wirst sie -machen!« - -Horst sah ihn an mit großen Augen. Sie waren nicht ganz bei der Sache. -Ihr Ausdruck war müde. Dann sprach er still und fest: »Gerade hier will -ich nicht eingreifen. Es geht Dir um Selbstverständliches -- mir im -Grunde auch. Aber eben deshalb lasse ich die Sache an mich herankommen. -Ein Führer braucht etwas, was ihn trägt.« - -Weiter war er nicht zu sprechen, der Rechnungsabschluß drängte. Kunz -aber fragte sich: ist das ein Wort, ein Manneswort? Ist es einer Ausrede -ähnlich? Wie schlimm, daß solches Mißtrauen an einem schmarutzt! Aber -- -hat Dankwart nicht recht und bleibt es nicht dabei, daß Horst nicht mehr -der Alte ist? -- - -Sitzung der Siedler. In vierzehn Tagen etwa steht das Richtfest des -Hauses bevor. Sie wollen sich heute schlüssig werden, wer es beziehen -soll. Für zwei Familien ist es berechnet. Darum ist auch Familie das -Merkwort für die Geister. - -Horst nimmt vorher die Freunde beiseite. »Wir wollen die Leute ruhig -sich ausdenken und ausreden lassen.« - -Kunz erhebt Einwand. »Ausreden, Du lieber Gott! Soll hier jeder wieder -seinen Ochsenmaulsalat bereiten! Gut -- wir sind hier an -Mehrheitsbeschlüsse gebunden. Wir sind in der Politik. In der Politik -aber gilt die Agitation und nichts Dümmeres gibt es hier als die spröde -Vornehmheit.« - -Doch der Wunsch von Horst bleibt bestehen. Soviel Kunz auch schilt: nun -horstet er wieder in seiner Erhabenheit. Und es kommt im wesentlichen, -wie Dankwart es angekündigt hat. - -Horst spricht die einleitenden Worte: es sei davon die Rede gewesen, zu -losen. Aber dies blöde, blinde Ungefähr sei ihrer nicht würdig. Wählen -wollten sie. Er bitte um Vorschläge. - -Maurer Mulitz ist treulich zur Stelle. Sie hätten sich das durch den -Kopf gehen lassen. Zwei Kameraden wären so gut wie Familienhäupter. -Zuerst Lüders, der mit einer Witfrau, Mutter von zwei Kindern, verlobt -wäre. Und dann Hofmann, dessen Braut ein Kind erwarte. Beides Kameraden, -gegen die niemand etwas einzuwenden hätte. Sie, so wäre die Meinung, -hätten die erste Anwartschaft auf das neue Siedlerhaus. - -Ist die Begründung für alle zwingend? Aber Meinung ist jedenfalls -Meinung. Und Klassensinn bleibt Klassensinn. - -Gegenvorschläge tragen ihr Mal an der Stirn. Und Kunz, der sie macht, -befindet sich schon deshalb im Nachteil, weil er zornig ist. »Ich habe -ja gewiß nichts gegen Lüders und Hoffmann einzuwenden. Auch für Bräute -und Witwen mit und ohne Kinder habe ich eine fühlende Brust. Aber bei -jedem Werk ist nun mal die Leitung die Hauptsache, und der Kopf muß -besser und höher liegen als die Beine. Darum und um dessentwillen: unser -erstes Haus gehört zuerst einmal dem Gründer und Führer unserer -Siedlerschaft für seine Arbeit an unserem Werk. Da er nicht alle Räume -für sich braucht, mag er sich seinen oder seine Hausgenossen aussuchen!« - -In den Worten, deren Ton mühselig die Grenze wahrt, schnaubt seine -Erregung. Und die ist es, die Widerhall und Widerstand erweckt. Die -Meinung steift sich gegen ihn, in dem sattsam gehegten und gepflegten -Zeichen des Sozialen. Und der schlaue Metzling weiß wohl, was er -spricht: »Wir möchten, daß Herr Oldefeld sich selbst hierzu äußert. Wenn -es sein ausdrücklicher Wunsch ist --« Die Pause ist inhaltschwer. - -Darauf Horst sehr gehalten: »Ich soll hier einen Wunsch aussprechen, der -von mir ausgesprochen kein Wunsch mehr ist.« - -Kunz schlägt sich aufs Knie und blickt zuckend zu Dankwart hinüber. Nun -hat er sich von dem Feixer auf den Leim locken lassen und spricht -Feinheiten. Und noch schlimmer, empfindet sie. Die andern aber haben es -nicht nötig, sie zu verstehen. Wenn sie überhaupt Sinn dafür haben. Um -so bereitwilliger fliegt ihr Verständnis den letzten Worten von Horst -entgegen: »Im übrigen bin ich dadurch, daß ich an der Spitze stehe, -bevorzugt genug. Und dieser Vorzug nimmt gern die kleinen -Unbequemlichkeiten in Kauf. Außerdem sollen bei uns ganz gewiß auch die -Rangverhältnisse des Bedarfes und der Bedürftigkeit gelten. Die beiden -Kameraden brauchen zuerst ein Nest -- sie sollen es haben.« - -In den Worten, die immer bestimmter wurden, fehlte etwas von dem alten -Herzenston, der sonst die Gemüter zwang. Aber die Wirkung blieb nicht -aus, die Augen leuchteten ihm zu. - -Dankwarts harte Dürftigkeit grollte: Ist er jetzt wie einer, der bei der -Masse sich schustern will! Immer schwerer, aus ihm klug zu werden! - -Gisbert, treu bei der Sache, sobald er seine Gedanken in die Erdenbahn -gezwungen, stand lebhaft auf und drückte Horst die Hand. Kunz aber -stöhnte laut auf zu diesem lebenden Bild, zu solcher politischen Gruppe. -Nun ist er bei der Lotosblume angelangt, jetzt wird er mit dem -Hinduknaben sich weiter zerpflücken und zerfasern. Sein Grimm, der -Scheltworte brauchte, benannte die beiden vor Dankwart »die -Indiafaserkompagnie«, und der quittierte mit gezerrtem Lachen. Und Kunz -klagte sich aus: so bleibt also wieder mal die Empfindsamkeit Trumpf, -und wie ist sie uns so not, so bitter not, die gesunde Rohheit unserer -Urnatur! - -Die beiden, Horst und Gisbert, gingen in den Abend hinein. Mit ganzer -Zärtlichkeit umfing Horst den jungen Freund. Er fand in dessen Augen, -die sonst so gläubig sich verklärten, die Tiefen einer dunklen Angst. Er -ahnte wohl, was ihn so quälte und umtrieb. Aber war dies nicht zarter -und feiner, als daß hieran selbst Gedanken rühren durften! - -Sie wanderten still. Horst war auf dem Wege zu dem Landhaus der -Schweden, wo er den Abend verbringen sollte. Er dachte nicht anders, als -daß Gisberts Ziel das Moorhofer Herrenhaus sei. Aber wie ihre Wege sich -trennten, ging er die Höhen hinauf, nach den Dünen zu, an die See. - -Sie alle badeten am Tage, meist in der Morgenfrühe. Er war der einzige, -der den Abend dazu wählte. Wie alles bei ihm Naturandacht war, so auch -sein Schwimmen. - -Hineintauchen in die Dunkelheit, mit dem weißen Leib die schwarze Flut -beseelen, der Lichtbahn eines Sterns sich hingeben, dem Staub der Erde -entfliehen, aufgehen in das schweigende, sternenhohe, gütig verhüllte, -gnädig sich entschleiernde selige All -- das war seines Schwimmens -heilige Lust. - -Er hatte wie keiner die Kunst, sich auf die Flut zu legen, sich von ihr -tragen zu lassen, ohne daß er ein Glied rührte, auszuruhen auf ihr in -Schlaf und Traum. Wie eine Mutter hielt ihn das Meer in den Armen. - -Noch war es ihm zu früh für sein Bad. Auf einem der Hügel ließ er sich -nieder, hier sah Horst ihn sitzen, die Hände verschränkt um die Knie, -und mit zurückgebeugtem Antlitz in den Abendstern, den der Osten -emportrug, sich hineinheben. - -Der Abendstern, der Morgenstern, der Liebesstern -- aller Zeiten der -Stern bist Du! - -Und Du, Gisbert, flüchtest Du Dich nicht bewußt aus der Sinnenwelt in -diesen Sternenglanz? - -Lange noch sah Horst die Silhouette gegen den Abendhimmel -- die feine -überschlanke Gestalt, diese zarten in die Dämmerung gestrichelten, mit -der Dämmerung sich lösenden Linien, die schon nichts Körperliches mehr -hatten. - -Und Horst stockte der Fuß auf seinem Weg. Da geh ich nun zu den Fremden --- und Gisbert, mein lieber Junge, schwindet uns hier unter den Händen. -Muß ich -- ich vor den andern ihn nicht halten und hegen! - -Wär nicht diese Scheu um ihn, diese sprödeste Wehr, und in ihm dies -Rührmichnichtan, das vor jedem Wort versteinert, das schon vor einem -Ahnen des andern zusammenschauert. Was hat es zu leiden, das deutsche -Blut! - -Wie kann er dem Freunde helfen, da er nur erschrecken und wehtun würde. -Und ist in ihm selbst nicht diese Scheu? Dieses Heiligtum der -Schweigsamkeit, das niemand betreten darf? - -Jetzt führt ihn sein Weg zu den Fremden, denen aufs neue er widerstrebt. -Was will er bei ihnen, was soll er bei ihnen? Blutsverwandte ja -- aber -wie weit blieben sie vom Schuß! Diese lieben germanischen Neutralen! Wie -haben sie sich gepflegt, da die Not uns verzehrte, wie wohl lassen sie -es jetzt sich sein, da Elend und Schande uns zerfressen. Was soll ich -bei diesen Menschen mit den wohlig satten Muskeln und den gut genährten -Gehirnen? - - - - - Freunde in der Not - - -In Freundschaft aber löste dieser Abend allen Unmut und Unwillen. - -Eine Flut von Licht empfing ihn, in dem einfachen hellen Landhaus mit -seinen strahlenden Birkenmöbeln. Alle Lampen brannten, auch die in den -unbenutzten Räumen. Das liebte Herr Thorild so. Wieder bei Horst so -etwas wie Zorn: nun ja, sie haben es und können es, denn sie haben die -Valuta. - -Aber auch in diesen Menschen brannte alles Licht ihrer Herzlichkeit. Und -sein Mißtrauen, das dagegen aufflackerte, als ob hier zuviel Güte und -Mitleid wäre, war bald im Erlöschen. - -Wie gut sprachen sie von Deutschland, wie gut verstanden sie deutsche -Art, das deutsche Leid, die deutsche Schuld, das bresthafte deutsche -Dasein. - -Mehr als einmal schüttelte Oberst Thorild schwer den Kopf. »Daß Ihr aus -der Parteizerrissenheit nicht herauskommt, nicht aus Eurer -Selbstzerfleischung! Die Fremden peitschen Euch in Wut -- und Ihr geht -Euch selber an die Gurgel. Nicht leicht ist es, Euch zu begreifen. Kein -Land hat soviel Herz und Hirn -- kein Land, dank seiner Parteipolitik, -so viel herzlose Rechner und hirnwütige Verbrecher.« - -Horst nickte dazu mit düsteren Augen. - -»Euer großer Physiker hat mit dem von ihm gefundenen Gesetz das deutsche -Wesen auf die rechte Formel gebracht: innere Wärme entlädt sich in -äußere Bewegung. Vielleicht ist es Euer Fluch, daß Ihr zu viel innere -Wärme habt, daß die sich in zu viel äußere Bewegung umsetzt, die Euch so -heillos in Fetzen zerreißt. Das Stillhalten freilich ist nie unsere, der -Germanen Sache gewesen. Im Draufgehen waren wir groß und im Dulden klein --- schon Tacitus hat es uns bezeugt.« - -In diesem »uns« war ein Bekenntnis. - -Und dann schloß er diese Gedankenreihe: »Im Ertragen von Leiden sind -Euch die Serben, die Franzosen und andere Völkerschaften nun schon -überlegen. Die Franzosen zumal, das femininste aller Mischvölker, das in -den Wehen sich schon eher zu Hause fühlt. So feminin sind Eure lieben -Nachbarn, daß sie es nicht einmal fertiggebracht haben, für >Mann< ein -Wort zu besitzen. Wo sie es nicht gut entbehren können, begnügen sie -sich stolz wie immer mit dem nichtssagenden, bedeutungslosen >Mensch<!« - -So sprach Ivar Thorild, der Schwede. Und der Deutsche Horst Oldefeld -fühlte sich nicht veranlaßt, ihm zu widersprechen. So wenig, wie das -alte Lied von Hysterie und weibischer Grausamkeit nun noch besonders -anzustimmen. - -»Daß Ihr jetzt, in der furchtbarsten Not, nicht zur Einigkeit gelangen -könnt!« hob der schwedische Oberst wieder an. »Wir sind auch hier mitten -in einer Schuldfrage. Denn es gibt auch eine Schuld nach dem Kriege. Und -bürdet sie nicht dem Feindesbund auf, der Euch vergewaltigt! Hättet Ihr -den Bund im eigenen Land, brauchtet Ihr Euch nicht knechten zu lassen. -All die Schändungen und Verbrechen -- »Sanktionen« heißt der erhabene -Name dafür -- ich sage nur Rheinland, Saargebiet, Oberschlesien -- die -große heilige Zornwelle eines gewaltig sich erhebenden einigen Volkes -hätte diesen Frevel hinweggespült! Aber, Ihr habt was Besseres zu tun, -Ihr müßt Euch untereinander begeifern, abwürgen und zu Boden schlagen.