diff options
| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-08 09:43:22 -0800 |
|---|---|---|
| committer | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-02-08 09:43:22 -0800 |
| commit | 1277e8a0e323dc22fbe2a874d1ec75dd2cb6b3fe (patch) | |
| tree | 73874a39fda19d32b933c6510a4f498bde1d9743 | |
| parent | 3aaae60fd495ba8c0b532644cb2b1fb0d01c89b0 (diff) | |
| -rw-r--r-- | 57850-0.txt | 7062 | ||||
| -rw-r--r-- | 57850-8.txt | 7451 | ||||
| -rw-r--r-- | 57850-h/57850-h.htm | 417 |
3 files changed, 7064 insertions, 7866 deletions
diff --git a/57850-0.txt b/57850-0.txt new file mode 100644 index 0000000..0b83be3 --- /dev/null +++ b/57850-0.txt @@ -0,0 +1,7062 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57850 *** + + + + + + + + + + + Die Kette + Ein Novellenkreis + + + Der erste Ring: + Erstes Erlebnis + Geschichten aus Kinderland + + + Der Zweite Ring: + Amok + Novellen einer Leidenschaft + + + + + + + Amok + + + Novellen einer Leidenschaft + + + Von + Stefan Zweig + + + Im Insel-Verlag zu Leipzig 1922 + + + 1. bis 10. Tausend + + + Frans Masereel, + dem Künstler, dem brüderlichen Freunde + + Salzburg, Frühling 1922 + + + + + + + Tu auf dich, Unterwelt der Leidenschaften: + Gestalten ihr, geträumt und doch empfunden, + Laßt eure Lippen heiß an meinen haften, + Trinkt Blut von Blut und Atem mir vom Munde! + + Brecht vor aus euren Zwielichtfinsternissen + Und schämt euch nicht der Qual, die euch umschattet! + Wer Liebe liebt, will nicht ihr Leiden missen, + Was euch verstört, ists, was mich zu euch gattet. + + Nur Leidenschaft, die ihren Abgrund findet, + Läßt deine letzte Wesenheit entbrennen, + Nur der sich ganz verliert, ist sich gegeben. + + So flamm dich auf! Erst wenn du dich entzündet, + Wirst du die Welt in deiner Tiefe kennen: + Erst wo Geheimnis wirkt, beginnt das Leben. + + + + + Der Amokläufer + + +Im März des Jahres 1912 ereignete sich im Hafen von Neapel bei dem +Ausladen eines großen Überseedampfers ein merkwürdiger Unfall, über den +die Zeitungen umfangreiche, aber sehr phantastisch ausgeschmückte +Berichte brachten. Obzwar Passagier der »Oceania«, war es mir +ebensowenig wie den andern möglich, Zeuge jenes seltsamen Vorfalles zu +sein, weil er sich zur Nachtzeit während des Kohlenladens und der +Löschung der Fracht abspielte, wir aber, um dem Lärm zu entgehen, alle +an Land gegangen waren und dort in Kaffeehäusern oder Theatern die Zeit +verbrachten. Immerhin meine ich persönlich, daß manche Vermutungen, die +ich damals nicht öffentlich äußerte, die wirkliche Aufklärung jener +erregenden Szene in sich tragen, und die Ferne der Jahre erlaubt mir +wohl das Vertrauen eines Gespräches zu nutzen, das jener seltsamen +Episode unmittelbar vorausging. + + * * * * * + +Als ich in der Schiffsagentur von Kalkutta einen Platz für die Rückreise +nach Europa auf der »Oceania« bestellen wollte, zuckte der Clerk +bedauernd die Schultern. Er wisse noch nicht, ob es möglich sei, mir +eine Kabine zu sichern, das Schiff wäre jetzt knapp vor dem Einbruch der +Regenzeit immer schon von Australien her ausverkauft, er müsse erst das +Telegramm von Singapore abwarten. Am nächsten Tage teilte er mir +erfreulicherweise mit, er könne mir noch einen Platz vormerken, freilich +sei es nur eine wenig komfortable Kabine unter Deck und in der Mitte des +Schiffes. Ich war schon ungeduldig heimzukehren: so zögerte ich nicht +lange und ließ mir den Platz zuschreiben. + +Der Clerk hatte mich richtig informiert. Das Schiff war überfüllt und +die Kabine schlecht, ein kleiner, gepreßter, rechteckiger Winkel in der +Nähe der Dampfmaschine, einzig vom trüben Blick der kreisrunden +Glasscheibe erhellt. Die stockende, verdickte Luft roch nach Öl und +Moder: nicht für einen Augenblick konnte man dem elektrischen Ventilator +entgehen, der wie eine toll gewordene stählerne Fledermaus einem surrend +über der Stirne kreiste. Von unten her ratterte und stöhnte wie ein +Kohlenträger, der unablässig dieselbe Treppe hinaufkeucht, die Maschine, +von oben hörte man unaufhörlich das schlurfende Hin und Her der Schritte +vom Promenadendeck. So flüchtete ich, kaum daß ich den Koffer in das +muffige Grab aus grauen Traversen verstaut hatte, wieder zurück auf +Deck, und wie Ambra trank ich, aufsteigend aus der Tiefe, den süßlichen +weichen Wind, der vom Lande her über die Wellen wehte. + +Aber auch das Promenadendeck war voll Enge und Unruhe: es flatterte und +flirrte von Menschen, die mit der flackernden Nervosität eingesperrter +Untätigkeit unausgesetzt plaudernd auf und nieder gingen. Das +zwitschernde Geschäker der Frauen, das rastlos kreisende Wandern auf dem +Engpaß des Decks, wo vor den Stühlen der Schwarm in schwatzhafter Unruhe +vorbeiwogte, um sich unablässig zu begegnen, tat mir irgendwie weh. Ich +hatte eine neue Welt gesehen, rasch ineinanderstürzende Bilder in +rasender Jagd in mich eingetrunken. Nun wollte ich mirs übersinnen, +zerteilen, ordnen, nachbildend das heiß in den Blick Gedrängte +gestalten, aber hier auf dem gedrängten Boulevard gab es nicht eine +Minute Ruhe und Rast. Die Zeilen in einem Buch zerrannen vor den +flüchtigen Schatten der Vorüberplaudernden. Es war unmöglich, mit sich +selbst auf dieser schattenlosen wandernden Schiffsgasse allein zu sein. + +Drei Tage lang versuchte ichs, sah resigniert auf die Menschen, auf das +Meer, aber das Meer blieb immer dasselbe, blau und leer, nur im +Sonnenuntergang plötzlich mit allen Farben jäh übergossen. Und die +Menschen, sie kannte ich auswendig nach dreimal vierundzwanzig Stunden. +Jedes Gesicht war mir vertraut bis zum Überdruß, das scharfe Lachen der +Frauen reizte, das polternde Streiten zweier nachbarlicher holländischer +Offiziere ärgerte nicht mehr. So blieb nur Flucht: aber die Kabine war +heiß und dunstig, im Salon produzierten unablässig englische Mädchen ihr +schlechtes Klavierspiel bei abgehackten Walzern. Schließlich drehte ich +entschlossen die Zeitordnung um, tauchte in die Kabine schon nachmittags +hinab, nachdem ich mich zuvor mit ein paar Gläsern Bier betäubt, um das +Souper und den Tanzabend zu überschlafen. + +Als ich aufwachte, war es ganz dunkel und dumpf in dem kleinen Sarg der +Kabine. Den Ventilator hatte ich abgestellt, so schwälte die Luft fettig +und feucht an die Schläfen. Meine Sinne waren irgendwie betäubt: ich +brauchte Minuten, um mich an Zeit und Ort zurückzufinden. Mitternacht +mußte jedenfalls schon vorbei sein, denn ich hörte weder Musik noch den +rastlosen Schlurf der Schritte: nur die Maschine, das atmende Herz des +Leviathans, stieß keuchend den knisternden Leib des Schiffes fort ins +Unsichtbare. + +Ich tastete empor auf Deck. Es war leer. Und wie ich den Blick aufhob +über den dünstenden Turm des Schornsteins und die geisterhaft glänzenden +Spieren, drang mit einmal magische Helle mir in die Augen. Der Himmel +strahlte. Er war dunkel gegen die Sterne, die ihn weiß durchwirbelten, +aber doch: er strahlte; es war, als verhüllte dort ein samtener Vorhang +ungeheures Licht, als wären die sprühenden Sterne nur Luken und Ritzen, +durch die jenes unbeschreiblich Helle vorglänzte. Nie hatte ich den +Himmel gesehen wie in jener Nacht, so strahlend, so stahlblau hart und +doch funkelnd, triefend, rauschend, quellend von Licht, das vom Mond +verhangen niederschwoll und von den Sternen und das irgendwie aus einem +geheimnisvollen Innen zu brennen schien. Weißer Lack, flimmerten im +Monde alle Randlinien des Schiffes grell gegen das samtdunkle Meer, die +Taue, die Rahen, alles Schmale, alle Konturen waren aufgelöst in diesem +flutenden Glanz: gleichsam im Leeren schienen die Lichter auf den Masten +und darüber das runde Auge des Ausgucks zu hängen, irdische gelbe Sterne +zwischen den strahlenden des Himmels. + +Gerade aber zu Häupten stand mir das magische Sternbild, das Südkreuz, +mit flimmernden diamantenen Nägeln ins Unsichtbare gehämmert, schwebend +scheinbar, indes nur das Schiff Bewegung schuf, das leise bebend sich +mit atmender Brust nieder und auf, nieder und auf, ein gigantischer +Schwimmer, durch die dunklen Wogen stieß. Ich stand und sah empor: mir +war wie in einem Bade, wo Wasser warm von oben fällt, nur daß dies Licht +war, das mir weiß und auch lau die Hände überspülte, die Schultern, das +Haupt mild umgoß und irgendwie nach innen zu dringen schien, denn alles +Dumpfe in mir war plötzlich aufgehellt. Ich atmete befreit, rein, und +jäh beseligt spürte ich auf den Lippen wie ein klares Getränk die Luft, +die weiche, gegorene, leicht trunken machende Luft, in der Atem von +Früchten, Duft von fernen Inseln war. Nun, nun zum ersten Male, seit ich +die Planken betreten, überkam mich die heilige Lust des Träumens, und +jene andere sinnlichere, meinen Körper weibisch hinzugeben an dieses +Weiche, das mich umdrängte. Ich wollte mich hinlegen, den Blick hinauf +zu den weißen Hieroglyphen. Aber die Ruhesessel, die Deckchairs waren +verräumt, nirgends fand sich auf dem leeren Promenadendeck ein Platz zu +träumerischer Rast. + +So tastete ich weiter, allmählich dem Vorderteil des Schiffes zu, ganz +geblendet vom Licht, das immer heftiger aus den Gegenständen auf mich zu +dringen schien. Fast tat es schon weh, dies kalkweiße, grell brennende +Sternenlicht, ich aber hatte Verlangen, mich irgendwo im Schatten zu +vergraben, hingestreckt auf eine Matte, den Glanz nicht an mir zu +fühlen, sondern nur über mir, an den Dingen gespiegelt, so wie man eine +Landschaft sieht aus verdunkeltem Zimmer. Endlich kam ich, über Taue +stolpernd und vorbei an den eisernen Gewinden bis an den Kiel und sah +hinab, wie der Bug in das Schwarze stieß und geschmolzenes Mondlicht +schäumend zu beiden Seiten der Schneide aufsprühte. Immer wieder hob, +immer wieder senkte sich der Pflug in die schwarzflutende Scholle, und +ich fühlte alle Qual des besiegten Elements, fühlte alle Lust der +irdischen Kraft in diesem funkelnden Spiel. Und im Schauen verlor ich +die Zeit. War es eine Stunde, daß ich so stand, oder waren es nur +Minuten: im Auf und Nieder schaukelte mich die ungeheure Wiege des +Schiffes über die Zeit hinaus. Ich fühlte nur, daß in mich Müdigkeit +kam, die wie eine Wollust war. Ich wollte schlafen, träumen und doch +nicht weg aus dieser Magie, nicht hinab in meinen Sarg. Unwillkürlich +ertastete ich mit meinem Fuß unter mir ein Bündel Taue. Ich setzte mich +hin, die Augen geschlossen und doch nicht Dunkels voll, denn über sie, +über mich strömte der silberne Glanz. Unten fühlte ich die Wasser leise +rauschen, über mir mit unhörbarem Klang den weißen Strom dieser Welt. +Und allmählich schwoll dies Rauschen mir ins Blut: ich fühlte mich +selbst nicht mehr, wußte nicht, ob dies Atmen mein eigenes war oder des +Schiffes fernpochendes Herz, ich strömte, verströmte in diesem ruhelosen +Rauschen der mitternächtigen Welt. + + * * * * * + +Ein leises, trockenes Husten hart neben mir ließ mich auffahren. Ich +schrak aus meiner fast schon trunkenen Träumerei. Meine Augen, geblendet +vom weißen Geleucht über den bislang geschlossenen Lidern, tasteten auf: +mir knapp gegenüber im Schatten der Bordwand glänzte etwas wie der +Reflex einer Brille, und jetzt glühte ein dicker, runder Funke auf, die +Glut einer Pfeife. Ich hatte, als ich mich hinsetzte, einzig +niederblickend in die schaumige Bugschneide und empor zum Südkreuz, +offenbar diesen Nachbarn nicht bemerkt, der regungslos hier die ganze +Zeit gesessen haben mußte. Unwillkürlich, noch dumpf in den Sinnen, +sagte ich auf deutsch: »Verzeihung!« »Oh, bitte ...« antwortete die +Stimme deutsch aus dem Dunkel. + +Ich kann nicht sagen, wie seltsam und schaurig das war, dies stumme +Nebeneinandersitzen im Dunkeln knapp neben einem, den man nicht sah. +Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, als starre dieser Mensch auf mich +genau wie ich auf ihn starrte: aber so stark war das Licht über uns, das +weißflimmernd flutende, daß keiner von keinem mehr sehen konnte als den +Umriß im Schatten. Nur den Atem meinte ich zu hören und das fauchende +Saugen an der Pfeife. + +Das Schweigen war unerträglich. Ich wäre am liebsten weggegangen, aber +das schien doch zu brüsk, zu plötzlich. Aus Verlegenheit nahm ich mir +eine Zigarette heraus. Das Zündholz zischte auf, eine Sekunde lang +zuckte Licht über den engen Raum. Ich sah hinter Brillengläsern ein +fremdes Gesicht, das ich nie an Bord gesehen, bei keiner Mahlzeit, bei +keinem Gang, und sei es, daß die plötzliche Flamme den Augen wehtat oder +war es eine Halluzination: es schien grauenhaft verzerrt, finster und +koboldhaft. Aber ehe ich Einzelheiten deutlich wahrnahm, schluckte das +Dunkel wieder die flüchtig erhellten Linien fort, nur den Umriß sah ich +einer Gestalt, dunkel ins Dunkel gedrückt und manchmal den kreisrunden +roten Feuerring der Pfeife im Leeren. Keiner sprach, und dies Schweigen +war schwül und drückend wie die tropische Luft. + +Endlich ertrug ichs nicht mehr. Ich stand auf und sagte höflich »Gute +Nacht«. + +»Gute Nacht,« antwortete es aus dem Dunkel, eine heisere, harte, +eingerostete Stimme. + +Ich stolperte mich mühsam vorwärts durch das Takelwerk an den Pfosten +vorbei. Da klang ein Schritt hinter mir her, hastig und unsicher. Es war +der Nachbar von vordem. Unwillkürlich blieb ich stehen. Er kam nicht +ganz nah heran, durch das Dunkel fühlte ich ein Irgendetwas von Angst +und Bedrücktheit in der Art seines Schrittes. + +»Verzeihen Sie,« sagte er dann hastig, »wenn ich eine Bitte an Sie +richte. Ich ... ich ...« -- er stotterte und konnte nicht gleich +weitersprechen vor Verlegenheit -- »ich ... ich habe private ... ganz +private Gründe, mich hier zurückzuziehen ... ein Trauerfall ... ich +meide die Gesellschaft an Bord ... Ich meine nicht Sie ... nein, nein +... Ich möchte nur bitten ... Sie würden mich sehr verpflichten, wenn +Sie zu niemandem an Bord davon sprechen würden, daß Sie mich hier +gesehen haben ... Es sind ... sozusagen private Gründe, die mich jetzt +hindern unter die Leute zu gehen ... ja ... nun ... es wäre mir +peinlich, wenn Sie davon Erwähnung täten, daß jemand hier nachts ... daß +ich ...« Das Wort blieb ihm wieder stecken. Ich beseitigte rasch seine +Verwirrung, indem ich ihm eiligst zusicherte, seinen Wunsch zu erfüllen. +Wir reichten einander die Hände. Dann ging ich in meine Kabine zurück +und schlief einen dumpfen, merkwürdig verwühlten und von Bildern +verwirrten Schlaf. + + * * * * * + +Ich hielt mein Versprechen und erzählte niemandem an Bord von der +seltsamen Begegnung, obzwar die Versuchung keine geringe war. Denn auf +einer Seereise wird das Kleinste zum Geschehnis, ein Segel am Horizont, +ein Delphin, der aufspringt, ein neuentdeckter Flirt, ein flüchtiger +Scherz. Dabei quälte mich die Neugier, mehr von diesem ungewöhnlichen +Passagier zu wissen: ich durchforschte die Schiffsliste nach einem +Namen, der ihm zugehören konnte, ich musterte die Leute, ob sie zu ihm +in Beziehung stehen könnten: den ganzen Tag bemächtigte sich meiner eine +nervöse Ungeduld, und ich wartete eigentlich nur auf den Abend, ob ich +ihm wieder begegnen würde. Rätselhafte psychologische Dinge haben über +mich eine geradezu beunruhigende Macht, es reizt mich bis ins Blut, +Zusammenhänge aufzuspüren, und sonderbare Menschen können mich durch +ihre bloße Gegenwart zu einer Leidenschaft des Erkennenwollens +entzünden, die nicht viel geringer ist als jene des Besitzenwollens bei +einer Frau. Der Tag wurde mir lang und zerbröckelte leer zwischen den +Fingern. Ich legte mich früh ins Bett: ich wußte, ich würde um +Mitternacht aufwachen, es würde mich erwecken. + +Und wirklich: ich erwachte um die gleiche Stunde wie gestern. Auf dem +Radiumzifferblatt der Uhr deckten sich die beiden Zeiger in einem +leuchtenden Strich. Hastig stieg ich aus der schwülen Kabine in die noch +schwülere Nacht. + +Die Sterne strahlten wie gestern und schütteten ein diffuses Licht über +das zitternde Schiff, hoch oben flammte das Kreuz des Südens. Alles war +wie gestern -- in den Tropen sind die Tage, die Nächte zwillingshafter +als in unseren Sphären -- nur in mir war nicht dies weiche, flutende, +träumerische Gewiegtsein wie gestern. Irgend etwas zog mich, verwirrte +mich, und ich wußte, wohin es mich zog: hin zu dem schwarzen Gewind am +Kiel, ob er wieder dort starr sitze, der Geheimnisvolle. Von oben her +schlug die Schiffsglocke. Dies riß mich fort. Schritt für Schritt, +widerwillig und doch gezogen, gab ich mir nach. Noch war ich nicht am +Steven, da zuckte plötzlich dort etwas auf wie ein rotes Auge: die +Pfeife. Er saß also dort. + +Unwillkürlich schreckte ich zurück und blieb stehen. Im nächsten +Augenblick wäre ich gegangen. Da regte es sich drüben im Dunkel, etwas +stand auf, tat zwei Schritte, und plötzlich hörte ich knapp vor mir +seine Stimme, höflich und gedrückt. + +»Verzeihen Sie,« sagte er, »Sie wollen offenbar wieder an Ihren Platz, +und ich habe das Gefühl, Sie flüchteten zurück, als Sie mich sahen. +Bitte, setzen Sie sich nur hin, ich gehe schon wieder.« + +Ich eilte, ihm meinerseits zu sagen, daß er nur bleiben solle, ich sei +bloß zurückgetreten, um ihn nicht zu stören. »Mich stören Sie nicht,« +sagte er mit einer gewissen Bitterkeit, »im Gegenteil, ich bin froh, +einmal nicht allein zu sein. Seit zehn Tagen habe ich kein Wort +gesprochen ... eigentlich seit Jahren nicht ... und da geht es so +schwer, eben vielleicht weil man schon erstickt daran, alles in sich +hineinzuwürgen ... Ich kann nicht mehr in der Kabine sitzen, in diesem +... diesem Sarg ... ich kann nicht mehr ... und die Menschen ertrage ich +wieder nicht, weil sie den ganzen Tag lachen ... Das kann ich nicht +ertragen jetzt ... ich höre es hinein bis in die Kabine und stopfe mir +die Ohren zu ... freilich, sie wissen ja nicht, daß ... nun sie wissens +eben nicht, und dann, was geht das die Fremden an ...« + +Er stockte wieder. Und sagte dann ganz plötzlich und hastig: »Aber ich +will Sie nicht belästigen ... verzeihen Sie meine Geschwätzigkeit.« + +Er verbeugte sich und wollte fort. Aber ich widersprach ihm dringlich. +»Sie belästigen mich durchaus nicht. Auch ich bin froh, hier ein paar +stille Worte zu haben ... Nehmen Sie eine Zigarette?« + +Er nahm eine. Ich zündete an. Wieder riß sich das Gesicht flackernd vom +schwarzen Bordrand los, aber jetzt voll mir zugewandt: die Augen hinter +der Brille forschten in mein Gesicht, gierig und mit einer irren Gewalt. +Ein Grauen überlief mich. Ich spürte, daß dieser Mensch sprechen wollte, +sprechen mußte. Und ich wußte, daß ich schweigen müsse, um ihm zu +helfen. + +Wir setzten uns wieder. Er hatte einen zweiten Deckchair dort, den er +mir anbot. Unsere Zigaretten funkelten, und an der Art, wie der +Lichtring der seinen unruhig im Dunkel zitterte, sah ich, daß seine Hand +bebte. Aber ich schwieg, und er schwieg. Dann fragte plötzlich seine +Stimme leise: + +»Sind Sie sehr müde?« + +»Nein, durchaus nicht.« + +Die Stimme aus dem Dunkel zögerte wieder. »Ich möchte Sie gerne um etwas +fragen ... das heißt, ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ich weiß, ich +weiß genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir +begegnet, aber ... ich bin ... ich bin in einer furchtbaren psychischen +Verfassung ... ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem +sprechen muß ... ich gehe sonst zugrunde ... Sie werden das schon +verstehen, wenn ich ... ja, wenn ich Ihnen eben erzähle ... Ich weiß, +daß Sie mir nicht werden helfen können ... aber ich bin irgendwie krank +von diesem Schweigen ... und ein Kranker ist immer lächerlich für die +andern ...« + +Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu quälen. Er möge mir +nur erzählen ... ich könne ihm natürlich nichts versprechen, aber man +habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man +jemanden in einer Bedrängnis sehe, da ergebe sich doch natürlich die +Pflicht zu helfen ... + +»Die Pflicht ... seine Bereitwilligkeit anzubieten ... die Pflicht, den +Versuch zu machen ... Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die +Pflicht ... die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten.« + +Dreimal wiederholte er den Satz. Mir graute vor dieser stumpfen, +verbissenen Art des Wiederholens. War dieser Mensch wahnsinnig? War er +betrunken? + +Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen hätte, +sagte er plötzlich mit einer ganz andern Stimme: »Sie werden mich +vielleicht für irr halten oder für betrunken. Nein, das bin ich nicht -- +noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkwürdig berührt +... so merkwürdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt quält, nämlich +ob man die Pflicht hat ... die Pflicht ...« + +Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem +neuen Ruck. + +»Ich bin nämlich Arzt. Und da gibt es oft solche Fälle, solche +verhängnisvolle ... ja, sagen wir Grenzfälle, wo man nicht weiß, ob man +die Pflicht hat ... nämlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die +gegen den andern, sondern eine für sich selbst und eine für den Staat +und eine für die Wissenschaft ... Man soll helfen, natürlich, dazu ist +man doch da ... aber solche Maximen sind immer nur theoretisch ... Wie +weit soll man denn helfen? ... Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich +bin Ihnen fremd, und ich bitte Sie, zu schweigen darüber, daß Sie mich +gesehen haben ... gut, Sie schweigen, Sie erfüllen diese Pflicht ... Ich +bitte Sie, mit mir zu sprechen, weil ich krepiere an meinem Schweigen +... Sie sind bereit, mir zuzuhören ... gut ... Aber das ist ja leicht +... Wenn ich Sie aber bitten würde, mich zu packen und über Bord zu +werfen ... da hört sich doch die Gefälligkeit, die Hilfsbereitschaft +auf. Irgendwo endets doch ... dort, wo man anfängt mit seinem eigenen +Leben, seiner eigenen Verantwortung ... irgendwo muß es doch enden ... +irgendwo muß diese Pflicht doch aufhören ... Oder vielleicht soll sie +gerade beim Arzt nicht aufhören dürfen? Muß der ein Heiland, ein +Allerweltshelfer sein, bloß weil er ein Diplom mit lateinischen Worten +hat, muß der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut +schütten, wenn irgendeine ... irgendeiner kommt und will, daß er edel +sei, hilfreich und gut? Ja, irgendwo hört die Pflicht auf ... dort, wo +man nicht mehr kann, gerade dort ...« + +Er hielt wieder inne und riß sich auf. + +»Verzeihen Sie ... ich rede gleich so erregt ... aber ich bin nicht +betrunken ... noch nicht betrunken ... auch das kommt jetzt oft bei mir +vor, ich gestehe es Ihnen ruhig ein, in dieser höllischen Einsamkeit ... +Bedenken Sie, ich habe sieben Jahre nur fast zwischen Eingeborenen und +Tieren gelebt ... da verlernt man das ruhige Reden. Wenn man sich dann +auftut, flutets gleich über ... Aber warten Sie ... ja, ich weiß schon +... ich wollte Sie fragen, wollte Ihnen so einen Fall vorlegen, ob man +die Pflicht habe zu helfen ... so ganz engelhaft rein zu helfen, ob man +... Übrigens ich fürchte, es wird lang werden. Sind Sie wirklich nicht +müde?« + +»Nein, durchaus nicht.« + +»Ich ... ich danke Ihnen ... Nehmen Sie nicht?« + +Er hatte irgendwo hinter sich ins Dunkel getappt. Etwas klirrte +gegeneinander, zwei, drei, jedenfalls mehrere Flaschen, die er neben +sich gestellt. Er bot mir ein Glas Whisky, an dem ich flüchtig nippte, +während er mit einem Ruck das seine hinabgoß. Einen Augenblick stand +Schweigen zwischen uns. Da schlug die Glocke: halb eins. + + * * * * * + +»Also ... ich möchte Ihnen einen Fall erzählen. Nehmen Sie an, ein Arzt +in einer ... einer kleineren Stadt ... oder eigentlich am Lande ... ein +Arzt, der ... ein Arzt, der ...« + +Er stockte wieder. Dann riß er sich plötzlich den Sessel heran zu mir. + +»So geht es nicht. Ich muß Ihnen alles direkt erzählen, von Anfang an, +sonst verstehen Sie es nicht ... Das, das läßt sich nicht als Exempel, +als Theorie entwickeln ... ich muß Ihnen meinen Fall erzählen. Da gibt +es keine Scham, kein Verstecken ... vor mir ziehen sich auch die Leute +nackt aus und zeigen mir ihren Grind, ihren Harn und ihre Exkremente ... +wenn man geholfen haben will, darf man nicht herumreden und nichts +verschweigen ... Also ich werde Ihnen keinen Fall erzählen von einem +sagenhaften Arzt ... ich ziehe mich nackt aus und sage: ich ... das +Schämen habe ich verlernt in dieser dreckigen Einsamkeit, in diesem +verfluchten Land, das einem die Seele ausfrißt und das Mark aus den +Lenden saugt.« + +Ich mußte irgendeine Bewegung gemacht haben, denn er unterbrach sich. + +»Ach, Sie protestieren ... ich verstehe, Sie sind begeistert von Indien, +von den Tempeln und den Palmenbäumen, von der ganzen Romantik einer +Zweimonatsreise. Ja, so sind sie zauberhaft, die Tropen, wenn man sie in +der Eisenbahn, im Auto, in der Rikscha durchstreift: ich habe das auch +nicht anders gefühlt, als ich zum erstenmal herüber kam vor sieben +Jahren. Was träumte ich da nicht alles, die Sprachen wollte ich lernen +und die heiligen Bücher im Urtext lesen, die Krankheiten studieren, +wissenschaftlich arbeiten, die Psyche der Eingeborenen ergründen -- so +sagt man ja im europäischen Jargon -- ein Missionar der Menschlichkeit, +der Zivilisation werden. Alle, die kommen, träumen denselben Traum. Aber +in diesem unsichtbaren Glashaus dort geht einem die Kraft aus, das +Fieber -- man kriegts ja doch, mag man noch so viel Chinin in sich +fressen -- greift einem ans Mark, man wird schlapp und faul, wird weich, +eine Qualle. Irgendwie ist man als Europäer von seinem wahren Wesen +abgeschnitten, wenn man aus den großen Städten weg in so eine verfluchte +Sumpfstation kommt: auf kurz oder lang hat jeder seinen Knax weg, die +einen saufen, die andern rauchen Opium, die dritten prügeln und werden +Bestien -- irgendeinen Schuß Narrheit kriegt jeder ab. Man sehnt sich +nach Europa, träumt davon, wieder einen Tag auf einer Straße zu gehen, +in einem hellen steinernen Zimmer unter weißen Menschen zu sitzen, Jahr +um Jahr träumt man davon, und kommt dann die Zeit, wo man Urlaub hätte, +so ist man schon zu träge, um zu gehen. Man weiß, drüben ist man +vergessen, fremd, eine Muschel in diesem Meer, auf die jeder tritt. So +bleibt man und versumpft und verkommt in diesen heißen, nassen Wäldern. +Es war ein verfluchter Tag, an dem ich mich in dieses Drecknest verkauft +habe ... + +Übrigens: ganz so freiwillig war das ja auch nicht. Ich hatte in +Deutschland studiert, war recte Mediziner geworden, ein guter Arzt sogar +mit einer Anstellung an der Leipziger Klinik; irgendwo in einem +verschollenen Jahrgang der Medizinischen Blätter haben sie damals viel +Aufhebens gemacht von einer neuen Injektion, die ich als erster +praktiziert hatte. Da kam eine Weibergeschichte, eine Person, die ich im +Krankenhaus kennen lernte: sie hatte ihren Geliebten so toll gemacht, +daß er sie mit dem Revolver anschoß, und bald war ich ebenso toll wie +er. Sie hatte eine Art, hochmütig und kalt zu sein, die mich rasend +machte -- mich hatten immer schon Frauen in der Faust, die herrisch und +frech waren, aber diese bog mich zusammen, daß mir die Knochen brachen. +Ich tat, was sie wollte, ich -- nun, warum soll ichs nicht sagen, es +sind acht Jahre her -- ich tat für sie einen Griff in die Spitalskasse, +und als die Sache aufflog, war der Teufel los. Ein Onkel deckte noch den +Abgang, aber mit der Karriere war es vorbei. Damals hörte ich gerade, +die holländische Regierung werbe Ärzte an für die Kolonien und biete ein +Handgeld. Nun, ich dachte gleich, es müßte ein sauberes Ding sein, für +das man Handgeld biete, ich wußte, daß die Grabkreuze auf diesen +Fieberplantagen dreimal so schnell wachsen als bei uns, aber wenn man +jung ist, glaubt man, das Fieber und der Tod springt immer nur auf die +andern. Nun, ich hatte da nicht viel Wahl, ich fuhr nach Rotterdam, +verschrieb mich auf zehn Jahre, bekam ein ganz nettes Bündel Banknoten, +die Hälfte schickte ich nach Hause an den Onkel, die andere Hälfte jagte +mir eine Person dort im Hafenviertel ab, die alles von mir +herauskriegte, nur weil sie jener verfluchten Katze so ähnlich war. Ohne +Geld, ohne Uhr, ohne Illusionen bin ich dann abgesegelt von Europa und +war nicht sonderlich traurig, als wir aus dem Hafen steuerten. Und dann +saß ich so auf Deck wie Sie, wie alle saßen und sah das Südkreuz und die +Palmen, das Herz ging mir auf -- ah, Wälder, Einsamkeit, Stille, träumte +ich! Nun -- an Einsamkeit bekam ich gerade genug. Man setzte mich nicht +nach Batavia oder Surabaya, in eine Stadt, wo es Menschen gibt und Klubs +und Golf und Bücher und Zeitungen, sondern -- nun der Name tut ja nichts +zur Sache -- in irgendeine der Distriktstationen, zwei Tagereisen von +der nächsten Stadt. Ein paar langweilige, verdorrte Beamte, ein paar +Halfcast, das war meine ganze Gesellschaft, sonst weit und breit nur +Wald, Plantagen, Dickicht und Sumpf. + +Im Anfang wars noch erträglich. Ich trieb allerhand Studien; einmal, als +der Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen +und sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine +Operation, über die viel geredet wurde, ich sammelte Gifte und Waffen +der Eingeborenen, ich beschäftigte mich mit hundert kleinen Dingen, um +mich wach zu halten. Aber all dies ging nur, solang die Kraft von Europa +her in mir noch funktionierte: dann trocknete ich ein. Die paar Europäer +langweilten mich, ich brach den Verkehr ab, trank und träumte in mich +hinein. Ich hatte ja nur noch zwei Jahre, dann war ich frei mit Pension, +konnte nach Europa zurückkehren, noch einmal ein Leben anfangen. +Eigentlich tat ich nichts mehr als warten, stilliegen und warten. Und so +säße ich heute noch, wenn nicht sie ... wenn das nicht gekommen wäre.« + + * * * * * + +Die Stimme im Dunkeln hielt inne. Auch die Pfeife glimmte nicht mehr. So +still war es, daß ich mit einem Male wieder das Wasser hörte, das sich +schäumend am Kiel brach, und den fernen, dumpfen Herzstoß der Maschine. +Ich hätte mir gern eine Zigarette angezündet, aber ich hatte Furcht vor +dem grellen Aufschlag des Zündholzes und dem Reflex in seinem Gesicht. +Er schwieg und schwieg. Ich wußte nicht, ob er zu Ende sei, ob er +duselte, ob er schlief, so tot war sein Schweigen. + +Da schlug die Schiffsglocke einen geraden, kräftigen Schlag: ein Uhr. Er +fuhr auf: ich hörte wieder das Glas klingen. Offenbar tastete die Hand +suchend zum Whisky hinab. Ein Schluck gluckste leise -- dann plötzlich +begann die Stimme wieder, aber jetzt gleichsam gespannter, +leidenschaftlicher. + +»Ja also ... warten Sie ... ja also, das war so. Ich sitze da droben in +meinem verfluchten Nest, sitze wie die Spinne im Netz regungslos seit +Monaten schon. Es war gerade nach der Regenzeit, Wochen und Wochen hatte +es auf das Dach geplätschert, kein Mensch war gekommen, kein Europäer, +täglich, täglich hatte ich dagesessen mit meinen gelben Weibern im Haus +und meinem guten Whisky. Ich war damals gerade ganz »_down_«, ganz +europakrank: wenn ich irgendeinen Roman las von hellen Straßen und +weißen Frauen, begannen mir die Finger zu zittern. Ich kann Ihnen den +Zustand nicht ganz schildern, es ist eine Art Tropenkrankheit, eine +wütige, fiebrige und doch kraftlose Nostalgie, die einen manchmal packt. +So saß ich damals, ich glaube über einem Atlas, und träumte mir Reisen +aus. Da klopft es aufgeregt an die Tür, der Boy steht draußen und eines +von den Weibern, beide haben die Augen ganz aufgerissen vor Erstaunen. +Sie machen große Gebärden: eine Dame sei hier, eine Lady, eine weiße +Frau. + +Ich fahre auf. Ich habe keinen Wagen kommen gehört, kein Automobil. Eine +weiße Frau hier in dieser Wildnis? + +Ich will die Treppe hinab, reiße mich aber noch zurück. Ein Blick in den +Spiegel, hastig richte ich mich ein wenig zurecht. Ich bin nervös, +unruhig, irgendwie gequält von unangenehmem Vorgefühl, denn ich weiß +niemanden auf der Welt, der aus Freundschaft zu mir käme. Endlich gehe +ich hinunter. + +Im Vorraum wartet die Dame und kommt mir hastig entgegen. Ein dicker +Automobilschleier verhüllt ihr Gesicht. Ich will sie begrüßen, aber sie +fängt mir rasch das Wort ab. »Guten Tag, Doktor,« sagte sie auf englisch +in einer fließenden (etwas zu leicht fließenden und wie im voraus +eingelernten) Art. »Verzeihen Sie, daß ich Sie überfalle. Aber wir waren +gerade in der Station, unser Auto hält drüben« -- warum fährt sie nicht +bis vors Haus, schießt es mir blitzschnell durch den Kopf -- »da +erinnerte ich mich, daß Sie hier wohnen. Ich habe schon so viel von +Ihnen gehört, Sie haben ja eine wirkliche Zauberei mit dem +Vizeresidenten gemacht, sein Bein ist wieder tadellos _allright_, er +spielt Golf wie früher. Ah, ja, alles spricht noch davon drunten bei +uns, und wir wollten alle unseren brummigen Surgeon und noch die zwei +andern hergeben, wenn Sie zu uns kämen. Überhaupt, warum sieht man Sie +nie drunten, Sie leben ja wie ein Joghi ...« + +Und so plappert sie weiter, hastig und immer hastiger, ohne mich zu +Worte kommen zu lassen. Etwas Nervöses und Fahriges ist in diesem +talkigen Geschwätz, und ich werde selbst unruhig davon. Warum spricht +sie soviel, frage ich mich innerlich, warum stellt sie sich nicht vor, +warum nimmt sie den Schleier nicht ab? Hat sie Fieber? Ist sie krank? +Ist sie toll? Ich werde immer nervöser, weil ich die Lächerlichkeit +empfinde, so stumm vor ihr zu stehen, übergossen von ihrer prasselnden +Geschwätzigkeit. Endlich stoppt sie ein wenig, und ich kann sie +hinaufbitten. Sie macht dem Boy eine Bewegung, zurückzubleiben, und geht +vor mir die Treppe empor. + +»Nett haben Sie es hier,« sagt sie, in meinem Zimmer sich umsehend. »Ah, +die schönen Bücher! die möchte ich alle lesen!« Sie tritt an das Regal +und mustert die Büchertitel. Zum erstenmal, seit ich ihr +entgegengetreten, schweigt sie für eine Minute. + +»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?« fragte ich. + +Sie wendet sich nicht um und sieht nur auf die Büchertitel. »Nein, +danke, Doktor ... wir müssen gleich wieder weiter ...: ich habe nicht +viel Zeit ... war ja nur ein kleiner Ausflug ... Ach, da haben Sie auch +den Flaubert, den liebe ich so sehr ... wundervoll, ganz wundervoll, die +>_Education sentimentale_< ... ich sehe, Sie lesen auch französisch ... +Was Sie alles können! ... ja, die Deutschen, die lernen alles auf der +Schule ... Wirklich großartig, so viel Sprachen zu können! ... Der +Vizeresident schwört auf Sie, sagt immer, Sie seien der einzige, dem er +unter das Messer ginge ... unser guter Surgeon drüben taugt gerade zum +Bridgespiel ... Übrigens wissen Sie -- (sie wendete sich noch immer +nicht um) heute kams mir selbst in den Sinn, ich sollte Sie einmal +konsultieren ... und weil wir eben vorüberfuhren, dachte ich ... nun, +Sie haben jetzt wohl zu tun ... ich komme lieber ein andermal.« + +»Deckst du endlich die Karten auf!« dachte ich mir sofort. Aber ich ließ +nichts merken, sondern versicherte ihr, es würde mir nur eine Ehre sein, +jetzt und wann immer sie wolle, ihr zu dienen. + +»Es ist nichts Ernstes,« sagte sie, sich halb umwendend und gleichzeitig +in einem Buch blätternd, das sie vom Regal genommen hatte, »nichts +Ernstes ... Kleinigkeiten ... Weibersachen ... Schwindel, Ohnmachten. +Heute früh schlug ich, als wir eine Kurve machten, plötzlich hin, _raide +morte_ ... der Boy mußte mich aufrichten im Auto und Wasser holen ... +nun, vielleicht ist der Chauffeur zu rasch gefahren ... meinen Sie +nicht, Doktor?« + +»Ich kann das so nicht beurteilen. Haben Sie öfter derlei Ohnmachten?« + +»Nein ..., das heißt ja ... in der letzten Zeit ... gerade in der +allerletzten Zeit ... ja ... solche Ohnmachten und Übelkeiten.« + +Sie steht schon wieder vor dem Bücherschrank, tut das Buch hinein, nimmt +ein anderes heraus und blättert darin. Merkwürdig, warum blättert sie +immer so ... so nervös, warum schaut sie unter dem Schleier nicht auf? +Ich sage mit Absicht nichts. Es reizt mich, sie warten zu lassen. +Endlich fängt sie wieder an in ihrer nonchalanten, plapperigen Art. + +»Nicht wahr, Doktor, nichts Bedenkliches das? Keine Tropensache ... +nichts Gefährliches ...« + +»Ich müßte erst sehen, ob Sie Fieber haben. Darf ich um Ihren Puls +bitten ...« + +Ich gehe auf sie zu. Sie weicht leicht zur Seite. + +»Nein, nein, ich habe kein Fieber ... gewiß, ganz gewiß nicht ... ich +habe mich selbst gemessen jeden Tag, seit ... seit diese Ohnmachten +kamen. Nie Fieber, immer tadellos 36.4 auf den Strich. Auch mein Magen +ist gesund.« + +Ich zögere einen Augenblick. Die ganze Zeit schon prickelt in mir ein +Argwohn: ich spüre, diese Frau will etwas von mir, man kommt nicht in +eine Wildnis, um über Flaubert zu sprechen. Eine, zwei Minuten lasse ich +sie warten. »Verzeihen Sie,« sage ich dann geradewegs, »darf ich einige +Fragen ganz frei stellen?« + +»Gewiß, Doktor! Sie sind doch Arzt,« antwortet sie, aber schon wendet +sie mir wieder den Rücken und spielt mit den Büchern. + +»Haben Sie Kinder gehabt?« + +»Ja, einen Sohn.« + +»Und haben Sie ... haben Sie vorher ... ich meine damals ... haben Sie +da ähnliche Zustände gehabt?« + +»Ja.« + +Ihre Stimme ist jetzt ganz anders. Ganz klar, ganz bestimmt, gar nicht +mehr plapprig, gar nicht mehr nervös. + +»Und wäre es möglich, daß Sie ... verzeihen Sie die Frage ... daß Sie +jetzt in einem ähnlichen Zustande sind?« + +»Ja.« + +Wie ein Messer scharf und schneidend läßt sie das Wort fallen. In ihrem +abgewandten Kopf zuckt nicht eine Linie. + +»Vielleicht wäre es da am besten, gnädige Frau, ich nehme eine +allgemeine Untersuchung vor ... darf ich Sie vielleicht bitten, sich ... +sich in das andere Zimmer hinüber zu bemühen?« + +Da wendet sie sich plötzlich um. Durch den Schleier fühle ich einen +kalten, entschlossenen Blick mir gerade entgegen. + +»Nein ... das ist nicht nötig ... ich habe volle Gewißheit über meinen +Zustand.«« + + * * * * * + +Die Stimme zögert einen Augenblick. Wieder blinkert im Dunkel das +gefüllte Glas. + +»Also hören Sie ... aber versuchen Sie zuerst einen Augenblick sich das +zu überdenken. Da drängt sich zu einem, der in seiner Einsamkeit +vergeht, eine Frau herein, die erste weiße Frau betritt seit Jahren das +Zimmer ... und plötzlich spüre ichs, es ist etwas Böses im Zimmer, eine +Gefahr. Irgendwie überliefs mich: mir graute vor der stählernen +Entschlossenheit dieses Weibes, die da mit plapprigen Reden +hereingekommen war und dann mit einemmal ihre Forderung zückt, wie ein +Messer. Denn was sie von mir wollte, wußte ich ja, wußte ich sofort -- +es war nicht das erstemal, daß Frauen so etwas von mir verlangten, aber +sie kamen anders, kamen verschämt oder flehend, kamen mit Tränen und +Beschwörungen. Hier aber war eine ... ja, eine stählerne, eine männliche +Entschlossenheit ... von der ersten Sekunde spürte ichs, daß diese Frau +stärker war als ich ... daß sie mich in ihren Willen zwingen konnte, wie +sie wollte ... Aber ... aber ... es war auch etwas Böses in mir ... der +Mann, der sich wehrte, irgendeine Erbitterung, denn ... ich sagte es ja +schon ... von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand +ich diese Frau als Feind. + +Ich schwieg zunächst. Schwieg hartnäckig und erbittert. Ich spürte, daß +sie mich unter dem Schleier ansah -- gerade und fordernd ansah, daß sie +mich zwingen wollte zu sprechen. Aber ich gab nicht so leicht nach. Ich +begann zu sprechen, aber ... ausweichend ... ja unbewußt ahmte ich ihre +plapprige, gleichgültige Art nach. Ich tat, als ob ich sie nicht +verstünde, denn -- ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können -- ich +wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbieten, +sondern ... gebeten sein ... gerade von ihr, weil sie so herrisch kam +... und weil ich wußte, daß ich bei Frauen nichts so unterliege als +dieser hochmütigen kalten Art. + +Ich redete also herum, dies sei ganz unbedenklich, solche Ohnmachten +gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verbürgten +beinahe eine gute Entwicklung. Ich zitierte Fälle aus den klinischen +Zeitungen ... ich sprach, ich sprach, lässig und leicht, immer die +Angelegenheit ganz wie eine Banalität betrachtend und ... und wartete +immer, daß sie mich unterbrechen würde. Denn ich wußte, sie würde es +nicht ertragen. + +Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam +das ganze beruhigende Gerede wegstreifend. + +»Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich +meinen Buben bekam, war ich in besserer Verfassung ... aber jetzt bin +ich nicht mehr allright ... ich habe Herzzustände ...« + +»Ach, Herzzustände,« wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, »da will ich +doch gleich nachsehen.« Und ich machte eine Bewegung, als ob ich +aufstehen und das Hörrohr holen wollte. + +Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und +bestimmt -- wie am Kommandoplatz. + +»Ich _habe_ Herzzustände, Doktor, und ich muß Sie bitten, zu glauben, +was ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen +verlieren -- Sie könnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen +entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug +bezeugt.« + +Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung. Und ich nahm sie an. + +»Zum Vertrauen gehört Offenheit, rückhaltlose Offenheit. Reden Sie klar, +ich bin Arzt. Und vor allem nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich +her, lassen Sie die Bücher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im +Schleier.« + +Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zögerte sie. Dann +setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz +so wie ich es -- gefürchtet hatte, ein undurchdringliches Gesicht, hart, +beherrscht, von einer alterslosen Schönheit, ein Gesicht mit grauen +englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch +alles Leidenschaftliche träumen konnte. Dieser schmale, verpreßte Mund +gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir +einander an -- sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten, +stählernen Grausamkeit, daß ich es nicht ertrug und unwillkürlich zur +Seite blickte. + +Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch. Also auch in ihr war +Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: + +»Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?« + +»Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie +wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten ... Sie wollen, daß ich Sie von +Ihrer Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich ... indem ich die +Ursache beseitige. Ist es das?« + +»Ja.« + +Wie ein Fallbeil zuckte das Wort. + +»Wissen Sie auch, daß solche Versuche gefährlich sind ... für beide +Teile ...?« + +»Ja.« + +»Daß es gesetzlich mir untersagt ist?« + +»Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt, sondern sogar geboten +ist.« + +»Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.« + +»So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.« + +Klar, starr, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war +ein Befehl, und ich Schwächling bebte in Bewunderung vor der dämonischen +Herrischkeit ihres Willens. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht +zeigen, daß ich schon zertreten war. -- »Nur nicht zu rasch! Umstände +machen! Sie zur Bitte zwingen,« funkelte in mir irgendein Gelüst. + +»Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit +einem Kollegen im Krankenhaus ...« + +»Ich will Ihren Kollegen nicht ... ich bin zu Ihnen gekommen.« + +»Darf ich fragen, warum gerade zu mir?« + +Sie sah mich kalt an. + +»Ich habe kein Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, +weil Sie mich nicht kennen -- weil Sie ein guter Arzt sind, und weil Sie +...« jetzt zögerte sie zum ersten Male -- »wohl nicht mehr lange in +dieser Gegend bleiben werden, besonders wenn Sie ... wenn Sie eine +größere Summe nach Hause bringen können.« + +Mich überliefs kalt. Diese eherne, diese Merchant-, diese +Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre +Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan -- aber alles längst auskalkuliert, +mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische +ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte mich mit all meiner +Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich sachlich -- ja fast ironisch zu +sein. + +»Und diese größere Summe würden Sie ... würden Sie mir zur Verfügung +stellen?« + +»Für Ihre Hilfe und sofortige Abreise.« + +»Wissen Sie, daß ich dadurch meine Pension verliere?« + +»Ich werde sie Ihnen entschädigen.« + +»Sie sind sehr deutlich ... Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche +Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?« + +»Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.« + +Ich ... zitterte ... ich zitterte vor Zorn und ... ja auch vor +Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der +Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich +eingeschätzt und gekauft, ohne mich zu kennen, hatte über mich verfügt +im Vorgefühl ihres Willens. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht +geschlagen ... Aber wie ich zitternd aufstand -- auch sie war +aufgestanden -- und ihr gerade Auge in Auge starrte, da überkam mich +plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht +bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte ... eine +... eine Art gewalttätiger Gier. Sie mußte irgend etwas davon fühlen, +denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch, wie wenn man jemand Lästigen +wegweisen will: der Haß zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wußte, sie +haßte mich, weil sie mich brauchte, und ich haßte sie, weil ... weil sie +nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen +wir zum erstenmal ganz aufrichtig zueinander. Dann biß sich plötzlich +wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr ... ich sagte ihr +... + +Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat ... was +ich sagte ... ich muß Ihnen erst erklären, wie ... wieso dieser +wahnsinnige Gedanke in mich kam ...« + + * * * * * + +Wieder klirrte leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter. + +»Nicht daß ich mich entschuldigen will, mich rechtfertigen, mich +reinwaschen ... Aber Sie verstehen es sonst nicht ... Ich weiß nicht, ob +ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber ... ich glaube, +hilfreich war ich immer ... In dem dreckigen Leben da drüben war das ja +die einzige Freude, die man hatte, mit der Handvoll Wissenschaft, die +man sich ins Hirn gepreßt, irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu +können ... so eine Art Herrgottsfreude ... Wirklich, es waren meine +schönsten Augenblicke, wenn so ein gelber Bursch kam, blauweiß vor +Schrecken, einen Schlangenbiß im hochgeschwollenen Fuß, und schon +heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es +noch fertig, ihn zu retten. Stundenweit bin ich gefahren, wenn irgendein +Weib im Fieber lag -- auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, +schon in Europa drüben an der Klinik. Aber da spürte mans wenigstens, +daß dieser Mensch einen _brauchte_, da wußte mans, daß man jemand vom +Tode rettete oder vor der Verzweiflung -- und das braucht man eben +selbst zum Helfen, dies Gefühl, daß der andere einen braucht. + +Aber diese Frau -- ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schildern kann -- sie +regte mich auf, reizte mich von dem Augenblick, da sie scheinbar +promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut zu einem Widerstand, sie +reizte alles -- wie soll ichs sagen ... sie reizte alles Gedrückte, +alles Versteckte, alles Böse in mir zur Gegenwehr. Daß sie Lady spielte, +unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das +machte mich toll ... Und dann ... dann ... schließlich wird man doch +nicht schwanger vom Golfspielen ... ich wußte ... das heißt, ich mußte +plötzlich mit einer -- und das war jener Gedanke -- mit einer +entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, daß diese Kühle, diese +Hochmütige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen über ihre stählernen +Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend ... ja fast wegstoßend +anblickte, daß die sich zwei oder drei Monate vorher heiß im Bett mit +einem Mann gewälzt hatte, nackt wie ein Tier und vielleicht stöhnend vor +Lust, die Körper ineinander verbissen wie zwei Lippen ... Das, das war +der brennende Gedanke, der mich überfiel, als sie mich so hochmütig, so +unnahbar kühl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte ... und da, da +spannte sich alles in mir ... ich war besessen von der Idee, sie zu +erniedrigen ... von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren Körper +nackt ... von dieser Sekunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu +besitzen, ein Stöhnen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, +diese Hochmütige in Wollust zu fühlen so wie jener, jener andere, den +ich nicht kannte. Das ... das wollte ich Ihnen erklären ... Ich habe +nie, so verkommen ich war, sonst als Arzt die Situation zu nutzen +gesucht ... Aber diesmal war es ja nicht Geilheit, nicht Brunst, nichts +Sexuelles, wahrhaftig nicht ... ich würde es ja eingestehen ... nur die +Gier, eines Hochmuts Herr zu werden ... Herr als Mann ... Ich sagte es +Ihnen, glaube ich, schon, daß hochmütige, scheinbar kühle Frauen von je +über mich Macht hatten ... aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, daß ich +sieben Jahre hier lebte, ohne eine weiße Frau gehabt zu haben, daß ich +Widerstand nicht kannte ... Denn diese Mädchen hier, diese zwitschernden +kleinen zierlichen Tierchen, die zittern ja vor Ehrfurcht, wenn ein +Weißer, ein »Herr«, sie nimmt ... sie löschen aus in Demut, immer sind +sie einem offen, immer bereit, mit ihrem leisen, glucksenden Lachen +einem zu dienen ... aber gerade diese Unterwürfigkeit, dieses Sklavische +verschweint einem den Genuß ... Verstehen Sie jetzt, verstehen Sie es, +wie das dann auf mich hinschmetternd wirkte, wenn da plötzlich eine Frau +kam, voll von Hochmut und Haß, verschlossen bis an die Fingerspitzen, +zugleich funkelnd von Geheimnis und beladen mit früherer Leidenschaft +... wenn eine solche Frau in den Käfig eines solchen Mannes, einer so +vereinsamten, verhungerten, abgesperrten Menschenbestie frech eintritt +... Das ... das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen ... +das, was jetzt kam. Also ... voll von irgendeiner bösen Gier, vergiftet +von dem Gedanken an sie, nackt, sinnlich, hingegeben, ballte ich mich +gleichsam zusammen und täuschte Gleichgültigkeit vor. Ich sagte kühl: +»Zwölftausend Gulden? ... Nein, dafür werde ich es nicht tun.« + +Sie sah mich an, ein wenig blaß. Sie spürte wohl schon, daß in diesem +Widerstand nicht Geldgier war. Aber doch sagte sie: + +»Was verlangen Sie also?« + +Ich ging auf den kühlen Ton nicht mehr ein. »Spielen wir mit offenen +Karten. Ich bin kein Geschäftsmann ... ich bin nicht der arme Apotheker +aus Romeo und Julia, der für >_corrupted gold_< sein Gift verkauft ... +ich bin vielleicht das Gegenteil eines Geschäftsmannes ... auf diesem +Wege werden Sie Ihren Wunsch nicht erfüllt sehen.« + +»Sie wollen es also nicht tun?« + +»Nicht für Geld.« + +Es wurde ganz still für eine Sekunde zwischen uns. So still, daß ich sie +zum erstenmal atmen hörte. + +»Was können Sie denn sonst wünschen?« + +Jetzt hielt ich mich nicht mehr. + +»Ich wünsche zuerst, daß Sie ... daß Sie zu mir nicht wie zu einem +Krämer reden, sondern wie zu einem Menschen. Daß Sie, wenn Sie Hilfe +brauchen, nicht ... nicht gleich mit Ihrem schändlichen Geld kommen ... +sondern bitten ... mich, den Menschen, bitten, Ihnen, dem Menschen, zu +helfen ... Ich bin nicht nur Arzt, ich habe nicht nur Sprechstunden ... +ich habe auch andere Stunden ... vielleicht sind Sie in eine solche +Stunde gekommen ...« + +Sie schweigt einen Augenblick. Dann krümmt sich ihr Mund ganz leicht, +zittert und sagt rasch: + +»Also wenn ich Sie bitten würde ... dann würden Sie es tun?« + +»Sie wollen schon wieder ein Geschäft machen -- Sie wollen nur bitten, +wenn ich erst verspreche. Erst müssen Sie mich bitten -- dann werde ich +Ihnen antworten.« + +Sie wirft den Kopf hoch wie ein trotziges Pferd. Zornig sieht sie mich +an. + +»Nein, -- ich werde Sie nicht bitten. Lieber zugrunde gehen!« + +Da packt mich der Zorn, der rote, sinnlose Zorn. + +»Dann werde ich fordern, wenn Sie nicht bitten wollen. Ich glaube, ich +muß nicht erst deutlich sein -- Sie wissen, was ich von Ihnen begehre. +Dann -- dann werde ich Ihnen helfen.« + +Einen Augenblick starrte sie mich an. Dann -- o ich kann, ich kann nicht +sagen, wie entsetzlich das war -- dann spannten sich ihre Züge, und dann +... dann _lachte_ sie mit einem Male ... lachte sie mir mit einer +unsagbaren Verächtlichkeit ins Gesicht ... mit einer Verächtlichkeit, +die mich zerstäubte ... und die mich berauschte zugleich ... Es war wie +eine Explosion, so plötzlich, so aufspringend, so mächtig losgesprengt +von einer ungeheuren Kraft dieses Lachen der Verächtlichkeit, daß ich +... ja daß ich hätte zu Boden sinken können und ihr die Füße küssen. +Eine Sekunde dauerte es nur ... es war wie ein Blitz, und ich hatte das +Feuer im ganzen Körper ... da wandte sie sich schon und ging hastig auf +die Tür zu. + +Unwillkürlich wollte ich ihr nach ... mich entschuldigen ... sie +anflehen ... meine Kraft war ja ganz zerbrochen ... da kehrte sie sich +noch einmal um und sagte ... nein, sie _befahl_: + +»Unterstehen Sie sich nicht mir zu folgen oder nachzuspüren ... Sie +würden es bereuen.« + +Und schon krachte hinter ihr die Türe zu.« + + * * * * * + +Wieder ein Zögern. Wieder ein Schweigen ... Wieder nur dies Rauschen, +als ob das Mondlicht strömte. Und dann endlich wieder die Stimme. + +»Die Tür schlug zu ... aber ich stand unbeweglich an der Stelle ... ich +war gleichsam hypnotisiert von dem Befehl ... ich hörte sie die Treppe +hinabsteigen, die Haustür zumachen ... ich hörte alles, und mein ganzer +Wille drängte ihr nach ... sie ... ich weiß nicht was ... sie +zurückzurufen, oder zu schlagen oder zu erdrosseln ... aber ihr nach ... +ihr nach ... Und doch konnte ich nicht. Meine Glieder waren gleichsam +gelähmt wie von einem elektrischen Schlag ... ich war eben getroffen, +getroffen bis ins Mark hinein von dem herrischen Blitz dieses Blickes +... Ich weiß, das ist nicht zu erklären, nicht zu erzählen ... es mag +lächerlich klingen, aber ich stand und stand ... ich brauchte Minuten, +vielleicht fünf, vielleicht zehn Minuten, ehe ich einen Fuß wegreißen +konnte von der Erde ... + +Aber kaum daß ich einen Fuß gerührt, war ich schon heiß, war ich schon +rasch ... im Nu eilte ich die Treppe hinab ... Sie konnte ja nur die +Straße hinabgegangen sein zur Zivilstation ... ich stürze in den +Schuppen, das Rad zu holen, sehe, daß ich den Schlüssel vergessen habe, +reiße den Verschlag auf, daß der Bambus splittert und kracht ... und +schon schwinge ich mich auf das Rad und sause ihr nach ... ich muß sie +... ich muß sie erreichen, ehe sie zu ihrem Automobil gelangt ... ich +muß sie sprechen ... + +Die Straße staubt an mir vorbei ... jetzt merke ich erst, wie lange ich +oben starr gestanden haben mußte ... da ... auf der Kurve im Wald knapp +vor der Station sehe ich sie, wie sie hastig mit steifem geradem Schritt +hineilt, begleitet von dem Boy ... Aber auch sie muß mich gesehen haben, +denn sie spricht jetzt mit dem Boy, der zurückbleibt, und geht allein +weiter ... Was will sie tun? Warum will sie allein sein? ... Will sie +mit mir sprechen, ohne daß er es hört? ... Blindwütig trete ich in die +Pedale hinein ... Da springt mir plötzlich quer von der Seite etwas über +den Weg ... der Boy ... ich kann gerade noch das Rad zur Seite reißen +und krache hin ... + +Ich stehe fluchend auf ... unwillkürlich hebe ich die Faust, um dem +Tölpel eins hinzuknallen, aber er springt zur Seite ... Ich rüttle mein +Fahrrad hoch, um wieder aufzusteigen ... Aber da springt der Halunke +vor, faßt das Rad und sagt in seinem erbärmlichen Englisch: »_You remain +here._« + +Sie haben nicht in den Tropen gelebt ... Sie wissen nicht, was das für +eine Frechheit ist, wenn ein solcher gelber Halunke einem weißen >Herrn< +das Rad faßt und ihm, dem >Herrn<, befiehlt, dazubleiben. Statt aller +Antwort schlage ich ihm die Faust ins Gesicht ... er taumelt, aber er +hält das Rad fest ... seine Augen, seine engen, feigen Augen sind weit +aufgerissen in sklavischer Angst ... aber er hält die Stange, hält sie +teuflisch fest ... »_You remain here_,« stammelt er noch einmal. Zum +Glück hatte ich keinen Revolver bei mir. Ich hätte ihn sonst +niedergeknallt. »Weg, Kanaille!« sage ich nur. Er starrt mich geduckt +an, läßt aber die Stange nicht los. Ich schlage ihm noch einmal auf den +Schädel, er läßt noch immer nicht. Da faßt mich die Wut ... ich sehe, +daß sie schon fort, vielleicht schon entkommen ist ... und versetzte ihm +einen regelrechten Boxerschlag unters Kinn, daß er hinwirbelt. Jetzt +habe ich wieder mein Rad ... aber wie ich aufspringe, stockt der Lauf +... bei dem gewaltsamen Zerren hat sich die Speiche verbogen ... Ich +versuche mit fiebernden Händen sie geradezudrehen ... Es geht nicht ... +so schmeiße ich das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der +blutend aufsteht und zur Seite weicht ... Und dann -- nein, Sie können +nicht fühlen, wie lächerlich das dort vor allen Menschen ist, wenn ein +Europäer ... nun, ich wußte nicht mehr, was ich tat ... ich hatte nur +den einen Gedanken: ihr nach, sie erreichen ... und so _lief_ ich, lief +wie ein Rasender die Landstraße entlang vorbei an den Hütten, wo das +gelbe Gesindel staunend sich vordrängte, einen weißen Mann, den Doktor, +_laufen_ zu sehen. + +Schweißtriefend kam ich in der Station an ... Meine erste Frage: Wo ist +das Auto? ... Eben weggefahren ... Verwundert sehen mich die Leute an: +als Rasender muß ich ihnen erscheinen, wie ich da naß und schmierig +ankam, die Frage voranschreiend, ehe ich noch stand ... Unten an der +Straße sehe ich weiß den Qualm des Autos wirbeln ... es ist ihr gelungen +... gelungen wie alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen +muß. + +Aber die Flucht hilft ihr nichts ... In den Tropen gibt es kein +Geheimnis unter den Europäern ... einer kennt den andern, alles wird zum +Ereignis ... Nicht umsonst ist ihr Chauffeur eine Stunde im Bungalow der +Regierung gestanden ... in einigen Minuten weiß ich alles ... Weiß, wer +sie ist ... daß sie unten in -- nun in der Regierungsstadt wohnt, acht +Eisenbahnstunden von hier ... daß sie -- nun sagen wir, die Frau eines +Großkaufmannes ist, rasend reich, vornehm, eine Engländerin ... ich +weiß, daß ihr Mann jetzt fünf Monate in Amerika war und nächster Tage +eintreffen soll, um sie mit nach Europa zu nehmen ... + +Sie aber -- und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein +-- sie kann höchstens zwei oder drei Monate in andern Umständen sein +...« + + * * * * * + +»Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen ... vielleicht +nur deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst +verstand ... mir als Arzt immer die Diagnose meines Zustands selbst +stellte. Aber von da an begann es wie ein Fieber in mir ... ich verlor +die Kontrolle über mich ... das heißt, ich wußte genau, wie sinnlos +alles war, was ich tat; aber ich hatte keine Macht mehr über mich ... +ich verstand mich selbst nicht mehr ... ich lief nur in der Besessenheit +meines Ziels vorwärts ... Übrigens warten Sie ... vielleicht kann ich es +Ihnen doch begreiflich machen ... Wissen Sie, was Amok ist?« + +»Amok? ... ich glaube mich zu erinnern ... Eine Art Trunkenheit bei den +Malaien ...« + +»Es ist mehr als Trunkenheit ... es ist Tollheit, eine Art menschlicher +Hundswut ... ein Anfall mörderischer, sinnloser Monomanie, der sich mit +keiner andern alkoholischen Vergiftung vergleichen läßt ... ich habe +selbst während meines Aufenthaltes einige Fälle studiert -- für andere +ist man ja immer sehr klug und sehr sachlich -- ohne aber je das +furchtbare Geheimnis ihres Ursprungs freilegen zu können ... Irgendwie +hängt es mit dem Klima zusammen, mit dieser schwülen, geballten +Atmosphäre, die auf die Nerven wie ein Gewitter drückt, bis sie einmal +losspringen ... Also Amok ... ja, Amok, das ist so: Ein Malaie, +irgendein ganz einfacher, ganz gutmütiger Mensch, trinkt sein Gebräu in +sich hinein ... er sitzt da, stumpf, gleichgültig, matt ... so wie ich +in meinem Zimmer saß ... und plötzlich springt er auf, faßt den Dolch +und rennt auf die Straße ... rennt geradeaus, immer nur geradeaus ... +ohne zu wissen wohin ... Was ihm in den Weg tritt, Mensch oder Tier, das +stößt er nieder mit seinem Kris, und der Blutrausch macht ihn nur noch +hitziger ... Schaum tritt dem Laufenden vor die Lippen, er heult wie ein +Rasender ... aber er rennt, rennt, rennt, sieht nicht mehr nach rechts, +sieht nicht nach links, rennt nur mit seinem gellen Schrei, seinem +blutigen Kris in dieses entsetzliche Geradeaus ... Die Leute in den +Dörfern wissen, daß keine Macht einen Amokläufer aufhalten kann ... so +brüllen sie warnend voraus, wenn er kommt: »Amok! Amok!«, und alles +flüchtet ... er aber rennt, ohne zu hören, rennt, ohne zu sehen, stößt +nieder, was ihm begegnet ... bis man ihn totschießt wie einen tollen +Hund oder er selbst schäumend zusammenbricht ... + +Einmal habe ich das gesehen, vom Fenster meines Bungalow aus ... es war +grauenhaft ... aber nur dadurch, daß ichs gesehen habe, begreife ich +mich selbst in jenen Tagen ... denn so, genau so, mit diesem furchtbaren +Blick geradeaus, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit dieser +Besessenheit stürmte ich los ... dieser Frau nach ... Ich weiß nicht +mehr, wie ich alles tat, in so rasendem Lauf, in so unsinniger +Geschwindigkeit flog es vorbei ... Zehn Minuten, nein, fünf, nein zwei +... nachdem ich alles von dieser Frau wußte, ihren Namen, ihr Haus, ihr +Schicksal, jagte ich schon auf einem rasch geborgten Rad in mein Haus +zurück, warf einen Anzug in den Koffer, steckte Geld zu mir und fuhr zur +Station der Eisenbahn mit einem Wagen ... fuhr, ohne mich abzumelden +beim Distriktsbeamten ... ohne einen Vertreter zu ernennen, ließ das +Haus offen stehen und liegen wie es war ... Um mich standen Diener, die +Weiber staunten und fragten, ich antwortete nicht, wandte mich nicht um +... fuhr zur Eisenbahn und mit dem nächsten Zug hinab in die Stadt ... +Eine Stunde im ganzen, nachdem diese Frau in mein Zimmer getreten, hatte +ich meine Existenz hinter mich geworfen und rannte Amok ins Leere hinein +... + +Geradeaus rannte ich, mit dem Kopf gegen die Wand ... um sechs Uhr +abends war ich angekommen ... um sechs Uhr zehn war ich in ihrem Haus +und ließ mich melden ... Es war ... Sie werden es verstehen ... das +Sinnloseste, das Stupideste, was ich tun konnte ... aber der Amokläufer +rennt ja mit leeren Augen, er sieht nicht, wohin er rennt ... Nach +einigen Minuten kam der Diener zurück ... höflich und kühl ... die +gnädige Frau sei nicht wohl und könne nicht empfangen ... + +Ich taumelte die Türe hinaus ... Eine Stunde schlich ich noch um das +Haus herum, besessen von der wahnwitzigen Hoffnung, sie würde vielleicht +nach mir suchen ... dann nahm ich mir erst ein Zimmer im Strandhotel und +zwei Flaschen Whisky auf das Zimmer ... die und eine doppelte Dosis +Veronal halfen mir ... ich schlief endlich ein ... und dieser dumpfe, +schlammige Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Leben +und Tod.« + + * * * * * + +Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schläge, die noch im weichen +Teich der fast reglosen Luft zitternd weiterschwangen und dann verebbten +in das leise, unaufhörliche Rauschen, das unter dem Kiele und zwischen +der leidenschaftlichen Rede beharrlich mitlief. Der Mensch im Dunkeln +mir gegenüber mußte erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. +Wieder hörte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise +Glucksen. Dann begann er, gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme. + +»Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erzählen. Ich +glaube heute, daß ich damals Fieber hatte, jedenfalls war ich in einer +Art Überreiztheit, die an Tollheit grenzte -- ein Amokläufer, wie ich +Ihnen sagte. Aber vergessen Sie nicht, es war Dienstag nachts, als ich +ankam, Samstag aber sollte -- dies hatte ich inzwischen erfahren -- ihr +Gatte mit dem P. & O.-Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also +nur drei Tage, drei knappe Tage für den Entschluß und für die Hilfe. +Verstehen Sie das: ich wußte, daß ich ihr sofort helfen mußte, und +konnte doch kein Wort zu ihr sprechen. Und gerade dieses Bedürfnis, mein +lächerliches, mein tollwütiges Benehmen zu entschuldigen, das hetzte +mich weiter. Ich wußte um die Kostbarkeit jedes Augenblickes, ich wußte, +daß es für sie um Leben und Tod ginge, und hatte doch keine Möglichkeit, +mich nur mit einem Flüstern, mit einem Zeichen ihr zu nähern, denn +gerade das Stürmische, das Tölpische meines Nachrennens hatte sie +erschreckt. Es war ... ja, warten Sie ... es war, wie wenn einer einem +nachrennt, um ihn zu warnen vor einem Mörder, und der andere hält ihn +selbst für den Mörder, und so rennt er weiter in sein Verderben ... sie +sah nur den Amokläufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu demütigen, +aber ich ... das war ja der entsetzliche Widersinn ... ich dachte gar +nicht mehr an das ... ich war ja schon ganz vernichtet, ich wollte ihr +nur helfen, ihr nur dienen ... einen Mord hätte ich getan, ein +Verbrechen, um ihr zu helfen ... Aber sie, sie verstand es nicht. Als +ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu ihrem Haus, stand der +Boy vor der Tür, derselbe Boy, den ich ins Gesicht geschlagen, und wie +er mich von ferne sah -- er mußte auf mich gewartet haben --, huschte er +hinein in die Tür. Vielleicht tat er es nur, um mich im geheimen +anzumelden ... vielleicht ... ah, diese Ungewißheit, wie peinigt sie +mich jetzt ... vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen ... +aber da, wie ich ihn sah, mich erinnerte an meine Schmach, da war ich es +wieder, der nicht wagte, noch einmal den Besuch zu wiederholen ... Die +Knie zitterten mir. Knapp vor der Schwelle drehte ich mich um und ging +wieder fort ... ging fort, während sie vielleicht in ähnlicher Qual auf +mich wartete. + +Ich wußte jetzt nicht mehr, was tun in der fremden Stadt, die an meinen +Fersen wie Feuer glühte ... Plötzlich fiel mir etwas ein, schon rief ich +einen Wagen und fuhr zum Vizeresidenten, zu demselben, dem ich damals in +meiner Station geholfen, und ließ mich melden ... Irgend etwas muß schon +in meinem äußern Wesen befremdend gewesen sein, denn er sah mich mit +einem gleichsam erschreckten Blick an, und seine Höflichkeit hatte etwas +Beunruhigtes ... vielleicht erkannte er schon den Amokläufer in mir ... +Ich sagte ihm kurz entschlossen, ich erbäte meine Versetzung in die +Stadt, ich könne auf meinem Posten nicht mehr länger existieren ... ich +müsse sofort übersiedeln ... Er sah mich ... ich kann Ihnen nicht sagen, +wie er mich ansah ... so wie eben ein Arzt einen Kranken ansieht ... +»Ein Nervenzusammenbruch, lieber Doktor,« sagte er dann, »ich verstehe +das nur zu gut. Nun, es wird sich schon richten lassen; aber warten Sie +... sagen wir vier Wochen ... ich muß erst einen Ersatz finden.« »Ich +kann nicht warten, nicht einen Tag,« antwortete ich. Wieder kam dieser +merkwürdige Blick. »Es muß gehen, Doktor,« sagte er ernst, »wir dürfen +die Station nicht ohne Arzt lassen. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich +noch heute alles einleite.« Ich blieb stehen, mit verbissenen Zähnen: +zum erstenmal spürte ich deutlich, daß ich ein verkaufter Mensch, ein +Sklave sei. Schon ballte sich alles zu einem Trotz zusammen, aber er, +der Geschmeidige, kam mir zuvor: »Sie sind menschenentwöhnt, Doktor, und +das wird schließlich eine Krankheit. Wir haben uns alle gewundert, daß +Sie nie herkamen, nie Urlaub nahmen. Sie brauchen mehr Geselligkeit, +mehr Anregung. Kommen Sie doch wenigstens diesen Abend, wir haben heute +Empfang bei der Regierung, Sie finden die ganze Kolonie, und manche +mochten Sie längst kennen lernen, haben oft nach Ihnen gefragt und Sie +hierhergewünscht.« + +Das letzte Wort riß mich auf. Nach mir gefragt? Sollte sie es gewesen +sein? Ich war plötzlich ein anderer: sofort dankte ich ihm höflichst für +seine Einladung und sicherte mein Kommen pünktlich zu. Und ich war auch +pünktlich, viel zu pünktlich. Muß ich Ihnen erst sagen, daß ich, von +meiner Ungeduld gejagt, der erste in dem großen Saale des +Regierungsgebäudes war, schweigend umgeben von den gelben Dienern, die +mit ihren nackten Sohlen wippend hin und her eilten und mich -- wie mir +in meinem verwirrten Bewußtsein dünkte -- hinterrücks belächelten. Eine +Viertelstunde war ich der einzige Europäer inmitten all der +geräuschlosen Vorbereitungen und so allein mit mir, daß ich das Ticken +der Uhr in meiner Westentasche hörte. Dann kamen endlich ein paar +Regierungsbeamte mit ihren Familien, schließlich auch der Gouverneur, +der mich in ein längeres Gespräch zog, in dem ich beflissen und, wie ich +glaube, geschickt antwortete, bis ... bis ich plötzlich, von einer +geheimnisvollen Nervosität befallen, alle Geschmeidigkeit verlor und zu +stammeln begann. Obzwar mit dem Rücken gegen die Saaltür gelehnt, spürte +ich mit einem Male, daß sie eingetreten, daß sie anwesend sein müßte: +ich könnte Ihnen nicht sagen, wieso mich diese plötzliche Gewißheit +verwirrend faßte, aber noch während ich mit dem Gouverneur sprach, den +Klang seiner Worte im Ohr, spürte ich im Rücken irgendwo ihre Gegenwart. +Glücklicherweise endete der Gouverneur bald das Gespräch -- ich glaube, +ich hätte mich sonst plötzlich brüsk umgewandt, so stark war dieses +geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven, so brennend gereizt meine +Begier. Und wirklich, kaum daß ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz +genau an jener Stelle, wo sie unbewußt mein Gefühl geahnt. Sie stand in +einem gelben Ballkleid, das ihre schmalen, reinen Schultern wie mattes +Elfenbein vorleuchten ließ, plaudernd inmitten einer Gruppe. Sie +lächelte, aber doch, mir war, als hätte ihr Gesicht einen gespannten +Zug. Ich trat näher -- sie konnte mich nicht sehen oder wollte mich +nicht sehen -- und blickte in dieses Lächeln, das gefällig und höflich +um die schmalen Lippen zitterte. Und dieses Lächeln berauschte mich von +neuem, weil es ... nun weil ich wußte, daß es Lüge war, Kunst oder +Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist heute, fuhr mir +durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem Gatten ... wie kann sie +so lächeln, so ... so sicher, so sorglos lächeln und den Fächer lässig +in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen in Angst? Ich ... +ich, der Fremde ... ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde ... +ich, der Fremde, lebte ihre Angst, ihr Entsetzen mit allen Exzessen des +Gefühls mit ... und sie ging auf den Ball und lächelte, lächelte, +lächelte ... + +Rückwärts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein älterer Offizier +hatte sie aufgefordert, sie ließ mit einer Entschuldigung den +plaudernden Kreis und schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an +mir vorbei. Wie sie mich erblickte, spannte sich plötzlich ihr Gesicht +gewaltsam zusammen -- aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie mir +mit einem höflichen Erkennen (ehe ich mich noch zu grüßen oder +nichtgrüßen entschlossen hatte) wie einem zufälligen Bekannten zu: +»Guten Abend, Doktor« und war schon vorbei. Niemand hätte ahnen können, +was in diesem graugrünen Blick verborgen war, und ich, ich selbst wußte +es nicht. Warum grüßte sie ... warum erkannte sie mich nun mit einmal +an? ... War das Abwehr, war es Annäherung, war es nur die Verlegenheit +der Überraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in welcher Erregtheit +ich zurückblieb, alles war aufgewühlt, war explosiv in mir +zusammengepreßt, und wie ich sie so sah, lässig walzend am Arme des +Offiziers, auf der Stirne den kühlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich +doch wußte, daß sie ... daß sie so wie ich nur _daran_ ... daran dachte +... daß wir zwei hier allein ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten +... und sie walzte ... in diesen Sekunden wurde meine Angst, meine Gier +und meine Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiß nicht, +ob mich jemand beobachtet hat, aber gewiß verriet ich mich in meinem +Verhalten noch viel mehr, als sie sich verbarg -- ich konnte eben nicht +in eine andere Richtung schauen, ich mußte ... ja, ich mußte sie +ansehen, ich sog, ja ich zerrte von ferne an ihrem verschlossenen +Gesicht, ob die Maske nicht für eine Sekunde fallen wollte. Und sie +mußte diesen starren Blick unangenehm empfunden haben. Als sie am Arme +ihres Tänzers zurückschritt, sah sie mich im Blitzlicht einer Sekunde +an, scharf befehlend, wie wegweisend: wieder spannte sich jene kleine +Falte des hochmütigen Zornes, die ich schon von damals kannte, böse über +ihrer Stirn. + +Aber ... aber ... ich sagte es Ihnen ja ... ich lief Amok, ich sah nicht +nach rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort -- dieser +Blick hieß: sei nicht auffällig! bezähme dich! -- ich wußte, daß sie ... +wie soll ich es sagen? ... daß sie Diskretion des Benehmens hier im +offenen Saal von mir wollte ... ich verstand, daß, wenn ich jetzt +heimginge, ich morgen gewiß sein könne, von ihr empfangen zu werden ... +daß sie es nur jetzt, nur jetzt vermeiden wollte, meiner auffälligen +Vertraulichkeit ausgesetzt zu sein, daß sie -- und wie sehr mit Recht -- +von meinem Ungeschick eine Szene fürchtete ... Sie sehen ... ich wußte +alles, ich verstand diesen befehlenden grauen Blick, aber ... aber es +war zu stark in mir, ich mußte sie sprechen. Und so schwankte ich hin zu +der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich -- obwohl ich nur +einige der Anwesenden kannte -- ganz an den lockeren Kreis heran nur aus +Begier, sie sprechen zu hören, und doch immer scheu mich duckend wie ein +geprügelter Hund vor ihrem Blick, wenn er kalt an mir vorbeistreifte, +als sei ich eine der Leinenportieren, an der ich lehnte, oder die Luft, +die sie leicht bewegte. Aber ich stand, durstig nach einem Wort, das sie +zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverständnisses, stand +und stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. +Unbedingt mußte es schon auffällig geworden sein, unbedingt, denn keiner +richtete ein Wort an mich, und sie mußte leiden unter meiner +lächerlichen Gegenwart. + +Wie lange ich so gestanden hätte, ich weiß es nicht ... eine Ewigkeit +vielleicht ... ich _konnte_ ja nicht fort aus dieser Bezauberung des +Willens. Gerade die Hartnäckigkeit meiner Wut lähmte mich ... Aber sie +ertrug es nicht länger ... plötzlich wandte sie sich mit der +prachtvollen Leichtigkeit ihres Wesens gegen die Herren und sagte: »Ich +bin ein wenig müde ... ich will heute einmal früher zu Bett gehen ... +Gute Nacht!« ... und schon streifte sie mit einem gesellschaftlich +fremden Kopfnicken an mir vorbei ... ich sah noch die hochgezogene Falte +auf der Stirn und dann nur mehr den Rücken, den weißen, kühlen, nackten +Rücken. Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, daß sie +fortging ... daß ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen könnte +diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung ... einen Augenblick lang +also stand ich noch starr, bis ichs begriff ... dann ... dann ... + +Aber warten Sie ... warten Sie ... Sie werden sonst das Sinnlose, das +Stupide meiner Tat nicht verstehen ... ich muß Ihnen erst den ganzen +Raum schildern ... Es war der große Saal des Regierungsgebäudes, ganz +von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal ... die Paare +waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel ... nur an den Ecken +plauderten einige Gruppen ... der Saal war also leer, jede Bewegung +auffällig und im grellen Licht sichtbar ... und diesen großen weiten +Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch, ab +und zu einen Gruß mit ihrer unbeschreiblichen Haltung erwidernd ... mit +dieser herrlichen erfrorenen hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so +entzückte ... Ich ... ich war zurückgeblieben, ich sagte es Ihnen ja, +ich war gleichsam gelähmt, bevor ich es begriff, daß sie fortging ... +und da, als ich es begriff, war sie schon am andern Ende des Saales +knapp vor der Türe ... Da ... oh, ich schäme mich jetzt noch, es zu +denken ... da packte es mich plötzlich an und ich _lief_, -- hören Sie: +ich lief ... ich ging nicht, ich _lief_ mit polternden Schuhen, die laut +widerhallten, quer durch den Saal ihr nach ... Ich hörte meine Schritte, +ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet ... ich hätte vergehen +können vor Scham ... noch während ich lief, war mir schon der Wahnsinn +bewußt ... aber ich konnte ... ich konnte nicht mehr zurück ... Bei der +Tür holte ich sie ein ... Sie wandte sich um ... ihre Augen stießen wie +ein grauer Stahl in mich hinein, ihre Nasenflügel zitterten vor Zorn ... +ich wollte eben zu stammeln anfangen ... da ... da ... _lachte_ sie +plötzlich hellauf ... ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und +sagte laut ... so laut, daß es alle hören konnten ... »Ach, Doktor, +jetzt fällt Ihnen erst das Rezept für meinen Buben ein ... ja, die +Herren der Wissenschaft ...« Ein paar, die in der Nähe standen, lachten +gutmütig mit ... ich begriff, ich taumelte unter der Meisterschaft, mit +der sie die Situation gerettet hatte ... griff in die Brieftasche und +riß ein leeres Blatt vom Block, das sie lässig nahm, ehe sie ... noch +einmal mit einem kalten, dankenden Lächeln ... ging ... Mir war leicht +in der ersten Sekunde ... ich sah, daß mein Irrsinn durch ihre +Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen ... aber ich wußte auch +sofort, daß alles für mich verloren sei, daß diese Frau mich um meiner +hitzigen Narrheit haßte ... haßte mehr als den Tod ... daß ich nun +hundertmal und hundertmal vor ihre Tür kommen könnte und sie mich +wegweisen würde wie einen Hund. + +Ich taumelte durch den Saal ... ich merkte, daß die Leute auf mich +blickten ... ich muß irgendwie sonderbar ausgesehen haben ... Ich ging +zum Büfett, trank zwei, drei, vier Gläser Kognak hintereinander ... das +rettete mich vor dem Umsinken ... meine Nerven konnten schon nicht mehr, +sie waren wie durchgerissen ... Dann schlich ich bei einer Nebentür +hinaus, heimlich wie ein Verbrecher ... Um kein Fürstentum der Welt +hätte ich jenen Saal nochmals durchschreiten können, wo ihr Lachen noch +gell an allen Wänden klebte ... ich ging ... genau weiß ichs nicht mehr +zu sagen, wohin ich ging ... in ein paar Kneipen und soff mich an ... +soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will ... aber ... +es ward mir nicht dumpf in den Sinnen ... das Lachen stak in mir, +schrill und böse ... das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich +nicht betäuben ... Ich irrte dann noch am Hafen herum ... meinen +Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst hätte ich mich erschossen. +Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim +... nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein +Revolver lag ... nur mit diesem einen Gedanken. + +Daß ich mich dann nicht erschoß ... ich schwöre Ihnen, das war nicht +Feigheit ... es wäre für mich eine Erlösung gewesen, den schon +gespannten kalten Hahn abzudrücken ... aber wie soll ich es Ihnen +erklären ... ich fühlte noch eine Pflicht in mir ... ja, jene Pflicht zu +helfen, jene verfluchte Pflicht ... mich machte der Gedanke wahnsinnig, +daß sie mich noch brauchen könnte, daß sie mich brauchte ... es war ja +schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag ... ich sagte es +Ihnen ja ... Samstag kam das Schiff, und daß _diese_ Frau, diese +hochmütige, stolze Frau die Schande vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht +überleben würde, das wußte ich ... Ah, wie mich solche Gedanken +gemartert haben an die sinnlos vertane kostbare Zeit, an meine +irrwitzige Übereilung, die jede rechtzeitige Hilfe vereitelt hatte ... +stundenlang, ja stundenlang, ich schwöre es Ihnen, bin ich im Zimmer +niedergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich +mich ihr nähern, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen könnte ... +denn daß sie mich nicht mehr vorlassen würde in ihrem Haus, das war mir +gewiß ... ich hatte das Lachen noch in allen Nerven und das Zucken des +Zornes um ihre Nasenflügel ... stundenlang, wirklich stundenlang bin ich +so die drei Meter des schmalen Zimmers auf und ab gerannt ... es war +schon Tag, es war schon Vormittag ... + +Und plötzlich schmiß es mich hin zu dem Tisch ... ich riß ein Bündel +Briefblätter heraus und begann ihr zu schreiben ... alles zu schreiben +... einen hündisch winselnden Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in +dem ich mich einen Wahnsinnigen, einen Verbrecher nannte ... in dem ich +sie beschwor, sich mir anzuvertrauen ... Ich schwor in der nächsten +Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie wollte: +aus der Welt ... nur verzeihen sollte sie mir und mir vertrauen, sich +helfen lassen in der letzten, der allerletzten Stunde ... Zwanzig Seiten +fieberte ich so hinunter ... es muß ein toller, ein unbeschreiblicher +Brief wie aus einem Delirium gewesen sein, denn als ich aufstand vom +Tisch, war ich in Schweiß gebadet ... das Zimmer schwankte, ich mußte +ein Glas Wasser trinken ... Dann erst versuchte ich den Brief noch +einmal zu überlesen, aber mir graute nach den ersten Worten ... zitternd +faltete ich ihn zusammen, faßte schon ein Kuvert ... Da plötzlich fuhrs +mich durch. Mit einem Male wußte ich das wahre, das entscheidende Wort. +Und ich riß noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf +das letzte Blatt: »Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der +Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschieße ich +mich.« + +Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben +sofort überbringen. Endlich war alles gesagt -- alles!« + + * * * * * + +Etwas klirrte und kollerte neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte +er die Whiskyflasche umgestoßen: ich hörte, wie seine Hand ihr suchend +am Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung faßte: +in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten +schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und +hastiger als zuvor. + +»Ich bin kein gläubiger Christ mehr ... für mich gibt es keinen Himmel +und keine Hölle ... und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, +denn sie kann nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von vormittag +bis abends erlebte ... Denken Sie sich ein kleines Zimmer, heiß in der +Sonne, immer glühender im Mittagsbrand ... ein kleines Zimmer, nur Tisch +und Stuhl und Bett ... Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und +einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen ... einen Menschen, der +nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr +starren ... einen Menschen, der nicht ißt und nicht trinkt und nicht +raucht und sich nicht regt ... der immer nur ... hören Sie: immer nur, +drei Stunden lang ... auf den weißen Kreis des Zifferblattes starrt und +auf den kleinen Zeiger, der tickend den Kreis umläuft ... So ... so ... +habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet, gewartet, gewartet ... aber +gewartet wie ... wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos, tierisch, +mit dieser rasenden, geradlinigen Beharrlichkeit. + +Nun ... ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern ... das läßt sich +nicht schildern ... ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das +erleben kann ohne ... ohne wahnsinnig zu werden ... Also ... um drei Uhr +zweiundzwanzig Minuten ... ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr +... klopft es plötzlich an die Tür ... Ich springe auf ... springe, wie +ein Tiger auf seine Beute springt, mit einem Ruck durch das ganze Zimmer +zur Tür, reiße sie auf ... ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht +draußen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand, und während ich +gierig darnach greife, huscht er schon weg und ist verschwunden. + +Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen ... und kann ihn nicht lesen +... Mir schwankt es rot vor den Augen ... denken Sie die Qual, ich habe +endlich, habe endlich das Wort von ihr ... und nun zittert und tanzt es +mir vor den Pupillen ... Ich tauche den Kopf ins Wasser ... nun wirds +mir klarer ... Nochmals nehme ich den Zettel und lese: + +»Zu spät! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.« + +Keine Unterschrift auf dem zerknüllten Papier, das von irgendeinem alten +Prospekt abgefetzt war ... hastige, verworrene Bleistiftzüge einer sonst +sicheren Schrift ... ich weiß nicht, warum mich das Blatt so +erschütterte ... Irgend etwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, +es war wie auf einer Flucht geschrieben, stehend an einer Fensternische +oder in einem fahrenden Wagen ... Etwas Unbeschreibliches von Angst, von +Hast, von Entsetzen schlug kalt von diesem heimlichen Zettel mir in die +Seele ... und doch ... und doch, ich war glücklich: sie hatte mir +geschrieben, ich mußte noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen ... +vielleicht ... ich durfte ... oh, ich verlor mich ganz in den +wahnwitzigsten Konjekturen und Hoffnungen ... Hundertemal, tausendemal +habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn geküßt ... ihn durchforscht +nach irgendeinem vergessenen, übersehenen Wort ... immer tiefer, immer +verworrener wurde meine Träumerei, ein phantastischer Zustand von Schlaf +mit offenen Augen ... eine Art Lähmung, irgend etwas ganz Dumpfes und +doch Bewegtes zwischen Schlaf und Wachsein, das vielleicht +Viertelstunden dauerte, vielleicht Stunden ... + +Plötzlich schreckte ich auf ... Hatte es nicht geklopft? ... Ich hielt +den Atem an ... eine Minute, zwei Minuten reglose Stille ... Und dann +wieder ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges +Pochen ... Ich sprang auf, noch ganz taumelig, riß die Tür auf -- +draußen stand der Boy, ihr Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit +der Faust zerschlagen ... sein braunes Gesicht war aschfahl, sein +verwirrter Blick sagte Unglück ... Sofort spürte ich Grauen ... »Was ... +was ist geschehen?« konnte ich noch stammeln. »_Come quickly_«, sagte er +... sonst nichts ... sofort raste ich die Treppe herunter, er mir nach +... Ein Sado, so ein kleiner Wagen, stand bereit, wir stiegen ein ... +»Was ist geschehen?« fragte ich ihn ... Er sah mich zitternd an und +schwieg mit verbissenen Lippen ... Ich fragte nochmals -- er schwieg und +schwieg ... Ich hätte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit +der Faust, aber ... gerade seine hündische Treue zu ihr rührte mich ... +so fragte ich nicht mehr ... Das Wägelchen trabte so hastig durch das +Gewirr, daß die Menschen fluchend auseinanderstoben, lief aus dem +Europäerviertel am Strand in die niedere Stadt und weiter, weiter ins +schreiende Gewirr der Chinesenstadt ... Endlich kamen wir in eine enge +Gasse, ganz abseits lag sie ... vor einem niedern Hause hielt er an ... +Es war schmutzig und wie in sich zusammengekrochen, vorne ein kleiner +Laden mit einem Talglicht ... irgendeine dieser Buden, in die sich die +Opiumhäuser oder Bordelle verstecken, ein Diebsnest oder ein +Hehlerkeller ... Hastig klopfte der Boy an ... Hinter dem Türspalt +zischelte eine Stimme, fragte und fragte ... Ich konnte es nicht mehr +ertragen, sprang vom Sitz, stieß die angelehnte Tür auf ... ein altes +chinesisches Weib flüchtete mit einem kleinen Schrei zurück ... hinter +mir kam der Boy, führte mich durch den Gang ... klinkte eine andere Tür +auf ... eine andere Türe in einen dunklen Raum, der übel roch von +Branntwein und gestocktem Blut ... Irgend etwas stöhnte darin ... ich +tappte hin ...« + + * * * * * + +Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein +Schluchzen als ein Sprechen. + +»Ich ... ich tappte hin ... und dort ... dort lag auf einer schmutzigen +Matte ... verkrümmt vor Schmerz ... ein stöhnendes Stück Mensch ... dort +lag sie ... + +Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel ... Meine Augen waren noch +nicht gewöhnt ... so tastete ich nur hin ... ihre Hand ... heiß ... +brennend heiß ... Fieber, hohes Fieber ... und ich schauerte ... ich +wußte sofort alles ... sie war hierher geflüchtet vor mir ... hatte sich +verstümmeln lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie +hier mehr Schweigsamkeit erhoffte ... hatte sich morden lassen von +irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen ... nur weil +ich Wahnsinniger ... weil ich ihren Stolz nicht geschont, ihr nicht +gleich geholfen hatte ... weil sie den Tod weniger fürchtete als mich +... + +Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte +mit zitternden Händen eine rußende Petroleumlampe ... ich mußte mich +halten, um der gelben Kanaille nicht an die Gurgel zu springen ... sie +stellten die Lampe auf den Tisch ... der Lichtschein fiel gelb und hell +über den gemarterten Leib ... Und plötzlich ... plötzlich war alles weg +von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche von +aufgehäufter Leidenschaft ... ich war nur mehr Arzt, helfender, +spürender, wissender Mensch ... ich hatte mich vergessen ... ich kämpfte +mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche ... Ich fühlte den +nackten Leib, den ich in meinen Träumen begehrt, nur mehr als ... wie +soll ich es sagen ... als Materie, als Organismus ... ich spürte nicht +mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den +Menschen, der sich krümmte in mörderischer Qual ... Ihr Blut, ihr +heißes, heiliges Blut überströmte meine Hände, aber ich spürte es nicht +in Lust und nicht in Grauen ... ich war nur Arzt ... ich sah nur das +Leiden ... und sah ... + +Und sah sofort, daß alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe +... sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch +ungeschickten Hand ... und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in +dieser stinkenden Höhle, nicht einmal reines Wasser ... alles, was ich +anrührte, starrte von Schmutz ... + +»Wir müssen sofort ins Spital,« sagte ich. Aber kaum daß ichs gesagt, +bäumte sich krampfig der gemarterte Leib auf. »Nein ... nein ... lieber +sterben ... niemand es erfahren ... niemand es erfahren ... nach Hause +... nach Hause ...« + +Ich verstand ... nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie ... +nicht um ihr Leben ... Und -- ich gehorchte ... Der Boy brachte eine +Sänfte ... wir betteten sie hinein ... und so ... wie eine Leiche schon, +matt und fiebernd ... trugen wir sie durch die Nacht ... nach Hause ... +die fragende, erschreckte Dienerschaft abwehrend ... wie Diebe trugen +wir sie hinein in ihr Zimmer und sperrten die Türen ... Und dann ... +dann begann der Kampf, der lange Kampf gegen den Tod ...« + + * * * * * + +Plötzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, daß ich fast aufschrie +vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einemmal +fratzenhaft nah, ich sah die weißen Zähne, wie sie sich bleckten in +plötzlichem Ausbruch, sah die Augengläser im fahlen Reflex des +Mondlichts wie zwei riesige Katzenaugen glimmen. Und jetzt sprach er +nicht mehr -- er schrie, geschüttelt von einem heulenden Zorn: + +»Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier lässig auf einem +Deckstuhl sitzen, ein Spazierenfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie +das ist, wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabeigewesen, +haben Sie es gesehen, wie der Leib sich aufkrümmt, die blauen Nägel ins +Leere krallen, wie die Kehle röchelt, jedes Glied sich wehrt, jeder +Finger sich stemmt gegen das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt +in einem Grauen, für das es keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal +erlebt, Sie Müßiggänger, Sie Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden +als von einer Pflicht? Ich habe es oft gesehen als Arzt, habe es gesehen +als ... als klinischen Fall, als Tatsache ... habe es sozusagen studiert +-- aber _erlebt_ habe ichs nur einmal, miterlebt, mitgestorben bin ich +nur damals in jener Nacht ... in jener entsetzlichen Nacht, wo ich saß +und mir das Hirn zerpreßte, um etwas zu wissen, etwas zu finden, zu +erfinden gegen das Blut, das rann und rann und rann, gegen das Fieber, +das sie vor meinen Augen verbrannte ... gegen den Tod, der immer näher +kam und den ich nicht wegdrängen konnte vom Bett. Verstehen Sie, was das +heißt, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle Krankheiten -- die Pflicht +haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen -- und doch ohnmächtig bei +einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht ... nur dies +eine, dies Entsetzliche wissend, daß man nicht helfen kann, ob man sich +auch jede Ader in seinem Körper aufreißen möchte ... einen geliebten +Körper zu sehen, wie er elend verblutet, gemartert von Schmerzen, einen +Puls zu fühlen, der fliegt und zugleich verlischt ... der einem +wegfließt unter den Fingern ... Arzt zu sein und nichts zu wissen, +nichts, nichts, nichts ... nur dazusitzen und irgendein Gebet stammeln +wie ein Hutzelweib in der Kirche, und dann wieder die Fäuste ballen +gegen einen erbärmlichen Gott, von dem man weiß, daß es ihn nicht gibt +... Verstehen Sie das? Verstehen Sie das? ... Ich ... ich verstehe nur +eines nicht, wie ... wie man es macht, daß man nicht mitstirbt in +solchen Sekunden ... daß man dann noch am nächsten Morgen von einem +Schlaf aufsteht und sich die Zähne putzt und eine Kravatte umbindet ... +daß man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich fühlte, wie +dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und kämpfte, den ich +halten wollte mit allen Kräften meiner Seele ... wie der wegglitt unter +mir ... irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute und ich +nichts wußte in meinem fiebernden Gehirn, um diesen, diesen einen +Menschen festzuhalten ... + +Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies ... +Während ich an ihrem Bett saß -- ich hatte ihr Morphium eingegeben, um +die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heißen Wangen, heiß +und fahl -- ja ... während ich so saß, spürte ich vom Rücken her immer +zwei Augen auf mich gerichtet mit einem fürchterlichen Ausdruck der +Spannung ... Der Boy saß dort auf den Boden gekauert und murmelte leise +irgendwelche Gebete ... Wenn mein Blick den seinen traf, so ... nein, +ich kann es nicht schildern ... so kam etwas so Flehendes, so ... so +Dankbares in seinen hündischen Blick, und gleichzeitig hob er die Hände +zu mir, als wollte er mich beschwören, sie zu retten ... verstehen Sie: +zu mir, zu mir hob er die Hände wie zu einem Gott ... zu mir ... dem +ohnmächtigen Schwächling, der wußte, daß alles verloren ... daß ich hier +so unnötig sei wie eine Ameise, die am Boden raschelt ... Ah, dieser +Blick, wie er mich quälte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung +auf meine Kunst ... ich hätte ihn anschreien können und mit dem Fuß +treten, so weh tat er mir ... und doch, ich spürte, wie wir beide +zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr ... durch das Geheimnis ... Ein +lauerndes Tier, ein dumpfes Knäuel saß er zusammengeballt knapp hinter +mir ... kaum daß ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten +lautlosen Sohlen und reichte es zitternd ... erwartungsvoll her, als sei +das die Hilfe ... die Rettung ... Ich weiß, er hätte sich die Adern +aufgeschnitten, um ihr zu helfen ... so war diese Frau, solche Macht +hatte sie über Menschen ... und ich ... ich hatte nicht Macht, ein +Quentchen Blut zu retten ... O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, +diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! + +Gegen Morgen ward sie noch einmal wach ... sie schlug die Augen auf ... +jetzt waren sie nicht mehr hochmütig und kalt ... ein Fieber glitzerte +feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten ... Dann +sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an +mein Gesicht ... und plötzlich ... ich sah es ... erinnerte sie sich ... +denn irgendein Schreck, eine Abwehr ... etwas ... etwas Feindliches, +Entsetztes spannte ihr Gesicht ... sie arbeitete mit den Armen, als +wollte sie flüchten ... weg, weg, weg von mir ... ich sah, sie dachte an +_das_ ... an die Stunde von damals ... Aber dann kam ein Besinnen ... +sie sah mich ruhiger an, atmete schwer ... ich fühlte, sie wollte +sprechen, etwas sagen ... Wieder begannen die Hände sich zu spannen ... +sie wollte sich aufheben, aber sie war zu schwach ... Ich beruhigte sie, +beugte mich nieder ... da sah sie mich an mit einem langen, gequälten +Blick ... ihre Lippen regten sich leise ... es war nur ein letzter +erlöschender Laut, wie sie sagte ... + +»Wird es niemand erfahren? ... Niemand?« + +»Niemand,« sagte ich mit aller Kraft der Überzeugung, »ich verspreche es +Ihnen.« + +Aber ihr Auge war noch unruhig ... Mit fiebriger Lippe ganz undeutlich +arbeitete sie's heraus. + +»Schwören Sie mir ... niemand erfahren ... schwören.« + +Ich hob die Finger wie zum Eid. Sie sah mich an ... mit einem ... einem +unbeschreiblichen Blick ... weich war er, warm, dankbar ... ja, +wirklich, wirklich dankbar ... Sie wollte noch etwas sprechen, aber es +ward ihr zu schwer. Lang lag sie, ganz matt von der Anstrengung, mit +geschlossenen Augen. Dann begann das Entsetzliche ... das Entsetzliche +... eine ganze schwere Stunde kämpfte sie noch: erst morgens war es zu +Ende ...« + + * * * * * + +Er schwieg lange. Ich merkte es nicht eher, als vom Mitteldeck die +Glocke in die Stille schlug, ein, zwei, drei harte Schläge -- drei Uhr. +Das Mondlicht war matter geworden, aber irgendeine andere gelbe Helle +zitterte schon unsicher in der Luft, und Wind flog manchmal leicht wie +eine Brise her. Eine halbe, eine Stunde mehr, und dann war es Tag, war +dies Grauen ausgelöscht im klaren Licht. Ich sah seine Züge jetzt +deutlicher, da die Schatten nicht mehr so dicht und schwarz in unsern +Winkel fielen -- er hatte die Kappe abgenommen, und unter dem blanken +Schädel schien sein verquältes Gesicht noch schreckhafter. Aber schon +wandten sich die glitzernden Brillengläser wieder mir zu, er straffte +sich zusammen, und seine Stimme hatte einen höhnischen, scharfen Ton. + +»Mit ihr wars nun zu Ende -- aber nicht mit mir. Ich war allein mit der +Leiche -- aber allein in einem fremden Haus, allein in einer Stadt, die +kein Geheimnis duldete, und ich ... ich hatte das Geheimnis zu hüten ... +Ja, denken Sie sich das nur aus, die ganze Situation: eine Frau aus der +besten Gesellschaft der Kolonie, vollkommen gesund, die noch abends +zuvor auf dem Regierungsball getanzt hat, liegt plötzlich tot in ihrem +Bett ... ein fremder Arzt ist bei ihr, den angeblich ihr Diener gerufen +... niemand im Haus hat gesehen, wann und woher er kam ... man hat sie +nachts auf einer Sänfte hereingetragen und dann die Türen geschlossen +... und morgens ist sie tot ... dann erst hat man die Diener gerufen, +und plötzlich gellt das Haus von Geschrei ... im Nu wissen es die +Nachbarn, die ganze Stadt ... und nur einer ist da, der das alles +erklären soll ... ich, der fremde Mensch, der Arzt aus einer entlegenen +Station ... Eine erfreuliche Situation, nicht wahr? ... + +Ich wußte, was mir bevorstand. Glücklicherweise war der Boy bei mir, der +brave Bursche, der mir jeden Wink von den Augen las -- auch dieses gelbe +dumpfe Tier verstand, daß hier noch ein Kampf ausgetragen werden müsse. +Ich hatte ihm nur gesagt: »Die Frau will, daß niemand erfährt, was +geschehen ist.« Er sah mir in die Augen mit seinem hündisch feuchten und +doch entschlossenen Blick: »_Yes, Sir_,« mehr sagte er nicht. Aber er +wusch die Blutspuren vom Boden, richtete alles in beste Ordnung -- und +gerade seine Entschlossenheit gab mir die meine wieder. + +Nie im Leben, das weiß ich, habe ich eine ähnlich zusammengeballte +Energie gehabt, nie werde ich sie wieder haben. Wenn man alles verloren +hat, dann kämpft man um das Letzte wie ein Verzweifelter -- und das +Letzte war ihr Vermächtnis, das Geheimnis. Ich empfing voll Ruhe die +Leute, erzählte ihnen allen die gleiche erdichtete Geschichte, wie der +Boy, den sie um den Arzt gesandt hatte, mich zufällig auf dem Wege traf. +Aber während ich scheinbar ruhig redete, wartete ... wartete ich immer +auf das Entscheidende ... auf den Totenbeschauer, der erst kommen mußte, +ehe wir sie in den Sarg verschließen konnten und das Geheimnis mit ihr +... Es war, vergessen Sie nicht, Donnerstag, und Samstag kam ihr Gatte +... + +Um neun Uhr hörte ich endlich, wie man den Amtsarzt anmeldete. Ich hatte +ihn rufen lassen -- er war mein Vorgesetzter im Rang und gleichzeitig +mein Konkurrent, derselbe Arzt, von dem sie seinerzeit so verächtlich +gesprochen und der offenbar meinen Wunsch nach Versetzung bereits +erfahren hatte. Bei seinem ersten Blick spürte ichs schon: er war mir +Feind. Aber gerade das straffte meine Kraft. + +Im Vorzimmer fragte er schon: »Wann ist Frau ... -- er nannte ihren +Namen -- gestorben?« + +»Um sechs Uhr morgens.« + +»Wann sandte sie zu Ihnen?« + +»Um elf Uhr abends.« + +»Wußten Sie, daß ich ihr Arzt war?« + +»Ja, aber es tat Eile not ... und dann ... die Verstorbene hatte +ausdrücklich mich verlangt. Sie hatte verboten, einen andern Arzt rufen +zu lassen.« + +Er starrte mich an: in seinem bleichen, etwas verfetteten Gesicht flog +eine Röte hoch, ich spürte, daß er erbittert war. Aber gerade das +brauchte ich -- alle meine Energien drängten sich zu rascher +Entscheidung, denn ich spürte, lange hielten es meine Nerven nicht mehr +aus. Er wollte etwas Feindliches erwidern, dann sagte er lässig: »Wenn +Sie schon meinen, mich entbehren zu können, so ist es doch meine +amtliche Pflicht, den Tod zu konstatieren und ... wie er eingetreten +ist.« + +Ich antwortete nicht und ließ ihn vorangehen. Dann trat ich zurück, +schloß die Tür und legte den Schlüssel auf den Tisch. Überrascht zog er +die Augenbrauen hoch: + +»Was bedeutet das?« + +Ich stellte mich ruhig ihm gegenüber: + +»Es handelt sich hier nicht darum, die Todesursache festzustellen, +sondern -- eine andere zu finden. Diese Frau hat mich gerufen, um sie +nach ... nach den Folgen eines verunglückten Eingriffes zu behandeln ... +ich konnte sie nicht mehr retten, aber ich habe ihr versprochen, ihre +Ehre zu retten, und das werde ich tun. Und ich bitte Sie darum, mir zu +helfen!« + +Seine Augen waren ganz weit geworden vor Erstaunen. »Sie wollen doch +nicht etwa sagen,« stammelte er dann, »daß ich, der Amtsarzt, hier ein +Verbrechen decken soll?« + +»Ja, das will ich, das muß ich wollen.« + +»Für Ihr Verbrechen soll ich ...« + +»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich diese Frau nicht berührt habe, sonst ... +sonst stünde ich nicht vor Ihnen, sonst hätte ich längst mit mir Schluß +gemacht. Sie hat ihr Vergehen -- wenn Sie es so nennen wollen -- gebüßt, +die Welt braucht davon nichts zu wissen. Und ich werde es nicht dulden, +daß die Ehre dieser Frau jetzt noch unnötig beschmutzt wird.« + +Mein entschlossener Ton reizte ihn nur noch mehr auf. »Sie werden nicht +dulden ... so ... nun, Sie sind ja mein Vorgesetzter ... oder glauben es +wenigstens schon zu sein ... Versuchen Sie nur, mir zu befehlen ... ich +habe mirs gleich gedacht, da ist Schmutziges im Spiel, wenn man Sie aus +Ihrem Winkel herruft ... eine saubere Praxis, die Sie da anfangen, ein +sauberes Probestück ... Aber jetzt werde _ich_ untersuchen, _ich_, und +Sie können sich darauf verlassen, daß ein Protokoll, unter dem mein Name +steht, richtig sein wird. Ich werde keine Lüge unterschreiben.« + +Ich war ganz ruhig. + +»Ja -- das müssen Sie diesmal doch. Denn früher werden Sie das Zimmer +nicht verlassen.« + +Ich griff dabei in die Tasche -- meinen Revolver hatte ich nicht bei +mir. Aber er zuckte zusammen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah +ihn an. + +»Hören Sie, ich werde Ihnen etwas sagen ... damit es nicht zum Äußersten +kommt. Mir liegt an meinem Leben nichts ... nichts an dem eines andern +-- ich bin nun schon einmal soweit ... mir liegt einzig daran, mein +Versprechen einzulösen, daß die Art dieses Todes geheim bleibt ... Hören +Sie: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß, wenn Sie das Zertifikat +unterfertigen, diese Frau sei an ... nun an einer Zufälligkeit +gestorben, daß ich dann noch im Laufe dieser Woche die Stadt und Indien +verlasse ... daß ich, wenn Sie es verlangen, meinen Revolver nehme und +mich niederschieße, sobald der Sarg in der Erde ist und ich sicher sein +kann, daß niemand ... Sie verstehen: _niemand_ -- mehr nachforschen +kann. Das wird Ihnen wohl genügen -- das _muß_ Ihnen genügen.« + +Es muß etwas Drohendes, etwas Gefährliches in meiner Stimme gewesen +sein, denn wie ich unwillkürlich nähertrat, wich er zurück mit jenem +aufgerissenen Entsetzen, wie ... wie eben Menschen vor dem Amokläufer +flüchten, wenn er rasend hinrennt mit geschwungenem Kris ... Und mit +einemmal war er anders ... irgendwie geduckt und gelähmt ... seine harte +Haltung brach ein. Er murmelte mit einem letzten ganz weichen +Widerstand: »Es wäre das erstemal in meinem Leben, daß ich ein falsches +Zertifikat unterzeichnete ... immerhin, es wird sich schon eine Form +finden lassen ... man weiß ja auch, was vorkommt ... Aber ich durfte +doch nicht so ohne weiteres ...« + +»Gewiß durften Sie nicht,« half ich ihm, um ihn zu bestärken -- (>Nur +rasch! nur rasch!< tickte es mir in den Schläfen) -- »aber jetzt, da Sie +wissen, daß Sie nur einen Lebenden kränken und einer Toten ein +Entsetzliches täten, werden Sie doch gewiß nicht zögern.« + +Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest +fertig (das dann auch in der Zeitung veröffentlicht wurde und glaubhaft +eine Herzlähmung schilderte). Dann stand er auf, sah mich an: + +»Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?« + +»Mein Ehrenwort.« + +Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich +erscheinen. »Ich besorge sofort einen Sarg,« sagte er, um seine +Verlegenheit zu decken. Aber was war das in mir, das mich so ... so +furchtbar ... so gequält machte -- plötzlich streckte er mir die Hand +hin und schüttelte sie mit einer aufspringenden Herzlichkeit. +Ȇberstehen Sie's gut,« sagte er -- ich wußte nicht, was er meinte. War +ich krank? War ich ... wahnsinnig? Ich begleitete ihn zur Tür, schloß +auf -- aber das war meine letzte Kraft, die hinter ihm die Tür schloß. +Dann kam dies Ticken wieder in die Schläfen, alles schwankte und +kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen ... so ... so wie +der Amokläufer am Ende seines Laufs sinnlos niederfällt mit zersprengten +Nerven.« + + * * * * * + +Wieder hielt er inne. Irgendwie fröstelte michs: war das erster Schauer +des Morgenwinds, der jetzt leise sausend über das Schiff lief? Aber das +gequälte Gesicht -- nun schon halb erhellt vom Widerschein der Frühe -- +spannte sich wieder zusammen: + +»Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiß ich nicht. Da rührte +michs an. Ich fuhr auf. Es war der Boy, der zaghaft mit seiner devoten +Geste vor mir stand und mir unruhig in den Blick sah. + +»Es will jemand herein ... will sie sehen ...« + +»Niemand darf herein.« + +»Ja ... aber ...« + +Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch +nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual. + +»Wer ist es?« + +Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte +er -- er nannte keinen Namen ... woher ist in solch einem niedern Wesen +mit einmal so viel Wissen, wie kommt es, daß in manchen Sekunden ein +unbeschreibliches Zartgefühl derlei ganz dumpfe Menschen beseelt? ... +dann sagte er ... ganz, ganz ängstlich ... »_Er_ ist es.« + +Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld +nach diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar ... inmitten all +dieser Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte +ich ganz an >ihn< vergessen ... vergessen, daß da noch ein Mann im +Spiele war ... der Mann, den diese Frau geliebt, dem sie +leidenschaftlich das gegeben, was sie mir verweigert ... Vor zwölf, vor +vierundzwanzig Stunden hätte ich diesen Mann noch gehaßt, ihn noch +zerfleischen können ... Jetzt ... ich kann, ich kann Ihnen nicht +schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen ... ihn ... zu lieben, weil +sie ihn geliebt. + +Mit einem Ruck war ich bei der Tür. Ein junger, ganz junger blonder +Offizier stand dort, sehr linkisch, sehr schmal, sehr blaß. Wie ein Kind +sah er aus, so ... so rührend jung ... und unsäglich erschütterte michs +gleich, wie er sich mühte, Mann zu sein, Haltung zu zeigen ... seine +Erregung zu verbergen ... Ich sah sofort, daß seine Hände zitterten, als +er zur Mütze fuhr ... Am liebsten hätte ich ihn umarmt ... weil er ganz +so war, wie ich mirs wünschte, daß der Mann sein sollte, der diese Frau +besessen ... kein Verführer, kein Hochmütiger ... nein, ein halbes Kind, +ein reines, zärtliches Wesen, dem sie sich geschenkt. + +Ganz befangen stand der junge Mensch vor mir. Mein gieriger Blick, mein +leidenschaftlicher Aufsprung machten ihn noch mehr verwirrt. Das kleine +Schnurrbärtchen über der Lippe zuckte verräterisch ... dieser junge +Offizier, dies Kind mußte sich bezwingen, um nicht herauszuschluchzen. + +»Verzeihen Sie,« sagte er dann endlich, »ich hätte gerne Frau ... gerne +noch ... gesehen.« + +Unbewußt, ganz ohne es zu wollen, legte ich ihm, dem Fremden, meinen Arm +um die Schulter, führte ihn, wie man einen Kranken führt. Er sah mich +erstaunt an mit einem unendlich warmen und dankbaren Blick ... irgendein +Verstehen unserer Gemeinschaft war schon in dieser Sekunde zwischen uns +beiden ... Wir gingen zu der Toten ... Sie lag da, weiß, in den weißen +Linnen -- ich spürte, daß meine Nähe ihn noch bedrückte ... so trat ich +zurück, um ihn allein zu lassen mit ihr. Er ging langsam näher mit ... +mit so zuckenden, ziehenden Schritten ... an seinen Schultern sah ichs, +wie es in ihm wühlte und riß ... er ging so wie ... wie einer, der gegen +einen ungeheuren Sturm geht ... Und plötzlich brach er vor dem Bett in +die Knie ... genau so, wie ich hingebrochen war. + +Ich sprang sofort vor, hob ihn empor und führte ihn zu einem Sessel. Er +schämte sich nicht mehr, sondern schluchzte seine Qual heraus. Ich +vermochte nichts zu sagen -- nur mit der Hand strich ich ihm unbewußt +über sein blondes, kindlich weiches Haar. Er griff nach meiner Hand ... +ganz lind und doch ängstlich ... und mit einemmal fühlte ich seinen +Blick an mir hängen ... + +»Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor,« stammelte er, »hat sie selbst Hand +an sich gelegt?« + +»Nein,« sagte ich. + +»Und ist ... ich meine ... ist irgend ... irgend jemand schuld an ihrem +Tode?« + +»Nein,« sagte ich wieder, obwohl mirs aufquoll in der Kehle, ihm +entgegenzuschreien: »Ich! Ich! Ich! ... Und du! ... Wir beide! Und ihr +Trotz, ihr unseliger Trotz!