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diff --git a/57853-0.txt b/57853-0.txt new file mode 100644 index 0000000..3e480d3 --- /dev/null +++ b/57853-0.txt @@ -0,0 +1,7834 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 *** + + + + + + + + + + Erinnerungen einer Überflüssigen + + + Lena Christ + + + + + Erinnerungen einer Überflüssigen + + + + Albert Langen, München + + + Copyright 1912 by Albert Langen, Munich + + + + + + +Oft habe ich versucht, mir meine früheste Kindheit ins Gedächtnis +zurückzurufen, doch reicht meine Erinnerung nur bis zu meinem fünften +Lebensjahr und ist auch da schon teilweise ausgelöscht. Mit voller +Klarheit aber steht noch ein Sonntagvormittag im Winter desselben Jahres +vor mir, als ich, an Scharlach erkrankt, auf dem Kanapee in der +Wohnstube lag; es war dies der einzige Raum, der geheizt wurde. + +Der Großvater war in seinem geblumten Samtgilet, dem braunen Rock mit +den silbernen Knöpfen und dem blauen, faltigen Tuchmantel in die Kirche +vorausgegangen, während die Großmutter in dem schönen Kleide, das bald +bläulich, bald rötlich schillerte, noch vor mir stand und mich ansah, +wobei sie immer wieder das schwarze seidene Kopftuch zurechtrückte. +Neben der Tür aber stand in Hemdsärmeln der alte Hausl und wollte eben +den Sonntagsrock vom Nagel nehmen, als sich die Großmutter umdrehte und +zu ihm sagte: »Geh, Hausl, bleib du heunt dahoam und gib aufs Kind +Obacht und tus Haus hüten; i möcht aa amal wieda in d' Kirch geh'.« + +Darauf ließ der Hausl seinen Rock hängen und zog wieder seinen blauen, +gestrickten Janker an, und die Großmutter ging zu dem Wandschränklein, +das in die Mauer eingelassen war, nahm daraus das Weihbrunnkrügl und +wollte gehen. In der Tür aber wandte sie sich noch einmal um und sagte +zu mir: »Also, daß d' schö liegn bleibst, Dirnei; i bet scho für di, daß +d' wieda g'sund wirst.« + +Als sie fort war, ging der alte Hausl in seine Kammer, sich zu rasieren. +Da fiel mir ein, ich könnte wieder einmal zu unserer Nachbarin, der +alten Sailergroßmutter, gehen. Geschwind stand ich auf und lief hinaus +in den Schnee und vor ihr Haus. Ich fand aber die Tür zugesperrt und +niemanden daheim; denn sie waren alle in der Kirche. Und da ich nun +lange im Hemd und dem roten Flanellunterröckl barfuß im Schnee gestanden +war und vergebens gewartet hatte, schlich ich wieder heim; denn es war +bitter kalt. Als der Hausl mich kommen sah, machte er ein ganz +entsetztes Gesicht und kopfschüttelnd nahm er mich auf den Arm und legte +mich wieder nieder. Alsbald fiel ich in ein heftiges Fieber und soll +darauf viele Wochen krank gelegen sein, und man hat geglaubt, daß ich +sterben müßte. Aber der Großvater hat mich gepflegt, und so bin ich +wieder gesund geworden. + +Der Großvater nämlich verstand sich auf alles, und wo man im Dorf eine +Hilfe brauchte, da wurde er geholt. Er war Schreiner, Maurer, Maler, +Zimmermann und Kuhdoktor, und manchmal hat er auch dem Totengräber +ausgeholfen. Und weil er so überall zur Hand war, hieß man ihn den +Handschuster, und der Name wurde der Hausname und ich war die +Handschusterleni. + +Der Großvater war bartlos und groß und gerade gewachsen und hatte trotz +der mannigfachen schweren Arbeit schlanke schöne Hände. Die hab ich in +späterer Zeit oft betrachtet, wenn er am Abend auf der Hausbank saß und +über irgend etwas nachdachte. + +Er war überhaupt anders als die Leute im Dorfe; denn er sprach wenig, +ging nicht ins Wirtshaus und war bei keiner Wahl, wie er auch sonst +allem öffentlichen Wesen fern blieb. Statt dessen erzählte man, daß er +oft im Verborgenen geholfen habe; und wo einem Armen das Haus abgebrannt +war, da habe er beim Aufbau mit zugegriffen, ohne lang nach dem Lohn zu +fragen. + +Damals, im Frühjahr nach meiner Krankheit, war es nun mein größtes +Vergnügen, mit ihm auf dem Wagen, vor den unser Ochs gespannt war, aufs +Feld hinauszufahren. Von den Äckern, die auf den Höhen rings um das Dorf +lagen, konnte man die fernen Berge sehen, und der Großvater sagte mir +von dem höchsten, daß es der Wendelstein sei. + +Während er nun pflügte oder säete, brockte ich Blumen und betrachtete +sie und die Welt dahinter durch bunte Scherben, die ich vor dem Hause +des Glasers aufgelesen hatte; oder ich lief mit dem Sturm über die +Wiesen und suchte ihn zu überschreien. + +Abends auf dem Rückweg setzte mich dann der Großvater rittlings auf den +Ochsen, und so sah ich schon von weitem die bläulichen Rauchwölklein +über unserem Dache, die uns anzeigten, daß die Abendsuppe schon auf dem +Feuer stand. + +Waren wir daheim angekommen, so sprang ich rasch in die Küche, steckte, +wenn die Großmutter in der Speis war, die Nase in alle Hafen und Tiegel, +zu sehen, was es Gutes gäbe, und lief dann hinter dem Großvater drein, +der vom Hausflöz durch den Stall in die Scheune ging, dort die +Ackergeräte verwahrte und hierauf in dem Schuppen Holz für den Herd +herrichtete. Ich tummelte mich derweilen in der Tenne, die wie der Stall +und Schuppen an das kleine, freundlich mit bläulicher Farbe getünchte +Wohnhaus angebaut war und mit ihm unter einem Dache stand, das sauber +mit Holzschindeln eingedeckt und mit Felsblöcken beschwert war. Rings um +das Häuschen zog sich ein saftiger Grasgrund, und von den Fenstern der +Wohnstube, an denen reichblühende Geranien und Menschenleben standen, +sah man im Sommer ein zierliches Gemüsegärtlein, dessen Beete mit +feurigen Nelken, Dahlien, fliegenden Herzlein und buschigen +Rosensträuchern eingefaßt waren. Am Eingang des Gärtleins stand ein +großer Rosmarinstrauch, den der Großvater bei seiner Heirat selbst +gepflanzt hatte. + +Von der Tenne nun schlüpfte ich des öftern in den Hühnerstall und +durchsuchte ihn nach Eiern. Besonders als Ostern nicht mehr fern war, +trieb es mich immer wieder dahin; denn um diese Zeit gab es unter uns +ein großes Vergnügen, das Oarscheiben. Da zogen alle Kinder des Dorfes +zu den großen Bauernhöfen, und dort wurden wir bewirtet und bekamen +G'selchts, Osterbrot und bunte Eier. Diese aber wurden nicht gegessen, +sondern zum Oarscheiben aufgehoben. Dabei teilten wir uns in zwei +Parteien, und die einen standen hüben, die anderen drüben; dazwischen +aber waren in schräger Lage zwei Rechen aneinander gelegt, und auf +dieser Bahn ließen wir unsere Eier hinunterrollen. Die Partei nun, auf +deren Seite das Ei fiel, hatte es gewonnen, und wo am Schluß die meisten +Eier lagen, war der Sieg. Freilich begann dann oft erst der eigentliche +Kampf, und die Eier, die zuvor gerollt waren, flogen jetzt. + +Während aber die andern sich noch rauften, sammelte ich, ohne mich +besonders sichtbar zu machen, mit flinker Hand die also zu Waffen +gebrauchten Eier und lief alsdann mit meinem vollen Schürzlein heim, wo +ich dem Großvater die Beute vor die Füße kugeln ließ. + +Da gab's dann andern Tags ein gutes Gericht, den Oarsülot, zu dessen +Bereitung ich schon am frühen Morgen mit der Großmutter den +wildwachsenden Feldsalat von einer nahen Anhöhe brocken mußte, während +der Großvater derweil daheim die Eier fein zerhackt und zerrührt hatte, +was er alle Ostern selber tat, da keins ihm dies Geschäft recht machen +konnte. + +Auch sonst war er oft in der Küche draußen und half der Großmutter Rüben +schälen oder Semmeln schneiden für die Alltagskost, die Knödel; denn +diese durften keinen Tag fehlen. Auch am Sonntag kamen sie, freilich +viel größer und schwärzer, als Leberknödel auf den Tisch. + +Das Wasser, in dem die Knödel, die neben ihrer Schmackhaftigkeit auch +noch den Vorzug der Billigkeit hatten, gesotten wurden, wurde bei uns +nie weggeschüttet, sondern in einer großen bemalten Schüssel +aufgetragen. Dazu stellte die Großmutter ein Pfännlein mit heißem +Schmalz und braunen Zwiebeln und im Sommer auch ein Schüsselchen voll +Schnittlauch. Der Großvater langte dann den von der Mutter +selbstgebackenen Brotlaib, der mittels unseres großen Hausschlüssels +ringsum mit einem Kranz von ringförmigen Eindrücken verziert war, aus +dem Wandschränklein und begann langsam und bedächtig Schnittlein um +Schnittlein in die Brüh zu schneiden. Danach goß er die Schmelz darüber, +würzte gut mit Salz und Pfeffer und rührte mit seinem Löffel etliche +Male um. Alsdann sagte er: »So Muatta, jatz ko'st betn.« + +Fleisch kam bei uns nur zu ganz besonderen Gelegenheiten auf den Tisch, +und selbst am Sonntag genügten meinen Großeltern die Leberknödel mit dem +Tauch, einem Gemüse von Dotschen, Rüben oder Kohlraben. Nur der +Großvater erhielt als Feiertagsmahl ein Stück gesottenes Rindsfett, das +er gesalzen und gepfeffert nur mit einem Stücklein Brote aß. + +An Ostern aber ließen sich's die Großeltern nicht nehmen, ein +ordentliches Stück Geselchtes und dazu noch einen Tiegel voll von unserm +selbstgemachten Kraut aufzustellen, nebst einem Körblein Eier, die samt +dem mit viel Zyperben und Weinbeerln gebackenen Osterbrot schon in der +Früh des Ostertags vom Großvater zur Weih' getragen wurden. + +Auch sonst gab's allerlei Vergnügungen und Kurzweil für die Großen und +die Kleinen, und es war auch um die Osterzeit, daß die Kinder, die +ungefähr in meinem Alter waren, anfingen, etwas Heimliches untereinander +zu treiben. Der Schlosserflorian und die Ropferzenzi hatten im Stall bei +der Wagnerin die Zicklein angeschaut, und hierbei hatte der Florian der +Zenzi, die vor ihm hockte, unter den Rock gesehen und hatte ihr darauf +auch etwas gewiesen. Dabei überraschte sie die Wagnerin, und alsbald +wußte es das ganze Dorf. Die Kinder aber, die fünf- und sechsjährigen, +hatten nichts anderes zu tun, als dies sofort nachzuahmen, und alsbald +saßen auf den Heuböden oder hinter der Planke vom Huberwirt die Pärlein +im Gras und betrachteten einander. + +Diese Vorfälle wurden nun von einem alten, frommen Fräulein dem Herrn +Pfarrer hinterbracht, der dann am darauffolgenden Sonntag von der Kanzel +herab wetterte über die Zuchtlosigkeit der Eltern, die nicht acht gehabt +hätten auf das Heiligste der Kinder, auf ihre Unschuld. Viele von den +Eltern hatten es aber in der Sorge um das Ihre übersehen, manche wohl +auch übersehen wollen. + +Mit dem beginnenden Sommer fingen wir an, zu fischen. Da suchte man sich +einen Stecken; daran wurde eine alte Gabel gebunden und mit ihr nach den +Dollen oder Mühlkoppen, die sich im Bach unter Steinen, Scherben oder +alten Häfen verborgen hielten, gestochen. Mit dem Stecken wurde der +Stein zur Seite geschoben, und wenn der Fisch hervorschoß, wurde er +angespießt. Ich war nun so geschickt, daß ich sie auch mit der Hand +fangen konnte. Da nahm ich den Rock auf, stieg in den Bach hinein, +bückte mich, tauchte vorsichtig den rechten Arm ins Wasser und näherte +mich mit der Hand dem Fisch, bis er zwischen meinen Fingern stand; dann +griff ich rasch zu. Gegen Abend trugen wir dann in einem alten Hafen den +ganzen Fang heim. War die Großmutter im Stall, so schlug ich in der +Küche die Fische mit einem Stein auf den Kopf, nahm heimlich Schmalz aus +der Speisekammer und warf die Fische, nachdem ich noch schnell Salz, +Mehl und ein paar Eier darangetan, in eine Pfanne. Die gebratenen Dollen +brachte ich dann hinaus vors Haus, wo die anderen Kinder im Gras saßen +und warteten. Unter dem Essen wurde nun erst die Schwimmblase und was +sonst noch im Innern des Fisches war, mit dem Finger herausgeholt. + +Einmal freilich wäre ich beim Fischen beinah ertrunken, und das kam so: +Da hat die Großmutter mit unserer Nachbarin, der alten Sailerin, die +sehr schwerhörig war, Wasch g'schwoabt, d. i. Wäsche im Bach gespült. +Als sie beide mit dem schweren Zuber davongingen, rief mir die +Großmutter zu: »Lenei, daß d' fei du dahoam bleibst und ja net abi gehst +am Bach, net daß d' eini fallst und dasaufst.« + +Ich aber nahm, dem Verbot zum Trotz, meinen Stecken mit der Gabel und +einen großen Hafen und schlich leise hinterdrein. + +Die Großmutter und die Sailerin hatten sich auf die große Waschbank, die +in den Bach hineingebaut war, gekniet und wuschen und hörten bei dem +Rauschen des Wassers nicht, wie ich mich hinter ihrem Rücken auf die +Waschbank legte. Kaum hatte ich mit meinem Stecken einen Stein zur Seite +gerückt, als schon ein großer Dollen herausfuhr. Ich ziele und steche +mit der Gabel zu; aber die war nicht festgebunden und rutscht ab. +Inzwischen war der Fisch zur Seite geschnellt und blieb nahe dem Ufer +über dem Sand stehen. Mir schien die Stelle seicht genug, um ihn jetzt +mit der Hand fangen zu können. Ich stülpe also meinen Ärmel auf, strecke +den Arm aus und will den Fisch fassen, versinke aber mit der Hand tief +in den weichen Ufersand; dabei verliere ich das Gleichgewicht und stürze +in den Bach, jedoch so, daß die Füße noch auf der Waschbank blieben. Den +Kopf unter Wasser zerre und zapple ich so lange, bis ich die Füße +nachziehen konnte. Derweilen hatte mir aber das Wasser schon alle Kraft +genommen, und trieb mich nun unter der Waschbrücke hindurch grad unter +die Hände meiner Großmutter. + +»Jess', Mariand Josef, insa Lenei!« schrie sie und ließ das Wäschestück +fahren, packte die alte Sailerin am Arm, schüttelte sie heftig und +schrie ihr ins Ohr: »He, Soalerin, hilf, insa Lenei datrinkt!« + +Darauf zogen sie mich heraus und führten mich heim. + +Als der Großvater mich sah, meinte er: »Aba Lenei, gel, jetz hast es; +wie leicht kunntst dasuffa sei!« + +Der Hausl aber, der auf dem Kanapee saß, spottete: »Gel, bist in Bach +einig'falln, du Schliffi!« + +Der Hausl, Balthasar Hauser, wie er eigentlich hieß, war im Übrigen mein +guter Freund. Im Dorf war er freilich wenig beliebt, weil er recht +barsch war und ein großer Geizhals. Ging er umher, so streckte er die +Arme weit hinter sich hinaus; denn er war schon ganz krumm und alt. Er +lebte bei den Großeltern im Austrag und bewohnte die an unsere Wohnstube +anstoßende Kammer. Darin hatte er aus der Mauer ein paar Ziegelsteine +herausgebrochen, das Loch ausgemauert und vor die Öffnung als Tür ein +dickes Brettlein gemacht, das in Scharnieren hing und an das der +Schlosser ein Schloß hatte anbringen müssen. In diesen Behälter tat er +sein Geld und seine Kostbarkeiten, schmierte das Türlein mit Kalk zu und +machte mit einem Farbstift einen winzigen Punkt an die Stelle, wo sich +das Schlüsselloch befand. So glaubte er seine Habe erst sicher vor den +Menschen, denn außer mir wußte niemand um diesen geheimen Ort. Wenn er +nun einige Pfennige brauchte, wie an den Sonntagen zum Bier, so ging er +in seine Kammer, zog die Vorhänge zu, kratzte mit einem Messer den Kalk +vom Schlüsselloch, und sobald er das Wenige, das er jeweils brauchte, +herausgenommen hatte, strich er alles wieder zu und machte einen neuen +Punkt. Das Häflein mit dem Kalk bewahrte er unter dem Bett auf, das +Nachtgeschirr darübergestürzt. Damit nun nicht etwa jemand diese Dinge +fände, putzte er selbst seine Kammer und machte sein Bett. Auch wusch er +selber seine Wäsche; denn er fürchtete, der Großmutter etwas zahlen zu +müssen; und zwar wusch er immer nur ein Stück, hängte es darauf in die +Sonne und setzte sich dazu, damit es ihm nicht etwa gestohlen wurde. Kam +ich an solchen Tagen und sagte: »Hausl, geh mit mir furt!«, so zeigte er +auf sein Sacktüchl und sagte: »Wart a bißl, bis mei Schneuztüchl trucka +is.« + +Außer ihm waren bei meinen Großeltern noch Kostkinder im Hause, die die +Großmutter aufzog. + +Sie war eigentlich nicht meine rechte Großmutter, sondern nur die +Schwester derselben. Meine leibliche Großmutter habe ich nicht gekannt; +sie war schon lange tot. Von ihr hat mir die Großmutter im Winter, wenn +sie mit der alten Sailerin und der Huberwirtsmarie am Spinnrad saß, viel +erzählt. Sie sei eine sehr böse Frau gewesen, im ganzen Ort gefürchtet, +und alle Leute seien froh gewesen, als sie endlich mit achtunddreißig +Jahren gestorben sei. Sie hatte lange an Magen- und Leberkrebs gelitten; +darum hatte ihre Schwester schon bei ihren Lebzeiten das Hauswesen beim +Großvater geführt und die Kinder erzogen. Eigentlich aber war sie eine +Nähterin. + +Als nun der Großvater Witwer war, wollte er die Schwägerin heiraten; da +sie aber in ihrer Jugend Mitglied und später Präfektin des weltlichen +dritten Ordens des heiligen Franziskus geworden war, mußte er deswegen +sich an den Papst wenden, der ihr unter der Bedingung Dispens erteilte, +daß sie mit ihrem Manne eine sogenannte Josephsehe führe, das heißt, die +gelobte Keuschheit bewahre. Daher kam es wohl auch, daß der Großvater +sie immer mit großer Achtung behandelte und ihr niemals ein böses Wort +gab. Nur einmal war eine Geschichte: + +Von unsern Kühen gab eine, das Bräundl, zu wenig Milch. Da nahm sich der +Großvater vor, sie nach Holzkirchen auf den Markt zu führen und gegen +eine bessere umzutauschen. Obwohl nun die Großmutter dagegen war, hat er +sie doch fortgetrieben und dafür eine wunderschöne, schwarzfleckige Kuh +heimgebracht. + +Als sie nun das erstemal von der Großmutter gemolken wurde, gab auch sie +nur ein paar Liter Milch. Da meinte man, es komme von der Anstrengung; +aber es wurde nicht besser. Als sie nach ungefähr einer Woche nicht mehr +als fünf Liter Milch gab, während wir sonst von unsern Kühen zehn bis +zwölf Liter hatten, ward die Großmutter sehr ärgerlich und fing an, mit +dem Großvater zu streiten und sagte: »Da hättst aa nix Bessers toa +könna, als wie dös Viech daher bringa; hättst halt's Bräundl g'haltn. +Bringst da so an Ranka daher, der oan's Fuada wegfrißt und für nix guat +is.« + +Da wurde der Großvater zornig: »Sei stad! Was vastehst denn du, du +Rindviech! Dös ko i da Kuah net o'sehgn, daß koa Milli gibt bei so an +Trumm Euter. Na weis i's halt wieder furt in Gott'snam', daß d' an Ruah +gibst, alt's Rindviech.« + +Darauf erwiderte die Großmutter nichts, sondern ging in die Kuchl +hinaus. + +Als sie aber beim Nachtessen das Tischgebet sprach, fing sie plötzlich +beim Vaterunser an ganz laut zu schluchzen und lief hinaus. Da sprach +ich das Gebet zu Ende und sagte darauf zum Großvater: »Gel, jetz hast +es, weilst so grob bist. Warum greinst denn a so, wo's es net braucht! +Mei Großmuatta is brav, und balst es no amal schimpfst, nacha mag i di +nimma!« + +Darauf sagte der Hausl, der auch mit uns aß: »Woaßt, Handschuasta, dös +sell muaß i selm sagn; da hast an schlechtn Tausch g'macht. Da hat d' +Handschuasterin scho recht, und i moan, dösmal warst du's Rindviech +g'wen.« + +Diese Rede freute mich, und ich ließ das Essen stehen, lief zur +Großmutter in die Küche, setzte mich auf ihren Schoß und sagte: +»Großmuatterl, sei stad und woan nimma. Der Großvata is dir scho wieda +guat und der Hausl sagt's aa, daß der Großvata 's Rindviech is. Jatz +weist er d' Kuah wieder furt und kaaft dir a andere. Und i hab's eahm +scho g'sagt, er darf di nimma ausgreina.« + +Da nahm sie mich um den Hals und sagte: »Du bist halt mei Brave, gel +Lenei.« + +Darauf aß ich mit ihr draußen in der Küche zur Nacht, zog sie danach +wieder in die Stube und rief: »So Großvata, jatz is dir d' Großmuatta +wieda guat und woant nimma; jatz muaßt aba versprecha, daß d' es wieda +magst und nimma greinst.« + +Da lachte er: »No, in Gottsnam, Hex, na mag i 's halt wieda.« + +In der Nacht hab ich zwischen ihnen beiden geschlafen und hab ein jedes +bei der Hand genommen und ihnen die Hände gedrückt und sie festgehalten. + +Auf einmal fängt die Großmutter aufs neue zu schluchzen an: »Naa, i ko's +net vergessn, was d' g'sagt hast, wo i dir g'wiß a bravs, rieglsams Wei' +g'wen bin.« + +»Stad bist ma!« erwiderte der Großvater. »Bevor i harb wer'. Dös ko an +jedn passiern; geh nur und kaaf du ei!« + +Jetzt wurde ich wild, stieß den Großvater mit Füßen, schopfte ihn bei +den Haaren und schrie: »Jatz werd's ma z' dumm! Jatz laß d' mei +Großmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der Münkara +Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!« + +Darauf mußte sich die Großmutter in die Mitte legen und ich legte mich +hinaus. Der Großvater aber lachte: »Geh, schlaf, du Nachtei!« + +Am andern Tag in der Früh fragte ich gleich die Großmutter: »Is er dir +wieda guat, der Vata?« + +»Ja,« erwiderte sie, »mir san scho guat.« + +Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch +drei oder vier Tage fort. + +Die Kuh aber hat der Großvater an den Huberwirt verkauft und dafür vom +Schneider zu Balkham eine wunderschöne, trächtige heimgebracht. + +Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der +Münkara Muatta, das heißt zu meiner Mutter in München, zu gehen, die ich +übrigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden hören. +Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Großmutter, darin die Mutter +schrieb, daß sie bald kommen würde, uns zu besuchen. + +Da sagte mein Großvater zu mir: »Dirnei, jatz muaßt brav sei, d' Münkara +Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst +es von der Bahn abholn.« + +Ich glaubte natürlich, meine Münkara Muatta käme schon am selben Tag, an +dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuß und ohne Hut oder +Tüchl gegen die Sonnenhitze, es war im Spätsommer, fort und lief, so +schnell ich konnte, über die Brücke den Berg hinauf durch Felder und +Wiesen über Schloß Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstraße, die +gen Grafing führt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief +durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und +unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des +Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, daß hier ein +Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da fürchtete ich mich so sehr, daß +ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu rühren vermochte. + +Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem kürzesten Weg nach +Grafing fragten. Da löste sich meine Angst und indem ich rief: »Oes +derfts grad dera Straßn nachfahrn!« stürmte ich schon an den Herren, die +von ihren Rädern abgestiegen waren, vorbei und lief, so rasch mich meine +Füße trugen, bis nach Moosach, dem nächsten größeren Dorfe. Dort bat ich +eine Bäuerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen +Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: »Wo +kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?« + +»I geh auf Grafing und geh meiner Münkara Muatta z'gegn.« + +Sie mahnte noch: »Gel, tua di fei net volaafa, Kind!« und begleitete +mich bis unter die Haustür. Mit einem lauten: »Gelt's Gott!« und »Pfüat +Gott, Bäuerin!« lief ich wieder weiter, die Straße über Waldbach, +Baumhau, den großen Untersumpf entlang nach Grafing. + +Schweißtriefend und keuchend kam ich ungefähr um sieben Uhr abends dort +am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: »Bitt schön, wißt's ös net, +wenn daß der Zug vo' Münka kimmt?« + +Der aber meinte, vor acht Uhr käme keiner mehr; denn der letzte sei um +fünf Uhr schon gekommen. + +Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: »Habt's ös mei Münkara +Muatta net kemma sehgn?« + +Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wußte +nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich stürmte über +den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die +grad ausgestiegen war und fragte sie: »Bist du mei Münkara Muatta?« + +Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen hörte ich rufen: »Personenzug +über Kirchseeon, Haar, Trudering nach München!« Da wurde es mir klar, +daß es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und +wartete, bis der Achtuhrzug aus München kam. Da stiegen aber nur einige +Männer aus und ich mußte mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon +ziemlich dunkel geworden war. + +Ich fing nun wieder an zu laufen, zurück durch den Wald und den Sumpf. + +Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah plötzlich, daß ich +mich verirrt hatte. + +Nach einem langen Umweg kam ich über Bruck nach Wildenholzen. Es ist das +ein kleines, wundernettes Örtlein am Fuß eines schönen, bewaldeten +Bergabhanges. + +Ganz erschöpft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich +nicht rasten dürfe und wie weit ich wohl noch hätte bis zu meinem +Großvater. + +»Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei +ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm +eina, na kriagst was z'essn.« + +Ich konnte vor Müdigkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur +schlecht schlafen. Schreckliche Träume verfolgten mich und ich meinte in +den Sumpf geraten zu sein und versinken zu müssen. + +Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich +der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen. + +In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni. +Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende Bäuerin, die auch +einen großen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von +Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die +Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden. + +Die Nanni führte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Großeltern. +Diese hatten mich die ganze Nacht in Ängsten gesucht und beweinten mich +schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde. + +»Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!« + +Ohne einen Laut fiel ich dem Großvater in die Arme. Da sah man erst, daß +ich ganz heiß und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentzündung, von der +ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen später meine Mutter +wirklich kam. + +Da trat eine große Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiß +karierten Kleide über einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug +sie einen weißen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauß +von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand +und sagte nur: »Bist auch da!« + +Als sie am nächsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der +Großvater: »No, Dirnei, magst nachha eini zu der Münkara Muatta in d' +Stadt?« + +Da umhalste ich ihn, schüttelte den Kopf und sagte schnell: »Naa, naa!« + +So durfte ich denn noch beim Großvater bleiben und wie zuvor mit ihm +gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte. + +In diesem Herbst war es nun, daß wir einmal zum Ausweißen gingen. Und +als der Großvater bei der Arbeit war, schickte er mich wieder heim. Mein +Weg führte mich am Obstgarten des Herrn Pfarrers vorbei, darinnen ich +schon auf dem Hinweg einen großen Apfel hatte liegen sehen. Als ich +jetzt wieder vorüberkam, suchte ich nach einer Zaunlücke, schlupfte +hindurch und kroch auf allen Vieren durchs Gras und holte mir den Apfel. +Da ich noch einen zweiten liegen sah, aß ich diesen sogleich und nahm +den schöneren mit heim, um meiner Großmutter eine Freude zu machen. + +»Großmuatterl, da schaug her,« rief ich, »i hab dir was mitbracht; an +schön'n Apfel vom Herrn Pfarrer!« + +Da hatte die Großmutter eine rechte Freude; denn sie meinte, der Herr +Pfarrer habe ihn mir geschenkt. + +»Bist halt mei bravs Lenei; vergunnst deiner Großmuatta aa ebbas.« + +Unter diesen Worten schälte sie den Apfel und schabte ihn; denn sie +hatte fast keinen Zahn mehr im Munde. + +»Ah, der is aba guat! Hättst'n net liaba selba gessn, Dirnei?« + +»A naa, Großmuatta, i hab ja scho oan g'habt.« + +Ein paar Stunden später sah ich den Herrn Pfarrer daherkommen. Da rührte +sich mein schlechtes Gewissen, und ich hab mich hinter die Stiege +verschloffen. Inzwischen war meine Großmutter in den Hausgang oder Flöz +hinausgegangen, und jetzt seh ich, wie der Herr Pfarrer richtig zu ihr +hereingeht und sagt: »Liebe Handschusterin, leider hab ich sehen müssen, +daß Ihr Enkelkind, das Lenei, ein paar Äpfel in meinem Garten aufhob und +damit davonlief. Hört, Handschusterin: es ist mir nicht um die paar +Äpfel; aber die Begierde hätte das Kind bezähmen sollen. Hätte das Lenei +mich gebeten, ich hätt' ihr mit Freuden etliche geschenkt.« + +Nach diesen Worten trat der Herr Pfarrer ins Zimmer und unterhielt sich +noch längere Zeit mit der Großmutter. Ich aber lief, was ich laufen +konnte, nach Westerndorf zu meiner Nanni. Ich wollte auch zur Nacht +nicht mehr heim, weil ich Strafe fürchtete; doch hat mich die Nanni +schließlich überredet und heimgebracht. Ich hätte aber nicht so viel +Angst zu haben brauchen; denn der Großvater hat mich verstanden. Und als +die Großmutter anfangen wollte zu schimpfen, fiel er ihr ins Wort: »Stad +bist ma! Nix sagst ma übers Kind; hat's dir 'n vielleicht net bracht? I +sags allweil, 's Lenei hat a guats Herz!« + +Da mußte die Mutter still sein. Später einmal traf mich der Herr Pfarrer +und sagte: »Liebes Kind, ich hätte dir ganz gerne einen Apfel geschenkt, +wenn du mich darum gebeten hättest. Aber selbst aufheben durftest du dir +keinen; denn das nennt man Stehlen.« + +Neben der Arbeit im Haus, Garten und Stall hat die Großmutter Mieder +genäht und war weit und breit wegen ihrer Geschicklichkeit darin berühmt +und gesucht. + +Nun kam da zwei- oder dreimal im Jahr ein Mann aus Schwaben, der zog von +Dorf zu Dorf mit seiner Kirm auf dem Rücken und gab für Haderlumpen den +Leuten Nähnadeln, Steckklufen, Fingerhüte, Maßbandln und den Kindern +Fingerringe. Meiner Großmutter aber gab er für die alten Flicken und die +Abfälle von den Miedern neue Miederhaken und Schlingen, die er Moidala +und Schloipfala nannte. Einmal waren ihm nun die Miederhaken +ausgegangen, und als ihn die Großmutter fragte: »Hast heunt gar koani +Miadein?« sprach er: »Noi, gar koine Moidala geits mehr; lauta +Schloipfala kannscht mehr haba.« Damit wollte er zugleich sagen, daß es +jetzt gar keine braven Mädeln mehr in den Dörfern gebe und die meisten +sogenannte Schloapfen, das will sagen leichtfertige Wesen seien, die auf +jedem Tanzboden herumschleifen und die jeder leicht haben kann. + +Zu all dieser Arbeit zog die Großmutter, wie ich schon sagte, Kostkinder +auf, welche die Gemeinde ihr wegen ihrer Gewissenhaftigkeit und +Sauberkeit übergab. Es waren dies Kinder von Bauerndirnen, von ledigen +Gemeindeangehörigen, die wer weiß wo weilten und ihre Kinder der +Gemeinde aufbürdeten; aber auch Kinder von Gauklern, die diese einfach +den Leuten vor die Tür legten. + +So war es auch einmal um die Weihnachtszeit. Draußen lag tiefer Schnee, +und wir saßen in der Wohnstube beisammen und jedes hatte seine +Beschäftigung: der Großvater band einen Besen, die Großmutter spann und +der Hausl baute mir ein Haus aus großen Holzscheiten. Da klopft es mit +einem Male ans Fenster. Erschreckt schreit die Großmutter auf; der +Großvater aber geht hinaus, zu sehen, wer so spät noch Einlaß begehrt. +Er sperrt auf und tritt vor die Tür; im gleichen Augenblick aber hören +wir ihn rufen: »Heiliges Kreuz! a Kind!«, und herein bringt er ein +kleines Bündel und legt's auf den Tisch. Die Großmutter springt auf und +wickelt es aus. Da liegen zwei kleinwinzige Wesen vor ihr, und wie sie +das eine nehmen will, kann sie es nicht heben, weil das andere auch mit +in die Höhe geht. Als sie dann die Windeln aufmachte, sahen wir erst, +daß die Kinder zusammengewachsen waren. Außen am Bündel war ein Papier +befestigt; darin lagen die Taufscheine der Zwillinge und ein Brief des +Inhalts, daß eine Seiltänzerin die Kinder geboren und bei der Geburt +gestorben sei. Man habe von der Handschusterin gehört und bitte nun um +Gottes willen um Aufnahme für die Kinder; die Gemeinde würde schon +zahlen. Da sagte die Großmutter: »Um Gottes willen is aa was; auf die +Mautschein geht's aa nimmer z'samm!« + +Und so behielt sie die armen Waislein. Als sie aber größer wurden und +sitzen lernen sollten, fand man, daß die gewöhnlichen Stühlchen zu +klein, eine Bank aber nicht für sie geeignet war; denn das Gesäß, mit +dem sie seitlich zusammengewachsen waren, war nicht breiter als das +eines Kindes; von den Hüften aufwärts aber nahmen sie den Raum von +zweien ein. Also verfertigte ihnen der Großvater ein eigenes Stühlchen, +sowie ein Bänklein mit einer runden Lehne, in das er zwei Löcher +schnitt, das Bänklein polsterte und die Löcher mit Deckeln versah. +Darunter stellte dann die Großmutter bei Bedarf zwei Nachthäflein. Auch +alle Kleidungs- und Wäschestücke mußte sie eigens machen und das +Süpplein gab sie ihnen nicht aus der gebräuchlichen Saugflasche, sondern +nahm ein großes Glas und ließ einen zinnernen Deckel mit zwei Löchlein +machen, durch die sie zwei lange Gummischläuchlein zog. Daran befestigte +sie dann die Sauger. + +Als die Mädchen zwei Jahr alt waren, erkrankte eines von ihnen an +Diphtherie, während das andere seltsamerweise ganz gesund blieb. + +Sieben Jahre hatten meine Großeltern diese Zwillinge bei sich, bis sie +von der Gemeinde an den Besitzer einer Schaubude abgegeben wurden, der +sie auf vielen Jahrmärkten herumzeigte. + +Doch nicht immer waren es Kinder solch armer oder heimatloser Leute; +mitunter wurde auch eins von besserem Stand uns vor die Tür gelegt. + +So war eine reiche Dame in Rosenheim, die lange Zeit glücklich mit ihrem +Manne, einem Doktor, gelebt hatte. Da ward sein Geist umnachtet und er +vertat in kurzer Zeit all sein Gut. Zuletzt sperrte man ihn in ein +Irrenhaus und wies die unglückliche Frau, die ihrer schweren Stunde +entgegensah, von Haus und Hof. Dies brachte die Ärmste gleichfalls um +den Verstand, und sie lief eines Nachts von Rosenheim fort und kam bis +nach Ebersberg. Dort brachte sie in einem Schuppen das Kind, ein +Mädchen, zur Welt. Sie hatte nichts, worein sie es wickeln konnte, und +so zog sie ihren Rock aus, bettete das Würmlein hinein und band es mit +ihren Strümpfen zusammen. In der Nacht machte sie sich wieder auf den +Weg und lief, nun barfuß und nur halb bekleidet, bei bitterer Kälte, +denn es war im Januar, fort bis in unser Dorf. Vor dem Haus des +Bürgermeisters brach sie tot zusammen, und man brachte das Kindlein +meiner Großmutter, die das erstarrte, halbtote Wesen wieder zum Leben +brachte und aufzog. + +Auch das Kind eines katholischen Priesters hatten wir einmal in der +Kost. Es war von einem schönen Mädchen, einer Müllerstochter, die von +dem Unhold betört und in großes Elend versetzt worden war. Sie ertränkte +sich, während der Geistliche seine Pfarrei verlassen und mehrere Jahre +lang einen Strafposten bekleiden mußte. Zum Glück starb das Büblein +bald; es hatte den ganzen Kopf voll großer Blutgeschwüre gehabt. + +Von den zwölf Kostkindern, die die Großmutter um diese Zeit aufzog, +wuchsen zusammen mit mir die Urschl, der Balthasar, genannt Hausei, der +Bapistei und die Zwillinge auf. Sie schliefen alle mit mir bei den +Großeltern in der gemeinsamen großen Schlafkammer, die vier Fenster +hatte. Mein Bett war auf der Seite, wo der Großvater schlief, während +bei der Großmutter drüben das der Zwillinge stand. Nahe an ihrem Bett +hatte die Großmutter die alte, buntbemalte Bauernwiege stehen. Daran war +ein Ring und an diesem hing ein langes Band, das die Großmutter beim +Schlafengehen um die Hand wickelte. An dem Bande zog sie nun leise, wenn +das Kind unruhig war, und oft hörte ich, wenn ich nicht schlafen konnte, +die ganze Nacht hindurch das leichte Knarren der Dielen. In die Wiege +kam das Kleinste, außer es war ein anderes krank, das dann +hineingebettet wurde. Darum lag die meiste Zeit der Bapistei darin; denn +er war ein recht schwächliches, streitiges Kind. Mitunter nahm der +Großvater der Großmutter das Bandl aus der Hand: »Geh, Muatta, laß mi +hutschen; tua jetz a bißl schlafa!« + +Aber er konnte es nicht so leise, wie sie, und da schrie denn der +Bapistei so lang, bis die Großmutter wieder das Bandl nahm. + +Das Kostgeld für jedes Kind war von der Gemeinde auf monatlich vier bis +fünf Mark festgesetzt; trotzdem sorgte die alte Frau für sie wie für +eigene. Sie war auch in der Krankenpflege sehr erfahren und hatte viele +Hausmittel und wußte Krankheiten zu beschwören, was beim Landvolk unter +dem Namen Abbeten bekannt ist. + +Als unser Bapistei durch das viele Schreien einen Nabelbruch bekommen +hatte, heilte ihn die Großmutter auf folgende Weise: Sie suchte beim +wachsenden Mond drei kleine Kieselsteine unter der Dachrinne und drückte +jeden Abend beim Mondaufgang einen davon dem Kinde auf den Nabel, drehte +ihn mit dem Daumen und sprach dazu: + + »Bruch, ich drucke dich zu, + Geh du mit der Sonne zur Ruh; + Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, + Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.« + +Dann band sie das Steinlein mit einer Binde fest und gab dem Kinde einen +heilkräftigen Tee. Nach einigen Tagen wurde der Bapistei wirklich +gesund. + +Eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit sind die +Sonntagnachmittage im Winter. Da hat die Großmutter mir vorgelesen aus +uralten, heiligen Büchern und mir erzählt von gottseligen Leuten und +deren wunderbarem Tod; hat mir Beispiele von der Hilfe unserer lieben +Frau von Frauenbründl und Birkenstein erzählt und wundersame Gebete mir +vorgebetet und mich gelehrt. Wenn sie dann beim Lesen eingenickt war und +ich zu ihren Füßen auf dem Schemel saß, geschah es manchmal, daß ihr die +alte Hornbrille von der Nase und in den Schoß fiel. Beim Erwachen wollte +sie weiterlesen; da sie aber ohne Glas nichts sehen konnte, rückte sie +das Buch immer näher an die Augen und griff endlich nach der Stelle, wo +die Brille gesessen, um sie zurechtzurücken. Da merkte sie erst, daß sie +ihr entfallen war. + +Oft geschah es auch, daß sie in der Eile die Brille auf die Stirn schob, +wenn sie mit jemandem sprach. Wollte sie dann später etwas lesen, so +suchte sie überall: »Habt's es denn nindascht g'sehgn? Woaß neam'd, wo i +s' hing'legt hab? I find s' scho wieda net!« + +»Ja, was suachst denn, Muatta; was findst denn scho wieda net?« fragte +dann der Großvater. + +»Ah, was wer i denn suacha! 's Augnglas!« + +»Jessas, Jessas! Hast es ja a so drobn am Hirn; bist da du dumm, +Muatta!« + +Mit diesen Worten schob er ihr die Brille wieder auf die Nase. + +Ich hatte sie längst bemerkt; doch freute es mich, die Großmutter so +ratlos zu sehen, und ich lief überall mit ihr herum und suchte. +Kopfschüttelnd ging dann der Großvater in den Stall oder gegen Abend +wohl auch auf den Heuboden, um für die Kühe das Gsott zu schneiden. + +Ich aber schlich mich in die Künikammer oder Königskammer, die zu +betreten mir verboten war. Es war das die beste Stube des Hauses, +angefüllt mit den Schätzen, die von den Ureltern auf uns gekommen waren; +auch die Möbel darin stammten aus alter Zeit. Da standen zwei Truhen, an +denen gar seltsame Figuren und Zierate zu sehen waren und darinnen der +Brautschatz der Urgroßmutter lag. Es war dies ein bald bläulich, bald +wie Silber schimmerndes Seidenkleid, ein köstliches, bunt und +goldgesticktes Mieder, dazu eine goldbrokatene Schürze, in die leuchtend +rote Röslein gewirkt und die mit alten Blonden besetzt war. Dabei lag +eine hohe Pelzhaube, wie sie vor hundert Jahren die Bräute als Kopfputz +trugen, und zwei Riegelhauben, eine goldene und eine schwarze, mit +Perlen besetzt. Daneben stand ein Kästlein aus schwarzem Holz und mit +Perlmutter eingelegt; darin lag das schwere, silberne Geschnür mit +uralten Talern und einer kostbaren silbernen, neunreihigen Halskette und +Ohrgehänge und silberne Nadeln. Ganz versteckt in der untersten Ecke +aber lag, sorglich in ein zerschlissenes, seidenes Tuch gewickelt, das +Brautkrönlein der Ururgroßmutter. Es war das ein zierliches Kränzlein, +dessen Blumen und Blätter aus Rauschgold und Edelsteinen gearbeitet und +mit Perlen und Filigran eingefaßt waren. Nach Art der Riegelhauben aber +war es steif gefüttert, und über der verblichenen Seide lag noch ein +matter, rötlicher Schimmer. + +Die andere Truhe war voll des feinsten, selbstgesponnenen Flachses und +schöner, gestrickter Spitzen. In einem großen, buntbemalten Schrank lag +handgewirktes Bauernleinen, darunter ein großes Tischtuch, in welches +das heilige Abendmahl gewebt war. + +Zwischen den beiden Fenstern, deren dichte Vorhänge keinen Sonnenstrahl +hereinließen, stand das Kostbarste, ein Glaskasten, dessen Rückwand mit +Spiegeln belegt war. Darin spiegelten sich zierliche Meißener Figuren, +Teller und Tassen und bunte gläserne Krüge. Im Vordergrund auf einem +Ehrenplatz aber stand die alte Hausapotheke. Sie war voller Geheimnisse +und sah aus wie ein Bild, das die heilige Familie vor dem Hause zu +Nazareth darstellte; nur waren die Figuren rund und in Silber getrieben. +Rechts im Vordergrunde stand der heilige Joseph mit einer Axt und +zimmerte an einem Balken, während ihm gegenüber Maria mit einer Spindel +saß und spann. In der Mitte aber war das Jesuskindlein und hielt in der +einen Hand eine Axt und in der andern ein Kreuzlein, das es selbst +gezimmert hatte. Die Figuren konnte man abschrauben und fand dann im +Innern ein Fläschlein mit Medikamenten. Schraubte man das Jesuskind ab, +so lag darinnen ein kleiner Schlüssel; der sperrte das Schlüsselloch im +Hintergrunde und öffnete das Haus von Nazareth. Da fanden sich im Innern +Lanzetten, Scheren und silberne Büchslein für Pflaster und Salben. +Umgeben war das Ganze von einem alten, silbernen Rahmen. + +In der Kommode lag mein Taufzeug und das der Kinder, die die Großmutter +in der Kost gehabt hatte, dazu eine Menge seidener Tücher für Hals und +Mieder. Eine andere Schublade war voll von Büchern, deren Druck so alt +war, daß ich kaum ein Wort zu lesen vermochte. Auf dem alten Sesselofen +stand eine große Schüssel, darin die Eier unserer Hennen für den Verkauf +gesammelt wurden; ferner ein großer Blechbehälter mit Schmalz, etliche +Krüge voll Honig und in der Bratröhre das feine Eingekochte. Unter der +Bettstatt, deren Bett kaum zu ersteigen war vor Höhe und Fülle des +Flaums, stand eine große Holzschachtel, in der die Kränze und der +Grabschmuck aufbewahrt wurden. An den Wänden hingen alte Bilder mit +sonderbaren Gestalten und Gesichtern und ein großes Kruzifix, dessen +Christusfigur so erschreckend zerfleischt aussah, daß ich sie immer mit +geheimem Grauen betrachtete. + +Gewöhnlich aber blickte ich nicht lange nach den Wänden, sondern hockte +mich vor eine Truhe oder Lade, wühlte darin herum, zog alles heraus und +besah dies oder probierte das. Dazwischen schaute ich des öftern in die +Bratröhre, wo das Eingekochte stand. Diese Gläser voll Kirschen, +Zwetschgen oder Himbeeren waren alle mit einem pergamentenen Deckel +verschlossen -- und meine Großmutter verwunderte sich häufig darüber, +daß das Pergament schon wieder geplatzt war: »I woaß net, Vata, was dös +is; bei dö Zweschbn is's Papier scho wieda hi'!« + +Der Großvater aber meinte mit einem Seitenblick auf mich: »Dö wer'n halt +austriebn ham, Muatta; dö müaßn bald gessn wer'n.« + +Überhaupt ließ mir der Großvater zu jeder Zeit gern etwas Gutes oder +Besonderes zukommen und brachte von jedem Holzkirchner Viehmarkt auch +für mich etwas mit: ein lebzeltenes Herz, einen Rosenkranz von süßem +Biskuit, ein Schächtelchen voll Zwiefizeltl und dergleichen. Auch war er +stets besorgt, daß ich nichts Unrechtes äße. Als einmal bei uns +Jahrmarkt war und ich mit einem Fünferl, dem Geschenk unseres Hausl, +tanzend und singend dahineilte, mir etwas darum zu kaufen, ging mir der +Großvater besorgt nach und erwischte mich gerade noch, als ich mir eben +vor dem Stand eines Fleischhändlers, dessen Schild als Zierde rechts und +links einen Pferdekopf trug, eine große schwarzrote Wurst schälte, die +ich nach langem Hin- und Hersuchen endlich als das wohlfeilste und +meiste für die Münze erstanden hatte: + +»Ja mei, Nachtei, dumms, möchst net gar a Roßwurscht essn! Da kunntst +schö krank wer'n!« + +Und eiligst nahm er mir dieselbe und gab sie einem Hund; darauf führte +er mich, nachdem er mir ein anderes Fünferl gegeben hatte, in die Post, +wo schon Kopf an Kopf männiglich beieinander saß und aß und trank. Hier +kaufte er mir eine lange Bratwurst und dazu ein Kipferl. Danach durfte +ich mir bei einem alten, wunderlichen Mann eins von den bunten Päcklein, +die zu einem großen Haufen aufgeschichtet vor seinen Füßen lagen, +kaufen. Es war eine Überraschung, wie der Alte sie nannte und mit großem +Eifer anpries. + +Gewichtig trug ich, geführt vom Großvater, das in hochrotes Glanzpapier +gerollte Päcklein heim und öffnete es, nachdem ich alle im Haus um mich +versammelt hatte. Da lag ein Kettlein aus blauen Glasperlen, ein +Bildchen und etliche süße Kügelchen vor mir, und ich pries froh die +Umsicht des Großvaters: »Vaterl, du bist g'scheit! Du hast a glückhafts +Geld, wo ma was g'winnt damit!« Und jubelnd hing ich mich an seinen +Hals. + +Noch war mir eine andere Art von Dankbarkeit fremd und ich mußte noch +nicht zum Dank für erhaltenes Gute besonders brav und folgsam sein; doch +habe ich immer ohne jeden Antrieb besser gefolgt, wenn mein Großvater +mir auf solche und ähnliche Weise seine Zärtlichkeit bewies. Da konnte +ich stundenlang, ohne mich besonders bemerkbar zu machen, im Haus +bleiben und für mich spielen. Und fehlten auch alsdann meine +Spielkameraden, so ging mir doch niemand ab; denn ich schuf mir selber +einen Ersatz, indem ich etliche Sacktücher des Großvaters mit Lumpen +füllte, einen Kopf daraus formte und unter die herabhängenden Zipfel ein +Scheitlein Holz steckte. Diese Flecklpuppen hatten alle möglichen Namen +und Wesen; bald waren sie meine Kostkinder, bald eine Familie für sich. +Oft mußten sie aber auch unsere Kühe und Hühner vorstellen, und da ward +dann der Stiefelzieher zum Großvater, der Fußschemel aber zum Heuwagen, +auf dem die Hühner nach Holzkirchen, das bei mir hinter dem Ofen lag, zu +Markt gefahren wurden. + + * * * * * + +Mit dem Beginn des Frühjahrs mußte ich zur Schule gehen, wovon die +Großmutter nicht viel hielt, da sie nie in der Volksschule gewesen und +Schreiben und Lesen nur nebenbei in der Frauenarbeitsschule gelernt +hatte. Kam ich heim, so hatte sie immer etwas für mich gemacht; sei es +einen Gugelhopf, Rohrnudeln oder einen fetten Schmarrn mit einem +Zwetschgentauch und meinte: »Arms Lenei; so vui Hunga hast kriagt. Wenn +nur dö verflixte Schul glei der Teifi holn tat. Was braucht insa Dirndei +a Schul; mir ham aa koane braucht und san aa groß wordn und taugn unta +d' Leut.« + +Sie mochte dabei wohl auch an den Großvater denken; denn als ich einmal +auf der Hausbank sitzend mich an dem kleinen a versuchte und trotz aller +Kraft auf meiner Tafel nichts zuwege brachte, schob ich sie dem +Großvater hin und bat ihn: »Geh, Vata, mach ma du dös kloane a!« + +»Ja mei, Dirndei, da muaßt scho zu der Großmuatta geh; i ko net lesn und +net schreibn; dös ham mir net g'lernt!« + +Am Sonntag zum Gottesdienst gingen wir im Feiertagsgewand, aber barfuß +in die Kirche, weil wir sonst mit den genagelten Schuhen dem Herrn +Pfarrer zu viel Lärm gemacht hätten; denn der Herr Pfarrer, obwohl er +schon ein alter Mann mit schneeweißem Haar war, konnte noch immer recht +zornig werden und hat bei der Predigt oft mit gar scharfen Worten die +Verfehlungen seiner Pfarrkinder gerügt; so das Kegelscheiben am Sonntag +während des Gottesdienstes, den Wirtshausbesuch, das Fluchen und vor +allem das Kammerfensterln. Hatte ein Bursch oder ein Mädel gebeichtet, +daß sie beieinander gewesen waren, so wurde das am darauffolgenden +Sonntag vor der ganzen Gemeinde von der Kanzel herab gegeißelt, und +leicht konnte man erraten, wer gemeint war. Lebhaft erinnere ich mich +noch an die Schlußworte einer Predigt, die er am Christi +Himmelfahrtstage hielt, und wie er, nachdem er die Freuden im Himmel und +die Glorie der Seligen geschildert hatte, mit lauter Stimme rief: »Heute +ist der Tag, an welchem Christus, der Herr, hinaufgefahren ist in jene +lichten Höhen, in denen die ewige Seligkeit wohnt, die wir euch erlangen +sollen. Aber pfeifen tun wir euch was, ihr gescherten Bauernlümmel! Seit +Jahren erhalten wir von euch keine Eier, Butter, Schmalz, oder was sonst +euere Dankbarkeit bezeuge. Aufgefahren ist er zum Himmel, von wo er +kommen wird, euch zu richten und in die ewige Verdammnis zu bringen. +Amen!« + +An den Sonntagnachmittagen mußten die Burschen und Mädchen unter +sechzehn Jahren die Christenlehre besuchen; dabei hatten auch wir Kinder +und die Erwachsenen Zutritt. Beim Beginn wurden alle mit Namen +aufgerufen und jedes mußte sich mit einem lauten »Hier« melden. Fehlte +eines und war nicht genügend entschuldigt, dann mußte es, ob Bursch oder +Mädel, am darauffolgenden Feiertag hinausknien zum warnenden Beispiel +für die andern. Konnte eines die Fragen des Katechismus nicht +beantworten, so schrie der Herr Pfarrer: »Was der Katechismus dich +fragt, das weißt du nicht; aber was der Bursch dich beim Fensterln +g'fragt hat, das weißt du noch!« + +Darauf wetterte und schimpfte er während der ganzen Christenlehre. + +Wurde jemand aus der Gemeinde begraben, der nur selten den Gottesdienst +besucht und dem Pfarrer die schuldigen Abgaben in Naturalien nicht +geleistet hatte, so war die ganze Grabrede eine Lästerrede auf den armen +Verstorbenen und seine Angehörigen, und man sah ihn schon leibhaftig in +der Hölle und der ewigen Verdammnis. + +Kirchliche Handlungen machten damals einen großen Eindruck auf mich und +vor allem bewegte mich das sonntägliche Memento und Requiem auf dem +Friedhof. Dabei ging der Pfarrer nach der Predigt und den gemeinsamen +christlichen Gebeten in Prozession mit den Gläubigen aus der Kirche auf +den Gottesacker hinaus und hielt einen Umgang, währenddem der Herr +Lehrer das Requiem sang und die Leute die Gräber ihrer Angehörigen mit +Weihwasser besprengten, wofür ein jedes sein Weihbrunnkrügl mitgebracht +hatte. Danach wurde am Grab gebetet, bis es zum Hochamt läutete. Während +der feierlichen Handlung stand ich zwischen den Großeltern und fürchtete +mich vor dem Tod. + +Das tat ich aber nur an den Sonntagen; denn unter der Woche ging ich +ohne Furcht auf den Gottesacker und richtete die Gräber der armen Leute +wieder her, indem ich die Blumen von den Gräbern der Reichen nahm. Nach +dieser Arbeit ging ich in die Kirche und wusch mir in dem großen +Weihbrunnzuber, der im hintersten Winkel stand, meine Hände. Darauf +machte ich in den Bänken Ordnung, trug die liegengebliebenen Gebetbücher +auf einen Haufen zusammen und betrachtete eins nach dem andern. Die +Heiligenbildl, die ich dabei fand, verteilte ich am andern Tage unter +die Schulkinder; bisweilen aber habe ich sie auch gegen einen +Schmalznudel eingetauscht. Ein andermal schmückte ich die ganze +Wallfahrtskapelle zu Frauenbründl mit Feuerlilien, die ich heimlich aus +dem Garten eines unbewohnten Hauses genommen hatte; denn ich wußte +damals nur, daß der Zweck die Mittel heilige. + +Einmal freilich war es doch anders; als nämlich die Kirschen reif waren. +Da rief eines Tages ein Bub aus Adling, einem benachbarten Dorf, der zu +uns in die Schule ging, vor Beginn des Unterrichts: »D' Kersch san zeiti +bei der Schmiedin z' Olling; wer geht mit zum Stehln?« + +»I,« schrie ich sofort und suchte mir gleich noch mehr Genossen: »Wer +tuat mit? zum Kerschnstehln werd ganga!« + +Da meldeten sich noch fünf oder sechs, und nach der Schule um zwei Uhr +zogen wir ab. Als wir nach Adling kamen, fuhren sie bei der Schmiedin +grad mit dem Wagen fort, um Heu einzuführen. Wir meinten, jetzt würden +sie recht lang ausbleiben; darum stieg ich und einer der Buben auf den +Baum, während die andern drunten Hüte und Schürzen aufhielten und +unaufhörlich schrien: »Schmeißt's amal oa oba! Schmeißt's halt oa oba!« +denn wir zwei saßen droben und aßen, und erst als uns der Bauch weh tat, +warfen wir auch den andern etwas hinunter. Auf einmal schreit einer der +Buben: »Steigt's oba, d' Schmiedin kimmt und der Knecht mit an Fuada +Heu!« und damit nahmen die andern Reißaus. Zum Hinuntersteigen war es +aber schon zu spät; denn der Knecht kam schon daher und rief: »Ja +natürli, d' Handschuastalena halt! Schaugt's, daß 's aba kemmt's, ös +Sakramenta!« + +»Bal ma mögn scho! Geh auffa, na kriagst aa Kersch!« + +Damit riß ich ein paar Kirschen ab und warf sie ihm ins Gesicht. Da +mußte er lachen und ließ uns ohne Strafe fort. Derweilen hatte uns die +Schmiedin erblickt und schrie: »Ja, was is denn dös! Jetz stehln ma dö +gar meine Kersch! Glei tuast es hera!« Denn ich hatte noch meinen ganzen +Schurz voll. + +»I mog net,« schrie ich, und damit liefen wir davon. + +Später, als die Kriechen, kleine Pflaumen, zeitig waren, haben wir ihr +noch einmal einen Besuch gemacht; denn ich war inzwischen das schlimmste +Lausdirndl vom Dorf geworden, das mit allen Buben raufte und überall +dabei war, wo es etwas anzurichten gab. + +Ja, als wir am Feste Christi Himmelfahrt nach uraltem Brauch Blüten und +Kräuter sammelten, zu großen Sträußen banden und damit zur Kirche +wanderten, um sie weihen zu lassen zum Segen unserer Fluren und Äcker +und als heilsame Arznei für erkranktes Vieh, da schlug ich dem um +etliche Jahre älteren Bachmaurer Franzl, der sich unterstanden hatte, in +der Kirche vor mich hinzustehen und mit seinem Kräuterbuschen mich an +den Augen zu kitzeln, mit meinem Strauß so heftig ins Gesicht, daß er +seine Blüten fortwarf und aus der Kirche lief, worauf ich lachend auch +seinen Buschen nahm und für uns weihen ließ. + +War im Ort eine Hochzeit angesagt, so erfuhr ich dieses sogleich durch +die alte Sailerin; und da lief ich denn überall herum bei Buben und +Mädchen, ihnen die Neuigkeit zu berichten und sie zum Mittun anzufeuern; +denn da gab es für uns einen hübschen Spaß: wir holten uns lange Stricke +oder Bänder und stellten uns, wenn die Hochzeitsleute zur Kirche fuhren, +an den etwas engeren Gassen auf, spannten das Band über den Weg und +schrieen und wünschten Glück zur Brautfahrt. Die also angehaltenen +Brautleute aber hatten, dem alten Brauch und Herkommen nach, sich mit +einem nicht zu kleinen Säcklein neuer Kupfermünzen wohl versorgt und +warfen nun etliche Hände voll unter uns, sich loszukaufen. Während +jedoch die einen sich darum balgten, stürmten wir in fliegender Eile +weiter und wiederholten die List, bis wir sahen, daß der Säckel fast +leer war. Den erhielten sodann wir, die das Band gehalten, und teilten +ihn ehrlich, wenn auch nicht ohne Streit und Prügel. + +Nur eins gab es, wovor ich mich fürchtete, die Zigeuner mit ihren Affen +und die Dudelsackpfeifer; doch auch meine Großmutter teilte diese Scheu. +Kamen solche vagierende Leute in den Ort und in die Nähe unseres Hauses, +so lief ich, was ich konnte, heim und schrie: »Großmuatta, da Dudlsack +kimmt!« + +Eilends lief sie dann an alle Türen und verriegelte und versperrte das +ganze Haus, zog die Vorhänge der unteren Stube zu und versteckte sich +mit mir unter dem kleinen Fensterchen des Hausflözes. + +Meist waren die Musikanten zu dreien, und der dritte hatte, während die +andern aufbliesen, sich um den Sold und etwaige nicht sicher genug +verwahrte Habe, die des Findens wert war, umzuschauen. Da schlich er +denn ums Haus, versuchte alle Türen, lugte an den Fenstern herum und gab +endlich in seiner verworrenen Sprache den mißmutigen Bescheid, daß +niemand zu Hause sei. Fluchend machten sie alsdann, daß sie weiter +kamen, während die Großmutter ängstlich und Gebete murmelnd auf den +Dachboden ging und nach den Entschwindenden Ausschau hielt, ehe sie es +wagte, wieder zu öffnen. + + + + + + +Während ich also sorglos dahinlebte, geliebt von den Großeltern, +getadelt von Lehrer und Pfarrer, gefürchtet von jenen Kameraden, die +mich einmal in meiner Wildheit verspürt hatten, gesucht von denen, die +meine Streiche verstanden und dazu halfen, kam eines Tages die +Nachricht, daß die Mutter in München geheiratet hatte. Ich war nämlich +nur ein lediges Kind, und mein Vater war, als ich kaum zwei Jahr alt, +auf der Reise nach Amerika mit dem Dampfer Cimbria untergegangen. + +Bald nach der Hochzeit meiner Mutter kam an einem Sonntagvormittag ein +Brief. Die Großeltern saßen gerade mit der Nanni bei der Vesper, während +ich hinter dem Rücken der Großmutter einen Riß in meinem Sonntagsgewand +mit ein paar Klufen zusammensteckte. + +Auf einmal schlägt der Großvater mit der Faust auf den Tisch und springt +auf: »Ja, hast jatz so was scho derlebt!« + +Erschreckt fragt die Großmutter: »Was hast denn, Vata? Is leicht gar +ebbas passiert bei der Lena z' Münka drin?« + +»Naa, aber 's Lenei sollt i eahna eini bringa; sie verlangt's!« + +»Was!« schrie ich und sprang auf. »I in d'Stadt! Naa, naa, dös tua i +net!« + +»Stad bist, du hast gar nix z' redn!« fuhr mich da die Nanni an. »Froh +sollst sein, daß d' eini derfst in d' Stadt, wo's d' was Feins werdn +kunntst!« + +»Ja mei,« meinte die Großmutter, »gar so leicht is net. D' Leut han +oamal z' schlecht in der Stadt und a Kind is glei verdorbn.« + +Während nun die Großmutter und die Nanni noch lange hin und her +berieten, hatte sich der Großvater nachdenklich auf das Kanapee gesetzt +und stand jetzt mit den Worten auf: »In Gott's Nam', müaß' ma's halt +hergebn.« + +Dabei blieb es auch, und mir half weder Toben noch Bitten noch +Schmeicheln etwas. + +Also kam die Nähterin auf die Stör und ich wurde mit Stoffen behängt und +mit Nadeln besteckt und mußte den ganzen Tag stillstehen. + +Und als der Morgen der Abreise gekommen war, badete mich die Großmutter +und zog mir, nachdem der Großvater mit zufriedenem Schmunzeln meinen +Rücken und das rundliche Bäuchlein befühlt und beklopft hatte, ein neues +Hemd und die ersten Unterhosen an. Als ich in den Spiegel sah, ärgerte +mich der hintere Hemdzipfel, der nicht in der Hose bleiben wollte, +sondern wie ein Hennenschwanz starr und steif herausstand. Doch +verschwand er bald unter einem roten Flanellröcklein, worüber ein grünes +Bareschkleid kam, das mir bis auf die Fersen ging, und dessen Spenzer +mit bunten Glasknöpfen besetzt war. Am Ende band mir die Großmutter noch +ein himmelblaues Fürta und eine gestickte Halsbarbe um und steckte in +das in zwei Zöpfen aufgemachte Haar einen silbernen Pfeil. Darauf +wickelte sie mir den Gesundheitskuchen, den sie noch gebacken hatte, in +ein buntes Tuch; der Großvater aber brachte einen Kletzenweck vom Bäcker +und legte ihn in das Körblein zu den Schmalznudeln und Zwiefiäpfeln, die +die Nanni geschickt hatte. + +Als mir der große, schwarze Strohhut mit den roten Blumen und den +karierten Bändern aufgesetzt worden war, nahm ich Abschied, wobei die +Großmutter recht weinte. Auf dem Weg zum Postwagen sagte ich noch dem +ganzen Dorf »Pfüat Gott«. + +Unterwegs während der Fahrt gab mir der Großvater noch viele Ratschläge +und sagte: »Dirnei, jatz muaßt a recht a g'scheits und recht a richtigs +Madl werdn und muaßt dein neu'n Vatan recht mögn und der Münkara Muatta +recht schö folgn. Muaßt aa recht g'schickt sei und überall zuawi +springa, wo's was z' arbatn gibt. Jatz derf ma nimma Kuchei sagn, jatz +hoaßts Küch, und statt der Stubn sagt ma Zimmer und statt'n Flöz sagt ma +Hausgang. Und Kihrwisch sagt ma aa nimma, sondern Kehrbesen.« + +Da versprach ich ihm, recht Obacht zu geben und brav zu bleiben. + +Am Ostbahnhof stand schon meine Mutter und empfing uns mit großer +Freude. Ich reichte ihr die Hand und sagte, der eben erhaltenen Lehren +eingedenk, möglichst nach der Schrift: »Grüß Gott, Mutter!« + +»Schau, schau, wie gebildet die Leni schon wordn ist! Da wird aber der +Vater viel Freud habn, wenn er so ein g'scheits und vornehmes Töchterl +kriegt.« Mit diesen Worten zog sie mich rasch an sich und führte mich an +der Hand, während der Großvater sich hinter uns immer mit seinem +Schneuztüchl zu schaffen machte. + +Wir stiegen in eine Pferdebahn, und während sich die Mutter mit dem +Großvater unterhielt, sah ich unverwandt durchs Fenster und starrte die +hohen Häuser und Kirchen an und staunte über die kurzen Röcke und Hosen +der Kinder, die gerade aus einer Schule kamen. Am Marienplatz, wo wir +aussteigen mußten, denn damals führte noch keine Pferdebahn nach +Schwabing, vergaß ich beim Anblick des Fischbrunnens plötzlich meine +ganze gerühmte Bildung und schrie, indem ich eilig darauf zulief: +»Großvatta, do schaug hera, wia dö Fisch 's Mäu aufreißn!« + +Entsetzt wandte meine Mutter sich ab, während mein Großvater mich am +Ärmel ergriff und mir zuflüsterte: »Bscht, sei stad, Dirnei! Mäu derf ma +ja jatz nimma sagn, Mund hoaßt's do jatz!« + +Und damit nahm er mich bei der Hand und zog mich weiter. Doch vor der +Residenz gab es einen neuen Zwischenfall. Dort zog eben die Wache auf, +und ich rief beim Anblick der im Paradeschritt aufmarschierenden +Soldaten: »Ah, Muatta, Vata, dö schaugts o! Dö gengan ja grad wia meine +hülzern' Mandln, dö wo ...« + +»Um Gottes willen, Leni,« fiel mir die Mutter ins Wort, »sei doch still! +Das is ja Majeschtätsbeleidigung!« + +Während ich noch über dies letzte Wort nachdachte, zogen sie mich schon +durch die Ludwigsstraße, und stillschweigend trottete ich nun nebenher, +bis wir nahe dem Siegestor in eine Seitenstraße einbogen. + +Vor einem hohen Hause, auf dessen rötlicher Fassade mit großen +Buchstaben das Wort »Restaurant« geschrieben stand, machten wir halt. +Unter dem Tore stand schon mein neuer Vater und empfing uns mit +herzlichen und guten Worten. Wir traten durch den Hausgang in einen +kleinen Garten, von dem aus eine Tür in die Küche führte. Nachdem uns +die Mutter dort an einen kleinen Tisch gesetzt hatte, lief sie schnell +in die Wohnung und zog sich um; denn es war Mittag und die Köchin begann +schon zu jammern, weil sie bei der großen Zahl der Gäste mit dem +Anrichten allein nicht fertig zu werden vermochte. Die Gastwirtschaft, +die der Vater schon vor der Hochzeit übernommen hatte, war nämlich +damals wegen der guten Küche von den Studenten sehr besucht. Mit offenem +Munde sah ich nun dem Trubel im Gastzimmer und in der Küche zu und +getraute mir mit dem Großvater kaum ein Wort zu reden vor Angst, die +Mutter in ihrer aufgeregten Geschäftigkeit zu stören. Als es etwas +ruhiger geworden war und die meisten Gäste fort waren, bekamen auch wir +zu essen und gingen danach in die Gaststube zum Vater, der den Großvater +nach vielem fragte: was die Großmutter mache, wie es mit dem Vieh gehe, +wie es mit der Arbeit daheim sei und auch, was ich bisher getrieben. Da +gab ihm der Großvater über alles Auskunft. + +Am Abend gingen wir zeitig ins Bett, und man führte mich in ein kleines +Kammerl, in dem nur ein Bett und ein Stuhl stand; denn meine Eltern +besaßen damals nur das Allernötigste. Mein Großvater teilte das Bett mit +mir und gab mir noch viele Ermahnungen, bis ich endlich in seinem Arm +einschlief. + +Andern Tags reiste er wieder heim, und ich mußte nun alles ländliche +Wesen ablegen. Zuerst bekam ich ebenfalls kurze, städtische Kleider, und +dann wurden mir meine schönen, langen Haare abgeschnitten, weil ich +Läus' hätte, wie die Mutter sagte. Auch lernte ich jetzt arbeiten. In +der Wirtschaft mußte ich kleine Dienste tun: Brot und Semmeln für die +Gäste in kleine Körbchen zählen, den Schanktisch in Ordnung halten, +Sachen einholen und manchmal auch den Kegelbuben ersetzen. + +Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr +gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum +schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich +so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte. +Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur +den Dotschen oder die Gscherte. So dachte ich oft des Nachts, wenn ich +allein in meiner Kammer war, denn bei Tag hatte ich nicht viel Zeit zum +Nachdenken, mit Sehnsucht zurück an das Leben bei meinen Großeltern und +erzählte unserer großen Katze, die ich mit ins Bett nahm, mein Unglück. + + * * * * * + +Im Sommer des darauffolgenden Jahres kam der Großvater das erste Mal auf +Besuch. Hiefür hatte die Mutter mich ein Trutzliedlein gelehrt; und als +er nun bei uns in der Küche saß und mich auf dem Schoß hielt, drängte +ich ungeduldig: »Großvata, Großvata, i kann was; du, Vata, hör doch! I +kann was!« + +»Glei derfst es sagn, Dirnei, glei,« entgegnete er; denn er sprach noch +mit der Mutter. + +Und als ich es endlich sagen durfte, da sang ich: »Was braucht denn a +Bauer, a Bauer an Huat; Für an so an gschertn Spitzbuam is a Zipflhaubn +guat!« + +Da sah ich statt des erwarteten Beifalls Tränen, die dem Großvater über +die Wangen liefen, und nun merkte ich erst, was ich angestellt hatte. + +»Großvata, i kann fei nix dafür!« rief ich. »D' Mutter hat mir's +g'lernt.« + +Er antwortete nichts darauf und strich mir nur wie zur Beruhigung übers +Haar. + +Nachts dann im Bett, ich schlief bei ihm, klagte ich ihm mein Leid und +bat ihn, mich doch wieder mitzunehmen. + +Und als er am Abend des darauffolgenden Tages vom Ostbahnhof fortfuhr, +hängte ich mich an ihn, und als er eingestiegen war, sprang ich auf das +Trittbrett und klammerte mich fest, so daß es der Mutter nur mit großer +Mühe gelang, mich von dem fahrenden Zuge herunterzureißen. Danach bekam +ich meine Prügel, die wohl berechtigt, aber nicht das rechte Mittel +waren, um die Dinge besser zu machen. + + * * * * * + +Nachdem mein Stiefvater das Geschäft einundeinhalb Jahr geführt hatte, +konnte er das Anwesen mit gutem Nutzen wieder verkaufen; denn er war ein +tüchtiger Metzger und Schenkkellner und hatte die Wirtschaft in kurzer +Zeit in die Höhe gebracht. Daraufhin beschlossen die Eltern, einige Zeit +zu privatisieren und nachträglich ihre Hochzeitsreise zu machen. + +Während ihrer Abwesenheit blieb ich bei der Tante Babett, einer +Schwester meines Stiefvaters, die den Haushalt bei uns führte. Sie war +fast den ganzen Tag in der Kirche und hat mich recht gequält und +geschunden; denn sie wollte mich auch zu einer so heiligen Person +machen, wie sie war. Ich wurde allen Pfarrern vorgestellt, und denen +klagte sie, wie mürrisch und ungut ich sei, worauf mich die geistlichen +Herren ermahnten, ich solle mich bessern. + +Als die Eltern von der Hochzeitsreise, die sie zu Verwandten in die +Schlierseer Berge gemacht hatten, nach zwei Monaten zurückkamen, begann +die Mutter zu kränkeln, stand oft nicht auf, mußte sich häufig erbrechen +und wurde doch von Tag zu Tag dicker. Die Tante aber saß hinter +verschlossenen Türen und nähte an Hemdlein, an Tüchlein und Windeln. + +Inzwischen hatte der Vater die Wohnung gekündigt und ein Haus mit einer +Altmetzgerei in der Corneliusstraße gekauft. Mit dem Umzug dahin begann +für mich ein ganz anderes Leben; denn die Tante Babett übernahm jetzt +die Führung des Haushalts bei einem geistlichen Herrn, und da meinte die +Mutter, ich sei nun groß genug, ihre Stelle zu versehen. Ich war damals +neun Jahre alt. + +In aller Frühe mußte ich zuerst das Fleisch austragen, dann Feuer +machen, Stiefel putzen, Stiegen wischen und der Mutter die Sachen +einholen, die sie zum Kochen brauchte. Sie blieb jetzt immer am Morgen +liegen, und so ging ich gewöhnlich nüchtern in die Schule. + +In einer Februarnacht aber kam das Kind, und damit begann für mich eine +harte Zeit. Nun hieß es um fünf Uhr aufstehen und zu den übrigen +Arbeiten noch das Bad, Wäsche und Windeln für den kleinen Hansl +herrichten. Kam ich mittags aus der Schule, wurde ich meistens mit +Schlägen empfangen; denn ich hatte nachsitzen müssen, weil ich in der +Früh zu spät gekommen war. Vor dem Essen mußte ich noch den Laden und +das Schlachthaus putzen und das Nötige einkaufen. Bei Tisch hatte ich +dann laut das Tischgebet zu beten. Als ich einmal beim Vaterunser statt +auf das Kruzifix zum Fenster hinaussah, schlug mich die Mutter ins +Gesicht, daß mir das Blut zu Mund und Nase herauslief; auch bekam ich +nichts zu essen und mußte während der Mahlzeit am Boden knien. Nach +Tisch hatte ich das Geschirr zu spülen, die Kindswäsche zu waschen und +den Buben einzuschläfern. Ganz abgehetzt kam ich dann des Nachmittags in +die Schule und konnte während der Handarbeitsstunden nur mühsam den +Schlaf bekämpfen. Deshalb lernte ich nur schlecht handarbeiten und bekam +in diesem Fach meist die Note »Ungenügend«. Zudem strengte mich +besonders das Stricken an und verursachte mir stets heftiges Kopfweh. +Das wußte die Mutter. Hatte ich nun bei der Hausarbeit etwas nicht recht +gemacht, so gab sie mir mit einem spanischen Rohr sechs und manchmal +zehn Hiebe auf die Arme und die Innenfläche der Hände, daß das Blut +hervorquoll. Hierauf mußte ich mir die Hände waschen und an einem +Strumpf in einer gewissen Zeit einen großen Absatz stricken. Vermochte +ich vor Schmerzen bis zu der bestimmten Minute nicht fertig zu werden, +so wurde die Züchtigung wiederholt. + +Im übrigen machte ich in der Schule gute Fortschritte und war bald die +Erste. Meine Lehrerinnen nahmen sich meiner sehr an, und als ich einmal +in der Früh barfuß in die Schule kam, schickte mich mein Fräulein mit +einem Brieflein nachhause, worin sie der Mutter Vorwürfe machte. Doch +hatte dies nur eine erneute Züchtigung mit einem Spazierstock meines +Vaters zur Folge, einem sogenannten Totschläger oder Ochsenfiesel, in +den ringsherum kleine Bleikugeln eingegossen waren. + +Geliebt hat mich meine Mutter nie; denn sie hat mich weder je geküßt, +noch mir irgend eine Zärtlichkeit erwiesen; jetzt aber, seit der Geburt +ihres ersten ehelichen Kindes, behandelte sie mich mit offenbarem Haß. +Jede, auch die geringste Verfehlung wurde mit Prügeln und Hungerkuren +bestraft, und es gab Tage, wo ich vor Schmerzen mich kaum rühren konnte. + +Der Hunger, den ich zu leiden hatte, und der Umstand, daß ich in der +Früh selten ein Frühstück bekam, veranlaßten mich, Trinkgelder, die ich +von den Leuten für das Fleischbringen erhielt, oder auch etliche +Pfennige von dem Betrag für das gelieferte Fleisch zu nehmen und mir +Brot dafür zu kaufen. Als die Mutter durch Zufall dies entdeckte, +mißhandelte sie mich so, daß ich mehrere Tage nicht ausgehen konnte. Da +ich ein Kleid mit kurzen Ärmeln trug, sah die Lehrerin, als ich wieder +in die Schule kam, an meinen Armen, sowie auch an Hals und Gesicht die +blauen und blutrünstigen Flecken, und ich mußte, trotzdem ich neue +Strafen zu befürchten hatte, dem Oberlehrer, der herbeigerufen worden, +alles der Wahrheit gemäß berichten. Ein Brief an meine Mutter hatte nur +den Erfolg, daß ich den ganzen Tag nichts zu essen bekam und die Nacht +auf dem Gang unserer Wohnung, auf einem Scheit Holz kniend, zubringen +mußte. + +Zu dieser Zeit war es auch, daß mir einmal beim Austragen des Fleisches +das ganze Geld gestohlen wurde. Mittwoch und Samstag nachmittags mußte +ich nämlich immer in die Briennerstraße zu einem Kommerzienrat das +Fleisch bringen, bei dem die Mutter früher Köchin gewesen war. Meistens +waren es ganz große Stücke: ein ganzes Filet, ganze Lenden, Kalbschlegel +oder Rücken. Bei der Ablieferung wurde mir das Geld und ein Büchlein +übergeben, in welches die Bestellung für das nächstemal geschrieben +wurde. An einem Samstag trug ich nun auch wieder ein großes Stück +Fleisch dahin und bekam ungefähr zwanzig Mark und das Buch, das ich samt +dem Geld in ein Säcklein tat und in den Korb legte. Auf dem Heimweg +hielt ich mich längere Zeit vor der Feldherrnhalle bei den Tauben auf, +die von den Kindern gefüttert wurden. Da schlug es vier Uhr und dabei +fiel mir die Mahnung der Mutter ein, die beim Fortgehen gesagt hatte: +»Daß d' um viere längstens z'haus bist und daß d'ma Obacht gibst aufs +Geld!« + +Also fing ich an zu laufen, so schnell ich nur konnte, und machte erst +am Viktualienmarkt halt, um ein wenig zu verschnaufen. Da schau ich in +meinen Korb und sehe das Säcklein mit dem Geld nicht mehr. Ich +durchsuche ihn genau, durchwühle fieberhaft meine Taschen; aber es war +nicht mehr da. Voll Verzweiflung rannte ich den ganzen Weg zurück bis in +die Briennerstraße und fragte dort, ob ich es vielleicht mitzunehmen +vergessen hätte. Doch die Köchin meinte, sie wisse gewiß, daß ich das +Säcklein in den Korb gelegt hätte. Mitleidig fragte sie noch: + +»Moanst, du kriegst Schläg, Lenerl?« + +»I glaab scho!« antwortete ich, und damit war ich schon wieder über die +Stiegen hinunter. Nun lief ich wieder zur Feldherrnhalle und fragte dort +die Leute: »Sie, bitt schön, ham Sie nöt da a Sackerl liegn sehgn mit an +Büacherl drinn und zwanzig Mark Geld?« Da lachten die einen, die andern +bedauerten mich; aber gewußt hat keiner was. Nun packte mich die Angst +und ich fing an zu weinen und traute mich nicht mehr heimzugehen. Ich +lief durch die Maximilianstraße über die Brücke und immer weiter, bis +ich zum Ostbahnhof kam. + +Plötzlich fiel mir mein Großvater ein, und als es in diesem Augenblick +fünf Uhr schlug, dachte ich: »Jatz derfst nimma hoam kommen, jatz is +fünfe; Geld hast aa koans mehr, jatz laafst zum Großvater, der hilft dir +schon.« + +Ich lief also durch die Bahnhofshalle, und da ich noch wußte, auf +welchem Gleis er damals abgefahren war, sprang ich zwischen die Schienen +und rannte davon, so schnell ich konnte, immer auf dem Bahndamm dahin, +an den Bahnwärterhäuschen vorbei, bis ich nach Trudering kam. + +Als ich dort an dem Bahnhof vorbeilaufen wollte, schrie mich einer an: +»He, du, wo laafst denn hin mit dein Körbl?« + +»Furt!« rief ich und damit sauste ich weiter. + +Indem hörte ich einen Zug hinter mir herkommen und zur Seite springend +dachte ich: »Wennst jatz no a Geld hättst, na kunntst mitfahrn!« + +Als der Zug vorbei war, lief ich hinterdrein; doch der war schneller als +ich. Bald darauf kam auf dem andern Gleis ein Zug, der nach München +fuhr. Da schauten die Leute aus den Fenstern mir verwundert nach, wie +ich so mit meinem Korb zwischen den Schienen dahinsprang. + +Schon wurde es dunkel, als ich ganz erschöpft nach Zorneding kam. Ich +schleppte mich vom Bahnhof in das Dorf; denn ich konnte nicht mehr +weiter vor Seitenstechen und Herzklopfen. Neben dem ersten Hause war ein +Brunnen, und als ich trinken wollte, lief eine Frau auf mich zu und +rief: »Ja, mein Gott, Kind, trink doch net! Dir rinnt ja der Schweiß +übers Gsicht; dös kunnt ja dei Tod sein, wannst jatz trinka tatst.« Und +erst, als sie mir Gesicht und Hände mit Wasser gekühlt hatte, ließ sie +mich trinken. + +Inzwischen war es Nacht geworden. Mein Seitenstechen, das immer heftiger +wurde, zwang mich, im Dorf zu bleiben, und als ich vor einem kleinen +Hause eine Bank fand, legte ich mich darauf und nahm den Korb zu einem +Kopfkissen; aber ich schlief nur schlecht und träumte schwer. + +Als es Tag wurde, wollte ich weiter; aber ich war so elend, daß ich mich +nicht rühren konnte. Während ich noch so dalag, trat eine Frau aus dem +Haus, und als sie mich sah, rief sie erschrocken: »Jessas, wo kimmst +denn du her, Kind, und wo möchst denn hin?« + +»Zu mein Großvater!« entgegnete ich leise; denn ich war heiser, »der +muaß ma helfa; wissn S', i hab's Geld verlorn beim Fleischaustragen und +da hab i ma nimma hoam traut; denn mei Muatta wenn mi findt, dö bringt +mi um.« + +»No, no, so g'fährli werd's net sei; dei Muatta werd aa koa Ungeheuer +sei! Geh nur wieder schö hoam!« So redete sie mir zu und tröstete mich +und nahm mich mit in die Stube, gab mir einen Kaffee, rief ihrem Mann +und erzählte ihm, was ich ihr gesagt hatte. Der brachte mich dann am +Vormittag wieder mit der Bahn nach München zurück zu meinen Eltern und +bat sie, mich nicht zu strafen; denn ich sei anscheinend recht krank. + +An dem Tag hat meine Mutter mich nicht geschlagen, doch redete sie mich +mit keinem Worte an und tat, als sei ich gar nicht da. Am Abend aber +mußte der Vater einen Arzt holen, weil ich heftiges Fieber hatte. +Während der schweren Lungenentzündung, an der ich nun lange krank lag, +hat der Vater mich fast allein gepflegt; denn die Mutter sprach nur das +Nötigste und kümmerte sich im übrigen nicht um mich. Das verlorene Geld +hatte die Frau Kommerzienrat ihr inzwischen ersetzt. + +Etliche Wochen später kam mein Großvater, und als ich mit ihm allein +war, begann ich ihm weinend mein Leid zu erzählen. Da wurde er recht +aufgebracht und sagte, er wolle gleich mit der Mutter reden; aber ich +bat ihn, dies nicht zu tun; denn was wäre die Folge gewesen! Auf meine +Bitten versprach er mir, ich dürfe, wenn die Mutter mich noch länger so +behandle, wieder zu ihm. Das geschah denn auch bald auf die folgende +Begebenheit hin. + +Ich hatte zwei Freundinnen, die bei uns im Hause wohnten, und die ich an +den Sonntagen nachmittags manchmal besuchen durfte, wenn die Eltern +fortgingen. Da sprachen wir denn über verborgene Dinge und trieben +mancherlei Heimliches, was wohl die meisten Kinder in diesem Alter, ich +war damals elf Jahre alt, tun. Auf Verschiedenes, was ich nicht wußte, +war ich freilich erst durch meinen Beichtvater und Religionslehrer +aufmerksam gemacht und durch seine Fragen dazu verführt worden. + +»Hast du dich unkeuschen Gedanken hingegeben?« pflegte er bei der Beicht +zu fragen. »Wie oft, wann, wo, über was hast du nachgedacht? -- Hast du +da an unzüchtige Bilder oder an Unreines am Menschen oder an Tieren, an +gewisse Körperteile gedacht und wie lange hast du dich dabei +aufgehalten? -- Hast du unzüchtige Lieder gesungen, schamlose Reden +geführt mit andern Kindern? -- Hast du dich unkeuschen Begierden +hingegeben? -- Ist dir niemals die Lust angekommen, einen unreinen +Körperteil an dir zu berühren? -- Hast du dieser Begierde nachgegeben? +-- Wann, wo, wie oft, wie lange hast du dich bei dieser Sünde +aufgehalten? -- Hast du das mit dem Finger, mit der Hand oder mit einem +fremden Gegenstand getan? -- Hast du mit andern Kindern Unkeuschheit +getrieben? -- Wie habt ihr das gemacht? -- Hast du Tieren zugesehen, +wenn sie Unreines taten? -- Hast du Knaben angesehen oder berührt an +einem Körperteil?« + +Als der Herr Kooperator das erstemal so fragte, erschrak ich heftig; +denn, wie gesagt, wußte ich von manchem dieser Dinge noch gar nichts und +schämte mich sehr. Mit jeder neuen Beichte aber verlor sich diese Scham +mehr und mehr; besonders, seit er mich in der Religionsstunde des +öfteren aufforderte, ihn zu besuchen, unter dem Vorwand, ihm etwas zu +bringen, wobei er dann in seiner Wohnung mich unter Hinweis auf die +letzte Beichte wieder bis ins einzelne über diese Dinge ausfragte. + +Davon sprachen wir Mädchen nun auch auf dem Schulweg oder wenn wir in +der Pause beisammen waren, und die eine erzählte der anderen ihre +kleinen Sünden. + +Da wurde ich eines Tages zu dem Herrn Oberlehrer gerufen, und als ich +vor ihm stand, begann er in strengem Ton: »Ich habe durch eine deiner +Mitschülerinnen vernehmen müssen, daß du in Gemeinschaft mit andern +Mädchen unsittliche Handlungen vollführt hast. Ich muß dich deshalb +ebenso wie die andern, die dir wohl bekannt sind, mit Karzer bestrafen. +Deinen Eltern wird es mitgeteilt werden. Hast du darauf etwas zu +erwidern?« + +Ich hatte nichts zu erwidern und machte mich, nachdem ich um sechs Uhr +aus dem Karzer entlassen war, zitternd auf den Heimweg; denn ich wußte, +wie es mir ergehen würde. Geraden Weges heimzugehen vermochte ich nicht, +sondern ich kam auf einem Umweg in die Isaranlagen, wo ich mich auf eine +Bank setzte und überlegte, ob ich nicht lieber ins Wasser springen +sollte. Am End aber siegte doch die Schneid und ich stand auf und ging +nachhaus. + +Ganz langsam schlich ich mich dort über die Stiegen hinauf, stand lange +vor der Wohnungstür und betete: »Vater unser, der du bist im Himmel! Laß +mi net umbracht werdn! Heilige Maria, Mutter Gottes, laß mi net +derschlagn werdn! Heiliger Schutzengel, hilf mir do! I will's g'wiß +nimma toa!« + +Endlich läutete ich. + +Hinter der Tür aber lehnte schon der Totschläger; und als ich eintrat, +empfing mich die Mutter mit einem wuchtigen Schlag. Hierauf gebot sie +mir, mich auszuziehen. Als ich im Hemd war, schrie sie mich an: »Nur +runter mit'n Hemd! Nur auszogn! Ganz nackat!« + +Darauf mußte ich niederknien, und nun schlug sie mich und trat mich mit +Füßen wider die Brust und den Körperteil, mit dem ich gesündigt hatte. +Da schrie ich laut um Hilfe, worauf sie mir ein Tuch in den Mund stopfte +und abermals auf mich einschlug. Dabei trat ihr der Schaum vor den Mund, +und keuchend schrie sie mich während der Züchtigung an: »Hin muaßt sein! +Verrecka muaßt ma! Wart, dir hilf i!« + +Als sie erschöpft war, rief sie dem Vater, der im Schlachthaus +gearbeitet hatte, und ruhte nicht eher, bis auch er den Stock nahm und +mich noch einmal strafte. Darauf sperrten sie mich in meine Kammer und +gingen fort. + +Durch meine Hilferufe war die Frau Baumeister Möller, die über uns +wohnte, aufmerksam geworden; und als sie mich in meiner Kammer noch +lange Zeit laut weinen hörte, rief sie mir von ihrem Balkon aus zu: +»Warum hat s' di denn wieder so g'prügelt? Komm, mach auf, dann komm i +zu dir nunter!« + +Ich sagte ihr, daß ich eingesperrt sei. Da rief sie unserm Nachbarn, dem +Schlosser. Der mußte aufsperren; und als sie hereinkam und mich sah, +erschrak sie sehr; denn mir lief das Blut über die Arme und den Rücken +herunter und Brust und Leib waren ganz blau und verschwollen. Sie war so +erregt über die mir widerfahrene Behandlung, daß sie meiner Bitte, mich +zu meinem Großvater zu bringen, sofort nachgab. Sie zog mich sauber an +und wir fuhren noch mit dem Abendzug heim. + + * * * * * + +Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen, und ich mußte lange unter dem +Fenster rufen, bis mich die Großeltern hörten. Der Großvater öffnete das +Haus und fragte, indem er uns in die Stube führte, erschreckt: »Insa +liabe Zeit! Lenei, wo kimmst denn du no so spat her? Was is denn nur +grad passiert und wer is denn dös Wei da?« + +Da berichtete ihm Frau Möller kurz das Geschehene, worauf er sagte: +»Naa, Dirnei, da kimmst ma nimma eini! Jatz bleibst bei mir da; so viel +ham ma, daß 's g'langt!« + +Nachdem die Frau Baumeister die Einladung des Großvaters, bei uns zu +übernachten, ausgeschlagen und sich nach einem Gasthof begeben hatte, +wollte die Großmutter mich ausziehen; aber sie mußte mich erst in ein +Schaff mit Wasser setzen, bevor sie die an den Wunden klebenden +Wäschestücke vom Körper lösen konnte. Als ich endlich nackt vor ihnen +stand, geriet der Großvater vor Zorn ganz außer sich und schrie, daß +alles zitterte: »Dös muaß ma büaßn, dös Weibsbild, dös verfluachte! +Oonagln tua i's! Aufhänga tua i's! Umbringa tua i's!« + +Nach dem Bad wurde ich mit sauberen Linnen abgetrocknet und die +Großmutter holte den Salbtiegel und begann meinen »Wehdam +einzuschmierbn«. Der Großvater aber nahm die Kinderstup und stäubte, +finster vor sich hingrollend, mit dem Pudermehl meinen Rücken, die Arme +und Beine ein, während der Hausl mit weit hinter sich hinausgespreizten +Armen in der Stube auf und ab schritt und nur von Zeit zu Zeit den Kopf +schüttelte oder ausspuckte. + +Andern Tags in der Früh holte der Großvater den Bader, der mir überall, +wo es vonnöten war, ein Pflasterl auflegte und dafür sorgte, daß +möglichst Viele die Begebenheit inne wurden. Die Großmutter aber mußte +des Vaters Feiertagsgewand herrichten; denn er wollte noch am Vormittag +in die Stadt fahren. Ehe er fortging, sagte ich ihm noch den Grund, +warum die Mutter mich so gestraft; doch erwiderte er aufs neue erzürnt +nur: »Dös is gleich! So was redn alle Kinder amal; dös tuat a jeds Kind +amal. Dös is dös G'fahrlicha no lang net!« + +Als er von München zurückkam, sprach er, wie das so seine Art war, mit +keinem Wort mehr von der Sache; aber ich durfte wieder ein ganzes Jahr +bei den Großeltern bleiben. + +Im September dieses Jahres war im Dorf das große Haberfeldtreiben; kurz +vorher starb unser Hausl ganz plötzlich und ohne irgend eine +Vorbereitung. + +Es war ein recht schwüler Augusttag gewesen und der Hausl hatte schon +seit dem Morgen über die Hitze und seinen großen Durst gejammert; doch +reute ihn immer wieder das Geld zu einem Trunk Bier. Am End aber konnte +es die Großmutter nicht mehr mit ansehen und sagte: »Geh, Hausl, laß dir +halt vo da Lena a Bier holn! Wenn di's Geld gar a so reut, na zahl's +halt i!« + +Da fühlte er sich doch in seinem Stolz gekränkt und sagte: »In Gott's +Nam', Handschuasterin, laßt halt a Halbe holn!« + +Mit diesen Worten schlürfte er in seine Kammer, riegelte hinter sich zu +und brachte nach einer geraumen Weile die paar Kreuzer heraus. + +Da legte die Großmutter noch ein Zehnerl darauf und sagte zu mir: +»Lenei, holst glei a Maß, na derfa ma aa amal trinka.« + +Als ich dann den vollen Krug vor ihn hinstellte, brummte er ärgerlich: +»Warum habt's denn enka Bier net in an andern G'schirr g'holt! Woaß ma +net, was oan zuaghört und was net!« + +Damit nahm er den Krug, setzte sich auf das Kanapee und trank; die +Großmutter und ich aber saßen am Tisch, wartend, daß er sage: »Da, dös +g'hört enk.« + +Doch er sagte nichts, so daß ich bei mir dachte: »Der trinkt ja dös unsa +aa no aus!« + +Auf einmal läßt er die Hand mit dem Krug sinken und neigt den Kopf +tiefer und tiefer. Da schreit auch schon die Großmutter: »Jess Mariand +Josef, Hausl, der Kruag fallt oicha!« und springt hinzu und will ihn +auffangen. + +Aber die knöchernen Finger umklammern fest den leeren Krug und sind +eiskalt. »Gott steh ma bei! Was is denn dös?« kreischt sie auf; denn der +Hausl war tot. + +Als er eingegraben wurde, kamen seine Verwandten und fielen über seine +Sachen her. Dabei stritten sie heftig, und als sie endlich eins waren +und wieder fortgingen, sagten sie zum Großvater: »So, Handschuasta, was +jatz no da is vo eahm, dös g'hört enk.« + +Da war aber nichts mehr da wie sein alter, gestrickter Janker. Den nahm +ich vom Nagel, und während ich ihn betrachte und betaste, greif ich +unwillkürlich auch in die Taschen und finde darin einen Schlüssel. Da +fällt mir sein Wandschränklein ein. Ohne ein Wort lauf ich in die Kammer +und sperre zu, suche nach dem Pünktlein, kratze den Kalk von der Wand +und bringe am End nach vieler Müh das Türlein auf. Da lagen in dem +Kästlein weit über hundert Mark Geld, ein Haufen Silberknöpfe und alte +Münzen, seine silberne Uhr mit der Kette und den großen Talern daran und +etliche schöne, silberbeschlagene Bestecke und silberne Löffel; daneben +sein Rasierzeug und ein kleines, hölzernes Spieglein. + +Voller Freude riß ich die Kammertür auf und rief: »Großvata, da geh rei! +I hab was g'fundn vom Hausl und dös g'hört alles uns!« + +Als der Großvater meinen Fund sah, war er zuerst sprachlos vor +Verwunderung; dann aber sagte er: »Dirnei, dös g'hört alls dei. Du bist +eahm dö Liaba g'wen und dir hätt er's do vermacht.« + +Der Großmutter war das auch recht, und so haben sie mir die Sachen immer +aufgehoben. Als aber nachher der Großvater starb, sind die Verwandten +darüber gekommen und mir ist nichts geblieben als das Spieglein und das +Besteck. Das nahm dann meine Mutter in Verwahrung, und so hatte ich +nichts mehr. + +Die Rede, welche der Herr Pfarrer am Grabe unsers Hausl gehalten hatte, +war wieder eine Verdammungsrede gewesen; eine noch schlimmere aber hielt +er kurze Zeit danach dem Schmittbauern, dem reichsten der Gemeinde, den +auch der Schlag getroffen. Dieser Mann war in der ganzen Umgegend wegen +seiner Gutherzigkeit und Rechtlichkeit angesehen und beliebt; nur beim +Pfarrer stand er schlecht angeschrieben. Einen besonderen Groll auf ihn +hatte auch der Posthalter, der sich gern durch den Bau einer Straße +berühmt gemacht hätte, daran aber durch einen Acker des Schmittbauern +gehindert wurde, den dieser um keinen Preis hergeben wollte. Ein +jahrelanger Prozeß war zugunsten des letzteren entschieden worden. + +Nach der Beerdigung begaben sich nun damals die Leidtragenden, die in +großer Zahl von nah und fern gekommen waren, zum Leichenschmaus beim +Huberwirt. Nur einige waren noch am Gottesacker zurückgeblieben und +hörten dort, wie der Posthalter mit Bezug auf die Rede des Pfarrers zum +Lehrer sagte: »Recht hat er g'habt, der Herr Hochwürden! Dem g'hört 's +net anderscht. Mit dene werdn ma aa no ferti; mir zoagn 's eahna scho!« + +Diese Worte hinterbrachten die Bauern, die sie gehört hatten, sofort den +beim Leichentrunk Versammelten, und nun kannte die Erbitterung keine +Grenzen. Zur Stund ward beschlossen, den Schmittbauern zu rächen. + +Am Samstag vor dem Fest Mariä Geburt erschienen bei anbrechender Nacht +plötzlich etliche hundert Männer mit geschwärzten Gesichtern im Ort, +zogen, mit Sensen, Dreschflegeln, Heugabeln und Äxten bewaffnet, durch +das Dorf und sangen Trutzlieder auf die Geistlichkeit und besonders auf +unsern Pfarrer. Dazu vollführten sie mit Johlen, Pfeifen und +Zusammenschlagen der Äxte und Sensen einen höllischen Lärm. Vor dem +Pfarrhof angelangt, schlugen sie dort die Fenster ein, beschmierten die +Türen mit Schmutz, hieben die Obstbäume um oder rissen sie aus; sogar +den Heustadel wollten sie in Brand setzen, doch zündete es nicht. + +Danach zogen sie zum Posthalter und besudelten dem alle Fensterscheiben +und Läden mit Menschenkot, den sie in einem großen Kübel mitführten, und +schrieben an das große Tor der Einfahrt mit einem langen Pinsel, der mit +demselben Schmutz getränkt war, diesen Vers: + + Auf'n Pfarrer is g'schissn + Auf'n Posthalter damit, + Warum hant s' so verbissn + Am Sebastian Schmitt. + +Noch am andern Tag konnte jedermann diese Worte lesen. + +Von den Gendarmen hatte keiner gewagt, sich den Haberern in den Weg zu +stellen, und eine Untersuchung, die man später einleitete, hatte nicht +den geringsten Erfolg; denn keiner verriet den andern, weil man noch von +Hausham her wußte, daß das Haberfeldtreiben sehr streng bestraft wurde. + +Geraume Zeit ging noch die Rede von diesem Treiben, und an den langen +Winterabenden, wenn die Großmutter mit der Huberwirtsmarie und der alten +Sailerin, einer achtundneunzigjährigen Greisin, in der Stube saß und +spann, während der Großvater auf der Ofenbank lange, kunstvolle Späne +schnitt, fiel noch manches Wort über diese Geschichte. + +Aber auch andere abenteuerliche und seltsame Dinge wurden da erzählt. +Besonders die Sailerin, im Dorf nur die alt' Soalagroß' genannt, die +wegen ihrer bösen Zunge sehr verrufen und von manchen als Hexe +gefürchtet war, wußte aus längst vergangener Zeit die wunderlichsten +Begebenheiten zu berichten: von Leuten des Dorfes, die durch ihren +sündhaften Lebenswandel den Teufel selber zu Gaste geladen und mit ihm +wirkliche Verträge abgeschlossen hatten. Sie war selber Zeuge gewesen, +wie ein Bauer in jungen Jahren verliebt war in das Weib eines Nachbarn; +wie er diesen eines Mordes an einem armen Handwerksburschen zieh und, +nachdem der Unglückliche peinlich verhört und am Ende unschuldig zum +Tode verurteilt worden, die Wittib heiratete. Da kam eines Tages der +Teufel in Gestalt eines fürnehm gekleideten Herren zu ihm und wollte +eine Kuh kaufen. Als ihn der Bauer in den Stall führte, fing alles Vieh +zu brüllen an und zeigte große Unruhe. Der Fremde suchte eine schwarze +Kuh aus und zählte darauf den hohen Preis in lauter Goldmünzen auf den +Tisch; und als der Bauer dieselben einstreichen wollte, verbrannte er +sich die Hände, so heiß waren sie. Erschrocken sah er sich nach dem +Fremden um; der aber war verschwunden und statt seiner stand eine +erschreckliche Gestalt an der Tür und rief: »Wart nur! I kriag di scho +no!« Damit verschwand sie; die Kuh aber, die nicht geholt wurde, gab von +Stund an blutige Milch. Etliche Wochen später wurde der Bauer tot und +ganz schwarz auf dem Felde gefunden. + +Oft nach dem Abendläuten sprachen sie auch von den verstorbenen +Angehörigen, und da erzählte die Sailerin von den armen Seelen im +Fegfeuer und wie sie denen helfen, die fleißig für sie beten. So sei +einmal ihre Mutter am Herd gestanden und habe die Abendsuppe gekocht. +Indem läutete es zum Angelus, und während sie halblaut den englischen +Gruß betete und, wie gewohnt, noch ein Vaterunser für ihre verstorbene +Mutter hinzufügte, tat sich die Haustür auf und herein lief eine alte +Frau, die der Verstorbenen aufs Haar glich. Diese zog sie hastig mit +sich über die Stiege hinauf, riß die Tür zum Heuboden auf, wies mit der +Hand hinein und verschwand. Ihrer Mutter aber sei fast das Herz +stillgestanden vor Schreck: ganz oben unter dem Dach hing ihre Lisl mit +dem zerrissenen Rock an einem Nagel des Gebälks und konnte jeden +Augenblick hinunter auf den Dreschboden stürzen. Das Kind, das die Katze +bis dorthin verfolgt hatte, konnte nur mit vieler Mühe gerettet werden. + +Auch wußte sie viel von alten Sitten und Gebräuchen: so legten in der +Thomasnacht die jungen Mädchen die gekochten Beinlein eines in der Nacht +zum Andreastage getöteten Marders, einige Hollunderzweige, die am St. +Barbaratag abgeschnitten worden, und einen Zettel, darauf ein +geheimnisvolles Gebet geschrieben stand, auf die Schwelle ihrer +Kammertür. In der Mitternachtsstunde erblickten sie dann, wenn sie in +den Spiegel sahen, ihren Hochzeiter. Auch eine ihrer Schwestern habe +einmal, nachdem sie alles recht gemacht, dies getan; aber mit einem +lauten Aufschrei sei sie davongestürzt; denn statt eines jungen Mannes +habe der Tod aus dem Spiegel geschaut. Nach langem Siechtum sei sie dann +auch wirklich unverheiratet gestorben. + +Atemlos lauschte ich stets diesen Erzählungen und bekam nach und nach +eine große Hochachtung vor der alten Sailerin; und da sie immer recht +freundlich mit mir war und auch bei den Großeltern viel galt, hielt ich +mich häufig bei ihr auf. Da konnte ich denn, als das warme Frühjahr +wiedergekommen, oft stundenlang bei ihr auf der Hausbank sitzen, wo sie +den ganzen Tag über die Vorübergehenden prüfend betrachtete und mit sich +selber lange Gespräche führte, während ihre Hände unablässig an einem +ungeheuern Strumpfe strickten. Dies Stricken und Mitsichselberreden war +ihr schon so zur zweiten Natur geworden, daß sie überall, wo sie ging +und stand, die Lippen und die Zunge bewegte und in den gefalteten Händen +die Daumen umeinanderdrehte. + + * * * * * + +Während dieses Jahres gebar die Mutter in München ihr zweites Kind, den +Maxl. Kurz zuvor hatte der Vater sein ganzes Geld, bei dreißigtausend +Mark, auf dem Anwesen, das er gekauft hatte, durch einen Bauschwindler +verloren, so daß er sich an eine Brauerei um Hilfe wenden mußte. Diese +gab ihm, nachdem sie ihn eine Zeitlang in ihrer Flaschenfüllerei +beschäftigt hatte, eine Kantine im Lechfeld. Den Hansl nahm die Mutter +mit, und der Maxl kam zur Großmutter in die Kost. + +Nach einem Jahr schrieb die Mutter, man solle uns wieder nach München +schicken, und sie versprach, mich jetzt besser zu behandeln; es gehe +ihnen gut und sie hätten im Lechfeld so viel Gewinn gehabt, daß der +Vater in München wieder eine Wirtschaft pachten könne. + +So brachte mich denn der Großvater wieder in die Stadt, nicht ohne +Kummer und Besorgnis. Doch behandelte mich meine Mutter jetzt wirklich +besser und sparte nicht an Lob und Belohnung, wenn ich etwas zu ihrer +Zufriedenheit gemacht hatte. Zu Weihnachten schenkte sie mir eine Puppe, +die so groß wie ein zweijähriges Kind war und einen wunderschönen, +wächsernen Kopf mit echtem Haar hatte. Doch die Freude währte nicht +lange; bald nach Ostern nahm sie mir die Puppe weg, weil ich zu viel +Zeit mit dem Spiel vertrödelte, und schenkte sie später der Großmutter +für die Kostkinder. Die Großmutter aber hob sie noch lange Jahre für +mich auf und gab ihr einen Ehrenplatz in der Künikammer. Der Tag meiner +Firmung brachte dann eine weitere Enttäuschung, wohl die bitterste, die +ein Mädchen in diesem Alter erleben kann; denn noch an dem gleichen Tage +verkaufte die Mutter mein weißes Firmkleid an den Vetter Bastian, einen +Fuhrknecht, der es für seine Tochter brauchte und ich mußte mich in +meinem alten Sonntagskleid von der Nanni, meiner Firmpatin, in den +Methgarten an der Schwanthalerstraße führen lassen, wo die andern +Firmlinge in ihren weißen Kleidern und mit der offiziellen Firmuhr +prangten und mich verächtlich von der Seite ansahen und von mir +wegrückten. Das Firmgeschenk, das mich sehr freute, bestand in dem +silbernen Geschnür, der Halskette und Riegelhaube der Nanni; es wurde +aber bald danach alles von der Mutter verkauft mit dem Versprechen, ich +bekäme etwas Praktischeres dafür. + +Die Tante Babett hatte inzwischen ihre Stellung wieder aufgegeben und +war als Kinderfrau in dem Hause meiner Eltern angenommen worden. Unter +ihrem Einfluß wurde auch die Mutter fromm und ging von nun an jede Woche +zur Beichte und zum Tisch des Herrn, fast jeden Tag in die Messe, hörte +jede Predigt, wurde Mitglied aller Erzbruderschaften und des dritten +Ordens und machte Wallfahrten. Zu Hause aber schimpfte und fluchte sie +mit bösen Worten, und die Dienstboten und ich waren in ihren Augen keine +Menschen. + +Weil ich nun von dieser Frömmigkeit, die vor allem den Pfarrern zu +gefallen suchte, nichts wissen wollte, mußte ich gar viele Mißhandlungen +und Schmähungen von der Tante Babett ertragen, der jede Gelegenheit +willkommen war, über mich bei der Mutter zu klagen und ihr meine Zukunft +und mein Seelenheil als hoffnungslos vorzustellen. Ich wurde darum jetzt +gezwungen, jeden Morgen um sechs Uhr die heilige Messe zu besuchen und +alle vierzehn Tage zu beichten. Da ward es mir oft seltsam zumut, wenn +ich, kaum von der Kommunionbank weg, hören mußte, wie die Mutter wegen +jeder Kleinigkeit die gräßlichsten Flüche ausstieß und doch ihre +Frömmigkeit für eine echte und heilige hielt. + +Zu dieser Zeit kam von Niederbayern eine zweite Schwester meines +Stiefvaters zu uns. Es waren daheim noch mehrere; denn der Vater meines +Stiefvaters hatte vierzehn Frauen gehabt, mit denen er neununddreißig +Kinder zeugte. Als er mit dreiundzwanzig Jahren das erstemal heiratete, +kurz, nachdem sein Vater, der reichste Bauer vom ganzen Rottal, unter +Hinterlassung von mehr denn einer Million Gulden gestorben war, brachte +ihm die Frau noch über hunderttausend Gulden Heiratsgut mit, und als +nach einem Jahr ihr das Wochenbett zum Todbett ward, erbte er noch ihr +ganzes übriges Besitztum; denn sie war eine Waise. Kurz danach nahm er +die zweite Frau, eine Magd, mit der er sechs Jahre lebte und vier Kinder +hatte. Als sie an der Wassersucht gestorben war, heiratete er noch im +selben Jahr eine Kellnerin, die er aber nach wenigen Monaten davonjagte, +als er eines Tags den Oberknecht bei ihr im Ehebett fand. Die vierte +Frau, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, holte er sich aus dem +bayerischen Wald, verlor sie aber schon nach zwei Jahren, nachdem sie +ihm ein Kind geboren hatte. Die Leute erzählten, er habe sie durch sein +wüstes, ausschweifendes Leben zugrunde gerichtet. Bald nach ihrem Tode +nahm er mit dreiunddreißig Jahren die fünfte Frau, die ihm vier Kinder +mit in die Ehe brachte, von denen böse Zungen behaupteten, daß sie von +ihm gewesen; denn diese Frau hatte er zuvor als Oberdirn auf seinem Hof +gehabt. Während einer fünfjährigen Ehe gebar sie ihm zweimal Zwillinge +und einen Buben, an dem sie starb. Man sagte aber auch, sie sei aus +Kummer krank geworden; denn um diese Zeit hatte er begonnen, offen ein +wüstes Leben zu führen. Als Viehhändler trieb er oft zwanzig bis dreißig +Stück Rinder oder auch Pferde zu Markte und hielt danach mit andern +Genossen große Zechgelage. Hierbei wurde gewürfelt, und da er sehr hoch +spielte, verlor er oft seine ganze Barschaft samt dem Erlös und mußte +nicht selten noch Boten heimschicken um Geld. + +Inzwischen war die Frau, von der er sich hatte scheiden lassen, an der +Schwindsucht gestorben, so daß er nun, als er mit neununddreißig Jahren +das sechstemal heiratete, wieder kirchlich getraut wurde; doch, noch ehe +ein Jahr um war, starb die Frau im Kindbett. Nun holte er sich ein Weib +aus Österreich, eine junge, sehr schöne Linzerin. Von ihr berichtet man, +daß er einmal, als er den ganzen Erlös für das verkaufte Vieh und all +sein bares Geld verloren hatte, sie auf einen Wurf setzte und an einen +reichen Gutsbesitzer um tausend Mark für eine Nacht verspielte. Während +dieser Nacht soll sich die Frau gar sehr gewehrt und den Gutsherrn so +schwer an der Scham verletzt haben, daß er bald darauf sterben mußte. +Mit dieser Frau lebte er acht Jahre sehr unglücklich, und nachdem sie +ihm zehn Kinder geboren hatte, starb sie an dem letzten. Kurz darauf +heiratete er mit fünfzig Jahren zum achtenmal und hatte während einer +sechsjährigen Ehe sechs Kinder. Auch diese Frau hatte keine guten Tage +bei ihm; denn ihr eingebrachtes Vermögen war gleich dem der anderen +Frauen bald verspielt, und nun mißhandelte er sie oder verfolgte sie im +Rausch mit seinen Zärtlichkeiten, was das gleiche war; denn er war +herkulisch gebaut und massig wie seine Stiere. Auch hatte er noch zu +ihren Lebzeiten eine heimliche Liebschaft mit einer anderen, die nach +ihrem Tode seine neunte Frau wurde, aber schon nach vierjähriger Ehe mit +sechsundzwanzig Jahren an ihrem vierten Kinde starb. + +Obwohl nun im Orte heimlich die Rede ging, daß er seine Frauen auch im +Kindbett besuche, davon ihnen das Blut gehend worden wär und daran sie +gestorben seien, willigte doch eine Nähterin aus der Pfarre in des +Vierundsechzigjährigen Heiratsantrag; denn sie hatte schon zwei +erwachsene Kinder von ihm. Doch auch ihr wurde das gleiche Schicksal und +sie starb nach zwei Jahren zugleich mit dem Kinde im Wochenbett. Mit +siebenundsechzig Jahren heiratete er zum elftenmal, und als die Frau +schon nach zwei Monaten gestorben war, ging er mit neunundsechzig Jahren +die zwölfte Ehe ein. Mit dieser Frau lebte er vier Jahre und nahm nach +ihrem Tode mit vierundsiebzig Jahren die dreizehnte. Diese letzten Ehen +waren alle unglücklich; denn daheim prügelte er die Frauen und in den +Wirtshäusern verspielte er alles, was er besaß. Beim Tode der +dreizehnten Frau hatte er nichts mehr, und als er jetzt mit +neunundsiebzig Jahren in das Armenhaus kam, fand er da eine +Armenhäuslerin, die seine vierzehnte Frau wurde. Mit ihr lebte er noch +sieben Monate und starb danach als Bettler; sie hat ihn dann noch kurze +Zeit überlebt. + +Die zweite Schwester meines Vaters, die vierzehnjährige Zenzi, kam +damals grad aus dem Kuhstall zu uns und sollte jetzt die Haus- und +Küchenarbeit lernen. Gleich nach ihrer Ankunft ließ auch ihr die Mutter +die Haare abschneiden, und ich mußte ihr alle Tage das Ungeziefer vom +Kopf suchen. Dann mußte ich sie beten lehren; denn sie konnte nicht +einmal das Vaterunser, worüber die Mutter sehr aufgebracht war. So wenig +angenehm diese Aufträge für mich waren, so belustigend war es +anderseits, ihr bei der Hausarbeit zuzusehen, besonders wenn sie mit dem +Schrubber putzte. Da hob sie, wenn sie zu wischen begann, das Bein in +die Höhe, wie man es auf dem Felde tut, um die Gabel in den Mist zu +treten, und sang dazu. Gewöhnlich war es das Lied von der unglücklichen +Fahrt über den Inn, bei der fünf Burschen und drei Mädchen ertranken, +und das ein Bauernbursche aus dem Rottal gedichtet hatte. Sie sang es +ohne Stimme und Gehör, und das Lied lautete: + + Leut, seid's a weng ruhig + Und mirkt's a weng auf, + Und den trauringa Fall + Leg enk ich wieda auf. + + Und den heuringa Jahrgang, + Den ma achtadachtzg schreibt, + Den hamand dö altn Leut + Scho lang prophezeit. + + So viel Wolkenbrüch und Hagelschlag + Wia heuer san g'west; + A Schauer geht oan über, + Wenn ma d'Zeitunga lest. + + Will koa Mensch nimma betn, + Halt neamd nix für a Sünd; + Wen tat's'n da wundern, + Wenn über uns nixn kimmt. + + Und gehn ma von dem wega + Und drah' ma uns anderscht wo ei, + Und den oasa'zwanzigstn Mai + Muaß der Pfingstmontag sei. + + Da hat's in Pocking in Bayern + Zwoa Pferderennats gebn; + Die Witterung war günstig + Und hübsch lustig is aa g'wen. + + Es kimmt a Menge Menschen z'samm, + Ja dös Ding, dös is leicht; + Aba net grad vom Haus Bayern, + Sondern auch vom Haus Österreich. + + »Das Renn' ging glücklich vorüber,« + So hört man allgemein lobn, + Aber die Heimkehr auf Östreich + War traurig genung. + + Fünf bluatjunge Burschen + Von oana Pfarr z'haus, + Dö gehnd in Tod hinüber + Kimmt koana mehr raus. + + Sie glaubn, sie gehnd über Schärding, + Aber, weils Wasser zu hoch + Und der Umweg zu weit, + Wann ma's wirklich betracht. + + Da sagt der Brüahwassermathias: + »Dös war ma scho z'dumm! + Mir fahrn den pfeilgradn Weg + Vorüber in Hunt!« + + Sie sitzn si eini + Und haltn si mäusstad, + Aba mitn Hong ham sie si vostocha, + Jatz hot's as halt draht. + + »Jesus, Maria und Josef!« + War das Jammergeschrei; + Drei hand auskemma, + Aba mit acht is vorbei. + + Fünf hand vo Österreich + Drei hand vo Boarn + Und oana davo + War bal ganz vergessn wordn. + + Und am oasa'zwanzigstn Mai + Werdn die Gottsdeansta g'haltn, + Aber der Schmerz vo dö Eltern + Is net zum aushaltn. + + Jatz pfüat enk Gott, Eltern! + Die Gräber hand zua, + Teat's fei für uns betn + Um dö ewige Ruah! + +Sang sie nicht, so war das ein Zeichen ihrer schlechten Laune, und da +konnte sie dann auch bösartig sein und einem alles zum Trotz tun. Schalt +ich sie, so lief sie zu ihrer Schwester, der Tante Babett, diese lief +zur Mutter und die Mutter kam über mich; und hatte ich zuvor nur eine +wider mich gehabt, so waren es jetzt drei. + +Da überwarf sich die Tante Babett mit meinem Vater und verließ ganz +plötzlich das Haus. Es war nämlich aufgekommen, daß sie jeden Morgen auf +einem Umweg in die Kirche gegangen war. Auf diesem Weg aber wohnte ein +Bräubursch. Der hat sie jedoch nicht geheiratet, weil sie, wie er sagte, +ihm zu fromm sei und es mit den Pfarrern hielte. Nach ihrem Weggang +wurde die Zenzi in der Küche und dem Hauswesen verwendet und ich mußte +wieder die Kindsmagd machen. + +Da geschah es oft des Abends, daß die Kinder nicht einschlafen wollten; +ich mußte mich aber schicken, um wieder hinunter in die Wirtschaft zur +Arbeit zu kommen. Da das Zureden nichts nützte, half ich mir schließlich +auf folgende Weise: Aus einem Bettuch machte ich mir ein weißes Gewand, +aus gelben Bierplakaten zwei Flügel und aus einem Lampenreif die Krone. +So ging ich zu ihnen ins Schlafzimmer, wo nur ein rotes Nachtlicht +brannte, trat an das Bett des zweijährigen Maxl und fing leise an zu +singen. Ganz andächtig mit geschlossenen Augen hörte er mir zu, während +der vierjährige Hansl mich beobachtete, ohne mich zu erkennen. Am andern +Tag erzählte der jüngere es dem älteren und sagte: »Du, Hansl, heut auf +d'Nacht is mei Schutzengel da g'wen mit goldene Flügeln und an weißen +Kleid; der hat schön gsunga!« + +Darauf sprach der Hansl: »I hab's scho g'sehgn, aba i hab mi nix z'sagn +traut, sonst hätt i'hn verjagt.« + +Ich verbot ihnen, irgend jemandem etwas davon zu sagen und machte nun +jeden Abend den Schutzengel. + +Wie ich nun wieder einmal vor dem Bett stehe, geht die Tür auf und die +Mutter kommt herein. Der Hansl ruft ihr noch zu: »Sei stad, Mama, da +Schutzengel is da!« als sie schon schreit: »Du Herrgottsakermentsg'ripp, +du zaundürrs! Dir werd i's austreibn, an Engl z'macha!« Und damit reißt +sie mir die Flügel herunter und jagt mich unter Püffen aus der Stube. +Die Kinder begannen zu schreien und zu weinen und die Mutter beruhigte +sie, indem sie sie über den Frevel, wie sie sagte, aufklärte und ihnen +Schokolade gab. + +Von der Stunde an betrachteten mich die Brüder mit kindlicher Verachtung +und wollten mir lange nicht mehr folgen. + +Dann kam eine Zeit, wo die Mutter mich wieder besonders quälte; sie war +aber auch gegen andere Leute recht barsch, vor allem gegen den Vater. +Dabei wurde sie immer stärker, und nun wußte ich, daß wieder ein Kind +kam. Daß dem so war, das hatte ich eines Tages nach der Turnstunde +erfahren, als ich mit mehreren Mädchen meiner Klasse, ich war damals +dreizehn Jahr alt, nach Hause ging. Da begegnete uns eine Frau, die in +andern Umständen war, und auf die Frage der Babett: »Warum is denn dö +unten so dick und obn so mager?