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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Drei Erzählungen für junge Mädchen - -Author: Clementine Helm - -Release Date: December 1, 2017 [EBook #56098] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DREI ERZÄHLUNGEN FÜR JUNGE MÄDCHEN *** - - - - -Produced by Jens Sadowski, Pál Haragos and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - - - - - - - - - - Drei Erzählungen - - für junge Mädchen - - von - - Clementine Helm. - -(Verfasserin von Backfischchens Leiden und Freuden, Lilli's Jugend &c.) - - - Leipzig, - Georg Wigand's Verlag - 1873. - - - - -Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten. - - - - - Inhalt. - - - Seite - - 1. Esther Wieburg 1 - - 2. Verwaist 129 - - 3. Neue Wege 199 - - - - - Esther Wieburg. - - -»Wie gesagt, Herr Pastor, darin kann ich Ihnen nicht Recht geben, das -=ist= keine Erziehung für ein Mädchen! Einen Jungen mögen Sie alle -diese Dinge lernen lassen, meinetwegen; aber ein Mädchen kann in ihrem -ganzen Leben nichts damit anfangen. Das ist meine Meinung, und dabei -bleibe ich, sowahr ich Friederike Booland heiße!« - -Frau Friederike Booland, die Sprecherin dieser energischen Worte, -bekräftigte den Schluß ihrer Rede damit, daß sie ihre große, knochige -Hand laut schallend auf den Schreibtisch niederfallen ließ, neben -welchem sie stand. An diesem Schreibtische aber saß derjenige, dem ihre -Rede galt, Pastor Wieburg, der Geistliche im Dorfe Rahmstedt. Seit -Jahren schon lebte Frau Booland hier im Hause, nachdem ihr eigener -Gatte, der Schulmeister des Dorfes, gestorben, und von jenem Tage -an führte sie die Zügel des Haushaltes mit ebensoviel Energie als -Gewissenhaftigkeit. Pastor Wieburg hätte keine bessere Haushälterin -finden können und so überließ er ihr getrost alle Regierungssorgen. Nur -ein Departement hatte er sich vorbehalten, und das war die Erziehung -seines einzigen Kindes, eines kleinen, dunkeläugigen Mädchens. So -großen Respect Frau Booland nun auch vor allen Meinungen und Ansichten -ihres Brodherrn hatte, in diesem Punkte war sie seine stete Gegnerin, -und sie scheute sich nicht, dies immer wieder gegen ihn auszusprechen, -so wenig Erfolg ihre Worte auch haben mochten. Pastor Wieburg hörte -ihre Reden geduldig an, ohne den Fluß derselben durch Widerspruch zu -hemmen, so lange seine Pfeife brannte. War diese jedoch zu Ende, so -stand er ruhig von seinem Stuhle auf, ging nach dem Ofen, die Asche aus -der Pfeife zu klopfen, und dann sagte er gleichmüthig: »Schon recht, -Frau Booland; aber jetzt möchte ich Ruhe haben, meine Predigt fertig zu -arbeiten. Sie sind wohl so gut, und kommen ein andermal wieder.« - -Frau Booland blieb alsdann freilich nichts übrig, als sich mit einem -Knix zu empfehlen. Aber ihr sonst gutmüthiges Gesicht war dann durchaus -nicht sonnenhell, und leise vor sich hin brummend ging sie die Treppe -hinunter, um sie nach einiger Zeit von Neuem zu ersteigen und abermals -ihre Vorwürfe anzubringen. - -»Er ist und bleibt unverbesserlich!« rief sie auch heute voll Aerger, -als sie die Thür der Studirstube etwas kräftiger als gewöhnlich -geschlossen hatte und zu ihrem Haushalte zurückkehrte. »Es ist, als ob -ich zur Wand redete, so wenig Eindruck machen meine Worte auf ihn! Wenn -er nur wenigstens mit mir stritte oder mir seine Meinung sagte. Aber -nein, steif und ruhig sitzt er in seinem Stuhle und läßt mich reden und -reden, und am Ende muß ich wieder abziehen und alles bleibt beim Alten. -O diese Männer!« - -Als Frau Booland in ihrem gerechten Grimme das Wohnzimmer im -Untergeschoß des Pfarrhauses betrat, flogen ihre Blicke nach einer Ecke -in der Nähe des Fensters, wo ein niedriger Arbeitstisch stand, an dem -ein kleines Mädchen schrieb. Es war Esther, ihre junge Pflegebefohlene, -für deren Wohl und Wehe die brave Frau soeben vergeblich gekämpft hatte. - -»Schreiben und schreiben, und nichts als lesen und schreiben den -ganzen Tag!« rief Frau Booland verdrießlich. »Bist du denn noch nicht -bald fertig für heute, Estherchen? Du sollst noch ein Bischen in -die Luft, Kind, ich denke, du hast genug gelernt. Hast den ganzen -Nachmittag schon studirt, der Kopf muß dir ja brummen von all' der -grausamen Gelehrsamkeit, du armer kleiner Fisch.« - -»Ich bin bald fertig, Tante, nur noch dies eine =Verbum= muß ich zu -Ende schreiben,« entgegnete das kleine Mädchen aufsehend. »Vater schilt -sonst, denn er sagt ohnehin immer, ich sei nicht fleißig genug!« - -»Das Gott erbarm! Noch nicht fleißig genug!« rief die Wittwe, ihre -Hände zusammenschlagend. »Es ist ein Elend, daß du kein Junge geworden -bist, dann hätte dies Gelerne einen Sinn, aber so? Was in aller Welt -willst =du= damit anfangen?« - -»Ich wollte auch lieber, ich wär' ein Junge, das weißt du ja, Tante! -Und Vater will gewiß einen aus mir machen, daß er mich so viel lernen -läßt,« rief Esther lachend und nickte der erzürnten Frau begütigend -zu. »Aber bitte, Tante, ich möchte das Bischen Tageslicht noch gern -benutzen, um meine Arbeit fertig zu machen. Ich komme dann auch gleich -zu dir in den Garten.« Und ohne sich weiter stören zu lassen, schrieb -das Kind eifrig weiter, während die letzten Strahlen der Herbstsonne -über ihr dunkles Haar forthuschten und ihre blassen Wangen vom -Abendroth leise geröthet wurden. - -Frau Booland hatte von ihrem Standpunkte aus allerdings guten Grund, -sich über die Art und Weise zu beklagen, in welcher ihre kleine -Pflegebefohlene von ihrem Vater erzogen wurde. Pastor Wieburg war ein -durch und durch braver, rechtschaffener Mann und für seine Gemeinde -ein trefflicher Seelsorger; außerdem aber ein ernster, ja strenger und -verschlossener Gelehrter, der den Verkehr mit der Außenwelt mied und -nur seinem Amte und seiner Wissenschaft lebte. So lange Esther, das -einzige Kind seiner früh verstorbenen Gattin, noch zu klein war, um -lernen zu können, hatte er sich sehr wenig um sie bekümmert, und sie -völlig der Sorge Frau Booland's überlassen. Das schüchterne, kleine -Mädchen war auch viel lieber in der Gesellschaft dieser guten Frau, als -in der des ernsthaften, schweigsamen Vaters, der nur immer Ruhe gebot, -wenn sie in seiner Nähe spielte und ihre Puppen stets sehr unsanft in -die Ecke warf, hatte sich ja einmal eine in die Nähe seiner Bücher -verirrt. - -Als Esther jedoch älter ward und ihr Vater bemerkte, daß in dem kleinen -Körperchen eine starke Seele und viel Verstand wohnte, da wuchs sein -Interesse für das Kind. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, um auf -ihn all' sein Wissen und seine Gelehrsamkeit zu übertragen; nun hatte -er statt dessen eine kluge kleine Tochter bekommen, sie sollte ihm -den Sohn ersetzen. Wirklich lernte die kleine Esther bald mit so viel -Eifer und Erfolg, daß ihr Vater immer mehr Gefallen an ihr fand und sie -wie einen Knaben unterrichtete. In der Zeit, wo andere kleine Mädchen -mühsam einzelne Worte zusammen buchstabiren, und mit dem Schieferstifte -unsichere Kritzeleien auf die Tafel malen, konnte unsere kleine Esther -schon recht geläufig lesen und schreiben, und nicht etwa nur in ihrer -Muttersprache, sondern auch in den Anfangsgründen des Lateinischen, -dem sich später sogar das Griechische zugesellte. Bei diesem eifrigen -Lernen und Studiren blieb freilich zum steten Leidwesen der braven Frau -Booland wenig Zeit übrig zur Erlernung all' der weiblichen Künste und -Kenntnisse, welche diese häusliche Frau in der Erziehung eines Mädchens -für unerläßlich hielt. Esther zeigte leider auch wenig Vorliebe für -dergleichen Dinge, und die Geheimnisse der fünf Stricknadeln blieben -ihr sehr lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln. Tante Booland strickte -und nähte ja den ganzen Tag, was sollte Esther sich damit quälen, und -die kleinen Dienste in Küche und Kammer, wozu ihre Erzieherin sie -anzuleiten sich abmühte, erschienen Esther ebenfalls erstaunlich -überflüssig. Was kam denn darauf an, ob ein Kleid drinnen im Schranke -hing oder draußen, ob die Schuhe absolut im Kasten stecken mußten, -und Kamm und Bürste nicht mit der reinen Wäsche Gemeinschaft halten -durften. Wenn Esther nur fand, was sie suchte, so war sie zufrieden; -für alles andere mochte Tante Booland sorgen, die immerfort hinter ihr -her lief, um wieder aufzuräumen, was ihr kleiner Wildfang in Unordnung -gebracht hatte. Wenn dann Frau Booland böse werden und darauf dringen -wollte, daß die leichtfertige kleine Dirne selbst Ordnung schaffe, dann -hatte Esther immer Nöthigeres zu thun und absolut gar keine Zeit für -dergleichen. - -»Aber Tante, ich =muß= doch jetzt lernen, Papa wird sonst zu böse! -Bitte bitte, mache du es doch nur, das nächste Mal will ich es gewiß -thun!« So hieß es stets, wenn das kleine Fräulein etwas vornehmen -sollte, was ihr nicht behagte, und da Frau Booland nicht beurtheilen -konnte, in wieweit Esther's Entschuldigung begründet war, sondern nur -immer mit stillem Grauen des Kindes Gelehrsamkeit anstaunte, so wagte -sie auch nie, energisch gegen Esther's Unarten einzuschreiten. Beim -Vater fand die arme Frau für derartige Klagen auch kein Gehör; denn -dieser hatte jene wunderlichen Ideen über Freiheit in der Erziehung, -wie sie Rousseau einst lehrte, und ihm war es ganz recht, wenn seine -Tochter frei und ungebunden und nicht geleckt und geschniegelt -aufwuchs. »Sie soll mir ein tüchtiges Frauenzimmer werden ohne -weibische Faxen und Narrheiten!« pflegte er auf Frau Booland's Klagen -zu antworten. »Solche hausbackne Tugenden lernt sie noch zeitig genug! -Jetzt laßt mir das Mädel damit in Ruhe, sie kann ihre Zeit besser -anwenden.« - -So wuchs die kleine Esther denn heran mit allen Neigungen und -Beschäftigungen eines Knaben, und kräftig wie ihr Geist entwickelte -sich auch ihr Körper bei dieser Lebensweise. Obwohl sie weder blühende -Farben, noch besonders kräftigen Körperbau besaß, so war sie doch -ein gesundes, frisches Kind, und ihre feinen Glieder besaßen eine -auffallend große Gewandheit und Festigkeit. Sie sprang und turnte, -lief und kletterte wie der tollste Junge, und für sie war kein Baum zu -hoch und kein Graben zu breit. Freilich in welchem Zustande Kleider -und Schuhwerk nach solchen Thaten vor den entsetzten Blicken der Frau -Booland erschienen, das kümmerte Esther wenig, ihr thaten nie die -Finger weh vom Ausbessern dieser Sachen, denn wie hätte =sie= dazu Zeit -gehabt! Tante Booland schalt und brummte zwar stets bei jedem neuen -Riß, aber im Grunde freute sie sich doch, wenn ihr blasser Schützling -lieber in Feld und Wald umhersprang, statt immer über den bösen Büchern -zu sitzen. Deshalb, wenn Esther ihrer Ansicht nach genug studirt hatte, -nahm Frau Booland des Kindes Strohhütchen vom Nagel, drückte ihr ihn -auf die schwarzen Flechten und sagte: »Basta für heute, mein kleiner -Fisch! Jetzt lauf' hinüber zum Bertel. Aber zum Nachtessen sei wieder -hier, du weißt, dein Vater liebt die Pünktlichkeit!« - -Dann blitzten Esthers tiefschwarze Augen in heller Freude auf, und wie -ein Pfeil sprang sie empor. Gewöhnlich nahm sie noch einige Bücher -unter den Arm, wenn ihre Arbeiten noch nicht fertig waren, dann aber -jagte sie wie ein Reh durch die Laubgänge ihres Gartens, und weiter -hinaus über die Dorfstraße, Wiesen und Felder. Sie hatte nur ein Ziel -und das war der Gutshof ihres Dorfes Rahmstedt. - -Aus den Fenstern des Gutshofes konnte man den ganzen Weg bis zur -Pfarre übersehen. Sobald nun Esthers leichte Gestalt daher geflogen -kam, dauerte es nicht lange, da knarrte die Gartenthür, und ein -mächtig großer schwarzer Neufundländer sprang laut bellend in langen -Sätzen über Hecken und Zäune, der kleinen Esther entgegen, die er -fast umrannte. Hinter dem Hunde drein aber kam athemlos ein blonder -Knabe daher, der Esther fröhlich anlachte. Dann faßten die beiden -Kinder sich an den Händen, und lustig ging's nun zusammen in die -weite Welt hinein, bis sie zuletzt den Hafen aufsuchten, nämlich -den Blumengarten im Gutshofe. Auf der Freitreppe am Hause saß dann -zuweilen eine stattliche junge Frau, welcher Esther freundlich die -Hand zum Gruß entgegenstreckte, und dann verließ das kleine Mädchen -ihren Spielgefährten, um sich neben die Dame zu setzen, welche gern -mit der Kleinen plauderte. Auch ein großer, freundlicher Herr kam dann -wohl seitwärts über den Hof geschritten, wo er mit den Dienstleuten -gesprochen oder in den Ställen nachgesehen hatte, und begrüßte das -Kind. Das war Herr von Ihlefeld, der Gutsherr von Rahmstedt, die -schöne, junge Dame aber seine Frau und Hubert, auch Bertel genannt, das -einzige Kind der Beiden. Ein behagliches, glückliches Familienleben -herrschte in dem Hause, und die kleine Esther war ein täglicher, gern -gesehener Gast in demselben. Man rechnete sie so zur Familie, daß stets -ein Gedeck mit für sie aufgelegt wurde, und jederzeit ein Bett für -sie bereit stand, besonders im Winter, wenn die Kleine Abends nicht -in Wind und Wetter den Weg nach Hause machen sollte. Und wie Esther -hier, so war auch Bertel täglich der Gast im Pfarrhause. Pastor Wieburg -hatte es übernommen, den Knaben zu unterrichten, und so war derselbe -neben Esther sein täglicher Schüler. Bertel war zwei Jahr älter als -Esther; das kleine Mädchen lernte aber so rasch und war so eifrig -und ehrgeizig, daß sie vielen Unterricht mit dem Knaben gemeinsam -hatte, und das waren für Esther die herrlichsten Stunden. »Die kleinen -Gelehrten,« nannte man die Kinder in der Umgegend, denn nirgends wußten -andere Kinder ihres Alters so viel, als diese Beiden. - -»Ich werde einmal ein Gelehrter, wie du, Onkel Pastor,« pflegte Bertel -zu sagen, und wirklich schien er auch dauernd Freude am Lernen zu -haben. Esther aber lernte eigentlich nur darum so eifrig, weil Bertel -lernte und sie eben nichts thun und denken mochte, was dieser nicht -auch that. Hätte ihr junger Spielgefährte angefangen, Seil zu tanzen -oder Schuhe zu nähen, Esther wäre ohne Zögern auch mit auf das Seil -gestiegen, oder hätte sich hingesetzt, Schuhe zu flicken, denn Bertel -that es ja. Wenn sie früh aufwachte, so flogen ihre Gedanken hinüber -nach dem Gutshofe, und ihre Blicke wanderten beim Ankleiden fortwährend -nach dem Gartensteg woher Bertel ja nun kommen mußte. Der Tag bestand -für sie eigentlich nur aus zwei Hälften: der, wo sie =mit= Bertel, -und der, wo sie =ohne= ihn war. Die letzte Hälfte suchte sie immer -möglichst abzukürzen, denn es war ja die Schattenseite ihres Tages, -die Zeit =mit= Bertel aber das Licht, die Sonne, dem ihre junge Seele -zustrebte mit allem Denken und Fühlen. Und wie Esther, so ging es ihrem -kleinen Freunde. Auch er kannte keine Freude, keinen Genuß ohne seine -junge Gespielin, und am liebsten wäre er oft den ganzen Tag auf dem -Pfarrhofe geblieben. Er nannte Esther seinen besten Kameraden, und wie -Kameraden verkehrten die beiden Kinder auch mit einander. - -Man konnte nicht schöner und liebenswürdiger sein, als es der schlanke -Bertel war, das gestand Jeder, der den Knaben sah, und für Esther aber -war ihr Kamerad der Inbegriff alles Schönen, Guten und Ausgezeichneten. -Das dunkeläugige und tief brünette Mädchen bildete einen ganz -eigenthümlichen Contrast zu dem rosigen Knaben, dessen feines, -mädchenhaft zartes Gesicht von einer Fülle dichter blonder Locken -umgeben wurde. Esther war kaum hübsch zu nennen; denn etwas scharfe, -unregelmäßige Züge und die bräunliche Haut hätten sie wenig anziehend -gemacht, wenn nicht die großen schwarzen Augen mit strahlendem Feuer -aus diesem Gesichtchen geleuchtet und dicke, seidenweiche schwarze -Flechten den kleinen Kopf umkränzt hätten. Und verschieden wie im -Aeußeren waren die beiden Kinder auch an Charakter und Temperament. -Die braune Esther war Feuer und Leben bis in die kleinste Fingerspitze -hinein, furchtlos und unternehmend, rasch und leicht erregbar. Ihr -warmes Herz bestand harte Kämpfe mit ihrem Eigensinn und ihrem sehr -energischen Willen; aber wenn dieser Wille sich beugte, dann war sie -sanft und weich und gut. Der blonde Hubert hingegen hatte bei einem -äußerst scharfen Verstande ruhigere Besonnenheit und Ueberlegung und -einen weichen, fügsamen Sinn, der sich durch fremde Einflüsse sogar -allzuleicht bestimmen ließ. Etwas Scheues und Abgeschlossenes im -Charakter des Knaben wurde durch die eigenthümliche Erziehung, welche -der ernste Pastor Wieburg ihm ertheilte, noch vermehrt, und außer -Esther besaß der kleine Gelehrte eigentlich keinen nennenswerthen -Umgang. Aber lebendig und kraftvoll wie sein kleiner Kamerad Esther -war auch Hubert trotz dieser Gelehrsamkeit und trotz seines schlanken, -mädchenhaften Körpers. Doch war er nicht so wild und ungestüm als -jene, ja zuweilen erschien er mit dieser Besonnenheit sogar feige und -zaghaft. Erreichte seine Geduld aber die Grenze, dann konnte er heftig -und leidenschaftlich aufflammen mit Esther um die Wette. - -Esther hingegen gab sich der augenblicklichen Regung ganz hin, und -besonders, wenn es galt, für Bertel etwas zu thun, da gab es kein -Ueberlegen. Die Liebe zu ihrem kleinen Freunde war für sie schon in -den ersten Jahren ihres Beisammenseins der Punkt, um den sich alles -bewegte, was sie dachte und that, und für ihn schien ihr kein Opfer zu -schwer. Das Beste, was sie bekam an Naschwerk, oder Obst oder sonstigen -Dingen legte sie stets für ihn zurück; alles was ihm lästig oder -unangenehm war, nahm sie in ihre Hand, und wo sie dem älteren Knaben -mit ihren schwachen Kräften Hülfe leisten konnte, that sie es ohne -Zagen. Bekam er Schelte, so klagte sie sich oft auch als Missethäterin -an, um ihn nicht allein leiden zu lassen, und sie konnte ganz außer -sich gerathen, wenn er Schmerzen litt und sie ihm nicht helfen konnte. -In den Unterrichtsstunden, die sie gemeinsam hatten, freute sie sich -vielmehr über ein Lob, das Bertel gespendet wurde, als über ihr -eigenes, und wenn Bertel, wie es in den Naturwissenschaftsstunden oft -geschah, für die der Knabe am wenigsten Interesse zeigte, eine Arbeit -schlecht gemacht hatte oder Fragen verfehlte, da setzte Esther oft -absichtlich in ihre nächste Arbeit auch Fehler, oder stellte sich -unwissend, nur um nicht besser zu sein als Bertel. - -Eines Tages war Hubert krank geworden und konnte nicht zum Pfarrhause -kommen. Esther wollte natürlich gleich zu ihm eilen, Tante Booland -aber ließ sie nicht fort, denn der Arzt hatte ihr gesagt, Bertel werde -das Scharlachfieber bekommen, sie möge Esther's Zusammensein mit dem -Kranken verhüten, damit sie nicht angesteckt würde. Esther war außer -sich, daß man sie nicht zu Bertel lassen wollte. Drei Tage hielt sie -es aus, ging aber jammernd und klagend umher; als sie nun aber hörte, -Bertel läge im Fieber, sie dürfe unter Wochen nicht zu ihm, sonst -bekomme sie auch diese Krankheit, da sah sie Frau Booland stumm und -thränenlos an. Dann ging sie hinaus in den Garten, in der Dämmerung -aber rannte sie in einem unbewachten Augenblicke mit Blitzeseile nach -dem Gutshofe. Hier schlich sie leise die Treppe hinauf, ohne gesehen zu -werden und versteckte sich hinter einem Schranke, der neben der Thür -von Bertels Krankenstube stand. Dort wartete sie lange geduldig, bis -sie sah, daß die Wärterin und dann auch Frau von Ihlefeld das Zimmer -verlassen hatten; da huschte sie zur Thür hinein. Wirklich war in -diesem Augenblicke niemand als der Kranke in der Stube, und mit einem -leisen Jubelrufe stürzte Esther zu Bertel hin, der ihr voll Entzücken -die Arme entgegenstreckte. »Nun bleibe ich bei dir, Bertel!« sagte -Esther, ihm das heiße Gesicht streichelnd, »ich halte es nicht aus ohne -dich, und wenn du krank bist, will ich es auch werden!« - -Frau von Ihlefeld sah bei ihrem Eintritt voll Schrecken, wer an Bertels -Bett saß. »Kind,« sagte sie, Esther zurückziehend, »wer hat dir -erlaubt, herzukommen, und wer hat dich hier hereingelassen? Willst du -auch das Scharlachfieber bekommen?« - -»Ja, wenn Bertel krank ist mag ich nicht gesund sein,« rief Esther -und schmiegte sich an den Kranken. In demselben Augenblicke kam Frau -Booland herein, ganz außer sich vor Angst und Schrecken. Sie schalt -Esther wegen ihres Ungehorsams und wollte sie sogleich wieder mit sich -fort nehmen. Esther aber weinte und sträubte sich und wollte bei Bertel -bleiben, den sie umschlungen hielt. Da trat der Arzt herein und Esther -flog auf ihn zu und bat, er möge erlauben, daß sie hier bleibe. - -Frau Booland aber rief angstvoll: »Nein, ich leide es nicht! Wenn du -noch länger bei dem Kranken bleibst, wirst du unfehlbar angesteckt, und -mich trifft dann die Verantwortung für deine Thorheiten. Gleich komm -mit mir, ehe es zu spät ist!« - -»Es ist schon zu spät, Frau Booland,« sagte der Arzt leise. -»Esther hielt den Kranken umschlungen, als ich eintrat, da ist der -Krankheitsstoff bereits in sie übergegangen, wenn sie überhaupt dafür -empfänglich ist. Ein längeres Bleiben schadet jetzt nicht, lassen wir -die Kinder ruhig beisammen; Bertel kann es nur zuträglich sein, Esther -um sich zu haben.« - -Frau Booland war leichenblaß geworden, denn sie sah schon ihren -Liebling von der Krankheit ergriffen in Fieberphantasien liegen; aber -zu ändern war hier nichts mehr. Esther erhielt die Erlaubniß, auf dem -Gutshofe zu bleiben und war glückselig. Sie wich nicht von Bertels -Lager, und sobald der Kranke nur wieder Unterhaltung haben durfte, war -sie unermüdlich, ihm vorzulesen, mit ihm zu spielen, oder ihm sonst -wie die Zeit zu vertreiben. Freilich dauerte es nicht lange, da mußte -auch sie sich legen, von der Krankheit ergriffen, und nun stellte man -die Betten der Kinder neben einander. Frau Booland kam, ihren kleinen -Liebling zu pflegen, und nach kurzer Zeit war es dann der genesene -Hubert, der Esther unterhielt, wie sie es erst an seinem Bette gethan. -Aber so sehr Esther auch zu leiden hatte, denn sie wurde bedeutend -kränker als Bertel, keine Klage kam über ihre Lippen. Sie hatte es ja -so gewollt und war bei Bertel, da war alles gut! - -Und wie sie hier keine Furcht kannte, so zeigte sie kurze Zeit darauf -abermals ihre muthige, selbstvergessende Liebe zu Hubert. Pastor -Wieburg kam eines Tages sehr erregt in das Zimmer und sagte: »Frau -Booland, lassen Sie Esther nicht auf die Straße; ich höre soeben von -unserem Knechte, daß sich ein fremder, toller Hund auf dem Felde vor -dem Gutshofe herumtreiben soll. Die Bauern sammeln sich eben im Dorfe, -Jagd auf ihn zu machen.« Esther blickte bei diesen Worten nach der Uhr. -Die Zeit war ganz nahe, in der Bertel zu den Stunden kommen mußte. Wenn -er nun von dem tollen Hunde nichts wußte und ihm vielleicht gerade in -den Weg lief! Auf dem Felde beim Gutshofe trieb sich das Thier herum, -er =mußte= es ja treffen! Kaum hatte Pastor Wieburg und Frau Booland -den Rücken gewendet, als Esther in den Garten flog und durch den Garten -hindurch auf die Landstraße, den Weg nach dem Gutshofe einschlagend. In -athemloser Hast stürzte sie vorwärts, damit sie noch auf dem Gutshofe -ankam, ehe Bertel ihn verließ. Und wenn nun gar vielleicht Hector mit -ihm kam, wie gewöhnlich, dann war die Gefahr eine doppelte; denn dieser -würde unfehlbar den fremden Hund angreifen, wenn er in der Nähe war. - -Schon war Esther über ein Stück jenes Feldes gelaufen, auf dem der Hund -sich heruntertreiben sollte. Sie sah nichts Verdächtiges und rannte dem -Hofthore zu, das vor ihr lag und aus dem jeden Augenblick Bertel treten -konnte. Da plötzlich hörte sie es hinter sich schnaufen und röcheln, -und als sie sich umblickte, rannte der tolle Hund hinter ihr drein. Zur -Seite springen, einen dicken Pfahl ergreifen, der am Wege lag, und mit -diesem dem Hunde einen wuchtigen Hieb über den Kopf versetzen, war das -Werk eines Augenblickes. Der Hund taumelte, bellte dumpf und schlich -dann in der Richtung fort, in der er gekommen, Esther aber stürzte -in Todesangst ohne umzuschauen nach dem Hofthore, das sie aufriß und -blitzschnell hinter sich wieder zuwarf. Die Leute des Gutes, die hier -auf dem Hofe versammelt waren, um sich zur Jagd auf den Hund zu rüsten, -sahen voll Schrecken auf Esther, deren einzige Worte beim Hereinfliegen -waren: »Ist Bertel noch zu Haus?« Erst als er ihr selbst entgegentrat -gab sie sich zufrieden und sank erschöpft auf eine Bank im Hofe, sich -den Angstschweis von der Stirn trocknend. Nun umringte man sie und ließ -sich von ihr erzählen, daß der tolle Hund ihr ganz in der Nähe des -Hauses begegnet sei, und während die Knechte hinauseilten, Jagd auf das -unglückliche Geschöpf zu machen, zog Bertel sie in das Haus hinein, -sie mit Vorwürfen überschüttend, daß sie sich um seinetwillen solcher -Gefahr ausgesetzt habe. - -Esther blickte den Knaben lachend an und sagte: »Daran, daß =mich= -der Hund beißen konnte, habe ich gar nicht gedacht, als ich vom Hause -fortgerannt bin. Aber jetzt wird sich Tante Booland schön um mich -ängstigen, nun will ich nur schnell wieder nach Haus laufen.« »Nicht -eher, als bis der Hund unschädlich gemacht ist!« rief Bertel sie -zurückhaltend. Da aber hörte man einen Schuß in der Nähe, und gleich -darauf kamen die Leute zurück und erzählten, daß man den Hund getödet -habe, der wie betrunken umher getaumelt sei. »Daran ist der Schlag -Schuld, den ich ihm mit dem Pfahle gegeben habe,« lachte Esther, und -dann lief sie eiligen Schrittes wieder zu Frau Booland zurück, die in -Todesangst nach ihr ausschaute. -- - -So wuchsen die beiden Kinder mit einander auf Jahr um Jahr, und von -Liebe umgeben und glücklich durch stetes Beisammensein, vergingen -ihnen die sorglos frohen Jugendjahre wie ein heller Sommertag. Während -der blonde Bertel zu einem schönen schlanken Burschen emporwuchs, war -Esther noch immer das braune Mädchen mit den feurigen Augen und dunklem -Haar; aber ihre Gesichtszüge wurden weicher und anmuthiger, und mit -ihrem schlanken, graziösen Körperchen war sie ein allerliebstes Mädel -geworden. Aber ein Wildfang blieb sie trotz ihrer 13 Jahre, und Frau -Booland hatte oft ihre Noth mit ihr; böse freilich konnte niemand -ihr sein. Aber auch geistig entwickelten sich beide Kinder sehr zur -Zufriedenheit der Ihren, und den »kleinen Professor« besonders, wie man -Bertel nannte, war Pastor Wieburg mit unermüdlichem Eifer bestrebt, -immer mehr zu fördern, so lange er seiner Leitung anvertraut blieb, -denn er war ein selten begabter Knabe. Aber endlich mußte man sich doch -zu einer Aenderung entschließen, um so mehr, da Pastor Wieburg anfing -zu kränkeln und den Unterricht oft unterbrechen mußte. Das Gymnasium -der nächsten Stadt war vortrefflich, und so entschlossen sich Hubert's -Eltern schweren Herzens, den Knaben künftige Ostern dorthin zu geben. - -Das war das erste große Ereigniß in dem Leben der beiden Kinder. Sie -hatten die Trennung, so oft auch davon die Rede war, doch immer in so -ferne Zeiten verschoben, daß es wie ein entsetzlicher Donnerschlag -über sie kam, als sie erfuhren, daß in wenig Wochen Hubert's Abreise -erfolgen sollte. - -»Ich gehe mit dir nach H..,« sagte Esther entschlossen und stellte sich -an Bertel's Seite. »Vater hat gewiß nichts dagegen; ich werde ja dann -studiren wie du, und ohne dich lerne ich hier keine Zeile mehr, das -weiß ich. Was sollst du denn ohne mich anfangen, Bertel?« - -Hubert sah das kecke Mädchen nachdenklich an. - -»Ich glaube, das wird doch nicht gehen, Esther,« sagte er traurig, -»denn ich werde ja auf ein Gymnasium kommen, wo lauter Knaben sind, da -paßt kein Mädchen hinein.« - -»So ziehe ich Knabenkleider an, das ist köstlich, das habe ich mir ja -immer gewünscht!« jubelte Esther und klatschte in die Hände. - -»Aber deine langen Zöpfe?« sagte Bertel kopfschüttelnd. - -»O die schneide ich ab,« rief Esther fröhlich. »Da habe ich doch -endlich Ruhe vor Tante Booland, die früh Morgens immer so lange daran -kämmt und flicht, daß mir die Geduld oft ausgeht und ich ihr davon -laufe. Da sieh', das ist bald geschehen!« Rasch ergriff sie eine -Scheere und that einen tiefen Schnitt in ihr prachtvolles Haar. Aber da -trat Frau Booland in das Zimmer und riß ihr die Scheere aus der Hand. - -»Bist du unklug, Kind? Was treibst du denn wieder?« rief sie heftig. - -»Ich gehe mit Bertel auf das Gymnasium nach H., da kann ich die dummen -Zöpfe nicht brauchen,« entgegnete Esther, an den Flechten reißend. - -»Mit auf's Gymnasium?« sagte Frau Booland lachend. »Nun damit hat es -gute Wege, da laß nur deine Zöpfe in Ruhe, mein Kind. Mädchen kommen da -nicht hin.« - -»Ich gehe auch als Junge mit, versteht sich!« rief Esther rasch. »Tante -Ihlefeld giebt mir gewiß von Bertels Kleidern, damit ich gleich mit -kommen kann.« Frau Booland fing herzlich an zu lachen über Esthers -Pläne, die sie für Scherz hielt. Als sie dann aber sah, daß ihr junger -Wildfang wirklich im Ernst solchen Gedanken Raum gab, war sie still und -sagte leise vor sich hin: »Im Stande wäre sie's, glaub' ich. Das hat -ihr Vater von =der= Erziehung!« - -Als sie mit ihrem Schützling dann am Abend allein im Schlafzimmer war, -zog sie Esther auf ihre Knie, was sie selten that und sprach mild und -freundlich: »Mein liebes Mädchen, ich muß dir einmal etwas sagen. -Du bist jetzt schon 13 Jahre alt, da wird es wirklich Zeit, daß du -den Jungen ausziehst. Thust du es nicht selbst, so thun es dir andere -Leute, und das ist ein schlimmes Ding. Dein Vater hat dich studiren und -aufwachsen lassen, wie einen Knaben; aber du bist und bleibst trotz -alledem =doch= ein Mädchen. Siehst du, ich bin nur eine einfache Frau; -aber das, was sich schickt, besonders für ein junges Mädchen, das du -nun bald sein wirst, weiß ich so gut als jede große Dame, da folge mir -nur getrost. Bertel geht fort, er ist eben ein Knabe und muß sich für -seine zukünftige Laufbahn vorbereiten; aber mit ihm gehen kannst du -nicht, denn das schickt sich nicht. Wozu auch? Ein Mädchen hat einen -anderen Lebenslauf vor sich, als ein Knabe. Er muß in die Welt, das -Mädchen gehört in das Haus. Bis jetzt warst du ein Kind, da paßte sich -alles; aber nun wird das anders, das hilft einmal nichts und mußt du -dir gefallen lassen. Für junge Mädchen schickt sich vieles nicht, was -sich für junge Männer schickt; so will es die Sitte, und ihr müssen -wir uns Alle beugen. Ueber kurz oder lang mußten sich eure Wege doch -scheiden, das ist so der Lauf der Welt und die Bestimmung des Menschen. -Und nun sei verständig und mache Bertel das Herz nicht schwer mit -Weinen und Klagen; denn dann wird ihm das Fortgehen noch viel saurer. -Nicht wahr, Esther, daran willst du denken, ihm zu lieb?« - -Esther hatte schweigend zugehört, denn Tante Booland sprach selten so -ernst und zusammenhängend mit ihr. Sie machte zuerst ein finsteres -Gesicht, denn ihr Eigenwille bäumte sich arg in ihr empor; nach und -nach aber wurde sie nachdenklich, und ein tiefes Roth zog sich ihr über -Stirn und Nacken. Sie biß die Lippen fest auf einander, wie sie immer -that, wenn sie von einem neuen Gedanken überrascht wurde, sagte aber -kein Wort. Auf die letzte Frage von Tante Booland nickte sie rasch -und ernst mit dem Kopfe; dann lehnte sie ihre Stirn eine lange Weile -still an die Brust ihrer treuen Pflegerin, die ihr leise über das Haar -strich. Endlich aber brach sie in einen Strom von Thränen aus und rief -jammernd: »Ach Tante Booland, ohne Bertel kann ich ja aber nicht leben!« - -»Einmal mußt du es lernen, Kind, es geht nicht anders,« sagte Frau -Booland sanft. »Der liebe Gott giebt uns so manches Schwere zu tragen, -und du wirst noch manchesmal in deinem Leben sagen: >ich kann es -nicht!< Und doch wirst du es lernen; denn der himmlische Vater legt -uns keine größere Last auf die Schultern, als wir zu tragen im Stande -sind. Dir hat Gott ein starkes Herz gegeben, deshalb wirst du dem armen -Bertel die Trennung leicht machen, wozu wärst du sonst seine brave, -kleine Esther?« - -Das kindliche Mädchen wischte sich entschlossen die Thränen aus den -Augen und lächelte zuversichtlich. »Ich will ihm helfen, Tante!« sagte -sie fest, und dann legte sie sich still und ergeben in ihr Bettchen. -Lange noch bewegten sich ihre Lippen im Gebet und baten um Muth und -Kraft für die schwere vor ihr liegende Zeit, dann aber schloß der -Schlaf ihr die müden Augen. - -Am andern Tage war mit Esther sichtlich eine Veränderung vorgegangen. -Sie war bleicher und ruhiger als sonst, und auf ihrem Gesicht lag ein -nachdenklicher Zug. Als Hubert zum Unterricht kam, und Esther ihm im -Garten entgegen lief, geschah es mit etwas zögernden Schritten, und -ein brennendes Roth flog einen Augenblick über ihre Stirn. Dann aber -rief sie in ihrer alten muntern Weise: »Ach Bertel, unsere schönen -Pläne werden doch zu Wasser, mit dir ziehen kann ich nicht. Die andern -Jungens würden doch merken, daß ich ein Mädchen bin, und dann bissen -sie mich sicher zum Neste hinaus, wo ich mich einschleichen wollte, -wie's neulich die Schwalben mit dem Spatz machten, weißt du wohl noch?« - -Hubert sah sehr bleich aus. Er nickte still mit dem Kopfe und sagte: -»Ich wußte es gleich und wollte es dir nur nicht sagen, Esther. Aber -ich glaube, ich komme bald wieder; denn so allein ohne dich und ohne -euch alle, -- ich =kann= es nicht ertragen!« - -Mit einem lauten Stöhnen warf er sich auf eine Bank nieder und weinte -so ungestüm und leidenschaftlich, wie Esther es noch nie von ihm -gesehen hatte. Erschrocken setzte sie sich zu ihm und lehnte ihren -Kopf an seine Schulter. Dicke Thränen rollten auch über ihr Gesicht, -und ihre Brust arbeitete heftig. Aber entschlossen richtete sie sich -bald empor, preßte die Hände fest aufeinander und sagte leise: »Bertel, -sei ruhig, einmal mußtest du ja fort, hier auf unserem Dorfe kannst -du ja doch kein großer Gelehrter werden. Aber das sollst du, denn ich -will stolz auf dich sein, und alle sollen es.« Und nun malte sie dem -Knaben in heiterer Weise aus, wie schön es sein müsse, wenn er nun zu -den Ferien nach Hause kommen und ihnen erzählen werde, wie er dort in -der Stadt lebe, wie viel er jetzt lerne und studire, und welches seine -Kameraden sein würden. Bertel hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt -und schluchzte leise. - -»Kameraden?« rief er jetzt heftig. »Sprich mir nicht von Kameraden! Bis -jetzt habe ich noch keinen Jungen gefunden, der mir zugesagt hätte, und -ich werde sicher auch keinen finden. Du bist mein liebster und einziger -Kamerad, Esther, und du sollst es mir bleiben, das gelobe ich dir, wenn -auch tausend andere um mich sein werden; dich ersetzt mir keiner!« - -Er ergriff Esthers Hand und blickte finster vor sich nieder, Esther -aber saß strahlenden Auges neben ihm. Ihre Lippen zitterten, aber sie -sprach nicht. Sie sah ihren blonden Bertel im Geiste unter der Schaar -anderer Knaben, und wie viel schöner er sein würde, als alle anderen, -und wie viel klüger. Und doch war und blieb er =ihr= Bertel, ihr -Kamerad wie bisher. Nun wollte sie auch nicht mehr daran denken, wie -allein, ach so trostlos allein sie sein würde! - -Esther hatte in Gedanken einen Zweig des Fliederbusches herabgezogen, -unter dem sie saßen und dessen Büschel noch kahl und ohne Knospen -standen. - -»Wenn die blühen, bist du wieder hier, Bertel,« rief sie plötzlich und -schüttelte den Zweig. »Ostern ist in diesem Jahr so früh, gerade zu -Pfingsten wird dann alles blühen, Flieder, Goldregen, Schneeballen, -alles, alles. Und die ersten Veilchen schicke ich dir in die Stadt, -Bertel, denn da kannst du gewiß keine pflücken. Von den Erdbeeren aber -und den Stachel- und Himbeeren in unserem Garten soll kein Mensch etwas -bekommen, die schicke ich dir auch alle oder hebe sie dir auf, und -auch die Haselnüsse unten am Wasser. Komm, wir wollen geschwind einmal -nachsehen, Bertel, am Ende sind unten am Wasser schon Veilchen heraus, -oder _Primula veris_. Weißt du auch noch, wie die braune Pflanze heißt, -die zuerst im Frühjahr auf der Wiese blüht?« - -Bertel's trübes Gesicht war unter dem Plaudern Esthers wieder hell -geworden; jetzt lachte er und sagte: »Ach was, Botanik ist einmal nicht -mein Steckenpferd, ich kann mir das Zeug nicht merken. Verrathe mich -aber nicht bei deinem Vater.« - -»So komm, ich will dein Mentor sein, _Tussilago_ heißt das Pflänzchen, -mein kluger Herr,« rief Esther lustig und zog ihn mit sich fort; denn -was sie gewollt, hatte sie durch ihr Plaudern erreicht, Bertel vergaß -seine trüben Gedanken. Und in dieser Weise gelang es ihr von jetzt an -stets, ihren Kameraden zu erheitern, ob ihr selbst auch oft das arme -junge Herz zerspringen wollte vor Weh. Bertel durfte nicht sehen, wie -schwer ihr die Trennung wurde, sonst wäre er mit noch traurigerem -Herzen von ihnen gegangen. Und wie gut hatte sie es doch im Vergleich -mit ihm: Sie blieb zurück in ihrem schönen Garten und traulichen -Hause, hatte Vater und Tante Booland um sich, und dort drüben den -Gutshof mit Onkel und Tante Ihlefeld. Alles, ihre Blumen und Bücher, -ihre Hühner, Hunde, Katzen, die Ziegen und Kaninchen im Stall und die -Vögel im Walde draußen, alles blieb ihr, während der arme Bertel alles -verlassen und allein hinaus mußte unter lauter fremde Menschen. War -es da nicht ihre Pflicht, heiter zu sein und ihm das Herz nicht auch -noch schwer zu machen? O Tante Booland hatte recht, =sie= durfte Bertel -nichts vorklagen! - -Aber trotz alledem wurden ihre Wangen immer blässer, und ihre Augen -blickten immer angstvoller um sich, je näher der Tag der Abreise -kam. Endlich hatten die beiden Kinder den letzten Unterricht beim -Vater gehabt, und Bertel hatte Abschied genommen. In einigen Stunden -fuhren seine Eltern mit ihm nach der Stadt. Esther hatte mitfahren -sollen; aber Frau Booland meinte, für Bertel sei es besser, sie thäte -es nicht, und so blieb sie zurück, willig und sanft, wie sonst nie, -wenn etwas gegen ihren Willen war. Sie setzte sich mit einem Buche -in die Fliederlaube, in der sie neulich mit Bertel gesessen, ihre -Augen waren aber so roth, als sie dann zum Essen in das Zimmer kam, -daß Frau Booland sie mit innigem Mitleiden anblickte. Vor ihrem Vater -aber verbarg Esther, daß sie geweint, denn er konnte »weinerliche -Frauenzimmer« nicht leiden. Es war gut, daß er viel von der Schule und -den Lehrern sprach, wo Bertel jetzt Unterricht haben werde, da bemerkte -er doch Esthers Kummer nicht, von dessen Größe er keine Idee hatte. Die -einfache Frau Booland wußte das besser, als der gelehrte Herr Pastor. - -Es waren traurige Tage für Esther, diese ersten nach Bertel's Abreise. -Wohl hatte sie sich alles vorgeführt, was sie an Glück vor Bertel -voraus habe, da sie zu Hause blieb, während er unter fremde Menschen -und Verhältnisse kam; aber jetzt, nachdem er fort war, fühlte sie -erst, =was= sie verloren. Wie im wachen Traume ging sie daher, sie -meinte immer, jetzt müsse jemand kommen und sie wecken. War denn die -Sonne nicht mehr am Himmel, daß so wenig Glanz über Garten und Wiese -lag? Und waren denn das ihre lieben Blumen, die so wenig Farbe und Duft -hatten, das ihre lustigen Thiere, die mit ihr sonst so fröhlich durch -den Hof und Garten sprangen? Und ihre Bücher, wie langweilig sahen -diese Buchstaben sie an, das Lernen war ja eine Strafe statt wie bisher -eine Lust. Und wie endlos war so ein Tag! Sonst kamen die Mittag- und -Abendstunden, wo sie zum Essen gerufen wurde, immer viel zu früh, -jetzt sah sie fort und fort nach der Uhr, ob denn die Stunden noch -immer nicht rascher davongehen wollten. Nach dem Stege aber, auf dem -Bertel jeden Morgen gekommen war, konnte sie vor Jammer gar nicht mehr -hinsehen, und nach dem Gutshofe zog sie jetzt so wenig. Onkel und Tante -Ihlefeld waren zwar sehr gut und lieb zu ihr, wie bisher; aber es war -so öde in dem Hause und Hofe, und auch Bertel's Neufundländer sah so -traurig aus und heulte laut auf, wenn Esther ihn streichelte und leise -sagte: »Ach Hektor, unser Bertel ist fort!« - -Hubert war jetzt unter eine ziemlich große Zahl von Pensionairen -aufgenommen, welche bei einem der Professoren des Gymnasiums wohnten. -Der zarte, scheue Knabe fühlte sich anfangs unsäglich unbehaglich -unter all' den fremden Gesichtern, und das laute Treiben seiner -Stubengenossen war ihm sehr zuwider. Auch in der Klasse, unter deren -Schülern er einer der jüngsten war, kam er sich wie verloren vor; -denn niemand achtete weiter auf ihn, und die Lehrer hatten ihre -Aufmerksamkeit der ganzen Klasse zu schenken. Wie anders war das, -als bisher bei seinem Lehrer! Aber eigentlich lernte es sich gut in -Gemeinschaft mit so vielen, die alle dasselbe Ziel verfolgten. Und hier -waren einige so kluge, eifrige Mitschüler in der Klasse, da galt es -fleißig sein, wenn er es ihnen gleich thun wollte! Und das wollte und -mußte er, das war ohne Frage. - -So lernte er denn mit unverdrossenem Eifer und vergaß dabei, wie -einsam er unter den vielen Mitschülern dastand, denen er sich, wie es -seine Neigung war und wie er Esther versprochen, nicht anschließen -mochte. Aber dieses Abschließen reizte die andren Knaben zu Neckereien -und Spottreden und bereitete ihm bald manchen Verdruß. Man gab ihm -allerlei Spitznamen, nannte ihn Jungfer Bertel, Muttersöhnchen, -Blondel, Mehlweißchen und suchte ihn zu Zank und Streit aufzustacheln. -Bertel that, als merke er nichts und kämpfte seinen Aerger tapfer -nieder; denn ihm war aller wüste Zank und Lärm in der Seele verhaßt. -Das reizte seine Kameraden doppelt, die solche Selbstüberwindung für -Feigheit hielten. Mit einem Feigling aber meinte man sich ungestraft -alles erlauben zu können. Nun erhielt Bertel eines Tages einen langen -Brief von Esther. Zwei seiner Stubenkameraden, die dabei zugegen waren, -sahen, wie freudig er denselben las. - -»Von wem ist der Brief?« fragte Franz Reichard. - -»Von Esther!« entgegnete Bertel zerstreut und las eifrig weiter. - -»Esther? Wer ist Esther?« forschte Franz weiter. »Ist das eine -Schwester von dir?« - -»Nein doch, laß mich in Ruh'! Esther ist -- nun Esther ist Esther!« -sagte Bertel kurz abweisend und kehrte Franz den Rücken. - -»Esther ist Esther! Eine schöne Erklärung!« rief dieser spöttisch. -»Du, Walter,« fuhr er dann lachend fort und winkte seinem Kameraden -verständnißvoll zu, »weißt du schon, Jungfer Bertel ist mit einer -alttestamentarischen Freundschaft behaftet. Königin Esther heißt seine -Coeurdame.« - -»I was tausend, Mehlweißchen!« rief Walter. »Du bist ja ein Mordskerl! -Und ein Jüdchen hast du zur Freundin? Da heißt's wohl: - - - Ihrer Augen schwarze Kohlen - Haben mir das Herz gestohlen? - - -Wahrhaftig, du bist ja ganz vernarrt in ihren Brief, laß doch 'mal -sehen, was die schwarzhaarige Schöne dir schreibt!« Und dabei blickte -er frech in Esthers Brief, als wollte er ihn lesen. Bertel wurde -dunkelroth vor Aerger, bekämpfte seinen Verdruß aber und sagte nur, -sich rasch abwendend: »Ach Unsinn, Esther ist eine Predigertochter und -keine Jüdin.« Unwillkürlich aber blickten ihn dabei seiner Freundin -schwarze Augen aus dem Briefe an, die allerdings einer kleinen Jüdin -alle Ehre gemacht hätten, und er achtete bei diesem Gedankengange -so wenig auf seine Umgebung, daß er nicht bemerkte, wie Franz sich -herbeischlich und plötzlich einen raschen Griff nach dem Briefe that. -Bertel jedoch hielt fest, und so bekam der Brief einen großen Riß. Nun -aber war Huberts Geduld zu Ende. Mit dem Rufe: »Wart', das sollst du -büßen!« flog er wie ein Pfeil auf den schlechten Kameraden los, faßte -ihn um den Leib und warf ihn zu Boden. Franz war einer der stärksten -Burschen der Stube, und nachdem er sich von der ersten Ueberraschung -erholt hatte, fing er an mit Bertel zu ringen. Ein heißer Kampf -entspann sich, denn Franz war stärker als sein Angreifer; Bertel aber -besaß trotz seines zarten, schlanken Körpers eine große Zähigkeit und -Gewandtheit, und mit Vorsicht wußte er sich stets gegen alle Angriffe -zu decken. Er hatte zu Hause viel geturnt und oft mit den Dorfkindern -gerungen, denn sein Vater pflegte zu sagen, ohne richtige Balgerei -wird keiner ein rechter Junge. So gelang es ihm endlich, den Gegner zu -bezwingen und ihm das Knie auf die Brust zu setzen. - -»Jetzt versprichst du mir, mich ungeschoren zu lassen!« rief er mit -funkelnden Augen. »Ich dulde eure Flegeleien nicht länger, daß ihr es -nur wißt. Wer mich nicht in Ruhe läßt, dem zeige ich, daß ich Fäuste -habe.« Und damit schlug er auf den großen Burschen so tapfer los, daß -es schallte, und Walter ganz verblüfft daneben stand. Franz knirschte -vor Aerger, konnte sich aber nicht rühren, und da er ein weicher Junge -war trotz seiner groben Glieder, so bat er schließlich himmelhoch, -Bertel möchte ihn loslassen, er verspräche auch alles, was er verlange. -Hubert sprang auf und ließ ihn frei, Franz aber schüttelte sich, strich -sich die Haare glatt und dann trat er zu seinem Gegner heran. »Du hast -mich gut verarbeitet, Bertel,« sagte er stöhnend und reckte seine -langen Glieder. »Bis jetzt dachte ich, du wärst feige, weil du dir -alles gefallen ließest; aber nun habe ich Respect vor dir. Wer Courage -hat, den lasse ich in Ruhe. Wollen wir Frieden schließen?« - -Hubert sah dem ehrlichen Burschen ganz erstaunt in das feuerrothe -Gesicht; es war ein guter Zug darin, und Bertel ergriff ohne Zögern die -dargebotene Hand. »Recht gern, Franz«, sagte er herzlich, »mir soll's -recht sein; ich bin kein Freund von Zank und Streit.« - -So hatte die Schlägerei ein gutes Ende und in ihren Folgen trug sie -vortreffliche Früchte. »Bertel hat den Franz gezwungen!« hieß es bald -in der ganzen Anstalt, und das war wie ein Orden; denn Franz war für -einen tüchtigen Raufer bekannt und also nicht gut mit ihm anzubinden. -Niemand hielt den blonden Bertel ferner für einen Feigling und wagte -ihn böswillig zu foppen; hatte derselbe doch auch jetzt an dem älteren -Franz einen Kameraden zur Seite, der sich des jüngeren in allen -Dingen annahm, denn er hing dem neuen Schüler mit immer wachsender -Freundschaft an. Hubert war diese Freundschaft zwar ganz angenehm -und schmeichelhaft, eigentlich aber wagte er nicht recht, dieselbe -anzunehmen; hatte er nicht Esther gelobt, sie allein solle sein Kamerad -sein und bleiben? Und war es nicht Wortbruch, wenn er hier nun doch -eine neue Freundschaft schloß? Lange aber hielten solche Gedanken nicht -vor; es war doch eben gar zu angenehm, nicht allein dazustehen unter -so viel Schülern, und Esther selbst hatte sicher nichts dagegen. Sie -konnte doch einmal nicht bei ihm sein, warum sollte er sich da nicht an -jemand aus seiner jetzigen Umgebung anschließen? Esther blieb ihm ja -doch immer so lieb, als sie ihm je gewesen war, das verstand sich von -selbst. -- - -Trotz dieser Ueberzeugung sprach er in seinen Briefen an Esther doch -nicht viel von seinem neuen Freunde. Die Scene aber, welche ihr Brief -veranlaßt hatte, berichtete er ihr getreulich, und Esther glühte vor -Wonne und Stolz, daß ihr Bertel sich so tapfer gehalten hatte, und -tief innen im Herzen regte sich etwas, wie ein Jauchzen, daß =sie= der -Anlaß zu diesem ersten Kampfe Bertels gewesen war. Davon sagte sie aber -Tante Booland nichts, als sie den Brief vorgelesen, sie wußte selbst -nicht warum. Freilich ahnte Esther nicht, daß Bertel gerade in Folge -davon, daß sie es war, die jenen Kampf veranlaßt hatte, von jetzt an -sorgfältig vermied, wieder von ihr zu sprechen. Er fürchtete abermalige -Neckereien seiner Kameraden, die ohnehin nicht ganz ausblieben; denn -ab und zu erkundigte man sich nach seiner jungen Freundin, welche für -die Knaben durch jene Schlägerei einen geheimnißvollen Reiz erhalten -hatte. Bertel gab aber immer verlegene ausweichende Antworten, und -wenn er Esther auch nicht völlig verleugnete, so wünschte er doch, die -Sache todt zu schweigen, um die Neckereien der Jungens los zu werden. -»Mädchen passen einmal nicht in eine Jungenpension, nicht einmal in -Gedanken!