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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 ***
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+ Erinnerungen einer Überflüssigen
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+ Lena Christ
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+ Erinnerungen einer Überflüssigen
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+ Albert Langen, München
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+ Copyright 1912 by Albert Langen, Munich
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+Oft habe ich versucht, mir meine früheste Kindheit ins Gedächtnis
+zurückzurufen, doch reicht meine Erinnerung nur bis zu meinem fünften
+Lebensjahr und ist auch da schon teilweise ausgelöscht. Mit voller
+Klarheit aber steht noch ein Sonntagvormittag im Winter desselben Jahres
+vor mir, als ich, an Scharlach erkrankt, auf dem Kanapee in der
+Wohnstube lag; es war dies der einzige Raum, der geheizt wurde.
+
+Der Großvater war in seinem geblumten Samtgilet, dem braunen Rock mit
+den silbernen Knöpfen und dem blauen, faltigen Tuchmantel in die Kirche
+vorausgegangen, während die Großmutter in dem schönen Kleide, das bald
+bläulich, bald rötlich schillerte, noch vor mir stand und mich ansah,
+wobei sie immer wieder das schwarze seidene Kopftuch zurechtrückte.
+Neben der Tür aber stand in Hemdsärmeln der alte Hausl und wollte eben
+den Sonntagsrock vom Nagel nehmen, als sich die Großmutter umdrehte und
+zu ihm sagte: »Geh, Hausl, bleib du heunt dahoam und gib aufs Kind
+Obacht und tus Haus hüten; i möcht aa amal wieda in d' Kirch geh'.«
+
+Darauf ließ der Hausl seinen Rock hängen und zog wieder seinen blauen,
+gestrickten Janker an, und die Großmutter ging zu dem Wandschränklein,
+das in die Mauer eingelassen war, nahm daraus das Weihbrunnkrügl und
+wollte gehen. In der Tür aber wandte sie sich noch einmal um und sagte
+zu mir: »Also, daß d' schö liegn bleibst, Dirnei; i bet scho für di, daß
+d' wieda g'sund wirst.«
+
+Als sie fort war, ging der alte Hausl in seine Kammer, sich zu rasieren.
+Da fiel mir ein, ich könnte wieder einmal zu unserer Nachbarin, der
+alten Sailergroßmutter, gehen. Geschwind stand ich auf und lief hinaus
+in den Schnee und vor ihr Haus. Ich fand aber die Tür zugesperrt und
+niemanden daheim; denn sie waren alle in der Kirche. Und da ich nun
+lange im Hemd und dem roten Flanellunterröckl barfuß im Schnee gestanden
+war und vergebens gewartet hatte, schlich ich wieder heim; denn es war
+bitter kalt. Als der Hausl mich kommen sah, machte er ein ganz
+entsetztes Gesicht und kopfschüttelnd nahm er mich auf den Arm und legte
+mich wieder nieder. Alsbald fiel ich in ein heftiges Fieber und soll
+darauf viele Wochen krank gelegen sein, und man hat geglaubt, daß ich
+sterben müßte. Aber der Großvater hat mich gepflegt, und so bin ich
+wieder gesund geworden.
+
+Der Großvater nämlich verstand sich auf alles, und wo man im Dorf eine
+Hilfe brauchte, da wurde er geholt. Er war Schreiner, Maurer, Maler,
+Zimmermann und Kuhdoktor, und manchmal hat er auch dem Totengräber
+ausgeholfen. Und weil er so überall zur Hand war, hieß man ihn den
+Handschuster, und der Name wurde der Hausname und ich war die
+Handschusterleni.
+
+Der Großvater war bartlos und groß und gerade gewachsen und hatte trotz
+der mannigfachen schweren Arbeit schlanke schöne Hände. Die hab ich in
+späterer Zeit oft betrachtet, wenn er am Abend auf der Hausbank saß und
+über irgend etwas nachdachte.
+
+Er war überhaupt anders als die Leute im Dorfe; denn er sprach wenig,
+ging nicht ins Wirtshaus und war bei keiner Wahl, wie er auch sonst
+allem öffentlichen Wesen fern blieb. Statt dessen erzählte man, daß er
+oft im Verborgenen geholfen habe; und wo einem Armen das Haus abgebrannt
+war, da habe er beim Aufbau mit zugegriffen, ohne lang nach dem Lohn zu
+fragen.
+
+Damals, im Frühjahr nach meiner Krankheit, war es nun mein größtes
+Vergnügen, mit ihm auf dem Wagen, vor den unser Ochs gespannt war, aufs
+Feld hinauszufahren. Von den Äckern, die auf den Höhen rings um das Dorf
+lagen, konnte man die fernen Berge sehen, und der Großvater sagte mir
+von dem höchsten, daß es der Wendelstein sei.
+
+Während er nun pflügte oder säete, brockte ich Blumen und betrachtete
+sie und die Welt dahinter durch bunte Scherben, die ich vor dem Hause
+des Glasers aufgelesen hatte; oder ich lief mit dem Sturm über die
+Wiesen und suchte ihn zu überschreien.
+
+Abends auf dem Rückweg setzte mich dann der Großvater rittlings auf den
+Ochsen, und so sah ich schon von weitem die bläulichen Rauchwölklein
+über unserem Dache, die uns anzeigten, daß die Abendsuppe schon auf dem
+Feuer stand.
+
+Waren wir daheim angekommen, so sprang ich rasch in die Küche, steckte,
+wenn die Großmutter in der Speis war, die Nase in alle Hafen und Tiegel,
+zu sehen, was es Gutes gäbe, und lief dann hinter dem Großvater drein,
+der vom Hausflöz durch den Stall in die Scheune ging, dort die
+Ackergeräte verwahrte und hierauf in dem Schuppen Holz für den Herd
+herrichtete. Ich tummelte mich derweilen in der Tenne, die wie der Stall
+und Schuppen an das kleine, freundlich mit bläulicher Farbe getünchte
+Wohnhaus angebaut war und mit ihm unter einem Dache stand, das sauber
+mit Holzschindeln eingedeckt und mit Felsblöcken beschwert war. Rings um
+das Häuschen zog sich ein saftiger Grasgrund, und von den Fenstern der
+Wohnstube, an denen reichblühende Geranien und Menschenleben standen,
+sah man im Sommer ein zierliches Gemüsegärtlein, dessen Beete mit
+feurigen Nelken, Dahlien, fliegenden Herzlein und buschigen
+Rosensträuchern eingefaßt waren. Am Eingang des Gärtleins stand ein
+großer Rosmarinstrauch, den der Großvater bei seiner Heirat selbst
+gepflanzt hatte.
+
+Von der Tenne nun schlüpfte ich des öftern in den Hühnerstall und
+durchsuchte ihn nach Eiern. Besonders als Ostern nicht mehr fern war,
+trieb es mich immer wieder dahin; denn um diese Zeit gab es unter uns
+ein großes Vergnügen, das Oarscheiben. Da zogen alle Kinder des Dorfes
+zu den großen Bauernhöfen, und dort wurden wir bewirtet und bekamen
+G'selchts, Osterbrot und bunte Eier. Diese aber wurden nicht gegessen,
+sondern zum Oarscheiben aufgehoben. Dabei teilten wir uns in zwei
+Parteien, und die einen standen hüben, die anderen drüben; dazwischen
+aber waren in schräger Lage zwei Rechen aneinander gelegt, und auf
+dieser Bahn ließen wir unsere Eier hinunterrollen. Die Partei nun, auf
+deren Seite das Ei fiel, hatte es gewonnen, und wo am Schluß die meisten
+Eier lagen, war der Sieg. Freilich begann dann oft erst der eigentliche
+Kampf, und die Eier, die zuvor gerollt waren, flogen jetzt.
+
+Während aber die andern sich noch rauften, sammelte ich, ohne mich
+besonders sichtbar zu machen, mit flinker Hand die also zu Waffen
+gebrauchten Eier und lief alsdann mit meinem vollen Schürzlein heim, wo
+ich dem Großvater die Beute vor die Füße kugeln ließ.
+
+Da gab's dann andern Tags ein gutes Gericht, den Oarsülot, zu dessen
+Bereitung ich schon am frühen Morgen mit der Großmutter den
+wildwachsenden Feldsalat von einer nahen Anhöhe brocken mußte, während
+der Großvater derweil daheim die Eier fein zerhackt und zerrührt hatte,
+was er alle Ostern selber tat, da keins ihm dies Geschäft recht machen
+konnte.
+
+Auch sonst war er oft in der Küche draußen und half der Großmutter Rüben
+schälen oder Semmeln schneiden für die Alltagskost, die Knödel; denn
+diese durften keinen Tag fehlen. Auch am Sonntag kamen sie, freilich
+viel größer und schwärzer, als Leberknödel auf den Tisch.
+
+Das Wasser, in dem die Knödel, die neben ihrer Schmackhaftigkeit auch
+noch den Vorzug der Billigkeit hatten, gesotten wurden, wurde bei uns
+nie weggeschüttet, sondern in einer großen bemalten Schüssel
+aufgetragen. Dazu stellte die Großmutter ein Pfännlein mit heißem
+Schmalz und braunen Zwiebeln und im Sommer auch ein Schüsselchen voll
+Schnittlauch. Der Großvater langte dann den von der Mutter
+selbstgebackenen Brotlaib, der mittels unseres großen Hausschlüssels
+ringsum mit einem Kranz von ringförmigen Eindrücken verziert war, aus
+dem Wandschränklein und begann langsam und bedächtig Schnittlein um
+Schnittlein in die Brüh zu schneiden. Danach goß er die Schmelz darüber,
+würzte gut mit Salz und Pfeffer und rührte mit seinem Löffel etliche
+Male um. Alsdann sagte er: »So Muatta, jatz ko'st betn.«
+
+Fleisch kam bei uns nur zu ganz besonderen Gelegenheiten auf den Tisch,
+und selbst am Sonntag genügten meinen Großeltern die Leberknödel mit dem
+Tauch, einem Gemüse von Dotschen, Rüben oder Kohlraben. Nur der
+Großvater erhielt als Feiertagsmahl ein Stück gesottenes Rindsfett, das
+er gesalzen und gepfeffert nur mit einem Stücklein Brote aß.
+
+An Ostern aber ließen sich's die Großeltern nicht nehmen, ein
+ordentliches Stück Geselchtes und dazu noch einen Tiegel voll von unserm
+selbstgemachten Kraut aufzustellen, nebst einem Körblein Eier, die samt
+dem mit viel Zyperben und Weinbeerln gebackenen Osterbrot schon in der
+Früh des Ostertags vom Großvater zur Weih' getragen wurden.
+
+Auch sonst gab's allerlei Vergnügungen und Kurzweil für die Großen und
+die Kleinen, und es war auch um die Osterzeit, daß die Kinder, die
+ungefähr in meinem Alter waren, anfingen, etwas Heimliches untereinander
+zu treiben. Der Schlosserflorian und die Ropferzenzi hatten im Stall bei
+der Wagnerin die Zicklein angeschaut, und hierbei hatte der Florian der
+Zenzi, die vor ihm hockte, unter den Rock gesehen und hatte ihr darauf
+auch etwas gewiesen. Dabei überraschte sie die Wagnerin, und alsbald
+wußte es das ganze Dorf. Die Kinder aber, die fünf- und sechsjährigen,
+hatten nichts anderes zu tun, als dies sofort nachzuahmen, und alsbald
+saßen auf den Heuböden oder hinter der Planke vom Huberwirt die Pärlein
+im Gras und betrachteten einander.
+
+Diese Vorfälle wurden nun von einem alten, frommen Fräulein dem Herrn
+Pfarrer hinterbracht, der dann am darauffolgenden Sonntag von der Kanzel
+herab wetterte über die Zuchtlosigkeit der Eltern, die nicht acht gehabt
+hätten auf das Heiligste der Kinder, auf ihre Unschuld. Viele von den
+Eltern hatten es aber in der Sorge um das Ihre übersehen, manche wohl
+auch übersehen wollen.
+
+Mit dem beginnenden Sommer fingen wir an, zu fischen. Da suchte man sich
+einen Stecken; daran wurde eine alte Gabel gebunden und mit ihr nach den
+Dollen oder Mühlkoppen, die sich im Bach unter Steinen, Scherben oder
+alten Häfen verborgen hielten, gestochen. Mit dem Stecken wurde der
+Stein zur Seite geschoben, und wenn der Fisch hervorschoß, wurde er
+angespießt. Ich war nun so geschickt, daß ich sie auch mit der Hand
+fangen konnte. Da nahm ich den Rock auf, stieg in den Bach hinein,
+bückte mich, tauchte vorsichtig den rechten Arm ins Wasser und näherte
+mich mit der Hand dem Fisch, bis er zwischen meinen Fingern stand; dann
+griff ich rasch zu. Gegen Abend trugen wir dann in einem alten Hafen den
+ganzen Fang heim. War die Großmutter im Stall, so schlug ich in der
+Küche die Fische mit einem Stein auf den Kopf, nahm heimlich Schmalz aus
+der Speisekammer und warf die Fische, nachdem ich noch schnell Salz,
+Mehl und ein paar Eier darangetan, in eine Pfanne. Die gebratenen Dollen
+brachte ich dann hinaus vors Haus, wo die anderen Kinder im Gras saßen
+und warteten. Unter dem Essen wurde nun erst die Schwimmblase und was
+sonst noch im Innern des Fisches war, mit dem Finger herausgeholt.
+
+Einmal freilich wäre ich beim Fischen beinah ertrunken, und das kam so:
+Da hat die Großmutter mit unserer Nachbarin, der alten Sailerin, die
+sehr schwerhörig war, Wasch g'schwoabt, d. i. Wäsche im Bach gespült.
+Als sie beide mit dem schweren Zuber davongingen, rief mir die
+Großmutter zu: »Lenei, daß d' fei du dahoam bleibst und ja net abi gehst
+am Bach, net daß d' eini fallst und dasaufst.«
+
+Ich aber nahm, dem Verbot zum Trotz, meinen Stecken mit der Gabel und
+einen großen Hafen und schlich leise hinterdrein.
+
+Die Großmutter und die Sailerin hatten sich auf die große Waschbank, die
+in den Bach hineingebaut war, gekniet und wuschen und hörten bei dem
+Rauschen des Wassers nicht, wie ich mich hinter ihrem Rücken auf die
+Waschbank legte. Kaum hatte ich mit meinem Stecken einen Stein zur Seite
+gerückt, als schon ein großer Dollen herausfuhr. Ich ziele und steche
+mit der Gabel zu; aber die war nicht festgebunden und rutscht ab.
+Inzwischen war der Fisch zur Seite geschnellt und blieb nahe dem Ufer
+über dem Sand stehen. Mir schien die Stelle seicht genug, um ihn jetzt
+mit der Hand fangen zu können. Ich stülpe also meinen Ärmel auf, strecke
+den Arm aus und will den Fisch fassen, versinke aber mit der Hand tief
+in den weichen Ufersand; dabei verliere ich das Gleichgewicht und stürze
+in den Bach, jedoch so, daß die Füße noch auf der Waschbank blieben. Den
+Kopf unter Wasser zerre und zapple ich so lange, bis ich die Füße
+nachziehen konnte. Derweilen hatte mir aber das Wasser schon alle Kraft
+genommen, und trieb mich nun unter der Waschbrücke hindurch grad unter
+die Hände meiner Großmutter.
+
+»Jess', Mariand Josef, insa Lenei!« schrie sie und ließ das Wäschestück
+fahren, packte die alte Sailerin am Arm, schüttelte sie heftig und
+schrie ihr ins Ohr: »He, Soalerin, hilf, insa Lenei datrinkt!«
+
+Darauf zogen sie mich heraus und führten mich heim.
+
+Als der Großvater mich sah, meinte er: »Aba Lenei, gel, jetz hast es;
+wie leicht kunntst dasuffa sei!«
+
+Der Hausl aber, der auf dem Kanapee saß, spottete: »Gel, bist in Bach
+einig'falln, du Schliffi!«
+
+Der Hausl, Balthasar Hauser, wie er eigentlich hieß, war im Übrigen mein
+guter Freund. Im Dorf war er freilich wenig beliebt, weil er recht
+barsch war und ein großer Geizhals. Ging er umher, so streckte er die
+Arme weit hinter sich hinaus; denn er war schon ganz krumm und alt. Er
+lebte bei den Großeltern im Austrag und bewohnte die an unsere Wohnstube
+anstoßende Kammer. Darin hatte er aus der Mauer ein paar Ziegelsteine
+herausgebrochen, das Loch ausgemauert und vor die Öffnung als Tür ein
+dickes Brettlein gemacht, das in Scharnieren hing und an das der
+Schlosser ein Schloß hatte anbringen müssen. In diesen Behälter tat er
+sein Geld und seine Kostbarkeiten, schmierte das Türlein mit Kalk zu und
+machte mit einem Farbstift einen winzigen Punkt an die Stelle, wo sich
+das Schlüsselloch befand. So glaubte er seine Habe erst sicher vor den
+Menschen, denn außer mir wußte niemand um diesen geheimen Ort. Wenn er
+nun einige Pfennige brauchte, wie an den Sonntagen zum Bier, so ging er
+in seine Kammer, zog die Vorhänge zu, kratzte mit einem Messer den Kalk
+vom Schlüsselloch, und sobald er das Wenige, das er jeweils brauchte,
+herausgenommen hatte, strich er alles wieder zu und machte einen neuen
+Punkt. Das Häflein mit dem Kalk bewahrte er unter dem Bett auf, das
+Nachtgeschirr darübergestürzt. Damit nun nicht etwa jemand diese Dinge
+fände, putzte er selbst seine Kammer und machte sein Bett. Auch wusch er
+selber seine Wäsche; denn er fürchtete, der Großmutter etwas zahlen zu
+müssen; und zwar wusch er immer nur ein Stück, hängte es darauf in die
+Sonne und setzte sich dazu, damit es ihm nicht etwa gestohlen wurde. Kam
+ich an solchen Tagen und sagte: »Hausl, geh mit mir furt!«, so zeigte er
+auf sein Sacktüchl und sagte: »Wart a bißl, bis mei Schneuztüchl trucka
+is.«
+
+Außer ihm waren bei meinen Großeltern noch Kostkinder im Hause, die die
+Großmutter aufzog.
+
+Sie war eigentlich nicht meine rechte Großmutter, sondern nur die
+Schwester derselben. Meine leibliche Großmutter habe ich nicht gekannt;
+sie war schon lange tot. Von ihr hat mir die Großmutter im Winter, wenn
+sie mit der alten Sailerin und der Huberwirtsmarie am Spinnrad saß, viel
+erzählt. Sie sei eine sehr böse Frau gewesen, im ganzen Ort gefürchtet,
+und alle Leute seien froh gewesen, als sie endlich mit achtunddreißig
+Jahren gestorben sei. Sie hatte lange an Magen- und Leberkrebs gelitten;
+darum hatte ihre Schwester schon bei ihren Lebzeiten das Hauswesen beim
+Großvater geführt und die Kinder erzogen. Eigentlich aber war sie eine
+Nähterin.
+
+Als nun der Großvater Witwer war, wollte er die Schwägerin heiraten; da
+sie aber in ihrer Jugend Mitglied und später Präfektin des weltlichen
+dritten Ordens des heiligen Franziskus geworden war, mußte er deswegen
+sich an den Papst wenden, der ihr unter der Bedingung Dispens erteilte,
+daß sie mit ihrem Manne eine sogenannte Josephsehe führe, das heißt, die
+gelobte Keuschheit bewahre. Daher kam es wohl auch, daß der Großvater
+sie immer mit großer Achtung behandelte und ihr niemals ein böses Wort
+gab. Nur einmal war eine Geschichte:
+
+Von unsern Kühen gab eine, das Bräundl, zu wenig Milch. Da nahm sich der
+Großvater vor, sie nach Holzkirchen auf den Markt zu führen und gegen
+eine bessere umzutauschen. Obwohl nun die Großmutter dagegen war, hat er
+sie doch fortgetrieben und dafür eine wunderschöne, schwarzfleckige Kuh
+heimgebracht.
+
+Als sie nun das erstemal von der Großmutter gemolken wurde, gab auch sie
+nur ein paar Liter Milch. Da meinte man, es komme von der Anstrengung;
+aber es wurde nicht besser. Als sie nach ungefähr einer Woche nicht mehr
+als fünf Liter Milch gab, während wir sonst von unsern Kühen zehn bis
+zwölf Liter hatten, ward die Großmutter sehr ärgerlich und fing an, mit
+dem Großvater zu streiten und sagte: »Da hättst aa nix Bessers toa
+könna, als wie dös Viech daher bringa; hättst halt's Bräundl g'haltn.
+Bringst da so an Ranka daher, der oan's Fuada wegfrißt und für nix guat
+is.«
+
+Da wurde der Großvater zornig: »Sei stad! Was vastehst denn du, du
+Rindviech! Dös ko i da Kuah net o'sehgn, daß koa Milli gibt bei so an
+Trumm Euter. Na weis i's halt wieder furt in Gott'snam', daß d' an Ruah
+gibst, alt's Rindviech.«
+
+Darauf erwiderte die Großmutter nichts, sondern ging in die Kuchl
+hinaus.
+
+Als sie aber beim Nachtessen das Tischgebet sprach, fing sie plötzlich
+beim Vaterunser an ganz laut zu schluchzen und lief hinaus. Da sprach
+ich das Gebet zu Ende und sagte darauf zum Großvater: »Gel, jetz hast
+es, weilst so grob bist. Warum greinst denn a so, wo's es net braucht!
+Mei Großmuatta is brav, und balst es no amal schimpfst, nacha mag i di
+nimma!«
+
+Darauf sagte der Hausl, der auch mit uns aß: »Woaßt, Handschuasta, dös
+sell muaß i selm sagn; da hast an schlechtn Tausch g'macht. Da hat d'
+Handschuasterin scho recht, und i moan, dösmal warst du's Rindviech
+g'wen.«
+
+Diese Rede freute mich, und ich ließ das Essen stehen, lief zur
+Großmutter in die Küche, setzte mich auf ihren Schoß und sagte:
+»Großmuatterl, sei stad und woan nimma. Der Großvata is dir scho wieda
+guat und der Hausl sagt's aa, daß der Großvata 's Rindviech is. Jatz
+weist er d' Kuah wieder furt und kaaft dir a andere. Und i hab's eahm
+scho g'sagt, er darf di nimma ausgreina.«
+
+Da nahm sie mich um den Hals und sagte: »Du bist halt mei Brave, gel
+Lenei.«
+
+Darauf aß ich mit ihr draußen in der Küche zur Nacht, zog sie danach
+wieder in die Stube und rief: »So Großvata, jatz is dir d' Großmuatta
+wieda guat und woant nimma; jatz muaßt aba versprecha, daß d' es wieda
+magst und nimma greinst.«
+
+Da lachte er: »No, in Gottsnam, Hex, na mag i 's halt wieda.«
+
+In der Nacht hab ich zwischen ihnen beiden geschlafen und hab ein jedes
+bei der Hand genommen und ihnen die Hände gedrückt und sie festgehalten.
+
+Auf einmal fängt die Großmutter aufs neue zu schluchzen an: »Naa, i ko's
+net vergessn, was d' g'sagt hast, wo i dir g'wiß a bravs, rieglsams Wei'
+g'wen bin.«
+
+»Stad bist ma!« erwiderte der Großvater. »Bevor i harb wer'. Dös ko an
+jedn passiern; geh nur und kaaf du ei!«
+
+Jetzt wurde ich wild, stieß den Großvater mit Füßen, schopfte ihn bei
+den Haaren und schrie: »Jatz werd's ma z' dumm! Jatz laß d' mei
+Großmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der Münkara
+Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!«
+
+Darauf mußte sich die Großmutter in die Mitte legen und ich legte mich
+hinaus. Der Großvater aber lachte: »Geh, schlaf, du Nachtei!«
+
+Am andern Tag in der Früh fragte ich gleich die Großmutter: »Is er dir
+wieda guat, der Vata?«
+
+»Ja,« erwiderte sie, »mir san scho guat.«
+
+Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch
+drei oder vier Tage fort.
+
+Die Kuh aber hat der Großvater an den Huberwirt verkauft und dafür vom
+Schneider zu Balkham eine wunderschöne, trächtige heimgebracht.
+
+Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der
+Münkara Muatta, das heißt zu meiner Mutter in München, zu gehen, die ich
+übrigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden hören.
+Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Großmutter, darin die Mutter
+schrieb, daß sie bald kommen würde, uns zu besuchen.
+
+Da sagte mein Großvater zu mir: »Dirnei, jatz muaßt brav sei, d' Münkara
+Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst
+es von der Bahn abholn.«
+
+Ich glaubte natürlich, meine Münkara Muatta käme schon am selben Tag, an
+dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuß und ohne Hut oder
+Tüchl gegen die Sonnenhitze, es war im Spätsommer, fort und lief, so
+schnell ich konnte, über die Brücke den Berg hinauf durch Felder und
+Wiesen über Schloß Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstraße, die
+gen Grafing führt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief
+durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und
+unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des
+Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, daß hier ein
+Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da fürchtete ich mich so sehr, daß
+ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu rühren vermochte.
+
+Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem kürzesten Weg nach
+Grafing fragten. Da löste sich meine Angst und indem ich rief: »Oes
+derfts grad dera Straßn nachfahrn!« stürmte ich schon an den Herren, die
+von ihren Rädern abgestiegen waren, vorbei und lief, so rasch mich meine
+Füße trugen, bis nach Moosach, dem nächsten größeren Dorfe. Dort bat ich
+eine Bäuerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen
+Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: »Wo
+kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?«
+
+»I geh auf Grafing und geh meiner Münkara Muatta z'gegn.«
+
+Sie mahnte noch: »Gel, tua di fei net volaafa, Kind!« und begleitete
+mich bis unter die Haustür. Mit einem lauten: »Gelt's Gott!« und »Pfüat
+Gott, Bäuerin!« lief ich wieder weiter, die Straße über Waldbach,
+Baumhau, den großen Untersumpf entlang nach Grafing.
+
+Schweißtriefend und keuchend kam ich ungefähr um sieben Uhr abends dort
+am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: »Bitt schön, wißt's ös net,
+wenn daß der Zug vo' Münka kimmt?«
+
+Der aber meinte, vor acht Uhr käme keiner mehr; denn der letzte sei um
+fünf Uhr schon gekommen.
+
+Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: »Habt's ös mei Münkara
+Muatta net kemma sehgn?«
+
+Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wußte
+nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich stürmte über
+den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die
+grad ausgestiegen war und fragte sie: »Bist du mei Münkara Muatta?«
+
+Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen hörte ich rufen: »Personenzug
+über Kirchseeon, Haar, Trudering nach München!« Da wurde es mir klar,
+daß es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und
+wartete, bis der Achtuhrzug aus München kam. Da stiegen aber nur einige
+Männer aus und ich mußte mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon
+ziemlich dunkel geworden war.
+
+Ich fing nun wieder an zu laufen, zurück durch den Wald und den Sumpf.
+
+Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah plötzlich, daß ich
+mich verirrt hatte.
+
+Nach einem langen Umweg kam ich über Bruck nach Wildenholzen. Es ist das
+ein kleines, wundernettes Örtlein am Fuß eines schönen, bewaldeten
+Bergabhanges.
+
+Ganz erschöpft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich
+nicht rasten dürfe und wie weit ich wohl noch hätte bis zu meinem
+Großvater.
+
+»Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei
+ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm
+eina, na kriagst was z'essn.«
+
+Ich konnte vor Müdigkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur
+schlecht schlafen. Schreckliche Träume verfolgten mich und ich meinte in
+den Sumpf geraten zu sein und versinken zu müssen.
+
+Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich
+der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen.
+
+In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni.
+Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende Bäuerin, die auch
+einen großen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von
+Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die
+Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden.
+
+Die Nanni führte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Großeltern.
+Diese hatten mich die ganze Nacht in Ängsten gesucht und beweinten mich
+schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde.
+
+»Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!«
+
+Ohne einen Laut fiel ich dem Großvater in die Arme. Da sah man erst, daß
+ich ganz heiß und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentzündung, von der
+ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen später meine Mutter
+wirklich kam.
+
+Da trat eine große Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiß
+karierten Kleide über einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug
+sie einen weißen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauß
+von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand
+und sagte nur: »Bist auch da!«
+
+Als sie am nächsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der
+Großvater: »No, Dirnei, magst nachha eini zu der Münkara Muatta in d'
+Stadt?«
+
+Da umhalste ich ihn, schüttelte den Kopf und sagte schnell: »Naa, naa!«
+
+So durfte ich denn noch beim Großvater bleiben und wie zuvor mit ihm
+gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte.
+
+In diesem Herbst war es nun, daß wir einmal zum Ausweißen gingen. Und
+als der Großvater bei der Arbeit war, schickte er mich wieder heim. Mein
+Weg führte mich am Obstgarten des Herrn Pfarrers vorbei, darinnen ich
+schon auf dem Hinweg einen großen Apfel hatte liegen sehen. Als ich
+jetzt wieder vorüberkam, suchte ich nach einer Zaunlücke, schlupfte
+hindurch und kroch auf allen Vieren durchs Gras und holte mir den Apfel.
+Da ich noch einen zweiten liegen sah, aß ich diesen sogleich und nahm
+den schöneren mit heim, um meiner Großmutter eine Freude zu machen.
+
+»Großmuatterl, da schaug her,« rief ich, »i hab dir was mitbracht; an
+schön'n Apfel vom Herrn Pfarrer!«
+
+Da hatte die Großmutter eine rechte Freude; denn sie meinte, der Herr
+Pfarrer habe ihn mir geschenkt.
+
+»Bist halt mei bravs Lenei; vergunnst deiner Großmuatta aa ebbas.«
+
+Unter diesen Worten schälte sie den Apfel und schabte ihn; denn sie
+hatte fast keinen Zahn mehr im Munde.
+
+»Ah, der is aba guat! Hättst'n net liaba selba gessn, Dirnei?«
+
+»A naa, Großmuatta, i hab ja scho oan g'habt.«
+
+Ein paar Stunden später sah ich den Herrn Pfarrer daherkommen. Da rührte
+sich mein schlechtes Gewissen, und ich hab mich hinter die Stiege
+verschloffen. Inzwischen war meine Großmutter in den Hausgang oder Flöz
+hinausgegangen, und jetzt seh ich, wie der Herr Pfarrer richtig zu ihr
+hereingeht und sagt: »Liebe Handschusterin, leider hab ich sehen müssen,
+daß Ihr Enkelkind, das Lenei, ein paar Äpfel in meinem Garten aufhob und
+damit davonlief. Hört, Handschusterin: es ist mir nicht um die paar
+Äpfel; aber die Begierde hätte das Kind bezähmen sollen. Hätte das Lenei
+mich gebeten, ich hätt' ihr mit Freuden etliche geschenkt.«
+
+Nach diesen Worten trat der Herr Pfarrer ins Zimmer und unterhielt sich
+noch längere Zeit mit der Großmutter. Ich aber lief, was ich laufen
+konnte, nach Westerndorf zu meiner Nanni. Ich wollte auch zur Nacht
+nicht mehr heim, weil ich Strafe fürchtete; doch hat mich die Nanni
+schließlich überredet und heimgebracht. Ich hätte aber nicht so viel
+Angst zu haben brauchen; denn der Großvater hat mich verstanden. Und als
+die Großmutter anfangen wollte zu schimpfen, fiel er ihr ins Wort: »Stad
+bist ma! Nix sagst ma übers Kind; hat's dir 'n vielleicht net bracht? I
+sags allweil, 's Lenei hat a guats Herz!«
+
+Da mußte die Mutter still sein. Später einmal traf mich der Herr Pfarrer
+und sagte: »Liebes Kind, ich hätte dir ganz gerne einen Apfel geschenkt,
+wenn du mich darum gebeten hättest. Aber selbst aufheben durftest du dir
+keinen; denn das nennt man Stehlen.«
+
+Neben der Arbeit im Haus, Garten und Stall hat die Großmutter Mieder
+genäht und war weit und breit wegen ihrer Geschicklichkeit darin berühmt
+und gesucht.
+
+Nun kam da zwei- oder dreimal im Jahr ein Mann aus Schwaben, der zog von
+Dorf zu Dorf mit seiner Kirm auf dem Rücken und gab für Haderlumpen den
+Leuten Nähnadeln, Steckklufen, Fingerhüte, Maßbandln und den Kindern
+Fingerringe. Meiner Großmutter aber gab er für die alten Flicken und die
+Abfälle von den Miedern neue Miederhaken und Schlingen, die er Moidala
+und Schloipfala nannte. Einmal waren ihm nun die Miederhaken
+ausgegangen, und als ihn die Großmutter fragte: »Hast heunt gar koani
+Miadein?« sprach er: »Noi, gar koine Moidala geits mehr; lauta
+Schloipfala kannscht mehr haba.« Damit wollte er zugleich sagen, daß es
+jetzt gar keine braven Mädeln mehr in den Dörfern gebe und die meisten
+sogenannte Schloapfen, das will sagen leichtfertige Wesen seien, die auf
+jedem Tanzboden herumschleifen und die jeder leicht haben kann.
+
+Zu all dieser Arbeit zog die Großmutter, wie ich schon sagte, Kostkinder
+auf, welche die Gemeinde ihr wegen ihrer Gewissenhaftigkeit und
+Sauberkeit übergab. Es waren dies Kinder von Bauerndirnen, von ledigen
+Gemeindeangehörigen, die wer weiß wo weilten und ihre Kinder der
+Gemeinde aufbürdeten; aber auch Kinder von Gauklern, die diese einfach
+den Leuten vor die Tür legten.
+
+So war es auch einmal um die Weihnachtszeit. Draußen lag tiefer Schnee,
+und wir saßen in der Wohnstube beisammen und jedes hatte seine
+Beschäftigung: der Großvater band einen Besen, die Großmutter spann und
+der Hausl baute mir ein Haus aus großen Holzscheiten. Da klopft es mit
+einem Male ans Fenster. Erschreckt schreit die Großmutter auf; der
+Großvater aber geht hinaus, zu sehen, wer so spät noch Einlaß begehrt.
+Er sperrt auf und tritt vor die Tür; im gleichen Augenblick aber hören
+wir ihn rufen: »Heiliges Kreuz! a Kind!«, und herein bringt er ein
+kleines Bündel und legt's auf den Tisch. Die Großmutter springt auf und
+wickelt es aus. Da liegen zwei kleinwinzige Wesen vor ihr, und wie sie
+das eine nehmen will, kann sie es nicht heben, weil das andere auch mit
+in die Höhe geht. Als sie dann die Windeln aufmachte, sahen wir erst,
+daß die Kinder zusammengewachsen waren. Außen am Bündel war ein Papier
+befestigt; darin lagen die Taufscheine der Zwillinge und ein Brief des
+Inhalts, daß eine Seiltänzerin die Kinder geboren und bei der Geburt
+gestorben sei. Man habe von der Handschusterin gehört und bitte nun um
+Gottes willen um Aufnahme für die Kinder; die Gemeinde würde schon
+zahlen. Da sagte die Großmutter: »Um Gottes willen is aa was; auf die
+Mautschein geht's aa nimmer z'samm!«
+
+Und so behielt sie die armen Waislein. Als sie aber größer wurden und
+sitzen lernen sollten, fand man, daß die gewöhnlichen Stühlchen zu
+klein, eine Bank aber nicht für sie geeignet war; denn das Gesäß, mit
+dem sie seitlich zusammengewachsen waren, war nicht breiter als das
+eines Kindes; von den Hüften aufwärts aber nahmen sie den Raum von
+zweien ein. Also verfertigte ihnen der Großvater ein eigenes Stühlchen,
+sowie ein Bänklein mit einer runden Lehne, in das er zwei Löcher
+schnitt, das Bänklein polsterte und die Löcher mit Deckeln versah.
+Darunter stellte dann die Großmutter bei Bedarf zwei Nachthäflein. Auch
+alle Kleidungs- und Wäschestücke mußte sie eigens machen und das
+Süpplein gab sie ihnen nicht aus der gebräuchlichen Saugflasche, sondern
+nahm ein großes Glas und ließ einen zinnernen Deckel mit zwei Löchlein
+machen, durch die sie zwei lange Gummischläuchlein zog. Daran befestigte
+sie dann die Sauger.
+
+Als die Mädchen zwei Jahr alt waren, erkrankte eines von ihnen an
+Diphtherie, während das andere seltsamerweise ganz gesund blieb.
+
+Sieben Jahre hatten meine Großeltern diese Zwillinge bei sich, bis sie
+von der Gemeinde an den Besitzer einer Schaubude abgegeben wurden, der
+sie auf vielen Jahrmärkten herumzeigte.
+
+Doch nicht immer waren es Kinder solch armer oder heimatloser Leute;
+mitunter wurde auch eins von besserem Stand uns vor die Tür gelegt.
+
+So war eine reiche Dame in Rosenheim, die lange Zeit glücklich mit ihrem
+Manne, einem Doktor, gelebt hatte. Da ward sein Geist umnachtet und er
+vertat in kurzer Zeit all sein Gut. Zuletzt sperrte man ihn in ein
+Irrenhaus und wies die unglückliche Frau, die ihrer schweren Stunde
+entgegensah, von Haus und Hof. Dies brachte die Ärmste gleichfalls um
+den Verstand, und sie lief eines Nachts von Rosenheim fort und kam bis
+nach Ebersberg. Dort brachte sie in einem Schuppen das Kind, ein
+Mädchen, zur Welt. Sie hatte nichts, worein sie es wickeln konnte, und
+so zog sie ihren Rock aus, bettete das Würmlein hinein und band es mit
+ihren Strümpfen zusammen. In der Nacht machte sie sich wieder auf den
+Weg und lief, nun barfuß und nur halb bekleidet, bei bitterer Kälte,
+denn es war im Januar, fort bis in unser Dorf. Vor dem Haus des
+Bürgermeisters brach sie tot zusammen, und man brachte das Kindlein
+meiner Großmutter, die das erstarrte, halbtote Wesen wieder zum Leben
+brachte und aufzog.
+
+Auch das Kind eines katholischen Priesters hatten wir einmal in der
+Kost. Es war von einem schönen Mädchen, einer Müllerstochter, die von
+dem Unhold betört und in großes Elend versetzt worden war. Sie ertränkte
+sich, während der Geistliche seine Pfarrei verlassen und mehrere Jahre
+lang einen Strafposten bekleiden mußte. Zum Glück starb das Büblein
+bald; es hatte den ganzen Kopf voll großer Blutgeschwüre gehabt.
+
+Von den zwölf Kostkindern, die die Großmutter um diese Zeit aufzog,
+wuchsen zusammen mit mir die Urschl, der Balthasar, genannt Hausei, der
+Bapistei und die Zwillinge auf. Sie schliefen alle mit mir bei den
+Großeltern in der gemeinsamen großen Schlafkammer, die vier Fenster
+hatte. Mein Bett war auf der Seite, wo der Großvater schlief, während
+bei der Großmutter drüben das der Zwillinge stand. Nahe an ihrem Bett
+hatte die Großmutter die alte, buntbemalte Bauernwiege stehen. Daran war
+ein Ring und an diesem hing ein langes Band, das die Großmutter beim
+Schlafengehen um die Hand wickelte. An dem Bande zog sie nun leise, wenn
+das Kind unruhig war, und oft hörte ich, wenn ich nicht schlafen konnte,
+die ganze Nacht hindurch das leichte Knarren der Dielen. In die Wiege
+kam das Kleinste, außer es war ein anderes krank, das dann
+hineingebettet wurde. Darum lag die meiste Zeit der Bapistei darin; denn
+er war ein recht schwächliches, streitiges Kind. Mitunter nahm der
+Großvater der Großmutter das Bandl aus der Hand: »Geh, Muatta, laß mi
+hutschen; tua jetz a bißl schlafa!«
+
+Aber er konnte es nicht so leise, wie sie, und da schrie denn der
+Bapistei so lang, bis die Großmutter wieder das Bandl nahm.
+
+Das Kostgeld für jedes Kind war von der Gemeinde auf monatlich vier bis
+fünf Mark festgesetzt; trotzdem sorgte die alte Frau für sie wie für
+eigene. Sie war auch in der Krankenpflege sehr erfahren und hatte viele
+Hausmittel und wußte Krankheiten zu beschwören, was beim Landvolk unter
+dem Namen Abbeten bekannt ist.
+
+Als unser Bapistei durch das viele Schreien einen Nabelbruch bekommen
+hatte, heilte ihn die Großmutter auf folgende Weise: Sie suchte beim
+wachsenden Mond drei kleine Kieselsteine unter der Dachrinne und drückte
+jeden Abend beim Mondaufgang einen davon dem Kinde auf den Nabel, drehte
+ihn mit dem Daumen und sprach dazu:
+
+ »Bruch, ich drucke dich zu,
+ Geh du mit der Sonne zur Ruh;
+ Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit,
+ Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«
+
+Dann band sie das Steinlein mit einer Binde fest und gab dem Kinde einen
+heilkräftigen Tee. Nach einigen Tagen wurde der Bapistei wirklich
+gesund.
+
+Eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit sind die
+Sonntagnachmittage im Winter. Da hat die Großmutter mir vorgelesen aus
+uralten, heiligen Büchern und mir erzählt von gottseligen Leuten und
+deren wunderbarem Tod; hat mir Beispiele von der Hilfe unserer lieben
+Frau von Frauenbründl und Birkenstein erzählt und wundersame Gebete mir
+vorgebetet und mich gelehrt. Wenn sie dann beim Lesen eingenickt war und
+ich zu ihren Füßen auf dem Schemel saß, geschah es manchmal, daß ihr die
+alte Hornbrille von der Nase und in den Schoß fiel. Beim Erwachen wollte
+sie weiterlesen; da sie aber ohne Glas nichts sehen konnte, rückte sie
+das Buch immer näher an die Augen und griff endlich nach der Stelle, wo
+die Brille gesessen, um sie zurechtzurücken. Da merkte sie erst, daß sie
+ihr entfallen war.
+
+Oft geschah es auch, daß sie in der Eile die Brille auf die Stirn schob,
+wenn sie mit jemandem sprach. Wollte sie dann später etwas lesen, so
+suchte sie überall: »Habt's es denn nindascht g'sehgn? Woaß neam'd, wo i
+s' hing'legt hab? I find s' scho wieda net!«
+
+»Ja, was suachst denn, Muatta; was findst denn scho wieda net?« fragte
+dann der Großvater.
+
+»Ah, was wer i denn suacha! 's Augnglas!«
+
+»Jessas, Jessas! Hast es ja a so drobn am Hirn; bist da du dumm,
+Muatta!«
+
+Mit diesen Worten schob er ihr die Brille wieder auf die Nase.
+
+Ich hatte sie längst bemerkt; doch freute es mich, die Großmutter so
+ratlos zu sehen, und ich lief überall mit ihr herum und suchte.
+Kopfschüttelnd ging dann der Großvater in den Stall oder gegen Abend
+wohl auch auf den Heuboden, um für die Kühe das Gsott zu schneiden.
+
+Ich aber schlich mich in die Künikammer oder Königskammer, die zu
+betreten mir verboten war. Es war das die beste Stube des Hauses,
+angefüllt mit den Schätzen, die von den Ureltern auf uns gekommen waren;
+auch die Möbel darin stammten aus alter Zeit. Da standen zwei Truhen, an
+denen gar seltsame Figuren und Zierate zu sehen waren und darinnen der
+Brautschatz der Urgroßmutter lag. Es war dies ein bald bläulich, bald
+wie Silber schimmerndes Seidenkleid, ein köstliches, bunt und
+goldgesticktes Mieder, dazu eine goldbrokatene Schürze, in die leuchtend
+rote Röslein gewirkt und die mit alten Blonden besetzt war. Dabei lag
+eine hohe Pelzhaube, wie sie vor hundert Jahren die Bräute als Kopfputz
+trugen, und zwei Riegelhauben, eine goldene und eine schwarze, mit
+Perlen besetzt. Daneben stand ein Kästlein aus schwarzem Holz und mit
+Perlmutter eingelegt; darin lag das schwere, silberne Geschnür mit
+uralten Talern und einer kostbaren silbernen, neunreihigen Halskette und
+Ohrgehänge und silberne Nadeln. Ganz versteckt in der untersten Ecke
+aber lag, sorglich in ein zerschlissenes, seidenes Tuch gewickelt, das
+Brautkrönlein der Ururgroßmutter. Es war das ein zierliches Kränzlein,
+dessen Blumen und Blätter aus Rauschgold und Edelsteinen gearbeitet und
+mit Perlen und Filigran eingefaßt waren. Nach Art der Riegelhauben aber
+war es steif gefüttert, und über der verblichenen Seide lag noch ein
+matter, rötlicher Schimmer.
+
+Die andere Truhe war voll des feinsten, selbstgesponnenen Flachses und
+schöner, gestrickter Spitzen. In einem großen, buntbemalten Schrank lag
+handgewirktes Bauernleinen, darunter ein großes Tischtuch, in welches
+das heilige Abendmahl gewebt war.
+
+Zwischen den beiden Fenstern, deren dichte Vorhänge keinen Sonnenstrahl
+hereinließen, stand das Kostbarste, ein Glaskasten, dessen Rückwand mit
+Spiegeln belegt war. Darin spiegelten sich zierliche Meißener Figuren,
+Teller und Tassen und bunte gläserne Krüge. Im Vordergrund auf einem
+Ehrenplatz aber stand die alte Hausapotheke. Sie war voller Geheimnisse
+und sah aus wie ein Bild, das die heilige Familie vor dem Hause zu
+Nazareth darstellte; nur waren die Figuren rund und in Silber getrieben.
+Rechts im Vordergrunde stand der heilige Joseph mit einer Axt und
+zimmerte an einem Balken, während ihm gegenüber Maria mit einer Spindel
+saß und spann. In der Mitte aber war das Jesuskindlein und hielt in der
+einen Hand eine Axt und in der andern ein Kreuzlein, das es selbst
+gezimmert hatte. Die Figuren konnte man abschrauben und fand dann im
+Innern ein Fläschlein mit Medikamenten. Schraubte man das Jesuskind ab,
+so lag darinnen ein kleiner Schlüssel; der sperrte das Schlüsselloch im
+Hintergrunde und öffnete das Haus von Nazareth. Da fanden sich im Innern
+Lanzetten, Scheren und silberne Büchslein für Pflaster und Salben.
+Umgeben war das Ganze von einem alten, silbernen Rahmen.
+
+In der Kommode lag mein Taufzeug und das der Kinder, die die Großmutter
+in der Kost gehabt hatte, dazu eine Menge seidener Tücher für Hals und
+Mieder. Eine andere Schublade war voll von Büchern, deren Druck so alt
+war, daß ich kaum ein Wort zu lesen vermochte. Auf dem alten Sesselofen
+stand eine große Schüssel, darin die Eier unserer Hennen für den Verkauf
+gesammelt wurden; ferner ein großer Blechbehälter mit Schmalz, etliche
+Krüge voll Honig und in der Bratröhre das feine Eingekochte. Unter der
+Bettstatt, deren Bett kaum zu ersteigen war vor Höhe und Fülle des
+Flaums, stand eine große Holzschachtel, in der die Kränze und der
+Grabschmuck aufbewahrt wurden. An den Wänden hingen alte Bilder mit
+sonderbaren Gestalten und Gesichtern und ein großes Kruzifix, dessen
+Christusfigur so erschreckend zerfleischt aussah, daß ich sie immer mit
+geheimem Grauen betrachtete.
+
+Gewöhnlich aber blickte ich nicht lange nach den Wänden, sondern hockte
+mich vor eine Truhe oder Lade, wühlte darin herum, zog alles heraus und
+besah dies oder probierte das. Dazwischen schaute ich des öftern in die
+Bratröhre, wo das Eingekochte stand. Diese Gläser voll Kirschen,
+Zwetschgen oder Himbeeren waren alle mit einem pergamentenen Deckel
+verschlossen -- und meine Großmutter verwunderte sich häufig darüber,
+daß das Pergament schon wieder geplatzt war: »I woaß net, Vata, was dös
+is; bei dö Zweschbn is's Papier scho wieda hi'!«
+
+Der Großvater aber meinte mit einem Seitenblick auf mich: »Dö wer'n halt
+austriebn ham, Muatta; dö müaßn bald gessn wer'n.«
+
+Überhaupt ließ mir der Großvater zu jeder Zeit gern etwas Gutes oder
+Besonderes zukommen und brachte von jedem Holzkirchner Viehmarkt auch
+für mich etwas mit: ein lebzeltenes Herz, einen Rosenkranz von süßem
+Biskuit, ein Schächtelchen voll Zwiefizeltl und dergleichen. Auch war er
+stets besorgt, daß ich nichts Unrechtes äße. Als einmal bei uns
+Jahrmarkt war und ich mit einem Fünferl, dem Geschenk unseres Hausl,
+tanzend und singend dahineilte, mir etwas darum zu kaufen, ging mir der
+Großvater besorgt nach und erwischte mich gerade noch, als ich mir eben
+vor dem Stand eines Fleischhändlers, dessen Schild als Zierde rechts und
+links einen Pferdekopf trug, eine große schwarzrote Wurst schälte, die
+ich nach langem Hin- und Hersuchen endlich als das wohlfeilste und
+meiste für die Münze erstanden hatte:
+
+»Ja mei, Nachtei, dumms, möchst net gar a Roßwurscht essn! Da kunntst
+schö krank wer'n!«
+
+Und eiligst nahm er mir dieselbe und gab sie einem Hund; darauf führte
+er mich, nachdem er mir ein anderes Fünferl gegeben hatte, in die Post,
+wo schon Kopf an Kopf männiglich beieinander saß und aß und trank. Hier
+kaufte er mir eine lange Bratwurst und dazu ein Kipferl. Danach durfte
+ich mir bei einem alten, wunderlichen Mann eins von den bunten Päcklein,
+die zu einem großen Haufen aufgeschichtet vor seinen Füßen lagen,
+kaufen. Es war eine Überraschung, wie der Alte sie nannte und mit großem
+Eifer anpries.
+
+Gewichtig trug ich, geführt vom Großvater, das in hochrotes Glanzpapier
+gerollte Päcklein heim und öffnete es, nachdem ich alle im Haus um mich
+versammelt hatte. Da lag ein Kettlein aus blauen Glasperlen, ein
+Bildchen und etliche süße Kügelchen vor mir, und ich pries froh die
+Umsicht des Großvaters: »Vaterl, du bist g'scheit! Du hast a glückhafts
+Geld, wo ma was g'winnt damit!« Und jubelnd hing ich mich an seinen
+Hals.
+
+Noch war mir eine andere Art von Dankbarkeit fremd und ich mußte noch
+nicht zum Dank für erhaltenes Gute besonders brav und folgsam sein; doch
+habe ich immer ohne jeden Antrieb besser gefolgt, wenn mein Großvater
+mir auf solche und ähnliche Weise seine Zärtlichkeit bewies. Da konnte
+ich stundenlang, ohne mich besonders bemerkbar zu machen, im Haus
+bleiben und für mich spielen. Und fehlten auch alsdann meine
+Spielkameraden, so ging mir doch niemand ab; denn ich schuf mir selber
+einen Ersatz, indem ich etliche Sacktücher des Großvaters mit Lumpen
+füllte, einen Kopf daraus formte und unter die herabhängenden Zipfel ein
+Scheitlein Holz steckte. Diese Flecklpuppen hatten alle möglichen Namen
+und Wesen; bald waren sie meine Kostkinder, bald eine Familie für sich.
+Oft mußten sie aber auch unsere Kühe und Hühner vorstellen, und da ward
+dann der Stiefelzieher zum Großvater, der Fußschemel aber zum Heuwagen,
+auf dem die Hühner nach Holzkirchen, das bei mir hinter dem Ofen lag, zu
+Markt gefahren wurden.
+
+ * * * * *
+
+Mit dem Beginn des Frühjahrs mußte ich zur Schule gehen, wovon die
+Großmutter nicht viel hielt, da sie nie in der Volksschule gewesen und
+Schreiben und Lesen nur nebenbei in der Frauenarbeitsschule gelernt
+hatte. Kam ich heim, so hatte sie immer etwas für mich gemacht; sei es
+einen Gugelhopf, Rohrnudeln oder einen fetten Schmarrn mit einem
+Zwetschgentauch und meinte: »Arms Lenei; so vui Hunga hast kriagt. Wenn
+nur dö verflixte Schul glei der Teifi holn tat. Was braucht insa Dirndei
+a Schul; mir ham aa koane braucht und san aa groß wordn und taugn unta
+d' Leut.«
+
+Sie mochte dabei wohl auch an den Großvater denken; denn als ich einmal
+auf der Hausbank sitzend mich an dem kleinen a versuchte und trotz aller
+Kraft auf meiner Tafel nichts zuwege brachte, schob ich sie dem
+Großvater hin und bat ihn: »Geh, Vata, mach ma du dös kloane a!«
+
+»Ja mei, Dirndei, da muaßt scho zu der Großmuatta geh; i ko net lesn und
+net schreibn; dös ham mir net g'lernt!«
+
+Am Sonntag zum Gottesdienst gingen wir im Feiertagsgewand, aber barfuß
+in die Kirche, weil wir sonst mit den genagelten Schuhen dem Herrn
+Pfarrer zu viel Lärm gemacht hätten; denn der Herr Pfarrer, obwohl er
+schon ein alter Mann mit schneeweißem Haar war, konnte noch immer recht
+zornig werden und hat bei der Predigt oft mit gar scharfen Worten die
+Verfehlungen seiner Pfarrkinder gerügt; so das Kegelscheiben am Sonntag
+während des Gottesdienstes, den Wirtshausbesuch, das Fluchen und vor
+allem das Kammerfensterln. Hatte ein Bursch oder ein Mädel gebeichtet,
+daß sie beieinander gewesen waren, so wurde das am darauffolgenden
+Sonntag vor der ganzen Gemeinde von der Kanzel herab gegeißelt, und
+leicht konnte man erraten, wer gemeint war. Lebhaft erinnere ich mich
+noch an die Schlußworte einer Predigt, die er am Christi
+Himmelfahrtstage hielt, und wie er, nachdem er die Freuden im Himmel und
+die Glorie der Seligen geschildert hatte, mit lauter Stimme rief: »Heute
+ist der Tag, an welchem Christus, der Herr, hinaufgefahren ist in jene
+lichten Höhen, in denen die ewige Seligkeit wohnt, die wir euch erlangen
+sollen. Aber pfeifen tun wir euch was, ihr gescherten Bauernlümmel! Seit
+Jahren erhalten wir von euch keine Eier, Butter, Schmalz, oder was sonst
+euere Dankbarkeit bezeuge. Aufgefahren ist er zum Himmel, von wo er
+kommen wird, euch zu richten und in die ewige Verdammnis zu bringen.
+Amen!«
+
+An den Sonntagnachmittagen mußten die Burschen und Mädchen unter
+sechzehn Jahren die Christenlehre besuchen; dabei hatten auch wir Kinder
+und die Erwachsenen Zutritt. Beim Beginn wurden alle mit Namen
+aufgerufen und jedes mußte sich mit einem lauten »Hier« melden. Fehlte
+eines und war nicht genügend entschuldigt, dann mußte es, ob Bursch oder
+Mädel, am darauffolgenden Feiertag hinausknien zum warnenden Beispiel
+für die andern. Konnte eines die Fragen des Katechismus nicht
+beantworten, so schrie der Herr Pfarrer: »Was der Katechismus dich
+fragt, das weißt du nicht; aber was der Bursch dich beim Fensterln
+g'fragt hat, das weißt du noch!«
+
+Darauf wetterte und schimpfte er während der ganzen Christenlehre.
+
+Wurde jemand aus der Gemeinde begraben, der nur selten den Gottesdienst
+besucht und dem Pfarrer die schuldigen Abgaben in Naturalien nicht
+geleistet hatte, so war die ganze Grabrede eine Lästerrede auf den armen
+Verstorbenen und seine Angehörigen, und man sah ihn schon leibhaftig in
+der Hölle und der ewigen Verdammnis.
+
+Kirchliche Handlungen machten damals einen großen Eindruck auf mich und
+vor allem bewegte mich das sonntägliche Memento und Requiem auf dem
+Friedhof. Dabei ging der Pfarrer nach der Predigt und den gemeinsamen
+christlichen Gebeten in Prozession mit den Gläubigen aus der Kirche auf
+den Gottesacker hinaus und hielt einen Umgang, währenddem der Herr
+Lehrer das Requiem sang und die Leute die Gräber ihrer Angehörigen mit
+Weihwasser besprengten, wofür ein jedes sein Weihbrunnkrügl mitgebracht
+hatte. Danach wurde am Grab gebetet, bis es zum Hochamt läutete. Während
+der feierlichen Handlung stand ich zwischen den Großeltern und fürchtete
+mich vor dem Tod.
+
+Das tat ich aber nur an den Sonntagen; denn unter der Woche ging ich
+ohne Furcht auf den Gottesacker und richtete die Gräber der armen Leute
+wieder her, indem ich die Blumen von den Gräbern der Reichen nahm. Nach
+dieser Arbeit ging ich in die Kirche und wusch mir in dem großen
+Weihbrunnzuber, der im hintersten Winkel stand, meine Hände. Darauf
+machte ich in den Bänken Ordnung, trug die liegengebliebenen Gebetbücher
+auf einen Haufen zusammen und betrachtete eins nach dem andern. Die
+Heiligenbildl, die ich dabei fand, verteilte ich am andern Tage unter
+die Schulkinder; bisweilen aber habe ich sie auch gegen einen
+Schmalznudel eingetauscht. Ein andermal schmückte ich die ganze
+Wallfahrtskapelle zu Frauenbründl mit Feuerlilien, die ich heimlich aus
+dem Garten eines unbewohnten Hauses genommen hatte; denn ich wußte
+damals nur, daß der Zweck die Mittel heilige.
+
+Einmal freilich war es doch anders; als nämlich die Kirschen reif waren.
+Da rief eines Tages ein Bub aus Adling, einem benachbarten Dorf, der zu
+uns in die Schule ging, vor Beginn des Unterrichts: »D' Kersch san zeiti
+bei der Schmiedin z' Olling; wer geht mit zum Stehln?«
+
+»I,« schrie ich sofort und suchte mir gleich noch mehr Genossen: »Wer
+tuat mit? zum Kerschnstehln werd ganga!«
+
+Da meldeten sich noch fünf oder sechs, und nach der Schule um zwei Uhr
+zogen wir ab. Als wir nach Adling kamen, fuhren sie bei der Schmiedin
+grad mit dem Wagen fort, um Heu einzuführen. Wir meinten, jetzt würden
+sie recht lang ausbleiben; darum stieg ich und einer der Buben auf den
+Baum, während die andern drunten Hüte und Schürzen aufhielten und
+unaufhörlich schrien: »Schmeißt's amal oa oba! Schmeißt's halt oa oba!«
+denn wir zwei saßen droben und aßen, und erst als uns der Bauch weh tat,
+warfen wir auch den andern etwas hinunter. Auf einmal schreit einer der
+Buben: »Steigt's oba, d' Schmiedin kimmt und der Knecht mit an Fuada
+Heu!« und damit nahmen die andern Reißaus. Zum Hinuntersteigen war es
+aber schon zu spät; denn der Knecht kam schon daher und rief: »Ja
+natürli, d' Handschuastalena halt! Schaugt's, daß 's aba kemmt's, ös
+Sakramenta!«
+
+»Bal ma mögn scho! Geh auffa, na kriagst aa Kersch!«
+
+Damit riß ich ein paar Kirschen ab und warf sie ihm ins Gesicht. Da
+mußte er lachen und ließ uns ohne Strafe fort. Derweilen hatte uns die
+Schmiedin erblickt und schrie: »Ja, was is denn dös! Jetz stehln ma dö
+gar meine Kersch! Glei tuast es hera!« Denn ich hatte noch meinen ganzen
+Schurz voll.
+
+»I mog net,« schrie ich, und damit liefen wir davon.
+
+Später, als die Kriechen, kleine Pflaumen, zeitig waren, haben wir ihr
+noch einmal einen Besuch gemacht; denn ich war inzwischen das schlimmste
+Lausdirndl vom Dorf geworden, das mit allen Buben raufte und überall
+dabei war, wo es etwas anzurichten gab.
+
+Ja, als wir am Feste Christi Himmelfahrt nach uraltem Brauch Blüten und
+Kräuter sammelten, zu großen Sträußen banden und damit zur Kirche
+wanderten, um sie weihen zu lassen zum Segen unserer Fluren und Äcker
+und als heilsame Arznei für erkranktes Vieh, da schlug ich dem um
+etliche Jahre älteren Bachmaurer Franzl, der sich unterstanden hatte, in
+der Kirche vor mich hinzustehen und mit seinem Kräuterbuschen mich an
+den Augen zu kitzeln, mit meinem Strauß so heftig ins Gesicht, daß er
+seine Blüten fortwarf und aus der Kirche lief, worauf ich lachend auch
+seinen Buschen nahm und für uns weihen ließ.
+
+War im Ort eine Hochzeit angesagt, so erfuhr ich dieses sogleich durch
+die alte Sailerin; und da lief ich denn überall herum bei Buben und
+Mädchen, ihnen die Neuigkeit zu berichten und sie zum Mittun anzufeuern;
+denn da gab es für uns einen hübschen Spaß: wir holten uns lange Stricke
+oder Bänder und stellten uns, wenn die Hochzeitsleute zur Kirche fuhren,
+an den etwas engeren Gassen auf, spannten das Band über den Weg und
+schrieen und wünschten Glück zur Brautfahrt. Die also angehaltenen
+Brautleute aber hatten, dem alten Brauch und Herkommen nach, sich mit
+einem nicht zu kleinen Säcklein neuer Kupfermünzen wohl versorgt und
+warfen nun etliche Hände voll unter uns, sich loszukaufen. Während
+jedoch die einen sich darum balgten, stürmten wir in fliegender Eile
+weiter und wiederholten die List, bis wir sahen, daß der Säckel fast
+leer war. Den erhielten sodann wir, die das Band gehalten, und teilten
+ihn ehrlich, wenn auch nicht ohne Streit und Prügel.
+
+Nur eins gab es, wovor ich mich fürchtete, die Zigeuner mit ihren Affen
+und die Dudelsackpfeifer; doch auch meine Großmutter teilte diese Scheu.
+Kamen solche vagierende Leute in den Ort und in die Nähe unseres Hauses,
+so lief ich, was ich konnte, heim und schrie: »Großmuatta, da Dudlsack
+kimmt!«
+
+Eilends lief sie dann an alle Türen und verriegelte und versperrte das
+ganze Haus, zog die Vorhänge der unteren Stube zu und versteckte sich
+mit mir unter dem kleinen Fensterchen des Hausflözes.
+
+Meist waren die Musikanten zu dreien, und der dritte hatte, während die
+andern aufbliesen, sich um den Sold und etwaige nicht sicher genug
+verwahrte Habe, die des Findens wert war, umzuschauen. Da schlich er
+denn ums Haus, versuchte alle Türen, lugte an den Fenstern herum und gab
+endlich in seiner verworrenen Sprache den mißmutigen Bescheid, daß
+niemand zu Hause sei. Fluchend machten sie alsdann, daß sie weiter
+kamen, während die Großmutter ängstlich und Gebete murmelnd auf den
+Dachboden ging und nach den Entschwindenden Ausschau hielt, ehe sie es
+wagte, wieder zu öffnen.
+
+
+
+
+
+
+Während ich also sorglos dahinlebte, geliebt von den Großeltern,
+getadelt von Lehrer und Pfarrer, gefürchtet von jenen Kameraden, die
+mich einmal in meiner Wildheit verspürt hatten, gesucht von denen, die
+meine Streiche verstanden und dazu halfen, kam eines Tages die
+Nachricht, daß die Mutter in München geheiratet hatte. Ich war nämlich
+nur ein lediges Kind, und mein Vater war, als ich kaum zwei Jahr alt,
+auf der Reise nach Amerika mit dem Dampfer Cimbria untergegangen.
+
+Bald nach der Hochzeit meiner Mutter kam an einem Sonntagvormittag ein
+Brief. Die Großeltern saßen gerade mit der Nanni bei der Vesper, während
+ich hinter dem Rücken der Großmutter einen Riß in meinem Sonntagsgewand
+mit ein paar Klufen zusammensteckte.
+
+Auf einmal schlägt der Großvater mit der Faust auf den Tisch und springt
+auf: »Ja, hast jatz so was scho derlebt!«
+
+Erschreckt fragt die Großmutter: »Was hast denn, Vata? Is leicht gar
+ebbas passiert bei der Lena z' Münka drin?«
+
+»Naa, aber 's Lenei sollt i eahna eini bringa; sie verlangt's!«
+
+»Was!« schrie ich und sprang auf. »I in d'Stadt! Naa, naa, dös tua i
+net!«
+
+»Stad bist, du hast gar nix z' redn!« fuhr mich da die Nanni an. »Froh
+sollst sein, daß d' eini derfst in d' Stadt, wo's d' was Feins werdn
+kunntst!«
+
+»Ja mei,« meinte die Großmutter, »gar so leicht is net. D' Leut han
+oamal z' schlecht in der Stadt und a Kind is glei verdorbn.«
+
+Während nun die Großmutter und die Nanni noch lange hin und her
+berieten, hatte sich der Großvater nachdenklich auf das Kanapee gesetzt
+und stand jetzt mit den Worten auf: »In Gott's Nam', müaß' ma's halt
+hergebn.«
+
+Dabei blieb es auch, und mir half weder Toben noch Bitten noch
+Schmeicheln etwas.
+
+Also kam die Nähterin auf die Stör und ich wurde mit Stoffen behängt und
+mit Nadeln besteckt und mußte den ganzen Tag stillstehen.
+
+Und als der Morgen der Abreise gekommen war, badete mich die Großmutter
+und zog mir, nachdem der Großvater mit zufriedenem Schmunzeln meinen
+Rücken und das rundliche Bäuchlein befühlt und beklopft hatte, ein neues
+Hemd und die ersten Unterhosen an. Als ich in den Spiegel sah, ärgerte
+mich der hintere Hemdzipfel, der nicht in der Hose bleiben wollte,
+sondern wie ein Hennenschwanz starr und steif herausstand. Doch
+verschwand er bald unter einem roten Flanellröcklein, worüber ein grünes
+Bareschkleid kam, das mir bis auf die Fersen ging, und dessen Spenzer
+mit bunten Glasknöpfen besetzt war. Am Ende band mir die Großmutter noch
+ein himmelblaues Fürta und eine gestickte Halsbarbe um und steckte in
+das in zwei Zöpfen aufgemachte Haar einen silbernen Pfeil. Darauf
+wickelte sie mir den Gesundheitskuchen, den sie noch gebacken hatte, in
+ein buntes Tuch; der Großvater aber brachte einen Kletzenweck vom Bäcker
+und legte ihn in das Körblein zu den Schmalznudeln und Zwiefiäpfeln, die
+die Nanni geschickt hatte.
+
+Als mir der große, schwarze Strohhut mit den roten Blumen und den
+karierten Bändern aufgesetzt worden war, nahm ich Abschied, wobei die
+Großmutter recht weinte. Auf dem Weg zum Postwagen sagte ich noch dem
+ganzen Dorf »Pfüat Gott«.
+
+Unterwegs während der Fahrt gab mir der Großvater noch viele Ratschläge
+und sagte: »Dirnei, jatz muaßt a recht a g'scheits und recht a richtigs
+Madl werdn und muaßt dein neu'n Vatan recht mögn und der Münkara Muatta
+recht schö folgn. Muaßt aa recht g'schickt sei und überall zuawi
+springa, wo's was z' arbatn gibt. Jatz derf ma nimma Kuchei sagn, jatz
+hoaßts Küch, und statt der Stubn sagt ma Zimmer und statt'n Flöz sagt ma
+Hausgang. Und Kihrwisch sagt ma aa nimma, sondern Kehrbesen.«
+
+Da versprach ich ihm, recht Obacht zu geben und brav zu bleiben.
+
+Am Ostbahnhof stand schon meine Mutter und empfing uns mit großer
+Freude. Ich reichte ihr die Hand und sagte, der eben erhaltenen Lehren
+eingedenk, möglichst nach der Schrift: »Grüß Gott, Mutter!«
+
+»Schau, schau, wie gebildet die Leni schon wordn ist! Da wird aber der
+Vater viel Freud habn, wenn er so ein g'scheits und vornehmes Töchterl
+kriegt.« Mit diesen Worten zog sie mich rasch an sich und führte mich an
+der Hand, während der Großvater sich hinter uns immer mit seinem
+Schneuztüchl zu schaffen machte.
+
+Wir stiegen in eine Pferdebahn, und während sich die Mutter mit dem
+Großvater unterhielt, sah ich unverwandt durchs Fenster und starrte die
+hohen Häuser und Kirchen an und staunte über die kurzen Röcke und Hosen
+der Kinder, die gerade aus einer Schule kamen. Am Marienplatz, wo wir
+aussteigen mußten, denn damals führte noch keine Pferdebahn nach
+Schwabing, vergaß ich beim Anblick des Fischbrunnens plötzlich meine
+ganze gerühmte Bildung und schrie, indem ich eilig darauf zulief:
+»Großvatta, do schaug hera, wia dö Fisch 's Mäu aufreißn!«
+
+Entsetzt wandte meine Mutter sich ab, während mein Großvater mich am
+Ärmel ergriff und mir zuflüsterte: »Bscht, sei stad, Dirnei! Mäu derf ma
+ja jatz nimma sagn, Mund hoaßt's do jatz!«
+
+Und damit nahm er mich bei der Hand und zog mich weiter. Doch vor der
+Residenz gab es einen neuen Zwischenfall. Dort zog eben die Wache auf,
+und ich rief beim Anblick der im Paradeschritt aufmarschierenden
+Soldaten: »Ah, Muatta, Vata, dö schaugts o! Dö gengan ja grad wia meine
+hülzern' Mandln, dö wo ...«
+
+»Um Gottes willen, Leni,« fiel mir die Mutter ins Wort, »sei doch still!
+Das is ja Majeschtätsbeleidigung!«
+
+Während ich noch über dies letzte Wort nachdachte, zogen sie mich schon
+durch die Ludwigsstraße, und stillschweigend trottete ich nun nebenher,
+bis wir nahe dem Siegestor in eine Seitenstraße einbogen.
+
+Vor einem hohen Hause, auf dessen rötlicher Fassade mit großen
+Buchstaben das Wort »Restaurant« geschrieben stand, machten wir halt.
+Unter dem Tore stand schon mein neuer Vater und empfing uns mit
+herzlichen und guten Worten. Wir traten durch den Hausgang in einen
+kleinen Garten, von dem aus eine Tür in die Küche führte. Nachdem uns
+die Mutter dort an einen kleinen Tisch gesetzt hatte, lief sie schnell
+in die Wohnung und zog sich um; denn es war Mittag und die Köchin begann
+schon zu jammern, weil sie bei der großen Zahl der Gäste mit dem
+Anrichten allein nicht fertig zu werden vermochte. Die Gastwirtschaft,
+die der Vater schon vor der Hochzeit übernommen hatte, war nämlich
+damals wegen der guten Küche von den Studenten sehr besucht. Mit offenem
+Munde sah ich nun dem Trubel im Gastzimmer und in der Küche zu und
+getraute mir mit dem Großvater kaum ein Wort zu reden vor Angst, die
+Mutter in ihrer aufgeregten Geschäftigkeit zu stören. Als es etwas
+ruhiger geworden war und die meisten Gäste fort waren, bekamen auch wir
+zu essen und gingen danach in die Gaststube zum Vater, der den Großvater
+nach vielem fragte: was die Großmutter mache, wie es mit dem Vieh gehe,
+wie es mit der Arbeit daheim sei und auch, was ich bisher getrieben. Da
+gab ihm der Großvater über alles Auskunft.
+
+Am Abend gingen wir zeitig ins Bett, und man führte mich in ein kleines
+Kammerl, in dem nur ein Bett und ein Stuhl stand; denn meine Eltern
+besaßen damals nur das Allernötigste. Mein Großvater teilte das Bett mit
+mir und gab mir noch viele Ermahnungen, bis ich endlich in seinem Arm
+einschlief.
+
+Andern Tags reiste er wieder heim, und ich mußte nun alles ländliche
+Wesen ablegen. Zuerst bekam ich ebenfalls kurze, städtische Kleider, und
+dann wurden mir meine schönen, langen Haare abgeschnitten, weil ich
+Läus' hätte, wie die Mutter sagte. Auch lernte ich jetzt arbeiten. In
+der Wirtschaft mußte ich kleine Dienste tun: Brot und Semmeln für die
+Gäste in kleine Körbchen zählen, den Schanktisch in Ordnung halten,
+Sachen einholen und manchmal auch den Kegelbuben ersetzen.
+
+Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr
+gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum
+schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich
+so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte.
+Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur
+den Dotschen oder die Gscherte. So dachte ich oft des Nachts, wenn ich
+allein in meiner Kammer war, denn bei Tag hatte ich nicht viel Zeit zum
+Nachdenken, mit Sehnsucht zurück an das Leben bei meinen Großeltern und
+erzählte unserer großen Katze, die ich mit ins Bett nahm, mein Unglück.
+
+ * * * * *
+
+Im Sommer des darauffolgenden Jahres kam der Großvater das erste Mal auf
+Besuch. Hiefür hatte die Mutter mich ein Trutzliedlein gelehrt; und als
+er nun bei uns in der Küche saß und mich auf dem Schoß hielt, drängte
+ich ungeduldig: »Großvata, Großvata, i kann was; du, Vata, hör doch! I
+kann was!«
+
+»Glei derfst es sagn, Dirnei, glei,« entgegnete er; denn er sprach noch
+mit der Mutter.
+
+Und als ich es endlich sagen durfte, da sang ich: »Was braucht denn a
+Bauer, a Bauer an Huat; Für an so an gschertn Spitzbuam is a Zipflhaubn
+guat!«
+
+Da sah ich statt des erwarteten Beifalls Tränen, die dem Großvater über
+die Wangen liefen, und nun merkte ich erst, was ich angestellt hatte.
+
+»Großvata, i kann fei nix dafür!« rief ich. »D' Mutter hat mir's
+g'lernt.«
+
+Er antwortete nichts darauf und strich mir nur wie zur Beruhigung übers
+Haar.
+
+Nachts dann im Bett, ich schlief bei ihm, klagte ich ihm mein Leid und
+bat ihn, mich doch wieder mitzunehmen.
+
+Und als er am Abend des darauffolgenden Tages vom Ostbahnhof fortfuhr,
+hängte ich mich an ihn, und als er eingestiegen war, sprang ich auf das
+Trittbrett und klammerte mich fest, so daß es der Mutter nur mit großer
+Mühe gelang, mich von dem fahrenden Zuge herunterzureißen. Danach bekam
+ich meine Prügel, die wohl berechtigt, aber nicht das rechte Mittel
+waren, um die Dinge besser zu machen.
+
+ * * * * *
+
+Nachdem mein Stiefvater das Geschäft einundeinhalb Jahr geführt hatte,
+konnte er das Anwesen mit gutem Nutzen wieder verkaufen; denn er war ein
+tüchtiger Metzger und Schenkkellner und hatte die Wirtschaft in kurzer
+Zeit in die Höhe gebracht. Daraufhin beschlossen die Eltern, einige Zeit
+zu privatisieren und nachträglich ihre Hochzeitsreise zu machen.
+
+Während ihrer Abwesenheit blieb ich bei der Tante Babett, einer
+Schwester meines Stiefvaters, die den Haushalt bei uns führte. Sie war
+fast den ganzen Tag in der Kirche und hat mich recht gequält und
+geschunden; denn sie wollte mich auch zu einer so heiligen Person
+machen, wie sie war. Ich wurde allen Pfarrern vorgestellt, und denen
+klagte sie, wie mürrisch und ungut ich sei, worauf mich die geistlichen
+Herren ermahnten, ich solle mich bessern.
+
+Als die Eltern von der Hochzeitsreise, die sie zu Verwandten in die
+Schlierseer Berge gemacht hatten, nach zwei Monaten zurückkamen, begann
+die Mutter zu kränkeln, stand oft nicht auf, mußte sich häufig erbrechen
+und wurde doch von Tag zu Tag dicker. Die Tante aber saß hinter
+verschlossenen Türen und nähte an Hemdlein, an Tüchlein und Windeln.
+
+Inzwischen hatte der Vater die Wohnung gekündigt und ein Haus mit einer
+Altmetzgerei in der Corneliusstraße gekauft. Mit dem Umzug dahin begann
+für mich ein ganz anderes Leben; denn die Tante Babett übernahm jetzt
+die Führung des Haushalts bei einem geistlichen Herrn, und da meinte die
+Mutter, ich sei nun groß genug, ihre Stelle zu versehen. Ich war damals
+neun Jahre alt.
+
+In aller Frühe mußte ich zuerst das Fleisch austragen, dann Feuer
+machen, Stiefel putzen, Stiegen wischen und der Mutter die Sachen
+einholen, die sie zum Kochen brauchte. Sie blieb jetzt immer am Morgen
+liegen, und so ging ich gewöhnlich nüchtern in die Schule.
+
+In einer Februarnacht aber kam das Kind, und damit begann für mich eine
+harte Zeit. Nun hieß es um fünf Uhr aufstehen und zu den übrigen
+Arbeiten noch das Bad, Wäsche und Windeln für den kleinen Hansl
+herrichten. Kam ich mittags aus der Schule, wurde ich meistens mit
+Schlägen empfangen; denn ich hatte nachsitzen müssen, weil ich in der
+Früh zu spät gekommen war. Vor dem Essen mußte ich noch den Laden und
+das Schlachthaus putzen und das Nötige einkaufen. Bei Tisch hatte ich
+dann laut das Tischgebet zu beten. Als ich einmal beim Vaterunser statt
+auf das Kruzifix zum Fenster hinaussah, schlug mich die Mutter ins
+Gesicht, daß mir das Blut zu Mund und Nase herauslief; auch bekam ich
+nichts zu essen und mußte während der Mahlzeit am Boden knien. Nach
+Tisch hatte ich das Geschirr zu spülen, die Kindswäsche zu waschen und
+den Buben einzuschläfern. Ganz abgehetzt kam ich dann des Nachmittags in
+die Schule und konnte während der Handarbeitsstunden nur mühsam den
+Schlaf bekämpfen. Deshalb lernte ich nur schlecht handarbeiten und bekam
+in diesem Fach meist die Note »Ungenügend«. Zudem strengte mich
+besonders das Stricken an und verursachte mir stets heftiges Kopfweh.
+Das wußte die Mutter. Hatte ich nun bei der Hausarbeit etwas nicht recht
+gemacht, so gab sie mir mit einem spanischen Rohr sechs und manchmal
+zehn Hiebe auf die Arme und die Innenfläche der Hände, daß das Blut
+hervorquoll. Hierauf mußte ich mir die Hände waschen und an einem
+Strumpf in einer gewissen Zeit einen großen Absatz stricken. Vermochte
+ich vor Schmerzen bis zu der bestimmten Minute nicht fertig zu werden,
+so wurde die Züchtigung wiederholt.
+
+Im übrigen machte ich in der Schule gute Fortschritte und war bald die
+Erste. Meine Lehrerinnen nahmen sich meiner sehr an, und als ich einmal
+in der Früh barfuß in die Schule kam, schickte mich mein Fräulein mit
+einem Brieflein nachhause, worin sie der Mutter Vorwürfe machte. Doch
+hatte dies nur eine erneute Züchtigung mit einem Spazierstock meines
+Vaters zur Folge, einem sogenannten Totschläger oder Ochsenfiesel, in
+den ringsherum kleine Bleikugeln eingegossen waren.
+
+Geliebt hat mich meine Mutter nie; denn sie hat mich weder je geküßt,
+noch mir irgend eine Zärtlichkeit erwiesen; jetzt aber, seit der Geburt
+ihres ersten ehelichen Kindes, behandelte sie mich mit offenbarem Haß.
+Jede, auch die geringste Verfehlung wurde mit Prügeln und Hungerkuren
+bestraft, und es gab Tage, wo ich vor Schmerzen mich kaum rühren konnte.
+
+Der Hunger, den ich zu leiden hatte, und der Umstand, daß ich in der
+Früh selten ein Frühstück bekam, veranlaßten mich, Trinkgelder, die ich
+von den Leuten für das Fleischbringen erhielt, oder auch etliche
+Pfennige von dem Betrag für das gelieferte Fleisch zu nehmen und mir
+Brot dafür zu kaufen. Als die Mutter durch Zufall dies entdeckte,
+mißhandelte sie mich so, daß ich mehrere Tage nicht ausgehen konnte. Da
+ich ein Kleid mit kurzen Ärmeln trug, sah die Lehrerin, als ich wieder
+in die Schule kam, an meinen Armen, sowie auch an Hals und Gesicht die
+blauen und blutrünstigen Flecken, und ich mußte, trotzdem ich neue
+Strafen zu befürchten hatte, dem Oberlehrer, der herbeigerufen worden,
+alles der Wahrheit gemäß berichten. Ein Brief an meine Mutter hatte nur
+den Erfolg, daß ich den ganzen Tag nichts zu essen bekam und die Nacht
+auf dem Gang unserer Wohnung, auf einem Scheit Holz kniend, zubringen
+mußte.
+
+Zu dieser Zeit war es auch, daß mir einmal beim Austragen des Fleisches
+das ganze Geld gestohlen wurde. Mittwoch und Samstag nachmittags mußte
+ich nämlich immer in die Briennerstraße zu einem Kommerzienrat das
+Fleisch bringen, bei dem die Mutter früher Köchin gewesen war. Meistens
+waren es ganz große Stücke: ein ganzes Filet, ganze Lenden, Kalbschlegel
+oder Rücken. Bei der Ablieferung wurde mir das Geld und ein Büchlein
+übergeben, in welches die Bestellung für das nächstemal geschrieben
+wurde. An einem Samstag trug ich nun auch wieder ein großes Stück
+Fleisch dahin und bekam ungefähr zwanzig Mark und das Buch, das ich samt
+dem Geld in ein Säcklein tat und in den Korb legte. Auf dem Heimweg
+hielt ich mich längere Zeit vor der Feldherrnhalle bei den Tauben auf,
+die von den Kindern gefüttert wurden. Da schlug es vier Uhr und dabei
+fiel mir die Mahnung der Mutter ein, die beim Fortgehen gesagt hatte:
+»Daß d' um viere längstens z'haus bist und daß d'ma Obacht gibst aufs
+Geld!«
+
+Also fing ich an zu laufen, so schnell ich nur konnte, und machte erst
+am Viktualienmarkt halt, um ein wenig zu verschnaufen. Da schau ich in
+meinen Korb und sehe das Säcklein mit dem Geld nicht mehr. Ich
+durchsuche ihn genau, durchwühle fieberhaft meine Taschen; aber es war
+nicht mehr da. Voll Verzweiflung rannte ich den ganzen Weg zurück bis in
+die Briennerstraße und fragte dort, ob ich es vielleicht mitzunehmen
+vergessen hätte. Doch die Köchin meinte, sie wisse gewiß, daß ich das
+Säcklein in den Korb gelegt hätte. Mitleidig fragte sie noch:
+
+»Moanst, du kriegst Schläg, Lenerl?«
+
+»I glaab scho!« antwortete ich, und damit war ich schon wieder über die
+Stiegen hinunter. Nun lief ich wieder zur Feldherrnhalle und fragte dort
+die Leute: »Sie, bitt schön, ham Sie nöt da a Sackerl liegn sehgn mit an
+Büacherl drinn und zwanzig Mark Geld?« Da lachten die einen, die andern
+bedauerten mich; aber gewußt hat keiner was. Nun packte mich die Angst
+und ich fing an zu weinen und traute mich nicht mehr heimzugehen. Ich
+lief durch die Maximilianstraße über die Brücke und immer weiter, bis
+ich zum Ostbahnhof kam.
+
+Plötzlich fiel mir mein Großvater ein, und als es in diesem Augenblick
+fünf Uhr schlug, dachte ich: »Jatz derfst nimma hoam kommen, jatz is
+fünfe; Geld hast aa koans mehr, jatz laafst zum Großvater, der hilft dir
+schon.«
+
+Ich lief also durch die Bahnhofshalle, und da ich noch wußte, auf
+welchem Gleis er damals abgefahren war, sprang ich zwischen die Schienen
+und rannte davon, so schnell ich konnte, immer auf dem Bahndamm dahin,
+an den Bahnwärterhäuschen vorbei, bis ich nach Trudering kam.
+
+Als ich dort an dem Bahnhof vorbeilaufen wollte, schrie mich einer an:
+»He, du, wo laafst denn hin mit dein Körbl?«
+
+»Furt!« rief ich und damit sauste ich weiter.
+
+Indem hörte ich einen Zug hinter mir herkommen und zur Seite springend
+dachte ich: »Wennst jatz no a Geld hättst, na kunntst mitfahrn!«
+
+Als der Zug vorbei war, lief ich hinterdrein; doch der war schneller als
+ich. Bald darauf kam auf dem andern Gleis ein Zug, der nach München
+fuhr. Da schauten die Leute aus den Fenstern mir verwundert nach, wie
+ich so mit meinem Korb zwischen den Schienen dahinsprang.
+
+Schon wurde es dunkel, als ich ganz erschöpft nach Zorneding kam. Ich
+schleppte mich vom Bahnhof in das Dorf; denn ich konnte nicht mehr
+weiter vor Seitenstechen und Herzklopfen. Neben dem ersten Hause war ein
+Brunnen, und als ich trinken wollte, lief eine Frau auf mich zu und
+rief: »Ja, mein Gott, Kind, trink doch net! Dir rinnt ja der Schweiß
+übers Gsicht; dös kunnt ja dei Tod sein, wannst jatz trinka tatst.« Und
+erst, als sie mir Gesicht und Hände mit Wasser gekühlt hatte, ließ sie
+mich trinken.
+
+Inzwischen war es Nacht geworden. Mein Seitenstechen, das immer heftiger
+wurde, zwang mich, im Dorf zu bleiben, und als ich vor einem kleinen
+Hause eine Bank fand, legte ich mich darauf und nahm den Korb zu einem
+Kopfkissen; aber ich schlief nur schlecht und träumte schwer.
+
+Als es Tag wurde, wollte ich weiter; aber ich war so elend, daß ich mich
+nicht rühren konnte. Während ich noch so dalag, trat eine Frau aus dem
+Haus, und als sie mich sah, rief sie erschrocken: »Jessas, wo kimmst
+denn du her, Kind, und wo möchst denn hin?«
+
+»Zu mein Großvater!« entgegnete ich leise; denn ich war heiser, »der
+muaß ma helfa; wissn S', i hab's Geld verlorn beim Fleischaustragen und
+da hab i ma nimma hoam traut; denn mei Muatta wenn mi findt, dö bringt
+mi um.«
+
+»No, no, so g'fährli werd's net sei; dei Muatta werd aa koa Ungeheuer
+sei! Geh nur wieder schö hoam!« So redete sie mir zu und tröstete mich
+und nahm mich mit in die Stube, gab mir einen Kaffee, rief ihrem Mann
+und erzählte ihm, was ich ihr gesagt hatte. Der brachte mich dann am
+Vormittag wieder mit der Bahn nach München zurück zu meinen Eltern und
+bat sie, mich nicht zu strafen; denn ich sei anscheinend recht krank.
+
+An dem Tag hat meine Mutter mich nicht geschlagen, doch redete sie mich
+mit keinem Worte an und tat, als sei ich gar nicht da. Am Abend aber
+mußte der Vater einen Arzt holen, weil ich heftiges Fieber hatte.
+Während der schweren Lungenentzündung, an der ich nun lange krank lag,
+hat der Vater mich fast allein gepflegt; denn die Mutter sprach nur das
+Nötigste und kümmerte sich im übrigen nicht um mich. Das verlorene Geld
+hatte die Frau Kommerzienrat ihr inzwischen ersetzt.
+
+Etliche Wochen später kam mein Großvater, und als ich mit ihm allein
+war, begann ich ihm weinend mein Leid zu erzählen. Da wurde er recht
+aufgebracht und sagte, er wolle gleich mit der Mutter reden; aber ich
+bat ihn, dies nicht zu tun; denn was wäre die Folge gewesen! Auf meine
+Bitten versprach er mir, ich dürfe, wenn die Mutter mich noch länger so
+behandle, wieder zu ihm. Das geschah denn auch bald auf die folgende
+Begebenheit hin.
+
+Ich hatte zwei Freundinnen, die bei uns im Hause wohnten, und die ich an
+den Sonntagen nachmittags manchmal besuchen durfte, wenn die Eltern
+fortgingen. Da sprachen wir denn über verborgene Dinge und trieben
+mancherlei Heimliches, was wohl die meisten Kinder in diesem Alter, ich
+war damals elf Jahre alt, tun. Auf Verschiedenes, was ich nicht wußte,
+war ich freilich erst durch meinen Beichtvater und Religionslehrer
+aufmerksam gemacht und durch seine Fragen dazu verführt worden.
+
+»Hast du dich unkeuschen Gedanken hingegeben?« pflegte er bei der Beicht
+zu fragen. »Wie oft, wann, wo, über was hast du nachgedacht? -- Hast du
+da an unzüchtige Bilder oder an Unreines am Menschen oder an Tieren, an
+gewisse Körperteile gedacht und wie lange hast du dich dabei
+aufgehalten? -- Hast du unzüchtige Lieder gesungen, schamlose Reden
+geführt mit andern Kindern? -- Hast du dich unkeuschen Begierden
+hingegeben? -- Ist dir niemals die Lust angekommen, einen unreinen
+Körperteil an dir zu berühren? -- Hast du dieser Begierde nachgegeben?
+-- Wann, wo, wie oft, wie lange hast du dich bei dieser Sünde
+aufgehalten? -- Hast du das mit dem Finger, mit der Hand oder mit einem
+fremden Gegenstand getan? -- Hast du mit andern Kindern Unkeuschheit
+getrieben? -- Wie habt ihr das gemacht? -- Hast du Tieren zugesehen,
+wenn sie Unreines taten? -- Hast du Knaben angesehen oder berührt an
+einem Körperteil?«
+
+Als der Herr Kooperator das erstemal so fragte, erschrak ich heftig;
+denn, wie gesagt, wußte ich von manchem dieser Dinge noch gar nichts und
+schämte mich sehr. Mit jeder neuen Beichte aber verlor sich diese Scham
+mehr und mehr; besonders, seit er mich in der Religionsstunde des
+öfteren aufforderte, ihn zu besuchen, unter dem Vorwand, ihm etwas zu
+bringen, wobei er dann in seiner Wohnung mich unter Hinweis auf die
+letzte Beichte wieder bis ins einzelne über diese Dinge ausfragte.
+
+Davon sprachen wir Mädchen nun auch auf dem Schulweg oder wenn wir in
+der Pause beisammen waren, und die eine erzählte der anderen ihre
+kleinen Sünden.
+
+Da wurde ich eines Tages zu dem Herrn Oberlehrer gerufen, und als ich
+vor ihm stand, begann er in strengem Ton: »Ich habe durch eine deiner
+Mitschülerinnen vernehmen müssen, daß du in Gemeinschaft mit andern
+Mädchen unsittliche Handlungen vollführt hast. Ich muß dich deshalb
+ebenso wie die andern, die dir wohl bekannt sind, mit Karzer bestrafen.
+Deinen Eltern wird es mitgeteilt werden. Hast du darauf etwas zu
+erwidern?«
+
+Ich hatte nichts zu erwidern und machte mich, nachdem ich um sechs Uhr
+aus dem Karzer entlassen war, zitternd auf den Heimweg; denn ich wußte,
+wie es mir ergehen würde. Geraden Weges heimzugehen vermochte ich nicht,
+sondern ich kam auf einem Umweg in die Isaranlagen, wo ich mich auf eine
+Bank setzte und überlegte, ob ich nicht lieber ins Wasser springen
+sollte. Am End aber siegte doch die Schneid und ich stand auf und ging
+nachhaus.
+
+Ganz langsam schlich ich mich dort über die Stiegen hinauf, stand lange
+vor der Wohnungstür und betete: »Vater unser, der du bist im Himmel! Laß
+mi net umbracht werdn! Heilige Maria, Mutter Gottes, laß mi net
+derschlagn werdn! Heiliger Schutzengel, hilf mir do! I will's g'wiß
+nimma toa!«
+
+Endlich läutete ich.
+
+Hinter der Tür aber lehnte schon der Totschläger; und als ich eintrat,
+empfing mich die Mutter mit einem wuchtigen Schlag. Hierauf gebot sie
+mir, mich auszuziehen. Als ich im Hemd war, schrie sie mich an: »Nur
+runter mit'n Hemd! Nur auszogn! Ganz nackat!«
+
+Darauf mußte ich niederknien, und nun schlug sie mich und trat mich mit
+Füßen wider die Brust und den Körperteil, mit dem ich gesündigt hatte.
+Da schrie ich laut um Hilfe, worauf sie mir ein Tuch in den Mund stopfte
+und abermals auf mich einschlug. Dabei trat ihr der Schaum vor den Mund,
+und keuchend schrie sie mich während der Züchtigung an: »Hin muaßt sein!
+Verrecka muaßt ma! Wart, dir hilf i!«
+
+Als sie erschöpft war, rief sie dem Vater, der im Schlachthaus
+gearbeitet hatte, und ruhte nicht eher, bis auch er den Stock nahm und
+mich noch einmal strafte. Darauf sperrten sie mich in meine Kammer und
+gingen fort.
+
+Durch meine Hilferufe war die Frau Baumeister Möller, die über uns
+wohnte, aufmerksam geworden; und als sie mich in meiner Kammer noch
+lange Zeit laut weinen hörte, rief sie mir von ihrem Balkon aus zu:
+»Warum hat s' di denn wieder so g'prügelt? Komm, mach auf, dann komm i
+zu dir nunter!«
+
+Ich sagte ihr, daß ich eingesperrt sei. Da rief sie unserm Nachbarn, dem
+Schlosser. Der mußte aufsperren; und als sie hereinkam und mich sah,
+erschrak sie sehr; denn mir lief das Blut über die Arme und den Rücken
+herunter und Brust und Leib waren ganz blau und verschwollen. Sie war so
+erregt über die mir widerfahrene Behandlung, daß sie meiner Bitte, mich
+zu meinem Großvater zu bringen, sofort nachgab. Sie zog mich sauber an
+und wir fuhren noch mit dem Abendzug heim.
+
+ * * * * *
+
+Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen, und ich mußte lange unter dem
+Fenster rufen, bis mich die Großeltern hörten. Der Großvater öffnete das
+Haus und fragte, indem er uns in die Stube führte, erschreckt: »Insa
+liabe Zeit! Lenei, wo kimmst denn du no so spat her? Was is denn nur
+grad passiert und wer is denn dös Wei da?«
+
+Da berichtete ihm Frau Möller kurz das Geschehene, worauf er sagte:
+»Naa, Dirnei, da kimmst ma nimma eini! Jatz bleibst bei mir da; so viel
+ham ma, daß 's g'langt!«
+
+Nachdem die Frau Baumeister die Einladung des Großvaters, bei uns zu
+übernachten, ausgeschlagen und sich nach einem Gasthof begeben hatte,
+wollte die Großmutter mich ausziehen; aber sie mußte mich erst in ein
+Schaff mit Wasser setzen, bevor sie die an den Wunden klebenden
+Wäschestücke vom Körper lösen konnte. Als ich endlich nackt vor ihnen
+stand, geriet der Großvater vor Zorn ganz außer sich und schrie, daß
+alles zitterte: »Dös muaß ma büaßn, dös Weibsbild, dös verfluachte!
+Oonagln tua i's! Aufhänga tua i's! Umbringa tua i's!«
+
+Nach dem Bad wurde ich mit sauberen Linnen abgetrocknet und die
+Großmutter holte den Salbtiegel und begann meinen »Wehdam
+einzuschmierbn«. Der Großvater aber nahm die Kinderstup und stäubte,
+finster vor sich hingrollend, mit dem Pudermehl meinen Rücken, die Arme
+und Beine ein, während der Hausl mit weit hinter sich hinausgespreizten
+Armen in der Stube auf und ab schritt und nur von Zeit zu Zeit den Kopf
+schüttelte oder ausspuckte.
+
+Andern Tags in der Früh holte der Großvater den Bader, der mir überall,
+wo es vonnöten war, ein Pflasterl auflegte und dafür sorgte, daß
+möglichst Viele die Begebenheit inne wurden. Die Großmutter aber mußte
+des Vaters Feiertagsgewand herrichten; denn er wollte noch am Vormittag
+in die Stadt fahren. Ehe er fortging, sagte ich ihm noch den Grund,
+warum die Mutter mich so gestraft; doch erwiderte er aufs neue erzürnt
+nur: »Dös is gleich! So was redn alle Kinder amal; dös tuat a jeds Kind
+amal. Dös is dös G'fahrlicha no lang net!«
+
+Als er von München zurückkam, sprach er, wie das so seine Art war, mit
+keinem Wort mehr von der Sache; aber ich durfte wieder ein ganzes Jahr
+bei den Großeltern bleiben.
+
+Im September dieses Jahres war im Dorf das große Haberfeldtreiben; kurz
+vorher starb unser Hausl ganz plötzlich und ohne irgend eine
+Vorbereitung.
+
+Es war ein recht schwüler Augusttag gewesen und der Hausl hatte schon
+seit dem Morgen über die Hitze und seinen großen Durst gejammert; doch
+reute ihn immer wieder das Geld zu einem Trunk Bier. Am End aber konnte
+es die Großmutter nicht mehr mit ansehen und sagte: »Geh, Hausl, laß dir
+halt vo da Lena a Bier holn! Wenn di's Geld gar a so reut, na zahl's
+halt i!«
+
+Da fühlte er sich doch in seinem Stolz gekränkt und sagte: »In Gott's
+Nam', Handschuasterin, laßt halt a Halbe holn!«
+
+Mit diesen Worten schlürfte er in seine Kammer, riegelte hinter sich zu
+und brachte nach einer geraumen Weile die paar Kreuzer heraus.
+
+Da legte die Großmutter noch ein Zehnerl darauf und sagte zu mir:
+»Lenei, holst glei a Maß, na derfa ma aa amal trinka.«
+
+Als ich dann den vollen Krug vor ihn hinstellte, brummte er ärgerlich:
+»Warum habt's denn enka Bier net in an andern G'schirr g'holt! Woaß ma
+net, was oan zuaghört und was net!«
+
+Damit nahm er den Krug, setzte sich auf das Kanapee und trank; die
+Großmutter und ich aber saßen am Tisch, wartend, daß er sage: »Da, dös
+g'hört enk.«
+
+Doch er sagte nichts, so daß ich bei mir dachte: »Der trinkt ja dös unsa
+aa no aus!«
+
+Auf einmal läßt er die Hand mit dem Krug sinken und neigt den Kopf
+tiefer und tiefer. Da schreit auch schon die Großmutter: »Jess Mariand
+Josef, Hausl, der Kruag fallt oicha!« und springt hinzu und will ihn
+auffangen.
+
+Aber die knöchernen Finger umklammern fest den leeren Krug und sind
+eiskalt. »Gott steh ma bei! Was is denn dös?« kreischt sie auf; denn der
+Hausl war tot.
+
+Als er eingegraben wurde, kamen seine Verwandten und fielen über seine
+Sachen her. Dabei stritten sie heftig, und als sie endlich eins waren
+und wieder fortgingen, sagten sie zum Großvater: »So, Handschuasta, was
+jatz no da is vo eahm, dös g'hört enk.«
+
+Da war aber nichts mehr da wie sein alter, gestrickter Janker. Den nahm
+ich vom Nagel, und während ich ihn betrachte und betaste, greif ich
+unwillkürlich auch in die Taschen und finde darin einen Schlüssel. Da
+fällt mir sein Wandschränklein ein. Ohne ein Wort lauf ich in die Kammer
+und sperre zu, suche nach dem Pünktlein, kratze den Kalk von der Wand
+und bringe am End nach vieler Müh das Türlein auf. Da lagen in dem
+Kästlein weit über hundert Mark Geld, ein Haufen Silberknöpfe und alte
+Münzen, seine silberne Uhr mit der Kette und den großen Talern daran und
+etliche schöne, silberbeschlagene Bestecke und silberne Löffel; daneben
+sein Rasierzeug und ein kleines, hölzernes Spieglein.
+
+Voller Freude riß ich die Kammertür auf und rief: »Großvata, da geh rei!
+I hab was g'fundn vom Hausl und dös g'hört alles uns!«
+
+Als der Großvater meinen Fund sah, war er zuerst sprachlos vor
+Verwunderung; dann aber sagte er: »Dirnei, dös g'hört alls dei. Du bist
+eahm dö Liaba g'wen und dir hätt er's do vermacht.«
+
+Der Großmutter war das auch recht, und so haben sie mir die Sachen immer
+aufgehoben. Als aber nachher der Großvater starb, sind die Verwandten
+darüber gekommen und mir ist nichts geblieben als das Spieglein und das
+Besteck. Das nahm dann meine Mutter in Verwahrung, und so hatte ich
+nichts mehr.
+
+Die Rede, welche der Herr Pfarrer am Grabe unsers Hausl gehalten hatte,
+war wieder eine Verdammungsrede gewesen; eine noch schlimmere aber hielt
+er kurze Zeit danach dem Schmittbauern, dem reichsten der Gemeinde, den
+auch der Schlag getroffen. Dieser Mann war in der ganzen Umgegend wegen
+seiner Gutherzigkeit und Rechtlichkeit angesehen und beliebt; nur beim
+Pfarrer stand er schlecht angeschrieben. Einen besonderen Groll auf ihn
+hatte auch der Posthalter, der sich gern durch den Bau einer Straße
+berühmt gemacht hätte, daran aber durch einen Acker des Schmittbauern
+gehindert wurde, den dieser um keinen Preis hergeben wollte. Ein
+jahrelanger Prozeß war zugunsten des letzteren entschieden worden.
+
+Nach der Beerdigung begaben sich nun damals die Leidtragenden, die in
+großer Zahl von nah und fern gekommen waren, zum Leichenschmaus beim
+Huberwirt. Nur einige waren noch am Gottesacker zurückgeblieben und
+hörten dort, wie der Posthalter mit Bezug auf die Rede des Pfarrers zum
+Lehrer sagte: »Recht hat er g'habt, der Herr Hochwürden! Dem g'hört 's
+net anderscht. Mit dene werdn ma aa no ferti; mir zoagn 's eahna scho!«
+
+Diese Worte hinterbrachten die Bauern, die sie gehört hatten, sofort den
+beim Leichentrunk Versammelten, und nun kannte die Erbitterung keine
+Grenzen. Zur Stund ward beschlossen, den Schmittbauern zu rächen.
+
+Am Samstag vor dem Fest Mariä Geburt erschienen bei anbrechender Nacht
+plötzlich etliche hundert Männer mit geschwärzten Gesichtern im Ort,
+zogen, mit Sensen, Dreschflegeln, Heugabeln und Äxten bewaffnet, durch
+das Dorf und sangen Trutzlieder auf die Geistlichkeit und besonders auf
+unsern Pfarrer. Dazu vollführten sie mit Johlen, Pfeifen und
+Zusammenschlagen der Äxte und Sensen einen höllischen Lärm. Vor dem
+Pfarrhof angelangt, schlugen sie dort die Fenster ein, beschmierten die
+Türen mit Schmutz, hieben die Obstbäume um oder rissen sie aus; sogar
+den Heustadel wollten sie in Brand setzen, doch zündete es nicht.
+
+Danach zogen sie zum Posthalter und besudelten dem alle Fensterscheiben
+und Läden mit Menschenkot, den sie in einem großen Kübel mitführten, und
+schrieben an das große Tor der Einfahrt mit einem langen Pinsel, der mit
+demselben Schmutz getränkt war, diesen Vers:
+
+ Auf'n Pfarrer is g'schissn
+ Auf'n Posthalter damit,
+ Warum hant s' so verbissn
+ Am Sebastian Schmitt.
+
+Noch am andern Tag konnte jedermann diese Worte lesen.
+
+Von den Gendarmen hatte keiner gewagt, sich den Haberern in den Weg zu
+stellen, und eine Untersuchung, die man später einleitete, hatte nicht
+den geringsten Erfolg; denn keiner verriet den andern, weil man noch von
+Hausham her wußte, daß das Haberfeldtreiben sehr streng bestraft wurde.
+
+Geraume Zeit ging noch die Rede von diesem Treiben, und an den langen
+Winterabenden, wenn die Großmutter mit der Huberwirtsmarie und der alten
+Sailerin, einer achtundneunzigjährigen Greisin, in der Stube saß und
+spann, während der Großvater auf der Ofenbank lange, kunstvolle Späne
+schnitt, fiel noch manches Wort über diese Geschichte.
+
+Aber auch andere abenteuerliche und seltsame Dinge wurden da erzählt.
+Besonders die Sailerin, im Dorf nur die alt' Soalagroß' genannt, die
+wegen ihrer bösen Zunge sehr verrufen und von manchen als Hexe
+gefürchtet war, wußte aus längst vergangener Zeit die wunderlichsten
+Begebenheiten zu berichten: von Leuten des Dorfes, die durch ihren
+sündhaften Lebenswandel den Teufel selber zu Gaste geladen und mit ihm
+wirkliche Verträge abgeschlossen hatten. Sie war selber Zeuge gewesen,
+wie ein Bauer in jungen Jahren verliebt war in das Weib eines Nachbarn;
+wie er diesen eines Mordes an einem armen Handwerksburschen zieh und,
+nachdem der Unglückliche peinlich verhört und am Ende unschuldig zum
+Tode verurteilt worden, die Wittib heiratete. Da kam eines Tages der
+Teufel in Gestalt eines fürnehm gekleideten Herren zu ihm und wollte
+eine Kuh kaufen. Als ihn der Bauer in den Stall führte, fing alles Vieh
+zu brüllen an und zeigte große Unruhe. Der Fremde suchte eine schwarze
+Kuh aus und zählte darauf den hohen Preis in lauter Goldmünzen auf den
+Tisch; und als der Bauer dieselben einstreichen wollte, verbrannte er
+sich die Hände, so heiß waren sie. Erschrocken sah er sich nach dem
+Fremden um; der aber war verschwunden und statt seiner stand eine
+erschreckliche Gestalt an der Tür und rief: »Wart nur! I kriag di scho
+no!« Damit verschwand sie; die Kuh aber, die nicht geholt wurde, gab von
+Stund an blutige Milch. Etliche Wochen später wurde der Bauer tot und
+ganz schwarz auf dem Felde gefunden.
+
+Oft nach dem Abendläuten sprachen sie auch von den verstorbenen
+Angehörigen, und da erzählte die Sailerin von den armen Seelen im
+Fegfeuer und wie sie denen helfen, die fleißig für sie beten. So sei
+einmal ihre Mutter am Herd gestanden und habe die Abendsuppe gekocht.
+Indem läutete es zum Angelus, und während sie halblaut den englischen
+Gruß betete und, wie gewohnt, noch ein Vaterunser für ihre verstorbene
+Mutter hinzufügte, tat sich die Haustür auf und herein lief eine alte
+Frau, die der Verstorbenen aufs Haar glich. Diese zog sie hastig mit
+sich über die Stiege hinauf, riß die Tür zum Heuboden auf, wies mit der
+Hand hinein und verschwand. Ihrer Mutter aber sei fast das Herz
+stillgestanden vor Schreck: ganz oben unter dem Dach hing ihre Lisl mit
+dem zerrissenen Rock an einem Nagel des Gebälks und konnte jeden
+Augenblick hinunter auf den Dreschboden stürzen. Das Kind, das die Katze
+bis dorthin verfolgt hatte, konnte nur mit vieler Mühe gerettet werden.
+
+Auch wußte sie viel von alten Sitten und Gebräuchen: so legten in der
+Thomasnacht die jungen Mädchen die gekochten Beinlein eines in der Nacht
+zum Andreastage getöteten Marders, einige Hollunderzweige, die am St.
+Barbaratag abgeschnitten worden, und einen Zettel, darauf ein
+geheimnisvolles Gebet geschrieben stand, auf die Schwelle ihrer
+Kammertür. In der Mitternachtsstunde erblickten sie dann, wenn sie in
+den Spiegel sahen, ihren Hochzeiter. Auch eine ihrer Schwestern habe
+einmal, nachdem sie alles recht gemacht, dies getan; aber mit einem
+lauten Aufschrei sei sie davongestürzt; denn statt eines jungen Mannes
+habe der Tod aus dem Spiegel geschaut. Nach langem Siechtum sei sie dann
+auch wirklich unverheiratet gestorben.
+
+Atemlos lauschte ich stets diesen Erzählungen und bekam nach und nach
+eine große Hochachtung vor der alten Sailerin; und da sie immer recht
+freundlich mit mir war und auch bei den Großeltern viel galt, hielt ich
+mich häufig bei ihr auf. Da konnte ich denn, als das warme Frühjahr
+wiedergekommen, oft stundenlang bei ihr auf der Hausbank sitzen, wo sie
+den ganzen Tag über die Vorübergehenden prüfend betrachtete und mit sich
+selber lange Gespräche führte, während ihre Hände unablässig an einem
+ungeheuern Strumpfe strickten. Dies Stricken und Mitsichselberreden war
+ihr schon so zur zweiten Natur geworden, daß sie überall, wo sie ging
+und stand, die Lippen und die Zunge bewegte und in den gefalteten Händen
+die Daumen umeinanderdrehte.
+
+ * * * * *
+
+Während dieses Jahres gebar die Mutter in München ihr zweites Kind, den
+Maxl. Kurz zuvor hatte der Vater sein ganzes Geld, bei dreißigtausend
+Mark, auf dem Anwesen, das er gekauft hatte, durch einen Bauschwindler
+verloren, so daß er sich an eine Brauerei um Hilfe wenden mußte. Diese
+gab ihm, nachdem sie ihn eine Zeitlang in ihrer Flaschenfüllerei
+beschäftigt hatte, eine Kantine im Lechfeld. Den Hansl nahm die Mutter
+mit, und der Maxl kam zur Großmutter in die Kost.
+
+Nach einem Jahr schrieb die Mutter, man solle uns wieder nach München
+schicken, und sie versprach, mich jetzt besser zu behandeln; es gehe
+ihnen gut und sie hätten im Lechfeld so viel Gewinn gehabt, daß der
+Vater in München wieder eine Wirtschaft pachten könne.
+
+So brachte mich denn der Großvater wieder in die Stadt, nicht ohne
+Kummer und Besorgnis. Doch behandelte mich meine Mutter jetzt wirklich
+besser und sparte nicht an Lob und Belohnung, wenn ich etwas zu ihrer
+Zufriedenheit gemacht hatte. Zu Weihnachten schenkte sie mir eine Puppe,
+die so groß wie ein zweijähriges Kind war und einen wunderschönen,
+wächsernen Kopf mit echtem Haar hatte. Doch die Freude währte nicht
+lange; bald nach Ostern nahm sie mir die Puppe weg, weil ich zu viel
+Zeit mit dem Spiel vertrödelte, und schenkte sie später der Großmutter
+für die Kostkinder. Die Großmutter aber hob sie noch lange Jahre für
+mich auf und gab ihr einen Ehrenplatz in der Künikammer. Der Tag meiner
+Firmung brachte dann eine weitere Enttäuschung, wohl die bitterste, die
+ein Mädchen in diesem Alter erleben kann; denn noch an dem gleichen Tage
+verkaufte die Mutter mein weißes Firmkleid an den Vetter Bastian, einen
+Fuhrknecht, der es für seine Tochter brauchte und ich mußte mich in
+meinem alten Sonntagskleid von der Nanni, meiner Firmpatin, in den
+Methgarten an der Schwanthalerstraße führen lassen, wo die andern
+Firmlinge in ihren weißen Kleidern und mit der offiziellen Firmuhr
+prangten und mich verächtlich von der Seite ansahen und von mir
+wegrückten. Das Firmgeschenk, das mich sehr freute, bestand in dem
+silbernen Geschnür, der Halskette und Riegelhaube der Nanni; es wurde
+aber bald danach alles von der Mutter verkauft mit dem Versprechen, ich
+bekäme etwas Praktischeres dafür.
+
+Die Tante Babett hatte inzwischen ihre Stellung wieder aufgegeben und
+war als Kinderfrau in dem Hause meiner Eltern angenommen worden. Unter
+ihrem Einfluß wurde auch die Mutter fromm und ging von nun an jede Woche
+zur Beichte und zum Tisch des Herrn, fast jeden Tag in die Messe, hörte
+jede Predigt, wurde Mitglied aller Erzbruderschaften und des dritten
+Ordens und machte Wallfahrten. Zu Hause aber schimpfte und fluchte sie
+mit bösen Worten, und die Dienstboten und ich waren in ihren Augen keine
+Menschen.
+
+Weil ich nun von dieser Frömmigkeit, die vor allem den Pfarrern zu
+gefallen suchte, nichts wissen wollte, mußte ich gar viele Mißhandlungen
+und Schmähungen von der Tante Babett ertragen, der jede Gelegenheit
+willkommen war, über mich bei der Mutter zu klagen und ihr meine Zukunft
+und mein Seelenheil als hoffnungslos vorzustellen. Ich wurde darum jetzt
+gezwungen, jeden Morgen um sechs Uhr die heilige Messe zu besuchen und
+alle vierzehn Tage zu beichten. Da ward es mir oft seltsam zumut, wenn
+ich, kaum von der Kommunionbank weg, hören mußte, wie die Mutter wegen
+jeder Kleinigkeit die gräßlichsten Flüche ausstieß und doch ihre
+Frömmigkeit für eine echte und heilige hielt.
+
+Zu dieser Zeit kam von Niederbayern eine zweite Schwester meines
+Stiefvaters zu uns. Es waren daheim noch mehrere; denn der Vater meines
+Stiefvaters hatte vierzehn Frauen gehabt, mit denen er neununddreißig
+Kinder zeugte. Als er mit dreiundzwanzig Jahren das erstemal heiratete,
+kurz, nachdem sein Vater, der reichste Bauer vom ganzen Rottal, unter
+Hinterlassung von mehr denn einer Million Gulden gestorben war, brachte
+ihm die Frau noch über hunderttausend Gulden Heiratsgut mit, und als
+nach einem Jahr ihr das Wochenbett zum Todbett ward, erbte er noch ihr
+ganzes übriges Besitztum; denn sie war eine Waise. Kurz danach nahm er
+die zweite Frau, eine Magd, mit der er sechs Jahre lebte und vier Kinder
+hatte. Als sie an der Wassersucht gestorben war, heiratete er noch im
+selben Jahr eine Kellnerin, die er aber nach wenigen Monaten davonjagte,
+als er eines Tags den Oberknecht bei ihr im Ehebett fand. Die vierte
+Frau, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, holte er sich aus dem
+bayerischen Wald, verlor sie aber schon nach zwei Jahren, nachdem sie
+ihm ein Kind geboren hatte. Die Leute erzählten, er habe sie durch sein
+wüstes, ausschweifendes Leben zugrunde gerichtet. Bald nach ihrem Tode
+nahm er mit dreiunddreißig Jahren die fünfte Frau, die ihm vier Kinder
+mit in die Ehe brachte, von denen böse Zungen behaupteten, daß sie von
+ihm gewesen; denn diese Frau hatte er zuvor als Oberdirn auf seinem Hof
+gehabt. Während einer fünfjährigen Ehe gebar sie ihm zweimal Zwillinge
+und einen Buben, an dem sie starb. Man sagte aber auch, sie sei aus
+Kummer krank geworden; denn um diese Zeit hatte er begonnen, offen ein
+wüstes Leben zu führen. Als Viehhändler trieb er oft zwanzig bis dreißig
+Stück Rinder oder auch Pferde zu Markte und hielt danach mit andern
+Genossen große Zechgelage. Hierbei wurde gewürfelt, und da er sehr hoch
+spielte, verlor er oft seine ganze Barschaft samt dem Erlös und mußte
+nicht selten noch Boten heimschicken um Geld.
+
+Inzwischen war die Frau, von der er sich hatte scheiden lassen, an der
+Schwindsucht gestorben, so daß er nun, als er mit neununddreißig Jahren
+das sechstemal heiratete, wieder kirchlich getraut wurde; doch, noch ehe
+ein Jahr um war, starb die Frau im Kindbett. Nun holte er sich ein Weib
+aus Österreich, eine junge, sehr schöne Linzerin. Von ihr berichtet man,
+daß er einmal, als er den ganzen Erlös für das verkaufte Vieh und all
+sein bares Geld verloren hatte, sie auf einen Wurf setzte und an einen
+reichen Gutsbesitzer um tausend Mark für eine Nacht verspielte. Während
+dieser Nacht soll sich die Frau gar sehr gewehrt und den Gutsherrn so
+schwer an der Scham verletzt haben, daß er bald darauf sterben mußte.
+Mit dieser Frau lebte er acht Jahre sehr unglücklich, und nachdem sie
+ihm zehn Kinder geboren hatte, starb sie an dem letzten. Kurz darauf
+heiratete er mit fünfzig Jahren zum achtenmal und hatte während einer
+sechsjährigen Ehe sechs Kinder. Auch diese Frau hatte keine guten Tage
+bei ihm; denn ihr eingebrachtes Vermögen war gleich dem der anderen
+Frauen bald verspielt, und nun mißhandelte er sie oder verfolgte sie im
+Rausch mit seinen Zärtlichkeiten, was das gleiche war; denn er war
+herkulisch gebaut und massig wie seine Stiere. Auch hatte er noch zu
+ihren Lebzeiten eine heimliche Liebschaft mit einer anderen, die nach
+ihrem Tode seine neunte Frau wurde, aber schon nach vierjähriger Ehe mit
+sechsundzwanzig Jahren an ihrem vierten Kinde starb.
+
+Obwohl nun im Orte heimlich die Rede ging, daß er seine Frauen auch im
+Kindbett besuche, davon ihnen das Blut gehend worden wär und daran sie
+gestorben seien, willigte doch eine Nähterin aus der Pfarre in des
+Vierundsechzigjährigen Heiratsantrag; denn sie hatte schon zwei
+erwachsene Kinder von ihm. Doch auch ihr wurde das gleiche Schicksal und
+sie starb nach zwei Jahren zugleich mit dem Kinde im Wochenbett. Mit
+siebenundsechzig Jahren heiratete er zum elftenmal, und als die Frau
+schon nach zwei Monaten gestorben war, ging er mit neunundsechzig Jahren
+die zwölfte Ehe ein. Mit dieser Frau lebte er vier Jahre und nahm nach
+ihrem Tode mit vierundsiebzig Jahren die dreizehnte. Diese letzten Ehen
+waren alle unglücklich; denn daheim prügelte er die Frauen und in den
+Wirtshäusern verspielte er alles, was er besaß. Beim Tode der
+dreizehnten Frau hatte er nichts mehr, und als er jetzt mit
+neunundsiebzig Jahren in das Armenhaus kam, fand er da eine
+Armenhäuslerin, die seine vierzehnte Frau wurde. Mit ihr lebte er noch
+sieben Monate und starb danach als Bettler; sie hat ihn dann noch kurze
+Zeit überlebt.
+
+Die zweite Schwester meines Vaters, die vierzehnjährige Zenzi, kam
+damals grad aus dem Kuhstall zu uns und sollte jetzt die Haus- und
+Küchenarbeit lernen. Gleich nach ihrer Ankunft ließ auch ihr die Mutter
+die Haare abschneiden, und ich mußte ihr alle Tage das Ungeziefer vom
+Kopf suchen. Dann mußte ich sie beten lehren; denn sie konnte nicht
+einmal das Vaterunser, worüber die Mutter sehr aufgebracht war. So wenig
+angenehm diese Aufträge für mich waren, so belustigend war es
+anderseits, ihr bei der Hausarbeit zuzusehen, besonders wenn sie mit dem
+Schrubber putzte. Da hob sie, wenn sie zu wischen begann, das Bein in
+die Höhe, wie man es auf dem Felde tut, um die Gabel in den Mist zu
+treten, und sang dazu. Gewöhnlich war es das Lied von der unglücklichen
+Fahrt über den Inn, bei der fünf Burschen und drei Mädchen ertranken,
+und das ein Bauernbursche aus dem Rottal gedichtet hatte. Sie sang es
+ohne Stimme und Gehör, und das Lied lautete:
+
+ Leut, seid's a weng ruhig
+ Und mirkt's a weng auf,
+ Und den trauringa Fall
+ Leg enk ich wieda auf.
+
+ Und den heuringa Jahrgang,
+ Den ma achtadachtzg schreibt,
+ Den hamand dö altn Leut
+ Scho lang prophezeit.
+
+ So viel Wolkenbrüch und Hagelschlag
+ Wia heuer san g'west;
+ A Schauer geht oan über,
+ Wenn ma d'Zeitunga lest.
+
+ Will koa Mensch nimma betn,
+ Halt neamd nix für a Sünd;
+ Wen tat's'n da wundern,
+ Wenn über uns nixn kimmt.
+
+ Und gehn ma von dem wega
+ Und drah' ma uns anderscht wo ei,
+ Und den oasa'zwanzigstn Mai
+ Muaß der Pfingstmontag sei.
+
+ Da hat's in Pocking in Bayern
+ Zwoa Pferderennats gebn;
+ Die Witterung war günstig
+ Und hübsch lustig is aa g'wen.
+
+ Es kimmt a Menge Menschen z'samm,
+ Ja dös Ding, dös is leicht;
+ Aba net grad vom Haus Bayern,
+ Sondern auch vom Haus Österreich.
+
+ »Das Renn' ging glücklich vorüber,«
+ So hört man allgemein lobn,
+ Aber die Heimkehr auf Östreich
+ War traurig genung.
+
+ Fünf bluatjunge Burschen
+ Von oana Pfarr z'haus,
+ Dö gehnd in Tod hinüber
+ Kimmt koana mehr raus.
+
+ Sie glaubn, sie gehnd über Schärding,
+ Aber, weils Wasser zu hoch
+ Und der Umweg zu weit,
+ Wann ma's wirklich betracht.
+
+ Da sagt der Brüahwassermathias:
+ »Dös war ma scho z'dumm!
+ Mir fahrn den pfeilgradn Weg
+ Vorüber in Hunt!«
+
+ Sie sitzn si eini
+ Und haltn si mäusstad,
+ Aba mitn Hong ham sie si vostocha,
+ Jatz hot's as halt draht.
+
+ »Jesus, Maria und Josef!«
+ War das Jammergeschrei;
+ Drei hand auskemma,
+ Aba mit acht is vorbei.
+
+ Fünf hand vo Österreich
+ Drei hand vo Boarn
+ Und oana davo
+ War bal ganz vergessn wordn.
+
+ Und am oasa'zwanzigstn Mai
+ Werdn die Gottsdeansta g'haltn,
+ Aber der Schmerz vo dö Eltern
+ Is net zum aushaltn.
+
+ Jatz pfüat enk Gott, Eltern!
+ Die Gräber hand zua,
+ Teat's fei für uns betn
+ Um dö ewige Ruah!
+
+Sang sie nicht, so war das ein Zeichen ihrer schlechten Laune, und da
+konnte sie dann auch bösartig sein und einem alles zum Trotz tun. Schalt
+ich sie, so lief sie zu ihrer Schwester, der Tante Babett, diese lief
+zur Mutter und die Mutter kam über mich; und hatte ich zuvor nur eine
+wider mich gehabt, so waren es jetzt drei.
+
+Da überwarf sich die Tante Babett mit meinem Vater und verließ ganz
+plötzlich das Haus. Es war nämlich aufgekommen, daß sie jeden Morgen auf
+einem Umweg in die Kirche gegangen war. Auf diesem Weg aber wohnte ein
+Bräubursch. Der hat sie jedoch nicht geheiratet, weil sie, wie er sagte,
+ihm zu fromm sei und es mit den Pfarrern hielte. Nach ihrem Weggang
+wurde die Zenzi in der Küche und dem Hauswesen verwendet und ich mußte
+wieder die Kindsmagd machen.
+
+Da geschah es oft des Abends, daß die Kinder nicht einschlafen wollten;
+ich mußte mich aber schicken, um wieder hinunter in die Wirtschaft zur
+Arbeit zu kommen. Da das Zureden nichts nützte, half ich mir schließlich
+auf folgende Weise: Aus einem Bettuch machte ich mir ein weißes Gewand,
+aus gelben Bierplakaten zwei Flügel und aus einem Lampenreif die Krone.
+So ging ich zu ihnen ins Schlafzimmer, wo nur ein rotes Nachtlicht
+brannte, trat an das Bett des zweijährigen Maxl und fing leise an zu
+singen. Ganz andächtig mit geschlossenen Augen hörte er mir zu, während
+der vierjährige Hansl mich beobachtete, ohne mich zu erkennen. Am andern
+Tag erzählte der jüngere es dem älteren und sagte: »Du, Hansl, heut auf
+d'Nacht is mei Schutzengel da g'wen mit goldene Flügeln und an weißen
+Kleid; der hat schön gsunga!«
+
+Darauf sprach der Hansl: »I hab's scho g'sehgn, aba i hab mi nix z'sagn
+traut, sonst hätt i'hn verjagt.«
+
+Ich verbot ihnen, irgend jemandem etwas davon zu sagen und machte nun
+jeden Abend den Schutzengel.
+
+Wie ich nun wieder einmal vor dem Bett stehe, geht die Tür auf und die
+Mutter kommt herein. Der Hansl ruft ihr noch zu: »Sei stad, Mama, da
+Schutzengel is da!« als sie schon schreit: »Du Herrgottsakermentsg'ripp,
+du zaundürrs! Dir werd i's austreibn, an Engl z'macha!« Und damit reißt
+sie mir die Flügel herunter und jagt mich unter Püffen aus der Stube.
+Die Kinder begannen zu schreien und zu weinen und die Mutter beruhigte
+sie, indem sie sie über den Frevel, wie sie sagte, aufklärte und ihnen
+Schokolade gab.
+
+Von der Stunde an betrachteten mich die Brüder mit kindlicher Verachtung
+und wollten mir lange nicht mehr folgen.
+
+Dann kam eine Zeit, wo die Mutter mich wieder besonders quälte; sie war
+aber auch gegen andere Leute recht barsch, vor allem gegen den Vater.
+Dabei wurde sie immer stärker, und nun wußte ich, daß wieder ein Kind
+kam. Daß dem so war, das hatte ich eines Tages nach der Turnstunde
+erfahren, als ich mit mehreren Mädchen meiner Klasse, ich war damals
+dreizehn Jahr alt, nach Hause ging. Da begegnete uns eine Frau, die in
+andern Umständen war, und auf die Frage der Babett: »Warum is denn dö
+unten so dick und obn so mager?« entgegnete ich: »Ja, weils halt ihr
+Korsett verkehrt anhat.«
+
+»Du irrst!« sagte darauf die Else, eine Lehrerstochter. »Die Frau trägt
+überhaupt kein Korsett, sondern die bekommt ein Kind.«
+
+»Ja, die Else hat recht,« mischte sich eine vierte, die Anna, ins
+Gespräch, »mei Mutter war auch so dick, dann ham ma zwoa Bubn kriegt;
+dann is s' im Bett g'legn, und wie s' wieder aufg'standn is, war s'
+wieder ganz mager. Jetzt möcht i nur wissn, wie dö rauskomma san.«
+
+»Das kann ich dir schon sagen,« erwiderte die Else. »Mein Papa hat zu
+Hause ein Buch, darin hab ich's gelesen: Wenn ein Mann mit einer Frau
+ins Bett geht und mit ihr was Schlimmes treibt, legt er ihr ein Ei in
+ihren Körper; dann tut er wieder was Böses mit ihr, dadurch kommt das Ei
+in den Magen der Frau, und die brütet es aus und aus dem Nabel kommt das
+Kind mittels der Nabelschnur.«
+
+»Du spinnst ja!« rief jetzt die Theres. »Da hast halt aa net recht
+g'lesn! I woaß von meiner Schwester, die von dem Doktor dös Kind hat:
+dös Ei liegt net im Magn, sondern im Bieserl. Da tut der Mann mit der
+Frau was Böses und dann kommt's in Bauch und nach einem halben Jahr
+kommt 's Kind unten raus. Und da braucht ma die Hebamm zum Aufschneidn
+und Zunähn.«
+
+Mit Gruseln hörten wir zu und daheim untersuchte ich, als ich allein
+war, sogleich mit einem Spiegel, ob das mit dem Kind wirklich möglich
+sei; da hab ich gefunden, daß es unmöglich sei.