« entgegnete ich: »Ja, weils halt ihr +Korsett verkehrt anhat.« + +»Du irrst!« sagte darauf die Else, eine Lehrerstochter. »Die Frau trägt +überhaupt kein Korsett, sondern die bekommt ein Kind.« + +»Ja, die Else hat recht,« mischte sich eine vierte, die Anna, ins +Gespräch, »mei Mutter war auch so dick, dann ham ma zwoa Bubn kriegt; +dann is s' im Bett g'legn, und wie s' wieder aufg'standn is, war s' +wieder ganz mager. Jetzt möcht i nur wissn, wie dö rauskomma san.« + +»Das kann ich dir schon sagen,« erwiderte die Else. »Mein Papa hat zu +Hause ein Buch, darin hab ich's gelesen: Wenn ein Mann mit einer Frau +ins Bett geht und mit ihr was Schlimmes treibt, legt er ihr ein Ei in +ihren Körper; dann tut er wieder was Böses mit ihr, dadurch kommt das Ei +in den Magen der Frau, und die brütet es aus und aus dem Nabel kommt das +Kind mittels der Nabelschnur.« + +»Du spinnst ja!« rief jetzt die Theres. »Da hast halt aa net recht +g'lesn! I woaß von meiner Schwester, die von dem Doktor dös Kind hat: +dös Ei liegt net im Magn, sondern im Bieserl. Da tut der Mann mit der +Frau was Böses und dann kommt's in Bauch und nach einem halben Jahr +kommt 's Kind unten raus. Und da braucht ma die Hebamm zum Aufschneidn +und Zunähn.« + +Mit Gruseln hörten wir zu und daheim untersuchte ich, als ich allein +war, sogleich mit einem Spiegel, ob das mit dem Kind wirklich möglich +sei; da hab ich gefunden, daß es unmöglich sei. + +Aber die Mutter bekam bald danach doch den Ludwigl, und da ich in +Ermangelung einer Wochenbettpflegerin alle bei einer Niederkunft +notwendigen Arbeiten tun mußte, so konnte ich ziemlich den ganzen +Verlauf der Geburt beobachten. + +Als ich dann die Mutter laut jammern und klagen hörte, hatte ich viel +Mitleid mit ihr und nahm mir zugleich fest vor, niemals mit einem Mann +was Böses zu tun. Im übrigen hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken; +denn den ganzen Tag bis spät in die Nacht ging es treppauf, treppab und +hieß es arbeiten, damit die Mutter zufrieden war. + + + + + + +Von dem Besuch höherer Schulen hielt meine Mutter damals noch nicht +viel, und so mußte ich, als ich aus der Werktagsschule entlassen war, in +die Mittwochschule gehen, die meist von Dienstmädchen und den Töchtern +der Armen besucht wurde. Bei den geringen Anforderungen, die hier an die +wenig wißbegierigen Mädchen gestellt wurden, war ich bald das verrufene +und doch zur rechten Zeit vielbegehrte »G'scheiterl« und brachte am +Schluß des ersten Jahres die beste Note nach Hause. Zum Lohn dafür +durfte ich mit einem jungen Mädchen aus dem Nachbarhause, das ebenso +bleichsüchtig wie ich war, in den Ferien zu den Großeltern aufs Land. + +Da nun mein Großvater damals schon ziemlich schwer erkrankt war, schien +es der Großmutter um der Ruhe willen, deren der Kranke bedurfte, +ratsamer, uns zur Nanni zu schicken. Diese hatte in einem +unverständlichen Anfall von Besorgnis, daß das Anwesen in Westerndorf +ihr zum Ruin werde, dasselbe verkauft und erst nach einem halben Jahr +gemerkt, welch schlechten Tausch sie gemacht hatte, indem sie dafür eine +ganz alte, morsche Hütte ohne Obstgarten in Haslach genommen, lediglich +um der Äcker willen, die zwar bedeutend größer waren, aber jedes Jahr +von schweren Hagelwettern heimgesucht wurden. Sie war also froh, etwas +an uns zwei bleichen Hopfenstangen, wie sie uns nannte, zu verdienen. +Freilich wäre ich gern beständig um meinen Großvater gewesen; aber die +Großmutter litt meine Anwesenheit nie lange und schien förmlich +eifersüchtig darauf zu sein, ihn allein zu pflegen. So streiften wir +zwei Mädchen durch Wald und Wiesen, fingen Fische und Krebse und hingen +mit einer Zärtlichkeit aneinander, daß wir nachts zumeist in einem Bett +beisammen schliefen; ja, als wir nach Vakanzschluß wieder heimwärts +fuhren, gelobten wir uns noch im Bahncoupé ewige Treue und Freundschaft. + +Einige Monate später, es war an einem Dezembertag, rief meine Lehrerin +mich kurz nach Beginn des Unterrichts hinaus und reichte mir ein +Telegramm. Da ich schon seit einigen Tagen die Sorge um meinen kranken +Großvater nicht los werden konnte und besonders in der letzten Nacht +durch einen schweren Traum geängstigt ward, so war mein erster Gedanke: +Er ist tot. Als ich die Worte: »Lenei, komm, Vater stirbt!« gelesen +hatte, rannte ich, ohne mich zu entschuldigen, oder meine Kleider und +Schulzeug zu nehmen, halb besinnungslos nach Hause. Aber die Mutter ließ +mich nicht fort, und so lief ich in Groll und Verzweiflung umher, weinte +und schlug meine Fäuste gegen den Kopf und fand doch keinen Ausweg. Und +als am andern Tag ein weiteres Telegramm kam des Inhalts: »Vater tot, +wird Samstag früh eingegraben,« war ich ganz gebrochen; denn es schien +mir, als wäre mit dem Toten alle Hilfe und Stütze dahin. Jammernd und +wehklagend lief ich durchs Haus und die Mutter erreichte weder mit guten +noch bösen Worten etwas. Und als sie mir auf meinen Vorwurf: »Warum +habt's mi nimma zu ihm lassn!« Strafe androhte, stürmte ich von der +Wirtsküche die vier Stiegen hinauf und wollte mich in den Hof +hinunterstürzen. Doch in diesem Augenblick riß mich jemand vom Fenster +herab, worauf ich ohnmächtig zusammenbrach. + +Von dem darauffolgenden Tage ist mir keine Erinnerung geblieben; am +übernächsten Morgen aber war ich schon früh um fünf Uhr mit der Mutter +auf dem Wege zur Bahn, beladen mit Kränzen und von Schmerz und dumpfer +Trauer ganz betäubt. Ich weinte keine Träne mehr im Zug, wo wir mit den +Verwandten der Mutter und den Kostkindern zusammentrafen. Stumm blickte +ich aus dem Coupéfenster in die verschneite Landschaft und sah überall +das gütige Antlitz des Toten. + +Als wir daheim in die Stube traten, wo der Verstorbene aufgebahrt lag, +stürzte ich der Großmutter, die auf dem Kanapee saß, an den Hals und wir +vergaßen ganz, daß so viele mit ihr reden wollten. Als mich endlich die +Mutter wegzog und sagte: »Komm, Mutter, red mit den Kindern!« sah ich +beim Aufstehen erst, daß die Frau ganz schneeweiß und fast erblindet war +vor Gram und Kummer. + +Indem traten die vier Männer, welche nach der Aussegnung den Sarg zum +Friedhof zu tragen hatten, in die Stube. Flehentlich bat ich sie, ihn +nochmals zu öffnen, damit ich den Großvater noch einmal sähe. Und als +sie endlich meinen Bitten nachgaben, schrie ich laut auf vor Schreck und +Weh: der Tote hatte Augen und Mund weit offen und war furchtbar +entstellt, teils von dem entsetzlichen Leiden der letzten Tage, teils +von der vorgeschrittenen Verwesung. + +Da ertönte lautes Beten, und herein in die Stube trat der alte Pfarrer +mit den Ministranten und dem Lehrer, die Leiche auszusegnen, gefolgt von +einer teilnehmenden und neugierigen Menge. + +Unter dem wimmernden Geläute des Totenglöckleins setzte sich der Zug in +Bewegung. Ich führte die Großmutter, und wir waren beide ganz still +geworden; meine Mutter aber hatte schon, während die Geistlichkeit ihre +Psalmen und Gebete sang, laut zu schreien begonnen, und auf dem ganzen +Wege durchs Dorf bis zum Gottesacker hörten wir ihr Schluchzen und +Jammern. + +Schier endlos war der Zug der Leidtragenden, und erst jetzt merkte man, +wie geehrt und beliebt der Handschuster in der Gegend gewesen war; ja, +lange nach seinem Tode konnte man noch gelegentlich hören: »Ja, der +Handschuasta, dös is a kreuzbrava, rechtla Mo g'wen; da derfs lang geh, +bis a söllana wieda amal z'findn is; mir hat er aa selbigsmal bei dem +Brand mein Buam aus'n Feuer g'holt und hernach 's ganze neue Haus +umasinst ausg'weißt.« + +Nachdem nun der Sarg niedergestellt und eingesegnet war, schickten die +Männer sich an, ihn ins Grab hinabzulassen. Da vergaß ich alles um mich +her und ganz in dem Gedanken, daß bei dem Toten auch für mich Ruhe sei, +stürzte ich auf das offene Grab zu und fiel besinnungslos fast hinein. +Man bemühte sich um mich, und als ich wieder zu mir kam, hörte ich eine +alte Bäuerin neben mir sagen: »Dös is a schlechts Zoacha g'wen, i moan +allweil, da Handschuasta holt si's Lenei bal; schaugt a so aus wia dö +teuer Zeit, dös Dirndl!« Da hoffte ich im stillen, dieses Zeichen würde +bald wahr werden, und wurde wieder ruhig, so daß man mich abermals ans +Grab führen konnte. + +Der Herr Pfarrer hielt eben die Grabrede und sprach gerade von dem +felsenfesten Glauben, den der Verstorbene in all seinem Tun gezeigt +habe: »Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; +aber auf dein Wort hin will ich das Netz nochmals auswerfen! Diese Worte +des heiligen Petrus hat der Handschuster sich in allen Lebenslagen zur +Richtschnur gesetzt. Es war ihm gleich, ob bei einer Arbeit, einer +Dienstleistung oder einem guten Werk etwas herausschaue und zu +profitieren sei, oder ob er dies Werk umsonst verrichten müsse. Ihm +genügte es, daß seinem Nachbar damit geholfen war. Dieser seiner +Überzeugung verdanken auch die hier versammelten Leidtragenden und +Kostkinder des Handschusters ihre wohlbegründete Existenz, ja teilweise +ihren Wohlstand, und haben sie ja selbst, wie sie durch ihr Hiersein +beweisen, gegen den teueren Verstorbenen und dessen selbstlose Liebe und +Fürsorge einer Pflicht der Dankbarkeit genügen wollen. Dieser große +Glaube, der nicht fragt und nicht zweifelt, nicht zögert und nichts +verbessern will, dieser Glaube überzeugt auch mich davon, daß unser +lieber Herr, gleich wie zu Petrus, auch zu ihm sagt: >Selig bist du, +weil du geglaubt hast!< Weinet nicht, die ihr hier am offenen Grabe +steht; er wird auferstehen. Weine nicht, treue Mutter, die du ihn +gepflegt hast Tag und Nacht und mit ihm getragen hast Freud und Leid, +Sorg und Arbeit in stiller Entsagung dessen, was andern die Ehe bietet! +Viele sind berufen, wenig auserwählt, und wer es fassen kann, der fasse +es. Drum weine nicht, Mutter der Gemeinde, Mutter unserer Verlassenen +und Verwaisten; weinet nicht, ihr Kinder; denn er will nicht euere +Tränen, sondern euer Gebet. Darum wollen wir uns vereinigen zu einem +andächtigen Vaterunser und Ave-Maria.« + +Nach dem Trauergottesdienst in der Kirche, der dem Begräbnis folgte, +begaben sich meine Mutter, die Nanni mit ihren Angehörigen, der Bastian +und die Kostkinder zum Huberwirt, um den Leichenschmaus zu halten. Die +Großmutter wollte nicht mitgehen; doch ließ sie sich am End überreden, +wenigstens in der Wirtsküche ein paar Worte mit einigen Bekannten und +dem Huberwirt zu sprechen. Ich war mit in die Gaststube getreten und +stand nun in einer stumpfen Teilnahmslosigkeit am Ofen, während die +Verwandten, noch ehe sie die Wintermäntel abgelegt hatten, in lebhaften +Streit geraten waren wegen der Habseligkeiten des Großvaters, die noch +nicht verteilt worden. Jedes wollte das schönste und meiste haben, und +des Hausls Schatz, den der Großvater sorgsam für mich aufbewahrt hatte, +wurde mir auch genommen. Nach den letzten Bestimmungen des Verstorbenen, +der kein Testament gemacht hatte, mußte das Haus noch vor seinem Tode +verkauft werden und der Erlös wurde gleichmäßig unter die Kinder +verteilt, nachdem für die Großmutter tausend Mark beiseite gelegt waren. +Diese tausend Mark nahm dann die Nanni an sich und behielt dafür die +Großmutter bis zu deren Tod. + +Während meine Mutter und die andern sich noch stritten, kam der +Huberwirt in die Gaststube herein, führte die Großmutter am Arm und +sagte, zu meiner Mutter gewendet: »Dös is der Handschuasterin scho dös +Irgst, daß 's Lenei nimma kemma hat derfa, bevor der Handschuasta +g'storbn is; er hätt no so viel z'redn g'habt mit ihr und hat in oan +Trumm g'sagt: >Kimmt's Lenei no net? Geh, Muatta, schaug, ob's jatzat +kimmt!<« + +Verlegen entgegnete meine Mutter: »Lieber Gott, 's Telegramm ist eben zu +spät g'schickt wordn.« + +Da stürzte ich voller Zorn aus meinem Winkel hervor, trat vor die Mutter +hin und schrie sie an: »Net wahr is! Sag's nur, daß d' mi net raus hast +lassen! O mein Gott, und er hat so viel nach mir verlangt! I hab's ja +g'spürt und hab koan Ruh g'habt Tag und Nacht. Dös vergiß i dir net, +Muatter, daß d' so hart und ohne Herz g'wen bist!« Damit nahm ich die +Großmutter am Rock und zog sie zur Tür hinaus. Sie folgte mir ohne +Widerstreben, während die andern alle ganz still geworden waren und die +Mutter sich umständlich schneuzte. + +Auf der Straße sagte die Großmutter plötzlich: »O mei, mir kinnan ja +nimma hoam!« und begann laut zu schluchzen. Da meinte ich: »Komm, +Muatter, gehn ma zum Vater 'nauf!« Und so gingen wir wieder zum +Friedhof, und am Grabe redete sie mit dem Toten, wie wenn er noch lebte +und mit ihr auf der Hausbank säße: »Woaßt, Vata, z'lang sollst mi nimma +da lassn; i mag s' nimma, dö Welt, jatz wo i di nimma hab. Tua mi net +vergessn, Vata, gel, und denk aa aufs Dirndl, daß net z'Grund geht bei +dem schlechtn Wei.« + +Weinend hockten wir uns auf den frisch geschaufelten Hügel, unbekümmert +um die Blumen und unsere schwarzen Gewänder, und nun erzählte mir die +Großmutter von den letzten Tagen des Toten: »So viel leidn hat er müssn, +der Arme; zwoa Strohsäck hat er durchg'fäu't, weil er's Wasser nimmer +haltn hat kinna und der ganz Leib und d'Füaß oa Fleisch und Wehdam warn, +daß ma 'n kaam mehr o'rührn hat derfa. Aber er is so geduldi g'wen dabei +und nur seltn hat ma 'n jammern hörn. Nur grad nach dir hat er allweil +g'fragt und hat si recht kümmert, wia's dir geh werd, wenn er g'storbn +is.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Wenn i nur grad in insan Haus +bleibn kunnt und net's Gnadnbrot beim Sepp und bei der Nanni essn müaßt; +da werd's ma net gar z'guat geh bei dene.« + +Nach diesen Worten versank sie in Nachdenken, und ich lehnte mich ganz +an sie, weil mich fror; denn ich hatte Tuch und Mantel beim Huberwirt +gelassen. Ich war eben ein wenig eingeschlafen, als ich durch die Stimme +des Herrn Pfarrers aufgeschreckt wurde: »Ja, meine liebe Handschusterin, +wir sind halt alle Fremdlinge in dieser Welt! Es wird Euch wohl recht +schwer, von Ort und Haus zu scheiden? Wollt Ihr nicht ins Gemeindehaus +ziehen? Da ging's Euch ja auch nicht schlecht!« + +»Vergelts Gott, Herr Hochwürden, aba d' G'meinde is ma allweil no g'wiß; +i hab ja no Kinder, dö wo si um mei Geld reißn!« meinte die Großmutter +mit einem schwachen Lächeln und grüßte den sich zum Gehen Wendenden noch +mit einem leisen: »Gelobt sei Jesus Christus!« + +Danach gingen wir doch noch einmal heim ins Haus. Aber da waren schon +die neuen Besitzer eingezogen und alle möglichen Gegenstände lagen bunt +durcheinander in den Räumen und vor dem Haustor. Unter der Stiege stand +eine alte Truhe, in die sonst die Kleie für das Vieh kam; wir setzten +uns darauf und konnten nichts reden. Aus dem Stall tönte das kurze +Brüllen der Kühe, denen die gewohnte Hand abging. Da kam aus der +Wohnstube die neue Hausfrau, sah uns ganz erstaunt an und fragte fast +unfreundlich: »Was möcht's denn no, Handschuasterin? Habt's leicht ebbs +vergessn?« + +»Naa, i han nix vergessn; geh, Lenei, gehn ma wieder!« erwiderte die +Großmutter und ging mit mir aus dem Haus. Nun mußten wir doch zum +Huberwirt; denn die Verwandten hatten schon herumgefragt, wo wir wären. +Als wir in die Gaststube getreten waren, brachte der Huberwirt ein Glas +Rotwein mit Zucker und stellte es vor die Großmutter hin, indem er +sagte: »Handschuasterin, balst es net trinkst, kriagt da Vata dö ewi' +Ruah net!« + +Da tauchte sie eine Semmel darein, sprach aber nichts, und als dann die +Nanni mit ihrem Mann sich zum heimgehen bereit machten und sie einluden, +gleich mitzukommen, da nickte sie nur ein paarmal mit dem Kopfe und +stand auf. Der Huberwirt aber ließ seinen großen Schlitten, auf dem +sonst das Bier oder Getreide gefahren wurde, herrichten und einspannen: +»Oes werd's ja a so glei all' z'samm auf Hasla' fahrn, net? I han enk +mein Schli'n eing'spannt, daß d'Handschuasterin net z'geh braucht. A +paar Deckn han scho drobn zum Einwickeln!« + +Wir fuhren also alle zusammen zur Nanni; diese kochte Kaffee, und in der +gemütlichen Wohnstube wurde auch die Großmutter wieder etwas gefaßter; +ja, sie fing sogar an, einiges über den Großvater zu erzählen. Man hatte +ihr eine nette Kammer zu ebener Erde angewiesen und diese auch geheizt. +Spät am Nachmittag, als es Zeit wurde, auf die Bahn zu gehen, denn wir +mußten abends wieder zu Hause sein, führte die Nanni uns noch in diese +Kammer, um uns zu zeigen, daß die Großmutter bei ihr gut aufgehoben sei. +Auch mich beruhigte diese Fürsorge und ich sagte noch beim Abschied zu +ihr: »Großmuatterl, du brauchst koa Angst z'habn wegn der Nanni; dö mag +di scho!« Ich blieb noch bei ihr in der Kammer und half ihr ihre +Habseligkeiten ein wenig ordnen. Dann legte sie sich ins Bett und +schlief bald ein. Ich hatte ihr noch leise Lebewohl gesagt, die andern +aber ließ ich nicht mehr zu ihr. + +Gegen Abend fuhren wir wieder in dem Schlitten zur Bahn und hierauf +heim. + +In München erst sprach ich einiges mit den Verwandten; denn während der +Fahrt war ich still und teilnahmslos in der Ecke gesessen, während es um +mich summte und schwirrte von der lebhaften Unterhaltung. + +Nach der Ankunft ging die ganze Verwandtschaft noch in unsere +Wirtschaft, wo sie von meinem Vater mit Freibier und einem guten Mahl +bewirtet wurden. + + * * * * * + +Kaum ein halbes Jahr nach dem Tode meines Großvaters kam eines Tages +meine Großmutter und beklagte sich bitter über die rohe Behandlung, die +ihr bei der Nanni und deren Mann widerfahre. Laut weinend wünschte sie +sich den Tod und wollte nicht mehr zurück, sondern zu dem neuen Besitzer +ihres Hauses, um bei ihm im Austrag zu bleiben. Meine Mutter suchte ihr +dies wieder auszureden und wollte sie bei sich behalten; denn, meinte +sie, um die tausend Mark, die der Nanni für die Verpflegung der +Großmutter zugekommen waren, könnte die alte Frau gerade so gut bei ihr +sein, und es ginge ihr gewiß gut. Auch der Bruder meiner Mutter lauerte +auf die tausend Mark, und es entspann sich bald ein heftiger Streit +unter ihnen, wer die Großmutter bekäme. Doch erkannte diese gar bald die +wahre Ursache jener plötzlichen Bereitwilligkeit und fuhr wieder zur +Nanni. Diese hatte gehofft, daß die Großmutter den Vater höchstens +etliche Monate überleben würde und war voll Verdruß, als sie sah, daß +die Frau nach einem und nach zwei Jahren immer noch lebte. So behandelte +sie sie nicht zum besten und mißgönnte ihr sogar das wenige, womit sie +ihr Leben fristete. Oft schlich dann die alte Frau, wenn sie vom Grabe +ihres Mannes kam, in ihre ehemalige Heimstatt und klagte der neuen +Besitzerin ihre Not. Diese, eine mit vielen Kindern gesegnete, +kränkliche Frau hatte viel Mitleid mit ihr und behielt sie oft tagelang +bei sich. Da mag sie wohl manchmal mit Bitterkeit diese seltsame Fügung +bedacht haben, daß sie, die auch den Ärmsten Heimat bot um Gottes +willen, nun selbst heimatlos und der Willkür ihrer Kinder preisgegeben +war. + +Als sie dann nach langem Leiden durch einen Schlaganfall gelähmt worden +und ganz auf die Handreichungen ihrer Stieftochter angewiesen war, kamen +harte Tage für sie. Hilflos lag sie in ihrem Bett, so erzählt man, und +niemand kümmerte sich um sie; man ließ sie hungernd und starrend vor +Schmutz im eigenen Kot liegen. Und als um diese Zeit ihr Schwiegersohn +sein Haus verkaufte und ein neues Anwesen übernahm, wurde die kranke +Frau, obwohl es Winter war, mit ihrem Bett zu oberst auf den mit Möbeln +beladenen Leiterwagen gebunden und so den weiten Weg auf der holprigen +Landstraße nach dem neuen Wohnort gefahren. Bald nach dieser Reise starb +sie, und als sie tot war, wollte niemand das Begräbnis zahlen. Die +Kinder, die damals sich um die Pflege der Lebenden gestritten hatten, +fanden alle erdenklichen Ausreden, um der Toten ledig zu bleiben, und +endlich mußte die Gemeinde sie auf ihre Kosten begraben lassen. Doch kam +meine Mutter zum Begräbnis und brachte große Kränze mit. Danach aber gab +es heftigen Streit um die letzte Habe der Verstorbenen; denn die Nanni +hatte alles schon beiseite geschafft. + + + + + + +Mit der Geburt des Ludwigl, meines dritten Stiefbruders, hatten auch die +letzten an die Kindheit erinnernden Spiele und Freuden ein Ende, und ich +mußte nun von früh bis spät arbeiten, um alles recht zu machen. Trotzdem +gab es manchen stürmischen Tag mit der Mutter, die in einemfort haderte +und schalt und es an Züchtigungen nicht fehlen ließ. Zu all dem wurde +ich seit dem Tode meines Großvaters von einer großen Schwermut und +Traurigkeit befallen, so daß ich mir nicht mehr viel aus meinem Leben +machte. Doch fand ich in dieser schweren Zeit einen Trost in meiner +Stimme. Unser Pfarrer veranlaßte meine Aufnahme in den Kirchenchor, +nachdem ich schon etliche Jahre in der Zentralsingschule ausgebildet +worden war. Bald durfte ich bei den Gottesdiensten Solo singen, und das +Bewußtsein, einmal öffentlich anerkannt zu sein, bereitete mir so hohe +Freude, daß ich darüber selbst den Neid meiner Kolleginnen vergaß. + +So sang ich auch einmal aushilfsweise bei einer großen Vereinsfeier, an +der auch der würdige Prälat und Pfarrer Huhn von der Heiliggeistkirche +teilnahm. Als dieser meine Stimme gehört hatte, ließ er mich zu sich +kommen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ein braves +Pilgermädchen bei der Münchner Wallfahrerbruderschaft zu werden und an +den heiligen Stätten zu Andechs, Altötting und Grafrath Gottes und Mariä +Lob zu singen. Ich sagte hocherfreut zu und holte mir sogleich von +meiner Mutter die Erlaubnis, die sie mir in Anbetracht ihrer frommen +Gesinnung nicht verweigerte. Also durfte ich noch im selben Jahr an den +großen, volkstümlichen Wallfahrten als Pilgermädchen teilnehmen. + +Die schönste und auch am feierlichsten begangene war die nach dem +uralten, weltberühmten Gnadenorte Altötting. Da ich immer schon eine +große Liebe zur Mutter Gottes getragen, konnte ich den Tag der Fahrt +kaum erwarten. Schon wochenlang vorher mußte ich mit den anderen +Sängerinnen zahlreiche Marienlieder einstudieren, und wir betrachteten +die Generalprobe schon als ein kleines Fest; denn da kam die ganze +Geistlichkeit, an ihrer Spitze der hochwürdige Herr Prälat Huhn, der +selbst ein eifriger Pfleger und Förderer des Gesanges war, sowie der +ehrwürdige Präses des Wallfahrervereins, Benefiziat Stein, ein Mann, so +recht, wie man sagt, nach dem Herzen Gottes: so schlicht und +uneigennützig, so ganz aufgehend in seinem Beruf. Wir Pilgermädchen +hingen daher mit großer Liebe an ihm und fühlten uns immer hochbeglückt, +wenn er einige von uns aus dem Haufen hervorholte, am Ohrläppchen zupfte +und fragte: »San d'Stimmbandln alle guat g'schmiert, Kinder? Sonst müaß +ma s' halt no schmiern z'vor!« Und damit brachte er eine riesige Tüte +voll Malzzucker aus seiner hinteren Rocktasche, die durch die vielen +Näschereien, welche er uns immer zu schenken pflegte, schon so +mitgenommen und ausgeweitet war, daß sie samt dem Rockfutter weit unter +den Schößen des abgetragenen Gehrocks hervorlugte. Im übrigen war er von +einer angenehmen Natürlichkeit, wenn er bei der Neuaufnahme eines +Pilgermädchens auf die Unschuld zu sprechen kam. Man konnte ihm ohne das +lästige Gefühl einer falschen Scham, die durch das aufdringliche Fragen +mancher Seelsorger einem so leicht den Mund verschließt, alle begangenen +Torheiten erzählen. Ich weiß nicht, wie er schwerere sittliche +Verfehlungen behandelte; was meine Jugendsünden anlangt, so meinte er +darauf nur: »So, dös is brav, daß d's Kleidl no net z'rissn hast, Kind; +a bisl staubig is scho, dös is wahr, aber dös putzt ma halt mit an +frommen, reuigen Seufzer wieder weg, gelt! Und jetzt gibt ma schö +Obacht, daß oan nix mehr passiert als Marienkind.« + +Am Vorabend des für die Wallfahrt ausersehenen Julisonntags hatte die +Mutter zur allgemeinen und besonderen Reinigung schon ein Bad bereitet, +während ich meine Seele durch eine sehr gewissenhafte Beichte von allem +anhaftenden Staub zu befreien suchte. Am Abend durfte ich schon früh zu +Bett gehen, um andern Tages zeitig munter zu sein. Schon um halb vier +Uhr war ich aus den Federn und lief ans Fenster, zu sehen, ob das Wetter +schön sei. Doch grau und neblig war der ganze Himmel, und ich begann, +während ich die »Uniform unserer lieben Frau« anzog, immer dieselben +Worte vor mich hinzusagen: »Liebste Mutter Gottes mein, laß doch heut +gut Wetter sein!« Derweilen war auch die Mutter aufgestanden und half +mir nun beim Ankleiden. Über das weiße Kleid kam ein himmelblaues +Schulterkräglein und vor die Brust ein großes silbernes Herz, das an +einem blauen Bande hing, und nachdem die Mutter mir das weißblaue +Kränzlein ins Haar gedrückt, nahm ich den langen Pilgerstab mit dem +silbernen Kreuz und eilte nach einem raschen »Pfüat Gott, alle +mitanand!« aus dem Haus, der Kirche zu, verwundert angeglotzt oder auch +derb angerufen von heimkehrenden Nachtlichtln oder verschlafenen +Bäckerjungen. Besonders am Marienplatz wäre ich beinah von einer Rotte +frecher Burschen, die mit ihren Dirnen aus dem »Ewigen Licht« +herausstritten, mißhandelt worden; doch kamen mir etliche Leute, die wie +ich an der Wallfahrt teilnehmen wollten, zu Hilfe. + +Mächtig brauste schon die Orgel, als wir in das Gotteshaus traten, und +rasch begab ich mich auf den Chor, wo schon die meisten Sängerinnen +versammelt waren. Nach einem herrlichen Hochamt feierte die ganze +Pilgerschar, wohl mehr als fünftausend, die Generalkommunion. Der +Eindruck war für mich ein so überwältigender, daß ich nur mit größter +Mühe das ergreifende Marienlied, dessen Soli mir übertragen waren, zu +Ende brachte. Und als dann endlich wir Pilgermädchen, ungefähr +zweihundert an der Zahl, uns gemessen und in tiefer Andacht dem Tisch +des Herrn nahten, während ein bestellter Knabenchor uns ablöste, ging +eine große Bewegung durch das Gotteshaus, und manche Träne unseres +greisen Pfarrers fiel in den Kelch, aus dem er uns das Brot des Lebens +reichte. Der heilige Vater Leo und unser geliebter Erzbischof Antonius +von Thoma hatten uns noch ihren Segen übermitteln lassen, und nach +diesem feierlichen Akt traten wir unter dem Geläute sämtlicher Glocken +unsere Wallfahrt an. + +Voran schritten wir Pilgermädchen, und die kräftigsten von uns trugen +unsere Fahnen und die Statuen unserer Patrone, der Mutter Gottes, des +Erzengels Raphael mit dem Tobias und des heiligen Aloysius. Unter +Liedern und Gebeten ging es durch die Straßen der Stadt zum Ostbahnhof, +von wo aus uns ein Sonderzug rasch nach Mühldorf brachte. Im Zuge +erzählte uns unser Präses mit großer Einfachheit von Gnadenbezeigungen +Mariens, besonders von jenen gegen Kinder und Jungfrauen. + +Von Mühldorf aus gingen wir nach einem einfachen Frühstück zu Fuß nach +dem Gnadenort, den wir gegen Mittag erreichten. Empfangen von dem +Geläute sämtlicher Glocken, dem Jubel der Bewohner, der Geistlichkeit, +des ansässigen Ordens und einer Musikkapelle, betraten wir den geweihten +Ort und begrüßten die Gnadenvolle, ein jeder nach Drang des Herzens oder +Größe des Kummers, den er hier am Gnadenaltar niederlegen wollte. Meiner +hatte sich eine fast überirdische Stimmung bemächtigt und ich fühlte +mich so frei und aller Sorge ledig, daß ich nur ganz verklärt das alte, +mit unsäglich vielen und köstlichen Kleinodien aller Zeiten geschmückte +Gnadenbild anschauen konnte, während meine Lippen mechanisch murmelten: +»O Maria, hilf doch mir; es fleht dein armes Kind zu dir. Im Leben und +im Sterben laß meine Seele nicht verderben.« Nach langer Zeit erst fiel +mir eins nach dem andern ein, was ich gern von der Mutter Gottes erlangt +hätte. + +Inzwischen hatten die Pilger sich in Gruppen geteilt, die einen weilten +im Kloster, die andern in den verschiedenen Kirchen des Ortes. Draußen +vor der Gnadenkapelle aber hatten jene, die besonders viel von der +Gnadenreichen erlangen oder für irgend eine geheime Schuld Sühne tun +wollten, eins der zahlreich daliegenden Holzkreuze auf die Schulter +geladen und schleppten dieses nun, bald aufrecht gehend, bald auf den +Knien rutschend, laut betend und weinend um den sogenannten Kreuzgang. +Ich weiß nicht, wie es kam und was ich wollte: kurz, ich befand mich +plötzlich unter den Kreuztragenden; da das massive Eichenkreuz aber +meiner Schulter ziemlich weh tat, ließ ich es bei dem dreimaligen Umgang +bewenden und übergab mein Kreuz einer dicken Frau, deren böse Zunge weit +und breit gefürchtet war. Mit einigen Freundinnen besah ich mir dann den +ganzen Ort, die Kirchen, das Kapuzinerkloster und den Markt für +Wallfahrtsandenken und verwunderte ich mich über den üppigen Handel und +die Gewinnsucht an dieser frommen Stätte. Dazwischen sorgten wir auch +für des Leibes Notdurft; denn es war alles schon vorausbestellt worden +von unserm vorsorglichen Präses. Den Tag beschloß noch eine schöne Feier +mit Illumination der Kapelle, und nach einem einfachen Nachtmahl begaben +wir uns in unsere Schlafkammern. Die Vermögenderen hatten sich ein Bett +für sich allein gesichert; die Ärmeren aber mußten je zwei in einem Bett +schlafen. Da mir meine Mutter die Ausgabe für ein eigenes Bett nicht +bewilligt hatte, so mußte ich es mit einer Mitschwester teilen. Ich +fragte daher meine liebste Freundin, ob sie mich als Störenfried wolle. +Sie war gern bereit, und so verbrachten wir die Nacht unter Flüstern, +Kichern, Scherzen und Kosen. + +Der neue Tag brachte wieder viel des Erbaulichen und Ernsten, doch wurde +ich zuletzt müde von allem und war froh, als am Dienstag in der Früh das +Schlußamt mit Generalkommunion am Gnadenaltar gefeiert wurde. Als aber +hierbei am Chor plötzlich die kindlichen Stimmen von etwa zwanzig Knaben +an mein Ohr tönten und sie das uralte Abschiedslied von der »schwarzen +Mutter Gottes« sangen, ward es mir schwer ums Herz und ich konnte mich +kaum losreißen von dem Gnadenbilde. Ganz traurig schloß ich mich den +andern an und brachte beim Singen kaum mehr einen Ton heraus. + +So kam es, daß ich recht niedergeschlagen daheim ankam und ernste +Vorwürfe von meiner Mutter wegen meiner scheinbaren Undankbarkeit zu +hören bekam. + + * * * * * + +War ich schon vorher nicht gerne in der Gastwirtschaft tätig gewesen, so +hatte ich jetzt, seit ich Pilgermädchen war, die ganze Freude an dem +öffentlichen und lauten Leben verloren; doch wurde ich von meiner +Mutter, trotzdem sie so religiös schien, fest angehalten, überall, wo es +vonnöten war, einzuspringen. Bald war ich in der Küche das Spülmädchen +oder die Köchin, bald in der Gaststube die Kellnerin; denn da die Mutter +oft recht grob mit dem Dienstvolk war, lief bald die eine oder andere +wieder weg. Am meisten zuwider war mir der Aufenthalt in der Gaststube; +denn war ich bei den Gästen ernst und schweigsam, so schalt die Mutter, +daß ich ihr die Leute vertreibe; war ich aber freundlich und heiter, so +nützten das viele rohe und wüste Kerle aus und belästigten mich nicht +nur mit allerhand Zoten und zweideutigen Fragen, sondern quälten mich +manchmal in der unsaubersten Weise, indem sie mich an den Beinen faßten, +Küsse verlangten oder sonstige aufdringliche Zärtlichkeiten versuchten. + +Kam ich dann also gehetzt zur Mutter und klagte ihr solche Dinge, so +wurde sie sehr erbost und schalt mich heftig, daß ich mich nicht zu +benehmen wisse: »Was muaßt di denn hi'stelln dafür? Scham di; bist +fufzehn Jahr alt und no so dumm! Da sagt ma halt, i hab jatz koa Zeit +und geht freundli weg!« + +Oft dachte ich über diese Worte nach und versuchte mich danach zu +richten; doch waren alle meine Bemühungen, die Zudringlichkeiten solcher +Burschen mit Liebenswürdigkeit abzuwehren, erfolglos, und ich fürchtete +ständig, meine Unschuld zu verlieren. Da faßte ich am Ende den +Entschluß, meinem Beichtvater diese Vorfälle mitzuteilen, ich hatte aber +nicht den Mut, dem alten Kooperator, der immer noch mit Vorliebe nach +den Heimlichkeiten seiner Beichtkinder fragte, davon zu erzählen. + +Da kam ein neuer Geistlicher an unsere Pfarrei, der noch sehr jung war +und erst vor kurzem seine Primiz gefeiert hatte. Diesem beichtete ich +nun ausführlich und er sprach mir gut und freundlich zu, fragte mich nur +wenig und gab mir am Schluß noch viele Ratschläge. Ich war sehr beruhigt +nach dieser Beichte und ging nun regelmäßig zu ihm. Bald wurden wir auch +wegen des Singens näher bekannt, und ich besuchte ihn des öfteren in +seiner Wohnung. Dabei entwickelte sich zwischen uns bald eine Art +Freundschaftsverhältnis und ich fand bei ihm Trost und Zuspruch, wenn +ich ihm erzählte, wie es mir daheim erging. Als er nach kurzer Zeit in +eine andere Pfarrei versetzt wurde, wurde ich durch seine Vermittlung an +dieser Kirche erste Sopranistin und Solosängerin. Als auch hier die +Besuche ihren Fortgang nahmen, wußte ich bald, daß ich ihn liebte, und +ich mußte mich oft mit aller Gewalt zusammennehmen, um ihm das nicht zu +sagen; denn ich sah wohl, daß auch auf seiner Seite eine Neigung war. +Doch immer wußte er sich zu beherrschen und verstand auch meine Gefühle +im Zaum zu halten. Wie oft stand ich zitternd vor ihm und sah ihn mit +den verliebtesten Augen an oder küßte stürmisch seine Hand. Dann blickte +auch er mich freundlich an, streichelte mir die Wange und sagte: »Ja, +ja, Kind, du bist halt mei Singvogel! ... Was schaust denn no? ... Ja +so, a Bildl magst no, gel!« worauf ich hochrot, mit leiser Stimme +entgegnete: »Ja, bitt schön, Herr Hochwürden!« + +»So Kind, such dir eins aus. Magst na an Kaffee aa?« + +In meiner Verwirrung vermochte ich ihm keine rechte Antwort zu geben. + +Da rief er der halbtauben Wärterin: »Lies, mein' Kaffee!« und zu mir +gewendet fuhr er fort: »Woaßt, Kind, i hab aber bloß oa Taß. Trinkst +halt du z'erst den dein', gel!« und damit führte er mich zum Kanapee, +setzte sich zu mir und plauderte von erbaulichen Dingen. Ich aber hörte +kaum zu, sondern betrachtete unausgesetzt seine Hände und Knie und +dachte nur den einen Gedanken: »Wann i dich nur bloß ein einzigs Mal so +viel lieb haben dürft!« + +Da brachte er mich mit den Worten: »Hast aber aa g'nug Zucker drin?« +wieder zu mir selber, worauf er den Kaffee versuchte, mir noch ein +Stücklein hineintat und mich trinken hieß. + +Als ich getrunken hatte, meinte er: »So, Kind, jetzt hast von mir an +Kaffee kriegt und a Bildl. Was kriag jetzt i?« + +Da dachte ich voller Ängsten, er würde sagen: »Ein Bußl,« aber er fuhr +fort: »Gel, jetzt kriag i dafür a recht a schöns Lied; aba koa heiligs, +denn di hör i so allweil!« + +Da sang ich das Lied von dem Dirndl, das um Holz in den Wald geht, ganz +zeiti in der Fruah und dem sich nachischleicht a saubrer Jagasbua. + +Als ich die erste Strophe gesungen hatte, wobei er mich am Harmonium +begleitete, meinte er: »Ah, dös war aber schö; aber recht arg verliabt. +No, es macht nix; von den Wirtstöchtern woaß ma's scho, daß was solches +aa lernen. Kannst no mehr von dem Liedl?« + +»Bloß noch eine Stroph', Herr Hochwürden! Aber die is no verliabter.« + +»Dös macht nix, Kind Gottes, sing nur weiter!« + +Da sang ich: + + Drauf sagt der Jaga zu der Dirn, + Geh, laß dei Asterlklaubn; + I möcht so gern mit dir dischkriern + Und dir in d'Äugerln schaugn. + Das Dirndl sagt: Dös ko net sei, + Daß du mir guckst in d'Augn, + Denn d'Jaga derfan, wia i woaß, + Ja nur ins Greane schaugn. + +Da läutete es. Er sah nach, und eine alte Betschwester stand an der Tür; +da hieß er sie warten und verabschiedete mich mit den Worten: »Jetzt +muaßt geh, liabs Kind, jetzt haben d'Mauern Ohren kriagt.« Damit schob +er mich durch sein Schlafzimmer an die Tür, und während ich heraustrat, +sah ich ihn schon die alte Frau empfangen. + +Doch nicht lange mehr dauerten diese Besuche; denn er wurde abermals +befördert und kam als Benefiziat in ein geistliches Institut. + +Als ich dann von ihm Abschied nahm und ihn zum letztenmal um seinen +Segen bat, stand er ergriffen auf und trat zum Weihbrunnkessel, während +ich vor ihm niederkniete. Plötzlich aber umfaßte ich seine Knie und +preßte mein Gesicht daran, indem ich laut weinend rief: »O mein lieber, +lieber Hochwürden!« + +Da machte er ganz ruhig seine Knie frei, zog mich in die Höhe und sagte, +indem er meinen Kopf zwischen seine Hände nahm: »Kind, geh jetzt, es +wird Zeit, du mußt hoam,« und dabei rannen ihm ein paar Tränen über die +Wangen. Da ergriff ich nochmals seine Hand, küßte sie drei-, viermal +heftig und lief dann davon. + +Auf der Straße schaute ich noch einmal um. Da stand er am Fenster und +winkte mir freundlich zu. + +Einmal noch sah ich ihn, ohne aber mit ihm reden zu können; denn es war, +als wir uns eben in feierlicher Prozession zur Wallfahrt nach Grafrath +auf den Weg machten. Er stand mit einer alten, ehrwürdigen Dame, die +wohl seine Mutter sein mochte, an einer Straßenecke, und ich mußte hart +an ihm vorbei. Als er mich erblickte, huschte es wie große Freude über +sein Gesicht, und lächelnd nickte er mir einige Male grüßend zu und +wandte sich danach schnell zur Seite. Ich war über dieses Wiedersehen, +so flüchtig es war, sehr beglückt und dachte während der Wallfahrt viel +an ihn und empfahl ihn an der dem heiligen Rasso geweihten Stätte +inbrünstig der Fürbitte dieses Heiligen. + + * * * * * + +Fröhlich kehrte ich von dieser Pilgerfahrt zurück und nahm mir vor, den +Freund an einem der nächsten Tage aufzusuchen. Doch ich kam nicht dazu; +denn daheim fand ich meine Brüder an Diphtherie erkrankt. + +Indem ich sie noch pflegte, wurde ich selbst davon ergriffen und konnte +erst nach Wochen das Bett verlassen. + +Als ich aufgestanden war, versuchte ich sofort wie zuvor mich wieder um +das Hauswesen zu kümmern. + +Da dies die Mutter sah, hielt sie mich schon für gesund und trug mir +daher mehr auf, als ich leisten konnte. So kam es, daß ich wieder +täglich kränker wurde und endlich vor Mattigkeit mich alle Augenblicke +niedersetzen oder anlehnen mußte. Das nahm man aber für Faulheit, und +besonders die Mutter beklagte sich darüber: »Nur schö langsam! Heut a +Trumm, morgen a Trumm! Bis i an Steckn nimm und zoag dir, wie ma arbat!« + +Ich nahm mich nun recht zusammen; doch während ich das Schlafzimmer +meiner Eltern aufräumen wollte, befiel mich wieder eine solche +Müdigkeit, daß ich mich aufs Sofa setzen mußte, um zu rasten. Ich +schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter mir einige Schläge auf +den Kopf gab; denn es war inzwischen Mittag geworden und sie kam, +frische Servietten für die Stammgäste zu holen. Voll Zorn schrie sie +mich an: »Da hört si do scho alles auf! Mittn am Tag legt si dös faule +Luder hin und schlaft, anstatt z'arbatn! Aber wart, i hilf dir! +Augenblickli wichst ma jetzt den Schlafzimmerboden; und sauber wann net +alles is, dann Gnade Gott! Jatz is elfe; um zwoa komm i rauf, da will i +alles ferti sehgn!« + +Mir war ganz dumm im Kopf, aber ich begann trotzdem wieder zu arbeiten. +Als ich etwa ein Drittel des Zimmers mit Stahlspänen abgerieben hatte, +drehte sich plötzlich alles vor meinen Augen und ich wußte nichts mehr. + +Lange muß ich so dagelegen sein; denn kaum hatte ich wieder zu arbeiten +begonnen, schlug es zwei Uhr. Ich war vor Schrecken ganz ratlos, denn +ich hörte die Mutter kommen. Als sie sah, wie wenig ich gearbeitet +hatte, schrie sie: »Was, du bist no net ferti! Ja, da is ja no net amal +richti o'g'fangt! Du willst mi, scheint's, zum Narren haltn, du +Kanallje!« Dabei trat sie mich mit Füßen und riß mich an den Haaren in +die Höhe. + +Mühsam fing ich wieder an zu arbeiten, während die Mutter an den +Waschtisch gegangen war und sah, daß ich das Wasser noch nicht +ausgeleert hatte. Da schrie sie: »Ja, was is denn dös! Net amal +d'Waschschüssel hat s' ausg'leert und a frisch Wasser reitragen!« + +»Ja mei, i hab ma's ja net z'tragen traut, die teure Schüssel, weil mi +alle Augenblick der Schwindel anpackt.« + +»Was Schwindel! Dir treib i dein' Schwindel aus. Sofort leerst die +Schüssel aus! I möcht wissen, für was ma dir z'fressn gibt, du +langhaxats G'stell!« rief sie und stieß mich an den Waschtisch. + +Ängstlich faßte ich die schöne Schüssel, die von zarter, himmelblauer +Farbe war, mit einem goldenen Rand, und eine Muschel darstellte. Im +Innern war ein Bild, das zwei Mädchen in fremder Tracht zeigte, die am +Meeresstrand standen und einen in einem Segelboot sitzenden Burschen aus +flachen Schalen mit Wasser bespritzten. Den Krug schmückte eine ähnliche +Szene; das Geschirr war alt und kostbar und der Name des Künstlers stand +darauf geschrieben. + +Schwankend trug ich also die Schüssel durch das Zimmer, als ich +plötzlich einen Stoß verspürte, worauf ich zu Boden stürzte. Die Mutter +hatte es getan; denn ich war ihr zu langsam gegangen. + +Starr blickte ich erst auf die Wasserlake, dann auf die Scherben und +vergaß, aufzustehen, bis mich die Mutter mit dem Ochsenfiesel des Vaters +daran erinnerte. + +Eine halbe Stunde später, als ich, die blutigen Striemen an meinem +Körper betrachtend und vor Schmerzen an Brust und Rücken stöhnend, +bemüht war, das Unheil wieder gut zu machen, ging die Mutter fort mit +der Drohung: »Dawerfa tua i di, wenn i net die gleiche Schüssel kriag!« + +Ich hielt das letztere für ausgeschlossen bei der Kostbarkeit derselben +und zog deshalb meinen Regenmantel an und schlich mich, nachdem ich aus +meiner Sparbüchse noch etwas Geld zu mir gesteckt hatte, davon. + +Planlos und ohne an etwas zu denken, lief ich durch die Nymphenburger +Straße hinaus über Laim und befand mich endlich auf der Straße, die nach +Großhadern führt. Die Sonne war schon im Untergehen und über den Feldern +stand ein leichter Nebel; denn es war schon im Spätsommer. + +Ich blieb stehen und sah mich um. Da durchfuhr mich ein kalter Schauer, +und als ich weiter gehen wollte, wurde mir schon nach wenigen Schritten +so übel, daß ich mich erbrechen mußte und danach ohnmächtig auf der +Landstraße hinfiel. + +Spät abends fand mich ein Bauer, der Milch nach der Stadt gefahren hatte +und jetzt auf dem Heimweg war. Der hob mich auf und brachte mich mit +seinem Fuhrwerk nach Großhadern und lud mich bei einem großen Wirtshaus +ab. Die Wirtin brachte mich freundlich zu Bett und befahl einer alten +Frau, daß sie die Nacht über bei mir bleibe. Sie selbst kam am andern +Tag und fragte mich mitleidig, wo ich in diesem Zustand denn herkomme +oder hinwolle. Da erzählte ich ihr mein ganzes Unglück und bat sie, sie +solle mich doch bei sich behalten, ich sei eine Wirtstochter und könne +ihr viel helfen. + +»Ja, mei liabs Kind,« meinte die gute Frau, »deine Leut wer'n halt recht +Sorg um di habn und di wieder z'rückverlanga; denn dös kann do net sei, +daß a Muatter so schlecht is.« + +Weinend wiederholte ich meine Bitte und beruhigte mich erst, als sie mir +versprach, mich in ihren Dienst zu nehmen: »Aba z'erscht muaßt wieder +g'sund wer'n. Drum bleibst heut lieber no liegn. Vielleicht kann ma +morgn mehra sagn.« + +Gegen Abend hielt ich es nicht mehr im Bett aus und ging zu der Wirtin +in die Küche und fragte sie, ob ich ihr was helfen könnte. + +»Ja mei, Kind, in dem Zuastand! Sitz di liaber ins Nebenzimmer und iß +was G'scheits. Du schaust ja aus wie inser liaber Herr am Kreuz!« Damit +nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins Nebenzimmer, wo an einem +Tisch fünf oder sechs Herren beisammen saßen und mich verwundert +ansahen. + +»Wen bringen S' denn da, Frau Obermeier? Dös is g'wiß a Basl,« fragte +einer, während ein anderer hinzufügte: »Jess Maria, is dös Madl kasi! Is +'leicht krank?« + +»Ja mei, Herr Oberförster,« sagte die Wirtin, »dös is a g'spaßige +G'schicht!« und sie erzählte die Sache den Herren, von denen einer der +Bürgermeister, ein anderer der Arzt und ein dritter der Herr Benefiziat +war. + +Nachdem die Wirtin meine Geschichte erzählt hatte, bestürmten sie mich +mit allen möglichen Fragen; doch der Arzt sagte: »Laßt's dem armen Kind +sei Ruh, meine Herrn! Ma sieht's ja auf den ersten Blick, daß 's +schwerkrank is ... Geh amal her, Fräulein, und laß dir in'n Hals +neischaun! ... Ach, herrjesses,« schrie er da, »wie schaut's da drin +aus, und so ham s' di rumlaufa und arbat'n lassen. A so a Bagasch g'hört +do scho glei o'zoagt!« + +»Und sie möcht zu mir in Dienst gehn!« rief die Wirtin dazwischen. + +»Sonst nix mehr,« schrie der Bürgermeister, »ins Krankenhaus g'hörst! +Net wahr, Herr Doktor?« + +»Allerdings wär's das beste, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das +Mädel a starke Lungenentzündung kriagt auf dö Strapazen.« + +Da sagte der Herr Benefiziat: »Wie heißt du denn eigentlich und woher +bist du?« + +Als ich es ihm gesagt, fragte er weiter: »Moanst wirkli, daß di dei +Muatter totschlagt?« + +»Ja, i glaab scho; denn halbert umbracht hat s' mi a so scho.« + +Da lachten sie alle, bis der Herr Benefiziat wieder ganz ernst fortfuhr: +»Es ist doch a Sünd und a Schand, wie heutzutag mit den armen, ledigen +Kindern umgegangen wird. Z'erscht setzt ma's her, dann gehn s' oan im +Weg um. So ein Weibsbild g'hörat doch schon an die Zehen aufg'hängt und +mit Brennesseln g'haut!« + +»Ganz recht, Herr Benefiziat, früher hat ma aufgramt mit solchene Leut, +aber heutzutag baun s' eahna ja extrige Häuser, daß sie s' leichter auf +d'Welt bringa eahnane armen G'schöpferln!« rief der Tierarzt, und der +Bürgermeister sagte: »Jetzt ham's mir da! Was tean jetzt mir damit? Uns +geht's eigentlich nix o, schiabt's es nur der Münchner G'meinde zua!« + +»Ganz recht, Herr Bürgermeister,« sagte der Oberförster, »für dös arme +Deanderl is am besten, wenn's z'Münka ins Krankenhaus geht, bis g'sund +is. D'G'meinde soll's nur zahln. Die ham mehra wie mir.« + +Ich hatte heftig zu weinen begonnen, so daß die Wirtin rief: »Aber meine +Herren, dös is scho net recht, daß d's ma dem arma Deanderl an solchen +Schrecken einjagt's. Laßt 's es do wenigstens mit Ruah essen!« Damit +führte sie mich an den Tisch und gab mir den Löffel in die Hand, und ich +mußte von dem Kalbslüngerl, das die Kellnerin hingestellt hatte, essen. +Ich brachte aber vor Weinen und Halsweh nichts hinunter. Die Wirtin +kehrte wieder in ihre Küche zurück, während die Herren sich lebhaft über +mich unterhielten. + +Nach einer Weile stand der Herr Benefiziat auf, setzte sich zu mir und +gab mir folgenden Rat: »Liabs Kind, i moan, 's wär's G'scheitste, du +tätst morgen früh von Pasing nach der Stadt fahren, dort auf die Polizei +gehen, die ganze G'schicht anzeigen und dich in ein Krankenhaus schaffen +lassen. Nachher bist gut aufg'hoben und deiner Mutter schiab'n s' +hoffentlich an Riegel vor ihre Brutalitäten.« + +Ich gab ihm keine Antwort und weinte nur. Die Wirtin aber brachte mich +darauf wieder ins Bett und erwiderte mir auf meine Frage, was ich +schuldig sei: »An Vergelt's Gott und an B'suach, wann's dir amal guat +geht.« + +Am andern Morgen stand ich sehr früh auf und ein Milchfuhrwerk nahm mich +wieder mit nach Pasing. Von da fuhr ich mit der Bahn nach München. + +Als ich ratlos vor dem Sterngarten am Bahnhofplatz stand und nicht +wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete mir der Sohn einer im +Haus meiner Eltern wohnenden Familie und sagte mir: »Geh fei net hoam, +Leni! Dei Muatter is in der größten Wut. Die ganze Nachbarschaft hetzt +s' über di auf und sagt dir alles Schlechte nach. Durch d'Gendarmerie +laßt s' di scho überall suacha.« + +Da begann ich zu weinen und fragte ihn um Rat; denn wir hatten uns sehr +gern. Er meinte auch, ins Krankenhaus gehen, wäre das Gescheiteste; doch +zuvor solle ich auf die Polizei, daß man nicht weiter nach mir suche. Er +begleitete mich dann auch dorthin und ging darauf in sein Geschäft. Ich +aber trat in die Einfahrt des Polizeigebäudes und fragte den Gendarm, +der dort auf Posten stand: »Sie, entschuldigen S', bitt schön, wo is +denn da dös Zimmer, wo verlorengangane Personen o'g'meldt wer'n?« + +Er lachte herzlich und gab mir zur Antwort: »San vielleicht Sie verloren +ganga, schön's Fräulein? Dann melden S' Eahna parterre, ganz hinten auf +Zimmer Nummro sieben.« + +Dort fragte man mich nach meinem Begehr. + +»Entschuldigen S', is bei Ihnen ein junges Mädchen angemeldet, dös wo +verlorenganga is, oder vielmehr, dös wo davog'laafa is? Wissen S', i bin +davo von dahoam, weil mi mei Muatter sunst derworfa hätt, weil i +d'Waschschüssel derschlagn hab und Diphtherie hab.« + +Lächelnd führte mich der Beamte in das Zimmer des Polizeiarztes, und als +ich dem meine ganze Geschichte erzählt hatte, untersuchte er mich und +sagte darauf: »Herr Rat, ich bitte Sie, lassen Sie die Ärmste nach dem +Krankenhaus schaffen. Benachrichtigen Sie jedoch die Angehörigen nicht +davon. Recherchieren Sie vielmehr, ob solche Sachen bei dieser Frau +öfter vorkommen; denn so etwas gehört exemplarisch bestraft.« + +Hierauf mußte ich mich ausziehen und ihnen die Beulen und Striemen an +meinem Körper zeigen. Als der Arzt einen großen grünlichen Fleck an +meiner linken Brust bemerkte, rief er: »Unverantwortlich! Ein weibliches +Wesen so zu mißhandeln! Die Megäre denkt gar nicht, welche Folgen das +haben kann!« + +Danach wurde ich in das Krankenhaus an der Nußbaumstraße geschafft, wo +ich alsbald in ein heftiges Fieber verfiel und an einer schweren +Lungenentzündung erkrankte. + +Als es mir besser ging, wollten alle meine Geschichte hören; denn durch +den Polizeiarzt war an unsern Arzt, Doktor Kerschensteiner, schon ein +aufklärendes Schreiben gelangt, und der freundliche Herr hatte in seiner +Entrüstung ganz laut im Saal geschrien: »Die Bestie! Das Schandweib! Und +so was nennt sich Mutter!« + +Nach drei Wochen aber meinte er: »Jetzt müssen wir es doch der Mutter +schreiben, wo Sie sind. Es handelt sich nämlich um die Zahlung, ob das +Ihre Mutter übernimmt oder die Gemeinde.« + +Als ich darauf zu weinen begann, beruhigte er mich mit den Worten: »Sie +müssen nicht Angst haben. Die Frau tut Ihnen nichts. Dafür bin ich auch +noch da.« + +Man schrieb ihr also, und an einem Dienstag nachmittag zur allgemeinen +Besuchsstunde kam sie. Ich lag im ersten Bett, gleich neben der Tür. Sie +blickte im ganzen Saal herum und sah mich lange nicht, nachdem sie mich +aber bemerkt hatte, schrie sie, daß es alle hörten: »So, da bist! Was du +deinen armen Eltern angetan hast, übersteigt alle Grenzen. Da heraußen +muß ma di finden und hätt'st es so schön g'habt dahoam. Hätt dir koa +Mensch was tan!« Dabei brach sie in Tränen aus, ging durch den Saal an +das Fenster und sagte ganz laut und mit schluchzender Stimme: »So ein +ungeratenes Kind! Oan so vui Verdruß z'macha!« + +Die andern Patientinnen, die den wahren Sachverhalt wußten, begannen bei +diesen Worten zu kichern und zu lachen und eine sagte mit komischem +Ernst vor sich hin: »Tja, tja, solchtene Kinder!« worauf im ganzen Saal +lautes Gelächter erscholl. + +Da mußte auch ich lachen, und die Mutter entfernte sich wütend mit den +Worten: »Daß d' di z'ammrichst morgen. Morgen nachmittag hol i di!« + +Am Abend machte der Herr Doktor wie gewöhnlich die Runde, und es wurde +ihm das Vorgefallene berichtet. Da trat er an mein Bett und sagte +lachend: »Ah, Sie leben ja noch! Also ist sie doch nicht so schlimm.« +Als er aber erfuhr, daß ich am andern Tag wieder nach Haus müsse, rief +er: »Unter keinen Umständen! Sie sind noch nicht gesund, und jede +Aufregung, sowie Luftwechsel schadet Ihnen! Ich werde niemals meine +Einwilligung dazu geben.« + +Er mußte sie aber doch geben, als die Mutter am andern Tag unter vielen +Tränen versicherte, ich solle kein unrechtes Wort mehr hören, noch viel +weniger eine Mißhandlung erdulden. + +Nachdem ich ziemlich bedrückt von den Krankenschwestern und den übrigen +Patientinnen Abschied genommen hatte, trat ich mit der Mutter den +Heimweg an. + +Vorerst aber hatte die Mutter an der Kasse noch sechsundneunzig Mark für +meine Verpflegung zu bezahlen, doch ließ sie mich den Ärger darüber +nicht merken. + +Unterwegs in der Trambahn sagte ich ihr, ich wolle nicht mehr heim, +sondern eine Stellung als Dienstmädchen annehmen. Sie schien anfangs +entsetzt darüber, ging aber dann doch mit mir in die Marienanstalt, wo +bessere Stellen für Dienstboten vermittelt wurden. + +Während sie mit der Oberin verhandelte, mußte ich auf dem Korridor +warten. Nach längerer Zeit trat die Mutter heraus und sagte, spöttisch +lächelnd: »So, geh nur nei! Frau Oberin woaß allerhand für di.« + +Mit den besten Hoffnungen trat ich ins Zimmer, gefolgt von der Mutter. +Aber es kam anders, als ich erwartet hatte. + +»Weißt du,« begann die sehr beleibte Oberin, indem sie mit hochrotem, +erzürntem Gesicht vor mich hintrat, »was einem Kind gebührt, das seine +Eltern mit Füßen tritt und das Elternhaus mißachtet und nicht mehr dahin +zurückkehren will? ... Einem solchen Kind gehört nichts anderes, als daß +man es an einen Haken anhänge und mit einem Stock oder Strick so lang +schlage, bis es lernt, das Elternhaus zu schätzen und Vater und Mutter +zu lieben!« + +Als ich dies vernommen, verlangte ich nicht mehr zu wissen und eilte +nach der Tür, riß sie auf und lief davon, heim zum Vater. + +Nachdem dieser mich freundlich empfangen und mir seine Hilfe versprochen +hatte, erzählte ich ihm auch dies mein letztes Erlebnis. Da gab er mir +recht, und als die Mutter heimkam und über mich klagte, sagte er: »Dös +is aa koa G'redats an a krank's Madl hin. Da kann 's freili koa Liab und +koa Achtung lerna bei dera Behandlung. Sei du mit'n Madl, wie es si +g'hört, na werd si bei ihr aa ninx fehln!« + +Darauf brachte mich die Mutter zu Bett und behandelte mich von nun an +gut und freundlich. + + * * * * * + +Inzwischen nahte der Hochzeitstag meiner Eltern wieder heran. Es war der +zehnte, seit sie geheiratet hatten, und auf den gleichen Tag fiel auch +mein Geburtsfest. Ich wurde damals siebzehn Jahre alt. + +Da die Eltern es gern sahen, daß ich ihnen zu den üblichen +Familienfesten meine Glückwünsche darbrachte und auch die Brüder +irgendein Gedichtlein lernen ließ, so beschloß ich, ihnen zu ihrem +zehnten Hochzeitstage eine rechte Freude zu machen. Ich schmückte also +das Nebenzimmer mit Papiergirlanden, stellte ein selbstverfertigtes +Transparent auf und dazu ein Brett, in das ich zehn Nägel schlug und +darauf zehn Wachskerzen befestigte. Auf einen weißgedeckten Tisch legte +ich die Festesgaben, zu denen ich einen eigenen Vers gedichtet hatte. Es +waren ein Paar zierliche Samtpantoffeln für die Mutter und ein +gesticktes Käpplein für den Vater, nebst zwei Blumenstöcken und einem +Kuchen. Auch den Stammgästen teilte ich meine Absicht mit, und sie waren +gern bereit, die Feier noch durch Musik zu verschönern. + +Als nun am Vorabend des Hochzeitstages meine Eltern plaudernd am +dichtbesetzten Stammtisch saßen, ertönte plötzlich im Nebenzimmer Musik +und man brachte ihnen ein Ständchen. Erschrocken sprang die Mutter auf +und lief hinüber. Da erglänzte der also geschmückte Raum im Licht der +Kerzen und des Transparents. Doch, o Wunder! es stand noch ein Brett auf +dem Tisch, an dem siebzehn kleine Lichtlein brannten. Meine Brüder +hatten mich damit überrascht. + +Während die Mutter immer noch starr an der Tür lehnte, war auch der +Vater hinzugetreten, und nun brachte ich meinen Prolog vor, worauf die +Gäste ein dreimaliges Hoch brüllten. + +Dann stand einer von den Stammgästen auf und brachte in umständlicher, +stotternder Rede die Wünsche der Gäste zum Ausdruck und rief zum Schluß: +»Unser wertes Hochzeitspaar und unser liebes Geburtstagskind mögen noch +lange Jahre froh und glücklich sein! Sie leben hoch, hoch, hoch!« + +Da rief die Mutter, der während des Ganzen eine dunkle Röte bis zu den +Schläfen über das Gesicht lief, aus: »Ja, seid's denn alle verrückt +wordn! Was red's denn allweil von zehn Jahr? Mir san do scho zwanz'g +verheirat'!« + +Ich verwunderte mich über diese Rede sehr; denn ich wußte doch bestimmt, +daß der Vater jetzt fünfunddreißig, die Mutter aber achtunddreißig +zählte, und wenn sie nun vor zwanzig Jahren schon geheiratet hätten, so +... Ich schickte mich also an, ihnen dies zu erklären. Da erhielt ich +einen heftigen Stoß von der Mutter, und sie rief halblaut: »Marsch, ins +Bett! Und freun kannst di!« + +Andern Tags aber gab es heftige Prügel dafür, daß ich die Eltern so +blamiert hatte; denn sie wollten es niemand wissen lassen, daß die +Mutter mich schon ledig gehabt. + + + + + + +Jetzt war meine gute Zeit wieder vorbei, und die Mutter quälte mich +wieder ärger denn je. Dabei empfand ich es am bittersten, daß sie mich +oft, besonders zu gewissen Zeiten des Monats, wegen irgend einer +Kleinigkeit, die ich mir hatte zu Schulden kommen lassen, dadurch +strafte, daß sie mir befahl, nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer zu +erscheinen. Dort mußte ich mich dann jedesmal nackt ausziehen und +niederknien, und nun schlug sie unter lauten Schmähungen mit dem +Ochsenfiesel so lange auf mich ein, bis sie vollkommen erschöpft war und +mir das Blut über Arme und Rücken herunterrann. Bei diesen Züchtigungen +waren die Schläge, an die ich mich schließlich auch gewöhnte, nicht so +schmerzhaft als der Umstand, daß die Mutter oft viele Stunden zwischen +meiner Verfehlung und der Strafe verstreichen ließ, während derer ich +das Kommende jeden Augenblick vor mir sah und doch meine Arbeit tun +mußte. + +Dadurch wurde mir das Leben im Hause immer mehr zur Qual und ich +beschloß, auf irgend eine Weise dasselbe zu verlassen. + +Da besuchte uns ein junges Mädchen, welches sich vor seinem Eintritt ins +Kloster noch von einer meiner Basen, die bei uns in Dienst war, +verabschieden wollte. Diese schilderte mir den Beruf und das Leben der +Nonnen so schön, daß ich voller Begeisterung beschloß, ebenfalls ins +Kloster zu gehen. Ich äußerte diesen Wunsch meiner Mutter gegenüber und +sie war ganz wider mein Erwarten einverstanden. Doch wohin? Man +versuchte es im Institut der Englischen Fräulein; doch wies man mich +dort ab, weil ich ein lediges Kind war. Da erfuhren wir durch eine Magd, +deren Schwester schon lange Klosterfrau war, daß der alte Pater Guardian +des Kapuzinerordens in München uns gewiß raten könne; der hätte auch +ihre Schwester ins Kloster gebracht. + +Meine Mutter ging also mit mir dahin und stellte mich dem Pater vor, und +nachdem ich ihm meinen Wunsch, ins Kloster zu gehen, vorgetragen hatte, +meinte er: »Viele sind berufen, aber wenige nur sind auserwählt! Wenn du +wirklich den festen Willen hast, Nonne zu werden, so will ich dir gerne +dazu helfen!« Darauf nannte er mir als die geeignetste Stätte, Gott in +gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt zu dienen, das Kloster +Bärenberg in Schwaben, und nachdem er noch meine Schulzeugnisse geprüft +und mich auch in religiösen Dingen nicht unwissend befunden hatte, +empfahl er mir, dorthin zu schreiben; denn daselbst könne ich Lehrerin, +oder was ich wolle, werden. + +Auf meine Anfrage bei den frommen Frauen dieses Klosters, das dem +heiligen Josef geweiht war, erhielt ich denn auch wirklich den Bescheid, +daß man, obwohl ich schon siebzehn Jahre alt sei und man gewöhnlich nur +jüngere Bewerberinnen zulasse, dennoch gewillt sei, mich als Kandidatin +aufzunehmen; zugleich war dem Schreiben ein Zettel beigelegt, der alles +enthielt, was mir zu wissen vonnöten war und auch was ich an Garderobe, +Wäsche und dergleichen brauchte. + +Als Tag meines Eintrittes war der fünfte Dezember, der Todestag meines +Großvaters, ausersehen und ich erwartete ihn sehnsüchtig und mit großer +Aufregung. + +Die letzte Nacht vor meinem Scheiden aus dem elterlichen Hause schlief +ich nur wenig, und als mich am frühen Morgen die Mutter aus den Federn +holte, war ich in ganz seltsamer Stimmung. Verflogen war alle Lust und +Freude, und ich wäre viel lieber im Bett geblieben, statt mich für die +Reise bereit zu machen. Da ich nun aber einmal daran glauben mußte, +kleidete ich mich rasch an. Bald trat auch schon die Mutter reisefertig +in die Stube, und nachdem ich meinem Vater und den Geschwistern Lebewohl +gesagt, machten wir uns auf den Weg. Oftmals blickte ich noch zurück auf +unser Haus, und als wir durch die menschenleeren Straßen dem Bahnhof +zueilten, nahm ich noch Abschied von den alten Frauentürmen, die +freundlich aus dem Frühnebel grüßten. + +In der Eisenbahn gab mir die Mutter noch allerhand Ratschläge und meinte +zum Schluß: »Kost's, was's mag, wannst nur recht a brave Klosterfrau +wirst! Schickn tean ma dir alles, was d'magst, brauchst bloß z'schreibn. +Aber aushaltn mußt und drinn bleibn! Net, daß d'auf amal nimma magst und +kommst ma daher; da tät's spuckn!« + +Nach dieser Rede verstummte sie, und auch ich lehnte mich schweigend in +meine Ecke. + +Verschneite Wiesen, Wälder und Ortschaften glitten draußen vorüber, +Stationen wurden gerufen, Leute stiegen aus und ein, deren Redeweise +immer mehr das Schwabenland verriet, und bald waren wir in der +Hauptstadt, in Augsburg. Den mehrstündigen Aufenthalt benützten wir +dazu, uns die Stadt ein wenig anzusehen. Mich aber interessierten nur +etliche Klosterfrauen, die eben über den Marktplatz in eine Kirche +gingen; doch gefiel mir ihre Kleidung gar nicht und ich fürchtete, es +möchten die Frauen des heiligen Josef ebensolche unschöne Gewandung +tragen. Während ich ihnen noch nachblickte, stürmte plötzlich keuchend +ein Hund an mir vorüber, der einen andern, der laut heulte, hinter sich +herschleifte. Entsetzt sprangen die Nonnen zur Seite, während sich im Nu +ein großer Menschenhauf ansammelte, aus dem die Rufe: »A Schäffla Wass'r +her! A Töpfla Wass'r drufgießa!« erschollen. Ich aber war höchst +erstaunt vor diesem scheinbaren Naturwunder stehen geblieben und starrte +mit offenem Munde den Hunden nach. Da riß mich meine Mutter mit den +Worten: »Marsch, weiter, dös is nix für di!« mit sich fort und führte +mich auf dem kürzesten Wege wieder zum Bahnhof. + +Während der weiteren Fahrt war die Mutter recht einsilbig, und als wir +jetzt an der Endstation Kamhausen anlangten, sagte sie nur: »So, jetz +müß ma schaun, daß ma no an Platz im Stellwagn kriegn!« welchen Worten +ich nicht zu widersprechen wagte, obgleich ich viel lieber zu Fuß +gegangen wäre. + +Während nun die Mutter wegen der Fahrscheine drinnen am Postschalter +verhandelte, besah ich mir die Gegend: da erblickte ich grad vor mir, +kaum eine halbe Stunde entfernt, angelehnt an einen bewaldeten Hügel, +ein imposantes Gebäude und rings um dasselbe eine Menge kleinerer, die +den Eindruck einer kleinen Stadt machten. Etwas abseits lagen wieder +eine Anzahl Häuser, die mehr ländlichen Charakter hatten und von Bäumen +umgeben waren. Um das große Gebäude und den Berg zog sich eine Mauer und +von dem Dach grüßten ein paar große, mit hohen Schneehauben überzogene +Storchennester. Dazwischen ragten mehrere kleine Türmlein in die klare +Luft und von einem größeren klang einladend das Mittagläuten zu mir +herüber. Da schreckte mich jemand aus meinem Betrachten auf: »He, Mädla! +Was luagscht denn allweil nach Bäraberg rüba? Magscht ebba au e +Kloschtafrau wera?« + +»Ja. Dös hoaßt, naa, naa; i woaß's net!« + +Nach diesen ungeschickten Worten lief ich wieder auf die andere Seite +des Bahnhofs, wo die Mutter mich schon überall suchte. Ich sagte ihr, +daß ich Bärenberg schon gesehen hätte; doch schien sie es nicht zu hören +und trieb mich zur Eile, da der Stellwagen gleich abfahren wollte. + +Mit uns hatten noch einige Frauen und ein junger Mann Platz genommen, +und der letztere veranlaßte mich durch sein sonderbares Betragen und +sein vogelartiges Gesicht, immer wieder nach ihm zu schauen. Er spielte +unablässig mit seinen Fingern, schnitt Grimassen und lallte +unverständliche Worte vor sich hin. Ich erfaßte aus der lebhaften +Unterhaltung der Frauen, die bei ihm saßen, daß der junge Mensch blöd +und epileptisch krank sei und nun in der Kretinenabteilung Bärenbergs +untergebracht werde. In der Ecke saß ein altes Weiblein mit einem kaum +zwanzigjährigen Mädchen, und es fiel mir auf, daß die beiden garnichts +miteinander redeten. Auch die andern Frauen interessierten sich +anscheinend für das Paar; denn die eine fragte plötzlich die Alte: +»Fahrat Se au uf Bäraberg?« + +»Ja freili,« antwortete diese, »mei Dirndl is toret und a Stummerl is 's +aa. Jatz han i mi beim Burgamoasta vürstelli g'macht und der hat ins a +G'schreibats gebn, daß s' auf G'moaköstn in dö Anstalt z'Bärnberg kimmt. +Dö ham ja lauta söllane Dalkn!« + +»Du lieb's Herrgottl! Isch dies abr schad! 's isch ganz e frätzig's, +herztausig's Mädla! Moi Jakala muß au hin, weil er irr ischt und's +Hiefallat hat.« + +Nun war mit einem Mal meine ganze Schneid fort und ich hatte nicht +geringe Angst vor dem Kloster und allem, was dazu gehörte. Und als sich +die redseligen Frauen nun auch an uns wandten, muß ich wohl ganz den +Eindruck einer verschüchterten Irren gemacht haben; denn die eine sagte +zu meiner Mutter: »So, so, Sie fahrat au mit uns! Sie wollet g'wiß au +Aufnahm für dies Mädla; ischt's ebba au e Deppala?« + +Da sagte meine Mutter, daß ich Klosterfrau werden wolle. + +»Schau, schau!« sagte die Alte darauf, »so a schwera und aaschtrengada +Beruf möcht's Mädla und ischt so blaß und mag'r! Lasset Sie's do wied'r +hoifahra, Fraule! Die ischt 'it passad für e Kloschterfrau!« + +Doch meine Mutter entgegnete nur kurz: »Es wär mir gleich, was s' tät; +aber sie will selber ins Kloster.« Damit war die Unterhaltung zu Ende. + +Inzwischen waren wir an dem Hügel angelangt und mußten nun ganz um ihn +herumfahren. Da sah man erst, daß er den eigentlichen Ort ganz verdeckt +hatte, und ich war überrascht von der Schönheit des alten Städtleins. + +Vor dem großen Gebäude machte der Postillon halt und wir standen wartend +an der verschlossenen Pforte. Aus dem kleinen Fensterchen daneben sah +eine schwarze Katze, und als die Tür sich endlich öffnete, stand eine +kleine, alte Nonne vor uns, liebenswürdig und demütig nach unserm Begehr +fragend. + +Nachdem sie die Wünsche eines jeden gehört, führte sie uns in ein kahles +Zimmerchen, aus dem erst die Taubstumme, dann die Frauen mit dem Kranken +geholt wurden. Zuletzt kam eine blasse, junge Schwester, die uns nach +den Gemächern des Superiors führte. + +Vor der Tür des Sprechzimmers standen etwa sieben bis acht Nonnen und +warteten auf Einlaß. Sie standen da, gesenkten Hauptes, die Arme vor der +Brust gekreuzt und beteten leise vor sich hin, während mitunter ein halb +scheuer, halb neugieriger Blick uns streifte. + +Inzwischen hatte die Schwester uns angemeldet und wies uns nun in ein +mit dem Sprechzimmer verbundenes Gemach. + +Da trat nach einer kleinen Weile, während der mir fast die Brust +zersprang vor Erregung, aus der Tür des Sprechzimmers ein ernster Mann +von ehrfurchtgebietender Größe und Haltung und lud uns ein, näher zu +treten. Er führte uns in sein Zimmer, das fast wie der Laden eines Buch- +und Schreibwarenhändlers aussah. Überall lagen Stöße von Büchern, +Heften, Zeitschriften, Akten und Briefen umher und dazwischen große +Pakete, ganze Bündel Wachskerzen, Rosenkränze und Sterbkreuze. Über +einem Stuhl hingen eine Menge violettgelber Ordensgürtel und an einem +Schrank lehnten etliche Krücken. + +Nachdem der Superior in einem Armstuhl Platz genommen, wies er meiner +Mutter auf dem Sofa und mir auf einem Rohrhockerl Sitze an, hierauf +begann er: »Hast du dir auch wohl überlegt, mein liebes Kind, was du tun +willst, indem du eine Klosterfrau zu werden gedenkst?« + +Meine Mutter antwortete statt meiner: »Hochwürdiger Herr, wir haben ihr +lang genug davon abgeraten;« und plötzlich in ihre gewohnte Redeweise +verfallend, fuhr sie fort: »Aber a jeds Wort is umasonst g'wen.« + +»Das haben halt schon viele im Sinn gehabt und nach einiger Zeit sind +sie doch wieder in die Welt zurück. Und gar bei uns gehört viel dazu, um +den Anforderungen, die wir an die Schwestern stellen, gerecht zu werden. +Doch soll es uns große Freude bereiten, wenn das liebe Kind eine recht +fromme, brave und tüchtige Schwester in unserm Orden wird. Wir haben ja +so viele nötig, sowohl für die Arbeit, als auch für den Unterricht; denn +unsere Anstalt besteht aus einem Blindenheim, einem Taubstummeninstitut, +einer Heimstätte für alte, schwächliche Personen und einer Pflegeanstalt +für Kretinen, Epileptische, Irre, Tobsüchtige und durch Ausschweifung +Zerrüttete, sogenannte Besessene. Auch finden bei uns arme, kranke und +mißgestaltete, sowie blöde, krüppelhafte und mißratene Kinder eine +Stätte zur allseitigen Pflege und Bildung, soweit dies möglich ist. + +Unser Orden hat jetzt etwa fünfhundert Profeßschwestern, von denen +etliche schon seit Bestehen desselben das Kleid unseres Schutzpatrons +tragen, und ungefähr zweihundert Novizinnen, die ihren weißen Schleier +erst in ein bis zwei Jahren bei Ablegung der Profeß mit dem schwarzen +zum Zeichen gänzlicher Entsagung der Welt vertauschen. Diese sind noch +nicht durch die ewigen Gelübde gebunden und können den Orden noch +verlassen; doch zeigt ein einzig dastehendes Beispiel, wie der +himmlische Bräutigam diesen Verrat bestraft: die betreffende Novizin +wurde nach einiger Zeit irrsinnig und befindet sich jetzt in unserer +Irrenabteilung. Außer den Genannten haben wir noch etwa dreihundert +Jungfrauen, die am Tag des heiligen Josef Lehr-, Pfleg- und +Arbeitsschwestern werden wollen, sowie einhundertzwanzig +Lehramtskandidatinnen, zehn Handarbeits- und sechs Musikkandidatinnen +und etwa fünfzehn für die Hausarbeit und Küche. Wie ich sehe, hat das +Kind sehr gute Schulzeugnisse; eine kurze Prüfung wird uns zeigen, wozu +sich das Mädchen eignet. Sollte es dir, mein Kind, nicht gefallen, so +kannst du innerhalb fünf Jahren diese Stätte noch verlassen. Nun sage +mir einmal, willst du bei uns bleiben?« + +Er war bei den letzten Worten aufgestanden und hatte mir das Kinn +gefaßt, indem er mich fest anblickte. + +Da sagte ich leise: »Ja, ich will dableiben.« + +Meine Mutter hatte dies Ja überhört und rief: »Na, kannst net antwortn, +wennst g'fragt wirst!« + +Doch der Priester entgegnete ihr: »Ereifern Sie sich nicht, Frau Mutter, +das gute Kind hat mir sein Jawort schon gegeben.« + +Darauf gab er uns seinen Segen und ließ uns durch eine Nonne nach der +Kandidatur führen. Dort mußte mich meine Mutter allein lassen; doch +durfte ich, nachdem ich den Kandidatinnen vorgestellt und genugsam +angestaunt worden war, mit ihr in der Brauerei zu Mittag essen und hatte +mein neues Leben erst am Nachmittag zu beginnen. + +Wir begaben uns also in das Bräustüberl, einen behaglichen Raum mit +rohen, blankgescheuerten Möbeln und Blumenstöcken an den Fenstern, deren +saubere Vorhänge fest zugezogen waren. An den Wänden hingen bunte +Heiligenbilder und in einer Ecke war ein kleiner Hausaltar aufgerichtet, +dessen zierliche Ampel ihr mattes Licht auf die aus Gips verfertigte +Statue des heiligen Josef warf. + +Als ich sah, daß auch hier nur Klosterfrauen tätig waren, verwunderte +ich mich sehr und wagte an die Schwester, die uns bediente, die Frage, +ob hier die Nonnen auch das Bier selber brauten. Da erzählte sie uns, +daß alles, was nur immer zu tun sei, von ihnen selbst gemacht werde; +auch die Ökonomie und Metzgerei, sowie alle Handwerke, deren das Kloster +bedürfe. Zur Hilfe würden allerdings die Pfleglinge, welche sich dazu +eigneten, verwendet. Dies setzte mich in großes Erstaunen, und ich sah +meinem Leben in diesem Kloster mit viel Neugier entgegen. Meine Mutter +aber hatte mit wachsendem Entsetzen zugehört und konnte dies auch kaum +vor mir verbergen, und als sie um drei Uhr wieder in den Stellwagen +stieg, sagte sie ganz unvermittelt: »Also, wann's dir gar z'schwer wird, +kannst d' es ja schreibn; bet viel und sei recht fleißig und aufmerksam +und laß dir nix z'Schulden kommen.« + +Ich gab ihr noch Grüße auf an alle, die mir lieb waren; dann schlang ich +plötzlich meinen Arm um ihre Knie, drückte laut aufweinend meinen Kopf +in ihre Kleider und lief danach, so rasch ich konnte, an die Pforte und +läutete fest, ohne noch einmal umzuschauen. + +Man wies mich wieder in das kleine Zimmer, und dann führte mich die +blasse Schwester ins Refektorium, wo die Kandidatinnen bei der Vesper +saßen. Liebenswürdig nahmen sich sofort einige von ihnen meiner an und +erklärten mir alles, was ich wissen mußte oder wollte. Ich war ihnen +dankbar dafür; denn ich hielt es für natürliche, herzliche +Kameradschaft. Später freilich erkannte ich meinen Irrtum: es war alles +nur Drill und von wahrer Güte wenig zu finden: Bigotterie paarte sich +mit Stolz, Selbstsucht mit dem Ehrgeiz, vor den Oberen schön dazustehen +und als angehende Heilige bewundert zu werden. + +Besonders unter den älteren Mädchen hatte dies Streben nach +Vollkommenheit einen wahren Wettlauf um die Tugend hervorgerufen, und +die Präfektin der Kandidatur, die solches mit großer Befriedigung +wahrnahm, übergab nun jede Neuangekommene der Obhut einer dieser +Würdigen, welche zugleich mit diesem ehrenvollen Amt den Namen +Schutzengel erhielt. + +Also ward auch mir gleich am ersten Abend ein solcher Schutzengel +zugeteilt und waltete mit Eifer seines Amtes. Bald machte er mich auf +das Weltliche meiner Heiterkeit aufmerksam, obschon ich mir recht +traurig vorkam. Und als ich später meinen Arm in den meiner Beschützerin +legen wollte, wies sie mich mit den Worten zurecht: »Pfui! Das schickt +sich doch nicht! Das gefährdet doch die heilige Reinheit! Es ist uns +verboten, uns bei den Händen zu fassen oder einzuhängen. Das Betasten +des Körpers nährt die Sinnlichkeit, und zum Körper gehören auch die +Hände.« + +Da die Abendandacht stets in der Kapelle verrichtet wurde, führte meine +Hüterin mich daselbst an den mir zugeteilten Platz, von dem aus ich +weder den Altar noch sonst etwas von der Kirche sehen konnte; denn wir +befanden uns auf einer Art Galerie, die mit einem dichten Gitter +abgeschlossen war. Rings um uns vernahm ich lautes Beten und sah mich +neugierig um, zu sehen, woher es käme. Da flüsterte mein Schutzengel mit +strenger Miene: »Sieh für dich, arme Seele, Gott ist hier!« + +Nach dem Abendgebet gingen wir paarweise in den großen Schlafsaal, und +meine Führerin steckte mir auf dem Weg dahin einen Zettel zwischen die +Finger, auf dem geschrieben stand: »Von neun Uhr abends bis sieben Uhr +morgens strengstes Stillschweigen!« + +Im Schlafsaal angelangt, wies sie mir mein Lager an, und ich wollte nun +beginnen, mich auszuziehen. Da ich noch städtische Kleidung trug und +auch kein Nachthemd bei mir hatte, brachte sie mir eine weiß- und +rotkarierte Bettjacke. Ich hatte bereits meine Bluse aufgeknöpft und +entblößte eben meine Schultern, als mein Schutzgeist ganz entsetzt +herzusprang und mir die Bluse rasch wieder über die Achseln schob. +Hierauf warf sie mir die Bettjacke über die rechte Schulter, und indem +ich sie am Hals festhalten mußte, entblößte sie unter dieser schützenden +Hülle meinen rechten Arm und schob ihn rasch in den Ärmel des +Nachtgewandes. Ebenso verfuhr sie auf der linken Seite und dann knöpfte +sie mir den Kittel bis an den Hals zu. + +Die andern Kandidatinnen hatten sich inzwischen unter lautem Beten auf +die gleiche Art entkleidet, und ich sah nun eine nach der andern ins +Bett steigen; doch behielten alle ihren Unterrock und die Strümpfe an. +Ich machte meine Hüterin durch Zeichen auf dies aufmerksam; da zog sie +einen Bleistift und einen Notizblock aus der Tasche und schrieb darauf: +»Ein sittsames Kind entblößt die Füße erst im Bett und auch den +Unterrock darf man nicht vorher abstreifen.« + +Also legte ich mich zu Bett und entledigte mich, nachdem sie mir die +Decke über den Kopf gezogen, meiner übrigen Kleidung, worauf eine +Nachtschwester von Bett zu Bett ging und einer jeden die Zudecke glatt +strich. Und nachdem man sich noch der Fürbitte des heiligen Joseph und +der heiligen Barbara durch besondere Gebete versichert und den Psalm +»Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr« samt den dazugehörigen +Paternostern gebetet hatte, legte man die Arme auf der Bettdecke +kreuzweise über die Brust und schlief dann ein. + +Traumlos schlief ich die ganze Nacht; denn ich war den Tag über müde +geworden, und als am frühen Morgen plötzlich ein lautes »Gelobt sei +Jesus Christus« ertönte, dem die Kandidatinnen sich aufsetzend »in +Ewigkeit, Amen,« antworteten, blickte ich verwirrt um mich und konnte +mich erst, als von der Pfarrkirche das Fünfuhrläuten erscholl, besinnen, +wo ich war. Rasch sprang ich aus dem Bett; in diesem Moment aber sah ich +ringsum aller Augen entsetzt auf mich gerichtet, und nun merkte ich +erst, daß ich im Hemd und ohne Strümpfe war. Schnell schlüpfte ich +wieder ins Bett und zog mit vieler Mühe unter der Decke meine +Unterkleider an. + +Derweilen waren die anderen Mädchen schon an den langen Waschtisch +getreten, wo eine Waschschüssel neben der anderen stand, und wuschen +sich, als mein Schutzengel kam und auch mich dahin führte. Während des +Ankleidens wurde wie am Abend laut gebetet; man empfahl sich zu allen +Stunden in Mariens Herzen und Jesu Wunden. + +Nachdem wir unsern Schlafsaal geordnet und zuletzt die leichten +Filzschuhe mit Stiefeln vertauscht hatten, begaben wir uns paarweise +nach der Kandidatur. Diese befand sich in dem sogenannten Mutterhaus, +einem alten Bau, der noch aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte und +damals den Prämonstratensermönchen gehört hatte, die später daraus +vertrieben wurden, worauf das Kloster erst als Kaserne und dann als +Speicher diente. In diesem Zustand erwarb es unser Orden und richtete es +wieder wohnlich her; doch wurde das Haus bald zu klein und man fügte +einen Anbau um den andern an. So kam es, daß wir unsern Schlafsaal in +einem dieser neuen Gebäude hatten. + +Wir schritten also über den verschneiten Platz vor dem Kloster; denn +einen geschlossenen Verbindungsgang nach dem Mutterhaus hatte man gerade +erst zu bauen begonnen. Da läutete es in der Pfarrkirche zur heiligen +Wandlung. Sofort warfen sich alle auf die Knie in den Schnee und beteten +den menschgewordenen Gott an. + +Als wir im großen Lehrsaal der Kandidatur angekommen waren, knieten alle +vor einer reich mit Blumen geschmückten Statue des heiligsten Herzen +Jesu nieder, vor der die Präfektin bereits in andächtigem Gebete lag. +Sie schlug jetzt ein Andachtsbuch auf und las daraus die Legende einer +Heiligen, worauf eine lange Betrachtung ihrer Tugenden und Leiden +folgte. Zum Schluß wurde vieles auf uns angewandt und etliche +Kandidatinnen, die sich Verfehlungen gegen eine der Tugenden dieser +Heiligen hatten zu Schulden kommen lassen, bekamen nun eine +eindringliche Strafpredigt und es wurden ihnen schwere Bußübungen, wie +Rosenkränze, viel hundert Paternoster und Ave-Maria, stundenlanges Knien +vor dem Altar und dergleichen auferlegt. + +Starr vor Erstaunen hörte ich dem Ganzen zu und bereute es schon bitter, +jemals den Vorsatz gefaßt zu haben, Nonne zu werden. + +Nach dieser geistlichen Lesung und Betrachtung gingen wir in den +Speisesaal zum Frühstück, das in einer Tasse dünnen Kaffees und einem +Brötchen bestand. Meine Hüterin legte wieder einen Zettel vor mich hin, +des Inhalts, daß es Jesus recht wohlgefällig sei, wenn man freiwillig +auf das Brot verzichte, weshalb ich nur die Hälfte davon aß. + +Nun hatten wir der Frühmesse in der Klosterkapelle beizuwohnen und +danach versammelten wir uns wieder im Saal der Kandidatur, und jedes +holte sich ein Buch, um zu lernen. + +Inzwischen schlug es acht Uhr, und herein traten drei Schwestern, die +Lehrerinnen der Kandidatur, gefolgt von der Präfektin, die mich, nachdem +wir beim Glockenschlag um eine gute Sterbstunde gefleht, setzen hieß und +nun begann, mich in allem zu prüfen, was ich als Lehramtsschülerin +wissen oder lernen mußte. Sie gesellte mich danach dem zweiten Kurs zu +und wies mir meinen Platz an, worauf der Unterricht begann. Der erste +Kurs schrieb an einem Aufsatz, wir rechneten schriftlich, und der dritte +Kurs hatte Unterricht in Grammatik. Die höheren Klassen hatten ihre +eigenen kleinen Studierzimmer und diese waren nur durch Glastüren von +unserm Saal getrennt. + +Um neun Uhr versammelten sich von neuem alle vor dem Altar, knieten +nieder und beteten laut ein Stundengebet. Kaum hatten wir uns wieder +erhoben, als abermals von der Pfarrkirche die Glocke zur Wandlung +läutete und wir uns wiederum auf die Knie warfen und anbeteten. + +Nach einer kurzen Weile rief man uns zur Vesper, und jede bekam ein +Krüglein Bier und ein Stück schwarzes Brot, wobei ich sah, daß wieder +viele die Hälfte des Brotes zurück in den Korb wandern ließen; doch weiß +ich nicht, ob dies zur Abtötung oder aus Abneigung gegen das rauhe +Gebäck geschah. + +Bald, nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte, kam die Präfektin +und befahl meinem Schutzengel, mich ins Bad zu führen. + +Durch lange Gänge, vorüber an Männer- und Frauenabteilen, aus denen +wüster Lärm drang, hinab über alte, morsche Stiegen ging es, dann traten +wir in einen moderigen Kellerraum, wo etwa zehn Männer Körbe flochten. +Wir eilten an ihnen vorüber und kamen durch die mit ekelhaftem Gestank +erfüllte Waschküche, in der etliche Kretinen aus einer übelriechenden +Lauge graue Wäschestücke zogen, endlich in ein düsteres Kämmerlein, das +man Bad nannte, und in dem zwei alte Badewannen, durch einen Vorhang +getrennt, an der Wand standen. + +Wir mußten uns erst das heiße Wasser aus der Waschküche holen, und +nachdem wir unsere Wannen gefüllt und unsere Tücher und Wäsche auf einen +neben der Wanne stehenden Stuhl gelegt hatten, begann mein Schutzgeist +mir zu zeigen, wie man sich baden müsse, ohne die Unschuld zu verletzen. + +Ich durfte mich nicht ganz entkleiden, sondern mußte in Hemd und +Strümpfen in die Wanne steigen. Hier konnte ich mich meiner Strümpfe +entledigen, während das Hemd meiner Blöße als Bedeckung blieb und +tüchtig eingeseift wurde. Darauf strich man einige Male mit den Händen +darüber hin; denn unter dem Hemd durfte der Leib nicht berührt werden. +Nur Gesicht und Hals wurde gründlich gewaschen. + +Währenddem beteten wir laut den schmerzhaften Rosenkranz, auf daß der, +der für uns Blut geschwitzt hat und für uns gegeißelt ist worden, unser +Herz vor jedem sinnlichen Gedanken bewahre. + +Auf dem Rückweg erzählte mir meine Beschützerin, daß man während des +Sommers in einer Hütte zu Sankt Jakob bade, einer Einsiedelei, nahe dem +Kloster in einem kleinen Tal gelegen. Und sie erklärte mir genau, wie +man es dabei zu machen habe, damit die Seele nicht Schaden leide. Als +ich dann später im Sommer wirklich dieses Badehüttlein besuchte, mußte +ich über mein Hemd einen Anzug mit langen Ärmeln anziehen, so daß ich am +Ende nicht das Gefühl der Erfrischung hatte, sondern es mir war, als sei +ich durch ein Unglück ins Wasser geraten. Zum Glück durfte ich während +meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster nur dreimal baden. + +Nach dem Bade führte meine Hüterin mich in die Garderobe, wo ich meine +klösterliche Uniform erhielt. Danach gingen wir zu Tisch, und jetzt war +ich eigentlich erst als Kandidatin anerkannt. Ich trug ein +blaugestreiftes Kattunkleid, eine schwarze Schürze, ein schwarzes +Schulterkräglein und um den Hals eine gestärkte Batistschleife. + +Vor dem Essen befahlen wir unsere Sinne dem göttlichen Meister, indem +wir beteten: »Barmherzigster Herr Jesu Christe, gestatte, daß ich jetzt +diese Mahlzeit einnehme, aus Gehorsam, um meine Gesundheit zu stärken +und mir neue Kräfte zu sammeln. Bewahre mich vor aller Sinnlichkeit und +gib mir die Gnade, daß ich nicht ohne Überwindung von dieser Mahlzeit +aufstehe.« + +Doch hätte es eigentlich dieses Gebetes kaum bedurft, da der +Speisezettel nicht danach angetan war, den Gaumen zu reizen, so daß es +schon großer Überwindung bedurfte, gehorsam zu sein und zu essen. Die +älteren Kandidatinnen freilich fügten dieser Überwindung noch andere +hinzu, indem sie kein Salz nahmen, kein Wasser tranken, kein Brot aßen +und anderes mehr. + +Ich selbst konnte mich nur sehr schwer an die Kost gewöhnen; denn +erstlich wurden alle Gerichte mit Dampf gekocht, und dann kamen wir in +bezug auf die Qualität erst an dritter oder vierter Stelle: das Fleisch +und frische Gemüse erhielten die Schwestern, was davon übrig blieb, die +Jungfrauen; wir bekamen das Fett mit Kraut, Kartoffelbrei oder Salat. +Was wir übrig ließen, wurde dann den Pfleglingen mit einer Brennsuppe +verabreicht. Zwar gab es in der Küche auch Geflügel und Fische; doch das +war für die Oberen, die Geistlichkeit und bessere Gäste bestimmt. Am +übelsten aber bekamen mir die sogenannten Kässpatzen, eine zähe +Wasserteigmasse, in der eine Menge Zwiebeln staken. Doch ging es allen +Neulingen so, so daß sich nicht selten die eine oder andere erbrechen +mußte, was hingegen kein Grund war, mit dem Essen aufzuhören. + +Während der Mahlzeit hielt stets eine ältere Kandidatin eine erbauliche +Tischlesung, meist Legenden aus dem Leben heiliger Personen, die durch +Fasten und Abtöten eine hohe Stufe der Heiligkeit erklommen hatten. + +Nach Tisch ordnete man sich in Paaren und begab sich in die Kapelle, +damit, nachdem der Leib seine Nahrung erhalten, auch die Seele ihr Teil +bekäme durch den Akt der geistlichen Kommunion. + +Ich war nach dieser Andachtsübung, die mit dem Abbeten des Rosenkranzes +mit ausgebreiteten Armen beschlossen wurde, so müde, daß ich beinahe im +Gehen einschlief. + +Da traten wir plötzlich in einen großen Saal. Darinnen saß eine junge +Nonne mit gewinnendem, freundlichem Blick in den kindlichen Zügen am +Flügel, während neben ihr ein junges Mädchen einen Stoß Liederbüchlein +im Arm hielt und am Tisch verstreut mehrere Oratorien und Messen lagen. + +Die Nonne stand auf, und nachdem ein kurzes Stundengebet verrichtet +worden, begann die Gesangstunde, wobei ich sah, daß hier die Musik sehr +gepflegt wurde; denn die Stimmen waren gut geschult und das Spiel der +Schwester meisterlich. Sie präludierte erst ein wenig und spielte dann +etliche Variationen des zu behandelnden Liedes. Endlich gab sie das +Zeichen zum Einsatz, und nun hallte der Saal wieder von den Tönen einer +herrlichen altitalienischen Messe. + +Als die Sängerinnen eine längere Pause machten, bat ich die Schwester, +sie möge mich mitsingen lassen, was sie ziemlich verwundert gestattete. +Nun war mit einem Male meine ganze Müdigkeit dahin, und ich sang so zu +ihrer Zufriedenheit, daß sie mich erstaunt fragte, wo ich Unterricht +gehabt hätte. Ich antwortete ihr, daß ich am Kirchenchor gesungen hätte +und auch schon längere Zeit im Klavierspiel unterwiesen worden sei. +Hocherfreut rief sie, als sie dies vernommen: »Liebs Jesusle, hab Dank! +Jetzt bekomm ich eine Musikkandidatin!« Und sofort eilte sie zum +Superior, ihn zu bitten, daß er mich ihr überweise. + +Dies geschah noch am nämlichen Tage, und nun begann für mich eine +glückliche Zeit. Ich machte rasch Fortschritte im Klavierspiel, und als +ich dann auch im Violinspiel über die ersten Anfänge hinaus war, taten +sich vor mir immer wieder neue Wunder auf, und ich schien mir in eine +andere Welt versetzt. Meine Freude über diese gute Wendung der Dinge +zeigte ich meiner Lehrerin durch großen Eifer und möglichste Genauigkeit +im Arbeiten. + +Hatte ich schon vorher unter den Lehramtsjüngerinnen einige heftige +Widersacherinnen gefunden, so mehrte sich jetzt ihre Zahl; um so mehr, +als Schwester Cäcilia mich sehr lieb gewann und wir bald gute Freunde +wurden. + +So kam es, daß ich in kurzer Zeit einer der sogenannten Sündenböcke der +Kandidatur war; denn je öfter meine Lehrerin mir sagte, daß ich +brauchbar und ihr fast unentbehrlich sei, desto öfter suchte man mich +auf der anderen Seite durch Wort und Tat zu überzeugen, daß ich ein +eingebildetes, dummes Mädel sei, das leicht zu ersetzen wäre. + +Es dauerte nicht lange und die Obern des Klosters erfuhren diese Dinge. + +Also ward ich von der Präfektin der Kandidatur, Schwester Archangela, +einer alten, strengen Nonne mit harten Zügen, tiefliegenden grauen Augen +und einer großen Hakennase, auf der eine goldene Brille saß, zu der +Oberin geführt, damit man mir zeige, was einem so eitlen, schlimmen +Mädchen gebühre. + +Als ich vor der vornehmen, gütigen Frau, die einem alten, französischen +Adelsgeschlecht entstammte, stand, fragte sie mich, was ich verbrochen +habe; denn man hielt viel auf ein freimütiges Bekenntnis seiner +Vergehen. + +Ich antwortete: »Würdigste Mutter, man beschuldigt mich, daß ich mich in +bezug auf meine Leistungen überhebe und gegen meine Vorgesetzten und +Mitschwestern unhöflich und herausfordernd sei; doch fühle ich mich +nicht schuldig und bitte Sie, würdigste Mutter, meine Lehrerin und +Mitschwestern darüber vernehmen zu wollen.« + +Ohne ein Wort der Erwiderung, nur einige Male mit dem Kopf nickend, +faßte mich die Oberin an der Schulter und führte mich in das Vorzimmer +des Herrn Superiors, wo ich warten mußte, bis sie mit ihm die Sache +besprochen hatte. + +Als sie wieder heraustrat, blickte ich ihr fest und mit großen Augen ins +Gesicht; doch konnte ich aus ihren Zügen nicht entnehmen, ob man mir +Glauben geschenkt hatte. Sie sagte nur ernst zu mir: »Sprich ehrlich mit +unserm Vater, Magdalena; er will nur dein Bestes!« + +Ich trat also vor ihn hin und auf seine Frage: »Was hast du +vorzubringen?« trug ich ihm den Hergang der Sache so vor, wie ich ihn +der Oberin geschildert hatte. + +Da ließ er meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, zu sich kommen, und sie +mußte nun über mich berichten. + +Als der Superior nur Gutes hörte, meinte er: »Seltsam, höchst seltsam! +Kind, wenn du wirklich brav warst, so bleib's, wenn nicht, so werd's!« + +Damit waren wir entlassen, und erleichtert trat ich mit der Schwester +wieder auf den dunklen Gang hinaus. + +Auf dem Weg zum Musiksaal faßte ich ganz plötzlich in einer Aufwallung +warmen Dankgefühls ihre Hand und küßte sie wiederholt. Lächelnd entzog +sie mir dieselbe, indem sie sagte: »Laß doch die dumme Hand! Sie gehört +ja gar nimmer mir, sondern dem heiligen Josef!« + +Da meinte ich: »Aber der Mund g'hört schon noch Ihnen, gelt, Schwester?« + +»Ja, zum Beten und Singen und ...« + +»Und daß ich schnell ein andächtigs Busserl draufgib, Schwester!« rief +ich dazwischen, und ehe sie sich dessen versah, hatte ich sie geküßt. + +Ganz erschrocken schob sie sich den Schleier zurecht und zupfte an ihrem +Habit herum; doch sagte sie nichts und schalt mich auch nicht, wie ich +befürchtet. + +Als wir in den Saal traten, sah ich unter ihrem Schleier über dem +rechten Ohr einen Wusch goldroten Haars hervorlugen; ich sagte es ihr, +und da rief sie mit komischem Entsetzen: »Was sagst, die Welt guckt +raus? Ob ihr gleich z'rück wollt, ihr fuchsigen Locken!« Und eiligst +strich sie sie einige Male unter dem Häubchen zurück. + +Seit diesem Tag waren wir die besten Freunde, und sie sagte mir im +Vertrauen, daß eben unser herzliches Verhältnis zu einander den +eigentlichen Anlaß zu dem Zwist gegeben hätte, daß sie mich aber, +solange es den Obern recht sei, sehr lieb haben wolle. Ich solle nur mit +allen freundlich und besonders gegen eine alte, von der Präfektin wegen +ihres Reichtums, den sie dem Kloster geschenkt hatte, sehr begünstigte +Musikkandidatin recht höflich und zuvorkommend sein. + +Erst war ich über diesen Rat sehr verwundert; bald aber erkannte ich +selbst, daß meines Bleibens in diesem Hause nur dann sein könne, wenn +ich, wie man sagt, mit den Wölfen heulte, obschon mir jede Art von +Scheinheiligkeit zuwider war. + +Schwester Cäcilia mochte wohl auch erst nach langem Kampf zu dieser +Anschauung gekommen sein; denn sie war im übrigen so freimütig und +offen, daß sie einen absoluten Gegensatz zu den andern Nonnen bildete. + +Dieser offene Charakter war übrigens auch ihren Familienangehörigen +eigen. Ihr Vater, der Schullehrer in dem Ort war und im Kloster den +Kandidatinnen und Lehrschwestern Unterricht im Geigen- und Cellospiel +gab, darin er selbst ein Meister war, hatte wegen seiner geraden Art +viele Feinde. Er hielt sehr auf ein furchtloses, freies Wesen und haßte +die kriechende Unterwürfigkeit, die sich unter den Nonnen so gern breit +macht und meistens der Deckmantel für Ränke und Heimtücke wird. Kam er +zu uns, so begrüßte er erst seine Tochter mit den Worten: »Guta Tag, +Cilli! Magscht's Tagblättla lesa?« Und damit zog er das Blatt aus der +Tasche, obwohl es eigentlich verboten war, Zeitungen zu lesen. Dann +sagte er, zu uns gewendet: »So, meine Damen, ka' i afanga? Ischt's +g'fällig?« + +Während des Unterrichts trieb er viel Kurzweil mit uns, so daß es mir +oft schien, als sei ich nicht in einem Kloster, sondern bei einem alten +Bekannten zu Besuch. + +So war denn mein Leben ein ganz angenehmes geworden, und ich ertrug die +Bosheiten der Mißgünstigen um so leichter, als ich nicht die einzige +Gehaßte und Verfolgte war. Es waren vielmehr eine Reihe jüngerer Mädchen +von den Günstlingen der Präfektin dieser als bösartige, ränkesüchtige +Personen geschildert worden, weshalb es täglich bei der morgendlichen +Betrachtung Strafen und Bußen regnete. + +So schüttete die Präfektin eines Morgens ihren heiligen Zorn über einige +unglückselige Mädchen aus, die ihre Waschtoilette nicht rein gehalten +und die Schuhe im Schlafsaal nicht aufgeräumt hatten. Sie wurden damit +bestraft, daß die eine die Schuhe an einer Schnur über die Schulter +gehängt bekam, während der andern ein Zettel an die Brust geheftet +wurde, des Inhalts: »So wird die Schlamperei bestraft.« + +Einem andern Mädchen, das eine Notlüge gebraucht hatte, wurde ein roter +Flanellappen in Form einer Zunge an den Rücken gesteckt, und eine +dritte, die mit einem Pflegling gesprochen hatte, wurde, da dies streng +verboten war, in Acht und Bann erklärt, das heißt, es wurde ihr das +schwarze Schulterkräglein, das Abzeichen der Kandidatur, auf die Dauer +eines Monats entzogen und allen übrigen aufs strengste verboten, mit der +Unglücklichen während dieser Zeit zu sprechen. + +Solchen Befehlen wurde von allen blindlings Folge geleistet; denn die +Präfektin stand im Geruche großer Heiligkeit, und man erzählte sich im +geheimen, daß sie sich oft des Nachts geißle und kasteie: man habe +manchmal, wenn man zur nächtlichen Betstunde in die Kapelle ging, +deutlich aus ihrer Zelle das Klatschen der Geißelhiebe und inbrünstiges +Seufzen und Rufen vernommen. Auch sei sie wiederholt mit der Erscheinung +ihres himmlischen Bräutigams beglückt worden. + +An manchen Tagen schien sie auch wirklich zu leuchten und rief während +der geistlichen Lesung wiederholt aus: »Kinder, lernet Jesum lieben! Wie +süß ist die Liebe zu ihm!« + +Zugleich mit dem Amte einer Präfektin war ihr auch das einer +Novizenmeisterin zuteil geworden, und so lernten die jungen Nonnen gar +bald diese Liebesbezeigungen gegen ihren göttlichen Meister und übten +solche mit heroischem Eifer. Stundenlang konnte man oft Novizinnen vor +dem Tabernakel knien sehen, die Arme ausgebreitet und die Augen +unverwandt auf das Altarbild geheftet, das Christum in ganzer Figur +darstellte. + +Doch nicht bloß am Tage wurde der Heiland von seinen Bräuten aufgesucht, +nein, auch während der Nacht waren Betstunden festgesetzt, auf daß der +Herrgott auch zu der Zeit, in der die Kreaturen ruhen und schlafen, +gebührend verherrlicht werde durch die ewige Anbetung. + +In der Kandidatur setzte man nun auch seinen Stolz darein, an diesen +Stunden teilzunehmen, und das traf immer je vier für die Kapelle des +Mutterhauses, je vier für die Pfarrkirche und vier für die Kapelle des +Neubaues. + +So war auch ich einmal nachts um die zweite Stunde mit drei anderen +Beterinnen in der Kapelle des Neubaues und unterdrückte krampfhaft und +gähnend den Schlaf. Da öffnete sich plötzlich die Tür und herein lief +eine nur mit dem Nachthemd bekleidete Nonne, warf sich vor dem Altar auf +die Knie und begann mit dem Ruf: »Jesus, brennende Liebe!« sich +furchtbar zu geißeln. + +Wir waren starr vor Schreck und Staunen, und mich packte Grauen und +Entsetzen. Die älteste von uns vieren aber meldete den Vorfall andern +Tags der Präfektin, die uns strengstes Schweigen gegen jedermann gebot. + +Solche und ähnliche Vorgänge flößten mir einen großen Abscheu gegen das +Ordensleben ein, und ich äußerte dies auch des öftern gegen Schwester +Cäcilia, sie fragend, ob sie sich auch so mißhandle. Da meinte sie +lächelnd: »Ich komme nicht dazu; denn ich muß mich den ganzen Tag mit +euren Stimmen ärgern und plagen und brauche deshalb die Nacht zum +Schlafen. Ich kann kaum meine Tagzeiten beten vor Arbeit.« + +Da erbot ich mich, diese Pflicht mit ihr zu teilen, und benützte von nun +an jede freie Stunde dazu, ihr einige Dutzend Psalmen und Paternoster +abzunehmen oder die Vesper, Sext und Non gemeinsam mit ihr zu beten, +wofür sie mir viel Dank wußte und mich nicht selten vor Strafe bewahrte, +wo ich sie verdient hatte. + +Inzwischen war die Fastnacht mit ihrem bunten Treiben gekommen, und auch +die Nonnen vergaßen für kurze Zeit, sich zu kasteien, und schlossen sich +lieber dem Hofstaat des närrischen Prinzen an und versammelten sich +mitsamt den Obern und Geistlichen im großen Refektoriumssaal, der in ein +Theater umgewandelt war, um sich an den heiteren Singspielen zu +ergötzen, die ihnen Kandidatinnen und Jungfrauen aufführten. + +Auch den ärmsten von allen den Pfleglingen der verschiedenen Abteilungen +wurden mannigfache Belustigungen geboten und sogar etliche dem dürftigen +oder zerrütteten Geist angepaßte Schwänke aufgeführt, bei denen die +dafür geeigneten Leidenden selbst mitwirken durften. + +Damit aber diese Lustbarkeit nicht etwa in den Herzen der gottgeweihten +Frauen und Jungfrauen ein Verlangen nach den Freuden der Welt zeitige, +beschloß man den Fasching mit einem frommen Theaterstück, in welchem die +Glorie irgendeiner heiligen Nonne oder Jungfrau ins hellste Licht +gerückt und sie als Muster und Vorbild verherrlicht wurde. + +Zu dieser Zeit hatte ich viel Arbeit; denn bei den Fastnachtsspielen +waren mir die ersten Rollen zugeteilt worden, und nun stand der Tag des +heiligen Josef, an dem der Bischof die Einkleidung und Profeßabnahme im +Kloster vornahm, vor der Tür. Es war dies der festlichste Tag im ganzen +Jahr, und alles rüstete sich schon lange vorher, ihn würdig zu begehen. + +Ich erwartete das Fest mit großer Erregung, da meiner sowohl in der +Kirche als auch im Festsaal und beim Mahle schwere Aufgaben harrten. +Doch war Schwester Cäcilia nach der letzten Probe sehr zufrieden mit mir +und meinte: »Mädl, wenn du morgen so gut singst, hebst die ganze +Pfarrkirche in den Himmel; ich bin recht zufrieden.« + +Als dann der Morgen des Festes gekommen war, regte sich's im Kloster wie +in einem Bienenkorbe: geschäftige Nonnen huschten durch die Gänge, den +Arm voll Myrtenkränzlein, weißer Nonnenschleier oder Skapuliere, und +eilten in die Zellen, um die jungen Gottesbräute zu schmücken und zu +kleiden. Große Girlanden wurden aufgehangen und die Kapellen geziert, +und die älteren Klosterfrauen liefen mit kritischem Blick herum, hier +zupfend, dort stäubend, überall noch die letzte Hand an die Dekorationen +legend und den Kandidatinnen die ihnen zukommenden Handreichungen und +Arbeiten anweisend und erklärend. + +Wir hatten uns nach dem Frühstück im Musiksaal versammelt, um unsere +Aufgabe noch einmal flüchtig durchzugehen. Da krachten zahlreiche +Böllerschüsse von Kamhausen herüber, zum Zeichen, daß der Bischof dort +angelangt und, empfangen vom Klerus und den Obern des Klosters, sich auf +dem Wege zu uns befinde. + +Rasch ordneten wir uns in der Einfahrtshalle und begrüßten den +Ankommenden mit einer Jubelhymne, während draußen alle Glocken geläutet +wurden. + +Inzwischen schritten die bräutlich weiß angetanen Jungfrauen und +Novizinnen zur großen Pfarrkirche, in der schon ihre Angehörigen +zahlreich versammelt waren. Danach kamen die älteren Schwestern, und um +acht Uhr begann die Feier. + +Brausend tönte die Orgel durch das Gotteshaus, und nach einer Ansprache +des Bischofs traten die Bräutlein alle vor den Hochaltar, fielen auf ihr +Angesicht nieder und beteten laut das Confiteor. Danach empfingen sie +aus der Hand des Bischofs den Leib dessen, dem sie sich nun auf ewig +antrauen wollten. + +Mit ausgebreiteten Armen verharrten sie während des Hochamts in Gebet +und Verzückung und schienen nun ganz und gar losgelöst von der Welt. + +Bis dahin war ich meiner Aufgabe ganz gerecht geworden; als sich aber +nach dem Hochamt die Novizinnen auf die Erde warfen und mit einem +schwarzen Bahrtuch überdeckt wurden, zum Zeichen, daß sie nun auf ewig +für die Welt gestorben seien, und der Bischof ihnen die ewigen Gelübde +der freiwilligen Armut, der steten Keuschheit und des blinden Gehorsams +abnahm und einer Jungfrau nach der andern das Haar abschnitt und sie mit +dem Ordenshabit der Novizinnen bekleidete, da packte mich ein Grauen und +in mir schrie es: »Nie, niemals werd ich Nonne! Niemals!« und ich +begriff nicht, daß andere Mädchen so glückselig ausschauen konnten. Mein +Entsetzen war so groß, daß ich den Einsatz verpaßte und erst nach +längerer Zeit merkte, daß, hätte nicht Schwester Cäcilia mich beobachtet +und im rechten Augenblick für mich eingesetzt, sicher ein Unglück +geschehen wäre. + +Ich konnte kaum das Ende der kirchlichen Feier erwarten und rief nachher +im Musiksaal meiner Lehrerin zu: »Schwester, das weiß ich g'wiß: ich +werd keine Klosterfrau! Ich sollt meine schönen Haar hergeben? Nein, +niemals!« + +Doch hatte ich den übrigen Tag keine Zeit mehr, viel an das Vergangene +zu denken; denn auf die Tafelgesänge folgte die Nachmittagsandacht und +am Abend wurde noch ein Theaterstück, die heilige Agnes, aufgeführt. Ich +kam endlich todmüde ins Bett und schlief rasch ein; doch quälten mich +wirre Träume, und es war mir, als läge ich auf einem Altar und man habe +ein Leichentuch über mich geworfen, während mir meine Zöpfe +abgeschnitten und in einen Sarg gelegt wurden. Aber ich sah nirgends +einen Priester, noch den Bischof und lauter fremde Nonnen waren um mich. + +Das Fest währte drei Tage, und auch die Pfleglinge und Kranken durften +daran teilnehmen. Es ward ihnen an diesen Tagen auch manches +nachgesehen, was man sonst unnachsichtlich bestraft hätte; denn es waren +unter ihnen viel bösartige und heimtückische Geschöpfe, zu deren +Bändigung es oft strenger Mittel bedurfte, wie Zwangsjacken, +Hungerkuren, finsterer oder vermauerter Zellen und dergleichen. + +Freilich geschah es mitunter auch, daß der eine oder die andere in einer +solchen Zelle vergessen wurde. Da die Kerker sich alle unter dem Dach +befanden, konnte man oft zwei, drei Tage lang ein entsetzliches Heulen +und Wimmern hören; doch wußten nur wenige, woher es kam, und diese +hüteten sich wohl, es uns Neulingen zu sagen. + +Dafür ging im Kloster seit langem das Gerücht, auf dem Dachboden seien +Gespenster; man erzählte von sündhaften Mönchen, die für ihre geheimen +Missetaten also gestraft worden seien, daß sie in Ewigkeit keine Ruhe +fänden, sondern ihre Geister im Kloster umgehen müßten zum warnenden +Beispiel für alle, die darin lebten. + +So geschah es auch einmal, als ich mit einer andern Kandidatin auf den +Speicher gegangen war, um dort unsere Garderobeschränke in Ordnung zu +bringen, daß wir plötzlich ganz in unserer Nähe ein dumpfes Schlagen +hörten, während vom Bretterboden dichter Staub aufwirbelte. Unter lautem +Schreien liefen wir zitternd zur Schwester Cäcilia und berichteten ihr +den Vorfall. Nachdenklich ging sie mit uns nochmals hinauf und wir +suchten den ganzen Speicher ab. Da fanden wir, daß eine tobsüchtige +Frau, von uns die Putzmarie genannt, weil sie den ganzen Tag mit einem +Schaff Wasser und einer Putzbürste herumlief und scheuerte, seit vier +Tagen hier eingeschlossen war und beständig auf den losen Bretterboden +sprang, um gehört zu werden; denn sie war schon dem Verschmachten nahe. + +Schwester Cäcilia veranlaßte sofort ihre Befreiung, und die Alte war ihr +so dankbar dafür, daß sie alle Tage den Musiksaal putzen wollte. Als ihr +das aber nicht gestattet wurde, schüttete sie laut schimpfend ihr +Schäfflein Wasser auf den Gang und begann nun hier zu fegen und zu +wischen. Man ließ sie gewähren; denn ihre Pflegeschwester hatte +derweilen die Hände voll Arbeit mit anderen Kranken. Es waren dies +geistesschwache Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren, die jetzt mit +dem beginnenden Frühjahr in den sogenannten Kreuzgarten getragen wurden, +der in Wahrheit nur ein armseliges Wieslein zwischen vier hohen +Klostermauern war. Hier hockten und lagen sie nun in den seltsamsten +Stellungen, viele in einer Zwangsjacke, deren lange Ärmel auf dem Rücken +zusammengeknüpft waren, so daß es ihnen unmöglich war, die Hände zu +gebrauchen; denn die meisten von ihnen fraßen das Gras, Steine, Erde +oder gar den eigenen Unrat. Zwei Schwestern eilten beständig von einem +zum andern, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch diese armen Wesen, die +in ihren Bedürfnissen so anspruchslos waren, machten viel weniger Mühe +als jene, von denen behauptet wurde, sie seien besessen. + +Unter diesen bedauernswerten Geschöpfen war besonders eines, das mich +lebhaft anzog, ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches, da es aus +sehr vornehmer Familie stammte, bei uns Kandidatinnen Aufnahme fand, +obschon es eigentlich auch in die Abteilung jener Armen gehörte, für die +niemand zahlte. Das Kind war klein und von zierlichem Wuchs; sein +zartes, milchweißes Gesichtlein, aus dem ein paar große braune Augen +erschreckt in die Welt sahen, war von reichem, kastanienbraunen Haar +umrahmt, das man ihr fest und glatt zurückgekämmt hatte. Obwohl nun die +Schwestern das Wasser und auch Pomaden beim Kämmen nicht sparten, +erschienen doch, allen Bemühungen zum Trotz, jeden Vormittag aufs neue +an ihren Schläfen zuerst kleinere, wirre Löckchen, bis dann nach wenig +Stunden sich Locke an Locke um ihre Stirn ringelte, was dem Gesicht +etwas ungemein Liebliches gab. Sie hieß Margaret und war sehr klug, in +manchen Dingen sogar erfinderisch; auch lernte sie leicht und erfaßte +rasch und mit feiner Beobachtung. Legte man ihr aber den Katechismus +oder sonst ein religiöses Buch vor, so weigerte sie sich hartnäckig, +daraus zu lesen oder zu lernen und war durch die strengsten Strafen und +Züchtigungen nicht dazu zu bewegen. Man ließ sie tagelang hungern, die +ekelerregendsten Dinge verrichten; man gab ihr nachts ein hartes Lager +und wies ihr schwere Arbeiten an; sie ließ alles mit sich geschehen, +ohne zu klagen. Man schlug sie grausam mit einem Stock und verbot uns +aufs strengste, mit ihr zu reden; umsonst, sie blieb auf alle religiösen +Fragen stumm, während sie in allen übrigen Lehrfächern gute Antworten zu +geben wußte. Sie tat mir herzlich leid, und ich übertrat manchmal im +geheimen das Verbot und sprach mit ihr. Da fand ich, daß sie sehr munter +plauderte und ein überaus liebenswürdiges und geselliges Mägdlein +gewesen wäre. Aber sie begann gar bald zu kränkeln und kurz vor meinem +Austritt starb sie an galoppierender Schwindsucht. + +Dieser Krankheit erlagen übrigens auch gar viele Nonnen und Jungfrauen, +und auch zahlreiche Pfleglinge wurden davon ergriffen. Die meisten Opfer +standen im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren; manche waren noch +jünger. Es wurde ein eigener, großer Fleck Landes von dem Superior +angekauft und in einen Friedhof verwandelt, in dem die Kreuzlein bald so +dicht standen, wie die Nonnen Sonntags in den Kirchenstühlen saßen. + +Da schien es mir nicht verwunderlich, daß jede Nonne angesichts des +großen Sterbens beizeiten schon des Himmels gewiß sein wollte und darum +eifrigst auf ihr Seelenheil bedacht war, welches Bestreben durch die +Klostergeistlichen treulich gefördert und unterstützt wurde. + +Unter ihnen war auch ein Kurat, welcher sowohl in seinem Äußern als auch +in bezug auf seine große Strenge in Dingen der Sitte und Reinheit ganz +dem heiligen Aloysius glich. Er ward daher von jedermann nur Pater Sankt +Aloysius genannt und als Muster reiner Sitten gepriesen. Von mancher +Nonne ward er sogar als Heiliger verehrt, bis sich eines Tages diese +Verehrung in großen Zorn und Abscheu verwandelte, als man nämlich +erfuhr, daß dieser tugendsame Priester eine Lehramtskandidatin, ein +wohlgebautes, etwa zwanzigjähriges Mädchen, das schon fünf Jahre dort +weilte, des öfteren abends mit sich ins Stüblein nahm und erst nach +mehreren Stunden daraus entließ. Kandidatinnen, die zur nächtlichen +Betstunde gingen, hatten sie aus seinem Zimmer schleichen sehen und dann +bemerkt, wie eine alte Nonne wütend aus einer Nische hervorsprang, die +Erschrockene aus dem Halbdunkel ans Licht zerrte und laut beschimpfte. +Also hub ein großes Geschrei an, und sowohl die Sünderin, als auch der +Priester mußten das Kloster verlassen. + +Der Geistliche, welcher dem Pater Sankt Aloysius im Amt folgte, war +schon ein alter Herr und besaß die üble Gewohnheit, während der Beicht +immer einzuschlafen, wodurch die Nonnen ihr Seelenheil gefährdet +glaubten und nicht eher ruhten, bis wieder ein junger, strenger +Benefiziat an seine Stelle kam. + +Mit wahrem Feuereifer waltete dieser seines Amtes und war unermüdlich +darauf bedacht, alle Seelen ringsum vollkommen und makellos zu machen. +Besonders Verfehlungen gegen die Kardinaltugend des Ordens, den heiligen +Gehorsam, ahndete er mit unnachsichtlicher Strenge und gab denen, die +sich in der Beicht eines derartigen Vergehens anklagten, die schwersten +Bußen auf. + +Trotzdem wurde mir die Ausübung dieser Tugend nicht leicht. Es war kurz +vor dem Weihnachtsfest, dem zweiten, das ich im Kloster verlebte, daß +ich mich schwer gegen dieselbe versündigte. + +Um diese Zeit war ein großes Paket von meiner Mutter angekommen, das +meine Weihnachtsgeschenke enthielt. Darunter war auch eine schwarze +Kleiderschürze mit langen Ärmeln, wie ich sie mir schon seit langem +gewünscht hatte. Doch ich hatte sie noch nicht anprobiert, als schon ein +Befehl unserer Präfektin kam, ich solle diese Schürze sofort in das +Nähzimmer geben, damit man mir zwei kleine daraus mache; denn so sei +dieselbe ganz gegen die heilige Armut und ich dürfe so etwas nicht +tragen. Da sie mir sehr wohl gefiel, konnte ich mich nun lange nicht von +ihr trennen und legte das schöne Stück einstweilen auf den Speicher, wo +ich sie alle Tage ans Licht zog und wehmütig mit der Hand darüberstrich, +sie an mich hinhielt, wieder zusammenlegte und sorgfältig versteckte. + +Eines Tages aber ward die Versuchung, die Schürze einmal anzuziehen, in +mir so mächtig, daß ich nicht mehr widerstehen konnte. Ich schlich mich +also in die Garderobe, zog sie aus dem Koffer und schlüpfte rasch +hinein, dann trat ich ans Speicherfenster und besah mich in der blinden +Scheibe; denn Spiegel gab es nicht, und auch der meine war aus meiner +Nähschatulle entfernt und ein Heiligenbild an seine Stelle geleimt +worden. Da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, und herauf stürmte +eine Kandidatin: »Magdalena! Magdalena! Geschwind komm zu Schwester +Archangela! Es ist Probe für das Weihnachtsfestspiel!