« - -Wahrheit, alte, immer neue, nicht oft genug zu predigende Wahrheit! - -»Und jetzt die andere, die viel berufene Schuldfrage. Die bekannte große -Schuldlüge. Hier beschränke ich mich nun nicht auf völkerpsychologische -Glossen. Hier kann ich mit freundschaftlich praktischer Arbeit -aufwarten. Ich bin nicht ganz unbeteiligt an der neutralen -unparteiischen Kommission zur Untersuchung der Kriegsursachen. Sie hat -demnächst an Herrn Poincaree einige Fragen zu richten, auf deren -Beantwortung oder -- Nichtbeantwortung wir gespannt sind. Daß die -deutsche Regierung nicht blankzieht, daß sie immer nur den Fälschern im -eigenen Lager das Wort läßt, das ist wieder etwas, was wir nun und -nimmer begreifen! Vielleicht ist dies das Unbegreiflichste von allem! -Herrgott« -- und nun spricht der ehrliche Zorn des Blutsverwandten, den -gemeinsame Sache bewegt -- »wollt Ihr denn das gemeinste und verlogenste -Unrecht von der Welt stillschweigend dulden! Die Ihr überhaupt nicht zum -Dulden erschaffen seid. Nicht dulden könnt! Und nicht dulden werdet! -Unrecht am letzten! So bodenlos verlogenes Unrecht am letzten!« - -In diesen Worten brauste ein Kampf- und Kriegsruf. Horst stimmte ein mit -schmerzlich, freudig zuckendem Herzen. Von außen muß uns solches -verkündet werden. Nicht bloß Feinde hat Deutschland auf Erden! Und noch -mehr Freunde würden wir haben, wenn wir selbst noch mehr unsere Freunde -wären, unsere starken, gläubigen, wagemutigen Freunde! - -Und weiter Herr Thorild: »Was laufen auf unserem Planeten für Geister -zweibeinig herum! Daß sie die hirnverbrannteste aller Faseleien sich -aufbinden lassen! Deutschland hat den Krieg vorbereitet. Nicht die -anderen Großmächte der Erde haben Deutschland eingekreist, nein, -Deutschland hat die Welt eingekreist -- Deutschland hat eingekreist! Ist -es nicht zum Radschlagen! Aber grandios einfach die Genialität der -politischen Scharlatane, die mit diesem beispiellosen schlechthin -blödsinnigen Schwindel Geschichte -- und ihre Geschäfte machen. Derselbe -unsägliche Schwindel, mit dem die edlen Franzosen jetzt nach dem Kriege -vor sich und der Welt als die Sieger, als die Sieger schlechthin -paradieren. Dieselbe Nation, die Ihr in ehrlichem Kampfe Volk gegen Volk -derartig zusammengedroschen hättet, daß nichts von ihr übriggeblieben -wäre -- nachdem sie in diesem schmachvollen Würgekrieg mit all den -andern Mächten als Spießgesellen Euch durch das Massengewicht -naturnotwendig erdrückt hat, o Glorie ohne Ende! -- diese Nation -entblödet sich nicht, als die Siegerin sich in die Brust zu werfen! Da -die andern soviel Schamgefühl besitzen, dieses Sieges sich nicht eben zu -rühmen, darf sie allein das Maul vollnehmen von victoire und gloire! Daß -selbst ihre Verbündeten für solche -- Bescheidenheit nur noch ein -Lächeln haben.« - -Auf all die schmerzlichen Erschütterungen, die durch Horst hinbebten, -legte Ingeborg warm den vollen Glanz ihrer jungen lebensinnigen Augen. -Welche Heilkraft strömte von diesem blonden, leuchtenden Mädchentum aus. -Wie Genesung fühlte Horst es durch die wunden Nerven, durch die kranke -Seele rinnen. Was sagt Kunz, der Lebenskundige? Gesundheit steckt an. -Wann war Horst das Blut in so vollen, reichen, kräftigen, frisch -brausenden Wogen durch die Adern geflutet! - -Die Männer sprachen dann über ihre kriegsgeschichtlichen Forschungen. -»Mein Material häuft sich bergehoch,« klagte Herr Thorild, »und ich -werde mit meiner Arbeit nicht fertig. Einen Kompagnon brauche ich. Ich -komme nicht einmal dazu, meine Bücherei zu ordnen --« - -Hier rutschte Ingeborg auf ihrem Stuhl und machte ein längliches, -wundervoll schelmisch gescholtenes Gesicht. - -»Denn mehr als je hat mich, sobald es Frühling wurde, mein Famulus im -Stich gelassen.« - -»Vater -- nach dem langen Winter!« - -»Dem Winter -- mit seinen Eissegelfahrten und seinem -Schlittschuhlaufen!« lächelnd nahm der Vater ihr Kinn. - -Horst sah sie in der farbenjauchzenden dalekarnischen Landestracht mit -fliegenden Zöpfen über das Eis ihre Bogen schlagen! Welch ein Bild. - -Er selbst war ein leidenschaftlicher und kunstvoller Eisläufer. Wieviel -blanke blitzende Kindheits- und Jugenderinnerungen zuckten durch ihn -hin. Wie fröhlich jung er wieder war! Was hatte er diesen beiden -Menschen zu danken! - -Und jetzt schlug der Oberst schlankweg auf den Tisch. »Wie wär es, Herr -Oldefeld, wenn Sie hier einmal Atem holten. Wenn Sie sich einmal unser -Land ansähen, Ihrer Urväter Heimat. Und mein kleines Landgut, mein Haus, -meine Bücherei. Sie sollen auch kein müßiger Zuschauer sein. Ja, als -Lehrmeister brauche ich Sie! Ich sagte Ihnen, daß wir auch siedeln -wollen. Die Gedanken, die Sie mir entwickelt haben, und an denen Sie -hier arbeiten -- vorzüglich! Ich brauche Sie, Herr Oldefeld! Und wäre -Ihnen herzlich dankbar für Ihre Hilfe. Und Sie würden vielleicht neue -Kraft sammeln für Ihren schweren Dienst -- an ihrem Lande.« - -Jetzt fiel auch Ingeborg ein, und wie klang ihrer Worte Melodie! »Sie -fahren mit uns, nicht wahr? Sie kommen in unsere schönste Zeit. Das -Summen unter unseren Sommerlinden sollen Sie erleben. Lindheim heißt -unser Gut. Nirgendwo auf der Welt gibt es solche Linden. Nur noch in der -Heldensage findet man ihresgleichen.« - -Horst konnte nur leise, mit hochatmender Brust den Kopf schütteln zu so -herzbetörender Lockung. »Es soll ja noch heute nicht sein«, sagte er -tonlos, gehalten zwischen Wehmut und Sehnsucht, sich selbst zu leisem -Trost. - -»In vierzehn Tagen bin ich hier fertig«, erklärte der Oberst. - -»Nun inzwischen werden wir uns ja hoffentlich noch öfter sehen!« Horst -bat die beiden, doch einmal die Siedlung zu besuchen. Ob Sie nicht am -Sonntag kommen möchten? Dann wären auch seine jungen Freunde aus der -Stadt da. Kriegsspiele würde es geben. Die Schlacht bei Großgörschen -wäre an der Reihe. - -»Ei der Tausend! Da kommen wir natürlich mit doppelter Freude.« -- - -Am Sonntag, da die Schüler nach Hohenmoor hinauszogen, trug nicht die -alte Freude ihre Schritte. Ihre Mienen und ihre Lieder waren voll Trotz. - -Dr. Georg Stumps ehrliche Bulldoggenaugen waren blutunterlaufen, so -hatte er sich gebost. Auf den Stachelspitzen seiner Haare tanzten -Elmsfeuer. Das Provinzialschulkollegium hatte eine Verfügung erlassen -und dem gesinnungstüchtigen Direx des Gymnasiums die entschlossene -Direktive gegeben. Alle militärischen oder »den militärischen ähnlichen« -Übungen der Schüler waren streng verboten. Aber immerhin, Singen und -Turnen durften sie noch -- wie lange freilich, das weiß kein Mensch! Und -so mußte es draußen, am Fuße der Goldberge, vorläufig bei Turnspielen -bleiben. - -Auch Horst ballt zu dem Ukas die Fäuste. Welch eine Beschämung vor den -schwedischen Gästen! In diesem Sklavenland -- wie soll man das Leben -weiter und auf die Dauer ertragen! - -Mit einigen der Jungen, die technische Neigungen haben, ist Dankwart -angefreundet. Sie besuchen ihn in seiner Werkstatt. Über neue -Flugzeugprobleme belehrt er sie, zukunftsgläubig vor diesen jungen -Augen. Für die nächste Zeit schon verheißt er ihnen den Probeflug seines -neuen kleinen Modells. - -Ingeborg kommt, zunächst ohne den Vater, der noch dem Moordorfer -Pfarrarchiv einen Besuch zu machen hat. Wie erfrischend diese nordische -Ungezwungenheit und Unbefangenheit, mit der sie unter all die Männer -tritt. - -Kunz, der Wächter von Horstens Seele, gibt sich überwunden und gefangen. -Dankwart verschanzt sich, angstvoller noch und mißtrauischer als vor -Frau Tilde hinter dem Eisenwerk seiner Konstruktionen -- welch eine -Huldigung für die Frau! Und auch in Gisberts weltflüchtigen Augen lehnt -sich etwas an die warme, licht- und farbenprächtige Erdennähe. - -Sie tritt Horst zur Seite, als gehöre sie zu ihm. Gleich fühlt sie, daß -eine neue Wunde ihn brennt. »Was ist?« fragt sie leise und vertraut. - -Er schüttelt leicht den Kopf. »Die Erniedrigungen nehmen kein Ende.« - -Und schon tritt ein Gendarm auf den Plan, Bitterkeit in dem hellen Auge, -Schwermut in dem hängenden Schnauzbart. Sein Auftrag kommt ihm selbst -hart genug an. Sein eigener Schmerz ist mehr als all die subalterne -Wichtigkeit. - -Er macht vor Horst militärische Ehrenbezeugung. Befehl der Regierung. -Soll Herrn Hauptmann Oldefeld darauf hinweisen, daß die militärischen -Übungen mit den Gymnasiasten der Kreisstadt unliebsames Aufsehen erregt -haben und nicht zulässig seien. Soll darüber wachen, daß der heutige -Sonntag nicht wieder zu solchen »unerlaubten Veranstaltungen« benutzt -werde. - -Jetzt also unter Polizeiaufsicht. Auf wessen Geheiß? Horst hat eine -Ahnung. »Wollen und können Sie mir sagen, wem wir hier »unliebsam« -geworden sind?« - -Der Beamte besinnt sich eine Weile. Dann spricht er offen, ein -Gleichgesinnter, und seine Brauen ziehen sich zusammen. »Die -Ententekommission hat sich an die Regierung gewandt.« Jetzt stockt er, -und mühselig kommt es über die zusammengezogenen Lippen. »Bei den -Feinden ist von unserer eigenen Bevölkerung hier Anzeige eingelaufen.« - -Die Männer sehen sich an, schmerzlich bohren sich ihre Augen ineinander. -Sie schweigen tief und lange. Dann sagt Horst gehalten: »Ihr Dienst ist -wahrhaftig nicht leicht. Ich will ihn Ihnen ganz gewiß nicht erschweren. -Es wird hier heute nichts Verbotenes geschehen. Darf ich Sie bitten, in -der Baracke unser Gast zu sein.« - -Nun, da er mit Ingeborg allein ist, rüttelt der ganze Schmerz an ihm. -Dazu die tiefe Demütigung, daß sie, die Ausländerin, von diesem -unsäglichen deutschen Schandwerk hören mußte! Daß Deutsche bei den -Landesfeinden Deutsche denunzieren! Der Denunziant -- an sich schon der -größte Schuft im ganzen Land! Aber auf die eigenen Volksgenossen die -Fronvögte hetzen! Die eigenen Brüder den Folterknechten ans Messer -liefern! - -Und gerade in dieser Stunde wird sie ihm erst recht wie ein Freund, und -in der Vertraulichkeit kommen ihm die schmerzensreichsten aller Worte: -»O Deutschland! Deutschland!« - -Sie sieht, wie er leidet, sie greift mit der Hand nach seinem Arm. »Ich -kann Ihnen nicht sagen, wie nah mir das alles geht.« - -»Ja -- manchmal ist es einem wirklich, als müßte man den Verstand -verlieren!« - -Die Verzweiflung gräbt sich in seine zerspannten Züge, die Augen starren -leer und verlassen. Sie aber, von ihrem Mitgefühl durchflutet und -hilfreich beseelt, gewinnt ihn lieber und lieber. Und zärtlicher neigt -sie sich zu ihm hin. - -Da gibt es ein Blühen in seinem Blut und ein Frohlocken in seinem -Herzen. Warum reiß ich sie nicht an mich, dieses liebreizendste aller -Geschöpfe -- als meinen Halt, meine Rettung, meine Genesung, meine -Kraft, meine Seligkeit! - -Er fühlt es: wenn ich Dich nehme, gehörst Du mir! Und Du willst, daß ich -Dich nehmen soll. - -Aber dann klingt in ihm der Ruf aus der dunklen Tiefe -- Deutschland, o -Deutschland! Und wie gegen eine Verführerin wendet er sich gegen das -junge, das herrliche Weib, die Fremde, mit der lockenden Ferne, die ihn -heimatlos, die ihn untreu machen will. - -Ein weher Schreck durchfährt ihre Hand, von der er sich löst, und es -klagt auf in ihren Blicken. Da gibt er ihr ein liebes Wort. »Ich denke -so viel an den Platz unter Ihren Linden.