« entschuldigte er sich heimlich, und wirklich verging jetzt -mancher Tag, wo Bertel so von seinen Arbeiten und seinen Kameraden -in Anspruch genommen wurde, daß er seiner kleinen Esther gar nicht -gedachte. Dann aber fiel ihm sein Unrecht plötzlich wieder schwer -auf die Seele, und nun schickte er ihr, wie um vor sich selbst sein -Erkalten wieder gut zu machen, einen so herzlichen, kameradschaftlichen -Brief, erzählte ihr so getreulich von seinem Lernen und Leben -und Treiben, daß Esther voll Entzücken ihres lieben getreuen -Kameraden gedachte, der sie unter all' den neuen Verhältnissen nicht -vernachlässigte. Sie wollte ihm auch zeigen, daß sie seiner in treuer -Anhänglichkeit gedachte, und trotz ihrer Abneigung gegen weibliche -Handarbeiten mühte sie sich jetzt häufig ab, um für Bertel irgend etwas -anzufertigen. Zum ersten Male im Leben zeigte sie Geduld und Ausdauer -bei diesen Arbeiten. Die Knaben in der Pension trugen hellblaue Mützen -mit roth und silbernen Bändern, und wenn das Band besonders schön war, -so bestanden die silbernen Streifen aus kleinen gestickten Blätterchen. -Eine solche Mütze hatte Bertel sich gewünscht, und Esther saß nun mit -eiserner Geduld und nähte mit ihren kleinen ungeschickten Fingern -unermüdlich Blättchen um Blättchen, so sauer ihr auch die ungewohnte -Arbeit wurde. Endlich war das Werk vollendet und zu seinem nächsten -Geburtstage prangte die Mütze unter Bertels Geschenken, die ihm nach -der Pension gesandt wurden. Ein feuriger Dankesbrief lohnte Esther -die gewaltige Mühe, und von nun an war sie immer mit irgend einer -Arbeit für ihren kleinen Freund beschäftigt, zur stillen Freude Tante -Boolands, die ihr getreulich beistand, wo die Schwierigkeiten gar zu -groß wurden. Aber gut war es, daß Esther nicht erfuhr, wie Bertel alle -solche Arbeiten vor seinen Schulkameraden verleugnete, um sich nicht -neuen Neckereien auszusetzen. Die Mütze machte den Anfang. Als seine -Geburtstagsgeschenke bewundert wurden, betrachtete sein neuer Freund -Franz mit etwas neidischen Blicken den zierlichen Streifen an der Mütze. - -»Wer hat dies gestickt, Bertel?« fragte er neugierig. Bertel wurde -roth und wandte sich ab. »Deine Mutter?« forschte Franz weiter. »Ja!« -sagte Bertel kurz und fing ein anderes Gespräch an. Aber die Lüge -brannte wie Feuer auf seiner Seele, und er schalt sich selbst wegen -seiner Feigheit, die ihm nicht erlaubte, dem Spotte der Mitschüler zu -trotzen. »Sie würden mir nimmer Ruhe lassen, und ich könnte die Mütze -nie tragen ohne gefoppt zu werden!« rechtfertigte er sich vor sich -selbst; aber gegen Esther hätte er diese Untreue nie eingestehen mögen. -Aber freilich folgten diesem ersten Verleugnen bald andere, bis er -sich schließlich gar kein Gewissen mehr daraus machte, alle Geschenke -Esthers vor seinen Kameraden zu verheimlichen, nur um Ruhe zu haben. - - * * * * * - -Esther war seit Bertels Fortgang viel stiller und ernster geworden. -»Die wilde Hummel,« wie man sie im Hause nannte, saß jetzt oft -stundenlang bei Tante Booland, ihr vorlesend oder auch wohl bei einer -kleinen häuslichen Beschäftigung helfend. Nur manchmal sprang sie -plötzlich rasch auf, rannte durch Hof und Garten oder hinüber nach dem -Gutshofe, und dann kam sie mit roth geweinten Augen zurück. Aber selten -nur sprach sie es aus, wie unsäglich Bertel ihr fehle, und wenn irgend -jemand sie fragte, ob sie den Kameraden nicht sehr vermisse, dann -zuckten ihre dunkeln Augenbrauen leise und sie sagte stolz: »Ein Junge -kann nicht ewig mit Mädchen spielen, er muß fort und lernen, wenn er -ein Gelehrter werden will.« - -Am liebsten hörte sie es, wenn ihr Vater über Bertel sprach. Jetzt, -nachdem sein Schüler ihn verlassen, wagte der Prediger erst es -auszusprechen, wie große Erwartungen er von Bertel hege, und was er -für ein kluger, talentvoller Knabe sei. Seine Eltern lobten den Sohn -zwar auch in unbegrenzter Weise, aber das hatten sie auch bisher schon -gethan. Von Pastor Wieburg aber, dem strengen, schweigsamen Manne -fiel ein Lob viel schwerer in die Wagschaale, als von allen anderen -Menschen. Ihre eigenen Lehrstunden hatten für Esther allen Reiz -verloren, seit sie allein lernte, und sie sah es nicht ungern, daß ihr -Vater, durch körperliche Leiden belästigt, diese Stunden jetzt sehr -beschränkte. Nur wenn sie dem Vater bei seinen Arbeiten helfen konnte, -wozu die gelehrte Erziehung, welche sie erhalten, sie wohl befähigte, -dann war sie eifrig und fleißig; und so verging ihr manche Stunde mit -Vorlesen griechischer oder lateinischer Bücher, mit Nachschlagen oder -Abschreiben, oder mit Niederschreiben von Dictaten, da der Vater seine -schwachen Augen in dieser Weise gern schonte. Immerhin aber blieb für -Esther jetzt viel mehr freie Zeit übrig als früher. - -»Nun wird das kleine Ding wohl endlich einmal ein Frauenzimmer werden!« -sagte Frau Booland oft still für sich, wenn sie ihres Zöglings häufige -Musestunden mit Behagen bemerkte. »Jetzt kann man doch mit gutem -Gewissen noch andere Dinge von ihr verlangen.« Aber der Geschmack an -diesen anderen Dingen wollte bei Esther noch gar nicht kommen trotz -dieser freieren Zeit, und Frau Booland sah nun wohl, daß ein Kind -in späteren Jahren schwer etwas lernt, wozu es nicht von früh auf -angehalten wurde. Esther lag trotz ihrer 13 Jahre mit der Ordnung und -Sauberkeit noch immer in ewiger Fehde, und alles andere war ihr lieber, -als stricken und nähen oder sonstige weibliche Beschäftigungen; die -Arbeit für Bertel ausgenommen. Hart konnte Tante Booland unmöglich -zu ihrem Herzblättchen sein, und so that sie selbst lieber nach wie -vor alle die Dinge, die Esther zukamen, um nur das arme Kind nicht -allzusehr zu quälen. »Sie wird es schon von selbst machen, wenn sie -einmal verständiger ist,« tröstete sie sich selbst, »ich kann ihr die -liebe Jugend unmöglich dadurch verbittern.« Und so blieb alles so -ziemlich beim Alten. - -Da brachte der Winter ein schweres Leid über die Bewohner des -Pfarrhauses. Pastor Wieburg wurde von einem Schlagfluß zur Hälfte -gelähmt und war unfähig, sich zu bewegen, ja fast zu sprechen und zu -denken. Nun aber zeigte die wilde Esther plötzlich, daß ein braver -Kern in ihr verborgen lag, und sie auch still und geduldig sein -konnte. Vereint mit Frau Booland pflegte und versorgte sie unermüdlich -den hülflosen Vater und übernahm Geschäfte, welche ihr bis dahin -unerträglich oder langweilig gewesen waren. Stundenlang konnte sie -still an dem Bette des Kranken sitzen, oder alles um ihn her ordnen -und zurechtmachen, ohne ungeduldig zu werden, und oft stand sie selbst -am Heerdfeuer, um ein Gericht zu überwachen, das sie ihm nach Frau -Boolands Anweisung bereitete. Die wilden Sprünge und das ungestüme -Davonstürmen vertauschte sie mit leisem Tritt und vorsichtigen -Bewegungen, und wer die besonnene, sanfte Esther hier am Bette des -Vaters sah, der hätte das wilde Kind aus Wald und Wiese nicht wieder -erkannt. Frau Booland stand oft mit gefaltenen Händen still neben dem -Lager und beobachtete ihren jungen Liebling, und eine Thräne stahl sich -dann in ihr gutes Auge. »Gott segne und schütze das arme Herzchen!« -sagte sie leise und seufzte tief auf, denn unwillkürlich schweiften -ihre sorgenden Gedanken in die Zukunft. - -Und nur zu bald sollten diese Sorgen Begründung finden. Statt der -Genesung nahte ein sanfter Tod dem Erkrankten, und Esther weinte schon -nach wenig Wochen am Sarge ihres geliebten Vaters. Das früh verwaiste -Mädchen schmiegte sich in ihrem Kummer jetzt mit doppelter Innigkeit an -das treue Herz, das ihre Kindheit behütet und bewahrt hatte. - -»O Tante Booland,« rief sie weinend, als sie an der Seite dieser braven -Frau vom Friedhofe zurückkehrte und das einsame Pfarrhaus wieder -betrat, aus dem man ihren Vater zur ewigen Ruhe hinweggetragen, »nicht -wahr, du verläßt mich nicht auch, sondern bleibst bei deiner armen -kleinen Esther?« - -»Nein, mein liebes Herzenskind, ich verlasse dich nicht, wenn's -der liebe Gott nicht anders bestimmt,« sagte Frau Booland sanft -und streichelte die Wange des Mädchens. Dabei aber flogen ihre -Blicke unruhig und sorgenvoll hinüber nach dem Gutshofe, und eine -erwartungsvolle Spannung trieb sie rastlos umher, so daß sie zum ersten -Male im Leben selbst bei ihrer Näharbeit keine Ruhe fand. Rasch fuhr -sie oft empor, als höre sie jemand kommen, und immer wieder blickte sie -nach dem Wege hinaus, der durch das Dorf führte. - -Endlich steigerte sich die Erwartung der braven Frau bis zum -Aeußersten; denn sie hörte draußen im Hofe Schritte und sah gleich -darauf Frau von Ihlefelds schlanke Gestalt in das Haus eintreten. - -Herr und Frau von Ihlefeld hatten mit dem Pfarrhause stets freundlichen -Verkehr gepflogen, so lange Pastor Wieburg Pfarrer ihres Dorfes -Rahmstadt gewesen, und die Freundschaft der Kinder hatte die beiden -Häuser in mannigfache Verbindung gebracht. Der ernste, abgeschlossene -Pfarrer besuchte den Gutshof zwar nur selten; aber er war jederzeit -dort ein geehrter und lieber Gast. Herr von Ihlefeld besaß wirkliche -Hochachtung für ihn und auch die Gutsherrin, obwohl sie vor dem ernsten -Manne eine kleine Scheu nicht überwinden konnte, ehrte in demselben -den würdigen Geistlichen und langjährigen Freund. Beide Gatten aber -waren vom tiefsten Danke beseelt für die treue Liebe und Hingebung, mit -welcher Pastor Wieburg jahrelang ihren einzigen Sohn unterrichtete und -ihm der sorgsamste Lehrer und liebevollste Erzieher gewesen war. - -Aber trotz dieses freundschaftlichen Verkehrs und trotz der -steten Freundlichkeit, welche Esther im Gutshofe genoß, konnte -man doch bemerken, daß Herr und Frau von Ihlefeld jederzeit etwas -Zurückhaltendes im Umgang mit den Gliedern des Pfarrhauses behielten. -Sie waren und blieben stets die adlige Herrschaft von Rahmstedt, und -ihre Freundlichkeit glich nur zu häufig der Gunstbezeugung eines -Höheren gegen Niedriggestellte. Besonders die einfache Frau Booland -hatte oft von dem Stolze der Gutsherrin zu leiden; aber in ihrer -Demuth klagte sie nie über derartige Kränkungen. Der Pfarrer bemerkte -dergleichen Schwächen bei seinen Freunden kaum, oder lächelte nur -im Stillen darüber, Esther aber war viel zu sehr sorgloses Kind, um -dergleichen zu empfinden. - -Bei der Erkrankung des Pfarrers aber hatten sich Herr und Frau von -Ihlefeld theilnehmend und wahrhaft freundschaftlich bewiesen, und -mehr als einmal hatte die Gutsherrin, wenn sie auf den leider zu -erwartenden Trauerfall Bezug nahm, mit inniger Theilnahme zu Frau -Booland gesagt: »Um Esthers Zukunft soll der Kranke keine Sorge haben, -dieses lieben Kindes werden wir uns annehmen, das versteht sich von -selbst.« Aber in welcher Weise dies geschehen würde, darüber sprach -sie sich nie weiter aus, und so war es natürlich, daß Frau Booland -der jetzigen Entscheidung mit lebhafter Unruhe entgegensah. Drohte -der braven Pflegerin ja doch die Trennung von ihrem Lieblinge, der -sie mit wirklich mütterlicher Liebe anhing. Und doch wagte sie nicht -zu klagen und solche Gedanken laut werden zu lassen; denn was konnte -es für Esther's Zukunft denn Besseres geben, als im Hause von Bertels -Eltern liebevolle Aufnahme zu finden? Ihre Phantasie wob dann in reger -Geschäftigkeit weiter an den herrlichen Zukunftsträumen für ihren -jungen Pflegling, und wenn ihr auch die hellen Thränen dabei über -das ehrliche Gesicht tropften, dachte sie an die Trennung und an ihr -eigenes einsames Leben, so schalt sie sich doch immer wieder selbst -über solchen Egoismus, der noch an das eigene Glück neben dem der -geliebten Esther denken konnte. - -Und nun war der Augenblick gekommen, der ihr die Kunde bringen -mußte, daß Esther jetzt mit Frau von Ihlefeld gehen und sie allein -zurücklassen sollte! Die brave Frau Booland hatte all' ihre Kraft -zusammen zu nehmen, um Frau von Ihlefeld ruhig und mit der -gewöhnlichen höflichen Ergebenheit entgegen zu gehen. Die Gutsherrin -war ein seltener Gast in dem Pfarrhause, nur während der Krankheit -Pastor Wieburgs hatte sie dasselbe häufiger besucht, um Esther ihre -Theilnahme zu beweisen; der Kranke selbst erkannte sie kaum noch. -Hubert begleitete heute seine Mutter; denn zur Beerdigung seines -theuren Lehrers war er auf einige Tage aus der Pension nach Hause -gekommen. Während die beiden Kinder nun in Esthers Stübchen beisammen -waren, und Bertel seine junge Freundin zu trösten und zu zerstreuen -suchte, saß im Wohnzimmer Frau von Ihlefeld der erregten Frau Booland -gegenüber und sagte nach einer kleinen Pause, während welcher das -Herz der ehemaligen Frau Schulmeisterin fast hörbar klopfte: »Meine -gute Frau Booland, ich habe Ihnen schon mehrfach angedeutet, daß -nach Herrn Pastor Wieburgs Tode die Sorge für dessen Tochter mein -und meines Mannes Sache sein wird; das sind wir demjenigen schuldig, -der unserem Sohne ein so treuer, väterlicher Freund gewesen ist. -Wir haben vielfach nachgedacht, was für Esther wohl das Beste sein -möchte. Wollten wir sie zur Lehrerin ausbilden lassen, so müßte sie -noch lange Zeit in eine Pensionsanstalt gehen; denn sonderbarer Weise -hat sie gerade die Dinge, welche eine Erzieherin wissen muß, nicht -gelernt trotz aller Gelehrsamkeit. Moderne Sprachen kann sie nicht -und mit Musik und Zeichnen ist es auch nicht viel geworden. Aber bei -der Eigenthümlichkeit Esthers würde sie ein solcher Aufenthalt sehr -unglücklich machen, denke ich mir. Das Einfachste wäre, sie zu uns in -das Haus zu nehmen. Aber auch dagegen spricht vieles. Esther ist ein -armes Mädchen, eines schlichten Landpredigers Tochter, angewiesen auf -eine Zukunft voll bescheidener Aussichten und einfacher Lebensstellung. -In unserem Hause aber würde sie sehr verwöhnt werden, würde Ansprüche -lernen, welche für ein Mädchen bürgerlicher Herkunft und ohne Vermögen -nicht passend wären. Und doch würde es, glaube ich, kränkend für -sie sein, wollte ich, um diese Uebelstände zu vermeiden, ihr eine -untergeordnete Stellung in unserem Hause zuweisen. - -So haben wir denn beschlossen, ihr ein kleines Eigenthum zu schenken, -in dem sie mit dem mütterlichen Vermögen, welches ihr geblieben ist, -eine bescheidene selbständige Existenz finden kann. Sie, meine brave -Frau Booland, würden ein gutes Werk thun, wenn Sie Esther zur Seite -blieben, wie bisher. Das kleine Haus, das neben der Försterei liegt, -und ein Stückchen Garten und Feld soll Esthers Eigenthum werden. Ich -denke, das wird ihr lieb sein, besonders wenn sie hört, daß es Bertels -Idee war, ihr dies zu schenken; er glaubt, der nahe Wald wird für -Esther einen besonderen Reiz haben. Er ist immer so sinnig und gut, -unser braver Sohn, und möchte jedem eine Freude machen, und wir kommen -seinen Wünschen immer gern nach, wenn es möglich ist. Ich denke, Esther -wird sich gegen uns und gegen Hubert auch stets dankbar beweisen, denn -sie ist ja ein liebes, bescheidnes Mädchen und wird es hoffentlich auch -stets bleiben. Nun aber rufen Sie mir Esther, liebe Booland, damit ich -mit ihr über diese Sachen sprechen kann. - -Frau Booland war froh, daß sie einen Grund hatte, hinaus zu gehen; -denn in ihr jagten und überstürzten sich tausend Gedanken und Gefühle, -und doch wagte die bescheidene Frau nicht, dieselben gegen die stolze -Gutsherrin auszusprechen. Mit einer leichten Verbeugung erhob sie sich -vom Stuhle und schritt dann rasch zum Zimmer hinaus. - -»Gott sei Dank, daß ich fort konnte!« sagte sie tief aufathmend und -legte die große Hand wie beruhigend auf ihr weißes Brusttuch. »Ist -das eine Welt! Sind das Menschen! Hochmuth, Hochmuth und nichts als -Hochmuth! Ja, sorgen wollen sie für das arme, herzige Kindchen; aber -mit welcher Miene, welcher beleidigenden Art und Weise! Die Füße soll -sie ihnen wo möglich dafür küssen, und daß sie sich nur ja nicht etwa -untersteht, sich jemals ihres Gleichen zu dünken! Und da muß Bertel -erst noch kommen und ihnen den Weg zeigen, und eigentlich ist's nur, -um ihm einen Wunsch zu erfüllen, sonst hätten sie es sicher gar nicht -gethan. Nun Gott sei Dank, daß es so gekommen ist, da kann ich doch -bei meinem Herzblättchen bleiben! Mir konnte ja kein größeres Glück -passiren. Aber für Esther! Nein, nein, auch für Esther ist es besser -so, als um Gotteswillen in einer Familie zu leben, die ihr hochmüthig -das Bürgerblut vorwirft und sie wohl gar zum Hauspudel herabwürdigen -möchte. Was? Meine Esther, dies kluge, liebreizende Geschöpfchen, -meine Wonne und mein Augentrost, die Gespielin des braven Bertel, soll -die etwa Kammerjungfer der gnädigen Frau werden, damit sie nur nicht -vergißt, daß sie kein =von= vor ihrem Namen hat und also nicht werth -ist, in Gemeinschaft mit solchen hochgebornen Leuten die Füße unter den -Tisch zu stecken? Nein, mein Goldkind, das litte ich nun und nimmer, -da wollte ich mir lieber die Hände abarbeiten, um dich vor solcher -Existenz zu bewahren. Aber so sind sie nun, diese vornehmen Leute! Den -Sohn herzuschicken Tag für Tag, daß er von unserem Herrn Pastor die -schönsten gelehrtesten Dinge lernt, von denen sie sich alle zusammen -kein Tütelchen können träumen lassen, dazu sind sie nicht zu vornehm, -das nehmen sie von dem armen bürgerlichen Pfarrer recht gern an Jahr -für Jahr. Aber der Dank dafür, wenn er auch schließlich gegeben wird, -hat einen gar unangenehmen Beigeschmack. Nun Estherchen soll's aber -nicht merken, das liebe unschuldige Herz; sie soll nur die Freude von -dem Geschenk haben, mir zähen Alten kann der Beigeschmack doch nichts -mehr schaden.« - -Unter derartigen Worten und Gedanken hatte Frau Booland das Zimmer -erreicht, in dem Hubert und Esther beisammen saßen. Bertel hatte -seiner kleinen Freundin bereits den Plan mitgetheilt, den seine Mutter -Frau Booland eröffnete; aber freilich in sehr anderer Weise, als -Frau von Ihlefeld es gethan. So fand denn Tante Booland ihren jungen -Liebling mit freudig strahlenden Augen und glühenden Wangen an Bertels -Seite sitzend, und voll Entzücken flog sie ihrer braven Pflegemutter -entgegen und verkündete ihr die erfreuliche Neuigkeit. Frau Booland -lachte mit ihr durch ihre Thränen hindurch, dann aber führte sie beide -Kinder zu Frau von Ihlefeld hinab. Hier hatte sie die Genugthuung, zu -bemerken, daß Hubert, als seine Mutter anfing, auch gegen Esther von -der bescheidenen Lebensstellung und Herkunft zu sprechen, an welche -sie allein Ansprüche machen könne, plötzlich feuerroth wurde und -heftig sagte: »Mama, laß doch, das ist ja alles ganz egal. Ich bin -Esthers Bruder, und also ist Esther ebensoviel als ich. Sie hat mir -versprochen, sie will als meine Schwester alles von mir annehmen, wenn -sie etwas braucht, und als erstes Geschenk gebe ich ihr das hübsche -kleine Haus, niemand anders, nicht wahr? So hast du's mir wenigstens -versprochen, Mama. Esther hat sich auch schon bei mir bedankt; aber -eigentlich braucht sie das gar nicht, da sie meine Schwester ist.« - -Frau von Ihlefeld war sehr roth geworden bei dem kindischen Gespräch -ihres Sohnes; doch lächelte sie und sagte ausweichend: »Schon gut, -lieber Bertel! Esther wird sich hoffentlich recht wohl in der neuen -Heimath fühlen und ihr Vaterhaus nicht zu schmerzlich entbehren. Wir -aber, mein liebes Kind, wollen dir auch ferner treu zur Seite stehen, -das verspreche ich dir.« - -Dabei küßte sie das junge Mädchen liebevoll, und Esther weinte bald, -bald lachte sie wieder, innig aber dankte sie für alle Liebe und Güte, -die ihr zu Theil wurde. Und wie viel Grund hatte sie zu Glück und -Freude! Der Gedanke, ihr liebes Dorf nicht verlassen zu müssen, in der -Nähe von Bertel und dessen Eltern zu bleiben, und bei der Pflegerin -ihrer Kindheit, der treuen Tante Booland, ferner leben zu können -- es -war eine schöne, beglückende Aussicht mitten in ihrer Trübsal, und sie -gab sich diesem Glücke mit vollem Herzen hin. - - * * * * * - -So sehen wir denn mit dem beginnenden Frühjahr unsere kleine Esther -als Bewohnerin eines hübschen, freundlichen Häuschens, das rings von -einem netten Gärtchen umgeben ist. Unmittelbar hinter dem Hause erhebt -sich der dichte Laubwald, und in einiger Entfernung davon liegen -die Häuser des Dorfes und der Gutshof. In nächster Nachbarschaft -steht das Haus des Försters, und Esther sowohl als ihre treue Tante -Booland sind hier wie im ganzen Dorfe liebe, gern gesehene Gäste. Ein -harmlos glückliches, friedliches Dasein erblühte für Esther in dieser -traulichen Häuslichkeit, sie selbst aber wuchs heran zu einem frischen, -schönen, fröhlichen Mädchen, das alle Menschen lieb hatten. - -Mehr als ein Jahr war so vergangen, da durchlief eine schreckliche -Kunde das Dorf Rahmstedt. Oft schon hatte man sonderbare Gestalten auf -dem Gutshofe ein- und ausgehen sehen, schäbig gekleidete, jüdische -Männer. Man sprach vom Verkauf des Gutes und von großen Verlusten, -welche Herr von Ihlefeld gehabt habe, eines Morgens aber fand man -den unglücklichen Gutsherrn erschossen in seinem Zimmer. Ein Brief -an seine Gattin sagte dieser, daß sie am Bettelstabe wären in Folge -unglücklicher Speculationen, in welche er sich eingelassen habe, und -daß er nicht im Stande sei, diesen Schlag zu überleben. Auch sie und -seinen armen Sohn habe er durch seinen Leichtsinn unglücklich gemacht, -das könne er nicht mit ansehen. Dem Todten würden sie eher verzeihen -als dem Lebenden, darum scheide er lieber von ihnen. - -Es war ein furchtbarer Schlag für die unglückliche Frau. Sie, die -so stolz und erhaben über all' denen gestanden hatte, welche sie -umgaben, sie mußte es nun ertragen, daß man sie von ihrer Höhe stürzte -und sie hinausstieß in die Welt, arm und hülflos wie das ärmste Weib -ihres Dorfes. Das ganze prachtvolle Gut ging in andere Hände über, -und die arme Frau rettete von der ganzen Habe kaum so viel, sich vor -der bittersten Noth zu schützen. Wie verzweifelt irrte sie durch die -wüsten Zimmer des schönen Hauses, nicht wissend, wohin sie sich wenden -sollte in ihrem grenzenlosen Elend; denn erbarmungslos achteten die -hartherzigen Gläubiger wenig ihres Kummers. Suchte doch jeder so -schnell wie möglich sich für seine Verluste an dem hinterlassenen -Besitzthum schadlos zu halten, und obwohl der Todte noch nicht -bestattet, wühlten doch schon fremde Hände in seinen Papieren und -versiegelten die ganze Hinterlassenschaft. Da flogen hastige Schritte -die Stufen der Freitreppe hinauf, und an das Herz der trostlosen Wittwe -schmiegte sich weinend und zärtlich ein schlankes Mädchen. Es war -Esther. Noch zitterte das Entsetzen über die fürchterliche Nachricht -in allen ihren Gliedern; aber der unglücklichen Frau gedenkend kämpfte -sie alle andern Gefühle nieder und gab nur dem einen Raum: der Mutter -Bertels Hülfe und Trost zu bringen so viel in ihren Kräften stand. Und -sie konnte es ja, dem Himmel sei Dank, konnte es durch die einstige -Güte derer, denen sie nun helfen wollte. Jetzt war sie ja die Reiche -ihren ehemaligen Wohlthätern gegenüber und konnte ihnen den Zins -abtragen für so viele Güte und Liebe. O wie glücklich machte sie der -Gedanke, und mit welchem Entzücken erfüllte sie diese Aussicht! - -Frau von Ihlefeld umschlang Esther mit einem Schrei der Verzweiflung, -und dann brach sie in einen Strom von Thränen aus. Bis dahin hatte -das Entsetzen über das furchtbare Schicksal, das sie betroffen, wie -eine Felsenlast auf ihr gelegen und sie aller Thränen und aller -klaren Gedanken beraubt. Beim Anblick des Kindes aber, das weinend -an ihr Herz sank, wich der Bann, der auf ihr lastete, und sie fand -erlösende Thränen. Als die arme Frau endlich ruhiger wurde, da schlang -Esther ihre Arme um sie und zog sie mit sich hinaus aus den wüsten, -unheimlichen Räumen, in denen so Schreckliches über sie gekommen war, -und führte sie schweigend nach ihrem eigenen kleinen Hause am Walde. - -»Hier ist jetzt Ihre Heimath, liebe Tante Ihlefeld,« sagte Esther -freudig. »Bertel hat mich seine Schwester genannt, so habe ich also ein -Recht, unsere theure Mutter in meinem Hause zu haben und zu pflegen, -denn es ist ja auch das Ihre. Nicht wahr, Tante Ihlefeld, Sie bleiben -bei uns?« - -Frau von Ihlefeld verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte -bitterlich. »O Kind, Kind,« schluchzte sie, »Gott segne dich, du bist -ein braves Mädchen! O, was wird Bertel sagen!« Und wieder brach das -unglückliche Weib unter der Last ihres Jammers zusammen. Aber in der -jetzigen Umgebung fand sie doch eher Ruhe und Fassung, und Esther, wie -auch die gute, einfache Frau Booland verstanden es, ihr das schwere -Schicksal zu erleichtern. - -Und nun kam Hubert. Man hatte ihm erst nach und nach das schreckliche -Schicksal mitgetheilt, das über ihn und seine Mutter hereingebrochen -war, und der arme Knabe war wie vernichtet von der Nachricht. Einer -seiner Lehrer begleitete ihn nach Rahmstedt, da er den Fassungslosen -nicht allein lassen wollte, und es war ihm gelungen, den armen Bertel -wenigstens so weit zu beruhigen, daß er der Mutter gegenüber seinen -Kummer zu beherrschen versprach, um dieselbe nicht noch unglücklicher -zu machen. Esther hatte mit großer Umsicht dafür gesorgt, daß Hubert -bei seiner Ankunft den Gutshof gar nicht betrat. In ihrem Häuschen fand -das erschütternde Wiedersehen statt zwischen Mutter und Sohn, und hier -bereitete Esther auch für Bertel die Wohnung. So klein das Haus war, -die unteren Räume genügten für sie und für Tante Booland, die oberen -aber gehörten Frau von Ihlefeld und Bertel. - -Ein ganz neues Leben begann nun für unsere Esther. Sie hatte die Sorge -für zwei geliebte Wesen übernommen, das forderte all' ihre Kräfte -heraus sowohl des Geistes als des Körpers. Die Mittel zum täglichen -Unterhalt waren sehr beschränkt; denn Frau von Ihlefeld rettete aus -den Trümmern ihres Besitzthums nur einen ganz unbedeutenden Rest. -Und doch galt es, die arme verwöhnte Frau nicht allzuschmerzlich -fühlen zu lassen, was sie alles zu entbehren hatte, vor allem aber -galt es, Bertels Pension weiter zu bezahlen, damit er seine Studien -nicht unterbrechen mußte. Und doch besaß Esther nur das kleine -mütterliche Vermögen, welches gerade für ihre eigenen bescheidnen -Bedürfnisse ausreichte. Aber sie blickte mit frohem Muthe all' diesen -Schwierigkeiten in das Antlitz. Sie hatte versprochen, für Bertel und -dessen Mutter zu sorgen, und nun mußte sie auch die Mittel dazu finden. - -»Ich bin gesund und kann arbeiten, Tante,« sagte sie entschlossen zu -Frau Booland, als diese bedenklich hin und her überlegte, wie man sich -einzurichten habe. »Bis jetzt habe ich dir und andern überlassen, für -mich zu arbeiten, nun will ich selbst mit angreifen, dadurch ersparen -wir gewiß manche Ausgabe. Für fremde Hülfe dürfen wir jetzt nichts mehr -bezahlen, denn du sollst sehen, deine faule, kleine Esther wird die -Hände besser rühren als bisher.« - -Wirklich fing das junge Mädchen jetzt mit energischem Entschlusse an, -sich des Hauswesens und aller sonstigen Geschäfte anzunehmen. Nur die -groben Arbeiten in Haus, Hof und Garten überließ sie einer jungen Magd, -bei allen andern Geschäften in Küche und Haus aber und allen Arbeiten -der Nadel stand sie der fleißigen Frau Booland jetzt unermüdlich zur -Seite. Die frühe Morgenstunde fand Esther schon in voller Thätigkeit; -denn früh müßte sie anfangen, wollte sie mit allem fertig werden, was -sie übernommen hatte. Mit wahrhaftem Heroismus griff sie in den vor -ihr stehenden hochaufgepackten Korb, in dem die Wäsche Bertels und -seiner Mutter ihrer ausbessernden Hand wartete, und wenn die ungewohnte -Arbeit sie auch manchen Seufzer und manchen Schweistropfen kostete, -das brave Kind verlor die Ausdauer nicht. Sie hatte die Pflichten -einmal übernommen, so wollte sie auch nicht als Feigling der Fahne -wieder entfliehen, der sie Treue gelobt. Die sorglose Esther früherer -Tage, welche leichtsinnig alle Mühe des Ordnens und Aufräumens ihrer -nachsichtigen Pflegemutter überließ, sie trippelte schon von früh ab -geschäftig im Hause herum, für Tante Ihlefeld alles fertig zu machen, -was diese bedurfte. Mit dem Morgenkaffee erschien Esthers lachendes -Gesichtchen in dem stillen Zimmer ihres Gastes und verscheuchte die -traurigen Gedanken, welche auf der gebeugten Frau lasteten. Geschäftig -räumte sie die beiden Zimmer auf, welche Frau von Ihlefeld bewohnte; -denn es war ihr Stolz, dies selbst zu machen; niemand durfte ihr das -abnehmen. Dann half sie derselben bei ihrem Anzuge, kämmte ihr das -schöne blonde Haar, das Bertel von der Mutter geerbt, und verrichtete -freiwillig und eifrig alle Dienste einer Kammerjungfer bei der -verwöhnten Frau, welche nie im Leben selbst dergleichen Dinge gethan -hatte. Was Frau Booland einst mit Zorn und Unwillen erfüllte, der -Gedanke, daß ihr Goldkind Esther eine dienende Stellung bei Frau von -Ihlefeld einnehmen könnte, das war jetzt etwas so Selbstverständliches -geworden, daß auch Tante Booland es nur loben konnte. Aber freilich, -unter wie andern Verhältnissen geschah es jetzt! - -»Es ist wirklich ein Prachtmädel, die Esther!« dachte Frau Booland -eines Tages und blickte voll Stolz in das frische, bräunliche Gesicht -ihres Lieblings, das von Eifer und Freudigkeit glühte, während es -sich über einen feinen Kuchenteig bückte, zu dessen Bereitung ihre -Pflegemutter sie angeleitet hatte. - -»Wenn sie etwas ordentlich will, dann kann sie es auch. Für sich -selbst hätte sie nie einen Finger gerührt und lieber nie einen Bissen -Kuchen gegessen, wenn sie ihn hätte selbst backen sollen. Aber wen sie -lieb hat, für den thut sie alles und ginge durch's Feuer.« - -»Tante Ihlefeld wird einmal staunen, wenn ich ihr morgen früh mit dem -Kaffee diesen Lieblingskuchen bringe!« rief Esther fröhlich. »Dem -Bertel möchte ich auch davon schicken, er ißt ihn auch so gern, und -eine kleine Freude würde ihm jetzt so gut thun, dem armen Jungen. -Meinst du nicht auch, Tante?« - -»Gewiß, mein Goldkind, thue es nur!« entgegnete Frau Booland. »Aber -streiche die Butter nicht gar zu dick darauf, mein Schatz, es ist -unnütz und Butter ist theuer.« - -Esther blickte betroffen auf. »Da ist wohl eigentlich mein ganzer -Gedanke unklug gewesen, Tante,« sagte sie nachdenklich. »Kuchenbacken -kostet Geld, daran dachte ich nicht, wir müssen ja sparsam sein.« - -»Laß nur, Kind,« beruhigte Frau Booland, »du wolltest der gnädigen -Frau eine Freude machen und sie mit etwas aufheitern, da sind die paar -Groschen keine Verschwendung. Wir wollen sie schon anderweitig wieder -ersparen.« - -»Tante, was meinst du!« rief Esther, »ich werde mir den Kaffee -abgewöhnen, er erhitzt mich doch nur und das ist gleich eine Ersparniß. -Was ich bisher an Kaffee und Zucker verbrauchte, bringe ich jetzt Tante -Ihlefeld, da kostet es nicht mehr als bisher. Und meine Weißbrodchen -können wir auch sparen. Ich trinke ein Glas Milch, wenn's hoch kommt, -und dazu schmeckt Schwarzbrod vortrefflich. Besinne dich einmal, was -könnte man denn noch weiter sparen. Du hast mich so verwöhnt, liebste -Tante, daß ich gar nicht weiß, was entbehren heißt. Und doch wäre es -mir eine so große Wonne, für Tante Ihlefeld und Bertel mir =recht= -große Entbehrungen aufzuerlegen.« - -In dieser Opferfreudigkeit fand sie denn noch tausend kleine Dinge, -welche sie als unnütz aufgab; bald die Butter auf dem Vesperbrode, -bald Obst oder Honnig oder Fleischwerk. Dann opferte sie auch allerlei -überflüssige Kleinigkeiten an ihrer Kleidung, um Ersparungen zu machen: -das farbige Band ihres schwarzen Haares und die bunte Schleife am -Kragen wurden für festliche Gelegenheiten in den Kasten gelegt, und die -seidene Schürze ersetzte jetzt eine von Kattun oder Wolle. Wo sie in -ihrer Lebendigkeit sich bisher wenig darum gesorgt hatte, wenn ein Riß -ihr Kleid verdarb, oder Schmutzflecke es unbrauchbar machten, da wachte -sie jetzt mit ängstlicher Sorgfalt darüber, ihren Anzug zu schonen, -damit er um so länger hielt und die Ausgaben für neue Sachen erspart -blieben. Was sie aber Schönes oder Zierliches besaß und geschenkt -bekam, das trug sie hinauf zu ihrer lieben Tante Ihlefeld, um dieser -ein Lächeln oder einen freundlichen Blick zu entlocken. Jeden Morgen -stellte sie frische Blumen auf den Tisch des Wohnzimmers, brachte -die blühenden Pflanzen, welche ihr Fenster schmückten, hinauf in das -Stübchen der Wittwe, und immer fand sie irgend eine kleine Gabe, welche -sie mit dem Frühstück auf den Tisch stellte. Den weichen Lehnstuhl -ihrer verstorbenen Mutter setzte sie in Frau von Ihlefelds Fenster, und -ihren eigenen zierlichen Nähtisch davor. Gestickte Kissen und Fußbänke, -ihren kleinen Teppich und ihre feinsten Gardinen, alles brachte sie -herbei, die Wohnung freundlich auszuschmücken, und selbst ihr zahmer -Kanarienvogel erhielt dort am Fenster sein Plätzchen und zwitscherte -der traurigen Frau seine fröhlichen Lieder zu, als wollte er auch -helfen ihre trüben Gedanken zu verscheuchen. - -Frau von Ihlefeld dankte Esther für diese liebende Sorge mit -wehmüthigem Lächeln und thränendem Auge. In der ersten Zeit, welche -ihrem Unglück folgte, war sie wie betäubt von dem entsetzlichen Schlage -und unfähig, für sich selbst zu denken und zu sorgen. So wurde Esthers -Liebe für sie ein doppelter Segen. Nach und nach aber begann sie, -selbst zu sorgen und zu überlegen, in welcher Weise sich ihre und -ihres Sohnes Zukunft gestalten sollte. Ihr Gatte hatte ihr stets alles -fern gehalten, was die Sorge für das tägliche Leben betraf, und hatte -der zarten Frau nie Einblick in seine Geschäfte und Unternehmungen -gestattet, um sie nicht zu beunruhigen. So stand sie denn doppelt -hülflos ihrem Schicksale gegenüber. Nahe Verwandte besaß sie selbst -nicht, und denen ihres Gatten hatte sie stets ziemlich fern gestanden. -Jetzt jedoch wandte sie sich an dieselben, Hülfe und Rath von ihnen -erbittend. Nun aber erfuhr sie erst, daß auch diese Verwandten durch -den Ruin ihres Gatten bedeutende Verluste erlitten hatten und in Folge -davon wenig geneigt waren, noch weitere Opfer zu bringen. Frau von -Ihlefelds Stolz sträubte sich unter diesen Verhältnissen auch dagegen, -von denen Hülfe anzunehmen, welche ihrem Gatten zürnen mußten, und -so legte sie allein Gott ihre und ihres Sohnes Zukunft an das Herz. -Von Esther Opfer anzunehmen, kränkte sie nicht; denn sie fühlte nur -zu sehr, daß es einzig Liebe und Dankbarkeit war, welche diese zu -allem antrieb, und so war und blieb das junge Mädchen nach wie vor die -einzige Versorgerin der einst so stolzen Frau. - -Das Verhältniß zwischen Esther und Frau von Ihlefeld gestaltete -sich mehr und mehr so herzlich und innig, als es unter den früheren -Umständen nie der Fall gewesen wäre, und auch die brave Frau Booland -hatte jetzt keinen Grund mehr, sich über den Stolz der gnädigen Frau zu -beklagen. - -Um Esther doch auch etwas Freundliches zu erzeigen, unterwies Frau von -Ihlefeld dieselbe jetzt im Französischen, was Esther bei ihrem Vater -nicht gelernt hatte. »Man kann nicht wissen, wozu du es im Leben noch -brauchst, mein Kind,« sagte sie, und Esther lernte mit Freuden, schon -um ihrer Lehrerin willen. - -So ging die Zeit hin und auch diese Wunden schlossen sich nach und -nach. Bertel war seit dem Unglücksfalle stiller und ernster geworden -und hatte sich mit doppeltem Eifer dem Studium gewidmet. »Ich habe -jetzt keine anderen Hülfsquellen mehr im Leben,« sagte er zu Esther, -als diese eines Tages seine bleichen Wangen sorgenvoll ansah und ihm -wegen des zu großen Fleißes Vorwürfe machte. »Aber Gott weiß,« fügte er -düster hinzu, »ob ich überhaupt einmal studiren kann, ich habe ja kein -Geld dazu!« Da fuhr Esther angstvoll empor und blickte Bertel in das -Gesicht. »Es =muß= dazu da sein, Bertel,« entgegnete sie fest. Bertel -sah gedankenvoll vor sich nieder. »Esther,« sagte er tonlos, »meine -Mutter und ich nehmen jetzt schon zu viel von dir an, ich weiß, du -entbehrst selbst dabei. Aber zum Studiren reicht es doch nicht.« - -»Es =muß= aber geschafft werden, Bertel, denn studiren mußt du,« -rief Esther abermals entschieden. »Und was meine sonstigen Ausgaben -betrifft, darüber mache dir nur keine Gedanken. Bin ich nicht deine -Schwester, Bertel? Und würdest du nicht dasselbe für mich thun?« - -Bertel nickte stumm mit dem Kopfe. »Du hast recht,« sagte er nach einer -Pause, »von niemand anderm würde ich solche Opfer annehmen, von dir -thue ich es mit Freuden.« - -Esther blickte ihren jungen Freund mit glücklichem Stolze in das feine -Gesicht. »Leider bin ich ja kein Junge wie du,« sagte sie nachdenklich, -»und kann nicht mit dir studiren; da mußt du es nun für uns Beide thun. -Damit ich mein Schärflein aber auch beitrage, arbeite ich nun für dich, -dann habe ich doch auch meinen Antheil an deinem Ruhme. Und habe nur -keine Angst, ich werde schon die Mittel finden, wenn die Zeit da ist, -wo du studiren sollst.« - -Bertel war von jeher so daran gewöhnt, Esther in allen praktischen -Dingen für sich eingreifen zu lassen, daß er auch jetzt sich -vertrauensvoll aller weiteren Sorgen entschlug. Schon als kleines -Mädchen hatte sie dem Knaben alles abgenommen, was ihm unbequem oder -lästig war; denn dem kleinen Gelehrten hatten alle praktischen Dinge -von jeher schon Schwierigkeiten bereitet, und die rührige Esther griff -überall zu. War für die Stunden ein Buch zu heften, oder Tafelstifte -zu spitzen, Tinte einzugießen oder Linien zu ziehen, immer war Esther -die geschäftige Martha. Und wenn sie dann beim Spiel in Wasser oder -Koth gerathen waren, oder beim Klettern und Haselnüssesuchen sich das -Haar zerzausten, so wußte Esther immer rasch dem Uebel abzuhelfen. Denn -wenn sie selbst auch an Tante Booland eine gar nachsichtige Erzieherin -hatte, so fand doch Bertel mit beschmutzten Kleidern oder wüstem -Aussehen weniger gute Aufnahme bei seiner Mutter. »Esther wird schon -helfen,« das war Bertels Trostspruch in allen Verlegenheiten seiner -Kindertage, und »Esther wird schon helfen,« so hieß es auch jetzt, -das verstand sich ganz von selbst, darüber brauchte Bertel sich keine -Sorgen zu machen. - - * * * * * - -Esther stand nach diesem letzten Gespräch lange am Fenster und war -in tiefe Gedanken verloren. Als Kind hatte sie nie viel Worte darum -gemacht, wenn sie Bertel die kleinen Sorgen abnahm, sondern eben -einfach zugegriffen. Auch jetzt galt es, nicht erst lange mit ihm zu -überlegen, wie sie ihm helfen sollte. Genug, daß sie es versprochen -hatte. Es war Dämmerstunde und die Abendglocke läutete im Dorfe. Esther -trat mit Hut und Tuch unter die Hausthüre und sagte zu Frau Booland, -welche erstaunt fragte, wohin sie denn gehe: »Ich will der Frau -Pastorin eine Probe des neuen Gestrickes bringen, Tante, ich komme bald -wieder.« Und rasch eilte sie die Dorfstraße hinab dem Pfarrhause zu. - -Der neue Prediger von Rahmstedt war ein freundlicher, leutseliger Mann, -der sich Esthers sowohl, als der unglücklichen Frau von Ihlefeld sehr -thätig angenommen hatte. Auch seine Frau war herzlich und liebevoll -zu Esther, und mit Frau Booland hatte sie sogar innige Freundschaft -geschlossen. Gern weilte das junge Mädchen denn auch jetzt noch in -dem ihr so theuren Pfarrhause. Auch die Kinder Pastor Krauses, zwei -Knaben und ein Mädchen, hingen mit großer Liebe an Esther und empfingen -dieselbe immer mit lautem Jubel; denn das junge, heitere Mädchen -verschmähte es nicht, sich ihnen in Garten und Wald zu lustigen Spielen -anzuschließen. - -Als Esther heute Abend das Pfarrhaus betrat, sagte sie der Frau -Pastorin und den Kindern nur flüchtig guten Abend und eilte auf das -Studirzimmer des Pfarrers. Die kleine Studirlampe brannte schon auf dem -Schreibtische, der Geistliche aber ging in Gedanken verloren in seinem -Zimmer auf und ab. - -»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie störe, Herr Pastor,« sagte Esther -eintretend, »aber ich möchte Ihnen heute eine große Bitte vortragen, -die ich nicht aufschieben darf.« - -»Bitte, meine liebe Esther, sprechen Sie, Sie stören mich nicht,« -entgegnete der Pfarrer freundlich, indem er des jungen Mädchens Hand -ergriff und sie nach dem Sopha führte, wo er sich erwartungsvoll neben -sie setzte. - -»Lieber Herr Pastor,« sagte nun Esther etwas zaghaft, »Sie sagten mir, -daß Sie bald einige Knaben erwarten, die Sie mit Ihren Söhnen erziehen -und unterrichten lassen wollen. Haben Sie für diese schon einen Lehrer -engagirt?« - -»Nein Esther, noch nicht bestimmt, ich bin noch in Unterhandlung mit -einem jungen Manne. Aber warum? Wollten Sie mir vielleicht einen -vorschlagen?« entgegnete der Pfarrer. - -»Ja, Herr Pastor, das wollte ich allerdings und zwar mich selbst!« -sagte Esther erröthend. - -»Wie, Sie selbst, liebe Esther? Wie soll ich das verstehen?« erwiederte -Jener lächelnd. - -»Sie wissen vielleicht, daß mein Vater mich im Lateinischen und -Griechischen, sowie in den Wissenschaften sehr sorgfältig unterrichtet -hat,« sagte Esther nun muthig aufschauend. »Ich bin genöthigt, mir -jetzt Geld zu verdienen, und durch Unterricht vermöchte ich das doch -wohl am besten. Aber bei Mädchen könnte ich nicht Erzieherin oder -Lehrerin werden; alte Sprachen lernen diese nicht, neue Sprachen aber -sind mir fremd, und diese werden von einer Erzieherin gefordert. Knaben -jedoch kann ich das lehren, was ich gelernt habe. Deshalb kam mir der -Gedanke, mich Ihnen als Lehrerin anzubieten, vielleicht versuchen Sie -es mit mir. Geht es nicht, so ist ein Wechsel ja bald gemacht. Sie -würden mich unendlich glücklich machen, wollten Sie den Versuch wagen, -Herr Pastor.« - -Pastor Krause blickte ganz erstaunt in Esthers brennend rothes -Gesichtchen, das sich ihm erwartungsvoll zuwandte. »Mein liebes -Kind,« sagte er sanft, »es ist eine Riesenaufgabe, für welche Sie, -ein Mädchen, sich melden. Abgesehen davon, daß ich bezweifle, Ihre -Kenntnisse würden ausreichen, so ist so ein Rudel wilder Jungen kein -Spaß; ein zartes Mädchen ist dem nicht gewachsen.« - -»Ich bin kein zartes Mädchen, Herr Pastor,« sagte Esther lachend, -»mein Vater hat mich nicht nur im Unterricht wie einen Jungen erzogen. -Ich bin eigentlich immer ein wilder Bursche gewesen und würde mit den -Jungens sicher auskommen.« - -Der Prediger sah von Neuem überrascht in Esthers flammendes Auge, -und zum ersten Male fiel ihm der feste, energische Zug auf, der auf -ihren Lippen ruhte. Er schüttelte nun lächelnd den Kopf und sagte: -»Ja, liebe Esther, ein solcher Lehrer muß sich aber erst einer Prüfung -unterziehen.« - -»Natürlich, ich bitte dringend darum,« entgegnete Esther rasch. - -»Gut, so mag es gleich geschehen, liebes Kind,« rief Pastor Krause -und holte Bücher und Schreibzeug herbei, denn die Sache fing an, -ihn aufs Aeußerste zu interessiren. Er ließ nun Esther lesen und -übersetzen, richtete eine lange Reihe Kreuz- und Querfragen an sie, -ließ sich kleine Vorträge über allerlei wissenschaftliche Gegenstände -halten, und schließlich gab er ihr einige schriftliche Aufgaben, welche -sie zu Hause ausarbeiten sollte. Sein Gesicht nahm während dieser -Prüfung mehr und mehr den Ausdruck freudigen Staunens an, und als -er endlich Esther entließ, reichte er ihr die Hand und sagte ernst: -»Sie haben mich wahrhaft überrascht, Esther. Ich weiß nicht, was ich -mehr anstaunen soll: Ihre trefflichen Kenntnisse oder Ihren verehrten -Lehrer. Jedenfalls kann ich wegen Ihres =Wissens= die Knaben Ihnen -überantworten; aber wir wollen uns Beide die Sache doch noch weiter -überlegen. Wenn Sie mir die Arbeiten bringen, sprechen wir weiter -davon.« - -Aber als Esther einige Tage darauf das Studirzimmer mit ihren -Ausarbeitungen wieder betrat, kam ihr Pastor Krause äußerst herzlich -entgegen und sagte: »Esther, ich glaube, ich engagire Sie auf der -Stelle. Ich habe noch viel über Sie nachgedacht und ich meine, Sie sind -der Sache gewachsen. Alles, was ich über Sie gehört, zeigt mir, daß Sie -ein Mädchen sind, stark an Seele und Geist, und ein solcher Lehrer ist -einer Schaar Knaben wohl gewachsen. Sie werden schon mit den Bürschchen -fertig werden, und im Uebrigen stehe ich Ihnen ja zur Seite.« - -So trat Esther denn wenig Wochen darauf ihr neues Amt im Pfarrhause -an. Drei fremde Knaben waren mit den beiden Söhnen des Pastors ihre -Schüler, und der Unterricht ging vortrefflich. Pastor Krause hatte -einige Stunden übernommen, die übrigen aber gab Esther. Die Knaben -machten zwar Anfangs große Augen zu ihrer jugendlichen Lehrmeisterin, -bald aber bekamen sie den höchsten Respect vor ihr; denn nicht nur, daß -sie im Unterricht eifrig und tüchtig war, sie verstand auch, die oft -unbändigen, übermüthigen Burschen vortrefflich im Zaume zu halten. -Gerade daß sie selbst der tollen und wilden Streiche eine solche Menge -gemacht hatte, schärfte ihren Blick für die Streiche ihrer Zöglinge, -die oft ganz verblüfft waren, wie schnell Esther ihre Pläne und -Absichten durchschaute. Für sie selbst aber erschloß sich eine reiche -Quelle der Freude durch diese Thätigkeit, und lehrend lernte sie selbst -alles das wieder, was im Laufe der Jahre ihrem Gedächtnisse entschlüpft -war. - -Und mit welch' freudigem Stolze empfing sie dann die Einnahmen, die ihr -aus ihrer Lehrerthätigkeit erwuchsen! Mit leuchtenden Blicken zeigte -sie eines Tages Frau von Ihlefeld ihren kleinen Schatz, den sie in -Jahresfrist für Bertel gesammelt hatte. - -»Du gutes Kind, welche Opfer bringst du!« seufzte die Wittwe traurig. -»Wenn ich selbst doch nur nicht so gänzlich aller Mittel beraubt wäre! -Immer habe ich noch gehofft, eine alte Schuld, die mein armer Mann -ausstehen hatte, würde noch einmal einlaufen; aber auch diese Hoffnung -ist sicher vergebens.« - -»Eine Schuld, liebe Tante?« fragte Esther erstaunt. »Warum fordern Sie -dieselbe denn nicht ein? Wer ist denn der Schuldner?« - -»Das ist ja eben das Unglück,« entgegnete Frau von Ihlefeld klagend. -»Der Schuldner ist todt, und durch ein unbegreifliches Versehen -ist der Schein verschwunden, der die Schuld bestätigt. Ein Vetter -meines Mannes, der uns vor einigen Jahren besuchte, bedurfte zu einem -Unternehmen eines Kapitals, das mein Mann ihm vorschoß. Ich selbst war -dabei, als sie es in meinem Zimmer besprachen und ich sah, wie der -Vetter die Schuldverschreibung aufsetzte. Wo dies Papier dann aber -hingekommen ist, weiß ich nicht; mein Mann suchte oft danach, besonders -nachdem die Nachricht vom plötzlichen Tode des Vetters eintraf. O mein -Gott, jenes Kapital von 15 Tausend Thalern hätte meinen unglücklichen -Mann vielleicht gerettet! Aber da der Schuldschein verschwunden war, -hat er nicht gewagt, von dem Erben des Vetters jene Summe zu fordern. -Und so ist alles Wünschen vergebens, das Geld ist und bleibt verloren.« - -»Wer ist denn der Erbe dieses Vetters, Tante?« fragte Esther. »Ein -Kaufmann in Südfrankreich, in Nîmes glaube ich,« entgegnete Frau von -Ihlefeld. »Er heißt Richard und ist ein Neffe unseres Vetters Etienne -de Villemaud.« - -»Und Sie glauben, er wisse nichts von der Schuld?« forschte Esther. - -»Augenscheinlich hat der Vetter die Summe nicht als Schuld verzeichnet, -und sein schneller Tod hat alle Mittheilungen über seine Verhältnisse -unmöglich gemacht,« sagte Frau von Ihlefeld niedergeschlagen. »Herrn -Richard kann niemand die Summe abfordern, der den Schuldschein nicht -vorzeigt. Aber während wir im Wohlstand lebten, sorgte ich mich -wegen solchen Verlustes wenig, und mein Mann hat mir bis zum letzten -Augenblick alles verborgen gehalten, was ihn bekümmerte. Ich ahnte ja -nie, daß mit dem unseligen Gelde so viel Glück und Frieden zu Grunde -gehen könne.« - -Esther suchte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken, -denn Frau von Ihlefeld wurde durch solche Erinnerungen stets von -Neuem aufgeregt. Im Stillen aber konnte sie den Gedanken an jenen -verschwundenen Schuldschein nicht los werden. Fast das ganze Besitzthum -der Ihlefeld'schen Familie war in fremde Hände übergegangen. Wenn -der Schein in irgend einem Schranke oder Fache verborgen lag, so war -er unwiederbringlich für Bertel und dessen Mutter verloren. Und doch -welcher Besitz wäre für Bertel eine solche Geldsumme! Aber es war eine -Thorheit, sich mit solchen Gedanken abzugeben. Wäre der Schein nur -irgendwie zu finden gewesen, so hätte Herr von Ihlefeld in seiner Noth -und Verzweiflung sicher alles daran gesetzt, ihn zu entdecken. Das -Verschwinden des Scheines war eben ein Unglück wie alles andere, was -über die Familie hereingebrochen. Es war das Beste, nicht mehr daran -zu denken. -- - -Jetzt bezog Hubert die Universität, und Esther übergab ihm mit -freudigem Stolze ihre so tapfer erworbenen Schätze. - -»Du bist und bleibst eben mein bester Kamerad, Esther,« sagte Bertel, -die Summe freudig annehmend. »Ich kann dir nicht besser danken, als -indem ich alle meine Kräfte opfere, um das schöne Ziel zu erreichen, -das mir vorschwebt. Aber nie, und wenn ich hundert Jahr alt werde, will -ich vergessen, welche Hand es war, die mir zu dem Ziele verhalf. Ich -weiß, mein Glück ist auch das deine, darum nehme ich deine Opfer ohne -Zögern an. Gott segne dich für alles, was du an mir thust, Esther!