+
+Aber die Mutter bekam bald danach doch den Ludwigl, und da ich in
+Ermangelung einer Wochenbettpflegerin alle bei einer Niederkunft
+notwendigen Arbeiten tun mußte, so konnte ich ziemlich den ganzen
+Verlauf der Geburt beobachten.
+
+Als ich dann die Mutter laut jammern und klagen hörte, hatte ich viel
+Mitleid mit ihr und nahm mir zugleich fest vor, niemals mit einem Mann
+was Böses zu tun. Im übrigen hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken;
+denn den ganzen Tag bis spät in die Nacht ging es treppauf, treppab und
+hieß es arbeiten, damit die Mutter zufrieden war.
+
+
+
+
+
+
+Von dem Besuch höherer Schulen hielt meine Mutter damals noch nicht
+viel, und so mußte ich, als ich aus der Werktagsschule entlassen war, in
+die Mittwochschule gehen, die meist von Dienstmädchen und den Töchtern
+der Armen besucht wurde. Bei den geringen Anforderungen, die hier an die
+wenig wißbegierigen Mädchen gestellt wurden, war ich bald das verrufene
+und doch zur rechten Zeit vielbegehrte »G'scheiterl« und brachte am
+Schluß des ersten Jahres die beste Note nach Hause. Zum Lohn dafür
+durfte ich mit einem jungen Mädchen aus dem Nachbarhause, das ebenso
+bleichsüchtig wie ich war, in den Ferien zu den Großeltern aufs Land.
+
+Da nun mein Großvater damals schon ziemlich schwer erkrankt war, schien
+es der Großmutter um der Ruhe willen, deren der Kranke bedurfte,
+ratsamer, uns zur Nanni zu schicken. Diese hatte in einem
+unverständlichen Anfall von Besorgnis, daß das Anwesen in Westerndorf
+ihr zum Ruin werde, dasselbe verkauft und erst nach einem halben Jahr
+gemerkt, welch schlechten Tausch sie gemacht hatte, indem sie dafür eine
+ganz alte, morsche Hütte ohne Obstgarten in Haslach genommen, lediglich
+um der Äcker willen, die zwar bedeutend größer waren, aber jedes Jahr
+von schweren Hagelwettern heimgesucht wurden. Sie war also froh, etwas
+an uns zwei bleichen Hopfenstangen, wie sie uns nannte, zu verdienen.
+Freilich wäre ich gern beständig um meinen Großvater gewesen; aber die
+Großmutter litt meine Anwesenheit nie lange und schien förmlich
+eifersüchtig darauf zu sein, ihn allein zu pflegen. So streiften wir
+zwei Mädchen durch Wald und Wiesen, fingen Fische und Krebse und hingen
+mit einer Zärtlichkeit aneinander, daß wir nachts zumeist in einem Bett
+beisammen schliefen; ja, als wir nach Vakanzschluß wieder heimwärts
+fuhren, gelobten wir uns noch im Bahncoupé ewige Treue und Freundschaft.
+
+Einige Monate später, es war an einem Dezembertag, rief meine Lehrerin
+mich kurz nach Beginn des Unterrichts hinaus und reichte mir ein
+Telegramm. Da ich schon seit einigen Tagen die Sorge um meinen kranken
+Großvater nicht los werden konnte und besonders in der letzten Nacht
+durch einen schweren Traum geängstigt ward, so war mein erster Gedanke:
+Er ist tot. Als ich die Worte: »Lenei, komm, Vater stirbt!« gelesen
+hatte, rannte ich, ohne mich zu entschuldigen, oder meine Kleider und
+Schulzeug zu nehmen, halb besinnungslos nach Hause. Aber die Mutter ließ
+mich nicht fort, und so lief ich in Groll und Verzweiflung umher, weinte
+und schlug meine Fäuste gegen den Kopf und fand doch keinen Ausweg. Und
+als am andern Tag ein weiteres Telegramm kam des Inhalts: »Vater tot,
+wird Samstag früh eingegraben,« war ich ganz gebrochen; denn es schien
+mir, als wäre mit dem Toten alle Hilfe und Stütze dahin. Jammernd und
+wehklagend lief ich durchs Haus und die Mutter erreichte weder mit guten
+noch bösen Worten etwas. Und als sie mir auf meinen Vorwurf: »Warum
+habt's mi nimma zu ihm lassn!« Strafe androhte, stürmte ich von der
+Wirtsküche die vier Stiegen hinauf und wollte mich in den Hof
+hinunterstürzen. Doch in diesem Augenblick riß mich jemand vom Fenster
+herab, worauf ich ohnmächtig zusammenbrach.
+
+Von dem darauffolgenden Tage ist mir keine Erinnerung geblieben; am
+übernächsten Morgen aber war ich schon früh um fünf Uhr mit der Mutter
+auf dem Wege zur Bahn, beladen mit Kränzen und von Schmerz und dumpfer
+Trauer ganz betäubt. Ich weinte keine Träne mehr im Zug, wo wir mit den
+Verwandten der Mutter und den Kostkindern zusammentrafen. Stumm blickte
+ich aus dem Coupéfenster in die verschneite Landschaft und sah überall
+das gütige Antlitz des Toten.
+
+Als wir daheim in die Stube traten, wo der Verstorbene aufgebahrt lag,
+stürzte ich der Großmutter, die auf dem Kanapee saß, an den Hals und wir
+vergaßen ganz, daß so viele mit ihr reden wollten. Als mich endlich die
+Mutter wegzog und sagte: »Komm, Mutter, red mit den Kindern!« sah ich
+beim Aufstehen erst, daß die Frau ganz schneeweiß und fast erblindet war
+vor Gram und Kummer.
+
+Indem traten die vier Männer, welche nach der Aussegnung den Sarg zum
+Friedhof zu tragen hatten, in die Stube. Flehentlich bat ich sie, ihn
+nochmals zu öffnen, damit ich den Großvater noch einmal sähe. Und als
+sie endlich meinen Bitten nachgaben, schrie ich laut auf vor Schreck und
+Weh: der Tote hatte Augen und Mund weit offen und war furchtbar
+entstellt, teils von dem entsetzlichen Leiden der letzten Tage, teils
+von der vorgeschrittenen Verwesung.
+
+Da ertönte lautes Beten, und herein in die Stube trat der alte Pfarrer
+mit den Ministranten und dem Lehrer, die Leiche auszusegnen, gefolgt von
+einer teilnehmenden und neugierigen Menge.
+
+Unter dem wimmernden Geläute des Totenglöckleins setzte sich der Zug in
+Bewegung. Ich führte die Großmutter, und wir waren beide ganz still
+geworden; meine Mutter aber hatte schon, während die Geistlichkeit ihre
+Psalmen und Gebete sang, laut zu schreien begonnen, und auf dem ganzen
+Wege durchs Dorf bis zum Gottesacker hörten wir ihr Schluchzen und
+Jammern.
+
+Schier endlos war der Zug der Leidtragenden, und erst jetzt merkte man,
+wie geehrt und beliebt der Handschuster in der Gegend gewesen war; ja,
+lange nach seinem Tode konnte man noch gelegentlich hören: »Ja, der
+Handschuasta, dös is a kreuzbrava, rechtla Mo g'wen; da derfs lang geh,
+bis a söllana wieda amal z'findn is; mir hat er aa selbigsmal bei dem
+Brand mein Buam aus'n Feuer g'holt und hernach 's ganze neue Haus
+umasinst ausg'weißt.«
+
+Nachdem nun der Sarg niedergestellt und eingesegnet war, schickten die
+Männer sich an, ihn ins Grab hinabzulassen. Da vergaß ich alles um mich
+her und ganz in dem Gedanken, daß bei dem Toten auch für mich Ruhe sei,
+stürzte ich auf das offene Grab zu und fiel besinnungslos fast hinein.
+Man bemühte sich um mich, und als ich wieder zu mir kam, hörte ich eine
+alte Bäuerin neben mir sagen: »Dös is a schlechts Zoacha g'wen, i moan
+allweil, da Handschuasta holt si's Lenei bal; schaugt a so aus wia dö
+teuer Zeit, dös Dirndl!« Da hoffte ich im stillen, dieses Zeichen würde
+bald wahr werden, und wurde wieder ruhig, so daß man mich abermals ans
+Grab führen konnte.
+
+Der Herr Pfarrer hielt eben die Grabrede und sprach gerade von dem
+felsenfesten Glauben, den der Verstorbene in all seinem Tun gezeigt
+habe: »Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen;
+aber auf dein Wort hin will ich das Netz nochmals auswerfen! Diese Worte
+des heiligen Petrus hat der Handschuster sich in allen Lebenslagen zur
+Richtschnur gesetzt. Es war ihm gleich, ob bei einer Arbeit, einer
+Dienstleistung oder einem guten Werk etwas herausschaue und zu
+profitieren sei, oder ob er dies Werk umsonst verrichten müsse. Ihm
+genügte es, daß seinem Nachbar damit geholfen war. Dieser seiner
+Überzeugung verdanken auch die hier versammelten Leidtragenden und
+Kostkinder des Handschusters ihre wohlbegründete Existenz, ja teilweise
+ihren Wohlstand, und haben sie ja selbst, wie sie durch ihr Hiersein
+beweisen, gegen den teueren Verstorbenen und dessen selbstlose Liebe und
+Fürsorge einer Pflicht der Dankbarkeit genügen wollen. Dieser große
+Glaube, der nicht fragt und nicht zweifelt, nicht zögert und nichts
+verbessern will, dieser Glaube überzeugt auch mich davon, daß unser
+lieber Herr, gleich wie zu Petrus, auch zu ihm sagt: >Selig bist du,
+weil du geglaubt hast!< Weinet nicht, die ihr hier am offenen Grabe
+steht; er wird auferstehen. Weine nicht, treue Mutter, die du ihn
+gepflegt hast Tag und Nacht und mit ihm getragen hast Freud und Leid,
+Sorg und Arbeit in stiller Entsagung dessen, was andern die Ehe bietet!
+Viele sind berufen, wenig auserwählt, und wer es fassen kann, der fasse
+es. Drum weine nicht, Mutter der Gemeinde, Mutter unserer Verlassenen
+und Verwaisten; weinet nicht, ihr Kinder; denn er will nicht euere
+Tränen, sondern euer Gebet. Darum wollen wir uns vereinigen zu einem
+andächtigen Vaterunser und Ave-Maria.«
+
+Nach dem Trauergottesdienst in der Kirche, der dem Begräbnis folgte,
+begaben sich meine Mutter, die Nanni mit ihren Angehörigen, der Bastian
+und die Kostkinder zum Huberwirt, um den Leichenschmaus zu halten. Die
+Großmutter wollte nicht mitgehen; doch ließ sie sich am End überreden,
+wenigstens in der Wirtsküche ein paar Worte mit einigen Bekannten und
+dem Huberwirt zu sprechen. Ich war mit in die Gaststube getreten und
+stand nun in einer stumpfen Teilnahmslosigkeit am Ofen, während die
+Verwandten, noch ehe sie die Wintermäntel abgelegt hatten, in lebhaften
+Streit geraten waren wegen der Habseligkeiten des Großvaters, die noch
+nicht verteilt worden. Jedes wollte das schönste und meiste haben, und
+des Hausls Schatz, den der Großvater sorgsam für mich aufbewahrt hatte,
+wurde mir auch genommen. Nach den letzten Bestimmungen des Verstorbenen,
+der kein Testament gemacht hatte, mußte das Haus noch vor seinem Tode
+verkauft werden und der Erlös wurde gleichmäßig unter die Kinder
+verteilt, nachdem für die Großmutter tausend Mark beiseite gelegt waren.
+Diese tausend Mark nahm dann die Nanni an sich und behielt dafür die
+Großmutter bis zu deren Tod.
+
+Während meine Mutter und die andern sich noch stritten, kam der
+Huberwirt in die Gaststube herein, führte die Großmutter am Arm und
+sagte, zu meiner Mutter gewendet: »Dös is der Handschuasterin scho dös
+Irgst, daß 's Lenei nimma kemma hat derfa, bevor der Handschuasta
+g'storbn is; er hätt no so viel z'redn g'habt mit ihr und hat in oan
+Trumm g'sagt: >Kimmt's Lenei no net? Geh, Muatta, schaug, ob's jatzat
+kimmt!<«
+
+Verlegen entgegnete meine Mutter: »Lieber Gott, 's Telegramm ist eben zu
+spät g'schickt wordn.«
+
+Da stürzte ich voller Zorn aus meinem Winkel hervor, trat vor die Mutter
+hin und schrie sie an: »Net wahr is! Sag's nur, daß d' mi net raus hast
+lassen! O mein Gott, und er hat so viel nach mir verlangt! I hab's ja
+g'spürt und hab koan Ruh g'habt Tag und Nacht. Dös vergiß i dir net,
+Muatter, daß d' so hart und ohne Herz g'wen bist!« Damit nahm ich die
+Großmutter am Rock und zog sie zur Tür hinaus. Sie folgte mir ohne
+Widerstreben, während die andern alle ganz still geworden waren und die
+Mutter sich umständlich schneuzte.
+
+Auf der Straße sagte die Großmutter plötzlich: »O mei, mir kinnan ja
+nimma hoam!« und begann laut zu schluchzen. Da meinte ich: »Komm,
+Muatter, gehn ma zum Vater 'nauf!« Und so gingen wir wieder zum
+Friedhof, und am Grabe redete sie mit dem Toten, wie wenn er noch lebte
+und mit ihr auf der Hausbank säße: »Woaßt, Vata, z'lang sollst mi nimma
+da lassn; i mag s' nimma, dö Welt, jatz wo i di nimma hab. Tua mi net
+vergessn, Vata, gel, und denk aa aufs Dirndl, daß net z'Grund geht bei
+dem schlechtn Wei.«
+
+Weinend hockten wir uns auf den frisch geschaufelten Hügel, unbekümmert
+um die Blumen und unsere schwarzen Gewänder, und nun erzählte mir die
+Großmutter von den letzten Tagen des Toten: »So viel leidn hat er müssn,
+der Arme; zwoa Strohsäck hat er durchg'fäu't, weil er's Wasser nimmer
+haltn hat kinna und der ganz Leib und d'Füaß oa Fleisch und Wehdam warn,
+daß ma 'n kaam mehr o'rührn hat derfa. Aber er is so geduldi g'wen dabei
+und nur seltn hat ma 'n jammern hörn. Nur grad nach dir hat er allweil
+g'fragt und hat si recht kümmert, wia's dir geh werd, wenn er g'storbn
+is.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Wenn i nur grad in insan Haus
+bleibn kunnt und net's Gnadnbrot beim Sepp und bei der Nanni essn müaßt;
+da werd's ma net gar z'guat geh bei dene.«
+
+Nach diesen Worten versank sie in Nachdenken, und ich lehnte mich ganz
+an sie, weil mich fror; denn ich hatte Tuch und Mantel beim Huberwirt
+gelassen. Ich war eben ein wenig eingeschlafen, als ich durch die Stimme
+des Herrn Pfarrers aufgeschreckt wurde: »Ja, meine liebe Handschusterin,
+wir sind halt alle Fremdlinge in dieser Welt! Es wird Euch wohl recht
+schwer, von Ort und Haus zu scheiden? Wollt Ihr nicht ins Gemeindehaus
+ziehen? Da ging's Euch ja auch nicht schlecht!«
+
+»Vergelts Gott, Herr Hochwürden, aba d' G'meinde is ma allweil no g'wiß;
+i hab ja no Kinder, dö wo si um mei Geld reißn!« meinte die Großmutter
+mit einem schwachen Lächeln und grüßte den sich zum Gehen Wendenden noch
+mit einem leisen: »Gelobt sei Jesus Christus!«
+
+Danach gingen wir doch noch einmal heim ins Haus. Aber da waren schon
+die neuen Besitzer eingezogen und alle möglichen Gegenstände lagen bunt
+durcheinander in den Räumen und vor dem Haustor. Unter der Stiege stand
+eine alte Truhe, in die sonst die Kleie für das Vieh kam; wir setzten
+uns darauf und konnten nichts reden. Aus dem Stall tönte das kurze
+Brüllen der Kühe, denen die gewohnte Hand abging. Da kam aus der
+Wohnstube die neue Hausfrau, sah uns ganz erstaunt an und fragte fast
+unfreundlich: »Was möcht's denn no, Handschuasterin? Habt's leicht ebbs
+vergessn?«
+
+»Naa, i han nix vergessn; geh, Lenei, gehn ma wieder!« erwiderte die
+Großmutter und ging mit mir aus dem Haus. Nun mußten wir doch zum
+Huberwirt; denn die Verwandten hatten schon herumgefragt, wo wir wären.
+Als wir in die Gaststube getreten waren, brachte der Huberwirt ein Glas
+Rotwein mit Zucker und stellte es vor die Großmutter hin, indem er
+sagte: »Handschuasterin, balst es net trinkst, kriagt da Vata dö ewi'
+Ruah net!«
+
+Da tauchte sie eine Semmel darein, sprach aber nichts, und als dann die
+Nanni mit ihrem Mann sich zum heimgehen bereit machten und sie einluden,
+gleich mitzukommen, da nickte sie nur ein paarmal mit dem Kopfe und
+stand auf. Der Huberwirt aber ließ seinen großen Schlitten, auf dem
+sonst das Bier oder Getreide gefahren wurde, herrichten und einspannen:
+»Oes werd's ja a so glei all' z'samm auf Hasla' fahrn, net? I han enk
+mein Schli'n eing'spannt, daß d'Handschuasterin net z'geh braucht. A
+paar Deckn han scho drobn zum Einwickeln!«
+
+Wir fuhren also alle zusammen zur Nanni; diese kochte Kaffee, und in der
+gemütlichen Wohnstube wurde auch die Großmutter wieder etwas gefaßter;
+ja, sie fing sogar an, einiges über den Großvater zu erzählen. Man hatte
+ihr eine nette Kammer zu ebener Erde angewiesen und diese auch geheizt.
+Spät am Nachmittag, als es Zeit wurde, auf die Bahn zu gehen, denn wir
+mußten abends wieder zu Hause sein, führte die Nanni uns noch in diese
+Kammer, um uns zu zeigen, daß die Großmutter bei ihr gut aufgehoben sei.
+Auch mich beruhigte diese Fürsorge und ich sagte noch beim Abschied zu
+ihr: »Großmuatterl, du brauchst koa Angst z'habn wegn der Nanni; dö mag
+di scho!« Ich blieb noch bei ihr in der Kammer und half ihr ihre
+Habseligkeiten ein wenig ordnen. Dann legte sie sich ins Bett und
+schlief bald ein. Ich hatte ihr noch leise Lebewohl gesagt, die andern
+aber ließ ich nicht mehr zu ihr.
+
+Gegen Abend fuhren wir wieder in dem Schlitten zur Bahn und hierauf
+heim.
+
+In München erst sprach ich einiges mit den Verwandten; denn während der
+Fahrt war ich still und teilnahmslos in der Ecke gesessen, während es um
+mich summte und schwirrte von der lebhaften Unterhaltung.
+
+Nach der Ankunft ging die ganze Verwandtschaft noch in unsere
+Wirtschaft, wo sie von meinem Vater mit Freibier und einem guten Mahl
+bewirtet wurden.
+
+ * * * * *
+
+Kaum ein halbes Jahr nach dem Tode meines Großvaters kam eines Tages
+meine Großmutter und beklagte sich bitter über die rohe Behandlung, die
+ihr bei der Nanni und deren Mann widerfahre. Laut weinend wünschte sie
+sich den Tod und wollte nicht mehr zurück, sondern zu dem neuen Besitzer
+ihres Hauses, um bei ihm im Austrag zu bleiben. Meine Mutter suchte ihr
+dies wieder auszureden und wollte sie bei sich behalten; denn, meinte
+sie, um die tausend Mark, die der Nanni für die Verpflegung der
+Großmutter zugekommen waren, könnte die alte Frau gerade so gut bei ihr
+sein, und es ginge ihr gewiß gut. Auch der Bruder meiner Mutter lauerte
+auf die tausend Mark, und es entspann sich bald ein heftiger Streit
+unter ihnen, wer die Großmutter bekäme. Doch erkannte diese gar bald die
+wahre Ursache jener plötzlichen Bereitwilligkeit und fuhr wieder zur
+Nanni. Diese hatte gehofft, daß die Großmutter den Vater höchstens
+etliche Monate überleben würde und war voll Verdruß, als sie sah, daß
+die Frau nach einem und nach zwei Jahren immer noch lebte. So behandelte
+sie sie nicht zum besten und mißgönnte ihr sogar das wenige, womit sie
+ihr Leben fristete. Oft schlich dann die alte Frau, wenn sie vom Grabe
+ihres Mannes kam, in ihre ehemalige Heimstatt und klagte der neuen
+Besitzerin ihre Not. Diese, eine mit vielen Kindern gesegnete,
+kränkliche Frau hatte viel Mitleid mit ihr und behielt sie oft tagelang
+bei sich. Da mag sie wohl manchmal mit Bitterkeit diese seltsame Fügung
+bedacht haben, daß sie, die auch den Ärmsten Heimat bot um Gottes
+willen, nun selbst heimatlos und der Willkür ihrer Kinder preisgegeben
+war.
+
+Als sie dann nach langem Leiden durch einen Schlaganfall gelähmt worden
+und ganz auf die Handreichungen ihrer Stieftochter angewiesen war, kamen
+harte Tage für sie. Hilflos lag sie in ihrem Bett, so erzählt man, und
+niemand kümmerte sich um sie; man ließ sie hungernd und starrend vor
+Schmutz im eigenen Kot liegen. Und als um diese Zeit ihr Schwiegersohn
+sein Haus verkaufte und ein neues Anwesen übernahm, wurde die kranke
+Frau, obwohl es Winter war, mit ihrem Bett zu oberst auf den mit Möbeln
+beladenen Leiterwagen gebunden und so den weiten Weg auf der holprigen
+Landstraße nach dem neuen Wohnort gefahren. Bald nach dieser Reise starb
+sie, und als sie tot war, wollte niemand das Begräbnis zahlen. Die
+Kinder, die damals sich um die Pflege der Lebenden gestritten hatten,
+fanden alle erdenklichen Ausreden, um der Toten ledig zu bleiben, und
+endlich mußte die Gemeinde sie auf ihre Kosten begraben lassen. Doch kam
+meine Mutter zum Begräbnis und brachte große Kränze mit. Danach aber gab
+es heftigen Streit um die letzte Habe der Verstorbenen; denn die Nanni
+hatte alles schon beiseite geschafft.
+
+
+
+
+
+
+Mit der Geburt des Ludwigl, meines dritten Stiefbruders, hatten auch die
+letzten an die Kindheit erinnernden Spiele und Freuden ein Ende, und ich
+mußte nun von früh bis spät arbeiten, um alles recht zu machen. Trotzdem
+gab es manchen stürmischen Tag mit der Mutter, die in einemfort haderte
+und schalt und es an Züchtigungen nicht fehlen ließ. Zu all dem wurde
+ich seit dem Tode meines Großvaters von einer großen Schwermut und
+Traurigkeit befallen, so daß ich mir nicht mehr viel aus meinem Leben
+machte. Doch fand ich in dieser schweren Zeit einen Trost in meiner
+Stimme. Unser Pfarrer veranlaßte meine Aufnahme in den Kirchenchor,
+nachdem ich schon etliche Jahre in der Zentralsingschule ausgebildet
+worden war. Bald durfte ich bei den Gottesdiensten Solo singen, und das
+Bewußtsein, einmal öffentlich anerkannt zu sein, bereitete mir so hohe
+Freude, daß ich darüber selbst den Neid meiner Kolleginnen vergaß.
+
+So sang ich auch einmal aushilfsweise bei einer großen Vereinsfeier, an
+der auch der würdige Prälat und Pfarrer Huhn von der Heiliggeistkirche
+teilnahm. Als dieser meine Stimme gehört hatte, ließ er mich zu sich
+kommen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ein braves
+Pilgermädchen bei der Münchner Wallfahrerbruderschaft zu werden und an
+den heiligen Stätten zu Andechs, Altötting und Grafrath Gottes und Mariä
+Lob zu singen. Ich sagte hocherfreut zu und holte mir sogleich von
+meiner Mutter die Erlaubnis, die sie mir in Anbetracht ihrer frommen
+Gesinnung nicht verweigerte. Also durfte ich noch im selben Jahr an den
+großen, volkstümlichen Wallfahrten als Pilgermädchen teilnehmen.
+
+Die schönste und auch am feierlichsten begangene war die nach dem
+uralten, weltberühmten Gnadenorte Altötting. Da ich immer schon eine
+große Liebe zur Mutter Gottes getragen, konnte ich den Tag der Fahrt
+kaum erwarten. Schon wochenlang vorher mußte ich mit den anderen
+Sängerinnen zahlreiche Marienlieder einstudieren, und wir betrachteten
+die Generalprobe schon als ein kleines Fest; denn da kam die ganze
+Geistlichkeit, an ihrer Spitze der hochwürdige Herr Prälat Huhn, der
+selbst ein eifriger Pfleger und Förderer des Gesanges war, sowie der
+ehrwürdige Präses des Wallfahrervereins, Benefiziat Stein, ein Mann, so
+recht, wie man sagt, nach dem Herzen Gottes: so schlicht und
+uneigennützig, so ganz aufgehend in seinem Beruf. Wir Pilgermädchen
+hingen daher mit großer Liebe an ihm und fühlten uns immer hochbeglückt,
+wenn er einige von uns aus dem Haufen hervorholte, am Ohrläppchen zupfte
+und fragte: »San d'Stimmbandln alle guat g'schmiert, Kinder? Sonst müaß
+ma s' halt no schmiern z'vor!« Und damit brachte er eine riesige Tüte
+voll Malzzucker aus seiner hinteren Rocktasche, die durch die vielen
+Näschereien, welche er uns immer zu schenken pflegte, schon so
+mitgenommen und ausgeweitet war, daß sie samt dem Rockfutter weit unter
+den Schößen des abgetragenen Gehrocks hervorlugte. Im übrigen war er von
+einer angenehmen Natürlichkeit, wenn er bei der Neuaufnahme eines
+Pilgermädchens auf die Unschuld zu sprechen kam. Man konnte ihm ohne das
+lästige Gefühl einer falschen Scham, die durch das aufdringliche Fragen
+mancher Seelsorger einem so leicht den Mund verschließt, alle begangenen
+Torheiten erzählen. Ich weiß nicht, wie er schwerere sittliche
+Verfehlungen behandelte; was meine Jugendsünden anlangt, so meinte er
+darauf nur: »So, dös is brav, daß d's Kleidl no net z'rissn hast, Kind;
+a bisl staubig is scho, dös is wahr, aber dös putzt ma halt mit an
+frommen, reuigen Seufzer wieder weg, gelt! Und jetzt gibt ma schö
+Obacht, daß oan nix mehr passiert als Marienkind.«
+
+Am Vorabend des für die Wallfahrt ausersehenen Julisonntags hatte die
+Mutter zur allgemeinen und besonderen Reinigung schon ein Bad bereitet,
+während ich meine Seele durch eine sehr gewissenhafte Beichte von allem
+anhaftenden Staub zu befreien suchte. Am Abend durfte ich schon früh zu
+Bett gehen, um andern Tages zeitig munter zu sein. Schon um halb vier
+Uhr war ich aus den Federn und lief ans Fenster, zu sehen, ob das Wetter
+schön sei. Doch grau und neblig war der ganze Himmel, und ich begann,
+während ich die »Uniform unserer lieben Frau« anzog, immer dieselben
+Worte vor mich hinzusagen: »Liebste Mutter Gottes mein, laß doch heut
+gut Wetter sein!« Derweilen war auch die Mutter aufgestanden und half
+mir nun beim Ankleiden. Über das weiße Kleid kam ein himmelblaues
+Schulterkräglein und vor die Brust ein großes silbernes Herz, das an
+einem blauen Bande hing, und nachdem die Mutter mir das weißblaue
+Kränzlein ins Haar gedrückt, nahm ich den langen Pilgerstab mit dem
+silbernen Kreuz und eilte nach einem raschen »Pfüat Gott, alle
+mitanand!« aus dem Haus, der Kirche zu, verwundert angeglotzt oder auch
+derb angerufen von heimkehrenden Nachtlichtln oder verschlafenen
+Bäckerjungen. Besonders am Marienplatz wäre ich beinah von einer Rotte
+frecher Burschen, die mit ihren Dirnen aus dem »Ewigen Licht«
+herausstritten, mißhandelt worden; doch kamen mir etliche Leute, die wie
+ich an der Wallfahrt teilnehmen wollten, zu Hilfe.
+
+Mächtig brauste schon die Orgel, als wir in das Gotteshaus traten, und
+rasch begab ich mich auf den Chor, wo schon die meisten Sängerinnen
+versammelt waren. Nach einem herrlichen Hochamt feierte die ganze
+Pilgerschar, wohl mehr als fünftausend, die Generalkommunion. Der
+Eindruck war für mich ein so überwältigender, daß ich nur mit größter
+Mühe das ergreifende Marienlied, dessen Soli mir übertragen waren, zu
+Ende brachte. Und als dann endlich wir Pilgermädchen, ungefähr
+zweihundert an der Zahl, uns gemessen und in tiefer Andacht dem Tisch
+des Herrn nahten, während ein bestellter Knabenchor uns ablöste, ging
+eine große Bewegung durch das Gotteshaus, und manche Träne unseres
+greisen Pfarrers fiel in den Kelch, aus dem er uns das Brot des Lebens
+reichte. Der heilige Vater Leo und unser geliebter Erzbischof Antonius
+von Thoma hatten uns noch ihren Segen übermitteln lassen, und nach
+diesem feierlichen Akt traten wir unter dem Geläute sämtlicher Glocken
+unsere Wallfahrt an.
+
+Voran schritten wir Pilgermädchen, und die kräftigsten von uns trugen
+unsere Fahnen und die Statuen unserer Patrone, der Mutter Gottes, des
+Erzengels Raphael mit dem Tobias und des heiligen Aloysius. Unter
+Liedern und Gebeten ging es durch die Straßen der Stadt zum Ostbahnhof,
+von wo aus uns ein Sonderzug rasch nach Mühldorf brachte. Im Zuge
+erzählte uns unser Präses mit großer Einfachheit von Gnadenbezeigungen
+Mariens, besonders von jenen gegen Kinder und Jungfrauen.
+
+Von Mühldorf aus gingen wir nach einem einfachen Frühstück zu Fuß nach
+dem Gnadenort, den wir gegen Mittag erreichten. Empfangen von dem
+Geläute sämtlicher Glocken, dem Jubel der Bewohner, der Geistlichkeit,
+des ansässigen Ordens und einer Musikkapelle, betraten wir den geweihten
+Ort und begrüßten die Gnadenvolle, ein jeder nach Drang des Herzens oder
+Größe des Kummers, den er hier am Gnadenaltar niederlegen wollte. Meiner
+hatte sich eine fast überirdische Stimmung bemächtigt und ich fühlte
+mich so frei und aller Sorge ledig, daß ich nur ganz verklärt das alte,
+mit unsäglich vielen und köstlichen Kleinodien aller Zeiten geschmückte
+Gnadenbild anschauen konnte, während meine Lippen mechanisch murmelten:
+»O Maria, hilf doch mir; es fleht dein armes Kind zu dir. Im Leben und
+im Sterben laß meine Seele nicht verderben.« Nach langer Zeit erst fiel
+mir eins nach dem andern ein, was ich gern von der Mutter Gottes erlangt
+hätte.
+
+Inzwischen hatten die Pilger sich in Gruppen geteilt, die einen weilten
+im Kloster, die andern in den verschiedenen Kirchen des Ortes. Draußen
+vor der Gnadenkapelle aber hatten jene, die besonders viel von der
+Gnadenreichen erlangen oder für irgend eine geheime Schuld Sühne tun
+wollten, eins der zahlreich daliegenden Holzkreuze auf die Schulter
+geladen und schleppten dieses nun, bald aufrecht gehend, bald auf den
+Knien rutschend, laut betend und weinend um den sogenannten Kreuzgang.
+Ich weiß nicht, wie es kam und was ich wollte: kurz, ich befand mich
+plötzlich unter den Kreuztragenden; da das massive Eichenkreuz aber
+meiner Schulter ziemlich weh tat, ließ ich es bei dem dreimaligen Umgang
+bewenden und übergab mein Kreuz einer dicken Frau, deren böse Zunge weit
+und breit gefürchtet war. Mit einigen Freundinnen besah ich mir dann den
+ganzen Ort, die Kirchen, das Kapuzinerkloster und den Markt für
+Wallfahrtsandenken und verwunderte ich mich über den üppigen Handel und
+die Gewinnsucht an dieser frommen Stätte. Dazwischen sorgten wir auch
+für des Leibes Notdurft; denn es war alles schon vorausbestellt worden
+von unserm vorsorglichen Präses. Den Tag beschloß noch eine schöne Feier
+mit Illumination der Kapelle, und nach einem einfachen Nachtmahl begaben
+wir uns in unsere Schlafkammern. Die Vermögenderen hatten sich ein Bett
+für sich allein gesichert; die Ärmeren aber mußten je zwei in einem Bett
+schlafen. Da mir meine Mutter die Ausgabe für ein eigenes Bett nicht
+bewilligt hatte, so mußte ich es mit einer Mitschwester teilen. Ich
+fragte daher meine liebste Freundin, ob sie mich als Störenfried wolle.
+Sie war gern bereit, und so verbrachten wir die Nacht unter Flüstern,
+Kichern, Scherzen und Kosen.
+
+Der neue Tag brachte wieder viel des Erbaulichen und Ernsten, doch wurde
+ich zuletzt müde von allem und war froh, als am Dienstag in der Früh das
+Schlußamt mit Generalkommunion am Gnadenaltar gefeiert wurde. Als aber
+hierbei am Chor plötzlich die kindlichen Stimmen von etwa zwanzig Knaben
+an mein Ohr tönten und sie das uralte Abschiedslied von der »schwarzen
+Mutter Gottes« sangen, ward es mir schwer ums Herz und ich konnte mich
+kaum losreißen von dem Gnadenbilde. Ganz traurig schloß ich mich den
+andern an und brachte beim Singen kaum mehr einen Ton heraus.
+
+So kam es, daß ich recht niedergeschlagen daheim ankam und ernste
+Vorwürfe von meiner Mutter wegen meiner scheinbaren Undankbarkeit zu
+hören bekam.
+
+ * * * * *
+
+War ich schon vorher nicht gerne in der Gastwirtschaft tätig gewesen, so
+hatte ich jetzt, seit ich Pilgermädchen war, die ganze Freude an dem
+öffentlichen und lauten Leben verloren; doch wurde ich von meiner
+Mutter, trotzdem sie so religiös schien, fest angehalten, überall, wo es
+vonnöten war, einzuspringen. Bald war ich in der Küche das Spülmädchen
+oder die Köchin, bald in der Gaststube die Kellnerin; denn da die Mutter
+oft recht grob mit dem Dienstvolk war, lief bald die eine oder andere
+wieder weg. Am meisten zuwider war mir der Aufenthalt in der Gaststube;
+denn war ich bei den Gästen ernst und schweigsam, so schalt die Mutter,
+daß ich ihr die Leute vertreibe; war ich aber freundlich und heiter, so
+nützten das viele rohe und wüste Kerle aus und belästigten mich nicht
+nur mit allerhand Zoten und zweideutigen Fragen, sondern quälten mich
+manchmal in der unsaubersten Weise, indem sie mich an den Beinen faßten,
+Küsse verlangten oder sonstige aufdringliche Zärtlichkeiten versuchten.
+
+Kam ich dann also gehetzt zur Mutter und klagte ihr solche Dinge, so
+wurde sie sehr erbost und schalt mich heftig, daß ich mich nicht zu
+benehmen wisse: »Was muaßt di denn hi'stelln dafür? Scham di; bist
+fufzehn Jahr alt und no so dumm! Da sagt ma halt, i hab jatz koa Zeit
+und geht freundli weg!«
+
+Oft dachte ich über diese Worte nach und versuchte mich danach zu
+richten; doch waren alle meine Bemühungen, die Zudringlichkeiten solcher
+Burschen mit Liebenswürdigkeit abzuwehren, erfolglos, und ich fürchtete
+ständig, meine Unschuld zu verlieren. Da faßte ich am Ende den
+Entschluß, meinem Beichtvater diese Vorfälle mitzuteilen, ich hatte aber
+nicht den Mut, dem alten Kooperator, der immer noch mit Vorliebe nach
+den Heimlichkeiten seiner Beichtkinder fragte, davon zu erzählen.
+
+Da kam ein neuer Geistlicher an unsere Pfarrei, der noch sehr jung war
+und erst vor kurzem seine Primiz gefeiert hatte. Diesem beichtete ich
+nun ausführlich und er sprach mir gut und freundlich zu, fragte mich nur
+wenig und gab mir am Schluß noch viele Ratschläge. Ich war sehr beruhigt
+nach dieser Beichte und ging nun regelmäßig zu ihm. Bald wurden wir auch
+wegen des Singens näher bekannt, und ich besuchte ihn des öfteren in
+seiner Wohnung. Dabei entwickelte sich zwischen uns bald eine Art
+Freundschaftsverhältnis und ich fand bei ihm Trost und Zuspruch, wenn
+ich ihm erzählte, wie es mir daheim erging. Als er nach kurzer Zeit in
+eine andere Pfarrei versetzt wurde, wurde ich durch seine Vermittlung an
+dieser Kirche erste Sopranistin und Solosängerin. Als auch hier die
+Besuche ihren Fortgang nahmen, wußte ich bald, daß ich ihn liebte, und
+ich mußte mich oft mit aller Gewalt zusammennehmen, um ihm das nicht zu
+sagen; denn ich sah wohl, daß auch auf seiner Seite eine Neigung war.
+Doch immer wußte er sich zu beherrschen und verstand auch meine Gefühle
+im Zaum zu halten. Wie oft stand ich zitternd vor ihm und sah ihn mit
+den verliebtesten Augen an oder küßte stürmisch seine Hand. Dann blickte
+auch er mich freundlich an, streichelte mir die Wange und sagte: »Ja,
+ja, Kind, du bist halt mei Singvogel! ... Was schaust denn no? ... Ja
+so, a Bildl magst no, gel!« worauf ich hochrot, mit leiser Stimme
+entgegnete: »Ja, bitt schön, Herr Hochwürden!«
+
+»So Kind, such dir eins aus. Magst na an Kaffee aa?«
+
+In meiner Verwirrung vermochte ich ihm keine rechte Antwort zu geben.
+
+Da rief er der halbtauben Wärterin: »Lies, mein' Kaffee!« und zu mir
+gewendet fuhr er fort: »Woaßt, Kind, i hab aber bloß oa Taß. Trinkst
+halt du z'erst den dein', gel!« und damit führte er mich zum Kanapee,
+setzte sich zu mir und plauderte von erbaulichen Dingen. Ich aber hörte
+kaum zu, sondern betrachtete unausgesetzt seine Hände und Knie und
+dachte nur den einen Gedanken: »Wann i dich nur bloß ein einzigs Mal so
+viel lieb haben dürft!«
+
+Da brachte er mich mit den Worten: »Hast aber aa g'nug Zucker drin?«
+wieder zu mir selber, worauf er den Kaffee versuchte, mir noch ein
+Stücklein hineintat und mich trinken hieß.
+
+Als ich getrunken hatte, meinte er: »So, Kind, jetzt hast von mir an
+Kaffee kriegt und a Bildl. Was kriag jetzt i?«
+
+Da dachte ich voller Ängsten, er würde sagen: »Ein Bußl,« aber er fuhr
+fort: »Gel, jetzt kriag i dafür a recht a schöns Lied; aba koa heiligs,
+denn di hör i so allweil!«
+
+Da sang ich das Lied von dem Dirndl, das um Holz in den Wald geht, ganz
+zeiti in der Fruah und dem sich nachischleicht a saubrer Jagasbua.
+
+Als ich die erste Strophe gesungen hatte, wobei er mich am Harmonium
+begleitete, meinte er: »Ah, dös war aber schö; aber recht arg verliabt.
+No, es macht nix; von den Wirtstöchtern woaß ma's scho, daß was solches
+aa lernen. Kannst no mehr von dem Liedl?«
+
+»Bloß noch eine Stroph', Herr Hochwürden! Aber die is no verliabter.«
+
+»Dös macht nix, Kind Gottes, sing nur weiter!«
+
+Da sang ich:
+
+ Drauf sagt der Jaga zu der Dirn,
+ Geh, laß dei Asterlklaubn;
+ I möcht so gern mit dir dischkriern
+ Und dir in d'Äugerln schaugn.
+ Das Dirndl sagt: Dös ko net sei,
+ Daß du mir guckst in d'Augn,
+ Denn d'Jaga derfan, wia i woaß,
+ Ja nur ins Greane schaugn.
+
+Da läutete es. Er sah nach, und eine alte Betschwester stand an der Tür;
+da hieß er sie warten und verabschiedete mich mit den Worten: »Jetzt
+muaßt geh, liabs Kind, jetzt haben d'Mauern Ohren kriagt.« Damit schob
+er mich durch sein Schlafzimmer an die Tür, und während ich heraustrat,
+sah ich ihn schon die alte Frau empfangen.
+
+Doch nicht lange mehr dauerten diese Besuche; denn er wurde abermals
+befördert und kam als Benefiziat in ein geistliches Institut.
+
+Als ich dann von ihm Abschied nahm und ihn zum letztenmal um seinen
+Segen bat, stand er ergriffen auf und trat zum Weihbrunnkessel, während
+ich vor ihm niederkniete. Plötzlich aber umfaßte ich seine Knie und
+preßte mein Gesicht daran, indem ich laut weinend rief: »O mein lieber,
+lieber Hochwürden!«
+
+Da machte er ganz ruhig seine Knie frei, zog mich in die Höhe und sagte,
+indem er meinen Kopf zwischen seine Hände nahm: »Kind, geh jetzt, es
+wird Zeit, du mußt hoam,« und dabei rannen ihm ein paar Tränen über die
+Wangen. Da ergriff ich nochmals seine Hand, küßte sie drei-, viermal
+heftig und lief dann davon.
+
+Auf der Straße schaute ich noch einmal um. Da stand er am Fenster und
+winkte mir freundlich zu.
+
+Einmal noch sah ich ihn, ohne aber mit ihm reden zu können; denn es war,
+als wir uns eben in feierlicher Prozession zur Wallfahrt nach Grafrath
+auf den Weg machten. Er stand mit einer alten, ehrwürdigen Dame, die
+wohl seine Mutter sein mochte, an einer Straßenecke, und ich mußte hart
+an ihm vorbei. Als er mich erblickte, huschte es wie große Freude über
+sein Gesicht, und lächelnd nickte er mir einige Male grüßend zu und
+wandte sich danach schnell zur Seite. Ich war über dieses Wiedersehen,
+so flüchtig es war, sehr beglückt und dachte während der Wallfahrt viel
+an ihn und empfahl ihn an der dem heiligen Rasso geweihten Stätte
+inbrünstig der Fürbitte dieses Heiligen.
+
+ * * * * *
+
+Fröhlich kehrte ich von dieser Pilgerfahrt zurück und nahm mir vor, den
+Freund an einem der nächsten Tage aufzusuchen. Doch ich kam nicht dazu;
+denn daheim fand ich meine Brüder an Diphtherie erkrankt.
+
+Indem ich sie noch pflegte, wurde ich selbst davon ergriffen und konnte
+erst nach Wochen das Bett verlassen.
+
+Als ich aufgestanden war, versuchte ich sofort wie zuvor mich wieder um
+das Hauswesen zu kümmern.
+
+Da dies die Mutter sah, hielt sie mich schon für gesund und trug mir
+daher mehr auf, als ich leisten konnte. So kam es, daß ich wieder
+täglich kränker wurde und endlich vor Mattigkeit mich alle Augenblicke
+niedersetzen oder anlehnen mußte. Das nahm man aber für Faulheit, und
+besonders die Mutter beklagte sich darüber: »Nur schö langsam! Heut a
+Trumm, morgen a Trumm! Bis i an Steckn nimm und zoag dir, wie ma arbat!«
+
+Ich nahm mich nun recht zusammen; doch während ich das Schlafzimmer
+meiner Eltern aufräumen wollte, befiel mich wieder eine solche
+Müdigkeit, daß ich mich aufs Sofa setzen mußte, um zu rasten. Ich
+schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter mir einige Schläge auf
+den Kopf gab; denn es war inzwischen Mittag geworden und sie kam,
+frische Servietten für die Stammgäste zu holen. Voll Zorn schrie sie
+mich an: »Da hört si do scho alles auf! Mittn am Tag legt si dös faule
+Luder hin und schlaft, anstatt z'arbatn! Aber wart, i hilf dir!
+Augenblickli wichst ma jetzt den Schlafzimmerboden; und sauber wann net
+alles is, dann Gnade Gott! Jatz is elfe; um zwoa komm i rauf, da will i
+alles ferti sehgn!«
+
+Mir war ganz dumm im Kopf, aber ich begann trotzdem wieder zu arbeiten.
+Als ich etwa ein Drittel des Zimmers mit Stahlspänen abgerieben hatte,
+drehte sich plötzlich alles vor meinen Augen und ich wußte nichts mehr.
+
+Lange muß ich so dagelegen sein; denn kaum hatte ich wieder zu arbeiten
+begonnen, schlug es zwei Uhr. Ich war vor Schrecken ganz ratlos, denn
+ich hörte die Mutter kommen. Als sie sah, wie wenig ich gearbeitet
+hatte, schrie sie: »Was, du bist no net ferti! Ja, da is ja no net amal
+richti o'g'fangt! Du willst mi, scheint's, zum Narren haltn, du
+Kanallje!« Dabei trat sie mich mit Füßen und riß mich an den Haaren in
+die Höhe.
+
+Mühsam fing ich wieder an zu arbeiten, während die Mutter an den
+Waschtisch gegangen war und sah, daß ich das Wasser noch nicht
+ausgeleert hatte. Da schrie sie: »Ja, was is denn dös! Net amal
+d'Waschschüssel hat s' ausg'leert und a frisch Wasser reitragen!«
+
+»Ja mei, i hab ma's ja net z'tragen traut, die teure Schüssel, weil mi
+alle Augenblick der Schwindel anpackt.«
+
+»Was Schwindel! Dir treib i dein' Schwindel aus. Sofort leerst die
+Schüssel aus! I möcht wissen, für was ma dir z'fressn gibt, du
+langhaxats G'stell!« rief sie und stieß mich an den Waschtisch.
+
+Ängstlich faßte ich die schöne Schüssel, die von zarter, himmelblauer
+Farbe war, mit einem goldenen Rand, und eine Muschel darstellte. Im
+Innern war ein Bild, das zwei Mädchen in fremder Tracht zeigte, die am
+Meeresstrand standen und einen in einem Segelboot sitzenden Burschen aus
+flachen Schalen mit Wasser bespritzten. Den Krug schmückte eine ähnliche
+Szene; das Geschirr war alt und kostbar und der Name des Künstlers stand
+darauf geschrieben.
+
+Schwankend trug ich also die Schüssel durch das Zimmer, als ich
+plötzlich einen Stoß verspürte, worauf ich zu Boden stürzte. Die Mutter
+hatte es getan; denn ich war ihr zu langsam gegangen.
+
+Starr blickte ich erst auf die Wasserlake, dann auf die Scherben und
+vergaß, aufzustehen, bis mich die Mutter mit dem Ochsenfiesel des Vaters
+daran erinnerte.
+
+Eine halbe Stunde später, als ich, die blutigen Striemen an meinem
+Körper betrachtend und vor Schmerzen an Brust und Rücken stöhnend,
+bemüht war, das Unheil wieder gut zu machen, ging die Mutter fort mit
+der Drohung: »Dawerfa tua i di, wenn i net die gleiche Schüssel kriag!«
+
+Ich hielt das letztere für ausgeschlossen bei der Kostbarkeit derselben
+und zog deshalb meinen Regenmantel an und schlich mich, nachdem ich aus
+meiner Sparbüchse noch etwas Geld zu mir gesteckt hatte, davon.
+
+Planlos und ohne an etwas zu denken, lief ich durch die Nymphenburger
+Straße hinaus über Laim und befand mich endlich auf der Straße, die nach
+Großhadern führt. Die Sonne war schon im Untergehen und über den Feldern
+stand ein leichter Nebel; denn es war schon im Spätsommer.
+
+Ich blieb stehen und sah mich um. Da durchfuhr mich ein kalter Schauer,
+und als ich weiter gehen wollte, wurde mir schon nach wenigen Schritten
+so übel, daß ich mich erbrechen mußte und danach ohnmächtig auf der
+Landstraße hinfiel.
+
+Spät abends fand mich ein Bauer, der Milch nach der Stadt gefahren hatte
+und jetzt auf dem Heimweg war. Der hob mich auf und brachte mich mit
+seinem Fuhrwerk nach Großhadern und lud mich bei einem großen Wirtshaus
+ab. Die Wirtin brachte mich freundlich zu Bett und befahl einer alten
+Frau, daß sie die Nacht über bei mir bleibe. Sie selbst kam am andern
+Tag und fragte mich mitleidig, wo ich in diesem Zustand denn herkomme
+oder hinwolle. Da erzählte ich ihr mein ganzes Unglück und bat sie, sie
+solle mich doch bei sich behalten, ich sei eine Wirtstochter und könne
+ihr viel helfen.
+
+»Ja, mei liabs Kind,« meinte die gute Frau, »deine Leut wer'n halt recht
+Sorg um di habn und di wieder z'rückverlanga; denn dös kann do net sei,
+daß a Muatter so schlecht is.«
+
+Weinend wiederholte ich meine Bitte und beruhigte mich erst, als sie mir
+versprach, mich in ihren Dienst zu nehmen: »Aba z'erscht muaßt wieder
+g'sund wer'n. Drum bleibst heut lieber no liegn. Vielleicht kann ma
+morgn mehra sagn.«
+
+Gegen Abend hielt ich es nicht mehr im Bett aus und ging zu der Wirtin
+in die Küche und fragte sie, ob ich ihr was helfen könnte.
+
+»Ja mei, Kind, in dem Zuastand! Sitz di liaber ins Nebenzimmer und iß
+was G'scheits. Du schaust ja aus wie inser liaber Herr am Kreuz!« Damit
+nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins Nebenzimmer, wo an einem
+Tisch fünf oder sechs Herren beisammen saßen und mich verwundert
+ansahen.
+
+»Wen bringen S' denn da, Frau Obermeier? Dös is g'wiß a Basl,« fragte
+einer, während ein anderer hinzufügte: »Jess Maria, is dös Madl kasi! Is
+'leicht krank?«
+
+»Ja mei, Herr Oberförster,« sagte die Wirtin, »dös is a g'spaßige
+G'schicht!« und sie erzählte die Sache den Herren, von denen einer der
+Bürgermeister, ein anderer der Arzt und ein dritter der Herr Benefiziat
+war.
+
+Nachdem die Wirtin meine Geschichte erzählt hatte, bestürmten sie mich
+mit allen möglichen Fragen; doch der Arzt sagte: »Laßt's dem armen Kind
+sei Ruh, meine Herrn! Ma sieht's ja auf den ersten Blick, daß 's
+schwerkrank is ... Geh amal her, Fräulein, und laß dir in'n Hals
+neischaun! ... Ach, herrjesses,« schrie er da, »wie schaut's da drin
+aus, und so ham s' di rumlaufa und arbat'n lassen. A so a Bagasch g'hört
+do scho glei o'zoagt!«
+
+»Und sie möcht zu mir in Dienst gehn!« rief die Wirtin dazwischen.
+
+»Sonst nix mehr,« schrie der Bürgermeister, »ins Krankenhaus g'hörst!
+Net wahr, Herr Doktor?«
+
+»Allerdings wär's das beste, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das
+Mädel a starke Lungenentzündung kriagt auf dö Strapazen.«
+
+Da sagte der Herr Benefiziat: »Wie heißt du denn eigentlich und woher
+bist du?«
+
+Als ich es ihm gesagt, fragte er weiter: »Moanst wirkli, daß di dei
+Muatter totschlagt?«
+
+»Ja, i glaab scho; denn halbert umbracht hat s' mi a so scho.«
+
+Da lachten sie alle, bis der Herr Benefiziat wieder ganz ernst fortfuhr:
+»Es ist doch a Sünd und a Schand, wie heutzutag mit den armen, ledigen
+Kindern umgegangen wird. Z'erscht setzt ma's her, dann gehn s' oan im
+Weg um. So ein Weibsbild g'hörat doch schon an die Zehen aufg'hängt und
+mit Brennesseln g'haut!«
+
+»Ganz recht, Herr Benefiziat, früher hat ma aufgramt mit solchene Leut,
+aber heutzutag baun s' eahna ja extrige Häuser, daß sie s' leichter auf
+d'Welt bringa eahnane armen G'schöpferln!« rief der Tierarzt, und der
+Bürgermeister sagte: »Jetzt ham's mir da! Was tean jetzt mir damit? Uns
+geht's eigentlich nix o, schiabt's es nur der Münchner G'meinde zua!«
+
+»Ganz recht, Herr Bürgermeister,« sagte der Oberförster, »für dös arme
+Deanderl is am besten, wenn's z'Münka ins Krankenhaus geht, bis g'sund
+is. D'G'meinde soll's nur zahln. Die ham mehra wie mir.«
+
+Ich hatte heftig zu weinen begonnen, so daß die Wirtin rief: »Aber meine
+Herren, dös is scho net recht, daß d's ma dem arma Deanderl an solchen
+Schrecken einjagt's. Laßt 's es do wenigstens mit Ruah essen!« Damit
+führte sie mich an den Tisch und gab mir den Löffel in die Hand, und ich
+mußte von dem Kalbslüngerl, das die Kellnerin hingestellt hatte, essen.
+Ich brachte aber vor Weinen und Halsweh nichts hinunter. Die Wirtin
+kehrte wieder in ihre Küche zurück, während die Herren sich lebhaft über
+mich unterhielten.
+
+Nach einer Weile stand der Herr Benefiziat auf, setzte sich zu mir und
+gab mir folgenden Rat: »Liabs Kind, i moan, 's wär's G'scheitste, du
+tätst morgen früh von Pasing nach der Stadt fahren, dort auf die Polizei
+gehen, die ganze G'schicht anzeigen und dich in ein Krankenhaus schaffen
+lassen. Nachher bist gut aufg'hoben und deiner Mutter schiab'n s'
+hoffentlich an Riegel vor ihre Brutalitäten.«
+
+Ich gab ihm keine Antwort und weinte nur. Die Wirtin aber brachte mich
+darauf wieder ins Bett und erwiderte mir auf meine Frage, was ich
+schuldig sei: »An Vergelt's Gott und an B'suach, wann's dir amal guat
+geht.«
+
+Am andern Morgen stand ich sehr früh auf und ein Milchfuhrwerk nahm mich
+wieder mit nach Pasing. Von da fuhr ich mit der Bahn nach München.
+
+Als ich ratlos vor dem Sterngarten am Bahnhofplatz stand und nicht
+wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete mir der Sohn einer im
+Haus meiner Eltern wohnenden Familie und sagte mir: »Geh fei net hoam,
+Leni! Dei Muatter is in der größten Wut. Die ganze Nachbarschaft hetzt
+s' über di auf und sagt dir alles Schlechte nach. Durch d'Gendarmerie
+laßt s' di scho überall suacha.«
+
+Da begann ich zu weinen und fragte ihn um Rat; denn wir hatten uns sehr
+gern. Er meinte auch, ins Krankenhaus gehen, wäre das Gescheiteste; doch
+zuvor solle ich auf die Polizei, daß man nicht weiter nach mir suche. Er
+begleitete mich dann auch dorthin und ging darauf in sein Geschäft. Ich
+aber trat in die Einfahrt des Polizeigebäudes und fragte den Gendarm,
+der dort auf Posten stand: »Sie, entschuldigen S', bitt schön, wo is
+denn da dös Zimmer, wo verlorengangane Personen o'g'meldt wer'n?«
+
+Er lachte herzlich und gab mir zur Antwort: »San vielleicht Sie verloren
+ganga, schön's Fräulein? Dann melden S' Eahna parterre, ganz hinten auf
+Zimmer Nummro sieben.«
+
+Dort fragte man mich nach meinem Begehr.
+
+»Entschuldigen S', is bei Ihnen ein junges Mädchen angemeldet, dös wo
+verlorenganga is, oder vielmehr, dös wo davog'laafa is? Wissen S', i bin
+davo von dahoam, weil mi mei Muatter sunst derworfa hätt, weil i
+d'Waschschüssel derschlagn hab und Diphtherie hab.«
+
+Lächelnd führte mich der Beamte in das Zimmer des Polizeiarztes, und als
+ich dem meine ganze Geschichte erzählt hatte, untersuchte er mich und
+sagte darauf: »Herr Rat, ich bitte Sie, lassen Sie die Ärmste nach dem
+Krankenhaus schaffen. Benachrichtigen Sie jedoch die Angehörigen nicht
+davon. Recherchieren Sie vielmehr, ob solche Sachen bei dieser Frau
+öfter vorkommen; denn so etwas gehört exemplarisch bestraft.«
+
+Hierauf mußte ich mich ausziehen und ihnen die Beulen und Striemen an
+meinem Körper zeigen. Als der Arzt einen großen grünlichen Fleck an
+meiner linken Brust bemerkte, rief er: »Unverantwortlich! Ein weibliches
+Wesen so zu mißhandeln! Die Megäre denkt gar nicht, welche Folgen das
+haben kann!«
+
+Danach wurde ich in das Krankenhaus an der Nußbaumstraße geschafft, wo
+ich alsbald in ein heftiges Fieber verfiel und an einer schweren
+Lungenentzündung erkrankte.
+
+Als es mir besser ging, wollten alle meine Geschichte hören; denn durch
+den Polizeiarzt war an unsern Arzt, Doktor Kerschensteiner, schon ein
+aufklärendes Schreiben gelangt, und der freundliche Herr hatte in seiner
+Entrüstung ganz laut im Saal geschrien: »Die Bestie! Das Schandweib! Und
+so was nennt sich Mutter!«
+
+Nach drei Wochen aber meinte er: »Jetzt müssen wir es doch der Mutter
+schreiben, wo Sie sind. Es handelt sich nämlich um die Zahlung, ob das
+Ihre Mutter übernimmt oder die Gemeinde.«
+
+Als ich darauf zu weinen begann, beruhigte er mich mit den Worten: »Sie
+müssen nicht Angst haben. Die Frau tut Ihnen nichts. Dafür bin ich auch
+noch da.«
+
+Man schrieb ihr also, und an einem Dienstag nachmittag zur allgemeinen
+Besuchsstunde kam sie. Ich lag im ersten Bett, gleich neben der Tür. Sie
+blickte im ganzen Saal herum und sah mich lange nicht, nachdem sie mich
+aber bemerkt hatte, schrie sie, daß es alle hörten: »So, da bist! Was du
+deinen armen Eltern angetan hast, übersteigt alle Grenzen. Da heraußen
+muß ma di finden und hätt'st es so schön g'habt dahoam. Hätt dir koa
+Mensch was tan!« Dabei brach sie in Tränen aus, ging durch den Saal an
+das Fenster und sagte ganz laut und mit schluchzender Stimme: »So ein
+ungeratenes Kind! Oan so vui Verdruß z'macha!«
+
+Die andern Patientinnen, die den wahren Sachverhalt wußten, begannen bei
+diesen Worten zu kichern und zu lachen und eine sagte mit komischem
+Ernst vor sich hin: »Tja, tja, solchtene Kinder!« worauf im ganzen Saal
+lautes Gelächter erscholl.
+
+Da mußte auch ich lachen, und die Mutter entfernte sich wütend mit den
+Worten: »Daß d' di z'ammrichst morgen. Morgen nachmittag hol i di!«
+
+Am Abend machte der Herr Doktor wie gewöhnlich die Runde, und es wurde
+ihm das Vorgefallene berichtet. Da trat er an mein Bett und sagte
+lachend: »Ah, Sie leben ja noch! Also ist sie doch nicht so schlimm.«
+Als er aber erfuhr, daß ich am andern Tag wieder nach Haus müsse, rief
+er: »Unter keinen Umständen! Sie sind noch nicht gesund, und jede
+Aufregung, sowie Luftwechsel schadet Ihnen! Ich werde niemals meine
+Einwilligung dazu geben.«
+
+Er mußte sie aber doch geben, als die Mutter am andern Tag unter vielen
+Tränen versicherte, ich solle kein unrechtes Wort mehr hören, noch viel
+weniger eine Mißhandlung erdulden.
+
+Nachdem ich ziemlich bedrückt von den Krankenschwestern und den übrigen
+Patientinnen Abschied genommen hatte, trat ich mit der Mutter den
+Heimweg an.
+
+Vorerst aber hatte die Mutter an der Kasse noch sechsundneunzig Mark für
+meine Verpflegung zu bezahlen, doch ließ sie mich den Ärger darüber
+nicht merken.
+
+Unterwegs in der Trambahn sagte ich ihr, ich wolle nicht mehr heim,
+sondern eine Stellung als Dienstmädchen annehmen. Sie schien anfangs
+entsetzt darüber, ging aber dann doch mit mir in die Marienanstalt, wo
+bessere Stellen für Dienstboten vermittelt wurden.
+
+Während sie mit der Oberin verhandelte, mußte ich auf dem Korridor
+warten. Nach längerer Zeit trat die Mutter heraus und sagte, spöttisch
+lächelnd: »So, geh nur nei! Frau Oberin woaß allerhand für di.«
+
+Mit den besten Hoffnungen trat ich ins Zimmer, gefolgt von der Mutter.
+Aber es kam anders, als ich erwartet hatte.
+
+»Weißt du,« begann die sehr beleibte Oberin, indem sie mit hochrotem,
+erzürntem Gesicht vor mich hintrat, »was einem Kind gebührt, das seine
+Eltern mit Füßen tritt und das Elternhaus mißachtet und nicht mehr dahin
+zurückkehren will? ... Einem solchen Kind gehört nichts anderes, als daß
+man es an einen Haken anhänge und mit einem Stock oder Strick so lang
+schlage, bis es lernt, das Elternhaus zu schätzen und Vater und Mutter
+zu lieben!«
+
+Als ich dies vernommen, verlangte ich nicht mehr zu wissen und eilte
+nach der Tür, riß sie auf und lief davon, heim zum Vater.
+
+Nachdem dieser mich freundlich empfangen und mir seine Hilfe versprochen
+hatte, erzählte ich ihm auch dies mein letztes Erlebnis. Da gab er mir
+recht, und als die Mutter heimkam und über mich klagte, sagte er: »Dös
+is aa koa G'redats an a krank's Madl hin. Da kann 's freili koa Liab und
+koa Achtung lerna bei dera Behandlung. Sei du mit'n Madl, wie es si
+g'hört, na werd si bei ihr aa ninx fehln!«
+
+Darauf brachte mich die Mutter zu Bett und behandelte mich von nun an
+gut und freundlich.
+
+ * * * * *
+
+Inzwischen nahte der Hochzeitstag meiner Eltern wieder heran. Es war der
+zehnte, seit sie geheiratet hatten, und auf den gleichen Tag fiel auch
+mein Geburtsfest. Ich wurde damals siebzehn Jahre alt.
+
+Da die Eltern es gern sahen, daß ich ihnen zu den üblichen
+Familienfesten meine Glückwünsche darbrachte und auch die Brüder
+irgendein Gedichtlein lernen ließ, so beschloß ich, ihnen zu ihrem
+zehnten Hochzeitstage eine rechte Freude zu machen. Ich schmückte also
+das Nebenzimmer mit Papiergirlanden, stellte ein selbstverfertigtes
+Transparent auf und dazu ein Brett, in das ich zehn Nägel schlug und
+darauf zehn Wachskerzen befestigte. Auf einen weißgedeckten Tisch legte
+ich die Festesgaben, zu denen ich einen eigenen Vers gedichtet hatte. Es
+waren ein Paar zierliche Samtpantoffeln für die Mutter und ein
+gesticktes Käpplein für den Vater, nebst zwei Blumenstöcken und einem
+Kuchen. Auch den Stammgästen teilte ich meine Absicht mit, und sie waren
+gern bereit, die Feier noch durch Musik zu verschönern.
+
+Als nun am Vorabend des Hochzeitstages meine Eltern plaudernd am
+dichtbesetzten Stammtisch saßen, ertönte plötzlich im Nebenzimmer Musik
+und man brachte ihnen ein Ständchen. Erschrocken sprang die Mutter auf
+und lief hinüber. Da erglänzte der also geschmückte Raum im Licht der
+Kerzen und des Transparents. Doch, o Wunder! es stand noch ein Brett auf
+dem Tisch, an dem siebzehn kleine Lichtlein brannten. Meine Brüder
+hatten mich damit überrascht.
+
+Während die Mutter immer noch starr an der Tür lehnte, war auch der
+Vater hinzugetreten, und nun brachte ich meinen Prolog vor, worauf die
+Gäste ein dreimaliges Hoch brüllten.
+
+Dann stand einer von den Stammgästen auf und brachte in umständlicher,
+stotternder Rede die Wünsche der Gäste zum Ausdruck und rief zum Schluß:
+»Unser wertes Hochzeitspaar und unser liebes Geburtstagskind mögen noch
+lange Jahre froh und glücklich sein! Sie leben hoch, hoch, hoch!«
+
+Da rief die Mutter, der während des Ganzen eine dunkle Röte bis zu den
+Schläfen über das Gesicht lief, aus: »Ja, seid's denn alle verrückt
+wordn! Was red's denn allweil von zehn Jahr? Mir san do scho zwanz'g
+verheirat'!«
+
+Ich verwunderte mich über diese Rede sehr; denn ich wußte doch bestimmt,
+daß der Vater jetzt fünfunddreißig, die Mutter aber achtunddreißig
+zählte, und wenn sie nun vor zwanzig Jahren schon geheiratet hätten, so
+... Ich schickte mich also an, ihnen dies zu erklären. Da erhielt ich
+einen heftigen Stoß von der Mutter, und sie rief halblaut: »Marsch, ins
+Bett! Und freun kannst di!«
+
+Andern Tags aber gab es heftige Prügel dafür, daß ich die Eltern so
+blamiert hatte; denn sie wollten es niemand wissen lassen, daß die
+Mutter mich schon ledig gehabt.
+
+
+
+
+
+
+Jetzt war meine gute Zeit wieder vorbei, und die Mutter quälte mich
+wieder ärger denn je. Dabei empfand ich es am bittersten, daß sie mich
+oft, besonders zu gewissen Zeiten des Monats, wegen irgend einer
+Kleinigkeit, die ich mir hatte zu Schulden kommen lassen, dadurch
+strafte, daß sie mir befahl, nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer zu
+erscheinen. Dort mußte ich mich dann jedesmal nackt ausziehen und
+niederknien, und nun schlug sie unter lauten Schmähungen mit dem
+Ochsenfiesel so lange auf mich ein, bis sie vollkommen erschöpft war und
+mir das Blut über Arme und Rücken herunterrann. Bei diesen Züchtigungen
+waren die Schläge, an die ich mich schließlich auch gewöhnte, nicht so
+schmerzhaft als der Umstand, daß die Mutter oft viele Stunden zwischen
+meiner Verfehlung und der Strafe verstreichen ließ, während derer ich
+das Kommende jeden Augenblick vor mir sah und doch meine Arbeit tun
+mußte.
+
+Dadurch wurde mir das Leben im Hause immer mehr zur Qual und ich
+beschloß, auf irgend eine Weise dasselbe zu verlassen.
+
+Da besuchte uns ein junges Mädchen, welches sich vor seinem Eintritt ins
+Kloster noch von einer meiner Basen, die bei uns in Dienst war,
+verabschieden wollte. Diese schilderte mir den Beruf und das Leben der
+Nonnen so schön, daß ich voller Begeisterung beschloß, ebenfalls ins
+Kloster zu gehen. Ich äußerte diesen Wunsch meiner Mutter gegenüber und
+sie war ganz wider mein Erwarten einverstanden. Doch wohin? Man
+versuchte es im Institut der Englischen Fräulein; doch wies man mich
+dort ab, weil ich ein lediges Kind war. Da erfuhren wir durch eine Magd,
+deren Schwester schon lange Klosterfrau war, daß der alte Pater Guardian
+des Kapuzinerordens in München uns gewiß raten könne; der hätte auch
+ihre Schwester ins Kloster gebracht.
+
+Meine Mutter ging also mit mir dahin und stellte mich dem Pater vor, und
+nachdem ich ihm meinen Wunsch, ins Kloster zu gehen, vorgetragen hatte,
+meinte er: »Viele sind berufen, aber wenige nur sind auserwählt! Wenn du
+wirklich den festen Willen hast, Nonne zu werden, so will ich dir gerne
+dazu helfen!« Darauf nannte er mir als die geeignetste Stätte, Gott in
+gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt zu dienen, das Kloster
+Bärenberg in Schwaben, und nachdem er noch meine Schulzeugnisse geprüft
+und mich auch in religiösen Dingen nicht unwissend befunden hatte,
+empfahl er mir, dorthin zu schreiben; denn daselbst könne ich Lehrerin,
+oder was ich wolle, werden.
+
+Auf meine Anfrage bei den frommen Frauen dieses Klosters, das dem
+heiligen Josef geweiht war, erhielt ich denn auch wirklich den Bescheid,
+daß man, obwohl ich schon siebzehn Jahre alt sei und man gewöhnlich nur
+jüngere Bewerberinnen zulasse, dennoch gewillt sei, mich als Kandidatin
+aufzunehmen; zugleich war dem Schreiben ein Zettel beigelegt, der alles
+enthielt, was mir zu wissen vonnöten war und auch was ich an Garderobe,
+Wäsche und dergleichen brauchte.
+
+Als Tag meines Eintrittes war der fünfte Dezember, der Todestag meines
+Großvaters, ausersehen und ich erwartete ihn sehnsüchtig und mit großer
+Aufregung.
+
+Die letzte Nacht vor meinem Scheiden aus dem elterlichen Hause schlief
+ich nur wenig, und als mich am frühen Morgen die Mutter aus den Federn
+holte, war ich in ganz seltsamer Stimmung. Verflogen war alle Lust und
+Freude, und ich wäre viel lieber im Bett geblieben, statt mich für die
+Reise bereit zu machen. Da ich nun aber einmal daran glauben mußte,
+kleidete ich mich rasch an. Bald trat auch schon die Mutter reisefertig
+in die Stube, und nachdem ich meinem Vater und den Geschwistern Lebewohl
+gesagt, machten wir uns auf den Weg. Oftmals blickte ich noch zurück auf
+unser Haus, und als wir durch die menschenleeren Straßen dem Bahnhof
+zueilten, nahm ich noch Abschied von den alten Frauentürmen, die
+freundlich aus dem Frühnebel grüßten.
+
+In der Eisenbahn gab mir die Mutter noch allerhand Ratschläge und meinte
+zum Schluß: »Kost's, was's mag, wannst nur recht a brave Klosterfrau
+wirst! Schickn tean ma dir alles, was d'magst, brauchst bloß z'schreibn.
+Aber aushaltn mußt und drinn bleibn! Net, daß d'auf amal nimma magst und
+kommst ma daher; da tät's spuckn!«
+
+Nach dieser Rede verstummte sie, und auch ich lehnte mich schweigend in
+meine Ecke.
+
+Verschneite Wiesen, Wälder und Ortschaften glitten draußen vorüber,
+Stationen wurden gerufen, Leute stiegen aus und ein, deren Redeweise
+immer mehr das Schwabenland verriet, und bald waren wir in der
+Hauptstadt, in Augsburg. Den mehrstündigen Aufenthalt benützten wir
+dazu, uns die Stadt ein wenig anzusehen. Mich aber interessierten nur
+etliche Klosterfrauen, die eben über den Marktplatz in eine Kirche
+gingen; doch gefiel mir ihre Kleidung gar nicht und ich fürchtete, es
+möchten die Frauen des heiligen Josef ebensolche unschöne Gewandung
+tragen. Während ich ihnen noch nachblickte, stürmte plötzlich keuchend
+ein Hund an mir vorüber, der einen andern, der laut heulte, hinter sich
+herschleifte. Entsetzt sprangen die Nonnen zur Seite, während sich im Nu
+ein großer Menschenhauf ansammelte, aus dem die Rufe: »A Schäffla Wass'r
+her! A Töpfla Wass'r drufgießa!« erschollen. Ich aber war höchst
+erstaunt vor diesem scheinbaren Naturwunder stehen geblieben und starrte
+mit offenem Munde den Hunden nach. Da riß mich meine Mutter mit den
+Worten: »Marsch, weiter, dös is nix für di!« mit sich fort und führte
+mich auf dem kürzesten Wege wieder zum Bahnhof.
+
+Während der weiteren Fahrt war die Mutter recht einsilbig, und als wir
+jetzt an der Endstation Kamhausen anlangten, sagte sie nur: »So, jetz
+müß ma schaun, daß ma no an Platz im Stellwagn kriegn!« welchen Worten
+ich nicht zu widersprechen wagte, obgleich ich viel lieber zu Fuß
+gegangen wäre.
+
+Während nun die Mutter wegen der Fahrscheine drinnen am Postschalter
+verhandelte, besah ich mir die Gegend: da erblickte ich grad vor mir,
+kaum eine halbe Stunde entfernt, angelehnt an einen bewaldeten Hügel,
+ein imposantes Gebäude und rings um dasselbe eine Menge kleinerer, die
+den Eindruck einer kleinen Stadt machten. Etwas abseits lagen wieder
+eine Anzahl Häuser, die mehr ländlichen Charakter hatten und von Bäumen
+umgeben waren. Um das große Gebäude und den Berg zog sich eine Mauer und
+von dem Dach grüßten ein paar große, mit hohen Schneehauben überzogene
+Storchennester. Dazwischen ragten mehrere kleine Türmlein in die klare
+Luft und von einem größeren klang einladend das Mittagläuten zu mir
+herüber. Da schreckte mich jemand aus meinem Betrachten auf: »He, Mädla!
+Was luagscht denn allweil nach Bäraberg rüba? Magscht ebba au e
+Kloschtafrau wera?«
+
+»Ja. Dös hoaßt, naa, naa; i woaß's net!«
+
+Nach diesen ungeschickten Worten lief ich wieder auf die andere Seite
+des Bahnhofs, wo die Mutter mich schon überall suchte. Ich sagte ihr,
+daß ich Bärenberg schon gesehen hätte; doch schien sie es nicht zu hören
+und trieb mich zur Eile, da der Stellwagen gleich abfahren wollte.
+
+Mit uns hatten noch einige Frauen und ein junger Mann Platz genommen,
+und der letztere veranlaßte mich durch sein sonderbares Betragen und
+sein vogelartiges Gesicht, immer wieder nach ihm zu schauen. Er spielte
+unablässig mit seinen Fingern, schnitt Grimassen und lallte
+unverständliche Worte vor sich hin. Ich erfaßte aus der lebhaften
+Unterhaltung der Frauen, die bei ihm saßen, daß der junge Mensch blöd
+und epileptisch krank sei und nun in der Kretinenabteilung Bärenbergs
+untergebracht werde. In der Ecke saß ein altes Weiblein mit einem kaum
+zwanzigjährigen Mädchen, und es fiel mir auf, daß die beiden garnichts
+miteinander redeten. Auch die andern Frauen interessierten sich
+anscheinend für das Paar; denn die eine fragte plötzlich die Alte:
+»Fahrat Se au uf Bäraberg?«
+
+»Ja freili,« antwortete diese, »mei Dirndl is toret und a Stummerl is 's
+aa. Jatz han i mi beim Burgamoasta vürstelli g'macht und der hat ins a
+G'schreibats gebn, daß s' auf G'moaköstn in dö Anstalt z'Bärnberg kimmt.
+Dö ham ja lauta söllane Dalkn!«
+
+»Du lieb's Herrgottl! Isch dies abr schad! 's isch ganz e frätzig's,
+herztausig's Mädla! Moi Jakala muß au hin, weil er irr ischt und's
+Hiefallat hat.«
+
+Nun war mit einem Mal meine ganze Schneid fort und ich hatte nicht
+geringe Angst vor dem Kloster und allem, was dazu gehörte. Und als sich
+die redseligen Frauen nun auch an uns wandten, muß ich wohl ganz den
+Eindruck einer verschüchterten Irren gemacht haben; denn die eine sagte
+zu meiner Mutter: »So, so, Sie fahrat au mit uns! Sie wollet g'wiß au
+Aufnahm für dies Mädla; ischt's ebba au e Deppala?«
+
+Da sagte meine Mutter, daß ich Klosterfrau werden wolle.
+
+»Schau, schau!« sagte die Alte darauf, »so a schwera und aaschtrengada
+Beruf möcht's Mädla und ischt so blaß und mag'r! Lasset Sie's do wied'r
+hoifahra, Fraule! Die ischt 'it passad für e Kloschterfrau!«
+
+Doch meine Mutter entgegnete nur kurz: »Es wär mir gleich, was s' tät;
+aber sie will selber ins Kloster.« Damit war die Unterhaltung zu Ende.
+
+Inzwischen waren wir an dem Hügel angelangt und mußten nun ganz um ihn
+herumfahren. Da sah man erst, daß er den eigentlichen Ort ganz verdeckt
+hatte, und ich war überrascht von der Schönheit des alten Städtleins.
+
+Vor dem großen Gebäude machte der Postillon halt und wir standen wartend
+an der verschlossenen Pforte. Aus dem kleinen Fensterchen daneben sah
+eine schwarze Katze, und als die Tür sich endlich öffnete, stand eine
+kleine, alte Nonne vor uns, liebenswürdig und demütig nach unserm Begehr
+fragend.
+
+Nachdem sie die Wünsche eines jeden gehört, führte sie uns in ein kahles
+Zimmerchen, aus dem erst die Taubstumme, dann die Frauen mit dem Kranken
+geholt wurden. Zuletzt kam eine blasse, junge Schwester, die uns nach
+den Gemächern des Superiors führte.
+
+Vor der Tür des Sprechzimmers standen etwa sieben bis acht Nonnen und
+warteten auf Einlaß. Sie standen da, gesenkten Hauptes, die Arme vor der
+Brust gekreuzt und beteten leise vor sich hin, während mitunter ein halb
+scheuer, halb neugieriger Blick uns streifte.
+
+Inzwischen hatte die Schwester uns angemeldet und wies uns nun in ein
+mit dem Sprechzimmer verbundenes Gemach.
+
+Da trat nach einer kleinen Weile, während der mir fast die Brust
+zersprang vor Erregung, aus der Tür des Sprechzimmers ein ernster Mann
+von ehrfurchtgebietender Größe und Haltung und lud uns ein, näher zu
+treten. Er führte uns in sein Zimmer, das fast wie der Laden eines Buch-
+und Schreibwarenhändlers aussah. Überall lagen Stöße von Büchern,
+Heften, Zeitschriften, Akten und Briefen umher und dazwischen große
+Pakete, ganze Bündel Wachskerzen, Rosenkränze und Sterbkreuze. Über
+einem Stuhl hingen eine Menge violettgelber Ordensgürtel und an einem
+Schrank lehnten etliche Krücken.
+
+Nachdem der Superior in einem Armstuhl Platz genommen, wies er meiner
+Mutter auf dem Sofa und mir auf einem Rohrhockerl Sitze an, hierauf
+begann er: »Hast du dir auch wohl überlegt, mein liebes Kind, was du tun
+willst, indem du eine Klosterfrau zu werden gedenkst?«
+
+Meine Mutter antwortete statt meiner: »Hochwürdiger Herr, wir haben ihr
+lang genug davon abgeraten;« und plötzlich in ihre gewohnte Redeweise
+verfallend, fuhr sie fort: »Aber a jeds Wort is umasonst g'wen.«
+
+»Das haben halt schon viele im Sinn gehabt und nach einiger Zeit sind
+sie doch wieder in die Welt zurück. Und gar bei uns gehört viel dazu, um
+den Anforderungen, die wir an die Schwestern stellen, gerecht zu werden.
+Doch soll es uns große Freude bereiten, wenn das liebe Kind eine recht
+fromme, brave und tüchtige Schwester in unserm Orden wird. Wir haben ja
+so viele nötig, sowohl für die Arbeit, als auch für den Unterricht; denn
+unsere Anstalt besteht aus einem Blindenheim, einem Taubstummeninstitut,
+einer Heimstätte für alte, schwächliche Personen und einer Pflegeanstalt
+für Kretinen, Epileptische, Irre, Tobsüchtige und durch Ausschweifung
+Zerrüttete, sogenannte Besessene. Auch finden bei uns arme, kranke und
+mißgestaltete, sowie blöde, krüppelhafte und mißratene Kinder eine
+Stätte zur allseitigen Pflege und Bildung, soweit dies möglich ist.
+
+Unser Orden hat jetzt etwa fünfhundert Profeßschwestern, von denen
+etliche schon seit Bestehen desselben das Kleid unseres Schutzpatrons
+tragen, und ungefähr zweihundert Novizinnen, die ihren weißen Schleier
+erst in ein bis zwei Jahren bei Ablegung der Profeß mit dem schwarzen
+zum Zeichen gänzlicher Entsagung der Welt vertauschen. Diese sind noch
+nicht durch die ewigen Gelübde gebunden und können den Orden noch
+verlassen; doch zeigt ein einzig dastehendes Beispiel, wie der
+himmlische Bräutigam diesen Verrat bestraft: die betreffende Novizin
+wurde nach einiger Zeit irrsinnig und befindet sich jetzt in unserer
+Irrenabteilung. Außer den Genannten haben wir noch etwa dreihundert
+Jungfrauen, die am Tag des heiligen Josef Lehr-, Pfleg- und
+Arbeitsschwestern werden wollen, sowie einhundertzwanzig
+Lehramtskandidatinnen, zehn Handarbeits- und sechs Musikkandidatinnen
+und etwa fünfzehn für die Hausarbeit und Küche. Wie ich sehe, hat das
+Kind sehr gute Schulzeugnisse; eine kurze Prüfung wird uns zeigen, wozu
+sich das Mädchen eignet. Sollte es dir, mein Kind, nicht gefallen, so
+kannst du innerhalb fünf Jahren diese Stätte noch verlassen. Nun sage
+mir einmal, willst du bei uns bleiben?«
+
+Er war bei den letzten Worten aufgestanden und hatte mir das Kinn
+gefaßt, indem er mich fest anblickte.
+
+Da sagte ich leise: »Ja, ich will dableiben.«
+
+Meine Mutter hatte dies Ja überhört und rief: »Na, kannst net antwortn,
+wennst g'fragt wirst!«
+
+Doch der Priester entgegnete ihr: »Ereifern Sie sich nicht, Frau Mutter,
+das gute Kind hat mir sein Jawort schon gegeben.«
+
+Darauf gab er uns seinen Segen und ließ uns durch eine Nonne nach der
+Kandidatur führen. Dort mußte mich meine Mutter allein lassen; doch
+durfte ich, nachdem ich den Kandidatinnen vorgestellt und genugsam
+angestaunt worden war, mit ihr in der Brauerei zu Mittag essen und hatte
+mein neues Leben erst am Nachmittag zu beginnen.
+
+Wir begaben uns also in das Bräustüberl, einen behaglichen Raum mit
+rohen, blankgescheuerten Möbeln und Blumenstöcken an den Fenstern, deren
+saubere Vorhänge fest zugezogen waren. An den Wänden hingen bunte
+Heiligenbilder und in einer Ecke war ein kleiner Hausaltar aufgerichtet,
+dessen zierliche Ampel ihr mattes Licht auf die aus Gips verfertigte
+Statue des heiligen Josef warf.
+
+Als ich sah, daß auch hier nur Klosterfrauen tätig waren, verwunderte
+ich mich sehr und wagte an die Schwester, die uns bediente, die Frage,
+ob hier die Nonnen auch das Bier selber brauten. Da erzählte sie uns,
+daß alles, was nur immer zu tun sei, von ihnen selbst gemacht werde;
+auch die Ökonomie und Metzgerei, sowie alle Handwerke, deren das Kloster
+bedürfe. Zur Hilfe würden allerdings die Pfleglinge, welche sich dazu
+eigneten, verwendet. Dies setzte mich in großes Erstaunen, und ich sah
+meinem Leben in diesem Kloster mit viel Neugier entgegen. Meine Mutter
+aber hatte mit wachsendem Entsetzen zugehört und konnte dies auch kaum
+vor mir verbergen, und als sie um drei Uhr wieder in den Stellwagen
+stieg, sagte sie ganz unvermittelt: »Also, wann's dir gar z'schwer wird,
+kannst d' es ja schreibn; bet viel und sei recht fleißig und aufmerksam
+und laß dir nix z'Schulden kommen.«
+
+Ich gab ihr noch Grüße auf an alle, die mir lieb waren; dann schlang ich
+plötzlich meinen Arm um ihre Knie, drückte laut aufweinend meinen Kopf
+in ihre Kleider und lief danach, so rasch ich konnte, an die Pforte und
+läutete fest, ohne noch einmal umzuschauen.
+
+Man wies mich wieder in das kleine Zimmer, und dann führte mich die
+blasse Schwester ins Refektorium, wo die Kandidatinnen bei der Vesper
+saßen. Liebenswürdig nahmen sich sofort einige von ihnen meiner an und
+erklärten mir alles, was ich wissen mußte oder wollte. Ich war ihnen
+dankbar dafür; denn ich hielt es für natürliche, herzliche
+Kameradschaft. Später freilich erkannte ich meinen Irrtum: es war alles
+nur Drill und von wahrer Güte wenig zu finden: Bigotterie paarte sich
+mit Stolz, Selbstsucht mit dem Ehrgeiz, vor den Oberen schön dazustehen
+und als angehende Heilige bewundert zu werden.
+
+Besonders unter den älteren Mädchen hatte dies Streben nach
+Vollkommenheit einen wahren Wettlauf um die Tugend hervorgerufen, und
+die Präfektin der Kandidatur, die solches mit großer Befriedigung
+wahrnahm, übergab nun jede Neuangekommene der Obhut einer dieser
+Würdigen, welche zugleich mit diesem ehrenvollen Amt den Namen
+Schutzengel erhielt.
+
+Also ward auch mir gleich am ersten Abend ein solcher Schutzengel
+zugeteilt und waltete mit Eifer seines Amtes. Bald machte er mich auf
+das Weltliche meiner Heiterkeit aufmerksam, obschon ich mir recht
+traurig vorkam. Und als ich später meinen Arm in den meiner Beschützerin
+legen wollte, wies sie mich mit den Worten zurecht: »Pfui! Das schickt
+sich doch nicht! Das gefährdet doch die heilige Reinheit! Es ist uns
+verboten, uns bei den Händen zu fassen oder einzuhängen. Das Betasten
+des Körpers nährt die Sinnlichkeit, und zum Körper gehören auch die
+Hände.«
+
+Da die Abendandacht stets in der Kapelle verrichtet wurde, führte meine
+Hüterin mich daselbst an den mir zugeteilten Platz, von dem aus ich
+weder den Altar noch sonst etwas von der Kirche sehen konnte; denn wir
+befanden uns auf einer Art Galerie, die mit einem dichten Gitter
+abgeschlossen war. Rings um uns vernahm ich lautes Beten und sah mich
+neugierig um, zu sehen, woher es käme. Da flüsterte mein Schutzengel mit
+strenger Miene: »Sieh für dich, arme Seele, Gott ist hier!«
+
+Nach dem Abendgebet gingen wir paarweise in den großen Schlafsaal, und
+meine Führerin steckte mir auf dem Weg dahin einen Zettel zwischen die
+Finger, auf dem geschrieben stand: »Von neun Uhr abends bis sieben Uhr
+morgens strengstes Stillschweigen!«
+
+Im Schlafsaal angelangt, wies sie mir mein Lager an, und ich wollte nun
+beginnen, mich auszuziehen. Da ich noch städtische Kleidung trug und
+auch kein Nachthemd bei mir hatte, brachte sie mir eine weiß- und
+rotkarierte Bettjacke. Ich hatte bereits meine Bluse aufgeknöpft und
+entblößte eben meine Schultern, als mein Schutzgeist ganz entsetzt
+herzusprang und mir die Bluse rasch wieder über die Achseln schob.
+Hierauf warf sie mir die Bettjacke über die rechte Schulter, und indem
+ich sie am Hals festhalten mußte, entblößte sie unter dieser schützenden
+Hülle meinen rechten Arm und schob ihn rasch in den Ärmel des
+Nachtgewandes. Ebenso verfuhr sie auf der linken Seite und dann knöpfte
+sie mir den Kittel bis an den Hals zu.
+
+Die andern Kandidatinnen hatten sich inzwischen unter lautem Beten auf
+die gleiche Art entkleidet, und ich sah nun eine nach der andern ins
+Bett steigen; doch behielten alle ihren Unterrock und die Strümpfe an.
+Ich machte meine Hüterin durch Zeichen auf dies aufmerksam; da zog sie
+einen Bleistift und einen Notizblock aus der Tasche und schrieb darauf:
+»Ein sittsames Kind entblößt die Füße erst im Bett und auch den
+Unterrock darf man nicht vorher abstreifen.«
+
+Also legte ich mich zu Bett und entledigte mich, nachdem sie mir die
+Decke über den Kopf gezogen, meiner übrigen Kleidung, worauf eine
+Nachtschwester von Bett zu Bett ging und einer jeden die Zudecke glatt
+strich. Und nachdem man sich noch der Fürbitte des heiligen Joseph und
+der heiligen Barbara durch besondere Gebete versichert und den Psalm
+»Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr« samt den dazugehörigen
+Paternostern gebetet hatte, legte man die Arme auf der Bettdecke
+kreuzweise über die Brust und schlief dann ein.
+
+Traumlos schlief ich die ganze Nacht; denn ich war den Tag über müde
+geworden, und als am frühen Morgen plötzlich ein lautes »Gelobt sei
+Jesus Christus« ertönte, dem die Kandidatinnen sich aufsetzend »in
+Ewigkeit, Amen,« antworteten, blickte ich verwirrt um mich und konnte
+mich erst, als von der Pfarrkirche das Fünfuhrläuten erscholl, besinnen,
+wo ich war. Rasch sprang ich aus dem Bett; in diesem Moment aber sah ich
+ringsum aller Augen entsetzt auf mich gerichtet, und nun merkte ich
+erst, daß ich im Hemd und ohne Strümpfe war. Schnell schlüpfte ich
+wieder ins Bett und zog mit vieler Mühe unter der Decke meine
+Unterkleider an.
+
+Derweilen waren die anderen Mädchen schon an den langen Waschtisch
+getreten, wo eine Waschschüssel neben der anderen stand, und wuschen
+sich, als mein Schutzengel kam und auch mich dahin führte. Während des
+Ankleidens wurde wie am Abend laut gebetet; man empfahl sich zu allen
+Stunden in Mariens Herzen und Jesu Wunden.
+
+Nachdem wir unsern Schlafsaal geordnet und zuletzt die leichten
+Filzschuhe mit Stiefeln vertauscht hatten, begaben wir uns paarweise
+nach der Kandidatur. Diese befand sich in dem sogenannten Mutterhaus,
+einem alten Bau, der noch aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte und
+damals den Prämonstratensermönchen gehört hatte, die später daraus
+vertrieben wurden, worauf das Kloster erst als Kaserne und dann als
+Speicher diente. In diesem Zustand erwarb es unser Orden und richtete es
+wieder wohnlich her; doch wurde das Haus bald zu klein und man fügte
+einen Anbau um den andern an. So kam es, daß wir unsern Schlafsaal in
+einem dieser neuen Gebäude hatten.
+
+Wir schritten also über den verschneiten Platz vor dem Kloster; denn
+einen geschlossenen Verbindungsgang nach dem Mutterhaus hatte man gerade
+erst zu bauen begonnen. Da läutete es in der Pfarrkirche zur heiligen
+Wandlung. Sofort warfen sich alle auf die Knie in den Schnee und beteten
+den menschgewordenen Gott an.
+
+Als wir im großen Lehrsaal der Kandidatur angekommen waren, knieten alle
+vor einer reich mit Blumen geschmückten Statue des heiligsten Herzen
+Jesu nieder, vor der die Präfektin bereits in andächtigem Gebete lag.
+Sie schlug jetzt ein Andachtsbuch auf und las daraus die Legende einer
+Heiligen, worauf eine lange Betrachtung ihrer Tugenden und Leiden
+folgte. Zum Schluß wurde vieles auf uns angewandt und etliche
+Kandidatinnen, die sich Verfehlungen gegen eine der Tugenden dieser
+Heiligen hatten zu Schulden kommen lassen, bekamen nun eine
+eindringliche Strafpredigt und es wurden ihnen schwere Bußübungen, wie
+Rosenkränze, viel hundert Paternoster und Ave-Maria, stundenlanges Knien
+vor dem Altar und dergleichen auferlegt.
+
+Starr vor Erstaunen hörte ich dem Ganzen zu und bereute es schon bitter,
+jemals den Vorsatz gefaßt zu haben, Nonne zu werden.
+
+Nach dieser geistlichen Lesung und Betrachtung gingen wir in den
+Speisesaal zum Frühstück, das in einer Tasse dünnen Kaffees und einem
+Brötchen bestand. Meine Hüterin legte wieder einen Zettel vor mich hin,
+des Inhalts, daß es Jesus recht wohlgefällig sei, wenn man freiwillig
+auf das Brot verzichte, weshalb ich nur die Hälfte davon aß.
+
+Nun hatten wir der Frühmesse in der Klosterkapelle beizuwohnen und
+danach versammelten wir uns wieder im Saal der Kandidatur, und jedes
+holte sich ein Buch, um zu lernen.
+
+Inzwischen schlug es acht Uhr, und herein traten drei Schwestern, die
+Lehrerinnen der Kandidatur, gefolgt von der Präfektin, die mich, nachdem
+wir beim Glockenschlag um eine gute Sterbstunde gefleht, setzen hieß und
+nun begann, mich in allem zu prüfen, was ich als Lehramtsschülerin
+wissen oder lernen mußte. Sie gesellte mich danach dem zweiten Kurs zu
+und wies mir meinen Platz an, worauf der Unterricht begann. Der erste
+Kurs schrieb an einem Aufsatz, wir rechneten schriftlich, und der dritte
+Kurs hatte Unterricht in Grammatik. Die höheren Klassen hatten ihre
+eigenen kleinen Studierzimmer und diese waren nur durch Glastüren von
+unserm Saal getrennt.
+
+Um neun Uhr versammelten sich von neuem alle vor dem Altar, knieten
+nieder und beteten laut ein Stundengebet. Kaum hatten wir uns wieder
+erhoben, als abermals von der Pfarrkirche die Glocke zur Wandlung
+läutete und wir uns wiederum auf die Knie warfen und anbeteten.
+
+Nach einer kurzen Weile rief man uns zur Vesper, und jede bekam ein
+Krüglein Bier und ein Stück schwarzes Brot, wobei ich sah, daß wieder
+viele die Hälfte des Brotes zurück in den Korb wandern ließen; doch weiß
+ich nicht, ob dies zur Abtötung oder aus Abneigung gegen das rauhe
+Gebäck geschah.
+
+Bald, nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte, kam die Präfektin
+und befahl meinem Schutzengel, mich ins Bad zu führen.
+
+Durch lange Gänge, vorüber an Männer- und Frauenabteilen, aus denen
+wüster Lärm drang, hinab über alte, morsche Stiegen ging es, dann traten
+wir in einen moderigen Kellerraum, wo etwa zehn Männer Körbe flochten.
+Wir eilten an ihnen vorüber und kamen durch die mit ekelhaftem Gestank
+erfüllte Waschküche, in der etliche Kretinen aus einer übelriechenden
+Lauge graue Wäschestücke zogen, endlich in ein düsteres Kämmerlein, das
+man Bad nannte, und in dem zwei alte Badewannen, durch einen Vorhang
+getrennt, an der Wand standen.
+
+Wir mußten uns erst das heiße Wasser aus der Waschküche holen, und
+nachdem wir unsere Wannen gefüllt und unsere Tücher und Wäsche auf einen
+neben der Wanne stehenden Stuhl gelegt hatten, begann mein Schutzgeist
+mir zu zeigen, wie man sich baden müsse, ohne die Unschuld zu verletzen.
+
+Ich durfte mich nicht ganz entkleiden, sondern mußte in Hemd und
+Strümpfen in die Wanne steigen. Hier konnte ich mich meiner Strümpfe
+entledigen, während das Hemd meiner Blöße als Bedeckung blieb und
+tüchtig eingeseift wurde. Darauf strich man einige Male mit den Händen
+darüber hin; denn unter dem Hemd durfte der Leib nicht berührt werden.
+Nur Gesicht und Hals wurde gründlich gewaschen.
+
+Währenddem beteten wir laut den schmerzhaften Rosenkranz, auf daß der,
+der für uns Blut geschwitzt hat und für uns gegeißelt ist worden, unser
+Herz vor jedem sinnlichen Gedanken bewahre.
+
+Auf dem Rückweg erzählte mir meine Beschützerin, daß man während des
+Sommers in einer Hütte zu Sankt Jakob bade, einer Einsiedelei, nahe dem
+Kloster in einem kleinen Tal gelegen. Und sie erklärte mir genau, wie
+man es dabei zu machen habe, damit die Seele nicht Schaden leide. Als
+ich dann später im Sommer wirklich dieses Badehüttlein besuchte, mußte
+ich über mein Hemd einen Anzug mit langen Ärmeln anziehen, so daß ich am
+Ende nicht das Gefühl der Erfrischung hatte, sondern es mir war, als sei
+ich durch ein Unglück ins Wasser geraten. Zum Glück durfte ich während
+meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster nur dreimal baden.
+
+Nach dem Bade führte meine Hüterin mich in die Garderobe, wo ich meine
+klösterliche Uniform erhielt. Danach gingen wir zu Tisch, und jetzt war
+ich eigentlich erst als Kandidatin anerkannt. Ich trug ein
+blaugestreiftes Kattunkleid, eine schwarze Schürze, ein schwarzes
+Schulterkräglein und um den Hals eine gestärkte Batistschleife.
+
+Vor dem Essen befahlen wir unsere Sinne dem göttlichen Meister, indem
+wir beteten: »Barmherzigster Herr Jesu Christe, gestatte, daß ich jetzt
+diese Mahlzeit einnehme, aus Gehorsam, um meine Gesundheit zu stärken
+und mir neue Kräfte zu sammeln. Bewahre mich vor aller Sinnlichkeit und
+gib mir die Gnade, daß ich nicht ohne Überwindung von dieser Mahlzeit
+aufstehe.«
+
+Doch hätte es eigentlich dieses Gebetes kaum bedurft, da der
+Speisezettel nicht danach angetan war, den Gaumen zu reizen, so daß es
+schon großer Überwindung bedurfte, gehorsam zu sein und zu essen. Die
+älteren Kandidatinnen freilich fügten dieser Überwindung noch andere
+hinzu, indem sie kein Salz nahmen, kein Wasser tranken, kein Brot aßen
+und anderes mehr.
+
+Ich selbst konnte mich nur sehr schwer an die Kost gewöhnen; denn
+erstlich wurden alle Gerichte mit Dampf gekocht, und dann kamen wir in
+bezug auf die Qualität erst an dritter oder vierter Stelle: das Fleisch
+und frische Gemüse erhielten die Schwestern, was davon übrig blieb, die
+Jungfrauen; wir bekamen das Fett mit Kraut, Kartoffelbrei oder Salat.
+Was wir übrig ließen, wurde dann den Pfleglingen mit einer Brennsuppe
+verabreicht. Zwar gab es in der Küche auch Geflügel und Fische; doch das
+war für die Oberen, die Geistlichkeit und bessere Gäste bestimmt. Am
+übelsten aber bekamen mir die sogenannten Kässpatzen, eine zähe
+Wasserteigmasse, in der eine Menge Zwiebeln staken. Doch ging es allen
+Neulingen so, so daß sich nicht selten die eine oder andere erbrechen
+mußte, was hingegen kein Grund war, mit dem Essen aufzuhören.
+
+Während der Mahlzeit hielt stets eine ältere Kandidatin eine erbauliche
+Tischlesung, meist Legenden aus dem Leben heiliger Personen, die durch
+Fasten und Abtöten eine hohe Stufe der Heiligkeit erklommen hatten.
+
+Nach Tisch ordnete man sich in Paaren und begab sich in die Kapelle,
+damit, nachdem der Leib seine Nahrung erhalten, auch die Seele ihr Teil
+bekäme durch den Akt der geistlichen Kommunion.
+
+Ich war nach dieser Andachtsübung, die mit dem Abbeten des Rosenkranzes
+mit ausgebreiteten Armen beschlossen wurde, so müde, daß ich beinahe im
+Gehen einschlief.
+
+Da traten wir plötzlich in einen großen Saal. Darinnen saß eine junge
+Nonne mit gewinnendem, freundlichem Blick in den kindlichen Zügen am
+Flügel, während neben ihr ein junges Mädchen einen Stoß Liederbüchlein
+im Arm hielt und am Tisch verstreut mehrere Oratorien und Messen lagen.
+
+Die Nonne stand auf, und nachdem ein kurzes Stundengebet verrichtet
+worden, begann die Gesangstunde, wobei ich sah, daß hier die Musik sehr
+gepflegt wurde; denn die Stimmen waren gut geschult und das Spiel der
+Schwester meisterlich. Sie präludierte erst ein wenig und spielte dann
+etliche Variationen des zu behandelnden Liedes. Endlich gab sie das
+Zeichen zum Einsatz, und nun hallte der Saal wieder von den Tönen einer
+herrlichen altitalienischen Messe.
+
+Als die Sängerinnen eine längere Pause machten, bat ich die Schwester,
+sie möge mich mitsingen lassen, was sie ziemlich verwundert gestattete.
+Nun war mit einem Male meine ganze Müdigkeit dahin, und ich sang so zu
+ihrer Zufriedenheit, daß sie mich erstaunt fragte, wo ich Unterricht
+gehabt hätte. Ich antwortete ihr, daß ich am Kirchenchor gesungen hätte
+und auch schon längere Zeit im Klavierspiel unterwiesen worden sei.
+Hocherfreut rief sie, als sie dies vernommen: »Liebs Jesusle, hab Dank!
+Jetzt bekomm ich eine Musikkandidatin!« Und sofort eilte sie zum
+Superior, ihn zu bitten, daß er mich ihr überweise.
+
+Dies geschah noch am nämlichen Tage, und nun begann für mich eine
+glückliche Zeit. Ich machte rasch Fortschritte im Klavierspiel, und als
+ich dann auch im Violinspiel über die ersten Anfänge hinaus war, taten
+sich vor mir immer wieder neue Wunder auf, und ich schien mir in eine
+andere Welt versetzt. Meine Freude über diese gute Wendung der Dinge
+zeigte ich meiner Lehrerin durch großen Eifer und möglichste Genauigkeit
+im Arbeiten.
+
+Hatte ich schon vorher unter den Lehramtsjüngerinnen einige heftige
+Widersacherinnen gefunden, so mehrte sich jetzt ihre Zahl; um so mehr,
+als Schwester Cäcilia mich sehr lieb gewann und wir bald gute Freunde
+wurden.
+
+So kam es, daß ich in kurzer Zeit einer der sogenannten Sündenböcke der
+Kandidatur war; denn je öfter meine Lehrerin mir sagte, daß ich
+brauchbar und ihr fast unentbehrlich sei, desto öfter suchte man mich
+auf der anderen Seite durch Wort und Tat zu überzeugen, daß ich ein
+eingebildetes, dummes Mädel sei, das leicht zu ersetzen wäre.
+
+Es dauerte nicht lange und die Obern des Klosters erfuhren diese Dinge.
+
+Also ward ich von der Präfektin der Kandidatur, Schwester Archangela,
+einer alten, strengen Nonne mit harten Zügen, tiefliegenden grauen Augen
+und einer großen Hakennase, auf der eine goldene Brille saß, zu der
+Oberin geführt, damit man mir zeige, was einem so eitlen, schlimmen
+Mädchen gebühre.
+
+Als ich vor der vornehmen, gütigen Frau, die einem alten, französischen
+Adelsgeschlecht entstammte, stand, fragte sie mich, was ich verbrochen
+habe; denn man hielt viel auf ein freimütiges Bekenntnis seiner
+Vergehen.
+
+Ich antwortete: »Würdigste Mutter, man beschuldigt mich, daß ich mich in
+bezug auf meine Leistungen überhebe und gegen meine Vorgesetzten und
+Mitschwestern unhöflich und herausfordernd sei; doch fühle ich mich
+nicht schuldig und bitte Sie, würdigste Mutter, meine Lehrerin und
+Mitschwestern darüber vernehmen zu wollen.«
+
+Ohne ein Wort der Erwiderung, nur einige Male mit dem Kopf nickend,
+faßte mich die Oberin an der Schulter und führte mich in das Vorzimmer
+des Herrn Superiors, wo ich warten mußte, bis sie mit ihm die Sache
+besprochen hatte.
+
+Als sie wieder heraustrat, blickte ich ihr fest und mit großen Augen ins
+Gesicht; doch konnte ich aus ihren Zügen nicht entnehmen, ob man mir
+Glauben geschenkt hatte. Sie sagte nur ernst zu mir: »Sprich ehrlich mit
+unserm Vater, Magdalena; er will nur dein Bestes!«
+
+Ich trat also vor ihn hin und auf seine Frage: »Was hast du
+vorzubringen?« trug ich ihm den Hergang der Sache so vor, wie ich ihn
+der Oberin geschildert hatte.
+
+Da ließ er meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, zu sich kommen, und sie
+mußte nun über mich berichten.
+
+Als der Superior nur Gutes hörte, meinte er: »Seltsam, höchst seltsam!
+Kind, wenn du wirklich brav warst, so bleib's, wenn nicht, so werd's!«
+
+Damit waren wir entlassen, und erleichtert trat ich mit der Schwester
+wieder auf den dunklen Gang hinaus.
+
+Auf dem Weg zum Musiksaal faßte ich ganz plötzlich in einer Aufwallung
+warmen Dankgefühls ihre Hand und küßte sie wiederholt. Lächelnd entzog
+sie mir dieselbe, indem sie sagte: »Laß doch die dumme Hand! Sie gehört
+ja gar nimmer mir, sondern dem heiligen Josef!«
+
+Da meinte ich: »Aber der Mund g'hört schon noch Ihnen, gelt, Schwester?«
+
+»Ja, zum Beten und Singen und ...«
+
+»Und daß ich schnell ein andächtigs Busserl draufgib, Schwester!« rief
+ich dazwischen, und ehe sie sich dessen versah, hatte ich sie geküßt.
+
+Ganz erschrocken schob sie sich den Schleier zurecht und zupfte an ihrem
+Habit herum; doch sagte sie nichts und schalt mich auch nicht, wie ich
+befürchtet.
+
+Als wir in den Saal traten, sah ich unter ihrem Schleier über dem
+rechten Ohr einen Wusch goldroten Haars hervorlugen; ich sagte es ihr,
+und da rief sie mit komischem Entsetzen: »Was sagst, die Welt guckt
+raus? Ob ihr gleich z'rück wollt, ihr fuchsigen Locken!« Und eiligst
+strich sie sie einige Male unter dem Häubchen zurück.
+
+Seit diesem Tag waren wir die besten Freunde, und sie sagte mir im
+Vertrauen, daß eben unser herzliches Verhältnis zu einander den
+eigentlichen Anlaß zu dem Zwist gegeben hätte, daß sie mich aber,
+solange es den Obern recht sei, sehr lieb haben wolle. Ich solle nur mit
+allen freundlich und besonders gegen eine alte, von der Präfektin wegen
+ihres Reichtums, den sie dem Kloster geschenkt hatte, sehr begünstigte
+Musikkandidatin recht höflich und zuvorkommend sein.
+
+Erst war ich über diesen Rat sehr verwundert; bald aber erkannte ich
+selbst, daß meines Bleibens in diesem Hause nur dann sein könne, wenn
+ich, wie man sagt, mit den Wölfen heulte, obschon mir jede Art von
+Scheinheiligkeit zuwider war.
+
+Schwester Cäcilia mochte wohl auch erst nach langem Kampf zu dieser
+Anschauung gekommen sein; denn sie war im übrigen so freimütig und
+offen, daß sie einen absoluten Gegensatz zu den andern Nonnen bildete.
+
+Dieser offene Charakter war übrigens auch ihren Familienangehörigen
+eigen. Ihr Vater, der Schullehrer in dem Ort war und im Kloster den
+Kandidatinnen und Lehrschwestern Unterricht im Geigen- und Cellospiel
+gab, darin er selbst ein Meister war, hatte wegen seiner geraden Art
+viele Feinde. Er hielt sehr auf ein furchtloses, freies Wesen und haßte
+die kriechende Unterwürfigkeit, die sich unter den Nonnen so gern breit
+macht und meistens der Deckmantel für Ränke und Heimtücke wird. Kam er
+zu uns, so begrüßte er erst seine Tochter mit den Worten: »Guta Tag,
+Cilli! Magscht's Tagblättla lesa?« Und damit zog er das Blatt aus der
+Tasche, obwohl es eigentlich verboten war, Zeitungen zu lesen. Dann
+sagte er, zu uns gewendet: »So, meine Damen, ka' i afanga? Ischt's
+g'fällig?«
+
+Während des Unterrichts trieb er viel Kurzweil mit uns, so daß es mir
+oft schien, als sei ich nicht in einem Kloster, sondern bei einem alten
+Bekannten zu Besuch.
+
+So war denn mein Leben ein ganz angenehmes geworden, und ich ertrug die
+Bosheiten der Mißgünstigen um so leichter, als ich nicht die einzige
+Gehaßte und Verfolgte war. Es waren vielmehr eine Reihe jüngerer Mädchen
+von den Günstlingen der Präfektin dieser als bösartige, ränkesüchtige
+Personen geschildert worden, weshalb es täglich bei der morgendlichen
+Betrachtung Strafen und Bußen regnete.
+
+So schüttete die Präfektin eines Morgens ihren heiligen Zorn über einige
+unglückselige Mädchen aus, die ihre Waschtoilette nicht rein gehalten
+und die Schuhe im Schlafsaal nicht aufgeräumt hatten. Sie wurden damit
+bestraft, daß die eine die Schuhe an einer Schnur über die Schulter
+gehängt bekam, während der andern ein Zettel an die Brust geheftet
+wurde, des Inhalts: »So wird die Schlamperei bestraft.«
+
+Einem andern Mädchen, das eine Notlüge gebraucht hatte, wurde ein roter
+Flanellappen in Form einer Zunge an den Rücken gesteckt, und eine
+dritte, die mit einem Pflegling gesprochen hatte, wurde, da dies streng
+verboten war, in Acht und Bann erklärt, das heißt, es wurde ihr das
+schwarze Schulterkräglein, das Abzeichen der Kandidatur, auf die Dauer
+eines Monats entzogen und allen übrigen aufs strengste verboten, mit der
+Unglücklichen während dieser Zeit zu sprechen.
+
+Solchen Befehlen wurde von allen blindlings Folge geleistet; denn die
+Präfektin stand im Geruche großer Heiligkeit, und man erzählte sich im
+geheimen, daß sie sich oft des Nachts geißle und kasteie: man habe
+manchmal, wenn man zur nächtlichen Betstunde in die Kapelle ging,
+deutlich aus ihrer Zelle das Klatschen der Geißelhiebe und inbrünstiges
+Seufzen und Rufen vernommen. Auch sei sie wiederholt mit der Erscheinung
+ihres himmlischen Bräutigams beglückt worden.
+
+An manchen Tagen schien sie auch wirklich zu leuchten und rief während
+der geistlichen Lesung wiederholt aus: »Kinder, lernet Jesum lieben! Wie
+süß ist die Liebe zu ihm!«
+
+Zugleich mit dem Amte einer Präfektin war ihr auch das einer
+Novizenmeisterin zuteil geworden, und so lernten die jungen Nonnen gar
+bald diese Liebesbezeigungen gegen ihren göttlichen Meister und übten
+solche mit heroischem Eifer. Stundenlang konnte man oft Novizinnen vor
+dem Tabernakel knien sehen, die Arme ausgebreitet und die Augen
+unverwandt auf das Altarbild geheftet, das Christum in ganzer Figur
+darstellte.
+
+Doch nicht bloß am Tage wurde der Heiland von seinen Bräuten aufgesucht,
+nein, auch während der Nacht waren Betstunden festgesetzt, auf daß der
+Herrgott auch zu der Zeit, in der die Kreaturen ruhen und schlafen,
+gebührend verherrlicht werde durch die ewige Anbetung.
+
+In der Kandidatur setzte man nun auch seinen Stolz darein, an diesen
+Stunden teilzunehmen, und das traf immer je vier für die Kapelle des
+Mutterhauses, je vier für die Pfarrkirche und vier für die Kapelle des
+Neubaues.
+
+So war auch ich einmal nachts um die zweite Stunde mit drei anderen
+Beterinnen in der Kapelle des Neubaues und unterdrückte krampfhaft und
+gähnend den Schlaf. Da öffnete sich plötzlich die Tür und herein lief
+eine nur mit dem Nachthemd bekleidete Nonne, warf sich vor dem Altar auf
+die Knie und begann mit dem Ruf: »Jesus, brennende Liebe!« sich
+furchtbar zu geißeln.
+
+Wir waren starr vor Schreck und Staunen, und mich packte Grauen und
+Entsetzen. Die älteste von uns vieren aber meldete den Vorfall andern
+Tags der Präfektin, die uns strengstes Schweigen gegen jedermann gebot.
+
+Solche und ähnliche Vorgänge flößten mir einen großen Abscheu gegen das
+Ordensleben ein, und ich äußerte dies auch des öftern gegen Schwester
+Cäcilia, sie fragend, ob sie sich auch so mißhandle. Da meinte sie
+lächelnd: »Ich komme nicht dazu; denn ich muß mich den ganzen Tag mit
+euren Stimmen ärgern und plagen und brauche deshalb die Nacht zum
+Schlafen. Ich kann kaum meine Tagzeiten beten vor Arbeit.«
+
+Da erbot ich mich, diese Pflicht mit ihr zu teilen, und benützte von nun
+an jede freie Stunde dazu, ihr einige Dutzend Psalmen und Paternoster
+abzunehmen oder die Vesper, Sext und Non gemeinsam mit ihr zu beten,
+wofür sie mir viel Dank wußte und mich nicht selten vor Strafe bewahrte,
+wo ich sie verdient hatte.
+
+Inzwischen war die Fastnacht mit ihrem bunten Treiben gekommen, und auch
+die Nonnen vergaßen für kurze Zeit, sich zu kasteien, und schlossen sich
+lieber dem Hofstaat des närrischen Prinzen an und versammelten sich
+mitsamt den Obern und Geistlichen im großen Refektoriumssaal, der in ein
+Theater umgewandelt war, um sich an den heiteren Singspielen zu
+ergötzen, die ihnen Kandidatinnen und Jungfrauen aufführten.
+
+Auch den ärmsten von allen den Pfleglingen der verschiedenen Abteilungen
+wurden mannigfache Belustigungen geboten und sogar etliche dem dürftigen
+oder zerrütteten Geist angepaßte Schwänke aufgeführt, bei denen die
+dafür geeigneten Leidenden selbst mitwirken durften.
+
+Damit aber diese Lustbarkeit nicht etwa in den Herzen der gottgeweihten
+Frauen und Jungfrauen ein Verlangen nach den Freuden der Welt zeitige,
+beschloß man den Fasching mit einem frommen Theaterstück, in welchem die
+Glorie irgendeiner heiligen Nonne oder Jungfrau ins hellste Licht
+gerückt und sie als Muster und Vorbild verherrlicht wurde.
+
+Zu dieser Zeit hatte ich viel Arbeit; denn bei den Fastnachtsspielen
+waren mir die ersten Rollen zugeteilt worden, und nun stand der Tag des
+heiligen Josef, an dem der Bischof die Einkleidung und Profeßabnahme im
+Kloster vornahm, vor der Tür. Es war dies der festlichste Tag im ganzen
+Jahr, und alles rüstete sich schon lange vorher, ihn würdig zu begehen.
+
+Ich erwartete das Fest mit großer Erregung, da meiner sowohl in der
+Kirche als auch im Festsaal und beim Mahle schwere Aufgaben harrten.
+Doch war Schwester Cäcilia nach der letzten Probe sehr zufrieden mit mir
+und meinte: »Mädl, wenn du morgen so gut singst, hebst die ganze
+Pfarrkirche in den Himmel; ich bin recht zufrieden.«
+
+Als dann der Morgen des Festes gekommen war, regte sich's im Kloster wie
+in einem Bienenkorbe: geschäftige Nonnen huschten durch die Gänge, den
+Arm voll Myrtenkränzlein, weißer Nonnenschleier oder Skapuliere, und
+eilten in die Zellen, um die jungen Gottesbräute zu schmücken und zu
+kleiden. Große Girlanden wurden aufgehangen und die Kapellen geziert,
+und die älteren Klosterfrauen liefen mit kritischem Blick herum, hier
+zupfend, dort stäubend, überall noch die letzte Hand an die Dekorationen
+legend und den Kandidatinnen die ihnen zukommenden Handreichungen und
+Arbeiten anweisend und erklärend.
+
+Wir hatten uns nach dem Frühstück im Musiksaal versammelt, um unsere
+Aufgabe noch einmal flüchtig durchzugehen. Da krachten zahlreiche
+Böllerschüsse von Kamhausen herüber, zum Zeichen, daß der Bischof dort
+angelangt und, empfangen vom Klerus und den Obern des Klosters, sich auf
+dem Wege zu uns befinde.
+
+Rasch ordneten wir uns in der Einfahrtshalle und begrüßten den
+Ankommenden mit einer Jubelhymne, während draußen alle Glocken geläutet
+wurden.
+
+Inzwischen schritten die bräutlich weiß angetanen Jungfrauen und
+Novizinnen zur großen Pfarrkirche, in der schon ihre Angehörigen
+zahlreich versammelt waren. Danach kamen die älteren Schwestern, und um
+acht Uhr begann die Feier.
+
+Brausend tönte die Orgel durch das Gotteshaus, und nach einer Ansprache
+des Bischofs traten die Bräutlein alle vor den Hochaltar, fielen auf ihr
+Angesicht nieder und beteten laut das Confiteor. Danach empfingen sie
+aus der Hand des Bischofs den Leib dessen, dem sie sich nun auf ewig
+antrauen wollten.
+
+Mit ausgebreiteten Armen verharrten sie während des Hochamts in Gebet
+und Verzückung und schienen nun ganz und gar losgelöst von der Welt.
+
+Bis dahin war ich meiner Aufgabe ganz gerecht geworden; als sich aber
+nach dem Hochamt die Novizinnen auf die Erde warfen und mit einem
+schwarzen Bahrtuch überdeckt wurden, zum Zeichen, daß sie nun auf ewig
+für die Welt gestorben seien, und der Bischof ihnen die ewigen Gelübde
+der freiwilligen Armut, der steten Keuschheit und des blinden Gehorsams
+abnahm und einer Jungfrau nach der andern das Haar abschnitt und sie mit
+dem Ordenshabit der Novizinnen bekleidete, da packte mich ein Grauen und
+in mir schrie es: »Nie, niemals werd ich Nonne! Niemals!« und ich
+begriff nicht, daß andere Mädchen so glückselig ausschauen konnten. Mein
+Entsetzen war so groß, daß ich den Einsatz verpaßte und erst nach
+längerer Zeit merkte, daß, hätte nicht Schwester Cäcilia mich beobachtet
+und im rechten Augenblick für mich eingesetzt, sicher ein Unglück
+geschehen wäre.
+
+Ich konnte kaum das Ende der kirchlichen Feier erwarten und rief nachher
+im Musiksaal meiner Lehrerin zu: »Schwester, das weiß ich g'wiß: ich
+werd keine Klosterfrau! Ich sollt meine schönen Haar hergeben? Nein,
+niemals!«
+
+Doch hatte ich den übrigen Tag keine Zeit mehr, viel an das Vergangene
+zu denken; denn auf die Tafelgesänge folgte die Nachmittagsandacht und
+am Abend wurde noch ein Theaterstück, die heilige Agnes, aufgeführt. Ich
+kam endlich todmüde ins Bett und schlief rasch ein; doch quälten mich
+wirre Träume, und es war mir, als läge ich auf einem Altar und man habe
+ein Leichentuch über mich geworfen, während mir meine Zöpfe
+abgeschnitten und in einen Sarg gelegt wurden. Aber ich sah nirgends
+einen Priester, noch den Bischof und lauter fremde Nonnen waren um mich.
+
+Das Fest währte drei Tage, und auch die Pfleglinge und Kranken durften
+daran teilnehmen. Es ward ihnen an diesen Tagen auch manches
+nachgesehen, was man sonst unnachsichtlich bestraft hätte; denn es waren
+unter ihnen viel bösartige und heimtückische Geschöpfe, zu deren
+Bändigung es oft strenger Mittel bedurfte, wie Zwangsjacken,
+Hungerkuren, finsterer oder vermauerter Zellen und dergleichen.
+
+Freilich geschah es mitunter auch, daß der eine oder die andere in einer
+solchen Zelle vergessen wurde. Da die Kerker sich alle unter dem Dach
+befanden, konnte man oft zwei, drei Tage lang ein entsetzliches Heulen
+und Wimmern hören; doch wußten nur wenige, woher es kam, und diese
+hüteten sich wohl, es uns Neulingen zu sagen.
+
+Dafür ging im Kloster seit langem das Gerücht, auf dem Dachboden seien
+Gespenster; man erzählte von sündhaften Mönchen, die für ihre geheimen
+Missetaten also gestraft worden seien, daß sie in Ewigkeit keine Ruhe
+fänden, sondern ihre Geister im Kloster umgehen müßten zum warnenden
+Beispiel für alle, die darin lebten.
+
+So geschah es auch einmal, als ich mit einer andern Kandidatin auf den
+Speicher gegangen war, um dort unsere Garderobeschränke in Ordnung zu
+bringen, daß wir plötzlich ganz in unserer Nähe ein dumpfes Schlagen
+hörten, während vom Bretterboden dichter Staub aufwirbelte. Unter lautem
+Schreien liefen wir zitternd zur Schwester Cäcilia und berichteten ihr
+den Vorfall. Nachdenklich ging sie mit uns nochmals hinauf und wir
+suchten den ganzen Speicher ab. Da fanden wir, daß eine tobsüchtige
+Frau, von uns die Putzmarie genannt, weil sie den ganzen Tag mit einem
+Schaff Wasser und einer Putzbürste herumlief und scheuerte, seit vier
+Tagen hier eingeschlossen war und beständig auf den losen Bretterboden
+sprang, um gehört zu werden; denn sie war schon dem Verschmachten nahe.
+
+Schwester Cäcilia veranlaßte sofort ihre Befreiung, und die Alte war ihr
+so dankbar dafür, daß sie alle Tage den Musiksaal putzen wollte. Als ihr
+das aber nicht gestattet wurde, schüttete sie laut schimpfend ihr
+Schäfflein Wasser auf den Gang und begann nun hier zu fegen und zu
+wischen. Man ließ sie gewähren; denn ihre Pflegeschwester hatte
+derweilen die Hände voll Arbeit mit anderen Kranken. Es waren dies
+geistesschwache Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren, die jetzt mit
+dem beginnenden Frühjahr in den sogenannten Kreuzgarten getragen wurden,
+der in Wahrheit nur ein armseliges Wieslein zwischen vier hohen
+Klostermauern war. Hier hockten und lagen sie nun in den seltsamsten
+Stellungen, viele in einer Zwangsjacke, deren lange Ärmel auf dem Rücken
+zusammengeknüpft waren, so daß es ihnen unmöglich war, die Hände zu
+gebrauchen; denn die meisten von ihnen fraßen das Gras, Steine, Erde
+oder gar den eigenen Unrat. Zwei Schwestern eilten beständig von einem
+zum andern, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch diese armen Wesen, die
+in ihren Bedürfnissen so anspruchslos waren, machten viel weniger Mühe
+als jene, von denen behauptet wurde, sie seien besessen.
+
+Unter diesen bedauernswerten Geschöpfen war besonders eines, das mich
+lebhaft anzog, ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches, da es aus
+sehr vornehmer Familie stammte, bei uns Kandidatinnen Aufnahme fand,
+obschon es eigentlich auch in die Abteilung jener Armen gehörte, für die
+niemand zahlte. Das Kind war klein und von zierlichem Wuchs; sein
+zartes, milchweißes Gesichtlein, aus dem ein paar große braune Augen
+erschreckt in die Welt sahen, war von reichem, kastanienbraunen Haar
+umrahmt, das man ihr fest und glatt zurückgekämmt hatte. Obwohl nun die
+Schwestern das Wasser und auch Pomaden beim Kämmen nicht sparten,
+erschienen doch, allen Bemühungen zum Trotz, jeden Vormittag aufs neue
+an ihren Schläfen zuerst kleinere, wirre Löckchen, bis dann nach wenig
+Stunden sich Locke an Locke um ihre Stirn ringelte, was dem Gesicht
+etwas ungemein Liebliches gab. Sie hieß Margaret und war sehr klug, in
+manchen Dingen sogar erfinderisch; auch lernte sie leicht und erfaßte
+rasch und mit feiner Beobachtung. Legte man ihr aber den Katechismus
+oder sonst ein religiöses Buch vor, so weigerte sie sich hartnäckig,
+daraus zu lesen oder zu lernen und war durch die strengsten Strafen und
+Züchtigungen nicht dazu zu bewegen. Man ließ sie tagelang hungern, die
+ekelerregendsten Dinge verrichten; man gab ihr nachts ein hartes Lager
+und wies ihr schwere Arbeiten an; sie ließ alles mit sich geschehen,
+ohne zu klagen. Man schlug sie grausam mit einem Stock und verbot uns
+aufs strengste, mit ihr zu reden; umsonst, sie blieb auf alle religiösen
+Fragen stumm, während sie in allen übrigen Lehrfächern gute Antworten zu
+geben wußte. Sie tat mir herzlich leid, und ich übertrat manchmal im
+geheimen das Verbot und sprach mit ihr. Da fand ich, daß sie sehr munter
+plauderte und ein überaus liebenswürdiges und geselliges Mägdlein
+gewesen wäre. Aber sie begann gar bald zu kränkeln und kurz vor meinem
+Austritt starb sie an galoppierender Schwindsucht.
+
+Dieser Krankheit erlagen übrigens auch gar viele Nonnen und Jungfrauen,
+und auch zahlreiche Pfleglinge wurden davon ergriffen. Die meisten Opfer
+standen im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren; manche waren noch
+jünger. Es wurde ein eigener, großer Fleck Landes von dem Superior
+angekauft und in einen Friedhof verwandelt, in dem die Kreuzlein bald so
+dicht standen, wie die Nonnen Sonntags in den Kirchenstühlen saßen.
+
+Da schien es mir nicht verwunderlich, daß jede Nonne angesichts des
+großen Sterbens beizeiten schon des Himmels gewiß sein wollte und darum
+eifrigst auf ihr Seelenheil bedacht war, welches Bestreben durch die
+Klostergeistlichen treulich gefördert und unterstützt wurde.
+
+Unter ihnen war auch ein Kurat, welcher sowohl in seinem Äußern als auch
+in bezug auf seine große Strenge in Dingen der Sitte und Reinheit ganz
+dem heiligen Aloysius glich. Er ward daher von jedermann nur Pater Sankt
+Aloysius genannt und als Muster reiner Sitten gepriesen. Von mancher
+Nonne ward er sogar als Heiliger verehrt, bis sich eines Tages diese
+Verehrung in großen Zorn und Abscheu verwandelte, als man nämlich
+erfuhr, daß dieser tugendsame Priester eine Lehramtskandidatin, ein
+wohlgebautes, etwa zwanzigjähriges Mädchen, das schon fünf Jahre dort
+weilte, des öfteren abends mit sich ins Stüblein nahm und erst nach
+mehreren Stunden daraus entließ. Kandidatinnen, die zur nächtlichen
+Betstunde gingen, hatten sie aus seinem Zimmer schleichen sehen und dann
+bemerkt, wie eine alte Nonne wütend aus einer Nische hervorsprang, die
+Erschrockene aus dem Halbdunkel ans Licht zerrte und laut beschimpfte.