« + +Ratlos sah ich mich um und zögerte mit dem Gehen, vergeblich an der +Unglücksschürze nestelnd und zerrend, um die Knöpfe am Rücken +aufzumachen; doch schon rief mir meine Kollegin zu: »Wenn du nicht +gleich kommst, melde ich deinen Ungehorsam!« und schickte sich zum +Gehen, worauf ich ihr folgte, immer noch bemüht, die Knöpfe aufzureißen. +Auf dem Gang kam mir die Präfektin schon entgegen. Vergeblich suchte ich +mich hinter der andern Kandidatin zu verstecken; sie hatte mich schon +erblickt und sah nun starr auf die verbotene Schürze, während ich +fühlte, wie mir abwechselnd Röte und Blässe über die Wangen lief. Auch +auf ihrem Gesicht erschienen ein paar hochrote Flecken, und mit den +Worten: »Da, dies für deinen Ungehorsam, Rotzmädel!« gab sie mir ein +paar heftige Schläge ins Gesicht. Darauf führte sie mich zum Superior +und erzählte ihm meine Sünde. + +Der greise Priester kündigte mir, nachdem er also schwere Anklagen gegen +mich vernommen hatte, meine Entlassung an, indem er sprach: »Mache dich +bereit, in drei Tagen bist du des Gehorsams ledig!« + +Zwei Tage später kam ein Brief meiner Mutter, in dem sie ihren Besuch +für Weihnachten ankündigte. Ich wollte mich trotzdem zur Heimreise +ankleiden und stand trotzig am Speicher und verschloß eben meinen +Koffer, als man mir meldete: »Du kannst noch bleiben, bis deine Mutter +kommt!« + +Ich erwartete also mit nicht geringer Aufregung ihren Besuch, obschon +meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, mir immer wieder Mut machen wollte: +»Hab doch keine solche Angst, Magdalena! Ich mach schon alles wieder +gut!« + +Inzwischen hatte eine andere in dem Weihnachtsspiele meine Rolle +übernehmen dürfen; es war schon ein älteres Mädchen und hatte keine +Stimme, weshalb die Präfektin zu mir sagte: »Das soll deine Strafe sein, +daß du deine Partie zwar singen, aber nicht spielen wirst! Du hast dich +hinter ein Gebüsch zu knien und zu singen, und niemand wird deinen +Gesang bewundern, dafür werde ich sorgen!« + +Und sie sorgte dafür; denn als meine Mutter, die man ebenfalls zu dem +Festspiel »Nacht und Licht« geladen hatte, nach Beendigung desselben mit +mir zusammen war, sagte sie: »Was war denn jetz dös, Leni? I hab doch +deutli dei Stimm g'hört, hab di aber nirgends g'sehgn. Oder hat am End +die Kloane, die's Licht g'macht hat, die gleiche Stimm wie du?« + +Da erzählte ich ihr weinend die Geschichte von der Schürze und erwartete +mit Angst großen Tadel. Doch wider Erwarten gab sie mir nicht nur recht, +sondern ward sehr zornig und empörte sich über die Willkür, mit der man +ihr Vorschriften machen wolle, wie sie ihr Geld auszugeben habe: »Was? +Paßt hat's eahna net, daß i dir den Kleiderschurz g'schickt hab? I moan, +daß i um mei guats Geld kaafa ko, was i mag, und brauch koane von dene +Fluggen z'fragn, ob's arm g'nua is oder net!« + +Als dann die Besuchsstunde bei den Obern gekommen war und meine Mutter +gebeten wurde, im Sprechzimmer zu erscheinen, ging sie mit großen +Schritten hinein und sagte nur ganz kurz: »Guten Tag.« Da hörte sie nun +nichts als Klagen über mein weltliches Betragen und besonders über den +frevelhaften Ungehorsam, den man mir mit den schärfsten Strafmitteln +vergeblich auszutreiben versucht hätte. + +Schweigend und finster blickend hatte sie zugehört und sagte jetzt bloß: +»Herr Superior, lassen Sie's ihr Sach z'sammpacken, i nimm's mit hoam!« + +Dies wurde ihr jedoch widerraten und man versprach ihr, es noch einmal +mit mir versuchen zu wollen, worein die Mutter nach einigem Sträuben +unter der Bedingung willigte, daß man mir meinen Fehler nicht weiter +nachtrage, sondern gut zu mir sei. + +Also reiste sie am andern Tag wieder ab, ohne mich mitzunehmen. Beim +Abschied aber sagte sie noch: »Wenn wieder was is, na schreibst mir's; +halt di nur brav und folg jetzt!« + +Ich hatte aber alle Freude am Klosterleben verloren und ging nun wie ein +Schatten herum, hatte nicht Lust noch Leid, aß nicht mehr und fing an zu +kränkeln. Und nach einigen Monaten schrieb ich meiner Mutter, daß ich +keinen Beruf zur Klosterfrau in mir verspüre; falls es ihr aber +unangenehm wäre, wenn ich wieder nach Hause käme, bliebe ich ganz gerne +als weltliche Lehrerin in der Anstalt. + +Unsere Briefe wurden nun stets von der Präfektin kontrolliert, und so +blieb ihr meine Absicht nicht lange verborgen. Eines Morgens sagte sie +daher zu mir: »Was mußte ich sehen, Magdalena! Du willst dem Herrn das +Opfer deines Lebens also nicht bringen? Wie kannst du es dann wagen, den +andern armen Kindern, die bereitwilliger sind als du, das Brot +wegzuessen! Willst du nicht als Nonne hier sein, so brauchen wir auch +deine Kenntnisse nicht. Doch besinne dich, noch ist es Zeit; bedenke die +Vorteile, die Jesus seinen Bräuten bietet, und kehre nicht zurück in die +Welt!« + +Trotz dieser Ermahnungen machte ich mich am Aschermittwoch, nachdem mir +meine Mutter geantwortet hatte, ich solle ruhig nach Hause kommen, der +Vater sei krank und man könne mich notwendig brauchen, zur Reise fertig +und nahm Abschied von den Obern. Sie ließen mich zwar ungern ziehen, +doch konnten sie mich nicht mehr halten. Die Präfektin aber rief: +»Magdalena, Magdalena, du bist verloren, du gehst zugrunde! Schon sehe +ich den Abgrund der Weltlichkeit, in den du fallen wirst. Doch geh in +Frieden, mein Kind, falls die Welt noch einen für dich hat!« + +Gaffend umstanden mich die Kandidatinnen, als Schwester Archangela dies +gesagt, und als ich nun auch ihnen Lebewohl sagen wollte, da kehrten sie +sich verächtlich von mir ab und eilten in den großen Lehrsaal, um für +mich arme Verlorene zu beten. + +Traurig ging ich nun zur Schwester Cäcilia. Sie brach in Tränen aus und +nahm mich in ihre Arme: »Nun bin ich wieder allein! O, warum gehen alle +wieder weg, kaum daß sie begonnen!« + +Auch ich begann zu weinen, und sie tat mir von Herzen leid; denn während +meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster waren vierzehn +Musikkandidatinnen eingetreten und nach kurzer Zeit wieder +davongelaufen. Nachdem sie mir noch alles Glück für kommende Zeiten +gewünscht hatte, entließ sie mich, und ich trat erleichtert in das +kleine Zimmerchen, das mich bei meinem Eintritt empfangen hatte. Während +ich dort auf mein Gepäck wartete, dachte ich noch über die Vorwürfe +nach, die man mir wegen meines Wegganges gemacht. Doch sie trafen mich +nicht schwer, da mir angesichts der ernsten Krankheit meines Vaters das +Verlassen des Klosters nicht als eine Schuld, sondern als eine +Kindespflicht erschien. + +Eine Schwester, die mir mein Gepäck übergab und mir meldete, daß der +Stellwagen schon draußen sei, riß mich aus meinen Gedanken, und ich +stieg rasch ein. Oben hinter den Fenstern standen die Kandidatinnen und +blickten mir verstohlen nach. Ich sah noch einmal zurück, dann zogen die +Pferde an -- und dahin ging's. + +Als ich nun so allein in dem Wagen saß, war es mir, als schwände in dem +Maße, in dem ich mich vom Kloster entfernte, auch alles Trübe, und +plötzlich kam eine so sonnige Heiterkeit über mich, daß mich die Welt +mit einem Male viel schöner dünkte, obschon draußen noch alles trotz des +beginnenden Märzes an den Winter gemahnte, und nur vereinzelte, unter +schmutzigem Schneewasser stehende Wiesen und die großen Pfützen auf den +Wegen den kommenden Frühling ahnen ließen. + +Rasch trat ich in Kamhausen an den Schalter und löste meine Fahrkarte, +da der Zug schon bereitstand. + +Während der Bahnfahrt hatte ich fast keine Zeit mehr, über das +Vergangene nachzugrübeln; denn die zahlreichen Passagiere aus den +verschiedensten Gegenden erregten meine ganze Aufmerksamkeit. War mir +doch im Kloster die ganze Welt samt ihren Wesen so fremd geworden, daß +ich mich nur ganz langsam, wie im Dunkeln tappend, wieder unter den +Menschen zurechtfand. Mit Ausnahme der Priester und Nonnen hatten sie +jetzt alle etwas Beängstigendes für mich; denn erstlich wurden im +Kloster alle außer den Geistlichen als Verlorene betrachtet, anderseits +aber in den eindringlichsten Worten vor ihnen als vor lauter Wölfen in +Schafskleidern gewarnt. + +Ich besah mir also jeden einzelnen ganz genau, ob nicht irgend etwas +Auffälliges in seinem Wesen oder Äußern auf die verborgene Wolfsnatur +hinweise, und dabei drückte ich mich scheu in meine Ecke und hielt die +Augen halb gesenkt, wie ich es bei den frommen Frauen gelernt hatte; +doch ging mir trotzdem nichts von all dem verloren, was um mich her +geschah. + +Mir gerade gegenüber saßen zwei elegant gekleidete Herren, aus deren +lebhafter Unterhaltung ich entnahm, daß sie Geschäftsreisende waren und +der eine in Augsburg, der andere in München zu tun hatte. Der erstere, +ein etwa Mitte der Dreißig stehender Mann von ausgesprochen jüdischem +Äußern, erzählte eben dem etwas jüngeren Reisegefährten, der mir von +gleichem Stamme zu sein schien, wie er die letzte Nacht in Ulm verbracht +hätte: daß er nicht nur die Tochter und das Stubenmädchen seines +Gasthofs, sondern auch noch die Frau Wirtin selbst erobert hätte. +Lachend fragte der andere halblaut, ob das Töchterl auch so bescheiden +und sittsam hergesehen habe, wie die junge Klostermamsell da drüben; und +zugleich fingen beide an, sich über meine Schüchternheit, sowie über +meinen halb klösterlichen, halb weltlichen Anzug lustig zu machen. Ich +wußte vor Verlegenheit kaum mehr aus noch ein und starrte mit hochrotem +Gesicht bald aus dem Fenster, bald vor mich hin. + +Da erblickte ich weiter vorn einen alten Bauern, der auf einem +schmierigen Blatt seine Einnahmen vom Viehverkauf nachrechnete, wobei er +sich abwechselnd hinter den Ohren kraute oder heftig fluchte. + +Am andern Ende des Wagens unterhielten sich lärmend etliche Soldaten, +die wohl auf Urlaub gehen mochten. In ihrer Nähe saß ein junges Mädchen +in ländlicher Kleidung und suchte sich vergeblich der Zudringlichkeiten +eines der Burschen zu erwehren. Dieser hatte die sich Sträubende fest um +die Hüfte gefaßt, und als sie sich endlich heftig von ihm losriß, fiel +sie einem andern auf die Knie, was ein brüllendes Gelächter zur Folge +hatte. + +Ich war während dieser Szene immer erregter geworden und wollte schon +dem also gehetzten Mädchen zu Hilfe eilen, als der Zug mit lautem Getöse +in Augsburg einfuhr, wo ich umsteigen mußte. + +Während der Stunden, die ich dort Aufenthalt hatte, ging ich in den Dom +und erbat mir von Gott Schutz auf meiner weiteren Fahrt; insonderheit +aber betete ich für die Bekehrung jener Soldaten. + +Auf dem Weg zum Bahnhof kaufte ich mir noch Wurst und Brot. Beim Essen +aber fiel mir plötzlich ein, daß ja am Aschermittwoch strenger Fasttag +sei und man im Kloster heute gewiß dem üblichen Fasten auch noch große +freiwillige Abstinenz hinzufüge. Doch siegte am Ende mein Hunger über +die Gewissensbisse und ich aß mit großem Behagen. + +Als ich dann unschlüssig vor dem Zuge stand und ein Schaffner meine +ängstliche Miene sah, wies er mir freundlich ein Frauenabteil an, und +ich kam ohne weiteren Zwischenfall nach München. + +In dem lebhaften Gewühl des Hauptbahnhofs befiel mich mit einem Male +wieder große Angst vor den Menschen, und ich fühlte deutlich, wie ich +immer armseliger und kleiner wurde, während ich ganz nahe an den Wagen +und der Lokomotive vorbei dem Ausgang zuschlich. + +Da fühlte ich mich plötzlich am Arm ergriffen, und als ich erschreckt +umblickte, stand lachend mein ältester Bruder vor mir und begrüßte mich: +»Ja, Leni, grüß di Gott! Bist du aber groß und stark wordn; i hätt di +bald net g'funden, so hast di verändert.« + +Ich dankte ihm frohen Herzens, daß er mich erwartet hatte, und seine +Worte, ich sei so groß geworden, entrissen mich wieder etwas dem Gefühl +meiner Unbedeutendheit und Nichtigkeit und ich wurde ziemlich gesprächig +auf dem Heimweg. + +Je näher wir unserem Hause kamen, desto mehr Bekannte trafen wir, und +immer wieder wurden wir von irgend einem neugierigen Weiblein aus der +Nachbarschaft aufgehalten; denn meine Eltern waren in dem Stadtteil sehr +beliebt und hatten weitaus die beste Gastwirtschaft des Viertels. + +Vor dem Hause angelangt, traten wir gleich durch die Tür der Gaststube +ein. Kaum hatten mich unsere Stammgäste erblickt, sprangen sie auf und +riefen durcheinander: »Jessas, unser Lenerl is wieder da! Juhe!« +»Servus, Fräuln Leni!« »Grüß di Gott, Klosterfrau!« »Marie, 'n Humpen +her! Unser Lenerl soll leben!« + +Während nun die Gäste meine Rückkehr durch einen kräftigen Rundtrunk +feierten, trat ich in die Schenke zu meinem Vater, ihn zu begrüßen. Er +sah recht leidend aus und meinte: »Höchste Zeit hast g'habt, Leni, daß +d'kommen bist, sonst hätt'st mir bald mit der Leich geh könna.« Hierauf +gab er mir einen Kuß und besah mich prüfend, ob ich auch mehr geworden +sei. + +Inzwischen hatten mich meine andern Brüder und die Dienstboten umringt +und konnten nicht fertig werden, mein gutes und feines Aussehen zu +bewundern. Ich drängte mich lachend hindurch und trat in die Küche, wo +die Mutter geräuschvoll hantierte und das Mittagessen für die Gäste +fertig machte. Ich ging rasch auf sie zu, wollte ihr die Hand geben und +sagte: »Grüß dich Gott, Mutter!« + +Ohne den Kochlöffel aus der Hand zu lassen, mit dem sie eben ein +Teiglein für das Blaukraut rührte, antwortete sie: »Ah, bist scho da, +grüß Gott! Laß nur, is scho recht; i hab fette Händ! Tu nur glei dein'n +Hut und dös Klosterkragerl weg und ziag an Schurz oo, na kannst glei +d'Supp'n und 'n Salat für d'Leut hergebn!« + + + + + + +Also begann ich wieder die Wirtsleni zu sein; und obschon mir anfangs +gar nicht wohl war in dem weltlichen Getriebe eines Gasthauses, so fand +ich mich doch bald wieder darin zurecht und stimmte im stillen oft der +Mutter bei, wenn sie den Leuten auf die vielen Fragen, warum ich nicht +im Kloster geblieben sei, antwortete: »Weil's a Schand wär, wenn dös +Mordsmadl im Kloster rumfaulenzen tät und d' Muatta dahoam fremde Leut +zahln müßt für d'Arbeit!« + +Und an Arbeit fehlte es in unserm Hause niemals. Schon früh am Morgen +hieß es aus den Federn; um halb sieben Uhr stand ich in der Wirtsküche +und schürte den großen Herd, kochte Kaffee und bereitete die Speisen zum +Frühstück der Gäste. Dann holte ich aus dem Schlachthaus, wo der Vater +schon seit fünf Uhr mit dem Zerteilen von Kalb und Schwein, sowie mit +dem Wurstmachen beschäftigt war, eine große Mulde mit Weiß- und +Bratwürsten und ordnete sie auf große Platten. + +Zugleich mit mir mußte auch die Küchenmagd an ihre Arbeit: das +Gastlokal, die Küche und Schenke, und was dazu gehörte, aufwaschen und +kehren; doch freute es mich jetzt nicht mehr, dabeizustehen und zu +horchen wie früher; denn die Zenzi vom Rottal war schon längst nicht +mehr da, und die gefühlvollen Lieder, welche die jetzige Küchenmagd bei +ihrer Arbeit sang, kannte ich schon alle. + +Während ich nun gewöhnlich noch mit dem Anrichten der Würste beschäftigt +war, fuhr draußen der Wastl, der Bierführer, vor und rollte zehn bis +zwölf Banzen in die Schenke, von wo sie durch den Aufzug in den +Eiskeller befördert wurden. + +Da der Wastl als Geizhals bekannt war, machte ich mir alle Tage das +Vergnügen, ihm den Teller mit den Weiß- oder Bratwürsten unter die Nase +zu halten, indem ich rief: »Wastl, heut san d'Weißwürst guat! Derf i dir +a paar auf d'Seitn legn?« worauf er mich immer grimmig anschrie: »Laß mi +aus damit!« dabei aber dem entschwindenden Teller doch einen +sehnsüchtigen Blick nachsandte. + +War der Wastl fort, so kam das Flaschenbier, und da gab es immer eine +große Hetz, wenn der Dannervater, ein nicht mehr gar junger Bierführer, +der eine Frau mit neun Kindern fröhlich ernährte, die Hausmagd in die +Hüften kniff oder durch die Gaststube jagte und sie zu küssen versuchte. +Dann ertönte plötzlich aus dem Schlachthaus, das unterhalb der Schenke +gelegen war, ein lauter, strenger Pfiff des Vaters, und lautlos machte +sich der alte Sponsierer davon. + +Währenddessen hatte ich in der Küche einen schweren Stand mit drei +Bäckerburschen, die alle leidenschaftlich in mich verliebt waren. Der +eine brachte uns täglich vier Markwecken und mir ein Blumensträußlein; +der zweite hatte Bretzen und Salzstangeln in seinem Korb und unter +seiner aufgerollten Bäckerschürze einen extra für mich gebackenen Zopf +oder eine riesige Zuckerbretzl. Der dritte aber, der uns die Semmeln und +das übrige Weißbrot brachte, schrieb mir jeden Abend eine Ansichtskarte +und wartete am Morgen bei mir in der Küche stets so lange, bis der +Postbote mit der Karte kam. Mit beredten Worten schilderte er mir +währenddessen die Schönheit derselben: »Freiln Leni, heut werdn S' +schaugn! Heut kriagn S' a Prachtstück von a ra Künstlerkartn! Sehgn S', +für Eahna tu i alles; da reut mi koa Geld! Dö heutige Kartn kost fufzehn +Pfenning; aba wenn s' a Zwanzgerl kost hätt, hätt i s' aa kaaft!« + +»Je, eahm schaugt's o!« rief da der Bursche, welcher die Markwecken +brachte. »Dös kannt aa no was sei! Meine Veigerl ham a Zwanzgerl kost +und dö Rosen, wo i da Freiln Leni gestern verehrt hab, fünfazwanzg +Pfenning!« + +»So und i nacha, bin i da Garneamand?« schrie jetzt der Bretzlbeck. +»Denk i net vielleicht sogar bei der Nacht ans Freiln Lenerl, indem i +ihr die feinsten Bretzn bach?« + +»Zu dene wo'st an Toag z'erscht stehln muaßt!« riefen da die andern, und +im Nu entspann sich ein heißer Kampf um den Vorrang bei mir, der sich +bis auf die Straße fortsetzte. Ich aber sah ihnen lachend zu und +verzehrte gemächlich die Bretzl zu meinem Kaffee, steckte das Veigerl an +die Brust und legte die Künstlerkarte in eine alte Zigarrenkiste zu den +andern. Doch versäumte ich nicht, meine Erfolge dem Milchmädchen, das +uns täglich den Kaffeerahm und die Knödlmilch brachte, zu weisen: »Da +schaug her, Rosl, die Präsenter, die i heut scho wieder kriagt hab von +dö Becka!« worauf sie ingrimmig und bissig erwiderte: »Dös is koa +Kunststückl, wenn ma si so herrichtn ko wie du! I muß mit meine +Millikübel rumlaafa und du stehst im Spitznschürzerl vor dein Herd!« + +Und tiefgekränkt ging sie; denn nicht mit Unrecht hatte sie über mich zu +klagen: während der Zeit, die ich im Kloster zugebracht, hatte sie fest +über die drei Bäckerherzen regiert, und nun, da ich wieder daheim war, +wollte keiner mehr von ihr was wissen, obgleich sie ein sehr hübsches, +dunkelhaariges Mädchen von einnehmender Figur und recht munter war. + +Mittlerweile war es fast acht Uhr geworden, und ich richtete nun die +Schenke, zählte die Bierzeichen für die Kellnerin und zapfte an. +Währenddessen kam die Mutter aus der Wohnung und der Vater aus dem +Schlachthaus und bald füllte sich das Lokal mit Gästen. Es waren fast +lauter Arbeiter: Maurer, Steinmetzen, Schlosser, Schreiner, Drechsler +und zuweilen auch Pflasterer oder Kanalarbeiter. In der Küche aber +standen die, welche für die in der Nähe liegenden Fabriken die Brotzeit +holten; denn zu unserer Kundschaft gehörte auch eine Bleistift-, eine +Möbel-, eine Sarg-, eine Bettfedern- und eine Schuhfabrik. Nun hieß es +flink die Lungen- und Voressenhaferln füllen, Kreuzerwürstl abzählen, +Weißwürste brühen und Hausbrot schneiden; zuweilen auch die +Schenkkellnerin machen, indes der Vater im Schlachthaus noch Milzwürste +oder, wie man sie bei uns nannte, umgekehrte Bauernschwänze, sowie +Leber- und Blutwürste, Leberkäs und Schwartenmagen machte. Hie und da +kam es auch vor, daß wir ohne Kellnerin waren; wenn nämlich die Mutter +gar zu heftig und eindringlich auf Pflichterfüllung gedrungen hatte, +worauf dann das Mädchen davonlief. Da mußte ich denn wieder wie früher +die Gäste bedienen und auch die übrigen Arbeiten der Kellnerin +verrichten. + +Gewöhnlich aber blieb ich am Vormittag in der Küche, während die Mutter +sich im Lokal mit den Gästen unterhielt, ihre drei bis vier Weißwürste +aß und etliche Krügl Bier trank; denn der Vater war häufig vormittags am +Schlacht- und Viehhof oder in der Stadt. Von Zeit zu Zeit kam dann die +Mutter zu mir in die Küche und kostete die Speisen, befahl dies oder +tadelte jenes und gab mir auch manche Ohrfeige, wenn ich etwas versäumt +oder nicht recht gemacht hatte. So kam sie auch einmal dazu, als ich +eben den Teig zu den Leberknödeln, deren wir jeden Mittwoch an die +zweihundert bereiteten, fertig hatte und nun daraus die Knödel formte +und auf ein langes Brett reihte. + +»Halt, laß mi z'erscht schaugn, ob er recht is, der Toag!« rief die +Mutter und tippte mit dem Finger in die Teigmulde. »Was hast denn jatz +da für a Zeug z'sammgmacht! Sigst net, daß der Toag no net fest gnua is, +du Hackstock, du damischer!« + +Und kaum hatte sie dies gesagt, flogen mir auch schon ein paar von den +Leberknödeln an den Kopf, daß mir der Teig im Gesicht und an den Haaren +klebte. + +»So, vielleicht lernst es jatz eher, du G'stell, du saudumms!« + +Darauf ging sie wieder, laut schimpfend, in die Stube und erzählte den +Gästen von meiner Unbrauchbarkeit: »Hintreschlagn kannt'st es, dös +himmellange Frauenzimmer! Zu nix kannst es brauchn wie zum Fressn!« + +Solche Auftritte verleideten mir freilich bald die Freude am Küchenwesen +und ich war froh, wenn der Vater einmal daheim blieb. Da kochte dann die +Mutter selbst und ich mußte in die Schenke und zu den Gästen, sie zu +unterhalten. + +So ungern ich mich anfänglich wieder unter den Leuten bewegt hatte, denn +im Kloster war ich ganz leutscheu geworden, so gewöhnte ich mich doch +bald wieder an sie, und es währte nicht lange, da war ich das lustigste +Mädel, machte jeden anständigen Scherz mit und unterhielt ganze Tische +voll Gäste. + +Die besseren unter ihnen hatten sich, ebenso wie die Stammgäste, zu +Tischgesellschaften vereinigt; die eine hieß Eichenlaub, die andere die +Arbeitsscheuen. Zur Gesellschaft Eichenlaub hatten sich die Postler und +Eisenbahner zusammengetan und erkoren mich zur Vereinsjungfrau; die +Arbeitsscheuen aber, deren Mitglieder lauter gute Bürger und +Geschäftsleute waren, wollten nicht hinter ihnen zurückbleiben, und so +ernannten sie mich zu ihrer Ehrendame, und ich empfing das Ehrenzeichen +des Vereins. Es war dies ein wappenartig geschnitztes Holztäfelchen, +darauf ein Bursch gemalt war mit dem Verslein darunter: »Auweh, mei +Fuaß, wenn i arbatn muaß!« Bei der Überreichung desselben hielt der +Vorstand, ein Flecklschuhfabrikant, eine Rede, worin er viel von der +Ehre sprach und von einer schönen Vertreterin des zarten Geschlechts und +daß man sich glücklich schätze. + +Während dieser Rede hatten die Arbeitsscheuen einen Kreis um mich +gebildet, und nun wurde ich von etlichen samt meinem Stuhl, auf dem ich +saß, emporgehoben und unter lautem Hoch und Juhu und dem Klang der +Zither und Gitarre durchs Zimmer getragen. Danach begann ein großes +Saufen, und die fidelen Zecher vergaßen darüber ihre Hausfrauen samt dem +Mittagessen, bis einer nach dem andern von der gestrengen Ehehälfte +geholt wurde. Da war mit einemmal die ganze Lustbarkeit und aller Scherz +vorbei und geknickt und ängstlich schlich ein jeder heim, gefolgt von +der erzürnten Gattin, die hinterdrein keifte: »Lump miserabliger, ko'st +net hoamgeh, wenn's Zeit is! Dö ganzn Griasnockerl san z'sammgsessn! +Guate Lust hab i, i schmeiß dir s' alle an Kopf, du bsuffas Wagscheitl!« + +Doch am nächsten Tag war wieder alles vergessen und gemütlich saß die +Gesellschaft am Stammtisch und unterhielt sich aufs beste, bis von der +nahen Kirche das Mittagläuten ertönte. Da gedachte ein jeder seines +Eheweibs und ging heim. + +Auch ich mußte wieder in die Küche und Teller und Schüsseln für die +Gäste zurichten. Dann kam die Kellnerin und fragte: »Was gibt's heut +z'essn für d'Leut?« worauf die Mutter mit ihrer metallenen Stimme +erwiderte: »An Nierenbra'n, Brustbra'n, Schlegl in da Rahmsoß, an +Schweinsbra'n und a unterwachsens Ochsenfleisch mit Koirabi (Kohlrabi), +an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft d'Andivisuppn!« +Als die Kellnerin sich schon zum Gehen anschickte, rief die Mutter noch +rasch: »A Biflamott (boeuf a la mode) mit Knödl ham mar aa!« + +Um dreiviertel zwölf Uhr kamen die Gäste, und nun begann ein Bestellen +vom Zimmer aus, ein Schreien, Geschirrklappern und ein Geklopfe mit dem +Fleischschlegel, daß einem die Ohren surrten. + +»Frau Zirngibi, zwoa Schweinsbratn san no aus!« schallte es aus der +Gaststube und im Nu echoten drei Stimmen in der Küche: »Zwoa +Schweinsbra'n kriagt s' no!« + +»Dö werds dawartn könna! Darenna wer' i mi net z'braucha!« + +»Kathi, Koirabi san gar!« rief das Küchenmädchen jetzt in die Stube. + +»Kriag i dö zu dem Fleisch aa nimma?« + +»Sakrament, wenns amal hoaßt, gar sans, na sans gar!« schrie da die +Mutter und fuhr in einem Atem, jedoch in ganz anderem Ton fort: »Geh, +Kathi, schaugn S', daß S' a Biflamott weiterbringan; dös verkocht ma +sonst zu lauter Soß!« + +War dann das größte Geschäft vorbei, dann wischte sich die Mutter mit +der Leinenschürze den Schweiß von der Stirn und sagte: »Dös war dir a +Rumpel gwen! Leni, hol ma nur glei a Halbe Bier!« Und schnell trank sie +wieder ein paar Krügl. + +Nun mußte ich dem Vater in der Schenke helfen. Der hatte inzwischen +einen Hektoliter Bier ausgeschenkt und, damit er schneller fertig würde, +mit der Kreide Strichlein an die Rückwand des großen Schenkbüfetts +gemacht, statt Zeichen zu nehmen. Nun mußte ich diese Strichlein +zusammenzählen und dann die Bierzeichen ordnen. Danach rechnete ich mit +der Kellnerin ab, half ihr das Geschirr von den Tischen räumen und +brachte dann dem Vater und den Stiefbrüdern, die jetzt in die +Lateinschule gingen, das Essen, nachdem ich den sogenannten Ofentisch +gedeckt hatte. Nun kam auch die Mutter in die Stube, und es machte mir +täglich aufs neue Eindruck, wenn die große, massige Frau unter die Gäste +trat, die schmutzige Leinenschürze zurückschlagend und mit leichtem, +fast automatenhaftem Kopfnicken grüßend: »'s Got! 'n Tag! Hab die Ehre, +meine Herrn!« + +Dann setzte sie sich zum Vater und unterhielt sich mit ihm, wenn sie gut +gelaunt war. Einmal aber kam sie nicht in die Stube. Da hatte der Vater +auf dem Markt ein Schwein gekauft, dessen Fleisch fischig schmeckte, und +verschiedene Gäste hatten das Essen zurückgeschickt. An diesem Tage rief +die Mutter nur dem Vater in die Schenke: »Josef, da geh rrauß!« + +Als der Vater in der Küche war, begann sie laut zu schreien und zu +schimpfen: »Bist du aa r a Wirt! A Schand is, so a Fleisch herz'gebn! +Friß's nur selber die ganze Sau, du Depp!« + +Da hörte ich zum erstenmal, seit ich den Vater kannte, ihn zornig mit +der Mutter streiten, und dumpf grollend erscholl seine Rede: »Red ma net +so saudumm daher, du narrischs Weibsbild! Dös ko passiern, daß ma r a +fischige Sau derwischt. Du brauchst es ja net z'essn, also haltst dei +Maul, sonst ...« + +Das letzte brummte er für sich und trat darauf wieder in das Gastzimmer +und tat, als sei nichts geschehen. Am Nachmittag aber ging er fort und +kam erst abends mit einem großen Weinrausch nach Haus; doch die Mutter +sagte kein Wort mehr zu ihm. + +Sonst gingen die Eltern nachmittags entweder beide ins Kaffeehaus oder +legten sich schlafen. Da mußte ich dann ganz allein das Geschäft und die +Schenke versorgen, was mir stets eine große Freude bereitete, da ich +sehr ehrgeizig war. Ich setzte mich in die Ofenecke und hielt nun erst +meine Mittagsmahlzeit; denn zuvor hatte ich nicht Lust noch Zeit gehabt +zum Essen und schenkte es, wenn die Mutter wirklich schon etwas für mich +hergerichtet hatte, immer einem armen Burschen, der sich nichts kaufen +konnte, dem Schusterhans. + +Da saß ich denn bei meinem Bierkrüglein und aß dazu meine fünf bis sechs +Kaisersemmeln und eine kalte Wurst und las die Zeitungen; denn zwischen +zwei und drei Uhr war das Geschäft ganz ruhig und auch das Zimmer von +Gästen leer. Höchstens kamen etliche, die Waren brachten und dabei rasch +eine Halbe tranken. Um drei Uhr zur Brotzeit aber war es wieder so +lebhaft wie am Morgen, doch ich wurde leicht fertig und konnte mich bald +wieder zu den Gästen setzen. Nun wurde Karten gespielt oder gesungen und +es war recht fidel. Um vier Uhr aber war wieder alles still im Lokal; +nur einige fremde Gäste kehrten im Vorbeigehen ein. + +Doch gab es für mich noch mancherlei zu tun bis um fünf Uhr, wo der +Vater wiederkam. Ich schnitt Knödlbrot oder Voressen und Lunge, rieb +Semmelbrösel oder putzte Spielkarten mit Benzin. Auch kam um diese Zeit +gewöhnlich der Häute- und Fellhändler, ein alter, schmieriger Jude, der +einen fürchterlichen Geruch um sich verbreitete. Mit dem mußte ich in +das Schlachthaus hinuntergehen, wo in einer Kiste die Kalbfelle lagen. +Diese wog er, und ich mußte genau acht haben, daß er nicht schwindelte; +auch beim Ausrechnen des Preises, den er dafür bezahlte, hatte ich recht +aufzupassen. Einmal gelang es ihm aber doch, mich zu prellen. Er zahlte +mit einem Hundertmarkschein und ich gab ihm heraus, und als er das Geld +nachgezählt hatte, behauptete er, zehn Mark zu wenig bekommen zu haben; +und obwohl ich gewiß wußte, was ich ihm gegeben hatte, bestand er doch +auf seinem Recht. Als die Mutter dies hörte, glaubte sie mir nicht, daß +ich von dem Juden geprellt worden sei, sondern sagte: »Dös hast +höchstens auf d'Seitn g'räumt und denkst, der Vater büßt's scho; aber da +brennst di! Dös kannst scho selber draufzahln von deine Trinkgelder!« +Und ich mußte wirklich die zehn Mark nachmals, als ich im Dienst bei +fremden Leuten war, von meinem Lohn ersetzen. + +Brachte jemand Wein oder Most, so mußte ich auch mitgehen in den +Weinkeller; denn die Eltern vertrauten den Dienstboten den Schlüssel +dazu nicht an, weil ein sehr großer Wert in den Weinvorräten steckte. So +brachte uns auch einmal ein Bursch aus einer Kelterei etwa fünfzig +Flaschen Apfelwein. Als ich mit ihm in dem vermauerten, dunklen Keller +war und beim Schein einer Kerze den Apfelwein in eine Stellage zählte, +löschte der Unhold mir plötzlich das Licht, packte mich rücklings, riß +mir den Rock in die Höhe und wollte mich vergewaltigen. Trotz meines +Schrecks kehrte ich mich rasch um und fuhr ihm mit allen Fingernägeln +über das Gesicht, ergriff die nächstbeste volle Flasche und schlug sie +ihm so um den Kopf, daß sie in Scherben ging. Alles das tat ich in einem +Augenblick und ohne einen Laut von mir zu geben. Scheinbar ruhig trat +ich nun aus dem Keller und rief ihm zu: »So, jetz machst, daß +d'verschwindst, du Hund! Sonst sperr i di da rei, bis i d'Schandarm +g'holt hab; na konnst schaugn, wie's dir geht, du Haderlump, du +elendiger! Und jetz druckst di und laßt di ja nimma blicka! Dei Herr +werd sei Geld scho kriagn!« + +Ich hatte zwar schon Angst, er könnte mich in der Wut noch einmal +anpacken; doch ging er ohne einen Laut, nahm auf der Straße seinen +Karren und fuhr mit dem übel zugerichteten Gesicht davon. Gesehen habe +ich ihn nie mehr. + +Überhaupt hatte ich manchmal meine Fäuste nötig; teils, mich der eigenen +Haut zu wehren, teils, Streitende auseinanderzutreiben. + +Im Frühjahr hatte ein Grundbesitzer in der allernächsten Nachbarschaft +angefangen zu bauen, und es sollten zwei große Häuser links von unserer +Ecke und eins rechts davon erstehen. Da die Maurer und die übrigen +Arbeiter meist ohne Geld sind, wenn sie zu arbeiten beginnen, so muß der +Palier für einen Vorschuß sorgen, der dann am Samstag vom Lohn abgezogen +wird. Der Palier wendet sich nun an einen Wirt, der erstlich Geld und +dann auch gutes Bier und vorzügliche Küche hat. Da war nun meines Vaters +Wirtschaft als Einkehr für sämtliche am Bau Beschäftigte vorgeschlagen +und angenommen worden. Die Leute holten sich am Montag ihren »Schuß« und +aßen und tranken die Woche über ohne Bezahlung. Da gab es denn am +Samstag immer große Abrechnung mit ihnen, und hie und da kam es dann +wohl auch vor, daß der eine oder andere glaubte, er sei betrogen worden +bei der Abrechnung, oder daß einer selbst betrügen wollte. Freilich ging +es dabei nicht immer ruhig her. Ganz plötzlich brach dann an einem Tisch +ein Streit aus und im Nu bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine +für den Wirt, die andere aber für den Schuldner stritt. + +Doch nicht lange währte die Reiberei; der Vater rief mir aus der +Schenke: »Leni, biet eahna ab, i hab koa Zeit!« und augenblicklich stand +ich unter den Streitenden und versuchte erst in Güte, die erhitzten +Köpfe zu beruhigen. Wenn mir aber dies nicht gelang, konnte ich recht +wild werden. Da faßte ich den einen am Genick und drückte ihn auf seinen +Stuhl nieder; den andern riß ich zurück vom Tisch, wo er eben ein +Salzgefäß ergreifen wollte, um es ins feindliche Lager zu schleudern. +Dann schlug ich mit der Faust wohl auch auf den Tisch und rief: »Ob jatz +glei Fried werd unter euch, ös Hallodri! Sofort hol i d'Schandarmerie, +wenn koa Ruah is!« Dann ergriff ich den Rädelsführer, hieß ihn +austrinken und schob ihn aus dem Lokal. + +Freilich, immer wurde es mir nicht leicht, der Aufrührer Herr zu werden. +Da mußte mir dann mein Hund, eine riesige, blaugestromte Dogge, die auf +den Mann dressiert war, helfen. Dieser Hund war von einem Apotheker aus +England mitgebracht worden, mußte aber, da sein Herr verarmt war, +verkauft werden. Durch ein Inserat wurde der Vater aufmerksam, und da +sie ihm wohl gefiel, kaufte er die Dogge für hundert Mark. Ich war +hocherfreut, als der Vater mit dem Hund kam. Er hieß Schleicher und war +außerordentlich klug. Sein Herr war mitgekommen und fütterte ihn noch +mit Schinkenbroten; danach sagte er: »Schleicher, du mußt jetzt schön +dableiben, bis ich wieder komm!« Dabei rannen ihm die Tränen in den +Bart, und ich empfand solches Mitleid mit dem Manne, daß ich hinging und +ihm versprach, den Hund recht gut zu halten. + +Bald war auch das Tier so gut Freund mit mir, daß ein Wink von mir +genügte, ihn an meine Seite zu locken. Er begleitete mich auf allen +Gängen und lief mit mir auch in den Keller und Speicher; und oft, wenn +ich mit ihm redete, legte er seinen schlanken Kopf auf meinen Schoß und +sah mich mit seinen klugen, braunen Augen ganz verständig an. Sagte ich +ihm: »Schleicher, du mußt schön aufs Frauerl Obacht gebn!« so wich er +keinen Schritt von meiner Seite und hätte den, der mich anrühren wollte, +sicher in Stücke gerissen. + +So war einmal ein als Wüstling übel angeschriebener, alter Schleifer zu +uns gekommen, als ich eben allein in der Schenke stand. Er trat zu mir +und fragte, ob ich nichts zu schleifen habe, und trotzdem ich ihm kurz +und mürrisch erwiderte: »Nix is da!« ging er nicht, sondern wollte mich +an der Brust fassen, indem er mit heiserem Lachen flüsterte: »Nix hat zu +sleife? Nix kloane Gaffeemiehle zu sleife, he?« + +In diesem Augenblick sprang der Hund auch schon an ihm empor, riß ihn zu +Boden und stellte sich mit gefletschten Zähnen und dumpf knurrend über +ihn; und als der Italiener sich wehren wollte, packte das wütende Tier +seinen Arm. Erschreckt schrie ich: »Weg, Schleicher!« und riß ihn am +Halsband zurück, worauf er zwar von dem an allen Gliedern Zitternden +abließ, aber immer noch heftig knurrte, so lange, bis der Alte gegangen +war. + +So war auch einmal eine Christbaumfeier der »Arbeitsscheuen« in unserm +Lokal. Die Gäste saßen vergnügt beieinander, lauschten aufmerksam den +Vorträgen, kauften Lose und waren alle eins, bis der Gipfel des Baumes +zur Versteigerung kam. An diesem Gipfel hing ein Hering, eine +Kindertrompete, ein Bündelchen Zigarren, eine Glaskugel, ein +Lebkuchenherz, ein Wachsengel und ein einzelner roter Plüschpantoffel. +Den andern hatte schon ein Bäckermeister gewonnen, da er an dem Zweige +hing, dessen Nummer sein Los trug. + +Alles steigerte mit leidenschaftlichem Eifer, und es währte nicht lange, +da waren schon dreißig Mark für den Gipfel geboten. Nun ging's etwas +langsamer; doch steigerte noch alles lebhaft mit, bis ein Metzgermeister +rasch vierzig Mark bot und ihn ohne Einspruch zugeschlagen erhielt. Er +zahlte und schenkte dann den Gipfel der Gesellschaft zur nochmaligen +Versteigerung. Diesmal fiel er für einundzwanzig Mark einem Weinhändler +zu. Auch der schenkte ihn wieder her, und nun kam der Hering samt +Kindertrompete und Plüschpantoffel für die Summe von dreizehn Mark in +die Hände meines Vaters, der gleichfalls zugunsten der Tischgesellschaft +alles noch einmal versteigern ließ. + +Jetzt fiel dem Bäckermeister plötzlich ein, daß zu dem einen +Plüschpantoffel auch ein zweiter gehöre, und er steigerte nun eifrig +mit. Aber da war ein junger Ehemann, ein Bräubursch, dem seine Gattin +vor einer Woche den ersten Buben geschenkt hatte; der wollte die +Trompete für seinen Stammhalter haben. Und nun begann ein hitziges +Bieten: »Drei Mark fuchzg!« schrie der Bäcker. + +»Vier Mark!« der andere. + +»Sechs Mark!« scholl es wieder herüben, aber schon schrie der Ehemann: +»Acht Mark! I werd dirs zoagn, du arme Bäckerseel!« + +»Was hast g'sagt, du windiger Bräuknecht! Acht Mark fuchzg!« + +»Neun Mark!« erscholl da plötzlich aus dem Hintergrund die Stimme des +Kobelbauer Hias, eines Obermälzers, und rasch schrie der junge Ehemann: +»Zehn Markl!« + +Der Bäckermeister wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine +Stimme klang heiser, als er schrie: »Zehn Mark fuchzg! Jatz ko mi der +Hanswurscht scho bald ...« + +Aber er kam nicht zum Ausreden; denn: »Elf Mark fuchzg!« tönte es schon +wieder aus dem Hintergrund und gleich darauf: »Zwölf Mark!« von dem +Liebhaber der Trompete. + +Nun vergaß der Bäcker vor Wut weiterzubieten, und sprang auf, stürzte +auf den Bräuburschen zu und packte ihn an der Gurgel: »Willst stad sei, +du Bräuhengst, du verflixter! Jatz biat i und kriagn muaß i 'hn aa, den +Gipfl, sunst is g'feit, dös mirkst dir!« + +Aber er war schon zu spät daran; denn während er sich mit dem andern +stritt, freute sich der dritt': der Kobelbauer Hias ersteigerte den +Gipfel um dreizehn Mark und machte sich damit davon. + +Der Bräubursch aber hatte den Bäcker mit solcher Macht zurückgeworfen, +daß dieser rücklings in einen runden Tisch fiel und alle Krüge und +Gläser umwarf. Die Frau des Laternanzünders Tiburtius Kiermeier hatte +eben ein Kalbsgulasch vor sich stehen und wollte zu essen beginnen; da +kam der Bäcker geflogen, und durch den großen Sturz geriet die Platte +mit der Sauce ins Rutschen, und ehe die Frau Laternanzünder sich's +versah, hatte sie das Gulasch samt der Brüh und den Kartoffeln im Schoß: +»Jess' Maria! Mei guater Tuachrock!« kreischte sie laut auf und stieß +gleich darauf ihren Mann heftig in die Seite; denn der hatte so eifrig +mit einem am andern Tisch sitzenden Schuhmacher, genannt der +Revolutionsschuster, über Anarchismus und Sozialdemokratie debattiert, +daß er von dem Streit und auch von dem Unglück seiner Gattin nichts +bemerkt hatte. Nun aber sprang er auf, und als ihm diese kreischend und +unter Tränen den Vorfall geschildert hatte, erhob er seinen Stuhl und +schrie: »Nieder mit dem schwarzen Bäckerhund! Hauts'n nieder, den +Zentrumshund! D'Sozialdemokratie soll lebn!« + +In diesem Augenblick aber fielen ihm etliche in den Arm, drückten ihn +wieder auf seinen Sitz und riefen: »Sei do g'scheit, Tiburtl!« doch der +war nun schon in der Hitze und schrie und schimpfte weiter. + +Die Streitenden aber waren inzwischen abermals aneinander geraten, und +bald setzte es da und dort Hiebe ab. Nun sprangen etliche Rauflustige +hinzu, und ehe man sich dessen versah, artete der Streit zu einer +regelrechten Prügelei aus. + +Zu allem Unglück löschte ein Boshafter das Licht aus, indem er den +Gasometer abstellte. + +Der Vater rief: »Kathi, schnell reibn S' s Gas auf!« Die Mutter schrie +aus der Küche: »Kreuzsakerament! a Liacht brauch i!« Ich aber faßte +meinen Hund am Halsband, er trug den Maulkorb, und stürmte mitten in den +Knäuel: »Auseinander! Schleicher, faß an! Sakrament, auseinander, sag i! +Wer si net niederhockt, is hi!« + +In diesem Moment flammte wieder ein Licht auf, und während der Vater +totenblaß an einem Tisch lehnte, da er noch immer kränkelte und sich +nicht aufregen durfte, teilte ich kräftige Püffe aus. Der Hund aber +hatte die zwei Hauptschreier zu Boden geworfen und sein zorniges Knurren +verriet, daß er keinen Spaß trieb. Die beiden lagen blutend und voll +Beulen da, der eine hielt noch einen Maßkrughenkel, der Bäcker aber sein +Stilet in Händen. + +Die übrigen Raufbolde waren beim Dreinfahren des Hundes erschreckt +zurückgewichen, und nachdem ich den Bäcker und den andern in die Höhe +gezogen und beide zahlen geheißen, wies ich ihnen die Tür mit den +Worten: »Marsch, schaugts, daß hoamkommt's, ös Wildling!« + +Bald war wieder Ruhe im Lokal; die Scherben wurden aufgeräumt, die +Tische und Stühle gesäubert und der Frau Kiermeier vom Vorstand der +Tischgesellschaft ein neues Kleid versprochen. Und als um vier Uhr +morgens die letzten Gäste schwankend das Lokal verließen, versicherten +sie einmütig mit stillvergnügtem Lächeln: »Schö war's, wunderschö!« + + * * * * * + +Am andern Tag mochte aber wohl mancher einen schweren Kopf gehabt haben, +und auch wir waren alle übernächtig und trachtete ein jedes, den +versäumten Schlaf so geschwind wie möglich nachzuholen. Der Vater und +die Mutter legten sich gleich nach dem Mittagessen nieder; die +Küchenmagd machte ganz gläserne Augen und verschwand plötzlich, noch ehe +sie ihre Arbeit getan; die Kellnerin mußte sich niedersetzen zum +Besteckputzen, und dabei sank ihr der Kopf immer tiefer, bis sie mit der +Nase auf das Putzbrett stieß. Ich selber nahm mir einen Stuhl und setzte +mich in die Schenke, rief den Schleicher zu mir und machte auch ein +Schläfchen, das zu meiner Freude nicht gar zu oft durch das schrille +Klingeln der Schenkglocke gestört wurde. Um fünf Uhr aber war jedes +wieder munter, und nachdem wir Kaffee getrunken hatten, meinte die +Mutter: »So, jatz konn's glei wieder ogeh 's G'schäft und dauern bis um +zwoa!« Doch bekam sie bald Kopfweh in der heißen Küche und ging in die +Stube und ich kochte allein. + +Da hieß es erst einen großen Hafen voll Lunge oder Voressen bereiten für +die Arbeitsleute, die jeden Abend um sieben Uhr an der Küchentür mit +ihren Haferln standen und fragten: »Habts heut a Lungl?« + +Dann schrieb ich die Speisenkarte. + +Bald danach kamen die Kunden aus der Nachbarschaft, meist alte Weiber, +und begehrten zu wissen, was sie zum Abend haben könnten: »Freiln Leni, +ham S' heut a Gansjung?« + +»Ja, was fallt denn Eahna ei!« rief ich da. »Jatz, wo s' so teuer san am +Markt! Wos moanan S', was jatz a Gansjung kostn tät? A Mark ganz gwiß! +Mögn S' vielleicht sonst a Schmankerl? A sauere Leber oder a bachene; +oder a bra'ne Haxn, a halbete? A schöns Schweinszüngl is aa da und guate +G'schwollne, selbergmachte!« + +»Dös mag mei Mann alles net!« sagte die eine oder andere dann, und ich +mußte ihnen weitere Spezialitäten hernennen: »Ja mei, da werds schlecht +ausschaugn, wenn der Herr Gemahl dös net mag! Sagn S' halt, a Hirn, a +Herz, a Kottlett, a Schnitzl und a Gulasch ham ma r aa; oder vielleicht +mag er an Ochsenmaulsalat!« + +Nachdem ich dies alles aufgezählt hatte, kam es freilich auch manchmal +vor, daß eine, nachdem sie alles mögliche auszusetzen gehabt und ihr die +Leber zu sauer, das Gulasch zu scharf, an der Haxn z'weni dro und das +Züngerl z'fett gewesen war, zögernd fragte: »Habn S' a Lungl aa?« und um +a Zehnerl davon holte, was mich immer sehr zornig machte, so daß ich, +wenn sie draußen war, voll Wut zur Küchenmagd sagte: »Schaugts nur grad +a so a Büchslmadam o! Wenn s' a Kottlett um a Zwanzgerl kriagt hätt, +wars ihr scho recht gwen, dera Flugga!« + +Aber trotz allen Ärgers war ich doch recht gern Herr in der Küche, und +als einmal im Sommer die Mutter eingeladen wurde, an der Wallfahrt nach +Altötting teilzunehmen, gab ich nicht eher Ruhe, bis sie ja sagte. + +Freilich mußte ich nun tüchtig mit anfassen die drei Tage, welche die +Mutter nicht da war; doch wurde ich ganz gut fertig und konnte sogar dem +Vater noch helfen am Abend, wenn der Hauptandrang an der Gassenschenke +war. + +Da wurden innerhalb einer Stunde über zwei Hektoliter Bier ausgeschenkt, +und die Leute standen mit ihren Krügen an, wie zu Ostern in der Kirche +beim Beichten. Der Vater schenkte ein und ich kassierte. Da ging's: +»Frau Bergbauer, a Maß, a Halbe und a Quartl, macht vierazwanzg, +sechsadreißg, zwoaravierzg; so -- und acht san fufzg und fufzg is a +Mark. Dank schö, adie Frau Bergbauer, wieder komma! D'Frau Graf hat +dreimal drei; dös macht vierafufzg und sechs is sechzg. Dank schö, adie! +Der Kloane kriagt a Halbe; tuas fei net ausschüttn! Herr Nachbar, drei +Quartl? Vater, drei! Und a Zigarrn! Derf i s' glei ozündn? Jatz ham ma +achzehn und sechs is vierazwanzg und von gestern zwoa Maß, dös macht +nacha zwoarasiebazg. Stimmt ak'rat wie zählt. Adie, Herr Nachbar, dank +schö!« Und so ging's fort, bis ich wieder in die Küche mußte. + +Am nächsten Tag schickte die Mutter aus Altötting eine Karte mit dem +Bild der Mutter Gottes und schrieb: »Liebster Josef! Ich bin ganz weck +vor lauter schön. Vielle Grüße sendet euch eure treue Mutter Magdalena +Zirngibl.« + +Ich freute mich sehr, daß es der Mutter so wohl gefiel; hoffte ich doch, +es möchte diese Wallfahrt günstig auf ihr Gemüt wirken, daß sie ein +wenig verträglicher würde; denn sie war immer noch trotz aller +Frömmigkeit recht bös und quälte mich oft entsetzlich. Bei dem +geringsten Anlaß gab sie mir trotz meiner neunzehn Jahre noch Schläge +ins Gesicht und hinter die Ohren, oder riß mich an den Haaren herum; ja, +nicht selten nahm sie noch wie früher den Stock und prügelte mich +elendiglich. Deshalb suchte ich, so gut es mir gelingen wollte, Anlässe +zu solchen Szenen zu vermeiden; doch glückte es mir nicht immer, und ich +wurde nun wieder trübsinnig und verlor alle Lust zum Schaffen und +schließlich auch zum Leben. + +Da geschah es, daß wir eine neue Kellnerin bekamen; denn die Kathi hatte +sich mit einem unserer Gäste, dem Briefträger Schwertschlager, +verheiratet. Das neue Mädchen hieß Babett und war recht fleißig und von +einnehmendem Wesen; daher schloß ich mich rasch an sie an, weihte sie in +manche von den häßlichen Szenen, die ich mit meiner Mutter hatte, ein +und vertraute ihr auch an, daß ich des Lebens im Hause ganz überdrüssig +sei. Da empfahl sie mir, ich solle mir doch eine Sparbüchse anlegen und +alle Tage etwas aus der Schenkkasse hineintun; wenn es mir dann einmal +gar zu schlecht ginge, könnte ich davonlaufen und hätte doch Geld. Ich +folgte ihr und legte täglich zwei kleine, silberne Zwanzgerln in eine +irdene Sparbüchse, die ich in der Schublade des Büfetts, die der +Kellnerin zur Aufbewahrung ihrer Sachen diente, versteckte. + +Es mußte schon ein schönes Sümmchen beisammen sein, denn etliche Wochen +trieb ich diese Heimlichkeit. + +Da kam der Namenstag der Mutter. + +Schon einige Tage vorher hatte ich die Babett an einer sehr feinen +Spitze häkeln sehen und plagte sie nun, sie solle mir dieselbe für die +Mutter verkaufen. Sie willigte ein, und nachdem sie mich das Muster +gelehrt hatte, häkelte ich noch ein gutes Stück selber dazu. Ich +bezahlte ihr für die Arbeit zwei Mark, bat mir aber aus, sie dürfe der +Mutter ja nicht verraten, daß auch sie daran gehäkelt habe; denn die +Mutter hielt nur auf Handarbeiten etwas, die man selbst gefertigt hatte. +Sie schien auch wirklich sehr erfreut und fragte mich, wo ich das Muster +herbekommen habe. + +Ich antwortete: »Von der Babett.« + +Darauf meinte sie: »Die hast ja du gar net g'häkelt, die hat ja d'Babett +g'macht!« + +Ich blickte wie versteinert die Mutter an und brachte endlich kaum +hörbar die Worte heraus: »Wer sagt denn dös?« + +»D'Babett hat mir's selber g'sagt!« erwiderte die Mutter scharf. + +Da brach ich in Tränen aus: »Naa, so a Gemeinheit! Jatz hat s' mir's so +heilig versprocha, daß s' nix sagt ...« + +»So, hab i di jatz g'fangt, du Luder, du verlogns!« triumphierte jetzt +die Mutter mit bösem Lachen; dabei nahm sie die Spitze und warf sie ins +Herdfeuer. »Heut konnst di aber g'freun! Heut treib i dir's Lügn aus für +allweil!« + +Mir war ganz dumm im Kopf, und wie im Traum ging ich in die Gaststube +und wollte die Sparbüchse mit dem geheimen Geld zu mir nehmen; da fand +ich sie leer. Sprachlos starrte ich in die Schublade, bis die Mutter in +das Zimmer trat. Da schob ich die Lade zu und ging wieder in die Küche. +Doch konnte ich nichts tun und hatte nur den einen Gedanken im Kopf: +Heut bringt s' di um; denn sie war so seltsam still, trank rasch fünf +oder sechs Halbe Bier und warf mir grausige, entsetzliche Blicke zu. +Aber sie sprach kein Wort in der Sache, bis nach dem Mittagessen. Da +rief sie dem Vater in die Schenke: »Josef, heut bleibst in der Schenk, +die is heut net da!« wobei sie mir wieder einen solch bösen Blick +zuwarf, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Dann sagte sie, indem +sie den großen, eisernen Schürhaken vom Herd nahm und sich zum Gehen +schickte: »Richst 's Hundsfressen no her, du Schinderviech; nachher +gehst 'nauf!« + +Als sie fort war, rief ich die Babett zu mir in die Küche und machte ihr +Vorhalt wegen der Spitze und auch wegen des Geldes. + +Da sagte sie: »I hab koa Wort verraten und vom Geld woaß i nix! +Überhaupt derfan Sie koa Wort sagn; denn wenn i mei Maul aufmach, na is +g'fehlt um Eahna!« Damit ging sie aus der Küche. + +Ich hatte kaum die letzten Worte gehört, so wurde mir heiß und kalt, und +plötzlich ergriff ich das große Tranchiermesser, legte erst die eine und +dann die andere Hand auf den Hackstock und schnitt mir an beiden Armen +die Pulsadern durch. Dann lief ich zum Schlüsselbrett, nahm die +Kellerschlüssel, rannte die Stiege hinab, schloß mich in den Weinkeller +ein und kauerte mich in einen Winkel und hoffte stumpfsinnig auf den +Tod. + +Wie lange ich so gelegen bin, weiß ich nicht. Bekannte erzählten mir +später, daß mich eine Frau, die von der Gassenschenke aus in die Küche +geblickt hatte, beobachtet und den Vorfall meinem Vater mitgeteilt habe. +Doch wußte niemand, wo ich hingelaufen war, bis man endlich die +Kellerschlüssel vermißte. Da nahm der Vater den Schleicher, ließ vom +Schlosser den Keller aufbrechen und suchte mich. Der Hund aber lief erst +unruhig im ganzen Keller umher, bis er sich plötzlich vor die Tür zum +Weinkeller stellte und laut zu winseln begann. Da erbrach der Schlosser +auch diese Tür, und nun fanden sie mich ohnmächtig in meinem Blute +liegen. Sie hoben mich auf und brachten mich zum nächsten Bader, der mir +einen Notverband anlegte und mich dann zu einem Arzt fahren ließ. Dort +wurden die Wunden genäht, wobei es der Doktor nicht an anzüglichen Reden +fehlen ließ, da ja gemeiniglich nur nach der Tat, selten aber nach Grund +und Ursach geforscht wird. + +Darauf brachte man mich wieder nach Hause, und meine Mutter empfing mich +sofort mit den Worten: »Hat di jatz der Teufi no net gholt! Bist no net +hin?« + +Da dachte ich, es könnte am Ende besser sein, wenn ich ginge; denn +vielleicht bekäme ich von der Mutter einmal einen Hieb, der mich zum +Krüppel machte; da wäre ich doch lieber tot. + + * * * * * + +Also ging ich andern Tags zu meiner Base, die mit dem Bruder der Mutter +in einem alten, kleinen Häuschen Giesings wohnte. Die nahm mich voller +Mitleid auf und ich verbrachte ein paar glückliche Wochen bei ihr. Auch +sie riet mir, ich solle eine Zeitlang unter fremde Leute gehen und +dienen. Deshalb suchte ich, nachdem meine Arme wieder geheilt waren, +eine Verdingerin auf, die mir einen Platz als zweite Köchin in der +Floriansmühle zubrachte und mir empfahl, zuvor meinem Vormund, dem +Ehemann der Nanni, zu schreiben, daß er mir seine Erlaubnis zum Dienen +gebe; denn ich war noch nicht mündig. Der antwortete in seinem +Schreiben: »Mir ist's ganz recht, wenn sie dint und ligt nichts dran, +wenn sie heirat. Josef Eder.« + +Mit diesem Brief ging ich zur Polizei und holte mir ein Dienstbuch. +Danach erbat ich mir von meiner Base das Verdinggeld, fünf Mark, und +brachte es der Frau, worauf ich mich nach der Floriansmühle begab. + +Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister +vorbei und stand mit einem Male vor einem kleinen Dörflein. + +Zu meiner Rechten floß ein von alten Bäumen und schon herbstlich buntem +Strauchwerk eingefaßter Kanal, der das ausgedehnte, rings von saftigen +Wiesen und schattigen Baumgärten umgebene Besitztum, auf dem ich meinen +Dienst antreten sollte, von dem eigentlichen Ort trennte. + +Ich schritt den Bach aufwärts und stand bald vor dem großen Hoftor des +Gutes, das drei Brüdern zu eigen gehörte und dessen Gastwirtschaft von +jeher als eine beliebte Einkehr der Münchner galt. + +Als ich in den Hof trat, stand vor der niedern Tür des schmucken, mit +seinen grünen Fensterläden und den sauber an Spalieren gezogenen +Weinreben recht heimisch aussehenden Wohnhauses ein junges Mädchen und +fütterte aus einer weiten, irdenen Schüssel Enten, Hühner und Tauben mit +feingehackten Maiskörnern. Droben auf dem Dach aber, das von einem +Glockentürmlein gekrönt war, saß ein großer Pfau und schrie mit +kreischender Stimme sein klägliches: »Pau, pau« in die stille Luft. + +Weiter drüben vor dem Stall stand ein langer, grobknochiger Knecht und +schirrte zwei schwere Grauschimmel an und spannte sie vor einen hoch mit +Mehlsäcken beladenen Wagen, während aus der mit Tannengirlanden +geschmückten Türe eines kleinen Tanzsaales, dessen Fensterläden fest +geschlossen waren, soeben ein älterer Mann trat und angestrengt nach der +von uralten Pappeln eingesäumten Landstraße sah. + +In diesem Augenblick fuhr von der andern Seite ein leichtes Ponygefährt +durchs Tor in den Hof, und ihm entstieg ein etwa zwanzigjähriger, +elegant gekleideter junger Mann, warf die Zügel dem dampfenden Pferd auf +den Rücken und hob danach ein liebliches, ganz in Weiß gekleidetes, etwa +achtjähriges Mädchen aus dem Wagen. Mit lautem Jubel stürmte die Kleine +an dem erschreckt auffahrenden jungen Mädchen vorüber, wobei Hühner und +Enten laut schreiend und gackernd auseinanderstoben, und sprang lachend +an dem alten Herrn empor mit dem Ruf: »Onkel Kilian, fein wars!« Dieser +gab dem Mädchen erst einen schallenden Kuß und wandte sich dann an den +jungen Mann: »So, Maxl, hast dir jatz amal gnua kutschiert?« + +»Ja, Onkel! Bis zum Flaucher san ma nauf; 's Lieserl hätt bald nimmer +gnua kriagt!« Dann rief er lachend der noch immer über das Ungestüm der +Kleinen erbosten jungen Dame zu: »Servus, Fräuln Schwester!« Und als sie +nichts erwiderte, trat er rasch auf sie zu, faßte sie um die Hüften und +meinte: »Na, Klärl, kommt's am End scho wieder zum Regnen?« + +Unwillig stieß sie ihn weg und wollte etwas entgegnen, da fuhren rasch +hintereinander drei elegante Equipagen vor, und sofort stürzten alle +hinzu und halfen den Herrschaften dienstbeflissen aus den Wagen. + +Ich war lange Zeit unschlüssig hinter dem vorderen Tor gestanden; jetzt +benutzte ich rasch den günstigen Augenblick und trat schnell in die +Küche, die in peinlichster Sauberkeit glänzte. + +Gegenüber dem großen, in der Mitte stehenden Herd befanden sich hohe +Schränke und Stellagen voll Porzellangeschirr und von den Wänden +blinkten reiche Kupfer- und Zinnmodel. Vor dem Herd stand gerade eine +große, wohlbeleibte Köchin, die Kaffee kochte, und hinten in einer Ecke +war ein altes Weiblein mit dem Rupfen einer großen Schüssel voll Enten +beschäftigt. An dem mächtigen Schubfenster des Büfetts, von dem aus man +den großen, schattigen Wirtsgarten überblicken konnte, stand eben die +Frau des Hauses und gab der Kellnerin mehrere Platten mit Kuchen und +gebratenen Hühnern. Dann wandte sie sich um, und als ich gerade der +Köchin, die mich barsch nach meinem Begehr fragte, antworten wollte, +rief sie mit freundlicher Miene: »Ah, jatz kommt mei neue Köchin! Sie +san aber no jung!« + +Ich erwiderte, nachdem ich sie begrüßt, ziemlich schüchtern: »I bin scho +neunzehn Jahr alt!« worauf sie mich fragte, ob ich denn auch kochen +könne. Da bekam ich auf einmal Schneid und sagte frisch: »Dös moan i! I +hab dahoam scho dö ganze Wirtschaft g'führt und mir ham koa schlechts +G'schäft! Bloß mit dö Mehlspeisn hats was; dö gibt's bei uns 's ganz +Jahr net!« + +Lachend meinte die Frau: »Dös kriagn ma scho no; bloß a Schneid +braucht's und an guatn Willn.« + +Ich versprach ihr, daß ich ihr keine Schande machen wolle, und fragte, +wann ich schon eintreten könne. Sie sagte: »Glei morgn können S' kommen; +lassen S' ma Eahna Adreß da, der Knecht fahrt morgen so in d'Stadt nauf +am Markt; der kann glei Eahnan Koffer mitnehmen.« + +Dann gab sie mir noch einen Taler als »Drangeld«, womit sie mich fest +zum Antritt meiner Stelle verpflichtete. + +»Gnä Frau,« sagte ich noch, ehe ich ging, »kann i vielleicht glei was +b'sorgn, eh i morgn aus der Stadt geh? I kannt's leicht mitnehmen.« Doch +sie verneinte und sagte: »Dös g'fallt ma, daß S' Eahna so onehma; aber +bei uns fahrt alle Tag oans nauf zum Einkaufn und B'stelln. Trinkn S' +jatz no g'schwind a Tass' Kaffee!« + +Nun bekam ich eine große Tasse voll und einen Krapfen, wobei die Frau +meinte: »Probiern S' unsere Krapfen, die müssen S' z'erscht ferti +bringa!« + +Ich fand alles recht gut und ging frohen Herzens heim zu meiner Base und +berichtete ihr alles, worauf sie mich ermahnte, ich solle mich recht gut +halten, daß ich meiner Mutter zeigen könne, wie andere Leute mit mir +zufrieden wären. + +Andern Tags am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg. Ich war guten +Muts und sang laut, als ich durch den Englischen Garten schritt; denn +ich hatte von der Endstation der Trambahn aus noch fast eine Stunde zu +gehen. + +Als ich auf den Hof kam, schlug es neun Uhr, und der Obermüller und die +Mühlknechte machten grad Brotzeit und holten sich ihr Bier. + +Mit einem lauten: »Grüaß Gott! Jatz bin i da!« trat ich in die Küche, wo +es schon überall dampfte und brodelte. Die Frau war noch nicht auf, und +so wies mir die erste Köchin meine Kammer zum Schlafen an. Rasch nahm +ich mein Hütlein ab, zog mein Mäntelchen aus, tat eine schöne weiße +Schürze um und ging wieder hinunter. + +Nun hieß es sich rühren! Als die Frau um zehn Uhr in die Küche kam, +hatte ich schon einen großen Hafen voll Entenjung für die Leute der +Ökonomie zubereitet und war gerade dabei, ein Brett voll Knödel zu +machen. + +»So, san ma scho fest bei der Arbeit!« sagte die freundliche Wirtin und +klopfte mir wohlwollend auf die Schulter, worauf ich lachend erwiderte: +»Bis jatz konn i's scho no damacha!« doch hätte ich dies am Nachmittag +wohl kaum mehr geantwortet; denn da ging's drunter und drüber. + +Da kamen Herrschaften in ihren Equipagen, die sich mit Brathähndln, +Eierspeisen, kalten Platten und dergleichen Leckerbissen aufwarten +ließen, ferner Radfahrer, die in großer Eile ihren Kaffee tranken, und +auch an Spaziergängern fehlte es nicht, die da ihren Käs mit Butter, ein +Ripperl oder Regensburger verzehrten. + +Der Kaffee wurde in lauter kleinen Kännchen serviert, und eine alte +Spülerin hatte den ganzen Mittag und Nachmittag vollauf zu tun, um all +die Geschirrlein zu säubern und auf kleine Nickeltabletten zu ordnen. In +einem riesigen Waschkorb lagen an die hundert Krapfen, daneben standen +Teller und Platten mit feinem Kaffeekuchen, was alles im Haus gebacken +wurde. + +In der Schenke ging es zur Mittagszeit noch ziemlich ruhig her; doch war +am Nachmittag auch hier ein großes Hinundher. Da wurde nicht nur Bier +ausgeschenkt, sondern auch alle möglichen Limonaden, Sauerbrunnen, +Schorlemorle, Radlermaßen und auch gar manche Flasche Wein. + +Die »rote Kuni«, wie man im Scherz die rothaarige Schenkkellnerin +nannte, wußte sich bei dem Trubel kaum mehr zu helfen; denn sie war von +Haus aus schon schwerfällig und nun erwartete sie auch noch ein Kind, +das vierte, seit sie in der Floriansmühle im Dienste stand. Für jedes +hatte sie einen andern Vater benannt, der ihr für Ehr und Kind bezahlen +mußte, was ein jeder auch ohne Widerrede tat. + +Um die Zeit meines Eintritts war nun überall wegen der Herbstmanöver +Einquartierung. Auch in die Mühle kam die Ordre, man solle Quartier +bereiten für mindestens zwanzig Mann und etliche Offiziere der schweren +Reiter aus Landshut. + +Es währte nicht lange, da rasselten im Saal die Säbel und klirrten die +Sporen. Zwanzig Gemeine, vier Feldwebel und Wachtmeister, sowie sechs +Offiziere hatten wir bekommen. + +Da gab es Arbeit in Menge; zwar war für die Gemeinen das Mahl bald +bereitet, doch für die Herren wurde gar fein aufgekocht. Am Abend gab es +dann regelmäßig ein kleines Tänzchen, zu dem ein Mühlknecht mit der +Ziehharmonika aufspielte. + +Elf Tage blieben sie. Da geschah es am dritten Tage, daß die rote Kuni +in der Früh nicht mehr erschien und in der Stille der folgenden Nacht +einem Knäblein das Leben gab. Nun war niemand in der Schenke; da fragte +ich, ob ich nicht auf etliche Tage dies Amt versehen könne. Die +Herrschaft war recht froh über den Antrag, und ich wurde noch am selben +Tag die Schenkkellnerin. Zugleich hatte ich die Gäste zu bedienen und +auch den Offizieren zu servieren; doch ging mir alles glücklich von der +Hand, und schon nach ein paar Tagen mußte ich das Versprechen geben, in +der Schenke zu bleiben. Ich tat es gerne; denn ich verdiente mir ein +schönes Stück Geld und lernte überdies mit feinen Leuten umzugehen. + +Bald hatte ich mir nicht nur die Zufriedenheit der Herrschaft erworben, +ich war auch der Liebling der Offiziere und vieler vornehmer Gäste. + +Am Tage vor ihrem Weitermarsch veranstalteten die Hauptleute der +Einquartierten noch einen kleinen Ball, zu dem viele Münchner Offiziere +samt ihren Frauen geladen waren. Vorher war ein reiches Mahl gegeben +worden und ich hatte alle Hände voll zu tun. Danach gab mir ein jeder +der Offiziere, die durch den Herrn schon erfahren hatten, daß ich eine +Bürgerstochter und ein braves Mädel sei, die Hand, viel schöne Worte und +einen blanken Taler, und einer bat mich gar um ein »Busserl«, wofür er +mir versprach, er wolle ewig an dieses Herbstmanöver denken. + +Ich hatte nichts weiter dagegen und gab ihm lachend den verlangten Kuß. +Da hielt der junge Herr mich fest und legte mir ein feines Kettlein mit +einem kleinen Medaillon um den Hals. + +»Es ziemt sich nicht,« meinte er dann ernst, »einem Mädchen aus gutem +Haus ein Trinkgeld zu reichen; ich wenigstens kann es nicht und hoffe +auch, daß meine lieben und geschätzten Kameraden das Mädel nicht +entlohnen, sondern nur belohnen wollten.« + +Ich war ganz bestürzt und dachte schon, jetzt müsse ich all das schöne +Geld wieder hergeben; da rief ein alter, graubärtiger Offizier mit +schnarrender Stimme: »Ah, was! Unsinn, Kamerad! Der Taler ist nicht +Trinkgeld, sondern Andenken an uns fesche Kerle!« worauf alles in +Gelächter ausbrach und die Angelegenheit erledigt war. + +Später, beim Tanz, bat der junge Herr meine Herrschaft, mir Urlaub zu +geben, bestellte etwa zwanzig Flaschen Sekt und ließ sie gleich kalt +stellen. Sodann befahl er den Offiziersburschen, zu bedienen. + +Die andern Mannschaften hatten sich draußen in der Tenne bei einem Faß +Bier versammelt und Wachtmeister und Unteroffiziere saßen im Nebenzimmer +fidel beisammen. + +Ich mußte ein gutes Kleid anziehen und war nun sehr begehrt, wobei ich +fand, daß der Leutnant mit dem Kettlein es im Tanzen selbst den höchsten +Offizieren zuvor tat. Er meinte es, wie mir schien, recht ehrlich mit +mir; denn er wollte nicht einmal das »Busserl«, das er mir am Abend +abverlangt hatte, behalten und gab es mir mit dankbarem Blick vierfach +zurück, ehe er beim Morgengrauen den Tanzsaal verließ. + +Am andern Tag sah ich die Truppen wohl fortreiten, doch konnte ich aus +der großen Ferne keinen mehr erkennen. + +Dafür kamen am Nachmittag abermals etwa zehn Reiter, zwar keine +Offiziere, doch auch ganz muntere Gesellen, die in einer Reitschule das +lernten, was sie später entweder zum Beruf brauchten oder womit sie +andern einmal imponieren wollten. + +Sie kamen nun täglich und waren alle recht höflich und liebenswürdig zu +mir, gaben mir viel Trinkgelder und brachten mir allerlei hübsche Dinge +mit: bald ein Körblein Blumen, bald ein Schächtelchen mit Zuckerwerk. +Einer von ihnen aber, der Sohn des Reitschulbesitzers, hätte mir gerne +einen hübschen Filigranschmuck geschenkt; doch ich wies das Angebinde +schnöde zurück, weil der Geber sich dafür nichts weniger denn mein +Jungfernkrönlein ausgebeten hatte. + +Überhaupt traten jetzt die Versucher gar häufig und, wie sie meinten, in +den lockendsten Gestalten an mich heran. + +Da war ein alter Jude, ein steinreicher Geldhändler, der mir für eine +kleine Liebenswürdigkeit sofort eine große Summe Goldes bot. Ferner ein +Pferdehändler, ebenfalls ein Jude, der mir einst seine Equipage mit der +Weisung schickte, ich solle mich in den ersten Modehäusern kleiden wie +ich wünsche, koste es, was es wolle; doch möchte ich nachher in +demselben Wagen heim in seine Wohnung fahren und bei ihm eine Tasse Tee +trinken. + +Doch nicht nur die reichen Herren, auch etliche Burschen aus der Mühle +hätten mich gern zu ihrem Schätzlein gehabt, und ich wußte bald nicht +mehr, was ich tun sollte, um mir die unsinnigen Freier vom Hals zu +schaffen. Und als mich gar einmal mitten in der Nacht draußen vor meinem +Fenster, ich schlief im ersten Stock, ein Geräusch aufweckte, als hätte +jemand eine Leiter angesetzt, und gleich danach ein leises Klopfen an +die Scheiben ertönte und jemand mit unterdrückter Stimme rief: »Lenerl, +mach auf! I muaß dir was sagn,« da sprang ich voll Zorn aus dem Bett und +rief ganz laut hinaus, ohne zu öffnen: »Mei Ruah will i habn! I brauch +koan Burschn zum Fensterln; wer si net zu der Tür 'reitraut, soll ganz +wegbleibn!« + +Da erscholl es draußen wieder flehend: »Geh, laß mi halt ei, Dirndl! I +hätt a schöns Ringerl für di!« während zu gleicher Zeit im Garten +drunten der alte Bernhardinerhund wütend zu bellen begann. Nun klopfte +der nächtliche Besucher wieder, diesmal aber ganz heftig, ans Fenster +und bat: »Lenerl, i bitt di um Gottswilln, laß mi halt ei, i bins ja, +der Mühlfranzl! Schau, da Barri laßt mi nimma abi!« + +Ich gab nun gar keine Antwort mehr und hielt mich mäuschenstill; denn im +Zimmer neben mir wurde es lebendig und gleich darauf erschien Max, der +etwa zwanzigjährige Sohn meiner Herrschaft, in Unterhosen und barfuß, +ein Kerzenlicht in der Hand, an meiner Tür: »Leni, hörn Sie nix? +Einbrecher müassn da sei!« + +Nun verschwand die Gestalt eilig vom Fenster, und gleich danach vernahm +man ein wildes Auffahren des Hundes, einen dumpfen Schrei und das +Umfallen der Leiter. Darauf war es wieder still. + +Nun wagte ich, das Fenster zu öffnen, und sah hinunter. Da saß unser +Barri auf einer dunklen, am Boden hingestreckten Gestalt, und über den +beiden lag die lange Leiter. + +»Unser liabi Zeit! Der hat si gwiß dafalln!« rief ich voll Schreck und +bereute schon meine Härte; da schrie der Max zum Fenster hinunter, +während ich ganz gebrochen auf einen Stuhl fiel: »Barri, marsch in dei +Hüttn!« worauf der Hund den Schwanz einzog und unter der Leiter +wegschlich. + +»Wer nur dös sei muaß!« meinte etwas angstvoll der junge Mann. + +Da sagte ich leise, indem ich wieder zum Fenster trat und hinabsah: »Der +Mühlfranzl war's. Fensterln hätt er wolln! Und jatz is er tot zwegn mein +Trutz!« + +In diesem Augenblick rührte sich der vermeintliche Tote, kroch unter der +Leiter hervor und hinkte mühsam und halblaut fluchend von dannen. + +Nun verließ auch der Max das Zimmer und ich legte mich wieder hin; doch +ich konnte nicht mehr einschlafen und nahm mir vor, das Haus zu +verlassen. Ich sagte das am Morgen auch der Frau; doch die lachte mich +aus und meinte: »Ja, warum net gar! Davonlaufn möcht s' jatz, anstatt +daß s' an Stolz hätt, wenn si d'Burschn so um sie reißn! Recht zum Narrn +haltn tuast's!« + +Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich auch wirklich für diesen +vernünftigen Ausweg. Ich ließ mir eifrig den Hof machen und hatte die +größte Freude, wenn sich manches Mal der eine oder andere von einem +Rivalen zurückgedrängt glaubte und ihm mit der Faust zu beweisen suchte, +daß er der Bevorzugte sei. + +Der Umstand, daß ich mich in diesem ständigen Kreuzfeuer so tapfer +bewährte, ließ mich nicht nur in den Augen meiner Herrschaft groß +dastehen, sondern auch in der Gunst unserer Stammgäste, zu denen auch +der Benefiziat des Dorfes zählte, höher und höher steigen, und es +geschah des öfteren, daß der hochwürdige Herr mich beiseite nahm und mir +versicherte, ich sei das tapferste Mädel, das ihm vorgekommen; und als +ich ihm einmal sein Bier auf den Tisch stellte, rief er: »Na, wie +geht's, Sie steinerne Jungfrau? Hat sich gestern keiner von Ihren +Verehrern erschossen?« worauf ich lachend erwiderte: »Naa, Herr +Hochwürden, aber datränkt hat si scho hi und da oana z'wegn meiner!« + +»Was!« schrie er da voll Schreck und hatte seine liebe Not, den Trunk, +den er eben gemacht und der ihm vor Schreck in die unrechte Kehle +geraten war, wieder heraufzubringen. »Was, ertränkt?!« + +»Ja, aber net im Wasser!« beruhigte ich ihn und klopfte ihm tüchtig auf +den Rücken, bis er nach heftigem Husten wieder zur Ruhe kam. + + * * * * * + +Als ich etwa zwei Monate im Hause war, erschien eines Nachmittags ganz +unverhofft meine Mutter und wollte wissen, wie ich mich führe. + +Meine Frau war noch in der Küche, als die Mutter mit den Worten vor sie +trat: »'n Tag! I bin d'Mutter von dera da!« Dabei wies sie mit der Hand +auf mich und fuhr fort: »I möcht anfragn, wie sie si aufführt und was s' +Lohn hat!« + +Meine Frau entgegnete kurz: »So, Sie sind d'Mutter! D'Leni is recht +ordentlich und fleißig und i hab nie a Klag. Was 'n Lohn betrifft, so +hat s' halt zwanzg Mark und ihre Trinkgelder. Dös geht mi übrigens nix +o, wie viel dös ausmacht.« + +Da fing meine Mutter an, sich bitter über mich zu beklagen, und erzählte +ihr die Geschichte von meinem Selbstmordversuch und auch, daß ich einmal +zehn Mark aus der Schenkkasse gestohlen hätte, die sie nun holen wolle. +Doch meine Frau fiel ihr unwirsch ins Wort: »Was Sie mit Eahnera Tochter +dahoam g'habt habn, geht mi nix an. Bei mir is sie rechtschaffen und +ehrli, und konn i ihr net 's geringste nachredn!« + +Da kehrte sich die Mutter heftig um und eilte hinaus, die Tür krachend +hinter sich zuwerfend. Ich aber nahm ein Zehnmarkstück und legte es ihr +im Garten auf den Tisch, wo sie vorher gesessen war und gab es ihr mit +den Worten: »Da san die zehn Mark. Wenn S' no was guat habn, na sagn S' +mir's, daß i's Eahna gib!« + +»Oho! Schneibt's leicht dir d'Goldstückl, daß d'so rumschmeißt damit?« +rief sie nun halb erstaunt, halb spöttisch. »I hätt di gern wieder +dahoam g'habt; aber wenn's dir so guat geht da, na wirst z'erscht net +nauf wolln zu uns!« + +»O naa! I wär viel liaber dahoam,« erwiderte ich und das Weinen stand +mir nahe. »Sagn 's ja alle Leut, daß 's a Schand is, wenn a so a reiche +Bürgersfamilie ihr Tochter zum Deana laßt! I woaß's bloß net, ob mi mei +Frau fortließ.« + +»Sonst nix mehr!« erscholl da neben uns die erzürnte Stimme meiner Frau, +die ganz unbemerkt aus der Schenke in den Garten getreten war: »Lenerl, +Sie bleibn mir da! Jatz hätt ma amal oane, die was taugn tät, jatz +laufat s' mir nix, dir nix davo! No amal sag i's, Sie bleibn da!« + +Da sah die Mutter wohl, daß ich hier anerkannt und gut gehalten war und +sagte, indem sie sich zum Gehen schickte: »Wannst hoam willst, kannst +jederzeit kommen; hoffentli bist dahoam aa, wie si's g'hört!« + +Ich sagte es ihr zu und begleitete sie noch bis an die kleine Brücke, +die über den Kanal führt. Da faßte sie ganz plötzlich meine Hand, besah +meine vernarbten Schnittwunden am Arm und sagte halblaut: »So dumm +z'sei! Wia leicht kunntst tot sei und i hätt d'Verantwortung!« + +Ich entzog ihr rasch die Hand und rief, mit Gewalt die Tränen +zurückhaltend: »Adje, Mutter, i muaß in d'Schenk; grüaßn S' mir'n Vater! +Vielleicht komm i bald!« + +Seit diesem Vorfall gefiel es mir gar nicht mehr recht im Dienst, und +obwohl ich mir in der kurzen Zeit schon ein neues Kleid, manch schönes +Stück Wäsche und noch über hundert Mark bares Geld verdient hatte, sagte +ich doch am ersten des folgenden Monats zu meiner Herrschaft: »I möcht +wieder hoam. Mi leid's nimmer da, wenn i woaß, daß mi d'Muatter braucht; +und auf Weihnachten wär i halt do liaba bei meine Leut dahoam als wia r +in der Fremd!« + +Ganz traurig meinte die Frau: »Gehn S' jetzt wirkli! I konn's ja gern +glaubn, daß si's Herz wieder zu der Mutter z'ruck verlangt, aber wenn ma +solche Aussichten hat, wie Sie, da wär's wohl besser, ma höret mehr +auf'n Verstand als aufs Herz.« + +Doch als ich meine Bitte wiederholte, ließ sie mich gehen: »In Gott's +Nam, muaß i mir halt wieder um jemand schaun!« + + * * * * * + +Also verließ ich Mitte Dezember meinen Dienst, begleitet von den +Segenswünschen der ganzen Familie, die mich vor meinem Scheiden noch +reichlich beschenkt hatte. Ich konnte mich der Tränen nicht erwehren, +als ich einem nach dem andern die Hand gab, und es waren nicht die +angenehmsten Empfindungen, mit denen ich mich auf den Heimweg machte. + +Als ich etwa eine halbe Stunde Wegs zurückgelegt hatte, kam ein Fiaker +hinter mir her. Ich rief ihn an, ob er mich fahren wolle, und als er +dies bejahte, stieg ich ein und fuhr nach Hause. + +Daheim rannte alles ans Fenster, als ich so nobel angefahren kam, und +der Vater meinte, als ich ihn begrüßte: »Du kommst ja daher wie a +Prinzessin; ma kennt di kaam mehr!« + +Als ich aber mein Erspartes und die geschafften Sachen alle sehen ließ, +verstummte er völlig und auch die Mutter war starr vor Staunen. Ich +sagte, indem ich das Geld wieder verwahrte: »Dös Geld trag i auf +d'Sparkass' und mei Wasch heb i mir auf, bis i heirat. Wer woaß, ob i +mir net no was dazu verdean!« + +Die Mutter verstand wohl, wie ich das meinte; denn sie sagte sofort: +»Oho! Möchst net scho wieder davolaufa, kaum'st komma bist! Zum Aushaltn +werd's scho sei dahoam; i leg dir nix mehr in Weg!« + +Auch der Vater versprach mir, daß man mich gut halten wolle, und ich +dankte ihm von Herzen. Vergessen war jetzt für mich alles, was einmal +geschehen, und ich freute mich wieder des Elternhauses und ging munter +an die Arbeit. Ich war jetzt auch wohl gelitten im Hause und niemand gab +mir ein unrechtes Wort; ich wirtschaftete wieder wie vorher und gab +selber auch keinen Anlaß zum Tadel. + +So verging der Winter, und mit dem Eintritt des Frühjahrs standen in der +Nachbarschaft zwei Neubauten unter Dach, was für die Bauleute die +Veranlassung zu einer großen Feier war, die, ein altes Herkommen, als +Hebebaum- oder Hebeweinfeier bekannt ist und wobei oben am First des +Neubaues ein mit bunten Bändern gezierter Tannenbaum aufgepflanzt wird. +Alle am Bau Beschäftigten begeben sich auf den Dachstuhl und einer unter +ihnen hält nun eine feierliche Ansprache, in der er dem Bauherrn, dem +Eigentümer und dem Palier für den Verdienst dankt und sie alle einzeln +mit einem dreifachen Hoch ehrt. Inzwischen hat der Wirt ein Faß Bier und +Krüge hinaufschaffen lassen, und nun nimmt ein jeder seinen gefüllten +Krug und stimmt laut in das Hoch des Redners ein; denn der Brauch will, +daß man die Bauherren durch den Trunk ehre. + +In der Wirtschaft wird mittlerweile groß aufgekocht; denn der Eigentümer +hat zwei Schweine und ein Kalb für die Bauleute gestiftet, während in +der Schenke fünf Hektoliter Bier, ein Geschenk des Bauherrn, bereit +stehen. Dazu gibt der Wirt noch etliche hundert fette Maurerloabi, ein +grobes, sehr würziges Brot, sowie für jeden der Bauleute zehn Zigarren. + +Bald füllt sich das Lokal und nicht lange währt es, so geht es an ein +Essen und Trinken, an ein Singen und Scherzen, daß man sich in eine +Bierbude des Oktoberfestes versetzt glaubt. + +So war's auch diesmal wieder. Ein jeder wollte das meiste tun im +Trinken, Essen und im Lärmen; denn ein jeder trug das stolze Bewußtsein +in sich und mancher trug es auch offen zur Schau: Auch ich hab mein +redlich Teil dabei getan! + +Später freilich, als ihnen das Bier schon ziemlich zu Kopf gestiegen +war, schwand dies Selbstbewußtsein erheblich, und nun waren es die +Mörtelweiber und Bierträgerinnen, die das große Wort führten. Eine jede +hatte, obwohl selber längst verheiratet, einen Auserwählten unter den +Bauleuten, unbekümmert, ob der Erkorene Weib und Kind daheim hatte, oder +nicht. + +Heute nun hatte ein jeder Eheherr auch seine Frau mitgebracht und teilte +mit fröhlichem Sinn das, was die Arbeitgeber gespendet. Auch die Gattin +des obersten Paliers, Simon Scheibenzuber, war anwesend. Da erhob sich +ein, obschon nicht mehr junges, doch noch ziemlich mannliches +Mörtelweib, stieg allen Bemühungen ihrer Genossinnen zum Trotz auf den +Tisch und schrie: »Ich bin die Keenigin von Jerusalem und der +Scheibnzuber Simmerl is mei Mo!« + +Da sprang die tiefgekränkte Gattin des Paliers vom Stuhl auf, gab ihrem +ganz verblüfften Manne eine schallende Ohrfeige und stürzte sich nun wie +eine Furie auf die Verwegene. Die aber war so voll des süßen Getränks, +daß sie nur noch gurgelnd herausbrachte: »Was tatst denn wollen, du +gscherte Mollen!« dann aber auf ihren Sitz zurücksank. + +Dies hatte aber die Wut der Paliersgattin aufs höchste gesteigert: »Was, +i a gscherte Molln!« schrie sie mit überschnappender Stimme: »Dös konnst +ma büaßn, du Gwaff, du zahnluckerts!« Und im Nu hatte sie die betrunkene +Rivalin bei den Haaren gefaßt und schlug mit der andern Hand wütend auf +sie ein, bis sie von der Übermacht der Maurerweiber zurückgedrängt +wurde. Die also gedemütigte Königin aber wankte aus der Stube in den +Hof, wo sie unter Zuhilfenahme einer großen Schale schwarzen Kaffees +sich all ihres Zornes und wohl auch ihrer Liebe entledigte; denn sie +erschien danach wieder munter im Lokal und rief: »So, jatz san ma +g'sund! Jatz trink ma aufn Bauherrn a Maßl!« + +Mein Vater war bei dem Vorgang wieder ganz bleich geworden und fürchtete +eine Rauferei; doch zur Ehre dieser einfachen Leute sei's gesagt, daß es +zu nichts kam. Sie blieben sitzen bis zum Morgengrauen und gaben noch +allerhand lustige Stücklein zum besten. + +Fröhlich ging ein jeder heim oder ließ sich von der getreuen Hausfrau +führen; alle hatten den Verspruch des Bauherrn, daß sie in etlichen +Tagen wieder Arbeit bekämen. Doch dieser Neubau war in einer andern +Stadtgegend, so daß unser Lokal etwas stiller ward wie bisher, obgleich +noch die am dritten Bau Beschäftigten, sowie alle übrigen Arbeiter und +Gäste dasselbe täglich füllten. + + + + + + +Inzwischen war ich eine ganz stattliche Dirn geworden und betrachtete +gar manches Mal mein Spiegelbild mit Befriedigung und geheimem +Wohlgefallen. Meine Mutter hatte mir für den Sommer eigene +Wirtschaftskleider aus feinem, blauen Mousseline anfertigen lassen, und +da ich selbst viel auf einen guten Anzug hielt, hatte ich bei der +Schneiderin Matrosenform mit weißen Batistkrägen und kurzen Ärmeln +bestellt. Dazu trug ich weiße Spitzenschürzen, darüber eine weite +Leinenschürze zur Küchenarbeit und um den Hals eine Kette aus Korallen. +Mein reiches, blondes Haar hatte ich zierlich geflochten und als Krone +aufgesteckt; in die Stirn hingen ein paar natürlich aussehende, wirre +Löckchen, die ich jedoch jeden Abend mittels einer Haarnadel kunstvoll +wickelte. Außerdem trug ich nur Lackschuhe; denn mein Stiefvater +besorgte mir deren alle Vierteljahr ein Paar bei einem alten +Schuhmacher, dem Revolutionsschuster, so genannt, weil er als +übereifriger Anhänger des Anarchismus alle Tage aufs neue für die +allernächste Zeit den Ausbruch der grimmigen Revolution und eines +Bürgerkrieges prophezeite, so daß ich glaube, der Vater kaufte die +vielen Schuhe nur, um zu verhindern, daß die Revolution in seinem Lokale +ausbräche. + +Doch hätte mein Vater dies nicht so zu befürchten gehabt wie den +Ausbruch eines Freierkrieges; denn meine muntere, geschäftige Natur in +Verbindung mit der lockenden Aussicht auf eine ansehnliche Mitgift hatte +nicht nur die Herzen etlicher junger Bürgerssöhne betört, sondern auch +bei ein paar betagteren Leuten einiges Unheil angerichtet. + +Da war erstlich ein etwa fünfundzwanzigjähriger, bildsauberer Drechsler +aus Traunstein, der Ehrenthaler Franzl; der hätte sich gern eine recht +liebe, häusliche Meisterin in mir geholt, da er einmal seines Vaters +Geschäft übernehmen sollte. Er gefiel mir, und ich hätte ihm wohl gut +sein können; doch war er noch nichts, hatte auch nichts und war nicht +recht gesund, weshalb ich ihm eine Bürgerstochter aus der Nachbarschaft +empfahl. Dann war ein alter Briefträger, der Barmbichler Xaver, dem das +Stiegensteigen nicht mehr recht gefiel und den auch das Zipperlein schon +in allen Gliedern zwickte; der wollte sich jetzt pensionieren lassen und +dann mit mir und meinem Heiratsgut ein beschauliches Leben führen, auf +das ich aber verzichtete und mir einen andern Bewerber, den etwa +vierundzwanzigjährigen Bräumeisterssohn Aloys Kapfer etwas genauer +ansah. Da fand ich, daß er trank, viel trank, auch hoch spielte und +keine Nacht vor zwei Uhr nach Hause ging; und obschon mir sein +zierliches Ponyfuhrwerk, mit dem er oft bei uns vorfuhr, sowie die +dreihundert braunen Scheine, die er mir als Brautgabe zugedacht hatte, +sehr wohl gefielen, dachte ich doch, daß schon gar mancher sein Hab und +Gut vertrunken und verspielt hätte und gab ihm einen Korb und meinte, es +sei besser, mich um einen einfachen Handwerksmeister umzuschauen. Der +war auch da in Gestalt eines dreißigjährigen Schlossermeisters aus +meinem Heimatdorf; es war der Schwaiger Lenz, ein Vetter vom +Schlosserflorian. Er hatte vor einem Vierteljahr seine Frau verloren und +wollte mich als sein riegelsames Weib und als liebe Mutter für seine +verwaisten drei Kinder heimholen. Da ich mich jedoch wegen der drei +Kinder lange nicht entschließen konnte und immer wieder um Bedenkzeit +bat, holte er sich endlich eine Fabrikantenstochter, die ihm schon lange +zugeblinzelt hatte. Nun trat dessen Nachbar, der Schneidermeisterssohn +Kaspar Zintl, mehr ins Licht und meinte, er wolle mit mir nach Paris und +London reisen, wenn ich seine Frau würde und wolle mir die ganze weite +Welt zeigen. Ich dachte aber, wir würden nicht weit kommen mit dem +Gelde, das er besaß, und überlegte, ob ich ihm das meine noch dazugeben +solle. Konnte mich aber nicht dazu entschließen und bedachte lieber den +Antrag des Prucker Toni, eines stattlichen Hausbesitzerssohnes aus der +Nachbarschaft, der es trotz seiner jungen Jahre schon bis zum +Eisenbahnexpeditor gebracht hatte. Da er aber ebenso grob als energisch +war und nicht einmal seine Eltern achtete, fürchtete ich, nichts zu +gewinnen, wenn ich das Haus meiner Mutter mit dem seinen vertauschte. Da +gefiel mir der sanfte und allzeit zuvorkommende dreißigjährige +Hausbesitzer Hans Wipplinger, der sich leidenschaftlich um meine Hand +bewarb, schon besser. Böse Nachbarn aber wußten zu berichten, daß er in +großen Geldnöten sei und mit meinem Heiratsgut wohl die dritte Hypothek +seines Anwesens heimzahlen wolle. + +Als der bereits sechzigjährige Realitätenbesitzer und Tändler Simon +Lampl hörte, daß ich diesen Antrag ausgeschlagen hatte, erschien er +eines Tages in einem altmodischen, grünschillernden Gehrock und +Zylinderhut, um den Hals eine riesige, ehedem weiße Binde und im +Knopfloch die Ehrenzeichen des Feldzuges von 1870 und hielt feierlich um +meine Hand an, indem er mir seine sämtlichen Besitztümer: vier +vierstöckige Häuser mit Rückgebäuden und gut vermieteten Läden, zwei +Bauplätze bei Planegg, die gutgehende Tändlerei, die seit +siebenunddreißig Jahren bestehe und jährlich ihre zwei bis dreitausend +Mark abwerfe, sowie hundertvierzigtausend Mark bares Geld, dessen Zins +er verzehren dürfe, aufzählte und mir die denkbar beste Behandlung +zusicherte. Doch lehnte ich seine Werbung höflich, aber entschieden ab, +da er mir einerseits doch nicht mehr jung genug schien, anderseits aber +trotz seines Reichtums als ein großer Geizhals verrufen war. + +Aufgemuntert durch meine abschlägige Antwort auf den Antrag dieses Alten +wagte noch am selben Abend der blutjunge Hafnermeister Edmund Sack, dem +kurz nacheinander Vater und Mutter gestorben waren, mir in einem +anschaulichen Brief Herz und Hand anzubieten; doch kannte ich ihn viel +zu wenig, um ihm meine Zukunft anzuvertrauen, und dann hatte ich eine +ausgesprochene Abneigung gegen diese Loahmpatzer, die Ofensetzer. Da war +das edle Handwerk der Bäcker doch appetitlicher, und ich hörte ganz +erbaut auf die salbungsvollen Worte des achtundfünfzigjährigen +Feinbäckers und Melbers Kanisius Dumler, mit denen er mich zur Herrin +über sein Haus und seine Guglhopfe und Zuckerbretzln erkiesen wollte. Er +war schon seit zehn Jahren Witwer und bekleidete die ehrenvollen Posten +eines Armenrates, Kirchenbaurates, Distriktsvorstehers und +Rechnungsführers bei einem Kriegerverein. Auch war er einer von den +Auserwählten unseres Pfarrers und durfte bei allen Prozessionen den +Himmel tragen. Sein kleines Haus war schuldenfrei, und das gute +Geschäft, dem jetzt seine Schwester vorstand, sicherte ihm ein +behagliches Leben. Doch besaß er einen schon zwanzigjährigen Sohn, der +eben seine Militärzeit als Freiwilliger abdiente. Dieser Sohn aber, der +Ferdl, ein fescher Bursch und großer Tunichtgut, war nun die Ursache, +daß ich dem Alten meine Hand versagte; denn ich sah den Jungen nicht +ungern. Von seiner Ausgelassenheit und den übermütigen Streichen, die +man ihm nachsagte, konnte ich nichts bemerken; vielmehr war er immer der +bescheidenste unter meinen Freiern geblieben. Stundenlang saß er da und +starrte mich wortlos und wie in Verzückung an, trank dabei seine zwölf +bis fünfzehn Glas Bier und schien außer mir nichts mehr zu hören und zu +sehen. Ja, er übersah und überhörte regelmäßig die Stunde, da er in der +Kaserne hätte eintreffen sollen; und so kam es, daß er eine Arreststrafe +um die andere meinethalben abzubüßen hatte. Schließlich bekam er eine +ganze Woche Mittelarrest zudiktiert, und während er in der Kaserne +brummte, fuhr eines Abends, da ich eben in der Schenke beschäftigt war, +vor unserm Hause ein Wagen vor, dem ein sehr sorgfältig gekleideter +junger Mann, mit einem großen Strauß Veilchen in der Hand, entstieg. Er +trat in die Wirtsküche, und ehe ich mich noch von meinem Erstaunen +erholt hatte, hörte ich schon die Mutter in die Gaststube rufen: »Josef, +geh, komm a bißl raus!« worauf die drei eifrig miteinander verhandelten. + +Nach einer Weile kam der Vater zu mir in die Schenke und sagte unter +öfterem Räuspern: »Was i sagn will, Leni, der Hasler Benno is draußn und +hat g'sagt, daß er di heiratn möcht; du sollst dein Ausspruch toa, wiast +g'sonna bist. Jatz, vo mir aus ko'st es macha wiast magst; i red dir nix +ei und rat dir net ab!« + +Ich zählte noch die eben begonnene Rolle Geldes fertig, rechnete mit der +Kellnerin ab und schenkte noch etliche Glas Bier ein, mich sorglich +zusammennehmend, daß die Hand nicht zittere oder sonst eine Bewegung +über mich Herr würde. Dann ging ich, ohne dem Vater zu antworten, in die +Küche, wo der stattliche Bewerber sich sehr lebhaft mit der Mutter +unterhielt. Als er mich sah, sprang er von seinem Sitz, einem rohen, +blankgescheuerten Holzstuhl, auf, reichte mir die Hand und begann: +»Liabs Fräuln Leni, ich hab Sie lang beobacht und hab g'funden, daß bloß +Sie mi glücklich machen können. Wenn's Ihnen also recht ist, heiraten +wir; Ihre Eltern haben mich nicht abgewiesen.« + +Da ich nichts darauf erwiderte, fuhr er fort, indem er mir den Strauß +gab: »Ich mein's ehrlich mit Ihnen, Fräuln Leni; ich hab's nicht nötig, +nach Geld zu schauen, ich heirat aus Liebe. Nehmen S' halt meine Lieb +auch freundlich an, wie die Blümerl und sagen S' ja!« + +Bei diesen letzten Worten hatte er mich wieder an der Hand gefaßt und +sah mich bittend an; dennoch antwortete ich zögernd und leise nur: »I +will ma's überlegn; dös ko ma net so auf'n Augenblick sagn, ob ma oan +gern habn ko oder net!« + +»Ja, bedenken Sie's noch, liebs Lenerl; Sie brauchn's nicht zu bereuen! +Ich bin der einzige Sohn, erb einmal das Haus mitsamt dem ganzen +Holzg'schäft und vorläufig hab ich mein gutes Einkommen als Prokurist +des alten, feinen Hauses Protus Stuhlberger. Wenn Sie sich b'sonnen +haben und einschlagen wollen in mei Hand, so können wir bald Hochzeit +machen!« + +Meine Mutter hatte schon während der Rede des Freiers wiederholt das +Taschentuch an die Augen gedrückt und sich umständlich geschneuzt; jetzt +aber zog sie mich laut aufschluchzend an ihre Brust und rief aus: »So a +Glück, ha, so a Glück! I gunn dir's von Herzn Deandl; bist ja so a +richtigs und ordentlichs Madl und konnst'n glückli macha, den liabn +Herrn Hasler!« + +Dann schob sie mich von sich und drückte mich ganz fest an die Schulter +des freudig Überraschten, der sofort die Arme ausbreitete und mich +zärtlich umfing. Dann bedankte er sich noch mit wohlgesetzten Worten bei +der Mutter und trat danach in die Gaststube, die Verlobung bei einer +Flasche Wein zu feiern. + +Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Küchentür angesammelt, die +sich nach vorhandenen Abendspeisen erkundigen wollten, in der Erregung +des bedeutungsvollen Augenblicks aber ganz übersehen worden waren. Diese +Menschen waren die ersten, die mein bevorstehendes Glück inne wurden. + +»Was ma no z'essen ham, Frau Kugler? -- naa, so a Glück hat dös Madl! -- +ja so, a Schnitzl, a Kottlett, a bachens Hirn, -- und nach Liab kon er +heiratn; Geld hat er selber gnua! -- a guats Kalbszüngerl hab i aa no, +Frau Kugler!« so ging der Redestrom über die Lippen meiner hocherfreuten +Mutter. + +Ich aber tat meine Arbeit wie zuvor und dachte bloß, ob ich wohl ein +seidenes Brautkleid kriegen würde. + +Als dann in der Küche nichts mehr zu tun war, durfte ich mich auch an +den Tisch zu meinem Hochzeiter setzen, und nun sprachen wir ausführlich +über die Bekanntgabe der Verlobung, über meine Aussteuer und über die +Zeit, wann wir heiraten wollten. Ich sagte zu allem ja, und auch meinem +Vater gefielen die Vorschläge seines zukünftigen Schwiegersohnes ganz +wohl. Nur als dieser wissen wollte, wie hoch die Brautgabe für mich +ausfallen würde, da räusperte er sich wieder verlegen und meinte dann: +»Da muaß d'Muatter aa dabei sei, wenn ma d'Geldangelegenheit bereden,« +und er ging hinaus in die Küche. Doch die Mutter war schon zu Bett +gegangen und hatte nur durch die Küchenmagd sagen lassen, sie hätte +Kopfweh. Also blieb die Geldfrage noch unbeantwortet. + +Wir saßen noch bis ein Uhr beisammen, und als mich jetzt der Benno ganz +leise an der Hand faßte und mich mit seinen von Wein und Liebe +glänzenden Augen selig anblickte und nochmals fragte: »Kannst mi a ganz +kloans Bröckerl gern haben, Lenerl?« kam er mir auf einmal recht schön +und liebenswert vor und alle meine Bedenken schwanden, und ich sagte +lachend, nachdem ich rasch ein Glas Wein hinuntergestürzt hatte: »Ja, +ja! I wer dei Frau und mag di!« und besiegelte das Versprechen später +noch unter der Haustür, da ich ihn hinausgeleitete, mit einem laut +schallenden Kuß, worüber der Benno so beglückt war, daß er beim +Fortgehen noch ganz verklärt hinter sich sah und auf den Randstein nicht +achtete, so daß er auf ein Haar zu Fall gekommen wäre. Ich aber schlug +rasch die Türe zu und mußte beim Zusperren laut auflachen über dies +Mißgeschick. + +Doch dachte ich in der Nacht nicht weiter mehr über das Erlebte nach, +sondern schlief ganz ruhig; und als am andern Tag durch einige +Ratschkathln die Sache in allen Milch- und Kramerläden herumgetragen +worden war und nun eine nach der andern kam, mir zu gratulieren, da +erschien mir diese Wichtigkeit so lächerlich, daß ich am End ganz wild +wurde und keiner mehr eine Antwort gab. + +Am Vormittag nun kam der Dumler Ferdl. Er hatte für seinen Hauptmann +etwas besorgen müssen und wollte mir nun rasch einen Gruß bringen; denn +ihm waren die acht Tage Arrest gar lang geworden. + +Mit langen Schritten trat er in die Gaststube, und da er mich nicht sah, +stürmte er in die Küche und rief: »Guat Morgn, Zirngibimuatterl! Wo is's +Lenerl?« + +Ich stand wie angenagelt in dem kleinen, dunklen Speiskammerl und gab +keinen Laut von mir, so erschrak ich. Die Mutter aber begann mit großem +Pathos und feierlicher Miene, den Münchner Dialekt mühsam zu einem +zierlichen Schriftdeutsch drechselnd: »Ja, was, der Herr Ferdl! Mei Leni +möchtn S'? ... Is s' net da, mei Leni? ... Setzn S' Eahna doch a +wengerl, Herr Ferdl! I muaß Eahna nämlich leider die freudige Mitteilung +machen, Herr Ferdl, daß sich mei Leni gestern mit'n Herrn Hasler Benno +verlobt hat!« Und in überschwenglichem Ton fuhr sie fort: »Ja, ja, a +bravs, rechtschaffens Bürgersmadl sucht a jeder! Aber es is ihr zum +gunna! Geltn's, Herr Ferdl, Sie gunna's ihr aa!« + +Aber der Herr Ferdl hörte schon längst nicht mehr. Er war bei der +Mitteilung, daß ich mich verlobt habe, aufgesprungen, hatte im +Gastzimmer hastig sein Glas Bier auf einen Zug geleert, der Kellnerin +ein Zwanzgerl hingeworfen und war auf und davon gegangen. + +Ganz baff sah ihm die Mutter nach und begriff lange nicht, warum er so +rasch fortgelaufen war. Nun trat ich aus der Speis; da rief mir die +Mutter zu: »Da bist ja! Warum gehst denn net zuawa? Jatz is er davo, +weilst net komma bist!« + +»Naa, naa, Muatta! Deswegn is er net fort,« rief ich nun eilig; »dem +hockt er halt, weil er mi net kriagt hat; er hätt mi ja gern g'heirat!« + +»Der Rotzlöffi! Is kaam trucka hinter die Ohrn!« antwortete die Mutter +und ging in die Gaststube, kam aber sogleich wieder zurück und hielt +einen Brief in der Hand: »Da schau her; der Hasler ladt uns ei für heut +auf d'Nacht in Löwenbräukeller. Der Peuppus halt sein Abschied. Vo mir +aus konnst scho hingeh; i geh net mit.« + +Damit gab sie mir den Brief, den ich hocherfreut durchlas und dann die +Mutter lange bat, sie solle doch mitgehn. Endlich sagte sie zu. + +Nun mußte ich der Küchenmagd noch alles zeigen und ihr für den Abend die +nötigen Weisungen geben. Ich tat dies am Nachmittag und versicherte mich +ihrer Gewissenhaftigkeit durch ein gutes, heimliches Trinkgeld. + +Also machten wir uns gegen Abend für das Konzert und den Hochzeiter +zurecht. Die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihr Schwarzseidenes aus +dem unergründlichen Eichenschrank zu holen und goß eine Menge Patschouli +hinein, um den aufdringlichen Kampfergeruch ein wenig zu übertäuben. +Dazu legte sie schwere goldene Armspangen und eine Menge Ringe an, tat +eine massive Goldkette um den Hals und steckte die feine Uhr mit der +altmodischen Kette zwischen die funkelnden Glasknöpflein der nach Art +der Schneiderkleider ganz glatt gearbeiteten Taille. Danach setzte sie +ein kleines, mit einem reichen Stutzreiher versehenes Kapothütchen auf, +nahm den kostbaren Spitzenschal aus der Kommode und legte ihn um die +Schulter. + +Also geschmückt trat sie nochmals vor den alten, vergoldeten Spiegel des +Schlafzimmers und besah sich. Da erblickte sie durch denselben mich in +meinem einfachen, blauen Tuchkleid und rief: »A so willst vor dein +Hochzeiter hinsteh? Was fallt dir denn ei! Daß er moana kannt, mir warn +Bettlleut!« + +Und eilig öffnete sie ihre Schmuckschatulle und behing mich mit einer +köstlichen Halskette aus Granaten und Perlen, tat mir statt meiner +kleinen Korallen schwere Perlgehänge in die Ohren und legte mir ein +breites, protziges Armband an. Dann nahm sie einen alten Siegelring aus +einem vergilbten Plüschkästlein, steckte ihn an und gab mir dafür ein +mit Türkisen und Perlen besetztes Ringlein, das ihr mein seliger Vater +einst geschenkt hatte. + +»Den kannst glei b'haltn,« meinte sie, »an dem liegt mir nix.« + +Ich sagte ihr vielen Dank für das Geschenk; denn es war das Einzige, was +von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war. Ich hielt +das Ringlein hoch in Ehren und habe es nachmals, als das Schicksal mir +in meiner Ehe mein ganzes Hab und Gut nahm, unserer lieben Frau im +Herzogspital auf den Altar gelegt; denn ich hätte es nicht über mich +gebracht, es gleich den andern Kostbarkeiten dahingehen zu lassen. + +In diesem reichen Aufputz begaben wir uns alsdann nach der Küche, wo der +sehr gewählt gekleidete Freier schon mit einem prächtigen Strauß roter +Rosen uns erwartete. + +Als wir eintraten, sprang er von seinem Sitz auf und küßte der Mutter +erst galant die Hand; dann gab er ihr die Blumen mit einer tiefen +Verbeugung: »Nehmen S' die Rosen als Dank, daß Sie mir heut die Ehr +geben, mitzukommen, werte Frau Mutter!« Hierauf begrüßte er mich mit +einem flüchtigen Kuß ans Ohr, worüber ich mich höchlich verwunderte, da +ich dergleichen weder in Geschichten gelesen, noch je selbst erlebt +hatte. Dann zog er ein weißseidenes Schächtelchen aus der Westentasche +und übergab es mir mit den Worten: »Heut feiern wir Verlobung, und da +g'hört sich's, daß ich der Braut was schenk.« + +Erwartungsvoll öffnete ich das zierliche Kästlein; da blitzte mir ein +herrlicher Brillantring entgegen. Da ich dergleichen auch noch nicht +erlebt hatte, besann ich mich, was ich nun tun oder sagen sollte. Zum +Glück fiel mir die Stelle eines Romans ein, an der so etwas vorkam, und +ich machte es wie die Heldin des Buches: ich errötete, sah verwirrt zu +Boden und flüsterte verliebt: »Ah, wie herzig!« doch in meine +gewöhnliche, natürliche Art verfallend fuhr ich fort: »Woaßt, Benno, so +viel Geld hättst aber net ausgebn solln. Da werd si d'Muatta schö +o'strenga müassn, daß s' dir dös wieder ersetzt!« + +Aber da kam ich schön an bei der Mutter. + +»Dös war no dös besser!« rief sie mit funkelnden Augen. »Moanst, i hab +net scho lang g'sorgt, daß d'dein Breitigam a anständigs G'schenk gebn +konnst! Hier, Herr Hasler, is Eahna Verlobungsring; i hoff, daß i net +schlecht ei'kaaft hab beim Thomaß!« + +Und damit zog sie aus der Rocktasche ein rotes Plüschetui und entnahm +demselben einen recht ansehnlichen Solitär; den gab sie mir, indem sie +mit vor Rührung bebender Stimme sagte: »Da, Leni, steck'n dein Herrn +Breitigam o; hoffentli paßt er eahm!« + +Obgleich mir diese ganze Szene wie eine Komödie vorkam, tat ich doch der +Mutter ihren Willen und steckte meinem Verlobten den protzenhaften Ring +an den kleinen Finger, an den er gerade paßte. Dann tat ich auch meinen +Brautring aus dem Schächtelchen und schmückte damit meine rechte Hand. + +Nachdem wir noch rasch einige Worte mit dem Vater gewechselt hatten, +gingen wir. Doch an der nächsten Hausecke stand schon ein Wagen bereit, +und der Benno hieß uns einsteigen, worauf wir nach den festlich +geschmückten Räumen des Löwenbräukellers fuhren. + +Während des von einer schier zahllosen Menge besuchten Konzerts kam ich +nur wenig dazu, mich mit meinem Verlobten zu unterhalten; denn meine +Mutter schwatzte ihm so viel vor von meinen allseitigen Vorzügen und +guten Eigenschaften, daß er vor Freude über meine Tugenden ganz auf mich +selber vergaß. Ich saß einsam auf meinem Platz an der Wand und +betrachtete abwechselnd mein Brautringlein und das meines Vaters, oder +ich ließ die Augen über die lärmende Menge gleiten und besah mir die +vielen verliebten Mägdlein und ihre Herren, meist Unteroffiziere und +Soldaten in den verschiedensten Uniformen, bis mich endlich die Mutter +mit den Worten: »So, Leni, jetzt gehn ma!« aus meinen Träumen +aufschreckte. + +Wieder nahm der Benno eine Droschke, und in rasselnder Fahrt ging's nach +Hause. + +Daheim mußten wir uns noch zu ihm an den Tisch setzen, und bald klangen +die Champagnergläser und ertönte das glockenhelle Lachen der Mutter. Der +Vater war an diesem Abend auch sehr aufgeräumt und gab alle möglichen +Schnurren zum besten, wobei der vor Glück strahlende Hochzeiter ihn +eifrig unterstützte und an lustigen Einfällen fast übertraf. + +Ehe wir uns trennten, wurde noch ausgemacht, daß ich am andern Tag den +Eltern meines Bräutigams vorgestellt werden sollte, und die Mutter bat +ihn, er möge daheim sagen, daß sie sich schon sehr auf einen Besuch der +geschätzten Familie freue. + + * * * * * + +Mit nicht geringer Angst sah ich dieser Vorstellung entgegen und hatte +eine schlaflose Nacht. Doch verlief das Ganze, wenn auch ziemlich +zeremoniell, so doch recht gut, und es kam mir vor, als wollte eins das +andere überbieten an Zuvorkommenheit und herzlicher Freundschaft. + +Der Vater meines Hochzeiters, ein noch sehr rüstiger, hochgewachsener +Mann von etwa sechzig Jahren, führte mich erst in die altmodische +Wohnstube, die mich mit ihren sauberen Kattunbezügen über den +behaglichen Polstermöbeln und den vergilbten Stichen an den mit einer +großblumigen, verschossenen Tapete bekleideten Wänden und den freundlich +blühenden Geranien am Fenster sogleich anheimelte. Die Mutter aber +meinte, für einen so liebwerten Gast müsse man schon die gute Stube +aufsperren und lief dann eilig in die Küche, um nach dem Kaffee zu +schauen. + +Sie war ein kleines, zusammengeschrumpftes Weiblein mit +glattgescheiteltem Haar über der runzligen Stirn. Aus dem gelblichen, +furchigen Gesichtlein blickten ein paar wasserhelle Augen forschend +umher, und die rauhen, schwieligen Hände erzählten von rastloser Arbeit, +deren Segen man überall in Haus und Geschäft wahrnehmen konnte. + +Während die Frau Hasler geräuschvoll in der Küche herumhantierte, sorgte +der Hausvater für die Unterhaltung, und ich ward nun inne, daß den +eigentlichen Grundstein zu dem Reichtum und gediegenen Ruf der Familie +die kleine Frau durch ihre Herkunft sowohl, als auch durch das +ansehnliche Kapital, das sie dem Mann in die Ehe gebracht, gelegt hatte. +Sie entstammte einer schon seit länger denn einem Jahrhundert allerorts +als ehrsam und lauter bekannten Alt-Münchner Kaufmannsfamilie und hatte +als vierundzwanzigjährige Jungfrau dem als Schreiner im Elternhaus +tätigen, eben aus dem Feldzug zurückgekehrten Burschen ihre Hand +gegeben, unbekümmert darum, daß er nur der Sohn einer dürftigen, alten +Hebamme aus einem kleinen Dorf im Schwabenland war und außer einem Paar +nerviger Fäuste und der Tapferkeitsmedaille nichts in die Ehe +einbrachte. + +Und sie hatte es nicht zu bereuen gehabt, daß sie dem heftigen +Widerstand ihrer stolzen Eltern zum Trotz den stattlichen, +dunkellockigen Hannes heiratete; denn er war ein heller Kopf und hatte +schon als Kind seine zehn Geschwister sowohl an Klugheit, wie auch an +Geschicklichkeit übertroffen. Sein Vater war schon in jungen Jahren zum +Bürgermeister seines Orts gewählt worden, da er eine sehr rechtliche, +gerade Natur und von männiglich geschätzt war. Doch hatte der sonst so +fürtreffliche Mann einen einzigen Fehler: er trank. Das wurde ihm und +der ganzen Familie zum Verhängnis; denn der Unglückliche ward von seiner +unseligen Leidenschaft bald so weit gebracht, daß ihm kein Branntwein +mehr genügte und er nicht nur alle Balsam- und Painexpellergläser +leerte, sondern am Ende noch zum Petroleumkruge griff und +Hofmannstropfen flaschenweise trank. Es dauerte nicht lange, so verlor +er Amt und Würden und endete zuletzt als kaum vierzigjähriger Mann +elendiglich in einem Schweinestall, darin er schon seit Monden hausen +mußte, da er in seinem Rausche alles zerschlug und zerstörte, was ihm +unter die Hände kam. Damals war der Hannes gerade zwölf Jahre alt +geworden, und es hieß nun hinaus in die Welt und selber schauen, wie das +Brot am besten für den Hunger ging. Also machte er sich mit vieren +seiner Geschwister auf und zog mit ihnen gen München, wo ein jedes bald +Arbeit fand. Die Mutter hatte zum guten Glück schon während ihrer +traurigen Ehe sich im Ort ein sicheres, wenn auch beschwerliches +Fortkommen geschaffen: sie war Kindlesfrau, so hieß man die Hebammen, +geworden. Noch mit ihrem vollendeten neunzigsten Jahr hat sie ihrer +bedeutend jüngeren Kollegin gar manche schwere Geburt abgenommen, und es +kam nicht selten vor, daß ein Bauer stundenweit fuhr und die alte, +halbblinde Haslermutter holte, während in seinem Orte irgendeine +tüchtige, junge Hebamme das Nachsehen hatte. + +Indes der Hausvater mich also unterhielt und allmählich immer mehr in +Wärme geraten war, kam die Frau wieder zu uns herein und bat uns in die +gute Stube zum Kaffee. Sie hatte sich inzwischen in Staat geworfen und +prangte in einem altmodischen Gewand aus starrer, violetter Seide, das +bei jeder Bewegung bald rötlich, bald grau schimmerte und dessen Jacke +mit vielen Rüschen und langen Schößen geziert war. + +Mein Verlobter hatte sich für diesen Nachmittag von seinem Herrn Urlaub +erbeten und kam nun gerade recht nach Hause, den Kaffee mit uns zu +trinken. Er nahm meinen Arm und führte mich in die Ehrenstube, deren +Möbel alle aus Kirschbaumholz gefertigt und mit dunklen Ornamenten +eingelegt waren. Die ganze Einrichtung stammte noch von den Eltern der +Frau Hasler, wie der Benno mir berichtete. Auf dem sauber gedeckten +Tisch standen zierliche Tassen und Kannen, deren eine jede in einem bunt +gemalten Kranz die goldene Inschrift trug: Lebe glücklich! + +Wir tranken nun vergnüglich Kaffee, und mein Verlobter sprach viel von +meinen guten Eigenschaften, von seiner schönen Stellung, seiner +gediegenen Herkunft und von baldigem, sicheren Eheglück. Dann brachte er +mich wieder nach Hause, nachdem ich mir noch das Versprechen der beiden +alten Leute hatte geben lassen, daß sie uns am folgenden +Sonntagnachmittag mit ihrem Besuch beehren würden. + +Dies taten sie auch. Pünktlich um die angegebene Stunde fuhr ein Fiaker +am Hause vor und heraus sprang mein Hochzeiter und half seinen Eltern +beim Aussteigen. + +Ich hatte schon vormittags genaue Weisung von der Mutter erhalten, wie +ich sie zu empfangen hätte: also eilte ich geschwind von der Wirtsküche +auf die Straße, reichte jedem die Hand und sagte: »Guten Tag, Frau +Mutter und guten Tag, Herr Vater! Grüß Gott, Herr Benno! Die Mutter +hält's für a große Ehr, daß S' uns die Freud machen und a Tass' Kaffee +bei uns trinkn. Bitt schön, kommen S' nur glei mit 'rauf in d'Wohnung, +d'Mutter is scho drobn!