« Aber ich hielt mich zurück. Ich wiederholte +noch einmal: »Nein ... niemand hat schuld daran ... es war ein +Verhängnis!« + +»Ich kann es nicht glauben,« stöhnte er, »ich kann es nicht glauben. Sie +war noch vorgestern auf dem Balle, sie lächelte, sie winkte mir zu. Wie +ist das möglich, wie konnte das geschehen?« + +Ich erzählte eine lange Lüge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. +Wie zwei Brüder sprachen wir zusammen alle diese Tage, gleichsam +überstrahlt von dem Gefühl, das uns verband ... und das wir einander +nicht anvertrauten, aber wir spürten einer vom andern, daß unser ganzes +Leben an dieser Frau hing ... Manchmal drängte sichs mir würgend an die +Lippen, aber dann biß ich die Zähne zusammen -- nie hat er erfahren, daß +sie ein Kind von ihm trug ... daß ich das Kind, sein Kind, hätte töten +sollen, und daß sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch +sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, während derer ich mich bei ihm +verbarg ... denn -- das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen -- man +suchte nach mir ... Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon +geschlossen war ... er wollte den Befund nicht glauben ... die Leute +munkelten allerlei ... und er suchte mich ... Aber ich konnte es nicht +ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wußte, daß sie unter ihm +gelitten ... ich verbarg mich ... vier Tage ging ich nicht aus dem +Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung ... ihr Geliebter hatte +mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich +flüchten könne, ... wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck +geschlichen, daß niemand mich erkennt ... Alles habe ich zurückgelassen, +was ich besitze ... mein Haus mit der ganzen Arbeit dieser sieben Jahre, +mein Hab und Gut, alles steht offen für jeden, der es haben will ... und +die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich +ohne Urlaub meinen Posten verließ ... Aber ich konnte nicht leben mehr +in diesem Haus, in dieser Stadt ... in dieser Welt, wo alles mich an sie +erinnert ... wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht ... nur ihr zu +entrinnen ... nur zu vergessen ... + +Aber ... wie ich an Bord kam ... nachts ... mitternachts ... mein Freund +war mit mir ... da ... da ... zogen sie gerade am Kran etwas herauf ... +rechteckig, schwarz ... ihren Sarg ... hören Sie: ihren Sarg ... sie hat +mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte ... und ich mußte +dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit ... er +begleitet ihn nach England ... vielleicht will er dort eine Autopsie +machen lassen ... er hat sie an sich gerissen ... jetzt gehört sie +wieder ihm ... nicht uns mehr, uns ... uns beiden ... Aber ich bin noch +da ... ich gehe mit bis zur letzten Stunde ... er wird, er darf es nie +erfahren ... ich werde ihr Geheimnis zu verteidigen wissen gegen jeden +Versuch ... gegen diesen Schurken, vor dem sie in den Tod gegangen ist +... Nichts, nichts wird er erfahren ... ihr Geheimnis gehört mir, nur +mir allein ... + +Verstehen Sie jetzt ... verstehen Sie jetzt ... warum ich die Menschen +nicht sehen kann ... ihr Gelächter nicht hören ... wenn sie flirten und +sich paaren ... denn da drunten ... drunten im Lagerraum zwischen +Teeballen und Paranüssen steht der Sarg verstaut ... Ich kann nicht hin, +der Raum ist versperrt ... aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, +weiß es in jeder Sekunde ... auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango +... es ist ja dumm, das Meer da schwemmt über Millionen Tote, auf jedem +Fußbreit Erde, den man tritt, fault eine Leiche ... aber doch, ich kann +es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen, wenn sie Maskenbälle +geben und so geil lachen ... diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, +was sie von mir will ... ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht ... ich +bin noch nicht zu Ende ... noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet ... sie +gibt mich noch nicht frei ...« + + * * * * * + +Vom Mittelschiff kamen schlurfende Schritte, klatschende Laute: Matrosen +begannen das Deck zu scheuern. Er fuhr auf wie ertappt: sein zerspanntes +Gesicht bekam einen ängstlichen Zug. Er stand auf und murmelte: »Ich +gehe schon ... ich gehe schon.« + +Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüsteten Blick, die +gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tränen. Er wich meiner +Anteilnahme aus: ich spürte aus seinem geduckten Wesen Scham, unendliche +Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich +sagte ich: + +»Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen ...« + +Er sah mich an -- ein höhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen +Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort. + +»Aha ... Ihre famose Pflicht, zu helfen ... aha ... Mit der Maxime haben +Sie mich ja glücklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich +danke. Glauben Sie ja nicht, daß mir jetzt leichter sei, seit ich mir +die Eingeweide vor Ihnen aufgerissen habe bis zum Kot in meinen Därmen. +Mein verpfuschtes Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken ... ich +habe eben umsonst der verehrlichen holländischen Regierung gedient ... +die Pension ist futsch, ich komme als armer Hund nach Europa zurück ... +ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt ... man läuft nicht lange +ungestraft Amok, am Ende schlägts einen doch nieder, und ich hoffe, ich +bin bald am Ende ... Nein, danke, mein Herr, für Ihren gütigen Besuch +... ich habe schon in der Kabine meine Gefährten ... ein paar gute alte +Flaschen Whisky, die trösten mich manchmal, und dann meinen Freund von +damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen +braven Browning ... der hilft schließlich besser als alles Geschwätz ... +Bitte, bemühen Sie sich nicht ... das einzige Menschenrecht, das einem +bleibt, ist doch: zu krepieren wie man will ... und dabei ungeschoren zu +bleiben von fremder Hilfe.« + +Er sah mich noch einmal höhnisch ... ja herausfordernd an, aber ich +spürte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die +Schultern, wandte sich um, ohne zu grüßen, und ging merkwürdig schief +und schlurfend über das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn +nicht mehr gesehen. Vergebens suchte ich ihn nachts und die nächste +Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich hätte an +einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, wäre mir +nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen mit einem +Trauerflor um den Arm, ein holländischer Großkaufmann, der, wie man mir +bestätigte, eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich +sah ihn ernst und gequält abseits von den andern auf und ab gehen, und +der Gedanke, daß ich um seine geheimste Sorge wußte, gab mir eine +geheimnisvolle Scheu: ich bog immer zur Seite, wenn er vorüberkam, um +nicht mit einem Blick zu verraten, daß ich mehr von seinem Schicksal +wußte als er selbst. + + * * * * * + +Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkwürdige Unfall, dessen +Deutung ich in der Erzählung des Fremden zu finden glaube. Die meisten +Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und +dann noch in eines der hellen Cafés an der Via Roma. Als wir mit einem +Ruderboot zu dem Dampfer zurückkehrten, fiel mir schon auf, daß einige +Boote mit Fackeln und Azetylenlampen das Schiff suchend umkreisten, und +oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von +Karabinieris und Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen +sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, daß Auftrag zum +Schweigen gegeben sei, und auch am nächsten Tage, als das Schiff wieder +friedfertig und ohne Spur eines Zwischenfalles nach Genua weiterfuhr, +war nichts an Bord zu erfahren. Erst in den italienischen Zeitungen las +ich dann, romantisch ausgeschmückt, von jenem angeblichen Unfall im +Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte, so schrieben sie, in unbelebter +Stunde, um die Passagiere nicht durch den Anblick zu beunruhigen, der +Sarg einer vornehmen Dame aus den holländischen Kolonien von Bord des +Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man ließ ihn eben in +Gegenwart des Gatten die Strickleiter herab, als irgend etwas Schweres +vom hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern und dem +Gatten, die ihn gemeinsam niederhißten, mit sich in die Tiefe riß. Eine +Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe +hinab auf die Strickleiter gestürzt habe, eine andere beschönigte, die +Leiter sei von selbst unter dem übergroßen Gewicht gerissen: jedenfalls +schien die Schiffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen +Sachverhalt zu verschleiern. Man rettete nicht ohne Mühe die Träger und +den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber +ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden. Daß +gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erwähnt wurde, es sei die Leiche +eines etwa vierzigjährigen Mannes im Hafen angeschwemmt worden, schien +für die Öffentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch +reportierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum daß ich die flüchtige +Zeile gelesen, als starre plötzlich hinter dem papierenen Blatt das +mondweiße Antlitz mit den glitzernden Brillengläsern mir noch einmal +gespenstisch entgegen. + + + + + Die Frau und die Landschaft + + +Es war in jenem heißen Sommer, der durch Regennot und Dürre +verhängnisvolle Mißernte im ganzen Lande verschuldete und noch für lange +Jahre im Andenken der Bevölkerung gefürchtet blieb. Schon in den Monaten +Juni und Juli waren nur vereinzelte flüchtige Schauer über die +dürstenden Felder hingestreift, aber seit der Kalender zum August +übergeschlagen, fiel überhaupt kein Tropfen mehr, und selbst hier oben, +in dem Hochtale Tirols, wo ich, wie viele andere, Kühlung zu finden +gewähnt hatte, glühte die Luft safranfarben von Feuer und Staub. +Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb und stumpf wie das Auge eines +Fiebernden vom leeren Himmel auf die erloschene Landschaft, und mit den +steigenden Stunden quoll dann mählich ein weißlicher drückender Dampf +aus dem messingenen Kessel des Mittags und überschwülte das Tal. +Irgendwo freilich in der Ferne hoben sich die Dolomiten mächtig auf, und +Schnee glänzte von ihnen, rein und klar, aber nur das Auge fühlte +erinnernd diesen Schimmer der Kühle, und es tat weh, sie schmachtend +anzusehen und an den Wind zu denken, der sie vielleicht zur gleichen +Stunde rauschend umflog, indes hier im Talkessel eine gierige Wärme +nachts und tags sich zudrängte und mit tausend Lippen einem die Feuchte +entsog. Allmählich erstarb in dieser sinkenden Welt welkender Pflanzen, +hinschmachtenden Laubes und versiegender Bäche auch innen alle lebendige +Bewegung, müßig und träge wurden die Stunden. Ich, wie die andern, +verbrachte diese endlosen Tage fast nur mehr im Zimmer, halb entkleidet, +bei verdunkelten Fenstern, in einem willenlosen Warten auf Veränderung, +auf Kühlung, in einem stumpfen, machtlosen Träumen von Regen und +Gewitter. Und bald wurde auch dieser Wunsch welk, ein Brüten, dumpf und +willenlos wie das der lechzenden Gräser und der schwüle Traum des +reglosen, dunstumwölkten Waldes. + +Aber es wurde nur noch heißer von Tag zu Tag, und der Regen wollte noch +immer nicht kommen. Von früh bis abends brannte die Sonne nieder, und +ihr gelber, quälender Blick bekam allmählich etwas von der stumpfen +Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen. Es war, als ob das ganze Leben +aufhören wollte, alles stand stille, die Tiere lärmten nicht mehr, von +weißen Feldern kam keine andere Stimme als der leise singende Ton der +schwingenden Hitze, das surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte +hinausgehen wollen in den Wald, wo Schatten blau zwischen den Bäumen +zitterten, um dort zu liegen, um nur diesem gelben, beharrlichen Blick +der Sonne zu entgehen; aber auch diese wenigen Schritte schon wurden mir +zu viel. So blieb ich sitzen auf einem Rohrsessel vor dem Eingang des +Hotels, eine Stunde oder zwei, eingepreßt in den schmalen Schatten, den +der schirmende Dachrand in den Kies zog. Einmal rückte ich weiter, als +das dünne Viereck Schatten sich verkürzte und die Sonne schon heran an +meine Hände kroch, dann blieb ich wieder hingelehnt, stumpf brütend ins +stumpfe Licht, ohne Gefühl von Zeit, ohne Wunsch, ohne Willen. Die Zeit +war zerschmolzen in dieser furchtbaren Schwüle, die Stunden zerkocht, +zergangen in heißer, sinnloser Träumerei. Ich fühlte nichts als den +brennenden Andrang der Luft außen an meinen Poren und innen den hastigen +Hammerschlag des fiebrig pochenden Blutes. + +Da auf einmal war mir, als ob durch die Natur ein Atem ginge, leise, +ganz leise, als ob ein heißer, sehnsüchtiger Seufzer sich aufhübe von +irgendwo. Ich raffte mich empor. War das nicht Wind? Ich hatte schon +vergessen, wie das war, zu lange hatten die verdorrenden Lungen dies +Kühle nicht getrunken, und noch fühlte ich ihn nicht bis an mich +heranziehen, eingepreßt in meinen Winkel Dachschatten; aber die Bäume +dort drüben am Hang mußten eine fremde Gegenwart geahnt haben, denn mit +einem Male begannen sie ganz leise zu schwanken, als neigten sie sich +flüsternd einander zu. Die Schatten zwischen ihnen wurden unruhig. Wie +ein Lebendiges und Erregtes huschten sie hin und her, und plötzlich hob +es sich auf, irgendwo fern, ein tiefer, schwingender Ton. Wirklich: Wind +kam über die Welt, ein Flüstern, ein Wehen und Weben, ein tiefes, +orgelndes Brausen und jetzt ein stärkerer, mächtiger Stoß. Wie von einer +jähen Angst getrieben, liefen plötzlich qualmige Wolken von Staub über +die Straße, alle in gleicher Richtung, die Vögel, die irgendwo im Dunkel +gelagert hatten, zischten auf einmal schwarz durch die Luft, die Pferde +schnupperten sich den Schaum von den Nüstern, und fern im Tale blökte +das Vieh. Irgend etwas Gewaltiges war aufgewacht und mußte nahe sein, +die Erde wußte es schon, der Wald und die Tiere, und auch über den +Himmel schob sich jetzt ein leichter Flor von Grau. + +Ich zitterte vor Erregung. Mein Blut war von den feinen Stacheln der +Hitze aufgereizt, meine Nerven knisterten und spannten sich, nie hatte +ich so wie jetzt die Wollust des Windes geahnt, die selige Lust des +Gewitters. Und es kam, es zog heran, es schwoll und kündete sich. +Langsam schob der Wind weiche Knäuel von Wolken herüber, es keuchte und +schnaubte hinter den Bergen, als rollte jemand eine ungeheure Last. +Manchmal hielten diese schnaubenden, keuchenden Stöße wie ermüdet wieder +inne. Dann zitterten sich die Tannen langsam still, als ob sie horchen +wollten, und mein Herz zitterte mit. Wo überall ich hinblickte, war die +gleiche Erwartung wie in mir, die Erde hatte ihre Sprünge gedehnt: wie +kleine, durstige Mäuler waren sie aufgerissen, und so fühlte ich es auch +am eigenen Leibe, daß Pore an Pore sich auftat und spannte, Kühle zu +suchen und die kalte, schauernde Lust des Regens. Unwillkürlich +krampften sich meine Finger, als könnten sie die Wolken fassen und sie +rascher herreißen in die schmachtende Welt. + +Aber schon kamen sie, von unsichtbarer Hand geschoben, träge +herangedunkelt, runde, wulstige Säcke, und man sah: sie waren schwer und +schwarz von Regen, denn sie polterten murrend wie feste, wuchtige Dinge, +wenn sie aneinander stießen, und manchmal fuhr ein leiser Blitz über +ihre schwarze Fläche wie ein knisterndes Streichholz. Blau flammten sie +dann auf und gefährlich, und immer dichter drängte es sich heran, immer +schwärzer wurden sie an ihrer eigenen Fülle. Wie der eiserne Vorhang +eines Theaters senkte sich allmählich bleierner Himmel nieder und +nieder. Jetzt war schon der ganze Raum schwarz überspannt, +zusammengepreßt die warme, verhaltene Luft, und nun setzte noch ein +letztes Innehalten der Erwartung ein, stumm und grauenhaft. Erwürgt war +alles von dem schwarzen Gewicht, das sich über die Tiefe senkte, die +Vögel zirpten nicht mehr, atemlos standen die Bäume, und selbst die +kleinen Gräser wagten nicht mehr zu zittern; ein metallener Sarg, +umschloß der Himmel die heiße Welt, in der alles erstarrt war vor +Erwartung nach dem ersten Blitz. Atemlos stand ich da, die Hände +ineinandergeklammt, und spannte mich zusammen in einer wundervollen +süßen Angst, die mich reglos machte. Ich hörte hinter mir die Menschen +herumeilen, aus dem Walde kamen sie, aus der Tür des Hotels, von allen +Seiten flüchteten sie, die Dienstmädchen ließen die Rolläden herunter +und schlossen krachend die Fenster. Alles war plötzlich tätig und +aufgeregt, rührte sich, bereitete sich, drängte sich. Nur ich stand +reglos, fiebernd, stumm, denn in mir war alles zusammengepreßt zu dem +Schrei, den ich schon in der Kehle fühlte, den Schrei der Lust bei dem +ersten Blitz. + +Da hörte ich auf einmal knapp hinter mir einen Seufzer, stark +aufbrechend aus gequälter Brust und noch mit ihm flehentlich +verschmolzen das sehnsüchtige Wort: »Wenn es doch nur schon regnen +wollte!« So wild, so elementar war diese Stimme, war dieser Stoß aus +einem bedrückten Gefühl, als hätte es die dürstende Erde selbst gesagt +mit ihren aufgesprungenen Lippen, die gequälte, erdrosselte Landschaft +unter dem Bleidruck des Himmels. Ich wendete mich um. Hinter mir stand +ein Mädchen, das offenbar die Worte gesagt, denn ihre Lippen, die +blassen und fein geschwungenen, waren noch im Lechzen aufgetan, und ihr +Arm, der sich an der Tür hielt, zitterte leise. Nicht zu mir hatte sie +gesprochen und zu niemandem. Wie über einen Abgrund bog sie sich in die +Landschaft hinein, und ihr Blick starrte spiegellos hinaus in das +Dunkel, das über den Tannen hing. Er war schwarz und leer, dieser Blick, +starr als eine grundlose Tiefe gegen den tiefen Himmel gewandt. Nur nach +oben griff seine Gier, griff tief in die geballten Wolken, in das +überhängende Gewitter, und an mich rührte er nicht. So konnte ich +ungestört die Fremde betrachten und sah, wie ihre Brust sich hob, wie +etwas würgend nach oben schütterte, wie jetzt um die Kehle, die +zartknochig aus dem offenen Kleide sich löste, ein Zittern ging, bis +endlich auch die Lippen bebten, dürstend sich auftaten und wieder +sagten: »Wenn es doch nur schon regnen wollte.« Und wieder war es mir +Seufzer der ganzen verschwülten Welt. Etwas Nachtwandlerisches und +Traumhaftes war in ihrer statuenhaften Gestalt, in ihrem gelösten Blick. +Und wie sie so dastand, weiß in ihrem lichten Kleide gegen den +bleifarbnen Himmel, schien sie mir der Durst, die Erwartung der ganzen +schmachtenden Natur. + +Etwas zischte leise neben mir ins Gras. Etwas pickte hart auf dem +Gesims. Etwas knirschte leise im heißen Kies. Überall war plötzlich +dieser leise surrende Ton. Und plötzlich begriff ichs, fühlte ichs, daß +dies Tropfen waren, die schwer niederfielen, die ersten verdampfenden +Tropfen, die seligen Boten des großen, rauschenden, kühlenden Regens. +Oh, es begann! Es hatte begonnen. Eine Vergessenheit, eine selige +Trunkenheit kam über mich. Ich war wach wie nie. Ich sprang vor und fing +einen Tropfen in der Hand. Schwer und kalt klatschte er mir an die +Finger. Ich riß die Mütze ab, stärker die nasse Lust auf Haar und Stirn +zu fühlen, ich zitterte schon vor Ungeduld, mich ganz umrauschen zu +lassen vom Regen, ihn an mir zu fühlen, an der warmen knisternden Haut, +in den offenen Poren, bis tief hinein in das aufgeregte Blut. Noch waren +sie spärlich, die platschenden Tropfen, aber ich fühlte ihre sinkende +Fülle schon voraus, ich hörte sie schon strömen und rauschen, die +aufgetanen Schleusen, ich spürte schon das selige Niederbrechen des +Himmels über dem Walde, über das Schwüle der verbrennenden Welt. + +Aber seltsam: die Tropfen fielen nicht schneller. Man konnte sie zählen. +Einer, einer, einer, einer, fielen sie nieder, es knisterte, es zischte, +es sauste leise rechts und links, aber es wollte nicht zusammenklingen +zur großen rauschenden Musik des Regens. Zaghaft tropfte es herab, und +statt schneller zu werden, ward der Takt langsam und immer langsamer und +stand dann plötzlich still. Es war, wie wenn das Ticken eines +Minutenzeigers in einer Uhr plötzlich aufhört und die Zeit erstarrt. +Mein Herz, das schon glühte vor Ungeduld, wurde plötzlich kalt. Ich +wartete, wartete, aber es geschah nichts. Der Himmel blickte schwarz und +starr nieder mit umdüsterter Stirn, totenstill blieb es minutenlang, +dann aber schien es, als ob ein leises, höhnisches Leuchten über sein +Antlitz ginge. Von Westen her hellte sich die Höhe auf, die Wand der +Wolken löste sich mählich, leise polternd rollten sie weiter. Seichter +und seichter ward ihre schwarze Unergründlichkeit, und in ohnmächtiger, +unbefriedigter Enttäuschung lag unter dem erglänzenden Horizont die +lauschende Landschaft. Wie von Wut lief noch ein leises, letztes Zittern +durch die Bäume, sie beugten und krümmten sich, dann aber fielen die +Laubhände, die schon gierig aufgereckt waren, schlaff zurück, wie tot. +Immer durchsichtiger ward der Wolkenflor, eine böse, gefährliche Helle +stand über der wehrlosen Welt. Es war nichts geschehen. Das Gewitter +hatte sich verzogen. + +Ich zitterte am ganzen Körper. Wut war es, was ich fühlte, eine sinnlose +Empörung der Ohnmacht, der Enttäuschung, des Verrats. Ich hätte schreien +können oder rasen, eine Lust kam mich an, etwas zu zerschlagen, eine +Lust am Bösen und Gefährlichen, ein sinnloses Bedürfnis nach Rache. Ich +fühlte in mir die Qual der ganzen verratenen Natur, das Lechzen der +kleinen Gräser war in mir, die Hitze der Straßen, der Qualm des Waldes, +die spitze Glut des Kalksteines, der Durst der ganzen betrogenen Welt. +Meine Nerven brannten wie Drähte: ich fühlte sie zucken von elektrischer +Spannung weithinaus in die geladene Luft, wie viele feine Flammen +glühten sie mir unter der gespannten Haut. Alles tat mir weh, alle +Geräusche hatten Spitzen, alles war wie umzüngelt von kleinen Flammen, +und der Blick, was immer er faßte, verbrannte sich. Das tiefste Wesen in +mir war aufgereizt, ich spürte, wie viele Sinne, die sonst stumm und tot +im dumpfen Hirne schliefen, sich auftaten wie viele kleine Nüstern, und +mit jeder spürte ich Glut. Ich wußte nicht mehr, was davon meine +Erregung war, und was die der Welt; die dünne Membran des Fühlens +zwischen ihr und mir war zerrissen, alles einzig erregte Gemeinschaft +der Enttäuschung, und wie ich fiebernd hinabstarrte in das Tal, das sich +allmählich mit Lichtern füllte, spürte ich, daß jedes einzelne kleine +Licht in mich hineinflimmerte, jeder Stern brannte bis in mein Blut. Es +war die gleiche maßlose, fiebernde Erregung außen und innen, und in +einer schmerzhaften Magie empfand ich alles, was um mich schwoll, +gleichsam in mich gepreßt und dort wachsend und glühend. Mir war, als +brenne der geheimnisvolle, lebendige Kern, der in alle Vielfalt einzeln +eingetan ist, aus meinem innersten Wesen, alles spürte ich, in magischer +Wachheit der Sinne den Zorn jedes einzelnen Blattes, den stumpfen Blick +des Hundes, der mit gesenktem Schweife jetzt um die Türen schlich, alles +fühlte ich, und alles, was ich spürte, tat mir weh. Fast körperlich +begann dieser Brand in mir zu werden, und als ich jetzt mit den Fingern +nach dem Holz der Tür griff, knisterte es leise unter ihnen wie Zunder, +brenzlig und trocken. + +Der Gong lärmte zur Abendmahlzeit. Tief in mich schlug der kupferne +Klang hinein, schmerzhaft auch er. Ich wendete mich um. Wo waren die +Menschen hin, die früher hier in Angst und Erregung vorbeigeeilt? Wo war +sie, die hier gestanden als lechzende Welt und der ich ganz vergessen in +den wirren Minuten der Enttäuschung? Alles war verschwunden. Ich stand +allein in der schweigenden Natur. Noch einmal umgriff ich Höhe und Ferne +mit dem Blick. Der Himmel war jetzt ganz leer, aber nicht rein. Über den +Sternen lag ein Schleier, ein grünlich gespannter, und aus dem +aufsteigenden Mond glitzerte der böse Glanz eines Katzenauges. Fahl war +alles da oben, höhnisch und gefährlich, tief drunten aber unter dieser +unsicheren Sphäre dämmerte dunkel die Nacht, phosphoreszierend wie ein +tropisches Meer und mit dem gequälten wollüstigen Atem einer +enttäuschten Frau. Oben stand noch hell und höhnisch eine letzte Helle, +unten müde und lastend eine schwüle Dunkelheit, feindlich war eines dem +andern, unheimlich stummer Kampf zwischen Himmel und Erde. Ich atmete +tief und trank nur Erregung. Ich griff ins Gras. Es war trocken wie Holz +und knisterte blau in meinen Fingern. + +Wieder rief der Gong. Widerlich war mir der tote Klang. Ich hatte keinen +Hunger, kein Verlangen nach Menschen, aber diese einsame Schwüle hier +draußen war zu fürchterlich. Der ganze schwere Himmel lastete stumm auf +meiner Brust, und ich fühlte, ich könnte seinen bleiernen Druck nicht +länger mehr tragen. Ich ging hinein in den Speisesaal. Die Leute saßen +schon an ihren kleinen Tischen. Sie sprachen leise, aber doch, mir war +es zu laut. Denn mir ward alles zur Qual, was an meine aufgereizten +Nerven rührte: das leise Lispeln der Lippen, das Klirren der Bestecke, +das Rasseln der Teller, jede einzelne Geste, jeder Atem, jeder Blick. +Alles zuckte in mich hinein und tat mir weh. Ich mußte mich bemeistern, +um nicht etwas Sinnloses zu tun, denn ich fühlte es an meinem Pulse: +alle meine Sinne hatten Fieber. Jeden einzelnen dieser Menschen mußte +ich ansehen, und gegen jeden fühlte ich Haß, als ich sie so friedlich +dasitzen sah, gefräßig und gemächlich, indessen ich glühte. Irgendein +Neid überkam mich, daß sie so satt und sicher in sich ruhten, anteillos +an der Qual einer Welt, fühllos für die stille Raserei, die in der Brust +der verdurstenden Erde sich regte. Alle griff ich an mit dem Blick, ob +nicht einer wäre, der sie mitfühlte, aber alle schienen stumpf und +unbesorgt. Nur Ruhende und Atmende, Gemächliche waren hier, Wache, +Fühllose, Gesunde, und ich der einzige Kranke, der Einzige im Fieber der +Welt. Der Kellner brachte mir das Essen. Ich versuchte einen Bissen, +vermochte aber nicht, ihn hinabzuwürgen. Alles widerstrebte mir, was +Berührung war. Zu voll war ich von der Schwüle, dem Dunst, dem Brodem +der leidenden, kranken, zerquälten Natur. + +Neben mir rückte ein Sessel. Ich fuhr auf. Jeder Laut streifte jetzt an +mich wie heißes Eisen. Ich sah hin. Fremde Menschen saßen dort, neue +Nachbarn, die ich noch nicht kannte. Ein älterer Herr und seine Frau, +bürgerliche ruhige Leute mit runden gelassenen Augen und kauenden +Wangen. Aber ihnen gegenüber, halb mit dem Rücken zu mir, ein junges +Mädchen, ihre Tochter offenbar. Nur den Nacken sah ich, weiß und schmal +und darüber wie einen Stahlhelm schwarz und fast blau das volle Haar. +Sie saß reglos da, und an ihrer Starre erkannte ich sie als dieselbe, +die früher auf der Terrasse lechzend und aufgetan vor dem Regen +gestanden wie eine weiße, durstende Blume. Ihre kleinen, kränklich +schmalen Finger spielten unruhig mit dem Besteck, aber doch, ohne daß es +klirrte; und diese Stille um sie tat mir wohl. Auch sie rührte keinen +Bissen an, nur einmal griff ihre Hand hastig und gierig nach dem Glas. +Oh, sie fühlt es auch, das Fieber der Welt, spürte ich beglückt an +diesem durstigen Griff, und eine freundliche Teilnahme legte meinen +Blick weich auf ihren Nacken. Einen Menschen, einen einzigen empfand ich +jetzt, der nicht ganz abgeschieden war von der Natur, der auch mitglühte +im Brande einer Welt, und ich wollte, daß sie wisse von unserer +Bruderschaft. Ich hätte ihr zuschreien mögen: »Fühle mich doch! Fühle +mich doch! Auch ich bin wach wie du, auch ich leide! Fühle mich! Fühle +mich!« Mit der glühenden Magnetik des Wunsches umfing ich sie. Ich +starrte in ihren Rücken, umschmeichelte von ferne ihr Haar, bohrte mich +ein mit dem Blick, ich rief sie mit den Lippen, ich preßte sie an, ich +starrte und starrte, warf mein ganzes Fieber aus, damit sie es +schwesterlich fühle. Aber sie wendete sich nicht um. Starr blieb sie, +eine Statue, sitzen, kühl und fremd. Niemand half mir. Auch sie fühlte +mich nicht. Auch in ihr war nicht die Welt. Ich brannte allein. + +Oh, diese Schwüle außen und innen, ich konnte sie nicht mehr ertragen. +Der Dunst der warmen Speisen, fett und süßlich, quälte mich, jedes +Geräusch bohrte sich den Nerven ein. Ich spürte mein Blut wallen und +wußte mich einer purpurnen Ohnmacht nahe. Alles lechzte in mir nach +Kühle und Ferne, und dieses Nahsein, das dumpfe, der Menschen erdrückte +mich. Neben mir war ein Fenster. Ich stieß es auf, weit auf. Und +wunderbar: dort war es ganz geheimnisvoll wieder, dieses unruhige +Flackern in meinem Blute, nur aufgelöst in das Unbegrenzte eines +nächtigen Himmels. Weißgelb flimmerte oben der Mond wie ein entzündetes +Auge in einem roten Ring von Dunst, und über die Felder schlich +geisterhaft ein blasser Brodem hin. Fieberhaft zirpten die Grillen; mit +metallenen Saiten, die schrillten und gellten, schien die Luft +durchspannt. Dazwischen quäkte manchmal leise und sinnlos ein Unkenruf, +Hunde schlugen an, heulend und laut; irgendwo in der Ferne brüllten die +Tiere, und ich entsann mich, daß das Fieber in solchen Nächten den Kühen +die Milch vergifte. Krank war die Natur, auch dort diese stille Raserei +der Erbitterung, und ich starrte aus dem Fenster wie in einen Spiegel +des Gefühls. Mein ganzes Sein bog sich hinaus, meine Schwüle und die der +Landschaft flossen ineinander in eine stumme, feuchte Umarmung. + +Wieder rückten neben mir die Sessel, und wieder schrak ich zusammen. Das +Diner war zu Ende, die Leute standen lärmend auf: auch meine Nachbarn +erhoben sich und gingen an mir vorbei. Der Vater zuerst, gemächlich und +satt, mit freundlichem, lächelndem Blick, dann die Mutter und zuletzt +die Tochter. Jetzt erst sah ich ihr Gesicht. Es war gelblich bleich, von +derselben matten, kranken Farbe wie draußen der Mond, die Lippen waren +noch immer, wie früher, halb geöffnet. Sie ging lautlos und doch nicht +leicht. Irgend etwas Schlaffes und Mattes war an ihr, das mich seltsam +gemahnte an das eigene Gefühl. Ich spürte sie näher kommen und war +gereizt. Etwas in mir wünschte eine Vertraulichkeit mit ihr, sie möchte +mich anstreifen mit ihrem weißen Kleide, oder daß ich den Duft ihres +Haares spüren könnte im Vorübergehen. In diesem Augenblick sah sie mich +an. Starr und schwarz stieß ihr Blick in mich hinein und blieb in mir +festgehakt, tief und saugend, daß ich nur ihn spürte, ihr helles Gesicht +darüber entschwand und ich einzig dieses düsternde Dunkel vor mir +fühlte, in das ich stürzte wie in einen Abgrund. Sie machte noch einen +Schritt vor, aber der Blick ließ mich nicht los, blieb in mich gebohrt +wie eine schwarze Lanze, und ich spürte sein Eindringen tiefer und +tiefer. Nun rührte seine Spitze bis an mein Herz, und es stand still. +Ein, zwei Augenblicke hielt sie so den Blick an und ich den Atem, +Sekunden, während derer ich mich machtlos weggerissen fühlte von dem +schwarzen Magneten dieser Pupille. Dann war sie an mir vorbei. Und +sofort fühlte ich mein Blut vorstürzen wie aus einer Wunde und erregt +durch den ganzen Körper gehen. + +Was -- was war das? Wie aus einem Tode wachte ich auf. War das mein +Fieber, das mich so wirr machte, daß ich im flüchtigen Blick einer +Vorübergehenden gleich ganz mich verlor? Aber mir war gewesen, als hätte +ich in diesem Anschauen die gleiche stille Raserei gespürt, die +schmachtende, sinnlose, verdurstende Gier, die sich mir jetzt in allem +auftat, im Blick des roten Mondes, in den lechzenden Lippen der Erde, in +der schreienden Qual der Tiere, dieselbe, die in mir funkelte und bebte. +Oh, wie wirr alles durcheinander ging in dieser phantastischen schwülen +Nacht, wie alles zergangen war in dies eine Gefühl von Erwartung und +Ungeduld! War es mein Wahnsinn, war es der der Welt? Ich war erregt und +wollte Antwort wissen, und so ging ich ihr nach in die Halle. Sie hatte +sich dort niedergesetzt neben ihre Eltern und lehnte still in einem +Fauteuil. Unsichtbar war der gefährliche Blick unter den verhangenen +Lidern. Sie las ein Buch, aber ich glaubte ihr nicht, daß sie lese. Ich +war gewiß, daß, wenn sie fühlte wie ich, wenn sie litt mit der sinnlosen +Qual der verschwülten Welt, daß sie nicht rasten könnte im stillen +Betrachten, daß dies ein Verstecken war, ein Verbergen vor fremder +Neugier. Ich setzte mich gegenüber und starrte sie an, ich wartete +fiebernd auf den Blick, der mich bezaubert hatte, ob er nicht +wiederkommen wolle und mir sein Geheimnis lösen. Aber sie rührte sich +nicht. Die Hand schlug gleichgültig Blatt um Blatt im Buche, der Blick +blieb verhangen. Und ich wartete gegenüber, wartete heißer und heißer, +irgendeine rätselhafte Macht des Willens spannte sich, muskelhaft stark, +ganz körperlich, diese Verstellung zu zerbrechen. Zwischen all den +Menschen, die dort gemächlich sprachen, rauchten und Karten spielten, +hub nun ein stummes Ringen an. Ich spürte, daß sie sich weigerte, daß +sie es sich versagte, aufzuschauen, aber je mehr sie widerstrebte, desto +stärker wollte es mein Trotz, und ich war stark, denn in mir war die +Erwartung der ganzen lechzenden Erde und die dürstende Glut der +enttäuschten Welt. Und so wie an meine Poren noch immer die feuchte +Schwüle der Nacht, so drängte sich mein Wille gegen den ihren, und ich +wußte, sie müßte mir nun bald einen Blick hergeben, sie müßte es. +Rückwärts im Saale begann jemand Klavier zu spielen. Die Töne perlten +leise herüber, auf und ab in flüchtigen Skalen, drüben lachte jetzt eine +Gesellschaft lärmend über irgendeinen albernen Scherz, ich hörte alles, +fühlte alles, was geschah, ohne aber für eine Minute nachzulassen. Ich +zählte jetzt laut vor mich hin die Sekunden, während ich an ihren Lidern +zog und sog, während ich von ferne durch die Hypnose des Willens ihren +störrisch niedergebeugten Kopf aufheben wollte. Minute auf Minute rollte +vorüber -- immer perlten die Töne von drüben dazwischen -- und schon +spürte ich, daß meine Kraft nachließ -- da plötzlich hob sie mit einem +Ruck sich auf und sah mich an, gerade hin auf mich. Wieder war es der +gleiche Blick, der nicht endete, ein schwarzes, furchtbares, saugendes +Nichts, ein Durst, der mich einsog, ohne Widerstand. Ich starrte in +diese Pupillen hinein wie in die schwarze Höhlung eines photographischen +Apparates und spürte, daß er zuerst mein Gesicht nach innen zog in das +fremde Blut hinein und ich wegstürzte von mir; der Boden schwand unter +meinen Füßen, und ich empfand die ganze Süße des schwindelnden Sturzes. +Hoch oben über mir hörte ich noch die klingenden Skalen auf und nieder +rollen, aber schon wußte ich nicht mehr, wo mir dies geschah. Mein Blut +war weggeströmt, mein Atem stockte. Schon spürte ich, wie es mich +würgte, diese Minute oder Stunde oder Ewigkeit -- da schlugen ihre Lider +wieder zu. Ich tauchte auf wie ein Ertrinkender aus dem Wasser, +frierend, geschüttelt von Fieber und Gefahr. + +Ich sah um mich. Mir gegenüber saß unter den Menschen, still über ein +Buch gebeugt, bloß mehr ein schlankes junges Mädchen, regungslos, +bildhaft, nur leise unter dem dünnen Gewand wippte das Knie. Auch meine +Hände zitterten. Ich wußte, daß jetzt dieses wollüstige Spiel von +Erwartung und Widerstand wieder beginnen sollte, daß ich Minuten +angespannt fordern mußte, um dann plötzlich wieder so in schwarze +Flammen getaucht zu werden von einem Blick. Meine Schläfen waren feucht, +in mir siedete das Blut. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich stand +auf, ohne mich umzuwenden, und ging hinaus. + +Weit war die Nacht vor dem glänzenden Haus. Das Tal schien versunken, +und der Himmel glänzte feucht und schwarz wie nasses Moos. Auch hier war +keine Kühlung, noch immer nicht, überall auch hier das gleiche, +gefährliche Sichgatten von Dürsten und Trunkenheit, das ich im Blute +spürte. Etwas Ungesundes, Feuchtes, wie die Ausdünstung eines +Fiebernden, lag über den Feldern, die milchweißen Dunst brauten, ferne +Feuer zuckten und geisterten durch die schwere Luft, und um den Mond lag +ein gelber Ring und machte seinen Blick bös. Ich fühlte mich müde wie +nie. Ein geflochtener Stuhl, noch vom Tag her vergessen, stand da: ich +warf mich hinein. Die Glieder fielen von mir ab, regungslos streckte ich +mich hin. Und da, nur nachgebend angeschmiegt an das weiche Rohr, +empfand ich mit einemmal die Schwüle als wunderbar. Sie quälte nicht +mehr, sie drängte sich nur an, zärtlich und wollüstig, und ich wehrte +ihr nicht. Nur die Augen hielt ich geschlossen, um nichts zu sehen, um +stärker die Natur zu fühlen, das Lebendige, das mich umfing. Wie ein +Polyp, ein weiches, glattes, saugendes Wesen umdrängte mich jetzt, +berührte mich mit tausend Lippen die Nacht. Ich lag und fühlte mich +nachgeben, hingeben an irgend etwas, das mich umfaßte, umschmiegte, +umringte, das mein Blut trank, und zum erstenmal empfand ich in dieser +schwülen Umfassung sinnlich wie eine Frau, die sich auflöst in der +sanften Ekstase der Hingebung. Ein süßes Grauen wars mir, mit einem Male +widerstandslos zu sein und ganz meinen Leib nur der Welt hinzugeben, +wunderbar war es, wie dies Unsichtbare meine Haut zärtlich anrührte und +allmählich unter sie drang, mir die Gelenke lockerer löste, und ich +wehrte mich nicht gegen dieses Laßwerden der Sinne. Ich ließ mich +hingleiten in das neue Gefühl, und dunkel, traumhaft empfand ich nur, +daß dies: die Nacht und jener Blick von früher, die Frau und die +Landschaft, daß dies eins war, in dem es süß war, verloren zu sein. +Manchmal war mir, als wäre diese Dunkelheit nur sie, und jene Wärme, die +meine Glieder rührte, ihr eigener Leib, gelöst in Nacht wie der meine, +und noch im Traume sie empfindend, schwand ich hin in dieser schwarzen, +warmen Welle von wollüstiger Verlorenheit. + +Irgend etwas schreckte mich auf. Mit allen Sinnen griff ich um mich, +ohne mich zu finden. Und dann sah ichs, erkannte ichs, daß ich da +gelehnt hatte mit geschlossenen Augen und in Schlaf gesunken war. Ich +mußte geschlummert haben, eine Stunde oder Stunden vielleicht, denn das +Licht in der Halle des Hotels war schon erloschen und alles längst zur +Ruhe gegangen. Das Haar klebte mir feucht an den Schläfen, wie ein +heißer Tau schien dieser traumhaft traumlose Schlummer über mich +gesunken zu sein. Ganz wirr stand ich auf, mich ins Haus zurückzufinden. +Dumpf war mir zumute, aber diese Wirrnis war auch um mich. Etwas grölte +in der Ferne, und manchmal funkelte ein Wetterleuchten gefährlich über +den Himmel hin. Die Luft schmeckte nach Feuer und Funken, es glänzten +verräterische Blitze hinter den Bergen, und in mir phosphoreszierte +Erinnerung und Vorgefühl. Ich wäre gern geblieben, mich zu besinnen, den +geheimnisvollen Zustand genießend aufzulösen: aber die Stunde war spät, +und ich ging hinein. + +Die Halle war schon leer, die Sessel standen noch zufällig durcheinander +gerückt im fahlen Schein eines einzelnen Lichtes. Gespenstisch war ihre +unbelebte Leere, und unwillkürlich formte ich in den einen die zarte +Gestalt des sonderbaren Wesens hinein, das mich mit seinen Blicken so +verwirrt gemacht. Ihr Blick in der Tiefe meines Wesens war noch +lebendig. Er rührte sich, und ich spürte, wie er mich aus dem Dunkel +anglänzte, eine geheimnisvolle Ahnung witterte ihn noch irgendwo wach in +diesen Wänden, und seine Verheißung irrlichterte mir im Blut. Und so +schwül war es noch immer! Kaum daß ich die Augen schloß, fühlte ich +purpurne Funken hinter den Lidern. Noch glänzte in mir der weiße, +glühende Tag, noch fieberte in mir diese flirrende, feuchte, funkelnde, +phantastische Nacht! + +Aber ich konnte hier im Flur nicht bleiben, es war alles dunkel und +verlassen. So ging ich die Treppe hinauf und wollte doch nicht. +Irgendein Widerstand war in mir, den ich nicht zu zähmen wußte. Ich war +müde, und doch fühlte ich mich zu früh für den Schlaf. Irgendeine +geheimnisvolle, hellsichtige Witterung verhieß mir noch Abenteuerliches, +und meine Sinne streckten sich vor, Lebendiges, Warmes zu erspähen. Wie +mit feinen, gelenkigen Fühlern drang es aus mir in den Treppengang, +rührte an alle Gemächer, und wie früher hinaus in die Natur, so warf ich +jetzt mein ganzes Fühlen in das Haus, und ich spürte den Schlaf, das +gemächliche Atemgehen vieler Menschen darin, das schwere, traumlose +Wogen ihres dicken schwarzen Blutes, ihre einfältige Ruhe und Stille, +aber doch auch das magnetische Ziehen irgendeiner Kraft. Ich ahnte +irgend etwas, das wach war wie ich. War es jener Blick, war es die +Landschaft, die diesen feinen purpurnen Wahnsinn in mich getan? Ich +glaubte irgend etwas Weiches durch Wall und Wand zu spüren, eine kleine +Flamme von Unruhe in mir zitterte und lockte im Blut und brannte nicht +aus. Widerwillig ging ich die Treppe hinauf und blieb doch immer stehen +auf jeder Stufe und horchte aus mir heraus; nicht mit dem Ohr nur, +sondern mit allen Sinnen. Nichts wäre mir wunderlich gewesen, alles in +mir lauerte noch auf ein Unerhörtes, Seltsames, denn ich wußte, die +Nacht konnte nicht enden ohne ein Wunderbares, diese Schwüle nicht enden +ohne den Blitz. Noch einmal war ich, wie ich da horchend auf dem +Treppengeländer stand, die ganze Welt draußen, die sich reckte in ihrer +Ohnmacht und nach dem Gewitter schrie. Aber nichts rührte sich. Nur +leiser Atem zog durch das windstille Haus. Müde und enttäuscht ging ich +die letzten Stufen hinauf, und mir graute vor meinem einsamen Zimmer wie +vor einem Sarg. + +Die Klinke schimmerte unsicher aus dem Dunkel, feucht und warm zu +fassen. Ich öffnete die Tür. Rückwärts stand das Fenster offen und tat +ein schwarzes Viereck von Nacht auf, gedrängte Tannenwipfel drüben vom +Wald und dazwischen ein Stück des verwölkten Himmels. Dunkel war alles +außen und innen, die Welt und das Zimmer, nur -- seltsam und +unerklärlich -- am Fensterrahmen glänzte etwas Schmales, Aufrechtes wie +ein verlorener Streifen Mondschein. Ich trat verwundert näher, zu sehen, +was da so hell schimmerte in mondverhangener Nacht. Ich trat näher, und +da regte sichs. Ich erstaunte: aber doch, ich erschrak nicht, denn etwas +war in dieser Nacht in mir wunderlich dem Phantastischesten bereit, +alles schon vorher gedacht und traumbewußt. Keine Begegnung wäre mir +sonderbar gewesen und diese am wenigsten, denn wirklich: sie war es, die +dort stand, sie, an die ich unbewußt gedacht, bei jeder Stufe, bei jedem +Schritt in dem schlafenden Haus, und deren Wachheit meine aufgefunkelten +Sinne durch Diele und Tür gespürt. Nur als einen Schimmer sah ich ihr +Gesicht, und wie ein Dunst lag um sie das weiße Nachtgewand. Sie lehnte +am Fenster, und wie sie dastand, ihr Wesen hinausgewandt in die +Landschaft, von dem schimmernden Spiegel der Tiefe geheimnisvoll +angezogen in ihr Schicksal, schien sie märchenhaft, Ophelia über dem +Teiche. + +Ich trat näher, scheu und erregt zugleich. Das Geräusch mußte sie +erreicht haben, sie wendete sich um. Ihr Gesicht war im Schatten. Ich +wußte nicht, ob sie mich wirklich erblickte, ob sie mich hörte, denn +nichts Jähes war in ihrer Bewegung, kein Erschrecken, kein Widerstand. +Alles war ganz still um uns. An der Wand tickte eine kleine Uhr. Ganz +still blieb es, und dann sagte sie plötzlich leise und unvermutet: »Ich +fürchte mich so.« + +Zu wem sprach sie? Hatte sie mich erkannt? Meinte sie mich? Redete sie +aus dem Schlaf? Es war die gleiche Stimme, der gleiche zitternde Ton, +der heute nachmittag draußen vor den nahen Wolken geschauert, da mich +ihr Blick noch gar nicht bemerkt. Seltsam war dies, und doch war ich +nicht verwundert, nicht verwirrt. Ich trat auf sie zu, sie zu beruhigen +und faßte ihre Hand. Wie Zunder fühlte sie sich an, heiß und trocken, +und der Griff der Finger zerbröckelte weich in meiner Umfassung. Lautlos +ließ sie mir die Hand. Alles an ihr war schlaff, wehrlos, abgestorben. +Und nur von den Lippen flüsterte es nochmals wie aus einer Ferne: »Ich +fürchte mich so! Ich fürchte mich so.« Und dann in einem Seufzer +hinsterbend wie aus einem Ersticken: »Ach, wie schwül es ist!« Das klang +von ferne und war doch leise geflüstert wie ein Geheimnis zwischen uns +beiden. Aber ich fühlte dennoch: sie sprach nicht zu mir. + +Ich faßte ihren Arm. Sie zitterte nur leise wie die Bäume nachmittags +vor dem Gewitter, aber sie wehrte sich nicht. Ich faßte sie fester: sie +gab nach. Schwach, ohne Widerstand, eine warme, stürzende Welle fielen +ihre Schultern gegen mich. Nun hatte ich sie ganz nahe an mir, daß ich +die Schwüle ihrer Haut atmen konnte und den feuchten Duft ihres Haares. +Ich bewegte mich nicht, und sie blieb stumm. Seltsam war all dies, und +meine Neugier begann zu funkeln. Allmählich wuchs meine Ungeduld. Ich +rührte mit meinen Lippen an ihr Haar -- sie wehrte ihnen nicht. Dann +nahm ich ihre Lippen. Sie waren trocken und heiß, und als ich sie küßte, +taten sie sich plötzlich auf, um von den meinen zu trinken, aber nicht +dürstend und leidenschaftlich, sondern mit dem stillen, schlaffen, +begehrlichen Saugen eines Kindes. Eine Verschmachtende, so fühlte ich +sie, und so wie ihre Lippen sog sich ihr schlanker, durch das dünne +Gewand warm wogender Körper mir ganz so an, wie früher draußen die +Nacht, ohne Kraft, aber voll einer stillen, trunkenen Gier. Und da, wie +ich sie hielt -- meine Sinne funkelten noch grell durcheinander -- +spürte ich die warme feuchte Erde an mir, wie sie heute dalag, dürstend +nach dem Schauer der Entspannung, die heiße, machtlose, glühende +Landschaft. Ich küßte und küßte sie und empfand, als genieße ich die +große, schwüle, harrende Welt in ihr, als wäre diese Wärme, die von +ihren Wangen glühte, der Brodem der Felder, als atmete von ihren +weichen, warmen Brüsten das schauernde Land. + +Doch da, wie meine wandernden Lippen zu ihren Lidern emporwollten, zu +den Augen, deren schwarze Flammen ich so schauernd gefühlt, da ich mich +hob, ihr Gesicht zu schauen und im Anschauen stärker zu genießen, sah +ich überrascht, daß ihre Lider fest geschlossen waren. Eine griechische +Maske aus Stein, augenlos, ohnmächtig, lag sie da, Ophelia nun, die +tote, auf den Wassern treibend, bleich das fühllose Antlitz gehoben aus +der dunklen Flut. Ich erschrak. Zum erstenmal fühlte ich Wirklichkeit in +dem phantastischen Begeben. Schaudernd überfiel mich die Erkenntnis, daß +ich da eine Unbewußte nahm, eine Trunkene, eine Kranke, eine +Schlafwandlerin ihrer Sinne in den Armen hielt, die mir nur die Schwüle +der Nacht hergetrieben wie ein roter, gefährlicher Mond, ein Wesen, das +nicht wußte, was es tat, das mich vielleicht nicht wollte. Ich erschrak, +und sie ward mir im Arme schwer. Leise wollte ich die Willenlose +hingleiten lassen auf den Sessel, auf das Bett, um nicht aus einem +Taumel Lust zu stehlen, nicht etwas zu nehmen, was sie vielleicht selbst +nicht wollte, sondern nur jener Dämon in ihr, der Herr ihres Blutes war. +Aber kaum fühlte sie, daß ich nachließ, begann sie leise zu stöhnen: +»Laß mich nicht! Laß mich nicht!« flehte sie, und heißer sogen ihre +Lippen, drängte ihr Körper sich an. Schmerzhaft war ihr Gesicht mit den +verschlossenen Augen gespannt, und schauernd spürte ich, daß sie wach +werden wollte und nicht konnte, daß ihre trunkenen Sinne aus dem +Gefängnis dieser Umnachtung schrieen und wissend werden wollten. Aber +gerade dies, daß unter dieser bleiernen Maske von Schlaf etwas rang, das +aus seiner Bezauberung wollte, war gefährliche Lockung für mich, sie zu +erwecken. Meine Nerven brannten vor Ungeduld, sie wach, sie sprechend, +sie als wirkliches Wesen zu sehen, nicht bloß als Traumwandlerin, und um +jeden Preis wollte ich aus ihrem dumpf genießenden Körper diese Wachheit +zwingen. Ich riß sie an mich, ich schüttelte sie, ich klemmte die Zähne +in ihre Lippen und meine Finger in ihre Arme, damit sie endlich die +Augen aufschlüge und nun besonnen täte, was hier nur dumpf ein Trieb in +ihr genoß. Aber sie bog sich nur und stöhnte unter der schmerzhaften +Umklammerung. »Mehr! Mehr!« stammelte sie mit einer Inbrunst, mit einer +sinnlosen Inbrunst, die mich erregte und selbst sinnlos machte. Ich +spürte, daß das Wache bereits nahe in ihr war, daß es aufbrechen wollte +unter den geschlossenen Lidern, denn sie zuckten schon unruhig. Näher +faßte ich sie, tiefer grub ich mich in sie ein, und plötzlich fühlte +ich, wie eine Träne die Wange hinabrollte, die ich salzig trank. +Furchtbar wogte es, je mehr ich sie preßte, in ihrer Brust, sie stöhnte, +ihre Glieder krampften sich, als wollten sie etwas Ungeheures sprengen, +einen Reif, der sie mit Schlaf umschloß, und plötzlich -- wie ein Blitz +war es durch die gewitternde Welt -- brach es in ihr entzwei. Mit +einemmal ward sie wieder schweres, lastendes Gewicht in meinen Armen, +ihre Lippen ließen mich, die Hände sanken, und wie ich sie zurücklehnte +auf das Bett, blieb sie liegen gleich einer Toten. Ich erschrak. +Unwillkürlich fühlte ich sie an und tastete ihre Arme und ihre Wangen. +Sie waren ganz kalt, erfroren, steinern. Nur an den Schläfen oben tickte +leise in zitternden Schlägen das Blut. Marmor, eine Statue, lag sie da, +feucht die Wangen von Tränen, den Atem leise spielend um die gespannten +Nüstern. Manchmal überrann sie noch leise ein Zucken, eine verebbende +Welle des erregten Blutes, doch die Brust wogte immer leiser und leiser. +Immer mehr schien sie Bild zu werden. Immer menschlicher und kindlicher, +immer heller, entspannter wurden ihre Züge. Der Krampf war entflogen. +Sie schlummerte. Sie schlief. + +Ich blieb sitzen am Bettrand, zitternd über sie gebeugt. Ein friedliches +Kind lag sie da, die Augen geschlossen und den Mund leise lächelnd, +belebt von innerem Traum. Ganz nahe beugte ich mich herab, daß ich jede +Linie ihres Antlitzes einzeln sah und den Hauch ihres Atems an der Wange +fühlte, und von je näher ich auf sie blickte, desto ferner ward sie mir +und geheimnisvoller. Denn wo war sie jetzt mit ihren Sinnen, die da +steinern lag, hergetrieben von der heißen Strömung einer schwülen Nacht, +zu mir, dem Fremden, und nun wie tot gespült an den Strand? Wer war es, +die hier an meinen Händen lag, wo kam sie her, wem gehörte sie zu? Ich +wußte nichts von ihr und fühlte nur immer, daß nichts mich ihr verband. +Ich blickte sie an, einsame Minuten, während nur die Uhr eilfertig von +oben tickte, und suchte in ihrem sprachlosen Antlitz zu lesen, und doch +ward nichts von ihr vertraut. Ich hatte Lust, sie aufzuwecken aus diesem +fremden Schlaf hier in meiner Nähe, in meinem Zimmer, hart an meinem +Leben, und hatte doch gleichzeitig Furcht vor dem Erwachen, vor dem +ersten Blick ihrer wachen Sinne. So saß ich da, stumm, eine Stunde +vielleicht oder zwei über den Schlaf dieses fremden Wesens gebeugt, und +allmählich ward mirs, als sei es keine Frau mehr, kein Mensch, der hier +abenteuerlich sich mir genaht, sondern die Nacht selbst, das Geheimnis +der lechzenden, gequälten Natur, das sich mir aufgetan. Mir war, als +läge hier unter meinen Händen die ganze heiße Welt mit ihren +entschwülten Sinnen, als hätte sich die Erde aufgebäumt in ihrer Qual +und sie als Boten gesandt aus dieser seltsamen, phantastischen Nacht. + +Etwas klirrte hinter mir. Ich fuhr auf wie ein Verbrecher. Nochmals +klirrte das Fenster, als rüttelte eine riesige Faust daran. Ich sprang +auf. Vor dem Fenster stand ein Fremdes: eine verwandelte Nacht, neu und +gefährlich, schwarzfunkelnd und voll wilder Regsamkeit. Ein Sausen war +dort, ein furchtbares Rauschen, und schon baute sichs auf zum schwarzen +Turm des Himmels, schon warf sichs mir entgegen aus der Nacht, kalt, +feucht und mit wildem Stoß: der Wind. Aus dem Dunkel sprang er, gewaltig +und stark, seine Fäuste rissen an den Fenstern, hämmerten gegen das +Haus. Wie ein furchtbarer Schlund war das Finstere aufgetan, Wolken +fuhren heran und bauten schwarze Wände in rasender Eile empor, und etwas +sauste gewalttätig zwischen Himmel und Welt. Weggerissen war die +beharrliche Schwüle von dieser wilden Strömung, alles flutete, dehnte, +regte sich, eine rasende Flucht war von einem Ende zum andern des +Himmels, und die Bäume, die festgewurzelten in der Erde, stöhnten unter +der unsichtbaren, sausenden, pfeifenden Peitsche des Sturmes. Und +plötzlich riß dies weiß entzwei: ein Blitz, den Himmel spaltend bis zur +Erde hinab. Und hinter ihm knatterte der Donner, als krachte das ganze +Gewölk in die Tiefe. Hinter mir rührte sichs. Sie war aufgefahren. Der +Blitz hatte den Schlaf von ihren Augen gerissen. Verwirrt starrte sie um +sich. »Was ists,« sagte sie, »wo bin ich?« Und ganz anders war die +Stimme als vordem. Angst bebte noch darin, aber der Ton klang jetzt +klar, war scharf und rein wie die neugegorene Luft. Wieder riß ein Blitz +den Rahmen der Landschaft auf: im Flug sah ich den erhellten Umriß der +Tannen, geschüttelt vom Sturm, die Wolken, die wie rasende Tiere über +den Himmel liefen, das Zimmer kalkweiß erhellt und weißer als alles ihr +blasses Gesicht. Sie sprang empor. Ihre Bewegungen waren mit einemmal +frei, wie ich sie nie an ihr gesehen. Sie starrte mich an in der +Dunkelheit. Ich spürte ihren Blick schwärzer als die Nacht. »Wer sind +Sie ... Wo bin ich?« stammelte sie und raffte erschreckt das +aufgesprengte Gewand über der Brust zusammen. Ich trat näher, sie zu +beruhigen, aber sie wich aus. »Was wollen Sie von mir?« schrie sie mit +voller Kraft, da ich ihr nahe kam. Ich wollte ein Wort suchen, um sie zu +beruhigen, sie anzusprechen, aber da merkte ich erst, daß ich ihren +Namen nicht kannte. Wieder warf ein Blitz Licht über das Zimmer. Wie mit +Phosphor bestrichen, blendeten kalkweiß die Wände, weiß stand sie vor +mir, die Arme im Schrecken gegen mich gestemmt, und in ihrem nun wachen +Blick war grenzenloser Haß. Vergebens wollte ich im Dunkel, das mit dem +Donner auf uns niederfiel, sie fassen, beruhigen, ihr etwas erklären, +aber sie riß sich los, stieß die Türe auf, die ein neuer Blitz ihr wies, +und stürzte hinaus. Und mit der Tür, die zufiel, krachte der Donner +nieder, als seien alle Himmel auf die Erde gefallen. + +Und dann rauschte es, Bäche stürzten von unendlicher Höhe wie +Wasserfälle, und der Sturm schwenkte sie als nasse Taue prasselnd hin +und her. Manchmal schnellte er Büschel eiskalten Wassers und süßer, +gewürzter Luft zum Fensterrahmen herein, wo ich schauend stand, bis das +Haar mir naß war und ich troff von den kalten Schauern. Aber ich war +selig, das reine Element zu fühlen, mir war, als löste nun auch meine +Schwüle sich in den Blitzen los, und ich hätte schreien mögen vor Lust. +Alles vergaß ich in dem ekstatischen Gefühl, wieder atmen zu können und +frisch zu sein, und ich sog diese Kühle in mich wie die Erde, wie das +Land: ich fühlte den seligen Schauer des Durchrütteltseins wie die +Bäume, die sich zischend schwangen unter der nassen Rute des Regens. +Dämonisch schön war der wollüstige Kampf des Himmels mit der Erde, eine +gigantische Brautnacht, deren Lust ich mitfühlend genoß. Mit Blitzen +griff der Himmel herab, mit Donner stürzte er auf die Erbebende nieder, +und es war in diesem stöhnenden Dunkel ein rasendes Ineinandersinken von +Höhe und Tiefe, wie von Geschlecht zu Geschlecht. Die Bäume stöhnten vor +Wollust, und mit immer glühenderen Blitzen flocht sich die Ferne +zusammen, man sah die heißen Adern des Himmels offen stehen, sie +sprühten sich aus und mengten sich mit den nassen Rinnsalen der Wege. +Alles brach auseinander und stürzte zusammen, Nacht und Welt -- ein +wunderbarer neuer Atem, in den sich der Duft der Felder vermengte mit +dem feurigen Odem des Himmels, drang kühl in mich ein. Drei Wochen +zurückgehaltener Glut rasten sich in diesem Kampf aus, und auch in mir +fühlte ich die Entspannung. Es war mir, als rauschte der Regen in meine +Poren hinein, als durchsause reinigend der Wind meine Brust, und ich +fühlte mich und mein Erleben nicht mehr einzeln und beseelt, ich war nur +Welt, Orkan, Schauer, Wesen und Nacht im Überschwang der Natur. Und +dann, als alles mählich stiller war, die Blitze bloß blau und +ungefährlich den Horizont umschweiften, der Donner nur mehr väterlich +mahnend grollte und das Rauschen des Regens rhythmisch ward im +ermattenden Wind, da kam auch mich ein Leiserwerden und Müdigkeit an. +Wie Musik fühlte ich meine schwingenden Nerven erklingen, und sanfte +Gelöstheit sank in meine Glieder. Oh, schlafen jetzt mit der Natur und +dann aufwachen mit ihr! Ich warf die Kleider ab und mich ins Bett. Noch +waren weiche, fremde Formen darin. Ich spürte sie dumpf, das seltsame +Abenteuer wollte sich noch einmal besinnen, aber ich verstand es nicht +mehr. Der Regen draußen rauschte und rauschte und wusch mir meine +Gedanken weg. Ich fühlte alles nur mehr als Traum. Immer wollte ich noch +etwas zurückdenken von dem, was mir geschehen war, aber der Regen +rauschte und rauschte, eine wunderbare Wiege war die sanfte, klingende +Nacht, und ich sank in sie hinein, einschlummernd in ihrem Schlummer. + +Am nächsten Morgen, als ich ans Fenster trat, sah ich eine verwandelte +Welt. Klar, mit festen Umrissen, heiter lag das Land in sicherem, +sonnigem Glanz, und hoch über ihm, ein leuchtender Spiegel dieser +Stille, wölbte der Horizont sich blau und fern. Klar waren die Grenzen +gezogen, unendlich fern stand der Himmel, der gestern sich tief hinab in +die Felder gewühlt und sie fruchtbar gemacht. Jetzt aber war er fern, +weltenweit und ohne Zusammenhang, nirgends rührte er sie mehr an, die +duftende, atmende, gestillte Erde, sein Weib. Ein blauer Abgrund +schimmerte kühl zwischen ihm und der Tiefe, wunschlos blickten sie +einander an und fremd, der Himmel und die Landschaft. + +Ich ging hinab in den Saal. Die Menschen waren schon beisammen. Anders +war auch ihr Wesen als in diesen entsetzlichen Wochen der Schwüle. Alles +regte und bewegte sich. Ihr Lachen klang hell, ihre Stimmen melodisch, +metallen, die Dumpfheit war entflogen, die sie behinderte, das schwüle +Band gesunken, das sie umflocht. Ich setzte mich zwischen sie, ganz ohne +Feindlichkeit, und irgendeine Neugier suchte nun auch die Andere, deren +Bild mir der Schlaf fast entwunden. Und wirklich, zwischen Vater und +Mutter am Nebentisch saß sie dort, die ich suchte. Sie war heiter, ihre +Schultern leicht, und ich hörte sie lachen, klingend und unbesorgt. +Neugierig umfaßte ich sie mit dem Blick. Sie bemerkte mich nicht. Sie +erzählte irgend etwas, das sie froh machte, und zwischen die Worte +perlte ein kindliches Lachen hinein. Endlich sah sie gelegentlich auch +zu mir hinüber, und bei dem flüchtigen Anstreifen stockte unwillkürlich +ihr Lachen. Sie sah mich schärfer an. Etwas schien sie zu befremden, die +Brauen schoben sich hoch, streng und gespannt umfragte mich ihr Auge, +und allmählich bekam ihr Gesicht einen angestrengten, gequälten Zug, als +ob sie sich durchaus auf etwas besinnen wollte und es nicht vermöchte. +Ich blieb erwartungsvoll mit ihr Blick in Blick, ob nicht ein Zeichen +der Erregung oder der Beschämung mich grüßen würde, aber schon sah sie +wieder weg. Nach einer Minute kam ihr Blick noch einmal, um sich zu +vergewissern, zurück. Noch einmal prüfte er mein Gesicht. Eine Sekunde +nur, eine lange gespannte Sekunde, fühlte ich seine harte, stechende, +metallene Sonde tief in mich dringen, doch dann ließ ihr Auge mich +beruhigt los, und an der unbefangenen Helle ihres Blickes, der leichten, +fast frohen Wendung ihres Kopfes spürte ich, daß sie wach nichts mehr +von mir wußte, daß unsere Gemeinschaft versunken war mit der magischen +Dunkelheit. Fremd und weit waren wir wieder einander wie Himmel und +Erde. Sie sprach zu ihren Eltern, wiegte unbesorgt die schlanken, +jungfräulichen Schultern, und heiter glänzten im Lächeln die Zähne unter +den schmalen Lippen, von denen ich doch noch vor Stunden den Durst und +die Schwüle einer ganzen Welt getrunken. + + + + + Phantastische Nacht + + +Die nachfolgenden Aufzeichnungen fanden sich als versiegeltes Paket im +Schreibtisch des Barons Friedrich Michael von R..., nachdem er im Herbst +1914 als österreichischer Reserveoberleutnant bei einem Dragonerregiment +in der Schlacht bei Rawaruska gefallen war. Da die Familie nach der +Titelüberschrift und bloß flüchtigem Einblick in diesen Blättern nur +eine literarische Arbeit ihres Verwandten vermutete, übergaben sie mir +die Aufzeichnungen zur Prüfung und stellten mir ihre Veröffentlichung +anheim. Ich persönlich halte diese Blätter nun durchaus nicht für eine +erfundene Erzählung, sondern für ein wirkliches, in allen Einzelheiten +tatsächliches Erlebnis des Gefallenen und veröffentliche unter +Unterdrückung des Namens seine seelische Selbstenthüllung ohne jede +Änderung und Beifügung. + + * * * * * + +Heute morgens überkam mich plötzlich der Gedanke, ich sollte das +Erlebnis jener phantastischen Nacht für mich niederschreiben, um die +ganze Begebenheit in ihrer natürlichen Reihenfolge einmal geordnet zu +überblicken. Und seit dieser jähen Sekunde fühle ich einen +unerklärlichen Zwang, mir im geschriebenen Wort jenes Abenteuer +darzustellen, obzwar ich bezweifle, auch nur annähernd die Sonderbarkeit +der Vorgänge schildern zu können. Mir fehlt jede sogenannte +künstlerische Begabung, ich habe keinerlei Übung in literarischen +Dingen, und abgesehen von einigen mehr scherzhaften Produkten im +Theresianum habe ich mich nie im Schriftstellerischen versucht. Ich weiß +zum Beispiel nicht einmal, ob es eine besonders erlernbare Technik gibt, +um die Aufeinanderfolge von äußern Dingen und ihre gleichzeitige innere +Spiegelung zu ordnen, frage mich auch, ob ich es vermag, dem Sinn immer +das rechte Wort, dem Wort den rechten Sinn zu geben und so jene Balance +zu gewinnen, die ich von je bei jedem rechten Erzähler im Lesen unbewußt +spürte. Aber ich schreibe diese Zeilen ja nur für mich, und sie sind +keineswegs bestimmt, etwas, was ich kaum mir selber zu erklären vermag, +andern verständlich zu machen. Sie sind nur ein Versuch, mit irgendeinem +Geschehnis, das mich ununterbrochen beschäftigt und in schmerzhaft +quellender Gärung bewegt, in einem gewissen Sinne endlich einmal fertig +zu werden, es festzulegen, vor mich hinzustellen und von allen Seiten zu +umfassen. + +Ich habe von dieser Begebenheit keinem meiner Freunde erzählt, eben aus +jenem Gefühl, ich könnte ihnen das Wesentliche daran nicht verständlich +machen, und dann auch aus einer gewissen Scham, von einer so zufälligen +Angelegenheit dermaßen erschüttert und umgewühlt worden zu sein. Denn +das Ganze ist eigentlich nur ein kleines Erlebnis. Aber wie ich dies +Wort jetzt hinschreibe, beginne ich schon zu bemerken, wie schwer es für +einen Ungeübten wird, beim Schreiben die Worte in ihrem rechten Gewicht +zu wählen, und welche Zweideutigkeit, welche Mißverständnismöglichkeit +sich an das einfachste Vokabel knüpft. Denn wenn ich mein Erlebnis ein +»kleines« nenne, so meine ich dies natürlich nur im relativen Sinn, im +Gegensatz zu den gewaltigen dramatischen Geschehnissen, von denen ganze +Völker und Schicksale mitgerissen werden, und meine es andererseits im +zeitlichen Sinne, weil der ganze Vorgang keinen größeren Raum umspannt +als knappe sechs Stunden. Für mich aber war dies -- im allgemeinen Sinn +also kleine, unbedeutsame und unwichtige -- Erlebnis so ungeheuer viel, +daß ich heute -- vier Monate nach jener phantastischen Nacht -- noch +davon glühe und alle meine geistigen Kräfte anspannen muß, um es in +meiner Brust zu bewahren. Täglich, stündlich wiederhole ich mir alle +seine Einzelheiten, denn es ist gewissermaßen der Drehpunkt meiner +ganzen Existenz geworden, alles, was ich tue und rede, ist unbewußt von +ihm bestimmt, meine Gedanken beschäftigen sich einzig damit, sein +plötzliches Geschehen immer und immer wieder zu wiederholen und durch +dieses Wiederholen mir als Besitz zu bestätigen. Und jetzt weiß ich auch +mit einemmal, was ich vor zehn Minuten, da ich die Feder ansetzte, +bewußt noch nicht ahnte: daß ich mir dies Erlebnis nur deshalb jetzt +hinschreibe, um es ganz sicher und gleichsam sachlich fixiert vor mir zu +haben, es noch einmal nachzugenießen im Gefühl und gleichzeitig geistig +zu erfassen. Es ist ganz falsch, ganz unwahr, wenn ich vorhin sagte, ich +wollte damit fertig werden, indem ich es niederschreibe, im Gegenteil, +ich will das zu rasch Gelebte nur noch lebendiger haben, es neben mich +warm und atmend stellen, um es immer und immer umfangen zu können. Oh, +ich habe keine Angst, auch nur eine Sekunde jenes schwülen Nachmittags, +jener phantastischen Nacht zu vergessen, ich brauche kein Merkzeichen, +keine Meilensteine, um in der Erinnerung den Weg jener Stunden Schritt +für Schritt zurückzugehen: wie ein Traumwandler finde ich jederzeit +mitten im Tage, mitten in der Nacht in seine Sphäre zurück, und jede +Einzelheit sehe ich darin mit jener Hellsichtigkeit, die nur das Herz +kennt und nicht das weiche Gedächtnis. Ich könnte hier ebensogut auf das +Papier die Umrisse jedes einzelnen Blattes in der frühlingshaft +ergrünten Landschaft hinzeichnen, ich spüre jetzt im Herbst noch ganz +lind das weiche staubige Qualmen der Kastanienblüten; wenn ich also noch +einmal diese Stunden beschreibe, so geschieht es nicht aus Furcht, sie +zu verlieren, sondern aus Freude, sie wiederzufinden. Und wenn ich jetzt +in der genauen Aufeinanderfolge mir die Wandlungen jener Nacht +darstelle, so werde ich um der Ordnung willen an mich halten müssen, +denn immer schwillt, kaum daß ich an die Einzelheiten denke, eine +Ekstase aus meinem Gefühl empor, eine Art Trunkenheit faßt mich, und ich +muß die Bilder der Erinnerung stauen, daß sie nicht, ein farbiger +Rausch, ineinanderstürzen. Noch immer erlebe ich mit leidenschaftlicher +Feurigkeit das Erlebte, jenen Tag, jenen 7. Juni 1913, da ich mir +mittags einen Fiaker nahm ... + +Aber noch einmal, spüre ich, muß ich innehalten, denn schon wieder werde +ich erschreckt der Zweischneidigkeit, der Vieldeutigkeit eines einzelnen +Wortes gewahr. Jetzt, da ich zum ersten Male im Zusammenhange etwas +erzählen soll, merke ich erst, wie schwer es ist, jenes Gleitende, das +doch alles Lebendige bedeutet, in einer geballten Form zu fassen. Eben +habe ich »ich« hingeschrieben, habe gesagt, daß ich am 7. Juni 1913 mir +mittags einen Fiaker nahm. Aber dies Wort wäre schon eine +Undeutlichkeit, denn jenes »Ich« von damals, von jenem 7. Juni, bin ich +längst nicht mehr, obwohl erst vier Monate seitdem vergangen sind, +obwohl ich in der Wohnung dieses damaligen »Ich« wohne und an seinem +Schreibtisch mit seiner Feder und seiner eigenen Hand schreibe. Von +diesem damaligen Menschen bin ich, und gerade durch jenes Erlebnis ganz +abgelöst, ich sehe ihn jetzt von außen, ganz fremd und kühl, und kann +ihn schildern wie einen Spielgenossen, einen Kameraden, einen Freund, +von dem ich vieles und Wesentliches weiß, der ich aber doch selbst +durchaus nicht mehr bin. Ich könnte über ihn sprechen, ihn tadeln oder +verurteilen, ohne überhaupt zu empfinden, daß er mir einst zugehört hat. + +Der Mensch, der ich damals war, unterschied sich in Wenigem äußerlich +und innerlich von den meisten seiner Gesellschaftsklasse, die man +besonders bei uns in Wien die »gute Gesellschaft« ohne besonderen Stolz, +sondern ganz als selbstverständlich zu bezeichnen pflegt. Ich ging in +das sechsunddreißigste Jahr, meine Eltern waren früh gestorben und +hatten mir knapp vor meiner Mündigkeit ein Vermögen hinterlassen, das +sich als reichlich genug erwies, um von nun ab den Gedanken an Erwerb +und Karriere gänzlich mir zu erübrigen. So wurde mir unvermutet eine +Entscheidung abgenommen, die mich damals sehr beunruhigte. Ich hatte +nämlich gerade meine Universitätsstudien vollendet und stand vor der +Wahl meines zukünftigen Berufes, der wahrscheinlich dank unserer +Familienbeziehungen und meiner schon früh vortretenden Neigung zu einer +ruhig ansteigenden und kontemplativen Existenz auf den Staatsdienst +gefallen wäre, als dies elterliche Vermögen an mich als einzigen Erben +fiel und mir eine plötzliche arbeitslose Unabhängigkeit zusicherte, +selbst im Rahmen weitgespannter und sogar luxuriöser Wünsche. Ehrgeiz +hatte mich nie bedrängt, so beschloß ich, einmal dem Leben erst ein paar +Jahre zuzusehen und zu warten, bis es mich schließlich verlocken würde, +mir selbst einen Wirkungskreis zu finden. Es blieb aber bei diesem +Zuschauen und Warten, denn da ich nichts Sonderliches begehrte, +erreichte ich alles im engen Kreis meiner Wünsche; die weiche und +wollüstige Stadt Wien, die wie keine andere das Spazierengehen, das +nichtstuerische Betrachten, das Elegantsein zu einer geradezu +künstlerischen Vollendung, zu einem Lebenszweck heranbildet, ließ mich +die Absicht einer wirklichen Betätigung ganz vergessen. Ich hatte alle +Befriedigung eines eleganten, adeligen, vermögenden, hübschen und dazu +noch ehrgeizlosen jungen Mannes, die ungefährlichen Spannungen des +Spiels, der Jagd, die regelmäßigen Auffrischungen der Reisen und +Ausflüge, und bald begann ich diese beschauliche Existenz immer mehr mit +wissender Sorgfalt und künstlerischer Neigung auszubauen. Ich sammelte +seltene Gläser, weniger aus einer inneren Leidenschaft als aus der +Freude, innerhalb einer anstrengungslosen Betätigung Geschlossenheit und +Kenntnis zu erreichen, ich schmückte meine Wohnung mit einer besonderen +Art italienischer Barockstiche und mit Landschaftsbildern in der Art des +Canaletto, die bei Trödlern zusammenzufinden oder bei Auktionen zu +erstehen voll einer jagdmäßigen und doch nicht gefährlichen Spannung +war, ich trieb mancherlei mit Neigung und immer mit Geschmack, fehlte +selten bei guter Musik und in den Ateliers unserer Maler. Bei Frauen +mangelte es mir nicht an Erfolg, auch hier hatte ich mit dem geheimen +sammlerischen Trieb, der irgendwie auf innere Unbeschäftigtkeit deutet, +mir vielerlei erinnerungswerte und kostbare Stunden des Erlebens +aufgehäuft, und hier allmählich vom bloßen Genießer mich zum wissenden +Kenner steigernd. Im ganzen hatte ich viel erlebt, was mir angenehm den +Tag füllte und meine Existenz mich als eine reiche empfinden ließ, und +immer mehr begann ich diese laue, wohlige Atmosphäre einer gleichzeitig +belebten und doch nie erschütterten Jugend zu lieben, fast ohne neue +Wünsche schon, denn ganz geringe Dinge vermochten sich schon in der +windstillen Luft meiner Tage zu einer Freude zu entfalten. Eine +gutgewählte Krawatte konnte mich fast schon froh machen, ein schönes +Buch, ein Automobilausflug oder eine Stunde mit einer Frau mich restlos +beglücken. Ganz besonders wohl tat mir in dieser meiner Daseinsform, daß +sie in keiner Weise, ganz wie ein tadellos korrekter englischer Anzug, +in keiner Weise der Gesellschaft auffiel. Ich glaube, man empfand mich +als eine angenehme Erscheinung, ich war beliebt und gerne gesehen, und +die meisten, die mich kannten, nannten mich einen glücklichen Menschen. + +Ich weiß jetzt nicht mehr zu sagen, ob jener Mensch von damals, den ich +mir zu vergegenwärtigen bemühe, sich selbst so wie jene anderen als +einen Glücklichen empfand; denn nun, wo ich aus jenem Erlebnis für jedes +Gefühl einen viel volleren und erfüllteren Sinn fordere, scheint mir +jede rückerinnernde Wertung fast unmöglich. Doch vermag ich mit +Gewißheit zu sagen, daß ich mich zu jener Zeit keineswegs als +unglücklich empfand, blieben doch fast nie meine Wünsche unerfüllt und +meine Anforderungen an das Leben unerwidert. Aber gerade dies, daß ich +mich daran gewöhnt hatte, alles Geforderte vom Schicksal zu empfangen +und darüber hinaus nichts mehr ihm abzufordern, gerade dies zeitigte +allmählich einen gewissen Mangel an Spannung, eine Unlebendigkeit im +Leben selbst. Was sich damals unbewußt in manchen Augenblicken der +Halberkenntnis in mir sehnsüchtig regte: es waren nicht eigentlich +Wünsche, sondern nur der Wunsch nach Wünschen, das Verlangen, stärker, +unbändiger, ehrgeiziger, unbefriedigter zu begehren, mehr zu leben und +vielleicht auch zu leiden. Ich hatte aus meiner Existenz durch eine +allzu vernünftige Technik alle Widerstände ausgeschaltet, und an diesem +Fehlen der Widerstände erschlaffte meine Vitalität. Ich merkte, daß ich +immer weniger, immer schwächer begehrte, daß eine Art Erstarrung in mein +Gefühl gekommen war, daß ich -- vielleicht ist es am besten so +ausgedrückt -- an einer seelischen Impotenz, einer Unfähigkeit zur +leidenschaftlichen Besitznahme des Lebens litt. An kleinen Zeichen +erkannte ich dieses Manko zuerst. Es fiel mir auf, daß ich im Theater +und in der Gesellschaft bei gewissen sensationellen Veranstaltungen +öfter und öfter fehlte, daß ich Bücher bestellte, die mir gerühmt worden +waren und sie dann unaufgeschnitten wochenlang auf dem Schreibtisch +liegen ließ, daß ich zwar mechanisch weiter meine Liebhabereien +sammelte, Gläser und Antiken kaufte, ohne sie aber dann einzuordnen und +mich eines seltenen und langgesuchten Stückes bei unvermutetem Erwerb +sonderlich zu freuen. + +Wirklich bewußt aber wurde mir diese übergangshafte und leise +Verminderung meiner seelischen Spannkraft erst bei einer bestimmten +Gelegenheit, der ich mich noch deutlich entsinne. Ich war im Sommer -- +auch schon aus jener merkwürdigen Trägheit heraus, die von nichts Neuem +sich lebhaft angelockt fühlte -- in Wien geblieben, als ich plötzlich +aus einem Kurorte den Brief einer Frau erhielt, mit der mich seit drei +Jahren eine intime Beziehung verband und von der ich sogar aufrichtig +meinte, daß ich sie liebe. Sie schrieb mir in vierzehn aufgeregten +Seiten, sie habe in diesen Wochen dort einen Mann kennengelernt, der ihr +viel, ja alles geworden sei, sie werde ihn im Herbst heiraten, und +zwischen uns müsse jene Beziehung zu Ende sein. Sie denke ohne Reue, ja +mit Glück an die mit mir gemeinsam verlebte Zeit zurück, der Gedanke an +mich begleite sie in ihre neue Ehe als das Liebste ihres vergangenen +Lebens, und sie hoffe, ich werde ihr den plötzlichen Entschluß +verzeihen. Nach dieser sachlichen Mitteilung überbot sich der aufgeregte +Brief dann in wirklich ergreifenden Beschwörungen, ich möge ihr nicht +zürnen und nicht zuviel an dieser plötzlichen Absage leiden, ich solle +keinen Versuch machen, sie gewaltsam zurückzuhalten oder eine Torheit +gegen mich begehen. Immer hitziger jagten die Zeilen hin: ich solle doch +bei einer Besseren Trost finden, ich solle ihr sofort schreiben, denn +sie sei in Angst, wie ich diese Mitteilung aufnehmen würde. Und als +Nachsatz, mit Bleistift, war dann noch eilig hingeschrieben: »Tue nichts +Unvernünftiges, verstehe mich, verzeihe mir!« Ich las diesen Brief, +zuerst überrascht von der Nachricht und dann, als ich ihn durchblättert, +noch ein zweites Mal und nun mit einer gewissen Beschämung, die sich +bewußt werdend rasch zu einem inneren Erschrecken steigerte. Denn nichts +von allen den starken und doch natürlichen Empfindungen, die meine +Geliebte als selbstverständlich voraussetzte, hatte sich auch nur +andeutungshaft in mir geregt. Ich hatte nicht gelitten bei ihrer +Mitteilung, hatte ihr nicht gezürnt und schon gar nicht eine Sekunde an +eine Gewalttätigkeit gegen sie oder gegen mich gedacht, und diese Kälte +des Gefühls in mir war nun doch zu sonderbar, als daß sie mich nicht +selbst erschreckt hätte. Da fiel eine Frau von mir ab, die Jahre meines +Lebens begleitet hatte, deren warmer Leib sich elastisch dem meinen +aufgetan, deren Atem in langen Nächten in meinen vergangen war, und +nichts rührte sich in mir, wehrte sich dagegen, nichts suchte sie +zurückzuerobern, nichts von all dem geschah in meinem Gefühl von dem, +was der reine Instinkt dieser Frau als selbstverständlich bei einem +wirklichen Menschen voraussetzen mußte. In diesem Augenblicke war mir +zum ersten Male ganz bewußt, wie weit der Erstarrungsprozeß in mir +fortgeschritten war -- ich glitt eben durch wie auf fließendem, +spiegelndem Wasser, ohne irgend verhaftet, verwurzelt zu sein, und ich +wußte ganz genau, daß diese Kälte etwas Totes, Leichenhaftes war, noch +nicht umwittert zwar vom faulen Hauch der Verwesung, aber doch schon +rettungslose Starre, grausam-kalte Fühllosigkeit, die Minute also, die +dem wahren, dem körperlichen Sterben, dem auch äußerlich sichtbaren +Verfall vorangeht. Seit jener Episode begann ich mich und diese +merkwürdige Gefühlsstarre in mir aufmerksam zu beobachten wie ein +Kranker seine Krankheit. Als kurz darauf ein Freund von mir starb und +ich hinter seinem Sarge ging, horchte ich in mich hinein, ob sich nicht +eine Trauer in mir rühre, irgendein Gefühl sich in dem Bewußtsein +spanne, dieser mir seit Kindheitstagen nahe Mensch sei nun für immer +verloren. Aber es regte sich nichts, ich kam mir selbst wie etwas +Gläsernes vor, durch das die Dinge hindurchleuchteten, ohne jemals innen +zu sein, und so sehr ich mich bei diesem Anlaß und manchen ähnlichen +auch anstrengte, etwas zu fühlen, ja mich mit Verstandesgründen zu +Gefühlen überreden wollte, es kam keine Antwort aus jener inneren Starre +zurück. Menschen verließen mich, Frauen gingen und kamen, ich spürte es +kaum anders wie einer, der im Zimmer sitzt, den Regen an den Scheiben, +zwischen mir und dem Unmittelbaren war irgendeine gläserne Wand, die ich +mit dem Willen zu zerstoßen nicht die Kraft hatte. + +Obzwar ich dies nun klar empfand, so schuf mir diese Erkenntnis doch +keine rechte Beunruhigung, denn ich sagte es ja schon, daß ich auch +Dinge, die mich selbst betrafen, mit Gleichgültigkeit hinnahm. Auch zum +Leiden hatte ich nicht mehr genug Gefühl. Es genügte mir, daß dieser +seelische Defekt außen so wenig wahrnehmbar war, wie etwa die +körperliche Impotenz eines Mannes nicht anders als in der intimen +Sekunde offenbar wird, und ich setzte oft in Gesellschaft durch eine +künstliche Leidenschaftlichkeit im Bewundern, durch spontane +Übertreibungen von Ergriffenheit eine gewisse Ostentation daran, zu +verbergen, wie sehr ich mich innerlich anteilslos und abgestorben wußte. +Äußerlich lebte ich mein altes behagliches, hemmungsloses Leben weiter, +ohne seine Richtung zu ändern; Wochen, Monate glitten leicht vorüber und +füllten sich langsam dunkel zu Jahren. Eines Morgens sah ich im Spiegel +einen grauen Streif an meiner Schläfe und spürte, daß meine Jugend +langsam hinüber wollte in eine andere Welt. Aber was andere Jugend +nannten, war in mir längst vorbei. So tat das Abschiednehmen nicht +sonderlich weh, denn ich liebte auch meine eigene Jugend nicht genug. +Auch zu mir selbst schwieg mein trotziges Gefühl. + +Durch diese innere Unbewegtheit wurden meine Tage immer mehr +gleichförmig trotz aller Verschiedenheit der Beschäftigungen und +Begebenheiten, sie reihten sich unbetont einer an den anderen, wuchsen +und gilbten hin wie die Blätter eines Baumes. Und ganz gewöhnlich, ohne +jede Absonderlichkeit, ohne jedes innere Vorzeichen, begann auch jener +einzige Tag, den ich mir wieder selbst schildern will. Ich war damals am +7. Juni 1913 später aufgestanden, aus dem noch von der Kindheit, von den +Schuljahren her unbewußt nachklingenden Sonntagsgefühl, hatte mein Bad +genommen, die Zeitung gelesen und in Büchern geblättert, war dann, +verlockt von dem warmen sommerlichen Tag, der teilnehmend in mein Zimmer +drang, spazierengegangen, hatte in gewohnter Weise den Grabenkorso +überquert, zwischen Gruß und Gruß bekannter und befreundeter Menschen +mit irgendeinem von ihnen ein flüchtiges Gespräch geführt und dann bei +Freunden zu Mittag gespeist. Für den Nachmittag war ich jeder +Vereinbarung ausgewichen, denn ich liebte es insbesondere, am Sonntag +ein paar unaufgeteilte freie Stunden zu haben, die dann ganz dem Zufall +meiner Laune, meiner Bequemlichkeit oder irgendeiner spontanen +Entschließung gehörten. Als ich dann, von meinen Freunden kommend, die +Ringstraße querte, empfand ich wohltuend die Schönheit der besonnten +Stadt und ward froh an ihrer frühsommerlichen Geschmücktheit. Die +Menschen schienen alle heiter und irgendwie verliebt in die +Sonntäglichkeit der bunten Straße, vieles einzelne fiel mir auf und vor +allem, wie breitumbuscht mit ihrem neuen Grün die Bäume mitten aus dem +Asphalt sich aufhoben. Obwohl ich doch fast täglich hier vorüberging, +wurde ich dieses sonntäglichen Menschengewühls plötzlich wie eines +Wunders gewahr, und unwillkürlich bekam ich Sehnsucht nach viel Grün, +nach Helligkeit und Buntheit. Ich erinnerte mich mit ein wenig Neugier +des Praters, wo jetzt zu Frühlingsende, zu Sommersanfang, die schweren +Bäume wie riesige grüne Lakaien rechts und links der von Wagen +durchflitzten Hauptallee stehen und reglos den vielen geputzten +eleganten Menschen ihre weißen Blütenherzen hinhalten. Gewohnt, auch dem +flüchtigsten meiner Wünsche sofort nachzugeben, rief ich den ersten +Fiaker an, der mir in den Weg kam, und bedeutete ihm auf seine Frage den +Prater als Ziel. »Zum Rennen, Herr Baron, nicht wahr?« antwortete er mit +devoter Selbstverständlichkeit. Da erinnerte ich mich erst, daß heute +ein sehr fashionabler Renntag war, eine Derbyvorschau, wo die ganze gute +Wiener Gesellschaft sich Rendezvous gab. Seltsam, dachte ich mir, +während ich in den Wagen stieg, wie wäre es noch vor ein paar Jahren +möglich gewesen, daß ich einen solchen Tag versäumt oder vergessen +hätte! Wieder spürte ich, so wie ein Kranker bei einer Bewegung seine +Wunde, an dieser Vergeßlichkeit die ganze Starre der Gleichgültigkeit, +der ich verfallen war. + +Die Hauptallee war schon ziemlich leer, als wir hinkamen, das Rennen +mußte längst begonnen haben, denn die sonst so prunkvolle Auffahrt der +Wagen fehlte, nur ein paar vereinzelte Fiaker hetzten mit knatternden +Hufen wie hinter einem unsichtbaren Versäumnis her. Der Kutscher wandte +sich am Bock und fragte, ob er scharf traben solle; aber ich hieß ihn, +die Pferde ruhig gehen zu lassen, denn mir lag nichts an einem +Zuspätkommen. Ich hatte zu viel Rennen gesehen und zu oft die Menschen +bei ihnen, als daß mir ein Zurechtkommen noch wichtig gewesen wäre, und +es entsprach besser meinem lässigen Gefühl, im weichen Schaukeln des +Wagens die blaue Luft wie Meer vom Bord eines Schiffes lindrauschend zu +fühlen und ruhiger die schönen, breitgebuschten Kastanienbäume +anzusehen, die manchmal dem schmeichlerisch warmen Wind ein paar +Blütenflocken zum Spiele hingaben, die er dann leicht aufhob und +wirbelte, ehe er sie auf die Allee weiß hinflocken ließ. Es war wohlig, +sich so wiegen zu lassen, Frühling zu ahnen mit geschlossenen Augen, +ohne jede Anstrengung beschwingt und fortgetragen sich zu empfinden: +eigentlich tat es mir leid, als in der Freudenau der Wagen vor der +Einfahrt hielt. Am liebsten wäre ich noch umgekehrt, mich weiter wiegen +zu lassen von dem weichen, frühsommerlichen Tag. Aber es war schon zu +spät, der Wagen hielt vor dem Rennplatz. Ein dumpfes Brausen schlug mir +entgegen. Wie ein Meer scholl es dumpf und hohl hinter den aufgestuften +Tribünen, ohne daß ich die bewegte Menge sah, von der dieses geballte +Geräusch ausging, und unwillkürlich erinnerte ich mich an Ostende, wenn +man von der niederen Stadt die kleinen Seitengassen zur Strandpromenade +emporsteigt, schon den Wind salzig und scharf über sich sausen fühlt und +ein dumpfes Dröhnen hört, ehe dann der Blick hingreift über die weite +grauschäumige Fläche mit ihren donnernden Wellen. Ein Rennen mußte +gerade in Gang sein, aber zwischen mir und dem Rasen, auf dem jetzt wohl +die Pferde hinflitzten, stand ein farbiger dröhnender, wie von einem +inneren Sturm hin und her geschüttelter Qualm, die Menge der Zuschauer +und Spieler. Ich konnte die Bahn nicht sehen, spürte aber im Reflex der +gesteigerten Erregung jede sportliche Phase. Die Reiter mußten längst +gestartet, der Knäuel sich geteilt haben und ein paar gemeinsam um die +Führung streiten, denn schon lösten sich hier aus den Menschen, die +geheimnisvoll die für mich unsichtbaren Bewegungen des Laufes mitlebten, +Schreie los und aufgeregte Zurufe. An der Richtung ihrer Köpfe spürte +ich die Biegung, an der die Reiter und Pferde jetzt auf dem länglichen +Rasenoval angelangt sein mußten, denn immer einheitlicher, immer +zusammengefaßter drängte sich, wie ein einziger aufgereckter Hals, das +ganze Menschenchaos einem mir unsichtbaren Blickpunkt entgegen, und aus +diesem einen ausgespannten Hals grölte und gurgelte mit tausenden +zerriebenen Einzellauten eine immer höher gischtende Brandung. Und diese +Brandung stieg und schwoll, schon füllte sie den ganzen Raum bis zum +gleichgültig blauen Himmel. Ich sah in ein paar Gesichter hinein. Sie +waren verzerrt wie von einem inneren Krampf, die Augen starr und +funkelnd, die Lippen verbissen, das Kinn gierig vorgestoßen, die Nüstern +pferdhaft gebläht. Spaßig und grauenhaft war mirs, nüchtern diese +unbeherrschten Trunkenen zu betrachten. Neben mir stand auf einem Sessel +ein Mann, elegant gekleidet, mit einem sonst wohl guten Gesicht, jetzt +aber tobte er, von einem unsichtbaren Dämon beteufelt, er fuchtelte mit +dem Stock in die leere Luft hinein, als peitschte er etwas vorwärts, +sein ganzer Körper machte -- unsagbar lächerlich für einen Zuschauer -- +die Bewegung des Raschreitens leidenschaftlich mit. Wie auf Steigbügeln +wippte er mit den Fersen unablässig auf und nieder über dem Sessel, die +rechte Hand jagte den Stock immer wieder als Gerte ins Leere, die linke +knüllte krampfig einen weißen Zettel. Und immer mehr dieser weißen +Zettel flatterten herum, wie Schaumspritzer gischteten sie über dieser +graudurchstürmten Flut, die lärmend schwoll. Jetzt mußten an der Kurve +ein paar Pferde ganz knapp beieinander sein, denn mit einem Male ballte +sich das Gedröhn in zwei, drei, vier einzelne Namen, die immer wieder +einzelne Gruppen wie Schlachtrufe schrien und tobten, und diese Schreie +schienen wie ein Ventil für ihre delirierende Besessenheit. + +Ich stand inmitten dieser dröhnenden Tobsucht kalt wie ein Felsen im +donnernden Meer und weiß noch heute genau zu sagen, was ich in jener +Minute empfand. + +Das Lächerliche vorerst all dieser fratzenhaften Gebärden, eine +ironische Verachtung für das Pöbelhafte des Ausbruches, aber doch noch +etwas anderes, das ich mir ungern eingestand -- irgendeinen leisen Neid +nach solcher Erregung, solcher Brunst der Leidenschaft, nach dem Leben, +das in diesem Fanatismus war. Was müßte, dachte ich, geschehen, um mich +dermaßen zu erregen, mich dermaßen ins Fieber zu spannen, daß mein +Körper so brennend, meine Stimme mir wider Willen aus dem Munde brechen +würde? Keine Summe konnte ich mir denken, deren Besitz mich so anfeuern +könnte, keine Frau, die mich dermaßen reizte, nichts, nichts gab es, was +aus der Starre meines Gefühls mich zu solcher Feurigkeit entfachen +könnte! Vor einer plötzlich gespannten Pistole würde mein Herz, eine +Sekunde vor dem Erstarren, nicht so wild hämmern, wie das in den +tausend, zehntausend Menschen rings um mich für eine Handvoll Geld. Aber +jetzt mußte ein Pferd dem Start ganz nahe sein, denn zu einem einzigen, +immer schriller werdenden Schrei von tausenden Stimmen gellte jetzt wie +eine hochgespannte Saite ein bestimmter Name empor aus dem Tumult, um +dann schrill mit einem Male zu zerreißen. Die Musik begann zu spielen, +plötzlich zerbrach die Menge. Eine Runde war zu Ende, ein Kampf +entschieden, die Spannung löste sich in eine quirlende, nur noch schlaff +nachschwingende Bewegtheit. Die Masse, eben noch ein brennendes Bündel +Leidenschaft, fiel auseinander in viele einzelne laufende, lachende, +sprechende Menschen, ruhige Gesichter tauchten wieder auf hinter der +mänadischen Maske der Erregung; aus dem Chaos des Spiels, das für +Sekunden diese Tausende in einen einzigen glühenden Klumpen geschmolzen +hatte, schichteten sich wieder gesellschaftliche Gruppen, die +zusammentraten, sich lösten, Menschen, die ich kannte und die mich +grüßten, fremde, die sich gegenseitig kühl-höflich musterten und +betrachteten. Die Frauen prüften sich gegenseitig in ihren neuen +Toiletten, die Männer warfen begehrliche Blicke, jene mondäne Neugier, +die der Teilnahmslosen eigentliche Beschäftigung ist, begann sich zu +entfalten, man suchte, zählte, kontrollierte sich auf Anwesenheit und +Eleganz. Schon wußten, kaum aus dem Taumel erwacht, all diese Menschen +nicht mehr, ob dies promenierende Zwischenspiel oder das Spiel selbst +der Zweck ihrer gesellschaftlichen Vereinigung war. + +Ich ging mitten durch dies laue Gewühl, grüßte und dankte, atmete wohlig +-- war es doch die Atmosphäre meiner Existenz -- den Duft von Parfüm und +Eleganz, der dies kaleidoskopische Durcheinander umschwebte, und noch +freudiger die leise Brise, die von drüben aus den Praterauen, aus dem +sommerlich durchwärmten Walde manchmal ihre Welle zwischen die Menschen +warf und den weißen Musselin der Frauen wie wollüstig-spielend +betastete. Ein paar Bekannte wollten mich ansprechen, Diane, die schöne +Schauspielerin, nickte einladend aus einer Loge herüber, aber ich ging +keinem zu. Es interessierte mich nicht, mit einem dieser mondänen +Menschen heute zu sprechen, es langweilte mich, in ihrem Spiegel mich +selbst zu sehen, nur das Schauspiel wollte ich umfassen, die +knisternd-sinnliche Erregung, die durch die aufgesteigerte Stunde ging +(denn der anderen Erregtheit ist gerade dem Teilnahmslosen das +angenehmste Schauspiel). Ein paar schöne Frauen gingen vorbei, ich sah +ihnen frech, aber ohne innerliches Begehren auf die Brüste, die unter +der dünnen Gaze bei jedem Schritt bebten und lächelte innerlich über +ihre halb peinliche, halb wohlige Verlegenheit, wenn sie sich so +sinnlich abgeschätzt und frech entkleidet fühlten. In Wirklichkeit +reizte mich keine, es machte mir nur ein gewisses Vergnügen, vor ihnen +so zu tun, das Spiel mit dem Gedanken, mit ihren Gedanken machte mir +Freude, die Lust, sie körperlich zu berühren, das magnetische Zucken im +Auge zu fühlen; denn wie jedem innerlich kühlen Menschen war es mein +eigentlichster erotischer Genuß, in anderen Wärme und Unruhe zu erregen, +statt mich selbst zu erhitzen. Nur den Flaum von Wärme, den die +Gegenwart von Frauen um die Sinnlichkeit legt, liebte ich zu fühlen, +nicht eine wirkliche Erhitzung, Anregung bloß und nicht Erregung. So +ging ich auch diesmal durch die Promenade, nahm Blicke, gab sie leicht +wie Federball zurück, genoß ohne zu greifen, befühlte Frauen ohne zu +fühlen, nur leicht angewärmt von der lauen Wollust des Spiels. + +Aber auch das langweilte mich bald. Immer dieselben Menschen kamen +vorüber, ich kannte ihre Gesichter schon auswendig und ihre Gesten. Ein +Sessel stand in der Nähe. Ich setzte mich hin. Ringsum begann in den +Gruppen eine neue wirblige Bewegung, unruhiger schüttelten und stießen +sich die Vorübergehenden durcheinander; offenbar sollte ein neues Rennen +wieder anheben. Ich kümmerte mich nicht darum, saß weich und irgendwie +versunken unter dem Kringel meiner Zigarette, der sich weißgekräuselt +gegen den Himmel hob, wo er heller und heller wie eine kleine Wolke im +Frühlingsblau verging. In dieser Sekunde begann das Unerhörte, jenes +einzige Erlebnis, das noch heute mein Leben bestimmt. Ich kann ganz +genau den Augenblick feststellen, denn zufällig hatte ich gerade auf die +Uhr gesehen: die Zeiger kreuzten sich, und ich sah ihnen mit jener +unbeschäftigten Neugier zu, wie sie sich eine Sekunde lang überdeckten. +Es war drei Minuten nach drei Uhr an jenem Nachmittag des 7. Juni 1913. +Ich blickte also, die Zigarette in der Hand, auf das weiße Zifferblatt, +ganz beschäftigt mit dieser kindischen und lächerlichen Betrachtung, als +ich knapp hinter meinem Rücken eine Frau laut lachen hörte, mit jenem +scharfen, erregten Lachen, wie ich es bei Frauen liebe, jenem Lachen, +das ganz warm und aufgeschreckt aus dem heißen Gebüsch der Sinnlichkeit +vorspringt. Unwillkürlich bog es mir den Kopf zurück, schon wollte ich +die Frau anschauen, deren laute Sinnlichkeit so frech in meine sorglose +Träumerei schlug wie ein funkelnder weißer Stein in einen dumpfen, +schlammigen Teich -- da bezwang ich mich. Eine merkwürdige Lust am +geistigen Spiel, am kleinen ungefährlichen psychologischen Experiment, +wie sie mich oft befiel, ließ mich innehalten. Ich wollte die Lachende +noch nicht ansehen, es reizte mich, zuerst in einer Art Vorlust, meine +Phantasie mit dieser Frau zu beschäftigen, mir sie vorzustellen, mir ein +Gesicht, einen Mund, eine Kehle, einen Nacken, eine Brust, eine ganze +lebendige atmende Frau um dieses Lachen zu legen. + +Sie stand jetzt offenbar knapp hinter mir. Aus dem Lachen war wieder +Gespräch geworden. Ich hörte gespannt zu. Sie sprach mit leichtem +ungarischen Akzent, sehr rasch und beweglich, die Vokale breit +ausschwingend wie im Gesang. Es machte mir nun Spaß, dieser Rede nun die +Gestalt zuzudichten und dies Phantasiebild möglichst üppig +auszugestalten. Ich gab ihr dunkle Haare, dunkle Augen, einen breiten, +sinnlich gewölbten Mund mit ganz weißen starken Zähnen, eine ganz +schmale kleine Nase, aber mit steil aufspringenden zitternden Nüstern. +Auf die linke Wange legte ich ihr ein Schönheitspflästerchen, in die +Hand gab ich ihr einen Reitstock, mit dem sie sich beim Lachen leicht an +den Schenkel schlug. Sie sprach weiter und weiter. Und jedes ihrer Worte +fügte meiner blitzschnell gebildeten Phantasievorstellung ein neues +Detail hinzu: eine schmale mädchenhafte Brust, ein dunkelgrünes Kleid +mit einer schief gesteckten Brillantspange, einen hellen Hut mit einem +weißen Reiher. Immer deutlicher ward das Bild, und schon spürte ich +diese fremde Frau, die unsichtbar hinter meinem Rücken stand, wie auf +einer belichteten Platte in meiner Pupille. Aber ich wollte mich nicht +umwenden, dieses Spiel der Phantasie noch weiter steigern, irgendein +leises Rieseln von Wollust mengte sich in die verwegene Träumerei, ich +schloß beide Augen, gewiß, daß, wenn ich die Lider auftäte und mich ihr +zuwendete, das innere Bild ganz mit dem äußeren sich decken würde. + +In diesem Augenblick trat sie vor. Unwillkürlich tat ich die Augen auf +-- und ärgerte mich. Ich hatte vollkommen daneben geraten, alles war +anders, ja in boshaftester Weise gegensätzlich zu meinem Phantasiebild. +Sie trug kein grünes, sondern ein weißes Kleid, war nicht schlank, +sondern üppig und breitgehüftet, nirgends aus der vollen Wange tupfte +sich das erträumte Schönheitspflästerchen, die Haare leuchteten +rötlichblond statt schwarz unter dem helmförmigen Hut. Keines meiner +Merkmale stimmte zu ihrem Bilde; aber diese Frau war schön, +herausfordernd schön, obwohl ich mich, gekränkt im törichten Ehrgeiz +meiner psychologischen Eitelkeit, diese Schönheit anzuerkennen wehrte. +Fast feindlich sah ich zu ihr empor; aber auch der Widerstand in mir +spürte den starken sinnlichen Reiz, der von dieser Frau ausging, das +Begehrliche, Animalische, das in ihrer festen und gleichzeitig weichen +Fülle fordernd lockte. Jetzt lachte sie wieder laut, ihre festen weißen +Zähne wurden sichtbar, und ich mußte mir sagen, daß dieses heiße +sinnliche Lachen zu dem Üppigen ihres Wesens wohl im Einklang stand; +alles an ihr war so vehement und herausfordernd, der gewölbte Busen, das +im Lachen vorgestoßene Kinn, der scharfe Blick, die geschwungene Nase, +die Hand, die den Schirm fest gegen den Boden stemmt. Hier war das +weibliche Element, Urkraft, bewußte, penetrante Lockung, ein +fleischgewordenes Wollustfanal. Neben ihr stand ein eleganter, etwas +fanierter Offizier und sprach eindringlich auf sie ein. Sie hörte ihm +zu, lächelte, lachte, widersprach, aber all das nur nebenbei, denn +gleichzeitig glitt ihr Blick, zitterten ihre Nüstern überall hin, +gleichsam allen zu: sie sog Aufmerksamkeit, Lächeln, Anblick von jedem, +der vorüberging und gleichsam von der ganzen Masse des Männlichen +ringsum ein. Ihr Blick war ununterbrochen wanderhaft, bald suchte er die +Tribünen entlang, um dann plötzlich, freudigen Erkennens, einen Gruß zu +erwidern, bald streifte er -- während sie dem Offizier immer lächelnd +und eitel zuhörte -- nach rechts, bald nach links. Nur mich, der ich, +von ihrem Begleiter gedeckt, unter ihrem Blickfeld lag, hatte er noch +nicht angerührt. Das ärgerte mich. Ich stand auf -- sie sah mich nicht. +Ich drängte mich näher -- nun blickte sie wieder zu den Tribünen hinauf. +Da trat ich entschlossen zu ihr hin, lüftete den Hut gegen ihren +Begleiter und bot ihr meinen Sessel an. Sie blickte mir erstaunt +entgegen, ein lächelnder Glanz überflog ihre Augen, schmeichlerisch bog +sie die Lippe zu einem Lächeln. Aber dann dankte sie nur kurz und nahm +den Sessel, ohne sich zu setzen. Bloß den üppigen, bis zum Ellbogen +entblößten Arm stützte sie weich an die Lehne und nützte die leichte +Biegung ihres Körpers, um seine Formen sichtbarer zu zeigen. + +Der Ärger über meine falsche Psychologie war längst vergessen, mich +reizte nur das Spiel mit dieser Frau. Ich trat etwas zurück an die Wand +der Tribüne, wo ich sie frei und doch unauffällig fixieren konnte, +stemmte mich auf meinen Stock und suchte mit den Augen die ihren. Sie +merkte es, drehte sich ein wenig meinem Beobachtungsplatze zu, aber doch +so, daß diese Bewegung eine ganz zufällige schien, wehrte mir nicht, +antwortete mir gelegentlich und doch unverpflichtend. Unablässig gingen +ihre Augen im Kreise, alles rührten sie an, nichts hielten sie fest -- +war ich es allein, dem sie begegnend ein schwarzes Lächeln zustrahlten +oder gab sie es an jeden? Das war nicht zu unterscheiden, und eben diese +Ungewißheit irritierte mich. In den Intervallen, wo wie ein Blinkfeuer +ihr Blick mich anstrahlte, schien er voll Verheißung, aber mit der +gleichen stahlglänzenden Pupille parierte sie auch ohne jede Wahl jeden +anderen Blick, der ihr zuflog, ganz nur aus koketter Freude am Spiel, +vor allem aber, ohne dabei für eine Sekunde scheinbar interessiert das +Gespräch ihres Begleiters zu verabsäumen. Etwas blendend Freches war in +diesen leidenschaftlichen Paraden, eine Virtuosität der Koketterie oder +ein ausbrechender Überschuß an Sinnlichkeit. Unwillkürlich trat ich +einen Schritt näher: ihre kalte Frechheit war in mich übergegangen. Ich +sah ihr nicht mehr in die Augen, sondern griff sie fachmännisch von oben +bis unten ab, riß ihr mit dem Blick die Kleider auf und spürte sie +nackt. Sie folgte meinem Blick, ohne irgendwie beleidigt zu sein, +lächelte mit den Mundwinkeln zu dem plaudernden Offizier, aber ich +merkte, daß dies wissende Lächeln meine Absicht quittierte. Und wie ich +jetzt auf ihren Fuß sah, der klein und zart unter dem weißen Kleide +vorlugte, streifte sie mit dem Blick lässig nachprüfend ihr Kleid hinab. +Dann, im nächsten Augenblick hob sie wie zufällig den Fuß und stellte +ihn auf die erste Sprosse des dargebotenen Sessels, so daß ich durch das +durchbrochene Kleid die Strümpfe bis zum Knieansatz sah, gleichzeitig +schien aber ihr Lächeln zu dem Begleiter hin irgendwie ironisch oder +maliziös zu werden. Offenbar spielte sie mit mir ebenso anteillos wie +ich mit ihr, und ich mußte die raffinierte Technik ihrer Verwegenheit +haßvoll bewundern; denn während sie mir mit falscher Heimlichkeit das +Sinnliche ihres Körpers darbot, drückte sie sich gleichzeitig in das +Flüstern ihres Begleiters geschmeichelt hinein, gab und nahm in einem +und beides nur im Spiel. Eigentlich war ich erbittert, denn ich haßte +gerade an anderen diese Art kalter und boshaft berechnender +Sinnlichkeit, weil ich sie meiner eigenen wissenden Fühllosigkeit so +blutschänderisch nahe verschwistert fühlte. Aber doch, ich war erregt, +vielleicht mehr im Haß wie in Begehrlichkeit. Frech trat ich näher und +griff sie brutal an mit den Blicken. »Ich will dich, du schönes Tier,« +sagte ihr meine unverhohlene Geste, und unwillkürlich mußten meine +Lippen sich bewegt haben, denn sie lächelte mit leiser Verächtlichkeit, +den Kopf von mir wegwendend, und schlug die Robe über den entblößten +Fuß. Aber im nächsten Augenblick wanderte die schwarze Pupille wieder +funkelnd her und wieder hinüber. Es war ganz deutlich, daß sie ebenso +kalt wie ich selbst und mir gewachsen war, daß wir beide kühl mit einer +fremden Hitze spielten, die selber wieder nur gemaltes Feuer war, aber +doch schön anzusehen und heiter zu spielen inmitten eines dumpfen Tags. + +Plötzlich erlosch die Gespanntheit in ihrem Gesicht, der funkelnde Glanz +glomm aus, eine kleine ärgerliche Falte krümmte sich um den eben noch +lächelnden Mund. Ich folgte der Richtung ihres Blicks: ein kleiner, +dicker Herr, den die Kleider faltig umplusterten, steuerte eilig auf sie +zu, das Gesicht und die Stirn, die er nervös mit dem Taschentuch +abtrocknete, von Erregung feucht. Der Hut, in der Eile schief auf den +Kopf gedrückt, ließ seitlich eine tief heruntergezogene Glatze sehen +(unwillkürlich empfand ich, es müßten, wenn er den Hut abnehme, dicke +Schweißperlen auf ihr brüten, und der Mensch war mir widerlich). In der +beringten Hand hielt er ein ganzes Bündel Ticketts. Er prustete förmlich +vor Aufregung und sprach gleich, ohne seine Frau zu beachten, in lautem +Ungarisch auf den Offizier ein. Ich erkannte sofort einen Fanatiker des +Rennsportes, irgendeinen Pferdehändler besserer Kategorie, für den das +Spiel die einzige Ekstase war, das erlauchte Surrogat des Sublimen. +Seine Frau mußte ihm offenbar jetzt etwas Ermahnendes gesagt haben (sie +war sichtlich geniert von seiner Gegenwart und gestört in ihrer +elementaren Sicherheit), denn er richtete sich, anscheinend auf ihr +Geheiß, den Hut zurecht, lachte sie dann jovial an und klopfte ihr mit +gutmütiger Zärtlichkeit auf die Schulter. Wütend zog sie die Brauen +hoch, abgestoßen von der ehelichen Vertraulichkeit, die ihr in Gegenwart +des Offiziers und vielleicht mehr noch der meinen peinlich wurde. Er +schien sich zu entschuldigen, sagte auf ungarisch wieder ein paar Worte +zu dem Offizier, die jener mit einem gefälligen Lächeln erwiderte, nahm +aber dann zärtlich und ein wenig unterwürfig ihren Arm. Ich spürte, daß +sie sich seiner Intimität vor uns schämte und genoß ihre Erniedrigung +mit einem gemischten Gefühl von Spott und Ekel. Aber schon hatte sie +sich wieder gefaßt, und während sie sich weich an seinen Arm drückte, +glitt ein Blick ironisch zu mir hinüber, als sagte er: »Siehst du, der +hat mich, und nicht du.« Ich war wütend und degoutiert zugleich. +Eigentlich wollte ich ihr den Rücken kehren und weitergehen, um ihr zu +zeigen, daß die Gattin eines solchen ordinären Dicklings mich nicht mehr +interessiere. Aber der Reiz war doch zu stark. Ich blieb. + +Schrill gellte in dieser Sekunde das Signal des Starts, und mit einemmal +war die ganze plaudernde, trübe, stockende Masse wie umgeschüttelt, floß +wieder von allen Seiten in jähem Durcheinander nach vorn zur Barriere. +Ich hatte eine gewisse Gewaltsamkeit nötig, nicht mitgerissen zu werden, +denn ich wollte gerade im Tumult in ihrer Nähe bleiben, vielleicht bot +sich da Gelegenheit zu einem entscheidenden Blick, einem Griff, +irgendeiner spontanen Frechheit, die ich jetzt noch nicht wußte, und so +stieß ich mich zwischen den eilenden Leuten beharrlich zu ihr vor. In +diesem Augenblick drängte der dicke Gatte gerade herüber, offenbar um +einen guten Platz an der Tribüne zu ergattern, und so stießen wir beide, +jeder von einem andern Ungestüm geschleudert, mit so viel Heftigkeit +gegeneinander, daß sein lockerer Hut zu Boden flog und die Ticketts, die +daran lose befestigt waren, in weitem Bogen wegspritzten und wie rote, +blaue, gelbe und weiße Schmetterlinge auf den Boden staubten. Einen +Augenblick starrte er mich an. Mechanisch wollte ich mich entschuldigen, +aber irgendein böser Wille verschloß mir die Lippen, im Gegenteil: ich +sah ihn kühl mit einer leisen, frechen und beleidigenden Provokation an. +Sein Blick flackerte eine Sekunde lang unsicher auf von rot +aufsteigender, aber ängstlich sich drückender Wut hochgeschnellt, brach +aber feige zusammen vor dem meinen. Mit einer unvergeßlichen, fast +rührenden Ängstlichkeit sah er mir eine Sekunde in die Augen, dann bog +er sich weg, schien sich plötzlich seiner Ticketts zu besinnen und +bückte sich, um sie und den Hut vom Boden aufzulesen. Mit unverhohlenem +Zorn, rot im Gesicht vor Erregung, blitzte die Frau, die seinen Arm +gelassen hatte, mich an: ich sah mit einer Art Wollust, daß sie mich am +liebsten geschlagen hätte. Aber ich blieb ganz kühl und nonchalant +stehen, sah lächelnd ohne zu helfen zu, wie der überdicke Gemahl sich +keuchend bückte und vor meinen Füßen herumkroch, um seine Ticketts +aufzulesen. Der Kragen stand ihm beim Bücken weit ab wie die Federn +einer aufgeplusterten Henne, eine breite Speckfalte schob sich den roten +Nacken hinauf, asthmatisch keuchte er bei jeder Beugung. Unwillkürlich +kam mir, wie ich ihn so keuchen sah, ein unanständiger und +unappetitlicher Gedanke, ich stellte ihn mir in ehelichem Alleinsein mit +seiner Gattin vor, und übermütig geworden an dieser Vorstellung, +lächelte ich geradeaus in ihrem kaum mehr beherrschten Zorn. Sie stand +da, jetzt wieder blaß und ungeduldig und kaum mehr sich beherrschen +könnend, -- endlich hatte ich doch ein wahres, ein wirkliches Gefühl ihr +entrissen: Haß, unbändigen Zorn! Ich hätte mir diese boshafte Szene am +liebsten ins Unendliche verlängert; mit kalter Wollust sah ich zu, wie +er sich quälte, um Stück für Stück seiner Ticketts zusammenzuklauben. +Mir saß irgendein schnurriger Teufel in der Kehle, der immer kicherte +und ein Lachen herauskollern wollte -- am liebsten hätte ich ihn +herausgelacht oder diese weiche krabbelnde Fleischmasse ein wenig mit +dem Stock gekitzelt: ich konnte mich eigentlich nicht erinnern, jemals +so von Bosheit besessen gewesen zu sein, wie in diesem funkelnden +Triumph der Erniedrigung über diese frechspielende Frau. + +Aber jetzt schien der Unglückselige endlich alle seine Ticketts +zusammengerafft zu haben, nur eines, ein blaues, war weiter fortgeflogen +und lag knapp vor mir auf dem Boden. Er drehte sich keuchend herum, +suchte mit seinen kurzsichtigen Augen -- der Zwicker saß ihm ganz vorne +auf der schweißbenetzten Nase --, und diese Sekunde benützte meine +spitzbübisch aufgeregte Bosheit zur Verlängerung seiner lächerlichen +Anstrengung: ich schob, einem schuljungenhaften Übermut willenlos +gehorchend, den Fuß rasch vor und setzte die Sohle auf das Tickett, so +daß er es bei bester Bemühung nicht finden konnte, so lange mirs +beliebte, ihn suchen zu lassen. Und er suchte und suchte unentwegt, +überzählte dazwischen verschnaufend immer wieder die farbigen +Pappendeckelzettel: es war sichtlich, daß einer -- meiner! -- ihm noch +fehlte, und schon wollte er inmitten des anbrausenden Getümmels wieder +mit der Suche anheben, als seine Frau, die mit einem verbissenen +Ausdruck meinen höhnischen Seitenblick krampfhaft vermied, ihre zornige +Ungeduld nicht mehr zügeln konnte. »Lajos!« rief sie ihm plötzlich +herrisch zu, und er fuhr auf wie ein Pferd, das die Trompete hört, +blickte noch einmal suchend auf die Erde -- mir war es, als kitzelte +mich das verborgene Tickett unter der Sohle, und ich konnte einen +Lachreiz kaum verbergen -- dann wandte er sich seiner Frau gehorsam zu, +die ihn mit einer gewissen ostentativen Eile von mir weg in das immer +stärker aufschäumende Getümmel zog. + +Ich blieb zurück ohne jedwedes Verlangen, den beiden zu folgen. Die +Episode war für mich beendet, das Gefühl jener erotischen Spannung hatte +sich wohltuend ins Heitere gelöst, alle Erregung war von mir geglitten +und nichts zurückgeblieben als die gesunde Sattheit der plötzlich +vorgebrochenen Bosheit, eine freche, fast übermütige Selbstzufriedenheit +über den gelungenen Streich. Vorne drängten sich die Menschen dicht +zusammen, schon begann Erregung zu wogen und, eine einzige, schmutzige, +schwarze Welle, gegen die Barriere zu drängen, aber ich sah gar nicht +hin, es langweilte mich schon. Und ich dachte daran, hinüber in die +Kriau zu gehen oder heimzufahren. Aber kaum daß ich jetzt unwillkürlich +den Fuß zum Schritt vorwärts tat, bemerkte ich das blaue Tickett, das +vergessen am Boden lag. Ich nahm es auf und hielt es spielend zwischen +den Fingern, ungewiß, was ich damit anfangen sollte. Vage kam mir der +Gedanke, es »Lajos« zurückzugeben, was als vortrefflicher Anlaß dienen +könnte, mit seiner Frau bekannt zu werden; aber ich merkte, daß sie mich +gar nicht mehr interessierte, daß die flüchtige Hitze, die mir von +diesem Abenteuer angeflogen kam, längst in meiner alten Gleichgültigkeit +ausgekühlt war. Mehr als dies kämpfende, verlangende Hin und Her der +Blicke verlangte ich von Lajos Gattin nicht -- der Dickling war mir doch +zu unappetitlich, um Körperliches mit ihm zu teilen -- den Frisson der +Nerven hatte ich gehabt, nun fühlte ich bloß mehr lässige Neugier, +wohlige Entspannung. + +Der Sessel stand da, verlassen und allein. Ich setzte mich gemächlich +nieder, zündete mir eine Zigarette an. Vor mir brandete die Leidenschaft +wieder auf, ich horchte nicht einmal hin: Wiederholungen reizten mich +nicht. Ich sah laß den Rauch aufsteigen und dachte an die Meraner +Gilfpromenade, wo ich vor zwei Monaten gesessen und in den sprühenden +Wasserfall hinabgesehen hatte. Ganz so war dies wie hier: auch dort ein +mächtig aufschwellendes Rauschen, das nicht wärmte und nicht kühlte, +auch dort ein sinnloses Tönen in eine schweigend-blaue Landschaft +hinein. Aber jetzt war die Leidenschaft des Spiels beim Crescendo +angelangt, wieder flog der Schaum von Schirmen, Hüten, Schreien, +Taschentüchern über die schwarze Brandung der Menschen hin, wieder +quirlten die Stimmen zusammen, wieder zuckte ein Schrei -- nun aber +andersfarbig -- aus dem Riesenmaul der Menge. Ich hörte einen Namen, +tausendfach, zehntausendfach, jauchzend, gell, ekstatisch, verzweifelt +geschrien: »Cressy! Cressy! Cressy!