« - -Die Einzige, die sich mit all' diesen Arbeiten, Mühen und Opfern -Esthers nicht ganz einverstanden erklärte, war Frau Booland. Sonst -fand sie immer alles vortrefflich, was ihr Liebling unternahm; aber -die jetzige Thätigkeit ging doch etwas gegen ihren Sinn. »Das arme -junge Blut quält sich da Tag für Tag mit den wilden Jungens ab, statt -ihre Jugend in Ruhe und Freude zu genießen,« sagte sie eines Tages -in einer traulichen Stunde zu ihrer jetzigen Freundin, der Pastorin -Krause. »Ihre Söhne sind freilich auch dabei, liebe Pastorin, und ich -selbst bin wohl mit daran Schuld, daß der Herr Pastor dem braven Kinde -das Amt anvertraute; warum lobte ich sie auch immerfort so gegen ihn, -besonders nachdem Esther sich um die Stelle bemüht hatte, und er mich -über das Kind ausforschte. Aber lügen kann ich einmal nicht und weß -das Herz voll ist, deß geht der Mund über. Aber jetzt geht er mir auch -wieder über, denn mein Herz ist voll Jammer um das liebe Goldkind, das -noch nichts als Arbeit in seinem jungen Leben kennen gelernt hat. Und -Gott weiß, ob ihr all' ihre Mühe und Quälerei einmal ordentlich gedankt -wird; denn wenn das Unglück die arme Frau von Ihlefeld auch ordentlich -gebeugt hat, die gnädige Frau bleibt sie noch immer bis in die kleine -Fußzehe hinab, und da habe ich so meine Gedanken. Estherchen ist und -bleibt halt eben Bürgerblut, das aber erkennt =die= Frau nie für -Ihresgleichen, und wenn das Kind noch tausend Mal mehr für sie thäte.« - -»Aber Hubert denkt doch nicht so, liebe Frau Booland, das sollte Sie -trösten,« entgegnete die Pastorin. - -»Nein, =stolz= ist der nicht, das muß wahr sein!« sagte Frau Booland -den Kopf erhebend. »Aber, aber, so wie er sollte, ist er doch auch -nicht. Alles was Esther für ihn thut, nimmt er ruhig hin, als verstände -sich das ganz von selbst so. Danken mag er ihr wohl, denn er ist ein -lieber, weicher Junge; aber er hat keine Idee, und frägt auch weiter -nicht danach, =was= Esther alles opfert, nur um ihm das Leben leicht -zu machen. Das Mädchen ginge mit Freuden für ihn durch das Feuer, und -er? Nun ja, wenn er dadurch Nutzen hätte, würde er sie auch ruhig -gehen lassen. Lieb hat er sie, das ist gewiß; aber immer nur, wie man -einen guten Kameraden lieb hat, und so nennt er sie ja auch immer. Die -leidenschaftliche Liebe aber, die meine kleine Esther von Kindesbeinen -an schon für den hübschen Jungen gehabt hat, und die jetzt wie ein -stilles Feuer das ganze Mädchen durchglüht, davon hat der junge Herr -keine Ahnung. Ach ich weiß es nicht, aber mir ist das Herz oft gar zu -schwer, denke ich an Esthers Zukunft. So ein Prachtmädchen verdiente -ein herrliches Schicksal; aber, aber, wie wird das einmal werden? Ich -hörte neulich einige Worte, als Esther dem Bertel das Ersparte mitgab; -es war so recht bezeichnend. »Ich weiß, Esther,« sagte Bertel, »mein -Glück ist auch das deine, darum nehme ich deine Opfer ruhig an.« - -»Nun ja, =mein= Glück ist auch das =deine=! Da liegt's. Aber ob =ihr= -Glück auch das =seine= ist? Davon schweigt die Geschichte, und erst die -Zukunft kann es lehren.« - -»Legen wir alles in Gottes Hände, meine liebe Frau Booland,« sagte -die Pastorin tröstend. Die brave Schullehrerswittwe nickte still mit -dem Kopfe und eilte ihrem kleinen Waldhause zu, an dessen Thür sie ihr -Goldkind, wie gewöhnlich, wenn sie ausgegangen war, freudig erwartete. - -Ein Jahr verstrich Esther noch in gewohnter Thätigkeit, da rief sie -eines Tages Pastor Krause in sein Studirzimmer. »Meine liebe Tochter,« -sagte er freundlich, »Sie haben den Ihnen anvertrauten Posten während -der ganzen Zeit mit seltener Treue und Tüchtigkeit ausgefüllt, so -daß Sie stolz auf Ihre Schüler sein können. Aber jetzt muß ich das -Amt leider aus Ihren Händen nehmen, denn die Knaben sollen auf das -Gymnasium in der Stadt, für dessen Oberklassen sie jetzt reif sind. -Nun will ich Sie aber trotzdem doch nicht zu Athem kommen lassen, -mein liebes Kind. Ich habe eine Aufforderung aus England erhalten, -einen jungen Lehrer dorthin zu schicken, welcher in einer vornehmen -Familie einige Knaben zu unterrichten versteht. Auf meine Anfrage, -ob der Lehrer nicht ein junges Mädchen sein könnte, welches so viel -Kenntnisse besitzt, daß sie meine Söhne zum Gymnasium vorbereitet -hätte, erhielt ich eine Antwort, welche sich außerordentlich erfreut -über solches Anerbieten ausspricht. Eine sehr bedeutende Summe ist der -jungen Lehrerin zugesichert, und so ergeht denn die Anfrage an Sie, -liebe Esther, ob Sie diese Stelle annehmen wollen. Aber freilich, eine -Bedingung ist dabei, welche Ihnen vielleicht Schwierigkeiten machen -wird: man wünscht, daß Sie auch fertig französisch sprechen. Doch auch -das wird sich einrichten lassen. Die Stelle ist erst in einem halben -Jahre anzutreten, bis dahin lernen Sie alles. Die Schwester meiner -Frau hat eine französische Pension in Genf und wird Sie mit Freuden -als lieben Gast bei sich aufnehmen. Den Ausfall, den Ihre Einnahmen in -dieser Zeit erleiden, deckt die Aussicht auf baldige größere Summen, -die Ihnen in England zufließen werden. So denke ich, sind die Wege -gebahnt, und Sie sind mit mir zufrieden, liebe Esther. Habe ich Recht?« - -»O sehr, sehr, lieber, guter Herr Pastor,« rief Esther, welche jetzt -wie aus einem Traum erwachte. Hastig ergriff sie die dargebotene Hand -Pastor Krauses. »Verzeihen Sie mir nur, daß ich nicht augenblicklich -mit Entzücken aufjuble,« sagte sie und eine Thräne glänzte in ihrem -Auge. »Aber eine Trennung von meinen Lieben ist mir ein gar zu -beängstigender Gedanke. Ich war ja noch nie auch nur einen Tag vom -Hause fort, und nun.... Aber haben Sie Geduld mit mir, Herr Pastor! -Ich werde schon alles in mir verarbeiten und Ihnen dann Ehre machen, -das verspreche ich Ihnen. Jetzt aber muß ich zuerst mit Tante Booland -sprechen, früher kann und darf ich nichts bestimmen.« - -Aber Frau Booland nahm die Nachricht freudiger auf, als Esther -gefürchtet hatte. Muthig bekämpfte das brave Weib allen Jammer ihres -Herzens, den eine lange Trennung ihr verursachen mußte, nur um Esther -den Abschied leicht zu machen. Die Pastorin Krause hatte schon seit -einiger Zeit geheime Besprechungen mit Frau Booland gehabt und ihr -alle diese Pläne mitgetheilt, welche ihr Gatte Esther darlegte. So -überraschten sie Esthers Mittheilungen denn nicht mehr, sondern fanden -schon ein vielfach bearbeitetes Terrain vor sich. - -»Ich bin froh, daß du einmal ein Stückchen von Gottes schöner Welt -sehen sollst, meine kleine Esther,« sagte Frau Booland heiter. »Hier in -unserem Dorfe versauerst du ja ganz und gar, und Arbeit hast du hier -wie anderswo. Die Schwester unserer lieben Pastorin freut sich schon -auf dich, da wirst du eine schöne, vergnügte Zeit verleben, und was -die Sache mit England betrifft, nun, gute Menschen sollen es ja auch -sein, zu denen du kommst, sagt der Herr Pastor. Du lernst dort ein -Bischen von der großen Welt kennen, das ist auch gut, und für alles -andere lassen wir den lieben Gott sorgen. Deine alte Tante Booland -wird dir dein Häuschen indessen gut versorgen, daß du jeden Augenblick -wieder in dein warmes Nest zurückkommen kannst. Mit bösen Gedanken über -die Trennung wollen wir uns das Herz nicht unnütz schwer machen, mein -Goldkind; denn wir haben ja alle Beide starke Herzen und sind nicht aus -Wachs oder aus Marzipan gemacht.« - -Aber Esther hatte noch eine andere Trennung zu überwinden, mit welcher -ihr junges Herz noch viel schwerer kämpfte. Ihren Bertel sollte sie -verlassen! Und doch war er es ja gerade, der sie hinaustrieb in die -Welt; denn für wen sonst hätte sie diese Opfer gebracht, für wen sonst -das friedliche Stillleben ihrer Heimath aufgeben mögen? Nur damit ihr -junger Freund sorglos und unbekümmert seinen Studien obliegen, noch -Jahr für Jahr ungetheilt der Wissenschaft leben konnte, ohne für sein -tägliches Brod sorgen zu müssen, unterwarf sie sich all' diesen Dingen -freudig und unverdrossen. Deshalb, wie sehr ihr auch das Herz blutete, -schrieb sie dennoch einen jubelnden Brief an Bertel, der ihm alle diese -Pläne mittheilte. Er durfte ja nicht ahnen, wie schwer ihr das Opfer -wurde. Ein letzter Besuch Bertels vor Esthers Abreise war das Einzige, -was sie sich von ihm erbat, und in vollen Zügen genossen Beide noch -einmal das Glück ihres Beisammenseins. - - * * * * * - -So sagte denn Esther eines Morgens der lieben, traulichen Heimath -Lebewohl, von ihren Freunden im kleinen Waldhause wie von Pastor -Krauses bis zur nächsten Stadt begleitet, von wo die Eisenbahn sie gen -Süden weiter führte. Sie war einer befreundeten Dame anvertraut worden, -die nach der Schweiz reiste, und bald vertrieben die stets neuen -Eindrücke, welche Esther auf dieser ersten Reise fast überstürzten, die -Schmerzen des Abschiedes. - -Die großen Städte, in denen sie übernachteten, erregten ihr Staunen -und ihre Neugierde; als sich aber endlich die hohe Kette der Alpen -vor ihren Blicken ausbreitete mit ihren majestätischen Häuptern, auf -denen Eis und Schnee lagerte, während saftig grüne Matten und Wälder -die Vorberge deckten, und unzählige Ortschaften wie Spielzeug auf der -Ebene verstreut lagen, da jubelte Esther auf vor Wonne und Entzücken, -und ihr junges Herz gab sich rückhaltlos den Eindrücken hin, die sie -bestürmten. Und nun gar der herrliche Genfersee, der schimmernd blau -zu ihren Füßen ruhte, rings umkränzt von köstlichen Bergen, grünen -Fluren und lachenden Dörfern, hoch oben alles überragend, aber die -Jungfrau mit ihren ewigen Eisfeldern und der leichten Wolke, welche -fast immer ihren höchsten Gipfel krönt. Es war so namenlos herrlich, -daß Esther fromm ihre Hände in einander legte und thränenden Auges Gott -dankte, der sie in diese Wunderwelt geleitet. Denn hier am Fuße dieser -herrlichen Jungfrau, am Rande dieses köstlichen Sees sollte sie ja -leben und Tag für Tag diese Wunder vor Augen haben! Welch eine Aussicht -war dies, und wie schlug ihr das Herz bei diesem Gedanken voll Freude -und Wonne. - -Genf selbst freilich, die alte Stadt mit ihren vielen engen Straßen -gefiel Esther weniger; aber das Haus Madame Gautier's lag vor dem -Thore mitten in einem hübschen Garten, da hatte man die schönste -Aussicht gleich vom Fenster aus vor sich. Man empfing Esther mit großer -Freundlichkeit, und besonders Madame Gautier war so herzlich und gut, -als sei die neue Hausgenossin die Tochter ihrer Schwester. Eine Menge -fröhlicher junger Mädchen umgab sie früh und spät, und diese schienen -sich förmlich den Rang streitig zu machen, ihr Angenehmes zu erzeigen. - -So fühlte sich Esther denn wie in eine neue herrliche Welt versetzt und -ihre Briefe, die sie nach Hause schickte, athmeten nichts als Glück und -Behagen. - -Esther war bereits einige Monate im Hause Madame Gautier's und ihr -eifriges Bestreben war, die französische Sprache möglichst schnell und -gründlich zu erlernen. Sie machte auch bald die besten Fortschritte, -hatte ja doch Frau von Ihlefeld schon vortrefflich vorgearbeitet, -als sie Esther Unterricht ertheilte, dem das junge Mädchen freilich -wegen ihrer anderweitigen Beschäftigungen wenig Zeit hatte widmen -können. Frau von Ihlefeld hatte Esther einige französische Bücher zur -Lectüre mitgegeben, welche sie aus ihrem einstigen Besitzthum mit sich -genommen, und Esther war erfreut, so gute Fortschritte zu machen, daß -sie diese Bücher bald selbständig lesen konnte. Eines Tages wagte sie -sich sogar an Gedichte und griff nach einem Buche, das längst schon ihr -lebhaftes Interesse erweckt hatte. Es war sehr elegant eingebunden und -von ziemlich großem Format, auf dem inneren Deckel aber standen die -Worte: »_A son cousin Oscar de Ihlefeld Etienne de Villemaud. Auteur._« - -Esther kam beim Anblick dieses Namens das Gespräch wieder in den -Sinn, das sie mit Frau von Ihlefeld gehabt hatte, und die Erinnerung -an jenen unglücklichen verschwundenen Schuldschein. Jener Etienne -war also Dichter und hatte dies sein Werk dem Vetter als Geschenk -hinterlassen. Zerstreut ließ Esther die Blätter des Buches durch -ihre Finger gleiten und überblickte die Ueberschriften der Gedichte. -Dabei schob sich ein zusammengefaltetes Papier aus dem Buche, und -Esther schlug es gleichgültig auseinander, irgend ein abgeschriebenes -Gedicht vermuthend. Aber wer beschreibt ihre Ueberraschung -- das -zusammengefaltete Papier war der verloren geglaubte Schuldschein! - -Esther zitterten die Kniee von dem freudigen Schreck, und lange wollte -sie ihren Augen nicht trauen. Aber da stand ja alles, wie Frau von -Ihlefeld es ihr mitgetheilt: Oscar von Ihlefeld, Besitzer vom Rittergut -Rahmstedt, hatte am 6. Mai 18.... an Etienne de Villemaud eine Summe -von fünfzehntausend Thalern übergeben; die Zinsen sollten zum Kapital -geschlagen werden. Unterzeichnet war der Schein von den beiden Vettern -und alles in voller Ordnung und Richtigkeit. - -Wahrscheinlich lag das Buch als Geschenk Etienne's auf dem Tische, und -Herr von Ihlefeld hatte in Gedanken den Schein da hinein gelegt, als er -ihn in sein Zimmer trug; denn Frau von Ihlefeld sagte ja, die Sache sei -in ihrer Gegenwart und ihrem Zimmer verhandelt worden. - -O welch ein Fund war das! Und wie gut, daß der Schuldschein bis jetzt -verborgen gewesen, sonst wäre das Geld sicher auch noch verloren -gegangen wie alles andere. Nun hatte ja alle Noth und Sorge ein Ende! -Nun konnte Bertel studiren und reisen nach Herzenslust, wie er so -sehnlich wünschte, und die arme Frau von Ihlefeld sah nun wieder -bessere Tage. Esther schwindelte der Kopf von der Fülle der Gedanken, -und lange saß sie sinnend und Pläne schmiedend an ihrem Fenster. Zum -erstenmale schaute ihr Auge theilnahmlos auf die wunderschöne Welt, -die sich vor ihr ausbreitete, und ihr Herz jubelte nicht auf über die -Pracht und Herrlichkeit, in welcher die Abendsonne das stolze Haupt der -Jungfrau umkleidete, deren Gipfel in Gluth getaucht in den glänzenden -Abendhimmel hinein ragte, während der See zu Füßen des Berges wie ein -rosiger Spiegel blitzte und schimmerte. - -»Und du, was willst du denn nun noch länger im fremden Lande, fern -von deinen Lieben?« dachte Esther mit leuchtenden Blicken. »Nun ist -es ja nicht mehr nöthig, Geld zu verdienen; denn nun hat Bertel ja -mehr, als du in deinem ganzen Leben für ihn zusammenscharren könntest. -Ade Freunde, ade Schweiz und England, nun geht's wieder heim in mein -kleines Waldhaus, dem schönsten Orte der Welt trotz Alpen und Gletscher -und Seen.« - -Eben wollte sich Esther an den Schreibtisch setzen, um einen jubelnden -Brief nach Hause zu senden mit der herrlichen Botschaft, da trat Frau -von Gautier in ihr Zimmer. - -»Meine liebe Esther,« sagte sie dann freundlich, »obwohl Sie mir ein -gar lieber Gast sind, und ich Sie ungern wieder fort lassen möchte, -so gebietet mir doch die Rücksicht auf Ihre Verhältnisse, von denen -meine Schwester mir einiges mitgetheilt hat, Ihnen ein Anerbieten -zu machen, welches soeben an mich gerichtet ist. Die Vorsteherin -eines Pensionates in Süd-Frankreich, in le Vigan bei Nîmes, wünscht -eine junge Dame für ihr Institut zu engagiren und bietet ihr sehr -annehmbare Bedingungen. Wollen Sie diese Stelle annehmen, so erreichen -Sie Ihren Zweck, französisch zu lernen, dort ebensogut, verdienen in -dieser Zeit noch nebenbei etwas und lernen ein neues Land und andere -Verhältnisse kennen, was immer ein Vortheil ist für jedermann. Aber -besinnen freilich dürfen Sie sich nicht lange; denn schon übermorgen -will Mademoiselle Bertin wieder abreisen und Sie dann natürlich gleich -mitnehmen, denn für ein junges Mädchen ist eine so weite Reise allein -nicht sehr rathsam.« - -Esther hatte bei den ersten Worten Madame Gautier's gleich sagen -wollen, daß es mit ihren Plänen jetzt überhaupt ein Ende habe und -sie so bald als möglich wieder nach Hause reisen werde. Aber als -sie hörte, wohin sie mit jener Dame gehen sollte, da schwieg sie -plötzlich betroffen. Das war ja wie eine Sendung vom Himmel gerade -im entscheidenden Momente! Süd-Frankreich, Nîmes, dahin sollte sie? -Und war es nicht gerade dort, wo jener Herr Richard wohnte, der Erbe -jenes Etienne und jener Schuld? Wie, wenn sie diesem Winke folgte und -in dem Orte selbst diesen Mann aufsuchte? Eine Reihe von Jahren war -seit jener Zeit verstrichen, wenn nun der Mann nicht mehr dort lebte? -Eine schriftliche Erfahrung konnte große Schwierigkeiten bereiten, -während man an Ort und Stelle sicher leicht zum Ziele gelangte. Und -wie, wenn auch dieser Mann vielleicht todt war und man wieder neue -Personen vor sich hatte? Wie viel Zeit und Mühe war vielleicht nöthig, -um an's Ziel zu kommen, wo persönliches Eingreifen rasch alles in -Ordnung bringen konnte! Und besser, sie sagte erst gar nichts von der -Auffindung des Scheines, sondern trat ihren Freunden gleich mit dem -glücklichen Resultate entgegen. Warum ihnen erst vorher so unruhige -Stunden bereiten, ehe sie ihr Ziel erreichen konnte? Nein, rasch ohne -Besinnen und Zögern wollte sie mit dieser Französin reisen, rasch dort -in Frankreich diesen Herrn Richard oder seine Erben aufsuchen und erst -dann mit der vollen, glücklichen Lösung hervortreten. Zeit zum Fragen, -ob sie reisen sollte, hatte sie ja auch gar nicht, d'rum lieber ganz -schweigen, bis alles glücklich erreicht war. Dann war die Freude voll -und ungetheilt, und wie im Triumphe wollte sie dann wieder nach der -Heimath ziehen, beladen mit Schätzen für ihren geliebten Bertel. - -Ein so unerfahrenes junges Mädchen, als Esther war, konnte wohl solchen -Plan schmieden und auf dessen glückliche Ausführung rechnen. Welches -nun aber die Erfolge ihrer Bemühungen waren, das wollen wir weiter -sehen. - -Ueber den Quai de Bergue eilten in Genf zwei Tage darauf eine ältliche -und eine junge Dame der Messagerie zu, von wo aus die Posten nach -Frankreich abfahren. Es war Mademoiselle Bertin und unsere Esther. -Schon von Weitem sahen sie das hochgebaute und hochbepackte gelbe -Gebäude, Postwagen genannt, das sie über die Grenze führen sollte. -Die Französin traf bei der Post einen alten Herrn, Monsieur Martin, -welcher mit ihnen reiste. Eben wollte dieser im Innern des Wagens Platz -nehmen, als Mademoiselle plötzlich mit Schrecken bemerkte, daß ihre -Postbillets aus Versehen Plätze auf der »Banquette« bezeichneten. Mit -aller Lebendigkeit einer Südländerin fuhr sie auf den sie begleitenden -Diener los, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, dieser sagte aber ganz -phlegmatisch: »Mademoiselle wollte doch absolument heute reisen, -andere Plätze aber gab's nicht mehr.« La banquette war allerdings -für eine ältliche Dame ein etwas bedenklicher Sitz, denn er befand -sich in höchster Höhe der ohnehin schon himmelhohen Kutsche. Ihrer -Verzweiflung machte jedoch ihr alter Freund bald ein Ende; denn sehr -froh, seinen heißen Innenplatz mit dem luftigen auf der Banquette zu -vertauschen, kroch er vergnügt wieder aus dem Wagen heraus und überließ -der Dame sein Billet. Nun brachte der Knecht eine hohe Leiter herbei, -und leicht wie ein Eichkätzchen kletterte Esther die Sprossen empor, -ihrer ehemaligen Turnkünste sich erinnernd. Langsamer folgte ihr alter -Nachbar, und während Esther auf der schmalen Banquette sich's möglichst -behaglich zu machen suchte, bestieg der alte Herr einen bequemeren Sitz -zur Seite, eine Art Lehnstuhl. Vergnügt hüllte er sich in einen weichen -Schafpelz, der auf dem Sitze lag, und der ihm bei der rauhen Herbstluft -sehr willkommen war; er freute sich seines köstlichen Platzes. Eben -wollten die sechs starkknochigen Pferde ihr beschwerliches Tagewerk -beginnen, da klimmte noch ein Passagier zur Banquette empor. »_Oh, à la -bonheur_,« rief er, sich zu dem alten Herrn wendend, »Monsieur wollen -den Hemmschuh führen?« »Was Hemmschuh?« rief dieser verwundert. »Nun -ja, das ist der Platz für denjenigen, der dies Geschäft übernimmt,« -sagte der Conducteur lachend und zeigte auf die Schraube, welche der -Alte ganz gemüthlich als Stütze für seine Arme benutzt hatte. Mit sehr -saurer Miene wickelte sich dieser nun aus seinem warmen Schafpelze -heraus und kletterte auf die Banquette zu Esther, die ihm herzlich -lachend neben sich Platz machte. Dies kleine Ereigniß hatte die ganze -Gesellschaft der Außenkutsche einander näher gebracht; denn auch der -Postillion auf seinem Sitz zu Füßen Esthers nahm an der allgemeinen -Heiterkeit Theil, und unter Lachen und Scherzen fuhr man über Genf's -holpriges Straßenpflaster und überschritt endlich die französische -Grenze. Esther war kindlich vergnügt, von ihrem hohen Sitz aus die -herrliche Gegend gemächlich überschauen zu können, und ihr alter -Nachbar stimmte herzlich in diese Freude mit ein, denn auch er war ein -großer Naturfreund. Bald erzählte er Esther, er sei eigentlich ein -geborener Deutscher, lebe aber nun schon seit vielen Jahren in Nîmes. - -»In Nîmes?« rief Esther hoch erfreut aus. »O kennen Sie da vielleicht -einen Herrn Richard?« - -»Richard?« sagte Herr Martin nachdenklich. »Welchen Richard, mein -Fräulein? Es giebt deren eine ganze Menge in Nîmes.« - -»Ich meine den Neffen eines Herrn Etienne de Villemaud, der vor einigen -Jahren gestorben ist,« entgegnete Esther. - -»Hm, da kann ich wirklich nicht dienen,« sagte der Alte kopfschüttelnd. -»Haben Sie eine Empfehlung an ihn, so bin ich gern bereit, Ihnen -behülflich zu sein, den richtigen Richard aufsuchen zu helfen.« - -»O Sie sind sehr gütig,« rief Esther erfreut, »das wäre mir in der That -sehr lieb, denn ich habe allerdings ein Anliegen an ihn.« - -»Ich werde Ihnen die nähere Adresse des Herrn schreiben, mein Fräulein, -wenn Sie es mir erlauben,« sagte Herr Martin verbindlich. Esther sprach -nochmals ihre Dankbarkeit aus und fühlte ihr Herz sehr erleichtert, -daß sie gleich im ersten Augenblick eine Hand gefunden hatte, die -ihr den Weg zu bahnen versprach. Voll froher Hoffnungen schaute sie -dem Gelingen ihres Unternehmens entgegen und genoß nun mit doppeltem -Vergnügen die so mannigfachen Freuden, welche diese interessante Reise -ihr darbot. - -Ueberall, wo während der Postfahrt der Wagen hielt, umdrängte eine -Schaar bettelnder elender Kinder die Reisenden, ihre zerfetzten Hüte -hinhaltend mit dem Rufe: »_Charité, s'il vous plaît, charité!_« -Esther mußte bei diesem Elend immer an die sauberen Schweizer Dörfer -zurückdenken, die sie jetzt gesehen, und an ihr eignes freundliches -Dorf Rahmstedt, in dem solche Armuth etwas Unbekanntes war. - -Der schwerfällige Postwagen brachte seine Passagiere bis zu der -Eisenbahnstation Seyßel, und von da aus flog Esther auf Dampfesflügeln -ihrem Ziele zu, zur Rechten die Berge des Jura, links Savoyen mit -seinen wilden, romantischen Landschaften und verfallenen Dörfern. - -Die Gegend bis Lyon war unendlich schön. Das reizende Thal der Rhone -nahm die Reisenden auf, und zu beiden Seiten erhoben sich anmuthige -Berge. Schäumend und rauschend schoß das Wasser der Rhone neben der -Eisenbahn hin, ihre blauen Wellen wie schwere Atlasfalten auf- und -abrollend. Leichte Kettenbrücken schwebten hoch oben darüber, und -auf felsigem Ufer, zackige Bergspitzen im Hintergrunde, erhoben sich -terrassenförmig unzählige kleine Ortschaften. Es war äußerst malerisch. -Lyon, das sie Abends erreichten, interessirte Esther lebhaft, und -muthig durcheilte sie am Morgen vor der Weiterreise allein einige -Straßen. Prachtvolle Läden fesselten ihr Auge, und schöne Quais, aber -auch viel Verfallenheit; doch jedes, auch das verfallenste Häuschen, -hatte seinen Balcon und seine Blumen. Von Lyon ab wurde die Landschaft -lieblicher: Maulbeerbäume mit ihrem frischen, saftigen Grün deckten die -Felder, echte Kastanien standen dazwischen, Weinstöcke rankten ihre -Reben am Boden hin, wie es dort Sitte, und dunkle Cypressen erhoben -ihre düsteren schlanken Zweige gen Himmel. Große Heerden grauer und -schwarzer Schafe weideten zu vielen Tausenden in der Ebene, unzählige -Maulesel hoben dazwischen ihre großen Köpfe empor, und abenteuerlich -aussehende Hirten mit zottigen Fellen um die Schulter bewachten die -Heerden. In der Gegend von Avignon erinnerten zahlreiche Ruinen an die -ehemalige Herrlichkeit dieser Gegenden. Esther hätte wohl gewünscht, -hier weitere Ausflüge in die Umgegend machen und sich dies interessante -Stück Land näher ansehen zu können; aber ihre Begleiterin drängte zur -Weiterreise. Sie fuhren den ganzen Tag immer weiter in das Land hinein, -bis endlich am Abend Nîmes erreicht war. Wie gern wäre Esther mit dem -freundlichen Herrn Martin gegangen, der sich hier von ihnen trennte; -ihr Herz klopfte freudig bei dem Gedanken, dem Manne vielleicht ganz -nahe zu sein, den sie suchte, und wegen dessen sie eigentlich die -ganze Reise unternommen. Aber sie hatte sich Mademoiselle Bertin -verpflichtet, und so mußte sie mit ihr weiter. Im Vorbeigehen sah sie -die mächtigen Trümmer einer alten römischen Arena in die Luft hinein -ragen; die Säulen des berühmten Maisen carée warfen im Mondschein -breite Schatten hernieder, und wundervolle Baumgänge umsäumten einen -freien Platz, in dessen Mitte hohe Fontainen ihre Wasser im Mondlicht -funkeln ließen. - -Esther eilte mit ihrer Gefährtin an all' diesem Zauber vorüber, denn -ihr Ziel lag noch vor ihnen. Eine lange Postfahrt die Nacht hindurch -brachte sie nach dem kleinen Städtchen le Vigan, das sie am Morgen -erreichten. Obwohl es schon spät im November war, zeigte doch die -warme Nacht, daß man sich im Süden befand, und Esther athmete mit -Behagen die angenehme Nachtluft. Mit neugierigen Blicken schaute sie -sich dann in dem Orte um, der sie aufnehmen sollte; aber der Anblick -dieses Städtchens war äußerst wenig erfreulich. Die Lage des Ortes -zwar war höchst romantisch zwischen Felsen und Bergen; aber die Stadt -selbst hatte graue, düstere, steinerne Häuser, viele davon elend -und verfallen. Schweine und anderes Vieh trieb sich in den Straßen -umher, und der Haupteindruck des Ganzen war überall Armuth, Koth und -Verfallenheit. Es war Sonntag und die Straßen wenig lebhaft; aber als -die Postkutsche hielt, sah Esther, daß eine ganze Schaar junger Mädchen -und Kinder den Wagen umringten. - -Kaum hatte Madame Bertin den Fuß an die Erde gesetzt, so wurde sie -mit lautem Jubel von dieser Schaar begrüßt, und es war gar kein Ende -zu finden mit Küssen und Umarmungen. Esther stand still zur Seite und -betrachtete sich voll Staunen diese Welt, in die sie eintreten sollte; -denn es waren in der That die Pensionairinnen Madame Bertin's, die sie -hier vor sich sah. Aber welch ein Anblick! Welch ein Schmutz und welch -ein Gelumpe unter diesen jungen Mädchen, und das sogar am Sonntage! -Ueber großen Reifröcken elende, schmutzige Kleider, zerrissene Schuhe -an den Füßen, die im Straßenkothe umherhüpften, daß das Wasser hoch -aufspritzte, und auf dem schwarzen, wirren Haar wunderliche Mützchen -von unaussprechlicher Unsauberkeit. Dabei aber die niedlichsten -Gesichterchen mit feurigen schwarzen Augen, lachenden Mäulerchen und -blendend weißen Zähnen, und alle graziös und zierlich, vergnügt und -glückselig, als feierten sie das herrlichste aller Feste. - -Esther wurde nun vorgestellt und gleich mitten im Straßenkoth von -all' den schmutzigen jungen Wesen so herzlich umarmt und geküßt, als -wäre sie eine liebe, alte Bekannte. Es kostete Esther eine wahrhafte -Ueberwindung, die Arme dieser kleinen, unsauberen Mädchen und diese -schmutzigen Hände mit den schwarzen Nägeln nicht von sich zu stoßen, -und lächelnd mußte sie ihrer guten Tante Booland gedenken, welcher ein -einziger Riß oder Schmutzfleck in Esthers Kleidern schon so großes -Entsetzen erregt hatte. Was würde sie wohl zu dieser jungen Schaar -sagen! Aber trotz alledem mußte man diesen lustigen, gutherzigen -Kindern gut sein, und getrosten Muthes folgte ihnen Esther nach der -Wohnung Madame Bertin's. - -Aber auch hier war der Eindruck: Schmutz und Verfall wohin man -blickte. Hinter einer zerbröckelten Mauer versteckte sich ein altes -steinernes Gebäude, in dessen unteren Räumen die Pensionsanstalt sich -befand. Steinerne von Schmutz bedeckte Fußböden in allen Zimmern, -finstere verwahrloste Kamine, Spinneweben an den lichtlosen Fenstern, -und unbehaglich düstere Möbel überall -- das war der Anblick, der -sich Esther beim Eintritt in das Haus darbot. Nur der sogenannte -Salon war mit rothseidenen Sophas und Fauteuils ausstaffirt, welche -aber auch von Staub überzogen waren und sich überhaupt wohl wundern -mochten, wie sie in diese Räume gerathen konnten. Esthers eigenes -kleines Zimmer bestand in einem Raum, der einen Durchgang bildete für -die ganze Pensionsgesellschaft, und außerdem vollgepfropft war von -allem möglichen Hausgeräth, so daß es einen unsäglich unbehaglichen -Aufenthalt bildete. Das waren denn nun freilich keine schönen -Aussichten für Esther, die an ein behagliches Leben gewöhnt war, und -das Herz schlug dem armen Kinde etwas bange in dieser Umgebung. Aber -war es nicht ihr Bertel, für den sie alles zu ertragen hatte? Wie -leicht wurde bei diesem Gedanken jede Last! Ihr frischer Jugendmuth -erhielt bald wieder die Oberhand, und ihr Humor regte sich und half -ihr über die tausend Unannehmlichkeiten fort, die sich ihr sonst noch -entgegenstellten. - -Höchst fremdartig und unangenehm war ihr vor allem auch die -südfranzösische Kost. Gleich am ersten Morgen sah Esther mit Staunen, -daß das Frühstück der jungen Mädchen aus nichts bestand, als aus einer -Scheibe harten grauen Brodes, das Einige sich am Heerdfeuer rösteten, -und einigen Zwiebeln, Salatblättern oder Kohlrabistücken. Für Esther -hatte man rücksichtsvoll ein unaussprechliches Gebräu aus einer Art -Kaffee bereitet, und seufzend weichte sie ihre Scheibe gerösteten -Brodes darin auf, zufrieden, daß sie wenigstens mit dem Genuß jener -Zwiebeln und Kohlrabi verschont blieb. Aber beim Mittagsessen konnte -sie sich auch diesen Freuden nicht entziehen. Einer steifen Suppe von -Brod und Kohlrabi folgte eine Art Salat von dicken Zwiebelstücken, -und Hammelfleisch, das außen verkohlt, innen aber ganz roh war, und -mit dem Esther sich durchaus nicht befreunden konnte trotz ihres -jugendlichen Appetits. Ein Beigeschmack von Knoblauch und ranzigem Oel -umschwebte alle Gerichte; denn bekanntlich wird im Süden das Oel statt -der Butter zur Bereitung der Speisen benutzt, und so wohlschmeckend -solches Oel in frischem Zustande ist, so widerlich wird es in etwas -verdorbenem, wie man es hier benutzte. In einer Pension nimmt man nicht -immer das Beste und darf eben nicht sehr wählerisch sein. - -Esther aß stets mit heftigem Widerwillen, und in ihrem ersten Briefe -an Frau Booland ergötzte sie sich damit, dieser einen südfranzösischen -Speisezettel mit einigen für eine Deutsche grauenvollen Gerichten zur -Disposition zu stellen. -- »Zuerst also, liebe Tante,« schrieb sie, -»erscheint eine dicke Suppe von Weinbergschnecken mit einem Zusatz von -Knoblauch, Oel und Brod. Dann als _entre-met_, den Appetit zu reizen, -giebt es rohe Zwiebeln, als Fleischspeise ein Ragout von Kaninchen -mit Cichoriensalat, und zum Dessert rohe Saubohnen und ein Dutzend -großer, lebender Schnecken. Was meinst du zu diesen Delikatessen, mein -Tantelchen? Wie sehne ich mich unter diesen Knoblauch- und Oelgerichten -nach meiner lieben deutschen Kost, zu welcher ihrerseits aber die -jungen Französinnen die Köpfe schütteln, erzähle ich ihnen davon. -Ueberhaupt komme ich mir hier, liebe Tante Booland, vor, wie verbannt, -und oft ist mir, als ob ich in Afrika unter den Wilden wäre, denn ich -lerne die wunderbarsten Zustände hier kennen. Die kleine Schaar hier -ist so unreinlich, so ungebildet, so wild und fremdartig, wie ich mir -nie junge Mädchen gedacht hätte. Freilich sind hier in dieser Pension -keine Kinder aus feinen Häusern; in vornehmeren Erziehungsanstalten -mag es ganz anders sein, und ich bedauere, daß ich so schlimm ankommen -mußte. Bei uns hier sind meist Töchter von Bürgern, Handwerkern und -Weinbauern, die alle keine Ansprüche an eine Erziehung machen, wie -wir sie gewöhnt sind, denn wie viel wohlerzogener und gebildeter sind -Mädchen solchen Standes bei uns in Deutschland. Ich weiß oft nicht, -über was ich mehr staunen soll: ob über diese verwahrlosten Kinder -oder über diejenigen, die sie erziehen und belehren; denn deren -Bildung und Lebensweise läßt eben auch gar viel zu wünschen übrig. Die -ganze Mädchenschaar von einigen 30 solcher lebendigen, plappernden, -schwarzbraunen und unsauberen Geschöpfchen sehr verschiedenen Alters, -hat meist in einer einzigen Klasse Unterricht, jedoch in zwei -Abtheilungen, und da kannst Du Dir nun eine Vorstellung von diesem -Unterricht machen! Auf einer Seite des Saales spreche ich auf die -kleinen, unruhigen Geister ein, auf der andern ein Lehrer; aber wie -wenig da wirklich verstanden und gelernt wird, ist begreiflich. Es -kommt aber hierauf auch herzlich wenig an, wie mir scheint; über -Elementarkenntnisse kommen diese Kinder sicher nie weit heraus, man -verlangt das aber auch gar nicht. Sobald sie die Pension verlassen -und nach Hause zurückkehren, arrangirt man eine Heirath für sie, -und wozu nützen dann noch die Kenntnisse? Das Wissen scheint einer -solchen kleinen Französin erstaunlich unnützer Ballast für das Leben. -Wenn sie nur recht munter zu plaudern und zu lachen versteht und sich -recht graziös und zierlich bewegt, mehr verlangt niemand von ihr. -Aber freilich, von dieser Anmuth und Grazie der Bewegungen, dieser -steten verbindlichen Freundlichkeit, dieser ewigen und unverwüstlichen -Heiterkeit haben wir steifen, groben, ernsthaften Norddeutschen -keinen Begriff, und so sehr mein Herz sich oft empört über diese -unbeschreiblichen Zustände, immer wieder versöhnt mich die hinreißende -Liebenswürdigkeit dieser Kinder des südlichen Frankreichs. Du solltest -nur einmal sehen, liebste Tante, mit welcher unnachahmlichen Grazie -unsere doch schon ältliche Mademoiselle Bertin bei dem Dîner an der -Spitze der Tafel präsidirt. Für Jeden hat sie ein Lächeln, ein -verbindliches Wort, eine gefällige Handreichung. Anmuthig erfaßt sie -mit ihren höchst unsaubern Fingern ihr Glas, noch anmuthiger führt sie -es an den ewig lächelnden, ewig freundlich plaudernden Mund, und mit -reizender Grazie reicht sie hier einem Kinde süß lächelnd ein Stück -des schauerlich harten Brodes, dort einem andern einen winzigen Bissen -verkohlten Cotteletts, als seien es seltene Kostbarkeiten. Am Ende des -wundervollen Mittagmahles säubert sie voll lächelnder Anmuth mit ihren -Lippen Gabel, Messer und Löffel, die sie alsdann in ihre Serviette -einwickelt; die ganze Tischgesellschaft thut das Gleiche, und bei der -nächsten Mahlzeit benutzt man diese also gereinigten Geräthschaften von -Neuem, ohne jemals eine andere Säuberung für nothwendig zu halten! -- -Und wie spaßhaft sehen alle diese jungen Mädchen aus mit ihren großen -weißen oder schwarzen Mützen auf dem Kopfe! Sie sind nämlich viel zu -träge, sich täglich ihr Haar zu kämmen und zu flechten, das geschieht -höchstens ein Mal in der Woche; die übrigen Tage steckt man die wirren -schwarzen Flechten und Locken unter eine solche Mütze, die deckt alles. -Aber wie sieht die aus! Würdig des ganzen Anzuges! Als ich mir am -ersten Morgen Gesicht und Nacken in frischem Wasser badete, sah meine -junge Stubengenossin mich ganz erstaunt an und sagte: »Waschen Sie sich -immer so, Mademoiselle?« »Natürlich, Louison,« erwiederte ich, »thun -Sie es denn nicht auch?« »_O mon dieu non!_« rief sie ganz entsetzt -aus, »ich würde sicher den Tod davon haben!« Und wirklich sah ich nun, -daß sie nur eben die Zipfel eines Tuches in's Wasser tauchte und sich -die Augen damit anfeuchtete, das war die ganze Wäsche. Daß man sich -auch Mund und Zähne reinigt, daß Nagel- und Kleiderbürsten existiren -und benutzt werden, daß Seife schmutzigen Händen ein Bedürfniß ist, -alles das sind Dinge, welche nicht zur Kenntniß dieser jungen Mädchen -gehören. Und doch wäre in diesem Lande, wo der Sommer so heiß und lang -ist, Reinlichkeit ein doppeltes Bedürfniß. Ich sehne mich ordentlich -danach, einmal einen Blick in andere Pensionen und andere Häuser zu -thun; denn unmöglich kann doch solche Unsauberkeit allgemein verbreitet -sein. Was ich jedoch hier in dem kleinen Orte sehe, gleicht freilich -alles mehr oder weniger unserer theuren Pensionsanstalt! Aber wenn -ich nun an den Menschen und deren Sitten auch vieles anders wünsche, -wie köstlich ist dafür die Natur, die mich umgiebt! Ein so entzückend -schönes Thal, wie das ist, in dem unser altes kleines Städtchen liegt, -kann man so bald nicht wieder finden. Von den Bergen rauschen frische -Quellen hernieder und bilden tausend kleine Cascaden; das üppigste -Grün, durchzogen von blühenden Büschen und Bäumen, deckt trotz der Nähe -des Winters noch überall Höhen und Tiefen, und von einzelnen nackten -Felsspitzen schauen prächtig zerfallene Ruinen herab in das Thal, von -ehemaliger Größe und Herrlichkeit erzählend. Pflanzen, von denen wir -kleine Zweige zu Hause als kostbare Schätze im Fenster stehen haben, -blühen und wuchern hier als riesige Büsche und Sträucher, und was -üppiger Pflanzenwuchs ist, davon habe ich jetzt erst einen Begriff -bekommen. Wie würdest Du, beste Tante, die Du die Blumen so liebst, -Dein Herz erfreuen an all' den köstlichen Gewächsen, welche mich hier -umgeben und welche die Verfallenheit und Unsauberkeit so reizend -verhüllen, daß man beinahe mit derselben ausgesöhnt wird.« -- - -So verstand es Esther, die Augen für das Schöne zu öffnen, das sie -umgab, und für die unerquickliche Existenz, in welche das Schicksal sie -geführt, sich möglichst reiche Entschädigung zu suchen. Ihr heiterer -Sinn erfreute sich mehr und mehr an der Liebenswürdigkeit ihrer -Umgebung, und die lustige junge Schaar hing bald mit feuriger Verehrung -an der neuen Lehrerin. - -Mit sehnsüchtiger Erwartung hoffte Esther von Tag zu Tag auf eine -Nachricht von Herrn Martin aus Nîmes; aber Woche auf Woche verging -und noch immer kam kein Brief. Esther glaubte, der alte Herr werde -sein Versprechen wohl vergessen haben, und es werde ihr nichts übrig -bleiben, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dazu aber mußte -sie das Weihnachtsfest abwarten, wo einige Tage Ferien den täglichen -Unterricht unterbrachen und ihr eine Reise nach Nîmes ermöglichten. Da -aber brachte der Briefträger ihr eines Morgens doch noch den sehnlich -erwarteten Brief, und erwartungsvoll öffnete Esther denselben. Ihr -alter Freund schrieb ihr sehr verbindlich und freundlich und bat um -Verzeihung, daß er sie so lange auf Nachricht habe warten lassen; aber -er sei durch Krankheit verhindert worden, sein Versprechen zu erfüllen. -Nun freue er sich, ihr über den betreffenden Herrn Richard Bescheid -sagen zu können. Derselbe sei Kaufmann und habe vor Jahr und Tag eine -überseeische Reise angetreten. Wann er von derselben zurückkommen -werde, sei ungewiß, wahrscheinlich im kommenden Frühjahr. Da der Herr -unverheirathet sei und auch keine sonstigen Anverwandten in Nîmes habe, -bedauere Herr Martin, nichts Genaueres weiter über ihn erfahren zu -können. - -Diese Nachricht war für Esther sehr betrübend. Alle ihre schönen Pläne, -Hoffnungen und Wünsche schienen für jetzt scheitern zu sollen; denn -wenn derjenige, von dem Esther die Schuld einfordern wollte, fern war, -und niemand weder seinen Aufenthalt noch die Zeit seiner Rückkehr -angeben konnte, so war ja alles vergebens. Selbst wenn sie Frau von -Ihlefeld von der Auffindung des Scheines sagen wollte, erreichte -sie damit weiter nichts, als diese unnöthig aufzuregen, denn in der -Ferne hätte dieselbe ja noch weniger wirken können. Esthers hatte -doch wenigstens noch immer die Hoffnung, daß Herr Richard während -ihres Aufenthaltes in Frankreich zurückkommen würde. Sie prüfte -lange, was das Beste sein möchte, und sehnlichst wünschte sie, sich -mit jemand berathen zu können. Nach reiflicher Ueberlegung war sie -entschlossen, ruhig in ihrer jetzigen Stellung zu bleiben und ihr -Geheimniß wie bisher für sich zu behalten, bis sie dennoch vielleicht -bald mit dem glücklichen Resultat vor ihre Lieben hintreten konnte. -Das Opfer, welches sie brachte, war groß; denn die Existenz, in der -sie auszuharren beschloß, wurde mit dem herankommenden Winter immer -unerfreulicher. Frühe Kälte und sogar Schnee kamen Mitte December -über die Berge gezogen und machten sich in dem kleinen hochgelegenen -Städtchen, das im Sommer seiner kühlern Temperatur wegen als angenehmer -Aufenthalt besucht wurde, ziemlich unangenehm fühlbar. Und man litt in -diesen Gegenden vielmehr durch die Kälte, als im Norden, wo man sich -dagegen zu schützen versteht. Aber hier besonders, in dieser wüsten -Pensionsanstalt, wurde der Aufenthalt durch Kälte und Schnee fast -unerträglich. Die steinernen Fußböden, durch keinen Teppich geschützt, -waren ohnehin schon kalt wie Eis; aber mit ihren dicken Holzschuhen, -Sabots genannt und wie kleine Kähne gestaltet, trugen die unruhigen -Füße der quecksilberigen jungen Schaar unablässig alle Nässe und allen -Schnee von Hof und Straße mit herein, so daß der Fußboden sich binnen -Kurzem in einen wahren Sumpf verwandelte. Keine Thüre schloß und kein -Fenster hielt Wind und Kälte ab, und wenn es dem schwarzen Kamin auch -wirklich endlich gelungen war, nach unsäglichem Rauchen und Qualmen -etwas Wärme um sich her zu verbreiten, der erste Windstoß warf diese -oder jene Thür wieder auf, und aus dem offenen Hausflur strömte dann -die ganze Winterkälte wie im Triumphe herein, denn niemand beeilte -sich, ihr den Eingang wieder abzuschneiden. Besonders wenn der Mistrâl -wehte, ein Wind, der dort heimisch und von markdurchdringender Schärfe -und Intensität ist, wußte man sich mitten im Zimmer und selbst im Bett -kaum zu retten vor Zugluft und Unbehagen. Dieser Wind dauert stets -mehrere Tage, der Himmel ist dabei tiefblau und die Sonne blitzend, -aber die Luft von einer Schärfe, daß nichts vor ihrem Eindringen -schützt, und Thüren und Fensterrahmen Spalten bekommen, so trocknet der -Wind sie aus. - -Aber so sehr Esther durch diese Zustände litt, die muntern Französinnen -ließen sich dadurch wenig aus ihrer guten Laune bringen, und wenn der -Wind recht eisig durch Thür und Fenster pfiff, dann trappelten sie -desto lustiger mit ihren hölzernen Sabots auf dem steinernen Fußboden -umher, daß man meinen konnte, eine Schwadron Cürassire komme über das -Steinpflaster geritten. Es war ein unaussprechlicher Spectakel; aber -den lebendigen Kindern machte das gerade Vergnügen. Gut, daß Esthers -Nerven von solider Stärke waren, sonst hätte sie diesen Lärm und dieses -Treiben nicht lange ertragen. -- So kam das Weihnachtsfest heran, und -Esther's Herz übermannte jetzt eine so unsägliche Sehnsucht, daß sie -all' ihrer tapfern Entschlossenheit bedurfte, um nicht die Flinte in -das Korn zu werfen und auf und davon zu gehen, der lieben Heimath -wieder zu, mit den Ihren das schönste aller Feste zu feiern. Hier in -Frankreich hatte man keine Idee von der Feier des Weihnachtsfestes, wie -Esther es kannte; Geschenke gab man sich am Neujahrstage, aber ohne -besondere Festlichkeit. - -Der Arzt der Pension, dessen Frau eine Deutsche war, hatte sich sehr -freundlich gegen Esther bewiesen und das junge Mädchen durfte diese -Familie zuweilen besuchen. O wie athmete sie hier auf in dieser -sauberen, geordneten Häuslichkeit, und hier fühlte sie erst, wie leicht -man bei verständiger Vorsorge den dortigen Winter ertragen konnte, der -trotz Mistrâl doch unendlich viel milder war als ein deutscher. Von -dieser Familie wurde Esther eingeladen, das Weihnachtsfest mit ihnen -zu feiern, und freudig folgte das junge Mädchen dieser Aufforderung. -Am Nachmittage schon machte sie sich auf den Weg, und bei köstlich -warmem Sonnenschein, wie er in der Heimath etwa im Mai die Erde wärmt, -durcheilte sie die Straßen. Ihr Weg führte sie durch einen großen -öffentlichen Garten, auf dessen Terrassen eine Menge Frauen bei ihrer -Spindel saßen, gerade wie im Sommer, die Kinder zu ihren Füßen spielend. - -Aber wie köstlich war auch noch alles grün trotz Winter und Schnee! -Ueppiges Moos deckte überall die ruinenhaften Mauern, saftig grüne -Wiesen zogen sich weithin, Cypressen und Lorbeer und immergrüne -Eichen standen mit vollem Laube in dichten Gruppen, Oliven mit ihrem -matten Grün breiteten sich dazwischen aus. Eine Menge wundervoller -fremdartiger Bäume wölbten ihr Laubdach über Esther, von denen -besonders einer mit brennend rothen Früchten ihr Auge entzückte, man -nannte ihn Arbousier. Dichte Hecken von hohem Oleander und in weißen -Dolden blühenden Gewächsen zogen sich ringsum, üppige Schlingpflanzen -rankten sich hernieder, und überall blühte die Monatsrose in Fülle, -von Veilchen, Narcissen, Tazetten und tausend anderen Blumen umringt. -Es war eine Pracht und ein Reichthum in der Natur, daß Esthers -Herz laut jubelte und sie sich nicht satt sehen konnte an all' dem -Schönen. Wie herrlich mußte diese Natur erst im Frühjahr sein, wenn am -Weihnachtsabend, mitten im Winter, schon alles in dieser Weise blühte -und duftete! - -Die Doktorin empfing Esther mit großer Herzlichkeit, und das junge -Mädchen verlebte den Abend so angenehm, daß ihr Heimweh fast gänzlich -Abschied nahm. Mit Jubel begrüßte sie eine schöne grüne Tanne, den -lieben nordischen Weihnachtsbaum, der in vollem Lichterglanze ihr -entgegenlachte, als wäre sie zu Hause in ihrem trauten Waldhause. Man -hatte den Baum in eine riesige Vase gepflanzt, und statt der Aepfel -lachten goldene Apfelsinen aus dem grünen Laube. Eine dicke Guirlande -von frischen rothen Rosen, die man am Morgen im Weinberge gepflückt, -zog sich um den Rand der Vase; hohe silberne Candelaber waren mit -Gewinden von Lorbeer und Oleander umschlungen und durch Rosenketten -verbunden, und an diesen Guirlanden wie an dem Tannenbaum hing eine -Menge buntes Zuckerwerk und silberne und goldene Kugeln. Es war ein -reizender Anblick. Für Esther lagen einige hübsche Geschenke unter dem -Baume, und als beste Gabe ein dicker Brief aus der Heimath, den der -Doktor heimlich dem Briefträger abgenommen hatte. Esthers Dank und -Freude war namenlos, einen so herrlichen Weihnachtsabend hätte sie -nimmer in der Fremde erwartet, und diese Freude stärkte sie wieder für -all' die vielen unangenehmen Tage, welche noch vor ihr lagen. - -Unter wenig erfreulichen Verhältnissen, in welche Esther ihr Geschick -geführt, verging der Winter, und ein Frühjahr kam herbei, so warm und -wonnig und so reich an Blüthen und Düften ringsum, daß Esther alles -Ungemach vergaß und mit vollem Herzen diese Zauberwelt genoß. Sie -schrieb glückselige Briefe an ihre Lieben in der Heimath, bei denen -der Winter noch mit all' seinen rauhen Lüften und mit Kälte und Schnee -regierte, während es rings um Esther schon blühte und duftete. - -Als dann aber auch in Deutschland das Frühjahr gekommen war, da brannte -die Sonne schon so heiß und sengend auf die Fluren hernieder, in denen -Esther umherwanderte, daß sich diese gar oft ihren nordischen Himmel -herbei wünschte. - -Mit dem Frühjahr sollte sich ja vielleicht Esthers Hoffen und -Harren belohnen, so glaubte sie sicher, und ihr alter Freund hatte -ihr versprochen, sobald er Kunde über die Rückkehr Herrn Richard's -erhalten könne, wolle er sie sogleich benachrichtigen. Aber Woche um -Woche verging abermals, und kein Brief kam. Die warmen Frühlingstage -verwandelten sich in heißen Sommer, unter dessen sengender Sonnengluth -alles verdorrte und verbrannte, so daß statt der saftigen Fluren eine -gelbbraune Decke sich überall ausbreitete, und Menschen und Thiere nach -Kühlung schmachteten. - -Jetzt bot das eisig kalte Steinhaus, in dem Esther wohnte, allerdings -angenehmen Schutz vor der Sonnengluth; aber doch freute sich das junge -Mädchen, daß einige Wochen Ferien die Stunden unterbrechen sollten, -denn sie fühlte sich oft unendlich müde und angegriffen. Das stete -vergebliche Hoffen machte sie nervös und niedergeschlagen, sie sah -ja, daß ihr Opfer vergebens sein und sie ohne das Geld nach Hause -zurückkehren mußte. Sie hatte gehofft, die Erlangung dieses Schatzes -werde ihr die Stellung in England ersparen, und sie könne wieder zurück -in ihr Waldhaus. Nun schwand auch diese Freude; denn wenn sie nichts -verdiente, litt Bertel Mangel und konnte nicht weiter studiren. So -mußte sie also jene Stelle binnen Kurzem antreten; man wollte dort -nicht länger warten, wie Pastor Krause ihr schrieb. Schon beabsichtigte -Esther, gleich beim Beginn der Ferien nach Hause zurück zu kehren, -da schrieb ihr Herr Martin, seine Frau wollte für einige Wochen in -das Seebad nach Cette gehen und würde sich freuen, wenn Esther sie -begleiten wolle. Er bitte sie, vorher für einige Tage in Nîmes ihr Gast -sein zu wollen. Esther zögerte anfangs, dies Anerbieten anzunehmen, -ihre angegriffene Gesundheit aber bedurfte allerdings der Stärkung -durch Seebäder; denn neue Pflichten erwarteten sie ja, für welche sie -eines kräftigen Körpers bedurfte. So nahm sie denn Abschied von ihren -liebenswürdigen Pensionsgefährtinnen, die ihr trotz aller Mängel und -Fehler herzlich lieb geworden waren, und eilte unter das gastliche Dach -ihres guten alten Freundes in Nîmes. - -Hier wurde sie mit großer Herzlichkeit aufgenommen und fand eine -angenehmere Häuslichkeit, wenn auch ein deutsches Hauswesen diese -südlichen Zustände bedeutend an Behagen übertraf. Frau Martin war -eine lebendige, liebenswürdige, alte Dame, und die beiden guten Alten -machten es sich zur Aufgabe, Esther alle Sehenswürdigkeiten von Stadt -und Umgegend zu zeigen. - -Es traf sich gerade, daß man einen Geburtstag in der kaiserlichen -Familie feierte, wozu die ganze Stadt sich mit Fahnen, Guirlanden und -Teppichen geschmückt hatte, was den Straßen einen äußerst freundlichen -Anblick verlieh. Große Processionen durchzogen die Stadt, Abends war -brillantes Feuerwerk und Illumination, das Schönste aber war am andern -Tage ein Volksfest in den alten Mauern der Arena, wozu jedermann -freien Zutritt hatte. Unser altes Pärchen führte natürlich seinen Gast -auch dahin, und mit Staunen und Entzücken sah Esther dieses prächtige -Schauspiel mit an. Die vortrefflich erhaltenen Ruinen der einst durch -die Römer erbauten Arena waren jetzt von oben bis unten überdeckt von -vielen Tausend Menschen, und jedes Plätzchen, so klein oder gefährlich -es auch sein mochte, war besetzt. Alle diese Terrassen, Bogen, Arkaden, -ja selbst der oberste Rand der Umfassungsmauer, alles stand gedrängt -voll Menschen, und da war kein Stein, kein Pfeiler, der nicht seine -interessante Gruppe aufwies. Auf einzelnen losgebrochenen Mauerresten -standen und hingen kühne Burschen, und während ihre braunen Gesichter -vor Vergnügen leuchteten, baumelten sie lustig mit den nackten Beinen -über dem Abgrunde und lachten der ängstlichen Rufe und Blicke um -sie her. Männer und Weiber, Kinder und Greise, zerrissene Bettler -und elegante Damen, alles drängte sich dicht an einander, sitzend, -stehend, hängend, kauernd oder liegend, wie es eben ging; aber alles -jubelnd, schreiend, lachend und hoch oben darüber der tiefblaue Himmel, -wie ihn eben nur der Süden aufzuweisen hat. Während unten in der -Arena Seiltänzer und Jongleure ihre Künste zeigten, ein Luftballon -emporgelassen wurde und bei laut kreischender Musik allerlei Tänze -und Scherze aufgeführt wurden, wanderten auf der untersten Terrasse -eine Menge Verkäufer umher, die Zuschauer mit Früchten und Gebäck zu -versorgen. Mit wahrhafter Virtuosität schleuderten diese Händler ihre -Waaren bis hoch zu den obersten Sitzen hinauf, und gelbe Citronen, -goldene Apfelsinen, lange Weißbrode, Feigen, Pfirsiche, Stücke Melonen, -alles flog und schwirrte durch die Luft und wurde ebenso geschickt -aufgefangen als geschleudert. Verfehlte aber ein unglückliches Gebäck -oder eine leckere Frucht einmal ihr Ziel und rollte in ein Gebüsch oder -in das lose Steingeröll, dann zitterte die Luft von endlosem Jubel, und -tausend Hände und Füße waren in Bewegung, den Schatz zu erobern. Esther -war ganz hingerissen von dem Zauber dieses echt südlichen Festes, und -feurig und lebendig wie auch ihr Temperament war, jubelte sie mit ihren -französischen Nachbarn um die Wette und vergaß es vollständig, daß von -allen Seiten der verhaßte Knoblauchgeruch sie einhüllte, und eine Menge -höchst uncivilisirter Beine über ihrem Kopfe baumelten. - -Nach einigen in Nîmes froh verlebten Tagen reiste Esther in -Gesellschaft der alten Frau Martin nach Cette ab, das prächtig am -Gestade des Mittelmeeres sich hinzog. Von dort gedachte sie einige -Wochen später in die Heimath zurückzukehren, und Frau von Ihlefeld dann -selbst die Erlangung jenes Kapitals zu überlassen, da ihr diese Freude -nicht vergönnt ward. Der Anblick des Meeres war ein neuer Genuß für -Esther, und mit Entzücken badete sie ihre Glieder in dieser herrlichen -Fluth. Sie fühlte sich durch die Bäder bald wunderbar gestärkt und -belebt, und da auch das Zusammensein mit Frau Martin durchaus angenehm -war, so freute sich Esther aus voller Seele dieser schönen Tage. Leider -aber war Frau Martin schon nach Kurzem genöthigt, wieder nach Hause -zurückzukehren, da ihr Mann heftig erkrankte; da sie aber hoffte, bald -wieder nach Cette kommen zu können, blieb Esther zurück, durch die alte -Dame den braven Hauswirthen warm empfohlen. - -In dieser Zeit war es, wo eine junge Dame Esthers Bekanntschaft -erneuerte, welche schon in Nîmes in der Arena neben ihr gesessen und -sie mehrfach angesprochen hatte. Esther freute sich, Gesellschaft zu -haben, und obwohl sie eigentlich keinen großen Gefallen an der Dame -fand, kam sie doch täglich mit derselben zusammen. Sie nannte sich -Mademoiselle Lasson, war sehr heiter und gesprächig, und Esther vergaß -in ihrer Gesellschaft alle trüben Sehnsuchtsgedanken. Dies veranlaßte -sie, häufiger mit Mademoiselle Lasson zusammen zu sein, als sie sonst -wohl gethan hätte. - -An einem herrlichen Sommerabend ging Esther auch wieder mit ihrer -neuen Freundin am Meeresstrande spazieren, und mit ihnen noch viele -andere Badegäste. Man hatte in der Ferne das Herankommen eines Schiffes -gesehen, und das Einlaufen eines solchen in den Hafen war stets ein -Vergnügen für die Fremden. Auch Esther freute sich des Anblicks, wie -das schöne, stolze Schiff auf den Wellen daher segelte, und als dann -die Ankommenden ausstiegen, betrachtete sie dieselben voll natürlicher -Neugierde. Da ging einer der angekommenen Herren an ihr vorüber. -Mademoiselle Lasson begrüßte denselben und zwar mit so lauten Worten -und fröhlichem Lachen, daß Esther etwas scheu zurücktrat. Der Herr -blickte auf und schien über die Begrüßung durchaus nicht erfreut; denn -mit einem kurzen Seitenblick auf Esther ging er leicht grüßend davon. - -»Wer war der Herr, Mademoiselle?