+Also hub ein großes Geschrei an, und sowohl die Sünderin, als auch der
+Priester mußten das Kloster verlassen.
+
+Der Geistliche, welcher dem Pater Sankt Aloysius im Amt folgte, war
+schon ein alter Herr und besaß die üble Gewohnheit, während der Beicht
+immer einzuschlafen, wodurch die Nonnen ihr Seelenheil gefährdet
+glaubten und nicht eher ruhten, bis wieder ein junger, strenger
+Benefiziat an seine Stelle kam.
+
+Mit wahrem Feuereifer waltete dieser seines Amtes und war unermüdlich
+darauf bedacht, alle Seelen ringsum vollkommen und makellos zu machen.
+Besonders Verfehlungen gegen die Kardinaltugend des Ordens, den heiligen
+Gehorsam, ahndete er mit unnachsichtlicher Strenge und gab denen, die
+sich in der Beicht eines derartigen Vergehens anklagten, die schwersten
+Bußen auf.
+
+Trotzdem wurde mir die Ausübung dieser Tugend nicht leicht. Es war kurz
+vor dem Weihnachtsfest, dem zweiten, das ich im Kloster verlebte, daß
+ich mich schwer gegen dieselbe versündigte.
+
+Um diese Zeit war ein großes Paket von meiner Mutter angekommen, das
+meine Weihnachtsgeschenke enthielt. Darunter war auch eine schwarze
+Kleiderschürze mit langen Ärmeln, wie ich sie mir schon seit langem
+gewünscht hatte. Doch ich hatte sie noch nicht anprobiert, als schon ein
+Befehl unserer Präfektin kam, ich solle diese Schürze sofort in das
+Nähzimmer geben, damit man mir zwei kleine daraus mache; denn so sei
+dieselbe ganz gegen die heilige Armut und ich dürfe so etwas nicht
+tragen. Da sie mir sehr wohl gefiel, konnte ich mich nun lange nicht von
+ihr trennen und legte das schöne Stück einstweilen auf den Speicher, wo
+ich sie alle Tage ans Licht zog und wehmütig mit der Hand darüberstrich,
+sie an mich hinhielt, wieder zusammenlegte und sorgfältig versteckte.
+
+Eines Tages aber ward die Versuchung, die Schürze einmal anzuziehen, in
+mir so mächtig, daß ich nicht mehr widerstehen konnte. Ich schlich mich
+also in die Garderobe, zog sie aus dem Koffer und schlüpfte rasch
+hinein, dann trat ich ans Speicherfenster und besah mich in der blinden
+Scheibe; denn Spiegel gab es nicht, und auch der meine war aus meiner
+Nähschatulle entfernt und ein Heiligenbild an seine Stelle geleimt
+worden. Da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, und herauf stürmte
+eine Kandidatin: »Magdalena! Magdalena! Geschwind komm zu Schwester
+Archangela! Es ist Probe für das Weihnachtsfestspiel!«
+
+Ratlos sah ich mich um und zögerte mit dem Gehen, vergeblich an der
+Unglücksschürze nestelnd und zerrend, um die Knöpfe am Rücken
+aufzumachen; doch schon rief mir meine Kollegin zu: »Wenn du nicht
+gleich kommst, melde ich deinen Ungehorsam!« und schickte sich zum
+Gehen, worauf ich ihr folgte, immer noch bemüht, die Knöpfe aufzureißen.
+Auf dem Gang kam mir die Präfektin schon entgegen. Vergeblich suchte ich
+mich hinter der andern Kandidatin zu verstecken; sie hatte mich schon
+erblickt und sah nun starr auf die verbotene Schürze, während ich
+fühlte, wie mir abwechselnd Röte und Blässe über die Wangen lief. Auch
+auf ihrem Gesicht erschienen ein paar hochrote Flecken, und mit den
+Worten: »Da, dies für deinen Ungehorsam, Rotzmädel!« gab sie mir ein
+paar heftige Schläge ins Gesicht. Darauf führte sie mich zum Superior
+und erzählte ihm meine Sünde.
+
+Der greise Priester kündigte mir, nachdem er also schwere Anklagen gegen
+mich vernommen hatte, meine Entlassung an, indem er sprach: »Mache dich
+bereit, in drei Tagen bist du des Gehorsams ledig!«
+
+Zwei Tage später kam ein Brief meiner Mutter, in dem sie ihren Besuch
+für Weihnachten ankündigte. Ich wollte mich trotzdem zur Heimreise
+ankleiden und stand trotzig am Speicher und verschloß eben meinen
+Koffer, als man mir meldete: »Du kannst noch bleiben, bis deine Mutter
+kommt!«
+
+Ich erwartete also mit nicht geringer Aufregung ihren Besuch, obschon
+meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, mir immer wieder Mut machen wollte:
+»Hab doch keine solche Angst, Magdalena! Ich mach schon alles wieder
+gut!«
+
+Inzwischen hatte eine andere in dem Weihnachtsspiele meine Rolle
+übernehmen dürfen; es war schon ein älteres Mädchen und hatte keine
+Stimme, weshalb die Präfektin zu mir sagte: »Das soll deine Strafe sein,
+daß du deine Partie zwar singen, aber nicht spielen wirst! Du hast dich
+hinter ein Gebüsch zu knien und zu singen, und niemand wird deinen
+Gesang bewundern, dafür werde ich sorgen!«
+
+Und sie sorgte dafür; denn als meine Mutter, die man ebenfalls zu dem
+Festspiel »Nacht und Licht« geladen hatte, nach Beendigung desselben mit
+mir zusammen war, sagte sie: »Was war denn jetz dös, Leni? I hab doch
+deutli dei Stimm g'hört, hab di aber nirgends g'sehgn. Oder hat am End
+die Kloane, die's Licht g'macht hat, die gleiche Stimm wie du?«
+
+Da erzählte ich ihr weinend die Geschichte von der Schürze und erwartete
+mit Angst großen Tadel. Doch wider Erwarten gab sie mir nicht nur recht,
+sondern ward sehr zornig und empörte sich über die Willkür, mit der man
+ihr Vorschriften machen wolle, wie sie ihr Geld auszugeben habe: »Was?
+Paßt hat's eahna net, daß i dir den Kleiderschurz g'schickt hab? I moan,
+daß i um mei guats Geld kaafa ko, was i mag, und brauch koane von dene
+Fluggen z'fragn, ob's arm g'nua is oder net!«
+
+Als dann die Besuchsstunde bei den Obern gekommen war und meine Mutter
+gebeten wurde, im Sprechzimmer zu erscheinen, ging sie mit großen
+Schritten hinein und sagte nur ganz kurz: »Guten Tag.« Da hörte sie nun
+nichts als Klagen über mein weltliches Betragen und besonders über den
+frevelhaften Ungehorsam, den man mir mit den schärfsten Strafmitteln
+vergeblich auszutreiben versucht hätte.
+
+Schweigend und finster blickend hatte sie zugehört und sagte jetzt bloß:
+»Herr Superior, lassen Sie's ihr Sach z'sammpacken, i nimm's mit hoam!«
+
+Dies wurde ihr jedoch widerraten und man versprach ihr, es noch einmal
+mit mir versuchen zu wollen, worein die Mutter nach einigem Sträuben
+unter der Bedingung willigte, daß man mir meinen Fehler nicht weiter
+nachtrage, sondern gut zu mir sei.
+
+Also reiste sie am andern Tag wieder ab, ohne mich mitzunehmen. Beim
+Abschied aber sagte sie noch: »Wenn wieder was is, na schreibst mir's;
+halt di nur brav und folg jetzt!«
+
+Ich hatte aber alle Freude am Klosterleben verloren und ging nun wie ein
+Schatten herum, hatte nicht Lust noch Leid, aß nicht mehr und fing an zu
+kränkeln. Und nach einigen Monaten schrieb ich meiner Mutter, daß ich
+keinen Beruf zur Klosterfrau in mir verspüre; falls es ihr aber
+unangenehm wäre, wenn ich wieder nach Hause käme, bliebe ich ganz gerne
+als weltliche Lehrerin in der Anstalt.
+
+Unsere Briefe wurden nun stets von der Präfektin kontrolliert, und so
+blieb ihr meine Absicht nicht lange verborgen. Eines Morgens sagte sie
+daher zu mir: »Was mußte ich sehen, Magdalena! Du willst dem Herrn das
+Opfer deines Lebens also nicht bringen? Wie kannst du es dann wagen, den
+andern armen Kindern, die bereitwilliger sind als du, das Brot
+wegzuessen! Willst du nicht als Nonne hier sein, so brauchen wir auch
+deine Kenntnisse nicht. Doch besinne dich, noch ist es Zeit; bedenke die
+Vorteile, die Jesus seinen Bräuten bietet, und kehre nicht zurück in die
+Welt!«
+
+Trotz dieser Ermahnungen machte ich mich am Aschermittwoch, nachdem mir
+meine Mutter geantwortet hatte, ich solle ruhig nach Hause kommen, der
+Vater sei krank und man könne mich notwendig brauchen, zur Reise fertig
+und nahm Abschied von den Obern. Sie ließen mich zwar ungern ziehen,
+doch konnten sie mich nicht mehr halten. Die Präfektin aber rief:
+»Magdalena, Magdalena, du bist verloren, du gehst zugrunde! Schon sehe
+ich den Abgrund der Weltlichkeit, in den du fallen wirst. Doch geh in
+Frieden, mein Kind, falls die Welt noch einen für dich hat!«
+
+Gaffend umstanden mich die Kandidatinnen, als Schwester Archangela dies
+gesagt, und als ich nun auch ihnen Lebewohl sagen wollte, da kehrten sie
+sich verächtlich von mir ab und eilten in den großen Lehrsaal, um für
+mich arme Verlorene zu beten.
+
+Traurig ging ich nun zur Schwester Cäcilia. Sie brach in Tränen aus und
+nahm mich in ihre Arme: »Nun bin ich wieder allein! O, warum gehen alle
+wieder weg, kaum daß sie begonnen!«
+
+Auch ich begann zu weinen, und sie tat mir von Herzen leid; denn während
+meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster waren vierzehn
+Musikkandidatinnen eingetreten und nach kurzer Zeit wieder
+davongelaufen. Nachdem sie mir noch alles Glück für kommende Zeiten
+gewünscht hatte, entließ sie mich, und ich trat erleichtert in das
+kleine Zimmerchen, das mich bei meinem Eintritt empfangen hatte. Während
+ich dort auf mein Gepäck wartete, dachte ich noch über die Vorwürfe
+nach, die man mir wegen meines Wegganges gemacht. Doch sie trafen mich
+nicht schwer, da mir angesichts der ernsten Krankheit meines Vaters das
+Verlassen des Klosters nicht als eine Schuld, sondern als eine
+Kindespflicht erschien.
+
+Eine Schwester, die mir mein Gepäck übergab und mir meldete, daß der
+Stellwagen schon draußen sei, riß mich aus meinen Gedanken, und ich
+stieg rasch ein. Oben hinter den Fenstern standen die Kandidatinnen und
+blickten mir verstohlen nach. Ich sah noch einmal zurück, dann zogen die
+Pferde an -- und dahin ging's.
+
+Als ich nun so allein in dem Wagen saß, war es mir, als schwände in dem
+Maße, in dem ich mich vom Kloster entfernte, auch alles Trübe, und
+plötzlich kam eine so sonnige Heiterkeit über mich, daß mich die Welt
+mit einem Male viel schöner dünkte, obschon draußen noch alles trotz des
+beginnenden Märzes an den Winter gemahnte, und nur vereinzelte, unter
+schmutzigem Schneewasser stehende Wiesen und die großen Pfützen auf den
+Wegen den kommenden Frühling ahnen ließen.
+
+Rasch trat ich in Kamhausen an den Schalter und löste meine Fahrkarte,
+da der Zug schon bereitstand.
+
+Während der Bahnfahrt hatte ich fast keine Zeit mehr, über das
+Vergangene nachzugrübeln; denn die zahlreichen Passagiere aus den
+verschiedensten Gegenden erregten meine ganze Aufmerksamkeit. War mir
+doch im Kloster die ganze Welt samt ihren Wesen so fremd geworden, daß
+ich mich nur ganz langsam, wie im Dunkeln tappend, wieder unter den
+Menschen zurechtfand. Mit Ausnahme der Priester und Nonnen hatten sie
+jetzt alle etwas Beängstigendes für mich; denn erstlich wurden im
+Kloster alle außer den Geistlichen als Verlorene betrachtet, anderseits
+aber in den eindringlichsten Worten vor ihnen als vor lauter Wölfen in
+Schafskleidern gewarnt.
+
+Ich besah mir also jeden einzelnen ganz genau, ob nicht irgend etwas
+Auffälliges in seinem Wesen oder Äußern auf die verborgene Wolfsnatur
+hinweise, und dabei drückte ich mich scheu in meine Ecke und hielt die
+Augen halb gesenkt, wie ich es bei den frommen Frauen gelernt hatte;
+doch ging mir trotzdem nichts von all dem verloren, was um mich her
+geschah.
+
+Mir gerade gegenüber saßen zwei elegant gekleidete Herren, aus deren
+lebhafter Unterhaltung ich entnahm, daß sie Geschäftsreisende waren und
+der eine in Augsburg, der andere in München zu tun hatte. Der erstere,
+ein etwa Mitte der Dreißig stehender Mann von ausgesprochen jüdischem
+Äußern, erzählte eben dem etwas jüngeren Reisegefährten, der mir von
+gleichem Stamme zu sein schien, wie er die letzte Nacht in Ulm verbracht
+hätte: daß er nicht nur die Tochter und das Stubenmädchen seines
+Gasthofs, sondern auch noch die Frau Wirtin selbst erobert hätte.
+Lachend fragte der andere halblaut, ob das Töchterl auch so bescheiden
+und sittsam hergesehen habe, wie die junge Klostermamsell da drüben; und
+zugleich fingen beide an, sich über meine Schüchternheit, sowie über
+meinen halb klösterlichen, halb weltlichen Anzug lustig zu machen. Ich
+wußte vor Verlegenheit kaum mehr aus noch ein und starrte mit hochrotem
+Gesicht bald aus dem Fenster, bald vor mich hin.
+
+Da erblickte ich weiter vorn einen alten Bauern, der auf einem
+schmierigen Blatt seine Einnahmen vom Viehverkauf nachrechnete, wobei er
+sich abwechselnd hinter den Ohren kraute oder heftig fluchte.
+
+Am andern Ende des Wagens unterhielten sich lärmend etliche Soldaten,
+die wohl auf Urlaub gehen mochten. In ihrer Nähe saß ein junges Mädchen
+in ländlicher Kleidung und suchte sich vergeblich der Zudringlichkeiten
+eines der Burschen zu erwehren. Dieser hatte die sich Sträubende fest um
+die Hüfte gefaßt, und als sie sich endlich heftig von ihm losriß, fiel
+sie einem andern auf die Knie, was ein brüllendes Gelächter zur Folge
+hatte.
+
+Ich war während dieser Szene immer erregter geworden und wollte schon
+dem also gehetzten Mädchen zu Hilfe eilen, als der Zug mit lautem Getöse
+in Augsburg einfuhr, wo ich umsteigen mußte.
+
+Während der Stunden, die ich dort Aufenthalt hatte, ging ich in den Dom
+und erbat mir von Gott Schutz auf meiner weiteren Fahrt; insonderheit
+aber betete ich für die Bekehrung jener Soldaten.
+
+Auf dem Weg zum Bahnhof kaufte ich mir noch Wurst und Brot. Beim Essen
+aber fiel mir plötzlich ein, daß ja am Aschermittwoch strenger Fasttag
+sei und man im Kloster heute gewiß dem üblichen Fasten auch noch große
+freiwillige Abstinenz hinzufüge. Doch siegte am Ende mein Hunger über
+die Gewissensbisse und ich aß mit großem Behagen.
+
+Als ich dann unschlüssig vor dem Zuge stand und ein Schaffner meine
+ängstliche Miene sah, wies er mir freundlich ein Frauenabteil an, und
+ich kam ohne weiteren Zwischenfall nach München.
+
+In dem lebhaften Gewühl des Hauptbahnhofs befiel mich mit einem Male
+wieder große Angst vor den Menschen, und ich fühlte deutlich, wie ich
+immer armseliger und kleiner wurde, während ich ganz nahe an den Wagen
+und der Lokomotive vorbei dem Ausgang zuschlich.
+
+Da fühlte ich mich plötzlich am Arm ergriffen, und als ich erschreckt
+umblickte, stand lachend mein ältester Bruder vor mir und begrüßte mich:
+»Ja, Leni, grüß di Gott! Bist du aber groß und stark wordn; i hätt di
+bald net g'funden, so hast di verändert.«
+
+Ich dankte ihm frohen Herzens, daß er mich erwartet hatte, und seine
+Worte, ich sei so groß geworden, entrissen mich wieder etwas dem Gefühl
+meiner Unbedeutendheit und Nichtigkeit und ich wurde ziemlich gesprächig
+auf dem Heimweg.
+
+Je näher wir unserem Hause kamen, desto mehr Bekannte trafen wir, und
+immer wieder wurden wir von irgend einem neugierigen Weiblein aus der
+Nachbarschaft aufgehalten; denn meine Eltern waren in dem Stadtteil sehr
+beliebt und hatten weitaus die beste Gastwirtschaft des Viertels.
+
+Vor dem Hause angelangt, traten wir gleich durch die Tür der Gaststube
+ein. Kaum hatten mich unsere Stammgäste erblickt, sprangen sie auf und
+riefen durcheinander: »Jessas, unser Lenerl is wieder da! Juhe!«
+»Servus, Fräuln Leni!« »Grüß di Gott, Klosterfrau!« »Marie, 'n Humpen
+her! Unser Lenerl soll leben!«
+
+Während nun die Gäste meine Rückkehr durch einen kräftigen Rundtrunk
+feierten, trat ich in die Schenke zu meinem Vater, ihn zu begrüßen. Er
+sah recht leidend aus und meinte: »Höchste Zeit hast g'habt, Leni, daß
+d'kommen bist, sonst hätt'st mir bald mit der Leich geh könna.« Hierauf
+gab er mir einen Kuß und besah mich prüfend, ob ich auch mehr geworden
+sei.
+
+Inzwischen hatten mich meine andern Brüder und die Dienstboten umringt
+und konnten nicht fertig werden, mein gutes und feines Aussehen zu
+bewundern. Ich drängte mich lachend hindurch und trat in die Küche, wo
+die Mutter geräuschvoll hantierte und das Mittagessen für die Gäste
+fertig machte. Ich ging rasch auf sie zu, wollte ihr die Hand geben und
+sagte: »Grüß dich Gott, Mutter!«
+
+Ohne den Kochlöffel aus der Hand zu lassen, mit dem sie eben ein
+Teiglein für das Blaukraut rührte, antwortete sie: »Ah, bist scho da,
+grüß Gott! Laß nur, is scho recht; i hab fette Händ! Tu nur glei dein'n
+Hut und dös Klosterkragerl weg und ziag an Schurz oo, na kannst glei
+d'Supp'n und 'n Salat für d'Leut hergebn!«
+
+
+
+
+
+
+Also begann ich wieder die Wirtsleni zu sein; und obschon mir anfangs
+gar nicht wohl war in dem weltlichen Getriebe eines Gasthauses, so fand
+ich mich doch bald wieder darin zurecht und stimmte im stillen oft der
+Mutter bei, wenn sie den Leuten auf die vielen Fragen, warum ich nicht
+im Kloster geblieben sei, antwortete: »Weil's a Schand wär, wenn dös
+Mordsmadl im Kloster rumfaulenzen tät und d' Muatta dahoam fremde Leut
+zahln müßt für d'Arbeit!«
+
+Und an Arbeit fehlte es in unserm Hause niemals. Schon früh am Morgen
+hieß es aus den Federn; um halb sieben Uhr stand ich in der Wirtsküche
+und schürte den großen Herd, kochte Kaffee und bereitete die Speisen zum
+Frühstück der Gäste. Dann holte ich aus dem Schlachthaus, wo der Vater
+schon seit fünf Uhr mit dem Zerteilen von Kalb und Schwein, sowie mit
+dem Wurstmachen beschäftigt war, eine große Mulde mit Weiß- und
+Bratwürsten und ordnete sie auf große Platten.
+
+Zugleich mit mir mußte auch die Küchenmagd an ihre Arbeit: das
+Gastlokal, die Küche und Schenke, und was dazu gehörte, aufwaschen und
+kehren; doch freute es mich jetzt nicht mehr, dabeizustehen und zu
+horchen wie früher; denn die Zenzi vom Rottal war schon längst nicht
+mehr da, und die gefühlvollen Lieder, welche die jetzige Küchenmagd bei
+ihrer Arbeit sang, kannte ich schon alle.
+
+Während ich nun gewöhnlich noch mit dem Anrichten der Würste beschäftigt
+war, fuhr draußen der Wastl, der Bierführer, vor und rollte zehn bis
+zwölf Banzen in die Schenke, von wo sie durch den Aufzug in den
+Eiskeller befördert wurden.
+
+Da der Wastl als Geizhals bekannt war, machte ich mir alle Tage das
+Vergnügen, ihm den Teller mit den Weiß- oder Bratwürsten unter die Nase
+zu halten, indem ich rief: »Wastl, heut san d'Weißwürst guat! Derf i dir
+a paar auf d'Seitn legn?« worauf er mich immer grimmig anschrie: »Laß mi
+aus damit!« dabei aber dem entschwindenden Teller doch einen
+sehnsüchtigen Blick nachsandte.
+
+War der Wastl fort, so kam das Flaschenbier, und da gab es immer eine
+große Hetz, wenn der Dannervater, ein nicht mehr gar junger Bierführer,
+der eine Frau mit neun Kindern fröhlich ernährte, die Hausmagd in die
+Hüften kniff oder durch die Gaststube jagte und sie zu küssen versuchte.
+Dann ertönte plötzlich aus dem Schlachthaus, das unterhalb der Schenke
+gelegen war, ein lauter, strenger Pfiff des Vaters, und lautlos machte
+sich der alte Sponsierer davon.
+
+Währenddessen hatte ich in der Küche einen schweren Stand mit drei
+Bäckerburschen, die alle leidenschaftlich in mich verliebt waren. Der
+eine brachte uns täglich vier Markwecken und mir ein Blumensträußlein;
+der zweite hatte Bretzen und Salzstangeln in seinem Korb und unter
+seiner aufgerollten Bäckerschürze einen extra für mich gebackenen Zopf
+oder eine riesige Zuckerbretzl. Der dritte aber, der uns die Semmeln und
+das übrige Weißbrot brachte, schrieb mir jeden Abend eine Ansichtskarte
+und wartete am Morgen bei mir in der Küche stets so lange, bis der
+Postbote mit der Karte kam. Mit beredten Worten schilderte er mir
+währenddessen die Schönheit derselben: »Freiln Leni, heut werdn S'
+schaugn! Heut kriagn S' a Prachtstück von a ra Künstlerkartn! Sehgn S',
+für Eahna tu i alles; da reut mi koa Geld! Dö heutige Kartn kost fufzehn
+Pfenning; aba wenn s' a Zwanzgerl kost hätt, hätt i s' aa kaaft!«
+
+»Je, eahm schaugt's o!« rief da der Bursche, welcher die Markwecken
+brachte. »Dös kannt aa no was sei! Meine Veigerl ham a Zwanzgerl kost
+und dö Rosen, wo i da Freiln Leni gestern verehrt hab, fünfazwanzg
+Pfenning!«
+
+»So und i nacha, bin i da Garneamand?« schrie jetzt der Bretzlbeck.
+»Denk i net vielleicht sogar bei der Nacht ans Freiln Lenerl, indem i
+ihr die feinsten Bretzn bach?«
+
+»Zu dene wo'st an Toag z'erscht stehln muaßt!« riefen da die andern, und
+im Nu entspann sich ein heißer Kampf um den Vorrang bei mir, der sich
+bis auf die Straße fortsetzte. Ich aber sah ihnen lachend zu und
+verzehrte gemächlich die Bretzl zu meinem Kaffee, steckte das Veigerl an
+die Brust und legte die Künstlerkarte in eine alte Zigarrenkiste zu den
+andern. Doch versäumte ich nicht, meine Erfolge dem Milchmädchen, das
+uns täglich den Kaffeerahm und die Knödlmilch brachte, zu weisen: »Da
+schaug her, Rosl, die Präsenter, die i heut scho wieder kriagt hab von
+dö Becka!« worauf sie ingrimmig und bissig erwiderte: »Dös is koa
+Kunststückl, wenn ma si so herrichtn ko wie du! I muß mit meine
+Millikübel rumlaafa und du stehst im Spitznschürzerl vor dein Herd!«
+
+Und tiefgekränkt ging sie; denn nicht mit Unrecht hatte sie über mich zu
+klagen: während der Zeit, die ich im Kloster zugebracht, hatte sie fest
+über die drei Bäckerherzen regiert, und nun, da ich wieder daheim war,
+wollte keiner mehr von ihr was wissen, obgleich sie ein sehr hübsches,
+dunkelhaariges Mädchen von einnehmender Figur und recht munter war.
+
+Mittlerweile war es fast acht Uhr geworden, und ich richtete nun die
+Schenke, zählte die Bierzeichen für die Kellnerin und zapfte an.
+Währenddessen kam die Mutter aus der Wohnung und der Vater aus dem
+Schlachthaus und bald füllte sich das Lokal mit Gästen. Es waren fast
+lauter Arbeiter: Maurer, Steinmetzen, Schlosser, Schreiner, Drechsler
+und zuweilen auch Pflasterer oder Kanalarbeiter. In der Küche aber
+standen die, welche für die in der Nähe liegenden Fabriken die Brotzeit
+holten; denn zu unserer Kundschaft gehörte auch eine Bleistift-, eine
+Möbel-, eine Sarg-, eine Bettfedern- und eine Schuhfabrik. Nun hieß es
+flink die Lungen- und Voressenhaferln füllen, Kreuzerwürstl abzählen,
+Weißwürste brühen und Hausbrot schneiden; zuweilen auch die
+Schenkkellnerin machen, indes der Vater im Schlachthaus noch Milzwürste
+oder, wie man sie bei uns nannte, umgekehrte Bauernschwänze, sowie
+Leber- und Blutwürste, Leberkäs und Schwartenmagen machte. Hie und da
+kam es auch vor, daß wir ohne Kellnerin waren; wenn nämlich die Mutter
+gar zu heftig und eindringlich auf Pflichterfüllung gedrungen hatte,
+worauf dann das Mädchen davonlief. Da mußte ich denn wieder wie früher
+die Gäste bedienen und auch die übrigen Arbeiten der Kellnerin
+verrichten.
+
+Gewöhnlich aber blieb ich am Vormittag in der Küche, während die Mutter
+sich im Lokal mit den Gästen unterhielt, ihre drei bis vier Weißwürste
+aß und etliche Krügl Bier trank; denn der Vater war häufig vormittags am
+Schlacht- und Viehhof oder in der Stadt. Von Zeit zu Zeit kam dann die
+Mutter zu mir in die Küche und kostete die Speisen, befahl dies oder
+tadelte jenes und gab mir auch manche Ohrfeige, wenn ich etwas versäumt
+oder nicht recht gemacht hatte. So kam sie auch einmal dazu, als ich
+eben den Teig zu den Leberknödeln, deren wir jeden Mittwoch an die
+zweihundert bereiteten, fertig hatte und nun daraus die Knödel formte
+und auf ein langes Brett reihte.
+
+»Halt, laß mi z'erscht schaugn, ob er recht is, der Toag!« rief die
+Mutter und tippte mit dem Finger in die Teigmulde. »Was hast denn jatz
+da für a Zeug z'sammgmacht! Sigst net, daß der Toag no net fest gnua is,
+du Hackstock, du damischer!«
+
+Und kaum hatte sie dies gesagt, flogen mir auch schon ein paar von den
+Leberknödeln an den Kopf, daß mir der Teig im Gesicht und an den Haaren
+klebte.
+
+»So, vielleicht lernst es jatz eher, du G'stell, du saudumms!«
+
+Darauf ging sie wieder, laut schimpfend, in die Stube und erzählte den
+Gästen von meiner Unbrauchbarkeit: »Hintreschlagn kannt'st es, dös
+himmellange Frauenzimmer! Zu nix kannst es brauchn wie zum Fressn!«
+
+Solche Auftritte verleideten mir freilich bald die Freude am Küchenwesen
+und ich war froh, wenn der Vater einmal daheim blieb. Da kochte dann die
+Mutter selbst und ich mußte in die Schenke und zu den Gästen, sie zu
+unterhalten.
+
+So ungern ich mich anfänglich wieder unter den Leuten bewegt hatte, denn
+im Kloster war ich ganz leutscheu geworden, so gewöhnte ich mich doch
+bald wieder an sie, und es währte nicht lange, da war ich das lustigste
+Mädel, machte jeden anständigen Scherz mit und unterhielt ganze Tische
+voll Gäste.
+
+Die besseren unter ihnen hatten sich, ebenso wie die Stammgäste, zu
+Tischgesellschaften vereinigt; die eine hieß Eichenlaub, die andere die
+Arbeitsscheuen. Zur Gesellschaft Eichenlaub hatten sich die Postler und
+Eisenbahner zusammengetan und erkoren mich zur Vereinsjungfrau; die
+Arbeitsscheuen aber, deren Mitglieder lauter gute Bürger und
+Geschäftsleute waren, wollten nicht hinter ihnen zurückbleiben, und so
+ernannten sie mich zu ihrer Ehrendame, und ich empfing das Ehrenzeichen
+des Vereins. Es war dies ein wappenartig geschnitztes Holztäfelchen,
+darauf ein Bursch gemalt war mit dem Verslein darunter: »Auweh, mei
+Fuaß, wenn i arbatn muaß!« Bei der Überreichung desselben hielt der
+Vorstand, ein Flecklschuhfabrikant, eine Rede, worin er viel von der
+Ehre sprach und von einer schönen Vertreterin des zarten Geschlechts und
+daß man sich glücklich schätze.
+
+Während dieser Rede hatten die Arbeitsscheuen einen Kreis um mich
+gebildet, und nun wurde ich von etlichen samt meinem Stuhl, auf dem ich
+saß, emporgehoben und unter lautem Hoch und Juhu und dem Klang der
+Zither und Gitarre durchs Zimmer getragen. Danach begann ein großes
+Saufen, und die fidelen Zecher vergaßen darüber ihre Hausfrauen samt dem
+Mittagessen, bis einer nach dem andern von der gestrengen Ehehälfte
+geholt wurde. Da war mit einemmal die ganze Lustbarkeit und aller Scherz
+vorbei und geknickt und ängstlich schlich ein jeder heim, gefolgt von
+der erzürnten Gattin, die hinterdrein keifte: »Lump miserabliger, ko'st
+net hoamgeh, wenn's Zeit is! Dö ganzn Griasnockerl san z'sammgsessn!
+Guate Lust hab i, i schmeiß dir s' alle an Kopf, du bsuffas Wagscheitl!«
+
+Doch am nächsten Tag war wieder alles vergessen und gemütlich saß die
+Gesellschaft am Stammtisch und unterhielt sich aufs beste, bis von der
+nahen Kirche das Mittagläuten ertönte. Da gedachte ein jeder seines
+Eheweibs und ging heim.
+
+Auch ich mußte wieder in die Küche und Teller und Schüsseln für die
+Gäste zurichten. Dann kam die Kellnerin und fragte: »Was gibt's heut
+z'essn für d'Leut?« worauf die Mutter mit ihrer metallenen Stimme
+erwiderte: »An Nierenbra'n, Brustbra'n, Schlegl in da Rahmsoß, an
+Schweinsbra'n und a unterwachsens Ochsenfleisch mit Koirabi (Kohlrabi),
+an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft d'Andivisuppn!«
+Als die Kellnerin sich schon zum Gehen anschickte, rief die Mutter noch
+rasch: »A Biflamott (boeuf a la mode) mit Knödl ham mar aa!«
+
+Um dreiviertel zwölf Uhr kamen die Gäste, und nun begann ein Bestellen
+vom Zimmer aus, ein Schreien, Geschirrklappern und ein Geklopfe mit dem
+Fleischschlegel, daß einem die Ohren surrten.
+
+»Frau Zirngibi, zwoa Schweinsbratn san no aus!« schallte es aus der
+Gaststube und im Nu echoten drei Stimmen in der Küche: »Zwoa
+Schweinsbra'n kriagt s' no!«
+
+»Dö werds dawartn könna! Darenna wer' i mi net z'braucha!«
+
+»Kathi, Koirabi san gar!« rief das Küchenmädchen jetzt in die Stube.
+
+»Kriag i dö zu dem Fleisch aa nimma?«
+
+»Sakrament, wenns amal hoaßt, gar sans, na sans gar!« schrie da die
+Mutter und fuhr in einem Atem, jedoch in ganz anderem Ton fort: »Geh,
+Kathi, schaugn S', daß S' a Biflamott weiterbringan; dös verkocht ma
+sonst zu lauter Soß!«
+
+War dann das größte Geschäft vorbei, dann wischte sich die Mutter mit
+der Leinenschürze den Schweiß von der Stirn und sagte: »Dös war dir a
+Rumpel gwen! Leni, hol ma nur glei a Halbe Bier!« Und schnell trank sie
+wieder ein paar Krügl.
+
+Nun mußte ich dem Vater in der Schenke helfen. Der hatte inzwischen
+einen Hektoliter Bier ausgeschenkt und, damit er schneller fertig würde,
+mit der Kreide Strichlein an die Rückwand des großen Schenkbüfetts
+gemacht, statt Zeichen zu nehmen. Nun mußte ich diese Strichlein
+zusammenzählen und dann die Bierzeichen ordnen. Danach rechnete ich mit
+der Kellnerin ab, half ihr das Geschirr von den Tischen räumen und
+brachte dann dem Vater und den Stiefbrüdern, die jetzt in die
+Lateinschule gingen, das Essen, nachdem ich den sogenannten Ofentisch
+gedeckt hatte. Nun kam auch die Mutter in die Stube, und es machte mir
+täglich aufs neue Eindruck, wenn die große, massige Frau unter die Gäste
+trat, die schmutzige Leinenschürze zurückschlagend und mit leichtem,
+fast automatenhaftem Kopfnicken grüßend: »'s Got! 'n Tag! Hab die Ehre,
+meine Herrn!«
+
+Dann setzte sie sich zum Vater und unterhielt sich mit ihm, wenn sie gut
+gelaunt war. Einmal aber kam sie nicht in die Stube. Da hatte der Vater
+auf dem Markt ein Schwein gekauft, dessen Fleisch fischig schmeckte, und
+verschiedene Gäste hatten das Essen zurückgeschickt. An diesem Tage rief
+die Mutter nur dem Vater in die Schenke: »Josef, da geh rrauß!«
+
+Als der Vater in der Küche war, begann sie laut zu schreien und zu
+schimpfen: »Bist du aa r a Wirt! A Schand is, so a Fleisch herz'gebn!
+Friß's nur selber die ganze Sau, du Depp!«
+
+Da hörte ich zum erstenmal, seit ich den Vater kannte, ihn zornig mit
+der Mutter streiten, und dumpf grollend erscholl seine Rede: »Red ma net
+so saudumm daher, du narrischs Weibsbild! Dös ko passiern, daß ma r a
+fischige Sau derwischt. Du brauchst es ja net z'essn, also haltst dei
+Maul, sonst ...«
+
+Das letzte brummte er für sich und trat darauf wieder in das Gastzimmer
+und tat, als sei nichts geschehen. Am Nachmittag aber ging er fort und
+kam erst abends mit einem großen Weinrausch nach Haus; doch die Mutter
+sagte kein Wort mehr zu ihm.
+
+Sonst gingen die Eltern nachmittags entweder beide ins Kaffeehaus oder
+legten sich schlafen. Da mußte ich dann ganz allein das Geschäft und die
+Schenke versorgen, was mir stets eine große Freude bereitete, da ich
+sehr ehrgeizig war. Ich setzte mich in die Ofenecke und hielt nun erst
+meine Mittagsmahlzeit; denn zuvor hatte ich nicht Lust noch Zeit gehabt
+zum Essen und schenkte es, wenn die Mutter wirklich schon etwas für mich
+hergerichtet hatte, immer einem armen Burschen, der sich nichts kaufen
+konnte, dem Schusterhans.
+
+Da saß ich denn bei meinem Bierkrüglein und aß dazu meine fünf bis sechs
+Kaisersemmeln und eine kalte Wurst und las die Zeitungen; denn zwischen
+zwei und drei Uhr war das Geschäft ganz ruhig und auch das Zimmer von
+Gästen leer. Höchstens kamen etliche, die Waren brachten und dabei rasch
+eine Halbe tranken. Um drei Uhr zur Brotzeit aber war es wieder so
+lebhaft wie am Morgen, doch ich wurde leicht fertig und konnte mich bald
+wieder zu den Gästen setzen. Nun wurde Karten gespielt oder gesungen und
+es war recht fidel. Um vier Uhr aber war wieder alles still im Lokal;
+nur einige fremde Gäste kehrten im Vorbeigehen ein.
+
+Doch gab es für mich noch mancherlei zu tun bis um fünf Uhr, wo der
+Vater wiederkam. Ich schnitt Knödlbrot oder Voressen und Lunge, rieb
+Semmelbrösel oder putzte Spielkarten mit Benzin. Auch kam um diese Zeit
+gewöhnlich der Häute- und Fellhändler, ein alter, schmieriger Jude, der
+einen fürchterlichen Geruch um sich verbreitete. Mit dem mußte ich in
+das Schlachthaus hinuntergehen, wo in einer Kiste die Kalbfelle lagen.
+Diese wog er, und ich mußte genau acht haben, daß er nicht schwindelte;
+auch beim Ausrechnen des Preises, den er dafür bezahlte, hatte ich recht
+aufzupassen. Einmal gelang es ihm aber doch, mich zu prellen. Er zahlte
+mit einem Hundertmarkschein und ich gab ihm heraus, und als er das Geld
+nachgezählt hatte, behauptete er, zehn Mark zu wenig bekommen zu haben;
+und obwohl ich gewiß wußte, was ich ihm gegeben hatte, bestand er doch
+auf seinem Recht. Als die Mutter dies hörte, glaubte sie mir nicht, daß
+ich von dem Juden geprellt worden sei, sondern sagte: »Dös hast
+höchstens auf d'Seitn g'räumt und denkst, der Vater büßt's scho; aber da
+brennst di! Dös kannst scho selber draufzahln von deine Trinkgelder!«
+Und ich mußte wirklich die zehn Mark nachmals, als ich im Dienst bei
+fremden Leuten war, von meinem Lohn ersetzen.
+
+Brachte jemand Wein oder Most, so mußte ich auch mitgehen in den
+Weinkeller; denn die Eltern vertrauten den Dienstboten den Schlüssel
+dazu nicht an, weil ein sehr großer Wert in den Weinvorräten steckte. So
+brachte uns auch einmal ein Bursch aus einer Kelterei etwa fünfzig
+Flaschen Apfelwein. Als ich mit ihm in dem vermauerten, dunklen Keller
+war und beim Schein einer Kerze den Apfelwein in eine Stellage zählte,
+löschte der Unhold mir plötzlich das Licht, packte mich rücklings, riß
+mir den Rock in die Höhe und wollte mich vergewaltigen. Trotz meines
+Schrecks kehrte ich mich rasch um und fuhr ihm mit allen Fingernägeln
+über das Gesicht, ergriff die nächstbeste volle Flasche und schlug sie
+ihm so um den Kopf, daß sie in Scherben ging. Alles das tat ich in einem
+Augenblick und ohne einen Laut von mir zu geben. Scheinbar ruhig trat
+ich nun aus dem Keller und rief ihm zu: »So, jetz machst, daß
+d'verschwindst, du Hund! Sonst sperr i di da rei, bis i d'Schandarm
+g'holt hab; na konnst schaugn, wie's dir geht, du Haderlump, du
+elendiger! Und jetz druckst di und laßt di ja nimma blicka! Dei Herr
+werd sei Geld scho kriagn!«
+
+Ich hatte zwar schon Angst, er könnte mich in der Wut noch einmal
+anpacken; doch ging er ohne einen Laut, nahm auf der Straße seinen
+Karren und fuhr mit dem übel zugerichteten Gesicht davon. Gesehen habe
+ich ihn nie mehr.
+
+Überhaupt hatte ich manchmal meine Fäuste nötig; teils, mich der eigenen
+Haut zu wehren, teils, Streitende auseinanderzutreiben.
+
+Im Frühjahr hatte ein Grundbesitzer in der allernächsten Nachbarschaft
+angefangen zu bauen, und es sollten zwei große Häuser links von unserer
+Ecke und eins rechts davon erstehen. Da die Maurer und die übrigen
+Arbeiter meist ohne Geld sind, wenn sie zu arbeiten beginnen, so muß der
+Palier für einen Vorschuß sorgen, der dann am Samstag vom Lohn abgezogen
+wird. Der Palier wendet sich nun an einen Wirt, der erstlich Geld und
+dann auch gutes Bier und vorzügliche Küche hat. Da war nun meines Vaters
+Wirtschaft als Einkehr für sämtliche am Bau Beschäftigte vorgeschlagen
+und angenommen worden. Die Leute holten sich am Montag ihren »Schuß« und
+aßen und tranken die Woche über ohne Bezahlung. Da gab es denn am
+Samstag immer große Abrechnung mit ihnen, und hie und da kam es dann
+wohl auch vor, daß der eine oder andere glaubte, er sei betrogen worden
+bei der Abrechnung, oder daß einer selbst betrügen wollte. Freilich ging
+es dabei nicht immer ruhig her. Ganz plötzlich brach dann an einem Tisch
+ein Streit aus und im Nu bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine
+für den Wirt, die andere aber für den Schuldner stritt.
+
+Doch nicht lange währte die Reiberei; der Vater rief mir aus der
+Schenke: »Leni, biet eahna ab, i hab koa Zeit!« und augenblicklich stand
+ich unter den Streitenden und versuchte erst in Güte, die erhitzten
+Köpfe zu beruhigen. Wenn mir aber dies nicht gelang, konnte ich recht
+wild werden. Da faßte ich den einen am Genick und drückte ihn auf seinen
+Stuhl nieder; den andern riß ich zurück vom Tisch, wo er eben ein
+Salzgefäß ergreifen wollte, um es ins feindliche Lager zu schleudern.
+Dann schlug ich mit der Faust wohl auch auf den Tisch und rief: »Ob jatz
+glei Fried werd unter euch, ös Hallodri! Sofort hol i d'Schandarmerie,
+wenn koa Ruah is!« Dann ergriff ich den Rädelsführer, hieß ihn
+austrinken und schob ihn aus dem Lokal.
+
+Freilich, immer wurde es mir nicht leicht, der Aufrührer Herr zu werden.
+Da mußte mir dann mein Hund, eine riesige, blaugestromte Dogge, die auf
+den Mann dressiert war, helfen. Dieser Hund war von einem Apotheker aus
+England mitgebracht worden, mußte aber, da sein Herr verarmt war,
+verkauft werden. Durch ein Inserat wurde der Vater aufmerksam, und da
+sie ihm wohl gefiel, kaufte er die Dogge für hundert Mark. Ich war
+hocherfreut, als der Vater mit dem Hund kam. Er hieß Schleicher und war
+außerordentlich klug. Sein Herr war mitgekommen und fütterte ihn noch
+mit Schinkenbroten; danach sagte er: »Schleicher, du mußt jetzt schön
+dableiben, bis ich wieder komm!« Dabei rannen ihm die Tränen in den
+Bart, und ich empfand solches Mitleid mit dem Manne, daß ich hinging und
+ihm versprach, den Hund recht gut zu halten.
+
+Bald war auch das Tier so gut Freund mit mir, daß ein Wink von mir
+genügte, ihn an meine Seite zu locken. Er begleitete mich auf allen
+Gängen und lief mit mir auch in den Keller und Speicher; und oft, wenn
+ich mit ihm redete, legte er seinen schlanken Kopf auf meinen Schoß und
+sah mich mit seinen klugen, braunen Augen ganz verständig an. Sagte ich
+ihm: »Schleicher, du mußt schön aufs Frauerl Obacht gebn!« so wich er
+keinen Schritt von meiner Seite und hätte den, der mich anrühren wollte,
+sicher in Stücke gerissen.
+
+So war einmal ein als Wüstling übel angeschriebener, alter Schleifer zu
+uns gekommen, als ich eben allein in der Schenke stand. Er trat zu mir
+und fragte, ob ich nichts zu schleifen habe, und trotzdem ich ihm kurz
+und mürrisch erwiderte: »Nix is da!« ging er nicht, sondern wollte mich
+an der Brust fassen, indem er mit heiserem Lachen flüsterte: »Nix hat zu
+sleife? Nix kloane Gaffeemiehle zu sleife, he?«
+
+In diesem Augenblick sprang der Hund auch schon an ihm empor, riß ihn zu
+Boden und stellte sich mit gefletschten Zähnen und dumpf knurrend über
+ihn; und als der Italiener sich wehren wollte, packte das wütende Tier
+seinen Arm. Erschreckt schrie ich: »Weg, Schleicher!« und riß ihn am
+Halsband zurück, worauf er zwar von dem an allen Gliedern Zitternden
+abließ, aber immer noch heftig knurrte, so lange, bis der Alte gegangen
+war.
+
+So war auch einmal eine Christbaumfeier der »Arbeitsscheuen« in unserm
+Lokal. Die Gäste saßen vergnügt beieinander, lauschten aufmerksam den
+Vorträgen, kauften Lose und waren alle eins, bis der Gipfel des Baumes
+zur Versteigerung kam. An diesem Gipfel hing ein Hering, eine
+Kindertrompete, ein Bündelchen Zigarren, eine Glaskugel, ein
+Lebkuchenherz, ein Wachsengel und ein einzelner roter Plüschpantoffel.
+Den andern hatte schon ein Bäckermeister gewonnen, da er an dem Zweige
+hing, dessen Nummer sein Los trug.
+
+Alles steigerte mit leidenschaftlichem Eifer, und es währte nicht lange,
+da waren schon dreißig Mark für den Gipfel geboten. Nun ging's etwas
+langsamer; doch steigerte noch alles lebhaft mit, bis ein Metzgermeister
+rasch vierzig Mark bot und ihn ohne Einspruch zugeschlagen erhielt. Er
+zahlte und schenkte dann den Gipfel der Gesellschaft zur nochmaligen
+Versteigerung. Diesmal fiel er für einundzwanzig Mark einem Weinhändler
+zu. Auch der schenkte ihn wieder her, und nun kam der Hering samt
+Kindertrompete und Plüschpantoffel für die Summe von dreizehn Mark in
+die Hände meines Vaters, der gleichfalls zugunsten der Tischgesellschaft
+alles noch einmal versteigern ließ.
+
+Jetzt fiel dem Bäckermeister plötzlich ein, daß zu dem einen
+Plüschpantoffel auch ein zweiter gehöre, und er steigerte nun eifrig
+mit. Aber da war ein junger Ehemann, ein Bräubursch, dem seine Gattin
+vor einer Woche den ersten Buben geschenkt hatte; der wollte die
+Trompete für seinen Stammhalter haben. Und nun begann ein hitziges
+Bieten: »Drei Mark fuchzg!« schrie der Bäcker.
+
+»Vier Mark!« der andere.
+
+»Sechs Mark!« scholl es wieder herüben, aber schon schrie der Ehemann:
+»Acht Mark! I werd dirs zoagn, du arme Bäckerseel!«
+
+»Was hast g'sagt, du windiger Bräuknecht! Acht Mark fuchzg!«
+
+»Neun Mark!« erscholl da plötzlich aus dem Hintergrund die Stimme des
+Kobelbauer Hias, eines Obermälzers, und rasch schrie der junge Ehemann:
+»Zehn Markl!«
+
+Der Bäckermeister wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine
+Stimme klang heiser, als er schrie: »Zehn Mark fuchzg! Jatz ko mi der
+Hanswurscht scho bald ...«
+
+Aber er kam nicht zum Ausreden; denn: »Elf Mark fuchzg!« tönte es schon
+wieder aus dem Hintergrund und gleich darauf: »Zwölf Mark!« von dem
+Liebhaber der Trompete.
+
+Nun vergaß der Bäcker vor Wut weiterzubieten, und sprang auf, stürzte
+auf den Bräuburschen zu und packte ihn an der Gurgel: »Willst stad sei,
+du Bräuhengst, du verflixter! Jatz biat i und kriagn muaß i 'hn aa, den
+Gipfl, sunst is g'feit, dös mirkst dir!«
+
+Aber er war schon zu spät daran; denn während er sich mit dem andern
+stritt, freute sich der dritt': der Kobelbauer Hias ersteigerte den
+Gipfel um dreizehn Mark und machte sich damit davon.
+
+Der Bräubursch aber hatte den Bäcker mit solcher Macht zurückgeworfen,
+daß dieser rücklings in einen runden Tisch fiel und alle Krüge und
+Gläser umwarf. Die Frau des Laternanzünders Tiburtius Kiermeier hatte
+eben ein Kalbsgulasch vor sich stehen und wollte zu essen beginnen; da
+kam der Bäcker geflogen, und durch den großen Sturz geriet die Platte
+mit der Sauce ins Rutschen, und ehe die Frau Laternanzünder sich's
+versah, hatte sie das Gulasch samt der Brüh und den Kartoffeln im Schoß:
+»Jess' Maria! Mei guater Tuachrock!« kreischte sie laut auf und stieß
+gleich darauf ihren Mann heftig in die Seite; denn der hatte so eifrig
+mit einem am andern Tisch sitzenden Schuhmacher, genannt der
+Revolutionsschuster, über Anarchismus und Sozialdemokratie debattiert,
+daß er von dem Streit und auch von dem Unglück seiner Gattin nichts
+bemerkt hatte. Nun aber sprang er auf, und als ihm diese kreischend und
+unter Tränen den Vorfall geschildert hatte, erhob er seinen Stuhl und
+schrie: »Nieder mit dem schwarzen Bäckerhund! Hauts'n nieder, den
+Zentrumshund! D'Sozialdemokratie soll lebn!«
+
+In diesem Augenblick aber fielen ihm etliche in den Arm, drückten ihn
+wieder auf seinen Sitz und riefen: »Sei do g'scheit, Tiburtl!« doch der
+war nun schon in der Hitze und schrie und schimpfte weiter.
+
+Die Streitenden aber waren inzwischen abermals aneinander geraten, und
+bald setzte es da und dort Hiebe ab. Nun sprangen etliche Rauflustige
+hinzu, und ehe man sich dessen versah, artete der Streit zu einer
+regelrechten Prügelei aus.
+
+Zu allem Unglück löschte ein Boshafter das Licht aus, indem er den
+Gasometer abstellte.
+
+Der Vater rief: »Kathi, schnell reibn S' s Gas auf!« Die Mutter schrie
+aus der Küche: »Kreuzsakerament! a Liacht brauch i!« Ich aber faßte
+meinen Hund am Halsband, er trug den Maulkorb, und stürmte mitten in den
+Knäuel: »Auseinander! Schleicher, faß an! Sakrament, auseinander, sag i!
+Wer si net niederhockt, is hi!«
+
+In diesem Moment flammte wieder ein Licht auf, und während der Vater
+totenblaß an einem Tisch lehnte, da er noch immer kränkelte und sich
+nicht aufregen durfte, teilte ich kräftige Püffe aus. Der Hund aber
+hatte die zwei Hauptschreier zu Boden geworfen und sein zorniges Knurren
+verriet, daß er keinen Spaß trieb. Die beiden lagen blutend und voll
+Beulen da, der eine hielt noch einen Maßkrughenkel, der Bäcker aber sein
+Stilet in Händen.
+
+Die übrigen Raufbolde waren beim Dreinfahren des Hundes erschreckt
+zurückgewichen, und nachdem ich den Bäcker und den andern in die Höhe
+gezogen und beide zahlen geheißen, wies ich ihnen die Tür mit den
+Worten: »Marsch, schaugts, daß hoamkommt's, ös Wildling!«
+
+Bald war wieder Ruhe im Lokal; die Scherben wurden aufgeräumt, die
+Tische und Stühle gesäubert und der Frau Kiermeier vom Vorstand der
+Tischgesellschaft ein neues Kleid versprochen. Und als um vier Uhr
+morgens die letzten Gäste schwankend das Lokal verließen, versicherten
+sie einmütig mit stillvergnügtem Lächeln: »Schö war's, wunderschö!«
+
+ * * * * *
+
+Am andern Tag mochte aber wohl mancher einen schweren Kopf gehabt haben,
+und auch wir waren alle übernächtig und trachtete ein jedes, den
+versäumten Schlaf so geschwind wie möglich nachzuholen. Der Vater und
+die Mutter legten sich gleich nach dem Mittagessen nieder; die
+Küchenmagd machte ganz gläserne Augen und verschwand plötzlich, noch ehe
+sie ihre Arbeit getan; die Kellnerin mußte sich niedersetzen zum
+Besteckputzen, und dabei sank ihr der Kopf immer tiefer, bis sie mit der
+Nase auf das Putzbrett stieß. Ich selber nahm mir einen Stuhl und setzte
+mich in die Schenke, rief den Schleicher zu mir und machte auch ein
+Schläfchen, das zu meiner Freude nicht gar zu oft durch das schrille
+Klingeln der Schenkglocke gestört wurde. Um fünf Uhr aber war jedes
+wieder munter, und nachdem wir Kaffee getrunken hatten, meinte die
+Mutter: »So, jatz konn's glei wieder ogeh 's G'schäft und dauern bis um
+zwoa!« Doch bekam sie bald Kopfweh in der heißen Küche und ging in die
+Stube und ich kochte allein.
+
+Da hieß es erst einen großen Hafen voll Lunge oder Voressen bereiten für
+die Arbeitsleute, die jeden Abend um sieben Uhr an der Küchentür mit
+ihren Haferln standen und fragten: »Habts heut a Lungl?«
+
+Dann schrieb ich die Speisenkarte.
+
+Bald danach kamen die Kunden aus der Nachbarschaft, meist alte Weiber,
+und begehrten zu wissen, was sie zum Abend haben könnten: »Freiln Leni,
+ham S' heut a Gansjung?«
+
+»Ja, was fallt denn Eahna ei!« rief ich da. »Jatz, wo s' so teuer san am
+Markt! Wos moanan S', was jatz a Gansjung kostn tät? A Mark ganz gwiß!
+Mögn S' vielleicht sonst a Schmankerl? A sauere Leber oder a bachene;
+oder a bra'ne Haxn, a halbete? A schöns Schweinszüngl is aa da und guate
+G'schwollne, selbergmachte!«
+
+»Dös mag mei Mann alles net!« sagte die eine oder andere dann, und ich
+mußte ihnen weitere Spezialitäten hernennen: »Ja mei, da werds schlecht
+ausschaugn, wenn der Herr Gemahl dös net mag! Sagn S' halt, a Hirn, a
+Herz, a Kottlett, a Schnitzl und a Gulasch ham ma r aa; oder vielleicht
+mag er an Ochsenmaulsalat!«
+
+Nachdem ich dies alles aufgezählt hatte, kam es freilich auch manchmal
+vor, daß eine, nachdem sie alles mögliche auszusetzen gehabt und ihr die
+Leber zu sauer, das Gulasch zu scharf, an der Haxn z'weni dro und das
+Züngerl z'fett gewesen war, zögernd fragte: »Habn S' a Lungl aa?« und um
+a Zehnerl davon holte, was mich immer sehr zornig machte, so daß ich,
+wenn sie draußen war, voll Wut zur Küchenmagd sagte: »Schaugts nur grad
+a so a Büchslmadam o! Wenn s' a Kottlett um a Zwanzgerl kriagt hätt,
+wars ihr scho recht gwen, dera Flugga!«
+
+Aber trotz allen Ärgers war ich doch recht gern Herr in der Küche, und
+als einmal im Sommer die Mutter eingeladen wurde, an der Wallfahrt nach
+Altötting teilzunehmen, gab ich nicht eher Ruhe, bis sie ja sagte.
+
+Freilich mußte ich nun tüchtig mit anfassen die drei Tage, welche die
+Mutter nicht da war; doch wurde ich ganz gut fertig und konnte sogar dem
+Vater noch helfen am Abend, wenn der Hauptandrang an der Gassenschenke
+war.
+
+Da wurden innerhalb einer Stunde über zwei Hektoliter Bier ausgeschenkt,
+und die Leute standen mit ihren Krügen an, wie zu Ostern in der Kirche
+beim Beichten. Der Vater schenkte ein und ich kassierte. Da ging's:
+»Frau Bergbauer, a Maß, a Halbe und a Quartl, macht vierazwanzg,
+sechsadreißg, zwoaravierzg; so -- und acht san fufzg und fufzg is a
+Mark. Dank schö, adie Frau Bergbauer, wieder komma! D'Frau Graf hat
+dreimal drei; dös macht vierafufzg und sechs is sechzg. Dank schö, adie!
+Der Kloane kriagt a Halbe; tuas fei net ausschüttn! Herr Nachbar, drei
+Quartl? Vater, drei! Und a Zigarrn! Derf i s' glei ozündn? Jatz ham ma
+achzehn und sechs is vierazwanzg und von gestern zwoa Maß, dös macht
+nacha zwoarasiebazg. Stimmt ak'rat wie zählt. Adie, Herr Nachbar, dank
+schö!« Und so ging's fort, bis ich wieder in die Küche mußte.
+
+Am nächsten Tag schickte die Mutter aus Altötting eine Karte mit dem
+Bild der Mutter Gottes und schrieb: »Liebster Josef! Ich bin ganz weck
+vor lauter schön. Vielle Grüße sendet euch eure treue Mutter Magdalena
+Zirngibl.«
+
+Ich freute mich sehr, daß es der Mutter so wohl gefiel; hoffte ich doch,
+es möchte diese Wallfahrt günstig auf ihr Gemüt wirken, daß sie ein
+wenig verträglicher würde; denn sie war immer noch trotz aller
+Frömmigkeit recht bös und quälte mich oft entsetzlich. Bei dem
+geringsten Anlaß gab sie mir trotz meiner neunzehn Jahre noch Schläge
+ins Gesicht und hinter die Ohren, oder riß mich an den Haaren herum; ja,
+nicht selten nahm sie noch wie früher den Stock und prügelte mich
+elendiglich. Deshalb suchte ich, so gut es mir gelingen wollte, Anlässe
+zu solchen Szenen zu vermeiden; doch glückte es mir nicht immer, und ich
+wurde nun wieder trübsinnig und verlor alle Lust zum Schaffen und
+schließlich auch zum Leben.
+
+Da geschah es, daß wir eine neue Kellnerin bekamen; denn die Kathi hatte
+sich mit einem unserer Gäste, dem Briefträger Schwertschlager,
+verheiratet. Das neue Mädchen hieß Babett und war recht fleißig und von
+einnehmendem Wesen; daher schloß ich mich rasch an sie an, weihte sie in
+manche von den häßlichen Szenen, die ich mit meiner Mutter hatte, ein
+und vertraute ihr auch an, daß ich des Lebens im Hause ganz überdrüssig
+sei. Da empfahl sie mir, ich solle mir doch eine Sparbüchse anlegen und
+alle Tage etwas aus der Schenkkasse hineintun; wenn es mir dann einmal
+gar zu schlecht ginge, könnte ich davonlaufen und hätte doch Geld. Ich
+folgte ihr und legte täglich zwei kleine, silberne Zwanzgerln in eine
+irdene Sparbüchse, die ich in der Schublade des Büfetts, die der
+Kellnerin zur Aufbewahrung ihrer Sachen diente, versteckte.
+
+Es mußte schon ein schönes Sümmchen beisammen sein, denn etliche Wochen
+trieb ich diese Heimlichkeit.
+
+Da kam der Namenstag der Mutter.
+
+Schon einige Tage vorher hatte ich die Babett an einer sehr feinen
+Spitze häkeln sehen und plagte sie nun, sie solle mir dieselbe für die
+Mutter verkaufen. Sie willigte ein, und nachdem sie mich das Muster
+gelehrt hatte, häkelte ich noch ein gutes Stück selber dazu. Ich
+bezahlte ihr für die Arbeit zwei Mark, bat mir aber aus, sie dürfe der
+Mutter ja nicht verraten, daß auch sie daran gehäkelt habe; denn die
+Mutter hielt nur auf Handarbeiten etwas, die man selbst gefertigt hatte.
+Sie schien auch wirklich sehr erfreut und fragte mich, wo ich das Muster
+herbekommen habe.
+
+Ich antwortete: »Von der Babett.«
+
+Darauf meinte sie: »Die hast ja du gar net g'häkelt, die hat ja d'Babett
+g'macht!«
+
+Ich blickte wie versteinert die Mutter an und brachte endlich kaum
+hörbar die Worte heraus: »Wer sagt denn dös?«
+
+»D'Babett hat mir's selber g'sagt!« erwiderte die Mutter scharf.
+
+Da brach ich in Tränen aus: »Naa, so a Gemeinheit! Jatz hat s' mir's so
+heilig versprocha, daß s' nix sagt ...«
+
+»So, hab i di jatz g'fangt, du Luder, du verlogns!« triumphierte jetzt
+die Mutter mit bösem Lachen; dabei nahm sie die Spitze und warf sie ins
+Herdfeuer. »Heut konnst di aber g'freun! Heut treib i dir's Lügn aus für
+allweil!«
+
+Mir war ganz dumm im Kopf, und wie im Traum ging ich in die Gaststube
+und wollte die Sparbüchse mit dem geheimen Geld zu mir nehmen; da fand
+ich sie leer. Sprachlos starrte ich in die Schublade, bis die Mutter in
+das Zimmer trat. Da schob ich die Lade zu und ging wieder in die Küche.
+Doch konnte ich nichts tun und hatte nur den einen Gedanken im Kopf:
+Heut bringt s' di um; denn sie war so seltsam still, trank rasch fünf
+oder sechs Halbe Bier und warf mir grausige, entsetzliche Blicke zu.
+Aber sie sprach kein Wort in der Sache, bis nach dem Mittagessen. Da
+rief sie dem Vater in die Schenke: »Josef, heut bleibst in der Schenk,
+die is heut net da!« wobei sie mir wieder einen solch bösen Blick
+zuwarf, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Dann sagte sie, indem
+sie den großen, eisernen Schürhaken vom Herd nahm und sich zum Gehen
+schickte: »Richst 's Hundsfressen no her, du Schinderviech; nachher
+gehst 'nauf!«
+
+Als sie fort war, rief ich die Babett zu mir in die Küche und machte ihr
+Vorhalt wegen der Spitze und auch wegen des Geldes.
+
+Da sagte sie: »I hab koa Wort verraten und vom Geld woaß i nix!
+Überhaupt derfan Sie koa Wort sagn; denn wenn i mei Maul aufmach, na is
+g'fehlt um Eahna!« Damit ging sie aus der Küche.
+
+Ich hatte kaum die letzten Worte gehört, so wurde mir heiß und kalt, und
+plötzlich ergriff ich das große Tranchiermesser, legte erst die eine und
+dann die andere Hand auf den Hackstock und schnitt mir an beiden Armen
+die Pulsadern durch. Dann lief ich zum Schlüsselbrett, nahm die
+Kellerschlüssel, rannte die Stiege hinab, schloß mich in den Weinkeller
+ein und kauerte mich in einen Winkel und hoffte stumpfsinnig auf den
+Tod.
+
+Wie lange ich so gelegen bin, weiß ich nicht. Bekannte erzählten mir
+später, daß mich eine Frau, die von der Gassenschenke aus in die Küche
+geblickt hatte, beobachtet und den Vorfall meinem Vater mitgeteilt habe.
+Doch wußte niemand, wo ich hingelaufen war, bis man endlich die
+Kellerschlüssel vermißte. Da nahm der Vater den Schleicher, ließ vom
+Schlosser den Keller aufbrechen und suchte mich. Der Hund aber lief erst
+unruhig im ganzen Keller umher, bis er sich plötzlich vor die Tür zum
+Weinkeller stellte und laut zu winseln begann. Da erbrach der Schlosser
+auch diese Tür, und nun fanden sie mich ohnmächtig in meinem Blute
+liegen. Sie hoben mich auf und brachten mich zum nächsten Bader, der mir
+einen Notverband anlegte und mich dann zu einem Arzt fahren ließ. Dort
+wurden die Wunden genäht, wobei es der Doktor nicht an anzüglichen Reden
+fehlen ließ, da ja gemeiniglich nur nach der Tat, selten aber nach Grund
+und Ursach geforscht wird.
+
+Darauf brachte man mich wieder nach Hause, und meine Mutter empfing mich
+sofort mit den Worten: »Hat di jatz der Teufi no net gholt! Bist no net
+hin?«
+
+Da dachte ich, es könnte am Ende besser sein, wenn ich ginge; denn
+vielleicht bekäme ich von der Mutter einmal einen Hieb, der mich zum
+Krüppel machte; da wäre ich doch lieber tot.
+
+ * * * * *
+
+Also ging ich andern Tags zu meiner Base, die mit dem Bruder der Mutter
+in einem alten, kleinen Häuschen Giesings wohnte. Die nahm mich voller
+Mitleid auf und ich verbrachte ein paar glückliche Wochen bei ihr. Auch
+sie riet mir, ich solle eine Zeitlang unter fremde Leute gehen und
+dienen. Deshalb suchte ich, nachdem meine Arme wieder geheilt waren,
+eine Verdingerin auf, die mir einen Platz als zweite Köchin in der
+Floriansmühle zubrachte und mir empfahl, zuvor meinem Vormund, dem
+Ehemann der Nanni, zu schreiben, daß er mir seine Erlaubnis zum Dienen
+gebe; denn ich war noch nicht mündig. Der antwortete in seinem
+Schreiben: »Mir ist's ganz recht, wenn sie dint und ligt nichts dran,
+wenn sie heirat. Josef Eder.«
+
+Mit diesem Brief ging ich zur Polizei und holte mir ein Dienstbuch.
+Danach erbat ich mir von meiner Base das Verdinggeld, fünf Mark, und
+brachte es der Frau, worauf ich mich nach der Floriansmühle begab.
+
+Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister
+vorbei und stand mit einem Male vor einem kleinen Dörflein.
+
+Zu meiner Rechten floß ein von alten Bäumen und schon herbstlich buntem
+Strauchwerk eingefaßter Kanal, der das ausgedehnte, rings von saftigen
+Wiesen und schattigen Baumgärten umgebene Besitztum, auf dem ich meinen
+Dienst antreten sollte, von dem eigentlichen Ort trennte.
+
+Ich schritt den Bach aufwärts und stand bald vor dem großen Hoftor des
+Gutes, das drei Brüdern zu eigen gehörte und dessen Gastwirtschaft von
+jeher als eine beliebte Einkehr der Münchner galt.
+
+Als ich in den Hof trat, stand vor der niedern Tür des schmucken, mit
+seinen grünen Fensterläden und den sauber an Spalieren gezogenen
+Weinreben recht heimisch aussehenden Wohnhauses ein junges Mädchen und
+fütterte aus einer weiten, irdenen Schüssel Enten, Hühner und Tauben mit
+feingehackten Maiskörnern. Droben auf dem Dach aber, das von einem
+Glockentürmlein gekrönt war, saß ein großer Pfau und schrie mit
+kreischender Stimme sein klägliches: »Pau, pau« in die stille Luft.
+
+Weiter drüben vor dem Stall stand ein langer, grobknochiger Knecht und
+schirrte zwei schwere Grauschimmel an und spannte sie vor einen hoch mit
+Mehlsäcken beladenen Wagen, während aus der mit Tannengirlanden
+geschmückten Türe eines kleinen Tanzsaales, dessen Fensterläden fest
+geschlossen waren, soeben ein älterer Mann trat und angestrengt nach der
+von uralten Pappeln eingesäumten Landstraße sah.
+
+In diesem Augenblick fuhr von der andern Seite ein leichtes Ponygefährt
+durchs Tor in den Hof, und ihm entstieg ein etwa zwanzigjähriger,
+elegant gekleideter junger Mann, warf die Zügel dem dampfenden Pferd auf
+den Rücken und hob danach ein liebliches, ganz in Weiß gekleidetes, etwa
+achtjähriges Mädchen aus dem Wagen. Mit lautem Jubel stürmte die Kleine
+an dem erschreckt auffahrenden jungen Mädchen vorüber, wobei Hühner und
+Enten laut schreiend und gackernd auseinanderstoben, und sprang lachend
+an dem alten Herrn empor mit dem Ruf: »Onkel Kilian, fein wars!« Dieser
+gab dem Mädchen erst einen schallenden Kuß und wandte sich dann an den
+jungen Mann: »So, Maxl, hast dir jatz amal gnua kutschiert?«
+
+»Ja, Onkel! Bis zum Flaucher san ma nauf; 's Lieserl hätt bald nimmer
+gnua kriagt!« Dann rief er lachend der noch immer über das Ungestüm der
+Kleinen erbosten jungen Dame zu: »Servus, Fräuln Schwester!« Und als sie
+nichts erwiderte, trat er rasch auf sie zu, faßte sie um die Hüften und
+meinte: »Na, Klärl, kommt's am End scho wieder zum Regnen?«
+
+Unwillig stieß sie ihn weg und wollte etwas entgegnen, da fuhren rasch
+hintereinander drei elegante Equipagen vor, und sofort stürzten alle
+hinzu und halfen den Herrschaften dienstbeflissen aus den Wagen.
+
+Ich war lange Zeit unschlüssig hinter dem vorderen Tor gestanden; jetzt
+benutzte ich rasch den günstigen Augenblick und trat schnell in die
+Küche, die in peinlichster Sauberkeit glänzte.
+
+Gegenüber dem großen, in der Mitte stehenden Herd befanden sich hohe
+Schränke und Stellagen voll Porzellangeschirr und von den Wänden
+blinkten reiche Kupfer- und Zinnmodel. Vor dem Herd stand gerade eine
+große, wohlbeleibte Köchin, die Kaffee kochte, und hinten in einer Ecke
+war ein altes Weiblein mit dem Rupfen einer großen Schüssel voll Enten
+beschäftigt. An dem mächtigen Schubfenster des Büfetts, von dem aus man
+den großen, schattigen Wirtsgarten überblicken konnte, stand eben die
+Frau des Hauses und gab der Kellnerin mehrere Platten mit Kuchen und
+gebratenen Hühnern. Dann wandte sie sich um, und als ich gerade der
+Köchin, die mich barsch nach meinem Begehr fragte, antworten wollte,
+rief sie mit freundlicher Miene: »Ah, jatz kommt mei neue Köchin! Sie
+san aber no jung!«
+
+Ich erwiderte, nachdem ich sie begrüßt, ziemlich schüchtern: »I bin scho
+neunzehn Jahr alt!« worauf sie mich fragte, ob ich denn auch kochen
+könne. Da bekam ich auf einmal Schneid und sagte frisch: »Dös moan i! I
+hab dahoam scho dö ganze Wirtschaft g'führt und mir ham koa schlechts
+G'schäft! Bloß mit dö Mehlspeisn hats was; dö gibt's bei uns 's ganz
+Jahr net!«
+
+Lachend meinte die Frau: »Dös kriagn ma scho no; bloß a Schneid
+braucht's und an guatn Willn.«
+
+Ich versprach ihr, daß ich ihr keine Schande machen wolle, und fragte,
+wann ich schon eintreten könne. Sie sagte: »Glei morgn können S' kommen;
+lassen S' ma Eahna Adreß da, der Knecht fahrt morgen so in d'Stadt nauf
+am Markt; der kann glei Eahnan Koffer mitnehmen.«
+
+Dann gab sie mir noch einen Taler als »Drangeld«, womit sie mich fest
+zum Antritt meiner Stelle verpflichtete.
+
+»Gnä Frau,« sagte ich noch, ehe ich ging, »kann i vielleicht glei was
+b'sorgn, eh i morgn aus der Stadt geh? I kannt's leicht mitnehmen.« Doch
+sie verneinte und sagte: »Dös g'fallt ma, daß S' Eahna so onehma; aber
+bei uns fahrt alle Tag oans nauf zum Einkaufn und B'stelln. Trinkn S'
+jatz no g'schwind a Tass' Kaffee!«
+
+Nun bekam ich eine große Tasse voll und einen Krapfen, wobei die Frau
+meinte: »Probiern S' unsere Krapfen, die müssen S' z'erscht ferti
+bringa!«
+
+Ich fand alles recht gut und ging frohen Herzens heim zu meiner Base und
+berichtete ihr alles, worauf sie mich ermahnte, ich solle mich recht gut
+halten, daß ich meiner Mutter zeigen könne, wie andere Leute mit mir
+zufrieden wären.
+
+Andern Tags am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg. Ich war guten
+Muts und sang laut, als ich durch den Englischen Garten schritt; denn
+ich hatte von der Endstation der Trambahn aus noch fast eine Stunde zu
+gehen.
+
+Als ich auf den Hof kam, schlug es neun Uhr, und der Obermüller und die
+Mühlknechte machten grad Brotzeit und holten sich ihr Bier.
+
+Mit einem lauten: »Grüaß Gott! Jatz bin i da!« trat ich in die Küche, wo
+es schon überall dampfte und brodelte. Die Frau war noch nicht auf, und
+so wies mir die erste Köchin meine Kammer zum Schlafen an. Rasch nahm
+ich mein Hütlein ab, zog mein Mäntelchen aus, tat eine schöne weiße
+Schürze um und ging wieder hinunter.
+
+Nun hieß es sich rühren! Als die Frau um zehn Uhr in die Küche kam,
+hatte ich schon einen großen Hafen voll Entenjung für die Leute der
+Ökonomie zubereitet und war gerade dabei, ein Brett voll Knödel zu
+machen.
+
+»So, san ma scho fest bei der Arbeit!« sagte die freundliche Wirtin und
+klopfte mir wohlwollend auf die Schulter, worauf ich lachend erwiderte:
+»Bis jatz konn i's scho no damacha!« doch hätte ich dies am Nachmittag
+wohl kaum mehr geantwortet; denn da ging's drunter und drüber.
+
+Da kamen Herrschaften in ihren Equipagen, die sich mit Brathähndln,
+Eierspeisen, kalten Platten und dergleichen Leckerbissen aufwarten
+ließen, ferner Radfahrer, die in großer Eile ihren Kaffee tranken, und
+auch an Spaziergängern fehlte es nicht, die da ihren Käs mit Butter, ein
+Ripperl oder Regensburger verzehrten.
+
+Der Kaffee wurde in lauter kleinen Kännchen serviert, und eine alte
+Spülerin hatte den ganzen Mittag und Nachmittag vollauf zu tun, um all
+die Geschirrlein zu säubern und auf kleine Nickeltabletten zu ordnen. In
+einem riesigen Waschkorb lagen an die hundert Krapfen, daneben standen
+Teller und Platten mit feinem Kaffeekuchen, was alles im Haus gebacken
+wurde.
+
+In der Schenke ging es zur Mittagszeit noch ziemlich ruhig her; doch war
+am Nachmittag auch hier ein großes Hinundher. Da wurde nicht nur Bier
+ausgeschenkt, sondern auch alle möglichen Limonaden, Sauerbrunnen,
+Schorlemorle, Radlermaßen und auch gar manche Flasche Wein.
+
+Die »rote Kuni«, wie man im Scherz die rothaarige Schenkkellnerin
+nannte, wußte sich bei dem Trubel kaum mehr zu helfen; denn sie war von
+Haus aus schon schwerfällig und nun erwartete sie auch noch ein Kind,
+das vierte, seit sie in der Floriansmühle im Dienste stand. Für jedes
+hatte sie einen andern Vater benannt, der ihr für Ehr und Kind bezahlen
+mußte, was ein jeder auch ohne Widerrede tat.
+
+Um die Zeit meines Eintritts war nun überall wegen der Herbstmanöver
+Einquartierung. Auch in die Mühle kam die Ordre, man solle Quartier
+bereiten für mindestens zwanzig Mann und etliche Offiziere der schweren
+Reiter aus Landshut.
+
+Es währte nicht lange, da rasselten im Saal die Säbel und klirrten die
+Sporen. Zwanzig Gemeine, vier Feldwebel und Wachtmeister, sowie sechs
+Offiziere hatten wir bekommen.
+
+Da gab es Arbeit in Menge; zwar war für die Gemeinen das Mahl bald
+bereitet, doch für die Herren wurde gar fein aufgekocht. Am Abend gab es
+dann regelmäßig ein kleines Tänzchen, zu dem ein Mühlknecht mit der
+Ziehharmonika aufspielte.
+
+Elf Tage blieben sie. Da geschah es am dritten Tage, daß die rote Kuni
+in der Früh nicht mehr erschien und in der Stille der folgenden Nacht
+einem Knäblein das Leben gab. Nun war niemand in der Schenke; da fragte
+ich, ob ich nicht auf etliche Tage dies Amt versehen könne. Die
+Herrschaft war recht froh über den Antrag, und ich wurde noch am selben
+Tag die Schenkkellnerin. Zugleich hatte ich die Gäste zu bedienen und
+auch den Offizieren zu servieren; doch ging mir alles glücklich von der
+Hand, und schon nach ein paar Tagen mußte ich das Versprechen geben, in
+der Schenke zu bleiben. Ich tat es gerne; denn ich verdiente mir ein
+schönes Stück Geld und lernte überdies mit feinen Leuten umzugehen.
+
+Bald hatte ich mir nicht nur die Zufriedenheit der Herrschaft erworben,
+ich war auch der Liebling der Offiziere und vieler vornehmer Gäste.
+
+Am Tage vor ihrem Weitermarsch veranstalteten die Hauptleute der
+Einquartierten noch einen kleinen Ball, zu dem viele Münchner Offiziere
+samt ihren Frauen geladen waren. Vorher war ein reiches Mahl gegeben
+worden und ich hatte alle Hände voll zu tun. Danach gab mir ein jeder
+der Offiziere, die durch den Herrn schon erfahren hatten, daß ich eine
+Bürgerstochter und ein braves Mädel sei, die Hand, viel schöne Worte und
+einen blanken Taler, und einer bat mich gar um ein »Busserl«, wofür er
+mir versprach, er wolle ewig an dieses Herbstmanöver denken.
+
+Ich hatte nichts weiter dagegen und gab ihm lachend den verlangten Kuß.
+Da hielt der junge Herr mich fest und legte mir ein feines Kettlein mit
+einem kleinen Medaillon um den Hals.
+
+»Es ziemt sich nicht,« meinte er dann ernst, »einem Mädchen aus gutem
+Haus ein Trinkgeld zu reichen; ich wenigstens kann es nicht und hoffe
+auch, daß meine lieben und geschätzten Kameraden das Mädel nicht
+entlohnen, sondern nur belohnen wollten.«
+
+Ich war ganz bestürzt und dachte schon, jetzt müsse ich all das schöne
+Geld wieder hergeben; da rief ein alter, graubärtiger Offizier mit
+schnarrender Stimme: »Ah, was! Unsinn, Kamerad! Der Taler ist nicht
+Trinkgeld, sondern Andenken an uns fesche Kerle!« worauf alles in
+Gelächter ausbrach und die Angelegenheit erledigt war.
+
+Später, beim Tanz, bat der junge Herr meine Herrschaft, mir Urlaub zu
+geben, bestellte etwa zwanzig Flaschen Sekt und ließ sie gleich kalt
+stellen. Sodann befahl er den Offiziersburschen, zu bedienen.
+
+Die andern Mannschaften hatten sich draußen in der Tenne bei einem Faß
+Bier versammelt und Wachtmeister und Unteroffiziere saßen im Nebenzimmer
+fidel beisammen.
+
+Ich mußte ein gutes Kleid anziehen und war nun sehr begehrt, wobei ich
+fand, daß der Leutnant mit dem Kettlein es im Tanzen selbst den höchsten
+Offizieren zuvor tat. Er meinte es, wie mir schien, recht ehrlich mit
+mir; denn er wollte nicht einmal das »Busserl«, das er mir am Abend
+abverlangt hatte, behalten und gab es mir mit dankbarem Blick vierfach
+zurück, ehe er beim Morgengrauen den Tanzsaal verließ.
+
+Am andern Tag sah ich die Truppen wohl fortreiten, doch konnte ich aus
+der großen Ferne keinen mehr erkennen.
+
+Dafür kamen am Nachmittag abermals etwa zehn Reiter, zwar keine
+Offiziere, doch auch ganz muntere Gesellen, die in einer Reitschule das
+lernten, was sie später entweder zum Beruf brauchten oder womit sie
+andern einmal imponieren wollten.
+
+Sie kamen nun täglich und waren alle recht höflich und liebenswürdig zu
+mir, gaben mir viel Trinkgelder und brachten mir allerlei hübsche Dinge
+mit: bald ein Körblein Blumen, bald ein Schächtelchen mit Zuckerwerk.
+Einer von ihnen aber, der Sohn des Reitschulbesitzers, hätte mir gerne
+einen hübschen Filigranschmuck geschenkt; doch ich wies das Angebinde
+schnöde zurück, weil der Geber sich dafür nichts weniger denn mein
+Jungfernkrönlein ausgebeten hatte.
+
+Überhaupt traten jetzt die Versucher gar häufig und, wie sie meinten, in
+den lockendsten Gestalten an mich heran.
+
+Da war ein alter Jude, ein steinreicher Geldhändler, der mir für eine
+kleine Liebenswürdigkeit sofort eine große Summe Goldes bot. Ferner ein
+Pferdehändler, ebenfalls ein Jude, der mir einst seine Equipage mit der
+Weisung schickte, ich solle mich in den ersten Modehäusern kleiden wie
+ich wünsche, koste es, was es wolle; doch möchte ich nachher in
+demselben Wagen heim in seine Wohnung fahren und bei ihm eine Tasse Tee
+trinken.
+
+Doch nicht nur die reichen Herren, auch etliche Burschen aus der Mühle
+hätten mich gern zu ihrem Schätzlein gehabt, und ich wußte bald nicht
+mehr, was ich tun sollte, um mir die unsinnigen Freier vom Hals zu
+schaffen. Und als mich gar einmal mitten in der Nacht draußen vor meinem
+Fenster, ich schlief im ersten Stock, ein Geräusch aufweckte, als hätte
+jemand eine Leiter angesetzt, und gleich danach ein leises Klopfen an
+die Scheiben ertönte und jemand mit unterdrückter Stimme rief: »Lenerl,
+mach auf! I muaß dir was sagn,« da sprang ich voll Zorn aus dem Bett und
+rief ganz laut hinaus, ohne zu öffnen: »Mei Ruah will i habn! I brauch
+koan Burschn zum Fensterln; wer si net zu der Tür 'reitraut, soll ganz
+wegbleibn!«
+
+Da erscholl es draußen wieder flehend: »Geh, laß mi halt ei, Dirndl! I
+hätt a schöns Ringerl für di!« während zu gleicher Zeit im Garten
+drunten der alte Bernhardinerhund wütend zu bellen begann. Nun klopfte
+der nächtliche Besucher wieder, diesmal aber ganz heftig, ans Fenster
+und bat: »Lenerl, i bitt di um Gottswilln, laß mi halt ei, i bins ja,
+der Mühlfranzl! Schau, da Barri laßt mi nimma abi!«
+
+Ich gab nun gar keine Antwort mehr und hielt mich mäuschenstill; denn im
+Zimmer neben mir wurde es lebendig und gleich darauf erschien Max, der
+etwa zwanzigjährige Sohn meiner Herrschaft, in Unterhosen und barfuß,
+ein Kerzenlicht in der Hand, an meiner Tür: »Leni, hörn Sie nix?
+Einbrecher müassn da sei!«
+
+Nun verschwand die Gestalt eilig vom Fenster, und gleich danach vernahm
+man ein wildes Auffahren des Hundes, einen dumpfen Schrei und das
+Umfallen der Leiter. Darauf war es wieder still.
+
+Nun wagte ich, das Fenster zu öffnen, und sah hinunter. Da saß unser
+Barri auf einer dunklen, am Boden hingestreckten Gestalt, und über den
+beiden lag die lange Leiter.
+
+»Unser liabi Zeit! Der hat si gwiß dafalln!« rief ich voll Schreck und
+bereute schon meine Härte; da schrie der Max zum Fenster hinunter,
+während ich ganz gebrochen auf einen Stuhl fiel: »Barri, marsch in dei
+Hüttn!« worauf der Hund den Schwanz einzog und unter der Leiter
+wegschlich.
+
+»Wer nur dös sei muaß!« meinte etwas angstvoll der junge Mann.
+
+Da sagte ich leise, indem ich wieder zum Fenster trat und hinabsah: »Der
+Mühlfranzl war's. Fensterln hätt er wolln! Und jatz is er tot zwegn mein
+Trutz!«
+
+In diesem Augenblick rührte sich der vermeintliche Tote, kroch unter der
+Leiter hervor und hinkte mühsam und halblaut fluchend von dannen.
+
+Nun verließ auch der Max das Zimmer und ich legte mich wieder hin; doch
+ich konnte nicht mehr einschlafen und nahm mir vor, das Haus zu
+verlassen. Ich sagte das am Morgen auch der Frau; doch die lachte mich
+aus und meinte: »Ja, warum net gar! Davonlaufn möcht s' jatz, anstatt
+daß s' an Stolz hätt, wenn si d'Burschn so um sie reißn! Recht zum Narrn
+haltn tuast's!«
+
+Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich auch wirklich für diesen
+vernünftigen Ausweg. Ich ließ mir eifrig den Hof machen und hatte die
+größte Freude, wenn sich manches Mal der eine oder andere von einem
+Rivalen zurückgedrängt glaubte und ihm mit der Faust zu beweisen suchte,
+daß er der Bevorzugte sei.
+
+Der Umstand, daß ich mich in diesem ständigen Kreuzfeuer so tapfer
+bewährte, ließ mich nicht nur in den Augen meiner Herrschaft groß
+dastehen, sondern auch in der Gunst unserer Stammgäste, zu denen auch
+der Benefiziat des Dorfes zählte, höher und höher steigen, und es
+geschah des öfteren, daß der hochwürdige Herr mich beiseite nahm und mir
+versicherte, ich sei das tapferste Mädel, das ihm vorgekommen; und als
+ich ihm einmal sein Bier auf den Tisch stellte, rief er: »Na, wie
+geht's, Sie steinerne Jungfrau? Hat sich gestern keiner von Ihren
+Verehrern erschossen?« worauf ich lachend erwiderte: »Naa, Herr
+Hochwürden, aber datränkt hat si scho hi und da oana z'wegn meiner!«
+
+»Was!« schrie er da voll Schreck und hatte seine liebe Not, den Trunk,
+den er eben gemacht und der ihm vor Schreck in die unrechte Kehle
+geraten war, wieder heraufzubringen. »Was, ertränkt?!«
+
+»Ja, aber net im Wasser!« beruhigte ich ihn und klopfte ihm tüchtig auf
+den Rücken, bis er nach heftigem Husten wieder zur Ruhe kam.
+
+ * * * * *
+
+Als ich etwa zwei Monate im Hause war, erschien eines Nachmittags ganz
+unverhofft meine Mutter und wollte wissen, wie ich mich führe.
+
+Meine Frau war noch in der Küche, als die Mutter mit den Worten vor sie
+trat: »'n Tag! I bin d'Mutter von dera da!« Dabei wies sie mit der Hand
+auf mich und fuhr fort: »I möcht anfragn, wie sie si aufführt und was s'
+Lohn hat!«
+
+Meine Frau entgegnete kurz: »So, Sie sind d'Mutter! D'Leni is recht
+ordentlich und fleißig und i hab nie a Klag. Was 'n Lohn betrifft, so
+hat s' halt zwanzg Mark und ihre Trinkgelder. Dös geht mi übrigens nix
+o, wie viel dös ausmacht.«
+
+Da fing meine Mutter an, sich bitter über mich zu beklagen, und erzählte
+ihr die Geschichte von meinem Selbstmordversuch und auch, daß ich einmal
+zehn Mark aus der Schenkkasse gestohlen hätte, die sie nun holen wolle.
+Doch meine Frau fiel ihr unwirsch ins Wort: »Was Sie mit Eahnera Tochter
+dahoam g'habt habn, geht mi nix an. Bei mir is sie rechtschaffen und
+ehrli, und konn i ihr net 's geringste nachredn!«
+
+Da kehrte sich die Mutter heftig um und eilte hinaus, die Tür krachend
+hinter sich zuwerfend. Ich aber nahm ein Zehnmarkstück und legte es ihr
+im Garten auf den Tisch, wo sie vorher gesessen war und gab es ihr mit
+den Worten: »Da san die zehn Mark. Wenn S' no was guat habn, na sagn S'
+mir's, daß i's Eahna gib!«
+
+»Oho! Schneibt's leicht dir d'Goldstückl, daß d'so rumschmeißt damit?«
+rief sie nun halb erstaunt, halb spöttisch. »I hätt di gern wieder
+dahoam g'habt; aber wenn's dir so guat geht da, na wirst z'erscht net
+nauf wolln zu uns!«
+
+»O naa! I wär viel liaber dahoam,« erwiderte ich und das Weinen stand
+mir nahe. »Sagn 's ja alle Leut, daß 's a Schand is, wenn a so a reiche
+Bürgersfamilie ihr Tochter zum Deana laßt! I woaß's bloß net, ob mi mei
+Frau fortließ.«
+
+»Sonst nix mehr!« erscholl da neben uns die erzürnte Stimme meiner Frau,
+die ganz unbemerkt aus der Schenke in den Garten getreten war: »Lenerl,
+Sie bleibn mir da! Jatz hätt ma amal oane, die was taugn tät, jatz
+laufat s' mir nix, dir nix davo! No amal sag i's, Sie bleibn da!«
+
+Da sah die Mutter wohl, daß ich hier anerkannt und gut gehalten war und
+sagte, indem sie sich zum Gehen schickte: »Wannst hoam willst, kannst
+jederzeit kommen; hoffentli bist dahoam aa, wie si's g'hört!«
+
+Ich sagte es ihr zu und begleitete sie noch bis an die kleine Brücke,
+die über den Kanal führt. Da faßte sie ganz plötzlich meine Hand, besah
+meine vernarbten Schnittwunden am Arm und sagte halblaut: »So dumm
+z'sei! Wia leicht kunntst tot sei und i hätt d'Verantwortung!«
+
+Ich entzog ihr rasch die Hand und rief, mit Gewalt die Tränen
+zurückhaltend: »Adje, Mutter, i muaß in d'Schenk; grüaßn S' mir'n Vater!
+Vielleicht komm i bald!«
+
+Seit diesem Vorfall gefiel es mir gar nicht mehr recht im Dienst, und
+obwohl ich mir in der kurzen Zeit schon ein neues Kleid, manch schönes
+Stück Wäsche und noch über hundert Mark bares Geld verdient hatte, sagte
+ich doch am ersten des folgenden Monats zu meiner Herrschaft: »I möcht
+wieder hoam. Mi leid's nimmer da, wenn i woaß, daß mi d'Muatter braucht;
+und auf Weihnachten wär i halt do liaba bei meine Leut dahoam als wia r
+in der Fremd!«
+
+Ganz traurig meinte die Frau: »Gehn S' jetzt wirkli! I konn's ja gern
+glaubn, daß si's Herz wieder zu der Mutter z'ruck verlangt, aber wenn ma
+solche Aussichten hat, wie Sie, da wär's wohl besser, ma höret mehr
+auf'n Verstand als aufs Herz.«
+
+Doch als ich meine Bitte wiederholte, ließ sie mich gehen: »In Gott's
+Nam, muaß i mir halt wieder um jemand schaun!«
+
+ * * * * *
+
+Also verließ ich Mitte Dezember meinen Dienst, begleitet von den
+Segenswünschen der ganzen Familie, die mich vor meinem Scheiden noch
+reichlich beschenkt hatte. Ich konnte mich der Tränen nicht erwehren,
+als ich einem nach dem andern die Hand gab, und es waren nicht die
+angenehmsten Empfindungen, mit denen ich mich auf den Heimweg machte.
+
+Als ich etwa eine halbe Stunde Wegs zurückgelegt hatte, kam ein Fiaker
+hinter mir her. Ich rief ihn an, ob er mich fahren wolle, und als er
+dies bejahte, stieg ich ein und fuhr nach Hause.
+
+Daheim rannte alles ans Fenster, als ich so nobel angefahren kam, und
+der Vater meinte, als ich ihn begrüßte: »Du kommst ja daher wie a
+Prinzessin; ma kennt di kaam mehr!«
+
+Als ich aber mein Erspartes und die geschafften Sachen alle sehen ließ,
+verstummte er völlig und auch die Mutter war starr vor Staunen. Ich
+sagte, indem ich das Geld wieder verwahrte: »Dös Geld trag i auf
+d'Sparkass' und mei Wasch heb i mir auf, bis i heirat. Wer woaß, ob i
+mir net no was dazu verdean!«
+
+Die Mutter verstand wohl, wie ich das meinte; denn sie sagte sofort:
+»Oho! Möchst net scho wieder davolaufa, kaum'st komma bist! Zum Aushaltn
+werd's scho sei dahoam; i leg dir nix mehr in Weg!«
+
+Auch der Vater versprach mir, daß man mich gut halten wolle, und ich
+dankte ihm von Herzen. Vergessen war jetzt für mich alles, was einmal
+geschehen, und ich freute mich wieder des Elternhauses und ging munter
+an die Arbeit. Ich war jetzt auch wohl gelitten im Hause und niemand gab
+mir ein unrechtes Wort; ich wirtschaftete wieder wie vorher und gab
+selber auch keinen Anlaß zum Tadel.
+
+So verging der Winter, und mit dem Eintritt des Frühjahrs standen in der
+Nachbarschaft zwei Neubauten unter Dach, was für die Bauleute die
+Veranlassung zu einer großen Feier war, die, ein altes Herkommen, als
+Hebebaum- oder Hebeweinfeier bekannt ist und wobei oben am First des
+Neubaues ein mit bunten Bändern gezierter Tannenbaum aufgepflanzt wird.
+Alle am Bau Beschäftigten begeben sich auf den Dachstuhl und einer unter
+ihnen hält nun eine feierliche Ansprache, in der er dem Bauherrn, dem
+Eigentümer und dem Palier für den Verdienst dankt und sie alle einzeln
+mit einem dreifachen Hoch ehrt. Inzwischen hat der Wirt ein Faß Bier und
+Krüge hinaufschaffen lassen, und nun nimmt ein jeder seinen gefüllten
+Krug und stimmt laut in das Hoch des Redners ein; denn der Brauch will,
+daß man die Bauherren durch den Trunk ehre.
+
+In der Wirtschaft wird mittlerweile groß aufgekocht; denn der Eigentümer
+hat zwei Schweine und ein Kalb für die Bauleute gestiftet, während in
+der Schenke fünf Hektoliter Bier, ein Geschenk des Bauherrn, bereit
+stehen. Dazu gibt der Wirt noch etliche hundert fette Maurerloabi, ein
+grobes, sehr würziges Brot, sowie für jeden der Bauleute zehn Zigarren.
+
+Bald füllt sich das Lokal und nicht lange währt es, so geht es an ein
+Essen und Trinken, an ein Singen und Scherzen, daß man sich in eine
+Bierbude des Oktoberfestes versetzt glaubt.
+
+So war's auch diesmal wieder. Ein jeder wollte das meiste tun im
+Trinken, Essen und im Lärmen; denn ein jeder trug das stolze Bewußtsein
+in sich und mancher trug es auch offen zur Schau: Auch ich hab mein
+redlich Teil dabei getan!
+
+Später freilich, als ihnen das Bier schon ziemlich zu Kopf gestiegen
+war, schwand dies Selbstbewußtsein erheblich, und nun waren es die
+Mörtelweiber und Bierträgerinnen, die das große Wort führten. Eine jede
+hatte, obwohl selber längst verheiratet, einen Auserwählten unter den
+Bauleuten, unbekümmert, ob der Erkorene Weib und Kind daheim hatte, oder
+nicht.
+
+Heute nun hatte ein jeder Eheherr auch seine Frau mitgebracht und teilte
+mit fröhlichem Sinn das, was die Arbeitgeber gespendet. Auch die Gattin
+des obersten Paliers, Simon Scheibenzuber, war anwesend. Da erhob sich
+ein, obschon nicht mehr junges, doch noch ziemlich mannliches
+Mörtelweib, stieg allen Bemühungen ihrer Genossinnen zum Trotz auf den
+Tisch und schrie: »Ich bin die Keenigin von Jerusalem und der
+Scheibnzuber Simmerl is mei Mo!«
+
+Da sprang die tiefgekränkte Gattin des Paliers vom Stuhl auf, gab ihrem
+ganz verblüfften Manne eine schallende Ohrfeige und stürzte sich nun wie
+eine Furie auf die Verwegene. Die aber war so voll des süßen Getränks,
+daß sie nur noch gurgelnd herausbrachte: »Was tatst denn wollen, du
+gscherte Mollen!« dann aber auf ihren Sitz zurücksank.
+
+Dies hatte aber die Wut der Paliersgattin aufs höchste gesteigert: »Was,
+i a gscherte Molln!« schrie sie mit überschnappender Stimme: »Dös konnst
+ma büaßn, du Gwaff, du zahnluckerts!« Und im Nu hatte sie die betrunkene
+Rivalin bei den Haaren gefaßt und schlug mit der andern Hand wütend auf
+sie ein, bis sie von der Übermacht der Maurerweiber zurückgedrängt
+wurde. Die also gedemütigte Königin aber wankte aus der Stube in den
+Hof, wo sie unter Zuhilfenahme einer großen Schale schwarzen Kaffees
+sich all ihres Zornes und wohl auch ihrer Liebe entledigte; denn sie
+erschien danach wieder munter im Lokal und rief: »So, jatz san ma
+g'sund! Jatz trink ma aufn Bauherrn a Maßl!«
+
+Mein Vater war bei dem Vorgang wieder ganz bleich geworden und fürchtete
+eine Rauferei; doch zur Ehre dieser einfachen Leute sei's gesagt, daß es
+zu nichts kam. Sie blieben sitzen bis zum Morgengrauen und gaben noch
+allerhand lustige Stücklein zum besten.
+
+Fröhlich ging ein jeder heim oder ließ sich von der getreuen Hausfrau
+führen; alle hatten den Verspruch des Bauherrn, daß sie in etlichen
+Tagen wieder Arbeit bekämen. Doch dieser Neubau war in einer andern
+Stadtgegend, so daß unser Lokal etwas stiller ward wie bisher, obgleich
+noch die am dritten Bau Beschäftigten, sowie alle übrigen Arbeiter und
+Gäste dasselbe täglich füllten.
+
+
+
+
+
+
+Inzwischen war ich eine ganz stattliche Dirn geworden und betrachtete
+gar manches Mal mein Spiegelbild mit Befriedigung und geheimem
+Wohlgefallen. Meine Mutter hatte mir für den Sommer eigene
+Wirtschaftskleider aus feinem, blauen Mousseline anfertigen lassen, und
+da ich selbst viel auf einen guten Anzug hielt, hatte ich bei der
+Schneiderin Matrosenform mit weißen Batistkrägen und kurzen Ärmeln
+bestellt. Dazu trug ich weiße Spitzenschürzen, darüber eine weite
+Leinenschürze zur Küchenarbeit und um den Hals eine Kette aus Korallen.
+Mein reiches, blondes Haar hatte ich zierlich geflochten und als Krone
+aufgesteckt; in die Stirn hingen ein paar natürlich aussehende, wirre
+Löckchen, die ich jedoch jeden Abend mittels einer Haarnadel kunstvoll
+wickelte. Außerdem trug ich nur Lackschuhe; denn mein Stiefvater
+besorgte mir deren alle Vierteljahr ein Paar bei einem alten
+Schuhmacher, dem Revolutionsschuster, so genannt, weil er als
+übereifriger Anhänger des Anarchismus alle Tage aufs neue für die
+allernächste Zeit den Ausbruch der grimmigen Revolution und eines
+Bürgerkrieges prophezeite, so daß ich glaube, der Vater kaufte die
+vielen Schuhe nur, um zu verhindern, daß die Revolution in seinem Lokale
+ausbräche.
+
+Doch hätte mein Vater dies nicht so zu befürchten gehabt wie den
+Ausbruch eines Freierkrieges; denn meine muntere, geschäftige Natur in
+Verbindung mit der lockenden Aussicht auf eine ansehnliche Mitgift hatte
+nicht nur die Herzen etlicher junger Bürgerssöhne betört, sondern auch
+bei ein paar betagteren Leuten einiges Unheil angerichtet.
+
+Da war erstlich ein etwa fünfundzwanzigjähriger, bildsauberer Drechsler
+aus Traunstein, der Ehrenthaler Franzl; der hätte sich gern eine recht
+liebe, häusliche Meisterin in mir geholt, da er einmal seines Vaters
+Geschäft übernehmen sollte. Er gefiel mir, und ich hätte ihm wohl gut
+sein können; doch war er noch nichts, hatte auch nichts und war nicht
+recht gesund, weshalb ich ihm eine Bürgerstochter aus der Nachbarschaft
+empfahl. Dann war ein alter Briefträger, der Barmbichler Xaver, dem das
+Stiegensteigen nicht mehr recht gefiel und den auch das Zipperlein schon
+in allen Gliedern zwickte; der wollte sich jetzt pensionieren lassen und
+dann mit mir und meinem Heiratsgut ein beschauliches Leben führen, auf
+das ich aber verzichtete und mir einen andern Bewerber, den etwa
+vierundzwanzigjährigen Bräumeisterssohn Aloys Kapfer etwas genauer
+ansah. Da fand ich, daß er trank, viel trank, auch hoch spielte und
+keine Nacht vor zwei Uhr nach Hause ging; und obschon mir sein
+zierliches Ponyfuhrwerk, mit dem er oft bei uns vorfuhr, sowie die
+dreihundert braunen Scheine, die er mir als Brautgabe zugedacht hatte,
+sehr wohl gefielen, dachte ich doch, daß schon gar mancher sein Hab und
+Gut vertrunken und verspielt hätte und gab ihm einen Korb und meinte, es
+sei besser, mich um einen einfachen Handwerksmeister umzuschauen. Der
+war auch da in Gestalt eines dreißigjährigen Schlossermeisters aus
+meinem Heimatdorf; es war der Schwaiger Lenz, ein Vetter vom
+Schlosserflorian. Er hatte vor einem Vierteljahr seine Frau verloren und
+wollte mich als sein riegelsames Weib und als liebe Mutter für seine
+verwaisten drei Kinder heimholen. Da ich mich jedoch wegen der drei
+Kinder lange nicht entschließen konnte und immer wieder um Bedenkzeit
+bat, holte er sich endlich eine Fabrikantenstochter, die ihm schon lange
+zugeblinzelt hatte. Nun trat dessen Nachbar, der Schneidermeisterssohn
+Kaspar Zintl, mehr ins Licht und meinte, er wolle mit mir nach Paris und
+London reisen, wenn ich seine Frau würde und wolle mir die ganze weite
+Welt zeigen. Ich dachte aber, wir würden nicht weit kommen mit dem
+Gelde, das er besaß, und überlegte, ob ich ihm das meine noch dazugeben
+solle. Konnte mich aber nicht dazu entschließen und bedachte lieber den
+Antrag des Prucker Toni, eines stattlichen Hausbesitzerssohnes aus der
+Nachbarschaft, der es trotz seiner jungen Jahre schon bis zum
+Eisenbahnexpeditor gebracht hatte. Da er aber ebenso grob als energisch
+war und nicht einmal seine Eltern achtete, fürchtete ich, nichts zu
+gewinnen, wenn ich das Haus meiner Mutter mit dem seinen vertauschte. Da
+gefiel mir der sanfte und allzeit zuvorkommende dreißigjährige
+Hausbesitzer Hans Wipplinger, der sich leidenschaftlich um meine Hand
+bewarb, schon besser. Böse Nachbarn aber wußten zu berichten, daß er in
+großen Geldnöten sei und mit meinem Heiratsgut wohl die dritte Hypothek
+seines Anwesens heimzahlen wolle.
+
+Als der bereits sechzigjährige Realitätenbesitzer und Tändler Simon
+Lampl hörte, daß ich diesen Antrag ausgeschlagen hatte, erschien er
+eines Tages in einem altmodischen, grünschillernden Gehrock und
+Zylinderhut, um den Hals eine riesige, ehedem weiße Binde und im
+Knopfloch die Ehrenzeichen des Feldzuges von 1870 und hielt feierlich um
+meine Hand an, indem er mir seine sämtlichen Besitztümer: vier
+vierstöckige Häuser mit Rückgebäuden und gut vermieteten Läden, zwei
+Bauplätze bei Planegg, die gutgehende Tändlerei, die seit
+siebenunddreißig Jahren bestehe und jährlich ihre zwei bis dreitausend
+Mark abwerfe, sowie hundertvierzigtausend Mark bares Geld, dessen Zins
+er verzehren dürfe, aufzählte und mir die denkbar beste Behandlung
+zusicherte. Doch lehnte ich seine Werbung höflich, aber entschieden ab,
+da er mir einerseits doch nicht mehr jung genug schien, anderseits aber
+trotz seines Reichtums als ein großer Geizhals verrufen war.
+
+Aufgemuntert durch meine abschlägige Antwort auf den Antrag dieses Alten
+wagte noch am selben Abend der blutjunge Hafnermeister Edmund Sack, dem
+kurz nacheinander Vater und Mutter gestorben waren, mir in einem
+anschaulichen Brief Herz und Hand anzubieten; doch kannte ich ihn viel
+zu wenig, um ihm meine Zukunft anzuvertrauen, und dann hatte ich eine
+ausgesprochene Abneigung gegen diese Loahmpatzer, die Ofensetzer. Da war
+das edle Handwerk der Bäcker doch appetitlicher, und ich hörte ganz
+erbaut auf die salbungsvollen Worte des achtundfünfzigjährigen
+Feinbäckers und Melbers Kanisius Dumler, mit denen er mich zur Herrin
+über sein Haus und seine Guglhopfe und Zuckerbretzln erkiesen wollte. Er
+war schon seit zehn Jahren Witwer und bekleidete die ehrenvollen Posten
+eines Armenrates, Kirchenbaurates, Distriktsvorstehers und
+Rechnungsführers bei einem Kriegerverein. Auch war er einer von den
+Auserwählten unseres Pfarrers und durfte bei allen Prozessionen den
+Himmel tragen. Sein kleines Haus war schuldenfrei, und das gute
+Geschäft, dem jetzt seine Schwester vorstand, sicherte ihm ein
+behagliches Leben. Doch besaß er einen schon zwanzigjährigen Sohn, der
+eben seine Militärzeit als Freiwilliger abdiente. Dieser Sohn aber, der
+Ferdl, ein fescher Bursch und großer Tunichtgut, war nun die Ursache,
+daß ich dem Alten meine Hand versagte; denn ich sah den Jungen nicht
+ungern. Von seiner Ausgelassenheit und den übermütigen Streichen, die
+man ihm nachsagte, konnte ich nichts bemerken; vielmehr war er immer der
+bescheidenste unter meinen Freiern geblieben. Stundenlang saß er da und
+starrte mich wortlos und wie in Verzückung an, trank dabei seine zwölf
+bis fünfzehn Glas Bier und schien außer mir nichts mehr zu hören und zu
+sehen. Ja, er übersah und überhörte regelmäßig die Stunde, da er in der
+Kaserne hätte eintreffen sollen; und so kam es, daß er eine Arreststrafe
+um die andere meinethalben abzubüßen hatte. Schließlich bekam er eine
+ganze Woche Mittelarrest zudiktiert, und während er in der Kaserne
+brummte, fuhr eines Abends, da ich eben in der Schenke beschäftigt war,
+vor unserm Hause ein Wagen vor, dem ein sehr sorgfältig gekleideter
+junger Mann, mit einem großen Strauß Veilchen in der Hand, entstieg. Er
+trat in die Wirtsküche, und ehe ich mich noch von meinem Erstaunen
+erholt hatte, hörte ich schon die Mutter in die Gaststube rufen: »Josef,
+geh, komm a bißl raus!« worauf die drei eifrig miteinander verhandelten.
+
+Nach einer Weile kam der Vater zu mir in die Schenke und sagte unter
+öfterem Räuspern: »Was i sagn will, Leni, der Hasler Benno is draußn und
+hat g'sagt, daß er di heiratn möcht; du sollst dein Ausspruch toa, wiast
+g'sonna bist. Jatz, vo mir aus ko'st es macha wiast magst; i red dir nix
+ei und rat dir net ab!«
+
+Ich zählte noch die eben begonnene Rolle Geldes fertig, rechnete mit der
+Kellnerin ab und schenkte noch etliche Glas Bier ein, mich sorglich
+zusammennehmend, daß die Hand nicht zittere oder sonst eine Bewegung
+über mich Herr würde. Dann ging ich, ohne dem Vater zu antworten, in die
+Küche, wo der stattliche Bewerber sich sehr lebhaft mit der Mutter
+unterhielt. Als er mich sah, sprang er von seinem Sitz, einem rohen,
+blankgescheuerten Holzstuhl, auf, reichte mir die Hand und begann:
+»Liabs Fräuln Leni, ich hab Sie lang beobacht und hab g'funden, daß bloß
+Sie mi glücklich machen können. Wenn's Ihnen also recht ist, heiraten
+wir; Ihre Eltern haben mich nicht abgewiesen.«
+
+Da ich nichts darauf erwiderte, fuhr er fort, indem er mir den Strauß
+gab: »Ich mein's ehrlich mit Ihnen, Fräuln Leni; ich hab's nicht nötig,
+nach Geld zu schauen, ich heirat aus Liebe. Nehmen S' halt meine Lieb
+auch freundlich an, wie die Blümerl und sagen S' ja!«
+
+Bei diesen letzten Worten hatte er mich wieder an der Hand gefaßt und
+sah mich bittend an; dennoch antwortete ich zögernd und leise nur: »I
+will ma's überlegn; dös ko ma net so auf'n Augenblick sagn, ob ma oan
+gern habn ko oder net!«
+
+»Ja, bedenken Sie's noch, liebs Lenerl; Sie brauchn's nicht zu bereuen!
+Ich bin der einzige Sohn, erb einmal das Haus mitsamt dem ganzen
+Holzg'schäft und vorläufig hab ich mein gutes Einkommen als Prokurist
+des alten, feinen Hauses Protus Stuhlberger. Wenn Sie sich b'sonnen
+haben und einschlagen wollen in mei Hand, so können wir bald Hochzeit
+machen!«
+
+Meine Mutter hatte schon während der Rede des Freiers wiederholt das
+Taschentuch an die Augen gedrückt und sich umständlich geschneuzt; jetzt
+aber zog sie mich laut aufschluchzend an ihre Brust und rief aus: »So a
+Glück, ha, so a Glück! I gunn dir's von Herzn Deandl; bist ja so a
+richtigs und ordentlichs Madl und konnst'n glückli macha, den liabn
+Herrn Hasler!«
+
+Dann schob sie mich von sich und drückte mich ganz fest an die Schulter
+des freudig Überraschten, der sofort die Arme ausbreitete und mich
+zärtlich umfing. Dann bedankte er sich noch mit wohlgesetzten Worten bei
+der Mutter und trat danach in die Gaststube, die Verlobung bei einer
+Flasche Wein zu feiern.
+
+Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Küchentür angesammelt, die
+sich nach vorhandenen Abendspeisen erkundigen wollten, in der Erregung
+des bedeutungsvollen Augenblicks aber ganz übersehen worden waren. Diese
+Menschen waren die ersten, die mein bevorstehendes Glück inne wurden.
+
+»Was ma no z'essen ham, Frau Kugler? -- naa, so a Glück hat dös Madl! --
+ja so, a Schnitzl, a Kottlett, a bachens Hirn, -- und nach Liab kon er
+heiratn; Geld hat er selber gnua! -- a guats Kalbszüngerl hab i aa no,
+Frau Kugler!« so ging der Redestrom über die Lippen meiner hocherfreuten
+Mutter.
+
+Ich aber tat meine Arbeit wie zuvor und dachte bloß, ob ich wohl ein
+seidenes Brautkleid kriegen würde.
+
+Als dann in der Küche nichts mehr zu tun war, durfte ich mich auch an
+den Tisch zu meinem Hochzeiter setzen, und nun sprachen wir ausführlich
+über die Bekanntgabe der Verlobung, über meine Aussteuer und über die
+Zeit, wann wir heiraten wollten. Ich sagte zu allem ja, und auch meinem
+Vater gefielen die Vorschläge seines zukünftigen Schwiegersohnes ganz
+wohl. Nur als dieser wissen wollte, wie hoch die Brautgabe für mich
+ausfallen würde, da räusperte er sich wieder verlegen und meinte dann:
+»Da muaß d'Muatter aa dabei sei, wenn ma d'Geldangelegenheit bereden,«
+und er ging hinaus in die Küche. Doch die Mutter war schon zu Bett
+gegangen und hatte nur durch die Küchenmagd sagen lassen, sie hätte
+Kopfweh. Also blieb die Geldfrage noch unbeantwortet.
+
+Wir saßen noch bis ein Uhr beisammen, und als mich jetzt der Benno ganz
+leise an der Hand faßte und mich mit seinen von Wein und Liebe
+glänzenden Augen selig anblickte und nochmals fragte: »Kannst mi a ganz
+kloans Bröckerl gern haben, Lenerl?« kam er mir auf einmal recht schön
+und liebenswert vor und alle meine Bedenken schwanden, und ich sagte
+lachend, nachdem ich rasch ein Glas Wein hinuntergestürzt hatte: »Ja,
+ja! I wer dei Frau und mag di!« und besiegelte das Versprechen später
+noch unter der Haustür, da ich ihn hinausgeleitete, mit einem laut
+schallenden Kuß, worüber der Benno so beglückt war, daß er beim
+Fortgehen noch ganz verklärt hinter sich sah und auf den Randstein nicht
+achtete, so daß er auf ein Haar zu Fall gekommen wäre. Ich aber schlug
+rasch die Türe zu und mußte beim Zusperren laut auflachen über dies
+Mißgeschick.
+
+Doch dachte ich in der Nacht nicht weiter mehr über das Erlebte nach,
+sondern schlief ganz ruhig; und als am andern Tag durch einige
+Ratschkathln die Sache in allen Milch- und Kramerläden herumgetragen
+worden war und nun eine nach der andern kam, mir zu gratulieren, da
+erschien mir diese Wichtigkeit so lächerlich, daß ich am End ganz wild
+wurde und keiner mehr eine Antwort gab.
+
+Am Vormittag nun kam der Dumler Ferdl. Er hatte für seinen Hauptmann
+etwas besorgen müssen und wollte mir nun rasch einen Gruß bringen; denn
+ihm waren die acht Tage Arrest gar lang geworden.
+
+Mit langen Schritten trat er in die Gaststube, und da er mich nicht sah,
+stürmte er in die Küche und rief: »Guat Morgn, Zirngibimuatterl! Wo is's
+Lenerl?«
+
+Ich stand wie angenagelt in dem kleinen, dunklen Speiskammerl und gab
+keinen Laut von mir, so erschrak ich. Die Mutter aber begann mit großem
+Pathos und feierlicher Miene, den Münchner Dialekt mühsam zu einem
+zierlichen Schriftdeutsch drechselnd: »Ja, was, der Herr Ferdl! Mei Leni
+möchtn S'? ... Is s' net da, mei Leni? ... Setzn S' Eahna doch a
+wengerl, Herr Ferdl! I muaß Eahna nämlich leider die freudige Mitteilung
+machen, Herr Ferdl, daß sich mei Leni gestern mit'n Herrn Hasler Benno
+verlobt hat!« Und in überschwenglichem Ton fuhr sie fort: »Ja, ja, a
+bravs, rechtschaffens Bürgersmadl sucht a jeder! Aber es is ihr zum
+gunna! Geltn's, Herr Ferdl, Sie gunna's ihr aa!«
+
+Aber der Herr Ferdl hörte schon längst nicht mehr. Er war bei der
+Mitteilung, daß ich mich verlobt habe, aufgesprungen, hatte im
+Gastzimmer hastig sein Glas Bier auf einen Zug geleert, der Kellnerin
+ein Zwanzgerl hingeworfen und war auf und davon gegangen.
+
+Ganz baff sah ihm die Mutter nach und begriff lange nicht, warum er so
+rasch fortgelaufen war. Nun trat ich aus der Speis; da rief mir die
+Mutter zu: »Da bist ja! Warum gehst denn net zuawa? Jatz is er davo,
+weilst net komma bist!«
+
+»Naa, naa, Muatta! Deswegn is er net fort,« rief ich nun eilig; »dem
+hockt er halt, weil er mi net kriagt hat; er hätt mi ja gern g'heirat!«
+
+»Der Rotzlöffi! Is kaam trucka hinter die Ohrn!« antwortete die Mutter
+und ging in die Gaststube, kam aber sogleich wieder zurück und hielt
+einen Brief in der Hand: »Da schau her; der Hasler ladt uns ei für heut
+auf d'Nacht in Löwenbräukeller. Der Peuppus halt sein Abschied. Vo mir
+aus konnst scho hingeh; i geh net mit.«
+
+Damit gab sie mir den Brief, den ich hocherfreut durchlas und dann die
+Mutter lange bat, sie solle doch mitgehn. Endlich sagte sie zu.
+
+Nun mußte ich der Küchenmagd noch alles zeigen und ihr für den Abend die
+nötigen Weisungen geben. Ich tat dies am Nachmittag und versicherte mich
+ihrer Gewissenhaftigkeit durch ein gutes, heimliches Trinkgeld.
+
+Also machten wir uns gegen Abend für das Konzert und den Hochzeiter
+zurecht. Die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihr Schwarzseidenes aus
+dem unergründlichen Eichenschrank zu holen und goß eine Menge Patschouli
+hinein, um den aufdringlichen Kampfergeruch ein wenig zu übertäuben.
+Dazu legte sie schwere goldene Armspangen und eine Menge Ringe an, tat
+eine massive Goldkette um den Hals und steckte die feine Uhr mit der
+altmodischen Kette zwischen die funkelnden Glasknöpflein der nach Art
+der Schneiderkleider ganz glatt gearbeiteten Taille. Danach setzte sie
+ein kleines, mit einem reichen Stutzreiher versehenes Kapothütchen auf,
+nahm den kostbaren Spitzenschal aus der Kommode und legte ihn um die
+Schulter.
+
+Also geschmückt trat sie nochmals vor den alten, vergoldeten Spiegel des
+Schlafzimmers und besah sich. Da erblickte sie durch denselben mich in
+meinem einfachen, blauen Tuchkleid und rief: »A so willst vor dein
+Hochzeiter hinsteh? Was fallt dir denn ei! Daß er moana kannt, mir warn
+Bettlleut!«
+
+Und eilig öffnete sie ihre Schmuckschatulle und behing mich mit einer
+köstlichen Halskette aus Granaten und Perlen, tat mir statt meiner
+kleinen Korallen schwere Perlgehänge in die Ohren und legte mir ein
+breites, protziges Armband an. Dann nahm sie einen alten Siegelring aus
+einem vergilbten Plüschkästlein, steckte ihn an und gab mir dafür ein
+mit Türkisen und Perlen besetztes Ringlein, das ihr mein seliger Vater
+einst geschenkt hatte.
+
+»Den kannst glei b'haltn,« meinte sie, »an dem liegt mir nix.«
+
+Ich sagte ihr vielen Dank für das Geschenk; denn es war das Einzige, was
+von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war. Ich hielt
+das Ringlein hoch in Ehren und habe es nachmals, als das Schicksal mir
+in meiner Ehe mein ganzes Hab und Gut nahm, unserer lieben Frau im
+Herzogspital auf den Altar gelegt; denn ich hätte es nicht über mich
+gebracht, es gleich den andern Kostbarkeiten dahingehen zu lassen.
+
+In diesem reichen Aufputz begaben wir uns alsdann nach der Küche, wo der
+sehr gewählt gekleidete Freier schon mit einem prächtigen Strauß roter
+Rosen uns erwartete.
+
+Als wir eintraten, sprang er von seinem Sitz auf und küßte der Mutter
+erst galant die Hand; dann gab er ihr die Blumen mit einer tiefen
+Verbeugung: »Nehmen S' die Rosen als Dank, daß Sie mir heut die Ehr
+geben, mitzukommen, werte Frau Mutter!« Hierauf begrüßte er mich mit
+einem flüchtigen Kuß ans Ohr, worüber ich mich höchlich verwunderte, da
+ich dergleichen weder in Geschichten gelesen, noch je selbst erlebt
+hatte. Dann zog er ein weißseidenes Schächtelchen aus der Westentasche
+und übergab es mir mit den Worten: »Heut feiern wir Verlobung, und da
+g'hört sich's, daß ich der Braut was schenk.«
+
+Erwartungsvoll öffnete ich das zierliche Kästlein; da blitzte mir ein
+herrlicher Brillantring entgegen. Da ich dergleichen auch noch nicht
+erlebt hatte, besann ich mich, was ich nun tun oder sagen sollte. Zum
+Glück fiel mir die Stelle eines Romans ein, an der so etwas vorkam, und
+ich machte es wie die Heldin des Buches: ich errötete, sah verwirrt zu
+Boden und flüsterte verliebt: »Ah, wie herzig!« doch in meine
+gewöhnliche, natürliche Art verfallend fuhr ich fort: »Woaßt, Benno, so
+viel Geld hättst aber net ausgebn solln. Da werd si d'Muatta schö
+o'strenga müassn, daß s' dir dös wieder ersetzt!«
+
+Aber da kam ich schön an bei der Mutter.
+
+»Dös war no dös besser!« rief sie mit funkelnden Augen. »Moanst, i hab
+net scho lang g'sorgt, daß d'dein Breitigam a anständigs G'schenk gebn
+konnst! Hier, Herr Hasler, is Eahna Verlobungsring; i hoff, daß i net
+schlecht ei'kaaft hab beim Thomaß!«
+
+Und damit zog sie aus der Rocktasche ein rotes Plüschetui und entnahm
+demselben einen recht ansehnlichen Solitär; den gab sie mir, indem sie
+mit vor Rührung bebender Stimme sagte: »Da, Leni, steck'n dein Herrn
+Breitigam o; hoffentli paßt er eahm!«
+
+Obgleich mir diese ganze Szene wie eine Komödie vorkam, tat ich doch der
+Mutter ihren Willen und steckte meinem Verlobten den protzenhaften Ring
+an den kleinen Finger, an den er gerade paßte. Dann tat ich auch meinen
+Brautring aus dem Schächtelchen und schmückte damit meine rechte Hand.
+
+Nachdem wir noch rasch einige Worte mit dem Vater gewechselt hatten,
+gingen wir. Doch an der nächsten Hausecke stand schon ein Wagen bereit,
+und der Benno hieß uns einsteigen, worauf wir nach den festlich
+geschmückten Räumen des Löwenbräukellers fuhren.
+
+Während des von einer schier zahllosen Menge besuchten Konzerts kam ich
+nur wenig dazu, mich mit meinem Verlobten zu unterhalten; denn meine
+Mutter schwatzte ihm so viel vor von meinen allseitigen Vorzügen und
+guten Eigenschaften, daß er vor Freude über meine Tugenden ganz auf mich
+selber vergaß. Ich saß einsam auf meinem Platz an der Wand und
+betrachtete abwechselnd mein Brautringlein und das meines Vaters, oder
+ich ließ die Augen über die lärmende Menge gleiten und besah mir die
+vielen verliebten Mägdlein und ihre Herren, meist Unteroffiziere und
+Soldaten in den verschiedensten Uniformen, bis mich endlich die Mutter
+mit den Worten: »So, Leni, jetzt gehn ma!« aus meinen Träumen
+aufschreckte.
+
+Wieder nahm der Benno eine Droschke, und in rasselnder Fahrt ging's nach
+Hause.
+
+Daheim mußten wir uns noch zu ihm an den Tisch setzen, und bald klangen
+die Champagnergläser und ertönte das glockenhelle Lachen der Mutter. Der
+Vater war an diesem Abend auch sehr aufgeräumt und gab alle möglichen
+Schnurren zum besten, wobei der vor Glück strahlende Hochzeiter ihn
+eifrig unterstützte und an lustigen Einfällen fast übertraf.
+
+Ehe wir uns trennten, wurde noch ausgemacht, daß ich am andern Tag den
+Eltern meines Bräutigams vorgestellt werden sollte, und die Mutter bat
+ihn, er möge daheim sagen, daß sie sich schon sehr auf einen Besuch der
+geschätzten Familie freue.
+
+ * * * * *
+
+Mit nicht geringer Angst sah ich dieser Vorstellung entgegen und hatte
+eine schlaflose Nacht. Doch verlief das Ganze, wenn auch ziemlich
+zeremoniell, so doch recht gut, und es kam mir vor, als wollte eins das
+andere überbieten an Zuvorkommenheit und herzlicher Freundschaft.
+
+Der Vater meines Hochzeiters, ein noch sehr rüstiger, hochgewachsener
+Mann von etwa sechzig Jahren, führte mich erst in die altmodische
+Wohnstube, die mich mit ihren sauberen Kattunbezügen über den
+behaglichen Polstermöbeln und den vergilbten Stichen an den mit einer
+großblumigen, verschossenen Tapete bekleideten Wänden und den freundlich
+blühenden Geranien am Fenster sogleich anheimelte. Die Mutter aber
+meinte, für einen so liebwerten Gast müsse man schon die gute Stube
+aufsperren und lief dann eilig in die Küche, um nach dem Kaffee zu
+schauen.
+
+Sie war ein kleines, zusammengeschrumpftes Weiblein mit
+glattgescheiteltem Haar über der runzligen Stirn. Aus dem gelblichen,
+furchigen Gesichtlein blickten ein paar wasserhelle Augen forschend
+umher, und die rauhen, schwieligen Hände erzählten von rastloser Arbeit,
+deren Segen man überall in Haus und Geschäft wahrnehmen konnte.
+
+Während die Frau Hasler geräuschvoll in der Küche herumhantierte, sorgte
+der Hausvater für die Unterhaltung, und ich ward nun inne, daß den
+eigentlichen Grundstein zu dem Reichtum und gediegenen Ruf der Familie
+die kleine Frau durch ihre Herkunft sowohl, als auch durch das
+ansehnliche Kapital, das sie dem Mann in die Ehe gebracht, gelegt hatte.
+Sie entstammte einer schon seit länger denn einem Jahrhundert allerorts
+als ehrsam und lauter bekannten Alt-Münchner Kaufmannsfamilie und hatte
+als vierundzwanzigjährige Jungfrau dem als Schreiner im Elternhaus
+tätigen, eben aus dem Feldzug zurückgekehrten Burschen ihre Hand
+gegeben, unbekümmert darum, daß er nur der Sohn einer dürftigen, alten
+Hebamme aus einem kleinen Dorf im Schwabenland war und außer einem Paar
+nerviger Fäuste und der Tapferkeitsmedaille nichts in die Ehe
+einbrachte.
+
+Und sie hatte es nicht zu bereuen gehabt, daß sie dem heftigen
+Widerstand ihrer stolzen Eltern zum Trotz den stattlichen,
+dunkellockigen Hannes heiratete; denn er war ein heller Kopf und hatte
+schon als Kind seine zehn Geschwister sowohl an Klugheit, wie auch an
+Geschicklichkeit übertroffen. Sein Vater war schon in jungen Jahren zum
+Bürgermeister seines Orts gewählt worden, da er eine sehr rechtliche,
+gerade Natur und von männiglich geschätzt war. Doch hatte der sonst so
+fürtreffliche Mann einen einzigen Fehler: er trank. Das wurde ihm und
+der ganzen Familie zum Verhängnis; denn der Unglückliche ward von seiner
+unseligen Leidenschaft bald so weit gebracht, daß ihm kein Branntwein
+mehr genügte und er nicht nur alle Balsam- und Painexpellergläser
+leerte, sondern am Ende noch zum Petroleumkruge griff und
+Hofmannstropfen flaschenweise trank. Es dauerte nicht lange, so verlor
+er Amt und Würden und endete zuletzt als kaum vierzigjähriger Mann
+elendiglich in einem Schweinestall, darin er schon seit Monden hausen
+mußte, da er in seinem Rausche alles zerschlug und zerstörte, was ihm
+unter die Hände kam. Damals war der Hannes gerade zwölf Jahre alt
+geworden, und es hieß nun hinaus in die Welt und selber schauen, wie das
+Brot am besten für den Hunger ging. Also machte er sich mit vieren
+seiner Geschwister auf und zog mit ihnen gen München, wo ein jedes bald
+Arbeit fand. Die Mutter hatte zum guten Glück schon während ihrer
+traurigen Ehe sich im Ort ein sicheres, wenn auch beschwerliches
+Fortkommen geschaffen: sie war Kindlesfrau, so hieß man die Hebammen,
+geworden. Noch mit ihrem vollendeten neunzigsten Jahr hat sie ihrer
+bedeutend jüngeren Kollegin gar manche schwere Geburt abgenommen, und es
+kam nicht selten vor, daß ein Bauer stundenweit fuhr und die alte,
+halbblinde Haslermutter holte, während in seinem Orte irgendeine
+tüchtige, junge Hebamme das Nachsehen hatte.