« - -»Er wartet auf Sie. Und nicht wahr -- Sie lassen ihn nicht warten!« - -Der Vater tauchte in der Ferne auf. Die Jungen hatten sich inzwischen -zum Abmarsch aufgestellt. Sie wollten sich an einer langen -Strandwanderung, so gut es ging, schadlos halten. - -Sie haben die Jungen mir und mich den Jungen verboten. Aber den Geist -bütteln sie doch nicht tot! Er raffte sich hoch, aber mühsam trug er den -Kopf auf gesteiftem Nacken. - -Über die Goldberge zogen die Jungen. Sie sangen, dann auf der Höhe -verstummte das Marschlied. Dem Klang aus dem Grunde lauschten sie. Wohl -hatten sie ihn vernommen, denn machtvoller, sieghafter, zuversichtlicher -und stolzer rauschte jetzt ihr Gesang, da sie den jenseitigen Hang zur -See hinunterschritten. - - Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! - Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! - Unter die Füße den tückischen Haß, - seine Ketten zerspringen wie Glas. - Unser Gebet, unser Feldgeschrei: - Frei sollst du sein! - Wir machen dich frei! - -Ihr werdet den Zauber lösen, der in den Bergen schläft. Ihr werdet -Deutschlands Freiheit wiedersehen! Ob wir noch, die wir heute Männer -sind? Es ist so schwer, so bitter schwer von dem Gedanken sich zu -scheiden! - -Ihr aber werdet sie nicht mehr sehen, ihr Grauen und Müden! Was ist das -für eine kleine mühselige Schar von Alten, Gebückten und Beladenen, die -da im Staub des Heidewegs zu den heiligen Höhen herangepilgert kommen? -Öfter schon haben einzelne Wallfahrer hier gekniet und gebetet, das -Wunder wach zu flehen, das hier unter den Hügeln ruht. Das Wunder der -Erlösung des armseligen deutschen Volkes. Heute finden sich wohl ein -Dutzend der Gläubigen ein. Männlein und Weiblein, alle so elend -verwittert, alle so gramvoll sehnsüchtig. Hilf uns doch, Du Retter, Du -Ritter, Du Schlafender! So bitter nötig haben wir Dein Erwachen! - -Zum Liebhaben sie alle. Aber man darf sie nicht stören. Still müssen sie -mit mummelndem Munde ihre Formeln sprechen. Horst wendet sich ab und -zwingt an seinen Tränen. Deutschland -- mein Deutschland --! - -Und jetzt war auch Herr Thorild bei Ingeborg und Horst. Der mußte sich -begnügen, den Gästen und Freunden die Siedlung zu zeigen. Er verschwieg -nicht die schwere wirtschaftliche Not, gegen die sie rangen. Aber sie -wollten und mußten durch! Und hier setzten seine willenshellen Augen -wieder die alten Lichter auf. - -Eine Fülle von Anregungen gewann der Oberst aus seinen Eindrücken. Und -alles klang wieder aus in dem Wunsch und der Bitte: Sie müssen zu uns -kommen! - -Wie eine Rührung wogte es durch Horst. Was haben diese Menschen an Dir? -Und wieder der Gedanke: So sind wir Deutschen doch nicht schlechthin im -Ausland die Verachteten, die Verfehmten. Nur unsere Würde sollen wir -wahren. Und Treue ist Würde! Treue auch zum Unglück! Ja, sein Unglück -lieben -- nur so wird man seiner Herr! - -In solchem Selbstgefühl durfte er den Freunden frei die Hand reichen. -Ich empfange nicht bloß, ich gebe so gut wie Ihr. - -Aber die Schatten blieben. Und schwerer und dunkler zogen sie. Es kam -für die Siedlung ein schwarzer Tag. - - - - - Und die Not nimmt überhand - - -Gisbert, der ihrer aller Liebling war, löste sich immer mehr von ihnen. -Wie ein Nachtwandler war er, den man zu rufen sich scheute. - -Der einzige, der immer noch fest zupackte, war Kunz. Aber auch er griff -jetzt immer mehr ins Leere. Und dann, er hatte genug mit eigener -Herzenserschütterung zu tun. Vita war ihm entschwebt. Wie ein Traumbild -war sie ihm zerronnen. Wohin hatte er sie geschreckt? - -So trübte sich Kunz der Blick für des Gefährten Schicksal, den die Not -seiner Liebe immer mehr von dem Irdischen trennte. Von der Erde, die, -seit sie ihn verschüttet, begraben, erstickt hatte, seinen entrückten -Sinnen nie mehr die rechte Heimat gewesen war. - -In Gisbert selbst tastete noch etwas nach dem Gegenständlichen dieser -Welt, nach Freundeshand, nach Zwiesprache, nach Austausch der -Empfindungen. Und so klammerte sich etwas von ihm an Kunz, gerade heut. - -Der Wind trug am Nachmittag den Glockenhall von Moordorf herüber. -»Wollen wir zusammen in die Kirche?« fragte er Kunz, mit knabenhaften -Augen, fromm von kindlichen Gedanken. - -Der hatte schon ein »Ja« auf der Zunge. Da fuhr es ihm durch den Sinn: -in Vitas Bereich! Wenn ich mich hineinbegebe, muß ich allein es tun! -Denn für alles, was hier geschehen kann, brauch ich meine Einsamkeit. -Und er schüttelte den Kopf zu dem Vorschlag. So ging Gisbert ohne ihn. -Und es trug ihn wie ein Abschiednehmen -- er wußte nicht wie. - -Er wußte auch nicht, was eigentlich in die Kirche ihn zog. Halbe -Wirklichkeit war in allem. Der Raum, die Andächtigen, der Gesang, der -Prediger -- - -Wirklichkeit -- was ist das? Es gibt etwas über der Wirklichkeit. Das -ist seine Herrin. Das ist dieser Abend, der ihn zu ihr führt. - -Schall ohne Sinn war ihm auch erst Pastor Waermanns hell aufstrebende -Predigt. Der wieder der Mittler seines geliebten Ernst Moritz Arndt war, -des deutschen Stimmführers aller Zeiten. - -»Du mußt Gott bitten, daß er dir gebe einen stillen freundlichen und -festen Geist, daß du alle deine deutschen Brüder zu dir versammeln -magst. - -Denn durch der Herzen Zwietracht ist das Unheil gekommen, und durch die -Torheit der Feigen plagen fremde Henker dich. - -Und ihr sollet euch wieder brüderlich gesellen zueinander, alle, die ihr -Deutsche heißet und in deutscher Zunge redet, und den Trug bejammern, -der euch solange entzweit hat. - -Und sollet in Einmütigkeit und Friedseligkeit erkennen, daß ihr einen -Gott habet, den alten treuen Gott, und daß ihr ein Vaterland habet, das -alte treue Deutschland. - -Und sollet gedenken, wie ihr ein freies Land von euren Vätern empfangen -habet, und wie ihr euren Kindern und Kindeskindern die Freiheit -hinterlassen müßt!« - -Das klang denn doch in Gisbert nach, das weckte in ihm schlummernde -Stimmen. Die Stimmen, die sein Dasein begleitet hatten, die seiner -Arbeit Melodie gewesen waren. Sie schlangen das Band zwischen ihm und -den Kameraden, den Freunden. Und er ruhte aus in diesen Harmonien. - -Aber sie hielten ihn nicht, sie trugen ihn nicht, und er entschwebte -wieder in seine Welten. Und alles, die Siedlung, das Vaterland, die -Gefährten wie der Kirchgang, der Gottesdienst wurden ihm nur zu einer -alten Weise wehmütiger Erinnerungen. - -Ein paar schrille Weckrufe: zwei Mädchenaugen hängten sich an ihn, von -so heller und scharfer fast heftiger Daseinskraft. So viel gesammeltes -Leben -- es brannte und stach. Den Traumfernen erreichte die fragende -Leidenschaft. Bleiben sollst Du und Rede mir stehen! Allein bist Du! Wo -hast Du den andern! Ich will ihn nicht! Aber, wo ist er? Das will ich -wissen! Und warum er Dich allein hat kommen lassen! Ich will ihn nicht! -Will nicht seine packende Hand, seinen dürstenden Mund! Aber, er soll -mich suchen! Suchen soll er mich, daß ich ihn abweisen kann, ihn von mir -stoßen! Was tut er's nicht! - -Und Gisbert wußte es, dieses Mädchen, das nichts ist als Augen, nichts -als fordernde, starrende, bannende, naturkindliche Leidenschaft der -Augen, es konnte nur Vita sein, das Mädchen seines Kunz. - -Jetzt war der Freund doch ganz nahe bei ihm. Von dem er ahnte, daß er um -das Mädchen litt. Helfen -- ihm, dem lieben, getreuen -- und auch ihr, -in deren Augen der sehnsüchtige Trotz einer Qual Fieber und Bitterkeit -wirkte. - -Predigen -- von der Liebe predigen! Hier, wo der Ort dafür war! Von der -Liebe, die mehr ist als ein Gefühl. Von der Liebe, die die Wahrheit ist. -Die Wahrheit und die Freude, aus der jede Kreatur, aus der das All, die -Unendlichkeit ihr Leben hat. - -Aber die Worte dafür -- immer ist das Wort mit seiner Erdenschwere -hinter ihm zurückgeblieben. Nun hat es ihn ganz verlassen. Das lichte -Schweigen ist um ihn. - -Und mit dem Wort, das er nicht findet, versinkt ihm all das, was ihn -eben noch gerufen und bewegt hat. Ob er es halten möchte, es schwindet -ihm hin. Und wieder wie ein Traumwandler zieht er seine Straße, die zu -seiner Herrin ihn führt. - -Das Auto, das ihm auf der Chaussee entgegenrast, der Staub, den es -emporwirbelt, die Hupentöne, die es ausstößt -- all das bleibt weit, -weit unter ihm. - -Er weiß nichts von der Erde, er sieht auch den Himmel nicht, nicht seine -grüne Abendflut, die wie brennende, schmelzende Patina ist. Erst wie er -in Tildes Zimmer steht, wird er erlöst aus seiner blutleeren -Wesenlosigkeit. - -Und wieder ist es ein Klagendes in ihren Augen, was ihn erdhaft macht. -Keine Wehmut und Weichheit, die nach Mitleid ausblickt. Eine Bitterkeit, -die sich immer mehr verhärtet, und die Härte als Hilfe braucht. Wie ein -Trotz ist es aufgestiegen aus der Tiefe dieser Augen. Die schwere Arbeit -der Tage, das Übermaß der Pflichten schmiedet ihres Wesens Metall. - -Hilflos, wie verschüchtert sitzt wieder Gisbert vor ihr. Und wieder die -Frage über ihm: was kann ich Dir sein? Ich, der ich mich verblutet habe --- ich weiß es selbst -- dem das Beste seiner Jugend, seiner jungen -Kraft zerronnen ist -- »Gedankenblässe«, das ist das Wort! Das ist der -Stempel, den ich trage. Ein Schatten, ein Schemen, schwebe ich vor Dir. -Und je tiefer sein feines Spüren in die Augen der Frau sich einsenkt -- -lebt in ihnen nicht eine fast zornige Forderung an das Leben auf? - -Über wirtschaftliche Dinge spricht die Herrin mit ihm, trocken, -geschäftlich. Dazwischen müde Pausen des Ausruhens und des Schweigens. -Sie plant noch ein paar Neubauten und hat Budgetsorgen. Er kann sie nur -anhören, kann nicht raten. - -So einsam ist diese Frau. Der natürliche Gehilfe und Berater, -wahnbefangen, der Arbeit verloren, hält sich fern. - -Zugleich mit ihm kommt ihr -- wie sind sie sich doch nahe -- der Gedanke -an den, der ihr fehlt. »Achim war eben im Auto hier -- nur auf eine -Minute. Er ist gleich zur Bahn gefahren. Er will nach Holland zu einem -internationalen Match.« - -Die Worte reihen sich gleichmäßig auf, fast unbewegt von dem Schicksal, -das durch sie hindurchgeht. Und wieder ist das Schweigen um sie beide, -gut, heilend und treu. Dann sagt sie: »Kommen Sie, Gisbert. Ich möchte -noch ein wenig in den Park.« - -Sie gehen hinein in den lichten Abend. Es ist die Johanniszeit, die -hellsten, längsten Tage herrschen, die Kraft der Sonne durchwebt die -Dämmerung, webt durch die Nacht hindurch dem Morgen entgegen und nimmt -sich selbst wieder in Empfang. - -»Heut ist des Sommers heilige Nacht«, sagt Frau Tilde. Ihre Blicke ruhen -auf dem jungen Freund. Ist er nicht wie der Heilige dieser Helle? Er -selbst so durchsichtig, so unirdisch, so verklärt. Und wehklagend zieht -es durch sie hin: Armer, lieber Junge. So hast Du Dein Leben -hingeströmt! Und ist nicht wie Du ein großer Teil der deutschen Jugend --- viele, die unter uns hinschweben, kaum etwas anderes als die Schatten -Erschlagener! - -Die Johannisnacht beschäftigt ihn. Er spricht von den Sonnwendfeiern, -erzählt von einem sanften Brauch, den Frau Tilde nicht kennt -- sie weiß -nur von den Feuern und Flammentänzen dieser Nacht -- von dem Johannisbad -erzählt er, dem Blumenopfer, das man den Flüssen darbringt. Und gar -nicht bedeutungsschwer, mit einer leisen Fröhlichkeit fügt er hinzu: »In -dieser Nacht werden die Lose der Menschen geworfen.