« fragte Esther rasch. - -»O, ein alter Bekannter von mir, Monsieur Richard; er schien mich nicht -recht zu erkennen,« sagte die Dame achselzuckend. - -»Herr Richard?« rief Esther freudestrahlend. »Herr Richard aus Nîmes? -Der Neffe des Herrn Etienne de Villemaud?« - -»Wie seine Verwandten alle heißen, weiß ich wahrlich nicht,« lachte -Jene, »ich glaube aber, den Namen gehört zu haben. Er that diesem -Herrn hier den Gefallen, zu sterben und ihm sein schönes Geld zu -hinterlassen, wenn ich nicht irre. Was wissen Sie denn von diesem Kauz, -liebe Kleine?« - -Esther war so aufgeregt vor Freude, Glück und Wonne, daß sie zitterte -und ihrer Begleiterin in kurzen Worten sagte, daß es für sie von -unendlicher Wichtigkeit sei, diesen Herrn zu treffen. »O bitte, wir -wollen ihm schnell nacheilen, daß er nicht abreist, ehe ich ihn -gesprochen habe!« rief sie glühend und zog Mademoiselle Lasson mit sich -fort. - -»Halt, liebe Kleine, nicht so hitzig!« lachte diese und machte ein so -sonderbares Gesicht, daß Esther verlegen stehen blieb. - -»Sie sind ja sehr eilig hinter dem Herrn her, der wenig von uns wissen -zu wollen schien. Ich weiß, er kehrt hier bei einem Bekannten ein, -da werden Sie ihn zeitig genug treffen auch ohne so große Eile. Aber -hingehen wollen wir, da Ihnen so viel daran zu liegen scheint. Ich darf -doch mit Ihnen gehen?« - -Esther dankte ihrer Begleiterin herzlich, daß sie ihr zur Seite bleiben -und sie zu der Wohnung Herrn Richard's führen wollte. Zuerst aber -eilte sie nach Hause, das wichtige Papier zu holen, das ihr bisher -so viel Angst und Sorge, Hoffnung und Enttäuschung gebracht hatte. -Ihre Begleiterin führte sie bis zu dem betreffenden Hause, dann aber -verabschiedete sie sich, was Esther im Grunde nicht unlieb war, sollte -doch niemand weiter von ihrem Geheimniß erfahren. - -Als sie Herrn Richard gegenüber stand, schlug ihr doch das Herz -gewaltig vor banger Erwartung, besonders da jener Herr ihr sehr kalt -und erstaunt entgegentrat und sie mit wenig freundlichen Blicken -anschaute und nach ihrem Begehr fragte. Esther nannte ihren Namen und -versicherte sich zuerst, daß sie auch die gesuchte Persönlichkeit vor -sich habe; dann aber nahm sie mit zitternder Hand den Schuldschein aus -ihrer Brieftasche und sagte: »Mein Herr, wissen Sie von dieser Schuld?« - -Herr Richard blickte das Blatt voll Staunen an und sagte: »Der Empfang -der Summe ist in den Büchern meines Vetters notirt, aber kein Name. -Ich habe bisher umsonst gewartet, daß der Gläubiger sich melden solle. -Aber mein Fräulein, wie kommen =Sie= zu dem Schuldscheine?« Und wieder -blickte er Esther prüfend in das glühende Gesicht. - -»Der Schein war seit Jahren verloren, durch einen Zufall kam er in -meine Hände,« sagte Esther ruhig, aber unwillkürlich noch tiefer -erröthend. - -»So, durch einen Zufall? Und Sie wünschen, ich soll das Geld an Sie -auszahlen?« entgegnete der Kaufmann scharf. - -»Ja, natürlich wünsche ich das,« sagte Esther unbefangen. - -»So besitzen Sie eine Vollmacht, welche Sie berechtigt, die Summe von -mir zu fordern im Namen des Gläubigers?« entgegnete Herr Richard. - -»Eine Vollmacht?« sagte Esther betroffen. »Nein, wozu bedürfte es einer -solchen? Herr von Ihlefeld ist todt, seiner Familie aber stehe ich so -nahe, daß Sie mir das Geld getrost ohne solche Vollmacht einhändigen -können. Ich bin mit dem Sohne des Hauses erzogen und besitze das volle -Vertrauen der Mutter, welcher ich mit der Ueberbringung des Geldes eine -unerwartete Freude machen will, da sie in sehr dürftigen Umständen -lebt. Ich habe ihr die Auffindung des Schuldscheines, den ich in -einem Buche fand, welches sie mir geliehen, nicht mitgetheilt, um ihr -unnöthige Unruhe zu ersparen. Mein Weg führte mich nach Frankreich, und -so nahm ich Gelegenheit, den Erben jenes Herrn Etienne von Villemaud -aufzusuchen, um Frau von Ihlefeld bei meiner Heimkehr das Geld statt -des Scheines zu überreichen. Schon glaubte ich meine Hoffnungen -betrogen, da Sie für unbestimmte Zeit von der Heimath abwesend waren; -da führte ein günstiger Zufall mich heute in Ihre Nähe, und so ist der -Zweck meines Aufenthaltes in Frankreich doch nicht vergebens.« - -Herr Richard hatte Esther's Erzählung mit einiger Ungeduld angehört; -jetzt sagte er kalt: »Darf ich um Ihre Legitimation bitten, mein -Fräulein?« - -»Mein Paß liegt in Nîmes bei Herrn Martin,« sagte Esther unbefangen, -»ich glaubte ihn hier nicht zu brauchen.« - -»So?« entgegnete der Kaufmann ironisch. »Ich weiß nicht, mein Fräulein, -über was ich mich mehr wundern soll: über Ihre Dreistigkeit, ohne -jegliche Vollmacht und Legitimation eine solche Forderung zu stellen, -oder über die Naivität, mir jenes Märchen zu erzählen, den Schein -betreffend. Haben Sie in der That geglaubt, irgend jemand würde Ihnen -ohne Sicherheit und ohne Vollmacht jene Summe auszahlen? Wer bürgt denn -dafür, daß Sie das Geld auch den Erben bringen, da diese gar nichts -davon wissen, daß der Schein gefunden ist?« - -»Mein Herr!« fuhr Esther empört auf, »wie können Sie mich so -beleidigen? Ich bin die Tochter eines Predigers und keine Diebin.« - -»Wenigstens wären Sie eine sehr ungewitzigte Diebin, mein Fräulein,« -sagte Jener trocken. »Denn ohne Vollmacht würde Ihnen schwerlich jemand -das Geld geben, ich wenigstens bin kein solcher Thor. Aber da Sie -glaubten, das Geld werde Ihnen ausgezahlt werden ohne Vorzeigung des -Scheines, so entstand diese Hoffnung vielleicht schon bei Erlangung -desselben. Gerade daß Sie der Familie so nahe standen, ermöglichte ja -die Erwerbung jenes Papieres. Jene Dame, in deren Gesellschaft ich Sie -soeben am Strande sah, ist eine sehr schlechte Empfehlung für Ihre -Solidität und Ehrlichkeit, mein Fräulein. Sie selbst habe ich nicht die -Ehre zu kennen, ich gestehe Ihnen aber ehrlich, daß ich Ihnen gleich -mit Mißtrauen entgegen kam, denn Sie werden das Sprichwort kennen: -»_Dis-moi que tu hantes, et je te dirai que tu es._« - -Esther war außer sich. »Mein Herr!« rief sie, in Thränen ausbrechend, -»Sie beschimpfen ein ehrliches, schutzloses Mädchen! Meine -Unerfahrenheit hat mich in eine böse Situation gebracht; aber gerade -diese sollte Ihnen dafür bürgen, daß ich unschuldig bin. Jene Dame -kenne ich kaum und habe keine Ahnung davon, daß sie für ein ehrliches -Mädchen keine passende Gesellschaft ist. Uebrigens verlange ich jetzt, -daß Sie augenblicklich an Frau von Ihlefeld schreiben und sich nach -Esther Wieburgs Ruf erkundigen; ich selbst werde ein Gleiches thun und -die Auffindung des Scheines und alles andere berichten. Sie haben die -unbescholtene Tochter eines Predigers tödtlich beleidigt; Gott verzeihe -es ihnen.« Dann schrieb sie rasch Frau von Ihlefelds Adresse auf einen -Zettel und wandte sich stolz nach der Thür; mit einem kalten Gruß ging -sie hinaus. Zu Hause angekommen sank sie weinend auf ihre Knie. Lange -schluchzte sie krampfhaft und leidenschaftlich; denn der Gedanke, hier -als eine Diebin, als eine schamlose Betrügerin behandelt worden zu -sein, war ihr entsetzlich. Wenn auch nach kurzer Zeit der Verdacht von -ihr genommen wurde, der Schatten hatte doch auf ihr geruht und ihr war, -als sei sie nun für ewig gebrandmarkt. »O Bertel, Bertel, deinetwegen -habe ich alles das zu ertragen!« rief sie, das Gesicht in den Händen -verbergend. - -Aber endlich ermannte sie sich und eilte nach ihrem Schreibtische. Sie -mußte Herrn Martin brieflich bitten, ihren Paß ihr zu übersenden, den -sie bei ihm deponirt hatte, damit sie sich durch diesen legitimiren -konnte. Dann aber schrieb sie an Frau von Ihlefeld, dieser ihr ganzes -Wünschen und Hoffen darlegend, und wie sie vergebens durch die -Auffindung jenes Schuldscheines und die Erwartung, gleich selbst die -Geldsumme erheben zu können, zu der Reise nach Frankreich bestimmt -worden sei. Dann erzählte sie ihr die Behandlung, welche sie durch -Herrn Richard erlitten und bat dringend um jene wichtige Vollmacht, -damit sie das Geld erheben könne, und ihre Ehre wieder hergestellt -werde. Als sie das Schreiben fortgetragen, fand sie bei ihrer Rückkehr -einen Brief in ihrem Zimmer. Er war aus der Heimath. Welch ein -herrlicher Trost in aller Trübsal und Kränkung. Voll Freude öffnete -sie das Schreiben, es war ein Brief von Bertel und ein kurzer von Frau -Booland. Esther las den kurzen Brief zuerst, er lautete: - - - »Mein liebes theures Kind! - - Heute schreibe ich Dir nicht viel, obwohl mir das Herz zum Zerspringen - voll ist. Bertels Brief enthält das Weitere. Ich habe es immer - gedacht, so werde es einmal kommen; denn Adel bleibt Adel, und Geld - hat einen schönen Klang. Bertel ist ein guter Sohn, er will seine - Mutter nicht betrüben, indem er ihrem Willen entgegen ist, er ist ja - so leicht zu etwas zu bestimmen. Ob er dadurch freilich den Dolch in - =das= Herz stößt, das ihm anhängt mit unerschütterlicher Treue, und - dessen dieser Undankbare nie und nimmer würdig war, das kommt nicht - in seinen Sinn. Aber genug, mein Herzblatt, ich will meine bittern - Thränen still für mich weinen und Dir dein armes Herzchen nicht noch - schwerer machen. Nun gehst Du nicht nach England, sondern bleibst bei - mir, Deiner ewig und unwandelbar getreusten - - Friederike Booland.« - - -Mit zitternder Hand faltete nun Esther Bertels Brief von einander. -Was konnte er enthalten, daß Tante Booland so gegen ihn erzürnte? -Die Buchstaben schwammen vor ihren Augen, lange Zeit konnte sie -die geliebten Schriftzüge nicht festhalten. Endlich aber las sie, -was Bertel schrieb. Nach einigen unwichtigeren Notizen erzählte er -ihr, daß er seit einiger Zeit ein häufiger Gast in seinem einstigen -Vaterhause in Rahmstedt sei, das jetzt in den Besitz eines entfernten -Anverwandten, eines Herrn von Sassen, übergegangen sei. Die Frau sei -todt, eine ältliche Cousine vertrete ihre Stelle im Hause. Er sei hier -mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, und auch seine Mutter -sei, nachdem sie den ersten Schmerz überwunden, in das Haus wieder -eingetreten, wo sie so Schreckliches erlebt. Nun verkehrten sie Beide -häufig mit diesen Verwandten, welche früher im Auslande lebten, und -es habe sich ein sehr inniges Verhältniß zwischen beiden Familien -gebildet. Die höchst anmuthige junge Tochter Susanne, das einzige -Kind des Onkels, sei ihm wie eine Schwester entgegengekommen, und er -sei dem hübschen Kinde herzlich zugethan. Mit Esther freilich dürfe -er sie nicht vergleichen, aber wer käme dieser überhaupt gleich? -- -Seine Mutter habe ihm nun vor einigen Stunden gesagt, daß der Onkel -eine Verbindung ihrer beiden Familien sehr wünsche, und Bertel ihm -trotz seiner Armuth einst ein willkommner Gatte für sein Kind sein -werde. Frau von Ihlefeld habe keinen höhern Wunsch, als daß ihr Sohn -zu diesem Plane die Hand reiche, und auch Susanne werde sich sicher -damit einverstanden erklären, das dürfe er erwarten; denn sie sei ein -gutes, fügsames Kind, das dem Willen des Vaters schwerlich entgegen -sein würde. »Der Reichthum des Onkels,« schrieb Bertel weiter, -»sichert meiner Mutter eine sorgenfreie Zukunft, und für mich selbst -erschließt sich eine neue Welt. Mein einstiges Vaterhaus nimmt mich -wieder auf als Sohn und Erben, und der Besitz dieses lieben Mädchens -giebt mir zugleich die Mittel in die Hand, die Träume meiner Jugend zu -verwirklichen und im Dienste meiner Wissenschaft Reisen zu machen. Ein -Archäolog, zu dem ich mich bilden will, ist nichts ohne Reisen, und so -verschafft dieser Bund allen Theilen Glück und Vortheil. Aber so sehr -ich entschlossen bin, einen so wichtigen Schritt zu thun,« schrieb -Hubert weiter, »so muß ich doch wissen, wie Du darüber denkst, meine -gute Esther. Schreibe es mir ganz ehrlich; denn einen bessern Freund -als Dich habe ich ja nie besessen, und nie im Leben habe ich etwas -Wichtiges ohne Deinen Rath und Deine Billigung unternommen. Wohl weiß -ich es, meine liebe theure Schwester, mein Glück ist auch immer das -Deine gewesen, das hast Du mir bewiesen, seit wir als kleine Kinder -schon alles Leid und alle Freuden mit einander getheilt haben. Doch ich -möchte ein Wort von Deiner lieben Hand sehen, möchte von Dir selbst -hören, daß Du mein Vorhaben billigst, sonst kann ich meines Glückes -nicht froh werden. Lange war ich unschlüssig, ob ich mich in dieser -Weise binden sollte; aber meine Mutter drängt, und ich sehe ja selbst -ein, daß diese Verbindung große Vortheile für uns hat. Aber dennoch --- ach Esther, mein lieber, getreuer Kamerad, sage auch Du, daß ich -recht thue, daß Du es vernünftig und gut findest, und daß Du auch -ferner meine liebe, treue Schwester bleiben willst. Dann erst bin ich -ruhig darüber, daß ich dem Drängen meiner Mutter nachgegeben und will -das innere Unbehagen überwinden, das mich peinigt, ich weiß selbst -nicht, weshalb. Ohne Dich bin ich ja immer nur ein halber Mensch, immer -stützest und ergänzest Du mich, Du mein besseres Ich, der Schutzengel -meines Lebens!« - -Esther saß nach Beendigung dieses Briefes bleich und still auf ihrem -Sessel. Die Hände waren in ihren Schoos gesunken und hielten den Brief -noch fest, ihre Augen waren geschlossen und die Lippen zitterten leise. -Endlich entrang sich ein Ton ihrer Brust, die angstvoll athmete. Es -war wie der Schrei eines Versinkenden. Heftig warf sie plötzlich beide -Arme empor und sprang vom Sitze auf. Eine furchtbare Angst trieb sie -umher, und wie verzweifelt durcheilte sie fort und fort ihr Zimmer, die -Hände fest in einander gekrampft und leise stöhnend. Aber keine Thräne -kam in die heißen Augen und erleichterte ihrer gepreßten Brust den -entsetzlichen Kampf, den sie zu bestehen hatte. - -O was ging in diesem jungen Herzen vor, während ihr Fuß angstvoll im -Zimmer auf und nieder eilte! Ihr war, als hätte eine grausame Hand -mit einem Wurfe plötzlich alles in Trümmer geschlagen, was das Wesen -ihres ganzen Lebens ausgemacht hatte; als hätte sie bis jetzt in süßen -Träumen gelegen, und nun sei sie mit einemmale geweckt worden zu einem -Dasein, so furchtbar, so grauenvoll, daß das Herz ihr davor erbebte. -Was war es nur, das man ihr zertrümmert? Was war es, das man ihr so -plötzlich entrissen? War es das Herz in ihrer Brust oder ihr Fühlen, -ihr Denken? Ein Schmerz durchdrang sie so entsetzlich, wie sie ihn noch -nie im Leben empfunden, und doch wußte sie nicht, war es der Körper -oder der Geist, der so grausam litt. »O Bertel, Bertel!« rief sie -endlich verzweifelt und schlug die Hände vor das Gesicht, und jetzt -brach ein Strom Thränen hervor, so leidenschaftlich und überwältigend, -als wollte sich ihr ganzer Körper in Thränen auflösen. - -Schwach und gebrochen ruhte Esther endlich im Lehnstuhle, und ihre -Augen blickten hinauf zum Himmel, von woher Hülfe und Trost allein noch -kommen konnte. Ihre Gedanken waren klarer geworden, und jetzt erst -wußte sie, was ihr zertrümmert worden. Es war der Traum ihrer Zukunft. -Ohne daß sie sich je davon Rechenschaft gegeben, hatte sie ihr Leben -mit all' seinem Hoffen und Wünschen, Denken und Fühlen so völlig mit -dem ihres geliebten Bertel zusammengeschmolzen, daß es für sie eben -eine Unmöglichkeit war, sich ihre Existenz von der ihres Spielgefährten -getrennt zu denken. Vom ersten Tage ihres Zusammenseins an hatte sie -nur an ihn gedacht und für ihn gelebt und gesorgt, und so war es -geblieben bis zu dieser Stunde. Was fragte sie je nach ihrem eigenen -Wohlbehagen, ihren eigenen Bedürfnissen, wenn nur Bertel zufrieden -war! Wie sie als kleines Mädchen nur um seinetwillen gelernt, nur an -den Spielen Freude hatte, die ihm lieb waren, und für alles gesorgt -hatte, was er bedurfte, so war es bis heute noch geblieben. Für wen -mühte sie sich Tag für Tag mit den Schülern bei Pastor Krause? Für -wen hatte sie sich die Schmerzen der Trennung auferlegt und wollte -in England Erzieherin werden, und für wen war sie endlich hier nach -Frankreich gegangen, hatte alles Ungemach in jener Pension und heute -selbst Schmähungen und Verdächtigungen ertragen? Ach für ihn, für ihn -allein, der ihr Gedanke war früh und spät, und dem sie den Weg bahnen -wollte zu Glück und Ehre und Ruhm. O und welcher Jubel hatte ihr Herz -erfüllt beim Auffinden des Scheines! Nun ward er ja wohlhabend und die -Sorgen hatten ein Ende, und sie, sie hatte es ihm verschafft! Aber nun -war alles aus! Nun bedurfte er ihrer nicht mehr und ihrer Arbeit und -Mühe; nun gaben ihm Andere mit vollen Händen, was er brauchte und mehr -als er brauchte. Aber nun gehörte er auch diesen Anderen, und sie hatte -keine Rechte mehr an ihn. Sie war allein, allein mit ihrem Herzen, das -er verschmäht hatte, eine Andere trat nun an diese Stelle! - -Weiter konnte Esther mit ihren Gedanken nicht kommen, es kam wieder wie -ein Krampf über sie, und leise wimmernd sank sie zusammen. Hätte sie -nur wenigstens jemand gehabt, der mit ihr sprechen konnte; aber diese -trostlose Einsamkeit, es war zu schrecklich! - -Endlich jedoch trat ein Friedensengel zu dem armen, einsamen Kinde. -»Und Du wirst ihm doch noch immer lieb und theuer sein, trotz aller -neuen Bande! Er wird Deiner bedürfen nach wie vor trotz alles -Reichthums und alles Wohlbehagens!« so tönte es in ihrer Brust. -»Ich will ihm bleiben, was ich ihm bis jetzt gewesen, seine treue, -helfende Freundin, das kann ihm weder Geld noch Gut noch sonst etwas -auf der Welt ersetzen. O möchte er nur glücklich werden, möchte diese -Susanne ihn lieben! Doch wie sollte sie nicht, wie sollte man Bertel -nicht lieben, den schönen, herrlichen Bertel! Aber warum er nur nicht -glücklicher schreibt? Ein Unbehagen peinigt ihn und läßt ihn nicht -froh werden. Liebt er denn Susanne nicht? Ist es =nur= der Wunsch -seiner Mutter, der ihn bestimmte und die Aussicht auf Reichthum und -Wohlbehagen? O, das wäre schrecklich! Daß seine Mutter ihn drängt, ist -doch sehr unrecht; aber sie meint freilich, Bertels Glück dadurch zu -sichern. - -Aber das Geld allein ist's wohl nicht, was Tante Ihlefeld zu dem -Wunsche treibt, Bertel soll diese Cousine heirathen! Wie schreibt Tante -Booland? Adel bleibt Adel! Tante Ihlefeld hat mich ja immer fühlen -lassen, daß ich nicht ihresgleichen bin, ich weiß es recht wohl, wenn -ich auch nie darüber sprach. Wußte ich ja doch, daß Bertel nicht so -stolz war und seine kleine Esther wirklich wie eine Schwester liebte. -Und die will ich ihm bleiben! Ach jetzt erst weiß ich ja, daß ich noch -andere Wünsche im Herzen für uns Beide hatte; aber er hat wohl an mich -nie anders gedacht, als an eine treue Schwester. - -»O mein Gott, mein Gott,« rief Esther flehend und hob die Hände zum -Himmel empor, »o gieb mir die Kraft und die Selbstüberwindung, ihm auch -ferner diese treue Schwester zu bleiben! Ich muß es -- und ich will es!« - -Dann setzte sie sich nieder, Bertel einige Zeilen auf seinen Brief -zu antworten, wie er gebeten. Es war ein schweres Werk; aber Esther -vollendete es mit ihrem starkem Herzen und starken Willen. Sie schrieb -Bertel, daß er sie richtig beurtheilt, =sein= Glück sei auch das Ihre, -und Gott möge den Schritt segnen, den er thun wolle, oder nun wohl -bereits gethan habe. Sie aber verspreche, ihm und seiner Frau ihr -ganzes Lebenlang eine treue Schwester und Freundin zu bleiben. - -Weiter schrieb sie nichts, sie konnte es nicht. Und nun war ihr, als -habe sie ihr Lebensglück in das Grab gelegt, nun war alles, alles -vorüber. Eine Müdigkeit und Gleichgültigkeit kam über sie, wie -sie nie im Leben noch erfahren. Was kümmerte sie es jetzt, was aus -ihr wurde, wohin sie ging, was die nächste Zeit nun bringen würde? -Es war ihr alles gleich. Sollte sie hier bleiben oder nach England -gehen oder wo sonst hin. Nur jetzt nicht nach Hause, nur nicht sehen, -daß Bertel durch den Besitz dieser Susanne glücklich war und andern -angehörte, als ihr. Nach Hause in das stille Waldhäuschen, ohne Arbeit -und Zerstreuung, in steter Nähe jener grausamen Frau, die ihr Bertel -entrissen, durch deren Willen er zu diesem Schritte gedrängt worden -- -nein, das war unmöglich! Tante Booland mußte dies einsehen trotz aller -ihrer sehnsüchtigen Liebe. Nein, lieber fort unter fremde Menschen, wo -sie arbeiten und ihre Gedanken ableiten konnte! -- Hier wollte sie nur -noch so lange bleiben, bis die Vollmacht ankam. Dann wollte sie Herrn -Richard bitten, das Geld an Frau von Ihlefeld zu senden, sie selbst -aber wollte sich direct nach England in die Familie begeben, welche sie -mit Ungeduld erwartete. - -Es waren traurige Tage für die arme Esther, die bis zur Ankunft dieses -Briefes vergehen mußten. Sie blieb fast immer zu Hause; denn am Strande -fürchtete sie entweder Herrn Richard zu begegnen, oder jener Dame, -welche ihr so unsäglich geschadet hatte. Esther begriff nun wohl, hätte -Herr Richard sie nicht mit dieser Begleiterin gesehen, so wäre er -ihr nicht gleich so mißtrauisch entgegen getreten, sondern würde sie -höchstens für ein sehr unerfahrenes Mädchen gehalten haben, aber nicht -für eine mögliche Diebin und Betrügerin. - - * * * * * - -Während für Esther die Tage trübe und langsam dahin schlichen, -verlassen wir sie für einige Zeit und kehren zurück nach dem kleinen -Waldhause zu Rahmstedt. - -Kurze Zeit nach Absendung jenes Briefes von Esther war Bertel der -Verlobte von Susanne von Sassen. Die Verlobung sollte jetzt noch ein -Geheimniß bleiben, bis Bertel promovirt hatte. Susanne war fast -noch ein Kind und auch Bertel noch zu jung für eine Heirath; so traf -alles passend zusammen. Bertel ward aber auch jetzt schon als Sohn -des Hauses aufgenommen, und das jugendliche Brautpaar lernte sich -jetzt im täglichen Beisammensein erst näher kennen. Susanne war eine -bildhübsche, kleine Blondine, gut und weichherzig und von fröhlichem -Gemüth; aber weder besonders klug noch auch sehr gebildet. Ein hübsches -Kleid war ihr tausendmal lieber als ein gutes Buch, und Vergnügen -und Tanz ging ihr über alles. Sie hatte ihre sechzehn Lebensjahre in -süßem Nichtsthun und steter Fröhlichkeit vertändelt, unter Spielen und -Tanzen, Lachen und Schwatzen. Verwöhnt als einziges Kind reicher Eltern -kannte sie keinen andern Willen, als den ihren, und kein Wunsch blieb -ihr versagt. Daß man auch für Andere leben, sich auch nützlich machen -konnte in der Welt, das war ihr ebenso fremd, wie alles, was Ernst oder -Arbeit hieß. Aber bei alledem war sie ein gutes, fügsames Kind, und als -der Vater ihr sagte, er wünsche, daß sie den hübschen, liebenswürdigen -Hubert von Ihlefeld heirathen solle, da war sie nicht unzufrieden -damit, obwohl sie eigentlich vor dem klugen, gelehrten jungen Vetter, -von dem alle Welt mit so großer Bewunderung sprach, etwas Furcht hatte. -Er war oft gar so ernsthaft, und an Tanzen und hübschen Kleidern -fand er gar kein Vergnügen. Er sah es gar nicht einmal, wenn sie -ein schönes neues Kleid ihm zu Ehren angezogen hatte und unterhielt -sich eigentlich immer viel mehr mit ihrem Vater über so schrecklich -ernsthafte Sachen, statt daß er mit ihr schwatzte und lachte. Aber er -war so ein bildhübscher Junge, und es war eine so große Ehre, mit einem -so gelehrten Manne verlobt zu sein; vielleicht lernte er bei ihr noch -Lachen und Tanzen und Freude an all' dem, was sie liebte. Nun war sie -eine Braut, das klang doch zu hübsch! Wenn sie es nur erst öffentlich -wäre! Wie würden ihre Freundinnen sie beneiden! -- - -Und so tanzte und lachte und spielte sie um Bertel her, wenn dieser bei -ihr war und trieb tausend Tollheiten, sobald er versuchte, ein ernstes -Wort mit ihr zu sprechen. - -Bis dahin hatte Bertel nur das reizende Kind in ihr gesehen, jetzt -erst bemerkte er, wie oberflächlich und unbedeutend sie war. Das Bild -Esthers trat unwillkürlich daneben, und Bertel, der wenig Mädchen -kennen gelernt, hatte geglaubt, alle müßten so viel wissen und so klug -und strebsam sein, als sie. Ein Unbehagen, wie er es neben Esther nie -empfunden, kam über ihn, wenn er längere Zeit mit Susanne verkehrte, -und obwohl er alles auf die große Jugend seiner Braut schob und von -der Zukunft erwartete, daß sie ernster und gediegener werden möchte, -so konnte er doch nicht recht froh neben ihr werden. Oft schon hatte -er ihr von Esther erzählt, und jetzt that er es noch häufiger in der -Hoffnung, Susanne solle fühlen, wie sehr er wünsche, sie möge Esther -ähnlich werden. Aber der lustigen Susanne lag nichts ferner, als -solcher Wunsch. Sie staunte Esthers Vortrefflichkeiten und Wissen an -wie etwas höchst Sonderbares und Merkwürdiges, der Wunsch aber, selbst -so zu sein, kam ihr nie, im Gegentheil, ihr graute bei dem Gedanken, so -viel lernen und arbeiten zu müssen und so ernsthaft und fleißig zu sein. - -Hätte Bertel sich aus Liebe mit ihr verlobt, so würde er Susanne's -Fehler kaum bemerkt haben; denn Liebe umgiebt alles mit einem sonnigen -Glanze, und selbst kleine Fehler erscheinen an einem geliebten Wesen -als etwas Anziehendes. Jetzt aber, ohne eine so innige Neigung -traten ihm Susannes Mängel mit jedem Tage unangenehmer entgegen; die -Folge davon aber war, daß auch er seiner leichtherzigen jungen Braut -weniger gefiel, die immer daran gewöhnt war, daß alles ihr huldigte -und schmeichelte. Daß aber ihr Bräutigam dies nicht nur unterließ, -sondern sie sogar zuweilen tadelte, das war dem verwöhnten Kinde höchst -empfindlich. Schon in den ersten Tagen ihres Brautstandes schmollte -ihr hübscher kleiner Mund mehrfach, und warf sie das blonde Köpfchen -ärgerlich in den Nacken. Ein solch' kindisches Benehmen war Bertel aber -etwas ganz Fremdes und mißfiel ihm in hohem Grade; Esther war ja nie -launisch gewesen. - -So waren die ersten Tage von Bertels Brautstand vergangen. Seine Mutter -überhäufte ihn mit Liebkosungen und Zärtlichkeit, denn sie war ihm -innig dankbar, daß er sich ihrem Willen so bald gefügt trotz seines -ersten Widerstrebens. Aber Frau Booland, die alte treue Freundin aus -Bertels Kinderjahren, sie hatte jetzt kein gutes Wort und keinen -freundlichen Blick mehr für ihren einstigen Liebling. Finster schaute -sie drein, wenn Bertel bei ihr eintrat, wie er gewöhnt war, und bei -all' seinen Schmeichelworten und Erzählungen blieb ihr sonst so -gesprächiger Mund fest verschlossen. - -»Tante Booland, du bist mir sehr böse, sage es nur,« rief Bertel -endlich, nachdem er mehrmals vergebens versucht, ihr einen freundlichen -Blick abzuschmeicheln. »Gönnst du deinem armen Bertel wirklich gar kein -Wort mehr?« - -»Wer mir keins gönnt verdient es nicht besser!« entgegnete Frau Booland -kurz. »Die Zeiten sind vorbei, wo man Tante Booland noch um Rath -fragte. Jetzt ist sie für gewisse Leute gar nicht mehr in der Welt. O -Undank, Undank!« Dann aber seufzte sie tief auf und schwieg beharrlich, -und Bertel versuchte umsonst, seine alte Freundin milder zu stimmen, es -ging nicht. Aber ihre rothgeweinten Augen gaben ihm viel zu denken und -vermehrten das Unbehagen, das auf seinem Gemüthe lastete. - -Da kam Esthers Brief an mit der Erzählung dessen, was sie nach -Frankreich getrieben und was sie um dieses Schuldscheines willen hatte -ertragen müssen. Auch Herrn Richards Brief mit der Anfrage, welche -Bewandniß es mit Esthers Erzählung habe, folgte gleich darauf. Welch' -eine Nachricht war das! - -Frau von Ihlefeld überreichte Bertel Esthers Brief mit zitternder Hand, -als dieser in das Zimmer trat. Die Thränen perlten über ihr bleiches -Gesicht, und mit leiser Stimme sagte sie nichts als: »Lies, Bertel!« -Dieser blickte seine Mutter überrascht an und durchflog Esthers Zeilen. -Dann sank er auf einen Stuhl und bedeckte schweigend sein Gesicht mit -den Händen. Auch Frau von Ihlefeld schwieg, aber sie weinte leise in -ihr Tuch. Endlich stand sie auf, trat zu ihrem Sohne heran und legte -ihre Arme um seinen Hals. - -»Mein lieber, lieber Sohn!« sagte sie weich und küßte seine Stirn, -auf der dicke Schweistropfen standen. Bertel aber erwiederte ihre -Zärtlichkeit nicht, sondern ließ die Hände schlaff herabsinken und -schaute düster vor sich nieder. »Rede doch, Bertel, sprich mit mir!« -flehte die Mutter, aber Bertel hörte sie kaum. Es arbeitete furchtbar -in seiner Brust; endlich stand er rasch auf und eilte zur Thüre. »Wo -willst du hin, Bertel?« rief Frau von Ihlefeld angstvoll. - -»Laß mich, Mutter, ich muß allein sein!« stöhnte er leise und schob die -Mutter zur Seite. Dann stürzte er zum Zimmer hinaus. - -Frau von Ihlefeld blickte ihm bestürzt nach, wie er schnellen Schrittes -in den Wald hinein eilte. Dann aber nahm sie Esthers Brief und den des -Herrn Richard und ging zu Frau Booland hinab. Diese staunte nicht wenig -über den seltenen Besuch; denn seitdem Bertel mit Susanne verlobt war, -hatte sich Frau von Ihlefeld mehr von ihr zurückgezogen und wieder -ihren ehemaligen hochmüthigen Ton gegen sie angeschlagen. Und nun kam -sie sogar zu ihr herab und hatte Thränen im Auge. Als dann aber Frau -Booland Esthers Brief gelesen, da brachen die Wellen der Erregung über -der alten treuen Pflegerin zusammen, und sie zitterte und flog wie ein -Blatt im Winde, während sie weinend und schluchzend in ihren Stuhl -zurücksank. - -»O das Kind, das Kind!« stöhnte sie immerfort schluchzend, weiter -aber konnte sie nichts hervor bringen. Frau von Ihlefeld versuchte, -mit der erschütterten alten Frau zu reden; denn ihr Herz war ihr zum -Zerspringen voll. Aber Frau Booland schwieg bei allen ihren Reden und -schien sie kaum zu hören, und so verließ Jene nach einiger Zeit das -Zimmer, müde der vergeblichen Versuche. »Sie wird wahrlich stumpf und -alt,« murmelte Frau von Ihlefeld verdrießlich, »zu reden ist gar nicht -mehr mit der armen Person.« - -Frau Booland saß noch eine lange Weile still und in sich versunken -am Fenster und schaute in das flammende Abendroth, das den Himmel in -seltener Pracht überzog. Ihr Zimmerchen lag nach dem Walde hinaus, -und die verschwindende Sonnengluth tauchte die Wipfel der Bäume in -wundervolle Farbentöne. Die Abendluft zog weich und würzig zum Fenster -herein und spielte um die faltige Stirn der Matrone, welche das weiße -Haar mild und freundlich umrahmte. Ihr Auge schweifte wehmüthig in die -Ferne, als wollte es den Raum durchdringen, der sie von ihrem lieben -Kinde trennte. Banger und banger legte die Sehnsucht sich um ihr altes -Herz, und endlich konnte sie es im Zimmer nicht länger aushalten. Dort -drüben im Walde stand eine kleine Bank, da hatte sie so oft mit ihrer -Esther gesessen, da zog es sie hin, als könnte sie ihren Liebling dort -wieder finden, wie früher. - -Als Frau Booland langsamen Schrittes in die Nähe dieser Lieblingsbank -kam, sah sie, daß schon jemand dort saß. Ihre alten Augen konnten -aus der Ferne nicht erkennen, wer es war, und so trat sie unbemerkt -näher heran. Es war Bertel. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt -und das Gesicht verhüllt und schien so in sich versunken, daß er die -Herantretende nicht bemerkte, selbst als sie dicht vor ihm stand. - -»Bertel, du bist's?« rief Frau Booland verwundert, und erschrocken fuhr -der junge Mann bei dieser Anrede empor. Nun sah die alte Frau, daß -Bertels Gesicht ganz verstört war und von Thränen überfluthet. Kaum -erkannte er die vor ihm Stehende, als er laut weinend an ihre Brust -sank. - -»O Tante Booland, was hab' ich gethan!« rief er ganz außer sich und -schluchzte wie ein Kind. Die große, stattliche Alte schlang ihre Arme -fest und zärtlich um die schlanke Gestalt, als sei es wieder der kleine -Bertel, den sie in früheren Jahren so oft beruhigt und getröstet, -wenn ein kindliches Leid ihn zu ihr geführt. Liebevoll strich sie -wie ehemals über sein weiches, blondes Haar und gab ihm sanfte -Schmeichelworte, um ihn zu beruhigen. Bertel ließ sich alles gefallen; -es war ihm ein Trost, sich an dieser treuen Brust ausweinen zu können. -Frau Booland setzte sich endlich auf die Bank, und Bertel ließ sich -neben ihr nieder, den Kopf immer noch an ihre breite Schulter lehnend, -denn ihm war so wohl im Schutze dieser alten treuen Freundin. Die Alte -sah bewegt in ihres Lieblings schönes Gesicht, und indem sie ihm die -prachtvollen Haarlocken von der Stirn strich, die in wilder Unordnung -darüber gefallen waren, sagte sie mild: »Nun, mein armer Junge, was -quält dich denn so? Sprich dich doch aus, du weißt, ich meinte es immer -gut mit dir.« - -»Ja, ich weiß es!« rief Bertel und küßte die breite, derbe Hand, die -so zärtlich um ihn bemüht war. »O Tante Booland, aber auch du kannst -mir nicht mehr helfen, es ist ja zu spät. O mein Gott, mein Gott, -welch' ein Thor bin ich gewesen, welch' ein verblendeter Narr!« Und in -wildem Grimm ballte er die Hände und schlug sich damit vor die Stirn. -Frau Booland schüttelte den Kopf, und die Hände ihm vom Gesicht herab -ziehend sagte sie ernst: »Mit Klagen und Jammern hat noch nie jemand -einen Grashalm bewegt, laß das jetzt, Bertel. Was bereust du denn und -was erkennst du jetzt erst?« - -»Was ich erkenne?« rief Bertel heftig, »daß ich nicht werth bin, Esther -die Füße zu küssen! O =was= hat sie gethan, was ertragen für mich und -um meinetwillen! O Tante Booland, sage mir nur das Eine, nicht wahr, -Esther liebt mich?« - -»Esther hat dich geliebt, seit ihr zusammen als kleine Kinder gespielt -habt,« entgegnete Frau Booland und eine Thräne rollte über ihre -gefurchte Wange. - -»O das meine ich nicht, Tante,« rief Bertel, »nicht wie eine Schwester -und nicht als mein lieber bester Kamerad, wie ich sie immer nannte. -Ich meine, glaubst du, daß sie mich noch lieber hat, -- o so lieb, wie -=ich= sie habe? So unsäglich, so unaussprechlich lieb, daß ich für sie -sterben könnte, wenn ich wüßte, sie würde glücklich dadurch!« - -»Wie Bertel? Du liebst Esther, und doch willst du eine Andere -heirathen?« sagte Frau Booland tief verletzt und blickte voll Erstaunen -in Bertels erregtes Gesicht. - -»O das ist ja eben das Entsetzliche!« rief Bertel in Verzweiflung und -verhüllte wieder sein Gesicht. »Kannst du es denn glauben, daß mir -soeben erst die Binde von den Augen gefallen ist? Daß es soeben erst, -als ich Esthers Brief an meine Mutter gelesen, wie ein Blitz durch -meine Seele ging und mir die Tiefen meines eigenen Herzens enthüllte? -O niemand, niemand wohnt ja in diesem Herzen, als meine Esther, dies -theure, geliebte Mädchen, die all' ihr Glück und all' ihre Ruhe -hingegeben seit ich denken kann, nur damit ich glücklich sein konnte. -O das muß ja Liebe sein, ja sie =muß= mich lieben! Und ich Thor habe -diese Liebe hingenommen wie etwas, das sich von selbst versteht, o und -jetzt, jetzt -- habe ich ihre Liebe verrathen!« - -Frau Booland saß schweigend neben dem unglücklichen Jüngling; denn auch -sie wußte ja nicht zu rathen und zu helfen! - -»Meine Mutter hat die Schuld!« sprach Bertel weiter. »Sie hat mir keine -Ruhe gelassen, bis ich auf ihren Plan einging, und jetzt weiß ich erst, -was es war, das mich zurückhielt und mir immer zurief: »Thu' es nicht, -thu' es nicht!« Aber wenn eine Mutter bittet und fleht, dann giebt der -Sohn doch endlich nach, ich wenigstens konnte nicht anders! Und ich -deckte ja mir den Abgrund selbst zu mit so herrlichen Blumen, sagte mir -immer wieder, welche Vortheile aus dieser Heirath entstehen würden, so -daß ich wirklich zuletzt selbst daran glaubte. Aber jetzt ist mir die -Binde von den Augen gerissen, und ich sehe erst ganz, was ich gethan! -Mich selbst habe ich unglücklich gemacht, o und was noch viel tausend -Mal schlimmer ist, auch Esther! Das ist der Dank für alle ihre Liebe, -alle ihre jahrelangen Opfer! Und für wen opferte ich dieses herrliche -Mädchen? Für eine leichtfertige, eitle Puppe, die mich ewig unglücklich -machen wird und ich sie; denn wir werden nie zu einander passen, o nie, -nie!« - -»Aber mein Gott, Bertel, =so= sprichst du von deiner schönen Braut!« -rief Frau Booland in höchstem Erstaunen. - -»Ja, es ist nicht anders, ich sehe es mit jeder Stunde deutlicher, -es war ein entsetzlicher Irrthum, mich mit ihr zu verloben!« sagte -Bertel vor sich hin brütend. »Aber es ist einmal geschehen; meine Ehre -verlangt, daß ich das Wort einlöse, das ich gegeben, denn ich gab es -freiwillig. O es ist entsetzlich!« - -Wieder brach Bertel unter der Last seines Jammers zusammen, und Frau -Booland stützte sinnend den Kopf auf ihre Hand; ihre Lippen schlossen -sich immer fester und energischer auf einander, und ihre Augen wurden -immer lebendiger. »Bertel,« sagte sie endlich und legte ihre Hand auf -des jungen Mannes Schulter, »höre mich einmal an. Ich bin eine alte -Frau und habe auf der ganzen Welt kein anderes Glück, als das meiner -Esther und auch deines, mein lieber Sohn. Was es mir für ein Kummer -gewesen ist, als ich sah, wie man dich zu diesem Bunde zu bestimmen -suchte, das hat der liebe Gott allein erfahren. Wußte ich ja doch, daß -meiner Esther Glück und Leben damit zu Grunde ging. Denn Bertel, das -sage ich dir jetzt: du magst Esther sehr lieb haben; aber was Esther -für dich fühlt, davon hast du doch keine Idee. Die Liebe zu dir ist -der Lebensodem des Kindes; nimm ihr diese, und du nimmst ihr auch das -Leben, oder wenigstens das beste Theil davon; denn der schale Rest, der -dann noch übrig bleibt, ist meine herrliche Esther nicht mehr. Aber -auch dein Unglück geht mir nahe, mein armer Junge. Freilich hast du -dein Wort gegeben, das ist richtig, und ehrenvoll wäre es nicht, nun -zurückzutreten, gerade jetzt, wo du selbst Geld hast und das Ihre nicht -mehr brauchst. Aber daß darum drei junge Herzen unglücklich werden -sollen, -- denn die arme kleine Susanne thut mir auch leid, sie ist -ein gutes kleines Herze, für dich aber scheint sie freilich keine Frau -zu sein, -- ja, warum ihr alle zusammen unglücklich werden sollt, das -sehe ich denn doch auch nicht ein. »Bist du es zufrieden, Bertel, wenn -ich für dich eintrete, und die Sache in die Hand nehme? Ein leichtes -Werk wird es wohl nicht sein, das sage ich mir; aber was wäre mir für -meine Esther zu schwer? Und im schlimmsten Falle, wenn meine Versuche -mißglücken, kräht kein Hahn darum, daß die alte Frau sich blamirt hat -mit ihren Vorschlägen. Nun also, Bertel, sage, ist dir's recht, soll -ich mein Heil versuchen?« - -»Was willst du denn thun, Tante Booland?« sagte Bertel zerstreut und -theilnahmlos. - -»Das laß mein Geheimniß sein!« entgegnete die Alte aufstehend. »Wenn -mein Plan gelingt, wirst du schon zufrieden sein, gelingt er nicht -- -nun dann ist's überhaupt einerlei. Aber deine Zustimmung muß ich haben, -sonst kann ich nicht handeln. Willst du sie mir geben?« - -»Meinetwegen alles, was du willst, Tante,« sagte der junge Mann trübe, -»Hoffnung habe ich für mich keine mehr auf der Welt. Ich habe mein -Glück mit eigenen Füßen zertreten, nun muß ich die Folgen tragen. O -wenn nur =sie= nicht auch dadurch leiden müßte; das ist der Fluch, der -mich zu Boden drückt!« - -»Nur Muth und Gottvertrauen, mein Junge! Es wird vielleicht noch alles -gut,« tröstete Frau Booland, noch einmal liebevoll über Bertels Backen -streichend. Dann ging sie nach dem Hause zurück, setzte sich ihre -Sonntagshaube auf und nahm ihr bestes Umschlagetuch um die Schultern. -Mit ihren großen, festen Schritten durcheilte die rüstige Alte alsdann -die Dorfstraße, und nach einiger Zeit betrat sie den Gutshof. - -Die Sonne war bereits untergegangen, und matte Dämmerung lag auf -Haus und Garten, als Frau Booland die breite Terrasse überschritt -und den herbeieilenden Diener fragte, ob sie das gnädige Fräulein -sprechen könne. Fräulein Susanne war im Garten, die übrige Herrschaft -jedoch ausgefahren. Frau Booland sagte, sie wolle das Fräulein selbst -aufsuchen, und so durchwanderte sie den schon leise dunkelnden Park, -bis sie endlich Susannes helles Kleid erblickte, das rasch hier -und dort zwischen dem Gebüsch auftauchte. Fröhliches Gelächter und -Gekreisch drang bis zu Frau Booland, welche lauschend näher trat. - -Nun sah sie, wie sich die leichte Gestalt Susannes soeben auf einem -niedern Baumstamme schaukelte, während über ihr auf einem Zweige ein -bunter Papagei saß und heftig kreischend mit den Flügeln schlug. -Mit dem Schnabel hackte er wüthend in die Schnur, die um seinen Fuß -geschlungen war und welche Susanne in ihrer Hand hielt. Das Geschrei -und der Aerger des Vogels schienen des jungen Mädchens Heiterkeit -immer mehr zu erregen, und sie rief lustig, indem sie die Schnur bald -fester, bald loser hielt: »Peterchen, Papchen, kleiner Trotzkopf, -ärgere dich doch nicht so, los lasse ich dich doch nicht. Mußt auch -fühlen, wie's thut, einen Faden um's Bein zu haben, an dem immerfort -gezogen und gezerrt wird; 's ist abscheulich, nicht wahr, Papchen? O -ganz abscheulich!« Und wieder zerrte sie und lachte und schwang sich -auf dem Aste hin und her, während der Papagei aus Leibeskräften schrie -und flatterte. - -Frau Booland sah dem kindischen Treiben still eine Weile zu und hatte -dabei ihre Gedanken. »So, die Schnur drückt dich also ganz abscheulich, -mein Püppchen?« sagte sie leise und runzelte die Stirn. »Denkst wohl, -ich weiß nicht, welche Fessel du meinst? Und das ist ein Gegenstand zu -Possen und Vergnügen? Armer Bertel, gut, daß du es nicht siehst! Nein, -nein, das ist nichts für meinen ernsten, lieben Jungen; dies Kind paßt -für ihn sicherlich nicht, das glaube ich gern.« - -Dann aber schlug sie das Gebüsch zurück und trat auf Susanne zu. »Guten -Abend, Fräulein Susanne!« sagte sie mit einem höflichen Knix und ging -noch näher auf das junge Mädchen zu. Diese sprang rasch von ihrem -schwankenden Sitze herab und riß dabei auch den Papagei von seinem -Zweige nieder, der nun kreischend auf ihre Schulter flog und sich dort -lebhaft hin und her schaukelte. Susanne lachte laut auf, und indem sie -Frau Booland die Hand zum Gruß reichte, rief sie fröhlich: »Gut, daß -jemand kommt, mich besser zu unterhalten, als mein dummer Peter. Er -will absolut nicht sprechen lernen, ich mag mich noch so viel mit ihm -quälen. Er ist gerade so dumm als ich, ich spiele auch lieber, als daß -ich lerne.« - -»Fräulein Susanne,« sagte Frau Booland jetzt höflich, »hätten Sie wohl -ein halbes Stündchen Zeit für mich übrig? Ich möchte gern etwas mit -Ihnen sprechen.« - -»Ach mein Gott, doch nichts Ernsthaftes?« rief Susanne in komischem -Schrecken. »Sie machen ein so feierliches Gesicht, liebe gute Tante -Booland, Bertel schickt Sie doch nicht etwa, um mich auszuschelten? -Ach lieber Gott, ich bin den ganzen Tag in Angst, daß ich wieder etwas -Dummes oder Kindisches gemacht habe. Bertel ist so furchtbar streng, -gerade wie unser alter Schulmeister drüben in der Dorfschule, vor dem -die Kinder auch solche Furcht haben. Liebe, einzige Tante Booland, -sagen Sie doch nur, wollen Sie mich wirklich schelten?« - -»Nein, nein, Fräulein Susanne,« lächelte die Alte, »das fällt mir nicht -ein. Setzen Sie Ihren Papagei dort auf den Baum, daß er uns nicht mit -seinem Geschrei stört, und dann kommen Sie ein Bischen drüben in die -Laube; ich habe eine Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, das freut -Sie ja immer so, nicht wahr, Kindchen?