+
+Indes der Hausvater mich also unterhielt und allmählich immer mehr in
+Wärme geraten war, kam die Frau wieder zu uns herein und bat uns in die
+gute Stube zum Kaffee. Sie hatte sich inzwischen in Staat geworfen und
+prangte in einem altmodischen Gewand aus starrer, violetter Seide, das
+bei jeder Bewegung bald rötlich, bald grau schimmerte und dessen Jacke
+mit vielen Rüschen und langen Schößen geziert war.
+
+Mein Verlobter hatte sich für diesen Nachmittag von seinem Herrn Urlaub
+erbeten und kam nun gerade recht nach Hause, den Kaffee mit uns zu
+trinken. Er nahm meinen Arm und führte mich in die Ehrenstube, deren
+Möbel alle aus Kirschbaumholz gefertigt und mit dunklen Ornamenten
+eingelegt waren. Die ganze Einrichtung stammte noch von den Eltern der
+Frau Hasler, wie der Benno mir berichtete. Auf dem sauber gedeckten
+Tisch standen zierliche Tassen und Kannen, deren eine jede in einem bunt
+gemalten Kranz die goldene Inschrift trug: Lebe glücklich!
+
+Wir tranken nun vergnüglich Kaffee, und mein Verlobter sprach viel von
+meinen guten Eigenschaften, von seiner schönen Stellung, seiner
+gediegenen Herkunft und von baldigem, sicheren Eheglück. Dann brachte er
+mich wieder nach Hause, nachdem ich mir noch das Versprechen der beiden
+alten Leute hatte geben lassen, daß sie uns am folgenden
+Sonntagnachmittag mit ihrem Besuch beehren würden.
+
+Dies taten sie auch. Pünktlich um die angegebene Stunde fuhr ein Fiaker
+am Hause vor und heraus sprang mein Hochzeiter und half seinen Eltern
+beim Aussteigen.
+
+Ich hatte schon vormittags genaue Weisung von der Mutter erhalten, wie
+ich sie zu empfangen hätte: also eilte ich geschwind von der Wirtsküche
+auf die Straße, reichte jedem die Hand und sagte: »Guten Tag, Frau
+Mutter und guten Tag, Herr Vater! Grüß Gott, Herr Benno! Die Mutter
+hält's für a große Ehr, daß S' uns die Freud machen und a Tass' Kaffee
+bei uns trinkn. Bitt schön, kommen S' nur glei mit 'rauf in d'Wohnung,
+d'Mutter is scho drobn!«
+
+Und nun führte ich alle drei nach der im ersten Stockwerk gelegenen, für
+den hohen Besuch frisch gestöberten und geschmückten Wohnung, wo die
+Mutter in ihrem nobelsten Aufputz aufgeregt durch alle Zimmer lief und
+bald ein Deckerl anders legte, bald ein Stäubchen wischte oder
+umständlich ihr Spiegelbild betrachtete.
+
+Als sie uns kommen hörte, ging sie mit steifer Würde auf die beiden
+Alten zu, reichte ihnen mit ausgesucht höflicher Verbeugung die Hand und
+sagte: »Herr Hasler, Frau Hasler, dös freut mi! Derf i vorausgeh? Kommen
+S' nur 'rei in Salon und nehman S' Platz! ... Herr Benno, mögn S' net
+auf'n Divan hintre mit der Leni!« Und geschäftig rückte sie den Tisch
+zur Seite und bot jedem seinen Platz an; dann trat sie unter die Tür und
+rief: »Rosl, an Kaffee 'rei! Nehman S' dö silberne Plattn zum Kuchn!«
+
+Während sich nun eine lebhafte Unterhaltung über die gleichgültigsten
+Dinge entspann, betrachtete bald der Vater, bald die Mutter meines
+Verlobten die protzige Einrichtung des Salons und sie wechselten von
+Zeit zu Zeit verstohlen Blicke der Befriedigung; und als die Augen des
+Alten auf das Klavier fielen, fragte er, wer darauf spiele. Die Mutter
+sagte stolz: »Mei' Leni kann's; i hab's ihr lerna lassn, daß s'amal
+ihren Mann unterhaltn ko. Geh, Leni, spiel deine zukünftign
+Schwiegereltern oan auf! Vielleicht an Bienenhausmarsch oder 's
+Glühwürmchenidyll, oder was die Herrschaften sonst gern hörn!«
+
+Ich setzte mich an das Instrument und spielte etliche Stücke, wie sie
+mir gerade einfielen. Da ging die Tür auf und herein kam der Vater,
+begrüßte die Familie Hasler und sagte: »I hab der Kathi g'sagt, sie soll
+dö paar Halbe Bier hergebn, die jatz gehn, daß i aa a bisl raufschaugn
+ko zu dö Herrschaftn ... No, wia steht's werte Befinden? -- Scheene Tag
+hama allweil jatz. -- Warn S' scho auswärts heuer? -- Bei dem warma
+Weeder macht a jeda a G'schäft vo dö auswärtign Wirt. -- Hast no an
+Kaffee, Muatta?«
+
+Damit setzte er sich und begann von dem zu reden, was bis dahin ein
+jedes wie auf Verabredung vermieden hatte, von unserer bevorstehenden
+Heirat.
+
+»Dös hat si ganz unverhofft g'schickt!« meinte er, zu dem alten Hasler
+gewendet. »Mir ham's glei gar net glaabn könna, daß ma d'Leni wirkli
+scho herlassn solln.«
+
+»Ja, dös is wahr;« fiel ihm die Mutter ins Wort, »so geht's zua in der
+Welt! Will ma selber no net zu dö Alten g'hörn, derweil hat ma scho
+heiratsfähige Kinder!«
+
+»Oho!« rief da der Benno. »Jetzt möcht gar d'Frau Zirngibl aa schon vom
+Alter redn und schaut aus, wie a eiserne Venus, so g'sund und so sauber.
+Der Zirngiblvater kann stolz sei auf so a Frau!«
+
+Geschmeichelt lächelte die Mutter, und auch der Vater hörte diese
+Lobrede wohlgefällig an. Die alten Haslerleute aber warfen ihrem Sohn
+halb ärgerliche, halb verlegene Blicke zu, und es entstand eine kleine
+Pause, die ich rasch benützte, den Benno zu mir an ein kleines Tischlein
+zu ziehen, wo ich meine Erinnerungen und Andenken aus der Klosterzeit
+aus einem kleinen Kästlein kramte. Dabei fielen meinem Verlobten etliche
+Briefe und Karten auf, die sämtlich die Adresse trugen: An die Jungfrau
+Magdalena Christ, Kandidatin bei den Josefschwestern zu Bärenberg.
+
+Auf seine Frage, ob die Briefe einer Freundin gehörten, erwiderte ich
+ihm: »Naa, naa! Dös san lauter Briaf an mi!«
+
+Erstaunt sah er mich an, und auch am Tisch wurde man aufmerksam, so daß
+ich mich an die Mutter wandte: »Denkn S' Eahna, Mutter, der Benno woaß
+net amal mein rechtn Namen!«
+
+Mit hochrotem Kopf saß die Mutter da, und Zorn und Verlegenheit kämpften
+sichtbar auf ihrem Gesicht, während sie zögernd sagte: »Ja, mei lieber
+Gott! Dös wissen dö wenigsten Leut, was für a Unglück mi scho in meine
+jungen Jahr troffn hat; dös erzählt ma net so mir nix, dir nix an jeden,
+der daher kommt!«
+
+Sie konnte nicht mehr weiter reden; ein heftiges Schluchzen erschütterte
+ihren Körper, während sie von Zeit zu Zeit einen wütenden Blick zu mir
+hinüberwarf. Die Familie Hasler aber saß starr und stumm da und blickte
+fragend von einem zum andern.
+
+Da ergriff der Vater rasch das Wort und sagte: »Da brauchst net z'woana,
+Muatta; deswegn is dir aa no koa Perl aus da Kro' g'falln. Und was
+d'Erziehung und dös ander betrifft, hat si no nie nix g'feit. A jeder ko
+froh sei, wann er so a Madl zum Heiratn kriagt!«
+
+Erst jetzt begriffen die Haslerischen den Sachverhalt, und die Frau rief
+mit kläglicher Stimme: »Ja, was is denn net dös! Na is also d'Leni gar
+net von Eahna, Herr Zirngibl?«
+
+»Naa. Der Leni ihra Vata is damals bei dem großen Schiffsunglück, wo dö
+englischn Hund den scheena Dampfer Cimbria a so o'gfahrn ham, daß'n glei
+da Deixl g'holt hat und d'Leut allsam dasuffa san, aa dabei g'wen. Der
+hat sein Ruah! Und da hab halt i d'Muatta g'heirat.«
+
+Schweigend hatten alle zugehört, und endlich begann der alte Hasler: »No
+ja; in Gott's Nam'! Sell isch au di g'fährlichscht Sünd no nit, daß e so
+e saubre Frau amal was Kloins kriagt! Im übrige ischt's mir ja ganz
+gleich, ob's Mädle lediger Weis' isch dag'wesa oder von der Eh;
+d'Hauptsach isch halt, daß sie e aaschtändige Mitgift ei'bringt!«
+
+Jetzt hatte sich auch die Mutter wieder erholt und schilderte nun in
+beweglichen Worten, wie sie mich ausstatten wolle und daß sie jederzeit
+da wäre, wenn's einmal drauf ankäme. Der Vater aber sagte kurz: »Zwegn
+der Mitgift braucht koa Hochzeiter a Sorg z'habn. D'Leni hat bei
+dreiß'gtausend Mark Muatterguat und vo ihran Vatern achtausend Mark
+ausg'machts Geld auf der Bank. Und wenn amal d'Not an sie kam, na war
+allweil i aa no da; vorläufig kann i ihr allerdings vo mir no nix gebn;
+dös steckt alls im G'schäft drin.«
+
+Während dieser Rede war die Wolke, die unheildrohend auf der Stirn der
+alten Haslerin gestanden, von ihr gewichen und das sonnigste Lächeln lag
+auf ihrem Gesicht. Auch der Herr Hasler rieb sich vergnüglich die
+Daumenballen und sagte bloß: »Scheen, guat, isch ja sehr aagenehm!«
+
+Der Benno aber, der zuvor, als meine Abkunft an den Tag kam, sich auf
+einen von mir ziemlich entfernten Stuhl gesetzt hatte, kam jetzt mit
+zärtlicher Miene auf mich zu und sagte, indem er mich um die Hüfte nahm,
+leise: »Du glaabst gar net, Lenerl, wie gern i di hab!«
+
+Und in heiteren Gesprächen verfloß die Zeit, bis die Mutter um fünf Uhr
+zum Vater sagte: »Josef, jatz werd's Zeit ins G'schäft!«
+
+Da brachen die Haslerischen auch auf und empfahlen sich mit großer
+Höflichkeit.
+
+Nun war ich also Bennos Braut und lebte im übrigen wie zuvor.
+
+
+
+
+
+
+Die Hochzeit war auf den Herbst festgesetzt worden, und der Benno eilte
+mit viel Fleiß von Amt zu Amt, um die zur Heirat notwendigen
+Schriftstücke zusammenzubringen. Der alte Hasler kündigte einer schon
+lange Jahre in seinem Haus wohnenden alten Jungfer die Wohnung und ließ
+viel Arbeitsleute kommen. Die Wände wurden tapeziert, die Böden frisch
+lackiert; in die Küche kam ein neuer Herd und in die Kammer daneben ein
+Bad. Die Frau Hasler stand bei größter Sommerhitze auf der Altane und
+füllte Kissen und Betten mit Flaum und zeigte den Nachbarn die Größe der
+mütterlichen Liebe, die nicht bloß zusieht, wie das Kind, das nun dem
+Nest entflogen, sich in der neuen Lebenslage zurechtfindet, sondern die
+in Beherzigung des Wortes »Wer sich gut bettet, liegt gut« sorglich ihr
+Teil dazu beiträgt, daß dessen Lebensbett ein lindes werde.
+
+Mein Vater ließ den Schreiner kommen und bestellte die Möbel, nachdem er
+sich die für uns bestimmte Wohnung angesehen hatte. Alles sollte
+altdeutsch werden, und die Schränke sollten Spiegel haben und ein jedes
+Stück noch einen Muschelaufsatz. Der alte Tapezierer Fünffler mußte für
+die Polster sorgen und den Divan samt den Stühlen nebst einem kleinen
+Kanapee anfertigen.
+
+Die Mutter aber lief zum Nachbar Glaser und erstand das Neueste an
+buntem Porzellan, an irdenem Geschirr und Gläsern.
+
+Dann kam der Tag, an dem sie ging, das Brautkleid einzukaufen. Da mußte
+ich zur alten Haslerin und diese bitten, daß sie uns die Liebe tät und
+mitginge, den Stoff zu kaufen, was sie mir versprach.
+
+Also machten sie sich auf den Weg, eine jede starrend in Seide und
+blitzend im Schmuck der Nadeln, Ringe und Spangen, die an Glanz
+wetteiferten mit den langen Perlenfransen der Mantillen und
+Kapothütchen.
+
+Erst spät abends kamen sie heim, und ich vernahm, daß nun alles
+eingekauft sei, dessen ich als Braut bedürfe, um zu glänzen. Ich
+erschrak beinahe, als ich von der Mutter hörte, daß mein Brautkleid von
+Seide wäre und der Zeug allein schon mehr denn hundertfünfzig Mark
+gekostet hätte. Ich vergaß darüber ganz und gar den Dank, so daß die
+Mutter sehr entrüstet ward und rief: »Woaßt net, was si g'hört, du
+Hackstock? Gibt ma so viel Geld aus für dös G'stell und kriagt net amal
+an Dankschö' dafür!«
+
+Da kam ich erst wieder ein wenig zu mir und sagte halblaut: »Dank schö,
+Mutter, so was hätt's net braucht.«
+
+»So, dös hätt's net braucht! Moanst vielleicht, i laß mi lumpn und
+oschaugn von dö Haslerischen? Hab's scho g'sehgn, wie s' d'Letschn hat
+hänga lassn, weil i z'erscht g'moant hab, a Schlepp war net notwendi;
+aber jatz hab i so viel kaaft, daß d'an meterlanga Schwoaf hint
+nachiziagst!«
+
+Ich wußte nicht viel darauf zu antworten und empfand im Grunde wenig
+Freude über den Prunk, in den man mich stecken wollte. Als ich jedoch
+nachher das schwere, glänzende Gewebe sah, regte sich meine Eitelkeit
+doch, und ich dachte, wie die in der Nachbarschaft wohl schauen würden,
+wenn sie mich in dieser Pracht erblickten. Ich trug den Stoff alsbald
+zur Nähterin, die mir einen Arm voll Modeblätter mit nach Hause gab zur
+Durchsicht, damit wir wählten, was uns gefiele. Ich suchte mir ein sehr
+einfaches Bild zum Muster aus und bat die Mutter, sie möchte das Gewand
+nach diesem machen lassen, was sie mir zusagte.
+
+So waren die Tage der Brautzeit immer mehr ihrem Ende zugegangen, und es
+war nun an uns, zum Pfarrer zu gehen, das Stuhlfest zu feiern.
+
+Also meldete mein Verlobter an einem Oktobersonntag nach dem
+Gottesdienst in der Sakristei unserer Pfarrkirche dem alten einäugigen
+Meßner, daß wir am nächsten Tage zum Herrn Pfarrer kämen, damit er uns
+in allem unterweise, was für den Stand der christlichen Ehe von Nutz und
+Frommen sei.
+
+Hand in Hand schritten wir denn andern Tags gegen elf Uhr mit klopfendem
+Herzen durch die Straßen und zögernd stiegen wir im Pfarrhause die
+breite Treppe hinauf zur Tür, hinter der ein wirres Durcheinander von
+Kinderstimmen zu hören war. Im gleichen Augenblick stürmten etwa zehn
+Schulkinder jubelnd und lärmend aus der Wohnung und schwangen im Triumph
+bunte Heiligenbilder, die sie gewiß als Lohn für gute Antworten in der
+Religionslehre erhalten hatten. Hinter ihnen erschien lächelnd der noch
+ziemlich junge Pfarrer und mahnte: »Kinder, tut's schö stad sei; pfüat
+euch Gott und tut si koans derfalln! So, pfüat Gott, so!«
+
+Da erblickte er uns: »So, so! ... Grüß Gott, Leutln! ... So, geht's nur
+glei da rei; so ... Ja, jetz san ma also da, so ... So, sitzt's euch nur
+glei da her, so!«
+
+Und sorglich führte er uns zu einer Fensternische, die eigens zu dem
+Zweck, der uns hingeführt, gemacht schien. Ein kleiner Sammetdivan stand
+in der Ecke, darauf wir Platz nahmen; vor uns ein Tischlein, auf dem
+nichts als ein kleines Buch lag. Davor stand ein bequemer Armstuhl, der
+für den Priester bestimmt war.
+
+Da saßen wir nun mit seltsam bewegtem Gemüt. Ein leichter Duft von
+Weihrauch umgab uns; die Sonne schimmerte durch die großen Glasbilder,
+die an den Fenstern hingen, und ließ die reichen Blumenstöcke bald in
+bläulichem, bald rotem Licht erglänzen. Auch zu dem blassen Herrgott,
+der an einem hohen Kruzifix aus schwarzem Holze hing, huschte einer von
+den roten Strahlen und gab dem Gottessohn ein Kleines seiner Wärme und
+beinahe einen Hauch von Leben.
+
+Stumm blickte ich bald auf den Pfarrer, bald auf die lebensgroße Statue
+des Jesukindes, die zwischen Blumen und Kerzen in einer Ecke stand. Dann
+schielte ich verstohlen hin zum Benno: der saß etwas gebeugt und Tränen
+rannen ihm über sein Gesicht.
+
+Nun begann der Priester seine Lehre: erst gab er uns den Segen, dann
+führte er uns im Geist zurück zu den ersten Menschen, zur ersten Ehe im
+Paradiese; hierauf gab er uns alle jene Mahnungen und guten Lehren,
+deren junge Eheleute bedürfen. Vor allem aber bat er uns, die Tage vor
+der Trauung nichts zu tun, was gegen Sittsamkeit verstoße, und in der
+Ehe Gottes Segen nicht durch Anwendung von irgendwelchen Schutzmitteln
+freventlich zu hemmen oder zu vermindern; denn das sei ja der Kern der
+Ehe, daß die Welt durch sie bevölkert bleibe. Nach diesen Unterweisungen
+fragte er den Benno: »Also, Herr Hasler, nachher kannt ma am Sonntag
+scho zum erstenmal verkünden, so, und nachher setz' ma glei die Trauung
+fest. Wie moanatn S', Herr Hasler, wenn ma den zwoatn Deanstag im
+November nahm?«
+
+Mein Hochzeiter, der während der Ansprache des Herrn Pfarrers wiederholt
+in Schluchzen ausgebrochen war, trocknete nun seine Tränen und
+erwiderte: »Jawohl, Herr Hochwürden; am zweiten Dienstag im November is
+uns scho recht. Aber i möcht halt bitten um a g'sungene Mess' und daß
+uns halt der hochwürdige Herr Pfarrer d'Liab tät, selber die Trauung
+z'machen. Es wär halt a recht große Ehr für uns, und auch der Vater
+moant, es wär viel feierlicher, wenn der Herr Hochwürden d'Traumess'
+haltet.«
+
+Der Pfarrer sagte ihm dies zu, und nachdem er uns noch aufgetragen
+hatte, den Tag vor der Hochzeit eine Lebensbeichte abzulegen und am
+Hochzeitsmorgen noch die Kommunion zu empfangen, gab er uns den Segen
+und geleitete uns dann bis zur Gangtür.
+
+Wie von einer großen Last befreit, atmete ich auf, als wir draußen
+waren, und übermütig sprang ich die Stiegen hinab und auf die Straße.
+Der Benno aber war sehr ernst und schüttelte den Kopf, als er meine
+Ausgelassenheit sah, und während ich mit tänzelnden Schritten und
+lebhaftem Geplauder dahineilte, schritt er beinahe bedrückt neben mir
+her und sah mich schweigend an. Da schob ich lachend meinen Arm in den
+seinen und rief: »Juhu, g'heirat werd! Da derf i mit der Scheesn fahrn
+und hab an Schlepp und a seidens G'wand, juhu!«
+
+ * * * * *
+
+Etwa eine Woche vor dem Hochzeitstage kamen die Handwerksleute und
+meldeten, daß sie mit allem, was ihnen aufgetragen worden, fertig seien.
+
+Also mußten nun die Möbel in die für uns bereitete Wohnung gebracht
+werden, und ich erbat mir deshalb von der Mutter die Erlaubnis, etliche
+Tage vom Geschäft wegbleiben zu dürfen. Da stieß ich zum erstenmal seit
+langem wieder auf heftigen Widerstand, und die Mutter begann zu fluchen
+und zu schelten und machte mir die gröbsten Vorwürfe, daß ich jetzt, wo
+ich endlich etwas taugte, heiratete.
+
+»Und i leid's einfach net, daß d'gehst! Dös war dös rechte! I kannt mi
+dahoam darenna vor lauter Arbat und dö gnädi Fräuln laafat furt und tat
+d'Wohnung eirichtn. Sag's nur dö Haslerischen! Dö ham mehra Zeit wie
+mir; dö solln si um d'Wohnung kümmern! I muaß alles zahln, drum verlang
+i aa, daß d'dafür arbatst!«
+
+Ratlos schlich ich davon und besorgte, es möchte der Tag meiner Hochzeit
+kommen und ich hätte nichts gerichtet, worin wir wohnen und schlafen
+könnten. In meiner Not ging ich zum Vater und bat ihn um seine Fürbitte,
+und nun konnte ich wenigstens für einen Tag Urlaub bekommen.
+
+Ich ging also in aller Früh schon fort und trat bei der Familie Hasler
+eben in dem Augenblick in die Stube, als der Benno seinen Hut vom Nagel
+nahm und in das Geschäft wollte. Als ich berichtete, wie schwer ich von
+zu Hause fortgekommen sei, meinte er: »Da muß i glei dahoam bleibn, daß
+ma heut no ferti wer'n; i möcht net habn, daß dei Mutter harb werd.«
+
+Also blieb er bei mir, und wir begannen sogleich unsere Arbeit. Erst
+stellten wir alles das auf, was in die Schlafstube gehörte, wobei wir
+beinahe in Streit gekommen wären, da der Benno haben wollte, wir sollten
+die beiden Betten zusammenrücken, ich sie aber gern getrennt gehabt
+hätte. Doch gab ich endlich nach, nachdem mich mein Verlobter auf die
+Worte des Pfarrers: »Das Weib muß dem Mann gehorchen« hingewiesen hatte.
+
+Gegen Mittag hatten wir ein Zimmer fertig, und ich wollte nun nach Hause
+gehen zum Essen; doch gaben die alten Haslerleute keine Ruhe, bis ich
+blieb.
+
+Nachmittags räumten wir dann die Wohnstube ein; doch kamen wir zu keinem
+Ende, da ein jedes die Dinge nach seinem Kopf gestellt haben wollte.
+Daher ließ ich den Benno bei seiner Arbeit allein und ging in die Küche,
+wo Geschirr und Bilder, Möbel und Nippsachen, Spiegel und Stellagen bunt
+durcheinander standen und lagen.
+
+Nach wenig Stunden wurde es dunkel, und ich war noch nicht einmal zur
+Hälfte fertig mit meiner Arbeit. Da kam mit einemmal eine große
+Traurigkeit über mich, und ich setzte mich in einer Ecke auf einen
+kleinen Hocker und begann zu weinen. Die Unordnung ringsum bedrückte
+mich, und alles kam mir so fremd und unwirtlich vor und ich empfand
+plötzlich eine große Furcht vor dem Heiraten.
+
+Währenddem war es ganz finster geworden, und ich stand auf und ging in
+die Stube, wo ich den Benno gelassen hatte. Da war sie leer. Ich ging in
+das Schlafzimmer, doch auch da fand ich ihn nicht. Nun wollte ich
+hinuntergehen zu den Eltern Bennos; da fand ich die Wohnungstür
+verschlossen und war also eingesperrt. Ratlos stand ich da und wußte
+nicht, was ich beginnen sollte. Es fiel mir nicht ein, daß ich ja nur
+ein Fenster zu öffnen brauchte und auf die Straße zu rufen; vielmehr
+ging ich wieder zurück in die Schlafstube, legte mich auf ein Bett und
+weinte bitterlich. Da hörte ich aufsperren, und es kam der alte Hasler
+mit einem Licht und wollte sich unser Werk beschauen. Er erschrak gar
+sehr, als er mich so trostlos hier fand, und ich erfuhr nun, daß der
+Benno geglaubt hatte, ich sei im Zorn fortgelaufen, und er hatte deshalb
+gar nicht weiter nach mir gesehen.
+
+Als ich daher mit dem alten Hasler eine Weile später drunten in die
+Wohnstube trat, war große Freude über den guten Ausgang dieser
+Geschichte.
+
+Spät abends brachte der Benno mich nachhause und bat die Mutter, sie
+möge mich doch noch einen oder zwei Tage fort lassen.
+
+Mit süßsauerem Lächeln erwiderte sie: »Ja, ja, sie kann scho geh vo mir
+aus; jatz muß i mi alleweil scho dro g'wöhna, ohne Hilf z'sei. Dös is
+scho was alt's, daß d'Kinder, wann s' oan gnua kost' ham, davolaafn und
+heiratn!«
+
+Wir bedankten uns für die Erlaubnis, und am andern Morgen machte ich
+mich wieder auf den Weg, ohne vorher etwas zu essen. Als ich daher von
+der Frau Hasler zum Kaffee geladen wurde, nahm ich dies gern an, sagte
+aber, daß ich mittags heim ginge; denn ich befürchtete, es möchte ihr zu
+viel werden.
+
+Der Benno war schon in aller Früh zu seinem Herrn ins Geschäft gegangen,
+ihn um Urlaub zu bitten, bis wir eingerichtet wären. Nun kam er, und wir
+begannen wieder unsere Arbeit. Es ging uns jetzt alles gut von statten,
+da ich zu müde war, um noch länger zu streiten, und mir vorgenommen
+hatte, nach der Hochzeit doch alles so zu richten, wie es mir gefiel.
+
+Am Mittag wollte ich dann heimgehen, vorher aber gab es noch ein kleines
+Unglück.
+
+Mein Hochzeiter war über unsere Arbeit so erfreut, daß er mich mit einem
+Male um die Hüften faßte, mit mir in der Stube herumtanzte und am Ende
+mich in die Höhe hob und auf den Divan fallen ließ. Ich hatte schon
+während des Aufhebens heftig gezappelt und kugelte nun beim Fallen vom
+Divan herab und gerade hinein in einen schönen, großen Spiegel, den ich
+kurz zuvor darangelehnt hatte. Er ging in Scherben, und es kostete mich
+nicht geringe Mühe, aus dem Rahmen, in dem ich saß, herauszukommen. Die
+Holzwand war durchgebrochen und die beiden goldenen Amoretten, welche
+den Rahmen zierten, standen nun auf meinem Rücken und hielten mit Anmut
+das goldene Wappen. Der Benno war erst wie erstarrt; als ich aber unter
+großem Jammer begann, mich von der unbequemen Einrahmung zu befreien,
+brach er in so lautes Gelächter aus, daß ich in heftigsten Zorn geriet
+und schwur, ich würde ihm den ganzen Spiegel an den Kopf werfen, wenn
+ich nur erst heraußen wär. Zum Glück hatte ich keine Verletzung
+davongetragen, und als mir der Benno herausgeholfen hatte und sich nun
+selbst hineinsetzte, um mir das komische Bild zu zeigen, da mußte auch
+ich lachen. Die alte Haslermutter freilich war sehr erschrocken, als
+sie's vernahm, und prophezeite uns, daß wir nun sieben Jahre kein Glück
+hätten, worüber ich wieder hellauf lachen mußte. Ob nicht doch ein
+Körnlein Wahrheit in dem Worte lag?
+
+Mein Verlobter begleitete mich heim und trat gleich in das Gastzimmer,
+um rasch ein Glas Bier zu trinken; ich aber ging in die Küche. Als ich
+die Mutter grüßte, dankte sie mir nicht und fragte nur: »Was willst?«
+
+Ich sagte, daß ich zwar zum Essen geladen worden wäre, es aber
+ausgeschlagen hätte. Da schrie sie: »Also was z'essen möchst! Sonst
+fallt dir nix ei! Dös war no dös schönere; an ganzn Tag rum z'vagiern
+und dahoam 's Essen z'verlangn! Nix da! Wannst net bei mir arbatst, hast
+aa nix z'fordern von mir. Laß di nur von dö Haslerischen fuattern!«
+
+Ich gab ihr keine Antwort mehr darauf, sondern lief in die Gaststube und
+sagte mit vor Erregung heiserer Stimme zum Benno: »Komm, gehn ma!
+Rasch!«
+
+Auf der Straße erst erzählte ich dem aufs höchste Erstaunten und
+Erbitterten den Vorfall.
+
+Als wir nachher bei seinen Eltern zu Tisch saßen und ihnen berichtet
+hatten, wie es mir ergangen, da meinte der alte Hasler: »So was isch
+aber do scho ganz aus dr Weis'! Da mögscht ja glei e Narr wera! Was ha i
+dr g'sagt, Benno; da hascht es jetzt. I ha's ja allweil g'sagt: e Mädla
+aus'm Gaschtlokal isch e Stückle vom a Saustall! Jetzt ka'scht luadrige
+Tag grad gnua kriege. Am brävschte wär's halt, wenn d'heut auf d'Nacht
+hi'fahrn tätsch' und alls rückgängig mache!«
+
+Da sprang der Benno auf und schrie überlaut: »So! Was fallt dir denn ei,
+Vater! Was kann denn 's Madl dafür, daß s' so a narrische Muatta hat!
+Naa, so viel Ehrenmann bin i allweil no, daß i woaß, was si g'hört! I
+heirat, und geht's wie's mag!«
+
+Nun mischte sich auch die alte Mutter in das Gespräch: »Gar so unrecht
+kann i ja der Frau Zirngibl net gebn, Vater; du mußt allweil bedenkn,
+daß d'Leni ledi is!«
+
+»Ja, ledig, dies isch scho recht; aber 's Fressa braucht ma au em ledige
+Kind it vorz'werfe!« ...
+
+Mitten im Reden brach er ab und sah auf mich. Ich war völlig ohne alle
+Fassung dagesessen und große Tränen rannen mir über die Wangen; doch
+sagte ich kein Wort und stand nur nach einer Weile auf und ging wieder
+in mein werdendes Heim. Dort setzte ich mich neben dem zerbrochenen
+Spiegel auf einen Stuhl und bedachte zum erstenmal den Schritt, den ich
+mit meiner Heirat zu tun im Begriff stand. Ich sah jetzt ein, daß ich
+von den Schwiegereltern nicht viel Liebe zu erwarten hatte; daß mein
+Gatte heute für mich eintrat, gab mir nicht die sichere Gewähr, daß dies
+auch morgen noch geschehe; daß ich aber trotzdem nicht mehr zurücktreten
+durfte, wenn ich nicht der gröbsten Schmähungen von seiten meiner Mutter
+gewärtig sein wollte, stand fest bei mir. Es bedrückte mich zwar das
+rauhe Wesen meiner Mutter, doch mehr noch ängstigte mich das unbekannte
+und doch naheliegende Schicksal, das mich in meiner Ehe erwartete.
+
+In dieser trüben Stimmung begab ich mich ins Schlafzimmer, wo ein großes
+Bild der Mutter Gottes hing. Dort setzte ich mich auf den Rand eines
+Bettes und redete mit dem Bild: »Liabe Muatta Gottes, hilf mir do in
+dera Angst. Laß mi net z'grund geh; sag's dein Sohn, daß er's recht
+macht!«
+
+Da tönte die Klingel der Haustür, und es kam mein Verlobter. Wir
+sprachen nichts mehr über das Vorgefallene und arbeiteten den ganzen
+Nachmittag fleißig. Abends gegen sechs Uhr wollte ich aufhören, doch
+hatte ich mir vorgenommen, nicht heimzugehen, sondern in einem der neuen
+Betten zu schlafen. Ich sagte dies dem Benno, und er meinte auch, daß es
+besser wäre, wenn ich heute nicht heimginge. Also bereitete ich mir noch
+eins der Betten für die Nacht. Als es nun so frisch gerichtet war,
+meinte mein Verlobter, ich sollte es doch einmal mit ihm probieren, wie
+sich's in den neuen Betten schlafe. Ich aber wies ihn streng zurecht und
+gab trotz der Versicherung, daß wir es ja leicht noch beichten könnten,
+nicht nach. Schmollend ging er hinaus und nahm mir meine Weigerung recht
+übel. Vielleicht trug er auch einen Groll gegen die kirchlichen
+Ehegesetze in sich, weil sie dem Mann nicht auch in diesem Fall die
+Durchsetzung seines Willens gestatteten.
+
+Da ich befürchtete, er könne sein Begehren, wenn ich da schliefe, noch
+stürmischer wiederholen, so machte ich mich bald auf den Heimweg.
+
+Als ich in die Küche trat, sagte mir unsere Magd, daß die Nähterin
+soeben mit der Mutter in der Wohnung droben sei; sie hätte das
+Brautkleid gebracht. Ich konnte aber keine Freude darüber empfinden, und
+nicht einmal die Erzählung des Mädchens, daß das Kleid eine lange
+Schleppe habe, bereitete mir Vergnügen. Mißmutig schnitt ich mir ein
+Stücklein Wurst ab und aß, ohne mich zu setzen.
+
+Da kam die Schneiderin mit der Mutter herein und rief, als sie mich
+erblickte: »Ah, da is ja d'Fräuln Leni scho! Jetz kannt ma glei no
+schaun, ob's Brautkleid aa paßt!« Und ich mußte mit ihr in die Wohnung
+hinaufgehen und das Gewand anziehen. Es sah recht nobel aus, doch paßte
+es nicht gut und war der Kragen viel zu eng. Ich bat sie daher, das
+Kleid wieder mitzunehmen und zu richten, was sie auch tat.
+
+Als ich nachher wieder hinunter kam, war der Benno gekommen und saß mit
+etlichen seiner Freunde in der Gaststube, gerade dem Fenster gegenüber,
+aus dem man die Speisen in die Stube langte. Er grüßte mich freundlich
+und winkte mir zu, aber ich ging nicht hinein, sondern setzte mich an
+die Anricht und begann für den kommenden Tag Gemüse zu putzen. Die
+Mutter saß nahe bei dem Ausgang, der in die Schenke führte, und hatte
+eine Zeitung in der Hand, doch las sie nichts und blickte von Zeit zu
+Zeit zornig auf mich. Mit einem Mal sprang sie auf und schrie mich an:
+»Du unverschämts Frauenzimmer, woaßt net, was si g'hört? Hast du koan
+Dank für dei Mutter? Moanst leicht, i war dir's schuldi, daß i dir a
+seidas hab kaaft!«
+
+Ich blickte sie erschrocken an und wollte eben erwidern, daß ich es ja
+noch gar nicht hätte, da fuhr die Mutter aufs neue heraus: »Umanander
+renna, d'Gnädige spieln und dabei d'Letschn hänga lassn, dös kann's;
+aber dir treib i's aus, du Herrgottsakramenter!« Und ehe ich mich
+versah, hatte sie den Schürhaken ergriffen und mir denselben etliche
+Male um die Schultern geschlagen.
+
+Ich sprang auf und rief: »Aber Mutter! Denkn S' doch, daß i Braut bin!«
+
+Da kam sie in eine furchtbare Wut; sie faßte mich an den Haaren und riß
+mich herum, gab mir etliche Ohrfeigen und stieß mich schließlich mit dem
+Schrei: »Geh nei zu dein Kerl, G'stell, verfluchts! Moanst vielleicht, i
+fürcht mi vor dem Bürscherl!« in die Gaststube hinein.
+
+Da sprang mein Verlobter auf, stürzte in die Küche hinaus und schrie:
+»Frau Zirngibl, dös is a Saustall, wie Sie mit meiner Braut umgehn!
+Schamen S' Eahna! Sie führn Eahna ja auf wie a Zigeunerin!«
+
+Mein Vater hatte mich, als ich so in die Stube flog, sogleich beim Arm
+gefaßt und trat nun mit mir in die Küche, als eben der Benno so laut das
+Benehmen der Mutter geißelte. Und als die Mutter gerade wieder begann zu
+toben, rief der Vater dazwischen: »Was is denn dös für a Wirtschaft!
+Kannst di jatz du gar net a weng eischränka, Muatta?«
+
+Der Benno aber fluchte und rief: »Dös war ma dös Rechte! Sofort muß ma
+d'Leni aus'm Haus! Koa Minutn laß i's mehr bei so ana Megärn! Dös war dö
+recht Zigeunerwirtschaft!«
+
+Aber die Mutter fuhr ihn an: »'s Maul halten, Rotzlöffel! Dö bleibt ma
+da! Und wann's ma net paßt, na derf s' ma aa net heiratn! Dös kannt enk
+passen, scho vor der Trauung z'ammz'hocka in Konkubinat! Sie san a ganz
+a feiner, Sie Rotzer! Moanen S' vielleicht, i kriag koan andern
+Schwiegersohn mehr als Eahna? Da brennan S' Eahna! I ko mei Tochter
+gebn, wem i will, verstanden!«
+
+In maßloser Wut hatte der Benno bei diesen Schmähungen gestampft und
+geflucht, jetzt aber faßte er mich rauh am Arm und schrie: »Marsch, du
+gehst ma sofort aus dem Haus, wannst willst, daß i di heirat!«
+
+Da trat der Vater abermals dazwischen, drückte die Mutter auf einen
+Stuhl, schob den Benno in die Gaststube und schickte mich zu Bett; dazu
+sagte er bloß mit seltsam bewegter Stimme: »Bringt's mi do net um alles!
+Mei ganz' Renomee is beim Teufl durch enkern Saustall; seids g'scheit
+und hüt's enker Zung! Geh Benno, gib aa wieder an Fried!«
+
+Grollend ging der Benno wieder in die Stube, die Mutter machte einen
+kleinen Spaziergang in den Hof und ich ging zu Bett.
+
+Am andern Tag schien alles wieder gut zu sein, und ich machte mich auf
+den Weg, meine Wohnung vollends zu richten.
+
+Das war drei Tage vor meiner Hochzeit. Es gab immer noch viel zu tun,
+wenn ich alles gut instand setzen wollte, und ich arbeitete ohne Rast
+bis zum späten Nachmittag.
+
+Als ich endlich fertig war, richtete ich noch die Öfen her, daß ich sie
+beim Einzug nur anzuzünden brauchte. Dann eilte ich heim, ohne noch zu
+den Haslerischen zu gehen; denn ich schämte mich sehr wegen der
+traurigen Szene am Tag vorher.
+
+Als ich heimkam, trat ich mit freundlichem Gruß in die Küche und sagte:
+»So, jetz bin i ferti. Wenn S' vielleicht Lust hätten, Mutter, daß Sie's
+Eahna anschaun möchtn, tat's mi freun!«
+
+Ich bekam keine Antwort und wußte also, daß ich, wenn nicht abermals
+etwas Unliebsames vorkommen sollte, gehen mußte. Daher sagte ich bloß
+noch: »Gut Nacht!« und ging dann zu Bett.
+
+Am andern Tag wollte ich mein Geld von der Sparkasse abholen und
+kleidete mich daher schon früh an. Der Vater wollte mitgehen, und es
+mußte also die Mutter in die Schenke. Sie tat es, ohne ein Wort mit uns
+zu reden; nur als ich ihr Adieu sagte, rief sie mir nach: »Kannst glei
+dein Bräutigam 's Brauthemad kaafa und a Myrtnsträußerl! Na gehst glei
+hoam!«
+
+Ich hatte mir schon allerhand ausgedacht, was ich mir um die neunzig
+Mark, die mir von dem Geld aus der Floriansmühle noch geblieben waren,
+alles kaufen wollte; als ich aber heimkam, verlangte mir die Mutter das
+Geld sofort ab und sagte: »Dös Geld gibst her, na kaaf i dir an saubern
+Spiegelkasten drum.«
+
+Obschon ich gerne dagegen gesprochen hätte, blieb ich doch stumm auf
+diese Rede; denn ich fürchtete, aufs neue den Zorn der Mutter zu
+erregen, wenn ich nicht zu allem ja sagte. Also ward ich auch dieses
+Geldes los, wie ich einst des meines Großvaters und des Hausls los
+geworden war.
+
+
+
+
+
+
+Es ist ein alter Brauch, daß man den Vorabend einer Hochzeit mit einer
+kleinen Feier begeht, und nennt man diesen Abend den Polterabend.
+
+Zu der Zeit meiner Verheiratung wußte ich über den Ursprung und die
+Bedeutung dieses Wortes noch nicht viel, doch schien mir der Name für
+meine Verhältnisse gar nicht so unrecht; denn die Mutter polterte an
+diesem Tag im ganzen Haus herum, fluchte, zeterte, zertrümmerte
+verschiedenes Geschirr, jagte die Küchenmagd aus dem Haus und prügelte
+meine Stiefbrüder, ohne daß man recht wußte, warum. Ich war deshalb sehr
+bedrückt und tat nichts, wovon ich vermeinte, daß es die Mutter erzürnen
+könnte, und hatte auch wirklich bis zum Nachmittag Ruhe.
+
+Um zwei Uhr ging ich in die Wohnung hinauf, um meine kleinen Andenken
+und all die Kästlein und Schächtelchen, die Bilder und Büchelchen
+zusammenzupacken, die mir zu lieb waren, als daß ich sie hätte
+zurücklassen mögen. Auch die Mutter kam bald hinzu und warf mir manches
+hübsche und auch kostbare Stück hin, das sie nicht mehr mochte; doch
+brummte sie beständig vor sich hin und schrie mich plötzlich ganz
+unvermittelt an: »Hast es ja recht notwendi, daß d'heiratst! Hättst es
+ja nimmer aushalten könna dahoam! Aber wart nur, du wirst es scho sehgn,
+wia's dir geht! Daß dir i nix guats wünsch, kannst dir denka, du
+undankbars Gschöpf! Kannt ma s' so guat braucha und muaß ma fremde Leut
+haltn, während die gnädig Fräuln heirat und si auf die faule Haut
+flackt!«
+
+Dabei warf sie mir etliche Schmuckschächtelchen auf den Tisch, dazu ein
+schweres Kettenarmband, eine Halskette mit einem schönen, alten
+Medaillon, einen schwarzen Beinschmuck und ein großes, kostbares
+Ametystkreuz, das sie einst von einer Gräfin von Lindwurm erhalten
+hatte. Ich glaubte nicht, daß die Dinge alle für mich bestimmt seien und
+ließ sie liegen. Da schrie die Mutter wieder: »Is dir leicht mei Sach
+nimma guat gnua? Bist leicht z'schö dazua, daß d' was alts, was guats
+tragst?«
+
+Da nahm ich rasch die Sachen vom Tisch, leerte eine hübsche Schatulle,
+in der ich Briefe liegen hatte, aus und tat alles hinein, indem ich
+sagte: »Was denken S' denn, Mutter! Freili mag i alles! Und von Herzen
+'gelt's Gott dafür! Dös freut mi anders, daß i grad dös schönste kriagt
+hab! Dank schö, Mutter! 'gelt's Gott!«
+
+Da lief sie aus dem Zimmer und schlug krachend die Tür zu.
+
+Ich hatte großes Mitleiden mit ihr und dachte, ob ich wohl auch einmal
+ein Mädchen bekäme und wie ich mit ihm sein wollte; doch bald
+verscheuchte ich diese Gedanken und trug meine Kostbarkeiten nach der
+neuen Wohnung, wo ich alles in die Kommode räumte. Danach ging ich zur
+Familie Hasler, wobei mir das Herz klopfte; doch sagten sie kein Wort
+wegen des Verdrusses, den wir gehabt. Sie luden mich ein, mit ihnen den
+Kaffee zu trinken, aber ich entgegnete, ich müsse erst daheim um
+Erlaubnis bitten.
+
+Ich ging also gleich wieder nachhause und bat den Vater, der es mir zwar
+erlaubte, doch meinte, ich müsse schon auch die Mutter fragen. Dies tat
+ich, und da ich ohnehin auch noch zur Beicht mußte, ließ die Mutter mich
+gleich fort und sagte bloß: »Daß d'hoam kommst bis auf d'Nacht! Bringst
+Haslers mit, mir ham heut a Konzert!«
+
+Nach dem Kaffee, etwa um fünf Uhr, brach ich auf und holte meinen
+Hochzeiter vom Geschäft ab, um mit ihm zur Beicht zu gehen. Er war
+wieder sehr ernst und redete nicht viel.
+
+Nach der Beicht gingen wir wieder zu seinen Eltern, wo wir die alten
+Leute bereits in sonntäglicher Kleidung antrafen. Der Tisch in der
+Wohnstube war weiß gedeckt, ein Rosmarin prangte in der Mitte und eine
+große Torte mit der Aufschrift: »Dem Brautpaar«, stand daneben. Der
+Vater holte eine Flasche Wein herbei und die Mutter stellte die Gläser
+mit zitternder Hand dazu. Es war schon völlig dunkel, und im Zimmer
+verbreitete die altmodische Lampe ein behagliches Licht.
+
+Da ertönte draußen im Hof Musik, und das Lied: »Nur einmal blüht im Jahr
+der Mai, nur einmal im Leben die Liebe« wurde mit viel Gefühl auf einem
+Piston vorgetragen. Nun schenkte der alte Hasler die Gläser voll und mit
+herzlichen Worten wünschte er uns Glück; die Mutter hatte die Augen voll
+Tränen und gab uns ihren Segen, der Benno aber hatte mich an sich
+gezogen und schluchzte.
+
+Da ergriff mich eine große Dankbarkeit gegen diese Menschen und ich
+dankte ihnen unter heftigem Weinen. Trotzdem fühlte ich mich so elend,
+als sei ich wieder am Grab meines Großvaters, und es befiel mich ein
+Zittern und Unwohlsein, und ehe man sich recht zu helfen wußte, war ich
+ohnmächtig geworden.
+
+Als ich wieder zu mir kam, waren alle um mich besorgt, die Haslermutter
+aber fragte mich, ob ich öfter an solchen Zuständen leide. Ich sagte
+ihr, daß ich manches Mal auch ohne besonderen Anlaß mit solchen
+Ohnmachten zu kämpfen hätte. Da nahm sie mich beiseite in die
+Schlafstube und wollte ausführlich über meine Gesundheit berichtet sein:
+»Denn,« sagte sie, »du kannst mir's net verargen, daß i mi um mein'
+Oanzign sorg.«
+
+Nun erzählte ich ihr, daß ich schon seit meinem vierzehnten Jahr
+bleichsüchtig gewesen sei, daß ich die Reife des Mädchens erst vor wenig
+Wochen zum erstenmal erfahren hätte, während bisher jahrelang nur diese
+Ohnmachten eine gewisse Zeit andeuteten. Diese Bewußtlosigkeit sei immer
+plötzlich gekommen, und einmal gerade, als ich in der Küche stand und am
+Fleischtisch ein Stück Leber schnitt. Zum Glück hatte ich das große
+Tranchiermesser nur locker in der Hand, sonst wäre vielleicht ein
+Unglück geschehen. Auch berichtete ich ihr, wie ich einmal nach einem
+großen Verdruß mit der Mutter am Brunnen gestanden, um ein Kalbshirn zu
+häuten. Da hatte mich mit einem Mal ein kurzer, heftiger Husten gepackt
+und ein schöner Faden hellen Blutes lief den Brunnen hinab, während ich
+mit heißem Kopf und müden Beinen dort lehnte und Schmerz und Übelkeit
+bekämpfte. Die Mutter hatte mich am andern Tag zum Arzt geschickt, der
+an eine Magenkrankheit glaubte, da ich vordem nur selten gehustet hatte.
+Doch sei dies alles längst wieder gut und ich hätte nicht Sorge, daß ich
+eine Krankheit in mir habe.
+
+Nach einigem Nachdenken meinte die Frau Hasler: »Du bist halt
+überarbeit't! Wennst jatz dei Ruah hast, wirst scho wieder! 's Heiraten
+is dös best' für di und der Benno is der g'scheitste Doktor. Aber jatz
+müaß ma wieder zu dö andern, sonst wer'n s' uns granti!«
+
+Und sie nahm mich bei der Hand und führte mich wieder in den Bereich des
+Lichts, wo die zwei Männer inzwischen ernste Dinge verhandelt haben
+mußten; denn der Vater sah den Benno fest an und sagte noch kurz:
+»Hascht mi verschtande?« worauf der Benno ihm die Hand drückte und
+sagte: »Ja, Vater, i wer' mir's merkn.«
+
+Wir machten uns nun auf den Weg zu meinen Eltern. Schon aus etlicher
+Entfernung tönte uns lustiges Klarinetten- und Geigenspiel entgegen, und
+als wir eintraten, brachen die Musikanten das eben begonnene Stück ab
+und empfingen uns mit einem feierlichen Marsch.
+
+Wir gingen erst an die Schenke, dann in die Küche, die Eltern zu
+begrüßen. Da sah ich, daß die Mutter geweint hatte, und ich fragte sie
+sogleich, ob ich in der Küche helfen könne; sie sagte aber: »Naa, naa!
+Bleib nur drin! Dös war no dös nettere: a Polterabend ohne Braut!«
+
+Da setzte ich mich an den Tisch, wo schon die ganze Verwandtschaft und
+Freundschaft Platz genommen hatte, und ein lustiges Treiben begann, und
+es währte nicht lange, da forderte mich mein Verlobter zum Tanz. Und
+heiter ging der Abend dahin, und um Mitternacht ertönten Hochrufe und
+knatterten Schüsse und begann ein Glückwünschen und eine Lust, daß ich
+mir wie verzaubert vorkam. Bald stimmte auch ich in die Lustbarkeit ein
+und sang noch manches Trutzliedlein in dieser Nacht.
+
+Endlich um drei Uhr morgens gingen wir auseinander; denn da der Benno
+und ich seit Mitternacht weder essen noch trinken durften wegen der
+morgendlichen Kommunion, so freute uns schließlich der ganze Spaß nicht
+mehr.
+
+Ich lag noch nicht lange im Bett und war kaum eingeschlafen, als mich
+ein heftiges Weinen aufweckte. Ich setzte mich erschreckt auf und
+horchte. Da vernahm ich, daß dasselbe aus dem Schlafzimmer der Eltern,
+welches unmittelbar an meines stieß, drang. Deutlich hörte ich jetzt die
+Mutter klagen: »Hätt i meine Leut g'folgt! Hätt i auf mein Vatern
+g'hört! So a Schand! Jatz bin i no so jung und muaß dös derlebn!«
+
+Vergebens tröstete der Vater: »Mach dir do nix draus, Muatta! Da denkt
+koa Mensch weiter drüber nach, daß d' no so jung bist!«
+
+Sie wurde immer erregter: »Jatz kann i mi aa zu dö Altn hi'hocka im
+Kaffeehaus! Und i will no net so alt sei! I will no lebn! Koa Mensch
+acht a Schwiegermuatta! Hätt do i dem Lumpen net glaabt, damals! O mei!«
+
+Und sie weinte und klagte, und der Vater redete begütigend mit ihr, und
+seine Stimme wurde immer liebevoller und leiser, und endlich vernahm ich
+nichts mehr, als ein Flüstern, dessen Zärtlichkeit mir anzeigte, daß die
+Mutter wieder gut sei.
+
+Da legte ich mich wieder hin und versuchte zu schlafen, doch obschon ich
+mich bald auf die eine, bald auf die andere Seite drehte, gelang es mir
+nach dem eben Gehörten nicht mehr. Am End stand ich auf, wusch mich mit
+kaltem Wasser und begann mich dann für die Frühmesse und Kommunion
+anzukleiden.
+
+ * * * * *
+
+Kurz nach fünf Uhr verließ ich das Haus und begab mich in die matt
+erhellte Kirche, wo nur etliche Beterinnen und vier Klosterfrauen
+knieten. Ich setzte mich in eine der vordersten Bänke und erwartete
+meinen Bräutigam.
+
+Ohne Teilnahme, ohne Andacht und ohne Bewegung saß ich da und blickte
+stumpf auf den riesigen Kronleuchter vor dem Tabernakel. Die rote Ampel
+ließ kaum das kleine Lichtlein durchscheinen, und der weite,
+schmiedeeiserne Reif darum bewegte sich leise hin und her.
+
+Wenige Augenblicke vor Beginn der Messe, als eben der Kirchendiener die
+Kerzen des Altars entzündete, kam der Benno. Leise trat er in meinen
+Stuhl und begrüßte mich flüsternd. Dann kniete er sich nieder, zog ein
+Andachtsbüchlein aus der Tasche und schien recht gesammelt und
+ehrfurchtsvoll zu beten. Ich aber versuchte vergebens, ein Vaterunser zu
+vollenden; schon bei der dritten oder vierten Bitte war ich mit meinen
+Gedanken wieder in der Welt und in der Zukunft. Erst als der Ministrant
+bei der Wandlung mit seinem silbernen Glöcklein zur Anbetung des
+menschgewordenen Gottes mahnte, konnte ich der frommen Handlung folgen
+und empfing andachtsvoll das Sakrament des Lebens.
+
+Nach der Kirche gingen wir zusammen bis zu unserm Haus und trennten uns
+mit gemessenem Gruß.
+
+Unsere Fanny, meines Vaters jüngste Stiefschwester, die seit einem
+halben Jahr im Hause war und schon etliche Wochen hindurch hatte lernen
+müssen, all die Arbeiten zu tun, welche sonst ich zu verrichten hatte,
+war inzwischen schon mit dem Kaffeekochen fertig und ich trank schnell
+meine Tasse. Dann ging ich ins Bad und begann danach in meinem Zimmer
+mich mit der feinen Wäsche zu bekleiden, die mir die Haslermutter zur
+Brautgabe gesandt hatte; denn es war bei uns der Brauch, daß die Braut
+für den Bräutigam und wiederum er für die Braut jenes Hemd anschaffte,
+das den Körper am Tag der Vermählung bekleidet. Nach der Hochzeit wird
+es dann gewaschen und aufgehoben bis zum Tod, wo es noch einmal die
+Glieder kleiden soll. Es waren recht ernste Gedanken, die mich dabei
+bewegten, und ich besah mich nachdenklich im Spiegel, nachdem ich das
+kostbare Linnenhemd angetan hatte. Doch gewann bald meine muntere Natur
+die Oberhand, und als ich meine Füße in die weißen, seidenen Strümpfe
+hüllte und in die feinen Stiefelchen aus weißem Leder schlüpfte, kam es
+mir plötzlich in den Sinn, zu versuchen, ob ich in diesem Schuhwerk auch
+gut tanzen könne. Und ich stand auf und begann erst allerhand Schritte
+zu machen, und dann tanzte ich auf dem weichen Teppich und summte dazu
+die Donauwellen.
+
+Da ging die Tür auf und die Mutter und der Vater kamen herein. Erstaunt
+sahen sie mich an, und der Vater meinte: »Schau, schau, wie 's Bräutl
+scho munter is! Denkst leicht, wenn ma in Ehstand einitanzt, na hat ma
+mehra Glück? Da paß nur auf, daß dir koan Fuaß vodrahst, sunst is vorbei
+mit der Freud!«
+
+Nach diesen Worten ging er hinab ins Geschäft. Die Mutter aber befahl
+mir kurz: »Ziag den Schlafrock o, den i auf mei Bett g'legt hab, na
+gehst nüber zum Teuerl und laßt di frisiern!«
+
+Ich ging, nachdem ich den feinen, dunkelroten Schlafrock angezogen und
+der Mutter dafür gedankt hatte.
+
+Das Frisieren dauerte über eine Stunde, da der Fritzl, der kleine Sohn
+des Friseurs, das Brenneisen erwischt und verräumt hatte, so daß über
+dem Suchen beinahe eine halbe Stunde verrann.
+
+Endlich trat ich fein gelockt und gescheitelt aus dem Laden und lief
+geschwind heim; denn es schlug eben neun Uhr und um halb zehn Uhr war
+schon das Frühstück angesagt.
+
+Als ich wieder in mein Zimmer kam, fragte die Mutter, ob ich das
+Brautgewand gleich mitgebracht hätte. Da fiel mir erst ein, daß die
+Schneiderin versprochen hatte, um sieben Uhr schon da zu sein. Ich lief
+daher schnell ins Nachbarhaus zu ihr und fragte, warum sie denn nicht
+käme. Sie war recht krank geworden und konnte sich kaum aufrecht halten,
+ihre Gehilfin aber war nicht gekommen. Inständig bat ich sie, sie möge
+doch versuchen, mitzukommen, da ich ja sonst nicht heiraten könne. Da
+zog sie sich doch an, packte das Kleid und die Nadelbüchse zusammen und
+ging mit. Nun sperrte die Mutter ihren Salon auf, und ich wurde vor dem
+großen Spiegel angekleidet und mit Kranz und Schleier geschmückt.
+
+Als sie fertig war, ging die Nähterin wieder nachhause und bat, man möge
+ihr das herkömmliche Mahl hinaufschicken.
+
+Nun stand ich also bräutlich angetan da und ein feierliches Gefühl
+überkam mich.
+
+Da trat die Mutter zu mir, besah mich lange, und es kam wieder etwas
+Böses in ihren Blick, das ich schon kannte und fürchtete. Eine große
+Angst befiel mich und ich war unfähig, mich zu rühren, noch zu reden,
+als sie begann: »Also, heunt bist erlöst vo mir; werd dir net gar
+z'wider sei, dös! Jatz kannst dein Mo ärgern, wie'st bis heunt mi
+g'ärgert hast!«
+
+Ich konnte kein Wort erwidern und sie fuhr fort: »I wollt dir z'erscht
+hundert Mark Taschengeld gebn, aber i tua's net. Leicht kannt's eahm gar
+net recht sei, an Hasler! Aber den Frauntaler gib i dir; den kannst dir
+aufhebn, bis d' amal nix z'fressn mehr hast. Und mein Wunsch will i dir
+aa no sagn: du sollst koa glückliche Stund habn, so lang'st dem Menschn
+g'hörst, und jede guate Stund sollst mit zehn bittere büaßn müaßn. Und
+froh sollst sei, wannst wieder hoam kannst; aber rei kimmst mir nimma.
+Jatz woaßt es!«
+
+Ich war während dieser grausigen Worte wie unter Peitschenhieben
+zusammengezuckt; ein unsagbar elendes Gefühl überkam mich, und dann fiel
+ich ohne Besinnung zu Boden.
+
+Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem der bequemen
+Polsterstühle, und um mich standen zitternd die alte Haslerin und ihre
+Schwester Hanne, der alte Hasler, die zwei Beiständer oder Trauzeugen
+und die Kranzljungfern. Meine Mutter bemühte sich schluchzend und
+jammernd um mich und reichte mir mit den Worten: »Geh, trink a bißl,
+arms Kind!« ein Gläschen Wein. Willenlos ließ ich es geschehen, daß man
+es mir eingab, obschon ich das Gefühl hatte: jetzt vergiftet sie dich.
+Doch war es nicht so, und ich bekam in den nächsten Minuten immer mehr
+die Empfindung, daß ich das Furchtbare zuvor nur geträumt; denn die
+Mutter war so voll Schmerz über mein Scheiden und schien in Tränen
+aufgelöst. Sie zog mich an sich und rief: »Viel Glück, mei liabs Kind!
+Jatz gehst halt und laßt mi alloa! Bleib mir g'sund und vergiß mi net!«
+
+Dann schritt sie gerührt von einem zum andern, gratulierte, klagte und
+weinte, wie es gerade paßte, bis die Kellnerin meldete, daß der
+Bräutigam warte.
+
+Da stand ich auf, und die Haslermutter trat zu mir, küßte mich und
+sagte: »I wünsch dir Glück! Sei mei guats Töchterl!« Und ganz langsam
+rollte eine Träne über das runzlige Gesicht. Dann beglückwünschte mich
+eins nach dem andern, die Kranzljungfern faßten die Schleppe meines
+Kleides, die Mutter legte mir eine kostbare, alte Goldkette um den Hals,
+die Haslerin steckte mir einen feinen Opalring an die Hand und große
+Opale in die Ohren; der Haslervater gab mir seinen Arm, und nun ging's
+mit großer Feierlichkeit hinab in die festlich geschmückte Gaststube.
+Mein Hochzeiter stand schon mit dem prächtigen Brautbukett da und
+begrüßte mich mit einem Handkuß. Er gefiel mir in dem festlichen Gewand
+recht wohl, und ich empfand ganz plötzlich ein großes Verlangen, ihm um
+den Hals zu fallen und ihn zu küssen, doch die vielen Menschen, die uns
+von allen Seiten umgaben, ließen mich davon abstehen.
+
+Nun setzten wir uns zum Frühstück; es wurden Bratwürste auf großen
+Porzellanplatten herumgereicht und man trank Märzenbier dazu. Während
+des Essens trat auch mein Vater herzu und gratulierte uns und übergab
+mir einen schönen Ring, daß ich ihn meinem Bräutigam anstecke. Und indes
+derselbe von allen Seiten beschaut und bewundert wurde, kam die Mutter
+und sagte: »Lieber Benno und Leni! I kann leider net mitfahrn in
+d'Kirch; denn i hab koa Aushilf kriagt zum Kochen. Und d'Hauptsach is ja
+do a guats Mahl nach dem Schreckn, net wahr!«
+
+Und mit freundlichem Lächeln ging sie wieder hinaus in die Küche.
+
+Die Haslerischen waren über diese Mitteilung gar nicht erfreut und
+konnten es nicht begreifen, daß wir nicht mehr darauf gedrungen hatten,
+die Mutter solle mitkommen. »Denn,« meinte die Frau Hasler, »wann dö
+eigene Muatter net mitgeht in d'Kirch und für ihra Kind bet, na is mit'n
+Ehglück net weit her.«
+
+Und sie ging hinaus und bat die Mutter dringend, doch mitzukommen.
+
+Ich ließ sie gewähren, obwohl ich schon wußte, daß all ihr Bemühen
+vergeblich sei.
+
+So war es auch. Die Haslerin kam bald mit hochrotem Kopf wieder herein,
+nickte etliche Male für sich wie zur Bestätigung und murmelte
+unverständliche Worte.
+
+Da kam der Brettlhupfer, jener dienstbeflissene Mann, der den
+Wagenschlag öffnet, ein jedes aus der Gesellschaft in den bestimmten
+Wagen bringt, acht hat, daß kein Zylinderhut verdrückt, kein Kleid
+beschädigt und keine Schleppe in die Wagentür eingezwickt wird; der mit
+viel Grazie und wohlgesetzten Worten die Braut leitet und einem
+jeglichen sein Amt weist und sowohl am Standesamt als in der Kirche für
+die gute Ordnung sorgt. Er war in schwarzer Wichs, seine Lackschuhe und
+sein Zylinder glänzten, und Handschuhe und Halsbinde schimmerten in
+reinstem Weiß. Mit der Haltung eines Kavaliers stand er an der
+geöffneten Tür und sagte: »Verehrte Herrschaften, d'Wägn wärn da! Darf
+ich bitten?«
+
+Und er nahm zuerst die Kranzljungfern vor und geleitete sie zu einem
+Wagen; dann kamen die Beiständer und mein ältester Bruder, hierauf die
+Schwester der alten Haslerin und meine Firmpatin, die Nanni, sowie die
+beiden Stiefschwestern meines Vaters. In dem vierten Wagen saß der
+Bräutigam und sein Vater, und im fünften endlich nahmen ich und die
+Haslermutter Platz.
+
+Während der kurzen Fahrt zum Standesamt redeten wir nichts. Als wir
+vorfuhren, hatte sich eine kleine Menge Neugieriger, sowie eine Horde
+Kinder angesammelt, und während der Brettlhupfer sich eifrig umtat, uns
+die bei einer solchen Gelegenheit übliche Ordnung zu geben, konnte man
+aus dem Spalier der Gaffenden allerlei Bemerkungen hören: »Ah, der
+Breitigam is sauber!« rief eine junge Köchin, die mit aufgestülpten
+Ärmeln dastand. »Wia nur der dö Molln mag, dö aschblonde!«
+
+»Dö werd scho a Geld g'habt habn!« erwiderte eine ältere Frau, an deren
+schmutzigem Kittel zwei noch schmutzigere Kinder hingen.
+
+In dem Augenblick humpelte ein altes Weiblein auf seinem Krückstock
+daher und hielt seine verkrüppelte Hand hin: »Gott g'segn an Ehestand,
+schöne Braut! Derft i bittn um a freundliche Gab!«
+
+Ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte, da ich ja kein Geld besaß.
+Die alte Haslerin schimpfte über die Frechheit des alten Mütterleins und
+prophezeite mir großes Unglück durch diese Begegnung. Mein Hochzeiter
+aber griff in die Tasche und langte ein neues Markstück heraus, das er
+der Alten mit den Worten gab: »Aber nix Schlechts derfan S' uns
+wünschen, Muatterl, verstandn!«
+
+»I, wia wer i denn so gottvergessn sei!« schmunzelte das Weiblein und
+humpelte davon.
+
+Und während sich die Umstehenden über den Zwischenfall unterhielten,
+begaben wir uns in den im ersten Stockwerk gelegenen Vorsaal des
+Standesamts.
+
+Der Brettlhupfer flüsterte aufgeregt mit den Trauzeugen, gab den
+Verwandten Weisung, wo sie sich hinzustellen hatten und ermahnte dann
+die Kranzljungfern noch, beim Aus- und Eingehen recht achtzugeben, daß
+sie nicht zu stark an der Schleppe zögen: »Net, daß uns d'Braut z'letzt
+hi'fallt!«
+
+Mit einem Male taten sich vor uns zwei Flügeltüren auf, und wir gingen
+in schöner Ordnung in den Trauungssaal. Voran der Bräutigam und ich an
+seinem Arm. Dahinter die trippelnden Kranzljungfern, dann die
+Trauzeugen, die mit langen Schritten rechts und links von uns Platz
+nahmen, und darauf kamen die andern; doch sah ich sie nicht mehr, da
+mich nun die Handlung ganz in Anspruch nahm.
+
+Der Brettlhupfer hatte dem Diener des Standesbeamten das Schächtelchen
+mit den Trauringen übergeben, und der legte diese nun auf eine schöne,
+silberne Platte, worauf der Standesbeamte unsere Namen verlas und eine
+sehr weihevolle Ansprache über die soziale Wichtigkeit der Ehe, über
+ihre Wirksamkeit, sowie über die Pflichten und Verantwortungen der
+Eheleute hielt. Danach kamen die Trauzeugen daran, und es wurde ihnen
+auch eine kleine Rede gehalten, worauf die eigentliche Trauung vor sich
+ging. Wir erhielten die Ringe, steckten sie uns gegenseitig an die
+Rechte und beantworteten die feierlichen Fragen des Beamten mit
+kräftigem Ja. Dann wurde noch etliches gesprochen, was mir aber nicht
+mehr erinnerlich ist, da ich mit einem Male so erregt war, daß ich weder
+hörte noch sah und nur mechanisch am Arm meines vor der Welt nun mir
+angetrauten Gatten zum Wagen ging.
+
+Diesmal war die Ordnung eine andere; denn ich saß neben dem Benno, und
+wir fuhren nun zum Photographen. Die andern Wägen hatten uns zwar
+begleitet, doch stieg niemand aus und fuhren sie, indes wir uns da
+aufhielten, spazieren. Der Brettlhupfer aber war bei uns geblieben und
+half mir nun mit viel Anmut aus dem Wagen, hielt mir die Schleppe und
+trug sie mir bis zum Empfangssalon des Photographen. Wir waren schon
+gemeldet und kamen daher sofort daran, obwohl noch mehrere Leute
+warteten.
+
+Während des Photographierens hatte der Benno eine kleine
+Auseinandersetzung mit dem Meister; denn als er seinen Arm um meine
+Schulter legte, sich fest an mich schmiegte und mit seligem Gesicht
+meinte: »Jatz standn ma ganz schö, net wahr?« da zog ihm der Photograph
+wortlos den Arm wieder herab, schob uns auseinander und sagte: »Net so
+stürmisch, Herr Hasler, net so stürmisch! Dös kommt später!«
+
+Der Benno war darüber so gekränkt, daß er ein ganz rotes Gesicht bekam
+und so ernst und geknickt dreinsah, daß die Verwandten, als sie nach
+etlichen Wochen die Bilder sahen, sich darüber lustig machten und
+meinten: »Aber Benno! Du schaugst ja auf dem Bildl aus, als obst zum
+Köpfa ganga warst, statt zum Heiratn!«
+
+Als die Aufnahme gemacht war, kam wieder der Brettlhupfer und geleitete
+uns hinaus; doch zu meinem Staunen kam ich nun wieder in den Wagen
+meiner Schwiegermutter, während der Benno zu seinem Vater hineinstieg.
+Auf meine Frage, warum dies geschehen sei, sagte mir die Frau Hasler,
+daß ich vor Gott noch nicht Bennos Frau sei, deshalb dürfe ich auch noch
+nicht mit ihm zusammen fahren. Ich war es zufrieden und blieb während
+der übrigen Fahrt wieder schweigend.
+
+Das hohe Portal unserer Pfarrkirche stand weit offen, und feierliches
+Orgelspiel empfing uns beim Eintritt in das Gotteshaus. Voran gingen die
+Verwandten, dann die Trauzeugen und zuletzt wir und die Brautjungfern.
+
+Nur wenige Leute waren anwesend, und ich sah mich ein wenig um, ob nicht
+ein Bekanntes darunter wäre. Da sehe ich plötzlich hinter einem der
+mächtigen Pfeiler das verzerrte Gesicht meiner Mutter auftauchen; sie
+stand da ohne Hut, im Wirtschaftsgewand und in der weißen Schürze, nur
+ein leichtes Tuch um die Schultern gelegt und starrte mit glühenden
+Augen auf den Zug. Und wie sie mich erblickte, da streckte sie den Kopf
+weit vor. Ich konnte nicht mehr hinsehen und hing mich fest an den Arm
+meines Bräutigams, und es bemächtigte sich meiner eine solche Bewegung,
+daß ich ohne alle Fassung zu schluchzen begann und nicht aufhörte
+während der Trauung und der feierlichen Messe.
+
+Die Verwandten hatten in den Chorstühlen neben dem Hochaltar Platz
+genommen; mein Bräutigam und ich knieten uns auf einen rotsammetenen
+Betstuhl, der vor dem Altar stand, während die Trauzeugen sich rechts
+und links von uns aufstellten.
+
+Da trat der Pfarrer im reichen Chorhemd, angetan mit der weißen Stola,
+aus der Sakristei, und es begann die heilige Handlung. Nach einer
+ernsten Ansprache legte er dem Bräutigam die Frage vor: »Herr Benno
+Hasler, wollen Sie sich mit der Jungfrau Magdalena Christ in den
+heiligen Stand der Ehe begeben und darin verbleiben, bis der Tod Sie
+scheidet, so sprechen Sie >ja<.«
+
+Mit lautem, bestimmtem »Ja« antwortete mein Verlobter, und nun kam die
+Frage an mich. Kaum vernehmlich und in Schluchzen fast erstickt war
+meine Antwort.
+
+Nach dieser Ablegung des Ehegelübdes faßte der Priester unsere Hände,
+legte sie zusammen, wickelte seine Stola darum und machte unter
+weihevollen Gebetsformeln das Zeichen des heiligen Kreuzes darüber.
+Danach besprengte er uns mit Weihwasser und betete mit lauter Stimme,
+worauf er die Trauringe weihte. Unter abermaligen feierlichen Gebeten
+reichte er uns sodann dieselben, und wir steckten uns diese Symbole der
+unverbrüchlichen Treue und unwandelbarer Freundschaftsliebe an, worauf
+wir mit dem Priester das Paternoster beteten.
+
+Damit war die eigentliche Trauung beendet, und der Pfarrer trat wieder
+in die Sakristei, um sich zur Messe zu bereiten.
+
+Während derselben versuchte ich immer wieder meiner Bewegung Herr zu
+werden, doch gelang es mir nicht, und als unter der Kommunion des
+Priesters das Schubertsche Ave Maria ertönte, konnte ich mich nicht mehr
+fassen und weinte laut auf. Da flüsterte mir mein Bräutigam zornig zu:
+»Hör do auf mit dem Getrenz! Hättst ja grad naa sagn brauchn, wenn's di
+so reut!«
+
+Das brachte mich plötzlich wieder zu mir, und ich wurde still und das
+Gefühl einer kühlen Gleichgültigkeit kam über mich und verließ mich den
+ganzen Tag nicht mehr.
+
+Nach dem Meßopfer sang der Chor das Tedeum, und der Priester erteilte
+uns mit aller Feierlichkeit den Brautsegen. Dies war eine große Ehre;
+denn derselbe wird sonst nur bei ganz großen, festlichen Hochzeiten
+gespendet.
+
+Als wir uns zum Gehen ordneten und über die Stufen des Hochaltars
+hinabschritten, sah ich, daß inzwischen eine große Menge Bekannter und
+auch andere Neugierige gekommen waren; meine Mutter aber konnte ich
+nicht mehr erblicken. Sie war wohl schon früher nachhause geeilt, um für
+das Mahl zu sorgen.
+
+Beim Wegfahren von der Kirche durften ich und mein Bräutigam in der
+eigentlichen Brautchaise Platz nehmen, und half er mir mit großer
+Ritterlichkeit beim Einsteigen. Er schlang auch gleich seinen Arm um
+mich und küßte mich wiederholt und fragte mit zärtlicher Stimme:
+»Kimmt's dir net hart o, daß d'furt muaßt vo dahoam und mit mir geh?«
+
+Ich antwortete mechanisch: »Naa.«
+
+Da drückte er mich fest an sich und bat mich, ihn doch anzusehen: »Geh,
+schau mi halt a kloans bißl o und gib mir halt a Busserl!«
+
+Auch das tat ich, doch ohne Wärme, ohne Leben, so daß dem Benno ganz
+angst wurde und er fragte: »Bist leicht krank, daß d' so stad und
+wunderli bist? Warum redst denn nix?«
+
+Ich blickte durch das Wagenfenster und sagte nur: »I bin net aufglegt!«
+
+Da meinte er, ich hätte vielleicht Hunger und schmeichelte: »Hast halt
+no nix G'scheits z'essn g'habt, gel! Aber jatz wer'n ma glei g'holfn
+habn, wart nur, Weiberl! Jatz tuast amal z'erscht was essn, na trinkst a
+paar Glaserl Wei, und na werst sehgn, wia dir da d'Fröhlichkeit und
+d'Liab kimmt!«
+
+Ich gab ihm nur ein halblautes »Hm hm« zur Antwort und lehnte mich mit
+geschlossenen Augen in meinen Sitz zurück. Der Benno aber glaubte, ich
+wollte mich an ihn schmiegen und drückte mich stürmisch an sich.
+
+Da hielt der Wagen. Wir waren bei den Eltern, und der Brettlhupfer stand
+schon mit den Kranzljungfern am Wagenschlag.
+
+Beim Aussteigen sah ich, daß es leicht zu schneien begonnen hatte, was
+etliche von den vielen Neugierigen, die Spalier standen, zu dem Ausruf
+veranlaßte: »So viel Schnee und Regen, so viel Glück und Segen! Natürli,
+dö Großkopfatn habn allweil no's meiste Glück aa, an Goldhaufa habn s'
+ja a so scho!«
+
+Die Kinder der Nachbarschaft drängten sich um mich und schrien: »Schenkn
+S' uns was, Frau Leni! Bitt schö, schenkn S' uns was!«
+
+Da schickte ich eine der Kranzljungfern hinein zum Vater und ließ mir
+für drei Mark Zehnerln geben, die ich dann unter die Kleinen verteilte.
+
+Inzwischen war die Festmusik, für die der alte Knoflinger, seines
+Zeichens ein Schuhmacher, mit noch sieben Genossen sorgte, vor die Tür
+getreten und empfing uns mit dreimaligem Tusch, und unter den festlichen
+Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen wir in die Gaststube ein.
+
+Voran ging Meister Knoflinger mit der Geige und hinter ihm sein
+fünfzehnjähriger Sohn Eusebius, der die zweite spielte. Ihnen folgten
+zwei Flöten und zwei Klarinetten, darauf der weißköpfige Hundshändler
+Schniepp mit weithinschallendem Bandoneonspiel, und den Schluß bildete
+der alte, bucklige Baßgeigenmichel, ein gewesener Kaminkehrer.
+
+So zogen wir hinein und nahmen an der schön gezierten Tafel Platz. Mit
+allen Geladenen waren unser siebenundzwanzig an derselben zum Mahl. Auch
+andere Gäste waren so viel erschienen, daß die Stube sie kaum fassen
+konnte, und immer kamen noch neue hinzu und wollten Platz haben.
+
+Während des Essens spielte die Musik lauter feierliche, vaterländische
+Weisen; doch als der letzte Gang verzehrt war und nur noch einzelne
+Tellerchen mit Kuchen auf dem Tische standen, da vertauschten die beiden
+Flötisten ihre zarttönenden Instrumente mit ein paar Trompeten, und der
+Baßgeigenmichel holte einen blanken Bombardon aus dem schwarzen
+Ledersack, und nicht lange darauf ertönte ein zünftiger Landler.
+
+Das war das Zeichen zum Beginn des Tanzes, und als gleich darauf ein
+Ziehrerscher Walzer erklang, stand der Hochzeiter auf und tanzte mit mir
+ein paarmal auf dem winzigen Flecklein, das ausgeräumt und mit
+geschabten Kerzen bestreut worden war. Wir tanzten nicht gut zusammen,
+da der Benno in seinen neuen Stiefeln auf dem Wachs immer rutschte und
+weil, wie er zu seiner Entschuldigung sagte, ihm die Landler besser ins
+Geblüt gingen, wie die schleifenden Walzer.
+
+Indessen kamen immer noch mehr Leute herbei und schon füllte sich die
+Schenke und die Küche mit Gästen, worüber die Eltern nicht gar erfreut
+waren, da sie sich so kaum umdrehen konnten vor Arbeit. Und als am Abend
+die Handwerks- und Geschäftsleute Feierabend hatten, kamen sie auch noch
+und wollten dabei sein.
+
+Da bat ich den Vater, er möge auf den Tanzplatz etliche kleine Tische
+stellen, daß sich die Gäste setzen könnten; wir hätten nun genug
+getanzt. Er war sehr froh darüber, und bald waren auch die drei Tische,
+die er nebst fünfzehn Stühlen herbeischaffen ließ, voll besetzt.
+
+Als es nun mit dem Tanzen aus war, begannen alle die, welche Geschenke
+gebracht hatten, ihre Reden, Widmungen und Glückwünsche.
+
+Da kam zuerst der Vorstand der Tischgesellschaft Eichenlaub: er sagte
+viel schöne Worte und überreichte uns einen großen, gerahmten Stahlstich
+»Andreas Hofers letzter Gang«. Darauf folgte eine launige Ansprache des
+Vorstandes der Arbeitsscheuen, und er ließ eine reiche Waschgarnitur
+hereinbringen. Ich nahm sie dankend in Empfang und wollte sie zu dem
+Bild auf das breite Fensterbrett stellen; da sah ich, daß überall, in
+der Waschschüssel sowohl als auch im Krug und Nachtgeschirr Spiegel
+angebracht waren, was mich in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ein
+kleines Mägdlein, als Rotkäppchen gekleidet, entriß mich daraus und
+sagte sein Verslein mit viel Pathos und lebhafter Bewegung der Arme. Und
+zum Schluß reichte es mir sein Körblein, dem der neugierige Hochzeiter
+zur großen Belustigung der Anwesenden eine Säuglingsflasche und allerlei
+Wickelzeug, mit blauen Bändlein verziert, entnahm. Ganz unten lag ein
+silbernes Schepperl mit einem Zettelchen daran: Für unsern Liebling.
+Rasch entriß ich ihm die Dinge und warf sie wieder in das Körblein,
+während es ringsum launige und anzügliche Bemerkungen regnete.
+
+Da erhob sich ein Bräumeister der Löwenbrauerei, von der die Eltern das
+Bier hatten, beglückwünschte uns in einer kurzen, stotternden Ansprache
+und überreichte uns im Auftrage der Brauerei einen großen Lederkasten
+mit feinem Silberzeug.
+
+Ihm folgten noch viele, und es war schon zehn Uhr, als das Schenken ein
+Ende nahm, und die Musiker waren froh, endlich mit ihrem Tusch- und
+Hochblasen fertig zu sein, und mit viel Behagen verzehrten sie das
+Freimahl, das ihnen gespendet worden.
+
+Mein Schwiegervater hatte ein Schwein und ein Kalb gestiftet, das als
+Braten, Suppe und Ragout an die Arbeiter unserer Fabriken sowie an die
+Musiker verteilt wurde. Mein Vater schenkte ihnen dazu einen Hektoliter
+Bier, und so gab es an diesem Tag viel Lust und Freud und manchen Dank
+und warmen Glückwunsch.
+
+Gegen halb elf Uhr wurde ich in die Küche gerufen, und als ich hinaus
+kam, stand ein Bruder meines Schwiegervaters, der Jörg Hasler, welcher
+eigens zur Hochzeit von Augsburg hergefahren war, da und bedeutete mir,
+es sei nun Zeit, daß ich entführt werde. Die Mutter meinte, er solle
+mich zu meinem Onkel, der etliche Straßen weiter eine gute Wirtschaft
+habe, führen, sie lasse gleich einen Wagen holen.
+
+Fast auf allen bürgerlichen, altbayerischen Hochzeiten herrscht noch die
+Sitte des Brautausführens: Der Hochzeiter soll gut achthaben auf seine
+Braut. Wird sie ihm dennoch von ihren Freunden entführt, so muß er mit
+seinen Freunden sie suchen gehen und zur Strafe für seine Unachtsamkeit
+alles bezahlen, was die andern mit der Braut inzwischen verzehrt haben.
+
+Also fuhren wir fort, und meine Verwandten, vor allem der Onkel, hatten
+große Freude, als wir kamen. Der Vetter Hasler bestellte sofort
+Champagner, und wir waren sehr lustig; denn die Frau Bas spielte recht
+gut auf der Zither, während der Onkel sie auf der Gitarre begleitete. Da
+nur wenige Gäste in der Wirtsstube waren, gab es viel Platz, und die
+Dienstboten räumten Stühle und Tische beiseite, damit wir, wenn man sich
+gefunden hätte, gut tanzen könnten. Auch streuten sie Federweiß auf den
+Boden und tanzten etliche Male, damit er glatt wurde.
+
+Mit einem Male ertönte draußen auf der Straße lautes Juchzen und Musik,
+und herein kam der Bräutigam, die Beiständer, die Kranzljungfern und
+viele der Gäste, und es begann nun ein ausgelassenes Treiben, während
+der Bräutigam mich mit hellem Juchschrei begrüßte und mit mir tanzte.
+
+Wir blieben noch etwa eine Stunde dort und machten uns dann wieder auf
+den Weg zu den Eltern. Der Onkel sperrte seine Wirtschaft zu und
+begleitete uns mit allen seinen Leuten und blieb bis zum Morgen auf der
+Hochzeit.
+
+Inzwischen waren immer noch mehr Gäste gekommen und der Andrang so groß
+geworden, daß die Leute in dem großen Hausgang Tische und Stühle
+aufstellten und etliche sogar auf der Stiege sich niederließen. Es war
+fürchterlich heiß und ein solcher Lärm im Lokal, daß ich es kaum mehr
+aushielt. Ich trank in die Hitze viel Champagner und nickte nur
+mechanisch denen zu, die kamen, mich zu begrüßen und zu beglückwünschen.
+Dabei ward mir immer elender zumut und mit einem Male drehte sich alles
+vor meinen Augen, und ich fiel unter den Stuhl. Man brachte mich hinaus
+in den Hof, wo ich alles, was man mir zu Hilfe reichen wollte, von mir
+warf: ein Glas mit Magenbitter, eine Tasse voll schwarzen Kaffees und
+ein Stück Zucker mit Hofmannstropfen. Dann entledigte ich mich noch
+alles dessen, was meinem Magen zu viel schien und verlangte schließlich
+unter furchtbarem Weinen ins Bett.
+
+Also führte meine Schwiegermutter mich wieder in die Gaststube und sagte
+meinem Gatten, der mit großem Rausch und starker Rührung dasaß und
+tränenden Auges auf das horchte, was sein Vater ihm eben mit viel Eifer
+erzählte, daß ich nach Hause möchte.
+
+»Ja, Herrgott, i bin ja verheirat!« rief der Benno da aus. »Was, hoam
+möcht mei Weiberl? Geh, Muatter, führ's derweil naus in d'Küch, daß ihr
+d'Zirngiblmuatta was Warms oziagt. I laß derweil an Wagn holn.«
+
+Ich packte nun meine Hochzeitsgeschenke alle auf einen Haufen zusammen
+und deckte etliche Tischtücher darüber. Dann nahm ich alle Blumen, die
+man mir am Morgen gegeben hatte und sagte den Verwandten und Bekannten
+Dank für ihr Kommen und verabschiedete mich von allen.
+
+Als ich nun gehen wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm, und man
+wollte mich mit Gewalt zurückhalten, doch machte ich ein so jämmerliches
+Gesicht, daß die Gäste glaubten, ich sei ernstlich krank, und sie ließen
+mich ziehen. Mein Gatte war, noch ehe jemand etwas ahnte, fortgegangen
+und holte selbst einen Wagen; denn nicht weit von unserer Wirtschaft
+pflegten immer etliche Fiaker zu stehen.
+
+Meine Mutter war den ganzen Tag keinen Augenblick zur Ruhe gekommen,
+doch schien sie heiter und guter Laune zu sein, und als ich nun Gute
+Nacht und Pfüat Gott sagte, erwiderte sie lachend: »So, gehst scho! I
+wünsch dir halt an guatn Ei'stand und a g'ruhsame Nacht! Feier dein
+goldnen Tag recht schö und laß di bald wieder sehgn!«
+
+Ich dankte ihr nochmals, und auf einmal überkam mich eine große
+Sehnsucht nach ihrer Liebe; ich fiel ihr um den Hals, drückte meinen
+Kopf an ihre Brust und weinte. Da zog sie langsam meine Arme von ihrem
+Hals, schob mich sanft von sich und sagte: »Geh, sei do g'scheit, Leni!
+Du machst ja dei ganz Gwand voll Fettn! Jatz brauchst do nimma nach mir
+z'jammern, hast do an Mann!«
+
+Die Frau Hasler war gerührt dabei gestanden, als sie aber sah, daß meine
+Mutter mich weggeschoben hatte, faßte sie plötzlich meinen Arm, zog mich
+an sich und sagte: »Hast scho no a Muatter aa, Leni; und wenn was is,
+komm nur zu mir. Dei Muatter hat so allweil so viel z'tuan!«
+
+Meine Mutter merkte den Hieb gar nicht und meinte, zu mir gewendet:
+»Sigst, wia's dei Schwiegermuatta guat mit dir moant! Da war manche
+froh, wenn s' so oane dawischn tät!«
+
+Derweilen kam der Benno mit dem Wagen, und nach nochmaligem,
+umständlichen Abschied von meinen Eltern, besonders von meinem
+Stiefvater, der mir noch ein Goldstück zusteckte und mir viel Glück
+wünschte, fuhren wir drei fort.
+
+In unserer Wohnung angekommen, gab es sogleich eine kleine
+Auseinandersetzung der Frau Hasler mit ihrem Sohn; denn während er alle
+Lichter anzündete, die er fand, schürte sie rasch den Ofen des
+Wohnzimmers an und begann dann mir den Schleier und Kranz abzunehmen.
+Sie war fast damit fertig und ich mittlerweile auf dem Stuhl beinah
+eingeschlafen, während sie mit halblauter Stimme mir allerhand
+freundliche, gütige Worte sagte, als mein Mann dazukam und rief: »Was
+fallt dir denn ei, Muatta! Dös is mei Arbat, mei Frau ausz'ziagn!«
+
+»Schrei net so grob, du Wüaster! Dei alte Muatta werd wohl so viel Ehr
+wert sei, daß s' ihrana Schwiegertochter beim Ausziagn helfn derf!«
+
+»Naa, sag i, dös leid i net!« schrie da der Benno und entriß ihr den
+Brautkranz, den sie mir eben vom Kopf genommen hatte. »I ziag mei Frau
+scho selber aus, und überhaupts hast du jatz nix mehr z'tuan da herobn;
+i brauch di nimma!«
+
+Da begann die alte Frau bitter zu weinen über die Grobheit ihres Sohnes
+und sank fassungslos auf einen Sessel. Ich empfand tiefes Mitleid mit
+ihr und nahm ihren Kopf in meine Hände und sagte: »Sei do stad,
+Muatterl! Der Benno moant's net a so; der hat halt heunt an Rausch!«
+
+Aber sie war nicht zu trösten: »Wie werd's dir geh, arms Kind, bei dem
+Rüapel!« rief sie aus und sprang dann plötzlich auf und stellte sich mit
+funkelnden Augen vor meinen Gatten: »Dös sag i dir; daß d'ma s' schonst,
+dei Frau; sonst, bei Gott, is g'fehlt, wannst es machst wia ...!«
+
+Mitten im Satz brach sie ab und trat zur Seite, doch hatte das Ganze
+einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich ging nochmals zu ihr hin
+und sagte: »Muatterl, reg di net auf! Mach mir mein Rock auf, und
+nachher tuast schlaffa geh. I komm morgn früah scho nunter zu dir, gel!«
+Dann gab ich ihr noch einen Kuß, und nachdem sie mir das Kleid geöffnet
+hatte, ging sie, ohne dem Benno noch eine gute Nacht zu wünschen.
+
+Ich zog mich schnell vollends aus und schlüpfte, während mein Mann
+überall herumlief und sich an unserm Eigentum erfreute, ins Bett.
+
+Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als
+ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der
+Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht.
+
+So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so
+übel geraten sollte.
+
+
+
+
+
+
+Den Tag nach der Hochzeit nennt man bei uns gemeiniglich den »goldenen«,
+wie überhaupt die erste Zeit der Ehe gar viel belobt und besungen wird.
+Ein jedes Mädchen kennt die Flitterwochen und manche Braut träumt von
+der Zeit des Honigmonds.
+
+So lebte auch ich in der Erwartung einer goldenen Zeit und hoffte von
+einem Tag zum andern auf den Beginn derselben; und als es inzwischen
+Weihnachten geworden war, da begann ich mich zu bedenken, warum nicht
+auch in meiner Ehe Flitterwochen gewesen waren. Und ich ging zu einer
+alten Frau, die für Geld den Leuten ihre Zukunft und ihr Schicksal aus
+Karten und Planeten prophezeite; doch als die mir weiter keine Erklärung
+gab, als daß ich immer noch im Honigmonde lebe, da wußte ich, daß auch
+diese Zeit ganz anders sei, als ich geglaubt; wie denn vieles in meinem
+Leben anders kam, als ich es erhofft.
+
+Ich konnte nicht begreifen, warum man diese Wochen als Flitterwochen
+besingt; ich sah nichts Herrliches und kein Glück darin, der
+nimmersatten Willkür und den schrankenlosen Wünschen des Gatten zu
+dienen, jeden Morgen mit umränderten Augen meinen müden Leib zu erheben
+und nicht einmal wenigstens die eine Befriedigung zu haben, sich Mutter
+zu fühlen.
+
+So erkrankte denn mein Gemüt, und es währte nicht lange, da empfand ich
+tiefe Angst vor der Fortsetzung dieser Ehe, und die Zärtlichkeiten
+meines Mannes verursachten mir körperlichen Schmerz; dazu litt ich an
+quälendem Herzweh und hatte nur noch den einen brennenden Wunsch: ein
+Kind.
+
+Dieses Verlangen allein bewog mich immer wieder, zu gehorchen, mich
+hinzugeben, zu leiden und zu schweigen.
+
+Nun erst erkannte ich, daß es nicht die rechte Liebe war, die mich mit
+Benno verband. Wohl war ich ihm dankbar für das, was mir die erste Zeit
+hindurch als Leidenschaft und Liebe erschien. Dazu kam die Hoffnung, daß
+bald Stille auf den Sturm eintrete und mit der angenehmen Ruhe der
+Gemüter auch das Glück zu mir käme. Auch hatte ich viel religiöses
+Empfinden und hielt es mit den Gattenpflichten im Gefühl meiner
+erhabenen Berufung zur Mutterschaft genau.
+
+Nun aber drang Zweifel um Zweifel an dieser Berufung auf mich ein, und
+ich begann mir einzureden, daß meine Heirat nicht von Gott gewollt und
+gesegnet sei. Und ich suchte durch ein frommes Leben den Himmel zu
+versöhnen und hielt neuntägige Andachten zur Mutter Gottes und verlobte
+mich zu unserer lieben Frau von Birkenstein, wenn sie mir die Gnade
+erwirkte, daß ich Mutter würde.
+
+Besonders am Feste Mariä Lichtmeß betete ich mit großer Andacht und
+empfing auch die Sakramente in der Meinung, daß Gott mir meinen
+Herzenswunsch erfülle.
+
+Mein Vertrauen auf die Hilfe Gottes war um so größer, als ich schon
+etliche Tage vor Lichtmeß infolge eines eingetretenen natürlichen
+Zustandes nach langem Bitten bei meinem Gatten erreicht hatte, daß er
+mir für kurze Zeit die Ruhe und Schonung gewährte, deren ich mich weder
+vordem noch nachher jemals erfreuen konnte.
+
+Etliche Wochen später fühlte ich denn auch wirklich allerlei Anzeichen,
+die mir Gewißheit darüber boten, daß Gott mir meinen Wunsch erfüllt
+habe.
+
+Von diesem Augenblick an begann ich meinen Gatten zu liebkosen und ihm
+alles zu gewähren. Ich kochte ihm seine Leibgerichte, fertigte ihm
+allerlei Dinge, von denen ich meinte, daß sie ihn freuen würden, und
+suchte auf alle Weise ihm unser Heim lieb und wert zu machen.
+
+Er aber hatte es anders im Kopf und wollte nun alle Welt das zu
+erwartende Glück sehen und bereden lassen und empfand stets die größte
+Freude, wenn in Wirtshäusern und Bräukellern irgend ein Geschäftsfreund
+oder Zechkumpan mit schamloser Deutlichkeit auf meinen Zustand hinwies.
+Herausfordernd stellte er mich mitten in den Kreis solcher Gesellen und
+hatte kein Ohr für meine lauten Bitten und Klagen.
+
+Schon zu Zeiten meiner Kindheit und Jugend war mir das Wirtshauswesen
+oft zu einer schier unerträglichen Last geworden; darum war es nicht
+verwunderlich, daß ich jetzt, zumal in diesem mir wunderbar und fast
+heilig vorkommenden Zustande, viel lieber daheim in der gemütlichen
+Stube geblieben wäre, um in Stille und ruhiger Beschaulichkeit die
+Ankunft des Kindes vorzubereiten. Nun kam es aber fast täglich zu den
+gröbsten Auseinandersetzungen; denn der Benno fand seine größte Freude
+und liebste Unterhaltung bei Bier und Wein und wurde darin auch von
+seinen Eltern ehrlich unterstützt, die meinten, ein Ehemann müsse unter
+allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme.
+
+So war es Pfingsten geworden, und ich begann seit etlichen Tagen auf ein
+geheimnisvolles Etwas in mir zu horchen. Oft saß ich ganz still und
+hielt den Atem an, um es zu spüren und in innerster Seele zu hören.
+
+Und eines Tages, es war um Johanni, vertraute ich es meinem Gatten an,
+indem Tränen der Freude mir in die Augen traten.
+
+Da sprang er auf, riß mich in der Stube herum und rief: »Was sagst,
+Weibi, rührn tuat si der Bua scho! Ja, Herrgott, dös muaß aber g'feiert
+wer'n! Ziag di o, na führ i di in Löw'nbräukeller! Ja, Herrgott, wer'n
+dö schaugn am Stammtisch!«
+
+»Geh, bleib do dahoam, Benno,« meinte ich und fuhr fort: »Schau, dahoam
+is so was vui schöner und g'müatlicher z'feiern! I hätt di so gern für
+mi alloa ghabt und geh gar net gern furt. Geh, bleib dahoam!«
+
+Aber, wie immer, so kam es auch dieses Mal: erst ging es ans Bitten,
+dann ans Streiten, und am End mußte ich, wenn ich nicht einer
+Mißhandlung gewärtig sein wollte, zu allem ja sagen, mich ankleiden und
+mitgehen.
+
+Am Stammtisch saßen schon die Freunde: etliche Sergeanten des Regiments,
+bei dem der Benno gedient hatte, und die er sich durch manchen bezahlten
+Rausch wohl gewogen gemacht hatte; ferner ein paar Buchhalter seines
+Geschäfts und etliche Leute, von denen man nicht recht wußte, wovon sie
+lebten und wessen Geld sie verjubelten.
+
+In diese Gemeinde nun schleppte mich mein Gatte und rief, als wir an den
+Tisch getreten waren: »Servus, meine Freund! Heunt leidt's an Rausch,
+heunt hat der Bua sein erschten Hupfa g'macht!«
+
+Einer der Sergeanten hatte sich bei unserm Kommen erhoben und war zu uns
+getreten. Und während die andern nun in ihrer gewöhnlichen Art die
+Anrede meines Mannes belachten, faßte er mich mit der Linken an der
+Schulter; mit der Rechten aber fuhr er über meinen Leib und meinte:
+»Schau, schau! Schö dick werd's scho, d'Haslerin! Hat's enk denn scho
+gar so pressiert, daß im erscht'n Jahr no d'Kindstaaf sei muaß?«
+
+Ich stand wie mit Blut übergossen, und die Stimme versagte mir, dem
+frechen Schwätzer zu antworten. Tränen rannen mir über die Wangen, und
+ich bat den Benno um die Hausschlüssel, daß ich heim könne, da ich krank
+sei.
+
+»So, so, krank is mei g'schmerzte Frau Gemahlin! Bleib nur schö da; dös
+werd scho wieder vergeh bei der Musi!«
+
+Und fest drückte er mich auf einen Stuhl und begann dann eifrig zu
+schwatzen und zu trinken; und obschon etliche gemeint hatten, sie
+wollten mich nachhause bringen, ließ er dies nicht geschehen, sondern
+sagte: »Dö soll dableibn! So vui muaß ma aushaltn könna! Was taten denn
+andere Weiber, dö wo arbatn müssn ums Tagloh'!«
+
+Erst lange nach Mitternacht kamen wir heim, nachdem mein Mann mich noch
+in ein Kaffeehaus und danach zum Wein geführt und auch die andern dazu
+eingeladen hatte.
+
+Von da ab unterwarf ich mich seinem Willen, ohne zu bitten, und hoffte,
+daß alles ein Ende hätte, wenn erst das Kind geboren wäre.
+
+So kam der Herbst, und meine Zeit rückte immer näher. Meine
+Schwiegereltern waren zwar längst nicht mehr lieb zu mir, doch ließen
+sie es mir an nichts fehlen und fragten oft nach meinen Wünschen oder
+Gelüsten; denn sie hofften auf einen Buben, der dem Geschlecht der
+Haslerischen einmal Ehre machen würde.
+
+Da war es einmal, daß ich in ihrer Wohnstube saß und an einem
+Kinderhemdlein nähte, während die Mutter eine alte Truhe mit buntem
+Kinderzeug durchwühlte und allerlei Jöpplein und Windeln daraus
+hervorzog und vor mich hinlegte. Ich aber blickte sehnsüchtig und
+verlangend nach dem Schreibtisch, wo eine Anzahl schöner Äpfel in eine
+Reihe geordnet lagen; doch getraute ich mir nicht, von der
+Schwiegermutter einen zu erbitten, da sie schon dem Benno, als er einen
+nehmen wollte, mit strengen Worten sein Tun verwiesen hatte; denn sie
+war nicht freigebig.
+
+Je länger ich nun hinsah, desto mehr gelüstete es mich nach einem der
+Äpfel, und endlich kam mir ein guter Gedanke. Ich stand auf und ging
+hinaus in das Holzlager zum Schwiegervater, der eben einen uralten
+Wiegenkorb mit himmelblauer Farbe strich.
+
+»Vater!« rief ich.
+
+»Was isch' denn?« antwortete er, ohne aufzusehen.
+
+»I möcht was!«
+
+»Was willsch' denn?«
+
+»Was Runds.«
+
+»Ja was! Eppe gar 'n Taler?« Und gespannt blickte er von seiner Arbeit
+auf mich.
+
+»Naa, Vater, a Kugel is!«
+
+»A Kugel? -- a Kugel? -- Mädla, sell ka i mir it denka! Da muaßt m'r
+scho helfa roata!«
+
+Lachend nahm ich ihn bei der Hand und führte ihn hinein und vor den
+Schreibtisch.
+
+»Ja da schau her!« rief der Alte jetzt und nahm einen der Apfel, »dias
+isch also die Kugel! Na die sollsch' haba!«
+
+Schon wollte er mir den Apfel geben; da fiel ihm die Mutter in den Arm:
+»Was, grad von dö schönsten oan!«
+
+Aber ungeachtet dieses Widerspruchs gab er mir ihn doch und meinte: »Laß
+dir'n nur guat schmecka! 's isch viel g'scheiter e g'schenkter großer,
+als e g'stohlener kloiner! Wia leicht könnt's Kindle 's Stehla lerna
+scho im Mutterleib!«
+
+Da gab sich die alte Frau zufrieden, und ich verzehrte den Apfel mit
+großem Behagen.
+
+Etliche Tage später kaufte der Haslervater einen Korb voll Trauben und
+schenkte sie mir, indem er sagte: »Dia muaßt alle essa, daß d' e saubers
+Kindle kriagsch'!«
+
+Der Oktober ging seinem Ende zu, und ich richtete alles her, dessen man
+zum Empfang eines Kindleins bedarf, und stellte die gemalte und von der
+Haslermutter mit geblumten Vorhängen geschmückte Wiege in die
+Schlafstube und rückte die Ehebetten auseinander.
+
+Am Allerheiligentag schon in aller Früh ziehen die Soldaten unter
+klingendem Spiel in die Kirche, das Namensfest unseres Regenten zu
+feiern, und aus allen Fenstern fahren die Köpfe, und ein jedes freut
+sich der Musik.
+
+Als damals in der Früh die Böller krachten und die Soldaten sich
+rüsteten zum Fest, da rief ich dem Benno, der noch schlief, aus meinem
+Bette zu: »Benno, geh hol ma d' Frau Notacker, i glaab, es werd was.«
+
+Erschreckt fuhr mein Gatte aus dem Bett und in die Hosen; in der Eile
+aber brachte er das vordere Teil nach hinten, und ich mußte über den
+komischen Anblick trotz meiner Schmerzen herzlich lachen.
+
+Unter vielen Ängsten, und nachdem er alles Erdenkliche angestellt hatte,
+seinen Hut verloren und sein Rad im Haus der Hebamme hatte stehen
+lassen, brachte er endlich die schon sehnlich Erwartete.
+
+Geschäftig packte sie ihre große Tasche aus, bei welcher Arbeit ich ihr
+ängstlich zusah; denn ich konnte es immer noch nicht glauben, daß das
+Kind ohne jede Beihilfe von Messer oder Schere, ohne Leibaufschneiden
+hervorkommen könne.
+
+Nachdem sie ihre Sachen geordnet und mein Bett zurechtgemacht hatte,
+sagte sie: »So, Herr Hasler, jatz lassn S' an etlichs Paar Bratwürscht
+holn und a Flaschn Rotwei; d'Frau Hasler braucht a Kraft!«
+
+Eilig lief der Benno, das Befohlene zu holen, und inzwischen kamen die
+Haslerischen und fragten, wie weit es noch wäre.
+
+»A paar Stund no,« erwiderte die Hebamme und fügte lachend bei: »Was
+leidt's denn, wenn i an Bubn hol?«
+
+»Sell kriagn ma na scho, Frauli!« antwortete der Vater, und die Mutter
+meinte: »D'Hauptsach is, daß alls guat geht, ebbas werd's scho sei!«
+
+Um Mittag bemächtigte sich meiner eine große Unruhe, so daß ich aufstand
+und mich etwas ankleidete. Dann ging ich ans Fenster und sah hinab auf
+die vielen Menschen, die zur Parade gingen. Deutlich hörte ich das
+Wirbeln der Trommeln und hoffte, das Militär bei uns vorbeiziehen zu
+sehen, weshalb ich das Fenster öffnete, während mein Gatte sich lebhaft
+mit der Frau Notacker unterhielt.
+
+Da fühlte ich plötzlich ein starkes Anstemmen des Kindes, und zugleich
+hatte ich das Gefühl, als müsse ich zerspringen.
+
+»Frau Notacker, i moan, jatz ...« mehr brachte ich nicht mehr heraus.
+
+Drunten zog die Regimentsmusik vorbei mit Pauken und Trompeten, und
+Kinder jubelten und pfiffen; da mischte sich ein kreischendes Stimmlein
+in die Klänge des Militärmarsches -- ich hatte einen Buben.
+
+Nun herrschte Lust und Freud im Hause und ward die Taufe mit großem Pomp
+gefeiert und gab man dem Buben nach seinem Großvater die Namen Johannes
+Magnus.
+
+ * * * * *
+
+Ich eile nun, zum Ende zu kommen; denn die letzten meiner Erinnerungen
+sind so traurig und peinlich, daß es der Leser mir nicht übel vermerken
+möge, wenn ich gewisse Zeitpunkte überspringe und in gedrängter Form die
+letzten Schicksale erzähle.
+
+Diese Ehe war so unglücklich, daß ich noch jetzt mich bedenke, ob nicht
+wirklich der Fluch, den meine Mutter mir am Hochzeitsmorgen zum Geleit
+mitgab, mit also furchtbarer Macht seine Wirkung während meiner ganzen
+Ehe übte, und ob nicht doch jene Klosterfrau, als sie mich warnte,
+wieder in die Welt zurückzukehren, von Gott begnadet war, das Schicksal
+vorauszusehen, welches mich heraußen erwartete.
+
+Und, seltsam, gerade einige Tage nach der Geburt meines ersten Kindes
+traf ein Brief von ihr ein, in dem sie mir die Versicherung gab, meiner
+niemals im Gebete zu vergessen, und mich ermahnte, auch im tiefsten Leid
+und Unglück nicht zu verzagen, denn Gottes Hand möchte vielleicht mich
+strafen, daß ich damals nicht mein Leben ihm geopfert.
+
+Später einmal, als ich ihr die Geburt eines Mädchens berichtete, bat sie
+mich, es recht gut zu erziehen; denn, meinte sie, vielleicht bringt es
+einmal dem Herrn das Opfer, das ich ihm ehemals verweigert.
+
+ * * * * *
+
+Ich war in den letzten Wochen vor der Niederkunft im Gesicht recht alt
+und fleckig geworden und mußte daher manches bittere Wort vom Benno
+hören. Nun aber blühte ich sichtbar auf, und schon nach drei Wochen war
+ich wieder so verjüngt, daß mein Gatte aufs neue in heftiger
+Leidenschaft entbrannte und allen Vorstellungen zum Trotz mit Gewalt
+jene Schranke niedertrat, die eine weise Natur einer jeglichen Mutter,
+sogar den Tieren aufrichtet. Vergeblich wies ich ihm den Kleinen, wenn
+er sich an meiner Brust sättigte und flehte: »Geh, nimm do dein' Buam
+net sei Nahrung! Laß mi do in Fried! Schau, i bin no krank!«
+
+Aber seine Sinne begehrten, und da mußte der Verstand schweigen. So kam
+es, daß ich nach wenig Monaten aufs neue Mutterhoffnungen fühlte.
+
+Bald begann ich zu kränkeln, und mit der Gesundheit schwand mein guter
+Humor, und ich wurde zur gealterten Frau, die vom Leben nichts mehr
+hofft.
+
+Unsere Häuslichkeit bot weder Frieden noch Behagen; der Benno sah wohl,
+was er getan, hatte aber doch kein Einsehen. Am Tage gab es Streit, und
+am Abend suchte er alles Trübe und Mißliche in Leidenschaft zu
+ersticken.
+
+Meine Schwiegereltern beklagten sich bitter über diese Zustände und
+schoben die Schuld auf meine Nachgiebigkeit und meinen Leichtsinn. Darob
+ward ich recht erbittert und mied sie von nun an.
+
+Meine Eltern hatten schon bald nach meiner Heirat sich mit den
+Haslerischen verfeindet, und ich durfte deshalb längst nicht mehr zu
+ihnen gehen, wenn ich nicht eines Auftritts mit Benno gewärtig sein
+wollte. Nun aber war das Verlangen nach der Mutter so stark in mir, daß
+ich alles vergaß und mich aufmachte und zu ihr ging.
+
+Als ich sie in der Küche begrüßte, fragte sie nach kurzem »'ß Gott«, was
+ich wolle. Da berichtete ich ihr schluchzend mein Unglück und bat sie um
+Trost.
+
+»So, war i jatz guat gnua zum trösten! Dös g'schieht dir grad recht,
+wenn's dir schlecht geht; du hättst es aushaltn könna dahoam! Was geht
+mi dei Elend o! Geh zu dö Haslerischen, dös san jatz deine Leut! Mach
+nur, daß d' ma weiter kommst!«
+
+Da sagte ich nichts mehr und ging, und begab mich zu fremden Leuten,
+ihnen mein Leid zu klagen. Wie wohl taten mir da die Worte des Beileids
+und des Trostes, obgleich ich wußte, daß sie nicht von Herzen kamen, und
+ich nachher in allen Milch- und Kramerläden durchgehechelt und
+ausgerichtet wurde.
+
+Mein Gatte hatte sich in der letzten Zeit immer mehr dem Trunk ergeben
+und kam oft nächtelang nicht nach Hause, um dann bei dem geringsten
+Anlaß zu wüten und mich zu mißhandeln.
+
+Um Weihnachten dieses Jahres fühlte ich, daß meine Stunde da sei, und
+ging daher zu meiner Schwiegermutter und bat sie, den Buben, der schon
+seit Wochen an schwerem Keuchhusten krank lag, etliche Tage in Pflege zu
+nehmen. Sie versprach es gerne und war auch sonst freundlich, wofür ich
+ihr von Herzen dankte.
+
+Am ersten Weihnachtstag kam ein junger, verlebt aussehender Mensch und
+begehrte den Benno. Ich rief ihn hinaus, und er erkannte in dem Fremden
+einen Schulkameraden und Freund, der inzwischen in Hamburg Kaffeehändler
+und ein reicher Mann geworden war. Hocherfreut lud er ihn ein, und
+nachdem er mir noch befohlen, ein festliches Essen zu bereiten, ging er
+mit dem Besuch zum Frühschoppen.
+
+Ich hatte zum Glück allerlei Vorrat und richtete ein gutes Mahl.
+
+Schon während des Kochens hatten leichte Wehen mir das Nahen meiner
+Stunde angezeigt; nun aber wurden sie stärker, und ich begann mich recht
+zu ängstigen, da es schon zwei Uhr war und mein Mann mit dem Besuch noch
+immer nicht kam. Ich lief zu einer Nachbarin und bat, sie möge mir die
+Frau Notacker holen. Bis diese kam, richtete ich die Schlafstube und
+wollte den Buben zu seiner Großmutter tragen, doch schlief er, und ich
+ließ ihn liegen.
+
+Gegen fünf Uhr erschien die Hebamme und meinte, es sei noch zu früh; vor
+dem nächsten Tag könne man nicht auf das Kind rechnen. Sie ging also
+wieder mit dem Bemerken, sie sehe gegen neun Uhr abends noch einmal
+vorbei.
+
+Kurz nach sechs Uhr kam der Benno allein heim und verlangte sogleich mit
+groben Worten zu essen. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er mich umsonst mit
+dem Kochen noch so geplagt hätte, und daß meine Zeit da sei und ich
+niemand hätte, der mir beistehe. Mit rohen Schimpfworten verbat er sich
+mein Gejammer und verlangte Wein, obschon er stark betrunken war. Ich
+gab ihm eine Flasche; denn ich fürchtete ihn sehr in solchen
+Rauschzuständen. Dann ging ich in die Schlafstube, wo der Kleine eben
+wieder zu husten begann. Ich hob ihn auf und wickelte ihn frisch ein,
+wobei mein Körper von heftigen Wehen erschüttert wurde. Da bekam der
+arme Bub einen der furchtbaren Anfälle, und ich glaubte, er müsse
+ersticken; doch ging es vorüber, und ermattet lag er nun in meinem Arm.
+Ich bettete ihn wieder in die Wiege und ging hinaus zum Benno, ihm über
+das Kind zu berichten. Er hörte teilnahmslos zu und sagte dann kurz: »I
+geh auf d'Nacht no furt!«
+
+Ich erwiderte nichts und wollte den Tisch abräumen, während er ein
+Päcklein unzüchtiger Photographien aus der Tasche zog und betrachtete.
+Plötzlich suchte er mich in erwachendem Begehren zu sich auf das Sofa zu
+ziehen. Unsanft stieß ich ihn von mir weg und verwies ihm seine
+Unvernunft.
+
+In dem Augenblick hörte ich meinen Buben weinen und ging zu ihm an die
+Wiege und beugte mich über das Bettlein, ihn mit leisen Worten zu
+beruhigen.
+
+Da fühle ich plötzlich von rückwärts wie eine eiserne Klammer einen Arm
+um meinen Leib und fühle, wie der Benno mich fest in das Bettlein drückt
+und sein Eherecht ausübt. Verzweifelt suche ich mich seiner zu erwehren,
+und es gelingt mir wirklich für den Augenblick. Da packt ihn eine
+rasende Wut, und unter den gröbsten Schmähungen zerrt er mich an den
+Haaren herum, wirft mich zu Boden, tritt sein eigen Fleisch und Blut mit
+Füßen und versucht, mich zu erwürgen.
+
+Auf mein lautes Hilfegeschrei stürzen Leute aus den Nachbarswohnungen
+herbei, man sprengt die Tür, und alle fallen über den sich wie besessen
+Gebärdenden her.
+
+Auch sein Vater kam, und es geschah nun etwas, was mich noch heute
+erstaunt: Der alte Hasler faßte seinen Sohn vor all den Nachbarn am
+Genick, setzte ihn auf einen Stuhl, gab ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen
+und stieß ihn sodann mit großer Gewalt zur Tür hinaus. Dies alles tat er
+ohne ein Wort; dann aber kehrte er sich an die Anwesenden und fragte
+grollend: »Hat no wer was verlora da herinne?« worauf sie alle
+verschwanden.
+
+Nun trat er zu mir; ich lehnte erschöpft an meinem Bett und bat um die
+Hebamme. Ohne ein Wort ging er, und schon nach einer halben Stunde
+brachte er sie mit.
+
+In derselben Nacht gebar ich ein Mädchen und lag danach an die sechs
+Wochen im Kindbettfieber.
+
+Seit diesem Vorfall mußte sich mein Mann sein eheliches Recht stets
+erzwingen; denn ich hatte alle Zuneigung zu ihm verloren und fürchtete
+ihn sehr. Trotzdem wurde ich noch viermal Mutter während dieser Ehe.
+
+ * * * * *
+
+Bald nach dem dritten Kinde begannen auch Wohlstand und Glück von uns zu
+weichen. Mein Mann hatte durch seine Trunksucht alles das eingebüßt, was
+man sonst an ihm schätzte; auch ließ er sich in seiner Stellung allerlei
+zuschulden kommen und wurde schließlich entlassen. Seine Eltern waren
+darüber so erbittert, daß sie uns aus dem Haus jagten.
+
+Wir zogen also um, und der Benno übernahm selber ein Geschäft. Es ging
+uns auch etliche Zeit wieder gut, und ich hatte Hoffnung, daß alles
+wieder recht würde, obschon ich nun dauernd kränkelte, da die Geburten
+meines vierten und fünften Kindes Totgeburten und sehr schwer gewesen
+waren.
+
+Nun war das sechste Kind auf dem Wege, und kurz vor Weihnachten kam ich
+in die Wochen.
+
+Mein Mann hatte um diese Zeit aufs neue ein wüstes Leben begonnen und
+saß oft Tag und Nacht im Weinhaus. Kam er dann nach Hause, prügelte er
+mich und die Kinder und zerschlug alles, was ihm gerade in die Hände
+kam.
+
+Am Tage nach der Geburt dieses Kindes kam gegen Abend ein Freund meines
+Gatten und hatte mit ihm eine Unterredung, die sehr erregt schien; denn
+der Besuch ging nach kurzem Wortwechsel ohne Gruß, und der Benno schlug
+krachend hinter ihm die Türe zu. Ich rief ihn zu mir in die Schlafstube,
+doch kam er nicht und ging bald darauf fort, ohne sich von mir zu
+verabschieden.
+
+Zwei Tage und eine Nacht blieb er weg und kam erst am heiligen Abend
+gegen neun Uhr heim. Ich erschrak heftig bei seinem Anblick; seine
+Kleider waren zerrissen und beschmutzt, sein Gesicht aufgedunsen und
+verzerrt, die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, und die stieren,
+blutunterlaufenen Augen blickten gierig und lüstern nach mir.
+
+Ich saß wie versteinert aufrecht in meinem Bett, als er mit dem
+zärtlichen Gruß zu mir trat: »Servus, Weibi; du bist aber sauber! Geh,
+laß mi eini zu dir!«
+
+Bittend hob ich die Hände und sagte: »Was hast denn, Benno; woaßt denn
+net, daß ma r a kloans Deanderl kriagt ham! Jatz konnst do net zu mir!
+Gel, Benno, du verstehst mi scho!«
+
+Aber er verstand mich nicht mehr. Rasch riß er seine Kleider ab und
+wollte zu mir, indem er mir alle erdenklichen Genüsse versprach.
+
+Flehend setzte ich ihm nochmals die Unvernunft seines Begehrens
+auseinander, doch vergebens. Er fiel über mich her, und ich mußte alle
+Kraft daran setzen, mich seiner zu erwehren. Endlich gelang es mir, aus
+dem Bett zu entkommen, und eilig schlüpfte ich in meinen Unterrock und
+lief aus dem Zimmer.
+
+Da höre ich plötzlich meine Kinder aufkreischen. Ich eile in ihre
+Schlafstube und sehe nun, wie der Benno mit gezücktem Stilet drinnen
+herumtanzt und nach der Melodie des Schäfflertanzes vor sich hinsingt:
+
+»Hi müaßt's sei! Daschtecha tua r i enk! Alle müaßt's heunt hi sei!«
+
+Er sieht mich gar nicht, wie ich die Kinder aus ihren Bettlein reiße und
+das Kleinste aus der Wiege; tanzend zertrümmert er alles, was im Zimmer
+ist und singt dazu.
+
+Also flüchteten wir uns barfuß und fast unbekleidet hinaus in den
+Schnee, und weinend hingen sich die Kinder an mich. Zitternd wankte ich
+vorwärts, und das Blut rann mir gleich einem Bächlein über die Füße und
+zeigte die Spur meiner Schritte.
+
+Freundliche Nachbarn nahmen uns auf und veranlaßten auf der
+Polizeiwache, daß man den Wütenden bändigte und nach der psychiatrischen
+Klinik verbrachte.
+
+Ein schweres Fieber folgte auf diese Nacht, und ich kämpfte lange mit
+dem Tod.
+
+Als ich mich wieder besser fühlte, nahm ich mit vielem Dank Abschied von
+den guten Leuten und begab mich wieder in meine Wohnung. Hier erwartete
+mich neuer Schreck: die Möbel waren alle mit dem Siegel des Gerichtes
+versehen und gepfändet. Etliche Briefe, die ich im Kasten fand, klärten
+mich auf. Der Benno hatte, ohne daß ich es wußte, sein volles Vermögen
+und dazu mein ganzes Heiratsgut einem Freund, der Baumeister war,
+geliehen, und dieser war bankerott geworden. Er hatte anscheinend schon
+davon gewußt und war vielleicht auch durch den Verlust dieser
+fünfzigtausend Mark um seinen Verstand gekommen. Nun hatten unsere
+Lieferanten und auch der Hausherr zu Neujahr keine Bezahlung mehr
+erlangt, weshalb sie, da sie auch keine Antwort auf ihre Mahnungen
+erhielten, endlich zur Pfändung schritten. Die Hausverwalterin hatte die
+Schlüssel meiner Wohnung an jenem Abend von einem Schutzmann erhalten
+und öffnete, als der Gerichtsvollzieher kam.
+
+Nur weniges verblieb mir; zum Glück hatte man mir einen kleinen Schrank
+mit Kinderwäsche gelassen, in dem auch meine Schmucksachen verwahrt
+lagen. Nun konnte ich wenigstens so viel Geld dafür bekommen, daß ich
+die Kinder bei fremden Leuten in Pflege zu geben und mir ein kleines
+Stüblein zu halten vermochte. Das Ringlein meines Vaters aber opferte
+ich im Herzogspital der Mutter Gottes.
+
+Dies war in der Zeit des Faschings; auch der Schäfflertanz traf auf
+dieses Jahr und füllte die Taschen der Tänzer.
+
+Um diese Zeit ging ich zu meiner Mutter und klagte ihr meine große Not
+und bat sie um einiges Geld, damit ich mir etliche Möbelstücke wieder
+auslösen könnte; denn der Hausherr hatte sich Verschiedenes behalten,
+indem er mir versprach, er wolle mir das gegen Bezahlung meiner
+Zinsschuld von sechzig Mark wiedergeben.
+
+Wortlos hörte die Mutter mir zu. Als ich geendet, sagte sie: »I kann dir
+net helfa! I hab selber no Schuldn beim Bräu. Geh zu dö Haslerischen, dö
+san reicher wia i. Übrigens freuts mi, daß si mei Wunsch erfüllt hat;
+recht schlecht soll's dir geh, weil's du's net aushalten hast könna
+dahoam!«
+
+Dann rief sie den Vater aus der Schenke und sagte: »Gel Josef, mir
+können ihr nix gebn, weil ma selber nix habn wia Schuldn!« worauf der
+Vater sich erst räusperte, dann halblaut wiederholte: »Naa, nix könna ma
+toa, mir habn selber Schuldn!«
+
+Traurig ging ich nun zu meinen Schwiegereltern. Diese versprachen mir,
+für den Buben zu sorgen. Mehr konnten auch sie nicht helfen, da sie, wie
+ich jetzt erst erfuhr, dem Benno während des letzten Jahres etliche
+tausend Mark gegeben hatten, die er, ohne mir davon zu sagen, vertan
+hatte.
+
+Also begann ich am andern Tag mir Arbeit zu suchen. Ich las auch die
+Zeitung; da fiel mein Blick auf eine Notiz über den Schäfflertanz, und
+ich entnahm ihr, daß derselbe am 20. Februar auch vor dem Hause des
+Gastwirts Zirngibl aufgeführt würde.
+
+Trotz der großen Bitterkeit, die in mir aufstieg, als ich an die Kosten
+eines solchen Tanzes, die zum mindesten an die hundert Mark betragen,
+dachte, konnte ich es doch nicht unterlassen, mich andern Tags unter die
+Menge der Zuschauer zu mischen.
+
+Da sah ich, wie sie alle, der Vater, die Mutter, die Stiefbrüder und
+auch das Gesinde, an den Fenstern standen und mit vergnügten Mienen und
+strahlendem Lächeln für die Hochrufe dankten und die Mutter eine Hand
+voll Silberstücke in die Mütze des Meisters warf, während sie den Tag
+vorher ihr Kind hungern sah, ohne zu helfen.
+
+Ich suchte also Arbeit und fand auch solche; doch nicht lange dauerte
+es, da konnte mein geschwächter Körper dieselbe nicht mehr leisten, da
+ich, um den Kindern das ihre geben zu können, oft hungern mußte. Am End
+war ich erschöpft und mußte meine Stellung aufgeben.
+
+Nach kurzer Zeit war auch der Rest meines Geldes verbraucht; und da ich
+das Kostgeld für meine Kinder nicht mehr aufbringen konnte, setzte man
+sie mir eines Tages im Winter vor die Tür.
+
+Da fand sich ein Baumeister, der mir in seinem Neubau umsonst Wohnung
+bot.
+
+Ich band meine Habe samt den Kindern auf einen Karren und zog dahin. Ein
+alter, brotloser Mann, dem ich früher Gutes getan hatte, half mir dabei.
+
+Das Haus war noch ganz neu, und das Wasser lief an den Wänden herab; wir
+schliefen auf dem Boden und bedeckten uns mit alten Tüchern und krochen
+zusammen, damit wir nicht gar zu sehr froren.
+
+Einige leichtere Schreibarbeiten schützten uns vor dem Verhungern,
+wenngleich unser tägliches Mahl in nichts weiter bestand, als in einem
+Liter abgerahmter Milch und einem Suppenwürfel, aus dem ich nebst einem
+Ei und etwas Brot eine Suppe für die Kinder bereitete. Ich selber aß
+fast nichts mehr und war so elend und krank, daß ich mehr kroch als
+ging.
+
+Eines Tages erfuhren wir, daß mein Gatte in der Kreisirrenanstalt
+untergebracht worden sei, da eine Geisteskrankheit ihm dauernd das Licht
+des Verstandes genommen hatte.
+
+Nach einem Monate solch jammervollen Lebens war auch die Gesundheit
+meiner Kinder dahin. Hustend und weinend hingen sie an mir, während
+Fieberschauer mich schüttelten.
+
+Oft war die Versuchung in mir aufgestiegen, dem Leben ein Ende zu
+machen; oft hatte ich am Abend den Hahn der Gasleitung zwischen den
+Fingern; doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ließ mich das nicht
+vollbringen, was die Verzweiflung mir eingab.
+
+Mitleidige Menschen machten endlich den Armenrat des Bezirks auf mein
+Elend aufmerksam, worauf die Gemeinde für uns sorgte, indem sie die
+Kinder einer Anstalt übergab, während ich im Krankenhaus Erlösung aus
+aller Trübsal erhoffte.
+
+Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, daß ich nicht
+das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige.
+
+
+ Umschlag- und Einbandzeichnung von Alphons Woelfle
+
+ Druck von Hesse & Becker in Leipzig
+ Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niesern bei
+ Pforzheim
+ Einbände von E. A. Enders. Großbuchbinderei, Leipzig
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Am Ende von Seite 119 heißt es: »... von einer meiner Basen, ...«, aber
+wäre dem Kontext nach logischer: »... von einer seiner Basen, ...« Dies
+wurde wie im Original belassen.
+
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonstige
+Korrekturen (vorher/nachher):
+
+ [S. 173]:
+ ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruanb; heut trifft ...
+ ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft ...
+
+ [S. 222]:
+ ... vergoldeten Spiegel das Schlafzimmers und besah ...
+ ... vergoldeten Spiegel des Schlafzimmers und besah ...
+
+ [S. 253]:
+ ... Hasler dir Gläser voll und mit herzlichen Worten ...
+ ... Hasler die Gläser voll und mit herzlichen Worten ...
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 ***
diff --git a/57853-8.txt b/57853-8.txt
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@@ -1,8223 +0,0 @@
-Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Erinnerungen einer Überflüssigen
-
-Author: Lena Christ
-
-Release Date: September 6, 2018 [EBook #57853]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This
-transcription was produced from images generously made
-available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State
-Library.
-
-
-
-
-
-
- Erinnerungen einer Überflüssigen
-
-
- Lena Christ
-
-
-
-
- Erinnerungen einer Überflüssigen
-
-
-
- Albert Langen, München
-
-
- Copyright 1912 by Albert Langen, Munich
-
-
-
-
-
-
-Oft habe ich versucht, mir meine früheste Kindheit ins Gedächtnis
-zurückzurufen, doch reicht meine Erinnerung nur bis zu meinem fünften
-Lebensjahr und ist auch da schon teilweise ausgelöscht. Mit voller
-Klarheit aber steht noch ein Sonntagvormittag im Winter desselben Jahres
-vor mir, als ich, an Scharlach erkrankt, auf dem Kanapee in der
-Wohnstube lag; es war dies der einzige Raum, der geheizt wurde.