« + +Und nun führte ich alle drei nach der im ersten Stockwerk gelegenen, für +den hohen Besuch frisch gestöberten und geschmückten Wohnung, wo die +Mutter in ihrem nobelsten Aufputz aufgeregt durch alle Zimmer lief und +bald ein Deckerl anders legte, bald ein Stäubchen wischte oder +umständlich ihr Spiegelbild betrachtete. + +Als sie uns kommen hörte, ging sie mit steifer Würde auf die beiden +Alten zu, reichte ihnen mit ausgesucht höflicher Verbeugung die Hand und +sagte: »Herr Hasler, Frau Hasler, dös freut mi! Derf i vorausgeh? Kommen +S' nur 'rei in Salon und nehman S' Platz! ... Herr Benno, mögn S' net +auf'n Divan hintre mit der Leni!« Und geschäftig rückte sie den Tisch +zur Seite und bot jedem seinen Platz an; dann trat sie unter die Tür und +rief: »Rosl, an Kaffee 'rei! Nehman S' dö silberne Plattn zum Kuchn!« + +Während sich nun eine lebhafte Unterhaltung über die gleichgültigsten +Dinge entspann, betrachtete bald der Vater, bald die Mutter meines +Verlobten die protzige Einrichtung des Salons und sie wechselten von +Zeit zu Zeit verstohlen Blicke der Befriedigung; und als die Augen des +Alten auf das Klavier fielen, fragte er, wer darauf spiele. Die Mutter +sagte stolz: »Mei' Leni kann's; i hab's ihr lerna lassn, daß s'amal +ihren Mann unterhaltn ko. Geh, Leni, spiel deine zukünftign +Schwiegereltern oan auf! Vielleicht an Bienenhausmarsch oder 's +Glühwürmchenidyll, oder was die Herrschaften sonst gern hörn!« + +Ich setzte mich an das Instrument und spielte etliche Stücke, wie sie +mir gerade einfielen. Da ging die Tür auf und herein kam der Vater, +begrüßte die Familie Hasler und sagte: »I hab der Kathi g'sagt, sie soll +dö paar Halbe Bier hergebn, die jatz gehn, daß i aa a bisl raufschaugn +ko zu dö Herrschaftn ... No, wia steht's werte Befinden? -- Scheene Tag +hama allweil jatz. -- Warn S' scho auswärts heuer? -- Bei dem warma +Weeder macht a jeda a G'schäft vo dö auswärtign Wirt. -- Hast no an +Kaffee, Muatta?« + +Damit setzte er sich und begann von dem zu reden, was bis dahin ein +jedes wie auf Verabredung vermieden hatte, von unserer bevorstehenden +Heirat. + +»Dös hat si ganz unverhofft g'schickt!« meinte er, zu dem alten Hasler +gewendet. »Mir ham's glei gar net glaabn könna, daß ma d'Leni wirkli +scho herlassn solln.« + +»Ja, dös is wahr;« fiel ihm die Mutter ins Wort, »so geht's zua in der +Welt! Will ma selber no net zu dö Alten g'hörn, derweil hat ma scho +heiratsfähige Kinder!« + +»Oho!« rief da der Benno. »Jetzt möcht gar d'Frau Zirngibl aa schon vom +Alter redn und schaut aus, wie a eiserne Venus, so g'sund und so sauber. +Der Zirngiblvater kann stolz sei auf so a Frau!« + +Geschmeichelt lächelte die Mutter, und auch der Vater hörte diese +Lobrede wohlgefällig an. Die alten Haslerleute aber warfen ihrem Sohn +halb ärgerliche, halb verlegene Blicke zu, und es entstand eine kleine +Pause, die ich rasch benützte, den Benno zu mir an ein kleines Tischlein +zu ziehen, wo ich meine Erinnerungen und Andenken aus der Klosterzeit +aus einem kleinen Kästlein kramte. Dabei fielen meinem Verlobten etliche +Briefe und Karten auf, die sämtlich die Adresse trugen: An die Jungfrau +Magdalena Christ, Kandidatin bei den Josefschwestern zu Bärenberg. + +Auf seine Frage, ob die Briefe einer Freundin gehörten, erwiderte ich +ihm: »Naa, naa! Dös san lauter Briaf an mi!« + +Erstaunt sah er mich an, und auch am Tisch wurde man aufmerksam, so daß +ich mich an die Mutter wandte: »Denkn S' Eahna, Mutter, der Benno woaß +net amal mein rechtn Namen!« + +Mit hochrotem Kopf saß die Mutter da, und Zorn und Verlegenheit kämpften +sichtbar auf ihrem Gesicht, während sie zögernd sagte: »Ja, mei lieber +Gott! Dös wissen dö wenigsten Leut, was für a Unglück mi scho in meine +jungen Jahr troffn hat; dös erzählt ma net so mir nix, dir nix an jeden, +der daher kommt!« + +Sie konnte nicht mehr weiter reden; ein heftiges Schluchzen erschütterte +ihren Körper, während sie von Zeit zu Zeit einen wütenden Blick zu mir +hinüberwarf. Die Familie Hasler aber saß starr und stumm da und blickte +fragend von einem zum andern. + +Da ergriff der Vater rasch das Wort und sagte: »Da brauchst net z'woana, +Muatta; deswegn is dir aa no koa Perl aus da Kro' g'falln. Und was +d'Erziehung und dös ander betrifft, hat si no nie nix g'feit. A jeder ko +froh sei, wann er so a Madl zum Heiratn kriagt!« + +Erst jetzt begriffen die Haslerischen den Sachverhalt, und die Frau rief +mit kläglicher Stimme: »Ja, was is denn net dös! Na is also d'Leni gar +net von Eahna, Herr Zirngibl?« + +»Naa. Der Leni ihra Vata is damals bei dem großen Schiffsunglück, wo dö +englischn Hund den scheena Dampfer Cimbria a so o'gfahrn ham, daß'n glei +da Deixl g'holt hat und d'Leut allsam dasuffa san, aa dabei g'wen. Der +hat sein Ruah! Und da hab halt i d'Muatta g'heirat.« + +Schweigend hatten alle zugehört, und endlich begann der alte Hasler: »No +ja; in Gott's Nam'! Sell isch au di g'fährlichscht Sünd no nit, daß e so +e saubre Frau amal was Kloins kriagt! Im übrige ischt's mir ja ganz +gleich, ob's Mädle lediger Weis' isch dag'wesa oder von der Eh; +d'Hauptsach isch halt, daß sie e aaschtändige Mitgift ei'bringt!« + +Jetzt hatte sich auch die Mutter wieder erholt und schilderte nun in +beweglichen Worten, wie sie mich ausstatten wolle und daß sie jederzeit +da wäre, wenn's einmal drauf ankäme. Der Vater aber sagte kurz: »Zwegn +der Mitgift braucht koa Hochzeiter a Sorg z'habn. D'Leni hat bei +dreiß'gtausend Mark Muatterguat und vo ihran Vatern achtausend Mark +ausg'machts Geld auf der Bank. Und wenn amal d'Not an sie kam, na war +allweil i aa no da; vorläufig kann i ihr allerdings vo mir no nix gebn; +dös steckt alls im G'schäft drin.« + +Während dieser Rede war die Wolke, die unheildrohend auf der Stirn der +alten Haslerin gestanden, von ihr gewichen und das sonnigste Lächeln lag +auf ihrem Gesicht. Auch der Herr Hasler rieb sich vergnüglich die +Daumenballen und sagte bloß: »Scheen, guat, isch ja sehr aagenehm!« + +Der Benno aber, der zuvor, als meine Abkunft an den Tag kam, sich auf +einen von mir ziemlich entfernten Stuhl gesetzt hatte, kam jetzt mit +zärtlicher Miene auf mich zu und sagte, indem er mich um die Hüfte nahm, +leise: »Du glaabst gar net, Lenerl, wie gern i di hab!« + +Und in heiteren Gesprächen verfloß die Zeit, bis die Mutter um fünf Uhr +zum Vater sagte: »Josef, jatz werd's Zeit ins G'schäft!« + +Da brachen die Haslerischen auch auf und empfahlen sich mit großer +Höflichkeit. + +Nun war ich also Bennos Braut und lebte im übrigen wie zuvor. + + + + + + +Die Hochzeit war auf den Herbst festgesetzt worden, und der Benno eilte +mit viel Fleiß von Amt zu Amt, um die zur Heirat notwendigen +Schriftstücke zusammenzubringen. Der alte Hasler kündigte einer schon +lange Jahre in seinem Haus wohnenden alten Jungfer die Wohnung und ließ +viel Arbeitsleute kommen. Die Wände wurden tapeziert, die Böden frisch +lackiert; in die Küche kam ein neuer Herd und in die Kammer daneben ein +Bad. Die Frau Hasler stand bei größter Sommerhitze auf der Altane und +füllte Kissen und Betten mit Flaum und zeigte den Nachbarn die Größe der +mütterlichen Liebe, die nicht bloß zusieht, wie das Kind, das nun dem +Nest entflogen, sich in der neuen Lebenslage zurechtfindet, sondern die +in Beherzigung des Wortes »Wer sich gut bettet, liegt gut« sorglich ihr +Teil dazu beiträgt, daß dessen Lebensbett ein lindes werde. + +Mein Vater ließ den Schreiner kommen und bestellte die Möbel, nachdem er +sich die für uns bestimmte Wohnung angesehen hatte. Alles sollte +altdeutsch werden, und die Schränke sollten Spiegel haben und ein jedes +Stück noch einen Muschelaufsatz. Der alte Tapezierer Fünffler mußte für +die Polster sorgen und den Divan samt den Stühlen nebst einem kleinen +Kanapee anfertigen. + +Die Mutter aber lief zum Nachbar Glaser und erstand das Neueste an +buntem Porzellan, an irdenem Geschirr und Gläsern. + +Dann kam der Tag, an dem sie ging, das Brautkleid einzukaufen. Da mußte +ich zur alten Haslerin und diese bitten, daß sie uns die Liebe tät und +mitginge, den Stoff zu kaufen, was sie mir versprach. + +Also machten sie sich auf den Weg, eine jede starrend in Seide und +blitzend im Schmuck der Nadeln, Ringe und Spangen, die an Glanz +wetteiferten mit den langen Perlenfransen der Mantillen und +Kapothütchen. + +Erst spät abends kamen sie heim, und ich vernahm, daß nun alles +eingekauft sei, dessen ich als Braut bedürfe, um zu glänzen. Ich +erschrak beinahe, als ich von der Mutter hörte, daß mein Brautkleid von +Seide wäre und der Zeug allein schon mehr denn hundertfünfzig Mark +gekostet hätte. Ich vergaß darüber ganz und gar den Dank, so daß die +Mutter sehr entrüstet ward und rief: »Woaßt net, was si g'hört, du +Hackstock? Gibt ma so viel Geld aus für dös G'stell und kriagt net amal +an Dankschö' dafür!« + +Da kam ich erst wieder ein wenig zu mir und sagte halblaut: »Dank schö, +Mutter, so was hätt's net braucht.« + +»So, dös hätt's net braucht! Moanst vielleicht, i laß mi lumpn und +oschaugn von dö Haslerischen? Hab's scho g'sehgn, wie s' d'Letschn hat +hänga lassn, weil i z'erscht g'moant hab, a Schlepp war net notwendi; +aber jatz hab i so viel kaaft, daß d'an meterlanga Schwoaf hint +nachiziagst!« + +Ich wußte nicht viel darauf zu antworten und empfand im Grunde wenig +Freude über den Prunk, in den man mich stecken wollte. Als ich jedoch +nachher das schwere, glänzende Gewebe sah, regte sich meine Eitelkeit +doch, und ich dachte, wie die in der Nachbarschaft wohl schauen würden, +wenn sie mich in dieser Pracht erblickten. Ich trug den Stoff alsbald +zur Nähterin, die mir einen Arm voll Modeblätter mit nach Hause gab zur +Durchsicht, damit wir wählten, was uns gefiele. Ich suchte mir ein sehr +einfaches Bild zum Muster aus und bat die Mutter, sie möchte das Gewand +nach diesem machen lassen, was sie mir zusagte. + +So waren die Tage der Brautzeit immer mehr ihrem Ende zugegangen, und es +war nun an uns, zum Pfarrer zu gehen, das Stuhlfest zu feiern. + +Also meldete mein Verlobter an einem Oktobersonntag nach dem +Gottesdienst in der Sakristei unserer Pfarrkirche dem alten einäugigen +Meßner, daß wir am nächsten Tage zum Herrn Pfarrer kämen, damit er uns +in allem unterweise, was für den Stand der christlichen Ehe von Nutz und +Frommen sei. + +Hand in Hand schritten wir denn andern Tags gegen elf Uhr mit klopfendem +Herzen durch die Straßen und zögernd stiegen wir im Pfarrhause die +breite Treppe hinauf zur Tür, hinter der ein wirres Durcheinander von +Kinderstimmen zu hören war. Im gleichen Augenblick stürmten etwa zehn +Schulkinder jubelnd und lärmend aus der Wohnung und schwangen im Triumph +bunte Heiligenbilder, die sie gewiß als Lohn für gute Antworten in der +Religionslehre erhalten hatten. Hinter ihnen erschien lächelnd der noch +ziemlich junge Pfarrer und mahnte: »Kinder, tut's schö stad sei; pfüat +euch Gott und tut si koans derfalln! So, pfüat Gott, so!« + +Da erblickte er uns: »So, so! ... Grüß Gott, Leutln! ... So, geht's nur +glei da rei; so ... Ja, jetz san ma also da, so ... So, sitzt's euch nur +glei da her, so!« + +Und sorglich führte er uns zu einer Fensternische, die eigens zu dem +Zweck, der uns hingeführt, gemacht schien. Ein kleiner Sammetdivan stand +in der Ecke, darauf wir Platz nahmen; vor uns ein Tischlein, auf dem +nichts als ein kleines Buch lag. Davor stand ein bequemer Armstuhl, der +für den Priester bestimmt war. + +Da saßen wir nun mit seltsam bewegtem Gemüt. Ein leichter Duft von +Weihrauch umgab uns; die Sonne schimmerte durch die großen Glasbilder, +die an den Fenstern hingen, und ließ die reichen Blumenstöcke bald in +bläulichem, bald rotem Licht erglänzen. Auch zu dem blassen Herrgott, +der an einem hohen Kruzifix aus schwarzem Holze hing, huschte einer von +den roten Strahlen und gab dem Gottessohn ein Kleines seiner Wärme und +beinahe einen Hauch von Leben. + +Stumm blickte ich bald auf den Pfarrer, bald auf die lebensgroße Statue +des Jesukindes, die zwischen Blumen und Kerzen in einer Ecke stand. Dann +schielte ich verstohlen hin zum Benno: der saß etwas gebeugt und Tränen +rannen ihm über sein Gesicht. + +Nun begann der Priester seine Lehre: erst gab er uns den Segen, dann +führte er uns im Geist zurück zu den ersten Menschen, zur ersten Ehe im +Paradiese; hierauf gab er uns alle jene Mahnungen und guten Lehren, +deren junge Eheleute bedürfen. Vor allem aber bat er uns, die Tage vor +der Trauung nichts zu tun, was gegen Sittsamkeit verstoße, und in der +Ehe Gottes Segen nicht durch Anwendung von irgendwelchen Schutzmitteln +freventlich zu hemmen oder zu vermindern; denn das sei ja der Kern der +Ehe, daß die Welt durch sie bevölkert bleibe. Nach diesen Unterweisungen +fragte er den Benno: »Also, Herr Hasler, nachher kannt ma am Sonntag +scho zum erstenmal verkünden, so, und nachher setz' ma glei die Trauung +fest. Wie moanatn S', Herr Hasler, wenn ma den zwoatn Deanstag im +November nahm?« + +Mein Hochzeiter, der während der Ansprache des Herrn Pfarrers wiederholt +in Schluchzen ausgebrochen war, trocknete nun seine Tränen und +erwiderte: »Jawohl, Herr Hochwürden; am zweiten Dienstag im November is +uns scho recht. Aber i möcht halt bitten um a g'sungene Mess' und daß +uns halt der hochwürdige Herr Pfarrer d'Liab tät, selber die Trauung +z'machen. Es wär halt a recht große Ehr für uns, und auch der Vater +moant, es wär viel feierlicher, wenn der Herr Hochwürden d'Traumess' +haltet.« + +Der Pfarrer sagte ihm dies zu, und nachdem er uns noch aufgetragen +hatte, den Tag vor der Hochzeit eine Lebensbeichte abzulegen und am +Hochzeitsmorgen noch die Kommunion zu empfangen, gab er uns den Segen +und geleitete uns dann bis zur Gangtür. + +Wie von einer großen Last befreit, atmete ich auf, als wir draußen +waren, und übermütig sprang ich die Stiegen hinab und auf die Straße. +Der Benno aber war sehr ernst und schüttelte den Kopf, als er meine +Ausgelassenheit sah, und während ich mit tänzelnden Schritten und +lebhaftem Geplauder dahineilte, schritt er beinahe bedrückt neben mir +her und sah mich schweigend an. Da schob ich lachend meinen Arm in den +seinen und rief: »Juhu, g'heirat werd! Da derf i mit der Scheesn fahrn +und hab an Schlepp und a seidens G'wand, juhu!« + + * * * * * + +Etwa eine Woche vor dem Hochzeitstage kamen die Handwerksleute und +meldeten, daß sie mit allem, was ihnen aufgetragen worden, fertig seien. + +Also mußten nun die Möbel in die für uns bereitete Wohnung gebracht +werden, und ich erbat mir deshalb von der Mutter die Erlaubnis, etliche +Tage vom Geschäft wegbleiben zu dürfen. Da stieß ich zum erstenmal seit +langem wieder auf heftigen Widerstand, und die Mutter begann zu fluchen +und zu schelten und machte mir die gröbsten Vorwürfe, daß ich jetzt, wo +ich endlich etwas taugte, heiratete. + +»Und i leid's einfach net, daß d'gehst! Dös war dös rechte! I kannt mi +dahoam darenna vor lauter Arbat und dö gnädi Fräuln laafat furt und tat +d'Wohnung eirichtn. Sag's nur dö Haslerischen! Dö ham mehra Zeit wie +mir; dö solln si um d'Wohnung kümmern! I muaß alles zahln, drum verlang +i aa, daß d'dafür arbatst!« + +Ratlos schlich ich davon und besorgte, es möchte der Tag meiner Hochzeit +kommen und ich hätte nichts gerichtet, worin wir wohnen und schlafen +könnten. In meiner Not ging ich zum Vater und bat ihn um seine Fürbitte, +und nun konnte ich wenigstens für einen Tag Urlaub bekommen. + +Ich ging also in aller Früh schon fort und trat bei der Familie Hasler +eben in dem Augenblick in die Stube, als der Benno seinen Hut vom Nagel +nahm und in das Geschäft wollte. Als ich berichtete, wie schwer ich von +zu Hause fortgekommen sei, meinte er: »Da muß i glei dahoam bleibn, daß +ma heut no ferti wer'n; i möcht net habn, daß dei Mutter harb werd.« + +Also blieb er bei mir, und wir begannen sogleich unsere Arbeit. Erst +stellten wir alles das auf, was in die Schlafstube gehörte, wobei wir +beinahe in Streit gekommen wären, da der Benno haben wollte, wir sollten +die beiden Betten zusammenrücken, ich sie aber gern getrennt gehabt +hätte. Doch gab ich endlich nach, nachdem mich mein Verlobter auf die +Worte des Pfarrers: »Das Weib muß dem Mann gehorchen« hingewiesen hatte. + +Gegen Mittag hatten wir ein Zimmer fertig, und ich wollte nun nach Hause +gehen zum Essen; doch gaben die alten Haslerleute keine Ruhe, bis ich +blieb. + +Nachmittags räumten wir dann die Wohnstube ein; doch kamen wir zu keinem +Ende, da ein jedes die Dinge nach seinem Kopf gestellt haben wollte. +Daher ließ ich den Benno bei seiner Arbeit allein und ging in die Küche, +wo Geschirr und Bilder, Möbel und Nippsachen, Spiegel und Stellagen bunt +durcheinander standen und lagen. + +Nach wenig Stunden wurde es dunkel, und ich war noch nicht einmal zur +Hälfte fertig mit meiner Arbeit. Da kam mit einemmal eine große +Traurigkeit über mich, und ich setzte mich in einer Ecke auf einen +kleinen Hocker und begann zu weinen. Die Unordnung ringsum bedrückte +mich, und alles kam mir so fremd und unwirtlich vor und ich empfand +plötzlich eine große Furcht vor dem Heiraten. + +Währenddem war es ganz finster geworden, und ich stand auf und ging in +die Stube, wo ich den Benno gelassen hatte. Da war sie leer. Ich ging in +das Schlafzimmer, doch auch da fand ich ihn nicht. Nun wollte ich +hinuntergehen zu den Eltern Bennos; da fand ich die Wohnungstür +verschlossen und war also eingesperrt. Ratlos stand ich da und wußte +nicht, was ich beginnen sollte. Es fiel mir nicht ein, daß ich ja nur +ein Fenster zu öffnen brauchte und auf die Straße zu rufen; vielmehr +ging ich wieder zurück in die Schlafstube, legte mich auf ein Bett und +weinte bitterlich. Da hörte ich aufsperren, und es kam der alte Hasler +mit einem Licht und wollte sich unser Werk beschauen. Er erschrak gar +sehr, als er mich so trostlos hier fand, und ich erfuhr nun, daß der +Benno geglaubt hatte, ich sei im Zorn fortgelaufen, und er hatte deshalb +gar nicht weiter nach mir gesehen. + +Als ich daher mit dem alten Hasler eine Weile später drunten in die +Wohnstube trat, war große Freude über den guten Ausgang dieser +Geschichte. + +Spät abends brachte der Benno mich nachhause und bat die Mutter, sie +möge mich doch noch einen oder zwei Tage fort lassen. + +Mit süßsauerem Lächeln erwiderte sie: »Ja, ja, sie kann scho geh vo mir +aus; jatz muß i mi alleweil scho dro g'wöhna, ohne Hilf z'sei. Dös is +scho was alt's, daß d'Kinder, wann s' oan gnua kost' ham, davolaafn und +heiratn!« + +Wir bedankten uns für die Erlaubnis, und am andern Morgen machte ich +mich wieder auf den Weg, ohne vorher etwas zu essen. Als ich daher von +der Frau Hasler zum Kaffee geladen wurde, nahm ich dies gern an, sagte +aber, daß ich mittags heim ginge; denn ich befürchtete, es möchte ihr zu +viel werden. + +Der Benno war schon in aller Früh zu seinem Herrn ins Geschäft gegangen, +ihn um Urlaub zu bitten, bis wir eingerichtet wären. Nun kam er, und wir +begannen wieder unsere Arbeit. Es ging uns jetzt alles gut von statten, +da ich zu müde war, um noch länger zu streiten, und mir vorgenommen +hatte, nach der Hochzeit doch alles so zu richten, wie es mir gefiel. + +Am Mittag wollte ich dann heimgehen, vorher aber gab es noch ein kleines +Unglück. + +Mein Hochzeiter war über unsere Arbeit so erfreut, daß er mich mit einem +Male um die Hüften faßte, mit mir in der Stube herumtanzte und am Ende +mich in die Höhe hob und auf den Divan fallen ließ. Ich hatte schon +während des Aufhebens heftig gezappelt und kugelte nun beim Fallen vom +Divan herab und gerade hinein in einen schönen, großen Spiegel, den ich +kurz zuvor darangelehnt hatte. Er ging in Scherben, und es kostete mich +nicht geringe Mühe, aus dem Rahmen, in dem ich saß, herauszukommen. Die +Holzwand war durchgebrochen und die beiden goldenen Amoretten, welche +den Rahmen zierten, standen nun auf meinem Rücken und hielten mit Anmut +das goldene Wappen. Der Benno war erst wie erstarrt; als ich aber unter +großem Jammer begann, mich von der unbequemen Einrahmung zu befreien, +brach er in so lautes Gelächter aus, daß ich in heftigsten Zorn geriet +und schwur, ich würde ihm den ganzen Spiegel an den Kopf werfen, wenn +ich nur erst heraußen wär. Zum Glück hatte ich keine Verletzung +davongetragen, und als mir der Benno herausgeholfen hatte und sich nun +selbst hineinsetzte, um mir das komische Bild zu zeigen, da mußte auch +ich lachen. Die alte Haslermutter freilich war sehr erschrocken, als +sie's vernahm, und prophezeite uns, daß wir nun sieben Jahre kein Glück +hätten, worüber ich wieder hellauf lachen mußte. Ob nicht doch ein +Körnlein Wahrheit in dem Worte lag? + +Mein Verlobter begleitete mich heim und trat gleich in das Gastzimmer, +um rasch ein Glas Bier zu trinken; ich aber ging in die Küche. Als ich +die Mutter grüßte, dankte sie mir nicht und fragte nur: »Was willst?« + +Ich sagte, daß ich zwar zum Essen geladen worden wäre, es aber +ausgeschlagen hätte. Da schrie sie: »Also was z'essen möchst! Sonst +fallt dir nix ei! Dös war no dös schönere; an ganzn Tag rum z'vagiern +und dahoam 's Essen z'verlangn! Nix da! Wannst net bei mir arbatst, hast +aa nix z'fordern von mir. Laß di nur von dö Haslerischen fuattern!« + +Ich gab ihr keine Antwort mehr darauf, sondern lief in die Gaststube und +sagte mit vor Erregung heiserer Stimme zum Benno: »Komm, gehn ma! +Rasch!« + +Auf der Straße erst erzählte ich dem aufs höchste Erstaunten und +Erbitterten den Vorfall. + +Als wir nachher bei seinen Eltern zu Tisch saßen und ihnen berichtet +hatten, wie es mir ergangen, da meinte der alte Hasler: »So was isch +aber do scho ganz aus dr Weis'! Da mögscht ja glei e Narr wera! Was ha i +dr g'sagt, Benno; da hascht es jetzt. I ha's ja allweil g'sagt: e Mädla +aus'm Gaschtlokal isch e Stückle vom a Saustall! Jetzt ka'scht luadrige +Tag grad gnua kriege. Am brävschte wär's halt, wenn d'heut auf d'Nacht +hi'fahrn tätsch' und alls rückgängig mache!« + +Da sprang der Benno auf und schrie überlaut: »So! Was fallt dir denn ei, +Vater! Was kann denn 's Madl dafür, daß s' so a narrische Muatta hat! +Naa, so viel Ehrenmann bin i allweil no, daß i woaß, was si g'hört! I +heirat, und geht's wie's mag!« + +Nun mischte sich auch die alte Mutter in das Gespräch: »Gar so unrecht +kann i ja der Frau Zirngibl net gebn, Vater; du mußt allweil bedenkn, +daß d'Leni ledi is!« + +»Ja, ledig, dies isch scho recht; aber 's Fressa braucht ma au em ledige +Kind it vorz'werfe!« ... + +Mitten im Reden brach er ab und sah auf mich. Ich war völlig ohne alle +Fassung dagesessen und große Tränen rannen mir über die Wangen; doch +sagte ich kein Wort und stand nur nach einer Weile auf und ging wieder +in mein werdendes Heim. Dort setzte ich mich neben dem zerbrochenen +Spiegel auf einen Stuhl und bedachte zum erstenmal den Schritt, den ich +mit meiner Heirat zu tun im Begriff stand. Ich sah jetzt ein, daß ich +von den Schwiegereltern nicht viel Liebe zu erwarten hatte; daß mein +Gatte heute für mich eintrat, gab mir nicht die sichere Gewähr, daß dies +auch morgen noch geschehe; daß ich aber trotzdem nicht mehr zurücktreten +durfte, wenn ich nicht der gröbsten Schmähungen von seiten meiner Mutter +gewärtig sein wollte, stand fest bei mir. Es bedrückte mich zwar das +rauhe Wesen meiner Mutter, doch mehr noch ängstigte mich das unbekannte +und doch naheliegende Schicksal, das mich in meiner Ehe erwartete. + +In dieser trüben Stimmung begab ich mich ins Schlafzimmer, wo ein großes +Bild der Mutter Gottes hing. Dort setzte ich mich auf den Rand eines +Bettes und redete mit dem Bild: »Liabe Muatta Gottes, hilf mir do in +dera Angst. Laß mi net z'grund geh; sag's dein Sohn, daß er's recht +macht!« + +Da tönte die Klingel der Haustür, und es kam mein Verlobter. Wir +sprachen nichts mehr über das Vorgefallene und arbeiteten den ganzen +Nachmittag fleißig. Abends gegen sechs Uhr wollte ich aufhören, doch +hatte ich mir vorgenommen, nicht heimzugehen, sondern in einem der neuen +Betten zu schlafen. Ich sagte dies dem Benno, und er meinte auch, daß es +besser wäre, wenn ich heute nicht heimginge. Also bereitete ich mir noch +eins der Betten für die Nacht. Als es nun so frisch gerichtet war, +meinte mein Verlobter, ich sollte es doch einmal mit ihm probieren, wie +sich's in den neuen Betten schlafe. Ich aber wies ihn streng zurecht und +gab trotz der Versicherung, daß wir es ja leicht noch beichten könnten, +nicht nach. Schmollend ging er hinaus und nahm mir meine Weigerung recht +übel. Vielleicht trug er auch einen Groll gegen die kirchlichen +Ehegesetze in sich, weil sie dem Mann nicht auch in diesem Fall die +Durchsetzung seines Willens gestatteten. + +Da ich befürchtete, er könne sein Begehren, wenn ich da schliefe, noch +stürmischer wiederholen, so machte ich mich bald auf den Heimweg. + +Als ich in die Küche trat, sagte mir unsere Magd, daß die Nähterin +soeben mit der Mutter in der Wohnung droben sei; sie hätte das +Brautkleid gebracht. Ich konnte aber keine Freude darüber empfinden, und +nicht einmal die Erzählung des Mädchens, daß das Kleid eine lange +Schleppe habe, bereitete mir Vergnügen. Mißmutig schnitt ich mir ein +Stücklein Wurst ab und aß, ohne mich zu setzen. + +Da kam die Schneiderin mit der Mutter herein und rief, als sie mich +erblickte: »Ah, da is ja d'Fräuln Leni scho! Jetz kannt ma glei no +schaun, ob's Brautkleid aa paßt!« Und ich mußte mit ihr in die Wohnung +hinaufgehen und das Gewand anziehen. Es sah recht nobel aus, doch paßte +es nicht gut und war der Kragen viel zu eng. Ich bat sie daher, das +Kleid wieder mitzunehmen und zu richten, was sie auch tat. + +Als ich nachher wieder hinunter kam, war der Benno gekommen und saß mit +etlichen seiner Freunde in der Gaststube, gerade dem Fenster gegenüber, +aus dem man die Speisen in die Stube langte. Er grüßte mich freundlich +und winkte mir zu, aber ich ging nicht hinein, sondern setzte mich an +die Anricht und begann für den kommenden Tag Gemüse zu putzen. Die +Mutter saß nahe bei dem Ausgang, der in die Schenke führte, und hatte +eine Zeitung in der Hand, doch las sie nichts und blickte von Zeit zu +Zeit zornig auf mich. Mit einem Mal sprang sie auf und schrie mich an: +»Du unverschämts Frauenzimmer, woaßt net, was si g'hört? Hast du koan +Dank für dei Mutter? Moanst leicht, i war dir's schuldi, daß i dir a +seidas hab kaaft!« + +Ich blickte sie erschrocken an und wollte eben erwidern, daß ich es ja +noch gar nicht hätte, da fuhr die Mutter aufs neue heraus: »Umanander +renna, d'Gnädige spieln und dabei d'Letschn hänga lassn, dös kann's; +aber dir treib i's aus, du Herrgottsakramenter!« Und ehe ich mich +versah, hatte sie den Schürhaken ergriffen und mir denselben etliche +Male um die Schultern geschlagen. + +Ich sprang auf und rief: »Aber Mutter! Denkn S' doch, daß i Braut bin!« + +Da kam sie in eine furchtbare Wut; sie faßte mich an den Haaren und riß +mich herum, gab mir etliche Ohrfeigen und stieß mich schließlich mit dem +Schrei: »Geh nei zu dein Kerl, G'stell, verfluchts! Moanst vielleicht, i +fürcht mi vor dem Bürscherl!« in die Gaststube hinein. + +Da sprang mein Verlobter auf, stürzte in die Küche hinaus und schrie: +»Frau Zirngibl, dös is a Saustall, wie Sie mit meiner Braut umgehn! +Schamen S' Eahna! Sie führn Eahna ja auf wie a Zigeunerin!« + +Mein Vater hatte mich, als ich so in die Stube flog, sogleich beim Arm +gefaßt und trat nun mit mir in die Küche, als eben der Benno so laut das +Benehmen der Mutter geißelte. Und als die Mutter gerade wieder begann zu +toben, rief der Vater dazwischen: »Was is denn dös für a Wirtschaft! +Kannst di jatz du gar net a weng eischränka, Muatta?« + +Der Benno aber fluchte und rief: »Dös war ma dös Rechte! Sofort muß ma +d'Leni aus'm Haus! Koa Minutn laß i's mehr bei so ana Megärn! Dös war dö +recht Zigeunerwirtschaft!« + +Aber die Mutter fuhr ihn an: »'s Maul halten, Rotzlöffel! Dö bleibt ma +da! Und wann's ma net paßt, na derf s' ma aa net heiratn! Dös kannt enk +passen, scho vor der Trauung z'ammz'hocka in Konkubinat! Sie san a ganz +a feiner, Sie Rotzer! Moanen S' vielleicht, i kriag koan andern +Schwiegersohn mehr als Eahna? Da brennan S' Eahna! I ko mei Tochter +gebn, wem i will, verstanden!« + +In maßloser Wut hatte der Benno bei diesen Schmähungen gestampft und +geflucht, jetzt aber faßte er mich rauh am Arm und schrie: »Marsch, du +gehst ma sofort aus dem Haus, wannst willst, daß i di heirat!« + +Da trat der Vater abermals dazwischen, drückte die Mutter auf einen +Stuhl, schob den Benno in die Gaststube und schickte mich zu Bett; dazu +sagte er bloß mit seltsam bewegter Stimme: »Bringt's mi do net um alles! +Mei ganz' Renomee is beim Teufl durch enkern Saustall; seids g'scheit +und hüt's enker Zung! Geh Benno, gib aa wieder an Fried!« + +Grollend ging der Benno wieder in die Stube, die Mutter machte einen +kleinen Spaziergang in den Hof und ich ging zu Bett. + +Am andern Tag schien alles wieder gut zu sein, und ich machte mich auf +den Weg, meine Wohnung vollends zu richten. + +Das war drei Tage vor meiner Hochzeit. Es gab immer noch viel zu tun, +wenn ich alles gut instand setzen wollte, und ich arbeitete ohne Rast +bis zum späten Nachmittag. + +Als ich endlich fertig war, richtete ich noch die Öfen her, daß ich sie +beim Einzug nur anzuzünden brauchte. Dann eilte ich heim, ohne noch zu +den Haslerischen zu gehen; denn ich schämte mich sehr wegen der +traurigen Szene am Tag vorher. + +Als ich heimkam, trat ich mit freundlichem Gruß in die Küche und sagte: +»So, jetz bin i ferti. Wenn S' vielleicht Lust hätten, Mutter, daß Sie's +Eahna anschaun möchtn, tat's mi freun!« + +Ich bekam keine Antwort und wußte also, daß ich, wenn nicht abermals +etwas Unliebsames vorkommen sollte, gehen mußte. Daher sagte ich bloß +noch: »Gut Nacht!« und ging dann zu Bett. + +Am andern Tag wollte ich mein Geld von der Sparkasse abholen und +kleidete mich daher schon früh an. Der Vater wollte mitgehen, und es +mußte also die Mutter in die Schenke. Sie tat es, ohne ein Wort mit uns +zu reden; nur als ich ihr Adieu sagte, rief sie mir nach: »Kannst glei +dein Bräutigam 's Brauthemad kaafa und a Myrtnsträußerl! Na gehst glei +hoam!« + +Ich hatte mir schon allerhand ausgedacht, was ich mir um die neunzig +Mark, die mir von dem Geld aus der Floriansmühle noch geblieben waren, +alles kaufen wollte; als ich aber heimkam, verlangte mir die Mutter das +Geld sofort ab und sagte: »Dös Geld gibst her, na kaaf i dir an saubern +Spiegelkasten drum.« + +Obschon ich gerne dagegen gesprochen hätte, blieb ich doch stumm auf +diese Rede; denn ich fürchtete, aufs neue den Zorn der Mutter zu +erregen, wenn ich nicht zu allem ja sagte. Also ward ich auch dieses +Geldes los, wie ich einst des meines Großvaters und des Hausls los +geworden war. + + + + + + +Es ist ein alter Brauch, daß man den Vorabend einer Hochzeit mit einer +kleinen Feier begeht, und nennt man diesen Abend den Polterabend. + +Zu der Zeit meiner Verheiratung wußte ich über den Ursprung und die +Bedeutung dieses Wortes noch nicht viel, doch schien mir der Name für +meine Verhältnisse gar nicht so unrecht; denn die Mutter polterte an +diesem Tag im ganzen Haus herum, fluchte, zeterte, zertrümmerte +verschiedenes Geschirr, jagte die Küchenmagd aus dem Haus und prügelte +meine Stiefbrüder, ohne daß man recht wußte, warum. Ich war deshalb sehr +bedrückt und tat nichts, wovon ich vermeinte, daß es die Mutter erzürnen +könnte, und hatte auch wirklich bis zum Nachmittag Ruhe. + +Um zwei Uhr ging ich in die Wohnung hinauf, um meine kleinen Andenken +und all die Kästlein und Schächtelchen, die Bilder und Büchelchen +zusammenzupacken, die mir zu lieb waren, als daß ich sie hätte +zurücklassen mögen. Auch die Mutter kam bald hinzu und warf mir manches +hübsche und auch kostbare Stück hin, das sie nicht mehr mochte; doch +brummte sie beständig vor sich hin und schrie mich plötzlich ganz +unvermittelt an: »Hast es ja recht notwendi, daß d'heiratst! Hättst es +ja nimmer aushalten könna dahoam! Aber wart nur, du wirst es scho sehgn, +wia's dir geht! Daß dir i nix guats wünsch, kannst dir denka, du +undankbars Gschöpf! Kannt ma s' so guat braucha und muaß ma fremde Leut +haltn, während die gnädig Fräuln heirat und si auf die faule Haut +flackt!« + +Dabei warf sie mir etliche Schmuckschächtelchen auf den Tisch, dazu ein +schweres Kettenarmband, eine Halskette mit einem schönen, alten +Medaillon, einen schwarzen Beinschmuck und ein großes, kostbares +Ametystkreuz, das sie einst von einer Gräfin von Lindwurm erhalten +hatte. Ich glaubte nicht, daß die Dinge alle für mich bestimmt seien und +ließ sie liegen. Da schrie die Mutter wieder: »Is dir leicht mei Sach +nimma guat gnua? Bist leicht z'schö dazua, daß d' was alts, was guats +tragst?« + +Da nahm ich rasch die Sachen vom Tisch, leerte eine hübsche Schatulle, +in der ich Briefe liegen hatte, aus und tat alles hinein, indem ich +sagte: »Was denken S' denn, Mutter! Freili mag i alles! Und von Herzen +'gelt's Gott dafür! Dös freut mi anders, daß i grad dös schönste kriagt +hab! Dank schö, Mutter! 'gelt's Gott!« + +Da lief sie aus dem Zimmer und schlug krachend die Tür zu. + +Ich hatte großes Mitleiden mit ihr und dachte, ob ich wohl auch einmal +ein Mädchen bekäme und wie ich mit ihm sein wollte; doch bald +verscheuchte ich diese Gedanken und trug meine Kostbarkeiten nach der +neuen Wohnung, wo ich alles in die Kommode räumte. Danach ging ich zur +Familie Hasler, wobei mir das Herz klopfte; doch sagten sie kein Wort +wegen des Verdrusses, den wir gehabt. Sie luden mich ein, mit ihnen den +Kaffee zu trinken, aber ich entgegnete, ich müsse erst daheim um +Erlaubnis bitten. + +Ich ging also gleich wieder nachhause und bat den Vater, der es mir zwar +erlaubte, doch meinte, ich müsse schon auch die Mutter fragen. Dies tat +ich, und da ich ohnehin auch noch zur Beicht mußte, ließ die Mutter mich +gleich fort und sagte bloß: »Daß d'hoam kommst bis auf d'Nacht! Bringst +Haslers mit, mir ham heut a Konzert!« + +Nach dem Kaffee, etwa um fünf Uhr, brach ich auf und holte meinen +Hochzeiter vom Geschäft ab, um mit ihm zur Beicht zu gehen. Er war +wieder sehr ernst und redete nicht viel. + +Nach der Beicht gingen wir wieder zu seinen Eltern, wo wir die alten +Leute bereits in sonntäglicher Kleidung antrafen. Der Tisch in der +Wohnstube war weiß gedeckt, ein Rosmarin prangte in der Mitte und eine +große Torte mit der Aufschrift: »Dem Brautpaar«, stand daneben. Der +Vater holte eine Flasche Wein herbei und die Mutter stellte die Gläser +mit zitternder Hand dazu. Es war schon völlig dunkel, und im Zimmer +verbreitete die altmodische Lampe ein behagliches Licht. + +Da ertönte draußen im Hof Musik, und das Lied: »Nur einmal blüht im Jahr +der Mai, nur einmal im Leben die Liebe« wurde mit viel Gefühl auf einem +Piston vorgetragen. Nun schenkte der alte Hasler die Gläser voll und mit +herzlichen Worten wünschte er uns Glück; die Mutter hatte die Augen voll +Tränen und gab uns ihren Segen, der Benno aber hatte mich an sich +gezogen und schluchzte. + +Da ergriff mich eine große Dankbarkeit gegen diese Menschen und ich +dankte ihnen unter heftigem Weinen. Trotzdem fühlte ich mich so elend, +als sei ich wieder am Grab meines Großvaters, und es befiel mich ein +Zittern und Unwohlsein, und ehe man sich recht zu helfen wußte, war ich +ohnmächtig geworden. + +Als ich wieder zu mir kam, waren alle um mich besorgt, die Haslermutter +aber fragte mich, ob ich öfter an solchen Zuständen leide. Ich sagte +ihr, daß ich manches Mal auch ohne besonderen Anlaß mit solchen +Ohnmachten zu kämpfen hätte. Da nahm sie mich beiseite in die +Schlafstube und wollte ausführlich über meine Gesundheit berichtet sein: +»Denn,« sagte sie, »du kannst mir's net verargen, daß i mi um mein' +Oanzign sorg.« + +Nun erzählte ich ihr, daß ich schon seit meinem vierzehnten Jahr +bleichsüchtig gewesen sei, daß ich die Reife des Mädchens erst vor wenig +Wochen zum erstenmal erfahren hätte, während bisher jahrelang nur diese +Ohnmachten eine gewisse Zeit andeuteten. Diese Bewußtlosigkeit sei immer +plötzlich gekommen, und einmal gerade, als ich in der Küche stand und am +Fleischtisch ein Stück Leber schnitt. Zum Glück hatte ich das große +Tranchiermesser nur locker in der Hand, sonst wäre vielleicht ein +Unglück geschehen. Auch berichtete ich ihr, wie ich einmal nach einem +großen Verdruß mit der Mutter am Brunnen gestanden, um ein Kalbshirn zu +häuten. Da hatte mich mit einem Mal ein kurzer, heftiger Husten gepackt +und ein schöner Faden hellen Blutes lief den Brunnen hinab, während ich +mit heißem Kopf und müden Beinen dort lehnte und Schmerz und Übelkeit +bekämpfte. Die Mutter hatte mich am andern Tag zum Arzt geschickt, der +an eine Magenkrankheit glaubte, da ich vordem nur selten gehustet hatte. +Doch sei dies alles längst wieder gut und ich hätte nicht Sorge, daß ich +eine Krankheit in mir habe. + +Nach einigem Nachdenken meinte die Frau Hasler: »Du bist halt +überarbeit't! Wennst jatz dei Ruah hast, wirst scho wieder! 's Heiraten +is dös best' für di und der Benno is der g'scheitste Doktor. Aber jatz +müaß ma wieder zu dö andern, sonst wer'n s' uns granti!« + +Und sie nahm mich bei der Hand und führte mich wieder in den Bereich des +Lichts, wo die zwei Männer inzwischen ernste Dinge verhandelt haben +mußten; denn der Vater sah den Benno fest an und sagte noch kurz: +»Hascht mi verschtande?« worauf der Benno ihm die Hand drückte und +sagte: »Ja, Vater, i wer' mir's merkn.« + +Wir machten uns nun auf den Weg zu meinen Eltern. Schon aus etlicher +Entfernung tönte uns lustiges Klarinetten- und Geigenspiel entgegen, und +als wir eintraten, brachen die Musikanten das eben begonnene Stück ab +und empfingen uns mit einem feierlichen Marsch. + +Wir gingen erst an die Schenke, dann in die Küche, die Eltern zu +begrüßen. Da sah ich, daß die Mutter geweint hatte, und ich fragte sie +sogleich, ob ich in der Küche helfen könne; sie sagte aber: »Naa, naa! +Bleib nur drin! Dös war no dös nettere: a Polterabend ohne Braut!« + +Da setzte ich mich an den Tisch, wo schon die ganze Verwandtschaft und +Freundschaft Platz genommen hatte, und ein lustiges Treiben begann, und +es währte nicht lange, da forderte mich mein Verlobter zum Tanz. Und +heiter ging der Abend dahin, und um Mitternacht ertönten Hochrufe und +knatterten Schüsse und begann ein Glückwünschen und eine Lust, daß ich +mir wie verzaubert vorkam. Bald stimmte auch ich in die Lustbarkeit ein +und sang noch manches Trutzliedlein in dieser Nacht. + +Endlich um drei Uhr morgens gingen wir auseinander; denn da der Benno +und ich seit Mitternacht weder essen noch trinken durften wegen der +morgendlichen Kommunion, so freute uns schließlich der ganze Spaß nicht +mehr. + +Ich lag noch nicht lange im Bett und war kaum eingeschlafen, als mich +ein heftiges Weinen aufweckte. Ich setzte mich erschreckt auf und +horchte. Da vernahm ich, daß dasselbe aus dem Schlafzimmer der Eltern, +welches unmittelbar an meines stieß, drang. Deutlich hörte ich jetzt die +Mutter klagen: »Hätt i meine Leut g'folgt! Hätt i auf mein Vatern +g'hört! So a Schand! Jatz bin i no so jung und muaß dös derlebn!« + +Vergebens tröstete der Vater: »Mach dir do nix draus, Muatta! Da denkt +koa Mensch weiter drüber nach, daß d' no so jung bist!« + +Sie wurde immer erregter: »Jatz kann i mi aa zu dö Altn hi'hocka im +Kaffeehaus! Und i will no net so alt sei! I will no lebn! Koa Mensch +acht a Schwiegermuatta! Hätt do i dem Lumpen net glaabt, damals! O mei!« + +Und sie weinte und klagte, und der Vater redete begütigend mit ihr, und +seine Stimme wurde immer liebevoller und leiser, und endlich vernahm ich +nichts mehr, als ein Flüstern, dessen Zärtlichkeit mir anzeigte, daß die +Mutter wieder gut sei. + +Da legte ich mich wieder hin und versuchte zu schlafen, doch obschon ich +mich bald auf die eine, bald auf die andere Seite drehte, gelang es mir +nach dem eben Gehörten nicht mehr. Am End stand ich auf, wusch mich mit +kaltem Wasser und begann mich dann für die Frühmesse und Kommunion +anzukleiden. + + * * * * * + +Kurz nach fünf Uhr verließ ich das Haus und begab mich in die matt +erhellte Kirche, wo nur etliche Beterinnen und vier Klosterfrauen +knieten. Ich setzte mich in eine der vordersten Bänke und erwartete +meinen Bräutigam. + +Ohne Teilnahme, ohne Andacht und ohne Bewegung saß ich da und blickte +stumpf auf den riesigen Kronleuchter vor dem Tabernakel. Die rote Ampel +ließ kaum das kleine Lichtlein durchscheinen, und der weite, +schmiedeeiserne Reif darum bewegte sich leise hin und her. + +Wenige Augenblicke vor Beginn der Messe, als eben der Kirchendiener die +Kerzen des Altars entzündete, kam der Benno. Leise trat er in meinen +Stuhl und begrüßte mich flüsternd. Dann kniete er sich nieder, zog ein +Andachtsbüchlein aus der Tasche und schien recht gesammelt und +ehrfurchtsvoll zu beten. Ich aber versuchte vergebens, ein Vaterunser zu +vollenden; schon bei der dritten oder vierten Bitte war ich mit meinen +Gedanken wieder in der Welt und in der Zukunft. Erst als der Ministrant +bei der Wandlung mit seinem silbernen Glöcklein zur Anbetung des +menschgewordenen Gottes mahnte, konnte ich der frommen Handlung folgen +und empfing andachtsvoll das Sakrament des Lebens. + +Nach der Kirche gingen wir zusammen bis zu unserm Haus und trennten uns +mit gemessenem Gruß. + +Unsere Fanny, meines Vaters jüngste Stiefschwester, die seit einem +halben Jahr im Hause war und schon etliche Wochen hindurch hatte lernen +müssen, all die Arbeiten zu tun, welche sonst ich zu verrichten hatte, +war inzwischen schon mit dem Kaffeekochen fertig und ich trank schnell +meine Tasse. Dann ging ich ins Bad und begann danach in meinem Zimmer +mich mit der feinen Wäsche zu bekleiden, die mir die Haslermutter zur +Brautgabe gesandt hatte; denn es war bei uns der Brauch, daß die Braut +für den Bräutigam und wiederum er für die Braut jenes Hemd anschaffte, +das den Körper am Tag der Vermählung bekleidet. Nach der Hochzeit wird +es dann gewaschen und aufgehoben bis zum Tod, wo es noch einmal die +Glieder kleiden soll. Es waren recht ernste Gedanken, die mich dabei +bewegten, und ich besah mich nachdenklich im Spiegel, nachdem ich das +kostbare Linnenhemd angetan hatte. Doch gewann bald meine muntere Natur +die Oberhand, und als ich meine Füße in die weißen, seidenen Strümpfe +hüllte und in die feinen Stiefelchen aus weißem Leder schlüpfte, kam es +mir plötzlich in den Sinn, zu versuchen, ob ich in diesem Schuhwerk auch +gut tanzen könne. Und ich stand auf und begann erst allerhand Schritte +zu machen, und dann tanzte ich auf dem weichen Teppich und summte dazu +die Donauwellen. + +Da ging die Tür auf und die Mutter und der Vater kamen herein. Erstaunt +sahen sie mich an, und der Vater meinte: »Schau, schau, wie 's Bräutl +scho munter is! Denkst leicht, wenn ma in Ehstand einitanzt, na hat ma +mehra Glück? Da paß nur auf, daß dir koan Fuaß vodrahst, sunst is vorbei +mit der Freud!« + +Nach diesen Worten ging er hinab ins Geschäft. Die Mutter aber befahl +mir kurz: »Ziag den Schlafrock o, den i auf mei Bett g'legt hab, na +gehst nüber zum Teuerl und laßt di frisiern!« + +Ich ging, nachdem ich den feinen, dunkelroten Schlafrock angezogen und +der Mutter dafür gedankt hatte. + +Das Frisieren dauerte über eine Stunde, da der Fritzl, der kleine Sohn +des Friseurs, das Brenneisen erwischt und verräumt hatte, so daß über +dem Suchen beinahe eine halbe Stunde verrann. + +Endlich trat ich fein gelockt und gescheitelt aus dem Laden und lief +geschwind heim; denn es schlug eben neun Uhr und um halb zehn Uhr war +schon das Frühstück angesagt. + +Als ich wieder in mein Zimmer kam, fragte die Mutter, ob ich das +Brautgewand gleich mitgebracht hätte. Da fiel mir erst ein, daß die +Schneiderin versprochen hatte, um sieben Uhr schon da zu sein. Ich lief +daher schnell ins Nachbarhaus zu ihr und fragte, warum sie denn nicht +käme. Sie war recht krank geworden und konnte sich kaum aufrecht halten, +ihre Gehilfin aber war nicht gekommen. Inständig bat ich sie, sie möge +doch versuchen, mitzukommen, da ich ja sonst nicht heiraten könne. Da +zog sie sich doch an, packte das Kleid und die Nadelbüchse zusammen und +ging mit. Nun sperrte die Mutter ihren Salon auf, und ich wurde vor dem +großen Spiegel angekleidet und mit Kranz und Schleier geschmückt. + +Als sie fertig war, ging die Nähterin wieder nachhause und bat, man möge +ihr das herkömmliche Mahl hinaufschicken. + +Nun stand ich also bräutlich angetan da und ein feierliches Gefühl +überkam mich. + +Da trat die Mutter zu mir, besah mich lange, und es kam wieder etwas +Böses in ihren Blick, das ich schon kannte und fürchtete. Eine große +Angst befiel mich und ich war unfähig, mich zu rühren, noch zu reden, +als sie begann: »Also, heunt bist erlöst vo mir; werd dir net gar +z'wider sei, dös! Jatz kannst dein Mo ärgern, wie'st bis heunt mi +g'ärgert hast!« + +Ich konnte kein Wort erwidern und sie fuhr fort: »I wollt dir z'erscht +hundert Mark Taschengeld gebn, aber i tua's net. Leicht kannt's eahm gar +net recht sei, an Hasler! Aber den Frauntaler gib i dir; den kannst dir +aufhebn, bis d' amal nix z'fressn mehr hast. Und mein Wunsch will i dir +aa no sagn: du sollst koa glückliche Stund habn, so lang'st dem Menschn +g'hörst, und jede guate Stund sollst mit zehn bittere büaßn müaßn. Und +froh sollst sei, wannst wieder hoam kannst; aber rei kimmst mir nimma. +Jatz woaßt es!« + +Ich war während dieser grausigen Worte wie unter Peitschenhieben +zusammengezuckt; ein unsagbar elendes Gefühl überkam mich, und dann fiel +ich ohne Besinnung zu Boden. + +Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem der bequemen +Polsterstühle, und um mich standen zitternd die alte Haslerin und ihre +Schwester Hanne, der alte Hasler, die zwei Beiständer oder Trauzeugen +und die Kranzljungfern. Meine Mutter bemühte sich schluchzend und +jammernd um mich und reichte mir mit den Worten: »Geh, trink a bißl, +arms Kind!« ein Gläschen Wein. Willenlos ließ ich es geschehen, daß man +es mir eingab, obschon ich das Gefühl hatte: jetzt vergiftet sie dich. +Doch war es nicht so, und ich bekam in den nächsten Minuten immer mehr +die Empfindung, daß ich das Furchtbare zuvor nur geträumt; denn die +Mutter war so voll Schmerz über mein Scheiden und schien in Tränen +aufgelöst. Sie zog mich an sich und rief: »Viel Glück, mei liabs Kind! +Jatz gehst halt und laßt mi alloa! Bleib mir g'sund und vergiß mi net!« + +Dann schritt sie gerührt von einem zum andern, gratulierte, klagte und +weinte, wie es gerade paßte, bis die Kellnerin meldete, daß der +Bräutigam warte. + +Da stand ich auf, und die Haslermutter trat zu mir, küßte mich und +sagte: »I wünsch dir Glück! Sei mei guats Töchterl!« Und ganz langsam +rollte eine Träne über das runzlige Gesicht. Dann beglückwünschte mich +eins nach dem andern, die Kranzljungfern faßten die Schleppe meines +Kleides, die Mutter legte mir eine kostbare, alte Goldkette um den Hals, +die Haslerin steckte mir einen feinen Opalring an die Hand und große +Opale in die Ohren; der Haslervater gab mir seinen Arm, und nun ging's +mit großer Feierlichkeit hinab in die festlich geschmückte Gaststube. +Mein Hochzeiter stand schon mit dem prächtigen Brautbukett da und +begrüßte mich mit einem Handkuß. Er gefiel mir in dem festlichen Gewand +recht wohl, und ich empfand ganz plötzlich ein großes Verlangen, ihm um +den Hals zu fallen und ihn zu küssen, doch die vielen Menschen, die uns +von allen Seiten umgaben, ließen mich davon abstehen. + +Nun setzten wir uns zum Frühstück; es wurden Bratwürste auf großen +Porzellanplatten herumgereicht und man trank Märzenbier dazu. Während +des Essens trat auch mein Vater herzu und gratulierte uns und übergab +mir einen schönen Ring, daß ich ihn meinem Bräutigam anstecke. Und indes +derselbe von allen Seiten beschaut und bewundert wurde, kam die Mutter +und sagte: »Lieber Benno und Leni! I kann leider net mitfahrn in +d'Kirch; denn i hab koa Aushilf kriagt zum Kochen. Und d'Hauptsach is ja +do a guats Mahl nach dem Schreckn, net wahr!« + +Und mit freundlichem Lächeln ging sie wieder hinaus in die Küche. + +Die Haslerischen waren über diese Mitteilung gar nicht erfreut und +konnten es nicht begreifen, daß wir nicht mehr darauf gedrungen hatten, +die Mutter solle mitkommen. »Denn,« meinte die Frau Hasler, »wann dö +eigene Muatter net mitgeht in d'Kirch und für ihra Kind bet, na is mit'n +Ehglück net weit her.« + +Und sie ging hinaus und bat die Mutter dringend, doch mitzukommen. + +Ich ließ sie gewähren, obwohl ich schon wußte, daß all ihr Bemühen +vergeblich sei. + +So war es auch. Die Haslerin kam bald mit hochrotem Kopf wieder herein, +nickte etliche Male für sich wie zur Bestätigung und murmelte +unverständliche Worte. + +Da kam der Brettlhupfer, jener dienstbeflissene Mann, der den +Wagenschlag öffnet, ein jedes aus der Gesellschaft in den bestimmten +Wagen bringt, acht hat, daß kein Zylinderhut verdrückt, kein Kleid +beschädigt und keine Schleppe in die Wagentür eingezwickt wird; der mit +viel Grazie und wohlgesetzten Worten die Braut leitet und einem +jeglichen sein Amt weist und sowohl am Standesamt als in der Kirche für +die gute Ordnung sorgt. Er war in schwarzer Wichs, seine Lackschuhe und +sein Zylinder glänzten, und Handschuhe und Halsbinde schimmerten in +reinstem Weiß. Mit der Haltung eines Kavaliers stand er an der +geöffneten Tür und sagte: »Verehrte Herrschaften, d'Wägn wärn da! Darf +ich bitten?« + +Und er nahm zuerst die Kranzljungfern vor und geleitete sie zu einem +Wagen; dann kamen die Beiständer und mein ältester Bruder, hierauf die +Schwester der alten Haslerin und meine Firmpatin, die Nanni, sowie die +beiden Stiefschwestern meines Vaters. In dem vierten Wagen saß der +Bräutigam und sein Vater, und im fünften endlich nahmen ich und die +Haslermutter Platz. + +Während der kurzen Fahrt zum Standesamt redeten wir nichts. Als wir +vorfuhren, hatte sich eine kleine Menge Neugieriger, sowie eine Horde +Kinder angesammelt, und während der Brettlhupfer sich eifrig umtat, uns +die bei einer solchen Gelegenheit übliche Ordnung zu geben, konnte man +aus dem Spalier der Gaffenden allerlei Bemerkungen hören: »Ah, der +Breitigam is sauber!« rief eine junge Köchin, die mit aufgestülpten +Ärmeln dastand. »Wia nur der dö Molln mag, dö aschblonde!« + +»Dö werd scho a Geld g'habt habn!« erwiderte eine ältere Frau, an deren +schmutzigem Kittel zwei noch schmutzigere Kinder hingen. + +In dem Augenblick humpelte ein altes Weiblein auf seinem Krückstock +daher und hielt seine verkrüppelte Hand hin: »Gott g'segn an Ehestand, +schöne Braut! Derft i bittn um a freundliche Gab!« + +Ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte, da ich ja kein Geld besaß. +Die alte Haslerin schimpfte über die Frechheit des alten Mütterleins und +prophezeite mir großes Unglück durch diese Begegnung. Mein Hochzeiter +aber griff in die Tasche und langte ein neues Markstück heraus, das er +der Alten mit den Worten gab: »Aber nix Schlechts derfan S' uns +wünschen, Muatterl, verstandn!« + +»I, wia wer i denn so gottvergessn sei!« schmunzelte das Weiblein und +humpelte davon. + +Und während sich die Umstehenden über den Zwischenfall unterhielten, +begaben wir uns in den im ersten Stockwerk gelegenen Vorsaal des +Standesamts. + +Der Brettlhupfer flüsterte aufgeregt mit den Trauzeugen, gab den +Verwandten Weisung, wo sie sich hinzustellen hatten und ermahnte dann +die Kranzljungfern noch, beim Aus- und Eingehen recht achtzugeben, daß +sie nicht zu stark an der Schleppe zögen: »Net, daß uns d'Braut z'letzt +hi'fallt!« + +Mit einem Male taten sich vor uns zwei Flügeltüren auf, und wir gingen +in schöner Ordnung in den Trauungssaal. Voran der Bräutigam und ich an +seinem Arm. Dahinter die trippelnden Kranzljungfern, dann die +Trauzeugen, die mit langen Schritten rechts und links von uns Platz +nahmen, und darauf kamen die andern; doch sah ich sie nicht mehr, da +mich nun die Handlung ganz in Anspruch nahm. + +Der Brettlhupfer hatte dem Diener des Standesbeamten das Schächtelchen +mit den Trauringen übergeben, und der legte diese nun auf eine schöne, +silberne Platte, worauf der Standesbeamte unsere Namen verlas und eine +sehr weihevolle Ansprache über die soziale Wichtigkeit der Ehe, über +ihre Wirksamkeit, sowie über die Pflichten und Verantwortungen der +Eheleute hielt. Danach kamen die Trauzeugen daran, und es wurde ihnen +auch eine kleine Rede gehalten, worauf die eigentliche Trauung vor sich +ging. Wir erhielten die Ringe, steckten sie uns gegenseitig an die +Rechte und beantworteten die feierlichen Fragen des Beamten mit +kräftigem Ja. Dann wurde noch etliches gesprochen, was mir aber nicht +mehr erinnerlich ist, da ich mit einem Male so erregt war, daß ich weder +hörte noch sah und nur mechanisch am Arm meines vor der Welt nun mir +angetrauten Gatten zum Wagen ging. + +Diesmal war die Ordnung eine andere; denn ich saß neben dem Benno, und +wir fuhren nun zum Photographen. Die andern Wägen hatten uns zwar +begleitet, doch stieg niemand aus und fuhren sie, indes wir uns da +aufhielten, spazieren. Der Brettlhupfer aber war bei uns geblieben und +half mir nun mit viel Anmut aus dem Wagen, hielt mir die Schleppe und +trug sie mir bis zum Empfangssalon des Photographen. Wir waren schon +gemeldet und kamen daher sofort daran, obwohl noch mehrere Leute +warteten. + +Während des Photographierens hatte der Benno eine kleine +Auseinandersetzung mit dem Meister; denn als er seinen Arm um meine +Schulter legte, sich fest an mich schmiegte und mit seligem Gesicht +meinte: »Jatz standn ma ganz schö, net wahr?« da zog ihm der Photograph +wortlos den Arm wieder herab, schob uns auseinander und sagte: »Net so +stürmisch, Herr Hasler, net so stürmisch! Dös kommt später!« + +Der Benno war darüber so gekränkt, daß er ein ganz rotes Gesicht bekam +und so ernst und geknickt dreinsah, daß die Verwandten, als sie nach +etlichen Wochen die Bilder sahen, sich darüber lustig machten und +meinten: »Aber Benno! Du schaugst ja auf dem Bildl aus, als obst zum +Köpfa ganga warst, statt zum Heiratn!« + +Als die Aufnahme gemacht war, kam wieder der Brettlhupfer und geleitete +uns hinaus; doch zu meinem Staunen kam ich nun wieder in den Wagen +meiner Schwiegermutter, während der Benno zu seinem Vater hineinstieg. +Auf meine Frage, warum dies geschehen sei, sagte mir die Frau Hasler, +daß ich vor Gott noch nicht Bennos Frau sei, deshalb dürfe ich auch noch +nicht mit ihm zusammen fahren. Ich war es zufrieden und blieb während +der übrigen Fahrt wieder schweigend. + +Das hohe Portal unserer Pfarrkirche stand weit offen, und feierliches +Orgelspiel empfing uns beim Eintritt in das Gotteshaus. Voran gingen die +Verwandten, dann die Trauzeugen und zuletzt wir und die Brautjungfern. + +Nur wenige Leute waren anwesend, und ich sah mich ein wenig um, ob nicht +ein Bekanntes darunter wäre. Da sehe ich plötzlich hinter einem der +mächtigen Pfeiler das verzerrte Gesicht meiner Mutter auftauchen; sie +stand da ohne Hut, im Wirtschaftsgewand und in der weißen Schürze, nur +ein leichtes Tuch um die Schultern gelegt und starrte mit glühenden +Augen auf den Zug. Und wie sie mich erblickte, da streckte sie den Kopf +weit vor. Ich konnte nicht mehr hinsehen und hing mich fest an den Arm +meines Bräutigams, und es bemächtigte sich meiner eine solche Bewegung, +daß ich ohne alle Fassung zu schluchzen begann und nicht aufhörte +während der Trauung und der feierlichen Messe. + +Die Verwandten hatten in den Chorstühlen neben dem Hochaltar Platz +genommen; mein Bräutigam und ich knieten uns auf einen rotsammetenen +Betstuhl, der vor dem Altar stand, während die Trauzeugen sich rechts +und links von uns aufstellten. + +Da trat der Pfarrer im reichen Chorhemd, angetan mit der weißen Stola, +aus der Sakristei, und es begann die heilige Handlung. Nach einer +ernsten Ansprache legte er dem Bräutigam die Frage vor: »Herr Benno +Hasler, wollen Sie sich mit der Jungfrau Magdalena Christ in den +heiligen Stand der Ehe begeben und darin verbleiben, bis der Tod Sie +scheidet, so sprechen Sie >ja<.« + +Mit lautem, bestimmtem »Ja« antwortete mein Verlobter, und nun kam die +Frage an mich. Kaum vernehmlich und in Schluchzen fast erstickt war +meine Antwort. + +Nach dieser Ablegung des Ehegelübdes faßte der Priester unsere Hände, +legte sie zusammen, wickelte seine Stola darum und machte unter +weihevollen Gebetsformeln das Zeichen des heiligen Kreuzes darüber. +Danach besprengte er uns mit Weihwasser und betete mit lauter Stimme, +worauf er die Trauringe weihte. Unter abermaligen feierlichen Gebeten +reichte er uns sodann dieselben, und wir steckten uns diese Symbole der +unverbrüchlichen Treue und unwandelbarer Freundschaftsliebe an, worauf +wir mit dem Priester das Paternoster beteten. + +Damit war die eigentliche Trauung beendet, und der Pfarrer trat wieder +in die Sakristei, um sich zur Messe zu bereiten. + +Während derselben versuchte ich immer wieder meiner Bewegung Herr zu +werden, doch gelang es mir nicht, und als unter der Kommunion des +Priesters das Schubertsche Ave Maria ertönte, konnte ich mich nicht mehr +fassen und weinte laut auf. Da flüsterte mir mein Bräutigam zornig zu: +»Hör do auf mit dem Getrenz! Hättst ja grad naa sagn brauchn, wenn's di +so reut!« + +Das brachte mich plötzlich wieder zu mir, und ich wurde still und das +Gefühl einer kühlen Gleichgültigkeit kam über mich und verließ mich den +ganzen Tag nicht mehr. + +Nach dem Meßopfer sang der Chor das Tedeum, und der Priester erteilte +uns mit aller Feierlichkeit den Brautsegen. Dies war eine große Ehre; +denn derselbe wird sonst nur bei ganz großen, festlichen Hochzeiten +gespendet. + +Als wir uns zum Gehen ordneten und über die Stufen des Hochaltars +hinabschritten, sah ich, daß inzwischen eine große Menge Bekannter und +auch andere Neugierige gekommen waren; meine Mutter aber konnte ich +nicht mehr erblicken. Sie war wohl schon früher nachhause geeilt, um für +das Mahl zu sorgen. + +Beim Wegfahren von der Kirche durften ich und mein Bräutigam in der +eigentlichen Brautchaise Platz nehmen, und half er mir mit großer +Ritterlichkeit beim Einsteigen. Er schlang auch gleich seinen Arm um +mich und küßte mich wiederholt und fragte mit zärtlicher Stimme: +»Kimmt's dir net hart o, daß d'furt muaßt vo dahoam und mit mir geh?« + +Ich antwortete mechanisch: »Naa.« + +Da drückte er mich fest an sich und bat mich, ihn doch anzusehen: »Geh, +schau mi halt a kloans bißl o und gib mir halt a Busserl!« + +Auch das tat ich, doch ohne Wärme, ohne Leben, so daß dem Benno ganz +angst wurde und er fragte: »Bist leicht krank, daß d' so stad und +wunderli bist? Warum redst denn nix?« + +Ich blickte durch das Wagenfenster und sagte nur: »I bin net aufglegt!« + +Da meinte er, ich hätte vielleicht Hunger und schmeichelte: »Hast halt +no nix G'scheits z'essn g'habt, gel! Aber jatz wer'n ma glei g'holfn +habn, wart nur, Weiberl! Jatz tuast amal z'erscht was essn, na trinkst a +paar Glaserl Wei, und na werst sehgn, wia dir da d'Fröhlichkeit und +d'Liab kimmt!« + +Ich gab ihm nur ein halblautes »Hm hm« zur Antwort und lehnte mich mit +geschlossenen Augen in meinen Sitz zurück. Der Benno aber glaubte, ich +wollte mich an ihn schmiegen und drückte mich stürmisch an sich. + +Da hielt der Wagen. Wir waren bei den Eltern, und der Brettlhupfer stand +schon mit den Kranzljungfern am Wagenschlag. + +Beim Aussteigen sah ich, daß es leicht zu schneien begonnen hatte, was +etliche von den vielen Neugierigen, die Spalier standen, zu dem Ausruf +veranlaßte: »So viel Schnee und Regen, so viel Glück und Segen! Natürli, +dö Großkopfatn habn allweil no's meiste Glück aa, an Goldhaufa habn s' +ja a so scho!« + +Die Kinder der Nachbarschaft drängten sich um mich und schrien: »Schenkn +S' uns was, Frau Leni! Bitt schö, schenkn S' uns was!« + +Da schickte ich eine der Kranzljungfern hinein zum Vater und ließ mir +für drei Mark Zehnerln geben, die ich dann unter die Kleinen verteilte. + +Inzwischen war die Festmusik, für die der alte Knoflinger, seines +Zeichens ein Schuhmacher, mit noch sieben Genossen sorgte, vor die Tür +getreten und empfing uns mit dreimaligem Tusch, und unter den festlichen +Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen wir in die Gaststube ein. + +Voran ging Meister Knoflinger mit der Geige und hinter ihm sein +fünfzehnjähriger Sohn Eusebius, der die zweite spielte. Ihnen folgten +zwei Flöten und zwei Klarinetten, darauf der weißköpfige Hundshändler +Schniepp mit weithinschallendem Bandoneonspiel, und den Schluß bildete +der alte, bucklige Baßgeigenmichel, ein gewesener Kaminkehrer. + +So zogen wir hinein und nahmen an der schön gezierten Tafel Platz. Mit +allen Geladenen waren unser siebenundzwanzig an derselben zum Mahl. Auch +andere Gäste waren so viel erschienen, daß die Stube sie kaum fassen +konnte, und immer kamen noch neue hinzu und wollten Platz haben. + +Während des Essens spielte die Musik lauter feierliche, vaterländische +Weisen; doch als der letzte Gang verzehrt war und nur noch einzelne +Tellerchen mit Kuchen auf dem Tische standen, da vertauschten die beiden +Flötisten ihre zarttönenden Instrumente mit ein paar Trompeten, und der +Baßgeigenmichel holte einen blanken Bombardon aus dem schwarzen +Ledersack, und nicht lange darauf ertönte ein zünftiger Landler. + +Das war das Zeichen zum Beginn des Tanzes, und als gleich darauf ein +Ziehrerscher Walzer erklang, stand der Hochzeiter auf und tanzte mit mir +ein paarmal auf dem winzigen Flecklein, das ausgeräumt und mit +geschabten Kerzen bestreut worden war. Wir tanzten nicht gut zusammen, +da der Benno in seinen neuen Stiefeln auf dem Wachs immer rutschte und +weil, wie er zu seiner Entschuldigung sagte, ihm die Landler besser ins +Geblüt gingen, wie die schleifenden Walzer. + +Indessen kamen immer noch mehr Leute herbei und schon füllte sich die +Schenke und die Küche mit Gästen, worüber die Eltern nicht gar erfreut +waren, da sie sich so kaum umdrehen konnten vor Arbeit. Und als am Abend +die Handwerks- und Geschäftsleute Feierabend hatten, kamen sie auch noch +und wollten dabei sein. + +Da bat ich den Vater, er möge auf den Tanzplatz etliche kleine Tische +stellen, daß sich die Gäste setzen könnten; wir hätten nun genug +getanzt. Er war sehr froh darüber, und bald waren auch die drei Tische, +die er nebst fünfzehn Stühlen herbeischaffen ließ, voll besetzt. + +Als es nun mit dem Tanzen aus war, begannen alle die, welche Geschenke +gebracht hatten, ihre Reden, Widmungen und Glückwünsche. + +Da kam zuerst der Vorstand der Tischgesellschaft Eichenlaub: er sagte +viel schöne Worte und überreichte uns einen großen, gerahmten Stahlstich +»Andreas Hofers letzter Gang«. Darauf folgte eine launige Ansprache des +Vorstandes der Arbeitsscheuen, und er ließ eine reiche Waschgarnitur +hereinbringen. Ich nahm sie dankend in Empfang und wollte sie zu dem +Bild auf das breite Fensterbrett stellen; da sah ich, daß überall, in +der Waschschüssel sowohl als auch im Krug und Nachtgeschirr Spiegel +angebracht waren, was mich in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ein +kleines Mägdlein, als Rotkäppchen gekleidet, entriß mich daraus und +sagte sein Verslein mit viel Pathos und lebhafter Bewegung der Arme. Und +zum Schluß reichte es mir sein Körblein, dem der neugierige Hochzeiter +zur großen Belustigung der Anwesenden eine Säuglingsflasche und allerlei +Wickelzeug, mit blauen Bändlein verziert, entnahm. Ganz unten lag ein +silbernes Schepperl mit einem Zettelchen daran: Für unsern Liebling. +Rasch entriß ich ihm die Dinge und warf sie wieder in das Körblein, +während es ringsum launige und anzügliche Bemerkungen regnete. + +Da erhob sich ein Bräumeister der Löwenbrauerei, von der die Eltern das +Bier hatten, beglückwünschte uns in einer kurzen, stotternden Ansprache +und überreichte uns im Auftrage der Brauerei einen großen Lederkasten +mit feinem Silberzeug. + +Ihm folgten noch viele, und es war schon zehn Uhr, als das Schenken ein +Ende nahm, und die Musiker waren froh, endlich mit ihrem Tusch- und +Hochblasen fertig zu sein, und mit viel Behagen verzehrten sie das +Freimahl, das ihnen gespendet worden. + +Mein Schwiegervater hatte ein Schwein und ein Kalb gestiftet, das als +Braten, Suppe und Ragout an die Arbeiter unserer Fabriken sowie an die +Musiker verteilt wurde. Mein Vater schenkte ihnen dazu einen Hektoliter +Bier, und so gab es an diesem Tag viel Lust und Freud und manchen Dank +und warmen Glückwunsch. + +Gegen halb elf Uhr wurde ich in die Küche gerufen, und als ich hinaus +kam, stand ein Bruder meines Schwiegervaters, der Jörg Hasler, welcher +eigens zur Hochzeit von Augsburg hergefahren war, da und bedeutete mir, +es sei nun Zeit, daß ich entführt werde. Die Mutter meinte, er solle +mich zu meinem Onkel, der etliche Straßen weiter eine gute Wirtschaft +habe, führen, sie lasse gleich einen Wagen holen. + +Fast auf allen bürgerlichen, altbayerischen Hochzeiten herrscht noch die +Sitte des Brautausführens: Der Hochzeiter soll gut achthaben auf seine +Braut. Wird sie ihm dennoch von ihren Freunden entführt, so muß er mit +seinen Freunden sie suchen gehen und zur Strafe für seine Unachtsamkeit +alles bezahlen, was die andern mit der Braut inzwischen verzehrt haben. + +Also fuhren wir fort, und meine Verwandten, vor allem der Onkel, hatten +große Freude, als wir kamen. Der Vetter Hasler bestellte sofort +Champagner, und wir waren sehr lustig; denn die Frau Bas spielte recht +gut auf der Zither, während der Onkel sie auf der Gitarre begleitete. Da +nur wenige Gäste in der Wirtsstube waren, gab es viel Platz, und die +Dienstboten räumten Stühle und Tische beiseite, damit wir, wenn man sich +gefunden hätte, gut tanzen könnten. Auch streuten sie Federweiß auf den +Boden und tanzten etliche Male, damit er glatt wurde. + +Mit einem Male ertönte draußen auf der Straße lautes Juchzen und Musik, +und herein kam der Bräutigam, die Beiständer, die Kranzljungfern und +viele der Gäste, und es begann nun ein ausgelassenes Treiben, während +der Bräutigam mich mit hellem Juchschrei begrüßte und mit mir tanzte. + +Wir blieben noch etwa eine Stunde dort und machten uns dann wieder auf +den Weg zu den Eltern. Der Onkel sperrte seine Wirtschaft zu und +begleitete uns mit allen seinen Leuten und blieb bis zum Morgen auf der +Hochzeit. + +Inzwischen waren immer noch mehr Gäste gekommen und der Andrang so groß +geworden, daß die Leute in dem großen Hausgang Tische und Stühle +aufstellten und etliche sogar auf der Stiege sich niederließen. Es war +fürchterlich heiß und ein solcher Lärm im Lokal, daß ich es kaum mehr +aushielt. Ich trank in die Hitze viel Champagner und nickte nur +mechanisch denen zu, die kamen, mich zu begrüßen und zu beglückwünschen. +Dabei ward mir immer elender zumut und mit einem Male drehte sich alles +vor meinen Augen, und ich fiel unter den Stuhl. Man brachte mich hinaus +in den Hof, wo ich alles, was man mir zu Hilfe reichen wollte, von mir +warf: ein Glas mit Magenbitter, eine Tasse voll schwarzen Kaffees und +ein Stück Zucker mit Hofmannstropfen. Dann entledigte ich mich noch +alles dessen, was meinem Magen zu viel schien und verlangte schließlich +unter furchtbarem Weinen ins Bett. + +Also führte meine Schwiegermutter mich wieder in die Gaststube und sagte +meinem Gatten, der mit großem Rausch und starker Rührung dasaß und +tränenden Auges auf das horchte, was sein Vater ihm eben mit viel Eifer +erzählte, daß ich nach Hause möchte. + +»Ja, Herrgott, i bin ja verheirat!« rief der Benno da aus. »Was, hoam +möcht mei Weiberl? Geh, Muatter, führ's derweil naus in d'Küch, daß ihr +d'Zirngiblmuatta was Warms oziagt. I laß derweil an Wagn holn.« + +Ich packte nun meine Hochzeitsgeschenke alle auf einen Haufen zusammen +und deckte etliche Tischtücher darüber. Dann nahm ich alle Blumen, die +man mir am Morgen gegeben hatte und sagte den Verwandten und Bekannten +Dank für ihr Kommen und verabschiedete mich von allen. + +Als ich nun gehen wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm, und man +wollte mich mit Gewalt zurückhalten, doch machte ich ein so jämmerliches +Gesicht, daß die Gäste glaubten, ich sei ernstlich krank, und sie ließen +mich ziehen. Mein Gatte war, noch ehe jemand etwas ahnte, fortgegangen +und holte selbst einen Wagen; denn nicht weit von unserer Wirtschaft +pflegten immer etliche Fiaker zu stehen. + +Meine Mutter war den ganzen Tag keinen Augenblick zur Ruhe gekommen, +doch schien sie heiter und guter Laune zu sein, und als ich nun Gute +Nacht und Pfüat Gott sagte, erwiderte sie lachend: »So, gehst scho! I +wünsch dir halt an guatn Ei'stand und a g'ruhsame Nacht! Feier dein +goldnen Tag recht schö und laß di bald wieder sehgn!« + +Ich dankte ihr nochmals, und auf einmal überkam mich eine große +Sehnsucht nach ihrer Liebe; ich fiel ihr um den Hals, drückte meinen +Kopf an ihre Brust und weinte. Da zog sie langsam meine Arme von ihrem +Hals, schob mich sanft von sich und sagte: »Geh, sei do g'scheit, Leni! +Du machst ja dei ganz Gwand voll Fettn! Jatz brauchst do nimma nach mir +z'jammern, hast do an Mann!« + +Die Frau Hasler war gerührt dabei gestanden, als sie aber sah, daß meine +Mutter mich weggeschoben hatte, faßte sie plötzlich meinen Arm, zog mich +an sich und sagte: »Hast scho no a Muatter aa, Leni; und wenn was is, +komm nur zu mir. Dei Muatter hat so allweil so viel z'tuan!« + +Meine Mutter merkte den Hieb gar nicht und meinte, zu mir gewendet: +»Sigst, wia's dei Schwiegermuatta guat mit dir moant! Da war manche +froh, wenn s' so oane dawischn tät!« + +Derweilen kam der Benno mit dem Wagen, und nach nochmaligem, +umständlichen Abschied von meinen Eltern, besonders von meinem +Stiefvater, der mir noch ein Goldstück zusteckte und mir viel Glück +wünschte, fuhren wir drei fort. + +In unserer Wohnung angekommen, gab es sogleich eine kleine +Auseinandersetzung der Frau Hasler mit ihrem Sohn; denn während er alle +Lichter anzündete, die er fand, schürte sie rasch den Ofen des +Wohnzimmers an und begann dann mir den Schleier und Kranz abzunehmen. +Sie war fast damit fertig und ich mittlerweile auf dem Stuhl beinah +eingeschlafen, während sie mit halblauter Stimme mir allerhand +freundliche, gütige Worte sagte, als mein Mann dazukam und rief: »Was +fallt dir denn ei, Muatta! Dös is mei Arbat, mei Frau ausz'ziagn!« + +»Schrei net so grob, du Wüaster! Dei alte Muatta werd wohl so viel Ehr +wert sei, daß s' ihrana Schwiegertochter beim Ausziagn helfn derf!« + +»Naa, sag i, dös leid i net!« schrie da der Benno und entriß ihr den +Brautkranz, den sie mir eben vom Kopf genommen hatte. »I ziag mei Frau +scho selber aus, und überhaupts hast du jatz nix mehr z'tuan da herobn; +i brauch di nimma!« + +Da begann die alte Frau bitter zu weinen über die Grobheit ihres Sohnes +und sank fassungslos auf einen Sessel. Ich empfand tiefes Mitleid mit +ihr und nahm ihren Kopf in meine Hände und sagte: »Sei do stad, +Muatterl! Der Benno moant's net a so; der hat halt heunt an Rausch!« + +Aber sie war nicht zu trösten: »Wie werd's dir geh, arms Kind, bei dem +Rüapel!« rief sie aus und sprang dann plötzlich auf und stellte sich mit +funkelnden Augen vor meinen Gatten: »Dös sag i dir; daß d'ma s' schonst, +dei Frau; sonst, bei Gott, is g'fehlt, wannst es machst wia ...!« + +Mitten im Satz brach sie ab und trat zur Seite, doch hatte das Ganze +einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich ging nochmals zu ihr hin +und sagte: »Muatterl, reg di net auf! Mach mir mein Rock auf, und +nachher tuast schlaffa geh. I komm morgn früah scho nunter zu dir, gel!« +Dann gab ich ihr noch einen Kuß, und nachdem sie mir das Kleid geöffnet +hatte, ging sie, ohne dem Benno noch eine gute Nacht zu wünschen. + +Ich zog mich schnell vollends aus und schlüpfte, während mein Mann +überall herumlief und sich an unserm Eigentum erfreute, ins Bett. + +Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als +ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der +Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht. + +So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so +übel geraten sollte. + + + + + + +Den Tag nach der Hochzeit nennt man bei uns gemeiniglich den »goldenen«, +wie überhaupt die erste Zeit der Ehe gar viel belobt und besungen wird. +Ein jedes Mädchen kennt die Flitterwochen und manche Braut träumt von +der Zeit des Honigmonds. + +So lebte auch ich in der Erwartung einer goldenen Zeit und hoffte von +einem Tag zum andern auf den Beginn derselben; und als es inzwischen +Weihnachten geworden war, da begann ich mich zu bedenken, warum nicht +auch in meiner Ehe Flitterwochen gewesen waren. Und ich ging zu einer +alten Frau, die für Geld den Leuten ihre Zukunft und ihr Schicksal aus +Karten und Planeten prophezeite; doch als die mir weiter keine Erklärung +gab, als daß ich immer noch im Honigmonde lebe, da wußte ich, daß auch +diese Zeit ganz anders sei, als ich geglaubt; wie denn vieles in meinem +Leben anders kam, als ich es erhofft. + +Ich konnte nicht begreifen, warum man diese Wochen als Flitterwochen +besingt; ich sah nichts Herrliches und kein Glück darin, der +nimmersatten Willkür und den schrankenlosen Wünschen des Gatten zu +dienen, jeden Morgen mit umränderten Augen meinen müden Leib zu erheben +und nicht einmal wenigstens die eine Befriedigung zu haben, sich Mutter +zu fühlen. + +So erkrankte denn mein Gemüt, und es währte nicht lange, da empfand ich +tiefe Angst vor der Fortsetzung dieser Ehe, und die Zärtlichkeiten +meines Mannes verursachten mir körperlichen Schmerz; dazu litt ich an +quälendem Herzweh und hatte nur noch den einen brennenden Wunsch: ein +Kind. + +Dieses Verlangen allein bewog mich immer wieder, zu gehorchen, mich +hinzugeben, zu leiden und zu schweigen. + +Nun erst erkannte ich, daß es nicht die rechte Liebe war, die mich mit +Benno verband. Wohl war ich ihm dankbar für das, was mir die erste Zeit +hindurch als Leidenschaft und Liebe erschien. Dazu kam die Hoffnung, daß +bald Stille auf den Sturm eintrete und mit der angenehmen Ruhe der +Gemüter auch das Glück zu mir käme. Auch hatte ich viel religiöses +Empfinden und hielt es mit den Gattenpflichten im Gefühl meiner +erhabenen Berufung zur Mutterschaft genau. + +Nun aber drang Zweifel um Zweifel an dieser Berufung auf mich ein, und +ich begann mir einzureden, daß meine Heirat nicht von Gott gewollt und +gesegnet sei. Und ich suchte durch ein frommes Leben den Himmel zu +versöhnen und hielt neuntägige Andachten zur Mutter Gottes und verlobte +mich zu unserer lieben Frau von Birkenstein, wenn sie mir die Gnade +erwirkte, daß ich Mutter würde. + +Besonders am Feste Mariä Lichtmeß betete ich mit großer Andacht und +empfing auch die Sakramente in der Meinung, daß Gott mir meinen +Herzenswunsch erfülle. + +Mein Vertrauen auf die Hilfe Gottes war um so größer, als ich schon +etliche Tage vor Lichtmeß infolge eines eingetretenen natürlichen +Zustandes nach langem Bitten bei meinem Gatten erreicht hatte, daß er +mir für kurze Zeit die Ruhe und Schonung gewährte, deren ich mich weder +vordem noch nachher jemals erfreuen konnte. + +Etliche Wochen später fühlte ich denn auch wirklich allerlei Anzeichen, +die mir Gewißheit darüber boten, daß Gott mir meinen Wunsch erfüllt +habe. + +Von diesem Augenblick an begann ich meinen Gatten zu liebkosen und ihm +alles zu gewähren. Ich kochte ihm seine Leibgerichte, fertigte ihm +allerlei Dinge, von denen ich meinte, daß sie ihn freuen würden, und +suchte auf alle Weise ihm unser Heim lieb und wert zu machen. + +Er aber hatte es anders im Kopf und wollte nun alle Welt das zu +erwartende Glück sehen und bereden lassen und empfand stets die größte +Freude, wenn in Wirtshäusern und Bräukellern irgend ein Geschäftsfreund +oder Zechkumpan mit schamloser Deutlichkeit auf meinen Zustand hinwies. +Herausfordernd stellte er mich mitten in den Kreis solcher Gesellen und +hatte kein Ohr für meine lauten Bitten und Klagen. + +Schon zu Zeiten meiner Kindheit und Jugend war mir das Wirtshauswesen +oft zu einer schier unerträglichen Last geworden; darum war es nicht +verwunderlich, daß ich jetzt, zumal in diesem mir wunderbar und fast +heilig vorkommenden Zustande, viel lieber daheim in der gemütlichen +Stube geblieben wäre, um in Stille und ruhiger Beschaulichkeit die +Ankunft des Kindes vorzubereiten. Nun kam es aber fast täglich zu den +gröbsten Auseinandersetzungen; denn der Benno fand seine größte Freude +und liebste Unterhaltung bei Bier und Wein und wurde darin auch von +seinen Eltern ehrlich unterstützt, die meinten, ein Ehemann müsse unter +allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme. + +So war es Pfingsten geworden, und ich begann seit etlichen Tagen auf ein +geheimnisvolles Etwas in mir zu horchen. Oft saß ich ganz still und +hielt den Atem an, um es zu spüren und in innerster Seele zu hören. + +Und eines Tages, es war um Johanni, vertraute ich es meinem Gatten an, +indem Tränen der Freude mir in die Augen traten. + +Da sprang er auf, riß mich in der Stube herum und rief: »Was sagst, +Weibi, rührn tuat si der Bua scho! Ja, Herrgott, dös muaß aber g'feiert +wer'n! Ziag di o, na führ i di in Löw'nbräukeller! Ja, Herrgott, wer'n +dö schaugn am Stammtisch!« + +»Geh, bleib do dahoam, Benno,« meinte ich und fuhr fort: »Schau, dahoam +is so was vui schöner und g'müatlicher z'feiern! I hätt di so gern für +mi alloa ghabt und geh gar net gern furt. Geh, bleib dahoam!« + +Aber, wie immer, so kam es auch dieses Mal: erst ging es ans Bitten, +dann ans Streiten, und am End mußte ich, wenn ich nicht einer +Mißhandlung gewärtig sein wollte, zu allem ja sagen, mich ankleiden und +mitgehen. + +Am Stammtisch saßen schon die Freunde: etliche Sergeanten des Regiments, +bei dem der Benno gedient hatte, und die er sich durch manchen bezahlten +Rausch wohl gewogen gemacht hatte; ferner ein paar Buchhalter seines +Geschäfts und etliche Leute, von denen man nicht recht wußte, wovon sie +lebten und wessen Geld sie verjubelten. + +In diese Gemeinde nun schleppte mich mein Gatte und rief, als wir an den +Tisch getreten waren: »Servus, meine Freund! Heunt leidt's an Rausch, +heunt hat der Bua sein erschten Hupfa g'macht!« + +Einer der Sergeanten hatte sich bei unserm Kommen erhoben und war zu uns +getreten. Und während die andern nun in ihrer gewöhnlichen Art die +Anrede meines Mannes belachten, faßte er mich mit der Linken an der +Schulter; mit der Rechten aber fuhr er über meinen Leib und meinte: +»Schau, schau! Schö dick werd's scho, d'Haslerin! Hat's enk denn scho +gar so pressiert, daß im erscht'n Jahr no d'Kindstaaf sei muaß?« + +Ich stand wie mit Blut übergossen, und die Stimme versagte mir, dem +frechen Schwätzer zu antworten. Tränen rannen mir über die Wangen, und +ich bat den Benno um die Hausschlüssel, daß ich heim könne, da ich krank +sei. + +»So, so, krank is mei g'schmerzte Frau Gemahlin! Bleib nur schö da; dös +werd scho wieder vergeh bei der Musi!« + +Und fest drückte er mich auf einen Stuhl und begann dann eifrig zu +schwatzen und zu trinken; und obschon etliche gemeint hatten, sie +wollten mich nachhause bringen, ließ er dies nicht geschehen, sondern +sagte: »Dö soll dableibn! So vui muaß ma aushaltn könna! Was taten denn +andere Weiber, dö wo arbatn müssn ums Tagloh'!« + +Erst lange nach Mitternacht kamen wir heim, nachdem mein Mann mich noch +in ein Kaffeehaus und danach zum Wein geführt und auch die andern dazu +eingeladen hatte. + +Von da ab unterwarf ich mich seinem Willen, ohne zu bitten, und hoffte, +daß alles ein Ende hätte, wenn erst das Kind geboren wäre. + +So kam der Herbst, und meine Zeit rückte immer näher. Meine +Schwiegereltern waren zwar längst nicht mehr lieb zu mir, doch ließen +sie es mir an nichts fehlen und fragten oft nach meinen Wünschen oder +Gelüsten; denn sie hofften auf einen Buben, der dem Geschlecht der +Haslerischen einmal Ehre machen würde. + +Da war es einmal, daß ich in ihrer Wohnstube saß und an einem +Kinderhemdlein nähte, während die Mutter eine alte Truhe mit buntem +Kinderzeug durchwühlte und allerlei Jöpplein und Windeln daraus +hervorzog und vor mich hinlegte. Ich aber blickte sehnsüchtig und +verlangend nach dem Schreibtisch, wo eine Anzahl schöner Äpfel in eine +Reihe geordnet lagen; doch getraute ich mir nicht, von der +Schwiegermutter einen zu erbitten, da sie schon dem Benno, als er einen +nehmen wollte, mit strengen Worten sein Tun verwiesen hatte; denn sie +war nicht freigebig. + +Je länger ich nun hinsah, desto mehr gelüstete es mich nach einem der +Äpfel, und endlich kam mir ein guter Gedanke. Ich stand auf und ging +hinaus in das Holzlager zum Schwiegervater, der eben einen uralten +Wiegenkorb mit himmelblauer Farbe strich. + +»Vater!« rief ich. + +»Was isch' denn?« antwortete er, ohne aufzusehen. + +»I möcht was!« + +»Was willsch' denn?« + +»Was Runds.« + +»Ja was! Eppe gar 'n Taler?« Und gespannt blickte er von seiner Arbeit +auf mich. + +»Naa, Vater, a Kugel is!« + +»A Kugel? -- a Kugel? -- Mädla, sell ka i mir it denka! Da muaßt m'r +scho helfa roata!« + +Lachend nahm ich ihn bei der Hand und führte ihn hinein und vor den +Schreibtisch. + +»Ja da schau her!« rief der Alte jetzt und nahm einen der Apfel, »dias +isch also die Kugel! Na die sollsch' haba!« + +Schon wollte er mir den Apfel geben; da fiel ihm die Mutter in den Arm: +»Was, grad von dö schönsten oan!« + +Aber ungeachtet dieses Widerspruchs gab er mir ihn doch und meinte: »Laß +dir'n nur guat schmecka! 's isch viel g'scheiter e g'schenkter großer, +als e g'stohlener kloiner! Wia leicht könnt's Kindle 's Stehla lerna +scho im Mutterleib!« + +Da gab sich die alte Frau zufrieden, und ich verzehrte den Apfel mit +großem Behagen. + +Etliche Tage später kaufte der Haslervater einen Korb voll Trauben und +schenkte sie mir, indem er sagte: »Dia muaßt alle essa, daß d' e saubers +Kindle kriagsch'!« + +Der Oktober ging seinem Ende zu, und ich richtete alles her, dessen man +zum Empfang eines Kindleins bedarf, und stellte die gemalte und von der +Haslermutter mit geblumten Vorhängen geschmückte Wiege in die +Schlafstube und rückte die Ehebetten auseinander. + +Am Allerheiligentag schon in aller Früh ziehen die Soldaten unter +klingendem Spiel in die Kirche, das Namensfest unseres Regenten zu +feiern, und aus allen Fenstern fahren die Köpfe, und ein jedes freut +sich der Musik. + +Als damals in der Früh die Böller krachten und die Soldaten sich +rüsteten zum Fest, da rief ich dem Benno, der noch schlief, aus meinem +Bette zu: »Benno, geh hol ma d' Frau Notacker, i glaab, es werd was.« + +Erschreckt fuhr mein Gatte aus dem Bett und in die Hosen; in der Eile +aber brachte er das vordere Teil nach hinten, und ich mußte über den +komischen Anblick trotz meiner Schmerzen herzlich lachen. + +Unter vielen Ängsten, und nachdem er alles Erdenkliche angestellt hatte, +seinen Hut verloren und sein Rad im Haus der Hebamme hatte stehen +lassen, brachte er endlich die schon sehnlich Erwartete. + +Geschäftig packte sie ihre große Tasche aus, bei welcher Arbeit ich ihr +ängstlich zusah; denn ich konnte es immer noch nicht glauben, daß das +Kind ohne jede Beihilfe von Messer oder Schere, ohne Leibaufschneiden +hervorkommen könne. + +Nachdem sie ihre Sachen geordnet und mein Bett zurechtgemacht hatte, +sagte sie: »So, Herr Hasler, jatz lassn S' an etlichs Paar Bratwürscht +holn und a Flaschn Rotwei; d'Frau Hasler braucht a Kraft!« + +Eilig lief der Benno, das Befohlene zu holen, und inzwischen kamen die +Haslerischen und fragten, wie weit es noch wäre. + +»A paar Stund no,« erwiderte die Hebamme und fügte lachend bei: »Was +leidt's denn, wenn i an Bubn hol?« + +»Sell kriagn ma na scho, Frauli!« antwortete der Vater, und die Mutter +meinte: »D'Hauptsach is, daß alls guat geht, ebbas werd's scho sei!« + +Um Mittag bemächtigte sich meiner eine große Unruhe, so daß ich aufstand +und mich etwas ankleidete. Dann ging ich ans Fenster und sah hinab auf +die vielen Menschen, die zur Parade gingen. Deutlich hörte ich das +Wirbeln der Trommeln und hoffte, das Militär bei uns vorbeiziehen zu +sehen, weshalb ich das Fenster öffnete, während mein Gatte sich lebhaft +mit der Frau Notacker unterhielt. + +Da fühlte ich plötzlich ein starkes Anstemmen des Kindes, und zugleich +hatte ich das Gefühl, als müsse ich zerspringen. + +»Frau Notacker, i moan, jatz ...« mehr brachte ich nicht mehr heraus. + +Drunten zog die Regimentsmusik vorbei mit Pauken und Trompeten, und +Kinder jubelten und pfiffen; da mischte sich ein kreischendes Stimmlein +in die Klänge des Militärmarsches -- ich hatte einen Buben. + +Nun herrschte Lust und Freud im Hause und ward die Taufe mit großem Pomp +gefeiert und gab man dem Buben nach seinem Großvater die Namen Johannes +Magnus. + + * * * * * + +Ich eile nun, zum Ende zu kommen; denn die letzten meiner Erinnerungen +sind so traurig und peinlich, daß es der Leser mir nicht übel vermerken +möge, wenn ich gewisse Zeitpunkte überspringe und in gedrängter Form die +letzten Schicksale erzähle. + +Diese Ehe war so unglücklich, daß ich noch jetzt mich bedenke, ob nicht +wirklich der Fluch, den meine Mutter mir am Hochzeitsmorgen zum Geleit +mitgab, mit also furchtbarer Macht seine Wirkung während meiner ganzen +Ehe übte, und ob nicht doch jene Klosterfrau, als sie mich warnte, +wieder in die Welt zurückzukehren, von Gott begnadet war, das Schicksal +vorauszusehen, welches mich heraußen erwartete. + +Und, seltsam, gerade einige Tage nach der Geburt meines ersten Kindes +traf ein Brief von ihr ein, in dem sie mir die Versicherung gab, meiner +niemals im Gebete zu vergessen, und mich ermahnte, auch im tiefsten Leid +und Unglück nicht zu verzagen, denn Gottes Hand möchte vielleicht mich +strafen, daß ich damals nicht mein Leben ihm geopfert. + +Später einmal, als ich ihr die Geburt eines Mädchens berichtete, bat sie +mich, es recht gut zu erziehen; denn, meinte sie, vielleicht bringt es +einmal dem Herrn das Opfer, das ich ihm ehemals verweigert. + + * * * * * + +Ich war in den letzten Wochen vor der Niederkunft im Gesicht recht alt +und fleckig geworden und mußte daher manches bittere Wort vom Benno +hören. Nun aber blühte ich sichtbar auf, und schon nach drei Wochen war +ich wieder so verjüngt, daß mein Gatte aufs neue in heftiger +Leidenschaft entbrannte und allen Vorstellungen zum Trotz mit Gewalt +jene Schranke niedertrat, die eine weise Natur einer jeglichen Mutter, +sogar den Tieren aufrichtet. Vergeblich wies ich ihm den Kleinen, wenn +er sich an meiner Brust sättigte und flehte: »Geh, nimm do dein' Buam +net sei Nahrung! Laß mi do in Fried! Schau, i bin no krank!« + +Aber seine Sinne begehrten, und da mußte der Verstand schweigen. So kam +es, daß ich nach wenig Monaten aufs neue Mutterhoffnungen fühlte. + +Bald begann ich zu kränkeln, und mit der Gesundheit schwand mein guter +Humor, und ich wurde zur gealterten Frau, die vom Leben nichts mehr +hofft. + +Unsere Häuslichkeit bot weder Frieden noch Behagen; der Benno sah wohl, +was er getan, hatte aber doch kein Einsehen. Am Tage gab es Streit, und +am Abend suchte er alles Trübe und Mißliche in Leidenschaft zu +ersticken. + +Meine Schwiegereltern beklagten sich bitter über diese Zustände und +schoben die Schuld auf meine Nachgiebigkeit und meinen Leichtsinn. Darob +ward ich recht erbittert und mied sie von nun an. + +Meine Eltern hatten schon bald nach meiner Heirat sich mit den +Haslerischen verfeindet, und ich durfte deshalb längst nicht mehr zu +ihnen gehen, wenn ich nicht eines Auftritts mit Benno gewärtig sein +wollte. Nun aber war das Verlangen nach der Mutter so stark in mir, daß +ich alles vergaß und mich aufmachte und zu ihr ging. + +Als ich sie in der Küche begrüßte, fragte sie nach kurzem »'ß Gott«, was +ich wolle. Da berichtete ich ihr schluchzend mein Unglück und bat sie um +Trost. + +»So, war i jatz guat gnua zum trösten! Dös g'schieht dir grad recht, +wenn's dir schlecht geht; du hättst es aushaltn könna dahoam! Was geht +mi dei Elend o! Geh zu dö Haslerischen, dös san jatz deine Leut! Mach +nur, daß d' ma weiter kommst!« + +Da sagte ich nichts mehr und ging, und begab mich zu fremden Leuten, +ihnen mein Leid zu klagen. Wie wohl taten mir da die Worte des Beileids +und des Trostes, obgleich ich wußte, daß sie nicht von Herzen kamen, und +ich nachher in allen Milch- und Kramerläden durchgehechelt und +ausgerichtet wurde. + +Mein Gatte hatte sich in der letzten Zeit immer mehr dem Trunk ergeben +und kam oft nächtelang nicht nach Hause, um dann bei dem geringsten +Anlaß zu wüten und mich zu mißhandeln. + +Um Weihnachten dieses Jahres fühlte ich, daß meine Stunde da sei, und +ging daher zu meiner Schwiegermutter und bat sie, den Buben, der schon +seit Wochen an schwerem Keuchhusten krank lag, etliche Tage in Pflege zu +nehmen. Sie versprach es gerne und war auch sonst freundlich, wofür ich +ihr von Herzen dankte. + +Am ersten Weihnachtstag kam ein junger, verlebt aussehender Mensch und +begehrte den Benno. Ich rief ihn hinaus, und er erkannte in dem Fremden +einen Schulkameraden und Freund, der inzwischen in Hamburg Kaffeehändler +und ein reicher Mann geworden war. Hocherfreut lud er ihn ein, und +nachdem er mir noch befohlen, ein festliches Essen zu bereiten, ging er +mit dem Besuch zum Frühschoppen. + +Ich hatte zum Glück allerlei Vorrat und richtete ein gutes Mahl. + +Schon während des Kochens hatten leichte Wehen mir das Nahen meiner +Stunde angezeigt; nun aber wurden sie stärker, und ich begann mich recht +zu ängstigen, da es schon zwei Uhr war und mein Mann mit dem Besuch noch +immer nicht kam. Ich lief zu einer Nachbarin und bat, sie möge mir die +Frau Notacker holen. Bis diese kam, richtete ich die Schlafstube und +wollte den Buben zu seiner Großmutter tragen, doch schlief er, und ich +ließ ihn liegen. + +Gegen fünf Uhr erschien die Hebamme und meinte, es sei noch zu früh; vor +dem nächsten Tag könne man nicht auf das Kind rechnen. Sie ging also +wieder mit dem Bemerken, sie sehe gegen neun Uhr abends noch einmal +vorbei. + +Kurz nach sechs Uhr kam der Benno allein heim und verlangte sogleich mit +groben Worten zu essen. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er mich umsonst mit +dem Kochen noch so geplagt hätte, und daß meine Zeit da sei und ich +niemand hätte, der mir beistehe. Mit rohen Schimpfworten verbat er sich +mein Gejammer und verlangte Wein, obschon er stark betrunken war. Ich +gab ihm eine Flasche; denn ich fürchtete ihn sehr in solchen +Rauschzuständen. Dann ging ich in die Schlafstube, wo der Kleine eben +wieder zu husten begann. Ich hob ihn auf und wickelte ihn frisch ein, +wobei mein Körper von heftigen Wehen erschüttert wurde. Da bekam der +arme Bub einen der furchtbaren Anfälle, und ich glaubte, er müsse +ersticken; doch ging es vorüber, und ermattet lag er nun in meinem Arm. +Ich bettete ihn wieder in die Wiege und ging hinaus zum Benno, ihm über +das Kind zu berichten. Er hörte teilnahmslos zu und sagte dann kurz: »I +geh auf d'Nacht no furt!« + +Ich erwiderte nichts und wollte den Tisch abräumen, während er ein +Päcklein unzüchtiger Photographien aus der Tasche zog und betrachtete. +Plötzlich suchte er mich in erwachendem Begehren zu sich auf das Sofa zu +ziehen. Unsanft stieß ich ihn von mir weg und verwies ihm seine +Unvernunft. + +In dem Augenblick hörte ich meinen Buben weinen und ging zu ihm an die +Wiege und beugte mich über das Bettlein, ihn mit leisen Worten zu +beruhigen. + +Da fühle ich plötzlich von rückwärts wie eine eiserne Klammer einen Arm +um meinen Leib und fühle, wie der Benno mich fest in das Bettlein drückt +und sein Eherecht ausübt. Verzweifelt suche ich mich seiner zu erwehren, +und es gelingt mir wirklich für den Augenblick. Da packt ihn eine +rasende Wut, und unter den gröbsten Schmähungen zerrt er mich an den +Haaren herum, wirft mich zu Boden, tritt sein eigen Fleisch und Blut mit +Füßen und versucht, mich zu erwürgen. + +Auf mein lautes Hilfegeschrei stürzen Leute aus den Nachbarswohnungen +herbei, man sprengt die Tür, und alle fallen über den sich wie besessen +Gebärdenden her. + +Auch sein Vater kam, und es geschah nun etwas, was mich noch heute +erstaunt: Der alte Hasler faßte seinen Sohn vor all den Nachbarn am +Genick, setzte ihn auf einen Stuhl, gab ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen +und stieß ihn sodann mit großer Gewalt zur Tür hinaus. Dies alles tat er +ohne ein Wort; dann aber kehrte er sich an die Anwesenden und fragte +grollend: »Hat no wer was verlora da herinne?« worauf sie alle +verschwanden. + +Nun trat er zu mir; ich lehnte erschöpft an meinem Bett und bat um die +Hebamme. Ohne ein Wort ging er, und schon nach einer halben Stunde +brachte er sie mit. + +In derselben Nacht gebar ich ein Mädchen und lag danach an die sechs +Wochen im Kindbettfieber. + +Seit diesem Vorfall mußte sich mein Mann sein eheliches Recht stets +erzwingen; denn ich hatte alle Zuneigung zu ihm verloren und fürchtete +ihn sehr. Trotzdem wurde ich noch viermal Mutter während dieser Ehe. + + * * * * * + +Bald nach dem dritten Kinde begannen auch Wohlstand und Glück von uns zu +weichen. Mein Mann hatte durch seine Trunksucht alles das eingebüßt, was +man sonst an ihm schätzte; auch ließ er sich in seiner Stellung allerlei +zuschulden kommen und wurde schließlich entlassen. Seine Eltern waren +darüber so erbittert, daß sie uns aus dem Haus jagten. + +Wir zogen also um, und der Benno übernahm selber ein Geschäft. Es ging +uns auch etliche Zeit wieder gut, und ich hatte Hoffnung, daß alles +wieder recht würde, obschon ich nun dauernd kränkelte, da die Geburten +meines vierten und fünften Kindes Totgeburten und sehr schwer gewesen +waren. + +Nun war das sechste Kind auf dem Wege, und kurz vor Weihnachten kam ich +in die Wochen. + +Mein Mann hatte um diese Zeit aufs neue ein wüstes Leben begonnen und +saß oft Tag und Nacht im Weinhaus. Kam er dann nach Hause, prügelte er +mich und die Kinder und zerschlug alles, was ihm gerade in die Hände +kam. + +Am Tage nach der Geburt dieses Kindes kam gegen Abend ein Freund meines +Gatten und hatte mit ihm eine Unterredung, die sehr erregt schien; denn +der Besuch ging nach kurzem Wortwechsel ohne Gruß, und der Benno schlug +krachend hinter ihm die Türe zu. Ich rief ihn zu mir in die Schlafstube, +doch kam er nicht und ging bald darauf fort, ohne sich von mir zu +verabschieden. + +Zwei Tage und eine Nacht blieb er weg und kam erst am heiligen Abend +gegen neun Uhr heim. Ich erschrak heftig bei seinem Anblick; seine +Kleider waren zerrissen und beschmutzt, sein Gesicht aufgedunsen und +verzerrt, die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, und die stieren, +blutunterlaufenen Augen blickten gierig und lüstern nach mir. + +Ich saß wie versteinert aufrecht in meinem Bett, als er mit dem +zärtlichen Gruß zu mir trat: »Servus, Weibi; du bist aber sauber! Geh, +laß mi eini zu dir!« + +Bittend hob ich die Hände und sagte: »Was hast denn, Benno; woaßt denn +net, daß ma r a kloans Deanderl kriagt ham! Jatz konnst do net zu mir! +Gel, Benno, du verstehst mi scho!« + +Aber er verstand mich nicht mehr. Rasch riß er seine Kleider ab und +wollte zu mir, indem er mir alle erdenklichen Genüsse versprach. + +Flehend setzte ich ihm nochmals die Unvernunft seines Begehrens +auseinander, doch vergebens. Er fiel über mich her, und ich mußte alle +Kraft daran setzen, mich seiner zu erwehren. Endlich gelang es mir, aus +dem Bett zu entkommen, und eilig schlüpfte ich in meinen Unterrock und +lief aus dem Zimmer. + +Da höre ich plötzlich meine Kinder aufkreischen. Ich eile in ihre +Schlafstube und sehe nun, wie der Benno mit gezücktem Stilet drinnen +herumtanzt und nach der Melodie des Schäfflertanzes vor sich hinsingt: + +»Hi müaßt's sei! Daschtecha tua r i enk! Alle müaßt's heunt hi sei!« + +Er sieht mich gar nicht, wie ich die Kinder aus ihren Bettlein reiße und +das Kleinste aus der Wiege; tanzend zertrümmert er alles, was im Zimmer +ist und singt dazu. + +Also flüchteten wir uns barfuß und fast unbekleidet hinaus in den +Schnee, und weinend hingen sich die Kinder an mich. Zitternd wankte ich +vorwärts, und das Blut rann mir gleich einem Bächlein über die Füße und +zeigte die Spur meiner Schritte. + +Freundliche Nachbarn nahmen uns auf und veranlaßten auf der +Polizeiwache, daß man den Wütenden bändigte und nach der psychiatrischen +Klinik verbrachte. + +Ein schweres Fieber folgte auf diese Nacht, und ich kämpfte lange mit +dem Tod. + +Als ich mich wieder besser fühlte, nahm ich mit vielem Dank Abschied von +den guten Leuten und begab mich wieder in meine Wohnung. Hier erwartete +mich neuer Schreck: die Möbel waren alle mit dem Siegel des Gerichtes +versehen und gepfändet. Etliche Briefe, die ich im Kasten fand, klärten +mich auf. Der Benno hatte, ohne daß ich es wußte, sein volles Vermögen +und dazu mein ganzes Heiratsgut einem Freund, der Baumeister war, +geliehen, und dieser war bankerott geworden. Er hatte anscheinend schon +davon gewußt und war vielleicht auch durch den Verlust dieser +fünfzigtausend Mark um seinen Verstand gekommen. Nun hatten unsere +Lieferanten und auch der Hausherr zu Neujahr keine Bezahlung mehr +erlangt, weshalb sie, da sie auch keine Antwort auf ihre Mahnungen +erhielten, endlich zur Pfändung schritten. Die Hausverwalterin hatte die +Schlüssel meiner Wohnung an jenem Abend von einem Schutzmann erhalten +und öffnete, als der Gerichtsvollzieher kam. + +Nur weniges verblieb mir; zum Glück hatte man mir einen kleinen Schrank +mit Kinderwäsche gelassen, in dem auch meine Schmucksachen verwahrt +lagen. Nun konnte ich wenigstens so viel Geld dafür bekommen, daß ich +die Kinder bei fremden Leuten in Pflege zu geben und mir ein kleines +Stüblein zu halten vermochte. Das Ringlein meines Vaters aber opferte +ich im Herzogspital der Mutter Gottes. + +Dies war in der Zeit des Faschings; auch der Schäfflertanz traf auf +dieses Jahr und füllte die Taschen der Tänzer. + +Um diese Zeit ging ich zu meiner Mutter und klagte ihr meine große Not +und bat sie um einiges Geld, damit ich mir etliche Möbelstücke wieder +auslösen könnte; denn der Hausherr hatte sich Verschiedenes behalten, +indem er mir versprach, er wolle mir das gegen Bezahlung meiner +Zinsschuld von sechzig Mark wiedergeben. + +Wortlos hörte die Mutter mir zu. Als ich geendet, sagte sie: »I kann dir +net helfa! I hab selber no Schuldn beim Bräu. Geh zu dö Haslerischen, dö +san reicher wia i. Übrigens freuts mi, daß si mei Wunsch erfüllt hat; +recht schlecht soll's dir geh, weil's du's net aushalten hast könna +dahoam!« + +Dann rief sie den Vater aus der Schenke und sagte: »Gel Josef, mir +können ihr nix gebn, weil ma selber nix habn wia Schuldn!« worauf der +Vater sich erst räusperte, dann halblaut wiederholte: »Naa, nix könna ma +toa, mir habn selber Schuldn!« + +Traurig ging ich nun zu meinen Schwiegereltern. Diese versprachen mir, +für den Buben zu sorgen. Mehr konnten auch sie nicht helfen, da sie, wie +ich jetzt erst erfuhr, dem Benno während des letzten Jahres etliche +tausend Mark gegeben hatten, die er, ohne mir davon zu sagen, vertan +hatte. + +Also begann ich am andern Tag mir Arbeit zu suchen. Ich las auch die +Zeitung; da fiel mein Blick auf eine Notiz über den Schäfflertanz, und +ich entnahm ihr, daß derselbe am 20. Februar auch vor dem Hause des +Gastwirts Zirngibl aufgeführt würde. + +Trotz der großen Bitterkeit, die in mir aufstieg, als ich an die Kosten +eines solchen Tanzes, die zum mindesten an die hundert Mark betragen, +dachte, konnte ich es doch nicht unterlassen, mich andern Tags unter die +Menge der Zuschauer zu mischen. + +Da sah ich, wie sie alle, der Vater, die Mutter, die Stiefbrüder und +auch das Gesinde, an den Fenstern standen und mit vergnügten Mienen und +strahlendem Lächeln für die Hochrufe dankten und die Mutter eine Hand +voll Silberstücke in die Mütze des Meisters warf, während sie den Tag +vorher ihr Kind hungern sah, ohne zu helfen. + +Ich suchte also Arbeit und fand auch solche; doch nicht lange dauerte +es, da konnte mein geschwächter Körper dieselbe nicht mehr leisten, da +ich, um den Kindern das ihre geben zu können, oft hungern mußte. Am End +war ich erschöpft und mußte meine Stellung aufgeben. + +Nach kurzer Zeit war auch der Rest meines Geldes verbraucht; und da ich +das Kostgeld für meine Kinder nicht mehr aufbringen konnte, setzte man +sie mir eines Tages im Winter vor die Tür. + +Da fand sich ein Baumeister, der mir in seinem Neubau umsonst Wohnung +bot. + +Ich band meine Habe samt den Kindern auf einen Karren und zog dahin. Ein +alter, brotloser Mann, dem ich früher Gutes getan hatte, half mir dabei. + +Das Haus war noch ganz neu, und das Wasser lief an den Wänden herab; wir +schliefen auf dem Boden und bedeckten uns mit alten Tüchern und krochen +zusammen, damit wir nicht gar zu sehr froren. + +Einige leichtere Schreibarbeiten schützten uns vor dem Verhungern, +wenngleich unser tägliches Mahl in nichts weiter bestand, als in einem +Liter abgerahmter Milch und einem Suppenwürfel, aus dem ich nebst einem +Ei und etwas Brot eine Suppe für die Kinder bereitete. Ich selber aß +fast nichts mehr und war so elend und krank, daß ich mehr kroch als +ging. + +Eines Tages erfuhren wir, daß mein Gatte in der Kreisirrenanstalt +untergebracht worden sei, da eine Geisteskrankheit ihm dauernd das Licht +des Verstandes genommen hatte. + +Nach einem Monate solch jammervollen Lebens war auch die Gesundheit +meiner Kinder dahin. Hustend und weinend hingen sie an mir, während +Fieberschauer mich schüttelten. + +Oft war die Versuchung in mir aufgestiegen, dem Leben ein Ende zu +machen; oft hatte ich am Abend den Hahn der Gasleitung zwischen den +Fingern; doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ließ mich das nicht +vollbringen, was die Verzweiflung mir eingab. + +Mitleidige Menschen machten endlich den Armenrat des Bezirks auf mein +Elend aufmerksam, worauf die Gemeinde für uns sorgte, indem sie die +Kinder einer Anstalt übergab, während ich im Krankenhaus Erlösung aus +aller Trübsal erhoffte. + +Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, daß ich nicht +das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige. + + + Umschlag- und Einbandzeichnung von Alphons Woelfle + + Druck von Hesse & Becker in Leipzig + Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niesern bei + Pforzheim + Einbände von E. A. Enders. Großbuchbinderei, Leipzig + + + Anmerkungen zur Transkription + +Am Ende von Seite 119 heißt es: »... von einer meiner Basen, ...«, aber +wäre dem Kontext nach logischer: »... von einer seiner Basen, ...« Dies +wurde wie im Original belassen. + +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonstige +Korrekturen (vorher/nachher): + + [S. 173]: + ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruanb; heut trifft ... + ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft ... + + [S. 222]: + ... vergoldeten Spiegel das Schlafzimmers und besah ... + ... vergoldeten Spiegel des Schlafzimmers und besah ... + + [S. 253]: + ... Hasler dir Gläser voll und mit herzlichen Worten ... + ... Hasler die Gläser voll und mit herzlichen Worten ... + + + + + + +End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 *** diff --git a/57853-8.txt b/57853-8.txt deleted file mode 100644 index 702cba7..0000000 --- a/57853-8.txt +++ /dev/null @@ -1,8223 +0,0 @@ -Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Erinnerungen einer Überflüssigen - -Author: Lena Christ - -Release Date: September 6, 2018 [EBook #57853] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - - - - - - - Erinnerungen einer Überflüssigen - - - Lena Christ - - - - - Erinnerungen einer Überflüssigen - - - - Albert Langen, München - - - Copyright 1912 by Albert Langen, Munich - - - - - - -Oft habe ich versucht, mir meine früheste Kindheit ins Gedächtnis -zurückzurufen, doch reicht meine Erinnerung nur bis zu meinem fünften -Lebensjahr und ist auch da schon teilweise ausgelöscht. Mit voller -Klarheit aber steht noch ein Sonntagvormittag im Winter desselben Jahres -vor mir, als ich, an Scharlach erkrankt, auf dem Kanapee in der -Wohnstube lag; es war dies der einzige Raum, der geheizt wurde. - -Der Großvater war in seinem geblumten Samtgilet, dem braunen Rock mit -den silbernen Knöpfen und dem blauen, faltigen Tuchmantel in die Kirche -vorausgegangen, während die Großmutter in dem schönen Kleide, das bald -bläulich, bald rötlich schillerte, noch vor mir stand und mich ansah, -wobei sie immer wieder das schwarze seidene Kopftuch zurechtrückte. -Neben der Tür aber stand in Hemdsärmeln der alte Hausl und wollte eben -den Sonntagsrock vom Nagel nehmen, als sich die Großmutter umdrehte und -zu ihm sagte: »Geh, Hausl, bleib du heunt dahoam und gib aufs Kind -Obacht und tus Haus hüten; i möcht aa amal wieda in d' Kirch geh'.