« - -»Ach ja, ja, das ist reizend von Ihnen, Tante Booland!« rief das junge -Mädchen und hob den Papagei auf den nächsten Baum, wo sie ihn mit der -Schnur festband, indem sie noch mehrmals kosend mit der Hand über -seinen Kopf und Rücken fuhr. »So Papchen, nun langweile dich nicht -zu sehr,« sagte sie dann fortgehend und nickte dem Vogel noch einmal -freundlich zu, dann hing sie sich an Frau Boolands Arm und folgte -dieser in die nahestehende Laube. Hier war es schon ziemlich dunkel; -aber da plaudert es sich am Besten, sagte Susanne und rückte dicht an -die Alte heran, für welche sie eine ganz besondere Zuneigung gefaßt -hatte. Frau Booland war jederzeit freundlich, gefällig und nachsichtig -gegen das harmlose Kind gewesen und wußte ihr immer allerlei Neues oder -auch Altes zu erzählen, was der heiteren Susanne Spaß machte. Heut -nun war es freilich keine fröhliche Erzählung, welche die Alte für -Susanne bereit hielt. Aber doch hörte diese still zu, ganz gegen ihre -Gewohnheit, obwohl Frau Booland lange und ernst sprach, und endlich -klang es sogar, wie leises Weinen aus dem Innern der Laube. Aber die -Dunkelheit verhinderte zu erkennen, aus wessen Augen die Thränen -flossen. Nach langer Zeit traten die beiden Gestalten in den dunkeln -Laubgang heraus, die Hände fest in einander geschlungen. Die Alte -küßte dann rasch die schöne weiße Stirn des jungen Mädchens und eilte -davon, Susanne aber ging zu ihrem Vogel und nahm ohne ihr gewöhnliches -Scherzen und Lachen den schreienden Papagei auf die Hand. »Wir wollen -die Fessel lösen, nicht wahr, mein Papchen?« sagte sie unterwegs zu -dem Vogel, indem sie die Schnur von seinem Fuße knüpfte und ihn -streichelte. Still kehrte sie dann in das Haus zurück. Hier setzte -sie sich sogleich an ihren Schreibtisch, ergriff Feder und Papier und -schrieb folgenden Brief: - - - »=Liebe Esther!= - - Sie müssen mir schon erlauben, daß ich Sie so nenne, wie wir Alle - es hier thun, obwohl Sie uns nicht kennen. Wir aber kennen Sie sehr - gut, und besonders ich habe mir so viel von Ihnen erzählen lassen, - daß mir ist, als sähe ich Sie vor mir. Daß ich jedoch einen Brief an - Sie schreibe, liebe Esther, hat heute einen ganz besonderen Grund; - eigentlich bin ich ein sehr faules Mädchen, dem Briefeschreiben - eine große Last ist. Ich habe nämlich eine sehr, sehr große Bitte - an Sie. Liebe, gute Esther, aber Sie müssen mir nicht böse sein -- - bitte, bitte, heirathen Sie doch Bertel an meiner Stelle! -- Wissen - Sie, liebe Esther, ich bin ein gar zu dummes, kindisches, kleines - Mädchen, über das sich der kluge Bertel seit den wenigen Tagen unserer - geheimen Verlobung schon so sehr viel geärgert hat, und ich kann doch - wirklich nichts dafür. Wir hätten uns lieber gar nicht mit einander - verloben sollen; denn wenn ich Ihnen ganz heimlich etwas sagen darf, - (aber verrathen Sie es nicht!) ich fürchte mich vor dem gelehrten, - ernsthaften Bertel! Und das ist doch gar nicht hübsch; denn ich traue - mich gar nicht mehr zu lachen und vergnügt zu sein, weil Bertel dann - immer schilt. Er ist der einzige Mensch, dem ich nicht gefalle, und - das ist doch zu ärgerlich für mich! Ich weiß gar nicht, warum Papa - es so gern wollte, daß ich Bertels Braut werden sollte, für einen - gelehrten Mann passe ich doch gar nicht. Mir gefällt ein hübscher - Officier viel tausendmal besser, und der junge Graf Redern, der immer - so liebenswürdig zu mir ist und so fröhlich mit mir lacht, sieht - viel prächtiger aus in seiner glänzenden Uniform und dem schwarzen - Schnurrbart, als Bertel in seinem dunklen Röckchen, obwohl Bertel - zehn Mal schöner ist als er. Sehen Sie, liebe, gute Esther, Sie sind - so furchtbar klug und gelehrt, Sie gefallen Bertel hundert tausend - Mal besser, als ich kleines Gänschen, und Sie haben ihn ja auch so - sehr lieb, sonst hätten Sie gewiß nicht alles das für ihn gethan und - ertragen, was Tante Booland mir erzählt hat. Ich weiß, Bertel möchte - mich jetzt so gern wieder los sein, und mir wäre es auch viel lieber, - er heirathete eine Andere, als mich. Ich werde ihm das sagen, sobald - er zu mir kommt, und dann müßt Ihr Beide ein Paar werden. O wie ich - mich darauf freue! Und nicht wahr, liebe Esther, wir werden dann recht - gute Freunde? Denn wenn ich Sie nicht jetzt schon so lieb hätte, - gönnte ich Ihnen meinen lieben, schönen, klugen Bertel doch nicht! - Kommen Sie recht recht bald zu uns Allen, es erwartet Sie mit offenen - Armen - - Ihre =Susanne=. - - _P. S._ Ich habe gehört, daß Sie tief brünett sind, das paßt herrlich - zu dem blonden Bertel! Ich meine, ein blonder Mann muß immer eine - brünette Frau haben und umgekehrt. Ich bin ein Blondkopf, also? -- --« - - -Nun siegelte das junge Mädchen den Brief rasch, schrieb die Adresse -darauf und steckte ihn in die Postmappe, welche jeden Abend nach der -nächsten Poststation getragen wurde. Als sie dies Geschäft beendet, -seufzte sie tief auf, strich sich die blonden Löckchen aus der Stirn, -die bei der ungewohnten Anstrengung herabgefallen waren, und sah in -den Mond, der eben über den Bäumen des Parkes heraufstieg. Aber ihre -Gedanken wurden schnell durch das Rollen eines Wagens abgezogen. Herr -von Sassen und seine Cousine kehrten zurück. Susanne lauschte, bis ihr -Vater in seinem Zimmer war, dann trippelte sie eilig zu ihm. Als sie -bei ihm eintrat, nahm sie eine sehr ernsthafte Miene an, und indem sie -ihre zierliche kleine Figur so hoch aufrichtete, als ihr überhaupt -möglich war, stellte sie sich vor ihren Vater. - -»Papa, ich habe etwas sehr Ernsthaftes mit dir zu sprechen!« sagte sie -feierlich und zog das weiche Kindergesichtchen in ernste Falten. - -»Wie? Etwas Ernsthaftes, meine lustige, kleine Lachtaube?« sagte Herr -von Sassen fröhlich. »Da bin ich aber wirklich neugierig zu hören, -was das sein mag.« Dabei nahm er den Lockenkopf seines hübschen -Töchterchens zwischen beide Hände und sah ihr lustig in die braunen -Rehaugen. Susanne entzog sich aber den Liebkosungen des Vaters und -sagte schmollend: »Papa, du denkst immer, ich kann niemals ernsthaft -sein. Aber ich bin wirklich kein kleines Kind mehr, und damit du -siehst, ich kann auch einmal etwas ganz Ernsthaftes denken, so will ich -dir nur sagen, daß ich mir überlegt habe, ich will Bertel lieber nicht -heirathen.« - -Herr von Sassen fuhr überrascht auf. »Und das nennst du ernsthaft -sprechen, kleine Suse?« lachte er, blickte dabei aber sein Töchterchen -doch etwas schärfer an; denn sie sah allerdings nicht aus, als scherze -sie. Sie stand mit gesenkten Augen vor ihm, und als sie dieselben -aufschlug, waren sie voll Thränen. - -»Suschen, mein Herzenskind, was ist denn vorgefallen?« rief Herr von -Sassen erschrocken; denn Thränen in des fröhlichen Kindes Augen, das -war etwas ganz Unerhörtes. Susanne fiel dem Vater plötzlich um den -Hals, und ihr blondes Köpfchen in den dunklen Vollbart desselben -schmiegend schluchzte sie bitterlich. - -»O Papa, Papa!« rief sie endlich flehend, »erlaube doch nur, daß ich -Bertel nicht heirathe! Wir Beiden passen wirklich nicht zusammen. Wenn -du deine kleine Susanne lieb hast, Papa, zwinge mich nicht, und sei -mein guter, lieber kleiner Papa, der du immer gewesen bist!« - -Und nun schlang sie ihre vollen weichen Arme von Neuem zärtlich um -seinen Hals und küßte seinen Mund und seine Augen so stürmisch, daß er -gar nicht im Stande war, sogleich zu antworten. Endlich aber machte er -sich frei und blickte sein Kind kopfschüttelnd an. - -»Ich begreife dich nicht, Susanne,« sagte er ernst. »Den braven, -schönen Bertel, auf den jedes Mädchen stolz sein würde, willst du nicht -haben? Ich denke, du bist die glücklichste Braut unter der Sonne? Aus -euch Mädchen werde ein Anderer klug! Und das jetzt so wie aus der -Pistole geschossen? Weiß denn Bertel, daß du andern Sinnes geworden -bist? Wie kränkend ist das für ihn. Und ich freute mich so, einen so -ausgezeichneten Schwiegersohn zu bekommen. Ich begreife dich wirklich -nicht, Susanne.« - -Das junge Mädchen zog den Vater zum Sopha, und sich dicht an ihn -schmiegend sagte sie leise: »Papa, komm, ich will dir alles erzählen!« -Und dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter, nahm seine große Hand -zärtlich zwischen ihre kleinen, feinen Fingerchen und erzählte ihm die -Geschichte, die sie soeben in der dunklen Laube im Garten gehört hatte. - -Als sie zu Ende war, saß Herr von Sassen noch eine lange Weile -schweigend neben seiner Tochter. Endlich küßte er ihre Stirn und sagte -sanft: »Und du, kleine Susanne, an dich selbst denkst du gar nicht -dabei?« - -»O Papa,« rief das junge Mädchen lebhaft, »an mich denke ich wohl. -Soll ich es dir gestehen? Mir ist zu Muthe, wie meinem Papagei vorhin. -Nachdem ich die Schnur abgelöst, die ich um sein Bein gebunden, um ihn -fest zu halten, schlug er fröhlich mit den Flügeln und war so vergnügt, -wieder frei zu sein. Mich hat meine Fessel schon in den paar Tagen so -gedrückt, daß ich gar nicht mehr recht lustig sein konnte. Bertel ist -so schön und gut, das ist wahr; aber er ist dabei so furchtbar klug und -gelehrt -- und das Papa, das paßt nicht für mich, und ich passe nicht -für ihn. Es ist mir ein wahrer Trost, daß ich es jetzt weiß, er wird -froh sein, wenn ich ihm sein Wort zurückgebe. Nun kann ich doch auch -wieder lachen und jubeln wie früher, ich glaube, bei Bertel hätte ich -das ganz und gar verlernt.« - -»Wenn es so steht, mein Kind, und nicht der Edelmuth allein dich -bestimmt, so ist es freilich besser, wir lösen das Band,« sagte Herr -von Sassen ernst, Susanne aber blickte ihn lachend an und rief: »Nein -Papa, zu einer Tugendheldin ist deine kleine Suse verdorben. Hätte ich -Bertel wirklich lieb, so wie ich denke, daß man seinen Bräutigam lieb -haben =muß=, dann hätten tausend Esthers kommen können, ich wäre nicht -zurückgetreten.« - -»Ich will gleich einige Worte an Bertel schreiben, das sind wir ihm -schuldig,« sagte Herr von Sassen aufstehend. - -»Ja, ja, thue das, Papa,« rief Susanne und küßte den Vater noch einmal -herzlich, dann hüpfte sie fröhlich trällernd zur Thür hinaus. Herr -von Sassen blickte ihr sinnend nach, dann stützte er den Kopf in die -Hand und seufzte. »Sie mag recht haben, dies Kind ist nicht für Hubert -geschaffen,« sagte er traurig. »=Mir= geht es an das Herz, diesen -lieben Jungen nicht Sohn nennen zu können, =sie= jubelt und singt, daß -sie ihn los ist. O ihr Mädchen, was seid ihr für ein wunderlich Volk!« -Dann griff er zur Feder und schrieb: - - - »=Lieber Hubert!= - - Soeben macht mir meine kleine Susanne das Geständniß, daß sie trotz - aller Liebe und Bewunderung, die sie für Dich hege, doch nicht deine - Frau werden wolle und mich bitte, Dir das mitzutheilen. Sie behauptet, - Ihr Beiden paßtet nicht für einander, und da ich mein einzig Kind - nicht zu einem Bunde zwingen will, dem ihr Herz widerspricht, so - bitte ich Dich, sie frei zu geben. Ein inniger Wunsch meines Herzens - geht freilich damit zu Grabe; denn ich hätte Dich so gern meinen Sohn - genannt! Aber, lieber Bertel, wenn auch meine wunderliche kleine - Tochter anderen Sinnes geworden ist, mir wirst Du immer so lieb sein - und bleiben, als wärest Du mein Sohn. Sieh' auch ferner noch mein Haus - als das Deine an, und wie sich auch Deine Zukunft gestalten möge, Du - wirst jederzeit einen treuen, väterlichen Freund besitzen in - - Deinem =Adolph von Sassen=.« - - -Diesen Brief in der Hand stürzte Hubert in das Zimmer seiner alten -Freundin, Frau Booland. - -»Das ist dein Werk, Du Zauberin, sieh' hier!« rief er und warf das -Blatt Papier der Alten in den Schooß; dann umschlang er sie mit beiden -Armen und erdrückte sie fast vor ungestümer Freude. - -»Ich bin ja frei, Tante, frei wie der Vogel in der Luft. O Dank, Dank! -Nicht wahr, du bist es, die mich gerettet hat?« - -Die Alte schob den Ungestümen sanft von sich, um den Brief zu lesen, -der so verhängnißvolle Worte enthielt. Dann nickte sie mit dem Kopfe -und sagte bewegt: »Braves, liebes Kind! Sie hätte es sicher auch -gethan, selbst wenn sie dich lieb gehabt hätte! O Bertel, dies liebe -Herz ist besser als du denkst! In diesem leichtherzigen, sorglosen -Kinde ruht ein tief gefühlvolles, edles Gemüth. Du hast sie nicht -geliebt, sonst hättest du den Schatz wohl erkannt, und sie hätte sich -an deiner Seite herrlich entwickelt; Gott gebe ihr ein anderes Herz, -das es versteht, sie glücklich zu machen; denn wahrlich sie verdient -es!« - -Nun hatten die Beiden noch eine lange Unterredung, und die Folge -derselben war ein äußerst geschäftiges Kramen und Gehen und Bedenken -von Seiten unserer guten alten Dame Booland, die einen riesenhaften -Entschluß gefaßt hatte. Am andern Morgen wanderte sie schon in früher -Stunde eilig durch das Dorf, dem Pfarrhause zu, um ihrer lieben -Pastorin das volle Herz auszuschütten, während Hubert indessen eine -wichtige Zwischensprache mit seiner Mutter hielt. Frau von Ihlefelds -Herz hatten in der ganzen letztvergangenen Zeit tausend widerstreitende -Gefühle und Gedanken bestürmt; denn wenn bisher einerseits ihr -sehnlichstes Wünschen und Hoffen dahin gerichtet war, ihrem Sohne -durch die Verbindung mit der Familie von Sassen den Weg zu Reichthum -und Wohlbehagen zu bahnen, so fühlte sie andererseits doch gar wohl, -welches Unrecht sie dadurch an der großherzigen Esther beging, und mit -welchem Undank sie die Opfer dieses edlen Mädchens lohnte, deren Liebe -zu Bertel ihrem scharfsichtigen Frauenauge nicht entgangen war. Aber -Hubert schien Esther nicht zu lieben, sonst hätte er sich schwerlich -den Bitten seiner Mutter gefügt. Das war für Frau von Ihlefeld eine -große Beruhigung; jetzt mußte man suchen, sich Esther auf irgend eine -Weise dankbar zu erzeigen für alles, was sie gethan hatte. Die Mittel -dazu mußten sich finden, es konnte nicht allzu schwer sein; denn -Esther war ja ein einfaches, anspruchsloses Mädchen. Aber als jetzt -nach Ankunft von Esthers letztem Briefe ihr Sohn so aufgeregt davon -stürmte, da schlug auch Frau von Ihlefelds Herz unruhiger. Was hatte -Bertels Gemüth so heftig bewegt, als er diesen Brief las? Ahnte er -Esthers Liebe zu ihm, die ja nicht mehr zu verkennen war? Jetzt aber -war ja die Brücke abgebrochen, an Esther durfte er nicht mehr denken! -Wie gut, daß dieser Brief erst jetzt kam, nachdem alles fertig und -Bertels Zukunft gesichert war; wäre er früher gekommen, Hubert wäre -schwerlich auf ihre Pläne eingegangen! Während Frau von Ihlefeld noch -ihren Gedanken nachhing, trat ihr Sohn mit dem Briefe Herrn von Sassens -zu ihr, freilich ohne zu gestehen, wer diese Wandlung in Susannes Seele -hervorgerufen. Da aber erwachte der ganze Stolz in dem Herzen der -noch immer vornehmen Frau; zornig fuhr sie auf und rief heftig: »Wie? -Das bietet man uns? O wahrlich, in früheren Tagen hätte man das nicht -gewagt! Erst weiß man nicht Wege genug, dich heran zu ziehen, und jetzt -wirft man dich wieder fort, wie ein Spielzeug, das der albernen kleinen -Prinzessin nicht mehr gefällt! Und der schwache Vater leidet solche -Thorheit? O sie ist deiner gar nicht werth, das leichtsinnige Ding! -Dich so zu behandeln, es ist ja empörend. Gut denn, laß sie laufen, -sie verdient es nicht besser! Gott sei Dank, wir haben jetzt nicht -mehr nöthig, durch andere unsre Lage zu verbessern. Wenn es auch kein -großes Vermögen ist, das wir erhalten, so genügt es doch, bis du einmal -eine Anstellung bekommst. Und weißt du, was du jetzt thun solltest, -Bertel, gerade um der hochmüthigen Susanne zu zeigen, daß du dir aus -ihrem Korbe nichts machst? Verlobe dich mit unserer Esther! Sie liebt -dich, dessen bin ich sicher, und wenn ich es recht bedenke, kannst du -eigentlich nie ein Mädchen finden, das besser zu dir paßt. Freilich, -sie ist nur ein Bürgerkind, und unser alter Adel wird arg dadurch -geschädigt; -- aber lieber Gott, wir sind dem guten Mädchen doch sehr -viel Dank schuldig, und sie wird dich und mich sicher stets mehr in -Ehren halten, als es jene leichtfertige Susanne gethan hätte.« - -Hubert hatte seine Mutter ruhig ausreden lassen; denn das Herz war ihm -so übervoll, daß er jeden Augenblick in Gefahr war, sein Geheimniß zu -verrathen. Seine Mutter aber durfte nicht ahnen, daß er selbst die Hand -zu dem Bruche mit Susanne geboten, sie hätte ihm das nie vergeben. -Rastlos schritt er während ihrer Rede in dem kleinen Zimmer auf und -nieder. Als aber Frau von Ihlefeld von dem neuen Verlobungsplane -sprach, da trat er rasch an das Fenster, seine Bewegung zu verbergen. -So freudig überrascht er auch war, von seiner Mutter selbst eine -Aufforderung zu erhalten, von der er sich gefürchtet hatte, ihr zu -sprechen, so verletzte es ihn doch, daß sie glauben konnte, sein Herz -sei so rascher Wandelung fähig. Wie, wenn er nun Susanne wirklich -geliebt hätte, wie sie geglaubt? Konnte er dann augenblicklich eine -Andere an ihre Stelle setzen? Und seine Mutter gestand jetzt, sie -habe gewußt, daß Esther ihn liebte; trotz alledem überredete sie ihn -zu der Verbindung mit Susanne! In Huberts Seele stritten tausend -Gedanken mit einander, und er fühlte, daß sein Herz mehr und mehr von -bittren Gefühlen gegen seine Mutter erfüllt wurde, in deren Händen er -wie Wachs bald so bald so geformt werden sollte, gerade wie es ihren -Zwecken entsprach. Aber endlich verwandelte sich diese Bitterkeit in -Zorn gegen sein eigenes, schwaches Gemüth, das diesen Anmuthungen so -wenig eigene Willenskraft entgegengesetzt hatte. Seine Mutter, so -wenig er auch deren Handlungsweise billigen konnte, war doch nur durch -die Liebe zu ihrem Sohne dazu getrieben worden; ihr durfte er nicht -zürnen. So gab er denn keinem jener bittern Gedanken Worte, sondern -sich zu seiner Mutter wendend, sagte er weich: »Liebe Mutter, es ist -mir lieb, daß Susanne mir ihr Wort zurückgegeben. Ich hätte sie nie -glücklich machen können; denn seit der Ankunft von Esthers Brief weiß -ich erst, wie sehr ich Esther liebe und immer geliebt habe. Ich danke -Gott für diese Lösung, und ich bin glücklich, daß dein Wunsch mit dem -meinen zusammentrifft. Eine bessere Tochter, als Esther könnte ich dir -nie zuführen.« Dann küßte Hubert mit Innigkeit seiner Mutter, die ihn -betroffen anblickte, die Hand; aber Beide schwiegen, denn sie fühlten -wohl, daß es besser sei, alles Weitere unerörtert zu lassen. - -Frau von Ihlefeld wandte das Gespräch auf den Brief, den sie soeben im -Begriff war, sowohl an Esther, als auch an Herrn Richard zu schreiben, -um Esther aus der peinlichen Situation zu erlösen, in welcher das brave -Kind sich befand. - -»Nur an Herrn Richard schreibe sogleich, liebe Mutter; alles andere -übernehme ich selbst,« sagte Hubert freudig erröthend. »Morgen früh -reise ich selbst zu Esther.« - -Frau von Ihlefeld blickte erstaunt auf ihren Sohn, dessen rasches -entschlossenes Wesen ihr etwas ganz Neues war. Sein Gesicht war -plötzlich so strahlend schön geworden, von Wonne und Glückseligkeit, -daß sie ihr Auge fast erschrocken auf ihm ruhen ließ; denn jetzt erst -erkannte sie, was in ihrem Sohne vorging. »Bertel, mein liebes, theures -Kind!« rief sie unwillkürlich und streckte ihm die Arme entgegen, und -mit dem jubelnden Ruf: »O meine Mutter!« hielt der Sohn seine Mutter -umschlungen. - -Für Esther war indessen die Zeit mit bleiernem Flügelschlage -dahingeflogen. Ein unsägliches Weh erfüllte ihre Brust; sie hätte sich -am liebsten nieder gelegt, um nie wieder aufzustehen; denn was sollte -sie noch hier auf Erden, wo Glück und Freude für sie verschwunden -waren. Müde und gleichgültig saß sie eines Abends am Fenster ihres -Zimmerchens und schaute in die fast unheimliche Gluth, welche die -sinkende Sonne über Himmel und Meer verbreitete, als solle die ganze -Erde von dem glühenden Feuer verzehrt werden. Endlich verblichen die -brennenden Tinten; kalte Abendschatten legten sich über Land und -Meer, und der Zauber von Licht und Glanz, der soeben noch die Welt -in wonniger Pracht erstrahlen ließ, er war geschwunden; graue Nebel -stiegen empor, und erloschen war aller Reiz und alle Schönheit. - -»Wie mein Leben!« seufzte Esther, die trüben Blicke über das Meer -hinübersendend. »Seine Liebe war die Sonne, in deren goldnem Scheine -mein armes Leben in wunderbarer Herrlichkeit lachte -- nun ist meine -Sonne erloschen, mein Leben todt und reizlos und von grauen Nebeln -umhüllt!« - -Sie legte ihren Kopf gegen die kalten Scheiben des Fensters, denn ihre -Stirn brannte und suchte Kühlung. Da wurde an die Thür geklopft. »Ein -Brief, mein Fräulein!« Hastig griff Esther nach demselben. Er war auf -der Heimath, aber die Schrift kannte sie nicht. Mit fliegender Hand riß -sie ihn auf; es war Susannes Brief. - -Als Esther das Schreiben gelesen, strich sie langsam über ihre Stirn. -War es denn Wirklichkeit, was sie soeben durchlebte, oder trieben -muthwillige Träume ihr Spiel mit ihr? Sie trat näher an das Fenster, -den Brief noch einmal zu lesen; aber ihr armer Kopf, der in den letzten -Tagen so Furchtbares durchdacht und durchkämpft, schwindelte heftig, -und die Buchstaben schwammen durch einander. Esther zündete Licht an, -ging einige Male im Zimmer auf und nieder, um sich zu sammeln, und dann -setzte sie sich still in den Lehnstuhl, den Brief noch einmal ruhig zu -lesen. Während ihre Augen diese Zeilen jetzt von Neuem durcheilten, -flog mehrere Male ein Lächeln über ihre Züge, und endlich schüttelte -sie wehmüthig den Kopf. »Liebes, herziges Kind,« seufzte sie leise, »du -ahnst nicht, was deine Worte mir für Schmerzen bereiten! Gott, mein -Gott, was heißt das alles nur? Sie weiß von meiner Liebe zu Bertel, -die mir bis vor Kurzem selbst noch ein Geheimniß war? Sollte Tante -Booland mit ihr davon gesprochen haben? aber ich selbst habe ja nie -etwas gesagt, das sie dazu berechtigte, und diese treue Seele würde -mein heiligstes Geheimniß doch nicht preisgeben. Und wem preisgeben! -Der Braut dessen, den ich liebe. O nein, nein, das ist unmöglich. Aber -woher sonst sollte Susanne es wissen? Und Bertel? O wenn er dieses -holde, kleine Geschöpf wirklich liebt, wie trostlos muß er sein, daß -sie ihm sein Wort zurückgiebt und den Bund wieder löst, der ihn so -zu beglücken schien. In welches Wirrsal stürzt mich dieser kindische -Brief! Und dabei keine Nachricht von den Meinen! Jetzt könnte doch nun -Antwort hier sein; warum schreibt nur niemand? - -Es war für Esther eine traurige Nacht, welche der Ankunft dieses -Briefes folgte. Schlaflos wälzte sie sich auf ihrem Lager umher, -und tausend Gedanken durchkreuzten ihren heißen, schmerzenden Kopf. -Hoffnung, Liebe und Zuversicht kämpften mit Schmerz und Zweifeln, -und erst der heraufdämmernde Morgen brachte ihr Schlaf und Ruhe. -Sie schlief schwer und tief viele Stunden lang; es war als ob ihr -erschöpfter Körper Kräfte sammeln wollte für die bevorstehenden -Wonnetage, welche leise und sonnig, aber ungeahnt fern am Horizonte -heraufzogen. - -Die Sonne stand schon hoch im Mittag, als Esther erwachte. Ueberrascht -fuhr sie empor und rieb sich die Augen; ihr war, als hätte sich etwas -Besonderes zugetragen, aber lange konnte sie keinen klaren Gedanken -fassen. Ein Klopfen an der Thür schreckte sie auf. Hastig sprang sie -empor und öffnete. Es war die Hauswirthin, welche ihr mittheilte, ein -Herr habe vor einiger Zeit nach ihr gefragt, da Mademoiselle aber auf -öfteres Klopfen nicht geantwortet, so sei der Herr wieder fortgegangen -mit dem Versprechen, in einigen Stunden wieder vorzufragen. - -Esther forschte nach dem Aeußeren des Fremden, und aus der Beschreibung -schien ihr hervorzugehen, daß Herr Richard sie besucht habe. Ihr Herz -schlug stürmisch. Schnell kleidete sie sich an, und kaum war sie -fertig, da sah sie wirklich Herrn Richard auf das Haus zuschreiten und -gleich darauf bei ihr eintreten. - -»Mein Fräulein,« sagte der Kaufmann, indem er zögernd an der Thür -stehen blieb, »darf ich es wagen, Sie aufzusuchen, nachdem Sie neulich -so tief beleidigt von mir schieden? Ich komme, Sie um Verzeihung zu -bitten, daß ich Sie so bitter kränkte. Aber die Umstände, unter denen -ich Sie kennen lernte, müssen mein Betragen gegen Sie entschuldigen; -ich kann jetzt eben nichts weiter thun, als die Bitte an Sie richten: -Verzeihen Sie mir, denn ich kannte Sie nicht.« - -»Warum sind Sie jetzt andrer Meinung geworden, mein Herr?« fragte -Esther mit leise zitternder Stimme, ohne jedoch ihrem Gaste einen -Schritt entgegen zu treten. - -»Hier diese Zeilen sagen mir, welches edle Herz ich beleidigt und -gekränkt habe!« rief Herr Richard und hielt dem jungen Mädchen einen -Brief hin. Esther trat jetzt schnell näher und erkannte Frau von -Ihlefelds Handschrift. - -»Frau von Ihlefeld hat Ihnen geschrieben, mein Herr?« sagte sie hoch -erröthend. »Sind Sie angewiesen, mir das Geld zu übergeben?« - -»Wenn ich recht verstehe, so wird Herr von Ihlefeld in diesen -Tagen selbst kommen, die Schuld einzufordern,« entgegnete Herr -Richard sorglos, erschrak aber über die Wirkung, welche diese Worte -hervorbrachten. - -»Selbst? Er will selbst kommen?« stammelte Esther erbleichend, und -plötzlich vergingen ihr die Sinne. Mit einem leisen Stöhnen sank sie -zusammen, und fiel dem rasch zuspringenden Herrn Richard bewußtlos in -die Arme. - -Als sie sich endlich erholte, blickte sie scheu und erschrocken um -sich; bald aber war sie wieder das starke Mädchen, und hörte jetzt -ruhig an, was Herr Richard ihr mitzutheilen hatte. Dieser erzählte nun, -daß Frau von Ihlefeld ihm geschrieben, Esther Wieburg sei der gute -Engel ihres Hauses; was sie für ihren Sohn und sie selbst gethan, könne -nur Gott dem edlen Kinde vergelten, und wer ihr wehe thue, kränke ein -Herz, das immer nur für das Glück Anderer geschlagen. - -»Und ich habe dies Herz so tief gekränkt!« schloß Herr Richard, der -erglühenden Esther herabhängende Hand an seine Lippen führend. »Sagen -Sie mir, Fräulein Esther, wollen Sie mir verzeihen?« - -Das junge Mädchen blickte ernst vor sich hin. »Sie kannten mich ja -nicht, Herr Richard,« sagte sie sanft, »und ich glaube, es war sehr -thöricht von mir, jene Forderung ohne Beweisgründe an Sie zu stellen. -Es mag in der Welt wohl so viel schlechte Menschen geben, daß man -sich vorsehen muß. Lassen wir das jetzt. Mein Zürnen war vielleicht -ganz ungerecht; Sie konnten wohl kaum anders handeln, als Sie gethan, -das sehe ich mehr und mehr ein, da ich ruhiger darüber nachgedacht -habe. Aber nun lesen Sie mir die Worte vor, die Sie zu der Vermuthung -veranlassen, Hubert werde selbst kommen.« - -Herr Richard faltete den Brief und überlas ihn schnell. »Hier ist's,« -sagte er dann und las: »Was nun die Geldsumme betrifft, von welcher -der Schuldschein meines Vetters spricht, so soll diese Sache der -braven Esther keine Mühe mehr verursachen. Mein Sohn wird selbst....« -In diesem Augenblicke aber hörte man eine Stimme in dem Hausflur. -Esther stieß einen lauten Schrei aus und sprang empor; aber ihre Füße -zitterten so heftig, daß sie kraftlos auf ihren Sitz zurückfiel. Da -hörte man rasche Schritte; die Thür flog auf, und Bertel stand in dem -Zimmer. »Esther!« rief er jubelnd und in demselben Augenblicke lag das -geliebte Mädchen an seiner Brust. - -Lange fanden die beiden glücklichen Menschen kein Wort für das -Entzücken ihres Herzens. Esther war so erschüttert von diesem -plötzlichem Wiedersehen, daß sie kraftlos und weinend in ihres Freundes -Armen lag, der ihren lieben Kopf zärtlich küßte und immer von Neuem an -seine Brust drückte. Die süßesten Schmeichelnamen, wie sie nie über -seine Lippen gekommen, flüsterte er dem vor Freude erbebenden Mädchen -in das Ohr, und endlich erhob diese unter Thränen lächelnd ihr Gesicht. -Nie hatte Bertel bis jetzt so zu ihr gesprochen, nie hatte sie noch an -seiner Brust gelegen wie jetzt, und noch nie war sie ihm gegenüber so -schwach und weichmüthig gewesen. - -»Verzeih' mir, Bertel; die Freude, Dich wiederzusehen, macht mich ganz -hinfällig!« sagte sie, die Thränen aus den Augen trocknend. Dann schrak -sie plötzlich etwas zusammen, machte sich aus Huberts Armen los und -flüsterte, sich verlegen umschauend: »Aber wir sind ja nicht allein, -erlaube daß ich dir Herrn Richard....« - -Doch kein Herr Richard war mehr in dem Zimmer; an seiner Stelle aber -stand eine andere Person, welche still, die hellen Thränen auf dem -guten, alten Gesicht, auf die beiden Kinder ihres Herzens schaute. Es -war Frau Booland. - -»Tante, liebe, gute Tante!« jubelte Esther und flog zu der Alten, die -ihre großen Arme weit nach ihr ausbreitete und sie dann so energisch -über ihrem Herzblättchen schloß, als sollten sie sich nie wieder öffnen. - -»Aber liebe, einzige Tante Booland, solche Reise hast du zu unternehmen -gewagt!« rief Esther endlich, als sie wieder auf eigenen Füßen stand; -denn die große, starke Frau hatte das schlanke Mädchen wie ein kleines -Kind zu sich empor gehoben, als könne sie nur so ihrer stürmischen -Zärtlichkeit Genüge leisten. »Du mußt ja Tag und Nacht gefahren sein, -um schon heute hier anzukommen.« - -Die Alte schob die zerknickte Haube zurecht, die im Sturme des -Entzückens auf und davon zu fliegen drohte, und dann mit ihren großen -Händen Bertel drohend, der lachend und von Glück strahlend neben Esther -stand, rief sie ärgerlich: »Hat der Bengel da mir armen, alten Frau -denn Ruhe gegönnt unterwegs? Durfte ich meine alten Knochen denn auf -der ganzen heillosen Hetzparthie nur ein einzig Mal ordentlich in ein -Bett legen? War's nicht immer, als stände einer mit der Hetzpeitsche -hinter uns und triebe uns vorwärts? Weiß Gott, wie's der Bursche fertig -gebracht hat, mich ganzbeinig bis hierher zu schleifen, nun aber -bringen mich keine zehn Pferde von hier wieder fort, ehe ich nicht -ordentlich einmal wieder ausgeschlafen habe!« - -»Aber Tante Booland, die Betten hier zu Lande, bedenke doch! Du hast -dich ja verschworen, dich in keins wieder zu legen, so lange du in -diesem heillosen Franzosenlande bist,« rief Bertel lachend. - -»Herr du mein Gott, ja da hast du Recht, Kind!« rief Frau Booland -entrüstet. »Hat man je so etwas von einem Nachtlager erlebt, wie da in -dem Neste,.... na wie hieß es denn gleich?« »Avignon,« ergänzte Hubert. - -»Ja, diesem Avignon! Und das haben sie noch die Frechheit, =Betten= -zu nennen! Nicht eine einzige Feder ist ja in so einem harten, -entsetzlichen Dinge von einem Bette! Mein armer Kopf rollte zum -Verzweifeln immer von einer Seite zur andern auf diesen harten -Rollkissen, gerade als wälzte ich mich im Fieber. Na und überhaupt, -ist das ein Land! Solch ein Schmutz, solches Ungeziefer, solche Hitze -und solcher Staub, und dann.... puh, so entsetzliches Essen! Du armer -Wurm, wie hast du es denn nur drei Tage hier aushalten können! Ich -wäre schon am ersten Morgen wieder auf und davon gelaufen. Und dann -diese Eisenbahnen! O mein Gott, dieser Lärm, dies Getreibe, diese -Wirthschaft! Wäre es nicht mein Herzblättchen gewesen, das ich mir hier -aus dem Heidenlande wieder holen wollte, schon in der ersten Stunde -wäre ich umgekehrt nach meinem lieben, stillen Waldhause! Und solches -Reisen, solch' Umhertreiben auf Eisenbahnen und Landstraßen, solch' -Umherwälzen in fremden, himmelschreienden Betten, solch' gräßliches -Essen und Trinken, Schmachten und sich todt müde und elend machen -nennen die Leute nun Vergnügen! Na, wenn ich erst wieder glücklich -in meinem Waldhause auf unserem lieben Dorfe bin, da soll mich Gott -bewahren, wieder solche Thorheiten zu begehen und mich einem verrückten -Liebhaber als Reisebegleiter anzubieten!« - -Während Frau Booland ihren Gefühlen in dieser Weise Luft machte, hatte -Bertel Esther neben sich auf das Sopha gezogen, und während er beide -Hände des jungen Mädchens ergriffen, ruhte sein Auge forschend auf -ihren Zügen. - -»Warst du krank, Esther?« fragte er jetzt angstvoll, und erschrocken -wandte nun auch Frau Booland ihre Blicke auf ihres Lieblings Gesicht, -das allerdings von der Anstrengung und dem unbehaglichen Leben der -vergangenen Monate, und nun gar von den durchkämpften, schweren Tagen -der letzten Woche schmal und bleich geworden war, wie nie zuvor. Esther -beruhigte die beiden geliebten Menschen, saß aber unbeschreiblich -ängstlich und unbehaglich an Bertels Seite, immerfort bestrebt, ihm -ihre Hände zu entziehen, die er jedoch nicht frei gab. Da erhob sich -Frau Booland rasch von ihrem Stuhle, auf den sie sich erschöpft -niedergelassen hatte und sagte, sich die Stirn mit dem Tuche abwischend -und dann den Staub von ihrem Kleide schüttelnd: »Aber mein Gott, wie -sieht man nach so einer Reise aus! Es ist ja ganz grauenvoll, solchen -Schmutz mit sich herum zu tragen. Estherchen, da nebenan ist wohl dein -Schlafstübchen? Ich will mich dort nur ein Bischen zurecht machen; laßt -euch die Zeit indessen nicht lang werden, ihr Kinderchen!« - -Und eilig huschte sie in das anstoßende, kleine Zimmer, dessen Thür -nur halb geschlossen war, ihren beiden Lieblingen im Hinausgehen noch -schelmisch zulächend. Sie klinkte das Thürschloß fest hinter sich zu, -und Esther war allein mit ihrem Freunde. - -»Esther, nicht wahr, du hast einen Brief von Susanne erhalten?« fragte -Bertel, sobald Frau Booland das Zimmer verlassen. - -»Ja Bertel, gestern,« erwiederte Esther und tiefe Gluth flog über ihr -blasses, bräunliches Gesicht. - -»So weißt du, daß wir nicht mehr verlobt sind?« - -Esther schüttelte den Kopf und sagte scheu: »Ich kann nicht glauben, -daß es Susanne Ernst mit diesem kindlichen Briefe gewesen ist. Wenn du -sie liebst, wird sie sich bald anders besinnen.« - -»Aber ich liebe sie ja nicht, Esther!« rief Bertel, das junge Mädchen -wieder bei beiden Händen ergreifend. »Ich liebe ja niemanden, als -dich, Esther, du mein Glück, mein Stolz, der gute Engel meines ganzen, -ganzen Lebens! O, jetzt erst weiß ich es ja, daß ich dich geliebt habe, -seit wir als kleine Kinder zusammen in Wald und Wiese spielten, und -ich danke Gott auf meinen Knieen dafür, daß es endlich klar in mir -geworden ist!« Und nun erzählte Bertel alles, was er seit der Ankunft -von Esthers letztem Briefe durchlebt und durchkämpft hatte, und wie er -jetzt nur noch einen Wunsch auf der Welt habe, -- Esthers Liebe. - -»Darf ich Undankbarer, Verblendeter denn noch hoffen, daß du mich -lieben kannst, Esther?« fragte er endlich weich, und seine Stimme -zitterte. Esther aber schlang ihre Arme um seinen Hals, und das Gesicht -an seine Wange schmiegend, schluchzte sie: »Mein Bertel, mein lieber, -ewig geliebter Bertel!« - -Im Zimmer war es sehr still geworden, und man hörte nichts, als ein -merkwürdig lebhaftes Rumoren und Umhergehen in der anstoßenden Kammer. -Frau Booland mußte eine äußerst umfangreiche Toilette machen, denn es -dauerte erstaunlich lange, ehe sie damit zu Ende war und wieder in -dem Zimmer bei Esther und Hubert erschien. Diesen aber war die Zeit -indessen so wenig lang geworden, daß sie die alte, treue Freundin -völlig vergessen hatten. Als Frau Booland endlich zu ihnen hereintrat, -führte Bertel seine Esther zu ihr und sagte: »Hier unserer treuen Tante -Booland danken wir die glückliche Lösung. Ohne sie wäre ich nicht hier -und wir Beiden nicht das glücklichste Brautpaar unter Gottes Sonne.« - -»Na, Gott sei Dank, daß wir endlich am Ziele sind!« jubelte die Alte, -ihre beiden Kinder an die breite Brust ziehend, wo sie alle Beide -reichlich Platz hatten. »Nun aber macht, daß wir von hier fort kommen; -der Boden brennt mir unter den Füßen.« - -Ehe man jedoch an die Abreise denken konnte, mußte die -Geldangelegenheit mit Herrn Richard in Ordnung gebracht werden. Hubert -übernahm jetzt diese Sache und war erfreut, in dem neuen Vetter einen -unendlich liebenswürdigen Mann zu finden. Die Geldsumme, welche sein -Onkel von Huberts Vater geliehen, hatte gute Zinsen getragen; denn -jenes Unternehmen, wozu es gegeben worden, glückte über Erwarten. Aus -den 15 Tausend Thalern waren im Laufe der Jahre zwanzig geworden, und -Herr Richard, welcher ein ungewöhnlich großes Vermögen erworben hatte, -war hoch erfreut, durch Rückerstattung jenes Kapitals zum Glücke so -lieber Anverwandter beitragen zu können. Das fröhliche Lächeln, mit -dem Esther jetzt den Vetter ihres geliebten Bertel empfing, als dieser -kam, sie als die Braut seines Anverwandten zu begrüßen, sagte demselben -besser, als Worte es thun konnten, daß Esther die peinliche Scene, -welche zwischen ihnen vorgefallen, vergessen habe. »Aber zu unserer -Hochzeit müssen Sie kommen, lieber Vetter!« rief Bertel in fröhlichem -Uebermuthe beim Abschiede, »nur dann verzeiht Ihnen Esther ganz.« - -Mit wie frohem Herzen sagte jetzt Esther dem Lande Lebewohl, in -dem sie so viel schwere Stunden durchlebt hatte! In Nîmes sprach -sie noch bei dem braven, alten Ehepaar Martin vor, um ihnen alles -Erlebte mitzutheilen und sie mit Hubert und Tante Booland bekannt zu -machen. Nach le Vigan jedoch führte sie ihre Lieben nicht, so sehr -sie auch gewünscht hätte, den guten Doktorsleutchen mündlich von -ihrem Glücke zu erzählen. Aber Tante Booland hätte nie wieder Ruhe -im Herzen gefunden, hätten ihre eigenen Augen jene Zustände in der -Pension gesehen, in denen ihr Herzblättchen so lange Zeit leben mußte. -Aber alle jene herrlichen Gegenden, jene schönen Städte mit all' den -Sehenswürdigkeiten, woran das Land so reich war, sah und genoß Esther -jetzt, wie sie es auf der Herreise so sehnlich gewünscht hatte; denn -langsam und in kleinen Stationen traten sie die Rückkehr in die Heimath -an, um die alte Frau Booland nicht zu ermüden. Die Behaglichkeit dieser -Art zu reisen, sowie das Glück ihrer Kinder, das sie umgab, versöhnte -Frau Booland jetzt auch mit allem, was Reisen hieß, und vergnügt ließ -sie sich überall herumführen und alles Sehenswerthe zeigen, so daß sie -nun eine etwas bessere Meinung von dem Lande erhielt, in dem Esther so -lange gelebt hatte. - -Eine unaussprechlich tiefe, stille Glückseligkeit ruhte auf Esthers -Antlitz, als sie in ihr liebes Dorf einfuhr, und Hand in Hand saßen -die beiden glücklichen Jugendgespielen nebeneinander, ohne ein Wort zu -sprechen. - -Aber als sie jetzt in die Nähe der Kirche und der ehemaligen Wohnung -Esthers kamen, da ertönte plötzlich Glockenschall und froher Gesang. -Blumenkränze in den Händen und bunte Fahnen in der Luft schwingend, -eilten die Kinder des Dorfes dem Brautpaare entgegen, und jubelnder -Zuruf begrüßte die Ankommenden, welche unter einem festlich prangenden -Triumphbogen umringt und angehalten wurden. Pfarrer Krause schritt mit -seiner Familie an der Spitze des Zuges, und als derselbe den Wagen -erreichte, hielt der Geistliche im Namen seiner Gemeinde eine kurze, -freudige Ansprache an Hubert und Esther, in welcher er die Glückwünsche -aller derer darbrachte, in deren Mitte die Beiden aufgewachsen waren -und welche bisher alles Leid und alle Freude mit ihnen getheilt -hatten. Ein lautes Hurrah folgte dieser Ansprache; die Glocken tönten, -die Fahnen flatterten, und bedeckt von Blumen und Kränzen fuhr das -junge Paar durch das Dorf, von dessen Einwohnern bis zu dem Waldhause -geleitet. Auch dies Häuschen war festlich geschmückt; als aber jetzt -Esther und Bertel an die Brust der Mutter sanken, welche sie in der -Thür empfing, da blieb kein Auge trocken, und in stiller Rührung -umstanden die Dorfbewohner das Häuschen. - -In ihr Wohnzimmer eingetreten, erblickte Esther eine Menge Blumen und -Geschenke, welche ihr hier von den Freunden zur Begrüßung dargebracht -wurden. Zwischen diesen Geschenken stand eine große, geschlossene -Kiste, welche Tags zuvor erst angekommen war. Sie kam aus Frankreich -und war an Esther adressirt. Verwundert öffnete das junge Mädchen -dieselbe und fand eine Fülle der schönsten Stoffe darinnen in Seide, -Leinen und Battist, wie sie eine junge Hausfrau nur je zur Ausstattung -ihrer neuen Haushaltung wünschen konnte. Ein kleines Kästchen lag -obenauf, mit der Inschrift »Esther,« und in demselben ruhte ein -kostbarer Schmuck nebst einem kleinen Briefe von der Hand des Herrn -Richard. In den verbindlichsten Worten bat er seine neue Cousine, -diese Sendung von ihm anzunehmen, als einen Beweis seiner unbegrenzten -Verehrung für das edelste, tapferste, weibliche Herz, das ihm je -begegnet sei. - -Während Esther mit diesem Briefchen noch ganz bestürzt vor der -prachtvollen Gabe stand, und Frau Booland in hellem Entzücken bald die -Steine des Schmuckes im Lichte funkeln ließ, bald wieder die köstlichen -Stoffe aus einander faltete, wurde auch Bertel ein Briefchen übergeben. -Es kam von Herrn von Sassen und lautete folgendermaaßen: - - - »Mein lieber Hubert! - - Wo alles Dich und Deine liebe Braut mit Jubel empfängt, da will auch - ich nicht zurückbleiben. Bald hoffe ich Euch persönlich begrüßen zu - können; für's Erste nur die Nachricht, daß unser verehrter Kronprinz - soeben die Anfrage an Dich ergehen läßt, ob Du für seine Reise nach - Italien, Griechenland und dem Orient, welche er in einigen Monaten - antreten wird, sein Begleiter sein willst. Die Anerbietungen, welche - außerdem hinzugefügt sind, versprechen so viel Genuß und Vortheile, - daß ich gewiß bin, Dein Herz jubelt ihnen zu, wenn Dir auch eine neue - Trennung von Deiner Braut für's Erste wenig lockend sein mag. Eine - Professur für Archäologie soll im Laufe der nächsten Zeit an der - Universität B. besetzt werden, und ich müßte mich sehr irren, wenn - unser gnädiger Kronprinz nicht im Sinne hätte, seinen Reisebegleiter - für diese Stelle vorzuschlagen, wenn er diesen als einen tüchtigen - Gelehrten erkannt hat. Daß dem so sein wird, dafür ist mir nicht - bange, falls Du dieser Reisegefährte bist. Ich freue mich sehr, daß - meine Dienste, welche ich in früheren Jahren dem Hofe geleistet habe, - jetzt noch so gute Früchte tragen. Deiner verehrten Braut meinen - besten Gruß und die Bitte, mir nicht zu zürnen, daß ich ihr den - Geliebten wieder entführen will, nachdem sie kaum die Schwelle ihres - Hauses betreten. Meine kleine Susanne sendet Esther aus der Ferne ihre - Grüße und freut sich, bei ihrer Heimkehr aus B., wohin sie für einige - Monate durch meinen Bruder entführt worden, eine liebe Freundin in ihr - begrüßen zu dürfen. Bald umarmt Dich in väterlicher Liebe - - Dein =Adolph von Sassen=.« - - -Das waren denn wundervolle Neuigkeiten! Der höchste Wunsch Bertels, -eine Reise nach jenen Ländern unternehmen zu können, auf deren -klassischen Boden so reiche Schätze für seine Wissenschaft ruhten, -sollten sich ihm erfüllen, und unter welch' verlockenden Bedingungen! -Esther war es zuerst, welche aufjubelte und keinem Zögern Raum gab, -obwohl sie sich von Neuem von dem Geliebten trennen sollte. »Gehören -wir uns denn jetzt nicht für ewig, mein lieber Bertel?« rief sie -freudestrahlend, als Hubert sie etwas trübselig anschaute in dem -Gedanken abermaliger Trennung. - -»Reise in Gottes Namen, mein Geliebter, und wenn du dann heimkehrst, -laß dir zum Schluß die schöne Professur von deinem Kronprinzen -schenken; dann wissen wir gleich, wo wir eines Tages, so Gott will, -unsere Hütte bauen werden.« - -Und so geschah es denn auch. Hubert erwarb vor allem den Titel eines -Doktors der Philosophie, und als solcher begleitete er dann mit -noch einigen andern strebsamen, jungen Gelehrten den Kronprinzen -nach jenen schönen Ländern, reiche Schätze sammelnd an Kenntnissen -und Erfahrungen. Ein ganzes Jahr verging, ehe die kleine Expedition -heimkehrte, und diese Zeit verlebte Esther in ihrem Waldhause in -stillem, glücklichen Seelenfrieden. Tante Booland war unermüdlich, an -der Ausstattung des jungen, künftigen Haushaltes zu arbeiten; Frau von -Ihlefeld aber fühlte täglich von Neuem, welchen Schatz sie an Esther -gewonnen. Keine andere Tochter hätte ihr je mit größerer Liebe und -Verehrung anhängen, keine ihr je die Tage mehr verschönern können, als -dieses Mädchen, das so brav und klug, so selbstvergessend und treu -stets für die Ihren lebte und dachte. - -Als dann endlich das Trennungsjahr vorüber und Bertel heimgekehrt war -von seiner Reise, da schaute die Morgensonne eines Tages mit ganz -besonderem Glanze in die freundliche, reich geschmückte Dorfkirche -von Rahmstedt. Hier stand Pastor Krause am Altare, und seine tief -bewegten Worte erklangen feierlich in dem kleinen Gotteshause, das die -Menge der Andächtigen kaum fassen konnte. Zu den Füßen des Geistlichen -aber kniete ein junges Paar, deren Ehebund seine Hand einsegnete; es -war Hubert und Esther. An dem Schicksale dieser braven Kinder des -Dorfes Rahmstedt nahm Alt und Jung den innigsten Antheil, und es war -ein langer, fröhlicher Zug, welcher das junge Paar nach dem reich -bekränzten Waldhause geleitete, in dem Tante Booland ein festliches -Hochzeitmahl hergerichtet hatte. Am selben Tage führte Bertel dann -seine Esther als stattliche Frau Professorin nach B., der neuen Heimath -des glücklichen Paares, denn hier hatte der talentvolle, junge Mann -in der That jene Stelle an der Universität erhalten, von der Herr von -Sassen gesprochen. - -Wenige Monate später begrüßte ein anderes junges Ehepaar auf der -Durchreise unsere Freunde in B. Die blonde Susanne lag bald lachend, -bald weinend an Esthers Halse, ihr hübscher junger Gatte aber, jener -schwarzbärtige Graf Redern, dem das junge Mädchen bald nach Esthers -damaliger Rückkehr Herz und Hand geschenkt hatte, stand ungeduldig -daneben, um auch seinerseits die hübsche Frau Professorin zu begrüßen, -an der seine kleine Frau mit so schwärmerischer Liebe hing. Bald darauf -flog das schöne, junge Paar dem herrlichen Italien zu, lustig und -fröhlich wie ein paar glückliche Kinder, welche für einander geschaffen -schienen zu heiterer Lebenslust. Auch Frau von Ihlefeld folgte ihren -Kindern bald nach, und an dem häuslichen Heerde derselben, an dem nur -Friede und Freude waltete, erblühten der schwer geprüften Frau noch -einmal frohe, glückliche Tage. In diesem Hafen konnte sie ausruhen -von allen Stürmen, die über sie dahin gezogen, und einen frohen -Lebensabend genießen, den die Liebe ihrer Kinder verschönte. Tante -Booland aber hütete stillen und fröhlichen Sinnes das kleine Waldhaus -in Rahmstedt, in dem Esther in jedem Sommer einige Wochen oder Monate -verlebte, dankbaren Herzens ihrer Kindheit gedenkend und all' der -wechselvollen Schicksale, welche ihr jetziges Glück an der Seite ihres -Bertel begründete. Die wissenschaftliche Ausbildung, welche sie einst -gemeinsam mit ihrem Spielkameraden erhalten, befähigte sie jetzt, den -Arbeiten Bertels mit Interesse und Verständniß zu folgen, und was sie -einst so sehnlich gewünscht: ein Knabe zu sein, um Antheil nehmen zu -können an ihres Gespielen ehrenvoller Laufbahn, das wurde ihr nun in -=der= Weise zu Theil, wie es eben für ein weibliches Wesen am besten -und wünschenswerthesten ist. Wie früher das Kind Esther, so kannte auch -jetzt Bertels Gattin kein schöneres Ziel und keine bessere Aufgabe, -als Huberts Lebensglück und keinen höheren Stolz, als den Ruhm ihres -Gatten. - - - - - Verwaist. - - - - - Erstes Kapitel. - - Der Abschied. - - -»Dacht' ich's doch! Da sitzt sie wieder bei ihren Büchern und lernt, -als sollte sie morgen gleich noch ein Examen bestehen! O du Nimmersatt, -hast du denn immer noch nicht genug Weisheit?« so rief Fanny, ein -junges Mädchen von 16 Jahren, indem sie in ein großes Zimmer trat, -dessen ganze Einrichtung den Charakter einer Schulstube trug. Mitten an -einem der kahlen Arbeitstische, die mit Büchern und Schreibmaterialien -bedeckt waren, neigte sich ein anderes junges Mädchen über ihre Bücher -und ließ sich durch den Eintritt Fanny's in ihrer Arbeit wenig stören. -Diese aber trat hinter den Stuhl der Freundin, schlug ihr neckend das -Buch zu, und indem sie die Arme um den Hals derselben schlang, fuhr sie -scheltend fort: »Nein, Agathe, ich lasse dir keine Ruhe, bis du mit mir -hinaus in den Garten kommst, wo wir Alle beisammen sind. Hier in der -abscheulichen Schulstube ist es so dumpf und enge, und du bist wieder -so bleich, daß ich es nicht länger leide, dich hier sitzen zu sehen. -Du liebe Gelehrsamkeit, ich dächte, heute könntest du dir wahrlich -Ruhe gönnen! Du hast uns ja beim Examen Alle durch deine Antworten -überflügelt, und es ist nur eine Stimme darüber, daß du die beste -Schülerin der Anstalt bist.« - -Die Angeredete blickte still vor sich hin und schüttelte den Kopf. - -»Du glaubst es nicht, Agathe?