« - -Sie haben den Park durchschritten. Da vor dem Tor ragt auf der kleinen -Anhöhe der mächtige Ahorn in den grünglasigen Abendhimmel. Hier auf der -runden Bank haben sie damals gesessen, in die Wolken geblickt und von -ihnen beide dasselbe vernommen. Und wieder lassen sie sich hier nieder. - -Über die Felder gleiten die Blicke. In Tilde regt sich die Landfrau. -»Wie gut der Roggen steht!« Bis zu ihren Füßen zittert das grüne Meer in -dem Hauch, den die See landeinwärts sendet. »Was hätte Vater für eine -Freude daran gehabt!« Nun ist sie bei ihren Toten und in großer -Verlassenheit. - -»Ach, lieber Junge!« sagt sie dann und streicht ihm übers Haar. Was ist -alles in ihren Augen, so viel Mütterliches, sorgend und schützend, und -wieder ein Frauliches, das zärtlich nach Hilfe ruft. Und er starrt in -diese wogende Tiefe. - -Dann nimmt sie seinen Kopf in die Hände und küßt ihn auf die Stirn, und -küßt ihn auf den Mund. Schon hat sie sich erhoben und reicht ihm die -Hand. »Und jetzt Gut Nacht«, sagt sie einfach. Und weiter nichts. -Schreitet zum Park, tritt in das Tor und verschwindet unter den Bäumen. - -Gisbert bleibt, bewegungslos. Alle Stimmen seines Lebens klingen -zusammen in dieses letzte Wort. All seine Schmerzen, seine Seligkeit, -seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Taten und Leiden, sein -Träumen, seine Visionen, seines Wesens Beginn, seines Daseins Ausklang --- - -Aber auf den Lippen -- da brennt es -- ein Feuer -- so wie eine -Todeswunde brennt -- schmerzlich und überschmerzlich, bestrahlt schon -von den ewigen Wonnen. - -Ein Feuer, das bleibt und brennt. Davon das Blut ihm kocht und braust. -Das wenige Blut, das noch durch seine Adern flutet. - -Ich sehne mich, sehne mich nach Dir! Mit allem, was an Kraft und Leben -in mir ist, sehne ich mich nach Dir. - -Und Du -- jetzt wird alles, was in ihm Leben hat, Glut und Glanz eines -stolzen Glückes -- singt und schluchzt und jauchzt nicht in Dir dieselbe -Weise? Sind wir nicht wiedergeboren einer in des andern Herzen? Muß ich -nicht bei Dir sein und Du bei mir! Warum bist Du gegangen! Was läßt Du -mich allein! - -Fliehst Du mich, daß ich Dich suchen soll? So fiebert es grell in ihm -auf. Und dann: oder lächelt sie über mich? Lächelt sie, daß ich so -weltenfern, so im Übersinnlichen meine Kreise ziehe! - -Nun entsetzt er sich, daß er so in die Niederung gerät! Mit den Gedanken -an diese Frau. Und überwindet den Schreck und blickt mutig dem Leben ins -Gesicht, mit seinen Knabenaugen. - -Den Wirbel sieht er, der Lachen mit Grauen mischt, den Wirbel um das -Mysterium Weib. Er flieht vor ihm -- und seine Gedanken werden immer -mehr hineingezogen in den Taumel. - -Wenn dieser Tanz mich erlöst aus meiner Verlorenheit? Wenn ich gesund -werde -- ein gesundes, junges Blut? Und habe meine Geliebte, habe mein -Weib -- - -Eines andern Weib -- Untreue, Betrug -- das Grauen fällt über ihn her! -Was wird geschehen? Was wird sein! - -Und es peitscht ihn das Entsetzen vor der öden, schalen -Geschlechtlichkeit -- die Verzweiflung, daß er das Bild seiner Herrin in -diesen Wust herabzieht. Das strahlende, heilige, beseligende Bild der -Gnade! - -Wie hat er zu ihm gebetet, zu ihm aufgesungen: Du bist die Geliebte -meiner Seele. Nicht treibt es mich, mit den Blicken Dich zu fassen, das -Auge in Dein Auge zu legen, mit Deiner Stimme mein Ohr zu füllen, Deine -Finger mit der Hand zu umspannen. Nur wissen will ich Dich, nur wissen, -daß Du bist, nur das Glück fühlen, daß Du lebst! Rühren Worte an die -Herrlichkeit dieses Besitzes? Nicht einmal Gedanken! - -Nun haben die Gedanken doch an sie gerührt -- das Begehren hat nach ihr -gegriffen, das gemeine Begehren. - -Er ist fortgestürmt, hinein in die dämmernden Weiten. Der Dünensand -hemmt seinen Lauf. Nun steht er atemlos -- vor ihm schauert das Meer im -Hauch der Nacht. - -Und dort im Osten aus dem Dunst über der Flut hebt sich der Mond, -dunkel, glühend, groß und tief. Drohend und schwül. Feindlich, grausam -und böse. Wie ein Schicksalsspruch, wie ein Gericht über Sünde und -Schuld, wie der Henker im Scharlachmantel. - -Gesenkten Hauptes steht Gisbert. Er trägt den Leib wie eine Last. Dann -hebt er sich auf, die Sterne sucht er, noch sind sie bleich -- erst -allmählich entzünden sie ihre Kraft, ihre Hilfe, ihren Trost. Jetzt aber -haben sie die Macht ihrer Sprache. Und Gisbert liest die Verse des -Firmaments, die Dichtung des Himmels, die Hymne der Nacht, der Allmutter -Nacht. Und er ist daheim. - -Der Nacht antwortet das Meer. Und alles klingt zusammen in dem großen -Sphärengesang: Güte und Freude ist alles -- alles geht aus von der -Freude -- alles geht ein in die Freude -- gut, gut ist das Leben, gut -ist das Ewige, ewig das Leben, ewig die Freude -- - -Der Mond ist emporgetaucht aus dem dumpfen blutigen Dunst -- alles Böse -hat er abgetan, er hat sein gutes helles Licht gewonnen. Ich bin die -Güte, ich bin ein Freund! Und eine Straße baut er über die andächtig -stille und ergebene Meerflut. - -Gisbert ist am Strande. Zu seinem nächtlichen Bade entkleidet er sich. -Vor seine Füße wallt diese leuchtende Straße. Wohin führt sie? Wohin -will sie mich leiten? In das All und seine Freude -- - -Ja, Du strahlender, Du guter Weg -- Dir vertrau ich mich an. Du kennst -mein Ziel, Du offenbarst mir meine Bestimmung, meine Erfüllung und -Vollendung. Abtun will ich meine Schlacken -- der reinen Freude will ich -ins Antlitz sehen -- - -Er schwimmt -- schwimmt in der lichtgesättigten Flut -- in alle Poren -dringt der Glanz -- die Lungen leuchten -- das Herz ist voll Schein -- -ein verzitterndes Lichtbeben sein Schlag -- - -Ein Lichtstrahl gleitet sein Leib durch die goldene Flut, hinein in die -Wellen des schimmernden Äthers -- hinein in das All -- in die gute große -freudige Heimat -- -- -- - -Die Männer standen vor der Baracke -- Horst, Dankwart und Kunz. Wie -Deutschland Deutschland verrät, das geht ihnen durchs Gemüt. Der Gendarm -hat erzählt, Ententeoffiziere wären in der Provinz auf Waffensuche -unterwegs. Sie hätten selbst erklärt, daß sie sich vor deutschen -Denunziationen nicht retten könnten. Der englische Hauptmann hätte -heftig dazu ausgespuckt. - -Diese letzten Worte wollen Horst nicht aus dem Ohr. Immer hört er sie in -dem trockenen, schmerzlich heiseren Tonfall des Gendarms. Wo er geht und -steht, krächzen sie ihm nach. - -Bei Kunz ist der Grimm schon weitergestürmt. »Wenn die Henker zu uns -kommen -- wenn sie bei uns schnüffeln -- wenn sie frech werden -- was -geschieht dann! Was tun wir dann!« Wild schlägt es in seinen Stirnadern. -Seine Fantasie schwelgt. - -Horst ist allein in die Dünen gegangen. Wie soll man das alles ertragen. -Zu der Last, unter der man schon zusammenbricht -- immer mehr wird zu -ihr aufgepackt. Ich kann nicht -- kann nicht mehr! Und will auch nicht -mehr! - -Gegen den Schmutz, die niederste Gemeinheit kämpfen, welch ein übler -Irrsinn! Der Schmutz läßt sich nicht besiegen, und man selbst -- nicht -nur, daß man unterliegt, besudelt unterliegt man! Und der Ekel würgt -einen ab. - -Nach Norden blickt er. Dort auf der Landzunge steht das Haus, in dem -seine Freunde wohnen. Und blickt man weiter, in derselben Richtung, -hinter dem deutschen Meer liegt Nordland, liegt Schweden. - - »Meine Gedanken wandern über die See, - Weiße Schwäne sind sie, leuchtend wie Schnee.« - -Heraus aus dem Schmutz, dem Ekel, an dem ich vergehe! Ein anderes Land -öffnet mir die Arme, eine neue Heimat winkt mir -- keine neue, die alte, -die unserer Ahnen. Der klare Norden mit seinem Stolz, seiner Ehre, -seiner Sauberkeit, seiner gesunden Kraft. Aufrecht! Wieder einmal -aufrecht stehen und gehen! Liebe Menschen nehmen ihn dazu an die Hand. - -Liebe Menschen -- und hier? Die Kameraden hier? Kunz, Dankwart -- hat -sich zwischen ihnen und ihm nicht eine Kluft befestigt? Längst ist er -ihnen nicht stur genug, nicht der Unbedingte, der Stürmer nicht, den sie -wollen. Mit halbem Herzen nur folgen sie ihm, der ihnen nicht als Ganzer -gilt. Sollte er ihnen nicht die Siedlung überlassen! Daß sie sie neu -bauten in ihrem Geiste! Ein Stoßtrupp hartdeutscher Gesinnung -- warum -nicht! Vielleicht das beste. - -Denn der linke Flügel, die Mulitz und Metzling, fangen an, bedenklich zu -werden, weil ihre Macht ganz unverhältnismäßig anwächst. Durch meine -Schuld? Weil ich das Steuer nicht fest genug halte? Nicht mit der -sichern, gläubigen Hand, nicht unter dem klaren, unbeirrten, weiten -Blick? - -Unleugbar, die Widersprüche, die Zerwürfnisse mehren sich. Droht dem -Werke der Zerfall -- weil ich ihn nicht hindere? Der ich meiner Arbeit -mich entfremde -- aus Überdruß an meinem Vaterland! - -Entfremdet meiner Arbeit -- entfremdet den Kameraden -- und dem einen, -dem Jungen, dem Gisbert untreu, der wenn einer mich braucht! Um den -meine Sorge so viel gewacht, an den sie so oft dachte in diesen letzten -Tagen -- nur daß sie nicht zugriff, wie es sich gehörte. - -Wie nötig hat der Junge den treuen, festen Freundesarm, Muskeln und -Knochen -- er, der sich ganz hinausgeistern will aus dieser körperlichen -Welt -- nun noch gesteigert, getragen, erhöht und zugleich gescheucht -und flüchtig von der Schwärmerei für diese Frau, die selbst hier keine -rechte Heimat hat. Bist Du nicht wie entleibt unter uns gewandelt? Wo -gibt es ein solches Sichlösen, Sichentäußern, Sichbefreien und -Sichbeseelen als in deutschen Herzen? Nennt es Kraft, weil es eine -Inbrunst, nennt es Unkraft, weil es ein Zerfließen ist. Und ist nicht -ein Stück Gisbert in uns allen? - -Seine Augen schweifen über das Wasser. Jetzt nimmt die leuchtende Straße -seine Blicke an sich. Die Flut, vom Licht gebändigt, sanft und geduldig, -wie hingegeben trägt sie die goldene Brücke zum Mond. - -Da hinten aber -- weit, weit dem Himmel nahe -- was ist es, was sich da -bewegt, in Wellen des Glanzes, in blitzenden Strahlen -- ein Dunkles, -das jetzt in dem Schimmern verzittert? Schon hat das Licht die Wasser -wieder geglättet -- war es ein mondtrunkener Delphin? Glatt gefügt -spannt sich wieder die leuchtende Brücke. - -Und weiter nach dem nördlichen Vorsprung zieht es seine Blicke. Dort auf -der äußersten Spitze -- ist es ein Zauber dieser hellen Nacht -- eine -weiße Mädchengestalt --? -- Trug! Welches Menschenauge kann so weit -sehen -- - -Und doch! Was flammt denn zu Häupten dieser Gestalt! Und hebt sie selbst -in den Glanz? Nur eins gibt es auf Erden, was so leuchtet, Ingeborgs -Haar. - -Ein Leuchtfeuer -- das nach Norden weist und ruft -- das Leuchtfeuer -seiner Zukunft -- - -Und doch ein Trugbild? Horst will wissen, ob diese kürzeste der Nächte, -die zauberkräftige, ihn narrt. Er schreitet die Dünen hinunter, am -Strande entlang, der Landzunge entgegen. Da sieht er ein Dunkles auf dem -weißen Sande -- Kleider -- eines Badenden -- im Wasser ist niemand zu -erblicken. - -Es fährt ihm durchs Hirn -- das Körperliche, das vorhin da in dem -Mondstreif sich zeigte -- und sein zweiter Gedanke: Gisbert, der -Abendschwimmer -- - -Prüfend betrachtet er die Kleider -- ja, Gisbert gehören sie. Er späht -über die Flut, die der Nachtglanz ableuchtet -- da hinten ein Segel, ein -einziges Boot, ruhend in der Windstille, gespensterhaft -- sonst nichts, -nichts so weit das Auge greift. Das leidenschaftlich forschende, jetzt -erstarrende Auge. Und eisig schneidet es ihm durchs Hirn: Gisbert ist -von uns gegangen. - -Helfen -- Hilfe holen -- wie sollen sie helfen, und wem! Wenn er es war, -der da hinten, am Horizont in dem Mondstreifen trieb, in die Lichtbahn -sich löste --! -- - -Leer ist die Mondstraße, leer ist die Flut ringsum -- - -Aber, da man nichts tun kann, nicht weiß, was man tun soll, da man -hilflos ist -- wie furchtbar dieses Alleinsein mit dem Geschehenen! Die -Kameraden -- Kunz muß es wissen, er muß es hören, muß was sagen, muß -dabei sein! - -Schon ist Horst nach der Baracke unterwegs. Er holt sich Kunz aus dem -Verschlag. Nun stehen sie beide an den Kleidern und forschen über die -See. - -Dann stehen beide schweigend, und halten eine eigene Totenwacht. - -Ruckweis befreit sich Horst von dem Schmerz, der ihn lähmen will. »Er -hat es geschafft. Auch einer, der zu schade war -- für das was uns -beschieden ist.