« - -Darauf ließ der Hausl seinen Rock hängen und zog wieder seinen blauen, -gestrickten Janker an, und die Großmutter ging zu dem Wandschränklein, -das in die Mauer eingelassen war, nahm daraus das Weihbrunnkrügl und -wollte gehen. In der Tür aber wandte sie sich noch einmal um und sagte -zu mir: »Also, daß d' schö liegn bleibst, Dirnei; i bet scho für di, daß -d' wieda g'sund wirst.« - -Als sie fort war, ging der alte Hausl in seine Kammer, sich zu rasieren. -Da fiel mir ein, ich könnte wieder einmal zu unserer Nachbarin, der -alten Sailergroßmutter, gehen. Geschwind stand ich auf und lief hinaus -in den Schnee und vor ihr Haus. Ich fand aber die Tür zugesperrt und -niemanden daheim; denn sie waren alle in der Kirche. Und da ich nun -lange im Hemd und dem roten Flanellunterröckl barfuß im Schnee gestanden -war und vergebens gewartet hatte, schlich ich wieder heim; denn es war -bitter kalt. Als der Hausl mich kommen sah, machte er ein ganz -entsetztes Gesicht und kopfschüttelnd nahm er mich auf den Arm und legte -mich wieder nieder. Alsbald fiel ich in ein heftiges Fieber und soll -darauf viele Wochen krank gelegen sein, und man hat geglaubt, daß ich -sterben müßte. Aber der Großvater hat mich gepflegt, und so bin ich -wieder gesund geworden. - -Der Großvater nämlich verstand sich auf alles, und wo man im Dorf eine -Hilfe brauchte, da wurde er geholt. Er war Schreiner, Maurer, Maler, -Zimmermann und Kuhdoktor, und manchmal hat er auch dem Totengräber -ausgeholfen. Und weil er so überall zur Hand war, hieß man ihn den -Handschuster, und der Name wurde der Hausname und ich war die -Handschusterleni. - -Der Großvater war bartlos und groß und gerade gewachsen und hatte trotz -der mannigfachen schweren Arbeit schlanke schöne Hände. Die hab ich in -späterer Zeit oft betrachtet, wenn er am Abend auf der Hausbank saß und -über irgend etwas nachdachte. - -Er war überhaupt anders als die Leute im Dorfe; denn er sprach wenig, -ging nicht ins Wirtshaus und war bei keiner Wahl, wie er auch sonst -allem öffentlichen Wesen fern blieb. Statt dessen erzählte man, daß er -oft im Verborgenen geholfen habe; und wo einem Armen das Haus abgebrannt -war, da habe er beim Aufbau mit zugegriffen, ohne lang nach dem Lohn zu -fragen. - -Damals, im Frühjahr nach meiner Krankheit, war es nun mein größtes -Vergnügen, mit ihm auf dem Wagen, vor den unser Ochs gespannt war, aufs -Feld hinauszufahren. Von den Äckern, die auf den Höhen rings um das Dorf -lagen, konnte man die fernen Berge sehen, und der Großvater sagte mir -von dem höchsten, daß es der Wendelstein sei. - -Während er nun pflügte oder säete, brockte ich Blumen und betrachtete -sie und die Welt dahinter durch bunte Scherben, die ich vor dem Hause -des Glasers aufgelesen hatte; oder ich lief mit dem Sturm über die -Wiesen und suchte ihn zu überschreien. - -Abends auf dem Rückweg setzte mich dann der Großvater rittlings auf den -Ochsen, und so sah ich schon von weitem die bläulichen Rauchwölklein -über unserem Dache, die uns anzeigten, daß die Abendsuppe schon auf dem -Feuer stand. - -Waren wir daheim angekommen, so sprang ich rasch in die Küche, steckte, -wenn die Großmutter in der Speis war, die Nase in alle Hafen und Tiegel, -zu sehen, was es Gutes gäbe, und lief dann hinter dem Großvater drein, -der vom Hausflöz durch den Stall in die Scheune ging, dort die -Ackergeräte verwahrte und hierauf in dem Schuppen Holz für den Herd -herrichtete. Ich tummelte mich derweilen in der Tenne, die wie der Stall -und Schuppen an das kleine, freundlich mit bläulicher Farbe getünchte -Wohnhaus angebaut war und mit ihm unter einem Dache stand, das sauber -mit Holzschindeln eingedeckt und mit Felsblöcken beschwert war. Rings um -das Häuschen zog sich ein saftiger Grasgrund, und von den Fenstern der -Wohnstube, an denen reichblühende Geranien und Menschenleben standen, -sah man im Sommer ein zierliches Gemüsegärtlein, dessen Beete mit -feurigen Nelken, Dahlien, fliegenden Herzlein und buschigen -Rosensträuchern eingefaßt waren. Am Eingang des Gärtleins stand ein -großer Rosmarinstrauch, den der Großvater bei seiner Heirat selbst -gepflanzt hatte. - -Von der Tenne nun schlüpfte ich des öftern in den Hühnerstall und -durchsuchte ihn nach Eiern. Besonders als Ostern nicht mehr fern war, -trieb es mich immer wieder dahin; denn um diese Zeit gab es unter uns -ein großes Vergnügen, das Oarscheiben. Da zogen alle Kinder des Dorfes -zu den großen Bauernhöfen, und dort wurden wir bewirtet und bekamen -G'selchts, Osterbrot und bunte Eier. Diese aber wurden nicht gegessen, -sondern zum Oarscheiben aufgehoben. Dabei teilten wir uns in zwei -Parteien, und die einen standen hüben, die anderen drüben; dazwischen -aber waren in schräger Lage zwei Rechen aneinander gelegt, und auf -dieser Bahn ließen wir unsere Eier hinunterrollen. Die Partei nun, auf -deren Seite das Ei fiel, hatte es gewonnen, und wo am Schluß die meisten -Eier lagen, war der Sieg. Freilich begann dann oft erst der eigentliche -Kampf, und die Eier, die zuvor gerollt waren, flogen jetzt. - -Während aber die andern sich noch rauften, sammelte ich, ohne mich -besonders sichtbar zu machen, mit flinker Hand die also zu Waffen -gebrauchten Eier und lief alsdann mit meinem vollen Schürzlein heim, wo -ich dem Großvater die Beute vor die Füße kugeln ließ. - -Da gab's dann andern Tags ein gutes Gericht, den Oarsülot, zu dessen -Bereitung ich schon am frühen Morgen mit der Großmutter den -wildwachsenden Feldsalat von einer nahen Anhöhe brocken mußte, während -der Großvater derweil daheim die Eier fein zerhackt und zerrührt hatte, -was er alle Ostern selber tat, da keins ihm dies Geschäft recht machen -konnte. - -Auch sonst war er oft in der Küche draußen und half der Großmutter Rüben -schälen oder Semmeln schneiden für die Alltagskost, die Knödel; denn -diese durften keinen Tag fehlen. Auch am Sonntag kamen sie, freilich -viel größer und schwärzer, als Leberknödel auf den Tisch. - -Das Wasser, in dem die Knödel, die neben ihrer Schmackhaftigkeit auch -noch den Vorzug der Billigkeit hatten, gesotten wurden, wurde bei uns -nie weggeschüttet, sondern in einer großen bemalten Schüssel -aufgetragen. Dazu stellte die Großmutter ein Pfännlein mit heißem -Schmalz und braunen Zwiebeln und im Sommer auch ein Schüsselchen voll -Schnittlauch. Der Großvater langte dann den von der Mutter -selbstgebackenen Brotlaib, der mittels unseres großen Hausschlüssels -ringsum mit einem Kranz von ringförmigen Eindrücken verziert war, aus -dem Wandschränklein und begann langsam und bedächtig Schnittlein um -Schnittlein in die Brüh zu schneiden. Danach goß er die Schmelz darüber, -würzte gut mit Salz und Pfeffer und rührte mit seinem Löffel etliche -Male um. Alsdann sagte er: »So Muatta, jatz ko'st betn.« - -Fleisch kam bei uns nur zu ganz besonderen Gelegenheiten auf den Tisch, -und selbst am Sonntag genügten meinen Großeltern die Leberknödel mit dem -Tauch, einem Gemüse von Dotschen, Rüben oder Kohlraben. Nur der -Großvater erhielt als Feiertagsmahl ein Stück gesottenes Rindsfett, das -er gesalzen und gepfeffert nur mit einem Stücklein Brote aß. - -An Ostern aber ließen sich's die Großeltern nicht nehmen, ein -ordentliches Stück Geselchtes und dazu noch einen Tiegel voll von unserm -selbstgemachten Kraut aufzustellen, nebst einem Körblein Eier, die samt -dem mit viel Zyperben und Weinbeerln gebackenen Osterbrot schon in der -Früh des Ostertags vom Großvater zur Weih' getragen wurden. - -Auch sonst gab's allerlei Vergnügungen und Kurzweil für die Großen und -die Kleinen, und es war auch um die Osterzeit, daß die Kinder, die -ungefähr in meinem Alter waren, anfingen, etwas Heimliches untereinander -zu treiben. Der Schlosserflorian und die Ropferzenzi hatten im Stall bei -der Wagnerin die Zicklein angeschaut, und hierbei hatte der Florian der -Zenzi, die vor ihm hockte, unter den Rock gesehen und hatte ihr darauf -auch etwas gewiesen. Dabei überraschte sie die Wagnerin, und alsbald -wußte es das ganze Dorf. Die Kinder aber, die fünf- und sechsjährigen, -hatten nichts anderes zu tun, als dies sofort nachzuahmen, und alsbald -saßen auf den Heuböden oder hinter der Planke vom Huberwirt die Pärlein -im Gras und betrachteten einander. - -Diese Vorfälle wurden nun von einem alten, frommen Fräulein dem Herrn -Pfarrer hinterbracht, der dann am darauffolgenden Sonntag von der Kanzel -herab wetterte über die Zuchtlosigkeit der Eltern, die nicht acht gehabt -hätten auf das Heiligste der Kinder, auf ihre Unschuld. Viele von den -Eltern hatten es aber in der Sorge um das Ihre übersehen, manche wohl -auch übersehen wollen. - -Mit dem beginnenden Sommer fingen wir an, zu fischen. Da suchte man sich -einen Stecken; daran wurde eine alte Gabel gebunden und mit ihr nach den -Dollen oder Mühlkoppen, die sich im Bach unter Steinen, Scherben oder -alten Häfen verborgen hielten, gestochen. Mit dem Stecken wurde der -Stein zur Seite geschoben, und wenn der Fisch hervorschoß, wurde er -angespießt. Ich war nun so geschickt, daß ich sie auch mit der Hand -fangen konnte. Da nahm ich den Rock auf, stieg in den Bach hinein, -bückte mich, tauchte vorsichtig den rechten Arm ins Wasser und näherte -mich mit der Hand dem Fisch, bis er zwischen meinen Fingern stand; dann -griff ich rasch zu. Gegen Abend trugen wir dann in einem alten Hafen den -ganzen Fang heim. War die Großmutter im Stall, so schlug ich in der -Küche die Fische mit einem Stein auf den Kopf, nahm heimlich Schmalz aus -der Speisekammer und warf die Fische, nachdem ich noch schnell Salz, -Mehl und ein paar Eier darangetan, in eine Pfanne. Die gebratenen Dollen -brachte ich dann hinaus vors Haus, wo die anderen Kinder im Gras saßen -und warteten. Unter dem Essen wurde nun erst die Schwimmblase und was -sonst noch im Innern des Fisches war, mit dem Finger herausgeholt. - -Einmal freilich wäre ich beim Fischen beinah ertrunken, und das kam so: -Da hat die Großmutter mit unserer Nachbarin, der alten Sailerin, die -sehr schwerhörig war, Wasch g'schwoabt, d. i. Wäsche im Bach gespült. -Als sie beide mit dem schweren Zuber davongingen, rief mir die -Großmutter zu: »Lenei, daß d' fei du dahoam bleibst und ja net abi gehst -am Bach, net daß d' eini fallst und dasaufst.« - -Ich aber nahm, dem Verbot zum Trotz, meinen Stecken mit der Gabel und -einen großen Hafen und schlich leise hinterdrein. - -Die Großmutter und die Sailerin hatten sich auf die große Waschbank, die -in den Bach hineingebaut war, gekniet und wuschen und hörten bei dem -Rauschen des Wassers nicht, wie ich mich hinter ihrem Rücken auf die -Waschbank legte. Kaum hatte ich mit meinem Stecken einen Stein zur Seite -gerückt, als schon ein großer Dollen herausfuhr. Ich ziele und steche -mit der Gabel zu; aber die war nicht festgebunden und rutscht ab. -Inzwischen war der Fisch zur Seite geschnellt und blieb nahe dem Ufer -über dem Sand stehen. Mir schien die Stelle seicht genug, um ihn jetzt -mit der Hand fangen zu können. Ich stülpe also meinen Ärmel auf, strecke -den Arm aus und will den Fisch fassen, versinke aber mit der Hand tief -in den weichen Ufersand; dabei verliere ich das Gleichgewicht und stürze -in den Bach, jedoch so, daß die Füße noch auf der Waschbank blieben. Den -Kopf unter Wasser zerre und zapple ich so lange, bis ich die Füße -nachziehen konnte. Derweilen hatte mir aber das Wasser schon alle Kraft -genommen, und trieb mich nun unter der Waschbrücke hindurch grad unter -die Hände meiner Großmutter. - -»Jess', Mariand Josef, insa Lenei!« schrie sie und ließ das Wäschestück -fahren, packte die alte Sailerin am Arm, schüttelte sie heftig und -schrie ihr ins Ohr: »He, Soalerin, hilf, insa Lenei datrinkt!« - -Darauf zogen sie mich heraus und führten mich heim. - -Als der Großvater mich sah, meinte er: »Aba Lenei, gel, jetz hast es; -wie leicht kunntst dasuffa sei!« - -Der Hausl aber, der auf dem Kanapee saß, spottete: »Gel, bist in Bach -einig'falln, du Schliffi!« - -Der Hausl, Balthasar Hauser, wie er eigentlich hieß, war im Übrigen mein -guter Freund. Im Dorf war er freilich wenig beliebt, weil er recht -barsch war und ein großer Geizhals. Ging er umher, so streckte er die -Arme weit hinter sich hinaus; denn er war schon ganz krumm und alt. Er -lebte bei den Großeltern im Austrag und bewohnte die an unsere Wohnstube -anstoßende Kammer. Darin hatte er aus der Mauer ein paar Ziegelsteine -herausgebrochen, das Loch ausgemauert und vor die Öffnung als Tür ein -dickes Brettlein gemacht, das in Scharnieren hing und an das der -Schlosser ein Schloß hatte anbringen müssen. In diesen Behälter tat er -sein Geld und seine Kostbarkeiten, schmierte das Türlein mit Kalk zu und -machte mit einem Farbstift einen winzigen Punkt an die Stelle, wo sich -das Schlüsselloch befand. So glaubte er seine Habe erst sicher vor den -Menschen, denn außer mir wußte niemand um diesen geheimen Ort. Wenn er -nun einige Pfennige brauchte, wie an den Sonntagen zum Bier, so ging er -in seine Kammer, zog die Vorhänge zu, kratzte mit einem Messer den Kalk -vom Schlüsselloch, und sobald er das Wenige, das er jeweils brauchte, -herausgenommen hatte, strich er alles wieder zu und machte einen neuen -Punkt. Das Häflein mit dem Kalk bewahrte er unter dem Bett auf, das -Nachtgeschirr darübergestürzt. Damit nun nicht etwa jemand diese Dinge -fände, putzte er selbst seine Kammer und machte sein Bett. Auch wusch er -selber seine Wäsche; denn er fürchtete, der Großmutter etwas zahlen zu -müssen; und zwar wusch er immer nur ein Stück, hängte es darauf in die -Sonne und setzte sich dazu, damit es ihm nicht etwa gestohlen wurde. Kam -ich an solchen Tagen und sagte: »Hausl, geh mit mir furt!«, so zeigte er -auf sein Sacktüchl und sagte: »Wart a bißl, bis mei Schneuztüchl trucka -is.« - -Außer ihm waren bei meinen Großeltern noch Kostkinder im Hause, die die -Großmutter aufzog. - -Sie war eigentlich nicht meine rechte Großmutter, sondern nur die -Schwester derselben. Meine leibliche Großmutter habe ich nicht gekannt; -sie war schon lange tot. Von ihr hat mir die Großmutter im Winter, wenn -sie mit der alten Sailerin und der Huberwirtsmarie am Spinnrad saß, viel -erzählt. Sie sei eine sehr böse Frau gewesen, im ganzen Ort gefürchtet, -und alle Leute seien froh gewesen, als sie endlich mit achtunddreißig -Jahren gestorben sei. Sie hatte lange an Magen- und Leberkrebs gelitten; -darum hatte ihre Schwester schon bei ihren Lebzeiten das Hauswesen beim -Großvater geführt und die Kinder erzogen. Eigentlich aber war sie eine -Nähterin. - -Als nun der Großvater Witwer war, wollte er die Schwägerin heiraten; da -sie aber in ihrer Jugend Mitglied und später Präfektin des weltlichen -dritten Ordens des heiligen Franziskus geworden war, mußte er deswegen -sich an den Papst wenden, der ihr unter der Bedingung Dispens erteilte, -daß sie mit ihrem Manne eine sogenannte Josephsehe führe, das heißt, die -gelobte Keuschheit bewahre. Daher kam es wohl auch, daß der Großvater -sie immer mit großer Achtung behandelte und ihr niemals ein böses Wort -gab. Nur einmal war eine Geschichte: - -Von unsern Kühen gab eine, das Bräundl, zu wenig Milch. Da nahm sich der -Großvater vor, sie nach Holzkirchen auf den Markt zu führen und gegen -eine bessere umzutauschen. Obwohl nun die Großmutter dagegen war, hat er -sie doch fortgetrieben und dafür eine wunderschöne, schwarzfleckige Kuh -heimgebracht. - -Als sie nun das erstemal von der Großmutter gemolken wurde, gab auch sie -nur ein paar Liter Milch. Da meinte man, es komme von der Anstrengung; -aber es wurde nicht besser. Als sie nach ungefähr einer Woche nicht mehr -als fünf Liter Milch gab, während wir sonst von unsern Kühen zehn bis -zwölf Liter hatten, ward die Großmutter sehr ärgerlich und fing an, mit -dem Großvater zu streiten und sagte: »Da hättst aa nix Bessers toa -könna, als wie dös Viech daher bringa; hättst halt's Bräundl g'haltn. -Bringst da so an Ranka daher, der oan's Fuada wegfrißt und für nix guat -is.« - -Da wurde der Großvater zornig: »Sei stad! Was vastehst denn du, du -Rindviech! Dös ko i da Kuah net o'sehgn, daß koa Milli gibt bei so an -Trumm Euter. Na weis i's halt wieder furt in Gott'snam', daß d' an Ruah -gibst, alt's Rindviech.« - -Darauf erwiderte die Großmutter nichts, sondern ging in die Kuchl -hinaus. - -Als sie aber beim Nachtessen das Tischgebet sprach, fing sie plötzlich -beim Vaterunser an ganz laut zu schluchzen und lief hinaus. Da sprach -ich das Gebet zu Ende und sagte darauf zum Großvater: »Gel, jetz hast -es, weilst so grob bist. Warum greinst denn a so, wo's es net braucht! -Mei Großmuatta is brav, und balst es no amal schimpfst, nacha mag i di -nimma!« - -Darauf sagte der Hausl, der auch mit uns aß: »Woaßt, Handschuasta, dös -sell muaß i selm sagn; da hast an schlechtn Tausch g'macht. Da hat d' -Handschuasterin scho recht, und i moan, dösmal warst du's Rindviech -g'wen.« - -Diese Rede freute mich, und ich ließ das Essen stehen, lief zur -Großmutter in die Küche, setzte mich auf ihren Schoß und sagte: -»Großmuatterl, sei stad und woan nimma. Der Großvata is dir scho wieda -guat und der Hausl sagt's aa, daß der Großvata 's Rindviech is. Jatz -weist er d' Kuah wieder furt und kaaft dir a andere. Und i hab's eahm -scho g'sagt, er darf di nimma ausgreina.« - -Da nahm sie mich um den Hals und sagte: »Du bist halt mei Brave, gel -Lenei.« - -Darauf aß ich mit ihr draußen in der Küche zur Nacht, zog sie danach -wieder in die Stube und rief: »So Großvata, jatz is dir d' Großmuatta -wieda guat und woant nimma; jatz muaßt aba versprecha, daß d' es wieda -magst und nimma greinst.« - -Da lachte er: »No, in Gottsnam, Hex, na mag i 's halt wieda.« - -In der Nacht hab ich zwischen ihnen beiden geschlafen und hab ein jedes -bei der Hand genommen und ihnen die Hände gedrückt und sie festgehalten. - -Auf einmal fängt die Großmutter aufs neue zu schluchzen an: »Naa, i ko's -net vergessn, was d' g'sagt hast, wo i dir g'wiß a bravs, rieglsams Wei' -g'wen bin.« - -»Stad bist ma!« erwiderte der Großvater. »Bevor i harb wer'. Dös ko an -jedn passiern; geh nur und kaaf du ei!« - -Jetzt wurde ich wild, stieß den Großvater mit Füßen, schopfte ihn bei -den Haaren und schrie: »Jatz werd's ma z' dumm! Jatz laß d' mei -Großmuatta steh, sunst steh i auf und laaf furt und geh zu der Münkara -Muatta; da is scheena, da werd net g'strittn und g'greint!« - -Darauf mußte sich die Großmutter in die Mitte legen und ich legte mich -hinaus. Der Großvater aber lachte: »Geh, schlaf, du Nachtei!« - -Am andern Tag in der Früh fragte ich gleich die Großmutter: »Is er dir -wieda guat, der Vata?« - -»Ja,« erwiderte sie, »mir san scho guat.« - -Aber beim Beten weinte sie wieder wie den Tag zuvor, und so ging es noch -drei oder vier Tage fort. - -Die Kuh aber hat der Großvater an den Huberwirt verkauft und dafür vom -Schneider zu Balkham eine wunderschöne, trächtige heimgebracht. - -Damit war der Streit geschlichtet und ich brauchte nicht mehr zu der -Münkara Muatta, das heißt zu meiner Mutter in München, zu gehen, die ich -übrigens noch nie gesehen hatte und von der ich nur hatte reden hören. -Zu dieser Zeit aber kam ein Brief an meine Großmutter, darin die Mutter -schrieb, daß sie bald kommen würde, uns zu besuchen. - -Da sagte mein Großvater zu mir: »Dirnei, jatz muaßt brav sei, d' Münkara -Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit. Bal' s' kimmt, na derfst -es von der Bahn abholn.« - -Ich glaubte natürlich, meine Münkara Muatta käme schon am selben Tag, an -dem der Brief gekommen war; schlich mich also barfuß und ohne Hut oder -Tüchl gegen die Sonnenhitze, es war im Spätsommer, fort und lief, so -schnell ich konnte, über die Brücke den Berg hinauf durch Felder und -Wiesen über Schloß Zinneberg und Westerndorf nach der Waldstraße, die -gen Grafing führt. Dies war am Nachmittag nach der Vesperzeit. Ich lief -durch den Wald, der anfangs ganz licht ist, bald aber dicht, finster und -unheimlich wird, bis an eine Stelle, wo ein Feldkreuz mit einem Bild des -Fegfeuers und daneben ein Marterl steht als Wahrzeichen, daß hier ein -Bauer erschlagen aufgefunden wurde. Da fürchtete ich mich so sehr, daß -ich kaum mehr zu atmen, noch mich vom Fleck zu rühren vermochte. - -Derweilen kamen zwei Radfahrer, die mich nach dem kürzesten Weg nach -Grafing fragten. Da löste sich meine Angst und indem ich rief: »Oes -derfts grad dera Straßn nachfahrn!« stürmte ich schon an den Herren, die -von ihren Rädern abgestiegen waren, vorbei und lief, so rasch mich meine -Füße trugen, bis nach Moosach, dem nächsten größeren Dorfe. Dort bat ich -eine Bäuerin um einen Trunk Wasser. Freundlich gab sie mir einen -Weidling voll Milch und eine Schmalznudel dazu und fragte mich: »Wo -kimmst denn her, Dirndei, und wo gehst denn hin?« - -»I geh auf Grafing und geh meiner Münkara Muatta z'gegn.« - -Sie mahnte noch: »Gel, tua di fei net volaafa, Kind!« und begleitete -mich bis unter die Haustür. Mit einem lauten: »Gelt's Gott!« und »Pfüat -Gott, Bäuerin!« lief ich wieder weiter, die Straße über Waldbach, -Baumhau, den großen Untersumpf entlang nach Grafing. - -Schweißtriefend und keuchend kam ich ungefähr um sieben Uhr abends dort -am Bahnhof an und fragte einen Bediensteten: »Bitt schön, wißt's ös net, -wenn daß der Zug vo' Münka kimmt?« - -Der aber meinte, vor acht Uhr käme keiner mehr; denn der letzte sei um -fünf Uhr schon gekommen. - -Ich glaubte es ihm nicht und fragte einen andern: »Habt's ös mei Münkara -Muatta net kemma sehgn?« - -Da fing der Mann an zu schelten und ich stand traurig da und wußte -nicht, was anfangen. In diesem Augenblick kam ein Zug. Ich stürmte über -den Bahnsteig und lief sofort auf eine vornehm gekleidete Frau zu, die -grad ausgestiegen war und fragte sie: »Bist du mei Münkara Muatta?« - -Sie aber gab mir keine Antwort. Inzwischen hörte ich rufen: »Personenzug -über Kirchseeon, Haar, Trudering nach München!« Da wurde es mir klar, -daß es der Zug von Rosenheim war. Ich setzte mich also auf eine Bank und -wartete, bis der Achtuhrzug aus München kam. Da stiegen aber nur einige -Männer aus und ich mußte mich wieder auf den Heimweg machen, da es schon -ziemlich dunkel geworden war. - -Ich fing nun wieder an zu laufen, zurück durch den Wald und den Sumpf. - -Inzwischen war es fast Nacht geworden und ich sah plötzlich, daß ich -mich verirrt hatte. - -Nach einem langen Umweg kam ich über Bruck nach Wildenholzen. Es ist das -ein kleines, wundernettes Örtlein am Fuß eines schönen, bewaldeten -Bergabhanges. - -Ganz erschöpft bat ich in dem Wirtshaus, das am Berge stand, ob ich -nicht rasten dürfe und wie weit ich wohl noch hätte bis zu meinem -Großvater. - -»Ja mei, Dirndei, da kimmst heunt nimma hin! Da is gescheita, wennst bei -ins da bleibst; morgen fruah fahrst na mit an Bauern hoam. Aba jatz kimm -eina, na kriagst was z'essn.« - -Ich konnte vor Müdigkeit und Seitenstechen kaum etwas essen und auch nur -schlecht schlafen. Schreckliche Träume verfolgten mich und ich meinte in -den Sumpf geraten zu sein und versinken zu müssen. - -Am Morgen gab die Frau Wirtin mir noch einen Kaffee und dann setzte mich -der Bauer, der nach unserm Dorf fuhr, auf den Wagen. - -In Westerndorf stieg ich ab, bedankte mich und ging zu meiner Nanni. -Dies war die Schwester meiner Mutter, eine wohlhabende Bäuerin, die auch -einen großen Obstgarten hatte. Man nannte sie die Maurerin von -Westerndorf, weil der Schwiegervater ein Maurer gewesen war und die -Hausnamen fast immer vom Handwerk des Besitzers hergeleitet werden. - -Die Nanni führte mich dann auf meine Bitten hin zu meinen Großeltern. -Diese hatten mich die ganze Nacht in Ängsten gesucht und beweinten mich -schon als tot. Aber kein Wort des Vorwurfs kam aus ihrem Munde. - -»Weilst nur grad da bist, Lenei, arms Nachtei, dumms!« - -Ohne einen Laut fiel ich dem Großvater in die Arme. Da sah man erst, daß -ich ganz heiß und voll Fieber war. Ich bekam Lungenentzündung, von der -ich noch nicht genesen war, als etliche Wochen später meine Mutter -wirklich kam. - -Da trat eine große Frau in die niedere Stube in einem schwarz und weiß -karierten Kleide über einem ungeheuern Cul de Paris. Auf dem Kopf trug -sie einen weißen Strohhut mit schwarzen Schleifen und einem hohen Strauß -von Margeriten. Sie stand da, sah mich kaum an, gab mir auch keine Hand -und sagte nur: »Bist auch da!« - -Als sie am nächsten Tag wieder fortgefahren war, fragte mich der -Großvater: »No, Dirnei, magst nachha eini zu der Münkara Muatta in d' -Stadt?« - -Da umhalste ich ihn, schüttelte den Kopf und sagte schnell: »Naa, naa!« - -So durfte ich denn noch beim Großvater bleiben und wie zuvor mit ihm -gehen, wenn er irgendwo zu arbeiten hatte. - -In diesem Herbst war es nun, daß wir einmal zum Ausweißen gingen. Und -als der Großvater bei der Arbeit war, schickte er mich wieder heim. Mein -Weg führte mich am Obstgarten des Herrn Pfarrers vorbei, darinnen ich -schon auf dem Hinweg einen großen Apfel hatte liegen sehen. Als ich -jetzt wieder vorüberkam, suchte ich nach einer Zaunlücke, schlupfte -hindurch und kroch auf allen Vieren durchs Gras und holte mir den Apfel. -Da ich noch einen zweiten liegen sah, aß ich diesen sogleich und nahm -den schöneren mit heim, um meiner Großmutter eine Freude zu machen. - -»Großmuatterl, da schaug her,« rief ich, »i hab dir was mitbracht; an -schön'n Apfel vom Herrn Pfarrer!« - -Da hatte die Großmutter eine rechte Freude; denn sie meinte, der Herr -Pfarrer habe ihn mir geschenkt. - -»Bist halt mei bravs Lenei; vergunnst deiner Großmuatta aa ebbas.« - -Unter diesen Worten schälte sie den Apfel und schabte ihn; denn sie -hatte fast keinen Zahn mehr im Munde. - -»Ah, der is aba guat! Hättst'n net liaba selba gessn, Dirnei?« - -»A naa, Großmuatta, i hab ja scho oan g'habt.« - -Ein paar Stunden später sah ich den Herrn Pfarrer daherkommen. Da rührte -sich mein schlechtes Gewissen, und ich hab mich hinter die Stiege -verschloffen. Inzwischen war meine Großmutter in den Hausgang oder Flöz -hinausgegangen, und jetzt seh ich, wie der Herr Pfarrer richtig zu ihr -hereingeht und sagt: »Liebe Handschusterin, leider hab ich sehen müssen, -daß Ihr Enkelkind, das Lenei, ein paar Äpfel in meinem Garten aufhob und -damit davonlief. Hört, Handschusterin: es ist mir nicht um die paar -Äpfel; aber die Begierde hätte das Kind bezähmen sollen. Hätte das Lenei -mich gebeten, ich hätt' ihr mit Freuden etliche geschenkt.« - -Nach diesen Worten trat der Herr Pfarrer ins Zimmer und unterhielt sich -noch längere Zeit mit der Großmutter. Ich aber lief, was ich laufen -konnte, nach Westerndorf zu meiner Nanni. Ich wollte auch zur Nacht -nicht mehr heim, weil ich Strafe fürchtete; doch hat mich die Nanni -schließlich überredet und heimgebracht. Ich hätte aber nicht so viel -Angst zu haben brauchen; denn der Großvater hat mich verstanden. Und als -die Großmutter anfangen wollte zu schimpfen, fiel er ihr ins Wort: »Stad -bist ma! Nix sagst ma übers Kind; hat's dir 'n vielleicht net bracht? I -sags allweil, 's Lenei hat a guats Herz!« - -Da mußte die Mutter still sein. Später einmal traf mich der Herr Pfarrer -und sagte: »Liebes Kind, ich hätte dir ganz gerne einen Apfel geschenkt, -wenn du mich darum gebeten hättest. Aber selbst aufheben durftest du dir -keinen; denn das nennt man Stehlen.« - -Neben der Arbeit im Haus, Garten und Stall hat die Großmutter Mieder -genäht und war weit und breit wegen ihrer Geschicklichkeit darin berühmt -und gesucht. - -Nun kam da zwei- oder dreimal im Jahr ein Mann aus Schwaben, der zog von -Dorf zu Dorf mit seiner Kirm auf dem Rücken und gab für Haderlumpen den -Leuten Nähnadeln, Steckklufen, Fingerhüte, Maßbandln und den Kindern -Fingerringe. Meiner Großmutter aber gab er für die alten Flicken und die -Abfälle von den Miedern neue Miederhaken und Schlingen, die er Moidala -und Schloipfala nannte. Einmal waren ihm nun die Miederhaken -ausgegangen, und als ihn die Großmutter fragte: »Hast heunt gar koani -Miadein?« sprach er: »Noi, gar koine Moidala geits mehr; lauta -Schloipfala kannscht mehr haba.« Damit wollte er zugleich sagen, daß es -jetzt gar keine braven Mädeln mehr in den Dörfern gebe und die meisten -sogenannte Schloapfen, das will sagen leichtfertige Wesen seien, die auf -jedem Tanzboden herumschleifen und die jeder leicht haben kann. - -Zu all dieser Arbeit zog die Großmutter, wie ich schon sagte, Kostkinder -auf, welche die Gemeinde ihr wegen ihrer Gewissenhaftigkeit und -Sauberkeit übergab. Es waren dies Kinder von Bauerndirnen, von ledigen -Gemeindeangehörigen, die wer weiß wo weilten und ihre Kinder der -Gemeinde aufbürdeten; aber auch Kinder von Gauklern, die diese einfach -den Leuten vor die Tür legten. - -So war es auch einmal um die Weihnachtszeit. Draußen lag tiefer Schnee, -und wir saßen in der Wohnstube beisammen und jedes hatte seine -Beschäftigung: der Großvater band einen Besen, die Großmutter spann und -der Hausl baute mir ein Haus aus großen Holzscheiten. Da klopft es mit -einem Male ans Fenster. Erschreckt schreit die Großmutter auf; der -Großvater aber geht hinaus, zu sehen, wer so spät noch Einlaß begehrt. -Er sperrt auf und tritt vor die Tür; im gleichen Augenblick aber hören -wir ihn rufen: »Heiliges Kreuz! a Kind!«, und herein bringt er ein -kleines Bündel und legt's auf den Tisch. Die Großmutter springt auf und -wickelt es aus. Da liegen zwei kleinwinzige Wesen vor ihr, und wie sie -das eine nehmen will, kann sie es nicht heben, weil das andere auch mit -in die Höhe geht. Als sie dann die Windeln aufmachte, sahen wir erst, -daß die Kinder zusammengewachsen waren. Außen am Bündel war ein Papier -befestigt; darin lagen die Taufscheine der Zwillinge und ein Brief des -Inhalts, daß eine Seiltänzerin die Kinder geboren und bei der Geburt -gestorben sei. Man habe von der Handschusterin gehört und bitte nun um -Gottes willen um Aufnahme für die Kinder; die Gemeinde würde schon -zahlen. Da sagte die Großmutter: »Um Gottes willen is aa was; auf die -Mautschein geht's aa nimmer z'samm!« - -Und so behielt sie die armen Waislein. Als sie aber größer wurden und -sitzen lernen sollten, fand man, daß die gewöhnlichen Stühlchen zu -klein, eine Bank aber nicht für sie geeignet war; denn das Gesäß, mit -dem sie seitlich zusammengewachsen waren, war nicht breiter als das -eines Kindes; von den Hüften aufwärts aber nahmen sie den Raum von -zweien ein. Also verfertigte ihnen der Großvater ein eigenes Stühlchen, -sowie ein Bänklein mit einer runden Lehne, in das er zwei Löcher -schnitt, das Bänklein polsterte und die Löcher mit Deckeln versah. -Darunter stellte dann die Großmutter bei Bedarf zwei Nachthäflein. Auch -alle Kleidungs- und Wäschestücke mußte sie eigens machen und das -Süpplein gab sie ihnen nicht aus der gebräuchlichen Saugflasche, sondern -nahm ein großes Glas und ließ einen zinnernen Deckel mit zwei Löchlein -machen, durch die sie zwei lange Gummischläuchlein zog. Daran befestigte -sie dann die Sauger. - -Als die Mädchen zwei Jahr alt waren, erkrankte eines von ihnen an -Diphtherie, während das andere seltsamerweise ganz gesund blieb. - -Sieben Jahre hatten meine Großeltern diese Zwillinge bei sich, bis sie -von der Gemeinde an den Besitzer einer Schaubude abgegeben wurden, der -sie auf vielen Jahrmärkten herumzeigte. - -Doch nicht immer waren es Kinder solch armer oder heimatloser Leute; -mitunter wurde auch eins von besserem Stand uns vor die Tür gelegt. - -So war eine reiche Dame in Rosenheim, die lange Zeit glücklich mit ihrem -Manne, einem Doktor, gelebt hatte. Da ward sein Geist umnachtet und er -vertat in kurzer Zeit all sein Gut. Zuletzt sperrte man ihn in ein -Irrenhaus und wies die unglückliche Frau, die ihrer schweren Stunde -entgegensah, von Haus und Hof. Dies brachte die Ärmste gleichfalls um -den Verstand, und sie lief eines Nachts von Rosenheim fort und kam bis -nach Ebersberg. Dort brachte sie in einem Schuppen das Kind, ein -Mädchen, zur Welt. Sie hatte nichts, worein sie es wickeln konnte, und -so zog sie ihren Rock aus, bettete das Würmlein hinein und band es mit -ihren Strümpfen zusammen. In der Nacht machte sie sich wieder auf den -Weg und lief, nun barfuß und nur halb bekleidet, bei bitterer Kälte, -denn es war im Januar, fort bis in unser Dorf. Vor dem Haus des -Bürgermeisters brach sie tot zusammen, und man brachte das Kindlein -meiner Großmutter, die das erstarrte, halbtote Wesen wieder zum Leben -brachte und aufzog. - -Auch das Kind eines katholischen Priesters hatten wir einmal in der -Kost. Es war von einem schönen Mädchen, einer Müllerstochter, die von -dem Unhold betört und in großes Elend versetzt worden war. Sie ertränkte -sich, während der Geistliche seine Pfarrei verlassen und mehrere Jahre -lang einen Strafposten bekleiden mußte. Zum Glück starb das Büblein -bald; es hatte den ganzen Kopf voll großer Blutgeschwüre gehabt. - -Von den zwölf Kostkindern, die die Großmutter um diese Zeit aufzog, -wuchsen zusammen mit mir die Urschl, der Balthasar, genannt Hausei, der -Bapistei und die Zwillinge auf. Sie schliefen alle mit mir bei den -Großeltern in der gemeinsamen großen Schlafkammer, die vier Fenster -hatte. Mein Bett war auf der Seite, wo der Großvater schlief, während -bei der Großmutter drüben das der Zwillinge stand. Nahe an ihrem Bett -hatte die Großmutter die alte, buntbemalte Bauernwiege stehen. Daran war -ein Ring und an diesem hing ein langes Band, das die Großmutter beim -Schlafengehen um die Hand wickelte. An dem Bande zog sie nun leise, wenn -das Kind unruhig war, und oft hörte ich, wenn ich nicht schlafen konnte, -die ganze Nacht hindurch das leichte Knarren der Dielen. In die Wiege -kam das Kleinste, außer es war ein anderes krank, das dann -hineingebettet wurde. Darum lag die meiste Zeit der Bapistei darin; denn -er war ein recht schwächliches, streitiges Kind. Mitunter nahm der -Großvater der Großmutter das Bandl aus der Hand: »Geh, Muatta, laß mi -hutschen; tua jetz a bißl schlafa!« - -Aber er konnte es nicht so leise, wie sie, und da schrie denn der -Bapistei so lang, bis die Großmutter wieder das Bandl nahm. - -Das Kostgeld für jedes Kind war von der Gemeinde auf monatlich vier bis -fünf Mark festgesetzt; trotzdem sorgte die alte Frau für sie wie für -eigene. Sie war auch in der Krankenpflege sehr erfahren und hatte viele -Hausmittel und wußte Krankheiten zu beschwören, was beim Landvolk unter -dem Namen Abbeten bekannt ist. - -Als unser Bapistei durch das viele Schreien einen Nabelbruch bekommen -hatte, heilte ihn die Großmutter auf folgende Weise: Sie suchte beim -wachsenden Mond drei kleine Kieselsteine unter der Dachrinne und drückte -jeden Abend beim Mondaufgang einen davon dem Kinde auf den Nabel, drehte -ihn mit dem Daumen und sprach dazu: - - »Bruch, ich drucke dich zu, - Geh du mit der Sonne zur Ruh; - Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, - Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.« - -Dann band sie das Steinlein mit einer Binde fest und gab dem Kinde einen -heilkräftigen Tee. Nach einigen Tagen wurde der Bapistei wirklich -gesund. - -Eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit sind die -Sonntagnachmittage im Winter. Da hat die Großmutter mir vorgelesen aus -uralten, heiligen Büchern und mir erzählt von gottseligen Leuten und -deren wunderbarem Tod; hat mir Beispiele von der Hilfe unserer lieben -Frau von Frauenbründl und Birkenstein erzählt und wundersame Gebete mir -vorgebetet und mich gelehrt. Wenn sie dann beim Lesen eingenickt war und -ich zu ihren Füßen auf dem Schemel saß, geschah es manchmal, daß ihr die -alte Hornbrille von der Nase und in den Schoß fiel. Beim Erwachen wollte -sie weiterlesen; da sie aber ohne Glas nichts sehen konnte, rückte sie -das Buch immer näher an die Augen und griff endlich nach der Stelle, wo -die Brille gesessen, um sie zurechtzurücken. Da merkte sie erst, daß sie -ihr entfallen war. - -Oft geschah es auch, daß sie in der Eile die Brille auf die Stirn schob, -wenn sie mit jemandem sprach. Wollte sie dann später etwas lesen, so -suchte sie überall: »Habt's es denn nindascht g'sehgn? Woaß neam'd, wo i -s' hing'legt hab? I find s' scho wieda net!« - -»Ja, was suachst denn, Muatta; was findst denn scho wieda net?« fragte -dann der Großvater. - -»Ah, was wer i denn suacha! 's Augnglas!« - -»Jessas, Jessas! Hast es ja a so drobn am Hirn; bist da du dumm, -Muatta!« - -Mit diesen Worten schob er ihr die Brille wieder auf die Nase. - -Ich hatte sie längst bemerkt; doch freute es mich, die Großmutter so -ratlos zu sehen, und ich lief überall mit ihr herum und suchte. -Kopfschüttelnd ging dann der Großvater in den Stall oder gegen Abend -wohl auch auf den Heuboden, um für die Kühe das Gsott zu schneiden. - -Ich aber schlich mich in die Künikammer oder Königskammer, die zu -betreten mir verboten war. Es war das die beste Stube des Hauses, -angefüllt mit den Schätzen, die von den Ureltern auf uns gekommen waren; -auch die Möbel darin stammten aus alter Zeit. Da standen zwei Truhen, an -denen gar seltsame Figuren und Zierate zu sehen waren und darinnen der -Brautschatz der Urgroßmutter lag. Es war dies ein bald bläulich, bald -wie Silber schimmerndes Seidenkleid, ein köstliches, bunt und -goldgesticktes Mieder, dazu eine goldbrokatene Schürze, in die leuchtend -rote Röslein gewirkt und die mit alten Blonden besetzt war. Dabei lag -eine hohe Pelzhaube, wie sie vor hundert Jahren die Bräute als Kopfputz -trugen, und zwei Riegelhauben, eine goldene und eine schwarze, mit -Perlen besetzt. Daneben stand ein Kästlein aus schwarzem Holz und mit -Perlmutter eingelegt; darin lag das schwere, silberne Geschnür mit -uralten Talern und einer kostbaren silbernen, neunreihigen Halskette und -Ohrgehänge und silberne Nadeln. Ganz versteckt in der untersten Ecke -aber lag, sorglich in ein zerschlissenes, seidenes Tuch gewickelt, das -Brautkrönlein der Ururgroßmutter. Es war das ein zierliches Kränzlein, -dessen Blumen und Blätter aus Rauschgold und Edelsteinen gearbeitet und -mit Perlen und Filigran eingefaßt waren. Nach Art der Riegelhauben aber -war es steif gefüttert, und über der verblichenen Seide lag noch ein -matter, rötlicher Schimmer. - -Die andere Truhe war voll des feinsten, selbstgesponnenen Flachses und -schöner, gestrickter Spitzen. In einem großen, buntbemalten Schrank lag -handgewirktes Bauernleinen, darunter ein großes Tischtuch, in welches -das heilige Abendmahl gewebt war. - -Zwischen den beiden Fenstern, deren dichte Vorhänge keinen Sonnenstrahl -hereinließen, stand das Kostbarste, ein Glaskasten, dessen Rückwand mit -Spiegeln belegt war. Darin spiegelten sich zierliche Meißener Figuren, -Teller und Tassen und bunte gläserne Krüge. Im Vordergrund auf einem -Ehrenplatz aber stand die alte Hausapotheke. Sie war voller Geheimnisse -und sah aus wie ein Bild, das die heilige Familie vor dem Hause zu -Nazareth darstellte; nur waren die Figuren rund und in Silber getrieben. -Rechts im Vordergrunde stand der heilige Joseph mit einer Axt und -zimmerte an einem Balken, während ihm gegenüber Maria mit einer Spindel -saß und spann. In der Mitte aber war das Jesuskindlein und hielt in der -einen Hand eine Axt und in der andern ein Kreuzlein, das es selbst -gezimmert hatte. Die Figuren konnte man abschrauben und fand dann im -Innern ein Fläschlein mit Medikamenten. Schraubte man das Jesuskind ab, -so lag darinnen ein kleiner Schlüssel; der sperrte das Schlüsselloch im -Hintergrunde und öffnete das Haus von Nazareth. Da fanden sich im Innern -Lanzetten, Scheren und silberne Büchslein für Pflaster und Salben. -Umgeben war das Ganze von einem alten, silbernen Rahmen. - -In der Kommode lag mein Taufzeug und das der Kinder, die die Großmutter -in der Kost gehabt hatte, dazu eine Menge seidener Tücher für Hals und -Mieder. Eine andere Schublade war voll von Büchern, deren Druck so alt -war, daß ich kaum ein Wort zu lesen vermochte. Auf dem alten Sesselofen -stand eine große Schüssel, darin die Eier unserer Hennen für den Verkauf -gesammelt wurden; ferner ein großer Blechbehälter mit Schmalz, etliche -Krüge voll Honig und in der Bratröhre das feine Eingekochte. Unter der -Bettstatt, deren Bett kaum zu ersteigen war vor Höhe und Fülle des -Flaums, stand eine große Holzschachtel, in der die Kränze und der -Grabschmuck aufbewahrt wurden. An den Wänden hingen alte Bilder mit -sonderbaren Gestalten und Gesichtern und ein großes Kruzifix, dessen -Christusfigur so erschreckend zerfleischt aussah, daß ich sie immer mit -geheimem Grauen betrachtete. - -Gewöhnlich aber blickte ich nicht lange nach den Wänden, sondern hockte -mich vor eine Truhe oder Lade, wühlte darin herum, zog alles heraus und -besah dies oder probierte das. Dazwischen schaute ich des öftern in die -Bratröhre, wo das Eingekochte stand. Diese Gläser voll Kirschen, -Zwetschgen oder Himbeeren waren alle mit einem pergamentenen Deckel -verschlossen -- und meine Großmutter verwunderte sich häufig darüber, -daß das Pergament schon wieder geplatzt war: »I woaß net, Vata, was dös -is; bei dö Zweschbn is's Papier scho wieda hi'!« - -Der Großvater aber meinte mit einem Seitenblick auf mich: »Dö wer'n halt -austriebn ham, Muatta; dö müaßn bald gessn wer'n.« - -Überhaupt ließ mir der Großvater zu jeder Zeit gern etwas Gutes oder -Besonderes zukommen und brachte von jedem Holzkirchner Viehmarkt auch -für mich etwas mit: ein lebzeltenes Herz, einen Rosenkranz von süßem -Biskuit, ein Schächtelchen voll Zwiefizeltl und dergleichen. Auch war er -stets besorgt, daß ich nichts Unrechtes äße. Als einmal bei uns -Jahrmarkt war und ich mit einem Fünferl, dem Geschenk unseres Hausl, -tanzend und singend dahineilte, mir etwas darum zu kaufen, ging mir der -Großvater besorgt nach und erwischte mich gerade noch, als ich mir eben -vor dem Stand eines Fleischhändlers, dessen Schild als Zierde rechts und -links einen Pferdekopf trug, eine große schwarzrote Wurst schälte, die -ich nach langem Hin- und Hersuchen endlich als das wohlfeilste und -meiste für die Münze erstanden hatte: - -»Ja mei, Nachtei, dumms, möchst net gar a Roßwurscht essn! Da kunntst -schö krank wer'n!« - -Und eiligst nahm er mir dieselbe und gab sie einem Hund; darauf führte -er mich, nachdem er mir ein anderes Fünferl gegeben hatte, in die Post, -wo schon Kopf an Kopf männiglich beieinander saß und aß und trank. Hier -kaufte er mir eine lange Bratwurst und dazu ein Kipferl. Danach durfte -ich mir bei einem alten, wunderlichen Mann eins von den bunten Päcklein, -die zu einem großen Haufen aufgeschichtet vor seinen Füßen lagen, -kaufen. Es war eine Überraschung, wie der Alte sie nannte und mit großem -Eifer anpries. - -Gewichtig trug ich, geführt vom Großvater, das in hochrotes Glanzpapier -gerollte Päcklein heim und öffnete es, nachdem ich alle im Haus um mich -versammelt hatte. Da lag ein Kettlein aus blauen Glasperlen, ein -Bildchen und etliche süße Kügelchen vor mir, und ich pries froh die -Umsicht des Großvaters: »Vaterl, du bist g'scheit! Du hast a glückhafts -Geld, wo ma was g'winnt damit!« Und jubelnd hing ich mich an seinen -Hals. - -Noch war mir eine andere Art von Dankbarkeit fremd und ich mußte noch -nicht zum Dank für erhaltenes Gute besonders brav und folgsam sein; doch -habe ich immer ohne jeden Antrieb besser gefolgt, wenn mein Großvater -mir auf solche und ähnliche Weise seine Zärtlichkeit bewies. Da konnte -ich stundenlang, ohne mich besonders bemerkbar zu machen, im Haus -bleiben und für mich spielen. Und fehlten auch alsdann meine -Spielkameraden, so ging mir doch niemand ab; denn ich schuf mir selber -einen Ersatz, indem ich etliche Sacktücher des Großvaters mit Lumpen -füllte, einen Kopf daraus formte und unter die herabhängenden Zipfel ein -Scheitlein Holz steckte. Diese Flecklpuppen hatten alle möglichen Namen -und Wesen; bald waren sie meine Kostkinder, bald eine Familie für sich. -Oft mußten sie aber auch unsere Kühe und Hühner vorstellen, und da ward -dann der Stiefelzieher zum Großvater, der Fußschemel aber zum Heuwagen, -auf dem die Hühner nach Holzkirchen, das bei mir hinter dem Ofen lag, zu -Markt gefahren wurden. - - * * * * * - -Mit dem Beginn des Frühjahrs mußte ich zur Schule gehen, wovon die -Großmutter nicht viel hielt, da sie nie in der Volksschule gewesen und -Schreiben und Lesen nur nebenbei in der Frauenarbeitsschule gelernt -hatte. Kam ich heim, so hatte sie immer etwas für mich gemacht; sei es -einen Gugelhopf, Rohrnudeln oder einen fetten Schmarrn mit einem -Zwetschgentauch und meinte: »Arms Lenei; so vui Hunga hast kriagt. Wenn -nur dö verflixte Schul glei der Teifi holn tat. Was braucht insa Dirndei -a Schul; mir ham aa koane braucht und san aa groß wordn und taugn unta -d' Leut.« - -Sie mochte dabei wohl auch an den Großvater denken; denn als ich einmal -auf der Hausbank sitzend mich an dem kleinen a versuchte und trotz aller -Kraft auf meiner Tafel nichts zuwege brachte, schob ich sie dem -Großvater hin und bat ihn: »Geh, Vata, mach ma du dös kloane a!« - -»Ja mei, Dirndei, da muaßt scho zu der Großmuatta geh; i ko net lesn und -net schreibn; dös ham mir net g'lernt!« - -Am Sonntag zum Gottesdienst gingen wir im Feiertagsgewand, aber barfuß -in die Kirche, weil wir sonst mit den genagelten Schuhen dem Herrn -Pfarrer zu viel Lärm gemacht hätten; denn der Herr Pfarrer, obwohl er -schon ein alter Mann mit schneeweißem Haar war, konnte noch immer recht -zornig werden und hat bei der Predigt oft mit gar scharfen Worten die -Verfehlungen seiner Pfarrkinder gerügt; so das Kegelscheiben am Sonntag -während des Gottesdienstes, den Wirtshausbesuch, das Fluchen und vor -allem das Kammerfensterln. Hatte ein Bursch oder ein Mädel gebeichtet, -daß sie beieinander gewesen waren, so wurde das am darauffolgenden -Sonntag vor der ganzen Gemeinde von der Kanzel herab gegeißelt, und -leicht konnte man erraten, wer gemeint war. Lebhaft erinnere ich mich -noch an die Schlußworte einer Predigt, die er am Christi -Himmelfahrtstage hielt, und wie er, nachdem er die Freuden im Himmel und -die Glorie der Seligen geschildert hatte, mit lauter Stimme rief: »Heute -ist der Tag, an welchem Christus, der Herr, hinaufgefahren ist in jene -lichten Höhen, in denen die ewige Seligkeit wohnt, die wir euch erlangen -sollen. Aber pfeifen tun wir euch was, ihr gescherten Bauernlümmel! Seit -Jahren erhalten wir von euch keine Eier, Butter, Schmalz, oder was sonst -euere Dankbarkeit bezeuge. Aufgefahren ist er zum Himmel, von wo er -kommen wird, euch zu richten und in die ewige Verdammnis zu bringen. -Amen!« - -An den Sonntagnachmittagen mußten die Burschen und Mädchen unter -sechzehn Jahren die Christenlehre besuchen; dabei hatten auch wir Kinder -und die Erwachsenen Zutritt. Beim Beginn wurden alle mit Namen -aufgerufen und jedes mußte sich mit einem lauten »Hier« melden. Fehlte -eines und war nicht genügend entschuldigt, dann mußte es, ob Bursch oder -Mädel, am darauffolgenden Feiertag hinausknien zum warnenden Beispiel -für die andern. Konnte eines die Fragen des Katechismus nicht -beantworten, so schrie der Herr Pfarrer: »Was der Katechismus dich -fragt, das weißt du nicht; aber was der Bursch dich beim Fensterln -g'fragt hat, das weißt du noch!« - -Darauf wetterte und schimpfte er während der ganzen Christenlehre. - -Wurde jemand aus der Gemeinde begraben, der nur selten den Gottesdienst -besucht und dem Pfarrer die schuldigen Abgaben in Naturalien nicht -geleistet hatte, so war die ganze Grabrede eine Lästerrede auf den armen -Verstorbenen und seine Angehörigen, und man sah ihn schon leibhaftig in -der Hölle und der ewigen Verdammnis. - -Kirchliche Handlungen machten damals einen großen Eindruck auf mich und -vor allem bewegte mich das sonntägliche Memento und Requiem auf dem -Friedhof. Dabei ging der Pfarrer nach der Predigt und den gemeinsamen -christlichen Gebeten in Prozession mit den Gläubigen aus der Kirche auf -den Gottesacker hinaus und hielt einen Umgang, währenddem der Herr -Lehrer das Requiem sang und die Leute die Gräber ihrer Angehörigen mit -Weihwasser besprengten, wofür ein jedes sein Weihbrunnkrügl mitgebracht -hatte. Danach wurde am Grab gebetet, bis es zum Hochamt läutete. Während -der feierlichen Handlung stand ich zwischen den Großeltern und fürchtete -mich vor dem Tod. - -Das tat ich aber nur an den Sonntagen; denn unter der Woche ging ich -ohne Furcht auf den Gottesacker und richtete die Gräber der armen Leute -wieder her, indem ich die Blumen von den Gräbern der Reichen nahm. Nach -dieser Arbeit ging ich in die Kirche und wusch mir in dem großen -Weihbrunnzuber, der im hintersten Winkel stand, meine Hände. Darauf -machte ich in den Bänken Ordnung, trug die liegengebliebenen Gebetbücher -auf einen Haufen zusammen und betrachtete eins nach dem andern. Die -Heiligenbildl, die ich dabei fand, verteilte ich am andern Tage unter -die Schulkinder; bisweilen aber habe ich sie auch gegen einen -Schmalznudel eingetauscht. Ein andermal schmückte ich die ganze -Wallfahrtskapelle zu Frauenbründl mit Feuerlilien, die ich heimlich aus -dem Garten eines unbewohnten Hauses genommen hatte; denn ich wußte -damals nur, daß der Zweck die Mittel heilige. - -Einmal freilich war es doch anders; als nämlich die Kirschen reif waren. -Da rief eines Tages ein Bub aus Adling, einem benachbarten Dorf, der zu -uns in die Schule ging, vor Beginn des Unterrichts: »D' Kersch san zeiti -bei der Schmiedin z' Olling; wer geht mit zum Stehln?« - -»I,« schrie ich sofort und suchte mir gleich noch mehr Genossen: »Wer -tuat mit? zum Kerschnstehln werd ganga!« - -Da meldeten sich noch fünf oder sechs, und nach der Schule um zwei Uhr -zogen wir ab. Als wir nach Adling kamen, fuhren sie bei der Schmiedin -grad mit dem Wagen fort, um Heu einzuführen. Wir meinten, jetzt würden -sie recht lang ausbleiben; darum stieg ich und einer der Buben auf den -Baum, während die andern drunten Hüte und Schürzen aufhielten und -unaufhörlich schrien: »Schmeißt's amal oa oba! Schmeißt's halt oa oba!« -denn wir zwei saßen droben und aßen, und erst als uns der Bauch weh tat, -warfen wir auch den andern etwas hinunter. Auf einmal schreit einer der -Buben: »Steigt's oba, d' Schmiedin kimmt und der Knecht mit an Fuada -Heu!« und damit nahmen die andern Reißaus. Zum Hinuntersteigen war es -aber schon zu spät; denn der Knecht kam schon daher und rief: »Ja -natürli, d' Handschuastalena halt! Schaugt's, daß 's aba kemmt's, ös -Sakramenta!« - -»Bal ma mögn scho! Geh auffa, na kriagst aa Kersch!« - -Damit riß ich ein paar Kirschen ab und warf sie ihm ins Gesicht. Da -mußte er lachen und ließ uns ohne Strafe fort. Derweilen hatte uns die -Schmiedin erblickt und schrie: »Ja, was is denn dös! Jetz stehln ma dö -gar meine Kersch! Glei tuast es hera!« Denn ich hatte noch meinen ganzen -Schurz voll. - -»I mog net,« schrie ich, und damit liefen wir davon. - -Später, als die Kriechen, kleine Pflaumen, zeitig waren, haben wir ihr -noch einmal einen Besuch gemacht; denn ich war inzwischen das schlimmste -Lausdirndl vom Dorf geworden, das mit allen Buben raufte und überall -dabei war, wo es etwas anzurichten gab. - -Ja, als wir am Feste Christi Himmelfahrt nach uraltem Brauch Blüten und -Kräuter sammelten, zu großen Sträußen banden und damit zur Kirche -wanderten, um sie weihen zu lassen zum Segen unserer Fluren und Äcker -und als heilsame Arznei für erkranktes Vieh, da schlug ich dem um -etliche Jahre älteren Bachmaurer Franzl, der sich unterstanden hatte, in -der Kirche vor mich hinzustehen und mit seinem Kräuterbuschen mich an -den Augen zu kitzeln, mit meinem Strauß so heftig ins Gesicht, daß er -seine Blüten fortwarf und aus der Kirche lief, worauf ich lachend auch -seinen Buschen nahm und für uns weihen ließ. - -War im Ort eine Hochzeit angesagt, so erfuhr ich dieses sogleich durch -die alte Sailerin; und da lief ich denn überall herum bei Buben und -Mädchen, ihnen die Neuigkeit zu berichten und sie zum Mittun anzufeuern; -denn da gab es für uns einen hübschen Spaß: wir holten uns lange Stricke -oder Bänder und stellten uns, wenn die Hochzeitsleute zur Kirche fuhren, -an den etwas engeren Gassen auf, spannten das Band über den Weg und -schrieen und wünschten Glück zur Brautfahrt. Die also angehaltenen -Brautleute aber hatten, dem alten Brauch und Herkommen nach, sich mit -einem nicht zu kleinen Säcklein neuer Kupfermünzen wohl versorgt und -warfen nun etliche Hände voll unter uns, sich loszukaufen. Während -jedoch die einen sich darum balgten, stürmten wir in fliegender Eile -weiter und wiederholten die List, bis wir sahen, daß der Säckel fast -leer war. Den erhielten sodann wir, die das Band gehalten, und teilten -ihn ehrlich, wenn auch nicht ohne Streit und Prügel. - -Nur eins gab es, wovor ich mich fürchtete, die Zigeuner mit ihren Affen -und die Dudelsackpfeifer; doch auch meine Großmutter teilte diese Scheu. -Kamen solche vagierende Leute in den Ort und in die Nähe unseres Hauses, -so lief ich, was ich konnte, heim und schrie: »Großmuatta, da Dudlsack -kimmt!« - -Eilends lief sie dann an alle Türen und verriegelte und versperrte das -ganze Haus, zog die Vorhänge der unteren Stube zu und versteckte sich -mit mir unter dem kleinen Fensterchen des Hausflözes. - -Meist waren die Musikanten zu dreien, und der dritte hatte, während die -andern aufbliesen, sich um den Sold und etwaige nicht sicher genug -verwahrte Habe, die des Findens wert war, umzuschauen. Da schlich er -denn ums Haus, versuchte alle Türen, lugte an den Fenstern herum und gab -endlich in seiner verworrenen Sprache den mißmutigen Bescheid, daß -niemand zu Hause sei. Fluchend machten sie alsdann, daß sie weiter -kamen, während die Großmutter ängstlich und Gebete murmelnd auf den -Dachboden ging und nach den Entschwindenden Ausschau hielt, ehe sie es -wagte, wieder zu öffnen. - - - - - - -Während ich also sorglos dahinlebte, geliebt von den Großeltern, -getadelt von Lehrer und Pfarrer, gefürchtet von jenen Kameraden, die -mich einmal in meiner Wildheit verspürt hatten, gesucht von denen, die -meine Streiche verstanden und dazu halfen, kam eines Tages die -Nachricht, daß die Mutter in München geheiratet hatte. Ich war nämlich -nur ein lediges Kind, und mein Vater war, als ich kaum zwei Jahr alt, -auf der Reise nach Amerika mit dem Dampfer Cimbria untergegangen. - -Bald nach der Hochzeit meiner Mutter kam an einem Sonntagvormittag ein -Brief. Die Großeltern saßen gerade mit der Nanni bei der Vesper, während -ich hinter dem Rücken der Großmutter einen Riß in meinem Sonntagsgewand -mit ein paar Klufen zusammensteckte. - -Auf einmal schlägt der Großvater mit der Faust auf den Tisch und springt -auf: »Ja, hast jatz so was scho derlebt!« - -Erschreckt fragt die Großmutter: »Was hast denn, Vata? Is leicht gar -ebbas passiert bei der Lena z' Münka drin?« - -»Naa, aber 's Lenei sollt i eahna eini bringa; sie verlangt's!« - -»Was!« schrie ich und sprang auf. »I in d'Stadt! Naa, naa, dös tua i -net!« - -»Stad bist, du hast gar nix z' redn!« fuhr mich da die Nanni an. »Froh -sollst sein, daß d' eini derfst in d' Stadt, wo's d' was Feins werdn -kunntst!« - -»Ja mei,« meinte die Großmutter, »gar so leicht is net. D' Leut han -oamal z' schlecht in der Stadt und a Kind is glei verdorbn.« - -Während nun die Großmutter und die Nanni noch lange hin und her -berieten, hatte sich der Großvater nachdenklich auf das Kanapee gesetzt -und stand jetzt mit den Worten auf: »In Gott's Nam', müaß' ma's halt -hergebn.« - -Dabei blieb es auch, und mir half weder Toben noch Bitten noch -Schmeicheln etwas. - -Also kam die Nähterin auf die Stör und ich wurde mit Stoffen behängt und -mit Nadeln besteckt und mußte den ganzen Tag stillstehen. - -Und als der Morgen der Abreise gekommen war, badete mich die Großmutter -und zog mir, nachdem der Großvater mit zufriedenem Schmunzeln meinen -Rücken und das rundliche Bäuchlein befühlt und beklopft hatte, ein neues -Hemd und die ersten Unterhosen an. Als ich in den Spiegel sah, ärgerte -mich der hintere Hemdzipfel, der nicht in der Hose bleiben wollte, -sondern wie ein Hennenschwanz starr und steif herausstand. Doch -verschwand er bald unter einem roten Flanellröcklein, worüber ein grünes -Bareschkleid kam, das mir bis auf die Fersen ging, und dessen Spenzer -mit bunten Glasknöpfen besetzt war. Am Ende band mir die Großmutter noch -ein himmelblaues Fürta und eine gestickte Halsbarbe um und steckte in -das in zwei Zöpfen aufgemachte Haar einen silbernen Pfeil. Darauf -wickelte sie mir den Gesundheitskuchen, den sie noch gebacken hatte, in -ein buntes Tuch; der Großvater aber brachte einen Kletzenweck vom Bäcker -und legte ihn in das Körblein zu den Schmalznudeln und Zwiefiäpfeln, die -die Nanni geschickt hatte. - -Als mir der große, schwarze Strohhut mit den roten Blumen und den -karierten Bändern aufgesetzt worden war, nahm ich Abschied, wobei die -Großmutter recht weinte. Auf dem Weg zum Postwagen sagte ich noch dem -ganzen Dorf »Pfüat Gott«. - -Unterwegs während der Fahrt gab mir der Großvater noch viele Ratschläge -und sagte: »Dirnei, jatz muaßt a recht a g'scheits und recht a richtigs -Madl werdn und muaßt dein neu'n Vatan recht mögn und der Münkara Muatta -recht schö folgn. Muaßt aa recht g'schickt sei und überall zuawi -springa, wo's was z' arbatn gibt. Jatz derf ma nimma Kuchei sagn, jatz -hoaßts Küch, und statt der Stubn sagt ma Zimmer und statt'n Flöz sagt ma -Hausgang. Und Kihrwisch sagt ma aa nimma, sondern Kehrbesen.« - -Da versprach ich ihm, recht Obacht zu geben und brav zu bleiben. - -Am Ostbahnhof stand schon meine Mutter und empfing uns mit großer -Freude. Ich reichte ihr die Hand und sagte, der eben erhaltenen Lehren -eingedenk, möglichst nach der Schrift: »Grüß Gott, Mutter!« - -»Schau, schau, wie gebildet die Leni schon wordn ist! Da wird aber der -Vater viel Freud habn, wenn er so ein g'scheits und vornehmes Töchterl -kriegt.« Mit diesen Worten zog sie mich rasch an sich und führte mich an -der Hand, während der Großvater sich hinter uns immer mit seinem -Schneuztüchl zu schaffen machte. - -Wir stiegen in eine Pferdebahn, und während sich die Mutter mit dem -Großvater unterhielt, sah ich unverwandt durchs Fenster und starrte die -hohen Häuser und Kirchen an und staunte über die kurzen Röcke und Hosen -der Kinder, die gerade aus einer Schule kamen. Am Marienplatz, wo wir -aussteigen mußten, denn damals führte noch keine Pferdebahn nach -Schwabing, vergaß ich beim Anblick des Fischbrunnens plötzlich meine -ganze gerühmte Bildung und schrie, indem ich eilig darauf zulief: -»Großvatta, do schaug hera, wia dö Fisch 's Mäu aufreißn!« - -Entsetzt wandte meine Mutter sich ab, während mein Großvater mich am -Ärmel ergriff und mir zuflüsterte: »Bscht, sei stad, Dirnei! Mäu derf ma -ja jatz nimma sagn, Mund hoaßt's do jatz!« - -Und damit nahm er mich bei der Hand und zog mich weiter. Doch vor der -Residenz gab es einen neuen Zwischenfall. Dort zog eben die Wache auf, -und ich rief beim Anblick der im Paradeschritt aufmarschierenden -Soldaten: »Ah, Muatta, Vata, dö schaugts o! Dö gengan ja grad wia meine -hülzern' Mandln, dö wo ...« - -»Um Gottes willen, Leni,« fiel mir die Mutter ins Wort, »sei doch still! -Das is ja Majeschtätsbeleidigung!« - -Während ich noch über dies letzte Wort nachdachte, zogen sie mich schon -durch die Ludwigsstraße, und stillschweigend trottete ich nun nebenher, -bis wir nahe dem Siegestor in eine Seitenstraße einbogen. - -Vor einem hohen Hause, auf dessen rötlicher Fassade mit großen -Buchstaben das Wort »Restaurant« geschrieben stand, machten wir halt. -Unter dem Tore stand schon mein neuer Vater und empfing uns mit -herzlichen und guten Worten. Wir traten durch den Hausgang in einen -kleinen Garten, von dem aus eine Tür in die Küche führte. Nachdem uns -die Mutter dort an einen kleinen Tisch gesetzt hatte, lief sie schnell -in die Wohnung und zog sich um; denn es war Mittag und die Köchin begann -schon zu jammern, weil sie bei der großen Zahl der Gäste mit dem -Anrichten allein nicht fertig zu werden vermochte. Die Gastwirtschaft, -die der Vater schon vor der Hochzeit übernommen hatte, war nämlich -damals wegen der guten Küche von den Studenten sehr besucht. Mit offenem -Munde sah ich nun dem Trubel im Gastzimmer und in der Küche zu und -getraute mir mit dem Großvater kaum ein Wort zu reden vor Angst, die -Mutter in ihrer aufgeregten Geschäftigkeit zu stören. Als es etwas -ruhiger geworden war und die meisten Gäste fort waren, bekamen auch wir -zu essen und gingen danach in die Gaststube zum Vater, der den Großvater -nach vielem fragte: was die Großmutter mache, wie es mit dem Vieh gehe, -wie es mit der Arbeit daheim sei und auch, was ich bisher getrieben. Da -gab ihm der Großvater über alles Auskunft. - -Am Abend gingen wir zeitig ins Bett, und man führte mich in ein kleines -Kammerl, in dem nur ein Bett und ein Stuhl stand; denn meine Eltern -besaßen damals nur das Allernötigste. Mein Großvater teilte das Bett mit -mir und gab mir noch viele Ermahnungen, bis ich endlich in seinem Arm -einschlief. - -Andern Tags reiste er wieder heim, und ich mußte nun alles ländliche -Wesen ablegen. Zuerst bekam ich ebenfalls kurze, städtische Kleider, und -dann wurden mir meine schönen, langen Haare abgeschnitten, weil ich -Läus' hätte, wie die Mutter sagte. Auch lernte ich jetzt arbeiten. In -der Wirtschaft mußte ich kleine Dienste tun: Brot und Semmeln für die -Gäste in kleine Körbchen zählen, den Schanktisch in Ordnung halten, -Sachen einholen und manchmal auch den Kegelbuben ersetzen. - -Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr -gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum -schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich -so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte. -Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur -den Dotschen oder die Gscherte. So dachte ich oft des Nachts, wenn ich -allein in meiner Kammer war, denn bei Tag hatte ich nicht viel Zeit zum -Nachdenken, mit Sehnsucht zurück an das Leben bei meinen Großeltern und -erzählte unserer großen Katze, die ich mit ins Bett nahm, mein Unglück. - - * * * * * - -Im Sommer des darauffolgenden Jahres kam der Großvater das erste Mal auf -Besuch. Hiefür hatte die Mutter mich ein Trutzliedlein gelehrt; und als -er nun bei uns in der Küche saß und mich auf dem Schoß hielt, drängte -ich ungeduldig: »Großvata, Großvata, i kann was; du, Vata, hör doch! I -kann was!« - -»Glei derfst es sagn, Dirnei, glei,« entgegnete er; denn er sprach noch -mit der Mutter. - -Und als ich es endlich sagen durfte, da sang ich: »Was braucht denn a -Bauer, a Bauer an Huat; Für an so an gschertn Spitzbuam is a Zipflhaubn -guat!« - -Da sah ich statt des erwarteten Beifalls Tränen, die dem Großvater über -die Wangen liefen, und nun merkte ich erst, was ich angestellt hatte. - -»Großvata, i kann fei nix dafür!« rief ich. »D' Mutter hat mir's -g'lernt.« - -Er antwortete nichts darauf und strich mir nur wie zur Beruhigung übers -Haar. - -Nachts dann im Bett, ich schlief bei ihm, klagte ich ihm mein Leid und -bat ihn, mich doch wieder mitzunehmen. - -Und als er am Abend des darauffolgenden Tages vom Ostbahnhof fortfuhr, -hängte ich mich an ihn, und als er eingestiegen war, sprang ich auf das -Trittbrett und klammerte mich fest, so daß es der Mutter nur mit großer -Mühe gelang, mich von dem fahrenden Zuge herunterzureißen. Danach bekam -ich meine Prügel, die wohl berechtigt, aber nicht das rechte Mittel -waren, um die Dinge besser zu machen. - - * * * * * - -Nachdem mein Stiefvater das Geschäft einundeinhalb Jahr geführt hatte, -konnte er das Anwesen mit gutem Nutzen wieder verkaufen; denn er war ein -tüchtiger Metzger und Schenkkellner und hatte die Wirtschaft in kurzer -Zeit in die Höhe gebracht. Daraufhin beschlossen die Eltern, einige Zeit -zu privatisieren und nachträglich ihre Hochzeitsreise zu machen. - -Während ihrer Abwesenheit blieb ich bei der Tante Babett, einer -Schwester meines Stiefvaters, die den Haushalt bei uns führte. Sie war -fast den ganzen Tag in der Kirche und hat mich recht gequält und -geschunden; denn sie wollte mich auch zu einer so heiligen Person -machen, wie sie war. Ich wurde allen Pfarrern vorgestellt, und denen -klagte sie, wie mürrisch und ungut ich sei, worauf mich die geistlichen -Herren ermahnten, ich solle mich bessern. - -Als die Eltern von der Hochzeitsreise, die sie zu Verwandten in die -Schlierseer Berge gemacht hatten, nach zwei Monaten zurückkamen, begann -die Mutter zu kränkeln, stand oft nicht auf, mußte sich häufig erbrechen -und wurde doch von Tag zu Tag dicker. Die Tante aber saß hinter -verschlossenen Türen und nähte an Hemdlein, an Tüchlein und Windeln. - -Inzwischen hatte der Vater die Wohnung gekündigt und ein Haus mit einer -Altmetzgerei in der Corneliusstraße gekauft. Mit dem Umzug dahin begann -für mich ein ganz anderes Leben; denn die Tante Babett übernahm jetzt -die Führung des Haushalts bei einem geistlichen Herrn, und da meinte die -Mutter, ich sei nun groß genug, ihre Stelle zu versehen. Ich war damals -neun Jahre alt. - -In aller Frühe mußte ich zuerst das Fleisch austragen, dann Feuer -machen, Stiefel putzen, Stiegen wischen und der Mutter die Sachen -einholen, die sie zum Kochen brauchte. Sie blieb jetzt immer am Morgen -liegen, und so ging ich gewöhnlich nüchtern in die Schule. - -In einer Februarnacht aber kam das Kind, und damit begann für mich eine -harte Zeit. Nun hieß es um fünf Uhr aufstehen und zu den übrigen -Arbeiten noch das Bad, Wäsche und Windeln für den kleinen Hansl -herrichten. Kam ich mittags aus der Schule, wurde ich meistens mit -Schlägen empfangen; denn ich hatte nachsitzen müssen, weil ich in der -Früh zu spät gekommen war. Vor dem Essen mußte ich noch den Laden und -das Schlachthaus putzen und das Nötige einkaufen. Bei Tisch hatte ich -dann laut das Tischgebet zu beten. Als ich einmal beim Vaterunser statt -auf das Kruzifix zum Fenster hinaussah, schlug mich die Mutter ins -Gesicht, daß mir das Blut zu Mund und Nase herauslief; auch bekam ich -nichts zu essen und mußte während der Mahlzeit am Boden knien. Nach -Tisch hatte ich das Geschirr zu spülen, die Kindswäsche zu waschen und -den Buben einzuschläfern. Ganz abgehetzt kam ich dann des Nachmittags in -die Schule und konnte während der Handarbeitsstunden nur mühsam den -Schlaf bekämpfen. Deshalb lernte ich nur schlecht handarbeiten und bekam -in diesem Fach meist die Note »Ungenügend«. Zudem strengte mich -besonders das Stricken an und verursachte mir stets heftiges Kopfweh. -Das wußte die Mutter. Hatte ich nun bei der Hausarbeit etwas nicht recht -gemacht, so gab sie mir mit einem spanischen Rohr sechs und manchmal -zehn Hiebe auf die Arme und die Innenfläche der Hände, daß das Blut -hervorquoll. Hierauf mußte ich mir die Hände waschen und an einem -Strumpf in einer gewissen Zeit einen großen Absatz stricken. Vermochte -ich vor Schmerzen bis zu der bestimmten Minute nicht fertig zu werden, -so wurde die Züchtigung wiederholt. - -Im übrigen machte ich in der Schule gute Fortschritte und war bald die -Erste. Meine Lehrerinnen nahmen sich meiner sehr an, und als ich einmal -in der Früh barfuß in die Schule kam, schickte mich mein Fräulein mit -einem Brieflein nachhause, worin sie der Mutter Vorwürfe machte. Doch -hatte dies nur eine erneute Züchtigung mit einem Spazierstock meines -Vaters zur Folge, einem sogenannten Totschläger oder Ochsenfiesel, in -den ringsherum kleine Bleikugeln eingegossen waren. - -Geliebt hat mich meine Mutter nie; denn sie hat mich weder je geküßt, -noch mir irgend eine Zärtlichkeit erwiesen; jetzt aber, seit der Geburt -ihres ersten ehelichen Kindes, behandelte sie mich mit offenbarem Haß. -Jede, auch die geringste Verfehlung wurde mit Prügeln und Hungerkuren -bestraft, und es gab Tage, wo ich vor Schmerzen mich kaum rühren konnte. - -Der Hunger, den ich zu leiden hatte, und der Umstand, daß ich in der -Früh selten ein Frühstück bekam, veranlaßten mich, Trinkgelder, die ich -von den Leuten für das Fleischbringen erhielt, oder auch etliche -Pfennige von dem Betrag für das gelieferte Fleisch zu nehmen und mir -Brot dafür zu kaufen. Als die Mutter durch Zufall dies entdeckte, -mißhandelte sie mich so, daß ich mehrere Tage nicht ausgehen konnte. Da -ich ein Kleid mit kurzen Ärmeln trug, sah die Lehrerin, als ich wieder -in die Schule kam, an meinen Armen, sowie auch an Hals und Gesicht die -blauen und blutrünstigen Flecken, und ich mußte, trotzdem ich neue -Strafen zu befürchten hatte, dem Oberlehrer, der herbeigerufen worden, -alles der Wahrheit gemäß berichten. Ein Brief an meine Mutter hatte nur -den Erfolg, daß ich den ganzen Tag nichts zu essen bekam und die Nacht -auf dem Gang unserer Wohnung, auf einem Scheit Holz kniend, zubringen -mußte. - -Zu dieser Zeit war es auch, daß mir einmal beim Austragen des Fleisches -das ganze Geld gestohlen wurde. Mittwoch und Samstag nachmittags mußte -ich nämlich immer in die Briennerstraße zu einem Kommerzienrat das -Fleisch bringen, bei dem die Mutter früher Köchin gewesen war. Meistens -waren es ganz große Stücke: ein ganzes Filet, ganze Lenden, Kalbschlegel -oder Rücken. Bei der Ablieferung wurde mir das Geld und ein Büchlein -übergeben, in welches die Bestellung für das nächstemal geschrieben -wurde. An einem Samstag trug ich nun auch wieder ein großes Stück -Fleisch dahin und bekam ungefähr zwanzig Mark und das Buch, das ich samt -dem Geld in ein Säcklein tat und in den Korb legte. Auf dem Heimweg -hielt ich mich längere Zeit vor der Feldherrnhalle bei den Tauben auf, -die von den Kindern gefüttert wurden. Da schlug es vier Uhr und dabei -fiel mir die Mahnung der Mutter ein, die beim Fortgehen gesagt hatte: -»Daß d' um viere längstens z'haus bist und daß d'ma Obacht gibst aufs -Geld!« - -Also fing ich an zu laufen, so schnell ich nur konnte, und machte erst -am Viktualienmarkt halt, um ein wenig zu verschnaufen. Da schau ich in -meinen Korb und sehe das Säcklein mit dem Geld nicht mehr. Ich -durchsuche ihn genau, durchwühle fieberhaft meine Taschen; aber es war -nicht mehr da. Voll Verzweiflung rannte ich den ganzen Weg zurück bis in -die Briennerstraße und fragte dort, ob ich es vielleicht mitzunehmen -vergessen hätte. Doch die Köchin meinte, sie wisse gewiß, daß ich das -Säcklein in den Korb gelegt hätte. Mitleidig fragte sie noch: - -»Moanst, du kriegst Schläg, Lenerl?« - -»I glaab scho!« antwortete ich, und damit war ich schon wieder über die -Stiegen hinunter. Nun lief ich wieder zur Feldherrnhalle und fragte dort -die Leute: »Sie, bitt schön, ham Sie nöt da a Sackerl liegn sehgn mit an -Büacherl drinn und zwanzig Mark Geld?« Da lachten die einen, die andern -bedauerten mich; aber gewußt hat keiner was. Nun packte mich die Angst -und ich fing an zu weinen und traute mich nicht mehr heimzugehen. Ich -lief durch die Maximilianstraße über die Brücke und immer weiter, bis -ich zum Ostbahnhof kam. - -Plötzlich fiel mir mein Großvater ein, und als es in diesem Augenblick -fünf Uhr schlug, dachte ich: »Jatz derfst nimma hoam kommen, jatz is -fünfe; Geld hast aa koans mehr, jatz laafst zum Großvater, der hilft dir -schon.« - -Ich lief also durch die Bahnhofshalle, und da ich noch wußte, auf -welchem Gleis er damals abgefahren war, sprang ich zwischen die Schienen -und rannte davon, so schnell ich konnte, immer auf dem Bahndamm dahin, -an den Bahnwärterhäuschen vorbei, bis ich nach Trudering kam. - -Als ich dort an dem Bahnhof vorbeilaufen wollte, schrie mich einer an: -»He, du, wo laafst denn hin mit dein Körbl?« - -»Furt!« rief ich und damit sauste ich weiter. - -Indem hörte ich einen Zug hinter mir herkommen und zur Seite springend -dachte ich: »Wennst jatz no a Geld hättst, na kunntst mitfahrn!« - -Als der Zug vorbei war, lief ich hinterdrein; doch der war schneller als -ich. Bald darauf kam auf dem andern Gleis ein Zug, der nach München -fuhr. Da schauten die Leute aus den Fenstern mir verwundert nach, wie -ich so mit meinem Korb zwischen den Schienen dahinsprang. - -Schon wurde es dunkel, als ich ganz erschöpft nach Zorneding kam. Ich -schleppte mich vom Bahnhof in das Dorf; denn ich konnte nicht mehr -weiter vor Seitenstechen und Herzklopfen. Neben dem ersten Hause war ein -Brunnen, und als ich trinken wollte, lief eine Frau auf mich zu und -rief: »Ja, mein Gott, Kind, trink doch net! Dir rinnt ja der Schweiß -übers Gsicht; dös kunnt ja dei Tod sein, wannst jatz trinka tatst.« Und -erst, als sie mir Gesicht und Hände mit Wasser gekühlt hatte, ließ sie -mich trinken. - -Inzwischen war es Nacht geworden. Mein Seitenstechen, das immer heftiger -wurde, zwang mich, im Dorf zu bleiben, und als ich vor einem kleinen -Hause eine Bank fand, legte ich mich darauf und nahm den Korb zu einem -Kopfkissen; aber ich schlief nur schlecht und träumte schwer. - -Als es Tag wurde, wollte ich weiter; aber ich war so elend, daß ich mich -nicht rühren konnte. Während ich noch so dalag, trat eine Frau aus dem -Haus, und als sie mich sah, rief sie erschrocken: »Jessas, wo kimmst -denn du her, Kind, und wo möchst denn hin?« - -»Zu mein Großvater!« entgegnete ich leise; denn ich war heiser, »der -muaß ma helfa; wissn S', i hab's Geld verlorn beim Fleischaustragen und -da hab i ma nimma hoam traut; denn mei Muatta wenn mi findt, dö bringt -mi um.« - -»No, no, so g'fährli werd's net sei; dei Muatta werd aa koa Ungeheuer -sei! Geh nur wieder schö hoam!« So redete sie mir zu und tröstete mich -und nahm mich mit in die Stube, gab mir einen Kaffee, rief ihrem Mann -und erzählte ihm, was ich ihr gesagt hatte. Der brachte mich dann am -Vormittag wieder mit der Bahn nach München zurück zu meinen Eltern und -bat sie, mich nicht zu strafen; denn ich sei anscheinend recht krank. - -An dem Tag hat meine Mutter mich nicht geschlagen, doch redete sie mich -mit keinem Worte an und tat, als sei ich gar nicht da. Am Abend aber -mußte der Vater einen Arzt holen, weil ich heftiges Fieber hatte. -Während der schweren Lungenentzündung, an der ich nun lange krank lag, -hat der Vater mich fast allein gepflegt; denn die Mutter sprach nur das -Nötigste und kümmerte sich im übrigen nicht um mich. Das verlorene Geld -hatte die Frau Kommerzienrat ihr inzwischen ersetzt. - -Etliche Wochen später kam mein Großvater, und als ich mit ihm allein -war, begann ich ihm weinend mein Leid zu erzählen. Da wurde er recht -aufgebracht und sagte, er wolle gleich mit der Mutter reden; aber ich -bat ihn, dies nicht zu tun; denn was wäre die Folge gewesen! Auf meine -Bitten versprach er mir, ich dürfe, wenn die Mutter mich noch länger so -behandle, wieder zu ihm. Das geschah denn auch bald auf die folgende -Begebenheit hin. - -Ich hatte zwei Freundinnen, die bei uns im Hause wohnten, und die ich an -den Sonntagen nachmittags manchmal besuchen durfte, wenn die Eltern -fortgingen. Da sprachen wir denn über verborgene Dinge und trieben -mancherlei Heimliches, was wohl die meisten Kinder in diesem Alter, ich -war damals elf Jahre alt, tun. Auf Verschiedenes, was ich nicht wußte, -war ich freilich erst durch meinen Beichtvater und Religionslehrer -aufmerksam gemacht und durch seine Fragen dazu verführt worden. - -»Hast du dich unkeuschen Gedanken hingegeben?« pflegte er bei der Beicht -zu fragen. »Wie oft, wann, wo, über was hast du nachgedacht? -- Hast du -da an unzüchtige Bilder oder an Unreines am Menschen oder an Tieren, an -gewisse Körperteile gedacht und wie lange hast du dich dabei -aufgehalten? -- Hast du unzüchtige Lieder gesungen, schamlose Reden -geführt mit andern Kindern? -- Hast du dich unkeuschen Begierden -hingegeben? -- Ist dir niemals die Lust angekommen, einen unreinen -Körperteil an dir zu berühren? -- Hast du dieser Begierde nachgegeben? --- Wann, wo, wie oft, wie lange hast du dich bei dieser Sünde -aufgehalten? -- Hast du das mit dem Finger, mit der Hand oder mit einem -fremden Gegenstand getan? -- Hast du mit andern Kindern Unkeuschheit -getrieben? -- Wie habt ihr das gemacht? -- Hast du Tieren zugesehen, -wenn sie Unreines taten? -- Hast du Knaben angesehen oder berührt an -einem Körperteil?« - -Als der Herr Kooperator das erstemal so fragte, erschrak ich heftig; -denn, wie gesagt, wußte ich von manchem dieser Dinge noch gar nichts und -schämte mich sehr. Mit jeder neuen Beichte aber verlor sich diese Scham -mehr und mehr; besonders, seit er mich in der Religionsstunde des -öfteren aufforderte, ihn zu besuchen, unter dem Vorwand, ihm etwas zu -bringen, wobei er dann in seiner Wohnung mich unter Hinweis auf die -letzte Beichte wieder bis ins einzelne über diese Dinge ausfragte. - -Davon sprachen wir Mädchen nun auch auf dem Schulweg oder wenn wir in -der Pause beisammen waren, und die eine erzählte der anderen ihre -kleinen Sünden. - -Da wurde ich eines Tages zu dem Herrn Oberlehrer gerufen, und als ich -vor ihm stand, begann er in strengem Ton: »Ich habe durch eine deiner -Mitschülerinnen vernehmen müssen, daß du in Gemeinschaft mit andern -Mädchen unsittliche Handlungen vollführt hast. Ich muß dich deshalb -ebenso wie die andern, die dir wohl bekannt sind, mit Karzer bestrafen. -Deinen Eltern wird es mitgeteilt werden. Hast du darauf etwas zu -erwidern?« - -Ich hatte nichts zu erwidern und machte mich, nachdem ich um sechs Uhr -aus dem Karzer entlassen war, zitternd auf den Heimweg; denn ich wußte, -wie es mir ergehen würde. Geraden Weges heimzugehen vermochte ich nicht, -sondern ich kam auf einem Umweg in die Isaranlagen, wo ich mich auf eine -Bank setzte und überlegte, ob ich nicht lieber ins Wasser springen -sollte. Am End aber siegte doch die Schneid und ich stand auf und ging -nachhaus. - -Ganz langsam schlich ich mich dort über die Stiegen hinauf, stand lange -vor der Wohnungstür und betete: »Vater unser, der du bist im Himmel! Laß -mi net umbracht werdn! Heilige Maria, Mutter Gottes, laß mi net -derschlagn werdn! Heiliger Schutzengel, hilf mir do! I will's g'wiß -nimma toa!« - -Endlich läutete ich. - -Hinter der Tür aber lehnte schon der Totschläger; und als ich eintrat, -empfing mich die Mutter mit einem wuchtigen Schlag. Hierauf gebot sie -mir, mich auszuziehen. Als ich im Hemd war, schrie sie mich an: »Nur -runter mit'n Hemd! Nur auszogn! Ganz nackat!« - -Darauf mußte ich niederknien, und nun schlug sie mich und trat mich mit -Füßen wider die Brust und den Körperteil, mit dem ich gesündigt hatte. -Da schrie ich laut um Hilfe, worauf sie mir ein Tuch in den Mund stopfte -und abermals auf mich einschlug. Dabei trat ihr der Schaum vor den Mund, -und keuchend schrie sie mich während der Züchtigung an: »Hin muaßt sein! -Verrecka muaßt ma! Wart, dir hilf i!« - -Als sie erschöpft war, rief sie dem Vater, der im Schlachthaus -gearbeitet hatte, und ruhte nicht eher, bis auch er den Stock nahm und -mich noch einmal strafte. Darauf sperrten sie mich in meine Kammer und -gingen fort. - -Durch meine Hilferufe war die Frau Baumeister Möller, die über uns -wohnte, aufmerksam geworden; und als sie mich in meiner Kammer noch -lange Zeit laut weinen hörte, rief sie mir von ihrem Balkon aus zu: -»Warum hat s' di denn wieder so g'prügelt? Komm, mach auf, dann komm i -zu dir nunter!« - -Ich sagte ihr, daß ich eingesperrt sei. Da rief sie unserm Nachbarn, dem -Schlosser. Der mußte aufsperren; und als sie hereinkam und mich sah, -erschrak sie sehr; denn mir lief das Blut über die Arme und den Rücken -herunter und Brust und Leib waren ganz blau und verschwollen. Sie war so -erregt über die mir widerfahrene Behandlung, daß sie meiner Bitte, mich -zu meinem Großvater zu bringen, sofort nachgab. Sie zog mich sauber an -und wir fuhren noch mit dem Abendzug heim. - - * * * * * - -Es war schon tiefe Nacht, als wir ankamen, und ich mußte lange unter dem -Fenster rufen, bis mich die Großeltern hörten. Der Großvater öffnete das -Haus und fragte, indem er uns in die Stube führte, erschreckt: »Insa -liabe Zeit! Lenei, wo kimmst denn du no so spat her? Was is denn nur -grad passiert und wer is denn dös Wei da?« - -Da berichtete ihm Frau Möller kurz das Geschehene, worauf er sagte: -»Naa, Dirnei, da kimmst ma nimma eini! Jatz bleibst bei mir da; so viel -ham ma, daß 's g'langt!« - -Nachdem die Frau Baumeister die Einladung des Großvaters, bei uns zu -übernachten, ausgeschlagen und sich nach einem Gasthof begeben hatte, -wollte die Großmutter mich ausziehen; aber sie mußte mich erst in ein -Schaff mit Wasser setzen, bevor sie die an den Wunden klebenden -Wäschestücke vom Körper lösen konnte. Als ich endlich nackt vor ihnen -stand, geriet der Großvater vor Zorn ganz außer sich und schrie, daß -alles zitterte: »Dös muaß ma büaßn, dös Weibsbild, dös verfluachte! -Oonagln tua i's! Aufhänga tua i's! Umbringa tua i's!« - -Nach dem Bad wurde ich mit sauberen Linnen abgetrocknet und die -Großmutter holte den Salbtiegel und begann meinen »Wehdam -einzuschmierbn«. Der Großvater aber nahm die Kinderstup und stäubte, -finster vor sich hingrollend, mit dem Pudermehl meinen Rücken, die Arme -und Beine ein, während der Hausl mit weit hinter sich hinausgespreizten -Armen in der Stube auf und ab schritt und nur von Zeit zu Zeit den Kopf -schüttelte oder ausspuckte. - -Andern Tags in der Früh holte der Großvater den Bader, der mir überall, -wo es vonnöten war, ein Pflasterl auflegte und dafür sorgte, daß -möglichst Viele die Begebenheit inne wurden. Die Großmutter aber mußte -des Vaters Feiertagsgewand herrichten; denn er wollte noch am Vormittag -in die Stadt fahren. Ehe er fortging, sagte ich ihm noch den Grund, -warum die Mutter mich so gestraft; doch erwiderte er aufs neue erzürnt -nur: »Dös is gleich! So was redn alle Kinder amal; dös tuat a jeds Kind -amal. Dös is dös G'fahrlicha no lang net!« - -Als er von München zurückkam, sprach er, wie das so seine Art war, mit -keinem Wort mehr von der Sache; aber ich durfte wieder ein ganzes Jahr -bei den Großeltern bleiben. - -Im September dieses Jahres war im Dorf das große Haberfeldtreiben; kurz -vorher starb unser Hausl ganz plötzlich und ohne irgend eine -Vorbereitung. - -Es war ein recht schwüler Augusttag gewesen und der Hausl hatte schon -seit dem Morgen über die Hitze und seinen großen Durst gejammert; doch -reute ihn immer wieder das Geld zu einem Trunk Bier. Am End aber konnte -es die Großmutter nicht mehr mit ansehen und sagte: »Geh, Hausl, laß dir -halt vo da Lena a Bier holn! Wenn di's Geld gar a so reut, na zahl's -halt i!« - -Da fühlte er sich doch in seinem Stolz gekränkt und sagte: »In Gott's -Nam', Handschuasterin, laßt halt a Halbe holn!« - -Mit diesen Worten schlürfte er in seine Kammer, riegelte hinter sich zu -und brachte nach einer geraumen Weile die paar Kreuzer heraus. - -Da legte die Großmutter noch ein Zehnerl darauf und sagte zu mir: -»Lenei, holst glei a Maß, na derfa ma aa amal trinka.« - -Als ich dann den vollen Krug vor ihn hinstellte, brummte er ärgerlich: -»Warum habt's denn enka Bier net in an andern G'schirr g'holt! Woaß ma -net, was oan zuaghört und was net!« - -Damit nahm er den Krug, setzte sich auf das Kanapee und trank; die -Großmutter und ich aber saßen am Tisch, wartend, daß er sage: »Da, dös -g'hört enk.« - -Doch er sagte nichts, so daß ich bei mir dachte: »Der trinkt ja dös unsa -aa no aus!« - -Auf einmal läßt er die Hand mit dem Krug sinken und neigt den Kopf -tiefer und tiefer. Da schreit auch schon die Großmutter: »Jess Mariand -Josef, Hausl, der Kruag fallt oicha!« und springt hinzu und will ihn -auffangen. - -Aber die knöchernen Finger umklammern fest den leeren Krug und sind -eiskalt. »Gott steh ma bei! Was is denn dös?« kreischt sie auf; denn der -Hausl war tot. - -Als er eingegraben wurde, kamen seine Verwandten und fielen über seine -Sachen her. Dabei stritten sie heftig, und als sie endlich eins waren -und wieder fortgingen, sagten sie zum Großvater: »So, Handschuasta, was -jatz no da is vo eahm, dös g'hört enk.« - -Da war aber nichts mehr da wie sein alter, gestrickter Janker. Den nahm -ich vom Nagel, und während ich ihn betrachte und betaste, greif ich -unwillkürlich auch in die Taschen und finde darin einen Schlüssel. Da -fällt mir sein Wandschränklein ein. Ohne ein Wort lauf ich in die Kammer -und sperre zu, suche nach dem Pünktlein, kratze den Kalk von der Wand -und bringe am End nach vieler Müh das Türlein auf. Da lagen in dem -Kästlein weit über hundert Mark Geld, ein Haufen Silberknöpfe und alte -Münzen, seine silberne Uhr mit der Kette und den großen Talern daran und -etliche schöne, silberbeschlagene Bestecke und silberne Löffel; daneben -sein Rasierzeug und ein kleines, hölzernes Spieglein. - -Voller Freude riß ich die Kammertür auf und rief: »Großvata, da geh rei! -I hab was g'fundn vom Hausl und dös g'hört alles uns!« - -Als der Großvater meinen Fund sah, war er zuerst sprachlos vor -Verwunderung; dann aber sagte er: »Dirnei, dös g'hört alls dei. Du bist -eahm dö Liaba g'wen und dir hätt er's do vermacht.« - -Der Großmutter war das auch recht, und so haben sie mir die Sachen immer -aufgehoben. Als aber nachher der Großvater starb, sind die Verwandten -darüber gekommen und mir ist nichts geblieben als das Spieglein und das -Besteck. Das nahm dann meine Mutter in Verwahrung, und so hatte ich -nichts mehr. - -Die Rede, welche der Herr Pfarrer am Grabe unsers Hausl gehalten hatte, -war wieder eine Verdammungsrede gewesen; eine noch schlimmere aber hielt -er kurze Zeit danach dem Schmittbauern, dem reichsten der Gemeinde, den -auch der Schlag getroffen. Dieser Mann war in der ganzen Umgegend wegen -seiner Gutherzigkeit und Rechtlichkeit angesehen und beliebt; nur beim -Pfarrer stand er schlecht angeschrieben. Einen besonderen Groll auf ihn -hatte auch der Posthalter, der sich gern durch den Bau einer Straße -berühmt gemacht hätte, daran aber durch einen Acker des Schmittbauern -gehindert wurde, den dieser um keinen Preis hergeben wollte. Ein -jahrelanger Prozeß war zugunsten des letzteren entschieden worden. - -Nach der Beerdigung begaben sich nun damals die Leidtragenden, die in -großer Zahl von nah und fern gekommen waren, zum Leichenschmaus beim -Huberwirt. Nur einige waren noch am Gottesacker zurückgeblieben und -hörten dort, wie der Posthalter mit Bezug auf die Rede des Pfarrers zum -Lehrer sagte: »Recht hat er g'habt, der Herr Hochwürden! Dem g'hört 's -net anderscht. Mit dene werdn ma aa no ferti; mir zoagn 's eahna scho!« - -Diese Worte hinterbrachten die Bauern, die sie gehört hatten, sofort den -beim Leichentrunk Versammelten, und nun kannte die Erbitterung keine -Grenzen. Zur Stund ward beschlossen, den Schmittbauern zu rächen. - -Am Samstag vor dem Fest Mariä Geburt erschienen bei anbrechender Nacht -plötzlich etliche hundert Männer mit geschwärzten Gesichtern im Ort, -zogen, mit Sensen, Dreschflegeln, Heugabeln und Äxten bewaffnet, durch -das Dorf und sangen Trutzlieder auf die Geistlichkeit und besonders auf -unsern Pfarrer. Dazu vollführten sie mit Johlen, Pfeifen und -Zusammenschlagen der Äxte und Sensen einen höllischen Lärm. Vor dem -Pfarrhof angelangt, schlugen sie dort die Fenster ein, beschmierten die -Türen mit Schmutz, hieben die Obstbäume um oder rissen sie aus; sogar -den Heustadel wollten sie in Brand setzen, doch zündete es nicht. - -Danach zogen sie zum Posthalter und besudelten dem alle Fensterscheiben -und Läden mit Menschenkot, den sie in einem großen Kübel mitführten, und -schrieben an das große Tor der Einfahrt mit einem langen Pinsel, der mit -demselben Schmutz getränkt war, diesen Vers: - - Auf'n Pfarrer is g'schissn - Auf'n Posthalter damit, - Warum hant s' so verbissn - Am Sebastian Schmitt. - -Noch am andern Tag konnte jedermann diese Worte lesen. - -Von den Gendarmen hatte keiner gewagt, sich den Haberern in den Weg zu -stellen, und eine Untersuchung, die man später einleitete, hatte nicht -den geringsten Erfolg; denn keiner verriet den andern, weil man noch von -Hausham her wußte, daß das Haberfeldtreiben sehr streng bestraft wurde. - -Geraume Zeit ging noch die Rede von diesem Treiben, und an den langen -Winterabenden, wenn die Großmutter mit der Huberwirtsmarie und der alten -Sailerin, einer achtundneunzigjährigen Greisin, in der Stube saß und -spann, während der Großvater auf der Ofenbank lange, kunstvolle Späne -schnitt, fiel noch manches Wort über diese Geschichte. - -Aber auch andere abenteuerliche und seltsame Dinge wurden da erzählt. -Besonders die Sailerin, im Dorf nur die alt' Soalagroß' genannt, die -wegen ihrer bösen Zunge sehr verrufen und von manchen als Hexe -gefürchtet war, wußte aus längst vergangener Zeit die wunderlichsten -Begebenheiten zu berichten: von Leuten des Dorfes, die durch ihren -sündhaften Lebenswandel den Teufel selber zu Gaste geladen und mit ihm -wirkliche Verträge abgeschlossen hatten. Sie war selber Zeuge gewesen, -wie ein Bauer in jungen Jahren verliebt war in das Weib eines Nachbarn; -wie er diesen eines Mordes an einem armen Handwerksburschen zieh und, -nachdem der Unglückliche peinlich verhört und am Ende unschuldig zum -Tode verurteilt worden, die Wittib heiratete. Da kam eines Tages der -Teufel in Gestalt eines fürnehm gekleideten Herren zu ihm und wollte -eine Kuh kaufen. Als ihn der Bauer in den Stall führte, fing alles Vieh -zu brüllen an und zeigte große Unruhe. Der Fremde suchte eine schwarze -Kuh aus und zählte darauf den hohen Preis in lauter Goldmünzen auf den -Tisch; und als der Bauer dieselben einstreichen wollte, verbrannte er -sich die Hände, so heiß waren sie. Erschrocken sah er sich nach dem -Fremden um; der aber war verschwunden und statt seiner stand eine -erschreckliche Gestalt an der Tür und rief: »Wart nur! I kriag di scho -no!« Damit verschwand sie; die Kuh aber, die nicht geholt wurde, gab von -Stund an blutige Milch. Etliche Wochen später wurde der Bauer tot und -ganz schwarz auf dem Felde gefunden. - -Oft nach dem Abendläuten sprachen sie auch von den verstorbenen -Angehörigen, und da erzählte die Sailerin von den armen Seelen im -Fegfeuer und wie sie denen helfen, die fleißig für sie beten. So sei -einmal ihre Mutter am Herd gestanden und habe die Abendsuppe gekocht. -Indem läutete es zum Angelus, und während sie halblaut den englischen -Gruß betete und, wie gewohnt, noch ein Vaterunser für ihre verstorbene -Mutter hinzufügte, tat sich die Haustür auf und herein lief eine alte -Frau, die der Verstorbenen aufs Haar glich. Diese zog sie hastig mit -sich über die Stiege hinauf, riß die Tür zum Heuboden auf, wies mit der -Hand hinein und verschwand. Ihrer Mutter aber sei fast das Herz -stillgestanden vor Schreck: ganz oben unter dem Dach hing ihre Lisl mit -dem zerrissenen Rock an einem Nagel des Gebälks und konnte jeden -Augenblick hinunter auf den Dreschboden stürzen. Das Kind, das die Katze -bis dorthin verfolgt hatte, konnte nur mit vieler Mühe gerettet werden. - -Auch wußte sie viel von alten Sitten und Gebräuchen: so legten in der -Thomasnacht die jungen Mädchen die gekochten Beinlein eines in der Nacht -zum Andreastage getöteten Marders, einige Hollunderzweige, die am St. -Barbaratag abgeschnitten worden, und einen Zettel, darauf ein -geheimnisvolles Gebet geschrieben stand, auf die Schwelle ihrer -Kammertür. In der Mitternachtsstunde erblickten sie dann, wenn sie in -den Spiegel sahen, ihren Hochzeiter. Auch eine ihrer Schwestern habe -einmal, nachdem sie alles recht gemacht, dies getan; aber mit einem -lauten Aufschrei sei sie davongestürzt; denn statt eines jungen Mannes -habe der Tod aus dem Spiegel geschaut. Nach langem Siechtum sei sie dann -auch wirklich unverheiratet gestorben. - -Atemlos lauschte ich stets diesen Erzählungen und bekam nach und nach -eine große Hochachtung vor der alten Sailerin; und da sie immer recht -freundlich mit mir war und auch bei den Großeltern viel galt, hielt ich -mich häufig bei ihr auf. Da konnte ich denn, als das warme Frühjahr -wiedergekommen, oft stundenlang bei ihr auf der Hausbank sitzen, wo sie -den ganzen Tag über die Vorübergehenden prüfend betrachtete und mit sich -selber lange Gespräche führte, während ihre Hände unablässig an einem -ungeheuern Strumpfe strickten. Dies Stricken und Mitsichselberreden war -ihr schon so zur zweiten Natur geworden, daß sie überall, wo sie ging -und stand, die Lippen und die Zunge bewegte und in den gefalteten Händen -die Daumen umeinanderdrehte. - - * * * * * - -Während dieses Jahres gebar die Mutter in München ihr zweites Kind, den -Maxl. Kurz zuvor hatte der Vater sein ganzes Geld, bei dreißigtausend -Mark, auf dem Anwesen, das er gekauft hatte, durch einen Bauschwindler -verloren, so daß er sich an eine Brauerei um Hilfe wenden mußte. Diese -gab ihm, nachdem sie ihn eine Zeitlang in ihrer Flaschenfüllerei -beschäftigt hatte, eine Kantine im Lechfeld. Den Hansl nahm die Mutter -mit, und der Maxl kam zur Großmutter in die Kost. - -Nach einem Jahr schrieb die Mutter, man solle uns wieder nach München -schicken, und sie versprach, mich jetzt besser zu behandeln; es gehe -ihnen gut und sie hätten im Lechfeld so viel Gewinn gehabt, daß der -Vater in München wieder eine Wirtschaft pachten könne. - -So brachte mich denn der Großvater wieder in die Stadt, nicht ohne -Kummer und Besorgnis. Doch behandelte mich meine Mutter jetzt wirklich -besser und sparte nicht an Lob und Belohnung, wenn ich etwas zu ihrer -Zufriedenheit gemacht hatte. Zu Weihnachten schenkte sie mir eine Puppe, -die so groß wie ein zweijähriges Kind war und einen wunderschönen, -wächsernen Kopf mit echtem Haar hatte. Doch die Freude währte nicht -lange; bald nach Ostern nahm sie mir die Puppe weg, weil ich zu viel -Zeit mit dem Spiel vertrödelte, und schenkte sie später der Großmutter -für die Kostkinder. Die Großmutter aber hob sie noch lange Jahre für -mich auf und gab ihr einen Ehrenplatz in der Künikammer. Der Tag meiner -Firmung brachte dann eine weitere Enttäuschung, wohl die bitterste, die -ein Mädchen in diesem Alter erleben kann; denn noch an dem gleichen Tage -verkaufte die Mutter mein weißes Firmkleid an den Vetter Bastian, einen -Fuhrknecht, der es für seine Tochter brauchte und ich mußte mich in -meinem alten Sonntagskleid von der Nanni, meiner Firmpatin, in den -Methgarten an der Schwanthalerstraße führen lassen, wo die andern -Firmlinge in ihren weißen Kleidern und mit der offiziellen Firmuhr -prangten und mich verächtlich von der Seite ansahen und von mir -wegrückten. Das Firmgeschenk, das mich sehr freute, bestand in dem -silbernen Geschnür, der Halskette und Riegelhaube der Nanni; es wurde -aber bald danach alles von der Mutter verkauft mit dem Versprechen, ich -bekäme etwas Praktischeres dafür. - -Die Tante Babett hatte inzwischen ihre Stellung wieder aufgegeben und -war als Kinderfrau in dem Hause meiner Eltern angenommen worden. Unter -ihrem Einfluß wurde auch die Mutter fromm und ging von nun an jede Woche -zur Beichte und zum Tisch des Herrn, fast jeden Tag in die Messe, hörte -jede Predigt, wurde Mitglied aller Erzbruderschaften und des dritten -Ordens und machte Wallfahrten. Zu Hause aber schimpfte und fluchte sie -mit bösen Worten, und die Dienstboten und ich waren in ihren Augen keine -Menschen. - -Weil ich nun von dieser Frömmigkeit, die vor allem den Pfarrern zu -gefallen suchte, nichts wissen wollte, mußte ich gar viele Mißhandlungen -und Schmähungen von der Tante Babett ertragen, der jede Gelegenheit -willkommen war, über mich bei der Mutter zu klagen und ihr meine Zukunft -und mein Seelenheil als hoffnungslos vorzustellen. Ich wurde darum jetzt -gezwungen, jeden Morgen um sechs Uhr die heilige Messe zu besuchen und -alle vierzehn Tage zu beichten. Da ward es mir oft seltsam zumut, wenn -ich, kaum von der Kommunionbank weg, hören mußte, wie die Mutter wegen -jeder Kleinigkeit die gräßlichsten Flüche ausstieß und doch ihre -Frömmigkeit für eine echte und heilige hielt. - -Zu dieser Zeit kam von Niederbayern eine zweite Schwester meines -Stiefvaters zu uns. Es waren daheim noch mehrere; denn der Vater meines -Stiefvaters hatte vierzehn Frauen gehabt, mit denen er neununddreißig -Kinder zeugte. Als er mit dreiundzwanzig Jahren das erstemal heiratete, -kurz, nachdem sein Vater, der reichste Bauer vom ganzen Rottal, unter -Hinterlassung von mehr denn einer Million Gulden gestorben war, brachte -ihm die Frau noch über hunderttausend Gulden Heiratsgut mit, und als -nach einem Jahr ihr das Wochenbett zum Todbett ward, erbte er noch ihr -ganzes übriges Besitztum; denn sie war eine Waise. Kurz danach nahm er -die zweite Frau, eine Magd, mit der er sechs Jahre lebte und vier Kinder -hatte. Als sie an der Wassersucht gestorben war, heiratete er noch im -selben Jahr eine Kellnerin, die er aber nach wenigen Monaten davonjagte, -als er eines Tags den Oberknecht bei ihr im Ehebett fand. Die vierte -Frau, die Tochter eines reichen Gutsbesitzers, holte er sich aus dem -bayerischen Wald, verlor sie aber schon nach zwei Jahren, nachdem sie -ihm ein Kind geboren hatte. Die Leute erzählten, er habe sie durch sein -wüstes, ausschweifendes Leben zugrunde gerichtet. Bald nach ihrem Tode -nahm er mit dreiunddreißig Jahren die fünfte Frau, die ihm vier Kinder -mit in die Ehe brachte, von denen böse Zungen behaupteten, daß sie von -ihm gewesen; denn diese Frau hatte er zuvor als Oberdirn auf seinem Hof -gehabt. Während einer fünfjährigen Ehe gebar sie ihm zweimal Zwillinge -und einen Buben, an dem sie starb. Man sagte aber auch, sie sei aus -Kummer krank geworden; denn um diese Zeit hatte er begonnen, offen ein -wüstes Leben zu führen. Als Viehhändler trieb er oft zwanzig bis dreißig -Stück Rinder oder auch Pferde zu Markte und hielt danach mit andern -Genossen große Zechgelage. Hierbei wurde gewürfelt, und da er sehr hoch -spielte, verlor er oft seine ganze Barschaft samt dem Erlös und mußte -nicht selten noch Boten heimschicken um Geld. - -Inzwischen war die Frau, von der er sich hatte scheiden lassen, an der -Schwindsucht gestorben, so daß er nun, als er mit neununddreißig Jahren -das sechstemal heiratete, wieder kirchlich getraut wurde; doch, noch ehe -ein Jahr um war, starb die Frau im Kindbett. Nun holte er sich ein Weib -aus Österreich, eine junge, sehr schöne Linzerin. Von ihr berichtet man, -daß er einmal, als er den ganzen Erlös für das verkaufte Vieh und all -sein bares Geld verloren hatte, sie auf einen Wurf setzte und an einen -reichen Gutsbesitzer um tausend Mark für eine Nacht verspielte. Während -dieser Nacht soll sich die Frau gar sehr gewehrt und den Gutsherrn so -schwer an der Scham verletzt haben, daß er bald darauf sterben mußte. -Mit dieser Frau lebte er acht Jahre sehr unglücklich, und nachdem sie -ihm zehn Kinder geboren hatte, starb sie an dem letzten. Kurz darauf -heiratete er mit fünfzig Jahren zum achtenmal und hatte während einer -sechsjährigen Ehe sechs Kinder. Auch diese Frau hatte keine guten Tage -bei ihm; denn ihr eingebrachtes Vermögen war gleich dem der anderen -Frauen bald verspielt, und nun mißhandelte er sie oder verfolgte sie im -Rausch mit seinen Zärtlichkeiten, was das gleiche war; denn er war -herkulisch gebaut und massig wie seine Stiere. Auch hatte er noch zu -ihren Lebzeiten eine heimliche Liebschaft mit einer anderen, die nach -ihrem Tode seine neunte Frau wurde, aber schon nach vierjähriger Ehe mit -sechsundzwanzig Jahren an ihrem vierten Kinde starb. - -Obwohl nun im Orte heimlich die Rede ging, daß er seine Frauen auch im -Kindbett besuche, davon ihnen das Blut gehend worden wär und daran sie -gestorben seien, willigte doch eine Nähterin aus der Pfarre in des -Vierundsechzigjährigen Heiratsantrag; denn sie hatte schon zwei -erwachsene Kinder von ihm. Doch auch ihr wurde das gleiche Schicksal und -sie starb nach zwei Jahren zugleich mit dem Kinde im Wochenbett. Mit -siebenundsechzig Jahren heiratete er zum elftenmal, und als die Frau -schon nach zwei Monaten gestorben war, ging er mit neunundsechzig Jahren -die zwölfte Ehe ein. Mit dieser Frau lebte er vier Jahre und nahm nach -ihrem Tode mit vierundsiebzig Jahren die dreizehnte. Diese letzten Ehen -waren alle unglücklich; denn daheim prügelte er die Frauen und in den -Wirtshäusern verspielte er alles, was er besaß. Beim Tode der -dreizehnten Frau hatte er nichts mehr, und als er jetzt mit -neunundsiebzig Jahren in das Armenhaus kam, fand er da eine -Armenhäuslerin, die seine vierzehnte Frau wurde. Mit ihr lebte er noch -sieben Monate und starb danach als Bettler; sie hat ihn dann noch kurze -Zeit überlebt. - -Die zweite Schwester meines Vaters, die vierzehnjährige Zenzi, kam -damals grad aus dem Kuhstall zu uns und sollte jetzt die Haus- und -Küchenarbeit lernen. Gleich nach ihrer Ankunft ließ auch ihr die Mutter -die Haare abschneiden, und ich mußte ihr alle Tage das Ungeziefer vom -Kopf suchen. Dann mußte ich sie beten lehren; denn sie konnte nicht -einmal das Vaterunser, worüber die Mutter sehr aufgebracht war. So wenig -angenehm diese Aufträge für mich waren, so belustigend war es -anderseits, ihr bei der Hausarbeit zuzusehen, besonders wenn sie mit dem -Schrubber putzte. Da hob sie, wenn sie zu wischen begann, das Bein in -die Höhe, wie man es auf dem Felde tut, um die Gabel in den Mist zu -treten, und sang dazu. Gewöhnlich war es das Lied von der unglücklichen -Fahrt über den Inn, bei der fünf Burschen und drei Mädchen ertranken, -und das ein Bauernbursche aus dem Rottal gedichtet hatte. Sie sang es -ohne Stimme und Gehör, und das Lied lautete: - - Leut, seid's a weng ruhig - Und mirkt's a weng auf, - Und den trauringa Fall - Leg enk ich wieda auf. - - Und den heuringa Jahrgang, - Den ma achtadachtzg schreibt, - Den hamand dö altn Leut - Scho lang prophezeit. - - So viel Wolkenbrüch und Hagelschlag - Wia heuer san g'west; - A Schauer geht oan über, - Wenn ma d'Zeitunga lest. - - Will koa Mensch nimma betn, - Halt neamd nix für a Sünd; - Wen tat's'n da wundern, - Wenn über uns nixn kimmt. - - Und gehn ma von dem wega - Und drah' ma uns anderscht wo ei, - Und den oasa'zwanzigstn Mai - Muaß der Pfingstmontag sei. - - Da hat's in Pocking in Bayern - Zwoa Pferderennats gebn; - Die Witterung war günstig - Und hübsch lustig is aa g'wen. - - Es kimmt a Menge Menschen z'samm, - Ja dös Ding, dös is leicht; - Aba net grad vom Haus Bayern, - Sondern auch vom Haus Österreich. - - »Das Renn' ging glücklich vorüber,« - So hört man allgemein lobn, - Aber die Heimkehr auf Östreich - War traurig genung. - - Fünf bluatjunge Burschen - Von oana Pfarr z'haus, - Dö gehnd in Tod hinüber - Kimmt koana mehr raus. - - Sie glaubn, sie gehnd über Schärding, - Aber, weils Wasser zu hoch - Und der Umweg zu weit, - Wann ma's wirklich betracht. - - Da sagt der Brüahwassermathias: - »Dös war ma scho z'dumm! - Mir fahrn den pfeilgradn Weg - Vorüber in Hunt!« - - Sie sitzn si eini - Und haltn si mäusstad, - Aba mitn Hong ham sie si vostocha, - Jatz hot's as halt draht. - - »Jesus, Maria und Josef!« - War das Jammergeschrei; - Drei hand auskemma, - Aba mit acht is vorbei. - - Fünf hand vo Österreich - Drei hand vo Boarn - Und oana davo - War bal ganz vergessn wordn. - - Und am oasa'zwanzigstn Mai - Werdn die Gottsdeansta g'haltn, - Aber der Schmerz vo dö Eltern - Is net zum aushaltn. - - Jatz pfüat enk Gott, Eltern! - Die Gräber hand zua, - Teat's fei für uns betn - Um dö ewige Ruah! - -Sang sie nicht, so war das ein Zeichen ihrer schlechten Laune, und da -konnte sie dann auch bösartig sein und einem alles zum Trotz tun. Schalt -ich sie, so lief sie zu ihrer Schwester, der Tante Babett, diese lief -zur Mutter und die Mutter kam über mich; und hatte ich zuvor nur eine -wider mich gehabt, so waren es jetzt drei. - -Da überwarf sich die Tante Babett mit meinem Vater und verließ ganz -plötzlich das Haus. Es war nämlich aufgekommen, daß sie jeden Morgen auf -einem Umweg in die Kirche gegangen war. Auf diesem Weg aber wohnte ein -Bräubursch. Der hat sie jedoch nicht geheiratet, weil sie, wie er sagte, -ihm zu fromm sei und es mit den Pfarrern hielte. Nach ihrem Weggang -wurde die Zenzi in der Küche und dem Hauswesen verwendet und ich mußte -wieder die Kindsmagd machen. - -Da geschah es oft des Abends, daß die Kinder nicht einschlafen wollten; -ich mußte mich aber schicken, um wieder hinunter in die Wirtschaft zur -Arbeit zu kommen. Da das Zureden nichts nützte, half ich mir schließlich -auf folgende Weise: Aus einem Bettuch machte ich mir ein weißes Gewand, -aus gelben Bierplakaten zwei Flügel und aus einem Lampenreif die Krone. -So ging ich zu ihnen ins Schlafzimmer, wo nur ein rotes Nachtlicht -brannte, trat an das Bett des zweijährigen Maxl und fing leise an zu -singen. Ganz andächtig mit geschlossenen Augen hörte er mir zu, während -der vierjährige Hansl mich beobachtete, ohne mich zu erkennen. Am andern -Tag erzählte der jüngere es dem älteren und sagte: »Du, Hansl, heut auf -d'Nacht is mei Schutzengel da g'wen mit goldene Flügeln und an weißen -Kleid; der hat schön gsunga!« - -Darauf sprach der Hansl: »I hab's scho g'sehgn, aba i hab mi nix z'sagn -traut, sonst hätt i'hn verjagt.« - -Ich verbot ihnen, irgend jemandem etwas davon zu sagen und machte nun -jeden Abend den Schutzengel. - -Wie ich nun wieder einmal vor dem Bett stehe, geht die Tür auf und die -Mutter kommt herein. Der Hansl ruft ihr noch zu: »Sei stad, Mama, da -Schutzengel is da!« als sie schon schreit: »Du Herrgottsakermentsg'ripp, -du zaundürrs! Dir werd i's austreibn, an Engl z'macha!« Und damit reißt -sie mir die Flügel herunter und jagt mich unter Püffen aus der Stube. -Die Kinder begannen zu schreien und zu weinen und die Mutter beruhigte -sie, indem sie sie über den Frevel, wie sie sagte, aufklärte und ihnen -Schokolade gab. - -Von der Stunde an betrachteten mich die Brüder mit kindlicher Verachtung -und wollten mir lange nicht mehr folgen. - -Dann kam eine Zeit, wo die Mutter mich wieder besonders quälte; sie war -aber auch gegen andere Leute recht barsch, vor allem gegen den Vater. -Dabei wurde sie immer stärker, und nun wußte ich, daß wieder ein Kind -kam. Daß dem so war, das hatte ich eines Tages nach der Turnstunde -erfahren, als ich mit mehreren Mädchen meiner Klasse, ich war damals -dreizehn Jahr alt, nach Hause ging. Da begegnete uns eine Frau, die in -andern Umständen war, und auf die Frage der Babett: »Warum is denn dö -unten so dick und obn so mager?« entgegnete ich: »Ja, weils halt ihr -Korsett verkehrt anhat.« - -»Du irrst!« sagte darauf die Else, eine Lehrerstochter. »Die Frau trägt -überhaupt kein Korsett, sondern die bekommt ein Kind.« - -»Ja, die Else hat recht,« mischte sich eine vierte, die Anna, ins -Gespräch, »mei Mutter war auch so dick, dann ham ma zwoa Bubn kriegt; -dann is s' im Bett g'legn, und wie s' wieder aufg'standn is, war s' -wieder ganz mager. Jetzt möcht i nur wissn, wie dö rauskomma san.