-
-Der Großvater war in seinem geblumten Samtgilet, dem braunen Rock mit
-den silbernen Knöpfen und dem blauen, faltigen Tuchmantel in die Kirche
-vorausgegangen, während die Großmutter in dem schönen Kleide, das bald
-bläulich, bald rötlich schillerte, noch vor mir stand und mich ansah,
-wobei sie immer wieder das schwarze seidene Kopftuch zurechtrückte.
-Neben der Tür aber stand in Hemdsärmeln der alte Hausl und wollte eben
-den Sonntagsrock vom Nagel nehmen, als sich die Großmutter umdrehte und
-zu ihm sagte: »Geh, Hausl, bleib du heunt dahoam und gib aufs Kind
-Obacht und tus Haus hüten; i möcht aa amal wieda in d' Kirch geh'.«
-
-Darauf ließ der Hausl seinen Rock hängen und zog wieder seinen blauen,
-gestrickten Janker an, und die Großmutter ging zu dem Wandschränklein,
-das in die Mauer eingelassen war, nahm daraus das Weihbrunnkrügl und
-wollte gehen. In der Tür aber wandte sie sich noch einmal um und sagte
-zu mir: »Also, daß d' schö liegn bleibst, Dirnei; i bet scho für di, daß
-d' wieda g'sund wirst.«
-
-Als sie fort war, ging der alte Hausl in seine Kammer, sich zu rasieren.
-Da fiel mir ein, ich könnte wieder einmal zu unserer Nachbarin, der
-alten Sailergroßmutter, gehen. Geschwind stand ich auf und lief hinaus
-in den Schnee und vor ihr Haus. Ich fand aber die Tür zugesperrt und
-niemanden daheim; denn sie waren alle in der Kirche. Und da ich nun
-lange im Hemd und dem roten Flanellunterröckl barfuß im Schnee gestanden
-war und vergebens gewartet hatte, schlich ich wieder heim; denn es war
-bitter kalt. Als der Hausl mich kommen sah, machte er ein ganz
-entsetztes Gesicht und kopfschüttelnd nahm er mich auf den Arm und legte
-mich wieder nieder. Alsbald fiel ich in ein heftiges Fieber und soll
-darauf viele Wochen krank gelegen sein, und man hat geglaubt, daß ich
-sterben müßte. Aber der Großvater hat mich gepflegt, und so bin ich
-wieder gesund geworden.
-
-Der Großvater nämlich verstand sich auf alles, und wo man im Dorf eine
-Hilfe brauchte, da wurde er geholt. Er war Schreiner, Maurer, Maler,
-Zimmermann und Kuhdoktor, und manchmal hat er auch dem Totengräber
-ausgeholfen. Und weil er so überall zur Hand war, hieß man ihn den
-Handschuster, und der Name wurde der Hausname und ich war die
-Handschusterleni.
-
-Der Großvater war bartlos und groß und gerade gewachsen und hatte trotz
-der mannigfachen schweren Arbeit schlanke schöne Hände. Die hab ich in
-späterer Zeit oft betrachtet, wenn er am Abend auf der Hausbank saß und
-über irgend etwas nachdachte.
-
-Er war überhaupt anders als die Leute im Dorfe; denn er sprach wenig,
-ging nicht ins Wirtshaus und war bei keiner Wahl, wie er auch sonst
-allem öffentlichen Wesen fern blieb. Statt dessen erzählte man, daß er
-oft im Verborgenen geholfen habe; und wo einem Armen das Haus abgebrannt
-war, da habe er beim Aufbau mit zugegriffen, ohne lang nach dem Lohn zu
-fragen.
-
-Damals, im Frühjahr nach meiner Krankheit, war es nun mein größtes
-Vergnügen, mit ihm auf dem Wagen, vor den unser Ochs gespannt war, aufs
-Feld hinauszufahren. Von den Äckern, die auf den Höhen rings um das Dorf
-lagen, konnte man die fernen Berge sehen, und der Großvater sagte mir
-von dem höchsten, daß es der Wendelstein sei.
-
-Während er nun pflügte oder säete, brockte ich Blumen und betrachtete
-sie und die Welt dahinter durch bunte Scherben, die ich vor dem Hause
-des Glasers aufgelesen hatte; oder ich lief mit dem Sturm über die
-Wiesen und suchte ihn zu überschreien.
-
-Abends auf dem Rückweg setzte mich dann der Großvater rittlings auf den
-Ochsen, und so sah ich schon von weitem die bläulichen Rauchwölklein
-über unserem Dache, die uns anzeigten, daß die Abendsuppe schon auf dem
-Feuer stand.
-
-Waren wir daheim angekommen, so sprang ich rasch in die Küche, steckte,
-wenn die Großmutter in der Speis war, die Nase in alle Hafen und Tiegel,
-zu sehen, was es Gutes gäbe, und lief dann hinter dem Großvater drein,
-der vom Hausflöz durch den Stall in die Scheune ging, dort die
-Ackergeräte verwahrte und hierauf in dem Schuppen Holz für den Herd
-herrichtete. Ich tummelte mich derweilen in der Tenne, die wie der Stall
-und Schuppen an das kleine, freundlich mit bläulicher Farbe getünchte
-Wohnhaus angebaut war und mit ihm unter einem Dache stand, das sauber
-mit Holzschindeln eingedeckt und mit Felsblöcken beschwert war. Rings um
-das Häuschen zog sich ein saftiger Grasgrund, und von den Fenstern der
-Wohnstube, an denen reichblühende Geranien und Menschenleben standen,
-sah man im Sommer ein zierliches Gemüsegärtlein, dessen Beete mit
-feurigen Nelken, Dahlien, fliegenden Herzlein und buschigen
-Rosensträuchern eingefaßt waren. Am Eingang des Gärtleins stand ein
-großer Rosmarinstrauch, den der Großvater bei seiner Heirat selbst
-gepflanzt hatte.
-
-Von der Tenne nun schlüpfte ich des öftern in den Hühnerstall und
-durchsuchte ihn nach Eiern. Besonders als Ostern nicht mehr fern war,
-trieb es mich immer wieder dahin; denn um diese Zeit gab es unter uns
-ein großes Vergnügen, das Oarscheiben. Da zogen alle Kinder des Dorfes
-zu den großen Bauernhöfen, und dort wurden wir bewirtet und bekamen
-G'selchts, Osterbrot und bunte Eier. Diese aber wurden nicht gegessen,
-sondern zum Oarscheiben aufgehoben. Dabei teilten wir uns in zwei
-Parteien, und die einen standen hüben, die anderen drüben; dazwischen
-aber waren in schräger Lage zwei Rechen aneinander gelegt, und auf
-dieser Bahn ließen wir unsere Eier hinunterrollen. Die Partei nun, auf
-deren Seite das Ei fiel, hatte es gewonnen, und wo am Schluß die meisten
-Eier lagen, war der Sieg. Freilich begann dann oft erst der eigentliche
-Kampf, und die Eier, die zuvor gerollt waren, flogen jetzt.
-
-Während aber die andern sich noch rauften, sammelte ich, ohne mich
-besonders sichtbar zu machen, mit flinker Hand die also zu Waffen
-gebrauchten Eier und lief alsdann mit meinem vollen Schürzlein heim, wo
-ich dem Großvater die Beute vor die Füße kugeln ließ.
-
-Da gab's dann andern Tags ein gutes Gericht, den Oarsülot, zu dessen
-Bereitung ich schon am frühen Morgen mit der Großmutter den
-wildwachsenden Feldsalat von einer nahen Anhöhe brocken mußte, während
-der Großvater derweil daheim die Eier fein zerhackt und zerrührt hatte,
-was er alle Ostern selber tat, da keins ihm dies Geschäft recht machen
-konnte.
-
-Auch sonst war er oft in der Küche draußen und half der Großmutter Rüben
-schälen oder Semmeln schneiden für die Alltagskost, die Knödel; denn
-diese durften keinen Tag fehlen. Auch am Sonntag kamen sie, freilich
-viel größer und schwärzer, als Leberknödel auf den Tisch.
-
-Das Wasser, in dem die Knödel, die neben ihrer Schmackhaftigkeit auch
-noch den Vorzug der Billigkeit hatten, gesotten wurden, wurde bei uns
-nie weggeschüttet, sondern in einer großen bemalten Schüssel
-aufgetragen. Dazu stellte die Großmutter ein Pfännlein mit heißem
-Schmalz und braunen Zwiebeln und im Sommer auch ein Schüsselchen voll
-Schnittlauch. Der Großvater langte dann den von der Mutter
-selbstgebackenen Brotlaib, der mittels unseres großen Hausschlüssels
-ringsum mit einem Kranz von ringförmigen Eindrücken verziert war, aus
-dem Wandschränklein und begann langsam und bedächtig Schnittlein um
-Schnittlein in die Brüh zu schneiden. Danach goß er die Schmelz darüber,
-würzte gut mit Salz und Pfeffer und rührte mit seinem Löffel etliche
-Male um. Alsdann sagte er: »So Muatta, jatz ko'st betn.«
-
-Fleisch kam bei uns nur zu ganz besonderen Gelegenheiten auf den Tisch,
-und selbst am Sonntag genügten meinen Großeltern die Leberknödel mit dem
-Tauch, einem Gemüse von Dotschen, Rüben oder Kohlraben. Nur der
-Großvater erhielt als Feiertagsmahl ein Stück gesottenes Rindsfett, das
-er gesalzen und gepfeffert nur mit einem Stücklein Brote aß.
-
-An Ostern aber ließen sich's die Großeltern nicht nehmen, ein
-ordentliches Stück Geselchtes und dazu noch einen Tiegel voll von unserm
-selbstgemachten Kraut aufzustellen, nebst einem Körblein Eier, die samt
-dem mit viel Zyperben und Weinbeerln gebackenen Osterbrot schon in der
-Früh des Ostertags vom Großvater zur Weih' getragen wurden.
-
-Auch sonst gab's allerlei Vergnügungen und Kurzweil für die Großen und
-die Kleinen, und es war auch um die Osterzeit, daß die Kinder, die
-ungefähr in meinem Alter waren, anfingen, etwas Heimliches untereinander
-zu treiben. Der Schlosserflorian und die Ropferzenzi hatten im Stall bei
-der Wagnerin die Zicklein angeschaut, und hierbei hatte der Florian der
-Zenzi, die vor ihm hockte, unter den Rock gesehen und hatte ihr darauf
-auch etwas gewiesen. Dabei überraschte sie die Wagnerin, und alsbald
-wußte es das ganze Dorf. Die Kinder aber, die fünf- und sechsjährigen,
-hatten nichts anderes zu tun, als dies sofort nachzuahmen, und alsbald
-saßen auf den Heuböden oder hinter der Planke vom Huberwirt die Pärlein
-im Gras und betrachteten einander.
-
-Diese Vorfälle wurden nun von einem alten, frommen Fräulein dem Herrn
-Pfarrer hinterbracht, der dann am darauffolgenden Sonntag von der Kanzel
-herab wetterte über die Zuchtlosigkeit der Eltern, die nicht acht gehabt
-hätten auf das Heiligste der Kinder, auf ihre Unschuld. Viele von den
-Eltern hatten es aber in der Sorge um das Ihre übersehen, manche wohl
-auch übersehen wollen.
-
-Mit dem beginnenden Sommer fingen wir an, zu fischen. Da suchte man sich
-einen Stecken; daran wurde eine alte Gabel gebunden und mit ihr nach den
-Dollen oder Mühlkoppen, die sich im Bach unter Steinen, Scherben oder
-alten Häfen verborgen hielten, gestochen. Mit dem Stecken wurde der
-Stein zur Seite geschoben, und wenn der Fisch hervorschoß, wurde er
-angespießt. Ich war nun so geschickt, daß ich sie auch mit der Hand
-fangen konnte. Da nahm ich den Rock auf, stieg in den Bach hinein,
-bückte mich, tauchte vorsichtig den rechten Arm ins Wasser und näherte
-mich mit der Hand dem Fisch, bis er zwischen meinen Fingern stand; dann
-griff ich rasch zu. Gegen Abend trugen wir dann in einem alten Hafen den
-ganzen Fang heim. War die Großmutter im Stall, so schlug ich in der
-Küche die Fische mit einem Stein auf den Kopf, nahm heimlich Schmalz aus
-der Speisekammer und warf die Fische, nachdem ich noch schnell Salz,
-Mehl und ein paar Eier darangetan, in eine Pfanne. Die gebratenen Dollen
-brachte ich dann hinaus vors Haus, wo die anderen Kinder im Gras saßen
-und warteten. Unter dem Essen wurde nun erst die Schwimmblase und was
-sonst noch im Innern des Fisches war, mit dem Finger herausgeholt.
-
-Einmal freilich wäre ich beim Fischen beinah ertrunken, und das kam so:
-Da hat die Großmutter mit unserer Nachbarin, der alten Sailerin, die
-sehr schwerhörig war, Wasch g'schwoabt, d. i. Wäsche im Bach gespült.
-Als sie beide mit dem schweren Zuber davongingen, rief mir die
-Großmutter zu: »Lenei, daß d' fei du dahoam bleibst und ja net abi gehst
-am Bach, net daß d' eini fallst und dasaufst.«
-
-Ich aber nahm, dem Verbot zum Trotz, meinen Stecken mit der Gabel und
-einen großen Hafen und schlich leise hinterdrein.
-
-Die Großmutter und die Sailerin hatten sich auf die große Waschbank, die
-in den Bach hineingebaut war, gekniet und wuschen und hörten bei dem
-Rauschen des Wassers nicht, wie ich mich hinter ihrem Rücken auf die
-Waschbank legte. Kaum hatte ich mit meinem Stecken einen Stein zur Seite
-gerückt, als schon ein großer Dollen herausfuhr. Ich ziele und steche
-mit der Gabel zu; aber die war nicht festgebunden und rutscht ab.
-Inzwischen war der Fisch zur Seite geschnellt und blieb nahe dem Ufer
-über dem Sand stehen. Mir schien die Stelle seicht genug, um ihn jetzt
-mit der Hand fangen zu können. Ich stülpe also meinen Ärmel auf, strecke
-den Arm aus und will den Fisch fassen, versinke aber mit der Hand tief
-in den weichen Ufersand; dabei verliere ich das Gleichgewicht und stürze
-in den Bach, jedoch so, daß die Füße noch auf der Waschbank blieben. Den
-Kopf unter Wasser zerre und zapple ich so lange, bis ich die Füße
-nachziehen konnte. Derweilen hatte mir aber das Wasser schon alle Kraft
-genommen, und trieb mich nun unter der Waschbrücke hindurch grad unter
-die Hände meiner Großmutter.
-
-»Jess', Mariand Josef, insa Lenei!« schrie sie und ließ das Wäschestück
-fahren, packte die alte Sailerin am Arm, schüttelte sie heftig und
-schrie ihr ins Ohr: »He, Soalerin, hilf, insa Lenei datrinkt!«
-
-Darauf zogen sie mich heraus und führten mich heim.
-
-Als der Großvater mich sah, meinte er: »Aba Lenei, gel, jetz hast es;
-wie leicht kunntst dasuffa sei!«
-
-Der Hausl aber, der auf dem Kanapee saß, spottete: »Gel, bist in Bach
-einig'falln, du Schliffi!«
-
-Der Hausl, Balthasar Hauser, wie er eigentlich hieß, war im Übrigen mein
-guter Freund. Im Dorf war er freilich wenig beliebt, weil er recht
-barsch war und ein großer Geizhals. Ging er umher, so streckte er die
-Arme weit hinter sich hinaus; denn er war schon ganz krumm und alt. Er
-lebte bei den Großeltern im Austrag und bewohnte die an unsere Wohnstube
-anstoßende Kammer. Darin hatte er aus der Mauer ein paar Ziegelsteine
-herausgebrochen, das Loch ausgemauert und vor die Öffnung als Tür ein
-dickes Brettlein gemacht, das in Scharnieren hing und an das der
-Schlosser ein Schloß hatte anbringen müssen. In diesen Behälter tat er
-sein Geld und seine Kostbarkeiten, schmierte das Türlein mit Kalk zu und
-machte mit einem Farbstift einen winzigen Punkt an die Stelle, wo sich
-das Schlüsselloch befand. So glaubte er seine Habe erst sicher vor den
-Menschen, denn außer mir wußte niemand um diesen geheimen Ort. Wenn er
-nun einige Pfennige brauchte, wie an den Sonntagen zum Bier, so ging er
-in seine Kammer, zog die Vorhänge zu, kratzte mit einem Messer den Kalk
-vom Schlüsselloch, und sobald er das Wenige, das er jeweils brauchte,
-herausgenommen hatte, strich er alles wieder zu und machte einen neuen
-Punkt. Das Häflein mit dem Kalk bewahrte er unter dem Bett auf, das
-Nachtgeschirr darübergestürzt. Damit nun nicht etwa jemand diese Dinge
-fände, putzte er selbst seine Kammer und machte sein Bett. Auch wusch er
-selber seine Wäsche; denn er fürchtete, der Großmutter etwas zahlen zu
-müssen; und zwar wusch er immer nur ein Stück, hängte es darauf in die
-Sonne und setzte sich dazu, damit es ihm nicht etwa gestohlen wurde. Kam
-ich an solchen Tagen und sagte: »Hausl, geh mit mir furt!«, so zeigte er
-auf sein Sacktüchl und sagte: »Wart a bißl, bis mei Schneuztüchl trucka
-is.«
-
-Außer ihm waren bei meinen Großeltern noch Kostkinder im Hause, die die
-Großmutter aufzog.
-
-Sie war eigentlich nicht meine rechte Großmutter, sondern nur die
-Schwester derselben. Meine leibliche Großmutter habe ich nicht gekannt;
-sie war schon lange tot. Von ihr hat mir die Großmutter im Winter, wenn
-sie mit der alten Sailerin und der Huberwirtsmarie am Spinnrad saß, viel
-erzählt. Sie sei eine sehr böse Frau gewesen, im ganzen Ort gefürchtet,
-und alle Leute seien froh gewesen, als sie endlich mit achtunddreißig
-Jahren gestorben sei. Sie hatte lange an Magen- und Leberkrebs gelitten;
-darum hatte ihre Schwester schon bei ihren Lebzeiten das Hauswesen beim
-Großvater geführt und die Kinder erzogen. Eigentlich aber war sie eine
-Nähterin.
-
-Als nun der Großvater Witwer war, wollte er die Schwägerin heiraten; da
-sie aber in ihrer Jugend Mitglied und später Präfektin des weltlichen
-dritten Ordens des heiligen Franziskus geworden war, mußte er deswegen
-sich an den Papst wenden, der ihr unter der Bedingung Dispens erteilte,
-daß sie mit ihrem Manne eine sogenannte Josephsehe führe, das heißt, die
-gelobte Keuschheit bewahre. Daher kam es wohl auch, daß der Großvater
-sie immer mit großer Achtung behandelte und ihr niemals ein böses Wort
-gab. Nur einmal war eine Geschichte:
-
-Von unsern Kühen gab eine, das Bräundl, zu wenig Milch. Da nahm sich der
-Großvater vor, sie nach Holzkirchen auf den Markt zu führen und gegen
-eine bessere umzutauschen. Obwohl nun die Großmutter dagegen war, hat er
-sie doch fortgetrieben und dafür eine wunderschöne, schwarzfleckige Kuh
-heimgebracht.
-
-Als sie nun das erstemal von der Großmutter gemolken wurde, gab auch sie
-nur ein paar Liter Milch. Da meinte man, es komme von der Anstrengung;
-aber es wurde nicht besser. Als sie nach ungefähr einer Woche nicht mehr
-als fünf Liter Milch gab, während wir sonst von unsern Kühen zehn bis
-zwölf Liter hatten, ward die Großmutter sehr ärgerlich und fing an, mit
-dem Großvater zu streiten und sagte: »Da hättst aa nix Bessers toa
-könna, als wie dös Viech daher bringa; hättst halt's Bräundl g'haltn.
-Bringst da so an Ranka daher, der oan's Fuada wegfrißt und für nix guat
-is.«
-
-Da wurde der Großvater zornig: »Sei stad! Was vastehst denn du, du
-Rindviech! Dös ko i da Kuah net o'sehgn, daß koa Milli gibt bei so an
-Trumm Euter. Na weis i's halt wieder furt in Gott'snam', daß d' an Ruah
-gibst, alt's Rindviech.«
-
-Darauf erwiderte die Großmutter nichts, sondern ging in die Kuchl
-hinaus.
-
-Als sie aber beim Nachtessen das Tischgebet sprach, fing sie plötzlich
-beim Vaterunser an ganz laut zu schluchzen und lief hinaus. Da sprach
-ich das Gebet zu Ende und sagte darauf zum Großvater: »Gel, jetz hast
-es, weilst so grob bist. Warum greinst denn a so, wo's es net braucht!
-Mei Großmuatta is brav, und balst es no amal schimpfst, nacha mag i di
-nimma!«
-
-Darauf sagte der Hausl, der auch mit uns aß: »Woaßt, Handschuasta, dös
-sell muaß i selm sagn; da hast an schlechtn Tausch g'macht. Da hat d'
-Handschuasterin scho recht, und i moan, dösmal warst du's Rindviech
-g'wen.«
-
-Diese Rede freute mich, und ich ließ das Essen stehen, lief zur
-Großmutter in die Küche, setzte mich auf ihren Schoß und sagte:
-»Großmuatterl, sei stad und woan nimma. Der Großvata is dir scho wieda
-guat und der Hausl sagt's aa, daß der Großvata 's Rindviech is. Jatz
-weist er d' Kuah wieder furt und kaaft dir a andere. Und i hab's eahm
-scho g'sagt, er darf di nimma ausgreina.«
-
-Da nahm sie mich um den Hals und sagte: »Du bist halt mei Brave, gel
-Lenei.«
-
-Darauf aß ich mit ihr draußen in der Küche zur Nacht, zog sie danach
-wieder in die Stube und rief: »So Großvata, jatz is dir d' Großmuatta
-wieda guat und woant nimma; jatz muaßt aba versprecha, daß d' es wieda
-magst und nimma greinst.«
-
-Da lachte er: »No, in Gottsnam, Hex, na mag i 's halt wieda.«
-
-In der Nacht hab ich zwischen ihnen beiden geschlafen und hab ein jedes
-bei der Hand genommen und ihnen die Hände gedrückt und sie festgehalten.
-
-Auf einmal fängt die Großmutter aufs neue zu schluchzen an: »Naa, i ko's
-net vergessn, was d' g'sagt hast, wo i dir g'wiß a bravs, rieglsams Wei'
-g'wen bin.«
-
-»Stad bist ma!« erwiderte der Großvater. »Bevor i harb wer'. Dös ko an
-jedn passiern; geh nur und kaaf du ei!«
-
-Jetzt wurde ich wild, stieß den Großvater mit Füßen, schopfte ihn bei
-den Haaren und schrie: »Jatz werd's ma z' dumm! Jatz laß d' mei
-Großmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der Münkara
-Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!«
-
-Darauf mußte sich die Großmutter in die Mitte legen und ich legte mich
-hinaus. Der Großvater aber lachte: »Geh, schlaf, du Nachtei!«
-
-Am andern Tag in der Früh fragte ich gleich die Großmutter: »Is er dir
-wieda guat, der Vata?«
-
-»Ja,« erwiderte sie, »mir san scho guat.«
-
-Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch
-drei oder vier Tage fort.
-
-Die Kuh aber hat der Großvater an den Huberwirt verkauft und dafür vom
-Schneider zu Balkham eine wunderschöne, trächtige heimgebracht.
-
-Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der
-Münkara Muatta, das heißt zu meiner Mutter in München, zu gehen, die ich
-übrigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden hören.
-Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Großmutter, darin die Mutter
-schrieb, daß sie bald kommen würde, uns zu besuchen.
-
-Da sagte mein Großvater zu mir: »Dirnei, jatz muaßt brav sei, d' Münkara
-Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst
-es von der Bahn abholn.«
-
-Ich glaubte natürlich, meine Münkara Muatta käme schon am selben Tag, an
-dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuß und ohne Hut oder
-Tüchl gegen die Sonnenhitze, es war im Spätsommer, fort und lief, so
-schnell ich konnte, über die Brücke den Berg hinauf durch Felder und
-Wiesen über Schloß Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstraße, die
-gen Grafing führt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief
-durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und
-unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des
-Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, daß hier ein
-Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da fürchtete ich mich so sehr, daß
-ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu rühren vermochte.
-
-Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem kürzesten Weg nach
-Grafing fragten. Da löste sich meine Angst und indem ich rief: »Oes
-derfts grad dera Straßn nachfahrn!« stürmte ich schon an den Herren, die
-von ihren Rädern abgestiegen waren, vorbei und lief, so rasch mich meine
-Füße trugen, bis nach Moosach, dem nächsten größeren Dorfe. Dort bat ich
-eine Bäuerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen
-Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: »Wo
-kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?«
-
-»I geh auf Grafing und geh meiner Münkara Muatta z'gegn.«
-
-Sie mahnte noch: »Gel, tua di fei net volaafa, Kind!« und begleitete
-mich bis unter die Haustür. Mit einem lauten: »Gelt's Gott!« und »Pfüat
-Gott, Bäuerin!« lief ich wieder weiter, die Straße über Waldbach,
-Baumhau, den großen Untersumpf entlang nach Grafing.
-
-Schweißtriefend und keuchend kam ich ungefähr um sieben Uhr abends dort
-am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: »Bitt schön, wißt's ös net,
-wenn daß der Zug vo' Münka kimmt?«
-
-Der aber meinte, vor acht Uhr käme keiner mehr; denn der letzte sei um
-fünf Uhr schon gekommen.
-
-Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: »Habt's ös mei Münkara
-Muatta net kemma sehgn?«
-
-Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wußte
-nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich stürmte über
-den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die
-grad ausgestiegen war und fragte sie: »Bist du mei Münkara Muatta?«
-
-Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen hörte ich rufen: »Personenzug
-über Kirchseeon, Haar, Trudering nach München!« Da wurde es mir klar,
-daß es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und
-wartete, bis der Achtuhrzug aus München kam. Da stiegen aber nur einige
-Männer aus und ich mußte mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon
-ziemlich dunkel geworden war.
-
-Ich fing nun wieder an zu laufen, zurück durch den Wald und den Sumpf.
-
-Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah plötzlich, daß ich
-mich verirrt hatte.
-
-Nach einem langen Umweg kam ich über Bruck nach Wildenholzen. Es ist das
-ein kleines, wundernettes Örtlein am Fuß eines schönen, bewaldeten
-Bergabhanges.
-
-Ganz erschöpft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich
-nicht rasten dürfe und wie weit ich wohl noch hätte bis zu meinem
-Großvater.
-
-»Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei
-ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm
-eina, na kriagst was z'essn.«
-
-Ich konnte vor Müdigkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur
-schlecht schlafen. Schreckliche Träume verfolgten mich und ich meinte in
-den Sumpf geraten zu sein und versinken zu müssen.
-
-Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich
-der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen.
-
-In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni.
-Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende Bäuerin, die auch
-einen großen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von
-Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die
-Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden.
-
-Die Nanni führte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Großeltern.
-Diese hatten mich die ganze Nacht in Ängsten gesucht und beweinten mich
-schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde.
-
-»Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!«
-
-Ohne einen Laut fiel ich dem Großvater in die Arme. Da sah man erst, daß
-ich ganz heiß und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentzündung, von der
-ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen später meine Mutter
-wirklich kam.
-
-Da trat eine große Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiß
-karierten Kleide über einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug
-sie einen weißen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauß
-von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand
-und sagte nur: »Bist auch da!«
-
-Als sie am nächsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der
-Großvater: »No, Dirnei, magst nachha eini zu der Münkara Muatta in d'
-Stadt?«
-
-Da umhalste ich ihn, schüttelte den Kopf und sagte schnell: »Naa, naa!«
-
-So durfte ich denn noch beim Großvater bleiben und wie zuvor mit ihm
-gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte.
-
-In diesem Herbst war es nun, daß wir einmal zum Ausweißen gingen. Und
-als der Großvater bei der Arbeit war, schickte er mich wieder heim. Mein
-Weg führte mich am Obstgarten des Herrn Pfarrers vorbei, darinnen ich
-schon auf dem Hinweg einen großen Apfel hatte liegen sehen. Als ich
-jetzt wieder vorüberkam, suchte ich nach einer Zaunlücke, schlupfte
-hindurch und kroch auf allen Vieren durchs Gras und holte mir den Apfel.
-Da ich noch einen zweiten liegen sah, aß ich diesen sogleich und nahm
-den schöneren mit heim, um meiner Großmutter eine Freude zu machen.
-
-»Großmuatterl, da schaug her,« rief ich, »i hab dir was mitbracht; an
-schön'n Apfel vom Herrn Pfarrer!«
-
-Da hatte die Großmutter eine rechte Freude; denn sie meinte, der Herr
-Pfarrer habe ihn mir geschenkt.
-
-»Bist halt mei bravs Lenei; vergunnst deiner Großmuatta aa ebbas.«
-
-Unter diesen Worten schälte sie den Apfel und schabte ihn; denn sie
-hatte fast keinen Zahn mehr im Munde.
-
-»Ah, der is aba guat! Hättst'n net liaba selba gessn, Dirnei?«
-
-»A naa, Großmuatta, i hab ja scho oan g'habt.«
-
-Ein paar Stunden später sah ich den Herrn Pfarrer daherkommen. Da rührte
-sich mein schlechtes Gewissen, und ich hab mich hinter die Stiege
-verschloffen. Inzwischen war meine Großmutter in den Hausgang oder Flöz
-hinausgegangen, und jetzt seh ich, wie der Herr Pfarrer richtig zu ihr
-hereingeht und sagt: »Liebe Handschusterin, leider hab ich sehen müssen,
-daß Ihr Enkelkind, das Lenei, ein paar Äpfel in meinem Garten aufhob und
-damit davonlief. Hört, Handschusterin: es ist mir nicht um die paar
-Äpfel; aber die Begierde hätte das Kind bezähmen sollen. Hätte das Lenei
-mich gebeten, ich hätt' ihr mit Freuden etliche geschenkt.«
-
-Nach diesen Worten trat der Herr Pfarrer ins Zimmer und unterhielt sich
-noch längere Zeit mit der Großmutter. Ich aber lief, was ich laufen
-konnte, nach Westerndorf zu meiner Nanni. Ich wollte auch zur Nacht
-nicht mehr heim, weil ich Strafe fürchtete; doch hat mich die Nanni
-schließlich überredet und heimgebracht. Ich hätte aber nicht so viel
-Angst zu haben brauchen; denn der Großvater hat mich verstanden. Und als
-die Großmutter anfangen wollte zu schimpfen, fiel er ihr ins Wort: »Stad
-bist ma! Nix sagst ma übers Kind; hat's dir 'n vielleicht net bracht? I
-sags allweil, 's Lenei hat a guats Herz!«
-
-Da mußte die Mutter still sein. Später einmal traf mich der Herr Pfarrer
-und sagte: »Liebes Kind, ich hätte dir ganz gerne einen Apfel geschenkt,
-wenn du mich darum gebeten hättest. Aber selbst aufheben durftest du dir
-keinen; denn das nennt man Stehlen.«
-
-Neben der Arbeit im Haus, Garten und Stall hat die Großmutter Mieder
-genäht und war weit und breit wegen ihrer Geschicklichkeit darin berühmt
-und gesucht.
-
-Nun kam da zwei- oder dreimal im Jahr ein Mann aus Schwaben, der zog von
-Dorf zu Dorf mit seiner Kirm auf dem Rücken und gab für Haderlumpen den
-Leuten Nähnadeln, Steckklufen, Fingerhüte, Maßbandln und den Kindern
-Fingerringe. Meiner Großmutter aber gab er für die alten Flicken und die
-Abfälle von den Miedern neue Miederhaken und Schlingen, die er Moidala
-und Schloipfala nannte. Einmal waren ihm nun die Miederhaken
-ausgegangen, und als ihn die Großmutter fragte: »Hast heunt gar koani
-Miadein?« sprach er: »Noi, gar koine Moidala geits mehr; lauta
-Schloipfala kannscht mehr haba.« Damit wollte er zugleich sagen, daß es
-jetzt gar keine braven Mädeln mehr in den Dörfern gebe und die meisten
-sogenannte Schloapfen, das will sagen leichtfertige Wesen seien, die auf
-jedem Tanzboden herumschleifen und die jeder leicht haben kann.
-
-Zu all dieser Arbeit zog die Großmutter, wie ich schon sagte, Kostkinder
-auf, welche die Gemeinde ihr wegen ihrer Gewissenhaftigkeit und
-Sauberkeit übergab. Es waren dies Kinder von Bauerndirnen, von ledigen
-Gemeindeangehörigen, die wer weiß wo weilten und ihre Kinder der
-Gemeinde aufbürdeten; aber auch Kinder von Gauklern, die diese einfach
-den Leuten vor die Tür legten.
-
-So war es auch einmal um die Weihnachtszeit. Draußen lag tiefer Schnee,
-und wir saßen in der Wohnstube beisammen und jedes hatte seine
-Beschäftigung: der Großvater band einen Besen, die Großmutter spann und
-der Hausl baute mir ein Haus aus großen Holzscheiten. Da klopft es mit
-einem Male ans Fenster. Erschreckt schreit die Großmutter auf; der
-Großvater aber geht hinaus, zu sehen, wer so spät noch Einlaß begehrt.
-Er sperrt auf und tritt vor die Tür; im gleichen Augenblick aber hören
-wir ihn rufen: »Heiliges Kreuz! a Kind!«, und herein bringt er ein
-kleines Bündel und legt's auf den Tisch. Die Großmutter springt auf und
-wickelt es aus. Da liegen zwei kleinwinzige Wesen vor ihr, und wie sie
-das eine nehmen will, kann sie es nicht heben, weil das andere auch mit
-in die Höhe geht. Als sie dann die Windeln aufmachte, sahen wir erst,
-daß die Kinder zusammengewachsen waren. Außen am Bündel war ein Papier
-befestigt; darin lagen die Taufscheine der Zwillinge und ein Brief des
-Inhalts, daß eine Seiltänzerin die Kinder geboren und bei der Geburt
-gestorben sei. Man habe von der Handschusterin gehört und bitte nun um
-Gottes willen um Aufnahme für die Kinder; die Gemeinde würde schon
-zahlen. Da sagte die Großmutter: »Um Gottes willen is aa was; auf die
-Mautschein geht's aa nimmer z'samm!«
-
-Und so behielt sie die armen Waislein. Als sie aber größer wurden und
-sitzen lernen sollten, fand man, daß die gewöhnlichen Stühlchen zu
-klein, eine Bank aber nicht für sie geeignet war; denn das Gesäß, mit
-dem sie seitlich zusammengewachsen waren, war nicht breiter als das
-eines Kindes; von den Hüften aufwärts aber nahmen sie den Raum von
-zweien ein. Also verfertigte ihnen der Großvater ein eigenes Stühlchen,
-sowie ein Bänklein mit einer runden Lehne, in das er zwei Löcher
-schnitt, das Bänklein polsterte und die Löcher mit Deckeln versah.
-Darunter stellte dann die Großmutter bei Bedarf zwei Nachthäflein. Auch
-alle Kleidungs- und Wäschestücke mußte sie eigens machen und das
-Süpplein gab sie ihnen nicht aus der gebräuchlichen Saugflasche, sondern
-nahm ein großes Glas und ließ einen zinnernen Deckel mit zwei Löchlein
-machen, durch die sie zwei lange Gummischläuchlein zog. Daran befestigte
-sie dann die Sauger.
-
-Als die Mädchen zwei Jahr alt waren, erkrankte eines von ihnen an
-Diphtherie, während das andere seltsamerweise ganz gesund blieb.
-
-Sieben Jahre hatten meine Großeltern diese Zwillinge bei sich, bis sie
-von der Gemeinde an den Besitzer einer Schaubude abgegeben wurden, der
-sie auf vielen Jahrmärkten herumzeigte.
-
-Doch nicht immer waren es Kinder solch armer oder heimatloser Leute;
-mitunter wurde auch eins von besserem Stand uns vor die Tür gelegt.
-
-So war eine reiche Dame in Rosenheim, die lange Zeit glücklich mit ihrem
-Manne, einem Doktor, gelebt hatte. Da ward sein Geist umnachtet und er
-vertat in kurzer Zeit all sein Gut. Zuletzt sperrte man ihn in ein
-Irrenhaus und wies die unglückliche Frau, die ihrer schweren Stunde
-entgegensah, von Haus und Hof. Dies brachte die Ärmste gleichfalls um
-den Verstand, und sie lief eines Nachts von Rosenheim fort und kam bis
-nach Ebersberg. Dort brachte sie in einem Schuppen das Kind, ein
-Mädchen, zur Welt. Sie hatte nichts, worein sie es wickeln konnte, und
-so zog sie ihren Rock aus, bettete das Würmlein hinein und band es mit
-ihren Strümpfen zusammen. In der Nacht machte sie sich wieder auf den
-Weg und lief, nun barfuß und nur halb bekleidet, bei bitterer Kälte,
-denn es war im Januar, fort bis in unser Dorf. Vor dem Haus des
-Bürgermeisters brach sie tot zusammen, und man brachte das Kindlein
-meiner Großmutter, die das erstarrte, halbtote Wesen wieder zum Leben
-brachte und aufzog.
-
-Auch das Kind eines katholischen Priesters hatten wir einmal in der
-Kost. Es war von einem schönen Mädchen, einer Müllerstochter, die von
-dem Unhold betört und in großes Elend versetzt worden war. Sie ertränkte
-sich, während der Geistliche seine Pfarrei verlassen und mehrere Jahre
-lang einen Strafposten bekleiden mußte. Zum Glück starb das Büblein
-bald; es hatte den ganzen Kopf voll großer Blutgeschwüre gehabt.
-
-Von den zwölf Kostkindern, die die Großmutter um diese Zeit aufzog,
-wuchsen zusammen mit mir die Urschl, der Balthasar, genannt Hausei, der
-Bapistei und die Zwillinge auf. Sie schliefen alle mit mir bei den
-Großeltern in der gemeinsamen großen Schlafkammer, die vier Fenster
-hatte. Mein Bett war auf der Seite, wo der Großvater schlief, während
-bei der Großmutter drüben das der Zwillinge stand. Nahe an ihrem Bett
-hatte die Großmutter die alte, buntbemalte Bauernwiege stehen. Daran war
-ein Ring und an diesem hing ein langes Band, das die Großmutter beim
-Schlafengehen um die Hand wickelte. An dem Bande zog sie nun leise, wenn
-das Kind unruhig war, und oft hörte ich, wenn ich nicht schlafen konnte,
-die ganze Nacht hindurch das leichte Knarren der Dielen. In die Wiege
-kam das Kleinste, außer es war ein anderes krank, das dann
-hineingebettet wurde. Darum lag die meiste Zeit der Bapistei darin; denn
-er war ein recht schwächliches, streitiges Kind. Mitunter nahm der
-Großvater der Großmutter das Bandl aus der Hand: »Geh, Muatta, laß mi
-hutschen; tua jetz a bißl schlafa!«
-
-Aber er konnte es nicht so leise, wie sie, und da schrie denn der
-Bapistei so lang, bis die Großmutter wieder das Bandl nahm.
-
-Das Kostgeld für jedes Kind war von der Gemeinde auf monatlich vier bis
-fünf Mark festgesetzt; trotzdem sorgte die alte Frau für sie wie für
-eigene. Sie war auch in der Krankenpflege sehr erfahren und hatte viele
-Hausmittel und wußte Krankheiten zu beschwören, was beim Landvolk unter
-dem Namen Abbeten bekannt ist.
-
-Als unser Bapistei durch das viele Schreien einen Nabelbruch bekommen
-hatte, heilte ihn die Großmutter auf folgende Weise: Sie suchte beim
-wachsenden Mond drei kleine Kieselsteine unter der Dachrinne und drückte
-jeden Abend beim Mondaufgang einen davon dem Kinde auf den Nabel, drehte
-ihn mit dem Daumen und sprach dazu:
-
- »Bruch, ich drucke dich zu,
- Geh du mit der Sonne zur Ruh;
- Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit,
- Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«
-
-Dann band sie das Steinlein mit einer Binde fest und gab dem Kinde einen
-heilkräftigen Tee. Nach einigen Tagen wurde der Bapistei wirklich
-gesund.
-
-Eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit sind die
-Sonntagnachmittage im Winter. Da hat die Großmutter mir vorgelesen aus
-uralten, heiligen Büchern und mir erzählt von gottseligen Leuten und
-deren wunderbarem Tod; hat mir Beispiele von der Hilfe unserer lieben
-Frau von Frauenbründl und Birkenstein erzählt und wundersame Gebete mir
-vorgebetet und mich gelehrt. Wenn sie dann beim Lesen eingenickt war und
-ich zu ihren Füßen auf dem Schemel saß, geschah es manchmal, daß ihr die
-alte Hornbrille von der Nase und in den Schoß fiel. Beim Erwachen wollte
-sie weiterlesen; da sie aber ohne Glas nichts sehen konnte, rückte sie
-das Buch immer näher an die Augen und griff endlich nach der Stelle, wo
-die Brille gesessen, um sie zurechtzurücken. Da merkte sie erst, daß sie
-ihr entfallen war.
-
-Oft geschah es auch, daß sie in der Eile die Brille auf die Stirn schob,
-wenn sie mit jemandem sprach. Wollte sie dann später etwas lesen, so
-suchte sie überall: »Habt's es denn nindascht g'sehgn? Woaß neam'd, wo i
-s' hing'legt hab? I find s' scho wieda net!«
-
-»Ja, was suachst denn, Muatta; was findst denn scho wieda net?« fragte
-dann der Großvater.
-
-»Ah, was wer i denn suacha! 's Augnglas!«
-
-»Jessas, Jessas! Hast es ja a so drobn am Hirn; bist da du dumm,
-Muatta!«
-
-Mit diesen Worten schob er ihr die Brille wieder auf die Nase.
-
-Ich hatte sie längst bemerkt; doch freute es mich, die Großmutter so
-ratlos zu sehen, und ich lief überall mit ihr herum und suchte.
-Kopfschüttelnd ging dann der Großvater in den Stall oder gegen Abend
-wohl auch auf den Heuboden, um für die Kühe das Gsott zu schneiden.
-
-Ich aber schlich mich in die Künikammer oder Königskammer, die zu
-betreten mir verboten war. Es war das die beste Stube des Hauses,
-angefüllt mit den Schätzen, die von den Ureltern auf uns gekommen waren;
-auch die Möbel darin stammten aus alter Zeit. Da standen zwei Truhen, an
-denen gar seltsame Figuren und Zierate zu sehen waren und darinnen der
-Brautschatz der Urgroßmutter lag. Es war dies ein bald bläulich, bald
-wie Silber schimmerndes Seidenkleid, ein köstliches, bunt und
-goldgesticktes Mieder, dazu eine goldbrokatene Schürze, in die leuchtend
-rote Röslein gewirkt und die mit alten Blonden besetzt war. Dabei lag
-eine hohe Pelzhaube, wie sie vor hundert Jahren die Bräute als Kopfputz
-trugen, und zwei Riegelhauben, eine goldene und eine schwarze, mit
-Perlen besetzt. Daneben stand ein Kästlein aus schwarzem Holz und mit
-Perlmutter eingelegt; darin lag das schwere, silberne Geschnür mit
-uralten Talern und einer kostbaren silbernen, neunreihigen Halskette und
-Ohrgehänge und silberne Nadeln. Ganz versteckt in der untersten Ecke
-aber lag, sorglich in ein zerschlissenes, seidenes Tuch gewickelt, das
-Brautkrönlein der Ururgroßmutter. Es war das ein zierliches Kränzlein,
-dessen Blumen und Blätter aus Rauschgold und Edelsteinen gearbeitet und
-mit Perlen und Filigran eingefaßt waren. Nach Art der Riegelhauben aber
-war es steif gefüttert, und über der verblichenen Seide lag noch ein
-matter, rötlicher Schimmer.
-
-Die andere Truhe war voll des feinsten, selbstgesponnenen Flachses und
-schöner, gestrickter Spitzen. In einem großen, buntbemalten Schrank lag
-handgewirktes Bauernleinen, darunter ein großes Tischtuch, in welches
-das heilige Abendmahl gewebt war.
-
-Zwischen den beiden Fenstern, deren dichte Vorhänge keinen Sonnenstrahl
-hereinließen, stand das Kostbarste, ein Glaskasten, dessen Rückwand mit
-Spiegeln belegt war. Darin spiegelten sich zierliche Meißener Figuren,
-Teller und Tassen und bunte gläserne Krüge. Im Vordergrund auf einem
-Ehrenplatz aber stand die alte Hausapotheke. Sie war voller Geheimnisse
-und sah aus wie ein Bild, das die heilige Familie vor dem Hause zu
-Nazareth darstellte; nur waren die Figuren rund und in Silber getrieben.
-Rechts im Vordergrunde stand der heilige Joseph mit einer Axt und
-zimmerte an einem Balken, während ihm gegenüber Maria mit einer Spindel
-saß und spann. In der Mitte aber war das Jesuskindlein und hielt in der
-einen Hand eine Axt und in der andern ein Kreuzlein, das es selbst
-gezimmert hatte. Die Figuren konnte man abschrauben und fand dann im
-Innern ein Fläschlein mit Medikamenten. Schraubte man das Jesuskind ab,
-so lag darinnen ein kleiner Schlüssel; der sperrte das Schlüsselloch im
-Hintergrunde und öffnete das Haus von Nazareth. Da fanden sich im Innern
-Lanzetten, Scheren und silberne Büchslein für Pflaster und Salben.
-Umgeben war das Ganze von einem alten, silbernen Rahmen.
-
-In der Kommode lag mein Taufzeug und das der Kinder, die die Großmutter
-in der Kost gehabt hatte, dazu eine Menge seidener Tücher für Hals und
-Mieder. Eine andere Schublade war voll von Büchern, deren Druck so alt
-war, daß ich kaum ein Wort zu lesen vermochte. Auf dem alten Sesselofen
-stand eine große Schüssel, darin die Eier unserer Hennen für den Verkauf
-gesammelt wurden; ferner ein großer Blechbehälter mit Schmalz, etliche
-Krüge voll Honig und in der Bratröhre das feine Eingekochte. Unter der
-Bettstatt, deren Bett kaum zu ersteigen war vor Höhe und Fülle des
-Flaums, stand eine große Holzschachtel, in der die Kränze und der
-Grabschmuck aufbewahrt wurden. An den Wänden hingen alte Bilder mit
-sonderbaren Gestalten und Gesichtern und ein großes Kruzifix, dessen
-Christusfigur so erschreckend zerfleischt aussah, daß ich sie immer mit
-geheimem Grauen betrachtete.
-
-Gewöhnlich aber blickte ich nicht lange nach den Wänden, sondern hockte
-mich vor eine Truhe oder Lade, wühlte darin herum, zog alles heraus und
-besah dies oder probierte das. Dazwischen schaute ich des öftern in die
-Bratröhre, wo das Eingekochte stand. Diese Gläser voll Kirschen,
-Zwetschgen oder Himbeeren waren alle mit einem pergamentenen Deckel
-verschlossen -- und meine Großmutter verwunderte sich häufig darüber,
-daß das Pergament schon wieder geplatzt war: »I woaß net, Vata, was dös
-is; bei dö Zweschbn is's Papier scho wieda hi'!«
-
-Der Großvater aber meinte mit einem Seitenblick auf mich: »Dö wer'n halt
-austriebn ham, Muatta; dö müaßn bald gessn wer'n.«
-
-Überhaupt ließ mir der Großvater zu jeder Zeit gern etwas Gutes oder
-Besonderes zukommen und brachte von jedem Holzkirchner Viehmarkt auch
-für mich etwas mit: ein lebzeltenes Herz, einen Rosenkranz von süßem
-Biskuit, ein Schächtelchen voll Zwiefizeltl und dergleichen. Auch war er
-stets besorgt, daß ich nichts Unrechtes äße. Als einmal bei uns
-Jahrmarkt war und ich mit einem Fünferl, dem Geschenk unseres Hausl,
-tanzend und singend dahineilte, mir etwas darum zu kaufen, ging mir der
-Großvater besorgt nach und erwischte mich gerade noch, als ich mir eben
-vor dem Stand eines Fleischhändlers, dessen Schild als Zierde rechts und
-links einen Pferdekopf trug, eine große schwarzrote Wurst schälte, die
-ich nach langem Hin- und Hersuchen endlich als das wohlfeilste und
-meiste für die Münze erstanden hatte:
-
-»Ja mei, Nachtei, dumms, möchst net gar a Roßwurscht essn! Da kunntst
-schö krank wer'n!«
-
-Und eiligst nahm er mir dieselbe und gab sie einem Hund; darauf führte
-er mich, nachdem er mir ein anderes Fünferl gegeben hatte, in die Post,
-wo schon Kopf an Kopf männiglich beieinander saß und aß und trank. Hier
-kaufte er mir eine lange Bratwurst und dazu ein Kipferl. Danach durfte
-ich mir bei einem alten, wunderlichen Mann eins von den bunten Päcklein,
-die zu einem großen Haufen aufgeschichtet vor seinen Füßen lagen,
-kaufen. Es war eine Überraschung, wie der Alte sie nannte und mit großem
-Eifer anpries.
-
-Gewichtig trug ich, geführt vom Großvater, das in hochrotes Glanzpapier
-gerollte Päcklein heim und öffnete es, nachdem ich alle im Haus um mich
-versammelt hatte. Da lag ein Kettlein aus blauen Glasperlen, ein
-Bildchen und etliche süße Kügelchen vor mir, und ich pries froh die
-Umsicht des Großvaters: »Vaterl, du bist g'scheit! Du hast a glückhafts
-Geld, wo ma was g'winnt damit!« Und jubelnd hing ich mich an seinen
-Hals.
-
-Noch war mir eine andere Art von Dankbarkeit fremd und ich mußte noch
-nicht zum Dank für erhaltenes Gute besonders brav und folgsam sein; doch
-habe ich immer ohne jeden Antrieb besser gefolgt, wenn mein Großvater
-mir auf solche und ähnliche Weise seine Zärtlichkeit bewies. Da konnte
-ich stundenlang, ohne mich besonders bemerkbar zu machen, im Haus
-bleiben und für mich spielen. Und fehlten auch alsdann meine
-Spielkameraden, so ging mir doch niemand ab; denn ich schuf mir selber
-einen Ersatz, indem ich etliche Sacktücher des Großvaters mit Lumpen
-füllte, einen Kopf daraus formte und unter die herabhängenden Zipfel ein
-Scheitlein Holz steckte. Diese Flecklpuppen hatten alle möglichen Namen
-und Wesen; bald waren sie meine Kostkinder, bald eine Familie für sich.
-Oft mußten sie aber auch unsere Kühe und Hühner vorstellen, und da ward
-dann der Stiefelzieher zum Großvater, der Fußschemel aber zum Heuwagen,
-auf dem die Hühner nach Holzkirchen, das bei mir hinter dem Ofen lag, zu
-Markt gefahren wurden.
-
- * * * * *
-
-Mit dem Beginn des Frühjahrs mußte ich zur Schule gehen, wovon die
-Großmutter nicht viel hielt, da sie nie in der Volksschule gewesen und
-Schreiben und Lesen nur nebenbei in der Frauenarbeitsschule gelernt
-hatte. Kam ich heim, so hatte sie immer etwas für mich gemacht; sei es
-einen Gugelhopf, Rohrnudeln oder einen fetten Schmarrn mit einem
-Zwetschgentauch und meinte: »Arms Lenei; so vui Hunga hast kriagt. Wenn
-nur dö verflixte Schul glei der Teifi holn tat. Was braucht insa Dirndei
-a Schul; mir ham aa koane braucht und san aa groß wordn und taugn unta
-d' Leut.«
-
-Sie mochte dabei wohl auch an den Großvater denken; denn als ich einmal
-auf der Hausbank sitzend mich an dem kleinen a versuchte und trotz aller
-Kraft auf meiner Tafel nichts zuwege brachte, schob ich sie dem
-Großvater hin und bat ihn: »Geh, Vata, mach ma du dös kloane a!«
-
-»Ja mei, Dirndei, da muaßt scho zu der Großmuatta geh; i ko net lesn und
-net schreibn; dös ham mir net g'lernt!«
-
-Am Sonntag zum Gottesdienst gingen wir im Feiertagsgewand, aber barfuß
-in die Kirche, weil wir sonst mit den genagelten Schuhen dem Herrn
-Pfarrer zu viel Lärm gemacht hätten; denn der Herr Pfarrer, obwohl er
-schon ein alter Mann mit schneeweißem Haar war, konnte noch immer recht
-zornig werden und hat bei der Predigt oft mit gar scharfen Worten die
-Verfehlungen seiner Pfarrkinder gerügt; so das Kegelscheiben am Sonntag
-während des Gottesdienstes, den Wirtshausbesuch, das Fluchen und vor
-allem das Kammerfensterln. Hatte ein Bursch oder ein Mädel gebeichtet,
-daß sie beieinander gewesen waren, so wurde das am darauffolgenden
-Sonntag vor der ganzen Gemeinde von der Kanzel herab gegeißelt, und
-leicht konnte man erraten, wer gemeint war. Lebhaft erinnere ich mich
-noch an die Schlußworte einer Predigt, die er am Christi
-Himmelfahrtstage hielt, und wie er, nachdem er die Freuden im Himmel und
-die Glorie der Seligen geschildert hatte, mit lauter Stimme rief: »Heute
-ist der Tag, an welchem Christus, der Herr, hinaufgefahren ist in jene
-lichten Höhen, in denen die ewige Seligkeit wohnt, die wir euch erlangen
-sollen. Aber pfeifen tun wir euch was, ihr gescherten Bauernlümmel! Seit
-Jahren erhalten wir von euch keine Eier, Butter, Schmalz, oder was sonst
-euere Dankbarkeit bezeuge. Aufgefahren ist er zum Himmel, von wo er
-kommen wird, euch zu richten und in die ewige Verdammnis zu bringen.
-Amen!«
-
-An den Sonntagnachmittagen mußten die Burschen und Mädchen unter
-sechzehn Jahren die Christenlehre besuchen; dabei hatten auch wir Kinder
-und die Erwachsenen Zutritt. Beim Beginn wurden alle mit Namen
-aufgerufen und jedes mußte sich mit einem lauten »Hier« melden. Fehlte
-eines und war nicht genügend entschuldigt, dann mußte es, ob Bursch oder
-Mädel, am darauffolgenden Feiertag hinausknien zum warnenden Beispiel
-für die andern. Konnte eines die Fragen des Katechismus nicht
-beantworten, so schrie der Herr Pfarrer: »Was der Katechismus dich
-fragt, das weißt du nicht; aber was der Bursch dich beim Fensterln
-g'fragt hat, das weißt du noch!«
-
-Darauf wetterte und schimpfte er während der ganzen Christenlehre.
-
-Wurde jemand aus der Gemeinde begraben, der nur selten den Gottesdienst
-besucht und dem Pfarrer die schuldigen Abgaben in Naturalien nicht
-geleistet hatte, so war die ganze Grabrede eine Lästerrede auf den armen
-Verstorbenen und seine Angehörigen, und man sah ihn schon leibhaftig in
-der Hölle und der ewigen Verdammnis.
-
-Kirchliche Handlungen machten damals einen großen Eindruck auf mich und
-vor allem bewegte mich das sonntägliche Memento und Requiem auf dem
-Friedhof. Dabei ging der Pfarrer nach der Predigt und den gemeinsamen
-christlichen Gebeten in Prozession mit den Gläubigen aus der Kirche auf
-den Gottesacker hinaus und hielt einen Umgang, währenddem der Herr
-Lehrer das Requiem sang und die Leute die Gräber ihrer Angehörigen mit
-Weihwasser besprengten, wofür ein jedes sein Weihbrunnkrügl mitgebracht
-hatte. Danach wurde am Grab gebetet, bis es zum Hochamt läutete. Während
-der feierlichen Handlung stand ich zwischen den Großeltern und fürchtete
-mich vor dem Tod.
-
-Das tat ich aber nur an den Sonntagen; denn unter der Woche ging ich
-ohne Furcht auf den Gottesacker und richtete die Gräber der armen Leute
-wieder her, indem ich die Blumen von den Gräbern der Reichen nahm. Nach
-dieser Arbeit ging ich in die Kirche und wusch mir in dem großen
-Weihbrunnzuber, der im hintersten Winkel stand, meine Hände. Darauf
-machte ich in den Bänken Ordnung, trug die liegengebliebenen Gebetbücher
-auf einen Haufen zusammen und betrachtete eins nach dem andern. Die
-Heiligenbildl, die ich dabei fand, verteilte ich am andern Tage unter
-die Schulkinder; bisweilen aber habe ich sie auch gegen einen
-Schmalznudel eingetauscht. Ein andermal schmückte ich die ganze
-Wallfahrtskapelle zu Frauenbründl mit Feuerlilien, die ich heimlich aus
-dem Garten eines unbewohnten Hauses genommen hatte; denn ich wußte
-damals nur, daß der Zweck die Mittel heilige.
-
-Einmal freilich war es doch anders; als nämlich die Kirschen reif waren.
-Da rief eines Tages ein Bub aus Adling, einem benachbarten Dorf, der zu
-uns in die Schule ging, vor Beginn des Unterrichts: »D' Kersch san zeiti
-bei der Schmiedin z' Olling; wer geht mit zum Stehln?«
-
-»I,« schrie ich sofort und suchte mir gleich noch mehr Genossen: »Wer
-tuat mit? zum Kerschnstehln werd ganga!«
-
-Da meldeten sich noch fünf oder sechs, und nach der Schule um zwei Uhr
-zogen wir ab. Als wir nach Adling kamen, fuhren sie bei der Schmiedin
-grad mit dem Wagen fort, um Heu einzuführen. Wir meinten, jetzt würden
-sie recht lang ausbleiben; darum stieg ich und einer der Buben auf den
-Baum, während die andern drunten Hüte und Schürzen aufhielten und
-unaufhörlich schrien: »Schmeißt's amal oa oba! Schmeißt's halt oa oba!«
-denn wir zwei saßen droben und aßen, und erst als uns der Bauch weh tat,
-warfen wir auch den andern etwas hinunter. Auf einmal schreit einer der
-Buben: »Steigt's oba, d' Schmiedin kimmt und der Knecht mit an Fuada
-Heu!« und damit nahmen die andern Reißaus. Zum Hinuntersteigen war es
-aber schon zu spät; denn der Knecht kam schon daher und rief: »Ja
-natürli, d' Handschuastalena halt! Schaugt's, daß 's aba kemmt's, ös
-Sakramenta!«
-
-»Bal ma mögn scho! Geh auffa, na kriagst aa Kersch!«
-
-Damit riß ich ein paar Kirschen ab und warf sie ihm ins Gesicht. Da
-mußte er lachen und ließ uns ohne Strafe fort. Derweilen hatte uns die
-Schmiedin erblickt und schrie: »Ja, was is denn dös! Jetz stehln ma dö
-gar meine Kersch! Glei tuast es hera!« Denn ich hatte noch meinen ganzen
-Schurz voll.
-
-»I mog net,« schrie ich, und damit liefen wir davon.
-
-Später, als die Kriechen, kleine Pflaumen, zeitig waren, haben wir ihr
-noch einmal einen Besuch gemacht; denn ich war inzwischen das schlimmste
-Lausdirndl vom Dorf geworden, das mit allen Buben raufte und überall
-dabei war, wo es etwas anzurichten gab.
-
-Ja, als wir am Feste Christi Himmelfahrt nach uraltem Brauch Blüten und
-Kräuter sammelten, zu großen Sträußen banden und damit zur Kirche
-wanderten, um sie weihen zu lassen zum Segen unserer Fluren und Äcker
-und als heilsame Arznei für erkranktes Vieh, da schlug ich dem um
-etliche Jahre älteren Bachmaurer Franzl, der sich unterstanden hatte, in
-der Kirche vor mich hinzustehen und mit seinem Kräuterbuschen mich an
-den Augen zu kitzeln, mit meinem Strauß so heftig ins Gesicht, daß er
-seine Blüten fortwarf und aus der Kirche lief, worauf ich lachend auch
-seinen Buschen nahm und für uns weihen ließ.
-
-War im Ort eine Hochzeit angesagt, so erfuhr ich dieses sogleich durch
-die alte Sailerin; und da lief ich denn überall herum bei Buben und
-Mädchen, ihnen die Neuigkeit zu berichten und sie zum Mittun anzufeuern;
-denn da gab es für uns einen hübschen Spaß: wir holten uns lange Stricke
-oder Bänder und stellten uns, wenn die Hochzeitsleute zur Kirche fuhren,
-an den etwas engeren Gassen auf, spannten das Band über den Weg und
-schrieen und wünschten Glück zur Brautfahrt. Die also angehaltenen
-Brautleute aber hatten, dem alten Brauch und Herkommen nach, sich mit
-einem nicht zu kleinen Säcklein neuer Kupfermünzen wohl versorgt und
-warfen nun etliche Hände voll unter uns, sich loszukaufen. Während
-jedoch die einen sich darum balgten, stürmten wir in fliegender Eile
-weiter und wiederholten die List, bis wir sahen, daß der Säckel fast
-leer war. Den erhielten sodann wir, die das Band gehalten, und teilten
-ihn ehrlich, wenn auch nicht ohne Streit und Prügel.
-
-Nur eins gab es, wovor ich mich fürchtete, die Zigeuner mit ihren Affen
-und die Dudelsackpfeifer; doch auch meine Großmutter teilte diese Scheu.
-Kamen solche vagierende Leute in den Ort und in die Nähe unseres Hauses,
-so lief ich, was ich konnte, heim und schrie: »Großmuatta, da Dudlsack
-kimmt!«
-
-Eilends lief sie dann an alle Türen und verriegelte und versperrte das
-ganze Haus, zog die Vorhänge der unteren Stube zu und versteckte sich
-mit mir unter dem kleinen Fensterchen des Hausflözes.
-
-Meist waren die Musikanten zu dreien, und der dritte hatte, während die
-andern aufbliesen, sich um den Sold und etwaige nicht sicher genug
-verwahrte Habe, die des Findens wert war, umzuschauen. Da schlich er
-denn ums Haus, versuchte alle Türen, lugte an den Fenstern herum und gab
-endlich in seiner verworrenen Sprache den mißmutigen Bescheid, daß
-niemand zu Hause sei. Fluchend machten sie alsdann, daß sie weiter
-kamen, während die Großmutter ängstlich und Gebete murmelnd auf den
-Dachboden ging und nach den Entschwindenden Ausschau hielt, ehe sie es
-wagte, wieder zu öffnen.
-
-
-
-
-
-
-Während ich also sorglos dahinlebte, geliebt von den Großeltern,
-getadelt von Lehrer und Pfarrer, gefürchtet von jenen Kameraden, die
-mich einmal in meiner Wildheit verspürt hatten, gesucht von denen, die
-meine Streiche verstanden und dazu halfen, kam eines Tages die
-Nachricht, daß die Mutter in München geheiratet hatte. Ich war nämlich
-nur ein lediges Kind, und mein Vater war, als ich kaum zwei Jahr alt,
-auf der Reise nach Amerika mit dem Dampfer Cimbria untergegangen.
-
-Bald nach der Hochzeit meiner Mutter kam an einem Sonntagvormittag ein
-Brief. Die Großeltern saßen gerade mit der Nanni bei der Vesper, während
-ich hinter dem Rücken der Großmutter einen Riß in meinem Sonntagsgewand
-mit ein paar Klufen zusammensteckte.
-
-Auf einmal schlägt der Großvater mit der Faust auf den Tisch und springt
-auf: »Ja, hast jatz so was scho derlebt!«
-
-Erschreckt fragt die Großmutter: »Was hast denn, Vata? Is leicht gar
-ebbas passiert bei der Lena z' Münka drin?«
-
-»Naa, aber 's Lenei sollt i eahna eini bringa; sie verlangt's!«
-
-»Was!« schrie ich und sprang auf. »I in d'Stadt! Naa, naa, dös tua i
-net!«
-
-»Stad bist, du hast gar nix z' redn!« fuhr mich da die Nanni an. »Froh
-sollst sein, daß d' eini derfst in d' Stadt, wo's d' was Feins werdn
-kunntst!«
-
-»Ja mei,« meinte die Großmutter, »gar so leicht is net. D' Leut han
-oamal z' schlecht in der Stadt und a Kind is glei verdorbn.«
-
-Während nun die Großmutter und die Nanni noch lange hin und her
-berieten, hatte sich der Großvater nachdenklich auf das Kanapee gesetzt
-und stand jetzt mit den Worten auf: »In Gott's Nam', müaß' ma's halt
-hergebn.«
-
-Dabei blieb es auch, und mir half weder Toben noch Bitten noch
-Schmeicheln etwas.
-
-Also kam die Nähterin auf die Stör und ich wurde mit Stoffen behängt und
-mit Nadeln besteckt und mußte den ganzen Tag stillstehen.
-
-Und als der Morgen der Abreise gekommen war, badete mich die Großmutter
-und zog mir, nachdem der Großvater mit zufriedenem Schmunzeln meinen
-Rücken und das rundliche Bäuchlein befühlt und beklopft hatte, ein neues
-Hemd und die ersten Unterhosen an. Als ich in den Spiegel sah, ärgerte
-mich der hintere Hemdzipfel, der nicht in der Hose bleiben wollte,
-sondern wie ein Hennenschwanz starr und steif herausstand. Doch
-verschwand er bald unter einem roten Flanellröcklein, worüber ein grünes
-Bareschkleid kam, das mir bis auf die Fersen ging, und dessen Spenzer
-mit bunten Glasknöpfen besetzt war. Am Ende band mir die Großmutter noch
-ein himmelblaues Fürta und eine gestickte Halsbarbe um und steckte in
-das in zwei Zöpfen aufgemachte Haar einen silbernen Pfeil. Darauf
-wickelte sie mir den Gesundheitskuchen, den sie noch gebacken hatte, in
-ein buntes Tuch; der Großvater aber brachte einen Kletzenweck vom Bäcker
-und legte ihn in das Körblein zu den Schmalznudeln und Zwiefiäpfeln, die
-die Nanni geschickt hatte.
-
-Als mir der große, schwarze Strohhut mit den roten Blumen und den
-karierten Bändern aufgesetzt worden war, nahm ich Abschied, wobei die
-Großmutter recht weinte. Auf dem Weg zum Postwagen sagte ich noch dem
-ganzen Dorf »Pfüat Gott«.
-
-Unterwegs während der Fahrt gab mir der Großvater noch viele Ratschläge
-und sagte: »Dirnei, jatz muaßt a recht a g'scheits und recht a richtigs
-Madl werdn und muaßt dein neu'n Vatan recht mögn und der Münkara Muatta
-recht schö folgn. Muaßt aa recht g'schickt sei und überall zuawi
-springa, wo's was z' arbatn gibt. Jatz derf ma nimma Kuchei sagn, jatz
-hoaßts Küch, und statt der Stubn sagt ma Zimmer und statt'n Flöz sagt ma
-Hausgang. Und Kihrwisch sagt ma aa nimma, sondern Kehrbesen.«
-
-Da versprach ich ihm, recht Obacht zu geben und brav zu bleiben.
-
-Am Ostbahnhof stand schon meine Mutter und empfing uns mit großer
-Freude. Ich reichte ihr die Hand und sagte, der eben erhaltenen Lehren
-eingedenk, möglichst nach der Schrift: »Grüß Gott, Mutter!«
-
-»Schau, schau, wie gebildet die Leni schon wordn ist! Da wird aber der
-Vater viel Freud habn, wenn er so ein g'scheits und vornehmes Töchterl
-kriegt.« Mit diesen Worten zog sie mich rasch an sich und führte mich an
-der Hand, während der Großvater sich hinter uns immer mit seinem
-Schneuztüchl zu schaffen machte.
-
-Wir stiegen in eine Pferdebahn, und während sich die Mutter mit dem
-Großvater unterhielt, sah ich unverwandt durchs Fenster und starrte die
-hohen Häuser und Kirchen an und staunte über die kurzen Röcke und Hosen
-der Kinder, die gerade aus einer Schule kamen. Am Marienplatz, wo wir
-aussteigen mußten, denn damals führte noch keine Pferdebahn nach
-Schwabing, vergaß ich beim Anblick des Fischbrunnens plötzlich meine
-ganze gerühmte Bildung und schrie, indem ich eilig darauf zulief:
-»Großvatta, do schaug hera, wia dö Fisch 's Mäu aufreißn!«
-
-Entsetzt wandte meine Mutter sich ab, während mein Großvater mich am
-Ärmel ergriff und mir zuflüsterte: »Bscht, sei stad, Dirnei! Mäu derf ma
-ja jatz nimma sagn, Mund hoaßt's do jatz!«
-
-Und damit nahm er mich bei der Hand und zog mich weiter. Doch vor der
-Residenz gab es einen neuen Zwischenfall. Dort zog eben die Wache auf,
-und ich rief beim Anblick der im Paradeschritt aufmarschierenden
-Soldaten: »Ah, Muatta, Vata, dö schaugts o! Dö gengan ja grad wia meine
-hülzern' Mandln, dö wo ...«
-
-»Um Gottes willen, Leni,« fiel mir die Mutter ins Wort, »sei doch still!
-Das is ja Majeschtätsbeleidigung!«
-
-Während ich noch über dies letzte Wort nachdachte, zogen sie mich schon
-durch die Ludwigsstraße, und stillschweigend trottete ich nun nebenher,
-bis wir nahe dem Siegestor in eine Seitenstraße einbogen.
-
-Vor einem hohen Hause, auf dessen rötlicher Fassade mit großen
-Buchstaben das Wort »Restaurant« geschrieben stand, machten wir halt.
-Unter dem Tore stand schon mein neuer Vater und empfing uns mit
-herzlichen und guten Worten. Wir traten durch den Hausgang in einen
-kleinen Garten, von dem aus eine Tür in die Küche führte. Nachdem uns
-die Mutter dort an einen kleinen Tisch gesetzt hatte, lief sie schnell
-in die Wohnung und zog sich um; denn es war Mittag und die Köchin begann
-schon zu jammern, weil sie bei der großen Zahl der Gäste mit dem
-Anrichten allein nicht fertig zu werden vermochte. Die Gastwirtschaft,
-die der Vater schon vor der Hochzeit übernommen hatte, war nämlich
-damals wegen der guten Küche von den Studenten sehr besucht. Mit offenem
-Munde sah ich nun dem Trubel im Gastzimmer und in der Küche zu und
-getraute mir mit dem Großvater kaum ein Wort zu reden vor Angst, die
-Mutter in ihrer aufgeregten Geschäftigkeit zu stören. Als es etwas
-ruhiger geworden war und die meisten Gäste fort waren, bekamen auch wir
-zu essen und gingen danach in die Gaststube zum Vater, der den Großvater
-nach vielem fragte: was die Großmutter mache, wie es mit dem Vieh gehe,
-wie es mit der Arbeit daheim sei und auch, was ich bisher getrieben. Da
-gab ihm der Großvater über alles Auskunft.
-
-Am Abend gingen wir zeitig ins Bett, und man führte mich in ein kleines
-Kammerl, in dem nur ein Bett und ein Stuhl stand; denn meine Eltern
-besaßen damals nur das Allernötigste. Mein Großvater teilte das Bett mit
-mir und gab mir noch viele Ermahnungen, bis ich endlich in seinem Arm
-einschlief.
-
-Andern Tags reiste er wieder heim, und ich mußte nun alles ländliche
-Wesen ablegen. Zuerst bekam ich ebenfalls kurze, städtische Kleider, und
-dann wurden mir meine schönen, langen Haare abgeschnitten, weil ich
-Läus' hätte, wie die Mutter sagte. Auch lernte ich jetzt arbeiten. In
-der Wirtschaft mußte ich kleine Dienste tun: Brot und Semmeln für die
-Gäste in kleine Körbchen zählen, den Schanktisch in Ordnung halten,
-Sachen einholen und manchmal auch den Kegelbuben ersetzen.
-
-Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr
-gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum
-schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich
-so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte.
-Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur
-den Dotschen oder die Gscherte. So dachte ich oft des Nachts, wenn ich
-allein in meiner Kammer war, denn bei Tag hatte ich nicht viel Zeit zum
-Nachdenken, mit Sehnsucht zurück an das Leben bei meinen Großeltern und
-erzählte unserer großen Katze, die ich mit ins Bett nahm, mein Unglück.
-
- * * * * *
-
-Im Sommer des darauffolgenden Jahres kam der Großvater das erste Mal auf
-Besuch. Hiefür hatte die Mutter mich ein Trutzliedlein gelehrt; und als
-er nun bei uns in der Küche saß und mich auf dem Schoß hielt, drängte
-ich ungeduldig: »Großvata, Großvata, i kann was; du, Vata, hör doch! I
-kann was!«
-
-»Glei derfst es sagn, Dirnei, glei,« entgegnete er; denn er sprach noch
-mit der Mutter.
-
-Und als ich es endlich sagen durfte, da sang ich: »Was braucht denn a
-Bauer, a Bauer an Huat; Für an so an gschertn Spitzbuam is a Zipflhaubn
-guat!«
-
-Da sah ich statt des erwarteten Beifalls Tränen, die dem Großvater über
-die Wangen liefen, und nun merkte ich erst, was ich angestellt hatte.
-
-»Großvata, i kann fei nix dafür!« rief ich. »D' Mutter hat mir's
-g'lernt.«
-
-Er antwortete nichts darauf und strich mir nur wie zur Beruhigung übers
-Haar.
-
-Nachts dann im Bett, ich schlief bei ihm, klagte ich ihm mein Leid und
-bat ihn, mich doch wieder mitzunehmen.
-
-Und als er am Abend des darauffolgenden Tages vom Ostbahnhof fortfuhr,
-hängte ich mich an ihn, und als er eingestiegen war, sprang ich auf das
-Trittbrett und klammerte mich fest, so daß es der Mutter nur mit großer
-Mühe gelang, mich von dem fahrenden Zuge herunterzureißen. Danach bekam
-ich meine Prügel, die wohl berechtigt, aber nicht das rechte Mittel
-waren, um die Dinge besser zu machen.
-
- * * * * *
-
-Nachdem mein Stiefvater das Geschäft einundeinhalb Jahr geführt hatte,
-konnte er das Anwesen mit gutem Nutzen wieder verkaufen; denn er war ein
-tüchtiger Metzger und Schenkkellner und hatte die Wirtschaft in kurzer
-Zeit in die Höhe gebracht. Daraufhin beschlossen die Eltern, einige Zeit
-zu privatisieren und nachträglich ihre Hochzeitsreise zu machen.
-
-Während ihrer Abwesenheit blieb ich bei der Tante Babett, einer
-Schwester meines Stiefvaters, die den Haushalt bei uns führte. Sie war
-fast den ganzen Tag in der Kirche und hat mich recht gequält und
-geschunden; denn sie wollte mich auch zu einer so heiligen Person
-machen, wie sie war. Ich wurde allen Pfarrern vorgestellt, und denen
-klagte sie, wie mürrisch und ungut ich sei, worauf mich die geistlichen
-Herren ermahnten, ich solle mich bessern.
-
-Als die Eltern von der Hochzeitsreise, die sie zu Verwandten in die
-Schlierseer Berge gemacht hatten, nach zwei Monaten zurückkamen, begann
-die Mutter zu kränkeln, stand oft nicht auf, mußte sich häufig erbrechen
-und wurde doch von Tag zu Tag dicker. Die Tante aber saß hinter
-verschlossenen Türen und nähte an Hemdlein, an Tüchlein und Windeln.
-
-Inzwischen hatte der Vater die Wohnung gekündigt und ein Haus mit einer
-Altmetzgerei in der Corneliusstraße gekauft. Mit dem Umzug dahin begann
-für mich ein ganz anderes Leben; denn die Tante Babett übernahm jetzt
-die Führung des Haushalts bei einem geistlichen Herrn, und da meinte die
-Mutter, ich sei nun groß genug, ihre Stelle zu versehen. Ich war damals
-neun Jahre alt.
-
-In aller Frühe mußte ich zuerst das Fleisch austragen, dann Feuer
-machen, Stiefel putzen, Stiegen wischen und der Mutter die Sachen
-einholen, die sie zum Kochen brauchte. Sie blieb jetzt immer am Morgen
-liegen, und so ging ich gewöhnlich nüchtern in die Schule.
-
-In einer Februarnacht aber kam das Kind, und damit begann für mich eine
-harte Zeit. Nun hieß es um fünf Uhr aufstehen und zu den übrigen
-Arbeiten noch das Bad, Wäsche und Windeln für den kleinen Hansl
-herrichten. Kam ich mittags aus der Schule, wurde ich meistens mit
-Schlägen empfangen; denn ich hatte nachsitzen müssen, weil ich in der
-Früh zu spät gekommen war. Vor dem Essen mußte ich noch den Laden und
-das Schlachthaus putzen und das Nötige einkaufen. Bei Tisch hatte ich
-dann laut das Tischgebet zu beten. Als ich einmal beim Vaterunser statt
-auf das Kruzifix zum Fenster hinaussah, schlug mich die Mutter ins
-Gesicht, daß mir das Blut zu Mund und Nase herauslief; auch bekam ich
-nichts zu essen und mußte während der Mahlzeit am Boden knien. Nach
-Tisch hatte ich das Geschirr zu spülen, die Kindswäsche zu waschen und
-den Buben einzuschläfern. Ganz abgehetzt kam ich dann des Nachmittags in
-die Schule und konnte während der Handarbeitsstunden nur mühsam den
-Schlaf bekämpfen. Deshalb lernte ich nur schlecht handarbeiten und bekam
-in diesem Fach meist die Note »Ungenügend«. Zudem strengte mich
-besonders das Stricken an und verursachte mir stets heftiges Kopfweh.
-Das wußte die Mutter. Hatte ich nun bei der Hausarbeit etwas nicht recht
-gemacht, so gab sie mir mit einem spanischen Rohr sechs und manchmal
-zehn Hiebe auf die Arme und die Innenfläche der Hände, daß das Blut
-hervorquoll. Hierauf mußte ich mir die Hände waschen und an einem
-Strumpf in einer gewissen Zeit einen großen Absatz stricken. Vermochte
-ich vor Schmerzen bis zu der bestimmten Minute nicht fertig zu werden,
-so wurde die Züchtigung wiederholt.
-
-Im übrigen machte ich in der Schule gute Fortschritte und war bald die
-Erste. Meine Lehrerinnen nahmen sich meiner sehr an, und als ich einmal
-in der Früh barfuß in die Schule kam, schickte mich mein Fräulein mit
-einem Brieflein nachhause, worin sie der Mutter Vorwürfe machte. Doch
-hatte dies nur eine erneute Züchtigung mit einem Spazierstock meines
-Vaters zur Folge, einem sogenannten Totschläger oder Ochsenfiesel, in
-den ringsherum kleine Bleikugeln eingegossen waren.
-
-Geliebt hat mich meine Mutter nie; denn sie hat mich weder je geküßt,
-noch mir irgend eine Zärtlichkeit erwiesen; jetzt aber, seit der Geburt
-ihres ersten ehelichen Kindes, behandelte sie mich mit offenbarem Haß.
-Jede, auch die geringste Verfehlung wurde mit Prügeln und Hungerkuren
-bestraft, und es gab Tage, wo ich vor Schmerzen mich kaum rühren konnte.
-
-Der Hunger, den ich zu leiden hatte, und der Umstand, daß ich in der
-Früh selten ein Frühstück bekam, veranlaßten mich, Trinkgelder, die ich
-von den Leuten für das Fleischbringen erhielt, oder auch etliche
-Pfennige von dem Betrag für das gelieferte Fleisch zu nehmen und mir
-Brot dafür zu kaufen. Als die Mutter durch Zufall dies entdeckte,
-mißhandelte sie mich so, daß ich mehrere Tage nicht ausgehen konnte. Da
-ich ein Kleid mit kurzen Ärmeln trug, sah die Lehrerin, als ich wieder
-in die Schule kam, an meinen Armen, sowie auch an Hals und Gesicht die
-blauen und blutrünstigen Flecken, und ich mußte, trotzdem ich neue
-Strafen zu befürchten hatte, dem Oberlehrer, der herbeigerufen worden,
-alles der Wahrheit gemäß berichten. Ein Brief an meine Mutter hatte nur
-den Erfolg, daß ich den ganzen Tag nichts zu essen bekam und die Nacht
-auf dem Gang unserer Wohnung, auf einem Scheit Holz kniend, zubringen
-mußte.
-
-Zu dieser Zeit war es auch, daß mir einmal beim Austragen des Fleisches
-das ganze Geld gestohlen wurde. Mittwoch und Samstag nachmittags mußte
-ich nämlich immer in die Briennerstraße zu einem Kommerzienrat das
-Fleisch bringen, bei dem die Mutter früher Köchin gewesen war. Meistens
-waren es ganz große Stücke: ein ganzes Filet, ganze Lenden, Kalbschlegel
-oder Rücken. Bei der Ablieferung wurde mir das Geld und ein Büchlein
-übergeben, in welches die Bestellung für das nächstemal geschrieben
-wurde. An einem Samstag trug ich nun auch wieder ein großes Stück
-Fleisch dahin und bekam ungefähr zwanzig Mark und das Buch, das ich samt
-dem Geld in ein Säcklein tat und in den Korb legte. Auf dem Heimweg
-hielt ich mich längere Zeit vor der Feldherrnhalle bei den Tauben auf,
-die von den Kindern gefüttert wurden. Da schlug es vier Uhr und dabei
-fiel mir die Mahnung der Mutter ein, die beim Fortgehen gesagt hatte:
-»Daß d' um viere längstens z'haus bist und daß d'ma Obacht gibst aufs
-Geld!«
-
-Also fing ich an zu laufen, so schnell ich nur konnte, und machte erst
-am Viktualienmarkt halt, um ein wenig zu verschnaufen. Da schau ich in
-meinen Korb und sehe das Säcklein mit dem Geld nicht mehr. Ich
-durchsuche ihn genau, durchwühle fieberhaft meine Taschen; aber es war
-nicht mehr da. Voll Verzweiflung rannte ich den ganzen Weg zurück bis in
-die Briennerstraße und fragte dort, ob ich es vielleicht mitzunehmen
-vergessen hätte. Doch die Köchin meinte, sie wisse gewiß, daß ich das
-Säcklein in den Korb gelegt hätte. Mitleidig fragte sie noch:
-
-»Moanst, du kriegst Schläg, Lenerl?«
-
-»I glaab scho!« antwortete ich, und damit war ich schon wieder über die
-Stiegen hinunter. Nun lief ich wieder zur Feldherrnhalle und fragte dort
-die Leute: »Sie, bitt schön, ham Sie nöt da a Sackerl liegn sehgn mit an
-Büacherl drinn und zwanzig Mark Geld?« Da lachten die einen, die andern
-bedauerten mich; aber gewußt hat keiner was. Nun packte mich die Angst
-und ich fing an zu weinen und traute mich nicht mehr heimzugehen. Ich
-lief durch die Maximilianstraße über die Brücke und immer weiter, bis
-ich zum Ostbahnhof kam.
-
-Plötzlich fiel mir mein Großvater ein, und als es in diesem Augenblick
-fünf Uhr schlug, dachte ich: »Jatz derfst nimma hoam kommen, jatz is
-fünfe; Geld hast aa koans mehr, jatz laafst zum Großvater, der hilft dir
-schon.«
-
-Ich lief also durch die Bahnhofshalle, und da ich noch wußte, auf
-welchem Gleis er damals abgefahren war, sprang ich zwischen die Schienen
-und rannte davon, so schnell ich konnte, immer auf dem Bahndamm dahin,
-an den Bahnwärterhäuschen vorbei, bis ich nach Trudering kam.
-
-Als ich dort an dem Bahnhof vorbeilaufen wollte, schrie mich einer an:
-»He, du, wo laafst denn hin mit dein Körbl?«
-
-»Furt!« rief ich und damit sauste ich weiter.
-
-Indem hörte ich einen Zug hinter mir herkommen und zur Seite springend
-dachte ich: »Wennst jatz no a Geld hättst, na kunntst mitfahrn!«
-
-Als der Zug vorbei war, lief ich hinterdrein; doch der war schneller als
-ich. Bald darauf kam auf dem andern Gleis ein Zug, der nach München
-fuhr. Da schauten die Leute aus den Fenstern mir verwundert nach, wie
-ich so mit meinem Korb zwischen den Schienen dahinsprang.
-
-Schon wurde es dunkel, als ich ganz erschöpft nach Zorneding kam. Ich
-schleppte mich vom Bahnhof in das Dorf; denn ich konnte nicht mehr
-weiter vor Seitenstechen und Herzklopfen. Neben dem ersten Hause war ein
-Brunnen, und als ich trinken wollte, lief eine Frau auf mich zu und
-rief: »Ja, mein Gott, Kind, trink doch net! Dir rinnt ja der Schweiß
-übers Gsicht; dös kunnt ja dei Tod sein, wannst jatz trinka tatst.« Und
-erst, als sie mir Gesicht und Hände mit Wasser gekühlt hatte, ließ sie
-mich trinken.
-
-Inzwischen war es Nacht geworden. Mein Seitenstechen, das immer heftiger
-wurde, zwang mich, im Dorf zu bleiben, und als ich vor einem kleinen
-Hause eine Bank fand, legte ich mich darauf und nahm den Korb zu einem
-Kopfkissen; aber ich schlief nur schlecht und träumte schwer.
-
-Als es Tag wurde, wollte ich weiter; aber ich war so elend, daß ich mich
-nicht rühren konnte. Während ich noch so dalag, trat eine Frau aus dem
-Haus, und als sie mich sah, rief sie erschrocken: »Jessas, wo kimmst
-denn du her, Kind, und wo möchst denn hin?«
-
-»Zu mein Großvater!« entgegnete ich leise; denn ich war heiser, »der
-muaß ma helfa; wissn S', i hab's Geld verlorn beim Fleischaustragen und
-da hab i ma nimma hoam traut; denn mei Muatta wenn mi findt, dö bringt
-mi um.«
-
-»No, no, so g'fährli werd's net sei; dei Muatta werd aa koa Ungeheuer
-sei! Geh nur wieder schö hoam!« So redete sie mir zu und tröstete mich
-und nahm mich mit in die Stube, gab mir einen Kaffee, rief ihrem Mann
-und erzählte ihm, was ich ihr gesagt hatte. Der brachte mich dann am
-Vormittag wieder mit der Bahn nach München zurück zu meinen Eltern und
-bat sie, mich nicht zu strafen; denn ich sei anscheinend recht krank.
-
-An dem Tag hat meine Mutter mich nicht geschlagen, doch redete sie mich
-mit keinem Worte an und tat, als sei ich gar nicht da. Am Abend aber
-mußte der Vater einen Arzt holen, weil ich heftiges Fieber hatte.
-Während der schweren Lungenentzündung, an der ich nun lange krank lag,
-hat der Vater mich fast allein gepflegt; denn die Mutter sprach nur das
-Nötigste und kümmerte sich im übrigen nicht um mich. Das verlorene Geld
-hatte die Frau Kommerzienrat ihr inzwischen ersetzt.
-
-Etliche Wochen später kam mein Großvater, und als ich mit ihm allein
-war, begann ich ihm weinend mein Leid zu erzählen. Da wurde er recht
-aufgebracht und sagte, er wolle gleich mit der Mutter reden; aber ich
-bat ihn, dies nicht zu tun; denn was wäre die Folge gewesen! Auf meine
-Bitten versprach er mir, ich dürfe, wenn die Mutter mich noch länger so
-behandle, wieder zu ihm. Das geschah denn auch bald auf die folgende
-Begebenheit hin.
-
-Ich hatte zwei Freundinnen, die bei uns im Hause wohnten, und die ich an
-den Sonntagen nachmittags manchmal besuchen durfte, wenn die Eltern
-fortgingen. Da sprachen wir denn über verborgene Dinge und trieben
-mancherlei Heimliches, was wohl die meisten Kinder in diesem Alter, ich
-war damals elf Jahre alt, tun. Auf Verschiedenes, was ich nicht wußte,
-war ich freilich erst durch meinen Beichtvater und Religionslehrer
-aufmerksam gemacht und durch seine Fragen dazu verführt worden.
-
-»Hast du dich unkeuschen Gedanken hingegeben?« pflegte er bei der Beicht
-zu fragen. »Wie oft, wann, wo, über was hast du nachgedacht? -- Hast du
-da an unzüchtige Bilder oder an Unreines am Menschen oder an Tieren, an
-gewisse Körperteile gedacht und wie lange hast du dich dabei
-aufgehalten? -- Hast du unzüchtige Lieder gesungen, schamlose Reden
-geführt mit andern Kindern? -- Hast du dich unkeuschen Begierden
-hingegeben? -- Ist dir niemals die Lust angekommen, einen unreinen
-Körperteil an dir zu berühren? -- Hast du dieser Begierde nachgegeben?
--- Wann, wo, wie oft, wie lange hast du dich bei dieser Sünde
-aufgehalten? -- Hast du das mit dem Finger, mit der Hand oder mit einem
-fremden Gegenstand getan? -- Hast du mit andern Kindern Unkeuschheit
-getrieben? -- Wie habt ihr das gemacht? -- Hast du Tieren zugesehen,
-wenn sie Unreines taten? -- Hast du Knaben angesehen oder berührt an
-einem Körperteil?«
-
-Als der Herr Kooperator das erstemal so fragte, erschrak ich heftig;
-denn, wie gesagt, wußte ich von manchem dieser Dinge noch gar nichts und
-schämte mich sehr. Mit jeder neuen Beichte aber verlor sich diese Scham
-mehr und mehr; besonders, seit er mich in der Religionsstunde des
-öfteren aufforderte, ihn zu besuchen, unter dem Vorwand, ihm etwas zu
-bringen, wobei er dann in seiner Wohnung mich unter Hinweis auf die
-letzte Beichte wieder bis ins einzelne über diese Dinge ausfragte.
-
-Davon sprachen wir Mädchen nun auch auf dem Schulweg oder wenn wir in
-der Pause beisammen waren, und die eine erzählte der anderen ihre
-kleinen Sünden.
-
-Da wurde ich eines Tages zu dem Herrn Oberlehrer gerufen, und als ich
-vor ihm stand, begann er in strengem Ton: »Ich habe durch eine deiner
-Mitschülerinnen vernehmen müssen, daß du in Gemeinschaft mit andern
-Mädchen unsittliche Handlungen vollführt hast. Ich muß dich deshalb
-ebenso wie die andern, die dir wohl bekannt sind, mit Karzer bestrafen.
-Deinen Eltern wird es mitgeteilt werden. Hast du darauf etwas zu
-erwidern?«
-
-Ich hatte nichts zu erwidern und machte mich, nachdem ich um sechs Uhr
-aus dem Karzer entlassen war, zitternd auf den Heimweg; denn ich wußte,
-wie es mir ergehen würde. Geraden Weges heimzugehen vermochte ich nicht,
-sondern ich kam auf einem Umweg in die Isaranlagen, wo ich mich auf eine
-Bank setzte und überlegte, ob ich nicht lieber ins Wasser springen
-sollte. Am End aber siegte doch die Schneid und ich stand auf und ging
-nachhaus.
-
-Ganz langsam schlich ich mich dort über die Stiegen hinauf, stand lange
-vor der Wohnungstür und betete: »Vater unser, der du bist im Himmel! Laß
-mi net umbracht werdn! Heilige Maria, Mutter Gottes, laß mi net
-derschlagn werdn! Heiliger Schutzengel, hilf mir do! I will's g'wiß
-nimma toa!«
-
-Endlich läutete ich.
-
-Hinter der Tür aber lehnte schon der Totschläger; und als ich eintrat,
-empfing mich die Mutter mit einem wuchtigen Schlag. Hierauf gebot sie
-mir, mich auszuziehen. Als ich im Hemd war, schrie sie mich an: »Nur
-runter mit'n Hemd! Nur auszogn! Ganz nackat!«
-
-Darauf mußte ich niederknien, und nun schlug sie mich und trat mich mit
-Füßen wider die Brust und den Körperteil, mit dem ich gesündigt hatte.
-Da schrie ich laut um Hilfe, worauf sie mir ein Tuch in den Mund stopfte
-und abermals auf mich einschlug. Dabei trat ihr der Schaum vor den Mund,
-und keuchend schrie sie mich während der Züchtigung an: »Hin muaßt sein!
-Verrecka muaßt ma! Wart, dir hilf i!«
-
-Als sie erschöpft war, rief sie dem Vater, der im Schlachthaus
-gearbeitet hatte, und ruhte nicht eher, bis auch er den Stock nahm und
-mich noch einmal strafte. Darauf sperrten sie mich in meine Kammer und
-gingen fort.
-
-Durch meine Hilferufe war die Frau Baumeister Möller, die über uns
-wohnte, aufmerksam geworden; und als sie mich in meiner Kammer noch
-lange Zeit laut weinen hörte, rief sie mir von ihrem Balkon aus zu:
-»Warum hat s' di denn wieder so g'prügelt? Komm, mach auf, dann komm i
-zu dir nunter!«
-
-Ich sagte ihr, daß ich eingesperrt sei. Da rief sie unserm Nachbarn, dem
-Schlosser. Der mußte aufsperren; und als sie hereinkam und mich sah,
-erschrak sie sehr; denn mir lief das Blut über die Arme und den Rücken
-herunter und Brust und Leib waren ganz blau und verschwollen. Sie war so
-erregt über die mir widerfahrene Behandlung, daß sie meiner Bitte, mich
-zu meinem Großvater zu bringen, sofort nachgab. Sie zog mich sauber an
-und wir fuhren noch mit dem Abendzug heim.
-
- * * * * *
-
-Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen, und ich mußte lange unter dem
-Fenster rufen, bis mich die Großeltern hörten. Der Großvater öffnete das
-Haus und fragte, indem er uns in die Stube führte, erschreckt: »Insa
-liabe Zeit! Lenei, wo kimmst denn du no so spat her? Was is denn nur
-grad passiert und wer is denn dös Wei da?«
-
-Da berichtete ihm Frau Möller kurz das Geschehene, worauf er sagte:
-»Naa, Dirnei, da kimmst ma nimma eini! Jatz bleibst bei mir da; so viel
-ham ma, daß 's g'langt!«
-
-Nachdem die Frau Baumeister die Einladung des Großvaters, bei uns zu
-übernachten, ausgeschlagen und sich nach einem Gasthof begeben hatte,
-wollte die Großmutter mich ausziehen; aber sie mußte mich erst in ein
-Schaff mit Wasser setzen, bevor sie die an den Wunden klebenden
-Wäschestücke vom Körper lösen konnte. Als ich endlich nackt vor ihnen
-stand, geriet der Großvater vor Zorn ganz außer sich und schrie, daß
-alles zitterte: »Dös muaß ma büaßn, dös Weibsbild, dös verfluachte!
-Oonagln tua i's! Aufhänga tua i's! Umbringa tua i's!«
-
-Nach dem Bad wurde ich mit sauberen Linnen abgetrocknet und die
-Großmutter holte den Salbtiegel und begann meinen »Wehdam
-einzuschmierbn«. Der Großvater aber nahm die Kinderstup und stäubte,
-finster vor sich hingrollend, mit dem Pudermehl meinen Rücken, die Arme
-und Beine ein, während der Hausl mit weit hinter sich hinausgespreizten
-Armen in der Stube auf und ab schritt und nur von Zeit zu Zeit den Kopf
-schüttelte oder ausspuckte.
-
-Andern Tags in der Früh holte der Großvater den Bader, der mir überall,
-wo es vonnöten war, ein Pflasterl auflegte und dafür sorgte, daß
-möglichst Viele die Begebenheit inne wurden. Die Großmutter aber mußte
-des Vaters Feiertagsgewand herrichten; denn er wollte noch am Vormittag
-in die Stadt fahren. Ehe er fortging, sagte ich ihm noch den Grund,
-warum die Mutter mich so gestraft; doch erwiderte er aufs neue erzürnt
-nur: »Dös is gleich! So was redn alle Kinder amal; dös tuat a jeds Kind
-amal. Dös is dös G'fahrlicha no lang net!«
-
-Als er von München zurückkam, sprach er, wie das so seine Art war, mit
-keinem Wort mehr von der Sache; aber ich durfte wieder ein ganzes Jahr
-bei den Großeltern bleiben.
-
-Im September dieses Jahres war im Dorf das große Haberfeldtreiben; kurz
-vorher starb unser Hausl ganz plötzlich und ohne irgend eine
-Vorbereitung.
-
-Es war ein recht schwüler Augusttag gewesen und der Hausl hatte schon
-seit dem Morgen über die Hitze und seinen großen Durst gejammert; doch
-reute ihn immer wieder das Geld zu einem Trunk Bier. Am End aber konnte
-es die Großmutter nicht mehr mit ansehen und sagte: »Geh, Hausl, laß dir
-halt vo da Lena a Bier holn! Wenn di's Geld gar a so reut, na zahl's
-halt i!«
-
-Da fühlte er sich doch in seinem Stolz gekränkt und sagte: »In Gott's
-Nam', Handschuasterin, laßt halt a Halbe holn!«
-
-Mit diesen Worten schlürfte er in seine Kammer, riegelte hinter sich zu
-und brachte nach einer geraumen Weile die paar Kreuzer heraus.
-
-Da legte die Großmutter noch ein Zehnerl darauf und sagte zu mir:
-»Lenei, holst glei a Maß, na derfa ma aa amal trinka.«
-
-Als ich dann den vollen Krug vor ihn hinstellte, brummte er ärgerlich:
-»Warum habt's denn enka Bier net in an andern G'schirr g'holt! Woaß ma
-net, was oan zuaghört und was net!«
-
-Damit nahm er den Krug, setzte sich auf das Kanapee und trank; die
-Großmutter und ich aber saßen am Tisch, wartend, daß er sage: »Da, dös
-g'hört enk.«
-
-Doch er sagte nichts, so daß ich bei mir dachte: »Der trinkt ja dös unsa
-aa no aus!«
-
-Auf einmal läßt er die Hand mit dem Krug sinken und neigt den Kopf
-tiefer und tiefer. Da schreit auch schon die Großmutter: »Jess Mariand
-Josef, Hausl, der Kruag fallt oicha!« und springt hinzu und will ihn
-auffangen.
-
-Aber die knöchernen Finger umklammern fest den leeren Krug und sind
-eiskalt. »Gott steh ma bei! Was is denn dös?« kreischt sie auf; denn der
-Hausl war tot.
-
-Als er eingegraben wurde, kamen seine Verwandten und fielen über seine
-Sachen her. Dabei stritten sie heftig, und als sie endlich eins waren
-und wieder fortgingen, sagten sie zum Großvater: »So, Handschuasta, was
-jatz no da is vo eahm, dös g'hört enk.«
-
-Da war aber nichts mehr da wie sein alter, gestrickter Janker. Den nahm
-ich vom Nagel, und während ich ihn betrachte und betaste, greif ich
-unwillkürlich auch in die Taschen und finde darin einen Schlüssel. Da
-fällt mir sein Wandschränklein ein. Ohne ein Wort lauf ich in die Kammer
-und sperre zu, suche nach dem Pünktlein, kratze den Kalk von der Wand
-und bringe am End nach vieler Müh das Türlein auf. Da lagen in dem
-Kästlein weit über hundert Mark Geld, ein Haufen Silberknöpfe und alte
-Münzen, seine silberne Uhr mit der Kette und den großen Talern daran und
-etliche schöne, silberbeschlagene Bestecke und silberne Löffel; daneben
-sein Rasierzeug und ein kleines, hölzernes Spieglein.
-
-Voller Freude riß ich die Kammertür auf und rief: »Großvata, da geh rei!
-I hab was g'fundn vom Hausl und dös g'hört alles uns!«
-
-Als der Großvater meinen Fund sah, war er zuerst sprachlos vor
-Verwunderung; dann aber sagte er: »Dirnei, dös g'hört alls dei. Du bist
-eahm dö Liaba g'wen und dir hätt er's do vermacht.«
-
-Der Großmutter war das auch recht, und so haben sie mir die Sachen immer
-aufgehoben. Als aber nachher der Großvater starb, sind die Verwandten
-darüber gekommen und mir ist nichts geblieben als das Spieglein und das
-Besteck. Das nahm dann meine Mutter in Verwahrung, und so hatte ich
-nichts mehr.
-
-Die Rede, welche der Herr Pfarrer am Grabe unsers Hausl gehalten hatte,
-war wieder eine Verdammungsrede gewesen; eine noch schlimmere aber hielt
-er kurze Zeit danach dem Schmittbauern, dem reichsten der Gemeinde, den
-auch der Schlag getroffen. Dieser Mann war in der ganzen Umgegend wegen
-seiner Gutherzigkeit und Rechtlichkeit angesehen und beliebt; nur beim
-Pfarrer stand er schlecht angeschrieben. Einen besonderen Groll auf ihn
-hatte auch der Posthalter, der sich gern durch den Bau einer Straße
-berühmt gemacht hätte, daran aber durch einen Acker des Schmittbauern
-gehindert wurde, den dieser um keinen Preis hergeben wollte. Ein
-jahrelanger Prozeß war zugunsten des letzteren entschieden worden.
-
-Nach der Beerdigung begaben sich nun damals die Leidtragenden, die in
-großer Zahl von nah und fern gekommen waren, zum Leichenschmaus beim
-Huberwirt. Nur einige waren noch am Gottesacker zurückgeblieben und
-hörten dort, wie der Posthalter mit Bezug auf die Rede des Pfarrers zum
-Lehrer sagte: »Recht hat er g'habt, der Herr Hochwürden! Dem g'hört 's
-net anderscht. Mit dene werdn ma aa no ferti; mir zoagn 's eahna scho!«
-
-Diese Worte hinterbrachten die Bauern, die sie gehört hatten, sofort den
-beim Leichentrunk Versammelten, und nun kannte die Erbitterung keine
-Grenzen. Zur Stund ward beschlossen, den Schmittbauern zu rächen.
-
-Am Samstag vor dem Fest Mariä Geburt erschienen bei anbrechender Nacht
-plötzlich etliche hundert Männer mit geschwärzten Gesichtern im Ort,
-zogen, mit Sensen, Dreschflegeln, Heugabeln und Äxten bewaffnet, durch
-das Dorf und sangen Trutzlieder auf die Geistlichkeit und besonders auf
-unsern Pfarrer. Dazu vollführten sie mit Johlen, Pfeifen und
-Zusammenschlagen der Äxte und Sensen einen höllischen Lärm. Vor dem
-Pfarrhof angelangt, schlugen sie dort die Fenster ein, beschmierten die
-Türen mit Schmutz, hieben die Obstbäume um oder rissen sie aus; sogar
-den Heustadel wollten sie in Brand setzen, doch zündete es nicht.
-
-Danach zogen sie zum Posthalter und besudelten dem alle Fensterscheiben
-und Läden mit Menschenkot, den sie in einem großen Kübel mitführten, und
-schrieben an das große Tor der Einfahrt mit einem langen Pinsel, der mit
-demselben Schmutz getränkt war, diesen Vers:
-
- Auf'n Pfarrer is g'schissn
- Auf'n Posthalter damit,
- Warum hant s' so verbissn
- Am Sebastian Schmitt.
-
-Noch am andern Tag konnte jedermann diese Worte lesen.
-
-Von den Gendarmen hatte keiner gewagt, sich den Haberern in den Weg zu
-stellen, und eine Untersuchung, die man später einleitete, hatte nicht
-den geringsten Erfolg; denn keiner verriet den andern, weil man noch von
-Hausham her wußte, daß das Haberfeldtreiben sehr streng bestraft wurde.
-
-Geraume Zeit ging noch die Rede von diesem Treiben, und an den langen
-Winterabenden, wenn die Großmutter mit der Huberwirtsmarie und der alten
-Sailerin, einer achtundneunzigjährigen Greisin, in der Stube saß und
-spann, während der Großvater auf der Ofenbank lange, kunstvolle Späne
-schnitt, fiel noch manches Wort über diese Geschichte.
-
-Aber auch andere abenteuerliche und seltsame Dinge wurden da erzählt.
-Besonders die Sailerin, im Dorf nur die alt' Soalagroß' genannt, die
-wegen ihrer bösen Zunge sehr verrufen und von manchen als Hexe
-gefürchtet war, wußte aus längst vergangener Zeit die wunderlichsten
-Begebenheiten zu berichten: von Leuten des Dorfes, die durch ihren
-sündhaften Lebenswandel den Teufel selber zu Gaste geladen und mit ihm
-wirkliche Verträge abgeschlossen hatten. Sie war selber Zeuge gewesen,
-wie ein Bauer in jungen Jahren verliebt war in das Weib eines Nachbarn;
-wie er diesen eines Mordes an einem armen Handwerksburschen zieh und,
-nachdem der Unglückliche peinlich verhört und am Ende unschuldig zum
-Tode verurteilt worden, die Wittib heiratete. Da kam eines Tages der
-Teufel in Gestalt eines fürnehm gekleideten Herren zu ihm und wollte
-eine Kuh kaufen. Als ihn der Bauer in den Stall führte, fing alles Vieh
-zu brüllen an und zeigte große Unruhe. Der Fremde suchte eine schwarze
-Kuh aus und zählte darauf den hohen Preis in lauter Goldmünzen auf den
-Tisch; und als der Bauer dieselben einstreichen wollte, verbrannte er
-sich die Hände, so heiß waren sie. Erschrocken sah er sich nach dem
-Fremden um; der aber war verschwunden und statt seiner stand eine
-erschreckliche Gestalt an der Tür und rief: »Wart nur! I kriag di scho
-no!« Damit verschwand sie; die Kuh aber, die nicht geholt wurde, gab von
-Stund an blutige Milch. Etliche Wochen später wurde der Bauer tot und
-ganz schwarz auf dem Felde gefunden.
-
-Oft nach dem Abendläuten sprachen sie auch von den verstorbenen
-Angehörigen, und da erzählte die Sailerin von den armen Seelen im
-Fegfeuer und wie sie denen helfen, die fleißig für sie beten. So sei
-einmal ihre Mutter am Herd gestanden und habe die Abendsuppe gekocht.
-Indem läutete es zum Angelus, und während sie halblaut den englischen
-Gruß betete und, wie gewohnt, noch ein Vaterunser für ihre verstorbene
-Mutter hinzufügte, tat sich die Haustür auf und herein lief eine alte
-Frau, die der Verstorbenen aufs Haar glich. Diese zog sie hastig mit
-sich über die Stiege hinauf, riß die Tür zum Heuboden auf, wies mit der
-Hand hinein und verschwand. Ihrer Mutter aber sei fast das Herz
-stillgestanden vor Schreck: ganz oben unter dem Dach hing ihre Lisl mit
-dem zerrissenen Rock an einem Nagel des Gebälks und konnte jeden
-Augenblick hinunter auf den Dreschboden stürzen. Das Kind, das die Katze
-bis dorthin verfolgt hatte, konnte nur mit vieler Mühe gerettet werden.
-
-Auch wußte sie viel von alten Sitten und Gebräuchen: so legten in der
-Thomasnacht die jungen Mädchen die gekochten Beinlein eines in der Nacht
-zum Andreastage getöteten Marders, einige Hollunderzweige, die am St.
-Barbaratag abgeschnitten worden, und einen Zettel, darauf ein
-geheimnisvolles Gebet geschrieben stand, auf die Schwelle ihrer
-Kammertür. In der Mitternachtsstunde erblickten sie dann, wenn sie in
-den Spiegel sahen, ihren Hochzeiter. Auch eine ihrer Schwestern habe
-einmal, nachdem sie alles recht gemacht, dies getan; aber mit einem
-lauten Aufschrei sei sie davongestürzt; denn statt eines jungen Mannes
-habe der Tod aus dem Spiegel geschaut. Nach langem Siechtum sei sie dann
-auch wirklich unverheiratet gestorben.
-
-Atemlos lauschte ich stets diesen Erzählungen und bekam nach und nach
-eine große Hochachtung vor der alten Sailerin; und da sie immer recht
-freundlich mit mir war und auch bei den Großeltern viel galt, hielt ich
-mich häufig bei ihr auf. Da konnte ich denn, als das warme Frühjahr
-wiedergekommen, oft stundenlang bei ihr auf der Hausbank sitzen, wo sie
-den ganzen Tag über die Vorübergehenden prüfend betrachtete und mit sich
-selber lange Gespräche führte, während ihre Hände unablässig an einem
-ungeheuern Strumpfe strickten. Dies Stricken und Mitsichselberreden war
-ihr schon so zur zweiten Natur geworden, daß sie überall, wo sie ging
-und stand, die Lippen und die Zunge bewegte und in den gefalteten Händen
-die Daumen umeinanderdrehte.
-
- * * * * *
-
-Während dieses Jahres gebar die Mutter in München ihr zweites Kind, den
-Maxl. Kurz zuvor hatte der Vater sein ganzes Geld, bei dreißigtausend
-Mark, auf dem Anwesen, das er gekauft hatte, durch einen Bauschwindler
-verloren, so daß er sich an eine Brauerei um Hilfe wenden mußte. Diese
-gab ihm, nachdem sie ihn eine Zeitlang in ihrer Flaschenfüllerei
-beschäftigt hatte, eine Kantine im Lechfeld. Den Hansl nahm die Mutter
-mit, und der Maxl kam zur Großmutter in die Kost.
-
-Nach einem Jahr schrieb die Mutter, man solle uns wieder nach München
-schicken, und sie versprach, mich jetzt besser zu behandeln; es gehe
-ihnen gut und sie hätten im Lechfeld so viel Gewinn gehabt, daß der
-Vater in München wieder eine Wirtschaft pachten könne.
-
-So brachte mich denn der Großvater wieder in die Stadt, nicht ohne
-Kummer und Besorgnis. Doch behandelte mich meine Mutter jetzt wirklich
-besser und sparte nicht an Lob und Belohnung, wenn ich etwas zu ihrer
-Zufriedenheit gemacht hatte. Zu Weihnachten schenkte sie mir eine Puppe,
-die so groß wie ein zweijähriges Kind war und einen wunderschönen,
-wächsernen Kopf mit echtem Haar hatte. Doch die Freude währte nicht
-lange; bald nach Ostern nahm sie mir die Puppe weg, weil ich zu viel
-Zeit mit dem Spiel vertrödelte, und schenkte sie später der Großmutter
-für die Kostkinder. Die Großmutter aber hob sie noch lange Jahre für
-mich auf und gab ihr einen Ehrenplatz in der Künikammer. Der Tag meiner
-Firmung brachte dann eine weitere Enttäuschung, wohl die bitterste, die
-ein Mädchen in diesem Alter erleben kann; denn noch an dem gleichen Tage
-verkaufte die Mutter mein weißes Firmkleid an den Vetter Bastian, einen
-Fuhrknecht, der es für seine Tochter brauchte und ich mußte mich in
-meinem alten Sonntagskleid von der Nanni, meiner Firmpatin, in den
-Methgarten an der Schwanthalerstraße führen lassen, wo die andern
-Firmlinge in ihren weißen Kleidern und mit der offiziellen Firmuhr
-prangten und mich verächtlich von der Seite ansahen und von mir
-wegrückten. Das Firmgeschenk, das mich sehr freute, bestand in dem
-silbernen Geschnür, der Halskette und Riegelhaube der Nanni; es wurde
-aber bald danach alles von der Mutter verkauft mit dem Versprechen, ich
-bekäme etwas Praktischeres dafür.
-
-Die Tante Babett hatte inzwischen ihre Stellung wieder aufgegeben und
-war als Kinderfrau in dem Hause meiner Eltern angenommen worden. Unter
-ihrem Einfluß wurde auch die Mutter fromm und ging von nun an jede Woche
-zur Beichte und zum Tisch des Herrn, fast jeden Tag in die Messe, hörte
-jede Predigt, wurde Mitglied aller Erzbruderschaften und des dritten
-Ordens und machte Wallfahrten. Zu Hause aber schimpfte und fluchte sie
-mit bösen Worten, und die Dienstboten und ich waren in ihren Augen keine
-Menschen.
-
-Weil ich nun von dieser Frömmigkeit, die vor allem den Pfarrern zu
-gefallen suchte, nichts wissen wollte, mußte ich gar viele Mißhandlungen
-und Schmähungen von der Tante Babett ertragen, der jede Gelegenheit
-willkommen war, über mich bei der Mutter zu klagen und ihr meine Zukunft
-und mein Seelenheil als hoffnungslos vorzustellen. Ich wurde darum jetzt
-gezwungen, jeden Morgen um sechs Uhr die heilige Messe zu besuchen und
-alle vierzehn Tage zu beichten. Da ward es mir oft seltsam zumut, wenn
-ich, kaum von der Kommunionbank weg, hören mußte, wie die Mutter wegen
-jeder Kleinigkeit die gräßlichsten Flüche ausstieß und doch ihre
-Frömmigkeit für eine echte und heilige hielt.
-
-Zu dieser Zeit kam von Niederbayern eine zweite Schwester meines
-Stiefvaters zu uns. Es waren daheim noch mehrere; denn der Vater meines
-Stiefvaters hatte vierzehn Frauen gehabt, mit denen er neununddreißig
-Kinder zeugte. Als er mit dreiundzwanzig Jahren das erstemal heiratete,
-kurz, nachdem sein Vater, der reichste Bauer vom ganzen Rottal, unter
-Hinterlassung von mehr denn einer Million Gulden gestorben war, brachte
-ihm die Frau noch über hunderttausend Gulden Heiratsgut mit, und als
-nach einem Jahr ihr das Wochenbett zum Todbett ward, erbte er noch ihr
-ganzes übriges Besitztum; denn sie war eine Waise. Kurz danach nahm er
-die zweite Frau, eine Magd, mit der er sechs Jahre lebte und vier Kinder
-hatte. Als sie an der Wassersucht gestorben war, heiratete er noch im
-selben Jahr eine Kellnerin, die er aber nach wenigen Monaten davonjagte,
-als er eines Tags den Oberknecht bei ihr im Ehebett fand. Die vierte
-Frau, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, holte er sich aus dem
-bayerischen Wald, verlor sie aber schon nach zwei Jahren, nachdem sie
-ihm ein Kind geboren hatte. Die Leute erzählten, er habe sie durch sein
-wüstes, ausschweifendes Leben zugrunde gerichtet. Bald nach ihrem Tode
-nahm er mit dreiunddreißig Jahren die fünfte Frau, die ihm vier Kinder
-mit in die Ehe brachte, von denen böse Zungen behaupteten, daß sie von
-ihm gewesen; denn diese Frau hatte er zuvor als Oberdirn auf seinem Hof
-gehabt. Während einer fünfjährigen Ehe gebar sie ihm zweimal Zwillinge
-und einen Buben, an dem sie starb. Man sagte aber auch, sie sei aus
-Kummer krank geworden; denn um diese Zeit hatte er begonnen, offen ein
-wüstes Leben zu führen. Als Viehhändler trieb er oft zwanzig bis dreißig
-Stück Rinder oder auch Pferde zu Markte und hielt danach mit andern
-Genossen große Zechgelage. Hierbei wurde gewürfelt, und da er sehr hoch
-spielte, verlor er oft seine ganze Barschaft samt dem Erlös und mußte
-nicht selten noch Boten heimschicken um Geld.
-
-Inzwischen war die Frau, von der er sich hatte scheiden lassen, an der
-Schwindsucht gestorben, so daß er nun, als er mit neununddreißig Jahren
-das sechstemal heiratete, wieder kirchlich getraut wurde; doch, noch ehe
-ein Jahr um war, starb die Frau im Kindbett. Nun holte er sich ein Weib
-aus Österreich, eine junge, sehr schöne Linzerin. Von ihr berichtet man,
-daß er einmal, als er den ganzen Erlös für das verkaufte Vieh und all
-sein bares Geld verloren hatte, sie auf einen Wurf setzte und an einen
-reichen Gutsbesitzer um tausend Mark für eine Nacht verspielte. Während
-dieser Nacht soll sich die Frau gar sehr gewehrt und den Gutsherrn so
-schwer an der Scham verletzt haben, daß er bald darauf sterben mußte.
-Mit dieser Frau lebte er acht Jahre sehr unglücklich, und nachdem sie
-ihm zehn Kinder geboren hatte, starb sie an dem letzten. Kurz darauf
-heiratete er mit fünfzig Jahren zum achtenmal und hatte während einer
-sechsjährigen Ehe sechs Kinder. Auch diese Frau hatte keine guten Tage
-bei ihm; denn ihr eingebrachtes Vermögen war gleich dem der anderen
-Frauen bald verspielt, und nun mißhandelte er sie oder verfolgte sie im
-Rausch mit seinen Zärtlichkeiten, was das gleiche war; denn er war
-herkulisch gebaut und massig wie seine Stiere. Auch hatte er noch zu
-ihren Lebzeiten eine heimliche Liebschaft mit einer anderen, die nach
-ihrem Tode seine neunte Frau wurde, aber schon nach vierjähriger Ehe mit
-sechsundzwanzig Jahren an ihrem vierten Kinde starb.
-
-Obwohl nun im Orte heimlich die Rede ging, daß er seine Frauen auch im
-Kindbett besuche, davon ihnen das Blut gehend worden wär und daran sie
-gestorben seien, willigte doch eine Nähterin aus der Pfarre in des
-Vierundsechzigjährigen Heiratsantrag; denn sie hatte schon zwei
-erwachsene Kinder von ihm. Doch auch ihr wurde das gleiche Schicksal und
-sie starb nach zwei Jahren zugleich mit dem Kinde im Wochenbett. Mit
-siebenundsechzig Jahren heiratete er zum elftenmal, und als die Frau
-schon nach zwei Monaten gestorben war, ging er mit neunundsechzig Jahren
-die zwölfte Ehe ein. Mit dieser Frau lebte er vier Jahre und nahm nach
-ihrem Tode mit vierundsiebzig Jahren die dreizehnte. Diese letzten Ehen
-waren alle unglücklich; denn daheim prügelte er die Frauen und in den
-Wirtshäusern verspielte er alles, was er besaß. Beim Tode der
-dreizehnten Frau hatte er nichts mehr, und als er jetzt mit
-neunundsiebzig Jahren in das Armenhaus kam, fand er da eine
-Armenhäuslerin, die seine vierzehnte Frau wurde. Mit ihr lebte er noch
-sieben Monate und starb danach als Bettler; sie hat ihn dann noch kurze
-Zeit überlebt.
-
-Die zweite Schwester meines Vaters, die vierzehnjährige Zenzi, kam
-damals grad aus dem Kuhstall zu uns und sollte jetzt die Haus- und
-Küchenarbeit lernen. Gleich nach ihrer Ankunft ließ auch ihr die Mutter
-die Haare abschneiden, und ich mußte ihr alle Tage das Ungeziefer vom
-Kopf suchen. Dann mußte ich sie beten lehren; denn sie konnte nicht
-einmal das Vaterunser, worüber die Mutter sehr aufgebracht war. So wenig
-angenehm diese Aufträge für mich waren, so belustigend war es
-anderseits, ihr bei der Hausarbeit zuzusehen, besonders wenn sie mit dem
-Schrubber putzte. Da hob sie, wenn sie zu wischen begann, das Bein in
-die Höhe, wie man es auf dem Felde tut, um die Gabel in den Mist zu
-treten, und sang dazu. Gewöhnlich war es das Lied von der unglücklichen
-Fahrt über den Inn, bei der fünf Burschen und drei Mädchen ertranken,
-und das ein Bauernbursche aus dem Rottal gedichtet hatte. Sie sang es
-ohne Stimme und Gehör, und das Lied lautete:
-
- Leut, seid's a weng ruhig
- Und mirkt's a weng auf,
- Und den trauringa Fall
- Leg enk ich wieda auf.
-
- Und den heuringa Jahrgang,
- Den ma achtadachtzg schreibt,
- Den hamand dö altn Leut
- Scho lang prophezeit.
-
- So viel Wolkenbrüch und Hagelschlag
- Wia heuer san g'west;
- A Schauer geht oan über,
- Wenn ma d'Zeitunga lest.
-
- Will koa Mensch nimma betn,
- Halt neamd nix für a Sünd;
- Wen tat's'n da wundern,
- Wenn über uns nixn kimmt.
-
- Und gehn ma von dem wega
- Und drah' ma uns anderscht wo ei,
- Und den oasa'zwanzigstn Mai
- Muaß der Pfingstmontag sei.
-
- Da hat's in Pocking in Bayern
- Zwoa Pferderennats gebn;
- Die Witterung war günstig
- Und hübsch lustig is aa g'wen.
-
- Es kimmt a Menge Menschen z'samm,
- Ja dös Ding, dös is leicht;
- Aba net grad vom Haus Bayern,
- Sondern auch vom Haus Österreich.
-
- »Das Renn' ging glücklich vorüber,«
- So hört man allgemein lobn,
- Aber die Heimkehr auf Östreich
- War traurig genung.
-
- Fünf bluatjunge Burschen
- Von oana Pfarr z'haus,
- Dö gehnd in Tod hinüber
- Kimmt koana mehr raus.
-
- Sie glaubn, sie gehnd über Schärding,
- Aber, weils Wasser zu hoch
- Und der Umweg zu weit,
- Wann ma's wirklich betracht.
-
- Da sagt der Brüahwassermathias:
- »Dös war ma scho z'dumm!
- Mir fahrn den pfeilgradn Weg
- Vorüber in Hunt!«
-
- Sie sitzn si eini
- Und haltn si mäusstad,
- Aba mitn Hong ham sie si vostocha,
- Jatz hot's as halt draht.
-
- »Jesus, Maria und Josef!«
- War das Jammergeschrei;
- Drei hand auskemma,
- Aba mit acht is vorbei.
-
- Fünf hand vo Österreich
- Drei hand vo Boarn
- Und oana davo
- War bal ganz vergessn wordn.
-
- Und am oasa'zwanzigstn Mai
- Werdn die Gottsdeansta g'haltn,
- Aber der Schmerz vo dö Eltern
- Is net zum aushaltn.
-
- Jatz pfüat enk Gott, Eltern!
- Die Gräber hand zua,
- Teat's fei für uns betn
- Um dö ewige Ruah!
-
-Sang sie nicht, so war das ein Zeichen ihrer schlechten Laune, und da
-konnte sie dann auch bösartig sein und einem alles zum Trotz tun. Schalt
-ich sie, so lief sie zu ihrer Schwester, der Tante Babett, diese lief
-zur Mutter und die Mutter kam über mich; und hatte ich zuvor nur eine
-wider mich gehabt, so waren es jetzt drei.
-
-Da überwarf sich die Tante Babett mit meinem Vater und verließ ganz
-plötzlich das Haus. Es war nämlich aufgekommen, daß sie jeden Morgen auf
-einem Umweg in die Kirche gegangen war. Auf diesem Weg aber wohnte ein
-Bräubursch. Der hat sie jedoch nicht geheiratet, weil sie, wie er sagte,
-ihm zu fromm sei und es mit den Pfarrern hielte. Nach ihrem Weggang
-wurde die Zenzi in der Küche und dem Hauswesen verwendet und ich mußte
-wieder die Kindsmagd machen.
-
-Da geschah es oft des Abends, daß die Kinder nicht einschlafen wollten;
-ich mußte mich aber schicken, um wieder hinunter in die Wirtschaft zur
-Arbeit zu kommen. Da das Zureden nichts nützte, half ich mir schließlich
-auf folgende Weise: Aus einem Bettuch machte ich mir ein weißes Gewand,
-aus gelben Bierplakaten zwei Flügel und aus einem Lampenreif die Krone.
-So ging ich zu ihnen ins Schlafzimmer, wo nur ein rotes Nachtlicht
-brannte, trat an das Bett des zweijährigen Maxl und fing leise an zu
-singen. Ganz andächtig mit geschlossenen Augen hörte er mir zu, während
-der vierjährige Hansl mich beobachtete, ohne mich zu erkennen. Am andern
-Tag erzählte der jüngere es dem älteren und sagte: »Du, Hansl, heut auf
-d'Nacht is mei Schutzengel da g'wen mit goldene Flügeln und an weißen
-Kleid; der hat schön gsunga!«
-
-Darauf sprach der Hansl: »I hab's scho g'sehgn, aba i hab mi nix z'sagn
-traut, sonst hätt i'hn verjagt.«
-
-Ich verbot ihnen, irgend jemandem etwas davon zu sagen und machte nun
-jeden Abend den Schutzengel.
-
-Wie ich nun wieder einmal vor dem Bett stehe, geht die Tür auf und die
-Mutter kommt herein. Der Hansl ruft ihr noch zu: »Sei stad, Mama, da
-Schutzengel is da!« als sie schon schreit: »Du Herrgottsakermentsg'ripp,
-du zaundürrs! Dir werd i's austreibn, an Engl z'macha!« Und damit reißt
-sie mir die Flügel herunter und jagt mich unter Püffen aus der Stube.
-Die Kinder begannen zu schreien und zu weinen und die Mutter beruhigte
-sie, indem sie sie über den Frevel, wie sie sagte, aufklärte und ihnen
-Schokolade gab.
-
-Von der Stunde an betrachteten mich die Brüder mit kindlicher Verachtung
-und wollten mir lange nicht mehr folgen.
-
-Dann kam eine Zeit, wo die Mutter mich wieder besonders quälte; sie war
-aber auch gegen andere Leute recht barsch, vor allem gegen den Vater.
-Dabei wurde sie immer stärker, und nun wußte ich, daß wieder ein Kind
-kam. Daß dem so war, das hatte ich eines Tages nach der Turnstunde
-erfahren, als ich mit mehreren Mädchen meiner Klasse, ich war damals
-dreizehn Jahr alt, nach Hause ging. Da begegnete uns eine Frau, die in
-andern Umständen war, und auf die Frage der Babett: »Warum is denn dö
-unten so dick und obn so mager?« entgegnete ich: »Ja, weils halt ihr
-Korsett verkehrt anhat.«
-
-»Du irrst!« sagte darauf die Else, eine Lehrerstochter. »Die Frau trägt
-überhaupt kein Korsett, sondern die bekommt ein Kind.«
-
-»Ja, die Else hat recht,« mischte sich eine vierte, die Anna, ins
-Gespräch, »mei Mutter war auch so dick, dann ham ma zwoa Bubn kriegt;
-dann is s' im Bett g'legn, und wie s' wieder aufg'standn is, war s'
-wieder ganz mager. Jetzt möcht i nur wissn, wie dö rauskomma san.«
-
-»Das kann ich dir schon sagen,« erwiderte die Else. »Mein Papa hat zu
-Hause ein Buch, darin hab ich's gelesen: Wenn ein Mann mit einer Frau
-ins Bett geht und mit ihr was Schlimmes treibt, legt er ihr ein Ei in
-ihren Körper; dann tut er wieder was Böses mit ihr, dadurch kommt das Ei
-in den Magen der Frau, und die brütet es aus und aus dem Nabel kommt das
-Kind mittels der Nabelschnur.«
-
-»Du spinnst ja!« rief jetzt die Theres. »Da hast halt aa net recht
-g'lesn! I woaß von meiner Schwester, die von dem Doktor dös Kind hat:
-dös Ei liegt net im Magn, sondern im Bieserl. Da tut der Mann mit der
-Frau was Böses und dann kommt's in Bauch und nach einem halben Jahr
-kommt 's Kind unten raus. Und da braucht ma die Hebamm zum Aufschneidn
-und Zunähn.«
-
-Mit Gruseln hörten wir zu und daheim untersuchte ich, als ich allein
-war, sogleich mit einem Spiegel, ob das mit dem Kind wirklich möglich
-sei; da hab ich gefunden, daß es unmöglich sei.
-
-Aber die Mutter bekam bald danach doch den Ludwigl, und da ich in
-Ermangelung einer Wochenbettpflegerin alle bei einer Niederkunft
-notwendigen Arbeiten tun mußte, so konnte ich ziemlich den ganzen
-Verlauf der Geburt beobachten.
-
-Als ich dann die Mutter laut jammern und klagen hörte, hatte ich viel
-Mitleid mit ihr und nahm mir zugleich fest vor, niemals mit einem Mann
-was Böses zu tun. Im übrigen hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken;
-denn den ganzen Tag bis spät in die Nacht ging es treppauf, treppab und
-hieß es arbeiten, damit die Mutter zufrieden war.