« - -»Sollen wir so sprechen?« Kunz macht der erste Schmerz nur noch härter, -wehrhaft, wahrhaft, unerbittlich. »Zu schade?« Er spielt wie grausam mit -dem Wort. »Zu sehr beschädigt. Zu wund und zu weich.« Und noch rauher -gegen den eigenen, zuckenden Gram: »Was welk ist in Deutschland, geht -ein.« - -Dann ist es fast, als kehrt er sich, wie zur Ablenkung, gegen Horst, den -selbst nicht mehr Wurzelfesten. So daß etwas in ihrem Schmerz die beiden -Männer gegeneinander entflammt. - -Schon aber führt in Horst der Leitende das Wort, der seine Anordnungen -trifft, bis zum Äußersten. Er hat keine Hoffnung mehr, aber das letzte -muß getan werden. »Ins Boot. Das Wasser absuchen. Nicht unmöglich, daß -er müde geworden ist, und der Segler da hinten hat ihn an Bord.« - -Sie gehen nach dem Vorsprung zu. Da liegen Boote am Strand. Sie schieben -eins ins Wasser und rudern hinaus, schweigend, mit gleichmäßig mächtigem -Schlag. Und suchen, suchen -- hoffnungslos und doch treu. - -Jetzt sind sie schon weit draußen. Auf das Segelboot halten sie zu. -Immer mit der Umschau, immer in der Erwartung, der Entseelte müsse -auftauchen. - -Ein Fischerboot, das mit klatschenden Segeln daliegt. Hat es den -Ermüdeten aufgenommen? Ein letzter Schimmer -- - -Die Insassen, verschlafen, drusen dem Morgenwind entgegen. Von einem -Schwimmer haben sie nichts bemerkt. Einen treibenden Körper haben sie -nicht gesichtet. - -Die Suchenden wenden und fahren zurück an Land. Jetzt ist es gewiß, die -See hat ihn genommen. Wird sie seinen Leib wieder hergeben? - -Gisbert ist tot! So pulst es in ihrem Herzen. Das ist der Takt ihres -Ruderschlages. Gisbert ist tot. Sie starren in eine Leere. Jetzt ist die -große Klage um sie und fügt sie zusammen. Und nichts kehrt sie gegen -einander. Geschlossen, versöhnt der Unterschied, der Zwiespalt ihres -Fühlens. Nur der Schmerz um den Freund bewegt ihre Seele. Gisbert ist -tot. Wie klein sind alle Worte, die seiner gedenken wollen -- sie -scheuen sich und schweigen. - -Die Männer landeten wieder. Und da sie die harte Erde betraten, kamen -Forderungen an sie. Gemeinsame, so dachte Kunz. Er mit seiner -lebensfesten Hand nahm die Kleider auf, packte sie zu einem Bündel und -wandte sich heim. Das »über Gräber vorwärts« lag ihm im Blut. - -Er meinte nicht anders, als daß Horst mit ihm gehen würde. Der aber -blieb, versonnen, versponnen. Kunz wartete -- dann ein fragender Blick, -aber kein Wort -- dann etwas wie ein leichtes Achselzucken, in dem der -alte Schmerz bebte: man lasse die Träumer den Träumen -- und er ging -allein. Da war es wieder, was in ihm nagte: auch von Horst geht immer -mehr verloren. Die Sorge um die Siedlung ließ ihn von jetzt ab nicht -mehr los. - -Wieder war der Mißklang zwischen den beiden, das Mißtrauen, das nun -einmal gerufen war -- tiefer griff es in die Gemüter, die der Schmerz -zart und feinfühlig gestimmt hatte. In der Empfindsamkeit des Grames -fand es neue Nahrung. - -Horst spürte es, er wußte, was in Kunz sich von ihm abwandte. Das riß an -den gespannten Saiten, und wieder gab es den Zorn, die Bitterkeit, die -eigene trotzige Abkehr und Selbstverschanzung. - -Ich bin Euer Führer, ich hab Euch etwas geschaffen, etwas gegeben -- zum -Lohn dafür haltet Ihr Gericht über mich, beobachtet mich, nehmt mich -unter Aufsicht. So war es schon, und es mehrt sich zur Unleidlichkeit. - -Ihr solltet wissen, daß ich das nicht ertrage. Ihr solltet mir meine -Arbeit, die mir wahrlich nicht leicht fällt, nicht noch erschweren. Sie -mir nicht verbittern! Kein besseres Mittel könnt Ihr dafür finden. - -Wen hab ich nun noch in der Siedlung? Da Gisbert mir fehlt. Er, mit dem -zarten, zerschlagenen, blutleeren Leib, der Wärmste, der Innigste von -Euch allen. Und darum auch allen unentbehrlich, da er zwischen allen die -seelischen Fäden wob. Allein steh ich jetzt. Er war es, der mich verband -mit den Schwärmern, den blinden Heißspornen, den kühlen Rechnern, den -Gleichmütigen, den Matten und Trägen. In ihm fanden sie sich alle, denn -alle hatten ihn lieb. Ist mit ihm nicht das Licht der Siedlung -erloschen? Ein blasses Licht, ja -- aber vielleicht, daß gerade die -unirdische Blässe die Herzensandacht schuf! - -Gewiß, es war allzuwenig von dem landläufig Gesunden in Dir, gar nichts -Lebensstarkes und Robustes. Ein Kind noch warst Du, als Du ins Feld -zogst. Die Pubertätsjahre verschlang der Krieg, nun kam, krankhaft -verspätet, verfeinert und gesteigert die ganze Empfindsamkeit der -Jünglingschaft über Dich -- und zerbrach an Weibesliebe. So fein und -edel zart, wie es nur deutscher Jugend, die deutsches Leid versehrt, -geschehen kann. - -Und jetzt steh ich allein. Die Kameradschaft durchlöchert und im -Verfall. Argwohn -- Übelwollen. Jetzt, wo alles sich ergeben sein müßte -auf Leben und Tod! Und die Jungen haben sie mir verwehrt! Neue Ketten -schmieden sie. Die Luft im Bagno -- wie soll ich sie länger atmen! Und -wär nicht die ganze deutsche Luft verpestet -- verpestet von Verrat! -Rein muß ich atmen können! Ich ersticke hier, ich verderbe in dem Dunst --- ich will nicht verderben! - -Und wieder suchen seine Blicke die Landzunge. Da steht sie noch immer -die weiße Gestalt und schaut auf die See. Jetzt haben die Augen das -sichere Bild. Kein Trug -- Ingeborg ist es. Zu ihr will ich! In ihrem -Schein gesund mich atmen. - -Er wandert mit eiligen, mit festlichen Schritten. Sein Leuchtfeuer zieht -ihn, ruft ihn, grüßt ihn. Er steigt die Dünen hinan, klimmt dann den -Abhang empor. - -Da oben steht sie. Und sie sieht ihm entgegen, als habe sie ihn -erwartet. Sie streckt ihm die Hand zu. Die Freude ihres Blickes trübt -sich, da sie von seinen Zügen das Unheil abliest. Und er sagt ihr, was -geschehen ist. Dann, da er seinen Trost findet in dem treuen Druck ihrer -Finger, in dem feuchten Glanz ihrer Augen, schüttet er sein Herz ihr -aus. - -Immer mehr löst sich von mir, eins nach dem andern fällt von mir ab, -vereinsamt bin ich in meinem Heimatland, kraftlos -- was bin ich ihm -nutz? Kann ich so dem Vaterlande dienen? - -Und immer klarer spricht er so zu sich selbst. Ich brauche meine Kraft! -Wo kann ich sie wiederfinden -- wo als in der nordischen -Gastfreundschaft! Da werd ich gesund und stark, von da werd ich -zurückkehren mit ungetrübtem Wikingermut. Frei von allem, was mich hier -lähmt -- selbst frei und ein Befreier! - -Sie sitzen beieinander, Ingeborg und Horst. Die helle Zaubernacht ist um -sie. Er birgt sich in den Glanz ihrer Flechten, wie in einen Goldpanzer -hüllt er sich, allem Trüben, allem Düstern, allem Üblen und Niedern eine -Wehr. Er nimmt ihre Hand. »Wenn Sie wollen, höre ich nun doch noch in -diesem Sommer das Summen unter Ihren Linden.« Da sind ihre Augen voll -Seligkeit. - - - - - Das Richtfest - - -Den Feinden der Siedlung war das neue Haus ein Dorn im Auge. Es schwoll -ihr Zorn, je höher es wuchs. - -»Steinerne Zwingburgen errichten sie«, so lärmten die Schlagwörter in -dem Konvent. »Und Zwingburgen werden niedergelegt!« forderte die -Nutzanwendung. - -Es war ihnen bekannt, das eine hochnotpeinliche Waffensuche unter -Aufsicht von Ententeoffizieren den Kreis bedrohte. - -»So wissen wir also, wo wir unsere Handgranaten zu verwenden haben -- -ehe sie uns genommen werden!« rief Kittel, der Buchbinder, und gellend -pfiff der Atem aus seiner schmalen keuchenden Brust. - -Stahlboom wandte sich dagegen. Er wollte alle Waffen aufgespart haben -für die große Aktion, die bevorstand. Die Suche gälte auch nicht ihnen, -den Proletariern, sondern den monarchistischen, den reaktionären -Banditen. Sie selbst dürften beruhigt sein. Da sprach einer ein Wort -furchtbarer Wahrheit: »Wenn die Verräter nicht wären! Wer ist jetzt in -Deutschland vor Verrat sicher?« Und das Grausige, das hier aufschrie, -verwilderte wiederum die Gemüter. - -Die Wüsten waren nicht zu bändigen. Das Richtfest am nächsten Sonntag -- -sie wollten ihren Trumpf daraufsetzen, es sollte den Siedlern gesegnet -werden! Und der schwarze, der blutige Sonntag vom Mai würde seine Sühne -finden. - -Die Siedler arbeiteten mit verdoppelter Kraft. Zu früh war der Termin -für die Richtung des Hauses angesetzt worden -- es war ihr Ehrgeiz, ihn -inne zu halten. Alles, was die Seelen bewegte und erregte, der Tod -Gisberts, Horst in seiner Verschlossenheit, die zur Abkehr und Abweisung -sich schärfte und anfing böses Blut zu machen, die Reibungen, -Quertreibereien, Scheidungen und Zerwürfnisse innerhalb der Baracke -- -alles ward dem einen Gedanken untertan, dem Gedanken an das Haus und -seine Vollendung. - -Ein großer Tag sollte es werden. Alle, denen das Siedlungswerk etwas -bedeutete, sollten mit feiern. Was einer an Freundschaft hatte, wollte -er bitten, jeder Biedermann sollte geladen sein. Ein Volksfest! Mit -eifriger Hingabe sie alle bei der Vorbereitung. Kein Wort gab es, das -nicht von der Richtfeier sprach. Wie Kinder vor dem Weihnachtsfest waren -die Männer. - -Horst berief Dankwart und Kunz zu einer Unterredung. Er sprach ohne -Umschweif, mutig und frei. Die schweren Worte wurden von einer harten, -hellen Entschlußkraft wie emporgeschnellt. »Ich gebe mit dem Richtfest -das Siedlungswerk in Eure Hände. Ich hab mit der Gründung meine Kraft -aufgebraucht. Ich kann hier nicht mehr wirken, nichts mehr leisten, ich -bin nur noch im Wege. Erst muß ich mich selbst erneuern. Das kann ich -nicht in dieser Luft. Darum will ich eine Zeitlang außer Landes gehen. -Meine neuen schwedischen Freunde haben mich eingeladen. Ich fahre mit -ihnen.