« Und wieder brach er, eine gespannte +Saite, plötzlich ab (wie doch Wiederholung selbst die Leidenschaft +eintönig macht!). Die Musik begann zu spielen, die Menge löste sich. +Tafeln wurden emporgezogen mit den Nummern der Sieger. Unbewußt blickte +ich hin. An erster Stelle leuchtete eine Sieben. Mechanisch sah ich auf +das blaue Tickett, das ich zwischen meinen Fingern vergessen hatte. Auch +hier die Sieben. + +Unwillkürlich mußte ich lachen. Das Tickett hatte gewonnen, der gute +Lajos richtig gesetzt. So hatte ich mit meiner Bosheit den dicken Gatten +sogar noch um Geld gebracht: mit einem Male war meine übermütige Laune +wieder da, nun interessierte es mich zu wissen, um wieviel ihn meine +eifersüchtige Intervention geprellt. Ich sah mir den blauen Pappendeckel +zum erstenmal genauer an: es war ein Zwanzigkronen-Tickett, und Lajos +hatte auf »Sieg« gesetzt. Das konnte wohl schon ein stattlicher Betrag +sein. Ohne weiter nachzudenken, nur dem Kitzel der Neugierde folgend, +ließ ich mich von der eilenden Menge in die Richtung zu den Kassen +hindrängen. Ich wurde in irgendeinen Queue hineingepreßt, legte das +Tickett vor, und schon streiften zwei knochige, eilfertige Hände, zu +denen ich das Gesicht hinter dem Schalter gar nicht sah, mir neun +Zwanzigkronenscheine auf die Marmorplatte. + +In dieser Sekunde, wo mir das Geld, wirkliches Geld, blaue Scheine +hingelegt wurden, stockte mir das Lachen in der Kehle. Ich hatte sofort +ein unangenehmes Gefühl. Unwillkürlich zog ich die Hände zurück, um das +fremde Geld nicht zu berühren. Am liebsten hätte ich die blauen Scheine +auf der Platte liegen lassen; aber hinter mir drängten schon die Leute, +ungeduldig, ihren Gewinn ausbezahlt zu bekommen. So blieb mir nichts +übrig, als, peinlich berührt, mit angewiderten Fingerspitzen die Scheine +zu nehmen: wie blaue Flammen brannten sie mir in der Hand, die ich +unbewußt von mir wegspreizte, als gehörte auch die Hand, die sie +genommen, nicht zu mir selbst. Sofort übersah ich das Fatale der +Situation. Wider meinen Willen war aus dem Scherz etwas geworden, was +einem anständigen Menschen, einem Gentleman, einem Reserveoffizier nicht +hätte unterlaufen dürfen, und ich zögerte vor mir selbst, den wahren +Namen dafür auszusprechen. Denn dies war nicht verheimlichtes, sondern +listig weggelocktes, war gestohlenes Geld. + +Um mich surrten und schwirrten die Stimmen, Leute drängten und stießen +von und zu den Kassen. Ich stand noch immer reglos mit der +weggespreizten Hand. Was sollte ich tun? An das Natürlichste dachte ich +zuerst: den wirklichen Gewinner aufsuchen, mich entschuldigen und ihm +das Geld zurückerstatten. Aber das ging nicht an, und am wenigsten vor +den Blicken jenes Offiziers. Ich war doch Reserveleutnant, und ein +solches Eingeständnis hätte mich sofort meine Charge gekostet; denn +selbst wenn ich das Tickett gefunden hätte, war schon das Einkassieren +des Geldes eine unfaire Handlungsweise. Ich dachte auch daran, meinem in +den Fingern zuckenden Instinkt nachzugeben, die Noten zu zerknüllen und +fortzuwerfen, aber auch dies war inmitten des Menschengewühls zu leicht +kontrollierbar und dann verdächtig. Keinesfalls wollte ich aber auch nur +einen Augenblick das fremde Geld bei mir behalten oder gar in die +Brieftasche stecken, um es später irgend jemandem zu schenken: das mir +seit Kindheit so wie reine Wäsche anerzogene Sauberkeitsempfinden ekelte +sich vor jeder auch nur flüchtigen Berührung mit diesen Zetteln. Weg, +nur weg mit diesem Gelde, fieberte es ganz heiß in mir, weg, nur +irgendwohin, weg! Unwillkürlich sah ich mich um, und wie ich ratlos im +Kreise blickte, ob irgendwo ein Versteck sei, eine unbewachte +Möglichkeit, fiel mir auf, daß die Menschen von neuem zu den Kassen zu +drängen begannen, nun aber mit Geldscheinen in den Händen. Und der +Gedanke war mir Erlösung. Zurückwerfen das Geld an den boshaften Zufall, +der es mir gegeben, wiederum hinein in den gefräßigen Schlund, der jetzt +die neuen Einsätze, Silber und Scheine, gleich gierig hinunterschluckte +-- ja, das war das Richtige, die wahre Befreiung. + +Ungestüm eilte, ja lief ich hin, keilte mich mitten zwischen die +Drängenden. Nur zwei Vordermänner waren noch vor mir, schon stand der +erste beim Totalisator, als mir einfiel, daß ich gar kein Pferd zu +nennen wußte, auf das ich setzen könnte. Gierig hörte ich in das Reden +rings um mich. »Setzen Sie Ravachol?« fragte einer. »Natürlich +Ravachol,« antwortete ihm sein Begleiter. »Glauben Sie, daß Teddy nicht +auch Chancen hat?« »Teddy? keine Spur. Er hat im Maidenrennen total +versagt. Er war ein Bluff.« + +Wie ein Verdurstender schluckte ich die Worte ein. Also Teddy war +schlecht, Teddy würde bestimmt nicht gewinnen. Sofort beschloß ich, ihn +zu setzen. Ich schob das Geld hin, nannte den eben erst gehörten Namen +Teddy auf Sieg, eine Hand warf mir die Ticketts zurück. Mit einem Male +hatte ich jetzt neun rotweiße Pappendeckelstücke zwischen den Fingern +statt des einen. Es war noch immer ein peinliches Gefühl; aber immerhin, +es brannte nicht mehr so aufreizend, so erniedrigend wie das knitterige +bare Geld. + +Ich empfand mich wieder leicht, beinahe sorglos: jetzt war das Geld +weggetan, das Unangenehme des Abenteuers erledigt, die Angelegenheit +wieder zum Scherz geworden, als der sie begonnen. Ich setzte mich lässig +in meinen Sessel zurück, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch +gemächlich vor mich hin. Aber es hielt mich nicht lange, ich stand auf, +ging herum, setzte mich wieder hin. Merkwürdig: es war vorbei mit der +wohligen Träumerei. Irgendeine Nervosität stak mir knisternd in den +Gliedern. Zuerst meinte ich, es sei das Unbehagen, unter den vielen +vorbeistreifenden Leuten Lajos und seiner Frau begegnen zu können; aber +wie konnten sie ahnen, daß jene neuen Ticketts die ihren waren? Auch die +Unruhe der Menschen störte mich nicht, im Gegenteil, ich beobachtete sie +genau, ob sie nicht schon wieder nach vorne zu drängen begannen, ja ich +ertappte mich, wie ich immer wieder aufstand, um zur Fahne zu blicken, +die bei Beginn des Rennens hochgezogen wurde. Das also war es -- +Ungeduld, ein springendes, inneres Fieber der Erwartung, der Start möge +schon beginnen, die leidige Angelegenheit für immer erledigt sein. + +Ein Bursche lief vorbei mit einer Rennzeitung. Ich hielt ihn an, kaufte +mir das Programm und begann unter den unverständlichen, in einem fremden +Jargon geschriebenen Worten und Tips herumzusuchen, bis ich endlich +Teddy herausfand, den Namen seines Jockeis, den Besitzer des Stalles und +die Farben rotweiß. Aber warum interessierte mich das so? Ärgerlich +zerknüllte ich das Blatt und warf es weg, stand auf, setzte mich wieder +hin. Mir war ganz plötzlich heiß geworden, ich mußte mir mit dem +Taschentuch über die feuchte Stirn fahren, und der Kragen drückte mich. +Noch immer wollte der Start nicht beginnen. + +Endlich klingelte die Glocke, die Menschen stürmten hin, und in dieser +Sekunde spürte ich entsetzt, wie auch mich dieses Klingeln gleich einem +Wecker erschreckt von irgendeinem Schlaf aufriß. Ich sprang vom Sessel +so heftig weg, daß er umfiel, und eilte -- nein, ich lief -- gierig nach +vorne, die Ticketts fest zwischen die Finger gepreßt, mitten in die +Menge hinein und wie von einer rasenden Angst verzehrt, zu spät zu +kommen, irgend etwas ganz Wichtiges zu versäumen. Ich erreichte noch, +indem ich Leute brutal beiseite stieß, die vordere Barriere, riß +rücksichtslos einen Sessel, den eben eine Dame nehmen wollte, an mich. +Meine ganze Taktlosigkeit und Tollwütigkeit erkannte ich sofort an ihrem +erstaunten Blick -- es war eine gute Bekannte, die Gräfin R., deren +hochgezogen zornigen Brauen ich begegnete --, aber aus Scham und Trotz +sah ich an ihr kalt vorbei, sprang auf den Sessel, um das Feld zu sehen. + +Irgendwo weit drüben stand im Grünen an den Start gepreßt ein kleines +Rudel unruhiger Pferde, mühsam in der Linie gehalten von den kleinen +Jockeis, die wie bunte Polichinelle aussahen. Sofort suchte ich den +meinen darunter zu erkennen, aber mein Auge war ungeübt, und mir +flimmerte es so heiß und seltsam vor dem Blick, daß ich unter den +Farbenflecken den rotweißen nicht zu unterscheiden vermochte. In diesem +Augenblick klang die Glocke zum zweiten Male, und wie sieben bunte +Pfeile von einem Bogen flitzten die Pferde in den grünen Gang hinein. Es +mußte wunderbar sein, dies ruhig und nur ästhetisch zu betrachten, wie +die schmalen Tiere galoppierend ausholten und, kaum den Boden +anstreifend, über den Rasen hinfederten; aber ich spürte von all dem +nichts, ich machte nur verzweifelte Versuche, mein Pferd, meinen Jockei +zu erkennen, und fluchte mir selbst, keinen Feldstecher mitgenommen zu +haben. So sehr ich mich bog und streckte, ich sah nichts als vier, fünf +bunte Insekten, in einen fliegenden Knäuel verwischt; nur die Form sah +ich allmählich jetzt sich verändern, wie das leichte Rudel sich jetzt an +der Biegung keilförmig verlängerte, eine Spitze vortrieb, indes +rückwärts einige des Schwarms bereits abzubröckeln begannen. Das Rennen +wurde scharf: drei oder vier der im Galopp ganz auseinandergestreckten +Pferde klebten wie farbige Papierstreifen flach zusammen, bald schob +sich das eine, bald das andere um einen Ruck vor. Und unwillkürlich +streckte ich meinen ganzen Körper aus, als könnte ich durch diese +nachahmende, federnde, leidenschaftlich gespannte Bewegung ihre +Geschwindigkeit steigern und mitreißen. + +Rings um mich wuchs die Erregung. Einzelne Geübtere mußten schon an der +Kurve die Farben erkannt haben, denn Namen fuhren jetzt wie grelle +Raketen aus dem trüben Tumult. Neben mir stand einer, die Hände +frenetisch gereckt, und wie jetzt ein Pferdekopf vordrängte, schrie er +fußstampfend mit einer widerlich gellen und triumphierenden Stimme: +»Ravachol! Ravachol!« Ich sah, daß wirklich der Jockei dieses Pferdes +blau schimmerte, und eine Wut überfiel mich, daß es nicht mein Pferd +war, das siegte. Immer unerträglicher wurde mir das gelle Gebrüll +»Ravachol! Ravachol!« von dem Widerling neben mir; ich tobte vor kalter +Wut, am liebsten hätte ich ihm die Faust in das aufgerissene schwarze +Loch seines schreienden Mundes geschlagen. Ich zitterte vor Zorn, ich +fieberte, jeden Augenblick, fühlte ich, konnte ich etwas Sinnloses +begehen. Aber da hing noch ein anderes Pferd knapp an dem ersten. +Vielleicht war das Teddy, vielleicht, vielleicht -- und diese Hoffnung +befeuerte mich von neuem. Wirklich war mir, als schimmerte der Arm, der +sich jetzt über den Sattel hob und etwas niedersausen ließ auf die +Kruppe des Pferdes, rotfarben, er konnte es sein, er mußte es sein, er +mußte, er mußte! Aber warum trieb er ihn nicht vor, der Schurke? Noch +einmal die Peitsche! Noch einmal! Jetzt, jetzt war er ihm ganz nahe! +Jetzt, nur eine Spanne noch. Warum Ravachol? Ravachol? Nein, nicht +Ravachol! Nicht Ravachol! Teddy! Teddy! Vorwärts Teddy! Teddy! + +Plötzlich riß ich mich gewaltsam zurück. Was -- was war das? Wer schrie +da so? Wer tobte da »Teddy! Teddy!«? Ich selbst schrie ja das. Und +mitten in der Leidenschaft erschrak ich vor mir. Ich wollte mich halten, +mich beherrschen, inmitten meines Fiebers quälte mich eine plötzliche +Scham. Aber ich konnte die Blicke nicht wegreißen, denn dort klebten die +beiden Pferde knapp aneinander, und es mußte wirklich Teddy sein, der an +Ravachol, dem verfluchten, aus brennender Inbrunst von mir gehaßten +Ravachol hing, denn rings um mich gellten jetzt andere lauter und +vielstimmiger in grellem Diskant: »Teddy! Teddy!«, und der Schrei riß +mich, den für eine wache Sekunde Aufgetauchten, wieder in die +Leidenschaft. Er sollte, er mußte gewinnen, und wirklich, jetzt, jetzt +schob sich hinter dem fliegenden Pferde des andern ein Kopf vor, eine +Spanne nur, und jetzt schon zwei, jetzt, jetzt sah man schon den Hals -- +in diesem Augenblick schnarrte grell die Glocke, und ein einziger Schrei +des Jubels, der Verzweiflung, des Zornes explodierte. Für eine Sekunde +füllte der ersehnte Name den blauen Himmel ganz bis zur Wölbung. Dann +stürzte er ein, und irgendwo rauschte Musik. + +Heiß, ganz feucht, klopfenden Herzens stieg ich vom Sessel herab. Ich +mußte mich für einen Augenblick niedersetzen, so wirr war ich vor +begeisterter Erregung. Eine Ekstase, wie ich sie nie gekannt, +durchflutete mich, eine sinnlose Freude, daß der Zufall so sklavisch +meiner Herausforderung gehorcht; vergebens versuchte ich mir +vorzutäuschen, es sei wider meinen Willen gewesen, daß dieses Pferd +jetzt gewonnen habe, und ich hätte gewünscht, das Geld verloren zu +sehen. Aber ich glaubte es mir selbst nicht, und schon spürte ich ein +grausames Ziehen in meinen Gliedern, es riß mich magisch irgendwohin, +und ich wußte, wohin es mich trieb: ich wollte den Sieg sehen, ihn +spüren, ihn fassen, Geld, viel Geld, blaue knisternde Scheine in den +Fingern spüren und dies Rieseln die Nerven hinauf. Eine ganz fremde böse +Lust hatte sich meiner bemächtigt, und keine Scham wehrte mehr, ihr +nachzugeben. Und kaum daß ich mich erhob, so eilte, so lief ich schon +bis hin zur Kasse, ganz brüsk, mit gespreizten Ellenbogen stieß ich mich +zwischen die Wartenden am Schalter, schob ungeduldig Leute beiseite, nur +um das Geld, das Geld leibhaftig zu sehn. »Flegel!« murrte hinter mir +einer der Weggedrängten; ich hörte es, aber ich dachte nicht daran, ihn +zu fordern, ich bebte ja vor unbegreiflicher, krankhafter Ungeduld. +Endlich war die Reihe an mir, meine Hände faßten gierig ein blaues +Bündel Banknoten. Ich zählte zitternd und begeistert zugleich. Es waren +sechshundertundvierzig Kronen. + +Heiß riß ich sie an mich. Mein nächster Gedanke war: jetzt weiter +spielen, mehr gewinnen, viel mehr. Wo hatte ich nur meine Rennzeitung? +Ach, weggeworfen in der Erregung! Ich sah um mich, eine neue zu +erstehen. Da bemerkte ich zu meinem namenlosen Erschrecken, wie +plötzlich alles rings auseinanderflutete, dem Ausgang zu, daß die Kassen +sich schlossen, die flatternde Fahne sank. Das Spiel war zu Ende. Es war +das letzte Rennen gewesen. Eine Sekunde lang stand ich starr. Dann +sprang ein Zorn in mir auf, als sei mir ein Unrecht geschehen. Ich +konnte mich nicht damit abfinden, daß jetzt, da alle meine Nerven sich +spannten und bebten, das Blut so heiß wie seit Jahren nicht mehr in mir +rollte, alles zu Ende sein sollte. Aber es half nichts, mit trügerischem +Wunsch die Hoffnung künstlich zu nähren, dies sei nur ein Irrtum +gewesen, denn immer rascher entflutete das bunte Gedränge, schon glänzte +grün der zertretene Rasen zwischen den vereinzelt Gebliebenen. +Allmählich empfand ich das Lächerliche meines gespannten Verweilens, so +nahm ich den Hut -- den Stock hatte ich offenbar am Tourniquet in der +Erregung stehengelassen -- und ging dem Ausgang zu. Ein Diener mit +servil gelüfteter Kappe sprang mir entgegen, ich nannte ihm die Nummer +meines Wagens, er schrie sie mit gehöhlter Hand über den Platz, und +schon klapperten scharf die Pferde heran. Ich bedeutete dem Kutscher, +langsam die Hauptallee hinabzufahren. Denn gerade jetzt, wo die Erregung +wohlig abzuklingen begann, fühlte ich eine lüsterne Neigung, mir noch +einmal die ganze Szene in Gedanken zu erneuern. + +In diesem Augenblick fuhr ein anderer Wagen vor; unwillkürlich blickte +ich hin, um sofort wieder ganz bewußt wegzusehen. Es war die Frau mit +ihrem behäbigen Gatten. Sie hatten mich nicht bemerkt. Aber sofort +überkam mich ein widerlich würgendes Gefühl, als sei ich ertappt. Und am +liebsten hätte ich dem Kutscher zugerufen, auf die Pferde einzuschlagen, +nur um rasch aus ihrer Nähe zu kommen. + +Weich glitt auf den Gummirädern der Fiaker dahin zwischen den vielen +andern, die wie Blumenboote mit ihrer bunten Fracht von Frauen an den +grünen Ufern der Kastanienallee vorbeischaukelten. Die Luft war weich +und süß, schon wehte von erster Abendkühle manchmal ein leiser Duft +durch den Staub herüber. Aber das frühere wohlig-träumerische Gefühl kam +nicht wieder: die Begegnung mit dem Geprellten hatte mich peinlich +aufgerissen. Wie ein kalter Luftzug durch eine Fuge drang es mit einmal +in meine überhitzte Leidenschaft. Ich dachte jetzt noch einmal nüchtern +die ganze Szene durch und begriff mich selbst nicht mehr: ich, ein +Gentleman, ein Mitglied der besten Gesellschaft, Reserveoffizier, +hochgeachtet, hatte ohne Not gefundenes Geld an mich genommen, in die +Brieftasche gesteckt, ja dies sogar mit einer gierigen Freude, einer +Lust getan, die jede Entschuldigung hinfällig machte. Ich, der ich vor +einer Stunde noch ein korrekter, makelloser Mensch gewesen war, hatte +gestohlen. Ich war ein Dieb. Und gleichsam, um mich selbst zu +erschrecken, sagte ich mir mein Urteil halblaut hin, während der Wagen +leise trabte, unbewußt im Rhythmus des Hufschlags sprechend: »Dieb! +Dieb! Dieb! Dieb!« Aber seltsam, wie soll ich beschreiben, was jetzt +geschah, es ist ja so unerklärlich, so ganz absonderlich, und doch weiß +ich, daß ich mir nichts nachträglich vortäusche. Jede Sekunde meines +Gefühls, jede Oszillation meines Denkens in jenen Augenblicken ist mir +ja mit einer so übernatürlichen Deutlichkeit bewußt, wie kaum irgendein +Erlebnis meiner sechsunddreißig Jahre, und doch wage ich kaum, diese +absurde Reihenfolge, diese verblüffende Schwankung meines Empfindens +bewußt zu machen, ja ich weiß nicht, ob irgendein Dichter, ein +Psychologe das logisch zu schildern vermöchte. Ich kann nur die +Reihenfolge aufzeichnen, ganz getreu ihrem unvermuteten Aufleuchten +nach. Also: ich sagte zu mir »Dieb, Dieb, Dieb«. Dann kam ein ganz +merkwürdiger, ein gleichsam leerer Augenblick, ein Augenblick, wo nichts +geschah, wo ich nur -- ach, wie schwer ist es, dies auszudrücken -- wo +ich nur horchte, in mich hineinhorchte. Ich hatte mich angerufen, hatte +mich angeklagt, nun sollte dem Richter der Angeschuldigte antworten. Ich +horchte also, und es geschah -- nichts. Der Peitschenschlag dieses +Wortes »Dieb«, von dem ich erwartet hatte, es werde mich aufschrecken +und dann hinstürzen lassen in eine namenlose, eine zerknirschte Scham, +weckte nichts auf. Ich wartete geduldig einige Minuten, ich beugte mich +dann gewissermaßen noch näher über mich selbst -- denn ich spürte zu +wohl, daß unter diesem trotzigen Schweigen etwas sich regte -- und +horchte mit einer fieberhaften Erwartung auf das ausbleibende Echo, auf +den Schrei des Ekels, der Entrüstung, der Verzweiflung, der dieser +Selbstanschuldigung folgen mußte. Und es geschah wiederum nichts. Nichts +antwortete. Nochmals sagte ich mir das Wort »Dieb«, »Dieb«, nun schon +ganz laut, um endlich in mir das schwerhörige, das gelähmte Gewissen +aufzuwecken. Wieder kam keine Antwort. Und plötzlich -- in einem grellen +Blitzlicht des Bewußtseins, wie wenn plötzlich ein Streichholz +angezündet und über die dämmernde Tiefe gehalten wäre -- erkannte ich, +daß ich mich nur schämen _wollte_, aber nicht schämte, ja, daß ich in +jener Tiefe irgendwie geheimnisvoll stolz, sogar beglückt war von dieser +törichten Tat. + +Wie war das möglich? Ich wehrte mich, jetzt wirklich vor mir selbst +erschreckend, gegen diese unerwartete Erkenntnis, aber zu schwellend, zu +ungestüm wogte das Gefühl aus mir auf. Nein, das war nicht Scham, nicht +Empörung, nicht Selbstekel, was so warm mir im Blut gärte -- das war +Freude, trunkene Freude, die in mir aufloderte, ja funkelte mit hellen +spitzen Flammen von Übermut, denn ich spürte, daß ich in jenen Minuten +zum erstenmal seit Jahren und Jahren wirklich lebendig, daß mein Gefühl +nur gelähmt gewesen und noch nicht abgestorben war, daß irgendwo unter +der versandeten Fläche meiner Gleichgültigkeit also doch noch jene +heißen Quellen von Leidenschaft geheimnisvoll gingen und nun, von der +Wünschelrute des Zufalls berührt, hoch bis in mein Herz hinaufgepeitscht +waren. Auch in mir, auch in mir, in diesem Stück atmenden Weltalls, +glühte also noch jener geheimnisvolle vulkanische Kern alles Irdischen, +der manchmal vorbricht in den wirbelnden Stößen von Begier, auch ich +lebte, war lebendig, war ein Mensch mit bösem und warmem Gelüst. Eine +Tür war aufgerissen vom Sturm dieser Leidenschaft, eine Tiefe aufgetan +in mich hinein, und ich starrte in wollüstigem Schwindel hinab in dies +Unbekannte in mir, das mich erschreckte und beseligte zugleich. Und +langsam -- während der Wagen lässig meinen träumenden Körper durch die +bürgerlich-gesellschaftliche Welt hinrollte -- stieg ich, Stufe um +Stufe, hinab in die Tiefe des Menschlichen in mir, unsäglich allein in +diesem schweigenden Gang, nur überhöht von der aufgehobenen grellen +Fackel meines jäh entzündeten Bewußtseins. Und indes tausend Menschen um +mich lachend und schwatzend wogten, suchte ich mich, den verlorenen +Menschen, in mir, tastete ich Jahre ab in dem magischen Gang des +Besinnens. Ganz verschollene Dinge tauchten plötzlich aus den +verstaubten und erblindeten Spiegeln meines Lebens auf, ich erinnerte +mich, schon einmal als Schulknabe einem Kameraden ein Taschenmesser +gestohlen und mit der gleichen teuflischen Freude ihm zugesehen zu +haben, wie er es überall suchte, alle fragte und sich mühte; ich +verstand mit einemmal das geheimnisvoll Gewitternde mancher sexuellen +Stunden, verstand, daß meine Leidenschaft nur verkrümmt, nur zertreten +gewesen war von dem gesellschaftlichen Wahn, von dem herrischen Ideal +der Gentlemen -- daß aber auch in mir, nur tief, ganz tief unten in +verschütteten Brunnen und Röhren die heißen Ströme des Lebens gingen wie +in allen andern. Oh, ich hatte ja immer gelebt, nur nicht gewagt zu +leben, ich hatte mich verschnürt und verborgen vor mir selbst: nun aber +war die gepreßte Kraft aufgebrochen, das Leben, das reiche, das +unsäglich gewaltsame hatte mich überwältigt. Und nun wußte ich, daß ich +ihm noch anhing; mit der seligen Betroffenheit der Frau, die zum +erstenmal in sich das Kind sich regen spürt, empfand ich das Wirkliche +-- wie soll ich es anders nennen -- das Wahre, das Unverstellte des +Lebens in mir keimen, ich fühlte -- fast schäme ich mich, solch ein Wort +hinzuschreiben -- wie ich, der abgestorbene Mensch, mit einemmal wieder +_blühte_, wie durch meine Adern Blut rot und unruhig rollte, Gefühl sich +im Warmen leise entfaltete und ich aufwuchs zu unbekannter Frucht von +Süße oder Bitternis. Das Tannhäuserwunder war mir geschehen mitten im +klaren Licht eines Rennplatzes, zwischen dem Geschwirr von Tausenden +müßiger Menschen: ich hatte wieder zu fühlen begonnen, er grünte und +trieb seine Knospen, der abgedorrte Stab. + +Von einem vorüberfahrenden Wagen grüßte ein Herr und rief -- offenbar +hatte ich seinen ersten Gruß übersehen -- meinen Namen. Unwirsch fuhr +ich auf, zornig, gestört zu sein in diesem süßrieselnden Zustand des +sich in mich selbst Ergießens, dieses tiefsten Traumes, den ich jemals +erlebt. Aber der Blick auf den Grüßenden riß mich ganz von mir weg: es +war mein Freund Alfons, ein lieber Schulkamerad und jetzt Staatsanwalt. +Mit einemmal durchzuckte es mich: dieser Mensch, der dich brüderlich +grüßt, hat jetzt zum erstenmal Macht über dich, du bist ihm verfallen, +sobald er dein Vergehen kennt. Wüßte er um dich und deine Tat, er müßte +dich aus diesem Wagen ziehen, weg aus der ganzen warmen bürgerlichen +Existenz, und hinabstoßen auf drei oder fünf Jahre in die dumpfe Welt +hinter vergitterten Fenstern, zum Abhub des Lebens, zu den andern +Dieben, die nur die Peitsche der Not in ihre schmierigen Zellen +getrieben. Aber nur einen Augenblick lang faßte mich kalt die Angst am +Gelenk meiner zitternden Hand, nur einen Augenblick lang hielt sie den +Herzschlag an -- dann verwandelte auch dieser Gedanke sich wieder in +heißes Gefühl, in einen phantastischen, frechen Stolz, der jetzt +selbstbewußt und beinahe höhnisch die andern Menschen ringsum musterte. +Wie würde, dachte ich, euer süßes kameradschaftliches Lächeln, mit dem +ihr mich als euresgleichen grüßt, anfrieren um die Mundwinkel, wenn ihr +mich ahntet! Wie einen Kotspritzer würdet ihr meinen Gruß wegstäuben mit +verächtlich geärgerter Hand. Aber ehe ihr mich ausstoßt, habe ich euch +schon ausgestoßen: heute nachmittags habe ich mich herausgestürzt aus +eurer kalten knöchernen Welt, wo ich ein Rad war, ein lautlos +funktionierendes, in der großen Maschine, die kalt in ihren Kolben +abrollt und eitel um sich selber kreist -- ich bin in eine Tiefe +gestürzt, die ich nicht kenne, doch ich bin lebendiger gewesen in dieser +einen Stunde als in den gläsernen Jahren in eurem Kreis. Nicht mehr euch +gehöre ich, nicht mehr zu euch, ich bin jetzt außen irgendwo in einer +Höhe oder Tiefe, nie mehr aber, nie mehr am flachen Strand eures +bürgerlichen Wohlseins. Ich habe zum erstenmal alles gefühlt, was in den +Menschen an Lust im Guten und Bösen getan ist, aber nie werdet ihr +wissen, wo ich war, nie mich erkennen: Menschen, was wißt ihr von meinem +Geheimnis! + +Wie vermöchte ich es auszudrücken, was ich in jener Stunde fühlte, indes +ich, ein elegant angezogener Gentleman, mit kühlem Gesicht grüßend und +dankend zwischen den Wagenreihen durchfuhr! Denn während meine Larve, +der äußere, der frühere Mensch, noch Gesichter fühlte und erkannte, +rauschte innen in mir eine so taumelnde Musik, daß ich mich +niederdrücken mußte, um nicht etwas herauszuschreien von diesem tosenden +Tumult. Ich war so voll von Gefühl, daß mich dieser innere Schwall +physisch quälte, daß ich wie ein Erstickender die Hand gewaltsam an die +Brust pressen mußte, unter der das Herz schmerzhaft gärte. Aber Schmerz, +Lust, Erschrecken, Entsetzen oder Bedauern, nichts fühlte ich einzeln +und abgerissen, alles schmolz zusammen, ich spürte nur, daß ich lebte, +daß ich atmete und fühlte. Und dieses Einfachste, dieses urhafte Gefühl, +das ich seit Jahren nicht empfunden, machte mich trunken. Nie hatte ich +mich selbst auch nur eine Sekunde meiner sechsunddreißig Jahre so +ekstatisch als lebendig empfunden als in der Schwebe dieser Stunde. + +Mit einem leichten Ruck hielt der Wagen an: der Kutscher hatte die +Pferde angezügelt, wandte sich vom Bock und fragte, ob er nach Hause +fahren solle. Ich taumelte aus mir heraus, hob die Blicke über die Allee +hin: mit Betroffenheit merkte ich, wie lange ich geträumt, wie weit die +Trunkenheit über die Stunden sich ausgegossen hatte. Es war dunkel +geworden, ein Weiches wogte in den Kronen der Bäume, die Kastanien +begannen ihren abendlichen Duft durch die Kühle zu atmen. Und hinter den +Wipfeln silberte schon ein verschleierter Blick von Mond. Es war genug, +es mußte genug sein. Aber nur nicht jetzt nach Hause, nur nicht in meine +gewohnte Welt! Ich bezahlte den Kutscher. Als ich die Brieftasche zog +und die Banknoten zählend zwischen die Finger nahm, liefs wie ein leiser +elektrischer Schlag mir vom Gelenk in die Fingerspitzen: irgend etwas in +mir mußte noch wach sein also vom alten Menschen, der sich schämte. Noch +zuckte das absterbende Gentlemansgewissen, doch ganz heiter blätterte +schon wieder meine Hand im gestohlenen Gelde, und ich war freigebig aus +meiner Freude. Der Kutscher bedankte sich so überschwenglich, daß ich +lächeln mußte: wenn du wüßtest! Die Pferde zogen an, der Wagen fuhr +fort. Ich sah ihm nach, wie man vom Schiff noch einmal auf einen Strand +zurückblickt, an dem man glücklich gewesen. + +Einen Augenblick stand ich so träumerisch und ratlos mitten in der +murmelnden, lachenden, musiküberwogten Menge: es mochte etwa sieben Uhr +sein, und unwillkürlich bog ich hinüber zum Sachergarten, wo ich sonst +immer nach der Praterfahrt in Gesellschaft zu speisen pflegte und in +dessen Nähe der Fiaker mich wohl bewußt abgesetzt hatte. Aber kaum daß +ich die Gitterklinke des vornehmen Gartenrestaurantes berührte, überfiel +mich eine Hemmung: nein, ich wollte noch nicht in meine Welt zurück, +nicht mir in lässigem Gespräch diese wunderbare Gärung, die mich +geheimnisvoll erfüllte, wegschwemmen lassen, nicht mich loslösen von der +funkelnden Magie des Abenteuers, der ich mich seit Stunden verkettet +fühlte. + +Von irgendwoher dröhnte dumpfe verworrene Musik, und unwillkürlich ging +ich ihr nach, denn alles lockte mich heute, ich empfand es als Wollust, +dem Zufall ganz nachzugeben, und dies dumpfe Hingetriebensein inmitten +einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen phantastischen Reiz. Mein +Blut gärte auf in diesem dicken quirlenden Brei heißer menschlicher +Masse: aufgespannt war ich mit einemmal, angereizt und gesteigert wach +in allen Sinnen von diesem beizend qualmigen Duft von Menschenatem, +Staub, Schweiß und Tabak. Denn all dies, was mich vordem, ja selbst +gestern noch, als ordinär, gemein und plebejisch abgestoßen, was der +soignierte Gentleman in mir ein Leben lang hochmütig gemieden hatte, das +zog meinen neuen Instinkt magisch an, als empfände ich zum erstenmal im +Animalischen, im Triebhaften, im Gemeinen eine Verwandtschaft mit mir +selbst. Hier im Abhub der Stadt, zwischen Soldaten, Dienstmädchen, +Strolchen, fühlte ich mich in einer Weise wohl, die mir ganz +unverständlich war: ich sog die Beize dieser Luft irgendwie gierig ein, +das Schieben und Pressen in eine geknäulte Masse war mir angenehm, und +mit einer wollüstigen Neugier wartete ich, wohin diese Stunde mich +Willenlosen schwemmte. Immer näher gellten und schmetterten vom +Wurstelprater her die Tschinellen und die weiße Blechmusik, in einer +fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und +rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge aus den Buden, +zischte Gelächter, grölten trunkene Schreie, und jetzt sah ich schon mit +irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit zwischen den Bäumen +kreisen. Ich blieb mitten auf dem Platze stehen und ließ den ganzen +Tumult in mich einbranden, mir Augen und Ohren vollschwemmen: diese +Kaskaden von Lärm, das Infernalische dieses Durcheinander tat mir wohl, +denn in diesem Wirbel war etwas, das mir den innern Schwall betäubte. +Ich sah zu, wie mit geblähten Kleidern die Dienstmädchen sich auf den +Hutschen mit kollernden Lustschreien, die gleichsam aus ihrem Geschlecht +gellten, in den Himmel schleudern ließen, wie Metzgergesellen lachend +schwere Hämmer auf die Kraftmesser hinkrachten, Ausrufer mit heisern +Stimmen und affenhaften Gebärden über den Lärm der Orchestrions +schreiend hinwegruderten, und wie alles dies sich quirlend mengte mit +dem tausendgeräuschigen, unablässig bewegten Dasein der Menge, die +trunken war vom Fusel der Blechmusik, dem Flirren des Lichts und von der +eigenen warmen Lust ihres Beisammenseins. Seit ich selber wach geworden +war, spürte ich auf einmal das Leben der andern, ich spürte die Brunst +der Millionenstadt, wie sie sich heiß und aufgestaut in die paar Stunden +des Sonntags ergoß, wie sie sich aufreizte an der eigenen Fülle zu einem +dumpfen, tierischen, aber irgendwie gesunden und triebhaften Genuß. Und +allmählich spürte ich vom Angeriebensein, von der unausgesetzten +Berührung mit ihren heißen leidenschaftlich drängenden Körpern ihre +warme Brunst selbst in mich übergehen: meine Nerven strafften sich, +aufgebeizt von dem scharfen Geruch, aus mir heraus, meine Sinne spielten +taumelig mit dem Getöse und empfanden jene verwirrte Betäubung, die mit +jeder starken Wollust unweigerlich gemengt ist. Zum erstenmal seit +Jahren, vielleicht überhaupt in meinem Leben, spürte ich die Masse, +spürte ich Menschen als eine Macht, von der Lust in mein eigenes, +abgeschiedenes Wesen überging: irgendein Damm war zerrissen, und von +meinen Adern gings hinüber in diese Welt, strömte es rhythmisch zurück, +und eine ganz neue Gier überkam mich, noch jene letzte Kruste zwischen +mir und ihnen abzuschmelzen, ein leidenschaftliches Verlangen nach +Paarung mit dieser heißen, fremden, drängenden Menschheit. Mit der Lust +des Mannes sehnte ich mich in den quellenden Schoß dieses heißen +Riesenkörpers hinein, mit der Lust des Weibes war ich aufgetan jeder +Berührung, jedem Ruf, jeder Lockung, jeder Umfassung -- und nun wußte +ichs, Liebe war in mir und Bedürfnis nach Liebe wie nur in den +zwielichthaften Knabentagen. Oh, nur hinein, hinein ins Lebendige, +irgendwie verbunden sein mit dieser zuckenden, lachenden, aufatmenden +Leidenschaft der andern, nur einströmen, sich ergießen in ihren +Adergang; ganz klein, ganz namenlos werden im Getümmel, eine Infusorie +bloß sein im Schmutz der Welt, ein lustzitterndes, funkelndes Wesen im +Tümpel mit den Myriaden -- aber nur hinein in die Fülle, hinab in den +Kreisel, mich abschießen wie einen Pfeil von der eigenen Gespanntheit +ins Unbekannte, in irgendeinen Himmel der Gemeinsamkeit. + +Ich weiß es jetzt: ich war damals trunken. In meinem Blute brauste alles +zusammen, das Hämmern der Glocken von den Karussells, das feine +Lustlachen der Frauen, das unter dem Zugriff der Männer aufsprühte, die +chaotische Musik, die flirrenden Kleider. Spitz fiel jeder einzelne Laut +in mich und flimmerte dann noch einmal rot und zuckend an den Schläfen +vorbei, ich spürte jede Berührung, jeden Blick mit einer phantastischen +Aufgereiztheit der Nerven (so wie bei der Seekrankheit), aber doch alles +gemeinsam in einem taumeligen Verbundensein. Ich kann meinen +komplizierten Zustand unmöglich mit Worten ausdrücken, am ehesten +gelingt es noch vielleicht mit einem Vergleiche: wenn ich sage, ich war +überfüllt mit Geräusch, Lärm, Gefühl, überheizt wie eine Maschine, die +mit allen Rädern rasend rennt, um dem ungeheuren Druck zu entlaufen, der +ihr im nächsten Augenblicke schon den Brustkessel sprengen muß. In den +Fingerspitzen zuckte, in den Schläfen pochte, in der Kehle preßte, an +den Schläfen würgte das angehitzte Blut -- von einer jahrelangen Lauheit +des Gefühls war ich mit einemmal in ein Fieber gestürzt, das mich +verbrannte. Ich fühlte, daß ich mich jetzt auftun müßte, aus mir heraus +mit einem Wort, mit einem Blick, mich mitteilen, mich ausströmen, mich +weggeben, mich hingeben, mich gemein machen, mich lösen, -- irgendwie +retten aus dieser harten Kruste von Schweigen, die mich absonderte von +dem warmen, flutenden, lebendigen Element. Seit Stunden hatte ich nicht +gesprochen, niemandes Hand gedrückt, niemandes Blick fragend und +teilnehmend gegen den meinen gespürt, und nun staute, unter dem Sturz +der Geschehnisse, sich diese Erregung gegen das Schweigen. Niemals, +niemals hatte ich so sehr das Bedürfnis nach Mitteilsamkeit, nach einem +Menschen gehabt, als jetzt, da ich inmitten von Tausenden und +Zehntausenden wogte, rings angespült war von Wärme und Worten, und doch +abgeschnürt von dem kreisenden Adergang dieser Fülle. Ich war wie einer, +der auf dem Meere verdurstet. Und dabei sah ich, diese Qual mit jedem +Blick mehrend, wie rechts und links in jeder Sekunde Fremdes sich +anstreifend band, die Quecksilberkügelchen gleichsam spielend +zusammenliefen. Ein Neid kam mich an, wenn ich sah, wie junge Burschen +im Vorübergehen fremde Mädchen ansprachen und sie nach dem ersten Wort +schon unterfaßten, wie alles sich fand und zusammentat: ein Gruß beim +Karussell, ein Blick im Anstreifen genügte schon, und Fremdes schmolz in +ein Gespräch, vielleicht um sich wieder zu lösen nach ein paar Minuten, +aber doch es war Bindung, Vereinigung, Mitteilung, war das, wonach alle +meine Nerven jetzt brannten. Ich aber, gewandt im gesellschaftlichen +Gespräch, beliebter Causeur und sicher in den Formen, ich verging vor +Angst, ich schämte mich, irgendeines dieser breithüftigen Dienstmädchen +anzureden, aus Furcht, sie möchte mich verlachen, ja ich schlug die +Augen nieder, wenn jemand mich zufällig anschaute, und verging doch +innen vor Begierde nach dem Wort. Was ich wollte von den Menschen, war +mir ja selbst nicht klar, ich ertrug es nur nicht länger, allein zu sein +und an meinem Fieber zu verbrennen. Aber alle sahen an mir vorbei, jeder +Blick strich mich weg, niemand wollte mich spüren. Einmal trat ein +Bursch in meine Nähe, zwölfjährig, mit zerlumpten Kleidern: sein Blick +war grell erhellt vom Widerschein der Lichter, so sehnsüchtig starrte er +auf die schwingenden Holzpferde. Sein schmaler Mund stand offen wie +lechzend: offenbar hatte er kein Geld mehr, um mitzufahren, und sog nur +Lust aus dem Schreien und Lachen der andern. Ich stieß mich gewaltsam +heran an ihn und fragte -- aber warum zitterte meine Stimme so dabei und +war ganz grell überschlagen? --: »Möchten Sie nicht auch einmal +mitfahren?« Er starrte auf, erschrak -- warum? warum? -- wurde blutrot +und lief fort, ohne ein Wort zu sagen. Nicht einmal ein barfüßiges Kind +wollte eine Freude von mir: es mußte, so fühlte ich, etwas furchtbar +Fremdes an mir sein, daß ich nirgends mich einmengen konnte, sondern +abgelöst in der dicken Masse schwamm wie ein Tropfen Öl auf dem bewegten +Wasser. + +Aber ich ließ nicht nach: ich konnte nicht länger allein bleiben. Die +Füße brannten mir in den bestaubten Lackschuhen, die Kehle war verrostet +vom aufgewühlten Qualm. Ich sah mich um: rechts und links zwischen den +strömenden Menschengassen standen kleine Inseln von Grün, +Gastwirtschaften mit roten Tischtüchern und nackten Holzbänken, auf +denen die kleinen Bürger saßen mit ihrem Glas Bier und der sonntäglichen +Virginia. Der Anblick lockte mich: hier saßen Fremde beisammen, +verknüpften sich im Gespräch, hier war ein wenig Ruhe im wüsten Fieber. +Ich trat ein, musterte die Tische, bis ich einen fand, wo eine +Bürgerfamilie, ein dicker, vierschrötiger Handwerker mit seiner Frau, +zwei heitern Mädchen und einem kleinen Jungen saß. Sie wiegten die Köpfe +im Takt, scherzten einander zu, und ihre zufriedenen, leichtlebigen +Blicke taten mir wohl. Ich grüßte höflich, rührte an einen Sessel und +fragte, ob ich Platz nehmen dürfe. Sofort stockte ihr Lachen, einen +Augenblick schwiegen sie (als wartete jeder, daß der andere seine +Zustimmung gebe), dann sagte die Frau, gleichsam betroffen: »Bitte! +Bitte!« Ich setzte mich hin und hatte gleich das Gefühl, daß ich mit +meinem Hinsetzen ihre ungenierte Laune zerdrückte, denn sofort lag um +den Tisch herum ein ungemütliches Schweigen. Ohne daß ich es wagte, die +Augen von dem rotkarierten Tischtuch, auf dem Salz und Pfeffer schmierig +verstreut zu sehen war, zu heben, spürte ich, daß sie mich alle +befremdet beobachteten, und sofort fiel mir -- zu spät! -- ein, daß ich +zu elegant war für dieses Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, dem +Pariser Zylinder und der Perle in meiner taubengrauen Krawatte, daß +meine Eleganz, das Parfüm von Luxus auch hier sofort eine Luftschicht +von Feindlichkeit und Verwirrung um mich legte. Und dieses Schweigen der +fünf Leute drosselte mich immer tiefer nieder auf den Tisch, dessen rote +Karrees ich mit einer verbissenen Verzweiflung immer wieder abzählte, +festgenagelt durch die Scham, plötzlich wieder aufzustehn, und doch +wieder zu feige, den gepeinigten Blick aufzuheben. Es war eine Erlösung, +als endlich der Kellner kam und das schwere Bierglas vor mich +hinstellte. Da konnte ich endlich eine Hand regen und beim Trinken scheu +über den Rand schielen: wirklich, alle fünf beobachteten mich, zwar ohne +Haß, aber doch mit einer wortlosen Befremdung. Sie erkannten den +Eindringling in ihre dumpfe Welt, sie fühlten mit dem naiven Instinkt +ihrer Klasse, daß ich etwas hier wollte, hier suchte, was nicht zu +meiner Welt gehörte, daß nicht Liebe, nicht Neigung, nicht die +einfältige Freude am Walzer, am Bier, am geruhsamen Sonntagsitzen mich +hertrieb, sondern irgendein Gelüst, das sie nicht verstanden und dem sie +mißtrauten, so wie der Junge vor dem Karussell meinem Geschenk mißtraut +hatte, wie die tausend Namenlosen da draußen im Gewühl meiner Eleganz, +meiner Weltmännischkeit in unbewußter Feindlichkeit ausbogen. Und doch +fühlte ich: fände ich jetzt ein argloses, einfaches, herzliches, ein +wahrhaft menschliches Wort der Anrede zu ihnen, so würde der Vater oder +die Mutter mir antworten, die Töchter geschmeichelt zulächeln, ich +könnte mit dem Jungen hinüber in eine Bude schießen gehen und kindlichen +Spaß mit ihm treiben. In fünf, in zehn Minuten würde ich erlöst sein von +mir, eingehüllt in die arglose Atmosphäre bürgerlichen Gesprächs, gern +gewährter und sogar geschmeichelter Vertraulichkeit -- aber dies +einfache Wort, diesen ersten Ansatz im Gespräch, ich fand ihn nicht, +eine falsche, törichte, aber übermächtige Scham würgte mir die Kehle, +und ich saß mit gesenktem Blick wie ein Verbrecher an dem Tisch dieser +einfachen Menschen, gehüllt in die Qual, ihnen mit meiner verbissenen +Gegenwart noch die letzte Stunde des Sonntags verstört zu haben. Und in +diesem hingebohrten Hinsitzen büßte ich all die Jahre gleichgültigen +Hochmuts, an denen ich an abertausend solchen Tischen, an Millionen und +Millionen brüderlicher Menschen ohne Blick vorübergegangen war, einzig +beschäftigt mit Gunst oder Erfolg in jenem engen Kreise der Eleganz; und +ich spürte, daß mir der gerade Weg, die unbefangene Sprache zu ihnen, +jetzt, da ich ihrer in der Stunde meines Ausgestoßenseins bedurfte, von +innen vermauert war. + +So saß ich, ein freier Mensch bisher, qualvoll in mich geduckt, immer +wieder die roten Karrees am Tischtuch abzählend, bis endlich der Kellner +vorbeikam. Ich rief ihn an, zahlte, stand von dem kaum angetrunkenen +Bierglase auf, grüßte höflich. Man dankte mir freundlich und erstaunt: +ich wußte, ohne mich umzuwenden, daß jetzt, kaum daß ich ihnen den +Rücken zeigte, das Lebendig-Heitere sie wieder überkommen, der warme +Kreis des Gesprächs sich schließen würde, sobald ich, der Fremdkörper, +ausgestoßen war. + +Wieder warf ich mich, aber nun noch gieriger, heißer und verzweifelter, +in den Wirbel der Menschen zurück. Das Gedränge war inzwischen lockerer +geworden unter den Bäumen, die schwarz in den Himmel überfluteten, es +drängte und quirlte nicht mehr so dicht und strömend in den Lichtkreis +der Karussells, sondern schwirrte nur schattenhaft mehr am äußersten +Rand des Platzes. Auch der brausende, tiefe, gleichsam lustatmende Ton +der Menge zerstückte sich in viele kleine Geräusche, die immer gleich +hingeschmettert wurden, wenn jetzt die Musik irgendwo gewaltig und +rabiat einsetzte, als wollte sie die Fliehenden noch einmal heranreißen. +Eine andere Art Gesichter tauchte jetzt auf: die Kinder mit ihren +Ballons und Papierkoriandolis waren schon nach Hause gegangen, auch die +breithinrollenden sonntäglichen Familien hatten sich verzogen. Nun sah +man schon Betrunkene johlen, verlotterte Burschen mit lungerndem und +doch suchendem Gang sich aus den Seitenalleen vorschieben: es war in der +einen Stunde, in der ich festgenagelt vor dem fremden Tische gesessen, +diese seltsame Welt mehr ins Gemeine hinabgeglitten. Aber gerade jene +phosphoreszierende Atmosphäre von Frechheit und Gefährlichkeit gefiel +mir irgendwie besser als die bürgerlich-sonntägliche von vordem. Der in +mir aufgereizte Instinkt witterte hier ähnliche Gespanntheit der Begier; +in dem vortreibenden Schlendern dieser fragwürdigen Gestalten, dieser +Ausgestoßenen der Gesellschaft, empfand ich mich irgendwie gespiegelt: +auch sie wilderten doch mit einer unruhigen Erwartung hier nach einem +flackernden Abenteuer, einer raschen Erregung, und selbst sie, diese +zerlumpten Burschen, beneidete ich um die offene, freie Art ihres +Streifens; denn ich stand an die Säule eines Karussells atmend gepreßt, +ungeduldig, den Druck des Schweigens, die Qual meiner Einsamkeit aus mir +zu stoßen und doch unfähig einer Bewegung, eines Anrufs, eines Worts. +Ich stand nur und starrte hinaus auf den Platz, der vom Reflex der +kreisenden Lichter zuckend erhellt war, stand und starrte von meiner +Lichtinsel ins Dunkel hinein, töricht erwartungsvoll jeden Menschen +anblickend, der vom grellen Schein angezogen für einen Augenblick sich +herwandte. Aber jedes Auge glitt kalt an mir ab. Niemand wollte mich, +niemand erlöste mich. + +Ich weiß, es wäre wahnwitzig, jemandem schildern oder gar erklären zu +wollen, daß ich, ein kultivierter eleganter Mann der Gesellschaft, +reich, unabhängig, mit den Besten einer Millionenstadt befreundet, eine +ganze Stunde in jener Nacht am Pfosten eines verstimmt quiekenden, +rastlos sich schwingenden Praterkarussells stand, zwanzig, vierzig, +hundertmal dieselbe stolpernde Polka, denselben schleifenden Walzer mit +denselben idiotischen Pferdeköpfen aus bemaltem Holz an mir +vorüberkreisen ließ und aus verbissenem Trotz, aus einem magischen +Gefühl, das Schicksal in meinen Willen zu zwingen, nicht mich von der +Stelle rührte. Ich weiß, daß ich sinnlos handelte in jener Stunde, aber +in dieser sinnlosen Beharrung war eine Spannung des Gefühls, eine so +stählerne Ankrampfung aller Muskeln, wie sie Menschen sonst vielleicht +nur bei einem Absturz fühlen, knapp vor dem Tod; mein ganzes, leer +vorbeigelaufenes Leben war plötzlich zurückgeflutet und staute sich bis +hinauf zur Kehle. Und so sehr ich gequält war von meinem sinnlosen Wahn, +zu bleiben, zu verharren, bis irgendein Wort, ein Blick eines Menschen +mich erlöse, so sehr genoß ich diese Qual. Ich büßte etwas in diesem +Stehen an dem Pfahl, nicht jenen Diebstahl so sehr, als das Dumpfe, das +Laue, das Leere meines früheren Lebens: und ich hatte mir geschworen, +nicht früher zu gehen, bis mir ein Zeichen gegeben war, das Schicksal +mich freigegeben. + +Und je mehr jene Stunde fortschritt, um so mehr drängte die Nacht sich +heran. Eines nach dem andern losch in den Buden das Licht und immer +stürzte dann wie eine steigende Flut das Dunkel vor, schluckte den +lichten Fleck auf dem Rasen ein: immer einsamer war die helle Insel, auf +der ich stand, und schon sah ich zitternd auf die Uhr. Eine +Viertelstunde noch, dann würden die scheckigen Holzpferde stillestehn, +die roten und grünen Glühlampen auf ihren einfältigen Stirnen abknipsen, +das geblähte Orchestrion aufhören zu stampfen. Dann würde ich ganz im +Dunkel sein, ganz allein hier in der leise rauschenden Nacht, ganz +ausgestoßen, ganz verlassen. Immer unruhiger blickte ich über den +dämmernden Platz, über den nur ganz selten mehr ein heimkehrendes +Pärchen eilig strich oder ein paar Burschen betrunken hintaumelten: quer +drüben aber in den Schatten zitterte noch verstecktes Leben, unruhig und +aufreizend. Manchmal pfiff oder schnalzte es leise, wenn ein paar Männer +vorüberkamen. Und bogen sie dann, gelockt von dem Anruf, hin zum Dunkel, +so zischelten in den Schatten Frauenstimmen, und manchmal warf der Wind +abgerissene Fetzen grellen Lachens herüber. Und allmählich schob sichs +um den Rand des Dunkels frecher hervor, gegen den Lichtkegel des +erhellten Platzes, um sofort wieder in die Schwärze zurückzutauchen, +sobald im Vorübergehen die Pickelhaube eines Schutzmannes im Reflex der +Laterne schimmerte. Aber kaum daß er weiterging auf seiner Runde, waren +die gespenstigen Schatten wieder da, und jetzt konnte ich sie schon +deutlich im Umriß sehen, so nahe wagten sie sich ans Licht, der letzte +Abhub jener nächtigen Welt, der Schlamm, der zurückblieb, nun da sich +der flüssige Menschenstrom verlaufen: ein paar Dirnen, jene ärmsten und +ausgestoßensten, die keine eigene Bettstatt haben, tags auf einer +Matratze schlafen und nachts ruhlos streifen, die ihren abgebrauchten, +geschändeten, magern Körper jedem für ein kleines Silberstück hier +irgendwo im Dunkel auftaten, umspürt von der Polizei, getrieben von +Hunger oder irgendeinem Strolch, immer im Dunkel streifend, jagend und +gejagt zugleich. Wie hungrige Hunde schnupperten sie allmählich vor zu +dem erhellten Platz nach irgend etwas Männlichem, nach einem vergessenen +Nachzügler, dem sie seine Lust ablocken könnten für eine Krone oder +zwei, um sich dann einen Glühwein zu kaufen in einem Volkskaffee und den +trüb flackernden Stumpf Leben sich zu erhalten, der ja ohnehin bald +auslöscht in einem Spital oder einem Gefängnis. Der Abhub war dies, die +letzte Jauche von der hochgequollenen Sinnlichkeit der sonntäglichen +Masse -- mit einem grenzenlosen Grauen sah ich nun aus dem Dunkel diese +hungrigen Gestalten geistern. Aber auch in diesem Grauen war noch eine +magische Lust, denn selbst in diesem schmutzigsten Spiegel erkannte ich +Vergessenes und dumpf Gefühltes wieder: hier war eine tiefe, sumpfige +Welt, die ich vor Jahren längst durchschritten und die nun +phosphoreszierend mir wieder in die Sinne funkelte. Seltsam, was diese +phantastische Nacht mir plötzlich entgegenhielt, wie sie mich +Verschlossenen plötzlich auffaltete, daß das Dunkelste meiner +Vergangenheit, das Geheimste meines Triebes in mir nun offen lag! +Dumpfes Gefühl stieg auf verschütteter Knabenjahre, wo scheuer Blick +neugierig angezogen und doch feig verstört an solchen Gestalten +gehaftet, Erinnerung an die Stunde, wo man zum erstenmal auf knarrender, +feuchter Treppe einer hinaufgefolgt war in ihr Bett -- und plötzlich, +als ob Blitz einen Nachthimmel zerteilt hätte, sah ich scharf jede +Einzelheit jener vergessenen Stunde, den flachen Öldruck über dem Bett, +das Amulett, das sie auf dem Halse trug, ich spürte jede Fiber von +damals, die ungewisse Schwüle, den Ekel und den ersten Knabenstolz. All +das wogte mir mit einem Male durch den Körper. Eine Hellsichtigkeit ohne +Maß strömte plötzlich in mich ein, und -- wie soll ich das sagen können, +dies Unendliche! -- ich verstand mit einemmal alles, was mich mit so +brennendem Mitleid jenen verband, gerade weil sie der letzte Abschaum +des Lebens waren, und mein von dem Verbrechen einmal angereizter +Instinkt spürte von innen heraus dieses hungrige Lungern, das dem meinen +in dieser phantastischen Nacht so ähnlich war, dies verbrecherische +Offenstehn jeder Berührung, jeder fremden zufällig anstreifenden Lust. +Magnetisch zog es mich hin, die Brieftasche mit dem gestohlenen Geld +brannte plötzlich heiß über der Brust, wie ich da drüben endlich Wesen, +Menschen, Weiches, Atmendes, Sprechendes spürte, das von andern Wesen, +vielleicht auch von mir, etwas wollte, von mir, der nur wartete, sich +wegzugeben, der verbrannte in seiner rasenden Willigkeit nach Menschen. +Und mit einmal verstand ich, was Männer zu solchen Wesen treibt, +verstand, daß es selten nur Hitze des Blutes ist, ein schwellender +Kitzel ist, sondern meist bloß die Angst vor der Einsamkeit, vor der +entsetzlichen Fremdheit, die sonst zwischen uns sich auftürmt und die +mein entzündetes Gefühl heute zum erstenmal fühlte. Ich erinnerte mich, +wann ich zum letztenmal dies dumpf empfunden: in England war es gewesen, +in Manchester, einer jener stählernen Städte, die in einem lichtlosen +Himmel von Lärm brausen wie eine Untergrundbahn und die doch +gleichzeitig einen Frost von Einsamkeit haben, der durch die Poren bis +ins Blut dringt. Drei Wochen hatte ich dort bei Verwandten gelebt, +abends immer allein irrend durch Bars und Klubs und immer wieder in die +glitzernde Musikhall, nur um etwas menschliche Wärme zu spüren. Und da +eines Abends hatte ich so eine Person gefunden, deren Gassenenglisch ich +kaum verstand, aber plötzlich war man in einem Zimmer, trank Lachen von +einem fremden Mund, ein warmer Körper war da, irdisch nahe und weich. +Plötzlich schmolz sie weg, die kalte schwarze Stadt, der finstere +lärmende Raum von Einsamkeit, irgendein Wesen, das man nicht kannte, das +nur dastand und wartete auf jeden, der kam, löste einen auf, ließ allen +Trost wegtauen: man atmete wieder frei, spürte Leben in leichter +Helligkeit inmitten des stählernen Kerkers. Wie wunderbar war das für +die Einsamen, die Abgesperrten in sich selbst, dies zu wissen, dies zu +ahnen, daß ihrer Angst immer doch irgendein Halt ist, sich +festzuklammern an ihn, mag er auch überschmutzt sein von vielen Griffen, +starrend von Alter, zerfressen von giftigem Rost. Und dies, gerade dies +hatte ich vergessen in der Stunde der untersten Einsamkeit, aus der ich +taumelnd aufstieg in dieser Nacht, daß irgendwo an einer letzten Ecke +immer diese Letzten noch warten, jede Hingabe in sich aufzufangen, jede +Verlassenheit an ihrem Atem ausruhen zu lassen, jede Hitze zu kühlen für +ein kleines Stück Geld, das immer zu gering ist für das Ungeheure, das +sie geben mit ihrem ewigen Bereitsein, mit dem großen Geschenk ihrer +menschlichen Gegenwart. + +Neben mir setzte dröhnend das Orchestrion des Karussells wieder ein. Es +war die letzte Runde, die letzte Fanfare des kreisenden Lichts in das +Dunkel hinaus, ehe der Sonntag in die dumpfe Woche verging. Aber niemand +kam mehr, leer rannten die Pferde in ihrem irrsinnigen Kreis, schon +scharrte und zählte an der Kasse die übermüdete Frau die Lösung des +Tages zusammen, und der Laufbursche kam mit den Haken, bereit, nach +dieser letzten Runde knatternd die Rolläden über die Bude herabzulassen. +Nur ich, ich allein, stand noch immer da, an den Pfosten gelehnt, und +sah hinaus auf den leeren Platz, wo nur diese fledermausflatternden +Gestalten strichen, suchend wie ich, wartend wie ich, und doch den +undurchdringlichen Raum von Fremdheit zwischeneinander. Aber jetzt mußte +eine von ihnen mich bemerkt haben, denn sie schob sich langsam her, ganz +nah sah ich sie unter dem gesenkten Blick: ein kleines, verkrüppeltes, +rachitisches Wesen ohne Hut, mit einem geschmacklos aufgeputzten +Fähnchen von Kleid, unter dem abgetragene Ballschuhe vorlugten, das +Ganze wohl allmählich bei Hökerinnen oder einem Trödler zusammengekauft +und seitdem verscheuert, zerdrückt vom Regen oder irgendwo bei einem +schmutzigen Abenteuer im Gras. Sie schmeichelte sich heran, blieb neben +mir stehen, den Blick wie eine Angel spitz herwerfend und ein +einladendes Lächeln über den schlechten Zähnen. Mir blieb der Atem +stocken. Ich konnte mich nicht rühren, nicht sie ansehen und doch mich +nicht fortreißen: wie in einer Hypnose spürte ich, daß da ein Mensch um +mich begehrlich herumstrich, jemand um mich warb, daß ich endlich diese +gräßliche Einsamkeit, dies quälende Ausgestoßensein mit einem Wort, +einer Geste bloß wegschleudern könnte. Aber ich vermochte mich nicht zu +rühren, hölzern wie der Balken, an dem ich lehnte, und in einer Art +wollüstiger Ohnmacht empfand ich nur immer -- während die Melodie des +Karussells schon müde wegtaumelte -- die nahe Gegenwart, diesen Willen, +der um mich warb, und schloß die Augen für einen Augenblick, um ganz +dieses magnetische Angezogensein irgendeines Menschlichen aus dem Dunkel +der Welt mich überfluten zu fühlen. + +Das Karussell hielt inne, die walzernde Melodie erstickte mit einem +letzten stöhnenden Laut. Ich schlug die Augen auf und sah gerade noch, +wie die Gestalt neben mir sich wegwandte. Offenbar war es ihr zu +langweilig, hier neben einem hölzern Dastehenden zu warten. Ich +erschrak. Mir wurde plötzlich ganz kalt. Warum hatte ich sie fortgehen +lassen, den einzigen Menschen dieser phantastischen Nacht, der mir +entgegengekommen, der mir aufgetan war? Hinter mir löschten die Lichter, +prasselnd knatterten die Rollbalken herab. Es war zu Ende. + +Und plötzlich -- ach, wie mir selbst diesen heißen, diesen jäh +aufspringenden Gischt schildern? -- plötzlich -- es kam so jäh, so heiß, +so rot, als ob mir eine Ader in der Brust geplatzt wäre -- plötzlich +brach aus mir, dem stolzen, dem hochmütigen, ganz in kühler, +gesellschaftlicher Würde verschanzten Menschen wie ein stummes Gebet, +wie ein Krampf, wie ein Schrei, der kindische und mir doch so ungeheure +Wunsch, diese kleine, schmutzige, rachitische Hure möchte nur noch +einmal den Kopf wenden, damit ich zu ihr sprechen könnte. Denn ihr +nachzugehen war ich nicht zu stolz -- mein Stolz war zerstampft, +zertreten, weggeschwemmt von ganz neuen Gefühlen --, aber zu schwach, zu +ratlos. Und so stand ich da, zitternd und durchwühlt, hier allein an dem +Marterpfosten der Dunkelheit, wartend wie ich nie gewartet hatte seit +meinen Knabenjahren, wie ich nur einmal an einem abendlichen Fenster +gestanden, als eine fremde Frau langsam sich auszukleiden begann und +immer zögerte und verweilte in ihrer ahnungslosen Entblößung -- ich +stand, zu Gott aufschreiend mit irgendeiner mir selbst unbekannten +Stimme um das Wunder, dieses krüppelige Ding, dieser letzte Abhub +Menschheit möge es noch einmal mit mir versuchen, noch einmal den Blick +rückwenden zu mir. + +Und -- sie wandte sich. Einmal noch, ganz mechanisch blickte sie zurück. +Aber so stark mußte mein Aufzucken, das Vorspringen meines gespannten +Gefühls in dem Blick gewesen sein, daß sie beobachtend stehen blieb. Sie +wippte noch einmal halb herum, sah mich durch das Dunkel an, lächelte +und winkte mit dem Kopf einladend hinüber gegen die verschattete Seite +des Platzes. Und endlich fühlte ich den entsetzlichen Bann der Starre in +mir weichen. Ich konnte mich wieder regen und nickte ihr bejahend zu. + +Der unsichtbare Pakt war geschlossen. Nun ging sie voraus über den +dämmerigen Platz, von Zeit zu Zeit sich umwendend, ob ich ihr nachkäme. +Und ich folgte: das Blei war von meinen Knien gefallen, ich konnte +wieder die Füße regen. Magnetisch stieß es mich nach, ich ging nicht +bewußt, sondern strömte gleichsam, von geheimnisvoller Macht gezogen, +hinter ihr her. Im Dunkel der Gasse zwischen den Buden verlangsamte sie +den Schritt. Nun stand ich neben ihr. + +Sie sah mich einige Sekunden an, prüfend und mißtrauisch: etwas machte +sie unsicher. Offenbar war ihr mein seltsam scheues Dastehen, der +Kontrast des Ortes und meiner Eleganz, irgendwie verdächtig. Sie blickte +sich mehrmals um, zögerte. Dann sagte sie in die Verlängerung der Gasse +deutend, die schwarz wie eine Bergwerksschlucht war: »Gehn wir dort +hinüber. Hinter dem Zirkus ist es ganz dunkel.« + +Ich konnte nicht antworten. Das entsetzlich Gemeine dieser Begegnung +betäubte mich. Am liebsten hätte ich mich irgendwie losgerissen, mit +einem Stück Geld, mit einer Ausrede freigekauft, aber mein Wille hatte +keine Macht mehr über mich. Wie auf einer Rodel war mir, wenn man an +einer Kurve schleudernd, mit rasender Geschwindigkeit einen steilen +Schneehang hinabsaust und das Gefühl der Todesangst sich irgendwie +wollüstig mit dem Rausch der Geschwindigkeit mengt und man, statt zu +bremsen, sich mit einer taumelnden und doch bewußten Schwäche willenlos +an den Sturz hingibt. Ich konnte nicht mehr zurück und wollte vielleicht +gar nicht mehr, und jetzt, wie sie vertraulich sich an mich drückte, +faßte ich unwillkürlich ihren Arm. Es war ein ganz magerer Arm, nicht +der Arm einer Frau, sondern wie der eines zurückgebliebenen skrofulösen +Kindes, und kaum daß ich ihn durch das dünne Mäntelchen fühlte, überkam +mich mitten in dem gespannten Empfinden ein ganz weiches, flutendes +Mitleid mit diesem erbärmlichen, zertretenen Stück Leben, das diese +Nacht gegen mich gespült. Und unwillkürlich liebkosten meine Finger +diese schwachen, kränklichen Gelenke so rein, so ehrfürchtig, wie ich +noch nie eine Frau berührt. + +Wir überquerten eine matt erleuchtete Straße und traten in ein kleines +Gehölz, wo wuchtige Baumkronen ein dumpfes, übelriechendes Dunkel fest +zusammenhielten. In diesem Augenblick merkte ich, obwohl man kaum mehr +einen Umriß bemerken konnte, daß sie ganz vorsichtig an meinem Arm sich +umwandte und einige Schritte später noch ein zweitesmal. Und seltsam: +während ich gleichsam in einer Betäubung in das schmutzige Abenteuer +hinabglitt, waren doch meine Sinne furchtbar wach und funkelnd. Mit +einer Hellsichtigkeit, der nichts entging, die jede Regung wissend bis +in sich hineinriß, merkte ich, daß rückwärts am Saum des überquerten +Pfades schattenhaft uns etwas nachglitt, und mir war es, als hörte ich +einen schleichenden Schritt. Und plötzlich -- wie ein Blitz eine +Landschaft prasselnd weiß überspringt -- ahnte, wußte ich alles: daß ich +hier in eine Falle gelockt werden sollte, daß die Zuhälter dieser Hure +hinter uns lauerten und sie mich im Dunkel an eine verabredete Stelle +zog, wo ich ihre Beute werden sollte. Mit einer überirdischen Klarheit, +wie sie nur die zusammengepreßten Sekunden zwischen Tod und Leben haben, +sah ich alles, überlegte ich jede Möglichkeit. Noch war es Zeit zu +entkommen, die Hauptstraße mußte nahe sein, denn ich hörte die +elektrische Tramway dort auf den Schienen rattern, ein Schrei, ein Pfiff +konnte Leute herbeirufen: in scharf umrissenen Bildern zuckten alle +Möglichkeiten der Flucht, der Rettung in mir auf. + +Aber seltsam -- diese aufschreckende Erkenntnis kühlte nicht, sondern +hitzte nur. Ich kann mir heute in einem wachen Augenblick, im klaren +Licht eines herbstlichen Tages das Absurde meines Tuns selbst nicht ganz +erklären: ich wußte, wußte sofort mit jeder Fiber meines Wesens, daß ich +unnötig in eine Gefahr ging, aber wie ein feiner Wahnsinn rieselte mir +das Vorgefühl durch die Nerven. Ich wußte ein Widerliches, vielleicht +Tödliches voraus, ich zitterte vor Ekel, hier irgendwie in ein +Verbrechen, in ein gemeines, schmutziges Erleben gedrängt zu sein, aber +gerade für die nie gekannte, nie geahnte Lebenstrunkenheit, die mich +betäubend überströmte, war selbst der Tod noch eine finstere Neugier. +Etwas -- war es Scham, die Furcht zu zeigen, oder eine Schwäche? -- +stieß mich vorwärts. Es reizte mich, in die letzte Kloake des Lebens +hinabzusteigen, in einem einzigen Tage meine ganze Vergangenheit zu +verspielen und zu verprassen, eine verwegene Wollust des Geistes mengte +sich der gemeinen dieses Abenteuers. Und obwohl ich mit allen meinen +Nerven die Gefahr witterte, sie mit meinen Sinnen, meinem Verstand +klarsichtig begriff, ging ich trotzdem weiter hinein in das Gehölz am +Arm dieser schmutzigen Praterdirne, die mich körperlich mehr abstieß als +lockte und von der ich wußte, daß sie mich nur für ihre Spießgesellen +herzog. Aber ich konnte nicht zurück. Die Schwerkraft des +Verbrecherischen, die sich nachmittags im Abenteuer auf dem Rennplatze +an mich gehangen, riß mich weiter und weiter hinab. Und ich spürte nur +mehr die Betäubung, den wirbeligen Taumel des Sturzes in neue Tiefen +hinab und vielleicht in die letzte: in den Tod. + +Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. Wieder flog ihr Blick unsicher +herum. Dann sah sie mich wartend an: »Na -- und was schenkst du mir?« + +Ach so. Das hatte ich vergessen. Aber die Frage ernüchterte mich nicht. +Im Gegenteil. Ich war ja so froh, schenken, geben, mich verschwenden zu +dürfen. Hastig griff ich in die Tasche, schüttete alles Silber und ein +paar zerknüllte Banknoten ihr in die aufgetane Hand. Und nun geschah +etwas so Wunderbares, daß mir heute noch das Blut warm wird, wenn ich +daran denke: entweder war diese arme Person überrascht von der Höhe der +Summe -- sie war sonst nur kleine Münze gewohnt für ihren schmutzigen +Dienst --, oder in der Art meines Gebens, des freudigen, raschen, fast +beglückten Gebens mußte etwas ihr Ungewohntes, etwas Neues sein, denn +sie trat zurück, und durch das dicke, übelriechende Dunkel spürte ich, +wie ihr Blick mit einem großen Erstaunen mich suchte. Und ich empfand +endlich das lang Entbehrte dieses Abends: jemand fragte nach mir, jemand +suchte mich, zum erstenmal _lebte_ ich für irgend jemanden dieser Welt. +Und daß gerade diese Ausgestoßenste, dieses Wesen, das ihren armen +verbrauchten Körper durch die Dunkelheit wie eine Ware trug und die, +ohne den Käufer auch nur anzusehen, sich an mich gedrängt, nun die Augen +aufschlug zu den meinen, daß sie nach dem Menschen in mir fragte, das +steigerte nur meine merkwürdige Trunkenheit, die hellsichtig war und +taumelnd zugleich, wissend und aufgelöst in eine magische Dumpfheit. Und +schon drängte dieses fremde Wesen sich näher an mich, aber nicht in +geschäftsmäßiger Erfüllung bezahlter Pflicht, sondern ich meinte, irgend +etwas unbewußt Dankbares, einen weibhaften Willen zur Annäherung darin +zu spüren. Ich faßte leise ihren Arm an, den magern rachitischen +Kinderarm, empfand ihren kleinen verkrüppelten Körper und sah plötzlich +über all das hinaus ihr ganzes Leben: die geliehene schmierige +Bettstelle in einem Vorstadthof, wo sie von morgens bis mittags schlief +zwischen einem Gewürm fremder Kinder, ich sah ihren Zuhälter, der sie +würgte, die Trunkenen, die sich im Dunkel rülpsend über sie warfen, die +gewisse Abteilung im Krankenhaus, in die man sie brachte, den Hörsaal, +wo man ihren abgeschundenen Leib nackt und krank jungen frechen +Studenten als Lehrobjekt hinhielt, und dann das Ende irgendwo in einer +Heimatsgemeinde, in die man sie per Schub abgeladen und wo man sie +verrecken ließ wie ein Tier. Unendliches Mitleid mit ihr, mit allen +überkam mich, irgend etwas Warmes, das Zärtlichkeit war und doch keine +Sinnlichkeit. Immer wieder strich ich ihr über den kleinen magern Arm. +Und dann beugte ich mich nieder und küßte die Erstaunte. + +In diesem Augenblick raschelte es hinter mir. Ein Ast knackte. Ich +sprang zurück. Und schon lachte eine breite, ordinäre Männerstimme. »Da +haben mirs. Ich hab mirs ja gleich gedacht.« + +Noch ehe ich sie sah, wußte ich, wer sie waren. Nicht eine Sekunde hatte +ich inmitten all meiner dumpfen Betäubung daran vergessen, daß ich +umlauert war, ja meine geheimnisvolle wache Neugier hatte sie erwartet. +Eine Gestalt schob sich jetzt vor aus dem Gebüsch und hinter ihr eine +zweite: verwilderte Burschen, frech aufgepflanzt. Wieder kam das +ordinäre Lachen. »So eine Gemeinheit, da Schweinereien zu treiben. +Natürlich ein feiner Herr! Den werden wir aber jetzt Hopp nehmen.« Ich +stand reglos. Das Blut tickte mir an die Schläfen. Ich empfand keine +Angst. Ich wartete nur, was geschehen sollte. Jetzt war ich endlich in +der Tiefe, im letzten Abgrund des Gemeinen. Jetzt mußte der +Aufschlag kommen, das Zerschellen, das Ende, dem ich halbwissend +entgegengetrieben. + +Das Mädel war von mir weggesprungen, aber doch nicht zu ihnen hinüber. +Sie stand irgendwie in der Mitte: anscheinend war ihr der vorbereitete +Überfall doch nicht ganz angenehm. Die Burschen wiederum waren +ärgerlich, daß ich mich nicht rührte. Sie sahen einander an, offenbar +erwarteten sie von mir einen Widerspruch, eine Bitte, irgendeine Angst. +»Aha, er sagt nix,« rief schließlich drohend der eine. Und der andere +trat auf mich zu und sagte befehlend: »Sie müssen mit aufs +Kommissariat.« + +Ich antwortete noch immer nichts. Da legte mir der eine den Arm auf die +Schulter und stieß mich leicht vor. »Vorwärts,« sagte er. + +Ich ging. Ich wehrte mich nicht, weil ich mich nicht wehren wollte: das +Unerhörte, das Gemeine, das Gefährliche der Situation betäubte mich. +Mein Gehirn blieb ganz wach; ich wußte, daß die Burschen die Polizei +mehr fürchten mußten als ich, daß ich mich loskaufen konnte mit ein paar +Kronen, -- aber ich wollte ganz die Tiefe des Gräßlichen auskosten, ich +genoß die grausige Erniedrigung der Situation in einer Art wissender +Ohnmacht. Ohne Hast, ganz mechanisch ging ich in die Richtung, in die +sie mich gestoßen hatten. + +Aber gerade das, daß ich so wortlos, so geduldig dem Licht zuging, +schien die Burschen zu verwirren. Sie zischelten leise. Dann fingen sie +wieder an, absichtlich laut miteinander zu reden. »Laß ihn laufen,« +sagte der eine (ein pockennarbiger kleiner Kerl); aber der andere +erwiderte, scheinbar streng: »Nein, das geht nicht. Wenn das ein armer +Teufel tut wie wir, der nix zum Fressen hat, dann wird er eingelocht. +Aber so ein feiner Herr -- da muß a Straf sein.« Und ich hörte jedes +Wort und hörte darin ihre ungeschickte Bitte, ich möchte beginnen, mit +ihnen zu verhandeln; der Verbrecher in mir verstand den Verbrecher in +ihnen, verstand, daß sie mich quälen wollten mit Angst und ich sie +quälte mit meiner Nachgiebigkeit. Es war ein stummer Kampf zwischen uns +beiden, und -- o wie reich war diese Nacht! -- ich fühlte inmitten +tödlicher Gefahr, hier mitten im stinkenden Dickicht der Praterwiese, +zwischen Strolchen und einer Dirne, zum zweitenmal seit zwölf Stunden +den rasenden Zauber des Spiels, nun aber um den höchsten Einsatz, um +meine ganze bürgerliche Existenz, ja um mein Leben. Und ich gab mich +diesem ungeheuren Spiel, der funkelnden Magie des Zufalls mit der ganzen +gespannten, bis zum Zerreißen gespannten Kraft meiner zitternden Nerven +hin. + +»Aha, dort ist schon der Wachmann,« sagte hinter mir die eine Stimme, +»da wird er sich nicht zu freuen haben, der feine Herr, eine Wochen wird +er schon sitzen.« Es sollte böse klingen und drohend, aber ich hörte die +stockende Unsicherheit. Ruhig ging ich dem Lichtschein zu, wo +tatsächlich die Pickelhaube eines Schutzmannes glänzte. Zwanzig Schritte +noch, dann mußte ich vor ihm stehen. Hinter mir hatten die Burschen +aufgehört zu reden; ich merkte, wie sie langsamer gingen; im nächsten +Augenblick mußten sie, ich wußte es, feig zurücktauchen in das Dunkel, +in ihre Welt, erbittert über den mißlungenen Streich, und ihren Zorn +vielleicht an der Armseligen auslassen. Das Spiel war zu Ende: wiederum, +zum zweitenmal, hatte ich heute gewonnen, wiederum einen andern fremden, +unbekannten Menschen um seine böse Lust geprellt. Schon flackerte von +drüben der bleiche Kreis der Laternen, und als ich mich jetzt umwandte, +sah ich zum erstenmal in die Gesichter der beiden Burschen: Erbitterung +war und eine geduckte Beschämung in ihren unsichern Augen. Sie blieben +stehen in einer gedrückten, enttäuschten Art, bereit, ins Dunkel +zurückzuspringen. Denn ihre Macht war vorüber: nun war _ich_ es, den sie +fürchteten. + +In diesem Augenblick überkam mich plötzlich -- und es war, als ob die +innere Gärung alle Dauben in meiner Brust plötzlich sprengte und heiß +das Gefühl in mein Blut überliefe -- ein so unendliches, ein +_brüderliches_ Mitleid mit diesen beiden Menschen. Was hatten sie denn +begehrt von mir, sie, die armen hungernden, zerfetzten Burschen, von +mir, dem Übersatten, dem Parasiten: ein paar Kronen, ein paar elende +Kronen. Sie hätten mich würgen können dort im Dunkel, mich berauben, +mich töten, und hatten es nicht getan, hatten nur in einer ungeübten, +ungeschickten Art versucht, mich zu schrecken um dieser kleinen +Silbermünzen willen, die mir lose in der Tasche lagen. Wie konnte ich es +da wagen, ich, der Dieb aus Laune, aus Frechheit, der Verbrecher aus +Nervenlust, sie, diese armen Teufel, noch zu quälen? Und in mein +unendliches Mitleid strömte unendliche Scham, daß ich mit ihrer Angst, +mit ihrer Ungeduld um meiner Wollust willen noch gespielt. Ich raffte +mich zusammen: jetzt, gerade jetzt, da ich gesichert war, da schon das +Licht der nahen Straße mich schützte, jetzt mußte ich ihnen zuwillen +sein, die Enttäuschung auslöschen in diesen bittern, hungrigen Blicken. + +Mit einer plötzlichen Wendung trat ich auf den einen zu. »Warum wollen +Sie mich anzeigen?« sagte ich und mühte mich, in meine Stimme einen +gepreßten Atem von Angst zu quälen. »Was haben Sie davon? Vielleicht +werde ich eingesperrt, vielleicht auch nicht. Aber Ihnen bringt es doch +keinen Nutzen. Warum wollen Sie mir mein Leben verderben?« + +Die beiden starrten verlegen. Sie hatten alles erwartet jetzt, einen +Anschrei, eine Drohung, unter der sie wie knurrende Hunde sich +weggedrückt hätten, nur nicht diese Nachgiebigkeit. Endlich sagte der +eine, aber gar nicht drohend, sondern gleichsam entschuldigend: +»Gerechtigkeit muß sein. Wir tun nur unsere Pflicht.« + +Es war offenbar eingelernt für solche Fälle. Und doch klang es irgendwie +falsch. Keiner von beiden wagte mich anzusehen. Sie warteten. Und ich +wußte, worauf sie warteten. Daß ich betteln würde um Gnade. Und daß ich +ihnen Geld bieten würde. + +Ich weiß noch alles aus jenen Sekunden. Ich weiß jeden Nerv, der sich in +mir regte, jeden Gedanken, der hinter der Schläfe zuckte. Und ich weiß, +was mein böses Gefühl damals zuerst wollte: sie warten lassen, sie noch +länger quälen, die Wollust des Wartenlassens auskosten. Aber ich zwang +mich rasch, ich bettelte, weil ich wußte, daß ich die Angst dieser +beiden endlich erlösen mußte. Ich begann eine Komödie der Furcht zu +spielen, bat sie um Mitleid, sie möchten schweigen, mich nicht +unglücklich machen. Ich merkte, wie sie verlegen wurden, diese armen +Dilettanten der Erpressung, und wie das Schweigen gleichsam weicher +zwischen uns stand. + +Und da sagte ich endlich, endlich das Wort, nachdem sie so lange +lechzten. »Ich ... ich gebe Ihnen ... hundert Kronen.« + +Alle drei fuhren auf und sahen sich an. So viel hatten sie nicht mehr +erwartet, jetzt, da doch alles für sie verloren war. Endlich faßte sich +der eine, der Pockennarbige mit dem unruhigen Blick. Zweimal setzte er +an. Es ging ihm nicht aus der Kehle. Dann sagte er -- und ich spürte, +wie er sich schämte dabei: »Zweihundert Kronen.« + +»Aber hörts auf,« mengte sich jetzt plötzlich das Mädchen ein. »Ihr +könnts froh sein, wenn er euch überhaupt etwas gibt. Er hat ja gar nix +getan, kaum daß er mich angerührt hat. Das ist wirklich zu stark.« + +Wirklich erbittert schrie sie's ihnen entgegen. Und mir klang das Herz. +Jemand hatte Mitleid mit mir, jemand sprach für mich, aus dem Gemeinen +stieg Güte, irgendein dunkles Begehren nach Gerechtigkeit aus einer +Erpressung. Wie das wohl tat, wie das Antwort gab auf den Aufschwall in +mir! Nein, nur jetzt nicht länger spielen mit den Menschen, nicht sie +quälen in ihrer Angst, in ihrer Scham: genug! genug! + +»Gut, also zweihundert Kronen.« + +Sie schwiegen alle drei. Ich nahm die Brieftasche heraus. Ganz langsam, +ganz offen bog ich sie auf in der Hand. Mit einem Griff hätten sie mir +sie wegreißen können und in das Dunkel hinein flüchten. Aber sie sahen +scheu weg. Es war zwischen ihnen und mir irgendein geheimes +Gebundensein, nicht mehr Kampf und Spiel, sondern ein Zustand des +Rechts, des Vertrauens, eine menschliche Beziehung. Ich blätterte die +beiden Noten aus dem gestohlenen Pack und reichte sie dem einen hin. + +»Danke schön,« sagte er unwillkürlich und wandte sich schon weg. +Offenbar spürte er selbst das Lächerliche, zu danken für ein erpreßtes +Geld. Er schämte sich, und diese seine Scham -- oh, alles fühlte ich ja +in dieser Nacht, jede Geste schloß sich mir auf! -- bedrückte mich. Ich +wollte nicht, daß sich ein Mensch vor mir schäme, vor mir, der ich +seinesgleichen war, Dieb wie er, schwach, feige und willenlos wie er. +Seine Demütigung quälte mich, und ich wollte sie ihm wegnehmen. So +wehrte ich seinem Dank. + +»Ich habe Ihnen zu danken,« sagte ich und wunderte mich selbst, wieviel +wahrhaftige Herzlichkeit aus meiner Stimme sprang. »Wenn Sie mich +angezeigt hätten, wäre ich verloren gewesen. Ich hätte mich erschießen +müssen, und Sie hätten nichts davon gehabt. Es ist besser so. Ich gehe +jetzt da rechts hinüber und Sie vielleicht dort auf die andere Seite. +Gute Nacht.« + +Sie schwiegen wieder einen Augenblick. Dann sagte der eine »Gute Nacht,« +dann der andere, zuletzt die Hure, die ganz im Dunkel geblieben. Ganz +warm klang es, ganz herzlich wie ein wirklicher Wunsch. An ihren Stimmen +fühlte ich, sie hatten mich irgendwo tief im Dunkel ihres Wesens lieb, +sie würden diese sonderbare Sekunde nie vergessen. Im Zuchthaus oder im +Spital würde sie ihnen vielleicht wieder einmal einfallen: etwas von mir +lebte fort in ihnen, ich hatte ihnen etwas gegeben. Und dieses Gebens +Lust erfüllte mich wie noch nie ein Gefühl. + +Ich ging allein durch die Nacht dem Ausgang des Praters zu. Alles +Gepreßte war von mir gefallen, ich fühlte, wie ich ausströmte in nie +gekannter Fülle, ich, der Verschollene, in die ganze unendliche Welt +hinein. Alles empfand ich, als lebte es nur für mich allein und mich +wieder mit allem strömend verbunden. Schwarz umstanden mich die Bäume, +sie rauschten mir zu, und ich liebte sie. Sterne glänzten von oben +nieder, und ich atmete ihren weißen Gruß. Stimmen kamen singend von +irgendwoher, und mir war, sie sängen für mich. Alles gehörte mir mit +einem Male, seit ich die Rinde um meine Brust zerstoßen, und Freude des +Hingebens, des Verschwendens schwellte mich allem zu. O wie leicht ist +es, fühlte ich, Freude zu machen und selbst froh zu werden aus der +Freude: man braucht sich nur aufzutun, und schon fließt von Mensch zu +Menschen der lebendige Strom, stürzt vom Hohen zum Niedern, schäumt von +der Tiefe wieder ins Unendliche empor. + +Am Ausgang des Praters neben einem Wagenstandplatz sah ich eine Hökerin, +müde, gebückt über ihren kleinen Kram. Bäckereien hatte sie, +überschimmelt von Staub, und ein paar Früchte, seit Morgen saß sie wohl +so da, gebückt über die paar Heller, und die Müdigkeit knickte sie ein. +Warum sollst du dich nicht auch freuen, dachte ich, wenn ich mich freue? +Ich nahm ein kleines Stück Zuckerbrot und legte ihr einen Schein hin. +Sie wollte eilfertig wechseln, aber schon ging ich weiter und sah nur, +wie sie erschrak vor Glück, wie die zerknitterte Gestalt sich plötzlich +straffte und nur der im Staunen erstarrte Mund mir tausend Wünsche +nachsprudelte. Das Brot zwischen den Fingern trat ich zu dem Pferde, das +müde an der Deichsel hing, aber nun wandte es sich her und schnaubte mir +freundlich zu. Auch in seinem dumpfen Blick war Dank, daß ich seine rosa +Nüster streichelte und ihm das Brot hinreichte. Und kaum daß ichs getan, +begehrte ich nach mehr: noch mehr Freude zu machen, noch mehr zu spüren, +wie man mit ein paar Silberstücken, mit ein paar farbigen Zetteln Angst +auslöschen, Sorge töten, Heiterkeit aufzünden konnte. Warum waren keine +Bettler da? Warum keine Kinder, die von den Ballons haben wollten, die +dort ein mürrischer, weißhaariger Hinkfuß in dicken Bündeln an vielen +Fäden nach Hause stelzte, enttäuscht über das schlechte Geschäft des +langen heißen Tages. Ich ging auf ihn zu. »Geben Sie mir die Ballons.« +»Zehn Heller das Stück,« sagte er mißtrauisch, denn was wollte dieser +elegante Müßiggänger jetzt mitternachts mit den farbigen Ballons? »Geben +Sie mir alle,« sagte ich und gab ihm einen Zehnkronenschein. Er torkelte +auf, sah mich wie geblendet an, dann gab er mir zitternd die Schnur, die +das ganze Bündel hielt. Straff fühlte ich es an dem Finger ziehn: sie +wollten weg, wollten frei sein, wollten hinauf in den Himmel hinein. So +geht, fliegt, wohin ihr begehrt, seid frei! Ich ließ die Schnüre los, +und wie viele bunte Monde stiegen sie plötzlich auf. Von allen Seiten +liefen die Leute her und lachten, aus dem Dunkel kamen die Verliebten, +die Kutscher knallten mit den Peitschen und zeigten sich gegenseitig +rufend mit den Fingern, wie jetzt die freien Kugeln über die Bäume hin +zu den Häusern und Dächern trieben. Alles sah sich fröhlich an und hatte +seinen Spaß mit meiner seligen Torheit. + +Warum hatte ich das nie und nie gewußt, wie leicht es ist und wie gut, +Freude zu geben! Mit einem Male brannten die Banknoten wieder in der +Brieftasche, sie zuckten mir in den Fingern so wie vordem die Schnüre +der Ballons: auch sie wollten wegfliegen von mir ins Unbekannte hinein. +Und ich nahm sie, die gestohlenen des Lajos und die eigenen -- denn +nichts empfand ich mehr davon als Unterschied oder Schuld -- zwischen +die Finger, bereit, sie jedem hinzustreuen, der eine wollte. Ich ging +hinüber zu einem Straßenkehrer, der verdrossen die verlassene +Praterstraße fegte. Er meinte, ich wolle ihn nach irgendeiner Gasse +fragen und sah mürrisch auf: ich lachte ihn an und hielt ihm einen +Zwanzigkronenschein hin. Er starrte, ohne zu begreifen, dann nahm er ihn +endlich und wartete, was ich von ihm fordern würde. Ich aber lachte ihm +nur zu, sagte: »Kauf dir was Gutes dafür,« und ging weiter. Immer sah +ich nach allen Seiten, ob nicht jemand etwas von mir begehrte, und da +niemand kam, bot ich an: einer Hure, die mich ansprach, schenkte ich +einen Schein, zwei einem Laternenanzünder, einen warf ich in die offene +Luke einer Backstube im Untergeschoß, und ging so, ein Kielwasser von +Staunen, Dank, Freude hinter mir, weiter und weiter. Schließlich warf +ich sie einzeln und zerknüllt ins Leere auf die Straße, auf die Stufen +einer Kirche und freute mich an dem Gedanken, wie das Hutzelweibchen bei +der Morgenandacht die hundert Kronen finden und Gott segnen, ein armer +Student, ein Mädel, ein Arbeiter das Geld staunend und doch beglückt auf +ihrem Weg entdecken würden, sowie ich selbst staunend und beglückt in +dieser Nacht mich selber entdeckt. + +Ich könnte nicht mehr sagen, wo und wie ich sie alle verstreute, die +Banknoten und schließlich auch mein Silbergeld. Es war irgendein Taumel +in mir, ein sich Ergießen wie in eine Frau, und als die letzten Blätter +weggeflattert waren, fühlte ich Leichtigkeit, als ob ich hätte fliegen +können, eine Freiheit, die ich nie gekannt. Die Straße, der Himmel, die +Häuser, alles flutete mir ineinander in einem ganz neuen Gefühl des +Besitzes, des Zusammengehörens: nie und auch in den heißesten Sekunden +meiner Existenz hatte ich so stark empfunden, daß alle diese Dinge +wirklich vorhanden waren, daß sie lebten und daß ich lebte und daß ihr +Leben und das meine ganz das gleiche waren, eben das große, das +gewaltige, das nie genug beglückt gefühlte Leben, das nur die Liebe +begreift, nur der Hingegebene umfaßt. + +Dann kam noch ein letzter dunkler Augenblick, und das war, als ich, +selig heimgewandert, den Schlüssel in meine Türe drückte und der Gang zu +meinen Zimmern schwarz sich auftat. Da stürzte plötzlich Angst über +mich, ich ginge jetzt in mein altes früheres Leben zurück, wenn ich die +Wohnung dessen betrete, der ich bis zu dieser Stunde gewesen, mich in +sein Bett legte, wenn ich die Verknüpfung mit all dem wieder aufnahm, +was diese Nacht so schön gelöst. Nein, nur nicht mehr dieser Mensch +werden, der ich war, nicht mehr der korrekte, fühllose, weltabgelöste +Gentleman von gestern und einst, lieber hinabstürzen in alle Tiefen des +Verbrechens und des Grauens, aber doch in die Wirklichkeit des Lebens! +Ich war müde, unsagbar müde, und doch fürchtete ich mich, der Schlaf +möchte über mir zusammenschlagen und all das Heiße, das Glühende, das +Lebendige, das diese Nacht in mir entzündet, wieder wegschwemmen mit +seinem schwarzen Schlamm, und dies ganze Erlebnis möge so flüchtig und +unverhaftet gewesen sein wie ein phantastischer Traum. + +Aber ich ward heiter wach in einen neuen Morgen am nächsten Tage, und +nichts war verronnen von dem dankbar strömenden Gefühl. Seitdem sind nun +vier Monate vergangen, und die Starre von einst ist nicht wiedergekehrt, +ich blühe noch immer warm in den Tag hinein. Jene magische Trunkenheit +von damals, da ich plötzlich den Boden meiner Welt unter den Füßen +verlor, ins Unbekannte stürzte und bei diesem Sturz in den eigenen +Abgrund den Taumel der Geschwindigkeit gleichzeitig mit der Tiefe des +ganzen Lebens berauscht gemengt empfand, -- diese fliegende Hitze, sie +freilich ist dahin, aber ich spüre seit jener Stunde mein eigenes warmes +Blut mit jedem Atemzuge und spüre es mit täglich erneuter Wollust des +Lebens. Ich weiß, daß ich ein anderer Mensch geworden bin mit anderen +Sinnen, anderer Reizbarkeit und stärkerer Bewußtheit. Selbstverständlich +wage ich nicht zu behaupten, ich sei ein besserer Mensch geworden: ich +weiß nur, daß ich ein glücklicherer bin, weil ich irgendeinen Sinn für +mein ganz ausgekühltes Leben gefunden habe, einen Sinn, für den ich kein +Wort finde als eben das Wort Leben selbst. Seitdem verbiete ich mir +nichts mehr, weil ich die Normen und Formen meiner Gesellschaft als +wesenlos empfinde, ich schäme mich weder vor andern noch vor mir selbst. +Worte wie Ehre, Verbrechen, Laster haben plötzlich einen kalten, +blechernen Klangton bekommen, ich vermag sie ohne Grauen gar nicht +auszusprechen. Ich lebe, indem ich mich leben lasse von der Macht, die +ich damals zum erstenmal so magisch gespürt. Wohin sie mich treibt, +frage ich nicht: vielleicht einem neuen Abgrund entgegen, in das hinein, +was die andern Laster nennen, oder einem ganz Erhabenen zu. Ich weiß es +nicht und will es nicht wissen. _Denn ich glaube, daß nur der wahrhaft +lebt, der sein Schicksal als ein Geheimnis lebt._ + +Nie aber habe ich -- dessen bin ich gewiß -- das Leben inbrünstiger +geliebt, und ich weiß jetzt, daß jeder ein Verbrechen tut (das einzige, +das es gibt!), der gleichgültig ist gegen irgendeine seiner Formen und +Gestalten. Seitdem ich mich selbst zu verstehen begann, verstehe ich +unendlich viel anderes auch: der Blick eines gierigen Menschen vor einer +Auslage kann mich erschüttern, die Kapriole eines Hundes mich +begeistern. Ich achte mit einemmal auf alles, nichts ist mir +gleichgültig. Ich lese in der Zeitung (die ich sonst nur auf +Vergnügungen und Auktionen durchblätterte) täglich hundert Dinge, die +mich erregen, Bücher, die mich langweilten, tun sich mir plötzlich auf. +Und das merkwürdigste ist: ich kann auf einmal mit Menschen auch +außerhalb dessen, was man Konversation nennt, sprechen. Mein Diener, den +ich seit sieben Jahren habe, interessiert mich, ich unterhalte mich oft +mit ihm, der Hausmeister, an dem ich sonst wie an einem beweglichen +Pfeiler achtlos vorüberging, hat mir jüngst vom Tod seines Töchterchens +erzählt, und es hat mich mehr ergriffen als die Tragödien Shakespeares. +Und diese Verwandlung scheint -- obzwar ich, um mich nicht zu verraten, +mein Leben innerhalb der Kreise gesitteter Langweile äußerlich fortsetze +-- allmählich transparent zu werden. Manche Menschen sind mit einemmal +herzlich mit mir, zum drittenmal in dieser Woche liefen mir fremde Hunde +auf der Straße zu. Und Freunde sagen mir wie zu einem, der eine +Krankheit überstanden hat, mit einer gewissen Freudigkeit, sie fänden +mich verjüngt. + +Verjüngt? Ich allein weiß ja, daß ich erst jetzt wirklich zu leben +beginne. Nun ist dies wohl ein allgemeiner Wahn, daß jeder vermeint, +alles Vergangene sei immer nur Irrtum und Vorbereitung gewesen, und ich +verstehe wohl die eigene Anmaßung, eine kalte Feder in die warme +lebendige Hand zu nehmen und auf einem trockenen Papier sich +hinzuschreiben, man lebe wirklich. Aber sei es auch ein Wahn -- er ist +der erste, der mich beglückt, der erste, der mir das Blut gewärmt und +mir die Sinne aufgetan. Und wenn ich mir das Wunder meiner Erweckung +hier aufzeichne, so tue ich es doch nur für mich allein, der all dies +tiefer weiß, als die eigenen Worte es ihm zu sagen vermögen. Gesprochen +habe ich zu keinem Freunde davon; sie ahnten nie, wie abgestorben ich +schon gewesen, sie werden nie ahnen, wie blühend ich nun bin. Und sollte +mitten in dies mein lebendiges Leben der Tod fahren und diese Zeilen je +in eines andern Hände fallen, so schreckt und quält mich diese +Möglichkeit durchaus nicht. Denn wem die Magie einer solchen Stunde nie +bewußt geworden, wird ebensowenig verstehen, als ich es selbst vor einem +halben Jahre hätte verstehen können, daß ein paar dermaßen flüchtige und +scheinbar kaum verbundene Episoden eines einzigen Abends ein schon +verloschenes Schicksal so magisch entzünden konnten. Vor ihm schäme ich +mich nicht, denn er versteht mich nicht. Wer aber um das Verbundene +weiß, der richtet nicht und hat keinen Stolz. Vor ihm schäme ich mich +nicht, denn er versteht mich. Wer einmal sich selbst gefunden, kann +nichts auf dieser Welt mehr verlieren. Und wer einmal den Menschen in +sich begriffen, der begreift alle Menschen. + + + + + Brief einer Unbekannten + + +Als der bekannte Romanschriftsteller R. frühmorgens von dreitägigem +erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zurückkehrte und am +Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum daß er das Datum überflog, +erinnernd gewahr, daß heute sein Geburtstag sei. Der einundvierzigste, +besann er sich rasch, und diese Feststellung tat ihm nicht wohl und +nicht weh. Flüchtig überblätterte er die knisternden Seiten der Zeitung +und fuhr mit einem Mietautomobil in seine Wohnung. Der Diener meldete +aus der Zeit seiner Abwesenheit zwei Besuche sowie einige Telephonanrufe +und überbrachte auf einem Tablett die angesammelte Post. Lässig sah er +den Einlauf an, riß ein paar Kuverts auf, die ihn durch ihre Absender +interessierten; einen Brief, der fremde Schriftzüge trug und zu +umfangreich schien, schob er zunächst beiseite. Inzwischen war der Tee +aufgetragen worden, bequem lehnte er sich in den Fauteuil, +durchblätterte noch einmal die Zeitung und einige Drucksachen; dann +zündete er sich eine Zigarre an und griff nun nach dem zurückgelegten +Briefe. + +Es waren etwa zwei Dutzend hastig beschriebene Seiten in fremder, +unruhiger Frauenschrift, ein Manuskript eher als ein Brief. +Unwillkürlich betastete er noch einmal das Kuvert, ob nicht darin ein +Begleitschreiben vergessen geblieben wäre. Aber der Umschlag war leer +und trug so wenig wie die Blätter selbst eine Absenderadresse oder eine +Unterschrift. Seltsam, dachte er, und nahm das Schreiben wieder zur +Hand. »_Dir, der Du mich nie gekannt_«, stand oben als Anruf, als +Überschrift. Verwundert hielt er inne: galt das ihm, galt das einem +erträumten Menschen? Seine Neugier war plötzlich wach. Und er begann zu +lesen: + + * * * * * + +»Mein Kind ist gestern gestorben -- drei Tage und drei Nächte habe ich +mit dem Tode um dies kleine, zarte Leben gerungen, vierzig Stunden bin +ich, während die Grippe seinen armen, heißen Leib im Fieber schüttelte, +an seinem Bette gesessen. Ich habe Kühles um seine glühende Stirn getan, +ich habe seine unruhigen, kleinen Hände gehalten Tag und Nacht. Am +dritten Abend bin ich zusammengebrochen. Meine Augen konnten nicht mehr, +sie fielen zu, ohne daß ich es wußte. Drei Stunden oder vier war ich auf +dem harten Sessel eingeschlafen, und indes hat der Tod ihn genommen. Nun +liegt er dort, der süße, arme Knabe, in seinem schmalen Kinderbett, ganz +so wie er starb; nur die Augen hat man ihm geschlossen, seine klugen, +dunkeln Augen, die Hände über dem weißen Hemd hat man ihm gefaltet, und +vier Kerzen brennen hoch an den vier Enden des Bettes. Ich wage nicht +hinzusehen, ich wage nicht mich zu rühren, denn wenn sie flackern, die +Kerzen, huschen Schatten über sein Gesicht und den verschlossenen Mund, +und es ist dann so, als regten sich seine Züge, und ich könnte meinen, +er sei nicht tot, er würde wieder erwachen und mit seiner hellen Stimme +etwas Kindlich-Zärtliches zu mir sagen. Aber ich weiß es, er ist tot, +ich will nicht hinsehen mehr, um nicht noch einmal zu hoffen, nicht noch +einmal enttäuscht zu sein. Ich weiß es, ich weiß es, mein Kind ist +gestern gestorben -- jetzt habe ich nur Dich mehr auf der Welt, nur +Dich, der Du von mir nichts weißt, der Du indes ahnungslos spielst oder +mit Dingen und Menschen tändelst. Nur Dich, der Du mich nie gekannt und +den ich immer geliebt. + +Ich habe die fünfte Kerze genommen und hier zu dem Tisch gestellt, auf +dem ich an Dich schreibe. Denn ich kann nicht allein sein mit meinem +toten Kinde, ohne mir die Seele auszuschreien, und zu wem sollte ich +sprechen in dieser entsetzlichen Stunde, wenn nicht zu Dir, der Du mir +alles warst und alles bist! Vielleicht kann ich nicht ganz deutlich zu +Dir sprechen, vielleicht verstehst Du mich nicht -- mein Kopf ist ja +ganz dumpf, es zuckt und hämmert mir an den Schläfen, meine Glieder tun +so weh. Ich glaube, ich habe Fieber, vielleicht auch schon die Grippe, +die jetzt von Tür zu Tür schleicht, und das wäre gut, denn dann ginge +ich mit meinem Kinde und müßte nichts tun wider mich. Manchmal wirds mir +ganz dunkel vor den Augen, vielleicht kann ich diesen Brief nicht einmal +zu Ende schreiben -- aber ich will alle Kraft zusammentun, um einmal, +nur dieses eine Mal zu Dir zu sprechen, Du mein Geliebter, der Du mich +nie erkannt. + +Zu Dir allein will ich sprechen, Dir zum erstenmal alles sagen; mein +ganzes Leben sollst Du wissen, das immer das Deine gewesen und um das Du +nie gewußt. Aber Du sollst mein Geheimnis nur kennen, wenn ich tot bin, +wenn Du mir nicht mehr Antwort geben mußt, wenn das, was mir die Glieder +jetzt so kalt und heiß schüttelt, wirklich das Ende ist. Muß ich +weiterleben, so zerreiße ich diesen Brief und werde weiter schweigen, +wie ich immer schwieg. Hältst Du ihn aber in Händen, so weißt Du, daß +hier eine Tote Dir ihr Leben erzählt, ihr Leben, das das Deine war von +ihrer ersten bis zu ihrer letzten wachen Stunde. Fürchte Dich nicht vor +meinen Worten; eine Tote will nichts mehr, sie will nicht Liebe und +nicht Mitleid und nicht Tröstung. Nur dies eine will ich von Dir, daß Du +mir alles glaubst, was mein zu Dir hinflüchtender Schmerz Dir verrät. +Glaube mir alles, nur dies eine bitte ich Dich: man lügt nicht in der +Sterbestunde eines einzigen Kindes. + +Mein ganzes Leben will ich Dir verraten, dies Leben, das wahrhaft erst +begann mit dem Tage, da ich Dich kannte. Vorher war bloß etwas Trübes +und Verworrenes, in das mein Erinnern nie mehr hinabtauchte, irgendein +Keller von verstaubten, spinnverwebten, dumpfen Dingen und Menschen, von +denen mein Herz nichts mehr weiß. Als Du kamst, war ich dreizehn Jahre +und wohnte im selben Hause, wo Du jetzt wohnst, in demselben Hause, wo +Du diesen Brief, meinen letzten Hauch Leben, in Händen hältst, ich +wohnte auf demselben Gange, gerade der Tür Deiner Wohnung gegenüber. Du +erinnerst Dich gewiß nicht mehr an uns, an die ärmliche +Rechnungsratswitwe (sie ging immer in Trauer) und das halbwüchsige, +magere Kind -- wir waren ja ganz still, gleichsam hinabgetaucht in +unsere kleinbürgerliche Dürftigkeit -- Du hast vielleicht nie unseren +Namen gehört, denn wir hatten kein Schild auf unserer Wohnungstür, und +niemand kam, niemand fragte nach uns. Es ist ja auch schon so lange her, +fünfzehn, sechzehn Jahre, nein, Du weißt es gewiß nicht mehr, mein +Geliebter, ich aber, oh, ich erinnere mich leidenschaftlich an jede +Einzelheit, ich weiß noch wie heute den Tag, nein, die Stunde, da ich +zum erstenmal von Dir hörte, Dich zum erstenmal sah, und wie sollte ichs +auch nicht, denn damals begann ja die Welt für mich. Dulde, Geliebter, +daß ich Dir alles, alles von Anfang erzähle, werde, ich bitte Dich, die +eine Viertelstunde von mir zu hören nicht müde, die ich ein Leben lang +Dich zu lieben nicht müde geworden bin. + +Ehe Du in unser Haus einzogst, wohnten hinter Deiner Tür häßliche, böse, +streitsüchtige Leute. Arm wie sie waren, haßten sie am meisten die +nachbarliche Armut, die unsere, weil sie nichts gemein haben wollte mit +ihrer herabgekommenen, proletarischen Roheit. Der Mann war ein +Trunkenbold und schlug seine Frau; oft wachten wir auf in der Nacht vom +Getöse fallender Stühle und zerklirrter Teller, einmal lief sie, blutig +geschlagen, mit zerfetzten Haaren auf die Treppe, und hinter ihr grölte +der Betrunkene, bis die Leute aus den Türen kamen und ihn mit der +Polizei bedrohten. Meine Mutter hatte von Anfang an jeden Verkehr mit +ihnen vermieden und verbot mir, zu den Kindern zu sprechen, die sich +dafür bei jeder Gelegenheit an mir rächten. Wenn sie mich auf der Straße +trafen, riefen sie schmutzige Worte hinter mir her und schlugen mich +einmal so mit harten Schneeballen, daß mir das Blut von der Stirne lief. +Das ganze Haus haßte mit einem gemeinsamen Instinkt diese Menschen, und +als plötzlich einmal etwas geschehen war -- ich glaube, der Mann wurde +wegen eines Diebstahls eingesperrt -- und sie mit ihrem Kram ausziehen +mußten, atmeten wir alle auf. Ein paar Tage hing der Vermietungszettel +am Haustore, dann wurde er heruntergenommen, und durch den Hausmeister +verbreitete es sich rasch, ein Schriftsteller, ein einzelner, ruhiger +Herr, habe die Wohnung genommen. Damals hörte ich zum erstenmal Deinen +Namen. + +Nach ein paar Tagen schon kamen Maler, Anstreicher, Zimmerputzer, +Tapezierer, die Wohnung nach ihren schmierigen Vorbesitzern reinzufegen, +es wurde gehämmert, geklopft, geputzt und gekratzt, aber die Mutter war +nur zufrieden damit, sie sagte, jetzt werde endlich die unsaubere +Wirtschaft drüben ein Ende haben. Dich selbst bekam ich, auch während +der Übersiedlung, noch nicht zu Gesicht: alle diese Arbeiten überwachte +Dein Diener, dieser kleine, ernste, grauhaarige Herrschaftsdiener, der +alles mit einer leisen, sachlichen Art von oben herab dirigierte. Er +imponierte uns allen sehr, erstens weil in unserem Vorstadthaus ein +Herrschaftsdiener etwas ganz Neuartiges war, und dann, weil er zu allen +so ungemein höflich war, ohne sich deshalb mit den Dienstboten auf eine +Stufe zu stellen und in kameradschaftliche Gespräche einzulassen. Meine +Mutter grüßte er vom ersten Tage an respektvoll als eine Dame, sogar zu +mir Fratzen war er immer zutraulich und ernst. Wenn er Deinen Namen +nannte, so geschah das immer mit einer gewissen Ehrfurcht, mit einem +besonderen Respekt -- man sah gleich, daß er Dir weit über das Maß des +gewohnten Dienens anhing. Und wie habe ich ihn dafür geliebt, den guten +alten Johann, obwohl ich ihn beneidete, daß er immer um Dich sein durfte +und Dir dienen. + +Ich erzähle Dir all das, Du Geliebter, all diese kleinen, fast +lächerlichen Dinge, damit Du verstehst, wie Du von Anfang an schon eine +solche Macht gewinnen konntest über das scheue, verschüchterte Kind, das +ich war. Noch ehe Du selbst in mein Leben getreten, war schon ein Nimbus +um Dich, eine Sphäre von Reichtum, Sonderbarkeit und Geheimnis -- wir +alle in dem kleinen Vorstadthaus (Menschen, die ein enges Leben haben, +sind ja immer neugierig auf alles Neue vor ihren Türen) warteten schon +ungeduldig auf Deinen Einzug. Und diese Neugier nach Dir, wie steigerte +sie sich erst bei mir, als ich eines Nachmittags von der Schule nach +Hause kam und der Möbelwagen vor dem Hause stand. Das meiste, die +schweren Stücke, hatten die Träger schon hinaufbefördert, nun trug man +einzeln kleinere Sachen hinauf; ich blieb an der Tür stehen, um alles +bestaunen zu können, denn alle Deine Dinge waren so seltsam anders, wie +ich sie nie gesehen; es gab da indische Götzen, italienische Skulpturen, +ganz grelle, große Bilder, und dann zum Schluß kamen Bücher, so viele +und so schöne, wie ich es nie für möglich gehalten. An der Tür wurden +sie alle aufgeschichtet, dort übernahm sie der Diener und schlug mit +Stock und Wedel sorgfältig den Staub aus jedem einzelnen. Ich schlich +neugierig um den immer wachsenden Stoß herum, der Diener wies mich nicht +weg, aber er ermutigte mich auch nicht; so wagte ich keines anzurühren, +obwohl ich das weiche Leder von manchen gern befühlt hätte. Nur die +Titel sah ich scheu von der Seite an: es waren französische, englische +darunter und manche in Sprachen, die ich nicht verstand. Ich glaube, ich +hätte sie stundenlang alle angesehen: da rief mich die Mutter hinein. + +Den ganzen Abend dann mußte ich an Dich denken; noch ehe ich Dich +kannte. Ich besaß selbst nur ein Dutzend billige, in zerschlissene Pappe +gebundene Bücher, die ich über alles liebte und immer wieder las. Und +nun bedrängte mich dies, wie der Mensch sein müßte, der all diese vielen +herrlichen Bücher besaß und gelesen hatte, der alle diese Sprachen +wußte, der so reich war und so gelehrt zugleich. Eine Art überirdischer +Ehrfurcht verband sich mir mit der Idee dieser vielen Bücher. Ich suchte +Dich mir im Bilde vorzustellen: Du warst ein alter Mann mit einer Brille +und einem weißen langen Barte, ähnlich wie unser Geographieprofessor, +nur viel gütiger, schöner und milder -- ich weiß nicht, warum ich damals +schon gewiß war, Du müßtest schön sein, wo ich noch an Dich wie einen +alten Mann dachte. Damals in jener Nacht und noch ohne Dich zu kennen, +habe ich das erstemal von Dir geträumt. + +Am nächsten Tage zogst Du ein, aber trotz allen Spähens konnte ich Dich +nicht zu Gesicht bekommen -- das steigerte nur meine Neugier. Endlich, +am dritten Tage, sah ich Dich, und wie erschütternd war die Überraschung +für mich, daß Du so anders warst, so ganz ohne Beziehung zu dem +kindlichen Gottvaterbilde. Einen bebrillten gütigen Greis hatte ich mir +geträumt, und da kamst Du -- Du, ganz so, wie Du noch heute bist, Du +Unwandelbarer, an dem die Jahre lässig abgleiten! Du trugst eine +hellbraune, entzückende Sportdreß und liefst in Deiner unvergleichlich +leichten knabenhaften Art die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf +einmal nehmend. Den Hut trugst Du in der Hand, so sah ich mit einem gar +nicht zu schildernden Erstaunen Dein helles, lebendiges Gesicht mit dem +jungen Haar: wirklich, ich erschrak vor Erstaunen, wie jung, wie hübsch, +wie federnd-schlank und elegant Du warst. Und ist es nicht seltsam: in +dieser ersten Sekunde empfand ich ganz deutlich das, was ich und alle +anderen an Dir als so einzig mit einer Art Überraschung immer wieder +empfinden: daß Du irgendein zwiefacher Mensch bist, ein heißer, +leichtlebiger, ganz dem Spiel und dem Abenteuer hingegebener Junge, und +gleichzeitig in Deiner Kunst ein unerbittlich ernster, pflichtbewußter, +unendlich belesener und gebildeter Mann. Unbewußt empfand ich, was dann +jeder bei Dir spürte, daß Du ein Doppelleben führst, ein Leben mit einer +hellen, der Welt offen zugekehrten Fläche, und einer ganz dunkeln, die +Du nur allein kennst -- diese tiefste Zweiheit, das Geheimnis Deiner +Existenz, sie fühlte ich, die Dreizehnjährige, magisch angezogen, mit +meinem ersten Blick. + +Verstehst Du nun schon, Geliebter, was für ein Wunder, was für eine +verlockende Rätselhaftigkeit Du für mich, das Kind, sein mußtest! Einen +Menschen, vor dem man Ehrfurcht hatte, weil er Bücher schrieb, weil er +berühmt war in jener anderen großen Welt, plötzlich als einen jungen, +eleganten, knabenhaft heiteren, fünfundzwanzigjährigen Mann zu +entdecken! Muß ich Dir noch sagen, daß von diesem Tage an in unserem +Hause, in meiner ganzen armen Kinderwelt mich nichts interessierte als +Du, daß ich mit dem ganzen Starrsinn, der ganzen bohrenden +Beharrlichkeit einer Dreizehnjährigen nur mehr um Dein Leben, um Deine +Existenz herumging. Ich beobachtete Dich, ich beobachtete Deine +Gewohnheiten, beobachtete die Menschen, die zu Dir kamen, und all das +vermehrte nur, statt sie zu mindern, meine Neugier nach Dir selbst, denn +die ganze Zwiefältigkeit Deines Wesens drückte sich in der +Verschiedenheit dieser Besuche aus. Da kamen junge Menschen, Kameraden +von Dir, mit denen Du lachtest und übermütig warst, abgerissene +Studenten, und dann wieder Damen, die in Autos vorfuhren, einmal der +Direktor der Oper, der große Dirigent, den ich ehrfürchtig nur am Pulte +von fern gesehen, dann wieder kleine Mädel, die noch in die +Handelsschule gingen und verlegen in die Tür hineinhuschten, überhaupt +viel, sehr viel Frauen. Ich dachte mir nichts Besonderes dabei, auch +nicht, als ich eines Morgens, wie ich zur Schule ging, eine Dame ganz +verschleiert von Dir weggehen sah -- ich war ja erst dreizehn Jahre alt, +und die leidenschaftliche Neugier, mit der ich Dich umspähte und +belauerte, wußte im Kinde noch nicht, daß sie schon Liebe war. + +Aber ich weiß noch genau, mein Geliebter, den Tag und die Stunde, wann +ich ganz und für immer an Dich verloren war. Ich hatte mit einer +Schulfreundin einen Spaziergang gemacht, wir standen plaudernd vor dem +Tor. Da kam ein Auto angefahren, hielt an, und schon sprangst Du mit +Deiner ungeduldigen, elastischen Art, die mich noch heute an Dir immer +hinreißt, vom Trittbrett und wolltest in die Tür. Unwillkürlich zwang es +mich, Dir die Tür aufzumachen, und so trat ich Dir in den Weg, daß wir +fast zusammengerieten. Du sahst mich an mit jenem warmen, weichen, +einhüllenden Blick, der wie eine Zärtlichkeit war, lächeltest mir -- ja, +ich kann es nicht anders sagen, als: zärtlich zu und sagtest mit einer +ganz leisen und fast vertraulichen Stimme: »Danke vielmals, Fräulein.« + +Das war alles, Geliebter; aber von dieser Sekunde, seit ich diesen +weichen, zärtlichen Blick gespürt, war ich Dir verfallen. Ich habe ja +später, habe es bald erfahren, daß Du diesen umfangenden, an Dich +ziehenden, diesen umhüllenden und doch zugleich entkleidenden Blick, +diesen Blick des gebornen Verführers, jeder Frau hingibst, die an Dich +streift, jedem Ladenmädchen, das Dir verkauft, jedem Stubenmädchen, das +Dir die Tür öffnet, daß dieser Blick bei Dir gar nicht bewußt ist als +Wille und Neigung, sondern daß Deine Zärtlichkeit zu Frauen ganz +unbewußt Deinen Blick weich und warm werden läßt, wenn er sich ihnen +zuwendet. Aber ich, das dreizehnjährige Kind, ahnte das nicht: ich war +wie in Feuer getaucht. Ich glaubte, die Zärtlichkeit gelte nur mir, nur +mir allein, und in dieser einen Sekunde war die Frau in mir, der +Halbwüchsigen, erwacht und war diese Frau Dir für immer verfallen. + +»Wer war das?« fragte meine Freundin. Ich konnte ihr nicht gleich +antworten. Es war mir unmöglich, Deinen Namen zu nennen: schon in dieser +einen, dieser einzigen Sekunde war er mir heilig, war er mein Geheimnis +geworden. »Ach, irgendein Herr, der hier im Hause wohnt,« stammelte ich +dann ungeschickt heraus. »Aber warum bist Du denn so rot geworden, wie +er Dich angeschaut hat,« spottete die Freundin mit der ganzen Bosheit +eines neugierigen Kindes. Und eben weil ich fühlte, daß sie an mein +Geheimnis spottend rühre, fuhr mir das Blut noch heißer in die Wangen. +Ich wurde grob aus Verlegenheit. »Blöde Gans,« sagte ich wild: am +liebsten hätte ich sie erdrosselt. Aber sie lachte nur noch lauter und +höhnischer, bis ich fühlte, daß mir die Tränen in die Augen schossen vor +ohnmächtigem Zorn. Ich ließ sie stehen und lief hinauf. + +Von dieser Sekunde an habe ich Dich geliebt. Ich weiß, Frauen haben Dir, +dem Verwöhnten, oft dieses Wort gesagt. Aber glaube mir, niemand hat +Dich so sklavisch, so hündisch, so hingebungsvoll geliebt als dieses +Wesen, das ich war und das ich für Dich immer geblieben bin, denn nichts +auf Erden gleicht der unbemerkten Liebe eines Kindes aus dem Dunkel, +weil sie so hoffnungslos, so dienend, so unterwürfig, so lauernd und +leidenschaftlich ist, wie niemals die begehrende und unbewußt doch +fordernde Liebe einer erwachsenen Frau. Nur einsame Kinder können ganz +ihre Leidenschaft zusammenhalten: die anderen zerschwätzen ihr Gefühl in +Geselligkeit, schleifen es ab in Vertraulichkeiten, sie haben von Liebe +viel gehört und gelesen und wissen, daß sie ein gemeinsames Schicksal +ist. Sie spielen damit, wie mit einem Spielzeug, sie prahlen damit, wie +Knaben mit ihrer ersten Zigarette. Aber ich, ich hatte ja niemand, um +mich anzuvertrauen, war von keinem belehrt und gewarnt, war unerfahren +und ahnungslos: ich stürzte hinein in mein Schicksal wie in einen +Abgrund. Alles, was in mir wuchs und aufbrach, wußte nur Dich, den Traum +von Dir, als Vertrauten: mein Vater war längst gestorben, die +Mutter mir fremd in ihrer ewig unheiteren Bedrücktheit und +Pensionistenängstlichkeit, die halbverdorbenen Schulmädchen stießen mich +ab, weil sie so leichtfertig mit dem spielten, was mir letzte +Leidenschaft war -- so warf ich alles, was sich sonst zersplittert und +verteilt, warf ich mein ganzes zusammengepreßtes und immer wieder +ungeduldig aufquellendes Wesen Dir entgegen. Du warst mir -- wie soll +ich es Dir sagen? jeder einzelne Vergleich ist zu gering, -- Du warst +eben alles, mein ganzes Leben. Alles existierte nur insofern, als es +Bezug hatte auf Dich, alles in meiner Existenz hatte nur Sinn, wenn es +mit Dir verbunden war. Du verwandeltest mein ganzes Leben. Bisher +gleichgültig und mittelmäßig in der Schule, wurde ich plötzlich die +Erste, ich las tausend Bücher bis tief in die Nacht, weil ich wußte, daß +Du die Bücher liebtest, ich begann, zum Erstaunen meiner Mutter, +plötzlich mit fast störrischer Beharrlichkeit Klavier zu üben, weil ich +glaubte, Du liebtest Musik. Ich putzte und nähte an meinen Kleidern, nur +um gefällig und proper vor Dir auszusehen, und daß ich an meiner alten +Schulschürze (sie war ein zugeschnittenes Hauskleid meiner Mutter) links +einen eingesetzten viereckigen Fleck hatte, war mir entsetzlich. Ich +fürchtete, Du könntest ihn bemerken und mich verachten; darum drückte +ich immer die Schultasche darauf, wenn ich die Treppen hinauflief, +zitternd vor Angst, Du würdest ihn sehen. Aber wie töricht war das: Du +hast mich ja nie, fast nie mehr angesehen. + +Und doch: ich tat eigentlich den ganzen Tag nichts als auf Dich warten +und Dich belauern. An unserer Tür war ein kleines messingenes Guckloch, +durch dessen kreisrunden Ausschnitt man hinüber auf Deine Tür sehen +konnte. Dieses Guckloch -- nein, lächle nicht, Geliebter, noch heute, +noch heute schäme ich mich jener Stunden nicht! -- war mein Auge in die +Welt hinaus, dort, im eiskalten Vorzimmer, scheu vor dem Argwohn der +Mutter, saß ich in jenen Monaten und Jahren, ein Buch in der Hand, ganze +Nachmittage auf der Lauer, gespannt wie eine Saite und klingend, wenn +Deine Gegenwart sie berührte. Ich war immer um Dich, immer in Spannung +und Bewegung; aber Du konntest es so wenig fühlen wie die Spannung der +Uhrfeder, die Du in der Tasche trägst und die geduldig im Dunkel Deine +Stunden zählt und mißt, Deine Wege mit unhörbarem Herzpochen begleitet +und auf die nur einmal in Millionen tickender Sekunden Dein hastiger +Blick fällt. Ich wußte alles von Dir, kannte jede Deiner Gewohnheiten, +jede Deiner Krawatten, jeden Deiner Anzüge, ich kannte und unterschied +bald Deine einzelnen Bekannten und teilte sie in solche, die mir lieb +und solche, die mir widrig waren: von meinem dreizehnten bis zu meinem +sechzehnten Jahre habe ich jede Stunde in Dir gelebt. Ach, was für +Torheiten habe ich begangen! Ich küßte die Türklinke, die Deine Hand +berührt hatte, ich stahl einen Zigarrenstummel, den Du vor dem Eintreten +weggeworfen hattest, und er war mir heilig, weil Deine Lippen daran +gerührt. Hundertmal lief ich abends unter irgendeinem Vorwand hinab auf +die Gasse, um zu sehen, in welchem Deiner Zimmer Licht brenne und so +Deine Gegenwart, Deine unsichtbare, wissender zu fühlen. Und in den +Wochen, wo Du verreist warst -- mir stockte immer das Herz vor Angst, +wenn ich den guten Johann Deine gelbe Reisetasche hinabtragen sah --, in +diesen Wochen war mein Leben tot und ohne Sinn. Mürrisch, gelangweilt, +böse ging ich herum und mußte nur immer achtgeben, daß die Mutter an +meinen verweinten Augen nicht meine Verzweiflung merke. + +Ich weiß, das sind alles groteske Überschwänge, kindische Torheiten, die +ich Dir da erzähle. Ich sollte mich ihrer schämen, aber ich schäme mich +nicht, denn nie war meine Liebe zu Dir reiner und leidenschaftlicher als +in diesen kindlichen Exzessen. Stundenlang, tagelang könnte ich Dir +erzählen, wie ich damals mit Dir gelebt, der Du mich kaum von Angesicht +kanntest, denn begegnete ich Dir auf der Treppe und gab es kein +Ausweichen, so lief ich, aus Furcht vor Deinem brennenden Blick, mit +gesenktem Kopf an Dir vorbei wie einer, der ins Wasser stürzt, nur daß +mich das Feuer nicht versenge. Stundenlang, tagelang könnte ich Dir von +jenen Dir längst entschwundenen Jahren erzählen, den ganzen Kalender +Deines Lebens aufrollen; aber ich will Dich nicht langweilen, will Dich +nicht quälen. Nur das schönste Erlebnis meiner Kindheit will ich Dir +noch anvertrauen, und ich bitte Dich, nicht zu spotten, weil es ein so +Geringes ist, denn mir, dem Kinde, war es eine Unendlichkeit. An einem +Sonntag muß es gewesen sein, Du warst verreist, und Dein Diener +schleppte die schweren Teppiche, die er geklopft hatte, durch die offene +Wohnungstür. Er trug schwer daran, der Gute, und in einem Anfall von +Verwegenheit ging ich zu ihm und fragte, ob ich ihm nicht helfen könnte. +Er war erstaunt, aber ließ mich gewähren, und so sah ich -- vermöchte +ich Dirs doch nur zu sagen, mit welcher ehrfürchtigen, ja frommen +Verehrung! -- Deine Wohnung von innen, Deine Welt, den Schreibtisch, an +dem Du zu sitzen pflegtest und auf dem in einer blauen Kristallvase ein +paar Blumen standen, Deine Schränke, Deine Bilder, Deine Bücher. Nur ein +flüchtiger, diebischer Blick war es in Dein Leben, denn Johann, der +Getreue, hätte mir gewiß genaue Betrachtung gewehrt, aber ich sog mit +diesem einen Blick die ganze Atmosphäre ein und hatte Nahrung für meine +unendlichen Träume von Dir im Wachen und Schlaf. + +Dies, diese rasche Minute, sie war die glücklichste meiner Kindheit. Sie +wollte ich Dir erzählen, damit Du, der Du mich nicht kennst, endlich zu +ahnen beginnst, wie ein Leben an Dir hing und verging. Sie wollte ich +Dir erzählen und jene andere noch, die fürchterlichste Stunde, die jener +leider so nachbarlich war. Ich hatte -- ich sagte es Dir ja schon -- um +Deinetwillen an alles vergessen, ich hatte auf meine Mutter nicht acht +und kümmerte mich um niemanden. Ich merkte nicht, daß ein älterer Herr, +ein Kaufmann aus Innsbruck, der mit meiner Mutter entfernt verschwägert +war, öfter kam und länger blieb, ja, es war mir nur angenehm, denn er +führte Mama manchmal in das Theater, und ich konnte allein bleiben, an +Dich denken, auf Dich lauern, was ja meine höchste, meine einzige +Seligkeit war. Eines Tages nun rief mich die Mutter mit einer gewissen +Umständlichkeit in ihr Zimmer; sie hätte ernst mit mir zu sprechen. Ich +wurde blaß und hörte mein Herz plötzlich hämmern: sollte sie etwas +geahnt, etwas erraten haben? Mein erster Gedanke warst Du, das +Geheimnis, das mich mit der Welt verband. Aber die Mutter war selbst +verlegen, sie küßte mich (was sie sonst nie tat) zärtlich ein- und +zweimal, zog mich auf das Sofa zu sich und begann dann zögernd und +verschämt zu erzählen, ihr Verwandter, der Witwer sei, habe ihr einen +Heiratsantrag gemacht, und sie sei, hauptsächlich um meinetwillen, +entschlossen, ihn anzunehmen. Heißer stieg mir das Blut zum Herzen: nur +ein Gedanke antwortete von innen, der Gedanke an Dich. »Aber wir bleiben +doch hier?