« - -»Das kann ich dir schon sagen,« erwiderte die Else. »Mein Papa hat zu -Hause ein Buch, darin hab ich's gelesen: Wenn ein Mann mit einer Frau -ins Bett geht und mit ihr was Schlimmes treibt, legt er ihr ein Ei in -ihren Körper; dann tut er wieder was Böses mit ihr, dadurch kommt das Ei -in den Magen der Frau, und die brütet es aus und aus dem Nabel kommt das -Kind mittels der Nabelschnur.« - -»Du spinnst ja!« rief jetzt die Theres. »Da hast halt aa net recht -g'lesn! I woaß von meiner Schwester, die von dem Doktor dös Kind hat: -dös Ei liegt net im Magn, sondern im Bieserl. Da tut der Mann mit der -Frau was Böses und dann kommt's in Bauch und nach einem halben Jahr -kommt 's Kind unten raus. Und da braucht ma die Hebamm zum Aufschneidn -und Zunähn.« - -Mit Gruseln hörten wir zu und daheim untersuchte ich, als ich allein -war, sogleich mit einem Spiegel, ob das mit dem Kind wirklich möglich -sei; da hab ich gefunden, daß es unmöglich sei. - -Aber die Mutter bekam bald danach doch den Ludwigl, und da ich in -Ermangelung einer Wochenbettpflegerin alle bei einer Niederkunft -notwendigen Arbeiten tun mußte, so konnte ich ziemlich den ganzen -Verlauf der Geburt beobachten. - -Als ich dann die Mutter laut jammern und klagen hörte, hatte ich viel -Mitleid mit ihr und nahm mir zugleich fest vor, niemals mit einem Mann -was Böses zu tun. Im übrigen hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken; -denn den ganzen Tag bis spät in die Nacht ging es treppauf, treppab und -hieß es arbeiten, damit die Mutter zufrieden war. - - - - - - -Von dem Besuch höherer Schulen hielt meine Mutter damals noch nicht -viel, und so mußte ich, als ich aus der Werktagsschule entlassen war, in -die Mittwochschule gehen, die meist von Dienstmädchen und den Töchtern -der Armen besucht wurde. Bei den geringen Anforderungen, die hier an die -wenig wißbegierigen Mädchen gestellt wurden, war ich bald das verrufene -und doch zur rechten Zeit vielbegehrte »G'scheiterl« und brachte am -Schluß des ersten Jahres die beste Note nach Hause. Zum Lohn dafür -durfte ich mit einem jungen Mädchen aus dem Nachbarhause, das ebenso -bleichsüchtig wie ich war, in den Ferien zu den Großeltern aufs Land. - -Da nun mein Großvater damals schon ziemlich schwer erkrankt war, schien -es der Großmutter um der Ruhe willen, deren der Kranke bedurfte, -ratsamer, uns zur Nanni zu schicken. Diese hatte in einem -unverständlichen Anfall von Besorgnis, daß das Anwesen in Westerndorf -ihr zum Ruin werde, dasselbe verkauft und erst nach einem halben Jahr -gemerkt, welch schlechten Tausch sie gemacht hatte, indem sie dafür eine -ganz alte, morsche Hütte ohne Obstgarten in Haslach genommen, lediglich -um der Äcker willen, die zwar bedeutend größer waren, aber jedes Jahr -von schweren Hagelwettern heimgesucht wurden. Sie war also froh, etwas -an uns zwei bleichen Hopfenstangen, wie sie uns nannte, zu verdienen. -Freilich wäre ich gern beständig um meinen Großvater gewesen; aber die -Großmutter litt meine Anwesenheit nie lange und schien förmlich -eifersüchtig darauf zu sein, ihn allein zu pflegen. So streiften wir -zwei Mädchen durch Wald und Wiesen, fingen Fische und Krebse und hingen -mit einer Zärtlichkeit aneinander, daß wir nachts zumeist in einem Bett -beisammen schliefen; ja, als wir nach Vakanzschluß wieder heimwärts -fuhren, gelobten wir uns noch im Bahncoupé ewige Treue und Freundschaft. - -Einige Monate später, es war an einem Dezembertag, rief meine Lehrerin -mich kurz nach Beginn des Unterrichts hinaus und reichte mir ein -Telegramm. Da ich schon seit einigen Tagen die Sorge um meinen kranken -Großvater nicht los werden konnte und besonders in der letzten Nacht -durch einen schweren Traum geängstigt ward, so war mein erster Gedanke: -Er ist tot. Als ich die Worte: »Lenei, komm, Vater stirbt!« gelesen -hatte, rannte ich, ohne mich zu entschuldigen, oder meine Kleider und -Schulzeug zu nehmen, halb besinnungslos nach Hause. Aber die Mutter ließ -mich nicht fort, und so lief ich in Groll und Verzweiflung umher, weinte -und schlug meine Fäuste gegen den Kopf und fand doch keinen Ausweg. Und -als am andern Tag ein weiteres Telegramm kam des Inhalts: »Vater tot, -wird Samstag früh eingegraben,« war ich ganz gebrochen; denn es schien -mir, als wäre mit dem Toten alle Hilfe und Stütze dahin. Jammernd und -wehklagend lief ich durchs Haus und die Mutter erreichte weder mit guten -noch bösen Worten etwas. Und als sie mir auf meinen Vorwurf: »Warum -habt's mi nimma zu ihm lassn!« Strafe androhte, stürmte ich von der -Wirtsküche die vier Stiegen hinauf und wollte mich in den Hof -hinunterstürzen. Doch in diesem Augenblick riß mich jemand vom Fenster -herab, worauf ich ohnmächtig zusammenbrach. - -Von dem darauffolgenden Tage ist mir keine Erinnerung geblieben; am -übernächsten Morgen aber war ich schon früh um fünf Uhr mit der Mutter -auf dem Wege zur Bahn, beladen mit Kränzen und von Schmerz und dumpfer -Trauer ganz betäubt. Ich weinte keine Träne mehr im Zug, wo wir mit den -Verwandten der Mutter und den Kostkindern zusammentrafen. Stumm blickte -ich aus dem Coupéfenster in die verschneite Landschaft und sah überall -das gütige Antlitz des Toten. - -Als wir daheim in die Stube traten, wo der Verstorbene aufgebahrt lag, -stürzte ich der Großmutter, die auf dem Kanapee saß, an den Hals und wir -vergaßen ganz, daß so viele mit ihr reden wollten. Als mich endlich die -Mutter wegzog und sagte: »Komm, Mutter, red mit den Kindern!« sah ich -beim Aufstehen erst, daß die Frau ganz schneeweiß und fast erblindet war -vor Gram und Kummer. - -Indem traten die vier Männer, welche nach der Aussegnung den Sarg zum -Friedhof zu tragen hatten, in die Stube. Flehentlich bat ich sie, ihn -nochmals zu öffnen, damit ich den Großvater noch einmal sähe. Und als -sie endlich meinen Bitten nachgaben, schrie ich laut auf vor Schreck und -Weh: der Tote hatte Augen und Mund weit offen und war furchtbar -entstellt, teils von dem entsetzlichen Leiden der letzten Tage, teils -von der vorgeschrittenen Verwesung. - -Da ertönte lautes Beten, und herein in die Stube trat der alte Pfarrer -mit den Ministranten und dem Lehrer, die Leiche auszusegnen, gefolgt von -einer teilnehmenden und neugierigen Menge. - -Unter dem wimmernden Geläute des Totenglöckleins setzte sich der Zug in -Bewegung. Ich führte die Großmutter, und wir waren beide ganz still -geworden; meine Mutter aber hatte schon, während die Geistlichkeit ihre -Psalmen und Gebete sang, laut zu schreien begonnen, und auf dem ganzen -Wege durchs Dorf bis zum Gottesacker hörten wir ihr Schluchzen und -Jammern. - -Schier endlos war der Zug der Leidtragenden, und erst jetzt merkte man, -wie geehrt und beliebt der Handschuster in der Gegend gewesen war; ja, -lange nach seinem Tode konnte man noch gelegentlich hören: »Ja, der -Handschuasta, dös is a kreuzbrava, rechtla Mo g'wen; da derfs lang geh, -bis a söllana wieda amal z'findn is; mir hat er aa selbigsmal bei dem -Brand mein Buam aus'n Feuer g'holt und hernach 's ganze neue Haus -umasinst ausg'weißt.« - -Nachdem nun der Sarg niedergestellt und eingesegnet war, schickten die -Männer sich an, ihn ins Grab hinabzulassen. Da vergaß ich alles um mich -her und ganz in dem Gedanken, daß bei dem Toten auch für mich Ruhe sei, -stürzte ich auf das offene Grab zu und fiel besinnungslos fast hinein. -Man bemühte sich um mich, und als ich wieder zu mir kam, hörte ich eine -alte Bäuerin neben mir sagen: »Dös is a schlechts Zoacha g'wen, i moan -allweil, da Handschuasta holt si's Lenei bal; schaugt a so aus wia dö -teuer Zeit, dös Dirndl!« Da hoffte ich im stillen, dieses Zeichen würde -bald wahr werden, und wurde wieder ruhig, so daß man mich abermals ans -Grab führen konnte. - -Der Herr Pfarrer hielt eben die Grabrede und sprach gerade von dem -felsenfesten Glauben, den der Verstorbene in all seinem Tun gezeigt -habe: »Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; -aber auf dein Wort hin will ich das Netz nochmals auswerfen! Diese Worte -des heiligen Petrus hat der Handschuster sich in allen Lebenslagen zur -Richtschnur gesetzt. Es war ihm gleich, ob bei einer Arbeit, einer -Dienstleistung oder einem guten Werk etwas herausschaue und zu -profitieren sei, oder ob er dies Werk umsonst verrichten müsse. Ihm -genügte es, daß seinem Nachbar damit geholfen war. Dieser seiner -Überzeugung verdanken auch die hier versammelten Leidtragenden und -Kostkinder des Handschusters ihre wohlbegründete Existenz, ja teilweise -ihren Wohlstand, und haben sie ja selbst, wie sie durch ihr Hiersein -beweisen, gegen den teueren Verstorbenen und dessen selbstlose Liebe und -Fürsorge einer Pflicht der Dankbarkeit genügen wollen. Dieser große -Glaube, der nicht fragt und nicht zweifelt, nicht zögert und nichts -verbessern will, dieser Glaube überzeugt auch mich davon, daß unser -lieber Herr, gleich wie zu Petrus, auch zu ihm sagt: >Selig bist du, -weil du geglaubt hast!< Weinet nicht, die ihr hier am offenen Grabe -steht; er wird auferstehen. Weine nicht, treue Mutter, die du ihn -gepflegt hast Tag und Nacht und mit ihm getragen hast Freud und Leid, -Sorg und Arbeit in stiller Entsagung dessen, was andern die Ehe bietet! -Viele sind berufen, wenig auserwählt, und wer es fassen kann, der fasse -es. Drum weine nicht, Mutter der Gemeinde, Mutter unserer Verlassenen -und Verwaisten; weinet nicht, ihr Kinder; denn er will nicht euere -Tränen, sondern euer Gebet. Darum wollen wir uns vereinigen zu einem -andächtigen Vaterunser und Ave-Maria.« - -Nach dem Trauergottesdienst in der Kirche, der dem Begräbnis folgte, -begaben sich meine Mutter, die Nanni mit ihren Angehörigen, der Bastian -und die Kostkinder zum Huberwirt, um den Leichenschmaus zu halten. Die -Großmutter wollte nicht mitgehen; doch ließ sie sich am End überreden, -wenigstens in der Wirtsküche ein paar Worte mit einigen Bekannten und -dem Huberwirt zu sprechen. Ich war mit in die Gaststube getreten und -stand nun in einer stumpfen Teilnahmslosigkeit am Ofen, während die -Verwandten, noch ehe sie die Wintermäntel abgelegt hatten, in lebhaften -Streit geraten waren wegen der Habseligkeiten des Großvaters, die noch -nicht verteilt worden. Jedes wollte das schönste und meiste haben, und -des Hausls Schatz, den der Großvater sorgsam für mich aufbewahrt hatte, -wurde mir auch genommen. Nach den letzten Bestimmungen des Verstorbenen, -der kein Testament gemacht hatte, mußte das Haus noch vor seinem Tode -verkauft werden und der Erlös wurde gleichmäßig unter die Kinder -verteilt, nachdem für die Großmutter tausend Mark beiseite gelegt waren. -Diese tausend Mark nahm dann die Nanni an sich und behielt dafür die -Großmutter bis zu deren Tod. - -Während meine Mutter und die andern sich noch stritten, kam der -Huberwirt in die Gaststube herein, führte die Großmutter am Arm und -sagte, zu meiner Mutter gewendet: »Dös is der Handschuasterin scho dös -Irgst, daß 's Lenei nimma kemma hat derfa, bevor der Handschuasta -g'storbn is; er hätt no so viel z'redn g'habt mit ihr und hat in oan -Trumm g'sagt: >Kimmt's Lenei no net? Geh, Muatta, schaug, ob's jatzat -kimmt!<« - -Verlegen entgegnete meine Mutter: »Lieber Gott, 's Telegramm ist eben zu -spät g'schickt wordn.« - -Da stürzte ich voller Zorn aus meinem Winkel hervor, trat vor die Mutter -hin und schrie sie an: »Net wahr is! Sag's nur, daß d' mi net raus hast -lassen! O mein Gott, und er hat so viel nach mir verlangt! I hab's ja -g'spürt und hab koan Ruh g'habt Tag und Nacht. Dös vergiß i dir net, -Muatter, daß d' so hart und ohne Herz g'wen bist!« Damit nahm ich die -Großmutter am Rock und zog sie zur Tür hinaus. Sie folgte mir ohne -Widerstreben, während die andern alle ganz still geworden waren und die -Mutter sich umständlich schneuzte. - -Auf der Straße sagte die Großmutter plötzlich: »O mei, mir kinnan ja -nimma hoam!« und begann laut zu schluchzen. Da meinte ich: »Komm, -Muatter, gehn ma zum Vater 'nauf!« Und so gingen wir wieder zum -Friedhof, und am Grabe redete sie mit dem Toten, wie wenn er noch lebte -und mit ihr auf der Hausbank säße: »Woaßt, Vata, z'lang sollst mi nimma -da lassn; i mag s' nimma, dö Welt, jatz wo i di nimma hab. Tua mi net -vergessn, Vata, gel, und denk aa aufs Dirndl, daß net z'Grund geht bei -dem schlechtn Wei.« - -Weinend hockten wir uns auf den frisch geschaufelten Hügel, unbekümmert -um die Blumen und unsere schwarzen Gewänder, und nun erzählte mir die -Großmutter von den letzten Tagen des Toten: »So viel leidn hat er müssn, -der Arme; zwoa Strohsäck hat er durchg'fäu't, weil er's Wasser nimmer -haltn hat kinna und der ganz Leib und d'Füaß oa Fleisch und Wehdam warn, -daß ma 'n kaam mehr o'rührn hat derfa. Aber er is so geduldi g'wen dabei -und nur seltn hat ma 'n jammern hörn. Nur grad nach dir hat er allweil -g'fragt und hat si recht kümmert, wia's dir geh werd, wenn er g'storbn -is.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Wenn i nur grad in insan Haus -bleibn kunnt und net's Gnadnbrot beim Sepp und bei der Nanni essn müaßt; -da werd's ma net gar z'guat geh bei dene.« - -Nach diesen Worten versank sie in Nachdenken, und ich lehnte mich ganz -an sie, weil mich fror; denn ich hatte Tuch und Mantel beim Huberwirt -gelassen. Ich war eben ein wenig eingeschlafen, als ich durch die Stimme -des Herrn Pfarrers aufgeschreckt wurde: »Ja, meine liebe Handschusterin, -wir sind halt alle Fremdlinge in dieser Welt! Es wird Euch wohl recht -schwer, von Ort und Haus zu scheiden? Wollt Ihr nicht ins Gemeindehaus -ziehen? Da ging's Euch ja auch nicht schlecht!« - -»Vergelts Gott, Herr Hochwürden, aba d' G'meinde is ma allweil no g'wiß; -i hab ja no Kinder, dö wo si um mei Geld reißn!« meinte die Großmutter -mit einem schwachen Lächeln und grüßte den sich zum Gehen Wendenden noch -mit einem leisen: »Gelobt sei Jesus Christus!« - -Danach gingen wir doch noch einmal heim ins Haus. Aber da waren schon -die neuen Besitzer eingezogen und alle möglichen Gegenstände lagen bunt -durcheinander in den Räumen und vor dem Haustor. Unter der Stiege stand -eine alte Truhe, in die sonst die Kleie für das Vieh kam; wir setzten -uns darauf und konnten nichts reden. Aus dem Stall tönte das kurze -Brüllen der Kühe, denen die gewohnte Hand abging. Da kam aus der -Wohnstube die neue Hausfrau, sah uns ganz erstaunt an und fragte fast -unfreundlich: »Was möcht's denn no, Handschuasterin? Habt's leicht ebbs -vergessn?« - -»Naa, i han nix vergessn; geh, Lenei, gehn ma wieder!« erwiderte die -Großmutter und ging mit mir aus dem Haus. Nun mußten wir doch zum -Huberwirt; denn die Verwandten hatten schon herumgefragt, wo wir wären. -Als wir in die Gaststube getreten waren, brachte der Huberwirt ein Glas -Rotwein mit Zucker und stellte es vor die Großmutter hin, indem er -sagte: »Handschuasterin, balst es net trinkst, kriagt da Vata dö ewi' -Ruah net!« - -Da tauchte sie eine Semmel darein, sprach aber nichts, und als dann die -Nanni mit ihrem Mann sich zum heimgehen bereit machten und sie einluden, -gleich mitzukommen, da nickte sie nur ein paarmal mit dem Kopfe und -stand auf. Der Huberwirt aber ließ seinen großen Schlitten, auf dem -sonst das Bier oder Getreide gefahren wurde, herrichten und einspannen: -»Oes werd's ja a so glei all' z'samm auf Hasla' fahrn, net? I han enk -mein Schli'n eing'spannt, daß d'Handschuasterin net z'geh braucht. A -paar Deckn han scho drobn zum Einwickeln!« - -Wir fuhren also alle zusammen zur Nanni; diese kochte Kaffee, und in der -gemütlichen Wohnstube wurde auch die Großmutter wieder etwas gefaßter; -ja, sie fing sogar an, einiges über den Großvater zu erzählen. Man hatte -ihr eine nette Kammer zu ebener Erde angewiesen und diese auch geheizt. -Spät am Nachmittag, als es Zeit wurde, auf die Bahn zu gehen, denn wir -mußten abends wieder zu Hause sein, führte die Nanni uns noch in diese -Kammer, um uns zu zeigen, daß die Großmutter bei ihr gut aufgehoben sei. -Auch mich beruhigte diese Fürsorge und ich sagte noch beim Abschied zu -ihr: »Großmuatterl, du brauchst koa Angst z'habn wegn der Nanni; dö mag -di scho!« Ich blieb noch bei ihr in der Kammer und half ihr ihre -Habseligkeiten ein wenig ordnen. Dann legte sie sich ins Bett und -schlief bald ein. Ich hatte ihr noch leise Lebewohl gesagt, die andern -aber ließ ich nicht mehr zu ihr. - -Gegen Abend fuhren wir wieder in dem Schlitten zur Bahn und hierauf -heim. - -In München erst sprach ich einiges mit den Verwandten; denn während der -Fahrt war ich still und teilnahmslos in der Ecke gesessen, während es um -mich summte und schwirrte von der lebhaften Unterhaltung. - -Nach der Ankunft ging die ganze Verwandtschaft noch in unsere -Wirtschaft, wo sie von meinem Vater mit Freibier und einem guten Mahl -bewirtet wurden. - - * * * * * - -Kaum ein halbes Jahr nach dem Tode meines Großvaters kam eines Tages -meine Großmutter und beklagte sich bitter über die rohe Behandlung, die -ihr bei der Nanni und deren Mann widerfahre. Laut weinend wünschte sie -sich den Tod und wollte nicht mehr zurück, sondern zu dem neuen Besitzer -ihres Hauses, um bei ihm im Austrag zu bleiben. Meine Mutter suchte ihr -dies wieder auszureden und wollte sie bei sich behalten; denn, meinte -sie, um die tausend Mark, die der Nanni für die Verpflegung der -Großmutter zugekommen waren, könnte die alte Frau gerade so gut bei ihr -sein, und es ginge ihr gewiß gut. Auch der Bruder meiner Mutter lauerte -auf die tausend Mark, und es entspann sich bald ein heftiger Streit -unter ihnen, wer die Großmutter bekäme. Doch erkannte diese gar bald die -wahre Ursache jener plötzlichen Bereitwilligkeit und fuhr wieder zur -Nanni. Diese hatte gehofft, daß die Großmutter den Vater höchstens -etliche Monate überleben würde und war voll Verdruß, als sie sah, daß -die Frau nach einem und nach zwei Jahren immer noch lebte. So behandelte -sie sie nicht zum besten und mißgönnte ihr sogar das wenige, womit sie -ihr Leben fristete. Oft schlich dann die alte Frau, wenn sie vom Grabe -ihres Mannes kam, in ihre ehemalige Heimstatt und klagte der neuen -Besitzerin ihre Not. Diese, eine mit vielen Kindern gesegnete, -kränkliche Frau hatte viel Mitleid mit ihr und behielt sie oft tagelang -bei sich. Da mag sie wohl manchmal mit Bitterkeit diese seltsame Fügung -bedacht haben, daß sie, die auch den Ärmsten Heimat bot um Gottes -willen, nun selbst heimatlos und der Willkür ihrer Kinder preisgegeben -war. - -Als sie dann nach langem Leiden durch einen Schlaganfall gelähmt worden -und ganz auf die Handreichungen ihrer Stieftochter angewiesen war, kamen -harte Tage für sie. Hilflos lag sie in ihrem Bett, so erzählt man, und -niemand kümmerte sich um sie; man ließ sie hungernd und starrend vor -Schmutz im eigenen Kot liegen. Und als um diese Zeit ihr Schwiegersohn -sein Haus verkaufte und ein neues Anwesen übernahm, wurde die kranke -Frau, obwohl es Winter war, mit ihrem Bett zu oberst auf den mit Möbeln -beladenen Leiterwagen gebunden und so den weiten Weg auf der holprigen -Landstraße nach dem neuen Wohnort gefahren. Bald nach dieser Reise starb -sie, und als sie tot war, wollte niemand das Begräbnis zahlen. Die -Kinder, die damals sich um die Pflege der Lebenden gestritten hatten, -fanden alle erdenklichen Ausreden, um der Toten ledig zu bleiben, und -endlich mußte die Gemeinde sie auf ihre Kosten begraben lassen. Doch kam -meine Mutter zum Begräbnis und brachte große Kränze mit. Danach aber gab -es heftigen Streit um die letzte Habe der Verstorbenen; denn die Nanni -hatte alles schon beiseite geschafft. - - - - - - -Mit der Geburt des Ludwigl, meines dritten Stiefbruders, hatten auch die -letzten an die Kindheit erinnernden Spiele und Freuden ein Ende, und ich -mußte nun von früh bis spät arbeiten, um alles recht zu machen. Trotzdem -gab es manchen stürmischen Tag mit der Mutter, die in einemfort haderte -und schalt und es an Züchtigungen nicht fehlen ließ. Zu all dem wurde -ich seit dem Tode meines Großvaters von einer großen Schwermut und -Traurigkeit befallen, so daß ich mir nicht mehr viel aus meinem Leben -machte. Doch fand ich in dieser schweren Zeit einen Trost in meiner -Stimme. Unser Pfarrer veranlaßte meine Aufnahme in den Kirchenchor, -nachdem ich schon etliche Jahre in der Zentralsingschule ausgebildet -worden war. Bald durfte ich bei den Gottesdiensten Solo singen, und das -Bewußtsein, einmal öffentlich anerkannt zu sein, bereitete mir so hohe -Freude, daß ich darüber selbst den Neid meiner Kolleginnen vergaß. - -So sang ich auch einmal aushilfsweise bei einer großen Vereinsfeier, an -der auch der würdige Prälat und Pfarrer Huhn von der Heiliggeistkirche -teilnahm. Als dieser meine Stimme gehört hatte, ließ er mich zu sich -kommen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ein braves -Pilgermädchen bei der Münchner Wallfahrerbruderschaft zu werden und an -den heiligen Stätten zu Andechs, Altötting und Grafrath Gottes und Mariä -Lob zu singen. Ich sagte hocherfreut zu und holte mir sogleich von -meiner Mutter die Erlaubnis, die sie mir in Anbetracht ihrer frommen -Gesinnung nicht verweigerte. Also durfte ich noch im selben Jahr an den -großen, volkstümlichen Wallfahrten als Pilgermädchen teilnehmen. - -Die schönste und auch am feierlichsten begangene war die nach dem -uralten, weltberühmten Gnadenorte Altötting. Da ich immer schon eine -große Liebe zur Mutter Gottes getragen, konnte ich den Tag der Fahrt -kaum erwarten. Schon wochenlang vorher mußte ich mit den anderen -Sängerinnen zahlreiche Marienlieder einstudieren, und wir betrachteten -die Generalprobe schon als ein kleines Fest; denn da kam die ganze -Geistlichkeit, an ihrer Spitze der hochwürdige Herr Prälat Huhn, der -selbst ein eifriger Pfleger und Förderer des Gesanges war, sowie der -ehrwürdige Präses des Wallfahrervereins, Benefiziat Stein, ein Mann, so -recht, wie man sagt, nach dem Herzen Gottes: so schlicht und -uneigennützig, so ganz aufgehend in seinem Beruf. Wir Pilgermädchen -hingen daher mit großer Liebe an ihm und fühlten uns immer hochbeglückt, -wenn er einige von uns aus dem Haufen hervorholte, am Ohrläppchen zupfte -und fragte: »San d'Stimmbandln alle guat g'schmiert, Kinder? Sonst müaß -ma s' halt no schmiern z'vor!« Und damit brachte er eine riesige Tüte -voll Malzzucker aus seiner hinteren Rocktasche, die durch die vielen -Näschereien, welche er uns immer zu schenken pflegte, schon so -mitgenommen und ausgeweitet war, daß sie samt dem Rockfutter weit unter -den Schößen des abgetragenen Gehrocks hervorlugte. Im übrigen war er von -einer angenehmen Natürlichkeit, wenn er bei der Neuaufnahme eines -Pilgermädchens auf die Unschuld zu sprechen kam. Man konnte ihm ohne das -lästige Gefühl einer falschen Scham, die durch das aufdringliche Fragen -mancher Seelsorger einem so leicht den Mund verschließt, alle begangenen -Torheiten erzählen. Ich weiß nicht, wie er schwerere sittliche -Verfehlungen behandelte; was meine Jugendsünden anlangt, so meinte er -darauf nur: »So, dös is brav, daß d's Kleidl no net z'rissn hast, Kind; -a bisl staubig is scho, dös is wahr, aber dös putzt ma halt mit an -frommen, reuigen Seufzer wieder weg, gelt! Und jetzt gibt ma schö -Obacht, daß oan nix mehr passiert als Marienkind.« - -Am Vorabend des für die Wallfahrt ausersehenen Julisonntags hatte die -Mutter zur allgemeinen und besonderen Reinigung schon ein Bad bereitet, -während ich meine Seele durch eine sehr gewissenhafte Beichte von allem -anhaftenden Staub zu befreien suchte. Am Abend durfte ich schon früh zu -Bett gehen, um andern Tages zeitig munter zu sein. Schon um halb vier -Uhr war ich aus den Federn und lief ans Fenster, zu sehen, ob das Wetter -schön sei. Doch grau und neblig war der ganze Himmel, und ich begann, -während ich die »Uniform unserer lieben Frau« anzog, immer dieselben -Worte vor mich hinzusagen: »Liebste Mutter Gottes mein, laß doch heut -gut Wetter sein!« Derweilen war auch die Mutter aufgestanden und half -mir nun beim Ankleiden. Über das weiße Kleid kam ein himmelblaues -Schulterkräglein und vor die Brust ein großes silbernes Herz, das an -einem blauen Bande hing, und nachdem die Mutter mir das weißblaue -Kränzlein ins Haar gedrückt, nahm ich den langen Pilgerstab mit dem -silbernen Kreuz und eilte nach einem raschen »Pfüat Gott, alle -mitanand!« aus dem Haus, der Kirche zu, verwundert angeglotzt oder auch -derb angerufen von heimkehrenden Nachtlichtln oder verschlafenen -Bäckerjungen. Besonders am Marienplatz wäre ich beinah von einer Rotte -frecher Burschen, die mit ihren Dirnen aus dem »Ewigen Licht« -herausstritten, mißhandelt worden; doch kamen mir etliche Leute, die wie -ich an der Wallfahrt teilnehmen wollten, zu Hilfe. - -Mächtig brauste schon die Orgel, als wir in das Gotteshaus traten, und -rasch begab ich mich auf den Chor, wo schon die meisten Sängerinnen -versammelt waren. Nach einem herrlichen Hochamt feierte die ganze -Pilgerschar, wohl mehr als fünftausend, die Generalkommunion. Der -Eindruck war für mich ein so überwältigender, daß ich nur mit größter -Mühe das ergreifende Marienlied, dessen Soli mir übertragen waren, zu -Ende brachte. Und als dann endlich wir Pilgermädchen, ungefähr -zweihundert an der Zahl, uns gemessen und in tiefer Andacht dem Tisch -des Herrn nahten, während ein bestellter Knabenchor uns ablöste, ging -eine große Bewegung durch das Gotteshaus, und manche Träne unseres -greisen Pfarrers fiel in den Kelch, aus dem er uns das Brot des Lebens -reichte. Der heilige Vater Leo und unser geliebter Erzbischof Antonius -von Thoma hatten uns noch ihren Segen übermitteln lassen, und nach -diesem feierlichen Akt traten wir unter dem Geläute sämtlicher Glocken -unsere Wallfahrt an. - -Voran schritten wir Pilgermädchen, und die kräftigsten von uns trugen -unsere Fahnen und die Statuen unserer Patrone, der Mutter Gottes, des -Erzengels Raphael mit dem Tobias und des heiligen Aloysius. Unter -Liedern und Gebeten ging es durch die Straßen der Stadt zum Ostbahnhof, -von wo aus uns ein Sonderzug rasch nach Mühldorf brachte. Im Zuge -erzählte uns unser Präses mit großer Einfachheit von Gnadenbezeigungen -Mariens, besonders von jenen gegen Kinder und Jungfrauen. - -Von Mühldorf aus gingen wir nach einem einfachen Frühstück zu Fuß nach -dem Gnadenort, den wir gegen Mittag erreichten. Empfangen von dem -Geläute sämtlicher Glocken, dem Jubel der Bewohner, der Geistlichkeit, -des ansässigen Ordens und einer Musikkapelle, betraten wir den geweihten -Ort und begrüßten die Gnadenvolle, ein jeder nach Drang des Herzens oder -Größe des Kummers, den er hier am Gnadenaltar niederlegen wollte. Meiner -hatte sich eine fast überirdische Stimmung bemächtigt und ich fühlte -mich so frei und aller Sorge ledig, daß ich nur ganz verklärt das alte, -mit unsäglich vielen und köstlichen Kleinodien aller Zeiten geschmückte -Gnadenbild anschauen konnte, während meine Lippen mechanisch murmelten: -»O Maria, hilf doch mir; es fleht dein armes Kind zu dir. Im Leben und -im Sterben laß meine Seele nicht verderben.« Nach langer Zeit erst fiel -mir eins nach dem andern ein, was ich gern von der Mutter Gottes erlangt -hätte. - -Inzwischen hatten die Pilger sich in Gruppen geteilt, die einen weilten -im Kloster, die andern in den verschiedenen Kirchen des Ortes. Draußen -vor der Gnadenkapelle aber hatten jene, die besonders viel von der -Gnadenreichen erlangen oder für irgend eine geheime Schuld Sühne tun -wollten, eins der zahlreich daliegenden Holzkreuze auf die Schulter -geladen und schleppten dieses nun, bald aufrecht gehend, bald auf den -Knien rutschend, laut betend und weinend um den sogenannten Kreuzgang. -Ich weiß nicht, wie es kam und was ich wollte: kurz, ich befand mich -plötzlich unter den Kreuztragenden; da das massive Eichenkreuz aber -meiner Schulter ziemlich weh tat, ließ ich es bei dem dreimaligen Umgang -bewenden und übergab mein Kreuz einer dicken Frau, deren böse Zunge weit -und breit gefürchtet war. Mit einigen Freundinnen besah ich mir dann den -ganzen Ort, die Kirchen, das Kapuzinerkloster und den Markt für -Wallfahrtsandenken und verwunderte ich mich über den üppigen Handel und -die Gewinnsucht an dieser frommen Stätte. Dazwischen sorgten wir auch -für des Leibes Notdurft; denn es war alles schon vorausbestellt worden -von unserm vorsorglichen Präses. Den Tag beschloß noch eine schöne Feier -mit Illumination der Kapelle, und nach einem einfachen Nachtmahl begaben -wir uns in unsere Schlafkammern. Die Vermögenderen hatten sich ein Bett -für sich allein gesichert; die Ärmeren aber mußten je zwei in einem Bett -schlafen. Da mir meine Mutter die Ausgabe für ein eigenes Bett nicht -bewilligt hatte, so mußte ich es mit einer Mitschwester teilen. Ich -fragte daher meine liebste Freundin, ob sie mich als Störenfried wolle. -Sie war gern bereit, und so verbrachten wir die Nacht unter Flüstern, -Kichern, Scherzen und Kosen. - -Der neue Tag brachte wieder viel des Erbaulichen und Ernsten, doch wurde -ich zuletzt müde von allem und war froh, als am Dienstag in der Früh das -Schlußamt mit Generalkommunion am Gnadenaltar gefeiert wurde. Als aber -hierbei am Chor plötzlich die kindlichen Stimmen von etwa zwanzig Knaben -an mein Ohr tönten und sie das uralte Abschiedslied von der »schwarzen -Mutter Gottes« sangen, ward es mir schwer ums Herz und ich konnte mich -kaum losreißen von dem Gnadenbilde. Ganz traurig schloß ich mich den -andern an und brachte beim Singen kaum mehr einen Ton heraus. - -So kam es, daß ich recht niedergeschlagen daheim ankam und ernste -Vorwürfe von meiner Mutter wegen meiner scheinbaren Undankbarkeit zu -hören bekam. - - * * * * * - -War ich schon vorher nicht gerne in der Gastwirtschaft tätig gewesen, so -hatte ich jetzt, seit ich Pilgermädchen war, die ganze Freude an dem -öffentlichen und lauten Leben verloren; doch wurde ich von meiner -Mutter, trotzdem sie so religiös schien, fest angehalten, überall, wo es -vonnöten war, einzuspringen. Bald war ich in der Küche das Spülmädchen -oder die Köchin, bald in der Gaststube die Kellnerin; denn da die Mutter -oft recht grob mit dem Dienstvolk war, lief bald die eine oder andere -wieder weg. Am meisten zuwider war mir der Aufenthalt in der Gaststube; -denn war ich bei den Gästen ernst und schweigsam, so schalt die Mutter, -daß ich ihr die Leute vertreibe; war ich aber freundlich und heiter, so -nützten das viele rohe und wüste Kerle aus und belästigten mich nicht -nur mit allerhand Zoten und zweideutigen Fragen, sondern quälten mich -manchmal in der unsaubersten Weise, indem sie mich an den Beinen faßten, -Küsse verlangten oder sonstige aufdringliche Zärtlichkeiten versuchten. - -Kam ich dann also gehetzt zur Mutter und klagte ihr solche Dinge, so -wurde sie sehr erbost und schalt mich heftig, daß ich mich nicht zu -benehmen wisse: »Was muaßt di denn hi'stelln dafür? Scham di; bist -fufzehn Jahr alt und no so dumm! Da sagt ma halt, i hab jatz koa Zeit -und geht freundli weg!« - -Oft dachte ich über diese Worte nach und versuchte mich danach zu -richten; doch waren alle meine Bemühungen, die Zudringlichkeiten solcher -Burschen mit Liebenswürdigkeit abzuwehren, erfolglos, und ich fürchtete -ständig, meine Unschuld zu verlieren. Da faßte ich am Ende den -Entschluß, meinem Beichtvater diese Vorfälle mitzuteilen, ich hatte aber -nicht den Mut, dem alten Kooperator, der immer noch mit Vorliebe nach -den Heimlichkeiten seiner Beichtkinder fragte, davon zu erzählen. - -Da kam ein neuer Geistlicher an unsere Pfarrei, der noch sehr jung war -und erst vor kurzem seine Primiz gefeiert hatte. Diesem beichtete ich -nun ausführlich und er sprach mir gut und freundlich zu, fragte mich nur -wenig und gab mir am Schluß noch viele Ratschläge. Ich war sehr beruhigt -nach dieser Beichte und ging nun regelmäßig zu ihm. Bald wurden wir auch -wegen des Singens näher bekannt, und ich besuchte ihn des öfteren in -seiner Wohnung. Dabei entwickelte sich zwischen uns bald eine Art -Freundschaftsverhältnis und ich fand bei ihm Trost und Zuspruch, wenn -ich ihm erzählte, wie es mir daheim erging. Als er nach kurzer Zeit in -eine andere Pfarrei versetzt wurde, wurde ich durch seine Vermittlung an -dieser Kirche erste Sopranistin und Solosängerin. Als auch hier die -Besuche ihren Fortgang nahmen, wußte ich bald, daß ich ihn liebte, und -ich mußte mich oft mit aller Gewalt zusammennehmen, um ihm das nicht zu -sagen; denn ich sah wohl, daß auch auf seiner Seite eine Neigung war. -Doch immer wußte er sich zu beherrschen und verstand auch meine Gefühle -im Zaum zu halten. Wie oft stand ich zitternd vor ihm und sah ihn mit -den verliebtesten Augen an oder küßte stürmisch seine Hand. Dann blickte -auch er mich freundlich an, streichelte mir die Wange und sagte: »Ja, -ja, Kind, du bist halt mei Singvogel! ... Was schaust denn no? ... Ja -so, a Bildl magst no, gel!« worauf ich hochrot, mit leiser Stimme -entgegnete: »Ja, bitt schön, Herr Hochwürden!« - -»So Kind, such dir eins aus. Magst na an Kaffee aa?« - -In meiner Verwirrung vermochte ich ihm keine rechte Antwort zu geben. - -Da rief er der halbtauben Wärterin: »Lies, mein' Kaffee!« und zu mir -gewendet fuhr er fort: »Woaßt, Kind, i hab aber bloß oa Taß. Trinkst -halt du z'erst den dein', gel!« und damit führte er mich zum Kanapee, -setzte sich zu mir und plauderte von erbaulichen Dingen. Ich aber hörte -kaum zu, sondern betrachtete unausgesetzt seine Hände und Knie und -dachte nur den einen Gedanken: »Wann i dich nur bloß ein einzigs Mal so -viel lieb haben dürft!« - -Da brachte er mich mit den Worten: »Hast aber aa g'nug Zucker drin?« -wieder zu mir selber, worauf er den Kaffee versuchte, mir noch ein -Stücklein hineintat und mich trinken hieß. - -Als ich getrunken hatte, meinte er: »So, Kind, jetzt hast von mir an -Kaffee kriegt und a Bildl. Was kriag jetzt i?« - -Da dachte ich voller Ängsten, er würde sagen: »Ein Bußl,« aber er fuhr -fort: »Gel, jetzt kriag i dafür a recht a schöns Lied; aba koa heiligs, -denn di hör i so allweil!« - -Da sang ich das Lied von dem Dirndl, das um Holz in den Wald geht, ganz -zeiti in der Fruah und dem sich nachischleicht a saubrer Jagasbua. - -Als ich die erste Strophe gesungen hatte, wobei er mich am Harmonium -begleitete, meinte er: »Ah, dös war aber schö; aber recht arg verliabt. -No, es macht nix; von den Wirtstöchtern woaß ma's scho, daß was solches -aa lernen. Kannst no mehr von dem Liedl?« - -»Bloß noch eine Stroph', Herr Hochwürden! Aber die is no verliabter.« - -»Dös macht nix, Kind Gottes, sing nur weiter!« - -Da sang ich: - - Drauf sagt der Jaga zu der Dirn, - Geh, laß dei Asterlklaubn; - I möcht so gern mit dir dischkriern - Und dir in d'Äugerln schaugn. - Das Dirndl sagt: Dös ko net sei, - Daß du mir guckst in d'Augn, - Denn d'Jaga derfan, wia i woaß, - Ja nur ins Greane schaugn. - -Da läutete es. Er sah nach, und eine alte Betschwester stand an der Tür; -da hieß er sie warten und verabschiedete mich mit den Worten: »Jetzt -muaßt geh, liabs Kind, jetzt haben d'Mauern Ohren kriagt.« Damit schob -er mich durch sein Schlafzimmer an die Tür, und während ich heraustrat, -sah ich ihn schon die alte Frau empfangen. - -Doch nicht lange mehr dauerten diese Besuche; denn er wurde abermals -befördert und kam als Benefiziat in ein geistliches Institut. - -Als ich dann von ihm Abschied nahm und ihn zum letztenmal um seinen -Segen bat, stand er ergriffen auf und trat zum Weihbrunnkessel, während -ich vor ihm niederkniete. Plötzlich aber umfaßte ich seine Knie und -preßte mein Gesicht daran, indem ich laut weinend rief: »O mein lieber, -lieber Hochwürden!« - -Da machte er ganz ruhig seine Knie frei, zog mich in die Höhe und sagte, -indem er meinen Kopf zwischen seine Hände nahm: »Kind, geh jetzt, es -wird Zeit, du mußt hoam,« und dabei rannen ihm ein paar Tränen über die -Wangen. Da ergriff ich nochmals seine Hand, küßte sie drei-, viermal -heftig und lief dann davon. - -Auf der Straße schaute ich noch einmal um. Da stand er am Fenster und -winkte mir freundlich zu. - -Einmal noch sah ich ihn, ohne aber mit ihm reden zu können; denn es war, -als wir uns eben in feierlicher Prozession zur Wallfahrt nach Grafrath -auf den Weg machten. Er stand mit einer alten, ehrwürdigen Dame, die -wohl seine Mutter sein mochte, an einer Straßenecke, und ich mußte hart -an ihm vorbei. Als er mich erblickte, huschte es wie große Freude über -sein Gesicht, und lächelnd nickte er mir einige Male grüßend zu und -wandte sich danach schnell zur Seite. Ich war über dieses Wiedersehen, -so flüchtig es war, sehr beglückt und dachte während der Wallfahrt viel -an ihn und empfahl ihn an der dem heiligen Rasso geweihten Stätte -inbrünstig der Fürbitte dieses Heiligen. - - * * * * * - -Fröhlich kehrte ich von dieser Pilgerfahrt zurück und nahm mir vor, den -Freund an einem der nächsten Tage aufzusuchen. Doch ich kam nicht dazu; -denn daheim fand ich meine Brüder an Diphtherie erkrankt. - -Indem ich sie noch pflegte, wurde ich selbst davon ergriffen und konnte -erst nach Wochen das Bett verlassen. - -Als ich aufgestanden war, versuchte ich sofort wie zuvor mich wieder um -das Hauswesen zu kümmern. - -Da dies die Mutter sah, hielt sie mich schon für gesund und trug mir -daher mehr auf, als ich leisten konnte. So kam es, daß ich wieder -täglich kränker wurde und endlich vor Mattigkeit mich alle Augenblicke -niedersetzen oder anlehnen mußte. Das nahm man aber für Faulheit, und -besonders die Mutter beklagte sich darüber: »Nur schö langsam! Heut a -Trumm, morgen a Trumm! Bis i an Steckn nimm und zoag dir, wie ma arbat!« - -Ich nahm mich nun recht zusammen; doch während ich das Schlafzimmer -meiner Eltern aufräumen wollte, befiel mich wieder eine solche -Müdigkeit, daß ich mich aufs Sofa setzen mußte, um zu rasten. Ich -schlief ein und erwachte erst, als meine Mutter mir einige Schläge auf -den Kopf gab; denn es war inzwischen Mittag geworden und sie kam, -frische Servietten für die Stammgäste zu holen. Voll Zorn schrie sie -mich an: »Da hört si do scho alles auf! Mittn am Tag legt si dös faule -Luder hin und schlaft, anstatt z'arbatn! Aber wart, i hilf dir! -Augenblickli wichst ma jetzt den Schlafzimmerboden; und sauber wann net -alles is, dann Gnade Gott! Jatz is elfe; um zwoa komm i rauf, da will i -alles ferti sehgn!« - -Mir war ganz dumm im Kopf, aber ich begann trotzdem wieder zu arbeiten. -Als ich etwa ein Drittel des Zimmers mit Stahlspänen abgerieben hatte, -drehte sich plötzlich alles vor meinen Augen und ich wußte nichts mehr. - -Lange muß ich so dagelegen sein; denn kaum hatte ich wieder zu arbeiten -begonnen, schlug es zwei Uhr. Ich war vor Schrecken ganz ratlos, denn -ich hörte die Mutter kommen. Als sie sah, wie wenig ich gearbeitet -hatte, schrie sie: »Was, du bist no net ferti! Ja, da is ja no net amal -richti o'g'fangt! Du willst mi, scheint's, zum Narren haltn, du -Kanallje!« Dabei trat sie mich mit Füßen und riß mich an den Haaren in -die Höhe. - -Mühsam fing ich wieder an zu arbeiten, während die Mutter an den -Waschtisch gegangen war und sah, daß ich das Wasser noch nicht -ausgeleert hatte. Da schrie sie: »Ja, was is denn dös! Net amal -d'Waschschüssel hat s' ausg'leert und a frisch Wasser reitragen!« - -»Ja mei, i hab ma's ja net z'tragen traut, die teure Schüssel, weil mi -alle Augenblick der Schwindel anpackt.« - -»Was Schwindel! Dir treib i dein' Schwindel aus. Sofort leerst die -Schüssel aus! I möcht wissen, für was ma dir z'fressn gibt, du -langhaxats G'stell!« rief sie und stieß mich an den Waschtisch. - -Ängstlich faßte ich die schöne Schüssel, die von zarter, himmelblauer -Farbe war, mit einem goldenen Rand, und eine Muschel darstellte. Im -Innern war ein Bild, das zwei Mädchen in fremder Tracht zeigte, die am -Meeresstrand standen und einen in einem Segelboot sitzenden Burschen aus -flachen Schalen mit Wasser bespritzten. Den Krug schmückte eine ähnliche -Szene; das Geschirr war alt und kostbar und der Name des Künstlers stand -darauf geschrieben. - -Schwankend trug ich also die Schüssel durch das Zimmer, als ich -plötzlich einen Stoß verspürte, worauf ich zu Boden stürzte. Die Mutter -hatte es getan; denn ich war ihr zu langsam gegangen. - -Starr blickte ich erst auf die Wasserlake, dann auf die Scherben und -vergaß, aufzustehen, bis mich die Mutter mit dem Ochsenfiesel des Vaters -daran erinnerte. - -Eine halbe Stunde später, als ich, die blutigen Striemen an meinem -Körper betrachtend und vor Schmerzen an Brust und Rücken stöhnend, -bemüht war, das Unheil wieder gut zu machen, ging die Mutter fort mit -der Drohung: »Dawerfa tua i di, wenn i net die gleiche Schüssel kriag!« - -Ich hielt das letztere für ausgeschlossen bei der Kostbarkeit derselben -und zog deshalb meinen Regenmantel an und schlich mich, nachdem ich aus -meiner Sparbüchse noch etwas Geld zu mir gesteckt hatte, davon. - -Planlos und ohne an etwas zu denken, lief ich durch die Nymphenburger -Straße hinaus über Laim und befand mich endlich auf der Straße, die nach -Großhadern führt. Die Sonne war schon im Untergehen und über den Feldern -stand ein leichter Nebel; denn es war schon im Spätsommer. - -Ich blieb stehen und sah mich um. Da durchfuhr mich ein kalter Schauer, -und als ich weiter gehen wollte, wurde mir schon nach wenigen Schritten -so übel, daß ich mich erbrechen mußte und danach ohnmächtig auf der -Landstraße hinfiel. - -Spät abends fand mich ein Bauer, der Milch nach der Stadt gefahren hatte -und jetzt auf dem Heimweg war. Der hob mich auf und brachte mich mit -seinem Fuhrwerk nach Großhadern und lud mich bei einem großen Wirtshaus -ab. Die Wirtin brachte mich freundlich zu Bett und befahl einer alten -Frau, daß sie die Nacht über bei mir bleibe. Sie selbst kam am andern -Tag und fragte mich mitleidig, wo ich in diesem Zustand denn herkomme -oder hinwolle. Da erzählte ich ihr mein ganzes Unglück und bat sie, sie -solle mich doch bei sich behalten, ich sei eine Wirtstochter und könne -ihr viel helfen. - -»Ja, mei liabs Kind,« meinte die gute Frau, »deine Leut wer'n halt recht -Sorg um di habn und di wieder z'rückverlanga; denn dös kann do net sei, -daß a Muatter so schlecht is.« - -Weinend wiederholte ich meine Bitte und beruhigte mich erst, als sie mir -versprach, mich in ihren Dienst zu nehmen: »Aba z'erscht muaßt wieder -g'sund wer'n. Drum bleibst heut lieber no liegn. Vielleicht kann ma -morgn mehra sagn.« - -Gegen Abend hielt ich es nicht mehr im Bett aus und ging zu der Wirtin -in die Küche und fragte sie, ob ich ihr was helfen könnte. - -»Ja mei, Kind, in dem Zuastand! Sitz di liaber ins Nebenzimmer und iß -was G'scheits. Du schaust ja aus wie inser liaber Herr am Kreuz!« Damit -nahm sie mich bei der Hand und führte mich ins Nebenzimmer, wo an einem -Tisch fünf oder sechs Herren beisammen saßen und mich verwundert -ansahen. - -»Wen bringen S' denn da, Frau Obermeier? Dös is g'wiß a Basl,« fragte -einer, während ein anderer hinzufügte: »Jess Maria, is dös Madl kasi! Is -'leicht krank?« - -»Ja mei, Herr Oberförster,« sagte die Wirtin, »dös is a g'spaßige -G'schicht!« und sie erzählte die Sache den Herren, von denen einer der -Bürgermeister, ein anderer der Arzt und ein dritter der Herr Benefiziat -war. - -Nachdem die Wirtin meine Geschichte erzählt hatte, bestürmten sie mich -mit allen möglichen Fragen; doch der Arzt sagte: »Laßt's dem armen Kind -sei Ruh, meine Herrn! Ma sieht's ja auf den ersten Blick, daß 's -schwerkrank is ... Geh amal her, Fräulein, und laß dir in'n Hals -neischaun! ... Ach, herrjesses,« schrie er da, »wie schaut's da drin -aus, und so ham s' di rumlaufa und arbat'n lassen. A so a Bagasch g'hört -do scho glei o'zoagt!« - -»Und sie möcht zu mir in Dienst gehn!« rief die Wirtin dazwischen. - -»Sonst nix mehr,« schrie der Bürgermeister, »ins Krankenhaus g'hörst! -Net wahr, Herr Doktor?« - -»Allerdings wär's das beste, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das -Mädel a starke Lungenentzündung kriagt auf dö Strapazen.« - -Da sagte der Herr Benefiziat: »Wie heißt du denn eigentlich und woher -bist du?« - -Als ich es ihm gesagt, fragte er weiter: »Moanst wirkli, daß di dei -Muatter totschlagt?« - -»Ja, i glaab scho; denn halbert umbracht hat s' mi a so scho.« - -Da lachten sie alle, bis der Herr Benefiziat wieder ganz ernst fortfuhr: -»Es ist doch a Sünd und a Schand, wie heutzutag mit den armen, ledigen -Kindern umgegangen wird. Z'erscht setzt ma's her, dann gehn s' oan im -Weg um. So ein Weibsbild g'hörat doch schon an die Zehen aufg'hängt und -mit Brennesseln g'haut!« - -»Ganz recht, Herr Benefiziat, früher hat ma aufgramt mit solchene Leut, -aber heutzutag baun s' eahna ja extrige Häuser, daß sie s' leichter auf -d'Welt bringa eahnane armen G'schöpferln!« rief der Tierarzt, und der -Bürgermeister sagte: »Jetzt ham's mir da! Was tean jetzt mir damit? Uns -geht's eigentlich nix o, schiabt's es nur der Münchner G'meinde zua!« - -»Ganz recht, Herr Bürgermeister,« sagte der Oberförster, »für dös arme -Deanderl is am besten, wenn's z'Münka ins Krankenhaus geht, bis g'sund -is. D'G'meinde soll's nur zahln. Die ham mehra wie mir.« - -Ich hatte heftig zu weinen begonnen, so daß die Wirtin rief: »Aber meine -Herren, dös is scho net recht, daß d's ma dem arma Deanderl an solchen -Schrecken einjagt's. Laßt 's es do wenigstens mit Ruah essen!« Damit -führte sie mich an den Tisch und gab mir den Löffel in die Hand, und ich -mußte von dem Kalbslüngerl, das die Kellnerin hingestellt hatte, essen. -Ich brachte aber vor Weinen und Halsweh nichts hinunter. Die Wirtin -kehrte wieder in ihre Küche zurück, während die Herren sich lebhaft über -mich unterhielten. - -Nach einer Weile stand der Herr Benefiziat auf, setzte sich zu mir und -gab mir folgenden Rat: »Liabs Kind, i moan, 's wär's G'scheitste, du -tätst morgen früh von Pasing nach der Stadt fahren, dort auf die Polizei -gehen, die ganze G'schicht anzeigen und dich in ein Krankenhaus schaffen -lassen. Nachher bist gut aufg'hoben und deiner Mutter schiab'n s' -hoffentlich an Riegel vor ihre Brutalitäten.« - -Ich gab ihm keine Antwort und weinte nur. Die Wirtin aber brachte mich -darauf wieder ins Bett und erwiderte mir auf meine Frage, was ich -schuldig sei: »An Vergelt's Gott und an B'suach, wann's dir amal guat -geht.« - -Am andern Morgen stand ich sehr früh auf und ein Milchfuhrwerk nahm mich -wieder mit nach Pasing. Von da fuhr ich mit der Bahn nach München. - -Als ich ratlos vor dem Sterngarten am Bahnhofplatz stand und nicht -wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete mir der Sohn einer im -Haus meiner Eltern wohnenden Familie und sagte mir: »Geh fei net hoam, -Leni! Dei Muatter is in der größten Wut. Die ganze Nachbarschaft hetzt -s' über di auf und sagt dir alles Schlechte nach. Durch d'Gendarmerie -laßt s' di scho überall suacha.« - -Da begann ich zu weinen und fragte ihn um Rat; denn wir hatten uns sehr -gern. Er meinte auch, ins Krankenhaus gehen, wäre das Gescheiteste; doch -zuvor solle ich auf die Polizei, daß man nicht weiter nach mir suche. Er -begleitete mich dann auch dorthin und ging darauf in sein Geschäft. Ich -aber trat in die Einfahrt des Polizeigebäudes und fragte den Gendarm, -der dort auf Posten stand: »Sie, entschuldigen S', bitt schön, wo is -denn da dös Zimmer, wo verlorengangane Personen o'g'meldt wer'n?« - -Er lachte herzlich und gab mir zur Antwort: »San vielleicht Sie verloren -ganga, schön's Fräulein? Dann melden S' Eahna parterre, ganz hinten auf -Zimmer Nummro sieben.« - -Dort fragte man mich nach meinem Begehr. - -»Entschuldigen S', is bei Ihnen ein junges Mädchen angemeldet, dös wo -verlorenganga is, oder vielmehr, dös wo davog'laafa is? Wissen S', i bin -davo von dahoam, weil mi mei Muatter sunst derworfa hätt, weil i -d'Waschschüssel derschlagn hab und Diphtherie hab.« - -Lächelnd führte mich der Beamte in das Zimmer des Polizeiarztes, und als -ich dem meine ganze Geschichte erzählt hatte, untersuchte er mich und -sagte darauf: »Herr Rat, ich bitte Sie, lassen Sie die Ärmste nach dem -Krankenhaus schaffen. Benachrichtigen Sie jedoch die Angehörigen nicht -davon. Recherchieren Sie vielmehr, ob solche Sachen bei dieser Frau -öfter vorkommen; denn so etwas gehört exemplarisch bestraft.« - -Hierauf mußte ich mich ausziehen und ihnen die Beulen und Striemen an -meinem Körper zeigen. Als der Arzt einen großen grünlichen Fleck an -meiner linken Brust bemerkte, rief er: »Unverantwortlich! Ein weibliches -Wesen so zu mißhandeln! Die Megäre denkt gar nicht, welche Folgen das -haben kann!« - -Danach wurde ich in das Krankenhaus an der Nußbaumstraße geschafft, wo -ich alsbald in ein heftiges Fieber verfiel und an einer schweren -Lungenentzündung erkrankte. - -Als es mir besser ging, wollten alle meine Geschichte hören; denn durch -den Polizeiarzt war an unsern Arzt, Doktor Kerschensteiner, schon ein -aufklärendes Schreiben gelangt, und der freundliche Herr hatte in seiner -Entrüstung ganz laut im Saal geschrien: »Die Bestie! Das Schandweib! Und -so was nennt sich Mutter!« - -Nach drei Wochen aber meinte er: »Jetzt müssen wir es doch der Mutter -schreiben, wo Sie sind. Es handelt sich nämlich um die Zahlung, ob das -Ihre Mutter übernimmt oder die Gemeinde.« - -Als ich darauf zu weinen begann, beruhigte er mich mit den Worten: »Sie -müssen nicht Angst haben. Die Frau tut Ihnen nichts. Dafür bin ich auch -noch da.« - -Man schrieb ihr also, und an einem Dienstag nachmittag zur allgemeinen -Besuchsstunde kam sie. Ich lag im ersten Bett, gleich neben der Tür. Sie -blickte im ganzen Saal herum und sah mich lange nicht, nachdem sie mich -aber bemerkt hatte, schrie sie, daß es alle hörten: »So, da bist! Was du -deinen armen Eltern angetan hast, übersteigt alle Grenzen. Da heraußen -muß ma di finden und hätt'st es so schön g'habt dahoam. Hätt dir koa -Mensch was tan!« Dabei brach sie in Tränen aus, ging durch den Saal an -das Fenster und sagte ganz laut und mit schluchzender Stimme: »So ein -ungeratenes Kind! Oan so vui Verdruß z'macha!« - -Die andern Patientinnen, die den wahren Sachverhalt wußten, begannen bei -diesen Worten zu kichern und zu lachen und eine sagte mit komischem -Ernst vor sich hin: »Tja, tja, solchtene Kinder!« worauf im ganzen Saal -lautes Gelächter erscholl. - -Da mußte auch ich lachen, und die Mutter entfernte sich wütend mit den -Worten: »Daß d' di z'ammrichst morgen. Morgen nachmittag hol i di!« - -Am Abend machte der Herr Doktor wie gewöhnlich die Runde, und es wurde -ihm das Vorgefallene berichtet. Da trat er an mein Bett und sagte -lachend: »Ah, Sie leben ja noch! Also ist sie doch nicht so schlimm.« -Als er aber erfuhr, daß ich am andern Tag wieder nach Haus müsse, rief -er: »Unter keinen Umständen! Sie sind noch nicht gesund, und jede -Aufregung, sowie Luftwechsel schadet Ihnen! Ich werde niemals meine -Einwilligung dazu geben.« - -Er mußte sie aber doch geben, als die Mutter am andern Tag unter vielen -Tränen versicherte, ich solle kein unrechtes Wort mehr hören, noch viel -weniger eine Mißhandlung erdulden. - -Nachdem ich ziemlich bedrückt von den Krankenschwestern und den übrigen -Patientinnen Abschied genommen hatte, trat ich mit der Mutter den -Heimweg an. - -Vorerst aber hatte die Mutter an der Kasse noch sechsundneunzig Mark für -meine Verpflegung zu bezahlen, doch ließ sie mich den Ärger darüber -nicht merken. - -Unterwegs in der Trambahn sagte ich ihr, ich wolle nicht mehr heim, -sondern eine Stellung als Dienstmädchen annehmen. Sie schien anfangs -entsetzt darüber, ging aber dann doch mit mir in die Marienanstalt, wo -bessere Stellen für Dienstboten vermittelt wurden. - -Während sie mit der Oberin verhandelte, mußte ich auf dem Korridor -warten. Nach längerer Zeit trat die Mutter heraus und sagte, spöttisch -lächelnd: »So, geh nur nei! Frau Oberin woaß allerhand für di.« - -Mit den besten Hoffnungen trat ich ins Zimmer, gefolgt von der Mutter. -Aber es kam anders, als ich erwartet hatte. - -»Weißt du,« begann die sehr beleibte Oberin, indem sie mit hochrotem, -erzürntem Gesicht vor mich hintrat, »was einem Kind gebührt, das seine -Eltern mit Füßen tritt und das Elternhaus mißachtet und nicht mehr dahin -zurückkehren will? ... Einem solchen Kind gehört nichts anderes, als daß -man es an einen Haken anhänge und mit einem Stock oder Strick so lang -schlage, bis es lernt, das Elternhaus zu schätzen und Vater und Mutter -zu lieben!« - -Als ich dies vernommen, verlangte ich nicht mehr zu wissen und eilte -nach der Tür, riß sie auf und lief davon, heim zum Vater. - -Nachdem dieser mich freundlich empfangen und mir seine Hilfe versprochen -hatte, erzählte ich ihm auch dies mein letztes Erlebnis. Da gab er mir -recht, und als die Mutter heimkam und über mich klagte, sagte er: »Dös -is aa koa G'redats an a krank's Madl hin. Da kann 's freili koa Liab und -koa Achtung lerna bei dera Behandlung. Sei du mit'n Madl, wie es si -g'hört, na werd si bei ihr aa ninx fehln!« - -Darauf brachte mich die Mutter zu Bett und behandelte mich von nun an -gut und freundlich. - - * * * * * - -Inzwischen nahte der Hochzeitstag meiner Eltern wieder heran. Es war der -zehnte, seit sie geheiratet hatten, und auf den gleichen Tag fiel auch -mein Geburtsfest. Ich wurde damals siebzehn Jahre alt. - -Da die Eltern es gern sahen, daß ich ihnen zu den üblichen -Familienfesten meine Glückwünsche darbrachte und auch die Brüder -irgendein Gedichtlein lernen ließ, so beschloß ich, ihnen zu ihrem -zehnten Hochzeitstage eine rechte Freude zu machen. Ich schmückte also -das Nebenzimmer mit Papiergirlanden, stellte ein selbstverfertigtes -Transparent auf und dazu ein Brett, in das ich zehn Nägel schlug und -darauf zehn Wachskerzen befestigte. Auf einen weißgedeckten Tisch legte -ich die Festesgaben, zu denen ich einen eigenen Vers gedichtet hatte. Es -waren ein Paar zierliche Samtpantoffeln für die Mutter und ein -gesticktes Käpplein für den Vater, nebst zwei Blumenstöcken und einem -Kuchen. Auch den Stammgästen teilte ich meine Absicht mit, und sie waren -gern bereit, die Feier noch durch Musik zu verschönern. - -Als nun am Vorabend des Hochzeitstages meine Eltern plaudernd am -dichtbesetzten Stammtisch saßen, ertönte plötzlich im Nebenzimmer Musik -und man brachte ihnen ein Ständchen. Erschrocken sprang die Mutter auf -und lief hinüber. Da erglänzte der also geschmückte Raum im Licht der -Kerzen und des Transparents. Doch, o Wunder! es stand noch ein Brett auf -dem Tisch, an dem siebzehn kleine Lichtlein brannten. Meine Brüder -hatten mich damit überrascht. - -Während die Mutter immer noch starr an der Tür lehnte, war auch der -Vater hinzugetreten, und nun brachte ich meinen Prolog vor, worauf die -Gäste ein dreimaliges Hoch brüllten. - -Dann stand einer von den Stammgästen auf und brachte in umständlicher, -stotternder Rede die Wünsche der Gäste zum Ausdruck und rief zum Schluß: -»Unser wertes Hochzeitspaar und unser liebes Geburtstagskind mögen noch -lange Jahre froh und glücklich sein! Sie leben hoch, hoch, hoch!« - -Da rief die Mutter, der während des Ganzen eine dunkle Röte bis zu den -Schläfen über das Gesicht lief, aus: »Ja, seid's denn alle verrückt -wordn! Was red's denn allweil von zehn Jahr? Mir san do scho zwanz'g -verheirat'!« - -Ich verwunderte mich über diese Rede sehr; denn ich wußte doch bestimmt, -daß der Vater jetzt fünfunddreißig, die Mutter aber achtunddreißig -zählte, und wenn sie nun vor zwanzig Jahren schon geheiratet hätten, so -... Ich schickte mich also an, ihnen dies zu erklären. Da erhielt ich -einen heftigen Stoß von der Mutter, und sie rief halblaut: »Marsch, ins -Bett! Und freun kannst di!« - -Andern Tags aber gab es heftige Prügel dafür, daß ich die Eltern so -blamiert hatte; denn sie wollten es niemand wissen lassen, daß die -Mutter mich schon ledig gehabt. - - - - - - -Jetzt war meine gute Zeit wieder vorbei, und die Mutter quälte mich -wieder ärger denn je. Dabei empfand ich es am bittersten, daß sie mich -oft, besonders zu gewissen Zeiten des Monats, wegen irgend einer -Kleinigkeit, die ich mir hatte zu Schulden kommen lassen, dadurch -strafte, daß sie mir befahl, nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer zu -erscheinen. Dort mußte ich mich dann jedesmal nackt ausziehen und -niederknien, und nun schlug sie unter lauten Schmähungen mit dem -Ochsenfiesel so lange auf mich ein, bis sie vollkommen erschöpft war und -mir das Blut über Arme und Rücken herunterrann. Bei diesen Züchtigungen -waren die Schläge, an die ich mich schließlich auch gewöhnte, nicht so -schmerzhaft als der Umstand, daß die Mutter oft viele Stunden zwischen -meiner Verfehlung und der Strafe verstreichen ließ, während derer ich -das Kommende jeden Augenblick vor mir sah und doch meine Arbeit tun -mußte. - -Dadurch wurde mir das Leben im Hause immer mehr zur Qual und ich -beschloß, auf irgend eine Weise dasselbe zu verlassen. - -Da besuchte uns ein junges Mädchen, welches sich vor seinem Eintritt ins -Kloster noch von einer meiner Basen, die bei uns in Dienst war, -verabschieden wollte. Diese schilderte mir den Beruf und das Leben der -Nonnen so schön, daß ich voller Begeisterung beschloß, ebenfalls ins -Kloster zu gehen. Ich äußerte diesen Wunsch meiner Mutter gegenüber und -sie war ganz wider mein Erwarten einverstanden. Doch wohin? Man -versuchte es im Institut der Englischen Fräulein; doch wies man mich -dort ab, weil ich ein lediges Kind war. Da erfuhren wir durch eine Magd, -deren Schwester schon lange Klosterfrau war, daß der alte Pater Guardian -des Kapuzinerordens in München uns gewiß raten könne; der hätte auch -ihre Schwester ins Kloster gebracht. - -Meine Mutter ging also mit mir dahin und stellte mich dem Pater vor, und -nachdem ich ihm meinen Wunsch, ins Kloster zu gehen, vorgetragen hatte, -meinte er: »Viele sind berufen, aber wenige nur sind auserwählt! Wenn du -wirklich den festen Willen hast, Nonne zu werden, so will ich dir gerne -dazu helfen!« Darauf nannte er mir als die geeignetste Stätte, Gott in -gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt zu dienen, das Kloster -Bärenberg in Schwaben, und nachdem er noch meine Schulzeugnisse geprüft -und mich auch in religiösen Dingen nicht unwissend befunden hatte, -empfahl er mir, dorthin zu schreiben; denn daselbst könne ich Lehrerin, -oder was ich wolle, werden. - -Auf meine Anfrage bei den frommen Frauen dieses Klosters, das dem -heiligen Josef geweiht war, erhielt ich denn auch wirklich den Bescheid, -daß man, obwohl ich schon siebzehn Jahre alt sei und man gewöhnlich nur -jüngere Bewerberinnen zulasse, dennoch gewillt sei, mich als Kandidatin -aufzunehmen; zugleich war dem Schreiben ein Zettel beigelegt, der alles -enthielt, was mir zu wissen vonnöten war und auch was ich an Garderobe, -Wäsche und dergleichen brauchte. - -Als Tag meines Eintrittes war der fünfte Dezember, der Todestag meines -Großvaters, ausersehen und ich erwartete ihn sehnsüchtig und mit großer -Aufregung. - -Die letzte Nacht vor meinem Scheiden aus dem elterlichen Hause schlief -ich nur wenig, und als mich am frühen Morgen die Mutter aus den Federn -holte, war ich in ganz seltsamer Stimmung. Verflogen war alle Lust und -Freude, und ich wäre viel lieber im Bett geblieben, statt mich für die -Reise bereit zu machen. Da ich nun aber einmal daran glauben mußte, -kleidete ich mich rasch an. Bald trat auch schon die Mutter reisefertig -in die Stube, und nachdem ich meinem Vater und den Geschwistern Lebewohl -gesagt, machten wir uns auf den Weg. Oftmals blickte ich noch zurück auf -unser Haus, und als wir durch die menschenleeren Straßen dem Bahnhof -zueilten, nahm ich noch Abschied von den alten Frauentürmen, die -freundlich aus dem Frühnebel grüßten. - -In der Eisenbahn gab mir die Mutter noch allerhand Ratschläge und meinte -zum Schluß: »Kost's, was's mag, wannst nur recht a brave Klosterfrau -wirst! Schickn tean ma dir alles, was d'magst, brauchst bloß z'schreibn. -Aber aushaltn mußt und drinn bleibn! Net, daß d'auf amal nimma magst und -kommst ma daher; da tät's spuckn!« - -Nach dieser Rede verstummte sie, und auch ich lehnte mich schweigend in -meine Ecke. - -Verschneite Wiesen, Wälder und Ortschaften glitten draußen vorüber, -Stationen wurden gerufen, Leute stiegen aus und ein, deren Redeweise -immer mehr das Schwabenland verriet, und bald waren wir in der -Hauptstadt, in Augsburg. Den mehrstündigen Aufenthalt benützten wir -dazu, uns die Stadt ein wenig anzusehen. Mich aber interessierten nur -etliche Klosterfrauen, die eben über den Marktplatz in eine Kirche -gingen; doch gefiel mir ihre Kleidung gar nicht und ich fürchtete, es -möchten die Frauen des heiligen Josef ebensolche unschöne Gewandung -tragen. Während ich ihnen noch nachblickte, stürmte plötzlich keuchend -ein Hund an mir vorüber, der einen andern, der laut heulte, hinter sich -herschleifte. Entsetzt sprangen die Nonnen zur Seite, während sich im Nu -ein großer Menschenhauf ansammelte, aus dem die Rufe: »A Schäffla Wass'r -her! A Töpfla Wass'r drufgießa!« erschollen. Ich aber war höchst -erstaunt vor diesem scheinbaren Naturwunder stehen geblieben und starrte -mit offenem Munde den Hunden nach. Da riß mich meine Mutter mit den -Worten: »Marsch, weiter, dös is nix für di!« mit sich fort und führte -mich auf dem kürzesten Wege wieder zum Bahnhof. - -Während der weiteren Fahrt war die Mutter recht einsilbig, und als wir -jetzt an der Endstation Kamhausen anlangten, sagte sie nur: »So, jetz -müß ma schaun, daß ma no an Platz im Stellwagn kriegn!« welchen Worten -ich nicht zu widersprechen wagte, obgleich ich viel lieber zu Fuß -gegangen wäre. - -Während nun die Mutter wegen der Fahrscheine drinnen am Postschalter -verhandelte, besah ich mir die Gegend: da erblickte ich grad vor mir, -kaum eine halbe Stunde entfernt, angelehnt an einen bewaldeten Hügel, -ein imposantes Gebäude und rings um dasselbe eine Menge kleinerer, die -den Eindruck einer kleinen Stadt machten. Etwas abseits lagen wieder -eine Anzahl Häuser, die mehr ländlichen Charakter hatten und von Bäumen -umgeben waren. Um das große Gebäude und den Berg zog sich eine Mauer und -von dem Dach grüßten ein paar große, mit hohen Schneehauben überzogene -Storchennester. Dazwischen ragten mehrere kleine Türmlein in die klare -Luft und von einem größeren klang einladend das Mittagläuten zu mir -herüber. Da schreckte mich jemand aus meinem Betrachten auf: »He, Mädla! -Was luagscht denn allweil nach Bäraberg rüba? Magscht ebba au e -Kloschtafrau wera?« - -»Ja. Dös hoaßt, naa, naa; i woaß's net!« - -Nach diesen ungeschickten Worten lief ich wieder auf die andere Seite -des Bahnhofs, wo die Mutter mich schon überall suchte. Ich sagte ihr, -daß ich Bärenberg schon gesehen hätte; doch schien sie es nicht zu hören -und trieb mich zur Eile, da der Stellwagen gleich abfahren wollte. - -Mit uns hatten noch einige Frauen und ein junger Mann Platz genommen, -und der letztere veranlaßte mich durch sein sonderbares Betragen und -sein vogelartiges Gesicht, immer wieder nach ihm zu schauen. Er spielte -unablässig mit seinen Fingern, schnitt Grimassen und lallte -unverständliche Worte vor sich hin. Ich erfaßte aus der lebhaften -Unterhaltung der Frauen, die bei ihm saßen, daß der junge Mensch blöd -und epileptisch krank sei und nun in der Kretinenabteilung Bärenbergs -untergebracht werde. In der Ecke saß ein altes Weiblein mit einem kaum -zwanzigjährigen Mädchen, und es fiel mir auf, daß die beiden garnichts -miteinander redeten. Auch die andern Frauen interessierten sich -anscheinend für das Paar; denn die eine fragte plötzlich die Alte: -»Fahrat Se au uf Bäraberg?« - -»Ja freili,« antwortete diese, »mei Dirndl is toret und a Stummerl is 's -aa. Jatz han i mi beim Burgamoasta vürstelli g'macht und der hat ins a -G'schreibats gebn, daß s' auf G'moaköstn in dö Anstalt z'Bärnberg kimmt. -Dö ham ja lauta söllane Dalkn!« - -»Du lieb's Herrgottl! Isch dies abr schad! 's isch ganz e frätzig's, -herztausig's Mädla! Moi Jakala muß au hin, weil er irr ischt und's -Hiefallat hat.« - -Nun war mit einem Mal meine ganze Schneid fort und ich hatte nicht -geringe Angst vor dem Kloster und allem, was dazu gehörte. Und als sich -die redseligen Frauen nun auch an uns wandten, muß ich wohl ganz den -Eindruck einer verschüchterten Irren gemacht haben; denn die eine sagte -zu meiner Mutter: »So, so, Sie fahrat au mit uns! Sie wollet g'wiß au -Aufnahm für dies Mädla; ischt's ebba au e Deppala?« - -Da sagte meine Mutter, daß ich Klosterfrau werden wolle. - -»Schau, schau!« sagte die Alte darauf, »so a schwera und aaschtrengada -Beruf möcht's Mädla und ischt so blaß und mag'r! Lasset Sie's do wied'r -hoifahra, Fraule! Die ischt 'it passad für e Kloschterfrau!« - -Doch meine Mutter entgegnete nur kurz: »Es wär mir gleich, was s' tät; -aber sie will selber ins Kloster.« Damit war die Unterhaltung zu Ende. - -Inzwischen waren wir an dem Hügel angelangt und mußten nun ganz um ihn -herumfahren. Da sah man erst, daß er den eigentlichen Ort ganz verdeckt -hatte, und ich war überrascht von der Schönheit des alten Städtleins. - -Vor dem großen Gebäude machte der Postillon halt und wir standen wartend -an der verschlossenen Pforte. Aus dem kleinen Fensterchen daneben sah -eine schwarze Katze, und als die Tür sich endlich öffnete, stand eine -kleine, alte Nonne vor uns, liebenswürdig und demütig nach unserm Begehr -fragend. - -Nachdem sie die Wünsche eines jeden gehört, führte sie uns in ein kahles -Zimmerchen, aus dem erst die Taubstumme, dann die Frauen mit dem Kranken -geholt wurden. Zuletzt kam eine blasse, junge Schwester, die uns nach -den Gemächern des Superiors führte. - -Vor der Tür des Sprechzimmers standen etwa sieben bis acht Nonnen und -warteten auf Einlaß. Sie standen da, gesenkten Hauptes, die Arme vor der -Brust gekreuzt und beteten leise vor sich hin, während mitunter ein halb -scheuer, halb neugieriger Blick uns streifte. - -Inzwischen hatte die Schwester uns angemeldet und wies uns nun in ein -mit dem Sprechzimmer verbundenes Gemach. - -Da trat nach einer kleinen Weile, während der mir fast die Brust -zersprang vor Erregung, aus der Tür des Sprechzimmers ein ernster Mann -von ehrfurchtgebietender Größe und Haltung und lud uns ein, näher zu -treten. Er führte uns in sein Zimmer, das fast wie der Laden eines Buch- -und Schreibwarenhändlers aussah. Überall lagen Stöße von Büchern, -Heften, Zeitschriften, Akten und Briefen umher und dazwischen große -Pakete, ganze Bündel Wachskerzen, Rosenkränze und Sterbkreuze. Über -einem Stuhl hingen eine Menge violettgelber Ordensgürtel und an einem -Schrank lehnten etliche Krücken. - -Nachdem der Superior in einem Armstuhl Platz genommen, wies er meiner -Mutter auf dem Sofa und mir auf einem Rohrhockerl Sitze an, hierauf -begann er: »Hast du dir auch wohl überlegt, mein liebes Kind, was du tun -willst, indem du eine Klosterfrau zu werden gedenkst?« - -Meine Mutter antwortete statt meiner: »Hochwürdiger Herr, wir haben ihr -lang genug davon abgeraten;« und plötzlich in ihre gewohnte Redeweise -verfallend, fuhr sie fort: »Aber a jeds Wort is umasonst g'wen.« - -»Das haben halt schon viele im Sinn gehabt und nach einiger Zeit sind -sie doch wieder in die Welt zurück. Und gar bei uns gehört viel dazu, um -den Anforderungen, die wir an die Schwestern stellen, gerecht zu werden. -Doch soll es uns große Freude bereiten, wenn das liebe Kind eine recht -fromme, brave und tüchtige Schwester in unserm Orden wird. Wir haben ja -so viele nötig, sowohl für die Arbeit, als auch für den Unterricht; denn -unsere Anstalt besteht aus einem Blindenheim, einem Taubstummeninstitut, -einer Heimstätte für alte, schwächliche Personen und einer Pflegeanstalt -für Kretinen, Epileptische, Irre, Tobsüchtige und durch Ausschweifung -Zerrüttete, sogenannte Besessene. Auch finden bei uns arme, kranke und -mißgestaltete, sowie blöde, krüppelhafte und mißratene Kinder eine -Stätte zur allseitigen Pflege und Bildung, soweit dies möglich ist. - -Unser Orden hat jetzt etwa fünfhundert Profeßschwestern, von denen -etliche schon seit Bestehen desselben das Kleid unseres Schutzpatrons -tragen, und ungefähr zweihundert Novizinnen, die ihren weißen Schleier -erst in ein bis zwei Jahren bei Ablegung der Profeß mit dem schwarzen -zum Zeichen gänzlicher Entsagung der Welt vertauschen. Diese sind noch -nicht durch die ewigen Gelübde gebunden und können den Orden noch -verlassen; doch zeigt ein einzig dastehendes Beispiel, wie der -himmlische Bräutigam diesen Verrat bestraft: die betreffende Novizin -wurde nach einiger Zeit irrsinnig und befindet sich jetzt in unserer -Irrenabteilung. Außer den Genannten haben wir noch etwa dreihundert -Jungfrauen, die am Tag des heiligen Josef Lehr-, Pfleg- und -Arbeitsschwestern werden wollen, sowie einhundertzwanzig -Lehramtskandidatinnen, zehn Handarbeits- und sechs Musikkandidatinnen -und etwa fünfzehn für die Hausarbeit und Küche. Wie ich sehe, hat das -Kind sehr gute Schulzeugnisse; eine kurze Prüfung wird uns zeigen, wozu -sich das Mädchen eignet. Sollte es dir, mein Kind, nicht gefallen, so -kannst du innerhalb fünf Jahren diese Stätte noch verlassen. Nun sage -mir einmal, willst du bei uns bleiben?« - -Er war bei den letzten Worten aufgestanden und hatte mir das Kinn -gefaßt, indem er mich fest anblickte. - -Da sagte ich leise: »Ja, ich will dableiben.« - -Meine Mutter hatte dies Ja überhört und rief: »Na, kannst net antwortn, -wennst g'fragt wirst!« - -Doch der Priester entgegnete ihr: »Ereifern Sie sich nicht, Frau Mutter, -das gute Kind hat mir sein Jawort schon gegeben.« - -Darauf gab er uns seinen Segen und ließ uns durch eine Nonne nach der -Kandidatur führen. Dort mußte mich meine Mutter allein lassen; doch -durfte ich, nachdem ich den Kandidatinnen vorgestellt und genugsam -angestaunt worden war, mit ihr in der Brauerei zu Mittag essen und hatte -mein neues Leben erst am Nachmittag zu beginnen. - -Wir begaben uns also in das Bräustüberl, einen behaglichen Raum mit -rohen, blankgescheuerten Möbeln und Blumenstöcken an den Fenstern, deren -saubere Vorhänge fest zugezogen waren. An den Wänden hingen bunte -Heiligenbilder und in einer Ecke war ein kleiner Hausaltar aufgerichtet, -dessen zierliche Ampel ihr mattes Licht auf die aus Gips verfertigte -Statue des heiligen Josef warf. - -Als ich sah, daß auch hier nur Klosterfrauen tätig waren, verwunderte -ich mich sehr und wagte an die Schwester, die uns bediente, die Frage, -ob hier die Nonnen auch das Bier selber brauten. Da erzählte sie uns, -daß alles, was nur immer zu tun sei, von ihnen selbst gemacht werde; -auch die Ökonomie und Metzgerei, sowie alle Handwerke, deren das Kloster -bedürfe. Zur Hilfe würden allerdings die Pfleglinge, welche sich dazu -eigneten, verwendet. Dies setzte mich in großes Erstaunen, und ich sah -meinem Leben in diesem Kloster mit viel Neugier entgegen. Meine Mutter -aber hatte mit wachsendem Entsetzen zugehört und konnte dies auch kaum -vor mir verbergen, und als sie um drei Uhr wieder in den Stellwagen -stieg, sagte sie ganz unvermittelt: »Also, wann's dir gar z'schwer wird, -kannst d' es ja schreibn; bet viel und sei recht fleißig und aufmerksam -und laß dir nix z'Schulden kommen.« - -Ich gab ihr noch Grüße auf an alle, die mir lieb waren; dann schlang ich -plötzlich meinen Arm um ihre Knie, drückte laut aufweinend meinen Kopf -in ihre Kleider und lief danach, so rasch ich konnte, an die Pforte und -läutete fest, ohne noch einmal umzuschauen. - -Man wies mich wieder in das kleine Zimmer, und dann führte mich die -blasse Schwester ins Refektorium, wo die Kandidatinnen bei der Vesper -saßen. Liebenswürdig nahmen sich sofort einige von ihnen meiner an und -erklärten mir alles, was ich wissen mußte oder wollte. Ich war ihnen -dankbar dafür; denn ich hielt es für natürliche, herzliche -Kameradschaft. Später freilich erkannte ich meinen Irrtum: es war alles -nur Drill und von wahrer Güte wenig zu finden: Bigotterie paarte sich -mit Stolz, Selbstsucht mit dem Ehrgeiz, vor den Oberen schön dazustehen -und als angehende Heilige bewundert zu werden. - -Besonders unter den älteren Mädchen hatte dies Streben nach -Vollkommenheit einen wahren Wettlauf um die Tugend hervorgerufen, und -die Präfektin der Kandidatur, die solches mit großer Befriedigung -wahrnahm, übergab nun jede Neuangekommene der Obhut einer dieser -Würdigen, welche zugleich mit diesem ehrenvollen Amt den Namen -Schutzengel erhielt. - -Also ward auch mir gleich am ersten Abend ein solcher Schutzengel -zugeteilt und waltete mit Eifer seines Amtes. Bald machte er mich auf -das Weltliche meiner Heiterkeit aufmerksam, obschon ich mir recht -traurig vorkam. Und als ich später meinen Arm in den meiner Beschützerin -legen wollte, wies sie mich mit den Worten zurecht: »Pfui! Das schickt -sich doch nicht! Das gefährdet doch die heilige Reinheit! Es ist uns -verboten, uns bei den Händen zu fassen oder einzuhängen. Das Betasten -des Körpers nährt die Sinnlichkeit, und zum Körper gehören auch die -Hände.« - -Da die Abendandacht stets in der Kapelle verrichtet wurde, führte meine -Hüterin mich daselbst an den mir zugeteilten Platz, von dem aus ich -weder den Altar noch sonst etwas von der Kirche sehen konnte; denn wir -befanden uns auf einer Art Galerie, die mit einem dichten Gitter -abgeschlossen war. Rings um uns vernahm ich lautes Beten und sah mich -neugierig um, zu sehen, woher es käme. Da flüsterte mein Schutzengel mit -strenger Miene: »Sieh für dich, arme Seele, Gott ist hier!« - -Nach dem Abendgebet gingen wir paarweise in den großen Schlafsaal, und -meine Führerin steckte mir auf dem Weg dahin einen Zettel zwischen die -Finger, auf dem geschrieben stand: »Von neun Uhr abends bis sieben Uhr -morgens strengstes Stillschweigen!« - -Im Schlafsaal angelangt, wies sie mir mein Lager an, und ich wollte nun -beginnen, mich auszuziehen. Da ich noch städtische Kleidung trug und -auch kein Nachthemd bei mir hatte, brachte sie mir eine weiß- und -rotkarierte Bettjacke. Ich hatte bereits meine Bluse aufgeknöpft und -entblößte eben meine Schultern, als mein Schutzgeist ganz entsetzt -herzusprang und mir die Bluse rasch wieder über die Achseln schob. -Hierauf warf sie mir die Bettjacke über die rechte Schulter, und indem -ich sie am Hals festhalten mußte, entblößte sie unter dieser schützenden -Hülle meinen rechten Arm und schob ihn rasch in den Ärmel des -Nachtgewandes. Ebenso verfuhr sie auf der linken Seite und dann knöpfte -sie mir den Kittel bis an den Hals zu. - -Die andern Kandidatinnen hatten sich inzwischen unter lautem Beten auf -die gleiche Art entkleidet, und ich sah nun eine nach der andern ins -Bett steigen; doch behielten alle ihren Unterrock und die Strümpfe an. -Ich machte meine Hüterin durch Zeichen auf dies aufmerksam; da zog sie -einen Bleistift und einen Notizblock aus der Tasche und schrieb darauf: -»Ein sittsames Kind entblößt die Füße erst im Bett und auch den -Unterrock darf man nicht vorher abstreifen.« - -Also legte ich mich zu Bett und entledigte mich, nachdem sie mir die -Decke über den Kopf gezogen, meiner übrigen Kleidung, worauf eine -Nachtschwester von Bett zu Bett ging und einer jeden die Zudecke glatt -strich. Und nachdem man sich noch der Fürbitte des heiligen Joseph und -der heiligen Barbara durch besondere Gebete versichert und den Psalm -»Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr« samt den dazugehörigen -Paternostern gebetet hatte, legte man die Arme auf der Bettdecke -kreuzweise über die Brust und schlief dann ein. - -Traumlos schlief ich die ganze Nacht; denn ich war den Tag über müde -geworden, und als am frühen Morgen plötzlich ein lautes »Gelobt sei -Jesus Christus« ertönte, dem die Kandidatinnen sich aufsetzend »in -Ewigkeit, Amen,« antworteten, blickte ich verwirrt um mich und konnte -mich erst, als von der Pfarrkirche das Fünfuhrläuten erscholl, besinnen, -wo ich war. Rasch sprang ich aus dem Bett; in diesem Moment aber sah ich -ringsum aller Augen entsetzt auf mich gerichtet, und nun merkte ich -erst, daß ich im Hemd und ohne Strümpfe war. Schnell schlüpfte ich -wieder ins Bett und zog mit vieler Mühe unter der Decke meine -Unterkleider an. - -Derweilen waren die anderen Mädchen schon an den langen Waschtisch -getreten, wo eine Waschschüssel neben der anderen stand, und wuschen -sich, als mein Schutzengel kam und auch mich dahin führte. Während des -Ankleidens wurde wie am Abend laut gebetet; man empfahl sich zu allen -Stunden in Mariens Herzen und Jesu Wunden. - -Nachdem wir unsern Schlafsaal geordnet und zuletzt die leichten -Filzschuhe mit Stiefeln vertauscht hatten, begaben wir uns paarweise -nach der Kandidatur. Diese befand sich in dem sogenannten Mutterhaus, -einem alten Bau, der noch aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte und -damals den Prämonstratensermönchen gehört hatte, die später daraus -vertrieben wurden, worauf das Kloster erst als Kaserne und dann als -Speicher diente. In diesem Zustand erwarb es unser Orden und richtete es -wieder wohnlich her; doch wurde das Haus bald zu klein und man fügte -einen Anbau um den andern an. So kam es, daß wir unsern Schlafsaal in -einem dieser neuen Gebäude hatten. - -Wir schritten also über den verschneiten Platz vor dem Kloster; denn -einen geschlossenen Verbindungsgang nach dem Mutterhaus hatte man gerade -erst zu bauen begonnen. Da läutete es in der Pfarrkirche zur heiligen -Wandlung. Sofort warfen sich alle auf die Knie in den Schnee und beteten -den menschgewordenen Gott an. - -Als wir im großen Lehrsaal der Kandidatur angekommen waren, knieten alle -vor einer reich mit Blumen geschmückten Statue des heiligsten Herzen -Jesu nieder, vor der die Präfektin bereits in andächtigem Gebete lag. -Sie schlug jetzt ein Andachtsbuch auf und las daraus die Legende einer -Heiligen, worauf eine lange Betrachtung ihrer Tugenden und Leiden -folgte. Zum Schluß wurde vieles auf uns angewandt und etliche -Kandidatinnen, die sich Verfehlungen gegen eine der Tugenden dieser -Heiligen hatten zu Schulden kommen lassen, bekamen nun eine -eindringliche Strafpredigt und es wurden ihnen schwere Bußübungen, wie -Rosenkränze, viel hundert Paternoster und Ave-Maria, stundenlanges Knien -vor dem Altar und dergleichen auferlegt. - -Starr vor Erstaunen hörte ich dem Ganzen zu und bereute es schon bitter, -jemals den Vorsatz gefaßt zu haben, Nonne zu werden. - -Nach dieser geistlichen Lesung und Betrachtung gingen wir in den -Speisesaal zum Frühstück, das in einer Tasse dünnen Kaffees und einem -Brötchen bestand. Meine Hüterin legte wieder einen Zettel vor mich hin, -des Inhalts, daß es Jesus recht wohlgefällig sei, wenn man freiwillig -auf das Brot verzichte, weshalb ich nur die Hälfte davon aß. - -Nun hatten wir der Frühmesse in der Klosterkapelle beizuwohnen und -danach versammelten wir uns wieder im Saal der Kandidatur, und jedes -holte sich ein Buch, um zu lernen. - -Inzwischen schlug es acht Uhr, und herein traten drei Schwestern, die -Lehrerinnen der Kandidatur, gefolgt von der Präfektin, die mich, nachdem -wir beim Glockenschlag um eine gute Sterbstunde gefleht, setzen hieß und -nun begann, mich in allem zu prüfen, was ich als Lehramtsschülerin -wissen oder lernen mußte. Sie gesellte mich danach dem zweiten Kurs zu -und wies mir meinen Platz an, worauf der Unterricht begann. Der erste -Kurs schrieb an einem Aufsatz, wir rechneten schriftlich, und der dritte -Kurs hatte Unterricht in Grammatik. Die höheren Klassen hatten ihre -eigenen kleinen Studierzimmer und diese waren nur durch Glastüren von -unserm Saal getrennt. - -Um neun Uhr versammelten sich von neuem alle vor dem Altar, knieten -nieder und beteten laut ein Stundengebet. Kaum hatten wir uns wieder -erhoben, als abermals von der Pfarrkirche die Glocke zur Wandlung -läutete und wir uns wiederum auf die Knie warfen und anbeteten. - -Nach einer kurzen Weile rief man uns zur Vesper, und jede bekam ein -Krüglein Bier und ein Stück schwarzes Brot, wobei ich sah, daß wieder -viele die Hälfte des Brotes zurück in den Korb wandern ließen; doch weiß -ich nicht, ob dies zur Abtötung oder aus Abneigung gegen das rauhe -Gebäck geschah. - -Bald, nachdem der Unterricht wieder begonnen hatte, kam die Präfektin -und befahl meinem Schutzengel, mich ins Bad zu führen. - -Durch lange Gänge, vorüber an Männer- und Frauenabteilen, aus denen -wüster Lärm drang, hinab über alte, morsche Stiegen ging es, dann traten -wir in einen moderigen Kellerraum, wo etwa zehn Männer Körbe flochten. -Wir eilten an ihnen vorüber und kamen durch die mit ekelhaftem Gestank -erfüllte Waschküche, in der etliche Kretinen aus einer übelriechenden -Lauge graue Wäschestücke zogen, endlich in ein düsteres Kämmerlein, das -man Bad nannte, und in dem zwei alte Badewannen, durch einen Vorhang -getrennt, an der Wand standen. - -Wir mußten uns erst das heiße Wasser aus der Waschküche holen, und -nachdem wir unsere Wannen gefüllt und unsere Tücher und Wäsche auf einen -neben der Wanne stehenden Stuhl gelegt hatten, begann mein Schutzgeist -mir zu zeigen, wie man sich baden müsse, ohne die Unschuld zu verletzen. - -Ich durfte mich nicht ganz entkleiden, sondern mußte in Hemd und -Strümpfen in die Wanne steigen. Hier konnte ich mich meiner Strümpfe -entledigen, während das Hemd meiner Blöße als Bedeckung blieb und -tüchtig eingeseift wurde. Darauf strich man einige Male mit den Händen -darüber hin; denn unter dem Hemd durfte der Leib nicht berührt werden. -Nur Gesicht und Hals wurde gründlich gewaschen. - -Währenddem beteten wir laut den schmerzhaften Rosenkranz, auf daß der, -der für uns Blut geschwitzt hat und für uns gegeißelt ist worden, unser -Herz vor jedem sinnlichen Gedanken bewahre. - -Auf dem Rückweg erzählte mir meine Beschützerin, daß man während des -Sommers in einer Hütte zu Sankt Jakob bade, einer Einsiedelei, nahe dem -Kloster in einem kleinen Tal gelegen. Und sie erklärte mir genau, wie -man es dabei zu machen habe, damit die Seele nicht Schaden leide. Als -ich dann später im Sommer wirklich dieses Badehüttlein besuchte, mußte -ich über mein Hemd einen Anzug mit langen Ärmeln anziehen, so daß ich am -Ende nicht das Gefühl der Erfrischung hatte, sondern es mir war, als sei -ich durch ein Unglück ins Wasser geraten. Zum Glück durfte ich während -meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster nur dreimal baden. - -Nach dem Bade führte meine Hüterin mich in die Garderobe, wo ich meine -klösterliche Uniform erhielt. Danach gingen wir zu Tisch, und jetzt war -ich eigentlich erst als Kandidatin anerkannt. Ich trug ein -blaugestreiftes Kattunkleid, eine schwarze Schürze, ein schwarzes -Schulterkräglein und um den Hals eine gestärkte Batistschleife. - -Vor dem Essen befahlen wir unsere Sinne dem göttlichen Meister, indem -wir beteten: »Barmherzigster Herr Jesu Christe, gestatte, daß ich jetzt -diese Mahlzeit einnehme, aus Gehorsam, um meine Gesundheit zu stärken -und mir neue Kräfte zu sammeln. Bewahre mich vor aller Sinnlichkeit und -gib mir die Gnade, daß ich nicht ohne Überwindung von dieser Mahlzeit -aufstehe.« - -Doch hätte es eigentlich dieses Gebetes kaum bedurft, da der -Speisezettel nicht danach angetan war, den Gaumen zu reizen, so daß es -schon großer Überwindung bedurfte, gehorsam zu sein und zu essen. Die -älteren Kandidatinnen freilich fügten dieser Überwindung noch andere -hinzu, indem sie kein Salz nahmen, kein Wasser tranken, kein Brot aßen -und anderes mehr. - -Ich selbst konnte mich nur sehr schwer an die Kost gewöhnen; denn -erstlich wurden alle Gerichte mit Dampf gekocht, und dann kamen wir in -bezug auf die Qualität erst an dritter oder vierter Stelle: das Fleisch -und frische Gemüse erhielten die Schwestern, was davon übrig blieb, die -Jungfrauen; wir bekamen das Fett mit Kraut, Kartoffelbrei oder Salat. -Was wir übrig ließen, wurde dann den Pfleglingen mit einer Brennsuppe -verabreicht. Zwar gab es in der Küche auch Geflügel und Fische; doch das -war für die Oberen, die Geistlichkeit und bessere Gäste bestimmt. Am -übelsten aber bekamen mir die sogenannten Kässpatzen, eine zähe -Wasserteigmasse, in der eine Menge Zwiebeln staken. Doch ging es allen -Neulingen so, so daß sich nicht selten die eine oder andere erbrechen -mußte, was hingegen kein Grund war, mit dem Essen aufzuhören. - -Während der Mahlzeit hielt stets eine ältere Kandidatin eine erbauliche -Tischlesung, meist Legenden aus dem Leben heiliger Personen, die durch -Fasten und Abtöten eine hohe Stufe der Heiligkeit erklommen hatten. - -Nach Tisch ordnete man sich in Paaren und begab sich in die Kapelle, -damit, nachdem der Leib seine Nahrung erhalten, auch die Seele ihr Teil -bekäme durch den Akt der geistlichen Kommunion. - -Ich war nach dieser Andachtsübung, die mit dem Abbeten des Rosenkranzes -mit ausgebreiteten Armen beschlossen wurde, so müde, daß ich beinahe im -Gehen einschlief. - -Da traten wir plötzlich in einen großen Saal. Darinnen saß eine junge -Nonne mit gewinnendem, freundlichem Blick in den kindlichen Zügen am -Flügel, während neben ihr ein junges Mädchen einen Stoß Liederbüchlein -im Arm hielt und am Tisch verstreut mehrere Oratorien und Messen lagen. - -Die Nonne stand auf, und nachdem ein kurzes Stundengebet verrichtet -worden, begann die Gesangstunde, wobei ich sah, daß hier die Musik sehr -gepflegt wurde; denn die Stimmen waren gut geschult und das Spiel der -Schwester meisterlich. Sie präludierte erst ein wenig und spielte dann -etliche Variationen des zu behandelnden Liedes. Endlich gab sie das -Zeichen zum Einsatz, und nun hallte der Saal wieder von den Tönen einer -herrlichen altitalienischen Messe. - -Als die Sängerinnen eine längere Pause machten, bat ich die Schwester, -sie möge mich mitsingen lassen, was sie ziemlich verwundert gestattete. -Nun war mit einem Male meine ganze Müdigkeit dahin, und ich sang so zu -ihrer Zufriedenheit, daß sie mich erstaunt fragte, wo ich Unterricht -gehabt hätte. Ich antwortete ihr, daß ich am Kirchenchor gesungen hätte -und auch schon längere Zeit im Klavierspiel unterwiesen worden sei. -Hocherfreut rief sie, als sie dies vernommen: »Liebs Jesusle, hab Dank! -Jetzt bekomm ich eine Musikkandidatin!« Und sofort eilte sie zum -Superior, ihn zu bitten, daß er mich ihr überweise. - -Dies geschah noch am nämlichen Tage, und nun begann für mich eine -glückliche Zeit. Ich machte rasch Fortschritte im Klavierspiel, und als -ich dann auch im Violinspiel über die ersten Anfänge hinaus war, taten -sich vor mir immer wieder neue Wunder auf, und ich schien mir in eine -andere Welt versetzt. Meine Freude über diese gute Wendung der Dinge -zeigte ich meiner Lehrerin durch großen Eifer und möglichste Genauigkeit -im Arbeiten. - -Hatte ich schon vorher unter den Lehramtsjüngerinnen einige heftige -Widersacherinnen gefunden, so mehrte sich jetzt ihre Zahl; um so mehr, -als Schwester Cäcilia mich sehr lieb gewann und wir bald gute Freunde -wurden. - -So kam es, daß ich in kurzer Zeit einer der sogenannten Sündenböcke der -Kandidatur war; denn je öfter meine Lehrerin mir sagte, daß ich -brauchbar und ihr fast unentbehrlich sei, desto öfter suchte man mich -auf der anderen Seite durch Wort und Tat zu überzeugen, daß ich ein -eingebildetes, dummes Mädel sei, das leicht zu ersetzen wäre. - -Es dauerte nicht lange und die Obern des Klosters erfuhren diese Dinge. - -Also ward ich von der Präfektin der Kandidatur, Schwester Archangela, -einer alten, strengen Nonne mit harten Zügen, tiefliegenden grauen Augen -und einer großen Hakennase, auf der eine goldene Brille saß, zu der -Oberin geführt, damit man mir zeige, was einem so eitlen, schlimmen -Mädchen gebühre. - -Als ich vor der vornehmen, gütigen Frau, die einem alten, französischen -Adelsgeschlecht entstammte, stand, fragte sie mich, was ich verbrochen -habe; denn man hielt viel auf ein freimütiges Bekenntnis seiner -Vergehen. - -Ich antwortete: »Würdigste Mutter, man beschuldigt mich, daß ich mich in -bezug auf meine Leistungen überhebe und gegen meine Vorgesetzten und -Mitschwestern unhöflich und herausfordernd sei; doch fühle ich mich -nicht schuldig und bitte Sie, würdigste Mutter, meine Lehrerin und -Mitschwestern darüber vernehmen zu wollen.« - -Ohne ein Wort der Erwiderung, nur einige Male mit dem Kopf nickend, -faßte mich die Oberin an der Schulter und führte mich in das Vorzimmer -des Herrn Superiors, wo ich warten mußte, bis sie mit ihm die Sache -besprochen hatte. - -Als sie wieder heraustrat, blickte ich ihr fest und mit großen Augen ins -Gesicht; doch konnte ich aus ihren Zügen nicht entnehmen, ob man mir -Glauben geschenkt hatte. Sie sagte nur ernst zu mir: »Sprich ehrlich mit -unserm Vater, Magdalena; er will nur dein Bestes!« - -Ich trat also vor ihn hin und auf seine Frage: »Was hast du -vorzubringen?« trug ich ihm den Hergang der Sache so vor, wie ich ihn -der Oberin geschildert hatte. - -Da ließ er meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, zu sich kommen, und sie -mußte nun über mich berichten. - -Als der Superior nur Gutes hörte, meinte er: »Seltsam, höchst seltsam! -Kind, wenn du wirklich brav warst, so bleib's, wenn nicht, so werd's!« - -Damit waren wir entlassen, und erleichtert trat ich mit der Schwester -wieder auf den dunklen Gang hinaus. - -Auf dem Weg zum Musiksaal faßte ich ganz plötzlich in einer Aufwallung -warmen Dankgefühls ihre Hand und küßte sie wiederholt. Lächelnd entzog -sie mir dieselbe, indem sie sagte: »Laß doch die dumme Hand! Sie gehört -ja gar nimmer mir, sondern dem heiligen Josef!« - -Da meinte ich: »Aber der Mund g'hört schon noch Ihnen, gelt, Schwester?« - -»Ja, zum Beten und Singen und ...« - -»Und daß ich schnell ein andächtigs Busserl draufgib, Schwester!« rief -ich dazwischen, und ehe sie sich dessen versah, hatte ich sie geküßt. - -Ganz erschrocken schob sie sich den Schleier zurecht und zupfte an ihrem -Habit herum; doch sagte sie nichts und schalt mich auch nicht, wie ich -befürchtet. - -Als wir in den Saal traten, sah ich unter ihrem Schleier über dem -rechten Ohr einen Wusch goldroten Haars hervorlugen; ich sagte es ihr, -und da rief sie mit komischem Entsetzen: »Was sagst, die Welt guckt -raus? Ob ihr gleich z'rück wollt, ihr fuchsigen Locken!« Und eiligst -strich sie sie einige Male unter dem Häubchen zurück. - -Seit diesem Tag waren wir die besten Freunde, und sie sagte mir im -Vertrauen, daß eben unser herzliches Verhältnis zu einander den -eigentlichen Anlaß zu dem Zwist gegeben hätte, daß sie mich aber, -solange es den Obern recht sei, sehr lieb haben wolle. Ich solle nur mit -allen freundlich und besonders gegen eine alte, von der Präfektin wegen -ihres Reichtums, den sie dem Kloster geschenkt hatte, sehr begünstigte -Musikkandidatin recht höflich und zuvorkommend sein. - -Erst war ich über diesen Rat sehr verwundert; bald aber erkannte ich -selbst, daß meines Bleibens in diesem Hause nur dann sein könne, wenn -ich, wie man sagt, mit den Wölfen heulte, obschon mir jede Art von -Scheinheiligkeit zuwider war. - -Schwester Cäcilia mochte wohl auch erst nach langem Kampf zu dieser -Anschauung gekommen sein; denn sie war im übrigen so freimütig und -offen, daß sie einen absoluten Gegensatz zu den andern Nonnen bildete. - -Dieser offene Charakter war übrigens auch ihren Familienangehörigen -eigen. Ihr Vater, der Schullehrer in dem Ort war und im Kloster den -Kandidatinnen und Lehrschwestern Unterricht im Geigen- und Cellospiel -gab, darin er selbst ein Meister war, hatte wegen seiner geraden Art -viele Feinde. Er hielt sehr auf ein furchtloses, freies Wesen und haßte -die kriechende Unterwürfigkeit, die sich unter den Nonnen so gern breit -macht und meistens der Deckmantel für Ränke und Heimtücke wird. Kam er -zu uns, so begrüßte er erst seine Tochter mit den Worten: »Guta Tag, -Cilli! Magscht's Tagblättla lesa?« Und damit zog er das Blatt aus der -Tasche, obwohl es eigentlich verboten war, Zeitungen zu lesen. Dann -sagte er, zu uns gewendet: »So, meine Damen, ka' i afanga? Ischt's -g'fällig?« - -Während des Unterrichts trieb er viel Kurzweil mit uns, so daß es mir -oft schien, als sei ich nicht in einem Kloster, sondern bei einem alten -Bekannten zu Besuch. - -So war denn mein Leben ein ganz angenehmes geworden, und ich ertrug die -Bosheiten der Mißgünstigen um so leichter, als ich nicht die einzige -Gehaßte und Verfolgte war. Es waren vielmehr eine Reihe jüngerer Mädchen -von den Günstlingen der Präfektin dieser als bösartige, ränkesüchtige -Personen geschildert worden, weshalb es täglich bei der morgendlichen -Betrachtung Strafen und Bußen regnete. - -So schüttete die Präfektin eines Morgens ihren heiligen Zorn über einige -unglückselige Mädchen aus, die ihre Waschtoilette nicht rein gehalten -und die Schuhe im Schlafsaal nicht aufgeräumt hatten. Sie wurden damit -bestraft, daß die eine die Schuhe an einer Schnur über die Schulter -gehängt bekam, während der andern ein Zettel an die Brust geheftet -wurde, des Inhalts: »So wird die Schlamperei bestraft.« - -Einem andern Mädchen, das eine Notlüge gebraucht hatte, wurde ein roter -Flanellappen in Form einer Zunge an den Rücken gesteckt, und eine -dritte, die mit einem Pflegling gesprochen hatte, wurde, da dies streng -verboten war, in Acht und Bann erklärt, das heißt, es wurde ihr das -schwarze Schulterkräglein, das Abzeichen der Kandidatur, auf die Dauer -eines Monats entzogen und allen übrigen aufs strengste verboten, mit der -Unglücklichen während dieser Zeit zu sprechen. - -Solchen Befehlen wurde von allen blindlings Folge geleistet; denn die -Präfektin stand im Geruche großer Heiligkeit, und man erzählte sich im -geheimen, daß sie sich oft des Nachts geißle und kasteie: man habe -manchmal, wenn man zur nächtlichen Betstunde in die Kapelle ging, -deutlich aus ihrer Zelle das Klatschen der Geißelhiebe und inbrünstiges -Seufzen und Rufen vernommen. Auch sei sie wiederholt mit der Erscheinung -ihres himmlischen Bräutigams beglückt worden. - -An manchen Tagen schien sie auch wirklich zu leuchten und rief während -der geistlichen Lesung wiederholt aus: »Kinder, lernet Jesum lieben! Wie -süß ist die Liebe zu ihm!« - -Zugleich mit dem Amte einer Präfektin war ihr auch das einer -Novizenmeisterin zuteil geworden, und so lernten die jungen Nonnen gar -bald diese Liebesbezeigungen gegen ihren göttlichen Meister und übten -solche mit heroischem Eifer. Stundenlang konnte man oft Novizinnen vor -dem Tabernakel knien sehen, die Arme ausgebreitet und die Augen -unverwandt auf das Altarbild geheftet, das Christum in ganzer Figur -darstellte. - -Doch nicht bloß am Tage wurde der Heiland von seinen Bräuten aufgesucht, -nein, auch während der Nacht waren Betstunden festgesetzt, auf daß der -Herrgott auch zu der Zeit, in der die Kreaturen ruhen und schlafen, -gebührend verherrlicht werde durch die ewige Anbetung. - -In der Kandidatur setzte man nun auch seinen Stolz darein, an diesen -Stunden teilzunehmen, und das traf immer je vier für die Kapelle des -Mutterhauses, je vier für die Pfarrkirche und vier für die Kapelle des -Neubaues. - -So war auch ich einmal nachts um die zweite Stunde mit drei anderen -Beterinnen in der Kapelle des Neubaues und unterdrückte krampfhaft und -gähnend den Schlaf. Da öffnete sich plötzlich die Tür und herein lief -eine nur mit dem Nachthemd bekleidete Nonne, warf sich vor dem Altar auf -die Knie und begann mit dem Ruf: »Jesus, brennende Liebe!« sich -furchtbar zu geißeln. - -Wir waren starr vor Schreck und Staunen, und mich packte Grauen und -Entsetzen. Die älteste von uns vieren aber meldete den Vorfall andern -Tags der Präfektin, die uns strengstes Schweigen gegen jedermann gebot. - -Solche und ähnliche Vorgänge flößten mir einen großen Abscheu gegen das -Ordensleben ein, und ich äußerte dies auch des öftern gegen Schwester -Cäcilia, sie fragend, ob sie sich auch so mißhandle. Da meinte sie -lächelnd: »Ich komme nicht dazu; denn ich muß mich den ganzen Tag mit -euren Stimmen ärgern und plagen und brauche deshalb die Nacht zum -Schlafen. Ich kann kaum meine Tagzeiten beten vor Arbeit.« - -Da erbot ich mich, diese Pflicht mit ihr zu teilen, und benützte von nun -an jede freie Stunde dazu, ihr einige Dutzend Psalmen und Paternoster -abzunehmen oder die Vesper, Sext und Non gemeinsam mit ihr zu beten, -wofür sie mir viel Dank wußte und mich nicht selten vor Strafe bewahrte, -wo ich sie verdient hatte. - -Inzwischen war die Fastnacht mit ihrem bunten Treiben gekommen, und auch -die Nonnen vergaßen für kurze Zeit, sich zu kasteien, und schlossen sich -lieber dem Hofstaat des närrischen Prinzen an und versammelten sich -mitsamt den Obern und Geistlichen im großen Refektoriumssaal, der in ein -Theater umgewandelt war, um sich an den heiteren Singspielen zu -ergötzen, die ihnen Kandidatinnen und Jungfrauen aufführten. - -Auch den ärmsten von allen den Pfleglingen der verschiedenen Abteilungen -wurden mannigfache Belustigungen geboten und sogar etliche dem dürftigen -oder zerrütteten Geist angepaßte Schwänke aufgeführt, bei denen die -dafür geeigneten Leidenden selbst mitwirken durften. - -Damit aber diese Lustbarkeit nicht etwa in den Herzen der gottgeweihten -Frauen und Jungfrauen ein Verlangen nach den Freuden der Welt zeitige, -beschloß man den Fasching mit einem frommen Theaterstück, in welchem die -Glorie irgendeiner heiligen Nonne oder Jungfrau ins hellste Licht -gerückt und sie als Muster und Vorbild verherrlicht wurde. - -Zu dieser Zeit hatte ich viel Arbeit; denn bei den Fastnachtsspielen -waren mir die ersten Rollen zugeteilt worden, und nun stand der Tag des -heiligen Josef, an dem der Bischof die Einkleidung und Profeßabnahme im -Kloster vornahm, vor der Tür. Es war dies der festlichste Tag im ganzen -Jahr, und alles rüstete sich schon lange vorher, ihn würdig zu begehen. - -Ich erwartete das Fest mit großer Erregung, da meiner sowohl in der -Kirche als auch im Festsaal und beim Mahle schwere Aufgaben harrten. -Doch war Schwester Cäcilia nach der letzten Probe sehr zufrieden mit mir -und meinte: »Mädl, wenn du morgen so gut singst, hebst die ganze -Pfarrkirche in den Himmel; ich bin recht zufrieden.« - -Als dann der Morgen des Festes gekommen war, regte sich's im Kloster wie -in einem Bienenkorbe: geschäftige Nonnen huschten durch die Gänge, den -Arm voll Myrtenkränzlein, weißer Nonnenschleier oder Skapuliere, und -eilten in die Zellen, um die jungen Gottesbräute zu schmücken und zu -kleiden. Große Girlanden wurden aufgehangen und die Kapellen geziert, -und die älteren Klosterfrauen liefen mit kritischem Blick herum, hier -zupfend, dort stäubend, überall noch die letzte Hand an die Dekorationen -legend und den Kandidatinnen die ihnen zukommenden Handreichungen und -Arbeiten anweisend und erklärend. - -Wir hatten uns nach dem Frühstück im Musiksaal versammelt, um unsere -Aufgabe noch einmal flüchtig durchzugehen. Da krachten zahlreiche -Böllerschüsse von Kamhausen herüber, zum Zeichen, daß der Bischof dort -angelangt und, empfangen vom Klerus und den Obern des Klosters, sich auf -dem Wege zu uns befinde. - -Rasch ordneten wir uns in der Einfahrtshalle und begrüßten den -Ankommenden mit einer Jubelhymne, während draußen alle Glocken geläutet -wurden. - -Inzwischen schritten die bräutlich weiß angetanen Jungfrauen und -Novizinnen zur großen Pfarrkirche, in der schon ihre Angehörigen -zahlreich versammelt waren. Danach kamen die älteren Schwestern, und um -acht Uhr begann die Feier. - -Brausend tönte die Orgel durch das Gotteshaus, und nach einer Ansprache -des Bischofs traten die Bräutlein alle vor den Hochaltar, fielen auf ihr -Angesicht nieder und beteten laut das Confiteor. Danach empfingen sie -aus der Hand des Bischofs den Leib dessen, dem sie sich nun auf ewig -antrauen wollten. - -Mit ausgebreiteten Armen verharrten sie während des Hochamts in Gebet -und Verzückung und schienen nun ganz und gar losgelöst von der Welt. - -Bis dahin war ich meiner Aufgabe ganz gerecht geworden; als sich aber -nach dem Hochamt die Novizinnen auf die Erde warfen und mit einem -schwarzen Bahrtuch überdeckt wurden, zum Zeichen, daß sie nun auf ewig -für die Welt gestorben seien, und der Bischof ihnen die ewigen Gelübde -der freiwilligen Armut, der steten Keuschheit und des blinden Gehorsams -abnahm und einer Jungfrau nach der andern das Haar abschnitt und sie mit -dem Ordenshabit der Novizinnen bekleidete, da packte mich ein Grauen und -in mir schrie es: »Nie, niemals werd ich Nonne! Niemals!« und ich -begriff nicht, daß andere Mädchen so glückselig ausschauen konnten. Mein -Entsetzen war so groß, daß ich den Einsatz verpaßte und erst nach -längerer Zeit merkte, daß, hätte nicht Schwester Cäcilia mich beobachtet -und im rechten Augenblick für mich eingesetzt, sicher ein Unglück -geschehen wäre. - -Ich konnte kaum das Ende der kirchlichen Feier erwarten und rief nachher -im Musiksaal meiner Lehrerin zu: »Schwester, das weiß ich g'wiß: ich -werd keine Klosterfrau! Ich sollt meine schönen Haar hergeben? Nein, -niemals!« - -Doch hatte ich den übrigen Tag keine Zeit mehr, viel an das Vergangene -zu denken; denn auf die Tafelgesänge folgte die Nachmittagsandacht und -am Abend wurde noch ein Theaterstück, die heilige Agnes, aufgeführt. Ich -kam endlich todmüde ins Bett und schlief rasch ein; doch quälten mich -wirre Träume, und es war mir, als läge ich auf einem Altar und man habe -ein Leichentuch über mich geworfen, während mir meine Zöpfe -abgeschnitten und in einen Sarg gelegt wurden. Aber ich sah nirgends -einen Priester, noch den Bischof und lauter fremde Nonnen waren um mich. - -Das Fest währte drei Tage, und auch die Pfleglinge und Kranken durften -daran teilnehmen. Es ward ihnen an diesen Tagen auch manches -nachgesehen, was man sonst unnachsichtlich bestraft hätte; denn es waren -unter ihnen viel bösartige und heimtückische Geschöpfe, zu deren -Bändigung es oft strenger Mittel bedurfte, wie Zwangsjacken, -Hungerkuren, finsterer oder vermauerter Zellen und dergleichen. - -Freilich geschah es mitunter auch, daß der eine oder die andere in einer -solchen Zelle vergessen wurde. Da die Kerker sich alle unter dem Dach -befanden, konnte man oft zwei, drei Tage lang ein entsetzliches Heulen -und Wimmern hören; doch wußten nur wenige, woher es kam, und diese -hüteten sich wohl, es uns Neulingen zu sagen. - -Dafür ging im Kloster seit langem das Gerücht, auf dem Dachboden seien -Gespenster; man erzählte von sündhaften Mönchen, die für ihre geheimen -Missetaten also gestraft worden seien, daß sie in Ewigkeit keine Ruhe -fänden, sondern ihre Geister im Kloster umgehen müßten zum warnenden -Beispiel für alle, die darin lebten. - -So geschah es auch einmal, als ich mit einer andern Kandidatin auf den -Speicher gegangen war, um dort unsere Garderobeschränke in Ordnung zu -bringen, daß wir plötzlich ganz in unserer Nähe ein dumpfes Schlagen -hörten, während vom Bretterboden dichter Staub aufwirbelte. Unter lautem -Schreien liefen wir zitternd zur Schwester Cäcilia und berichteten ihr -den Vorfall. Nachdenklich ging sie mit uns nochmals hinauf und wir -suchten den ganzen Speicher ab. Da fanden wir, daß eine tobsüchtige -Frau, von uns die Putzmarie genannt, weil sie den ganzen Tag mit einem -Schaff Wasser und einer Putzbürste herumlief und scheuerte, seit vier -Tagen hier eingeschlossen war und beständig auf den losen Bretterboden -sprang, um gehört zu werden; denn sie war schon dem Verschmachten nahe. - -Schwester Cäcilia veranlaßte sofort ihre Befreiung, und die Alte war ihr -so dankbar dafür, daß sie alle Tage den Musiksaal putzen wollte. Als ihr -das aber nicht gestattet wurde, schüttete sie laut schimpfend ihr -Schäfflein Wasser auf den Gang und begann nun hier zu fegen und zu -wischen. Man ließ sie gewähren; denn ihre Pflegeschwester hatte -derweilen die Hände voll Arbeit mit anderen Kranken. Es waren dies -geistesschwache Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren, die jetzt mit -dem beginnenden Frühjahr in den sogenannten Kreuzgarten getragen wurden, -der in Wahrheit nur ein armseliges Wieslein zwischen vier hohen -Klostermauern war. Hier hockten und lagen sie nun in den seltsamsten -Stellungen, viele in einer Zwangsjacke, deren lange Ärmel auf dem Rücken -zusammengeknüpft waren, so daß es ihnen unmöglich war, die Hände zu -gebrauchen; denn die meisten von ihnen fraßen das Gras, Steine, Erde -oder gar den eigenen Unrat. Zwei Schwestern eilten beständig von einem -zum andern, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch diese armen Wesen, die -in ihren Bedürfnissen so anspruchslos waren, machten viel weniger Mühe -als jene, von denen behauptet wurde, sie seien besessen. - -Unter diesen bedauernswerten Geschöpfen war besonders eines, das mich -lebhaft anzog, ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches, da es aus -sehr vornehmer Familie stammte, bei uns Kandidatinnen Aufnahme fand, -obschon es eigentlich auch in die Abteilung jener Armen gehörte, für die -niemand zahlte. Das Kind war klein und von zierlichem Wuchs; sein -zartes, milchweißes Gesichtlein, aus dem ein paar große braune Augen -erschreckt in die Welt sahen, war von reichem, kastanienbraunen Haar -umrahmt, das man ihr fest und glatt zurückgekämmt hatte. Obwohl nun die -Schwestern das Wasser und auch Pomaden beim Kämmen nicht sparten, -erschienen doch, allen Bemühungen zum Trotz, jeden Vormittag aufs neue -an ihren Schläfen zuerst kleinere, wirre Löckchen, bis dann nach wenig -Stunden sich Locke an Locke um ihre Stirn ringelte, was dem Gesicht -etwas ungemein Liebliches gab. Sie hieß Margaret und war sehr klug, in -manchen Dingen sogar erfinderisch; auch lernte sie leicht und erfaßte -rasch und mit feiner Beobachtung. Legte man ihr aber den Katechismus -oder sonst ein religiöses Buch vor, so weigerte sie sich hartnäckig, -daraus zu lesen oder zu lernen und war durch die strengsten Strafen und -Züchtigungen nicht dazu zu bewegen. Man ließ sie tagelang hungern, die -ekelerregendsten Dinge verrichten; man gab ihr nachts ein hartes Lager -und wies ihr schwere Arbeiten an; sie ließ alles mit sich geschehen, -ohne zu klagen. Man schlug sie grausam mit einem Stock und verbot uns -aufs strengste, mit ihr zu reden; umsonst, sie blieb auf alle religiösen -Fragen stumm, während sie in allen übrigen Lehrfächern gute Antworten zu -geben wußte. Sie tat mir herzlich leid, und ich übertrat manchmal im -geheimen das Verbot und sprach mit ihr. Da fand ich, daß sie sehr munter -plauderte und ein überaus liebenswürdiges und geselliges Mägdlein -gewesen wäre. Aber sie begann gar bald zu kränkeln und kurz vor meinem -Austritt starb sie an galoppierender Schwindsucht. - -Dieser Krankheit erlagen übrigens auch gar viele Nonnen und Jungfrauen, -und auch zahlreiche Pfleglinge wurden davon ergriffen. Die meisten Opfer -standen im Alter von zwanzig bis dreißig Jahren; manche waren noch -jünger. Es wurde ein eigener, großer Fleck Landes von dem Superior -angekauft und in einen Friedhof verwandelt, in dem die Kreuzlein bald so -dicht standen, wie die Nonnen Sonntags in den Kirchenstühlen saßen. - -Da schien es mir nicht verwunderlich, daß jede Nonne angesichts des -großen Sterbens beizeiten schon des Himmels gewiß sein wollte und darum -eifrigst auf ihr Seelenheil bedacht war, welches Bestreben durch die -Klostergeistlichen treulich gefördert und unterstützt wurde. - -Unter ihnen war auch ein Kurat, welcher sowohl in seinem Äußern als auch -in bezug auf seine große Strenge in Dingen der Sitte und Reinheit ganz -dem heiligen Aloysius glich. Er ward daher von jedermann nur Pater Sankt -Aloysius genannt und als Muster reiner Sitten gepriesen. Von mancher -Nonne ward er sogar als Heiliger verehrt, bis sich eines Tages diese -Verehrung in großen Zorn und Abscheu verwandelte, als man nämlich -erfuhr, daß dieser tugendsame Priester eine Lehramtskandidatin, ein -wohlgebautes, etwa zwanzigjähriges Mädchen, das schon fünf Jahre dort -weilte, des öfteren abends mit sich ins Stüblein nahm und erst nach -mehreren Stunden daraus entließ. Kandidatinnen, die zur nächtlichen -Betstunde gingen, hatten sie aus seinem Zimmer schleichen sehen und dann -bemerkt, wie eine alte Nonne wütend aus einer Nische hervorsprang, die -Erschrockene aus dem Halbdunkel ans Licht zerrte und laut beschimpfte. -Also hub ein großes Geschrei an, und sowohl die Sünderin, als auch der -Priester mußten das Kloster verlassen. - -Der Geistliche, welcher dem Pater Sankt Aloysius im Amt folgte, war -schon ein alter Herr und besaß die üble Gewohnheit, während der Beicht -immer einzuschlafen, wodurch die Nonnen ihr Seelenheil gefährdet -glaubten und nicht eher ruhten, bis wieder ein junger, strenger -Benefiziat an seine Stelle kam. - -Mit wahrem Feuereifer waltete dieser seines Amtes und war unermüdlich -darauf bedacht, alle Seelen ringsum vollkommen und makellos zu machen. -Besonders Verfehlungen gegen die Kardinaltugend des Ordens, den heiligen -Gehorsam, ahndete er mit unnachsichtlicher Strenge und gab denen, die -sich in der Beicht eines derartigen Vergehens anklagten, die schwersten -Bußen auf. - -Trotzdem wurde mir die Ausübung dieser Tugend nicht leicht. Es war kurz -vor dem Weihnachtsfest, dem zweiten, das ich im Kloster verlebte, daß -ich mich schwer gegen dieselbe versündigte. - -Um diese Zeit war ein großes Paket von meiner Mutter angekommen, das -meine Weihnachtsgeschenke enthielt. Darunter war auch eine schwarze -Kleiderschürze mit langen Ärmeln, wie ich sie mir schon seit langem -gewünscht hatte. Doch ich hatte sie noch nicht anprobiert, als schon ein -Befehl unserer Präfektin kam, ich solle diese Schürze sofort in das -Nähzimmer geben, damit man mir zwei kleine daraus mache; denn so sei -dieselbe ganz gegen die heilige Armut und ich dürfe so etwas nicht -tragen. Da sie mir sehr wohl gefiel, konnte ich mich nun lange nicht von -ihr trennen und legte das schöne Stück einstweilen auf den Speicher, wo -ich sie alle Tage ans Licht zog und wehmütig mit der Hand darüberstrich, -sie an mich hinhielt, wieder zusammenlegte und sorgfältig versteckte. - -Eines Tages aber ward die Versuchung, die Schürze einmal anzuziehen, in -mir so mächtig, daß ich nicht mehr widerstehen konnte. Ich schlich mich -also in die Garderobe, zog sie aus dem Koffer und schlüpfte rasch -hinein, dann trat ich ans Speicherfenster und besah mich in der blinden -Scheibe; denn Spiegel gab es nicht, und auch der meine war aus meiner -Nähschatulle entfernt und ein Heiligenbild an seine Stelle geleimt -worden. Da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen, und herauf stürmte -eine Kandidatin: »Magdalena! Magdalena! Geschwind komm zu Schwester -Archangela! Es ist Probe für das Weihnachtsfestspiel!