-
-
-
-
-
-
-Von dem Besuch höherer Schulen hielt meine Mutter damals noch nicht
-viel, und so mußte ich, als ich aus der Werktagsschule entlassen war, in
-die Mittwochschule gehen, die meist von Dienstmädchen und den Töchtern
-der Armen besucht wurde. Bei den geringen Anforderungen, die hier an die
-wenig wißbegierigen Mädchen gestellt wurden, war ich bald das verrufene
-und doch zur rechten Zeit vielbegehrte »G'scheiterl« und brachte am
-Schluß des ersten Jahres die beste Note nach Hause. Zum Lohn dafür
-durfte ich mit einem jungen Mädchen aus dem Nachbarhause, das ebenso
-bleichsüchtig wie ich war, in den Ferien zu den Großeltern aufs Land.
-
-Da nun mein Großvater damals schon ziemlich schwer erkrankt war, schien
-es der Großmutter um der Ruhe willen, deren der Kranke bedurfte,
-ratsamer, uns zur Nanni zu schicken. Diese hatte in einem
-unverständlichen Anfall von Besorgnis, daß das Anwesen in Westerndorf
-ihr zum Ruin werde, dasselbe verkauft und erst nach einem halben Jahr
-gemerkt, welch schlechten Tausch sie gemacht hatte, indem sie dafür eine
-ganz alte, morsche Hütte ohne Obstgarten in Haslach genommen, lediglich
-um der Äcker willen, die zwar bedeutend größer waren, aber jedes Jahr
-von schweren Hagelwettern heimgesucht wurden. Sie war also froh, etwas
-an uns zwei bleichen Hopfenstangen, wie sie uns nannte, zu verdienen.
-Freilich wäre ich gern beständig um meinen Großvater gewesen; aber die
-Großmutter litt meine Anwesenheit nie lange und schien förmlich
-eifersüchtig darauf zu sein, ihn allein zu pflegen. So streiften wir
-zwei Mädchen durch Wald und Wiesen, fingen Fische und Krebse und hingen
-mit einer Zärtlichkeit aneinander, daß wir nachts zumeist in einem Bett
-beisammen schliefen; ja, als wir nach Vakanzschluß wieder heimwärts
-fuhren, gelobten wir uns noch im Bahncoupé ewige Treue und Freundschaft.
-
-Einige Monate später, es war an einem Dezembertag, rief meine Lehrerin
-mich kurz nach Beginn des Unterrichts hinaus und reichte mir ein
-Telegramm. Da ich schon seit einigen Tagen die Sorge um meinen kranken
-Großvater nicht los werden konnte und besonders in der letzten Nacht
-durch einen schweren Traum geängstigt ward, so war mein erster Gedanke:
-Er ist tot. Als ich die Worte: »Lenei, komm, Vater stirbt!« gelesen
-hatte, rannte ich, ohne mich zu entschuldigen, oder meine Kleider und
-Schulzeug zu nehmen, halb besinnungslos nach Hause. Aber die Mutter ließ
-mich nicht fort, und so lief ich in Groll und Verzweiflung umher, weinte
-und schlug meine Fäuste gegen den Kopf und fand doch keinen Ausweg. Und
-als am andern Tag ein weiteres Telegramm kam des Inhalts: »Vater tot,
-wird Samstag früh eingegraben,« war ich ganz gebrochen; denn es schien
-mir, als wäre mit dem Toten alle Hilfe und Stütze dahin. Jammernd und
-wehklagend lief ich durchs Haus und die Mutter erreichte weder mit guten
-noch bösen Worten etwas. Und als sie mir auf meinen Vorwurf: »Warum
-habt's mi nimma zu ihm lassn!« Strafe androhte, stürmte ich von der
-Wirtsküche die vier Stiegen hinauf und wollte mich in den Hof
-hinunterstürzen. Doch in diesem Augenblick riß mich jemand vom Fenster
-herab, worauf ich ohnmächtig zusammenbrach.
-
-Von dem darauffolgenden Tage ist mir keine Erinnerung geblieben; am
-übernächsten Morgen aber war ich schon früh um fünf Uhr mit der Mutter
-auf dem Wege zur Bahn, beladen mit Kränzen und von Schmerz und dumpfer
-Trauer ganz betäubt. Ich weinte keine Träne mehr im Zug, wo wir mit den
-Verwandten der Mutter und den Kostkindern zusammentrafen. Stumm blickte
-ich aus dem Coupéfenster in die verschneite Landschaft und sah überall
-das gütige Antlitz des Toten.
-
-Als wir daheim in die Stube traten, wo der Verstorbene aufgebahrt lag,
-stürzte ich der Großmutter, die auf dem Kanapee saß, an den Hals und wir
-vergaßen ganz, daß so viele mit ihr reden wollten. Als mich endlich die
-Mutter wegzog und sagte: »Komm, Mutter, red mit den Kindern!« sah ich
-beim Aufstehen erst, daß die Frau ganz schneeweiß und fast erblindet war
-vor Gram und Kummer.
-
-Indem traten die vier Männer, welche nach der Aussegnung den Sarg zum
-Friedhof zu tragen hatten, in die Stube. Flehentlich bat ich sie, ihn
-nochmals zu öffnen, damit ich den Großvater noch einmal sähe. Und als
-sie endlich meinen Bitten nachgaben, schrie ich laut auf vor Schreck und
-Weh: der Tote hatte Augen und Mund weit offen und war furchtbar
-entstellt, teils von dem entsetzlichen Leiden der letzten Tage, teils
-von der vorgeschrittenen Verwesung.
-
-Da ertönte lautes Beten, und herein in die Stube trat der alte Pfarrer
-mit den Ministranten und dem Lehrer, die Leiche auszusegnen, gefolgt von
-einer teilnehmenden und neugierigen Menge.
-
-Unter dem wimmernden Geläute des Totenglöckleins setzte sich der Zug in
-Bewegung. Ich führte die Großmutter, und wir waren beide ganz still
-geworden; meine Mutter aber hatte schon, während die Geistlichkeit ihre
-Psalmen und Gebete sang, laut zu schreien begonnen, und auf dem ganzen
-Wege durchs Dorf bis zum Gottesacker hörten wir ihr Schluchzen und
-Jammern.
-
-Schier endlos war der Zug der Leidtragenden, und erst jetzt merkte man,
-wie geehrt und beliebt der Handschuster in der Gegend gewesen war; ja,
-lange nach seinem Tode konnte man noch gelegentlich hören: »Ja, der
-Handschuasta, dös is a kreuzbrava, rechtla Mo g'wen; da derfs lang geh,
-bis a söllana wieda amal z'findn is; mir hat er aa selbigsmal bei dem
-Brand mein Buam aus'n Feuer g'holt und hernach 's ganze neue Haus
-umasinst ausg'weißt.«
-
-Nachdem nun der Sarg niedergestellt und eingesegnet war, schickten die
-Männer sich an, ihn ins Grab hinabzulassen. Da vergaß ich alles um mich
-her und ganz in dem Gedanken, daß bei dem Toten auch für mich Ruhe sei,
-stürzte ich auf das offene Grab zu und fiel besinnungslos fast hinein.
-Man bemühte sich um mich, und als ich wieder zu mir kam, hörte ich eine
-alte Bäuerin neben mir sagen: »Dös is a schlechts Zoacha g'wen, i moan
-allweil, da Handschuasta holt si's Lenei bal; schaugt a so aus wia dö
-teuer Zeit, dös Dirndl!« Da hoffte ich im stillen, dieses Zeichen würde
-bald wahr werden, und wurde wieder ruhig, so daß man mich abermals ans
-Grab führen konnte.
-
-Der Herr Pfarrer hielt eben die Grabrede und sprach gerade von dem
-felsenfesten Glauben, den der Verstorbene in all seinem Tun gezeigt
-habe: »Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen;
-aber auf dein Wort hin will ich das Netz nochmals auswerfen! Diese Worte
-des heiligen Petrus hat der Handschuster sich in allen Lebenslagen zur
-Richtschnur gesetzt. Es war ihm gleich, ob bei einer Arbeit, einer
-Dienstleistung oder einem guten Werk etwas herausschaue und zu
-profitieren sei, oder ob er dies Werk umsonst verrichten müsse. Ihm
-genügte es, daß seinem Nachbar damit geholfen war. Dieser seiner
-Überzeugung verdanken auch die hier versammelten Leidtragenden und
-Kostkinder des Handschusters ihre wohlbegründete Existenz, ja teilweise
-ihren Wohlstand, und haben sie ja selbst, wie sie durch ihr Hiersein
-beweisen, gegen den teueren Verstorbenen und dessen selbstlose Liebe und
-Fürsorge einer Pflicht der Dankbarkeit genügen wollen. Dieser große
-Glaube, der nicht fragt und nicht zweifelt, nicht zögert und nichts
-verbessern will, dieser Glaube überzeugt auch mich davon, daß unser
-lieber Herr, gleich wie zu Petrus, auch zu ihm sagt: >Selig bist du,
-weil du geglaubt hast!< Weinet nicht, die ihr hier am offenen Grabe
-steht; er wird auferstehen. Weine nicht, treue Mutter, die du ihn
-gepflegt hast Tag und Nacht und mit ihm getragen hast Freud und Leid,
-Sorg und Arbeit in stiller Entsagung dessen, was andern die Ehe bietet!
-Viele sind berufen, wenig auserwählt, und wer es fassen kann, der fasse
-es. Drum weine nicht, Mutter der Gemeinde, Mutter unserer Verlassenen
-und Verwaisten; weinet nicht, ihr Kinder; denn er will nicht euere
-Tränen, sondern euer Gebet. Darum wollen wir uns vereinigen zu einem
-andächtigen Vaterunser und Ave-Maria.«
-
-Nach dem Trauergottesdienst in der Kirche, der dem Begräbnis folgte,
-begaben sich meine Mutter, die Nanni mit ihren Angehörigen, der Bastian
-und die Kostkinder zum Huberwirt, um den Leichenschmaus zu halten. Die
-Großmutter wollte nicht mitgehen; doch ließ sie sich am End überreden,
-wenigstens in der Wirtsküche ein paar Worte mit einigen Bekannten und
-dem Huberwirt zu sprechen. Ich war mit in die Gaststube getreten und
-stand nun in einer stumpfen Teilnahmslosigkeit am Ofen, während die
-Verwandten, noch ehe sie die Wintermäntel abgelegt hatten, in lebhaften
-Streit geraten waren wegen der Habseligkeiten des Großvaters, die noch
-nicht verteilt worden. Jedes wollte das schönste und meiste haben, und
-des Hausls Schatz, den der Großvater sorgsam für mich aufbewahrt hatte,
-wurde mir auch genommen. Nach den letzten Bestimmungen des Verstorbenen,
-der kein Testament gemacht hatte, mußte das Haus noch vor seinem Tode
-verkauft werden und der Erlös wurde gleichmäßig unter die Kinder
-verteilt, nachdem für die Großmutter tausend Mark beiseite gelegt waren.
-Diese tausend Mark nahm dann die Nanni an sich und behielt dafür die
-Großmutter bis zu deren Tod.
-
-Während meine Mutter und die andern sich noch stritten, kam der
-Huberwirt in die Gaststube herein, führte die Großmutter am Arm und
-sagte, zu meiner Mutter gewendet: »Dös is der Handschuasterin scho dös
-Irgst, daß 's Lenei nimma kemma hat derfa, bevor der Handschuasta
-g'storbn is; er hätt no so viel z'redn g'habt mit ihr und hat in oan
-Trumm g'sagt: >Kimmt's Lenei no net? Geh, Muatta, schaug, ob's jatzat
-kimmt!<«
-
-Verlegen entgegnete meine Mutter: »Lieber Gott, 's Telegramm ist eben zu
-spät g'schickt wordn.«
-
-Da stürzte ich voller Zorn aus meinem Winkel hervor, trat vor die Mutter
-hin und schrie sie an: »Net wahr is! Sag's nur, daß d' mi net raus hast
-lassen! O mein Gott, und er hat so viel nach mir verlangt! I hab's ja
-g'spürt und hab koan Ruh g'habt Tag und Nacht. Dös vergiß i dir net,
-Muatter, daß d' so hart und ohne Herz g'wen bist!« Damit nahm ich die
-Großmutter am Rock und zog sie zur Tür hinaus. Sie folgte mir ohne
-Widerstreben, während die andern alle ganz still geworden waren und die
-Mutter sich umständlich schneuzte.
-
-Auf der Straße sagte die Großmutter plötzlich: »O mei, mir kinnan ja
-nimma hoam!« und begann laut zu schluchzen. Da meinte ich: »Komm,
-Muatter, gehn ma zum Vater 'nauf!« Und so gingen wir wieder zum
-Friedhof, und am Grabe redete sie mit dem Toten, wie wenn er noch lebte
-und mit ihr auf der Hausbank säße: »Woaßt, Vata, z'lang sollst mi nimma
-da lassn; i mag s' nimma, dö Welt, jatz wo i di nimma hab. Tua mi net
-vergessn, Vata, gel, und denk aa aufs Dirndl, daß net z'Grund geht bei
-dem schlechtn Wei.«
-
-Weinend hockten wir uns auf den frisch geschaufelten Hügel, unbekümmert
-um die Blumen und unsere schwarzen Gewänder, und nun erzählte mir die
-Großmutter von den letzten Tagen des Toten: »So viel leidn hat er müssn,
-der Arme; zwoa Strohsäck hat er durchg'fäu't, weil er's Wasser nimmer
-haltn hat kinna und der ganz Leib und d'Füaß oa Fleisch und Wehdam warn,
-daß ma 'n kaam mehr o'rührn hat derfa. Aber er is so geduldi g'wen dabei
-und nur seltn hat ma 'n jammern hörn. Nur grad nach dir hat er allweil
-g'fragt und hat si recht kümmert, wia's dir geh werd, wenn er g'storbn
-is.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Wenn i nur grad in insan Haus
-bleibn kunnt und net's Gnadnbrot beim Sepp und bei der Nanni essn müaßt;
-da werd's ma net gar z'guat geh bei dene.«
-
-Nach diesen Worten versank sie in Nachdenken, und ich lehnte mich ganz
-an sie, weil mich fror; denn ich hatte Tuch und Mantel beim Huberwirt
-gelassen. Ich war eben ein wenig eingeschlafen, als ich durch die Stimme
-des Herrn Pfarrers aufgeschreckt wurde: »Ja, meine liebe Handschusterin,
-wir sind halt alle Fremdlinge in dieser Welt! Es wird Euch wohl recht
-schwer, von Ort und Haus zu scheiden? Wollt Ihr nicht ins Gemeindehaus
-ziehen? Da ging's Euch ja auch nicht schlecht!«
-
-»Vergelts Gott, Herr Hochwürden, aba d' G'meinde is ma allweil no g'wiß;
-i hab ja no Kinder, dö wo si um mei Geld reißn!« meinte die Großmutter
-mit einem schwachen Lächeln und grüßte den sich zum Gehen Wendenden noch
-mit einem leisen: »Gelobt sei Jesus Christus!«
-
-Danach gingen wir doch noch einmal heim ins Haus. Aber da waren schon
-die neuen Besitzer eingezogen und alle möglichen Gegenstände lagen bunt
-durcheinander in den Räumen und vor dem Haustor. Unter der Stiege stand
-eine alte Truhe, in die sonst die Kleie für das Vieh kam; wir setzten
-uns darauf und konnten nichts reden. Aus dem Stall tönte das kurze
-Brüllen der Kühe, denen die gewohnte Hand abging. Da kam aus der
-Wohnstube die neue Hausfrau, sah uns ganz erstaunt an und fragte fast
-unfreundlich: »Was möcht's denn no, Handschuasterin? Habt's leicht ebbs
-vergessn?«
-
-»Naa, i han nix vergessn; geh, Lenei, gehn ma wieder!« erwiderte die
-Großmutter und ging mit mir aus dem Haus. Nun mußten wir doch zum
-Huberwirt; denn die Verwandten hatten schon herumgefragt, wo wir wären.
-Als wir in die Gaststube getreten waren, brachte der Huberwirt ein Glas
-Rotwein mit Zucker und stellte es vor die Großmutter hin, indem er
-sagte: »Handschuasterin, balst es net trinkst, kriagt da Vata dö ewi'
-Ruah net!«
-
-Da tauchte sie eine Semmel darein, sprach aber nichts, und als dann die
-Nanni mit ihrem Mann sich zum heimgehen bereit machten und sie einluden,
-gleich mitzukommen, da nickte sie nur ein paarmal mit dem Kopfe und
-stand auf. Der Huberwirt aber ließ seinen großen Schlitten, auf dem
-sonst das Bier oder Getreide gefahren wurde, herrichten und einspannen:
-»Oes werd's ja a so glei all' z'samm auf Hasla' fahrn, net? I han enk
-mein Schli'n eing'spannt, daß d'Handschuasterin net z'geh braucht. A
-paar Deckn han scho drobn zum Einwickeln!«
-
-Wir fuhren also alle zusammen zur Nanni; diese kochte Kaffee, und in der
-gemütlichen Wohnstube wurde auch die Großmutter wieder etwas gefaßter;
-ja, sie fing sogar an, einiges über den Großvater zu erzählen. Man hatte
-ihr eine nette Kammer zu ebener Erde angewiesen und diese auch geheizt.
-Spät am Nachmittag, als es Zeit wurde, auf die Bahn zu gehen, denn wir
-mußten abends wieder zu Hause sein, führte die Nanni uns noch in diese
-Kammer, um uns zu zeigen, daß die Großmutter bei ihr gut aufgehoben sei.
-Auch mich beruhigte diese Fürsorge und ich sagte noch beim Abschied zu
-ihr: »Großmuatterl, du brauchst koa Angst z'habn wegn der Nanni; dö mag
-di scho!« Ich blieb noch bei ihr in der Kammer und half ihr ihre
-Habseligkeiten ein wenig ordnen. Dann legte sie sich ins Bett und
-schlief bald ein. Ich hatte ihr noch leise Lebewohl gesagt, die andern
-aber ließ ich nicht mehr zu ihr.
-
-Gegen Abend fuhren wir wieder in dem Schlitten zur Bahn und hierauf
-heim.
-
-In München erst sprach ich einiges mit den Verwandten; denn während der
-Fahrt war ich still und teilnahmslos in der Ecke gesessen, während es um
-mich summte und schwirrte von der lebhaften Unterhaltung.
-
-Nach der Ankunft ging die ganze Verwandtschaft noch in unsere
-Wirtschaft, wo sie von meinem Vater mit Freibier und einem guten Mahl
-bewirtet wurden.
-
- * * * * *
-
-Kaum ein halbes Jahr nach dem Tode meines Großvaters kam eines Tages
-meine Großmutter und beklagte sich bitter über die rohe Behandlung, die
-ihr bei der Nanni und deren Mann widerfahre. Laut weinend wünschte sie
-sich den Tod und wollte nicht mehr zurück, sondern zu dem neuen Besitzer
-ihres Hauses, um bei ihm im Austrag zu bleiben. Meine Mutter suchte ihr
-dies wieder auszureden und wollte sie bei sich behalten; denn, meinte
-sie, um die tausend Mark, die der Nanni für die Verpflegung der
-Großmutter zugekommen waren, könnte die alte Frau gerade so gut bei ihr
-sein, und es ginge ihr gewiß gut. Auch der Bruder meiner Mutter lauerte
-auf die tausend Mark, und es entspann sich bald ein heftiger Streit
-unter ihnen, wer die Großmutter bekäme. Doch erkannte diese gar bald die
-wahre Ursache jener plötzlichen Bereitwilligkeit und fuhr wieder zur
-Nanni. Diese hatte gehofft, daß die Großmutter den Vater höchstens
-etliche Monate überleben würde und war voll Verdruß, als sie sah, daß
-die Frau nach einem und nach zwei Jahren immer noch lebte. So behandelte
-sie sie nicht zum besten und mißgönnte ihr sogar das wenige, womit sie
-ihr Leben fristete. Oft schlich dann die alte Frau, wenn sie vom Grabe
-ihres Mannes kam, in ihre ehemalige Heimstatt und klagte der neuen
-Besitzerin ihre Not. Diese, eine mit vielen Kindern gesegnete,
-kränkliche Frau hatte viel Mitleid mit ihr und behielt sie oft tagelang
-bei sich. Da mag sie wohl manchmal mit Bitterkeit diese seltsame Fügung
-bedacht haben, daß sie, die auch den Ärmsten Heimat bot um Gottes
-willen, nun selbst heimatlos und der Willkür ihrer Kinder preisgegeben
-war.
-
-Als sie dann nach langem Leiden durch einen Schlaganfall gelähmt worden
-und ganz auf die Handreichungen ihrer Stieftochter angewiesen war, kamen
-harte Tage für sie. Hilflos lag sie in ihrem Bett, so erzählt man, und
-niemand kümmerte sich um sie; man ließ sie hungernd und starrend vor
-Schmutz im eigenen Kot liegen. Und als um diese Zeit ihr Schwiegersohn
-sein Haus verkaufte und ein neues Anwesen übernahm, wurde die kranke
-Frau, obwohl es Winter war, mit ihrem Bett zu oberst auf den mit Möbeln
-beladenen Leiterwagen gebunden und so den weiten Weg auf der holprigen
-Landstraße nach dem neuen Wohnort gefahren. Bald nach dieser Reise starb
-sie, und als sie tot war, wollte niemand das Begräbnis zahlen. Die
-Kinder, die damals sich um die Pflege der Lebenden gestritten hatten,
-fanden alle erdenklichen Ausreden, um der Toten ledig zu bleiben, und
-endlich mußte die Gemeinde sie auf ihre Kosten begraben lassen. Doch kam
-meine Mutter zum Begräbnis und brachte große Kränze mit. Danach aber gab
-es heftigen Streit um die letzte Habe der Verstorbenen; denn die Nanni
-hatte alles schon beiseite geschafft.
-
-
-
-
-
-
-Mit der Geburt des Ludwigl, meines dritten Stiefbruders, hatten auch die
-letzten an die Kindheit erinnernden Spiele und Freuden ein Ende, und ich
-mußte nun von früh bis spät arbeiten, um alles recht zu machen. Trotzdem
-gab es manchen stürmischen Tag mit der Mutter, die in einemfort haderte
-und schalt und es an Züchtigungen nicht fehlen ließ. Zu all dem wurde
-ich seit dem Tode meines Großvaters von einer großen Schwermut und
-Traurigkeit befallen, so daß ich mir nicht mehr viel aus meinem Leben
-machte. Doch fand ich in dieser schweren Zeit einen Trost in meiner
-Stimme. Unser Pfarrer veranlaßte meine Aufnahme in den Kirchenchor,
-nachdem ich schon etliche Jahre in der Zentralsingschule ausgebildet
-worden war. Bald durfte ich bei den Gottesdiensten Solo singen, und das
-Bewußtsein, einmal öffentlich anerkannt zu sein, bereitete mir so hohe
-Freude, daß ich darüber selbst den Neid meiner Kolleginnen vergaß.
-
-So sang ich auch einmal aushilfsweise bei einer großen Vereinsfeier, an
-der auch der würdige Prälat und Pfarrer Huhn von der Heiliggeistkirche
-teilnahm. Als dieser meine Stimme gehört hatte, ließ er mich zu sich
-kommen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ein braves
-Pilgermädchen bei der Münchner Wallfahrerbruderschaft zu werden und an
-den heiligen Stätten zu Andechs, Altötting und Grafrath Gottes und Mariä
-Lob zu singen. Ich sagte hocherfreut zu und holte mir sogleich von
-meiner Mutter die Erlaubnis, die sie mir in Anbetracht ihrer frommen
-Gesinnung nicht verweigerte. Also durfte ich noch im selben Jahr an den
-großen, volkstümlichen Wallfahrten als Pilgermädchen teilnehmen.
-
-Die schönste und auch am feierlichsten begangene war die nach dem
-uralten, weltberühmten Gnadenorte Altötting. Da ich immer schon eine
-große Liebe zur Mutter Gottes getragen, konnte ich den Tag der Fahrt
-kaum erwarten. Schon wochenlang vorher mußte ich mit den anderen
-Sängerinnen zahlreiche Marienlieder einstudieren, und wir betrachteten
-die Generalprobe schon als ein kleines Fest; denn da kam die ganze
-Geistlichkeit, an ihrer Spitze der hochwürdige Herr Prälat Huhn, der
-selbst ein eifriger Pfleger und Förderer des Gesanges war, sowie der
-ehrwürdige Präses des Wallfahrervereins, Benefiziat Stein, ein Mann, so
-recht, wie man sagt, nach dem Herzen Gottes: so schlicht und
-uneigennützig, so ganz aufgehend in seinem Beruf. Wir Pilgermädchen
-hingen daher mit großer Liebe an ihm und fühlten uns immer hochbeglückt,
-wenn er einige von uns aus dem Haufen hervorholte, am Ohrläppchen zupfte
-und fragte: »San d'Stimmbandln alle guat g'schmiert, Kinder? Sonst müaß
-ma s' halt no schmiern z'vor!« Und damit brachte er eine riesige Tüte
-voll Malzzucker aus seiner hinteren Rocktasche, die durch die vielen
-Näschereien, welche er uns immer zu schenken pflegte, schon so
-mitgenommen und ausgeweitet war, daß sie samt dem Rockfutter weit unter
-den Schößen des abgetragenen Gehrocks hervorlugte. Im übrigen war er von
-einer angenehmen Natürlichkeit, wenn er bei der Neuaufnahme eines
-Pilgermädchens auf die Unschuld zu sprechen kam. Man konnte ihm ohne das
-lästige Gefühl einer falschen Scham, die durch das aufdringliche Fragen
-mancher Seelsorger einem so leicht den Mund verschließt, alle begangenen
-Torheiten erzählen. Ich weiß nicht, wie er schwerere sittliche
-Verfehlungen behandelte; was meine Jugendsünden anlangt, so meinte er
-darauf nur: »So, dös is brav, daß d's Kleidl no net z'rissn hast, Kind;
-a bisl staubig is scho, dös is wahr, aber dös putzt ma halt mit an
-frommen, reuigen Seufzer wieder weg, gelt! Und jetzt gibt ma schö
-Obacht, daß oan nix mehr passiert als Marienkind.«
-
-Am Vorabend des für die Wallfahrt ausersehenen Julisonntags hatte die
-Mutter zur allgemeinen und besonderen Reinigung schon ein Bad bereitet,
-während ich meine Seele durch eine sehr gewissenhafte Beichte von allem
-anhaftenden Staub zu befreien suchte. Am Abend durfte ich schon früh zu
-Bett gehen, um andern Tages zeitig munter zu sein. Schon um halb vier
-Uhr war ich aus den Federn und lief ans Fenster, zu sehen, ob das Wetter
-schön sei. Doch grau und neblig war der ganze Himmel, und ich begann,
-während ich die »Uniform unserer lieben Frau« anzog, immer dieselben
-Worte vor mich hinzusagen: »Liebste Mutter Gottes mein, laß doch heut
-gut Wetter sein!« Derweilen war auch die Mutter aufgestanden und half
-mir nun beim Ankleiden. Über das weiße Kleid kam ein himmelblaues
-Schulterkräglein und vor die Brust ein großes silbernes Herz, das an
-einem blauen Bande hing, und nachdem die Mutter mir das weißblaue
-Kränzlein ins Haar gedrückt, nahm ich den langen Pilgerstab mit dem
-silbernen Kreuz und eilte nach einem raschen »Pfüat Gott, alle
-mitanand!« aus dem Haus, der Kirche zu, verwundert angeglotzt oder auch
-derb angerufen von heimkehrenden Nachtlichtln oder verschlafenen
-Bäckerjungen. Besonders am Marienplatz wäre ich beinah von einer Rotte
-frecher Burschen, die mit ihren Dirnen aus dem »Ewigen Licht«
-herausstritten, mißhandelt worden; doch kamen mir etliche Leute, die wie
-ich an der Wallfahrt teilnehmen wollten, zu Hilfe.
-
-Mächtig brauste schon die Orgel, als wir in das Gotteshaus traten, und
-rasch begab ich mich auf den Chor, wo schon die meisten Sängerinnen
-versammelt waren. Nach einem herrlichen Hochamt feierte die ganze
-Pilgerschar, wohl mehr als fünftausend, die Generalkommunion. Der
-Eindruck war für mich ein so überwältigender, daß ich nur mit größter
-Mühe das ergreifende Marienlied, dessen Soli mir übertragen waren, zu
-Ende brachte. Und als dann endlich wir Pilgermädchen, ungefähr
-zweihundert an der Zahl, uns gemessen und in tiefer Andacht dem Tisch
-des Herrn nahten, während ein bestellter Knabenchor uns ablöste, ging
-eine große Bewegung durch das Gotteshaus, und manche Träne unseres
-greisen Pfarrers fiel in den Kelch, aus dem er uns das Brot des Lebens
-reichte. Der heilige Vater Leo und unser geliebter Erzbischof Antonius
-von Thoma hatten uns noch ihren Segen übermitteln lassen, und nach
-diesem feierlichen Akt traten wir unter dem Geläute sämtlicher Glocken
-unsere Wallfahrt an.
-
-Voran schritten wir Pilgermädchen, und die kräftigsten von uns trugen
-unsere Fahnen und die Statuen unserer Patrone, der Mutter Gottes, des
-Erzengels Raphael mit dem Tobias und des heiligen Aloysius. Unter
-Liedern und Gebeten ging es durch die Straßen der Stadt zum Ostbahnhof,
-von wo aus uns ein Sonderzug rasch nach Mühldorf brachte. Im Zuge
-erzählte uns unser Präses mit großer Einfachheit von Gnadenbezeigungen
-Mariens, besonders von jenen gegen Kinder und Jungfrauen.
-
-Von Mühldorf aus gingen wir nach einem einfachen Frühstück zu Fuß nach
-dem Gnadenort, den wir gegen Mittag erreichten. Empfangen von dem
-Geläute sämtlicher Glocken, dem Jubel der Bewohner, der Geistlichkeit,
-des ansässigen Ordens und einer Musikkapelle, betraten wir den geweihten
-Ort und begrüßten die Gnadenvolle, ein jeder nach Drang des Herzens oder
-Größe des Kummers, den er hier am Gnadenaltar niederlegen wollte. Meiner
-hatte sich eine fast überirdische Stimmung bemächtigt und ich fühlte
-mich so frei und aller Sorge ledig, daß ich nur ganz verklärt das alte,
-mit unsäglich vielen und köstlichen Kleinodien aller Zeiten geschmückte
-Gnadenbild anschauen konnte, während meine Lippen mechanisch murmelten:
-»O Maria, hilf doch mir; es fleht dein armes Kind zu dir. Im Leben und
-im Sterben laß meine Seele nicht verderben.« Nach langer Zeit erst fiel
-mir eins nach dem andern ein, was ich gern von der Mutter Gottes erlangt
-hätte.
-
-Inzwischen hatten die Pilger sich in Gruppen geteilt, die einen weilten
-im Kloster, die andern in den verschiedenen Kirchen des Ortes. Draußen
-vor der Gnadenkapelle aber hatten jene, die besonders viel von der
-Gnadenreichen erlangen oder für irgend eine geheime Schuld Sühne tun
-wollten, eins der zahlreich daliegenden Holzkreuze auf die Schulter
-geladen und schleppten dieses nun, bald aufrecht gehend, bald auf den
-Knien rutschend, laut betend und weinend um den sogenannten Kreuzgang.
-Ich weiß nicht, wie es kam und was ich wollte: kurz, ich befand mich
-plötzlich unter den Kreuztragenden; da das massive Eichenkreuz aber
-meiner Schulter ziemlich weh tat, ließ ich es bei dem dreimaligen Umgang
-bewenden und übergab mein Kreuz einer dicken Frau, deren böse Zunge weit
-und breit gefürchtet war. Mit einigen Freundinnen besah ich mir dann den
-ganzen Ort, die Kirchen, das Kapuzinerkloster und den Markt für
-Wallfahrtsandenken und verwunderte ich mich über den üppigen Handel und
-die Gewinnsucht an dieser frommen Stätte. Dazwischen sorgten wir auch
-für des Leibes Notdurft; denn es war alles schon vorausbestellt worden
-von unserm vorsorglichen Präses. Den Tag beschloß noch eine schöne Feier
-mit Illumination der Kapelle, und nach einem einfachen Nachtmahl begaben
-wir uns in unsere Schlafkammern. Die Vermögenderen hatten sich ein Bett
-für sich allein gesichert; die Ärmeren aber mußten je zwei in einem Bett
-schlafen. Da mir meine Mutter die Ausgabe für ein eigenes Bett nicht
-bewilligt hatte, so mußte ich es mit einer Mitschwester teilen. Ich
-fragte daher meine liebste Freundin, ob sie mich als Störenfried wolle.
-Sie war gern bereit, und so verbrachten wir die Nacht unter Flüstern,
-Kichern, Scherzen und Kosen.
-
-Der neue Tag brachte wieder viel des Erbaulichen und Ernsten, doch wurde
-ich zuletzt müde von allem und war froh, als am Dienstag in der Früh das
-Schlußamt mit Generalkommunion am Gnadenaltar gefeiert wurde. Als aber
-hierbei am Chor plötzlich die kindlichen Stimmen von etwa zwanzig Knaben
-an mein Ohr tönten und sie das uralte Abschiedslied von der »schwarzen
-Mutter Gottes« sangen, ward es mir schwer ums Herz und ich konnte mich
-kaum losreißen von dem Gnadenbilde. Ganz traurig schloß ich mich den
-andern an und brachte beim Singen kaum mehr einen Ton heraus.
-
-So kam es, daß ich recht niedergeschlagen daheim ankam und ernste
-Vorwürfe von meiner Mutter wegen meiner scheinbaren Undankbarkeit zu
-hören bekam.
-
- * * * * *
-
-War ich schon vorher nicht gerne in der Gastwirtschaft tätig gewesen, so
-hatte ich jetzt, seit ich Pilgermädchen war, die ganze Freude an dem
-öffentlichen und lauten Leben verloren; doch wurde ich von meiner
-Mutter, trotzdem sie so religiös schien, fest angehalten, überall, wo es
-vonnöten war, einzuspringen. Bald war ich in der Küche das Spülmädchen
-oder die Köchin, bald in der Gaststube die Kellnerin; denn da die Mutter
-oft recht grob mit dem Dienstvolk war, lief bald die eine oder andere
-wieder weg. Am meisten zuwider war mir der Aufenthalt in der Gaststube;
-denn war ich bei den Gästen ernst und schweigsam, so schalt die Mutter,
-daß ich ihr die Leute vertreibe; war ich aber freundlich und heiter, so
-nützten das viele rohe und wüste Kerle aus und belästigten mich nicht
-nur mit allerhand Zoten und zweideutigen Fragen, sondern quälten mich
-manchmal in der unsaubersten Weise, indem sie mich an den Beinen faßten,
-Küsse verlangten oder sonstige aufdringliche Zärtlichkeiten versuchten.
-
-Kam ich dann also gehetzt zur Mutter und klagte ihr solche Dinge, so
-wurde sie sehr erbost und schalt mich heftig, daß ich mich nicht zu
-benehmen wisse: »Was muaßt di denn hi'stelln dafür? Scham di; bist
-fufzehn Jahr alt und no so dumm! Da sagt ma halt, i hab jatz koa Zeit
-und geht freundli weg!«
-
-Oft dachte ich über diese Worte nach und versuchte mich danach zu
-richten; doch waren alle meine Bemühungen, die Zudringlichkeiten solcher
-Burschen mit Liebenswürdigkeit abzuwehren, erfolglos, und ich fürchtete
-ständig, meine Unschuld zu verlieren. Da faßte ich am Ende den
-Entschluß, meinem Beichtvater diese Vorfälle mitzuteilen, ich hatte aber
-nicht den Mut, dem alten Kooperator, der immer noch mit Vorliebe nach
-den Heimlichkeiten seiner Beichtkinder fragte, davon zu erzählen.
-
-Da kam ein neuer Geistlicher an unsere Pfarrei, der noch sehr jung war
-und erst vor kurzem seine Primiz gefeiert hatte. Diesem beichtete ich
-nun ausführlich und er sprach mir gut und freundlich zu, fragte mich nur
-wenig und gab mir am Schluß noch viele Ratschläge. Ich war sehr beruhigt
-nach dieser Beichte und ging nun regelmäßig zu ihm. Bald wurden wir auch
-wegen des Singens näher bekannt, und ich besuchte ihn des öfteren in
-seiner Wohnung. Dabei entwickelte sich zwischen uns bald eine Art
-Freundschaftsverhältnis und ich fand bei ihm Trost und Zuspruch, wenn
-ich ihm erzählte, wie es mir daheim erging. Als er nach kurzer Zeit in
-eine andere Pfarrei versetzt wurde, wurde ich durch seine Vermittlung an
-dieser Kirche erste Sopranistin und Solosängerin. Als auch hier die
-Besuche ihren Fortgang nahmen, wußte ich bald, daß ich ihn liebte, und
-ich mußte mich oft mit aller Gewalt zusammennehmen, um ihm das nicht zu
-sagen; denn ich sah wohl, daß auch auf seiner Seite eine Neigung war.
-Doch immer wußte er sich zu beherrschen und verstand auch meine Gefühle
-im Zaum zu halten. Wie oft stand ich zitternd vor ihm und sah ihn mit
-den verliebtesten Augen an oder küßte stürmisch seine Hand. Dann blickte
-auch er mich freundlich an, streichelte mir die Wange und sagte: »Ja,
-ja, Kind, du bist halt mei Singvogel! ... Was schaust denn no? ... Ja
-so, a Bildl magst no, gel!« worauf ich hochrot, mit leiser Stimme
-entgegnete: »Ja, bitt schön, Herr Hochwürden!«
-
-»So Kind, such dir eins aus. Magst na an Kaffee aa?«
-
-In meiner Verwirrung vermochte ich ihm keine rechte Antwort zu geben.
-
-Da rief er der halbtauben Wärterin: »Lies, mein' Kaffee!« und zu mir
-gewendet fuhr er fort: »Woaßt, Kind, i hab aber bloß oa Taß. Trinkst
-halt du z'erst den dein', gel!« und damit führte er mich zum Kanapee,
-setzte sich zu mir und plauderte von erbaulichen Dingen. Ich aber hörte
-kaum zu, sondern betrachtete unausgesetzt seine Hände und Knie und
-dachte nur den einen Gedanken: »Wann i dich nur bloß ein einzigs Mal so
-viel lieb haben dürft!«
-
-Da brachte er mich mit den Worten: »Hast aber aa g'nug Zucker drin?«
-wieder zu mir selber, worauf er den Kaffee versuchte, mir noch ein
-Stücklein hineintat und mich trinken hieß.
-
-Als ich getrunken hatte, meinte er: »So, Kind, jetzt hast von mir an
-Kaffee kriegt und a Bildl. Was kriag jetzt i?«
-
-Da dachte ich voller Ängsten, er würde sagen: »Ein Bußl,« aber er fuhr
-fort: »Gel, jetzt kriag i dafür a recht a schöns Lied; aba koa heiligs,
-denn di hör i so allweil!«
-
-Da sang ich das Lied von dem Dirndl, das um Holz in den Wald geht, ganz
-zeiti in der Fruah und dem sich nachischleicht a saubrer Jagasbua.
-
-Als ich die erste Strophe gesungen hatte, wobei er mich am Harmonium
-begleitete, meinte er: »Ah, dös war aber schö; aber recht arg verliabt.
-No, es macht nix; von den Wirtstöchtern woaß ma's scho, daß was solches
-aa lernen. Kannst no mehr von dem Liedl?«
-
-»Bloß noch eine Stroph', Herr Hochwürden! Aber die is no verliabter.«
-
-»Dös macht nix, Kind Gottes, sing nur weiter!«
-
-Da sang ich:
-
- Drauf sagt der Jaga zu der Dirn,
- Geh, laß dei Asterlklaubn;
- I möcht so gern mit dir dischkriern
- Und dir in d'Äugerln schaugn.
- Das Dirndl sagt: Dös ko net sei,
- Daß du mir guckst in d'Augn,
- Denn d'Jaga derfan, wia i woaß,
- Ja nur ins Greane schaugn.
-
-Da läutete es. Er sah nach, und eine alte Betschwester stand an der Tür;
-da hieß er sie warten und verabschiedete mich mit den Worten: »Jetzt
-muaßt geh, liabs Kind, jetzt haben d'Mauern Ohren kriagt.« Damit schob
-er mich durch sein Schlafzimmer an die Tür, und während ich heraustrat,
-sah ich ihn schon die alte Frau empfangen.
-
-Doch nicht lange mehr dauerten diese Besuche; denn er wurde abermals
-befördert und kam als Benefiziat in ein geistliches Institut.
-
-Als ich dann von ihm Abschied nahm und ihn zum letztenmal um seinen
-Segen bat, stand er ergriffen auf und trat zum Weihbrunnkessel, während
-ich vor ihm niederkniete. Plötzlich aber umfaßte ich seine Knie und
-preßte mein Gesicht daran, indem ich laut weinend rief: »O mein lieber,
-lieber Hochwürden!«
-
-Da machte er ganz ruhig seine Knie frei, zog mich in die Höhe und sagte,
-indem er meinen Kopf zwischen seine Hände nahm: »Kind, geh jetzt, es
-wird Zeit, du mußt hoam,« und dabei rannen ihm ein paar Tränen über die
-Wangen. Da ergriff ich nochmals seine Hand, küßte sie drei-, viermal
-heftig und lief dann davon.
-
-Auf der Straße schaute ich noch einmal um. Da stand er am Fenster und
-winkte mir freundlich zu.
-
-Einmal noch sah ich ihn, ohne aber mit ihm reden zu können; denn es war,
-als wir uns eben in feierlicher Prozession zur Wallfahrt nach Grafrath
-auf den Weg machten. Er stand mit einer alten, ehrwürdigen Dame, die
-wohl seine Mutter sein mochte, an einer Straßenecke, und ich mußte hart
-an ihm vorbei. Als er mich erblickte, huschte es wie große Freude über
-sein Gesicht, und lächelnd nickte er mir einige Male grüßend zu und
-wandte sich danach schnell zur Seite. Ich war über dieses Wiedersehen,
-so flüchtig es war, sehr beglückt und dachte während der Wallfahrt viel
-an ihn und empfahl ihn an der dem heiligen Rasso geweihten Stätte
-inbrünstig der Fürbitte dieses Heiligen.
-
- * * * * *
-
-Fröhlich kehrte ich von dieser Pilgerfahrt zurück und nahm mir vor, den
-Freund an einem der nächsten Tage aufzusuchen. Doch ich kam nicht dazu;
-denn daheim fand ich meine Brüder an Diphtherie erkrankt.
-
-Indem ich sie noch pflegte, wurde ich selbst davon ergriffen und konnte
-erst nach Wochen das Bett verlassen.
-
-Als ich aufgestanden war, versuchte ich sofort wie zuvor mich wieder um
-das Hauswesen zu kümmern.
-
-Da dies die Mutter sah, hielt sie mich schon für gesund und trug mir
-daher mehr auf, als ich leisten konnte. So kam es, daß ich wieder
-täglich kränker wurde und endlich vor Mattigkeit mich alle Augenblicke
-niedersetzen oder anlehnen mußte. Das nahm man aber für Faulheit, und
-besonders die Mutter beklagte sich darüber: »Nur schö langsam! Heut a
-Trumm, morgen a Trumm! Bis i an Steckn nimm und zoag dir, wie ma arbat!«
-
-Ich nahm mich nun recht zusammen; doch während ich das Schlafzimmer
-meiner Eltern aufräumen wollte, befiel mich wieder eine solche
-Müdigkeit, daß ich mich aufs Sofa setzen mußte, um zu rasten. Ich
-schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter mir einige Schläge auf
-den Kopf gab; denn es war inzwischen Mittag geworden und sie kam,
-frische Servietten für die Stammgäste zu holen. Voll Zorn schrie sie
-mich an: »Da hört si do scho alles auf! Mittn am Tag legt si dös faule
-Luder hin und schlaft, anstatt z'arbatn! Aber wart, i hilf dir!
-Augenblickli wichst ma jetzt den Schlafzimmerboden; und sauber wann net
-alles is, dann Gnade Gott! Jatz is elfe; um zwoa komm i rauf, da will i
-alles ferti sehgn!«
-
-Mir war ganz dumm im Kopf, aber ich begann trotzdem wieder zu arbeiten.
-Als ich etwa ein Drittel des Zimmers mit Stahlspänen abgerieben hatte,
-drehte sich plötzlich alles vor meinen Augen und ich wußte nichts mehr.
-
-Lange muß ich so dagelegen sein; denn kaum hatte ich wieder zu arbeiten
-begonnen, schlug es zwei Uhr. Ich war vor Schrecken ganz ratlos, denn
-ich hörte die Mutter kommen. Als sie sah, wie wenig ich gearbeitet
-hatte, schrie sie: »Was, du bist no net ferti! Ja, da is ja no net amal
-richti o'g'fangt! Du willst mi, scheint's, zum Narren haltn, du
-Kanallje!« Dabei trat sie mich mit Füßen und riß mich an den Haaren in
-die Höhe.
-
-Mühsam fing ich wieder an zu arbeiten, während die Mutter an den
-Waschtisch gegangen war und sah, daß ich das Wasser noch nicht
-ausgeleert hatte. Da schrie sie: »Ja, was is denn dös! Net amal
-d'Waschschüssel hat s' ausg'leert und a frisch Wasser reitragen!«
-
-»Ja mei, i hab ma's ja net z'tragen traut, die teure Schüssel, weil mi
-alle Augenblick der Schwindel anpackt.«
-
-»Was Schwindel! Dir treib i dein' Schwindel aus. Sofort leerst die
-Schüssel aus! I möcht wissen, für was ma dir z'fressn gibt, du
-langhaxats G'stell!« rief sie und stieß mich an den Waschtisch.
-
-Ängstlich faßte ich die schöne Schüssel, die von zarter, himmelblauer
-Farbe war, mit einem goldenen Rand, und eine Muschel darstellte. Im
-Innern war ein Bild, das zwei Mädchen in fremder Tracht zeigte, die am
-Meeresstrand standen und einen in einem Segelboot sitzenden Burschen aus
-flachen Schalen mit Wasser bespritzten. Den Krug schmückte eine ähnliche
-Szene; das Geschirr war alt und kostbar und der Name des Künstlers stand
-darauf geschrieben.
-
-Schwankend trug ich also die Schüssel durch das Zimmer, als ich
-plötzlich einen Stoß verspürte, worauf ich zu Boden stürzte. Die Mutter
-hatte es getan; denn ich war ihr zu langsam gegangen.
-
-Starr blickte ich erst auf die Wasserlake, dann auf die Scherben und
-vergaß, aufzustehen, bis mich die Mutter mit dem Ochsenfiesel des Vaters
-daran erinnerte.
-
-Eine halbe Stunde später, als ich, die blutigen Striemen an meinem
-Körper betrachtend und vor Schmerzen an Brust und Rücken stöhnend,
-bemüht war, das Unheil wieder gut zu machen, ging die Mutter fort mit
-der Drohung: »Dawerfa tua i di, wenn i net die gleiche Schüssel kriag!«
-
-Ich hielt das letztere für ausgeschlossen bei der Kostbarkeit derselben
-und zog deshalb meinen Regenmantel an und schlich mich, nachdem ich aus
-meiner Sparbüchse noch etwas Geld zu mir gesteckt hatte, davon.
-
-Planlos und ohne an etwas zu denken, lief ich durch die Nymphenburger
-Straße hinaus über Laim und befand mich endlich auf der Straße, die nach
-Großhadern führt. Die Sonne war schon im Untergehen und über den Feldern
-stand ein leichter Nebel; denn es war schon im Spätsommer.
-
-Ich blieb stehen und sah mich um. Da durchfuhr mich ein kalter Schauer,
-und als ich weiter gehen wollte, wurde mir schon nach wenigen Schritten
-so übel, daß ich mich erbrechen mußte und danach ohnmächtig auf der
-Landstraße hinfiel.
-
-Spät abends fand mich ein Bauer, der Milch nach der Stadt gefahren hatte
-und jetzt auf dem Heimweg war. Der hob mich auf und brachte mich mit
-seinem Fuhrwerk nach Großhadern und lud mich bei einem großen Wirtshaus
-ab. Die Wirtin brachte mich freundlich zu Bett und befahl einer alten
-Frau, daß sie die Nacht über bei mir bleibe. Sie selbst kam am andern
-Tag und fragte mich mitleidig, wo ich in diesem Zustand denn herkomme
-oder hinwolle. Da erzählte ich ihr mein ganzes Unglück und bat sie, sie
-solle mich doch bei sich behalten, ich sei eine Wirtstochter und könne
-ihr viel helfen.
-
-»Ja, mei liabs Kind,« meinte die gute Frau, »deine Leut wer'n halt recht
-Sorg um di habn und di wieder z'rückverlanga; denn dös kann do net sei,
-daß a Muatter so schlecht is.«
-
-Weinend wiederholte ich meine Bitte und beruhigte mich erst, als sie mir
-versprach, mich in ihren Dienst zu nehmen: »Aba z'erscht muaßt wieder
-g'sund wer'n. Drum bleibst heut lieber no liegn. Vielleicht kann ma
-morgn mehra sagn.«
-
-Gegen Abend hielt ich es nicht mehr im Bett aus und ging zu der Wirtin
-in die Küche und fragte sie, ob ich ihr was helfen könnte.
-
-»Ja mei, Kind, in dem Zuastand! Sitz di liaber ins Nebenzimmer und iß
-was G'scheits. Du schaust ja aus wie inser liaber Herr am Kreuz!« Damit
-nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins Nebenzimmer, wo an einem
-Tisch fünf oder sechs Herren beisammen saßen und mich verwundert
-ansahen.
-
-»Wen bringen S' denn da, Frau Obermeier? Dös is g'wiß a Basl,« fragte
-einer, während ein anderer hinzufügte: »Jess Maria, is dös Madl kasi! Is
-'leicht krank?«
-
-»Ja mei, Herr Oberförster,« sagte die Wirtin, »dös is a g'spaßige
-G'schicht!« und sie erzählte die Sache den Herren, von denen einer der
-Bürgermeister, ein anderer der Arzt und ein dritter der Herr Benefiziat
-war.
-
-Nachdem die Wirtin meine Geschichte erzählt hatte, bestürmten sie mich
-mit allen möglichen Fragen; doch der Arzt sagte: »Laßt's dem armen Kind
-sei Ruh, meine Herrn! Ma sieht's ja auf den ersten Blick, daß 's
-schwerkrank is ... Geh amal her, Fräulein, und laß dir in'n Hals
-neischaun! ... Ach, herrjesses,« schrie er da, »wie schaut's da drin
-aus, und so ham s' di rumlaufa und arbat'n lassen. A so a Bagasch g'hört
-do scho glei o'zoagt!«
-
-»Und sie möcht zu mir in Dienst gehn!« rief die Wirtin dazwischen.
-
-»Sonst nix mehr,« schrie der Bürgermeister, »ins Krankenhaus g'hörst!
-Net wahr, Herr Doktor?«
-
-»Allerdings wär's das beste, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das
-Mädel a starke Lungenentzündung kriagt auf dö Strapazen.«
-
-Da sagte der Herr Benefiziat: »Wie heißt du denn eigentlich und woher
-bist du?«
-
-Als ich es ihm gesagt, fragte er weiter: »Moanst wirkli, daß di dei
-Muatter totschlagt?«
-
-»Ja, i glaab scho; denn halbert umbracht hat s' mi a so scho.«
-
-Da lachten sie alle, bis der Herr Benefiziat wieder ganz ernst fortfuhr:
-»Es ist doch a Sünd und a Schand, wie heutzutag mit den armen, ledigen
-Kindern umgegangen wird. Z'erscht setzt ma's her, dann gehn s' oan im
-Weg um. So ein Weibsbild g'hörat doch schon an die Zehen aufg'hängt und
-mit Brennesseln g'haut!«
-
-»Ganz recht, Herr Benefiziat, früher hat ma aufgramt mit solchene Leut,
-aber heutzutag baun s' eahna ja extrige Häuser, daß sie s' leichter auf
-d'Welt bringa eahnane armen G'schöpferln!« rief der Tierarzt, und der
-Bürgermeister sagte: »Jetzt ham's mir da! Was tean jetzt mir damit? Uns
-geht's eigentlich nix o, schiabt's es nur der Münchner G'meinde zua!«
-
-»Ganz recht, Herr Bürgermeister,« sagte der Oberförster, »für dös arme
-Deanderl is am besten, wenn's z'Münka ins Krankenhaus geht, bis g'sund
-is. D'G'meinde soll's nur zahln. Die ham mehra wie mir.«
-
-Ich hatte heftig zu weinen begonnen, so daß die Wirtin rief: »Aber meine
-Herren, dös is scho net recht, daß d's ma dem arma Deanderl an solchen
-Schrecken einjagt's. Laßt 's es do wenigstens mit Ruah essen!« Damit
-führte sie mich an den Tisch und gab mir den Löffel in die Hand, und ich
-mußte von dem Kalbslüngerl, das die Kellnerin hingestellt hatte, essen.
-Ich brachte aber vor Weinen und Halsweh nichts hinunter. Die Wirtin
-kehrte wieder in ihre Küche zurück, während die Herren sich lebhaft über
-mich unterhielten.
-
-Nach einer Weile stand der Herr Benefiziat auf, setzte sich zu mir und
-gab mir folgenden Rat: »Liabs Kind, i moan, 's wär's G'scheitste, du
-tätst morgen früh von Pasing nach der Stadt fahren, dort auf die Polizei
-gehen, die ganze G'schicht anzeigen und dich in ein Krankenhaus schaffen
-lassen. Nachher bist gut aufg'hoben und deiner Mutter schiab'n s'
-hoffentlich an Riegel vor ihre Brutalitäten.«
-
-Ich gab ihm keine Antwort und weinte nur. Die Wirtin aber brachte mich
-darauf wieder ins Bett und erwiderte mir auf meine Frage, was ich
-schuldig sei: »An Vergelt's Gott und an B'suach, wann's dir amal guat
-geht.«
-
-Am andern Morgen stand ich sehr früh auf und ein Milchfuhrwerk nahm mich
-wieder mit nach Pasing. Von da fuhr ich mit der Bahn nach München.
-
-Als ich ratlos vor dem Sterngarten am Bahnhofplatz stand und nicht
-wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete mir der Sohn einer im
-Haus meiner Eltern wohnenden Familie und sagte mir: »Geh fei net hoam,
-Leni! Dei Muatter is in der größten Wut. Die ganze Nachbarschaft hetzt
-s' über di auf und sagt dir alles Schlechte nach. Durch d'Gendarmerie
-laßt s' di scho überall suacha.«
-
-Da begann ich zu weinen und fragte ihn um Rat; denn wir hatten uns sehr
-gern. Er meinte auch, ins Krankenhaus gehen, wäre das Gescheiteste; doch
-zuvor solle ich auf die Polizei, daß man nicht weiter nach mir suche. Er
-begleitete mich dann auch dorthin und ging darauf in sein Geschäft. Ich
-aber trat in die Einfahrt des Polizeigebäudes und fragte den Gendarm,
-der dort auf Posten stand: »Sie, entschuldigen S', bitt schön, wo is
-denn da dös Zimmer, wo verlorengangane Personen o'g'meldt wer'n?«
-
-Er lachte herzlich und gab mir zur Antwort: »San vielleicht Sie verloren
-ganga, schön's Fräulein? Dann melden S' Eahna parterre, ganz hinten auf
-Zimmer Nummro sieben.«
-
-Dort fragte man mich nach meinem Begehr.
-
-»Entschuldigen S', is bei Ihnen ein junges Mädchen angemeldet, dös wo
-verlorenganga is, oder vielmehr, dös wo davog'laafa is? Wissen S', i bin
-davo von dahoam, weil mi mei Muatter sunst derworfa hätt, weil i
-d'Waschschüssel derschlagn hab und Diphtherie hab.«
-
-Lächelnd führte mich der Beamte in das Zimmer des Polizeiarztes, und als
-ich dem meine ganze Geschichte erzählt hatte, untersuchte er mich und
-sagte darauf: »Herr Rat, ich bitte Sie, lassen Sie die Ärmste nach dem
-Krankenhaus schaffen. Benachrichtigen Sie jedoch die Angehörigen nicht
-davon. Recherchieren Sie vielmehr, ob solche Sachen bei dieser Frau
-öfter vorkommen; denn so etwas gehört exemplarisch bestraft.«
-
-Hierauf mußte ich mich ausziehen und ihnen die Beulen und Striemen an
-meinem Körper zeigen. Als der Arzt einen großen grünlichen Fleck an
-meiner linken Brust bemerkte, rief er: »Unverantwortlich! Ein weibliches
-Wesen so zu mißhandeln! Die Megäre denkt gar nicht, welche Folgen das
-haben kann!«
-
-Danach wurde ich in das Krankenhaus an der Nußbaumstraße geschafft, wo
-ich alsbald in ein heftiges Fieber verfiel und an einer schweren
-Lungenentzündung erkrankte.
-
-Als es mir besser ging, wollten alle meine Geschichte hören; denn durch
-den Polizeiarzt war an unsern Arzt, Doktor Kerschensteiner, schon ein
-aufklärendes Schreiben gelangt, und der freundliche Herr hatte in seiner
-Entrüstung ganz laut im Saal geschrien: »Die Bestie! Das Schandweib! Und
-so was nennt sich Mutter!«
-
-Nach drei Wochen aber meinte er: »Jetzt müssen wir es doch der Mutter
-schreiben, wo Sie sind. Es handelt sich nämlich um die Zahlung, ob das
-Ihre Mutter übernimmt oder die Gemeinde.«
-
-Als ich darauf zu weinen begann, beruhigte er mich mit den Worten: »Sie
-müssen nicht Angst haben. Die Frau tut Ihnen nichts. Dafür bin ich auch
-noch da.«
-
-Man schrieb ihr also, und an einem Dienstag nachmittag zur allgemeinen
-Besuchsstunde kam sie. Ich lag im ersten Bett, gleich neben der Tür. Sie
-blickte im ganzen Saal herum und sah mich lange nicht, nachdem sie mich
-aber bemerkt hatte, schrie sie, daß es alle hörten: »So, da bist! Was du
-deinen armen Eltern angetan hast, übersteigt alle Grenzen. Da heraußen
-muß ma di finden und hätt'st es so schön g'habt dahoam. Hätt dir koa
-Mensch was tan!« Dabei brach sie in Tränen aus, ging durch den Saal an
-das Fenster und sagte ganz laut und mit schluchzender Stimme: »So ein
-ungeratenes Kind! Oan so vui Verdruß z'macha!«
-
-Die andern Patientinnen, die den wahren Sachverhalt wußten, begannen bei
-diesen Worten zu kichern und zu lachen und eine sagte mit komischem
-Ernst vor sich hin: »Tja, tja, solchtene Kinder!« worauf im ganzen Saal
-lautes Gelächter erscholl.
-
-Da mußte auch ich lachen, und die Mutter entfernte sich wütend mit den
-Worten: »Daß d' di z'ammrichst morgen. Morgen nachmittag hol i di!«
-
-Am Abend machte der Herr Doktor wie gewöhnlich die Runde, und es wurde
-ihm das Vorgefallene berichtet. Da trat er an mein Bett und sagte
-lachend: »Ah, Sie leben ja noch! Also ist sie doch nicht so schlimm.«
-Als er aber erfuhr, daß ich am andern Tag wieder nach Haus müsse, rief
-er: »Unter keinen Umständen! Sie sind noch nicht gesund, und jede
-Aufregung, sowie Luftwechsel schadet Ihnen! Ich werde niemals meine
-Einwilligung dazu geben.«
-
-Er mußte sie aber doch geben, als die Mutter am andern Tag unter vielen
-Tränen versicherte, ich solle kein unrechtes Wort mehr hören, noch viel
-weniger eine Mißhandlung erdulden.
-
-Nachdem ich ziemlich bedrückt von den Krankenschwestern und den übrigen
-Patientinnen Abschied genommen hatte, trat ich mit der Mutter den
-Heimweg an.
-
-Vorerst aber hatte die Mutter an der Kasse noch sechsundneunzig Mark für
-meine Verpflegung zu bezahlen, doch ließ sie mich den Ärger darüber
-nicht merken.
-
-Unterwegs in der Trambahn sagte ich ihr, ich wolle nicht mehr heim,
-sondern eine Stellung als Dienstmädchen annehmen. Sie schien anfangs
-entsetzt darüber, ging aber dann doch mit mir in die Marienanstalt, wo
-bessere Stellen für Dienstboten vermittelt wurden.
-
-Während sie mit der Oberin verhandelte, mußte ich auf dem Korridor
-warten. Nach längerer Zeit trat die Mutter heraus und sagte, spöttisch
-lächelnd: »So, geh nur nei! Frau Oberin woaß allerhand für di.«
-
-Mit den besten Hoffnungen trat ich ins Zimmer, gefolgt von der Mutter.
-Aber es kam anders, als ich erwartet hatte.
-
-»Weißt du,« begann die sehr beleibte Oberin, indem sie mit hochrotem,
-erzürntem Gesicht vor mich hintrat, »was einem Kind gebührt, das seine
-Eltern mit Füßen tritt und das Elternhaus mißachtet und nicht mehr dahin
-zurückkehren will? ... Einem solchen Kind gehört nichts anderes, als daß
-man es an einen Haken anhänge und mit einem Stock oder Strick so lang
-schlage, bis es lernt, das Elternhaus zu schätzen und Vater und Mutter
-zu lieben!«
-
-Als ich dies vernommen, verlangte ich nicht mehr zu wissen und eilte
-nach der Tür, riß sie auf und lief davon, heim zum Vater.
-
-Nachdem dieser mich freundlich empfangen und mir seine Hilfe versprochen
-hatte, erzählte ich ihm auch dies mein letztes Erlebnis. Da gab er mir
-recht, und als die Mutter heimkam und über mich klagte, sagte er: »Dös
-is aa koa G'redats an a krank's Madl hin. Da kann 's freili koa Liab und
-koa Achtung lerna bei dera Behandlung. Sei du mit'n Madl, wie es si
-g'hört, na werd si bei ihr aa ninx fehln!«
-
-Darauf brachte mich die Mutter zu Bett und behandelte mich von nun an
-gut und freundlich.
-
- * * * * *
-
-Inzwischen nahte der Hochzeitstag meiner Eltern wieder heran. Es war der
-zehnte, seit sie geheiratet hatten, und auf den gleichen Tag fiel auch
-mein Geburtsfest. Ich wurde damals siebzehn Jahre alt.
-
-Da die Eltern es gern sahen, daß ich ihnen zu den üblichen
-Familienfesten meine Glückwünsche darbrachte und auch die Brüder
-irgendein Gedichtlein lernen ließ, so beschloß ich, ihnen zu ihrem
-zehnten Hochzeitstage eine rechte Freude zu machen. Ich schmückte also
-das Nebenzimmer mit Papiergirlanden, stellte ein selbstverfertigtes
-Transparent auf und dazu ein Brett, in das ich zehn Nägel schlug und
-darauf zehn Wachskerzen befestigte. Auf einen weißgedeckten Tisch legte
-ich die Festesgaben, zu denen ich einen eigenen Vers gedichtet hatte. Es
-waren ein Paar zierliche Samtpantoffeln für die Mutter und ein
-gesticktes Käpplein für den Vater, nebst zwei Blumenstöcken und einem
-Kuchen. Auch den Stammgästen teilte ich meine Absicht mit, und sie waren
-gern bereit, die Feier noch durch Musik zu verschönern.
-
-Als nun am Vorabend des Hochzeitstages meine Eltern plaudernd am
-dichtbesetzten Stammtisch saßen, ertönte plötzlich im Nebenzimmer Musik
-und man brachte ihnen ein Ständchen. Erschrocken sprang die Mutter auf
-und lief hinüber. Da erglänzte der also geschmückte Raum im Licht der
-Kerzen und des Transparents. Doch, o Wunder! es stand noch ein Brett auf
-dem Tisch, an dem siebzehn kleine Lichtlein brannten. Meine Brüder
-hatten mich damit überrascht.
-
-Während die Mutter immer noch starr an der Tür lehnte, war auch der
-Vater hinzugetreten, und nun brachte ich meinen Prolog vor, worauf die
-Gäste ein dreimaliges Hoch brüllten.
-
-Dann stand einer von den Stammgästen auf und brachte in umständlicher,
-stotternder Rede die Wünsche der Gäste zum Ausdruck und rief zum Schluß:
-»Unser wertes Hochzeitspaar und unser liebes Geburtstagskind mögen noch
-lange Jahre froh und glücklich sein! Sie leben hoch, hoch, hoch!«
-
-Da rief die Mutter, der während des Ganzen eine dunkle Röte bis zu den
-Schläfen über das Gesicht lief, aus: »Ja, seid's denn alle verrückt
-wordn! Was red's denn allweil von zehn Jahr? Mir san do scho zwanz'g
-verheirat'!«
-
-Ich verwunderte mich über diese Rede sehr; denn ich wußte doch bestimmt,
-daß der Vater jetzt fünfunddreißig, die Mutter aber achtunddreißig
-zählte, und wenn sie nun vor zwanzig Jahren schon geheiratet hätten, so
-... Ich schickte mich also an, ihnen dies zu erklären. Da erhielt ich
-einen heftigen Stoß von der Mutter, und sie rief halblaut: »Marsch, ins
-Bett! Und freun kannst di!«
-
-Andern Tags aber gab es heftige Prügel dafür, daß ich die Eltern so
-blamiert hatte; denn sie wollten es niemand wissen lassen, daß die
-Mutter mich schon ledig gehabt.
-
-
-
-
-
-
-Jetzt war meine gute Zeit wieder vorbei, und die Mutter quälte mich
-wieder ärger denn je. Dabei empfand ich es am bittersten, daß sie mich
-oft, besonders zu gewissen Zeiten des Monats, wegen irgend einer
-Kleinigkeit, die ich mir hatte zu Schulden kommen lassen, dadurch
-strafte, daß sie mir befahl, nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer zu
-erscheinen. Dort mußte ich mich dann jedesmal nackt ausziehen und
-niederknien, und nun schlug sie unter lauten Schmähungen mit dem
-Ochsenfiesel so lange auf mich ein, bis sie vollkommen erschöpft war und
-mir das Blut über Arme und Rücken herunterrann. Bei diesen Züchtigungen
-waren die Schläge, an die ich mich schließlich auch gewöhnte, nicht so
-schmerzhaft als der Umstand, daß die Mutter oft viele Stunden zwischen
-meiner Verfehlung und der Strafe verstreichen ließ, während derer ich
-das Kommende jeden Augenblick vor mir sah und doch meine Arbeit tun
-mußte.
-
-Dadurch wurde mir das Leben im Hause immer mehr zur Qual und ich
-beschloß, auf irgend eine Weise dasselbe zu verlassen.
-
-Da besuchte uns ein junges Mädchen, welches sich vor seinem Eintritt ins
-Kloster noch von einer meiner Basen, die bei uns in Dienst war,
-verabschieden wollte. Diese schilderte mir den Beruf und das Leben der
-Nonnen so schön, daß ich voller Begeisterung beschloß, ebenfalls ins
-Kloster zu gehen. Ich äußerte diesen Wunsch meiner Mutter gegenüber und
-sie war ganz wider mein Erwarten einverstanden. Doch wohin? Man
-versuchte es im Institut der Englischen Fräulein; doch wies man mich
-dort ab, weil ich ein lediges Kind war. Da erfuhren wir durch eine Magd,
-deren Schwester schon lange Klosterfrau war, daß der alte Pater Guardian
-des Kapuzinerordens in München uns gewiß raten könne; der hätte auch
-ihre Schwester ins Kloster gebracht.
-
-Meine Mutter ging also mit mir dahin und stellte mich dem Pater vor, und
-nachdem ich ihm meinen Wunsch, ins Kloster zu gehen, vorgetragen hatte,
-meinte er: »Viele sind berufen, aber wenige nur sind auserwählt! Wenn du
-wirklich den festen Willen hast, Nonne zu werden, so will ich dir gerne
-dazu helfen!« Darauf nannte er mir als die geeignetste Stätte, Gott in
-gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt zu dienen, das Kloster
-Bärenberg in Schwaben, und nachdem er noch meine Schulzeugnisse geprüft
-und mich auch in religiösen Dingen nicht unwissend befunden hatte,
-empfahl er mir, dorthin zu schreiben; denn daselbst könne ich Lehrerin,
-oder was ich wolle, werden.
-
-Auf meine Anfrage bei den frommen Frauen dieses Klosters, das dem
-heiligen Josef geweiht war, erhielt ich denn auch wirklich den Bescheid,
-daß man, obwohl ich schon siebzehn Jahre alt sei und man gewöhnlich nur
-jüngere Bewerberinnen zulasse, dennoch gewillt sei, mich als Kandidatin
-aufzunehmen; zugleich war dem Schreiben ein Zettel beigelegt, der alles
-enthielt, was mir zu wissen vonnöten war und auch was ich an Garderobe,
-Wäsche und dergleichen brauchte.
-
-Als Tag meines Eintrittes war der fünfte Dezember, der Todestag meines
-Großvaters, ausersehen und ich erwartete ihn sehnsüchtig und mit großer
-Aufregung.
-
-Die letzte Nacht vor meinem Scheiden aus dem elterlichen Hause schlief
-ich nur wenig, und als mich am frühen Morgen die Mutter aus den Federn
-holte, war ich in ganz seltsamer Stimmung. Verflogen war alle Lust und
-Freude, und ich wäre viel lieber im Bett geblieben, statt mich für die
-Reise bereit zu machen. Da ich nun aber einmal daran glauben mußte,
-kleidete ich mich rasch an. Bald trat auch schon die Mutter reisefertig
-in die Stube, und nachdem ich meinem Vater und den Geschwistern Lebewohl
-gesagt, machten wir uns auf den Weg. Oftmals blickte ich noch zurück auf
-unser Haus, und als wir durch die menschenleeren Straßen dem Bahnhof
-zueilten, nahm ich noch Abschied von den alten Frauentürmen, die
-freundlich aus dem Frühnebel grüßten.
-
-In der Eisenbahn gab mir die Mutter noch allerhand Ratschläge und meinte
-zum Schluß: »Kost's, was's mag, wannst nur recht a brave Klosterfrau
-wirst! Schickn tean ma dir alles, was d'magst, brauchst bloß z'schreibn.
-Aber aushaltn mußt und drinn bleibn! Net, daß d'auf amal nimma magst und
-kommst ma daher; da tät's spuckn!«
-
-Nach dieser Rede verstummte sie, und auch ich lehnte mich schweigend in
-meine Ecke.
-
-Verschneite Wiesen, Wälder und Ortschaften glitten draußen vorüber,
-Stationen wurden gerufen, Leute stiegen aus und ein, deren Redeweise
-immer mehr das Schwabenland verriet, und bald waren wir in der
-Hauptstadt, in Augsburg. Den mehrstündigen Aufenthalt benützten wir
-dazu, uns die Stadt ein wenig anzusehen. Mich aber interessierten nur
-etliche Klosterfrauen, die eben über den Marktplatz in eine Kirche
-gingen; doch gefiel mir ihre Kleidung gar nicht und ich fürchtete, es
-möchten die Frauen des heiligen Josef ebensolche unschöne Gewandung
-tragen. Während ich ihnen noch nachblickte, stürmte plötzlich keuchend
-ein Hund an mir vorüber, der einen andern, der laut heulte, hinter sich
-herschleifte. Entsetzt sprangen die Nonnen zur Seite, während sich im Nu
-ein großer Menschenhauf ansammelte, aus dem die Rufe: »A Schäffla Wass'r
-her! A Töpfla Wass'r drufgießa!« erschollen. Ich aber war höchst
-erstaunt vor diesem scheinbaren Naturwunder stehen geblieben und starrte
-mit offenem Munde den Hunden nach. Da riß mich meine Mutter mit den
-Worten: »Marsch, weiter, dös is nix für di!« mit sich fort und führte
-mich auf dem kürzesten Wege wieder zum Bahnhof.
-
-Während der weiteren Fahrt war die Mutter recht einsilbig, und als wir
-jetzt an der Endstation Kamhausen anlangten, sagte sie nur: »So, jetz
-müß ma schaun, daß ma no an Platz im Stellwagn kriegn!« welchen Worten
-ich nicht zu widersprechen wagte, obgleich ich viel lieber zu Fuß
-gegangen wäre.
-
-Während nun die Mutter wegen der Fahrscheine drinnen am Postschalter
-verhandelte, besah ich mir die Gegend: da erblickte ich grad vor mir,
-kaum eine halbe Stunde entfernt, angelehnt an einen bewaldeten Hügel,
-ein imposantes Gebäude und rings um dasselbe eine Menge kleinerer, die
-den Eindruck einer kleinen Stadt machten. Etwas abseits lagen wieder
-eine Anzahl Häuser, die mehr ländlichen Charakter hatten und von Bäumen
-umgeben waren. Um das große Gebäude und den Berg zog sich eine Mauer und
-von dem Dach grüßten ein paar große, mit hohen Schneehauben überzogene
-Storchennester. Dazwischen ragten mehrere kleine Türmlein in die klare
-Luft und von einem größeren klang einladend das Mittagläuten zu mir
-herüber. Da schreckte mich jemand aus meinem Betrachten auf: »He, Mädla!
-Was luagscht denn allweil nach Bäraberg rüba? Magscht ebba au e
-Kloschtafrau wera?«
-
-»Ja. Dös hoaßt, naa, naa; i woaß's net!«
-
-Nach diesen ungeschickten Worten lief ich wieder auf die andere Seite
-des Bahnhofs, wo die Mutter mich schon überall suchte. Ich sagte ihr,
-daß ich Bärenberg schon gesehen hätte; doch schien sie es nicht zu hören
-und trieb mich zur Eile, da der Stellwagen gleich abfahren wollte.
-
-Mit uns hatten noch einige Frauen und ein junger Mann Platz genommen,
-und der letztere veranlaßte mich durch sein sonderbares Betragen und
-sein vogelartiges Gesicht, immer wieder nach ihm zu schauen. Er spielte
-unablässig mit seinen Fingern, schnitt Grimassen und lallte
-unverständliche Worte vor sich hin. Ich erfaßte aus der lebhaften
-Unterhaltung der Frauen, die bei ihm saßen, daß der junge Mensch blöd
-und epileptisch krank sei und nun in der Kretinenabteilung Bärenbergs
-untergebracht werde. In der Ecke saß ein altes Weiblein mit einem kaum
-zwanzigjährigen Mädchen, und es fiel mir auf, daß die beiden garnichts
-miteinander redeten. Auch die andern Frauen interessierten sich
-anscheinend für das Paar; denn die eine fragte plötzlich die Alte:
-»Fahrat Se au uf Bäraberg?«
-
-»Ja freili,« antwortete diese, »mei Dirndl is toret und a Stummerl is 's
-aa. Jatz han i mi beim Burgamoasta vürstelli g'macht und der hat ins a
-G'schreibats gebn, daß s' auf G'moaköstn in dö Anstalt z'Bärnberg kimmt.
-Dö ham ja lauta söllane Dalkn!«
-
-»Du lieb's Herrgottl! Isch dies abr schad! 's isch ganz e frätzig's,
-herztausig's Mädla! Moi Jakala muß au hin, weil er irr ischt und's
-Hiefallat hat.«
-
-Nun war mit einem Mal meine ganze Schneid fort und ich hatte nicht
-geringe Angst vor dem Kloster und allem, was dazu gehörte. Und als sich
-die redseligen Frauen nun auch an uns wandten, muß ich wohl ganz den
-Eindruck einer verschüchterten Irren gemacht haben; denn die eine sagte
-zu meiner Mutter: »So, so, Sie fahrat au mit uns! Sie wollet g'wiß au
-Aufnahm für dies Mädla; ischt's ebba au e Deppala?«
-
-Da sagte meine Mutter, daß ich Klosterfrau werden wolle.
-
-»Schau, schau!« sagte die Alte darauf, »so a schwera und aaschtrengada
-Beruf möcht's Mädla und ischt so blaß und mag'r! Lasset Sie's do wied'r
-hoifahra, Fraule! Die ischt 'it passad für e Kloschterfrau!«
-
-Doch meine Mutter entgegnete nur kurz: »Es wär mir gleich, was s' tät;
-aber sie will selber ins Kloster.« Damit war die Unterhaltung zu Ende.
-
-Inzwischen waren wir an dem Hügel angelangt und mußten nun ganz um ihn
-herumfahren. Da sah man erst, daß er den eigentlichen Ort ganz verdeckt
-hatte, und ich war überrascht von der Schönheit des alten Städtleins.
-
-Vor dem großen Gebäude machte der Postillon halt und wir standen wartend
-an der verschlossenen Pforte. Aus dem kleinen Fensterchen daneben sah
-eine schwarze Katze, und als die Tür sich endlich öffnete, stand eine
-kleine, alte Nonne vor uns, liebenswürdig und demütig nach unserm Begehr
-fragend.
-
-Nachdem sie die Wünsche eines jeden gehört, führte sie uns in ein kahles
-Zimmerchen, aus dem erst die Taubstumme, dann die Frauen mit dem Kranken
-geholt wurden. Zuletzt kam eine blasse, junge Schwester, die uns nach
-den Gemächern des Superiors führte.
-
-Vor der Tür des Sprechzimmers standen etwa sieben bis acht Nonnen und
-warteten auf Einlaß. Sie standen da, gesenkten Hauptes, die Arme vor der
-Brust gekreuzt und beteten leise vor sich hin, während mitunter ein halb
-scheuer, halb neugieriger Blick uns streifte.
-
-Inzwischen hatte die Schwester uns angemeldet und wies uns nun in ein
-mit dem Sprechzimmer verbundenes Gemach.
-
-Da trat nach einer kleinen Weile, während der mir fast die Brust
-zersprang vor Erregung, aus der Tür des Sprechzimmers ein ernster Mann
-von ehrfurchtgebietender Größe und Haltung und lud uns ein, näher zu
-treten. Er führte uns in sein Zimmer, das fast wie der Laden eines Buch-
-und Schreibwarenhändlers aussah. Überall lagen Stöße von Büchern,
-Heften, Zeitschriften, Akten und Briefen umher und dazwischen große
-Pakete, ganze Bündel Wachskerzen, Rosenkränze und Sterbkreuze. Über
-einem Stuhl hingen eine Menge violettgelber Ordensgürtel und an einem
-Schrank lehnten etliche Krücken.
-
-Nachdem der Superior in einem Armstuhl Platz genommen, wies er meiner
-Mutter auf dem Sofa und mir auf einem Rohrhockerl Sitze an, hierauf
-begann er: »Hast du dir auch wohl überlegt, mein liebes Kind, was du tun
-willst, indem du eine Klosterfrau zu werden gedenkst?«
-
-Meine Mutter antwortete statt meiner: »Hochwürdiger Herr, wir haben ihr
-lang genug davon abgeraten;« und plötzlich in ihre gewohnte Redeweise
-verfallend, fuhr sie fort: »Aber a jeds Wort is umasonst g'wen.«
-
-»Das haben halt schon viele im Sinn gehabt und nach einiger Zeit sind
-sie doch wieder in die Welt zurück. Und gar bei uns gehört viel dazu, um
-den Anforderungen, die wir an die Schwestern stellen, gerecht zu werden.
-Doch soll es uns große Freude bereiten, wenn das liebe Kind eine recht
-fromme, brave und tüchtige Schwester in unserm Orden wird. Wir haben ja
-so viele nötig, sowohl für die Arbeit, als auch für den Unterricht; denn
-unsere Anstalt besteht aus einem Blindenheim, einem Taubstummeninstitut,
-einer Heimstätte für alte, schwächliche Personen und einer Pflegeanstalt
-für Kretinen, Epileptische, Irre, Tobsüchtige und durch Ausschweifung
-Zerrüttete, sogenannte Besessene. Auch finden bei uns arme, kranke und
-mißgestaltete, sowie blöde, krüppelhafte und mißratene Kinder eine
-Stätte zur allseitigen Pflege und Bildung, soweit dies möglich ist.
-
-Unser Orden hat jetzt etwa fünfhundert Profeßschwestern, von denen
-etliche schon seit Bestehen desselben das Kleid unseres Schutzpatrons
-tragen, und ungefähr zweihundert Novizinnen, die ihren weißen Schleier
-erst in ein bis zwei Jahren bei Ablegung der Profeß mit dem schwarzen
-zum Zeichen gänzlicher Entsagung der Welt vertauschen. Diese sind noch
-nicht durch die ewigen Gelübde gebunden und können den Orden noch
-verlassen; doch zeigt ein einzig dastehendes Beispiel, wie der
-himmlische Bräutigam diesen Verrat bestraft: die betreffende Novizin
-wurde nach einiger Zeit irrsinnig und befindet sich jetzt in unserer
-Irrenabteilung. Außer den Genannten haben wir noch etwa dreihundert
-Jungfrauen, die am Tag des heiligen Josef Lehr-, Pfleg- und
-Arbeitsschwestern werden wollen, sowie einhundertzwanzig
-Lehramtskandidatinnen, zehn Handarbeits- und sechs Musikkandidatinnen
-und etwa fünfzehn für die Hausarbeit und Küche. Wie ich sehe, hat das
-Kind sehr gute Schulzeugnisse; eine kurze Prüfung wird uns zeigen, wozu
-sich das Mädchen eignet. Sollte es dir, mein Kind, nicht gefallen, so
-kannst du innerhalb fünf Jahren diese Stätte noch verlassen. Nun sage
-mir einmal, willst du bei uns bleiben?«
-
-Er war bei den letzten Worten aufgestanden und hatte mir das Kinn
-gefaßt, indem er mich fest anblickte.
-
-Da sagte ich leise: »Ja, ich will dableiben.«
-
-Meine Mutter hatte dies Ja überhört und rief: »Na, kannst net antwortn,
-wennst g'fragt wirst!«
-
-Doch der Priester entgegnete ihr: »Ereifern Sie sich nicht, Frau Mutter,
-das gute Kind hat mir sein Jawort schon gegeben.«
-
-Darauf gab er uns seinen Segen und ließ uns durch eine Nonne nach der
-Kandidatur führen. Dort mußte mich meine Mutter allein lassen; doch
-durfte ich, nachdem ich den Kandidatinnen vorgestellt und genugsam
-angestaunt worden war, mit ihr in der Brauerei zu Mittag essen und hatte
-mein neues Leben erst am Nachmittag zu beginnen.
-
-Wir begaben uns also in das Bräustüberl, einen behaglichen Raum mit
-rohen, blankgescheuerten Möbeln und Blumenstöcken an den Fenstern, deren
-saubere Vorhänge fest zugezogen waren. An den Wänden hingen bunte
-Heiligenbilder und in einer Ecke war ein kleiner Hausaltar aufgerichtet,
-dessen zierliche Ampel ihr mattes Licht auf die aus Gips verfertigte
-Statue des heiligen Josef warf.
-
-Als ich sah, daß auch hier nur Klosterfrauen tätig waren, verwunderte
-ich mich sehr und wagte an die Schwester, die uns bediente, die Frage,
-ob hier die Nonnen auch das Bier selber brauten. Da erzählte sie uns,
-daß alles, was nur immer zu tun sei, von ihnen selbst gemacht werde;
-auch die Ökonomie und Metzgerei, sowie alle Handwerke, deren das Kloster
-bedürfe. Zur Hilfe würden allerdings die Pfleglinge, welche sich dazu
-eigneten, verwendet. Dies setzte mich in großes Erstaunen, und ich sah
-meinem Leben in diesem Kloster mit viel Neugier entgegen. Meine Mutter
-aber hatte mit wachsendem Entsetzen zugehört und konnte dies auch kaum
-vor mir verbergen, und als sie um drei Uhr wieder in den Stellwagen
-stieg, sagte sie ganz unvermittelt: »Also, wann's dir gar z'schwer wird,
-kannst d' es ja schreibn; bet viel und sei recht fleißig und aufmerksam
-und laß dir nix z'Schulden kommen.«
-
-Ich gab ihr noch Grüße auf an alle, die mir lieb waren; dann schlang ich
-plötzlich meinen Arm um ihre Knie, drückte laut aufweinend meinen Kopf
-in ihre Kleider und lief danach, so rasch ich konnte, an die Pforte und
-läutete fest, ohne noch einmal umzuschauen.
-
-Man wies mich wieder in das kleine Zimmer, und dann führte mich die
-blasse Schwester ins Refektorium, wo die Kandidatinnen bei der Vesper
-saßen. Liebenswürdig nahmen sich sofort einige von ihnen meiner an und
-erklärten mir alles, was ich wissen mußte oder wollte. Ich war ihnen
-dankbar dafür; denn ich hielt es für natürliche, herzliche
-Kameradschaft. Später freilich erkannte ich meinen Irrtum: es war alles
-nur Drill und von wahrer Güte wenig zu finden: Bigotterie paarte sich
-mit Stolz, Selbstsucht mit dem Ehrgeiz, vor den Oberen schön dazustehen
-und als angehende Heilige bewundert zu werden.
-
-Besonders unter den älteren Mädchen hatte dies Streben nach
-Vollkommenheit einen wahren Wettlauf um die Tugend hervorgerufen, und
-die Präfektin der Kandidatur, die solches mit großer Befriedigung
-wahrnahm, übergab nun jede Neuangekommene der Obhut einer dieser
-Würdigen, welche zugleich mit diesem ehrenvollen Amt den Namen
-Schutzengel erhielt.
-
-Also ward auch mir gleich am ersten Abend ein solcher Schutzengel
-zugeteilt und waltete mit Eifer seines Amtes. Bald machte er mich auf
-das Weltliche meiner Heiterkeit aufmerksam, obschon ich mir recht
-traurig vorkam. Und als ich später meinen Arm in den meiner Beschützerin
-legen wollte, wies sie mich mit den Worten zurecht: »Pfui! Das schickt
-sich doch nicht! Das gefährdet doch die heilige Reinheit! Es ist uns
-verboten, uns bei den Händen zu fassen oder einzuhängen. Das Betasten
-des Körpers nährt die Sinnlichkeit, und zum Körper gehören auch die
-Hände.«
-
-Da die Abendandacht stets in der Kapelle verrichtet wurde, führte meine
-Hüterin mich daselbst an den mir zugeteilten Platz, von dem aus ich
-weder den Altar noch sonst etwas von der Kirche sehen konnte; denn wir
-befanden uns auf einer Art Galerie, die mit einem dichten Gitter
-abgeschlossen war. Rings um uns vernahm ich lautes Beten und sah mich
-neugierig um, zu sehen, woher es käme. Da flüsterte mein Schutzengel mit
-strenger Miene: »Sieh für dich, arme Seele, Gott ist hier!«
-
-Nach dem Abendgebet gingen wir paarweise in den großen Schlafsaal, und
-meine Führerin steckte mir auf dem Weg dahin einen Zettel zwischen die
-Finger, auf dem geschrieben stand: »Von neun Uhr abends bis sieben Uhr
-morgens strengstes Stillschweigen!«
-
-Im Schlafsaal angelangt, wies sie mir mein Lager an, und ich wollte nun
-beginnen, mich auszuziehen. Da ich noch städtische Kleidung trug und
-auch kein Nachthemd bei mir hatte, brachte sie mir eine weiß- und
-rotkarierte Bettjacke. Ich hatte bereits meine Bluse aufgeknöpft und
-entblößte eben meine Schultern, als mein Schutzgeist ganz entsetzt
-herzusprang und mir die Bluse rasch wieder über die Achseln schob.
-Hierauf warf sie mir die Bettjacke über die rechte Schulter, und indem
-ich sie am Hals festhalten mußte, entblößte sie unter dieser schützenden
-Hülle meinen rechten Arm und schob ihn rasch in den Ärmel des
-Nachtgewandes. Ebenso verfuhr sie auf der linken Seite und dann knöpfte
-sie mir den Kittel bis an den Hals zu.
-
-Die andern Kandidatinnen hatten sich inzwischen unter lautem Beten auf
-die gleiche Art entkleidet, und ich sah nun eine nach der andern ins
-Bett steigen; doch behielten alle ihren Unterrock und die Strümpfe an.
-Ich machte meine Hüterin durch Zeichen auf dies aufmerksam; da zog sie
-einen Bleistift und einen Notizblock aus der Tasche und schrieb darauf:
-»Ein sittsames Kind entblößt die Füße erst im Bett und auch den
-Unterrock darf man nicht vorher abstreifen.«
-
-Also legte ich mich zu Bett und entledigte mich, nachdem sie mir die
-Decke über den Kopf gezogen, meiner übrigen Kleidung, worauf eine
-Nachtschwester von Bett zu Bett ging und einer jeden die Zudecke glatt
-strich. Und nachdem man sich noch der Fürbitte des heiligen Joseph und
-der heiligen Barbara durch besondere Gebete versichert und den Psalm
-»Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr« samt den dazugehörigen
-Paternostern gebetet hatte, legte man die Arme auf der Bettdecke
-kreuzweise über die Brust und schlief dann ein.
-
-Traumlos schlief ich die ganze Nacht; denn ich war den Tag über müde
-geworden, und als am frühen Morgen plötzlich ein lautes »Gelobt sei
-Jesus Christus« ertönte, dem die Kandidatinnen sich aufsetzend »in
-Ewigkeit, Amen,« antworteten, blickte ich verwirrt um mich und konnte
-mich erst, als von der Pfarrkirche das Fünfuhrläuten erscholl, besinnen,
-wo ich war. Rasch sprang ich aus dem Bett; in diesem Moment aber sah ich
-ringsum aller Augen entsetzt auf mich gerichtet, und nun merkte ich
-erst, daß ich im Hemd und ohne Strümpfe war. Schnell schlüpfte ich
-wieder ins Bett und zog mit vieler Mühe unter der Decke meine
-Unterkleider an.
-
-Derweilen waren die anderen Mädchen schon an den langen Waschtisch
-getreten, wo eine Waschschüssel neben der anderen stand, und wuschen
-sich, als mein Schutzengel kam und auch mich dahin führte. Während des
-Ankleidens wurde wie am Abend laut gebetet; man empfahl sich zu allen
-Stunden in Mariens Herzen und Jesu Wunden.
-
-Nachdem wir unsern Schlafsaal geordnet und zuletzt die leichten
-Filzschuhe mit Stiefeln vertauscht hatten, begaben wir uns paarweise
-nach der Kandidatur. Diese befand sich in dem sogenannten Mutterhaus,
-einem alten Bau, der noch aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte und
-damals den Prämonstratensermönchen gehört hatte, die später daraus
-vertrieben wurden, worauf das Kloster erst als Kaserne und dann als
-Speicher diente. In diesem Zustand erwarb es unser Orden und richtete es
-wieder wohnlich her; doch wurde das Haus bald zu klein und man fügte
-einen Anbau um den andern an. So kam es, daß wir unsern Schlafsaal in
-einem dieser neuen Gebäude hatten.
-
-Wir schritten also über den verschneiten Platz vor dem Kloster; denn
-einen geschlossenen Verbindungsgang nach dem Mutterhaus hatte man gerade
-erst zu bauen begonnen. Da läutete es in der Pfarrkirche zur heiligen
-Wandlung. Sofort warfen sich alle auf die Knie in den Schnee und beteten
-den menschgewordenen Gott an.
-
-Als wir im großen Lehrsaal der Kandidatur angekommen waren, knieten alle
-vor einer reich mit Blumen geschmückten Statue des heiligsten Herzen
-Jesu nieder, vor der die Präfektin bereits in andächtigem Gebete lag.
-Sie schlug jetzt ein Andachtsbuch auf und las daraus die Legende einer
-Heiligen, worauf eine lange Betrachtung ihrer Tugenden und Leiden
-folgte. Zum Schluß wurde vieles auf uns angewandt und etliche
-Kandidatinnen, die sich Verfehlungen gegen eine der Tugenden dieser
-Heiligen hatten zu Schulden kommen lassen, bekamen nun eine
-eindringliche Strafpredigt und es wurden ihnen schwere Bußübungen, wie
-Rosenkränze, viel hundert Paternoster und Ave-Maria, stundenlanges Knien
-vor dem Altar und dergleichen auferlegt.
-
-Starr vor Erstaunen hörte ich dem Ganzen zu und bereute es schon bitter,
-jemals den Vorsatz gefaßt zu haben, Nonne zu werden.
-
-Nach dieser geistlichen Lesung und Betrachtung gingen wir in den
-Speisesaal zum Frühstück, das in einer Tasse dünnen Kaffees und einem
-Brötchen bestand. Meine Hüterin legte wieder einen Zettel vor mich hin,
-des Inhalts, daß es Jesus recht wohlgefällig sei, wenn man freiwillig
-auf das Brot verzichte, weshalb ich nur die Hälfte davon aß.
-
-Nun hatten wir der Frühmesse in der Klosterkapelle beizuwohnen und
-danach versammelten wir uns wieder im Saal der Kandidatur, und jedes
-holte sich ein Buch, um zu lernen.
-
-Inzwischen schlug es acht Uhr, und herein traten drei Schwestern, die
-Lehrerinnen der Kandidatur, gefolgt von der Präfektin, die mich, nachdem
-wir beim Glockenschlag um eine gute Sterbstunde gefleht, setzen hieß und
-nun begann, mich in allem zu prüfen, was ich als Lehramtsschülerin
-wissen oder lernen mußte. Sie gesellte mich danach dem zweiten Kurs zu
-und wies mir meinen Platz an, worauf der Unterricht begann. Der erste
-Kurs schrieb an einem Aufsatz, wir rechneten schriftlich, und der dritte
-Kurs hatte Unterricht in Grammatik. Die höheren Klassen hatten ihre
-eigenen kleinen Studierzimmer und diese waren nur durch Glastüren von
-unserm Saal getrennt.
-
-Um neun Uhr versammelten sich von neuem alle vor dem Altar, knieten
-nieder und beteten laut ein Stundengebet. Kaum hatten wir uns wieder
-erhoben, als abermals von der Pfarrkirche die Glocke zur Wandlung
-läutete und wir uns wiederum auf die Knie warfen und anbeteten.
-
-Nach einer kurzen Weile rief man uns zur Vesper, und jede bekam ein
-Krüglein Bier und ein Stück schwarzes Brot, wobei ich sah, daß wieder
-viele die Hälfte des Brotes zurück in den Korb wandern ließen; doch weiß
-ich nicht, ob dies zur Abtötung oder aus Abneigung gegen das rauhe
-Gebäck geschah.
-
-Bald, nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte, kam die Präfektin
-und befahl meinem Schutzengel, mich ins Bad zu führen.
-
-Durch lange Gänge, vorüber an Männer- und Frauenabteilen, aus denen
-wüster Lärm drang, hinab über alte, morsche Stiegen ging es, dann traten
-wir in einen moderigen Kellerraum, wo etwa zehn Männer Körbe flochten.
-Wir eilten an ihnen vorüber und kamen durch die mit ekelhaftem Gestank
-erfüllte Waschküche, in der etliche Kretinen aus einer übelriechenden
-Lauge graue Wäschestücke zogen, endlich in ein düsteres Kämmerlein, das
-man Bad nannte, und in dem zwei alte Badewannen, durch einen Vorhang
-getrennt, an der Wand standen.
-
-Wir mußten uns erst das heiße Wasser aus der Waschküche holen, und
-nachdem wir unsere Wannen gefüllt und unsere Tücher und Wäsche auf einen
-neben der Wanne stehenden Stuhl gelegt hatten, begann mein Schutzgeist
-mir zu zeigen, wie man sich baden müsse, ohne die Unschuld zu verletzen.
-
-Ich durfte mich nicht ganz entkleiden, sondern mußte in Hemd und
-Strümpfen in die Wanne steigen. Hier konnte ich mich meiner Strümpfe
-entledigen, während das Hemd meiner Blöße als Bedeckung blieb und
-tüchtig eingeseift wurde. Darauf strich man einige Male mit den Händen
-darüber hin; denn unter dem Hemd durfte der Leib nicht berührt werden.
-Nur Gesicht und Hals wurde gründlich gewaschen.
-
-Währenddem beteten wir laut den schmerzhaften Rosenkranz, auf daß der,
-der für uns Blut geschwitzt hat und für uns gegeißelt ist worden, unser
-Herz vor jedem sinnlichen Gedanken bewahre.
-
-Auf dem Rückweg erzählte mir meine Beschützerin, daß man während des
-Sommers in einer Hütte zu Sankt Jakob bade, einer Einsiedelei, nahe dem
-Kloster in einem kleinen Tal gelegen. Und sie erklärte mir genau, wie
-man es dabei zu machen habe, damit die Seele nicht Schaden leide. Als
-ich dann später im Sommer wirklich dieses Badehüttlein besuchte, mußte
-ich über mein Hemd einen Anzug mit langen Ärmeln anziehen, so daß ich am
-Ende nicht das Gefühl der Erfrischung hatte, sondern es mir war, als sei
-ich durch ein Unglück ins Wasser geraten. Zum Glück durfte ich während
-meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster nur dreimal baden.
-
-Nach dem Bade führte meine Hüterin mich in die Garderobe, wo ich meine
-klösterliche Uniform erhielt. Danach gingen wir zu Tisch, und jetzt war
-ich eigentlich erst als Kandidatin anerkannt. Ich trug ein
-blaugestreiftes Kattunkleid, eine schwarze Schürze, ein schwarzes
-Schulterkräglein und um den Hals eine gestärkte Batistschleife.
-
-Vor dem Essen befahlen wir unsere Sinne dem göttlichen Meister, indem
-wir beteten: »Barmherzigster Herr Jesu Christe, gestatte, daß ich jetzt
-diese Mahlzeit einnehme, aus Gehorsam, um meine Gesundheit zu stärken
-und mir neue Kräfte zu sammeln. Bewahre mich vor aller Sinnlichkeit und
-gib mir die Gnade, daß ich nicht ohne Überwindung von dieser Mahlzeit
-aufstehe.«
-
-Doch hätte es eigentlich dieses Gebetes kaum bedurft, da der
-Speisezettel nicht danach angetan war, den Gaumen zu reizen, so daß es
-schon großer Überwindung bedurfte, gehorsam zu sein und zu essen. Die
-älteren Kandidatinnen freilich fügten dieser Überwindung noch andere
-hinzu, indem sie kein Salz nahmen, kein Wasser tranken, kein Brot aßen
-und anderes mehr.
-
-Ich selbst konnte mich nur sehr schwer an die Kost gewöhnen; denn
-erstlich wurden alle Gerichte mit Dampf gekocht, und dann kamen wir in
-bezug auf die Qualität erst an dritter oder vierter Stelle: das Fleisch
-und frische Gemüse erhielten die Schwestern, was davon übrig blieb, die
-Jungfrauen; wir bekamen das Fett mit Kraut, Kartoffelbrei oder Salat.
-Was wir übrig ließen, wurde dann den Pfleglingen mit einer Brennsuppe
-verabreicht. Zwar gab es in der Küche auch Geflügel und Fische; doch das
-war für die Oberen, die Geistlichkeit und bessere Gäste bestimmt. Am
-übelsten aber bekamen mir die sogenannten Kässpatzen, eine zähe
-Wasserteigmasse, in der eine Menge Zwiebeln staken. Doch ging es allen
-Neulingen so, so daß sich nicht selten die eine oder andere erbrechen
-mußte, was hingegen kein Grund war, mit dem Essen aufzuhören.
-
-Während der Mahlzeit hielt stets eine ältere Kandidatin eine erbauliche
-Tischlesung, meist Legenden aus dem Leben heiliger Personen, die durch
-Fasten und Abtöten eine hohe Stufe der Heiligkeit erklommen hatten.
-
-Nach Tisch ordnete man sich in Paaren und begab sich in die Kapelle,
-damit, nachdem der Leib seine Nahrung erhalten, auch die Seele ihr Teil
-bekäme durch den Akt der geistlichen Kommunion.
-
-Ich war nach dieser Andachtsübung, die mit dem Abbeten des Rosenkranzes
-mit ausgebreiteten Armen beschlossen wurde, so müde, daß ich beinahe im
-Gehen einschlief.
-
-Da traten wir plötzlich in einen großen Saal. Darinnen saß eine junge
-Nonne mit gewinnendem, freundlichem Blick in den kindlichen Zügen am
-Flügel, während neben ihr ein junges Mädchen einen Stoß Liederbüchlein
-im Arm hielt und am Tisch verstreut mehrere Oratorien und Messen lagen.
-
-Die Nonne stand auf, und nachdem ein kurzes Stundengebet verrichtet
-worden, begann die Gesangstunde, wobei ich sah, daß hier die Musik sehr
-gepflegt wurde; denn die Stimmen waren gut geschult und das Spiel der
-Schwester meisterlich. Sie präludierte erst ein wenig und spielte dann
-etliche Variationen des zu behandelnden Liedes. Endlich gab sie das
-Zeichen zum Einsatz, und nun hallte der Saal wieder von den Tönen einer
-herrlichen altitalienischen Messe.
-
-Als die Sängerinnen eine längere Pause machten, bat ich die Schwester,
-sie möge mich mitsingen lassen, was sie ziemlich verwundert gestattete.
-Nun war mit einem Male meine ganze Müdigkeit dahin, und ich sang so zu
-ihrer Zufriedenheit, daß sie mich erstaunt fragte, wo ich Unterricht
-gehabt hätte. Ich antwortete ihr, daß ich am Kirchenchor gesungen hätte
-und auch schon längere Zeit im Klavierspiel unterwiesen worden sei.
-Hocherfreut rief sie, als sie dies vernommen: »Liebs Jesusle, hab Dank!
-Jetzt bekomm ich eine Musikkandidatin!« Und sofort eilte sie zum
-Superior, ihn zu bitten, daß er mich ihr überweise.
-
-Dies geschah noch am nämlichen Tage, und nun begann für mich eine
-glückliche Zeit. Ich machte rasch Fortschritte im Klavierspiel, und als
-ich dann auch im Violinspiel über die ersten Anfänge hinaus war, taten
-sich vor mir immer wieder neue Wunder auf, und ich schien mir in eine
-andere Welt versetzt. Meine Freude über diese gute Wendung der Dinge
-zeigte ich meiner Lehrerin durch großen Eifer und möglichste Genauigkeit
-im Arbeiten.
-
-Hatte ich schon vorher unter den Lehramtsjüngerinnen einige heftige
-Widersacherinnen gefunden, so mehrte sich jetzt ihre Zahl; um so mehr,
-als Schwester Cäcilia mich sehr lieb gewann und wir bald gute Freunde
-wurden.
-
-So kam es, daß ich in kurzer Zeit einer der sogenannten Sündenböcke der
-Kandidatur war; denn je öfter meine Lehrerin mir sagte, daß ich
-brauchbar und ihr fast unentbehrlich sei, desto öfter suchte man mich
-auf der anderen Seite durch Wort und Tat zu überzeugen, daß ich ein
-eingebildetes, dummes Mädel sei, das leicht zu ersetzen wäre.
-
-Es dauerte nicht lange und die Obern des Klosters erfuhren diese Dinge.
-
-Also ward ich von der Präfektin der Kandidatur, Schwester Archangela,
-einer alten, strengen Nonne mit harten Zügen, tiefliegenden grauen Augen
-und einer großen Hakennase, auf der eine goldene Brille saß, zu der
-Oberin geführt, damit man mir zeige, was einem so eitlen, schlimmen
-Mädchen gebühre.
-
-Als ich vor der vornehmen, gütigen Frau, die einem alten, französischen
-Adelsgeschlecht entstammte, stand, fragte sie mich, was ich verbrochen
-habe; denn man hielt viel auf ein freimütiges Bekenntnis seiner
-Vergehen.
-
-Ich antwortete: »Würdigste Mutter, man beschuldigt mich, daß ich mich in
-bezug auf meine Leistungen überhebe und gegen meine Vorgesetzten und
-Mitschwestern unhöflich und herausfordernd sei; doch fühle ich mich
-nicht schuldig und bitte Sie, würdigste Mutter, meine Lehrerin und
-Mitschwestern darüber vernehmen zu wollen.«
-
-Ohne ein Wort der Erwiderung, nur einige Male mit dem Kopf nickend,
-faßte mich die Oberin an der Schulter und führte mich in das Vorzimmer
-des Herrn Superiors, wo ich warten mußte, bis sie mit ihm die Sache
-besprochen hatte.
-
-Als sie wieder heraustrat, blickte ich ihr fest und mit großen Augen ins
-Gesicht; doch konnte ich aus ihren Zügen nicht entnehmen, ob man mir
-Glauben geschenkt hatte. Sie sagte nur ernst zu mir: »Sprich ehrlich mit
-unserm Vater, Magdalena; er will nur dein Bestes!«
-
-Ich trat also vor ihn hin und auf seine Frage: »Was hast du
-vorzubringen?« trug ich ihm den Hergang der Sache so vor, wie ich ihn
-der Oberin geschildert hatte.
-
-Da ließ er meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, zu sich kommen, und sie
-mußte nun über mich berichten.
-
-Als der Superior nur Gutes hörte, meinte er: »Seltsam, höchst seltsam!
-Kind, wenn du wirklich brav warst, so bleib's, wenn nicht, so werd's!«
-
-Damit waren wir entlassen, und erleichtert trat ich mit der Schwester
-wieder auf den dunklen Gang hinaus.
-
-Auf dem Weg zum Musiksaal faßte ich ganz plötzlich in einer Aufwallung
-warmen Dankgefühls ihre Hand und küßte sie wiederholt. Lächelnd entzog
-sie mir dieselbe, indem sie sagte: »Laß doch die dumme Hand! Sie gehört
-ja gar nimmer mir, sondern dem heiligen Josef!«
-
-Da meinte ich: »Aber der Mund g'hört schon noch Ihnen, gelt, Schwester?«
-
-»Ja, zum Beten und Singen und ...«
-
-»Und daß ich schnell ein andächtigs Busserl draufgib, Schwester!« rief
-ich dazwischen, und ehe sie sich dessen versah, hatte ich sie geküßt.
-
-Ganz erschrocken schob sie sich den Schleier zurecht und zupfte an ihrem
-Habit herum; doch sagte sie nichts und schalt mich auch nicht, wie ich
-befürchtet.
-
-Als wir in den Saal traten, sah ich unter ihrem Schleier über dem
-rechten Ohr einen Wusch goldroten Haars hervorlugen; ich sagte es ihr,
-und da rief sie mit komischem Entsetzen: »Was sagst, die Welt guckt
-raus? Ob ihr gleich z'rück wollt, ihr fuchsigen Locken!« Und eiligst
-strich sie sie einige Male unter dem Häubchen zurück.
-
-Seit diesem Tag waren wir die besten Freunde, und sie sagte mir im
-Vertrauen, daß eben unser herzliches Verhältnis zu einander den
-eigentlichen Anlaß zu dem Zwist gegeben hätte, daß sie mich aber,
-solange es den Obern recht sei, sehr lieb haben wolle. Ich solle nur mit
-allen freundlich und besonders gegen eine alte, von der Präfektin wegen
-ihres Reichtums, den sie dem Kloster geschenkt hatte, sehr begünstigte
-Musikkandidatin recht höflich und zuvorkommend sein.
-
-Erst war ich über diesen Rat sehr verwundert; bald aber erkannte ich
-selbst, daß meines Bleibens in diesem Hause nur dann sein könne, wenn
-ich, wie man sagt, mit den Wölfen heulte, obschon mir jede Art von
-Scheinheiligkeit zuwider war.
-
-Schwester Cäcilia mochte wohl auch erst nach langem Kampf zu dieser
-Anschauung gekommen sein; denn sie war im übrigen so freimütig und
-offen, daß sie einen absoluten Gegensatz zu den andern Nonnen bildete.
-
-Dieser offene Charakter war übrigens auch ihren Familienangehörigen
-eigen. Ihr Vater, der Schullehrer in dem Ort war und im Kloster den
-Kandidatinnen und Lehrschwestern Unterricht im Geigen- und Cellospiel
-gab, darin er selbst ein Meister war, hatte wegen seiner geraden Art
-viele Feinde. Er hielt sehr auf ein furchtloses, freies Wesen und haßte
-die kriechende Unterwürfigkeit, die sich unter den Nonnen so gern breit
-macht und meistens der Deckmantel für Ränke und Heimtücke wird. Kam er
-zu uns, so begrüßte er erst seine Tochter mit den Worten: »Guta Tag,
-Cilli! Magscht's Tagblättla lesa?« Und damit zog er das Blatt aus der
-Tasche, obwohl es eigentlich verboten war, Zeitungen zu lesen. Dann
-sagte er, zu uns gewendet: »So, meine Damen, ka' i afanga? Ischt's
-g'fällig?«
-
-Während des Unterrichts trieb er viel Kurzweil mit uns, so daß es mir
-oft schien, als sei ich nicht in einem Kloster, sondern bei einem alten
-Bekannten zu Besuch.
-
-So war denn mein Leben ein ganz angenehmes geworden, und ich ertrug die
-Bosheiten der Mißgünstigen um so leichter, als ich nicht die einzige
-Gehaßte und Verfolgte war. Es waren vielmehr eine Reihe jüngerer Mädchen
-von den Günstlingen der Präfektin dieser als bösartige, ränkesüchtige
-Personen geschildert worden, weshalb es täglich bei der morgendlichen
-Betrachtung Strafen und Bußen regnete.
-
-So schüttete die Präfektin eines Morgens ihren heiligen Zorn über einige
-unglückselige Mädchen aus, die ihre Waschtoilette nicht rein gehalten
-und die Schuhe im Schlafsaal nicht aufgeräumt hatten. Sie wurden damit
-bestraft, daß die eine die Schuhe an einer Schnur über die Schulter
-gehängt bekam, während der andern ein Zettel an die Brust geheftet
-wurde, des Inhalts: »So wird die Schlamperei bestraft.«
-
-Einem andern Mädchen, das eine Notlüge gebraucht hatte, wurde ein roter
-Flanellappen in Form einer Zunge an den Rücken gesteckt, und eine
-dritte, die mit einem Pflegling gesprochen hatte, wurde, da dies streng
-verboten war, in Acht und Bann erklärt, das heißt, es wurde ihr das
-schwarze Schulterkräglein, das Abzeichen der Kandidatur, auf die Dauer
-eines Monats entzogen und allen übrigen aufs strengste verboten, mit der
-Unglücklichen während dieser Zeit zu sprechen.
-
-Solchen Befehlen wurde von allen blindlings Folge geleistet; denn die
-Präfektin stand im Geruche großer Heiligkeit, und man erzählte sich im
-geheimen, daß sie sich oft des Nachts geißle und kasteie: man habe
-manchmal, wenn man zur nächtlichen Betstunde in die Kapelle ging,
-deutlich aus ihrer Zelle das Klatschen der Geißelhiebe und inbrünstiges
-Seufzen und Rufen vernommen. Auch sei sie wiederholt mit der Erscheinung
-ihres himmlischen Bräutigams beglückt worden.
-
-An manchen Tagen schien sie auch wirklich zu leuchten und rief während
-der geistlichen Lesung wiederholt aus: »Kinder, lernet Jesum lieben! Wie
-süß ist die Liebe zu ihm!«
-
-Zugleich mit dem Amte einer Präfektin war ihr auch das einer
-Novizenmeisterin zuteil geworden, und so lernten die jungen Nonnen gar
-bald diese Liebesbezeigungen gegen ihren göttlichen Meister und übten
-solche mit heroischem Eifer. Stundenlang konnte man oft Novizinnen vor
-dem Tabernakel knien sehen, die Arme ausgebreitet und die Augen
-unverwandt auf das Altarbild geheftet, das Christum in ganzer Figur
-darstellte.
-
-Doch nicht bloß am Tage wurde der Heiland von seinen Bräuten aufgesucht,
-nein, auch während der Nacht waren Betstunden festgesetzt, auf daß der
-Herrgott auch zu der Zeit, in der die Kreaturen ruhen und schlafen,
-gebührend verherrlicht werde durch die ewige Anbetung.
-
-In der Kandidatur setzte man nun auch seinen Stolz darein, an diesen
-Stunden teilzunehmen, und das traf immer je vier für die Kapelle des
-Mutterhauses, je vier für die Pfarrkirche und vier für die Kapelle des
-Neubaues.
-
-So war auch ich einmal nachts um die zweite Stunde mit drei anderen
-Beterinnen in der Kapelle des Neubaues und unterdrückte krampfhaft und
-gähnend den Schlaf. Da öffnete sich plötzlich die Tür und herein lief
-eine nur mit dem Nachthemd bekleidete Nonne, warf sich vor dem Altar auf
-die Knie und begann mit dem Ruf: »Jesus, brennende Liebe!« sich
-furchtbar zu geißeln.
-
-Wir waren starr vor Schreck und Staunen, und mich packte Grauen und
-Entsetzen. Die älteste von uns vieren aber meldete den Vorfall andern
-Tags der Präfektin, die uns strengstes Schweigen gegen jedermann gebot.
-
-Solche und ähnliche Vorgänge flößten mir einen großen Abscheu gegen das
-Ordensleben ein, und ich äußerte dies auch des öftern gegen Schwester
-Cäcilia, sie fragend, ob sie sich auch so mißhandle. Da meinte sie
-lächelnd: »Ich komme nicht dazu; denn ich muß mich den ganzen Tag mit
-euren Stimmen ärgern und plagen und brauche deshalb die Nacht zum
-Schlafen. Ich kann kaum meine Tagzeiten beten vor Arbeit.«
-
-Da erbot ich mich, diese Pflicht mit ihr zu teilen, und benützte von nun
-an jede freie Stunde dazu, ihr einige Dutzend Psalmen und Paternoster
-abzunehmen oder die Vesper, Sext und Non gemeinsam mit ihr zu beten,
-wofür sie mir viel Dank wußte und mich nicht selten vor Strafe bewahrte,
-wo ich sie verdient hatte.
-
-Inzwischen war die Fastnacht mit ihrem bunten Treiben gekommen, und auch
-die Nonnen vergaßen für kurze Zeit, sich zu kasteien, und schlossen sich
-lieber dem Hofstaat des närrischen Prinzen an und versammelten sich
-mitsamt den Obern und Geistlichen im großen Refektoriumssaal, der in ein
-Theater umgewandelt war, um sich an den heiteren Singspielen zu
-ergötzen, die ihnen Kandidatinnen und Jungfrauen aufführten.
-
-Auch den ärmsten von allen den Pfleglingen der verschiedenen Abteilungen
-wurden mannigfache Belustigungen geboten und sogar etliche dem dürftigen
-oder zerrütteten Geist angepaßte Schwänke aufgeführt, bei denen die
-dafür geeigneten Leidenden selbst mitwirken durften.
-
-Damit aber diese Lustbarkeit nicht etwa in den Herzen der gottgeweihten
-Frauen und Jungfrauen ein Verlangen nach den Freuden der Welt zeitige,
-beschloß man den Fasching mit einem frommen Theaterstück, in welchem die
-Glorie irgendeiner heiligen Nonne oder Jungfrau ins hellste Licht
-gerückt und sie als Muster und Vorbild verherrlicht wurde.
-
-Zu dieser Zeit hatte ich viel Arbeit; denn bei den Fastnachtsspielen
-waren mir die ersten Rollen zugeteilt worden, und nun stand der Tag des
-heiligen Josef, an dem der Bischof die Einkleidung und Profeßabnahme im
-Kloster vornahm, vor der Tür. Es war dies der festlichste Tag im ganzen
-Jahr, und alles rüstete sich schon lange vorher, ihn würdig zu begehen.
-
-Ich erwartete das Fest mit großer Erregung, da meiner sowohl in der
-Kirche als auch im Festsaal und beim Mahle schwere Aufgaben harrten.
-Doch war Schwester Cäcilia nach der letzten Probe sehr zufrieden mit mir
-und meinte: »Mädl, wenn du morgen so gut singst, hebst die ganze
-Pfarrkirche in den Himmel; ich bin recht zufrieden.«
-
-Als dann der Morgen des Festes gekommen war, regte sich's im Kloster wie
-in einem Bienenkorbe: geschäftige Nonnen huschten durch die Gänge, den
-Arm voll Myrtenkränzlein, weißer Nonnenschleier oder Skapuliere, und
-eilten in die Zellen, um die jungen Gottesbräute zu schmücken und zu
-kleiden. Große Girlanden wurden aufgehangen und die Kapellen geziert,
-und die älteren Klosterfrauen liefen mit kritischem Blick herum, hier
-zupfend, dort stäubend, überall noch die letzte Hand an die Dekorationen
-legend und den Kandidatinnen die ihnen zukommenden Handreichungen und
-Arbeiten anweisend und erklärend.
-
-Wir hatten uns nach dem Frühstück im Musiksaal versammelt, um unsere
-Aufgabe noch einmal flüchtig durchzugehen. Da krachten zahlreiche
-Böllerschüsse von Kamhausen herüber, zum Zeichen, daß der Bischof dort
-angelangt und, empfangen vom Klerus und den Obern des Klosters, sich auf
-dem Wege zu uns befinde.
-
-Rasch ordneten wir uns in der Einfahrtshalle und begrüßten den
-Ankommenden mit einer Jubelhymne, während draußen alle Glocken geläutet
-wurden.
-
-Inzwischen schritten die bräutlich weiß angetanen Jungfrauen und
-Novizinnen zur großen Pfarrkirche, in der schon ihre Angehörigen
-zahlreich versammelt waren. Danach kamen die älteren Schwestern, und um
-acht Uhr begann die Feier.
-
-Brausend tönte die Orgel durch das Gotteshaus, und nach einer Ansprache
-des Bischofs traten die Bräutlein alle vor den Hochaltar, fielen auf ihr
-Angesicht nieder und beteten laut das Confiteor. Danach empfingen sie
-aus der Hand des Bischofs den Leib dessen, dem sie sich nun auf ewig
-antrauen wollten.
-
-Mit ausgebreiteten Armen verharrten sie während des Hochamts in Gebet
-und Verzückung und schienen nun ganz und gar losgelöst von der Welt.
-
-Bis dahin war ich meiner Aufgabe ganz gerecht geworden; als sich aber
-nach dem Hochamt die Novizinnen auf die Erde warfen und mit einem
-schwarzen Bahrtuch überdeckt wurden, zum Zeichen, daß sie nun auf ewig
-für die Welt gestorben seien, und der Bischof ihnen die ewigen Gelübde
-der freiwilligen Armut, der steten Keuschheit und des blinden Gehorsams
-abnahm und einer Jungfrau nach der andern das Haar abschnitt und sie mit
-dem Ordenshabit der Novizinnen bekleidete, da packte mich ein Grauen und
-in mir schrie es: »Nie, niemals werd ich Nonne! Niemals!« und ich
-begriff nicht, daß andere Mädchen so glückselig ausschauen konnten. Mein
-Entsetzen war so groß, daß ich den Einsatz verpaßte und erst nach
-längerer Zeit merkte, daß, hätte nicht Schwester Cäcilia mich beobachtet
-und im rechten Augenblick für mich eingesetzt, sicher ein Unglück
-geschehen wäre.
-
-Ich konnte kaum das Ende der kirchlichen Feier erwarten und rief nachher
-im Musiksaal meiner Lehrerin zu: »Schwester, das weiß ich g'wiß: ich
-werd keine Klosterfrau! Ich sollt meine schönen Haar hergeben? Nein,
-niemals!«
-
-Doch hatte ich den übrigen Tag keine Zeit mehr, viel an das Vergangene
-zu denken; denn auf die Tafelgesänge folgte die Nachmittagsandacht und
-am Abend wurde noch ein Theaterstück, die heilige Agnes, aufgeführt. Ich
-kam endlich todmüde ins Bett und schlief rasch ein; doch quälten mich
-wirre Träume, und es war mir, als läge ich auf einem Altar und man habe
-ein Leichentuch über mich geworfen, während mir meine Zöpfe
-abgeschnitten und in einen Sarg gelegt wurden. Aber ich sah nirgends
-einen Priester, noch den Bischof und lauter fremde Nonnen waren um mich.
-
-Das Fest währte drei Tage, und auch die Pfleglinge und Kranken durften
-daran teilnehmen. Es ward ihnen an diesen Tagen auch manches
-nachgesehen, was man sonst unnachsichtlich bestraft hätte; denn es waren
-unter ihnen viel bösartige und heimtückische Geschöpfe, zu deren
-Bändigung es oft strenger Mittel bedurfte, wie Zwangsjacken,
-Hungerkuren, finsterer oder vermauerter Zellen und dergleichen.
-
-Freilich geschah es mitunter auch, daß der eine oder die andere in einer
-solchen Zelle vergessen wurde. Da die Kerker sich alle unter dem Dach
-befanden, konnte man oft zwei, drei Tage lang ein entsetzliches Heulen
-und Wimmern hören; doch wußten nur wenige, woher es kam, und diese
-hüteten sich wohl, es uns Neulingen zu sagen.
-
-Dafür ging im Kloster seit langem das Gerücht, auf dem Dachboden seien
-Gespenster; man erzählte von sündhaften Mönchen, die für ihre geheimen
-Missetaten also gestraft worden seien, daß sie in Ewigkeit keine Ruhe
-fänden, sondern ihre Geister im Kloster umgehen müßten zum warnenden
-Beispiel für alle, die darin lebten.
-
-So geschah es auch einmal, als ich mit einer andern Kandidatin auf den
-Speicher gegangen war, um dort unsere Garderobeschränke in Ordnung zu
-bringen, daß wir plötzlich ganz in unserer Nähe ein dumpfes Schlagen
-hörten, während vom Bretterboden dichter Staub aufwirbelte. Unter lautem
-Schreien liefen wir zitternd zur Schwester Cäcilia und berichteten ihr
-den Vorfall. Nachdenklich ging sie mit uns nochmals hinauf und wir
-suchten den ganzen Speicher ab. Da fanden wir, daß eine tobsüchtige
-Frau, von uns die Putzmarie genannt, weil sie den ganzen Tag mit einem
-Schaff Wasser und einer Putzbürste herumlief und scheuerte, seit vier
-Tagen hier eingeschlossen war und beständig auf den losen Bretterboden
-sprang, um gehört zu werden; denn sie war schon dem Verschmachten nahe.
-
-Schwester Cäcilia veranlaßte sofort ihre Befreiung, und die Alte war ihr
-so dankbar dafür, daß sie alle Tage den Musiksaal putzen wollte. Als ihr
-das aber nicht gestattet wurde, schüttete sie laut schimpfend ihr
-Schäfflein Wasser auf den Gang und begann nun hier zu fegen und zu
-wischen. Man ließ sie gewähren; denn ihre Pflegeschwester hatte
-derweilen die Hände voll Arbeit mit anderen Kranken. Es waren dies
-geistesschwache Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren, die jetzt mit
-dem beginnenden Frühjahr in den sogenannten Kreuzgarten getragen wurden,
-der in Wahrheit nur ein armseliges Wieslein zwischen vier hohen
-Klostermauern war. Hier hockten und lagen sie nun in den seltsamsten
-Stellungen, viele in einer Zwangsjacke, deren lange Ärmel auf dem Rücken
-zusammengeknüpft waren, so daß es ihnen unmöglich war, die Hände zu
-gebrauchen; denn die meisten von ihnen fraßen das Gras, Steine, Erde
-oder gar den eigenen Unrat. Zwei Schwestern eilten beständig von einem
-zum andern, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch diese armen Wesen, die
-in ihren Bedürfnissen so anspruchslos waren, machten viel weniger Mühe
-als jene, von denen behauptet wurde, sie seien besessen.
-
-Unter diesen bedauernswerten Geschöpfen war besonders eines, das mich
-lebhaft anzog, ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches, da es aus
-sehr vornehmer Familie stammte, bei uns Kandidatinnen Aufnahme fand,
-obschon es eigentlich auch in die Abteilung jener Armen gehörte, für die
-niemand zahlte. Das Kind war klein und von zierlichem Wuchs; sein
-zartes, milchweißes Gesichtlein, aus dem ein paar große braune Augen
-erschreckt in die Welt sahen, war von reichem, kastanienbraunen Haar
-umrahmt, das man ihr fest und glatt zurückgekämmt hatte. Obwohl nun die
-Schwestern das Wasser und auch Pomaden beim Kämmen nicht sparten,
-erschienen doch, allen Bemühungen zum Trotz, jeden Vormittag aufs neue
-an ihren Schläfen zuerst kleinere, wirre Löckchen, bis dann nach wenig
-Stunden sich Locke an Locke um ihre Stirn ringelte, was dem Gesicht
-etwas ungemein Liebliches gab. Sie hieß Margaret und war sehr klug, in
-manchen Dingen sogar erfinderisch; auch lernte sie leicht und erfaßte
-rasch und mit feiner Beobachtung. Legte man ihr aber den Katechismus
-oder sonst ein religiöses Buch vor, so weigerte sie sich hartnäckig,
-daraus zu lesen oder zu lernen und war durch die strengsten Strafen und
-Züchtigungen nicht dazu zu bewegen. Man ließ sie tagelang hungern, die
-ekelerregendsten Dinge verrichten; man gab ihr nachts ein hartes Lager
-und wies ihr schwere Arbeiten an; sie ließ alles mit sich geschehen,
-ohne zu klagen. Man schlug sie grausam mit einem Stock und verbot uns
-aufs strengste, mit ihr zu reden; umsonst, sie blieb auf alle religiösen
-Fragen stumm, während sie in allen übrigen Lehrfächern gute Antworten zu
-geben wußte. Sie tat mir herzlich leid, und ich übertrat manchmal im
-geheimen das Verbot und sprach mit ihr. Da fand ich, daß sie sehr munter
-plauderte und ein überaus liebenswürdiges und geselliges Mägdlein
-gewesen wäre. Aber sie begann gar bald zu kränkeln und kurz vor meinem
-Austritt starb sie an galoppierender Schwindsucht.
-
-Dieser Krankheit erlagen übrigens auch gar viele Nonnen und Jungfrauen,
-und auch zahlreiche Pfleglinge wurden davon ergriffen. Die meisten Opfer
-standen im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren; manche waren noch
-jünger. Es wurde ein eigener, großer Fleck Landes von dem Superior
-angekauft und in einen Friedhof verwandelt, in dem die Kreuzlein bald so
-dicht standen, wie die Nonnen Sonntags in den Kirchenstühlen saßen.
-
-Da schien es mir nicht verwunderlich, daß jede Nonne angesichts des
-großen Sterbens beizeiten schon des Himmels gewiß sein wollte und darum
-eifrigst auf ihr Seelenheil bedacht war, welches Bestreben durch die
-Klostergeistlichen treulich gefördert und unterstützt wurde.
-
-Unter ihnen war auch ein Kurat, welcher sowohl in seinem Äußern als auch
-in bezug auf seine große Strenge in Dingen der Sitte und Reinheit ganz
-dem heiligen Aloysius glich. Er ward daher von jedermann nur Pater Sankt
-Aloysius genannt und als Muster reiner Sitten gepriesen. Von mancher
-Nonne ward er sogar als Heiliger verehrt, bis sich eines Tages diese
-Verehrung in großen Zorn und Abscheu verwandelte, als man nämlich
-erfuhr, daß dieser tugendsame Priester eine Lehramtskandidatin, ein
-wohlgebautes, etwa zwanzigjähriges Mädchen, das schon fünf Jahre dort
-weilte, des öfteren abends mit sich ins Stüblein nahm und erst nach
-mehreren Stunden daraus entließ. Kandidatinnen, die zur nächtlichen
-Betstunde gingen, hatten sie aus seinem Zimmer schleichen sehen und dann
-bemerkt, wie eine alte Nonne wütend aus einer Nische hervorsprang, die
-Erschrockene aus dem Halbdunkel ans Licht zerrte und laut beschimpfte.
-Also hub ein großes Geschrei an, und sowohl die Sünderin, als auch der
-Priester mußten das Kloster verlassen.
-
-Der Geistliche, welcher dem Pater Sankt Aloysius im Amt folgte, war
-schon ein alter Herr und besaß die üble Gewohnheit, während der Beicht
-immer einzuschlafen, wodurch die Nonnen ihr Seelenheil gefährdet
-glaubten und nicht eher ruhten, bis wieder ein junger, strenger
-Benefiziat an seine Stelle kam.
-
-Mit wahrem Feuereifer waltete dieser seines Amtes und war unermüdlich
-darauf bedacht, alle Seelen ringsum vollkommen und makellos zu machen.