« - -So weit war er also! Die Kameraden hatten ja sein Wanken gespürt. Daß er -jetzt ganz von ihnen wich, daß er sie und seine Sache verlassen wollte --- wenn sie es auch in dunklen Stunden gefürchtet hatten, jetzt traf es -sie wie ein jäher Schlag. Keinem von den beiden lag es, zu klagen, zu -jammern, zu bitten, ob sie gleich wußten, was über die Siedlung -hereinbrach. Waren sich auch wohl klar darüber, daß mit Flehen und -Winseln hier nichts zu schaffen sei. - -Dankwart, finster, sprach in sich versunken ein klanglos leeres Wort: -»Das ist sehr zu beklagen.« Kunz, beweglicher, weiter greifend, -heftiger: »Dann können wir hier also einpacken!« - -»Was heißt das!« Horst lehnte sich dem entgegen. »Das Werk bleibt. Und -wenn ich nicht bleibe -- jeder ist zu ersetzen. Vielleicht ist es meine -Sache, etwas anzuregen, etwas in die Wege zu leiten. Aber es fest an der -Hand zu halten -- das ist mir offenbar nicht gegeben. Ihr seid die -Stetigen, die Beharrlichen, die Harten -- führt Ihr das Werk weiter.« - -Kunz war in die Höhe gesprungen. »Ob das wahr ist, ob das falsch ist -- -ich habe die eine Frage, die Du immer gestellt hast! Wo bleibt das -Beispiel, frage ich! Bist Du es nicht, auf den alles blickt!« - -»Man blickt auf mich, sagst Du -- nun, so wie ich bin, darf ich mich -nicht länger zeigen. Ich muß wieder anders werden -- ehrlich will ich -mich darum mühen. Ich will ja auch nicht für immer fort.« Und nun -schlugen seine Arme wie gehemmte, verschnittene Flügel. »Nur ein Ausflug -soll es sein -- aber ich brauche den Flug!« - -Darauf Kunz, seine Stimme pfiff wie eine Klinge: »Horst -- Du kommst -nicht wieder.« Hierin war soviel Klage, soviel Zorn, soviel Schmerz, die -Männer zuckten zusammen, alle drei. Und ein Schweigen schloß sie ein. - -Horst riß sich auf. Eine leichtere Haltung gab er sich, einen lächelnden -Ton. »Wenn Du es sagst --! --« Aber es zersprang etwas in ihm. Ein -Schmerz schnitt ihm durchs Mark. Und brüchig ward, was er weiter sprach, -aber er gab nicht nach. »Dies das Hauptsächliche. Meinen Entschluß kennt -Ihr. Das einzelne besprechen wir noch.« - -Er hatte Bestimmungen zu treffen, der Tagesdienst holte ihn. Dankwart -und Kunz blieben allein. - -Beide starrten sie, dumpf, hohl, düster. Dann stieß Kunz rauh und -krächzend hervor: »Wie die Siedlung erschlagen ward. Kein Heldenlied ist -dies.« - -»Gut.« Dankwart hat sich schmerzlich fest wieder beisammen. »Wir stehen -auf verlorenem Posten. Aber Posten ist Posten. Und wir halten ihn. Bis -in uns nichts mehr hält!« - -Jetzt ist Kunz an seiner Seite. »Ja, Dankwart, ja. Die Sache will es. -Wir wollen es. Und so geschieht's! Mag denn die alte Siedlung -zusammenbrechen -- eine neue gilt es zu schaffen. Und dann also lustig! -Mit dem Großreinemachen zu Hause fangen wir an.« - -Auch Dankwart rief es zu der Arbeit. Sein letztes Wort, heiser und -bitter, war das: »Und auch hier wieder ein Weib!« - -Ingeborg -- der Gedanke war bei Kunz gekommen und gegangen. Jetzt saß er -fest bei ihm. Natürlich war sie es, die den Ausschlag gab. - -Und seine eigene Liebesnot packte ihn immer grausamer an. Hatte er nicht -sein Mädchen verloren! Verloren, da er nicht gleich den Weg zu ihr -gefunden, da die Stunden, die ungenutzten, immer mehr Hindernisse -aufgebaut, immer mehr an Trotz und Scheu. Konnten sie beide noch hinüber --- und wollten sie es noch? Das war ja das Schlimmste: wollten sie es -noch? War nicht das Köstliche gestorben? - -Und gegen Horst wandte sich seine Wut. Du verstehst es, Dir es besser zu -bereiten. Was habe ich früher gefabelt von Deiner Weiberfestigkeit, -Deinem Weiberstolz -- alles, alles bitt ich Dir ab! Wer so wie Du -Gelegenheiten wahrnimmt! Wer wie Du in allen möglichen Sätteln gerecht -ist! - -Wie hast Du um Lona Dich angestellt! Und jetzt, wo das schöne blonde -Schwedenmädchen Dir in den Wurf kommt -- dieses weiße, blonde, und -dieses reiche, dieses reiche, ja! - -Er suchte sein Ventil, in seine Reimereien giftete er sich hinein: - - Den einen nahm der Brahmaputra -- - Den andern langt sich die Valuta. - -Und entgiftete sich wieder, denn hier erschrak er nun doch vor sich -selbst, vor des Hasses Häßlichkeit. - -Nein, Horst -- das ist es nicht. Soweit ist es nun doch nicht mit Dir. -Aber ist es nicht weit genug? Und kommt nicht eins zum andern! - -Ist es nicht genug, daß Du von uns gehen willst! Uns im Stich lassen -- -ja, ja, so nenn ich es! Uns untreu werden und Dir selber. - -Wie habe ich immer zu Dir aufgeschaut! Und was bist Du mir gewesen! -Wohl, nicht immer war, was Du tatst und ließest, mir nach dem Herzen. -Aber die große Linie Deines Wesens -- wie zwang sie mich immer wieder zu -Dir hin. So gut wie sie alle bezwang, wie sie all unseren Kräften die -Richtung gab, das gemeinsam starke, gemeinsam freudige Ziel. - -Nun ist sie verbogen, geknickt, gebrochen. Da Du Dein eigenes Werk -verläßt und verrätst. Ja, und tausendmal ja, verrätst! Ein -Fahnenflüchtiger bist Du! Nichts wird hier beschönigt, verschleiert, -bemäntelt. Ein Verräter bist Du! Und Dein Werk geht an Dir zugrunde. - -Dankwart und ich, die wir bleiben -- er hat es richtig bezeichnet, auf -verlorenem Posten stehen wir. Und das Beste unseres Lebens wird hier -zerschellen. - -Nicht steht es in unserer beider Macht, was Du vermochtest, als Du noch -bei Dir und auch bei uns warst, das Auseinanderstrebende, das sich -Widerstrebende zu binden! Gewiß, daß dies das Höhere, das Größere war! -Wir beide, wir werden zerklüften, zerreißen -- der Kampf im eigenen -Hause, das ist es, was wir bedeuten! Aber hast Du nicht selbst gesagt, -ein Kleindeutschland soll dies hier sein! Nun, so sei es das auch ganz, -mit der vollen Zerrüttung im Bruderzwist! Der Wahn eines wilden -vernichtenden Hohnes brach aus seinen Augen. - -Wir werden unterliegen, gewiß, denn die Masse siegt. Aber besser -untergehen, als Masse sein! Die Mulitz und Metzling werden uns zu Boden -treten -- sollen sie! Aber Dir werden wir es gedenken, denn dies alles -danken wir Dir! Und wieder ruft es in ihm: Verräter! Wilder und wilder -brausen in seinem Schädel die Flammen, der nur noch mühsam in seinen -Nähten festsitzt. Von der Hirnwut, die durch die deutschen Lande rast, -befällt es auch ihn. Und es wühlt sich etwas in ihn ein. - -Sichtbar sind wir, wir haben die Pflicht der Höhe! Er hat es immer am -meisten gepredigt, mit Brustton verkündet, er, der uns jetzt im Stich -läßt. Der jetzt sich in Sicherheit bringt, der ins Ausland flüchtet, vor -der wachsenden deutschen Not. Ein Verräter! - -Und wir -- wer sind wir, die wir den Verrat in unseren Reihen dulden! -Nein, nicht in unseren Reihen! Den Verrat unseres Führers! Sind wir -damit nicht seiner wert! Sind wir damit nicht schuldig wie er! - -Verräter wie er, wenn wir ihn ziehen lassen! Und es frißt sich ihm ins -Blut: er darf nicht fort! Und wenn es auf Tod und Leben geht -- er darf -nicht fort! - -Was wär bei den Römern geschehen, was bei den alten Germanen! Sollen wir -der Väter nicht würdig sein -- heut mehr als jemals! Sollen unseren -Jungen nicht Vorbilder leuchten! Und sie blicken auf uns! Auf mich! Ich -habe meine Sendung. - -Das Unerbittliche brauchen wir. Das Unerbittliche. Jetzt, wo alles -fließt in Deutschland, fließt und zerrinnt. Wenn nur einer hart ist und -treu! Ein Kern nur -- ein Kern wird gebraucht -- und sei er noch so -klein! - -Richtfest ist am Sonntag. Das Wort brennt sich ihm in die Sinne. -Richtfest -- Gerichtstag wird gehalten! Wir werden richten! Ich -- ich! -Wie ein Wächter steht Kunz, ehern, in Gluten gehärtet. Das Herz leer, -dem die Freundschaft starb, dem die Liebe verklang. - -Die Siedlermannschaft erfuhr nichts von dem Entschluß des Führers. Nach -der Einweihung sollten sie es hören. Daß etwas in der Luft lag, -verspürten wohl die feineren Nasen. Aber man hing dem nicht nach. Die -Festgedanken fieberten durch die Seelen. - -Und jetzt zieht der festliche Sonntag auf. Noch die Nacht hindurch haben -sie gearbeitet, das Morgenrot sieht den Rohbau mit dem Dachgerüst -vollendet, der Tag gehört der Feier. - -Laubgewinde wird gebunden, eine mächtige Krone wird geflochten und mit -farbigen Bändern geziert. - -Vier von den Männern schleichen geheimnisvoll abseits, verkriechen sich -in das Dickicht und üben hier noch einmal das Quartett, mit dem sie die -Gefährten überraschen wollen. Die tiefste Einsamkeit sucht Mulitz, der -Maurerpolier, der die Kranzrede halten soll. Noch einmal memoriert er, -was er mit Benutzung alter Sprüche für die Weihe des Hauses sich -aufgesetzt hat. - -Die Sonne segnet den Tag. Für die Bewirtung der geladenen Gäste werden -noch Tische und Bänke im Freien gezimmert -- große Sprünge können die -Siedler nicht machen, mehr als Bier wird nicht verzapft, und auch das -schon reißt ein übergroßes Loch in die Finanzen. Aber was hilft es, -Vornehmheit verpflichtet. Und heute wollen sie einmal alle Sorgen dem -Wind vor die Füße schmeißen! - -Am frühen Nachmittag soll die Feier beginnen. Als die ersten finden die -Jungen aus der Stadt sich ein. Fragen, ob sie noch irgendwie helfen -können. Fritz Röder und zwei andere noch haben ihre Kameras mitgebracht. -Sie wollen alle Einzelheiten des Festes verewigen und viele -Gruppenaufnahmen machen. Damit sind sie besonders willkommen. - -Dankwart holt seine jungen Freunde zu sich herein. Sein Modell ist -flugfertig. Es soll über dem Bau kreisen, wenn die Weiherede steigt. -Ganz hingegeben erklärt er ihnen noch einmal das Neue der Konstruktion. -Ebenso hingegeben hörten die jungen Köpfe zu. Wie freuen sich alle auf -diese so hohe Überraschung. Wie sind sie getragen von dem Geheimnis, das -sie feierlich bewahren. - -Siedler empfangen ihre Eingeladenen. Im weiteren Umkreise werden -Zuschauer sichtbar. Neugierige machen sich näher heran, andere lagern -sich abseits im Heidekraut. - -Von Moorhof her kommt eine Frau, schwarz gekleidet, in Begleitung von -Pastor Waermann. Die Patronin der Siedlung ist es, Frau Tilde. Wie ein -Flor wallt es um sie her. Ernst wird es allen zu Sinn. Verehrungsvoll -verneigen sich die Männer. Einer macht sich gleich auf den Weg, Meldung -an Horst auszurichten, der in seinem Raum immer noch mit der Ordnung von -Schriftstücken beschäftigt ist. Er tritt sofort heraus, den erlesenen -Besuch zu empfangen. - -In voller Uniform mit Ordensschmuck ist er, dem Tage die Ehre zu geben, -wie Dankwart und Kunz auch, wie die meisten der Siedler. Horst trägt nur -das kurze Seitengewehr. Dankwart und Kunz haben auch die Pistole im -Gürtel. - -Horst reicht Tilde still die Hand, bei Gisbert sind ihrer beider -Gedanken. Seit er ihr die Nachricht vom Tode des Freundes überbracht, -haben sie sich nicht mehr gesehen. Edelsteinhart sind ihre Augen -geworden, nur von Pflicht und Arbeit wissen sie. Um ihren beseelten Mund -hat ein starrer Zug sich gegraben. Sie versteinert von dem Fluch der -Einsamkeit, dem ihr Leben erliegt. - -Kunz findet sich zur Begrüßung ein. Horst und er sehen sich heute zum -erstenmal. Sie mustern sich wie zwei Kämpfer, kalt, feindlich. Seit -Tagen ist kein Wort zwischen ihnen geredet. - -Horst spricht mit Tilde, der Pastor mit Kunz. »Warum habe ich Sie so -lange nicht gesehen?