« rief Fanny lebhaft. »So geh' und frage -alle Lehrer, besonders Herrn Lobner; da wirst du erfahren, ob ich Recht -habe! Aber statt daß du dich darüber freuen solltest, machst du so -große, traurige Augen, daß mir wahrhaftig selbst ganz bange dabei wird. -Du bist doch gar zu ernst für deine 16 Jahre, Mädchen!« - -Agathe seufzte, und Thränen traten ihr in das Auge. »Kann ich dafür, -wenn ich ernster bin, als all' ihr andern?« sagte sie sanft. »Ist nicht -auch meine Zukunft ernst und trübe, und muß ich da nicht doppelt eifrig -sein, mir so viel Kenntnisse, als möglich, zu erwerben? Was soll denn -aus mir werden, wenn ich mir nicht selbst in der Welt forthelfen kann? -Ich habe ja keinen Vater, ach und jetzt auch keine Mutter mehr, die für -mich sorgt, wie du, beste Fanny! Ach daß =sie= noch lebte!« - -Heiße Thränen stürzten bei diesen Worten aus Agathes Augen, und Fanny -zog die schluchzende Freundin liebevoll an ihr Herz und strich ihr -sanft über das dunkle Haar. »Du sollst ja in dem Hause deines Onkels -eine zweite Heimath finden, liebe Agathe!« sprach sie tröstend. »Sei -doch guten Muthes; deine Zukunft wird sich gewiß besser gestalten, als -du jetzt fürchtest!« - -»O, bei meinem Onkel, Fanny,« schluchzte Agathe; »das ist es ja eben, -wovor ich mich fürchte! Ich kenne weder ihn, noch die Tante, und obwohl -meine Mutter immer sehr gut von ihrem Bruder sprach, so ist er mir -doch ein Fremder, und das Herz schlägt mir so unaussprechlich bange -bei der Aussicht, in jenem Hause zu leben! Gott mag es mir verzeihen; -denn gewiß sind solche Gedanken eine große Sünde, und ich sollte lieber -dankbar dafür sein, daß sie die arme Waise bei sich aufnehmen.« - -»Du bist noch zu unglücklich über den Tod deiner guten Mutter und -siehst alle Dinge deshalb so trübe und schwer an, liebes Herz,« -tröstete Fanny; Agathe aber schüttelte wehmüthig den Kopf und weinte -still noch eine Weile am Herzen der Freundin. Endlich aber richtete sie -sich auf, und getrost die Blicke zum Himmel aufschlagend, sprach sie -ruhig: »Wie der liebe Gott es will, so mag es geschehen! Diese Thränen -haben mein Herz erleichtert; nun ist mir wohl. Habe Dank, meine liebe -Fanny, du treue Seele, daß ich mich gegen dich aussprechen durfte. Aber -auch von dir soll ich ja scheiden, o von allem, was mir lieb und theuer -ist!« - -»Wir wollen uns recht oft schreiben, Agathe, das wird ein neuer Genuß -sein, den uns die Freundschaft giebt,« rief Fanny heiter. »Aber nun -komm' in den Garten; die Luft wird dir gut thun. Von dem vielen Lernen -wirst du nur noch schwermüthiger.« - -»Dürfte ich nur noch hier in der Pension bleiben, bis ich so weit -ausgebildet wäre, um als Erzieherin mich nützlich zu machen!« seufzte -Agathe, der Freundin folgend. »Mein größter Kummer wäre es, könnte ich -beim Onkel meine Studien nicht fortsetzen, was ich fast fürchte.« - -»Warte es doch nur erst ruhig ab, du kleinmüthiges Kind! Warum machst -du dir nur im Voraus solche Skrupel?« scherzte Fanny und nach und nach -gelang es ihr wirklich, die traurige Freundin zu erheitern und ihr -die Zukunft in weniger düstern Farben erscheinen zu lassen. Traulich -plaudernd gingen die beiden jungen Mädchen in dem Garten auf und -nieder, bis die Hausglocke sie zum Abendbrod rief, und sie im Verein -mit den übrigen Schülerinnen der Anstalt dem Hause zueilten. - -»Kommst du mit mir, Agathe, Herrn Lobner Lebewohl zu sagen?« fragte -am andern Morgen Fanny, indem sie schnell bei ihrer Freundin eintrat. -»Sieh, diesen schönen Blumenstrauß und die reizende Tasse hat mir Mama -für ihn geschickt; ich hoffe, er wird sich freuen. Hast du auch etwas -für ihn, Agathe?« - -»Ich? Nein, Fanny. Was könnte ich armes Mädchen bringen; ich habe ja -nichts!« sagte Agathe traurig. - -»O dann gieb du ihm die Blumen, bestes Herz!« drängte Fanny, Agathen -den Strauß in die Hand drückend; diese aber gab ihn der Freundin sanft -zurück und sagte leise: »Nein, Fanny, ich danke dir für deine Liebe. -Aber ich denke, daß unser liebster Lehrer mir auch ohne dies sein -freundliches Andenken bewahren wird, wenn ich ihm lieb geworden bin, -und wäre dies nicht der Fall, so wird ihm mein Geschenk auch keine -Freude machen.« - -»So schenke ich ihm auch nichts!« rief Fanny ärgerlich. - -»Das wäre sehr unrecht, da deine Mutter ihm dies Geschenk bestimmt,« -sagte Agathe. »Komm, komm, es wird ihm gewiß Freude machen.« - -Bald traten die beiden jungen Mädchen in das Zimmer des ersten Lehrers -der Anstalt, Herrn Lobner, einem zwar noch jungen Manne, der sich aber -durch seinen vortrefflichen Unterricht, wie durch die milde und doch -ernste Weise, in welcher er den Schülerinnen gegenüber trat, die Liebe -und Verehrung aller dieser jungen Herzen erworben hatte. - -Mit Freude und Rührung empfing er den Dank der beiden jungen Mädchen, -welche ihm jetzt schon Lebewohl sagten, obwohl sie noch einige Tage in -der Pension blieben; aber seinen Unterricht sollten sie jetzt nicht -mehr genießen. Der Tag ihrer Einsegnung lag vor ihnen und mit diesem -die Trennung von dem Hause, das besonders Agathen unbeschreiblich lieb -geworden war. - -Milde ermahnende Worte gab Herr Lobner den jungen Mädchen mit auf den -Weg: die lebhafte, etwas leichtsinnige Fanny ermahnte er zu Ernst und -größerer Besonnenheit; der stillen Agathe sprach er Muth und heitere -Zuversicht in die Seele. Mit unbeschreiblicher Wehmuth ruhte sein Auge -auf der einsamen Waise, und wie segnend legte er seine Hand auf das -Haupt des armen Kindes. Fanny's Geschenk nahm er freundlich dankend -an, dann ergriff er Agathes Hand, und sein kleines Heft von dem Tische -nehmend, sagte er bewegt: »Willst du mir wohl diese Arbeit als Andenken -zurücklassen, Agathe? Es ist dein letzter Aufsatz; ich möchte mir ihn -zur Erinnerung an meine fleißigste Schülerin aufbewahren.« - -Agathe erröthete tief und vermochte nicht zu antworten; aber mit beiden -Händen des theuren Lehrers Hand ergreifend, drückte sie dieselben -inbrünstig an ihre Brust; dann eilte sie schnell zum Zimmer hinaus, -denn Freude und Wehmuth bestürmten ihr Herz so mächtig, daß sie ihre -Thränen nicht länger zurück halten konnte. - - * * * * * - -Palmsonntag war gekommen, und feierlich zitterten die Glockentöne durch -die sonnige Frühlingsluft. Drinnen im Gotteshause stand andächtig -eine Schaar junger Mädchen und Knaben an den Stufen des festlich -geschmückten Altares und empfing die Weihe als Christen. Mit ihren -eigenen Lippen sprachen sie jetzt das Gelübde aus, das sie in den Bund -der Gemeinde Christi einführte, und tief bewegt erklang der Segen des -Geistlichen am Schluß der Feier. - -Auch Agathe war unter der Zahl jener festlich gekleideten Mädchen, -welche jetzt vom Altar hinweg gingen, und die Augen mit dem Tuche -verhüllend, sah sie nicht, wie sie einsam auf ihrem Stuhle zurück -blieb, als Freunde und Verwandte herbei kamen, die Confirmanden aus der -Kirche zu führen. -- »Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber -der Herr nimmt mich auf!« das waren die Worte, die der Geistliche ihr -als Zuspruch mit in die Welt gegeben, und tief erschüttert fühlte sie -die ganze Gewalt derselben. Sie hatte niemanden, als Gott im Himmel, -den Vater der Waisen, an dem sie halten konnte; aber war Er nicht der -festeste Stab, der treuste Helfer in Noth und in Kummer? - -Still und getrost wollte das einsame Kind eben die Kirche verlassen, -den Gefährtinnen folgend, da fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter, -und eine sanfte Stimme sprach: »Gott segne dich, mein theures Kind!« -Agathe wandte sich überrascht um und blickte in das treue Auge ihres -Lehrers, welcher ihr innig die Hand drückte und dann tief bewegt an -ihrer Seite blieb. Erst am Ausgange der Kirche trennte er sich von dem -jungen Mädchen; denn hier wartete dieser ein zweites Herz, das treu und -liebevoll für sie schlug. Es war die alte Anne Sommer, die Dienerin -ihrer Mutter, welche Agathe seit ihrer frühesten Jugend gekannt, -und dem einzigen Kinde ihrer theuren Herrin stets die wärmste Liebe -bewahrt hatte. Frau Sommer war die Wittwe eines Corporals und eine gar -wunderliche Alte; groß und kräftig von Gestalt, und doch so grau und -runzlich wie ein alter verwitterter Ulmenbaum. Aber ihre Gutmüthigkeit -und ihre frische Laune machten sie zum Liebling aller ihrer Bekannten, -und trotz ihrer etwas auffallenden Manieren konnte niemand der alten -Soldatenfrau böse sein. Agathe hing mit unendlicher Zärtlichkeit an -dieser treuen Seele und ließ sich willig von ihr auf offner Straße -herzen und küssen. - -»Mein Herzchen, mein Vögelchen, meine arme, kleine Blume!« rief die -Alte ganz hingerissen von Zärtlichkeit und streichelte Agathes bleiche -Wangen mit ihren großen, rauhen Händen; dann schlang sie wieder ihre -Arme um des Mädchens feine Gestalt, so daß diese ganz in den Kleidern -der lebhaften Alten verschwand. - -»Ach Anne, könntest du wenigstens mit mir ziehen, wenn ich hier fort -gehe, dann fürchtete ich mich nicht so sehr,« seufzte Agathe. »Aber so -allein in die fremde Stadt, zu diesen fremden Verwandten; ach Anne, es -drückt mir fast das Herz ab!« - -»Nur Courage, mein Goldkäferchen, nur immer stramm dem Feinde in's -Auge gesehen, und Carée formirt, daß er dir nichts anhaben kann!« -sagte die Alte fest und machte eine Bewegung, als schultre sie das -Gewehr. »Wir Soldatenkinder fürchten uns vor keinem Popanz, und käme -er selbst in Gestalt deiner Frau Tante! »Nur nicht ängstlich!« das war -meines guten Corporals Sprüchwort, und das hat ihm zuletzt denn auch -den Soldatentod gebracht, der alten braven Seele, Gott segne ihn!« -»Wer weiß, wer weiß, mein Vögelchen, wie die Sachen kommen!« fuhr sie -dann nach einer Pause geheimnißvoll fort, und in ihrem Kopfe zog Plan -auf Plan vorüber, wie sie es wohl bewerkstelligen könnte, ihrem lieben -Kinde nach Leipzig zu folgen, wohin dieses in wenig Tagen abreiste. - -Noch einmal betete Agathe an den Gräbern ihrer theuren Eltern, von -denen sie mit traurigem Herzen Abschied nahm; noch einmal umarmte sie -ihre Schulfreundinnen, und vor allem die treue Fanny, und noch einmal -blickte sie in die treuen Augen ihres geliebten Lehrers, -- dann -führte der fortrollende Wagen die junge Waise hinaus aus den lieben, -bekannten Umgebungen, hinaus in die weite, fremde Welt. -- Agathe hatte -sich weinend in die Ecke des Wagens gedrückt, um sich den Blicken der -Mitreisenden zu entziehen; da hörte sie ängstlich ihren Namen rufen und -erkannte in der Morgendämmerung die große Gestalt ihrer treuen Anne, -welche mit mächtigen Schritten neben dem Wagen herlief, der gemächlich -über das Steinpflaster polterte. - -»Hier, hier, mein Liebling, mein Goldkind!« rief Frau Sommer athemlos -und warf Agathen ein Päckchen in den Wagen. »Hier nimm das hinein in -dein Nestchen, mein armer, kleiner Vogel; es sind Pfefferkuchen, die -du so gern knupperst; die alte Anne hat sie dir gebacken, daß du eine -kleine Gesellschaft unterwegs hast. Der liebe Gott gehe mit dir, mein -Herzblatt, mein süßes, armes Kindchen! Sei nicht gar zu traurig, sollst -sehen, ich bin bald wieder bei dir. Adieu, adieu, mein Herzchen; behüt -dich Gott, behüt dich Gott!« - -Die letzten Sätze rief die treue Seele unter heftigen Schluchzen in -den Wagen hinein, an dessen Fenster sie sich fest angeklammert hatte, -und trotz des schnelleren Fahrens trabte sie athemlos noch eine Weile -nebenher, bis endlich der Kutscher über das alte Weibergewinsel -schimpfte und die Pferde zu schnellem Trabe anfeuerte. Da nickte -die Alte ihrem Lieblinge noch einmal zu; die Finger lösten sich vom -Kutschenschlage, und mit gefalteten Händen blickte Anne Sommer dem -Wagen nach, ein Gebet für das Wohl der armen Waise auf den Lippen. - - - - - Zweites Kapitel. - - Die neue Heimath. - - -Es war schon völlig dunkel geworden, als Agathe in Leipzig ankam, dem -Orte ihrer Bestimmung, und die Fahrt während des ganzen Tages in dem -engen Wagen war ihr zuletzt so lästig geworden, daß sie sich freute, -endlich am Ziele zu sein, so bange ihr auch das Herz vor Erwartung -klopfte. -- Vor einem alten düstern Eckhause in der Hainstraße hielt -der Wagen, und schläfrig kam der Hausknecht mit der Laterne herbei, dem -Kutscher zu leuchten, der hier einige Passagiere seines Lohnfuhrwerkes -abzusetzen hatte. Die engen, finstern Straßen mit den hohen Häusern, -deren Giebel und Erker weit vorsprangen und dem Himmel noch weniger -Einblick gewährten, bedrückten Agathes Herz unbeschreiblich. Sie -schaute in der völlig fremden Umgebung ängstlich um sich; da hörte -sie plötzlich, wie eine grobe Stimme fragte: »Is Freiln Wiggers mit -gekommen?« - -»Ja ja, hier ist sie!« rief Agathe schnell und hätte den schmutzigen -Lastträger vor Entzücken um den Hals fallen mögen, daß er unter all' -den fremden Menschen sich ihrer annehmen wollte. Schnell sprang sie -aus dem Wagen, und der Kutscher reichte den kleinen Koffer des jungen -Mädchens herab, welchen der große Packträger wie einen leichten Ball -auffing. - -»Is das alles?« fragte er dabei verwundert, als Agathe sich zum -Fortgehen anschickte. Auf deren bejahende Antwort blickte der Mann -ordentlich mitleidig auf den kleinen Koffer, und gab einem Rollwagen, -der neben ihm stand, einen Tritt, daß er zur Seite fuhr. »Na, der war -von Ueberfluß!« murmelte er dabei lachend und rief einen Knecht herbei, -der den Karren bis zu seiner Rückkehr in Verwahrung nahm. Dann schwang -er den Koffer auf die Schulter, und schritt schnell vor Agathen her, -Straße auf, Straße ab, bis sie vor einem Hause des Thomaskirchhofes -Halt machten. - -»Gehen Sie nur da 'nauf, liebes Mamsellchen,« sagte er auf die -erleuchtete Treppe deutend. »Se kennen nich fehlen, die erste Thür -rechts is es! Ich muß mit dem Kofferchen die Hintertreppe rauf, sonst -giebts e Donnerwetter da oben!« - -Er schob grüßend die Mütze zur Seite und verschwand im dunkeln Hofraum; -Agathe aber stand bald vor der bezeichneten Thür, an welcher der Name -Niedrer in goldner Schrift zu lesen war. Ach diese Thür allein trennte -sie ja jetzt von der neuen Heimath! Was mochte alles hinter derselben -auf sie warten; wie mochten diejenigen ihr entgegen treten, die ihr -nun Vater und Mutter ersetzen sollten! Noch einmal wandte sie ihr Auge -zu dem empor, der ihr Muth und Hoffnung gegeben, wenn sie verzagen -wollte, und getrost streckte sie ihre Hand nach dem verhängnißvollen -Klingelzuge aus. - -Eine nette, freundliche Dienerin öffnete die Thür, und Agathe trat in -den Vorflur. Auf ihre Frage nach Onkel und Tante sagte das Mädchen -verlegen, der Herr sei verreist, und Madame eben im Begriff, in -Gesellschaft zu gehen; sie wolle das Fräulein aber anmelden. Agathe -ging es wie ein Frost durch die Glieder; das war ein sonderbarer -Empfang. Sie hatte sich so unsäglich danach gesehnt, diesen Verwandten -an das Herz zu sinken, diesen guten Menschen, die sich der armen Waise -erbarmten; aber konnte sie das nun? Mit klopfendem Herzen folgte sie -endlich der zurückkehrenden Dienerin, welche sie in ein elegantes -Zimmer führte, mit der Weisung, sich etwas zu gedulden, Madame werde -gleich kommen. - -Agathe harrte bangen Herzens; die Erwartung wollte ihr den Athem fast -rauben. Endlich ging die Thür auf, und eine große, stattliche Dame -in eleganter Toilette trat rauschend in das Zimmer. Sie blieb einen -Augenblick stehen, dann streckte sie dem jungen Mädchen ihre mit vielen -Ringen bedeckte Hand hin und sagte mit etwas schleppendem, affectirten -Tone: »So, bist du da? Guten Tag, liebe.... Wie heißt du doch?« - -»Agathe, liebe Tante!« flüsterte diese ängstlich und kam zaghaft -herbei, der Dame die dargebotene Hand zu küssen. Doch noch hatte sie -sich der Tante nicht ganz genähert, als sich plötzlich ein wüthendes -Hundegebell erhob, und ein kleiner Bologneserhund zähnefletschend auf -Agathe losfuhr. Erschrocken sprang diese einige Schritte zurück; die -Tante aber lachte laut auf und hob den kleinen Hund auf den Arm, indem -sie ihn herzte und küßte. - -»Du spaßhafter, kleiner Bursche, willst wohl nicht leiden, daß man -deiner Herrin die Hand küßt?« rief sie, den Hund von Neuem liebkosend. -»Denkst, du hast allein das Recht dazu, mein kleiner Liebling? Soll -dich wohl wieder gut machen für den Kummer, den ich dir verursacht, -nicht wahr, kleines Bellochen? Nun so komm, weißt ja, wo's was Gutes -für dich giebt, du Schelm!« - -Dabei ging sie nach einem Glasschranke, und holte eine Hand voll -des schönsten Confectes heraus, das sie dem Hunde darbot. Dieser -beschnupperte es, wählte sich einige Stücke davon aus, und ließ -sich dann beruhigt nach einem zierlichen Korbe tragen, in welchem -von rothseidenen Betten sein Lager bereitet war, über das sich ein -ebensolcher Baldachin wölbte. - -Agathe hatte all' dem staunend und mit weit geöffneten Augen -zugeschaut; sie glaubte zu träumen. Die Tante jedoch unterbrach ihre -Reflexionen, indem sie sich jetzt wieder zu ihr wandte und sagte: »Du -siehst, ich habe den kleinen Kerl etwas verwöhnt; aber er ist mir so -lieb, daß ich ihm nichts verweigern kann. Ich hoffe, ihr werdet auch -gute Freunde werden; denn ich will ja meinen kleinen Liebling deiner -speciellen Sorge anvertrauen. Meine alte Cousine, die ihn bis jetzt -versorgte, versteht ihn nicht richtig zu behandeln; deshalb ist es mir -ganz lieb, daß du zu uns kommst! Aber jetzt muß ich fort, liebes Kind,« -schloß die Dame, einen prachtvoll türkischen Shawl um die Schultern -schlingend; »laß dir in der Leutestube etwas zu essen geben, wenn du -Hunger hast!« - -Dabei ging sie mit affectirt vornehmer und majestätischer Haltung an -Agathen vorüber, und nickte ihr einen leichten Gruß zu; dann war sie -fort. Agathe stand lange wie gelähmt noch immer an derselben Stelle -und blickte der Tante mit starren, verwunderten Augen nach. Sie also -war es, die ihr die Mutter ersetzen sollte! Wieder lief es dem jungen -Mädchen wie Eis durch die Adern, und voll Schrecken überdachte sie -die Worte, welche sie gehört hatte. Unfreundlich war die Tante nicht -gewesen, das mußte sich Agathe gestehen; aber doch hatte sie ihr nicht -ein Wort gesagt, das sie freundlich im Hause willkommen geheißen, nicht -eines, das ihr warm zum Herzen gesprochen hätte. »Ich will meinen -kleinen Liebling deiner Sorge anvertrauen; deshalb ist es mir ganz -lieb, daß du zu uns kommst!« Das war eigentlich der Inhalt der Rede, -die sie begrüßt hatte. »Also Hundewärterin!« sprach Agathe leise vor -sich hin und blickte nach der Wiege des Schooshundes. »Deshalb bin ich -hier willkommen, nur deshalb!« -- »Aber nein, ich thue der Tante gewiß -Unrecht,« dachte sie dann wieder; »ich bin so reizbar, so empfindlich, -hatte einen so anderen Empfang erwartet! Es wird gewiß anders, wenn -ich erst hier bekannt bin. Die Tante ist gewiß gut, sonst wäre sie -zu dem Hunde auch nicht freundlich.« Lange stand das junge Mädchen -und überdachte in dieser Weise alles, was sie gehört und gesehen; da -endlich öffnete sich die Thür, und ein altes, gutes Gesicht blickte -herein. - -»Willst du nicht etwas Warmes genießen, liebes Kind?« sprach -eine sanfte Stimme, und Agathe sah nun eine kleine, verwachsene -Frauengestalt neben sich, deren unregelmäßiges, altes Gesicht mit -gewinnender Freundlichkeit zu dem jungen Mädchen aufblickte. - -»Ich bin die Cousine, liebes Kind!« sprach sie zutraulich, Agathes -fragende Blicke verstehend. »Ich besorge das Hauswesen und habe dir -etwas Warmbier zurecht gemacht. Ich denke, es soll dir gut thun. Willst -du mit mir kommen?« - -Agathe folgte ihrer gutherzigen Führerin nach einem kleinen Zimmer, -das neben der Küche lag, und das ganz hübsch und behaglich aussah, so -einfach auch die Einrichtung desselben war. Ein kleiner, gedeckter -Tisch stand am Fenster, und bald füllte der Duft des würzigen Warmbiers -die Stube und erregte in Agathen lebhafte Eßlust, denn sie hatte den -Tag über wenig genossen. Die Cousine leistete ihr Gesellschaft, und -gemüthlich saßen sie in traulichem Geplauder beisammen. Agathe war -glücklich, ein Wesen hier zu finden, das ihr Theilnahme bewies, und -gegen das sie sich aussprechen konnte. - -»Ja, es ist ein wunderliches Haus, in das du hier eintrittst, liebes -Kind!« sagte die Cousine seufzend, nachdem Agathe ihre Verwunderung -über den sonderbaren Empfang ausgesprochen hatte; »du wirst dich noch -über vieles verwundern.« - -»Aber der Onkel, liebe Cousine, wie ist denn der?« sprach das junge -Mädchen gespannt. - -»Mein Vetter! Hm, der möchte freilich wohl manches anders haben!« -erwiederte die Kleine; »aber was kann das helfen! Er ist ein guter, -lieber Mann; aber seine Schwäche erlaubt ihm nicht, der Frau zu wehren, -wenn sie launisch und böse ist, und so bleibt es beim Alten. Sie -regiert, er gehorcht, das ist das Ende von allen Dingen.« - -»Wo ist er denn? Ich hatte gehofft, ihn sogleich kennen zu lernen!« -seufzte Agathe. - -»Mein Vetter freute sich auch darauf; aber die Cousine brauchte -allerlei für das Geschäft; da mußte er fort, er mochte wollen oder -nicht!« sagte Jene. »Aber morgen früh kommt er zurück.« - -»Für das Geschäft? Was denn für ein Geschäft?« entgegnete Agathe. »Ich -glaubte, der Onkel sei Buchhalter des Hauses F. und habe selbst kein -Geschäft?« - -»Er nicht, aber sie!« sagte die Cousine. »Es ist ein Putzgeschäft, -das Madame als Mädchen schon gehabt hat, und da es ihr selbst keine -Mühe macht, aber Geld einbringt, so setzt sie es fort: denn Geld -braucht sie zu ihrem Staate mehr, als er ihr geben kann. Unter den -Nätherinnen wirst du nun wohl auch dein Plätzchen bekommen, liebe -Agathe; Madame hat schon davon gesprochen.« »Ich soll Putzmacherin -werden?« rief Agathe auffahrend, und helle Gluth bedeckte ihr bleiches -Gesicht. »Wenigstens weiß ich es nicht anders!« entgegnete die Cousine -achselzuckend. - -Agathen entsank der Bissen Brod, den sie zum Munde führte, und Thränen -stürzten aus ihren Augen. »O meine schönen Träume!« rief sie traurig -und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Die gute Alte blickte -mitleidig auf das junge Mädchen und seufzte leise, dann aber suchte -sie ihr Muth und Trost zuzusprechen. Sie irre sich vielleicht; die -Tante habe es vielleicht ganz anders im Sinne, als sie sich denke, -und am Ende könne es einem jungen Mädchen ja nicht schaden, wenn sie -etwas Putzmachen lerne; es sei eine gar gute und nützliche Zugabe -für's Leben. Agathe war gern bereit, Trostgründen Gehör zu leihen, -auch konnte sie den vernünftigen Worten ihrer Gefährtin nicht so ganz -Unrecht geben. Sie sprachen noch eine lange Zeit mit einander; endlich -aber fielen Agathen die Augen vor Müdigkeit zu, und die Cousine führte -sie in ein Nebenzimmerchen, in welchem außer wenigen Meubel zwei Betten -standen. - -»Wir schlafen hier zusammen, liebes Kind,« sagte die gute Alte -freundlich; dann half sie dem jungen Mädchen beim Auskleiden, und trotz -der vielen Gedanken, welche auf Agathe einstürmten, schloß der Schlaf -dennoch bald ihr müdes Auge, und führte sie zurück in den lieben, -schönen Kreis, den sie verlassen. -- - - - - - Drittes Kapitel. - - Erster Morgen. - - -Als Agathe am folgenden Morgen erwachte, konnte sie sich lange Zeit -gar nicht besinnen, wo sie denn sei und was mit ihr vorgegangen. Das -freundliche Gesicht der alten Cousine, das zur Thür herein schaute, -rief ihr jedoch sogleich alles Erlebte zurück, und schnell erhob sie -sich, um sich anzukleiden. - -»Der Onkel ist soeben zurück gekommen,« sagte die Cousine. »Er erwartet -dich vorn im Zimmer; eile dich, liebes Kind!« - -Agathe kleidete sich so schnell als möglich an, und bald hatte sie ihre -Toilette beendet. Sie trug noch Trauerkleider; denn ihre Mutter war -erst kürzlich gestorben. - -In dem kleinen Zimmer nebenan, dessen Thür Agathe zögernd öffnete, kam -ihr der Onkel, ein kleiner, starker Mann, mit ausgebreiteten Armen -entgegen. - -»Sei mir willkommen, mein liebes Kind!« sagte er sanft und zog das -junge Mädchen in seine Arme. Agathe schmiegte sich bewegt und glücklich -an die Brust des lieben Mannes, den sie zwar noch nie gesehen, aber -der sie so herzlich begrüßte, als sie nur hoffen und wünschen konnte. -Nun stellte dieser das junge Mädchen vor sich hin und betrachtete sie -prüfend von oben bis unten. - -»Ganz wie meine liebe, gute Schwester, als sie so jung war!« rief er -dann bewegt und streichelte Agathes Wange. Ganz ihre lieben, blauen -Augen und das weiche, braune Haar! »Sei nur auch so fromm und brav, als -sie es war, mein Kind, so wird es dir gut gehen.« Das junge Mädchen -küßte die Hand das Onkels, dieser aber sagte etwas hastig: »Jetzt komm -aber zu meiner Frau, sie erwartet dich, und -- und wenn sie vielleicht -manchmal etwas streng gegen dich ist, so denke immer, sie meint es gut -mit dir, und verliere den Muth nicht; es wird alles schon ganz gut -werden.« Agathe folgte dem Onkel und fand in dem Zimmer, in welchem die -Tante sie gestern empfangen, einen reich besetzten Frühstückstisch, an -dem Madame in Gesellschaft ihres Hundes das Frühstück einnahm. - -Agathes freundlichen Morgengruß erwiederte sie mit leichtem Kopfnicken; -dann aber wandte sie sich zu ihrem Gatten und sagte verdrießlich: -»Du läßt mich lange warten, Albert! Ich dächte, Agathe konnte zu dir -kommen, statt daß du sie aufsuchtest!« - -»Nein, liebe Marie, ich hatte sie gestern bei ihrer Ankunft nicht -begrüßen können, darum ging ich gleich jetzt zu ihr,« sagte Herr -Niedrer sanft. »Uebrigens brauchtest du ja nicht mit dem Frühstück auf -uns zu warten.« - -»Das habe ich auch nicht! Aber du weißt, daß ich Bellochen die Milch -nicht gern selbst gebe, das ist deine Sache!« sagte Madame ärgerlich. -»Das arme, kleine Thier stirbt fast vor Hunger.« - -Der gehorsame Gatte ergriff schnell die zierliche Schale mit Milch, -blies, daß sie sich abkühlte, und neigte sich dann zu dem Hunde herab, -der knurrend den Morgentrunk zu sich nahm. Den Kuchen, aus welchem -ferner das Frühstück des Kleinen bestand, reichte ihm die Hand seiner -Herrin. Bellochen beliebte es jedoch, von demselben nur die oberste -Zuckerdecke abzulecken; den darunter liegenden Kuchenteig stieß er -knurrend mit der Schnauze von sich, und Madame griff schnell nach einem -andern Stück Kuchen, das der liebe Hund dann abermals in gleicher Weise -beknabberte. Darauf streckte sich das Thier gähnend und mit der Zunge -die Schnauze beleckend und legte sich endlich mit geschlossenen Augen -auf dem Sopha zurecht, an der Seite Madames. - -Agathe hatte belustigt zusehen; aber sie wußte nicht, ob sie es wagen -durfte, sich an den Tisch zu setzen, da die Tante gar keine Notiz von -ihr nahm. Sie zupfte ängstlich an ihrem Taschentuche, strich sich den -kleinen Kragen glatt und trat verlegen von einem Fuße auf den andern. - -»Aber so komm doch näher, du schüchternes Kind, und frühstücke mit -uns!« rief jetzt der Onkel, der ihre Verlegenheit bemerkte, und schob -einen Stuhl herbei, auf dessen äußerster Ecke Agathe schüchtern Platz -nahm. - -»Ich dächte, sie könnte sich den Stuhl wohl selbst holen; junge Mädchen -müssen sich nicht bedienen lassen!« sagte Madame scharf. Ein peinliches -Schweigen entstand, das nur durch das Geklapper von Tassen und Löffeln -unterbrochen wurde, und Agathen stand der Angstschweiß auf der Stirn. -Sie dachte mit Sehnsucht an die frohe Frühstücksstunde in der Pension, -wo sie zwar nur Milch und trocknes Weißbrod erhielten; aber wie viel -tausend Mal besser hatte ihr dies geschmeckt, als hier in diesem -eleganten Zimmer der süße Kaffee und das leckere Gebäck, welches der -Onkel ihr reichlich zuertheilte. Die Tante kümmerte sich um nichts, als -um ihren Hund, der etwas verstimmt schien, denn er fing an zu knurren -und sich unruhig hin und her zu werfen. Wahrscheinlich litt er an -Verdauungsbeschwerden. - -»Wie sehr Agathe meiner Schwester gleicht, Marie!« sagte der Onkel -endlich, die Stille unterbrechend. -- »Ich glaubte, deine Schwester sei -schön gewesen,« erwiederte Frau Marie gleichgültig. - -»Ja, das war sie auch, und Agathe hat ganz diese hellblauen Augen. Sie -wird ihr gewiß noch viel ähnlicher werden, wenn sie älter ist,« sagte -der Onkel. - -»So? Nun meinetwegen; aber so lange sie dieses blasse Gesicht hat, ist -von Schönheit keine Rede,« entgegnete die Tante und streckte sich auf -dem Sopha. »Aber laß mich jetzt in Ruhe; ich bin wieder so furchtbar -angegriffen.« - -»Ach leiden Sie auch an den Nerven, wie meine Mama?« wagte jetzt Agathe -zu sagen. »Sie sehen so wohl aus; ich hätte es nicht gedacht!« - -Das war ein schlimmes Wort, das schlimmste fast, was sie hätte sagen -können! Es berührte den unangenehmsten Punkt in den Empfindungen -Madames; denn niemand durfte daran zweifeln, daß sie schwach und -leidend sei, obwohl sie nur aus Bequemlichkeit und Ziererei die Kranke -spielte. - -Unwillig blickte sie deshalb Agathe bei diesen Worten an, und das -helle, blaue Auge erhielt etwas so Stechendes, daß Agathes Herz -erzitterte. - -»Denkst du etwa, ich verstelle mich?« rief sie, dunkelroth vor Aerger. -»Das sind oft gerade die schlimmsten Uebel, bei denen man wohl und -blühend aussieht!« -- »Aber,« fuhr sie dann streng fort, »jetzt mein -Kind, steh' auf, und mache dich nützlich! Hier, übernimm gleich zuerst -dein tägliches Geschäft, meinen kleinen Bello zu waschen und ihm dann -die Locken zu kämmen. Aber daß du ihm ja nicht weh thust, wie die -Cousine, die immer so furchtbar unzart mit dem armen Thierchen umgeht!« - -Agathe war sehr erschrocken über den Verweis, den sie erhalten, und -verschluckte nur mit Mühe die Thränen. Schnell stand sie vom Stuhle -auf und näherte sich dem Hunde, um ihn auf den Arm zu nehmen. Aber -knurrend fletschte ihr dieser die Zähne entgegen und drohte zu beißen. -Das brachte der Tante ihre gute Laune zurück; lachend gab sie Agathen -ein Stück Zucker und sagte: »Du mußt dir erst seine Gunst erwerben. Da, -gieb ihm das, dann wird er nicht beißen.« - -Agathe that, wie ihr geboten, und wirklich ließ sich der verzogene, -kleine Hund jetzt ruhig auf den Arm nehmen. - -»Geh' nur zur Cousine, die wird dir zeigen, was du zu thun hast; aber -eile dich, es wartet noch andere Arbeit!« rief die Tante, und Agathe -war froh, auf diese Weise wenigstens wieder zum Zimmer hinaus zu -kommen; ihr Schutzgeist, der Onkel, war schon vor ihr fortgegangen, -seinen Geschäften nach, die ihn bis Mittag vom Hause fern hielten. - -Aber welch' böse Arbeit war diese Hundetoilette! Mit warmem Wasser -und feiner Seife wurden die langen Haare des Thieres erst wieder und -wieder gebadet, dann säuberlich abgerieben und endlich mit Kamm und -Bürste gekämmt und geglättet, als wären es die Locken eines kleinen -Kindes. Aber Bello betrug sich bei seiner Toilette viel schlimmer, als -das unartigste Kind; denn er zappelte und bellte und biß um sich, da -ihm Agathe eine fremde Wärterin war, so daß diese ohne die Hülfe der -Cousine nimmermehr damit zu Stande gekommen wäre. In Schweiß gebadet, -mit verschobenen Kleidern und zerkratzten Händen trug sie das kleine -Ungethüm endlich zu seiner Herrin zurück, welche noch immer behaglich -auf dem Sopha ruhte, und in die Lectüre eines Romanes vertieft war. - -»Hier, gieb dem Thierchen sein zweites Frühstück!« rief nun Madame, -Agathen Semmel, Butter und feine Wurst hinschiebend. Das junge Mädchen -schnitt ein zierliches Brödchen ab, bestrich es mit Butter und legte -eine Wurstscheibe darauf. - -»Mein Gott, schmiere doch nicht so mager!« rief Madame entrüstet, -»und ich glaube gar, du verlangst, daß Bellochen die Schale mitessen -soll!« -- Still lächend verbesserte Agathe die Fehler und hielt dem -Hunde das Frühstück hin. Das Thier knurrte verdrießlich, fraß erst die -Wurstscheibe vom Brode, dann leckte er die Butter ab; mehr aber mochte -er nicht, er war entschieden nicht bei Laune. »Das arme, kleine Thier!« -rief Madame ängstlich; »wenn er nur nicht krank wird! Lege ihm sein -Bettchen glatt, er wird schlafen wollen.« - -Als Agathe den Hund auf sein Lager möglichst sanft gebettet hatte, -sagte die Tante, sich vom Sopha erhebend: »Nun komm mit mir; ich will -dir zeigen, was du weiter thun sollst, denn ein junges Mädchen muß -immer fleißig sein, und wer essen will, muß auch arbeiten.« - -Sie ging schnell voraus, durchschritt ein Nebenzimmer und öffnete -endlich die Thür eines großen Gemaches, in dem eine Anzahl junger -Mädchen eifrig bei der Arbeit saßen. Vor ihnen auf großen Tischen lag -eine Menge Draht, Stroh, Seidenzeug, Band und Blumen, sowie angefangene -Hüte und Hauben, und lustig flogen die Finger mit der Nadel durch die -Arbeit. Als Madame Niedrer eintrat, erhoben sich die jungen Mädchen -grüßend und setzten um so eifriger ihre Näherei fort. - -»Hier bringe ich Ihnen eine neue Schülerin, Fräulein Schneider,« sagte -Madame und wandte sich zu einer etwas ältlichen Dame, welche den jungen -Mädchen zur Seite auf einem erhöhten Stuhle saß. - -»Meine Nichte Agathe wird jetzt hier mit arbeiten; haben Sie die Güte, -sie anzuleiten. Komm Agathe,« sprach sie dann zu dem zaghaft um sich -blickenden Mädchen, »hier ist Fräulein Schneider, die Directrice des -Geschäfts. Sie wird dir zeigen, was du zu thun hast; gieb dir ja rechte -Mühe, etwas zu lernen.« - -Nach diesen Worten wandte sie sich zu den jungen Näherinnen und -betrachtete deren Arbeit. Mit einigen war sie zufrieden, an vielen aber -hatte sie etwas zu tadeln, und besonders lange sprach sie mit Fräulein -Schneider über die Garnirung der Hüte, welche sie anders wünschte. -Agathe bewunderte im Stillen, wie gut die Tante mit all' diesen -Sachen Bescheid wußte, und besonders, wie schön und geschmackvoll die -Anordnungen waren, welche sie für die Zusammenstellungen der einzelnen -Theile gab. Aber der Ton, in welchen sie mit den Damen redete, war -nicht angenehm. Kurz und bestimmt gab sie ihre Befehle, zwar nicht -unfreundlich, aber kalt und scharf, wie Nordwind. Alles athmete auf, -als sie sich endlich wieder entfernte. Die jungen Mädchen blickten -sich bedeutungsvoll an und zischelten lachend unter einander, und auch -Fräulein Schneider schaute froher d'rein, als vorher. Sie bat Agathe, -neben ihr Platz zu nehmen und gab ihr eine leichte Arbeit in die Hand. - -»Haben Sie schon etwas Putzmachen gelernt, Fräulein?« sagte sie dabei -freundlich. - -»Nein, niemals,« entgegnete Agathe. »Ich komme eben aus der Pension und -da hatten wir zu Handarbeiten wenig Zeit.« - -»Ist es Ihr Wunsch, das Putzmachen zu lernen?« fragte die gute Dame -theilnehmend weiter. - -»Ach nein, mein Wunsch ist es bis jetzt nie gewesen,« sagte Agathe -unbefangen. »Ich wollte ja so gern Erzieherin werden.« - -»Erzieherin?« rief Fräulein Schneider verwundert. »Welche sonderbare -Idee! Da muß man ja so viel lernen! Nein, liebes Kind, werden Sie -lieber Putzmacherin; das ist eine leichte, angenehme Beschäftigung, so -recht etwas für uns Damen, und wer sein Fach gut versteht, der findet -immer sein Brod dabei. Das sehen Sie am Besten an Madame Niedrer, -unserer Frau Principalin. Sie hat sich als Mädchen schon damit ihren -guten Unterhalt verdient, und jetzt ist es ihr immer noch eine schöne -Erwerbsquelle, denn sie hat gar vornehme Kundschaft. Aber freilich, -einen bessern Geschmack, als Madame, hat auch niemand unter den -Modisten in ganz Leipzig; das muß man sagen! Obwohl sie jetzt nicht -mehr selbst arbeitet, so versteht sie die Sachen doch besser, als -wir Alle, und ehe sie nicht gesehen hat, wie ein Hut oder eine Haube -garnirt ist, schicke ich nichts nach dem Verkaufszimmer. -- Da sehen -Sie z. B. diese Capotte!« fuhr die gesprächige Dame lebhaft fort und -hob einen violetten Sammthut empor. »Ich wollte sie mit grünen Blättern -und weißen Knospen garniren; es sah recht hübsch aus. Aber Madame warf -nur =einen= Blick darauf, und da sah ich wohl, wie wenig ihr mein -Arrangement gefiel. Und ich muß ihr Recht geben; denn kann man wohl -etwas Geschmackvolleres finden, als diese dunklen Stiefmütterchen mit -dem feinen goldnen Rande, welche sie statt der Blätter und Knospen -wählte? Der Hut ist dadurch so fein, so vornehm geworden, daß ihn -eine Prinzessin aufsetzen könnte, ohne sich der Arbeit zu schämen. -Nun wer weiß, was kommt. Es wäre nicht das erste Mal, daß der Hof -uns mit seinen Aufträgen beehrte; denn in Dresden hat man gar keinen -Geschmack. Leipzig ist klein Paris, und Madame Niedrer's Geschäft kann -es mit jedem Pariser Modistenladen aufnehmen; das weiß ich so sicher, -als ich schon seit 10 Jahren hier auf diesem Stuhle sitze!« Sie sprach -dies alles mit einem unaussprechlichem Stolze und Selbstbewußtsein, -und ihre kleine Gestalt wuchs ordentlich auf dem hohen Stuhle. Agathe -aber blickte mit stillem Entsetzen zu der gesprächigen Dame auf, denn -der Gedanke, zehn Jahre hindurch hier zu sitzen, Tag für Tag, Sommer -und Winter, von Morgens früh bis Abends spät, erregte ihr förmlich ein -Grauen. - -»Zehn Jahre? Das ist ja schrecklich! Ist Ihnen das Putzmachen denn da -nicht unerträglich geworden?« rief sie unwillkürlich und seufzte tief -auf. - -Die jungen Mädchen stießen sich mit dem Ellbogen gegenseitig an und -lachten heimlich; Fräulein Schneider aber sah mit strengen Blicken von -ihrem Throne herab und rief: »Lassen Sie das alberne Lachen, meine -jungen Damen. Fräulein Agathe wird bald selbst finden, wie angenehm -unsere Arbeit ist, sobald sie sich näher damit befreundet.« - -Agathe dachte im Herzen, zu dieser Ueberzeugung werde sie wohl nie -kommen; denn wenn weibliche Arbeiten ihr auch nie unangenehm gewesen -waren, so sah sie es doch als ein großes Mißgeschick an, sich nur mit -der Nadel, nie aber mit Lesen, Schreiben und Zeichnen beschäftigen zu -können. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich und arbeitete ruhig -weiter. - -Die jungen Mädchen durften nicht viel sprechen, weil sie dies von ihrer -Arbeit abzog, und da jetzt auch Fräulein Schneider schwieg, hörte man -nichts, als das Rascheln des Seidenzeuges und das Pfeifen der vielen -Fäden, welche mit der Nadel durch die Arbeit fuhren. So verging Stunde -um Stunde. Nur einmal, als die Glocke elf schlug, entsank die Nadel -den Händen. Jedes der jungen Mädchen zog eine trockene Semmel aus -der Tasche, und ein allgemeines frugales Frühstück, bei dem ein Glas -Wasser das Getränk abgab, unterbrach den rastlosen Eifer. In dieser -Arbeitspause durften sich auch die Zungen rühren, und nun schwatzte und -lachte und zischelte es durcheinander, daß es eine Lust war. Agathe -arbeitete still weiter, denn sie hatte kein Frühstück, und sie war -während ihrer stillen Arbeit, bei der sie ungestört denken konnte, so -traurig geworden, daß sie auch gar keine Lust zum Essen hatte. - -Aber da öffnete sich die Thür, und die alte Cousine kam freundlich -grüßend herein. - -»Ich bringe dir das Frühstück, liebe Agathe,« sagte sie, dem jungen -Mädchen eine Semmel reichend. »Verzeih', daß ich sie dir trocken gebe; -aber fette Speisen dürfen nicht hier in das Arbeitszimmer kommen; es -würde gar zu leicht etwas dadurch verdorben.« - -»O, ich kenne es nicht anders; in der Pension gab es auch keine -Butter,« entgegnete Agathe und griff dankend nach dem Weißbrod. -Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken hin nach der lieben Pension, in -der jetzt auch gerade Freistunde war und Semmeln verzehrt wurden. O, -könnte sie dort sein, nur eine Viertelstunde, dort unter den lieben, -fröhlichen Freundinnen; könnte sie, wie sonst, von ihren Stunden, ihren -Arbeiten, ihren Lehrern mit ihnen plaudern, ein paar Mal durch den -Garten laufen, um frische Luft zu schöpfen; es war so eng, so schwül, -so drückend hier in dem Arbeitszimmer! Aber was half das alles; sie saß -hier, und mußte hier bleiben. Die Frühstückszeit war jetzt vorüber, und -eifrig ging es nun wieder an die Arbeit. Bald fuhren wieder die Nadeln -wie Blitze durch die Luft, und Schweigen breitete sich wie vorher über -die fleißigen Arbeiterinnen. Zwei Stunden vergingen noch so; aber als -es ein Uhr schlug, erhob sich Fräulein Schneider, legte die Arbeit -fort, verneigte sich und verschwand. Dies war das Lösungszeichen für -die junge Schaar. Die Arbeit flog zur Seite, und nicht fünf Minuten -vergingen, so war das Zimmer leer, und Agathe blieb allein zurück. Aber -auch sie warf jetzt schnell die Arbeit aus der Hand und seufzte tief -auf; denn noch nie in ihrem Leben hatte sie so viele Stunden hinter -einander genäht. Der Kopf war ihr ganz dumm davon geworden; er hatte -so gar keinen Theil an der Arbeit der Hände nehmen können. Die Finger -thaten ihr weh, der Rücken schmerzte, und sie war so müde, als hätte -sie drei Tage hinter einander genäht. »Lieber zwölf Stunden schreiben -und lesen, als zwei hinter einander nähen!« seufzte sie und blickte -zum Fenster hinaus, wo sie einige der jungen Mädchen eilig die Straße -hinauf trippeln sah. - -»O, die sind doch frei und können fort aus diesem Hause!« dachte Agathe -sehnsüchtig. »Aber ich, ich bin hier fest gebannt, kann nicht fort, muß -Hunde warten, Hüte nähen und mich schelten lassen; -- o mein Gott, mein -Gott, ich bin doch zu unglücklich!« - -Sie drückte das Gesicht in beide Hände und weinte bitterlich. Die -Thränen erleichterten ihr Herz, und bald kamen ruhigere Gedanken. -»Könnte es nicht noch viel schlimmer sein, du thörichtes Kind?« tönte -es in ihrer Brust. »Was bist du denn, daß du so große Ansprüche machen -kannst? Die Tante ist nicht zärtlich, aber doch auch nicht gerade -unfreundlich gegen dich. Du hast ihren Hund zu besorgen; das ist nicht -sehr angenehm, aber doch auch kein großer Kummer, und daß du wie diese -anderen jungen Mädchen viele Stunden bei der Näharbeit sitzen mußt, -geschieht ja, damit du etwas lernst. Das ist doch eigentlich sehr -vernünftig von der Tante gehandelt; denn sie will dir die Mittel geben, -dir später selbst fortzuhelfen. Du wünschtest dies freilich in einer -andern Weise zu thun, aber das kostet wieder Geld; denn zum Lernen -braucht man Unterricht, und wer soll den bezahlen?« - -Solche Gedanken kamen der guten Agathe noch gar viele; aber so sehr -sie sich auch bestrebte, ihr Geschick ruhig hinzunehmen, es wollte und -wollte nicht gehen! »O wenn ich nur lernen dürfte, um Erzieherin werden -zu können, dann wollte ich alles, alles ertragen!« das war immer wieder -der Schluß aller ihrer Gedanken und Betrachtungen. - -Endlich wurde sie von der Cousine zum Mittagessen gerufen, und ihr -trauriges Gesichtchen in ein möglichst heiteres verwandelnd, verließ -sie mit der guten Führerin das Arbeitszimmer. - - - - - Viertes Kapitel. - - Schooßhund und Zughüte. - - -Die Tante hatte bestimmt, daß Agathe mit der Cousine zusammen das -Mittagbrod einnahm; sie selbst aß später, denn Herr Niedrer kam erst um -drei Uhr aus dem Comptoir nach Haus. Um diese Zeit aber sollte Agathe -schon wieder mit den Arbeiterinnen fleißig sein, deren Arbeitsstunden -von Morgens neun bis Mittag ein Uhr währten, dann Nachmittag von zwei -bis sieben Uhr. Agathe freute sich, daß sie mit der guten Cousine so -traulich allein an dem kleinen Eßtisch im Fenster, wo sie gleich am -ersten Abend mit ihr gesessen, ihr Mittagbrod verzehren konnte; leider -aber war die freie Stunde bald vorüber, und Schlag zwei Uhr mußte sie -wieder in das Arbeitszimmer. Da fing der Fleiß wie des Morgens von -Neuem an und dauerte ohne bedeutende Unterbrechung bis sieben Uhr. -Fröhlich packte die junge Gesellschaft dann alles zusammen; lachend -und scherzend ging es zum Hause hinaus, und Agathe war wieder allein, -beneidete wieder die forteilenden Mädchen, welche doch jetzt am Abend -wenigstens frei waren und ihrem Familienkreise zueilen konnten. =Sie= -hatte ja keine Eltern, keine Geschwister, die sie freudig erwarteten; -ungeliebt und unbeachtet stand sie allein in der Welt; niemand sehnte -sich nach ihr, niemand bedurfte ihrer, niemand fragte nach ihrem Wohl -und nach ihrem Weh! O es war zu traurig, zu niederdrückend. Die trüben -Gedanken kamen wieder über sie, stärker und banger als je; denn die -langanhaltende, ungewohnte Arbeit war ihr unerträglich und hatte ihr -allen Muth und alle Hoffnung genommen. Mit Grauen dachte sie daran, daß -es so einen Tag wie den andern fortgehen sollte. Sie blickte in ihre -Zukunft wie in einen dunklen, erschreckenden Nebel, der sie einhüllen -und alle Hoffnungen ersticken würde. - -»Aber meine freie Zeit soll wenigstens meinen armen lieben Büchern -gehören!« rief sie endlich froh auffahrend und eilte nach ihrer Kammer. -Die gute Cousine hatte ihre wenigen Sachen nett und sauber in Schrank -und Komode geordnet, und mit wahrem Jubel griff Agathe nach einem Werke -Schillers, ihres Lieblingsdichters, dessen Schriften sie noch von ihrer -Mutter zum letzten Geburtstage erhalten hatte. Sie verlor sich schon -nach kurzer Zeit so sehr in die wundervolle Sprache des Trauerspiels: -»Die Jungfrau von Orleans,« in welches sie sich vertiefte, daß sie -den Eintritt der Tante gar nicht bemerkte, welche plötzlich neben ihr -stand. Agathe fuhr empor, als hätte sie ein Unrecht begangen und legte -das Buch schnell zur Seite. »Befehlen Sie etwas, liebe Tante?« fragte -sie hastig. - -»Ich wollte wissen, was du treibst,« sagte diese kalt. »Du hast den -ganzen Tag gesessen; es ist nöthig, daß du dir jetzt einige Bewegung -machst, du wirst sonst noch bleicher. Geh' aus, und sieh dir die Stadt -an, und nimm Bello mit dir; er ist heute auch noch nicht an die Luft -gekommen.« - -»Ja wohl, liebe Tante!« entgegnete Agathe, blickte aber ängstlich zum -Fenster hin, denn es war schon fast ganz dunkel, und sie völlig fremd -in der Stadt. - -»Die Cousine kann dich heute ein Stück begleiten, damit du dich nicht -verläufst,« sagte Madame Niedrer, indem sie sich wieder entfernte. - -»Die Tante ist doch sehr gut, daß sie so für meine Gesundheit sorgt,« -dachte Agathe und kleidete sich schnell an, so ungern sie ihrem -Buche Lebewohl sagte. Dann lockte sie den Hund mit einem Stück Kuchen -an sich, nahm ihn auf den Arm und eilte, von der Cousine begleitet, -in's Freie. Sie ergötzte sich an dem bunten Treiben, das die Straßen -dieser Handelsstadt belebte; aber das Gewirr in denselben, die hohen, -überhängenden Häuser, die dunkeln Höfe und Gäßchen, durch welche sie -gingen, und die in der Dämmerung noch unheimlicher aussahen, bedrückten -das Herz des jungen Mädchens mehr und mehr. Dazu kam, daß Bello unruhig -wurde und weder auf Agathes Arm, noch auf dem der Cousine bleiben -wollte, und doch wagte Agathe nicht, ihn auf den Boden zu setzen; denn -in dem Gewühl und der Dunkelheit hätte sie ihn sicher verloren. - -»Warte, wir wollen ihn anbinden!« sagte die Cousine und zog eine Schnur -durch das Halsband des Hundes. Aber damit war nichts gebessert; denn -nun wollte das Thier nicht vom Fleck, bellte und stemmte sich, Agathe -mochte ziehen, so viel sie wollte. Die Vorübergehenden lachten und -neckten die junge Hundewärterin, so daß diese dem Weinen nahe war. Aber -die Cousine tröstete und half treulich, indem sie den Widerspenstigen -von hinten mit dem Fuße vorwärts stieß, und so, ziehend und stoßend -gingen sie ein Stück Weges weiter. Aber endlich trat ein muthwilliger -Bursche dem Hunde auf eine Pfote, und nun war nichts mehr mit dem -Thiere anzufangen. Winselnd warf es sich zu Boden, und als ihn Agathe -wieder auf den Arm nahm, war er so bissig und bösartig, daß der -Spaziergang möglichst schnell beendigt werden mußte. - -Die Tante war sehr ärgerlich, sowohl über den Unfall, der ihrem -Lieblinge widerfahren war, als über die schnelle Rückkehr Agathes. -»Mein armes Hundchen bedurfte der frischen Luft so sehr,« sagte sie, -»du hättest ihn wohl noch eine Weile führen können.« - -»Aber liebe Tante, es war ja nicht möglich; laufen wollte er nicht, und -auf dem Arme blieb er auch nicht!« entschuldigte sich Agathe. - -»Ach du verstehst das liebe Thier nur nicht zu behandeln!« rief die -Tante heftig und streichelte die verletzte Pfote ihres Lieblings. »So -unaufmerksam, ihn treten zu lassen!« - -Das junge Mädchen wollte sich schüchtern zurückziehen, da sagte die -Tante: »Bleib nur hier, Agathe; du sollst mit mir Karte spielen. Ich -bleibe heute Abend zu Hause, denn ich bin so sehr angegriffen.« - -»Karte, liebe Tante? Das kann ich nicht; ich habe nie Karte gespielt,« -erwiederte Agathe erstaunt. - -»So? Nun so geh' zur Cousine, sie soll es dir beibringen, damit du -morgen mit mir spielen kannst,« sagte die Tante. »Die alte Person mag -ich nicht mehr um mich haben, sie spielt auch gar zu schlecht! Gieb dir -rechte Mühe, daß du es morgen schon kannst; ich langweile mich sonst zu -schrecklich.« - -»Ich will Ihnen vorlesen, liebe Tante, das ist doch hübscher -als Kartenspiel,« wagte Agathe zu sagen, aber Madame entgegnete -verdrießlich: »Nein, laß mich damit in Ruhe, das greift meine Nerven an -und ist zum Einschlafen langweilig. Geh' nur, und lerne Kartenspiel.