« - -Ratlos sah ich mich um und zögerte mit dem Gehen, vergeblich an der -Unglücksschürze nestelnd und zerrend, um die Knöpfe am Rücken -aufzumachen; doch schon rief mir meine Kollegin zu: »Wenn du nicht -gleich kommst, melde ich deinen Ungehorsam!« und schickte sich zum -Gehen, worauf ich ihr folgte, immer noch bemüht, die Knöpfe aufzureißen. -Auf dem Gang kam mir die Präfektin schon entgegen. Vergeblich suchte ich -mich hinter der andern Kandidatin zu verstecken; sie hatte mich schon -erblickt und sah nun starr auf die verbotene Schürze, während ich -fühlte, wie mir abwechselnd Röte und Blässe über die Wangen lief. Auch -auf ihrem Gesicht erschienen ein paar hochrote Flecken, und mit den -Worten: »Da, dies für deinen Ungehorsam, Rotzmädel!« gab sie mir ein -paar heftige Schläge ins Gesicht. Darauf führte sie mich zum Superior -und erzählte ihm meine Sünde. - -Der greise Priester kündigte mir, nachdem er also schwere Anklagen gegen -mich vernommen hatte, meine Entlassung an, indem er sprach: »Mache dich -bereit, in drei Tagen bist du des Gehorsams ledig!« - -Zwei Tage später kam ein Brief meiner Mutter, in dem sie ihren Besuch -für Weihnachten ankündigte. Ich wollte mich trotzdem zur Heimreise -ankleiden und stand trotzig am Speicher und verschloß eben meinen -Koffer, als man mir meldete: »Du kannst noch bleiben, bis deine Mutter -kommt!« - -Ich erwartete also mit nicht geringer Aufregung ihren Besuch, obschon -meine Lehrerin, Schwester Cäcilia, mir immer wieder Mut machen wollte: -»Hab doch keine solche Angst, Magdalena! Ich mach schon alles wieder -gut!« - -Inzwischen hatte eine andere in dem Weihnachtsspiele meine Rolle -übernehmen dürfen; es war schon ein älteres Mädchen und hatte keine -Stimme, weshalb die Präfektin zu mir sagte: »Das soll deine Strafe sein, -daß du deine Partie zwar singen, aber nicht spielen wirst! Du hast dich -hinter ein Gebüsch zu knien und zu singen, und niemand wird deinen -Gesang bewundern, dafür werde ich sorgen!« - -Und sie sorgte dafür; denn als meine Mutter, die man ebenfalls zu dem -Festspiel »Nacht und Licht« geladen hatte, nach Beendigung desselben mit -mir zusammen war, sagte sie: »Was war denn jetz dös, Leni? I hab doch -deutli dei Stimm g'hört, hab di aber nirgends g'sehgn. Oder hat am End -die Kloane, die's Licht g'macht hat, die gleiche Stimm wie du?« - -Da erzählte ich ihr weinend die Geschichte von der Schürze und erwartete -mit Angst großen Tadel. Doch wider Erwarten gab sie mir nicht nur recht, -sondern ward sehr zornig und empörte sich über die Willkür, mit der man -ihr Vorschriften machen wolle, wie sie ihr Geld auszugeben habe: »Was? -Paßt hat's eahna net, daß i dir den Kleiderschurz g'schickt hab? I moan, -daß i um mei guats Geld kaafa ko, was i mag, und brauch koane von dene -Fluggen z'fragn, ob's arm g'nua is oder net!« - -Als dann die Besuchsstunde bei den Obern gekommen war und meine Mutter -gebeten wurde, im Sprechzimmer zu erscheinen, ging sie mit großen -Schritten hinein und sagte nur ganz kurz: »Guten Tag.« Da hörte sie nun -nichts als Klagen über mein weltliches Betragen und besonders über den -frevelhaften Ungehorsam, den man mir mit den schärfsten Strafmitteln -vergeblich auszutreiben versucht hätte. - -Schweigend und finster blickend hatte sie zugehört und sagte jetzt bloß: -»Herr Superior, lassen Sie's ihr Sach z'sammpacken, i nimm's mit hoam!« - -Dies wurde ihr jedoch widerraten und man versprach ihr, es noch einmal -mit mir versuchen zu wollen, worein die Mutter nach einigem Sträuben -unter der Bedingung willigte, daß man mir meinen Fehler nicht weiter -nachtrage, sondern gut zu mir sei. - -Also reiste sie am andern Tag wieder ab, ohne mich mitzunehmen. Beim -Abschied aber sagte sie noch: »Wenn wieder was is, na schreibst mir's; -halt di nur brav und folg jetzt!« - -Ich hatte aber alle Freude am Klosterleben verloren und ging nun wie ein -Schatten herum, hatte nicht Lust noch Leid, aß nicht mehr und fing an zu -kränkeln. Und nach einigen Monaten schrieb ich meiner Mutter, daß ich -keinen Beruf zur Klosterfrau in mir verspüre; falls es ihr aber -unangenehm wäre, wenn ich wieder nach Hause käme, bliebe ich ganz gerne -als weltliche Lehrerin in der Anstalt. - -Unsere Briefe wurden nun stets von der Präfektin kontrolliert, und so -blieb ihr meine Absicht nicht lange verborgen. Eines Morgens sagte sie -daher zu mir: »Was mußte ich sehen, Magdalena! Du willst dem Herrn das -Opfer deines Lebens also nicht bringen? Wie kannst du es dann wagen, den -andern armen Kindern, die bereitwilliger sind als du, das Brot -wegzuessen! Willst du nicht als Nonne hier sein, so brauchen wir auch -deine Kenntnisse nicht. Doch besinne dich, noch ist es Zeit; bedenke die -Vorteile, die Jesus seinen Bräuten bietet, und kehre nicht zurück in die -Welt!« - -Trotz dieser Ermahnungen machte ich mich am Aschermittwoch, nachdem mir -meine Mutter geantwortet hatte, ich solle ruhig nach Hause kommen, der -Vater sei krank und man könne mich notwendig brauchen, zur Reise fertig -und nahm Abschied von den Obern. Sie ließen mich zwar ungern ziehen, -doch konnten sie mich nicht mehr halten. Die Präfektin aber rief: -»Magdalena, Magdalena, du bist verloren, du gehst zugrunde! Schon sehe -ich den Abgrund der Weltlichkeit, in den du fallen wirst. Doch geh in -Frieden, mein Kind, falls die Welt noch einen für dich hat!« - -Gaffend umstanden mich die Kandidatinnen, als Schwester Archangela dies -gesagt, und als ich nun auch ihnen Lebewohl sagen wollte, da kehrten sie -sich verächtlich von mir ab und eilten in den großen Lehrsaal, um für -mich arme Verlorene zu beten. - -Traurig ging ich nun zur Schwester Cäcilia. Sie brach in Tränen aus und -nahm mich in ihre Arme: »Nun bin ich wieder allein! O, warum gehen alle -wieder weg, kaum daß sie begonnen!« - -Auch ich begann zu weinen, und sie tat mir von Herzen leid; denn während -meines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Kloster waren vierzehn -Musikkandidatinnen eingetreten und nach kurzer Zeit wieder -davongelaufen. Nachdem sie mir noch alles Glück für kommende Zeiten -gewünscht hatte, entließ sie mich, und ich trat erleichtert in das -kleine Zimmerchen, das mich bei meinem Eintritt empfangen hatte. Während -ich dort auf mein Gepäck wartete, dachte ich noch über die Vorwürfe -nach, die man mir wegen meines Wegganges gemacht. Doch sie trafen mich -nicht schwer, da mir angesichts der ernsten Krankheit meines Vaters das -Verlassen des Klosters nicht als eine Schuld, sondern als eine -Kindespflicht erschien. - -Eine Schwester, die mir mein Gepäck übergab und mir meldete, daß der -Stellwagen schon draußen sei, riß mich aus meinen Gedanken, und ich -stieg rasch ein. Oben hinter den Fenstern standen die Kandidatinnen und -blickten mir verstohlen nach. Ich sah noch einmal zurück, dann zogen die -Pferde an -- und dahin ging's. - -Als ich nun so allein in dem Wagen saß, war es mir, als schwände in dem -Maße, in dem ich mich vom Kloster entfernte, auch alles Trübe, und -plötzlich kam eine so sonnige Heiterkeit über mich, daß mich die Welt -mit einem Male viel schöner dünkte, obschon draußen noch alles trotz des -beginnenden Märzes an den Winter gemahnte, und nur vereinzelte, unter -schmutzigem Schneewasser stehende Wiesen und die großen Pfützen auf den -Wegen den kommenden Frühling ahnen ließen. - -Rasch trat ich in Kamhausen an den Schalter und löste meine Fahrkarte, -da der Zug schon bereitstand. - -Während der Bahnfahrt hatte ich fast keine Zeit mehr, über das -Vergangene nachzugrübeln; denn die zahlreichen Passagiere aus den -verschiedensten Gegenden erregten meine ganze Aufmerksamkeit. War mir -doch im Kloster die ganze Welt samt ihren Wesen so fremd geworden, daß -ich mich nur ganz langsam, wie im Dunkeln tappend, wieder unter den -Menschen zurechtfand. Mit Ausnahme der Priester und Nonnen hatten sie -jetzt alle etwas Beängstigendes für mich; denn erstlich wurden im -Kloster alle außer den Geistlichen als Verlorene betrachtet, anderseits -aber in den eindringlichsten Worten vor ihnen als vor lauter Wölfen in -Schafskleidern gewarnt. - -Ich besah mir also jeden einzelnen ganz genau, ob nicht irgend etwas -Auffälliges in seinem Wesen oder Äußern auf die verborgene Wolfsnatur -hinweise, und dabei drückte ich mich scheu in meine Ecke und hielt die -Augen halb gesenkt, wie ich es bei den frommen Frauen gelernt hatte; -doch ging mir trotzdem nichts von all dem verloren, was um mich her -geschah. - -Mir gerade gegenüber saßen zwei elegant gekleidete Herren, aus deren -lebhafter Unterhaltung ich entnahm, daß sie Geschäftsreisende waren und -der eine in Augsburg, der andere in München zu tun hatte. Der erstere, -ein etwa Mitte der Dreißig stehender Mann von ausgesprochen jüdischem -Äußern, erzählte eben dem etwas jüngeren Reisegefährten, der mir von -gleichem Stamme zu sein schien, wie er die letzte Nacht in Ulm verbracht -hätte: daß er nicht nur die Tochter und das Stubenmädchen seines -Gasthofs, sondern auch noch die Frau Wirtin selbst erobert hätte. -Lachend fragte der andere halblaut, ob das Töchterl auch so bescheiden -und sittsam hergesehen habe, wie die junge Klostermamsell da drüben; und -zugleich fingen beide an, sich über meine Schüchternheit, sowie über -meinen halb klösterlichen, halb weltlichen Anzug lustig zu machen. Ich -wußte vor Verlegenheit kaum mehr aus noch ein und starrte mit hochrotem -Gesicht bald aus dem Fenster, bald vor mich hin. - -Da erblickte ich weiter vorn einen alten Bauern, der auf einem -schmierigen Blatt seine Einnahmen vom Viehverkauf nachrechnete, wobei er -sich abwechselnd hinter den Ohren kraute oder heftig fluchte. - -Am andern Ende des Wagens unterhielten sich lärmend etliche Soldaten, -die wohl auf Urlaub gehen mochten. In ihrer Nähe saß ein junges Mädchen -in ländlicher Kleidung und suchte sich vergeblich der Zudringlichkeiten -eines der Burschen zu erwehren. Dieser hatte die sich Sträubende fest um -die Hüfte gefaßt, und als sie sich endlich heftig von ihm losriß, fiel -sie einem andern auf die Knie, was ein brüllendes Gelächter zur Folge -hatte. - -Ich war während dieser Szene immer erregter geworden und wollte schon -dem also gehetzten Mädchen zu Hilfe eilen, als der Zug mit lautem Getöse -in Augsburg einfuhr, wo ich umsteigen mußte. - -Während der Stunden, die ich dort Aufenthalt hatte, ging ich in den Dom -und erbat mir von Gott Schutz auf meiner weiteren Fahrt; insonderheit -aber betete ich für die Bekehrung jener Soldaten. - -Auf dem Weg zum Bahnhof kaufte ich mir noch Wurst und Brot. Beim Essen -aber fiel mir plötzlich ein, daß ja am Aschermittwoch strenger Fasttag -sei und man im Kloster heute gewiß dem üblichen Fasten auch noch große -freiwillige Abstinenz hinzufüge. Doch siegte am Ende mein Hunger über -die Gewissensbisse und ich aß mit großem Behagen. - -Als ich dann unschlüssig vor dem Zuge stand und ein Schaffner meine -ängstliche Miene sah, wies er mir freundlich ein Frauenabteil an, und -ich kam ohne weiteren Zwischenfall nach München. - -In dem lebhaften Gewühl des Hauptbahnhofs befiel mich mit einem Male -wieder große Angst vor den Menschen, und ich fühlte deutlich, wie ich -immer armseliger und kleiner wurde, während ich ganz nahe an den Wagen -und der Lokomotive vorbei dem Ausgang zuschlich. - -Da fühlte ich mich plötzlich am Arm ergriffen, und als ich erschreckt -umblickte, stand lachend mein ältester Bruder vor mir und begrüßte mich: -»Ja, Leni, grüß di Gott! Bist du aber groß und stark wordn; i hätt di -bald net g'funden, so hast di verändert.« - -Ich dankte ihm frohen Herzens, daß er mich erwartet hatte, und seine -Worte, ich sei so groß geworden, entrissen mich wieder etwas dem Gefühl -meiner Unbedeutendheit und Nichtigkeit und ich wurde ziemlich gesprächig -auf dem Heimweg. - -Je näher wir unserem Hause kamen, desto mehr Bekannte trafen wir, und -immer wieder wurden wir von irgend einem neugierigen Weiblein aus der -Nachbarschaft aufgehalten; denn meine Eltern waren in dem Stadtteil sehr -beliebt und hatten weitaus die beste Gastwirtschaft des Viertels. - -Vor dem Hause angelangt, traten wir gleich durch die Tür der Gaststube -ein. Kaum hatten mich unsere Stammgäste erblickt, sprangen sie auf und -riefen durcheinander: »Jessas, unser Lenerl is wieder da! Juhe!« -»Servus, Fräuln Leni!« »Grüß di Gott, Klosterfrau!« »Marie, 'n Humpen -her! Unser Lenerl soll leben!« - -Während nun die Gäste meine Rückkehr durch einen kräftigen Rundtrunk -feierten, trat ich in die Schenke zu meinem Vater, ihn zu begrüßen. Er -sah recht leidend aus und meinte: »Höchste Zeit hast g'habt, Leni, daß -d'kommen bist, sonst hätt'st mir bald mit der Leich geh könna.« Hierauf -gab er mir einen Kuß und besah mich prüfend, ob ich auch mehr geworden -sei. - -Inzwischen hatten mich meine andern Brüder und die Dienstboten umringt -und konnten nicht fertig werden, mein gutes und feines Aussehen zu -bewundern. Ich drängte mich lachend hindurch und trat in die Küche, wo -die Mutter geräuschvoll hantierte und das Mittagessen für die Gäste -fertig machte. Ich ging rasch auf sie zu, wollte ihr die Hand geben und -sagte: »Grüß dich Gott, Mutter!« - -Ohne den Kochlöffel aus der Hand zu lassen, mit dem sie eben ein -Teiglein für das Blaukraut rührte, antwortete sie: »Ah, bist scho da, -grüß Gott! Laß nur, is scho recht; i hab fette Händ! Tu nur glei dein'n -Hut und dös Klosterkragerl weg und ziag an Schurz oo, na kannst glei -d'Supp'n und 'n Salat für d'Leut hergebn!« - - - - - - -Also begann ich wieder die Wirtsleni zu sein; und obschon mir anfangs -gar nicht wohl war in dem weltlichen Getriebe eines Gasthauses, so fand -ich mich doch bald wieder darin zurecht und stimmte im stillen oft der -Mutter bei, wenn sie den Leuten auf die vielen Fragen, warum ich nicht -im Kloster geblieben sei, antwortete: »Weil's a Schand wär, wenn dös -Mordsmadl im Kloster rumfaulenzen tät und d' Muatta dahoam fremde Leut -zahln müßt für d'Arbeit!« - -Und an Arbeit fehlte es in unserm Hause niemals. Schon früh am Morgen -hieß es aus den Federn; um halb sieben Uhr stand ich in der Wirtsküche -und schürte den großen Herd, kochte Kaffee und bereitete die Speisen zum -Frühstück der Gäste. Dann holte ich aus dem Schlachthaus, wo der Vater -schon seit fünf Uhr mit dem Zerteilen von Kalb und Schwein, sowie mit -dem Wurstmachen beschäftigt war, eine große Mulde mit Weiß- und -Bratwürsten und ordnete sie auf große Platten. - -Zugleich mit mir mußte auch die Küchenmagd an ihre Arbeit: das -Gastlokal, die Küche und Schenke, und was dazu gehörte, aufwaschen und -kehren; doch freute es mich jetzt nicht mehr, dabeizustehen und zu -horchen wie früher; denn die Zenzi vom Rottal war schon längst nicht -mehr da, und die gefühlvollen Lieder, welche die jetzige Küchenmagd bei -ihrer Arbeit sang, kannte ich schon alle. - -Während ich nun gewöhnlich noch mit dem Anrichten der Würste beschäftigt -war, fuhr draußen der Wastl, der Bierführer, vor und rollte zehn bis -zwölf Banzen in die Schenke, von wo sie durch den Aufzug in den -Eiskeller befördert wurden. - -Da der Wastl als Geizhals bekannt war, machte ich mir alle Tage das -Vergnügen, ihm den Teller mit den Weiß- oder Bratwürsten unter die Nase -zu halten, indem ich rief: »Wastl, heut san d'Weißwürst guat! Derf i dir -a paar auf d'Seitn legn?« worauf er mich immer grimmig anschrie: »Laß mi -aus damit!« dabei aber dem entschwindenden Teller doch einen -sehnsüchtigen Blick nachsandte. - -War der Wastl fort, so kam das Flaschenbier, und da gab es immer eine -große Hetz, wenn der Dannervater, ein nicht mehr gar junger Bierführer, -der eine Frau mit neun Kindern fröhlich ernährte, die Hausmagd in die -Hüften kniff oder durch die Gaststube jagte und sie zu küssen versuchte. -Dann ertönte plötzlich aus dem Schlachthaus, das unterhalb der Schenke -gelegen war, ein lauter, strenger Pfiff des Vaters, und lautlos machte -sich der alte Sponsierer davon. - -Währenddessen hatte ich in der Küche einen schweren Stand mit drei -Bäckerburschen, die alle leidenschaftlich in mich verliebt waren. Der -eine brachte uns täglich vier Markwecken und mir ein Blumensträußlein; -der zweite hatte Bretzen und Salzstangeln in seinem Korb und unter -seiner aufgerollten Bäckerschürze einen extra für mich gebackenen Zopf -oder eine riesige Zuckerbretzl. Der dritte aber, der uns die Semmeln und -das übrige Weißbrot brachte, schrieb mir jeden Abend eine Ansichtskarte -und wartete am Morgen bei mir in der Küche stets so lange, bis der -Postbote mit der Karte kam. Mit beredten Worten schilderte er mir -währenddessen die Schönheit derselben: »Freiln Leni, heut werdn S' -schaugn! Heut kriagn S' a Prachtstück von a ra Künstlerkartn! Sehgn S', -für Eahna tu i alles; da reut mi koa Geld! Dö heutige Kartn kost fufzehn -Pfenning; aba wenn s' a Zwanzgerl kost hätt, hätt i s' aa kaaft!« - -»Je, eahm schaugt's o!« rief da der Bursche, welcher die Markwecken -brachte. »Dös kannt aa no was sei! Meine Veigerl ham a Zwanzgerl kost -und dö Rosen, wo i da Freiln Leni gestern verehrt hab, fünfazwanzg -Pfenning!« - -»So und i nacha, bin i da Garneamand?« schrie jetzt der Bretzlbeck. -»Denk i net vielleicht sogar bei der Nacht ans Freiln Lenerl, indem i -ihr die feinsten Bretzn bach?« - -»Zu dene wo'st an Toag z'erscht stehln muaßt!« riefen da die andern, und -im Nu entspann sich ein heißer Kampf um den Vorrang bei mir, der sich -bis auf die Straße fortsetzte. Ich aber sah ihnen lachend zu und -verzehrte gemächlich die Bretzl zu meinem Kaffee, steckte das Veigerl an -die Brust und legte die Künstlerkarte in eine alte Zigarrenkiste zu den -andern. Doch versäumte ich nicht, meine Erfolge dem Milchmädchen, das -uns täglich den Kaffeerahm und die Knödlmilch brachte, zu weisen: »Da -schaug her, Rosl, die Präsenter, die i heut scho wieder kriagt hab von -dö Becka!« worauf sie ingrimmig und bissig erwiderte: »Dös is koa -Kunststückl, wenn ma si so herrichtn ko wie du! I muß mit meine -Millikübel rumlaafa und du stehst im Spitznschürzerl vor dein Herd!« - -Und tiefgekränkt ging sie; denn nicht mit Unrecht hatte sie über mich zu -klagen: während der Zeit, die ich im Kloster zugebracht, hatte sie fest -über die drei Bäckerherzen regiert, und nun, da ich wieder daheim war, -wollte keiner mehr von ihr was wissen, obgleich sie ein sehr hübsches, -dunkelhaariges Mädchen von einnehmender Figur und recht munter war. - -Mittlerweile war es fast acht Uhr geworden, und ich richtete nun die -Schenke, zählte die Bierzeichen für die Kellnerin und zapfte an. -Währenddessen kam die Mutter aus der Wohnung und der Vater aus dem -Schlachthaus und bald füllte sich das Lokal mit Gästen. Es waren fast -lauter Arbeiter: Maurer, Steinmetzen, Schlosser, Schreiner, Drechsler -und zuweilen auch Pflasterer oder Kanalarbeiter. In der Küche aber -standen die, welche für die in der Nähe liegenden Fabriken die Brotzeit -holten; denn zu unserer Kundschaft gehörte auch eine Bleistift-, eine -Möbel-, eine Sarg-, eine Bettfedern- und eine Schuhfabrik. Nun hieß es -flink die Lungen- und Voressenhaferln füllen, Kreuzerwürstl abzählen, -Weißwürste brühen und Hausbrot schneiden; zuweilen auch die -Schenkkellnerin machen, indes der Vater im Schlachthaus noch Milzwürste -oder, wie man sie bei uns nannte, umgekehrte Bauernschwänze, sowie -Leber- und Blutwürste, Leberkäs und Schwartenmagen machte. Hie und da -kam es auch vor, daß wir ohne Kellnerin waren; wenn nämlich die Mutter -gar zu heftig und eindringlich auf Pflichterfüllung gedrungen hatte, -worauf dann das Mädchen davonlief. Da mußte ich denn wieder wie früher -die Gäste bedienen und auch die übrigen Arbeiten der Kellnerin -verrichten. - -Gewöhnlich aber blieb ich am Vormittag in der Küche, während die Mutter -sich im Lokal mit den Gästen unterhielt, ihre drei bis vier Weißwürste -aß und etliche Krügl Bier trank; denn der Vater war häufig vormittags am -Schlacht- und Viehhof oder in der Stadt. Von Zeit zu Zeit kam dann die -Mutter zu mir in die Küche und kostete die Speisen, befahl dies oder -tadelte jenes und gab mir auch manche Ohrfeige, wenn ich etwas versäumt -oder nicht recht gemacht hatte. So kam sie auch einmal dazu, als ich -eben den Teig zu den Leberknödeln, deren wir jeden Mittwoch an die -zweihundert bereiteten, fertig hatte und nun daraus die Knödel formte -und auf ein langes Brett reihte. - -»Halt, laß mi z'erscht schaugn, ob er recht is, der Toag!« rief die -Mutter und tippte mit dem Finger in die Teigmulde. »Was hast denn jatz -da für a Zeug z'sammgmacht! Sigst net, daß der Toag no net fest gnua is, -du Hackstock, du damischer!« - -Und kaum hatte sie dies gesagt, flogen mir auch schon ein paar von den -Leberknödeln an den Kopf, daß mir der Teig im Gesicht und an den Haaren -klebte. - -»So, vielleicht lernst es jatz eher, du G'stell, du saudumms!« - -Darauf ging sie wieder, laut schimpfend, in die Stube und erzählte den -Gästen von meiner Unbrauchbarkeit: »Hintreschlagn kannt'st es, dös -himmellange Frauenzimmer! Zu nix kannst es brauchn wie zum Fressn!« - -Solche Auftritte verleideten mir freilich bald die Freude am Küchenwesen -und ich war froh, wenn der Vater einmal daheim blieb. Da kochte dann die -Mutter selbst und ich mußte in die Schenke und zu den Gästen, sie zu -unterhalten. - -So ungern ich mich anfänglich wieder unter den Leuten bewegt hatte, denn -im Kloster war ich ganz leutscheu geworden, so gewöhnte ich mich doch -bald wieder an sie, und es währte nicht lange, da war ich das lustigste -Mädel, machte jeden anständigen Scherz mit und unterhielt ganze Tische -voll Gäste. - -Die besseren unter ihnen hatten sich, ebenso wie die Stammgäste, zu -Tischgesellschaften vereinigt; die eine hieß Eichenlaub, die andere die -Arbeitsscheuen. Zur Gesellschaft Eichenlaub hatten sich die Postler und -Eisenbahner zusammengetan und erkoren mich zur Vereinsjungfrau; die -Arbeitsscheuen aber, deren Mitglieder lauter gute Bürger und -Geschäftsleute waren, wollten nicht hinter ihnen zurückbleiben, und so -ernannten sie mich zu ihrer Ehrendame, und ich empfing das Ehrenzeichen -des Vereins. Es war dies ein wappenartig geschnitztes Holztäfelchen, -darauf ein Bursch gemalt war mit dem Verslein darunter: »Auweh, mei -Fuaß, wenn i arbatn muaß!« Bei der Überreichung desselben hielt der -Vorstand, ein Flecklschuhfabrikant, eine Rede, worin er viel von der -Ehre sprach und von einer schönen Vertreterin des zarten Geschlechts und -daß man sich glücklich schätze. - -Während dieser Rede hatten die Arbeitsscheuen einen Kreis um mich -gebildet, und nun wurde ich von etlichen samt meinem Stuhl, auf dem ich -saß, emporgehoben und unter lautem Hoch und Juhu und dem Klang der -Zither und Gitarre durchs Zimmer getragen. Danach begann ein großes -Saufen, und die fidelen Zecher vergaßen darüber ihre Hausfrauen samt dem -Mittagessen, bis einer nach dem andern von der gestrengen Ehehälfte -geholt wurde. Da war mit einemmal die ganze Lustbarkeit und aller Scherz -vorbei und geknickt und ängstlich schlich ein jeder heim, gefolgt von -der erzürnten Gattin, die hinterdrein keifte: »Lump miserabliger, ko'st -net hoamgeh, wenn's Zeit is! Dö ganzn Griasnockerl san z'sammgsessn! -Guate Lust hab i, i schmeiß dir s' alle an Kopf, du bsuffas Wagscheitl!« - -Doch am nächsten Tag war wieder alles vergessen und gemütlich saß die -Gesellschaft am Stammtisch und unterhielt sich aufs beste, bis von der -nahen Kirche das Mittagläuten ertönte. Da gedachte ein jeder seines -Eheweibs und ging heim. - -Auch ich mußte wieder in die Küche und Teller und Schüsseln für die -Gäste zurichten. Dann kam die Kellnerin und fragte: »Was gibt's heut -z'essn für d'Leut?« worauf die Mutter mit ihrer metallenen Stimme -erwiderte: »An Nierenbra'n, Brustbra'n, Schlegl in da Rahmsoß, an -Schweinsbra'n und a unterwachsens Ochsenfleisch mit Koirabi (Kohlrabi), -an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft d'Andivisuppn!« -Als die Kellnerin sich schon zum Gehen anschickte, rief die Mutter noch -rasch: »A Biflamott (boeuf a la mode) mit Knödl ham mar aa!« - -Um dreiviertel zwölf Uhr kamen die Gäste, und nun begann ein Bestellen -vom Zimmer aus, ein Schreien, Geschirrklappern und ein Geklopfe mit dem -Fleischschlegel, daß einem die Ohren surrten. - -»Frau Zirngibi, zwoa Schweinsbratn san no aus!« schallte es aus der -Gaststube und im Nu echoten drei Stimmen in der Küche: »Zwoa -Schweinsbra'n kriagt s' no!« - -»Dö werds dawartn könna! Darenna wer' i mi net z'braucha!« - -»Kathi, Koirabi san gar!« rief das Küchenmädchen jetzt in die Stube. - -»Kriag i dö zu dem Fleisch aa nimma?« - -»Sakrament, wenns amal hoaßt, gar sans, na sans gar!« schrie da die -Mutter und fuhr in einem Atem, jedoch in ganz anderem Ton fort: »Geh, -Kathi, schaugn S', daß S' a Biflamott weiterbringan; dös verkocht ma -sonst zu lauter Soß!« - -War dann das größte Geschäft vorbei, dann wischte sich die Mutter mit -der Leinenschürze den Schweiß von der Stirn und sagte: »Dös war dir a -Rumpel gwen! Leni, hol ma nur glei a Halbe Bier!« Und schnell trank sie -wieder ein paar Krügl. - -Nun mußte ich dem Vater in der Schenke helfen. Der hatte inzwischen -einen Hektoliter Bier ausgeschenkt und, damit er schneller fertig würde, -mit der Kreide Strichlein an die Rückwand des großen Schenkbüfetts -gemacht, statt Zeichen zu nehmen. Nun mußte ich diese Strichlein -zusammenzählen und dann die Bierzeichen ordnen. Danach rechnete ich mit -der Kellnerin ab, half ihr das Geschirr von den Tischen räumen und -brachte dann dem Vater und den Stiefbrüdern, die jetzt in die -Lateinschule gingen, das Essen, nachdem ich den sogenannten Ofentisch -gedeckt hatte. Nun kam auch die Mutter in die Stube, und es machte mir -täglich aufs neue Eindruck, wenn die große, massige Frau unter die Gäste -trat, die schmutzige Leinenschürze zurückschlagend und mit leichtem, -fast automatenhaftem Kopfnicken grüßend: »'s Got! 'n Tag! Hab die Ehre, -meine Herrn!« - -Dann setzte sie sich zum Vater und unterhielt sich mit ihm, wenn sie gut -gelaunt war. Einmal aber kam sie nicht in die Stube. Da hatte der Vater -auf dem Markt ein Schwein gekauft, dessen Fleisch fischig schmeckte, und -verschiedene Gäste hatten das Essen zurückgeschickt. An diesem Tage rief -die Mutter nur dem Vater in die Schenke: »Josef, da geh rrauß!« - -Als der Vater in der Küche war, begann sie laut zu schreien und zu -schimpfen: »Bist du aa r a Wirt! A Schand is, so a Fleisch herz'gebn! -Friß's nur selber die ganze Sau, du Depp!« - -Da hörte ich zum erstenmal, seit ich den Vater kannte, ihn zornig mit -der Mutter streiten, und dumpf grollend erscholl seine Rede: »Red ma net -so saudumm daher, du narrischs Weibsbild! Dös ko passiern, daß ma r a -fischige Sau derwischt. Du brauchst es ja net z'essn, also haltst dei -Maul, sonst ...« - -Das letzte brummte er für sich und trat darauf wieder in das Gastzimmer -und tat, als sei nichts geschehen. Am Nachmittag aber ging er fort und -kam erst abends mit einem großen Weinrausch nach Haus; doch die Mutter -sagte kein Wort mehr zu ihm. - -Sonst gingen die Eltern nachmittags entweder beide ins Kaffeehaus oder -legten sich schlafen. Da mußte ich dann ganz allein das Geschäft und die -Schenke versorgen, was mir stets eine große Freude bereitete, da ich -sehr ehrgeizig war. Ich setzte mich in die Ofenecke und hielt nun erst -meine Mittagsmahlzeit; denn zuvor hatte ich nicht Lust noch Zeit gehabt -zum Essen und schenkte es, wenn die Mutter wirklich schon etwas für mich -hergerichtet hatte, immer einem armen Burschen, der sich nichts kaufen -konnte, dem Schusterhans. - -Da saß ich denn bei meinem Bierkrüglein und aß dazu meine fünf bis sechs -Kaisersemmeln und eine kalte Wurst und las die Zeitungen; denn zwischen -zwei und drei Uhr war das Geschäft ganz ruhig und auch das Zimmer von -Gästen leer. Höchstens kamen etliche, die Waren brachten und dabei rasch -eine Halbe tranken. Um drei Uhr zur Brotzeit aber war es wieder so -lebhaft wie am Morgen, doch ich wurde leicht fertig und konnte mich bald -wieder zu den Gästen setzen. Nun wurde Karten gespielt oder gesungen und -es war recht fidel. Um vier Uhr aber war wieder alles still im Lokal; -nur einige fremde Gäste kehrten im Vorbeigehen ein. - -Doch gab es für mich noch mancherlei zu tun bis um fünf Uhr, wo der -Vater wiederkam. Ich schnitt Knödlbrot oder Voressen und Lunge, rieb -Semmelbrösel oder putzte Spielkarten mit Benzin. Auch kam um diese Zeit -gewöhnlich der Häute- und Fellhändler, ein alter, schmieriger Jude, der -einen fürchterlichen Geruch um sich verbreitete. Mit dem mußte ich in -das Schlachthaus hinuntergehen, wo in einer Kiste die Kalbfelle lagen. -Diese wog er, und ich mußte genau acht haben, daß er nicht schwindelte; -auch beim Ausrechnen des Preises, den er dafür bezahlte, hatte ich recht -aufzupassen. Einmal gelang es ihm aber doch, mich zu prellen. Er zahlte -mit einem Hundertmarkschein und ich gab ihm heraus, und als er das Geld -nachgezählt hatte, behauptete er, zehn Mark zu wenig bekommen zu haben; -und obwohl ich gewiß wußte, was ich ihm gegeben hatte, bestand er doch -auf seinem Recht. Als die Mutter dies hörte, glaubte sie mir nicht, daß -ich von dem Juden geprellt worden sei, sondern sagte: »Dös hast -höchstens auf d'Seitn g'räumt und denkst, der Vater büßt's scho; aber da -brennst di! Dös kannst scho selber draufzahln von deine Trinkgelder!« -Und ich mußte wirklich die zehn Mark nachmals, als ich im Dienst bei -fremden Leuten war, von meinem Lohn ersetzen. - -Brachte jemand Wein oder Most, so mußte ich auch mitgehen in den -Weinkeller; denn die Eltern vertrauten den Dienstboten den Schlüssel -dazu nicht an, weil ein sehr großer Wert in den Weinvorräten steckte. So -brachte uns auch einmal ein Bursch aus einer Kelterei etwa fünfzig -Flaschen Apfelwein. Als ich mit ihm in dem vermauerten, dunklen Keller -war und beim Schein einer Kerze den Apfelwein in eine Stellage zählte, -löschte der Unhold mir plötzlich das Licht, packte mich rücklings, riß -mir den Rock in die Höhe und wollte mich vergewaltigen. Trotz meines -Schrecks kehrte ich mich rasch um und fuhr ihm mit allen Fingernägeln -über das Gesicht, ergriff die nächstbeste volle Flasche und schlug sie -ihm so um den Kopf, daß sie in Scherben ging. Alles das tat ich in einem -Augenblick und ohne einen Laut von mir zu geben. Scheinbar ruhig trat -ich nun aus dem Keller und rief ihm zu: »So, jetz machst, daß -d'verschwindst, du Hund! Sonst sperr i di da rei, bis i d'Schandarm -g'holt hab; na konnst schaugn, wie's dir geht, du Haderlump, du -elendiger! Und jetz druckst di und laßt di ja nimma blicka! Dei Herr -werd sei Geld scho kriagn!« - -Ich hatte zwar schon Angst, er könnte mich in der Wut noch einmal -anpacken; doch ging er ohne einen Laut, nahm auf der Straße seinen -Karren und fuhr mit dem übel zugerichteten Gesicht davon. Gesehen habe -ich ihn nie mehr. - -Überhaupt hatte ich manchmal meine Fäuste nötig; teils, mich der eigenen -Haut zu wehren, teils, Streitende auseinanderzutreiben. - -Im Frühjahr hatte ein Grundbesitzer in der allernächsten Nachbarschaft -angefangen zu bauen, und es sollten zwei große Häuser links von unserer -Ecke und eins rechts davon erstehen. Da die Maurer und die übrigen -Arbeiter meist ohne Geld sind, wenn sie zu arbeiten beginnen, so muß der -Palier für einen Vorschuß sorgen, der dann am Samstag vom Lohn abgezogen -wird. Der Palier wendet sich nun an einen Wirt, der erstlich Geld und -dann auch gutes Bier und vorzügliche Küche hat. Da war nun meines Vaters -Wirtschaft als Einkehr für sämtliche am Bau Beschäftigte vorgeschlagen -und angenommen worden. Die Leute holten sich am Montag ihren »Schuß« und -aßen und tranken die Woche über ohne Bezahlung. Da gab es denn am -Samstag immer große Abrechnung mit ihnen, und hie und da kam es dann -wohl auch vor, daß der eine oder andere glaubte, er sei betrogen worden -bei der Abrechnung, oder daß einer selbst betrügen wollte. Freilich ging -es dabei nicht immer ruhig her. Ganz plötzlich brach dann an einem Tisch -ein Streit aus und im Nu bildeten sich zwei Parteien, von denen die eine -für den Wirt, die andere aber für den Schuldner stritt. - -Doch nicht lange währte die Reiberei; der Vater rief mir aus der -Schenke: »Leni, biet eahna ab, i hab koa Zeit!« und augenblicklich stand -ich unter den Streitenden und versuchte erst in Güte, die erhitzten -Köpfe zu beruhigen. Wenn mir aber dies nicht gelang, konnte ich recht -wild werden. Da faßte ich den einen am Genick und drückte ihn auf seinen -Stuhl nieder; den andern riß ich zurück vom Tisch, wo er eben ein -Salzgefäß ergreifen wollte, um es ins feindliche Lager zu schleudern. -Dann schlug ich mit der Faust wohl auch auf den Tisch und rief: »Ob jatz -glei Fried werd unter euch, ös Hallodri! Sofort hol i d'Schandarmerie, -wenn koa Ruah is!« Dann ergriff ich den Rädelsführer, hieß ihn -austrinken und schob ihn aus dem Lokal. - -Freilich, immer wurde es mir nicht leicht, der Aufrührer Herr zu werden. -Da mußte mir dann mein Hund, eine riesige, blaugestromte Dogge, die auf -den Mann dressiert war, helfen. Dieser Hund war von einem Apotheker aus -England mitgebracht worden, mußte aber, da sein Herr verarmt war, -verkauft werden. Durch ein Inserat wurde der Vater aufmerksam, und da -sie ihm wohl gefiel, kaufte er die Dogge für hundert Mark. Ich war -hocherfreut, als der Vater mit dem Hund kam. Er hieß Schleicher und war -außerordentlich klug. Sein Herr war mitgekommen und fütterte ihn noch -mit Schinkenbroten; danach sagte er: »Schleicher, du mußt jetzt schön -dableiben, bis ich wieder komm!« Dabei rannen ihm die Tränen in den -Bart, und ich empfand solches Mitleid mit dem Manne, daß ich hinging und -ihm versprach, den Hund recht gut zu halten. - -Bald war auch das Tier so gut Freund mit mir, daß ein Wink von mir -genügte, ihn an meine Seite zu locken. Er begleitete mich auf allen -Gängen und lief mit mir auch in den Keller und Speicher; und oft, wenn -ich mit ihm redete, legte er seinen schlanken Kopf auf meinen Schoß und -sah mich mit seinen klugen, braunen Augen ganz verständig an. Sagte ich -ihm: »Schleicher, du mußt schön aufs Frauerl Obacht gebn!« so wich er -keinen Schritt von meiner Seite und hätte den, der mich anrühren wollte, -sicher in Stücke gerissen. - -So war einmal ein als Wüstling übel angeschriebener, alter Schleifer zu -uns gekommen, als ich eben allein in der Schenke stand. Er trat zu mir -und fragte, ob ich nichts zu schleifen habe, und trotzdem ich ihm kurz -und mürrisch erwiderte: »Nix is da!« ging er nicht, sondern wollte mich -an der Brust fassen, indem er mit heiserem Lachen flüsterte: »Nix hat zu -sleife? Nix kloane Gaffeemiehle zu sleife, he?« - -In diesem Augenblick sprang der Hund auch schon an ihm empor, riß ihn zu -Boden und stellte sich mit gefletschten Zähnen und dumpf knurrend über -ihn; und als der Italiener sich wehren wollte, packte das wütende Tier -seinen Arm. Erschreckt schrie ich: »Weg, Schleicher!« und riß ihn am -Halsband zurück, worauf er zwar von dem an allen Gliedern Zitternden -abließ, aber immer noch heftig knurrte, so lange, bis der Alte gegangen -war. - -So war auch einmal eine Christbaumfeier der »Arbeitsscheuen« in unserm -Lokal. Die Gäste saßen vergnügt beieinander, lauschten aufmerksam den -Vorträgen, kauften Lose und waren alle eins, bis der Gipfel des Baumes -zur Versteigerung kam. An diesem Gipfel hing ein Hering, eine -Kindertrompete, ein Bündelchen Zigarren, eine Glaskugel, ein -Lebkuchenherz, ein Wachsengel und ein einzelner roter Plüschpantoffel. -Den andern hatte schon ein Bäckermeister gewonnen, da er an dem Zweige -hing, dessen Nummer sein Los trug. - -Alles steigerte mit leidenschaftlichem Eifer, und es währte nicht lange, -da waren schon dreißig Mark für den Gipfel geboten. Nun ging's etwas -langsamer; doch steigerte noch alles lebhaft mit, bis ein Metzgermeister -rasch vierzig Mark bot und ihn ohne Einspruch zugeschlagen erhielt. Er -zahlte und schenkte dann den Gipfel der Gesellschaft zur nochmaligen -Versteigerung. Diesmal fiel er für einundzwanzig Mark einem Weinhändler -zu. Auch der schenkte ihn wieder her, und nun kam der Hering samt -Kindertrompete und Plüschpantoffel für die Summe von dreizehn Mark in -die Hände meines Vaters, der gleichfalls zugunsten der Tischgesellschaft -alles noch einmal versteigern ließ. - -Jetzt fiel dem Bäckermeister plötzlich ein, daß zu dem einen -Plüschpantoffel auch ein zweiter gehöre, und er steigerte nun eifrig -mit. Aber da war ein junger Ehemann, ein Bräubursch, dem seine Gattin -vor einer Woche den ersten Buben geschenkt hatte; der wollte die -Trompete für seinen Stammhalter haben. Und nun begann ein hitziges -Bieten: »Drei Mark fuchzg!« schrie der Bäcker. - -»Vier Mark!« der andere. - -»Sechs Mark!« scholl es wieder herüben, aber schon schrie der Ehemann: -»Acht Mark! I werd dirs zoagn, du arme Bäckerseel!« - -»Was hast g'sagt, du windiger Bräuknecht! Acht Mark fuchzg!« - -»Neun Mark!« erscholl da plötzlich aus dem Hintergrund die Stimme des -Kobelbauer Hias, eines Obermälzers, und rasch schrie der junge Ehemann: -»Zehn Markl!« - -Der Bäckermeister wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine -Stimme klang heiser, als er schrie: »Zehn Mark fuchzg! Jatz ko mi der -Hanswurscht scho bald ...« - -Aber er kam nicht zum Ausreden; denn: »Elf Mark fuchzg!« tönte es schon -wieder aus dem Hintergrund und gleich darauf: »Zwölf Mark!« von dem -Liebhaber der Trompete. - -Nun vergaß der Bäcker vor Wut weiterzubieten, und sprang auf, stürzte -auf den Bräuburschen zu und packte ihn an der Gurgel: »Willst stad sei, -du Bräuhengst, du verflixter! Jatz biat i und kriagn muaß i 'hn aa, den -Gipfl, sunst is g'feit, dös mirkst dir!« - -Aber er war schon zu spät daran; denn während er sich mit dem andern -stritt, freute sich der dritt': der Kobelbauer Hias ersteigerte den -Gipfel um dreizehn Mark und machte sich damit davon. - -Der Bräubursch aber hatte den Bäcker mit solcher Macht zurückgeworfen, -daß dieser rücklings in einen runden Tisch fiel und alle Krüge und -Gläser umwarf. Die Frau des Laternanzünders Tiburtius Kiermeier hatte -eben ein Kalbsgulasch vor sich stehen und wollte zu essen beginnen; da -kam der Bäcker geflogen, und durch den großen Sturz geriet die Platte -mit der Sauce ins Rutschen, und ehe die Frau Laternanzünder sich's -versah, hatte sie das Gulasch samt der Brüh und den Kartoffeln im Schoß: -»Jess' Maria! Mei guater Tuachrock!« kreischte sie laut auf und stieß -gleich darauf ihren Mann heftig in die Seite; denn der hatte so eifrig -mit einem am andern Tisch sitzenden Schuhmacher, genannt der -Revolutionsschuster, über Anarchismus und Sozialdemokratie debattiert, -daß er von dem Streit und auch von dem Unglück seiner Gattin nichts -bemerkt hatte. Nun aber sprang er auf, und als ihm diese kreischend und -unter Tränen den Vorfall geschildert hatte, erhob er seinen Stuhl und -schrie: »Nieder mit dem schwarzen Bäckerhund! Hauts'n nieder, den -Zentrumshund! D'Sozialdemokratie soll lebn!« - -In diesem Augenblick aber fielen ihm etliche in den Arm, drückten ihn -wieder auf seinen Sitz und riefen: »Sei do g'scheit, Tiburtl!« doch der -war nun schon in der Hitze und schrie und schimpfte weiter. - -Die Streitenden aber waren inzwischen abermals aneinander geraten, und -bald setzte es da und dort Hiebe ab. Nun sprangen etliche Rauflustige -hinzu, und ehe man sich dessen versah, artete der Streit zu einer -regelrechten Prügelei aus. - -Zu allem Unglück löschte ein Boshafter das Licht aus, indem er den -Gasometer abstellte. - -Der Vater rief: »Kathi, schnell reibn S' s Gas auf!« Die Mutter schrie -aus der Küche: »Kreuzsakerament! a Liacht brauch i!« Ich aber faßte -meinen Hund am Halsband, er trug den Maulkorb, und stürmte mitten in den -Knäuel: »Auseinander! Schleicher, faß an! Sakrament, auseinander, sag i! -Wer si net niederhockt, is hi!« - -In diesem Moment flammte wieder ein Licht auf, und während der Vater -totenblaß an einem Tisch lehnte, da er noch immer kränkelte und sich -nicht aufregen durfte, teilte ich kräftige Püffe aus. Der Hund aber -hatte die zwei Hauptschreier zu Boden geworfen und sein zorniges Knurren -verriet, daß er keinen Spaß trieb. Die beiden lagen blutend und voll -Beulen da, der eine hielt noch einen Maßkrughenkel, der Bäcker aber sein -Stilet in Händen. - -Die übrigen Raufbolde waren beim Dreinfahren des Hundes erschreckt -zurückgewichen, und nachdem ich den Bäcker und den andern in die Höhe -gezogen und beide zahlen geheißen, wies ich ihnen die Tür mit den -Worten: »Marsch, schaugts, daß hoamkommt's, ös Wildling!« - -Bald war wieder Ruhe im Lokal; die Scherben wurden aufgeräumt, die -Tische und Stühle gesäubert und der Frau Kiermeier vom Vorstand der -Tischgesellschaft ein neues Kleid versprochen. Und als um vier Uhr -morgens die letzten Gäste schwankend das Lokal verließen, versicherten -sie einmütig mit stillvergnügtem Lächeln: »Schö war's, wunderschö!« - - * * * * * - -Am andern Tag mochte aber wohl mancher einen schweren Kopf gehabt haben, -und auch wir waren alle übernächtig und trachtete ein jedes, den -versäumten Schlaf so geschwind wie möglich nachzuholen. Der Vater und -die Mutter legten sich gleich nach dem Mittagessen nieder; die -Küchenmagd machte ganz gläserne Augen und verschwand plötzlich, noch ehe -sie ihre Arbeit getan; die Kellnerin mußte sich niedersetzen zum -Besteckputzen, und dabei sank ihr der Kopf immer tiefer, bis sie mit der -Nase auf das Putzbrett stieß. Ich selber nahm mir einen Stuhl und setzte -mich in die Schenke, rief den Schleicher zu mir und machte auch ein -Schläfchen, das zu meiner Freude nicht gar zu oft durch das schrille -Klingeln der Schenkglocke gestört wurde. Um fünf Uhr aber war jedes -wieder munter, und nachdem wir Kaffee getrunken hatten, meinte die -Mutter: »So, jatz konn's glei wieder ogeh 's G'schäft und dauern bis um -zwoa!« Doch bekam sie bald Kopfweh in der heißen Küche und ging in die -Stube und ich kochte allein. - -Da hieß es erst einen großen Hafen voll Lunge oder Voressen bereiten für -die Arbeitsleute, die jeden Abend um sieben Uhr an der Küchentür mit -ihren Haferln standen und fragten: »Habts heut a Lungl?« - -Dann schrieb ich die Speisenkarte. - -Bald danach kamen die Kunden aus der Nachbarschaft, meist alte Weiber, -und begehrten zu wissen, was sie zum Abend haben könnten: »Freiln Leni, -ham S' heut a Gansjung?« - -»Ja, was fallt denn Eahna ei!« rief ich da. »Jatz, wo s' so teuer san am -Markt! Wos moanan S', was jatz a Gansjung kostn tät? A Mark ganz gwiß! -Mögn S' vielleicht sonst a Schmankerl? A sauere Leber oder a bachene; -oder a bra'ne Haxn, a halbete? A schöns Schweinszüngl is aa da und guate -G'schwollne, selbergmachte!« - -»Dös mag mei Mann alles net!« sagte die eine oder andere dann, und ich -mußte ihnen weitere Spezialitäten hernennen: »Ja mei, da werds schlecht -ausschaugn, wenn der Herr Gemahl dös net mag! Sagn S' halt, a Hirn, a -Herz, a Kottlett, a Schnitzl und a Gulasch ham ma r aa; oder vielleicht -mag er an Ochsenmaulsalat!« - -Nachdem ich dies alles aufgezählt hatte, kam es freilich auch manchmal -vor, daß eine, nachdem sie alles mögliche auszusetzen gehabt und ihr die -Leber zu sauer, das Gulasch zu scharf, an der Haxn z'weni dro und das -Züngerl z'fett gewesen war, zögernd fragte: »Habn S' a Lungl aa?« und um -a Zehnerl davon holte, was mich immer sehr zornig machte, so daß ich, -wenn sie draußen war, voll Wut zur Küchenmagd sagte: »Schaugts nur grad -a so a Büchslmadam o! Wenn s' a Kottlett um a Zwanzgerl kriagt hätt, -wars ihr scho recht gwen, dera Flugga!« - -Aber trotz allen Ärgers war ich doch recht gern Herr in der Küche, und -als einmal im Sommer die Mutter eingeladen wurde, an der Wallfahrt nach -Altötting teilzunehmen, gab ich nicht eher Ruhe, bis sie ja sagte. - -Freilich mußte ich nun tüchtig mit anfassen die drei Tage, welche die -Mutter nicht da war; doch wurde ich ganz gut fertig und konnte sogar dem -Vater noch helfen am Abend, wenn der Hauptandrang an der Gassenschenke -war. - -Da wurden innerhalb einer Stunde über zwei Hektoliter Bier ausgeschenkt, -und die Leute standen mit ihren Krügen an, wie zu Ostern in der Kirche -beim Beichten. Der Vater schenkte ein und ich kassierte. Da ging's: -»Frau Bergbauer, a Maß, a Halbe und a Quartl, macht vierazwanzg, -sechsadreißg, zwoaravierzg; so -- und acht san fufzg und fufzg is a -Mark. Dank schö, adie Frau Bergbauer, wieder komma! D'Frau Graf hat -dreimal drei; dös macht vierafufzg und sechs is sechzg. Dank schö, adie! -Der Kloane kriagt a Halbe; tuas fei net ausschüttn! Herr Nachbar, drei -Quartl? Vater, drei! Und a Zigarrn! Derf i s' glei ozündn? Jatz ham ma -achzehn und sechs is vierazwanzg und von gestern zwoa Maß, dös macht -nacha zwoarasiebazg. Stimmt ak'rat wie zählt. Adie, Herr Nachbar, dank -schö!« Und so ging's fort, bis ich wieder in die Küche mußte. - -Am nächsten Tag schickte die Mutter aus Altötting eine Karte mit dem -Bild der Mutter Gottes und schrieb: »Liebster Josef! Ich bin ganz weck -vor lauter schön. Vielle Grüße sendet euch eure treue Mutter Magdalena -Zirngibl.« - -Ich freute mich sehr, daß es der Mutter so wohl gefiel; hoffte ich doch, -es möchte diese Wallfahrt günstig auf ihr Gemüt wirken, daß sie ein -wenig verträglicher würde; denn sie war immer noch trotz aller -Frömmigkeit recht bös und quälte mich oft entsetzlich. Bei dem -geringsten Anlaß gab sie mir trotz meiner neunzehn Jahre noch Schläge -ins Gesicht und hinter die Ohren, oder riß mich an den Haaren herum; ja, -nicht selten nahm sie noch wie früher den Stock und prügelte mich -elendiglich. Deshalb suchte ich, so gut es mir gelingen wollte, Anlässe -zu solchen Szenen zu vermeiden; doch glückte es mir nicht immer, und ich -wurde nun wieder trübsinnig und verlor alle Lust zum Schaffen und -schließlich auch zum Leben. - -Da geschah es, daß wir eine neue Kellnerin bekamen; denn die Kathi hatte -sich mit einem unserer Gäste, dem Briefträger Schwertschlager, -verheiratet. Das neue Mädchen hieß Babett und war recht fleißig und von -einnehmendem Wesen; daher schloß ich mich rasch an sie an, weihte sie in -manche von den häßlichen Szenen, die ich mit meiner Mutter hatte, ein -und vertraute ihr auch an, daß ich des Lebens im Hause ganz überdrüssig -sei. Da empfahl sie mir, ich solle mir doch eine Sparbüchse anlegen und -alle Tage etwas aus der Schenkkasse hineintun; wenn es mir dann einmal -gar zu schlecht ginge, könnte ich davonlaufen und hätte doch Geld. Ich -folgte ihr und legte täglich zwei kleine, silberne Zwanzgerln in eine -irdene Sparbüchse, die ich in der Schublade des Büfetts, die der -Kellnerin zur Aufbewahrung ihrer Sachen diente, versteckte. - -Es mußte schon ein schönes Sümmchen beisammen sein, denn etliche Wochen -trieb ich diese Heimlichkeit. - -Da kam der Namenstag der Mutter. - -Schon einige Tage vorher hatte ich die Babett an einer sehr feinen -Spitze häkeln sehen und plagte sie nun, sie solle mir dieselbe für die -Mutter verkaufen. Sie willigte ein, und nachdem sie mich das Muster -gelehrt hatte, häkelte ich noch ein gutes Stück selber dazu. Ich -bezahlte ihr für die Arbeit zwei Mark, bat mir aber aus, sie dürfe der -Mutter ja nicht verraten, daß auch sie daran gehäkelt habe; denn die -Mutter hielt nur auf Handarbeiten etwas, die man selbst gefertigt hatte. -Sie schien auch wirklich sehr erfreut und fragte mich, wo ich das Muster -herbekommen habe. - -Ich antwortete: »Von der Babett.« - -Darauf meinte sie: »Die hast ja du gar net g'häkelt, die hat ja d'Babett -g'macht!« - -Ich blickte wie versteinert die Mutter an und brachte endlich kaum -hörbar die Worte heraus: »Wer sagt denn dös?« - -»D'Babett hat mir's selber g'sagt!« erwiderte die Mutter scharf. - -Da brach ich in Tränen aus: »Naa, so a Gemeinheit! Jatz hat s' mir's so -heilig versprocha, daß s' nix sagt ...« - -»So, hab i di jatz g'fangt, du Luder, du verlogns!« triumphierte jetzt -die Mutter mit bösem Lachen; dabei nahm sie die Spitze und warf sie ins -Herdfeuer. »Heut konnst di aber g'freun! Heut treib i dir's Lügn aus für -allweil!« - -Mir war ganz dumm im Kopf, und wie im Traum ging ich in die Gaststube -und wollte die Sparbüchse mit dem geheimen Geld zu mir nehmen; da fand -ich sie leer. Sprachlos starrte ich in die Schublade, bis die Mutter in -das Zimmer trat. Da schob ich die Lade zu und ging wieder in die Küche. -Doch konnte ich nichts tun und hatte nur den einen Gedanken im Kopf: -Heut bringt s' di um; denn sie war so seltsam still, trank rasch fünf -oder sechs Halbe Bier und warf mir grausige, entsetzliche Blicke zu. -Aber sie sprach kein Wort in der Sache, bis nach dem Mittagessen. Da -rief sie dem Vater in die Schenke: »Josef, heut bleibst in der Schenk, -die is heut net da!« wobei sie mir wieder einen solch bösen Blick -zuwarf, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Dann sagte sie, indem -sie den großen, eisernen Schürhaken vom Herd nahm und sich zum Gehen -schickte: »Richst 's Hundsfressen no her, du Schinderviech; nachher -gehst 'nauf!« - -Als sie fort war, rief ich die Babett zu mir in die Küche und machte ihr -Vorhalt wegen der Spitze und auch wegen des Geldes. - -Da sagte sie: »I hab koa Wort verraten und vom Geld woaß i nix! -Überhaupt derfan Sie koa Wort sagn; denn wenn i mei Maul aufmach, na is -g'fehlt um Eahna!« Damit ging sie aus der Küche. - -Ich hatte kaum die letzten Worte gehört, so wurde mir heiß und kalt, und -plötzlich ergriff ich das große Tranchiermesser, legte erst die eine und -dann die andere Hand auf den Hackstock und schnitt mir an beiden Armen -die Pulsadern durch. Dann lief ich zum Schlüsselbrett, nahm die -Kellerschlüssel, rannte die Stiege hinab, schloß mich in den Weinkeller -ein und kauerte mich in einen Winkel und hoffte stumpfsinnig auf den -Tod. - -Wie lange ich so gelegen bin, weiß ich nicht. Bekannte erzählten mir -später, daß mich eine Frau, die von der Gassenschenke aus in die Küche -geblickt hatte, beobachtet und den Vorfall meinem Vater mitgeteilt habe. -Doch wußte niemand, wo ich hingelaufen war, bis man endlich die -Kellerschlüssel vermißte. Da nahm der Vater den Schleicher, ließ vom -Schlosser den Keller aufbrechen und suchte mich. Der Hund aber lief erst -unruhig im ganzen Keller umher, bis er sich plötzlich vor die Tür zum -Weinkeller stellte und laut zu winseln begann. Da erbrach der Schlosser -auch diese Tür, und nun fanden sie mich ohnmächtig in meinem Blute -liegen. Sie hoben mich auf und brachten mich zum nächsten Bader, der mir -einen Notverband anlegte und mich dann zu einem Arzt fahren ließ. Dort -wurden die Wunden genäht, wobei es der Doktor nicht an anzüglichen Reden -fehlen ließ, da ja gemeiniglich nur nach der Tat, selten aber nach Grund -und Ursach geforscht wird. - -Darauf brachte man mich wieder nach Hause, und meine Mutter empfing mich -sofort mit den Worten: »Hat di jatz der Teufi no net gholt! Bist no net -hin?« - -Da dachte ich, es könnte am Ende besser sein, wenn ich ginge; denn -vielleicht bekäme ich von der Mutter einmal einen Hieb, der mich zum -Krüppel machte; da wäre ich doch lieber tot. - - * * * * * - -Also ging ich andern Tags zu meiner Base, die mit dem Bruder der Mutter -in einem alten, kleinen Häuschen Giesings wohnte. Die nahm mich voller -Mitleid auf und ich verbrachte ein paar glückliche Wochen bei ihr. Auch -sie riet mir, ich solle eine Zeitlang unter fremde Leute gehen und -dienen. Deshalb suchte ich, nachdem meine Arme wieder geheilt waren, -eine Verdingerin auf, die mir einen Platz als zweite Köchin in der -Floriansmühle zubrachte und mir empfahl, zuvor meinem Vormund, dem -Ehemann der Nanni, zu schreiben, daß er mir seine Erlaubnis zum Dienen -gebe; denn ich war noch nicht mündig. Der antwortete in seinem -Schreiben: »Mir ist's ganz recht, wenn sie dint und ligt nichts dran, -wenn sie heirat. Josef Eder.« - -Mit diesem Brief ging ich zur Polizei und holte mir ein Dienstbuch. -Danach erbat ich mir von meiner Base das Verdinggeld, fünf Mark, und -brachte es der Frau, worauf ich mich nach der Floriansmühle begab. - -Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister -vorbei und stand mit einem Male vor einem kleinen Dörflein. - -Zu meiner Rechten floß ein von alten Bäumen und schon herbstlich buntem -Strauchwerk eingefaßter Kanal, der das ausgedehnte, rings von saftigen -Wiesen und schattigen Baumgärten umgebene Besitztum, auf dem ich meinen -Dienst antreten sollte, von dem eigentlichen Ort trennte. - -Ich schritt den Bach aufwärts und stand bald vor dem großen Hoftor des -Gutes, das drei Brüdern zu eigen gehörte und dessen Gastwirtschaft von -jeher als eine beliebte Einkehr der Münchner galt. - -Als ich in den Hof trat, stand vor der niedern Tür des schmucken, mit -seinen grünen Fensterläden und den sauber an Spalieren gezogenen -Weinreben recht heimisch aussehenden Wohnhauses ein junges Mädchen und -fütterte aus einer weiten, irdenen Schüssel Enten, Hühner und Tauben mit -feingehackten Maiskörnern. Droben auf dem Dach aber, das von einem -Glockentürmlein gekrönt war, saß ein großer Pfau und schrie mit -kreischender Stimme sein klägliches: »Pau, pau« in die stille Luft. - -Weiter drüben vor dem Stall stand ein langer, grobknochiger Knecht und -schirrte zwei schwere Grauschimmel an und spannte sie vor einen hoch mit -Mehlsäcken beladenen Wagen, während aus der mit Tannengirlanden -geschmückten Türe eines kleinen Tanzsaales, dessen Fensterläden fest -geschlossen waren, soeben ein älterer Mann trat und angestrengt nach der -von uralten Pappeln eingesäumten Landstraße sah. - -In diesem Augenblick fuhr von der andern Seite ein leichtes Ponygefährt -durchs Tor in den Hof, und ihm entstieg ein etwa zwanzigjähriger, -elegant gekleideter junger Mann, warf die Zügel dem dampfenden Pferd auf -den Rücken und hob danach ein liebliches, ganz in Weiß gekleidetes, etwa -achtjähriges Mädchen aus dem Wagen. Mit lautem Jubel stürmte die Kleine -an dem erschreckt auffahrenden jungen Mädchen vorüber, wobei Hühner und -Enten laut schreiend und gackernd auseinanderstoben, und sprang lachend -an dem alten Herrn empor mit dem Ruf: »Onkel Kilian, fein wars!« Dieser -gab dem Mädchen erst einen schallenden Kuß und wandte sich dann an den -jungen Mann: »So, Maxl, hast dir jatz amal gnua kutschiert?« - -»Ja, Onkel! Bis zum Flaucher san ma nauf; 's Lieserl hätt bald nimmer -gnua kriagt!« Dann rief er lachend der noch immer über das Ungestüm der -Kleinen erbosten jungen Dame zu: »Servus, Fräuln Schwester!« Und als sie -nichts erwiderte, trat er rasch auf sie zu, faßte sie um die Hüften und -meinte: »Na, Klärl, kommt's am End scho wieder zum Regnen?« - -Unwillig stieß sie ihn weg und wollte etwas entgegnen, da fuhren rasch -hintereinander drei elegante Equipagen vor, und sofort stürzten alle -hinzu und halfen den Herrschaften dienstbeflissen aus den Wagen. - -Ich war lange Zeit unschlüssig hinter dem vorderen Tor gestanden; jetzt -benutzte ich rasch den günstigen Augenblick und trat schnell in die -Küche, die in peinlichster Sauberkeit glänzte. - -Gegenüber dem großen, in der Mitte stehenden Herd befanden sich hohe -Schränke und Stellagen voll Porzellangeschirr und von den Wänden -blinkten reiche Kupfer- und Zinnmodel. Vor dem Herd stand gerade eine -große, wohlbeleibte Köchin, die Kaffee kochte, und hinten in einer Ecke -war ein altes Weiblein mit dem Rupfen einer großen Schüssel voll Enten -beschäftigt. An dem mächtigen Schubfenster des Büfetts, von dem aus man -den großen, schattigen Wirtsgarten überblicken konnte, stand eben die -Frau des Hauses und gab der Kellnerin mehrere Platten mit Kuchen und -gebratenen Hühnern. Dann wandte sie sich um, und als ich gerade der -Köchin, die mich barsch nach meinem Begehr fragte, antworten wollte, -rief sie mit freundlicher Miene: »Ah, jatz kommt mei neue Köchin! Sie -san aber no jung!« - -Ich erwiderte, nachdem ich sie begrüßt, ziemlich schüchtern: »I bin scho -neunzehn Jahr alt!« worauf sie mich fragte, ob ich denn auch kochen -könne. Da bekam ich auf einmal Schneid und sagte frisch: »Dös moan i! I -hab dahoam scho dö ganze Wirtschaft g'führt und mir ham koa schlechts -G'schäft! Bloß mit dö Mehlspeisn hats was; dö gibt's bei uns 's ganz -Jahr net!« - -Lachend meinte die Frau: »Dös kriagn ma scho no; bloß a Schneid -braucht's und an guatn Willn.« - -Ich versprach ihr, daß ich ihr keine Schande machen wolle, und fragte, -wann ich schon eintreten könne. Sie sagte: »Glei morgn können S' kommen; -lassen S' ma Eahna Adreß da, der Knecht fahrt morgen so in d'Stadt nauf -am Markt; der kann glei Eahnan Koffer mitnehmen.« - -Dann gab sie mir noch einen Taler als »Drangeld«, womit sie mich fest -zum Antritt meiner Stelle verpflichtete. - -»Gnä Frau,« sagte ich noch, ehe ich ging, »kann i vielleicht glei was -b'sorgn, eh i morgn aus der Stadt geh? I kannt's leicht mitnehmen.« Doch -sie verneinte und sagte: »Dös g'fallt ma, daß S' Eahna so onehma; aber -bei uns fahrt alle Tag oans nauf zum Einkaufn und B'stelln. Trinkn S' -jatz no g'schwind a Tass' Kaffee!« - -Nun bekam ich eine große Tasse voll und einen Krapfen, wobei die Frau -meinte: »Probiern S' unsere Krapfen, die müssen S' z'erscht ferti -bringa!« - -Ich fand alles recht gut und ging frohen Herzens heim zu meiner Base und -berichtete ihr alles, worauf sie mich ermahnte, ich solle mich recht gut -halten, daß ich meiner Mutter zeigen könne, wie andere Leute mit mir -zufrieden wären. - -Andern Tags am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg. Ich war guten -Muts und sang laut, als ich durch den Englischen Garten schritt; denn -ich hatte von der Endstation der Trambahn aus noch fast eine Stunde zu -gehen. - -Als ich auf den Hof kam, schlug es neun Uhr, und der Obermüller und die -Mühlknechte machten grad Brotzeit und holten sich ihr Bier. - -Mit einem lauten: »Grüaß Gott! Jatz bin i da!« trat ich in die Küche, wo -es schon überall dampfte und brodelte. Die Frau war noch nicht auf, und -so wies mir die erste Köchin meine Kammer zum Schlafen an. Rasch nahm -ich mein Hütlein ab, zog mein Mäntelchen aus, tat eine schöne weiße -Schürze um und ging wieder hinunter. - -Nun hieß es sich rühren! Als die Frau um zehn Uhr in die Küche kam, -hatte ich schon einen großen Hafen voll Entenjung für die Leute der -Ökonomie zubereitet und war gerade dabei, ein Brett voll Knödel zu -machen. - -»So, san ma scho fest bei der Arbeit!« sagte die freundliche Wirtin und -klopfte mir wohlwollend auf die Schulter, worauf ich lachend erwiderte: -»Bis jatz konn i's scho no damacha!« doch hätte ich dies am Nachmittag -wohl kaum mehr geantwortet; denn da ging's drunter und drüber. - -Da kamen Herrschaften in ihren Equipagen, die sich mit Brathähndln, -Eierspeisen, kalten Platten und dergleichen Leckerbissen aufwarten -ließen, ferner Radfahrer, die in großer Eile ihren Kaffee tranken, und -auch an Spaziergängern fehlte es nicht, die da ihren Käs mit Butter, ein -Ripperl oder Regensburger verzehrten. - -Der Kaffee wurde in lauter kleinen Kännchen serviert, und eine alte -Spülerin hatte den ganzen Mittag und Nachmittag vollauf zu tun, um all -die Geschirrlein zu säubern und auf kleine Nickeltabletten zu ordnen. In -einem riesigen Waschkorb lagen an die hundert Krapfen, daneben standen -Teller und Platten mit feinem Kaffeekuchen, was alles im Haus gebacken -wurde. - -In der Schenke ging es zur Mittagszeit noch ziemlich ruhig her; doch war -am Nachmittag auch hier ein großes Hinundher. Da wurde nicht nur Bier -ausgeschenkt, sondern auch alle möglichen Limonaden, Sauerbrunnen, -Schorlemorle, Radlermaßen und auch gar manche Flasche Wein. - -Die »rote Kuni«, wie man im Scherz die rothaarige Schenkkellnerin -nannte, wußte sich bei dem Trubel kaum mehr zu helfen; denn sie war von -Haus aus schon schwerfällig und nun erwartete sie auch noch ein Kind, -das vierte, seit sie in der Floriansmühle im Dienste stand. Für jedes -hatte sie einen andern Vater benannt, der ihr für Ehr und Kind bezahlen -mußte, was ein jeder auch ohne Widerrede tat. - -Um die Zeit meines Eintritts war nun überall wegen der Herbstmanöver -Einquartierung. Auch in die Mühle kam die Ordre, man solle Quartier -bereiten für mindestens zwanzig Mann und etliche Offiziere der schweren -Reiter aus Landshut. - -Es währte nicht lange, da rasselten im Saal die Säbel und klirrten die -Sporen. Zwanzig Gemeine, vier Feldwebel und Wachtmeister, sowie sechs -Offiziere hatten wir bekommen. - -Da gab es Arbeit in Menge; zwar war für die Gemeinen das Mahl bald -bereitet, doch für die Herren wurde gar fein aufgekocht. Am Abend gab es -dann regelmäßig ein kleines Tänzchen, zu dem ein Mühlknecht mit der -Ziehharmonika aufspielte. - -Elf Tage blieben sie. Da geschah es am dritten Tage, daß die rote Kuni -in der Früh nicht mehr erschien und in der Stille der folgenden Nacht -einem Knäblein das Leben gab. Nun war niemand in der Schenke; da fragte -ich, ob ich nicht auf etliche Tage dies Amt versehen könne. Die -Herrschaft war recht froh über den Antrag, und ich wurde noch am selben -Tag die Schenkkellnerin. Zugleich hatte ich die Gäste zu bedienen und -auch den Offizieren zu servieren; doch ging mir alles glücklich von der -Hand, und schon nach ein paar Tagen mußte ich das Versprechen geben, in -der Schenke zu bleiben. Ich tat es gerne; denn ich verdiente mir ein -schönes Stück Geld und lernte überdies mit feinen Leuten umzugehen. - -Bald hatte ich mir nicht nur die Zufriedenheit der Herrschaft erworben, -ich war auch der Liebling der Offiziere und vieler vornehmer Gäste. - -Am Tage vor ihrem Weitermarsch veranstalteten die Hauptleute der -Einquartierten noch einen kleinen Ball, zu dem viele Münchner Offiziere -samt ihren Frauen geladen waren. Vorher war ein reiches Mahl gegeben -worden und ich hatte alle Hände voll zu tun. Danach gab mir ein jeder -der Offiziere, die durch den Herrn schon erfahren hatten, daß ich eine -Bürgerstochter und ein braves Mädel sei, die Hand, viel schöne Worte und -einen blanken Taler, und einer bat mich gar um ein »Busserl«, wofür er -mir versprach, er wolle ewig an dieses Herbstmanöver denken. - -Ich hatte nichts weiter dagegen und gab ihm lachend den verlangten Kuß. -Da hielt der junge Herr mich fest und legte mir ein feines Kettlein mit -einem kleinen Medaillon um den Hals. - -»Es ziemt sich nicht,« meinte er dann ernst, »einem Mädchen aus gutem -Haus ein Trinkgeld zu reichen; ich wenigstens kann es nicht und hoffe -auch, daß meine lieben und geschätzten Kameraden das Mädel nicht -entlohnen, sondern nur belohnen wollten.« - -Ich war ganz bestürzt und dachte schon, jetzt müsse ich all das schöne -Geld wieder hergeben; da rief ein alter, graubärtiger Offizier mit -schnarrender Stimme: »Ah, was! Unsinn, Kamerad! Der Taler ist nicht -Trinkgeld, sondern Andenken an uns fesche Kerle!« worauf alles in -Gelächter ausbrach und die Angelegenheit erledigt war. - -Später, beim Tanz, bat der junge Herr meine Herrschaft, mir Urlaub zu -geben, bestellte etwa zwanzig Flaschen Sekt und ließ sie gleich kalt -stellen. Sodann befahl er den Offiziersburschen, zu bedienen. - -Die andern Mannschaften hatten sich draußen in der Tenne bei einem Faß -Bier versammelt und Wachtmeister und Unteroffiziere saßen im Nebenzimmer -fidel beisammen. - -Ich mußte ein gutes Kleid anziehen und war nun sehr begehrt, wobei ich -fand, daß der Leutnant mit dem Kettlein es im Tanzen selbst den höchsten -Offizieren zuvor tat. Er meinte es, wie mir schien, recht ehrlich mit -mir; denn er wollte nicht einmal das »Busserl«, das er mir am Abend -abverlangt hatte, behalten und gab es mir mit dankbarem Blick vierfach -zurück, ehe er beim Morgengrauen den Tanzsaal verließ. - -Am andern Tag sah ich die Truppen wohl fortreiten, doch konnte ich aus -der großen Ferne keinen mehr erkennen. - -Dafür kamen am Nachmittag abermals etwa zehn Reiter, zwar keine -Offiziere, doch auch ganz muntere Gesellen, die in einer Reitschule das -lernten, was sie später entweder zum Beruf brauchten oder womit sie -andern einmal imponieren wollten. - -Sie kamen nun täglich und waren alle recht höflich und liebenswürdig zu -mir, gaben mir viel Trinkgelder und brachten mir allerlei hübsche Dinge -mit: bald ein Körblein Blumen, bald ein Schächtelchen mit Zuckerwerk. -Einer von ihnen aber, der Sohn des Reitschulbesitzers, hätte mir gerne -einen hübschen Filigranschmuck geschenkt; doch ich wies das Angebinde -schnöde zurück, weil der Geber sich dafür nichts weniger denn mein -Jungfernkrönlein ausgebeten hatte. - -Überhaupt traten jetzt die Versucher gar häufig und, wie sie meinten, in -den lockendsten Gestalten an mich heran. - -Da war ein alter Jude, ein steinreicher Geldhändler, der mir für eine -kleine Liebenswürdigkeit sofort eine große Summe Goldes bot. Ferner ein -Pferdehändler, ebenfalls ein Jude, der mir einst seine Equipage mit der -Weisung schickte, ich solle mich in den ersten Modehäusern kleiden wie -ich wünsche, koste es, was es wolle; doch möchte ich nachher in -demselben Wagen heim in seine Wohnung fahren und bei ihm eine Tasse Tee -trinken. - -Doch nicht nur die reichen Herren, auch etliche Burschen aus der Mühle -hätten mich gern zu ihrem Schätzlein gehabt, und ich wußte bald nicht -mehr, was ich tun sollte, um mir die unsinnigen Freier vom Hals zu -schaffen. Und als mich gar einmal mitten in der Nacht draußen vor meinem -Fenster, ich schlief im ersten Stock, ein Geräusch aufweckte, als hätte -jemand eine Leiter angesetzt, und gleich danach ein leises Klopfen an -die Scheiben ertönte und jemand mit unterdrückter Stimme rief: »Lenerl, -mach auf! I muaß dir was sagn,« da sprang ich voll Zorn aus dem Bett und -rief ganz laut hinaus, ohne zu öffnen: »Mei Ruah will i habn! I brauch -koan Burschn zum Fensterln; wer si net zu der Tür 'reitraut, soll ganz -wegbleibn!« - -Da erscholl es draußen wieder flehend: »Geh, laß mi halt ei, Dirndl! I -hätt a schöns Ringerl für di!« während zu gleicher Zeit im Garten -drunten der alte Bernhardinerhund wütend zu bellen begann. Nun klopfte -der nächtliche Besucher wieder, diesmal aber ganz heftig, ans Fenster -und bat: »Lenerl, i bitt di um Gottswilln, laß mi halt ei, i bins ja, -der Mühlfranzl! Schau, da Barri laßt mi nimma abi!« - -Ich gab nun gar keine Antwort mehr und hielt mich mäuschenstill; denn im -Zimmer neben mir wurde es lebendig und gleich darauf erschien Max, der -etwa zwanzigjährige Sohn meiner Herrschaft, in Unterhosen und barfuß, -ein Kerzenlicht in der Hand, an meiner Tür: »Leni, hörn Sie nix? -Einbrecher müassn da sei!« - -Nun verschwand die Gestalt eilig vom Fenster, und gleich danach vernahm -man ein wildes Auffahren des Hundes, einen dumpfen Schrei und das -Umfallen der Leiter. Darauf war es wieder still. - -Nun wagte ich, das Fenster zu öffnen, und sah hinunter. Da saß unser -Barri auf einer dunklen, am Boden hingestreckten Gestalt, und über den -beiden lag die lange Leiter. - -»Unser liabi Zeit! Der hat si gwiß dafalln!« rief ich voll Schreck und -bereute schon meine Härte; da schrie der Max zum Fenster hinunter, -während ich ganz gebrochen auf einen Stuhl fiel: »Barri, marsch in dei -Hüttn!« worauf der Hund den Schwanz einzog und unter der Leiter -wegschlich. - -»Wer nur dös sei muaß!« meinte etwas angstvoll der junge Mann. - -Da sagte ich leise, indem ich wieder zum Fenster trat und hinabsah: »Der -Mühlfranzl war's. Fensterln hätt er wolln! Und jatz is er tot zwegn mein -Trutz!« - -In diesem Augenblick rührte sich der vermeintliche Tote, kroch unter der -Leiter hervor und hinkte mühsam und halblaut fluchend von dannen. - -Nun verließ auch der Max das Zimmer und ich legte mich wieder hin; doch -ich konnte nicht mehr einschlafen und nahm mir vor, das Haus zu -verlassen. Ich sagte das am Morgen auch der Frau; doch die lachte mich -aus und meinte: »Ja, warum net gar! Davonlaufn möcht s' jatz, anstatt -daß s' an Stolz hätt, wenn si d'Burschn so um sie reißn! Recht zum Narrn -haltn tuast's!« - -Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich auch wirklich für diesen -vernünftigen Ausweg. Ich ließ mir eifrig den Hof machen und hatte die -größte Freude, wenn sich manches Mal der eine oder andere von einem -Rivalen zurückgedrängt glaubte und ihm mit der Faust zu beweisen suchte, -daß er der Bevorzugte sei. - -Der Umstand, daß ich mich in diesem ständigen Kreuzfeuer so tapfer -bewährte, ließ mich nicht nur in den Augen meiner Herrschaft groß -dastehen, sondern auch in der Gunst unserer Stammgäste, zu denen auch -der Benefiziat des Dorfes zählte, höher und höher steigen, und es -geschah des öfteren, daß der hochwürdige Herr mich beiseite nahm und mir -versicherte, ich sei das tapferste Mädel, das ihm vorgekommen; und als -ich ihm einmal sein Bier auf den Tisch stellte, rief er: »Na, wie -geht's, Sie steinerne Jungfrau? Hat sich gestern keiner von Ihren -Verehrern erschossen?« worauf ich lachend erwiderte: »Naa, Herr -Hochwürden, aber datränkt hat si scho hi und da oana z'wegn meiner!« - -»Was!« schrie er da voll Schreck und hatte seine liebe Not, den Trunk, -den er eben gemacht und der ihm vor Schreck in die unrechte Kehle -geraten war, wieder heraufzubringen. »Was, ertränkt?!« - -»Ja, aber net im Wasser!« beruhigte ich ihn und klopfte ihm tüchtig auf -den Rücken, bis er nach heftigem Husten wieder zur Ruhe kam. - - * * * * * - -Als ich etwa zwei Monate im Hause war, erschien eines Nachmittags ganz -unverhofft meine Mutter und wollte wissen, wie ich mich führe. - -Meine Frau war noch in der Küche, als die Mutter mit den Worten vor sie -trat: »'n Tag! I bin d'Mutter von dera da!« Dabei wies sie mit der Hand -auf mich und fuhr fort: »I möcht anfragn, wie sie si aufführt und was s' -Lohn hat!« - -Meine Frau entgegnete kurz: »So, Sie sind d'Mutter! D'Leni is recht -ordentlich und fleißig und i hab nie a Klag. Was 'n Lohn betrifft, so -hat s' halt zwanzg Mark und ihre Trinkgelder. Dös geht mi übrigens nix -o, wie viel dös ausmacht.« - -Da fing meine Mutter an, sich bitter über mich zu beklagen, und erzählte -ihr die Geschichte von meinem Selbstmordversuch und auch, daß ich einmal -zehn Mark aus der Schenkkasse gestohlen hätte, die sie nun holen wolle. -Doch meine Frau fiel ihr unwirsch ins Wort: »Was Sie mit Eahnera Tochter -dahoam g'habt habn, geht mi nix an. Bei mir is sie rechtschaffen und -ehrli, und konn i ihr net 's geringste nachredn!« - -Da kehrte sich die Mutter heftig um und eilte hinaus, die Tür krachend -hinter sich zuwerfend. Ich aber nahm ein Zehnmarkstück und legte es ihr -im Garten auf den Tisch, wo sie vorher gesessen war und gab es ihr mit -den Worten: »Da san die zehn Mark. Wenn S' no was guat habn, na sagn S' -mir's, daß i's Eahna gib!« - -»Oho! Schneibt's leicht dir d'Goldstückl, daß d'so rumschmeißt damit?« -rief sie nun halb erstaunt, halb spöttisch. »I hätt di gern wieder -dahoam g'habt; aber wenn's dir so guat geht da, na wirst z'erscht net -nauf wolln zu uns!« - -»O naa! I wär viel liaber dahoam,« erwiderte ich und das Weinen stand -mir nahe. »Sagn 's ja alle Leut, daß 's a Schand is, wenn a so a reiche -Bürgersfamilie ihr Tochter zum Deana laßt! I woaß's bloß net, ob mi mei -Frau fortließ.« - -»Sonst nix mehr!« erscholl da neben uns die erzürnte Stimme meiner Frau, -die ganz unbemerkt aus der Schenke in den Garten getreten war: »Lenerl, -Sie bleibn mir da! Jatz hätt ma amal oane, die was taugn tät, jatz -laufat s' mir nix, dir nix davo! No amal sag i's, Sie bleibn da!« - -Da sah die Mutter wohl, daß ich hier anerkannt und gut gehalten war und -sagte, indem sie sich zum Gehen schickte: »Wannst hoam willst, kannst -jederzeit kommen; hoffentli bist dahoam aa, wie si's g'hört!« - -Ich sagte es ihr zu und begleitete sie noch bis an die kleine Brücke, -die über den Kanal führt. Da faßte sie ganz plötzlich meine Hand, besah -meine vernarbten Schnittwunden am Arm und sagte halblaut: »So dumm -z'sei! Wia leicht kunntst tot sei und i hätt d'Verantwortung!« - -Ich entzog ihr rasch die Hand und rief, mit Gewalt die Tränen -zurückhaltend: »Adje, Mutter, i muaß in d'Schenk; grüaßn S' mir'n Vater! -Vielleicht komm i bald!« - -Seit diesem Vorfall gefiel es mir gar nicht mehr recht im Dienst, und -obwohl ich mir in der kurzen Zeit schon ein neues Kleid, manch schönes -Stück Wäsche und noch über hundert Mark bares Geld verdient hatte, sagte -ich doch am ersten des folgenden Monats zu meiner Herrschaft: »I möcht -wieder hoam. Mi leid's nimmer da, wenn i woaß, daß mi d'Muatter braucht; -und auf Weihnachten wär i halt do liaba bei meine Leut dahoam als wia r -in der Fremd!« - -Ganz traurig meinte die Frau: »Gehn S' jetzt wirkli! I konn's ja gern -glaubn, daß si's Herz wieder zu der Mutter z'ruck verlangt, aber wenn ma -solche Aussichten hat, wie Sie, da wär's wohl besser, ma höret mehr -auf'n Verstand als aufs Herz.« - -Doch als ich meine Bitte wiederholte, ließ sie mich gehen: »In Gott's -Nam, muaß i mir halt wieder um jemand schaun!« - - * * * * * - -Also verließ ich Mitte Dezember meinen Dienst, begleitet von den -Segenswünschen der ganzen Familie, die mich vor meinem Scheiden noch -reichlich beschenkt hatte. Ich konnte mich der Tränen nicht erwehren, -als ich einem nach dem andern die Hand gab, und es waren nicht die -angenehmsten Empfindungen, mit denen ich mich auf den Heimweg machte. - -Als ich etwa eine halbe Stunde Wegs zurückgelegt hatte, kam ein Fiaker -hinter mir her. Ich rief ihn an, ob er mich fahren wolle, und als er -dies bejahte, stieg ich ein und fuhr nach Hause. - -Daheim rannte alles ans Fenster, als ich so nobel angefahren kam, und -der Vater meinte, als ich ihn begrüßte: »Du kommst ja daher wie a -Prinzessin; ma kennt di kaam mehr!« - -Als ich aber mein Erspartes und die geschafften Sachen alle sehen ließ, -verstummte er völlig und auch die Mutter war starr vor Staunen. Ich -sagte, indem ich das Geld wieder verwahrte: »Dös Geld trag i auf -d'Sparkass' und mei Wasch heb i mir auf, bis i heirat. Wer woaß, ob i -mir net no was dazu verdean!« - -Die Mutter verstand wohl, wie ich das meinte; denn sie sagte sofort: -»Oho! Möchst net scho wieder davolaufa, kaum'st komma bist! Zum Aushaltn -werd's scho sei dahoam; i leg dir nix mehr in Weg!« - -Auch der Vater versprach mir, daß man mich gut halten wolle, und ich -dankte ihm von Herzen. Vergessen war jetzt für mich alles, was einmal -geschehen, und ich freute mich wieder des Elternhauses und ging munter -an die Arbeit. Ich war jetzt auch wohl gelitten im Hause und niemand gab -mir ein unrechtes Wort; ich wirtschaftete wieder wie vorher und gab -selber auch keinen Anlaß zum Tadel. - -So verging der Winter, und mit dem Eintritt des Frühjahrs standen in der -Nachbarschaft zwei Neubauten unter Dach, was für die Bauleute die -Veranlassung zu einer großen Feier war, die, ein altes Herkommen, als -Hebebaum- oder Hebeweinfeier bekannt ist und wobei oben am First des -Neubaues ein mit bunten Bändern gezierter Tannenbaum aufgepflanzt wird. -Alle am Bau Beschäftigten begeben sich auf den Dachstuhl und einer unter -ihnen hält nun eine feierliche Ansprache, in der er dem Bauherrn, dem -Eigentümer und dem Palier für den Verdienst dankt und sie alle einzeln -mit einem dreifachen Hoch ehrt. Inzwischen hat der Wirt ein Faß Bier und -Krüge hinaufschaffen lassen, und nun nimmt ein jeder seinen gefüllten -Krug und stimmt laut in das Hoch des Redners ein; denn der Brauch will, -daß man die Bauherren durch den Trunk ehre. - -In der Wirtschaft wird mittlerweile groß aufgekocht; denn der Eigentümer -hat zwei Schweine und ein Kalb für die Bauleute gestiftet, während in -der Schenke fünf Hektoliter Bier, ein Geschenk des Bauherrn, bereit -stehen. Dazu gibt der Wirt noch etliche hundert fette Maurerloabi, ein -grobes, sehr würziges Brot, sowie für jeden der Bauleute zehn Zigarren. - -Bald füllt sich das Lokal und nicht lange währt es, so geht es an ein -Essen und Trinken, an ein Singen und Scherzen, daß man sich in eine -Bierbude des Oktoberfestes versetzt glaubt. - -So war's auch diesmal wieder. Ein jeder wollte das meiste tun im -Trinken, Essen und im Lärmen; denn ein jeder trug das stolze Bewußtsein -in sich und mancher trug es auch offen zur Schau: Auch ich hab mein -redlich Teil dabei getan! - -Später freilich, als ihnen das Bier schon ziemlich zu Kopf gestiegen -war, schwand dies Selbstbewußtsein erheblich, und nun waren es die -Mörtelweiber und Bierträgerinnen, die das große Wort führten. Eine jede -hatte, obwohl selber längst verheiratet, einen Auserwählten unter den -Bauleuten, unbekümmert, ob der Erkorene Weib und Kind daheim hatte, oder -nicht. - -Heute nun hatte ein jeder Eheherr auch seine Frau mitgebracht und teilte -mit fröhlichem Sinn das, was die Arbeitgeber gespendet. Auch die Gattin -des obersten Paliers, Simon Scheibenzuber, war anwesend. Da erhob sich -ein, obschon nicht mehr junges, doch noch ziemlich mannliches -Mörtelweib, stieg allen Bemühungen ihrer Genossinnen zum Trotz auf den -Tisch und schrie: »Ich bin die Keenigin von Jerusalem und der -Scheibnzuber Simmerl is mei Mo!« - -Da sprang die tiefgekränkte Gattin des Paliers vom Stuhl auf, gab ihrem -ganz verblüfften Manne eine schallende Ohrfeige und stürzte sich nun wie -eine Furie auf die Verwegene. Die aber war so voll des süßen Getränks, -daß sie nur noch gurgelnd herausbrachte: »Was tatst denn wollen, du -gscherte Mollen!« dann aber auf ihren Sitz zurücksank. - -Dies hatte aber die Wut der Paliersgattin aufs höchste gesteigert: »Was, -i a gscherte Molln!« schrie sie mit überschnappender Stimme: »Dös konnst -ma büaßn, du Gwaff, du zahnluckerts!« Und im Nu hatte sie die betrunkene -Rivalin bei den Haaren gefaßt und schlug mit der andern Hand wütend auf -sie ein, bis sie von der Übermacht der Maurerweiber zurückgedrängt -wurde. Die also gedemütigte Königin aber wankte aus der Stube in den -Hof, wo sie unter Zuhilfenahme einer großen Schale schwarzen Kaffees -sich all ihres Zornes und wohl auch ihrer Liebe entledigte; denn sie -erschien danach wieder munter im Lokal und rief: »So, jatz san ma -g'sund! Jatz trink ma aufn Bauherrn a Maßl!« - -Mein Vater war bei dem Vorgang wieder ganz bleich geworden und fürchtete -eine Rauferei; doch zur Ehre dieser einfachen Leute sei's gesagt, daß es -zu nichts kam. Sie blieben sitzen bis zum Morgengrauen und gaben noch -allerhand lustige Stücklein zum besten. - -Fröhlich ging ein jeder heim oder ließ sich von der getreuen Hausfrau -führen; alle hatten den Verspruch des Bauherrn, daß sie in etlichen -Tagen wieder Arbeit bekämen. Doch dieser Neubau war in einer andern -Stadtgegend, so daß unser Lokal etwas stiller ward wie bisher, obgleich -noch die am dritten Bau Beschäftigten, sowie alle übrigen Arbeiter und -Gäste dasselbe täglich füllten. - - - - - - -Inzwischen war ich eine ganz stattliche Dirn geworden und betrachtete -gar manches Mal mein Spiegelbild mit Befriedigung und geheimem -Wohlgefallen. Meine Mutter hatte mir für den Sommer eigene -Wirtschaftskleider aus feinem, blauen Mousseline anfertigen lassen, und -da ich selbst viel auf einen guten Anzug hielt, hatte ich bei der -Schneiderin Matrosenform mit weißen Batistkrägen und kurzen Ärmeln -bestellt. Dazu trug ich weiße Spitzenschürzen, darüber eine weite -Leinenschürze zur Küchenarbeit und um den Hals eine Kette aus Korallen. -Mein reiches, blondes Haar hatte ich zierlich geflochten und als Krone -aufgesteckt; in die Stirn hingen ein paar natürlich aussehende, wirre -Löckchen, die ich jedoch jeden Abend mittels einer Haarnadel kunstvoll -wickelte. Außerdem trug ich nur Lackschuhe; denn mein Stiefvater -besorgte mir deren alle Vierteljahr ein Paar bei einem alten -Schuhmacher, dem Revolutionsschuster, so genannt, weil er als -übereifriger Anhänger des Anarchismus alle Tage aufs neue für die -allernächste Zeit den Ausbruch der grimmigen Revolution und eines -Bürgerkrieges prophezeite, so daß ich glaube, der Vater kaufte die -vielen Schuhe nur, um zu verhindern, daß die Revolution in seinem Lokale -ausbräche. - -Doch hätte mein Vater dies nicht so zu befürchten gehabt wie den -Ausbruch eines Freierkrieges; denn meine muntere, geschäftige Natur in -Verbindung mit der lockenden Aussicht auf eine ansehnliche Mitgift hatte -nicht nur die Herzen etlicher junger Bürgerssöhne betört, sondern auch -bei ein paar betagteren Leuten einiges Unheil angerichtet. - -Da war erstlich ein etwa fünfundzwanzigjähriger, bildsauberer Drechsler -aus Traunstein, der Ehrenthaler Franzl; der hätte sich gern eine recht -liebe, häusliche Meisterin in mir geholt, da er einmal seines Vaters -Geschäft übernehmen sollte. Er gefiel mir, und ich hätte ihm wohl gut -sein können; doch war er noch nichts, hatte auch nichts und war nicht -recht gesund, weshalb ich ihm eine Bürgerstochter aus der Nachbarschaft -empfahl. Dann war ein alter Briefträger, der Barmbichler Xaver, dem das -Stiegensteigen nicht mehr recht gefiel und den auch das Zipperlein schon -in allen Gliedern zwickte; der wollte sich jetzt pensionieren lassen und -dann mit mir und meinem Heiratsgut ein beschauliches Leben führen, auf -das ich aber verzichtete und mir einen andern Bewerber, den etwa -vierundzwanzigjährigen Bräumeisterssohn Aloys Kapfer etwas genauer -ansah. Da fand ich, daß er trank, viel trank, auch hoch spielte und -keine Nacht vor zwei Uhr nach Hause ging; und obschon mir sein -zierliches Ponyfuhrwerk, mit dem er oft bei uns vorfuhr, sowie die -dreihundert braunen Scheine, die er mir als Brautgabe zugedacht hatte, -sehr wohl gefielen, dachte ich doch, daß schon gar mancher sein Hab und -Gut vertrunken und verspielt hätte und gab ihm einen Korb und meinte, es -sei besser, mich um einen einfachen Handwerksmeister umzuschauen. Der -war auch da in Gestalt eines dreißigjährigen Schlossermeisters aus -meinem Heimatdorf; es war der Schwaiger Lenz, ein Vetter vom -Schlosserflorian. Er hatte vor einem Vierteljahr seine Frau verloren und -wollte mich als sein riegelsames Weib und als liebe Mutter für seine -verwaisten drei Kinder heimholen. Da ich mich jedoch wegen der drei -Kinder lange nicht entschließen konnte und immer wieder um Bedenkzeit -bat, holte er sich endlich eine Fabrikantenstochter, die ihm schon lange -zugeblinzelt hatte. Nun trat dessen Nachbar, der Schneidermeisterssohn -Kaspar Zintl, mehr ins Licht und meinte, er wolle mit mir nach Paris und -London reisen, wenn ich seine Frau würde und wolle mir die ganze weite -Welt zeigen. Ich dachte aber, wir würden nicht weit kommen mit dem -Gelde, das er besaß, und überlegte, ob ich ihm das meine noch dazugeben -solle. Konnte mich aber nicht dazu entschließen und bedachte lieber den -Antrag des Prucker Toni, eines stattlichen Hausbesitzerssohnes aus der -Nachbarschaft, der es trotz seiner jungen Jahre schon bis zum -Eisenbahnexpeditor gebracht hatte. Da er aber ebenso grob als energisch -war und nicht einmal seine Eltern achtete, fürchtete ich, nichts zu -gewinnen, wenn ich das Haus meiner Mutter mit dem seinen vertauschte. Da -gefiel mir der sanfte und allzeit zuvorkommende dreißigjährige -Hausbesitzer Hans Wipplinger, der sich leidenschaftlich um meine Hand -bewarb, schon besser. Böse Nachbarn aber wußten zu berichten, daß er in -großen Geldnöten sei und mit meinem Heiratsgut wohl die dritte Hypothek -seines Anwesens heimzahlen wolle. - -Als der bereits sechzigjährige Realitätenbesitzer und Tändler Simon -Lampl hörte, daß ich diesen Antrag ausgeschlagen hatte, erschien er -eines Tages in einem altmodischen, grünschillernden Gehrock und -Zylinderhut, um den Hals eine riesige, ehedem weiße Binde und im -Knopfloch die Ehrenzeichen des Feldzuges von 1870 und hielt feierlich um -meine Hand an, indem er mir seine sämtlichen Besitztümer: vier -vierstöckige Häuser mit Rückgebäuden und gut vermieteten Läden, zwei -Bauplätze bei Planegg, die gutgehende Tändlerei, die seit -siebenunddreißig Jahren bestehe und jährlich ihre zwei bis dreitausend -Mark abwerfe, sowie hundertvierzigtausend Mark bares Geld, dessen Zins -er verzehren dürfe, aufzählte und mir die denkbar beste Behandlung -zusicherte. Doch lehnte ich seine Werbung höflich, aber entschieden ab, -da er mir einerseits doch nicht mehr jung genug schien, anderseits aber -trotz seines Reichtums als ein großer Geizhals verrufen war. - -Aufgemuntert durch meine abschlägige Antwort auf den Antrag dieses Alten -wagte noch am selben Abend der blutjunge Hafnermeister Edmund Sack, dem -kurz nacheinander Vater und Mutter gestorben waren, mir in einem -anschaulichen Brief Herz und Hand anzubieten; doch kannte ich ihn viel -zu wenig, um ihm meine Zukunft anzuvertrauen, und dann hatte ich eine -ausgesprochene Abneigung gegen diese Loahmpatzer, die Ofensetzer. Da war -das edle Handwerk der Bäcker doch appetitlicher, und ich hörte ganz -erbaut auf die salbungsvollen Worte des achtundfünfzigjährigen -Feinbäckers und Melbers Kanisius Dumler, mit denen er mich zur Herrin -über sein Haus und seine Guglhopfe und Zuckerbretzln erkiesen wollte. Er -war schon seit zehn Jahren Witwer und bekleidete die ehrenvollen Posten -eines Armenrates, Kirchenbaurates, Distriktsvorstehers und -Rechnungsführers bei einem Kriegerverein. Auch war er einer von den -Auserwählten unseres Pfarrers und durfte bei allen Prozessionen den -Himmel tragen. Sein kleines Haus war schuldenfrei, und das gute -Geschäft, dem jetzt seine Schwester vorstand, sicherte ihm ein -behagliches Leben. Doch besaß er einen schon zwanzigjährigen Sohn, der -eben seine Militärzeit als Freiwilliger abdiente. Dieser Sohn aber, der -Ferdl, ein fescher Bursch und großer Tunichtgut, war nun die Ursache, -daß ich dem Alten meine Hand versagte; denn ich sah den Jungen nicht -ungern. Von seiner Ausgelassenheit und den übermütigen Streichen, die -man ihm nachsagte, konnte ich nichts bemerken; vielmehr war er immer der -bescheidenste unter meinen Freiern geblieben. Stundenlang saß er da und -starrte mich wortlos und wie in Verzückung an, trank dabei seine zwölf -bis fünfzehn Glas Bier und schien außer mir nichts mehr zu hören und zu -sehen. Ja, er übersah und überhörte regelmäßig die Stunde, da er in der -Kaserne hätte eintreffen sollen; und so kam es, daß er eine Arreststrafe -um die andere meinethalben abzubüßen hatte. Schließlich bekam er eine -ganze Woche Mittelarrest zudiktiert, und während er in der Kaserne -brummte, fuhr eines Abends, da ich eben in der Schenke beschäftigt war, -vor unserm Hause ein Wagen vor, dem ein sehr sorgfältig gekleideter -junger Mann, mit einem großen Strauß Veilchen in der Hand, entstieg. Er -trat in die Wirtsküche, und ehe ich mich noch von meinem Erstaunen -erholt hatte, hörte ich schon die Mutter in die Gaststube rufen: »Josef, -geh, komm a bißl raus!« worauf die drei eifrig miteinander verhandelten. - -Nach einer Weile kam der Vater zu mir in die Schenke und sagte unter -öfterem Räuspern: »Was i sagn will, Leni, der Hasler Benno is draußn und -hat g'sagt, daß er di heiratn möcht; du sollst dein Ausspruch toa, wiast -g'sonna bist. Jatz, vo mir aus ko'st es macha wiast magst; i red dir nix -ei und rat dir net ab!« - -Ich zählte noch die eben begonnene Rolle Geldes fertig, rechnete mit der -Kellnerin ab und schenkte noch etliche Glas Bier ein, mich sorglich -zusammennehmend, daß die Hand nicht zittere oder sonst eine Bewegung -über mich Herr würde. Dann ging ich, ohne dem Vater zu antworten, in die -Küche, wo der stattliche Bewerber sich sehr lebhaft mit der Mutter -unterhielt. Als er mich sah, sprang er von seinem Sitz, einem rohen, -blankgescheuerten Holzstuhl, auf, reichte mir die Hand und begann: -»Liabs Fräuln Leni, ich hab Sie lang beobacht und hab g'funden, daß bloß -Sie mi glücklich machen können. Wenn's Ihnen also recht ist, heiraten -wir; Ihre Eltern haben mich nicht abgewiesen.« - -Da ich nichts darauf erwiderte, fuhr er fort, indem er mir den Strauß -gab: »Ich mein's ehrlich mit Ihnen, Fräuln Leni; ich hab's nicht nötig, -nach Geld zu schauen, ich heirat aus Liebe. Nehmen S' halt meine Lieb -auch freundlich an, wie die Blümerl und sagen S' ja!« - -Bei diesen letzten Worten hatte er mich wieder an der Hand gefaßt und -sah mich bittend an; dennoch antwortete ich zögernd und leise nur: »I -will ma's überlegn; dös ko ma net so auf'n Augenblick sagn, ob ma oan -gern habn ko oder net!« - -»Ja, bedenken Sie's noch, liebs Lenerl; Sie brauchn's nicht zu bereuen! -Ich bin der einzige Sohn, erb einmal das Haus mitsamt dem ganzen -Holzg'schäft und vorläufig hab ich mein gutes Einkommen als Prokurist -des alten, feinen Hauses Protus Stuhlberger. Wenn Sie sich b'sonnen -haben und einschlagen wollen in mei Hand, so können wir bald Hochzeit -machen!« - -Meine Mutter hatte schon während der Rede des Freiers wiederholt das -Taschentuch an die Augen gedrückt und sich umständlich geschneuzt; jetzt -aber zog sie mich laut aufschluchzend an ihre Brust und rief aus: »So a -Glück, ha, so a Glück! I gunn dir's von Herzn Deandl; bist ja so a -richtigs und ordentlichs Madl und konnst'n glückli macha, den liabn -Herrn Hasler!« - -Dann schob sie mich von sich und drückte mich ganz fest an die Schulter -des freudig Überraschten, der sofort die Arme ausbreitete und mich -zärtlich umfing. Dann bedankte er sich noch mit wohlgesetzten Worten bei -der Mutter und trat danach in die Gaststube, die Verlobung bei einer -Flasche Wein zu feiern. - -Unterdessen hatten sich mehrere Leute an der Küchentür angesammelt, die -sich nach vorhandenen Abendspeisen erkundigen wollten, in der Erregung -des bedeutungsvollen Augenblicks aber ganz übersehen worden waren. Diese -Menschen waren die ersten, die mein bevorstehendes Glück inne wurden. - -»Was ma no z'essen ham, Frau Kugler? -- naa, so a Glück hat dös Madl! -- -ja so, a Schnitzl, a Kottlett, a bachens Hirn, -- und nach Liab kon er -heiratn; Geld hat er selber gnua! -- a guats Kalbszüngerl hab i aa no, -Frau Kugler!« so ging der Redestrom über die Lippen meiner hocherfreuten -Mutter. - -Ich aber tat meine Arbeit wie zuvor und dachte bloß, ob ich wohl ein -seidenes Brautkleid kriegen würde. - -Als dann in der Küche nichts mehr zu tun war, durfte ich mich auch an -den Tisch zu meinem Hochzeiter setzen, und nun sprachen wir ausführlich -über die Bekanntgabe der Verlobung, über meine Aussteuer und über die -Zeit, wann wir heiraten wollten. Ich sagte zu allem ja, und auch meinem -Vater gefielen die Vorschläge seines zukünftigen Schwiegersohnes ganz -wohl. Nur als dieser wissen wollte, wie hoch die Brautgabe für mich -ausfallen würde, da räusperte er sich wieder verlegen und meinte dann: -»Da muaß d'Muatter aa dabei sei, wenn ma d'Geldangelegenheit bereden,« -und er ging hinaus in die Küche. Doch die Mutter war schon zu Bett -gegangen und hatte nur durch die Küchenmagd sagen lassen, sie hätte -Kopfweh. Also blieb die Geldfrage noch unbeantwortet. - -Wir saßen noch bis ein Uhr beisammen, und als mich jetzt der Benno ganz -leise an der Hand faßte und mich mit seinen von Wein und Liebe -glänzenden Augen selig anblickte und nochmals fragte: »Kannst mi a ganz -kloans Bröckerl gern haben, Lenerl?« kam er mir auf einmal recht schön -und liebenswert vor und alle meine Bedenken schwanden, und ich sagte -lachend, nachdem ich rasch ein Glas Wein hinuntergestürzt hatte: »Ja, -ja! I wer dei Frau und mag di!« und besiegelte das Versprechen später -noch unter der Haustür, da ich ihn hinausgeleitete, mit einem laut -schallenden Kuß, worüber der Benno so beglückt war, daß er beim -Fortgehen noch ganz verklärt hinter sich sah und auf den Randstein nicht -achtete, so daß er auf ein Haar zu Fall gekommen wäre. Ich aber schlug -rasch die Türe zu und mußte beim Zusperren laut auflachen über dies -Mißgeschick. - -Doch dachte ich in der Nacht nicht weiter mehr über das Erlebte nach, -sondern schlief ganz ruhig; und als am andern Tag durch einige -Ratschkathln die Sache in allen Milch- und Kramerläden herumgetragen -worden war und nun eine nach der andern kam, mir zu gratulieren, da -erschien mir diese Wichtigkeit so lächerlich, daß ich am End ganz wild -wurde und keiner mehr eine Antwort gab. - -Am Vormittag nun kam der Dumler Ferdl. Er hatte für seinen Hauptmann -etwas besorgen müssen und wollte mir nun rasch einen Gruß bringen; denn -ihm waren die acht Tage Arrest gar lang geworden. - -Mit langen Schritten trat er in die Gaststube, und da er mich nicht sah, -stürmte er in die Küche und rief: »Guat Morgn, Zirngibimuatterl! Wo is's -Lenerl?« - -Ich stand wie angenagelt in dem kleinen, dunklen Speiskammerl und gab -keinen Laut von mir, so erschrak ich. Die Mutter aber begann mit großem -Pathos und feierlicher Miene, den Münchner Dialekt mühsam zu einem -zierlichen Schriftdeutsch drechselnd: »Ja, was, der Herr Ferdl! Mei Leni -möchtn S'? ... Is s' net da, mei Leni? ... Setzn S' Eahna doch a -wengerl, Herr Ferdl! I muaß Eahna nämlich leider die freudige Mitteilung -machen, Herr Ferdl, daß sich mei Leni gestern mit'n Herrn Hasler Benno -verlobt hat!« Und in überschwenglichem Ton fuhr sie fort: »Ja, ja, a -bravs, rechtschaffens Bürgersmadl sucht a jeder! Aber es is ihr zum -gunna! Geltn's, Herr Ferdl, Sie gunna's ihr aa!« - -Aber der Herr Ferdl hörte schon längst nicht mehr. Er war bei der -Mitteilung, daß ich mich verlobt habe, aufgesprungen, hatte im -Gastzimmer hastig sein Glas Bier auf einen Zug geleert, der Kellnerin -ein Zwanzgerl hingeworfen und war auf und davon gegangen. - -Ganz baff sah ihm die Mutter nach und begriff lange nicht, warum er so -rasch fortgelaufen war. Nun trat ich aus der Speis; da rief mir die -Mutter zu: »Da bist ja! Warum gehst denn net zuawa? Jatz is er davo, -weilst net komma bist!« - -»Naa, naa, Muatta! Deswegn is er net fort,« rief ich nun eilig; »dem -hockt er halt, weil er mi net kriagt hat; er hätt mi ja gern g'heirat!« - -»Der Rotzlöffi! Is kaam trucka hinter die Ohrn!« antwortete die Mutter -und ging in die Gaststube, kam aber sogleich wieder zurück und hielt -einen Brief in der Hand: »Da schau her; der Hasler ladt uns ei für heut -auf d'Nacht in Löwenbräukeller. Der Peuppus halt sein Abschied. Vo mir -aus konnst scho hingeh; i geh net mit.« - -Damit gab sie mir den Brief, den ich hocherfreut durchlas und dann die -Mutter lange bat, sie solle doch mitgehn. Endlich sagte sie zu. - -Nun mußte ich der Küchenmagd noch alles zeigen und ihr für den Abend die -nötigen Weisungen geben. Ich tat dies am Nachmittag und versicherte mich -ihrer Gewissenhaftigkeit durch ein gutes, heimliches Trinkgeld. - -Also machten wir uns gegen Abend für das Konzert und den Hochzeiter -zurecht. Die Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihr Schwarzseidenes aus -dem unergründlichen Eichenschrank zu holen und goß eine Menge Patschouli -hinein, um den aufdringlichen Kampfergeruch ein wenig zu übertäuben. -Dazu legte sie schwere goldene Armspangen und eine Menge Ringe an, tat -eine massive Goldkette um den Hals und steckte die feine Uhr mit der -altmodischen Kette zwischen die funkelnden Glasknöpflein der nach Art -der Schneiderkleider ganz glatt gearbeiteten Taille. Danach setzte sie -ein kleines, mit einem reichen Stutzreiher versehenes Kapothütchen auf, -nahm den kostbaren Spitzenschal aus der Kommode und legte ihn um die -Schulter. - -Also geschmückt trat sie nochmals vor den alten, vergoldeten Spiegel des -Schlafzimmers und besah sich. Da erblickte sie durch denselben mich in -meinem einfachen, blauen Tuchkleid und rief: »A so willst vor dein -Hochzeiter hinsteh? Was fallt dir denn ei! Daß er moana kannt, mir warn -Bettlleut!« - -Und eilig öffnete sie ihre Schmuckschatulle und behing mich mit einer -köstlichen Halskette aus Granaten und Perlen, tat mir statt meiner -kleinen Korallen schwere Perlgehänge in die Ohren und legte mir ein -breites, protziges Armband an. Dann nahm sie einen alten Siegelring aus -einem vergilbten Plüschkästlein, steckte ihn an und gab mir dafür ein -mit Türkisen und Perlen besetztes Ringlein, das ihr mein seliger Vater -einst geschenkt hatte. - -»Den kannst glei b'haltn,« meinte sie, »an dem liegt mir nix.« - -Ich sagte ihr vielen Dank für das Geschenk; denn es war das Einzige, was -von dem so furchtbar ums Leben Gekommenen noch vorhanden war. Ich hielt -das Ringlein hoch in Ehren und habe es nachmals, als das Schicksal mir -in meiner Ehe mein ganzes Hab und Gut nahm, unserer lieben Frau im -Herzogspital auf den Altar gelegt; denn ich hätte es nicht über mich -gebracht, es gleich den andern Kostbarkeiten dahingehen zu lassen. - -In diesem reichen Aufputz begaben wir uns alsdann nach der Küche, wo der -sehr gewählt gekleidete Freier schon mit einem prächtigen Strauß roter -Rosen uns erwartete. - -Als wir eintraten, sprang er von seinem Sitz auf und küßte der Mutter -erst galant die Hand; dann gab er ihr die Blumen mit einer tiefen -Verbeugung: »Nehmen S' die Rosen als Dank, daß Sie mir heut die Ehr -geben, mitzukommen, werte Frau Mutter!« Hierauf begrüßte er mich mit -einem flüchtigen Kuß ans Ohr, worüber ich mich höchlich verwunderte, da -ich dergleichen weder in Geschichten gelesen, noch je selbst erlebt -hatte. Dann zog er ein weißseidenes Schächtelchen aus der Westentasche -und übergab es mir mit den Worten: »Heut feiern wir Verlobung, und da -g'hört sich's, daß ich der Braut was schenk.« - -Erwartungsvoll öffnete ich das zierliche Kästlein; da blitzte mir ein -herrlicher Brillantring entgegen. Da ich dergleichen auch noch nicht -erlebt hatte, besann ich mich, was ich nun tun oder sagen sollte. Zum -Glück fiel mir die Stelle eines Romans ein, an der so etwas vorkam, und -ich machte es wie die Heldin des Buches: ich errötete, sah verwirrt zu -Boden und flüsterte verliebt: »Ah, wie herzig!« doch in meine -gewöhnliche, natürliche Art verfallend fuhr ich fort: »Woaßt, Benno, so -viel Geld hättst aber net ausgebn solln. Da werd si d'Muatta schö -o'strenga müassn, daß s' dir dös wieder ersetzt!« - -Aber da kam ich schön an bei der Mutter. - -»Dös war no dös besser!« rief sie mit funkelnden Augen. »Moanst, i hab -net scho lang g'sorgt, daß d'dein Breitigam a anständigs G'schenk gebn -konnst! Hier, Herr Hasler, is Eahna Verlobungsring; i hoff, daß i net -schlecht ei'kaaft hab beim Thomaß!« - -Und damit zog sie aus der Rocktasche ein rotes Plüschetui und entnahm -demselben einen recht ansehnlichen Solitär; den gab sie mir, indem sie -mit vor Rührung bebender Stimme sagte: »Da, Leni, steck'n dein Herrn -Breitigam o; hoffentli paßt er eahm!« - -Obgleich mir diese ganze Szene wie eine Komödie vorkam, tat ich doch der -Mutter ihren Willen und steckte meinem Verlobten den protzenhaften Ring -an den kleinen Finger, an den er gerade paßte. Dann tat ich auch meinen -Brautring aus dem Schächtelchen und schmückte damit meine rechte Hand. - -Nachdem wir noch rasch einige Worte mit dem Vater gewechselt hatten, -gingen wir. Doch an der nächsten Hausecke stand schon ein Wagen bereit, -und der Benno hieß uns einsteigen, worauf wir nach den festlich -geschmückten Räumen des Löwenbräukellers fuhren. - -Während des von einer schier zahllosen Menge besuchten Konzerts kam ich -nur wenig dazu, mich mit meinem Verlobten zu unterhalten; denn meine -Mutter schwatzte ihm so viel vor von meinen allseitigen Vorzügen und -guten Eigenschaften, daß er vor Freude über meine Tugenden ganz auf mich -selber vergaß. Ich saß einsam auf meinem Platz an der Wand und -betrachtete abwechselnd mein Brautringlein und das meines Vaters, oder -ich ließ die Augen über die lärmende Menge gleiten und besah mir die -vielen verliebten Mägdlein und ihre Herren, meist Unteroffiziere und -Soldaten in den verschiedensten Uniformen, bis mich endlich die Mutter -mit den Worten: »So, Leni, jetzt gehn ma!« aus meinen Träumen -aufschreckte. - -Wieder nahm der Benno eine Droschke, und in rasselnder Fahrt ging's nach -Hause. - -Daheim mußten wir uns noch zu ihm an den Tisch setzen, und bald klangen -die Champagnergläser und ertönte das glockenhelle Lachen der Mutter. Der -Vater war an diesem Abend auch sehr aufgeräumt und gab alle möglichen -Schnurren zum besten, wobei der vor Glück strahlende Hochzeiter ihn -eifrig unterstützte und an lustigen Einfällen fast übertraf. - -Ehe wir uns trennten, wurde noch ausgemacht, daß ich am andern Tag den -Eltern meines Bräutigams vorgestellt werden sollte, und die Mutter bat -ihn, er möge daheim sagen, daß sie sich schon sehr auf einen Besuch der -geschätzten Familie freue. - - * * * * * - -Mit nicht geringer Angst sah ich dieser Vorstellung entgegen und hatte -eine schlaflose Nacht. Doch verlief das Ganze, wenn auch ziemlich -zeremoniell, so doch recht gut, und es kam mir vor, als wollte eins das -andere überbieten an Zuvorkommenheit und herzlicher Freundschaft. - -Der Vater meines Hochzeiters, ein noch sehr rüstiger, hochgewachsener -Mann von etwa sechzig Jahren, führte mich erst in die altmodische -Wohnstube, die mich mit ihren sauberen Kattunbezügen über den -behaglichen Polstermöbeln und den vergilbten Stichen an den mit einer -großblumigen, verschossenen Tapete bekleideten Wänden und den freundlich -blühenden Geranien am Fenster sogleich anheimelte. Die Mutter aber -meinte, für einen so liebwerten Gast müsse man schon die gute Stube -aufsperren und lief dann eilig in die Küche, um nach dem Kaffee zu -schauen. - -Sie war ein kleines, zusammengeschrumpftes Weiblein mit -glattgescheiteltem Haar über der runzligen Stirn. Aus dem gelblichen, -furchigen Gesichtlein blickten ein paar wasserhelle Augen forschend -umher, und die rauhen, schwieligen Hände erzählten von rastloser Arbeit, -deren Segen man überall in Haus und Geschäft wahrnehmen konnte. - -Während die Frau Hasler geräuschvoll in der Küche herumhantierte, sorgte -der Hausvater für die Unterhaltung, und ich ward nun inne, daß den -eigentlichen Grundstein zu dem Reichtum und gediegenen Ruf der Familie -die kleine Frau durch ihre Herkunft sowohl, als auch durch das -ansehnliche Kapital, das sie dem Mann in die Ehe gebracht, gelegt hatte. -Sie entstammte einer schon seit länger denn einem Jahrhundert allerorts -als ehrsam und lauter bekannten Alt-Münchner Kaufmannsfamilie und hatte -als vierundzwanzigjährige Jungfrau dem als Schreiner im Elternhaus -tätigen, eben aus dem Feldzug zurückgekehrten Burschen ihre Hand -gegeben, unbekümmert darum, daß er nur der Sohn einer dürftigen, alten -Hebamme aus einem kleinen Dorf im Schwabenland war und außer einem Paar -nerviger Fäuste und der Tapferkeitsmedaille nichts in die Ehe -einbrachte. - -Und sie hatte es nicht zu bereuen gehabt, daß sie dem heftigen -Widerstand ihrer stolzen Eltern zum Trotz den stattlichen, -dunkellockigen Hannes heiratete; denn er war ein heller Kopf und hatte -schon als Kind seine zehn Geschwister sowohl an Klugheit, wie auch an -Geschicklichkeit übertroffen. Sein Vater war schon in jungen Jahren zum -Bürgermeister seines Orts gewählt worden, da er eine sehr rechtliche, -gerade Natur und von männiglich geschätzt war. Doch hatte der sonst so -fürtreffliche Mann einen einzigen Fehler: er trank. Das wurde ihm und -der ganzen Familie zum Verhängnis; denn der Unglückliche ward von seiner -unseligen Leidenschaft bald so weit gebracht, daß ihm kein Branntwein -mehr genügte und er nicht nur alle Balsam- und Painexpellergläser -leerte, sondern am Ende noch zum Petroleumkruge griff und -Hofmannstropfen flaschenweise trank. Es dauerte nicht lange, so verlor -er Amt und Würden und endete zuletzt als kaum vierzigjähriger Mann -elendiglich in einem Schweinestall, darin er schon seit Monden hausen -mußte, da er in seinem Rausche alles zerschlug und zerstörte, was ihm -unter die Hände kam. Damals war der Hannes gerade zwölf Jahre alt -geworden, und es hieß nun hinaus in die Welt und selber schauen, wie das -Brot am besten für den Hunger ging. Also machte er sich mit vieren -seiner Geschwister auf und zog mit ihnen gen München, wo ein jedes bald -Arbeit fand. Die Mutter hatte zum guten Glück schon während ihrer -traurigen Ehe sich im Ort ein sicheres, wenn auch beschwerliches -Fortkommen geschaffen: sie war Kindlesfrau, so hieß man die Hebammen, -geworden. Noch mit ihrem vollendeten neunzigsten Jahr hat sie ihrer -bedeutend jüngeren Kollegin gar manche schwere Geburt abgenommen, und es -kam nicht selten vor, daß ein Bauer stundenweit fuhr und die alte, -halbblinde Haslermutter holte, während in seinem Orte irgendeine -tüchtige, junge Hebamme das Nachsehen hatte. - -Indes der Hausvater mich also unterhielt und allmählich immer mehr in -Wärme geraten war, kam die Frau wieder zu uns herein und bat uns in die -gute Stube zum Kaffee. Sie hatte sich inzwischen in Staat geworfen und -prangte in einem altmodischen Gewand aus starrer, violetter Seide, das -bei jeder Bewegung bald rötlich, bald grau schimmerte und dessen Jacke -mit vielen Rüschen und langen Schößen geziert war. - -Mein Verlobter hatte sich für diesen Nachmittag von seinem Herrn Urlaub -erbeten und kam nun gerade recht nach Hause, den Kaffee mit uns zu -trinken. Er nahm meinen Arm und führte mich in die Ehrenstube, deren -Möbel alle aus Kirschbaumholz gefertigt und mit dunklen Ornamenten -eingelegt waren. Die ganze Einrichtung stammte noch von den Eltern der -Frau Hasler, wie der Benno mir berichtete. Auf dem sauber gedeckten -Tisch standen zierliche Tassen und Kannen, deren eine jede in einem bunt -gemalten Kranz die goldene Inschrift trug: Lebe glücklich! - -Wir tranken nun vergnüglich Kaffee, und mein Verlobter sprach viel von -meinen guten Eigenschaften, von seiner schönen Stellung, seiner -gediegenen Herkunft und von baldigem, sicheren Eheglück. Dann brachte er -mich wieder nach Hause, nachdem ich mir noch das Versprechen der beiden -alten Leute hatte geben lassen, daß sie uns am folgenden -Sonntagnachmittag mit ihrem Besuch beehren würden. - -Dies taten sie auch. Pünktlich um die angegebene Stunde fuhr ein Fiaker -am Hause vor und heraus sprang mein Hochzeiter und half seinen Eltern -beim Aussteigen. - -Ich hatte schon vormittags genaue Weisung von der Mutter erhalten, wie -ich sie zu empfangen hätte: also eilte ich geschwind von der Wirtsküche -auf die Straße, reichte jedem die Hand und sagte: »Guten Tag, Frau -Mutter und guten Tag, Herr Vater! Grüß Gott, Herr Benno! Die Mutter -hält's für a große Ehr, daß S' uns die Freud machen und a Tass' Kaffee -bei uns trinkn. Bitt schön, kommen S' nur glei mit 'rauf in d'Wohnung, -d'Mutter is scho drobn!