« konnte ich gerade noch stammeln. »Nein, wir ziehen nach +Innsbruck, dort hat Ferdinand eine schöne Villa.« Mehr hörte ich nicht. +Mir ward schwarz vor den Augen. Später wußte ich, daß ich in Ohnmacht +gefallen war; ich sei, hörte ich die Mutter dem Stiefvater leise +erzählen, der hinter der Tür gewartet hatte, plötzlich mit +aufgespreizten Händen zurückgefahren und dann hingestürzt wie ein +Klumpen Blei. Was dann in den nächsten Tagen geschah, wie ich mich, ein +machtloses Kind, wehrte gegen ihren übermächtigen Willen, das kann ich +Dir nicht schildern: noch jetzt zittert mir, da ich daran denke, die +Hand im Schreiben. Mein wirkliches Geheimnis konnte ich nicht verraten, +so schien meine Gegenwehr bloß Starrsinn, Bosheit und Trotz. Niemand +sprach mehr mit mir, alles geschah hinterrücks. Man nutzte die Stunden, +da ich in der Schule war, um die Übersiedlung zu fördern: kam ich dann +nach Hause, so war immer wieder ein anderes Stück verräumt oder +verkauft. Ich sah, wie die Wohnung und damit mein Leben verfiel, und +einmal, als ich zum Mittagessen kam, waren die Möbelpacker dagewesen und +hatten alles weggeschleppt. In den leeren Zimmern standen die gepackten +Koffer und zwei Feldbetten für die Mutter und mich: da sollten wir noch +eine Nacht schlafen, die letzte, und morgen nach Innsbruck reisen. + +An diesem letzten Tage fühlte ich mit plötzlicher Entschlossenheit, daß +ich nicht leben konnte ohne Deine Nähe. Ich wußte keine andere Rettung +als Dich. Wie ich mirs dachte und ob ich überhaupt klar in diesen +Stunden der Verzweiflung zu denken vermochte, das werde ich nie sagen +können, aber plötzlich -- die Mutter war fort -- stand ich auf im +Schulkleid, wie ich war, und ging hinüber zu Dir. Nein, ich ging nicht: +es stieß mich mit steifen Beinen, mit zitternden Gelenken magnetisch +fort zu Deiner Tür. Ich sagte Dir schon, ich wußte nicht deutlich, was +ich wollte: Dir zu Füßen fallen und Dich bitten, mich zu behalten als +Magd, als Sklavin, und ich fürchte, Du wirst lächeln über diesen +unschuldigen Fanatismus einer Fünfzehnjährigen, aber, -- Geliebter, Du +würdest nicht mehr lächeln, wüßtest Du, wie ich damals draußen im +eiskalten Gange stand, starr vor Angst und doch vorwärts gestoßen von +einer unfaßbaren Macht, und wie ich den Arm, den zitternden, mir +gewissermaßen vom Leib losriß, daß er sich hob und -- es war ein Kampf +durch die Ewigkeit entsetzlicher Sekunden -- den Finger auf den Knopf +der Türklinke drückte. Noch heute gellts mir im Ohr, dies schrille +Klingelzeichen, und dann die Stille danach, wo mir das Herz stillstand, +wo mein ganzes Blut anhielt und nur lauschte, ob Du kämest. + +Aber Du kamst nicht. Niemand kam. Du warst offenbar fort an jenem +Nachmittage und Johann auf Besorgung; so tappte ich, den toten Ton der +Klingel im dröhnenden Ohr, in unsere zerstörte, ausgeräumte Wohnung +zurück und warf mich erschöpft auf einen Plaid, müde von den vier +Schritten, als ob ich stundenlang durch tiefen Schnee gegangen sei. Aber +unter dieser Erschöpfung glühte noch unverlöscht die Entschlossenheit, +Dich zu sehen, Dich zu sprechen, ehe sie mich wegrissen. Es war, ich +schwöre es Dir, kein sinnlicher Gedanke dabei, ich war noch unwissend, +eben weil ich an nichts dachte als an Dich: nur sehen wollte ich Dich, +einmal noch sehen, mich anklammern an Dich. Die ganze Nacht, die ganze +lange, entsetzliche Nacht, habe ich dann, Geliebter, auf Dich gewartet. +Kaum daß die Mutter sich in ihr Bett gelegt hatte und eingeschlafen war, +schlich ich in das Vorzimmer hinaus, um zu horchen, wann Du nach Hause +kämest. Die ganze Nacht habe ich gewartet, und es war eine eisige +Januarnacht. Ich war müde, meine Glieder schmerzten mich, und es war +kein Sessel mehr, mich hinzusetzen: so legte ich mich flach auf den +kalten Boden, über den der Zug von der Tür hinstrich. Nur in meinem +dünnen Kleide lag ich auf dem schmerzenden kalten Boden, denn ich nahm +keine Decke; ich wollte es nicht warm haben, aus Furcht, einzuschlafen +und Deinen Schritt zu überhören. Es tat weh, meine Füße preßte ich im +Krampfe zusammen, meine Arme zitterten: ich mußte immer wieder +aufstehen, so kalt war es im entsetzlichen Dunkel. Aber ich wartete, +wartete, wartete auf Dich wie auf mein Schicksal. + +Endlich -- es muß schon zwei oder drei Uhr morgens gewesen sein -- hörte +ich unten das Haustor aufsperren und dann Schritte die Treppe hinauf. +Wie abgesprungen war die Kälte von mir, heiß überflogs mich, leise +machte ich die Tür auf, um Dir entgegenzustürzen, Dir zu Füßen zu fallen +... Ach, ich weiß ja nicht, was ich törichtes Kind damals getan hätte. +Die Schritte kamen näher, Kerzenlicht flackte herauf. Zitternd hielt ich +die Klinke. Warst Du es, der da kam? + +Ja, Du warst es, Geliebter -- aber Du warst nicht allein. Ich hörte ein +leises, kitzliches Lachen, irgendein streifendes seidenes Kleid und +leise Deine Stimme -- Du kamst mit einer Frau nach Hause ... + +Wie ich diese Nacht überleben konnte, weiß ich nicht. Am nächsten +Morgen, um acht Uhr, schleppten sie mich nach Innsbruck; ich hatte keine +Kraft mehr, mich zu wehren. + + * * * * * + +Mein Kind ist gestern nacht gestorben -- nun werde ich wieder allein +sein, wenn ich wirklich weiterleben muß. Morgen werden sie kommen, +fremde, schwarze, ungeschlachte Männer, und einen Sarg bringen, werden +es hineinlegen, mein armes, mein einziges Kind. Vielleicht kommen auch +Freunde und bringen Kränze, aber was sind Blumen auf einem Sarg? Sie +werden mich trösten und mir irgendwelche Worte sagen, Worte, Worte; aber +was können sie mir helfen? Ich weiß, ich muß dann doch wieder allein +sein. Und es gibt nichts Entsetzlicheres, als Alleinsein unter den +Menschen. Damals habe ich es erfahren, damals in jenen unendlichen zwei +Jahren in Innsbruck, jenen Jahren von meinem sechzehnten bis zu meinem +achtzehnten, wo ich wie eine Gefangene, eine Verstoßene zwischen meiner +Familie lebte. Der Stiefvater, ein sehr ruhiger, wortkarger Mann, war +gut zu mir, meine Mutter schien, wie um ein unbewußtes Unrecht zu +sühnen, allen meinen Wünschen bereit, junge Menschen bemühten sich um +mich, aber ich stieß sie alle in einem leidenschaftlichen Trotz zurück. +Ich wollte nicht glücklich, nicht zufrieden leben abseits von Dir, ich +grub mich selbst in eine finstere Welt von Selbstqual und Einsamkeit. +Die neuen, bunten Kleider, die sie mir kauften, zog ich nicht an, ich +weigerte mich, in Konzerte, in Theater zu gehen oder Ausflüge in +heiterer Gesellschaft mitzumachen. Kaum daß ich je die Gasse betrat: +würdest Du es glauben, Geliebter, daß ich von dieser kleinen Stadt, in +der ich zwei Jahre gelebt, keine zehn Straßen kenne? Ich trauerte und +ich wollte trauern, ich berauschte mich an jeder Entbehrung, die ich mir +zu der Deines Anblicks noch auferlegte. Und dann: ich wollte mich nicht +ablenken lassen von meiner Leidenschaft, nur in Dir zu leben. Ich saß +allein zu Hause, stundenlang, tagelang, und tat nichts, als an Dich zu +denken, immer wieder, immer wieder die hundert kleinen Erinnerungen an +Dich, jede Begegnung, jedes Warten, mir zu erneuern, mir diese kleinen +Episoden vorzuspielen wie im Theater. Und darum, weil ich jede der +Sekunden von einst mir unzähligemale wiederholte, ist auch meine ganze +Kindheit mir in so brennender Erinnerung geblieben, daß ich jede Minute +jener vergangenen Jahre so heiß und springend fühle, als wäre sie +gestern durch mein Blut gefahren. + +Nur in Dir habe ich damals gelebt. Ich kaufte mir alle Deine Bücher; +wenn Dein Name in der Zeitung stand, war es ein festlicher Tag. Willst +Du es glauben, daß ich jede Zeile aus Deinen Büchern auswendig kann, so +oft habe ich sie gelesen? Würde mich einer nachts aus dem Schlaf +aufwecken und eine losgerissene Zeile aus ihnen mir vorsprechen, ich +könnte sie heute noch, heute noch nach dreizehn Jahren, weitersprechen +wie im Traum: so war jedes Wort von Dir mir Evangelium und Gebet. Die +ganze Welt, sie existierte nur in Beziehung auf Dich: ich las in den +Wiener Zeitungen die Konzerte, die Premieren nach nur mit dem Gedanken, +welche Dich davon interessieren möchte, und wenn es Abend wurde, +begleitete ich Dich von ferne: jetzt tritt er in den Saal, jetzt setzt +er sich nieder. Tausendmal träumte ich das, weil ich Dich ein einziges +Mal in einem Konzert gesehen. + +Aber wozu all dies erzählen, diesen rasenden, gegen sich selbst +wütenden, diesen so tragischen hoffnungslosen Fanatismus eines +verlassenen Kindes, wozu es einem erzählen, der es nie geahnt, der es +nie gewußt? Doch war ich damals wirklich noch ein Kind? Ich wurde +siebzehn, wurde achtzehn Jahre -- die jungen Leute begannen sich auf der +Straße nach mir umzublicken, doch sie erbitterten mich nur. Denn Liebe +oder auch nur ein Spiel mit Liebe im Gedanken an jemanden andern als an +Dich, das war mir so unerfindlich, so unausdenklich fremd, ja die +Versuchung schon wäre mir als ein Verbrechen erschienen. Meine +Leidenschaft zu Dir blieb dieselbe, nur daß sie anders ward mit meinem +Körper, mit meinen wacheren Sinnen, glühender, körperlicher, +frauenhafter. Und was das Kind in seinem dumpfen unbelehrten Willen, das +Kind, das damals die Klingel Deiner Türe zog, nicht ahnen konnte, das +war jetzt mein einziger Gedanke: mich Dir zu schenken, mich Dir +hinzugeben. + +Die Menschen um mich vermeinten mich scheu, nannten mich schüchtern (ich +hatte mein Geheimnis verbissen hinter den Zähnen). Aber in mir wuchs ein +eiserner Wille. Mein ganzes Denken und Trachten war in eine Richtung +gespannt: zurück nach Wien, zurück zu Dir. Und ich erzwang meinen +Willen, so unsinnig, so unbegreiflich er den andern scheinen mochte. +Mein Stiefvater war vermögend, er betrachtete mich als sein eigenes +Kind. Aber ich drang in erbittertem Starrsinn darauf, ich wolle mir mein +Geld selbst verdienen und erreichte es endlich, daß ich in Wien zu einem +Verwandten als Angestellte eines großen Konfektionsgeschäftes kam. + +Muß ich Dir sagen, wohin mein erster Weg ging, als ich an einem nebligen +Herbstabend -- endlich! endlich! -- in Wien ankam? Ich ließ die Koffer +an der Bahn, stürzte mich in eine Straßenbahn -- wie langsam schien sie +mir zu fahren, jede Haltestelle erbitterte mich -- und lief vor das +Haus. Deine Fenster waren erleuchtet, mein ganzes Herz klang. Nun erst +lebte die Stadt, die mich so fremd, so sinnlos umbraust hatte, nun erst +lebte ich wieder, da ich Dich nahe ahnte, Dich, meinen ewigen Traum. Ich +ahnte ja nicht, daß ich in Wirklichkeit Deinem Bewußtsein ebenso ferne +war hinter Tälern, Bergen und Flüssen als nun, da nur die dünne +leuchtende Glasscheibe Deines Fensters zwischen Dir war und meinem +aufstrahlenden Blick. Ich sah nur empor und empor: da war Licht, da war +das Haus, da warst Du, da war meine Welt. Zwei Jahre hatte ich von +dieser Stunde geträumt, nun war sie mir geschenkt. Ich stand den langen, +weichen, verhangenen Abend vor Deinen Fenstern, bis das Licht erlosch. +Dann suchte ich erst mein Heim. + +Jeden Abend stand ich dann so vor Deinem Haus. Bis sechs Uhr hatte ich +Dienst im Geschäft, harten, anstrengenden Dienst, aber er war mir lieb, +denn diese Unruhe ließ mich die eigene nicht so schmerzhaft fühlen. Und +geradeswegs, sobald die eisernen Rollbalken hinter mir niederdröhnten, +lief ich zu dem geliebten Ziel. Nur Dich einmal sehen, nur einmal Dir +begegnen, das war mein einziger Wille, nur wieder einmal mit dem Blick +Dein Gesicht umfassen dürfen von ferne. Etwa nach einer Woche geschahs +dann endlich, daß ich Dir begegnete, und zwar gerade in einem +Augenblick, wo ichs nicht vermutete: während ich eben hinauf zu Deinen +Fenstern spähte, kamst Du quer über die Straße. Und plötzlich war ich +wieder das Kind, das dreizehnjährige, ich fühlte, wie das Blut mir in +die Wangen schoß; unwillkürlich, wider meinen innersten Drang, der sich +sehnte, Deine Augen zu fühlen, senkte ich den Kopf und lief blitzschnell +wie gehetzt an Dir vorbei. Nachher schämte ich mich dieser +schulmädelhaften scheuen Flucht, denn jetzt war mein Wille mir doch +klar: ich wollte Dir ja begegnen, ich suchte Dich, ich wollte von Dir +erkannt sein nach all den sehnsüchtig verdämmerten Jahren, wollte von +Dir beachtet, wollte von Dir geliebt sein. + +Aber Du bemerktest mich lange nicht, obzwar ich jeden Abend, auch bei +Schneegestöber und in dem scharfen, schneidenden Wiener Wind in Deiner +Gasse stand. Oft wartete ich stundenlang vergebens, oft gingst Du dann +endlich vom Hause in Begleitung von Bekannten fort, zweimal sah ich Dich +auch mit Frauen, und nun empfand ich mein Erwachsensein, empfand das +Neue, Andere meines Gefühls zu Dir an dem plötzlichen Herzzucken, das +mir quer die Seele zerriß, als ich eine fremde Frau so sicher Arm in Arm +mit Dir hingehen sah. Ich war nicht überrascht, ich kannte ja diese +Deine ewigen Besucherinnen aus meinen Kindertagen schon, aber jetzt tat +es mit einmal irgendwie körperlich weh, etwas spannte sich in mir, +gleichzeitig feindlich und mitverlangend gegen diese offensichtliche, +diese fleischliche Vertrautheit mit einer anderen. Einen Tag blieb ich, +kindlich stolz wie ich war und vielleicht jetzt noch geblieben bin, von +Deinem Hause weg: aber wie entsetzlich war dieser leere Abend des +Trotzes und der Auflehnung. Am nächsten Abend stand ich schon wieder +demütig vor Deinem Hause wartend, wartend, wie ich mein ganzes Schicksal +lang vor Deinem verschlossenen Leben gestanden bin. + +Und endlich, an einem Abend bemerktest Du mich. Ich hatte Dich schon von +ferne kommen sehen und straffte meinen Willen zusammen, Dir nicht +auszuweichen. Der Zufall wollte, daß durch einen abzuladenden Wagen die +Straße verengert war und Du ganz an mir vorbei mußtest. Unwillkürlich +streifte mich Dein zerstreuter Blick, um sofort, kaum daß er der +Aufmerksamkeit des meinen begegnete -- wie erschrak die Erinnerung in +mir! -- jener Dein Frauenblick, jener zärtliche, hüllende und +gleichzeitig enthüllende, jener umfangende und schon fassende Blick zu +werden, der mich, das Kind, zum erstenmal zur Frau, zur Liebenden +erweckt. Ein, zwei Sekunden lang hielt dieser Blick so den meinen, der +sich nicht wegreißen konnte und wollte, -- dann warst Du an mir vorbei. +Mir schlug das Herz: unwillkürlich mußte ich meinen Schritt +verlangsamen, und wie ich aus einer nicht zu bezwingenden Neugier mich +umwandte, sah ich, daß Du stehengeblieben warst und mir nachsahst. Und +an der Art, wie Du neugierig interessiert mich beobachtetest, wußte ich +sofort: Du erkanntest mich nicht. + +Du erkanntest mich nicht, damals nicht, nie, nie hast Du mich erkannt. +Wie soll ich Dir, Geliebter, die Enttäuschung jener Sekunde schildern -- +damals war es ja das erstemal, daß ichs erlitt, dies Schicksal, von Dir +nicht erkannt zu sein, das ich ein Leben durchlebt habe, und mit dem ich +sterbe; unerkannt, immer noch unerkannt von Dir. Wie soll ich sie Dir +schildern, diese Enttäuschung! Denn sieh, in diesen zwei Jahren in +Innsbruck, wo ich jede Stunde an Dich dachte und nichts tat, als mir +unsere erste Wiederbegegnung in Wien auszudenken, da hatte ich die +wildesten Möglichkeiten neben den seligsten, je nach dem Zustand meiner +Laune, ausgeträumt. Alles war, wenn ich so sagen darf, durchgeträumt; +ich hatte mir in finstern Momenten vorgestellt, Du würdest mich +zurückstoßen, würdest mich verachten, weil ich zu gering, zu häßlich, zu +aufdringlich sei. Alle Formen Deiner Mißgunst, Deiner Kälte, +Deiner Gleichgültigkeit, sie alle hatte ich durchgewandelt in +leidenschaftlichen Visionen -- aber dies, dies eine hatte ich in keiner +finstern Regung des Gemüts, nicht im äußersten Bewußtsein meiner +Minderwertigkeit in Betracht zu ziehen gewagt, dies Entsetzlichste: daß +Du überhaupt von meiner Existenz nichts bemerkt hattest. Heute verstehe +ich es ja -- ach, Du hast michs verstehen gelehrt! -- daß das Gesicht +eines Mädchens, einer Frau etwas ungemein Wandelhaftes sein muß für +einen Mann, weil es meist nur Spiegel ist, bald einer Leidenschaft, bald +einer Kindlichkeit, bald eines Müdeseins, und so leicht verfließt wie +ein Bildnis im Spiegel, daß also ein Mann leichter das Antlitz einer +Frau verlieren kann, weil das Alter darin durchwandelt mit Schatten und +Licht, weil die Kleidung es von einemmal zum andern anders rahmt. Die +Resignierten, sie sind ja erst die wahren Wissenden. Aber ich, das +Mädchen von damals, ich konnte Deine Vergeßlichkeit noch nicht fassen, +denn irgendwie war aus meiner maßlosen, unaufhörlichen Beschäftigung mit +Dir der Wahn in mich gefahren, auch Du müßtest meiner oft gedenken und +auf mich warten; wie hätte ich auch nur atmen können mit der Gewißheit, +ich sei Dir nichts, nie rühre ein Erinnern an mich Dich leise an! Und +dies Erwachen vor Deinem Blick, der mir zeigte, daß nichts in Dir mich +mehr kannte, kein Spinnfaden Erinnerung von Deinem Leben hinreiche zu +meinem, das war ein erster Sturz hinab in die Wirklichkeit, eine erste +Ahnung meines Schicksals. + +Du erkanntest mich nicht damals. Und als zwei Tage später Dein Blick mit +einer gewissen Vertrautheit bei erneuter Begegnung mich umfing, da +erkanntest Du mich wiederum nicht als die, die Dich geliebt und die Du +erweckt, sondern bloß als das hübsche achtzehnjährige Mädchen, das Dir +vor zwei Tagen an der gleichen Stelle entgegengetreten. Du sahst mich +freundlich überrascht an, ein leichtes Lächeln umspielte Deinen Mund. +Wieder gingst Du an mir vorbei und wieder den Schritt sofort +verlangsamend: ich zitterte, ich jauchzte, ich betete, Du würdest mich +ansprechen. Ich fühlte, daß ich zum erstenmal für Dich lebendig war: +auch ich verlangsamte den Schritt, ich wich Dir nicht aus. Und plötzlich +spürte ich Dich hinter mir, ohne mich umzuwenden, ich wußte, nun würde +ich zum erstenmal Deine geliebte Stimme an mich gerichtet hören. Wie +eine Lähmung war die Erwartung in mir, schon fürchtete ich stehenbleiben +zu müssen, so hämmerte mir das Herz -- da tratest Du an meine Seite. Du +sprachst mich an mit Deiner leichten heitern Art, als wären wir lange +befreundet -- ach, Du ahntest mich ja nicht, nie hast Du etwas von +meinem Leben geahnt! -- so zauberhaft unbefangen sprachst Du mich an, +daß ich Dir sogar zu antworten vermochte. Wir gingen zusammen die ganze +Gasse entlang. Dann fragtest Du mich, ob wir gemeinsam speisen wollten. +Ich sagte ja. Was hätte ich Dir gewagt zu verneinen? + +Wir speisten zusammen in einem kleinen Restaurant -- weißt Du noch, wo +es war? Ach nein, Du unterscheidest es gewiß nicht mehr von andern +solchen Abenden, denn wer war ich Dir? Eine unter Hunderten, ein +Abenteuer in einer ewig fortgeknüpften Kette. Was sollte Dich auch an +mich erinnern: ich sprach ja wenig, weil es mir so unendlich beglückend +war, Dich nahe zu haben, Dich zu mir sprechen zu hören. Keinen +Augenblick davon wollte ich durch eine Frage, durch ein törichtes Wort +vergeuden. Nie werde ich Dir von dieser Stunde dankbar vergessen, wie +voll Du meine leidenschaftliche Ehrfurcht erfülltest, wie zart, wie +leicht, wie taktvoll Du warst, ganz ohne Zudringlichkeit, ganz ohne jene +eiligen karessanten Zärtlichkeiten, und vom ersten Augenblick von einer +so sicheren freundschaftlichen Vertrautheit, daß Du mich auch gewonnen +hättest, wäre ich nicht schon längst mit meinem ganzen Willen und Wesen +Dein gewesen. Ach, Du weißt ja nicht, ein wie Ungeheures Du erfülltest, +indem Du mir fünf Jahre kindischer Erwartung nicht enttäuschtest! + +Es wurde spät, wir brachen auf. An der Tür des Restaurants fragtest Du +mich, ob ich eilig wäre oder noch Zeit hätte. Wie hätte ichs +verschweigen können, daß ich Dir bereit sei! Ich sagte, ich hätte noch +Zeit. Dann fragtest Du, ein leises Zögern rasch überspringend, ob ich +nicht noch ein wenig zu Dir kommen wollte, um zu plaudern. »Gerne,« +sagte ich ganz aus der Selbstverständlichkeit meines Fühlens heraus und +merkte sofort, daß Du von der Raschheit meiner Zusage irgendwie peinlich +oder freudig berührt warst, jedenfalls aber sichtlich überrascht. Heute +verstehe ich ja dies Dein Erstaunen; ich weiß, es ist bei Frauen üblich, +auch wenn das Verlangen nach Hingabe in einer brennend ist, diese +Bereitschaft zu verleugnen, ein Erschrecken vorzutäuschen oder eine +Entrüstung, die durch eindringliche Bitte, durch Lügen, Schwüre und +Versprechen erst beschwichtigt sein will. Ich weiß, daß vielleicht nur +die Professionellen der Liebe, die Dirnen, eine solche Einladung mit +einer so vollen freudigen Zustimmung beantworten, oder ganz naive, ganz +halbwüchsige Kinder. In mir aber war es -- und wie konntest Du das ahnen +-- nur der wortgewordene Wille, die geballt vorbrechende Sehnsucht von +tausend einzelnen Tagen. Jedenfalls aber: Du warst frappiert, ich begann +Dich zu interessieren. Ich spürte, daß Du, während wir gingen, von der +Seite her während des Gespräches mich irgendwie erstaunt mustertest. +Dein Gefühl, Dein in allem Menschlichen so magisch sicheres Gefühl +witterte hier sogleich ein Ungewöhnliches, ein Geheimnis in diesem +hübschen zutunlichen Mädchen. Der Neugierige in Dir war wach, und ich +merkte aus der umkreisenden, spürenden Art der Fragen, wie Du nach dem +Geheimnis tasten wolltest. Aber ich wich Dir aus: ich wollte lieber +töricht erscheinen als Dir mein Geheimnis verraten. + +Wir gingen zu Dir hinauf. Verzeih, Geliebter, wenn ich Dir sage, daß Du +es nicht verstehen kannst, was dieser Gang, diese Treppe für mich waren, +welcher Taumel, welche Verwirrung, welch ein rasendes, quälendes, fast +tödliches Glück. Jetzt noch kann ich kaum ohne Tränen daran denken, und +ich habe keine mehr. Aber fühl es nur aus, daß jeder Gegenstand dort +gleichsam durchdrungen war von meiner Leidenschaft, jeder ein Symbol +meiner Kindheit, meiner Sehnsucht: das Tor, vor dem ich tausende Male +auf Dich gewartet, die Treppe, von der ich immer Deinen Schritt erhorcht +und wo ich Dich zum erstenmal gesehen, das Guckloch, aus dem ich mir die +Seele gespäht, der Türvorleger vor Deiner Tür, auf dem ich einmal +gekniet, das Knacken des Schlüssels, bei dem ich immer aufgesprungen von +meiner Lauer. Die ganze Kindheit, meine ganze Leidenschaft, da nistete +sie ja in diesen paar Metern Raum, hier war mein ganzes Leben, und jetzt +fiel es nieder auf mich wie ein Sturm, da alles, alles sich erfüllte und +ich mit Dir ging, ich mit Dir, in Deinem, in unserem Hause. Bedenke -- +es klingt ja banal, aber ich weiß es nicht anders zu sagen --, daß bis +zu Deiner Tür alles Wirklichkeit, dumpfe tägliche Welt ein Leben lang +gewesen war, und dort das Zauberreich des Kindes begann, Aladins Reich, +bedenke, daß ich tausendmal mit brennenden Augen auf diese Tür gestarrt, +die ich jetzt taumelnd durchschritt, und Du wirst ahnen -- aber nur +ahnen, niemals ganz wissen, mein Geliebter! -- was diese stürzende +Minute von meinem Leben wegtrug. + +Ich blieb damals die ganze Nacht bei Dir. Du hast es nicht geahnt, daß +vordem noch nie ein Mann mich berührt, noch keiner meinen Körper gefühlt +oder gesehen. Aber wie konntest Du es auch ahnen, Geliebter, denn ich +bot Dir ja keinen Widerstand, ich unterdrückte jedes Zögern der Scham, +nur damit Du nicht das Geheimnis meiner Liebe zu Dir erraten könntest, +das Dich gewiß erschreckt hätte --, denn Du liebst ja nur das Leichte, +das Spielende, das Gewichtlose, Du hast Angst, in ein Schicksal +einzugreifen. Verschwenden willst Du Dich, Du, an alle, an die Welt, und +willst kein Opfer. Wenn ich Dir jetzt sage, Geliebter, daß ich mich +jungfräulich Dir gab, so flehe ich Dich an: mißversteh mich nicht! Ich +klage Dich ja nicht an, Du hast mich nicht gelockt, nicht belogen, nicht +verführt -- ich, ich selbst drängte zu Dir, warf mich an Deine Brust, +warf mich in mein Schicksal. Nie, nie werde ich Dich anklagen, nein, nur +immer Dir danken, denn wie reich, wie funkelnd von Lust, wie schwebend +von Seligkeit war für mich diese Nacht. Wenn ich die Augen auftat im +Dunkeln und Dich fühlte an meiner Seite, wunderte ich mich, daß nicht +die Sterne über mir waren, so sehr fühlte ich Himmel -- nein, ich habe +niemals bereut, mein Geliebter, niemals um dieser Stunde willen. Ich +weiß noch: als Du schliefst, als ich Deinen Atem hörte, Deinen Körper +fühlte und mich selbst Dir so nah, da habe ich im Dunkeln geweint vor +Glück. + +Am Morgen drängte ich frühzeitig schon fort. Ich mußte in das Geschäft +und wollte auch gehen, ehe der Diener käme: er sollte mich nicht sehen. +Als ich angezogen vor Dir stand, nahmst Du mich in den Arm, sahst mich +lange an; war es ein Erinnern, dunkel und fern, das in Dir wogte, oder +schien ich Dir nur schön, beglückt, wie ich war? Dann küßtest Du mich +auf den Mund. Ich machte mich leise los und wollte gehen. Da fragtest +Du: »Willst Du nicht ein paar Blumen mitnehmen?« Ich sagte ja. Du nahmst +vier weiße Rosen aus der blauen Kristallvase am Schreibtisch (ach, ich +kannte sie von jenem einzigen diebischen Kindheitsblick) und gabst sie +mir. Tagelang habe ich sie noch geküßt. + +Wir hatten zuvor einen andern Abend verabredet. Ich kam, und wieder war +es wunderbar. Noch eine dritte Nacht hast Du mir geschenkt. Dann sagtest +Du, Du müßtest verreisen, -- oh, wie haßte ich diese Reisen von meiner +Kindheit her! -- und versprachst mir, mich sofort nach Deiner Rückkehr +zu verständigen. Ich gab Dir eine _Poste restante_-Adresse -- meinen +Namen wollte ich Dir nicht sagen. Ich hütete mein Geheimnis. Wieder +gabst Du mir ein paar Rosen zum Abschied -- zum Abschied. + +Jeden Tag während zweier Monate fragte ich ... aber nein, wozu diese +Höllenqual der Erwartung, der Verzweiflung Dir schildern. Ich klage Dich +nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist, heiß und vergeßlich, +hingebend und untreu, ich liebe Dich so, nur so, wie Du immer gewesen +und wie Du jetzt noch bist. Du warst längst zurück, ich sah es an Deinen +erleuchteten Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Keine Zeile habe +ich von Dir in meinen letzten Stunden, keine Zeile von Dir, dem ich mein +Leben gegeben. Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine +Verzweifelte. Aber Du hast mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir +geschrieben ... keine Zeile ... + + * * * * * + +Mein Kind ist gestern gestorben -- es war auch Dein Kind. Es war auch +Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei Nächte, ich schwöre es +Dir, und man lügt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich +schwöre es Dir, denn kein Mann hat mich berührt von jenen Stunden, da +ich mich Dir hingegeben, bis zu jenen andern, da es aus meinem Leib +gerungen wurde. Ich war mir heilig durch Deine Berührung: wie hätte ich +es vermocht, mich zu teilen an Dich, der mir alles gewesen, und an +andere, die an meinem Leben nur leise anstreiften? Es war unser Kind, +Geliebter, das Kind meiner wissenden Liebe und Deiner sorglosen, +verschwenderischen, fast unbewußten Zärtlichkeit, unser Kind, unser +Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun -- vielleicht erschreckt, +vielleicht bloß erstaunt --, Du fragst nun, mein Geliebter, warum ich +dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und erst heute von +ihm spreche, da es hier im Dunkel schlafend, für immer schlafend, liegt, +schon bereit fortzugehen und nie mehr wiederzukehren, nie mehr! Doch wie +hätte ich es Dir sagen können? Nie hättest Du mir, der Fremden, der +allzu Bereitwilligen dreier Nächte, die sich ohne Widerstand, ja +begehrend, Dir aufgetan, nie hättest Du ihr, der Namenlosen einer +flüchtigen Begegnung, geglaubt, daß sie Dir die Treue hielt, Dir, dem +Untreuen, -- nie ohne Mißtrauen dies Kind als das Deine erkannt! Nie +hättest Du, selbst wenn mein Wort Dir Wahrscheinlichkeit geboten, den +heimlichen Verdacht abtun können, ich versuchte, Dir, dem Begüterten, +das Kind fremder Stunde unterzuschieben. Du hättest mich beargwohnt, ein +Schatten wäre geblieben, ein fliegender, scheuer Schatten von Mißtrauen +zwischen Dir und mir. Das wollte ich nicht. Und dann, ich kenne Dich; +ich kenne Dich so gut, wie Du kaum selber Dich kennst, ich weiß, es wäre +Dir, der Du das Sorglose, das Leichte, das Spielende liebst in der +Liebe, peinlich gewesen, plötzlich Vater, plötzlich verantwortlich zu +sein für ein Schicksal. Du hättest Dich, Du, der Du nur in Freiheit +atmen kannst, Dich irgendwie verbunden gefühlt mit mir. Du hättest mich +-- ja, ich weiß es, daß Du es getan hättest, wider Deinen eigenen wachen +Willen --, Du hättest mich gehaßt für dieses Verbundensein. Vielleicht +nur stundenlang, vielleicht nur flüchtige Minuten lang wäre ich Dir +lästig gewesen, wäre ich Dir verhaßt worden -- ich aber wollte in meinem +Stolze, Du solltest an mich ein Leben lang ohne Sorge denken. Lieber +wollte ich alles auf mich nehmen, als Dir eine Last werden, und einzig +die sein unter allen Deinen Frauen, an die Du immer mit Liebe, mit +Dankbarkeit denkst. Aber freilich, Du hast nie an mich gedacht, Du hast +mich vergessen. + +Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an. +Verzeih mirs, wenn mir manchmal ein Tropfen Bitternis in die Feder +fließt, verzeih mirs -- mein Kind, unser Kind liegt ja da tot unter den +flackernden Kerzen; ich habe zu Gott die Fäuste geballt und ihn Mörder +genannt, meine Sinne sind trüb und verwirrt. Verzeih mir die Klage, +verzeihe sie mir! Ich weiß ja, daß Du gut bist und hilfreich im tiefsten +Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. +Aber Deine Güte ist so sonderbar, sie ist eine, die offen liegt für +jeden, daß er nehmen kann soviel seine Hände fassen, sie ist groß, +unendlich groß Deine Güte, aber sie ist -- verzeih mir -- sie ist träge. +Sie will gemahnt, will genommen sein. Du hilfst, wenn man Dich ruft, +Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schwäche und nicht aus Freudigkeit. +Du hast -- laß es Dir offen sagen -- den Menschen in Notdurft und Qual +nicht lieber, als den Bruder im Glück. Und Menschen, die so sind wie Du, +selbst die Gütigsten unter ihnen, sie bittet man schwer. Einmal, ich war +noch ein Kind, sah ich durch das Guckloch an der Tür, wie Du einem +Bettler, der bei Dir geklingelt hatte, etwas gabst. Du gabst ihm rasch +und sogar viel, noch ehe er Dich bat, aber Du reichtest es ihm mit einer +gewissen Angst und Hast hin, er möchte nur bald wieder fortgehen, es +war, als hättest Du Furcht, ihm ins Auge zu sehen. Diese Deine unruhige, +scheue, vor der Dankbarkeit flüchtende Art des Helfens habe ich nie +vergessen. Und deshalb habe ich mich nie an Dich gewandt. Gewiß, ich +weiß, Du hättest mir damals zur Seite gestanden auch ohne die Gewißheit, +es sei Dein Kind, Du hättest mich getröstet, mir Geld gegeben, reichlich +Geld, aber immer nur mit der geheimen Ungeduld, das Unbequeme von Dir +wegzuschieben; ja, ich glaube, Du hättest mich sogar beredet, das Kind +vorzeitig abzutun. Und dies fürchtete ich vor allem -- denn was hätte +ich nicht getan, so Du es begehrtest, wie hätte ich Dir etwas zu +verweigern vermocht! Aber dieses Kind war alles für mich, war es doch +von Dir, nochmals Du, aber nun nicht mehr Du, der Glückliche, der +Sorglose, den ich nicht zu halten vermochte, sondern Du für immer -- so +meinte ich -- mir gegeben, verhaftet in meinem Leibe, verbunden in +meinem Leben. Nun hatte ich Dich ja endlich gefangen, ich konnte Dich, +Dein Leben wachsen spüren in meinen Adern, Dich nähren, Dich tränken, +Dich liebkosen, Dich küssen, wenn mir die Seele danach brannte. Siehst +Du, Geliebter, darum war ich so selig, als ich wußte, daß ich ein Kind +von Dir hatte, darum verschwieg ich Dirs: denn nun konntest Du mir nicht +mehr entfliehen. + +Freilich, Geliebter, es waren nicht nur so selige Monate, wie ich sie +voraus fühlte in meinen Gedanken, es waren auch Monate voll von Grauen +und Qual, voll Ekel vor der Niedrigkeit der Menschen. Ich hatte es nicht +leicht. In das Geschäft konnte ich während der letzten Monate nicht mehr +gehen, damit es den Verwandten nicht auffällig werde und sie nicht nach +Hause berichteten. Von der Mutter wollte ich kein Geld erbitten -- so +fristete ich mir mit dem Verkauf von dem bißchen Schmuck, den ich hatte, +die Zeit bis zur Niederkunft. Eine Woche vorher wurden mir aus einem +Schranke von einer Wäscherin die letzten paar Kronen gestohlen, so mußte +ich in die Gebärklinik. Dort, wo nur die ganz Armen, die Ausgestoßenen +und Vergessenen sich in ihrer Not hinschleppen, dort, mitten im Abhub +des Elends, dort ist das Kind, Dein Kind geboren worden. Es war zum +Sterben dort: fremd, fremd, fremd war alles, fremd wir einander, die wir +da lagen, einsam und voll Haß eine auf die andere, nur vom Elend, von +der gleichen Qual in diesen dumpfen, von Chloroform und Blut, von Schrei +und Stöhnen vollgepreßten Saal gestoßen. Was die Armut an Erniedrigung, +an seelischer und körperlicher Schande zu ertragen hat, ich habe es dort +gelitten an dem Beisammensein mit Dirnen und mit Kranken, die aus der +Gemeinsamkeit des Schicksals eine Gemeinheit machten, an der Zynik der +jungen Ärzte, die mit einem ironischen Lächeln der Wehrlosen das Bettuch +aufstreiften und sie mit falscher Wissenschaftlichkeit antasteten, an +der Habsucht der Wärterinnen -- oh, dort wird die Scham eines Menschen +gekreuzigt mit Blicken und gegeißelt mit Worten. Die Tafel mit Deinem +Namen, das allein bist dort noch Du, denn was im Bette liegt, ist bloß +ein zuckendes Stück Fleisch, betastet von Neugierigen, ein Objekt der +Schau und des Studierens -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die +ihrem Mann, dem zärtlich wartenden, in seinem Hause Kinder schenken, was +es heißt, allein, wehrlos, gleichsam am Versuchstisch, ein Kind zu +gebären! Und lese ich noch heute in einem Buche das Wort Hölle, so denke +ich plötzlich wider meinen bewußten Willen an jenen vollgepfropften, +dünstenden, von Seufzer, Gelächter und blutigem Schrei erfüllten Saal, +in dem ich gelitten habe, an dieses Schlachthaus der Scham. + +Verzeih, verzeih mirs, daß ich davon spreche. Aber nur dieses eine Mal +rede ich davon, nie mehr, nie mehr wieder. Elf Jahre habe ich +geschwiegen davon, und werde bald stumm sein in alle Ewigkeit: einmal +mußte ichs ausschreien, einmal ausschreien, wie teuer ich es erkaufte, +dies Kind, das meine Seligkeit war und das nun dort ohne Atem liegt. Ich +hatte sie schon vergessen, diese Stunden, längst vergessen im Lächeln, +in der Stimme des Kindes, in meiner Seligkeit; aber jetzt, da es tot +ist, wird die Qual wieder lebendig, und ich mußte sie mir von der Seele +schreien, dieses eine, dieses eine Mal. Aber nicht Dich klage ich an, +nur Gott, nur Gott, der sie sinnlos machte, diese Qual. Nicht Dich klage +ich an, ich schwöre es Dir, und nie habe ich mich im Zorn erhoben gegen +Dich. Selbst in der Stunde, da mein Leib sich krümmte in den Wehen, da +mein Körper vor Scham brannte unter den tastenden Blicken der Studenten, +selbst in der Sekunde, da der Schmerz mir die Seele zerriß, habe ich +Dich nicht angeklagt vor Gott; nie habe ich jene Nächte bereut, nie +meine Liebe zu Dir gescholten, immer habe ich Dich geliebt, immer die +Stunde gesegnet, da Du mir begegnet bist. Und müßte ich noch einmal +durch die Hölle jener Stunden und wüßte vordem, was mich erwartet, ich +täte es noch einmal, mein Geliebter, noch einmal und tausendmal! + + * * * * * + +Unser Kind ist gestern gestorben -- Du hast es nie gekannt. Niemals, +auch in der flüchtigen Begegnung des Zufalles hat dies blühende, kleine +Wesen, Dein Wesen, im Vorübergehen Deinen Blick gestreift. Ich hielt +mich lange verborgen vor Dir, sobald ich dies Kind hatte; meine +Sehnsucht nach Dir war weniger schmerzhaft geworden, ja ich glaube, ich +liebte Dich weniger leidenschaftlich, zumindest litt ich nicht so an +meiner Liebe, seit es mir geschenkt war. Ich wollte mich nicht zerteilen +zwischen Dir und ihm; so gab ich mich nicht an Dich, den Glücklichen, +der an mir vorbeilebte, sondern an dies Kind, das mich brauchte, das ich +nähren mußte, das ich küssen konnte und umfangen. Ich schien gerettet +vor meiner Unruhe nach Dir, meinem Verhängnis, gerettet durch dies Dein +anderes Du, das aber wahrhaft mein war -- selten nur mehr, ganz selten +drängte mein Gefühl sich demütig heran an Dein Haus. Nur eines tat ich: +zu Deinem Geburtstag sandte ich Dir immer ein Bündel weiße Rosen, genau +dieselben, wie Du sie mir damals geschenkt nach unserer ersten +Liebesnacht. Hast Du je in diesen zehn, in diesen elf Jahren Dich +gefragt, wer sie sandte? Hast Du Dich vielleicht an die erinnert, der Du +einst solche Rosen geschenkt? Ich weiß es nicht und werde Deine Antwort +nicht wissen. Nur aus dem Dunkel sie Dir hinzureichen, einmal im Jahre +die Erinnerung aufblühen zu lassen an jene Stunde -- das war mir genug. + +Du hast es nie gekannt, unser armes Kind -- heute klage ich mich an, daß +ich es Dir verbarg, denn Du hättest es geliebt. Nie hast Du ihn gekannt, +den armen Knaben, nie ihn lächeln gesehen, wenn er leise die Lider +aufhob und dann mit seinen dunklen klugen Augen -- Deinen Augen! -- ein +helles, frohes Licht warf über mich, über die ganze Welt. Ach, er war so +heiter, so lieb: die ganze Leichtigkeit Deines Wesens war in ihm +kindlich wiederholt, Deine rasche, bewegte Phantasie in ihm erneuert: +stundenlang konnte er verliebt mit Dingen spielen, so wie Du mit dem +Leben spielst, und dann wieder ernst mit hochgezogenen Brauen vor seinen +Büchern sitzen. Er wurde immer mehr Du; schon begann sich auch in ihm +jene Zwiefältigkeit von Ernst und Spiel, die Dir eigen ist, sichtbar zu +entfalten, und je ähnlicher er Dir ward, desto mehr liebte ich ihn. Er +hat gut gelernt, er plauderte Französisch wie eine kleine Elster, seine +Hefte waren die saubersten der Klasse, und wie hübsch war er dabei, wie +elegant in seinem schwarzen Samtkleid oder dem weißen Matrosenjäckchen. +Immer war er der Eleganteste von allen, wohin er auch kam; in Grado am +Strande, wenn ich mit ihm ging, blieben die Frauen stehen und +streichelten sein langes blondes Haar, auf dem Semmering, wenn er im +Schlitten fuhr, wandten sich bewundernd die Leute nach ihm um. Er war so +hübsch, so zart, so zutunlich: als er im letzten Jahre ins Internat des +Theresianums kam, trug er seine Uniform und den kleinen Degen wie ein +Page aus dem achtzehnten Jahrhundert -- nun hat er nichts als sein +Hemdchen an, der Arme, der dort liegt mit blassen Lippen und +eingefalteten Händen. + +Aber Du fragst mich vielleicht, wie ich das Kind so im Luxus erziehen +konnte, wie ich es vermochte, ihm dies helle, dies heitere Leben der +oberen Welt zu vergönnen. Liebster, ich spreche aus dem Dunkel zu Dir; +ich habe keine Scham, ich will es Dir sagen, aber erschrick nicht, +Geliebter -- ich habe mich verkauft. Ich wurde nicht gerade das, was man +ein Mädchen von der Straße nennt, eine Dirne, aber ich habe mich +verkauft. Ich hatte reiche Freunde, reiche Geliebte: zuerst suchte ich +sie, dann suchten sie mich, denn ich war -- hast Du es je bemerkt? -- +sehr schön. Jeder, dem ich mich gab, gewann mich lieb, alle haben mir +gedankt, alle an mir gehangen, alle mich geliebt -- nur Du nicht, nur Du +nicht, mein Geliebter! + +Verachtest Du mich nun, weil ich Dir es verriet, daß ich mich verkauft +habe? Nein, ich weiß, Du verachtest mich nicht, ich weiß, Du verstehst +alles und wirst auch verstehen, daß ich es nur für Dich getan, für Dein +anderes Ich, für Dein Kind. Ich hatte einmal in jener Stube der +Gebärklinik an das Entsetzliche der Armut gerührt, ich wußte, daß in +dieser Welt der Arme immer der Getretene, der Erniedrigte, das Opfer +ist, und ich wollte nicht, um keinen Preis, daß Dein Kind, Dein helles, +schönes Kind da tief unten aufwachsen sollte im Abhub, im Dumpfen, im +Gemeinen der Gasse, in der verpesteten Luft eines Hinterhausraumes. Sein +zarter Mund sollte nicht die Sprache des Rinnsteins kennen, sein weißer +Leib nicht die dumpfige, verkrümmte Wäsche der Armut -- Dein Kind sollte +alles haben, allen Reichtum, alle Leichtigkeit der Erde, es sollte +wieder aufsteigen zu Dir, in Deine Sphäre des Lebens. + +Darum, nur darum, mein Geliebter, habe ich mich verkauft. Es war kein +Opfer für mich, denn was man gemeinhin Ehre und Schande nennt, das war +mir wesenlos: Du liebtest mich nicht, Du, der Einzige, dem mein Leib +gehörte, so fühlte ich es als gleichgültig, was sonst mit meinem Körper +geschah. Die Liebkosungen der Männer, selbst ihre innerste Leidenschaft, +sie rührten mich im Tiefsten nicht an, obzwar ich manche von ihnen sehr +achten mußte und mein Mitleid mit ihrer unerwiderten Liebe in Erinnerung +eigenen Schicksals mich oft erschütterte. Alle waren sie gut zu mir, die +ich kannte, alle haben sie mich verwöhnt, alle achteten sie mich. Da war +vor allem einer, ein älterer, verwitweter Reichsgraf, derselbe, der sich +die Füße wundstand an den Türen, um die Aufnahme des vaterlosen Kindes, +Deines Kindes, im Theresianum durchzudrücken -- der liebte mich wie eine +Tochter. Dreimal, viermal machte er mir den Antrag, mich zu heiraten -- +ich könnte heute Gräfin sein, Herrin auf einem zauberischen Schloß in +Tirol, könnte sorglos sein, denn das Kind hätte einen zärtlichen Vater +gehabt, der es vergötterte, und ich einen stillen, vornehmen, gütigen +Mann an meiner Seite -- ich habe es nicht getan, so sehr, sooft er auch +drängte, so sehr ich ihm wehe tat mit meiner Weigerung. Vielleicht war +es eine Torheit, denn sonst lebte ich jetzt irgendwo still und geborgen, +und dies Kind, das geliebte, mit mir, aber -- warum soll ich Dir es +nicht gestehen -- ich wollte mich nicht binden, ich wollte Dir frei sein +in jeder Stunde. Innen im Tiefsten, im Unbewußten meines Wesens lebte +noch immer der alte Kindertraum, Du würdest vielleicht noch einmal mich +zu Dir rufen, sei es nur für eine Stunde lang. Und für diese eine +mögliche Stunde habe ich alles weggestoßen, nur um Dir frei zu sein für +Deinen ersten Ruf. Was war mein ganzes Leben seit dem Erwachen aus der +Kindheit denn anders, als ein Warten, ein Warten auf Deinen Willen! + +Und diese Stunde, sie ist wirklich gekommen. Aber Du weißt sie nicht, Du +ahnst sie nicht, mein Geliebter! Auch in ihr hast Du mich nicht erkannt +-- nie, nie, nie hast Du mich erkannt! Ich war Dir ja schon früher oft +begegnet, in den Theatern, in den Konzerten, im Prater, auf der Straße +-- jedesmal zuckte mir das Herz, aber Du sahst an mir vorbei: ich war ja +äußerlich eine ganz andere, aus dem scheuen Kinde war eine Frau +geworden, schön wie sie sagten, in kostbare Kleider gehüllt, umringt von +Verehrern: wie konntest Du in mir jenes schüchterne Mädchen im +dämmerigen Licht Deines Schlafraumes vermuten! Manchmal grüßte Dich +einer der Herren, mit denen ich ging, Du danktest und sahst auf zu mir: +aber Dein Blick war höfliche Fremdheit, anerkennend, aber nie erkennend, +fremd, entsetzlich fremd. Einmal, ich erinnere mich noch, ward mir +dieses Nichterkennen, an das ich fast schon gewohnt war, zu brennender +Qual: ich saß in einer Loge der Oper mit einem Freunde und Du in der +Nachbarloge. Die Lichter erloschen bei der Ouvertüre, ich konnte Dein +Antlitz nicht mehr sehen, nur Deinen Atem fühlte ich so nah neben mir, +wie damals in jener Nacht, und auf der samtenen Brüstung der Abteilung +unserer Logen lag Deine Hand aufgestützt, Deine feine, zarte Hand. Und +unendlich überkam mich das Verlangen, mich niederzubeugen und diese +fremde, diese so geliebte Hand demütig zu küssen, deren zärtliche +Umfassung ich einst gefühlt. Um mich wogte aufwühlend die Musik, immer +leidenschaftlicher wurde das Verlangen, ich mußte mich ankrampfen, mich +gewaltsam aufreißen, so gewaltsam zog es meine Lippen hin zu Deiner +geliebten Hand. Nach dem ersten Akt bat ich meinen Freund, mit mir +fortzugehen. Ich ertrug es nicht mehr, Dich so fremd und so nah neben +mir zu haben im Dunkel. + +Aber die Stunde kam, sie kam noch einmal, ein letztes Mal in mein +verschüttetes Leben. Fast genau vor einem Jahr ist es gewesen, am Tage +nach Deinem Geburtstage. Seltsam: ich hatte alle die Stunden an Dich +gedacht, denn Deinen Geburtstag, ihn feierte ich immer wie ein Fest. +Ganz frühmorgens schon war ich ausgegangen und hatte die weißen Rosen +gekauft, die ich Dir wie alljährlich senden ließ zur Erinnerung an eine +Stunde, die Du vergessen hattest. Nachmittags fuhr ich mit dem Buben +aus, führte ihn zu Demel in die Konditorei und abends ins Theater, ich +wollte, auch er sollte diesen Tag, ohne seine Bedeutung zu wissen, +irgendwie als einen mystischen Feiertag von Jugend her empfinden. Am +nächsten Tage war ich dann mit meinem damaligen Freunde, einem jungen, +reichen Brünner Fabrikanten, mit dem ich schon seit zwei Jahren +zusammenlebte, der mich vergötterte, verwöhnte und mich ebenso heiraten +wollte wie die andern und dem ich mich ebenso scheinbar grundlos +verweigerte wie den andern, obwohl er mich und das Kind mit Geschenken +überschüttete und selbst liebenswert war in seiner ein wenig dumpfen, +knechtischen Güte. Wir gingen zusammen in ein Konzert, trafen dort +heitere Gesellschaft, soupierten in einem Ringstraßenrestaurant, und +dort, mitten im Lachen und Schwätzen, machte ich den Vorschlag, noch in +ein Tanzlokal, in den Tabarin, zu gehen. Mir waren diese Art Lokale mit +ihrer systematischen und alkoholischen Heiterkeit wie jede »Drahrerei« +sonst immer widerlich, und ich wehrte mich sonst immer gegen derlei +Vorschläge, diesmal aber -- es war wie eine unergründliche magische +Macht in mir, die mich plötzlich unbewußt den Vorschlag mitten in die +freudig zustimmende Erregung der andern werfen ließ -- hatte ich +plötzlich ein unerklärliches Verlangen, als ob dort irgend etwas +Besonderes mich erwarte. Gewohnt, mir gefällig zu sein, standen alle +rasch auf, wir gingen hinüber, tranken Champagner, und in mich kam mit +einemmal eine ganz rasende, ja fast schmerzhafte Lustigkeit, wie ich sie +nie gekannt. Ich trank und trank, sang die kitschigen Lieder mit und +hatte fast den Zwang, zu tanzen oder zu jubeln. Aber plötzlich -- mir +war, als hätte etwas Kaltes oder etwas Glühendheißes sich mir jäh aufs +Herz gelegt -- riß es mich auf: am Nachbartisch saßest Du mit einigen +Freunden und sahst mich an mit einem bewundernden und begehrenden Blick, +mit jenem Blicke, der mir immer den ganzen Leib von innen aufwühlte. Zum +erstenmal seit zehn Jahren sahst Du mich wieder an mit der ganzen +unbewußt-leidenschaftlichen Macht Deines Wesens. Ich zitterte. Fast wäre +mir das erhobene Glas aus den Händen gefallen. Glücklicherweise merkten +die Tischgenossen nicht meine Verwirrung: sie verlor sich in dem Dröhnen +von Gelächter und Musik. + +Immer brennender wurde Dein Blick und tauchte mich ganz in Feuer. Ich +wußte nicht: hattest Du mich endlich, endlich erkannt, oder begehrtest +Du mich neu, als eine andere, als eine Fremde? Das Blut flog mir in die +Wangen, zerstreut antwortete ich den Tischgenossen: Du mußtest es +merken, wie verwirrt ich war von Deinem Blick. Unmerklich für die +übrigen machtest Du mit einer Bewegung des Kopfes ein Zeichen, ich +möchte für einen Augenblick hinauskommen in den Vorraum. Dann zahltest +Du ostentativ, nahmst Abschied von Deinen Kameraden und gingst hinaus, +nicht ohne zuvor noch einmal angedeutet zu haben, daß Du draußen auf +mich warten würdest. Ich zitterte wie im Frost, wie im Fieber, ich +konnte nicht mehr Antwort geben, nicht mehr mein aufgejagtes Blut +beherrschen. Zufälligerweise begann gerade in diesem Augenblick ein +Negerpaar mit knatternden Absätzen und schrillen Schreien einen +absonderlichen neuen Tanz: alles starrte ihnen zu, und diese Sekunde +nützte ich. Ich stand auf, sagte meinem Freunde, daß ich gleich +zurückkäme, und ging Dir nach. + +Draußen im Vorraum vor der Garderobe standest Du, mich erwartend: Dein +Blick ward hell, als ich kam. Lächelnd eiltest Du mir entgegen; ich sah +sofort, Du erkanntest mich nicht, erkanntest nicht das Kind von einst +und nicht das Mädchen, noch einmal griffest Du nach mir als einem Neuen, +einem Unbekannten. »Haben Sie auch für mich einmal eine Stunde,« +fragtest Du vertraulich -- ich fühlte an der Sicherheit Deiner Art, Du +nahmst mich für eine dieser Frauen, für die Käufliche eines Abends. +»Ja,« sagte ich, dasselbe zitternde und doch selbstverständliche +einwilligende Ja, das Dir das Mädchen vor mehr als einem Jahrzehnt auf +der dämmernden Straße gesagt. »Und wann könnten wir uns sehen?« fragtest +Du. »Wann immer Sie wollen,« antwortete ich -- vor Dir hatte ich keine +Scham. Du sahst mich ein wenig verwundert an, mit derselben +mißtrauisch-neugierigen Verwunderung wie damals, als Dich gleichfalls +die Raschheit meines Einverständnisses erstaunt hatte. »Könnten Sie +jetzt?« fragtest Du, ein wenig zögernd. »Ja,« sagte ich, »gehen wir.« + +Ich wollte zur Garderobe, meinen Mantel holen. + +Da fiel mir ein, daß mein Freund den Garderobenzettel hatte für unsere +gemeinsam abgegebenen Mäntel. Zurückzugehen und ihn verlangen, wäre ohne +umständliche Begründung nicht möglich gewesen, anderseits die Stunde mit +Dir preisgeben, die seit Jahren ersehnte, dies wollte ich nicht. So habe +ich keine Sekunde gezögert: ich nahm nur den Schal über das Abendkleid +und ging hinaus in die nebelfeuchte Nacht, ohne mich um den Mantel zu +kümmern, ohne mich um den guten, zärtlichen Menschen zu kümmern, von dem +ich seit Jahren lebte und den ich vor seinen Freunden zum lächerlichsten +Narren erniedrigte, zu einem, dem seine Geliebte nach Jahren wegläuft +auf den ersten Pfiff eines fremden Mannes. Oh, ich war mir ganz der +Niedrigkeit, der Undankbarkeit, der Schändlichkeit, die ich gegen einen +ehrlichen Freund beging, im Tiefsten bewußt, ich fühlte, daß ich +lächerlich handelte und mit meinem Wahn einen gütigen Menschen für immer +tödlich kränkte, fühlte, daß ich mein Leben mitten entzweiriß -- aber +was war mir Freundschaft, was meine Existenz gegen die Ungeduld, wieder +einmal Deine Lippen zu fühlen, Dein Wort weich gegen mich gesprochen zu +hören. So habe ich Dich geliebt, nun kann ich es Dir sagen, da alles +vorbei ist und vergangen. Und ich glaube, riefest Du mich von meinem +Sterbebette, so käme mir plötzlich die Kraft, aufzustehen und mit Dir zu +gehen. + +Ein Wagen stand vor dem Eingang, wir fuhren zu Dir. Ich hörte wieder +Deine Stimme, ich fühlte Deine zärtliche Nähe und war genau so betäubt, +so kindisch-selig verwirrt wie damals. Wie stieg ich, nach mehr als zehn +Jahren, zum erstenmal wieder die Treppe empor -- nein, nein, ich kann +Dirs nicht schildern, wie ich alles immer doppelt fühlte in jenen +Sekunden, vergangene Zeit und Gegenwart, und in allem und allem immer +nur Dich. In Deinem Zimmer war weniges anders, ein paar Bilder mehr, und +mehr Bücher, da und dort fremde Möbel, aber alles doch grüßte mich +vertraut. Und am Schreibtisch stand die Vase mit den Rosen darin -- mit +meinen Rosen, die ich Dir tags vorher zu Deinem Geburtstag geschickt als +Erinnerung an eine, an die Du Dich doch nicht erinnertest, die Du doch +nicht erkanntest, selbst jetzt, da sie Dir nahe war, Hand in Hand und +Lippe an Lippe. Aber doch: es tat mir wohl, daß Du die Blumen hegtest: +so war doch ein Hauch meines Wesens, ein Atem meiner Liebe um Dich. + +Du nahmst mich in Deine Arme. Wieder blieb ich bei Dir eine ganze +herrliche Nacht. Aber auch im nackten Leibe erkanntest Du mich nicht. +Selig erlitt ich Deine wissenden Zärtlichkeiten und sah, daß Deine +Leidenschaft keinen Unterschied macht zwischen einer Geliebten und einer +Käuflichen, daß Du Dich ganz gibst an Dein Begehren mit der unbedachten +verschwenderischen Fülle Deines Wesens. Du warst so zärtlich und lind zu +mir, der vom Nachtlokal Geholten, so vornehm und so herzlich -- +achtungsvoll und doch gleichzeitig so leidenschaftlich im Genießen der +Frau; wieder fühlte ich, taumelig vom alten Glück, diese einzige +Zweiheit Deines Wesens, die wissende, die geistige Leidenschaft in der +sinnlichen, die schon das Kind Dir hörig gemacht. Nie habe ich bei einem +Manne in der Zärtlichkeit solche Hingabe an den Augenblick gekannt, ein +solches Ausbrechen und Entgegenleuchten des tiefsten Wesens -- freilich +um dann hinzulöschen in eine unendliche, fast unmenschliche +Vergeßlichkeit. Aber auch ich vergaß mich selbst: wer war ich nun im +Dunkel neben Dir? War ichs, das brennende Kind von einst, war ichs, die +Mutter Deines Kindes, war ichs, die Fremde? Ach, es war so vertraut, so +erlebt alles, und alles wieder so rauschend neu in dieser +leidenschaftlichen Nacht. Und ich betete, sie möchte kein Ende nehmen. + +Aber der Morgen kam, wir standen spät auf, Du ludest mich ein, noch mit +Dir zu frühstücken. Wir tranken zusammen den Tee, den eine unsichtbar +dienende Hand diskret in dem Speisezimmer bereitgestellt hatte, und +plauderten. Wieder sprachst Du mit der ganzen offenen, herzlichen +Vertraulichkeit Deines Wesens zu mir und wieder ohne alle indiskreten +Fragen, ohne alle Neugier nach dem Wesen, das ich war. Du fragtest nicht +nach meinem Namen, nicht nach meiner Wohnung: ich war Dir wiederum nur +das Abenteuer, das Namenlose, die heiße Stunde, die im Rauch des +Vergessens spurlos sich löst. Du erzähltest, daß Du jetzt weit weg +reisen wolltest, nach Nordafrika für zwei oder drei Monate; ich zitterte +mitten in meinem Glück, denn schon hämmerte es mir in den Ohren: vorbei, +vorbei und vergessen! Am liebsten wäre ich hin zu Deinen Knien gestürzt +und hätte geschrien: »Nimm mich mit, damit Du mich endlich erkennst, +endlich, endlich nach so vielen Jahren!« Aber ich war ja so scheu, so +feige, so sklavisch, so schwach vor Dir. Ich konnte nur sagen: »Wie +schade.« Du sahst mich lächelnd an: »Ist es Dir wirklich leid?« + +Da faßte es mich wie eine plötzliche Wildheit. Ich stand auf, sah Dich +an, lange und fest. Dann sagte ich: »Der Mann, den ich liebte, ist auch +immer weggereist.« Ich sah Dich an, mitten in den Stern Deines Auges. +»Jetzt, jetzt wird er mich erkennen!« zitterte, drängte alles in mir. +Aber Du lächeltest mir entgegen und sagtest tröstend: »Man kommt ja +wieder zurück.« »Ja,« antwortete ich, »man kommt zurück, aber dann hat +man vergessen.« + +Es muß etwas Absonderliches, etwas Leidenschaftliches in der Art gewesen +sein, wie ich Dir das sagte. Denn auch Du standest auf und sahst mich +an, verwundert und sehr liebevoll. Du nahmst mich bei den Schultern: +»Was gut ist, vergißt sich nicht, Dich werde ich nicht vergessen,« +sagtest Du, und dabei senkte sich Dein Blick ganz in mich hinein, als +wollte er dies Bild sich festprägen. Und wie ich diesen Blick in mich +eindringen fühlte, suchend, spürend, mein ganzes Wesen an sich saugend, +da glaubte ich endlich, endlich den Bann der Blindheit gebrochen. Er +wird mich erkennen, er wird mich erkennen! Meine ganze Seele zitterte in +dem Gedanken. + +Aber Du erkanntest mich nicht. Nein, Du erkanntest mich nicht, nie war +ich Dir fremder jemals als in dieser Sekunde, denn sonst -- sonst +hättest Du nie tun können, was Du wenige Minuten später tatest. Du +hattest mich geküßt, noch einmal leidenschaftlich geküßt. Ich mußte mein +Haar, das sich verwirrt hatte, wieder zurechtrichten, und während ich +vor dem Spiegel stand, da sah ich durch den Spiegel -- und ich glaubte +hinsinken zu müssen vor Scham und Entsetzen -- da sah ich, wie Du in +diskreter Art ein paar größere Banknoten in meinen Muff schobst. Wie +habe ichs vermocht, nicht aufzuschreien, Dir nicht ins Gesicht zu +schlagen in dieser Sekunde -- mich, die ich Dich liebte von Kindheit an, +die Mutter Deines Kindes, mich zahltest Du für diese Nacht! Eine Dirne +aus dem Tabarin war ich Dir, nicht mehr -- bezahlt, bezahlt hattest Du +mich! Es war nicht genug, von Dir vergessen, ich mußte noch erniedrigt +sein. + +Ich tastete rasch nach meinen Sachen. Ich wollte fort, rasch fort. Es +tat mir zu weh. Ich griff nach meinem Hut, er lag auf dem Schreibtisch, +neben der Vase mit den weißen Rosen, meinen Rosen. Da erfaßte es mich +mächtig, unwiderstehlich: noch einmal wollte ich es versuchen, Dich zu +erinnern. »Möchtest Du mir nicht von Deinen weißen Rosen eine geben?« +»Gern,« sagtest Du und nahmst sie sofort. »Aber sie sind Dir vielleicht +von einer Frau gegeben, von einer Frau, die Dich liebt?« sagte ich. +»Vielleicht,« sagtest Du, »ich weiß es nicht. Sie sind mir gegeben und +ich weiß nicht von wem; darum liebe ich sie so.« Ich sah Dich an. +»Vielleicht sind sie auch von einer, die Du vergessen hast!« + +Du blicktest erstaunt. Ich sah Dich fest an. »Erkenne mich, erkenne mich +endlich!« schrie mein Blick. Aber Dein Auge lächelte freundlich und +unwissend. Du küßtest mich noch einmal. Aber Du erkanntest mich nicht. + +Ich ging rasch zur Tür, denn ich spürte, daß mir Tränen in die Augen +schossen, und das solltest Du nicht sehen. Im Vorzimmer -- so hastig war +ich hinausgeeilt -- stieß ich mit Johann, Deinem Diener, fast zusammen. +Scheu und eilfertig sprang er zur Seite, riß die Haustür auf, um mich +hinauszulassen, und da -- in dieser einen, hörst Du? in dieser einen +Sekunde, da ich ihn ansah, mit tränenden Augen ansah, den gealterten +Mann, da zuckte ihm plötzlich ein Licht in den Blick. In dieser einen +Sekunde, hörst Du? in dieser einen Sekunde, hat der alte Mann mich +erkannt, der mich seit meiner Kindheit nicht gesehen. Ich hätte hinknien +können vor ihm für dieses Erkennen und ihm die Hände küssen. So riß ich +nur die Banknoten, mit denen Du mich gegeißelt, rasch aus dem Muff und +steckte sie ihm zu. Er zitterte, sah erschreckt zu mir auf -- in dieser +Sekunde hat er vielleicht mehr geahnt von mir als Du in Deinem ganzen +Leben. Alle, alle Menschen haben mich verwöhnt, alle waren zu mir gütig +-- nur Du, nur Du, Du hast mich vergessen, nur Du, nur Du hast mich nie +erkannt! + + * * * * * + +Mein Kind ist gestorben, unser Kind -- jetzt habe ich niemanden mehr in +der Welt, ihn zu lieben, als Dich. Aber wer bist Du mir, Du, der Du mich +niemals, niemals erkennst, der an mir vorübergeht wie an einem Wasser, +der auf mich tritt wie auf einen Stein, der immer geht und weiter geht +und mich läßt in ewigem Warten? Einmal vermeinte ich Dich zu halten, +Dich, den Flüchtigen, in dem Kinde. Aber es war Dein Kind: über Nacht +ist es grausam von mir gegangen, eine Reise zu tun, es hat mich +vergessen und kehrt nie zurück. Ich bin wieder allein, mehr allein als +jemals, nichts habe ich, nichts von Dir -- kein Kind mehr, kein Wort, +keine Zeile, kein Erinnern, und wenn jemand meinen Namen nennen würde +vor Dir, Du hörtest an ihm fremd vorbei. Warum soll ich nicht gerne +sterben, da ich Dir tot bin, warum nicht weitergehen, da Du von mir +gegangen bist? Nein, Geliebter, ich klage nicht wider Dich, ich will Dir +nicht meinen Jammer hinwerfen in Dein heiteres Haus. Fürchte nicht, daß +ich Dich weiter bedränge -- verzeih mir, ich mußte mir einmal die Seele +ausschreien in dieser Stunde, da das Kind dort tot und verlassen liegt. +Nur dies eine Mal mußte ich sprechen zu Dir -- dann gehe ich wieder +stumm in mein Dunkel zurück, wie ich immer stumm neben Dir gewesen. Aber +Du wirst diesen Schrei nicht hören, solange ich lebe -- nur wenn ich tot +bin, empfängst Du dies Vermächtnis von mir, von einer, die Dich mehr +geliebt als alle, und die Du nie erkannt, von einer, die immer auf Dich +gewartet und die Du nie gerufen. Vielleicht, vielleicht wirst Du mich +dann rufen, und ich werde Dir ungetreu sein zum erstenmal, ich werde +Dich nicht mehr hören aus meinem Tod: kein Bild lasse ich Dir und kein +Zeichen, wie Du mir nichts gelassen; nie wirst Du mich erkennen, +niemals. Es war mein Schicksal im Leben, es sei es auch in meinem Tod. +Ich will Dich nicht rufen in meine letzte Stunde, ich gehe fort, ohne +daß Du meinen Namen weißt und mein Antlitz. Ich sterbe leicht, denn Du +fühlst es nicht von ferne. Täte es Dir weh, daß ich sterbe, so könnte +ich nicht sterben. + +Ich kann nicht mehr weiter schreiben ... mir ist so dumpf im Kopfe ... +die Glieder tun mir weh, ich habe Fieber ... ich glaube, ich werde mich +gleich hinlegen müssen. Vielleicht ist es bald vorbei, vielleicht ist +mir einmal das Schicksal gütig, und ich muß es nicht mehr sehen, wie sie +das Kind wegtragen ... Ich kann nicht mehr schreiben. Leb wohl, +Geliebter, leb wohl, ich danke Dir ... Es war gut, wie es war, trotz +alledem ... ich will Dirs danken bis zum letzten Atemzug. Mir ist wohl: +ich habe Dir alles gesagt, Du weißt nun, nein, Du ahnst nur, wie sehr +ich Dich geliebt, und hast doch von dieser Liebe keine Last. Ich werde +Dir nicht fehlen -- das tröstet mich. Nichts wird anders sein in Deinem +schönen, hellen Leben ... ich tue Dir nichts mit meinem Tod ... das +tröstet mich, Du Geliebter. + +Aber wer ... wer wird Dir jetzt immer die weißen Rosen senden zu Deinem +Geburtstag? Ach, die Vase wird leer sein, der kleine Atem, der kleine +Hauch von meinem Leben, der einmal im Jahre um Dich wehte, auch er wird +verwehen! Geliebter, höre, ich bitte Dich ... es ist meine erste und +letzte Bitte an Dich ... tu mirs zuliebe, nimm an jedem Geburtstag -- es +ist ja ein Tag, wo man an sich denkt -- nimm da Rosen und tu sie in die +Vase. Tu's, Geliebter, tu es so, wie andere einmal im Jahre eine Messe +lesen lassen für eine liebe Verstorbene. Ich aber glaube nicht an Gott +mehr und will keine Messe, ich glaube nur an Dich, ich liebe nur Dich +und will nur in Dir noch weiterleben ... ach, nur einen Tag im Jahr, +ganz, ganz still nur, wie ich neben Dir gelebt ... Ich bitte Dich, tu +es, Geliebter ... es ist meine erste Bitte an Dich und die letzte ... +ich danke Dir ... ich liebe Dich, ich liebe Dich ... lebe wohl ... + + * * * * * + +Er legte den Brief aus den zitternden Händen. Dann sann er lange nach. +Verworren tauchte irgendein Erinnern auf an ein nachbarliches Kind, an +ein Mädchen, an eine Frau im Nachtlokal, aber ein Erinnern, undeutlich +und verworren, so wie ein Stein flimmert und formlos zittert am Grunde +fließenden Wassers. Schatten strömten zu und fort, aber es wurde kein +Bild. Er fühlte Erinnerungen des Gefühls und erinnerte sich doch nicht. +Ihm war, als ob er von all diesen Gestalten geträumt hätte, oft und tief +geträumt, aber doch nur geträumt. + +Da fiel sein Blick auf die blaue Vase vor ihm auf dem Schreibtisch. Sie +war leer, zum erstenmal leer seit Jahren an seinem Geburtstag. Er schrak +zusammen: ihm war, als sei plötzlich eine Tür unsichtbar aufgesprungen, +und kalte Zugluft ströme aus anderer Welt in seinen ruhenden Raum. Er +spürte einen Tod und spürte unsterbliche Liebe: innen brach etwas auf in +seiner Seele, und er dachte an die Unsichtbare körperlos und +leidenschaftlich wie an eine ferne Musik. + + + + + Die Mondscheingasse + + +Das Schiff hatte, durch Sturm verzögert, erst spät abends in der kleinen +französischen Hafenstadt landen können, der Nachtzug nach Deutschland +war versäumt. So blieb ein unerwarteter Tag an fremdem Ort, ein Abend +ohne andere Lockung als die einer melancholischen Damenmusik in einem +vorstädtischen Vergnügungslokal oder eines eintönigen Gespräches mit den +ganz zufälligen Reisegenossen. Unerträglich schien mir die Luft in dem +kleinen Speiseraum des Hotels, fettig von Öl, dumpf von Rauch, und ich +fühlte doppelt ihre trübe Unreinlichkeit, weil noch der reine Atem des +Meeres mir salzig-kühl auf den Lippen lag. So ging ich hinaus, aufs +Geratewohl die helle breite Straße entlang zu einem Platz, wo eine +Bürgergardenkapelle spielte, und wieder weiter inmitten der lässig +fortflutenden Woge der Spaziergänger. Anfangs tat es mir gut, dieses +willenlose Geschaukeltsein in der Strömung gleichgültiger und +provinziell geputzter Menschen, aber bald ertrug ich es doch nicht mehr, +dieses Anwogen von fremden Leuten und ihr abgerissenes Gelächter, diese +Augen, die mich angriffen, erstaunt, fremd oder grinsend, diese +Berührungen, die mich unmerklich weiterschoben, dies aus tausend kleinen +Quellen brechende Licht und unaufhörliche Scharren von Schritten. Die +Seefahrt war bewegt gewesen, und noch gärte in meinem Blut ein taumliges +und sanfttrunkenes Gefühl: noch immer spürte ich Gleiten und Wiegen +unter meinen Füßen, die Erde schien wie atmend sich zu bewegen und die +Straße bis auf in den Himmel zu schwingen. Schwindlig ward mir mit einem +Male von diesem lauten Gewirr, und um mich zu retten, bog ich, ohne nach +ihrem Namen zu blicken, in eine Seitenstraße ein und von da wieder in +eine kleinere, in der dies sinnlose Lärmen allmählich verebbte, und ging +nun ziellos weiter ins Gewirr dieser wie Adern sich verästelnden Gassen, +die immer dunkler wurden, je mehr ich mich vom Hauptplatz entfernte. Die +großen elektrischen Bogenlampen, diese Monde der breiten Boulevards, +flammten hier nicht mehr, und über die spärliche Beleuchtung hin begann +man endlich wieder die Sterne zu sehen und einen schwarzen verhängten +Himmel. + +Ich mußte nahe dem Hafen sein, im Matrosenviertel, das fühlte ich an dem +faulen Fischgeruch, an diesem süßlichen Duft von Tang und Fäulnis, wie +ihn auch die von der Brandung ans Land gerissenen Algen haben, an diesem +eigentümlichen Dunst verdorbener Gerüche und ungelüfteter Stuben, der +sich dumpfig in diese Winkel legt, bis einmal der große Sturm kommt und +ihnen Atem bringt. Das ungewisse Dunkel tat mir wohl und diese +unerwartete Einsamkeit, ich verlangsamte meinen Schritt, betrachtete nun +Gasse um Gasse, eine immer anders wie ihre Nachbarin, hier eine +friedfertige, dort eine buhlerische, alle aber dunkel und mit einem +gedämpften Geräusch von Musik und Stimmen, das aus dem Unsichtbaren, aus +der Brust ihrer Gewölbe so geheimnisvoll aufquoll, daß kaum die +unterirdische Quelle zu erraten war. Denn alle waren sie verschlossen +und blinzelten nur mit einem roten oder gelben Licht. + +Ich liebe diese Gassen in fremden Städten, diesen schmutzigen Markt +aller Leidenschaften, diese heimliche Anhäufung aller Verführungen für +die Matrosen, die von einsamen Nächten auf fremden und gefährlichen +Meeren hier für eine Nacht einkehren, ihre vielen und sinnlichen Träume +in einer Stunde zu erfüllen. Sie müssen sich verstecken irgendwo in +einer Niederung der großen Stadt, diese kleinen Seitengassen, weil sie +so frech und aufdringlich sagen, was die hellen Häuser mit blanken +Scheiben und vornehmen Menschen in hundert Masken verbergen. Musik +klingt und lockt hier aus kleinen Stuben, Kinematographen verheißen mit +grellen Plakaten ungeahnte Prächte, kleine viereckige Lichter ducken +sich unter die Tore und zwinkern mit vertraulichem Gruß eine sehr +deutliche Einladung zu, zwischen dem aufgetanen Spalt einer Tür +schimmert nacktes Fleisch unter vergoldetem Flitter. Aus den Cafés +grölen die Stimmen der Berauschten und poltert der Zank der Spieler. Die +Matrosen grinsen, wenn sie hier einander begegnen, ihre stumpfen Blicke +werden grell von vieler Verheißung, denn hier ist alles, Weiber und +Spiel, Trunk und Schau, das Abenteuer, das schmutzige und das große. All +dies aber ist scheu und doch verräterisch gedämpft hinter den +heuchlerisch gesenkten Fensterläden, alles nur innen, und diese +scheinbare Verschlossenheit reizt durch die doppelte Verführung von +Verborgenheit und Zugänglichkeit. Diese Straßen sind gleich in Hamburg +und Colombo und Havanna, gleich da und dort wie auch die großen Avenuen +des Luxus, denn das Oben und Unten des Lebens hat die gleiche Form. +Letzte phantastische Reste einer sinnlich ungeregelten Welt, wo die +Triebe noch brutal und ungezügelt sich entladen, ein finsterer Wald von +Leidenschaften und Dickicht und voll triebhaften Getiers sind diese +unbürgerlichen Straßen, erregend durch das, was sie verraten, und +verlockend durch das, was sie verbergen. Man kann von ihnen träumen. + +Und so war auch diese, in der ich mich mit einem Male gefangen fühlte. +Aufs Geratewohl war ich ein paar Kürassieren nachgegangen, die mit ihrem +nachschleifenden Säbel über das holprige Pflaster klirrten. Aus einer +Bar riefen Weiber sie an, sie lachten und schrien ihnen grobe Scherze +zu, einer klopfte an das Fenster, dann fluchte eine Stimme irgendwo, sie +gingen weiter, das Gelächter wurde ferner, und bald hörte ich sie nicht +mehr. Stumm war wieder die Gasse, ein paar Fenster blinkten unklar in +einem Nebelglanz von mattem Mond. Ich stand und sog atmend diese Stille +ein, die mir seltsam schien, weil hinter ihr etwas surrte von Geheimnis, +Wollust und Gefahr. Deutlich spürte ich, daß dieses Schweigen eine Lüge +war und unter dem trüben Dunst dieser Gasse etwas glimmerte von der +Fäulnis der Welt. Aber ich stand, blieb und lauschte ins Leere. Ich +fühlte die Stadt nicht mehr und die Gasse, nicht ihren Namen und nicht +den meinen, empfand nur, daß ich hier fremd war, wunderbar losgelöst in +einem Unbekannten stand, daß keine Absicht in mir war, keine Botschaft +und keine Beziehung und ich doch all dies dunkle Leben um mich so voll +fühlte wie das Blut unter der eigenen Haut. Dies Gefühl nur empfand ich, +daß nichts für mich geschah und doch alles mir zugehörte, dieses +seligste Gefühl des durch Anteilslosigkeit tiefsten und wahrsten +Erlebens, das zu den lebendigen Quellen meines innern Wesens gehört und +mich im Unbekannten immer überfällt wie eine Lust. Da plötzlich, +horchend wie ich in der einsamen Gasse stand, gleichsam erwartungsvoll +auf irgend etwas, das geschehen müßte, etwas, das mich fortschöbe aus +diesem mondsüchtigen Gefühl des Lauschens ins Leere, hörte ich gedämpft +durch Ferne oder eine Wand, sehr trübe von irgendwo ein deutsches Lied +singen, jenen ganz einfältigen Reigen aus dem »Freischütz«: »Schöner, +grüner Jungfernkranz«. Eine Frauenstimme sang ihn, sehr schlecht, aber +doch eine deutsche Melodie war es, deutsch hier irgendwo in einem +fremden Winkel der Welt und darum brüderlich in einem so eigenen Sinne. +Es war von irgendwoher gesungen, aber doch, wie einen Gruß fühlte ichs, +seit Wochen das erste heimatliche Wort. Wer, fragte ich mich, spricht +hier meine Sprache, wen treibt eine Erinnerung von innen, in +verwinkelt-verwilderter Gasse dies arme Lied sich wieder aus dem Herzen +zu heben? Ich tastete der Stimme nach, ein Haus nach dem andern von all +denen, die halbschlafend hier standen, mit geschlossenen Fensterläden, +hinter denen es aber verräterisch blinzelte von Licht und manchmal von +einer winkenden Hand. Außen klebten grelle Überschriften, schreiende +Plakate, und Ale, Whisky, Bier verhieß hier eine versteckte Bar, aber +alles war verschlossen, abweisend und doch wieder einladend. Und +dazwischen -- ein paar Schritte tönten von fern -- immer wieder die +Stimme, die jetzt den Refrain heller trillerte und immer näher war: +schon erkannte ich das Haus. Einen Augenblick zögerte ich, dann trat ich +gegen die innere Tür, die mit weißen Gardinen dicht verhangen war. Da +aber, als ich mich entschlossen hinbeugte, ward etwas im Schatten des +Flurs jäh lebendig, eine Gestalt, die offenbar eng an die Scheibe +gepreßt dort gelauert hatte, zuckte erschrocken auf, ein Gesicht, +begossen vom Rot der überhängenden Laterne und doch blaß im Entsetzen, +ein Mann starrte mich mit aufgerissenen Augen an, murmelte etwas wie +eine Entschuldigung und verschwand im Zwielicht der Gasse. Seltsam war +dieser Gruß. Ich sah ihm nach. Etwas schien sich noch im entschwindenden +Schatten der Gasse von ihm zu regen, aber undeutlich. Innen klang die +Stimme noch immer, heller sogar, wie mirs schien. Das lockte mich. Ich +klinkte auf und trat rasch ein. + +Wie von einem Messer zerschnitten fiel das letzte Wort des Gesanges +herab. Und erschrocken spürte ich eine Leere vor mir, eine Feindlichkeit +des Schweigens, gleichsam als ob ich was zertrümmert hätte. Mählich erst +fand mein Blick sich in der Stube zurecht, die fast leer war, ein Schank +und ein Tisch, das ganze offenbar nur Vorgemach zu andern Zimmern +rückwärts, die mit halbaufgelehnten Türen, gedämpftem Lampenschein und +bereiten Betten ihre eigentliche Bestimmung rasch verrieten. Vorn am +Tisch lehnte auf den Ellbogen gestützt ein Mädchen, geschminkt und müd, +rückwärts am Schank die Wirtin, beleibt und schmutziggrau mit einem +andern nicht unhübschen Mädel. Mein Gruß fiel hart in den Raum, ganz +spät kam ein gelangweiltes Echo zurück. Mir wars unbehaglich, so ins +Leere getreten zu sein; in ein so gespanntes ödes Schweigen, und gern +wäre ich sofort wieder gegangen, doch fand meine Verlegenheit keinen +Vorwand, und so setzte ich mich resigniert an den vorderen Tisch. Das +Mädel, jetzt sich seiner Pflicht besinnend, fragte mich, was ich zu +trinken wünschte, und an ihrem harten Französisch erkannte ich sofort +die Deutsche. Ich bestellte ein Bier, sie ging und kam wieder mit jenem +schlaffen Gang, der noch mehr Gleichgültigkeit verriet als das Seichte +ihrer Augen, die schlaff unter den Lidern glommen wie verlöschende +Lichter. Ganz mechanisch stellte sie nach dem Brauch jener Stuben neben +das meine ein zweites Glas für sich. Ihr Blick ging, wie sie mir +zutrank, leer an mir vorbei: so konnte ich sie betrachten. Ihr Gesicht +war eigentlich noch schön und ebenmäßig in den Zügen, aber wie durch +eine innere Ermattung maskenhaft und gemein geworden, alles fiel schlaff +nieder, die Lider waren schwer, locker das Haar; die Wangen, fleckig von +schlechter Schminke und verschwemmt, begannen schon nachzugeben und +warfen sich mit breiter Falte bis an den Mund. Auch das Kleid war ganz +lässig umgehängt, ausgebrannt die Stimme, rauh von Rauch und Bier. In +allem spürte ich einen Menschen, der müde ist und nur aus Gewohnheit, +gleichsam fühllos weiterlebt. Mit Befangenheit und Grauen warf ich eine +Frage hin. Sie antwortete, ohne mich anzusehen, gleichgültig und stumpf +mit kaum bewegten Lippen. Unwillkommen spürte ich mich. Rückwärts gähnte +die Wirtin, das andere Mädel saß in einer Ecke und sah her, gleichsam +wartend, bis ich sie riefe. Gern wäre ich gegangen, aber alles an mir +war schwer, ich saß in dieser satten, schwelenden Luft, dumpf torkelnd +wie die Matrosen, gefesselt von Neugier und Grauen; denn diese +Gleichgültigkeit war irgendwie aufreizend. + +Da plötzlich fuhr ich auf, erschreckt von einem grellen Gelächter neben +mir. Und gleichzeitig schwankte die Flamme: am Luftzug spürte ich, daß +jemand die Tür hinter meinem Rücken geöffnet haben mußte. »Kommst du +schon wieder?« höhnte grell und auf deutsch die Stimme neben mir. +»Kriechst du schon wieder ums Haus, du Knauser du? Na, komm nur herein, +ich tu dir nichts.« + +Ich fuhr herum, zuerst ihr zu, die so grell diesen Gruß schrie, als +bräche ihr Feuer aus dem Leib, und dann zur Tür. Und noch ehe sie ganz +aufgetan war, erkannte ich die schlotternde Gestalt, erkannte den +demütigen Blick dieses Menschen, der vorhin an der Tür gleichsam geklebt +hatte. Er hielt den Hut verschüchtert in der Hand wie ein Bettler und +zitterte unter dem grellen Gruß, unter dem Lachen, das wie ein Krampf +ihre schwere Gestalt mit einem Male zu schüttern schien und von +rückwärts, vom Schanktisch, mit raschem Geflüster der Wirtin begleitet +wurde. + +»Dort setz dich hin, zur Françoise,« herrschte sie den Armen an, als er +jetzt mit einem feigen, schlurfenden Schritt näher trat. »Du siehst, ich +habe einen Herrn.« + +Deutsch schrie sie ihm das zu. Die Wirtin und das Mädel lachten laut, +obwohl sie nichts verstehen konnten, aber sie schienen den Gast schon zu +kennen. + +»Gib ihm Champagner, Françoise, den teuern, eine Flasche,« schrie sie +lachend hinüber, und wieder höhnisch zu ihm: »Ists dir zu teuer, so +bleib draußen, du elender Knicker. Möchtest mich wohl umsonst anstarren, +ich weiß, du möchtest alles umsonst.« + +Die lange Gestalt schmolz gleichsam zusammen unter diesem bösen Lachen, +der Buckel schob sich schief empor, es war, als wollte das Gesicht sich +hündisch verkriechen, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche +griff, und verschüttete den Wein im Eingießen. Sein Blick, der immer +aufwollte zu ihrem Gesicht, konnte nicht weg vom Boden und tastete dort +im Kreise den Kacheln nach. Und jetzt sah ich erst deutlich unter der +Lampe dies ausgemergelte Gesicht, zermürbt und fahl, die Haare feucht +und dünn auf beinernem Schädel, die Gelenke lose und wie zerbrochen, +eine Jämmerlichkeit ohne Kraft und doch nicht ohne Bösartigkeit. Schief, +verschoben war alles in ihm und geduckt, und der Blick, den er jetzt +einmal hob und gleich wieder erschreckt zurückwarf, gekreuzt von einem +bösen Licht. + +»Kümmern Sie sich nicht um ihn,« herrschte mich das Mädel auf +französisch an und faßte derb meinen Arm, als wollte sie mich +herumreißen. »Das ist eine alte Sache zwischen mir und ihm, ist nicht +von heute.« Und wieder mit blanken Zähnen, wie zum Bisse bereit, laut zu +ihm hinüber: »Horch nur her, du alter Luchs. Möchtest hören, was ich +rede. Daß ich eher ins Meer gehe als mit dir, habe ich gesagt.« + +Wieder lachten die Wirtin und das andere Mädel, breit und blöde. Es +schien ein gewohnter Spaß für sie, ein alltäglicher Scherz. Aber mir +wars unheimlich, jetzt zu sehen, wie sich dies andere Mädel plötzlich in +falscher Zärtlichkeit an ihn drängte und ihn mit Schmeicheleien abgriff, +vor denen er erschauerte ohne den Mut, sie abzuwehren, und ich erschrak, +wenn sein Blick im Auftaumeln mich traf, ängstlich verlegen und +kriecherisch. Und mir graute vor dem Weib neben mir, das plötzlich aus +ihrer Schlaffheit aufgewacht war und so voll Bosheit funkelte, daß ihre +Hände zitterten. Ich warf Geld auf den Tisch und wollte fort, aber sie +nahm es nicht. + +»Geniert er dich, dann werfe ich ihn hinaus, den Hund. Der muß parieren. +Nimm noch ein Glas mit mir. Komm!« + +Sie drängte sich heran mit einer jähen, fanatischen Art von +Zärtlichkeit, von der ich sofort wußte, daß sie nur gespielt war, um +jenen anderen zu quälen. Bei jeder dieser Bewegungen sah sie rasch +schief hinüber, und es war mir widerwärtig zu sehen, wie bei jeder ihrer +Gesten zu mir es in ihm zu zucken begann, als spürte er Brandstahl an +seinen Gliedern. Ohne auf sie zu achten, starrte ich einzig ihn an und +schauerte, wie etwas jetzt in ihm wuchs von Wut, Zorn, Neid und Gier, +und sich doch gleich niederduckte, wandte sie nur den Kopf. Ganz nahe +drängte sie sich nun zu mir, ich spürte ihren Körper, der zitterte von +der bösen Lust dieses Spiels, und mir graute vor ihrem grellen Gesicht, +das nach schlechtem Puder roch, vor dem Dunst ihres mürben Fleisches. +Sie von meinem Gesicht abzuwehren, griff ich nach einer Zigarre, und +während mein Blick noch den Tisch nach einem Streichholz absuchte, +herrschte sie ihn schon an: »Bring Feuer her!« + +Ich erschrak mehr noch als er vor dieser gemeinen Zumutung, mich zu +bedienen, und mühte mich rasch, mir selbst eines zu finden. Aber schon +von ihrem Worte wie mit einer Peitsche aufgeknallt, kam er mit seinen +schiefen Schritten torkelnd herüber und legte rasch, als könnte er sich +mit einer Berührung des Tisches verbrennen, sein Feuerzeug auf den +Tisch. Eine Sekunde kreuzte ich seinen Blick: unendliche Scham lag darin +und eine knirschende Erbitterung. Und dieser geknechtete Blick traf den +Mann, den Bruder, in mir. Ich fühlte die Erniedrigung durch das Weib und +schämte mich mit ihm. + +»Ich danke Ihnen sehr,« sagte ich auf deutsch -- sie zuckte auf -- »Sie +hätten sich nicht bemühen müssen.« Dann bot ich ihm die Hand. Ein +Zögern, ein langes, dann spürte ich feuchte, knochige Finger und +plötzlich krampfartig einen jähen Druck des Dankes. Eine Sekunde +leuchteten seine Augen in die meinen, dann duckten sie sich wieder unter +die schlaffen Lider. Aus Trotz wollte ich ihn bitten, bei uns Platz zu +nehmen, und die einladende Geste mußte wohl schon in meine Hand +geglitten sein, denn sie herrschte ihn eilig an: »Setz dich wieder hin +und störe hier nicht.« + +Da packte mich plötzlich der Ekel vor ihrer ätzenden Stimme und vor +dieser Quälerei. Was sollte mir diese verräucherte Spelunke, diese +widrige Dirne, dieser Schwachsinnige, dieser Qualm von Bier und Rauch +und schlechtem Parfüm? Mich dürstete nach Luft. Ich schob ihr das Geld +hin, stand auf und rückte energisch ab, als sie mir schmeichelnd näher +kam. Es ekelte mich, mitzuspielen bei dieser Erniedrigung eines +Menschen, und deutlich ließ ich durch die Entschlossenheit meiner Abwehr +spüren, wie wenig sie mich sinnlich verlocken konnte. Jetzt zuckte ihr +Blut bös, eine Falte kroch ihr gemein um den Mund, aber sie hütete sich +doch, das Wort auszusprechen, und wandte sich mit einem Ruck +unverstellten Hasses gegen ihn, der aber, des Ärgsten gewärtig, eilig +und wie gejagt von ihrer Drohung in die Tasche griff und mit zitternden +Fingern eine Geldbörse herauszog. Er hatte Angst, jetzt allein mit ihr +zu bleiben, das war sichtlich, und in der Hast konnte er die Knoten der +Börse nicht gut lösen -- eine Börse war es, gestrickt und mit Glasperlen +besetzt, wie die Bauern sie tragen und die kleinen Leute. Mühelos war es +zu merken, daß er ungewohnt war, Geld rasch auszugeben, sehr im +Gegensatz zu den Matrosen, die es mit einem Handschwung aus den +klimpernden Taschen hervorholen und auf den Tisch werfen; er mußte +offenbar gewohnt sein, sorglich zu zählen und die Münzen zwischen den +Fingern zu wägen. »Wie er zittert um seine lieben süßen Pfennige! Gehts +zu langsam? Wart!« höhnte sie und trat einen Schritt näher. Er schrak +zurück, und sie, als sie sein Erschrecken sah, sagte, die Schultern +hochziehend und mit einem unbeschreiblichen Ekel im Blick: »Ich nehm dir +nichts, ich spei auf dein Geld. Weiß ja, sie sind gezählt, deine guten +Pfennigchen, darf keines zuviel in die Welt. Aber erst« -- und sie +tippte ihm plötzlich gegen die Brust -- »die Papierchen, die du da +eingenäht hast, daß sie dir keiner stiehlt!« + +Und wirklich, wie ein Herzkranker im Krampf sich plötzlich an die Brust +greift, so faßte fahl und zitternd seine Hand an eine bestimmte Stelle +des Rockes, unwillkürlich tasteten seine Finger dort an das heimliche +Nest und fielen dann beruhigt zurück. »Geizhals!« spie sie aus. Aber da +flog plötzlich eine Glut in das Gesicht des Gemarterten, er warf die +Geldbörse mit einem Ruck dem andern Mädel zu, die erst aufschrie im +Schreck, dann hell lachte, und stürmte vorbei an ihr, zur Tür hinaus wie +aus einem Brand. + +Einen Augenblick stand sie noch aufgerichtet, hell funkelnd in ihrer +bösen Wut. Dann fielen die Lider wieder schlaff herab, Mattigkeit bog +den Körper aus der Spannung. Alt und müde schien sie in einer Minute zu +werden. Etwas Unsicheres und Verlorenes dämpfte den Blick, der mich +jetzt traf. Wie eine Trunkene, die aufwacht, dumpf mit dem Gefühl einer +Schande stand sie da. »Draußen wird er jammern um sein Geld, vielleicht +zur Polizei laufen, wir hätten ihn bestohlen. Und morgen ist er wieder +da. Aber mich soll er doch nicht haben. Alle, nur gerade er nicht!« + +Sie trat zum Schank, warf Geldstücke hin und stürzte mit einem Schwung +ein Glas Branntwein hinunter. Das böse Licht glimmerte wieder in ihren +Augen, aber trüb wie unter Tränen von Wut und Scham. Ekel faßte mich vor +ihr und zerriß mein Mitleid: »Guten Abend,« sagte ich und ging. »_Bon +soir_,« antwortete die Wirtin. Sie sah sich nicht um und lachte bloß, +grell und höhnisch. + +Die Gasse, sie war nur Nacht und Himmel, als ich hinaustrat, eine +einzige schwüle Dunkelheit mit verwölktem, unendlich fernem Glanz von +Mond. Gierig trank ich die laue und doch starke Luft, und das Gefühl des +Grauens löste sich in das große Erstaunen vor der Mannigfaltigkeit der +Geschicke, und ich spürte wieder -- ein Gefühl, das mich selig machen +kann bis zu Tränen --, daß immer hinter jeder Fensterscheibe Schicksal +wartet, jede Tür sich in Erlebnis auftut, allgegenwärtig das +Mannigfaltige dieser Welt ist und selbst der schmutzigste Winkel noch so +wimmelnd von schon gestaltetem Erleben wie die Verwesung vom eifrigen +Glanz der Käfer. Fern war das Widerliche der Begegnung und das gespannte +Gefühl wohltuend gelöst in eine süße Müdigkeit, die sich sehnte, all +dies Gelebte in schöneren Traum zu verwandeln. Unwillkürlich blickte ich +suchend um mich, den Weg nach Hause durch diese Wirrnis verwinkelter +Gäßchen zu finden. Da schob sich -- unhörbar mußte er nahegetreten sein +-- ein Schatten an mich heran. + +»Verzeihen Sie,« -- ich erkannte sogleich die demütige Stimme -- »aber +ich glaube, Sie finden sich hier nicht zurecht. Darf ich ... darf ich +Ihnen den Weg weisen? Der Herr wohnt ...?« + +Ich nannte mein Hotel. + +»Ich begleite Sie ... Wenn Sie erlauben,« fügte er sogleich demütig +hinzu. + +Das Grauen faßte mich wieder. Dieser schleichende, gespenstische Schritt +an meiner Seite, unhörbar fast und doch hart an mir, das Dunkel der +Matrosengasse und die Erinnerung des Erlebten wich allmählich einem +traumhaft wirren Gefühl ohne Wertung und Widerstand. Ich spürte die +Demut seiner Augen, ohne sie zu sehen, und merkte das Zucken seiner +Lippen, ich wußte, daß er mit mir reden wollte, tat aber nichts dafür +und nichts dagegen aus der Taumligkeit meines Empfindens, in dem die +Neugier des Herzens mit einer körperlichen Benommenheit sich wogend +mengte. Er räusperte sich mehrmals, ich merkte den erstickten Ansatz zum +Wort, aber irgendeine Grausamkeit, die von diesem Weib geheimnisvoll auf +mich übergegangen war, freute sich dieses Ringens der Scham und +seelischen Not: ich half ihm nicht, sondern ließ dieses Schweigen +schwarz und schwer zwischen uns. Und unsere Schritte klangen, der seine +leise schlurfend und alt, der meine mit Absicht stark und rauh, dieser +schmutzigen Welt zu entrinnen, wirr zusammen. Immer stärker spürte ich +die Spannung zwischen uns: schrill, voll inneren Schreis war dieses +Schweigen und schon wie eine übermäßig gespannte Saite, bis er es +endlich -- und wie entsetzlich zagend zuerst -- durchriß mit einem Wort. + +»Sie haben ... Sie haben ... mein Herr ... da drinnen eine merkwürdige +Szene gesehen ... verzeihen Sie ... verzeihen Sie, wenn ich noch einmal +davon rede ... aber sie mußte Ihnen merkwürdig sein ... und ich sehr +lächerlich ... diese Frau ... es ist nämlich ...« + +Er stockte wieder. Etwas würgte ihm dick die Kehle. Dann wurde seine +Stimme ganz klein, und er flüsterte hastig: »Diese Frau ... es ist +nämlich meine Frau.« Ich mußte aufgefahren sein im Erstaunen, denn er +sprach hastig weiter, als wollte er sich entschuldigen: »Das heißt ... +es war meine Frau ... vor fünf, vor vier Jahren ... in Geratzheim drüben +in Hessen, wo ich zu Hause bin ... Ich will nicht, Herr, daß Sie +schlecht von ihr denken ... es ist vielleicht meine Schuld, daß sie so +ist. Sie war nicht immer so ... Ich ... ich habe sie gequält ... Ich +habe sie genommen, obwohl sie sehr arm war, nicht einmal die Leinwand +hatte sie, nichts, gar nichts ... und ich bin reich ... das heißt, +vermögend ... nicht reich ... oder ich war es wenigstens damals ... und, +wissen Sie, mein Herr ... ich war vielleicht -- sie hat recht -- sparsam +... aber früher war ich es, mein Herr, vor dem Unglück, und ich +verfluche es ... aber mein Vater war so und die Mutter, alle waren so +... und ich habe hart gearbeitet um jeden Pfennig ... und sie war +leicht, sie hatte gern schöne Sachen ... und war doch arm, und ich habe +es ihr immer wieder vorgehalten ... Ich hätte es nicht tun sollen, ich +weiß es jetzt, mein Herr, denn sie ist stolz, sehr stolz ... Sie dürfen +nicht glauben, daß sie so ist, wie sie sich gibt ... das ist Lüge, und +sie tut sich selber weh ... nur ... nur um mir wehe zu tun, um mich zu +quälen ... und ... weil ... weil sie sich schämt ... Vielleicht ist sie +auch schlecht geworden, aber ich ... ich glaube es nicht ... denn, mein +Herr, sie war sehr gut, sehr gut ...« + +Er wischte sich die Augen und blieb stehen in seiner übermächtigen +Erregung. Unwillkürlich blickte ich ihn an, und er schien mir mit einem +Male nicht mehr lächerlich, und selbst diese merkwürdige servile Anrede, +»mein Herr«, die in Deutschland nur niedern Ständen zu eigen ist, spürte +ich nicht mehr. Sein Antlitz war ganz von der inneren Bemühung zum Wort +durchbildet, und der Blick starrte, wie er schwer jetzt wieder vorwärts +taumelte, starr auf das Pflaster, als läse er dort im schwankenden +Lichte mühsam ab, was sich dem Krampf seiner Kehle so quälend entriß. + +»Ja, mein Herr,« stieß er jetzt tiefatmend heraus, und mit einer ganz +andern, dunklen Stimme, die irgendwie aus einer weicheren Welt seines +Innern kam: »Sie war sehr gut ... auch zu mir, sie war sehr dankbar, daß +ich sie aus ihrem Elend erlöst hatte ... und ich wußte es auch, daß sie +dankbar war ... aber ... ich ... wollte es hören ... immer wieder ... +immer wieder ... es tat mir gut, diesen Dank zu hören ... mein Herr, es +war so, so unendlich gut, zu spüren, zu spüren, daß man besser ist ... +wenn ... wenn man doch weiß, daß man der Schlechtere ist ... ich hätte +all mein Geld dafür gegeben, es immer wieder zu hören ... und sie war +sehr stolz und wollte es immer weniger, als sie merkte, daß ich ihn +forderte, diesen Dank ... Darum ... nur darum, mein Herr, ließ ich sie +immer bitten ... nie gab ich freiwillig ... es tat mir wohl, daß sie um +jedes Kleid, um jedes Band kommen mußte und betteln ... drei Jahre habe +ich sie so gequält, immer mehr ... aber, mein Herr, es war nur, weil ich +sie liebte ... Ich hatte ihren Stolz gern, und doch wollte ich ihn immer +knechten, ich Wahnsinniger, und wenn sie etwas begehrte, so war ich böse +... aber, mein Herr, ich war es gar nicht ... ich war selig jeder +Gelegenheit, sie demütigen zu können, denn ... denn ich wußte gar nicht, +wie ich sie liebte ...« + +Wieder stockte er. Ganz torkelnd ging er. Offenbar hatte er mich +vergessen. Mechanisch sprach er, wie aus dem Schlaf, mit immer lauterer +Stimme. + +»Das ... das habe ich erst gewußt, wie ich damals ... an jenem +verfluchten Tag ... ich hatte ihr Geld verweigert für ihre Mutter, ganz, +ganz wenig ... das heißt, ich hatte es schon bereitgelegt, aber ich +wollte, daß sie noch einmal käme ... noch einmal mich bitten ... ja, was +sagte ich? ... ja, damals habe ich es gewußt, als ich abends nach Hause +kam und sie fort war und nur ein Zettel auf dem Tisch ... >Behalte dein +verfluchtes Geld, ich will nichts mehr von dir< ... das stand darauf, +sonst nichts ... Herr, ich bin drei Tage, drei Nächte gewesen wie ein +Rasender. Den Fluß habe ich absuchen lassen und den Wald, Hunderte habe +ich der Polizei gegeben ... zu allen Nachbarn bin ich gelaufen, aber sie +haben nur gelacht und gehöhnt ... Nichts, nichts war zu finden ... +Endlich hat mir einer Nachricht gesagt vom andern Dorf ... er habe sie +gesehen ... in der Bahn mit einem Soldaten ... sie sei nach Berlin +gefahren ... am selben Tage bin ich ihr nachgereist ... ich habe meinen +Verdienst gelassen ... Tausende habe ich verloren ... man hat mich +bestohlen, meine Knechte, mein Verwalter, alle, alle ... aber, ich +schwöre es Ihnen, mein Herr, es war mir gleichgültig ... Ich bin in +Berlin geblieben, eine Woche hat es gedauert, bis ich sie auffand in +diesem Wirbel von Menschen ... und bin zu ihr gegangen ...« Er atmete +schwer. + +»Mein Herr, ich schwöre es Ihnen ... kein hartes Wort habe ich ihr +gesagt ... ich habe geweint ... auf den Knien bin ich gelegen ... ich +habe ihr Geld geboten ... mein ganzes Vermögen, sie sollte es verwalten, +denn damals wußte ich es schon ... ich kann nicht leben ohne sie. Ich +liebe jedes Haar an ihr ... ihren Mund ... ihren Leib, alles, alles ... +und ich bin es ja, ich, der sie hinabgestoßen hat, ich allein ... Sie +war blaß wie der Tod, als ich hereinkam, plötzlich ... ich hatte ihre +Wirtin bestochen, eine Kupplerin, ein schlechtes, gemeines Weib ... wie +der Kalk war sie an der Wand ... Sie hörte mich an. Herr, ich glaube, +sie war ... ja, sie war beinahe froh, mich zu sehen ... aber als ich vom +Gelde sprach ... und ich habe es doch nur getan, ich schwöre es Ihnen, +um ihr zu zeigen, daß ich nicht mehr daran denke ... da hat sie +ausgespien ... und dann ... weil ich noch immer nicht gehen wollte ... +da hat sie ihren Liebhaber gerufen, und sie haben mich verlacht ... +Aber, mein Herr, ich bin immer wiedergekommen, Tag für Tag. Die +Hausleute haben mir alles erzählt, ich wußte, daß der Lump sie verlassen +hatte und sie in Not war, und da ging ich noch einmal hin ... noch +einmal, Herr, aber sie fuhr mich an und zerriß einen Schein, den ich +heimlich auf den Tisch gelegt hatte, und als ich doch wiederkam, war sie +fort ... Was habe ich nicht getan, mein Herr, sie wieder auszuforschen! +Ein Jahr, ich schwöre es Ihnen, habe ich nicht gelebt, nur immer +gespürt, habe Agenturen besoldet, bis ichs endlich erfuhr, daß sie +drüben sei in Argentinien ... in ... in einem schlechten Hause ...« Er +zögerte einen Augenblick. Wie ein Röcheln war das letzte Wort. Und +dunkler wurde seine Stimme. + +»Ich erschrak sehr ... zuerst ... aber dann besann ich mich, daß ich, +nur ich es sei, der sie da hinabgestoßen hatte ... und ich dachte, wie +sehr sie leiden müsse, die Arme ... denn stolz ist sie vor allem ... Ich +ging zu meinem Anwalt, der schrieb an den Konsul und sandte Geld ... +ohne daß sie erfuhr, wer es gab ... nur daß sie zurückkäme. Man +telegraphierte mir, daß alles gelungen sei ... ich wußte das Schiff ... +und in Amsterdam wartete ich ... drei Tage zu früh war ich gekommen, so +brannte ich vor Ungeduld ... Endlich kam es, ich war selig, wie nur der +Rauch vom Dampfer am Horizont war, und ich glaubte es nicht erwarten zu +können, bis er heranfuhr und anlegte, so langsam, langsam, und dann die +Passagiere über den Steg kamen und endlich, endlich sie ... Ich erkannte +sie nicht gleich ... sie war anders ... geschminkt ... und schon so ... +so, wie Sie es gesehen haben ... und wie sie mich warten sah ... wurde +sie fahl ... Zwei Matrosen mußten sie halten, sonst wäre sie vom Steg +gefallen ... Sobald sie am Land war, trat ich an ihre Seite ... ich +sagte nichts ... meine Kehle war zu ... Auch sie sprach nichts ... und +sah mich nicht an ... Der Träger trug das Gepäck voran, wir gingen und +gingen ... Da plötzlich blieb sie stehen und sagte ... Herr, wie sie es +sagte ... so schmerzend weh tat es mir, so traurig klang es ... >Willst +du mich noch immer zu deiner Frau, jetzt auch noch?< ... Ich faßte sie +bei der Hand ... Sie zitterte, aber sie sagte nichts. Doch ich fühlte, +daß nun alles wieder gut war ... Herr, wie selig ich war! Ich tanzte wie +ein Kind um sie, als ich sie im Zimmer hatte, ich fiel ihr zu Füßen ... +törichte Dinge muß ich gesagt haben ... denn sie lächelte unter Tränen +und liebkoste mich ... ganz zaghaft natürlich nur ... aber Herr ... wie +es mir wohltat ... mein Herz zerfloß. Ich lief treppauf, treppab, +bestellte ein Diner im Hotel ... unser Vermählungsmahl ... ich half ihr, +sich anzuziehen ... und wir gingen hinab, wir aßen und tranken und waren +fröhlich ... Oh, so heiter war sie, ein Kind, so warm und gut, und sie +sprach von Hause ... und wie wir alles nun wieder besorgen wollten ... +Da ...« Seine Stimme wurde plötzlich rauh, und er machte mit der Hand +eine Geste, als ob er jemanden zerbrechen wollte. »Da ... da war ein +Kellner ... ein schlechter, gemeiner Mensch ... der glaubte, ich sei +trunken, weil ich toll war und tanzte und mich überkollerte beim Lachen +... während ich doch nur so glücklich war ... oh, so glücklich, und da +... als ich bezahlte, gab er mir zwanzig Francs zu wenig zurück ... Ich +fuhr ihn an und verlangte den Rest ... er war verlegen und legte das +Goldstück hin ... Da ... da begann sie auf einmal grell zu lachen ... +Ich starrte sie an, aber es war ein anderes Gesicht ... höhnisch, hart +und böse mit einem Male ... >Wie genau du noch immer bist ... selbst an +unserem Vermählungstag!< sagte sie ganz kalt, so scharf, so ... +mitleidig. Ich erschrak und verfluchte meine Peinlichkeit ... ich gab +mir Mühe, wieder zu lachen ... aber ihre Heiterkeit war fort ... war tot +... Sie verlangte ein eigenes Zimmer ... was hätte ich ihr nicht gewährt +... und ich lag allein die Nacht und sann nur nach, was ihr kaufen am +nächsten Morgen ... sie beschenken ... ihr zeigen, daß ich nicht geizig +sei ... nie mehr gegen sie. Und am Morgen ging ich aus, ein Armband +kaufte ich, ganz früh, und wie ich in ihr Zimmer trat ... da war ... da +war es leer ... ganz wie damals. Und ich wußte, auf dem Tisch würde ein +Zettel liegen ... ich lief fort und betete zu Gott, es möge nicht wahr +sein ... aber ... aber ... er lag doch dort ... Und darauf stand ...« + +Er zögerte. Unwillkürlich war ich stehen geblieben und sah ihn an. Er +duckte den Kopf. Dann flüsterte er heiser: + +»Es stand darauf ... >Laß mich in Frieden. Du bist mir widerlich --<« + +Wir waren beim Hafen angelangt, und plötzlich rauschte in das Schweigen +der grollende Atem der nahen Brandung. Mit blinkenden Augen, wie große +schwarze Tiere lagen die Schiffe da, nah und ferne, und von irgendwo kam +Gesang. Nichts war deutlich und doch vieles zu fühlen, ein ungeheurer +Schlaf und der schwere Traum einer starken Stadt. Neben mir spürte ich +den Schatten dieses Menschen, er zuckte gespenstisch vor meinen Füßen, +floß bald auseinander, bald kroch er zusammen im wandelnden Licht der +trüben Laternen. Ich vermochte nichts zu sagen, nicht Trost und hatte +keine Frage, spürte aber sein Schweigen an mir kleben, lastend und +dumpf. Da faßte er mich plötzlich zitternd am Arm. + +»Aber ich gehe nicht fort von hier ohne sie ... Nach Monaten habe ich +sie wiedergefunden ... Sie martert mich, aber ich will nicht müde werden +... Ich beschwöre Sie, mein Herr, reden Sie mit ihr ... Ich muß sie +haben, sagen Sie es ihr ... mich hört sie nicht ... Ich kann nicht mehr +so leben ... Ich kann es nicht mehr sehen, wie Männer zu ihr gehen ... +und draußen warten vor dem Haus, bis sie wieder herunterkommen ... +lachend und trunken ... Die ganze Gasse kennt mich schon ... sie lachen, +wenn sie mich warten sehen ... wahnsinnig werde ich davon ... und doch +jeden Abend stehe ich wieder dort ... Mein Herr, ich beschwöre Sie ... +sprechen Sie mit ihr ... ich kenne Sie ja nicht, aber tun Sie es um +Gottes Barmherzigkeit ... sprechen Sie mit ihr ...« + +Unwillkürlich wollte ich meinen Arm befreien. Mir graute. Aber er, wie +ers spürte, daß ich mich gegen sein Unglück wehrte, fiel plötzlich +mitten auf der Straße in die Knie und faßte meine Füße. + +»Ich beschwöre Sie, mein Herr ... Sie müssen mit ihr sprechen ... Sie +müssen ... sonst ... sonst geschieht etwas Furchtbares ... Ich habe mein +ganzes Geld verbraucht, sie zu suchen, und ich lasse sie nicht hier ... +nicht lebendig ... Ich habe mir ein Messer gekauft ... Ich habe ein +Messer, mein Herr ... Ich lasse sie hier nicht mehr ... nicht lebendig +... ich ertrage es nicht ... Sprechen Sie mit ihr, mein Herr ...« + +Er wälzte sich wie rasend vor mir. In diesem Augenblick kamen zwei +Polizisten die Straße her. Ich riß ihn mit Gewalt auf. Einen Augenblick +starrte er mich entgeistert an. Dann sagte er mit ganz fremder, +trockener Stimme: + +»Die Gasse dort biegen Sie ein. Dann sind Sie bei Ihrem Hotel.« Einmal +noch starrte er mich an mit Augen, in denen die Pupillen zerschmolzen +schienen in ein grauenhaft Weißes und Leeres. Dann verschwand er. + +Ich wickelte mich in meinen Mantel. Mich fröstelte. Nur Müdigkeit spürte +ich, eine wirre Trunkenheit, gefühllos und schwarz, einen wandelnden, +purpurnen Schlaf. Ich wollte etwas denken und all das besinnen, aber +immer hob sich diese schwarze Welle von Müdigkeit aus mir und riß mich +mit. Ich tastete ins Hotel, fiel hin ins Bett und schlief dumpf wie ein +Tier. + +Am nächsten Morgen wußte ich nicht mehr, was davon Traum oder Erlebnis +war, und irgend etwas in mir wehrte sich dagegen, es zu wissen. Spät war +ich erwacht, fremd in fremder Stadt, und ging eine Kirche zu besehen, in +der antike Mosaiken von großem Ruhme sein sollten. Aber meine Augen +starrten sie leer an, immer deutlicher stieg die Begegnung der +vergangenen Nacht auf, und ohne Widerstand triebs mich weg, ich suchte +die Gasse und das Haus. Aber diese seltsamen Gassen leben nur des +Nachts, am Tage tragen sie graue, kalte Masken, unter denen nur der +Vertraute sie erkennt. Ich fand sie nicht, so sehr ich suchte. Müde und +enttäuscht kam ich heim, verfolgt von den Bildern des Wahns oder der +Erinnerung. + +Um neun Uhr abends ging mein Zug. Mit Bedauern ließ ich die Stadt. Ein +Träger hob mein Gepäck und trug es vor mir her dem Bahnhof zu. Da +plötzlich, an einer Kreuzung, riß michs herum: ich erkannte die +Quergasse, die zu jenem Hause führte, hieß den Träger warten und ging -- +während er zuerst erstaunt und dann frechvertraulich lachte -- noch +einen Blick zu tun in diese Gasse des Abenteuers. + +Dunkel lag sie da, dunkel wie damals, und im matten Mond sah ich die +Türscheibe jenes Hauses glänzen. Noch einmal wollte ich näher treten, da +raschelte eine Gestalt aus dem Dunkel. Schauernd erkannte ich ihn, der +dort auf der Schwelle hockte und mir winkte, ich möge näher kommen. Doch +ein Grauen faßte mich, ich flüchtete rasch fort, aus der feigen Angst, +hier verstrickt zu werden und meinen Zug zu versäumen. + +Aber dann, an der Ecke, ehe ich mich wandte, sah ich noch einmal zurück. +Als mein Blick ihn traf, gab er sich einen Ruck, raffte sich auf und +sprang gegen die Tür. Metall blitzte in seiner Hand, da er sie jetzt +eilig aufriß: ich konnte aus der Ferne nicht unterscheiden, ob es Geld +war oder das Messer, das im Mondlicht zwischen seinen Fingern +verräterisch glitzerte ... + + + + + Inhalt + + + Der Amokläufer 9 + Die Frau und die Landschaft 87 + Phantastische Nacht 121 + Brief einer Unbekannten 209 + Die Mondscheingasse 269 + + + + + + + INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG + + -------- + + Dichtungen von Stefan Zweig + + Die frühen Kränze. Gedichte. Dritte Auflage. + + Erstes Erlebnis. Vier Geschichten aus Kinderland. 12. bis + 15. Tausend. + + Brennendes Geheimnis. Novelle. (Insel-Bücherei Nr. 122.) + 36. bis 45. Tausend. + + Das Haus am Meer. Schauspiel in zwei Teilen. + + Tersites. Ein Trauerspiel in drei Aufzügen. Zweite Auflage. + + Der verwandelte Komödiant. Ein Spiel aus dem deutschen + Rokoko. Zweite Auflage. + + Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. 19. + bis 23. Tausend. + + Legende eines Lebens. Ein Kammerspiel in drei Aufzügen. + + Der Zwang. Novelle (in 470 Ex. mit Holzschnitten von Frans + Masereel). + + Die Augen des ewigen Bruders. Novelle. (Insel-Bücherei Nr. + 349.) 10. Tausend. + + Drei Meister: Balzac, Dickens, Dostojewski. 9. bis 12. Tausend. + + Die gesammelten Gedichte (in Vorbereitung). + + -------- + + Von Stefan Zweig wurden übertragen: + + Emile Verhaeren: Rubens. Mit 95 Vollbildern. 26. bis 30. + Tausend. + + Emile Verhaeren: Rembrandt. Mit 80 Vollbildern. 36. bis 40. + Tausend. + + Emile Verhaeren: Hymnen an das Leben. (Insel-Bücherei Nr. + 5.) 41. bis 50. Tausend. + + -------- + + Von Stefan Zweig wurden eingeleitet: + + Charles Dickens: Ausgewählte Romane. -- Dostojewski: Sämtliche + Romane und Novellen. -- Arthur Rimbaud: Leben und Dichtung. + -- Alexandre Mercereau: Worte vor dem Leben. -- Marceline + Desbordes-Valmore: Das Lebensbild einer Dichterin. -- Paul + Verlaine: Gesammelte Werke. + + + Druck vom Bibliographischen + Institut in Leipzig + + + Anmerkungen zur Transkription + +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere +Korrekturen, zum Teil unter Zuhilfenahme anderer Ausgaben +(vorher/nachher): + + [S. 86]: + ... hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit dem Träger ... + ... hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern ... + + [S. 160]: + ... von mir gehaßtem Ravachol hing, denn rings um mich ... + ... von mir gehaßten Ravachol hing, denn rings um mich ... + + [S. 165]: + ... ein Mensch mit bösem und warmen Gelüst. Eine Tür ... + ... ein Mensch mit bösem und warmem Gelüst. Eine Tür ... + + [S. 171]: + ... inmitten einer weichwogenden Menschenmenge hatte einen ... + ... inmitten einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen ... + + [S. 177]: + ... für dieses Dienstbotengasthaus mit meiner Derbydreß, ... + ... für dieses Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, ... + + [S. 249]: + ... -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die ihren ... + ... -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die ihrem ... + + [S. 280]: + ... Gesten mir zu es in ihm zu zucken begann, als spürte ... + ... Gesten zu mir es in ihm zu zucken begann, als spürte ... + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Amok, by Stefan Zweig + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57850 *** diff --git a/57850-8.txt b/57850-8.txt deleted file mode 100644 index 3e5b1ac..0000000 --- a/57850-8.txt +++ /dev/null @@ -1,7451 +0,0 @@ -The Project Gutenberg EBook of Amok, by Stefan Zweig - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Amok - Novellen einer Leidenschaft - -Author: Stefan Zweig - -Release Date: September 5, 2018 [EBook #57850] - -Language: German - - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AMOK *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - - - - - - - - Die Kette - Ein Novellenkreis - - - Der erste Ring: - Erstes Erlebnis - Geschichten aus Kinderland - - - Der Zweite Ring: - Amok - Novellen einer Leidenschaft - - - - - - - Amok - - - Novellen einer Leidenschaft - - - Von - Stefan Zweig - - - Im Insel-Verlag zu Leipzig 1922 - - - 1. bis 10. Tausend - - - Frans Masereel, - dem Künstler, dem brüderlichen Freunde - - Salzburg, Frühling 1922 - - - - - - - Tu auf dich, Unterwelt der Leidenschaften: - Gestalten ihr, geträumt und doch empfunden, - Laßt eure Lippen heiß an meinen haften, - Trinkt Blut von Blut und Atem mir vom Munde! - - Brecht vor aus euren Zwielichtfinsternissen - Und schämt euch nicht der Qual, die euch umschattet! - Wer Liebe liebt, will nicht ihr Leiden missen, - Was euch verstört, ists, was mich zu euch gattet. - - Nur Leidenschaft, die ihren Abgrund findet, - Läßt deine letzte Wesenheit entbrennen, - Nur der sich ganz verliert, ist sich gegeben. - - So flamm dich auf! Erst wenn du dich entzündet, - Wirst du die Welt in deiner Tiefe kennen: - Erst wo Geheimnis wirkt, beginnt das Leben. - - - - - Der Amokläufer - - -Im März des Jahres 1912 ereignete sich im Hafen von Neapel bei dem -Ausladen eines großen Überseedampfers ein merkwürdiger Unfall, über den -die Zeitungen umfangreiche, aber sehr phantastisch ausgeschmückte -Berichte brachten. Obzwar Passagier der »Oceania«, war es mir -ebensowenig wie den andern möglich, Zeuge jenes seltsamen Vorfalles zu -sein, weil er sich zur Nachtzeit während des Kohlenladens und der -Löschung der Fracht abspielte, wir aber, um dem Lärm zu entgehen, alle -an Land gegangen waren und dort in Kaffeehäusern oder Theatern die Zeit -verbrachten. Immerhin meine ich persönlich, daß manche Vermutungen, die -ich damals nicht öffentlich äußerte, die wirkliche Aufklärung jener -erregenden Szene in sich tragen, und die Ferne der Jahre erlaubt mir -wohl das Vertrauen eines Gespräches zu nutzen, das jener seltsamen -Episode unmittelbar vorausging. - - * * * * * - -Als ich in der Schiffsagentur von Kalkutta einen Platz für die Rückreise -nach Europa auf der »Oceania« bestellen wollte, zuckte der Clerk -bedauernd die Schultern. Er wisse noch nicht, ob es möglich sei, mir -eine Kabine zu sichern, das Schiff wäre jetzt knapp vor dem Einbruch der -Regenzeit immer schon von Australien her ausverkauft, er müsse erst das -Telegramm von Singapore abwarten. Am nächsten Tage teilte er mir -erfreulicherweise mit, er könne mir noch einen Platz vormerken, freilich -sei es nur eine wenig komfortable Kabine unter Deck und in der Mitte des -Schiffes. Ich war schon ungeduldig heimzukehren: so zögerte ich nicht -lange und ließ mir den Platz zuschreiben. - -Der Clerk hatte mich richtig informiert. Das Schiff war überfüllt und -die Kabine schlecht, ein kleiner, gepreßter, rechteckiger Winkel in der -Nähe der Dampfmaschine, einzig vom trüben Blick der kreisrunden -Glasscheibe erhellt. Die stockende, verdickte Luft roch nach Öl und -Moder: nicht für einen Augenblick konnte man dem elektrischen Ventilator -entgehen, der wie eine toll gewordene stählerne Fledermaus einem surrend -über der Stirne kreiste. Von unten her ratterte und stöhnte wie ein -Kohlenträger, der unablässig dieselbe Treppe hinaufkeucht, die Maschine, -von oben hörte man unaufhörlich das schlurfende Hin und Her der Schritte -vom Promenadendeck. So flüchtete ich, kaum daß ich den Koffer in das -muffige Grab aus grauen Traversen verstaut hatte, wieder zurück auf -Deck, und wie Ambra trank ich, aufsteigend aus der Tiefe, den süßlichen -weichen Wind, der vom Lande her über die Wellen wehte. - -Aber auch das Promenadendeck war voll Enge und Unruhe: es flatterte und -flirrte von Menschen, die mit der flackernden Nervosität eingesperrter -Untätigkeit unausgesetzt plaudernd auf und nieder gingen. Das -zwitschernde Geschäker der Frauen, das rastlos kreisende Wandern auf dem -Engpaß des Decks, wo vor den Stühlen der Schwarm in schwatzhafter Unruhe -vorbeiwogte, um sich unablässig zu begegnen, tat mir irgendwie weh. Ich -hatte eine neue Welt gesehen, rasch ineinanderstürzende Bilder in -rasender Jagd in mich eingetrunken. Nun wollte ich mirs übersinnen, -zerteilen, ordnen, nachbildend das heiß in den Blick Gedrängte -gestalten, aber hier auf dem gedrängten Boulevard gab es nicht eine -Minute Ruhe und Rast. Die Zeilen in einem Buch zerrannen vor den -flüchtigen Schatten der Vorüberplaudernden. Es war unmöglich, mit sich -selbst auf dieser schattenlosen wandernden Schiffsgasse allein zu sein. - -Drei Tage lang versuchte ichs, sah resigniert auf die Menschen, auf das -Meer, aber das Meer blieb immer dasselbe, blau und leer, nur im -Sonnenuntergang plötzlich mit allen Farben jäh übergossen. Und die -Menschen, sie kannte ich auswendig nach dreimal vierundzwanzig Stunden. -Jedes Gesicht war mir vertraut bis zum Überdruß, das scharfe Lachen der -Frauen reizte, das polternde Streiten zweier nachbarlicher holländischer -Offiziere ärgerte nicht mehr. So blieb nur Flucht: aber die Kabine war -heiß und dunstig, im Salon produzierten unablässig englische Mädchen ihr -schlechtes Klavierspiel bei abgehackten Walzern. Schließlich drehte ich -entschlossen die Zeitordnung um, tauchte in die Kabine schon nachmittags -hinab, nachdem ich mich zuvor mit ein paar Gläsern Bier betäubt, um das -Souper und den Tanzabend zu überschlafen. - -Als ich aufwachte, war es ganz dunkel und dumpf in dem kleinen Sarg der -Kabine. Den Ventilator hatte ich abgestellt, so schwälte die Luft fettig -und feucht an die Schläfen. Meine Sinne waren irgendwie betäubt: ich -brauchte Minuten, um mich an Zeit und Ort zurückzufinden. Mitternacht -mußte jedenfalls schon vorbei sein, denn ich hörte weder Musik noch den -rastlosen Schlurf der Schritte: nur die Maschine, das atmende Herz des -Leviathans, stieß keuchend den knisternden Leib des Schiffes fort ins -Unsichtbare. - -Ich tastete empor auf Deck. Es war leer. Und wie ich den Blick aufhob -über den dünstenden Turm des Schornsteins und die geisterhaft glänzenden -Spieren, drang mit einmal magische Helle mir in die Augen. Der Himmel -strahlte. Er war dunkel gegen die Sterne, die ihn weiß durchwirbelten, -aber doch: er strahlte; es war, als verhüllte dort ein samtener Vorhang -ungeheures Licht, als wären die sprühenden Sterne nur Luken und Ritzen, -durch die jenes unbeschreiblich Helle vorglänzte. Nie hatte ich den -Himmel gesehen wie in jener Nacht, so strahlend, so stahlblau hart und -doch funkelnd, triefend, rauschend, quellend von Licht, das vom Mond -verhangen niederschwoll und von den Sternen und das irgendwie aus einem -geheimnisvollen Innen zu brennen schien. Weißer Lack, flimmerten im -Monde alle Randlinien des Schiffes grell gegen das samtdunkle Meer, die -Taue, die Rahen, alles Schmale, alle Konturen waren aufgelöst in diesem -flutenden Glanz: gleichsam im Leeren schienen die Lichter auf den Masten -und darüber das runde Auge des Ausgucks zu hängen, irdische gelbe Sterne -zwischen den strahlenden des Himmels. - -Gerade aber zu Häupten stand mir das magische Sternbild, das Südkreuz, -mit flimmernden diamantenen Nägeln ins Unsichtbare gehämmert, schwebend -scheinbar, indes nur das Schiff Bewegung schuf, das leise bebend sich -mit atmender Brust nieder und auf, nieder und auf, ein gigantischer -Schwimmer, durch die dunklen Wogen stieß. Ich stand und sah empor: mir -war wie in einem Bade, wo Wasser warm von oben fällt, nur daß dies Licht -war, das mir weiß und auch lau die Hände überspülte, die Schultern, das -Haupt mild umgoß und irgendwie nach innen zu dringen schien, denn alles -Dumpfe in mir war plötzlich aufgehellt. Ich atmete befreit, rein, und -jäh beseligt spürte ich auf den Lippen wie ein klares Getränk die Luft, -die weiche, gegorene, leicht trunken machende Luft, in der Atem von -Früchten, Duft von fernen Inseln war. Nun, nun zum ersten Male, seit ich -die Planken betreten, überkam mich die heilige Lust des Träumens, und -jene andere sinnlichere, meinen Körper weibisch hinzugeben an dieses -Weiche, das mich umdrängte. Ich wollte mich hinlegen, den Blick hinauf -zu den weißen Hieroglyphen. Aber die Ruhesessel, die Deckchairs waren -verräumt, nirgends fand sich auf dem leeren Promenadendeck ein Platz zu -träumerischer Rast. - -So tastete ich weiter, allmählich dem Vorderteil des Schiffes zu, ganz -geblendet vom Licht, das immer heftiger aus den Gegenständen auf mich zu -dringen schien. Fast tat es schon weh, dies kalkweiße, grell brennende -Sternenlicht, ich aber hatte Verlangen, mich irgendwo im Schatten zu -vergraben, hingestreckt auf eine Matte, den Glanz nicht an mir zu -fühlen, sondern nur über mir, an den Dingen gespiegelt, so wie man eine -Landschaft sieht aus verdunkeltem Zimmer. Endlich kam ich, über Taue -stolpernd und vorbei an den eisernen Gewinden bis an den Kiel und sah -hinab, wie der Bug in das Schwarze stieß und geschmolzenes Mondlicht -schäumend zu beiden Seiten der Schneide aufsprühte. Immer wieder hob, -immer wieder senkte sich der Pflug in die schwarzflutende Scholle, und -ich fühlte alle Qual des besiegten Elements, fühlte alle Lust der -irdischen Kraft in diesem funkelnden Spiel. Und im Schauen verlor ich -die Zeit. War es eine Stunde, daß ich so stand, oder waren es nur -Minuten: im Auf und Nieder schaukelte mich die ungeheure Wiege des -Schiffes über die Zeit hinaus. Ich fühlte nur, daß in mich Müdigkeit -kam, die wie eine Wollust war. Ich wollte schlafen, träumen und doch -nicht weg aus dieser Magie, nicht hinab in meinen Sarg. Unwillkürlich -ertastete ich mit meinem Fuß unter mir ein Bündel Taue. Ich setzte mich -hin, die Augen geschlossen und doch nicht Dunkels voll, denn über sie, -über mich strömte der silberne Glanz. Unten fühlte ich die Wasser leise -rauschen, über mir mit unhörbarem Klang den weißen Strom dieser Welt. -Und allmählich schwoll dies Rauschen mir ins Blut: ich fühlte mich -selbst nicht mehr, wußte nicht, ob dies Atmen mein eigenes war oder des -Schiffes fernpochendes Herz, ich strömte, verströmte in diesem ruhelosen -Rauschen der mitternächtigen Welt. - - * * * * * - -Ein leises, trockenes Husten hart neben mir ließ mich auffahren. Ich -schrak aus meiner fast schon trunkenen Träumerei. Meine Augen, geblendet -vom weißen Geleucht über den bislang geschlossenen Lidern, tasteten auf: -mir knapp gegenüber im Schatten der Bordwand glänzte etwas wie der -Reflex einer Brille, und jetzt glühte ein dicker, runder Funke auf, die -Glut einer Pfeife. Ich hatte, als ich mich hinsetzte, einzig -niederblickend in die schaumige Bugschneide und empor zum Südkreuz, -offenbar diesen Nachbarn nicht bemerkt, der regungslos hier die ganze -Zeit gesessen haben mußte. Unwillkürlich, noch dumpf in den Sinnen, -sagte ich auf deutsch: »Verzeihung!