-Besonders Verfehlungen gegen die Kardinaltugend des Ordens, den heiligen
-Gehorsam, ahndete er mit unnachsichtlicher Strenge und gab denen, die
-sich in der Beicht eines derartigen Vergehens anklagten, die schwersten
-Bußen auf.
-
-Trotzdem wurde mir die Ausübung dieser Tugend nicht leicht. Es war kurz
-vor dem Weihnachtsfest, dem zweiten, das ich im Kloster verlebte, daß
-ich mich schwer gegen dieselbe versündigte.
-
-Um diese Zeit war ein großes Paket von meiner Mutter angekommen, das
-meine Weihnachtsgeschenke enthielt. Darunter war auch eine schwarze
-Kleiderschürze mit langen Ärmeln, wie ich sie mir schon seit langem
-gewünscht hatte. Doch ich hatte sie noch nicht anprobiert, als schon ein
-Befehl unserer Präfektin kam, ich solle diese Schürze sofort in das
-Nähzimmer geben, damit man mir zwei kleine daraus mache; denn so sei
-dieselbe ganz gegen die heilige Armut und ich dürfe so etwas nicht
-tragen. Da sie mir sehr wohl gefiel, konnte ich mich nun lange nicht von
-ihr trennen und legte das schöne Stück einstweilen auf den Speicher, wo
-ich sie alle Tage ans Licht zog und wehmütig mit der Hand darüberstrich,
-sie an mich hinhielt, wieder zusammenlegte und sorgfältig versteckte.
-
-Eines Tages aber ward die Versuchung, die Schürze einmal anzuziehen, in
-mir so mächtig, daß ich nicht mehr widerstehen konnte. Ich schlich mich
-also in die Garderobe, zog sie aus dem Koffer und schlüpfte rasch
-hinein, dann trat ich ans Speicherfenster und besah mich in der blinden
-Scheibe; denn Spiegel gab es nicht, und auch der meine war aus meiner
-Nähschatulle entfernt und ein Heiligenbild an seine Stelle geleimt
-worden. Da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, und herauf stürmte
-eine Kandidatin: »Magdalena! Magdalena! Geschwind komm zu Schwester
-Archangela! Es ist Probe für das Weihnachtsfestspiel!«
-
-Ratlos sah ich mich um und zögerte mit dem Gehen, vergeblich an der
-Unglücksschürze nestelnd und zerrend, um die Knöpfe am Rücken
-aufzumachen; doch schon rief mir meine Kollegin zu: »Wenn du nicht
-gleich kommst, melde ich deinen Ungehorsam!« und schickte sich zum
-Gehen, worauf ich ihr folgte, immer noch bemüht, die Knöpfe aufzureißen.
-Auf dem Gang kam mir die Präfektin schon entgegen. Vergeblich suchte ich
-mich hinter der andern Kandidatin zu verstecken; sie hatte mich schon
-erblickt und sah nun starr auf die verbotene Schürze, während ich
-fühlte, wie mir abwechselnd Röte und Blässe über die Wangen lief. Auch
-auf ihrem Gesicht erschienen ein paar hochrote Flecken, und mit den
-Worten: »Da, dies für deinen Ungehorsam, Rotzmädel!« gab sie mir ein
-paar heftige Schläge ins Gesicht. Darauf führte sie mich zum Superior
-und erzählte ihm meine Sünde.
-
-Der greise Priester kündigte mir, nachdem er also schwere Anklagen gegen
-mich vernommen hatte, meine Entlassung an, indem er sprach: »Mache dich
-bereit, in drei Tagen bist du des Gehorsams ledig!«
-
-Zwei Tage später kam ein Brief meiner Mutter, in dem sie ihren Besuch
-für Weihnachten ankündigte. Ich wollte mich trotzdem zur Heimreise
-ankleiden und stand trotzig am Speicher und verschloß eben meinen
-Koffer, als man mir meldete: »Du kannst noch bleiben, bis deine Mutter
-kommt!«
-
-Ich erwartete also mit nicht geringer Aufregung ihren Besuch, obschon
-meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, mir immer wieder Mut machen wollte:
-»Hab doch keine solche Angst, Magdalena! Ich mach schon alles wieder
-gut!«
-
-Inzwischen hatte eine andere in dem Weihnachtsspiele meine Rolle
-übernehmen dürfen; es war schon ein älteres Mädchen und hatte keine
-Stimme, weshalb die Präfektin zu mir sagte: »Das soll deine Strafe sein,
-daß du deine Partie zwar singen, aber nicht spielen wirst! Du hast dich
-hinter ein Gebüsch zu knien und zu singen, und niemand wird deinen
-Gesang bewundern, dafür werde ich sorgen!«
-
-Und sie sorgte dafür; denn als meine Mutter, die man ebenfalls zu dem
-Festspiel »Nacht und Licht« geladen hatte, nach Beendigung desselben mit
-mir zusammen war, sagte sie: »Was war denn jetz dös, Leni? I hab doch
-deutli dei Stimm g'hört, hab di aber nirgends g'sehgn. Oder hat am End
-die Kloane, die's Licht g'macht hat, die gleiche Stimm wie du?«
-
-Da erzählte ich ihr weinend die Geschichte von der Schürze und erwartete
-mit Angst großen Tadel. Doch wider Erwarten gab sie mir nicht nur recht,
-sondern ward sehr zornig und empörte sich über die Willkür, mit der man
-ihr Vorschriften machen wolle, wie sie ihr Geld auszugeben habe: »Was?
-Paßt hat's eahna net, daß i dir den Kleiderschurz g'schickt hab? I moan,
-daß i um mei guats Geld kaafa ko, was i mag, und brauch koane von dene
-Fluggen z'fragn, ob's arm g'nua is oder net!«
-
-Als dann die Besuchsstunde bei den Obern gekommen war und meine Mutter
-gebeten wurde, im Sprechzimmer zu erscheinen, ging sie mit großen
-Schritten hinein und sagte nur ganz kurz: »Guten Tag.« Da hörte sie nun
-nichts als Klagen über mein weltliches Betragen und besonders über den
-frevelhaften Ungehorsam, den man mir mit den schärfsten Strafmitteln
-vergeblich auszutreiben versucht hätte.
-
-Schweigend und finster blickend hatte sie zugehört und sagte jetzt bloß:
-»Herr Superior, lassen Sie's ihr Sach z'sammpacken, i nimm's mit hoam!«
-
-Dies wurde ihr jedoch widerraten und man versprach ihr, es noch einmal
-mit mir versuchen zu wollen, worein die Mutter nach einigem Sträuben
-unter der Bedingung willigte, daß man mir meinen Fehler nicht weiter
-nachtrage, sondern gut zu mir sei.
-
-Also reiste sie am andern Tag wieder ab, ohne mich mitzunehmen. Beim
-Abschied aber sagte sie noch: »Wenn wieder was is, na schreibst mir's;
-halt di nur brav und folg jetzt!«
-
-Ich hatte aber alle Freude am Klosterleben verloren und ging nun wie ein
-Schatten herum, hatte nicht Lust noch Leid, aß nicht mehr und fing an zu
-kränkeln. Und nach einigen Monaten schrieb ich meiner Mutter, daß ich
-keinen Beruf zur Klosterfrau in mir verspüre; falls es ihr aber
-unangenehm wäre, wenn ich wieder nach Hause käme, bliebe ich ganz gerne
-als weltliche Lehrerin in der Anstalt.
-
-Unsere Briefe wurden nun stets von der Präfektin kontrolliert, und so
-blieb ihr meine Absicht nicht lange verborgen. Eines Morgens sagte sie
-daher zu mir: »Was mußte ich sehen, Magdalena! Du willst dem Herrn das
-Opfer deines Lebens also nicht bringen? Wie kannst du es dann wagen, den
-andern armen Kindern, die bereitwilliger sind als du, das Brot
-wegzuessen! Willst du nicht als Nonne hier sein, so brauchen wir auch
-deine Kenntnisse nicht. Doch besinne dich, noch ist es Zeit; bedenke die
-Vorteile, die Jesus seinen Bräuten bietet, und kehre nicht zurück in die
-Welt!«
-
-Trotz dieser Ermahnungen machte ich mich am Aschermittwoch, nachdem mir
-meine Mutter geantwortet hatte, ich solle ruhig nach Hause kommen, der
-Vater sei krank und man könne mich notwendig brauchen, zur Reise fertig
-und nahm Abschied von den Obern. Sie ließen mich zwar ungern ziehen,
-doch konnten sie mich nicht mehr halten. Die Präfektin aber rief:
-»Magdalena, Magdalena, du bist verloren, du gehst zugrunde! Schon sehe
-ich den Abgrund der Weltlichkeit, in den du fallen wirst. Doch geh in
-Frieden, mein Kind, falls die Welt noch einen für dich hat!«
-
-Gaffend umstanden mich die Kandidatinnen, als Schwester Archangela dies
-gesagt, und als ich nun auch ihnen Lebewohl sagen wollte, da kehrten sie
-sich verächtlich von mir ab und eilten in den großen Lehrsaal, um für
-mich arme Verlorene zu beten.
-
-Traurig ging ich nun zur Schwester Cäcilia. Sie brach in Tränen aus und
-nahm mich in ihre Arme: »Nun bin ich wieder allein! O, warum gehen alle
-wieder weg, kaum daß sie begonnen!«
-
-Auch ich begann zu weinen, und sie tat mir von Herzen leid; denn während
-meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster waren vierzehn
-Musikkandidatinnen eingetreten und nach kurzer Zeit wieder
-davongelaufen. Nachdem sie mir noch alles Glück für kommende Zeiten
-gewünscht hatte, entließ sie mich, und ich trat erleichtert in das
-kleine Zimmerchen, das mich bei meinem Eintritt empfangen hatte. Während
-ich dort auf mein Gepäck wartete, dachte ich noch über die Vorwürfe
-nach, die man mir wegen meines Wegganges gemacht. Doch sie trafen mich
-nicht schwer, da mir angesichts der ernsten Krankheit meines Vaters das
-Verlassen des Klosters nicht als eine Schuld, sondern als eine
-Kindespflicht erschien.
-
-Eine Schwester, die mir mein Gepäck übergab und mir meldete, daß der
-Stellwagen schon draußen sei, riß mich aus meinen Gedanken, und ich
-stieg rasch ein. Oben hinter den Fenstern standen die Kandidatinnen und
-blickten mir verstohlen nach. Ich sah noch einmal zurück, dann zogen die
-Pferde an -- und dahin ging's.
-
-Als ich nun so allein in dem Wagen saß, war es mir, als schwände in dem
-Maße, in dem ich mich vom Kloster entfernte, auch alles Trübe, und
-plötzlich kam eine so sonnige Heiterkeit über mich, daß mich die Welt
-mit einem Male viel schöner dünkte, obschon draußen noch alles trotz des
-beginnenden Märzes an den Winter gemahnte, und nur vereinzelte, unter
-schmutzigem Schneewasser stehende Wiesen und die großen Pfützen auf den
-Wegen den kommenden Frühling ahnen ließen.
-
-Rasch trat ich in Kamhausen an den Schalter und löste meine Fahrkarte,
-da der Zug schon bereitstand.
-
-Während der Bahnfahrt hatte ich fast keine Zeit mehr, über das
-Vergangene nachzugrübeln; denn die zahlreichen Passagiere aus den
-verschiedensten Gegenden erregten meine ganze Aufmerksamkeit. War mir
-doch im Kloster die ganze Welt samt ihren Wesen so fremd geworden, daß
-ich mich nur ganz langsam, wie im Dunkeln tappend, wieder unter den
-Menschen zurechtfand. Mit Ausnahme der Priester und Nonnen hatten sie
-jetzt alle etwas Beängstigendes für mich; denn erstlich wurden im
-Kloster alle außer den Geistlichen als Verlorene betrachtet, anderseits
-aber in den eindringlichsten Worten vor ihnen als vor lauter Wölfen in
-Schafskleidern gewarnt.
-
-Ich besah mir also jeden einzelnen ganz genau, ob nicht irgend etwas
-Auffälliges in seinem Wesen oder Äußern auf die verborgene Wolfsnatur
-hinweise, und dabei drückte ich mich scheu in meine Ecke und hielt die
-Augen halb gesenkt, wie ich es bei den frommen Frauen gelernt hatte;
-doch ging mir trotzdem nichts von all dem verloren, was um mich her
-geschah.
-
-Mir gerade gegenüber saßen zwei elegant gekleidete Herren, aus deren
-lebhafter Unterhaltung ich entnahm, daß sie Geschäftsreisende waren und
-der eine in Augsburg, der andere in München zu tun hatte. Der erstere,
-ein etwa Mitte der Dreißig stehender Mann von ausgesprochen jüdischem
-Äußern, erzählte eben dem etwas jüngeren Reisegefährten, der mir von
-gleichem Stamme zu sein schien, wie er die letzte Nacht in Ulm verbracht
-hätte: daß er nicht nur die Tochter und das Stubenmädchen seines
-Gasthofs, sondern auch noch die Frau Wirtin selbst erobert hätte.
-Lachend fragte der andere halblaut, ob das Töchterl auch so bescheiden
-und sittsam hergesehen habe, wie die junge Klostermamsell da drüben; und
-zugleich fingen beide an, sich über meine Schüchternheit, sowie über
-meinen halb klösterlichen, halb weltlichen Anzug lustig zu machen. Ich
-wußte vor Verlegenheit kaum mehr aus noch ein und starrte mit hochrotem
-Gesicht bald aus dem Fenster, bald vor mich hin.
-
-Da erblickte ich weiter vorn einen alten Bauern, der auf einem
-schmierigen Blatt seine Einnahmen vom Viehverkauf nachrechnete, wobei er
-sich abwechselnd hinter den Ohren kraute oder heftig fluchte.
-
-Am andern Ende des Wagens unterhielten sich lärmend etliche Soldaten,
-die wohl auf Urlaub gehen mochten. In ihrer Nähe saß ein junges Mädchen
-in ländlicher Kleidung und suchte sich vergeblich der Zudringlichkeiten
-eines der Burschen zu erwehren. Dieser hatte die sich Sträubende fest um
-die Hüfte gefaßt, und als sie sich endlich heftig von ihm losriß, fiel
-sie einem andern auf die Knie, was ein brüllendes Gelächter zur Folge
-hatte.
-
-Ich war während dieser Szene immer erregter geworden und wollte schon
-dem also gehetzten Mädchen zu Hilfe eilen, als der Zug mit lautem Getöse
-in Augsburg einfuhr, wo ich umsteigen mußte.
-
-Während der Stunden, die ich dort Aufenthalt hatte, ging ich in den Dom
-und erbat mir von Gott Schutz auf meiner weiteren Fahrt; insonderheit
-aber betete ich für die Bekehrung jener Soldaten.
-
-Auf dem Weg zum Bahnhof kaufte ich mir noch Wurst und Brot. Beim Essen
-aber fiel mir plötzlich ein, daß ja am Aschermittwoch strenger Fasttag
-sei und man im Kloster heute gewiß dem üblichen Fasten auch noch große
-freiwillige Abstinenz hinzufüge. Doch siegte am Ende mein Hunger über
-die Gewissensbisse und ich aß mit großem Behagen.
-
-Als ich dann unschlüssig vor dem Zuge stand und ein Schaffner meine
-ängstliche Miene sah, wies er mir freundlich ein Frauenabteil an, und
-ich kam ohne weiteren Zwischenfall nach München.
-
-In dem lebhaften Gewühl des Hauptbahnhofs befiel mich mit einem Male
-wieder große Angst vor den Menschen, und ich fühlte deutlich, wie ich
-immer armseliger und kleiner wurde, während ich ganz nahe an den Wagen
-und der Lokomotive vorbei dem Ausgang zuschlich.
-
-Da fühlte ich mich plötzlich am Arm ergriffen, und als ich erschreckt
-umblickte, stand lachend mein ältester Bruder vor mir und begrüßte mich:
-»Ja, Leni, grüß di Gott! Bist du aber groß und stark wordn; i hätt di
-bald net g'funden, so hast di verändert.«
-
-Ich dankte ihm frohen Herzens, daß er mich erwartet hatte, und seine
-Worte, ich sei so groß geworden, entrissen mich wieder etwas dem Gefühl
-meiner Unbedeutendheit und Nichtigkeit und ich wurde ziemlich gesprächig
-auf dem Heimweg.
-
-Je näher wir unserem Hause kamen, desto mehr Bekannte trafen wir, und
-immer wieder wurden wir von irgend einem neugierigen Weiblein aus der
-Nachbarschaft aufgehalten; denn meine Eltern waren in dem Stadtteil sehr
-beliebt und hatten weitaus die beste Gastwirtschaft des Viertels.
-
-Vor dem Hause angelangt, traten wir gleich durch die Tür der Gaststube
-ein. Kaum hatten mich unsere Stammgäste erblickt, sprangen sie auf und
-riefen durcheinander: »Jessas, unser Lenerl is wieder da! Juhe!«
-»Servus, Fräuln Leni!« »Grüß di Gott, Klosterfrau!« »Marie, 'n Humpen
-her! Unser Lenerl soll leben!«
-
-Während nun die Gäste meine Rückkehr durch einen kräftigen Rundtrunk
-feierten, trat ich in die Schenke zu meinem Vater, ihn zu begrüßen. Er
-sah recht leidend aus und meinte: »Höchste Zeit hast g'habt, Leni, daß
-d'kommen bist, sonst hätt'st mir bald mit der Leich geh könna.« Hierauf
-gab er mir einen Kuß und besah mich prüfend, ob ich auch mehr geworden
-sei.
-
-Inzwischen hatten mich meine andern Brüder und die Dienstboten umringt
-und konnten nicht fertig werden, mein gutes und feines Aussehen zu
-bewundern. Ich drängte mich lachend hindurch und trat in die Küche, wo
-die Mutter geräuschvoll hantierte und das Mittagessen für die Gäste
-fertig machte. Ich ging rasch auf sie zu, wollte ihr die Hand geben und
-sagte: »Grüß dich Gott, Mutter!«
-
-Ohne den Kochlöffel aus der Hand zu lassen, mit dem sie eben ein
-Teiglein für das Blaukraut rührte, antwortete sie: »Ah, bist scho da,
-grüß Gott! Laß nur, is scho recht; i hab fette Händ! Tu nur glei dein'n
-Hut und dös Klosterkragerl weg und ziag an Schurz oo, na kannst glei
-d'Supp'n und 'n Salat für d'Leut hergebn!«
-
-
-
-
-
-
-Also begann ich wieder die Wirtsleni zu sein; und obschon mir anfangs
-gar nicht wohl war in dem weltlichen Getriebe eines Gasthauses, so fand
-ich mich doch bald wieder darin zurecht und stimmte im stillen oft der
-Mutter bei, wenn sie den Leuten auf die vielen Fragen, warum ich nicht
-im Kloster geblieben sei, antwortete: »Weil's a Schand wär, wenn dös
-Mordsmadl im Kloster rumfaulenzen tät und d' Muatta dahoam fremde Leut
-zahln müßt für d'Arbeit!«
-
-Und an Arbeit fehlte es in unserm Hause niemals. Schon früh am Morgen
-hieß es aus den Federn; um halb sieben Uhr stand ich in der Wirtsküche
-und schürte den großen Herd, kochte Kaffee und bereitete die Speisen zum
-Frühstück der Gäste. Dann holte ich aus dem Schlachthaus, wo der Vater
-schon seit fünf Uhr mit dem Zerteilen von Kalb und Schwein, sowie mit
-dem Wurstmachen beschäftigt war, eine große Mulde mit Weiß- und
-Bratwürsten und ordnete sie auf große Platten.
-
-Zugleich mit mir mußte auch die Küchenmagd an ihre Arbeit: das
-Gastlokal, die Küche und Schenke, und was dazu gehörte, aufwaschen und
-kehren; doch freute es mich jetzt nicht mehr, dabeizustehen und zu
-horchen wie früher; denn die Zenzi vom Rottal war schon längst nicht
-mehr da, und die gefühlvollen Lieder, welche die jetzige Küchenmagd bei
-ihrer Arbeit sang, kannte ich schon alle.
-
-Während ich nun gewöhnlich noch mit dem Anrichten der Würste beschäftigt
-war, fuhr draußen der Wastl, der Bierführer, vor und rollte zehn bis
-zwölf Banzen in die Schenke, von wo sie durch den Aufzug in den
-Eiskeller befördert wurden.
-
-Da der Wastl als Geizhals bekannt war, machte ich mir alle Tage das
-Vergnügen, ihm den Teller mit den Weiß- oder Bratwürsten unter die Nase
-zu halten, indem ich rief: »Wastl, heut san d'Weißwürst guat! Derf i dir
-a paar auf d'Seitn legn?« worauf er mich immer grimmig anschrie: »Laß mi
-aus damit!« dabei aber dem entschwindenden Teller doch einen
-sehnsüchtigen Blick nachsandte.
-
-War der Wastl fort, so kam das Flaschenbier, und da gab es immer eine
-große Hetz, wenn der Dannervater, ein nicht mehr gar junger Bierführer,
-der eine Frau mit neun Kindern fröhlich ernährte, die Hausmagd in die
-Hüften kniff oder durch die Gaststube jagte und sie zu küssen versuchte.
-Dann ertönte plötzlich aus dem Schlachthaus, das unterhalb der Schenke
-gelegen war, ein lauter, strenger Pfiff des Vaters, und lautlos machte
-sich der alte Sponsierer davon.
-
-Währenddessen hatte ich in der Küche einen schweren Stand mit drei
-Bäckerburschen, die alle leidenschaftlich in mich verliebt waren. Der
-eine brachte uns täglich vier Markwecken und mir ein Blumensträußlein;
-der zweite hatte Bretzen und Salzstangeln in seinem Korb und unter
-seiner aufgerollten Bäckerschürze einen extra für mich gebackenen Zopf
-oder eine riesige Zuckerbretzl. Der dritte aber, der uns die Semmeln und
-das übrige Weißbrot brachte, schrieb mir jeden Abend eine Ansichtskarte
-und wartete am Morgen bei mir in der Küche stets so lange, bis der
-Postbote mit der Karte kam. Mit beredten Worten schilderte er mir
-währenddessen die Schönheit derselben: »Freiln Leni, heut werdn S'
-schaugn! Heut kriagn S' a Prachtstück von a ra Künstlerkartn! Sehgn S',
-für Eahna tu i alles; da reut mi koa Geld! Dö heutige Kartn kost fufzehn
-Pfenning; aba wenn s' a Zwanzgerl kost hätt, hätt i s' aa kaaft!«
-
-»Je, eahm schaugt's o!« rief da der Bursche, welcher die Markwecken
-brachte. »Dös kannt aa no was sei! Meine Veigerl ham a Zwanzgerl kost
-und dö Rosen, wo i da Freiln Leni gestern verehrt hab, fünfazwanzg
-Pfenning!«
-
-»So und i nacha, bin i da Garneamand?« schrie jetzt der Bretzlbeck.
-»Denk i net vielleicht sogar bei der Nacht ans Freiln Lenerl, indem i
-ihr die feinsten Bretzn bach?«
-
-»Zu dene wo'st an Toag z'erscht stehln muaßt!« riefen da die andern, und
-im Nu entspann sich ein heißer Kampf um den Vorrang bei mir, der sich
-bis auf die Straße fortsetzte. Ich aber sah ihnen lachend zu und
-verzehrte gemächlich die Bretzl zu meinem Kaffee, steckte das Veigerl an
-die Brust und legte die Künstlerkarte in eine alte Zigarrenkiste zu den
-andern. Doch versäumte ich nicht, meine Erfolge dem Milchmädchen, das
-uns täglich den Kaffeerahm und die Knödlmilch brachte, zu weisen: »Da
-schaug her, Rosl, die Präsenter, die i heut scho wieder kriagt hab von
-dö Becka!« worauf sie ingrimmig und bissig erwiderte: »Dös is koa
-Kunststückl, wenn ma si so herrichtn ko wie du! I muß mit meine
-Millikübel rumlaafa und du stehst im Spitznschürzerl vor dein Herd!«
-
-Und tiefgekränkt ging sie; denn nicht mit Unrecht hatte sie über mich zu
-klagen: während der Zeit, die ich im Kloster zugebracht, hatte sie fest
-über die drei Bäckerherzen regiert, und nun, da ich wieder daheim war,
-wollte keiner mehr von ihr was wissen, obgleich sie ein sehr hübsches,
-dunkelhaariges Mädchen von einnehmender Figur und recht munter war.
-
-Mittlerweile war es fast acht Uhr geworden, und ich richtete nun die
-Schenke, zählte die Bierzeichen für die Kellnerin und zapfte an.
-Währenddessen kam die Mutter aus der Wohnung und der Vater aus dem
-Schlachthaus und bald füllte sich das Lokal mit Gästen. Es waren fast
-lauter Arbeiter: Maurer, Steinmetzen, Schlosser, Schreiner, Drechsler
-und zuweilen auch Pflasterer oder Kanalarbeiter. In der Küche aber
-standen die, welche für die in der Nähe liegenden Fabriken die Brotzeit
-holten; denn zu unserer Kundschaft gehörte auch eine Bleistift-, eine
-Möbel-, eine Sarg-, eine Bettfedern- und eine Schuhfabrik. Nun hieß es
-flink die Lungen- und Voressenhaferln füllen, Kreuzerwürstl abzählen,
-Weißwürste brühen und Hausbrot schneiden; zuweilen auch die
-Schenkkellnerin machen, indes der Vater im Schlachthaus noch Milzwürste
-oder, wie man sie bei uns nannte, umgekehrte Bauernschwänze, sowie
-Leber- und Blutwürste, Leberkäs und Schwartenmagen machte. Hie und da
-kam es auch vor, daß wir ohne Kellnerin waren; wenn nämlich die Mutter
-gar zu heftig und eindringlich auf Pflichterfüllung gedrungen hatte,
-worauf dann das Mädchen davonlief. Da mußte ich denn wieder wie früher
-die Gäste bedienen und auch die übrigen Arbeiten der Kellnerin
-verrichten.
-
-Gewöhnlich aber blieb ich am Vormittag in der Küche, während die Mutter
-sich im Lokal mit den Gästen unterhielt, ihre drei bis vier Weißwürste
-aß und etliche Krügl Bier trank; denn der Vater war häufig vormittags am
-Schlacht- und Viehhof oder in der Stadt. Von Zeit zu Zeit kam dann die
-Mutter zu mir in die Küche und kostete die Speisen, befahl dies oder
-tadelte jenes und gab mir auch manche Ohrfeige, wenn ich etwas versäumt
-oder nicht recht gemacht hatte. So kam sie auch einmal dazu, als ich
-eben den Teig zu den Leberknödeln, deren wir jeden Mittwoch an die
-zweihundert bereiteten, fertig hatte und nun daraus die Knödel formte
-und auf ein langes Brett reihte.
-
-»Halt, laß mi z'erscht schaugn, ob er recht is, der Toag!« rief die
-Mutter und tippte mit dem Finger in die Teigmulde. »Was hast denn jatz
-da für a Zeug z'sammgmacht! Sigst net, daß der Toag no net fest gnua is,
-du Hackstock, du damischer!«
-
-Und kaum hatte sie dies gesagt, flogen mir auch schon ein paar von den
-Leberknödeln an den Kopf, daß mir der Teig im Gesicht und an den Haaren
-klebte.
-
-»So, vielleicht lernst es jatz eher, du G'stell, du saudumms!«
-
-Darauf ging sie wieder, laut schimpfend, in die Stube und erzählte den
-Gästen von meiner Unbrauchbarkeit: »Hintreschlagn kannt'st es, dös
-himmellange Frauenzimmer! Zu nix kannst es brauchn wie zum Fressn!«
-
-Solche Auftritte verleideten mir freilich bald die Freude am Küchenwesen
-und ich war froh, wenn der Vater einmal daheim blieb. Da kochte dann die
-Mutter selbst und ich mußte in die Schenke und zu den Gästen, sie zu
-unterhalten.
-
-So ungern ich mich anfänglich wieder unter den Leuten bewegt hatte, denn
-im Kloster war ich ganz leutscheu geworden, so gewöhnte ich mich doch
-bald wieder an sie, und es währte nicht lange, da war ich das lustigste
-Mädel, machte jeden anständigen Scherz mit und unterhielt ganze Tische
-voll Gäste.
-
-Die besseren unter ihnen hatten sich, ebenso wie die Stammgäste, zu
-Tischgesellschaften vereinigt; die eine hieß Eichenlaub, die andere die
-Arbeitsscheuen. Zur Gesellschaft Eichenlaub hatten sich die Postler und
-Eisenbahner zusammengetan und erkoren mich zur Vereinsjungfrau; die
-Arbeitsscheuen aber, deren Mitglieder lauter gute Bürger und
-Geschäftsleute waren, wollten nicht hinter ihnen zurückbleiben, und so
-ernannten sie mich zu ihrer Ehrendame, und ich empfing das Ehrenzeichen
-des Vereins. Es war dies ein wappenartig geschnitztes Holztäfelchen,
-darauf ein Bursch gemalt war mit dem Verslein darunter: »Auweh, mei
-Fuaß, wenn i arbatn muaß!« Bei der Überreichung desselben hielt der
-Vorstand, ein Flecklschuhfabrikant, eine Rede, worin er viel von der
-Ehre sprach und von einer schönen Vertreterin des zarten Geschlechts und
-daß man sich glücklich schätze.
-
-Während dieser Rede hatten die Arbeitsscheuen einen Kreis um mich
-gebildet, und nun wurde ich von etlichen samt meinem Stuhl, auf dem ich
-saß, emporgehoben und unter lautem Hoch und Juhu und dem Klang der
-Zither und Gitarre durchs Zimmer getragen. Danach begann ein großes
-Saufen, und die fidelen Zecher vergaßen darüber ihre Hausfrauen samt dem
-Mittagessen, bis einer nach dem andern von der gestrengen Ehehälfte
-geholt wurde. Da war mit einemmal die ganze Lustbarkeit und aller Scherz
-vorbei und geknickt und ängstlich schlich ein jeder heim, gefolgt von
-der erzürnten Gattin, die hinterdrein keifte: »Lump miserabliger, ko'st
-net hoamgeh, wenn's Zeit is! Dö ganzn Griasnockerl san z'sammgsessn!
-Guate Lust hab i, i schmeiß dir s' alle an Kopf, du bsuffas Wagscheitl!«
-
-Doch am nächsten Tag war wieder alles vergessen und gemütlich saß die
-Gesellschaft am Stammtisch und unterhielt sich aufs beste, bis von der
-nahen Kirche das Mittagläuten ertönte. Da gedachte ein jeder seines
-Eheweibs und ging heim.
-
-Auch ich mußte wieder in die Küche und Teller und Schüsseln für die
-Gäste zurichten. Dann kam die Kellnerin und fragte: »Was gibt's heut
-z'essn für d'Leut?« worauf die Mutter mit ihrer metallenen Stimme
-erwiderte: »An Nierenbra'n, Brustbra'n, Schlegl in da Rahmsoß, an
-Schweinsbra'n und a unterwachsens Ochsenfleisch mit Koirabi (Kohlrabi),
-an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft d'Andivisuppn!«
-Als die Kellnerin sich schon zum Gehen anschickte, rief die Mutter noch
-rasch: »A Biflamott (boeuf a la mode) mit Knödl ham mar aa!«
-
-Um dreiviertel zwölf Uhr kamen die Gäste, und nun begann ein Bestellen
-vom Zimmer aus, ein Schreien, Geschirrklappern und ein Geklopfe mit dem
-Fleischschlegel, daß einem die Ohren surrten.
-
-»Frau Zirngibi, zwoa Schweinsbratn san no aus!« schallte es aus der
-Gaststube und im Nu echoten drei Stimmen in der Küche: »Zwoa
-Schweinsbra'n kriagt s' no!«
-
-»Dö werds dawartn könna! Darenna wer' i mi net z'braucha!«
-
-»Kathi, Koirabi san gar!« rief das Küchenmädchen jetzt in die Stube.
-
-»Kriag i dö zu dem Fleisch aa nimma?«
-
-»Sakrament, wenns amal hoaßt, gar sans, na sans gar!« schrie da die
-Mutter und fuhr in einem Atem, jedoch in ganz anderem Ton fort: »Geh,
-Kathi, schaugn S', daß S' a Biflamott weiterbringan; dös verkocht ma
-sonst zu lauter Soß!«
-
-War dann das größte Geschäft vorbei, dann wischte sich die Mutter mit
-der Leinenschürze den Schweiß von der Stirn und sagte: »Dös war dir a
-Rumpel gwen! Leni, hol ma nur glei a Halbe Bier!« Und schnell trank sie
-wieder ein paar Krügl.
-
-Nun mußte ich dem Vater in der Schenke helfen. Der hatte inzwischen
-einen Hektoliter Bier ausgeschenkt und, damit er schneller fertig würde,
-mit der Kreide Strichlein an die Rückwand des großen Schenkbüfetts
-gemacht, statt Zeichen zu nehmen. Nun mußte ich diese Strichlein
-zusammenzählen und dann die Bierzeichen ordnen. Danach rechnete ich mit
-der Kellnerin ab, half ihr das Geschirr von den Tischen räumen und
-brachte dann dem Vater und den Stiefbrüdern, die jetzt in die
-Lateinschule gingen, das Essen, nachdem ich den sogenannten Ofentisch
-gedeckt hatte. Nun kam auch die Mutter in die Stube, und es machte mir
-täglich aufs neue Eindruck, wenn die große, massige Frau unter die Gäste
-trat, die schmutzige Leinenschürze zurückschlagend und mit leichtem,
-fast automatenhaftem Kopfnicken grüßend: »'s Got! 'n Tag! Hab die Ehre,
-meine Herrn!«
-
-Dann setzte sie sich zum Vater und unterhielt sich mit ihm, wenn sie gut
-gelaunt war. Einmal aber kam sie nicht in die Stube. Da hatte der Vater
-auf dem Markt ein Schwein gekauft, dessen Fleisch fischig schmeckte, und
-verschiedene Gäste hatten das Essen zurückgeschickt. An diesem Tage rief
-die Mutter nur dem Vater in die Schenke: »Josef, da geh rrauß!«
-
-Als der Vater in der Küche war, begann sie laut zu schreien und zu
-schimpfen: »Bist du aa r a Wirt! A Schand is, so a Fleisch herz'gebn!
-Friß's nur selber die ganze Sau, du Depp!«
-
-Da hörte ich zum erstenmal, seit ich den Vater kannte, ihn zornig mit
-der Mutter streiten, und dumpf grollend erscholl seine Rede: »Red ma net
-so saudumm daher, du narrischs Weibsbild! Dös ko passiern, daß ma r a
-fischige Sau derwischt. Du brauchst es ja net z'essn, also haltst dei
-Maul, sonst ...«
-
-Das letzte brummte er für sich und trat darauf wieder in das Gastzimmer
-und tat, als sei nichts geschehen. Am Nachmittag aber ging er fort und
-kam erst abends mit einem großen Weinrausch nach Haus; doch die Mutter
-sagte kein Wort mehr zu ihm.
-
-Sonst gingen die Eltern nachmittags entweder beide ins Kaffeehaus oder
-legten sich schlafen. Da mußte ich dann ganz allein das Geschäft und die
-Schenke versorgen, was mir stets eine große Freude bereitete, da ich
-sehr ehrgeizig war. Ich setzte mich in die Ofenecke und hielt nun erst
-meine Mittagsmahlzeit; denn zuvor hatte ich nicht Lust noch Zeit gehabt
-zum Essen und schenkte es, wenn die Mutter wirklich schon etwas für mich
-hergerichtet hatte, immer einem armen Burschen, der sich nichts kaufen
-konnte, dem Schusterhans.
-
-Da saß ich denn bei meinem Bierkrüglein und aß dazu meine fünf bis sechs
-Kaisersemmeln und eine kalte Wurst und las die Zeitungen; denn zwischen
-zwei und drei Uhr war das Geschäft ganz ruhig und auch das Zimmer von
-Gästen leer. Höchstens kamen etliche, die Waren brachten und dabei rasch
-eine Halbe tranken. Um drei Uhr zur Brotzeit aber war es wieder so
-lebhaft wie am Morgen, doch ich wurde leicht fertig und konnte mich bald
-wieder zu den Gästen setzen. Nun wurde Karten gespielt oder gesungen und
-es war recht fidel. Um vier Uhr aber war wieder alles still im Lokal;
-nur einige fremde Gäste kehrten im Vorbeigehen ein.
-
-Doch gab es für mich noch mancherlei zu tun bis um fünf Uhr, wo der
-Vater wiederkam. Ich schnitt Knödlbrot oder Voressen und Lunge, rieb
-Semmelbrösel oder putzte Spielkarten mit Benzin. Auch kam um diese Zeit
-gewöhnlich der Häute- und Fellhändler, ein alter, schmieriger Jude, der
-einen fürchterlichen Geruch um sich verbreitete. Mit dem mußte ich in
-das Schlachthaus hinuntergehen, wo in einer Kiste die Kalbfelle lagen.
-Diese wog er, und ich mußte genau acht haben, daß er nicht schwindelte;
-auch beim Ausrechnen des Preises, den er dafür bezahlte, hatte ich recht
-aufzupassen. Einmal gelang es ihm aber doch, mich zu prellen. Er zahlte
-mit einem Hundertmarkschein und ich gab ihm heraus, und als er das Geld
-nachgezählt hatte, behauptete er, zehn Mark zu wenig bekommen zu haben;
-und obwohl ich gewiß wußte, was ich ihm gegeben hatte, bestand er doch
-auf seinem Recht. Als die Mutter dies hörte, glaubte sie mir nicht, daß
-ich von dem Juden geprellt worden sei, sondern sagte: »Dös hast
-höchstens auf d'Seitn g'räumt und denkst, der Vater büßt's scho; aber da
-brennst di! Dös kannst scho selber draufzahln von deine Trinkgelder!«
-Und ich mußte wirklich die zehn Mark nachmals, als ich im Dienst bei
-fremden Leuten war, von meinem Lohn ersetzen.
-
-Brachte jemand Wein oder Most, so mußte ich auch mitgehen in den
-Weinkeller; denn die Eltern vertrauten den Dienstboten den Schlüssel
-dazu nicht an, weil ein sehr großer Wert in den Weinvorräten steckte. So
-brachte uns auch einmal ein Bursch aus einer Kelterei etwa fünfzig
-Flaschen Apfelwein. Als ich mit ihm in dem vermauerten, dunklen Keller
-war und beim Schein einer Kerze den Apfelwein in eine Stellage zählte,
-löschte der Unhold mir plötzlich das Licht, packte mich rücklings, riß
-mir den Rock in die Höhe und wollte mich vergewaltigen. Trotz meines
-Schrecks kehrte ich mich rasch um und fuhr ihm mit allen Fingernägeln
-über das Gesicht, ergriff die nächstbeste volle Flasche und schlug sie
-ihm so um den Kopf, daß sie in Scherben ging. Alles das tat ich in einem
-Augenblick und ohne einen Laut von mir zu geben. Scheinbar ruhig trat
-ich nun aus dem Keller und rief ihm zu: »So, jetz machst, daß
-d'verschwindst, du Hund! Sonst sperr i di da rei, bis i d'Schandarm
-g'holt hab; na konnst schaugn, wie's dir geht, du Haderlump, du
-elendiger! Und jetz druckst di und laßt di ja nimma blicka! Dei Herr
-werd sei Geld scho kriagn!«
-
-Ich hatte zwar schon Angst, er könnte mich in der Wut noch einmal
-anpacken; doch ging er ohne einen Laut, nahm auf der Straße seinen
-Karren und fuhr mit dem übel zugerichteten Gesicht davon. Gesehen habe
-ich ihn nie mehr.
-
-Überhaupt hatte ich manchmal meine Fäuste nötig; teils, mich der eigenen
-Haut zu wehren, teils, Streitende auseinanderzutreiben.
-
-Im Frühjahr hatte ein Grundbesitzer in der allernächsten Nachbarschaft
-angefangen zu bauen, und es sollten zwei große Häuser links von unserer
-Ecke und eins rechts davon erstehen. Da die Maurer und die übrigen
-Arbeiter meist ohne Geld sind, wenn sie zu arbeiten beginnen, so muß der
-Palier für einen Vorschuß sorgen, der dann am Samstag vom Lohn abgezogen
-wird. Der Palier wendet sich nun an einen Wirt, der erstlich Geld und
-dann auch gutes Bier und vorzügliche Küche hat. Da war nun meines Vaters
-Wirtschaft als Einkehr für sämtliche am Bau Beschäftigte vorgeschlagen
-und angenommen worden. Die Leute holten sich am Montag ihren »Schuß« und
-aßen und tranken die Woche über ohne Bezahlung. Da gab es denn am
-Samstag immer große Abrechnung mit ihnen, und hie und da kam es dann
-wohl auch vor, daß der eine oder andere glaubte, er sei betrogen worden
-bei der Abrechnung, oder daß einer selbst betrügen wollte. Freilich ging
-es dabei nicht immer ruhig her. Ganz plötzlich brach dann an einem Tisch
-ein Streit aus und im Nu bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine
-für den Wirt, die andere aber für den Schuldner stritt.
-
-Doch nicht lange währte die Reiberei; der Vater rief mir aus der
-Schenke: »Leni, biet eahna ab, i hab koa Zeit!« und augenblicklich stand
-ich unter den Streitenden und versuchte erst in Güte, die erhitzten
-Köpfe zu beruhigen. Wenn mir aber dies nicht gelang, konnte ich recht
-wild werden. Da faßte ich den einen am Genick und drückte ihn auf seinen
-Stuhl nieder; den andern riß ich zurück vom Tisch, wo er eben ein
-Salzgefäß ergreifen wollte, um es ins feindliche Lager zu schleudern.
-Dann schlug ich mit der Faust wohl auch auf den Tisch und rief: »Ob jatz
-glei Fried werd unter euch, ös Hallodri! Sofort hol i d'Schandarmerie,
-wenn koa Ruah is!« Dann ergriff ich den Rädelsführer, hieß ihn
-austrinken und schob ihn aus dem Lokal.
-
-Freilich, immer wurde es mir nicht leicht, der Aufrührer Herr zu werden.
-Da mußte mir dann mein Hund, eine riesige, blaugestromte Dogge, die auf
-den Mann dressiert war, helfen. Dieser Hund war von einem Apotheker aus
-England mitgebracht worden, mußte aber, da sein Herr verarmt war,
-verkauft werden. Durch ein Inserat wurde der Vater aufmerksam, und da
-sie ihm wohl gefiel, kaufte er die Dogge für hundert Mark. Ich war
-hocherfreut, als der Vater mit dem Hund kam. Er hieß Schleicher und war
-außerordentlich klug. Sein Herr war mitgekommen und fütterte ihn noch
-mit Schinkenbroten; danach sagte er: »Schleicher, du mußt jetzt schön
-dableiben, bis ich wieder komm!« Dabei rannen ihm die Tränen in den
-Bart, und ich empfand solches Mitleid mit dem Manne, daß ich hinging und
-ihm versprach, den Hund recht gut zu halten.
-
-Bald war auch das Tier so gut Freund mit mir, daß ein Wink von mir
-genügte, ihn an meine Seite zu locken. Er begleitete mich auf allen
-Gängen und lief mit mir auch in den Keller und Speicher; und oft, wenn
-ich mit ihm redete, legte er seinen schlanken Kopf auf meinen Schoß und
-sah mich mit seinen klugen, braunen Augen ganz verständig an. Sagte ich
-ihm: »Schleicher, du mußt schön aufs Frauerl Obacht gebn!« so wich er
-keinen Schritt von meiner Seite und hätte den, der mich anrühren wollte,
-sicher in Stücke gerissen.
-
-So war einmal ein als Wüstling übel angeschriebener, alter Schleifer zu
-uns gekommen, als ich eben allein in der Schenke stand. Er trat zu mir
-und fragte, ob ich nichts zu schleifen habe, und trotzdem ich ihm kurz
-und mürrisch erwiderte: »Nix is da!« ging er nicht, sondern wollte mich
-an der Brust fassen, indem er mit heiserem Lachen flüsterte: »Nix hat zu
-sleife? Nix kloane Gaffeemiehle zu sleife, he?«
-
-In diesem Augenblick sprang der Hund auch schon an ihm empor, riß ihn zu
-Boden und stellte sich mit gefletschten Zähnen und dumpf knurrend über
-ihn; und als der Italiener sich wehren wollte, packte das wütende Tier
-seinen Arm. Erschreckt schrie ich: »Weg, Schleicher!« und riß ihn am
-Halsband zurück, worauf er zwar von dem an allen Gliedern Zitternden
-abließ, aber immer noch heftig knurrte, so lange, bis der Alte gegangen
-war.
-
-So war auch einmal eine Christbaumfeier der »Arbeitsscheuen« in unserm
-Lokal. Die Gäste saßen vergnügt beieinander, lauschten aufmerksam den
-Vorträgen, kauften Lose und waren alle eins, bis der Gipfel des Baumes
-zur Versteigerung kam. An diesem Gipfel hing ein Hering, eine
-Kindertrompete, ein Bündelchen Zigarren, eine Glaskugel, ein
-Lebkuchenherz, ein Wachsengel und ein einzelner roter Plüschpantoffel.
-Den andern hatte schon ein Bäckermeister gewonnen, da er an dem Zweige
-hing, dessen Nummer sein Los trug.
-
-Alles steigerte mit leidenschaftlichem Eifer, und es währte nicht lange,
-da waren schon dreißig Mark für den Gipfel geboten. Nun ging's etwas
-langsamer; doch steigerte noch alles lebhaft mit, bis ein Metzgermeister
-rasch vierzig Mark bot und ihn ohne Einspruch zugeschlagen erhielt. Er
-zahlte und schenkte dann den Gipfel der Gesellschaft zur nochmaligen
-Versteigerung. Diesmal fiel er für einundzwanzig Mark einem Weinhändler
-zu. Auch der schenkte ihn wieder her, und nun kam der Hering samt
-Kindertrompete und Plüschpantoffel für die Summe von dreizehn Mark in
-die Hände meines Vaters, der gleichfalls zugunsten der Tischgesellschaft
-alles noch einmal versteigern ließ.
-
-Jetzt fiel dem Bäckermeister plötzlich ein, daß zu dem einen
-Plüschpantoffel auch ein zweiter gehöre, und er steigerte nun eifrig
-mit. Aber da war ein junger Ehemann, ein Bräubursch, dem seine Gattin
-vor einer Woche den ersten Buben geschenkt hatte; der wollte die
-Trompete für seinen Stammhalter haben. Und nun begann ein hitziges
-Bieten: »Drei Mark fuchzg!« schrie der Bäcker.
-
-»Vier Mark!« der andere.
-
-»Sechs Mark!« scholl es wieder herüben, aber schon schrie der Ehemann:
-»Acht Mark! I werd dirs zoagn, du arme Bäckerseel!«
-
-»Was hast g'sagt, du windiger Bräuknecht! Acht Mark fuchzg!«
-
-»Neun Mark!« erscholl da plötzlich aus dem Hintergrund die Stimme des
-Kobelbauer Hias, eines Obermälzers, und rasch schrie der junge Ehemann:
-»Zehn Markl!«
-
-Der Bäckermeister wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine
-Stimme klang heiser, als er schrie: »Zehn Mark fuchzg! Jatz ko mi der
-Hanswurscht scho bald ...«
-
-Aber er kam nicht zum Ausreden; denn: »Elf Mark fuchzg!« tönte es schon
-wieder aus dem Hintergrund und gleich darauf: »Zwölf Mark!« von dem
-Liebhaber der Trompete.
-
-Nun vergaß der Bäcker vor Wut weiterzubieten, und sprang auf, stürzte
-auf den Bräuburschen zu und packte ihn an der Gurgel: »Willst stad sei,
-du Bräuhengst, du verflixter! Jatz biat i und kriagn muaß i 'hn aa, den
-Gipfl, sunst is g'feit, dös mirkst dir!«
-
-Aber er war schon zu spät daran; denn während er sich mit dem andern
-stritt, freute sich der dritt': der Kobelbauer Hias ersteigerte den
-Gipfel um dreizehn Mark und machte sich damit davon.
-
-Der Bräubursch aber hatte den Bäcker mit solcher Macht zurückgeworfen,
-daß dieser rücklings in einen runden Tisch fiel und alle Krüge und
-Gläser umwarf. Die Frau des Laternanzünders Tiburtius Kiermeier hatte
-eben ein Kalbsgulasch vor sich stehen und wollte zu essen beginnen; da
-kam der Bäcker geflogen, und durch den großen Sturz geriet die Platte
-mit der Sauce ins Rutschen, und ehe die Frau Laternanzünder sich's
-versah, hatte sie das Gulasch samt der Brüh und den Kartoffeln im Schoß:
-»Jess' Maria! Mei guater Tuachrock!« kreischte sie laut auf und stieß
-gleich darauf ihren Mann heftig in die Seite; denn der hatte so eifrig
-mit einem am andern Tisch sitzenden Schuhmacher, genannt der
-Revolutionsschuster, über Anarchismus und Sozialdemokratie debattiert,
-daß er von dem Streit und auch von dem Unglück seiner Gattin nichts
-bemerkt hatte. Nun aber sprang er auf, und als ihm diese kreischend und
-unter Tränen den Vorfall geschildert hatte, erhob er seinen Stuhl und
-schrie: »Nieder mit dem schwarzen Bäckerhund! Hauts'n nieder, den
-Zentrumshund! D'Sozialdemokratie soll lebn!«
-
-In diesem Augenblick aber fielen ihm etliche in den Arm, drückten ihn
-wieder auf seinen Sitz und riefen: »Sei do g'scheit, Tiburtl!« doch der
-war nun schon in der Hitze und schrie und schimpfte weiter.
-
-Die Streitenden aber waren inzwischen abermals aneinander geraten, und
-bald setzte es da und dort Hiebe ab. Nun sprangen etliche Rauflustige
-hinzu, und ehe man sich dessen versah, artete der Streit zu einer
-regelrechten Prügelei aus.
-
-Zu allem Unglück löschte ein Boshafter das Licht aus, indem er den
-Gasometer abstellte.
-
-Der Vater rief: »Kathi, schnell reibn S' s Gas auf!« Die Mutter schrie
-aus der Küche: »Kreuzsakerament! a Liacht brauch i!« Ich aber faßte
-meinen Hund am Halsband, er trug den Maulkorb, und stürmte mitten in den
-Knäuel: »Auseinander! Schleicher, faß an! Sakrament, auseinander, sag i!
-Wer si net niederhockt, is hi!«
-
-In diesem Moment flammte wieder ein Licht auf, und während der Vater
-totenblaß an einem Tisch lehnte, da er noch immer kränkelte und sich
-nicht aufregen durfte, teilte ich kräftige Püffe aus. Der Hund aber
-hatte die zwei Hauptschreier zu Boden geworfen und sein zorniges Knurren
-verriet, daß er keinen Spaß trieb. Die beiden lagen blutend und voll
-Beulen da, der eine hielt noch einen Maßkrughenkel, der Bäcker aber sein
-Stilet in Händen.
-
-Die übrigen Raufbolde waren beim Dreinfahren des Hundes erschreckt
-zurückgewichen, und nachdem ich den Bäcker und den andern in die Höhe
-gezogen und beide zahlen geheißen, wies ich ihnen die Tür mit den
-Worten: »Marsch, schaugts, daß hoamkommt's, ös Wildling!«
-
-Bald war wieder Ruhe im Lokal; die Scherben wurden aufgeräumt, die
-Tische und Stühle gesäubert und der Frau Kiermeier vom Vorstand der
-Tischgesellschaft ein neues Kleid versprochen. Und als um vier Uhr
-morgens die letzten Gäste schwankend das Lokal verließen, versicherten
-sie einmütig mit stillvergnügtem Lächeln: »Schö war's, wunderschö!«
-
- * * * * *
-
-Am andern Tag mochte aber wohl mancher einen schweren Kopf gehabt haben,
-und auch wir waren alle übernächtig und trachtete ein jedes, den
-versäumten Schlaf so geschwind wie möglich nachzuholen. Der Vater und
-die Mutter legten sich gleich nach dem Mittagessen nieder; die
-Küchenmagd machte ganz gläserne Augen und verschwand plötzlich, noch ehe
-sie ihre Arbeit getan; die Kellnerin mußte sich niedersetzen zum
-Besteckputzen, und dabei sank ihr der Kopf immer tiefer, bis sie mit der
-Nase auf das Putzbrett stieß. Ich selber nahm mir einen Stuhl und setzte
-mich in die Schenke, rief den Schleicher zu mir und machte auch ein
-Schläfchen, das zu meiner Freude nicht gar zu oft durch das schrille
-Klingeln der Schenkglocke gestört wurde. Um fünf Uhr aber war jedes
-wieder munter, und nachdem wir Kaffee getrunken hatten, meinte die
-Mutter: »So, jatz konn's glei wieder ogeh 's G'schäft und dauern bis um
-zwoa!« Doch bekam sie bald Kopfweh in der heißen Küche und ging in die
-Stube und ich kochte allein.
-
-Da hieß es erst einen großen Hafen voll Lunge oder Voressen bereiten für
-die Arbeitsleute, die jeden Abend um sieben Uhr an der Küchentür mit
-ihren Haferln standen und fragten: »Habts heut a Lungl?«
-
-Dann schrieb ich die Speisenkarte.
-
-Bald danach kamen die Kunden aus der Nachbarschaft, meist alte Weiber,
-und begehrten zu wissen, was sie zum Abend haben könnten: »Freiln Leni,
-ham S' heut a Gansjung?«
-
-»Ja, was fallt denn Eahna ei!« rief ich da. »Jatz, wo s' so teuer san am
-Markt! Wos moanan S', was jatz a Gansjung kostn tät? A Mark ganz gwiß!
-Mögn S' vielleicht sonst a Schmankerl? A sauere Leber oder a bachene;
-oder a bra'ne Haxn, a halbete? A schöns Schweinszüngl is aa da und guate
-G'schwollne, selbergmachte!«
-
-»Dös mag mei Mann alles net!« sagte die eine oder andere dann, und ich
-mußte ihnen weitere Spezialitäten hernennen: »Ja mei, da werds schlecht
-ausschaugn, wenn der Herr Gemahl dös net mag! Sagn S' halt, a Hirn, a
-Herz, a Kottlett, a Schnitzl und a Gulasch ham ma r aa; oder vielleicht
-mag er an Ochsenmaulsalat!«
-
-Nachdem ich dies alles aufgezählt hatte, kam es freilich auch manchmal
-vor, daß eine, nachdem sie alles mögliche auszusetzen gehabt und ihr die
-Leber zu sauer, das Gulasch zu scharf, an der Haxn z'weni dro und das
-Züngerl z'fett gewesen war, zögernd fragte: »Habn S' a Lungl aa?« und um
-a Zehnerl davon holte, was mich immer sehr zornig machte, so daß ich,
-wenn sie draußen war, voll Wut zur Küchenmagd sagte: »Schaugts nur grad
-a so a Büchslmadam o! Wenn s' a Kottlett um a Zwanzgerl kriagt hätt,
-wars ihr scho recht gwen, dera Flugga!«
-
-Aber trotz allen Ärgers war ich doch recht gern Herr in der Küche, und
-als einmal im Sommer die Mutter eingeladen wurde, an der Wallfahrt nach
-Altötting teilzunehmen, gab ich nicht eher Ruhe, bis sie ja sagte.
-
-Freilich mußte ich nun tüchtig mit anfassen die drei Tage, welche die
-Mutter nicht da war; doch wurde ich ganz gut fertig und konnte sogar dem
-Vater noch helfen am Abend, wenn der Hauptandrang an der Gassenschenke
-war.
-
-Da wurden innerhalb einer Stunde über zwei Hektoliter Bier ausgeschenkt,
-und die Leute standen mit ihren Krügen an, wie zu Ostern in der Kirche
-beim Beichten. Der Vater schenkte ein und ich kassierte. Da ging's:
-»Frau Bergbauer, a Maß, a Halbe und a Quartl, macht vierazwanzg,
-sechsadreißg, zwoaravierzg; so -- und acht san fufzg und fufzg is a
-Mark. Dank schö, adie Frau Bergbauer, wieder komma! D'Frau Graf hat
-dreimal drei; dös macht vierafufzg und sechs is sechzg. Dank schö, adie!
-Der Kloane kriagt a Halbe; tuas fei net ausschüttn! Herr Nachbar, drei
-Quartl? Vater, drei! Und a Zigarrn! Derf i s' glei ozündn? Jatz ham ma
-achzehn und sechs is vierazwanzg und von gestern zwoa Maß, dös macht
-nacha zwoarasiebazg. Stimmt ak'rat wie zählt. Adie, Herr Nachbar, dank
-schö!« Und so ging's fort, bis ich wieder in die Küche mußte.
-
-Am nächsten Tag schickte die Mutter aus Altötting eine Karte mit dem
-Bild der Mutter Gottes und schrieb: »Liebster Josef! Ich bin ganz weck
-vor lauter schön. Vielle Grüße sendet euch eure treue Mutter Magdalena
-Zirngibl.«
-
-Ich freute mich sehr, daß es der Mutter so wohl gefiel; hoffte ich doch,
-es möchte diese Wallfahrt günstig auf ihr Gemüt wirken, daß sie ein
-wenig verträglicher würde; denn sie war immer noch trotz aller
-Frömmigkeit recht bös und quälte mich oft entsetzlich. Bei dem
-geringsten Anlaß gab sie mir trotz meiner neunzehn Jahre noch Schläge
-ins Gesicht und hinter die Ohren, oder riß mich an den Haaren herum; ja,
-nicht selten nahm sie noch wie früher den Stock und prügelte mich
-elendiglich. Deshalb suchte ich, so gut es mir gelingen wollte, Anlässe
-zu solchen Szenen zu vermeiden; doch glückte es mir nicht immer, und ich
-wurde nun wieder trübsinnig und verlor alle Lust zum Schaffen und
-schließlich auch zum Leben.
-
-Da geschah es, daß wir eine neue Kellnerin bekamen; denn die Kathi hatte
-sich mit einem unserer Gäste, dem Briefträger Schwertschlager,
-verheiratet. Das neue Mädchen hieß Babett und war recht fleißig und von
-einnehmendem Wesen; daher schloß ich mich rasch an sie an, weihte sie in
-manche von den häßlichen Szenen, die ich mit meiner Mutter hatte, ein
-und vertraute ihr auch an, daß ich des Lebens im Hause ganz überdrüssig
-sei. Da empfahl sie mir, ich solle mir doch eine Sparbüchse anlegen und
-alle Tage etwas aus der Schenkkasse hineintun; wenn es mir dann einmal
-gar zu schlecht ginge, könnte ich davonlaufen und hätte doch Geld. Ich
-folgte ihr und legte täglich zwei kleine, silberne Zwanzgerln in eine
-irdene Sparbüchse, die ich in der Schublade des Büfetts, die der
-Kellnerin zur Aufbewahrung ihrer Sachen diente, versteckte.
-
-Es mußte schon ein schönes Sümmchen beisammen sein, denn etliche Wochen
-trieb ich diese Heimlichkeit.
-
-Da kam der Namenstag der Mutter.
-
-Schon einige Tage vorher hatte ich die Babett an einer sehr feinen
-Spitze häkeln sehen und plagte sie nun, sie solle mir dieselbe für die
-Mutter verkaufen. Sie willigte ein, und nachdem sie mich das Muster
-gelehrt hatte, häkelte ich noch ein gutes Stück selber dazu. Ich
-bezahlte ihr für die Arbeit zwei Mark, bat mir aber aus, sie dürfe der
-Mutter ja nicht verraten, daß auch sie daran gehäkelt habe; denn die
-Mutter hielt nur auf Handarbeiten etwas, die man selbst gefertigt hatte.
-Sie schien auch wirklich sehr erfreut und fragte mich, wo ich das Muster
-herbekommen habe.
-
-Ich antwortete: »Von der Babett.«
-
-Darauf meinte sie: »Die hast ja du gar net g'häkelt, die hat ja d'Babett
-g'macht!«
-
-Ich blickte wie versteinert die Mutter an und brachte endlich kaum
-hörbar die Worte heraus: »Wer sagt denn dös?«
-
-»D'Babett hat mir's selber g'sagt!« erwiderte die Mutter scharf.
-
-Da brach ich in Tränen aus: »Naa, so a Gemeinheit! Jatz hat s' mir's so
-heilig versprocha, daß s' nix sagt ...«
-
-»So, hab i di jatz g'fangt, du Luder, du verlogns!« triumphierte jetzt
-die Mutter mit bösem Lachen; dabei nahm sie die Spitze und warf sie ins
-Herdfeuer. »Heut konnst di aber g'freun! Heut treib i dir's Lügn aus für
-allweil!«
-
-Mir war ganz dumm im Kopf, und wie im Traum ging ich in die Gaststube
-und wollte die Sparbüchse mit dem geheimen Geld zu mir nehmen; da fand
-ich sie leer. Sprachlos starrte ich in die Schublade, bis die Mutter in
-das Zimmer trat. Da schob ich die Lade zu und ging wieder in die Küche.
-Doch konnte ich nichts tun und hatte nur den einen Gedanken im Kopf:
-Heut bringt s' di um; denn sie war so seltsam still, trank rasch fünf
-oder sechs Halbe Bier und warf mir grausige, entsetzliche Blicke zu.
-Aber sie sprach kein Wort in der Sache, bis nach dem Mittagessen. Da
-rief sie dem Vater in die Schenke: »Josef, heut bleibst in der Schenk,
-die is heut net da!« wobei sie mir wieder einen solch bösen Blick
-zuwarf, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Dann sagte sie, indem
-sie den großen, eisernen Schürhaken vom Herd nahm und sich zum Gehen
-schickte: »Richst 's Hundsfressen no her, du Schinderviech; nachher
-gehst 'nauf!«
-
-Als sie fort war, rief ich die Babett zu mir in die Küche und machte ihr
-Vorhalt wegen der Spitze und auch wegen des Geldes.
-
-Da sagte sie: »I hab koa Wort verraten und vom Geld woaß i nix!
-Überhaupt derfan Sie koa Wort sagn; denn wenn i mei Maul aufmach, na is
-g'fehlt um Eahna!« Damit ging sie aus der Küche.
-
-Ich hatte kaum die letzten Worte gehört, so wurde mir heiß und kalt, und
-plötzlich ergriff ich das große Tranchiermesser, legte erst die eine und
-dann die andere Hand auf den Hackstock und schnitt mir an beiden Armen
-die Pulsadern durch. Dann lief ich zum Schlüsselbrett, nahm die
-Kellerschlüssel, rannte die Stiege hinab, schloß mich in den Weinkeller
-ein und kauerte mich in einen Winkel und hoffte stumpfsinnig auf den
-Tod.
-
-Wie lange ich so gelegen bin, weiß ich nicht. Bekannte erzählten mir
-später, daß mich eine Frau, die von der Gassenschenke aus in die Küche
-geblickt hatte, beobachtet und den Vorfall meinem Vater mitgeteilt habe.
-Doch wußte niemand, wo ich hingelaufen war, bis man endlich die
-Kellerschlüssel vermißte. Da nahm der Vater den Schleicher, ließ vom
-Schlosser den Keller aufbrechen und suchte mich. Der Hund aber lief erst
-unruhig im ganzen Keller umher, bis er sich plötzlich vor die Tür zum
-Weinkeller stellte und laut zu winseln begann. Da erbrach der Schlosser
-auch diese Tür, und nun fanden sie mich ohnmächtig in meinem Blute
-liegen. Sie hoben mich auf und brachten mich zum nächsten Bader, der mir
-einen Notverband anlegte und mich dann zu einem Arzt fahren ließ. Dort
-wurden die Wunden genäht, wobei es der Doktor nicht an anzüglichen Reden
-fehlen ließ, da ja gemeiniglich nur nach der Tat, selten aber nach Grund
-und Ursach geforscht wird.
-
-Darauf brachte man mich wieder nach Hause, und meine Mutter empfing mich
-sofort mit den Worten: »Hat di jatz der Teufi no net gholt! Bist no net
-hin?«
-
-Da dachte ich, es könnte am Ende besser sein, wenn ich ginge; denn
-vielleicht bekäme ich von der Mutter einmal einen Hieb, der mich zum
-Krüppel machte; da wäre ich doch lieber tot.
-
- * * * * *
-
-Also ging ich andern Tags zu meiner Base, die mit dem Bruder der Mutter
-in einem alten, kleinen Häuschen Giesings wohnte. Die nahm mich voller
-Mitleid auf und ich verbrachte ein paar glückliche Wochen bei ihr. Auch
-sie riet mir, ich solle eine Zeitlang unter fremde Leute gehen und
-dienen. Deshalb suchte ich, nachdem meine Arme wieder geheilt waren,
-eine Verdingerin auf, die mir einen Platz als zweite Köchin in der
-Floriansmühle zubrachte und mir empfahl, zuvor meinem Vormund, dem
-Ehemann der Nanni, zu schreiben, daß er mir seine Erlaubnis zum Dienen
-gebe; denn ich war noch nicht mündig. Der antwortete in seinem
-Schreiben: »Mir ist's ganz recht, wenn sie dint und ligt nichts dran,
-wenn sie heirat. Josef Eder.«
-
-Mit diesem Brief ging ich zur Polizei und holte mir ein Dienstbuch.
-Danach erbat ich mir von meiner Base das Verdinggeld, fünf Mark, und
-brachte es der Frau, worauf ich mich nach der Floriansmühle begab.
-
-Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister
-vorbei und stand mit einem Male vor einem kleinen Dörflein.
-
-Zu meiner Rechten floß ein von alten Bäumen und schon herbstlich buntem
-Strauchwerk eingefaßter Kanal, der das ausgedehnte, rings von saftigen
-Wiesen und schattigen Baumgärten umgebene Besitztum, auf dem ich meinen
-Dienst antreten sollte, von dem eigentlichen Ort trennte.
-
-Ich schritt den Bach aufwärts und stand bald vor dem großen Hoftor des
-Gutes, das drei Brüdern zu eigen gehörte und dessen Gastwirtschaft von
-jeher als eine beliebte Einkehr der Münchner galt.
-
-Als ich in den Hof trat, stand vor der niedern Tür des schmucken, mit
-seinen grünen Fensterläden und den sauber an Spalieren gezogenen
-Weinreben recht heimisch aussehenden Wohnhauses ein junges Mädchen und
-fütterte aus einer weiten, irdenen Schüssel Enten, Hühner und Tauben mit
-feingehackten Maiskörnern. Droben auf dem Dach aber, das von einem
-Glockentürmlein gekrönt war, saß ein großer Pfau und schrie mit
-kreischender Stimme sein klägliches: »Pau, pau« in die stille Luft.
-
-Weiter drüben vor dem Stall stand ein langer, grobknochiger Knecht und
-schirrte zwei schwere Grauschimmel an und spannte sie vor einen hoch mit
-Mehlsäcken beladenen Wagen, während aus der mit Tannengirlanden
-geschmückten Türe eines kleinen Tanzsaales, dessen Fensterläden fest
-geschlossen waren, soeben ein älterer Mann trat und angestrengt nach der
-von uralten Pappeln eingesäumten Landstraße sah.
-
-In diesem Augenblick fuhr von der andern Seite ein leichtes Ponygefährt
-durchs Tor in den Hof, und ihm entstieg ein etwa zwanzigjähriger,
-elegant gekleideter junger Mann, warf die Zügel dem dampfenden Pferd auf
-den Rücken und hob danach ein liebliches, ganz in Weiß gekleidetes, etwa
-achtjähriges Mädchen aus dem Wagen. Mit lautem Jubel stürmte die Kleine
-an dem erschreckt auffahrenden jungen Mädchen vorüber, wobei Hühner und
-Enten laut schreiend und gackernd auseinanderstoben, und sprang lachend
-an dem alten Herrn empor mit dem Ruf: »Onkel Kilian, fein wars!« Dieser
-gab dem Mädchen erst einen schallenden Kuß und wandte sich dann an den
-jungen Mann: »So, Maxl, hast dir jatz amal gnua kutschiert?«
-
-»Ja, Onkel! Bis zum Flaucher san ma nauf; 's Lieserl hätt bald nimmer
-gnua kriagt!« Dann rief er lachend der noch immer über das Ungestüm der
-Kleinen erbosten jungen Dame zu: »Servus, Fräuln Schwester!« Und als sie
-nichts erwiderte, trat er rasch auf sie zu, faßte sie um die Hüften und
-meinte: »Na, Klärl, kommt's am End scho wieder zum Regnen?«
-
-Unwillig stieß sie ihn weg und wollte etwas entgegnen, da fuhren rasch
-hintereinander drei elegante Equipagen vor, und sofort stürzten alle
-hinzu und halfen den Herrschaften dienstbeflissen aus den Wagen.
-
-Ich war lange Zeit unschlüssig hinter dem vorderen Tor gestanden; jetzt
-benutzte ich rasch den günstigen Augenblick und trat schnell in die
-Küche, die in peinlichster Sauberkeit glänzte.
-
-Gegenüber dem großen, in der Mitte stehenden Herd befanden sich hohe
-Schränke und Stellagen voll Porzellangeschirr und von den Wänden
-blinkten reiche Kupfer- und Zinnmodel. Vor dem Herd stand gerade eine
-große, wohlbeleibte Köchin, die Kaffee kochte, und hinten in einer Ecke
-war ein altes Weiblein mit dem Rupfen einer großen Schüssel voll Enten
-beschäftigt. An dem mächtigen Schubfenster des Büfetts, von dem aus man
-den großen, schattigen Wirtsgarten überblicken konnte, stand eben die
-Frau des Hauses und gab der Kellnerin mehrere Platten mit Kuchen und
-gebratenen Hühnern. Dann wandte sie sich um, und als ich gerade der
-Köchin, die mich barsch nach meinem Begehr fragte, antworten wollte,
-rief sie mit freundlicher Miene: »Ah, jatz kommt mei neue Köchin! Sie
-san aber no jung!«
-
-Ich erwiderte, nachdem ich sie begrüßt, ziemlich schüchtern: »I bin scho
-neunzehn Jahr alt!« worauf sie mich fragte, ob ich denn auch kochen
-könne. Da bekam ich auf einmal Schneid und sagte frisch: »Dös moan i! I
-hab dahoam scho dö ganze Wirtschaft g'führt und mir ham koa schlechts
-G'schäft! Bloß mit dö Mehlspeisn hats was; dö gibt's bei uns 's ganz
-Jahr net!«
-
-Lachend meinte die Frau: »Dös kriagn ma scho no; bloß a Schneid
-braucht's und an guatn Willn.«
-
-Ich versprach ihr, daß ich ihr keine Schande machen wolle, und fragte,
-wann ich schon eintreten könne. Sie sagte: »Glei morgn können S' kommen;
-lassen S' ma Eahna Adreß da, der Knecht fahrt morgen so in d'Stadt nauf
-am Markt; der kann glei Eahnan Koffer mitnehmen.«
-
-Dann gab sie mir noch einen Taler als »Drangeld«, womit sie mich fest
-zum Antritt meiner Stelle verpflichtete.
-
-»Gnä Frau,« sagte ich noch, ehe ich ging, »kann i vielleicht glei was
-b'sorgn, eh i morgn aus der Stadt geh? I kannt's leicht mitnehmen.« Doch
-sie verneinte und sagte: »Dös g'fallt ma, daß S' Eahna so onehma; aber
-bei uns fahrt alle Tag oans nauf zum Einkaufn und B'stelln. Trinkn S'
-jatz no g'schwind a Tass' Kaffee!«
-
-Nun bekam ich eine große Tasse voll und einen Krapfen, wobei die Frau
-meinte: »Probiern S' unsere Krapfen, die müssen S' z'erscht ferti
-bringa!«
-
-Ich fand alles recht gut und ging frohen Herzens heim zu meiner Base und
-berichtete ihr alles, worauf sie mich ermahnte, ich solle mich recht gut
-halten, daß ich meiner Mutter zeigen könne, wie andere Leute mit mir
-zufrieden wären.
-
-Andern Tags am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg. Ich war guten
-Muts und sang laut, als ich durch den Englischen Garten schritt; denn
-ich hatte von der Endstation der Trambahn aus noch fast eine Stunde zu
-gehen.
-
-Als ich auf den Hof kam, schlug es neun Uhr, und der Obermüller und die
-Mühlknechte machten grad Brotzeit und holten sich ihr Bier.
-
-Mit einem lauten: »Grüaß Gott! Jatz bin i da!« trat ich in die Küche, wo
-es schon überall dampfte und brodelte. Die Frau war noch nicht auf, und
-so wies mir die erste Köchin meine Kammer zum Schlafen an. Rasch nahm
-ich mein Hütlein ab, zog mein Mäntelchen aus, tat eine schöne weiße
-Schürze um und ging wieder hinunter.
-
-Nun hieß es sich rühren! Als die Frau um zehn Uhr in die Küche kam,
-hatte ich schon einen großen Hafen voll Entenjung für die Leute der
-Ökonomie zubereitet und war gerade dabei, ein Brett voll Knödel zu
-machen.
-
-»So, san ma scho fest bei der Arbeit!« sagte die freundliche Wirtin und
-klopfte mir wohlwollend auf die Schulter, worauf ich lachend erwiderte:
-»Bis jatz konn i's scho no damacha!« doch hätte ich dies am Nachmittag
-wohl kaum mehr geantwortet; denn da ging's drunter und drüber.
-
-Da kamen Herrschaften in ihren Equipagen, die sich mit Brathähndln,
-Eierspeisen, kalten Platten und dergleichen Leckerbissen aufwarten
-ließen, ferner Radfahrer, die in großer Eile ihren Kaffee tranken, und
-auch an Spaziergängern fehlte es nicht, die da ihren Käs mit Butter, ein
-Ripperl oder Regensburger verzehrten.
-
-Der Kaffee wurde in lauter kleinen Kännchen serviert, und eine alte
-Spülerin hatte den ganzen Mittag und Nachmittag vollauf zu tun, um all
-die Geschirrlein zu säubern und auf kleine Nickeltabletten zu ordnen. In
-einem riesigen Waschkorb lagen an die hundert Krapfen, daneben standen
-Teller und Platten mit feinem Kaffeekuchen, was alles im Haus gebacken
-wurde.
-
-In der Schenke ging es zur Mittagszeit noch ziemlich ruhig her; doch war
-am Nachmittag auch hier ein großes Hinundher. Da wurde nicht nur Bier
-ausgeschenkt, sondern auch alle möglichen Limonaden, Sauerbrunnen,
-Schorlemorle, Radlermaßen und auch gar manche Flasche Wein.
-
-Die »rote Kuni«, wie man im Scherz die rothaarige Schenkkellnerin
-nannte, wußte sich bei dem Trubel kaum mehr zu helfen; denn sie war von
-Haus aus schon schwerfällig und nun erwartete sie auch noch ein Kind,
-das vierte, seit sie in der Floriansmühle im Dienste stand. Für jedes
-hatte sie einen andern Vater benannt, der ihr für Ehr und Kind bezahlen
-mußte, was ein jeder auch ohne Widerrede tat.
-
-Um die Zeit meines Eintritts war nun überall wegen der Herbstmanöver
-Einquartierung. Auch in die Mühle kam die Ordre, man solle Quartier
-bereiten für mindestens zwanzig Mann und etliche Offiziere der schweren
-Reiter aus Landshut.
-
-Es währte nicht lange, da rasselten im Saal die Säbel und klirrten die
-Sporen. Zwanzig Gemeine, vier Feldwebel und Wachtmeister, sowie sechs
-Offiziere hatten wir bekommen.
-
-Da gab es Arbeit in Menge; zwar war für die Gemeinen das Mahl bald
-bereitet, doch für die Herren wurde gar fein aufgekocht. Am Abend gab es
-dann regelmäßig ein kleines Tänzchen, zu dem ein Mühlknecht mit der
-Ziehharmonika aufspielte.
-
-Elf Tage blieben sie. Da geschah es am dritten Tage, daß die rote Kuni
-in der Früh nicht mehr erschien und in der Stille der folgenden Nacht
-einem Knäblein das Leben gab. Nun war niemand in der Schenke; da fragte
-ich, ob ich nicht auf etliche Tage dies Amt versehen könne. Die
-Herrschaft war recht froh über den Antrag, und ich wurde noch am selben
-Tag die Schenkkellnerin. Zugleich hatte ich die Gäste zu bedienen und
-auch den Offizieren zu servieren; doch ging mir alles glücklich von der
-Hand, und schon nach ein paar Tagen mußte ich das Versprechen geben, in
-der Schenke zu bleiben. Ich tat es gerne; denn ich verdiente mir ein
-schönes Stück Geld und lernte überdies mit feinen Leuten umzugehen.
-
-Bald hatte ich mir nicht nur die Zufriedenheit der Herrschaft erworben,
-ich war auch der Liebling der Offiziere und vieler vornehmer Gäste.
-
-Am Tage vor ihrem Weitermarsch veranstalteten die Hauptleute der
-Einquartierten noch einen kleinen Ball, zu dem viele Münchner Offiziere
-samt ihren Frauen geladen waren. Vorher war ein reiches Mahl gegeben
-worden und ich hatte alle Hände voll zu tun. Danach gab mir ein jeder
-der Offiziere, die durch den Herrn schon erfahren hatten, daß ich eine
-Bürgerstochter und ein braves Mädel sei, die Hand, viel schöne Worte und
-einen blanken Taler, und einer bat mich gar um ein »Busserl«, wofür er
-mir versprach, er wolle ewig an dieses Herbstmanöver denken.
-
-Ich hatte nichts weiter dagegen und gab ihm lachend den verlangten Kuß.
-Da hielt der junge Herr mich fest und legte mir ein feines Kettlein mit
-einem kleinen Medaillon um den Hals.
-
-»Es ziemt sich nicht,« meinte er dann ernst, »einem Mädchen aus gutem
-Haus ein Trinkgeld zu reichen; ich wenigstens kann es nicht und hoffe
-auch, daß meine lieben und geschätzten Kameraden das Mädel nicht
-entlohnen, sondern nur belohnen wollten.«
-
-Ich war ganz bestürzt und dachte schon, jetzt müsse ich all das schöne
-Geld wieder hergeben; da rief ein alter, graubärtiger Offizier mit
-schnarrender Stimme: »Ah, was! Unsinn, Kamerad! Der Taler ist nicht
-Trinkgeld, sondern Andenken an uns fesche Kerle!« worauf alles in
-Gelächter ausbrach und die Angelegenheit erledigt war.
-
-Später, beim Tanz, bat der junge Herr meine Herrschaft, mir Urlaub zu
-geben, bestellte etwa zwanzig Flaschen Sekt und ließ sie gleich kalt
-stellen. Sodann befahl er den Offiziersburschen, zu bedienen.
-
-Die andern Mannschaften hatten sich draußen in der Tenne bei einem Faß
-Bier versammelt und Wachtmeister und Unteroffiziere saßen im Nebenzimmer
-fidel beisammen.
-
-Ich mußte ein gutes Kleid anziehen und war nun sehr begehrt, wobei ich
-fand, daß der Leutnant mit dem Kettlein es im Tanzen selbst den höchsten
-Offizieren zuvor tat. Er meinte es, wie mir schien, recht ehrlich mit
-mir; denn er wollte nicht einmal das »Busserl«, das er mir am Abend
-abverlangt hatte, behalten und gab es mir mit dankbarem Blick vierfach
-zurück, ehe er beim Morgengrauen den Tanzsaal verließ.
-
-Am andern Tag sah ich die Truppen wohl fortreiten, doch konnte ich aus
-der großen Ferne keinen mehr erkennen.
-
-Dafür kamen am Nachmittag abermals etwa zehn Reiter, zwar keine
-Offiziere, doch auch ganz muntere Gesellen, die in einer Reitschule das
-lernten, was sie später entweder zum Beruf brauchten oder womit sie
-andern einmal imponieren wollten.
-
-Sie kamen nun täglich und waren alle recht höflich und liebenswürdig zu
-mir, gaben mir viel Trinkgelder und brachten mir allerlei hübsche Dinge
-mit: bald ein Körblein Blumen, bald ein Schächtelchen mit Zuckerwerk.
-Einer von ihnen aber, der Sohn des Reitschulbesitzers, hätte mir gerne
-einen hübschen Filigranschmuck geschenkt; doch ich wies das Angebinde
-schnöde zurück, weil der Geber sich dafür nichts weniger denn mein
-Jungfernkrönlein ausgebeten hatte.
-
-Überhaupt traten jetzt die Versucher gar häufig und, wie sie meinten, in
-den lockendsten Gestalten an mich heran.
-
-Da war ein alter Jude, ein steinreicher Geldhändler, der mir für eine
-kleine Liebenswürdigkeit sofort eine große Summe Goldes bot. Ferner ein
-Pferdehändler, ebenfalls ein Jude, der mir einst seine Equipage mit der
-Weisung schickte, ich solle mich in den ersten Modehäusern kleiden wie
-ich wünsche, koste es, was es wolle; doch möchte ich nachher in
-demselben Wagen heim in seine Wohnung fahren und bei ihm eine Tasse Tee
-trinken.
-
-Doch nicht nur die reichen Herren, auch etliche Burschen aus der Mühle
-hätten mich gern zu ihrem Schätzlein gehabt, und ich wußte bald nicht
-mehr, was ich tun sollte, um mir die unsinnigen Freier vom Hals zu
-schaffen. Und als mich gar einmal mitten in der Nacht draußen vor meinem
-Fenster, ich schlief im ersten Stock, ein Geräusch aufweckte, als hätte
-jemand eine Leiter angesetzt, und gleich danach ein leises Klopfen an
-die Scheiben ertönte und jemand mit unterdrückter Stimme rief: »Lenerl,
-mach auf! I muaß dir was sagn,« da sprang ich voll Zorn aus dem Bett und
-rief ganz laut hinaus, ohne zu öffnen: »Mei Ruah will i habn! I brauch
-koan Burschn zum Fensterln; wer si net zu der Tür 'reitraut, soll ganz
-wegbleibn!«
-
-Da erscholl es draußen wieder flehend: »Geh, laß mi halt ei, Dirndl! I
-hätt a schöns Ringerl für di!« während zu gleicher Zeit im Garten
-drunten der alte Bernhardinerhund wütend zu bellen begann. Nun klopfte
-der nächtliche Besucher wieder, diesmal aber ganz heftig, ans Fenster
-und bat: »Lenerl, i bitt di um Gottswilln, laß mi halt ei, i bins ja,
-der Mühlfranzl! Schau, da Barri laßt mi nimma abi!«
-
-Ich gab nun gar keine Antwort mehr und hielt mich mäuschenstill; denn im
-Zimmer neben mir wurde es lebendig und gleich darauf erschien Max, der
-etwa zwanzigjährige Sohn meiner Herrschaft, in Unterhosen und barfuß,
-ein Kerzenlicht in der Hand, an meiner Tür: »Leni, hörn Sie nix?
-Einbrecher müassn da sei!«
-
-Nun verschwand die Gestalt eilig vom Fenster, und gleich danach vernahm
-man ein wildes Auffahren des Hundes, einen dumpfen Schrei und das
-Umfallen der Leiter. Darauf war es wieder still.
-
-Nun wagte ich, das Fenster zu öffnen, und sah hinunter. Da saß unser
-Barri auf einer dunklen, am Boden hingestreckten Gestalt, und über den
-beiden lag die lange Leiter.
-
-»Unser liabi Zeit! Der hat si gwiß dafalln!« rief ich voll Schreck und
-bereute schon meine Härte; da schrie der Max zum Fenster hinunter,
-während ich ganz gebrochen auf einen Stuhl fiel: »Barri, marsch in dei
-Hüttn!« worauf der Hund den Schwanz einzog und unter der Leiter
-wegschlich.
-
-»Wer nur dös sei muaß!« meinte etwas angstvoll der junge Mann.
-
-Da sagte ich leise, indem ich wieder zum Fenster trat und hinabsah: »Der
-Mühlfranzl war's. Fensterln hätt er wolln! Und jatz is er tot zwegn mein
-Trutz!«
-
-In diesem Augenblick rührte sich der vermeintliche Tote, kroch unter der
-Leiter hervor und hinkte mühsam und halblaut fluchend von dannen.
-
-Nun verließ auch der Max das Zimmer und ich legte mich wieder hin; doch
-ich konnte nicht mehr einschlafen und nahm mir vor, das Haus zu
-verlassen. Ich sagte das am Morgen auch der Frau; doch die lachte mich
-aus und meinte: »Ja, warum net gar! Davonlaufn möcht s' jatz, anstatt
-daß s' an Stolz hätt, wenn si d'Burschn so um sie reißn! Recht zum Narrn
-haltn tuast's!«
-
-Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich auch wirklich für diesen
-vernünftigen Ausweg. Ich ließ mir eifrig den Hof machen und hatte die
-größte Freude, wenn sich manches Mal der eine oder andere von einem
-Rivalen zurückgedrängt glaubte und ihm mit der Faust zu beweisen suchte,
-daß er der Bevorzugte sei.
-
-Der Umstand, daß ich mich in diesem ständigen Kreuzfeuer so tapfer
-bewährte, ließ mich nicht nur in den Augen meiner Herrschaft groß
-dastehen, sondern auch in der Gunst unserer Stammgäste, zu denen auch
-der Benefiziat des Dorfes zählte, höher und höher steigen, und es
-geschah des öfteren, daß der hochwürdige Herr mich beiseite nahm und mir
-versicherte, ich sei das tapferste Mädel, das ihm vorgekommen; und als
-ich ihm einmal sein Bier auf den Tisch stellte, rief er: »Na, wie
-geht's, Sie steinerne Jungfrau? Hat sich gestern keiner von Ihren
-Verehrern erschossen?« worauf ich lachend erwiderte: »Naa, Herr
-Hochwürden, aber datränkt hat si scho hi und da oana z'wegn meiner!«
-
-»Was!« schrie er da voll Schreck und hatte seine liebe Not, den Trunk,
-den er eben gemacht und der ihm vor Schreck in die unrechte Kehle
-geraten war, wieder heraufzubringen. »Was, ertränkt?!«
-
-»Ja, aber net im Wasser!« beruhigte ich ihn und klopfte ihm tüchtig auf
-den Rücken, bis er nach heftigem Husten wieder zur Ruhe kam.
-
- * * * * *
-
-Als ich etwa zwei Monate im Hause war, erschien eines Nachmittags ganz
-unverhofft meine Mutter und wollte wissen, wie ich mich führe.
-
-Meine Frau war noch in der Küche, als die Mutter mit den Worten vor sie
-trat: »'n Tag! I bin d'Mutter von dera da!« Dabei wies sie mit der Hand
-auf mich und fuhr fort: »I möcht anfragn, wie sie si aufführt und was s'
-Lohn hat!«
-
-Meine Frau entgegnete kurz: »So, Sie sind d'Mutter! D'Leni is recht
-ordentlich und fleißig und i hab nie a Klag. Was 'n Lohn betrifft, so
-hat s' halt zwanzg Mark und ihre Trinkgelder. Dös geht mi übrigens nix
-o, wie viel dös ausmacht.«
-
-Da fing meine Mutter an, sich bitter über mich zu beklagen, und erzählte
-ihr die Geschichte von meinem Selbstmordversuch und auch, daß ich einmal
-zehn Mark aus der Schenkkasse gestohlen hätte, die sie nun holen wolle.
-Doch meine Frau fiel ihr unwirsch ins Wort: »Was Sie mit Eahnera Tochter
-dahoam g'habt habn, geht mi nix an. Bei mir is sie rechtschaffen und
-ehrli, und konn i ihr net 's geringste nachredn!«
-
-Da kehrte sich die Mutter heftig um und eilte hinaus, die Tür krachend
-hinter sich zuwerfend. Ich aber nahm ein Zehnmarkstück und legte es ihr
-im Garten auf den Tisch, wo sie vorher gesessen war und gab es ihr mit
-den Worten: »Da san die zehn Mark. Wenn S' no was guat habn, na sagn S'
-mir's, daß i's Eahna gib!«
-
-»Oho! Schneibt's leicht dir d'Goldstückl, daß d'so rumschmeißt damit?«
-rief sie nun halb erstaunt, halb spöttisch. »I hätt di gern wieder
-dahoam g'habt; aber wenn's dir so guat geht da, na wirst z'erscht net
-nauf wolln zu uns!«
-
-»O naa! I wär viel liaber dahoam,« erwiderte ich und das Weinen stand
-mir nahe. »Sagn 's ja alle Leut, daß 's a Schand is, wenn a so a reiche
-Bürgersfamilie ihr Tochter zum Deana laßt! I woaß's bloß net, ob mi mei
-Frau fortließ.«
-
-»Sonst nix mehr!« erscholl da neben uns die erzürnte Stimme meiner Frau,
-die ganz unbemerkt aus der Schenke in den Garten getreten war: »Lenerl,
-Sie bleibn mir da! Jatz hätt ma amal oane, die was taugn tät, jatz
-laufat s' mir nix, dir nix davo! No amal sag i's, Sie bleibn da!«
-
-Da sah die Mutter wohl, daß ich hier anerkannt und gut gehalten war und
-sagte, indem sie sich zum Gehen schickte: »Wannst hoam willst, kannst
-jederzeit kommen; hoffentli bist dahoam aa, wie si's g'hört!«
-
-Ich sagte es ihr zu und begleitete sie noch bis an die kleine Brücke,
-die über den Kanal führt. Da faßte sie ganz plötzlich meine Hand, besah
-meine vernarbten Schnittwunden am Arm und sagte halblaut: »So dumm
-z'sei! Wia leicht kunntst tot sei und i hätt d'Verantwortung!«
-
-Ich entzog ihr rasch die Hand und rief, mit Gewalt die Tränen
-zurückhaltend: »Adje, Mutter, i muaß in d'Schenk; grüaßn S' mir'n Vater!
-Vielleicht komm i bald!«
-
-Seit diesem Vorfall gefiel es mir gar nicht mehr recht im Dienst, und
-obwohl ich mir in der kurzen Zeit schon ein neues Kleid, manch schönes
-Stück Wäsche und noch über hundert Mark bares Geld verdient hatte, sagte
-ich doch am ersten des folgenden Monats zu meiner Herrschaft: »I möcht
-wieder hoam. Mi leid's nimmer da, wenn i woaß, daß mi d'Muatter braucht;
-und auf Weihnachten wär i halt do liaba bei meine Leut dahoam als wia r
-in der Fremd!«
-
-Ganz traurig meinte die Frau: »Gehn S' jetzt wirkli! I konn's ja gern
-glaubn, daß si's Herz wieder zu der Mutter z'ruck verlangt, aber wenn ma
-solche Aussichten hat, wie Sie, da wär's wohl besser, ma höret mehr
-auf'n Verstand als aufs Herz.«
-
-Doch als ich meine Bitte wiederholte, ließ sie mich gehen: »In Gott's
-Nam, muaß i mir halt wieder um jemand schaun!«
-
- * * * * *
-
-Also verließ ich Mitte Dezember meinen Dienst, begleitet von den
-Segenswünschen der ganzen Familie, die mich vor meinem Scheiden noch
-reichlich beschenkt hatte. Ich konnte mich der Tränen nicht erwehren,
-als ich einem nach dem andern die Hand gab, und es waren nicht die
-angenehmsten Empfindungen, mit denen ich mich auf den Heimweg machte.
-
-Als ich etwa eine halbe Stunde Wegs zurückgelegt hatte, kam ein Fiaker
-hinter mir her. Ich rief ihn an, ob er mich fahren wolle, und als er
-dies bejahte, stieg ich ein und fuhr nach Hause.
-
-Daheim rannte alles ans Fenster, als ich so nobel angefahren kam, und
-der Vater meinte, als ich ihn begrüßte: »Du kommst ja daher wie a
-Prinzessin; ma kennt di kaam mehr!«
-
-Als ich aber mein Erspartes und die geschafften Sachen alle sehen ließ,
-verstummte er völlig und auch die Mutter war starr vor Staunen. Ich
-sagte, indem ich das Geld wieder verwahrte: »Dös Geld trag i auf
-d'Sparkass' und mei Wasch heb i mir auf, bis i heirat. Wer woaß, ob i
-mir net no was dazu verdean!«
-
-Die Mutter verstand wohl, wie ich das meinte; denn sie sagte sofort:
-»Oho! Möchst net scho wieder davolaufa, kaum'st komma bist! Zum Aushaltn
-werd's scho sei dahoam; i leg dir nix mehr in Weg!«
-
-Auch der Vater versprach mir, daß man mich gut halten wolle, und ich
-dankte ihm von Herzen. Vergessen war jetzt für mich alles, was einmal
-geschehen, und ich freute mich wieder des Elternhauses und ging munter
-an die Arbeit. Ich war jetzt auch wohl gelitten im Hause und niemand gab
-mir ein unrechtes Wort; ich wirtschaftete wieder wie vorher und gab
-selber auch keinen Anlaß zum Tadel.
-
-So verging der Winter, und mit dem Eintritt des Frühjahrs standen in der
-Nachbarschaft zwei Neubauten unter Dach, was für die Bauleute die
-Veranlassung zu einer großen Feier war, die, ein altes Herkommen, als
-Hebebaum- oder Hebeweinfeier bekannt ist und wobei oben am First des
-Neubaues ein mit bunten Bändern gezierter Tannenbaum aufgepflanzt wird.
-Alle am Bau Beschäftigten begeben sich auf den Dachstuhl und einer unter
-ihnen hält nun eine feierliche Ansprache, in der er dem Bauherrn, dem
-Eigentümer und dem Palier für den Verdienst dankt und sie alle einzeln
-mit einem dreifachen Hoch ehrt. Inzwischen hat der Wirt ein Faß Bier und
-Krüge hinaufschaffen lassen, und nun nimmt ein jeder seinen gefüllten
-Krug und stimmt laut in das Hoch des Redners ein; denn der Brauch will,
-daß man die Bauherren durch den Trunk ehre.
-
-In der Wirtschaft wird mittlerweile groß aufgekocht; denn der Eigentümer
-hat zwei Schweine und ein Kalb für die Bauleute gestiftet, während in
-der Schenke fünf Hektoliter Bier, ein Geschenk des Bauherrn, bereit
-stehen. Dazu gibt der Wirt noch etliche hundert fette Maurerloabi, ein
-grobes, sehr würziges Brot, sowie für jeden der Bauleute zehn Zigarren.
-
-Bald füllt sich das Lokal und nicht lange währt es, so geht es an ein
-Essen und Trinken, an ein Singen und Scherzen, daß man sich in eine
-Bierbude des Oktoberfestes versetzt glaubt.
-
-So war's auch diesmal wieder. Ein jeder wollte das meiste tun im
-Trinken, Essen und im Lärmen; denn ein jeder trug das stolze Bewußtsein
-in sich und mancher trug es auch offen zur Schau: Auch ich hab mein
-redlich Teil dabei getan!
-
-Später freilich, als ihnen das Bier schon ziemlich zu Kopf gestiegen
-war, schwand dies Selbstbewußtsein erheblich, und nun waren es die
-Mörtelweiber und Bierträgerinnen, die das große Wort führten. Eine jede
-hatte, obwohl selber längst verheiratet, einen Auserwählten unter den
-Bauleuten, unbekümmert, ob der Erkorene Weib und Kind daheim hatte, oder
-nicht.
-
-Heute nun hatte ein jeder Eheherr auch seine Frau mitgebracht und teilte
-mit fröhlichem Sinn das, was die Arbeitgeber gespendet. Auch die Gattin
-des obersten Paliers, Simon Scheibenzuber, war anwesend. Da erhob sich
-ein, obschon nicht mehr junges, doch noch ziemlich mannliches
-Mörtelweib, stieg allen Bemühungen ihrer Genossinnen zum Trotz auf den
-Tisch und schrie: »Ich bin die Keenigin von Jerusalem und der
-Scheibnzuber Simmerl is mei Mo!«
-
-Da sprang die tiefgekränkte Gattin des Paliers vom Stuhl auf, gab ihrem
-ganz verblüfften Manne eine schallende Ohrfeige und stürzte sich nun wie
-eine Furie auf die Verwegene. Die aber war so voll des süßen Getränks,
-daß sie nur noch gurgelnd herausbrachte: »Was tatst denn wollen, du
-gscherte Mollen!« dann aber auf ihren Sitz zurücksank.
-
-Dies hatte aber die Wut der Paliersgattin aufs höchste gesteigert: »Was,
-i a gscherte Molln!« schrie sie mit überschnappender Stimme: »Dös konnst
-ma büaßn, du Gwaff, du zahnluckerts!« Und im Nu hatte sie die betrunkene
-Rivalin bei den Haaren gefaßt und schlug mit der andern Hand wütend auf
-sie ein, bis sie von der Übermacht der Maurerweiber zurückgedrängt
-wurde. Die also gedemütigte Königin aber wankte aus der Stube in den
-Hof, wo sie unter Zuhilfenahme einer großen Schale schwarzen Kaffees
-sich all ihres Zornes und wohl auch ihrer Liebe entledigte; denn sie
-erschien danach wieder munter im Lokal und rief: »So, jatz san ma
-g'sund! Jatz trink ma aufn Bauherrn a Maßl!«
-
-Mein Vater war bei dem Vorgang wieder ganz bleich geworden und fürchtete
-eine Rauferei; doch zur Ehre dieser einfachen Leute sei's gesagt, daß es
-zu nichts kam. Sie blieben sitzen bis zum Morgengrauen und gaben noch
-allerhand lustige Stücklein zum besten.
-
-Fröhlich ging ein jeder heim oder ließ sich von der getreuen Hausfrau
-führen; alle hatten den Verspruch des Bauherrn, daß sie in etlichen
-Tagen wieder Arbeit bekämen. Doch dieser Neubau war in einer andern
-Stadtgegend, so daß unser Lokal etwas stiller ward wie bisher, obgleich
-noch die am dritten Bau Beschäftigten, sowie alle übrigen Arbeiter und
-Gäste dasselbe täglich füllten.
-
-
-
-
-
-
-Inzwischen war ich eine ganz stattliche Dirn geworden und betrachtete
-gar manches Mal mein Spiegelbild mit Befriedigung und geheimem
-Wohlgefallen. Meine Mutter hatte mir für den Sommer eigene
-Wirtschaftskleider aus feinem, blauen Mousseline anfertigen lassen, und
-da ich selbst viel auf einen guten Anzug hielt, hatte ich bei der
-Schneiderin Matrosenform mit weißen Batistkrägen und kurzen Ärmeln
-bestellt. Dazu trug ich weiße Spitzenschürzen, darüber eine weite
-Leinenschürze zur Küchenarbeit und um den Hals eine Kette aus Korallen.
-Mein reiches, blondes Haar hatte ich zierlich geflochten und als Krone
-aufgesteckt; in die Stirn hingen ein paar natürlich aussehende, wirre
-Löckchen, die ich jedoch jeden Abend mittels einer Haarnadel kunstvoll
-wickelte. Außerdem trug ich nur Lackschuhe; denn mein Stiefvater
-besorgte mir deren alle Vierteljahr ein Paar bei einem alten
-Schuhmacher, dem Revolutionsschuster, so genannt, weil er als
-übereifriger Anhänger des Anarchismus alle Tage aufs neue für die
-allernächste Zeit den Ausbruch der grimmigen Revolution und eines
-Bürgerkrieges prophezeite, so daß ich glaube, der Vater kaufte die
-vielen Schuhe nur, um zu verhindern, daß die Revolution in seinem Lokale
-ausbräche.
-
-Doch hätte mein Vater dies nicht so zu befürchten gehabt wie den
-Ausbruch eines Freierkrieges; denn meine muntere, geschäftige Natur in
-Verbindung mit der lockenden Aussicht auf eine ansehnliche Mitgift hatte
-nicht nur die Herzen etlicher junger Bürgerssöhne betört, sondern auch
-bei ein paar betagteren Leuten einiges Unheil angerichtet.
-
-Da war erstlich ein etwa fünfundzwanzigjähriger, bildsauberer Drechsler
-aus Traunstein, der Ehrenthaler Franzl; der hätte sich gern eine recht
-liebe, häusliche Meisterin in mir geholt, da er einmal seines Vaters
-Geschäft übernehmen sollte. Er gefiel mir, und ich hätte ihm wohl gut
-sein können; doch war er noch nichts, hatte auch nichts und war nicht
-recht gesund, weshalb ich ihm eine Bürgerstochter aus der Nachbarschaft
-empfahl. Dann war ein alter Briefträger, der Barmbichler Xaver, dem das
-Stiegensteigen nicht mehr recht gefiel und den auch das Zipperlein schon
-in allen Gliedern zwickte; der wollte sich jetzt pensionieren lassen und
-dann mit mir und meinem Heiratsgut ein beschauliches Leben führen, auf
-das ich aber verzichtete und mir einen andern Bewerber, den etwa
-vierundzwanzigjährigen Bräumeisterssohn Aloys Kapfer etwas genauer
-ansah. Da fand ich, daß er trank, viel trank, auch hoch spielte und
-keine Nacht vor zwei Uhr nach Hause ging; und obschon mir sein
-zierliches Ponyfuhrwerk, mit dem er oft bei uns vorfuhr, sowie die
-dreihundert braunen Scheine, die er mir als Brautgabe zugedacht hatte,
-sehr wohl gefielen, dachte ich doch, daß schon gar mancher sein Hab und
-Gut vertrunken und verspielt hätte und gab ihm einen Korb und meinte, es
-sei besser, mich um einen einfachen Handwerksmeister umzuschauen. Der
-war auch da in Gestalt eines dreißigjährigen Schlossermeisters aus
-meinem Heimatdorf; es war der Schwaiger Lenz, ein Vetter vom
-Schlosserflorian. Er hatte vor einem Vierteljahr seine Frau verloren und
-wollte mich als sein riegelsames Weib und als liebe Mutter für seine
-verwaisten drei Kinder heimholen. Da ich mich jedoch wegen der drei
-Kinder lange nicht entschließen konnte und immer wieder um Bedenkzeit
-bat, holte er sich endlich eine Fabrikantenstochter, die ihm schon lange
-zugeblinzelt hatte. Nun trat dessen Nachbar, der Schneidermeisterssohn
-Kaspar Zintl, mehr ins Licht und meinte, er wolle mit mir nach Paris und
-London reisen, wenn ich seine Frau würde und wolle mir die ganze weite
-Welt zeigen. Ich dachte aber, wir würden nicht weit kommen mit dem
-Gelde, das er besaß, und überlegte, ob ich ihm das meine noch dazugeben
-solle. Konnte mich aber nicht dazu entschließen und bedachte lieber den
-Antrag des Prucker Toni, eines stattlichen Hausbesitzerssohnes aus der
-Nachbarschaft, der es trotz seiner jungen Jahre schon bis zum
-Eisenbahnexpeditor gebracht hatte. Da er aber ebenso grob als energisch
-war und nicht einmal seine Eltern achtete, fürchtete ich, nichts zu
-gewinnen, wenn ich das Haus meiner Mutter mit dem seinen vertauschte. Da
-gefiel mir der sanfte und allzeit zuvorkommende dreißigjährige
-Hausbesitzer Hans Wipplinger, der sich leidenschaftlich um meine Hand
-bewarb, schon besser. Böse Nachbarn aber wußten zu berichten, daß er in
-großen Geldnöten sei und mit meinem Heiratsgut wohl die dritte Hypothek
-seines Anwesens heimzahlen wolle.
-
-Als der bereits sechzigjährige Realitätenbesitzer und Tändler Simon
-Lampl hörte, daß ich diesen Antrag ausgeschlagen hatte, erschien er
-eines Tages in einem altmodischen, grünschillernden Gehrock und
-Zylinderhut, um den Hals eine riesige, ehedem weiße Binde und im
-Knopfloch die Ehrenzeichen des Feldzuges von 1870 und hielt feierlich um
-meine Hand an, indem er mir seine sämtlichen Besitztümer: vier
-vierstöckige Häuser mit Rückgebäuden und gut vermieteten Läden, zwei
-Bauplätze bei Planegg, die gutgehende Tändlerei, die seit
-siebenunddreißig Jahren bestehe und jährlich ihre zwei bis dreitausend
-Mark abwerfe, sowie hundertvierzigtausend Mark bares Geld, dessen Zins
-er verzehren dürfe, aufzählte und mir die denkbar beste Behandlung
-zusicherte. Doch lehnte ich seine Werbung höflich, aber entschieden ab,
-da er mir einerseits doch nicht mehr jung genug schien, anderseits aber
-trotz seines Reichtums als ein großer Geizhals verrufen war.
-
-Aufgemuntert durch meine abschlägige Antwort auf den Antrag dieses Alten
-wagte noch am selben Abend der blutjunge Hafnermeister Edmund Sack, dem
-kurz nacheinander Vater und Mutter gestorben waren, mir in einem
-anschaulichen Brief Herz und Hand anzubieten; doch kannte ich ihn viel
-zu wenig, um ihm meine Zukunft anzuvertrauen, und dann hatte ich eine
-ausgesprochene Abneigung gegen diese Loahmpatzer, die Ofensetzer. Da war
-das edle Handwerk der Bäcker doch appetitlicher, und ich hörte ganz
-erbaut auf die salbungsvollen Worte des achtundfünfzigjährigen
-Feinbäckers und Melbers Kanisius Dumler, mit denen er mich zur Herrin
-über sein Haus und seine Guglhopfe und Zuckerbretzln erkiesen wollte. Er
-war schon seit zehn Jahren Witwer und bekleidete die ehrenvollen Posten
-eines Armenrates, Kirchenbaurates, Distriktsvorstehers und
-Rechnungsführers bei einem Kriegerverein. Auch war er einer von den
-Auserwählten unseres Pfarrers und durfte bei allen Prozessionen den
-Himmel tragen. Sein kleines Haus war schuldenfrei, und das gute
-Geschäft, dem jetzt seine Schwester vorstand, sicherte ihm ein
-behagliches Leben. Doch besaß er einen schon zwanzigjährigen Sohn, der
-eben seine Militärzeit als Freiwilliger abdiente. Dieser Sohn aber, der
-Ferdl, ein fescher Bursch und großer Tunichtgut, war nun die Ursache,
-daß ich dem Alten meine Hand versagte; denn ich sah den Jungen nicht
-ungern. Von seiner Ausgelassenheit und den übermütigen Streichen, die
-man ihm nachsagte, konnte ich nichts bemerken; vielmehr war er immer der
-bescheidenste unter meinen Freiern geblieben. Stundenlang saß er da und
-starrte mich wortlos und wie in Verzückung an, trank dabei seine zwölf
-bis fünfzehn Glas Bier und schien außer mir nichts mehr zu hören und zu
-sehen. Ja, er übersah und überhörte regelmäßig die Stunde, da er in der
-Kaserne hätte eintreffen sollen; und so kam es, daß er eine Arreststrafe
-um die andere meinethalben abzubüßen hatte. Schließlich bekam er eine
-ganze Woche Mittelarrest zudiktiert, und während er in der Kaserne
-brummte, fuhr eines Abends, da ich eben in der Schenke beschäftigt war,
-vor unserm Hause ein Wagen vor, dem ein sehr sorgfältig gekleideter
-junger Mann, mit einem großen Strauß Veilchen in der Hand, entstieg. Er
-trat in die Wirtsküche, und ehe ich mich noch von meinem Erstaunen
-erholt hatte, hörte ich schon die Mutter in die Gaststube rufen: »Josef,
-geh, komm a bißl raus!« worauf die drei eifrig miteinander verhandelten.
-
-Nach einer Weile kam der Vater zu mir in die Schenke und sagte unter
-öfterem Räuspern: »Was i sagn will, Leni, der Hasler Benno is draußn und
-hat g'sagt, daß er di heiratn möcht; du sollst dein Ausspruch toa, wiast
-g'sonna bist. Jatz, vo mir aus ko'st es macha wiast magst; i red dir nix
-ei und rat dir net ab!«
-
-Ich zählte noch die eben begonnene Rolle Geldes fertig, rechnete mit der
-Kellnerin ab und schenkte noch etliche Glas Bier ein, mich sorglich
-zusammennehmend, daß die Hand nicht zittere oder sonst eine Bewegung
-über mich Herr würde. Dann ging ich, ohne dem Vater zu antworten, in die
-Küche, wo der stattliche Bewerber sich sehr lebhaft mit der Mutter
-unterhielt. Als er mich sah, sprang er von seinem Sitz, einem rohen,
-blankgescheuerten Holzstuhl, auf, reichte mir die Hand und begann:
-»Liabs Fräuln Leni, ich hab Sie lang beobacht und hab g'funden, daß bloß
-Sie mi glücklich machen können. Wenn's Ihnen also recht ist, heiraten
-wir; Ihre Eltern haben mich nicht abgewiesen.«
-
-Da ich nichts darauf erwiderte, fuhr er fort, indem er mir den Strauß
-gab: »Ich mein's ehrlich mit Ihnen, Fräuln Leni; ich hab's nicht nötig,
-nach Geld zu schauen, ich heirat aus Liebe. Nehmen S' halt meine Lieb
-auch freundlich an, wie die Blümerl und sagen S' ja!«
-
-Bei diesen letzten Worten hatte er mich wieder an der Hand gefaßt und
-sah mich bittend an; dennoch antwortete ich zögernd und leise nur: »I
-will ma's überlegn; dös ko ma net so auf'n Augenblick sagn, ob ma oan
-gern habn ko oder net!«
-
-»Ja, bedenken Sie's noch, liebs Lenerl; Sie brauchn's nicht zu bereuen!
-Ich bin der einzige Sohn, erb einmal das Haus mitsamt dem ganzen
-Holzg'schäft und vorläufig hab ich mein gutes Einkommen als Prokurist
-des alten, feinen Hauses Protus Stuhlberger. Wenn Sie sich b'sonnen
-haben und einschlagen wollen in mei Hand, so können wir bald Hochzeit
-machen!«
-
-Meine Mutter hatte schon während der Rede des Freiers wiederholt das
-Taschentuch an die Augen gedrückt und sich umständlich geschneuzt; jetzt
-aber zog sie mich laut aufschluchzend an ihre Brust und rief aus: »So a
-Glück, ha, so a Glück! I gunn dir's von Herzn Deandl; bist ja so a
-richtigs und ordentlichs Madl und konnst'n glückli macha, den liabn
-Herrn Hasler!«
-
-Dann schob sie mich von sich und drückte mich ganz fest an die Schulter
-des freudig Überraschten, der sofort die Arme ausbreitete und mich
-zärtlich umfing. Dann bedankte er sich noch mit wohlgesetzten Worten bei
-der Mutter und trat danach in die Gaststube, die Verlobung bei einer
-Flasche Wein zu feiern.
-
-Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Küchentür angesammelt, die
-sich nach vorhandenen Abendspeisen erkundigen wollten, in der Erregung
-des bedeutungsvollen Augenblicks aber ganz übersehen worden waren. Diese
-Menschen waren die ersten, die mein bevorstehendes Glück inne wurden.
-
-»Was ma no z'essen ham, Frau Kugler? -- naa, so a Glück hat dös Madl! --
-ja so, a Schnitzl, a Kottlett, a bachens Hirn, -- und nach Liab kon er
-heiratn; Geld hat er selber gnua! -- a guats Kalbszüngerl hab i aa no,
-Frau Kugler!« so ging der Redestrom über die Lippen meiner hocherfreuten
-Mutter.
-
-Ich aber tat meine Arbeit wie zuvor und dachte bloß, ob ich wohl ein
-seidenes Brautkleid kriegen würde.
-
-Als dann in der Küche nichts mehr zu tun war, durfte ich mich auch an
-den Tisch zu meinem Hochzeiter setzen, und nun sprachen wir ausführlich
-über die Bekanntgabe der Verlobung, über meine Aussteuer und über die
-Zeit, wann wir heiraten wollten. Ich sagte zu allem ja, und auch meinem
-Vater gefielen die Vorschläge seines zukünftigen Schwiegersohnes ganz
-wohl. Nur als dieser wissen wollte, wie hoch die Brautgabe für mich
-ausfallen würde, da räusperte er sich wieder verlegen und meinte dann:
-»Da muaß d'Muatter aa dabei sei, wenn ma d'Geldangelegenheit bereden,«
-und er ging hinaus in die Küche. Doch die Mutter war schon zu Bett
-gegangen und hatte nur durch die Küchenmagd sagen lassen, sie hätte
-Kopfweh. Also blieb die Geldfrage noch unbeantwortet.
-
-Wir saßen noch bis ein Uhr beisammen, und als mich jetzt der Benno ganz
-leise an der Hand faßte und mich mit seinen von Wein und Liebe
-glänzenden Augen selig anblickte und nochmals fragte: »Kannst mi a ganz
-kloans Bröckerl gern haben, Lenerl?« kam er mir auf einmal recht schön
-und liebenswert vor und alle meine Bedenken schwanden, und ich sagte
-lachend, nachdem ich rasch ein Glas Wein hinuntergestürzt hatte: »Ja,
-ja! I wer dei Frau und mag di!« und besiegelte das Versprechen später
-noch unter der Haustür, da ich ihn hinausgeleitete, mit einem laut
-schallenden Kuß, worüber der Benno so beglückt war, daß er beim
-Fortgehen noch ganz verklärt hinter sich sah und auf den Randstein nicht
-achtete, so daß er auf ein Haar zu Fall gekommen wäre. Ich aber schlug
-rasch die Türe zu und mußte beim Zusperren laut auflachen über dies
-Mißgeschick.
-
-Doch dachte ich in der Nacht nicht weiter mehr über das Erlebte nach,
-sondern schlief ganz ruhig; und als am andern Tag durch einige
-Ratschkathln die Sache in allen Milch- und Kramerläden herumgetragen
-worden war und nun eine nach der andern kam, mir zu gratulieren, da
-erschien mir diese Wichtigkeit so lächerlich, daß ich am End ganz wild
-wurde und keiner mehr eine Antwort gab.
-
-Am Vormittag nun kam der Dumler Ferdl. Er hatte für seinen Hauptmann
-etwas besorgen müssen und wollte mir nun rasch einen Gruß bringen; denn
-ihm waren die acht Tage Arrest gar lang geworden.
-
-Mit langen Schritten trat er in die Gaststube, und da er mich nicht sah,
-stürmte er in die Küche und rief: »Guat Morgn, Zirngibimuatterl! Wo is's
-Lenerl?«
-
-Ich stand wie angenagelt in dem kleinen, dunklen Speiskammerl und gab
-keinen Laut von mir, so erschrak ich. Die Mutter aber begann mit großem
-Pathos und feierlicher Miene, den Münchner Dialekt mühsam zu einem
-zierlichen Schriftdeutsch drechselnd: »Ja, was, der Herr Ferdl! Mei Leni
-möchtn S'? ... Is s' net da, mei Leni? ... Setzn S' Eahna doch a
-wengerl, Herr Ferdl! I muaß Eahna nämlich leider die freudige Mitteilung
-machen, Herr Ferdl, daß sich mei Leni gestern mit'n Herrn Hasler Benno
-verlobt hat!« Und in überschwenglichem Ton fuhr sie fort: »Ja, ja, a
-bravs, rechtschaffens Bürgersmadl sucht a jeder! Aber es is ihr zum
-gunna! Geltn's, Herr Ferdl, Sie gunna's ihr aa!«
-
-Aber der Herr Ferdl hörte schon längst nicht mehr. Er war bei der
-Mitteilung, daß ich mich verlobt habe, aufgesprungen, hatte im
-Gastzimmer hastig sein Glas Bier auf einen Zug geleert, der Kellnerin
-ein Zwanzgerl hingeworfen und war auf und davon gegangen.
-
-Ganz baff sah ihm die Mutter nach und begriff lange nicht, warum er so
-rasch fortgelaufen war. Nun trat ich aus der Speis; da rief mir die
-Mutter zu: »Da bist ja! Warum gehst denn net zuawa? Jatz is er davo,
-weilst net komma bist!«
-
-»Naa, naa, Muatta! Deswegn is er net fort,« rief ich nun eilig; »dem
-hockt er halt, weil er mi net kriagt hat; er hätt mi ja gern g'heirat!«
-
-»Der Rotzlöffi! Is kaam trucka hinter die Ohrn!« antwortete die Mutter
-und ging in die Gaststube, kam aber sogleich wieder zurück und hielt
-einen Brief in der Hand: »Da schau her; der Hasler ladt uns ei für heut
-auf d'Nacht in Löwenbräukeller. Der Peuppus halt sein Abschied. Vo mir
-aus konnst scho hingeh; i geh net mit.«
-
-Damit gab sie mir den Brief, den ich hocherfreut durchlas und dann die
-Mutter lange bat, sie solle doch mitgehn. Endlich sagte sie zu.
-
-Nun mußte ich der Küchenmagd noch alles zeigen und ihr für den Abend die
-nötigen Weisungen geben. Ich tat dies am Nachmittag und versicherte mich
-ihrer Gewissenhaftigkeit durch ein gutes, heimliches Trinkgeld.
-
-Also machten wir uns gegen Abend für das Konzert und den Hochzeiter
-zurecht. Die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihr Schwarzseidenes aus
-dem unergründlichen Eichenschrank zu holen und goß eine Menge Patschouli
-hinein, um den aufdringlichen Kampfergeruch ein wenig zu übertäuben.
-Dazu legte sie schwere goldene Armspangen und eine Menge Ringe an, tat
-eine massive Goldkette um den Hals und steckte die feine Uhr mit der
-altmodischen Kette zwischen die funkelnden Glasknöpflein der nach Art
-der Schneiderkleider ganz glatt gearbeiteten Taille. Danach setzte sie
-ein kleines, mit einem reichen Stutzreiher versehenes Kapothütchen auf,
-nahm den kostbaren Spitzenschal aus der Kommode und legte ihn um die
-Schulter.
-
-Also geschmückt trat sie nochmals vor den alten, vergoldeten Spiegel des
-Schlafzimmers und besah sich. Da erblickte sie durch denselben mich in
-meinem einfachen, blauen Tuchkleid und rief: »A so willst vor dein
-Hochzeiter hinsteh? Was fallt dir denn ei! Daß er moana kannt, mir warn
-Bettlleut!«
-
-Und eilig öffnete sie ihre Schmuckschatulle und behing mich mit einer
-köstlichen Halskette aus Granaten und Perlen, tat mir statt meiner
-kleinen Korallen schwere Perlgehänge in die Ohren und legte mir ein
-breites, protziges Armband an. Dann nahm sie einen alten Siegelring aus
-einem vergilbten Plüschkästlein, steckte ihn an und gab mir dafür ein
-mit Türkisen und Perlen besetztes Ringlein, das ihr mein seliger Vater
-einst geschenkt hatte.
-
-»Den kannst glei b'haltn,« meinte sie, »an dem liegt mir nix.«
-
-Ich sagte ihr vielen Dank für das Geschenk; denn es war das Einzige, was
-von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war. Ich hielt
-das Ringlein hoch in Ehren und habe es nachmals, als das Schicksal mir
-in meiner Ehe mein ganzes Hab und Gut nahm, unserer lieben Frau im
-Herzogspital auf den Altar gelegt; denn ich hätte es nicht über mich
-gebracht, es gleich den andern Kostbarkeiten dahingehen zu lassen.
-
-In diesem reichen Aufputz begaben wir uns alsdann nach der Küche, wo der
-sehr gewählt gekleidete Freier schon mit einem prächtigen Strauß roter
-Rosen uns erwartete.
-
-Als wir eintraten, sprang er von seinem Sitz auf und küßte der Mutter
-erst galant die Hand; dann gab er ihr die Blumen mit einer tiefen
-Verbeugung: »Nehmen S' die Rosen als Dank, daß Sie mir heut die Ehr
-geben, mitzukommen, werte Frau Mutter!« Hierauf begrüßte er mich mit
-einem flüchtigen Kuß ans Ohr, worüber ich mich höchlich verwunderte, da
-ich dergleichen weder in Geschichten gelesen, noch je selbst erlebt
-hatte. Dann zog er ein weißseidenes Schächtelchen aus der Westentasche
-und übergab es mir mit den Worten: »Heut feiern wir Verlobung, und da
-g'hört sich's, daß ich der Braut was schenk.«
-
-Erwartungsvoll öffnete ich das zierliche Kästlein; da blitzte mir ein
-herrlicher Brillantring entgegen. Da ich dergleichen auch noch nicht
-erlebt hatte, besann ich mich, was ich nun tun oder sagen sollte. Zum
-Glück fiel mir die Stelle eines Romans ein, an der so etwas vorkam, und
-ich machte es wie die Heldin des Buches: ich errötete, sah verwirrt zu
-Boden und flüsterte verliebt: »Ah, wie herzig!« doch in meine
-gewöhnliche, natürliche Art verfallend fuhr ich fort: »Woaßt, Benno, so
-viel Geld hättst aber net ausgebn solln. Da werd si d'Muatta schö
-o'strenga müassn, daß s' dir dös wieder ersetzt!«
-
-Aber da kam ich schön an bei der Mutter.
-
-»Dös war no dös besser!« rief sie mit funkelnden Augen. »Moanst, i hab
-net scho lang g'sorgt, daß d'dein Breitigam a anständigs G'schenk gebn
-konnst! Hier, Herr Hasler, is Eahna Verlobungsring; i hoff, daß i net
-schlecht ei'kaaft hab beim Thomaß!«
-
-Und damit zog sie aus der Rocktasche ein rotes Plüschetui und entnahm
-demselben einen recht ansehnlichen Solitär; den gab sie mir, indem sie
-mit vor Rührung bebender Stimme sagte: »Da, Leni, steck'n dein Herrn
-Breitigam o; hoffentli paßt er eahm!«
-
-Obgleich mir diese ganze Szene wie eine Komödie vorkam, tat ich doch der
-Mutter ihren Willen und steckte meinem Verlobten den protzenhaften Ring
-an den kleinen Finger, an den er gerade paßte. Dann tat ich auch meinen
-Brautring aus dem Schächtelchen und schmückte damit meine rechte Hand.
-
-Nachdem wir noch rasch einige Worte mit dem Vater gewechselt hatten,
-gingen wir. Doch an der nächsten Hausecke stand schon ein Wagen bereit,
-und der Benno hieß uns einsteigen, worauf wir nach den festlich
-geschmückten Räumen des Löwenbräukellers fuhren.
-
-Während des von einer schier zahllosen Menge besuchten Konzerts kam ich
-nur wenig dazu, mich mit meinem Verlobten zu unterhalten; denn meine
-Mutter schwatzte ihm so viel vor von meinen allseitigen Vorzügen und
-guten Eigenschaften, daß er vor Freude über meine Tugenden ganz auf mich
-selber vergaß. Ich saß einsam auf meinem Platz an der Wand und
-betrachtete abwechselnd mein Brautringlein und das meines Vaters, oder
-ich ließ die Augen über die lärmende Menge gleiten und besah mir die
-vielen verliebten Mägdlein und ihre Herren, meist Unteroffiziere und
-Soldaten in den verschiedensten Uniformen, bis mich endlich die Mutter
-mit den Worten: »So, Leni, jetzt gehn ma!« aus meinen Träumen
-aufschreckte.
-
-Wieder nahm der Benno eine Droschke, und in rasselnder Fahrt ging's nach
-Hause.
-
-Daheim mußten wir uns noch zu ihm an den Tisch setzen, und bald klangen
-die Champagnergläser und ertönte das glockenhelle Lachen der Mutter. Der
-Vater war an diesem Abend auch sehr aufgeräumt und gab alle möglichen
-Schnurren zum besten, wobei der vor Glück strahlende Hochzeiter ihn
-eifrig unterstützte und an lustigen Einfällen fast übertraf.
-
-Ehe wir uns trennten, wurde noch ausgemacht, daß ich am andern Tag den
-Eltern meines Bräutigams vorgestellt werden sollte, und die Mutter bat
-ihn, er möge daheim sagen, daß sie sich schon sehr auf einen Besuch der
-geschätzten Familie freue.
-
- * * * * *
-
-Mit nicht geringer Angst sah ich dieser Vorstellung entgegen und hatte
-eine schlaflose Nacht. Doch verlief das Ganze, wenn auch ziemlich
-zeremoniell, so doch recht gut, und es kam mir vor, als wollte eins das
-andere überbieten an Zuvorkommenheit und herzlicher Freundschaft.
-
-Der Vater meines Hochzeiters, ein noch sehr rüstiger, hochgewachsener
-Mann von etwa sechzig Jahren, führte mich erst in die altmodische
-Wohnstube, die mich mit ihren sauberen Kattunbezügen über den
-behaglichen Polstermöbeln und den vergilbten Stichen an den mit einer
-großblumigen, verschossenen Tapete bekleideten Wänden und den freundlich
-blühenden Geranien am Fenster sogleich anheimelte. Die Mutter aber
-meinte, für einen so liebwerten Gast müsse man schon die gute Stube
-aufsperren und lief dann eilig in die Küche, um nach dem Kaffee zu
-schauen.
-
-Sie war ein kleines, zusammengeschrumpftes Weiblein mit
-glattgescheiteltem Haar über der runzligen Stirn. Aus dem gelblichen,
-furchigen Gesichtlein blickten ein paar wasserhelle Augen forschend
-umher, und die rauhen, schwieligen Hände erzählten von rastloser Arbeit,
-deren Segen man überall in Haus und Geschäft wahrnehmen konnte.
-
-Während die Frau Hasler geräuschvoll in der Küche herumhantierte, sorgte
-der Hausvater für die Unterhaltung, und ich ward nun inne, daß den
-eigentlichen Grundstein zu dem Reichtum und gediegenen Ruf der Familie
-die kleine Frau durch ihre Herkunft sowohl, als auch durch das
-ansehnliche Kapital, das sie dem Mann in die Ehe gebracht, gelegt hatte.
-Sie entstammte einer schon seit länger denn einem Jahrhundert allerorts
-als ehrsam und lauter bekannten Alt-Münchner Kaufmannsfamilie und hatte
-als vierundzwanzigjährige Jungfrau dem als Schreiner im Elternhaus
-tätigen, eben aus dem Feldzug zurückgekehrten Burschen ihre Hand
-gegeben, unbekümmert darum, daß er nur der Sohn einer dürftigen, alten
-Hebamme aus einem kleinen Dorf im Schwabenland war und außer einem Paar
-nerviger Fäuste und der Tapferkeitsmedaille nichts in die Ehe
-einbrachte.
-
-Und sie hatte es nicht zu bereuen gehabt, daß sie dem heftigen
-Widerstand ihrer stolzen Eltern zum Trotz den stattlichen,
-dunkellockigen Hannes heiratete; denn er war ein heller Kopf und hatte
-schon als Kind seine zehn Geschwister sowohl an Klugheit, wie auch an
-Geschicklichkeit übertroffen. Sein Vater war schon in jungen Jahren zum
-Bürgermeister seines Orts gewählt worden, da er eine sehr rechtliche,
-gerade Natur und von männiglich geschätzt war. Doch hatte der sonst so
-fürtreffliche Mann einen einzigen Fehler: er trank. Das wurde ihm und
-der ganzen Familie zum Verhängnis; denn der Unglückliche ward von seiner
-unseligen Leidenschaft bald so weit gebracht, daß ihm kein Branntwein
-mehr genügte und er nicht nur alle Balsam- und Painexpellergläser
-leerte, sondern am Ende noch zum Petroleumkruge griff und
-Hofmannstropfen flaschenweise trank. Es dauerte nicht lange, so verlor
-er Amt und Würden und endete zuletzt als kaum vierzigjähriger Mann
-elendiglich in einem Schweinestall, darin er schon seit Monden hausen
-mußte, da er in seinem Rausche alles zerschlug und zerstörte, was ihm
-unter die Hände kam. Damals war der Hannes gerade zwölf Jahre alt
-geworden, und es hieß nun hinaus in die Welt und selber schauen, wie das
-Brot am besten für den Hunger ging. Also machte er sich mit vieren
-seiner Geschwister auf und zog mit ihnen gen München, wo ein jedes bald
-Arbeit fand. Die Mutter hatte zum guten Glück schon während ihrer
-traurigen Ehe sich im Ort ein sicheres, wenn auch beschwerliches
-Fortkommen geschaffen: sie war Kindlesfrau, so hieß man die Hebammen,
-geworden. Noch mit ihrem vollendeten neunzigsten Jahr hat sie ihrer
-bedeutend jüngeren Kollegin gar manche schwere Geburt abgenommen, und es
-kam nicht selten vor, daß ein Bauer stundenweit fuhr und die alte,
-halbblinde Haslermutter holte, während in seinem Orte irgendeine
-tüchtige, junge Hebamme das Nachsehen hatte.