« - -Und nun führte ich alle drei nach der im ersten Stockwerk gelegenen, für -den hohen Besuch frisch gestöberten und geschmückten Wohnung, wo die -Mutter in ihrem nobelsten Aufputz aufgeregt durch alle Zimmer lief und -bald ein Deckerl anders legte, bald ein Stäubchen wischte oder -umständlich ihr Spiegelbild betrachtete. - -Als sie uns kommen hörte, ging sie mit steifer Würde auf die beiden -Alten zu, reichte ihnen mit ausgesucht höflicher Verbeugung die Hand und -sagte: »Herr Hasler, Frau Hasler, dös freut mi! Derf i vorausgeh? Kommen -S' nur 'rei in Salon und nehman S' Platz! ... Herr Benno, mögn S' net -auf'n Divan hintre mit der Leni!« Und geschäftig rückte sie den Tisch -zur Seite und bot jedem seinen Platz an; dann trat sie unter die Tür und -rief: »Rosl, an Kaffee 'rei! Nehman S' dö silberne Plattn zum Kuchn!« - -Während sich nun eine lebhafte Unterhaltung über die gleichgültigsten -Dinge entspann, betrachtete bald der Vater, bald die Mutter meines -Verlobten die protzige Einrichtung des Salons und sie wechselten von -Zeit zu Zeit verstohlen Blicke der Befriedigung; und als die Augen des -Alten auf das Klavier fielen, fragte er, wer darauf spiele. Die Mutter -sagte stolz: »Mei' Leni kann's; i hab's ihr lerna lassn, daß s'amal -ihren Mann unterhaltn ko. Geh, Leni, spiel deine zukünftign -Schwiegereltern oan auf! Vielleicht an Bienenhausmarsch oder 's -Glühwürmchenidyll, oder was die Herrschaften sonst gern hörn!« - -Ich setzte mich an das Instrument und spielte etliche Stücke, wie sie -mir gerade einfielen. Da ging die Tür auf und herein kam der Vater, -begrüßte die Familie Hasler und sagte: »I hab der Kathi g'sagt, sie soll -dö paar Halbe Bier hergebn, die jatz gehn, daß i aa a bisl raufschaugn -ko zu dö Herrschaftn ... No, wia steht's werte Befinden? -- Scheene Tag -hama allweil jatz. -- Warn S' scho auswärts heuer? -- Bei dem warma -Weeder macht a jeda a G'schäft vo dö auswärtign Wirt. -- Hast no an -Kaffee, Muatta?« - -Damit setzte er sich und begann von dem zu reden, was bis dahin ein -jedes wie auf Verabredung vermieden hatte, von unserer bevorstehenden -Heirat. - -»Dös hat si ganz unverhofft g'schickt!« meinte er, zu dem alten Hasler -gewendet. »Mir ham's glei gar net glaabn könna, daß ma d'Leni wirkli -scho herlassn solln.« - -»Ja, dös is wahr;« fiel ihm die Mutter ins Wort, »so geht's zua in der -Welt! Will ma selber no net zu dö Alten g'hörn, derweil hat ma scho -heiratsfähige Kinder!« - -»Oho!« rief da der Benno. »Jetzt möcht gar d'Frau Zirngibl aa schon vom -Alter redn und schaut aus, wie a eiserne Venus, so g'sund und so sauber. -Der Zirngiblvater kann stolz sei auf so a Frau!« - -Geschmeichelt lächelte die Mutter, und auch der Vater hörte diese -Lobrede wohlgefällig an. Die alten Haslerleute aber warfen ihrem Sohn -halb ärgerliche, halb verlegene Blicke zu, und es entstand eine kleine -Pause, die ich rasch benützte, den Benno zu mir an ein kleines Tischlein -zu ziehen, wo ich meine Erinnerungen und Andenken aus der Klosterzeit -aus einem kleinen Kästlein kramte. Dabei fielen meinem Verlobten etliche -Briefe und Karten auf, die sämtlich die Adresse trugen: An die Jungfrau -Magdalena Christ, Kandidatin bei den Josefschwestern zu Bärenberg. - -Auf seine Frage, ob die Briefe einer Freundin gehörten, erwiderte ich -ihm: »Naa, naa! Dös san lauter Briaf an mi!« - -Erstaunt sah er mich an, und auch am Tisch wurde man aufmerksam, so daß -ich mich an die Mutter wandte: »Denkn S' Eahna, Mutter, der Benno woaß -net amal mein rechtn Namen!« - -Mit hochrotem Kopf saß die Mutter da, und Zorn und Verlegenheit kämpften -sichtbar auf ihrem Gesicht, während sie zögernd sagte: »Ja, mei lieber -Gott! Dös wissen dö wenigsten Leut, was für a Unglück mi scho in meine -jungen Jahr troffn hat; dös erzählt ma net so mir nix, dir nix an jeden, -der daher kommt!« - -Sie konnte nicht mehr weiter reden; ein heftiges Schluchzen erschütterte -ihren Körper, während sie von Zeit zu Zeit einen wütenden Blick zu mir -hinüberwarf. Die Familie Hasler aber saß starr und stumm da und blickte -fragend von einem zum andern. - -Da ergriff der Vater rasch das Wort und sagte: »Da brauchst net z'woana, -Muatta; deswegn is dir aa no koa Perl aus da Kro' g'falln. Und was -d'Erziehung und dös ander betrifft, hat si no nie nix g'feit. A jeder ko -froh sei, wann er so a Madl zum Heiratn kriagt!« - -Erst jetzt begriffen die Haslerischen den Sachverhalt, und die Frau rief -mit kläglicher Stimme: »Ja, was is denn net dös! Na is also d'Leni gar -net von Eahna, Herr Zirngibl?« - -»Naa. Der Leni ihra Vata is damals bei dem großen Schiffsunglück, wo dö -englischn Hund den scheena Dampfer Cimbria a so o'gfahrn ham, daß'n glei -da Deixl g'holt hat und d'Leut allsam dasuffa san, aa dabei g'wen. Der -hat sein Ruah! Und da hab halt i d'Muatta g'heirat.« - -Schweigend hatten alle zugehört, und endlich begann der alte Hasler: »No -ja; in Gott's Nam'! Sell isch au di g'fährlichscht Sünd no nit, daß e so -e saubre Frau amal was Kloins kriagt! Im übrige ischt's mir ja ganz -gleich, ob's Mädle lediger Weis' isch dag'wesa oder von der Eh; -d'Hauptsach isch halt, daß sie e aaschtändige Mitgift ei'bringt!« - -Jetzt hatte sich auch die Mutter wieder erholt und schilderte nun in -beweglichen Worten, wie sie mich ausstatten wolle und daß sie jederzeit -da wäre, wenn's einmal drauf ankäme. Der Vater aber sagte kurz: »Zwegn -der Mitgift braucht koa Hochzeiter a Sorg z'habn. D'Leni hat bei -dreiß'gtausend Mark Muatterguat und vo ihran Vatern achtausend Mark -ausg'machts Geld auf der Bank. Und wenn amal d'Not an sie kam, na war -allweil i aa no da; vorläufig kann i ihr allerdings vo mir no nix gebn; -dös steckt alls im G'schäft drin.« - -Während dieser Rede war die Wolke, die unheildrohend auf der Stirn der -alten Haslerin gestanden, von ihr gewichen und das sonnigste Lächeln lag -auf ihrem Gesicht. Auch der Herr Hasler rieb sich vergnüglich die -Daumenballen und sagte bloß: »Scheen, guat, isch ja sehr aagenehm!« - -Der Benno aber, der zuvor, als meine Abkunft an den Tag kam, sich auf -einen von mir ziemlich entfernten Stuhl gesetzt hatte, kam jetzt mit -zärtlicher Miene auf mich zu und sagte, indem er mich um die Hüfte nahm, -leise: »Du glaabst gar net, Lenerl, wie gern i di hab!« - -Und in heiteren Gesprächen verfloß die Zeit, bis die Mutter um fünf Uhr -zum Vater sagte: »Josef, jatz werd's Zeit ins G'schäft!« - -Da brachen die Haslerischen auch auf und empfahlen sich mit großer -Höflichkeit. - -Nun war ich also Bennos Braut und lebte im übrigen wie zuvor. - - - - - - -Die Hochzeit war auf den Herbst festgesetzt worden, und der Benno eilte -mit viel Fleiß von Amt zu Amt, um die zur Heirat notwendigen -Schriftstücke zusammenzubringen. Der alte Hasler kündigte einer schon -lange Jahre in seinem Haus wohnenden alten Jungfer die Wohnung und ließ -viel Arbeitsleute kommen. Die Wände wurden tapeziert, die Böden frisch -lackiert; in die Küche kam ein neuer Herd und in die Kammer daneben ein -Bad. Die Frau Hasler stand bei größter Sommerhitze auf der Altane und -füllte Kissen und Betten mit Flaum und zeigte den Nachbarn die Größe der -mütterlichen Liebe, die nicht bloß zusieht, wie das Kind, das nun dem -Nest entflogen, sich in der neuen Lebenslage zurechtfindet, sondern die -in Beherzigung des Wortes »Wer sich gut bettet, liegt gut« sorglich ihr -Teil dazu beiträgt, daß dessen Lebensbett ein lindes werde. - -Mein Vater ließ den Schreiner kommen und bestellte die Möbel, nachdem er -sich die für uns bestimmte Wohnung angesehen hatte. Alles sollte -altdeutsch werden, und die Schränke sollten Spiegel haben und ein jedes -Stück noch einen Muschelaufsatz. Der alte Tapezierer Fünffler mußte für -die Polster sorgen und den Divan samt den Stühlen nebst einem kleinen -Kanapee anfertigen. - -Die Mutter aber lief zum Nachbar Glaser und erstand das Neueste an -buntem Porzellan, an irdenem Geschirr und Gläsern. - -Dann kam der Tag, an dem sie ging, das Brautkleid einzukaufen. Da mußte -ich zur alten Haslerin und diese bitten, daß sie uns die Liebe tät und -mitginge, den Stoff zu kaufen, was sie mir versprach. - -Also machten sie sich auf den Weg, eine jede starrend in Seide und -blitzend im Schmuck der Nadeln, Ringe und Spangen, die an Glanz -wetteiferten mit den langen Perlenfransen der Mantillen und -Kapothütchen. - -Erst spät abends kamen sie heim, und ich vernahm, daß nun alles -eingekauft sei, dessen ich als Braut bedürfe, um zu glänzen. Ich -erschrak beinahe, als ich von der Mutter hörte, daß mein Brautkleid von -Seide wäre und der Zeug allein schon mehr denn hundertfünfzig Mark -gekostet hätte. Ich vergaß darüber ganz und gar den Dank, so daß die -Mutter sehr entrüstet ward und rief: »Woaßt net, was si g'hört, du -Hackstock? Gibt ma so viel Geld aus für dös G'stell und kriagt net amal -an Dankschö' dafür!« - -Da kam ich erst wieder ein wenig zu mir und sagte halblaut: »Dank schö, -Mutter, so was hätt's net braucht.« - -»So, dös hätt's net braucht! Moanst vielleicht, i laß mi lumpn und -oschaugn von dö Haslerischen? Hab's scho g'sehgn, wie s' d'Letschn hat -hänga lassn, weil i z'erscht g'moant hab, a Schlepp war net notwendi; -aber jatz hab i so viel kaaft, daß d'an meterlanga Schwoaf hint -nachiziagst!« - -Ich wußte nicht viel darauf zu antworten und empfand im Grunde wenig -Freude über den Prunk, in den man mich stecken wollte. Als ich jedoch -nachher das schwere, glänzende Gewebe sah, regte sich meine Eitelkeit -doch, und ich dachte, wie die in der Nachbarschaft wohl schauen würden, -wenn sie mich in dieser Pracht erblickten. Ich trug den Stoff alsbald -zur Nähterin, die mir einen Arm voll Modeblätter mit nach Hause gab zur -Durchsicht, damit wir wählten, was uns gefiele. Ich suchte mir ein sehr -einfaches Bild zum Muster aus und bat die Mutter, sie möchte das Gewand -nach diesem machen lassen, was sie mir zusagte. - -So waren die Tage der Brautzeit immer mehr ihrem Ende zugegangen, und es -war nun an uns, zum Pfarrer zu gehen, das Stuhlfest zu feiern. - -Also meldete mein Verlobter an einem Oktobersonntag nach dem -Gottesdienst in der Sakristei unserer Pfarrkirche dem alten einäugigen -Meßner, daß wir am nächsten Tage zum Herrn Pfarrer kämen, damit er uns -in allem unterweise, was für den Stand der christlichen Ehe von Nutz und -Frommen sei. - -Hand in Hand schritten wir denn andern Tags gegen elf Uhr mit klopfendem -Herzen durch die Straßen und zögernd stiegen wir im Pfarrhause die -breite Treppe hinauf zur Tür, hinter der ein wirres Durcheinander von -Kinderstimmen zu hören war. Im gleichen Augenblick stürmten etwa zehn -Schulkinder jubelnd und lärmend aus der Wohnung und schwangen im Triumph -bunte Heiligenbilder, die sie gewiß als Lohn für gute Antworten in der -Religionslehre erhalten hatten. Hinter ihnen erschien lächelnd der noch -ziemlich junge Pfarrer und mahnte: »Kinder, tut's schö stad sei; pfüat -euch Gott und tut si koans derfalln! So, pfüat Gott, so!« - -Da erblickte er uns: »So, so! ... Grüß Gott, Leutln! ... So, geht's nur -glei da rei; so ... Ja, jetz san ma also da, so ... So, sitzt's euch nur -glei da her, so!« - -Und sorglich führte er uns zu einer Fensternische, die eigens zu dem -Zweck, der uns hingeführt, gemacht schien. Ein kleiner Sammetdivan stand -in der Ecke, darauf wir Platz nahmen; vor uns ein Tischlein, auf dem -nichts als ein kleines Buch lag. Davor stand ein bequemer Armstuhl, der -für den Priester bestimmt war. - -Da saßen wir nun mit seltsam bewegtem Gemüt. Ein leichter Duft von -Weihrauch umgab uns; die Sonne schimmerte durch die großen Glasbilder, -die an den Fenstern hingen, und ließ die reichen Blumenstöcke bald in -bläulichem, bald rotem Licht erglänzen. Auch zu dem blassen Herrgott, -der an einem hohen Kruzifix aus schwarzem Holze hing, huschte einer von -den roten Strahlen und gab dem Gottessohn ein Kleines seiner Wärme und -beinahe einen Hauch von Leben. - -Stumm blickte ich bald auf den Pfarrer, bald auf die lebensgroße Statue -des Jesukindes, die zwischen Blumen und Kerzen in einer Ecke stand. Dann -schielte ich verstohlen hin zum Benno: der saß etwas gebeugt und Tränen -rannen ihm über sein Gesicht. - -Nun begann der Priester seine Lehre: erst gab er uns den Segen, dann -führte er uns im Geist zurück zu den ersten Menschen, zur ersten Ehe im -Paradiese; hierauf gab er uns alle jene Mahnungen und guten Lehren, -deren junge Eheleute bedürfen. Vor allem aber bat er uns, die Tage vor -der Trauung nichts zu tun, was gegen Sittsamkeit verstoße, und in der -Ehe Gottes Segen nicht durch Anwendung von irgendwelchen Schutzmitteln -freventlich zu hemmen oder zu vermindern; denn das sei ja der Kern der -Ehe, daß die Welt durch sie bevölkert bleibe. Nach diesen Unterweisungen -fragte er den Benno: »Also, Herr Hasler, nachher kannt ma am Sonntag -scho zum erstenmal verkünden, so, und nachher setz' ma glei die Trauung -fest. Wie moanatn S', Herr Hasler, wenn ma den zwoatn Deanstag im -November nahm?« - -Mein Hochzeiter, der während der Ansprache des Herrn Pfarrers wiederholt -in Schluchzen ausgebrochen war, trocknete nun seine Tränen und -erwiderte: »Jawohl, Herr Hochwürden; am zweiten Dienstag im November is -uns scho recht. Aber i möcht halt bitten um a g'sungene Mess' und daß -uns halt der hochwürdige Herr Pfarrer d'Liab tät, selber die Trauung -z'machen. Es wär halt a recht große Ehr für uns, und auch der Vater -moant, es wär viel feierlicher, wenn der Herr Hochwürden d'Traumess' -haltet.« - -Der Pfarrer sagte ihm dies zu, und nachdem er uns noch aufgetragen -hatte, den Tag vor der Hochzeit eine Lebensbeichte abzulegen und am -Hochzeitsmorgen noch die Kommunion zu empfangen, gab er uns den Segen -und geleitete uns dann bis zur Gangtür. - -Wie von einer großen Last befreit, atmete ich auf, als wir draußen -waren, und übermütig sprang ich die Stiegen hinab und auf die Straße. -Der Benno aber war sehr ernst und schüttelte den Kopf, als er meine -Ausgelassenheit sah, und während ich mit tänzelnden Schritten und -lebhaftem Geplauder dahineilte, schritt er beinahe bedrückt neben mir -her und sah mich schweigend an. Da schob ich lachend meinen Arm in den -seinen und rief: »Juhu, g'heirat werd! Da derf i mit der Scheesn fahrn -und hab an Schlepp und a seidens G'wand, juhu!« - - * * * * * - -Etwa eine Woche vor dem Hochzeitstage kamen die Handwerksleute und -meldeten, daß sie mit allem, was ihnen aufgetragen worden, fertig seien. - -Also mußten nun die Möbel in die für uns bereitete Wohnung gebracht -werden, und ich erbat mir deshalb von der Mutter die Erlaubnis, etliche -Tage vom Geschäft wegbleiben zu dürfen. Da stieß ich zum erstenmal seit -langem wieder auf heftigen Widerstand, und die Mutter begann zu fluchen -und zu schelten und machte mir die gröbsten Vorwürfe, daß ich jetzt, wo -ich endlich etwas taugte, heiratete. - -»Und i leid's einfach net, daß d'gehst! Dös war dös rechte! I kannt mi -dahoam darenna vor lauter Arbat und dö gnädi Fräuln laafat furt und tat -d'Wohnung eirichtn. Sag's nur dö Haslerischen! Dö ham mehra Zeit wie -mir; dö solln si um d'Wohnung kümmern! I muaß alles zahln, drum verlang -i aa, daß d'dafür arbatst!« - -Ratlos schlich ich davon und besorgte, es möchte der Tag meiner Hochzeit -kommen und ich hätte nichts gerichtet, worin wir wohnen und schlafen -könnten. In meiner Not ging ich zum Vater und bat ihn um seine Fürbitte, -und nun konnte ich wenigstens für einen Tag Urlaub bekommen. - -Ich ging also in aller Früh schon fort und trat bei der Familie Hasler -eben in dem Augenblick in die Stube, als der Benno seinen Hut vom Nagel -nahm und in das Geschäft wollte. Als ich berichtete, wie schwer ich von -zu Hause fortgekommen sei, meinte er: »Da muß i glei dahoam bleibn, daß -ma heut no ferti wer'n; i möcht net habn, daß dei Mutter harb werd.« - -Also blieb er bei mir, und wir begannen sogleich unsere Arbeit. Erst -stellten wir alles das auf, was in die Schlafstube gehörte, wobei wir -beinahe in Streit gekommen wären, da der Benno haben wollte, wir sollten -die beiden Betten zusammenrücken, ich sie aber gern getrennt gehabt -hätte. Doch gab ich endlich nach, nachdem mich mein Verlobter auf die -Worte des Pfarrers: »Das Weib muß dem Mann gehorchen« hingewiesen hatte. - -Gegen Mittag hatten wir ein Zimmer fertig, und ich wollte nun nach Hause -gehen zum Essen; doch gaben die alten Haslerleute keine Ruhe, bis ich -blieb. - -Nachmittags räumten wir dann die Wohnstube ein; doch kamen wir zu keinem -Ende, da ein jedes die Dinge nach seinem Kopf gestellt haben wollte. -Daher ließ ich den Benno bei seiner Arbeit allein und ging in die Küche, -wo Geschirr und Bilder, Möbel und Nippsachen, Spiegel und Stellagen bunt -durcheinander standen und lagen. - -Nach wenig Stunden wurde es dunkel, und ich war noch nicht einmal zur -Hälfte fertig mit meiner Arbeit. Da kam mit einemmal eine große -Traurigkeit über mich, und ich setzte mich in einer Ecke auf einen -kleinen Hocker und begann zu weinen. Die Unordnung ringsum bedrückte -mich, und alles kam mir so fremd und unwirtlich vor und ich empfand -plötzlich eine große Furcht vor dem Heiraten. - -Währenddem war es ganz finster geworden, und ich stand auf und ging in -die Stube, wo ich den Benno gelassen hatte. Da war sie leer. Ich ging in -das Schlafzimmer, doch auch da fand ich ihn nicht. Nun wollte ich -hinuntergehen zu den Eltern Bennos; da fand ich die Wohnungstür -verschlossen und war also eingesperrt. Ratlos stand ich da und wußte -nicht, was ich beginnen sollte. Es fiel mir nicht ein, daß ich ja nur -ein Fenster zu öffnen brauchte und auf die Straße zu rufen; vielmehr -ging ich wieder zurück in die Schlafstube, legte mich auf ein Bett und -weinte bitterlich. Da hörte ich aufsperren, und es kam der alte Hasler -mit einem Licht und wollte sich unser Werk beschauen. Er erschrak gar -sehr, als er mich so trostlos hier fand, und ich erfuhr nun, daß der -Benno geglaubt hatte, ich sei im Zorn fortgelaufen, und er hatte deshalb -gar nicht weiter nach mir gesehen. - -Als ich daher mit dem alten Hasler eine Weile später drunten in die -Wohnstube trat, war große Freude über den guten Ausgang dieser -Geschichte. - -Spät abends brachte der Benno mich nachhause und bat die Mutter, sie -möge mich doch noch einen oder zwei Tage fort lassen. - -Mit süßsauerem Lächeln erwiderte sie: »Ja, ja, sie kann scho geh vo mir -aus; jatz muß i mi alleweil scho dro g'wöhna, ohne Hilf z'sei. Dös is -scho was alt's, daß d'Kinder, wann s' oan gnua kost' ham, davolaafn und -heiratn!« - -Wir bedankten uns für die Erlaubnis, und am andern Morgen machte ich -mich wieder auf den Weg, ohne vorher etwas zu essen. Als ich daher von -der Frau Hasler zum Kaffee geladen wurde, nahm ich dies gern an, sagte -aber, daß ich mittags heim ginge; denn ich befürchtete, es möchte ihr zu -viel werden. - -Der Benno war schon in aller Früh zu seinem Herrn ins Geschäft gegangen, -ihn um Urlaub zu bitten, bis wir eingerichtet wären. Nun kam er, und wir -begannen wieder unsere Arbeit. Es ging uns jetzt alles gut von statten, -da ich zu müde war, um noch länger zu streiten, und mir vorgenommen -hatte, nach der Hochzeit doch alles so zu richten, wie es mir gefiel. - -Am Mittag wollte ich dann heimgehen, vorher aber gab es noch ein kleines -Unglück. - -Mein Hochzeiter war über unsere Arbeit so erfreut, daß er mich mit einem -Male um die Hüften faßte, mit mir in der Stube herumtanzte und am Ende -mich in die Höhe hob und auf den Divan fallen ließ. Ich hatte schon -während des Aufhebens heftig gezappelt und kugelte nun beim Fallen vom -Divan herab und gerade hinein in einen schönen, großen Spiegel, den ich -kurz zuvor darangelehnt hatte. Er ging in Scherben, und es kostete mich -nicht geringe Mühe, aus dem Rahmen, in dem ich saß, herauszukommen. Die -Holzwand war durchgebrochen und die beiden goldenen Amoretten, welche -den Rahmen zierten, standen nun auf meinem Rücken und hielten mit Anmut -das goldene Wappen. Der Benno war erst wie erstarrt; als ich aber unter -großem Jammer begann, mich von der unbequemen Einrahmung zu befreien, -brach er in so lautes Gelächter aus, daß ich in heftigsten Zorn geriet -und schwur, ich würde ihm den ganzen Spiegel an den Kopf werfen, wenn -ich nur erst heraußen wär. Zum Glück hatte ich keine Verletzung -davongetragen, und als mir der Benno herausgeholfen hatte und sich nun -selbst hineinsetzte, um mir das komische Bild zu zeigen, da mußte auch -ich lachen. Die alte Haslermutter freilich war sehr erschrocken, als -sie's vernahm, und prophezeite uns, daß wir nun sieben Jahre kein Glück -hätten, worüber ich wieder hellauf lachen mußte. Ob nicht doch ein -Körnlein Wahrheit in dem Worte lag? - -Mein Verlobter begleitete mich heim und trat gleich in das Gastzimmer, -um rasch ein Glas Bier zu trinken; ich aber ging in die Küche. Als ich -die Mutter grüßte, dankte sie mir nicht und fragte nur: »Was willst?« - -Ich sagte, daß ich zwar zum Essen geladen worden wäre, es aber -ausgeschlagen hätte. Da schrie sie: »Also was z'essen möchst! Sonst -fallt dir nix ei! Dös war no dös schönere; an ganzn Tag rum z'vagiern -und dahoam 's Essen z'verlangn! Nix da! Wannst net bei mir arbatst, hast -aa nix z'fordern von mir. Laß di nur von dö Haslerischen fuattern!« - -Ich gab ihr keine Antwort mehr darauf, sondern lief in die Gaststube und -sagte mit vor Erregung heiserer Stimme zum Benno: »Komm, gehn ma! -Rasch!« - -Auf der Straße erst erzählte ich dem aufs höchste Erstaunten und -Erbitterten den Vorfall. - -Als wir nachher bei seinen Eltern zu Tisch saßen und ihnen berichtet -hatten, wie es mir ergangen, da meinte der alte Hasler: »So was isch -aber do scho ganz aus dr Weis'! Da mögscht ja glei e Narr wera! Was ha i -dr g'sagt, Benno; da hascht es jetzt. I ha's ja allweil g'sagt: e Mädla -aus'm Gaschtlokal isch e Stückle vom a Saustall! Jetzt ka'scht luadrige -Tag grad gnua kriege. Am brävschte wär's halt, wenn d'heut auf d'Nacht -hi'fahrn tätsch' und alls rückgängig mache!« - -Da sprang der Benno auf und schrie überlaut: »So! Was fallt dir denn ei, -Vater! Was kann denn 's Madl dafür, daß s' so a narrische Muatta hat! -Naa, so viel Ehrenmann bin i allweil no, daß i woaß, was si g'hört! I -heirat, und geht's wie's mag!« - -Nun mischte sich auch die alte Mutter in das Gespräch: »Gar so unrecht -kann i ja der Frau Zirngibl net gebn, Vater; du mußt allweil bedenkn, -daß d'Leni ledi is!« - -»Ja, ledig, dies isch scho recht; aber 's Fressa braucht ma au em ledige -Kind it vorz'werfe!« ... - -Mitten im Reden brach er ab und sah auf mich. Ich war völlig ohne alle -Fassung dagesessen und große Tränen rannen mir über die Wangen; doch -sagte ich kein Wort und stand nur nach einer Weile auf und ging wieder -in mein werdendes Heim. Dort setzte ich mich neben dem zerbrochenen -Spiegel auf einen Stuhl und bedachte zum erstenmal den Schritt, den ich -mit meiner Heirat zu tun im Begriff stand. Ich sah jetzt ein, daß ich -von den Schwiegereltern nicht viel Liebe zu erwarten hatte; daß mein -Gatte heute für mich eintrat, gab mir nicht die sichere Gewähr, daß dies -auch morgen noch geschehe; daß ich aber trotzdem nicht mehr zurücktreten -durfte, wenn ich nicht der gröbsten Schmähungen von seiten meiner Mutter -gewärtig sein wollte, stand fest bei mir. Es bedrückte mich zwar das -rauhe Wesen meiner Mutter, doch mehr noch ängstigte mich das unbekannte -und doch naheliegende Schicksal, das mich in meiner Ehe erwartete. - -In dieser trüben Stimmung begab ich mich ins Schlafzimmer, wo ein großes -Bild der Mutter Gottes hing. Dort setzte ich mich auf den Rand eines -Bettes und redete mit dem Bild: »Liabe Muatta Gottes, hilf mir do in -dera Angst. Laß mi net z'grund geh; sag's dein Sohn, daß er's recht -macht!« - -Da tönte die Klingel der Haustür, und es kam mein Verlobter. Wir -sprachen nichts mehr über das Vorgefallene und arbeiteten den ganzen -Nachmittag fleißig. Abends gegen sechs Uhr wollte ich aufhören, doch -hatte ich mir vorgenommen, nicht heimzugehen, sondern in einem der neuen -Betten zu schlafen. Ich sagte dies dem Benno, und er meinte auch, daß es -besser wäre, wenn ich heute nicht heimginge. Also bereitete ich mir noch -eins der Betten für die Nacht. Als es nun so frisch gerichtet war, -meinte mein Verlobter, ich sollte es doch einmal mit ihm probieren, wie -sich's in den neuen Betten schlafe. Ich aber wies ihn streng zurecht und -gab trotz der Versicherung, daß wir es ja leicht noch beichten könnten, -nicht nach. Schmollend ging er hinaus und nahm mir meine Weigerung recht -übel. Vielleicht trug er auch einen Groll gegen die kirchlichen -Ehegesetze in sich, weil sie dem Mann nicht auch in diesem Fall die -Durchsetzung seines Willens gestatteten. - -Da ich befürchtete, er könne sein Begehren, wenn ich da schliefe, noch -stürmischer wiederholen, so machte ich mich bald auf den Heimweg. - -Als ich in die Küche trat, sagte mir unsere Magd, daß die Nähterin -soeben mit der Mutter in der Wohnung droben sei; sie hätte das -Brautkleid gebracht. Ich konnte aber keine Freude darüber empfinden, und -nicht einmal die Erzählung des Mädchens, daß das Kleid eine lange -Schleppe habe, bereitete mir Vergnügen. Mißmutig schnitt ich mir ein -Stücklein Wurst ab und aß, ohne mich zu setzen. - -Da kam die Schneiderin mit der Mutter herein und rief, als sie mich -erblickte: »Ah, da is ja d'Fräuln Leni scho! Jetz kannt ma glei no -schaun, ob's Brautkleid aa paßt!« Und ich mußte mit ihr in die Wohnung -hinaufgehen und das Gewand anziehen. Es sah recht nobel aus, doch paßte -es nicht gut und war der Kragen viel zu eng. Ich bat sie daher, das -Kleid wieder mitzunehmen und zu richten, was sie auch tat. - -Als ich nachher wieder hinunter kam, war der Benno gekommen und saß mit -etlichen seiner Freunde in der Gaststube, gerade dem Fenster gegenüber, -aus dem man die Speisen in die Stube langte. Er grüßte mich freundlich -und winkte mir zu, aber ich ging nicht hinein, sondern setzte mich an -die Anricht und begann für den kommenden Tag Gemüse zu putzen. Die -Mutter saß nahe bei dem Ausgang, der in die Schenke führte, und hatte -eine Zeitung in der Hand, doch las sie nichts und blickte von Zeit zu -Zeit zornig auf mich. Mit einem Mal sprang sie auf und schrie mich an: -»Du unverschämts Frauenzimmer, woaßt net, was si g'hört? Hast du koan -Dank für dei Mutter? Moanst leicht, i war dir's schuldi, daß i dir a -seidas hab kaaft!« - -Ich blickte sie erschrocken an und wollte eben erwidern, daß ich es ja -noch gar nicht hätte, da fuhr die Mutter aufs neue heraus: »Umanander -renna, d'Gnädige spieln und dabei d'Letschn hänga lassn, dös kann's; -aber dir treib i's aus, du Herrgottsakramenter!« Und ehe ich mich -versah, hatte sie den Schürhaken ergriffen und mir denselben etliche -Male um die Schultern geschlagen. - -Ich sprang auf und rief: »Aber Mutter! Denkn S' doch, daß i Braut bin!« - -Da kam sie in eine furchtbare Wut; sie faßte mich an den Haaren und riß -mich herum, gab mir etliche Ohrfeigen und stieß mich schließlich mit dem -Schrei: »Geh nei zu dein Kerl, G'stell, verfluchts! Moanst vielleicht, i -fürcht mi vor dem Bürscherl!« in die Gaststube hinein. - -Da sprang mein Verlobter auf, stürzte in die Küche hinaus und schrie: -»Frau Zirngibl, dös is a Saustall, wie Sie mit meiner Braut umgehn! -Schamen S' Eahna! Sie führn Eahna ja auf wie a Zigeunerin!« - -Mein Vater hatte mich, als ich so in die Stube flog, sogleich beim Arm -gefaßt und trat nun mit mir in die Küche, als eben der Benno so laut das -Benehmen der Mutter geißelte. Und als die Mutter gerade wieder begann zu -toben, rief der Vater dazwischen: »Was is denn dös für a Wirtschaft! -Kannst di jatz du gar net a weng eischränka, Muatta?« - -Der Benno aber fluchte und rief: »Dös war ma dös Rechte! Sofort muß ma -d'Leni aus'm Haus! Koa Minutn laß i's mehr bei so ana Megärn! Dös war dö -recht Zigeunerwirtschaft!« - -Aber die Mutter fuhr ihn an: »'s Maul halten, Rotzlöffel! Dö bleibt ma -da! Und wann's ma net paßt, na derf s' ma aa net heiratn! Dös kannt enk -passen, scho vor der Trauung z'ammz'hocka in Konkubinat! Sie san a ganz -a feiner, Sie Rotzer! Moanen S' vielleicht, i kriag koan andern -Schwiegersohn mehr als Eahna? Da brennan S' Eahna! I ko mei Tochter -gebn, wem i will, verstanden!« - -In maßloser Wut hatte der Benno bei diesen Schmähungen gestampft und -geflucht, jetzt aber faßte er mich rauh am Arm und schrie: »Marsch, du -gehst ma sofort aus dem Haus, wannst willst, daß i di heirat!« - -Da trat der Vater abermals dazwischen, drückte die Mutter auf einen -Stuhl, schob den Benno in die Gaststube und schickte mich zu Bett; dazu -sagte er bloß mit seltsam bewegter Stimme: »Bringt's mi do net um alles! -Mei ganz' Renomee is beim Teufl durch enkern Saustall; seids g'scheit -und hüt's enker Zung! Geh Benno, gib aa wieder an Fried!« - -Grollend ging der Benno wieder in die Stube, die Mutter machte einen -kleinen Spaziergang in den Hof und ich ging zu Bett. - -Am andern Tag schien alles wieder gut zu sein, und ich machte mich auf -den Weg, meine Wohnung vollends zu richten. - -Das war drei Tage vor meiner Hochzeit. Es gab immer noch viel zu tun, -wenn ich alles gut instand setzen wollte, und ich arbeitete ohne Rast -bis zum späten Nachmittag. - -Als ich endlich fertig war, richtete ich noch die Öfen her, daß ich sie -beim Einzug nur anzuzünden brauchte. Dann eilte ich heim, ohne noch zu -den Haslerischen zu gehen; denn ich schämte mich sehr wegen der -traurigen Szene am Tag vorher. - -Als ich heimkam, trat ich mit freundlichem Gruß in die Küche und sagte: -»So, jetz bin i ferti. Wenn S' vielleicht Lust hätten, Mutter, daß Sie's -Eahna anschaun möchtn, tat's mi freun!« - -Ich bekam keine Antwort und wußte also, daß ich, wenn nicht abermals -etwas Unliebsames vorkommen sollte, gehen mußte. Daher sagte ich bloß -noch: »Gut Nacht!« und ging dann zu Bett. - -Am andern Tag wollte ich mein Geld von der Sparkasse abholen und -kleidete mich daher schon früh an. Der Vater wollte mitgehen, und es -mußte also die Mutter in die Schenke. Sie tat es, ohne ein Wort mit uns -zu reden; nur als ich ihr Adieu sagte, rief sie mir nach: »Kannst glei -dein Bräutigam 's Brauthemad kaafa und a Myrtnsträußerl! Na gehst glei -hoam!« - -Ich hatte mir schon allerhand ausgedacht, was ich mir um die neunzig -Mark, die mir von dem Geld aus der Floriansmühle noch geblieben waren, -alles kaufen wollte; als ich aber heimkam, verlangte mir die Mutter das -Geld sofort ab und sagte: »Dös Geld gibst her, na kaaf i dir an saubern -Spiegelkasten drum.« - -Obschon ich gerne dagegen gesprochen hätte, blieb ich doch stumm auf -diese Rede; denn ich fürchtete, aufs neue den Zorn der Mutter zu -erregen, wenn ich nicht zu allem ja sagte. Also ward ich auch dieses -Geldes los, wie ich einst des meines Großvaters und des Hausls los -geworden war. - - - - - - -Es ist ein alter Brauch, daß man den Vorabend einer Hochzeit mit einer -kleinen Feier begeht, und nennt man diesen Abend den Polterabend. - -Zu der Zeit meiner Verheiratung wußte ich über den Ursprung und die -Bedeutung dieses Wortes noch nicht viel, doch schien mir der Name für -meine Verhältnisse gar nicht so unrecht; denn die Mutter polterte an -diesem Tag im ganzen Haus herum, fluchte, zeterte, zertrümmerte -verschiedenes Geschirr, jagte die Küchenmagd aus dem Haus und prügelte -meine Stiefbrüder, ohne daß man recht wußte, warum. Ich war deshalb sehr -bedrückt und tat nichts, wovon ich vermeinte, daß es die Mutter erzürnen -könnte, und hatte auch wirklich bis zum Nachmittag Ruhe. - -Um zwei Uhr ging ich in die Wohnung hinauf, um meine kleinen Andenken -und all die Kästlein und Schächtelchen, die Bilder und Büchelchen -zusammenzupacken, die mir zu lieb waren, als daß ich sie hätte -zurücklassen mögen. Auch die Mutter kam bald hinzu und warf mir manches -hübsche und auch kostbare Stück hin, das sie nicht mehr mochte; doch -brummte sie beständig vor sich hin und schrie mich plötzlich ganz -unvermittelt an: »Hast es ja recht notwendi, daß d'heiratst! Hättst es -ja nimmer aushalten könna dahoam! Aber wart nur, du wirst es scho sehgn, -wia's dir geht! Daß dir i nix guats wünsch, kannst dir denka, du -undankbars Gschöpf! Kannt ma s' so guat braucha und muaß ma fremde Leut -haltn, während die gnädig Fräuln heirat und si auf die faule Haut -flackt!« - -Dabei warf sie mir etliche Schmuckschächtelchen auf den Tisch, dazu ein -schweres Kettenarmband, eine Halskette mit einem schönen, alten -Medaillon, einen schwarzen Beinschmuck und ein großes, kostbares -Ametystkreuz, das sie einst von einer Gräfin von Lindwurm erhalten -hatte. Ich glaubte nicht, daß die Dinge alle für mich bestimmt seien und -ließ sie liegen. Da schrie die Mutter wieder: »Is dir leicht mei Sach -nimma guat gnua? Bist leicht z'schö dazua, daß d' was alts, was guats -tragst?« - -Da nahm ich rasch die Sachen vom Tisch, leerte eine hübsche Schatulle, -in der ich Briefe liegen hatte, aus und tat alles hinein, indem ich -sagte: »Was denken S' denn, Mutter! Freili mag i alles! Und von Herzen -'gelt's Gott dafür! Dös freut mi anders, daß i grad dös schönste kriagt -hab! Dank schö, Mutter! 'gelt's Gott!« - -Da lief sie aus dem Zimmer und schlug krachend die Tür zu. - -Ich hatte großes Mitleiden mit ihr und dachte, ob ich wohl auch einmal -ein Mädchen bekäme und wie ich mit ihm sein wollte; doch bald -verscheuchte ich diese Gedanken und trug meine Kostbarkeiten nach der -neuen Wohnung, wo ich alles in die Kommode räumte. Danach ging ich zur -Familie Hasler, wobei mir das Herz klopfte; doch sagten sie kein Wort -wegen des Verdrusses, den wir gehabt. Sie luden mich ein, mit ihnen den -Kaffee zu trinken, aber ich entgegnete, ich müsse erst daheim um -Erlaubnis bitten. - -Ich ging also gleich wieder nachhause und bat den Vater, der es mir zwar -erlaubte, doch meinte, ich müsse schon auch die Mutter fragen. Dies tat -ich, und da ich ohnehin auch noch zur Beicht mußte, ließ die Mutter mich -gleich fort und sagte bloß: »Daß d'hoam kommst bis auf d'Nacht! Bringst -Haslers mit, mir ham heut a Konzert!« - -Nach dem Kaffee, etwa um fünf Uhr, brach ich auf und holte meinen -Hochzeiter vom Geschäft ab, um mit ihm zur Beicht zu gehen. Er war -wieder sehr ernst und redete nicht viel. - -Nach der Beicht gingen wir wieder zu seinen Eltern, wo wir die alten -Leute bereits in sonntäglicher Kleidung antrafen. Der Tisch in der -Wohnstube war weiß gedeckt, ein Rosmarin prangte in der Mitte und eine -große Torte mit der Aufschrift: »Dem Brautpaar«, stand daneben. Der -Vater holte eine Flasche Wein herbei und die Mutter stellte die Gläser -mit zitternder Hand dazu. Es war schon völlig dunkel, und im Zimmer -verbreitete die altmodische Lampe ein behagliches Licht. - -Da ertönte draußen im Hof Musik, und das Lied: »Nur einmal blüht im Jahr -der Mai, nur einmal im Leben die Liebe« wurde mit viel Gefühl auf einem -Piston vorgetragen. Nun schenkte der alte Hasler die Gläser voll und mit -herzlichen Worten wünschte er uns Glück; die Mutter hatte die Augen voll -Tränen und gab uns ihren Segen, der Benno aber hatte mich an sich -gezogen und schluchzte. - -Da ergriff mich eine große Dankbarkeit gegen diese Menschen und ich -dankte ihnen unter heftigem Weinen. Trotzdem fühlte ich mich so elend, -als sei ich wieder am Grab meines Großvaters, und es befiel mich ein -Zittern und Unwohlsein, und ehe man sich recht zu helfen wußte, war ich -ohnmächtig geworden. - -Als ich wieder zu mir kam, waren alle um mich besorgt, die Haslermutter -aber fragte mich, ob ich öfter an solchen Zuständen leide. Ich sagte -ihr, daß ich manches Mal auch ohne besonderen Anlaß mit solchen -Ohnmachten zu kämpfen hätte. Da nahm sie mich beiseite in die -Schlafstube und wollte ausführlich über meine Gesundheit berichtet sein: -»Denn,« sagte sie, »du kannst mir's net verargen, daß i mi um mein' -Oanzign sorg.« - -Nun erzählte ich ihr, daß ich schon seit meinem vierzehnten Jahr -bleichsüchtig gewesen sei, daß ich die Reife des Mädchens erst vor wenig -Wochen zum erstenmal erfahren hätte, während bisher jahrelang nur diese -Ohnmachten eine gewisse Zeit andeuteten. Diese Bewußtlosigkeit sei immer -plötzlich gekommen, und einmal gerade, als ich in der Küche stand und am -Fleischtisch ein Stück Leber schnitt. Zum Glück hatte ich das große -Tranchiermesser nur locker in der Hand, sonst wäre vielleicht ein -Unglück geschehen. Auch berichtete ich ihr, wie ich einmal nach einem -großen Verdruß mit der Mutter am Brunnen gestanden, um ein Kalbshirn zu -häuten. Da hatte mich mit einem Mal ein kurzer, heftiger Husten gepackt -und ein schöner Faden hellen Blutes lief den Brunnen hinab, während ich -mit heißem Kopf und müden Beinen dort lehnte und Schmerz und Übelkeit -bekämpfte. Die Mutter hatte mich am andern Tag zum Arzt geschickt, der -an eine Magenkrankheit glaubte, da ich vordem nur selten gehustet hatte. -Doch sei dies alles längst wieder gut und ich hätte nicht Sorge, daß ich -eine Krankheit in mir habe. - -Nach einigem Nachdenken meinte die Frau Hasler: »Du bist halt -überarbeit't! Wennst jatz dei Ruah hast, wirst scho wieder! 's Heiraten -is dös best' für di und der Benno is der g'scheitste Doktor. Aber jatz -müaß ma wieder zu dö andern, sonst wer'n s' uns granti!« - -Und sie nahm mich bei der Hand und führte mich wieder in den Bereich des -Lichts, wo die zwei Männer inzwischen ernste Dinge verhandelt haben -mußten; denn der Vater sah den Benno fest an und sagte noch kurz: -»Hascht mi verschtande?« worauf der Benno ihm die Hand drückte und -sagte: »Ja, Vater, i wer' mir's merkn.« - -Wir machten uns nun auf den Weg zu meinen Eltern. Schon aus etlicher -Entfernung tönte uns lustiges Klarinetten- und Geigenspiel entgegen, und -als wir eintraten, brachen die Musikanten das eben begonnene Stück ab -und empfingen uns mit einem feierlichen Marsch. - -Wir gingen erst an die Schenke, dann in die Küche, die Eltern zu -begrüßen. Da sah ich, daß die Mutter geweint hatte, und ich fragte sie -sogleich, ob ich in der Küche helfen könne; sie sagte aber: »Naa, naa! -Bleib nur drin! Dös war no dös nettere: a Polterabend ohne Braut!« - -Da setzte ich mich an den Tisch, wo schon die ganze Verwandtschaft und -Freundschaft Platz genommen hatte, und ein lustiges Treiben begann, und -es währte nicht lange, da forderte mich mein Verlobter zum Tanz. Und -heiter ging der Abend dahin, und um Mitternacht ertönten Hochrufe und -knatterten Schüsse und begann ein Glückwünschen und eine Lust, daß ich -mir wie verzaubert vorkam. Bald stimmte auch ich in die Lustbarkeit ein -und sang noch manches Trutzliedlein in dieser Nacht. - -Endlich um drei Uhr morgens gingen wir auseinander; denn da der Benno -und ich seit Mitternacht weder essen noch trinken durften wegen der -morgendlichen Kommunion, so freute uns schließlich der ganze Spaß nicht -mehr. - -Ich lag noch nicht lange im Bett und war kaum eingeschlafen, als mich -ein heftiges Weinen aufweckte. Ich setzte mich erschreckt auf und -horchte. Da vernahm ich, daß dasselbe aus dem Schlafzimmer der Eltern, -welches unmittelbar an meines stieß, drang. Deutlich hörte ich jetzt die -Mutter klagen: »Hätt i meine Leut g'folgt! Hätt i auf mein Vatern -g'hört! So a Schand! Jatz bin i no so jung und muaß dös derlebn!« - -Vergebens tröstete der Vater: »Mach dir do nix draus, Muatta! Da denkt -koa Mensch weiter drüber nach, daß d' no so jung bist!« - -Sie wurde immer erregter: »Jatz kann i mi aa zu dö Altn hi'hocka im -Kaffeehaus! Und i will no net so alt sei! I will no lebn! Koa Mensch -acht a Schwiegermuatta! Hätt do i dem Lumpen net glaabt, damals! O mei!« - -Und sie weinte und klagte, und der Vater redete begütigend mit ihr, und -seine Stimme wurde immer liebevoller und leiser, und endlich vernahm ich -nichts mehr, als ein Flüstern, dessen Zärtlichkeit mir anzeigte, daß die -Mutter wieder gut sei. - -Da legte ich mich wieder hin und versuchte zu schlafen, doch obschon ich -mich bald auf die eine, bald auf die andere Seite drehte, gelang es mir -nach dem eben Gehörten nicht mehr. Am End stand ich auf, wusch mich mit -kaltem Wasser und begann mich dann für die Frühmesse und Kommunion -anzukleiden. - - * * * * * - -Kurz nach fünf Uhr verließ ich das Haus und begab mich in die matt -erhellte Kirche, wo nur etliche Beterinnen und vier Klosterfrauen -knieten. Ich setzte mich in eine der vordersten Bänke und erwartete -meinen Bräutigam. - -Ohne Teilnahme, ohne Andacht und ohne Bewegung saß ich da und blickte -stumpf auf den riesigen Kronleuchter vor dem Tabernakel. Die rote Ampel -ließ kaum das kleine Lichtlein durchscheinen, und der weite, -schmiedeeiserne Reif darum bewegte sich leise hin und her. - -Wenige Augenblicke vor Beginn der Messe, als eben der Kirchendiener die -Kerzen des Altars entzündete, kam der Benno. Leise trat er in meinen -Stuhl und begrüßte mich flüsternd. Dann kniete er sich nieder, zog ein -Andachtsbüchlein aus der Tasche und schien recht gesammelt und -ehrfurchtsvoll zu beten. Ich aber versuchte vergebens, ein Vaterunser zu -vollenden; schon bei der dritten oder vierten Bitte war ich mit meinen -Gedanken wieder in der Welt und in der Zukunft. Erst als der Ministrant -bei der Wandlung mit seinem silbernen Glöcklein zur Anbetung des -menschgewordenen Gottes mahnte, konnte ich der frommen Handlung folgen -und empfing andachtsvoll das Sakrament des Lebens. - -Nach der Kirche gingen wir zusammen bis zu unserm Haus und trennten uns -mit gemessenem Gruß. - -Unsere Fanny, meines Vaters jüngste Stiefschwester, die seit einem -halben Jahr im Hause war und schon etliche Wochen hindurch hatte lernen -müssen, all die Arbeiten zu tun, welche sonst ich zu verrichten hatte, -war inzwischen schon mit dem Kaffeekochen fertig und ich trank schnell -meine Tasse. Dann ging ich ins Bad und begann danach in meinem Zimmer -mich mit der feinen Wäsche zu bekleiden, die mir die Haslermutter zur -Brautgabe gesandt hatte; denn es war bei uns der Brauch, daß die Braut -für den Bräutigam und wiederum er für die Braut jenes Hemd anschaffte, -das den Körper am Tag der Vermählung bekleidet. Nach der Hochzeit wird -es dann gewaschen und aufgehoben bis zum Tod, wo es noch einmal die -Glieder kleiden soll. Es waren recht ernste Gedanken, die mich dabei -bewegten, und ich besah mich nachdenklich im Spiegel, nachdem ich das -kostbare Linnenhemd angetan hatte. Doch gewann bald meine muntere Natur -die Oberhand, und als ich meine Füße in die weißen, seidenen Strümpfe -hüllte und in die feinen Stiefelchen aus weißem Leder schlüpfte, kam es -mir plötzlich in den Sinn, zu versuchen, ob ich in diesem Schuhwerk auch -gut tanzen könne. Und ich stand auf und begann erst allerhand Schritte -zu machen, und dann tanzte ich auf dem weichen Teppich und summte dazu -die Donauwellen. - -Da ging die Tür auf und die Mutter und der Vater kamen herein. Erstaunt -sahen sie mich an, und der Vater meinte: »Schau, schau, wie 's Bräutl -scho munter is! Denkst leicht, wenn ma in Ehstand einitanzt, na hat ma -mehra Glück? Da paß nur auf, daß dir koan Fuaß vodrahst, sunst is vorbei -mit der Freud!« - -Nach diesen Worten ging er hinab ins Geschäft. Die Mutter aber befahl -mir kurz: »Ziag den Schlafrock o, den i auf mei Bett g'legt hab, na -gehst nüber zum Teuerl und laßt di frisiern!« - -Ich ging, nachdem ich den feinen, dunkelroten Schlafrock angezogen und -der Mutter dafür gedankt hatte. - -Das Frisieren dauerte über eine Stunde, da der Fritzl, der kleine Sohn -des Friseurs, das Brenneisen erwischt und verräumt hatte, so daß über -dem Suchen beinahe eine halbe Stunde verrann. - -Endlich trat ich fein gelockt und gescheitelt aus dem Laden und lief -geschwind heim; denn es schlug eben neun Uhr und um halb zehn Uhr war -schon das Frühstück angesagt. - -Als ich wieder in mein Zimmer kam, fragte die Mutter, ob ich das -Brautgewand gleich mitgebracht hätte. Da fiel mir erst ein, daß die -Schneiderin versprochen hatte, um sieben Uhr schon da zu sein. Ich lief -daher schnell ins Nachbarhaus zu ihr und fragte, warum sie denn nicht -käme. Sie war recht krank geworden und konnte sich kaum aufrecht halten, -ihre Gehilfin aber war nicht gekommen. Inständig bat ich sie, sie möge -doch versuchen, mitzukommen, da ich ja sonst nicht heiraten könne. Da -zog sie sich doch an, packte das Kleid und die Nadelbüchse zusammen und -ging mit. Nun sperrte die Mutter ihren Salon auf, und ich wurde vor dem -großen Spiegel angekleidet und mit Kranz und Schleier geschmückt. - -Als sie fertig war, ging die Nähterin wieder nachhause und bat, man möge -ihr das herkömmliche Mahl hinaufschicken. - -Nun stand ich also bräutlich angetan da und ein feierliches Gefühl -überkam mich. - -Da trat die Mutter zu mir, besah mich lange, und es kam wieder etwas -Böses in ihren Blick, das ich schon kannte und fürchtete. Eine große -Angst befiel mich und ich war unfähig, mich zu rühren, noch zu reden, -als sie begann: »Also, heunt bist erlöst vo mir; werd dir net gar -z'wider sei, dös! Jatz kannst dein Mo ärgern, wie'st bis heunt mi -g'ärgert hast!« - -Ich konnte kein Wort erwidern und sie fuhr fort: »I wollt dir z'erscht -hundert Mark Taschengeld gebn, aber i tua's net. Leicht kannt's eahm gar -net recht sei, an Hasler! Aber den Frauntaler gib i dir; den kannst dir -aufhebn, bis d' amal nix z'fressn mehr hast. Und mein Wunsch will i dir -aa no sagn: du sollst koa glückliche Stund habn, so lang'st dem Menschn -g'hörst, und jede guate Stund sollst mit zehn bittere büaßn müaßn. Und -froh sollst sei, wannst wieder hoam kannst; aber rei kimmst mir nimma. -Jatz woaßt es!« - -Ich war während dieser grausigen Worte wie unter Peitschenhieben -zusammengezuckt; ein unsagbar elendes Gefühl überkam mich, und dann fiel -ich ohne Besinnung zu Boden. - -Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich auf einem der bequemen -Polsterstühle, und um mich standen zitternd die alte Haslerin und ihre -Schwester Hanne, der alte Hasler, die zwei Beiständer oder Trauzeugen -und die Kranzljungfern. Meine Mutter bemühte sich schluchzend und -jammernd um mich und reichte mir mit den Worten: »Geh, trink a bißl, -arms Kind!« ein Gläschen Wein. Willenlos ließ ich es geschehen, daß man -es mir eingab, obschon ich das Gefühl hatte: jetzt vergiftet sie dich. -Doch war es nicht so, und ich bekam in den nächsten Minuten immer mehr -die Empfindung, daß ich das Furchtbare zuvor nur geträumt; denn die -Mutter war so voll Schmerz über mein Scheiden und schien in Tränen -aufgelöst. Sie zog mich an sich und rief: »Viel Glück, mei liabs Kind! -Jatz gehst halt und laßt mi alloa! Bleib mir g'sund und vergiß mi net!« - -Dann schritt sie gerührt von einem zum andern, gratulierte, klagte und -weinte, wie es gerade paßte, bis die Kellnerin meldete, daß der -Bräutigam warte. - -Da stand ich auf, und die Haslermutter trat zu mir, küßte mich und -sagte: »I wünsch dir Glück! Sei mei guats Töchterl!« Und ganz langsam -rollte eine Träne über das runzlige Gesicht. Dann beglückwünschte mich -eins nach dem andern, die Kranzljungfern faßten die Schleppe meines -Kleides, die Mutter legte mir eine kostbare, alte Goldkette um den Hals, -die Haslerin steckte mir einen feinen Opalring an die Hand und große -Opale in die Ohren; der Haslervater gab mir seinen Arm, und nun ging's -mit großer Feierlichkeit hinab in die festlich geschmückte Gaststube. -Mein Hochzeiter stand schon mit dem prächtigen Brautbukett da und -begrüßte mich mit einem Handkuß. Er gefiel mir in dem festlichen Gewand -recht wohl, und ich empfand ganz plötzlich ein großes Verlangen, ihm um -den Hals zu fallen und ihn zu küssen, doch die vielen Menschen, die uns -von allen Seiten umgaben, ließen mich davon abstehen. - -Nun setzten wir uns zum Frühstück; es wurden Bratwürste auf großen -Porzellanplatten herumgereicht und man trank Märzenbier dazu. Während -des Essens trat auch mein Vater herzu und gratulierte uns und übergab -mir einen schönen Ring, daß ich ihn meinem Bräutigam anstecke. Und indes -derselbe von allen Seiten beschaut und bewundert wurde, kam die Mutter -und sagte: »Lieber Benno und Leni! I kann leider net mitfahrn in -d'Kirch; denn i hab koa Aushilf kriagt zum Kochen. Und d'Hauptsach is ja -do a guats Mahl nach dem Schreckn, net wahr!« - -Und mit freundlichem Lächeln ging sie wieder hinaus in die Küche. - -Die Haslerischen waren über diese Mitteilung gar nicht erfreut und -konnten es nicht begreifen, daß wir nicht mehr darauf gedrungen hatten, -die Mutter solle mitkommen. »Denn,« meinte die Frau Hasler, »wann dö -eigene Muatter net mitgeht in d'Kirch und für ihra Kind bet, na is mit'n -Ehglück net weit her.« - -Und sie ging hinaus und bat die Mutter dringend, doch mitzukommen. - -Ich ließ sie gewähren, obwohl ich schon wußte, daß all ihr Bemühen -vergeblich sei. - -So war es auch. Die Haslerin kam bald mit hochrotem Kopf wieder herein, -nickte etliche Male für sich wie zur Bestätigung und murmelte -unverständliche Worte. - -Da kam der Brettlhupfer, jener dienstbeflissene Mann, der den -Wagenschlag öffnet, ein jedes aus der Gesellschaft in den bestimmten -Wagen bringt, acht hat, daß kein Zylinderhut verdrückt, kein Kleid -beschädigt und keine Schleppe in die Wagentür eingezwickt wird; der mit -viel Grazie und wohlgesetzten Worten die Braut leitet und einem -jeglichen sein Amt weist und sowohl am Standesamt als in der Kirche für -die gute Ordnung sorgt. Er war in schwarzer Wichs, seine Lackschuhe und -sein Zylinder glänzten, und Handschuhe und Halsbinde schimmerten in -reinstem Weiß. Mit der Haltung eines Kavaliers stand er an der -geöffneten Tür und sagte: »Verehrte Herrschaften, d'Wägn wärn da! Darf -ich bitten?« - -Und er nahm zuerst die Kranzljungfern vor und geleitete sie zu einem -Wagen; dann kamen die Beiständer und mein ältester Bruder, hierauf die -Schwester der alten Haslerin und meine Firmpatin, die Nanni, sowie die -beiden Stiefschwestern meines Vaters. In dem vierten Wagen saß der -Bräutigam und sein Vater, und im fünften endlich nahmen ich und die -Haslermutter Platz. - -Während der kurzen Fahrt zum Standesamt redeten wir nichts. Als wir -vorfuhren, hatte sich eine kleine Menge Neugieriger, sowie eine Horde -Kinder angesammelt, und während der Brettlhupfer sich eifrig umtat, uns -die bei einer solchen Gelegenheit übliche Ordnung zu geben, konnte man -aus dem Spalier der Gaffenden allerlei Bemerkungen hören: »Ah, der -Breitigam is sauber!« rief eine junge Köchin, die mit aufgestülpten -Ärmeln dastand. »Wia nur der dö Molln mag, dö aschblonde!« - -»Dö werd scho a Geld g'habt habn!« erwiderte eine ältere Frau, an deren -schmutzigem Kittel zwei noch schmutzigere Kinder hingen. - -In dem Augenblick humpelte ein altes Weiblein auf seinem Krückstock -daher und hielt seine verkrüppelte Hand hin: »Gott g'segn an Ehestand, -schöne Braut! Derft i bittn um a freundliche Gab!« - -Ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte, da ich ja kein Geld besaß. -Die alte Haslerin schimpfte über die Frechheit des alten Mütterleins und -prophezeite mir großes Unglück durch diese Begegnung. Mein Hochzeiter -aber griff in die Tasche und langte ein neues Markstück heraus, das er -der Alten mit den Worten gab: »Aber nix Schlechts derfan S' uns -wünschen, Muatterl, verstandn!« - -»I, wia wer i denn so gottvergessn sei!« schmunzelte das Weiblein und -humpelte davon. - -Und während sich die Umstehenden über den Zwischenfall unterhielten, -begaben wir uns in den im ersten Stockwerk gelegenen Vorsaal des -Standesamts. - -Der Brettlhupfer flüsterte aufgeregt mit den Trauzeugen, gab den -Verwandten Weisung, wo sie sich hinzustellen hatten und ermahnte dann -die Kranzljungfern noch, beim Aus- und Eingehen recht achtzugeben, daß -sie nicht zu stark an der Schleppe zögen: »Net, daß uns d'Braut z'letzt -hi'fallt!« - -Mit einem Male taten sich vor uns zwei Flügeltüren auf, und wir gingen -in schöner Ordnung in den Trauungssaal. Voran der Bräutigam und ich an -seinem Arm. Dahinter die trippelnden Kranzljungfern, dann die -Trauzeugen, die mit langen Schritten rechts und links von uns Platz -nahmen, und darauf kamen die andern; doch sah ich sie nicht mehr, da -mich nun die Handlung ganz in Anspruch nahm. - -Der Brettlhupfer hatte dem Diener des Standesbeamten das Schächtelchen -mit den Trauringen übergeben, und der legte diese nun auf eine schöne, -silberne Platte, worauf der Standesbeamte unsere Namen verlas und eine -sehr weihevolle Ansprache über die soziale Wichtigkeit der Ehe, über -ihre Wirksamkeit, sowie über die Pflichten und Verantwortungen der -Eheleute hielt. Danach kamen die Trauzeugen daran, und es wurde ihnen -auch eine kleine Rede gehalten, worauf die eigentliche Trauung vor sich -ging. Wir erhielten die Ringe, steckten sie uns gegenseitig an die -Rechte und beantworteten die feierlichen Fragen des Beamten mit -kräftigem Ja. Dann wurde noch etliches gesprochen, was mir aber nicht -mehr erinnerlich ist, da ich mit einem Male so erregt war, daß ich weder -hörte noch sah und nur mechanisch am Arm meines vor der Welt nun mir -angetrauten Gatten zum Wagen ging. - -Diesmal war die Ordnung eine andere; denn ich saß neben dem Benno, und -wir fuhren nun zum Photographen. Die andern Wägen hatten uns zwar -begleitet, doch stieg niemand aus und fuhren sie, indes wir uns da -aufhielten, spazieren. Der Brettlhupfer aber war bei uns geblieben und -half mir nun mit viel Anmut aus dem Wagen, hielt mir die Schleppe und -trug sie mir bis zum Empfangssalon des Photographen. Wir waren schon -gemeldet und kamen daher sofort daran, obwohl noch mehrere Leute -warteten. - -Während des Photographierens hatte der Benno eine kleine -Auseinandersetzung mit dem Meister; denn als er seinen Arm um meine -Schulter legte, sich fest an mich schmiegte und mit seligem Gesicht -meinte: »Jatz standn ma ganz schö, net wahr?« da zog ihm der Photograph -wortlos den Arm wieder herab, schob uns auseinander und sagte: »Net so -stürmisch, Herr Hasler, net so stürmisch! Dös kommt später!« - -Der Benno war darüber so gekränkt, daß er ein ganz rotes Gesicht bekam -und so ernst und geknickt dreinsah, daß die Verwandten, als sie nach -etlichen Wochen die Bilder sahen, sich darüber lustig machten und -meinten: »Aber Benno! Du schaugst ja auf dem Bildl aus, als obst zum -Köpfa ganga warst, statt zum Heiratn!« - -Als die Aufnahme gemacht war, kam wieder der Brettlhupfer und geleitete -uns hinaus; doch zu meinem Staunen kam ich nun wieder in den Wagen -meiner Schwiegermutter, während der Benno zu seinem Vater hineinstieg. -Auf meine Frage, warum dies geschehen sei, sagte mir die Frau Hasler, -daß ich vor Gott noch nicht Bennos Frau sei, deshalb dürfe ich auch noch -nicht mit ihm zusammen fahren. Ich war es zufrieden und blieb während -der übrigen Fahrt wieder schweigend. - -Das hohe Portal unserer Pfarrkirche stand weit offen, und feierliches -Orgelspiel empfing uns beim Eintritt in das Gotteshaus. Voran gingen die -Verwandten, dann die Trauzeugen und zuletzt wir und die Brautjungfern. - -Nur wenige Leute waren anwesend, und ich sah mich ein wenig um, ob nicht -ein Bekanntes darunter wäre. Da sehe ich plötzlich hinter einem der -mächtigen Pfeiler das verzerrte Gesicht meiner Mutter auftauchen; sie -stand da ohne Hut, im Wirtschaftsgewand und in der weißen Schürze, nur -ein leichtes Tuch um die Schultern gelegt und starrte mit glühenden -Augen auf den Zug. Und wie sie mich erblickte, da streckte sie den Kopf -weit vor. Ich konnte nicht mehr hinsehen und hing mich fest an den Arm -meines Bräutigams, und es bemächtigte sich meiner eine solche Bewegung, -daß ich ohne alle Fassung zu schluchzen begann und nicht aufhörte -während der Trauung und der feierlichen Messe. - -Die Verwandten hatten in den Chorstühlen neben dem Hochaltar Platz -genommen; mein Bräutigam und ich knieten uns auf einen rotsammetenen -Betstuhl, der vor dem Altar stand, während die Trauzeugen sich rechts -und links von uns aufstellten. - -Da trat der Pfarrer im reichen Chorhemd, angetan mit der weißen Stola, -aus der Sakristei, und es begann die heilige Handlung. Nach einer -ernsten Ansprache legte er dem Bräutigam die Frage vor: »Herr Benno -Hasler, wollen Sie sich mit der Jungfrau Magdalena Christ in den -heiligen Stand der Ehe begeben und darin verbleiben, bis der Tod Sie -scheidet, so sprechen Sie >ja<.« - -Mit lautem, bestimmtem »Ja« antwortete mein Verlobter, und nun kam die -Frage an mich. Kaum vernehmlich und in Schluchzen fast erstickt war -meine Antwort. - -Nach dieser Ablegung des Ehegelübdes faßte der Priester unsere Hände, -legte sie zusammen, wickelte seine Stola darum und machte unter -weihevollen Gebetsformeln das Zeichen des heiligen Kreuzes darüber. -Danach besprengte er uns mit Weihwasser und betete mit lauter Stimme, -worauf er die Trauringe weihte. Unter abermaligen feierlichen Gebeten -reichte er uns sodann dieselben, und wir steckten uns diese Symbole der -unverbrüchlichen Treue und unwandelbarer Freundschaftsliebe an, worauf -wir mit dem Priester das Paternoster beteten. - -Damit war die eigentliche Trauung beendet, und der Pfarrer trat wieder -in die Sakristei, um sich zur Messe zu bereiten. - -Während derselben versuchte ich immer wieder meiner Bewegung Herr zu -werden, doch gelang es mir nicht, und als unter der Kommunion des -Priesters das Schubertsche Ave Maria ertönte, konnte ich mich nicht mehr -fassen und weinte laut auf. Da flüsterte mir mein Bräutigam zornig zu: -»Hör do auf mit dem Getrenz! Hättst ja grad naa sagn brauchn, wenn's di -so reut!« - -Das brachte mich plötzlich wieder zu mir, und ich wurde still und das -Gefühl einer kühlen Gleichgültigkeit kam über mich und verließ mich den -ganzen Tag nicht mehr. - -Nach dem Meßopfer sang der Chor das Tedeum, und der Priester erteilte -uns mit aller Feierlichkeit den Brautsegen. Dies war eine große Ehre; -denn derselbe wird sonst nur bei ganz großen, festlichen Hochzeiten -gespendet. - -Als wir uns zum Gehen ordneten und über die Stufen des Hochaltars -hinabschritten, sah ich, daß inzwischen eine große Menge Bekannter und -auch andere Neugierige gekommen waren; meine Mutter aber konnte ich -nicht mehr erblicken. Sie war wohl schon früher nachhause geeilt, um für -das Mahl zu sorgen. - -Beim Wegfahren von der Kirche durften ich und mein Bräutigam in der -eigentlichen Brautchaise Platz nehmen, und half er mir mit großer -Ritterlichkeit beim Einsteigen. Er schlang auch gleich seinen Arm um -mich und küßte mich wiederholt und fragte mit zärtlicher Stimme: -»Kimmt's dir net hart o, daß d'furt muaßt vo dahoam und mit mir geh?« - -Ich antwortete mechanisch: »Naa.« - -Da drückte er mich fest an sich und bat mich, ihn doch anzusehen: »Geh, -schau mi halt a kloans bißl o und gib mir halt a Busserl!« - -Auch das tat ich, doch ohne Wärme, ohne Leben, so daß dem Benno ganz -angst wurde und er fragte: »Bist leicht krank, daß d' so stad und -wunderli bist? Warum redst denn nix?« - -Ich blickte durch das Wagenfenster und sagte nur: »I bin net aufglegt!« - -Da meinte er, ich hätte vielleicht Hunger und schmeichelte: »Hast halt -no nix G'scheits z'essn g'habt, gel! Aber jatz wer'n ma glei g'holfn -habn, wart nur, Weiberl! Jatz tuast amal z'erscht was essn, na trinkst a -paar Glaserl Wei, und na werst sehgn, wia dir da d'Fröhlichkeit und -d'Liab kimmt!« - -Ich gab ihm nur ein halblautes »Hm hm« zur Antwort und lehnte mich mit -geschlossenen Augen in meinen Sitz zurück. Der Benno aber glaubte, ich -wollte mich an ihn schmiegen und drückte mich stürmisch an sich. - -Da hielt der Wagen. Wir waren bei den Eltern, und der Brettlhupfer stand -schon mit den Kranzljungfern am Wagenschlag. - -Beim Aussteigen sah ich, daß es leicht zu schneien begonnen hatte, was -etliche von den vielen Neugierigen, die Spalier standen, zu dem Ausruf -veranlaßte: »So viel Schnee und Regen, so viel Glück und Segen! Natürli, -dö Großkopfatn habn allweil no's meiste Glück aa, an Goldhaufa habn s' -ja a so scho!« - -Die Kinder der Nachbarschaft drängten sich um mich und schrien: »Schenkn -S' uns was, Frau Leni! Bitt schö, schenkn S' uns was!« - -Da schickte ich eine der Kranzljungfern hinein zum Vater und ließ mir -für drei Mark Zehnerln geben, die ich dann unter die Kleinen verteilte. - -Inzwischen war die Festmusik, für die der alte Knoflinger, seines -Zeichens ein Schuhmacher, mit noch sieben Genossen sorgte, vor die Tür -getreten und empfing uns mit dreimaligem Tusch, und unter den festlichen -Klängen des Pariser Einzugsmarsches zogen wir in die Gaststube ein. - -Voran ging Meister Knoflinger mit der Geige und hinter ihm sein -fünfzehnjähriger Sohn Eusebius, der die zweite spielte. Ihnen folgten -zwei Flöten und zwei Klarinetten, darauf der weißköpfige Hundshändler -Schniepp mit weithinschallendem Bandoneonspiel, und den Schluß bildete -der alte, bucklige Baßgeigenmichel, ein gewesener Kaminkehrer. - -So zogen wir hinein und nahmen an der schön gezierten Tafel Platz. Mit -allen Geladenen waren unser siebenundzwanzig an derselben zum Mahl. Auch -andere Gäste waren so viel erschienen, daß die Stube sie kaum fassen -konnte, und immer kamen noch neue hinzu und wollten Platz haben. - -Während des Essens spielte die Musik lauter feierliche, vaterländische -Weisen; doch als der letzte Gang verzehrt war und nur noch einzelne -Tellerchen mit Kuchen auf dem Tische standen, da vertauschten die beiden -Flötisten ihre zarttönenden Instrumente mit ein paar Trompeten, und der -Baßgeigenmichel holte einen blanken Bombardon aus dem schwarzen -Ledersack, und nicht lange darauf ertönte ein zünftiger Landler. - -Das war das Zeichen zum Beginn des Tanzes, und als gleich darauf ein -Ziehrerscher Walzer erklang, stand der Hochzeiter auf und tanzte mit mir -ein paarmal auf dem winzigen Flecklein, das ausgeräumt und mit -geschabten Kerzen bestreut worden war. Wir tanzten nicht gut zusammen, -da der Benno in seinen neuen Stiefeln auf dem Wachs immer rutschte und -weil, wie er zu seiner Entschuldigung sagte, ihm die Landler besser ins -Geblüt gingen, wie die schleifenden Walzer. - -Indessen kamen immer noch mehr Leute herbei und schon füllte sich die -Schenke und die Küche mit Gästen, worüber die Eltern nicht gar erfreut -waren, da sie sich so kaum umdrehen konnten vor Arbeit. Und als am Abend -die Handwerks- und Geschäftsleute Feierabend hatten, kamen sie auch noch -und wollten dabei sein. - -Da bat ich den Vater, er möge auf den Tanzplatz etliche kleine Tische -stellen, daß sich die Gäste setzen könnten; wir hätten nun genug -getanzt. Er war sehr froh darüber, und bald waren auch die drei Tische, -die er nebst fünfzehn Stühlen herbeischaffen ließ, voll besetzt. - -Als es nun mit dem Tanzen aus war, begannen alle die, welche Geschenke -gebracht hatten, ihre Reden, Widmungen und Glückwünsche. - -Da kam zuerst der Vorstand der Tischgesellschaft Eichenlaub: er sagte -viel schöne Worte und überreichte uns einen großen, gerahmten Stahlstich -»Andreas Hofers letzter Gang«. Darauf folgte eine launige Ansprache des -Vorstandes der Arbeitsscheuen, und er ließ eine reiche Waschgarnitur -hereinbringen. Ich nahm sie dankend in Empfang und wollte sie zu dem -Bild auf das breite Fensterbrett stellen; da sah ich, daß überall, in -der Waschschüssel sowohl als auch im Krug und Nachtgeschirr Spiegel -angebracht waren, was mich in nicht geringe Verlegenheit setzte. Ein -kleines Mägdlein, als Rotkäppchen gekleidet, entriß mich daraus und -sagte sein Verslein mit viel Pathos und lebhafter Bewegung der Arme. Und -zum Schluß reichte es mir sein Körblein, dem der neugierige Hochzeiter -zur großen Belustigung der Anwesenden eine Säuglingsflasche und allerlei -Wickelzeug, mit blauen Bändlein verziert, entnahm. Ganz unten lag ein -silbernes Schepperl mit einem Zettelchen daran: Für unsern Liebling. -Rasch entriß ich ihm die Dinge und warf sie wieder in das Körblein, -während es ringsum launige und anzügliche Bemerkungen regnete. - -Da erhob sich ein Bräumeister der Löwenbrauerei, von der die Eltern das -Bier hatten, beglückwünschte uns in einer kurzen, stotternden Ansprache -und überreichte uns im Auftrage der Brauerei einen großen Lederkasten -mit feinem Silberzeug. - -Ihm folgten noch viele, und es war schon zehn Uhr, als das Schenken ein -Ende nahm, und die Musiker waren froh, endlich mit ihrem Tusch- und -Hochblasen fertig zu sein, und mit viel Behagen verzehrten sie das -Freimahl, das ihnen gespendet worden. - -Mein Schwiegervater hatte ein Schwein und ein Kalb gestiftet, das als -Braten, Suppe und Ragout an die Arbeiter unserer Fabriken sowie an die -Musiker verteilt wurde. Mein Vater schenkte ihnen dazu einen Hektoliter -Bier, und so gab es an diesem Tag viel Lust und Freud und manchen Dank -und warmen Glückwunsch. - -Gegen halb elf Uhr wurde ich in die Küche gerufen, und als ich hinaus -kam, stand ein Bruder meines Schwiegervaters, der Jörg Hasler, welcher -eigens zur Hochzeit von Augsburg hergefahren war, da und bedeutete mir, -es sei nun Zeit, daß ich entführt werde. Die Mutter meinte, er solle -mich zu meinem Onkel, der etliche Straßen weiter eine gute Wirtschaft -habe, führen, sie lasse gleich einen Wagen holen. - -Fast auf allen bürgerlichen, altbayerischen Hochzeiten herrscht noch die -Sitte des Brautausführens: Der Hochzeiter soll gut achthaben auf seine -Braut. Wird sie ihm dennoch von ihren Freunden entführt, so muß er mit -seinen Freunden sie suchen gehen und zur Strafe für seine Unachtsamkeit -alles bezahlen, was die andern mit der Braut inzwischen verzehrt haben. - -Also fuhren wir fort, und meine Verwandten, vor allem der Onkel, hatten -große Freude, als wir kamen. Der Vetter Hasler bestellte sofort -Champagner, und wir waren sehr lustig; denn die Frau Bas spielte recht -gut auf der Zither, während der Onkel sie auf der Gitarre begleitete. Da -nur wenige Gäste in der Wirtsstube waren, gab es viel Platz, und die -Dienstboten räumten Stühle und Tische beiseite, damit wir, wenn man sich -gefunden hätte, gut tanzen könnten. Auch streuten sie Federweiß auf den -Boden und tanzten etliche Male, damit er glatt wurde. - -Mit einem Male ertönte draußen auf der Straße lautes Juchzen und Musik, -und herein kam der Bräutigam, die Beiständer, die Kranzljungfern und -viele der Gäste, und es begann nun ein ausgelassenes Treiben, während -der Bräutigam mich mit hellem Juchschrei begrüßte und mit mir tanzte. - -Wir blieben noch etwa eine Stunde dort und machten uns dann wieder auf -den Weg zu den Eltern. Der Onkel sperrte seine Wirtschaft zu und -begleitete uns mit allen seinen Leuten und blieb bis zum Morgen auf der -Hochzeit. - -Inzwischen waren immer noch mehr Gäste gekommen und der Andrang so groß -geworden, daß die Leute in dem großen Hausgang Tische und Stühle -aufstellten und etliche sogar auf der Stiege sich niederließen. Es war -fürchterlich heiß und ein solcher Lärm im Lokal, daß ich es kaum mehr -aushielt. Ich trank in die Hitze viel Champagner und nickte nur -mechanisch denen zu, die kamen, mich zu begrüßen und zu beglückwünschen. -Dabei ward mir immer elender zumut und mit einem Male drehte sich alles -vor meinen Augen, und ich fiel unter den Stuhl. Man brachte mich hinaus -in den Hof, wo ich alles, was man mir zu Hilfe reichen wollte, von mir -warf: ein Glas mit Magenbitter, eine Tasse voll schwarzen Kaffees und -ein Stück Zucker mit Hofmannstropfen. Dann entledigte ich mich noch -alles dessen, was meinem Magen zu viel schien und verlangte schließlich -unter furchtbarem Weinen ins Bett. - -Also führte meine Schwiegermutter mich wieder in die Gaststube und sagte -meinem Gatten, der mit großem Rausch und starker Rührung dasaß und -tränenden Auges auf das horchte, was sein Vater ihm eben mit viel Eifer -erzählte, daß ich nach Hause möchte. - -»Ja, Herrgott, i bin ja verheirat!« rief der Benno da aus. »Was, hoam -möcht mei Weiberl? Geh, Muatter, führ's derweil naus in d'Küch, daß ihr -d'Zirngiblmuatta was Warms oziagt. I laß derweil an Wagn holn.« - -Ich packte nun meine Hochzeitsgeschenke alle auf einen Haufen zusammen -und deckte etliche Tischtücher darüber. Dann nahm ich alle Blumen, die -man mir am Morgen gegeben hatte und sagte den Verwandten und Bekannten -Dank für ihr Kommen und verabschiedete mich von allen. - -Als ich nun gehen wollte, erhob sich ein furchtbarer Lärm, und man -wollte mich mit Gewalt zurückhalten, doch machte ich ein so jämmerliches -Gesicht, daß die Gäste glaubten, ich sei ernstlich krank, und sie ließen -mich ziehen. Mein Gatte war, noch ehe jemand etwas ahnte, fortgegangen -und holte selbst einen Wagen; denn nicht weit von unserer Wirtschaft -pflegten immer etliche Fiaker zu stehen. - -Meine Mutter war den ganzen Tag keinen Augenblick zur Ruhe gekommen, -doch schien sie heiter und guter Laune zu sein, und als ich nun Gute -Nacht und Pfüat Gott sagte, erwiderte sie lachend: »So, gehst scho! I -wünsch dir halt an guatn Ei'stand und a g'ruhsame Nacht! Feier dein -goldnen Tag recht schö und laß di bald wieder sehgn!« - -Ich dankte ihr nochmals, und auf einmal überkam mich eine große -Sehnsucht nach ihrer Liebe; ich fiel ihr um den Hals, drückte meinen -Kopf an ihre Brust und weinte. Da zog sie langsam meine Arme von ihrem -Hals, schob mich sanft von sich und sagte: »Geh, sei do g'scheit, Leni! -Du machst ja dei ganz Gwand voll Fettn! Jatz brauchst do nimma nach mir -z'jammern, hast do an Mann!« - -Die Frau Hasler war gerührt dabei gestanden, als sie aber sah, daß meine -Mutter mich weggeschoben hatte, faßte sie plötzlich meinen Arm, zog mich -an sich und sagte: »Hast scho no a Muatter aa, Leni; und wenn was is, -komm nur zu mir. Dei Muatter hat so allweil so viel z'tuan!« - -Meine Mutter merkte den Hieb gar nicht und meinte, zu mir gewendet: -»Sigst, wia's dei Schwiegermuatta guat mit dir moant! Da war manche -froh, wenn s' so oane dawischn tät!« - -Derweilen kam der Benno mit dem Wagen, und nach nochmaligem, -umständlichen Abschied von meinen Eltern, besonders von meinem -Stiefvater, der mir noch ein Goldstück zusteckte und mir viel Glück -wünschte, fuhren wir drei fort. - -In unserer Wohnung angekommen, gab es sogleich eine kleine -Auseinandersetzung der Frau Hasler mit ihrem Sohn; denn während er alle -Lichter anzündete, die er fand, schürte sie rasch den Ofen des -Wohnzimmers an und begann dann mir den Schleier und Kranz abzunehmen. -Sie war fast damit fertig und ich mittlerweile auf dem Stuhl beinah -eingeschlafen, während sie mit halblauter Stimme mir allerhand -freundliche, gütige Worte sagte, als mein Mann dazukam und rief: »Was -fallt dir denn ei, Muatta! Dös is mei Arbat, mei Frau ausz'ziagn!« - -»Schrei net so grob, du Wüaster! Dei alte Muatta werd wohl so viel Ehr -wert sei, daß s' ihrana Schwiegertochter beim Ausziagn helfn derf!« - -»Naa, sag i, dös leid i net!« schrie da der Benno und entriß ihr den -Brautkranz, den sie mir eben vom Kopf genommen hatte. »I ziag mei Frau -scho selber aus, und überhaupts hast du jatz nix mehr z'tuan da herobn; -i brauch di nimma!« - -Da begann die alte Frau bitter zu weinen über die Grobheit ihres Sohnes -und sank fassungslos auf einen Sessel. Ich empfand tiefes Mitleid mit -ihr und nahm ihren Kopf in meine Hände und sagte: »Sei do stad, -Muatterl! Der Benno moant's net a so; der hat halt heunt an Rausch!« - -Aber sie war nicht zu trösten: »Wie werd's dir geh, arms Kind, bei dem -Rüapel!« rief sie aus und sprang dann plötzlich auf und stellte sich mit -funkelnden Augen vor meinen Gatten: »Dös sag i dir; daß d'ma s' schonst, -dei Frau; sonst, bei Gott, is g'fehlt, wannst es machst wia ...!« - -Mitten im Satz brach sie ab und trat zur Seite, doch hatte das Ganze -einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und ich ging nochmals zu ihr hin -und sagte: »Muatterl, reg di net auf! Mach mir mein Rock auf, und -nachher tuast schlaffa geh. I komm morgn früah scho nunter zu dir, gel!« -Dann gab ich ihr noch einen Kuß, und nachdem sie mir das Kleid geöffnet -hatte, ging sie, ohne dem Benno noch eine gute Nacht zu wünschen. - -Ich zog mich schnell vollends aus und schlüpfte, während mein Mann -überall herumlief und sich an unserm Eigentum erfreute, ins Bett. - -Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als -ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der -Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht. - -So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so -übel geraten sollte. - - - - - - -Den Tag nach der Hochzeit nennt man bei uns gemeiniglich den »goldenen«, -wie überhaupt die erste Zeit der Ehe gar viel belobt und besungen wird. -Ein jedes Mädchen kennt die Flitterwochen und manche Braut träumt von -der Zeit des Honigmonds. - -So lebte auch ich in der Erwartung einer goldenen Zeit und hoffte von -einem Tag zum andern auf den Beginn derselben; und als es inzwischen -Weihnachten geworden war, da begann ich mich zu bedenken, warum nicht -auch in meiner Ehe Flitterwochen gewesen waren. Und ich ging zu einer -alten Frau, die für Geld den Leuten ihre Zukunft und ihr Schicksal aus -Karten und Planeten prophezeite; doch als die mir weiter keine Erklärung -gab, als daß ich immer noch im Honigmonde lebe, da wußte ich, daß auch -diese Zeit ganz anders sei, als ich geglaubt; wie denn vieles in meinem -Leben anders kam, als ich es erhofft. - -Ich konnte nicht begreifen, warum man diese Wochen als Flitterwochen -besingt; ich sah nichts Herrliches und kein Glück darin, der -nimmersatten Willkür und den schrankenlosen Wünschen des Gatten zu -dienen, jeden Morgen mit umränderten Augen meinen müden Leib zu erheben -und nicht einmal wenigstens die eine Befriedigung zu haben, sich Mutter -zu fühlen. - -So erkrankte denn mein Gemüt, und es währte nicht lange, da empfand ich -tiefe Angst vor der Fortsetzung dieser Ehe, und die Zärtlichkeiten -meines Mannes verursachten mir körperlichen Schmerz; dazu litt ich an -quälendem Herzweh und hatte nur noch den einen brennenden Wunsch: ein -Kind. - -Dieses Verlangen allein bewog mich immer wieder, zu gehorchen, mich -hinzugeben, zu leiden und zu schweigen. - -Nun erst erkannte ich, daß es nicht die rechte Liebe war, die mich mit -Benno verband. Wohl war ich ihm dankbar für das, was mir die erste Zeit -hindurch als Leidenschaft und Liebe erschien. Dazu kam die Hoffnung, daß -bald Stille auf den Sturm eintrete und mit der angenehmen Ruhe der -Gemüter auch das Glück zu mir käme. Auch hatte ich viel religiöses -Empfinden und hielt es mit den Gattenpflichten im Gefühl meiner -erhabenen Berufung zur Mutterschaft genau. - -Nun aber drang Zweifel um Zweifel an dieser Berufung auf mich ein, und -ich begann mir einzureden, daß meine Heirat nicht von Gott gewollt und -gesegnet sei. Und ich suchte durch ein frommes Leben den Himmel zu -versöhnen und hielt neuntägige Andachten zur Mutter Gottes und verlobte -mich zu unserer lieben Frau von Birkenstein, wenn sie mir die Gnade -erwirkte, daß ich Mutter würde. - -Besonders am Feste Mariä Lichtmeß betete ich mit großer Andacht und -empfing auch die Sakramente in der Meinung, daß Gott mir meinen -Herzenswunsch erfülle. - -Mein Vertrauen auf die Hilfe Gottes war um so größer, als ich schon -etliche Tage vor Lichtmeß infolge eines eingetretenen natürlichen -Zustandes nach langem Bitten bei meinem Gatten erreicht hatte, daß er -mir für kurze Zeit die Ruhe und Schonung gewährte, deren ich mich weder -vordem noch nachher jemals erfreuen konnte. - -Etliche Wochen später fühlte ich denn auch wirklich allerlei Anzeichen, -die mir Gewißheit darüber boten, daß Gott mir meinen Wunsch erfüllt -habe. - -Von diesem Augenblick an begann ich meinen Gatten zu liebkosen und ihm -alles zu gewähren. Ich kochte ihm seine Leibgerichte, fertigte ihm -allerlei Dinge, von denen ich meinte, daß sie ihn freuen würden, und -suchte auf alle Weise ihm unser Heim lieb und wert zu machen. - -Er aber hatte es anders im Kopf und wollte nun alle Welt das zu -erwartende Glück sehen und bereden lassen und empfand stets die größte -Freude, wenn in Wirtshäusern und Bräukellern irgend ein Geschäftsfreund -oder Zechkumpan mit schamloser Deutlichkeit auf meinen Zustand hinwies. -Herausfordernd stellte er mich mitten in den Kreis solcher Gesellen und -hatte kein Ohr für meine lauten Bitten und Klagen. - -Schon zu Zeiten meiner Kindheit und Jugend war mir das Wirtshauswesen -oft zu einer schier unerträglichen Last geworden; darum war es nicht -verwunderlich, daß ich jetzt, zumal in diesem mir wunderbar und fast -heilig vorkommenden Zustande, viel lieber daheim in der gemütlichen -Stube geblieben wäre, um in Stille und ruhiger Beschaulichkeit die -Ankunft des Kindes vorzubereiten. Nun kam es aber fast täglich zu den -gröbsten Auseinandersetzungen; denn der Benno fand seine größte Freude -und liebste Unterhaltung bei Bier und Wein und wurde darin auch von -seinen Eltern ehrlich unterstützt, die meinten, ein Ehemann müsse unter -allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme. - -So war es Pfingsten geworden, und ich begann seit etlichen Tagen auf ein -geheimnisvolles Etwas in mir zu horchen. Oft saß ich ganz still und -hielt den Atem an, um es zu spüren und in innerster Seele zu hören. - -Und eines Tages, es war um Johanni, vertraute ich es meinem Gatten an, -indem Tränen der Freude mir in die Augen traten. - -Da sprang er auf, riß mich in der Stube herum und rief: »Was sagst, -Weibi, rührn tuat si der Bua scho! Ja, Herrgott, dös muaß aber g'feiert -wer'n! Ziag di o, na führ i di in Löw'nbräukeller! Ja, Herrgott, wer'n -dö schaugn am Stammtisch!« - -»Geh, bleib do dahoam, Benno,« meinte ich und fuhr fort: »Schau, dahoam -is so was vui schöner und g'müatlicher z'feiern! I hätt di so gern für -mi alloa ghabt und geh gar net gern furt. Geh, bleib dahoam!« - -Aber, wie immer, so kam es auch dieses Mal: erst ging es ans Bitten, -dann ans Streiten, und am End mußte ich, wenn ich nicht einer -Mißhandlung gewärtig sein wollte, zu allem ja sagen, mich ankleiden und -mitgehen. - -Am Stammtisch saßen schon die Freunde: etliche Sergeanten des Regiments, -bei dem der Benno gedient hatte, und die er sich durch manchen bezahlten -Rausch wohl gewogen gemacht hatte; ferner ein paar Buchhalter seines -Geschäfts und etliche Leute, von denen man nicht recht wußte, wovon sie -lebten und wessen Geld sie verjubelten. - -In diese Gemeinde nun schleppte mich mein Gatte und rief, als wir an den -Tisch getreten waren: »Servus, meine Freund! Heunt leidt's an Rausch, -heunt hat der Bua sein erschten Hupfa g'macht!« - -Einer der Sergeanten hatte sich bei unserm Kommen erhoben und war zu uns -getreten. Und während die andern nun in ihrer gewöhnlichen Art die -Anrede meines Mannes belachten, faßte er mich mit der Linken an der -Schulter; mit der Rechten aber fuhr er über meinen Leib und meinte: -»Schau, schau! Schö dick werd's scho, d'Haslerin! Hat's enk denn scho -gar so pressiert, daß im erscht'n Jahr no d'Kindstaaf sei muaß?« - -Ich stand wie mit Blut übergossen, und die Stimme versagte mir, dem -frechen Schwätzer zu antworten. Tränen rannen mir über die Wangen, und -ich bat den Benno um die Hausschlüssel, daß ich heim könne, da ich krank -sei. - -»So, so, krank is mei g'schmerzte Frau Gemahlin! Bleib nur schö da; dös -werd scho wieder vergeh bei der Musi!« - -Und fest drückte er mich auf einen Stuhl und begann dann eifrig zu -schwatzen und zu trinken; und obschon etliche gemeint hatten, sie -wollten mich nachhause bringen, ließ er dies nicht geschehen, sondern -sagte: »Dö soll dableibn! So vui muaß ma aushaltn könna! Was taten denn -andere Weiber, dö wo arbatn müssn ums Tagloh'!« - -Erst lange nach Mitternacht kamen wir heim, nachdem mein Mann mich noch -in ein Kaffeehaus und danach zum Wein geführt und auch die andern dazu -eingeladen hatte. - -Von da ab unterwarf ich mich seinem Willen, ohne zu bitten, und hoffte, -daß alles ein Ende hätte, wenn erst das Kind geboren wäre. - -So kam der Herbst, und meine Zeit rückte immer näher. Meine -Schwiegereltern waren zwar längst nicht mehr lieb zu mir, doch ließen -sie es mir an nichts fehlen und fragten oft nach meinen Wünschen oder -Gelüsten; denn sie hofften auf einen Buben, der dem Geschlecht der -Haslerischen einmal Ehre machen würde. - -Da war es einmal, daß ich in ihrer Wohnstube saß und an einem -Kinderhemdlein nähte, während die Mutter eine alte Truhe mit buntem -Kinderzeug durchwühlte und allerlei Jöpplein und Windeln daraus -hervorzog und vor mich hinlegte. Ich aber blickte sehnsüchtig und -verlangend nach dem Schreibtisch, wo eine Anzahl schöner Äpfel in eine -Reihe geordnet lagen; doch getraute ich mir nicht, von der -Schwiegermutter einen zu erbitten, da sie schon dem Benno, als er einen -nehmen wollte, mit strengen Worten sein Tun verwiesen hatte; denn sie -war nicht freigebig. - -Je länger ich nun hinsah, desto mehr gelüstete es mich nach einem der -Äpfel, und endlich kam mir ein guter Gedanke. Ich stand auf und ging -hinaus in das Holzlager zum Schwiegervater, der eben einen uralten -Wiegenkorb mit himmelblauer Farbe strich. - -»Vater!« rief ich. - -»Was isch' denn?« antwortete er, ohne aufzusehen. - -»I möcht was!« - -»Was willsch' denn?« - -»Was Runds.« - -»Ja was! Eppe gar 'n Taler?« Und gespannt blickte er von seiner Arbeit -auf mich. - -»Naa, Vater, a Kugel is!« - -»A Kugel? -- a Kugel? -- Mädla, sell ka i mir it denka! Da muaßt m'r -scho helfa roata!« - -Lachend nahm ich ihn bei der Hand und führte ihn hinein und vor den -Schreibtisch. - -»Ja da schau her!« rief der Alte jetzt und nahm einen der Apfel, »dias -isch also die Kugel! Na die sollsch' haba!« - -Schon wollte er mir den Apfel geben; da fiel ihm die Mutter in den Arm: -»Was, grad von dö schönsten oan!« - -Aber ungeachtet dieses Widerspruchs gab er mir ihn doch und meinte: »Laß -dir'n nur guat schmecka! 's isch viel g'scheiter e g'schenkter großer, -als e g'stohlener kloiner! Wia leicht könnt's Kindle 's Stehla lerna -scho im Mutterleib!« - -Da gab sich die alte Frau zufrieden, und ich verzehrte den Apfel mit -großem Behagen. - -Etliche Tage später kaufte der Haslervater einen Korb voll Trauben und -schenkte sie mir, indem er sagte: »Dia muaßt alle essa, daß d' e saubers -Kindle kriagsch'!« - -Der Oktober ging seinem Ende zu, und ich richtete alles her, dessen man -zum Empfang eines Kindleins bedarf, und stellte die gemalte und von der -Haslermutter mit geblumten Vorhängen geschmückte Wiege in die -Schlafstube und rückte die Ehebetten auseinander. - -Am Allerheiligentag schon in aller Früh ziehen die Soldaten unter -klingendem Spiel in die Kirche, das Namensfest unseres Regenten zu -feiern, und aus allen Fenstern fahren die Köpfe, und ein jedes freut -sich der Musik. - -Als damals in der Früh die Böller krachten und die Soldaten sich -rüsteten zum Fest, da rief ich dem Benno, der noch schlief, aus meinem -Bette zu: »Benno, geh hol ma d' Frau Notacker, i glaab, es werd was.« - -Erschreckt fuhr mein Gatte aus dem Bett und in die Hosen; in der Eile -aber brachte er das vordere Teil nach hinten, und ich mußte über den -komischen Anblick trotz meiner Schmerzen herzlich lachen. - -Unter vielen Ängsten, und nachdem er alles Erdenkliche angestellt hatte, -seinen Hut verloren und sein Rad im Haus der Hebamme hatte stehen -lassen, brachte er endlich die schon sehnlich Erwartete. - -Geschäftig packte sie ihre große Tasche aus, bei welcher Arbeit ich ihr -ängstlich zusah; denn ich konnte es immer noch nicht glauben, daß das -Kind ohne jede Beihilfe von Messer oder Schere, ohne Leibaufschneiden -hervorkommen könne. - -Nachdem sie ihre Sachen geordnet und mein Bett zurechtgemacht hatte, -sagte sie: »So, Herr Hasler, jatz lassn S' an etlichs Paar Bratwürscht -holn und a Flaschn Rotwei; d'Frau Hasler braucht a Kraft!« - -Eilig lief der Benno, das Befohlene zu holen, und inzwischen kamen die -Haslerischen und fragten, wie weit es noch wäre. - -»A paar Stund no,« erwiderte die Hebamme und fügte lachend bei: »Was -leidt's denn, wenn i an Bubn hol?« - -»Sell kriagn ma na scho, Frauli!« antwortete der Vater, und die Mutter -meinte: »D'Hauptsach is, daß alls guat geht, ebbas werd's scho sei!« - -Um Mittag bemächtigte sich meiner eine große Unruhe, so daß ich aufstand -und mich etwas ankleidete. Dann ging ich ans Fenster und sah hinab auf -die vielen Menschen, die zur Parade gingen. Deutlich hörte ich das -Wirbeln der Trommeln und hoffte, das Militär bei uns vorbeiziehen zu -sehen, weshalb ich das Fenster öffnete, während mein Gatte sich lebhaft -mit der Frau Notacker unterhielt. - -Da fühlte ich plötzlich ein starkes Anstemmen des Kindes, und zugleich -hatte ich das Gefühl, als müsse ich zerspringen. - -»Frau Notacker, i moan, jatz ...« mehr brachte ich nicht mehr heraus. - -Drunten zog die Regimentsmusik vorbei mit Pauken und Trompeten, und -Kinder jubelten und pfiffen; da mischte sich ein kreischendes Stimmlein -in die Klänge des Militärmarsches -- ich hatte einen Buben. - -Nun herrschte Lust und Freud im Hause und ward die Taufe mit großem Pomp -gefeiert und gab man dem Buben nach seinem Großvater die Namen Johannes -Magnus. - - * * * * * - -Ich eile nun, zum Ende zu kommen; denn die letzten meiner Erinnerungen -sind so traurig und peinlich, daß es der Leser mir nicht übel vermerken -möge, wenn ich gewisse Zeitpunkte überspringe und in gedrängter Form die -letzten Schicksale erzähle. - -Diese Ehe war so unglücklich, daß ich noch jetzt mich bedenke, ob nicht -wirklich der Fluch, den meine Mutter mir am Hochzeitsmorgen zum Geleit -mitgab, mit also furchtbarer Macht seine Wirkung während meiner ganzen -Ehe übte, und ob nicht doch jene Klosterfrau, als sie mich warnte, -wieder in die Welt zurückzukehren, von Gott begnadet war, das Schicksal -vorauszusehen, welches mich heraußen erwartete. - -Und, seltsam, gerade einige Tage nach der Geburt meines ersten Kindes -traf ein Brief von ihr ein, in dem sie mir die Versicherung gab, meiner -niemals im Gebete zu vergessen, und mich ermahnte, auch im tiefsten Leid -und Unglück nicht zu verzagen, denn Gottes Hand möchte vielleicht mich -strafen, daß ich damals nicht mein Leben ihm geopfert. - -Später einmal, als ich ihr die Geburt eines Mädchens berichtete, bat sie -mich, es recht gut zu erziehen; denn, meinte sie, vielleicht bringt es -einmal dem Herrn das Opfer, das ich ihm ehemals verweigert. - - * * * * * - -Ich war in den letzten Wochen vor der Niederkunft im Gesicht recht alt -und fleckig geworden und mußte daher manches bittere Wort vom Benno -hören. Nun aber blühte ich sichtbar auf, und schon nach drei Wochen war -ich wieder so verjüngt, daß mein Gatte aufs neue in heftiger -Leidenschaft entbrannte und allen Vorstellungen zum Trotz mit Gewalt -jene Schranke niedertrat, die eine weise Natur einer jeglichen Mutter, -sogar den Tieren aufrichtet. Vergeblich wies ich ihm den Kleinen, wenn -er sich an meiner Brust sättigte und flehte: »Geh, nimm do dein' Buam -net sei Nahrung! Laß mi do in Fried! Schau, i bin no krank!« - -Aber seine Sinne begehrten, und da mußte der Verstand schweigen. So kam -es, daß ich nach wenig Monaten aufs neue Mutterhoffnungen fühlte. - -Bald begann ich zu kränkeln, und mit der Gesundheit schwand mein guter -Humor, und ich wurde zur gealterten Frau, die vom Leben nichts mehr -hofft. - -Unsere Häuslichkeit bot weder Frieden noch Behagen; der Benno sah wohl, -was er getan, hatte aber doch kein Einsehen. Am Tage gab es Streit, und -am Abend suchte er alles Trübe und Mißliche in Leidenschaft zu -ersticken. - -Meine Schwiegereltern beklagten sich bitter über diese Zustände und -schoben die Schuld auf meine Nachgiebigkeit und meinen Leichtsinn. Darob -ward ich recht erbittert und mied sie von nun an. - -Meine Eltern hatten schon bald nach meiner Heirat sich mit den -Haslerischen verfeindet, und ich durfte deshalb längst nicht mehr zu -ihnen gehen, wenn ich nicht eines Auftritts mit Benno gewärtig sein -wollte. Nun aber war das Verlangen nach der Mutter so stark in mir, daß -ich alles vergaß und mich aufmachte und zu ihr ging. - -Als ich sie in der Küche begrüßte, fragte sie nach kurzem »'ß Gott«, was -ich wolle. Da berichtete ich ihr schluchzend mein Unglück und bat sie um -Trost. - -»So, war i jatz guat gnua zum trösten! Dös g'schieht dir grad recht, -wenn's dir schlecht geht; du hättst es aushaltn könna dahoam! Was geht -mi dei Elend o! Geh zu dö Haslerischen, dös san jatz deine Leut! Mach -nur, daß d' ma weiter kommst!« - -Da sagte ich nichts mehr und ging, und begab mich zu fremden Leuten, -ihnen mein Leid zu klagen. Wie wohl taten mir da die Worte des Beileids -und des Trostes, obgleich ich wußte, daß sie nicht von Herzen kamen, und -ich nachher in allen Milch- und Kramerläden durchgehechelt und -ausgerichtet wurde. - -Mein Gatte hatte sich in der letzten Zeit immer mehr dem Trunk ergeben -und kam oft nächtelang nicht nach Hause, um dann bei dem geringsten -Anlaß zu wüten und mich zu mißhandeln. - -Um Weihnachten dieses Jahres fühlte ich, daß meine Stunde da sei, und -ging daher zu meiner Schwiegermutter und bat sie, den Buben, der schon -seit Wochen an schwerem Keuchhusten krank lag, etliche Tage in Pflege zu -nehmen. Sie versprach es gerne und war auch sonst freundlich, wofür ich -ihr von Herzen dankte. - -Am ersten Weihnachtstag kam ein junger, verlebt aussehender Mensch und -begehrte den Benno. Ich rief ihn hinaus, und er erkannte in dem Fremden -einen Schulkameraden und Freund, der inzwischen in Hamburg Kaffeehändler -und ein reicher Mann geworden war. Hocherfreut lud er ihn ein, und -nachdem er mir noch befohlen, ein festliches Essen zu bereiten, ging er -mit dem Besuch zum Frühschoppen. - -Ich hatte zum Glück allerlei Vorrat und richtete ein gutes Mahl. - -Schon während des Kochens hatten leichte Wehen mir das Nahen meiner -Stunde angezeigt; nun aber wurden sie stärker, und ich begann mich recht -zu ängstigen, da es schon zwei Uhr war und mein Mann mit dem Besuch noch -immer nicht kam. Ich lief zu einer Nachbarin und bat, sie möge mir die -Frau Notacker holen. Bis diese kam, richtete ich die Schlafstube und -wollte den Buben zu seiner Großmutter tragen, doch schlief er, und ich -ließ ihn liegen. - -Gegen fünf Uhr erschien die Hebamme und meinte, es sei noch zu früh; vor -dem nächsten Tag könne man nicht auf das Kind rechnen. Sie ging also -wieder mit dem Bemerken, sie sehe gegen neun Uhr abends noch einmal -vorbei. - -Kurz nach sechs Uhr kam der Benno allein heim und verlangte sogleich mit -groben Worten zu essen. Ich machte ihm Vorwürfe, daß er mich umsonst mit -dem Kochen noch so geplagt hätte, und daß meine Zeit da sei und ich -niemand hätte, der mir beistehe. Mit rohen Schimpfworten verbat er sich -mein Gejammer und verlangte Wein, obschon er stark betrunken war. Ich -gab ihm eine Flasche; denn ich fürchtete ihn sehr in solchen -Rauschzuständen. Dann ging ich in die Schlafstube, wo der Kleine eben -wieder zu husten begann. Ich hob ihn auf und wickelte ihn frisch ein, -wobei mein Körper von heftigen Wehen erschüttert wurde. Da bekam der -arme Bub einen der furchtbaren Anfälle, und ich glaubte, er müsse -ersticken; doch ging es vorüber, und ermattet lag er nun in meinem Arm. -Ich bettete ihn wieder in die Wiege und ging hinaus zum Benno, ihm über -das Kind zu berichten. Er hörte teilnahmslos zu und sagte dann kurz: »I -geh auf d'Nacht no furt!« - -Ich erwiderte nichts und wollte den Tisch abräumen, während er ein -Päcklein unzüchtiger Photographien aus der Tasche zog und betrachtete. -Plötzlich suchte er mich in erwachendem Begehren zu sich auf das Sofa zu -ziehen. Unsanft stieß ich ihn von mir weg und verwies ihm seine -Unvernunft. - -In dem Augenblick hörte ich meinen Buben weinen und ging zu ihm an die -Wiege und beugte mich über das Bettlein, ihn mit leisen Worten zu -beruhigen. - -Da fühle ich plötzlich von rückwärts wie eine eiserne Klammer einen Arm -um meinen Leib und fühle, wie der Benno mich fest in das Bettlein drückt -und sein Eherecht ausübt. Verzweifelt suche ich mich seiner zu erwehren, -und es gelingt mir wirklich für den Augenblick. Da packt ihn eine -rasende Wut, und unter den gröbsten Schmähungen zerrt er mich an den -Haaren herum, wirft mich zu Boden, tritt sein eigen Fleisch und Blut mit -Füßen und versucht, mich zu erwürgen. - -Auf mein lautes Hilfegeschrei stürzen Leute aus den Nachbarswohnungen -herbei, man sprengt die Tür, und alle fallen über den sich wie besessen -Gebärdenden her. - -Auch sein Vater kam, und es geschah nun etwas, was mich noch heute -erstaunt: Der alte Hasler faßte seinen Sohn vor all den Nachbarn am -Genick, setzte ihn auf einen Stuhl, gab ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen -und stieß ihn sodann mit großer Gewalt zur Tür hinaus. Dies alles tat er -ohne ein Wort; dann aber kehrte er sich an die Anwesenden und fragte -grollend: »Hat no wer was verlora da herinne?« worauf sie alle -verschwanden. - -Nun trat er zu mir; ich lehnte erschöpft an meinem Bett und bat um die -Hebamme. Ohne ein Wort ging er, und schon nach einer halben Stunde -brachte er sie mit. - -In derselben Nacht gebar ich ein Mädchen und lag danach an die sechs -Wochen im Kindbettfieber. - -Seit diesem Vorfall mußte sich mein Mann sein eheliches Recht stets -erzwingen; denn ich hatte alle Zuneigung zu ihm verloren und fürchtete -ihn sehr. Trotzdem wurde ich noch viermal Mutter während dieser Ehe. - - * * * * * - -Bald nach dem dritten Kinde begannen auch Wohlstand und Glück von uns zu -weichen. Mein Mann hatte durch seine Trunksucht alles das eingebüßt, was -man sonst an ihm schätzte; auch ließ er sich in seiner Stellung allerlei -zuschulden kommen und wurde schließlich entlassen. Seine Eltern waren -darüber so erbittert, daß sie uns aus dem Haus jagten. - -Wir zogen also um, und der Benno übernahm selber ein Geschäft. Es ging -uns auch etliche Zeit wieder gut, und ich hatte Hoffnung, daß alles -wieder recht würde, obschon ich nun dauernd kränkelte, da die Geburten -meines vierten und fünften Kindes Totgeburten und sehr schwer gewesen -waren. - -Nun war das sechste Kind auf dem Wege, und kurz vor Weihnachten kam ich -in die Wochen. - -Mein Mann hatte um diese Zeit aufs neue ein wüstes Leben begonnen und -saß oft Tag und Nacht im Weinhaus. Kam er dann nach Hause, prügelte er -mich und die Kinder und zerschlug alles, was ihm gerade in die Hände -kam. - -Am Tage nach der Geburt dieses Kindes kam gegen Abend ein Freund meines -Gatten und hatte mit ihm eine Unterredung, die sehr erregt schien; denn -der Besuch ging nach kurzem Wortwechsel ohne Gruß, und der Benno schlug -krachend hinter ihm die Türe zu. Ich rief ihn zu mir in die Schlafstube, -doch kam er nicht und ging bald darauf fort, ohne sich von mir zu -verabschieden. - -Zwei Tage und eine Nacht blieb er weg und kam erst am heiligen Abend -gegen neun Uhr heim. Ich erschrak heftig bei seinem Anblick; seine -Kleider waren zerrissen und beschmutzt, sein Gesicht aufgedunsen und -verzerrt, die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, und die stieren, -blutunterlaufenen Augen blickten gierig und lüstern nach mir. - -Ich saß wie versteinert aufrecht in meinem Bett, als er mit dem -zärtlichen Gruß zu mir trat: »Servus, Weibi; du bist aber sauber! Geh, -laß mi eini zu dir!« - -Bittend hob ich die Hände und sagte: »Was hast denn, Benno; woaßt denn -net, daß ma r a kloans Deanderl kriagt ham! Jatz konnst do net zu mir! -Gel, Benno, du verstehst mi scho!« - -Aber er verstand mich nicht mehr. Rasch riß er seine Kleider ab und -wollte zu mir, indem er mir alle erdenklichen Genüsse versprach. - -Flehend setzte ich ihm nochmals die Unvernunft seines Begehrens -auseinander, doch vergebens. Er fiel über mich her, und ich mußte alle -Kraft daran setzen, mich seiner zu erwehren. Endlich gelang es mir, aus -dem Bett zu entkommen, und eilig schlüpfte ich in meinen Unterrock und -lief aus dem Zimmer. - -Da höre ich plötzlich meine Kinder aufkreischen. Ich eile in ihre -Schlafstube und sehe nun, wie der Benno mit gezücktem Stilet drinnen -herumtanzt und nach der Melodie des Schäfflertanzes vor sich hinsingt: - -»Hi müaßt's sei! Daschtecha tua r i enk! Alle müaßt's heunt hi sei!« - -Er sieht mich gar nicht, wie ich die Kinder aus ihren Bettlein reiße und -das Kleinste aus der Wiege; tanzend zertrümmert er alles, was im Zimmer -ist und singt dazu. - -Also flüchteten wir uns barfuß und fast unbekleidet hinaus in den -Schnee, und weinend hingen sich die Kinder an mich. Zitternd wankte ich -vorwärts, und das Blut rann mir gleich einem Bächlein über die Füße und -zeigte die Spur meiner Schritte. - -Freundliche Nachbarn nahmen uns auf und veranlaßten auf der -Polizeiwache, daß man den Wütenden bändigte und nach der psychiatrischen -Klinik verbrachte. - -Ein schweres Fieber folgte auf diese Nacht, und ich kämpfte lange mit -dem Tod. - -Als ich mich wieder besser fühlte, nahm ich mit vielem Dank Abschied von -den guten Leuten und begab mich wieder in meine Wohnung. Hier erwartete -mich neuer Schreck: die Möbel waren alle mit dem Siegel des Gerichtes -versehen und gepfändet. Etliche Briefe, die ich im Kasten fand, klärten -mich auf. Der Benno hatte, ohne daß ich es wußte, sein volles Vermögen -und dazu mein ganzes Heiratsgut einem Freund, der Baumeister war, -geliehen, und dieser war bankerott geworden. Er hatte anscheinend schon -davon gewußt und war vielleicht auch durch den Verlust dieser -fünfzigtausend Mark um seinen Verstand gekommen. Nun hatten unsere -Lieferanten und auch der Hausherr zu Neujahr keine Bezahlung mehr -erlangt, weshalb sie, da sie auch keine Antwort auf ihre Mahnungen -erhielten, endlich zur Pfändung schritten. Die Hausverwalterin hatte die -Schlüssel meiner Wohnung an jenem Abend von einem Schutzmann erhalten -und öffnete, als der Gerichtsvollzieher kam. - -Nur weniges verblieb mir; zum Glück hatte man mir einen kleinen Schrank -mit Kinderwäsche gelassen, in dem auch meine Schmucksachen verwahrt -lagen. Nun konnte ich wenigstens so viel Geld dafür bekommen, daß ich -die Kinder bei fremden Leuten in Pflege zu geben und mir ein kleines -Stüblein zu halten vermochte. Das Ringlein meines Vaters aber opferte -ich im Herzogspital der Mutter Gottes. - -Dies war in der Zeit des Faschings; auch der Schäfflertanz traf auf -dieses Jahr und füllte die Taschen der Tänzer. - -Um diese Zeit ging ich zu meiner Mutter und klagte ihr meine große Not -und bat sie um einiges Geld, damit ich mir etliche Möbelstücke wieder -auslösen könnte; denn der Hausherr hatte sich Verschiedenes behalten, -indem er mir versprach, er wolle mir das gegen Bezahlung meiner -Zinsschuld von sechzig Mark wiedergeben. - -Wortlos hörte die Mutter mir zu. Als ich geendet, sagte sie: »I kann dir -net helfa! I hab selber no Schuldn beim Bräu. Geh zu dö Haslerischen, dö -san reicher wia i. Übrigens freuts mi, daß si mei Wunsch erfüllt hat; -recht schlecht soll's dir geh, weil's du's net aushalten hast könna -dahoam!« - -Dann rief sie den Vater aus der Schenke und sagte: »Gel Josef, mir -können ihr nix gebn, weil ma selber nix habn wia Schuldn!« worauf der -Vater sich erst räusperte, dann halblaut wiederholte: »Naa, nix könna ma -toa, mir habn selber Schuldn!« - -Traurig ging ich nun zu meinen Schwiegereltern. Diese versprachen mir, -für den Buben zu sorgen. Mehr konnten auch sie nicht helfen, da sie, wie -ich jetzt erst erfuhr, dem Benno während des letzten Jahres etliche -tausend Mark gegeben hatten, die er, ohne mir davon zu sagen, vertan -hatte. - -Also begann ich am andern Tag mir Arbeit zu suchen. Ich las auch die -Zeitung; da fiel mein Blick auf eine Notiz über den Schäfflertanz, und -ich entnahm ihr, daß derselbe am 20. Februar auch vor dem Hause des -Gastwirts Zirngibl aufgeführt würde. - -Trotz der großen Bitterkeit, die in mir aufstieg, als ich an die Kosten -eines solchen Tanzes, die zum mindesten an die hundert Mark betragen, -dachte, konnte ich es doch nicht unterlassen, mich andern Tags unter die -Menge der Zuschauer zu mischen. - -Da sah ich, wie sie alle, der Vater, die Mutter, die Stiefbrüder und -auch das Gesinde, an den Fenstern standen und mit vergnügten Mienen und -strahlendem Lächeln für die Hochrufe dankten und die Mutter eine Hand -voll Silberstücke in die Mütze des Meisters warf, während sie den Tag -vorher ihr Kind hungern sah, ohne zu helfen. - -Ich suchte also Arbeit und fand auch solche; doch nicht lange dauerte -es, da konnte mein geschwächter Körper dieselbe nicht mehr leisten, da -ich, um den Kindern das ihre geben zu können, oft hungern mußte. Am End -war ich erschöpft und mußte meine Stellung aufgeben. - -Nach kurzer Zeit war auch der Rest meines Geldes verbraucht; und da ich -das Kostgeld für meine Kinder nicht mehr aufbringen konnte, setzte man -sie mir eines Tages im Winter vor die Tür. - -Da fand sich ein Baumeister, der mir in seinem Neubau umsonst Wohnung -bot. - -Ich band meine Habe samt den Kindern auf einen Karren und zog dahin. Ein -alter, brotloser Mann, dem ich früher Gutes getan hatte, half mir dabei. - -Das Haus war noch ganz neu, und das Wasser lief an den Wänden herab; wir -schliefen auf dem Boden und bedeckten uns mit alten Tüchern und krochen -zusammen, damit wir nicht gar zu sehr froren. - -Einige leichtere Schreibarbeiten schützten uns vor dem Verhungern, -wenngleich unser tägliches Mahl in nichts weiter bestand, als in einem -Liter abgerahmter Milch und einem Suppenwürfel, aus dem ich nebst einem -Ei und etwas Brot eine Suppe für die Kinder bereitete. Ich selber aß -fast nichts mehr und war so elend und krank, daß ich mehr kroch als -ging. - -Eines Tages erfuhren wir, daß mein Gatte in der Kreisirrenanstalt -untergebracht worden sei, da eine Geisteskrankheit ihm dauernd das Licht -des Verstandes genommen hatte. - -Nach einem Monate solch jammervollen Lebens war auch die Gesundheit -meiner Kinder dahin. Hustend und weinend hingen sie an mir, während -Fieberschauer mich schüttelten. - -Oft war die Versuchung in mir aufgestiegen, dem Leben ein Ende zu -machen; oft hatte ich am Abend den Hahn der Gasleitung zwischen den -Fingern; doch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ließ mich das nicht -vollbringen, was die Verzweiflung mir eingab. - -Mitleidige Menschen machten endlich den Armenrat des Bezirks auf mein -Elend aufmerksam, worauf die Gemeinde für uns sorgte, indem sie die -Kinder einer Anstalt übergab, während ich im Krankenhaus Erlösung aus -aller Trübsal erhoffte. - -Doch das Leben hielt mich fest und suchte mir zu zeigen, daß ich nicht -das sei, wofür ich mich so oft gehalten, eine Überflüssige. - - - Umschlag- und Einbandzeichnung von Alphons Woelfle - - Druck von Hesse & Becker in Leipzig - Papier von Bohnenberger & Cie., Papierfabrik, Niesern bei - Pforzheim - Einbände von E. A. Enders. Großbuchbinderei, Leipzig - - - Anmerkungen zur Transkription - -Am Ende von Seite 119 heißt es: »... von einer meiner Basen, ...«, aber -wäre dem Kontext nach logischer: »... von einer seiner Basen, ...« Dies -wurde wie im Original belassen. - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Sonstige -Korrekturen (vorher/nachher): - - [S. 173]: - ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruanb; heut trifft ... - ... an Kartoffisalat, an grean und rote Ruabn; heut trifft ... - - [S. 222]: - ... vergoldeten Spiegel das Schlafzimmers und besah ... - ... vergoldeten Spiegel des Schlafzimmers und besah ... - - [S. 253]: - ... Hasler dir Gläser voll und mit herzlichen Worten ... - ... Hasler die Gläser voll und mit herzlichen Worten ... - - - - - - -End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN *** - -***** This file should be named 57853-8.txt or 57853-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/5/57853/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. 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You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country outside the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. 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Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/57853-h/57853-h.htm b/57853-h/57853-h.htm index d6db95e..aa2f0af 100644 --- a/57853-h/57853-h.htm +++ b/57853-h/57853-h.htm @@ -92,44 +92,7 @@ a[title].pagenum:after { content: attr(title); color: gray; background-color: in <body> -<pre> - -Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Erinnerungen einer Überflüssigen - -Author: Lena Christ - -Release Date: September 6, 2018 [EBook #57853] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57853 ***</div> <div class="frontmatter"> @@ -13047,382 +13010,7 @@ Sonstige Korrekturen (vorher/nachher): -<pre> - - - - - -End of Project Gutenberg's Erinnerungen einer Überflüssigen, by Lena Christ - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINER ÜBERFLÜSSIGEN *** - -***** This file should be named 57853-h.htm or 57853-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/5/57853/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. 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The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. 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Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. 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INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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