« »Oh, bitte ...« antwortete die -Stimme deutsch aus dem Dunkel. - -Ich kann nicht sagen, wie seltsam und schaurig das war, dies stumme -Nebeneinandersitzen im Dunkeln knapp neben einem, den man nicht sah. -Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, als starre dieser Mensch auf mich -genau wie ich auf ihn starrte: aber so stark war das Licht über uns, das -weißflimmernd flutende, daß keiner von keinem mehr sehen konnte als den -Umriß im Schatten. Nur den Atem meinte ich zu hören und das fauchende -Saugen an der Pfeife. - -Das Schweigen war unerträglich. Ich wäre am liebsten weggegangen, aber -das schien doch zu brüsk, zu plötzlich. Aus Verlegenheit nahm ich mir -eine Zigarette heraus. Das Zündholz zischte auf, eine Sekunde lang -zuckte Licht über den engen Raum. Ich sah hinter Brillengläsern ein -fremdes Gesicht, das ich nie an Bord gesehen, bei keiner Mahlzeit, bei -keinem Gang, und sei es, daß die plötzliche Flamme den Augen wehtat oder -war es eine Halluzination: es schien grauenhaft verzerrt, finster und -koboldhaft. Aber ehe ich Einzelheiten deutlich wahrnahm, schluckte das -Dunkel wieder die flüchtig erhellten Linien fort, nur den Umriß sah ich -einer Gestalt, dunkel ins Dunkel gedrückt und manchmal den kreisrunden -roten Feuerring der Pfeife im Leeren. Keiner sprach, und dies Schweigen -war schwül und drückend wie die tropische Luft. - -Endlich ertrug ichs nicht mehr. Ich stand auf und sagte höflich »Gute -Nacht«. - -»Gute Nacht,« antwortete es aus dem Dunkel, eine heisere, harte, -eingerostete Stimme. - -Ich stolperte mich mühsam vorwärts durch das Takelwerk an den Pfosten -vorbei. Da klang ein Schritt hinter mir her, hastig und unsicher. Es war -der Nachbar von vordem. Unwillkürlich blieb ich stehen. Er kam nicht -ganz nah heran, durch das Dunkel fühlte ich ein Irgendetwas von Angst -und Bedrücktheit in der Art seines Schrittes. - -»Verzeihen Sie,« sagte er dann hastig, »wenn ich eine Bitte an Sie -richte. Ich ... ich ...« -- er stotterte und konnte nicht gleich -weitersprechen vor Verlegenheit -- »ich ... ich habe private ... ganz -private Gründe, mich hier zurückzuziehen ... ein Trauerfall ... ich -meide die Gesellschaft an Bord ... Ich meine nicht Sie ... nein, nein -... Ich möchte nur bitten ... Sie würden mich sehr verpflichten, wenn -Sie zu niemandem an Bord davon sprechen würden, daß Sie mich hier -gesehen haben ... Es sind ... sozusagen private Gründe, die mich jetzt -hindern unter die Leute zu gehen ... ja ... nun ... es wäre mir -peinlich, wenn Sie davon Erwähnung täten, daß jemand hier nachts ... daß -ich ...« Das Wort blieb ihm wieder stecken. Ich beseitigte rasch seine -Verwirrung, indem ich ihm eiligst zusicherte, seinen Wunsch zu erfüllen. -Wir reichten einander die Hände. Dann ging ich in meine Kabine zurück -und schlief einen dumpfen, merkwürdig verwühlten und von Bildern -verwirrten Schlaf. - - * * * * * - -Ich hielt mein Versprechen und erzählte niemandem an Bord von der -seltsamen Begegnung, obzwar die Versuchung keine geringe war. Denn auf -einer Seereise wird das Kleinste zum Geschehnis, ein Segel am Horizont, -ein Delphin, der aufspringt, ein neuentdeckter Flirt, ein flüchtiger -Scherz. Dabei quälte mich die Neugier, mehr von diesem ungewöhnlichen -Passagier zu wissen: ich durchforschte die Schiffsliste nach einem -Namen, der ihm zugehören konnte, ich musterte die Leute, ob sie zu ihm -in Beziehung stehen könnten: den ganzen Tag bemächtigte sich meiner eine -nervöse Ungeduld, und ich wartete eigentlich nur auf den Abend, ob ich -ihm wieder begegnen würde. Rätselhafte psychologische Dinge haben über -mich eine geradezu beunruhigende Macht, es reizt mich bis ins Blut, -Zusammenhänge aufzuspüren, und sonderbare Menschen können mich durch -ihre bloße Gegenwart zu einer Leidenschaft des Erkennenwollens -entzünden, die nicht viel geringer ist als jene des Besitzenwollens bei -einer Frau. Der Tag wurde mir lang und zerbröckelte leer zwischen den -Fingern. Ich legte mich früh ins Bett: ich wußte, ich würde um -Mitternacht aufwachen, es würde mich erwecken. - -Und wirklich: ich erwachte um die gleiche Stunde wie gestern. Auf dem -Radiumzifferblatt der Uhr deckten sich die beiden Zeiger in einem -leuchtenden Strich. Hastig stieg ich aus der schwülen Kabine in die noch -schwülere Nacht. - -Die Sterne strahlten wie gestern und schütteten ein diffuses Licht über -das zitternde Schiff, hoch oben flammte das Kreuz des Südens. Alles war -wie gestern -- in den Tropen sind die Tage, die Nächte zwillingshafter -als in unseren Sphären -- nur in mir war nicht dies weiche, flutende, -träumerische Gewiegtsein wie gestern. Irgend etwas zog mich, verwirrte -mich, und ich wußte, wohin es mich zog: hin zu dem schwarzen Gewind am -Kiel, ob er wieder dort starr sitze, der Geheimnisvolle. Von oben her -schlug die Schiffsglocke. Dies riß mich fort. Schritt für Schritt, -widerwillig und doch gezogen, gab ich mir nach. Noch war ich nicht am -Steven, da zuckte plötzlich dort etwas auf wie ein rotes Auge: die -Pfeife. Er saß also dort. - -Unwillkürlich schreckte ich zurück und blieb stehen. Im nächsten -Augenblick wäre ich gegangen. Da regte es sich drüben im Dunkel, etwas -stand auf, tat zwei Schritte, und plötzlich hörte ich knapp vor mir -seine Stimme, höflich und gedrückt. - -»Verzeihen Sie,« sagte er, »Sie wollen offenbar wieder an Ihren Platz, -und ich habe das Gefühl, Sie flüchteten zurück, als Sie mich sahen. -Bitte, setzen Sie sich nur hin, ich gehe schon wieder.« - -Ich eilte, ihm meinerseits zu sagen, daß er nur bleiben solle, ich sei -bloß zurückgetreten, um ihn nicht zu stören. »Mich stören Sie nicht,« -sagte er mit einer gewissen Bitterkeit, »im Gegenteil, ich bin froh, -einmal nicht allein zu sein. Seit zehn Tagen habe ich kein Wort -gesprochen ... eigentlich seit Jahren nicht ... und da geht es so -schwer, eben vielleicht weil man schon erstickt daran, alles in sich -hineinzuwürgen ... Ich kann nicht mehr in der Kabine sitzen, in diesem -... diesem Sarg ... ich kann nicht mehr ... und die Menschen ertrage ich -wieder nicht, weil sie den ganzen Tag lachen ... Das kann ich nicht -ertragen jetzt ... ich höre es hinein bis in die Kabine und stopfe mir -die Ohren zu ... freilich, sie wissen ja nicht, daß ... nun sie wissens -eben nicht, und dann, was geht das die Fremden an ...« - -Er stockte wieder. Und sagte dann ganz plötzlich und hastig: »Aber ich -will Sie nicht belästigen ... verzeihen Sie meine Geschwätzigkeit.« - -Er verbeugte sich und wollte fort. Aber ich widersprach ihm dringlich. -»Sie belästigen mich durchaus nicht. Auch ich bin froh, hier ein paar -stille Worte zu haben ... Nehmen Sie eine Zigarette?« - -Er nahm eine. Ich zündete an. Wieder riß sich das Gesicht flackernd vom -schwarzen Bordrand los, aber jetzt voll mir zugewandt: die Augen hinter -der Brille forschten in mein Gesicht, gierig und mit einer irren Gewalt. -Ein Grauen überlief mich. Ich spürte, daß dieser Mensch sprechen wollte, -sprechen mußte. Und ich wußte, daß ich schweigen müsse, um ihm zu -helfen. - -Wir setzten uns wieder. Er hatte einen zweiten Deckchair dort, den er -mir anbot. Unsere Zigaretten funkelten, und an der Art, wie der -Lichtring der seinen unruhig im Dunkel zitterte, sah ich, daß seine Hand -bebte. Aber ich schwieg, und er schwieg. Dann fragte plötzlich seine -Stimme leise: - -»Sind Sie sehr müde?« - -»Nein, durchaus nicht.« - -Die Stimme aus dem Dunkel zögerte wieder. »Ich möchte Sie gerne um etwas -fragen ... das heißt, ich möchte Ihnen etwas erzählen. Ich weiß, ich -weiß genau, wie absurd das ist, mich an den ersten zu wenden, der mir -begegnet, aber ... ich bin ... ich bin in einer furchtbaren psychischen -Verfassung ... ich bin an einem Punkt, wo ich unbedingt mit jemandem -sprechen muß ... ich gehe sonst zugrunde ... Sie werden das schon -verstehen, wenn ich ... ja, wenn ich Ihnen eben erzähle ... Ich weiß, -daß Sie mir nicht werden helfen können ... aber ich bin irgendwie krank -von diesem Schweigen ... und ein Kranker ist immer lächerlich für die -andern ...« - -Ich unterbrach ihn und bat ihn, sich doch nicht zu quälen. Er möge mir -nur erzählen ... ich könne ihm natürlich nichts versprechen, aber man -habe doch die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten. Wenn man -jemanden in einer Bedrängnis sehe, da ergebe sich doch natürlich die -Pflicht zu helfen ... - -»Die Pflicht ... seine Bereitwilligkeit anzubieten ... die Pflicht, den -Versuch zu machen ... Sie meinen also auch, Sie auch, man habe die -Pflicht ... die Pflicht, seine Bereitwilligkeit anzubieten.« - -Dreimal wiederholte er den Satz. Mir graute vor dieser stumpfen, -verbissenen Art des Wiederholens. War dieser Mensch wahnsinnig? War er -betrunken? - -Aber als ob ich die Vermutung laut mit den Lippen ausgesprochen hätte, -sagte er plötzlich mit einer ganz andern Stimme: »Sie werden mich -vielleicht für irr halten oder für betrunken. Nein, das bin ich nicht -- -noch nicht. Nur das Wort, das Sie sagten, hat mich so merkwürdig berührt -... so merkwürdig, weil es gerade das ist, was mich jetzt quält, nämlich -ob man die Pflicht hat ... die Pflicht ...« - -Er begann wieder zu stottern. Dann brach er kurz ab und begann mit einem -neuen Ruck. - -»Ich bin nämlich Arzt. Und da gibt es oft solche Fälle, solche -verhängnisvolle ... ja, sagen wir Grenzfälle, wo man nicht weiß, ob man -die Pflicht hat ... nämlich, es gibt ja nicht nur eine Pflicht, die -gegen den andern, sondern eine für sich selbst und eine für den Staat -und eine für die Wissenschaft ... Man soll helfen, natürlich, dazu ist -man doch da ... aber solche Maximen sind immer nur theoretisch ... Wie -weit soll man denn helfen? ... Da sind Sie, ein fremder Mensch, und ich -bin Ihnen fremd, und ich bitte Sie, zu schweigen darüber, daß Sie mich -gesehen haben ... gut, Sie schweigen, Sie erfüllen diese Pflicht ... Ich -bitte Sie, mit mir zu sprechen, weil ich krepiere an meinem Schweigen -... Sie sind bereit, mir zuzuhören ... gut ... Aber das ist ja leicht -... Wenn ich Sie aber bitten würde, mich zu packen und über Bord zu -werfen ... da hört sich doch die Gefälligkeit, die Hilfsbereitschaft -auf. Irgendwo endets doch ... dort, wo man anfängt mit seinem eigenen -Leben, seiner eigenen Verantwortung ... irgendwo muß es doch enden ... -irgendwo muß diese Pflicht doch aufhören ... Oder vielleicht soll sie -gerade beim Arzt nicht aufhören dürfen? Muß der ein Heiland, ein -Allerweltshelfer sein, bloß weil er ein Diplom mit lateinischen Worten -hat, muß der wirklich sein Leben hinwerfen und sich Wasser ins Blut -schütten, wenn irgendeine ... irgendeiner kommt und will, daß er edel -sei, hilfreich und gut? Ja, irgendwo hört die Pflicht auf ... dort, wo -man nicht mehr kann, gerade dort ...« - -Er hielt wieder inne und riß sich auf. - -»Verzeihen Sie ... ich rede gleich so erregt ... aber ich bin nicht -betrunken ... noch nicht betrunken ... auch das kommt jetzt oft bei mir -vor, ich gestehe es Ihnen ruhig ein, in dieser höllischen Einsamkeit ... -Bedenken Sie, ich habe sieben Jahre nur fast zwischen Eingeborenen und -Tieren gelebt ... da verlernt man das ruhige Reden. Wenn man sich dann -auftut, flutets gleich über ... Aber warten Sie ... ja, ich weiß schon -... ich wollte Sie fragen, wollte Ihnen so einen Fall vorlegen, ob man -die Pflicht habe zu helfen ... so ganz engelhaft rein zu helfen, ob man -... Übrigens ich fürchte, es wird lang werden. Sind Sie wirklich nicht -müde?« - -»Nein, durchaus nicht.« - -»Ich ... ich danke Ihnen ... Nehmen Sie nicht?« - -Er hatte irgendwo hinter sich ins Dunkel getappt. Etwas klirrte -gegeneinander, zwei, drei, jedenfalls mehrere Flaschen, die er neben -sich gestellt. Er bot mir ein Glas Whisky, an dem ich flüchtig nippte, -während er mit einem Ruck das seine hinabgoß. Einen Augenblick stand -Schweigen zwischen uns. Da schlug die Glocke: halb eins. - - * * * * * - -»Also ... ich möchte Ihnen einen Fall erzählen. Nehmen Sie an, ein Arzt -in einer ... einer kleineren Stadt ... oder eigentlich am Lande ... ein -Arzt, der ... ein Arzt, der ...« - -Er stockte wieder. Dann riß er sich plötzlich den Sessel heran zu mir. - -»So geht es nicht. Ich muß Ihnen alles direkt erzählen, von Anfang an, -sonst verstehen Sie es nicht ... Das, das läßt sich nicht als Exempel, -als Theorie entwickeln ... ich muß Ihnen meinen Fall erzählen. Da gibt -es keine Scham, kein Verstecken ... vor mir ziehen sich auch die Leute -nackt aus und zeigen mir ihren Grind, ihren Harn und ihre Exkremente ... -wenn man geholfen haben will, darf man nicht herumreden und nichts -verschweigen ... Also ich werde Ihnen keinen Fall erzählen von einem -sagenhaften Arzt ... ich ziehe mich nackt aus und sage: ich ... das -Schämen habe ich verlernt in dieser dreckigen Einsamkeit, in diesem -verfluchten Land, das einem die Seele ausfrißt und das Mark aus den -Lenden saugt.« - -Ich mußte irgendeine Bewegung gemacht haben, denn er unterbrach sich. - -»Ach, Sie protestieren ... ich verstehe, Sie sind begeistert von Indien, -von den Tempeln und den Palmenbäumen, von der ganzen Romantik einer -Zweimonatsreise. Ja, so sind sie zauberhaft, die Tropen, wenn man sie in -der Eisenbahn, im Auto, in der Rikscha durchstreift: ich habe das auch -nicht anders gefühlt, als ich zum erstenmal herüber kam vor sieben -Jahren. Was träumte ich da nicht alles, die Sprachen wollte ich lernen -und die heiligen Bücher im Urtext lesen, die Krankheiten studieren, -wissenschaftlich arbeiten, die Psyche der Eingeborenen ergründen -- so -sagt man ja im europäischen Jargon -- ein Missionar der Menschlichkeit, -der Zivilisation werden. Alle, die kommen, träumen denselben Traum. Aber -in diesem unsichtbaren Glashaus dort geht einem die Kraft aus, das -Fieber -- man kriegts ja doch, mag man noch so viel Chinin in sich -fressen -- greift einem ans Mark, man wird schlapp und faul, wird weich, -eine Qualle. Irgendwie ist man als Europäer von seinem wahren Wesen -abgeschnitten, wenn man aus den großen Städten weg in so eine verfluchte -Sumpfstation kommt: auf kurz oder lang hat jeder seinen Knax weg, die -einen saufen, die andern rauchen Opium, die dritten prügeln und werden -Bestien -- irgendeinen Schuß Narrheit kriegt jeder ab. Man sehnt sich -nach Europa, träumt davon, wieder einen Tag auf einer Straße zu gehen, -in einem hellen steinernen Zimmer unter weißen Menschen zu sitzen, Jahr -um Jahr träumt man davon, und kommt dann die Zeit, wo man Urlaub hätte, -so ist man schon zu träge, um zu gehen. Man weiß, drüben ist man -vergessen, fremd, eine Muschel in diesem Meer, auf die jeder tritt. So -bleibt man und versumpft und verkommt in diesen heißen, nassen Wäldern. -Es war ein verfluchter Tag, an dem ich mich in dieses Drecknest verkauft -habe ... - -Übrigens: ganz so freiwillig war das ja auch nicht. Ich hatte in -Deutschland studiert, war recte Mediziner geworden, ein guter Arzt sogar -mit einer Anstellung an der Leipziger Klinik; irgendwo in einem -verschollenen Jahrgang der Medizinischen Blätter haben sie damals viel -Aufhebens gemacht von einer neuen Injektion, die ich als erster -praktiziert hatte. Da kam eine Weibergeschichte, eine Person, die ich im -Krankenhaus kennen lernte: sie hatte ihren Geliebten so toll gemacht, -daß er sie mit dem Revolver anschoß, und bald war ich ebenso toll wie -er. Sie hatte eine Art, hochmütig und kalt zu sein, die mich rasend -machte -- mich hatten immer schon Frauen in der Faust, die herrisch und -frech waren, aber diese bog mich zusammen, daß mir die Knochen brachen. -Ich tat, was sie wollte, ich -- nun, warum soll ichs nicht sagen, es -sind acht Jahre her -- ich tat für sie einen Griff in die Spitalskasse, -und als die Sache aufflog, war der Teufel los. Ein Onkel deckte noch den -Abgang, aber mit der Karriere war es vorbei. Damals hörte ich gerade, -die holländische Regierung werbe Ärzte an für die Kolonien und biete ein -Handgeld. Nun, ich dachte gleich, es müßte ein sauberes Ding sein, für -das man Handgeld biete, ich wußte, daß die Grabkreuze auf diesen -Fieberplantagen dreimal so schnell wachsen als bei uns, aber wenn man -jung ist, glaubt man, das Fieber und der Tod springt immer nur auf die -andern. Nun, ich hatte da nicht viel Wahl, ich fuhr nach Rotterdam, -verschrieb mich auf zehn Jahre, bekam ein ganz nettes Bündel Banknoten, -die Hälfte schickte ich nach Hause an den Onkel, die andere Hälfte jagte -mir eine Person dort im Hafenviertel ab, die alles von mir -herauskriegte, nur weil sie jener verfluchten Katze so ähnlich war. Ohne -Geld, ohne Uhr, ohne Illusionen bin ich dann abgesegelt von Europa und -war nicht sonderlich traurig, als wir aus dem Hafen steuerten. Und dann -saß ich so auf Deck wie Sie, wie alle saßen und sah das Südkreuz und die -Palmen, das Herz ging mir auf -- ah, Wälder, Einsamkeit, Stille, träumte -ich! Nun -- an Einsamkeit bekam ich gerade genug. Man setzte mich nicht -nach Batavia oder Surabaya, in eine Stadt, wo es Menschen gibt und Klubs -und Golf und Bücher und Zeitungen, sondern -- nun der Name tut ja nichts -zur Sache -- in irgendeine der Distriktstationen, zwei Tagereisen von -der nächsten Stadt. Ein paar langweilige, verdorrte Beamte, ein paar -Halfcast, das war meine ganze Gesellschaft, sonst weit und breit nur -Wald, Plantagen, Dickicht und Sumpf. - -Im Anfang wars noch erträglich. Ich trieb allerhand Studien; einmal, als -der Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen -und sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine -Operation, über die viel geredet wurde, ich sammelte Gifte und Waffen -der Eingeborenen, ich beschäftigte mich mit hundert kleinen Dingen, um -mich wach zu halten. Aber all dies ging nur, solang die Kraft von Europa -her in mir noch funktionierte: dann trocknete ich ein. Die paar Europäer -langweilten mich, ich brach den Verkehr ab, trank und träumte in mich -hinein. Ich hatte ja nur noch zwei Jahre, dann war ich frei mit Pension, -konnte nach Europa zurückkehren, noch einmal ein Leben anfangen. -Eigentlich tat ich nichts mehr als warten, stilliegen und warten. Und so -säße ich heute noch, wenn nicht sie ... wenn das nicht gekommen wäre.« - - * * * * * - -Die Stimme im Dunkeln hielt inne. Auch die Pfeife glimmte nicht mehr. So -still war es, daß ich mit einem Male wieder das Wasser hörte, das sich -schäumend am Kiel brach, und den fernen, dumpfen Herzstoß der Maschine. -Ich hätte mir gern eine Zigarette angezündet, aber ich hatte Furcht vor -dem grellen Aufschlag des Zündholzes und dem Reflex in seinem Gesicht. -Er schwieg und schwieg. Ich wußte nicht, ob er zu Ende sei, ob er -duselte, ob er schlief, so tot war sein Schweigen. - -Da schlug die Schiffsglocke einen geraden, kräftigen Schlag: ein Uhr. Er -fuhr auf: ich hörte wieder das Glas klingen. Offenbar tastete die Hand -suchend zum Whisky hinab. Ein Schluck gluckste leise -- dann plötzlich -begann die Stimme wieder, aber jetzt gleichsam gespannter, -leidenschaftlicher. - -»Ja also ... warten Sie ... ja also, das war so. Ich sitze da droben in -meinem verfluchten Nest, sitze wie die Spinne im Netz regungslos seit -Monaten schon. Es war gerade nach der Regenzeit, Wochen und Wochen hatte -es auf das Dach geplätschert, kein Mensch war gekommen, kein Europäer, -täglich, täglich hatte ich dagesessen mit meinen gelben Weibern im Haus -und meinem guten Whisky. Ich war damals gerade ganz »_down_«, ganz -europakrank: wenn ich irgendeinen Roman las von hellen Straßen und -weißen Frauen, begannen mir die Finger zu zittern. Ich kann Ihnen den -Zustand nicht ganz schildern, es ist eine Art Tropenkrankheit, eine -wütige, fiebrige und doch kraftlose Nostalgie, die einen manchmal packt. -So saß ich damals, ich glaube über einem Atlas, und träumte mir Reisen -aus. Da klopft es aufgeregt an die Tür, der Boy steht draußen und eines -von den Weibern, beide haben die Augen ganz aufgerissen vor Erstaunen. -Sie machen große Gebärden: eine Dame sei hier, eine Lady, eine weiße -Frau. - -Ich fahre auf. Ich habe keinen Wagen kommen gehört, kein Automobil. Eine -weiße Frau hier in dieser Wildnis? - -Ich will die Treppe hinab, reiße mich aber noch zurück. Ein Blick in den -Spiegel, hastig richte ich mich ein wenig zurecht. Ich bin nervös, -unruhig, irgendwie gequält von unangenehmem Vorgefühl, denn ich weiß -niemanden auf der Welt, der aus Freundschaft zu mir käme. Endlich gehe -ich hinunter. - -Im Vorraum wartet die Dame und kommt mir hastig entgegen. Ein dicker -Automobilschleier verhüllt ihr Gesicht. Ich will sie begrüßen, aber sie -fängt mir rasch das Wort ab. »Guten Tag, Doktor,« sagte sie auf englisch -in einer fließenden (etwas zu leicht fließenden und wie im voraus -eingelernten) Art. »Verzeihen Sie, daß ich Sie überfalle. Aber wir waren -gerade in der Station, unser Auto hält drüben« -- warum fährt sie nicht -bis vors Haus, schießt es mir blitzschnell durch den Kopf -- »da -erinnerte ich mich, daß Sie hier wohnen. Ich habe schon so viel von -Ihnen gehört, Sie haben ja eine wirkliche Zauberei mit dem -Vizeresidenten gemacht, sein Bein ist wieder tadellos _allright_, er -spielt Golf wie früher. Ah, ja, alles spricht noch davon drunten bei -uns, und wir wollten alle unseren brummigen Surgeon und noch die zwei -andern hergeben, wenn Sie zu uns kämen. Überhaupt, warum sieht man Sie -nie drunten, Sie leben ja wie ein Joghi ...« - -Und so plappert sie weiter, hastig und immer hastiger, ohne mich zu -Worte kommen zu lassen. Etwas Nervöses und Fahriges ist in diesem -talkigen Geschwätz, und ich werde selbst unruhig davon. Warum spricht -sie soviel, frage ich mich innerlich, warum stellt sie sich nicht vor, -warum nimmt sie den Schleier nicht ab? Hat sie Fieber? Ist sie krank? -Ist sie toll? Ich werde immer nervöser, weil ich die Lächerlichkeit -empfinde, so stumm vor ihr zu stehen, übergossen von ihrer prasselnden -Geschwätzigkeit. Endlich stoppt sie ein wenig, und ich kann sie -hinaufbitten. Sie macht dem Boy eine Bewegung, zurückzubleiben, und geht -vor mir die Treppe empor. - -»Nett haben Sie es hier,« sagt sie, in meinem Zimmer sich umsehend. »Ah, -die schönen Bücher! die möchte ich alle lesen!« Sie tritt an das Regal -und mustert die Büchertitel. Zum erstenmal, seit ich ihr -entgegengetreten, schweigt sie für eine Minute. - -»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?« fragte ich. - -Sie wendet sich nicht um und sieht nur auf die Büchertitel. »Nein, -danke, Doktor ... wir müssen gleich wieder weiter ...: ich habe nicht -viel Zeit ... war ja nur ein kleiner Ausflug ... Ach, da haben Sie auch -den Flaubert, den liebe ich so sehr ... wundervoll, ganz wundervoll, die ->_Education sentimentale_< ... ich sehe, Sie lesen auch französisch ... -Was Sie alles können! ... ja, die Deutschen, die lernen alles auf der -Schule ... Wirklich großartig, so viel Sprachen zu können! ... Der -Vizeresident schwört auf Sie, sagt immer, Sie seien der einzige, dem er -unter das Messer ginge ... unser guter Surgeon drüben taugt gerade zum -Bridgespiel ... Übrigens wissen Sie -- (sie wendete sich noch immer -nicht um) heute kams mir selbst in den Sinn, ich sollte Sie einmal -konsultieren ... und weil wir eben vorüberfuhren, dachte ich ... nun, -Sie haben jetzt wohl zu tun ... ich komme lieber ein andermal.« - -»Deckst du endlich die Karten auf!« dachte ich mir sofort. Aber ich ließ -nichts merken, sondern versicherte ihr, es würde mir nur eine Ehre sein, -jetzt und wann immer sie wolle, ihr zu dienen. - -»Es ist nichts Ernstes,« sagte sie, sich halb umwendend und gleichzeitig -in einem Buch blätternd, das sie vom Regal genommen hatte, »nichts -Ernstes ... Kleinigkeiten ... Weibersachen ... Schwindel, Ohnmachten. -Heute früh schlug ich, als wir eine Kurve machten, plötzlich hin, _raide -morte_ ... der Boy mußte mich aufrichten im Auto und Wasser holen ... -nun, vielleicht ist der Chauffeur zu rasch gefahren ... meinen Sie -nicht, Doktor?« - -»Ich kann das so nicht beurteilen. Haben Sie öfter derlei Ohnmachten?« - -»Nein ..., das heißt ja ... in der letzten Zeit ... gerade in der -allerletzten Zeit ... ja ... solche Ohnmachten und Übelkeiten.« - -Sie steht schon wieder vor dem Bücherschrank, tut das Buch hinein, nimmt -ein anderes heraus und blättert darin. Merkwürdig, warum blättert sie -immer so ... so nervös, warum schaut sie unter dem Schleier nicht auf? -Ich sage mit Absicht nichts. Es reizt mich, sie warten zu lassen. -Endlich fängt sie wieder an in ihrer nonchalanten, plapperigen Art. - -»Nicht wahr, Doktor, nichts Bedenkliches das? Keine Tropensache ... -nichts Gefährliches ...« - -»Ich müßte erst sehen, ob Sie Fieber haben. Darf ich um Ihren Puls -bitten ...« - -Ich gehe auf sie zu. Sie weicht leicht zur Seite. - -»Nein, nein, ich habe kein Fieber ... gewiß, ganz gewiß nicht ... ich -habe mich selbst gemessen jeden Tag, seit ... seit diese Ohnmachten -kamen. Nie Fieber, immer tadellos 36.4 auf den Strich. Auch mein Magen -ist gesund.« - -Ich zögere einen Augenblick. Die ganze Zeit schon prickelt in mir ein -Argwohn: ich spüre, diese Frau will etwas von mir, man kommt nicht in -eine Wildnis, um über Flaubert zu sprechen. Eine, zwei Minuten lasse ich -sie warten. »Verzeihen Sie,« sage ich dann geradewegs, »darf ich einige -Fragen ganz frei stellen?« - -»Gewiß, Doktor! Sie sind doch Arzt,« antwortet sie, aber schon wendet -sie mir wieder den Rücken und spielt mit den Büchern. - -»Haben Sie Kinder gehabt?« - -»Ja, einen Sohn.« - -»Und haben Sie ... haben Sie vorher ... ich meine damals ... haben Sie -da ähnliche Zustände gehabt?« - -»Ja.« - -Ihre Stimme ist jetzt ganz anders. Ganz klar, ganz bestimmt, gar nicht -mehr plapprig, gar nicht mehr nervös. - -»Und wäre es möglich, daß Sie ... verzeihen Sie die Frage ... daß Sie -jetzt in einem ähnlichen Zustande sind?« - -»Ja.« - -Wie ein Messer scharf und schneidend läßt sie das Wort fallen. In ihrem -abgewandten Kopf zuckt nicht eine Linie. - -»Vielleicht wäre es da am besten, gnädige Frau, ich nehme eine -allgemeine Untersuchung vor ... darf ich Sie vielleicht bitten, sich ... -sich in das andere Zimmer hinüber zu bemühen?« - -Da wendet sie sich plötzlich um. Durch den Schleier fühle ich einen -kalten, entschlossenen Blick mir gerade entgegen. - -»Nein ... das ist nicht nötig ... ich habe volle Gewißheit über meinen -Zustand.«« - - * * * * * - -Die Stimme zögert einen Augenblick. Wieder blinkert im Dunkel das -gefüllte Glas. - -»Also hören Sie ... aber versuchen Sie zuerst einen Augenblick sich das -zu überdenken. Da drängt sich zu einem, der in seiner Einsamkeit -vergeht, eine Frau herein, die erste weiße Frau betritt seit Jahren das -Zimmer ... und plötzlich spüre ichs, es ist etwas Böses im Zimmer, eine -Gefahr. Irgendwie überliefs mich: mir graute vor der stählernen -Entschlossenheit dieses Weibes, die da mit plapprigen Reden -hereingekommen war und dann mit einemmal ihre Forderung zückt, wie ein -Messer. Denn was sie von mir wollte, wußte ich ja, wußte ich sofort -- -es war nicht das erstemal, daß Frauen so etwas von mir verlangten, aber -sie kamen anders, kamen verschämt oder flehend, kamen mit Tränen und -Beschwörungen. Hier aber war eine ... ja, eine stählerne, eine männliche -Entschlossenheit ... von der ersten Sekunde spürte ichs, daß diese Frau -stärker war als ich ... daß sie mich in ihren Willen zwingen konnte, wie -sie wollte ... Aber ... aber ... es war auch etwas Böses in mir ... der -Mann, der sich wehrte, irgendeine Erbitterung, denn ... ich sagte es ja -schon ... von der ersten Sekunde, ja, noch ehe ich sie gesehen, empfand -ich diese Frau als Feind. - -Ich schwieg zunächst. Schwieg hartnäckig und erbittert. Ich spürte, daß -sie mich unter dem Schleier ansah -- gerade und fordernd ansah, daß sie -mich zwingen wollte zu sprechen. Aber ich gab nicht so leicht nach. Ich -begann zu sprechen, aber ... ausweichend ... ja unbewußt ahmte ich ihre -plapprige, gleichgültige Art nach. Ich tat, als ob ich sie nicht -verstünde, denn -- ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können -- ich -wollte sie zwingen, deutlich zu werden, ich wollte nicht anbieten, -sondern ... gebeten sein ... gerade von ihr, weil sie so herrisch kam -... und weil ich wußte, daß ich bei Frauen nichts so unterliege als -dieser hochmütigen kalten Art. - -Ich redete also herum, dies sei ganz unbedenklich, solche Ohnmachten -gehörten zum regulären Lauf der Dinge, im Gegenteil, sie verbürgten -beinahe eine gute Entwicklung. Ich zitierte Fälle aus den klinischen -Zeitungen ... ich sprach, ich sprach, lässig und leicht, immer die -Angelegenheit ganz wie eine Banalität betrachtend und ... und wartete -immer, daß sie mich unterbrechen würde. Denn ich wußte, sie würde es -nicht ertragen. - -Da fuhr sie schon scharf dazwischen, mit einer Handbewegung gleichsam -das ganze beruhigende Gerede wegstreifend. - -»Das ist es nicht, Doktor, was mich unsicher macht. Damals, als ich -meinen Buben bekam, war ich in besserer Verfassung ... aber jetzt bin -ich nicht mehr allright ... ich habe Herzzustände ...« - -»Ach, Herzzustände,« wiederholte ich, scheinbar beunruhigt, »da will ich -doch gleich nachsehen.« Und ich machte eine Bewegung, als ob ich -aufstehen und das Hörrohr holen wollte. - -Aber schon fuhr sie dazwischen. Die Stimme war jetzt ganz scharf und -bestimmt -- wie am Kommandoplatz. - -»Ich _habe_ Herzzustände, Doktor, und ich muß Sie bitten, zu glauben, -was ich Ihnen sage. Ich möchte nicht viel Zeit mit Untersuchungen -verlieren -- Sie könnten mir, meine ich, etwas mehr Vertrauen -entgegenbringen. Ich wenigstens habe mein Vertrauen zu Ihnen genug -bezeugt.« - -Jetzt war es schon Kampf, offene Herausforderung. Und ich nahm sie an. - -»Zum Vertrauen gehört Offenheit, rückhaltlose Offenheit. Reden Sie klar, -ich bin Arzt. Und vor allem nehmen Sie den Schleier ab, setzen Sie sich -her, lassen Sie die Bücher und die Umwege. Man kommt nicht zum Arzt im -Schleier.« - -Sie sah mich an, aufrecht und stolz. Einen Augenblick zögerte sie. Dann -setzte sie sich nieder, zog den Schleier hoch. Ich sah ein Gesicht, ganz -so wie ich es -- gefürchtet hatte, ein undurchdringliches Gesicht, hart, -beherrscht, von einer alterslosen Schönheit, ein Gesicht mit grauen -englischen Augen, in denen alles Ruhe schien und hinter die man doch -alles Leidenschaftliche träumen konnte. Dieser schmale, verpreßte Mund -gab kein Geheimnis her, wenn er nicht wollte. Eine Minute lang sahen wir -einander an -- sie befehlend und fragend zugleich, mit einer so kalten, -stählernen Grausamkeit, daß ich es nicht ertrug und unwillkürlich zur -Seite blickte. - -Sie klopfte leicht mit dem Knöchel auf den Tisch. Also auch in ihr war -Nervosität. Dann sagte sie plötzlich rasch: - -»Wissen Sie, Doktor, was ich von Ihnen will, oder wissen Sie es nicht?« - -»Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie -wollen Ihrem Zustand ein Ende bereiten ... Sie wollen, daß ich Sie von -Ihrer Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich ... indem ich die -Ursache beseitige. Ist es das?« - -»Ja.« - -Wie ein Fallbeil zuckte das Wort. - -»Wissen Sie auch, daß solche Versuche gefährlich sind ... für beide -Teile ...?« - -»Ja.« - -»Daß es gesetzlich mir untersagt ist?« - -»Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt, sondern sogar geboten -ist.« - -»Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.« - -»So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.« - -Klar, starr, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war -ein Befehl, und ich Schwächling bebte in Bewunderung vor der dämonischen -Herrischkeit ihres Willens. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht -zeigen, daß ich schon zertreten war. -- »Nur nicht zu rasch! Umstände -machen! Sie zur Bitte zwingen,« funkelte in mir irgendein Gelüst. - -»Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit -einem Kollegen im Krankenhaus ...« - -»Ich will Ihren Kollegen nicht ... ich bin zu Ihnen gekommen.« - -»Darf ich fragen, warum gerade zu mir?« - -Sie sah mich kalt an. - -»Ich habe kein Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, -weil Sie mich nicht kennen -- weil Sie ein guter Arzt sind, und weil Sie -...« jetzt zögerte sie zum ersten Male -- »wohl nicht mehr lange in -dieser Gegend bleiben werden, besonders wenn Sie ... wenn Sie eine -größere Summe nach Hause bringen können.« - -Mich überliefs kalt. Diese eherne, diese Merchant-, diese -Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre -Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan -- aber alles längst auskalkuliert, -mich erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische -ihres Willens in mich eindrang, aber ich wehrte mich mit all meiner -Erbitterung. Noch einmal zwang ich mich sachlich -- ja fast ironisch zu -sein. - -»Und diese größere Summe würden Sie ... würden Sie mir zur Verfügung -stellen?« - -»Für Ihre Hilfe und sofortige Abreise.« - -»Wissen Sie, daß ich dadurch meine Pension verliere?« - -»Ich werde sie Ihnen entschädigen.« - -»Sie sind sehr deutlich ... Aber ich will noch mehr Deutlichkeit. Welche -Summe haben Sie als Honorar in Aussicht genommen?« - -»Zwölftausend Gulden, zahlbar auf Scheck in Amsterdam.« - -Ich ... zitterte ... ich zitterte vor Zorn und ... ja auch vor -Bewunderung. Alles hatte sie berechnet, die Summe und die Art der -Zahlung, durch die ich zur Abreise genötigt war, sie hatte mich -eingeschätzt und gekauft, ohne mich zu kennen, hatte über mich verfügt -im Vorgefühl ihres Willens. Am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht -geschlagen ... Aber wie ich zitternd aufstand -- auch sie war -aufgestanden -- und ihr gerade Auge in Auge starrte, da überkam mich -plötzlich bei dem Blick auf diesen verschlossenen Mund, der nicht -bitten, auf ihre hochmütige Stirn, die sich nicht beugen wollte ... eine -... eine Art gewalttätiger Gier. Sie mußte irgend etwas davon fühlen, -denn sie spannte ihre Augenbrauen hoch, wie wenn man jemand Lästigen -wegweisen will: der Haß zwischen uns war plötzlich nackt. Ich wußte, sie -haßte mich, weil sie mich brauchte, und ich haßte sie, weil ... weil sie -nicht bitten wollte. Diese eine, diese eine Sekunde Schweigen sprachen -wir zum erstenmal ganz aufrichtig zueinander. Dann biß sich plötzlich -wie ein Reptil mir ein Gedanke ein, und ich sagte ihr ... ich sagte ihr -... - -Aber warten Sie, so würden Sie es falsch verstehen, was ich tat ... was -ich sagte ... ich muß Ihnen erst erklären, wie ... wieso dieser -wahnsinnige Gedanke in mich kam ...« - - * * * * * - -Wieder klirrte leise im Dunkel das Glas. Und die Stimme wurde erregter. - -»Nicht daß ich mich entschuldigen will, mich rechtfertigen, mich -reinwaschen ... Aber Sie verstehen es sonst nicht ... Ich weiß nicht, ob -ich je so etwas wie ein guter Mensch gewesen bin, aber ... ich glaube, -hilfreich war ich immer ... In dem dreckigen Leben da drüben war das ja -die einzige Freude, die man hatte, mit der Handvoll Wissenschaft, die -man sich ins Hirn gepreßt, irgendeinem Stück Leben den Atem erhalten zu -können ... so eine Art Herrgottsfreude ... Wirklich, es waren meine -schönsten Augenblicke, wenn so ein gelber Bursch kam, blauweiß vor -Schrecken, einen Schlangenbiß im hochgeschwollenen Fuß, und schon -heulte, man solle ihm das Bein nicht abschneiden, und ich kriegte es -noch fertig, ihn zu retten. Stundenweit bin ich gefahren, wenn irgendein -Weib im Fieber lag -- auch so wie diese es wollte, habe ich geholfen, -schon in Europa drüben an der Klinik. Aber da spürte mans wenigstens, -daß dieser Mensch einen _brauchte_, da wußte mans, daß man jemand vom -Tode rettete oder vor der Verzweiflung -- und das braucht man eben -selbst zum Helfen, dies Gefühl, daß der andere einen braucht. - -Aber diese Frau -- ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schildern kann -- sie -regte mich auf, reizte mich von dem Augenblick, da sie scheinbar -promenierend hereinkam, durch ihren Hochmut zu einem Widerstand, sie -reizte alles -- wie soll ichs sagen ... sie reizte alles Gedrückte, -alles Versteckte, alles Böse in mir zur Gegenwehr. Daß sie Lady spielte, -unnahbar kühl ein Geschäft entrierte, wo es um Tod und Leben ging, das -machte mich toll ... Und dann ... dann ... schließlich wird man doch -nicht schwanger vom Golfspielen ... ich wußte ... das heißt, ich mußte -plötzlich mit einer -- und das war jener Gedanke -- mit einer -entsetzlichen Deutlichkeit mich daran erinnern, daß diese Kühle, diese -Hochmütige, diese Kalte, die steil die Augenbrauen über ihre stählernen -Augen hochzog, als ich sie nur abwehrend ... ja fast wegstoßend -anblickte, daß die sich zwei oder drei Monate vorher heiß im Bett mit -einem Mann gewälzt hatte, nackt wie ein Tier und vielleicht stöhnend vor -Lust, die Körper ineinander verbissen wie zwei Lippen ... Das, das war -der brennende Gedanke, der mich überfiel, als sie mich so hochmütig, so -unnahbar kühl, ganz wie ein englischer Offizier anblickte ... und da, da -spannte sich alles in mir ... ich war besessen von der Idee, sie zu -erniedrigen ... von dieser Sekunde sah ich durch das Kleid ihren Körper -nackt ... von dieser Sekunde an lebte ich nur im Gedanken, sie zu -besitzen, ein Stöhnen aus ihren harten Lippen zu pressen, diese Kalte, -diese Hochmütige in Wollust zu fühlen so wie jener, jener andere, den -ich nicht kannte. Das ... das wollte ich Ihnen erklären ... Ich habe -nie, so verkommen ich war, sonst als Arzt die Situation zu nutzen -gesucht ... Aber diesmal war es ja nicht Geilheit, nicht Brunst, nichts -Sexuelles, wahrhaftig nicht ... ich würde es ja eingestehen ... nur die -Gier, eines Hochmuts Herr zu werden ... Herr als Mann ... Ich sagte es -Ihnen, glaube ich, schon, daß hochmütige, scheinbar kühle Frauen von je -über mich Macht hatten ... aber jetzt, jetzt kam noch dies dazu, daß ich -sieben Jahre hier lebte, ohne eine weiße Frau gehabt zu haben, daß ich -Widerstand nicht kannte ... Denn diese Mädchen hier, diese zwitschernden -kleinen zierlichen Tierchen, die zittern ja vor Ehrfurcht, wenn ein -Weißer, ein »Herr«, sie nimmt ... sie löschen aus in Demut, immer sind -sie einem offen, immer bereit, mit ihrem leisen, glucksenden Lachen -einem zu dienen ... aber gerade diese Unterwürfigkeit, dieses Sklavische -verschweint einem den Genuß ... Verstehen Sie jetzt, verstehen Sie es, -wie das dann auf mich hinschmetternd wirkte, wenn da plötzlich eine Frau -kam, voll von Hochmut und Haß, verschlossen bis an die Fingerspitzen, -zugleich funkelnd von Geheimnis und beladen mit früherer Leidenschaft -... wenn eine solche Frau in den Käfig eines solchen Mannes, einer so -vereinsamten, verhungerten, abgesperrten Menschenbestie frech eintritt -... Das ... das wollte ich nur sagen, damit Sie das andere verstehen ... -das, was jetzt kam. Also ... voll von irgendeiner bösen Gier, vergiftet -von dem Gedanken an sie, nackt, sinnlich, hingegeben, ballte ich mich -gleichsam zusammen und täuschte Gleichgültigkeit vor. Ich sagte kühl: -»Zwölftausend Gulden? ... Nein, dafür werde ich es nicht tun.« - -Sie sah mich an, ein wenig blaß. Sie spürte wohl schon, daß in diesem -Widerstand nicht Geldgier war. Aber doch sagte sie: - -»Was verlangen Sie also?« - -Ich ging auf den kühlen Ton nicht mehr ein. »Spielen wir mit offenen -Karten. Ich bin kein Geschäftsmann ... ich bin nicht der arme Apotheker -aus Romeo und Julia, der für >_corrupted gold_< sein Gift verkauft ... -ich bin vielleicht das Gegenteil eines Geschäftsmannes ... auf diesem -Wege werden Sie Ihren Wunsch nicht erfüllt sehen.« - -»Sie wollen es also nicht tun?« - -»Nicht für Geld.« - -Es wurde ganz still für eine Sekunde zwischen uns. So still, daß ich sie -zum erstenmal atmen hörte. - -»Was können Sie denn sonst wünschen?« - -Jetzt hielt ich mich nicht mehr. - -»Ich wünsche zuerst, daß Sie ... daß Sie zu mir nicht wie zu einem -Krämer reden, sondern wie zu einem Menschen. Daß Sie, wenn Sie Hilfe -brauchen, nicht ... nicht gleich mit Ihrem schändlichen Geld kommen ... -sondern bitten ... mich, den Menschen, bitten, Ihnen, dem Menschen, zu -helfen ... Ich bin nicht nur Arzt, ich habe nicht nur Sprechstunden ... -ich habe auch andere Stunden ... vielleicht sind Sie in eine solche -Stunde gekommen ...« - -Sie schweigt einen Augenblick. Dann krümmt sich ihr Mund ganz leicht, -zittert und sagt rasch: - -»Also wenn ich Sie bitten würde ... dann würden Sie es tun?« - -»Sie wollen schon wieder ein Geschäft machen -- Sie wollen nur bitten, -wenn ich erst verspreche. Erst müssen Sie mich bitten -- dann werde ich -Ihnen antworten.« - -Sie wirft den Kopf hoch wie ein trotziges Pferd. Zornig sieht sie mich -an. - -»Nein, -- ich werde Sie nicht bitten. Lieber zugrunde gehen!« - -Da packt mich der Zorn, der rote, sinnlose Zorn. - -»Dann werde ich fordern, wenn Sie nicht bitten wollen. Ich glaube, ich -muß nicht erst deutlich sein -- Sie wissen, was ich von Ihnen begehre. -Dann -- dann werde ich Ihnen helfen.« - -Einen Augenblick starrte sie mich an. Dann -- o ich kann, ich kann nicht -sagen, wie entsetzlich das war -- dann spannten sich ihre Züge, und dann -... dann _lachte_ sie mit einem Male ... lachte sie mir mit einer -unsagbaren Verächtlichkeit ins Gesicht ... mit einer Verächtlichkeit, -die mich zerstäubte ... und die mich berauschte zugleich ... Es war wie -eine Explosion, so plötzlich, so aufspringend, so mächtig losgesprengt -von einer ungeheuren Kraft dieses Lachen der Verächtlichkeit, daß ich -... ja daß ich hätte zu Boden sinken können und ihr die Füße küssen. -Eine Sekunde dauerte es nur ... es war wie ein Blitz, und ich hatte das -Feuer im ganzen Körper ... da wandte sie sich schon und ging hastig auf -die Tür zu. - -Unwillkürlich wollte ich ihr nach ... mich entschuldigen ... sie -anflehen ... meine Kraft war ja ganz zerbrochen ... da kehrte sie sich -noch einmal um und sagte ... nein, sie _befahl_: - -»Unterstehen Sie sich nicht mir zu folgen oder nachzuspüren ... Sie -würden es bereuen.« - -Und schon krachte hinter ihr die Türe zu.« - - * * * * * - -Wieder ein Zögern. Wieder ein Schweigen ... Wieder nur dies Rauschen, -als ob das Mondlicht strömte. Und dann endlich wieder die Stimme. - -»Die Tür schlug zu ... aber ich stand unbeweglich an der Stelle ... ich -war gleichsam hypnotisiert von dem Befehl ... ich hörte sie die Treppe -hinabsteigen, die Haustür zumachen ... ich hörte alles, und mein ganzer -Wille drängte ihr nach ... sie ... ich weiß nicht was ... sie -zurückzurufen, oder zu schlagen oder zu erdrosseln ... aber ihr nach ... -ihr nach ... Und doch konnte ich nicht. Meine Glieder waren gleichsam -gelähmt wie von einem elektrischen Schlag ... ich war eben getroffen, -getroffen bis ins Mark hinein von dem herrischen Blitz dieses Blickes -... Ich weiß, das ist nicht zu erklären, nicht zu erzählen ... es mag -lächerlich klingen, aber ich stand und stand ... ich brauchte Minuten, -vielleicht fünf, vielleicht zehn Minuten, ehe ich einen Fuß wegreißen -konnte von der Erde ... - -Aber kaum daß ich einen Fuß gerührt, war ich schon heiß, war ich schon -rasch ... im Nu eilte ich die Treppe hinab ... Sie konnte ja nur die -Straße hinabgegangen sein zur Zivilstation ... ich stürze in den -Schuppen, das Rad zu holen, sehe, daß ich den Schlüssel vergessen habe, -reiße den Verschlag auf, daß der Bambus splittert und kracht ... und -schon schwinge ich mich auf das Rad und sause ihr nach ... ich muß sie -... ich muß sie erreichen, ehe sie zu ihrem Automobil gelangt ... ich -muß sie sprechen ... - -Die Straße staubt an mir vorbei ... jetzt merke ich erst, wie lange ich -oben starr gestanden haben mußte ... da ... auf der Kurve im Wald knapp -vor der Station sehe ich sie, wie sie hastig mit steifem geradem Schritt -hineilt, begleitet von dem Boy ... Aber auch sie muß mich gesehen haben, -denn sie spricht jetzt mit dem Boy, der zurückbleibt, und geht allein -weiter ... Was will sie tun? Warum will sie allein sein? ... Will sie -mit mir sprechen, ohne daß er es hört? ... Blindwütig trete ich in die -Pedale hinein ... Da springt mir plötzlich quer von der Seite etwas über -den Weg ... der Boy ... ich kann gerade noch das Rad zur Seite reißen -und krache hin ... - -Ich stehe fluchend auf ... unwillkürlich hebe ich die Faust, um dem -Tölpel eins hinzuknallen, aber er springt zur Seite ... Ich rüttle mein -Fahrrad hoch, um wieder aufzusteigen ... Aber da springt der Halunke -vor, faßt das Rad und sagt in seinem erbärmlichen Englisch: »_You remain -here._« - -Sie haben nicht in den Tropen gelebt ... Sie wissen nicht, was das für -eine Frechheit ist, wenn ein solcher gelber Halunke einem weißen >Herrn< -das Rad faßt und ihm, dem >Herrn<, befiehlt, dazubleiben. Statt aller -Antwort schlage ich ihm die Faust ins Gesicht ... er taumelt, aber er -hält das Rad fest ... seine Augen, seine engen, feigen Augen sind weit -aufgerissen in sklavischer Angst ... aber er hält die Stange, hält sie -teuflisch fest ... »_You remain here_,« stammelt er noch einmal. Zum -Glück hatte ich keinen Revolver bei mir. Ich hätte ihn sonst -niedergeknallt. »Weg, Kanaille!« sage ich nur. Er starrt mich geduckt -an, läßt aber die Stange nicht los. Ich schlage ihm noch einmal auf den -Schädel, er läßt noch immer nicht. Da faßt mich die Wut ... ich sehe, -daß sie schon fort, vielleicht schon entkommen ist ... und versetzte ihm -einen regelrechten Boxerschlag unters Kinn, daß er hinwirbelt. Jetzt -habe ich wieder mein Rad ... aber wie ich aufspringe, stockt der Lauf -... bei dem gewaltsamen Zerren hat sich die Speiche verbogen ... Ich -versuche mit fiebernden Händen sie geradezudrehen ... Es geht nicht ... -so schmeiße ich das Rad quer auf den Weg neben den Halunken hin, der -blutend aufsteht und zur Seite weicht ... Und dann -- nein, Sie können -nicht fühlen, wie lächerlich das dort vor allen Menschen ist, wenn ein -Europäer ... nun, ich wußte nicht mehr, was ich tat ... ich hatte nur -den einen Gedanken: ihr nach, sie erreichen ... und so _lief_ ich, lief -wie ein Rasender die Landstraße entlang vorbei an den Hütten, wo das -gelbe Gesindel staunend sich vordrängte, einen weißen Mann, den Doktor, -_laufen_ zu sehen. - -Schweißtriefend kam ich in der Station an ... Meine erste Frage: Wo ist -das Auto? ... Eben weggefahren ... Verwundert sehen mich die Leute an: -als Rasender muß ich ihnen erscheinen, wie ich da naß und schmierig -ankam, die Frage voranschreiend, ehe ich noch stand ... Unten an der -Straße sehe ich weiß den Qualm des Autos wirbeln ... es ist ihr gelungen -... gelungen wie alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen -muß. - -Aber die Flucht hilft ihr nichts ... In den Tropen gibt es kein -Geheimnis unter den Europäern ... einer kennt den andern, alles wird zum -Ereignis ... Nicht umsonst ist ihr Chauffeur eine Stunde im Bungalow der -Regierung gestanden ... in einigen Minuten weiß ich alles ... Weiß, wer -sie ist ... daß sie unten in -- nun in der Regierungsstadt wohnt, acht -Eisenbahnstunden von hier ... daß sie -- nun sagen wir, die Frau eines -Großkaufmannes ist, rasend reich, vornehm, eine Engländerin ... ich -weiß, daß ihr Mann jetzt fünf Monate in Amerika war und nächster Tage -eintreffen soll, um sie mit nach Europa zu nehmen ... - -Sie aber -- und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein --- sie kann höchstens zwei oder drei Monate in andern Umständen sein -...« - - * * * * * - -»Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen ... vielleicht -nur deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst -verstand ... mir als Arzt immer die Diagnose meines Zustands selbst -stellte. Aber von da an begann es wie ein Fieber in mir ... ich verlor -die Kontrolle über mich ... das heißt, ich wußte genau, wie sinnlos -alles war, was ich tat; aber ich hatte keine Macht mehr über mich ... -ich verstand mich selbst nicht mehr ... ich lief nur in der Besessenheit -meines Ziels vorwärts ... Übrigens warten Sie ... vielleicht kann ich es -Ihnen doch begreiflich machen ... Wissen Sie, was Amok ist?« - -»Amok? ... ich glaube mich zu erinnern ... Eine Art Trunkenheit bei den -Malaien ...« - -»Es ist mehr als Trunkenheit ... es ist Tollheit, eine Art menschlicher -Hundswut ... ein Anfall mörderischer, sinnloser Monomanie, der sich mit -keiner andern alkoholischen Vergiftung vergleichen läßt ... ich habe -selbst während meines Aufenthaltes einige Fälle studiert -- für andere -ist man ja immer sehr klug und sehr sachlich -- ohne aber je das -furchtbare Geheimnis ihres Ursprungs freilegen zu können ... Irgendwie -hängt es mit dem Klima zusammen, mit dieser schwülen, geballten -Atmosphäre, die auf die Nerven wie ein Gewitter drückt, bis sie einmal -losspringen ... Also Amok ... ja, Amok, das ist so: Ein Malaie, -irgendein ganz einfacher, ganz gutmütiger Mensch, trinkt sein Gebräu in -sich hinein ... er sitzt da, stumpf, gleichgültig, matt ... so wie ich -in meinem Zimmer saß ... und plötzlich springt er auf, faßt den Dolch -und rennt auf die Straße ... rennt geradeaus, immer nur geradeaus ... -ohne zu wissen wohin ... Was ihm in den Weg tritt, Mensch oder Tier, das -stößt er nieder mit seinem Kris, und der Blutrausch macht ihn nur noch -hitziger ... Schaum tritt dem Laufenden vor die Lippen, er heult wie ein -Rasender ... aber er rennt, rennt, rennt, sieht nicht mehr nach rechts, -sieht nicht nach links, rennt nur mit seinem gellen Schrei, seinem -blutigen Kris in dieses entsetzliche Geradeaus ... Die Leute in den -Dörfern wissen, daß keine Macht einen Amokläufer aufhalten kann ... so -brüllen sie warnend voraus, wenn er kommt: »Amok! Amok!«, und alles -flüchtet ... er aber rennt, ohne zu hören, rennt, ohne zu sehen, stößt -nieder, was ihm begegnet ... bis man ihn totschießt wie einen tollen -Hund oder er selbst schäumend zusammenbricht ... - -Einmal habe ich das gesehen, vom Fenster meines Bungalow aus ... es war -grauenhaft ... aber nur dadurch, daß ichs gesehen habe, begreife ich -mich selbst in jenen Tagen ... denn so, genau so, mit diesem furchtbaren -Blick geradeaus, ohne nach rechts oder links zu sehen, mit dieser -Besessenheit stürmte ich los ... dieser Frau nach ... Ich weiß nicht -mehr, wie ich alles tat, in so rasendem Lauf, in so unsinniger -Geschwindigkeit flog es vorbei ... Zehn Minuten, nein, fünf, nein zwei -... nachdem ich alles von dieser Frau wußte, ihren Namen, ihr Haus, ihr -Schicksal, jagte ich schon auf einem rasch geborgten Rad in mein Haus -zurück, warf einen Anzug in den Koffer, steckte Geld zu mir und fuhr zur -Station der Eisenbahn mit einem Wagen ... fuhr, ohne mich abzumelden -beim Distriktsbeamten ... ohne einen Vertreter zu ernennen, ließ das -Haus offen stehen und liegen wie es war ... Um mich standen Diener, die -Weiber staunten und fragten, ich antwortete nicht, wandte mich nicht um -... fuhr zur Eisenbahn und mit dem nächsten Zug hinab in die Stadt ... -Eine Stunde im ganzen, nachdem diese Frau in mein Zimmer getreten, hatte -ich meine Existenz hinter mich geworfen und rannte Amok ins Leere hinein -... - -Geradeaus rannte ich, mit dem Kopf gegen die Wand ... um sechs Uhr -abends war ich angekommen ... um sechs Uhr zehn war ich in ihrem Haus -und ließ mich melden ... Es war ... Sie werden es verstehen ... das -Sinnloseste, das Stupideste, was ich tun konnte ... aber der Amokläufer -rennt ja mit leeren Augen, er sieht nicht, wohin er rennt ... Nach -einigen Minuten kam der Diener zurück ... höflich und kühl ... die -gnädige Frau sei nicht wohl und könne nicht empfangen ... - -Ich taumelte die Türe hinaus ... Eine Stunde schlich ich noch um das -Haus herum, besessen von der wahnwitzigen Hoffnung, sie würde vielleicht -nach mir suchen ... dann nahm ich mir erst ein Zimmer im Strandhotel und -zwei Flaschen Whisky auf das Zimmer ... die und eine doppelte Dosis -Veronal halfen mir ... ich schlief endlich ein ... und dieser dumpfe, -schlammige Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Leben -und Tod.« - - * * * * * - -Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schläge, die noch im weichen -Teich der fast reglosen Luft zitternd weiterschwangen und dann verebbten -in das leise, unaufhörliche Rauschen, das unter dem Kiele und zwischen -der leidenschaftlichen Rede beharrlich mitlief. Der Mensch im Dunkeln -mir gegenüber mußte erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. -Wieder hörte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise -Glucksen. Dann begann er, gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme. - -»Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erzählen. Ich -glaube heute, daß ich damals Fieber hatte, jedenfalls war ich in einer -Art Überreiztheit, die an Tollheit grenzte -- ein Amokläufer, wie ich -Ihnen sagte. Aber vergessen Sie nicht, es war Dienstag nachts, als ich -ankam, Samstag aber sollte -- dies hatte ich inzwischen erfahren -- ihr -Gatte mit dem P. & O.-Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also -nur drei Tage, drei knappe Tage für den Entschluß und für die Hilfe. -Verstehen Sie das: ich wußte, daß ich ihr sofort helfen mußte, und -konnte doch kein Wort zu ihr sprechen. Und gerade dieses Bedürfnis, mein -lächerliches, mein tollwütiges Benehmen zu entschuldigen, das hetzte -mich weiter. Ich wußte um die Kostbarkeit jedes Augenblickes, ich wußte, -daß es für sie um Leben und Tod ginge, und hatte doch keine Möglichkeit, -mich nur mit einem Flüstern, mit einem Zeichen ihr zu nähern, denn -gerade das Stürmische, das Tölpische meines Nachrennens hatte sie -erschreckt. Es war ... ja, warten Sie ... es war, wie wenn einer einem -nachrennt, um ihn zu warnen vor einem Mörder, und der andere hält ihn -selbst für den Mörder, und so rennt er weiter in sein Verderben ... sie -sah nur den Amokläufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu demütigen, -aber ich ... das war ja der entsetzliche Widersinn ... ich dachte gar -nicht mehr an das ... ich war ja schon ganz vernichtet, ich wollte ihr -nur helfen, ihr nur dienen ... einen Mord hätte ich getan, ein -Verbrechen, um ihr zu helfen ... Aber sie, sie verstand es nicht. Als -ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu ihrem Haus, stand der -Boy vor der Tür, derselbe Boy, den ich ins Gesicht geschlagen, und wie -er mich von ferne sah -- er mußte auf mich gewartet haben --, huschte er -hinein in die Tür. Vielleicht tat er es nur, um mich im geheimen -anzumelden ... vielleicht ... ah, diese Ungewißheit, wie peinigt sie -mich jetzt ... vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen ... -aber da, wie ich ihn sah, mich erinnerte an meine Schmach, da war ich es -wieder, der nicht wagte, noch einmal den Besuch zu wiederholen ... Die -Knie zitterten mir. Knapp vor der Schwelle drehte ich mich um und ging -wieder fort ... ging fort, während sie vielleicht in ähnlicher Qual auf -mich wartete. - -Ich wußte jetzt nicht mehr, was tun in der fremden Stadt, die an meinen -Fersen wie Feuer glühte ... Plötzlich fiel mir etwas ein, schon rief ich -einen Wagen und fuhr zum Vizeresidenten, zu demselben, dem ich damals in -meiner Station geholfen, und ließ mich melden ... Irgend etwas muß schon -in meinem äußern Wesen befremdend gewesen sein, denn er sah mich mit -einem gleichsam erschreckten Blick an, und seine Höflichkeit hatte etwas -Beunruhigtes ... vielleicht erkannte er schon den Amokläufer in mir ... -Ich sagte ihm kurz entschlossen, ich erbäte meine Versetzung in die -Stadt, ich könne auf meinem Posten nicht mehr länger existieren ... ich -müsse sofort übersiedeln ... Er sah mich ... ich kann Ihnen nicht sagen, -wie er mich ansah ... so wie eben ein Arzt einen Kranken ansieht ... -»Ein Nervenzusammenbruch, lieber Doktor,« sagte er dann, »ich verstehe -das nur zu gut. Nun, es wird sich schon richten lassen; aber warten Sie -... sagen wir vier Wochen ... ich muß erst einen Ersatz finden.« »Ich -kann nicht warten, nicht einen Tag,« antwortete ich. Wieder kam dieser -merkwürdige Blick. »Es muß gehen, Doktor,« sagte er ernst, »wir dürfen -die Station nicht ohne Arzt lassen. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich -noch heute alles einleite.« Ich blieb stehen, mit verbissenen Zähnen: -zum erstenmal spürte ich deutlich, daß ich ein verkaufter Mensch, ein -Sklave sei. Schon ballte sich alles zu einem Trotz zusammen, aber er, -der Geschmeidige, kam mir zuvor: »Sie sind menschenentwöhnt, Doktor, und -das wird schließlich eine Krankheit. Wir haben uns alle gewundert, daß -Sie nie herkamen, nie Urlaub nahmen. Sie brauchen mehr Geselligkeit, -mehr Anregung. Kommen Sie doch wenigstens diesen Abend, wir haben heute -Empfang bei der Regierung, Sie finden die ganze Kolonie, und manche -mochten Sie längst kennen lernen, haben oft nach Ihnen gefragt und Sie -hierhergewünscht.« - -Das letzte Wort riß mich auf. Nach mir gefragt? Sollte sie es gewesen -sein? Ich war plötzlich ein anderer: sofort dankte ich ihm höflichst für -seine Einladung und sicherte mein Kommen pünktlich zu. Und ich war auch -pünktlich, viel zu pünktlich. Muß ich Ihnen erst sagen, daß ich, von -meiner Ungeduld gejagt, der erste in dem großen Saale des -Regierungsgebäudes war, schweigend umgeben von den gelben Dienern, die -mit ihren nackten Sohlen wippend hin und her eilten und mich -- wie mir -in meinem verwirrten Bewußtsein dünkte -- hinterrücks belächelten. Eine -Viertelstunde war ich der einzige Europäer inmitten all der -geräuschlosen Vorbereitungen und so allein mit mir, daß ich das Ticken -der Uhr in meiner Westentasche hörte. Dann kamen endlich ein paar -Regierungsbeamte mit ihren Familien, schließlich auch der Gouverneur, -der mich in ein längeres Gespräch zog, in dem ich beflissen und, wie ich -glaube, geschickt antwortete, bis ... bis ich plötzlich, von einer -geheimnisvollen Nervosität befallen, alle Geschmeidigkeit verlor und zu -stammeln begann. Obzwar mit dem Rücken gegen die Saaltür gelehnt, spürte -ich mit einem Male, daß sie eingetreten, daß sie anwesend sein müßte: -ich könnte Ihnen nicht sagen, wieso mich diese plötzliche Gewißheit -verwirrend faßte, aber noch während ich mit dem Gouverneur sprach, den -Klang seiner Worte im Ohr, spürte ich im Rücken irgendwo ihre Gegenwart. -Glücklicherweise endete der Gouverneur bald das Gespräch -- ich glaube, -ich hätte mich sonst plötzlich brüsk umgewandt, so stark war dieses -geheimnisvolle Ziehen in meinen Nerven, so brennend gereizt meine -Begier. Und wirklich, kaum daß ich mich umwandte, sah ich sie schon ganz -genau an jener Stelle, wo sie unbewußt mein Gefühl geahnt. Sie stand in -einem gelben Ballkleid, das ihre schmalen, reinen Schultern wie mattes -Elfenbein vorleuchten ließ, plaudernd inmitten einer Gruppe. Sie -lächelte, aber doch, mir war, als hätte ihr Gesicht einen gespannten -Zug. Ich trat näher -- sie konnte mich nicht sehen oder wollte mich -nicht sehen -- und blickte in dieses Lächeln, das gefällig und höflich -um die schmalen Lippen zitterte. Und dieses Lächeln berauschte mich von -neuem, weil es ... nun weil ich wußte, daß es Lüge war, Kunst oder -Technik, Meisterschaft der Verstellung. Mittwoch ist heute, fuhr mir -durch den Kopf, Samstag kommt das Schiff mit dem Gatten ... wie kann sie -so lächeln, so ... so sicher, so sorglos lächeln und den Fächer lässig -in der Hand spielen lassen, statt ihn zu zerkrampfen in Angst? Ich ... -ich, der Fremde ... ich zitterte seit zwei Tagen vor jener Stunde ... -ich, der Fremde, lebte ihre Angst, ihr Entsetzen mit allen Exzessen des -Gefühls mit ... und sie ging auf den Ball und lächelte, lächelte, -lächelte ... - -Rückwärts setzte die Musik ein. Der Tanz begann. Ein älterer Offizier -hatte sie aufgefordert, sie ließ mit einer Entschuldigung den -plaudernden Kreis und schritt an seinem Arm gegen den andern Saal zu, an -mir vorbei. Wie sie mich erblickte, spannte sich plötzlich ihr Gesicht -gewaltsam zusammen -- aber nur eine Sekunde lang, dann nickte sie mir -mit einem höflichen Erkennen (ehe ich mich noch zu grüßen oder -nichtgrüßen entschlossen hatte) wie einem zufälligen Bekannten zu: -»Guten Abend, Doktor« und war schon vorbei. Niemand hätte ahnen können, -was in diesem graugrünen Blick verborgen war, und ich, ich selbst wußte -es nicht. Warum grüßte sie ... warum erkannte sie mich nun mit einmal -an? ... War das Abwehr, war es Annäherung, war es nur die Verlegenheit -der Überraschung? Ich kann Ihnen nicht schildern, in welcher Erregtheit -ich zurückblieb, alles war aufgewühlt, war explosiv in mir -zusammengepreßt, und wie ich sie so sah, lässig walzend am Arme des -Offiziers, auf der Stirne den kühlen Glanz der Sorglosigkeit, indes ich -doch wußte, daß sie ... daß sie so wie ich nur _daran_ ... daran dachte -... daß wir zwei hier allein ein furchtbares Geheimnis gemeinsam hatten -... und sie walzte ... in diesen Sekunden wurde meine Angst, meine Gier -und meine Bewunderung noch mehr Leidenschaft als jemals. Ich weiß nicht, -ob mich jemand beobachtet hat, aber gewiß verriet ich mich in meinem -Verhalten noch viel mehr, als sie sich verbarg -- ich konnte eben nicht -in eine andere Richtung schauen, ich mußte ... ja, ich mußte sie -ansehen, ich sog, ja ich zerrte von ferne an ihrem verschlossenen -Gesicht, ob die Maske nicht für eine Sekunde fallen wollte. Und sie -mußte diesen starren Blick unangenehm empfunden haben. Als sie am Arme -ihres Tänzers zurückschritt, sah sie mich im Blitzlicht einer Sekunde -an, scharf befehlend, wie wegweisend: wieder spannte sich jene kleine -Falte des hochmütigen Zornes, die ich schon von damals kannte, böse über -ihrer Stirn. - -Aber ... aber ... ich sagte es Ihnen ja ... ich lief Amok, ich sah nicht -nach rechts und nicht nach links. Ich verstand sie sofort -- dieser -Blick hieß: sei nicht auffällig! bezähme dich! -- ich wußte, daß sie ... -wie soll ich es sagen? ... daß sie Diskretion des Benehmens hier im -offenen Saal von mir wollte ... ich verstand, daß, wenn ich jetzt -heimginge, ich morgen gewiß sein könne, von ihr empfangen zu werden ... -daß sie es nur jetzt, nur jetzt vermeiden wollte, meiner auffälligen -Vertraulichkeit ausgesetzt zu sein, daß sie -- und wie sehr mit Recht -- -von meinem Ungeschick eine Szene fürchtete ... Sie sehen ... ich wußte -alles, ich verstand diesen befehlenden grauen Blick, aber ... aber es -war zu stark in mir, ich mußte sie sprechen. Und so schwankte ich hin zu -der Gruppe, in der sie plaudernd stand, schob mich -- obwohl ich nur -einige der Anwesenden kannte -- ganz an den lockeren Kreis heran nur aus -Begier, sie sprechen zu hören, und doch immer scheu mich duckend wie ein -geprügelter Hund vor ihrem Blick, wenn er kalt an mir vorbeistreifte, -als sei ich eine der Leinenportieren, an der ich lehnte, oder die Luft, -die sie leicht bewegte. Aber ich stand, durstig nach einem Wort, das sie -zu mir sprechen sollte, nach einem Zeichen des Einverständnisses, stand -und stand starren Blickes inmitten des Geplauders wie ein Block. -Unbedingt mußte es schon auffällig geworden sein, unbedingt, denn keiner -richtete ein Wort an mich, und sie mußte leiden unter meiner -lächerlichen Gegenwart. - -Wie lange ich so gestanden hätte, ich weiß es nicht ... eine Ewigkeit -vielleicht ... ich _konnte_ ja nicht fort aus dieser Bezauberung des -Willens. Gerade die Hartnäckigkeit meiner Wut lähmte mich ... Aber sie -ertrug es nicht länger ... plötzlich wandte sie sich mit der -prachtvollen Leichtigkeit ihres Wesens gegen die Herren und sagte: »Ich -bin ein wenig müde ... ich will heute einmal früher zu Bett gehen ... -Gute Nacht!« ... und schon streifte sie mit einem gesellschaftlich -fremden Kopfnicken an mir vorbei ... ich sah noch die hochgezogene Falte -auf der Stirn und dann nur mehr den Rücken, den weißen, kühlen, nackten -Rücken. Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, daß sie -fortging ... daß ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen könnte -diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung ... einen Augenblick lang -also stand ich noch starr, bis ichs begriff ... dann ... dann ... - -Aber warten Sie ... warten Sie ... Sie werden sonst das Sinnlose, das -Stupide meiner Tat nicht verstehen ... ich muß Ihnen erst den ganzen -Raum schildern ... Es war der große Saal des Regierungsgebäudes, ganz -von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal ... die Paare -waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel ... nur an den Ecken -plauderten einige Gruppen ... der Saal war also leer, jede Bewegung -auffällig und im grellen Licht sichtbar ... und diesen großen weiten -Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch, ab -und zu einen Gruß mit ihrer unbeschreiblichen Haltung erwidernd ... mit -dieser herrlichen erfrorenen hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so -entzückte ... Ich ... ich war zurückgeblieben, ich sagte es Ihnen ja, -ich war gleichsam gelähmt, bevor ich es begriff, daß sie fortging ... -und da, als ich es begriff, war sie schon am andern Ende des Saales -knapp vor der Türe ... Da ... oh, ich schäme mich jetzt noch, es zu -denken ... da packte es mich plötzlich an und ich _lief_, -- hören Sie: -ich lief ... ich ging nicht, ich _lief_ mit polternden Schuhen, die laut -widerhallten, quer durch den Saal ihr nach ... Ich hörte meine Schritte, -ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet ... ich hätte vergehen -können vor Scham ... noch während ich lief, war mir schon der Wahnsinn -bewußt ... aber ich konnte ... ich konnte nicht mehr zurück ... Bei der -Tür holte ich sie ein ... Sie wandte sich um ... ihre Augen stießen wie -ein grauer Stahl in mich hinein, ihre Nasenflügel zitterten vor Zorn ... -ich wollte eben zu stammeln anfangen ... da ... da ... _lachte_ sie -plötzlich hellauf ... ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und -sagte laut ... so laut, daß es alle hören konnten ... »Ach, Doktor, -jetzt fällt Ihnen erst das Rezept für meinen Buben ein ... ja, die -Herren der Wissenschaft ...« Ein paar, die in der Nähe standen, lachten -gutmütig mit ... ich begriff, ich taumelte unter der Meisterschaft, mit -der sie die Situation gerettet hatte ... griff in die Brieftasche und -riß ein leeres Blatt vom Block, das sie lässig nahm, ehe sie ... noch -einmal mit einem kalten, dankenden Lächeln ... ging ... Mir war leicht -in der ersten Sekunde ... ich sah, daß mein Irrsinn durch ihre -Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen ... aber ich wußte auch -sofort, daß alles für mich verloren sei, daß diese Frau mich um meiner -hitzigen Narrheit haßte ... haßte mehr als den Tod ... daß ich nun -hundertmal und hundertmal vor ihre Tür kommen könnte und sie mich -wegweisen würde wie einen Hund. - -Ich taumelte durch den Saal ... ich merkte, daß die Leute auf mich -blickten ... ich muß irgendwie sonderbar ausgesehen haben ... Ich ging -zum Büfett, trank zwei, drei, vier Gläser Kognak hintereinander ... das -rettete mich vor dem Umsinken ... meine Nerven konnten schon nicht mehr, -sie waren wie durchgerissen ... Dann schlich ich bei einer Nebentür -hinaus, heimlich wie ein Verbrecher ... Um kein Fürstentum der Welt -hätte ich jenen Saal nochmals durchschreiten können, wo ihr Lachen noch -gell an allen Wänden klebte ... ich ging ... genau weiß ichs nicht mehr -zu sagen, wohin ich ging ... in ein paar Kneipen und soff mich an ... -soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will ... aber ... -es ward mir nicht dumpf in den Sinnen ... das Lachen stak in mir, -schrill und böse ... das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich -nicht betäuben ... Ich irrte dann noch am Hafen herum ... meinen -Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst hätte ich mich erschossen. -Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim -... nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein -Revolver lag ... nur mit diesem einen Gedanken. - -Daß ich mich dann nicht erschoß ... ich schwöre Ihnen, das war nicht -Feigheit ... es wäre für mich eine Erlösung gewesen, den schon -gespannten kalten Hahn abzudrücken ... aber wie soll ich es Ihnen -erklären ... ich fühlte noch eine Pflicht in mir ... ja, jene Pflicht zu -helfen, jene verfluchte Pflicht ... mich machte der Gedanke wahnsinnig, -daß sie mich noch brauchen könnte, daß sie mich brauchte ... es war ja -schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag ... ich sagte es -Ihnen ja ... Samstag kam das Schiff, und daß _diese_ Frau, diese -hochmütige, stolze Frau die Schande vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht -überleben würde, das wußte ich ... Ah, wie mich solche Gedanken -gemartert haben an die sinnlos vertane kostbare Zeit, an meine -irrwitzige Übereilung, die jede rechtzeitige Hilfe vereitelt hatte ... -stundenlang, ja stundenlang, ich schwöre es Ihnen, bin ich im Zimmer -niedergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich -mich ihr nähern, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen könnte ... -denn daß sie mich nicht mehr vorlassen würde in ihrem Haus, das war mir -gewiß ... ich hatte das Lachen noch in allen Nerven und das Zucken des -Zornes um ihre Nasenflügel ... stundenlang, wirklich stundenlang bin ich -so die drei Meter des schmalen Zimmers auf und ab gerannt ... es war -schon Tag, es war schon Vormittag ... - -Und plötzlich schmiß es mich hin zu dem Tisch ... ich riß ein Bündel -Briefblätter heraus und begann ihr zu schreiben ... alles zu schreiben -... einen hündisch winselnden Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in -dem ich mich einen Wahnsinnigen, einen Verbrecher nannte ... in dem ich -sie beschwor, sich mir anzuvertrauen ... Ich schwor in der nächsten -Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie wollte: -aus der Welt ... nur verzeihen sollte sie mir und mir vertrauen, sich -helfen lassen in der letzten, der allerletzten Stunde ... Zwanzig Seiten -fieberte ich so hinunter ... es muß ein toller, ein unbeschreiblicher -Brief wie aus einem Delirium gewesen sein, denn als ich aufstand vom -Tisch, war ich in Schweiß gebadet ... das Zimmer schwankte, ich mußte -ein Glas Wasser trinken ... Dann erst versuchte ich den Brief noch -einmal zu überlesen, aber mir graute nach den ersten Worten ... zitternd -faltete ich ihn zusammen, faßte schon ein Kuvert ... Da plötzlich fuhrs -mich durch. Mit einem Male wußte ich das wahre, das entscheidende Wort. -Und ich riß noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf -das letzte Blatt: »Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der -Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschieße ich -mich.« - -Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben -sofort überbringen. Endlich war alles gesagt -- alles!« - - * * * * * - -Etwas klirrte und kollerte neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte -er die Whiskyflasche umgestoßen: ich hörte, wie seine Hand ihr suchend -am Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung faßte: -in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten -schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und -hastiger als zuvor. - -»Ich bin kein gläubiger Christ mehr ... für mich gibt es keinen Himmel -und keine Hölle ... und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, -denn sie kann nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von vormittag -bis abends erlebte ... Denken Sie sich ein kleines Zimmer, heiß in der -Sonne, immer glühender im Mittagsbrand ... ein kleines Zimmer, nur Tisch -und Stuhl und Bett ... Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und -einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen ... einen Menschen, der -nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr -starren ... einen Menschen, der nicht ißt und nicht trinkt und nicht -raucht und sich nicht regt ... der immer nur ... hören Sie: immer nur, -drei Stunden lang ... auf den weißen Kreis des Zifferblattes starrt und -auf den kleinen Zeiger, der tickend den Kreis umläuft ... So ... so ... -habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet, gewartet, gewartet ... aber -gewartet wie ... wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos, tierisch, -mit dieser rasenden, geradlinigen Beharrlichkeit. - -Nun ... ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern ... das läßt sich -nicht schildern ... ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das -erleben kann ohne ... ohne wahnsinnig zu werden ... Also ... um drei Uhr -zweiundzwanzig Minuten ... ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr -... klopft es plötzlich an die Tür ... Ich springe auf ... springe, wie -ein Tiger auf seine Beute springt, mit einem Ruck durch das ganze Zimmer -zur Tür, reiße sie auf ... ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht -draußen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand, und während ich -gierig darnach greife, huscht er schon weg und ist verschwunden. - -Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen ... und kann ihn nicht lesen -... Mir schwankt es rot vor den Augen ... denken Sie die Qual, ich habe -endlich, habe endlich das Wort von ihr ... und nun zittert und tanzt es -mir vor den Pupillen ... Ich tauche den Kopf ins Wasser ... nun wirds -mir klarer ... Nochmals nehme ich den Zettel und lese: - -»Zu spät! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.« - -Keine Unterschrift auf dem zerknüllten Papier, das von irgendeinem alten -Prospekt abgefetzt war ... hastige, verworrene Bleistiftzüge einer sonst -sicheren Schrift ... ich weiß nicht, warum mich das Blatt so -erschütterte ... Irgend etwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, -es war wie auf einer Flucht geschrieben, stehend an einer Fensternische -oder in einem fahrenden Wagen ... Etwas Unbeschreibliches von Angst, von -Hast, von Entsetzen schlug kalt von diesem heimlichen Zettel mir in die -Seele ... und doch ... und doch, ich war glücklich: sie hatte mir -geschrieben, ich mußte noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen ... -vielleicht ... ich durfte ... oh, ich verlor mich ganz in den -wahnwitzigsten Konjekturen und Hoffnungen ... Hundertemal, tausendemal -habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn geküßt ... ihn durchforscht -nach irgendeinem vergessenen, übersehenen Wort ... immer tiefer, immer -verworrener wurde meine Träumerei, ein phantastischer Zustand von Schlaf -mit offenen Augen ... eine Art Lähmung, irgend etwas ganz Dumpfes und -doch Bewegtes zwischen Schlaf und Wachsein, das vielleicht -Viertelstunden dauerte, vielleicht Stunden ... - -Plötzlich schreckte ich auf ... Hatte es nicht geklopft? ... Ich hielt -den Atem an ... eine Minute, zwei Minuten reglose Stille ... Und dann -wieder ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges -Pochen ... Ich sprang auf, noch ganz taumelig, riß die Tür auf -- -draußen stand der Boy, ihr Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit -der Faust zerschlagen ... sein braunes Gesicht war aschfahl, sein -verwirrter Blick sagte Unglück ... Sofort spürte ich Grauen ... »Was ... -was ist geschehen?« konnte ich noch stammeln. »_Come quickly_«, sagte er -... sonst nichts ... sofort raste ich die Treppe herunter, er mir nach -... Ein Sado, so ein kleiner Wagen, stand bereit, wir stiegen ein ... -»Was ist geschehen?« fragte ich ihn ... Er sah mich zitternd an und -schwieg mit verbissenen Lippen ... Ich fragte nochmals -- er schwieg und -schwieg ... Ich hätte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit -der Faust, aber ... gerade seine hündische Treue zu ihr rührte mich ... -so fragte ich nicht mehr ... Das Wägelchen trabte so hastig durch das -Gewirr, daß die Menschen fluchend auseinanderstoben, lief aus dem -Europäerviertel am Strand in die niedere Stadt und weiter, weiter ins -schreiende Gewirr der Chinesenstadt ... Endlich kamen wir in eine enge -Gasse, ganz abseits lag sie ... vor einem niedern Hause hielt er an ... -Es war schmutzig und wie in sich zusammengekrochen, vorne ein kleiner -Laden mit einem Talglicht ... irgendeine dieser Buden, in die sich die -Opiumhäuser oder Bordelle verstecken, ein Diebsnest oder ein -Hehlerkeller ... Hastig klopfte der Boy an ... Hinter dem Türspalt -zischelte eine Stimme, fragte und fragte ... Ich konnte es nicht mehr -ertragen, sprang vom Sitz, stieß die angelehnte Tür auf ... ein altes -chinesisches Weib flüchtete mit einem kleinen Schrei zurück ... hinter -mir kam der Boy, führte mich durch den Gang ... klinkte eine andere Tür -auf ... eine andere Türe in einen dunklen Raum, der übel roch von -Branntwein und gestocktem Blut ... Irgend etwas stöhnte darin ... ich -tappte hin ...« - - * * * * * - -Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein -Schluchzen als ein Sprechen. - -»Ich ... ich tappte hin ... und dort ... dort lag auf einer schmutzigen -Matte ... verkrümmt vor Schmerz ... ein stöhnendes Stück Mensch ... dort -lag sie ... - -Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel ... Meine Augen waren noch -nicht gewöhnt ... so tastete ich nur hin ... ihre Hand ... heiß ... -brennend heiß ... Fieber, hohes Fieber ... und ich schauerte ... ich -wußte sofort alles ... sie war hierher geflüchtet vor mir ... hatte sich -verstümmeln lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie -hier mehr Schweigsamkeit erhoffte ... hatte sich morden lassen von -irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen ... nur weil -ich Wahnsinniger ... weil ich ihren Stolz nicht geschont, ihr nicht -gleich geholfen hatte ... weil sie den Tod weniger fürchtete als mich -... - -Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte -mit zitternden Händen eine rußende Petroleumlampe ... ich mußte mich -halten, um der gelben Kanaille nicht an die Gurgel zu springen ... sie -stellten die Lampe auf den Tisch ... der Lichtschein fiel gelb und hell -über den gemarterten Leib ... Und plötzlich ... plötzlich war alles weg -von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche von -aufgehäufter Leidenschaft ... ich war nur mehr Arzt, helfender, -spürender, wissender Mensch ... ich hatte mich vergessen ... ich kämpfte -mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche ... Ich fühlte den -nackten Leib, den ich in meinen Träumen begehrt, nur mehr als ... wie -soll ich es sagen ... als Materie, als Organismus ... ich spürte nicht -mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den -Menschen, der sich krümmte in mörderischer Qual ... Ihr Blut, ihr -heißes, heiliges Blut überströmte meine Hände, aber ich spürte es nicht -in Lust und nicht in Grauen ... ich war nur Arzt ... ich sah nur das -Leiden ... und sah ... - -Und sah sofort, daß alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe -... sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch -ungeschickten Hand ... und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in -dieser stinkenden Höhle, nicht einmal reines Wasser ... alles, was ich -anrührte, starrte von Schmutz ... - -»Wir müssen sofort ins Spital,« sagte ich. Aber kaum daß ichs gesagt, -bäumte sich krampfig der gemarterte Leib auf. »Nein ... nein ... lieber -sterben ... niemand es erfahren ... niemand es erfahren ... nach Hause -... nach Hause ...« - -Ich verstand ... nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie ... -nicht um ihr Leben ... Und -- ich gehorchte ... Der Boy brachte eine -Sänfte ... wir betteten sie hinein ... und so ... wie eine Leiche schon, -matt und fiebernd ... trugen wir sie durch die Nacht ... nach Hause ... -die fragende, erschreckte Dienerschaft abwehrend ... wie Diebe trugen -wir sie hinein in ihr Zimmer und sperrten die Türen ... Und dann ... -dann begann der Kampf, der lange Kampf gegen den Tod ...« - - * * * * * - -Plötzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, daß ich fast aufschrie -vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einemmal -fratzenhaft nah, ich sah die weißen Zähne, wie sie sich bleckten in -plötzlichem Ausbruch, sah die Augengläser im fahlen Reflex des -Mondlichts wie zwei riesige Katzenaugen glimmen. Und jetzt sprach er -nicht mehr -- er schrie, geschüttelt von einem heulenden Zorn: - -»Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier lässig auf einem -Deckstuhl sitzen, ein Spazierenfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie -das ist, wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabeigewesen, -haben Sie es gesehen, wie der Leib sich aufkrümmt, die blauen Nägel ins -Leere krallen, wie die Kehle röchelt, jedes Glied sich wehrt, jeder -Finger sich stemmt gegen das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt -in einem Grauen, für das es keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal -erlebt, Sie Müßiggänger, Sie Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden -als von einer Pflicht? Ich habe es oft gesehen als Arzt, habe es gesehen -als ... als klinischen Fall, als Tatsache ... habe es sozusagen studiert --- aber _erlebt_ habe ichs nur einmal, miterlebt, mitgestorben bin ich -nur damals in jener Nacht ... in jener entsetzlichen Nacht, wo ich saß -und mir das Hirn zerpreßte, um etwas zu wissen, etwas zu finden, zu -erfinden gegen das Blut, das rann und rann und rann, gegen das Fieber, -das sie vor meinen Augen verbrannte ... gegen den Tod, der immer näher -kam und den ich nicht wegdrängen konnte vom Bett. Verstehen Sie, was das -heißt, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle Krankheiten -- die Pflicht -haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen -- und doch ohnmächtig bei -einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht ... nur dies -eine, dies Entsetzliche wissend, daß man nicht helfen kann, ob man sich -auch jede Ader in seinem Körper aufreißen möchte ... einen geliebten -Körper zu sehen, wie er elend verblutet, gemartert von Schmerzen, einen -Puls zu fühlen, der fliegt und zugleich verlischt ... der einem -wegfließt unter den Fingern ... Arzt zu sein und nichts zu wissen, -nichts, nichts, nichts ... nur dazusitzen und irgendein Gebet stammeln -wie ein Hutzelweib in der Kirche, und dann wieder die Fäuste ballen -gegen einen erbärmlichen Gott, von dem man weiß, daß es ihn nicht gibt -... Verstehen Sie das? Verstehen Sie das? ... Ich ... ich verstehe nur -eines nicht, wie ... wie man es macht, daß man nicht mitstirbt in -solchen Sekunden ... daß man dann noch am nächsten Morgen von einem -Schlaf aufsteht und sich die Zähne putzt und eine Kravatte umbindet ... -daß man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich fühlte, wie -dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und kämpfte, den ich -halten wollte mit allen Kräften meiner Seele ... wie der wegglitt unter -mir ... irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute und ich -nichts wußte in meinem fiebernden Gehirn, um diesen, diesen einen -Menschen festzuhalten ... - -Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies ... -Während ich an ihrem Bett saß -- ich hatte ihr Morphium eingegeben, um -die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heißen Wangen, heiß -und fahl -- ja ... während ich so saß, spürte ich vom Rücken her immer -zwei Augen auf mich gerichtet mit einem fürchterlichen Ausdruck der -Spannung ... Der Boy saß dort auf den Boden gekauert und murmelte leise -irgendwelche Gebete ... Wenn mein Blick den seinen traf, so ... nein, -ich kann es nicht schildern ... so kam etwas so Flehendes, so ... so -Dankbares in seinen hündischen Blick, und gleichzeitig hob er die Hände -zu mir, als wollte er mich beschwören, sie zu retten ... verstehen Sie: -zu mir, zu mir hob er die Hände wie zu einem Gott ... zu mir ... dem -ohnmächtigen Schwächling, der wußte, daß alles verloren ... daß ich hier -so unnötig sei wie eine Ameise, die am Boden raschelt ... Ah, dieser -Blick, wie er mich quälte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung -auf meine Kunst ... ich hätte ihn anschreien können und mit dem Fuß -treten, so weh tat er mir ... und doch, ich spürte, wie wir beide -zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr ... durch das Geheimnis ... Ein -lauerndes Tier, ein dumpfes Knäuel saß er zusammengeballt knapp hinter -mir ... kaum daß ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten -lautlosen Sohlen und reichte es zitternd ... erwartungsvoll her, als sei -das die Hilfe ... die Rettung ... Ich weiß, er hätte sich die Adern -aufgeschnitten, um ihr zu helfen ... so war diese Frau, solche Macht -hatte sie über Menschen ... und ich ... ich hatte nicht Macht, ein -Quentchen Blut zu retten ... O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, -diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! - -Gegen Morgen ward sie noch einmal wach ... sie schlug die Augen auf ... -jetzt waren sie nicht mehr hochmütig und kalt ... ein Fieber glitzerte -feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten ... Dann -sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an -mein Gesicht ... und plötzlich ... ich sah es ... erinnerte sie sich ... -denn irgendein Schreck, eine Abwehr ... etwas ... etwas Feindliches, -Entsetztes spannte ihr Gesicht ... sie arbeitete mit den Armen, als -wollte sie flüchten ... weg, weg, weg von mir ... ich sah, sie dachte an -_das_ ... an die Stunde von damals ... Aber dann kam ein Besinnen ... -sie sah mich ruhiger an, atmete schwer ... ich fühlte, sie wollte -sprechen, etwas sagen ... Wieder begannen die Hände sich zu spannen ... -sie wollte sich aufheben, aber sie war zu schwach ... Ich beruhigte sie, -beugte mich nieder ... da sah sie mich an mit einem langen, gequälten -Blick ... ihre Lippen regten sich leise ... es war nur ein letzter -erlöschender Laut, wie sie sagte ... - -»Wird es niemand erfahren? ... Niemand?« - -»Niemand,« sagte ich mit aller Kraft der Überzeugung, »ich verspreche es -Ihnen.« - -Aber ihr Auge war noch unruhig ... Mit fiebriger Lippe ganz undeutlich -arbeitete sie's heraus. - -»Schwören Sie mir ... niemand erfahren ... schwören.« - -Ich hob die Finger wie zum Eid. Sie sah mich an ... mit einem ... einem -unbeschreiblichen Blick ... weich war er, warm, dankbar ... ja, -wirklich, wirklich dankbar ... Sie wollte noch etwas sprechen, aber es -ward ihr zu schwer. Lang lag sie, ganz matt von der Anstrengung, mit -geschlossenen Augen. Dann begann das Entsetzliche ... das Entsetzliche -... eine ganze schwere Stunde kämpfte sie noch: erst morgens war es zu -Ende ...« - - * * * * * - -Er schwieg lange. Ich merkte es nicht eher, als vom Mitteldeck die -Glocke in die Stille schlug, ein, zwei, drei harte Schläge -- drei Uhr. -Das Mondlicht war matter geworden, aber irgendeine andere gelbe Helle -zitterte schon unsicher in der Luft, und Wind flog manchmal leicht wie -eine Brise her. Eine halbe, eine Stunde mehr, und dann war es Tag, war -dies Grauen ausgelöscht im klaren Licht. Ich sah seine Züge jetzt -deutlicher, da die Schatten nicht mehr so dicht und schwarz in unsern -Winkel fielen -- er hatte die Kappe abgenommen, und unter dem blanken -Schädel schien sein verquältes Gesicht noch schreckhafter. Aber schon -wandten sich die glitzernden Brillengläser wieder mir zu, er straffte -sich zusammen, und seine Stimme hatte einen höhnischen, scharfen Ton. - -»Mit ihr wars nun zu Ende -- aber nicht mit mir. Ich war allein mit der -Leiche -- aber allein in einem fremden Haus, allein in einer Stadt, die -kein Geheimnis duldete, und ich ... ich hatte das Geheimnis zu hüten ... -Ja, denken Sie sich das nur aus, die ganze Situation: eine Frau aus der -besten Gesellschaft der Kolonie, vollkommen gesund, die noch abends -zuvor auf dem Regierungsball getanzt hat, liegt plötzlich tot in ihrem -Bett ... ein fremder Arzt ist bei ihr, den angeblich ihr Diener gerufen -... niemand im Haus hat gesehen, wann und woher er kam ... man hat sie -nachts auf einer Sänfte hereingetragen und dann die Türen geschlossen -... und morgens ist sie tot ... dann erst hat man die Diener gerufen, -und plötzlich gellt das Haus von Geschrei ... im Nu wissen es die -Nachbarn, die ganze Stadt ... und nur einer ist da, der das alles -erklären soll ... ich, der fremde Mensch, der Arzt aus einer entlegenen -Station ... Eine erfreuliche Situation, nicht wahr? ... - -Ich wußte, was mir bevorstand. Glücklicherweise war der Boy bei mir, der -brave Bursche, der mir jeden Wink von den Augen las -- auch dieses gelbe -dumpfe Tier verstand, daß hier noch ein Kampf ausgetragen werden müsse. -Ich hatte ihm nur gesagt: »Die Frau will, daß niemand erfährt, was -geschehen ist.« Er sah mir in die Augen mit seinem hündisch feuchten und -doch entschlossenen Blick: »_Yes, Sir_,« mehr sagte er nicht. Aber er -wusch die Blutspuren vom Boden, richtete alles in beste Ordnung -- und -gerade seine Entschlossenheit gab mir die meine wieder. - -Nie im Leben, das weiß ich, habe ich eine ähnlich zusammengeballte -Energie gehabt, nie werde ich sie wieder haben. Wenn man alles verloren -hat, dann kämpft man um das Letzte wie ein Verzweifelter -- und das -Letzte war ihr Vermächtnis, das Geheimnis. Ich empfing voll Ruhe die -Leute, erzählte ihnen allen die gleiche erdichtete Geschichte, wie der -Boy, den sie um den Arzt gesandt hatte, mich zufällig auf dem Wege traf. -Aber während ich scheinbar ruhig redete, wartete ... wartete ich immer -auf das Entscheidende ... auf den Totenbeschauer, der erst kommen mußte, -ehe wir sie in den Sarg verschließen konnten und das Geheimnis mit ihr -... Es war, vergessen Sie nicht, Donnerstag, und Samstag kam ihr Gatte -... - -Um neun Uhr hörte ich endlich, wie man den Amtsarzt anmeldete. Ich hatte -ihn rufen lassen -- er war mein Vorgesetzter im Rang und gleichzeitig -mein Konkurrent, derselbe Arzt, von dem sie seinerzeit so verächtlich -gesprochen und der offenbar meinen Wunsch nach Versetzung bereits -erfahren hatte. Bei seinem ersten Blick spürte ichs schon: er war mir -Feind. Aber gerade das straffte meine Kraft. - -Im Vorzimmer fragte er schon: »Wann ist Frau ... -- er nannte ihren -Namen -- gestorben?« - -»Um sechs Uhr morgens.« - -»Wann sandte sie zu Ihnen?« - -»Um elf Uhr abends.« - -»Wußten Sie, daß ich ihr Arzt war?« - -»Ja, aber es tat Eile not ... und dann ... die Verstorbene hatte -ausdrücklich mich verlangt. Sie hatte verboten, einen andern Arzt rufen -zu lassen.« - -Er starrte mich an: in seinem bleichen, etwas verfetteten Gesicht flog -eine Röte hoch, ich spürte, daß er erbittert war. Aber gerade das -brauchte ich -- alle meine Energien drängten sich zu rascher -Entscheidung, denn ich spürte, lange hielten es meine Nerven nicht mehr -aus. Er wollte etwas Feindliches erwidern, dann sagte er lässig: »Wenn -Sie schon meinen, mich entbehren zu können, so ist es doch meine -amtliche Pflicht, den Tod zu konstatieren und ... wie er eingetreten -ist.« - -Ich antwortete nicht und ließ ihn vorangehen. Dann trat ich zurück, -schloß die Tür und legte den Schlüssel auf den Tisch. Überrascht zog er -die Augenbrauen hoch: - -»Was bedeutet das?« - -Ich stellte mich ruhig ihm gegenüber: - -»Es handelt sich hier nicht darum, die Todesursache festzustellen, -sondern -- eine andere zu finden. Diese Frau hat mich gerufen, um sie -nach ... nach den Folgen eines verunglückten Eingriffes zu behandeln ... -ich konnte sie nicht mehr retten, aber ich habe ihr versprochen, ihre -Ehre zu retten, und das werde ich tun. Und ich bitte Sie darum, mir zu -helfen!« - -Seine Augen waren ganz weit geworden vor Erstaunen. »Sie wollen doch -nicht etwa sagen,« stammelte er dann, »daß ich, der Amtsarzt, hier ein -Verbrechen decken soll?« - -»Ja, das will ich, das muß ich wollen.« - -»Für Ihr Verbrechen soll ich ...« - -»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich diese Frau nicht berührt habe, sonst ... -sonst stünde ich nicht vor Ihnen, sonst hätte ich längst mit mir Schluß -gemacht. Sie hat ihr Vergehen -- wenn Sie es so nennen wollen -- gebüßt, -die Welt braucht davon nichts zu wissen. Und ich werde es nicht dulden, -daß die Ehre dieser Frau jetzt noch unnötig beschmutzt wird.« - -Mein entschlossener Ton reizte ihn nur noch mehr auf. »Sie werden nicht -dulden ... so ... nun, Sie sind ja mein Vorgesetzter ... oder glauben es -wenigstens schon zu sein ... Versuchen Sie nur, mir zu befehlen ... ich -habe mirs gleich gedacht, da ist Schmutziges im Spiel, wenn man Sie aus -Ihrem Winkel herruft ... eine saubere Praxis, die Sie da anfangen, ein -sauberes Probestück ... Aber jetzt werde _ich_ untersuchen, _ich_, und -Sie können sich darauf verlassen, daß ein Protokoll, unter dem mein Name -steht, richtig sein wird. Ich werde keine Lüge unterschreiben.« - -Ich war ganz ruhig. - -»Ja -- das müssen Sie diesmal doch. Denn früher werden Sie das Zimmer -nicht verlassen.« - -Ich griff dabei in die Tasche -- meinen Revolver hatte ich nicht bei -mir. Aber er zuckte zusammen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah -ihn an. - -»Hören Sie, ich werde Ihnen etwas sagen ... damit es nicht zum Äußersten -kommt. Mir liegt an meinem Leben nichts ... nichts an dem eines andern --- ich bin nun schon einmal soweit ... mir liegt einzig daran, mein -Versprechen einzulösen, daß die Art dieses Todes geheim bleibt ... Hören -Sie: ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß, wenn Sie das Zertifikat -unterfertigen, diese Frau sei an ... nun an einer Zufälligkeit -gestorben, daß ich dann noch im Laufe dieser Woche die Stadt und Indien -verlasse ... daß ich, wenn Sie es verlangen, meinen Revolver nehme und -mich niederschieße, sobald der Sarg in der Erde ist und ich sicher sein -kann, daß niemand ... Sie verstehen: _niemand_ -- mehr nachforschen -kann. Das wird Ihnen wohl genügen -- das _muß_ Ihnen genügen.« - -Es muß etwas Drohendes, etwas Gefährliches in meiner Stimme gewesen -sein, denn wie ich unwillkürlich nähertrat, wich er zurück mit jenem -aufgerissenen Entsetzen, wie ... wie eben Menschen vor dem Amokläufer -flüchten, wenn er rasend hinrennt mit geschwungenem Kris ... Und mit -einemmal war er anders ... irgendwie geduckt und gelähmt ... seine harte -Haltung brach ein. Er murmelte mit einem letzten ganz weichen -Widerstand: »Es wäre das erstemal in meinem Leben, daß ich ein falsches -Zertifikat unterzeichnete ... immerhin, es wird sich schon eine Form -finden lassen ... man weiß ja auch, was vorkommt ... Aber ich durfte -doch nicht so ohne weiteres ...« - -»Gewiß durften Sie nicht,« half ich ihm, um ihn zu bestärken -- (>Nur -rasch! nur rasch!< tickte es mir in den Schläfen) -- »aber jetzt, da Sie -wissen, daß Sie nur einen Lebenden kränken und einer Toten ein -Entsetzliches täten, werden Sie doch gewiß nicht zögern.« - -Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest -fertig (das dann auch in der Zeitung veröffentlicht wurde und glaubhaft -eine Herzlähmung schilderte). Dann stand er auf, sah mich an: - -»Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?« - -»Mein Ehrenwort.« - -Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich -erscheinen. »Ich besorge sofort einen Sarg,« sagte er, um seine -Verlegenheit zu decken. Aber was war das in mir, das mich so ... so -furchtbar ... so gequält machte -- plötzlich streckte er mir die Hand -hin und schüttelte sie mit einer aufspringenden Herzlichkeit. -»Überstehen Sie's gut,« sagte er -- ich wußte nicht, was er meinte. War -ich krank? War ich ... wahnsinnig? Ich begleitete ihn zur Tür, schloß -auf -- aber das war meine letzte Kraft, die hinter ihm die Tür schloß. -Dann kam dies Ticken wieder in die Schläfen, alles schwankte und -kreiste: und gerade vor ihrem Bett fiel ich zusammen ... so ... so wie -der Amokläufer am Ende seines Laufs sinnlos niederfällt mit zersprengten -Nerven.« - - * * * * * - -Wieder hielt er inne. Irgendwie fröstelte michs: war das erster Schauer -des Morgenwinds, der jetzt leise sausend über das Schiff lief? Aber das -gequälte Gesicht -- nun schon halb erhellt vom Widerschein der Frühe -- -spannte sich wieder zusammen: - -»Wie lang ich so auf der Matte gelegen hatte, weiß ich nicht. Da rührte -michs an. Ich fuhr auf. Es war der Boy, der zaghaft mit seiner devoten -Geste vor mir stand und mir unruhig in den Blick sah. - -»Es will jemand herein ... will sie sehen ...« - -»Niemand darf herein.« - -»Ja ... aber ...« - -Seine Augen waren erschreckt. Er wollte etwas sagen und wagte es doch -nicht. Das treue Tier litt irgendwie eine Qual. - -»Wer ist es?« - -Er sah mich zitternd an wie in Furcht vor einem Schlag. Und dann sagte -er -- er nannte keinen Namen ... woher ist in solch einem niedern Wesen -mit einmal so viel Wissen, wie kommt es, daß in manchen Sekunden ein -unbeschreibliches Zartgefühl derlei ganz dumpfe Menschen beseelt? ... -dann sagte er ... ganz, ganz ängstlich ... »_Er_ ist es.« - -Ich fuhr auf, verstand sofort und war sofort ganz Gier, ganz Ungeduld -nach diesem Unbekannten. Denn sehen Sie, wie sonderbar ... inmitten all -dieser Qual, in diesem Fieber von Verlangen, von Angst und Hast hatte -ich ganz an >ihn< vergessen ... vergessen, daß da noch ein Mann im -Spiele war ... der Mann, den diese Frau geliebt, dem sie -leidenschaftlich das gegeben, was sie mir verweigert ... Vor zwölf, vor -vierundzwanzig Stunden hätte ich diesen Mann noch gehaßt, ihn noch -zerfleischen können ... Jetzt ... ich kann, ich kann Ihnen nicht -schildern, wie es mich jagte, ihn zu sehen ... ihn ... zu lieben, weil -sie ihn geliebt. - -Mit einem Ruck war ich bei der Tür. Ein junger, ganz junger blonder -Offizier stand dort, sehr linkisch, sehr schmal, sehr blaß. Wie ein Kind -sah er aus, so ... so rührend jung ... und unsäglich erschütterte michs -gleich, wie er sich mühte, Mann zu sein, Haltung zu zeigen ... seine -Erregung zu verbergen ... Ich sah sofort, daß seine Hände zitterten, als -er zur Mütze fuhr ... Am liebsten hätte ich ihn umarmt ... weil er ganz -so war, wie ich mirs wünschte, daß der Mann sein sollte, der diese Frau -besessen ... kein Verführer, kein Hochmütiger ... nein, ein halbes Kind, -ein reines, zärtliches Wesen, dem sie sich geschenkt. - -Ganz befangen stand der junge Mensch vor mir. Mein gieriger Blick, mein -leidenschaftlicher Aufsprung machten ihn noch mehr verwirrt. Das kleine -Schnurrbärtchen über der Lippe zuckte verräterisch ... dieser junge -Offizier, dies Kind mußte sich bezwingen, um nicht herauszuschluchzen. - -»Verzeihen Sie,« sagte er dann endlich, »ich hätte gerne Frau ... gerne -noch ... gesehen.« - -Unbewußt, ganz ohne es zu wollen, legte ich ihm, dem Fremden, meinen Arm -um die Schulter, führte ihn, wie man einen Kranken führt. Er sah mich -erstaunt an mit einem unendlich warmen und dankbaren Blick ... irgendein -Verstehen unserer Gemeinschaft war schon in dieser Sekunde zwischen uns -beiden ... Wir gingen zu der Toten ... Sie lag da, weiß, in den weißen -Linnen -- ich spürte, daß meine Nähe ihn noch bedrückte ... so trat ich -zurück, um ihn allein zu lassen mit ihr. Er ging langsam näher mit ... -mit so zuckenden, ziehenden Schritten ... an seinen Schultern sah ichs, -wie es in ihm wühlte und riß ... er ging so wie ... wie einer, der gegen -einen ungeheuren Sturm geht ... Und plötzlich brach er vor dem Bett in -die Knie ... genau so, wie ich hingebrochen war. - -Ich sprang sofort vor, hob ihn empor und führte ihn zu einem Sessel. Er -schämte sich nicht mehr, sondern schluchzte seine Qual heraus. Ich -vermochte nichts zu sagen -- nur mit der Hand strich ich ihm unbewußt -über sein blondes, kindlich weiches Haar. Er griff nach meiner Hand ... -ganz lind und doch ängstlich ... und mit einemmal fühlte ich seinen -Blick an mir hängen ... - -»Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor,« stammelte er, »hat sie selbst Hand -an sich gelegt?« - -»Nein,« sagte ich. - -»Und ist ... ich meine ... ist irgend ... irgend jemand schuld an ihrem -Tode?« - -»Nein,« sagte ich wieder, obwohl mirs aufquoll in der Kehle, ihm -entgegenzuschreien: »Ich! Ich! Ich! ... Und du! ... Wir beide! Und ihr -Trotz, ihr unseliger Trotz!« Aber ich hielt mich zurück. Ich wiederholte -noch einmal: »Nein ... niemand hat schuld daran ... es war ein -Verhängnis!« - -»Ich kann es nicht glauben,« stöhnte er, »ich kann es nicht glauben. Sie -war noch vorgestern auf dem Balle, sie lächelte, sie winkte mir zu. Wie -ist das möglich, wie konnte das geschehen?« - -Ich erzählte eine lange Lüge. Auch ihm verriet ich ihr Geheimnis nicht. -Wie zwei Brüder sprachen wir zusammen alle diese Tage, gleichsam -überstrahlt von dem Gefühl, das uns verband ... und das wir einander -nicht anvertrauten, aber wir spürten einer vom andern, daß unser ganzes -Leben an dieser Frau hing ... Manchmal drängte sichs mir würgend an die -Lippen, aber dann biß ich die Zähne zusammen -- nie hat er erfahren, daß -sie ein Kind von ihm trug ... daß ich das Kind, sein Kind, hätte töten -sollen, und daß sie es mit sich selbst in den Abgrund gerissen. Und doch -sprachen wir nur von ihr in diesen Tagen, während derer ich mich bei ihm -verbarg ... denn -- das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen -- man -suchte nach mir ... Ihr Mann war gekommen, als der Sarg schon -geschlossen war ... er wollte den Befund nicht glauben ... die Leute -munkelten allerlei ... und er suchte mich ... Aber ich konnte es nicht -ertragen, ihn zu sehen, ihn, von dem ich wußte, daß sie unter ihm -gelitten ... ich verbarg mich ... vier Tage ging ich nicht aus dem -Hause, gingen wir beide nicht aus der Wohnung ... ihr Geliebter hatte -mir unter einem falschen Namen einen Schiffsplatz genommen, damit ich -flüchten könne, ... wie ein Dieb bin ich nachts auf das Deck -geschlichen, daß niemand mich erkennt ... Alles habe ich zurückgelassen, -was ich besitze ... mein Haus mit der ganzen Arbeit dieser sieben Jahre, -mein Hab und Gut, alles steht offen für jeden, der es haben will ... und -die Herren von der Regierung haben mich wohl schon gestrichen, weil ich -ohne Urlaub meinen Posten verließ ... Aber ich konnte nicht leben mehr -in diesem Haus, in dieser Stadt ... in dieser Welt, wo alles mich an sie -erinnert ... wie ein Dieb bin ich geflohen in der Nacht ... nur ihr zu -entrinnen ... nur zu vergessen ... - -Aber ... wie ich an Bord kam ... nachts ... mitternachts ... mein Freund -war mit mir ... da ... da ... zogen sie gerade am Kran etwas herauf ... -rechteckig, schwarz ... ihren Sarg ... hören Sie: ihren Sarg ... sie hat -mich hierher verfolgt, wie ich sie verfolgte ... und ich mußte -dabeistehen, mich fremd stellen, denn er, ihr Mann, war mit ... er -begleitet ihn nach England ... vielleicht will er dort eine Autopsie -machen lassen ... er hat sie an sich gerissen ... jetzt gehört sie -wieder ihm ... nicht uns mehr, uns ... uns beiden ... Aber ich bin noch -da ... ich gehe mit bis zur letzten Stunde ... er wird, er darf es nie -erfahren ... ich werde ihr Geheimnis zu verteidigen wissen gegen jeden -Versuch ... gegen diesen Schurken, vor dem sie in den Tod gegangen ist -... Nichts, nichts wird er erfahren ... ihr Geheimnis gehört mir, nur -mir allein ... - -Verstehen Sie jetzt ... verstehen Sie jetzt ... warum ich die Menschen -nicht sehen kann ... ihr Gelächter nicht hören ... wenn sie flirten und -sich paaren ... denn da drunten ... drunten im Lagerraum zwischen -Teeballen und Paranüssen steht der Sarg verstaut ... Ich kann nicht hin, -der Raum ist versperrt ... aber ich weiß es mit allen meinen Sinnen, -weiß es in jeder Sekunde ... auch wenn sie hier Walzer spielen und Tango -... es ist ja dumm, das Meer da schwemmt über Millionen Tote, auf jedem -Fußbreit Erde, den man tritt, fault eine Leiche ... aber doch, ich kann -es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen, wenn sie Maskenbälle -geben und so geil lachen ... diese Tote, ich spüre sie, und ich weiß, -was sie von mir will ... ich weiß es, ich habe noch eine Pflicht ... ich -bin noch nicht zu Ende ... noch ist ihr Geheimnis nicht gerettet ... sie -gibt mich noch nicht frei ...« - - * * * * * - -Vom Mittelschiff kamen schlurfende Schritte, klatschende Laute: Matrosen -begannen das Deck zu scheuern. Er fuhr auf wie ertappt: sein zerspanntes -Gesicht bekam einen ängstlichen Zug. Er stand auf und murmelte: »Ich -gehe schon ... ich gehe schon.« - -Es war eine Qual, ihn anzuschauen: seinen verwüsteten Blick, die -gedunsenen Augen, rot von Trinken oder Tränen. Er wich meiner -Anteilnahme aus: ich spürte aus seinem geduckten Wesen Scham, unendliche -Scham, sich verraten zu haben an mich, an diese Nacht. Unwillkürlich -sagte ich: - -»Darf ich vielleicht nachmittags zu Ihnen in die Kabine kommen ...« - -Er sah mich an -- ein höhnischer, harter, zynischer Zug zerrte an seinen -Lippen, etwas Böses stieß und verkrümmte jedes Wort. - -»Aha ... Ihre famose Pflicht, zu helfen ... aha ... Mit der Maxime haben -Sie mich ja glücklich zum Schwatzen gebracht. Aber nein, mein Herr, ich -danke. Glauben Sie ja nicht, daß mir jetzt leichter sei, seit ich mir -die Eingeweide vor Ihnen aufgerissen habe bis zum Kot in meinen Därmen. -Mein verpfuschtes Leben kann mir keiner mehr zusammenflicken ... ich -habe eben umsonst der verehrlichen holländischen Regierung gedient ... -die Pension ist futsch, ich komme als armer Hund nach Europa zurück ... -ein Hund, der hinter einem Sarg herwinselt ... man läuft nicht lange -ungestraft Amok, am Ende schlägts einen doch nieder, und ich hoffe, ich -bin bald am Ende ... Nein, danke, mein Herr, für Ihren gütigen Besuch -... ich habe schon in der Kabine meine Gefährten ... ein paar gute alte -Flaschen Whisky, die trösten mich manchmal, und dann meinen Freund von -damals, an den ich mich leider nicht rechtzeitig gewandt habe, meinen -braven Browning ... der hilft schließlich besser als alles Geschwätz ... -Bitte, bemühen Sie sich nicht ... das einzige Menschenrecht, das einem -bleibt, ist doch: zu krepieren wie man will ... und dabei ungeschoren zu -bleiben von fremder Hilfe.