« - -So blieb denn Agathen nichts anderes übrig, als den Befehlen der Tante -zu gehorchen, und die alte Cousine um Unterricht in dieser völlig -unbekannten Kunst zu bitten. - -Es wurde ihr sehr schwer, alles das zu merken, was nöthig war, und der -ganze schöne Abend verging, ehe sie Boston, das Lieblingsspiel der -Tante, begriffen hatte, der schöne Abend, an dem sie sich so unsäglich -gern mit ihren Büchern beschäftigt, ihren früheren wissenschaftlichen -Arbeiten einige Zeit gewidmet hätte! - -Den Onkel sah sie beim Abendbrod erst wieder. Er war freundlich wie am -Morgen, aber um die Beschäftigungen Agathes bekümmerte er sich nicht; -das war die Sache seiner Frau, dahinein durfte er sich nicht mischen. - -Aber doch übertrug er ihr auch ein Geschäft, das Agathen mit der -Zeit sehr angenehm wurde; es war das Vorlesen der Zeitung nach dem -Abendbrode. Bald bestand in dieser Lectüre Agathes einzige geistige -Beschäftigung; denn so wie dieser erste Tag, vergingen alle übrigen, -nur mit dem Unterschiede, daß Agathe den Hund am Tage spazieren -führen mußte, statt Abends, und zwar in der einzig freien Zeit von -eins bis zwei Uhr, sobald sie ihr Mittagbrod verzehrt hatte. Doch war -die Tante so gütig, ihr noch eine halbe Stunde länger zu bewilligen, -ob zum Vortheil Agathes oder Bello's blieb freilich unentschieden. -Bald hieß das junge Mädchen bei der fröhlichen Straßenjugend, welche -sich um die Mittagszeit zum Spielen in der Nähe einfand, nur noch -das »Hundefreiln.« Aber statt sie, wie im Anfange, zu necken, half -ihr bald dieser, bald jener gutherzige Junge, den Hund zu beruhigen, -wenn derselbe seine bösen Mucken bekam, und oft genug wurde er von -solch' kecker Hand tapfer durchgeprügelt für seine Unarten, was Agathe -durchaus nicht verwehrte; denn Bellochen lernte jetzt ordentlich, was -es heißt, ein artiger Hund zu sein. - -So vergingen Agathen die Tage in ihrer neuen Heimath. Am Morgen begann -sie ihr Tagewerk mit der Toilette des Hundes, dann nähte sie bis ein -Uhr, aß geschwind, und führte alsdann ihren Schutzbefohlenen an die -Luft, was ihr freilich selbst sehr zuträglich war. Dann wurde wieder -genäht bis sieben Uhr, und regelmäßiges Kartenspiel mit Onkel und Tante -sowie schließlich die Zeitungslectüre beschloß den Tag und raubte ihr -jegliche freie Minute. Wohl versuchte sie bis in die Nacht hinein zu -lesen und zu studiren; aber dies duldete die alte Cousine mit Recht -niemals; denn Agathes zarter Körper bedurfte nach der Arbeit des Tages -unbedingt der Ruhe. Die einzige freie Zeit hatte Agathe nur, wenn die -Tante Abends ausgegangen war; aber sie ging dann auch immer so spät, -daß nur noch wenige Stunden bis zum Schlafengehen übrig blieben. Aber -doch waren diese Stunden die Freude und Wonne des eifrigen Kindes, und -an ihnen richtete sich ihr Herz auf, wenn sie oft unter der Last ihrer -geisttödtenden Arbeiten zu erliegen meinte. - -Auch an den Sonntagen gehörten einige Stunden ihr selbst, und nie -waren ihr diese Feiertage so lieb und werthvoll gewesen, als jetzt. -Regelmäßig besuchte sie dann des Morgens die Kirche, und hier fand -sie Trost für alles, was ihr Herz bedrückte, und frischen Muth, der -Zukunft hoffend entgegen zu sehen. Auch am Nachmittage blieb sie sich -einige Stunden selbst überlassen, ehe der Abend mit dem Kartenspiel -heran kam, und daß sie diese schöne Freiheit benutzte, um zu ihren -Büchern zu flüchten und Briefe an ihre lieben Freundinnen zu schreiben, -versteht sich von selbst. -- Aber wäre dem schönen Sonntage nur nicht -das Erwachen am Montag früh gefolgt, das war gar zu traurig! Wie -eine lange Kette von sechs schweren, drückenden Bleigewichten lagen -diese kommenden Wochentage vor ihr, und nie begann sie ihr Tagewerk -ohne Seufzer, sie mochte sich selbst noch so sehr deshalb schelten. -Leider zeigte sie zu den feinen Arbeiten, die sie jetzt erlernte, sehr -wenig Geschick. Es gehörten gewandte, flinke Finger dazu, und große -Leichtigkeit der Hand, um all' die Tausend Fältchen und Kniffchen und -niedlichen Zierlichkeiten hervorzubringen, wodurch aus Nichts etwas -Hübsches entsteht, und dazu war Agathe ganz und gar nicht gemacht. Sie -hatte eine schwerfällige Hand, arbeitete langsam und gewissenhaft, und -machte so kleine zierliche Stiche, als nähte sie feine Wäsche. Schon -bei dem ABC der Putzmacherkunst war sie in Verzweiflung, und Fräulein -Schneider mit ihr; was sollte erst werden, wenn die schweren Aufgaben -daran kamen. Das ABC, das jede Schülerin erst lernen mußte, um dann zu -den höheren Graden zu gelangen, war nämlich das Nähen von Millionen -dicht an einander stoßenden, kleinen Säumen, in welche Fischbeine -geschoben wurden, um dann die sogenannten Zughüte zu geben, in denen -Madame Niedrers Geschäft eine besondere Berühmtheit erlangt hatte, -weshalb denn diese massenhaften Säume auch nimmermehr ein Ende nahmen. -Staunend hatte Agathe gleich am ersten Morgen gesehen, mit welcher -Blitzesschnelle die Nadeln der jungen Mädchen bei dieser Arbeit durch -das Seidenzeug fuhren. Nun sollte sie es ebenso machen; aber damit kam -sie nun und nimmer zu Stande. Vorsichtig nähte sie Stich um Stich, -und solch Zughütchen, von ihrer Hand gefertigt, würde vielleicht am -jüngsten Tage einmal fertig geworden sein. Und wie mit dieser Arbeit, -so ging es ihr mit allen andern. Einst die beste Schülerin der ganzen -Pension, war und blieb sie die schlechteste hier in der Arbeitsstube. -Fräulein Schneider war zum Glück eine sehr gutherzige Dame und sah -wohl, wie viel Mühe sich die arme Agathe gab. Sie verschwieg ihrer -Principalin die Ungeschicklichkeit des jungen Mädchens; aber freilich -änderte sie dadurch in der Sache nichts, und Agathe fühlte sich von -Tage zu Tage muthloser. Dazu kam, daß Bello krank wurde und sie diesem -unleidlichen Gesellen jetzt jede ihrer freien Stunden opfern mußte. Das -Thier litt zuweilen an Krämpfen, und wenn diese sich einstellten, dann -gerieth das ganze Haus in Aufregung. Madame Niedrer lag schluchzend im -Sopha, unfähig ihren Schmerz zu überwinden, oder sie kniete neben dem -Lager des Hundes, Agathen zusehend, wie sie nach Angabe des Thierarztes -den Kranken mit aller Anstrengung frottirte, daß ihr der Schweiß von -der Stirn rann, oder das Thier in warme Decken einhüllte, die immer neu -erwärmt werden mußten. Bei solchen Krankheitszufällen hatte Agathe auch -in der Nacht keine Ruhe; denn alsdann stand das Bett des Hundes neben -dem ihren, und sie mußte viele Male in der Nacht aufstehen, dem Thiere -auf der Spirituslampe süße Milch zu erwärmen und ihm dieselbe dann -einzuflößen. Die Cousine half dabei natürlich gern und nahm Agathen die -Hälfte der Arbeit ab; aber Agathe war doch immer in Angst und Sorge; -denn ihr war der Hund anvertraut, und passirte ihm etwas, so bekam sie -die Vorwürfe. Bello war gewöhnt, stets bei der Nachtlampe zu schlafen, -und so brannte dieselbe natürlich auch jetzt neben Agathes Bett. In -einer Nacht aber war das Licht ausgegangen, und Bello bekam in Folge -davon wieder seine Krämpfe; denn das zarte Geschöpf hatte sich über -die ungewohnte Finsterniß alterirt, die es umgab. Kein Mittel wollte -helfen, und am nächsten Tage war Bello so krank, daß Madame Niedrer -fassungslos umherirrte. - -»Fahre mit ihm nach der Klinik, Agathe,« rief sie weinend, »ich kann es -nicht, ich bin zu trostlos!« - -So holte sich denn Agathe einen Wagen, nahm Bello auf den Schoos und -fuhr nach der Thierarzneischule. Es war eine entsetzliche Fahrt, -denn jeden Augenblick dachte sie, das Thier würde sterben. In der -Klinik wurde sie von einer Menge junger Aerzte umringt, welche sich -des Hundes anzunehmen schienen, hierbei aber Agathen mehr ansahen, -als den armen Bello. Das junge Mädchen wurde von Minute zu Minute -unruhiger; tödtliche Verlegenheit und Angst färbte ihre zarten Wangen -immer tiefer; aber gerade dies erhöhte ihre Schönheit, und beifälliges -Flüstern erhob sich rings um sie her. Sie fühlte, wie unpassend es -war, daß sie allein hier unter den jungen Aerzten stand; aber was -sollte sie thun? Den Hund konnte und durfte sie nicht verlassen, und -ein älterer Mann, der sich mit ihm beschäftigte, fand gar kein Ende in -seinen Untersuchungen. »Lassen Sie den Hund hier, und holen Sie ihn -morgen wieder ab, meine Dame, falls er da noch lebt!« sagte endlich -der alte Herr, und froh aufathmend eilte Agathe davon, umringt von den -jungen Aerzten, die ihr die Thür öffnen, ihr einen Wagen herbeirufen, -sie begleiten, kurz ihr alle möglichen Dienste erzeigen wollten. -Schluchzend kam Agathe zu Hause an; denn das schüchterne Kind war außer -sich über das, was sie hatte ertragen müssen, und ihre Aufregung war so -groß, daß Madame Niedrer's Vorwürfe darüber, daß sie den Hund in der -Klinik gelassen, gar keinen Eindruck auf sie machten. Als aber Madame -am andern Tage verlangte, sie solle wieder hingehen und Bello abholen, -da erklärte sie mit einer für die Tante völlig neuen Entschiedenheit, -das thue sie nicht, die Cousine möge hingehen. Trotz Madames Zorn ob -solcher Opposition ließ sich Agathe nicht bestimmen, und so wurde -wirklich die Cousine an ihrer Stelle abgeschickt. Zum Glück war Bello -wieder gesund; Agathe aber haßte ihn jetzt nur doppelt, denn die Angst -und Sorge um ihren Liebling ließ Frau Niedrer gar nicht mehr zu Ruhe -kommen, und Agathe hatte schlimmere Tage als je. Heulte und wimmerte -das Thier, so sollte sie dafür einstehen; denn die Tante behauptete, -sie besorge ihn schlecht. Lief er in plötzlicher Laune zur Thür hinaus, -so mußte sie von der Arbeit fort hinter ihm d'rein springen, um ihn -zurück zu holen, damit er sich nicht wieder erkälte, und kam sie dann -athemlos zurück, so zitterten ihr die Hände von dem Kampfe mit dem -widerspenstigen Thiere, und die Arbeit wollte noch weniger gehen, als -bisher schon. So verging Woche um Woche; ihre Lage wurde nur schlimmer -statt besser. Zum Lesen und Lernen kam sie jetzt gar nicht mehr, und -ein schwerer, stiller Trübsinn lagerte sich auf ihr Herz. Es war ihr -alles gleichgültig; am liebsten wäre sie im Grabe bei ihrer lieben, -theuren Mutter gewesen, denn das Leben hatte trotz ihrer Jugend gar -keinen Reiz mehr für sie. - - - - - Fünftes Kapitel. - - Wiedersehn. - - -Still und in sich gekehrt ging Agathe eines Tages vor einem der Thore -Leipzigs spazieren. Der Sommer war in voller Pracht in das Land -gezogen; in den Gärten standen Rosen und Lilien in voller Pracht, und -die blühenden Lindenbäume neigten ihre duftenden Zweige zu dem jungen -Mädchen herab, als wollten sie ihr Liebes und Freundliches erzeigen. -In dem frischgrünen Laube der schattigen Baumgänge, unter denen Agathe -dahin schritt, sangen die Vögel fröhliche Lieder, und die Sonne blickte -mild und warm vom blauen Himmel hernieder. Aber Agathe hatte heute für -gar nichts Sinn. Allerlei Verdruß und Aerger bedrückte ihr Herz mehr -als gewöhnlich, und sie fühlte sich so einsam, so allein in der Welt, -daß sie sich wie verstoßen vorkam. Thräne auf Thräne rollte über ihre -Wange, und müde setzte sie sich endlich auf eine der Bänke, welche -unter den Bäumen standen. Bello war ungewöhnlich artig und legte sich -ruhig zu ihren Füßen nieder, und so wurde sie durch nichts von ihren -Gedanken abgezogen. - -Aber plötzlich fuhr sie zusammen; der Ton einer Stimme schlug an ihr -Ohr, und wie träumend starrte sie in ein liebes, treues, nur gar zu -wohl bekanntes Gesicht. - -»Mein Goldkind, bist du es denn wirklich? Muß ich dich gleich hier -finden, mein armes kleines Vögelchen?« so rief schon von Weitem die -bekannte Stimme der alten Soltatenfrau, und in ihrer ganzen gewichtigen -Höhe und Breite stürmte sie mit großen Schritten auf Agathe los. - -»Anne, meine Anne!« jubelte das junge Mädchen und flog mit offenen -Armen an die Brust der alten, treuen Seele, und laut schluchzend -umschlang diese ihren Liebling. - -»Ach Anne, dich schickt mir der liebe Gott!« sagte endlich Agathe. -»Gerade heute wollte ich ganz verzagen, und aller Muth war mir -entschwunden. Aber nun ist alles gut, nun bist du hier, nun habe ich -jemanden, der mich lieb hat. Nicht wahr, du bleibst hier, Anne? Du -ziehst hierher und läßt dein armes Kind nicht mehr allein? Ach Anne, -wenn du wüßtest, wie traurig ich bin, du verließest mich nicht wieder!« - -»Nun will ich denn das, mein Herzkäferchen? Will ich denn wieder fort? -Habe ich nicht meine ganze Bagage im Train, damit ich hier Quartier -nehme?« rief die Alte fröhlich und lachte mit ihrer lauten, rauhen -Stimme, daß die Vorübergehenden verwundert auf das sonderbare Pärchen -blickten. Die alte Soltatenfrau war eine geborne Schlesierin und -hatte heute den großen Staat ihrer Heimath angelegt, welche Tracht -sich allerdings unter den glatten, weißen Mützchen und den modischen -Kleidern der Leipziger Stubenmädchen gar wunderlich ausnahm. Sie trug -einen feuerrothen Rock mit weiter Schürze und Mieder, darüber den -rothen schlesischen Frießmantel, welcher, wie der blaue Regenschirm, -Sommer und Winter den Schlesier begleitet, und den Kopf deckte eine -Mütze mit langen Bändern, von einem großen, schwarzseidenem Tuche -umschlungen, dessen Schleifen wie ein Paar mächtige Fächer über der -Stirn schwebten. - -Agathe war so glücklich über das Wiedersehen ihrer treuen Anne, daß -ihr alle Traurigkeit entschwunden war. Froh, der braven Freundin ihr -Herz öffnen zu können, erzählte sie alles, was ihr begegnet, und alles -Leid, das sie zu tragen hatte. Anne begleitete die Erzählung mit den -theilnehmendsten Zeichen und Ausrufungen, indem sie wie ein =Telegraph= -mit ihren langen Armen in der Luft umher focht; glückselig aber war -sie, daß sie Agathe wenigstens den Trost geben konnte, sie werde sich -ihrer nun aus allen Kräften annehmen, da sie ihr so nahe sei. - -»Ach gute Anne, du kannst mir ja doch nicht helfen!« seufzte Agathe. -Aber im Herzen hoffte sie doch wieder von Neuem, seit sie diese treue -Seele neben sich wußte. - -»Wer weiß, ob ich dir nicht einmal beistehen kann, wo du es am -wenigsten denkst,« sagte die Alte, und schritt gedankenvoll neben -Agathe her, die sich bei diesem Wiedersehen schon sehr verspätet hatte -und nun eilte, nach Hause zu kommen. - -»Besuche mich morgen ganz früh, Anne, den Tag über habe ich keine -Zeit,« rief Agathe noch beim Abschied; dann winkte sie der Alten noch -einmal zu und flog die Treppe hinauf. - -»Du armes, armes Vögelchen! Das ist kein Ort für dich!« sprach Anne -leise, indem sie ihr nachblickte und dann still ihres Weges ging. - -»Wie sie bleich aussieht und mager. Diese Tante muß gar kein Herz im -Leibe haben, sonst könnte sie solche kleine, blasse Blume nicht von -früh bis Abend an die Näherei schmieden, wie einen Galeerensträfling!« - -Das Wiedersehen ihrer alten treuen Freundin hatte Agathen so fröhlich -gestimmt, daß die Cousine ganz verwundert drein schaute, sich aber -herzlich mit dem jungen Mädchen freute, als sie den Grund zu deren -Frohsinn erfuhr. - -»Gegen die Tante sprich aber lieber nicht davon; sie liebt solche -Besuche nicht,« sagte die Cousine, und da Agathe überhaupt in Gegenwart -der Tante sehr wenig sprach, so wurde es ihr nicht schwer, gegen -dieselbe zu schweigen. Dem Onkel aber theilte sie die Anwesenheit der -Alten mit, sobald sie einmal mit ihm allein war, und in seiner milden -Weise nahm auch er herzlichen Antheil an der Freude des guten Kindes. - -Anne kam am folgenden Morgen, wie sie versprochen, ihren Liebling zu -besuchen, und aus den weiten Taschen ihres rothen Frießrockes holte sie -eine Menge Briefe und kleine Geschenke heraus, welche die Freundinnen -der Pension an Agathe schickten. O, was für eine Freude war das, welch -ein herrlicher, glücklicher Tag! Das junge Mädchen lachte und weinte -vor Entzücken, und fiel ihrer Anne immer wieder dankend um den Hals. -Die ganze unaussprechliche Sehnsucht ihres Herzens nach den vergangenen -Zeiten war durch diese Boten aus der Heimath ihrer Kinderjahre über sie -gekommen. - -Anne versprach, Agathen recht oft zu besuchen, und sie hielt Wort; -öfter aber noch traf sie mit ihrem Lieblinge auf deren täglichen -Spaziergängen zusammen, wodurch dieselben nicht wenig an Reiz gewannen. - -Wieder verging Woche um Woche; der Herbst vertrieb den Sommer, und -die fallenden Blätter deckten die Laubgänge vor der Stadt, in denen -Agathe so gern auf und nieder wandelte. Aber wenn auch die Natur um sie -her ein anderes Ansehen gewann, die Lage Agathes blieb dieselbe. Kein -freundlicher Hoffnungsstern wollte an ihrem Himmel aufgehen, wie sehr -sie ihn auch ersehnte und Plan auf Plan schmiedete und selbst an den -Eisenstäben zu rütteln versuchte, die sie umschlossen. - -Eines Tages jedoch schritt ihr die alte Soldatenfrau in großer -Aufregung entgegen, und kaum erreichte ihre rauhe Stimme Agathen, als -sie fröhlich ausrief: »Hurrah, mein Goldkind, ich sehe Licht! Helles -Licht, sage ich dir!« Dabei focht sie mit ihren großen Händen gewaltig -in der Luft umher, als risse sie dunkle Schleier herab, die besagtes -Licht verhüllten. »Die Bresche ist geschossen, nun muß auch die Festung -bald fallen; denn die Bresche ist die Hauptsache, sagte mein Corporal, -wenn er sich vor einer Attaque den Schnurrbart strich,« schloß sie -dann und fuhr sich über die Lippen, um zu zeigen, wo der Schnurrbart -gesessen, der so regen Antheil an den Berathungen ihres Corporals hatte. - -»Aber was giebt's denn nur, Anne, was hast du nur?« rief Agathe -neugierig und zog die Alte auf eine Bank. - -»Was es giebt? Eine Stelle giebt es für dich, mein Vögelchen!« jubelte -die Alte. »Aber wie gesagt, Sturm müssen wir laufen, sonst kommt uns -ein Anderer zuvor, oder deine Frau Tante bekommt gar Wind und verrennt -uns den Weg.« - -»Eine Stelle? Du träumst wohl, Anne; für mich eine Stelle?« rief Agathe -ungläubig. »Was soll ich armes Ding denn für eine Stelle ausfüllen! -Ich kann ja nichts als Hunde warten und Karte spielen! Nicht einmal -Putzmachen begreife ich; ich bin ja zu gar nichts zu gebrauchen!« - -»Das wird sich finden!« sagte die Alte stolz und schüttelte den grauen -Kopf, daß die Fächer ihrer Mütze hin und her schwankten. »Jeder -soll thun, was für ihn paßt! Putzmachen ist eine gute, ehrenwerthe -Beschäftigung, das versteht sich; aber wer kein Geschick dazu hat, -sondern Kopf zu was anderm, der soll sich damit nicht abquälen, sondern -lieber das thun, was ihm leichter wird! Ich kenne dich besser und weiß, -wer in der Pension stets die beste Schülerin gewesen ist! Es ist mir -ganz egal, was du seitdem gethan hast; in dir steckt mehr, das muß ich -wissen. Ich kenne mein liebes Kind vom ersten Tage an, als es auf die -Welt kam, damit Basta!« - -»Aber so sag' doch, was hast du denn für eine Stelle?« lachte Agathe -und ergriff zärtlich die schwielige Hand der braven Freundin. - -»Nun du weißt doch, daß ich die Aufwartung bei Madame Groß übernommen -habe,« hub die Alte geheimnißvoll an. »Diese hat jetzt Besuch von ihrem -Bruder, der mit seiner kranken Frau nach Frankreich oder Italien, oder -wo es ist, gehen will. Da kam mir denn ein Gedanke: »Wenn sie für die -arme, kranke Dame nur eine weibliche Begleitung hätten, liebe Madame -Groß,« sagte ich gestern Abend zu meiner Herrin, und hatte so meine -Absichten. »Eine Kranke bedarf so manches, was der Mann nicht versteht, -und die liebe, kranke Dame wird das gewiß später empfinden. Sehen Sie, -Madame,« sagte ich weiter, »mein Corporal war der beste Mann in der -ganzen Welt; aber wenn ich krank im Bett lag, da war er wie ein kleines -Kind; es fehlte an allen Ecken; denn er verstand gar nichts, was nicht -zum Dienste gehörte.« Was meinst du nun, mein Goldkind, was ich bei -den Worten im Sinne hatte? Nichts anderes, als daß du die Leute als -Gesellschafterin begleiten solltest!« schloß die Alte mit glänzenden -Augen, »und ich glaube, es wird was draus, denn Madame Groß fand meine -Gedanken vortrefflich.« - -»Ich, Anne, Gesellschafterin? Ach, mein Gott, wo denkst du hin!« rief -Agathe ganz erschrocken. - -»Aber warum denn nicht?« sagte die Alte eifrig. »Ist es nicht besser, -du pflegst eine gute, kranke Dame (denn sehr gut ist sie, das habe -ich gemerkt), als daß du Hunde wartest und dich zu Tode stichelst? -Denke doch, sie gehen vielleicht nach Frankreich; da kannst du ja noch -was lernen und siehst dich in der Welt um! Hier bei deiner elenden -Putzmacherei verkümmerst du ganz; ich kann das nicht länger mit -ansehen. Gelt, Schäfchen, du gehst darauf ein?« - -Agathe begriff nur zu wohl, wie Recht die treue Seele hatte, und die -Aussicht, in fremde Länder zu gehen, und dort noch vieles zu sehen und -zu lernen, was für ihre Ausbildung nützlich sein mußte, tauchte wie ein -Strahl freudiger Hoffnung vor ihren Blicken empor. - -»Aber sie werden mich nicht nehmen, Anne,« seufzte sie traurig. - -»Dafür laß mich sorgen, das wird sich finden,« sagte die Alte. »Meine -Bresche ist gut angelegt, ich werde schon siegen, da ist mir nicht -bange. Aber deine Tante, das ist die Hauptsache, die wird nicht -wollen. Sie hat von dir wenig Kosten; du lieber Gott, was braucht denn -so ein armes, kleines Vögelchen; aber Hülfe hat sie von dir in Menge, -und gewiß denkt sie, du sollst einmal Directrice in ihrem Geschäft -werden, damit sie die jetzige nicht mehr zu bezahlen braucht. Die alte -Cousine hat neulich so was gesagt, und die Sache wäre freilich für sie -bequem.« - -»Ach, mein Gott, das wäre ja schrecklich!« rief Agathe, und dachte mit -Entsetzen an die zehn Jahre, in welchen Fräulein Schneider bereits -jenen hohen Directricensitz einnahm, und der ihrer wartete, um sie ihr -ganzes Lebenlang dort fest zu halten. - -»Aber wie soll ich es der Tante sagen? ich werde dazu nie den Muth -haben!« fuhr Agathe ängstlich fort. - -»Nun laß mich nur machen; es soll schon alles gut gehen!« tröstete -Anne. »Morgen gehst du mit mir zu Madame Groß, ihr lernt euch -gegenseitig kennen, und das andere findet sich dann.« - -Am andern Tage trat denn die gute Anne Sommer getrost mit ihrem -Liebling in das Zimmer ihrer Herrin, und mit einem fröhlichen: »Na, da -ist das Goldkind, Madame!« schob sie militärisch grüßend, zwei Finger -an die Fächer ihrer Haube gelegt, die schüchterne Agathe vor Madame -Groß hin. - -»So jung noch, und so zart?« konnte sich die Dame nicht enthalten, -auszurufen, als sie Agathen betrachtete. »Sie wird sich für diese -Stelle nicht eignen, liebe Sommer.« - -»Soll sie denn die kranke Madame heben und tragen?« sagte die -Soldatenfrau barsch. - -»Nein, das soll sie nicht!« entgegnete Madame Groß. »Aber sie würde -doch zuweilen des Nachts aufstehen müssen, oder dergleichen Dinge thun, -und wenn sie schwach und kränklich ist, so hält sie das nicht aus; denn -das Leben bei einer Kranken ist angreifend.« - -»Aber ich bin nicht schwach, wenn ich auch bleich aussehe,« sagte -Agathe jetzt angstvoll, denn sie fürchtete so sehr, abgewiesen zu -werden. - -»Kommen Sie mit zu meiner Schwägerin, liebes Kind; sie mag selbst -entscheiden,« sagte endlich Madame Groß nach einigem Zögern, und -bald stand Agathe vor der Kranken, einer sanften, jungen Frau, deren -durchsichtige Farbe die böse Krankheit verkündete, welche ihren zarten -Körper zerstörte. Sie blickte Agathen mit sanftem, seelenvollem Blicke -an, und dieser traten Thränen in das Auge; denn unwillkürlich dachte -sie an ihre geliebte Mutter, die ja auch so zart und leidend ausgesehen -hatte, ehe sie von der Erde schied. Frau von Menzel, so hieß die -Kranke, bat Agathen, sich neben sie zu setzen und erkundigte sich nach -ihren Verhältnissen. Agathe erzählte anfangs zaghaft und schüchtern; -aber die rege Theilnahme der Kranken flößte ihr bald großes Vertrauen -ein, und offen legte sie derselben nun ihre ganze Lage dar und -verhehlte nicht, wie innig sie wünschte, bei ihr bleiben und mit ihr -gehen zu können. -- Frau von Menzel reichte dem jungen Mädchen endlich -die Hand und sagte freundlich, sie gefalle ihr sehr wohl, und herzlich -wünsche sie ihre Begleitung. Deshalb, wenn sie mit ihnen gehen wollte, -so möge sie nur mit ihren Verwandten darüber Rücksprache nehmen. Aber -freilich sei nicht viel Zeit zu verlieren, denn schon in drei Wochen -wollten sie abreisen. - -Agathe küßte voll des innigsten Dankes die Hand der gütigen Dame. -Ihr Herz fühlte sich unbeschreiblich zu ihr hingezogen, und mit -aufrichtiger Freude versprach sie, alles zu thun, um die Zufriedenheit -derselben zu verdienen. Mit frohem Herzen kehrte sie dann zu ihrer Anne -zurück, und diese war so glücklich über das Gelingen ihres Planes, daß -sie wie ein Kind sprang und tanzte. - -»Aber nun die Tante; ach, wäre das erst überstanden!« jammerte Agathe. -»Wenn ich es nur dem Onkel sagen könnte; aber ich sehe ihn ja nie -allein. Und was hilft das auch; er schickt mich doch zu der Tante, denn -er fürchtet sich, ihr etwas Unangenehmes zu sagen.« - -»So nimm das Herz in die Hand, und geh' gleich zu ihr,« sagte Anne. -»Ich warte in der Küche draußen auf die Antwort; zu Hause läßt es mir -doch keine Ruhe.« - -Agathe that, wie Anne ihr gerathen, und nun stand sie vor der Thür, -die zu dem Zimmer der Tante führte. Sie hörte ihr Herz ordentlich -klopfen und kämpfte nach Athem; endlich aber drückte sie muthig auf die -Thürklinke, und nun war sie im Zimmer. - -»Liebe Tante, wenn ich Sie nicht störe, möchte ich Ihnen etwas sagen,« -begann sie ziemlich kühn. - -»Was willst du? Warum bist du nicht bei der Arbeit?« sagte die Tante -streng und blickte nach der Uhr, welche Arbeitszeit verkündete. - -»Ich.. ich werde das Putzmachen doch nie lernen, verzeihen Sie, liebe -Tante!« stotterte Agathe, ihre muthige Haltung schon etwas verlierend. - -»Du wirst es nie lernen? Was soll das heißen? Du willst nicht, bist -faul, ich weiß es lange!« fuhr die Tante auf. »Aber es hilft dir alles -nichts, du sollst dein Brod hier nicht umsonst essen, sondern es dir -verdienen; verstehst du mich? Jetzt geh' und bessere dich, und laß mich -solche Reden nicht wieder hören! Du bist ein armes Mädchen; du mußt -daran denken, dir dein Brod später selbst zu verdienen.« - -»Ja wohl, liebe Tante, das will ich auch,« stammelte Agathe. »Wenn Sie -es mir erlauben, so möchte ich eine Stelle annehmen.« - -»Eine Stelle?« rief die Tante staunend. »Ich glaube, du weißt nicht, -was du sprichst! Was willst du ungeschicktes Mädchen denn für eine -Stelle annehmen?« - -»Ich soll eine kranke Dame nach Italien begleiten,« sagte Agathe -wieder muthiger. »Sie will mich mitnehmen, wenn Sie es mir erlauben.« - -»Will dich mitnehmen? Also alles schon fix und fertig verabredet?« -rief die Tante jetzt, und ihr Zorn loderte empor. »Also hinter meinem -Rücken schmiedest du solche Ränke, du falsches Mädchen? Ohne mir vorher -ein Wort zu sagen, läßt du dich von andern Leuten engagiren! Aber, -mein liebes Kind, daraus kann ein für alle Mal nichts werden! Du wirst -hier bleiben und nach wie vor dich beschäftigen, wie bisher; denn -ich sehe wohl, es ist Faulheit, was dich forttreibt! Du denkst, als -Gesellschafterin wirst du ein bequemes Leben führen und in der Welt -umher reisen. Laß es dir lieb sein, daß ich dich davon zurück halte, -denn du würdest gar bald sehen, wie sehr du dich geirrt hast.« - -»Aber liebe Tante, ich würde französisch lernen und vielleicht dann -Erzieherin werden können, wenn ich die Dame begleite. O bitte, bitte, -erlauben Sie es mir doch?« flehte Agathe weinend und mit dem Muthe der -Verzweiflung. - -»Nein, sage ich dir! Meine Erlaubniß bekommst du nicht!« fuhr die Tante -heftig auf. »Erzieherin! Glaubst du, die wird man so mir nichts, dir -nichts durch ein Bischen französisch schwatzen? Dummes Zeug! Schweig -jetzt, und geh an die Arbeit! Das ist mein letztes Wort über die Sache!« - -Weinend eilte Agathe zu ihrer alten Anne, die ihrer in der Küche -harrte. Aber kaum hatte sie der treuen Seele ihr Leid geklagt, als sie -die Stimme der Tante hörte. Geschwind schob sie die alte Soldatenfrau -die Hintertreppe hinab und flog in das Arbeitszimmer, um neuer Schelte -zu entgehen. Aber wie viel stille Thränen, wie viel Seufzer und wie -viel Gedanken begleiteten nun jeden Stich, den ihre Nadel langsamer und -schwerfälliger als je zu Stande brachte. - - - - - Sechstes Kapitel. - - Treue Hülfe. - - -Frau Anne Sommer war zwar die Hintertreppe hinab gegangen, da Agathe es -so gewollt; aber gedankenvoll und leise vor sich hin brummend, trabte -sie die Treppe im Vorderhause wieder herauf, klingelte, und ließ sich -bei Madame Niedrer anmelden. - -»Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe!« sagte die Alte mit ihrer -rauhen Stimme und schritt auf Madame Niedrer zu, welche mit höchster -Verwunderung diesen sonderbaren Besuch eintreten sah. - -»Ich bin Fräulein Agathes frühere Dienerin, Madame!« fuhr die Alte -weiter fort, »und habe eine große Bitte an Sie.« - -»Mein Gott, nicht einmal in seinem Zimmer ist man vor Betteleien -sicher!« rief die Angeredete unwillig und ergriff den Klingelzug. - -»O bitte, ich bettle nicht!« sagte die Alte stolz und richtete sich in -ihrer ganzen Länge auf. »Ich komme nur, um für Fräulein Agathe etwas zu -bitten.« - -»Was will Sie? Ich habe keine Zeit; rede Sie schnell!« rief Madame -Niedrer heftig. - -»Madame, Ihre Nichte wünscht eine Stelle anzunehmen; ich bitte Sie -flehentlich, erlauben Sie ihr das!« sprach die Alte nun laut und -dringend, aber immer noch bescheiden, wie bisher. - -»Was geht das Sie an; damit hat Sie gar nichts zu schaffen!« rief -Madame zornig. »Sie ist es gewiß, die ihr die Stelle suchte und das -undankbare Mädchen gegen ihre eigenen Verwandten aufhetzte. Auf der -Stelle gehe Sie, oder ich klingle, daß man Sie hinaus bringt!« - -»Hoho, Madame, sprechen Sie so, so brauche ich auch nicht hinter dem -Berge zu halten!« brach nun Anne Sommer los und athmete schwer und -tief. »Ja, ich bin es, da haben Sie recht; aber ich bin es auch, der -das arme Kind lieber ist, als irgend jemanden in der ganzen Welt. Und -darum will ich, daß sie glücklich wird. Hier aber geht sie ganz und gar -zu Grunde, und d'rum soll sie fort. Sind Sie denn von Stein, Madame, -daß Sie es mit ansehen können, wie das arme, zarte Kind leidet an -Körper und auch an ihrem Geiste? Denn sie arbeitet sich elend und grämt -sich zu Tode, daß sie nicht noch etwas lernen und sich weiter ausbilden -kann. Darum, Madame, entweder Sie erlauben ihr, daß sie lernt statt zu -nähen, oder Sie lassen sie fort.« - -Die Alte hatte in ihrem Eifer die Hand empor gehoben; ihre Augen -blitzten, und drohend stand sie vor der Frau des Hauses. Diese -war zuerst etwas überrascht; bald aber faßte sie sich und sagte, -die Klingel ziehend: »Augenblicklich verläßt Sie mein Haus, Sie -unverschämte Person! Meine Nichte bleibt hier und wird Putzmacherin, -damit Punktum; Sie aber läßt sich nie wieder blicken!« - -Dabei gebot sie der eintretenden Dienerin, das Weib fortzubringen; sie -selbst aber verließ stolz und heftig das Zimmer. - -»So also geht's nicht!« brummte Anne vor sich hin, als sie wieder auf -der Straße war. »Du hast dem armen Kinde mehr geschadet, als genützt; -das war dumm von dir, Anne. Jetzt strenge deinen alten Kopf an; denn -fort muß sie, nun erst recht. Jetzt hat sie's nun gewiß doppelt -schlimm, die arme, kleine Maus.« - -Das war allerdings der Fall. Die Tante war so unfreundlich und streng -gegen Agathe und gönnte ihr so wenig freie Zeit, daß das arme Mädchen -es kaum geduldig ertragen konnte. Und was sollte aus ihrer Stelle -werden! Die Tante gab nie ihre Einwilligung, das wußte sie jetzt nur -zu gut, und ohne dieselbe konnte sie natürlich nicht fort. Den Onkel -um Hülfe zu bitten, war auch nutzlos; denn wo die Tante so entschieden -gesprochen, verhallte sein Wort und Wille wie ein Ton im Winde. Und -doch verging die Zeit, und konnte sie diese Stelle nicht annehmen, wer -weiß, wann sich wieder etwas so Passendes finden würde. - -Agathe fand Tag und Nacht keine Ruhe, und die gute Cousine, der sie ihr -Herz ausschüttete, wußte auch weder Rath noch Hülfe. Auch Anne Sommer -war Anfangs sehr aufgeregt und sorgenvoll gewesen, seit einiger Zeit -jedoch schwieg sie, schien aber so sicher und guten Muthes zu sein, -daß Agathe sie nicht begriff; denn ihr war jede Hoffnung entschwunden. -»Sage nur der guten Frau von Menzel, wie sehr ich ihr danke und wie ich -bedaure, sie nicht begleiten zu können, Anne,« sagte Agathe weinend, -und Anne nickte still mit dem Kopfe, sah aber ganz heiter dabei aus, -als lache sie in sich hinein. - -So waren zwei Wochen von der Zeit verstrichen, welche bis zur Abreise -Frau von Menzel's noch vergehen sollten. Agathe gab sich Mühe, gar -nicht mehr an ihre schönen Hoffnungen zu denken; aber natürlich wollte -ihr das nicht gelingen, sie wurde nur immer trauriger. - -In ihre Gedanken verloren, schritt sie eines Tages wieder unter -den Linden auf und nieder, und unwillkürlich verglich sie das -gelbe, trockene Laub am Boden, das unter ihrem Fuße rauschte, mit -den gestorbenen Hoffnungen ihrer Jugend. Da sah sie Anne Sommer in -ungewöhnlicher Hast auf sich zukommen; sie hatte einen Zettel in der -Hand und sagte freudig: »Nun ist's gut; jetzt hab' ich alles, was ich -brauche. Nun kommt es nur auf dich an, ob du willst oder nicht, mein -Herzkind!« - -»Was soll ich denn wieder, Anne; was hast du denn wieder im Sinn?« -sagte Agathe niedergeschlagen. - -»Ob du mit Frau von Menzel reisen willst!« rief Anne lebhaft. - -»Ach laß doch nur dies unglückliche Thema!« sagte Agathe sich -abwendend, denn die Thränen brachen ihr wieder hervor. »Du weißt ja, -ich darf nicht.« - -»Ja du darfst! Hier steht es schwarz auf weiß!« jubelte Anne und hielt -ihren Zettel triumphirend empor. »Madame freilich erlaubt es nicht, das -steht fest; aber was thut uns das? Dein Vormund ist der Onkel, und der -hat es mir hier drauf geschrieben, daß er nichts dagegen hat. Na, Mühe -freilich hat's gekostet, ehe er sich dazu entschloß; denn seine böse -Frau durfte nichts davon wissen. Aber ich habe ihm keine Ruhe gelassen, -habe ihm das Herz so weich gemacht, daß er dir doch endlich seine -Erlaubniß gab. Denn gut ist er und helfen möchte er dir, das muß ich -sagen; aber die Furcht vor der Frau läßt ja alles das nicht aufkommen!« - -»Wie? Du hast die Erlaubniß des Onkels?« rief Agathe in in höchster -Verwunderung »Wo hast du ihn denn gesprochen?« - -»In seinem Comptoir, mein Schäfchen! Drei Mal bin ich bei ihm gewesen -und habe ihn bestürmt, bis ich den Zettel hatte!« rief die Alte und -rieb sich vergnügt die harten Hände, daß es raschelte. »Aber Abschied -zu Hause darfst du freilich nicht nehmen, dann wäre alles umsonst. -Madame sperrte dich sicher ein; darum entschließe dich nur und komm -gleich mit mir, das ist das Allerbeste; es ist alles schon vorbereitet.« - -»Wie? Ich soll gleich mit dir kommen?« rief Agathe, die Augen weit -öffnend. »So ohne Abschied, ohne alles, ohne....« - -»Ja den Abschied von deiner zärtlichen Tante, den mußt du freilich dran -geben,« lachte die Alte; »alles andere aber ist besorgt, da sei ruhig. -Die alte Cousine packt eben deine Sachen zusammen, die ich in der -Dämmerung abhole; sie weiß um alles, ist aber verschwiegen und freut -sich, daß du fort kommst. In meiner Wohnung bleibst du bis zur Abreise -von Menzels. Auch sie wissen um unsern Plan und reisen deshalb einige -Tage früher; die guten Menschen, sie haben dich so lieb gewonnen.« - -»Aber das ist ja eine wahre Entführung! Ich laufe ja davon, als wäre -ich ein Verbrecher rief Agathe ganz außer sich vor Bestürzung. - -»Nun ja, was bleibt denn anders übrig, wenn dein Onkel seine Frau nicht -zwingen kann und will?« lachte die Alte. »Er hat ja eine Furcht vor -ihr, als wäre sie Napoleon seine größte Kanone!« - -»Aber dem Onkel muß ich Lebewohl sagen; von ihm kann ich nicht so -fortlaufen, es wäre zu abscheulich!« sagte Agathe. - -»Nun dann komm schnell, und besuche ihn in seinem Comptoir,« drängte -die Alte. »Bis zwei Uhr ist er dort allein; das trifft sich gut.« - -Eilig gingen die beiden Freundinnen nach dem Arbeitszimmer des Onkels, -der in großer Unruhe in demselben auf und nieder ging. - -»Agathe!« rief er freudig, als das junge Mädchen schnell bei ihm -eintrat, und zog dasselbe an die Brust. - -»O mein lieber, lieber Onkel!« schluchzte Agathe, »verzeihe mir!« - -»Ich habe dir nichts zu verzeihen, Kind!« sagte Herr Niedrer sanft. -»Ich sehe ein, daß es besser für dich ist, du verläßt unser Haus und -nimmst die Stelle bei jenen braven Leuten an. Deshalb habe ich auch -meine Einwilligung dazu gegeben. Gehe mit Gott, mein gutes Kind, und -bleibe gut und brav. Alles andere laß dich nicht kümmern; ich weiß, was -ich thue. Du kannst ruhig sein, sowohl was dich selbst, als auch was -mich betrifft. Bist du in Noth, so wende dich getrost an mich; mein -Herz wird dir immer offen sein, wenn es auch mein Haus in Zukunft nicht -mehr sein kann.« - -Agathe konnte sich schwer von dem Onkel trennen; aber Fremde kamen, -und nach einer letzten innigen Umarmung eilte sie fort. Die treue Anne -hatte in ihrem Stübchen alles zum Empfange des lieben Gastes bereitet, -und bald schloß sie die Thür hinter der Entführten. - -»Hier bist du sicher, mein Vögelchen!« rief sie fröhlich. »Hier finden -dich selbst die scharfen Augen deiner Frau Tante nicht.« - -Agathe saß stumm und traurig da, und alle Fröhlichkeit der guten -Soldatenfrau war nicht im Stande, sie zu erheitern. Ihre Gedanken -flogen nach dem Hause, das sie verlassen; sie kam sich wie eine -Verbrecherin vor. Im Geiste sah sie den furchtbaren Zorn der Tante, -die jetzt schon ihr Ausbleiben bemerken mußte. Dann kam die Stunde, -in welcher der Onkel heimkehrte, und in Todesangst dachte sie daran, -daß er vielleicht eben jetzt der Tante ihre Flucht mittheilte; denn er -hatte versprochen, sich ihrer treu anzunehmen, und sie zu vertheidigen -und zu schützen. - -»Unsinn! Er ist der Generalfeldmarschall seiner Truppen; was er will, -muß in seinem Hause geschehen, so gehört sich's!« sagte Anne Sommer mit -grimmigem Ernst, als Agathe ihre Sorge aussprach, der Onkel werde um -ihretwillen gewiß viel Aerger und Verdruß zu leiden haben. »Hätte er -es dir nicht erlaubt, würdest du natürlich nicht desertirt sein. Aber -jetzt beruhige dich, und sei kein Närrchen. Heute Abend werde ich ja -erfahren, wie es dort steht.« - -In der Dämmerstunde holte Anne Agathes Koffer ab, den die alte Cousine -heimlich gepackt hatte, und durch sie erfuhr denn die Alte, daß es -freilich einen sehr heftigen Auftritt zwischen Herrn und Madame Niedrer -gegeben habe. Der Herr sei aber so fest und bestimmt bei seinem Willen -geblieben, daß Madame sich schließlich beruhigt und sich vor den -Leuten das Ansehen gegeben habe, als sei Agathes Entfernung mit ihrer -Zustimmung erfolgt. - -Unter den jungen Arbeiterinnen des Putzgeschäfts hatte Agathes Flucht -große Heiterkeit hervor gerufen; denn alle hatten das innigste Mitleid -mit ihr gehabt. Selbst Fräulein Schneider lächelte, als sie den ersten -Schreck überwunden und gestand seufzend, sie habe jetzt eine Sorge -weniger; denn zu einer Putzmacherin hätte sie Fräulein Agathen doch -nimmermehr heran bilden können. - - - - - Siebentes Kapitel. - - Im fremden Lande. - - -Es war an einem schönen, sonnigen Herbsttage, als eine blasse Frau, auf -den Arm ihres Mannes gestützt, eines der Eisenbahncoupé's bestieg und -sich freundlich nach einem jungen Mädchen umschaute, das an dem Halse -einer großen Frau hing, deren bunte Bauerntracht wunderlich gegen die -dunkle Reisekleidung des Mädchens abstach. - -»O Anne, behalte mich lieb, und habe ewig Dank für alles!« schluchzte -Agathe, denn sie war es. Die alte Soldatenfrau fand keine Worte und -streichelte nur immer wieder die Wangen des jungen Mädchens, indem ihr -einzelne, dicke Thränen über das gute Gesicht liefen. - -»Ich muß fort, lebe wohl, meine Anne; vergiß deine Agathe nicht!« rief -diese endlich, rasch davon stürzend, und eilte, ohne zurück zu blicken, -nach dem Wagen. Aber hier erwartete sie noch ein anderer Abschied. -Der Onkel war es, welcher ihr noch Lebewohl sagen und ihr mittheilen -wollte, daß zu Hause alles gut stehe, die Tante ihr sogar einen Gruß -schicke. Das erleichterte Agathes Herz unbeschreiblich; denn sie machte -sich wegen ihrer Flucht doch unsägliche Vorwürfe. Nun konnte sie ruhig -abreisen, und trotz der Thränen, die ihr Auge trübten, als sie dem -guten Onkel zum letzten Male die Hand reichte, schlug ihr Herz doch -froh und hoffend der Zukunft entgegen. - -Die Reise war schön und genußreich, und da man wegen der Kranken -nur kleine Tagestouren machen konnte, auch durchaus für Agathe -nicht anstrengend. Die Geschäfte, welche sie zu besorgen hatte, -wurden ihr sehr leicht, und die große Milde und Freundlichkeit der -Kranken berührten Agathen um so angenehmer, als sie von der Tante nur -strenge, kalte Behandlung erfahren hatte. Herr von Menzel, ein reicher -Gutsbesitzer, war ein heiterer, freundlicher Mann, der die junge -Gesellschafterin wie eine Tochter behandelte, und bald fühlte sich -Agathe so glücklich, wie noch nie in ihrem Leben. Die Aerzte hatten es -für gerathen gehalten, die Kranke nach Nizza zu schicken, dessen warme, -geschützte Lage ihrer kranken Brust vielleicht noch Heilung bringen -konnte. Die weiche Seeluft des Mittelmeeres, an dessen Ufern sich diese -schöne Stadt hinzieht, umwehte die Kranke mit ihrem schmeichelnden -Hauche und that ihr bald so wohl, daß sie in Agathes Begleitung -täglich einen kleinen Spaziergang machen konnte. Die eifrige, kleine -Gesellschafterin suchte der sanften Kranken alle Wünsche vom Auge zu -lesen, und diese wieder dachte immer daran, das gute, junge Mädchen -möglichst zu schonen und ihr Gelegenheit zu geistigen Beschäftigungen -zu verschaffen, wonach sich, wie sie wußte, Agathes Herz so innig -sehnte. Sie selbst war eine fein gebildete Frau und ließ sich von -Agathe oft durch Vorlesen guter Bücher unterhalten; bessere Fortbildung -aber fand sich für das junge Mädchen bald noch durch den Verkehr mit -einem würdigen Geistlichen aus der französischen Schweiz, welcher -dasselbe Haus mit ihnen bewohnte. Er hatte Agathes eifrige Lernbegierde -bemerkt, und freundlich bot er ihr an, sie sowohl in der französischen -Sprache als auch in einigen Wissenschaften zu unterrichten, da er, wie -er sagte, seine Musestunden nicht besser ausfüllen könne. Gern gab die -Kranke ihre Einwilligung, und mit innigem Entzücken widmete sich nun -Agathe all den Dingen, nach denen sie im Hause des Onkels so vergebens -verlangt hatte. - -Diese innere Freudigkeit, verbunden mit der herrlich reinen Luft der -Berge und der üppigen, kräftigen Kost, welche ihr jetzt geboten wurde, -ließen auf Agathes Wangen bald frische Rosen erblühen. Das zarte, -blasse Kind wuchs zur schönen, frischen Jungfrau heran, und voll -wahrhaft mütterlicher Liebe verfolgte Frau von Menzel die körperliche -wie geistige Entwickelung des jungen Mädchens. Schön und genußreich -schwanden die Tage wie Stunden dahin, und die Liebe der Menschen, mit -denen sie lebte, erwärmten Agathes Herz eben so sehr, als die herrliche -Natur, welche sie umgab. - -Der Herbst verging, und der Winter mit seinen rauhen Tagen zog in das -Land. Aber die Lage Nizza's, welches im Norden und Osten geschützt und -von milder Seeluft umgeben ist, verhindert die scharfen Winde, diesen -Zufluchtsort der Kranken zu erreichen, an welchem sich die kleine -Familie glücklich und wohl fühlte. Herr von Menzel hatte für einige -Zeit nach der Heimath zurückkehren müssen, und da er die Kranke in -Agathes treuen Händen wußte, verließ er sie mit ruhigem Herzen. Agathe -schloß sich in dieser Zeit um so enger an die sanfte Frau an, die ihr -immer mehr Freundin wurde und sie nie wieder von sich lassen wollte. -Aber wenn die Kranke auch an keine Trennung dachte, so mußte es Agathe -im Stillen nur zu häufig thun, denn sie bemerkte nur zu gut, wie die -Krankheit der theuren Frau immer größere Fortschritte machte. Das milde -Klima konnte das Leiden nur hinziehen, nicht heben, und mit tiefem, -geheimen Kummer, aber heiterem Auge hörte sie, wie die Kranke Pläne -auf Pläne entwarf, welch schönes Leben sie ferner mit einander führen -wollten. Agathe küßte dann in dankbarer Liebe die schmale, abgezehrte -Hand ihrer gütigen Freundin; aber in ihrem Herzen konnte sie solchen -schönen Träumen keinen Glauben schenken. Der Winter war vorüber und -für den nahenden Frühling und Sommer wählte die Familie einen anderen, -den heißen Sonnenstrahlen weniger ausgesetzten Aufenthalt in den -Schweizer Alpen. Agathe hatte die Freude, daß auch ihr Freund, der -Geistliche, für einige Zeit mit ihnen zog; denn er hatte die Familie -so lieb gewonnen, daß er sich nicht so schnell von ihnen trennen -mochte. -- Aber war es nun der Wechsel des Ortes, oder war es die, -allen Brustkranken gefährliche Frühlingsluft, Frau von Menzel wurde -bald so leidend, daß ihr Ende schneller herannahte, als selbst Agathe -in den bangsten Stunden gefürchtet hatte. Mit stiller Ergebung trug -der unglückliche Gatte die herannahende Trübsal, und Agathe wurde -ihm sowohl durch ihre treue Pflege, als durch den tiefen Ernst ihres -Gemüthes unendlich lieb und trostbringend. Die Kranke selbst ahnte -ihren Zustand nicht. Sie wurde schwächer und schwächer; aber indem ihr -blaues Auge wunderbar glänzte, sprach sie lächelnd von der schönen -Zeit, in welcher sie wieder gekräftigt sein und sich der herrlichen -Natur werde erfreuen können. - -»Wie sehne ich mich, wieder in die warme Sonne zu kommen und den -weiten, blauen Himmel sehen zu können!« sprach sie eines Tages freudig -und wendete ihr Auge nach dem Fenster. »Tragt mich in's Freie, ich -möchte der schönen Gotteswelt näher sein,« bat sie dann sanft, und -langsam rollte ihr Gatte und Agathe das Ruhebett der Kranken an die -offene Thür der Veranda. - -»O wie wird mir so wohl, mir ist, als öffne sich mir der Himmel!« sagte -sie begeistert und breitete die Arme aus; dann schloß sie die Augen -und sank leise zurück. Eine selige Verklärung ruhte auf ihrem Antlitz; -der Himmel hatte sich ihr wirklich geöffnet, sie schwebte empor zu der -ewigen himmlischen Herrlichkeit. - -Der Kummer des einsamen Gatten war so unsäglich tief und ergreifend, -daß Agathe den eigenen Schmerz zu bekämpfen suchte, um den -unglücklichen Mann trostreich zur Seite stehen zu können. Aber war sie -allein, so stürzte Leid und Jammer um so mächtiger über ihr zusammen, -und schluchzend kniete sie an der Hülle der lieben Verklärten, die -ihr Freundin und Mutter geworden war. »O Gott, mein Gott!« betete sie -inbrünstig, »was soll nun aus mir werden! Verlaß Du mich nicht; nimm -mich in Deinen treuen Schutz, und führe mich gnädig weiter an Deiner -Vaterhand. Allein bin ich nun wieder, allein und obdachlos; o nimm Du -dich ferner der armen Waise liebend an!« - -Und sie hoffte nicht vergebens. Wohl war jetzt ihres Bleibens nicht -mehr in den bisherigen Verhältnissen; denn Herr von Menzel kehrte so -schnell als möglich wieder nach der Heimath zurück, um die theure Hülle -seiner Gattin in dem dortigen Erbbegräbniß der Familie beisetzen zu -lassen. Aber ehe der Sarg der Verklärten geschlossen wurde, ergriff der -Trauernde Agathes Hand und sprach mit tiefer Bewegung: »Meine liebe -Agathe, Sie sind meiner Gattin theurer gewesen, als Sie glauben können. -In Ihnen hat sie bis zu ihrem letzten Augenblicke eine treue Freundin -und Tochter besessen. Welchen Trost auch mir Ihre Gegenwart gewährt -hat, davon lassen Sie mich schweigen; aber es ist mir ein inniges -Herzensbedürfniß, Ihnen zu zeigen, wie dankbar ich Ihnen bin und mein -ganzes Leben hindurch sein werde. Ich glaube Ihnen davon einen, wenn -auch nur geringen Beweis geben zu können, indem ich Sie bitte, mir die -Sorge für Ihre weitere geistige Ausbildung zu überlassen. Sie wünschen -sehr, Erzieherin werden zu können, das weiß ich, und Ihre schönen -Anlagen befähigen Sie auch völlig dazu. Wollen Sie nun für ein Jahr als -Zögling in das treffliche Erziehungsinstitut in Neufchâtel eintreten, -um daselbst noch die letzte Ausbildung zu erhalten, so wird es mich -freuen, einen Ihrer Wünsche erfüllt zu sehen. Alle Vorbereitungen zu -Ihrer Aufnahme sind getroffen, und der Geistliche, Ihr würdiger Freund -und Lehrer, wird Sie gern dahin begleiten, sobald Sie es wünschen.