-
-Indes der Hausvater mich also unterhielt und allmählich immer mehr in
-Wärme geraten war, kam die Frau wieder zu uns herein und bat uns in die
-gute Stube zum Kaffee. Sie hatte sich inzwischen in Staat geworfen und
-prangte in einem altmodischen Gewand aus starrer, violetter Seide, das
-bei jeder Bewegung bald rötlich, bald grau schimmerte und dessen Jacke
-mit vielen Rüschen und langen Schößen geziert war.
-
-Mein Verlobter hatte sich für diesen Nachmittag von seinem Herrn Urlaub
-erbeten und kam nun gerade recht nach Hause, den Kaffee mit uns zu
-trinken. Er nahm meinen Arm und führte mich in die Ehrenstube, deren
-Möbel alle aus Kirschbaumholz gefertigt und mit dunklen Ornamenten
-eingelegt waren. Die ganze Einrichtung stammte noch von den Eltern der
-Frau Hasler, wie der Benno mir berichtete. Auf dem sauber gedeckten
-Tisch standen zierliche Tassen und Kannen, deren eine jede in einem bunt
-gemalten Kranz die goldene Inschrift trug: Lebe glücklich!
-
-Wir tranken nun vergnüglich Kaffee, und mein Verlobter sprach viel von
-meinen guten Eigenschaften, von seiner schönen Stellung, seiner
-gediegenen Herkunft und von baldigem, sicheren Eheglück. Dann brachte er
-mich wieder nach Hause, nachdem ich mir noch das Versprechen der beiden
-alten Leute hatte geben lassen, daß sie uns am folgenden
-Sonntagnachmittag mit ihrem Besuch beehren würden.
-
-Dies taten sie auch. Pünktlich um die angegebene Stunde fuhr ein Fiaker
-am Hause vor und heraus sprang mein Hochzeiter und half seinen Eltern
-beim Aussteigen.
-
-Ich hatte schon vormittags genaue Weisung von der Mutter erhalten, wie
-ich sie zu empfangen hätte: also eilte ich geschwind von der Wirtsküche
-auf die Straße, reichte jedem die Hand und sagte: »Guten Tag, Frau
-Mutter und guten Tag, Herr Vater! Grüß Gott, Herr Benno! Die Mutter
-hält's für a große Ehr, daß S' uns die Freud machen und a Tass' Kaffee
-bei uns trinkn. Bitt schön, kommen S' nur glei mit 'rauf in d'Wohnung,
-d'Mutter is scho drobn!«
-
-Und nun führte ich alle drei nach der im ersten Stockwerk gelegenen, für
-den hohen Besuch frisch gestöberten und geschmückten Wohnung, wo die
-Mutter in ihrem nobelsten Aufputz aufgeregt durch alle Zimmer lief und
-bald ein Deckerl anders legte, bald ein Stäubchen wischte oder
-umständlich ihr Spiegelbild betrachtete.
-
-Als sie uns kommen hörte, ging sie mit steifer Würde auf die beiden
-Alten zu, reichte ihnen mit ausgesucht höflicher Verbeugung die Hand und
-sagte: »Herr Hasler, Frau Hasler, dös freut mi! Derf i vorausgeh? Kommen
-S' nur 'rei in Salon und nehman S' Platz! ... Herr Benno, mögn S' net
-auf'n Divan hintre mit der Leni!« Und geschäftig rückte sie den Tisch
-zur Seite und bot jedem seinen Platz an; dann trat sie unter die Tür und
-rief: »Rosl, an Kaffee 'rei! Nehman S' dö silberne Plattn zum Kuchn!«
-
-Während sich nun eine lebhafte Unterhaltung über die gleichgültigsten
-Dinge entspann, betrachtete bald der Vater, bald die Mutter meines
-Verlobten die protzige Einrichtung des Salons und sie wechselten von
-Zeit zu Zeit verstohlen Blicke der Befriedigung; und als die Augen des
-Alten auf das Klavier fielen, fragte er, wer darauf spiele. Die Mutter
-sagte stolz: »Mei' Leni kann's; i hab's ihr lerna lassn, daß s'amal
-ihren Mann unterhaltn ko. Geh, Leni, spiel deine zukünftign
-Schwiegereltern oan auf! Vielleicht an Bienenhausmarsch oder 's
-Glühwürmchenidyll, oder was die Herrschaften sonst gern hörn!«
-
-Ich setzte mich an das Instrument und spielte etliche Stücke, wie sie
-mir gerade einfielen. Da ging die Tür auf und herein kam der Vater,
-begrüßte die Familie Hasler und sagte: »I hab der Kathi g'sagt, sie soll
-dö paar Halbe Bier hergebn, die jatz gehn, daß i aa a bisl raufschaugn
-ko zu dö Herrschaftn ... No, wia steht's werte Befinden? -- Scheene Tag
-hama allweil jatz. -- Warn S' scho auswärts heuer? -- Bei dem warma
-Weeder macht a jeda a G'schäft vo dö auswärtign Wirt. -- Hast no an
-Kaffee, Muatta?«
-
-Damit setzte er sich und begann von dem zu reden, was bis dahin ein
-jedes wie auf Verabredung vermieden hatte, von unserer bevorstehenden
-Heirat.
-
-»Dös hat si ganz unverhofft g'schickt!« meinte er, zu dem alten Hasler
-gewendet. »Mir ham's glei gar net glaabn könna, daß ma d'Leni wirkli
-scho herlassn solln.«
-
-»Ja, dös is wahr;« fiel ihm die Mutter ins Wort, »so geht's zua in der
-Welt! Will ma selber no net zu dö Alten g'hörn, derweil hat ma scho
-heiratsfähige Kinder!«
-
-»Oho!« rief da der Benno. »Jetzt möcht gar d'Frau Zirngibl aa schon vom
-Alter redn und schaut aus, wie a eiserne Venus, so g'sund und so sauber.
-Der Zirngiblvater kann stolz sei auf so a Frau!«
-
-Geschmeichelt lächelte die Mutter, und auch der Vater hörte diese
-Lobrede wohlgefällig an. Die alten Haslerleute aber warfen ihrem Sohn
-halb ärgerliche, halb verlegene Blicke zu, und es entstand eine kleine
-Pause, die ich rasch benützte, den Benno zu mir an ein kleines Tischlein
-zu ziehen, wo ich meine Erinnerungen und Andenken aus der Klosterzeit
-aus einem kleinen Kästlein kramte. Dabei fielen meinem Verlobten etliche
-Briefe und Karten auf, die sämtlich die Adresse trugen: An die Jungfrau
-Magdalena Christ, Kandidatin bei den Josefschwestern zu Bärenberg.
-
-Auf seine Frage, ob die Briefe einer Freundin gehörten, erwiderte ich
-ihm: »Naa, naa! Dös san lauter Briaf an mi!«
-
-Erstaunt sah er mich an, und auch am Tisch wurde man aufmerksam, so daß
-ich mich an die Mutter wandte: »Denkn S' Eahna, Mutter, der Benno woaß
-net amal mein rechtn Namen!«
-
-Mit hochrotem Kopf saß die Mutter da, und Zorn und Verlegenheit kämpften
-sichtbar auf ihrem Gesicht, während sie zögernd sagte: »Ja, mei lieber
-Gott! Dös wissen dö wenigsten Leut, was für a Unglück mi scho in meine
-jungen Jahr troffn hat; dös erzählt ma net so mir nix, dir nix an jeden,
-der daher kommt!«
-
-Sie konnte nicht mehr weiter reden; ein heftiges Schluchzen erschütterte
-ihren Körper, während sie von Zeit zu Zeit einen wütenden Blick zu mir
-hinüberwarf. Die Familie Hasler aber saß starr und stumm da und blickte
-fragend von einem zum andern.
-
-Da ergriff der Vater rasch das Wort und sagte: »Da brauchst net z'woana,
-Muatta; deswegn is dir aa no koa Perl aus da Kro' g'falln. Und was
-d'Erziehung und dös ander betrifft, hat si no nie nix g'feit. A jeder ko
-froh sei, wann er so a Madl zum Heiratn kriagt!«
-
-Erst jetzt begriffen die Haslerischen den Sachverhalt, und die Frau rief
-mit kläglicher Stimme: »Ja, was is denn net dös! Na is also d'Leni gar
-net von Eahna, Herr Zirngibl?«
-
-»Naa. Der Leni ihra Vata is damals bei dem großen Schiffsunglück, wo dö
-englischn Hund den scheena Dampfer Cimbria a so o'gfahrn ham, daß'n glei
-da Deixl g'holt hat und d'Leut allsam dasuffa san, aa dabei g'wen. Der
-hat sein Ruah! Und da hab halt i d'Muatta g'heirat.«
-
-Schweigend hatten alle zugehört, und endlich begann der alte Hasler: »No
-ja; in Gott's Nam'! Sell isch au di g'fährlichscht Sünd no nit, daß e so
-e saubre Frau amal was Kloins kriagt! Im übrige ischt's mir ja ganz
-gleich, ob's Mädle lediger Weis' isch dag'wesa oder von der Eh;
-d'Hauptsach isch halt, daß sie e aaschtändige Mitgift ei'bringt!«
-
-Jetzt hatte sich auch die Mutter wieder erholt und schilderte nun in
-beweglichen Worten, wie sie mich ausstatten wolle und daß sie jederzeit
-da wäre, wenn's einmal drauf ankäme. Der Vater aber sagte kurz: »Zwegn
-der Mitgift braucht koa Hochzeiter a Sorg z'habn. D'Leni hat bei
-dreiß'gtausend Mark Muatterguat und vo ihran Vatern achtausend Mark
-ausg'machts Geld auf der Bank. Und wenn amal d'Not an sie kam, na war
-allweil i aa no da; vorläufig kann i ihr allerdings vo mir no nix gebn;
-dös steckt alls im G'schäft drin.«
-
-Während dieser Rede war die Wolke, die unheildrohend auf der Stirn der
-alten Haslerin gestanden, von ihr gewichen und das sonnigste Lächeln lag
-auf ihrem Gesicht. Auch der Herr Hasler rieb sich vergnüglich die
-Daumenballen und sagte bloß: »Scheen, guat, isch ja sehr aagenehm!«
-
-Der Benno aber, der zuvor, als meine Abkunft an den Tag kam, sich auf
-einen von mir ziemlich entfernten Stuhl gesetzt hatte, kam jetzt mit
-zärtlicher Miene auf mich zu und sagte, indem er mich um die Hüfte nahm,
-leise: »Du glaabst gar net, Lenerl, wie gern i di hab!«
-
-Und in heiteren Gesprächen verfloß die Zeit, bis die Mutter um fünf Uhr
-zum Vater sagte: »Josef, jatz werd's Zeit ins G'schäft!«
-
-Da brachen die Haslerischen auch auf und empfahlen sich mit großer
-Höflichkeit.
-
-Nun war ich also Bennos Braut und lebte im übrigen wie zuvor.
-
-
-
-
-
-
-Die Hochzeit war auf den Herbst festgesetzt worden, und der Benno eilte
-mit viel Fleiß von Amt zu Amt, um die zur Heirat notwendigen
-Schriftstücke zusammenzubringen. Der alte Hasler kündigte einer schon
-lange Jahre in seinem Haus wohnenden alten Jungfer die Wohnung und ließ
-viel Arbeitsleute kommen. Die Wände wurden tapeziert, die Böden frisch
-lackiert; in die Küche kam ein neuer Herd und in die Kammer daneben ein
-Bad. Die Frau Hasler stand bei größter Sommerhitze auf der Altane und
-füllte Kissen und Betten mit Flaum und zeigte den Nachbarn die Größe der
-mütterlichen Liebe, die nicht bloß zusieht, wie das Kind, das nun dem
-Nest entflogen, sich in der neuen Lebenslage zurechtfindet, sondern die
-in Beherzigung des Wortes »Wer sich gut bettet, liegt gut« sorglich ihr
-Teil dazu beiträgt, daß dessen Lebensbett ein lindes werde.
-
-Mein Vater ließ den Schreiner kommen und bestellte die Möbel, nachdem er
-sich die für uns bestimmte Wohnung angesehen hatte. Alles sollte
-altdeutsch werden, und die Schränke sollten Spiegel haben und ein jedes
-Stück noch einen Muschelaufsatz. Der alte Tapezierer Fünffler mußte für
-die Polster sorgen und den Divan samt den Stühlen nebst einem kleinen
-Kanapee anfertigen.
-
-Die Mutter aber lief zum Nachbar Glaser und erstand das Neueste an
-buntem Porzellan, an irdenem Geschirr und Gläsern.
-
-Dann kam der Tag, an dem sie ging, das Brautkleid einzukaufen. Da mußte
-ich zur alten Haslerin und diese bitten, daß sie uns die Liebe tät und
-mitginge, den Stoff zu kaufen, was sie mir versprach.
-
-Also machten sie sich auf den Weg, eine jede starrend in Seide und
-blitzend im Schmuck der Nadeln, Ringe und Spangen, die an Glanz
-wetteiferten mit den langen Perlenfransen der Mantillen und
-Kapothütchen.
-
-Erst spät abends kamen sie heim, und ich vernahm, daß nun alles
-eingekauft sei, dessen ich als Braut bedürfe, um zu glänzen. Ich
-erschrak beinahe, als ich von der Mutter hörte, daß mein Brautkleid von
-Seide wäre und der Zeug allein schon mehr denn hundertfünfzig Mark
-gekostet hätte. Ich vergaß darüber ganz und gar den Dank, so daß die
-Mutter sehr entrüstet ward und rief: »Woaßt net, was si g'hört, du
-Hackstock? Gibt ma so viel Geld aus für dös G'stell und kriagt net amal
-an Dankschö' dafür!«
-
-Da kam ich erst wieder ein wenig zu mir und sagte halblaut: »Dank schö,
-Mutter, so was hätt's net braucht.«
-
-»So, dös hätt's net braucht! Moanst vielleicht, i laß mi lumpn und
-oschaugn von dö Haslerischen? Hab's scho g'sehgn, wie s' d'Letschn hat
-hänga lassn, weil i z'erscht g'moant hab, a Schlepp war net notwendi;
-aber jatz hab i so viel kaaft, daß d'an meterlanga Schwoaf hint
-nachiziagst!«
-
-Ich wußte nicht viel darauf zu antworten und empfand im Grunde wenig
-Freude über den Prunk, in den man mich stecken wollte. Als ich jedoch
-nachher das schwere, glänzende Gewebe sah, regte sich meine Eitelkeit
-doch, und ich dachte, wie die in der Nachbarschaft wohl schauen würden,
-wenn sie mich in dieser Pracht erblickten. Ich trug den Stoff alsbald
-zur Nähterin, die mir einen Arm voll Modeblätter mit nach Hause gab zur
-Durchsicht, damit wir wählten, was uns gefiele. Ich suchte mir ein sehr
-einfaches Bild zum Muster aus und bat die Mutter, sie möchte das Gewand
-nach diesem machen lassen, was sie mir zusagte.
-
-So waren die Tage der Brautzeit immer mehr ihrem Ende zugegangen, und es
-war nun an uns, zum Pfarrer zu gehen, das Stuhlfest zu feiern.
-
-Also meldete mein Verlobter an einem Oktobersonntag nach dem
-Gottesdienst in der Sakristei unserer Pfarrkirche dem alten einäugigen
-Meßner, daß wir am nächsten Tage zum Herrn Pfarrer kämen, damit er uns
-in allem unterweise, was für den Stand der christlichen Ehe von Nutz und
-Frommen sei.
-
-Hand in Hand schritten wir denn andern Tags gegen elf Uhr mit klopfendem
-Herzen durch die Straßen und zögernd stiegen wir im Pfarrhause die
-breite Treppe hinauf zur Tür, hinter der ein wirres Durcheinander von
-Kinderstimmen zu hören war. Im gleichen Augenblick stürmten etwa zehn
-Schulkinder jubelnd und lärmend aus der Wohnung und schwangen im Triumph
-bunte Heiligenbilder, die sie gewiß als Lohn für gute Antworten in der
-Religionslehre erhalten hatten. Hinter ihnen erschien lächelnd der noch
-ziemlich junge Pfarrer und mahnte: »Kinder, tut's schö stad sei; pfüat
-euch Gott und tut si koans derfalln! So, pfüat Gott, so!«
-
-Da erblickte er uns: »So, so! ... Grüß Gott, Leutln! ... So, geht's nur
-glei da rei; so ... Ja, jetz san ma also da, so ... So, sitzt's euch nur
-glei da her, so!«
-
-Und sorglich führte er uns zu einer Fensternische, die eigens zu dem
-Zweck, der uns hingeführt, gemacht schien. Ein kleiner Sammetdivan stand
-in der Ecke, darauf wir Platz nahmen; vor uns ein Tischlein, auf dem
-nichts als ein kleines Buch lag. Davor stand ein bequemer Armstuhl, der
-für den Priester bestimmt war.
-
-Da saßen wir nun mit seltsam bewegtem Gemüt. Ein leichter Duft von
-Weihrauch umgab uns; die Sonne schimmerte durch die großen Glasbilder,
-die an den Fenstern hingen, und ließ die reichen Blumenstöcke bald in
-bläulichem, bald rotem Licht erglänzen. Auch zu dem blassen Herrgott,
-der an einem hohen Kruzifix aus schwarzem Holze hing, huschte einer von
-den roten Strahlen und gab dem Gottessohn ein Kleines seiner Wärme und
-beinahe einen Hauch von Leben.
-
-Stumm blickte ich bald auf den Pfarrer, bald auf die lebensgroße Statue
-des Jesukindes, die zwischen Blumen und Kerzen in einer Ecke stand. Dann
-schielte ich verstohlen hin zum Benno: der saß etwas gebeugt und Tränen
-rannen ihm über sein Gesicht.
-
-Nun begann der Priester seine Lehre: erst gab er uns den Segen, dann
-führte er uns im Geist zurück zu den ersten Menschen, zur ersten Ehe im
-Paradiese; hierauf gab er uns alle jene Mahnungen und guten Lehren,
-deren junge Eheleute bedürfen. Vor allem aber bat er uns, die Tage vor
-der Trauung nichts zu tun, was gegen Sittsamkeit verstoße, und in der
-Ehe Gottes Segen nicht durch Anwendung von irgendwelchen Schutzmitteln
-freventlich zu hemmen oder zu vermindern; denn das sei ja der Kern der
-Ehe, daß die Welt durch sie bevölkert bleibe. Nach diesen Unterweisungen
-fragte er den Benno: »Also, Herr Hasler, nachher kannt ma am Sonntag
-scho zum erstenmal verkünden, so, und nachher setz' ma glei die Trauung
-fest. Wie moanatn S', Herr Hasler, wenn ma den zwoatn Deanstag im
-November nahm?«
-
-Mein Hochzeiter, der während der Ansprache des Herrn Pfarrers wiederholt
-in Schluchzen ausgebrochen war, trocknete nun seine Tränen und
-erwiderte: »Jawohl, Herr Hochwürden; am zweiten Dienstag im November is
-uns scho recht. Aber i möcht halt bitten um a g'sungene Mess' und daß
-uns halt der hochwürdige Herr Pfarrer d'Liab tät, selber die Trauung
-z'machen. Es wär halt a recht große Ehr für uns, und auch der Vater
-moant, es wär viel feierlicher, wenn der Herr Hochwürden d'Traumess'
-haltet.«
-
-Der Pfarrer sagte ihm dies zu, und nachdem er uns noch aufgetragen
-hatte, den Tag vor der Hochzeit eine Lebensbeichte abzulegen und am
-Hochzeitsmorgen noch die Kommunion zu empfangen, gab er uns den Segen
-und geleitete uns dann bis zur Gangtür.
-
-Wie von einer großen Last befreit, atmete ich auf, als wir draußen
-waren, und übermütig sprang ich die Stiegen hinab und auf die Straße.
-Der Benno aber war sehr ernst und schüttelte den Kopf, als er meine
-Ausgelassenheit sah, und während ich mit tänzelnden Schritten und
-lebhaftem Geplauder dahineilte, schritt er beinahe bedrückt neben mir
-her und sah mich schweigend an. Da schob ich lachend meinen Arm in den
-seinen und rief: »Juhu, g'heirat werd! Da derf i mit der Scheesn fahrn
-und hab an Schlepp und a seidens G'wand, juhu!«
-
- * * * * *
-
-Etwa eine Woche vor dem Hochzeitstage kamen die Handwerksleute und
-meldeten, daß sie mit allem, was ihnen aufgetragen worden, fertig seien.
-
-Also mußten nun die Möbel in die für uns bereitete Wohnung gebracht
-werden, und ich erbat mir deshalb von der Mutter die Erlaubnis, etliche
-Tage vom Geschäft wegbleiben zu dürfen. Da stieß ich zum erstenmal seit
-langem wieder auf heftigen Widerstand, und die Mutter begann zu fluchen
-und zu schelten und machte mir die gröbsten Vorwürfe, daß ich jetzt, wo
-ich endlich etwas taugte, heiratete.
-
-»Und i leid's einfach net, daß d'gehst! Dös war dös rechte! I kannt mi
-dahoam darenna vor lauter Arbat und dö gnädi Fräuln laafat furt und tat
-d'Wohnung eirichtn. Sag's nur dö Haslerischen! Dö ham mehra Zeit wie
-mir; dö solln si um d'Wohnung kümmern! I muaß alles zahln, drum verlang
-i aa, daß d'dafür arbatst!«
-
-Ratlos schlich ich davon und besorgte, es möchte der Tag meiner Hochzeit
-kommen und ich hätte nichts gerichtet, worin wir wohnen und schlafen
-könnten. In meiner Not ging ich zum Vater und bat ihn um seine Fürbitte,
-und nun konnte ich wenigstens für einen Tag Urlaub bekommen.
-
-Ich ging also in aller Früh schon fort und trat bei der Familie Hasler
-eben in dem Augenblick in die Stube, als der Benno seinen Hut vom Nagel
-nahm und in das Geschäft wollte. Als ich berichtete, wie schwer ich von
-zu Hause fortgekommen sei, meinte er: »Da muß i glei dahoam bleibn, daß
-ma heut no ferti wer'n; i möcht net habn, daß dei Mutter harb werd.«
-
-Also blieb er bei mir, und wir begannen sogleich unsere Arbeit. Erst
-stellten wir alles das auf, was in die Schlafstube gehörte, wobei wir
-beinahe in Streit gekommen wären, da der Benno haben wollte, wir sollten
-die beiden Betten zusammenrücken, ich sie aber gern getrennt gehabt
-hätte. Doch gab ich endlich nach, nachdem mich mein Verlobter auf die
-Worte des Pfarrers: »Das Weib muß dem Mann gehorchen« hingewiesen hatte.
-
-Gegen Mittag hatten wir ein Zimmer fertig, und ich wollte nun nach Hause
-gehen zum Essen; doch gaben die alten Haslerleute keine Ruhe, bis ich
-blieb.
-
-Nachmittags räumten wir dann die Wohnstube ein; doch kamen wir zu keinem
-Ende, da ein jedes die Dinge nach seinem Kopf gestellt haben wollte.
-Daher ließ ich den Benno bei seiner Arbeit allein und ging in die Küche,
-wo Geschirr und Bilder, Möbel und Nippsachen, Spiegel und Stellagen bunt
-durcheinander standen und lagen.
-
-Nach wenig Stunden wurde es dunkel, und ich war noch nicht einmal zur
-Hälfte fertig mit meiner Arbeit. Da kam mit einemmal eine große
-Traurigkeit über mich, und ich setzte mich in einer Ecke auf einen
-kleinen Hocker und begann zu weinen. Die Unordnung ringsum bedrückte
-mich, und alles kam mir so fremd und unwirtlich vor und ich empfand
-plötzlich eine große Furcht vor dem Heiraten.
-
-Währenddem war es ganz finster geworden, und ich stand auf und ging in
-die Stube, wo ich den Benno gelassen hatte. Da war sie leer. Ich ging in
-das Schlafzimmer, doch auch da fand ich ihn nicht. Nun wollte ich
-hinuntergehen zu den Eltern Bennos; da fand ich die Wohnungstür
-verschlossen und war also eingesperrt. Ratlos stand ich da und wußte
-nicht, was ich beginnen sollte. Es fiel mir nicht ein, daß ich ja nur
-ein Fenster zu öffnen brauchte und auf die Straße zu rufen; vielmehr
-ging ich wieder zurück in die Schlafstube, legte mich auf ein Bett und
-weinte bitterlich. Da hörte ich aufsperren, und es kam der alte Hasler
-mit einem Licht und wollte sich unser Werk beschauen. Er erschrak gar
-sehr, als er mich so trostlos hier fand, und ich erfuhr nun, daß der
-Benno geglaubt hatte, ich sei im Zorn fortgelaufen, und er hatte deshalb
-gar nicht weiter nach mir gesehen.
-
-Als ich daher mit dem alten Hasler eine Weile später drunten in die
-Wohnstube trat, war große Freude über den guten Ausgang dieser
-Geschichte.
-
-Spät abends brachte der Benno mich nachhause und bat die Mutter, sie
-möge mich doch noch einen oder zwei Tage fort lassen.
-
-Mit süßsauerem Lächeln erwiderte sie: »Ja, ja, sie kann scho geh vo mir
-aus; jatz muß i mi alleweil scho dro g'wöhna, ohne Hilf z'sei. Dös is
-scho was alt's, daß d'Kinder, wann s' oan gnua kost' ham, davolaafn und
-heiratn!«
-
-Wir bedankten uns für die Erlaubnis, und am andern Morgen machte ich
-mich wieder auf den Weg, ohne vorher etwas zu essen. Als ich daher von
-der Frau Hasler zum Kaffee geladen wurde, nahm ich dies gern an, sagte
-aber, daß ich mittags heim ginge; denn ich befürchtete, es möchte ihr zu
-viel werden.
-
-Der Benno war schon in aller Früh zu seinem Herrn ins Geschäft gegangen,
-ihn um Urlaub zu bitten, bis wir eingerichtet wären. Nun kam er, und wir
-begannen wieder unsere Arbeit. Es ging uns jetzt alles gut von statten,
-da ich zu müde war, um noch länger zu streiten, und mir vorgenommen
-hatte, nach der Hochzeit doch alles so zu richten, wie es mir gefiel.
-
-Am Mittag wollte ich dann heimgehen, vorher aber gab es noch ein kleines
-Unglück.
-
-Mein Hochzeiter war über unsere Arbeit so erfreut, daß er mich mit einem
-Male um die Hüften faßte, mit mir in der Stube herumtanzte und am Ende
-mich in die Höhe hob und auf den Divan fallen ließ. Ich hatte schon
-während des Aufhebens heftig gezappelt und kugelte nun beim Fallen vom
-Divan herab und gerade hinein in einen schönen, großen Spiegel, den ich
-kurz zuvor darangelehnt hatte. Er ging in Scherben, und es kostete mich
-nicht geringe Mühe, aus dem Rahmen, in dem ich saß, herauszukommen. Die
-Holzwand war durchgebrochen und die beiden goldenen Amoretten, welche
-den Rahmen zierten, standen nun auf meinem Rücken und hielten mit Anmut
-das goldene Wappen. Der Benno war erst wie erstarrt; als ich aber unter
-großem Jammer begann, mich von der unbequemen Einrahmung zu befreien,
-brach er in so lautes Gelächter aus, daß ich in heftigsten Zorn geriet
-und schwur, ich würde ihm den ganzen Spiegel an den Kopf werfen, wenn
-ich nur erst heraußen wär. Zum Glück hatte ich keine Verletzung
-davongetragen, und als mir der Benno herausgeholfen hatte und sich nun
-selbst hineinsetzte, um mir das komische Bild zu zeigen, da mußte auch
-ich lachen. Die alte Haslermutter freilich war sehr erschrocken, als
-sie's vernahm, und prophezeite uns, daß wir nun sieben Jahre kein Glück
-hätten, worüber ich wieder hellauf lachen mußte. Ob nicht doch ein
-Körnlein Wahrheit in dem Worte lag?
-
-Mein Verlobter begleitete mich heim und trat gleich in das Gastzimmer,
-um rasch ein Glas Bier zu trinken; ich aber ging in die Küche. Als ich
-die Mutter grüßte, dankte sie mir nicht und fragte nur: »Was willst?«
-
-Ich sagte, daß ich zwar zum Essen geladen worden wäre, es aber
-ausgeschlagen hätte. Da schrie sie: »Also was z'essen möchst! Sonst
-fallt dir nix ei! Dös war no dös schönere; an ganzn Tag rum z'vagiern
-und dahoam 's Essen z'verlangn! Nix da! Wannst net bei mir arbatst, hast
-aa nix z'fordern von mir. Laß di nur von dö Haslerischen fuattern!«
-
-Ich gab ihr keine Antwort mehr darauf, sondern lief in die Gaststube und
-sagte mit vor Erregung heiserer Stimme zum Benno: »Komm, gehn ma!
-Rasch!«
-
-Auf der Straße erst erzählte ich dem aufs höchste Erstaunten und
-Erbitterten den Vorfall.
-
-Als wir nachher bei seinen Eltern zu Tisch saßen und ihnen berichtet
-hatten, wie es mir ergangen, da meinte der alte Hasler: »So was isch
-aber do scho ganz aus dr Weis'! Da mögscht ja glei e Narr wera! Was ha i
-dr g'sagt, Benno; da hascht es jetzt. I ha's ja allweil g'sagt: e Mädla
-aus'm Gaschtlokal isch e Stückle vom a Saustall! Jetzt ka'scht luadrige
-Tag grad gnua kriege. Am brävschte wär's halt, wenn d'heut auf d'Nacht
-hi'fahrn tätsch' und alls rückgängig mache!«
-
-Da sprang der Benno auf und schrie überlaut: »So! Was fallt dir denn ei,
-Vater! Was kann denn 's Madl dafür, daß s' so a narrische Muatta hat!
-Naa, so viel Ehrenmann bin i allweil no, daß i woaß, was si g'hört! I
-heirat, und geht's wie's mag!«
-
-Nun mischte sich auch die alte Mutter in das Gespräch: »Gar so unrecht
-kann i ja der Frau Zirngibl net gebn, Vater; du mußt allweil bedenkn,
-daß d'Leni ledi is!«
-
-»Ja, ledig, dies isch scho recht; aber 's Fressa braucht ma au em ledige
-Kind it vorz'werfe!« ...
-
-Mitten im Reden brach er ab und sah auf mich. Ich war völlig ohne alle
-Fassung dagesessen und große Tränen rannen mir über die Wangen; doch
-sagte ich kein Wort und stand nur nach einer Weile auf und ging wieder
-in mein werdendes Heim. Dort setzte ich mich neben dem zerbrochenen
-Spiegel auf einen Stuhl und bedachte zum erstenmal den Schritt, den ich
-mit meiner Heirat zu tun im Begriff stand. Ich sah jetzt ein, daß ich
-von den Schwiegereltern nicht viel Liebe zu erwarten hatte; daß mein
-Gatte heute für mich eintrat, gab mir nicht die sichere Gewähr, daß dies
-auch morgen noch geschehe; daß ich aber trotzdem nicht mehr zurücktreten
-durfte, wenn ich nicht der gröbsten Schmähungen von seiten meiner Mutter
-gewärtig sein wollte, stand fest bei mir. Es bedrückte mich zwar das
-rauhe Wesen meiner Mutter, doch mehr noch ängstigte mich das unbekannte
-und doch naheliegende Schicksal, das mich in meiner Ehe erwartete.
-
-In dieser trüben Stimmung begab ich mich ins Schlafzimmer, wo ein großes
-Bild der Mutter Gottes hing. Dort setzte ich mich auf den Rand eines
-Bettes und redete mit dem Bild: »Liabe Muatta Gottes, hilf mir do in
-dera Angst. Laß mi net z'grund geh; sag's dein Sohn, daß er's recht
-macht!«
-
-Da tönte die Klingel der Haustür, und es kam mein Verlobter. Wir
-sprachen nichts mehr über das Vorgefallene und arbeiteten den ganzen
-Nachmittag fleißig. Abends gegen sechs Uhr wollte ich aufhören, doch
-hatte ich mir vorgenommen, nicht heimzugehen, sondern in einem der neuen
-Betten zu schlafen. Ich sagte dies dem Benno, und er meinte auch, daß es
-besser wäre, wenn ich heute nicht heimginge. Also bereitete ich mir noch
-eins der Betten für die Nacht. Als es nun so frisch gerichtet war,
-meinte mein Verlobter, ich sollte es doch einmal mit ihm probieren, wie
-sich's in den neuen Betten schlafe. Ich aber wies ihn streng zurecht und
-gab trotz der Versicherung, daß wir es ja leicht noch beichten könnten,
-nicht nach. Schmollend ging er hinaus und nahm mir meine Weigerung recht
-übel. Vielleicht trug er auch einen Groll gegen die kirchlichen
-Ehegesetze in sich, weil sie dem Mann nicht auch in diesem Fall die
-Durchsetzung seines Willens gestatteten.
-
-Da ich befürchtete, er könne sein Begehren, wenn ich da schliefe, noch
-stürmischer wiederholen, so machte ich mich bald auf den Heimweg.
-
-Als ich in die Küche trat, sagte mir unsere Magd, daß die Nähterin
-soeben mit der Mutter in der Wohnung droben sei; sie hätte das
-Brautkleid gebracht. Ich konnte aber keine Freude darüber empfinden, und
-nicht einmal die Erzählung des Mädchens, daß das Kleid eine lange
-Schleppe habe, bereitete mir Vergnügen. Mißmutig schnitt ich mir ein
-Stücklein Wurst ab und aß, ohne mich zu setzen.
-
-Da kam die Schneiderin mit der Mutter herein und rief, als sie mich
-erblickte: »Ah, da is ja d'Fräuln Leni scho! Jetz kannt ma glei no
-schaun, ob's Brautkleid aa paßt!« Und ich mußte mit ihr in die Wohnung
-hinaufgehen und das Gewand anziehen. Es sah recht nobel aus, doch paßte
-es nicht gut und war der Kragen viel zu eng. Ich bat sie daher, das
-Kleid wieder mitzunehmen und zu richten, was sie auch tat.
-
-Als ich nachher wieder hinunter kam, war der Benno gekommen und saß mit
-etlichen seiner Freunde in der Gaststube, gerade dem Fenster gegenüber,
-aus dem man die Speisen in die Stube langte. Er grüßte mich freundlich
-und winkte mir zu, aber ich ging nicht hinein, sondern setzte mich an
-die Anricht und begann für den kommenden Tag Gemüse zu putzen. Die
-Mutter saß nahe bei dem Ausgang, der in die Schenke führte, und hatte
-eine Zeitung in der Hand, doch las sie nichts und blickte von Zeit zu
-Zeit zornig auf mich. Mit einem Mal sprang sie auf und schrie mich an:
-»Du unverschämts Frauenzimmer, woaßt net, was si g'hört? Hast du koan
-Dank für dei Mutter? Moanst leicht, i war dir's schuldi, daß i dir a
-seidas hab kaaft!«
-
-Ich blickte sie erschrocken an und wollte eben erwidern, daß ich es ja
-noch gar nicht hätte, da fuhr die Mutter aufs neue heraus: »Umanander
-renna, d'Gnädige spieln und dabei d'Letschn hänga lassn, dös kann's;
-aber dir treib i's aus, du Herrgottsakramenter!« Und ehe ich mich
-versah, hatte sie den Schürhaken ergriffen und mir denselben etliche
-Male um die Schultern geschlagen.
-
-Ich sprang auf und rief: »Aber Mutter! Denkn S' doch, daß i Braut bin!«
-
-Da kam sie in eine furchtbare Wut; sie faßte mich an den Haaren und riß
-mich herum, gab mir etliche Ohrfeigen und stieß mich schließlich mit dem
-Schrei: »Geh nei zu dein Kerl, G'stell, verfluchts! Moanst vielleicht, i
-fürcht mi vor dem Bürscherl!« in die Gaststube hinein.
-
-Da sprang mein Verlobter auf, stürzte in die Küche hinaus und schrie:
-»Frau Zirngibl, dös is a Saustall, wie Sie mit meiner Braut umgehn!
-Schamen S' Eahna! Sie führn Eahna ja auf wie a Zigeunerin!«
-
-Mein Vater hatte mich, als ich so in die Stube flog, sogleich beim Arm
-gefaßt und trat nun mit mir in die Küche, als eben der Benno so laut das
-Benehmen der Mutter geißelte. Und als die Mutter gerade wieder begann zu
-toben, rief der Vater dazwischen: »Was is denn dös für a Wirtschaft!
-Kannst di jatz du gar net a weng eischränka, Muatta?«
-
-Der Benno aber fluchte und rief: »Dös war ma dös Rechte! Sofort muß ma
-d'Leni aus'm Haus! Koa Minutn laß i's mehr bei so ana Megärn! Dös war dö
-recht Zigeunerwirtschaft!«
-
-Aber die Mutter fuhr ihn an: »'s Maul halten, Rotzlöffel! Dö bleibt ma
-da! Und wann's ma net paßt, na derf s' ma aa net heiratn! Dös kannt enk
-passen, scho vor der Trauung z'ammz'hocka in Konkubinat! Sie san a ganz
-a feiner, Sie Rotzer! Moanen S' vielleicht, i kriag koan andern
-Schwiegersohn mehr als Eahna? Da brennan S' Eahna! I ko mei Tochter
-gebn, wem i will, verstanden!«
-
-In maßloser Wut hatte der Benno bei diesen Schmähungen gestampft und
-geflucht, jetzt aber faßte er mich rauh am Arm und schrie: »Marsch, du
-gehst ma sofort aus dem Haus, wannst willst, daß i di heirat!«
-
-Da trat der Vater abermals dazwischen, drückte die Mutter auf einen
-Stuhl, schob den Benno in die Gaststube und schickte mich zu Bett; dazu
-sagte er bloß mit seltsam bewegter Stimme: »Bringt's mi do net um alles!
-Mei ganz' Renomee is beim Teufl durch enkern Saustall; seids g'scheit
-und hüt's enker Zung! Geh Benno, gib aa wieder an Fried!«
-
-Grollend ging der Benno wieder in die Stube, die Mutter machte einen
-kleinen Spaziergang in den Hof und ich ging zu Bett.
-
-Am andern Tag schien alles wieder gut zu sein, und ich machte mich auf
-den Weg, meine Wohnung vollends zu richten.
-
-Das war drei Tage vor meiner Hochzeit. Es gab immer noch viel zu tun,
-wenn ich alles gut instand setzen wollte, und ich arbeitete ohne Rast
-bis zum späten Nachmittag.
-
-Als ich endlich fertig war, richtete ich noch die Öfen her, daß ich sie
-beim Einzug nur anzuzünden brauchte. Dann eilte ich heim, ohne noch zu
-den Haslerischen zu gehen; denn ich schämte mich sehr wegen der
-traurigen Szene am Tag vorher.
-
-Als ich heimkam, trat ich mit freundlichem Gruß in die Küche und sagte:
-»So, jetz bin i ferti. Wenn S' vielleicht Lust hätten, Mutter, daß Sie's
-Eahna anschaun möchtn, tat's mi freun!«
-
-Ich bekam keine Antwort und wußte also, daß ich, wenn nicht abermals
-etwas Unliebsames vorkommen sollte, gehen mußte. Daher sagte ich bloß
-noch: »Gut Nacht!« und ging dann zu Bett.
-
-Am andern Tag wollte ich mein Geld von der Sparkasse abholen und
-kleidete mich daher schon früh an. Der Vater wollte mitgehen, und es
-mußte also die Mutter in die Schenke. Sie tat es, ohne ein Wort mit uns
-zu reden; nur als ich ihr Adieu sagte, rief sie mir nach: »Kannst glei
-dein Bräutigam 's Brauthemad kaafa und a Myrtnsträußerl! Na gehst glei
-hoam!«
-
-Ich hatte mir schon allerhand ausgedacht, was ich mir um die neunzig
-Mark, die mir von dem Geld aus der Floriansmühle noch geblieben waren,
-alles kaufen wollte; als ich aber heimkam, verlangte mir die Mutter das
-Geld sofort ab und sagte: »Dös Geld gibst her, na kaaf i dir an saubern
-Spiegelkasten drum.«
-
-Obschon ich gerne dagegen gesprochen hätte, blieb ich doch stumm auf
-diese Rede; denn ich fürchtete, aufs neue den Zorn der Mutter zu
-erregen, wenn ich nicht zu allem ja sagte. Also ward ich auch dieses
-Geldes los, wie ich einst des meines Großvaters und des Hausls los
-geworden war.
-
-
-
-
-
-
-Es ist ein alter Brauch, daß man den Vorabend einer Hochzeit mit einer
-kleinen Feier begeht, und nennt man diesen Abend den Polterabend.
-
-Zu der Zeit meiner Verheiratung wußte ich über den Ursprung und die
-Bedeutung dieses Wortes noch nicht viel, doch schien mir der Name für
-meine Verhältnisse gar nicht so unrecht; denn die Mutter polterte an
-diesem Tag im ganzen Haus herum, fluchte, zeterte, zertrümmerte
-verschiedenes Geschirr, jagte die Küchenmagd aus dem Haus und prügelte
-meine Stiefbrüder, ohne daß man recht wußte, warum. Ich war deshalb sehr
-bedrückt und tat nichts, wovon ich vermeinte, daß es die Mutter erzürnen
-könnte, und hatte auch wirklich bis zum Nachmittag Ruhe.
-
-Um zwei Uhr ging ich in die Wohnung hinauf, um meine kleinen Andenken
-und all die Kästlein und Schächtelchen, die Bilder und Büchelchen
-zusammenzupacken, die mir zu lieb waren, als daß ich sie hätte
-zurücklassen mögen. Auch die Mutter kam bald hinzu und warf mir manches
-hübsche und auch kostbare Stück hin, das sie nicht mehr mochte; doch
-brummte sie beständig vor sich hin und schrie mich plötzlich ganz
-unvermittelt an: »Hast es ja recht notwendi, daß d'heiratst! Hättst es
-ja nimmer aushalten könna dahoam! Aber wart nur, du wirst es scho sehgn,
-wia's dir geht! Daß dir i nix guats wünsch, kannst dir denka, du
-undankbars Gschöpf! Kannt ma s' so guat braucha und muaß ma fremde Leut
-haltn, während die gnädig Fräuln heirat und si auf die faule Haut
-flackt!«
-
-Dabei warf sie mir etliche Schmuckschächtelchen auf den Tisch, dazu ein
-schweres Kettenarmband, eine Halskette mit einem schönen, alten
-Medaillon, einen schwarzen Beinschmuck und ein großes, kostbares
-Ametystkreuz, das sie einst von einer Gräfin von Lindwurm erhalten
-hatte. Ich glaubte nicht, daß die Dinge alle für mich bestimmt seien und
-ließ sie liegen. Da schrie die Mutter wieder: »Is dir leicht mei Sach
-nimma guat gnua? Bist leicht z'schö dazua, daß d' was alts, was guats
-tragst?«
-
-Da nahm ich rasch die Sachen vom Tisch, leerte eine hübsche Schatulle,
-in der ich Briefe liegen hatte, aus und tat alles hinein, indem ich
-sagte: »Was denken S' denn, Mutter! Freili mag i alles! Und von Herzen
-'gelt's Gott dafür! Dös freut mi anders, daß i grad dös schönste kriagt
-hab! Dank schö, Mutter! 'gelt's Gott!«
-
-Da lief sie aus dem Zimmer und schlug krachend die Tür zu.
-
-Ich hatte großes Mitleiden mit ihr und dachte, ob ich wohl auch einmal
-ein Mädchen bekäme und wie ich mit ihm sein wollte; doch bald
-verscheuchte ich diese Gedanken und trug meine Kostbarkeiten nach der
-neuen Wohnung, wo ich alles in die Kommode räumte. Danach ging ich zur
-Familie Hasler, wobei mir das Herz klopfte; doch sagten sie kein Wort
-wegen des Verdrusses, den wir gehabt. Sie luden mich ein, mit ihnen den
-Kaffee zu trinken, aber ich entgegnete, ich müsse erst daheim um
-Erlaubnis bitten.
-
-Ich ging also gleich wieder nachhause und bat den Vater, der es mir zwar
-erlaubte, doch meinte, ich müsse schon auch die Mutter fragen. Dies tat
-ich, und da ich ohnehin auch noch zur Beicht mußte, ließ die Mutter mich
-gleich fort und sagte bloß: »Daß d'hoam kommst bis auf d'Nacht! Bringst
-Haslers mit, mir ham heut a Konzert!«
-
-Nach dem Kaffee, etwa um fünf Uhr, brach ich auf und holte meinen
-Hochzeiter vom Geschäft ab, um mit ihm zur Beicht zu gehen. Er war
-wieder sehr ernst und redete nicht viel.
-
-Nach der Beicht gingen wir wieder zu seinen Eltern, wo wir die alten
-Leute bereits in sonntäglicher Kleidung antrafen. Der Tisch in der
-Wohnstube war weiß gedeckt, ein Rosmarin prangte in der Mitte und eine
-große Torte mit der Aufschrift: »Dem Brautpaar«, stand daneben. Der
-Vater holte eine Flasche Wein herbei und die Mutter stellte die Gläser
-mit zitternder Hand dazu. Es war schon völlig dunkel, und im Zimmer
-verbreitete die altmodische Lampe ein behagliches Licht.
-
-Da ertönte draußen im Hof Musik, und das Lied: »Nur einmal blüht im Jahr
-der Mai, nur einmal im Leben die Liebe« wurde mit viel Gefühl auf einem
-Piston vorgetragen. Nun schenkte der alte Hasler die Gläser voll und mit
-herzlichen Worten wünschte er uns Glück; die Mutter hatte die Augen voll
-Tränen und gab uns ihren Segen, der Benno aber hatte mich an sich
-gezogen und schluchzte.
-
-Da ergriff mich eine große Dankbarkeit gegen diese Menschen und ich
-dankte ihnen unter heftigem Weinen. Trotzdem fühlte ich mich so elend,
-als sei ich wieder am Grab meines Großvaters, und es befiel mich ein
-Zittern und Unwohlsein, und ehe man sich recht zu helfen wußte, war ich
-ohnmächtig geworden.
-
-Als ich wieder zu mir kam, waren alle um mich besorgt, die Haslermutter
-aber fragte mich, ob ich öfter an solchen Zuständen leide. Ich sagte
-ihr, daß ich manches Mal auch ohne besonderen Anlaß mit solchen
-Ohnmachten zu kämpfen hätte. Da nahm sie mich beiseite in die
-Schlafstube und wollte ausführlich über meine Gesundheit berichtet sein:
-»Denn,« sagte sie, »du kannst mir's net verargen, daß i mi um mein'
-Oanzign sorg.«
-
-Nun erzählte ich ihr, daß ich schon seit meinem vierzehnten Jahr
-bleichsüchtig gewesen sei, daß ich die Reife des Mädchens erst vor wenig
-Wochen zum erstenmal erfahren hätte, während bisher jahrelang nur diese
-Ohnmachten eine gewisse Zeit andeuteten. Diese Bewußtlosigkeit sei immer
-plötzlich gekommen, und einmal gerade, als ich in der Küche stand und am
-Fleischtisch ein Stück Leber schnitt. Zum Glück hatte ich das große
-Tranchiermesser nur locker in der Hand, sonst wäre vielleicht ein
-Unglück geschehen. Auch berichtete ich ihr, wie ich einmal nach einem
-großen Verdruß mit der Mutter am Brunnen gestanden, um ein Kalbshirn zu
-häuten. Da hatte mich mit einem Mal ein kurzer, heftiger Husten gepackt
-und ein schöner Faden hellen Blutes lief den Brunnen hinab, während ich
-mit heißem Kopf und müden Beinen dort lehnte und Schmerz und Übelkeit
-bekämpfte. Die Mutter hatte mich am andern Tag zum Arzt geschickt, der
-an eine Magenkrankheit glaubte, da ich vordem nur selten gehustet hatte.
-Doch sei dies alles längst wieder gut und ich hätte nicht Sorge, daß ich
-eine Krankheit in mir habe.
-
-Nach einigem Nachdenken meinte die Frau Hasler: »Du bist halt
-überarbeit't! Wennst jatz dei Ruah hast, wirst scho wieder! 's Heiraten
-is dös best' für di und der Benno is der g'scheitste Doktor. Aber jatz
-müaß ma wieder zu dö andern, sonst wer'n s' uns granti!«
-
-Und sie nahm mich bei der Hand und führte mich wieder in den Bereich des
-Lichts, wo die zwei Männer inzwischen ernste Dinge verhandelt haben
-mußten; denn der Vater sah den Benno fest an und sagte noch kurz:
-»Hascht mi verschtande?« worauf der Benno ihm die Hand drückte und
-sagte: »Ja, Vater, i wer' mir's merkn.«
-
-Wir machten uns nun auf den Weg zu meinen Eltern. Schon aus etlicher
-Entfernung tönte uns lustiges Klarinetten- und Geigenspiel entgegen, und
-als wir eintraten, brachen die Musikanten das eben begonnene Stück ab
-und empfingen uns mit einem feierlichen Marsch.
-
-Wir gingen erst an die Schenke, dann in die Küche, die Eltern zu
-begrüßen. Da sah ich, daß die Mutter geweint hatte, und ich fragte sie
-sogleich, ob ich in der Küche helfen könne; sie sagte aber: »Naa, naa!
-Bleib nur drin! Dös war no dös nettere: a Polterabend ohne Braut!«
-
-Da setzte ich mich an den Tisch, wo schon die ganze Verwandtschaft und
-Freundschaft Platz genommen hatte, und ein lustiges Treiben begann, und
-es währte nicht lange, da forderte mich mein Verlobter zum Tanz. Und
-heiter ging der Abend dahin, und um Mitternacht ertönten Hochrufe und
-knatterten Schüsse und begann ein Glückwünschen und eine Lust, daß ich
-mir wie verzaubert vorkam. Bald stimmte auch ich in die Lustbarkeit ein
-und sang noch manches Trutzliedlein in dieser Nacht.
-
-Endlich um drei Uhr morgens gingen wir auseinander; denn da der Benno
-und ich seit Mitternacht weder essen noch trinken durften wegen der
-morgendlichen Kommunion, so freute uns schließlich der ganze Spaß nicht
-mehr.
-
-Ich lag noch nicht lange im Bett und war kaum eingeschlafen, als mich
-ein heftiges Weinen aufweckte. Ich setzte mich erschreckt auf und
-horchte. Da vernahm ich, daß dasselbe aus dem Schlafzimmer der Eltern,
-welches unmittelbar an meines stieß, drang. Deutlich hörte ich jetzt die
-Mutter klagen: »Hätt i meine Leut g'folgt! Hätt i auf mein Vatern
-g'hört! So a Schand! Jatz bin i no so jung und muaß dös derlebn!«
-
-Vergebens tröstete der Vater: »Mach dir do nix draus, Muatta! Da denkt
-koa Mensch weiter drüber nach, daß d' no so jung bist!«
-
-Sie wurde immer erregter: »Jatz kann i mi aa zu dö Altn hi'hocka im
-Kaffeehaus! Und i will no net so alt sei! I will no lebn! Koa Mensch
-acht a Schwiegermuatta! Hätt do i dem Lumpen net glaabt, damals! O mei!«
-
-Und sie weinte und klagte, und der Vater redete begütigend mit ihr, und
-seine Stimme wurde immer liebevoller und leiser, und endlich vernahm ich
-nichts mehr, als ein Flüstern, dessen Zärtlichkeit mir anzeigte, daß die
-Mutter wieder gut sei.
-
-Da legte ich mich wieder hin und versuchte zu schlafen, doch obschon ich
-mich bald auf die eine, bald auf die andere Seite drehte, gelang es mir
-nach dem eben Gehörten nicht mehr. Am End stand ich auf, wusch mich mit
-kaltem Wasser und begann mich dann für die Frühmesse und Kommunion
-anzukleiden.
-
- * * * * *
-
-Kurz nach fünf Uhr verließ ich das Haus und begab mich in die matt
-erhellte Kirche, wo nur etliche Beterinnen und vier Klosterfrauen
-knieten. Ich setzte mich in eine der vordersten Bänke und erwartete
-meinen Bräutigam.
-
-Ohne Teilnahme, ohne Andacht und ohne Bewegung saß ich da und blickte
-stumpf auf den riesigen Kronleuchter vor dem Tabernakel. Die rote Ampel
-ließ kaum das kleine Lichtlein durchscheinen, und der weite,
-schmiedeeiserne Reif darum bewegte sich leise hin und her.
-
-Wenige Augenblicke vor Beginn der Messe, als eben der Kirchendiener die
-Kerzen des Altars entzündete, kam der Benno. Leise trat er in meinen
-Stuhl und begrüßte mich flüsternd. Dann kniete er sich nieder, zog ein
-Andachtsbüchlein aus der Tasche und schien recht gesammelt und
-ehrfurchtsvoll zu beten. Ich aber versuchte vergebens, ein Vaterunser zu
-vollenden; schon bei der dritten oder vierten Bitte war ich mit meinen
-Gedanken wieder in der Welt und in der Zukunft. Erst als der Ministrant
-bei der Wandlung mit seinem silbernen Glöcklein zur Anbetung des
-menschgewordenen Gottes mahnte, konnte ich der frommen Handlung folgen
-und empfing andachtsvoll das Sakrament des Lebens.
-
-Nach der Kirche gingen wir zusammen bis zu unserm Haus und trennten uns
-mit gemessenem Gruß.
-
-Unsere Fanny, meines Vaters jüngste Stiefschwester, die seit einem
-halben Jahr im Hause war und schon etliche Wochen hindurch hatte lernen
-müssen, all die Arbeiten zu tun, welche sonst ich zu verrichten hatte,
-war inzwischen schon mit dem Kaffeekochen fertig und ich trank schnell
-meine Tasse. Dann ging ich ins Bad und begann danach in meinem Zimmer
-mich mit der feinen Wäsche zu bekleiden, die mir die Haslermutter zur
-Brautgabe gesandt hatte; denn es war bei uns der Brauch, daß die Braut
-für den Bräutigam und wiederum er für die Braut jenes Hemd anschaffte,
-das den Körper am Tag der Vermählung bekleidet. Nach der Hochzeit wird
-es dann gewaschen und aufgehoben bis zum Tod, wo es noch einmal die
-Glieder kleiden soll. Es waren recht ernste Gedanken, die mich dabei
-bewegten, und ich besah mich nachdenklich im Spiegel, nachdem ich das
-kostbare Linnenhemd angetan hatte. Doch gewann bald meine muntere Natur
-die Oberhand, und als ich meine Füße in die weißen, seidenen Strümpfe
-hüllte und in die feinen Stiefelchen aus weißem Leder schlüpfte, kam es
-mir plötzlich in den Sinn, zu versuchen, ob ich in diesem Schuhwerk auch
-gut tanzen könne. Und ich stand auf und begann erst allerhand Schritte
-zu machen, und dann tanzte ich auf dem weichen Teppich und summte dazu
-die Donauwellen.
-
-Da ging die Tür auf und die Mutter und der Vater kamen herein. Erstaunt
-sahen sie mich an, und der Vater meinte: »Schau, schau, wie 's Bräutl
-scho munter is! Denkst leicht, wenn ma in Ehstand einitanzt, na hat ma
-mehra Glück? Da paß nur auf, daß dir koan Fuaß vodrahst, sunst is vorbei
-mit der Freud!«
-
-Nach diesen Worten ging er hinab ins Geschäft. Die Mutter aber befahl
-mir kurz: »Ziag den Schlafrock o, den i auf mei Bett g'legt hab, na
-gehst nüber zum Teuerl und laßt di frisiern!«
-
-Ich ging, nachdem ich den feinen, dunkelroten Schlafrock angezogen und
-der Mutter dafür gedankt hatte.
-
-Das Frisieren dauerte über eine Stunde, da der Fritzl, der kleine Sohn
-des Friseurs, das Brenneisen erwischt und verräumt hatte, so daß über
-dem Suchen beinahe eine halbe Stunde verrann.
-
-Endlich trat ich fein gelockt und gescheitelt aus dem Laden und lief
-geschwind heim; denn es schlug eben neun Uhr und um halb zehn Uhr war
-schon das Frühstück angesagt.
-
-Als ich wieder in mein Zimmer kam, fragte die Mutter, ob ich das
-Brautgewand gleich mitgebracht hätte. Da fiel mir erst ein, daß die
-Schneiderin versprochen hatte, um sieben Uhr schon da zu sein. Ich lief
-daher schnell ins Nachbarhaus zu ihr und fragte, warum sie denn nicht
-käme. Sie war recht krank geworden und konnte sich kaum aufrecht halten,
-ihre Gehilfin aber war nicht gekommen. Inständig bat ich sie, sie möge
-doch versuchen, mitzukommen, da ich ja sonst nicht heiraten könne. Da
-zog sie sich doch an, packte das Kleid und die Nadelbüchse zusammen und
-ging mit. Nun sperrte die Mutter ihren Salon auf, und ich wurde vor dem
-großen Spiegel angekleidet und mit Kranz und Schleier geschmückt.
-
-Als sie fertig war, ging die Nähterin wieder nachhause und bat, man möge
-ihr das herkömmliche Mahl hinaufschicken.
-
-Nun stand ich also bräutlich angetan da und ein feierliches Gefühl
-überkam mich.
-
-Da trat die Mutter zu mir, besah mich lange, und es kam wieder etwas
-Böses in ihren Blick, das ich schon kannte und fürchtete. Eine große
-Angst befiel mich und ich war unfähig, mich zu rühren, noch zu reden,
-als sie begann: »Also, heunt bist erlöst vo mir; werd dir net gar
-z'wider sei, dös! Jatz kannst dein Mo ärgern, wie'st bis heunt mi
-g'ärgert hast!«
-
-Ich konnte kein Wort erwidern und sie fuhr fort: »I wollt dir z'erscht
-hundert Mark Taschengeld gebn, aber i tua's net. Leicht kannt's eahm gar
-net recht sei, an Hasler! Aber den Frauntaler gib i dir; den kannst dir
-aufhebn, bis d' amal nix z'fressn mehr hast. Und mein Wunsch will i dir
-aa no sagn: du sollst koa glückliche Stund habn, so lang'st dem Menschn
-g'hörst, und jede guate Stund sollst mit zehn bittere büaßn müaßn. Und
-froh sollst sei, wannst wieder hoam kannst; aber rei kimmst mir nimma.
-Jatz woaßt es!«
-
-Ich war während dieser grausigen Worte wie unter Peitschenhieben
-zusammengezuckt; ein unsagbar elendes Gefühl überkam mich, und dann fiel
-ich ohne Besinnung zu Boden.
-
-Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem der bequemen
-Polsterstühle, und um mich standen zitternd die alte Haslerin und ihre
-Schwester Hanne, der alte Hasler, die zwei Beiständer oder Trauzeugen
-und die Kranzljungfern. Meine Mutter bemühte sich schluchzend und
-jammernd um mich und reichte mir mit den Worten: »Geh, trink a bißl,
-arms Kind!« ein Gläschen Wein. Willenlos ließ ich es geschehen, daß man
-es mir eingab, obschon ich das Gefühl hatte: jetzt vergiftet sie dich.
-Doch war es nicht so, und ich bekam in den nächsten Minuten immer mehr
-die Empfindung, daß ich das Furchtbare zuvor nur geträumt; denn die
-Mutter war so voll Schmerz über mein Scheiden und schien in Tränen
-aufgelöst. Sie zog mich an sich und rief: »Viel Glück, mei liabs Kind!
-Jatz gehst halt und laßt mi alloa! Bleib mir g'sund und vergiß mi net!«
-
-Dann schritt sie gerührt von einem zum andern, gratulierte, klagte und
-weinte, wie es gerade paßte, bis die Kellnerin meldete, daß der
-Bräutigam warte.
-
-Da stand ich auf, und die Haslermutter trat zu mir, küßte mich und
-sagte: »I wünsch dir Glück! Sei mei guats Töchterl!« Und ganz langsam
-rollte eine Träne über das runzlige Gesicht. Dann beglückwünschte mich
-eins nach dem andern, die Kranzljungfern faßten die Schleppe meines
-Kleides, die Mutter legte mir eine kostbare, alte Goldkette um den Hals,
-die Haslerin steckte mir einen feinen Opalring an die Hand und große
-Opale in die Ohren; der Haslervater gab mir seinen Arm, und nun ging's
-mit großer Feierlichkeit hinab in die festlich geschmückte Gaststube.
-Mein Hochzeiter stand schon mit dem prächtigen Brautbukett da und
-begrüßte mich mit einem Handkuß. Er gefiel mir in dem festlichen Gewand
-recht wohl, und ich empfand ganz plötzlich ein großes Verlangen, ihm um
-den Hals zu fallen und ihn zu küssen, doch die vielen Menschen, die uns
-von allen Seiten umgaben, ließen mich davon abstehen.
-
-Nun setzten wir uns zum Frühstück; es wurden Bratwürste auf großen
-Porzellanplatten herumgereicht und man trank Märzenbier dazu. Während
-des Essens trat auch mein Vater herzu und gratulierte uns und übergab
-mir einen schönen Ring, daß ich ihn meinem Bräutigam anstecke. Und indes
-derselbe von allen Seiten beschaut und bewundert wurde, kam die Mutter
-und sagte: »Lieber Benno und Leni! I kann leider net mitfahrn in
-d'Kirch; denn i hab koa Aushilf kriagt zum Kochen. Und d'Hauptsach is ja
-do a guats Mahl nach dem Schreckn, net wahr!«
-
-Und mit freundlichem Lächeln ging sie wieder hinaus in die Küche.
-
-Die Haslerischen waren über diese Mitteilung gar nicht erfreut und
-konnten es nicht begreifen, daß wir nicht mehr darauf gedrungen hatten,
-die Mutter solle mitkommen. »Denn,« meinte die Frau Hasler, »wann dö
-eigene Muatter net mitgeht in d'Kirch und für ihra Kind bet, na is mit'n
-Ehglück net weit her.«
-
-Und sie ging hinaus und bat die Mutter dringend, doch mitzukommen.
-
-Ich ließ sie gewähren, obwohl ich schon wußte, daß all ihr Bemühen
-vergeblich sei.
-
-So war es auch. Die Haslerin kam bald mit hochrotem Kopf wieder herein,
-nickte etliche Male für sich wie zur Bestätigung und murmelte
-unverständliche Worte.
-
-Da kam der Brettlhupfer, jener dienstbeflissene Mann, der den
-Wagenschlag öffnet, ein jedes aus der Gesellschaft in den bestimmten
-Wagen bringt, acht hat, daß kein Zylinderhut verdrückt, kein Kleid
-beschädigt und keine Schleppe in die Wagentür eingezwickt wird; der mit
-viel Grazie und wohlgesetzten Worten die Braut leitet und einem
-jeglichen sein Amt weist und sowohl am Standesamt als in der Kirche für
-die gute Ordnung sorgt. Er war in schwarzer Wichs, seine Lackschuhe und
-sein Zylinder glänzten, und Handschuhe und Halsbinde schimmerten in
-reinstem Weiß. Mit der Haltung eines Kavaliers stand er an der
-geöffneten Tür und sagte: »Verehrte Herrschaften, d'Wägn wärn da! Darf
-ich bitten?«
-
-Und er nahm zuerst die Kranzljungfern vor und geleitete sie zu einem
-Wagen; dann kamen die Beiständer und mein ältester Bruder, hierauf die
-Schwester der alten Haslerin und meine Firmpatin, die Nanni, sowie die
-beiden Stiefschwestern meines Vaters. In dem vierten Wagen saß der
-Bräutigam und sein Vater, und im fünften endlich nahmen ich und die
-Haslermutter Platz.
-
-Während der kurzen Fahrt zum Standesamt redeten wir nichts. Als wir
-vorfuhren, hatte sich eine kleine Menge Neugieriger, sowie eine Horde
-Kinder angesammelt, und während der Brettlhupfer sich eifrig umtat, uns
-die bei einer solchen Gelegenheit übliche Ordnung zu geben, konnte man
-aus dem Spalier der Gaffenden allerlei Bemerkungen hören: »Ah, der
-Breitigam is sauber!« rief eine junge Köchin, die mit aufgestülpten
-Ärmeln dastand. »Wia nur der dö Molln mag, dö aschblonde!«
-
-»Dö werd scho a Geld g'habt habn!« erwiderte eine ältere Frau, an deren
-schmutzigem Kittel zwei noch schmutzigere Kinder hingen.
-
-In dem Augenblick humpelte ein altes Weiblein auf seinem Krückstock
-daher und hielt seine verkrüppelte Hand hin: »Gott g'segn an Ehestand,
-schöne Braut! Derft i bittn um a freundliche Gab!«
-
-Ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte, da ich ja kein Geld besaß.
-Die alte Haslerin schimpfte über die Frechheit des alten Mütterleins und
-prophezeite mir großes Unglück durch diese Begegnung. Mein Hochzeiter
-aber griff in die Tasche und langte ein neues Markstück heraus, das er
-der Alten mit den Worten gab: »Aber nix Schlechts derfan S' uns
-wünschen, Muatterl, verstandn!«
-
-»I, wia wer i denn so gottvergessn sei!« schmunzelte das Weiblein und
-humpelte davon.
-
-Und während sich die Umstehenden über den Zwischenfall unterhielten,
-begaben wir uns in den im ersten Stockwerk gelegenen Vorsaal des
-Standesamts.
-
-Der Brettlhupfer flüsterte aufgeregt mit den Trauzeugen, gab den
-Verwandten Weisung, wo sie sich hinzustellen hatten und ermahnte dann
-die Kranzljungfern noch, beim Aus- und Eingehen recht achtzugeben, daß
-sie nicht zu stark an der Schleppe zögen: »Net, daß uns d'Braut z'letzt
-hi'fallt!«
-
-Mit einem Male taten sich vor uns zwei Flügeltüren auf, und wir gingen
-in schöner Ordnung in den Trauungssaal. Voran der Bräutigam und ich an
-seinem Arm. Dahinter die trippelnden Kranzljungfern, dann die
-Trauzeugen, die mit langen Schritten rechts und links von uns Platz
-nahmen, und darauf kamen die andern; doch sah ich sie nicht mehr, da
-mich nun die Handlung ganz in Anspruch nahm.
-
-Der Brettlhupfer hatte dem Diener des Standesbeamten das Schächtelchen
-mit den Trauringen übergeben, und der legte diese nun auf eine schöne,
-silberne Platte, worauf der Standesbeamte unsere Namen verlas und eine
-sehr weihevolle Ansprache über die soziale Wichtigkeit der Ehe, über
-ihre Wirksamkeit, sowie über die Pflichten und Verantwortungen der
-Eheleute hielt. Danach kamen die Trauzeugen daran, und es wurde ihnen
-auch eine kleine Rede gehalten, worauf die eigentliche Trauung vor sich
-ging. Wir erhielten die Ringe, steckten sie uns gegenseitig an die
-Rechte und beantworteten die feierlichen Fragen des Beamten mit
-kräftigem Ja. Dann wurde noch etliches gesprochen, was mir aber nicht
-mehr erinnerlich ist, da ich mit einem Male so erregt war, daß ich weder
-hörte noch sah und nur mechanisch am Arm meines vor der Welt nun mir
-angetrauten Gatten zum Wagen ging.
-
-Diesmal war die Ordnung eine andere; denn ich saß neben dem Benno, und
-wir fuhren nun zum Photographen. Die andern Wägen hatten uns zwar
-begleitet, doch stieg niemand aus und fuhren sie, indes wir uns da
-aufhielten, spazieren. Der Brettlhupfer aber war bei uns geblieben und
-half mir nun mit viel Anmut aus dem Wagen, hielt mir die Schleppe und
-trug sie mir bis zum Empfangssalon des Photographen. Wir waren schon
-gemeldet und kamen daher sofort daran, obwohl noch mehrere Leute
-warteten.
-
-Während des Photographierens hatte der Benno eine kleine
-Auseinandersetzung mit dem Meister; denn als er seinen Arm um meine
-Schulter legte, sich fest an mich schmiegte und mit seligem Gesicht
-meinte: »Jatz standn ma ganz schö, net wahr?« da zog ihm der Photograph
-wortlos den Arm wieder herab, schob uns auseinander und sagte: »Net so
-stürmisch, Herr Hasler, net so stürmisch! Dös kommt später!«
-
-Der Benno war darüber so gekränkt, daß er ein ganz rotes Gesicht bekam
-und so ernst und geknickt dreinsah, daß die Verwandten, als sie nach
-etlichen Wochen die Bilder sahen, sich darüber lustig machten und
-meinten: »Aber Benno! Du schaugst ja auf dem Bildl aus, als obst zum
-Köpfa ganga warst, statt zum Heiratn!«
-
-Als die Aufnahme gemacht war, kam wieder der Brettlhupfer und geleitete
-uns hinaus; doch zu meinem Staunen kam ich nun wieder in den Wagen
-meiner Schwiegermutter, während der Benno zu seinem Vater hineinstieg.
-Auf meine Frage, warum dies geschehen sei, sagte mir die Frau Hasler,
-daß ich vor Gott noch nicht Bennos Frau sei, deshalb dürfe ich auch noch
-nicht mit ihm zusammen fahren. Ich war es zufrieden und blieb während
-der übrigen Fahrt wieder schweigend.
-
-Das hohe Portal unserer Pfarrkirche stand weit offen, und feierliches
-Orgelspiel empfing uns beim Eintritt in das Gotteshaus. Voran gingen die
-Verwandten, dann die Trauzeugen und zuletzt wir und die Brautjungfern.
-
-Nur wenige Leute waren anwesend, und ich sah mich ein wenig um, ob nicht
-ein Bekanntes darunter wäre. Da sehe ich plötzlich hinter einem der
-mächtigen Pfeiler das verzerrte Gesicht meiner Mutter auftauchen; sie
-stand da ohne Hut, im Wirtschaftsgewand und in der weißen Schürze, nur
-ein leichtes Tuch um die Schultern gelegt und starrte mit glühenden
-Augen auf den Zug. Und wie sie mich erblickte, da streckte sie den Kopf
-weit vor. Ich konnte nicht mehr hinsehen und hing mich fest an den Arm
-meines Bräutigams, und es bemächtigte sich meiner eine solche Bewegung,
-daß ich ohne alle Fassung zu schluchzen begann und nicht aufhörte
-während der Trauung und der feierlichen Messe.
-
-Die Verwandten hatten in den Chorstühlen neben dem Hochaltar Platz
-genommen; mein Bräutigam und ich knieten uns auf einen rotsammetenen
-Betstuhl, der vor dem Altar stand, während die Trauzeugen sich rechts
-und links von uns aufstellten.
-
-Da trat der Pfarrer im reichen Chorhemd, angetan mit der weißen Stola,
-aus der Sakristei, und es begann die heilige Handlung. Nach einer
-ernsten Ansprache legte er dem Bräutigam die Frage vor: »Herr Benno
-Hasler, wollen Sie sich mit der Jungfrau Magdalena Christ in den
-heiligen Stand der Ehe begeben und darin verbleiben, bis der Tod Sie
-scheidet, so sprechen Sie >ja<.«
-
-Mit lautem, bestimmtem »Ja« antwortete mein Verlobter, und nun kam die
-Frage an mich. Kaum vernehmlich und in Schluchzen fast erstickt war
-meine Antwort.
-
-Nach dieser Ablegung des Ehegelübdes faßte der Priester unsere Hände,
-legte sie zusammen, wickelte seine Stola darum und machte unter
-weihevollen Gebetsformeln das Zeichen des heiligen Kreuzes darüber.
-Danach besprengte er uns mit Weihwasser und betete mit lauter Stimme,
-worauf er die Trauringe weihte. Unter abermaligen feierlichen Gebeten
-reichte er uns sodann dieselben, und wir steckten uns diese Symbole der
-unverbrüchlichen Treue und unwandelbarer Freundschaftsliebe an, worauf
-wir mit dem Priester das Paternoster beteten.
-
-Damit war die eigentliche Trauung beendet, und der Pfarrer trat wieder
-in die Sakristei, um sich zur Messe zu bereiten.
-
-Während derselben versuchte ich immer wieder meiner Bewegung Herr zu
-werden, doch gelang es mir nicht, und als unter der Kommunion des
-Priesters das Schubertsche Ave Maria ertönte, konnte ich mich nicht mehr
-fassen und weinte laut auf. Da flüsterte mir mein Bräutigam zornig zu:
-»Hör do auf mit dem Getrenz! Hättst ja grad naa sagn brauchn, wenn's di
-so reut!«
-
-Das brachte mich plötzlich wieder zu mir, und ich wurde still und das
-Gefühl einer kühlen Gleichgültigkeit kam über mich und verließ mich den
-ganzen Tag nicht mehr.
-
-Nach dem Meßopfer sang der Chor das Tedeum, und der Priester erteilte
-uns mit aller Feierlichkeit den Brautsegen. Dies war eine große Ehre;
-denn derselbe wird sonst nur bei ganz großen, festlichen Hochzeiten
-gespendet.
-
-Als wir uns zum Gehen ordneten und über die Stufen des Hochaltars
-hinabschritten, sah ich, daß inzwischen eine große Menge Bekannter und
-auch andere Neugierige gekommen waren; meine Mutter aber konnte ich
-nicht mehr erblicken. Sie war wohl schon früher nachhause geeilt, um für
-das Mahl zu sorgen.
-
-Beim Wegfahren von der Kirche durften ich und mein Bräutigam in der
-eigentlichen Brautchaise Platz nehmen, und half er mir mit großer
-Ritterlichkeit beim Einsteigen. Er schlang auch gleich seinen Arm um
-mich und küßte mich wiederholt und fragte mit zärtlicher Stimme:
-»Kimmt's dir net hart o, daß d'furt muaßt vo dahoam und mit mir geh?«
-
-Ich antwortete mechanisch: »Naa.«
-
-Da drückte er mich fest an sich und bat mich, ihn doch anzusehen: »Geh,
-schau mi halt a kloans bißl o und gib mir halt a Busserl!«
-
-Auch das tat ich, doch ohne Wärme, ohne Leben, so daß dem Benno ganz
-angst wurde und er fragte: »Bist leicht krank, daß d' so stad und
-wunderli bist? Warum redst denn nix?«
-
-Ich blickte durch das Wagenfenster und sagte nur: »I bin net aufglegt!«
-
-Da meinte er, ich hätte vielleicht Hunger und schmeichelte: »Hast halt
-no nix G'scheits z'essn g'habt, gel! Aber jatz wer'n ma glei g'holfn
-habn, wart nur, Weiberl! Jatz tuast amal z'erscht was essn, na trinkst a
-paar Glaserl Wei, und na werst sehgn, wia dir da d'Fröhlichkeit und
-d'Liab kimmt!«
-
-Ich gab ihm nur ein halblautes »Hm hm« zur Antwort und lehnte mich mit
-geschlossenen Augen in meinen Sitz zurück. Der Benno aber glaubte, ich
-wollte mich an ihn schmiegen und drückte mich stürmisch an sich.
-
-Da hielt der Wagen. Wir waren bei den Eltern, und der Brettlhupfer stand
-schon mit den Kranzljungfern am Wagenschlag.
-
-Beim Aussteigen sah ich, daß es leicht zu schneien begonnen hatte, was
-etliche von den vielen Neugierigen, die Spalier standen, zu dem Ausruf
-veranlaßte: »So viel Schnee und Regen, so viel Glück und Segen! Natürli,
-dö Großkopfatn habn allweil no's meiste Glück aa, an Goldhaufa habn s'
-ja a so scho!«
-
-Die Kinder der Nachbarschaft drängten sich um mich und schrien: »Schenkn
-S' uns was, Frau Leni! Bitt schö, schenkn S' uns was!«
-
-Da schickte ich eine der Kranzljungfern hinein zum Vater und ließ mir
-für drei Mark Zehnerln geben, die ich dann unter die Kleinen verteilte.
-
-Inzwischen war die Festmusik, für die der alte Knoflinger, seines
-Zeichens ein Schuhmacher, mit noch sieben Genossen sorgte, vor die Tür
-getreten und empfing uns mit dreimaligem Tusch, und unter den festlichen
-Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen wir in die Gaststube ein.
-
-Voran ging Meister Knoflinger mit der Geige und hinter ihm sein
-fünfzehnjähriger Sohn Eusebius, der die zweite spielte. Ihnen folgten
-zwei Flöten und zwei Klarinetten, darauf der weißköpfige Hundshändler
-Schniepp mit weithinschallendem Bandoneonspiel, und den Schluß bildete
-der alte, bucklige Baßgeigenmichel, ein gewesener Kaminkehrer.
-
-So zogen wir hinein und nahmen an der schön gezierten Tafel Platz. Mit
-allen Geladenen waren unser siebenundzwanzig an derselben zum Mahl. Auch
-andere Gäste waren so viel erschienen, daß die Stube sie kaum fassen
-konnte, und immer kamen noch neue hinzu und wollten Platz haben.
-
-Während des Essens spielte die Musik lauter feierliche, vaterländische
-Weisen; doch als der letzte Gang verzehrt war und nur noch einzelne
-Tellerchen mit Kuchen auf dem Tische standen, da vertauschten die beiden
-Flötisten ihre zarttönenden Instrumente mit ein paar Trompeten, und der
-Baßgeigenmichel holte einen blanken Bombardon aus dem schwarzen
-Ledersack, und nicht lange darauf ertönte ein zünftiger Landler.
-
-Das war das Zeichen zum Beginn des Tanzes, und als gleich darauf ein
-Ziehrerscher Walzer erklang, stand der Hochzeiter auf und tanzte mit mir
-ein paarmal auf dem winzigen Flecklein, das ausgeräumt und mit
-geschabten Kerzen bestreut worden war. Wir tanzten nicht gut zusammen,
-da der Benno in seinen neuen Stiefeln auf dem Wachs immer rutschte und
-weil, wie er zu seiner Entschuldigung sagte, ihm die Landler besser ins
-Geblüt gingen, wie die schleifenden Walzer.
-
-Indessen kamen immer noch mehr Leute herbei und schon füllte sich die
-Schenke und die Küche mit Gästen, worüber die Eltern nicht gar erfreut
-waren, da sie sich so kaum umdrehen konnten vor Arbeit. Und als am Abend
-die Handwerks- und Geschäftsleute Feierabend hatten, kamen sie auch noch
-und wollten dabei sein.
-
-Da bat ich den Vater, er möge auf den Tanzplatz etliche kleine Tische
-stellen, daß sich die Gäste setzen könnten; wir hätten nun genug
-getanzt. Er war sehr froh darüber, und bald waren auch die drei Tische,
-die er nebst fünfzehn Stühlen herbeischaffen ließ, voll besetzt.
-
-Als es nun mit dem Tanzen aus war, begannen alle die, welche Geschenke
-gebracht hatten, ihre Reden, Widmungen und Glückwünsche.
-
-Da kam zuerst der Vorstand der Tischgesellschaft Eichenlaub: er sagte
-viel schöne Worte und überreichte uns einen großen, gerahmten Stahlstich
-»Andreas Hofers letzter Gang«. Darauf folgte eine launige Ansprache des
-Vorstandes der Arbeitsscheuen, und er ließ eine reiche Waschgarnitur
-hereinbringen. Ich nahm sie dankend in Empfang und wollte sie zu dem
-Bild auf das breite Fensterbrett stellen; da sah ich, daß überall, in
-der Waschschüssel sowohl als auch im Krug und Nachtgeschirr Spiegel
-angebracht waren, was mich in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ein
-kleines Mägdlein, als Rotkäppchen gekleidet, entriß mich daraus und
-sagte sein Verslein mit viel Pathos und lebhafter Bewegung der Arme. Und
-zum Schluß reichte es mir sein Körblein, dem der neugierige Hochzeiter
-zur großen Belustigung der Anwesenden eine Säuglingsflasche und allerlei
-Wickelzeug, mit blauen Bändlein verziert, entnahm. Ganz unten lag ein
-silbernes Schepperl mit einem Zettelchen daran: Für unsern Liebling.
-Rasch entriß ich ihm die Dinge und warf sie wieder in das Körblein,
-während es ringsum launige und anzügliche Bemerkungen regnete.
-
-Da erhob sich ein Bräumeister der Löwenbrauerei, von der die Eltern das
-Bier hatten, beglückwünschte uns in einer kurzen, stotternden Ansprache
-und überreichte uns im Auftrage der Brauerei einen großen Lederkasten
-mit feinem Silberzeug.
-
-Ihm folgten noch viele, und es war schon zehn Uhr, als das Schenken ein
-Ende nahm, und die Musiker waren froh, endlich mit ihrem Tusch- und
-Hochblasen fertig zu sein, und mit viel Behagen verzehrten sie das
-Freimahl, das ihnen gespendet worden.
-
-Mein Schwiegervater hatte ein Schwein und ein Kalb gestiftet, das als
-Braten, Suppe und Ragout an die Arbeiter unserer Fabriken sowie an die
-Musiker verteilt wurde. Mein Vater schenkte ihnen dazu einen Hektoliter
-Bier, und so gab es an diesem Tag viel Lust und Freud und manchen Dank
-und warmen Glückwunsch.
-
-Gegen halb elf Uhr wurde ich in die Küche gerufen, und als ich hinaus
-kam, stand ein Bruder meines Schwiegervaters, der Jörg Hasler, welcher
-eigens zur Hochzeit von Augsburg hergefahren war, da und bedeutete mir,
-es sei nun Zeit, daß ich entführt werde. Die Mutter meinte, er solle
-mich zu meinem Onkel, der etliche Straßen weiter eine gute Wirtschaft
-habe, führen, sie lasse gleich einen Wagen holen.
-
-Fast auf allen bürgerlichen, altbayerischen Hochzeiten herrscht noch die
-Sitte des Brautausführens: Der Hochzeiter soll gut achthaben auf seine
-Braut. Wird sie ihm dennoch von ihren Freunden entführt, so muß er mit
-seinen Freunden sie suchen gehen und zur Strafe für seine Unachtsamkeit
-alles bezahlen, was die andern mit der Braut inzwischen verzehrt haben.
-
-Also fuhren wir fort, und meine Verwandten, vor allem der Onkel, hatten
-große Freude, als wir kamen. Der Vetter Hasler bestellte sofort
-Champagner, und wir waren sehr lustig; denn die Frau Bas spielte recht
-gut auf der Zither, während der Onkel sie auf der Gitarre begleitete. Da
-nur wenige Gäste in der Wirtsstube waren, gab es viel Platz, und die
-Dienstboten räumten Stühle und Tische beiseite, damit wir, wenn man sich
-gefunden hätte, gut tanzen könnten. Auch streuten sie Federweiß auf den
-Boden und tanzten etliche Male, damit er glatt wurde.
-
-Mit einem Male ertönte draußen auf der Straße lautes Juchzen und Musik,
-und herein kam der Bräutigam, die Beiständer, die Kranzljungfern und
-viele der Gäste, und es begann nun ein ausgelassenes Treiben, während
-der Bräutigam mich mit hellem Juchschrei begrüßte und mit mir tanzte.
-
-Wir blieben noch etwa eine Stunde dort und machten uns dann wieder auf
-den Weg zu den Eltern. Der Onkel sperrte seine Wirtschaft zu und
-begleitete uns mit allen seinen Leuten und blieb bis zum Morgen auf der
-Hochzeit.
-
-Inzwischen waren immer noch mehr Gäste gekommen und der Andrang so groß
-geworden, daß die Leute in dem großen Hausgang Tische und Stühle
-aufstellten und etliche sogar auf der Stiege sich niederließen. Es war
-fürchterlich heiß und ein solcher Lärm im Lokal, daß ich es kaum mehr
-aushielt. Ich trank in die Hitze viel Champagner und nickte nur
-mechanisch denen zu, die kamen, mich zu begrüßen und zu beglückwünschen.
-Dabei ward mir immer elender zumut und mit einem Male drehte sich alles
-vor meinen Augen, und ich fiel unter den Stuhl. Man brachte mich hinaus
-in den Hof, wo ich alles, was man mir zu Hilfe reichen wollte, von mir
-warf: ein Glas mit Magenbitter, eine Tasse voll schwarzen Kaffees und
-ein Stück Zucker mit Hofmannstropfen. Dann entledigte ich mich noch
-alles dessen, was meinem Magen zu viel schien und verlangte schließlich
-unter furchtbarem Weinen ins Bett.
-
-Also führte meine Schwiegermutter mich wieder in die Gaststube und sagte
-meinem Gatten, der mit großem Rausch und starker Rührung dasaß und
-tränenden Auges auf das horchte, was sein Vater ihm eben mit viel Eifer
-erzählte, daß ich nach Hause möchte.
-
-»Ja, Herrgott, i bin ja verheirat!« rief der Benno da aus. »Was, hoam
-möcht mei Weiberl? Geh, Muatter, führ's derweil naus in d'Küch, daß ihr
-d'Zirngiblmuatta was Warms oziagt. I laß derweil an Wagn holn.«
-
-Ich packte nun meine Hochzeitsgeschenke alle auf einen Haufen zusammen
-und deckte etliche Tischtücher darüber. Dann nahm ich alle Blumen, die
-man mir am Morgen gegeben hatte und sagte den Verwandten und Bekannten
-Dank für ihr Kommen und verabschiedete mich von allen.
-
-Als ich nun gehen wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm, und man
-wollte mich mit Gewalt zurückhalten, doch machte ich ein so jämmerliches
-Gesicht, daß die Gäste glaubten, ich sei ernstlich krank, und sie ließen
-mich ziehen. Mein Gatte war, noch ehe jemand etwas ahnte, fortgegangen
-und holte selbst einen Wagen; denn nicht weit von unserer Wirtschaft
-pflegten immer etliche Fiaker zu stehen.
-
-Meine Mutter war den ganzen Tag keinen Augenblick zur Ruhe gekommen,
-doch schien sie heiter und guter Laune zu sein, und als ich nun Gute
-Nacht und Pfüat Gott sagte, erwiderte sie lachend: »So, gehst scho! I
-wünsch dir halt an guatn Ei'stand und a g'ruhsame Nacht! Feier dein
-goldnen Tag recht schö und laß di bald wieder sehgn!«
-
-Ich dankte ihr nochmals, und auf einmal überkam mich eine große
-Sehnsucht nach ihrer Liebe; ich fiel ihr um den Hals, drückte meinen
-Kopf an ihre Brust und weinte. Da zog sie langsam meine Arme von ihrem
-Hals, schob mich sanft von sich und sagte: »Geh, sei do g'scheit, Leni!
-Du machst ja dei ganz Gwand voll Fettn! Jatz brauchst do nimma nach mir
-z'jammern, hast do an Mann!«
-
-Die Frau Hasler war gerührt dabei gestanden, als sie aber sah, daß meine
-Mutter mich weggeschoben hatte, faßte sie plötzlich meinen Arm, zog mich
-an sich und sagte: »Hast scho no a Muatter aa, Leni; und wenn was is,
-komm nur zu mir. Dei Muatter hat so allweil so viel z'tuan!«
-
-Meine Mutter merkte den Hieb gar nicht und meinte, zu mir gewendet:
-»Sigst, wia's dei Schwiegermuatta guat mit dir moant! Da war manche
-froh, wenn s' so oane dawischn tät!«
-
-Derweilen kam der Benno mit dem Wagen, und nach nochmaligem,
-umständlichen Abschied von meinen Eltern, besonders von meinem
-Stiefvater, der mir noch ein Goldstück zusteckte und mir viel Glück
-wünschte, fuhren wir drei fort.
-
-In unserer Wohnung angekommen, gab es sogleich eine kleine
-Auseinandersetzung der Frau Hasler mit ihrem Sohn; denn während er alle
-Lichter anzündete, die er fand, schürte sie rasch den Ofen des
-Wohnzimmers an und begann dann mir den Schleier und Kranz abzunehmen.
-Sie war fast damit fertig und ich mittlerweile auf dem Stuhl beinah
-eingeschlafen, während sie mit halblauter Stimme mir allerhand
-freundliche, gütige Worte sagte, als mein Mann dazukam und rief: »Was
-fallt dir denn ei, Muatta! Dös is mei Arbat, mei Frau ausz'ziagn!«
-
-»Schrei net so grob, du Wüaster! Dei alte Muatta werd wohl so viel Ehr
-wert sei, daß s' ihrana Schwiegertochter beim Ausziagn helfn derf!«
-
-»Naa, sag i, dös leid i net!« schrie da der Benno und entriß ihr den
-Brautkranz, den sie mir eben vom Kopf genommen hatte. »I ziag mei Frau
-scho selber aus, und überhaupts hast du jatz nix mehr z'tuan da herobn;
-i brauch di nimma!«
-
-Da begann die alte Frau bitter zu weinen über die Grobheit ihres Sohnes
-und sank fassungslos auf einen Sessel. Ich empfand tiefes Mitleid mit
-ihr und nahm ihren Kopf in meine Hände und sagte: »Sei do stad,
-Muatterl! Der Benno moant's net a so; der hat halt heunt an Rausch!«
-
-Aber sie war nicht zu trösten: »Wie werd's dir geh, arms Kind, bei dem
-Rüapel!« rief sie aus und sprang dann plötzlich auf und stellte sich mit
-funkelnden Augen vor meinen Gatten: »Dös sag i dir; daß d'ma s' schonst,
-dei Frau; sonst, bei Gott, is g'fehlt, wannst es machst wia ...!«
-
-Mitten im Satz brach sie ab und trat zur Seite, doch hatte das Ganze
-einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich ging nochmals zu ihr hin
-und sagte: »Muatterl, reg di net auf! Mach mir mein Rock auf, und
-nachher tuast schlaffa geh. I komm morgn früah scho nunter zu dir, gel!«
-Dann gab ich ihr noch einen Kuß, und nachdem sie mir das Kleid geöffnet
-hatte, ging sie, ohne dem Benno noch eine gute Nacht zu wünschen.
-
-Ich zog mich schnell vollends aus und schlüpfte, während mein Mann
-überall herumlief und sich an unserm Eigentum erfreute, ins Bett.
-
-Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als
-ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der
-Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht.
-
-So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so
-übel geraten sollte.
-
-
-
-
-
-
-Den Tag nach der Hochzeit nennt man bei uns gemeiniglich den »goldenen«,
-wie überhaupt die erste Zeit der Ehe gar viel belobt und besungen wird.
-Ein jedes Mädchen kennt die Flitterwochen und manche Braut träumt von
-der Zeit des Honigmonds.
-
-So lebte auch ich in der Erwartung einer goldenen Zeit und hoffte von
-einem Tag zum andern auf den Beginn derselben; und als es inzwischen
-Weihnachten geworden war, da begann ich mich zu bedenken, warum nicht
-auch in meiner Ehe Flitterwochen gewesen waren. Und ich ging zu einer
-alten Frau, die für Geld den Leuten ihre Zukunft und ihr Schicksal aus
-Karten und Planeten prophezeite; doch als die mir weiter keine Erklärung
-gab, als daß ich immer noch im Honigmonde lebe, da wußte ich, daß auch
-diese Zeit ganz anders sei, als ich geglaubt; wie denn vieles in meinem
-Leben anders kam, als ich es erhofft.
-
-Ich konnte nicht begreifen, warum man diese Wochen als Flitterwochen
-besingt; ich sah nichts Herrliches und kein Glück darin, der
-nimmersatten Willkür und den schrankenlosen Wünschen des Gatten zu
-dienen, jeden Morgen mit umränderten Augen meinen müden Leib zu erheben
-und nicht einmal wenigstens die eine Befriedigung zu haben, sich Mutter
-zu fühlen.
-
-So erkrankte denn mein Gemüt, und es währte nicht lange, da empfand ich
-tiefe Angst vor der Fortsetzung dieser Ehe, und die Zärtlichkeiten
-meines Mannes verursachten mir körperlichen Schmerz; dazu litt ich an
-quälendem Herzweh und hatte nur noch den einen brennenden Wunsch: ein
-Kind.
-
-Dieses Verlangen allein bewog mich immer wieder, zu gehorchen, mich
-hinzugeben, zu leiden und zu schweigen.
-
-Nun erst erkannte ich, daß es nicht die rechte Liebe war, die mich mit
-Benno verband. Wohl war ich ihm dankbar für das, was mir die erste Zeit
-hindurch als Leidenschaft und Liebe erschien. Dazu kam die Hoffnung, daß
-bald Stille auf den Sturm eintrete und mit der angenehmen Ruhe der
-Gemüter auch das Glück zu mir käme. Auch hatte ich viel religiöses
-Empfinden und hielt es mit den Gattenpflichten im Gefühl meiner
-erhabenen Berufung zur Mutterschaft genau.
-
-Nun aber drang Zweifel um Zweifel an dieser Berufung auf mich ein, und
-ich begann mir einzureden, daß meine Heirat nicht von Gott gewollt und
-gesegnet sei. Und ich suchte durch ein frommes Leben den Himmel zu
-versöhnen und hielt neuntägige Andachten zur Mutter Gottes und verlobte
-mich zu unserer lieben Frau von Birkenstein, wenn sie mir die Gnade
-erwirkte, daß ich Mutter würde.
-
-Besonders am Feste Mariä Lichtmeß betete ich mit großer Andacht und
-empfing auch die Sakramente in der Meinung, daß Gott mir meinen
-Herzenswunsch erfülle.
-
-Mein Vertrauen auf die Hilfe Gottes war um so größer, als ich schon
-etliche Tage vor Lichtmeß infolge eines eingetretenen natürlichen
-Zustandes nach langem Bitten bei meinem Gatten erreicht hatte, daß er
-mir für kurze Zeit die Ruhe und Schonung gewährte, deren ich mich weder
-vordem noch nachher jemals erfreuen konnte.
-
-Etliche Wochen später fühlte ich denn auch wirklich allerlei Anzeichen,
-die mir Gewißheit darüber boten, daß Gott mir meinen Wunsch erfüllt
-habe.
-
-Von diesem Augenblick an begann ich meinen Gatten zu liebkosen und ihm
-alles zu gewähren. Ich kochte ihm seine Leibgerichte, fertigte ihm
-allerlei Dinge, von denen ich meinte, daß sie ihn freuen würden, und
-suchte auf alle Weise ihm unser Heim lieb und wert zu machen.
-
-Er aber hatte es anders im Kopf und wollte nun alle Welt das zu
-erwartende Glück sehen und bereden lassen und empfand stets die größte
-Freude, wenn in Wirtshäusern und Bräukellern irgend ein Geschäftsfreund
-oder Zechkumpan mit schamloser Deutlichkeit auf meinen Zustand hinwies.
-Herausfordernd stellte er mich mitten in den Kreis solcher Gesellen und
-hatte kein Ohr für meine lauten Bitten und Klagen.
-
-Schon zu Zeiten meiner Kindheit und Jugend war mir das Wirtshauswesen
-oft zu einer schier unerträglichen Last geworden; darum war es nicht
-verwunderlich, daß ich jetzt, zumal in diesem mir wunderbar und fast
-heilig vorkommenden Zustande, viel lieber daheim in der gemütlichen
-Stube geblieben wäre, um in Stille und ruhiger Beschaulichkeit die
-Ankunft des Kindes vorzubereiten. Nun kam es aber fast täglich zu den
-gröbsten Auseinandersetzungen; denn der Benno fand seine größte Freude
-und liebste Unterhaltung bei Bier und Wein und wurde darin auch von
-seinen Eltern ehrlich unterstützt, die meinten, ein Ehemann müsse unter
-allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme.
-
-So war es Pfingsten geworden, und ich begann seit etlichen Tagen auf ein
-geheimnisvolles Etwas in mir zu horchen. Oft saß ich ganz still und
-hielt den Atem an, um es zu spüren und in innerster Seele zu hören.
-
-Und eines Tages, es war um Johanni, vertraute ich es meinem Gatten an,
-indem Tränen der Freude mir in die Augen traten.
-
-Da sprang er auf, riß mich in der Stube herum und rief: »Was sagst,
-Weibi, rührn tuat si der Bua scho! Ja, Herrgott, dös muaß aber g'feiert
-wer'n! Ziag di o, na führ i di in Löw'nbräukeller! Ja, Herrgott, wer'n
-dö schaugn am Stammtisch!«
-
-»Geh, bleib do dahoam, Benno,« meinte ich und fuhr fort: »Schau, dahoam
-is so was vui schöner und g'müatlicher z'feiern! I hätt di so gern für
-mi alloa ghabt und geh gar net gern furt. Geh, bleib dahoam!«
-
-Aber, wie immer, so kam es auch dieses Mal: erst ging es ans Bitten,
-dann ans Streiten, und am End mußte ich, wenn ich nicht einer
-Mißhandlung gewärtig sein wollte, zu allem ja sagen, mich ankleiden und
-mitgehen.
-
-Am Stammtisch saßen schon die Freunde: etliche Sergeanten des Regiments,
-bei dem der Benno gedient hatte, und die er sich durch manchen bezahlten
-Rausch wohl gewogen gemacht hatte; ferner ein paar Buchhalter seines
-Geschäfts und etliche Leute, von denen man nicht recht wußte, wovon sie
-lebten und wessen Geld sie verjubelten.
-
-In diese Gemeinde nun schleppte mich mein Gatte und rief, als wir an den
-Tisch getreten waren: »Servus, meine Freund! Heunt leidt's an Rausch,
-heunt hat der Bua sein erschten Hupfa g'macht!«
-
-Einer der Sergeanten hatte sich bei unserm Kommen erhoben und war zu uns
-getreten. Und während die andern nun in ihrer gewöhnlichen Art die
-Anrede meines Mannes belachten, faßte er mich mit der Linken an der
-Schulter; mit der Rechten aber fuhr er über meinen Leib und meinte:
-»Schau, schau! Schö dick werd's scho, d'Haslerin! Hat's enk denn scho
-gar so pressiert, daß im erscht'n Jahr no d'Kindstaaf sei muaß?«
-
-Ich stand wie mit Blut übergossen, und die Stimme versagte mir, dem
-frechen Schwätzer zu antworten. Tränen rannen mir über die Wangen, und
-ich bat den Benno um die Hausschlüssel, daß ich heim könne, da ich krank
-sei.
-
-»So, so, krank is mei g'schmerzte Frau Gemahlin! Bleib nur schö da; dös
-werd scho wieder vergeh bei der Musi!«
-
-Und fest drückte er mich auf einen Stuhl und begann dann eifrig zu
-schwatzen und zu trinken; und obschon etliche gemeint hatten, sie
-wollten mich nachhause bringen, ließ er dies nicht geschehen, sondern
-sagte: »Dö soll dableibn! So vui muaß ma aushaltn könna! Was taten denn
-andere Weiber, dö wo arbatn müssn ums Tagloh'!«
-
-Erst lange nach Mitternacht kamen wir heim, nachdem mein Mann mich noch
-in ein Kaffeehaus und danach zum Wein geführt und auch die andern dazu
-eingeladen hatte.
-
-Von da ab unterwarf ich mich seinem Willen, ohne zu bitten, und hoffte,
-daß alles ein Ende hätte, wenn erst das Kind geboren wäre.
-
-So kam der Herbst, und meine Zeit rückte immer näher. Meine
-Schwiegereltern waren zwar längst nicht mehr lieb zu mir, doch ließen
-sie es mir an nichts fehlen und fragten oft nach meinen Wünschen oder
-Gelüsten; denn sie hofften auf einen Buben, der dem Geschlecht der
-Haslerischen einmal Ehre machen würde.
-
-Da war es einmal, daß ich in ihrer Wohnstube saß und an einem
-Kinderhemdlein nähte, während die Mutter eine alte Truhe mit buntem
-Kinderzeug durchwühlte und allerlei Jöpplein und Windeln daraus
-hervorzog und vor mich hinlegte. Ich aber blickte sehnsüchtig und
-verlangend nach dem Schreibtisch, wo eine Anzahl schöner Äpfel in eine
-Reihe geordnet lagen; doch getraute ich mir nicht, von der
-Schwiegermutter einen zu erbitten, da sie schon dem Benno, als er einen
-nehmen wollte, mit strengen Worten sein Tun verwiesen hatte; denn sie
-war nicht freigebig.
-
-Je länger ich nun hinsah, desto mehr gelüstete es mich nach einem der
-Äpfel, und endlich kam mir ein guter Gedanke. Ich stand auf und ging
-hinaus in das Holzlager zum Schwiegervater, der eben einen uralten
-Wiegenkorb mit himmelblauer Farbe strich.
-
-»Vater!« rief ich.
-
-»Was isch' denn?« antwortete er, ohne aufzusehen.
-
-»I möcht was!«
-
-»Was willsch' denn?«
-
-»Was Runds.«
-
-»Ja was! Eppe gar 'n Taler?« Und gespannt blickte er von seiner Arbeit
-auf mich.
-
-»Naa, Vater, a Kugel is!«
-
-»A Kugel? -- a Kugel? -- Mädla, sell ka i mir it denka! Da muaßt m'r
-scho helfa roata!«
-
-Lachend nahm ich ihn bei der Hand und führte ihn hinein und vor den
-Schreibtisch.
-
-»Ja da schau her!« rief der Alte jetzt und nahm einen der Apfel, »dias
-isch also die Kugel! Na die sollsch' haba!«
-
-Schon wollte er mir den Apfel geben; da fiel ihm die Mutter in den Arm:
-»Was, grad von dö schönsten oan!«
-
-Aber ungeachtet dieses Widerspruchs gab er mir ihn doch und meinte: »Laß
-dir'n nur guat schmecka! 's isch viel g'scheiter e g'schenkter großer,
-als e g'stohlener kloiner! Wia leicht könnt's Kindle 's Stehla lerna
-scho im Mutterleib!«
-
-Da gab sich die alte Frau zufrieden, und ich verzehrte den Apfel mit
-großem Behagen.
-
-Etliche Tage später kaufte der Haslervater einen Korb voll Trauben und
-schenkte sie mir, indem er sagte: »Dia muaßt alle essa, daß d' e saubers
-Kindle kriagsch'!«
-
-Der Oktober ging seinem Ende zu, und ich richtete alles her, dessen man
-zum Empfang eines Kindleins bedarf, und stellte die gemalte und von der
-Haslermutter mit geblumten Vorhängen geschmückte Wiege in die
-Schlafstube und rückte die Ehebetten auseinander.
-
-Am Allerheiligentag schon in aller Früh ziehen die Soldaten unter
-klingendem Spiel in die Kirche, das Namensfest unseres Regenten zu
-feiern, und aus allen Fenstern fahren die Köpfe, und ein jedes freut
-sich der Musik.
-
-Als damals in der Früh die Böller krachten und die Soldaten sich
-rüsteten zum Fest, da rief ich dem Benno, der noch schlief, aus meinem
-Bette zu: »Benno, geh hol ma d' Frau Notacker, i glaab, es werd was.«
-
-Erschreckt fuhr mein Gatte aus dem Bett und in die Hosen; in der Eile
-aber brachte er das vordere Teil nach hinten, und ich mußte über den
-komischen Anblick trotz meiner Schmerzen herzlich lachen.
-
-Unter vielen Ängsten, und nachdem er alles Erdenkliche angestellt hatte,
-seinen Hut verloren und sein Rad im Haus der Hebamme hatte stehen
-lassen, brachte er endlich die schon sehnlich Erwartete.
-
-Geschäftig packte sie ihre große Tasche aus, bei welcher Arbeit ich ihr
-ängstlich zusah; denn ich konnte es immer noch nicht glauben, daß das
-Kind ohne jede Beihilfe von Messer oder Schere, ohne Leibaufschneiden
-hervorkommen könne.
-
-Nachdem sie ihre Sachen geordnet und mein Bett zurechtgemacht hatte,
-sagte sie: »So, Herr Hasler, jatz lassn S' an etlichs Paar Bratwürscht
-holn und a Flaschn Rotwei; d'Frau Hasler braucht a Kraft!«
-
-Eilig lief der Benno, das Befohlene zu holen, und inzwischen kamen die
-Haslerischen und fragten, wie weit es noch wäre.
-
-»A paar Stund no,« erwiderte die Hebamme und fügte lachend bei: »Was
-leidt's denn, wenn i an Bubn hol?«
-
-»Sell kriagn ma na scho, Frauli!« antwortete der Vater, und die Mutter
-meinte: »D'Hauptsach is, daß alls guat geht, ebbas werd's scho sei!«
-
-Um Mittag bemächtigte sich meiner eine große Unruhe, so daß ich aufstand
-und mich etwas ankleidete. Dann ging ich ans Fenster und sah hinab auf
-die vielen Menschen, die zur Parade gingen. Deutlich hörte ich das
-Wirbeln der Trommeln und hoffte, das Militär bei uns vorbeiziehen zu
-sehen, weshalb ich das Fenster öffnete, während mein Gatte sich lebhaft
-mit der Frau Notacker unterhielt.
-
-Da fühlte ich plötzlich ein starkes Anstemmen des Kindes, und zugleich
-hatte ich das Gefühl, als müsse ich zerspringen.
-
-»Frau Notacker, i moan, jatz ...« mehr brachte ich nicht mehr heraus.
-
-Drunten zog die Regimentsmusik vorbei mit Pauken und Trompeten, und
-Kinder jubelten und pfiffen; da mischte sich ein kreischendes Stimmlein
-in die Klänge des Militärmarsches -- ich hatte einen Buben.
-
-Nun herrschte Lust und Freud im Hause und ward die Taufe mit großem Pomp
-gefeiert und gab man dem Buben nach seinem Großvater die Namen Johannes
-Magnus.
-
- * * * * *
-
-Ich eile nun, zum Ende zu kommen; denn die letzten meiner Erinnerungen
-sind so traurig und peinlich, daß es der Leser mir nicht übel vermerken
-möge, wenn ich gewisse Zeitpunkte überspringe und in gedrängter Form die
-letzten Schicksale erzähle.
-
-Diese Ehe war so unglücklich, daß ich noch jetzt mich bedenke, ob nicht
-wirklich der Fluch, den meine Mutter mir am Hochzeitsmorgen zum Geleit
-mitgab, mit also furchtbarer Macht seine Wirkung während meiner ganzen
-Ehe übte, und ob nicht doch jene Klosterfrau, als sie mich warnte,
-wieder in die Welt zurückzukehren, von Gott begnadet war, das Schicksal
-vorauszusehen, welches mich heraußen erwartete.
-
-Und, seltsam, gerade einige Tage nach der Geburt meines ersten Kindes
-traf ein Brief von ihr ein, in dem sie mir die Versicherung gab, meiner
-niemals im Gebete zu vergessen, und mich ermahnte, auch im tiefsten Leid
-und Unglück nicht zu verzagen, denn Gottes Hand möchte vielleicht mich
-strafen, daß ich damals nicht mein Leben ihm geopfert.
-
-Später einmal, als ich ihr die Geburt eines Mädchens berichtete, bat sie
-mich, es recht gut zu erziehen; denn, meinte sie, vielleicht bringt es
-einmal dem Herrn das Opfer, das ich ihm ehemals verweigert.
-
- * * * * *
-
-Ich war in den letzten Wochen vor der Niederkunft im Gesicht recht alt
-und fleckig geworden und mußte daher manches bittere Wort vom Benno
-hören. Nun aber blühte ich sichtbar auf, und schon nach drei Wochen war
-ich wieder so verjüngt, daß mein Gatte aufs neue in heftiger
-Leidenschaft entbrannte und allen Vorstellungen zum Trotz mit Gewalt
-jene Schranke niedertrat, die eine weise Natur einer jeglichen Mutter,
-sogar den Tieren aufrichtet. Vergeblich wies ich ihm den Kleinen, wenn
-er sich an meiner Brust sättigte und flehte: »Geh, nimm do dein' Buam
-net sei Nahrung! Laß mi do in Fried! Schau, i bin no krank!«
-
-Aber seine Sinne begehrten, und da mußte der Verstand schweigen. So kam
-es, daß ich nach wenig Monaten aufs neue Mutterhoffnungen fühlte.
-
-Bald begann ich zu kränkeln, und mit der Gesundheit schwand mein guter
-Humor, und ich wurde zur gealterten Frau, die vom Leben nichts mehr
-hofft.
-
-Unsere Häuslichkeit bot weder Frieden noch Behagen; der Benno sah wohl,
-was er getan, hatte aber doch kein Einsehen. Am Tage gab es Streit, und
-am Abend suchte er alles Trübe und Mißliche in Leidenschaft zu
-ersticken.
-
-Meine Schwiegereltern beklagten sich bitter über diese Zustände und
-schoben die Schuld auf meine Nachgiebigkeit und meinen Leichtsinn. Darob
-ward ich recht erbittert und mied sie von nun an.
-
-Meine Eltern hatten schon bald nach meiner Heirat sich mit den
-Haslerischen verfeindet, und ich durfte deshalb längst nicht mehr zu
-ihnen gehen, wenn ich nicht eines Auftritts mit Benno gewärtig sein
-wollte. Nun aber war das Verlangen nach der Mutter so stark in mir, daß
-ich alles vergaß und mich aufmachte und zu ihr ging.
-
-Als ich sie in der Küche begrüßte, fragte sie nach kurzem »'ß Gott«, was
-ich wolle. Da berichtete ich ihr schluchzend mein Unglück und bat sie um
-Trost.
-
-»So, war i jatz guat gnua zum trösten! Dös g'schieht dir grad recht,
-wenn's dir schlecht geht; du hättst es aushaltn könna dahoam! Was geht
-mi dei Elend o! Geh zu dö Haslerischen, dös san jatz deine Leut! Mach
-nur, daß d' ma weiter kommst!«
-
-Da sagte ich nichts mehr und ging, und begab mich zu fremden Leuten,
-ihnen mein Leid zu klagen. Wie wohl taten mir da die Worte des Beileids
-und des Trostes, obgleich ich wußte, daß sie nicht von Herzen kamen, und
-ich nachher in allen Milch- und Kramerläden durchgehechelt und
-ausgerichtet wurde.
-
-Mein Gatte hatte sich in der letzten Zeit immer mehr dem Trunk ergeben
-und kam oft nächtelang nicht nach Hause, um dann bei dem geringsten
-Anlaß zu wüten und mich zu mißhandeln.
-
-Um Weihnachten dieses Jahres fühlte ich, daß meine Stunde da sei, und
-ging daher zu meiner Schwiegermutter und bat sie, den Buben, der schon
-seit Wochen an schwerem Keuchhusten krank lag, etliche Tage in Pflege zu
-nehmen. Sie versprach es gerne und war auch sonst freundlich, wofür ich
-ihr von Herzen dankte.
-
-Am ersten Weihnachtstag kam ein junger, verlebt aussehender Mensch und
-begehrte den Benno. Ich rief ihn hinaus, und er erkannte in dem Fremden
-einen Schulkameraden und Freund, der inzwischen in Hamburg Kaffeehändler
-und ein reicher Mann geworden war. Hocherfreut lud er ihn ein, und
-nachdem er mir noch befohlen, ein festliches Essen zu bereiten, ging er
-mit dem Besuch zum Frühschoppen.
-
-Ich hatte zum Glück allerlei Vorrat und richtete ein gutes Mahl.
-
-Schon während des Kochens hatten leichte Wehen mir das Nahen meiner
-Stunde angezeigt; nun aber wurden sie stärker, und ich begann mich recht
-zu ängstigen, da es schon zwei Uhr war und mein Mann mit dem Besuch noch
-immer nicht kam. Ich lief zu einer Nachbarin und bat, sie möge mir die
-Frau Notacker holen. Bis diese kam, richtete ich die Schlafstube und
-wollte den Buben zu seiner Großmutter tragen, doch schlief er, und ich
-ließ ihn liegen.
-
-Gegen fünf Uhr erschien die Hebamme und meinte, es sei noch zu früh; vor
-dem nächsten Tag könne man nicht auf das Kind rechnen. Sie ging also
-wieder mit dem Bemerken, sie sehe gegen neun Uhr abends noch einmal
-vorbei.
-
-Kurz nach sechs Uhr kam der Benno allein heim und verlangte sogleich mit
-groben Worten zu essen. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er mich umsonst mit
-dem Kochen noch so geplagt hätte, und daß meine Zeit da sei und ich
-niemand hätte, der mir beistehe. Mit rohen Schimpfworten verbat er sich
-mein Gejammer und verlangte Wein, obschon er stark betrunken war. Ich
-gab ihm eine Flasche; denn ich fürchtete ihn sehr in solchen
-Rauschzuständen. Dann ging ich in die Schlafstube, wo der Kleine eben
-wieder zu husten begann. Ich hob ihn auf und wickelte ihn frisch ein,
-wobei mein Körper von heftigen Wehen erschüttert wurde. Da bekam der
-arme Bub einen der furchtbaren Anfälle, und ich glaubte, er müsse
-ersticken; doch ging es vorüber, und ermattet lag er nun in meinem Arm.
-Ich bettete ihn wieder in die Wiege und ging hinaus zum Benno, ihm über
-das Kind zu berichten. Er hörte teilnahmslos zu und sagte dann kurz: »I
-geh auf d'Nacht no furt!«
-
-Ich erwiderte nichts und wollte den Tisch abräumen, während er ein
-Päcklein unzüchtiger Photographien aus der Tasche zog und betrachtete.
-Plötzlich suchte er mich in erwachendem Begehren zu sich auf das Sofa zu
-ziehen. Unsanft stieß ich ihn von mir weg und verwies ihm seine
-Unvernunft.
-
-In dem Augenblick hörte ich meinen Buben weinen und ging zu ihm an die
-Wiege und beugte mich über das Bettlein, ihn mit leisen Worten zu
-beruhigen.
-
-Da fühle ich plötzlich von rückwärts wie eine eiserne Klammer einen Arm
-um meinen Leib und fühle, wie der Benno mich fest in das Bettlein drückt
-und sein Eherecht ausübt. Verzweifelt suche ich mich seiner zu erwehren,
-und es gelingt mir wirklich für den Augenblick. Da packt ihn eine
-rasende Wut, und unter den gröbsten Schmähungen zerrt er mich an den
-Haaren herum, wirft mich zu Boden, tritt sein eigen Fleisch und Blut mit
-Füßen und versucht, mich zu erwürgen.
-
-Auf mein lautes Hilfegeschrei stürzen Leute aus den Nachbarswohnungen
-herbei, man sprengt die Tür, und alle fallen über den sich wie besessen
-Gebärdenden her.
-
-Auch sein Vater kam, und es geschah nun etwas, was mich noch heute
-erstaunt: Der alte Hasler faßte seinen Sohn vor all den Nachbarn am
-Genick, setzte ihn auf einen Stuhl, gab ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen
-und stieß ihn sodann mit großer Gewalt zur Tür hinaus. Dies alles tat er
-ohne ein Wort; dann aber kehrte er sich an die Anwesenden und fragte
-grollend: »Hat no wer was verlora da herinne?« worauf sie alle
-verschwanden.
-
-Nun trat er zu mir; ich lehnte erschöpft an meinem Bett und bat um die
-Hebamme. Ohne ein Wort ging er, und schon nach einer halben Stunde
-brachte er sie mit.
-
-In derselben Nacht gebar ich ein Mädchen und lag danach an die sechs
-Wochen im Kindbettfieber.
-
-Seit diesem Vorfall mußte sich mein Mann sein eheliches Recht stets
-erzwingen; denn ich hatte alle Zuneigung zu ihm verloren und fürchtete
-ihn sehr. Trotzdem wurde ich noch viermal Mutter während dieser Ehe.
-
- * * * * *
-
-Bald nach dem dritten Kinde begannen auch Wohlstand und Glück von uns zu
-weichen. Mein Mann hatte durch seine Trunksucht alles das eingebüßt, was
-man sonst an ihm schätzte; auch ließ er sich in seiner Stellung allerlei
-zuschulden kommen und wurde schließlich entlassen. Seine Eltern waren
-darüber so erbittert, daß sie uns aus dem Haus jagten.
-
-Wir zogen also um, und der Benno übernahm selber ein Geschäft. Es ging
-uns auch etliche Zeit wieder gut, und ich hatte Hoffnung, daß alles
-wieder recht würde, obschon ich nun dauernd kränkelte, da die Geburten
-meines vierten und fünften Kindes Totgeburten und sehr schwer gewesen
-waren.
-
-Nun war das sechste Kind auf dem Wege, und kurz vor Weihnachten kam ich
-in die Wochen.
-
-Mein Mann hatte um diese Zeit aufs neue ein wüstes Leben begonnen und
-saß oft Tag und Nacht im Weinhaus. Kam er dann nach Hause, prügelte er
-mich und die Kinder und zerschlug alles, was ihm gerade in die Hände
-kam.
-
-Am Tage nach der Geburt dieses Kindes kam gegen Abend ein Freund meines
-Gatten und hatte mit ihm eine Unterredung, die sehr erregt schien; denn
-der Besuch ging nach kurzem Wortwechsel ohne Gruß, und der Benno schlug
-krachend hinter ihm die Türe zu. Ich rief ihn zu mir in die Schlafstube,
-doch kam er nicht und ging bald darauf fort, ohne sich von mir zu
-verabschieden.
-
-Zwei Tage und eine Nacht blieb er weg und kam erst am heiligen Abend
-gegen neun Uhr heim. Ich erschrak heftig bei seinem Anblick; seine
-Kleider waren zerrissen und beschmutzt, sein Gesicht aufgedunsen und
-verzerrt, die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, und die stieren,
-blutunterlaufenen Augen blickten gierig und lüstern nach mir.
-
-Ich saß wie versteinert aufrecht in meinem Bett, als er mit dem
-zärtlichen Gruß zu mir trat: »Servus, Weibi; du bist aber sauber! Geh,
-laß mi eini zu dir!«
-
-Bittend hob ich die Hände und sagte: »Was hast denn, Benno; woaßt denn
-net, daß ma r a kloans Deanderl kriagt ham! Jatz konnst do net zu mir!
-Gel, Benno, du verstehst mi scho!«
-
-Aber er verstand mich nicht mehr. Rasch riß er seine Kleider ab und
-wollte zu mir, indem er mir alle erdenklichen Genüsse versprach.
-
-Flehend setzte ich ihm nochmals die Unvernunft seines Begehrens
-auseinander, doch vergebens. Er fiel über mich her, und ich mußte alle
-Kraft daran setzen, mich seiner zu erwehren. Endlich gelang es mir, aus
-dem Bett zu entkommen, und eilig schlüpfte ich in meinen Unterrock und
-lief aus dem Zimmer.
-
-Da höre ich plötzlich meine Kinder aufkreischen. Ich eile in ihre
-Schlafstube und sehe nun, wie der Benno mit gezücktem Stilet drinnen
-herumtanzt und nach der Melodie des Schäfflertanzes vor sich hinsingt:
-
-»Hi müaßt's sei! Daschtecha tua r i enk! Alle müaßt's heunt hi sei!«
-
-Er sieht mich gar nicht, wie ich die Kinder aus ihren Bettlein reiße und
-das Kleinste aus der Wiege; tanzend zertrümmert er alles, was im Zimmer
-ist und singt dazu.
-
-Also flüchteten wir uns barfuß und fast unbekleidet hinaus in den
-Schnee, und weinend hingen sich die Kinder an mich. Zitternd wankte ich
-vorwärts, und das Blut rann mir gleich einem Bächlein über die Füße und
-zeigte die Spur meiner Schritte.
-
-Freundliche Nachbarn nahmen uns auf und veranlaßten auf der
-Polizeiwache, daß man den Wütenden bändigte und nach der psychiatrischen
-Klinik verbrachte.
-
-Ein schweres Fieber folgte auf diese Nacht, und ich kämpfte lange mit
-dem Tod.
-
-Als ich mich wieder besser fühlte, nahm ich mit vielem Dank Abschied von
-den guten Leuten und begab mich wieder in meine Wohnung. Hier erwartete
-mich neuer Schreck: die Möbel waren alle mit dem Siegel des Gerichtes
-versehen und gepfändet. Etliche Briefe, die ich im Kasten fand, klärten
-mich auf. Der Benno hatte, ohne daß ich es wußte, sein volles Vermögen
-und dazu mein ganzes Heiratsgut einem Freund, der Baumeister war,
-geliehen, und dieser war bankerott geworden. Er hatte anscheinend schon
-davon gewußt und war vielleicht auch durch den Verlust dieser
-fünfzigtausend Mark um seinen Verstand gekommen. Nun hatten unsere
-Lieferanten und auch der Hausherr zu Neujahr keine Bezahlung mehr
-erlangt, weshalb sie, da sie auch keine Antwort auf ihre Mahnungen
-erhielten, endlich zur Pfändung schritten. Die Hausverwalterin hatte die
-Schlüssel meiner Wohnung an jenem Abend von einem Schutzmann erhalten
-und öffnete, als der Gerichtsvollzieher kam.
-
-Nur weniges verblieb mir; zum Glück hatte man mir einen kleinen Schrank
-mit Kinderwäsche gelassen, in dem auch meine Schmucksachen verwahrt
-lagen. Nun konnte ich wenigstens so viel Geld dafür bekommen, daß ich
-die Kinder bei fremden Leuten in Pflege zu geben und mir ein kleines
-Stüblein zu halten vermochte. Das Ringlein meines Vaters aber opferte
-ich im Herzogspital der Mutter Gottes.
-
-Dies war in der Zeit des Faschings; auch der Schäfflertanz traf auf
-dieses Jahr und füllte die Taschen der Tänzer.
-
-Um diese Zeit ging ich zu meiner Mutter und klagte ihr meine große Not
-und bat sie um einiges Geld, damit ich mir etliche Möbelstücke wieder
-auslösen könnte; denn der Hausherr hatte sich Verschiedenes behalten,
-indem er mir versprach, er wolle mir das gegen Bezahlung meiner
-Zinsschuld von sechzig Mark wiedergeben.
-
-Wortlos hörte die Mutter mir zu. Als ich geendet, sagte sie: »I kann dir
-net helfa! I hab selber no Schuldn beim Bräu. Geh zu dö Haslerischen, dö
-san reicher wia i. Übrigens freuts mi, daß si mei Wunsch erfüllt hat;
-recht schlecht soll's dir geh, weil's du's net aushalten hast könna
-dahoam!«
-
-Dann rief sie den Vater aus der Schenke und sagte: »Gel Josef, mir
-können ihr nix gebn, weil ma selber nix habn wia Schuldn!« worauf der
-Vater sich erst räusperte, dann halblaut wiederholte: »Naa, nix könna ma
-toa, mir habn selber Schuldn!«
-
-Traurig ging ich nun zu meinen Schwiegereltern. Diese versprachen mir,
-für den Buben zu sorgen. Mehr konnten auch sie nicht helfen, da sie, wie
-ich jetzt erst erfuhr, dem Benno während des letzten Jahres etliche
-tausend Mark gegeben hatten, die er, ohne mir davon zu sagen, vertan
-hatte.
-
-Also begann ich am andern Tag mir Arbeit zu suchen. Ich las auch die
-Zeitung; da fiel mein Blick auf eine Notiz über den Schäfflertanz, und
-ich entnahm ihr, daß derselbe am 20. Februar auch vor dem Hause des
-Gastwirts Zirngibl aufgeführt würde.
-
-Trotz der großen Bitterkeit, die in mir aufstieg, als ich an die Kosten
-eines solchen Tanzes, die zum mindesten an die hundert Mark betragen,
-dachte, konnte ich es doch nicht unterlassen, mich andern Tags unter die
-Menge der Zuschauer zu mischen.
-
-Da sah ich, wie sie alle, der Vater, die Mutter, die Stiefbrüder und
-auch das Gesinde, an den Fenstern standen und mit vergnügten Mienen und
-strahlendem Lächeln für die Hochrufe dankten und die Mutter eine Hand
-voll Silberstücke in die Mütze des Meisters warf, während sie den Tag
-vorher ihr Kind hungern sah, ohne zu helfen.
-
-Ich suchte also Arbeit und fand auch solche; doch nicht lange dauerte
-es, da konnte mein geschwächter Körper dieselbe nicht mehr leisten, da
-ich, um den Kindern das ihre geben zu können, oft hungern mußte. Am End
-war ich erschöpft und mußte meine Stellung aufgeben.
-
-Nach kurzer Zeit war auch der Rest meines Geldes verbraucht; und da ich
-das Kostgeld für meine Kinder nicht mehr aufbringen konnte, setzte man
-sie mir eines Tages im Winter vor die Tür.
-
-Da fand sich ein Baumeister, der mir in seinem Neubau umsonst Wohnung
-bot.
-
-Ich band meine Habe samt den Kindern auf einen Karren und zog dahin. Ein
-alter, brotloser Mann, dem ich früher Gutes getan hatte, half mir dabei.
-
-Das Haus war noch ganz neu, und das Wasser lief an den Wänden herab; wir
-schliefen auf dem Boden und bedeckten uns mit alten Tüchern und krochen
-zusammen, damit wir nicht gar zu sehr froren.
-
-Einige leichtere Schreibarbeiten schützten uns vor dem Verhungern,
-wenngleich unser tägliches Mahl in nichts weiter bestand, als in einem
-Liter abgerahmter Milch und einem Suppenwürfel, aus dem ich nebst einem
-Ei und etwas Brot eine Suppe für die Kinder bereitete. Ich selber aß
-fast nichts mehr und war so elend und krank, daß ich mehr kroch als
-ging.
-
-Eines Tages erfuhren wir, daß mein Gatte in der Kreisirrenanstalt
-untergebracht worden sei, da eine Geisteskrankheit ihm dauernd das Licht
-des Verstandes genommen hatte.
-
-Nach einem Monate solch jammervollen Lebens war auch die Gesundheit
-meiner Kinder dahin. Hustend und weinend hingen sie an mir, während
-Fieberschauer mich schüttelten.
-
-Oft war die Versuchung in mir aufgestiegen, dem Leben ein Ende zu
-machen; oft hatte ich am Abend den Hahn der Gasleitung zwischen den
-Fingern; doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ließ mich das nicht
-vollbringen, was die Verzweiflung mir eingab.
-
-Mitleidige Menschen machten endlich den Armenrat des Bezirks auf mein
-Elend aufmerksam, worauf die Gemeinde für uns sorgte, indem sie die
-Kinder einer Anstalt übergab, während ich im Krankenhaus Erlösung aus
-aller Trübsal erhoffte.
-
-Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, daß ich nicht
-das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige.
-
-
- Umschlag- und Einbandzeichnung von Alphons Woelfle
-
- Druck von Hesse & Becker in Leipzig
- Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niesern bei
- Pforzheim
- Einbände von E. A. Enders. Großbuchbinderei, Leipzig
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-Am Ende von Seite 119 heißt es: »... von einer meiner Basen, ...«, aber
-wäre dem Kontext nach logischer: »... von einer seiner Basen, ...« Dies
-wurde wie im Original belassen.
-
-Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonstige
-Korrekturen (vorher/nachher):
-
- [S. 173]:
- ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruanb; heut trifft ...
- ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft ...
-
- [S. 222]:
- ... vergoldeten Spiegel das Schlafzimmers und besah ...
- ... vergoldeten Spiegel des Schlafzimmers und besah ...
-
- [S. 253]:
- ... Hasler dir Gläser voll und mit herzlichen Worten ...
- ... Hasler die Gläser voll und mit herzlichen Worten ...
-
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN ***
-
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-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
-TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
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-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
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-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
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-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
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-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
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-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
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-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
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-For additional contact information:
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- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
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-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
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-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
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-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
diff --git a/57853-h/57853-h.htm b/57853-h/57853-h.htm
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@@ -92,44 +92,7 @@ a[title].pagenum:after { content: attr(title); color: gray; background-color: in
<body>
-<pre>
-
-Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Erinnerungen einer Überflüssigen
-
-Author: Lena Christ
-
-Release Date: September 6, 2018 [EBook #57853]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This
-transcription was produced from images generously made
-available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State
-Library.
-
-
-
-
-
-
-</pre>
+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 ***</div>
<div class="frontmatter">
@@ -13047,382 +13010,7 @@ Sonstige Korrekturen (vorher/nachher):
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN ***
-
-***** This file should be named 57853-h.htm or 57853-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/5/7/8/5/57853/
-
-Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online
-Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This
-transcription was produced from images generously made
-available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State
-Library.
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
-royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
-of this license, apply to copying and distributing Project
-Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
-and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
-specific permission. If you do not charge anything for copies of this
-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
-for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
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-not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
-trademark license, especially commercial redistribution.
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-START: FULL LICENSE
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
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-distribution of electronic works, by using or distributing this work
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-electronic work, or any part of this electronic work, without
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-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
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-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
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-version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
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-of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
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-works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
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-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
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-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
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-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
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-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
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-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
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-
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-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
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-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
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-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 ***</div>
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