« - -Er sah mich noch einmal höhnisch ... ja herausfordernd an, aber ich -spürte: es war nur Scham, grenzenlose Scham. Dann duckte er die -Schultern, wandte sich um, ohne zu grüßen, und ging merkwürdig schief -und schlurfend über das schon helle Verdeck den Kabinen zu. Ich habe ihn -nicht mehr gesehen. Vergebens suchte ich ihn nachts und die nächste -Nacht an der gewohnten Stelle. Er blieb verschwunden, und ich hätte an -einen Traum geglaubt oder an eine phantastische Erscheinung, wäre mir -nicht inzwischen unter den Passagieren ein anderer aufgefallen mit einem -Trauerflor um den Arm, ein holländischer Großkaufmann, der, wie man mir -bestätigte, eben seine Frau an einer Tropenkrankheit verloren hatte. Ich -sah ihn ernst und gequält abseits von den andern auf und ab gehen, und -der Gedanke, daß ich um seine geheimste Sorge wußte, gab mir eine -geheimnisvolle Scheu: ich bog immer zur Seite, wenn er vorüberkam, um -nicht mit einem Blick zu verraten, daß ich mehr von seinem Schicksal -wußte als er selbst. - - * * * * * - -Im Hafen von Neapel ereignete sich dann jener merkwürdige Unfall, dessen -Deutung ich in der Erzählung des Fremden zu finden glaube. Die meisten -Passagiere waren abends von Bord gegangen, ich selbst in die Oper und -dann noch in eines der hellen Cafés an der Via Roma. Als wir mit einem -Ruderboot zu dem Dampfer zurückkehrten, fiel mir schon auf, daß einige -Boote mit Fackeln und Azetylenlampen das Schiff suchend umkreisten, und -oben am dunklen Bord war ein geheimnisvolles Gehen und Kommen von -Karabinieris und Gendarmerie. Ich fragte einen Matrosen, was geschehen -sei. Er wich in einer Weise aus, die sofort zeigte, daß Auftrag zum -Schweigen gegeben sei, und auch am nächsten Tage, als das Schiff wieder -friedfertig und ohne Spur eines Zwischenfalles nach Genua weiterfuhr, -war nichts an Bord zu erfahren. Erst in den italienischen Zeitungen las -ich dann, romantisch ausgeschmückt, von jenem angeblichen Unfall im -Hafen von Neapel. In jener Nacht sollte, so schrieben sie, in unbelebter -Stunde, um die Passagiere nicht durch den Anblick zu beunruhigen, der -Sarg einer vornehmen Dame aus den holländischen Kolonien von Bord des -Schiffes auf ein Boot gebracht werden, und man ließ ihn eben in -Gegenwart des Gatten die Strickleiter herab, als irgend etwas Schweres -vom hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern und dem -Gatten, die ihn gemeinsam niederhißten, mit sich in die Tiefe riß. Eine -Zeitung behauptete, es sei ein Irrsinniger gewesen, der sich die Treppe -hinab auf die Strickleiter gestürzt habe, eine andere beschönigte, die -Leiter sei von selbst unter dem übergroßen Gewicht gerissen: jedenfalls -schien die Schiffahrtsgesellschaft alles getan zu haben, um den genauen -Sachverhalt zu verschleiern. Man rettete nicht ohne Mühe die Träger und -den Gatten der Verstorbenen mit Booten aus dem Wasser, der Bleisarg aber -ging sofort in die Tiefe und konnte nicht mehr geborgen werden. Daß -gleichzeitig in einer andern Notiz kurz erwähnt wurde, es sei die Leiche -eines etwa vierzigjährigen Mannes im Hafen angeschwemmt worden, schien -für die Öffentlichkeit in keinem Zusammenhang mit dem romantisch -reportierten Unfall zu stehen; mir aber war, kaum daß ich die flüchtige -Zeile gelesen, als starre plötzlich hinter dem papierenen Blatt das -mondweiße Antlitz mit den glitzernden Brillengläsern mir noch einmal -gespenstisch entgegen. - - - - - Die Frau und die Landschaft - - -Es war in jenem heißen Sommer, der durch Regennot und Dürre -verhängnisvolle Mißernte im ganzen Lande verschuldete und noch für lange -Jahre im Andenken der Bevölkerung gefürchtet blieb. Schon in den Monaten -Juni und Juli waren nur vereinzelte flüchtige Schauer über die -dürstenden Felder hingestreift, aber seit der Kalender zum August -übergeschlagen, fiel überhaupt kein Tropfen mehr, und selbst hier oben, -in dem Hochtale Tirols, wo ich, wie viele andere, Kühlung zu finden -gewähnt hatte, glühte die Luft safranfarben von Feuer und Staub. -Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb und stumpf wie das Auge eines -Fiebernden vom leeren Himmel auf die erloschene Landschaft, und mit den -steigenden Stunden quoll dann mählich ein weißlicher drückender Dampf -aus dem messingenen Kessel des Mittags und überschwülte das Tal. -Irgendwo freilich in der Ferne hoben sich die Dolomiten mächtig auf, und -Schnee glänzte von ihnen, rein und klar, aber nur das Auge fühlte -erinnernd diesen Schimmer der Kühle, und es tat weh, sie schmachtend -anzusehen und an den Wind zu denken, der sie vielleicht zur gleichen -Stunde rauschend umflog, indes hier im Talkessel eine gierige Wärme -nachts und tags sich zudrängte und mit tausend Lippen einem die Feuchte -entsog. Allmählich erstarb in dieser sinkenden Welt welkender Pflanzen, -hinschmachtenden Laubes und versiegender Bäche auch innen alle lebendige -Bewegung, müßig und träge wurden die Stunden. Ich, wie die andern, -verbrachte diese endlosen Tage fast nur mehr im Zimmer, halb entkleidet, -bei verdunkelten Fenstern, in einem willenlosen Warten auf Veränderung, -auf Kühlung, in einem stumpfen, machtlosen Träumen von Regen und -Gewitter. Und bald wurde auch dieser Wunsch welk, ein Brüten, dumpf und -willenlos wie das der lechzenden Gräser und der schwüle Traum des -reglosen, dunstumwölkten Waldes. - -Aber es wurde nur noch heißer von Tag zu Tag, und der Regen wollte noch -immer nicht kommen. Von früh bis abends brannte die Sonne nieder, und -ihr gelber, quälender Blick bekam allmählich etwas von der stumpfen -Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen. Es war, als ob das ganze Leben -aufhören wollte, alles stand stille, die Tiere lärmten nicht mehr, von -weißen Feldern kam keine andere Stimme als der leise singende Ton der -schwingenden Hitze, das surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte -hinausgehen wollen in den Wald, wo Schatten blau zwischen den Bäumen -zitterten, um dort zu liegen, um nur diesem gelben, beharrlichen Blick -der Sonne zu entgehen; aber auch diese wenigen Schritte schon wurden mir -zu viel. So blieb ich sitzen auf einem Rohrsessel vor dem Eingang des -Hotels, eine Stunde oder zwei, eingepreßt in den schmalen Schatten, den -der schirmende Dachrand in den Kies zog. Einmal rückte ich weiter, als -das dünne Viereck Schatten sich verkürzte und die Sonne schon heran an -meine Hände kroch, dann blieb ich wieder hingelehnt, stumpf brütend ins -stumpfe Licht, ohne Gefühl von Zeit, ohne Wunsch, ohne Willen. Die Zeit -war zerschmolzen in dieser furchtbaren Schwüle, die Stunden zerkocht, -zergangen in heißer, sinnloser Träumerei. Ich fühlte nichts als den -brennenden Andrang der Luft außen an meinen Poren und innen den hastigen -Hammerschlag des fiebrig pochenden Blutes. - -Da auf einmal war mir, als ob durch die Natur ein Atem ginge, leise, -ganz leise, als ob ein heißer, sehnsüchtiger Seufzer sich aufhübe von -irgendwo. Ich raffte mich empor. War das nicht Wind? Ich hatte schon -vergessen, wie das war, zu lange hatten die verdorrenden Lungen dies -Kühle nicht getrunken, und noch fühlte ich ihn nicht bis an mich -heranziehen, eingepreßt in meinen Winkel Dachschatten; aber die Bäume -dort drüben am Hang mußten eine fremde Gegenwart geahnt haben, denn mit -einem Male begannen sie ganz leise zu schwanken, als neigten sie sich -flüsternd einander zu. Die Schatten zwischen ihnen wurden unruhig. Wie -ein Lebendiges und Erregtes huschten sie hin und her, und plötzlich hob -es sich auf, irgendwo fern, ein tiefer, schwingender Ton. Wirklich: Wind -kam über die Welt, ein Flüstern, ein Wehen und Weben, ein tiefes, -orgelndes Brausen und jetzt ein stärkerer, mächtiger Stoß. Wie von einer -jähen Angst getrieben, liefen plötzlich qualmige Wolken von Staub über -die Straße, alle in gleicher Richtung, die Vögel, die irgendwo im Dunkel -gelagert hatten, zischten auf einmal schwarz durch die Luft, die Pferde -schnupperten sich den Schaum von den Nüstern, und fern im Tale blökte -das Vieh. Irgend etwas Gewaltiges war aufgewacht und mußte nahe sein, -die Erde wußte es schon, der Wald und die Tiere, und auch über den -Himmel schob sich jetzt ein leichter Flor von Grau. - -Ich zitterte vor Erregung. Mein Blut war von den feinen Stacheln der -Hitze aufgereizt, meine Nerven knisterten und spannten sich, nie hatte -ich so wie jetzt die Wollust des Windes geahnt, die selige Lust des -Gewitters. Und es kam, es zog heran, es schwoll und kündete sich. -Langsam schob der Wind weiche Knäuel von Wolken herüber, es keuchte und -schnaubte hinter den Bergen, als rollte jemand eine ungeheure Last. -Manchmal hielten diese schnaubenden, keuchenden Stöße wie ermüdet wieder -inne. Dann zitterten sich die Tannen langsam still, als ob sie horchen -wollten, und mein Herz zitterte mit. Wo überall ich hinblickte, war die -gleiche Erwartung wie in mir, die Erde hatte ihre Sprünge gedehnt: wie -kleine, durstige Mäuler waren sie aufgerissen, und so fühlte ich es auch -am eigenen Leibe, daß Pore an Pore sich auftat und spannte, Kühle zu -suchen und die kalte, schauernde Lust des Regens. Unwillkürlich -krampften sich meine Finger, als könnten sie die Wolken fassen und sie -rascher herreißen in die schmachtende Welt. - -Aber schon kamen sie, von unsichtbarer Hand geschoben, träge -herangedunkelt, runde, wulstige Säcke, und man sah: sie waren schwer und -schwarz von Regen, denn sie polterten murrend wie feste, wuchtige Dinge, -wenn sie aneinander stießen, und manchmal fuhr ein leiser Blitz über -ihre schwarze Fläche wie ein knisterndes Streichholz. Blau flammten sie -dann auf und gefährlich, und immer dichter drängte es sich heran, immer -schwärzer wurden sie an ihrer eigenen Fülle. Wie der eiserne Vorhang -eines Theaters senkte sich allmählich bleierner Himmel nieder und -nieder. Jetzt war schon der ganze Raum schwarz überspannt, -zusammengepreßt die warme, verhaltene Luft, und nun setzte noch ein -letztes Innehalten der Erwartung ein, stumm und grauenhaft. Erwürgt war -alles von dem schwarzen Gewicht, das sich über die Tiefe senkte, die -Vögel zirpten nicht mehr, atemlos standen die Bäume, und selbst die -kleinen Gräser wagten nicht mehr zu zittern; ein metallener Sarg, -umschloß der Himmel die heiße Welt, in der alles erstarrt war vor -Erwartung nach dem ersten Blitz. Atemlos stand ich da, die Hände -ineinandergeklammt, und spannte mich zusammen in einer wundervollen -süßen Angst, die mich reglos machte. Ich hörte hinter mir die Menschen -herumeilen, aus dem Walde kamen sie, aus der Tür des Hotels, von allen -Seiten flüchteten sie, die Dienstmädchen ließen die Rolläden herunter -und schlossen krachend die Fenster. Alles war plötzlich tätig und -aufgeregt, rührte sich, bereitete sich, drängte sich. Nur ich stand -reglos, fiebernd, stumm, denn in mir war alles zusammengepreßt zu dem -Schrei, den ich schon in der Kehle fühlte, den Schrei der Lust bei dem -ersten Blitz. - -Da hörte ich auf einmal knapp hinter mir einen Seufzer, stark -aufbrechend aus gequälter Brust und noch mit ihm flehentlich -verschmolzen das sehnsüchtige Wort: »Wenn es doch nur schon regnen -wollte!« So wild, so elementar war diese Stimme, war dieser Stoß aus -einem bedrückten Gefühl, als hätte es die dürstende Erde selbst gesagt -mit ihren aufgesprungenen Lippen, die gequälte, erdrosselte Landschaft -unter dem Bleidruck des Himmels. Ich wendete mich um. Hinter mir stand -ein Mädchen, das offenbar die Worte gesagt, denn ihre Lippen, die -blassen und fein geschwungenen, waren noch im Lechzen aufgetan, und ihr -Arm, der sich an der Tür hielt, zitterte leise. Nicht zu mir hatte sie -gesprochen und zu niemandem. Wie über einen Abgrund bog sie sich in die -Landschaft hinein, und ihr Blick starrte spiegellos hinaus in das -Dunkel, das über den Tannen hing. Er war schwarz und leer, dieser Blick, -starr als eine grundlose Tiefe gegen den tiefen Himmel gewandt. Nur nach -oben griff seine Gier, griff tief in die geballten Wolken, in das -überhängende Gewitter, und an mich rührte er nicht. So konnte ich -ungestört die Fremde betrachten und sah, wie ihre Brust sich hob, wie -etwas würgend nach oben schütterte, wie jetzt um die Kehle, die -zartknochig aus dem offenen Kleide sich löste, ein Zittern ging, bis -endlich auch die Lippen bebten, dürstend sich auftaten und wieder -sagten: »Wenn es doch nur schon regnen wollte.« Und wieder war es mir -Seufzer der ganzen verschwülten Welt. Etwas Nachtwandlerisches und -Traumhaftes war in ihrer statuenhaften Gestalt, in ihrem gelösten Blick. -Und wie sie so dastand, weiß in ihrem lichten Kleide gegen den -bleifarbnen Himmel, schien sie mir der Durst, die Erwartung der ganzen -schmachtenden Natur. - -Etwas zischte leise neben mir ins Gras. Etwas pickte hart auf dem -Gesims. Etwas knirschte leise im heißen Kies. Überall war plötzlich -dieser leise surrende Ton. Und plötzlich begriff ichs, fühlte ichs, daß -dies Tropfen waren, die schwer niederfielen, die ersten verdampfenden -Tropfen, die seligen Boten des großen, rauschenden, kühlenden Regens. -Oh, es begann! Es hatte begonnen. Eine Vergessenheit, eine selige -Trunkenheit kam über mich. Ich war wach wie nie. Ich sprang vor und fing -einen Tropfen in der Hand. Schwer und kalt klatschte er mir an die -Finger. Ich riß die Mütze ab, stärker die nasse Lust auf Haar und Stirn -zu fühlen, ich zitterte schon vor Ungeduld, mich ganz umrauschen zu -lassen vom Regen, ihn an mir zu fühlen, an der warmen knisternden Haut, -in den offenen Poren, bis tief hinein in das aufgeregte Blut. Noch waren -sie spärlich, die platschenden Tropfen, aber ich fühlte ihre sinkende -Fülle schon voraus, ich hörte sie schon strömen und rauschen, die -aufgetanen Schleusen, ich spürte schon das selige Niederbrechen des -Himmels über dem Walde, über das Schwüle der verbrennenden Welt. - -Aber seltsam: die Tropfen fielen nicht schneller. Man konnte sie zählen. -Einer, einer, einer, einer, fielen sie nieder, es knisterte, es zischte, -es sauste leise rechts und links, aber es wollte nicht zusammenklingen -zur großen rauschenden Musik des Regens. Zaghaft tropfte es herab, und -statt schneller zu werden, ward der Takt langsam und immer langsamer und -stand dann plötzlich still. Es war, wie wenn das Ticken eines -Minutenzeigers in einer Uhr plötzlich aufhört und die Zeit erstarrt. -Mein Herz, das schon glühte vor Ungeduld, wurde plötzlich kalt. Ich -wartete, wartete, aber es geschah nichts. Der Himmel blickte schwarz und -starr nieder mit umdüsterter Stirn, totenstill blieb es minutenlang, -dann aber schien es, als ob ein leises, höhnisches Leuchten über sein -Antlitz ginge. Von Westen her hellte sich die Höhe auf, die Wand der -Wolken löste sich mählich, leise polternd rollten sie weiter. Seichter -und seichter ward ihre schwarze Unergründlichkeit, und in ohnmächtiger, -unbefriedigter Enttäuschung lag unter dem erglänzenden Horizont die -lauschende Landschaft. Wie von Wut lief noch ein leises, letztes Zittern -durch die Bäume, sie beugten und krümmten sich, dann aber fielen die -Laubhände, die schon gierig aufgereckt waren, schlaff zurück, wie tot. -Immer durchsichtiger ward der Wolkenflor, eine böse, gefährliche Helle -stand über der wehrlosen Welt. Es war nichts geschehen. Das Gewitter -hatte sich verzogen. - -Ich zitterte am ganzen Körper. Wut war es, was ich fühlte, eine sinnlose -Empörung der Ohnmacht, der Enttäuschung, des Verrats. Ich hätte schreien -können oder rasen, eine Lust kam mich an, etwas zu zerschlagen, eine -Lust am Bösen und Gefährlichen, ein sinnloses Bedürfnis nach Rache. Ich -fühlte in mir die Qual der ganzen verratenen Natur, das Lechzen der -kleinen Gräser war in mir, die Hitze der Straßen, der Qualm des Waldes, -die spitze Glut des Kalksteines, der Durst der ganzen betrogenen Welt. -Meine Nerven brannten wie Drähte: ich fühlte sie zucken von elektrischer -Spannung weithinaus in die geladene Luft, wie viele feine Flammen -glühten sie mir unter der gespannten Haut. Alles tat mir weh, alle -Geräusche hatten Spitzen, alles war wie umzüngelt von kleinen Flammen, -und der Blick, was immer er faßte, verbrannte sich. Das tiefste Wesen in -mir war aufgereizt, ich spürte, wie viele Sinne, die sonst stumm und tot -im dumpfen Hirne schliefen, sich auftaten wie viele kleine Nüstern, und -mit jeder spürte ich Glut. Ich wußte nicht mehr, was davon meine -Erregung war, und was die der Welt; die dünne Membran des Fühlens -zwischen ihr und mir war zerrissen, alles einzig erregte Gemeinschaft -der Enttäuschung, und wie ich fiebernd hinabstarrte in das Tal, das sich -allmählich mit Lichtern füllte, spürte ich, daß jedes einzelne kleine -Licht in mich hineinflimmerte, jeder Stern brannte bis in mein Blut. Es -war die gleiche maßlose, fiebernde Erregung außen und innen, und in -einer schmerzhaften Magie empfand ich alles, was um mich schwoll, -gleichsam in mich gepreßt und dort wachsend und glühend. Mir war, als -brenne der geheimnisvolle, lebendige Kern, der in alle Vielfalt einzeln -eingetan ist, aus meinem innersten Wesen, alles spürte ich, in magischer -Wachheit der Sinne den Zorn jedes einzelnen Blattes, den stumpfen Blick -des Hundes, der mit gesenktem Schweife jetzt um die Türen schlich, alles -fühlte ich, und alles, was ich spürte, tat mir weh. Fast körperlich -begann dieser Brand in mir zu werden, und als ich jetzt mit den Fingern -nach dem Holz der Tür griff, knisterte es leise unter ihnen wie Zunder, -brenzlig und trocken. - -Der Gong lärmte zur Abendmahlzeit. Tief in mich schlug der kupferne -Klang hinein, schmerzhaft auch er. Ich wendete mich um. Wo waren die -Menschen hin, die früher hier in Angst und Erregung vorbeigeeilt? Wo war -sie, die hier gestanden als lechzende Welt und der ich ganz vergessen in -den wirren Minuten der Enttäuschung? Alles war verschwunden. Ich stand -allein in der schweigenden Natur. Noch einmal umgriff ich Höhe und Ferne -mit dem Blick. Der Himmel war jetzt ganz leer, aber nicht rein. Über den -Sternen lag ein Schleier, ein grünlich gespannter, und aus dem -aufsteigenden Mond glitzerte der böse Glanz eines Katzenauges. Fahl war -alles da oben, höhnisch und gefährlich, tief drunten aber unter dieser -unsicheren Sphäre dämmerte dunkel die Nacht, phosphoreszierend wie ein -tropisches Meer und mit dem gequälten wollüstigen Atem einer -enttäuschten Frau. Oben stand noch hell und höhnisch eine letzte Helle, -unten müde und lastend eine schwüle Dunkelheit, feindlich war eines dem -andern, unheimlich stummer Kampf zwischen Himmel und Erde. Ich atmete -tief und trank nur Erregung. Ich griff ins Gras. Es war trocken wie Holz -und knisterte blau in meinen Fingern. - -Wieder rief der Gong. Widerlich war mir der tote Klang. Ich hatte keinen -Hunger, kein Verlangen nach Menschen, aber diese einsame Schwüle hier -draußen war zu fürchterlich. Der ganze schwere Himmel lastete stumm auf -meiner Brust, und ich fühlte, ich könnte seinen bleiernen Druck nicht -länger mehr tragen. Ich ging hinein in den Speisesaal. Die Leute saßen -schon an ihren kleinen Tischen. Sie sprachen leise, aber doch, mir war -es zu laut. Denn mir ward alles zur Qual, was an meine aufgereizten -Nerven rührte: das leise Lispeln der Lippen, das Klirren der Bestecke, -das Rasseln der Teller, jede einzelne Geste, jeder Atem, jeder Blick. -Alles zuckte in mich hinein und tat mir weh. Ich mußte mich bemeistern, -um nicht etwas Sinnloses zu tun, denn ich fühlte es an meinem Pulse: -alle meine Sinne hatten Fieber. Jeden einzelnen dieser Menschen mußte -ich ansehen, und gegen jeden fühlte ich Haß, als ich sie so friedlich -dasitzen sah, gefräßig und gemächlich, indessen ich glühte. Irgendein -Neid überkam mich, daß sie so satt und sicher in sich ruhten, anteillos -an der Qual einer Welt, fühllos für die stille Raserei, die in der Brust -der verdurstenden Erde sich regte. Alle griff ich an mit dem Blick, ob -nicht einer wäre, der sie mitfühlte, aber alle schienen stumpf und -unbesorgt. Nur Ruhende und Atmende, Gemächliche waren hier, Wache, -Fühllose, Gesunde, und ich der einzige Kranke, der Einzige im Fieber der -Welt. Der Kellner brachte mir das Essen. Ich versuchte einen Bissen, -vermochte aber nicht, ihn hinabzuwürgen. Alles widerstrebte mir, was -Berührung war. Zu voll war ich von der Schwüle, dem Dunst, dem Brodem -der leidenden, kranken, zerquälten Natur. - -Neben mir rückte ein Sessel. Ich fuhr auf. Jeder Laut streifte jetzt an -mich wie heißes Eisen. Ich sah hin. Fremde Menschen saßen dort, neue -Nachbarn, die ich noch nicht kannte. Ein älterer Herr und seine Frau, -bürgerliche ruhige Leute mit runden gelassenen Augen und kauenden -Wangen. Aber ihnen gegenüber, halb mit dem Rücken zu mir, ein junges -Mädchen, ihre Tochter offenbar. Nur den Nacken sah ich, weiß und schmal -und darüber wie einen Stahlhelm schwarz und fast blau das volle Haar. -Sie saß reglos da, und an ihrer Starre erkannte ich sie als dieselbe, -die früher auf der Terrasse lechzend und aufgetan vor dem Regen -gestanden wie eine weiße, durstende Blume. Ihre kleinen, kränklich -schmalen Finger spielten unruhig mit dem Besteck, aber doch, ohne daß es -klirrte; und diese Stille um sie tat mir wohl. Auch sie rührte keinen -Bissen an, nur einmal griff ihre Hand hastig und gierig nach dem Glas. -Oh, sie fühlt es auch, das Fieber der Welt, spürte ich beglückt an -diesem durstigen Griff, und eine freundliche Teilnahme legte meinen -Blick weich auf ihren Nacken. Einen Menschen, einen einzigen empfand ich -jetzt, der nicht ganz abgeschieden war von der Natur, der auch mitglühte -im Brande einer Welt, und ich wollte, daß sie wisse von unserer -Bruderschaft. Ich hätte ihr zuschreien mögen: »Fühle mich doch! Fühle -mich doch! Auch ich bin wach wie du, auch ich leide! Fühle mich! Fühle -mich!« Mit der glühenden Magnetik des Wunsches umfing ich sie. Ich -starrte in ihren Rücken, umschmeichelte von ferne ihr Haar, bohrte mich -ein mit dem Blick, ich rief sie mit den Lippen, ich preßte sie an, ich -starrte und starrte, warf mein ganzes Fieber aus, damit sie es -schwesterlich fühle. Aber sie wendete sich nicht um. Starr blieb sie, -eine Statue, sitzen, kühl und fremd. Niemand half mir. Auch sie fühlte -mich nicht. Auch in ihr war nicht die Welt. Ich brannte allein. - -Oh, diese Schwüle außen und innen, ich konnte sie nicht mehr ertragen. -Der Dunst der warmen Speisen, fett und süßlich, quälte mich, jedes -Geräusch bohrte sich den Nerven ein. Ich spürte mein Blut wallen und -wußte mich einer purpurnen Ohnmacht nahe. Alles lechzte in mir nach -Kühle und Ferne, und dieses Nahsein, das dumpfe, der Menschen erdrückte -mich. Neben mir war ein Fenster. Ich stieß es auf, weit auf. Und -wunderbar: dort war es ganz geheimnisvoll wieder, dieses unruhige -Flackern in meinem Blute, nur aufgelöst in das Unbegrenzte eines -nächtigen Himmels. Weißgelb flimmerte oben der Mond wie ein entzündetes -Auge in einem roten Ring von Dunst, und über die Felder schlich -geisterhaft ein blasser Brodem hin. Fieberhaft zirpten die Grillen; mit -metallenen Saiten, die schrillten und gellten, schien die Luft -durchspannt. Dazwischen quäkte manchmal leise und sinnlos ein Unkenruf, -Hunde schlugen an, heulend und laut; irgendwo in der Ferne brüllten die -Tiere, und ich entsann mich, daß das Fieber in solchen Nächten den Kühen -die Milch vergifte. Krank war die Natur, auch dort diese stille Raserei -der Erbitterung, und ich starrte aus dem Fenster wie in einen Spiegel -des Gefühls. Mein ganzes Sein bog sich hinaus, meine Schwüle und die der -Landschaft flossen ineinander in eine stumme, feuchte Umarmung. - -Wieder rückten neben mir die Sessel, und wieder schrak ich zusammen. Das -Diner war zu Ende, die Leute standen lärmend auf: auch meine Nachbarn -erhoben sich und gingen an mir vorbei. Der Vater zuerst, gemächlich und -satt, mit freundlichem, lächelndem Blick, dann die Mutter und zuletzt -die Tochter. Jetzt erst sah ich ihr Gesicht. Es war gelblich bleich, von -derselben matten, kranken Farbe wie draußen der Mond, die Lippen waren -noch immer, wie früher, halb geöffnet. Sie ging lautlos und doch nicht -leicht. Irgend etwas Schlaffes und Mattes war an ihr, das mich seltsam -gemahnte an das eigene Gefühl. Ich spürte sie näher kommen und war -gereizt. Etwas in mir wünschte eine Vertraulichkeit mit ihr, sie möchte -mich anstreifen mit ihrem weißen Kleide, oder daß ich den Duft ihres -Haares spüren könnte im Vorübergehen. In diesem Augenblick sah sie mich -an. Starr und schwarz stieß ihr Blick in mich hinein und blieb in mir -festgehakt, tief und saugend, daß ich nur ihn spürte, ihr helles Gesicht -darüber entschwand und ich einzig dieses düsternde Dunkel vor mir -fühlte, in das ich stürzte wie in einen Abgrund. Sie machte noch einen -Schritt vor, aber der Blick ließ mich nicht los, blieb in mich gebohrt -wie eine schwarze Lanze, und ich spürte sein Eindringen tiefer und -tiefer. Nun rührte seine Spitze bis an mein Herz, und es stand still. -Ein, zwei Augenblicke hielt sie so den Blick an und ich den Atem, -Sekunden, während derer ich mich machtlos weggerissen fühlte von dem -schwarzen Magneten dieser Pupille. Dann war sie an mir vorbei. Und -sofort fühlte ich mein Blut vorstürzen wie aus einer Wunde und erregt -durch den ganzen Körper gehen. - -Was -- was war das? Wie aus einem Tode wachte ich auf. War das mein -Fieber, das mich so wirr machte, daß ich im flüchtigen Blick einer -Vorübergehenden gleich ganz mich verlor? Aber mir war gewesen, als hätte -ich in diesem Anschauen die gleiche stille Raserei gespürt, die -schmachtende, sinnlose, verdurstende Gier, die sich mir jetzt in allem -auftat, im Blick des roten Mondes, in den lechzenden Lippen der Erde, in -der schreienden Qual der Tiere, dieselbe, die in mir funkelte und bebte. -Oh, wie wirr alles durcheinander ging in dieser phantastischen schwülen -Nacht, wie alles zergangen war in dies eine Gefühl von Erwartung und -Ungeduld! War es mein Wahnsinn, war es der der Welt? Ich war erregt und -wollte Antwort wissen, und so ging ich ihr nach in die Halle. Sie hatte -sich dort niedergesetzt neben ihre Eltern und lehnte still in einem -Fauteuil. Unsichtbar war der gefährliche Blick unter den verhangenen -Lidern. Sie las ein Buch, aber ich glaubte ihr nicht, daß sie lese. Ich -war gewiß, daß, wenn sie fühlte wie ich, wenn sie litt mit der sinnlosen -Qual der verschwülten Welt, daß sie nicht rasten könnte im stillen -Betrachten, daß dies ein Verstecken war, ein Verbergen vor fremder -Neugier. Ich setzte mich gegenüber und starrte sie an, ich wartete -fiebernd auf den Blick, der mich bezaubert hatte, ob er nicht -wiederkommen wolle und mir sein Geheimnis lösen. Aber sie rührte sich -nicht. Die Hand schlug gleichgültig Blatt um Blatt im Buche, der Blick -blieb verhangen. Und ich wartete gegenüber, wartete heißer und heißer, -irgendeine rätselhafte Macht des Willens spannte sich, muskelhaft stark, -ganz körperlich, diese Verstellung zu zerbrechen. Zwischen all den -Menschen, die dort gemächlich sprachen, rauchten und Karten spielten, -hub nun ein stummes Ringen an. Ich spürte, daß sie sich weigerte, daß -sie es sich versagte, aufzuschauen, aber je mehr sie widerstrebte, desto -stärker wollte es mein Trotz, und ich war stark, denn in mir war die -Erwartung der ganzen lechzenden Erde und die dürstende Glut der -enttäuschten Welt. Und so wie an meine Poren noch immer die feuchte -Schwüle der Nacht, so drängte sich mein Wille gegen den ihren, und ich -wußte, sie müßte mir nun bald einen Blick hergeben, sie müßte es. -Rückwärts im Saale begann jemand Klavier zu spielen. Die Töne perlten -leise herüber, auf und ab in flüchtigen Skalen, drüben lachte jetzt eine -Gesellschaft lärmend über irgendeinen albernen Scherz, ich hörte alles, -fühlte alles, was geschah, ohne aber für eine Minute nachzulassen. Ich -zählte jetzt laut vor mich hin die Sekunden, während ich an ihren Lidern -zog und sog, während ich von ferne durch die Hypnose des Willens ihren -störrisch niedergebeugten Kopf aufheben wollte. Minute auf Minute rollte -vorüber -- immer perlten die Töne von drüben dazwischen -- und schon -spürte ich, daß meine Kraft nachließ -- da plötzlich hob sie mit einem -Ruck sich auf und sah mich an, gerade hin auf mich. Wieder war es der -gleiche Blick, der nicht endete, ein schwarzes, furchtbares, saugendes -Nichts, ein Durst, der mich einsog, ohne Widerstand. Ich starrte in -diese Pupillen hinein wie in die schwarze Höhlung eines photographischen -Apparates und spürte, daß er zuerst mein Gesicht nach innen zog in das -fremde Blut hinein und ich wegstürzte von mir; der Boden schwand unter -meinen Füßen, und ich empfand die ganze Süße des schwindelnden Sturzes. -Hoch oben über mir hörte ich noch die klingenden Skalen auf und nieder -rollen, aber schon wußte ich nicht mehr, wo mir dies geschah. Mein Blut -war weggeströmt, mein Atem stockte. Schon spürte ich, wie es mich -würgte, diese Minute oder Stunde oder Ewigkeit -- da schlugen ihre Lider -wieder zu. Ich tauchte auf wie ein Ertrinkender aus dem Wasser, -frierend, geschüttelt von Fieber und Gefahr. - -Ich sah um mich. Mir gegenüber saß unter den Menschen, still über ein -Buch gebeugt, bloß mehr ein schlankes junges Mädchen, regungslos, -bildhaft, nur leise unter dem dünnen Gewand wippte das Knie. Auch meine -Hände zitterten. Ich wußte, daß jetzt dieses wollüstige Spiel von -Erwartung und Widerstand wieder beginnen sollte, daß ich Minuten -angespannt fordern mußte, um dann plötzlich wieder so in schwarze -Flammen getaucht zu werden von einem Blick. Meine Schläfen waren feucht, -in mir siedete das Blut. Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich stand -auf, ohne mich umzuwenden, und ging hinaus. - -Weit war die Nacht vor dem glänzenden Haus. Das Tal schien versunken, -und der Himmel glänzte feucht und schwarz wie nasses Moos. Auch hier war -keine Kühlung, noch immer nicht, überall auch hier das gleiche, -gefährliche Sichgatten von Dürsten und Trunkenheit, das ich im Blute -spürte. Etwas Ungesundes, Feuchtes, wie die Ausdünstung eines -Fiebernden, lag über den Feldern, die milchweißen Dunst brauten, ferne -Feuer zuckten und geisterten durch die schwere Luft, und um den Mond lag -ein gelber Ring und machte seinen Blick bös. Ich fühlte mich müde wie -nie. Ein geflochtener Stuhl, noch vom Tag her vergessen, stand da: ich -warf mich hinein. Die Glieder fielen von mir ab, regungslos streckte ich -mich hin. Und da, nur nachgebend angeschmiegt an das weiche Rohr, -empfand ich mit einemmal die Schwüle als wunderbar. Sie quälte nicht -mehr, sie drängte sich nur an, zärtlich und wollüstig, und ich wehrte -ihr nicht. Nur die Augen hielt ich geschlossen, um nichts zu sehen, um -stärker die Natur zu fühlen, das Lebendige, das mich umfing. Wie ein -Polyp, ein weiches, glattes, saugendes Wesen umdrängte mich jetzt, -berührte mich mit tausend Lippen die Nacht. Ich lag und fühlte mich -nachgeben, hingeben an irgend etwas, das mich umfaßte, umschmiegte, -umringte, das mein Blut trank, und zum erstenmal empfand ich in dieser -schwülen Umfassung sinnlich wie eine Frau, die sich auflöst in der -sanften Ekstase der Hingebung. Ein süßes Grauen wars mir, mit einem Male -widerstandslos zu sein und ganz meinen Leib nur der Welt hinzugeben, -wunderbar war es, wie dies Unsichtbare meine Haut zärtlich anrührte und -allmählich unter sie drang, mir die Gelenke lockerer löste, und ich -wehrte mich nicht gegen dieses Laßwerden der Sinne. Ich ließ mich -hingleiten in das neue Gefühl, und dunkel, traumhaft empfand ich nur, -daß dies: die Nacht und jener Blick von früher, die Frau und die -Landschaft, daß dies eins war, in dem es süß war, verloren zu sein. -Manchmal war mir, als wäre diese Dunkelheit nur sie, und jene Wärme, die -meine Glieder rührte, ihr eigener Leib, gelöst in Nacht wie der meine, -und noch im Traume sie empfindend, schwand ich hin in dieser schwarzen, -warmen Welle von wollüstiger Verlorenheit. - -Irgend etwas schreckte mich auf. Mit allen Sinnen griff ich um mich, -ohne mich zu finden. Und dann sah ichs, erkannte ichs, daß ich da -gelehnt hatte mit geschlossenen Augen und in Schlaf gesunken war. Ich -mußte geschlummert haben, eine Stunde oder Stunden vielleicht, denn das -Licht in der Halle des Hotels war schon erloschen und alles längst zur -Ruhe gegangen. Das Haar klebte mir feucht an den Schläfen, wie ein -heißer Tau schien dieser traumhaft traumlose Schlummer über mich -gesunken zu sein. Ganz wirr stand ich auf, mich ins Haus zurückzufinden. -Dumpf war mir zumute, aber diese Wirrnis war auch um mich. Etwas grölte -in der Ferne, und manchmal funkelte ein Wetterleuchten gefährlich über -den Himmel hin. Die Luft schmeckte nach Feuer und Funken, es glänzten -verräterische Blitze hinter den Bergen, und in mir phosphoreszierte -Erinnerung und Vorgefühl. Ich wäre gern geblieben, mich zu besinnen, den -geheimnisvollen Zustand genießend aufzulösen: aber die Stunde war spät, -und ich ging hinein. - -Die Halle war schon leer, die Sessel standen noch zufällig durcheinander -gerückt im fahlen Schein eines einzelnen Lichtes. Gespenstisch war ihre -unbelebte Leere, und unwillkürlich formte ich in den einen die zarte -Gestalt des sonderbaren Wesens hinein, das mich mit seinen Blicken so -verwirrt gemacht. Ihr Blick in der Tiefe meines Wesens war noch -lebendig. Er rührte sich, und ich spürte, wie er mich aus dem Dunkel -anglänzte, eine geheimnisvolle Ahnung witterte ihn noch irgendwo wach in -diesen Wänden, und seine Verheißung irrlichterte mir im Blut. Und so -schwül war es noch immer! Kaum daß ich die Augen schloß, fühlte ich -purpurne Funken hinter den Lidern. Noch glänzte in mir der weiße, -glühende Tag, noch fieberte in mir diese flirrende, feuchte, funkelnde, -phantastische Nacht! - -Aber ich konnte hier im Flur nicht bleiben, es war alles dunkel und -verlassen. So ging ich die Treppe hinauf und wollte doch nicht. -Irgendein Widerstand war in mir, den ich nicht zu zähmen wußte. Ich war -müde, und doch fühlte ich mich zu früh für den Schlaf. Irgendeine -geheimnisvolle, hellsichtige Witterung verhieß mir noch Abenteuerliches, -und meine Sinne streckten sich vor, Lebendiges, Warmes zu erspähen. Wie -mit feinen, gelenkigen Fühlern drang es aus mir in den Treppengang, -rührte an alle Gemächer, und wie früher hinaus in die Natur, so warf ich -jetzt mein ganzes Fühlen in das Haus, und ich spürte den Schlaf, das -gemächliche Atemgehen vieler Menschen darin, das schwere, traumlose -Wogen ihres dicken schwarzen Blutes, ihre einfältige Ruhe und Stille, -aber doch auch das magnetische Ziehen irgendeiner Kraft. Ich ahnte -irgend etwas, das wach war wie ich. War es jener Blick, war es die -Landschaft, die diesen feinen purpurnen Wahnsinn in mich getan? Ich -glaubte irgend etwas Weiches durch Wall und Wand zu spüren, eine kleine -Flamme von Unruhe in mir zitterte und lockte im Blut und brannte nicht -aus. Widerwillig ging ich die Treppe hinauf und blieb doch immer stehen -auf jeder Stufe und horchte aus mir heraus; nicht mit dem Ohr nur, -sondern mit allen Sinnen. Nichts wäre mir wunderlich gewesen, alles in -mir lauerte noch auf ein Unerhörtes, Seltsames, denn ich wußte, die -Nacht konnte nicht enden ohne ein Wunderbares, diese Schwüle nicht enden -ohne den Blitz. Noch einmal war ich, wie ich da horchend auf dem -Treppengeländer stand, die ganze Welt draußen, die sich reckte in ihrer -Ohnmacht und nach dem Gewitter schrie. Aber nichts rührte sich. Nur -leiser Atem zog durch das windstille Haus. Müde und enttäuscht ging ich -die letzten Stufen hinauf, und mir graute vor meinem einsamen Zimmer wie -vor einem Sarg. - -Die Klinke schimmerte unsicher aus dem Dunkel, feucht und warm zu -fassen. Ich öffnete die Tür. Rückwärts stand das Fenster offen und tat -ein schwarzes Viereck von Nacht auf, gedrängte Tannenwipfel drüben vom -Wald und dazwischen ein Stück des verwölkten Himmels. Dunkel war alles -außen und innen, die Welt und das Zimmer, nur -- seltsam und -unerklärlich -- am Fensterrahmen glänzte etwas Schmales, Aufrechtes wie -ein verlorener Streifen Mondschein. Ich trat verwundert näher, zu sehen, -was da so hell schimmerte in mondverhangener Nacht. Ich trat näher, und -da regte sichs. Ich erstaunte: aber doch, ich erschrak nicht, denn etwas -war in dieser Nacht in mir wunderlich dem Phantastischesten bereit, -alles schon vorher gedacht und traumbewußt. Keine Begegnung wäre mir -sonderbar gewesen und diese am wenigsten, denn wirklich: sie war es, die -dort stand, sie, an die ich unbewußt gedacht, bei jeder Stufe, bei jedem -Schritt in dem schlafenden Haus, und deren Wachheit meine aufgefunkelten -Sinne durch Diele und Tür gespürt. Nur als einen Schimmer sah ich ihr -Gesicht, und wie ein Dunst lag um sie das weiße Nachtgewand. Sie lehnte -am Fenster, und wie sie dastand, ihr Wesen hinausgewandt in die -Landschaft, von dem schimmernden Spiegel der Tiefe geheimnisvoll -angezogen in ihr Schicksal, schien sie märchenhaft, Ophelia über dem -Teiche. - -Ich trat näher, scheu und erregt zugleich. Das Geräusch mußte sie -erreicht haben, sie wendete sich um. Ihr Gesicht war im Schatten. Ich -wußte nicht, ob sie mich wirklich erblickte, ob sie mich hörte, denn -nichts Jähes war in ihrer Bewegung, kein Erschrecken, kein Widerstand. -Alles war ganz still um uns. An der Wand tickte eine kleine Uhr. Ganz -still blieb es, und dann sagte sie plötzlich leise und unvermutet: »Ich -fürchte mich so.« - -Zu wem sprach sie? Hatte sie mich erkannt? Meinte sie mich? Redete sie -aus dem Schlaf? Es war die gleiche Stimme, der gleiche zitternde Ton, -der heute nachmittag draußen vor den nahen Wolken geschauert, da mich -ihr Blick noch gar nicht bemerkt. Seltsam war dies, und doch war ich -nicht verwundert, nicht verwirrt. Ich trat auf sie zu, sie zu beruhigen -und faßte ihre Hand. Wie Zunder fühlte sie sich an, heiß und trocken, -und der Griff der Finger zerbröckelte weich in meiner Umfassung. Lautlos -ließ sie mir die Hand. Alles an ihr war schlaff, wehrlos, abgestorben. -Und nur von den Lippen flüsterte es nochmals wie aus einer Ferne: »Ich -fürchte mich so! Ich fürchte mich so.« Und dann in einem Seufzer -hinsterbend wie aus einem Ersticken: »Ach, wie schwül es ist!« Das klang -von ferne und war doch leise geflüstert wie ein Geheimnis zwischen uns -beiden. Aber ich fühlte dennoch: sie sprach nicht zu mir. - -Ich faßte ihren Arm. Sie zitterte nur leise wie die Bäume nachmittags -vor dem Gewitter, aber sie wehrte sich nicht. Ich faßte sie fester: sie -gab nach. Schwach, ohne Widerstand, eine warme, stürzende Welle fielen -ihre Schultern gegen mich. Nun hatte ich sie ganz nahe an mir, daß ich -die Schwüle ihrer Haut atmen konnte und den feuchten Duft ihres Haares. -Ich bewegte mich nicht, und sie blieb stumm. Seltsam war all dies, und -meine Neugier begann zu funkeln. Allmählich wuchs meine Ungeduld. Ich -rührte mit meinen Lippen an ihr Haar -- sie wehrte ihnen nicht. Dann -nahm ich ihre Lippen. Sie waren trocken und heiß, und als ich sie küßte, -taten sie sich plötzlich auf, um von den meinen zu trinken, aber nicht -dürstend und leidenschaftlich, sondern mit dem stillen, schlaffen, -begehrlichen Saugen eines Kindes. Eine Verschmachtende, so fühlte ich -sie, und so wie ihre Lippen sog sich ihr schlanker, durch das dünne -Gewand warm wogender Körper mir ganz so an, wie früher draußen die -Nacht, ohne Kraft, aber voll einer stillen, trunkenen Gier. Und da, wie -ich sie hielt -- meine Sinne funkelten noch grell durcheinander -- -spürte ich die warme feuchte Erde an mir, wie sie heute dalag, dürstend -nach dem Schauer der Entspannung, die heiße, machtlose, glühende -Landschaft. Ich küßte und küßte sie und empfand, als genieße ich die -große, schwüle, harrende Welt in ihr, als wäre diese Wärme, die von -ihren Wangen glühte, der Brodem der Felder, als atmete von ihren -weichen, warmen Brüsten das schauernde Land. - -Doch da, wie meine wandernden Lippen zu ihren Lidern emporwollten, zu -den Augen, deren schwarze Flammen ich so schauernd gefühlt, da ich mich -hob, ihr Gesicht zu schauen und im Anschauen stärker zu genießen, sah -ich überrascht, daß ihre Lider fest geschlossen waren. Eine griechische -Maske aus Stein, augenlos, ohnmächtig, lag sie da, Ophelia nun, die -tote, auf den Wassern treibend, bleich das fühllose Antlitz gehoben aus -der dunklen Flut. Ich erschrak. Zum erstenmal fühlte ich Wirklichkeit in -dem phantastischen Begeben. Schaudernd überfiel mich die Erkenntnis, daß -ich da eine Unbewußte nahm, eine Trunkene, eine Kranke, eine -Schlafwandlerin ihrer Sinne in den Armen hielt, die mir nur die Schwüle -der Nacht hergetrieben wie ein roter, gefährlicher Mond, ein Wesen, das -nicht wußte, was es tat, das mich vielleicht nicht wollte. Ich erschrak, -und sie ward mir im Arme schwer. Leise wollte ich die Willenlose -hingleiten lassen auf den Sessel, auf das Bett, um nicht aus einem -Taumel Lust zu stehlen, nicht etwas zu nehmen, was sie vielleicht selbst -nicht wollte, sondern nur jener Dämon in ihr, der Herr ihres Blutes war. -Aber kaum fühlte sie, daß ich nachließ, begann sie leise zu stöhnen: -»Laß mich nicht! Laß mich nicht!« flehte sie, und heißer sogen ihre -Lippen, drängte ihr Körper sich an. Schmerzhaft war ihr Gesicht mit den -verschlossenen Augen gespannt, und schauernd spürte ich, daß sie wach -werden wollte und nicht konnte, daß ihre trunkenen Sinne aus dem -Gefängnis dieser Umnachtung schrieen und wissend werden wollten. Aber -gerade dies, daß unter dieser bleiernen Maske von Schlaf etwas rang, das -aus seiner Bezauberung wollte, war gefährliche Lockung für mich, sie zu -erwecken. Meine Nerven brannten vor Ungeduld, sie wach, sie sprechend, -sie als wirkliches Wesen zu sehen, nicht bloß als Traumwandlerin, und um -jeden Preis wollte ich aus ihrem dumpf genießenden Körper diese Wachheit -zwingen. Ich riß sie an mich, ich schüttelte sie, ich klemmte die Zähne -in ihre Lippen und meine Finger in ihre Arme, damit sie endlich die -Augen aufschlüge und nun besonnen täte, was hier nur dumpf ein Trieb in -ihr genoß. Aber sie bog sich nur und stöhnte unter der schmerzhaften -Umklammerung. »Mehr! Mehr!« stammelte sie mit einer Inbrunst, mit einer -sinnlosen Inbrunst, die mich erregte und selbst sinnlos machte. Ich -spürte, daß das Wache bereits nahe in ihr war, daß es aufbrechen wollte -unter den geschlossenen Lidern, denn sie zuckten schon unruhig. Näher -faßte ich sie, tiefer grub ich mich in sie ein, und plötzlich fühlte -ich, wie eine Träne die Wange hinabrollte, die ich salzig trank. -Furchtbar wogte es, je mehr ich sie preßte, in ihrer Brust, sie stöhnte, -ihre Glieder krampften sich, als wollten sie etwas Ungeheures sprengen, -einen Reif, der sie mit Schlaf umschloß, und plötzlich -- wie ein Blitz -war es durch die gewitternde Welt -- brach es in ihr entzwei. Mit -einemmal ward sie wieder schweres, lastendes Gewicht in meinen Armen, -ihre Lippen ließen mich, die Hände sanken, und wie ich sie zurücklehnte -auf das Bett, blieb sie liegen gleich einer Toten. Ich erschrak. -Unwillkürlich fühlte ich sie an und tastete ihre Arme und ihre Wangen. -Sie waren ganz kalt, erfroren, steinern. Nur an den Schläfen oben tickte -leise in zitternden Schlägen das Blut. Marmor, eine Statue, lag sie da, -feucht die Wangen von Tränen, den Atem leise spielend um die gespannten -Nüstern. Manchmal überrann sie noch leise ein Zucken, eine verebbende -Welle des erregten Blutes, doch die Brust wogte immer leiser und leiser. -Immer mehr schien sie Bild zu werden. Immer menschlicher und kindlicher, -immer heller, entspannter wurden ihre Züge. Der Krampf war entflogen. -Sie schlummerte. Sie schlief. - -Ich blieb sitzen am Bettrand, zitternd über sie gebeugt. Ein friedliches -Kind lag sie da, die Augen geschlossen und den Mund leise lächelnd, -belebt von innerem Traum. Ganz nahe beugte ich mich herab, daß ich jede -Linie ihres Antlitzes einzeln sah und den Hauch ihres Atems an der Wange -fühlte, und von je näher ich auf sie blickte, desto ferner ward sie mir -und geheimnisvoller. Denn wo war sie jetzt mit ihren Sinnen, die da -steinern lag, hergetrieben von der heißen Strömung einer schwülen Nacht, -zu mir, dem Fremden, und nun wie tot gespült an den Strand? Wer war es, -die hier an meinen Händen lag, wo kam sie her, wem gehörte sie zu? Ich -wußte nichts von ihr und fühlte nur immer, daß nichts mich ihr verband. -Ich blickte sie an, einsame Minuten, während nur die Uhr eilfertig von -oben tickte, und suchte in ihrem sprachlosen Antlitz zu lesen, und doch -ward nichts von ihr vertraut. Ich hatte Lust, sie aufzuwecken aus diesem -fremden Schlaf hier in meiner Nähe, in meinem Zimmer, hart an meinem -Leben, und hatte doch gleichzeitig Furcht vor dem Erwachen, vor dem -ersten Blick ihrer wachen Sinne. So saß ich da, stumm, eine Stunde -vielleicht oder zwei über den Schlaf dieses fremden Wesens gebeugt, und -allmählich ward mirs, als sei es keine Frau mehr, kein Mensch, der hier -abenteuerlich sich mir genaht, sondern die Nacht selbst, das Geheimnis -der lechzenden, gequälten Natur, das sich mir aufgetan. Mir war, als -läge hier unter meinen Händen die ganze heiße Welt mit ihren -entschwülten Sinnen, als hätte sich die Erde aufgebäumt in ihrer Qual -und sie als Boten gesandt aus dieser seltsamen, phantastischen Nacht. - -Etwas klirrte hinter mir. Ich fuhr auf wie ein Verbrecher. Nochmals -klirrte das Fenster, als rüttelte eine riesige Faust daran. Ich sprang -auf. Vor dem Fenster stand ein Fremdes: eine verwandelte Nacht, neu und -gefährlich, schwarzfunkelnd und voll wilder Regsamkeit. Ein Sausen war -dort, ein furchtbares Rauschen, und schon baute sichs auf zum schwarzen -Turm des Himmels, schon warf sichs mir entgegen aus der Nacht, kalt, -feucht und mit wildem Stoß: der Wind. Aus dem Dunkel sprang er, gewaltig -und stark, seine Fäuste rissen an den Fenstern, hämmerten gegen das -Haus. Wie ein furchtbarer Schlund war das Finstere aufgetan, Wolken -fuhren heran und bauten schwarze Wände in rasender Eile empor, und etwas -sauste gewalttätig zwischen Himmel und Welt. Weggerissen war die -beharrliche Schwüle von dieser wilden Strömung, alles flutete, dehnte, -regte sich, eine rasende Flucht war von einem Ende zum andern des -Himmels, und die Bäume, die festgewurzelten in der Erde, stöhnten unter -der unsichtbaren, sausenden, pfeifenden Peitsche des Sturmes. Und -plötzlich riß dies weiß entzwei: ein Blitz, den Himmel spaltend bis zur -Erde hinab. Und hinter ihm knatterte der Donner, als krachte das ganze -Gewölk in die Tiefe. Hinter mir rührte sichs. Sie war aufgefahren. Der -Blitz hatte den Schlaf von ihren Augen gerissen. Verwirrt starrte sie um -sich. »Was ists,« sagte sie, »wo bin ich?« Und ganz anders war die -Stimme als vordem. Angst bebte noch darin, aber der Ton klang jetzt -klar, war scharf und rein wie die neugegorene Luft. Wieder riß ein Blitz -den Rahmen der Landschaft auf: im Flug sah ich den erhellten Umriß der -Tannen, geschüttelt vom Sturm, die Wolken, die wie rasende Tiere über -den Himmel liefen, das Zimmer kalkweiß erhellt und weißer als alles ihr -blasses Gesicht. Sie sprang empor. Ihre Bewegungen waren mit einemmal -frei, wie ich sie nie an ihr gesehen. Sie starrte mich an in der -Dunkelheit. Ich spürte ihren Blick schwärzer als die Nacht. »Wer sind -Sie ... Wo bin ich?« stammelte sie und raffte erschreckt das -aufgesprengte Gewand über der Brust zusammen. Ich trat näher, sie zu -beruhigen, aber sie wich aus. »Was wollen Sie von mir?« schrie sie mit -voller Kraft, da ich ihr nahe kam. Ich wollte ein Wort suchen, um sie zu -beruhigen, sie anzusprechen, aber da merkte ich erst, daß ich ihren -Namen nicht kannte. Wieder warf ein Blitz Licht über das Zimmer. Wie mit -Phosphor bestrichen, blendeten kalkweiß die Wände, weiß stand sie vor -mir, die Arme im Schrecken gegen mich gestemmt, und in ihrem nun wachen -Blick war grenzenloser Haß. Vergebens wollte ich im Dunkel, das mit dem -Donner auf uns niederfiel, sie fassen, beruhigen, ihr etwas erklären, -aber sie riß sich los, stieß die Türe auf, die ein neuer Blitz ihr wies, -und stürzte hinaus. Und mit der Tür, die zufiel, krachte der Donner -nieder, als seien alle Himmel auf die Erde gefallen. - -Und dann rauschte es, Bäche stürzten von unendlicher Höhe wie -Wasserfälle, und der Sturm schwenkte sie als nasse Taue prasselnd hin -und her. Manchmal schnellte er Büschel eiskalten Wassers und süßer, -gewürzter Luft zum Fensterrahmen herein, wo ich schauend stand, bis das -Haar mir naß war und ich troff von den kalten Schauern. Aber ich war -selig, das reine Element zu fühlen, mir war, als löste nun auch meine -Schwüle sich in den Blitzen los, und ich hätte schreien mögen vor Lust. -Alles vergaß ich in dem ekstatischen Gefühl, wieder atmen zu können und -frisch zu sein, und ich sog diese Kühle in mich wie die Erde, wie das -Land: ich fühlte den seligen Schauer des Durchrütteltseins wie die -Bäume, die sich zischend schwangen unter der nassen Rute des Regens. -Dämonisch schön war der wollüstige Kampf des Himmels mit der Erde, eine -gigantische Brautnacht, deren Lust ich mitfühlend genoß. Mit Blitzen -griff der Himmel herab, mit Donner stürzte er auf die Erbebende nieder, -und es war in diesem stöhnenden Dunkel ein rasendes Ineinandersinken von -Höhe und Tiefe, wie von Geschlecht zu Geschlecht. Die Bäume stöhnten vor -Wollust, und mit immer glühenderen Blitzen flocht sich die Ferne -zusammen, man sah die heißen Adern des Himmels offen stehen, sie -sprühten sich aus und mengten sich mit den nassen Rinnsalen der Wege. -Alles brach auseinander und stürzte zusammen, Nacht und Welt -- ein -wunderbarer neuer Atem, in den sich der Duft der Felder vermengte mit -dem feurigen Odem des Himmels, drang kühl in mich ein. Drei Wochen -zurückgehaltener Glut rasten sich in diesem Kampf aus, und auch in mir -fühlte ich die Entspannung. Es war mir, als rauschte der Regen in meine -Poren hinein, als durchsause reinigend der Wind meine Brust, und ich -fühlte mich und mein Erleben nicht mehr einzeln und beseelt, ich war nur -Welt, Orkan, Schauer, Wesen und Nacht im Überschwang der Natur. Und -dann, als alles mählich stiller war, die Blitze bloß blau und -ungefährlich den Horizont umschweiften, der Donner nur mehr väterlich -mahnend grollte und das Rauschen des Regens rhythmisch ward im -ermattenden Wind, da kam auch mich ein Leiserwerden und Müdigkeit an. -Wie Musik fühlte ich meine schwingenden Nerven erklingen, und sanfte -Gelöstheit sank in meine Glieder. Oh, schlafen jetzt mit der Natur und -dann aufwachen mit ihr! Ich warf die Kleider ab und mich ins Bett. Noch -waren weiche, fremde Formen darin. Ich spürte sie dumpf, das seltsame -Abenteuer wollte sich noch einmal besinnen, aber ich verstand es nicht -mehr. Der Regen draußen rauschte und rauschte und wusch mir meine -Gedanken weg. Ich fühlte alles nur mehr als Traum. Immer wollte ich noch -etwas zurückdenken von dem, was mir geschehen war, aber der Regen -rauschte und rauschte, eine wunderbare Wiege war die sanfte, klingende -Nacht, und ich sank in sie hinein, einschlummernd in ihrem Schlummer. - -Am nächsten Morgen, als ich ans Fenster trat, sah ich eine verwandelte -Welt. Klar, mit festen Umrissen, heiter lag das Land in sicherem, -sonnigem Glanz, und hoch über ihm, ein leuchtender Spiegel dieser -Stille, wölbte der Horizont sich blau und fern. Klar waren die Grenzen -gezogen, unendlich fern stand der Himmel, der gestern sich tief hinab in -die Felder gewühlt und sie fruchtbar gemacht. Jetzt aber war er fern, -weltenweit und ohne Zusammenhang, nirgends rührte er sie mehr an, die -duftende, atmende, gestillte Erde, sein Weib. Ein blauer Abgrund -schimmerte kühl zwischen ihm und der Tiefe, wunschlos blickten sie -einander an und fremd, der Himmel und die Landschaft. - -Ich ging hinab in den Saal. Die Menschen waren schon beisammen. Anders -war auch ihr Wesen als in diesen entsetzlichen Wochen der Schwüle. Alles -regte und bewegte sich. Ihr Lachen klang hell, ihre Stimmen melodisch, -metallen, die Dumpfheit war entflogen, die sie behinderte, das schwüle -Band gesunken, das sie umflocht. Ich setzte mich zwischen sie, ganz ohne -Feindlichkeit, und irgendeine Neugier suchte nun auch die Andere, deren -Bild mir der Schlaf fast entwunden. Und wirklich, zwischen Vater und -Mutter am Nebentisch saß sie dort, die ich suchte. Sie war heiter, ihre -Schultern leicht, und ich hörte sie lachen, klingend und unbesorgt. -Neugierig umfaßte ich sie mit dem Blick. Sie bemerkte mich nicht. Sie -erzählte irgend etwas, das sie froh machte, und zwischen die Worte -perlte ein kindliches Lachen hinein. Endlich sah sie gelegentlich auch -zu mir hinüber, und bei dem flüchtigen Anstreifen stockte unwillkürlich -ihr Lachen. Sie sah mich schärfer an. Etwas schien sie zu befremden, die -Brauen schoben sich hoch, streng und gespannt umfragte mich ihr Auge, -und allmählich bekam ihr Gesicht einen angestrengten, gequälten Zug, als -ob sie sich durchaus auf etwas besinnen wollte und es nicht vermöchte. -Ich blieb erwartungsvoll mit ihr Blick in Blick, ob nicht ein Zeichen -der Erregung oder der Beschämung mich grüßen würde, aber schon sah sie -wieder weg. Nach einer Minute kam ihr Blick noch einmal, um sich zu -vergewissern, zurück. Noch einmal prüfte er mein Gesicht. Eine Sekunde -nur, eine lange gespannte Sekunde, fühlte ich seine harte, stechende, -metallene Sonde tief in mich dringen, doch dann ließ ihr Auge mich -beruhigt los, und an der unbefangenen Helle ihres Blickes, der leichten, -fast frohen Wendung ihres Kopfes spürte ich, daß sie wach nichts mehr -von mir wußte, daß unsere Gemeinschaft versunken war mit der magischen -Dunkelheit. Fremd und weit waren wir wieder einander wie Himmel und -Erde. Sie sprach zu ihren Eltern, wiegte unbesorgt die schlanken, -jungfräulichen Schultern, und heiter glänzten im Lächeln die Zähne unter -den schmalen Lippen, von denen ich doch noch vor Stunden den Durst und -die Schwüle einer ganzen Welt getrunken. - - - - - Phantastische Nacht - - -Die nachfolgenden Aufzeichnungen fanden sich als versiegeltes Paket im -Schreibtisch des Barons Friedrich Michael von R..., nachdem er im Herbst -1914 als österreichischer Reserveoberleutnant bei einem Dragonerregiment -in der Schlacht bei Rawaruska gefallen war. Da die Familie nach der -Titelüberschrift und bloß flüchtigem Einblick in diesen Blättern nur -eine literarische Arbeit ihres Verwandten vermutete, übergaben sie mir -die Aufzeichnungen zur Prüfung und stellten mir ihre Veröffentlichung -anheim. Ich persönlich halte diese Blätter nun durchaus nicht für eine -erfundene Erzählung, sondern für ein wirkliches, in allen Einzelheiten -tatsächliches Erlebnis des Gefallenen und veröffentliche unter -Unterdrückung des Namens seine seelische Selbstenthüllung ohne jede -Änderung und Beifügung. - - * * * * * - -Heute morgens überkam mich plötzlich der Gedanke, ich sollte das -Erlebnis jener phantastischen Nacht für mich niederschreiben, um die -ganze Begebenheit in ihrer natürlichen Reihenfolge einmal geordnet zu -überblicken. Und seit dieser jähen Sekunde fühle ich einen -unerklärlichen Zwang, mir im geschriebenen Wort jenes Abenteuer -darzustellen, obzwar ich bezweifle, auch nur annähernd die Sonderbarkeit -der Vorgänge schildern zu können. Mir fehlt jede sogenannte -künstlerische Begabung, ich habe keinerlei Übung in literarischen -Dingen, und abgesehen von einigen mehr scherzhaften Produkten im -Theresianum habe ich mich nie im Schriftstellerischen versucht. Ich weiß -zum Beispiel nicht einmal, ob es eine besonders erlernbare Technik gibt, -um die Aufeinanderfolge von äußern Dingen und ihre gleichzeitige innere -Spiegelung zu ordnen, frage mich auch, ob ich es vermag, dem Sinn immer -das rechte Wort, dem Wort den rechten Sinn zu geben und so jene Balance -zu gewinnen, die ich von je bei jedem rechten Erzähler im Lesen unbewußt -spürte. Aber ich schreibe diese Zeilen ja nur für mich, und sie sind -keineswegs bestimmt, etwas, was ich kaum mir selber zu erklären vermag, -andern verständlich zu machen. Sie sind nur ein Versuch, mit irgendeinem -Geschehnis, das mich ununterbrochen beschäftigt und in schmerzhaft -quellender Gärung bewegt, in einem gewissen Sinne endlich einmal fertig -zu werden, es festzulegen, vor mich hinzustellen und von allen Seiten zu -umfassen. - -Ich habe von dieser Begebenheit keinem meiner Freunde erzählt, eben aus -jenem Gefühl, ich könnte ihnen das Wesentliche daran nicht verständlich -machen, und dann auch aus einer gewissen Scham, von einer so zufälligen -Angelegenheit dermaßen erschüttert und umgewühlt worden zu sein. Denn -das Ganze ist eigentlich nur ein kleines Erlebnis. Aber wie ich dies -Wort jetzt hinschreibe, beginne ich schon zu bemerken, wie schwer es für -einen Ungeübten wird, beim Schreiben die Worte in ihrem rechten Gewicht -zu wählen, und welche Zweideutigkeit, welche Mißverständnismöglichkeit -sich an das einfachste Vokabel knüpft. Denn wenn ich mein Erlebnis ein -»kleines« nenne, so meine ich dies natürlich nur im relativen Sinn, im -Gegensatz zu den gewaltigen dramatischen Geschehnissen, von denen ganze -Völker und Schicksale mitgerissen werden, und meine es andererseits im -zeitlichen Sinne, weil der ganze Vorgang keinen größeren Raum umspannt -als knappe sechs Stunden. Für mich aber war dies -- im allgemeinen Sinn -also kleine, unbedeutsame und unwichtige -- Erlebnis so ungeheuer viel, -daß ich heute -- vier Monate nach jener phantastischen Nacht -- noch -davon glühe und alle meine geistigen Kräfte anspannen muß, um es in -meiner Brust zu bewahren. Täglich, stündlich wiederhole ich mir alle -seine Einzelheiten, denn es ist gewissermaßen der Drehpunkt meiner -ganzen Existenz geworden, alles, was ich tue und rede, ist unbewußt von -ihm bestimmt, meine Gedanken beschäftigen sich einzig damit, sein -plötzliches Geschehen immer und immer wieder zu wiederholen und durch -dieses Wiederholen mir als Besitz zu bestätigen. Und jetzt weiß ich auch -mit einemmal, was ich vor zehn Minuten, da ich die Feder ansetzte, -bewußt noch nicht ahnte: daß ich mir dies Erlebnis nur deshalb jetzt -hinschreibe, um es ganz sicher und gleichsam sachlich fixiert vor mir zu -haben, es noch einmal nachzugenießen im Gefühl und gleichzeitig geistig -zu erfassen. Es ist ganz falsch, ganz unwahr, wenn ich vorhin sagte, ich -wollte damit fertig werden, indem ich es niederschreibe, im Gegenteil, -ich will das zu rasch Gelebte nur noch lebendiger haben, es neben mich -warm und atmend stellen, um es immer und immer umfangen zu können. Oh, -ich habe keine Angst, auch nur eine Sekunde jenes schwülen Nachmittags, -jener phantastischen Nacht zu vergessen, ich brauche kein Merkzeichen, -keine Meilensteine, um in der Erinnerung den Weg jener Stunden Schritt -für Schritt zurückzugehen: wie ein Traumwandler finde ich jederzeit -mitten im Tage, mitten in der Nacht in seine Sphäre zurück, und jede -Einzelheit sehe ich darin mit jener Hellsichtigkeit, die nur das Herz -kennt und nicht das weiche Gedächtnis. Ich könnte hier ebensogut auf das -Papier die Umrisse jedes einzelnen Blattes in der frühlingshaft -ergrünten Landschaft hinzeichnen, ich spüre jetzt im Herbst noch ganz -lind das weiche staubige Qualmen der Kastanienblüten; wenn ich also noch -einmal diese Stunden beschreibe, so geschieht es nicht aus Furcht, sie -zu verlieren, sondern aus Freude, sie wiederzufinden. Und wenn ich jetzt -in der genauen Aufeinanderfolge mir die Wandlungen jener Nacht -darstelle, so werde ich um der Ordnung willen an mich halten müssen, -denn immer schwillt, kaum daß ich an die Einzelheiten denke, eine -Ekstase aus meinem Gefühl empor, eine Art Trunkenheit faßt mich, und ich -muß die Bilder der Erinnerung stauen, daß sie nicht, ein farbiger -Rausch, ineinanderstürzen. Noch immer erlebe ich mit leidenschaftlicher -Feurigkeit das Erlebte, jenen Tag, jenen 7. Juni 1913, da ich mir -mittags einen Fiaker nahm ... - -Aber noch einmal, spüre ich, muß ich innehalten, denn schon wieder werde -ich erschreckt der Zweischneidigkeit, der Vieldeutigkeit eines einzelnen -Wortes gewahr. Jetzt, da ich zum ersten Male im Zusammenhange etwas -erzählen soll, merke ich erst, wie schwer es ist, jenes Gleitende, das -doch alles Lebendige bedeutet, in einer geballten Form zu fassen. Eben -habe ich »ich« hingeschrieben, habe gesagt, daß ich am 7. Juni 1913 mir -mittags einen Fiaker nahm. Aber dies Wort wäre schon eine -Undeutlichkeit, denn jenes »Ich« von damals, von jenem 7. Juni, bin ich -längst nicht mehr, obwohl erst vier Monate seitdem vergangen sind, -obwohl ich in der Wohnung dieses damaligen »Ich« wohne und an seinem -Schreibtisch mit seiner Feder und seiner eigenen Hand schreibe. Von -diesem damaligen Menschen bin ich, und gerade durch jenes Erlebnis ganz -abgelöst, ich sehe ihn jetzt von außen, ganz fremd und kühl, und kann -ihn schildern wie einen Spielgenossen, einen Kameraden, einen Freund, -von dem ich vieles und Wesentliches weiß, der ich aber doch selbst -durchaus nicht mehr bin. Ich könnte über ihn sprechen, ihn tadeln oder -verurteilen, ohne überhaupt zu empfinden, daß er mir einst zugehört hat. - -Der Mensch, der ich damals war, unterschied sich in Wenigem äußerlich -und innerlich von den meisten seiner Gesellschaftsklasse, die man -besonders bei uns in Wien die »gute Gesellschaft« ohne besonderen Stolz, -sondern ganz als selbstverständlich zu bezeichnen pflegt. Ich ging in -das sechsunddreißigste Jahr, meine Eltern waren früh gestorben und -hatten mir knapp vor meiner Mündigkeit ein Vermögen hinterlassen, das -sich als reichlich genug erwies, um von nun ab den Gedanken an Erwerb -und Karriere gänzlich mir zu erübrigen. So wurde mir unvermutet eine -Entscheidung abgenommen, die mich damals sehr beunruhigte. Ich hatte -nämlich gerade meine Universitätsstudien vollendet und stand vor der -Wahl meines zukünftigen Berufes, der wahrscheinlich dank unserer -Familienbeziehungen und meiner schon früh vortretenden Neigung zu einer -ruhig ansteigenden und kontemplativen Existenz auf den Staatsdienst -gefallen wäre, als dies elterliche Vermögen an mich als einzigen Erben -fiel und mir eine plötzliche arbeitslose Unabhängigkeit zusicherte, -selbst im Rahmen weitgespannter und sogar luxuriöser Wünsche. Ehrgeiz -hatte mich nie bedrängt, so beschloß ich, einmal dem Leben erst ein paar -Jahre zuzusehen und zu warten, bis es mich schließlich verlocken würde, -mir selbst einen Wirkungskreis zu finden. Es blieb aber bei diesem -Zuschauen und Warten, denn da ich nichts Sonderliches begehrte, -erreichte ich alles im engen Kreis meiner Wünsche; die weiche und -wollüstige Stadt Wien, die wie keine andere das Spazierengehen, das -nichtstuerische Betrachten, das Elegantsein zu einer geradezu -künstlerischen Vollendung, zu einem Lebenszweck heranbildet, ließ mich -die Absicht einer wirklichen Betätigung ganz vergessen. Ich hatte alle -Befriedigung eines eleganten, adeligen, vermögenden, hübschen und dazu -noch ehrgeizlosen jungen Mannes, die ungefährlichen Spannungen des -Spiels, der Jagd, die regelmäßigen Auffrischungen der Reisen und -Ausflüge, und bald begann ich diese beschauliche Existenz immer mehr mit -wissender Sorgfalt und künstlerischer Neigung auszubauen. Ich sammelte -seltene Gläser, weniger aus einer inneren Leidenschaft als aus der -Freude, innerhalb einer anstrengungslosen Betätigung Geschlossenheit und -Kenntnis zu erreichen, ich schmückte meine Wohnung mit einer besonderen -Art italienischer Barockstiche und mit Landschaftsbildern in der Art des -Canaletto, die bei Trödlern zusammenzufinden oder bei Auktionen zu -erstehen voll einer jagdmäßigen und doch nicht gefährlichen Spannung -war, ich trieb mancherlei mit Neigung und immer mit Geschmack, fehlte -selten bei guter Musik und in den Ateliers unserer Maler. Bei Frauen -mangelte es mir nicht an Erfolg, auch hier hatte ich mit dem geheimen -sammlerischen Trieb, der irgendwie auf innere Unbeschäftigtkeit deutet, -mir vielerlei erinnerungswerte und kostbare Stunden des Erlebens -aufgehäuft, und hier allmählich vom bloßen Genießer mich zum wissenden -Kenner steigernd. Im ganzen hatte ich viel erlebt, was mir angenehm den -Tag füllte und meine Existenz mich als eine reiche empfinden ließ, und -immer mehr begann ich diese laue, wohlige Atmosphäre einer gleichzeitig -belebten und doch nie erschütterten Jugend zu lieben, fast ohne neue -Wünsche schon, denn ganz geringe Dinge vermochten sich schon in der -windstillen Luft meiner Tage zu einer Freude zu entfalten. Eine -gutgewählte Krawatte konnte mich fast schon froh machen, ein schönes -Buch, ein Automobilausflug oder eine Stunde mit einer Frau mich restlos -beglücken. Ganz besonders wohl tat mir in dieser meiner Daseinsform, daß -sie in keiner Weise, ganz wie ein tadellos korrekter englischer Anzug, -in keiner Weise der Gesellschaft auffiel. Ich glaube, man empfand mich -als eine angenehme Erscheinung, ich war beliebt und gerne gesehen, und -die meisten, die mich kannten, nannten mich einen glücklichen Menschen. - -Ich weiß jetzt nicht mehr zu sagen, ob jener Mensch von damals, den ich -mir zu vergegenwärtigen bemühe, sich selbst so wie jene anderen als -einen Glücklichen empfand; denn nun, wo ich aus jenem Erlebnis für jedes -Gefühl einen viel volleren und erfüllteren Sinn fordere, scheint mir -jede rückerinnernde Wertung fast unmöglich. Doch vermag ich mit -Gewißheit zu sagen, daß ich mich zu jener Zeit keineswegs als -unglücklich empfand, blieben doch fast nie meine Wünsche unerfüllt und -meine Anforderungen an das Leben unerwidert. Aber gerade dies, daß ich -mich daran gewöhnt hatte, alles Geforderte vom Schicksal zu empfangen -und darüber hinaus nichts mehr ihm abzufordern, gerade dies zeitigte -allmählich einen gewissen Mangel an Spannung, eine Unlebendigkeit im -Leben selbst. Was sich damals unbewußt in manchen Augenblicken der -Halberkenntnis in mir sehnsüchtig regte: es waren nicht eigentlich -Wünsche, sondern nur der Wunsch nach Wünschen, das Verlangen, stärker, -unbändiger, ehrgeiziger, unbefriedigter zu begehren, mehr zu leben und -vielleicht auch zu leiden. Ich hatte aus meiner Existenz durch eine -allzu vernünftige Technik alle Widerstände ausgeschaltet, und an diesem -Fehlen der Widerstände erschlaffte meine Vitalität. Ich merkte, daß ich -immer weniger, immer schwächer begehrte, daß eine Art Erstarrung in mein -Gefühl gekommen war, daß ich -- vielleicht ist es am besten so -ausgedrückt -- an einer seelischen Impotenz, einer Unfähigkeit zur -leidenschaftlichen Besitznahme des Lebens litt. An kleinen Zeichen -erkannte ich dieses Manko zuerst. Es fiel mir auf, daß ich im Theater -und in der Gesellschaft bei gewissen sensationellen Veranstaltungen -öfter und öfter fehlte, daß ich Bücher bestellte, die mir gerühmt worden -waren und sie dann unaufgeschnitten wochenlang auf dem Schreibtisch -liegen ließ, daß ich zwar mechanisch weiter meine Liebhabereien -sammelte, Gläser und Antiken kaufte, ohne sie aber dann einzuordnen und -mich eines seltenen und langgesuchten Stückes bei unvermutetem Erwerb -sonderlich zu freuen. - -Wirklich bewußt aber wurde mir diese übergangshafte und leise -Verminderung meiner seelischen Spannkraft erst bei einer bestimmten -Gelegenheit, der ich mich noch deutlich entsinne. Ich war im Sommer -- -auch schon aus jener merkwürdigen Trägheit heraus, die von nichts Neuem -sich lebhaft angelockt fühlte -- in Wien geblieben, als ich plötzlich -aus einem Kurorte den Brief einer Frau erhielt, mit der mich seit drei -Jahren eine intime Beziehung verband und von der ich sogar aufrichtig -meinte, daß ich sie liebe. Sie schrieb mir in vierzehn aufgeregten -Seiten, sie habe in diesen Wochen dort einen Mann kennengelernt, der ihr -viel, ja alles geworden sei, sie werde ihn im Herbst heiraten, und -zwischen uns müsse jene Beziehung zu Ende sein. Sie denke ohne Reue, ja -mit Glück an die mit mir gemeinsam verlebte Zeit zurück, der Gedanke an -mich begleite sie in ihre neue Ehe als das Liebste ihres vergangenen -Lebens, und sie hoffe, ich werde ihr den plötzlichen Entschluß -verzeihen. Nach dieser sachlichen Mitteilung überbot sich der aufgeregte -Brief dann in wirklich ergreifenden Beschwörungen, ich möge ihr nicht -zürnen und nicht zuviel an dieser plötzlichen Absage leiden, ich solle -keinen Versuch machen, sie gewaltsam zurückzuhalten oder eine Torheit -gegen mich begehen. Immer hitziger jagten die Zeilen hin: ich solle doch -bei einer Besseren Trost finden, ich solle ihr sofort schreiben, denn -sie sei in Angst, wie ich diese Mitteilung aufnehmen würde. Und als -Nachsatz, mit Bleistift, war dann noch eilig hingeschrieben: »Tue nichts -Unvernünftiges, verstehe mich, verzeihe mir!« Ich las diesen Brief, -zuerst überrascht von der Nachricht und dann, als ich ihn durchblättert, -noch ein zweites Mal und nun mit einer gewissen Beschämung, die sich -bewußt werdend rasch zu einem inneren Erschrecken steigerte. Denn nichts -von allen den starken und doch natürlichen Empfindungen, die meine -Geliebte als selbstverständlich voraussetzte, hatte sich auch nur -andeutungshaft in mir geregt. Ich hatte nicht gelitten bei ihrer -Mitteilung, hatte ihr nicht gezürnt und schon gar nicht eine Sekunde an -eine Gewalttätigkeit gegen sie oder gegen mich gedacht, und diese Kälte -des Gefühls in mir war nun doch zu sonderbar, als daß sie mich nicht -selbst erschreckt hätte. Da fiel eine Frau von mir ab, die Jahre meines -Lebens begleitet hatte, deren warmer Leib sich elastisch dem meinen -aufgetan, deren Atem in langen Nächten in meinen vergangen war, und -nichts rührte sich in mir, wehrte sich dagegen, nichts suchte sie -zurückzuerobern, nichts von all dem geschah in meinem Gefühl von dem, -was der reine Instinkt dieser Frau als selbstverständlich bei einem -wirklichen Menschen voraussetzen mußte. In diesem Augenblicke war mir -zum ersten Male ganz bewußt, wie weit der Erstarrungsprozeß in mir -fortgeschritten war -- ich glitt eben durch wie auf fließendem, -spiegelndem Wasser, ohne irgend verhaftet, verwurzelt zu sein, und ich -wußte ganz genau, daß diese Kälte etwas Totes, Leichenhaftes war, noch -nicht umwittert zwar vom faulen Hauch der Verwesung, aber doch schon -rettungslose Starre, grausam-kalte Fühllosigkeit, die Minute also, die -dem wahren, dem körperlichen Sterben, dem auch äußerlich sichtbaren -Verfall vorangeht. Seit jener Episode begann ich mich und diese -merkwürdige Gefühlsstarre in mir aufmerksam zu beobachten wie ein -Kranker seine Krankheit. Als kurz darauf ein Freund von mir starb und -ich hinter seinem Sarge ging, horchte ich in mich hinein, ob sich nicht -eine Trauer in mir rühre, irgendein Gefühl sich in dem Bewußtsein -spanne, dieser mir seit Kindheitstagen nahe Mensch sei nun für immer -verloren. Aber es regte sich nichts, ich kam mir selbst wie etwas -Gläsernes vor, durch das die Dinge hindurchleuchteten, ohne jemals innen -zu sein, und so sehr ich mich bei diesem Anlaß und manchen ähnlichen -auch anstrengte, etwas zu fühlen, ja mich mit Verstandesgründen zu -Gefühlen überreden wollte, es kam keine Antwort aus jener inneren Starre -zurück. Menschen verließen mich, Frauen gingen und kamen, ich spürte es -kaum anders wie einer, der im Zimmer sitzt, den Regen an den Scheiben, -zwischen mir und dem Unmittelbaren war irgendeine gläserne Wand, die ich -mit dem Willen zu zerstoßen nicht die Kraft hatte. - -Obzwar ich dies nun klar empfand, so schuf mir diese Erkenntnis doch -keine rechte Beunruhigung, denn ich sagte es ja schon, daß ich auch -Dinge, die mich selbst betrafen, mit Gleichgültigkeit hinnahm. Auch zum -Leiden hatte ich nicht mehr genug Gefühl. Es genügte mir, daß dieser -seelische Defekt außen so wenig wahrnehmbar war, wie etwa die -körperliche Impotenz eines Mannes nicht anders als in der intimen -Sekunde offenbar wird, und ich setzte oft in Gesellschaft durch eine -künstliche Leidenschaftlichkeit im Bewundern, durch spontane -Übertreibungen von Ergriffenheit eine gewisse Ostentation daran, zu -verbergen, wie sehr ich mich innerlich anteilslos und abgestorben wußte. -Äußerlich lebte ich mein altes behagliches, hemmungsloses Leben weiter, -ohne seine Richtung zu ändern; Wochen, Monate glitten leicht vorüber und -füllten sich langsam dunkel zu Jahren. Eines Morgens sah ich im Spiegel -einen grauen Streif an meiner Schläfe und spürte, daß meine Jugend -langsam hinüber wollte in eine andere Welt. Aber was andere Jugend -nannten, war in mir längst vorbei. So tat das Abschiednehmen nicht -sonderlich weh, denn ich liebte auch meine eigene Jugend nicht genug. -Auch zu mir selbst schwieg mein trotziges Gefühl. - -Durch diese innere Unbewegtheit wurden meine Tage immer mehr -gleichförmig trotz aller Verschiedenheit der Beschäftigungen und -Begebenheiten, sie reihten sich unbetont einer an den anderen, wuchsen -und gilbten hin wie die Blätter eines Baumes. Und ganz gewöhnlich, ohne -jede Absonderlichkeit, ohne jedes innere Vorzeichen, begann auch jener -einzige Tag, den ich mir wieder selbst schildern will. Ich war damals am -7. Juni 1913 später aufgestanden, aus dem noch von der Kindheit, von den -Schuljahren her unbewußt nachklingenden Sonntagsgefühl, hatte mein Bad -genommen, die Zeitung gelesen und in Büchern geblättert, war dann, -verlockt von dem warmen sommerlichen Tag, der teilnehmend in mein Zimmer -drang, spazierengegangen, hatte in gewohnter Weise den Grabenkorso -überquert, zwischen Gruß und Gruß bekannter und befreundeter Menschen -mit irgendeinem von ihnen ein flüchtiges Gespräch geführt und dann bei -Freunden zu Mittag gespeist. Für den Nachmittag war ich jeder -Vereinbarung ausgewichen, denn ich liebte es insbesondere, am Sonntag -ein paar unaufgeteilte freie Stunden zu haben, die dann ganz dem Zufall -meiner Laune, meiner Bequemlichkeit oder irgendeiner spontanen -Entschließung gehörten. Als ich dann, von meinen Freunden kommend, die -Ringstraße querte, empfand ich wohltuend die Schönheit der besonnten -Stadt und ward froh an ihrer frühsommerlichen Geschmücktheit. Die -Menschen schienen alle heiter und irgendwie verliebt in die -Sonntäglichkeit der bunten Straße, vieles einzelne fiel mir auf und vor -allem, wie breitumbuscht mit ihrem neuen Grün die Bäume mitten aus dem -Asphalt sich aufhoben. Obwohl ich doch fast täglich hier vorüberging, -wurde ich dieses sonntäglichen Menschengewühls plötzlich wie eines -Wunders gewahr, und unwillkürlich bekam ich Sehnsucht nach viel Grün, -nach Helligkeit und Buntheit. Ich erinnerte mich mit ein wenig Neugier -des Praters, wo jetzt zu Frühlingsende, zu Sommersanfang, die schweren -Bäume wie riesige grüne Lakaien rechts und links der von Wagen -durchflitzten Hauptallee stehen und reglos den vielen geputzten -eleganten Menschen ihre weißen Blütenherzen hinhalten. Gewohnt, auch dem -flüchtigsten meiner Wünsche sofort nachzugeben, rief ich den ersten -Fiaker an, der mir in den Weg kam, und bedeutete ihm auf seine Frage den -Prater als Ziel. »Zum Rennen, Herr Baron, nicht wahr?« antwortete er mit -devoter Selbstverständlichkeit. Da erinnerte ich mich erst, daß heute -ein sehr fashionabler Renntag war, eine Derbyvorschau, wo die ganze gute -Wiener Gesellschaft sich Rendezvous gab. Seltsam, dachte ich mir, -während ich in den Wagen stieg, wie wäre es noch vor ein paar Jahren -möglich gewesen, daß ich einen solchen Tag versäumt oder vergessen -hätte! Wieder spürte ich, so wie ein Kranker bei einer Bewegung seine -Wunde, an dieser Vergeßlichkeit die ganze Starre der Gleichgültigkeit, -der ich verfallen war. - -Die Hauptallee war schon ziemlich leer, als wir hinkamen, das Rennen -mußte längst begonnen haben, denn die sonst so prunkvolle Auffahrt der -Wagen fehlte, nur ein paar vereinzelte Fiaker hetzten mit knatternden -Hufen wie hinter einem unsichtbaren Versäumnis her. Der Kutscher wandte -sich am Bock und fragte, ob er scharf traben solle; aber ich hieß ihn, -die Pferde ruhig gehen zu lassen, denn mir lag nichts an einem -Zuspätkommen. Ich hatte zu viel Rennen gesehen und zu oft die Menschen -bei ihnen, als daß mir ein Zurechtkommen noch wichtig gewesen wäre, und -es entsprach besser meinem lässigen Gefühl, im weichen Schaukeln des -Wagens die blaue Luft wie Meer vom Bord eines Schiffes lindrauschend zu -fühlen und ruhiger die schönen, breitgebuschten Kastanienbäume -anzusehen, die manchmal dem schmeichlerisch warmen Wind ein paar -Blütenflocken zum Spiele hingaben, die er dann leicht aufhob und -wirbelte, ehe er sie auf die Allee weiß hinflocken ließ. Es war wohlig, -sich so wiegen zu lassen, Frühling zu ahnen mit geschlossenen Augen, -ohne jede Anstrengung beschwingt und fortgetragen sich zu empfinden: -eigentlich tat es mir leid, als in der Freudenau der Wagen vor der -Einfahrt hielt. Am liebsten wäre ich noch umgekehrt, mich weiter wiegen -zu lassen von dem weichen, frühsommerlichen Tag. Aber es war schon zu -spät, der Wagen hielt vor dem Rennplatz. Ein dumpfes Brausen schlug mir -entgegen. Wie ein Meer scholl es dumpf und hohl hinter den aufgestuften -Tribünen, ohne daß ich die bewegte Menge sah, von der dieses geballte -Geräusch ausging, und unwillkürlich erinnerte ich mich an Ostende, wenn -man von der niederen Stadt die kleinen Seitengassen zur Strandpromenade -emporsteigt, schon den Wind salzig und scharf über sich sausen fühlt und -ein dumpfes Dröhnen hört, ehe dann der Blick hingreift über die weite -grauschäumige Fläche mit ihren donnernden Wellen. Ein Rennen mußte -gerade in Gang sein, aber zwischen mir und dem Rasen, auf dem jetzt wohl -die Pferde hinflitzten, stand ein farbiger dröhnender, wie von einem -inneren Sturm hin und her geschüttelter Qualm, die Menge der Zuschauer -und Spieler. Ich konnte die Bahn nicht sehen, spürte aber im Reflex der -gesteigerten Erregung jede sportliche Phase. Die Reiter mußten längst -gestartet, der Knäuel sich geteilt haben und ein paar gemeinsam um die -Führung streiten, denn schon lösten sich hier aus den Menschen, die -geheimnisvoll die für mich unsichtbaren Bewegungen des Laufes mitlebten, -Schreie los und aufgeregte Zurufe. An der Richtung ihrer Köpfe spürte -ich die Biegung, an der die Reiter und Pferde jetzt auf dem länglichen -Rasenoval angelangt sein mußten, denn immer einheitlicher, immer -zusammengefaßter drängte sich, wie ein einziger aufgereckter Hals, das -ganze Menschenchaos einem mir unsichtbaren Blickpunkt entgegen, und aus -diesem einen ausgespannten Hals grölte und gurgelte mit tausenden -zerriebenen Einzellauten eine immer höher gischtende Brandung. Und diese -Brandung stieg und schwoll, schon füllte sie den ganzen Raum bis zum -gleichgültig blauen Himmel. Ich sah in ein paar Gesichter hinein. Sie -waren verzerrt wie von einem inneren Krampf, die Augen starr und -funkelnd, die Lippen verbissen, das Kinn gierig vorgestoßen, die Nüstern -pferdhaft gebläht. Spaßig und grauenhaft war mirs, nüchtern diese -unbeherrschten Trunkenen zu betrachten. Neben mir stand auf einem Sessel -ein Mann, elegant gekleidet, mit einem sonst wohl guten Gesicht, jetzt -aber tobte er, von einem unsichtbaren Dämon beteufelt, er fuchtelte mit -dem Stock in die leere Luft hinein, als peitschte er etwas vorwärts, -sein ganzer Körper machte -- unsagbar lächerlich für einen Zuschauer -- -die Bewegung des Raschreitens leidenschaftlich mit. Wie auf Steigbügeln -wippte er mit den Fersen unablässig auf und nieder über dem Sessel, die -rechte Hand jagte den Stock immer wieder als Gerte ins Leere, die linke -knüllte krampfig einen weißen Zettel. Und immer mehr dieser weißen -Zettel flatterten herum, wie Schaumspritzer gischteten sie über dieser -graudurchstürmten Flut, die lärmend schwoll. Jetzt mußten an der Kurve -ein paar Pferde ganz knapp beieinander sein, denn mit einem Male ballte -sich das Gedröhn in zwei, drei, vier einzelne Namen, die immer wieder -einzelne Gruppen wie Schlachtrufe schrien und tobten, und diese Schreie -schienen wie ein Ventil für ihre delirierende Besessenheit. - -Ich stand inmitten dieser dröhnenden Tobsucht kalt wie ein Felsen im -donnernden Meer und weiß noch heute genau zu sagen, was ich in jener -Minute empfand. - -Das Lächerliche vorerst all dieser fratzenhaften Gebärden, eine -ironische Verachtung für das Pöbelhafte des Ausbruches, aber doch noch -etwas anderes, das ich mir ungern eingestand -- irgendeinen leisen Neid -nach solcher Erregung, solcher Brunst der Leidenschaft, nach dem Leben, -das in diesem Fanatismus war. Was müßte, dachte ich, geschehen, um mich -dermaßen zu erregen, mich dermaßen ins Fieber zu spannen, daß mein -Körper so brennend, meine Stimme mir wider Willen aus dem Munde brechen -würde? Keine Summe konnte ich mir denken, deren Besitz mich so anfeuern -könnte, keine Frau, die mich dermaßen reizte, nichts, nichts gab es, was -aus der Starre meines Gefühls mich zu solcher Feurigkeit entfachen -könnte! Vor einer plötzlich gespannten Pistole würde mein Herz, eine -Sekunde vor dem Erstarren, nicht so wild hämmern, wie das in den -tausend, zehntausend Menschen rings um mich für eine Handvoll Geld. Aber -jetzt mußte ein Pferd dem Start ganz nahe sein, denn zu einem einzigen, -immer schriller werdenden Schrei von tausenden Stimmen gellte jetzt wie -eine hochgespannte Saite ein bestimmter Name empor aus dem Tumult, um -dann schrill mit einem Male zu zerreißen. Die Musik begann zu spielen, -plötzlich zerbrach die Menge. Eine Runde war zu Ende, ein Kampf -entschieden, die Spannung löste sich in eine quirlende, nur noch schlaff -nachschwingende Bewegtheit. Die Masse, eben noch ein brennendes Bündel -Leidenschaft, fiel auseinander in viele einzelne laufende, lachende, -sprechende Menschen, ruhige Gesichter tauchten wieder auf hinter der -mänadischen Maske der Erregung; aus dem Chaos des Spiels, das für -Sekunden diese Tausende in einen einzigen glühenden Klumpen geschmolzen -hatte, schichteten sich wieder gesellschaftliche Gruppen, die -zusammentraten, sich lösten, Menschen, die ich kannte und die mich -grüßten, fremde, die sich gegenseitig kühl-höflich musterten und -betrachteten. Die Frauen prüften sich gegenseitig in ihren neuen -Toiletten, die Männer warfen begehrliche Blicke, jene mondäne Neugier, -die der Teilnahmslosen eigentliche Beschäftigung ist, begann sich zu -entfalten, man suchte, zählte, kontrollierte sich auf Anwesenheit und -Eleganz. Schon wußten, kaum aus dem Taumel erwacht, all diese Menschen -nicht mehr, ob dies promenierende Zwischenspiel oder das Spiel selbst -der Zweck ihrer gesellschaftlichen Vereinigung war. - -Ich ging mitten durch dies laue Gewühl, grüßte und dankte, atmete wohlig --- war es doch die Atmosphäre meiner Existenz -- den Duft von Parfüm und -Eleganz, der dies kaleidoskopische Durcheinander umschwebte, und noch -freudiger die leise Brise, die von drüben aus den Praterauen, aus dem -sommerlich durchwärmten Walde manchmal ihre Welle zwischen die Menschen -warf und den weißen Musselin der Frauen wie wollüstig-spielend -betastete. Ein paar Bekannte wollten mich ansprechen, Diane, die schöne -Schauspielerin, nickte einladend aus einer Loge herüber, aber ich ging -keinem zu. Es interessierte mich nicht, mit einem dieser mondänen -Menschen heute zu sprechen, es langweilte mich, in ihrem Spiegel mich -selbst zu sehen, nur das Schauspiel wollte ich umfassen, die -knisternd-sinnliche Erregung, die durch die aufgesteigerte Stunde ging -(denn der anderen Erregtheit ist gerade dem Teilnahmslosen das -angenehmste Schauspiel). Ein paar schöne Frauen gingen vorbei, ich sah -ihnen frech, aber ohne innerliches Begehren auf die Brüste, die unter -der dünnen Gaze bei jedem Schritt bebten und lächelte innerlich über -ihre halb peinliche, halb wohlige Verlegenheit, wenn sie sich so -sinnlich abgeschätzt und frech entkleidet fühlten. In Wirklichkeit -reizte mich keine, es machte mir nur ein gewisses Vergnügen, vor ihnen -so zu tun, das Spiel mit dem Gedanken, mit ihren Gedanken machte mir -Freude, die Lust, sie körperlich zu berühren, das magnetische Zucken im -Auge zu fühlen; denn wie jedem innerlich kühlen Menschen war es mein -eigentlichster erotischer Genuß, in anderen Wärme und Unruhe zu erregen, -statt mich selbst zu erhitzen. Nur den Flaum von Wärme, den die -Gegenwart von Frauen um die Sinnlichkeit legt, liebte ich zu fühlen, -nicht eine wirkliche Erhitzung, Anregung bloß und nicht Erregung. So -ging ich auch diesmal durch die Promenade, nahm Blicke, gab sie leicht -wie Federball zurück, genoß ohne zu greifen, befühlte Frauen ohne zu -fühlen, nur leicht angewärmt von der lauen Wollust des Spiels. - -Aber auch das langweilte mich bald. Immer dieselben Menschen kamen -vorüber, ich kannte ihre Gesichter schon auswendig und ihre Gesten. Ein -Sessel stand in der Nähe. Ich setzte mich hin. Ringsum begann in den -Gruppen eine neue wirblige Bewegung, unruhiger schüttelten und stießen -sich die Vorübergehenden durcheinander; offenbar sollte ein neues Rennen -wieder anheben. Ich kümmerte mich nicht darum, saß weich und irgendwie -versunken unter dem Kringel meiner Zigarette, der sich weißgekräuselt -gegen den Himmel hob, wo er heller und heller wie eine kleine Wolke im -Frühlingsblau verging. In dieser Sekunde begann das Unerhörte, jenes -einzige Erlebnis, das noch heute mein Leben bestimmt. Ich kann ganz -genau den Augenblick feststellen, denn zufällig hatte ich gerade auf die -Uhr gesehen: die Zeiger kreuzten sich, und ich sah ihnen mit jener -unbeschäftigten Neugier zu, wie sie sich eine Sekunde lang überdeckten. -Es war drei Minuten nach drei Uhr an jenem Nachmittag des 7. Juni 1913. -Ich blickte also, die Zigarette in der Hand, auf das weiße Zifferblatt, -ganz beschäftigt mit dieser kindischen und lächerlichen Betrachtung, als -ich knapp hinter meinem Rücken eine Frau laut lachen hörte, mit jenem -scharfen, erregten Lachen, wie ich es bei Frauen liebe, jenem Lachen, -das ganz warm und aufgeschreckt aus dem heißen Gebüsch der Sinnlichkeit -vorspringt. Unwillkürlich bog es mir den Kopf zurück, schon wollte ich -die Frau anschauen, deren laute Sinnlichkeit so frech in meine sorglose -Träumerei schlug wie ein funkelnder weißer Stein in einen dumpfen, -schlammigen Teich -- da bezwang ich mich. Eine merkwürdige Lust am -geistigen Spiel, am kleinen ungefährlichen psychologischen Experiment, -wie sie mich oft befiel, ließ mich innehalten. Ich wollte die Lachende -noch nicht ansehen, es reizte mich, zuerst in einer Art Vorlust, meine -Phantasie mit dieser Frau zu beschäftigen, mir sie vorzustellen, mir ein -Gesicht, einen Mund, eine Kehle, einen Nacken, eine Brust, eine ganze -lebendige atmende Frau um dieses Lachen zu legen. - -Sie stand jetzt offenbar knapp hinter mir. Aus dem Lachen war wieder -Gespräch geworden. Ich hörte gespannt zu. Sie sprach mit leichtem -ungarischen Akzent, sehr rasch und beweglich, die Vokale breit -ausschwingend wie im Gesang. Es machte mir nun Spaß, dieser Rede nun die -Gestalt zuzudichten und dies Phantasiebild möglichst üppig -auszugestalten. Ich gab ihr dunkle Haare, dunkle Augen, einen breiten, -sinnlich gewölbten Mund mit ganz weißen starken Zähnen, eine ganz -schmale kleine Nase, aber mit steil aufspringenden zitternden Nüstern. -Auf die linke Wange legte ich ihr ein Schönheitspflästerchen, in die -Hand gab ich ihr einen Reitstock, mit dem sie sich beim Lachen leicht an -den Schenkel schlug. Sie sprach weiter und weiter. Und jedes ihrer Worte -fügte meiner blitzschnell gebildeten Phantasievorstellung ein neues -Detail hinzu: eine schmale mädchenhafte Brust, ein dunkelgrünes Kleid -mit einer schief gesteckten Brillantspange, einen hellen Hut mit einem -weißen Reiher. Immer deutlicher ward das Bild, und schon spürte ich -diese fremde Frau, die unsichtbar hinter meinem Rücken stand, wie auf -einer belichteten Platte in meiner Pupille. Aber ich wollte mich nicht -umwenden, dieses Spiel der Phantasie noch weiter steigern, irgendein -leises Rieseln von Wollust mengte sich in die verwegene Träumerei, ich -schloß beide Augen, gewiß, daß, wenn ich die Lider auftäte und mich ihr -zuwendete, das innere Bild ganz mit dem äußeren sich decken würde. - -In diesem Augenblick trat sie vor. Unwillkürlich tat ich die Augen auf --- und ärgerte mich. Ich hatte vollkommen daneben geraten, alles war -anders, ja in boshaftester Weise gegensätzlich zu meinem Phantasiebild. -Sie trug kein grünes, sondern ein weißes Kleid, war nicht schlank, -sondern üppig und breitgehüftet, nirgends aus der vollen Wange tupfte -sich das erträumte Schönheitspflästerchen, die Haare leuchteten -rötlichblond statt schwarz unter dem helmförmigen Hut. Keines meiner -Merkmale stimmte zu ihrem Bilde; aber diese Frau war schön, -herausfordernd schön, obwohl ich mich, gekränkt im törichten Ehrgeiz -meiner psychologischen Eitelkeit, diese Schönheit anzuerkennen wehrte. -Fast feindlich sah ich zu ihr empor; aber auch der Widerstand in mir -spürte den starken sinnlichen Reiz, der von dieser Frau ausging, das -Begehrliche, Animalische, das in ihrer festen und gleichzeitig weichen -Fülle fordernd lockte. Jetzt lachte sie wieder laut, ihre festen weißen -Zähne wurden sichtbar, und ich mußte mir sagen, daß dieses heiße -sinnliche Lachen zu dem Üppigen ihres Wesens wohl im Einklang stand; -alles an ihr war so vehement und herausfordernd, der gewölbte Busen, das -im Lachen vorgestoßene Kinn, der scharfe Blick, die geschwungene Nase, -die Hand, die den Schirm fest gegen den Boden stemmt. Hier war das -weibliche Element, Urkraft, bewußte, penetrante Lockung, ein -fleischgewordenes Wollustfanal. Neben ihr stand ein eleganter, etwas -fanierter Offizier und sprach eindringlich auf sie ein. Sie hörte ihm -zu, lächelte, lachte, widersprach, aber all das nur nebenbei, denn -gleichzeitig glitt ihr Blick, zitterten ihre Nüstern überall hin, -gleichsam allen zu: sie sog Aufmerksamkeit, Lächeln, Anblick von jedem, -der vorüberging und gleichsam von der ganzen Masse des Männlichen -ringsum ein. Ihr Blick war ununterbrochen wanderhaft, bald suchte er die -Tribünen entlang, um dann plötzlich, freudigen Erkennens, einen Gruß zu -erwidern, bald streifte er -- während sie dem Offizier immer lächelnd -und eitel zuhörte -- nach rechts, bald nach links. Nur mich, der ich, -von ihrem Begleiter gedeckt, unter ihrem Blickfeld lag, hatte er noch -nicht angerührt. Das ärgerte mich. Ich stand auf -- sie sah mich nicht. -Ich drängte mich näher -- nun blickte sie wieder zu den Tribünen hinauf. -Da trat ich entschlossen zu ihr hin, lüftete den Hut gegen ihren -Begleiter und bot ihr meinen Sessel an. Sie blickte mir erstaunt -entgegen, ein lächelnder Glanz überflog ihre Augen, schmeichlerisch bog -sie die Lippe zu einem Lächeln. Aber dann dankte sie nur kurz und nahm -den Sessel, ohne sich zu setzen. Bloß den üppigen, bis zum Ellbogen -entblößten Arm stützte sie weich an die Lehne und nützte die leichte -Biegung ihres Körpers, um seine Formen sichtbarer zu zeigen. - -Der Ärger über meine falsche Psychologie war längst vergessen, mich -reizte nur das Spiel mit dieser Frau. Ich trat etwas zurück an die Wand -der Tribüne, wo ich sie frei und doch unauffällig fixieren konnte, -stemmte mich auf meinen Stock und suchte mit den Augen die ihren. Sie -merkte es, drehte sich ein wenig meinem Beobachtungsplatze zu, aber doch -so, daß diese Bewegung eine ganz zufällige schien, wehrte mir nicht, -antwortete mir gelegentlich und doch unverpflichtend. Unablässig gingen -ihre Augen im Kreise, alles rührten sie an, nichts hielten sie fest -- -war ich es allein, dem sie begegnend ein schwarzes Lächeln zustrahlten -oder gab sie es an jeden? Das war nicht zu unterscheiden, und eben diese -Ungewißheit irritierte mich. In den Intervallen, wo wie ein Blinkfeuer -ihr Blick mich anstrahlte, schien er voll Verheißung, aber mit der -gleichen stahlglänzenden Pupille parierte sie auch ohne jede Wahl jeden -anderen Blick, der ihr zuflog, ganz nur aus koketter Freude am Spiel, -vor allem aber, ohne dabei für eine Sekunde scheinbar interessiert das -Gespräch ihres Begleiters zu verabsäumen. Etwas blendend Freches war in -diesen leidenschaftlichen Paraden, eine Virtuosität der Koketterie oder -ein ausbrechender Überschuß an Sinnlichkeit. Unwillkürlich trat ich -einen Schritt näher: ihre kalte Frechheit war in mich übergegangen. Ich -sah ihr nicht mehr in die Augen, sondern griff sie fachmännisch von oben -bis unten ab, riß ihr mit dem Blick die Kleider auf und spürte sie -nackt. Sie folgte meinem Blick, ohne irgendwie beleidigt zu sein, -lächelte mit den Mundwinkeln zu dem plaudernden Offizier, aber ich -merkte, daß dies wissende Lächeln meine Absicht quittierte. Und wie ich -jetzt auf ihren Fuß sah, der klein und zart unter dem weißen Kleide -vorlugte, streifte sie mit dem Blick lässig nachprüfend ihr Kleid hinab. -Dann, im nächsten Augenblick hob sie wie zufällig den Fuß und stellte -ihn auf die erste Sprosse des dargebotenen Sessels, so daß ich durch das -durchbrochene Kleid die Strümpfe bis zum Knieansatz sah, gleichzeitig -schien aber ihr Lächeln zu dem Begleiter hin irgendwie ironisch oder -maliziös zu werden. Offenbar spielte sie mit mir ebenso anteillos wie -ich mit ihr, und ich mußte die raffinierte Technik ihrer Verwegenheit -haßvoll bewundern; denn während sie mir mit falscher Heimlichkeit das -Sinnliche ihres Körpers darbot, drückte sie sich gleichzeitig in das -Flüstern ihres Begleiters geschmeichelt hinein, gab und nahm in einem -und beides nur im Spiel. Eigentlich war ich erbittert, denn ich haßte -gerade an anderen diese Art kalter und boshaft berechnender -Sinnlichkeit, weil ich sie meiner eigenen wissenden Fühllosigkeit so -blutschänderisch nahe verschwistert fühlte. Aber doch, ich war erregt, -vielleicht mehr im Haß wie in Begehrlichkeit. Frech trat ich näher und -griff sie brutal an mit den Blicken. »Ich will dich, du schönes Tier,« -sagte ihr meine unverhohlene Geste, und unwillkürlich mußten meine -Lippen sich bewegt haben, denn sie lächelte mit leiser Verächtlichkeit, -den Kopf von mir wegwendend, und schlug die Robe über den entblößten -Fuß. Aber im nächsten Augenblick wanderte die schwarze Pupille wieder -funkelnd her und wieder hinüber. Es war ganz deutlich, daß sie ebenso -kalt wie ich selbst und mir gewachsen war, daß wir beide kühl mit einer -fremden Hitze spielten, die selber wieder nur gemaltes Feuer war, aber -doch schön anzusehen und heiter zu spielen inmitten eines dumpfen Tags. - -Plötzlich erlosch die Gespanntheit in ihrem Gesicht, der funkelnde Glanz -glomm aus, eine kleine ärgerliche Falte krümmte sich um den eben noch -lächelnden Mund. Ich folgte der Richtung ihres Blicks: ein kleiner, -dicker Herr, den die Kleider faltig umplusterten, steuerte eilig auf sie -zu, das Gesicht und die Stirn, die er nervös mit dem Taschentuch -abtrocknete, von Erregung feucht. Der Hut, in der Eile schief auf den -Kopf gedrückt, ließ seitlich eine tief heruntergezogene Glatze sehen -(unwillkürlich empfand ich, es müßten, wenn er den Hut abnehme, dicke -Schweißperlen auf ihr brüten, und der Mensch war mir widerlich). In der -beringten Hand hielt er ein ganzes Bündel Ticketts. Er prustete förmlich -vor Aufregung und sprach gleich, ohne seine Frau zu beachten, in lautem -Ungarisch auf den Offizier ein. Ich erkannte sofort einen Fanatiker des -Rennsportes, irgendeinen Pferdehändler besserer Kategorie, für den das -Spiel die einzige Ekstase war, das erlauchte Surrogat des Sublimen. -Seine Frau mußte ihm offenbar jetzt etwas Ermahnendes gesagt haben (sie -war sichtlich geniert von seiner Gegenwart und gestört in ihrer -elementaren Sicherheit), denn er richtete sich, anscheinend auf ihr -Geheiß, den Hut zurecht, lachte sie dann jovial an und klopfte ihr mit -gutmütiger Zärtlichkeit auf die Schulter. Wütend zog sie die Brauen -hoch, abgestoßen von der ehelichen Vertraulichkeit, die ihr in Gegenwart -des Offiziers und vielleicht mehr noch der meinen peinlich wurde. Er -schien sich zu entschuldigen, sagte auf ungarisch wieder ein paar Worte -zu dem Offizier, die jener mit einem gefälligen Lächeln erwiderte, nahm -aber dann zärtlich und ein wenig unterwürfig ihren Arm. Ich spürte, daß -sie sich seiner Intimität vor uns schämte und genoß ihre Erniedrigung -mit einem gemischten Gefühl von Spott und Ekel. Aber schon hatte sie -sich wieder gefaßt, und während sie sich weich an seinen Arm drückte, -glitt ein Blick ironisch zu mir hinüber, als sagte er: »Siehst du, der -hat mich, und nicht du.« Ich war wütend und degoutiert zugleich. -Eigentlich wollte ich ihr den Rücken kehren und weitergehen, um ihr zu -zeigen, daß die Gattin eines solchen ordinären Dicklings mich nicht mehr -interessiere. Aber der Reiz war doch zu stark. Ich blieb. - -Schrill gellte in dieser Sekunde das Signal des Starts, und mit einemmal -war die ganze plaudernde, trübe, stockende Masse wie umgeschüttelt, floß -wieder von allen Seiten in jähem Durcheinander nach vorn zur Barriere. -Ich hatte eine gewisse Gewaltsamkeit nötig, nicht mitgerissen zu werden, -denn ich wollte gerade im Tumult in ihrer Nähe bleiben, vielleicht bot -sich da Gelegenheit zu einem entscheidenden Blick, einem Griff, -irgendeiner spontanen Frechheit, die ich jetzt noch nicht wußte, und so -stieß ich mich zwischen den eilenden Leuten beharrlich zu ihr vor. In -diesem Augenblick drängte der dicke Gatte gerade herüber, offenbar um -einen guten Platz an der Tribüne zu ergattern, und so stießen wir beide, -jeder von einem andern Ungestüm geschleudert, mit so viel Heftigkeit -gegeneinander, daß sein lockerer Hut zu Boden flog und die Ticketts, die -daran lose befestigt waren, in weitem Bogen wegspritzten und wie rote, -blaue, gelbe und weiße Schmetterlinge auf den Boden staubten. Einen -Augenblick starrte er mich an. Mechanisch wollte ich mich entschuldigen, -aber irgendein böser Wille verschloß mir die Lippen, im Gegenteil: ich -sah ihn kühl mit einer leisen, frechen und beleidigenden Provokation an. -Sein Blick flackerte eine Sekunde lang unsicher auf von rot -aufsteigender, aber ängstlich sich drückender Wut hochgeschnellt, brach -aber feige zusammen vor dem meinen. Mit einer unvergeßlichen, fast -rührenden Ängstlichkeit sah er mir eine Sekunde in die Augen, dann bog -er sich weg, schien sich plötzlich seiner Ticketts zu besinnen und -bückte sich, um sie und den Hut vom Boden aufzulesen. Mit unverhohlenem -Zorn, rot im Gesicht vor Erregung, blitzte die Frau, die seinen Arm -gelassen hatte, mich an: ich sah mit einer Art Wollust, daß sie mich am -liebsten geschlagen hätte. Aber ich blieb ganz kühl und nonchalant -stehen, sah lächelnd ohne zu helfen zu, wie der überdicke Gemahl sich -keuchend bückte und vor meinen Füßen herumkroch, um seine Ticketts -aufzulesen. Der Kragen stand ihm beim Bücken weit ab wie die Federn -einer aufgeplusterten Henne, eine breite Speckfalte schob sich den roten -Nacken hinauf, asthmatisch keuchte er bei jeder Beugung. Unwillkürlich -kam mir, wie ich ihn so keuchen sah, ein unanständiger und -unappetitlicher Gedanke, ich stellte ihn mir in ehelichem Alleinsein mit -seiner Gattin vor, und übermütig geworden an dieser Vorstellung, -lächelte ich geradeaus in ihrem kaum mehr beherrschten Zorn. Sie stand -da, jetzt wieder blaß und ungeduldig und kaum mehr sich beherrschen -könnend, -- endlich hatte ich doch ein wahres, ein wirkliches Gefühl ihr -entrissen: Haß, unbändigen Zorn! Ich hätte mir diese boshafte Szene am -liebsten ins Unendliche verlängert; mit kalter Wollust sah ich zu, wie -er sich quälte, um Stück für Stück seiner Ticketts zusammenzuklauben. -Mir saß irgendein schnurriger Teufel in der Kehle, der immer kicherte -und ein Lachen herauskollern wollte -- am liebsten hätte ich ihn -herausgelacht oder diese weiche krabbelnde Fleischmasse ein wenig mit -dem Stock gekitzelt: ich konnte mich eigentlich nicht erinnern, jemals -so von Bosheit besessen gewesen zu sein, wie in diesem funkelnden -Triumph der Erniedrigung über diese frechspielende Frau. - -Aber jetzt schien der Unglückselige endlich alle seine Ticketts -zusammengerafft zu haben, nur eines, ein blaues, war weiter fortgeflogen -und lag knapp vor mir auf dem Boden. Er drehte sich keuchend herum, -suchte mit seinen kurzsichtigen Augen -- der Zwicker saß ihm ganz vorne -auf der schweißbenetzten Nase --, und diese Sekunde benützte meine -spitzbübisch aufgeregte Bosheit zur Verlängerung seiner lächerlichen -Anstrengung: ich schob, einem schuljungenhaften Übermut willenlos -gehorchend, den Fuß rasch vor und setzte die Sohle auf das Tickett, so -daß er es bei bester Bemühung nicht finden konnte, so lange mirs -beliebte, ihn suchen zu lassen. Und er suchte und suchte unentwegt, -überzählte dazwischen verschnaufend immer wieder die farbigen -Pappendeckelzettel: es war sichtlich, daß einer -- meiner! -- ihm noch -fehlte, und schon wollte er inmitten des anbrausenden Getümmels wieder -mit der Suche anheben, als seine Frau, die mit einem verbissenen -Ausdruck meinen höhnischen Seitenblick krampfhaft vermied, ihre zornige -Ungeduld nicht mehr zügeln konnte. »Lajos!« rief sie ihm plötzlich -herrisch zu, und er fuhr auf wie ein Pferd, das die Trompete hört, -blickte noch einmal suchend auf die Erde -- mir war es, als kitzelte -mich das verborgene Tickett unter der Sohle, und ich konnte einen -Lachreiz kaum verbergen -- dann wandte er sich seiner Frau gehorsam zu, -die ihn mit einer gewissen ostentativen Eile von mir weg in das immer -stärker aufschäumende Getümmel zog. - -Ich blieb zurück ohne jedwedes Verlangen, den beiden zu folgen. Die -Episode war für mich beendet, das Gefühl jener erotischen Spannung hatte -sich wohltuend ins Heitere gelöst, alle Erregung war von mir geglitten -und nichts zurückgeblieben als die gesunde Sattheit der plötzlich -vorgebrochenen Bosheit, eine freche, fast übermütige Selbstzufriedenheit -über den gelungenen Streich. Vorne drängten sich die Menschen dicht -zusammen, schon begann Erregung zu wogen und, eine einzige, schmutzige, -schwarze Welle, gegen die Barriere zu drängen, aber ich sah gar nicht -hin, es langweilte mich schon. Und ich dachte daran, hinüber in die -Kriau zu gehen oder heimzufahren. Aber kaum daß ich jetzt unwillkürlich -den Fuß zum Schritt vorwärts tat, bemerkte ich das blaue Tickett, das -vergessen am Boden lag. Ich nahm es auf und hielt es spielend zwischen -den Fingern, ungewiß, was ich damit anfangen sollte. Vage kam mir der -Gedanke, es »Lajos« zurückzugeben, was als vortrefflicher Anlaß dienen -könnte, mit seiner Frau bekannt zu werden; aber ich merkte, daß sie mich -gar nicht mehr interessierte, daß die flüchtige Hitze, die mir von -diesem Abenteuer angeflogen kam, längst in meiner alten Gleichgültigkeit -ausgekühlt war. Mehr als dies kämpfende, verlangende Hin und Her der -Blicke verlangte ich von Lajos Gattin nicht -- der Dickling war mir doch -zu unappetitlich, um Körperliches mit ihm zu teilen -- den Frisson der -Nerven hatte ich gehabt, nun fühlte ich bloß mehr lässige Neugier, -wohlige Entspannung. - -Der Sessel stand da, verlassen und allein. Ich setzte mich gemächlich -nieder, zündete mir eine Zigarette an. Vor mir brandete die Leidenschaft -wieder auf, ich horchte nicht einmal hin: Wiederholungen reizten mich -nicht. Ich sah laß den Rauch aufsteigen und dachte an die Meraner -Gilfpromenade, wo ich vor zwei Monaten gesessen und in den sprühenden -Wasserfall hinabgesehen hatte. Ganz so war dies wie hier: auch dort ein -mächtig aufschwellendes Rauschen, das nicht wärmte und nicht kühlte, -auch dort ein sinnloses Tönen in eine schweigend-blaue Landschaft -hinein. Aber jetzt war die Leidenschaft des Spiels beim Crescendo -angelangt, wieder flog der Schaum von Schirmen, Hüten, Schreien, -Taschentüchern über die schwarze Brandung der Menschen hin, wieder -quirlten die Stimmen zusammen, wieder zuckte ein Schrei -- nun aber -andersfarbig -- aus dem Riesenmaul der Menge. Ich hörte einen Namen, -tausendfach, zehntausendfach, jauchzend, gell, ekstatisch, verzweifelt -geschrien: »Cressy! Cressy! Cressy!« Und wieder brach er, eine gespannte -Saite, plötzlich ab (wie doch Wiederholung selbst die Leidenschaft -eintönig macht!). Die Musik begann zu spielen, die Menge löste sich. -Tafeln wurden emporgezogen mit den Nummern der Sieger. Unbewußt blickte -ich hin. An erster Stelle leuchtete eine Sieben. Mechanisch sah ich auf -das blaue Tickett, das ich zwischen meinen Fingern vergessen hatte. Auch -hier die Sieben. - -Unwillkürlich mußte ich lachen. Das Tickett hatte gewonnen, der gute -Lajos richtig gesetzt. So hatte ich mit meiner Bosheit den dicken Gatten -sogar noch um Geld gebracht: mit einem Male war meine übermütige Laune -wieder da, nun interessierte es mich zu wissen, um wieviel ihn meine -eifersüchtige Intervention geprellt. Ich sah mir den blauen Pappendeckel -zum erstenmal genauer an: es war ein Zwanzigkronen-Tickett, und Lajos -hatte auf »Sieg« gesetzt. Das konnte wohl schon ein stattlicher Betrag -sein. Ohne weiter nachzudenken, nur dem Kitzel der Neugierde folgend, -ließ ich mich von der eilenden Menge in die Richtung zu den Kassen -hindrängen. Ich wurde in irgendeinen Queue hineingepreßt, legte das -Tickett vor, und schon streiften zwei knochige, eilfertige Hände, zu -denen ich das Gesicht hinter dem Schalter gar nicht sah, mir neun -Zwanzigkronenscheine auf die Marmorplatte. - -In dieser Sekunde, wo mir das Geld, wirkliches Geld, blaue Scheine -hingelegt wurden, stockte mir das Lachen in der Kehle. Ich hatte sofort -ein unangenehmes Gefühl. Unwillkürlich zog ich die Hände zurück, um das -fremde Geld nicht zu berühren. Am liebsten hätte ich die blauen Scheine -auf der Platte liegen lassen; aber hinter mir drängten schon die Leute, -ungeduldig, ihren Gewinn ausbezahlt zu bekommen. So blieb mir nichts -übrig, als, peinlich berührt, mit angewiderten Fingerspitzen die Scheine -zu nehmen: wie blaue Flammen brannten sie mir in der Hand, die ich -unbewußt von mir wegspreizte, als gehörte auch die Hand, die sie -genommen, nicht zu mir selbst. Sofort übersah ich das Fatale der -Situation. Wider meinen Willen war aus dem Scherz etwas geworden, was -einem anständigen Menschen, einem Gentleman, einem Reserveoffizier nicht -hätte unterlaufen dürfen, und ich zögerte vor mir selbst, den wahren -Namen dafür auszusprechen. Denn dies war nicht verheimlichtes, sondern -listig weggelocktes, war gestohlenes Geld. - -Um mich surrten und schwirrten die Stimmen, Leute drängten und stießen -von und zu den Kassen. Ich stand noch immer reglos mit der -weggespreizten Hand. Was sollte ich tun? An das Natürlichste dachte ich -zuerst: den wirklichen Gewinner aufsuchen, mich entschuldigen und ihm -das Geld zurückerstatten. Aber das ging nicht an, und am wenigsten vor -den Blicken jenes Offiziers. Ich war doch Reserveleutnant, und ein -solches Eingeständnis hätte mich sofort meine Charge gekostet; denn -selbst wenn ich das Tickett gefunden hätte, war schon das Einkassieren -des Geldes eine unfaire Handlungsweise. Ich dachte auch daran, meinem in -den Fingern zuckenden Instinkt nachzugeben, die Noten zu zerknüllen und -fortzuwerfen, aber auch dies war inmitten des Menschengewühls zu leicht -kontrollierbar und dann verdächtig. Keinesfalls wollte ich aber auch nur -einen Augenblick das fremde Geld bei mir behalten oder gar in die -Brieftasche stecken, um es später irgend jemandem zu schenken: das mir -seit Kindheit so wie reine Wäsche anerzogene Sauberkeitsempfinden ekelte -sich vor jeder auch nur flüchtigen Berührung mit diesen Zetteln. Weg, -nur weg mit diesem Gelde, fieberte es ganz heiß in mir, weg, nur -irgendwohin, weg! Unwillkürlich sah ich mich um, und wie ich ratlos im -Kreise blickte, ob irgendwo ein Versteck sei, eine unbewachte -Möglichkeit, fiel mir auf, daß die Menschen von neuem zu den Kassen zu -drängen begannen, nun aber mit Geldscheinen in den Händen. Und der -Gedanke war mir Erlösung. Zurückwerfen das Geld an den boshaften Zufall, -der es mir gegeben, wiederum hinein in den gefräßigen Schlund, der jetzt -die neuen Einsätze, Silber und Scheine, gleich gierig hinunterschluckte --- ja, das war das Richtige, die wahre Befreiung. - -Ungestüm eilte, ja lief ich hin, keilte mich mitten zwischen die -Drängenden. Nur zwei Vordermänner waren noch vor mir, schon stand der -erste beim Totalisator, als mir einfiel, daß ich gar kein Pferd zu -nennen wußte, auf das ich setzen könnte. Gierig hörte ich in das Reden -rings um mich. »Setzen Sie Ravachol?« fragte einer. »Natürlich -Ravachol,« antwortete ihm sein Begleiter. »Glauben Sie, daß Teddy nicht -auch Chancen hat?« »Teddy? keine Spur. Er hat im Maidenrennen total -versagt. Er war ein Bluff.« - -Wie ein Verdurstender schluckte ich die Worte ein. Also Teddy war -schlecht, Teddy würde bestimmt nicht gewinnen. Sofort beschloß ich, ihn -zu setzen. Ich schob das Geld hin, nannte den eben erst gehörten Namen -Teddy auf Sieg, eine Hand warf mir die Ticketts zurück. Mit einem Male -hatte ich jetzt neun rotweiße Pappendeckelstücke zwischen den Fingern -statt des einen. Es war noch immer ein peinliches Gefühl; aber immerhin, -es brannte nicht mehr so aufreizend, so erniedrigend wie das knitterige -bare Geld. - -Ich empfand mich wieder leicht, beinahe sorglos: jetzt war das Geld -weggetan, das Unangenehme des Abenteuers erledigt, die Angelegenheit -wieder zum Scherz geworden, als der sie begonnen. Ich setzte mich lässig -in meinen Sessel zurück, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch -gemächlich vor mich hin. Aber es hielt mich nicht lange, ich stand auf, -ging herum, setzte mich wieder hin. Merkwürdig: es war vorbei mit der -wohligen Träumerei. Irgendeine Nervosität stak mir knisternd in den -Gliedern. Zuerst meinte ich, es sei das Unbehagen, unter den vielen -vorbeistreifenden Leuten Lajos und seiner Frau begegnen zu können; aber -wie konnten sie ahnen, daß jene neuen Ticketts die ihren waren? Auch die -Unruhe der Menschen störte mich nicht, im Gegenteil, ich beobachtete sie -genau, ob sie nicht schon wieder nach vorne zu drängen begannen, ja ich -ertappte mich, wie ich immer wieder aufstand, um zur Fahne zu blicken, -die bei Beginn des Rennens hochgezogen wurde. Das also war es -- -Ungeduld, ein springendes, inneres Fieber der Erwartung, der Start möge -schon beginnen, die leidige Angelegenheit für immer erledigt sein. - -Ein Bursche lief vorbei mit einer Rennzeitung. Ich hielt ihn an, kaufte -mir das Programm und begann unter den unverständlichen, in einem fremden -Jargon geschriebenen Worten und Tips herumzusuchen, bis ich endlich -Teddy herausfand, den Namen seines Jockeis, den Besitzer des Stalles und -die Farben rotweiß. Aber warum interessierte mich das so? Ärgerlich -zerknüllte ich das Blatt und warf es weg, stand auf, setzte mich wieder -hin. Mir war ganz plötzlich heiß geworden, ich mußte mir mit dem -Taschentuch über die feuchte Stirn fahren, und der Kragen drückte mich. -Noch immer wollte der Start nicht beginnen. - -Endlich klingelte die Glocke, die Menschen stürmten hin, und in dieser -Sekunde spürte ich entsetzt, wie auch mich dieses Klingeln gleich einem -Wecker erschreckt von irgendeinem Schlaf aufriß. Ich sprang vom Sessel -so heftig weg, daß er umfiel, und eilte -- nein, ich lief -- gierig nach -vorne, die Ticketts fest zwischen die Finger gepreßt, mitten in die -Menge hinein und wie von einer rasenden Angst verzehrt, zu spät zu -kommen, irgend etwas ganz Wichtiges zu versäumen. Ich erreichte noch, -indem ich Leute brutal beiseite stieß, die vordere Barriere, riß -rücksichtslos einen Sessel, den eben eine Dame nehmen wollte, an mich. -Meine ganze Taktlosigkeit und Tollwütigkeit erkannte ich sofort an ihrem -erstaunten Blick -- es war eine gute Bekannte, die Gräfin R., deren -hochgezogen zornigen Brauen ich begegnete --, aber aus Scham und Trotz -sah ich an ihr kalt vorbei, sprang auf den Sessel, um das Feld zu sehen. - -Irgendwo weit drüben stand im Grünen an den Start gepreßt ein kleines -Rudel unruhiger Pferde, mühsam in der Linie gehalten von den kleinen -Jockeis, die wie bunte Polichinelle aussahen. Sofort suchte ich den -meinen darunter zu erkennen, aber mein Auge war ungeübt, und mir -flimmerte es so heiß und seltsam vor dem Blick, daß ich unter den -Farbenflecken den rotweißen nicht zu unterscheiden vermochte. In diesem -Augenblick klang die Glocke zum zweiten Male, und wie sieben bunte -Pfeile von einem Bogen flitzten die Pferde in den grünen Gang hinein. Es -mußte wunderbar sein, dies ruhig und nur ästhetisch zu betrachten, wie -die schmalen Tiere galoppierend ausholten und, kaum den Boden -anstreifend, über den Rasen hinfederten; aber ich spürte von all dem -nichts, ich machte nur verzweifelte Versuche, mein Pferd, meinen Jockei -zu erkennen, und fluchte mir selbst, keinen Feldstecher mitgenommen zu -haben. So sehr ich mich bog und streckte, ich sah nichts als vier, fünf -bunte Insekten, in einen fliegenden Knäuel verwischt; nur die Form sah -ich allmählich jetzt sich verändern, wie das leichte Rudel sich jetzt an -der Biegung keilförmig verlängerte, eine Spitze vortrieb, indes -rückwärts einige des Schwarms bereits abzubröckeln begannen. Das Rennen -wurde scharf: drei oder vier der im Galopp ganz auseinandergestreckten -Pferde klebten wie farbige Papierstreifen flach zusammen, bald schob -sich das eine, bald das andere um einen Ruck vor. Und unwillkürlich -streckte ich meinen ganzen Körper aus, als könnte ich durch diese -nachahmende, federnde, leidenschaftlich gespannte Bewegung ihre -Geschwindigkeit steigern und mitreißen. - -Rings um mich wuchs die Erregung. Einzelne Geübtere mußten schon an der -Kurve die Farben erkannt haben, denn Namen fuhren jetzt wie grelle -Raketen aus dem trüben Tumult. Neben mir stand einer, die Hände -frenetisch gereckt, und wie jetzt ein Pferdekopf vordrängte, schrie er -fußstampfend mit einer widerlich gellen und triumphierenden Stimme: -»Ravachol! Ravachol!