« fragt Waermann. - -Kunz schweigt. Wo hast Du Vita? will es ihm auf die Lippen. Aber dann -denkt er, wie gleichgültig ist dies. Gegen das, was hier geschieht. Und -sein Blick greift zu Horst hinüber. Der Pastor sieht diesen Blick, und -schrickt zusammen. Was ist mit Kunz? Hier ist mehr als Schmerz und Klage -um den toten Freund. Etwas Wildes, grausam Gewaltsames züngelt hier. -Etwas wahnhaft Verbohrtes wühlt hier. Und wieder gewahrt er das in dem -Blick, mit dem Kunz die neuen Gäste, die Schweden aufnimmt. Was geht -hier vor? - -Oberst Thorild und seine Tochter sind dem Pastor bekannt, Frau Tilde -werden sie vorgestellt. Kunz löst sich von der Gruppe, um die ein -gemeinsames Gespräch sich schlingt. Er starrt vor sich hin, in seinem -Gehirn ist eine leere tote Stelle. - -Dann schweifen seine Augen mechanisch über die Versammelten ringsum. Er -sieht ein paar Gesichter, die ihm nicht gefallen -- Bekannte, von dem -Barackensturm her? Wie ein Schleier liegt es über allem. - -Und dann doch die Frage: Was wollen die hier? Wie wach und hell hätte -ihn früher dieser Gedanke gemacht. Wie hätte der all seine Kräfte -angespannt. Jetzt schleichen sie träge. Nur, daß durch ihn das eine -hinblitzt: führten sie doch etwas im Schilde! Käme es doch wieder zu -blutigem Kampf! Nur Blut könnte hier heilen! Und würde hier alles -zerstört und dem Boden gleich gemacht -- vielleicht das beste! Besser -ein ganzes Nichts als dies halbe Dasein des kümmernden Werks! Und er -selbst wird in dem Untergang begraben und ist frei und erlöst, ist ledig -aller Pflichten -- aller Taten -- - -Ein Schleier liegt ihm über der Welt, ein rötlicher Dunst ist über den -Dingen. - -Der alte Torfmeister wuchtet zu ihm her -- spricht gewaltig auf ihn ein --- seine Ohren dröhnen, die leere Stelle in seinem Hirn füllt sich mit -tosenden Schmerzen -- er nickt benommen zu allem, was er hört, und weiß -von nichts und starrt in die verschleierte Welt. Den Schleier zu -zerreißen -- mir liegt es ob! - -Jetzt tritt Mulitz, der Polier, zum Bericht vor Horst. Es sei alles für -die Feier vorbereitet. Wenn es recht sei, könne sie beginnen. - -»Dann wollen wir also!« bestimmt Horst. Wie matte Bronze ist sein -Gesicht, verbissen sein Mund, um seine Augen sind Schatten, aber er ist -fest und bereit. - -Und bereit ist auch Kunz. - -Zwischen Ingeborg und Oberst Thorild geht Horst, da sie nun alle zum -Neubau wandern. Die beiden wissen, wie Schweres er trägt. Es ist -abgemacht, daß sie gleich nach der Feier abfahren. Die Segeljacht ist -bereit. Ihre Koffer haben sie gepackt. Aber sie wollen nicht daran -erinnern, nicht davon sprechen. - -Doch Horst bringt selbst die Rede darauf. »Darf ich fragen, Herr Oberst, -ob es bei dem Reisetermin bleibt?« - -»Wenn Sie einen Aufschub wünschen --« - -»Aber ich bitte. Meine Sachen sind geordnet. Ich bin freudig dabei.« - -Ingeborgs Augen strahlen zu ihm empor. - -Sein Führerblick übersieht den Kreis. Ganz dahinten -- eine besondere -Gruppe fällt ihm auf. In ihr ist lebhafte Bewegung. Einer redet jetzt -eben -- gestikuliert verzweifelt -- ein anderer beschwichtigt -- hält -zurück -- bändigt -- beschwört. Die Köpfe sind nicht zu erkennen. Doch -nach der Haltung, der Bewegung, der Gestalt -- der Bändiger, der Lange, -ist das nicht Stahlboom? Die Kommunisten -- was wollen sie hier? -Bereiten sie sowas wie einen Anschlag vor? Er behält sie im Auge. - -Hat die schwarz-weiß-rote Fahne sie erregt, die eben über dem First des -Neubaus an dem Flaggenmast in die Höhe steigt, von Sonne und Wind mit -Jubel gegrüßt? - -Von der Baracke her ist Dankwart mit den Jungen erschienen. Sie tragen -sein Flugzeugmodell. Auf die Goldberge steigt er mit ihnen und bringt -den Apparat in Stellung. - -Vor dem Hause machen Mulitz und der heilige Josef die Ehren. Die -Versammelten -- eine große Schar ist es geworden -- stellen im Halbkreis -sich auf. Der Polier will ins Haus, will das Gerüst unter der Krone -besteigen und die Kranzrede halten. Da, wie jetzt das Schweigen sich -über sie breitet, knattert ein Automobil in der Nähe. Sie horchen auf. -Kommt noch hoher Besuch? - -Jetzt hört es sich an, als wolle es auf der Straße, die man von hier aus -nicht sehen kann, vorüberfahren. Dann hält es. Dann nimmt es eine neue -Richtung. Jetzt kommt es querfeldein über die Heide. Wen bringt es? -Uniformen blitzen darin. - -Das Gelände wird sandig und hüglig. Der Wagen stockt und steht. Die -Insassen steigen aus. Ententeoffiziere. Ein französischer, ein -englischer Hauptmann. Sie schreiten auf die Versammelten zu. Zwei -französische Sergeanten hinter ihnen. - -Ein Todesschweigen über all den Menschen. Eine Stille ringsum, als halte -die Welt den Atem an. Als drehe die Erde sich nicht mehr. Nur die -schwarz-weiß-rote Fahne rauscht im Winde. - -Der französische Kapitän, geschniegelt, kokett, bewußt, der Rangälteste -und Wortführer, greift sich mit den Blicken Horst heraus, den er gleich -als die leitende Persönlichkeit erkennt. Mustert ihn, in seiner -deutschen Offiziersuniform, mit unverschämten Blick, von Kopf zu Füßen. -Erklärt dann in einer Art leutseligen Gesprächigkeit: sie hätten heute -am Sonntag eigentlich nur einen Vergnügungsausflug vorgehabt -- _à votre -océan_ -- und die Frechheit ist wieder obenauf. »_Mais maintenant votre -noir-blanc-rouge nous a attiré. On revient toujours -- vous savez -- à -ses premières amours!_« Horst steht kühl, aufrecht, in voller Höhe vor -ihm und würdigt ihn keiner Antwort. Sein Blick ist dem Franzmann -unangenehm. Er weicht ihm aus und spricht jetzt herrisch und giftig: da -sie nun einmal hier wären, wollten sie »das Nützliche mit dem -Angenehmen« verbinden -- er schlägt mit dem Handstock seine -Ledergamasche -- und hier an Ort und Stelle gleich die Waffensuche -vornehmen. »_S'il vous plaît_« -- wendet er sich an den Engländer, der -schläfrig dasteht und aus seiner kurzen Shagpfeife pafft. Kaum hält er -es für nötig, mit dem Kopf zu nicken oder ein »_yes_« zu kauen. - -Der Franzose sieht sich im Kreise um, er mustert das Publikum bei diesem -Schauspiel, dessen Hauptheld er ist, da trifft von den Goldbergen her -ein Flimmern sein Auge. Das Flugzeugmodell blitzt in der Sonne. - -Er setzt den Feldstecher an. »_Ah -- un modèle d'aéroplane! voilà des -essais, qu'il faut surveiller avant tout!_« Er wendet sich an den -englischen Hauptmann -- »_vous arrange -- t-il?_« -- und schreitet auf -die Höhe zu. Der Englischmann grunzt und bleibt an seiner Seite. Die -Sergeanten folgen. - -Horst auf anderem Wege überholt sie. Dies alles geht ihn natürlich -zuerst an. Kunz ist an seinen Fersen. Der eiserne Ring, der ihm um die -Brust saß, ist gesprengt. Eine neue Tonart spielt das Leben. Er kann -wieder Luft holen. Er trinkt sie tief in sich ein. Bis in den Hals -schlägt ihm das Herz. - -Mit Dankwart zusammen nehmen Horst und Kunz die Feinde in Empfang. - -Die Menge ist an den Fuß der Goldberge geströmt. All die Köpfe sind -gehoben, all die Gesichter, die Augen glänzen auf zu der Höhe. In allen -Herzen klopft es: was wird geschehen? Daß hier etwas geschehen wird, sie -fühlen, sie wissen, sie fordern es alle. Und so sind sie einig, -geschlossen, eine große Gemeinschaft in diesem einen Gefühl. Von Pastor -Waermann, dem Freiheitshelden, bis zu Stahlboom, dem Kommunisten -- in -Frau Tilde, in Oberst Thorild, Ingeborg, dem Torfmeister, in allen -Siedlern, allen Geladenen und Ungeladenen -- in allen, allen pulsen die -Nerven denselben Takt. - -Auch in den frommen Wallern, die heute wieder erschienen sind -- zuerst -haben sie sich gesondert gehalten und ferne -- in scheuer Andacht -- wie -eifersüchtig auf ihre Sehnsucht -- jetzt rücken sie näher -- und bald -werden sie sich ganz dem großen Chore einverleibt haben. Ist nicht in -allen dieselbe Not, dasselbe Gebet? Werden nicht die vielen vereinten -Hände, geeinten Herzen am ersten das Wunder beschwören? Am ersten ein -Zeichen erwirken? Ein Zeichen des Trostes, und wenn nur ein kleines, das -Hoffnung gibt auf die Erlösung! - -Da oben, eingespannt in den hellen, vollen, harten, wahrhaftigen Glanz -der Sonne, stehen sie -- deutsche Offiziere -- feindliche Offiziere. Im -Schmuck ihres Kleides, im Glanz ihrer Waffen, ihrer Ehren. Stehen sich -gegenüber -- Welt gegen Welt. Was wird geschehen? - -Was entspinnt sich da? Der Kapitän besichtigt das Modell. »_Instrument -de guerre_«, erklärt er. »_Vous le briserez sur le champ moi présent!_« - -Dankwart hat dafür kein Wort. Er wendet dem Heischenden den Rücken und -legt beide Arme auf die Maschine. - -Der Franzose zischt wie eine Natter -- packt Dankwarts Schulter -- der -schüttelt ihn ab, daß er taumelt. - -Da, in maßloser Wut hebt der Franzose den Stock und schlägt Dankwart -über den Kopf! Dankwart, den Krüppel! - -Ein dumpfer Aufschrei preßt sich aus all den Herzen, den Kehlen -- - -Horst -- schon hat er den Burschen am Kragen -- holt ihn sich hintenüber --- reißt ihm den Stock aus der Hand -- legt ihn sich übers Knie und läßt -seine Hiebe auf ihn hageln. - -Blitzschnell das alles. Der Engländer steht regungslos. Die Sergeanten -wollen zuspringen. Die Hand mit der Shagpfeife weist sie zurück. »_Fair -play!_« Um den breiten Mund ist das Lächeln einer ehrlichen kleinen -Teufelei. - -Blitzschnell ist es vorüber. Atemlos, im Bann, in verzücktem Schweigen --- so haben all die Herzen, die Hirne das Bild getrunken. Sie haben es, -sie halten es, verwachsen ist es mit ihnen. - -Jetzt, da Horst den Gezüchtigten beiseite geschmissen hat -- da dieser -mit schäumendem Mund und irrem Auge die Pistole aus dem Gürtel reißt -- -mit donnerndem Hurra sind all die Siedler den Berg hinaufgestürmt. - -Der englische Hauptmann hat den Arm des Verstörten genommen. Sein »_we -shall see!_« kaut er und führt ihn gemessen den Berg hinunter, zu ihrem -Auto. - -Ein Jubel hat sich aufgemacht wie eine Windsbraut. Das große Meer des -Zornes eines edlen, mächtigen, geknechteten, geschändeten Volkes -- hier -schlägt es seine Wellen empor, himmelan. Sie klatschen in die Hände, sie -umarmen sich, sie brausen, sie taumeln unter Weinen und Lachen. Muz wie -ein Feuerrad rast um sich selbst -- man sieht nur ein tosendes Rund und -sprühende Funken. Ein donnerndes Rollen steigt zum Firmament. Lud -Uhlenbrook lacht und lacht aus vollem Herzen -- so brüllt das Glück. -Außer Rand und Band ist die ganze sonnenselige Welt. Das blanke hohe -Himmelszelt spannt sich zum Zerspringen -- zerreißt es nicht -- bricht -nicht ein Blitz aus dem Blau -- ein Gottesantlitz? - -Horst über ihnen allen, strahlend wie Michael, die Augen geweitet, die -Nüstern gebläht, ein unergründlich glückliches Lächeln um den Mund. Noch -meiden sie ihn, wie ein Höheres, ein Heiliges. - -Dann aber stürzen die Jungen zu ihm. Fritz Röder -- will es schreien -- -und erstickt an seiner Seligkeit -- und stößt es dann mühsam aus -verschluckten Tränen hervor -- »ich hab es geknipst!« Und zwei andere -stammeln »ich auch!