« Ich sah, daß wirklich der Jockei dieses Pferdes -blau schimmerte, und eine Wut überfiel mich, daß es nicht mein Pferd -war, das siegte. Immer unerträglicher wurde mir das gelle Gebrüll -»Ravachol! Ravachol!« von dem Widerling neben mir; ich tobte vor kalter -Wut, am liebsten hätte ich ihm die Faust in das aufgerissene schwarze -Loch seines schreienden Mundes geschlagen. Ich zitterte vor Zorn, ich -fieberte, jeden Augenblick, fühlte ich, konnte ich etwas Sinnloses -begehen. Aber da hing noch ein anderes Pferd knapp an dem ersten. -Vielleicht war das Teddy, vielleicht, vielleicht -- und diese Hoffnung -befeuerte mich von neuem. Wirklich war mir, als schimmerte der Arm, der -sich jetzt über den Sattel hob und etwas niedersausen ließ auf die -Kruppe des Pferdes, rotfarben, er konnte es sein, er mußte es sein, er -mußte, er mußte! Aber warum trieb er ihn nicht vor, der Schurke? Noch -einmal die Peitsche! Noch einmal! Jetzt, jetzt war er ihm ganz nahe! -Jetzt, nur eine Spanne noch. Warum Ravachol? Ravachol? Nein, nicht -Ravachol! Nicht Ravachol! Teddy! Teddy! Vorwärts Teddy! Teddy! - -Plötzlich riß ich mich gewaltsam zurück. Was -- was war das? Wer schrie -da so? Wer tobte da »Teddy! Teddy!«? Ich selbst schrie ja das. Und -mitten in der Leidenschaft erschrak ich vor mir. Ich wollte mich halten, -mich beherrschen, inmitten meines Fiebers quälte mich eine plötzliche -Scham. Aber ich konnte die Blicke nicht wegreißen, denn dort klebten die -beiden Pferde knapp aneinander, und es mußte wirklich Teddy sein, der an -Ravachol, dem verfluchten, aus brennender Inbrunst von mir gehaßten -Ravachol hing, denn rings um mich gellten jetzt andere lauter und -vielstimmiger in grellem Diskant: »Teddy! Teddy!«, und der Schrei riß -mich, den für eine wache Sekunde Aufgetauchten, wieder in die -Leidenschaft. Er sollte, er mußte gewinnen, und wirklich, jetzt, jetzt -schob sich hinter dem fliegenden Pferde des andern ein Kopf vor, eine -Spanne nur, und jetzt schon zwei, jetzt, jetzt sah man schon den Hals -- -in diesem Augenblick schnarrte grell die Glocke, und ein einziger Schrei -des Jubels, der Verzweiflung, des Zornes explodierte. Für eine Sekunde -füllte der ersehnte Name den blauen Himmel ganz bis zur Wölbung. Dann -stürzte er ein, und irgendwo rauschte Musik. - -Heiß, ganz feucht, klopfenden Herzens stieg ich vom Sessel herab. Ich -mußte mich für einen Augenblick niedersetzen, so wirr war ich vor -begeisterter Erregung. Eine Ekstase, wie ich sie nie gekannt, -durchflutete mich, eine sinnlose Freude, daß der Zufall so sklavisch -meiner Herausforderung gehorcht; vergebens versuchte ich mir -vorzutäuschen, es sei wider meinen Willen gewesen, daß dieses Pferd -jetzt gewonnen habe, und ich hätte gewünscht, das Geld verloren zu -sehen. Aber ich glaubte es mir selbst nicht, und schon spürte ich ein -grausames Ziehen in meinen Gliedern, es riß mich magisch irgendwohin, -und ich wußte, wohin es mich trieb: ich wollte den Sieg sehen, ihn -spüren, ihn fassen, Geld, viel Geld, blaue knisternde Scheine in den -Fingern spüren und dies Rieseln die Nerven hinauf. Eine ganz fremde böse -Lust hatte sich meiner bemächtigt, und keine Scham wehrte mehr, ihr -nachzugeben. Und kaum daß ich mich erhob, so eilte, so lief ich schon -bis hin zur Kasse, ganz brüsk, mit gespreizten Ellenbogen stieß ich mich -zwischen die Wartenden am Schalter, schob ungeduldig Leute beiseite, nur -um das Geld, das Geld leibhaftig zu sehn. »Flegel!« murrte hinter mir -einer der Weggedrängten; ich hörte es, aber ich dachte nicht daran, ihn -zu fordern, ich bebte ja vor unbegreiflicher, krankhafter Ungeduld. -Endlich war die Reihe an mir, meine Hände faßten gierig ein blaues -Bündel Banknoten. Ich zählte zitternd und begeistert zugleich. Es waren -sechshundertundvierzig Kronen. - -Heiß riß ich sie an mich. Mein nächster Gedanke war: jetzt weiter -spielen, mehr gewinnen, viel mehr. Wo hatte ich nur meine Rennzeitung? -Ach, weggeworfen in der Erregung! Ich sah um mich, eine neue zu -erstehen. Da bemerkte ich zu meinem namenlosen Erschrecken, wie -plötzlich alles rings auseinanderflutete, dem Ausgang zu, daß die Kassen -sich schlossen, die flatternde Fahne sank. Das Spiel war zu Ende. Es war -das letzte Rennen gewesen. Eine Sekunde lang stand ich starr. Dann -sprang ein Zorn in mir auf, als sei mir ein Unrecht geschehen. Ich -konnte mich nicht damit abfinden, daß jetzt, da alle meine Nerven sich -spannten und bebten, das Blut so heiß wie seit Jahren nicht mehr in mir -rollte, alles zu Ende sein sollte. Aber es half nichts, mit trügerischem -Wunsch die Hoffnung künstlich zu nähren, dies sei nur ein Irrtum -gewesen, denn immer rascher entflutete das bunte Gedränge, schon glänzte -grün der zertretene Rasen zwischen den vereinzelt Gebliebenen. -Allmählich empfand ich das Lächerliche meines gespannten Verweilens, so -nahm ich den Hut -- den Stock hatte ich offenbar am Tourniquet in der -Erregung stehengelassen -- und ging dem Ausgang zu. Ein Diener mit -servil gelüfteter Kappe sprang mir entgegen, ich nannte ihm die Nummer -meines Wagens, er schrie sie mit gehöhlter Hand über den Platz, und -schon klapperten scharf die Pferde heran. Ich bedeutete dem Kutscher, -langsam die Hauptallee hinabzufahren. Denn gerade jetzt, wo die Erregung -wohlig abzuklingen begann, fühlte ich eine lüsterne Neigung, mir noch -einmal die ganze Szene in Gedanken zu erneuern. - -In diesem Augenblick fuhr ein anderer Wagen vor; unwillkürlich blickte -ich hin, um sofort wieder ganz bewußt wegzusehen. Es war die Frau mit -ihrem behäbigen Gatten. Sie hatten mich nicht bemerkt. Aber sofort -überkam mich ein widerlich würgendes Gefühl, als sei ich ertappt. Und am -liebsten hätte ich dem Kutscher zugerufen, auf die Pferde einzuschlagen, -nur um rasch aus ihrer Nähe zu kommen. - -Weich glitt auf den Gummirädern der Fiaker dahin zwischen den vielen -andern, die wie Blumenboote mit ihrer bunten Fracht von Frauen an den -grünen Ufern der Kastanienallee vorbeischaukelten. Die Luft war weich -und süß, schon wehte von erster Abendkühle manchmal ein leiser Duft -durch den Staub herüber. Aber das frühere wohlig-träumerische Gefühl kam -nicht wieder: die Begegnung mit dem Geprellten hatte mich peinlich -aufgerissen. Wie ein kalter Luftzug durch eine Fuge drang es mit einmal -in meine überhitzte Leidenschaft. Ich dachte jetzt noch einmal nüchtern -die ganze Szene durch und begriff mich selbst nicht mehr: ich, ein -Gentleman, ein Mitglied der besten Gesellschaft, Reserveoffizier, -hochgeachtet, hatte ohne Not gefundenes Geld an mich genommen, in die -Brieftasche gesteckt, ja dies sogar mit einer gierigen Freude, einer -Lust getan, die jede Entschuldigung hinfällig machte. Ich, der ich vor -einer Stunde noch ein korrekter, makelloser Mensch gewesen war, hatte -gestohlen. Ich war ein Dieb. Und gleichsam, um mich selbst zu -erschrecken, sagte ich mir mein Urteil halblaut hin, während der Wagen -leise trabte, unbewußt im Rhythmus des Hufschlags sprechend: »Dieb! -Dieb! Dieb! Dieb!« Aber seltsam, wie soll ich beschreiben, was jetzt -geschah, es ist ja so unerklärlich, so ganz absonderlich, und doch weiß -ich, daß ich mir nichts nachträglich vortäusche. Jede Sekunde meines -Gefühls, jede Oszillation meines Denkens in jenen Augenblicken ist mir -ja mit einer so übernatürlichen Deutlichkeit bewußt, wie kaum irgendein -Erlebnis meiner sechsunddreißig Jahre, und doch wage ich kaum, diese -absurde Reihenfolge, diese verblüffende Schwankung meines Empfindens -bewußt zu machen, ja ich weiß nicht, ob irgendein Dichter, ein -Psychologe das logisch zu schildern vermöchte. Ich kann nur die -Reihenfolge aufzeichnen, ganz getreu ihrem unvermuteten Aufleuchten -nach. Also: ich sagte zu mir »Dieb, Dieb, Dieb«. Dann kam ein ganz -merkwürdiger, ein gleichsam leerer Augenblick, ein Augenblick, wo nichts -geschah, wo ich nur -- ach, wie schwer ist es, dies auszudrücken -- wo -ich nur horchte, in mich hineinhorchte. Ich hatte mich angerufen, hatte -mich angeklagt, nun sollte dem Richter der Angeschuldigte antworten. Ich -horchte also, und es geschah -- nichts. Der Peitschenschlag dieses -Wortes »Dieb«, von dem ich erwartet hatte, es werde mich aufschrecken -und dann hinstürzen lassen in eine namenlose, eine zerknirschte Scham, -weckte nichts auf. Ich wartete geduldig einige Minuten, ich beugte mich -dann gewissermaßen noch näher über mich selbst -- denn ich spürte zu -wohl, daß unter diesem trotzigen Schweigen etwas sich regte -- und -horchte mit einer fieberhaften Erwartung auf das ausbleibende Echo, auf -den Schrei des Ekels, der Entrüstung, der Verzweiflung, der dieser -Selbstanschuldigung folgen mußte. Und es geschah wiederum nichts. Nichts -antwortete. Nochmals sagte ich mir das Wort »Dieb«, »Dieb«, nun schon -ganz laut, um endlich in mir das schwerhörige, das gelähmte Gewissen -aufzuwecken. Wieder kam keine Antwort. Und plötzlich -- in einem grellen -Blitzlicht des Bewußtseins, wie wenn plötzlich ein Streichholz -angezündet und über die dämmernde Tiefe gehalten wäre -- erkannte ich, -daß ich mich nur schämen _wollte_, aber nicht schämte, ja, daß ich in -jener Tiefe irgendwie geheimnisvoll stolz, sogar beglückt war von dieser -törichten Tat. - -Wie war das möglich? Ich wehrte mich, jetzt wirklich vor mir selbst -erschreckend, gegen diese unerwartete Erkenntnis, aber zu schwellend, zu -ungestüm wogte das Gefühl aus mir auf. Nein, das war nicht Scham, nicht -Empörung, nicht Selbstekel, was so warm mir im Blut gärte -- das war -Freude, trunkene Freude, die in mir aufloderte, ja funkelte mit hellen -spitzen Flammen von Übermut, denn ich spürte, daß ich in jenen Minuten -zum erstenmal seit Jahren und Jahren wirklich lebendig, daß mein Gefühl -nur gelähmt gewesen und noch nicht abgestorben war, daß irgendwo unter -der versandeten Fläche meiner Gleichgültigkeit also doch noch jene -heißen Quellen von Leidenschaft geheimnisvoll gingen und nun, von der -Wünschelrute des Zufalls berührt, hoch bis in mein Herz hinaufgepeitscht -waren. Auch in mir, auch in mir, in diesem Stück atmenden Weltalls, -glühte also noch jener geheimnisvolle vulkanische Kern alles Irdischen, -der manchmal vorbricht in den wirbelnden Stößen von Begier, auch ich -lebte, war lebendig, war ein Mensch mit bösem und warmem Gelüst. Eine -Tür war aufgerissen vom Sturm dieser Leidenschaft, eine Tiefe aufgetan -in mich hinein, und ich starrte in wollüstigem Schwindel hinab in dies -Unbekannte in mir, das mich erschreckte und beseligte zugleich. Und -langsam -- während der Wagen lässig meinen träumenden Körper durch die -bürgerlich-gesellschaftliche Welt hinrollte -- stieg ich, Stufe um -Stufe, hinab in die Tiefe des Menschlichen in mir, unsäglich allein in -diesem schweigenden Gang, nur überhöht von der aufgehobenen grellen -Fackel meines jäh entzündeten Bewußtseins. Und indes tausend Menschen um -mich lachend und schwatzend wogten, suchte ich mich, den verlorenen -Menschen, in mir, tastete ich Jahre ab in dem magischen Gang des -Besinnens. Ganz verschollene Dinge tauchten plötzlich aus den -verstaubten und erblindeten Spiegeln meines Lebens auf, ich erinnerte -mich, schon einmal als Schulknabe einem Kameraden ein Taschenmesser -gestohlen und mit der gleichen teuflischen Freude ihm zugesehen zu -haben, wie er es überall suchte, alle fragte und sich mühte; ich -verstand mit einemmal das geheimnisvoll Gewitternde mancher sexuellen -Stunden, verstand, daß meine Leidenschaft nur verkrümmt, nur zertreten -gewesen war von dem gesellschaftlichen Wahn, von dem herrischen Ideal -der Gentlemen -- daß aber auch in mir, nur tief, ganz tief unten in -verschütteten Brunnen und Röhren die heißen Ströme des Lebens gingen wie -in allen andern. Oh, ich hatte ja immer gelebt, nur nicht gewagt zu -leben, ich hatte mich verschnürt und verborgen vor mir selbst: nun aber -war die gepreßte Kraft aufgebrochen, das Leben, das reiche, das -unsäglich gewaltsame hatte mich überwältigt. Und nun wußte ich, daß ich -ihm noch anhing; mit der seligen Betroffenheit der Frau, die zum -erstenmal in sich das Kind sich regen spürt, empfand ich das Wirkliche --- wie soll ich es anders nennen -- das Wahre, das Unverstellte des -Lebens in mir keimen, ich fühlte -- fast schäme ich mich, solch ein Wort -hinzuschreiben -- wie ich, der abgestorbene Mensch, mit einemmal wieder -_blühte_, wie durch meine Adern Blut rot und unruhig rollte, Gefühl sich -im Warmen leise entfaltete und ich aufwuchs zu unbekannter Frucht von -Süße oder Bitternis. Das Tannhäuserwunder war mir geschehen mitten im -klaren Licht eines Rennplatzes, zwischen dem Geschwirr von Tausenden -müßiger Menschen: ich hatte wieder zu fühlen begonnen, er grünte und -trieb seine Knospen, der abgedorrte Stab. - -Von einem vorüberfahrenden Wagen grüßte ein Herr und rief -- offenbar -hatte ich seinen ersten Gruß übersehen -- meinen Namen. Unwirsch fuhr -ich auf, zornig, gestört zu sein in diesem süßrieselnden Zustand des -sich in mich selbst Ergießens, dieses tiefsten Traumes, den ich jemals -erlebt. Aber der Blick auf den Grüßenden riß mich ganz von mir weg: es -war mein Freund Alfons, ein lieber Schulkamerad und jetzt Staatsanwalt. -Mit einemmal durchzuckte es mich: dieser Mensch, der dich brüderlich -grüßt, hat jetzt zum erstenmal Macht über dich, du bist ihm verfallen, -sobald er dein Vergehen kennt. Wüßte er um dich und deine Tat, er müßte -dich aus diesem Wagen ziehen, weg aus der ganzen warmen bürgerlichen -Existenz, und hinabstoßen auf drei oder fünf Jahre in die dumpfe Welt -hinter vergitterten Fenstern, zum Abhub des Lebens, zu den andern -Dieben, die nur die Peitsche der Not in ihre schmierigen Zellen -getrieben. Aber nur einen Augenblick lang faßte mich kalt die Angst am -Gelenk meiner zitternden Hand, nur einen Augenblick lang hielt sie den -Herzschlag an -- dann verwandelte auch dieser Gedanke sich wieder in -heißes Gefühl, in einen phantastischen, frechen Stolz, der jetzt -selbstbewußt und beinahe höhnisch die andern Menschen ringsum musterte. -Wie würde, dachte ich, euer süßes kameradschaftliches Lächeln, mit dem -ihr mich als euresgleichen grüßt, anfrieren um die Mundwinkel, wenn ihr -mich ahntet! Wie einen Kotspritzer würdet ihr meinen Gruß wegstäuben mit -verächtlich geärgerter Hand. Aber ehe ihr mich ausstoßt, habe ich euch -schon ausgestoßen: heute nachmittags habe ich mich herausgestürzt aus -eurer kalten knöchernen Welt, wo ich ein Rad war, ein lautlos -funktionierendes, in der großen Maschine, die kalt in ihren Kolben -abrollt und eitel um sich selber kreist -- ich bin in eine Tiefe -gestürzt, die ich nicht kenne, doch ich bin lebendiger gewesen in dieser -einen Stunde als in den gläsernen Jahren in eurem Kreis. Nicht mehr euch -gehöre ich, nicht mehr zu euch, ich bin jetzt außen irgendwo in einer -Höhe oder Tiefe, nie mehr aber, nie mehr am flachen Strand eures -bürgerlichen Wohlseins. Ich habe zum erstenmal alles gefühlt, was in den -Menschen an Lust im Guten und Bösen getan ist, aber nie werdet ihr -wissen, wo ich war, nie mich erkennen: Menschen, was wißt ihr von meinem -Geheimnis! - -Wie vermöchte ich es auszudrücken, was ich in jener Stunde fühlte, indes -ich, ein elegant angezogener Gentleman, mit kühlem Gesicht grüßend und -dankend zwischen den Wagenreihen durchfuhr! Denn während meine Larve, -der äußere, der frühere Mensch, noch Gesichter fühlte und erkannte, -rauschte innen in mir eine so taumelnde Musik, daß ich mich -niederdrücken mußte, um nicht etwas herauszuschreien von diesem tosenden -Tumult. Ich war so voll von Gefühl, daß mich dieser innere Schwall -physisch quälte, daß ich wie ein Erstickender die Hand gewaltsam an die -Brust pressen mußte, unter der das Herz schmerzhaft gärte. Aber Schmerz, -Lust, Erschrecken, Entsetzen oder Bedauern, nichts fühlte ich einzeln -und abgerissen, alles schmolz zusammen, ich spürte nur, daß ich lebte, -daß ich atmete und fühlte. Und dieses Einfachste, dieses urhafte Gefühl, -das ich seit Jahren nicht empfunden, machte mich trunken. Nie hatte ich -mich selbst auch nur eine Sekunde meiner sechsunddreißig Jahre so -ekstatisch als lebendig empfunden als in der Schwebe dieser Stunde. - -Mit einem leichten Ruck hielt der Wagen an: der Kutscher hatte die -Pferde angezügelt, wandte sich vom Bock und fragte, ob er nach Hause -fahren solle. Ich taumelte aus mir heraus, hob die Blicke über die Allee -hin: mit Betroffenheit merkte ich, wie lange ich geträumt, wie weit die -Trunkenheit über die Stunden sich ausgegossen hatte. Es war dunkel -geworden, ein Weiches wogte in den Kronen der Bäume, die Kastanien -begannen ihren abendlichen Duft durch die Kühle zu atmen. Und hinter den -Wipfeln silberte schon ein verschleierter Blick von Mond. Es war genug, -es mußte genug sein. Aber nur nicht jetzt nach Hause, nur nicht in meine -gewohnte Welt! Ich bezahlte den Kutscher. Als ich die Brieftasche zog -und die Banknoten zählend zwischen die Finger nahm, liefs wie ein leiser -elektrischer Schlag mir vom Gelenk in die Fingerspitzen: irgend etwas in -mir mußte noch wach sein also vom alten Menschen, der sich schämte. Noch -zuckte das absterbende Gentlemansgewissen, doch ganz heiter blätterte -schon wieder meine Hand im gestohlenen Gelde, und ich war freigebig aus -meiner Freude. Der Kutscher bedankte sich so überschwenglich, daß ich -lächeln mußte: wenn du wüßtest! Die Pferde zogen an, der Wagen fuhr -fort. Ich sah ihm nach, wie man vom Schiff noch einmal auf einen Strand -zurückblickt, an dem man glücklich gewesen. - -Einen Augenblick stand ich so träumerisch und ratlos mitten in der -murmelnden, lachenden, musiküberwogten Menge: es mochte etwa sieben Uhr -sein, und unwillkürlich bog ich hinüber zum Sachergarten, wo ich sonst -immer nach der Praterfahrt in Gesellschaft zu speisen pflegte und in -dessen Nähe der Fiaker mich wohl bewußt abgesetzt hatte. Aber kaum daß -ich die Gitterklinke des vornehmen Gartenrestaurantes berührte, überfiel -mich eine Hemmung: nein, ich wollte noch nicht in meine Welt zurück, -nicht mir in lässigem Gespräch diese wunderbare Gärung, die mich -geheimnisvoll erfüllte, wegschwemmen lassen, nicht mich loslösen von der -funkelnden Magie des Abenteuers, der ich mich seit Stunden verkettet -fühlte. - -Von irgendwoher dröhnte dumpfe verworrene Musik, und unwillkürlich ging -ich ihr nach, denn alles lockte mich heute, ich empfand es als Wollust, -dem Zufall ganz nachzugeben, und dies dumpfe Hingetriebensein inmitten -einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen phantastischen Reiz. Mein -Blut gärte auf in diesem dicken quirlenden Brei heißer menschlicher -Masse: aufgespannt war ich mit einemmal, angereizt und gesteigert wach -in allen Sinnen von diesem beizend qualmigen Duft von Menschenatem, -Staub, Schweiß und Tabak. Denn all dies, was mich vordem, ja selbst -gestern noch, als ordinär, gemein und plebejisch abgestoßen, was der -soignierte Gentleman in mir ein Leben lang hochmütig gemieden hatte, das -zog meinen neuen Instinkt magisch an, als empfände ich zum erstenmal im -Animalischen, im Triebhaften, im Gemeinen eine Verwandtschaft mit mir -selbst. Hier im Abhub der Stadt, zwischen Soldaten, Dienstmädchen, -Strolchen, fühlte ich mich in einer Weise wohl, die mir ganz -unverständlich war: ich sog die Beize dieser Luft irgendwie gierig ein, -das Schieben und Pressen in eine geknäulte Masse war mir angenehm, und -mit einer wollüstigen Neugier wartete ich, wohin diese Stunde mich -Willenlosen schwemmte. Immer näher gellten und schmetterten vom -Wurstelprater her die Tschinellen und die weiße Blechmusik, in einer -fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und -rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge aus den Buden, -zischte Gelächter, grölten trunkene Schreie, und jetzt sah ich schon mit -irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit zwischen den Bäumen -kreisen. Ich blieb mitten auf dem Platze stehen und ließ den ganzen -Tumult in mich einbranden, mir Augen und Ohren vollschwemmen: diese -Kaskaden von Lärm, das Infernalische dieses Durcheinander tat mir wohl, -denn in diesem Wirbel war etwas, das mir den innern Schwall betäubte. -Ich sah zu, wie mit geblähten Kleidern die Dienstmädchen sich auf den -Hutschen mit kollernden Lustschreien, die gleichsam aus ihrem Geschlecht -gellten, in den Himmel schleudern ließen, wie Metzgergesellen lachend -schwere Hämmer auf die Kraftmesser hinkrachten, Ausrufer mit heisern -Stimmen und affenhaften Gebärden über den Lärm der Orchestrions -schreiend hinwegruderten, und wie alles dies sich quirlend mengte mit -dem tausendgeräuschigen, unablässig bewegten Dasein der Menge, die -trunken war vom Fusel der Blechmusik, dem Flirren des Lichts und von der -eigenen warmen Lust ihres Beisammenseins. Seit ich selber wach geworden -war, spürte ich auf einmal das Leben der andern, ich spürte die Brunst -der Millionenstadt, wie sie sich heiß und aufgestaut in die paar Stunden -des Sonntags ergoß, wie sie sich aufreizte an der eigenen Fülle zu einem -dumpfen, tierischen, aber irgendwie gesunden und triebhaften Genuß. Und -allmählich spürte ich vom Angeriebensein, von der unausgesetzten -Berührung mit ihren heißen leidenschaftlich drängenden Körpern ihre -warme Brunst selbst in mich übergehen: meine Nerven strafften sich, -aufgebeizt von dem scharfen Geruch, aus mir heraus, meine Sinne spielten -taumelig mit dem Getöse und empfanden jene verwirrte Betäubung, die mit -jeder starken Wollust unweigerlich gemengt ist. Zum erstenmal seit -Jahren, vielleicht überhaupt in meinem Leben, spürte ich die Masse, -spürte ich Menschen als eine Macht, von der Lust in mein eigenes, -abgeschiedenes Wesen überging: irgendein Damm war zerrissen, und von -meinen Adern gings hinüber in diese Welt, strömte es rhythmisch zurück, -und eine ganz neue Gier überkam mich, noch jene letzte Kruste zwischen -mir und ihnen abzuschmelzen, ein leidenschaftliches Verlangen nach -Paarung mit dieser heißen, fremden, drängenden Menschheit. Mit der Lust -des Mannes sehnte ich mich in den quellenden Schoß dieses heißen -Riesenkörpers hinein, mit der Lust des Weibes war ich aufgetan jeder -Berührung, jedem Ruf, jeder Lockung, jeder Umfassung -- und nun wußte -ichs, Liebe war in mir und Bedürfnis nach Liebe wie nur in den -zwielichthaften Knabentagen. Oh, nur hinein, hinein ins Lebendige, -irgendwie verbunden sein mit dieser zuckenden, lachenden, aufatmenden -Leidenschaft der andern, nur einströmen, sich ergießen in ihren -Adergang; ganz klein, ganz namenlos werden im Getümmel, eine Infusorie -bloß sein im Schmutz der Welt, ein lustzitterndes, funkelndes Wesen im -Tümpel mit den Myriaden -- aber nur hinein in die Fülle, hinab in den -Kreisel, mich abschießen wie einen Pfeil von der eigenen Gespanntheit -ins Unbekannte, in irgendeinen Himmel der Gemeinsamkeit. - -Ich weiß es jetzt: ich war damals trunken. In meinem Blute brauste alles -zusammen, das Hämmern der Glocken von den Karussells, das feine -Lustlachen der Frauen, das unter dem Zugriff der Männer aufsprühte, die -chaotische Musik, die flirrenden Kleider. Spitz fiel jeder einzelne Laut -in mich und flimmerte dann noch einmal rot und zuckend an den Schläfen -vorbei, ich spürte jede Berührung, jeden Blick mit einer phantastischen -Aufgereiztheit der Nerven (so wie bei der Seekrankheit), aber doch alles -gemeinsam in einem taumeligen Verbundensein. Ich kann meinen -komplizierten Zustand unmöglich mit Worten ausdrücken, am ehesten -gelingt es noch vielleicht mit einem Vergleiche: wenn ich sage, ich war -überfüllt mit Geräusch, Lärm, Gefühl, überheizt wie eine Maschine, die -mit allen Rädern rasend rennt, um dem ungeheuren Druck zu entlaufen, der -ihr im nächsten Augenblicke schon den Brustkessel sprengen muß. In den -Fingerspitzen zuckte, in den Schläfen pochte, in der Kehle preßte, an -den Schläfen würgte das angehitzte Blut -- von einer jahrelangen Lauheit -des Gefühls war ich mit einemmal in ein Fieber gestürzt, das mich -verbrannte. Ich fühlte, daß ich mich jetzt auftun müßte, aus mir heraus -mit einem Wort, mit einem Blick, mich mitteilen, mich ausströmen, mich -weggeben, mich hingeben, mich gemein machen, mich lösen, -- irgendwie -retten aus dieser harten Kruste von Schweigen, die mich absonderte von -dem warmen, flutenden, lebendigen Element. Seit Stunden hatte ich nicht -gesprochen, niemandes Hand gedrückt, niemandes Blick fragend und -teilnehmend gegen den meinen gespürt, und nun staute, unter dem Sturz -der Geschehnisse, sich diese Erregung gegen das Schweigen. Niemals, -niemals hatte ich so sehr das Bedürfnis nach Mitteilsamkeit, nach einem -Menschen gehabt, als jetzt, da ich inmitten von Tausenden und -Zehntausenden wogte, rings angespült war von Wärme und Worten, und doch -abgeschnürt von dem kreisenden Adergang dieser Fülle. Ich war wie einer, -der auf dem Meere verdurstet. Und dabei sah ich, diese Qual mit jedem -Blick mehrend, wie rechts und links in jeder Sekunde Fremdes sich -anstreifend band, die Quecksilberkügelchen gleichsam spielend -zusammenliefen. Ein Neid kam mich an, wenn ich sah, wie junge Burschen -im Vorübergehen fremde Mädchen ansprachen und sie nach dem ersten Wort -schon unterfaßten, wie alles sich fand und zusammentat: ein Gruß beim -Karussell, ein Blick im Anstreifen genügte schon, und Fremdes schmolz in -ein Gespräch, vielleicht um sich wieder zu lösen nach ein paar Minuten, -aber doch es war Bindung, Vereinigung, Mitteilung, war das, wonach alle -meine Nerven jetzt brannten. Ich aber, gewandt im gesellschaftlichen -Gespräch, beliebter Causeur und sicher in den Formen, ich verging vor -Angst, ich schämte mich, irgendeines dieser breithüftigen Dienstmädchen -anzureden, aus Furcht, sie möchte mich verlachen, ja ich schlug die -Augen nieder, wenn jemand mich zufällig anschaute, und verging doch -innen vor Begierde nach dem Wort. Was ich wollte von den Menschen, war -mir ja selbst nicht klar, ich ertrug es nur nicht länger, allein zu sein -und an meinem Fieber zu verbrennen. Aber alle sahen an mir vorbei, jeder -Blick strich mich weg, niemand wollte mich spüren. Einmal trat ein -Bursch in meine Nähe, zwölfjährig, mit zerlumpten Kleidern: sein Blick -war grell erhellt vom Widerschein der Lichter, so sehnsüchtig starrte er -auf die schwingenden Holzpferde. Sein schmaler Mund stand offen wie -lechzend: offenbar hatte er kein Geld mehr, um mitzufahren, und sog nur -Lust aus dem Schreien und Lachen der andern. Ich stieß mich gewaltsam -heran an ihn und fragte -- aber warum zitterte meine Stimme so dabei und -war ganz grell überschlagen? --: »Möchten Sie nicht auch einmal -mitfahren?« Er starrte auf, erschrak -- warum? warum? -- wurde blutrot -und lief fort, ohne ein Wort zu sagen. Nicht einmal ein barfüßiges Kind -wollte eine Freude von mir: es mußte, so fühlte ich, etwas furchtbar -Fremdes an mir sein, daß ich nirgends mich einmengen konnte, sondern -abgelöst in der dicken Masse schwamm wie ein Tropfen Öl auf dem bewegten -Wasser. - -Aber ich ließ nicht nach: ich konnte nicht länger allein bleiben. Die -Füße brannten mir in den bestaubten Lackschuhen, die Kehle war verrostet -vom aufgewühlten Qualm. Ich sah mich um: rechts und links zwischen den -strömenden Menschengassen standen kleine Inseln von Grün, -Gastwirtschaften mit roten Tischtüchern und nackten Holzbänken, auf -denen die kleinen Bürger saßen mit ihrem Glas Bier und der sonntäglichen -Virginia. Der Anblick lockte mich: hier saßen Fremde beisammen, -verknüpften sich im Gespräch, hier war ein wenig Ruhe im wüsten Fieber. -Ich trat ein, musterte die Tische, bis ich einen fand, wo eine -Bürgerfamilie, ein dicker, vierschrötiger Handwerker mit seiner Frau, -zwei heitern Mädchen und einem kleinen Jungen saß. Sie wiegten die Köpfe -im Takt, scherzten einander zu, und ihre zufriedenen, leichtlebigen -Blicke taten mir wohl. Ich grüßte höflich, rührte an einen Sessel und -fragte, ob ich Platz nehmen dürfe. Sofort stockte ihr Lachen, einen -Augenblick schwiegen sie (als wartete jeder, daß der andere seine -Zustimmung gebe), dann sagte die Frau, gleichsam betroffen: »Bitte! -Bitte!« Ich setzte mich hin und hatte gleich das Gefühl, daß ich mit -meinem Hinsetzen ihre ungenierte Laune zerdrückte, denn sofort lag um -den Tisch herum ein ungemütliches Schweigen. Ohne daß ich es wagte, die -Augen von dem rotkarierten Tischtuch, auf dem Salz und Pfeffer schmierig -verstreut zu sehen war, zu heben, spürte ich, daß sie mich alle -befremdet beobachteten, und sofort fiel mir -- zu spät! -- ein, daß ich -zu elegant war für dieses Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, dem -Pariser Zylinder und der Perle in meiner taubengrauen Krawatte, daß -meine Eleganz, das Parfüm von Luxus auch hier sofort eine Luftschicht -von Feindlichkeit und Verwirrung um mich legte. Und dieses Schweigen der -fünf Leute drosselte mich immer tiefer nieder auf den Tisch, dessen rote -Karrees ich mit einer verbissenen Verzweiflung immer wieder abzählte, -festgenagelt durch die Scham, plötzlich wieder aufzustehn, und doch -wieder zu feige, den gepeinigten Blick aufzuheben. Es war eine Erlösung, -als endlich der Kellner kam und das schwere Bierglas vor mich -hinstellte. Da konnte ich endlich eine Hand regen und beim Trinken scheu -über den Rand schielen: wirklich, alle fünf beobachteten mich, zwar ohne -Haß, aber doch mit einer wortlosen Befremdung. Sie erkannten den -Eindringling in ihre dumpfe Welt, sie fühlten mit dem naiven Instinkt -ihrer Klasse, daß ich etwas hier wollte, hier suchte, was nicht zu -meiner Welt gehörte, daß nicht Liebe, nicht Neigung, nicht die -einfältige Freude am Walzer, am Bier, am geruhsamen Sonntagsitzen mich -hertrieb, sondern irgendein Gelüst, das sie nicht verstanden und dem sie -mißtrauten, so wie der Junge vor dem Karussell meinem Geschenk mißtraut -hatte, wie die tausend Namenlosen da draußen im Gewühl meiner Eleganz, -meiner Weltmännischkeit in unbewußter Feindlichkeit ausbogen. Und doch -fühlte ich: fände ich jetzt ein argloses, einfaches, herzliches, ein -wahrhaft menschliches Wort der Anrede zu ihnen, so würde der Vater oder -die Mutter mir antworten, die Töchter geschmeichelt zulächeln, ich -könnte mit dem Jungen hinüber in eine Bude schießen gehen und kindlichen -Spaß mit ihm treiben. In fünf, in zehn Minuten würde ich erlöst sein von -mir, eingehüllt in die arglose Atmosphäre bürgerlichen Gesprächs, gern -gewährter und sogar geschmeichelter Vertraulichkeit -- aber dies -einfache Wort, diesen ersten Ansatz im Gespräch, ich fand ihn nicht, -eine falsche, törichte, aber übermächtige Scham würgte mir die Kehle, -und ich saß mit gesenktem Blick wie ein Verbrecher an dem Tisch dieser -einfachen Menschen, gehüllt in die Qual, ihnen mit meiner verbissenen -Gegenwart noch die letzte Stunde des Sonntags verstört zu haben. Und in -diesem hingebohrten Hinsitzen büßte ich all die Jahre gleichgültigen -Hochmuts, an denen ich an abertausend solchen Tischen, an Millionen und -Millionen brüderlicher Menschen ohne Blick vorübergegangen war, einzig -beschäftigt mit Gunst oder Erfolg in jenem engen Kreise der Eleganz; und -ich spürte, daß mir der gerade Weg, die unbefangene Sprache zu ihnen, -jetzt, da ich ihrer in der Stunde meines Ausgestoßenseins bedurfte, von -innen vermauert war. - -So saß ich, ein freier Mensch bisher, qualvoll in mich geduckt, immer -wieder die roten Karrees am Tischtuch abzählend, bis endlich der Kellner -vorbeikam. Ich rief ihn an, zahlte, stand von dem kaum angetrunkenen -Bierglase auf, grüßte höflich. Man dankte mir freundlich und erstaunt: -ich wußte, ohne mich umzuwenden, daß jetzt, kaum daß ich ihnen den -Rücken zeigte, das Lebendig-Heitere sie wieder überkommen, der warme -Kreis des Gesprächs sich schließen würde, sobald ich, der Fremdkörper, -ausgestoßen war. - -Wieder warf ich mich, aber nun noch gieriger, heißer und verzweifelter, -in den Wirbel der Menschen zurück. Das Gedränge war inzwischen lockerer -geworden unter den Bäumen, die schwarz in den Himmel überfluteten, es -drängte und quirlte nicht mehr so dicht und strömend in den Lichtkreis -der Karussells, sondern schwirrte nur schattenhaft mehr am äußersten -Rand des Platzes. Auch der brausende, tiefe, gleichsam lustatmende Ton -der Menge zerstückte sich in viele kleine Geräusche, die immer gleich -hingeschmettert wurden, wenn jetzt die Musik irgendwo gewaltig und -rabiat einsetzte, als wollte sie die Fliehenden noch einmal heranreißen. -Eine andere Art Gesichter tauchte jetzt auf: die Kinder mit ihren -Ballons und Papierkoriandolis waren schon nach Hause gegangen, auch die -breithinrollenden sonntäglichen Familien hatten sich verzogen. Nun sah -man schon Betrunkene johlen, verlotterte Burschen mit lungerndem und -doch suchendem Gang sich aus den Seitenalleen vorschieben: es war in der -einen Stunde, in der ich festgenagelt vor dem fremden Tische gesessen, -diese seltsame Welt mehr ins Gemeine hinabgeglitten. Aber gerade jene -phosphoreszierende Atmosphäre von Frechheit und Gefährlichkeit gefiel -mir irgendwie besser als die bürgerlich-sonntägliche von vordem. Der in -mir aufgereizte Instinkt witterte hier ähnliche Gespanntheit der Begier; -in dem vortreibenden Schlendern dieser fragwürdigen Gestalten, dieser -Ausgestoßenen der Gesellschaft, empfand ich mich irgendwie gespiegelt: -auch sie wilderten doch mit einer unruhigen Erwartung hier nach einem -flackernden Abenteuer, einer raschen Erregung, und selbst sie, diese -zerlumpten Burschen, beneidete ich um die offene, freie Art ihres -Streifens; denn ich stand an die Säule eines Karussells atmend gepreßt, -ungeduldig, den Druck des Schweigens, die Qual meiner Einsamkeit aus mir -zu stoßen und doch unfähig einer Bewegung, eines Anrufs, eines Worts. -Ich stand nur und starrte hinaus auf den Platz, der vom Reflex der -kreisenden Lichter zuckend erhellt war, stand und starrte von meiner -Lichtinsel ins Dunkel hinein, töricht erwartungsvoll jeden Menschen -anblickend, der vom grellen Schein angezogen für einen Augenblick sich -herwandte. Aber jedes Auge glitt kalt an mir ab. Niemand wollte mich, -niemand erlöste mich. - -Ich weiß, es wäre wahnwitzig, jemandem schildern oder gar erklären zu -wollen, daß ich, ein kultivierter eleganter Mann der Gesellschaft, -reich, unabhängig, mit den Besten einer Millionenstadt befreundet, eine -ganze Stunde in jener Nacht am Pfosten eines verstimmt quiekenden, -rastlos sich schwingenden Praterkarussells stand, zwanzig, vierzig, -hundertmal dieselbe stolpernde Polka, denselben schleifenden Walzer mit -denselben idiotischen Pferdeköpfen aus bemaltem Holz an mir -vorüberkreisen ließ und aus verbissenem Trotz, aus einem magischen -Gefühl, das Schicksal in meinen Willen zu zwingen, nicht mich von der -Stelle rührte. Ich weiß, daß ich sinnlos handelte in jener Stunde, aber -in dieser sinnlosen Beharrung war eine Spannung des Gefühls, eine so -stählerne Ankrampfung aller Muskeln, wie sie Menschen sonst vielleicht -nur bei einem Absturz fühlen, knapp vor dem Tod; mein ganzes, leer -vorbeigelaufenes Leben war plötzlich zurückgeflutet und staute sich bis -hinauf zur Kehle. Und so sehr ich gequält war von meinem sinnlosen Wahn, -zu bleiben, zu verharren, bis irgendein Wort, ein Blick eines Menschen -mich erlöse, so sehr genoß ich diese Qual. Ich büßte etwas in diesem -Stehen an dem Pfahl, nicht jenen Diebstahl so sehr, als das Dumpfe, das -Laue, das Leere meines früheren Lebens: und ich hatte mir geschworen, -nicht früher zu gehen, bis mir ein Zeichen gegeben war, das Schicksal -mich freigegeben. - -Und je mehr jene Stunde fortschritt, um so mehr drängte die Nacht sich -heran. Eines nach dem andern losch in den Buden das Licht und immer -stürzte dann wie eine steigende Flut das Dunkel vor, schluckte den -lichten Fleck auf dem Rasen ein: immer einsamer war die helle Insel, auf -der ich stand, und schon sah ich zitternd auf die Uhr. Eine -Viertelstunde noch, dann würden die scheckigen Holzpferde stillestehn, -die roten und grünen Glühlampen auf ihren einfältigen Stirnen abknipsen, -das geblähte Orchestrion aufhören zu stampfen. Dann würde ich ganz im -Dunkel sein, ganz allein hier in der leise rauschenden Nacht, ganz -ausgestoßen, ganz verlassen. Immer unruhiger blickte ich über den -dämmernden Platz, über den nur ganz selten mehr ein heimkehrendes -Pärchen eilig strich oder ein paar Burschen betrunken hintaumelten: quer -drüben aber in den Schatten zitterte noch verstecktes Leben, unruhig und -aufreizend. Manchmal pfiff oder schnalzte es leise, wenn ein paar Männer -vorüberkamen. Und bogen sie dann, gelockt von dem Anruf, hin zum Dunkel, -so zischelten in den Schatten Frauenstimmen, und manchmal warf der Wind -abgerissene Fetzen grellen Lachens herüber. Und allmählich schob sichs -um den Rand des Dunkels frecher hervor, gegen den Lichtkegel des -erhellten Platzes, um sofort wieder in die Schwärze zurückzutauchen, -sobald im Vorübergehen die Pickelhaube eines Schutzmannes im Reflex der -Laterne schimmerte. Aber kaum daß er weiterging auf seiner Runde, waren -die gespenstigen Schatten wieder da, und jetzt konnte ich sie schon -deutlich im Umriß sehen, so nahe wagten sie sich ans Licht, der letzte -Abhub jener nächtigen Welt, der Schlamm, der zurückblieb, nun da sich -der flüssige Menschenstrom verlaufen: ein paar Dirnen, jene ärmsten und -ausgestoßensten, die keine eigene Bettstatt haben, tags auf einer -Matratze schlafen und nachts ruhlos streifen, die ihren abgebrauchten, -geschändeten, magern Körper jedem für ein kleines Silberstück hier -irgendwo im Dunkel auftaten, umspürt von der Polizei, getrieben von -Hunger oder irgendeinem Strolch, immer im Dunkel streifend, jagend und -gejagt zugleich. Wie hungrige Hunde schnupperten sie allmählich vor zu -dem erhellten Platz nach irgend etwas Männlichem, nach einem vergessenen -Nachzügler, dem sie seine Lust ablocken könnten für eine Krone oder -zwei, um sich dann einen Glühwein zu kaufen in einem Volkskaffee und den -trüb flackernden Stumpf Leben sich zu erhalten, der ja ohnehin bald -auslöscht in einem Spital oder einem Gefängnis. Der Abhub war dies, die -letzte Jauche von der hochgequollenen Sinnlichkeit der sonntäglichen -Masse -- mit einem grenzenlosen Grauen sah ich nun aus dem Dunkel diese -hungrigen Gestalten geistern. Aber auch in diesem Grauen war noch eine -magische Lust, denn selbst in diesem schmutzigsten Spiegel erkannte ich -Vergessenes und dumpf Gefühltes wieder: hier war eine tiefe, sumpfige -Welt, die ich vor Jahren längst durchschritten und die nun -phosphoreszierend mir wieder in die Sinne funkelte. Seltsam, was diese -phantastische Nacht mir plötzlich entgegenhielt, wie sie mich -Verschlossenen plötzlich auffaltete, daß das Dunkelste meiner -Vergangenheit, das Geheimste meines Triebes in mir nun offen lag! -Dumpfes Gefühl stieg auf verschütteter Knabenjahre, wo scheuer Blick -neugierig angezogen und doch feig verstört an solchen Gestalten -gehaftet, Erinnerung an die Stunde, wo man zum erstenmal auf knarrender, -feuchter Treppe einer hinaufgefolgt war in ihr Bett -- und plötzlich, -als ob Blitz einen Nachthimmel zerteilt hätte, sah ich scharf jede -Einzelheit jener vergessenen Stunde, den flachen Öldruck über dem Bett, -das Amulett, das sie auf dem Halse trug, ich spürte jede Fiber von -damals, die ungewisse Schwüle, den Ekel und den ersten Knabenstolz. All -das wogte mir mit einem Male durch den Körper. Eine Hellsichtigkeit ohne -Maß strömte plötzlich in mich ein, und -- wie soll ich das sagen können, -dies Unendliche! -- ich verstand mit einemmal alles, was mich mit so -brennendem Mitleid jenen verband, gerade weil sie der letzte Abschaum -des Lebens waren, und mein von dem Verbrechen einmal angereizter -Instinkt spürte von innen heraus dieses hungrige Lungern, das dem meinen -in dieser phantastischen Nacht so ähnlich war, dies verbrecherische -Offenstehn jeder Berührung, jeder fremden zufällig anstreifenden Lust. -Magnetisch zog es mich hin, die Brieftasche mit dem gestohlenen Geld -brannte plötzlich heiß über der Brust, wie ich da drüben endlich Wesen, -Menschen, Weiches, Atmendes, Sprechendes spürte, das von andern Wesen, -vielleicht auch von mir, etwas wollte, von mir, der nur wartete, sich -wegzugeben, der verbrannte in seiner rasenden Willigkeit nach Menschen. -Und mit einmal verstand ich, was Männer zu solchen Wesen treibt, -verstand, daß es selten nur Hitze des Blutes ist, ein schwellender -Kitzel ist, sondern meist bloß die Angst vor der Einsamkeit, vor der -entsetzlichen Fremdheit, die sonst zwischen uns sich auftürmt und die -mein entzündetes Gefühl heute zum erstenmal fühlte. Ich erinnerte mich, -wann ich zum letztenmal dies dumpf empfunden: in England war es gewesen, -in Manchester, einer jener stählernen Städte, die in einem lichtlosen -Himmel von Lärm brausen wie eine Untergrundbahn und die doch -gleichzeitig einen Frost von Einsamkeit haben, der durch die Poren bis -ins Blut dringt. Drei Wochen hatte ich dort bei Verwandten gelebt, -abends immer allein irrend durch Bars und Klubs und immer wieder in die -glitzernde Musikhall, nur um etwas menschliche Wärme zu spüren. Und da -eines Abends hatte ich so eine Person gefunden, deren Gassenenglisch ich -kaum verstand, aber plötzlich war man in einem Zimmer, trank Lachen von -einem fremden Mund, ein warmer Körper war da, irdisch nahe und weich. -Plötzlich schmolz sie weg, die kalte schwarze Stadt, der finstere -lärmende Raum von Einsamkeit, irgendein Wesen, das man nicht kannte, das -nur dastand und wartete auf jeden, der kam, löste einen auf, ließ allen -Trost wegtauen: man atmete wieder frei, spürte Leben in leichter -Helligkeit inmitten des stählernen Kerkers. Wie wunderbar war das für -die Einsamen, die Abgesperrten in sich selbst, dies zu wissen, dies zu -ahnen, daß ihrer Angst immer doch irgendein Halt ist, sich -festzuklammern an ihn, mag er auch überschmutzt sein von vielen Griffen, -starrend von Alter, zerfressen von giftigem Rost. Und dies, gerade dies -hatte ich vergessen in der Stunde der untersten Einsamkeit, aus der ich -taumelnd aufstieg in dieser Nacht, daß irgendwo an einer letzten Ecke -immer diese Letzten noch warten, jede Hingabe in sich aufzufangen, jede -Verlassenheit an ihrem Atem ausruhen zu lassen, jede Hitze zu kühlen für -ein kleines Stück Geld, das immer zu gering ist für das Ungeheure, das -sie geben mit ihrem ewigen Bereitsein, mit dem großen Geschenk ihrer -menschlichen Gegenwart. - -Neben mir setzte dröhnend das Orchestrion des Karussells wieder ein. Es -war die letzte Runde, die letzte Fanfare des kreisenden Lichts in das -Dunkel hinaus, ehe der Sonntag in die dumpfe Woche verging. Aber niemand -kam mehr, leer rannten die Pferde in ihrem irrsinnigen Kreis, schon -scharrte und zählte an der Kasse die übermüdete Frau die Lösung des -Tages zusammen, und der Laufbursche kam mit den Haken, bereit, nach -dieser letzten Runde knatternd die Rolläden über die Bude herabzulassen. -Nur ich, ich allein, stand noch immer da, an den Pfosten gelehnt, und -sah hinaus auf den leeren Platz, wo nur diese fledermausflatternden -Gestalten strichen, suchend wie ich, wartend wie ich, und doch den -undurchdringlichen Raum von Fremdheit zwischeneinander. Aber jetzt mußte -eine von ihnen mich bemerkt haben, denn sie schob sich langsam her, ganz -nah sah ich sie unter dem gesenkten Blick: ein kleines, verkrüppeltes, -rachitisches Wesen ohne Hut, mit einem geschmacklos aufgeputzten -Fähnchen von Kleid, unter dem abgetragene Ballschuhe vorlugten, das -Ganze wohl allmählich bei Hökerinnen oder einem Trödler zusammengekauft -und seitdem verscheuert, zerdrückt vom Regen oder irgendwo bei einem -schmutzigen Abenteuer im Gras. Sie schmeichelte sich heran, blieb neben -mir stehen, den Blick wie eine Angel spitz herwerfend und ein -einladendes Lächeln über den schlechten Zähnen. Mir blieb der Atem -stocken. Ich konnte mich nicht rühren, nicht sie ansehen und doch mich -nicht fortreißen: wie in einer Hypnose spürte ich, daß da ein Mensch um -mich begehrlich herumstrich, jemand um mich warb, daß ich endlich diese -gräßliche Einsamkeit, dies quälende Ausgestoßensein mit einem Wort, -einer Geste bloß wegschleudern könnte. Aber ich vermochte mich nicht zu -rühren, hölzern wie der Balken, an dem ich lehnte, und in einer Art -wollüstiger Ohnmacht empfand ich nur immer -- während die Melodie des -Karussells schon müde wegtaumelte -- die nahe Gegenwart, diesen Willen, -der um mich warb, und schloß die Augen für einen Augenblick, um ganz -dieses magnetische Angezogensein irgendeines Menschlichen aus dem Dunkel -der Welt mich überfluten zu fühlen. - -Das Karussell hielt inne, die walzernde Melodie erstickte mit einem -letzten stöhnenden Laut. Ich schlug die Augen auf und sah gerade noch, -wie die Gestalt neben mir sich wegwandte. Offenbar war es ihr zu -langweilig, hier neben einem hölzern Dastehenden zu warten. Ich -erschrak. Mir wurde plötzlich ganz kalt. Warum hatte ich sie fortgehen -lassen, den einzigen Menschen dieser phantastischen Nacht, der mir -entgegengekommen, der mir aufgetan war? Hinter mir löschten die Lichter, -prasselnd knatterten die Rollbalken herab. Es war zu Ende. - -Und plötzlich -- ach, wie mir selbst diesen heißen, diesen jäh -aufspringenden Gischt schildern? -- plötzlich -- es kam so jäh, so heiß, -so rot, als ob mir eine Ader in der Brust geplatzt wäre -- plötzlich -brach aus mir, dem stolzen, dem hochmütigen, ganz in kühler, -gesellschaftlicher Würde verschanzten Menschen wie ein stummes Gebet, -wie ein Krampf, wie ein Schrei, der kindische und mir doch so ungeheure -Wunsch, diese kleine, schmutzige, rachitische Hure möchte nur noch -einmal den Kopf wenden, damit ich zu ihr sprechen könnte. Denn ihr -nachzugehen war ich nicht zu stolz -- mein Stolz war zerstampft, -zertreten, weggeschwemmt von ganz neuen Gefühlen --, aber zu schwach, zu -ratlos. Und so stand ich da, zitternd und durchwühlt, hier allein an dem -Marterpfosten der Dunkelheit, wartend wie ich nie gewartet hatte seit -meinen Knabenjahren, wie ich nur einmal an einem abendlichen Fenster -gestanden, als eine fremde Frau langsam sich auszukleiden begann und -immer zögerte und verweilte in ihrer ahnungslosen Entblößung -- ich -stand, zu Gott aufschreiend mit irgendeiner mir selbst unbekannten -Stimme um das Wunder, dieses krüppelige Ding, dieser letzte Abhub -Menschheit möge es noch einmal mit mir versuchen, noch einmal den Blick -rückwenden zu mir. - -Und -- sie wandte sich. Einmal noch, ganz mechanisch blickte sie zurück. -Aber so stark mußte mein Aufzucken, das Vorspringen meines gespannten -Gefühls in dem Blick gewesen sein, daß sie beobachtend stehen blieb. Sie -wippte noch einmal halb herum, sah mich durch das Dunkel an, lächelte -und winkte mit dem Kopf einladend hinüber gegen die verschattete Seite -des Platzes. Und endlich fühlte ich den entsetzlichen Bann der Starre in -mir weichen. Ich konnte mich wieder regen und nickte ihr bejahend zu. - -Der unsichtbare Pakt war geschlossen. Nun ging sie voraus über den -dämmerigen Platz, von Zeit zu Zeit sich umwendend, ob ich ihr nachkäme. -Und ich folgte: das Blei war von meinen Knien gefallen, ich konnte -wieder die Füße regen. Magnetisch stieß es mich nach, ich ging nicht -bewußt, sondern strömte gleichsam, von geheimnisvoller Macht gezogen, -hinter ihr her. Im Dunkel der Gasse zwischen den Buden verlangsamte sie -den Schritt. Nun stand ich neben ihr. - -Sie sah mich einige Sekunden an, prüfend und mißtrauisch: etwas machte -sie unsicher. Offenbar war ihr mein seltsam scheues Dastehen, der -Kontrast des Ortes und meiner Eleganz, irgendwie verdächtig. Sie blickte -sich mehrmals um, zögerte. Dann sagte sie in die Verlängerung der Gasse -deutend, die schwarz wie eine Bergwerksschlucht war: »Gehn wir dort -hinüber. Hinter dem Zirkus ist es ganz dunkel.« - -Ich konnte nicht antworten. Das entsetzlich Gemeine dieser Begegnung -betäubte mich. Am liebsten hätte ich mich irgendwie losgerissen, mit -einem Stück Geld, mit einer Ausrede freigekauft, aber mein Wille hatte -keine Macht mehr über mich. Wie auf einer Rodel war mir, wenn man an -einer Kurve schleudernd, mit rasender Geschwindigkeit einen steilen -Schneehang hinabsaust und das Gefühl der Todesangst sich irgendwie -wollüstig mit dem Rausch der Geschwindigkeit mengt und man, statt zu -bremsen, sich mit einer taumelnden und doch bewußten Schwäche willenlos -an den Sturz hingibt. Ich konnte nicht mehr zurück und wollte vielleicht -gar nicht mehr, und jetzt, wie sie vertraulich sich an mich drückte, -faßte ich unwillkürlich ihren Arm. Es war ein ganz magerer Arm, nicht -der Arm einer Frau, sondern wie der eines zurückgebliebenen skrofulösen -Kindes, und kaum daß ich ihn durch das dünne Mäntelchen fühlte, überkam -mich mitten in dem gespannten Empfinden ein ganz weiches, flutendes -Mitleid mit diesem erbärmlichen, zertretenen Stück Leben, das diese -Nacht gegen mich gespült. Und unwillkürlich liebkosten meine Finger -diese schwachen, kränklichen Gelenke so rein, so ehrfürchtig, wie ich -noch nie eine Frau berührt. - -Wir überquerten eine matt erleuchtete Straße und traten in ein kleines -Gehölz, wo wuchtige Baumkronen ein dumpfes, übelriechendes Dunkel fest -zusammenhielten. In diesem Augenblick merkte ich, obwohl man kaum mehr -einen Umriß bemerken konnte, daß sie ganz vorsichtig an meinem Arm sich -umwandte und einige Schritte später noch ein zweitesmal. Und seltsam: -während ich gleichsam in einer Betäubung in das schmutzige Abenteuer -hinabglitt, waren doch meine Sinne furchtbar wach und funkelnd. Mit -einer Hellsichtigkeit, der nichts entging, die jede Regung wissend bis -in sich hineinriß, merkte ich, daß rückwärts am Saum des überquerten -Pfades schattenhaft uns etwas nachglitt, und mir war es, als hörte ich -einen schleichenden Schritt. Und plötzlich -- wie ein Blitz eine -Landschaft prasselnd weiß überspringt -- ahnte, wußte ich alles: daß ich -hier in eine Falle gelockt werden sollte, daß die Zuhälter dieser Hure -hinter uns lauerten und sie mich im Dunkel an eine verabredete Stelle -zog, wo ich ihre Beute werden sollte. Mit einer überirdischen Klarheit, -wie sie nur die zusammengepreßten Sekunden zwischen Tod und Leben haben, -sah ich alles, überlegte ich jede Möglichkeit. Noch war es Zeit zu -entkommen, die Hauptstraße mußte nahe sein, denn ich hörte die -elektrische Tramway dort auf den Schienen rattern, ein Schrei, ein Pfiff -konnte Leute herbeirufen: in scharf umrissenen Bildern zuckten alle -Möglichkeiten der Flucht, der Rettung in mir auf. - -Aber seltsam -- diese aufschreckende Erkenntnis kühlte nicht, sondern -hitzte nur. Ich kann mir heute in einem wachen Augenblick, im klaren -Licht eines herbstlichen Tages das Absurde meines Tuns selbst nicht ganz -erklären: ich wußte, wußte sofort mit jeder Fiber meines Wesens, daß ich -unnötig in eine Gefahr ging, aber wie ein feiner Wahnsinn rieselte mir -das Vorgefühl durch die Nerven. Ich wußte ein Widerliches, vielleicht -Tödliches voraus, ich zitterte vor Ekel, hier irgendwie in ein -Verbrechen, in ein gemeines, schmutziges Erleben gedrängt zu sein, aber -gerade für die nie gekannte, nie geahnte Lebenstrunkenheit, die mich -betäubend überströmte, war selbst der Tod noch eine finstere Neugier. -Etwas -- war es Scham, die Furcht zu zeigen, oder eine Schwäche? -- -stieß mich vorwärts. Es reizte mich, in die letzte Kloake des Lebens -hinabzusteigen, in einem einzigen Tage meine ganze Vergangenheit zu -verspielen und zu verprassen, eine verwegene Wollust des Geistes mengte -sich der gemeinen dieses Abenteuers. Und obwohl ich mit allen meinen -Nerven die Gefahr witterte, sie mit meinen Sinnen, meinem Verstand -klarsichtig begriff, ging ich trotzdem weiter hinein in das Gehölz am -Arm dieser schmutzigen Praterdirne, die mich körperlich mehr abstieß als -lockte und von der ich wußte, daß sie mich nur für ihre Spießgesellen -herzog. Aber ich konnte nicht zurück. Die Schwerkraft des -Verbrecherischen, die sich nachmittags im Abenteuer auf dem Rennplatze -an mich gehangen, riß mich weiter und weiter hinab. Und ich spürte nur -mehr die Betäubung, den wirbeligen Taumel des Sturzes in neue Tiefen -hinab und vielleicht in die letzte: in den Tod. - -Nach ein paar Schritten blieb sie stehen. Wieder flog ihr Blick unsicher -herum. Dann sah sie mich wartend an: »Na -- und was schenkst du mir?« - -Ach so. Das hatte ich vergessen. Aber die Frage ernüchterte mich nicht. -Im Gegenteil. Ich war ja so froh, schenken, geben, mich verschwenden zu -dürfen. Hastig griff ich in die Tasche, schüttete alles Silber und ein -paar zerknüllte Banknoten ihr in die aufgetane Hand. Und nun geschah -etwas so Wunderbares, daß mir heute noch das Blut warm wird, wenn ich -daran denke: entweder war diese arme Person überrascht von der Höhe der -Summe -- sie war sonst nur kleine Münze gewohnt für ihren schmutzigen -Dienst --, oder in der Art meines Gebens, des freudigen, raschen, fast -beglückten Gebens mußte etwas ihr Ungewohntes, etwas Neues sein, denn -sie trat zurück, und durch das dicke, übelriechende Dunkel spürte ich, -wie ihr Blick mit einem großen Erstaunen mich suchte. Und ich empfand -endlich das lang Entbehrte dieses Abends: jemand fragte nach mir, jemand -suchte mich, zum erstenmal _lebte_ ich für irgend jemanden dieser Welt. -Und daß gerade diese Ausgestoßenste, dieses Wesen, das ihren armen -verbrauchten Körper durch die Dunkelheit wie eine Ware trug und die, -ohne den Käufer auch nur anzusehen, sich an mich gedrängt, nun die Augen -aufschlug zu den meinen, daß sie nach dem Menschen in mir fragte, das -steigerte nur meine merkwürdige Trunkenheit, die hellsichtig war und -taumelnd zugleich, wissend und aufgelöst in eine magische Dumpfheit. Und -schon drängte dieses fremde Wesen sich näher an mich, aber nicht in -geschäftsmäßiger Erfüllung bezahlter Pflicht, sondern ich meinte, irgend -etwas unbewußt Dankbares, einen weibhaften Willen zur Annäherung darin -zu spüren. Ich faßte leise ihren Arm an, den magern rachitischen -Kinderarm, empfand ihren kleinen verkrüppelten Körper und sah plötzlich -über all das hinaus ihr ganzes Leben: die geliehene schmierige -Bettstelle in einem Vorstadthof, wo sie von morgens bis mittags schlief -zwischen einem Gewürm fremder Kinder, ich sah ihren Zuhälter, der sie -würgte, die Trunkenen, die sich im Dunkel rülpsend über sie warfen, die -gewisse Abteilung im Krankenhaus, in die man sie brachte, den Hörsaal, -wo man ihren abgeschundenen Leib nackt und krank jungen frechen -Studenten als Lehrobjekt hinhielt, und dann das Ende irgendwo in einer -Heimatsgemeinde, in die man sie per Schub abgeladen und wo man sie -verrecken ließ wie ein Tier. Unendliches Mitleid mit ihr, mit allen -überkam mich, irgend etwas Warmes, das Zärtlichkeit war und doch keine -Sinnlichkeit. Immer wieder strich ich ihr über den kleinen magern Arm. -Und dann beugte ich mich nieder und küßte die Erstaunte. - -In diesem Augenblick raschelte es hinter mir. Ein Ast knackte. Ich -sprang zurück. Und schon lachte eine breite, ordinäre Männerstimme. »Da -haben mirs. Ich hab mirs ja gleich gedacht.« - -Noch ehe ich sie sah, wußte ich, wer sie waren. Nicht eine Sekunde hatte -ich inmitten all meiner dumpfen Betäubung daran vergessen, daß ich -umlauert war, ja meine geheimnisvolle wache Neugier hatte sie erwartet. -Eine Gestalt schob sich jetzt vor aus dem Gebüsch und hinter ihr eine -zweite: verwilderte Burschen, frech aufgepflanzt. Wieder kam das -ordinäre Lachen. »So eine Gemeinheit, da Schweinereien zu treiben. -Natürlich ein feiner Herr! Den werden wir aber jetzt Hopp nehmen.« Ich -stand reglos. Das Blut tickte mir an die Schläfen. Ich empfand keine -Angst. Ich wartete nur, was geschehen sollte. Jetzt war ich endlich in -der Tiefe, im letzten Abgrund des Gemeinen. Jetzt mußte der -Aufschlag kommen, das Zerschellen, das Ende, dem ich halbwissend -entgegengetrieben. - -Das Mädel war von mir weggesprungen, aber doch nicht zu ihnen hinüber. -Sie stand irgendwie in der Mitte: anscheinend war ihr der vorbereitete -Überfall doch nicht ganz angenehm. Die Burschen wiederum waren -ärgerlich, daß ich mich nicht rührte. Sie sahen einander an, offenbar -erwarteten sie von mir einen Widerspruch, eine Bitte, irgendeine Angst. -»Aha, er sagt nix,« rief schließlich drohend der eine. Und der andere -trat auf mich zu und sagte befehlend: »Sie müssen mit aufs -Kommissariat.« - -Ich antwortete noch immer nichts. Da legte mir der eine den Arm auf die -Schulter und stieß mich leicht vor. »Vorwärts,« sagte er. - -Ich ging. Ich wehrte mich nicht, weil ich mich nicht wehren wollte: das -Unerhörte, das Gemeine, das Gefährliche der Situation betäubte mich. -Mein Gehirn blieb ganz wach; ich wußte, daß die Burschen die Polizei -mehr fürchten mußten als ich, daß ich mich loskaufen konnte mit ein paar -Kronen, -- aber ich wollte ganz die Tiefe des Gräßlichen auskosten, ich -genoß die grausige Erniedrigung der Situation in einer Art wissender -Ohnmacht. Ohne Hast, ganz mechanisch ging ich in die Richtung, in die -sie mich gestoßen hatten. - -Aber gerade das, daß ich so wortlos, so geduldig dem Licht zuging, -schien die Burschen zu verwirren. Sie zischelten leise. Dann fingen sie -wieder an, absichtlich laut miteinander zu reden. »Laß ihn laufen,« -sagte der eine (ein pockennarbiger kleiner Kerl); aber der andere -erwiderte, scheinbar streng: »Nein, das geht nicht. Wenn das ein armer -Teufel tut wie wir, der nix zum Fressen hat, dann wird er eingelocht. -Aber so ein feiner Herr -- da muß a Straf sein.« Und ich hörte jedes -Wort und hörte darin ihre ungeschickte Bitte, ich möchte beginnen, mit -ihnen zu verhandeln; der Verbrecher in mir verstand den Verbrecher in -ihnen, verstand, daß sie mich quälen wollten mit Angst und ich sie -quälte mit meiner Nachgiebigkeit. Es war ein stummer Kampf zwischen uns -beiden, und -- o wie reich war diese Nacht! -- ich fühlte inmitten -tödlicher Gefahr, hier mitten im stinkenden Dickicht der Praterwiese, -zwischen Strolchen und einer Dirne, zum zweitenmal seit zwölf Stunden -den rasenden Zauber des Spiels, nun aber um den höchsten Einsatz, um -meine ganze bürgerliche Existenz, ja um mein Leben. Und ich gab mich -diesem ungeheuren Spiel, der funkelnden Magie des Zufalls mit der ganzen -gespannten, bis zum Zerreißen gespannten Kraft meiner zitternden Nerven -hin. - -»Aha, dort ist schon der Wachmann,« sagte hinter mir die eine Stimme, -»da wird er sich nicht zu freuen haben, der feine Herr, eine Wochen wird -er schon sitzen.« Es sollte böse klingen und drohend, aber ich hörte die -stockende Unsicherheit. Ruhig ging ich dem Lichtschein zu, wo -tatsächlich die Pickelhaube eines Schutzmannes glänzte. Zwanzig Schritte -noch, dann mußte ich vor ihm stehen. Hinter mir hatten die Burschen -aufgehört zu reden; ich merkte, wie sie langsamer gingen; im nächsten -Augenblick mußten sie, ich wußte es, feig zurücktauchen in das Dunkel, -in ihre Welt, erbittert über den mißlungenen Streich, und ihren Zorn -vielleicht an der Armseligen auslassen. Das Spiel war zu Ende: wiederum, -zum zweitenmal, hatte ich heute gewonnen, wiederum einen andern fremden, -unbekannten Menschen um seine böse Lust geprellt. Schon flackerte von -drüben der bleiche Kreis der Laternen, und als ich mich jetzt umwandte, -sah ich zum erstenmal in die Gesichter der beiden Burschen: Erbitterung -war und eine geduckte Beschämung in ihren unsichern Augen. Sie blieben -stehen in einer gedrückten, enttäuschten Art, bereit, ins Dunkel -zurückzuspringen. Denn ihre Macht war vorüber: nun war _ich_ es, den sie -fürchteten. - -In diesem Augenblick überkam mich plötzlich -- und es war, als ob die -innere Gärung alle Dauben in meiner Brust plötzlich sprengte und heiß -das Gefühl in mein Blut überliefe -- ein so unendliches, ein -_brüderliches_ Mitleid mit diesen beiden Menschen. Was hatten sie denn -begehrt von mir, sie, die armen hungernden, zerfetzten Burschen, von -mir, dem Übersatten, dem Parasiten: ein paar Kronen, ein paar elende -Kronen. Sie hätten mich würgen können dort im Dunkel, mich berauben, -mich töten, und hatten es nicht getan, hatten nur in einer ungeübten, -ungeschickten Art versucht, mich zu schrecken um dieser kleinen -Silbermünzen willen, die mir lose in der Tasche lagen. Wie konnte ich es -da wagen, ich, der Dieb aus Laune, aus Frechheit, der Verbrecher aus -Nervenlust, sie, diese armen Teufel, noch zu quälen? Und in mein -unendliches Mitleid strömte unendliche Scham, daß ich mit ihrer Angst, -mit ihrer Ungeduld um meiner Wollust willen noch gespielt. Ich raffte -mich zusammen: jetzt, gerade jetzt, da ich gesichert war, da schon das -Licht der nahen Straße mich schützte, jetzt mußte ich ihnen zuwillen -sein, die Enttäuschung auslöschen in diesen bittern, hungrigen Blicken. - -Mit einer plötzlichen Wendung trat ich auf den einen zu. »Warum wollen -Sie mich anzeigen?« sagte ich und mühte mich, in meine Stimme einen -gepreßten Atem von Angst zu quälen. »Was haben Sie davon? Vielleicht -werde ich eingesperrt, vielleicht auch nicht. Aber Ihnen bringt es doch -keinen Nutzen. Warum wollen Sie mir mein Leben verderben?« - -Die beiden starrten verlegen. Sie hatten alles erwartet jetzt, einen -Anschrei, eine Drohung, unter der sie wie knurrende Hunde sich -weggedrückt hätten, nur nicht diese Nachgiebigkeit. Endlich sagte der -eine, aber gar nicht drohend, sondern gleichsam entschuldigend: -»Gerechtigkeit muß sein. Wir tun nur unsere Pflicht.« - -Es war offenbar eingelernt für solche Fälle. Und doch klang es irgendwie -falsch. Keiner von beiden wagte mich anzusehen. Sie warteten. Und ich -wußte, worauf sie warteten. Daß ich betteln würde um Gnade. Und daß ich -ihnen Geld bieten würde. - -Ich weiß noch alles aus jenen Sekunden. Ich weiß jeden Nerv, der sich in -mir regte, jeden Gedanken, der hinter der Schläfe zuckte. Und ich weiß, -was mein böses Gefühl damals zuerst wollte: sie warten lassen, sie noch -länger quälen, die Wollust des Wartenlassens auskosten. Aber ich zwang -mich rasch, ich bettelte, weil ich wußte, daß ich die Angst dieser -beiden endlich erlösen mußte. Ich begann eine Komödie der Furcht zu -spielen, bat sie um Mitleid, sie möchten schweigen, mich nicht -unglücklich machen. Ich merkte, wie sie verlegen wurden, diese armen -Dilettanten der Erpressung, und wie das Schweigen gleichsam weicher -zwischen uns stand. - -Und da sagte ich endlich, endlich das Wort, nachdem sie so lange -lechzten. »Ich ... ich gebe Ihnen ... hundert Kronen.« - -Alle drei fuhren auf und sahen sich an. So viel hatten sie nicht mehr -erwartet, jetzt, da doch alles für sie verloren war. Endlich faßte sich -der eine, der Pockennarbige mit dem unruhigen Blick. Zweimal setzte er -an. Es ging ihm nicht aus der Kehle. Dann sagte er -- und ich spürte, -wie er sich schämte dabei: »Zweihundert Kronen.« - -»Aber hörts auf,« mengte sich jetzt plötzlich das Mädchen ein. »Ihr -könnts froh sein, wenn er euch überhaupt etwas gibt. Er hat ja gar nix -getan, kaum daß er mich angerührt hat. Das ist wirklich zu stark.« - -Wirklich erbittert schrie sie's ihnen entgegen. Und mir klang das Herz. -Jemand hatte Mitleid mit mir, jemand sprach für mich, aus dem Gemeinen -stieg Güte, irgendein dunkles Begehren nach Gerechtigkeit aus einer -Erpressung. Wie das wohl tat, wie das Antwort gab auf den Aufschwall in -mir! Nein, nur jetzt nicht länger spielen mit den Menschen, nicht sie -quälen in ihrer Angst, in ihrer Scham: genug! genug! - -»Gut, also zweihundert Kronen.« - -Sie schwiegen alle drei. Ich nahm die Brieftasche heraus. Ganz langsam, -ganz offen bog ich sie auf in der Hand. Mit einem Griff hätten sie mir -sie wegreißen können und in das Dunkel hinein flüchten. Aber sie sahen -scheu weg. Es war zwischen ihnen und mir irgendein geheimes -Gebundensein, nicht mehr Kampf und Spiel, sondern ein Zustand des -Rechts, des Vertrauens, eine menschliche Beziehung. Ich blätterte die -beiden Noten aus dem gestohlenen Pack und reichte sie dem einen hin. - -»Danke schön,« sagte er unwillkürlich und wandte sich schon weg. -Offenbar spürte er selbst das Lächerliche, zu danken für ein erpreßtes -Geld. Er schämte sich, und diese seine Scham -- oh, alles fühlte ich ja -in dieser Nacht, jede Geste schloß sich mir auf! -- bedrückte mich. Ich -wollte nicht, daß sich ein Mensch vor mir schäme, vor mir, der ich -seinesgleichen war, Dieb wie er, schwach, feige und willenlos wie er. -Seine Demütigung quälte mich, und ich wollte sie ihm wegnehmen. So -wehrte ich seinem Dank. - -»Ich habe Ihnen zu danken,« sagte ich und wunderte mich selbst, wieviel -wahrhaftige Herzlichkeit aus meiner Stimme sprang. »Wenn Sie mich -angezeigt hätten, wäre ich verloren gewesen. Ich hätte mich erschießen -müssen, und Sie hätten nichts davon gehabt. Es ist besser so. Ich gehe -jetzt da rechts hinüber und Sie vielleicht dort auf die andere Seite. -Gute Nacht.« - -Sie schwiegen wieder einen Augenblick. Dann sagte der eine »Gute Nacht,« -dann der andere, zuletzt die Hure, die ganz im Dunkel geblieben. Ganz -warm klang es, ganz herzlich wie ein wirklicher Wunsch. An ihren Stimmen -fühlte ich, sie hatten mich irgendwo tief im Dunkel ihres Wesens lieb, -sie würden diese sonderbare Sekunde nie vergessen. Im Zuchthaus oder im -Spital würde sie ihnen vielleicht wieder einmal einfallen: etwas von mir -lebte fort in ihnen, ich hatte ihnen etwas gegeben. Und dieses Gebens -Lust erfüllte mich wie noch nie ein Gefühl. - -Ich ging allein durch die Nacht dem Ausgang des Praters zu. Alles -Gepreßte war von mir gefallen, ich fühlte, wie ich ausströmte in nie -gekannter Fülle, ich, der Verschollene, in die ganze unendliche Welt -hinein. Alles empfand ich, als lebte es nur für mich allein und mich -wieder mit allem strömend verbunden. Schwarz umstanden mich die Bäume, -sie rauschten mir zu, und ich liebte sie. Sterne glänzten von oben -nieder, und ich atmete ihren weißen Gruß. Stimmen kamen singend von -irgendwoher, und mir war, sie sängen für mich. Alles gehörte mir mit -einem Male, seit ich die Rinde um meine Brust zerstoßen, und Freude des -Hingebens, des Verschwendens schwellte mich allem zu. O wie leicht ist -es, fühlte ich, Freude zu machen und selbst froh zu werden aus der -Freude: man braucht sich nur aufzutun, und schon fließt von Mensch zu -Menschen der lebendige Strom, stürzt vom Hohen zum Niedern, schäumt von -der Tiefe wieder ins Unendliche empor. - -Am Ausgang des Praters neben einem Wagenstandplatz sah ich eine Hökerin, -müde, gebückt über ihren kleinen Kram. Bäckereien hatte sie, -überschimmelt von Staub, und ein paar Früchte, seit Morgen saß sie wohl -so da, gebückt über die paar Heller, und die Müdigkeit knickte sie ein. -Warum sollst du dich nicht auch freuen, dachte ich, wenn ich mich freue? -Ich nahm ein kleines Stück Zuckerbrot und legte ihr einen Schein hin. -Sie wollte eilfertig wechseln, aber schon ging ich weiter und sah nur, -wie sie erschrak vor Glück, wie die zerknitterte Gestalt sich plötzlich -straffte und nur der im Staunen erstarrte Mund mir tausend Wünsche -nachsprudelte. Das Brot zwischen den Fingern trat ich zu dem Pferde, das -müde an der Deichsel hing, aber nun wandte es sich her und schnaubte mir -freundlich zu. Auch in seinem dumpfen Blick war Dank, daß ich seine rosa -Nüster streichelte und ihm das Brot hinreichte. Und kaum daß ichs getan, -begehrte ich nach mehr: noch mehr Freude zu machen, noch mehr zu spüren, -wie man mit ein paar Silberstücken, mit ein paar farbigen Zetteln Angst -auslöschen, Sorge töten, Heiterkeit aufzünden konnte. Warum waren keine -Bettler da? Warum keine Kinder, die von den Ballons haben wollten, die -dort ein mürrischer, weißhaariger Hinkfuß in dicken Bündeln an vielen -Fäden nach Hause stelzte, enttäuscht über das schlechte Geschäft des -langen heißen Tages. Ich ging auf ihn zu. »Geben Sie mir die Ballons.« -»Zehn Heller das Stück,« sagte er mißtrauisch, denn was wollte dieser -elegante Müßiggänger jetzt mitternachts mit den farbigen Ballons? »Geben -Sie mir alle,« sagte ich und gab ihm einen Zehnkronenschein. Er torkelte -auf, sah mich wie geblendet an, dann gab er mir zitternd die Schnur, die -das ganze Bündel hielt. Straff fühlte ich es an dem Finger ziehn: sie -wollten weg, wollten frei sein, wollten hinauf in den Himmel hinein. So -geht, fliegt, wohin ihr begehrt, seid frei! Ich ließ die Schnüre los, -und wie viele bunte Monde stiegen sie plötzlich auf. Von allen Seiten -liefen die Leute her und lachten, aus dem Dunkel kamen die Verliebten, -die Kutscher knallten mit den Peitschen und zeigten sich gegenseitig -rufend mit den Fingern, wie jetzt die freien Kugeln über die Bäume hin -zu den Häusern und Dächern trieben. Alles sah sich fröhlich an und hatte -seinen Spaß mit meiner seligen Torheit. - -Warum hatte ich das nie und nie gewußt, wie leicht es ist und wie gut, -Freude zu geben! Mit einem Male brannten die Banknoten wieder in der -Brieftasche, sie zuckten mir in den Fingern so wie vordem die Schnüre -der Ballons: auch sie wollten wegfliegen von mir ins Unbekannte hinein. -Und ich nahm sie, die gestohlenen des Lajos und die eigenen -- denn -nichts empfand ich mehr davon als Unterschied oder Schuld -- zwischen -die Finger, bereit, sie jedem hinzustreuen, der eine wollte. Ich ging -hinüber zu einem Straßenkehrer, der verdrossen die verlassene -Praterstraße fegte. Er meinte, ich wolle ihn nach irgendeiner Gasse -fragen und sah mürrisch auf: ich lachte ihn an und hielt ihm einen -Zwanzigkronenschein hin. Er starrte, ohne zu begreifen, dann nahm er ihn -endlich und wartete, was ich von ihm fordern würde. Ich aber lachte ihm -nur zu, sagte: »Kauf dir was Gutes dafür,« und ging weiter. Immer sah -ich nach allen Seiten, ob nicht jemand etwas von mir begehrte, und da -niemand kam, bot ich an: einer Hure, die mich ansprach, schenkte ich -einen Schein, zwei einem Laternenanzünder, einen warf ich in die offene -Luke einer Backstube im Untergeschoß, und ging so, ein Kielwasser von -Staunen, Dank, Freude hinter mir, weiter und weiter. Schließlich warf -ich sie einzeln und zerknüllt ins Leere auf die Straße, auf die Stufen -einer Kirche und freute mich an dem Gedanken, wie das Hutzelweibchen bei -der Morgenandacht die hundert Kronen finden und Gott segnen, ein armer -Student, ein Mädel, ein Arbeiter das Geld staunend und doch beglückt auf -ihrem Weg entdecken würden, sowie ich selbst staunend und beglückt in -dieser Nacht mich selber entdeckt. - -Ich könnte nicht mehr sagen, wo und wie ich sie alle verstreute, die -Banknoten und schließlich auch mein Silbergeld. Es war irgendein Taumel -in mir, ein sich Ergießen wie in eine Frau, und als die letzten Blätter -weggeflattert waren, fühlte ich Leichtigkeit, als ob ich hätte fliegen -können, eine Freiheit, die ich nie gekannt. Die Straße, der Himmel, die -Häuser, alles flutete mir ineinander in einem ganz neuen Gefühl des -Besitzes, des Zusammengehörens: nie und auch in den heißesten Sekunden -meiner Existenz hatte ich so stark empfunden, daß alle diese Dinge -wirklich vorhanden waren, daß sie lebten und daß ich lebte und daß ihr -Leben und das meine ganz das gleiche waren, eben das große, das -gewaltige, das nie genug beglückt gefühlte Leben, das nur die Liebe -begreift, nur der Hingegebene umfaßt. - -Dann kam noch ein letzter dunkler Augenblick, und das war, als ich, -selig heimgewandert, den Schlüssel in meine Türe drückte und der Gang zu -meinen Zimmern schwarz sich auftat. Da stürzte plötzlich Angst über -mich, ich ginge jetzt in mein altes früheres Leben zurück, wenn ich die -Wohnung dessen betrete, der ich bis zu dieser Stunde gewesen, mich in -sein Bett legte, wenn ich die Verknüpfung mit all dem wieder aufnahm, -was diese Nacht so schön gelöst. Nein, nur nicht mehr dieser Mensch -werden, der ich war, nicht mehr der korrekte, fühllose, weltabgelöste -Gentleman von gestern und einst, lieber hinabstürzen in alle Tiefen des -Verbrechens und des Grauens, aber doch in die Wirklichkeit des Lebens! -Ich war müde, unsagbar müde, und doch fürchtete ich mich, der Schlaf -möchte über mir zusammenschlagen und all das Heiße, das Glühende, das -Lebendige, das diese Nacht in mir entzündet, wieder wegschwemmen mit -seinem schwarzen Schlamm, und dies ganze Erlebnis möge so flüchtig und -unverhaftet gewesen sein wie ein phantastischer Traum. - -Aber ich ward heiter wach in einen neuen Morgen am nächsten Tage, und -nichts war verronnen von dem dankbar strömenden Gefühl. Seitdem sind nun -vier Monate vergangen, und die Starre von einst ist nicht wiedergekehrt, -ich blühe noch immer warm in den Tag hinein. Jene magische Trunkenheit -von damals, da ich plötzlich den Boden meiner Welt unter den Füßen -verlor, ins Unbekannte stürzte und bei diesem Sturz in den eigenen -Abgrund den Taumel der Geschwindigkeit gleichzeitig mit der Tiefe des -ganzen Lebens berauscht gemengt empfand, -- diese fliegende Hitze, sie -freilich ist dahin, aber ich spüre seit jener Stunde mein eigenes warmes -Blut mit jedem Atemzuge und spüre es mit täglich erneuter Wollust des -Lebens. Ich weiß, daß ich ein anderer Mensch geworden bin mit anderen -Sinnen, anderer Reizbarkeit und stärkerer Bewußtheit. Selbstverständlich -wage ich nicht zu behaupten, ich sei ein besserer Mensch geworden: ich -weiß nur, daß ich ein glücklicherer bin, weil ich irgendeinen Sinn für -mein ganz ausgekühltes Leben gefunden habe, einen Sinn, für den ich kein -Wort finde als eben das Wort Leben selbst. Seitdem verbiete ich mir -nichts mehr, weil ich die Normen und Formen meiner Gesellschaft als -wesenlos empfinde, ich schäme mich weder vor andern noch vor mir selbst. -Worte wie Ehre, Verbrechen, Laster haben plötzlich einen kalten, -blechernen Klangton bekommen, ich vermag sie ohne Grauen gar nicht -auszusprechen. Ich lebe, indem ich mich leben lasse von der Macht, die -ich damals zum erstenmal so magisch gespürt. Wohin sie mich treibt, -frage ich nicht: vielleicht einem neuen Abgrund entgegen, in das hinein, -was die andern Laster nennen, oder einem ganz Erhabenen zu. Ich weiß es -nicht und will es nicht wissen. _Denn ich glaube, daß nur der wahrhaft -lebt, der sein Schicksal als ein Geheimnis lebt._ - -Nie aber habe ich -- dessen bin ich gewiß -- das Leben inbrünstiger -geliebt, und ich weiß jetzt, daß jeder ein Verbrechen tut (das einzige, -das es gibt!), der gleichgültig ist gegen irgendeine seiner Formen und -Gestalten. Seitdem ich mich selbst zu verstehen begann, verstehe ich -unendlich viel anderes auch: der Blick eines gierigen Menschen vor einer -Auslage kann mich erschüttern, die Kapriole eines Hundes mich -begeistern. Ich achte mit einemmal auf alles, nichts ist mir -gleichgültig. Ich lese in der Zeitung (die ich sonst nur auf -Vergnügungen und Auktionen durchblätterte) täglich hundert Dinge, die -mich erregen, Bücher, die mich langweilten, tun sich mir plötzlich auf. -Und das merkwürdigste ist: ich kann auf einmal mit Menschen auch -außerhalb dessen, was man Konversation nennt, sprechen. Mein Diener, den -ich seit sieben Jahren habe, interessiert mich, ich unterhalte mich oft -mit ihm, der Hausmeister, an dem ich sonst wie an einem beweglichen -Pfeiler achtlos vorüberging, hat mir jüngst vom Tod seines Töchterchens -erzählt, und es hat mich mehr ergriffen als die Tragödien Shakespeares. -Und diese Verwandlung scheint -- obzwar ich, um mich nicht zu verraten, -mein Leben innerhalb der Kreise gesitteter Langweile äußerlich fortsetze --- allmählich transparent zu werden. Manche Menschen sind mit einemmal -herzlich mit mir, zum drittenmal in dieser Woche liefen mir fremde Hunde -auf der Straße zu. Und Freunde sagen mir wie zu einem, der eine -Krankheit überstanden hat, mit einer gewissen Freudigkeit, sie fänden -mich verjüngt. - -Verjüngt? Ich allein weiß ja, daß ich erst jetzt wirklich zu leben -beginne. Nun ist dies wohl ein allgemeiner Wahn, daß jeder vermeint, -alles Vergangene sei immer nur Irrtum und Vorbereitung gewesen, und ich -verstehe wohl die eigene Anmaßung, eine kalte Feder in die warme -lebendige Hand zu nehmen und auf einem trockenen Papier sich -hinzuschreiben, man lebe wirklich. Aber sei es auch ein Wahn -- er ist -der erste, der mich beglückt, der erste, der mir das Blut gewärmt und -mir die Sinne aufgetan. Und wenn ich mir das Wunder meiner Erweckung -hier aufzeichne, so tue ich es doch nur für mich allein, der all dies -tiefer weiß, als die eigenen Worte es ihm zu sagen vermögen. Gesprochen -habe ich zu keinem Freunde davon; sie ahnten nie, wie abgestorben ich -schon gewesen, sie werden nie ahnen, wie blühend ich nun bin. Und sollte -mitten in dies mein lebendiges Leben der Tod fahren und diese Zeilen je -in eines andern Hände fallen, so schreckt und quält mich diese -Möglichkeit durchaus nicht. Denn wem die Magie einer solchen Stunde nie -bewußt geworden, wird ebensowenig verstehen, als ich es selbst vor einem -halben Jahre hätte verstehen können, daß ein paar dermaßen flüchtige und -scheinbar kaum verbundene Episoden eines einzigen Abends ein schon -verloschenes Schicksal so magisch entzünden konnten. Vor ihm schäme ich -mich nicht, denn er versteht mich nicht. Wer aber um das Verbundene -weiß, der richtet nicht und hat keinen Stolz. Vor ihm schäme ich mich -nicht, denn er versteht mich. Wer einmal sich selbst gefunden, kann -nichts auf dieser Welt mehr verlieren. Und wer einmal den Menschen in -sich begriffen, der begreift alle Menschen. - - - - - Brief einer Unbekannten - - -Als der bekannte Romanschriftsteller R. frühmorgens von dreitägigem -erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zurückkehrte und am -Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum daß er das Datum überflog, -erinnernd gewahr, daß heute sein Geburtstag sei. Der einundvierzigste, -besann er sich rasch, und diese Feststellung tat ihm nicht wohl und -nicht weh. Flüchtig überblätterte er die knisternden Seiten der Zeitung -und fuhr mit einem Mietautomobil in seine Wohnung. Der Diener meldete -aus der Zeit seiner Abwesenheit zwei Besuche sowie einige Telephonanrufe -und überbrachte auf einem Tablett die angesammelte Post. Lässig sah er -den Einlauf an, riß ein paar Kuverts auf, die ihn durch ihre Absender -interessierten; einen Brief, der fremde Schriftzüge trug und zu -umfangreich schien, schob er zunächst beiseite. Inzwischen war der Tee -aufgetragen worden, bequem lehnte er sich in den Fauteuil, -durchblätterte noch einmal die Zeitung und einige Drucksachen; dann -zündete er sich eine Zigarre an und griff nun nach dem zurückgelegten -Briefe. - -Es waren etwa zwei Dutzend hastig beschriebene Seiten in fremder, -unruhiger Frauenschrift, ein Manuskript eher als ein Brief. -Unwillkürlich betastete er noch einmal das Kuvert, ob nicht darin ein -Begleitschreiben vergessen geblieben wäre. Aber der Umschlag war leer -und trug so wenig wie die Blätter selbst eine Absenderadresse oder eine -Unterschrift. Seltsam, dachte er, und nahm das Schreiben wieder zur -Hand. »_Dir, der Du mich nie gekannt_«, stand oben als Anruf, als -Überschrift. Verwundert hielt er inne: galt das ihm, galt das einem -erträumten Menschen? Seine Neugier war plötzlich wach. Und er begann zu -lesen: - - * * * * * - -»Mein Kind ist gestern gestorben -- drei Tage und drei Nächte habe ich -mit dem Tode um dies kleine, zarte Leben gerungen, vierzig Stunden bin -ich, während die Grippe seinen armen, heißen Leib im Fieber schüttelte, -an seinem Bette gesessen. Ich habe Kühles um seine glühende Stirn getan, -ich habe seine unruhigen, kleinen Hände gehalten Tag und Nacht. Am -dritten Abend bin ich zusammengebrochen. Meine Augen konnten nicht mehr, -sie fielen zu, ohne daß ich es wußte. Drei Stunden oder vier war ich auf -dem harten Sessel eingeschlafen, und indes hat der Tod ihn genommen. Nun -liegt er dort, der süße, arme Knabe, in seinem schmalen Kinderbett, ganz -so wie er starb; nur die Augen hat man ihm geschlossen, seine klugen, -dunkeln Augen, die Hände über dem weißen Hemd hat man ihm gefaltet, und -vier Kerzen brennen hoch an den vier Enden des Bettes. Ich wage nicht -hinzusehen, ich wage nicht mich zu rühren, denn wenn sie flackern, die -Kerzen, huschen Schatten über sein Gesicht und den verschlossenen Mund, -und es ist dann so, als regten sich seine Züge, und ich könnte meinen, -er sei nicht tot, er würde wieder erwachen und mit seiner hellen Stimme -etwas Kindlich-Zärtliches zu mir sagen. Aber ich weiß es, er ist tot, -ich will nicht hinsehen mehr, um nicht noch einmal zu hoffen, nicht noch -einmal enttäuscht zu sein. Ich weiß es, ich weiß es, mein Kind ist -gestern gestorben -- jetzt habe ich nur Dich mehr auf der Welt, nur -Dich, der Du von mir nichts weißt, der Du indes ahnungslos spielst oder -mit Dingen und Menschen tändelst. Nur Dich, der Du mich nie gekannt und -den ich immer geliebt. - -Ich habe die fünfte Kerze genommen und hier zu dem Tisch gestellt, auf -dem ich an Dich schreibe. Denn ich kann nicht allein sein mit meinem -toten Kinde, ohne mir die Seele auszuschreien, und zu wem sollte ich -sprechen in dieser entsetzlichen Stunde, wenn nicht zu Dir, der Du mir -alles warst und alles bist! Vielleicht kann ich nicht ganz deutlich zu -Dir sprechen, vielleicht verstehst Du mich nicht -- mein Kopf ist ja -ganz dumpf, es zuckt und hämmert mir an den Schläfen, meine Glieder tun -so weh. Ich glaube, ich habe Fieber, vielleicht auch schon die Grippe, -die jetzt von Tür zu Tür schleicht, und das wäre gut, denn dann ginge -ich mit meinem Kinde und müßte nichts tun wider mich. Manchmal wirds mir -ganz dunkel vor den Augen, vielleicht kann ich diesen Brief nicht einmal -zu Ende schreiben -- aber ich will alle Kraft zusammentun, um einmal, -nur dieses eine Mal zu Dir zu sprechen, Du mein Geliebter, der Du mich -nie erkannt. - -Zu Dir allein will ich sprechen, Dir zum erstenmal alles sagen; mein -ganzes Leben sollst Du wissen, das immer das Deine gewesen und um das Du -nie gewußt. Aber Du sollst mein Geheimnis nur kennen, wenn ich tot bin, -wenn Du mir nicht mehr Antwort geben mußt, wenn das, was mir die Glieder -jetzt so kalt und heiß schüttelt, wirklich das Ende ist. Muß ich -weiterleben, so zerreiße ich diesen Brief und werde weiter schweigen, -wie ich immer schwieg. Hältst Du ihn aber in Händen, so weißt Du, daß -hier eine Tote Dir ihr Leben erzählt, ihr Leben, das das Deine war von -ihrer ersten bis zu ihrer letzten wachen Stunde. Fürchte Dich nicht vor -meinen Worten; eine Tote will nichts mehr, sie will nicht Liebe und -nicht Mitleid und nicht Tröstung. Nur dies eine will ich von Dir, daß Du -mir alles glaubst, was mein zu Dir hinflüchtender Schmerz Dir verrät. -Glaube mir alles, nur dies eine bitte ich Dich: man lügt nicht in der -Sterbestunde eines einzigen Kindes. - -Mein ganzes Leben will ich Dir verraten, dies Leben, das wahrhaft erst -begann mit dem Tage, da ich Dich kannte. Vorher war bloß etwas Trübes -und Verworrenes, in das mein Erinnern nie mehr hinabtauchte, irgendein -Keller von verstaubten, spinnverwebten, dumpfen Dingen und Menschen, von -denen mein Herz nichts mehr weiß. Als Du kamst, war ich dreizehn Jahre -und wohnte im selben Hause, wo Du jetzt wohnst, in demselben Hause, wo -Du diesen Brief, meinen letzten Hauch Leben, in Händen hältst, ich -wohnte auf demselben Gange, gerade der Tür Deiner Wohnung gegenüber. Du -erinnerst Dich gewiß nicht mehr an uns, an die ärmliche -Rechnungsratswitwe (sie ging immer in Trauer) und das halbwüchsige, -magere Kind -- wir waren ja ganz still, gleichsam hinabgetaucht in -unsere kleinbürgerliche Dürftigkeit -- Du hast vielleicht nie unseren -Namen gehört, denn wir hatten kein Schild auf unserer Wohnungstür, und -niemand kam, niemand fragte nach uns. Es ist ja auch schon so lange her, -fünfzehn, sechzehn Jahre, nein, Du weißt es gewiß nicht mehr, mein -Geliebter, ich aber, oh, ich erinnere mich leidenschaftlich an jede -Einzelheit, ich weiß noch wie heute den Tag, nein, die Stunde, da ich -zum erstenmal von Dir hörte, Dich zum erstenmal sah, und wie sollte ichs -auch nicht, denn damals begann ja die Welt für mich. Dulde, Geliebter, -daß ich Dir alles, alles von Anfang erzähle, werde, ich bitte Dich, die -eine Viertelstunde von mir zu hören nicht müde, die ich ein Leben lang -Dich zu lieben nicht müde geworden bin. - -Ehe Du in unser Haus einzogst, wohnten hinter Deiner Tür häßliche, böse, -streitsüchtige Leute. Arm wie sie waren, haßten sie am meisten die -nachbarliche Armut, die unsere, weil sie nichts gemein haben wollte mit -ihrer herabgekommenen, proletarischen Roheit. Der Mann war ein -Trunkenbold und schlug seine Frau; oft wachten wir auf in der Nacht vom -Getöse fallender Stühle und zerklirrter Teller, einmal lief sie, blutig -geschlagen, mit zerfetzten Haaren auf die Treppe, und hinter ihr grölte -der Betrunkene, bis die Leute aus den Türen kamen und ihn mit der -Polizei bedrohten. Meine Mutter hatte von Anfang an jeden Verkehr mit -ihnen vermieden und verbot mir, zu den Kindern zu sprechen, die sich -dafür bei jeder Gelegenheit an mir rächten. Wenn sie mich auf der Straße -trafen, riefen sie schmutzige Worte hinter mir her und schlugen mich -einmal so mit harten Schneeballen, daß mir das Blut von der Stirne lief. -Das ganze Haus haßte mit einem gemeinsamen Instinkt diese Menschen, und -als plötzlich einmal etwas geschehen war -- ich glaube, der Mann wurde -wegen eines Diebstahls eingesperrt -- und sie mit ihrem Kram ausziehen -mußten, atmeten wir alle auf. Ein paar Tage hing der Vermietungszettel -am Haustore, dann wurde er heruntergenommen, und durch den Hausmeister -verbreitete es sich rasch, ein Schriftsteller, ein einzelner, ruhiger -Herr, habe die Wohnung genommen. Damals hörte ich zum erstenmal Deinen -Namen. - -Nach ein paar Tagen schon kamen Maler, Anstreicher, Zimmerputzer, -Tapezierer, die Wohnung nach ihren schmierigen Vorbesitzern reinzufegen, -es wurde gehämmert, geklopft, geputzt und gekratzt, aber die Mutter war -nur zufrieden damit, sie sagte, jetzt werde endlich die unsaubere -Wirtschaft drüben ein Ende haben. Dich selbst bekam ich, auch während -der Übersiedlung, noch nicht zu Gesicht: alle diese Arbeiten überwachte -Dein Diener, dieser kleine, ernste, grauhaarige Herrschaftsdiener, der -alles mit einer leisen, sachlichen Art von oben herab dirigierte. Er -imponierte uns allen sehr, erstens weil in unserem Vorstadthaus ein -Herrschaftsdiener etwas ganz Neuartiges war, und dann, weil er zu allen -so ungemein höflich war, ohne sich deshalb mit den Dienstboten auf eine -Stufe zu stellen und in kameradschaftliche Gespräche einzulassen. Meine -Mutter grüßte er vom ersten Tage an respektvoll als eine Dame, sogar zu -mir Fratzen war er immer zutraulich und ernst. Wenn er Deinen Namen -nannte, so geschah das immer mit einer gewissen Ehrfurcht, mit einem -besonderen Respekt -- man sah gleich, daß er Dir weit über das Maß des -gewohnten Dienens anhing. Und wie habe ich ihn dafür geliebt, den guten -alten Johann, obwohl ich ihn beneidete, daß er immer um Dich sein durfte -und Dir dienen. - -Ich erzähle Dir all das, Du Geliebter, all diese kleinen, fast -lächerlichen Dinge, damit Du verstehst, wie Du von Anfang an schon eine -solche Macht gewinnen konntest über das scheue, verschüchterte Kind, das -ich war. Noch ehe Du selbst in mein Leben getreten, war schon ein Nimbus -um Dich, eine Sphäre von Reichtum, Sonderbarkeit und Geheimnis -- wir -alle in dem kleinen Vorstadthaus (Menschen, die ein enges Leben haben, -sind ja immer neugierig auf alles Neue vor ihren Türen) warteten schon -ungeduldig auf Deinen Einzug. Und diese Neugier nach Dir, wie steigerte -sie sich erst bei mir, als ich eines Nachmittags von der Schule nach -Hause kam und der Möbelwagen vor dem Hause stand. Das meiste, die -schweren Stücke, hatten die Träger schon hinaufbefördert, nun trug man -einzeln kleinere Sachen hinauf; ich blieb an der Tür stehen, um alles -bestaunen zu können, denn alle Deine Dinge waren so seltsam anders, wie -ich sie nie gesehen; es gab da indische Götzen, italienische Skulpturen, -ganz grelle, große Bilder, und dann zum Schluß kamen Bücher, so viele -und so schöne, wie ich es nie für möglich gehalten. An der Tür wurden -sie alle aufgeschichtet, dort übernahm sie der Diener und schlug mit -Stock und Wedel sorgfältig den Staub aus jedem einzelnen. Ich schlich -neugierig um den immer wachsenden Stoß herum, der Diener wies mich nicht -weg, aber er ermutigte mich auch nicht; so wagte ich keines anzurühren, -obwohl ich das weiche Leder von manchen gern befühlt hätte. Nur die -Titel sah ich scheu von der Seite an: es waren französische, englische -darunter und manche in Sprachen, die ich nicht verstand. Ich glaube, ich -hätte sie stundenlang alle angesehen: da rief mich die Mutter hinein. - -Den ganzen Abend dann mußte ich an Dich denken; noch ehe ich Dich -kannte. Ich besaß selbst nur ein Dutzend billige, in zerschlissene Pappe -gebundene Bücher, die ich über alles liebte und immer wieder las. Und -nun bedrängte mich dies, wie der Mensch sein müßte, der all diese vielen -herrlichen Bücher besaß und gelesen hatte, der alle diese Sprachen -wußte, der so reich war und so gelehrt zugleich. Eine Art überirdischer -Ehrfurcht verband sich mir mit der Idee dieser vielen Bücher. Ich suchte -Dich mir im Bilde vorzustellen: Du warst ein alter Mann mit einer Brille -und einem weißen langen Barte, ähnlich wie unser Geographieprofessor, -nur viel gütiger, schöner und milder -- ich weiß nicht, warum ich damals -schon gewiß war, Du müßtest schön sein, wo ich noch an Dich wie einen -alten Mann dachte. Damals in jener Nacht und noch ohne Dich zu kennen, -habe ich das erstemal von Dir geträumt. - -Am nächsten Tage zogst Du ein, aber trotz allen Spähens konnte ich Dich -nicht zu Gesicht bekommen -- das steigerte nur meine Neugier. Endlich, -am dritten Tage, sah ich Dich, und wie erschütternd war die Überraschung -für mich, daß Du so anders warst, so ganz ohne Beziehung zu dem -kindlichen Gottvaterbilde. Einen bebrillten gütigen Greis hatte ich mir -geträumt, und da kamst Du -- Du, ganz so, wie Du noch heute bist, Du -Unwandelbarer, an dem die Jahre lässig abgleiten! Du trugst eine -hellbraune, entzückende Sportdreß und liefst in Deiner unvergleichlich -leichten knabenhaften Art die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf -einmal nehmend. Den Hut trugst Du in der Hand, so sah ich mit einem gar -nicht zu schildernden Erstaunen Dein helles, lebendiges Gesicht mit dem -jungen Haar: wirklich, ich erschrak vor Erstaunen, wie jung, wie hübsch, -wie federnd-schlank und elegant Du warst. Und ist es nicht seltsam: in -dieser ersten Sekunde empfand ich ganz deutlich das, was ich und alle -anderen an Dir als so einzig mit einer Art Überraschung immer wieder -empfinden: daß Du irgendein zwiefacher Mensch bist, ein heißer, -leichtlebiger, ganz dem Spiel und dem Abenteuer hingegebener Junge, und -gleichzeitig in Deiner Kunst ein unerbittlich ernster, pflichtbewußter, -unendlich belesener und gebildeter Mann. Unbewußt empfand ich, was dann -jeder bei Dir spürte, daß Du ein Doppelleben führst, ein Leben mit einer -hellen, der Welt offen zugekehrten Fläche, und einer ganz dunkeln, die -Du nur allein kennst -- diese tiefste Zweiheit, das Geheimnis Deiner -Existenz, sie fühlte ich, die Dreizehnjährige, magisch angezogen, mit -meinem ersten Blick. - -Verstehst Du nun schon, Geliebter, was für ein Wunder, was für eine -verlockende Rätselhaftigkeit Du für mich, das Kind, sein mußtest! Einen -Menschen, vor dem man Ehrfurcht hatte, weil er Bücher schrieb, weil er -berühmt war in jener anderen großen Welt, plötzlich als einen jungen, -eleganten, knabenhaft heiteren, fünfundzwanzigjährigen Mann zu -entdecken! Muß ich Dir noch sagen, daß von diesem Tage an in unserem -Hause, in meiner ganzen armen Kinderwelt mich nichts interessierte als -Du, daß ich mit dem ganzen Starrsinn, der ganzen bohrenden -Beharrlichkeit einer Dreizehnjährigen nur mehr um Dein Leben, um Deine -Existenz herumging. Ich beobachtete Dich, ich beobachtete Deine -Gewohnheiten, beobachtete die Menschen, die zu Dir kamen, und all das -vermehrte nur, statt sie zu mindern, meine Neugier nach Dir selbst, denn -die ganze Zwiefältigkeit Deines Wesens drückte sich in der -Verschiedenheit dieser Besuche aus. Da kamen junge Menschen, Kameraden -von Dir, mit denen Du lachtest und übermütig warst, abgerissene -Studenten, und dann wieder Damen, die in Autos vorfuhren, einmal der -Direktor der Oper, der große Dirigent, den ich ehrfürchtig nur am Pulte -von fern gesehen, dann wieder kleine Mädel, die noch in die -Handelsschule gingen und verlegen in die Tür hineinhuschten, überhaupt -viel, sehr viel Frauen. Ich dachte mir nichts Besonderes dabei, auch -nicht, als ich eines Morgens, wie ich zur Schule ging, eine Dame ganz -verschleiert von Dir weggehen sah -- ich war ja erst dreizehn Jahre alt, -und die leidenschaftliche Neugier, mit der ich Dich umspähte und -belauerte, wußte im Kinde noch nicht, daß sie schon Liebe war. - -Aber ich weiß noch genau, mein Geliebter, den Tag und die Stunde, wann -ich ganz und für immer an Dich verloren war. Ich hatte mit einer -Schulfreundin einen Spaziergang gemacht, wir standen plaudernd vor dem -Tor. Da kam ein Auto angefahren, hielt an, und schon sprangst Du mit -Deiner ungeduldigen, elastischen Art, die mich noch heute an Dir immer -hinreißt, vom Trittbrett und wolltest in die Tür. Unwillkürlich zwang es -mich, Dir die Tür aufzumachen, und so trat ich Dir in den Weg, daß wir -fast zusammengerieten. Du sahst mich an mit jenem warmen, weichen, -einhüllenden Blick, der wie eine Zärtlichkeit war, lächeltest mir -- ja, -ich kann es nicht anders sagen, als: zärtlich zu und sagtest mit einer -ganz leisen und fast vertraulichen Stimme: »Danke vielmals, Fräulein.« - -Das war alles, Geliebter; aber von dieser Sekunde, seit ich diesen -weichen, zärtlichen Blick gespürt, war ich Dir verfallen. Ich habe ja -später, habe es bald erfahren, daß Du diesen umfangenden, an Dich -ziehenden, diesen umhüllenden und doch zugleich entkleidenden Blick, -diesen Blick des gebornen Verführers, jeder Frau hingibst, die an Dich -streift, jedem Ladenmädchen, das Dir verkauft, jedem Stubenmädchen, das -Dir die Tür öffnet, daß dieser Blick bei Dir gar nicht bewußt ist als -Wille und Neigung, sondern daß Deine Zärtlichkeit zu Frauen ganz -unbewußt Deinen Blick weich und warm werden läßt, wenn er sich ihnen -zuwendet. Aber ich, das dreizehnjährige Kind, ahnte das nicht: ich war -wie in Feuer getaucht. Ich glaubte, die Zärtlichkeit gelte nur mir, nur -mir allein, und in dieser einen Sekunde war die Frau in mir, der -Halbwüchsigen, erwacht und war diese Frau Dir für immer verfallen. - -»Wer war das?« fragte meine Freundin. Ich konnte ihr nicht gleich -antworten. Es war mir unmöglich, Deinen Namen zu nennen: schon in dieser -einen, dieser einzigen Sekunde war er mir heilig, war er mein Geheimnis -geworden. »Ach, irgendein Herr, der hier im Hause wohnt,« stammelte ich -dann ungeschickt heraus. »Aber warum bist Du denn so rot geworden, wie -er Dich angeschaut hat,« spottete die Freundin mit der ganzen Bosheit -eines neugierigen Kindes. Und eben weil ich fühlte, daß sie an mein -Geheimnis spottend rühre, fuhr mir das Blut noch heißer in die Wangen. -Ich wurde grob aus Verlegenheit. »Blöde Gans,« sagte ich wild: am -liebsten hätte ich sie erdrosselt. Aber sie lachte nur noch lauter und -höhnischer, bis ich fühlte, daß mir die Tränen in die Augen schossen vor -ohnmächtigem Zorn. Ich ließ sie stehen und lief hinauf. - -Von dieser Sekunde an habe ich Dich geliebt. Ich weiß, Frauen haben Dir, -dem Verwöhnten, oft dieses Wort gesagt. Aber glaube mir, niemand hat -Dich so sklavisch, so hündisch, so hingebungsvoll geliebt als dieses -Wesen, das ich war und das ich für Dich immer geblieben bin, denn nichts -auf Erden gleicht der unbemerkten Liebe eines Kindes aus dem Dunkel, -weil sie so hoffnungslos, so dienend, so unterwürfig, so lauernd und -leidenschaftlich ist, wie niemals die begehrende und unbewußt doch -fordernde Liebe einer erwachsenen Frau. Nur einsame Kinder können ganz -ihre Leidenschaft zusammenhalten: die anderen zerschwätzen ihr Gefühl in -Geselligkeit, schleifen es ab in Vertraulichkeiten, sie haben von Liebe -viel gehört und gelesen und wissen, daß sie ein gemeinsames Schicksal -ist. Sie spielen damit, wie mit einem Spielzeug, sie prahlen damit, wie -Knaben mit ihrer ersten Zigarette. Aber ich, ich hatte ja niemand, um -mich anzuvertrauen, war von keinem belehrt und gewarnt, war unerfahren -und ahnungslos: ich stürzte hinein in mein Schicksal wie in einen -Abgrund. Alles, was in mir wuchs und aufbrach, wußte nur Dich, den Traum -von Dir, als Vertrauten: mein Vater war längst gestorben, die -Mutter mir fremd in ihrer ewig unheiteren Bedrücktheit und -Pensionistenängstlichkeit, die halbverdorbenen Schulmädchen stießen mich -ab, weil sie so leichtfertig mit dem spielten, was mir letzte -Leidenschaft war -- so warf ich alles, was sich sonst zersplittert und -verteilt, warf ich mein ganzes zusammengepreßtes und immer wieder -ungeduldig aufquellendes Wesen Dir entgegen. Du warst mir -- wie soll -ich es Dir sagen? jeder einzelne Vergleich ist zu gering, -- Du warst -eben alles, mein ganzes Leben. Alles existierte nur insofern, als es -Bezug hatte auf Dich, alles in meiner Existenz hatte nur Sinn, wenn es -mit Dir verbunden war. Du verwandeltest mein ganzes Leben. Bisher -gleichgültig und mittelmäßig in der Schule, wurde ich plötzlich die -Erste, ich las tausend Bücher bis tief in die Nacht, weil ich wußte, daß -Du die Bücher liebtest, ich begann, zum Erstaunen meiner Mutter, -plötzlich mit fast störrischer Beharrlichkeit Klavier zu üben, weil ich -glaubte, Du liebtest Musik. Ich putzte und nähte an meinen Kleidern, nur -um gefällig und proper vor Dir auszusehen, und daß ich an meiner alten -Schulschürze (sie war ein zugeschnittenes Hauskleid meiner Mutter) links -einen eingesetzten viereckigen Fleck hatte, war mir entsetzlich. Ich -fürchtete, Du könntest ihn bemerken und mich verachten; darum drückte -ich immer die Schultasche darauf, wenn ich die Treppen hinauflief, -zitternd vor Angst, Du würdest ihn sehen. Aber wie töricht war das: Du -hast mich ja nie, fast nie mehr angesehen. - -Und doch: ich tat eigentlich den ganzen Tag nichts als auf Dich warten -und Dich belauern. An unserer Tür war ein kleines messingenes Guckloch, -durch dessen kreisrunden Ausschnitt man hinüber auf Deine Tür sehen -konnte. Dieses Guckloch -- nein, lächle nicht, Geliebter, noch heute, -noch heute schäme ich mich jener Stunden nicht! -- war mein Auge in die -Welt hinaus, dort, im eiskalten Vorzimmer, scheu vor dem Argwohn der -Mutter, saß ich in jenen Monaten und Jahren, ein Buch in der Hand, ganze -Nachmittage auf der Lauer, gespannt wie eine Saite und klingend, wenn -Deine Gegenwart sie berührte. Ich war immer um Dich, immer in Spannung -und Bewegung; aber Du konntest es so wenig fühlen wie die Spannung der -Uhrfeder, die Du in der Tasche trägst und die geduldig im Dunkel Deine -Stunden zählt und mißt, Deine Wege mit unhörbarem Herzpochen begleitet -und auf die nur einmal in Millionen tickender Sekunden Dein hastiger -Blick fällt. Ich wußte alles von Dir, kannte jede Deiner Gewohnheiten, -jede Deiner Krawatten, jeden Deiner Anzüge, ich kannte und unterschied -bald Deine einzelnen Bekannten und teilte sie in solche, die mir lieb -und solche, die mir widrig waren: von meinem dreizehnten bis zu meinem -sechzehnten Jahre habe ich jede Stunde in Dir gelebt. Ach, was für -Torheiten habe ich begangen! Ich küßte die Türklinke, die Deine Hand -berührt hatte, ich stahl einen Zigarrenstummel, den Du vor dem Eintreten -weggeworfen hattest, und er war mir heilig, weil Deine Lippen daran -gerührt. Hundertmal lief ich abends unter irgendeinem Vorwand hinab auf -die Gasse, um zu sehen, in welchem Deiner Zimmer Licht brenne und so -Deine Gegenwart, Deine unsichtbare, wissender zu fühlen. Und in den -Wochen, wo Du verreist warst -- mir stockte immer das Herz vor Angst, -wenn ich den guten Johann Deine gelbe Reisetasche hinabtragen sah --, in -diesen Wochen war mein Leben tot und ohne Sinn. Mürrisch, gelangweilt, -böse ging ich herum und mußte nur immer achtgeben, daß die Mutter an -meinen verweinten Augen nicht meine Verzweiflung merke. - -Ich weiß, das sind alles groteske Überschwänge, kindische Torheiten, die -ich Dir da erzähle. Ich sollte mich ihrer schämen, aber ich schäme mich -nicht, denn nie war meine Liebe zu Dir reiner und leidenschaftlicher als -in diesen kindlichen Exzessen. Stundenlang, tagelang könnte ich Dir -erzählen, wie ich damals mit Dir gelebt, der Du mich kaum von Angesicht -kanntest, denn begegnete ich Dir auf der Treppe und gab es kein -Ausweichen, so lief ich, aus Furcht vor Deinem brennenden Blick, mit -gesenktem Kopf an Dir vorbei wie einer, der ins Wasser stürzt, nur daß -mich das Feuer nicht versenge. Stundenlang, tagelang könnte ich Dir von -jenen Dir längst entschwundenen Jahren erzählen, den ganzen Kalender -Deines Lebens aufrollen; aber ich will Dich nicht langweilen, will Dich -nicht quälen. Nur das schönste Erlebnis meiner Kindheit will ich Dir -noch anvertrauen, und ich bitte Dich, nicht zu spotten, weil es ein so -Geringes ist, denn mir, dem Kinde, war es eine Unendlichkeit. An einem -Sonntag muß es gewesen sein, Du warst verreist, und Dein Diener -schleppte die schweren Teppiche, die er geklopft hatte, durch die offene -Wohnungstür. Er trug schwer daran, der Gute, und in einem Anfall von -Verwegenheit ging ich zu ihm und fragte, ob ich ihm nicht helfen könnte. -Er war erstaunt, aber ließ mich gewähren, und so sah ich -- vermöchte -ich Dirs doch nur zu sagen, mit welcher ehrfürchtigen, ja frommen -Verehrung! -- Deine Wohnung von innen, Deine Welt, den Schreibtisch, an -dem Du zu sitzen pflegtest und auf dem in einer blauen Kristallvase ein -paar Blumen standen, Deine Schränke, Deine Bilder, Deine Bücher. Nur ein -flüchtiger, diebischer Blick war es in Dein Leben, denn Johann, der -Getreue, hätte mir gewiß genaue Betrachtung gewehrt, aber ich sog mit -diesem einen Blick die ganze Atmosphäre ein und hatte Nahrung für meine -unendlichen Träume von Dir im Wachen und Schlaf. - -Dies, diese rasche Minute, sie war die glücklichste meiner Kindheit. Sie -wollte ich Dir erzählen, damit Du, der Du mich nicht kennst, endlich zu -ahnen beginnst, wie ein Leben an Dir hing und verging. Sie wollte ich -Dir erzählen und jene andere noch, die fürchterlichste Stunde, die jener -leider so nachbarlich war. Ich hatte -- ich sagte es Dir ja schon -- um -Deinetwillen an alles vergessen, ich hatte auf meine Mutter nicht acht -und kümmerte mich um niemanden. Ich merkte nicht, daß ein älterer Herr, -ein Kaufmann aus Innsbruck, der mit meiner Mutter entfernt verschwägert -war, öfter kam und länger blieb, ja, es war mir nur angenehm, denn er -führte Mama manchmal in das Theater, und ich konnte allein bleiben, an -Dich denken, auf Dich lauern, was ja meine höchste, meine einzige -Seligkeit war. Eines Tages nun rief mich die Mutter mit einer gewissen -Umständlichkeit in ihr Zimmer; sie hätte ernst mit mir zu sprechen. Ich -wurde blaß und hörte mein Herz plötzlich hämmern: sollte sie etwas -geahnt, etwas erraten haben? Mein erster Gedanke warst Du, das -Geheimnis, das mich mit der Welt verband. Aber die Mutter war selbst -verlegen, sie küßte mich (was sie sonst nie tat) zärtlich ein- und -zweimal, zog mich auf das Sofa zu sich und begann dann zögernd und -verschämt zu erzählen, ihr Verwandter, der Witwer sei, habe ihr einen -Heiratsantrag gemacht, und sie sei, hauptsächlich um meinetwillen, -entschlossen, ihn anzunehmen. Heißer stieg mir das Blut zum Herzen: nur -ein Gedanke antwortete von innen, der Gedanke an Dich. »Aber wir bleiben -doch hier?« konnte ich gerade noch stammeln. »Nein, wir ziehen nach -Innsbruck, dort hat Ferdinand eine schöne Villa.