« Und Fritz verkündet es heiser, lallend, -zusammenbrechend -- »ein Bild ist das -- ein Titelbild -- für die -Geschichte -- in alle Lande, in alle Städte, in alle Dörfer soll es -fliegen -- für die Weltgeschichte -- für die deutsche Geschichte -- ein -Titelbild -- ich hab es geknipst --« - -Wie ein vom Strick Losgeschnittener steht Kunz. Zu heftig hat sich die -hohle Stelle in seinem Brägen wieder gefüllt. Noch blickt er verblödet. - -Da schleicht von hinten etwas zu ihm, springt ihn an, drückt ihm die -Lider zu mit kindlichen Händen -- wer ist es? -- was fragt er, da er es -fühlt? - -Und sein Mädchen schenkt ihm der deutsche Jubel! In seinen Armen hängt -Vita und küßt ihn mit fast mänadenhafter Glut. Daß er aufs neue -verblödet. Aber plötzlich ist er so hell und gescheit wie noch nie in -seinem Leben und packt zu und hält fest. Und ist der bedeutendste und -mächtigste aller Menschen. - -Und ist wieder der Junge, ganz der Junge -- schreit auf wie ein -Verrückter -- schlägt Purzelbäume, sieben hintereinander und brüllt -zwischendurch zu seiner Vita hinüber: »Bin ich dick?« - -Dann bleibt er besinnlich im Grase sitzen. Ist das ein Tag -- eine Tat. -Ich muß sie besingen. Die Welt erwartet es von mir. Ein Heldenepos! Ich -hab auch schon einen Titel: der Büchsenspanner Seiner Majestät des -deutschen Volkes. Nein, ein Volkslied muß es werden. Ein Kutschkelied. -Und soll noch von den Enkeln gesungen werden in allen Gauen. - - »Da sprach der Horst, das ist mir Worst, - Und haut ihm, daß die Hose borst.« - -Ingeborg ist bei Horst. Sie läßt das Glück ihrer Augen leuchten, wenn es -auch schwer dahinter dämmert. Sie packt seine Hand mit beiden Händen. -Das wiegt alle Worte auf. Dann spricht sie leise: »Aber nun wird Ihnen -hier Schweres bevorstehen.« - -»Wer das nicht fröhlich auf sich nimmt --!« Gleichwohl schweifen ihre -Blicke zur See hinunter und etwas in ihnen spricht: da liegt unsere -Jacht segelfertig. Du tust gut, Gras wachsen zu lassen über das, was -hier geschehen ist! Komm jetzt! Fahr mit uns! Mit mir! - -Doch, wie sie das Auge wieder voll zu ihm wendet, erschrickt sie vor -diesem eigenen versteckten Denken und Wünschen. Ich würde es selbst -nicht wollen, daß Du Dich von hier entfernst! Daß Du mit uns fährst. Ich -würde Dich selbst so nicht wollen! Und ein harter reiner Schmerz bändigt -ihre Flammen. - -Oberst Thorild tritt hinzu. »Ein Wahrzeichen -- ein Wappen -- eine Fahne -sind Sie geworden!« Seine Augen sind voll Feuer. - -»So darf man denn das -- Abgedroschene, das Triviale gelten lassen, weil -es die stärkste Anschaulichkeit, die größte Bildkraft hat. Dafür werden -die Abstrakten im Lande Zeter über mich schreien.« - -»Die lassen Sie nur.« - -»Und die nützlich Ängstlichen noch mehr. Ich hör es schon in ihren -Blättern rauschen. Kostspielig wird die Sache -- schädlich -verbrecherisch ist Deine Tat! Nur ein Volksfeind konnte so handeln!« - -»Die lassen Sie erst recht. Ich sag Ihnen, noch ein Dutzend solcher -symbolischen Handlungen, und das Volksgewissen bekommt sein Mousseux, -seinen Aufstieg. Ich glaube es lohnt, in diesem Volksgewissen zu leben! -Dafür aber, mein Freund -- so darf ich Sie nennen -- sind wir, Ingeborg -und ich, jetzt die Leidtragenden. Da Sie jetzt nicht mit uns fahren.« - -»Ich denke, wir werden uns damit nicht verlieren.« - -»Niemals. So wie wir uns gefunden haben! Aber jetzt müssen wir Sie mit -Ihren Kameraden allein lassen. Leben Sie wohl!« - -Mit starkem Händedruck nehmen sie Abschied voneinander. Lange liegt -Ingeborgs Hand in der seinen. Dann bleiben ihre Augen nicht mehr fest, -und sie wendet sich jäh von ihm. - -Horst blickt den Schreitenden nach. Oft noch dreht Ingeborg sich um und -winkt mit dem Tuch. Er muß bitter hart die Zähne aufeinander beißen. -Wieder ist eine Kraft von ihm gegangen. Wieder eine Saite in ihm -zersprungen. Aber, was er noch hat, treu muß er es bewahren, denn es -gehört nicht ihm allein. - -Und wie er jetzt die Kameraden sucht, da tritt jemand vor ihn hin, ein -Unerwarteter. Stahlboom, der Kommunist. Der Feind, mit dem er gekämpft -auf Leben und Tod. Der Feind -- der Landsmann jetzt, der Deutsche. -Reicht ihm die Hand, schnell, hastig -- aber Hand ruht doch in Hand. Ob -heimlich, wie beiläufig, ärgerlich fast -- die Hände haben sich doch -gefunden! Wahrhaftig und notwendig! Die Hände und die Herzen! In diesem -Zeichen wachsen sie zusammen. - -Da leuchtet es nun erst über Horst hin -- der Lichtstrahl der -glückhaften Erfüllung! Die deutsche Einheit -- die Front ihrer Streiter --- sie ist kein Traum -- sie kann sein -- sie wird sein -- sie ist! Nur -braucht sie ihr Signal! Die rechte Fahne muß wehen! Dafür leben und -sterben! - -Horst ist mit den Kameraden zusammen. »Ja,« sagt Horst, »ob Ihr mich bei -Euch behaltet? Ob Ihr nicht die Suppe, die ich auch Euch eingebrockt -habe, mich lieber allein auslöffeln laßt --! --« Da lachen all die -Siedler laut hinweg, was er sonst noch hätte sagen können. - -Kunz packt seine Hand und reißt ihn zur Seite. Und mit einem -unbeschreiblichen Blick, in dem ein Bekenntnis liegt voll aller -Düsternis und aller Helle dieser Welt, mit seinem lächelnden Knabenmund: -»Ich dank Dir auch, Horst -- dank Dir, daß ich Dich nicht hab um die -Ecke zu bringen brauchen.« - -Horst blickt in diese Tiefen und versteht den Freund, und ihre -Freundschaft ist geheiligt. - -»Und jetzt weihen wir unser Haus! Ihr Jungen, singt Deutschland Euer -junges Lied! Wir stimmen mit ein.« - -Und zur Sonne empor braust es: - - Wir sind die Jungen! Wir sind die Kraft, - jede Faser gestrafft und gerafft, - wir sind die Jungen, wir sind die Frohen, - siehst du die nächtigen Wolken lohen? - Wir sind des Frührots lachender Schein! - Frei sollst du sein! - - Wir sind die Jungen -- die Herzen fliegen! - Wir sind die Jungen, wir stürmen, wir siegen! - Unter die Füße den tückischen Haß, - seine Ketten zerspringen wie Glas. - Unser Gebet, unser Feldgeschrei: - Frei sollst du sein! - Wir machen dich frei! - - - - - Vom gleichen Verfasser erschienen - in demselben Verlag - - Die Ecke der Welt - - Eine Erzählung. -- 5. Tausend. - - »Mit _großer dichterischer Kraft_ hat Dreyer hier die Geschichte - von einer Frau und drei Männern erzählt, und er erweist sich auch - jetzt wieder als ein _Meister der Epik_, als unerschrockener - Seelenkünder. Das ganze Geschehen ist von der herben - Landschaftsstimmung des nordischen Küstenlandes umhüllt; im - knappen Aufbau der Erzählung verrät sich die dramatische Schulung - und die Schilderung erreicht eine seltene Farbigkeit und - psychologische Klarheit, die Gabe eines unserer _feinsten - Dichter_.« - - (Hamburger Nachrichten) - - * - - Die Insel - - Geschichten aus dem Winkel. -- 5. Tausend. - - »Sieben _feine, kleine Geschichten_, anmutig in ihrer schlichten, - zu Herzen gehenden Art, eine Insel, auf die wir uns flüchten wollen - in den Wirren dieser Zeit. Die Naturschilderungen, die nicht - breit und platznehmend, dennoch vielfach im Vordergrund stehen, - sind von _schöner Kraft_. Die Skizzen sind _liebevoll ausgeführt_ - und haben zumeist einen Humor, der welterkennend lächelnd über - den Dingen steht.« - - (Eva Duncker im »Abendblatt«, Berlin) - - * - - Nachwuchs - - Roman. -- 5. Tausend. - - »In eigenartiger Weise behandelt Max Dreyers neues Buch das - Problem, das nach einem an Blutopfern überreichen Kriege für jedes - Volk das wichtigste ist: Die Frage nach dem Ersatz für alle die - Jünglinge und Männer, die ihr Leben dem Vaterlande hingegeben - haben. _Kräftiger Realismus vermählt sich in dem packend - geschriebenen Roman mit einer den feinsten Seelenregungen - nachspürenden psychologischen Kunst._« - - (Hannov. Courier, Hannover) - - - Vom gleichen Verfasser erschienen - früher in demselben Verlag - - Der deutsche Morgen - - Das Leben eines Mannes - 15. Tausend. - - * - - Ohm Peter - - Roman - 18. Tausend. - - * - - Lautes und Leises - - Ein Geschichtenbuch - 11. Tausend. - - * - - Strand - - Ein Geschichtenbuch - 3. Auflage. - - Einen ausführlichen Prospekt über die Werke von _Max - Dreyer_ liefert jede Buchhandlung oder der Verlag - kostenlos. - - - Anmerkungen zur Transkription - -Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. -Offensichtliche Fehler wurden stillscheigend korrigert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 20]: - ... ihn unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ... - ... ihm unter den Brüdern seinen Wert und sein Gepräge. ... - - [S. 27]: - ... warm. In diesem und jenen Frauenauge glänzte es ... - ... warm. In diesem und jenem Frauenauge glänzte es ... - - [S. 51]: - ... -- es löste sich ihm all in die lichte Unendlichkeit dieser ... - ... -- es löste sich ihm alles in die lichte Unendlichkeit dieser ... - - [S. 94]: - ... Die Widersprüche stürzen nur so über ihn. Er blieb ... - ... Die Widersprüche stürzten nur so über ihn. Er blieb ... - - [S. 98]: - ... Diener -- der ihm ein Vermögen kostet -- ist ein alter ... - ... Diener -- der ihn ein Vermögen kostet -- ist ein alter ... - - [S. 102]: - ... auch nichts getan«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ... - ... auch nichts getan?«, fragt sie sorgend und hilfsbereit. ... - - [S. 237]: - ... in dieser Gegend.« ... - ... in dieser Gegend?« ... - - [S. 298]: - ... ich hab es geknipst --« ... - ... -- ich hab es geknipst --« ... - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR *** - -***** This file should be named 57872-8.txt or 57872-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/7/57872/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. 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If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. 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Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. 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LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. 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It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/57872-h/57872-h.htm b/57872-h/57872-h.htm index a9b6a4d..8328f0d 100644 --- a/57872-h/57872-h.htm +++ b/57872-h/57872-h.htm @@ -111,42 +111,7 @@ div.centerpic { text-align:center; text-indent:0; display:block; } <body> -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Die Siedler von Hohenmoor - Ein Buch des Zornes und der Zuversicht - -Author: Max Dreyer - -Release Date: September 9, 2018 [EBook #57872] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR *** - - - - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57872 ***</div> <div class="frontmatter"> @@ -17885,379 +17850,7 @@ Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Die Siedler von Hohenmoor, by Max Dreyer - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SIEDLER VON HOHENMOOR *** - -***** This file should be named 57872-h.htm or 57872-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/7/57872/ - -Produced by The Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. 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If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. 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Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. 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