« Mehr hörte ich nicht. -Mir ward schwarz vor den Augen. Später wußte ich, daß ich in Ohnmacht -gefallen war; ich sei, hörte ich die Mutter dem Stiefvater leise -erzählen, der hinter der Tür gewartet hatte, plötzlich mit -aufgespreizten Händen zurückgefahren und dann hingestürzt wie ein -Klumpen Blei. Was dann in den nächsten Tagen geschah, wie ich mich, ein -machtloses Kind, wehrte gegen ihren übermächtigen Willen, das kann ich -Dir nicht schildern: noch jetzt zittert mir, da ich daran denke, die -Hand im Schreiben. Mein wirkliches Geheimnis konnte ich nicht verraten, -so schien meine Gegenwehr bloß Starrsinn, Bosheit und Trotz. Niemand -sprach mehr mit mir, alles geschah hinterrücks. Man nutzte die Stunden, -da ich in der Schule war, um die Übersiedlung zu fördern: kam ich dann -nach Hause, so war immer wieder ein anderes Stück verräumt oder -verkauft. Ich sah, wie die Wohnung und damit mein Leben verfiel, und -einmal, als ich zum Mittagessen kam, waren die Möbelpacker dagewesen und -hatten alles weggeschleppt. In den leeren Zimmern standen die gepackten -Koffer und zwei Feldbetten für die Mutter und mich: da sollten wir noch -eine Nacht schlafen, die letzte, und morgen nach Innsbruck reisen. - -An diesem letzten Tage fühlte ich mit plötzlicher Entschlossenheit, daß -ich nicht leben konnte ohne Deine Nähe. Ich wußte keine andere Rettung -als Dich. Wie ich mirs dachte und ob ich überhaupt klar in diesen -Stunden der Verzweiflung zu denken vermochte, das werde ich nie sagen -können, aber plötzlich -- die Mutter war fort -- stand ich auf im -Schulkleid, wie ich war, und ging hinüber zu Dir. Nein, ich ging nicht: -es stieß mich mit steifen Beinen, mit zitternden Gelenken magnetisch -fort zu Deiner Tür. Ich sagte Dir schon, ich wußte nicht deutlich, was -ich wollte: Dir zu Füßen fallen und Dich bitten, mich zu behalten als -Magd, als Sklavin, und ich fürchte, Du wirst lächeln über diesen -unschuldigen Fanatismus einer Fünfzehnjährigen, aber, -- Geliebter, Du -würdest nicht mehr lächeln, wüßtest Du, wie ich damals draußen im -eiskalten Gange stand, starr vor Angst und doch vorwärts gestoßen von -einer unfaßbaren Macht, und wie ich den Arm, den zitternden, mir -gewissermaßen vom Leib losriß, daß er sich hob und -- es war ein Kampf -durch die Ewigkeit entsetzlicher Sekunden -- den Finger auf den Knopf -der Türklinke drückte. Noch heute gellts mir im Ohr, dies schrille -Klingelzeichen, und dann die Stille danach, wo mir das Herz stillstand, -wo mein ganzes Blut anhielt und nur lauschte, ob Du kämest. - -Aber Du kamst nicht. Niemand kam. Du warst offenbar fort an jenem -Nachmittage und Johann auf Besorgung; so tappte ich, den toten Ton der -Klingel im dröhnenden Ohr, in unsere zerstörte, ausgeräumte Wohnung -zurück und warf mich erschöpft auf einen Plaid, müde von den vier -Schritten, als ob ich stundenlang durch tiefen Schnee gegangen sei. Aber -unter dieser Erschöpfung glühte noch unverlöscht die Entschlossenheit, -Dich zu sehen, Dich zu sprechen, ehe sie mich wegrissen. Es war, ich -schwöre es Dir, kein sinnlicher Gedanke dabei, ich war noch unwissend, -eben weil ich an nichts dachte als an Dich: nur sehen wollte ich Dich, -einmal noch sehen, mich anklammern an Dich. Die ganze Nacht, die ganze -lange, entsetzliche Nacht, habe ich dann, Geliebter, auf Dich gewartet. -Kaum daß die Mutter sich in ihr Bett gelegt hatte und eingeschlafen war, -schlich ich in das Vorzimmer hinaus, um zu horchen, wann Du nach Hause -kämest. Die ganze Nacht habe ich gewartet, und es war eine eisige -Januarnacht. Ich war müde, meine Glieder schmerzten mich, und es war -kein Sessel mehr, mich hinzusetzen: so legte ich mich flach auf den -kalten Boden, über den der Zug von der Tür hinstrich. Nur in meinem -dünnen Kleide lag ich auf dem schmerzenden kalten Boden, denn ich nahm -keine Decke; ich wollte es nicht warm haben, aus Furcht, einzuschlafen -und Deinen Schritt zu überhören. Es tat weh, meine Füße preßte ich im -Krampfe zusammen, meine Arme zitterten: ich mußte immer wieder -aufstehen, so kalt war es im entsetzlichen Dunkel. Aber ich wartete, -wartete, wartete auf Dich wie auf mein Schicksal. - -Endlich -- es muß schon zwei oder drei Uhr morgens gewesen sein -- hörte -ich unten das Haustor aufsperren und dann Schritte die Treppe hinauf. -Wie abgesprungen war die Kälte von mir, heiß überflogs mich, leise -machte ich die Tür auf, um Dir entgegenzustürzen, Dir zu Füßen zu fallen -... Ach, ich weiß ja nicht, was ich törichtes Kind damals getan hätte. -Die Schritte kamen näher, Kerzenlicht flackte herauf. Zitternd hielt ich -die Klinke. Warst Du es, der da kam? - -Ja, Du warst es, Geliebter -- aber Du warst nicht allein. Ich hörte ein -leises, kitzliches Lachen, irgendein streifendes seidenes Kleid und -leise Deine Stimme -- Du kamst mit einer Frau nach Hause ... - -Wie ich diese Nacht überleben konnte, weiß ich nicht. Am nächsten -Morgen, um acht Uhr, schleppten sie mich nach Innsbruck; ich hatte keine -Kraft mehr, mich zu wehren. - - * * * * * - -Mein Kind ist gestern nacht gestorben -- nun werde ich wieder allein -sein, wenn ich wirklich weiterleben muß. Morgen werden sie kommen, -fremde, schwarze, ungeschlachte Männer, und einen Sarg bringen, werden -es hineinlegen, mein armes, mein einziges Kind. Vielleicht kommen auch -Freunde und bringen Kränze, aber was sind Blumen auf einem Sarg? Sie -werden mich trösten und mir irgendwelche Worte sagen, Worte, Worte; aber -was können sie mir helfen? Ich weiß, ich muß dann doch wieder allein -sein. Und es gibt nichts Entsetzlicheres, als Alleinsein unter den -Menschen. Damals habe ich es erfahren, damals in jenen unendlichen zwei -Jahren in Innsbruck, jenen Jahren von meinem sechzehnten bis zu meinem -achtzehnten, wo ich wie eine Gefangene, eine Verstoßene zwischen meiner -Familie lebte. Der Stiefvater, ein sehr ruhiger, wortkarger Mann, war -gut zu mir, meine Mutter schien, wie um ein unbewußtes Unrecht zu -sühnen, allen meinen Wünschen bereit, junge Menschen bemühten sich um -mich, aber ich stieß sie alle in einem leidenschaftlichen Trotz zurück. -Ich wollte nicht glücklich, nicht zufrieden leben abseits von Dir, ich -grub mich selbst in eine finstere Welt von Selbstqual und Einsamkeit. -Die neuen, bunten Kleider, die sie mir kauften, zog ich nicht an, ich -weigerte mich, in Konzerte, in Theater zu gehen oder Ausflüge in -heiterer Gesellschaft mitzumachen. Kaum daß ich je die Gasse betrat: -würdest Du es glauben, Geliebter, daß ich von dieser kleinen Stadt, in -der ich zwei Jahre gelebt, keine zehn Straßen kenne? Ich trauerte und -ich wollte trauern, ich berauschte mich an jeder Entbehrung, die ich mir -zu der Deines Anblicks noch auferlegte. Und dann: ich wollte mich nicht -ablenken lassen von meiner Leidenschaft, nur in Dir zu leben. Ich saß -allein zu Hause, stundenlang, tagelang, und tat nichts, als an Dich zu -denken, immer wieder, immer wieder die hundert kleinen Erinnerungen an -Dich, jede Begegnung, jedes Warten, mir zu erneuern, mir diese kleinen -Episoden vorzuspielen wie im Theater. Und darum, weil ich jede der -Sekunden von einst mir unzähligemale wiederholte, ist auch meine ganze -Kindheit mir in so brennender Erinnerung geblieben, daß ich jede Minute -jener vergangenen Jahre so heiß und springend fühle, als wäre sie -gestern durch mein Blut gefahren. - -Nur in Dir habe ich damals gelebt. Ich kaufte mir alle Deine Bücher; -wenn Dein Name in der Zeitung stand, war es ein festlicher Tag. Willst -Du es glauben, daß ich jede Zeile aus Deinen Büchern auswendig kann, so -oft habe ich sie gelesen? Würde mich einer nachts aus dem Schlaf -aufwecken und eine losgerissene Zeile aus ihnen mir vorsprechen, ich -könnte sie heute noch, heute noch nach dreizehn Jahren, weitersprechen -wie im Traum: so war jedes Wort von Dir mir Evangelium und Gebet. Die -ganze Welt, sie existierte nur in Beziehung auf Dich: ich las in den -Wiener Zeitungen die Konzerte, die Premieren nach nur mit dem Gedanken, -welche Dich davon interessieren möchte, und wenn es Abend wurde, -begleitete ich Dich von ferne: jetzt tritt er in den Saal, jetzt setzt -er sich nieder. Tausendmal träumte ich das, weil ich Dich ein einziges -Mal in einem Konzert gesehen. - -Aber wozu all dies erzählen, diesen rasenden, gegen sich selbst -wütenden, diesen so tragischen hoffnungslosen Fanatismus eines -verlassenen Kindes, wozu es einem erzählen, der es nie geahnt, der es -nie gewußt? Doch war ich damals wirklich noch ein Kind? Ich wurde -siebzehn, wurde achtzehn Jahre -- die jungen Leute begannen sich auf der -Straße nach mir umzublicken, doch sie erbitterten mich nur. Denn Liebe -oder auch nur ein Spiel mit Liebe im Gedanken an jemanden andern als an -Dich, das war mir so unerfindlich, so unausdenklich fremd, ja die -Versuchung schon wäre mir als ein Verbrechen erschienen. Meine -Leidenschaft zu Dir blieb dieselbe, nur daß sie anders ward mit meinem -Körper, mit meinen wacheren Sinnen, glühender, körperlicher, -frauenhafter. Und was das Kind in seinem dumpfen unbelehrten Willen, das -Kind, das damals die Klingel Deiner Türe zog, nicht ahnen konnte, das -war jetzt mein einziger Gedanke: mich Dir zu schenken, mich Dir -hinzugeben. - -Die Menschen um mich vermeinten mich scheu, nannten mich schüchtern (ich -hatte mein Geheimnis verbissen hinter den Zähnen). Aber in mir wuchs ein -eiserner Wille. Mein ganzes Denken und Trachten war in eine Richtung -gespannt: zurück nach Wien, zurück zu Dir. Und ich erzwang meinen -Willen, so unsinnig, so unbegreiflich er den andern scheinen mochte. -Mein Stiefvater war vermögend, er betrachtete mich als sein eigenes -Kind. Aber ich drang in erbittertem Starrsinn darauf, ich wolle mir mein -Geld selbst verdienen und erreichte es endlich, daß ich in Wien zu einem -Verwandten als Angestellte eines großen Konfektionsgeschäftes kam. - -Muß ich Dir sagen, wohin mein erster Weg ging, als ich an einem nebligen -Herbstabend -- endlich! endlich! -- in Wien ankam? Ich ließ die Koffer -an der Bahn, stürzte mich in eine Straßenbahn -- wie langsam schien sie -mir zu fahren, jede Haltestelle erbitterte mich -- und lief vor das -Haus. Deine Fenster waren erleuchtet, mein ganzes Herz klang. Nun erst -lebte die Stadt, die mich so fremd, so sinnlos umbraust hatte, nun erst -lebte ich wieder, da ich Dich nahe ahnte, Dich, meinen ewigen Traum. Ich -ahnte ja nicht, daß ich in Wirklichkeit Deinem Bewußtsein ebenso ferne -war hinter Tälern, Bergen und Flüssen als nun, da nur die dünne -leuchtende Glasscheibe Deines Fensters zwischen Dir war und meinem -aufstrahlenden Blick. Ich sah nur empor und empor: da war Licht, da war -das Haus, da warst Du, da war meine Welt. Zwei Jahre hatte ich von -dieser Stunde geträumt, nun war sie mir geschenkt. Ich stand den langen, -weichen, verhangenen Abend vor Deinen Fenstern, bis das Licht erlosch. -Dann suchte ich erst mein Heim. - -Jeden Abend stand ich dann so vor Deinem Haus. Bis sechs Uhr hatte ich -Dienst im Geschäft, harten, anstrengenden Dienst, aber er war mir lieb, -denn diese Unruhe ließ mich die eigene nicht so schmerzhaft fühlen. Und -geradeswegs, sobald die eisernen Rollbalken hinter mir niederdröhnten, -lief ich zu dem geliebten Ziel. Nur Dich einmal sehen, nur einmal Dir -begegnen, das war mein einziger Wille, nur wieder einmal mit dem Blick -Dein Gesicht umfassen dürfen von ferne. Etwa nach einer Woche geschahs -dann endlich, daß ich Dir begegnete, und zwar gerade in einem -Augenblick, wo ichs nicht vermutete: während ich eben hinauf zu Deinen -Fenstern spähte, kamst Du quer über die Straße. Und plötzlich war ich -wieder das Kind, das dreizehnjährige, ich fühlte, wie das Blut mir in -die Wangen schoß; unwillkürlich, wider meinen innersten Drang, der sich -sehnte, Deine Augen zu fühlen, senkte ich den Kopf und lief blitzschnell -wie gehetzt an Dir vorbei. Nachher schämte ich mich dieser -schulmädelhaften scheuen Flucht, denn jetzt war mein Wille mir doch -klar: ich wollte Dir ja begegnen, ich suchte Dich, ich wollte von Dir -erkannt sein nach all den sehnsüchtig verdämmerten Jahren, wollte von -Dir beachtet, wollte von Dir geliebt sein. - -Aber Du bemerktest mich lange nicht, obzwar ich jeden Abend, auch bei -Schneegestöber und in dem scharfen, schneidenden Wiener Wind in Deiner -Gasse stand. Oft wartete ich stundenlang vergebens, oft gingst Du dann -endlich vom Hause in Begleitung von Bekannten fort, zweimal sah ich Dich -auch mit Frauen, und nun empfand ich mein Erwachsensein, empfand das -Neue, Andere meines Gefühls zu Dir an dem plötzlichen Herzzucken, das -mir quer die Seele zerriß, als ich eine fremde Frau so sicher Arm in Arm -mit Dir hingehen sah. Ich war nicht überrascht, ich kannte ja diese -Deine ewigen Besucherinnen aus meinen Kindertagen schon, aber jetzt tat -es mit einmal irgendwie körperlich weh, etwas spannte sich in mir, -gleichzeitig feindlich und mitverlangend gegen diese offensichtliche, -diese fleischliche Vertrautheit mit einer anderen. Einen Tag blieb ich, -kindlich stolz wie ich war und vielleicht jetzt noch geblieben bin, von -Deinem Hause weg: aber wie entsetzlich war dieser leere Abend des -Trotzes und der Auflehnung. Am nächsten Abend stand ich schon wieder -demütig vor Deinem Hause wartend, wartend, wie ich mein ganzes Schicksal -lang vor Deinem verschlossenen Leben gestanden bin. - -Und endlich, an einem Abend bemerktest Du mich. Ich hatte Dich schon von -ferne kommen sehen und straffte meinen Willen zusammen, Dir nicht -auszuweichen. Der Zufall wollte, daß durch einen abzuladenden Wagen die -Straße verengert war und Du ganz an mir vorbei mußtest. Unwillkürlich -streifte mich Dein zerstreuter Blick, um sofort, kaum daß er der -Aufmerksamkeit des meinen begegnete -- wie erschrak die Erinnerung in -mir! -- jener Dein Frauenblick, jener zärtliche, hüllende und -gleichzeitig enthüllende, jener umfangende und schon fassende Blick zu -werden, der mich, das Kind, zum erstenmal zur Frau, zur Liebenden -erweckt. Ein, zwei Sekunden lang hielt dieser Blick so den meinen, der -sich nicht wegreißen konnte und wollte, -- dann warst Du an mir vorbei. -Mir schlug das Herz: unwillkürlich mußte ich meinen Schritt -verlangsamen, und wie ich aus einer nicht zu bezwingenden Neugier mich -umwandte, sah ich, daß Du stehengeblieben warst und mir nachsahst. Und -an der Art, wie Du neugierig interessiert mich beobachtetest, wußte ich -sofort: Du erkanntest mich nicht. - -Du erkanntest mich nicht, damals nicht, nie, nie hast Du mich erkannt. -Wie soll ich Dir, Geliebter, die Enttäuschung jener Sekunde schildern -- -damals war es ja das erstemal, daß ichs erlitt, dies Schicksal, von Dir -nicht erkannt zu sein, das ich ein Leben durchlebt habe, und mit dem ich -sterbe; unerkannt, immer noch unerkannt von Dir. Wie soll ich sie Dir -schildern, diese Enttäuschung! Denn sieh, in diesen zwei Jahren in -Innsbruck, wo ich jede Stunde an Dich dachte und nichts tat, als mir -unsere erste Wiederbegegnung in Wien auszudenken, da hatte ich die -wildesten Möglichkeiten neben den seligsten, je nach dem Zustand meiner -Laune, ausgeträumt. Alles war, wenn ich so sagen darf, durchgeträumt; -ich hatte mir in finstern Momenten vorgestellt, Du würdest mich -zurückstoßen, würdest mich verachten, weil ich zu gering, zu häßlich, zu -aufdringlich sei. Alle Formen Deiner Mißgunst, Deiner Kälte, -Deiner Gleichgültigkeit, sie alle hatte ich durchgewandelt in -leidenschaftlichen Visionen -- aber dies, dies eine hatte ich in keiner -finstern Regung des Gemüts, nicht im äußersten Bewußtsein meiner -Minderwertigkeit in Betracht zu ziehen gewagt, dies Entsetzlichste: daß -Du überhaupt von meiner Existenz nichts bemerkt hattest. Heute verstehe -ich es ja -- ach, Du hast michs verstehen gelehrt! -- daß das Gesicht -eines Mädchens, einer Frau etwas ungemein Wandelhaftes sein muß für -einen Mann, weil es meist nur Spiegel ist, bald einer Leidenschaft, bald -einer Kindlichkeit, bald eines Müdeseins, und so leicht verfließt wie -ein Bildnis im Spiegel, daß also ein Mann leichter das Antlitz einer -Frau verlieren kann, weil das Alter darin durchwandelt mit Schatten und -Licht, weil die Kleidung es von einemmal zum andern anders rahmt. Die -Resignierten, sie sind ja erst die wahren Wissenden. Aber ich, das -Mädchen von damals, ich konnte Deine Vergeßlichkeit noch nicht fassen, -denn irgendwie war aus meiner maßlosen, unaufhörlichen Beschäftigung mit -Dir der Wahn in mich gefahren, auch Du müßtest meiner oft gedenken und -auf mich warten; wie hätte ich auch nur atmen können mit der Gewißheit, -ich sei Dir nichts, nie rühre ein Erinnern an mich Dich leise an! Und -dies Erwachen vor Deinem Blick, der mir zeigte, daß nichts in Dir mich -mehr kannte, kein Spinnfaden Erinnerung von Deinem Leben hinreiche zu -meinem, das war ein erster Sturz hinab in die Wirklichkeit, eine erste -Ahnung meines Schicksals. - -Du erkanntest mich nicht damals. Und als zwei Tage später Dein Blick mit -einer gewissen Vertrautheit bei erneuter Begegnung mich umfing, da -erkanntest Du mich wiederum nicht als die, die Dich geliebt und die Du -erweckt, sondern bloß als das hübsche achtzehnjährige Mädchen, das Dir -vor zwei Tagen an der gleichen Stelle entgegengetreten. Du sahst mich -freundlich überrascht an, ein leichtes Lächeln umspielte Deinen Mund. -Wieder gingst Du an mir vorbei und wieder den Schritt sofort -verlangsamend: ich zitterte, ich jauchzte, ich betete, Du würdest mich -ansprechen. Ich fühlte, daß ich zum erstenmal für Dich lebendig war: -auch ich verlangsamte den Schritt, ich wich Dir nicht aus. Und plötzlich -spürte ich Dich hinter mir, ohne mich umzuwenden, ich wußte, nun würde -ich zum erstenmal Deine geliebte Stimme an mich gerichtet hören. Wie -eine Lähmung war die Erwartung in mir, schon fürchtete ich stehenbleiben -zu müssen, so hämmerte mir das Herz -- da tratest Du an meine Seite. Du -sprachst mich an mit Deiner leichten heitern Art, als wären wir lange -befreundet -- ach, Du ahntest mich ja nicht, nie hast Du etwas von -meinem Leben geahnt! -- so zauberhaft unbefangen sprachst Du mich an, -daß ich Dir sogar zu antworten vermochte. Wir gingen zusammen die ganze -Gasse entlang. Dann fragtest Du mich, ob wir gemeinsam speisen wollten. -Ich sagte ja. Was hätte ich Dir gewagt zu verneinen? - -Wir speisten zusammen in einem kleinen Restaurant -- weißt Du noch, wo -es war? Ach nein, Du unterscheidest es gewiß nicht mehr von andern -solchen Abenden, denn wer war ich Dir? Eine unter Hunderten, ein -Abenteuer in einer ewig fortgeknüpften Kette. Was sollte Dich auch an -mich erinnern: ich sprach ja wenig, weil es mir so unendlich beglückend -war, Dich nahe zu haben, Dich zu mir sprechen zu hören. Keinen -Augenblick davon wollte ich durch eine Frage, durch ein törichtes Wort -vergeuden. Nie werde ich Dir von dieser Stunde dankbar vergessen, wie -voll Du meine leidenschaftliche Ehrfurcht erfülltest, wie zart, wie -leicht, wie taktvoll Du warst, ganz ohne Zudringlichkeit, ganz ohne jene -eiligen karessanten Zärtlichkeiten, und vom ersten Augenblick von einer -so sicheren freundschaftlichen Vertrautheit, daß Du mich auch gewonnen -hättest, wäre ich nicht schon längst mit meinem ganzen Willen und Wesen -Dein gewesen. Ach, Du weißt ja nicht, ein wie Ungeheures Du erfülltest, -indem Du mir fünf Jahre kindischer Erwartung nicht enttäuschtest! - -Es wurde spät, wir brachen auf. An der Tür des Restaurants fragtest Du -mich, ob ich eilig wäre oder noch Zeit hätte. Wie hätte ichs -verschweigen können, daß ich Dir bereit sei! Ich sagte, ich hätte noch -Zeit. Dann fragtest Du, ein leises Zögern rasch überspringend, ob ich -nicht noch ein wenig zu Dir kommen wollte, um zu plaudern. »Gerne,« -sagte ich ganz aus der Selbstverständlichkeit meines Fühlens heraus und -merkte sofort, daß Du von der Raschheit meiner Zusage irgendwie peinlich -oder freudig berührt warst, jedenfalls aber sichtlich überrascht. Heute -verstehe ich ja dies Dein Erstaunen; ich weiß, es ist bei Frauen üblich, -auch wenn das Verlangen nach Hingabe in einer brennend ist, diese -Bereitschaft zu verleugnen, ein Erschrecken vorzutäuschen oder eine -Entrüstung, die durch eindringliche Bitte, durch Lügen, Schwüre und -Versprechen erst beschwichtigt sein will. Ich weiß, daß vielleicht nur -die Professionellen der Liebe, die Dirnen, eine solche Einladung mit -einer so vollen freudigen Zustimmung beantworten, oder ganz naive, ganz -halbwüchsige Kinder. In mir aber war es -- und wie konntest Du das ahnen --- nur der wortgewordene Wille, die geballt vorbrechende Sehnsucht von -tausend einzelnen Tagen. Jedenfalls aber: Du warst frappiert, ich begann -Dich zu interessieren. Ich spürte, daß Du, während wir gingen, von der -Seite her während des Gespräches mich irgendwie erstaunt mustertest. -Dein Gefühl, Dein in allem Menschlichen so magisch sicheres Gefühl -witterte hier sogleich ein Ungewöhnliches, ein Geheimnis in diesem -hübschen zutunlichen Mädchen. Der Neugierige in Dir war wach, und ich -merkte aus der umkreisenden, spürenden Art der Fragen, wie Du nach dem -Geheimnis tasten wolltest. Aber ich wich Dir aus: ich wollte lieber -töricht erscheinen als Dir mein Geheimnis verraten. - -Wir gingen zu Dir hinauf. Verzeih, Geliebter, wenn ich Dir sage, daß Du -es nicht verstehen kannst, was dieser Gang, diese Treppe für mich waren, -welcher Taumel, welche Verwirrung, welch ein rasendes, quälendes, fast -tödliches Glück. Jetzt noch kann ich kaum ohne Tränen daran denken, und -ich habe keine mehr. Aber fühl es nur aus, daß jeder Gegenstand dort -gleichsam durchdrungen war von meiner Leidenschaft, jeder ein Symbol -meiner Kindheit, meiner Sehnsucht: das Tor, vor dem ich tausende Male -auf Dich gewartet, die Treppe, von der ich immer Deinen Schritt erhorcht -und wo ich Dich zum erstenmal gesehen, das Guckloch, aus dem ich mir die -Seele gespäht, der Türvorleger vor Deiner Tür, auf dem ich einmal -gekniet, das Knacken des Schlüssels, bei dem ich immer aufgesprungen von -meiner Lauer. Die ganze Kindheit, meine ganze Leidenschaft, da nistete -sie ja in diesen paar Metern Raum, hier war mein ganzes Leben, und jetzt -fiel es nieder auf mich wie ein Sturm, da alles, alles sich erfüllte und -ich mit Dir ging, ich mit Dir, in Deinem, in unserem Hause. Bedenke -- -es klingt ja banal, aber ich weiß es nicht anders zu sagen --, daß bis -zu Deiner Tür alles Wirklichkeit, dumpfe tägliche Welt ein Leben lang -gewesen war, und dort das Zauberreich des Kindes begann, Aladins Reich, -bedenke, daß ich tausendmal mit brennenden Augen auf diese Tür gestarrt, -die ich jetzt taumelnd durchschritt, und Du wirst ahnen -- aber nur -ahnen, niemals ganz wissen, mein Geliebter! -- was diese stürzende -Minute von meinem Leben wegtrug. - -Ich blieb damals die ganze Nacht bei Dir. Du hast es nicht geahnt, daß -vordem noch nie ein Mann mich berührt, noch keiner meinen Körper gefühlt -oder gesehen. Aber wie konntest Du es auch ahnen, Geliebter, denn ich -bot Dir ja keinen Widerstand, ich unterdrückte jedes Zögern der Scham, -nur damit Du nicht das Geheimnis meiner Liebe zu Dir erraten könntest, -das Dich gewiß erschreckt hätte --, denn Du liebst ja nur das Leichte, -das Spielende, das Gewichtlose, Du hast Angst, in ein Schicksal -einzugreifen. Verschwenden willst Du Dich, Du, an alle, an die Welt, und -willst kein Opfer. Wenn ich Dir jetzt sage, Geliebter, daß ich mich -jungfräulich Dir gab, so flehe ich Dich an: mißversteh mich nicht! Ich -klage Dich ja nicht an, Du hast mich nicht gelockt, nicht belogen, nicht -verführt -- ich, ich selbst drängte zu Dir, warf mich an Deine Brust, -warf mich in mein Schicksal. Nie, nie werde ich Dich anklagen, nein, nur -immer Dir danken, denn wie reich, wie funkelnd von Lust, wie schwebend -von Seligkeit war für mich diese Nacht. Wenn ich die Augen auftat im -Dunkeln und Dich fühlte an meiner Seite, wunderte ich mich, daß nicht -die Sterne über mir waren, so sehr fühlte ich Himmel -- nein, ich habe -niemals bereut, mein Geliebter, niemals um dieser Stunde willen. Ich -weiß noch: als Du schliefst, als ich Deinen Atem hörte, Deinen Körper -fühlte und mich selbst Dir so nah, da habe ich im Dunkeln geweint vor -Glück. - -Am Morgen drängte ich frühzeitig schon fort. Ich mußte in das Geschäft -und wollte auch gehen, ehe der Diener käme: er sollte mich nicht sehen. -Als ich angezogen vor Dir stand, nahmst Du mich in den Arm, sahst mich -lange an; war es ein Erinnern, dunkel und fern, das in Dir wogte, oder -schien ich Dir nur schön, beglückt, wie ich war? Dann küßtest Du mich -auf den Mund. Ich machte mich leise los und wollte gehen. Da fragtest -Du: »Willst Du nicht ein paar Blumen mitnehmen?« Ich sagte ja. Du nahmst -vier weiße Rosen aus der blauen Kristallvase am Schreibtisch (ach, ich -kannte sie von jenem einzigen diebischen Kindheitsblick) und gabst sie -mir. Tagelang habe ich sie noch geküßt. - -Wir hatten zuvor einen andern Abend verabredet. Ich kam, und wieder war -es wunderbar. Noch eine dritte Nacht hast Du mir geschenkt. Dann sagtest -Du, Du müßtest verreisen, -- oh, wie haßte ich diese Reisen von meiner -Kindheit her! -- und versprachst mir, mich sofort nach Deiner Rückkehr -zu verständigen. Ich gab Dir eine _Poste restante_-Adresse -- meinen -Namen wollte ich Dir nicht sagen. Ich hütete mein Geheimnis. Wieder -gabst Du mir ein paar Rosen zum Abschied -- zum Abschied. - -Jeden Tag während zweier Monate fragte ich ... aber nein, wozu diese -Höllenqual der Erwartung, der Verzweiflung Dir schildern. Ich klage Dich -nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist, heiß und vergeßlich, -hingebend und untreu, ich liebe Dich so, nur so, wie Du immer gewesen -und wie Du jetzt noch bist. Du warst längst zurück, ich sah es an Deinen -erleuchteten Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Keine Zeile habe -ich von Dir in meinen letzten Stunden, keine Zeile von Dir, dem ich mein -Leben gegeben. Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine -Verzweifelte. Aber Du hast mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir -geschrieben ... keine Zeile ... - - * * * * * - -Mein Kind ist gestern gestorben -- es war auch Dein Kind. Es war auch -Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei Nächte, ich schwöre es -Dir, und man lügt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich -schwöre es Dir, denn kein Mann hat mich berührt von jenen Stunden, da -ich mich Dir hingegeben, bis zu jenen andern, da es aus meinem Leib -gerungen wurde. Ich war mir heilig durch Deine Berührung: wie hätte ich -es vermocht, mich zu teilen an Dich, der mir alles gewesen, und an -andere, die an meinem Leben nur leise anstreiften? Es war unser Kind, -Geliebter, das Kind meiner wissenden Liebe und Deiner sorglosen, -verschwenderischen, fast unbewußten Zärtlichkeit, unser Kind, unser -Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun -- vielleicht erschreckt, -vielleicht bloß erstaunt --, Du fragst nun, mein Geliebter, warum ich -dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und erst heute von -ihm spreche, da es hier im Dunkel schlafend, für immer schlafend, liegt, -schon bereit fortzugehen und nie mehr wiederzukehren, nie mehr! Doch wie -hätte ich es Dir sagen können? Nie hättest Du mir, der Fremden, der -allzu Bereitwilligen dreier Nächte, die sich ohne Widerstand, ja -begehrend, Dir aufgetan, nie hättest Du ihr, der Namenlosen einer -flüchtigen Begegnung, geglaubt, daß sie Dir die Treue hielt, Dir, dem -Untreuen, -- nie ohne Mißtrauen dies Kind als das Deine erkannt! Nie -hättest Du, selbst wenn mein Wort Dir Wahrscheinlichkeit geboten, den -heimlichen Verdacht abtun können, ich versuchte, Dir, dem Begüterten, -das Kind fremder Stunde unterzuschieben. Du hättest mich beargwohnt, ein -Schatten wäre geblieben, ein fliegender, scheuer Schatten von Mißtrauen -zwischen Dir und mir. Das wollte ich nicht. Und dann, ich kenne Dich; -ich kenne Dich so gut, wie Du kaum selber Dich kennst, ich weiß, es wäre -Dir, der Du das Sorglose, das Leichte, das Spielende liebst in der -Liebe, peinlich gewesen, plötzlich Vater, plötzlich verantwortlich zu -sein für ein Schicksal. Du hättest Dich, Du, der Du nur in Freiheit -atmen kannst, Dich irgendwie verbunden gefühlt mit mir. Du hättest mich --- ja, ich weiß es, daß Du es getan hättest, wider Deinen eigenen wachen -Willen --, Du hättest mich gehaßt für dieses Verbundensein. Vielleicht -nur stundenlang, vielleicht nur flüchtige Minuten lang wäre ich Dir -lästig gewesen, wäre ich Dir verhaßt worden -- ich aber wollte in meinem -Stolze, Du solltest an mich ein Leben lang ohne Sorge denken. Lieber -wollte ich alles auf mich nehmen, als Dir eine Last werden, und einzig -die sein unter allen Deinen Frauen, an die Du immer mit Liebe, mit -Dankbarkeit denkst. Aber freilich, Du hast nie an mich gedacht, Du hast -mich vergessen. - -Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an. -Verzeih mirs, wenn mir manchmal ein Tropfen Bitternis in die Feder -fließt, verzeih mirs -- mein Kind, unser Kind liegt ja da tot unter den -flackernden Kerzen; ich habe zu Gott die Fäuste geballt und ihn Mörder -genannt, meine Sinne sind trüb und verwirrt. Verzeih mir die Klage, -verzeihe sie mir! Ich weiß ja, daß Du gut bist und hilfreich im tiefsten -Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. -Aber Deine Güte ist so sonderbar, sie ist eine, die offen liegt für -jeden, daß er nehmen kann soviel seine Hände fassen, sie ist groß, -unendlich groß Deine Güte, aber sie ist -- verzeih mir -- sie ist träge. -Sie will gemahnt, will genommen sein. Du hilfst, wenn man Dich ruft, -Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schwäche und nicht aus Freudigkeit. -Du hast -- laß es Dir offen sagen -- den Menschen in Notdurft und Qual -nicht lieber, als den Bruder im Glück. Und Menschen, die so sind wie Du, -selbst die Gütigsten unter ihnen, sie bittet man schwer. Einmal, ich war -noch ein Kind, sah ich durch das Guckloch an der Tür, wie Du einem -Bettler, der bei Dir geklingelt hatte, etwas gabst. Du gabst ihm rasch -und sogar viel, noch ehe er Dich bat, aber Du reichtest es ihm mit einer -gewissen Angst und Hast hin, er möchte nur bald wieder fortgehen, es -war, als hättest Du Furcht, ihm ins Auge zu sehen. Diese Deine unruhige, -scheue, vor der Dankbarkeit flüchtende Art des Helfens habe ich nie -vergessen. Und deshalb habe ich mich nie an Dich gewandt. Gewiß, ich -weiß, Du hättest mir damals zur Seite gestanden auch ohne die Gewißheit, -es sei Dein Kind, Du hättest mich getröstet, mir Geld gegeben, reichlich -Geld, aber immer nur mit der geheimen Ungeduld, das Unbequeme von Dir -wegzuschieben; ja, ich glaube, Du hättest mich sogar beredet, das Kind -vorzeitig abzutun. Und dies fürchtete ich vor allem -- denn was hätte -ich nicht getan, so Du es begehrtest, wie hätte ich Dir etwas zu -verweigern vermocht! Aber dieses Kind war alles für mich, war es doch -von Dir, nochmals Du, aber nun nicht mehr Du, der Glückliche, der -Sorglose, den ich nicht zu halten vermochte, sondern Du für immer -- so -meinte ich -- mir gegeben, verhaftet in meinem Leibe, verbunden in -meinem Leben. Nun hatte ich Dich ja endlich gefangen, ich konnte Dich, -Dein Leben wachsen spüren in meinen Adern, Dich nähren, Dich tränken, -Dich liebkosen, Dich küssen, wenn mir die Seele danach brannte. Siehst -Du, Geliebter, darum war ich so selig, als ich wußte, daß ich ein Kind -von Dir hatte, darum verschwieg ich Dirs: denn nun konntest Du mir nicht -mehr entfliehen. - -Freilich, Geliebter, es waren nicht nur so selige Monate, wie ich sie -voraus fühlte in meinen Gedanken, es waren auch Monate voll von Grauen -und Qual, voll Ekel vor der Niedrigkeit der Menschen. Ich hatte es nicht -leicht. In das Geschäft konnte ich während der letzten Monate nicht mehr -gehen, damit es den Verwandten nicht auffällig werde und sie nicht nach -Hause berichteten. Von der Mutter wollte ich kein Geld erbitten -- so -fristete ich mir mit dem Verkauf von dem bißchen Schmuck, den ich hatte, -die Zeit bis zur Niederkunft. Eine Woche vorher wurden mir aus einem -Schranke von einer Wäscherin die letzten paar Kronen gestohlen, so mußte -ich in die Gebärklinik. Dort, wo nur die ganz Armen, die Ausgestoßenen -und Vergessenen sich in ihrer Not hinschleppen, dort, mitten im Abhub -des Elends, dort ist das Kind, Dein Kind geboren worden. Es war zum -Sterben dort: fremd, fremd, fremd war alles, fremd wir einander, die wir -da lagen, einsam und voll Haß eine auf die andere, nur vom Elend, von -der gleichen Qual in diesen dumpfen, von Chloroform und Blut, von Schrei -und Stöhnen vollgepreßten Saal gestoßen. Was die Armut an Erniedrigung, -an seelischer und körperlicher Schande zu ertragen hat, ich habe es dort -gelitten an dem Beisammensein mit Dirnen und mit Kranken, die aus der -Gemeinsamkeit des Schicksals eine Gemeinheit machten, an der Zynik der -jungen Ärzte, die mit einem ironischen Lächeln der Wehrlosen das Bettuch -aufstreiften und sie mit falscher Wissenschaftlichkeit antasteten, an -der Habsucht der Wärterinnen -- oh, dort wird die Scham eines Menschen -gekreuzigt mit Blicken und gegeißelt mit Worten. Die Tafel mit Deinem -Namen, das allein bist dort noch Du, denn was im Bette liegt, ist bloß -ein zuckendes Stück Fleisch, betastet von Neugierigen, ein Objekt der -Schau und des Studierens -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die -ihrem Mann, dem zärtlich wartenden, in seinem Hause Kinder schenken, was -es heißt, allein, wehrlos, gleichsam am Versuchstisch, ein Kind zu -gebären! Und lese ich noch heute in einem Buche das Wort Hölle, so denke -ich plötzlich wider meinen bewußten Willen an jenen vollgepfropften, -dünstenden, von Seufzer, Gelächter und blutigem Schrei erfüllten Saal, -in dem ich gelitten habe, an dieses Schlachthaus der Scham. - -Verzeih, verzeih mirs, daß ich davon spreche. Aber nur dieses eine Mal -rede ich davon, nie mehr, nie mehr wieder. Elf Jahre habe ich -geschwiegen davon, und werde bald stumm sein in alle Ewigkeit: einmal -mußte ichs ausschreien, einmal ausschreien, wie teuer ich es erkaufte, -dies Kind, das meine Seligkeit war und das nun dort ohne Atem liegt. Ich -hatte sie schon vergessen, diese Stunden, längst vergessen im Lächeln, -in der Stimme des Kindes, in meiner Seligkeit; aber jetzt, da es tot -ist, wird die Qual wieder lebendig, und ich mußte sie mir von der Seele -schreien, dieses eine, dieses eine Mal. Aber nicht Dich klage ich an, -nur Gott, nur Gott, der sie sinnlos machte, diese Qual. Nicht Dich klage -ich an, ich schwöre es Dir, und nie habe ich mich im Zorn erhoben gegen -Dich. Selbst in der Stunde, da mein Leib sich krümmte in den Wehen, da -mein Körper vor Scham brannte unter den tastenden Blicken der Studenten, -selbst in der Sekunde, da der Schmerz mir die Seele zerriß, habe ich -Dich nicht angeklagt vor Gott; nie habe ich jene Nächte bereut, nie -meine Liebe zu Dir gescholten, immer habe ich Dich geliebt, immer die -Stunde gesegnet, da Du mir begegnet bist. Und müßte ich noch einmal -durch die Hölle jener Stunden und wüßte vordem, was mich erwartet, ich -täte es noch einmal, mein Geliebter, noch einmal und tausendmal! - - * * * * * - -Unser Kind ist gestern gestorben -- Du hast es nie gekannt. Niemals, -auch in der flüchtigen Begegnung des Zufalles hat dies blühende, kleine -Wesen, Dein Wesen, im Vorübergehen Deinen Blick gestreift. Ich hielt -mich lange verborgen vor Dir, sobald ich dies Kind hatte; meine -Sehnsucht nach Dir war weniger schmerzhaft geworden, ja ich glaube, ich -liebte Dich weniger leidenschaftlich, zumindest litt ich nicht so an -meiner Liebe, seit es mir geschenkt war. Ich wollte mich nicht zerteilen -zwischen Dir und ihm; so gab ich mich nicht an Dich, den Glücklichen, -der an mir vorbeilebte, sondern an dies Kind, das mich brauchte, das ich -nähren mußte, das ich küssen konnte und umfangen. Ich schien gerettet -vor meiner Unruhe nach Dir, meinem Verhängnis, gerettet durch dies Dein -anderes Du, das aber wahrhaft mein war -- selten nur mehr, ganz selten -drängte mein Gefühl sich demütig heran an Dein Haus. Nur eines tat ich: -zu Deinem Geburtstag sandte ich Dir immer ein Bündel weiße Rosen, genau -dieselben, wie Du sie mir damals geschenkt nach unserer ersten -Liebesnacht. Hast Du je in diesen zehn, in diesen elf Jahren Dich -gefragt, wer sie sandte? Hast Du Dich vielleicht an die erinnert, der Du -einst solche Rosen geschenkt? Ich weiß es nicht und werde Deine Antwort -nicht wissen. Nur aus dem Dunkel sie Dir hinzureichen, einmal im Jahre -die Erinnerung aufblühen zu lassen an jene Stunde -- das war mir genug. - -Du hast es nie gekannt, unser armes Kind -- heute klage ich mich an, daß -ich es Dir verbarg, denn Du hättest es geliebt. Nie hast Du ihn gekannt, -den armen Knaben, nie ihn lächeln gesehen, wenn er leise die Lider -aufhob und dann mit seinen dunklen klugen Augen -- Deinen Augen! -- ein -helles, frohes Licht warf über mich, über die ganze Welt. Ach, er war so -heiter, so lieb: die ganze Leichtigkeit Deines Wesens war in ihm -kindlich wiederholt, Deine rasche, bewegte Phantasie in ihm erneuert: -stundenlang konnte er verliebt mit Dingen spielen, so wie Du mit dem -Leben spielst, und dann wieder ernst mit hochgezogenen Brauen vor seinen -Büchern sitzen. Er wurde immer mehr Du; schon begann sich auch in ihm -jene Zwiefältigkeit von Ernst und Spiel, die Dir eigen ist, sichtbar zu -entfalten, und je ähnlicher er Dir ward, desto mehr liebte ich ihn. Er -hat gut gelernt, er plauderte Französisch wie eine kleine Elster, seine -Hefte waren die saubersten der Klasse, und wie hübsch war er dabei, wie -elegant in seinem schwarzen Samtkleid oder dem weißen Matrosenjäckchen. -Immer war er der Eleganteste von allen, wohin er auch kam; in Grado am -Strande, wenn ich mit ihm ging, blieben die Frauen stehen und -streichelten sein langes blondes Haar, auf dem Semmering, wenn er im -Schlitten fuhr, wandten sich bewundernd die Leute nach ihm um. Er war so -hübsch, so zart, so zutunlich: als er im letzten Jahre ins Internat des -Theresianums kam, trug er seine Uniform und den kleinen Degen wie ein -Page aus dem achtzehnten Jahrhundert -- nun hat er nichts als sein -Hemdchen an, der Arme, der dort liegt mit blassen Lippen und -eingefalteten Händen. - -Aber Du fragst mich vielleicht, wie ich das Kind so im Luxus erziehen -konnte, wie ich es vermochte, ihm dies helle, dies heitere Leben der -oberen Welt zu vergönnen. Liebster, ich spreche aus dem Dunkel zu Dir; -ich habe keine Scham, ich will es Dir sagen, aber erschrick nicht, -Geliebter -- ich habe mich verkauft. Ich wurde nicht gerade das, was man -ein Mädchen von der Straße nennt, eine Dirne, aber ich habe mich -verkauft. Ich hatte reiche Freunde, reiche Geliebte: zuerst suchte ich -sie, dann suchten sie mich, denn ich war -- hast Du es je bemerkt? -- -sehr schön. Jeder, dem ich mich gab, gewann mich lieb, alle haben mir -gedankt, alle an mir gehangen, alle mich geliebt -- nur Du nicht, nur Du -nicht, mein Geliebter! - -Verachtest Du mich nun, weil ich Dir es verriet, daß ich mich verkauft -habe? Nein, ich weiß, Du verachtest mich nicht, ich weiß, Du verstehst -alles und wirst auch verstehen, daß ich es nur für Dich getan, für Dein -anderes Ich, für Dein Kind. Ich hatte einmal in jener Stube der -Gebärklinik an das Entsetzliche der Armut gerührt, ich wußte, daß in -dieser Welt der Arme immer der Getretene, der Erniedrigte, das Opfer -ist, und ich wollte nicht, um keinen Preis, daß Dein Kind, Dein helles, -schönes Kind da tief unten aufwachsen sollte im Abhub, im Dumpfen, im -Gemeinen der Gasse, in der verpesteten Luft eines Hinterhausraumes. Sein -zarter Mund sollte nicht die Sprache des Rinnsteins kennen, sein weißer -Leib nicht die dumpfige, verkrümmte Wäsche der Armut -- Dein Kind sollte -alles haben, allen Reichtum, alle Leichtigkeit der Erde, es sollte -wieder aufsteigen zu Dir, in Deine Sphäre des Lebens. - -Darum, nur darum, mein Geliebter, habe ich mich verkauft. Es war kein -Opfer für mich, denn was man gemeinhin Ehre und Schande nennt, das war -mir wesenlos: Du liebtest mich nicht, Du, der Einzige, dem mein Leib -gehörte, so fühlte ich es als gleichgültig, was sonst mit meinem Körper -geschah. Die Liebkosungen der Männer, selbst ihre innerste Leidenschaft, -sie rührten mich im Tiefsten nicht an, obzwar ich manche von ihnen sehr -achten mußte und mein Mitleid mit ihrer unerwiderten Liebe in Erinnerung -eigenen Schicksals mich oft erschütterte. Alle waren sie gut zu mir, die -ich kannte, alle haben sie mich verwöhnt, alle achteten sie mich. Da war -vor allem einer, ein älterer, verwitweter Reichsgraf, derselbe, der sich -die Füße wundstand an den Türen, um die Aufnahme des vaterlosen Kindes, -Deines Kindes, im Theresianum durchzudrücken -- der liebte mich wie eine -Tochter. Dreimal, viermal machte er mir den Antrag, mich zu heiraten -- -ich könnte heute Gräfin sein, Herrin auf einem zauberischen Schloß in -Tirol, könnte sorglos sein, denn das Kind hätte einen zärtlichen Vater -gehabt, der es vergötterte, und ich einen stillen, vornehmen, gütigen -Mann an meiner Seite -- ich habe es nicht getan, so sehr, sooft er auch -drängte, so sehr ich ihm wehe tat mit meiner Weigerung. Vielleicht war -es eine Torheit, denn sonst lebte ich jetzt irgendwo still und geborgen, -und dies Kind, das geliebte, mit mir, aber -- warum soll ich Dir es -nicht gestehen -- ich wollte mich nicht binden, ich wollte Dir frei sein -in jeder Stunde. Innen im Tiefsten, im Unbewußten meines Wesens lebte -noch immer der alte Kindertraum, Du würdest vielleicht noch einmal mich -zu Dir rufen, sei es nur für eine Stunde lang. Und für diese eine -mögliche Stunde habe ich alles weggestoßen, nur um Dir frei zu sein für -Deinen ersten Ruf. Was war mein ganzes Leben seit dem Erwachen aus der -Kindheit denn anders, als ein Warten, ein Warten auf Deinen Willen! - -Und diese Stunde, sie ist wirklich gekommen. Aber Du weißt sie nicht, Du -ahnst sie nicht, mein Geliebter! Auch in ihr hast Du mich nicht erkannt --- nie, nie, nie hast Du mich erkannt! Ich war Dir ja schon früher oft -begegnet, in den Theatern, in den Konzerten, im Prater, auf der Straße --- jedesmal zuckte mir das Herz, aber Du sahst an mir vorbei: ich war ja -äußerlich eine ganz andere, aus dem scheuen Kinde war eine Frau -geworden, schön wie sie sagten, in kostbare Kleider gehüllt, umringt von -Verehrern: wie konntest Du in mir jenes schüchterne Mädchen im -dämmerigen Licht Deines Schlafraumes vermuten! Manchmal grüßte Dich -einer der Herren, mit denen ich ging, Du danktest und sahst auf zu mir: -aber Dein Blick war höfliche Fremdheit, anerkennend, aber nie erkennend, -fremd, entsetzlich fremd. Einmal, ich erinnere mich noch, ward mir -dieses Nichterkennen, an das ich fast schon gewohnt war, zu brennender -Qual: ich saß in einer Loge der Oper mit einem Freunde und Du in der -Nachbarloge. Die Lichter erloschen bei der Ouvertüre, ich konnte Dein -Antlitz nicht mehr sehen, nur Deinen Atem fühlte ich so nah neben mir, -wie damals in jener Nacht, und auf der samtenen Brüstung der Abteilung -unserer Logen lag Deine Hand aufgestützt, Deine feine, zarte Hand. Und -unendlich überkam mich das Verlangen, mich niederzubeugen und diese -fremde, diese so geliebte Hand demütig zu küssen, deren zärtliche -Umfassung ich einst gefühlt. Um mich wogte aufwühlend die Musik, immer -leidenschaftlicher wurde das Verlangen, ich mußte mich ankrampfen, mich -gewaltsam aufreißen, so gewaltsam zog es meine Lippen hin zu Deiner -geliebten Hand. Nach dem ersten Akt bat ich meinen Freund, mit mir -fortzugehen. Ich ertrug es nicht mehr, Dich so fremd und so nah neben -mir zu haben im Dunkel. - -Aber die Stunde kam, sie kam noch einmal, ein letztes Mal in mein -verschüttetes Leben. Fast genau vor einem Jahr ist es gewesen, am Tage -nach Deinem Geburtstage. Seltsam: ich hatte alle die Stunden an Dich -gedacht, denn Deinen Geburtstag, ihn feierte ich immer wie ein Fest. -Ganz frühmorgens schon war ich ausgegangen und hatte die weißen Rosen -gekauft, die ich Dir wie alljährlich senden ließ zur Erinnerung an eine -Stunde, die Du vergessen hattest. Nachmittags fuhr ich mit dem Buben -aus, führte ihn zu Demel in die Konditorei und abends ins Theater, ich -wollte, auch er sollte diesen Tag, ohne seine Bedeutung zu wissen, -irgendwie als einen mystischen Feiertag von Jugend her empfinden. Am -nächsten Tage war ich dann mit meinem damaligen Freunde, einem jungen, -reichen Brünner Fabrikanten, mit dem ich schon seit zwei Jahren -zusammenlebte, der mich vergötterte, verwöhnte und mich ebenso heiraten -wollte wie die andern und dem ich mich ebenso scheinbar grundlos -verweigerte wie den andern, obwohl er mich und das Kind mit Geschenken -überschüttete und selbst liebenswert war in seiner ein wenig dumpfen, -knechtischen Güte. Wir gingen zusammen in ein Konzert, trafen dort -heitere Gesellschaft, soupierten in einem Ringstraßenrestaurant, und -dort, mitten im Lachen und Schwätzen, machte ich den Vorschlag, noch in -ein Tanzlokal, in den Tabarin, zu gehen. Mir waren diese Art Lokale mit -ihrer systematischen und alkoholischen Heiterkeit wie jede »Drahrerei« -sonst immer widerlich, und ich wehrte mich sonst immer gegen derlei -Vorschläge, diesmal aber -- es war wie eine unergründliche magische -Macht in mir, die mich plötzlich unbewußt den Vorschlag mitten in die -freudig zustimmende Erregung der andern werfen ließ -- hatte ich -plötzlich ein unerklärliches Verlangen, als ob dort irgend etwas -Besonderes mich erwarte. Gewohnt, mir gefällig zu sein, standen alle -rasch auf, wir gingen hinüber, tranken Champagner, und in mich kam mit -einemmal eine ganz rasende, ja fast schmerzhafte Lustigkeit, wie ich sie -nie gekannt. Ich trank und trank, sang die kitschigen Lieder mit und -hatte fast den Zwang, zu tanzen oder zu jubeln. Aber plötzlich -- mir -war, als hätte etwas Kaltes oder etwas Glühendheißes sich mir jäh aufs -Herz gelegt -- riß es mich auf: am Nachbartisch saßest Du mit einigen -Freunden und sahst mich an mit einem bewundernden und begehrenden Blick, -mit jenem Blicke, der mir immer den ganzen Leib von innen aufwühlte. Zum -erstenmal seit zehn Jahren sahst Du mich wieder an mit der ganzen -unbewußt-leidenschaftlichen Macht Deines Wesens. Ich zitterte. Fast wäre -mir das erhobene Glas aus den Händen gefallen. Glücklicherweise merkten -die Tischgenossen nicht meine Verwirrung: sie verlor sich in dem Dröhnen -von Gelächter und Musik. - -Immer brennender wurde Dein Blick und tauchte mich ganz in Feuer. Ich -wußte nicht: hattest Du mich endlich, endlich erkannt, oder begehrtest -Du mich neu, als eine andere, als eine Fremde? Das Blut flog mir in die -Wangen, zerstreut antwortete ich den Tischgenossen: Du mußtest es -merken, wie verwirrt ich war von Deinem Blick. Unmerklich für die -übrigen machtest Du mit einer Bewegung des Kopfes ein Zeichen, ich -möchte für einen Augenblick hinauskommen in den Vorraum. Dann zahltest -Du ostentativ, nahmst Abschied von Deinen Kameraden und gingst hinaus, -nicht ohne zuvor noch einmal angedeutet zu haben, daß Du draußen auf -mich warten würdest. Ich zitterte wie im Frost, wie im Fieber, ich -konnte nicht mehr Antwort geben, nicht mehr mein aufgejagtes Blut -beherrschen. Zufälligerweise begann gerade in diesem Augenblick ein -Negerpaar mit knatternden Absätzen und schrillen Schreien einen -absonderlichen neuen Tanz: alles starrte ihnen zu, und diese Sekunde -nützte ich. Ich stand auf, sagte meinem Freunde, daß ich gleich -zurückkäme, und ging Dir nach. - -Draußen im Vorraum vor der Garderobe standest Du, mich erwartend: Dein -Blick ward hell, als ich kam. Lächelnd eiltest Du mir entgegen; ich sah -sofort, Du erkanntest mich nicht, erkanntest nicht das Kind von einst -und nicht das Mädchen, noch einmal griffest Du nach mir als einem Neuen, -einem Unbekannten. »Haben Sie auch für mich einmal eine Stunde,« -fragtest Du vertraulich -- ich fühlte an der Sicherheit Deiner Art, Du -nahmst mich für eine dieser Frauen, für die Käufliche eines Abends. -»Ja,« sagte ich, dasselbe zitternde und doch selbstverständliche -einwilligende Ja, das Dir das Mädchen vor mehr als einem Jahrzehnt auf -der dämmernden Straße gesagt. »Und wann könnten wir uns sehen?« fragtest -Du. »Wann immer Sie wollen,« antwortete ich -- vor Dir hatte ich keine -Scham. Du sahst mich ein wenig verwundert an, mit derselben -mißtrauisch-neugierigen Verwunderung wie damals, als Dich gleichfalls -die Raschheit meines Einverständnisses erstaunt hatte. »Könnten Sie -jetzt?« fragtest Du, ein wenig zögernd. »Ja,« sagte ich, »gehen wir.« - -Ich wollte zur Garderobe, meinen Mantel holen. - -Da fiel mir ein, daß mein Freund den Garderobenzettel hatte für unsere -gemeinsam abgegebenen Mäntel. Zurückzugehen und ihn verlangen, wäre ohne -umständliche Begründung nicht möglich gewesen, anderseits die Stunde mit -Dir preisgeben, die seit Jahren ersehnte, dies wollte ich nicht. So habe -ich keine Sekunde gezögert: ich nahm nur den Schal über das Abendkleid -und ging hinaus in die nebelfeuchte Nacht, ohne mich um den Mantel zu -kümmern, ohne mich um den guten, zärtlichen Menschen zu kümmern, von dem -ich seit Jahren lebte und den ich vor seinen Freunden zum lächerlichsten -Narren erniedrigte, zu einem, dem seine Geliebte nach Jahren wegläuft -auf den ersten Pfiff eines fremden Mannes. Oh, ich war mir ganz der -Niedrigkeit, der Undankbarkeit, der Schändlichkeit, die ich gegen einen -ehrlichen Freund beging, im Tiefsten bewußt, ich fühlte, daß ich -lächerlich handelte und mit meinem Wahn einen gütigen Menschen für immer -tödlich kränkte, fühlte, daß ich mein Leben mitten entzweiriß -- aber -was war mir Freundschaft, was meine Existenz gegen die Ungeduld, wieder -einmal Deine Lippen zu fühlen, Dein Wort weich gegen mich gesprochen zu -hören. So habe ich Dich geliebt, nun kann ich es Dir sagen, da alles -vorbei ist und vergangen. Und ich glaube, riefest Du mich von meinem -Sterbebette, so käme mir plötzlich die Kraft, aufzustehen und mit Dir zu -gehen. - -Ein Wagen stand vor dem Eingang, wir fuhren zu Dir. Ich hörte wieder -Deine Stimme, ich fühlte Deine zärtliche Nähe und war genau so betäubt, -so kindisch-selig verwirrt wie damals. Wie stieg ich, nach mehr als zehn -Jahren, zum erstenmal wieder die Treppe empor -- nein, nein, ich kann -Dirs nicht schildern, wie ich alles immer doppelt fühlte in jenen -Sekunden, vergangene Zeit und Gegenwart, und in allem und allem immer -nur Dich. In Deinem Zimmer war weniges anders, ein paar Bilder mehr, und -mehr Bücher, da und dort fremde Möbel, aber alles doch grüßte mich -vertraut. Und am Schreibtisch stand die Vase mit den Rosen darin -- mit -meinen Rosen, die ich Dir tags vorher zu Deinem Geburtstag geschickt als -Erinnerung an eine, an die Du Dich doch nicht erinnertest, die Du doch -nicht erkanntest, selbst jetzt, da sie Dir nahe war, Hand in Hand und -Lippe an Lippe. Aber doch: es tat mir wohl, daß Du die Blumen hegtest: -so war doch ein Hauch meines Wesens, ein Atem meiner Liebe um Dich. - -Du nahmst mich in Deine Arme. Wieder blieb ich bei Dir eine ganze -herrliche Nacht. Aber auch im nackten Leibe erkanntest Du mich nicht. -Selig erlitt ich Deine wissenden Zärtlichkeiten und sah, daß Deine -Leidenschaft keinen Unterschied macht zwischen einer Geliebten und einer -Käuflichen, daß Du Dich ganz gibst an Dein Begehren mit der unbedachten -verschwenderischen Fülle Deines Wesens. Du warst so zärtlich und lind zu -mir, der vom Nachtlokal Geholten, so vornehm und so herzlich -- -achtungsvoll und doch gleichzeitig so leidenschaftlich im Genießen der -Frau; wieder fühlte ich, taumelig vom alten Glück, diese einzige -Zweiheit Deines Wesens, die wissende, die geistige Leidenschaft in der -sinnlichen, die schon das Kind Dir hörig gemacht. Nie habe ich bei einem -Manne in der Zärtlichkeit solche Hingabe an den Augenblick gekannt, ein -solches Ausbrechen und Entgegenleuchten des tiefsten Wesens -- freilich -um dann hinzulöschen in eine unendliche, fast unmenschliche -Vergeßlichkeit. Aber auch ich vergaß mich selbst: wer war ich nun im -Dunkel neben Dir? War ichs, das brennende Kind von einst, war ichs, die -Mutter Deines Kindes, war ichs, die Fremde? Ach, es war so vertraut, so -erlebt alles, und alles wieder so rauschend neu in dieser -leidenschaftlichen Nacht. Und ich betete, sie möchte kein Ende nehmen. - -Aber der Morgen kam, wir standen spät auf, Du ludest mich ein, noch mit -Dir zu frühstücken. Wir tranken zusammen den Tee, den eine unsichtbar -dienende Hand diskret in dem Speisezimmer bereitgestellt hatte, und -plauderten. Wieder sprachst Du mit der ganzen offenen, herzlichen -Vertraulichkeit Deines Wesens zu mir und wieder ohne alle indiskreten -Fragen, ohne alle Neugier nach dem Wesen, das ich war. Du fragtest nicht -nach meinem Namen, nicht nach meiner Wohnung: ich war Dir wiederum nur -das Abenteuer, das Namenlose, die heiße Stunde, die im Rauch des -Vergessens spurlos sich löst. Du erzähltest, daß Du jetzt weit weg -reisen wolltest, nach Nordafrika für zwei oder drei Monate; ich zitterte -mitten in meinem Glück, denn schon hämmerte es mir in den Ohren: vorbei, -vorbei und vergessen! Am liebsten wäre ich hin zu Deinen Knien gestürzt -und hätte geschrien: »Nimm mich mit, damit Du mich endlich erkennst, -endlich, endlich nach so vielen Jahren!« Aber ich war ja so scheu, so -feige, so sklavisch, so schwach vor Dir. Ich konnte nur sagen: »Wie -schade.« Du sahst mich lächelnd an: »Ist es Dir wirklich leid?« - -Da faßte es mich wie eine plötzliche Wildheit. Ich stand auf, sah Dich -an, lange und fest. Dann sagte ich: »Der Mann, den ich liebte, ist auch -immer weggereist.« Ich sah Dich an, mitten in den Stern Deines Auges. -»Jetzt, jetzt wird er mich erkennen!« zitterte, drängte alles in mir. -Aber Du lächeltest mir entgegen und sagtest tröstend: »Man kommt ja -wieder zurück.« »Ja,« antwortete ich, »man kommt zurück, aber dann hat -man vergessen.« - -Es muß etwas Absonderliches, etwas Leidenschaftliches in der Art gewesen -sein, wie ich Dir das sagte. Denn auch Du standest auf und sahst mich -an, verwundert und sehr liebevoll. Du nahmst mich bei den Schultern: -»Was gut ist, vergißt sich nicht, Dich werde ich nicht vergessen,« -sagtest Du, und dabei senkte sich Dein Blick ganz in mich hinein, als -wollte er dies Bild sich festprägen. Und wie ich diesen Blick in mich -eindringen fühlte, suchend, spürend, mein ganzes Wesen an sich saugend, -da glaubte ich endlich, endlich den Bann der Blindheit gebrochen. Er -wird mich erkennen, er wird mich erkennen! Meine ganze Seele zitterte in -dem Gedanken. - -Aber Du erkanntest mich nicht. Nein, Du erkanntest mich nicht, nie war -ich Dir fremder jemals als in dieser Sekunde, denn sonst -- sonst -hättest Du nie tun können, was Du wenige Minuten später tatest. Du -hattest mich geküßt, noch einmal leidenschaftlich geküßt. Ich mußte mein -Haar, das sich verwirrt hatte, wieder zurechtrichten, und während ich -vor dem Spiegel stand, da sah ich durch den Spiegel -- und ich glaubte -hinsinken zu müssen vor Scham und Entsetzen -- da sah ich, wie Du in -diskreter Art ein paar größere Banknoten in meinen Muff schobst. Wie -habe ichs vermocht, nicht aufzuschreien, Dir nicht ins Gesicht zu -schlagen in dieser Sekunde -- mich, die ich Dich liebte von Kindheit an, -die Mutter Deines Kindes, mich zahltest Du für diese Nacht! Eine Dirne -aus dem Tabarin war ich Dir, nicht mehr -- bezahlt, bezahlt hattest Du -mich! Es war nicht genug, von Dir vergessen, ich mußte noch erniedrigt -sein. - -Ich tastete rasch nach meinen Sachen. Ich wollte fort, rasch fort. Es -tat mir zu weh. Ich griff nach meinem Hut, er lag auf dem Schreibtisch, -neben der Vase mit den weißen Rosen, meinen Rosen. Da erfaßte es mich -mächtig, unwiderstehlich: noch einmal wollte ich es versuchen, Dich zu -erinnern. »Möchtest Du mir nicht von Deinen weißen Rosen eine geben?« -»Gern,« sagtest Du und nahmst sie sofort. »Aber sie sind Dir vielleicht -von einer Frau gegeben, von einer Frau, die Dich liebt?« sagte ich. -»Vielleicht,« sagtest Du, »ich weiß es nicht. Sie sind mir gegeben und -ich weiß nicht von wem; darum liebe ich sie so.« Ich sah Dich an. -»Vielleicht sind sie auch von einer, die Du vergessen hast!« - -Du blicktest erstaunt. Ich sah Dich fest an. »Erkenne mich, erkenne mich -endlich!« schrie mein Blick. Aber Dein Auge lächelte freundlich und -unwissend. Du küßtest mich noch einmal. Aber Du erkanntest mich nicht. - -Ich ging rasch zur Tür, denn ich spürte, daß mir Tränen in die Augen -schossen, und das solltest Du nicht sehen. Im Vorzimmer -- so hastig war -ich hinausgeeilt -- stieß ich mit Johann, Deinem Diener, fast zusammen. -Scheu und eilfertig sprang er zur Seite, riß die Haustür auf, um mich -hinauszulassen, und da -- in dieser einen, hörst Du? in dieser einen -Sekunde, da ich ihn ansah, mit tränenden Augen ansah, den gealterten -Mann, da zuckte ihm plötzlich ein Licht in den Blick. In dieser einen -Sekunde, hörst Du? in dieser einen Sekunde, hat der alte Mann mich -erkannt, der mich seit meiner Kindheit nicht gesehen. Ich hätte hinknien -können vor ihm für dieses Erkennen und ihm die Hände küssen. So riß ich -nur die Banknoten, mit denen Du mich gegeißelt, rasch aus dem Muff und -steckte sie ihm zu. Er zitterte, sah erschreckt zu mir auf -- in dieser -Sekunde hat er vielleicht mehr geahnt von mir als Du in Deinem ganzen -Leben. Alle, alle Menschen haben mich verwöhnt, alle waren zu mir gütig --- nur Du, nur Du, Du hast mich vergessen, nur Du, nur Du hast mich nie -erkannt! - - * * * * * - -Mein Kind ist gestorben, unser Kind -- jetzt habe ich niemanden mehr in -der Welt, ihn zu lieben, als Dich. Aber wer bist Du mir, Du, der Du mich -niemals, niemals erkennst, der an mir vorübergeht wie an einem Wasser, -der auf mich tritt wie auf einen Stein, der immer geht und weiter geht -und mich läßt in ewigem Warten? Einmal vermeinte ich Dich zu halten, -Dich, den Flüchtigen, in dem Kinde. Aber es war Dein Kind: über Nacht -ist es grausam von mir gegangen, eine Reise zu tun, es hat mich -vergessen und kehrt nie zurück. Ich bin wieder allein, mehr allein als -jemals, nichts habe ich, nichts von Dir -- kein Kind mehr, kein Wort, -keine Zeile, kein Erinnern, und wenn jemand meinen Namen nennen würde -vor Dir, Du hörtest an ihm fremd vorbei. Warum soll ich nicht gerne -sterben, da ich Dir tot bin, warum nicht weitergehen, da Du von mir -gegangen bist? Nein, Geliebter, ich klage nicht wider Dich, ich will Dir -nicht meinen Jammer hinwerfen in Dein heiteres Haus. Fürchte nicht, daß -ich Dich weiter bedränge -- verzeih mir, ich mußte mir einmal die Seele -ausschreien in dieser Stunde, da das Kind dort tot und verlassen liegt. -Nur dies eine Mal mußte ich sprechen zu Dir -- dann gehe ich wieder -stumm in mein Dunkel zurück, wie ich immer stumm neben Dir gewesen. Aber -Du wirst diesen Schrei nicht hören, solange ich lebe -- nur wenn ich tot -bin, empfängst Du dies Vermächtnis von mir, von einer, die Dich mehr -geliebt als alle, und die Du nie erkannt, von einer, die immer auf Dich -gewartet und die Du nie gerufen. Vielleicht, vielleicht wirst Du mich -dann rufen, und ich werde Dir ungetreu sein zum erstenmal, ich werde -Dich nicht mehr hören aus meinem Tod: kein Bild lasse ich Dir und kein -Zeichen, wie Du mir nichts gelassen; nie wirst Du mich erkennen, -niemals. Es war mein Schicksal im Leben, es sei es auch in meinem Tod. -Ich will Dich nicht rufen in meine letzte Stunde, ich gehe fort, ohne -daß Du meinen Namen weißt und mein Antlitz. Ich sterbe leicht, denn Du -fühlst es nicht von ferne. Täte es Dir weh, daß ich sterbe, so könnte -ich nicht sterben. - -Ich kann nicht mehr weiter schreiben ... mir ist so dumpf im Kopfe ... -die Glieder tun mir weh, ich habe Fieber ... ich glaube, ich werde mich -gleich hinlegen müssen. Vielleicht ist es bald vorbei, vielleicht ist -mir einmal das Schicksal gütig, und ich muß es nicht mehr sehen, wie sie -das Kind wegtragen ... Ich kann nicht mehr schreiben. Leb wohl, -Geliebter, leb wohl, ich danke Dir ... Es war gut, wie es war, trotz -alledem ... ich will Dirs danken bis zum letzten Atemzug. Mir ist wohl: -ich habe Dir alles gesagt, Du weißt nun, nein, Du ahnst nur, wie sehr -ich Dich geliebt, und hast doch von dieser Liebe keine Last. Ich werde -Dir nicht fehlen -- das tröstet mich. Nichts wird anders sein in Deinem -schönen, hellen Leben ... ich tue Dir nichts mit meinem Tod ... das -tröstet mich, Du Geliebter. - -Aber wer ... wer wird Dir jetzt immer die weißen Rosen senden zu Deinem -Geburtstag? Ach, die Vase wird leer sein, der kleine Atem, der kleine -Hauch von meinem Leben, der einmal im Jahre um Dich wehte, auch er wird -verwehen! Geliebter, höre, ich bitte Dich ... es ist meine erste und -letzte Bitte an Dich ... tu mirs zuliebe, nimm an jedem Geburtstag -- es -ist ja ein Tag, wo man an sich denkt -- nimm da Rosen und tu sie in die -Vase. Tu's, Geliebter, tu es so, wie andere einmal im Jahre eine Messe -lesen lassen für eine liebe Verstorbene. Ich aber glaube nicht an Gott -mehr und will keine Messe, ich glaube nur an Dich, ich liebe nur Dich -und will nur in Dir noch weiterleben ... ach, nur einen Tag im Jahr, -ganz, ganz still nur, wie ich neben Dir gelebt ... Ich bitte Dich, tu -es, Geliebter ... es ist meine erste Bitte an Dich und die letzte ... -ich danke Dir ... ich liebe Dich, ich liebe Dich ... lebe wohl ... - - * * * * * - -Er legte den Brief aus den zitternden Händen. Dann sann er lange nach. -Verworren tauchte irgendein Erinnern auf an ein nachbarliches Kind, an -ein Mädchen, an eine Frau im Nachtlokal, aber ein Erinnern, undeutlich -und verworren, so wie ein Stein flimmert und formlos zittert am Grunde -fließenden Wassers. Schatten strömten zu und fort, aber es wurde kein -Bild. Er fühlte Erinnerungen des Gefühls und erinnerte sich doch nicht. -Ihm war, als ob er von all diesen Gestalten geträumt hätte, oft und tief -geträumt, aber doch nur geträumt. - -Da fiel sein Blick auf die blaue Vase vor ihm auf dem Schreibtisch. Sie -war leer, zum erstenmal leer seit Jahren an seinem Geburtstag. Er schrak -zusammen: ihm war, als sei plötzlich eine Tür unsichtbar aufgesprungen, -und kalte Zugluft ströme aus anderer Welt in seinen ruhenden Raum. Er -spürte einen Tod und spürte unsterbliche Liebe: innen brach etwas auf in -seiner Seele, und er dachte an die Unsichtbare körperlos und -leidenschaftlich wie an eine ferne Musik. - - - - - Die Mondscheingasse - - -Das Schiff hatte, durch Sturm verzögert, erst spät abends in der kleinen -französischen Hafenstadt landen können, der Nachtzug nach Deutschland -war versäumt. So blieb ein unerwarteter Tag an fremdem Ort, ein Abend -ohne andere Lockung als die einer melancholischen Damenmusik in einem -vorstädtischen Vergnügungslokal oder eines eintönigen Gespräches mit den -ganz zufälligen Reisegenossen. Unerträglich schien mir die Luft in dem -kleinen Speiseraum des Hotels, fettig von Öl, dumpf von Rauch, und ich -fühlte doppelt ihre trübe Unreinlichkeit, weil noch der reine Atem des -Meeres mir salzig-kühl auf den Lippen lag. So ging ich hinaus, aufs -Geratewohl die helle breite Straße entlang zu einem Platz, wo eine -Bürgergardenkapelle spielte, und wieder weiter inmitten der lässig -fortflutenden Woge der Spaziergänger. Anfangs tat es mir gut, dieses -willenlose Geschaukeltsein in der Strömung gleichgültiger und -provinziell geputzter Menschen, aber bald ertrug ich es doch nicht mehr, -dieses Anwogen von fremden Leuten und ihr abgerissenes Gelächter, diese -Augen, die mich angriffen, erstaunt, fremd oder grinsend, diese -Berührungen, die mich unmerklich weiterschoben, dies aus tausend kleinen -Quellen brechende Licht und unaufhörliche Scharren von Schritten. Die -Seefahrt war bewegt gewesen, und noch gärte in meinem Blut ein taumliges -und sanfttrunkenes Gefühl: noch immer spürte ich Gleiten und Wiegen -unter meinen Füßen, die Erde schien wie atmend sich zu bewegen und die -Straße bis auf in den Himmel zu schwingen. Schwindlig ward mir mit einem -Male von diesem lauten Gewirr, und um mich zu retten, bog ich, ohne nach -ihrem Namen zu blicken, in eine Seitenstraße ein und von da wieder in -eine kleinere, in der dies sinnlose Lärmen allmählich verebbte, und ging -nun ziellos weiter ins Gewirr dieser wie Adern sich verästelnden Gassen, -die immer dunkler wurden, je mehr ich mich vom Hauptplatz entfernte. Die -großen elektrischen Bogenlampen, diese Monde der breiten Boulevards, -flammten hier nicht mehr, und über die spärliche Beleuchtung hin begann -man endlich wieder die Sterne zu sehen und einen schwarzen verhängten -Himmel. - -Ich mußte nahe dem Hafen sein, im Matrosenviertel, das fühlte ich an dem -faulen Fischgeruch, an diesem süßlichen Duft von Tang und Fäulnis, wie -ihn auch die von der Brandung ans Land gerissenen Algen haben, an diesem -eigentümlichen Dunst verdorbener Gerüche und ungelüfteter Stuben, der -sich dumpfig in diese Winkel legt, bis einmal der große Sturm kommt und -ihnen Atem bringt. Das ungewisse Dunkel tat mir wohl und diese -unerwartete Einsamkeit, ich verlangsamte meinen Schritt, betrachtete nun -Gasse um Gasse, eine immer anders wie ihre Nachbarin, hier eine -friedfertige, dort eine buhlerische, alle aber dunkel und mit einem -gedämpften Geräusch von Musik und Stimmen, das aus dem Unsichtbaren, aus -der Brust ihrer Gewölbe so geheimnisvoll aufquoll, daß kaum die -unterirdische Quelle zu erraten war. Denn alle waren sie verschlossen -und blinzelten nur mit einem roten oder gelben Licht. - -Ich liebe diese Gassen in fremden Städten, diesen schmutzigen Markt -aller Leidenschaften, diese heimliche Anhäufung aller Verführungen für -die Matrosen, die von einsamen Nächten auf fremden und gefährlichen -Meeren hier für eine Nacht einkehren, ihre vielen und sinnlichen Träume -in einer Stunde zu erfüllen. Sie müssen sich verstecken irgendwo in -einer Niederung der großen Stadt, diese kleinen Seitengassen, weil sie -so frech und aufdringlich sagen, was die hellen Häuser mit blanken -Scheiben und vornehmen Menschen in hundert Masken verbergen. Musik -klingt und lockt hier aus kleinen Stuben, Kinematographen verheißen mit -grellen Plakaten ungeahnte Prächte, kleine viereckige Lichter ducken -sich unter die Tore und zwinkern mit vertraulichem Gruß eine sehr -deutliche Einladung zu, zwischen dem aufgetanen Spalt einer Tür -schimmert nacktes Fleisch unter vergoldetem Flitter. Aus den Cafés -grölen die Stimmen der Berauschten und poltert der Zank der Spieler. Die -Matrosen grinsen, wenn sie hier einander begegnen, ihre stumpfen Blicke -werden grell von vieler Verheißung, denn hier ist alles, Weiber und -Spiel, Trunk und Schau, das Abenteuer, das schmutzige und das große. All -dies aber ist scheu und doch verräterisch gedämpft hinter den -heuchlerisch gesenkten Fensterläden, alles nur innen, und diese -scheinbare Verschlossenheit reizt durch die doppelte Verführung von -Verborgenheit und Zugänglichkeit. Diese Straßen sind gleich in Hamburg -und Colombo und Havanna, gleich da und dort wie auch die großen Avenuen -des Luxus, denn das Oben und Unten des Lebens hat die gleiche Form. -Letzte phantastische Reste einer sinnlich ungeregelten Welt, wo die -Triebe noch brutal und ungezügelt sich entladen, ein finsterer Wald von -Leidenschaften und Dickicht und voll triebhaften Getiers sind diese -unbürgerlichen Straßen, erregend durch das, was sie verraten, und -verlockend durch das, was sie verbergen. Man kann von ihnen träumen. - -Und so war auch diese, in der ich mich mit einem Male gefangen fühlte. -Aufs Geratewohl war ich ein paar Kürassieren nachgegangen, die mit ihrem -nachschleifenden Säbel über das holprige Pflaster klirrten. Aus einer -Bar riefen Weiber sie an, sie lachten und schrien ihnen grobe Scherze -zu, einer klopfte an das Fenster, dann fluchte eine Stimme irgendwo, sie -gingen weiter, das Gelächter wurde ferner, und bald hörte ich sie nicht -mehr. Stumm war wieder die Gasse, ein paar Fenster blinkten unklar in -einem Nebelglanz von mattem Mond. Ich stand und sog atmend diese Stille -ein, die mir seltsam schien, weil hinter ihr etwas surrte von Geheimnis, -Wollust und Gefahr. Deutlich spürte ich, daß dieses Schweigen eine Lüge -war und unter dem trüben Dunst dieser Gasse etwas glimmerte von der -Fäulnis der Welt. Aber ich stand, blieb und lauschte ins Leere. Ich -fühlte die Stadt nicht mehr und die Gasse, nicht ihren Namen und nicht -den meinen, empfand nur, daß ich hier fremd war, wunderbar losgelöst in -einem Unbekannten stand, daß keine Absicht in mir war, keine Botschaft -und keine Beziehung und ich doch all dies dunkle Leben um mich so voll -fühlte wie das Blut unter der eigenen Haut. Dies Gefühl nur empfand ich, -daß nichts für mich geschah und doch alles mir zugehörte, dieses -seligste Gefühl des durch Anteilslosigkeit tiefsten und wahrsten -Erlebens, das zu den lebendigen Quellen meines innern Wesens gehört und -mich im Unbekannten immer überfällt wie eine Lust. Da plötzlich, -horchend wie ich in der einsamen Gasse stand, gleichsam erwartungsvoll -auf irgend etwas, das geschehen müßte, etwas, das mich fortschöbe aus -diesem mondsüchtigen Gefühl des Lauschens ins Leere, hörte ich gedämpft -durch Ferne oder eine Wand, sehr trübe von irgendwo ein deutsches Lied -singen, jenen ganz einfältigen Reigen aus dem »Freischütz«: »Schöner, -grüner Jungfernkranz«. Eine Frauenstimme sang ihn, sehr schlecht, aber -doch eine deutsche Melodie war es, deutsch hier irgendwo in einem -fremden Winkel der Welt und darum brüderlich in einem so eigenen Sinne. -Es war von irgendwoher gesungen, aber doch, wie einen Gruß fühlte ichs, -seit Wochen das erste heimatliche Wort. Wer, fragte ich mich, spricht -hier meine Sprache, wen treibt eine Erinnerung von innen, in -verwinkelt-verwilderter Gasse dies arme Lied sich wieder aus dem Herzen -zu heben? Ich tastete der Stimme nach, ein Haus nach dem andern von all -denen, die halbschlafend hier standen, mit geschlossenen Fensterläden, -hinter denen es aber verräterisch blinzelte von Licht und manchmal von -einer winkenden Hand. Außen klebten grelle Überschriften, schreiende -Plakate, und Ale, Whisky, Bier verhieß hier eine versteckte Bar, aber -alles war verschlossen, abweisend und doch wieder einladend. Und -dazwischen -- ein paar Schritte tönten von fern -- immer wieder die -Stimme, die jetzt den Refrain heller trillerte und immer näher war: -schon erkannte ich das Haus. Einen Augenblick zögerte ich, dann trat ich -gegen die innere Tür, die mit weißen Gardinen dicht verhangen war. Da -aber, als ich mich entschlossen hinbeugte, ward etwas im Schatten des -Flurs jäh lebendig, eine Gestalt, die offenbar eng an die Scheibe -gepreßt dort gelauert hatte, zuckte erschrocken auf, ein Gesicht, -begossen vom Rot der überhängenden Laterne und doch blaß im Entsetzen, -ein Mann starrte mich mit aufgerissenen Augen an, murmelte etwas wie -eine Entschuldigung und verschwand im Zwielicht der Gasse. Seltsam war -dieser Gruß. Ich sah ihm nach. Etwas schien sich noch im entschwindenden -Schatten der Gasse von ihm zu regen, aber undeutlich. Innen klang die -Stimme noch immer, heller sogar, wie mirs schien. Das lockte mich. Ich -klinkte auf und trat rasch ein. - -Wie von einem Messer zerschnitten fiel das letzte Wort des Gesanges -herab. Und erschrocken spürte ich eine Leere vor mir, eine Feindlichkeit -des Schweigens, gleichsam als ob ich was zertrümmert hätte. Mählich erst -fand mein Blick sich in der Stube zurecht, die fast leer war, ein Schank -und ein Tisch, das ganze offenbar nur Vorgemach zu andern Zimmern -rückwärts, die mit halbaufgelehnten Türen, gedämpftem Lampenschein und -bereiten Betten ihre eigentliche Bestimmung rasch verrieten. Vorn am -Tisch lehnte auf den Ellbogen gestützt ein Mädchen, geschminkt und müd, -rückwärts am Schank die Wirtin, beleibt und schmutziggrau mit einem -andern nicht unhübschen Mädel. Mein Gruß fiel hart in den Raum, ganz -spät kam ein gelangweiltes Echo zurück. Mir wars unbehaglich, so ins -Leere getreten zu sein; in ein so gespanntes ödes Schweigen, und gern -wäre ich sofort wieder gegangen, doch fand meine Verlegenheit keinen -Vorwand, und so setzte ich mich resigniert an den vorderen Tisch. Das -Mädel, jetzt sich seiner Pflicht besinnend, fragte mich, was ich zu -trinken wünschte, und an ihrem harten Französisch erkannte ich sofort -die Deutsche. Ich bestellte ein Bier, sie ging und kam wieder mit jenem -schlaffen Gang, der noch mehr Gleichgültigkeit verriet als das Seichte -ihrer Augen, die schlaff unter den Lidern glommen wie verlöschende -Lichter. Ganz mechanisch stellte sie nach dem Brauch jener Stuben neben -das meine ein zweites Glas für sich. Ihr Blick ging, wie sie mir -zutrank, leer an mir vorbei: so konnte ich sie betrachten. Ihr Gesicht -war eigentlich noch schön und ebenmäßig in den Zügen, aber wie durch -eine innere Ermattung maskenhaft und gemein geworden, alles fiel schlaff -nieder, die Lider waren schwer, locker das Haar; die Wangen, fleckig von -schlechter Schminke und verschwemmt, begannen schon nachzugeben und -warfen sich mit breiter Falte bis an den Mund. Auch das Kleid war ganz -lässig umgehängt, ausgebrannt die Stimme, rauh von Rauch und Bier. In -allem spürte ich einen Menschen, der müde ist und nur aus Gewohnheit, -gleichsam fühllos weiterlebt. Mit Befangenheit und Grauen warf ich eine -Frage hin. Sie antwortete, ohne mich anzusehen, gleichgültig und stumpf -mit kaum bewegten Lippen. Unwillkommen spürte ich mich. Rückwärts gähnte -die Wirtin, das andere Mädel saß in einer Ecke und sah her, gleichsam -wartend, bis ich sie riefe. Gern wäre ich gegangen, aber alles an mir -war schwer, ich saß in dieser satten, schwelenden Luft, dumpf torkelnd -wie die Matrosen, gefesselt von Neugier und Grauen; denn diese -Gleichgültigkeit war irgendwie aufreizend. - -Da plötzlich fuhr ich auf, erschreckt von einem grellen Gelächter neben -mir. Und gleichzeitig schwankte die Flamme: am Luftzug spürte ich, daß -jemand die Tür hinter meinem Rücken geöffnet haben mußte. »Kommst du -schon wieder?« höhnte grell und auf deutsch die Stimme neben mir. -»Kriechst du schon wieder ums Haus, du Knauser du? Na, komm nur herein, -ich tu dir nichts.« - -Ich fuhr herum, zuerst ihr zu, die so grell diesen Gruß schrie, als -bräche ihr Feuer aus dem Leib, und dann zur Tür. Und noch ehe sie ganz -aufgetan war, erkannte ich die schlotternde Gestalt, erkannte den -demütigen Blick dieses Menschen, der vorhin an der Tür gleichsam geklebt -hatte. Er hielt den Hut verschüchtert in der Hand wie ein Bettler und -zitterte unter dem grellen Gruß, unter dem Lachen, das wie ein Krampf -ihre schwere Gestalt mit einem Male zu schüttern schien und von -rückwärts, vom Schanktisch, mit raschem Geflüster der Wirtin begleitet -wurde. - -»Dort setz dich hin, zur Françoise,« herrschte sie den Armen an, als er -jetzt mit einem feigen, schlurfenden Schritt näher trat. »Du siehst, ich -habe einen Herrn.« - -Deutsch schrie sie ihm das zu. Die Wirtin und das Mädel lachten laut, -obwohl sie nichts verstehen konnten, aber sie schienen den Gast schon zu -kennen. - -»Gib ihm Champagner, Françoise, den teuern, eine Flasche,« schrie sie -lachend hinüber, und wieder höhnisch zu ihm: »Ists dir zu teuer, so -bleib draußen, du elender Knicker. Möchtest mich wohl umsonst anstarren, -ich weiß, du möchtest alles umsonst.« - -Die lange Gestalt schmolz gleichsam zusammen unter diesem bösen Lachen, -der Buckel schob sich schief empor, es war, als wollte das Gesicht sich -hündisch verkriechen, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche -griff, und verschüttete den Wein im Eingießen. Sein Blick, der immer -aufwollte zu ihrem Gesicht, konnte nicht weg vom Boden und tastete dort -im Kreise den Kacheln nach. Und jetzt sah ich erst deutlich unter der -Lampe dies ausgemergelte Gesicht, zermürbt und fahl, die Haare feucht -und dünn auf beinernem Schädel, die Gelenke lose und wie zerbrochen, -eine Jämmerlichkeit ohne Kraft und doch nicht ohne Bösartigkeit. Schief, -verschoben war alles in ihm und geduckt, und der Blick, den er jetzt -einmal hob und gleich wieder erschreckt zurückwarf, gekreuzt von einem -bösen Licht. - -»Kümmern Sie sich nicht um ihn,« herrschte mich das Mädel auf -französisch an und faßte derb meinen Arm, als wollte sie mich -herumreißen. »Das ist eine alte Sache zwischen mir und ihm, ist nicht -von heute.« Und wieder mit blanken Zähnen, wie zum Bisse bereit, laut zu -ihm hinüber: »Horch nur her, du alter Luchs. Möchtest hören, was ich -rede. Daß ich eher ins Meer gehe als mit dir, habe ich gesagt.« - -Wieder lachten die Wirtin und das andere Mädel, breit und blöde. Es -schien ein gewohnter Spaß für sie, ein alltäglicher Scherz. Aber mir -wars unheimlich, jetzt zu sehen, wie sich dies andere Mädel plötzlich in -falscher Zärtlichkeit an ihn drängte und ihn mit Schmeicheleien abgriff, -vor denen er erschauerte ohne den Mut, sie abzuwehren, und ich erschrak, -wenn sein Blick im Auftaumeln mich traf, ängstlich verlegen und -kriecherisch. Und mir graute vor dem Weib neben mir, das plötzlich aus -ihrer Schlaffheit aufgewacht war und so voll Bosheit funkelte, daß ihre -Hände zitterten. Ich warf Geld auf den Tisch und wollte fort, aber sie -nahm es nicht. - -»Geniert er dich, dann werfe ich ihn hinaus, den Hund. Der muß parieren. -Nimm noch ein Glas mit mir. Komm!« - -Sie drängte sich heran mit einer jähen, fanatischen Art von -Zärtlichkeit, von der ich sofort wußte, daß sie nur gespielt war, um -jenen anderen zu quälen. Bei jeder dieser Bewegungen sah sie rasch -schief hinüber, und es war mir widerwärtig zu sehen, wie bei jeder ihrer -Gesten zu mir es in ihm zu zucken begann, als spürte er Brandstahl an -seinen Gliedern. Ohne auf sie zu achten, starrte ich einzig ihn an und -schauerte, wie etwas jetzt in ihm wuchs von Wut, Zorn, Neid und Gier, -und sich doch gleich niederduckte, wandte sie nur den Kopf. Ganz nahe -drängte sie sich nun zu mir, ich spürte ihren Körper, der zitterte von -der bösen Lust dieses Spiels, und mir graute vor ihrem grellen Gesicht, -das nach schlechtem Puder roch, vor dem Dunst ihres mürben Fleisches. -Sie von meinem Gesicht abzuwehren, griff ich nach einer Zigarre, und -während mein Blick noch den Tisch nach einem Streichholz absuchte, -herrschte sie ihn schon an: »Bring Feuer her!« - -Ich erschrak mehr noch als er vor dieser gemeinen Zumutung, mich zu -bedienen, und mühte mich rasch, mir selbst eines zu finden. Aber schon -von ihrem Worte wie mit einer Peitsche aufgeknallt, kam er mit seinen -schiefen Schritten torkelnd herüber und legte rasch, als könnte er sich -mit einer Berührung des Tisches verbrennen, sein Feuerzeug auf den -Tisch. Eine Sekunde kreuzte ich seinen Blick: unendliche Scham lag darin -und eine knirschende Erbitterung. Und dieser geknechtete Blick traf den -Mann, den Bruder, in mir. Ich fühlte die Erniedrigung durch das Weib und -schämte mich mit ihm. - -»Ich danke Ihnen sehr,« sagte ich auf deutsch -- sie zuckte auf -- »Sie -hätten sich nicht bemühen müssen.« Dann bot ich ihm die Hand. Ein -Zögern, ein langes, dann spürte ich feuchte, knochige Finger und -plötzlich krampfartig einen jähen Druck des Dankes. Eine Sekunde -leuchteten seine Augen in die meinen, dann duckten sie sich wieder unter -die schlaffen Lider. Aus Trotz wollte ich ihn bitten, bei uns Platz zu -nehmen, und die einladende Geste mußte wohl schon in meine Hand -geglitten sein, denn sie herrschte ihn eilig an: »Setz dich wieder hin -und störe hier nicht.« - -Da packte mich plötzlich der Ekel vor ihrer ätzenden Stimme und vor -dieser Quälerei. Was sollte mir diese verräucherte Spelunke, diese -widrige Dirne, dieser Schwachsinnige, dieser Qualm von Bier und Rauch -und schlechtem Parfüm? Mich dürstete nach Luft. Ich schob ihr das Geld -hin, stand auf und rückte energisch ab, als sie mir schmeichelnd näher -kam. Es ekelte mich, mitzuspielen bei dieser Erniedrigung eines -Menschen, und deutlich ließ ich durch die Entschlossenheit meiner Abwehr -spüren, wie wenig sie mich sinnlich verlocken konnte. Jetzt zuckte ihr -Blut bös, eine Falte kroch ihr gemein um den Mund, aber sie hütete sich -doch, das Wort auszusprechen, und wandte sich mit einem Ruck -unverstellten Hasses gegen ihn, der aber, des Ärgsten gewärtig, eilig -und wie gejagt von ihrer Drohung in die Tasche griff und mit zitternden -Fingern eine Geldbörse herauszog. Er hatte Angst, jetzt allein mit ihr -zu bleiben, das war sichtlich, und in der Hast konnte er die Knoten der -Börse nicht gut lösen -- eine Börse war es, gestrickt und mit Glasperlen -besetzt, wie die Bauern sie tragen und die kleinen Leute. Mühelos war es -zu merken, daß er ungewohnt war, Geld rasch auszugeben, sehr im -Gegensatz zu den Matrosen, die es mit einem Handschwung aus den -klimpernden Taschen hervorholen und auf den Tisch werfen; er mußte -offenbar gewohnt sein, sorglich zu zählen und die Münzen zwischen den -Fingern zu wägen. »Wie er zittert um seine lieben süßen Pfennige! Gehts -zu langsam? Wart!« höhnte sie und trat einen Schritt näher. Er schrak -zurück, und sie, als sie sein Erschrecken sah, sagte, die Schultern -hochziehend und mit einem unbeschreiblichen Ekel im Blick: »Ich nehm dir -nichts, ich spei auf dein Geld. Weiß ja, sie sind gezählt, deine guten -Pfennigchen, darf keines zuviel in die Welt. Aber erst« -- und sie -tippte ihm plötzlich gegen die Brust -- »die Papierchen, die du da -eingenäht hast, daß sie dir keiner stiehlt!« - -Und wirklich, wie ein Herzkranker im Krampf sich plötzlich an die Brust -greift, so faßte fahl und zitternd seine Hand an eine bestimmte Stelle -des Rockes, unwillkürlich tasteten seine Finger dort an das heimliche -Nest und fielen dann beruhigt zurück. »Geizhals!« spie sie aus. Aber da -flog plötzlich eine Glut in das Gesicht des Gemarterten, er warf die -Geldbörse mit einem Ruck dem andern Mädel zu, die erst aufschrie im -Schreck, dann hell lachte, und stürmte vorbei an ihr, zur Tür hinaus wie -aus einem Brand. - -Einen Augenblick stand sie noch aufgerichtet, hell funkelnd in ihrer -bösen Wut. Dann fielen die Lider wieder schlaff herab, Mattigkeit bog -den Körper aus der Spannung. Alt und müde schien sie in einer Minute zu -werden. Etwas Unsicheres und Verlorenes dämpfte den Blick, der mich -jetzt traf. Wie eine Trunkene, die aufwacht, dumpf mit dem Gefühl einer -Schande stand sie da. »Draußen wird er jammern um sein Geld, vielleicht -zur Polizei laufen, wir hätten ihn bestohlen. Und morgen ist er wieder -da. Aber mich soll er doch nicht haben. Alle, nur gerade er nicht!« - -Sie trat zum Schank, warf Geldstücke hin und stürzte mit einem Schwung -ein Glas Branntwein hinunter. Das böse Licht glimmerte wieder in ihren -Augen, aber trüb wie unter Tränen von Wut und Scham. Ekel faßte mich vor -ihr und zerriß mein Mitleid: »Guten Abend,« sagte ich und ging. »_Bon -soir_,« antwortete die Wirtin. Sie sah sich nicht um und lachte bloß, -grell und höhnisch. - -Die Gasse, sie war nur Nacht und Himmel, als ich hinaustrat, eine -einzige schwüle Dunkelheit mit verwölktem, unendlich fernem Glanz von -Mond. Gierig trank ich die laue und doch starke Luft, und das Gefühl des -Grauens löste sich in das große Erstaunen vor der Mannigfaltigkeit der -Geschicke, und ich spürte wieder -- ein Gefühl, das mich selig machen -kann bis zu Tränen --, daß immer hinter jeder Fensterscheibe Schicksal -wartet, jede Tür sich in Erlebnis auftut, allgegenwärtig das -Mannigfaltige dieser Welt ist und selbst der schmutzigste Winkel noch so -wimmelnd von schon gestaltetem Erleben wie die Verwesung vom eifrigen -Glanz der Käfer. Fern war das Widerliche der Begegnung und das gespannte -Gefühl wohltuend gelöst in eine süße Müdigkeit, die sich sehnte, all -dies Gelebte in schöneren Traum zu verwandeln. Unwillkürlich blickte ich -suchend um mich, den Weg nach Hause durch diese Wirrnis verwinkelter -Gäßchen zu finden. Da schob sich -- unhörbar mußte er nahegetreten sein --- ein Schatten an mich heran. - -»Verzeihen Sie,« -- ich erkannte sogleich die demütige Stimme -- »aber -ich glaube, Sie finden sich hier nicht zurecht. Darf ich ... darf ich -Ihnen den Weg weisen? Der Herr wohnt ...?« - -Ich nannte mein Hotel. - -»Ich begleite Sie ... Wenn Sie erlauben,« fügte er sogleich demütig -hinzu. - -Das Grauen faßte mich wieder. Dieser schleichende, gespenstische Schritt -an meiner Seite, unhörbar fast und doch hart an mir, das Dunkel der -Matrosengasse und die Erinnerung des Erlebten wich allmählich einem -traumhaft wirren Gefühl ohne Wertung und Widerstand. Ich spürte die -Demut seiner Augen, ohne sie zu sehen, und merkte das Zucken seiner -Lippen, ich wußte, daß er mit mir reden wollte, tat aber nichts dafür -und nichts dagegen aus der Taumligkeit meines Empfindens, in dem die -Neugier des Herzens mit einer körperlichen Benommenheit sich wogend -mengte. Er räusperte sich mehrmals, ich merkte den erstickten Ansatz zum -Wort, aber irgendeine Grausamkeit, die von diesem Weib geheimnisvoll auf -mich übergegangen war, freute sich dieses Ringens der Scham und -seelischen Not: ich half ihm nicht, sondern ließ dieses Schweigen -schwarz und schwer zwischen uns. Und unsere Schritte klangen, der seine -leise schlurfend und alt, der meine mit Absicht stark und rauh, dieser -schmutzigen Welt zu entrinnen, wirr zusammen. Immer stärker spürte ich -die Spannung zwischen uns: schrill, voll inneren Schreis war dieses -Schweigen und schon wie eine übermäßig gespannte Saite, bis er es -endlich -- und wie entsetzlich zagend zuerst -- durchriß mit einem Wort. - -»Sie haben ... Sie haben ... mein Herr ... da drinnen eine merkwürdige -Szene gesehen ... verzeihen Sie ... verzeihen Sie, wenn ich noch einmal -davon rede ... aber sie mußte Ihnen merkwürdig sein ... und ich sehr -lächerlich ... diese Frau ... es ist nämlich ...« - -Er stockte wieder. Etwas würgte ihm dick die Kehle. Dann wurde seine -Stimme ganz klein, und er flüsterte hastig: »Diese Frau ... es ist -nämlich meine Frau.« Ich mußte aufgefahren sein im Erstaunen, denn er -sprach hastig weiter, als wollte er sich entschuldigen: »Das heißt ... -es war meine Frau ... vor fünf, vor vier Jahren ... in Geratzheim drüben -in Hessen, wo ich zu Hause bin ... Ich will nicht, Herr, daß Sie -schlecht von ihr denken ... es ist vielleicht meine Schuld, daß sie so -ist. Sie war nicht immer so ... Ich ... ich habe sie gequält ... Ich -habe sie genommen, obwohl sie sehr arm war, nicht einmal die Leinwand -hatte sie, nichts, gar nichts ... und ich bin reich ... das heißt, -vermögend ... nicht reich ... oder ich war es wenigstens damals ... und, -wissen Sie, mein Herr ... ich war vielleicht -- sie hat recht -- sparsam -... aber früher war ich es, mein Herr, vor dem Unglück, und ich -verfluche es ... aber mein Vater war so und die Mutter, alle waren so -... und ich habe hart gearbeitet um jeden Pfennig ... und sie war -leicht, sie hatte gern schöne Sachen ... und war doch arm, und ich habe -es ihr immer wieder vorgehalten ... Ich hätte es nicht tun sollen, ich -weiß es jetzt, mein Herr, denn sie ist stolz, sehr stolz ... Sie dürfen -nicht glauben, daß sie so ist, wie sie sich gibt ... das ist Lüge, und -sie tut sich selber weh ... nur ... nur um mir wehe zu tun, um mich zu -quälen ... und ... weil ... weil sie sich schämt ... Vielleicht ist sie -auch schlecht geworden, aber ich ... ich glaube es nicht ... denn, mein -Herr, sie war sehr gut, sehr gut ...« - -Er wischte sich die Augen und blieb stehen in seiner übermächtigen -Erregung. Unwillkürlich blickte ich ihn an, und er schien mir mit einem -Male nicht mehr lächerlich, und selbst diese merkwürdige servile Anrede, -»mein Herr«, die in Deutschland nur niedern Ständen zu eigen ist, spürte -ich nicht mehr. Sein Antlitz war ganz von der inneren Bemühung zum Wort -durchbildet, und der Blick starrte, wie er schwer jetzt wieder vorwärts -taumelte, starr auf das Pflaster, als läse er dort im schwankenden -Lichte mühsam ab, was sich dem Krampf seiner Kehle so quälend entriß. - -»Ja, mein Herr,« stieß er jetzt tiefatmend heraus, und mit einer ganz -andern, dunklen Stimme, die irgendwie aus einer weicheren Welt seines -Innern kam: »Sie war sehr gut ... auch zu mir, sie war sehr dankbar, daß -ich sie aus ihrem Elend erlöst hatte ... und ich wußte es auch, daß sie -dankbar war ... aber ... ich ... wollte es hören ... immer wieder ... -immer wieder ... es tat mir gut, diesen Dank zu hören ... mein Herr, es -war so, so unendlich gut, zu spüren, zu spüren, daß man besser ist ... -wenn ... wenn man doch weiß, daß man der Schlechtere ist ... ich hätte -all mein Geld dafür gegeben, es immer wieder zu hören ... und sie war -sehr stolz und wollte es immer weniger, als sie merkte, daß ich ihn -forderte, diesen Dank ... Darum ... nur darum, mein Herr, ließ ich sie -immer bitten ... nie gab ich freiwillig ... es tat mir wohl, daß sie um -jedes Kleid, um jedes Band kommen mußte und betteln ... drei Jahre habe -ich sie so gequält, immer mehr ... aber, mein Herr, es war nur, weil ich -sie liebte ... Ich hatte ihren Stolz gern, und doch wollte ich ihn immer -knechten, ich Wahnsinniger, und wenn sie etwas begehrte, so war ich böse -... aber, mein Herr, ich war es gar nicht ... ich war selig jeder -Gelegenheit, sie demütigen zu können, denn ... denn ich wußte gar nicht, -wie ich sie liebte ...« - -Wieder stockte er. Ganz torkelnd ging er. Offenbar hatte er mich -vergessen. Mechanisch sprach er, wie aus dem Schlaf, mit immer lauterer -Stimme. - -»Das ... das habe ich erst gewußt, wie ich damals ... an jenem -verfluchten Tag ... ich hatte ihr Geld verweigert für ihre Mutter, ganz, -ganz wenig ... das heißt, ich hatte es schon bereitgelegt, aber ich -wollte, daß sie noch einmal käme ... noch einmal mich bitten ... ja, was -sagte ich? ... ja, damals habe ich es gewußt, als ich abends nach Hause -kam und sie fort war und nur ein Zettel auf dem Tisch ... >Behalte dein -verfluchtes Geld, ich will nichts mehr von dir< ... das stand darauf, -sonst nichts ... Herr, ich bin drei Tage, drei Nächte gewesen wie ein -Rasender. Den Fluß habe ich absuchen lassen und den Wald, Hunderte habe -ich der Polizei gegeben ... zu allen Nachbarn bin ich gelaufen, aber sie -haben nur gelacht und gehöhnt ... Nichts, nichts war zu finden ... -Endlich hat mir einer Nachricht gesagt vom andern Dorf ... er habe sie -gesehen ... in der Bahn mit einem Soldaten ... sie sei nach Berlin -gefahren ... am selben Tage bin ich ihr nachgereist ... ich habe meinen -Verdienst gelassen ... Tausende habe ich verloren ... man hat mich -bestohlen, meine Knechte, mein Verwalter, alle, alle ... aber, ich -schwöre es Ihnen, mein Herr, es war mir gleichgültig ... Ich bin in -Berlin geblieben, eine Woche hat es gedauert, bis ich sie auffand in -diesem Wirbel von Menschen ... und bin zu ihr gegangen ...« Er atmete -schwer. - -»Mein Herr, ich schwöre es Ihnen ... kein hartes Wort habe ich ihr -gesagt ... ich habe geweint ... auf den Knien bin ich gelegen ... ich -habe ihr Geld geboten ... mein ganzes Vermögen, sie sollte es verwalten, -denn damals wußte ich es schon ... ich kann nicht leben ohne sie. Ich -liebe jedes Haar an ihr ... ihren Mund ... ihren Leib, alles, alles ... -und ich bin es ja, ich, der sie hinabgestoßen hat, ich allein ... Sie -war blaß wie der Tod, als ich hereinkam, plötzlich ... ich hatte ihre -Wirtin bestochen, eine Kupplerin, ein schlechtes, gemeines Weib ... wie -der Kalk war sie an der Wand ... Sie hörte mich an. Herr, ich glaube, -sie war ... ja, sie war beinahe froh, mich zu sehen ... aber als ich vom -Gelde sprach ... und ich habe es doch nur getan, ich schwöre es Ihnen, -um ihr zu zeigen, daß ich nicht mehr daran denke ... da hat sie -ausgespien ... und dann ... weil ich noch immer nicht gehen wollte ... -da hat sie ihren Liebhaber gerufen, und sie haben mich verlacht ... -Aber, mein Herr, ich bin immer wiedergekommen, Tag für Tag. Die -Hausleute haben mir alles erzählt, ich wußte, daß der Lump sie verlassen -hatte und sie in Not war, und da ging ich noch einmal hin ... noch -einmal, Herr, aber sie fuhr mich an und zerriß einen Schein, den ich -heimlich auf den Tisch gelegt hatte, und als ich doch wiederkam, war sie -fort ... Was habe ich nicht getan, mein Herr, sie wieder auszuforschen! -Ein Jahr, ich schwöre es Ihnen, habe ich nicht gelebt, nur immer -gespürt, habe Agenturen besoldet, bis ichs endlich erfuhr, daß sie -drüben sei in Argentinien ... in ... in einem schlechten Hause ...« Er -zögerte einen Augenblick. Wie ein Röcheln war das letzte Wort. Und -dunkler wurde seine Stimme. - -»Ich erschrak sehr ... zuerst ... aber dann besann ich mich, daß ich, -nur ich es sei, der sie da hinabgestoßen hatte ... und ich dachte, wie -sehr sie leiden müsse, die Arme ... denn stolz ist sie vor allem ... Ich -ging zu meinem Anwalt, der schrieb an den Konsul und sandte Geld ... -ohne daß sie erfuhr, wer es gab ... nur daß sie zurückkäme. Man -telegraphierte mir, daß alles gelungen sei ... ich wußte das Schiff ... -und in Amsterdam wartete ich ... drei Tage zu früh war ich gekommen, so -brannte ich vor Ungeduld ... Endlich kam es, ich war selig, wie nur der -Rauch vom Dampfer am Horizont war, und ich glaubte es nicht erwarten zu -können, bis er heranfuhr und anlegte, so langsam, langsam, und dann die -Passagiere über den Steg kamen und endlich, endlich sie ... Ich erkannte -sie nicht gleich ... sie war anders ... geschminkt ... und schon so ... -so, wie Sie es gesehen haben ... und wie sie mich warten sah ... wurde -sie fahl ... Zwei Matrosen mußten sie halten, sonst wäre sie vom Steg -gefallen ... Sobald sie am Land war, trat ich an ihre Seite ... ich -sagte nichts ... meine Kehle war zu ... Auch sie sprach nichts ... und -sah mich nicht an ... Der Träger trug das Gepäck voran, wir gingen und -gingen ... Da plötzlich blieb sie stehen und sagte ... Herr, wie sie es -sagte ... so schmerzend weh tat es mir, so traurig klang es ... >Willst -du mich noch immer zu deiner Frau, jetzt auch noch?< ... Ich faßte sie -bei der Hand ... Sie zitterte, aber sie sagte nichts. Doch ich fühlte, -daß nun alles wieder gut war ... Herr, wie selig ich war! Ich tanzte wie -ein Kind um sie, als ich sie im Zimmer hatte, ich fiel ihr zu Füßen ... -törichte Dinge muß ich gesagt haben ... denn sie lächelte unter Tränen -und liebkoste mich ... ganz zaghaft natürlich nur ... aber Herr ... wie -es mir wohltat ... mein Herz zerfloß. Ich lief treppauf, treppab, -bestellte ein Diner im Hotel ... unser Vermählungsmahl ... ich half ihr, -sich anzuziehen ... und wir gingen hinab, wir aßen und tranken und waren -fröhlich ... Oh, so heiter war sie, ein Kind, so warm und gut, und sie -sprach von Hause ... und wie wir alles nun wieder besorgen wollten ... -Da ...« Seine Stimme wurde plötzlich rauh, und er machte mit der Hand -eine Geste, als ob er jemanden zerbrechen wollte. »Da ... da war ein -Kellner ... ein schlechter, gemeiner Mensch ... der glaubte, ich sei -trunken, weil ich toll war und tanzte und mich überkollerte beim Lachen -... während ich doch nur so glücklich war ... oh, so glücklich, und da -... als ich bezahlte, gab er mir zwanzig Francs zu wenig zurück ... Ich -fuhr ihn an und verlangte den Rest ... er war verlegen und legte das -Goldstück hin ... Da ... da begann sie auf einmal grell zu lachen ... -Ich starrte sie an, aber es war ein anderes Gesicht ... höhnisch, hart -und böse mit einem Male ... >Wie genau du noch immer bist ... selbst an -unserem Vermählungstag!< sagte sie ganz kalt, so scharf, so ... -mitleidig. Ich erschrak und verfluchte meine Peinlichkeit ... ich gab -mir Mühe, wieder zu lachen ... aber ihre Heiterkeit war fort ... war tot -... Sie verlangte ein eigenes Zimmer ... was hätte ich ihr nicht gewährt -... und ich lag allein die Nacht und sann nur nach, was ihr kaufen am -nächsten Morgen ... sie beschenken ... ihr zeigen, daß ich nicht geizig -sei ... nie mehr gegen sie. Und am Morgen ging ich aus, ein Armband -kaufte ich, ganz früh, und wie ich in ihr Zimmer trat ... da war ... da -war es leer ... ganz wie damals. Und ich wußte, auf dem Tisch würde ein -Zettel liegen ... ich lief fort und betete zu Gott, es möge nicht wahr -sein ... aber ... aber ... er lag doch dort ... Und darauf stand ...« - -Er zögerte. Unwillkürlich war ich stehen geblieben und sah ihn an. Er -duckte den Kopf. Dann flüsterte er heiser: - -»Es stand darauf ... >Laß mich in Frieden. Du bist mir widerlich --<« - -Wir waren beim Hafen angelangt, und plötzlich rauschte in das Schweigen -der grollende Atem der nahen Brandung. Mit blinkenden Augen, wie große -schwarze Tiere lagen die Schiffe da, nah und ferne, und von irgendwo kam -Gesang. Nichts war deutlich und doch vieles zu fühlen, ein ungeheurer -Schlaf und der schwere Traum einer starken Stadt. Neben mir spürte ich -den Schatten dieses Menschen, er zuckte gespenstisch vor meinen Füßen, -floß bald auseinander, bald kroch er zusammen im wandelnden Licht der -trüben Laternen. Ich vermochte nichts zu sagen, nicht Trost und hatte -keine Frage, spürte aber sein Schweigen an mir kleben, lastend und -dumpf. Da faßte er mich plötzlich zitternd am Arm. - -»Aber ich gehe nicht fort von hier ohne sie ... Nach Monaten habe ich -sie wiedergefunden ... Sie martert mich, aber ich will nicht müde werden -... Ich beschwöre Sie, mein Herr, reden Sie mit ihr ... Ich muß sie -haben, sagen Sie es ihr ... mich hört sie nicht ... Ich kann nicht mehr -so leben ... Ich kann es nicht mehr sehen, wie Männer zu ihr gehen ... -und draußen warten vor dem Haus, bis sie wieder herunterkommen ... -lachend und trunken ... Die ganze Gasse kennt mich schon ... sie lachen, -wenn sie mich warten sehen ... wahnsinnig werde ich davon ... und doch -jeden Abend stehe ich wieder dort ... Mein Herr, ich beschwöre Sie ... -sprechen Sie mit ihr ... ich kenne Sie ja nicht, aber tun Sie es um -Gottes Barmherzigkeit ... sprechen Sie mit ihr ...« - -Unwillkürlich wollte ich meinen Arm befreien. Mir graute. Aber er, wie -ers spürte, daß ich mich gegen sein Unglück wehrte, fiel plötzlich -mitten auf der Straße in die Knie und faßte meine Füße. - -»Ich beschwöre Sie, mein Herr ... Sie müssen mit ihr sprechen ... Sie -müssen ... sonst ... sonst geschieht etwas Furchtbares ... Ich habe mein -ganzes Geld verbraucht, sie zu suchen, und ich lasse sie nicht hier ... -nicht lebendig ... Ich habe mir ein Messer gekauft ... Ich habe ein -Messer, mein Herr ... Ich lasse sie hier nicht mehr ... nicht lebendig -... ich ertrage es nicht ... Sprechen Sie mit ihr, mein Herr ...« - -Er wälzte sich wie rasend vor mir. In diesem Augenblick kamen zwei -Polizisten die Straße her. Ich riß ihn mit Gewalt auf. Einen Augenblick -starrte er mich entgeistert an. Dann sagte er mit ganz fremder, -trockener Stimme: - -»Die Gasse dort biegen Sie ein. Dann sind Sie bei Ihrem Hotel.« Einmal -noch starrte er mich an mit Augen, in denen die Pupillen zerschmolzen -schienen in ein grauenhaft Weißes und Leeres. Dann verschwand er. - -Ich wickelte mich in meinen Mantel. Mich fröstelte. Nur Müdigkeit spürte -ich, eine wirre Trunkenheit, gefühllos und schwarz, einen wandelnden, -purpurnen Schlaf. Ich wollte etwas denken und all das besinnen, aber -immer hob sich diese schwarze Welle von Müdigkeit aus mir und riß mich -mit. Ich tastete ins Hotel, fiel hin ins Bett und schlief dumpf wie ein -Tier. - -Am nächsten Morgen wußte ich nicht mehr, was davon Traum oder Erlebnis -war, und irgend etwas in mir wehrte sich dagegen, es zu wissen. Spät war -ich erwacht, fremd in fremder Stadt, und ging eine Kirche zu besehen, in -der antike Mosaiken von großem Ruhme sein sollten. Aber meine Augen -starrten sie leer an, immer deutlicher stieg die Begegnung der -vergangenen Nacht auf, und ohne Widerstand triebs mich weg, ich suchte -die Gasse und das Haus. Aber diese seltsamen Gassen leben nur des -Nachts, am Tage tragen sie graue, kalte Masken, unter denen nur der -Vertraute sie erkennt. Ich fand sie nicht, so sehr ich suchte. Müde und -enttäuscht kam ich heim, verfolgt von den Bildern des Wahns oder der -Erinnerung. - -Um neun Uhr abends ging mein Zug. Mit Bedauern ließ ich die Stadt. Ein -Träger hob mein Gepäck und trug es vor mir her dem Bahnhof zu. Da -plötzlich, an einer Kreuzung, riß michs herum: ich erkannte die -Quergasse, die zu jenem Hause führte, hieß den Träger warten und ging -- -während er zuerst erstaunt und dann frechvertraulich lachte -- noch -einen Blick zu tun in diese Gasse des Abenteuers. - -Dunkel lag sie da, dunkel wie damals, und im matten Mond sah ich die -Türscheibe jenes Hauses glänzen. Noch einmal wollte ich näher treten, da -raschelte eine Gestalt aus dem Dunkel. Schauernd erkannte ich ihn, der -dort auf der Schwelle hockte und mir winkte, ich möge näher kommen. Doch -ein Grauen faßte mich, ich flüchtete rasch fort, aus der feigen Angst, -hier verstrickt zu werden und meinen Zug zu versäumen. - -Aber dann, an der Ecke, ehe ich mich wandte, sah ich noch einmal zurück. -Als mein Blick ihn traf, gab er sich einen Ruck, raffte sich auf und -sprang gegen die Tür. Metall blitzte in seiner Hand, da er sie jetzt -eilig aufriß: ich konnte aus der Ferne nicht unterscheiden, ob es Geld -war oder das Messer, das im Mondlicht zwischen seinen Fingern -verräterisch glitzerte ... - - - - - Inhalt - - - Der Amokläufer 9 - Die Frau und die Landschaft 87 - Phantastische Nacht 121 - Brief einer Unbekannten 209 - Die Mondscheingasse 269 - - - - - - - INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG - - -------- - - Dichtungen von Stefan Zweig - - Die frühen Kränze. Gedichte. Dritte Auflage. - - Erstes Erlebnis. Vier Geschichten aus Kinderland. 12. bis - 15. Tausend. - - Brennendes Geheimnis. Novelle. (Insel-Bücherei Nr. 122.) - 36. bis 45. Tausend. - - Das Haus am Meer. Schauspiel in zwei Teilen. - - Tersites. Ein Trauerspiel in drei Aufzügen. Zweite Auflage. - - Der verwandelte Komödiant. Ein Spiel aus dem deutschen - Rokoko. Zweite Auflage. - - Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. 19. - bis 23. Tausend. - - Legende eines Lebens. Ein Kammerspiel in drei Aufzügen. - - Der Zwang. Novelle (in 470 Ex. mit Holzschnitten von Frans - Masereel). - - Die Augen des ewigen Bruders. Novelle. (Insel-Bücherei Nr. - 349.) 10. Tausend. - - Drei Meister: Balzac, Dickens, Dostojewski. 9. bis 12. Tausend. - - Die gesammelten Gedichte (in Vorbereitung). - - -------- - - Von Stefan Zweig wurden übertragen: - - Emile Verhaeren: Rubens. Mit 95 Vollbildern. 26. bis 30. - Tausend. - - Emile Verhaeren: Rembrandt. Mit 80 Vollbildern. 36. bis 40. - Tausend. - - Emile Verhaeren: Hymnen an das Leben. (Insel-Bücherei Nr. - 5.) 41. bis 50. Tausend. - - -------- - - Von Stefan Zweig wurden eingeleitet: - - Charles Dickens: Ausgewählte Romane. -- Dostojewski: Sämtliche - Romane und Novellen. -- Arthur Rimbaud: Leben und Dichtung. - -- Alexandre Mercereau: Worte vor dem Leben. -- Marceline - Desbordes-Valmore: Das Lebensbild einer Dichterin. -- Paul - Verlaine: Gesammelte Werke. - - - Druck vom Bibliographischen - Institut in Leipzig - - - Anmerkungen zur Transkription - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Korrekturen, zum Teil unter Zuhilfenahme anderer Ausgaben -(vorher/nachher): - - [S. 86]: - ... hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit dem Träger ... - ... hohen Bord niederstürzte und den Sarg mit den Trägern ... - - [S. 160]: - ... von mir gehaßtem Ravachol hing, denn rings um mich ... - ... von mir gehaßten Ravachol hing, denn rings um mich ... - - [S. 165]: - ... ein Mensch mit bösem und warmen Gelüst. Eine Tür ... - ... ein Mensch mit bösem und warmem Gelüst. Eine Tür ... - - [S. 171]: - ... inmitten einer weichwogenden Menschenmenge hatte einen ... - ... inmitten einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen ... - - [S. 177]: - ... für dieses Dienstbotengasthaus mit meiner Derbydreß, ... - ... für dieses Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, ... - - [S. 249]: - ... -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die ihren ... - ... -- ah, sie wissen es nicht, die Frauen, die ihrem ... - - [S. 280]: - ... Gesten mir zu es in ihm zu zucken begann, als spürte ... - ... Gesten zu mir es in ihm zu zucken begann, als spürte ... - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Amok, by Stefan Zweig - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AMOK *** - -***** This file should be named 57850-8.txt or 57850-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/5/57850/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country outside the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - diff --git a/57850-h/57850-h.htm b/57850-h/57850-h.htm index 95c2356..1a75eb0 100644 --- a/57850-h/57850-h.htm +++ b/57850-h/57850-h.htm @@ -123,45 +123,7 @@ a[title].pagenum:after { content: attr(title); color: gray; background-color: in <body> -<pre> - -The Project Gutenberg EBook of Amok, by Stefan Zweig - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most -other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Amok - Novellen einer Leidenschaft - -Author: Stefan Zweig - -Release Date: September 5, 2018 [EBook #57850] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AMOK *** - - - - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - - - - - - -</pre> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57850 ***</div> <div class="frontmatter"> <div class="centerpic logo"> @@ -10445,382 +10407,7 @@ Korrekturen, zum Teil unter Zuhilfenahme anderer Ausgaben (vorher/nachher): </ul> </div> -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Amok, by Stefan Zweig - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AMOK *** - -***** This file should be named 57850-h.htm or 57850-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/7/8/5/57850/ - -Produced by Peter Becker, Jens Sadowski, and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This -transcription was produced from images generously made -available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State -Library. - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, -and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive -specific permission. If you do not charge anything for copies of this -eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook -for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, -performances and research. They may be modified and printed and given -away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks -not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the -trademark license, especially commercial redistribution. - -START: FULL LICENSE - -THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK - -To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase "Project -Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg-tm License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. - -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project -Gutenberg-tm electronic works - -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the -person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph -1.E.8. - -1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few -things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works -even without complying with the full terms of this agreement. See -paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project -Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this -agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm -electronic works. See paragraph 1.E below. - -1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the -Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection -of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual -works in the collection are in the public domain in the United -States. If an individual work is unprotected by copyright law in the -United States and you are located in the United States, we do not -claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, -displaying or creating derivative works based on the work as long as -all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope -that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting -free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm -works in compliance with the terms of this agreement for keeping the -Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily -comply with the terms of this agreement by keeping this work in the -same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when -you share it without charge with others. - -1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern -what you can do with this work. Copyright laws in most countries are -in a constant state of change. If you are outside the United States, -check the laws of your country in addition to the terms of this -agreement before downloading, copying, displaying, performing, -distributing or creating derivative works based on this work or any -other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no -representations concerning the copyright status of any work in any -country outside the United States. - -1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: - -1.E.1. The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work -on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the -phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: - - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and - most other parts of the world at no cost and with almost no - restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it - under the terms of the Project Gutenberg License included with this - eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the - United States, you'll have to check the laws of the country where you - are located before using this ebook. - -1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is -derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not -contain a notice indicating that it is posted with permission of the -copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in -the United States without paying any fees or charges. If you are -redistributing or providing access to a work with the phrase "Project -Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply -either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or -obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm -trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted -with the permission of the copyright holder, your use and distribution -must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any -additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms -will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works -posted with the permission of the copyright holder found at the -beginning of this work. - -1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm -License terms from this work, or any files containing a part of this -work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. - -1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this -electronic work, or any part of this electronic work, without -prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with -active links or immediate access to the full terms of the Project -Gutenberg-tm License. - -1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, -compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including -any word processing or hypertext form. However, if you provide access -to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format -other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official -version posted on the official Project Gutenberg-tm web site -(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense -to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means -of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain -Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the -full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. - -1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, -performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works -unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. - -1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing -access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works -provided that - -* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from - the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method - you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed - to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has - agreed to donate royalties under this paragraph to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid - within 60 days following each date on which you prepare (or are - legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty - payments should be clearly marked as such and sent to the Project - Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in - Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg - Literary Archive Foundation." - -* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies - you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he - does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm - License. You must require such a user to return or destroy all - copies of the works possessed in a physical medium and discontinue - all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm - works. - -* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of - any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the - electronic work is discovered and reported to you within 90 days of - receipt of the work. - -* You comply with all other terms of this agreement for free - distribution of Project Gutenberg-tm works. - -1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project -Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than -are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing -from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The -Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm -trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. - -1.F. - -1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable -effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread -works not protected by U.S. copyright law in creating the Project -Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm -electronic works, and the medium on which they may be stored, may -contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate -or corrupt data, transcription errors, a copyright or other -intellectual property infringement, a defective or damaged disk or -other medium, a computer virus, or computer codes that damage or -cannot be read by your equipment. - -1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right -of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project -Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project -Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all -liability to you for damages, costs and expenses, including legal -fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT -LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE -PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE -TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE -LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR -INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH -DAMAGE. - -1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a -defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can -receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a -written explanation to the person you received the work from. If you -received the work on a physical medium, you must return the medium -with your written explanation. The person or entity that provided you -with the defective work may elect to provide a replacement copy in -lieu of a refund. If you received the work electronically, the person -or entity providing it to you may choose to give you a second -opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If -the second copy is also defective, you may demand a refund in writing -without further opportunities to fix the problem. - -1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth -in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO -OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT -LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. - -1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied -warranties or the exclusion or limitation of certain types of -damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement -violates the law of the state applicable to this agreement, the -agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or -limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or -unenforceability of any provision of this agreement shall not void the -remaining provisions. - -1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the -trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone -providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in -accordance with this agreement, and any volunteers associated with the -production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm -electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, -including legal fees, that arise directly or indirectly from any of -the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this -or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or -additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any -Defect you cause. - -Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm - -Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. - -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's -goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg-tm and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at -www.gutenberg.org - - - -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. We do not solicit donations in locations -where we have not received written confirmation of compliance. To SEND -DONATIONS or determine the status of compliance for any particular -state visit www.gutenberg.org/donate - -While we cannot and do not solicit contributions from states where we -have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition -against accepting unsolicited donations from donors in such states who -approach us with offers to donate. - -International donations are gratefully accepted, but we cannot make -any statements concerning tax treatment of donations received from -outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. - -Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation -methods and addresses. Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate - -Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. - -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 57850 ***</div> </body> |