« - -Agathe war wie in einem Taumel von Glück und Wonne. In demselben -Momente, wo wieder alle schönen Hoffnungen entschwanden, und sie -abermals angstvoll einer unsichern Zukunft entgegen blickte, stand -sie am Ziele ihrer sehnlichsten Wünsche. Sie fand keine Worte, ihren -Dank und ihre Freude auszudrücken; aber aus ihrem Auge leuchtete eine -bessere Antwort, als der Mund zu geben vermochte. Ueber dem verklärten -Antlitz der Entseelten reichte sie ihrem Freunde und Beschützer die -Hand, und im stummen Danke zitterten ihre Lippen. - -Herr von Menzel war abgereist, und traurig kehrte Agathe an der Seite -des Geistlichen von dem Bahnhofe zurück, wo sie dem theuren Manne und -seiner stillen, verklärten Begleiterin das letzte Lebewohl gesagt -hatte. Der Geistliche hatte ihr gleich nach dem Tode der Kranken in -freundlichster Weise angeboten, sein Haus in Genf und seine Familie -für's Erste ganz als die ihrige zu betrachten, und Agathe hatte diese -Zufluchtsstätte dankbar angenommen, bis sich eine andere Stelle für sie -finden würde. Jetzt aber wünschte sie natürlich, sobald als möglich in -jenes Pensionat einzutreten, und der Geistliche versprach schon andern -Tages mit ihr nach Neufchâtel abzureisen. - -Madame Reutin, die Vorsteherin der Anstalt, war von Agathe's Ankunft -bereits unterrichtet und empfing das junge Mädchen mit großer -Herzlichkeit. Agathe war eine der ältesten Pensionairinnen, und -da Madame Reutin an den Schicksalen ihres neuen Zöglings großen -Antheil nahm, und bald bemerkte, welchen Eifer dieselbe besaß, um -sich möglichst viel Kenntnisse zu erwerben, so widmete sie ihr ganz -besondere Aufmerksamkeit. Sie suchte das stille, sinnige Mädchen -viel in ihrer Umgebung zu beschäftigen und zeigte ihr so viel Liebe, -daß Agathe bald ihre Schüchternheit verlor und sich in den fremden -Verhältnissen ungemein wohl fühlte. Der Unterricht war vortrefflich, -und so reifte die begabte Agathe schnell zu einem geistig fein -gebildeten Mädchen heran, welches nach Verlauf eines Jahres gar wohl -befähigt war, die Stelle einer Erzieherin auszufüllen. - -Herr von Menzel, mit dem Agathe in stetem brieflichen Verkehr war, -bot ihr an, noch länger in der Anstalt zu bleiben, und Madame Reutin -schlug ihr vor, die Stelle einer Hülfslehrerin zu übernehmen, da -sie das sanfte Mädchen ungern von sich ließ. So entschloß sich denn -Agathe, noch einige Zeit im fremden Lande zu bleiben, obwohl ihr Herz -unbeschreiblich nach ihrer treuen Anne verlangte, welche ihr rührend -zärtliche Briefe schrieb, zwar auf merkwürdig dickem Papier, und mit -heftiger Verschwendung von Dinte, da die Buchstaben groß und gewaltig -auftraten, und schwer zu entziffernde Hieroglyphen bildeten, aber -nichts desto weniger die innigste Liebe und Anhänglichkeit aussprachen. -Auch der Onkel und ihre Freundinnen aus der Pension schrieben Agathen -fleißig, und jeder Brief erregte ihr so tiefes, gewaltiges Heimweh, -daß nur der Wunsch nach fernerer Ausbildung sie noch von der Rückkehr -in die Heimath abhielt. Ja Heimath, hatte sie denn überhaupt eine? Sie -wußte ja gar nicht, wohin sie gehen sollte, verließ sie ihren jetzigen -Aufenthalt. Dieser Gedanke hing sich immer wie ein Bleigewicht an ihren -Wunsch, nach Deutschland zurück zu kehren, und sie hatte deshalb an -Anne Sommer wie an ihre Freunde geschrieben, sich nach einer Stelle für -sie umzusehen. - -Fast zwei volle Jahre waren jetzt seit Agathes Abreise von Leipzig -verstrichen, da erhielt sie eines Tages einen Brief von ihrer Freundin -Fanny, welcher die frohe Kunde brachte von deren Verlobung mit einem -jungen Gutsbesitzer. Mit dieser freudigen Botschaft aber verband sich -noch eine zweite, welche Agathen betraf. - -»Jetzt zu Dir, meine beste Agathe!« lautete Fanny's fröhlicher Brief. -»Mein Bräutigam ist der älteste Sohn einer zahlreichen Familie, und -seine beiden jüngsten Schwestern, Mädchen von 10 und 12 Jahren, können -meiner Ansicht nach nicht länger ohne specielle Aufsicht bleiben. -Auch ihr Schulunterricht scheint mir mehr als mangelhaft, was auf -dem Lande freilich kein Wunder ist. Meine gute Schwiegermutter hat -durchaus nichts dagegen einzuwenden, die jungen Springinsfelde unter -die Zucht einer Erzieherin zu stellen, falls ich ihr eine verschaffen -könnte, die, wie sie sagte, nicht gar zu störend in das Familienleben -eingriffe. Sie hat etwas sonderbare Vorstellungen von allem, was -Erzieherin heißt, und da ich sie von ihrem Vorurtheil gern kuriren -möchte, so würde dies allein schon mich bestimmen, Dich, meine gute -Agathe, dringend aufzufordern, diese Stelle bei meinen kleinen -Schwägerinnen zu übernehmen. Tausend andere Gründe aber drängen sich -außerdem noch herbei, um Dich mit Bitten zu bestürmen, vor allem meine -grenzenlose Sehnsucht nach meiner liebsten Freundin. Komm, komm, so -bald als möglich, meine Agathe; Du wirst von all' meinen Lieben mit -offenen Armen erwartet und wirst Dich glücklich unter uns fühlen, dafür -bürgt dir deine treuste Fanny.« - -Ein Postscriptum fehlte dem Briefe nach junger Mädchen Art natürlich -auch nicht; es lautete: »Uebrigens wirst Du Dich freuen, ein liebes, -bekanntes Gesicht hier in unserer Nähe zu finden. Wem das aber -zugehört, sage ich nicht; Du magst selbst kommen, es dir anzusehen.« - -Das war denn allerdings eine so wundervolle Kunde, daß Agathe mit -glühenden Wangen zu Madame Reutin eilte, ihr alles mitzutheilen und sie -um Erlaubniß zur Heimkehr zu bitten. - -Freudig willigte die gute Dame sogleich in Agathes Wünsche, und so -ungern sie das brave Mädchen von sich ließ, so sehr freute sie sich -doch andrerseits über die gute Wendung, welche deren Schicksal abermals -genommen. Nicht ohne die tiefste Bewegung schied Agathe kurze Zeit -darauf aus der Anstalt, wo ihr so viel Gutes zu Theil geworden, sowie -aus dem herrlichen Lande, in dem sie eine reiche, glückliche Zeit -verlebt hatte. - - - - - Achtes Kapitel. - - Die Heimath. - - -In dem Herrenhause des Dorfes Schönfelde waren die jüngern Glieder -der Familie seit dem frühen Morgen in großer Bewegung. Geschäftig -liefen sie die breiten Treppen auf und nieder und hielten wichtige -Zwiegespräche mit Gärtner und Stubenmädchen, die Kränze und Guirlanden -aus den wenigen Blumen des Gartens zusammenwanden, welche die -Herbstkälte noch übrig gelassen hatte. Bald thronte über der Hausthür -ein mächtiger Kranz, in dessen Mitte das Wort »Willkommen« prangte, -und frische Guirlanden umzogen die Thür des Wohnzimmers, in dem einige -Kinder in großer Aufregung um ein blühendes, junges Mädchen versammelt -waren, das sie mit Fragen bestürmten. - -»Nicht wahr, Fanny, sie trägt keine Brille, wie die alte Fräulein -Danton, Lucie Bülow's Erzieherin?« rief Marie, ein zwölfjähriges -Mädchen. - -»Und auch keine Schnupftabaksdose, nicht wahr?« setzte Hannchen hinzu, -die jüngere Schwester. »Die Mama behauptet es.« - -»Ob sie wohl Pferd mit mir spielen wird, Fanny? Ich will sie auch nicht -so derb mit meiner Peitsche schlagen, als gestern den Anton; aber dann -muß sie auch nicht heulen, wie der immer gleich thut!« rief der kleine -Max und fuhr knallend mit der Peitsche durch die Luft. - -»Ihr werdet's ja sehen, Kinder, macht mich doch nur nicht todt mit -euren Fragen,« lachte das junge Mädchen. »Aber jetzt adieu; Friedrich -fährt eben vor, und ihr wißt, die Pferde stehen nicht ruhig. Seid -hübsch artig, daß meine liebe Agathe nicht gleich eine gar zu -schlechte Meinung von euch bekommt. Adieu, adieu, ihr lustiges Corps!« - -Fort flog der Wagen, in dessen Mitte das junge Mädchen fröhlich lachend -thronte, noch lange gefolgt von dem gellenden Hurrah der kleinen -Gesellschaft. Einige Stunden vergingen, und sie kehrte zurück, Freude -und Glück in den lieblichen Zügen, denn an ihrer Seite saß die Freundin -ihrer Jugend, unsere Agathe. - -Was Fanny verheißen, das fand die Ankommende bestätigt. Offene Arme -empfingen die neue Hausgenossin, gute treffliche Menschen hießen -sie freudig in ihrer Mitte willkommen. Man kam ihr als der liebsten -Freundin der Schwiegertochter mit Vertrauen und Herzlichkeit entgegen -und dankte es ihr aufrichtig, daß sie die Erziehung der jüngsten Kinder -zu übernehmen versprochen hatte, und so begrüßte man in ihr nicht die -gefürchtete Erzieherin, sondern ein liebes, neues Glied der Familie. -Agathe war unsäglich glücklich über solche Aufnahme; denn oft hatte ihr -Herz gezittert, ob wohl die Erzieherin in dem vornehmen Hause auch gern -gesehen und nicht vielleicht als fremder Eindringling behandelt oder -gar als eine Art Dienstbote kalt und vornehm aufgenommen sein würde. -Aber schon das Willkommen, das ihr von fern so freundlich entgegen -leuchtete, sagte ihr, daß sie nichts zu fürchten habe, und all die -guten, frohen Gesichter, welche sie umdrängten, sprachen gar wohlthuend -zu ihrem zagenden Herzen. Frau von Wedell, die Herrin des Hauses, -umarmte sie gleich beim Eintritt, und bald erschien auch der Gutsherr -selbst, Agathen in einfach herzlicher Weise willkommen zu heißen. - -Bald war die junge Erzieherin in dem Familienkreise heimisch, und -nun begann ein Leben voll Lust und freudiger Arbeit. Mit regem -Eifer machte sich Agathe an die Aufgabe, die ihr gestellt war, die -Erziehung der beiden Mädchen Marie und Hannchen. Aber auch der wilde -Max wurde von ihr mit Beschlag belegt, und den Fleiß ihrer Schüler -belohnte die fröhliche junge Lehrerin gern damit, daß sie sich an -den Spielen betheiligte, welche sowohl Max als die kleinen Mädchen -in den Freistunden vornahmen. Ueberhaupt war Agathe jetzt so heiter -und frisch, daß man das einst so traurige, blasse Mädchen gar nicht -wieder erkannte. Frau von Wedell gestand lachend, daß sie freilich eine -ganz andere Vorstellung von einer Erzieherin gehabt habe, da sie sich -dieselbe nie anders als keifend und verbissen, und mit den wunderlichen -Attributen einer alter Jungfer versehen, habe denken können. - -Agathe hatte in der ersten Zeit die Freude, ihre liebe Fanny, die für -einige Wochen zum Besuch ihrer Schwiegereltern gekommen war, im Hause -zu sehen. Der Bräutigam war ein frischer, liebenswürdiger junger Mann, -der im kommenden Jahre ein zweites Gut des Vaters bewirthschaften -sollte, und mit Ungeduld dieser Zeit entgegen sah, da er alsdann seine -Fanny als junge Frau daselbst einführen wollte. - -»Aber das liebe, bekannte Gesicht, von dem du mir geschrieben, Fanny, -wo ist das?« sagte Agathe bald nach ihrer Ankunft und spähte suchend -überall umher. -- »Du hast doch nicht etwa meine alte Anne hierher -entführt, da du weißt, sie schwärmt für Entführungen?« fuhr sie -scherzend fort, denn im Stillen hatte sie jetzt keinen größeren Wunsch, -als dies treue Wesen wiederzusehen. - -»Nein, Agathe, die alte Soldatenfrau holen wir nächstens einmal auf -ein paar Wochen zu uns; Leipzig ist ja nur drei Stunden von Schönfelde -entfernt,« sagte Fanny, welche sich diese Erlaubniß schon von ihrer -Schwiegermutter erbeten hatte, da sie wußte, welche Freude sie dadurch -Agathen bereitete. - -»Nein, mein Schätzchen, du mußt besser rathen!« fuhr sie neckend fort. -»Giebt es denn gar kein liebes Gesicht mehr unter der Sonne, als das -alte, verwitterte Antlitz deiner Frau Corporalin? Besinne dich doch!« - -Aber Agathe besann sich nicht; sie wußte ja gar nicht, wohin sie ihre -Gedanken wenden sollte. Sinnend blickte sie zum Fenster hinaus, das -von schönen alten Linden beschattet wurde. Da schrak sie plötzlich -zusammen, und ein Ausruf freudiger Ueberraschung kam über ihre Lippen. - -»Fanny, ist das nicht unser Lehrer, Herr Lobner?« rief sie, auf einen -Herren deutend, der eben in einiger Entfernung an dem Hause vorüber -ging. - -»Nun ja, erkennst du ihn wirklich?« lachte Fanny fröhlich. »Ich dachte -schon, du hättest deine besten Freunde vergessen, du leichtsinniges -Kind!« - -»Aber wie kommt der hierher, liebste Fanny?« rief Agathe, freudig -erglühend. - -»Um deinetwillen nicht, mein Töchterchen, denn er hat von deinem -Hiersein keine Ahnung,« neckte Fanny. »Er ist wohlbestallter Prediger -im Pfarrdorf Schönfelde, und wird die Ehre haben, Seelsorger seiner -einstigen, liebsten Schülerin von nun an zu werden. Wie gefällt dir -das, Schätzchen?« - -»Fanny, ist das wahr? Ist unser lieber, lieber Herr Lobner wirklich -hier Prediger?« rief Agathe jetzt strahlend vor Freude und ergriff -Fanny's Hand. - -»Meinst du, er tauge nicht dazu? Nun dann geh morgen in die Kirche, und -überzeuge dich selbst. Es ist Sonntag; um 9 Uhr hält er die Predigt,« -sagte Fanny. - -»Aber das ist ja herrlich!« jubelte Agathe, Fanny umarmend. »Wie ist -das denn nur gekommen? Wer hat ihn denn hierher gezogen?« - -»Nun Papa Wedell, dem er so gefiel, als er sich um die Stelle bewarb, -daß er ihn auch ohne meine Fürsprache in die leerstehende Pfarre -eingesetzt hätte,« rief Fanny. »Aber wie gesagt, daß er hier seine -kleine, blasse Freundin aus der Pension ebenfalls in Amt und Würden -finden sollte, davon hat er bis jetzt keine Ahnung. Der Anblick dieser -Ueberraschung soll mein Lohn für all die Mühe sein, die ich mir um euch -alle Beide gemacht habe.« - -Wessen Freude über das Wiedersehen größer war, ob die Agathes oder die -ihres einstigen Lehrers, wäre freilich schwer zu entscheiden gewesen. -Die schelmische Fanny, der Herr Lobner seine Stelle verdankte, hatte -demselben wirklich Agathes Ankunft verheimlicht, und kaum traute dieser -seinen Augen, als ihm das junge Mädchen an der Seite ihrer Freundin -entgegen kam. - -Es war ein frohes Wiedersehen, und doch voll tief innerlicher Bewegung; -denn an Agathe's Seele zog all das vorüber, was sie in der Zeit erlebt, -welche zwischen jenem Abschiede in dem Zimmer des theuren Lehrers und -dem jetzigen Augenblicke lag. - -»Gott hat seine Hand wunderbar über Ihnen gehalten, liebe Agathe!« -sagte der junge Geistliche freundlich, als das junge Mädchen ihm ihre -Schicksale mitgetheilt hatte. »Ich hätte nicht geglaubt, daß mir so -bald die Freude werden würde, Sie wieder zu sehen, und nun gar unter so -erfreulichen Verhältnissen. Irre ich nicht, so haben Sie wie ich, Ihren -jetzigen Wirkungskreis Ihrer gütigen Freundin zu danken, durch deren -Fürsprache auch ich meine Stelle erhalten.« - -Fanny wies allen Dank von sich und behauptete, sie habe nur aus purem -Eigennutz sich für ihre alten Freunde verwendet; denn da sie selbst nun -bald in der Nähe residiren werde, so wollte sie doch im Voraus schon -für freundliche Nachbarschaft sorgen. - -Jetzt begann eine so reiche, wundervolle Zeit für Agathe, daß diese -Gott nicht genug dafür danken konnte, der sie in dies Haus geführt -hatte. Ihr Wirkungskreis befriedigte sie täglich mehr und mehr; die -etwas verwilderten Zöglinge gewannen unter Agathes milder und kluger -Leitung sichtlich an gutem Betragen wie an Kenntnissen, und alle -Bewohner des Hauses betrachteten die junge Erzieherin als liebes -Familienglied. Mehrere Abende der Woche verbrachte Herr Lobner in der -Familie des Gutsherrn, und diese Stunden waren für Agathe unschätzbar. -Ihr einstiger Lehrer war ihr jetzt ein treuer Freund geworden, der ihr -als kluger und besonnener Rathgeber in allen den schwierigen Fragen zur -Seite stand, über welche ein so junges, unerfahrenes Mädchen bei der -Erziehung verschiedenartiger Kinder zweifelhaft sein mußte. - -Bald kam denn nun auch die alte, treue Anne Sommer in das Herrenhaus, -und das war ein Fest nicht nur für Agathe, sondern auch für die ganze -übrige Familie; denn jeder gewann die brave, wunderliche Alte lieb, und -ergötzte sich an der Soldatensprache, wie an den handfesten Manieren -derselben. Die Kinder besonders hingen wie die Kletten an ihrem rothen -Frießrock und konnten nie müde werden, die prächtigen Geschichten -anzuhören, die sie ihnen erzählte, und die stets von Krieg und -Soldatenwesen handelten. - -An ihrem Goldkinde Agathe hing die Alte, wenn es möglich war, noch viel -zärtlicher, als früher, und die Freude über deren blühendes Aussehen, -wie über das Glück, das aus ihren schönen Zügen sprach, machte sie -ordentlich wieder jung. »Hätte das nur ihre arme Mutter noch erlebt,« -sagte sie oft leise vor sich hin, »dann wäre sie ruhiger zum großen -Appell gegangen, zu dem sie der große Kriegsherr im Himmel so zeitig -abgerufen, die liebe Seele! Aber ihr Segen ruht auf dem Kinde, das ist -sicher!« - -Die Alte kehrte nach einigen Wochen wieder nach Leipzig zurück, doch -blieb sie ein häufig wiederkehrender und immer gern gesehener Gast in -Schönfelde. Die Nachrichten, die sie Agathen aus dem Hause des Onkels -brachte, zeigten, daß dort noch alles seinen ehemaligen, stillen -Fortgang hatte, bis auf eine große, erschütternde Begebenheit -- Bello -war gestorben! -- Auf seinen rothseidnen Kissen lag er eines Morgens -kalt und todt, und keine heiße Thräne seiner trostlosen Herrin konnte -den geliebten Freund wieder ins Leben zurück rufen. Ein kleines Grab, -von Blumen überdeckt, bezeichnete im Garten einer Freundin die Stelle, -an welcher die geliebte Hülle ruhte. Noch vermochte kein Nachfolger -seine Stelle zu ersetzen, und Agathe dachte mit Freuden daran, daß die -alte, gute Cousine dadurch für einige Zeit eine lästige Arbeit weniger -hatte. - -In angenehmer Weise vergingen Agathen die langen Wintertage, und wieder -schaute endlich der fröhliche Lenz zum Fenster herein und verkündigte -seine Ankunft durch weiche Luft und duftende Blumenglocken, welche -unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein kamen. - -Aber mit der überall erwachenden Fröhlichkeit zog abermals eine Fülle -neuer Freuden in das Herz unserer Agathe. Werfen wir einen Blick zum -Fenster hinaus, und sehen wir die lange Kastanienallee hinab, in -welcher die Baumzweige schon große, braune Knospen tragen, so zeigen -sich uns zwei Personen, die still und schweigend neben einander gehen. -Ihr Mund ist jetzt stumm, aber was er soeben gesprochen, das leuchtet -noch wunderbar in den Augen der Beiden, welche mit unaussprechlicher -Liebe auf einander blicken. Agathe ist soeben die Braut ihres Freundes -und Lehrers, des braven Pfarrers Lobner geworden. Was damals schon die -Seelen Beider verband, als Lobner von Agathe Abschied nahm und als -einziges Andenken das kleine Schreibebuch von der Schülerin erbat, das -war fort und fort lebendig in ihnen geblieben, und hatte nun, da sie -sich auf ihrem Lebenswege so bald wieder begegneten, feste, dauernde -Gestalt erhalten. Längst schon ahnten Beide, daß sie einander theuer -waren; jetzt wußten sie es, jetzt gehörten sie einander für das Leben. - -»Also das wäre mir geglückt!« rief Fanny, voll Freude in die Hände -schlagend, als sie die Verlobung ihrer beiden Freunde erfuhr. »Ich -bitte mir die Ehre der Anerkennung aus; mir kommt das Verdienst zu, -euch Beide zusammen gebracht zu haben. Denn, meine liebe Agathe, -nimm mir's nicht übel, allen Respect vor deinen Talenten in der -Erziehungskunst, aber wahrlich, es war mir viel mehr darum zu thun, -dich wieder in die Nähe unseres lieben Freundes Lobner zu bringen, als -meinen kleinen Rangen von Schwägerinnen eine Erzieherin zu verschaffen. -Deshalb hätte ich dich nicht so knall und fall aus der Schweiz -hercitirt. Aber Gelegenheit macht Diebe. Mit meiner Pfarrerwahl war -mir's so trefflich gelungen, nun fehlte nur noch eine nette, kleine -Pfarrfrau dazu. Und wen hätte ich meinen neuen Herrn Pastor, sowie mir -selbst besser dazu wählen können, als die Verfasserin jenes kleinen, -ominösen Schreibebuchs, das in der Bibel unseres sehr ehrenwerthen -Herrn Pastor Lobner seinen Platz erhielt, als das Heiligste, was -besagter Herr im Besitz hat?« - -Der glückliche Pfarrer zog seine erglühende Braut an das Herz; der -schelmischen Fanny aber drohte er mit dem Finger und sagte lachend: -»Warten Sie nur, Sie Schelm; das ist gewiß die Rache dafür, daß die -schöne Tasse nicht mehr lebt, die eine leichtsinnige Schülerin mir -einst als Andenken schenkte. Aber nur Geduld, jetzt werde ich die -Scherben all' wieder zusammen suchen, und als ewige Erinnerung sollen -diese Reste unter dem Bilde der Freundin aufgestellt werden, welches -einst über dem Nähtischchen der jungen Frau Pastorin Lobner hängen -wird«. - - * * * * * - -Wieder blühten die Rosen und Lilien in den Gärten, und die Linden -neigten ihre vollen Blüthenbüschel zur Erde herab, gerade wie an jenem -Tage, an dem einst Agathe verlassen und einsam in den Baumgängen -Leipzigs dahinschritt, bis sie von den Armen ihrer treuen Anne -umfangen wurde, und neue Freude und Hoffnung in ihr Herz einzog. Auch -heute schaute das alte Gesicht der Soldatenfrau in die glänzenden -Augen ihres Lieblings, und ihre rauhe Hand strich schmeichelnd über -die zarte Wange des Mädchens. Aber Muth und Trost brauchte die alte, -treue Seele ihrem Goldkinde heute nicht zuzusprechen, denn das reinste -Glück spiegelte sich auf dem holden Gesicht derselben. Die blühende -Myrthe schmückte Agathes dunkle Locken, und Brautkleid und Schleier -verkündeten, daß der schönste Tag ihres Lebens gekommen war. - -Man feierte in Schönfelde heut eine Doppelhochzeit; Fanny sowohl als -Agathe sollten als junge Frauen in die neue Heimath einziehen, welche -die Liebe ihnen bereitete. Es war ein schönes Fest, das die Familie -feierte; denn trat Fanny jetzt als wirkliche Tochter in das Haus -ihrer neuen Eltern, so zählte man auch Agathe durch die innigsten -Herzensbande zu den Kindern des Hauses und freute sich, sie als die -Frau des braven Predigers im Orte zu behalten. - -Fanny hatte die Freude, von ihrer Mutter, welche ihre Tage in der -Nähe der einzigen Tochter zu beschließen gedachte, an den Traualtar -begleitet zu werden; aber auch Agathe stand nicht einsam. Der Onkel -Niedrer war der Einladung Agathes gefolgt und führte die geliebte -Nichte ihrem Gatten zu, und zu Agathes unaussprechlicher Freude gehörte -auch Herr von Menzel zu den Hochzeitgästen, die Schönfelde beherbergte. -Die Tante Niedrer freilich konnte es nicht über sich gewinnen, ihren -Gatten zu begleiten; aber einige schöne Geschenke, welche sie Agathen -schickte, zeigten doch, daß sie ihr vergeben hatte. - -Das freundliche Pfarrhaus, in das wir unsere Agathe nun zum Schluß noch -begleiten, war durch die Güte aller ihrer Freunde höchst behaglich und -nett eingerichtet worden. Denn sowohl der Onkel Niedrer, als auch Herr -von Menzel und die Gutsherrschaft waren bemüht gewesen, alle Schränke -und Kasten der jungen Hausfrau zu füllen und ihr ein wohlausgestattetes -Häuschen zu übergeben. Aber neben dem blühenden Gesichtchen der jungen -Frau Pastorin zog noch ein altes, verwittertes mit in das Haus, dem mit -Agathen zugleich eine schöne, stille Heimath geworden war. Wer es ist, -brauche ich nicht erst zu sagen. Der neue, rothe Frießrock glänzt nicht -herrlicher, als das glückliche Gesicht der Alten, die ihn trägt, und -obwohl das neue schwarze Kopftuch von untadelhaft starkem Seidenzeug -ist, so können die mächtigen Schleifen doch kaum ihre steife Würde -bewahren, denn der Kopf, den sie zieren, schwankt und zittert heut in -nie erlebter Aufregung. - -»Dir danke ich ja alles, meine Anne, mein Glück und meine Heimath, und -nie mehr lasse ich dich von mir!« sagte die junge Frau mit Thränen im -Auge, als sie gemeinsam mit ihrem Gatten die alte Anne Sommer in das -trauliche Hinterstübchen einführte, das sie ihr behaglich eingerichtet -hatten. »Wärst du nicht gekommen, mir die Wege zu bahnen, wer weiß, wie -es jetzt mit mir stände!« - -»Du säßest als Directrice auf dem hohen Stuhle und nähetest -Zughüte, daß sich die Königin selbst nicht zu schämen brauchte, sie -aufzusetzen,« neckte der Pfarrer fröhlich. »Und in den Freistunden -exercirtest du junge Bello's als Rekruten ein!« lachte die Alte, daß es -dröhnte. - -»Ach um alles, schweigt mir nur davon!« seufzte Agathe in komischer -Angst. »Zwei Dinge in der Welt sind es, die nie in unser Haus kommen -sollen, das sind Schooßhunde und Zughüte.« - -»Halt, dergleichen Bedingungen darf man nie im Leben stellen, wie es im -Sprüchlein heißt: - - - »Du sollst dich nie mit Schwur vermessen, - Von dieser Speise will ich nicht essen!« - - -rief der Geistliche schelmisch. »Wer weiß denn, was in dem Kasten -steckt, den ich soeben für dich aus Leipzig erhalten habe!« Dabei -holte er eine kleine Kiste herbei, deren schon losen Deckel er schnell -öffnete und sie dann Agathen überreichte. - -Die junge Frau blickte verwundert hinein und zog ein Tuch fort, das den -Inhalt noch verhüllte. Und was lag nun vor ihr? Ein wunderniedliches, -weißseidenes Zughütchen, in dessen Höhlung sich ein zierlicher -Schooßhund verkroch, zwar nur aus Wachs, und in verkleinertem -Maaßstabe, aber dem theuren Bello so ähnlich, wie das Kind der Mutter. -Ein Brief begleitete die Sendung; er war von der guten, alten Cousine -und enthielt nebst tausend herzlichen Glückwünschen von ihr und allen -Bewohnern der Arbeitsstube die Bitte, beifolgenden Scherz freundlich -aufzunehmen. Das Hundchen war ein Abbild dessen, den sich Madame -Niedrer zu Erinnerung an ihren theuren Bello verfertigen ließ, und -dessen Doppelgänger sich die Cousine für Agathen verschafft hatte. An -dem Hute aber hatten alle Mitglieder der Arbeitsstube einige jener -furchtbaren, kleinen Säume genäht, welche einst den Schrecken und -die Verzweiflung Agathes ausmachten. Fräulein Schneider garnirte das -Kunstwerk schließlich mit zierlichen Maiblumen, und dieses Hütchen war -in der ganzen langjährigen Praxis der würdigen Directrice das Erste und -Einzige gewesen, das ohne vorherige Prüfung ihrer Principalin in die -Welt hinaus wanderte. - -»Also nun birgt unsere Pfarre dennoch gerade jene beiden verpönten -Gegenstände, Schooßhund und Zughut! O du arme Agathe!« rief der Pfarrer -lustig und hielt die beiden Geschenke hoch empor. Agathe aber hatte -Thränen im Auge, während ihr Mund lächelte, und innig bewegt sagte sie: -»Ja, es ist recht so! Gerade diese beiden Dinge sollen mir immer vor -Augen stehen; denn sie werden mir eine stete Mahnung daran sein, wie -gütig Gott die arme Waise aus Trübsal zu Glück und Frieden führte.« - - - - - Neue Wege. - - - - -Auf dem weichen Teppich eines kleinen, behaglichen Zimmers schritt ein -schlanker Mann in mittleren Jahren unruhig auf und nieder und wühlte -mit seiner Hand oft ungeduldig in dem vollen, dunkelblonden Haar, das -sein angenehmes Gesicht beschattete. Zuweilen blieb er stehen und -schaute aufmerksam nach der hübschen Frau, welche sich leicht in die -Kissen des Sophas zurücklehnte und mit einer Handarbeit beschäftigt -war. Während das Gesicht des Mannes sich immer lebhafter röthete und -Spuren des Verdrusses zeigte, ruhte auf den Zügen der noch ziemlich -jung aussehenden Frau eine milde Freundlichkeit, und ihr Auge blickte -ab und zu mit einem ungemein sanften Ausdrucke von der Arbeit auf. - -»Du bist zu gut und nachsichtig gegen sie, Gertrud, und dadurch -erreichst du einmal nichts bei dem verwöhnten Mädchen,« sagte -Geheimerath Seebald, jener blonde Mann, endlich unwillig und blieb vor -seiner Frau stehen, welche soeben eine längere Mittheilung gemacht zu -haben schien und ihren Gatten nun fragend anblickte. - -»Aber, lieber Gustav, bedenke, wie frei und unabhängig Frida in diesen -letzten Jahren gewesen ist,« entgegnete die Frau sanft. »Es ist -für jedes junge Mädchen eine schwere Sache, sich einer Stiefmutter -unterzuordnen; für Frida aber ist es doppelt schwer, da du sie so -völlig ungehindert schalten und walten ließest. Nun soll das arme Kind -mit einemmale ein Muster von Ordnung und Vortrefflichkeit sein; aber -du vergißt, daß gerade in dem so wichtigen Uebergange vom Kinde zur -Jungfrau ihr niemand zur Seite stand, der sie leitete und sie eines -Bessern belehrte, sobald sie Fehler beging.« - -»Niemand?« rief der Geheimerath lebhaft. »Habe ich ihr nicht eine -Gouvernante gehalten und Dienstleute und alles was sie sonst brauchte?« - -»Ja, lieber Gustav, nur eben allzuviel!« entgegnete Frau Gertrud still -lächelnd. »Die Gouvernante war vielleicht keine ganz glückliche Wahl; -ihre Erziehungsresultate wenigstens sprechen für wenig Geschick und -Klugheit. Ich bitte dich heut nur, habe Geduld mit Frida; es wird schon -besser werden. Ich verberge mir nicht, daß ich keinen leichten Stand -ihr gegenüber habe, da sie mich als unwillkommenen Eindringling eher -hassen als lieben mag. Aber ich vertraue auf ihren Verstand und ihr -gutes Herz und auf meine geduldige Liebe zu dem Kinde.« - -»Ich tadle an Frida weniger ihre schlechten Eigenschaften, als vielmehr -ihr Benehmen gegen dich, liebe Gertrud,« sagte der Geheimerath -verstimmt. »Ist es nicht empörend, daß meine älteste Tochter dir mit -Mißtrauen und Kälte entgegentritt, wo sie doch vielmehr froh sein -sollte, eine liebevolle Mutter und Freundin in dir zur Seite zu haben, -die ihr alle die Lasten abnimmt, welchen ein so junges Mädchen ja noch -gar nicht gewachsen ist. Und daß Frida auch dafür kein Verständniß hat, -was du für mich bist, der ich lange Jahre hindurch einsam und freudlos -dagestanden habe, und vor allem, welche treue Mutter ich in dir für -ihre kleinen Geschwister gewonnen, die so unsäglich einer andern Pflege -und Liebe bedurften, als sie ihnen Wärterinnen geben konnten, -- siehst -du, Gertrud, alles das ist's, was mich so sehr gegen Frida aufbringt. -Sollte ich sie etwa erst um Erlaubniß fragen, ehe ich einen neuen -Ehebund schloß? Wahrlich, das verwöhnte Kind scheint es beansprucht zu -haben.« - -»Eben =weil= sie ein verwöhntes Kind ist, Gustav!« sagte Gertrud sanft. -»Vielleicht wäre es in der That besser gewesen, du hättest vorher mit -ihr gesprochen und ihr deine Lage und die der Kinder vorgestellt. Du -hättest ihr damit ein Vertrauen bewiesen, das ihr schmeichelte, hättest -an ihr Herz und ihren Verstand appellirt und uns Allen die Situation -dadurch erleichtert. Indem du ihr mit der fertigen Thatsache gegenüber -tratest, reiztest du ihren Trotz und ihre Opposition ganz unnöthig; -denn jetzt hat sie absolut keinen Antheil an dem, was du für gut und -nöthig fandest und kommt mir mit Abneigung und Mißtrauen entgegen. Daß -ich unter diesen Umständen für's Erste sehr vorsichtig sein muß und sie -vor allem wegen ihrer Fehler jetzt noch nicht tadeln mag, ist wohl ganz -natürlich. Aber wenn Frida erst einsehen wird, daß ich nur ihr Bestes -will und daß sie nur Erleichterung und Annehmlichkeiten durch meinen -Eintritt in die Familie hat, dann wird sich das alles bald ändern.« - -»Gebe es Gott; es lastet wie ein Alp auf mir und läßt mich des Glückes -gar nicht froh werden, das du mir in das Haus gebracht hast, meine -geliebte Gertrud!« sagte der Geheimerath seufzend, indem er den Arm um -seine Gattin legte, die jetzt an seiner Seite stand. »Aber das sage -ich dir: wenn Frida sich noch ein einzig Mal so beleidigend und so -über alles Maaß hochfahrend gegen dich beträgt, wie es heut Vormittag -der Fall gewesen, dann muß ich auf eine Aenderung denken. Dergleichen -Unbilden sollst du nicht durch das thörichte Mädchen ausgesetzt sein; -das darf ich nicht leiden.« - -»Laß doch nur jetzt gut sein, liebster Gustav,« entgegnete Gertrud -tief erröthend. »Mich kränken solche Ausbrüche von Frida's Laune nicht -nachhaltig. Wenn ich mich in ihre Stelle versetze, wäre ich gegen meine -unwillkommene Stiefmutter vielleicht auch nicht sehr liebenswürdig.« - -»Nein, nein, Gertrud, es liegt tiefer; es ist nicht blos -augenblickliche, üble Laune, glaube es mir,« sagte der Geheimerath -düster. »Es wäre für Frida vielleicht auf alle Fälle gut, sie käme eine -zeitlang aus dem Hause, in andre, einfachere Verhältnisse. Es sprechen -auch noch einige andre Gründe für einen solchen Wechsel, welcher sie -dem Einfluß einiger unklugen Freundinnen, sowie allerlei Thorheiten -entzöge, die sie sich, wie ich sehr stark vermuthe, in den Kopf gesetzt -hat.« - -»Aber nur jetzt nicht, nicht gleich nach meinem Eintritt in deine -Familie,« bat Gertrud dringend. »Welche Gründe dich auch für einen -solchen Wunsch bestimmen mögen, warte noch damit, ich bitte dich. -Bedenke doch, welches Licht es auf deine Frau werfen würde, die die -älteste Tochter aus dem Hause treibt, sobald sie nur den Fuß in -dasselbe setzte.« - -»Wenn es nöthig wäre, würde niemand meine sanfte, engelsgute Frau -beschuldigen, sondern nur meine stolze, trotzige Tochter, das glaube -mir, Gertrud,« erwiederte der Geheimerath milde und küßte die schmale, -weiße Stirn seiner Gattin. »Aber du magst Recht haben. Besser, -wir schieben die Sache noch etwas hinaus, vorausgesetzt aber, wie -gesagt, daß Frida solche Auftritte vermeidet, wie ich heute Morgen -im Nebenzimmer mit anhörte. Dergleichen =darf= in meinem Hause nicht -vorkommen; das leide ich nicht.« - -Nach diesem Gespräche trennten sich die beiden Gatten; der Geheimerath -ging an seine Geschäfte, Gertrud in das Zimmer ihrer beiden kleinen -Stiefkinder, einem Knaben von sechs und einem Mädchen von vier Jahren. -Es waren blasse, kränklich aussehende Kinder, welche die Stiefmutter -mit ziemlich gleichgültiger Miene anblickten, als dies zu ihnen -herantrat. - -»Zeigst du Käthchen Bilder, lieber Franz?« sagte Gertrud freundlich und -strich dem Knaben über das glatte, dunkle Haar. - -»Ja, Mama, die Bilder sind aber so langweilig; ich kenne sie schon -alle so sehr,« klagte Franz, mit seinen schwimmenden, dunklen Augen zu -Gertrud aufschauend. - -»So kommt mit in mein Zimmer, Kinder; ich will euch heute einmal -wieder die hübschen Kupferstiche zeigen, die euch neulich so gut -gefielen,« sagte die Mutter freundlich. Ein leises Roth der Freude zog -über des Knaben blasse Wange, und rasch sprang er vom Stuhle auf, der -voranschreitenden Gertrud zu folgen. Die kleine Katharine trippelte -eilig hinterdrein, und bald neigten sich die beiden Kindergesichter -über einen Band schöner, großer Kupferstiche, welchen die Mutter ihnen -auf den Tisch gelegt. - -»Erkläre Käthchen die Bilder, wenn sie nicht alles versteht; du bist -ja schon ein verständiger Junge,« sagte Gertrud lächelnd zu Franz, -der ernsthaft mit dem Kopfe nickte und ganz stolz sein Amt eines -Informators antrat, indem er sich Geschichten zu den bildlichen -Darstellungen erfand, denen Käthchen mit gespannter Aufmerksamkeit -lauschte. Gertrud setzte sich indeß still an ihre Arbeit und ließ ihren -Gedanken freien Lauf, bis nach einer Weile die Thür des Nebenzimmers -heftig aufgerissen wurde, und ein junges Mädchen rasch eintrat. - -»Franz, du unartiger Junge, du hast mir gewiß wieder mein Buch -fortgenommen,« rief sie ärgerlich und kam zu den Kindern. »Bilder -beseh'n, und immer und ewig Bilder beseh'n, weiter treibst du den -ganzen Tag nichts. Meine Bücher =sollst= du aber nicht nehmen; das -weißt du doch?« - -Franz war feuerroth geworden und antwortete nichts; Gertrud aber sagte -milde: »Welches Buch fehlt dir denn, Frida?« - -Das junge Mädchen wandte den Kopf nur halb nach der Fragenden um und -sagte kurz: »Ein Dumas'scher Roman, in dem Franz einige Bilder gesehen -hat, die ich hineingelegt.« - -»Das Buch liegt in deines Vaters Zimmer, liebe Frida,« entgegnete -Gertrud. »Er hielt die Lectüre für nicht ganz passend für ein so junges -Mädchen und nahm das Buch an sich. Ich will dir bessere Bücher geben, -liebes Kind, als diese leichtfertigen, französischen Romane. Hast du z. -B. die Bücher von Jeremias Gotthelf schon gelesen?« - -Frida blickte ihrer Stiefmutter jetzt voll in das Gesicht. Es war -ein feines, schönes Köpfchen, das auf den jungen, siebzehnjährigen -Schultern saß, der edlen Bildung ihres Vaters sehr ähnlich und von -vollem, blonden Haar umwogt. Aber die maaßlos moderne Frisur verdarb -das prachtvolle Haar ebensosehr, wie der stolze Ausdruck des Gesichtes -der Schönheit dieser Züge schadete. Bei Gertruds Worten warf sie den -Kopf hochmüthig zurück und sagte scharf: »Wer hat denn in meinem Zimmer -herumspionirt und Papa meine Bücher zugetragen?« - -»Nicht in deiner Stube lag das Buch, Frida,« entgegnete Gertrud ruhig, -»sondern im Eßzimmer trieb es sich herum. Dein Vater sah es dort liegen -und blätterte darin.« - -»Papa hat sich doch sonst nicht um meine Lectüre bekümmert, warum denn -jetzt auf einmal?« sagte Frida spitz. »Von selbst ist er sicher nicht -darauf verfallen, und ich möchte doch sehr bitten, mich auch ferner mit -dergleichen in Ruhe zu lassen. Solche Hetzereien sind gräßlich.« - -»Du bist noch zu jung, liebe Frida, um jedes Buch lesen zu können, -das dir in die Hand kommt,« erwiederte die Mutter immer noch ruhig, -obwohl ihr zartes Gesicht bei Frida's bösen Worten abwechselnd bleich -und roth wurde. »Böse gemeint ist dabei nichts, im Gegentheil bin -ich gern bereit, dir viel bessere Lectüre zu geben, als du in deiner -natürlichen Unkenntniß dir aussuchst. Du weißt, ich habe eine sehr -reiche Bibliothek sie steht dir gern zu Diensten.« - -»Ich danke, ich bin in der Leihbibliothek abonnirt,« sagte Frida kurz -und ging hinaus, die Thür sehr unsanft in das Schloß werfend. Gertrud -strich sich mit der Hand langsam über das Gesicht und seufzte. Dann -aber blickte sie heiter nach den beiden Kindern, welche fröhlich über -ein spashaftes Bild lachten, das sie soeben aufgeschlagen, und Franz -brachte das Buch zu der Mutter, damit diese ihnen die Geschichte -erzählte, die herrlich sein mußte. Gertrud erfüllte bereitwillig die -Bitte und vergaß in dieser Weise einigermaßen den häßlichen Auftritt, -den Frida veranlaßt hatte. Sie fürchtete aber freilich trotz aller -Sanftmuth und trotz der unablässigen Mühe, die sie sich gab, Frida für -sich zu gewinnen, daß ihr dies nicht gelingen werde, und einige Tage -später brach denn auch wirklich die Katastrophe herein, welche Gertrud -trotz aller Liebe und Milde nicht abwenden konnte. - -Gertrud hatte sich zum Ausgehen fertig gemacht und sagte, in das -Zimmer tretend, zu Frida, welche am Clavier saß: »Aber willst du dich -nicht anziehen, mein Kind? Ich sagte dir ja, wir wollten bei Präsident -Wehrmann und Regierungsrath Keller Besuche machen. Dein Vater wird -gleich eintreten, uns abzuholen; beeile dich etwas.« - -Frida wandte in ihrer beliebten Weise den Kopf nur halb herum und -spielte weiter. Die Mutter wartete einige Augenblicke, dann forderte -sie das junge Mädchen von Neuem auf, nur mühsam ihre Ungeduld -verbergend; denn sie wußte, wie ungern ihr Gatte wartete, wenn er -ausgehen wollte. Frida aber spielte noch immer und sagte nur leichthin: -»Ich gehe nicht mit!« - -»Du gehst nicht mit, Frida? Warum nicht?« rief Gertrud erstaunt. - -»Weil ich keine Lust habe,« entgegnete Frida schnippisch. »Ich kann das -Volk nicht ausstehen.« - -»Wen meinst du eigentlich, liebes Kind?« sagte Gertrud betreten, und -ihre Stirn röthete sich vor Unwillen. - -»Wen ich meine?« rief Frida nachlässig; »nun deine Präsident Wehrmanns -und Kellers und wie sie alle heißen. Eine langweiligere Gesellschaft -kenne ich nicht. Ich habe meinen eigenen Bekanntenkreis; jene Leute -besuche ich nicht.« - -»Du wirst dich doch wohl dazu entschließen müssen, liebe Frida,« sagte -Gertrud ruhig, »denn jene Familien gehören zu dem Kreis der Freunde -deines Vaters, und da schickt es sich nicht anders, als daß die Tochter -des Hauses mit uns Besuche bei ihnen macht.« - -»Das sind wieder einmal solche herrlichen Neuerungen, wie sie jetzt -massenhaft ins Haus kommen!« rief Frida trotzig. »Es ist doch -mindestens sonderbar, daß mir jetzt fortwährend geboten wird, das thu, -und das laß, wo ich doch bisher ganz gut selbst wußte, was ich zu thun -und zu lassen hatte.« - -»Dein =Vater= will es so, mein Kind,« sagte Gertrud kurz. - -»Papa will es nur, weil =du es= willst; sonst fiele es ihm gar nicht -ein, mir Dinge zuzumuthen, die mir unerträglich sind!« fuhr Frida -leidenschaftlich auf. »Aber ich werde deshalb doch thun, was mir -beliebt, wie ich es bisher gethan habe; ich bin alt genug und bedarf -keiner Gouvernante mehr. Und wenn Papa kommt, will ich es ihm selbst -sagen; warum hat er mir Situationen octroyirt, die mich empören -müssen!« Dabei warf sie ein Notenheft so stürmisch auf den Flügel, -daß die losen Blätter weit im Zimmer umherflogen, und stieß den -Clavierschemel mit dem Fuße zur Seite, daß er umstürzte. - -»Augenblicklich schweigst du, und möge deine Mutter die bösen -Reden vergessen, die du führtest!« rief jetzt aber die Stimme des -Geheimeraths, welcher rasch in das Zimmer eintrat. »Ich habe alles mit -angehört, was du gesagt hast, du unartiges Mädchen; aber jetzt hat das -Spiel ein Ende. In dieser Weise dulde ich es nicht länger, daß meine -Tochter ihrer Mutter gegenübertritt. Geh' jetzt auf dein Zimmer und -erwarte dort das Weitere.« - -Frida warf den Kopf trotzig zurück und ging hinaus. Gertrud aber -verbarg schluchzend ihr Gesicht in dem Tuche. - -»Gräme dich nicht, liebe Gertrud,« sagte ihr Gatte weich. »Ich fühle -deutlich, ich habe einen großen Fehler begangen, daß ich Frida so -völlig zügellos aufwachsen ließ. Gebe Gott, daß es noch nicht zu spät -ist, sie zu ändern. Ich kenne sie in der That kaum wieder. Eigentlich -ist sie ein gutes, fröhliches Geschöpf; aber jetzt ist sie wie -ausgetauscht, und mir scheint, es wird immer schlimmer statt besser. -Was ich dir neulich schon sagte, das wiederhole ich: das Beste ist, sie -kommt eine Weile aus dem Hause. Wir entziehen sie dadurch auch zugleich -dem Einfluß einer ihrer nächsten Freundinnen, die in hohem Grade -ungünstig auf ihr weiches Gemüth einwirkt, wie ich fürchte. Ich kann -ihr den Umgang mit dieser Familie nicht untersagen; auch würde ich die -Sache dadurch nicht bessern, sondern nur Heimlichkeiten hervorrufen.« - -»Du erwähntest neulich schon etwas der Art,« sagte Gertrud; »welche -Freundin meinst du?« - -»Franziska von Froreich, ein eitles, leichtsinniges, aber kluges und -angenehmes Mädchen,« entgegnete der Geheimerath. »Sie hat den Kopf voll -Phantastereien und Thorheiten, und leider steckt sie meine empfängliche -Frida sehr damit an. Durch unsere würdige Geheimeräthin Gerold, eine -mütterliche Freundin meines Hauses, habe ich einige Dinge erfahren, -die mich in der That beunruhigen. Im Hause dieser Froreich's hat -Frida einen jungen Mann kennen gelernt, der ganz das Zeug dazu hat, -einen phantastischen siebzehnjährigen Mädchenkopf zu verdrehen; denn -er ist schön, elegant, witzig und angenehm, gerade wie es ein Held -der Romane sein muß, die sie lesen. Dieser junge Herr scheint alle -Künste zu verstehen, die Herzen unerfahrener Mädchen zu gewinnen. Mit -dieser singt und musicirt er, mit jener schwärmt er für Literatur und -bringt ihr Gedichte, dann wieder treibt er Blumensprache oder sonstige -Fadaisen mit ihnen, tanzt vortrefflich, zeichnet etwas, kurz, es giebt -eben nichts, was er nicht verstände und wüßte. Aeltere Frauen schütteln -die Köpfe, den Männern ist er gleichgültig oder im Wege. Niemand aber -weiß recht, wer er ist und was er eigentlich treibt. Meiner hübschen -Frida aber hat er das Köpfchen augenscheinlich gründlich mit seinen -Süßigkeiten verdreht, und wenn ich etwas sorglicher die Augen offen -gehalten hätte, als ich leider gethan, so würde ich wohl selbst gesehen -haben, worauf mich liebe Freunde jetzt aufmerksam machen. Ich denke -jedoch, Frida ist noch ein solches Kind, daß ihr die Sache aus dem -Kopfe kommt, lebt sie einige Monate in anderen Kreisen, und besonders -auch fern von Franziska, die sich darin scheint gefallen zu haben, als -Beschützerin dieser keimenden Liebe eine interessante Rolle zu spielen.« - -»Hast du gegen Frida etwas über diese Sache erwähnt?« sagte Gertrud -nachdenkend. - -»Thörichter Weise allerdings!« entgegnete der Geheimerath -achselzuckend. »Ich glaubte, ihr klar machen zu können, daß an einem -jungen Manne elegantes und einschmeichelndes Wesen etwas Gefährliches -sei, und daß es verdienstvollere Eigenschaften gäbe und würdigere, -um die Achtung und Liebe eines Mädchens zu gewinnen. Aber das war -nur Oel in's Feuer. Sie vertheidigte ihren jungen Verehrer mit -flammenden Augen, und ich bin sicher, hätte ich ihr den Verkehr mit -demselben jetzt untersagt, die Sache wäre bei Frida's Heftigkeit wohl -zu einer bösen Wendung gekommen. Ich zog es daher vor, sie mit ihrer -jugendlichen Schwärmerei zu necken und das Ganze scherzhaft und leicht -zu nehmen. Aber ich kann dir sagen, liebe Gertrud, ich bin froh, dich -jetzt zur Seite zu haben, damit du über das Kind mit treuen Mutteraugen -wachest und mit vorsichtiger Frauenhand den Knoten lösest, der sich da -etwa zu schlingen droht. An dem jungen Galan ist nichts, davon bin ich -überzeugt, seit ich ihn etwas näher beobachtet; aber mein Männerkopf -versteht es nicht, da das Rechte zu ergreifen.« - -Gertrud sah ernst sinnend vor sich nieder. »Du kannst auf meine Hülfe -rechnen, Gustav,« sagte sie sanft. »Aber die Aufgabe ist keine leichte. -Wie ich Frida beurtheile, wird sie sich schwer von einer ernsten -Neigung zurückbringen lassen, und Widerstand ihr die Sache vielleicht -noch anziehender machen. Sie glaubt dann wohl eine jener Romanheldinnen -zu sein, die für ihre Liebe schwere Opfer zu bringen haben, wie sie -in den Büchern gelesen. Lassen wir für jetzt die ganze Angelegenheit -unberührt, vielleicht wirkt Zeit und Entfernung günstig auf ihr Gemüth. -Wenn du sie unter recht einfache, frische und brave Menschen bringen -könntest, so wäre dies wohl das beste Mittel, das Kind zu ändern und zu -bessern; aber wo finden wir solche?« - -»Ich denke, ich habe sie schon gefunden,« entgegnete der Geheimerath -heiter. »Die Sache liegt mir länger schon im Sinn; denn seit jener -Mittheilung unserer lieben, alten Freundin, Frida's keimende -Neigung betreffend, war ich entschlossen, das Kind für eine Weile -anderen Händen anzuvertrauen und sie aus den hiesigen Verhältnissen -fortzuschicken. Seitdem aber kam durch dich, meine Gertrud, neues -Glück über mich, und ich hoffte, auch über Frida, und so gab ich den -Gedanken jener Trennung auf. Nun aber ist dieselbe nöthiger als je, -nöthig für alle Theile, und so zögere ich nicht länger. Ich werde Frida -meiner Schwägerin anvertrauen, der Schwester ihrer Mutter. Das ist -eine einfache, gute und tüchtige Frau, und ihre Töchter liebe, nette -Mädchen. Bei ihnen ist unser Kind wohlaufgehoben. Mein Schwager, ein -braver, trefflicher Mann, hat eine Pachtung in Mecklenburg übernommen, -und das Landleben wird Frida mit vielem aussöhnen, was ihr in den sehr -einfachen Verhältnissen sicher nicht gefallen wird. Ich habe bereits -früher schon einmal angefragt, ob meine Schwägerin mir das Opfer -bringen will, Frida für einige Zeit in ihr Haus zu nehmen, und sie ist -gern dazu bereit. Du bist wohl so freundlich, liebe Gertrud, in Frida's -Sachen nachzusehen, was sie etwa bedarf. Staat wird sie überflüssig -genug haben, für alles andere aber übernimm, bitte, die Sorge.« - -Während Frida's Eltern noch Weiteres mit einander besprachen, lag das -junge Mädchen in ihrem Zimmer auf dem Sopha, das Gesicht in die Kissen -gedrückt, und ihre Brust athmete heftig. Aber Thränen flossen trotz -aller Leidenschaft nicht aus den heißen Augen. Mit ihren kleinen, -weißen Zähnen biß sie fest in das feine Taschentuch, das sie vor die -Lippen drückte, und riß so heftig daran herum, daß es in Stücken flog. -Da ballte sie die Fetzen grimmig in der kleinen Hand zusammen und -schleuderte den Knäul in die Ecke; ihre hübschen Füße aber stampften -nun so energisch den Boden, daß die höchst eleganten Stiefelchen, -welche sie umschlossen, in allen Nähten krachten. - -»Unerträglich! Unerträglich!« rief sie ungestüm und schlug die Hände -vor das Gesicht. »Mich so zu behandeln, mir das zu bieten, und in ihrer -Gegenwart! O, ich möchte ersticken vor Aerger. Und was nun seine Worte -heißen sollten? >Erwarte dort das Weitere!< Was soll ich erwarten? Will -man mich etwa einschließen, mich gefangen halten bei Wasser und Brod, -bis ich kirre werde und der Frau Mutter zu Füßen liege? O da können sie -lange warten; aber es ist abscheulich, ganz abscheulich vom Papa. Bis -jetzt war er immer so gut und that alles, was ich wollte; nun ist er -wie verwandelt. Und an allem ist =sie= allein schuld, ich weiß es wohl, -sie mag sich verstellen wie sie will. Aber ich dulde es nicht, nein, -absolut nicht!« - -In dieser Weise trieb es das heftige Mädchen noch eine lange Weile, -ohne dabei ruhiger zu werden. Da öffnete sich die Thür und ihr Vater -trat herein. - -»Frida,« sagte er ruhig und ernst, »ich denke, es wird für alle -Theile besser sein, wir versuchen es, eine Aenderung dadurch im Hause -eintreten zu lassen, daß du deine Tante Marie, die dich lange schon -so freundlich eingeladen hat, für einige Zeit besuchst. Ich habe dich -zu sehr verzogen, ich sehe es jetzt wohl ein; der Schaden jedoch läßt -sich nicht so schnell gutmachen. Aber deine treffliche Mutter soll -nicht durch dich leiden. Ich hoffe, bei Tante Marie wirst du etwas -vernünftiger werden und als ein verständigeres Mädchen heimkehren. -Suche deine Sachen zusammen, übermorgen bringe ich dich nach Dahme.« - -»Also eine Verbannung!« sagte Frida kalt. »Gut, ich gehe und mache -Platz; es mag das Beste sein, du hast Recht, Papa. Zwei Willen das geht -nicht. Schade nur, daß du das jetzt erst merkst, und ich darunter so -bitter leiden muß. Aber es mag drum sein; ich danke dir, daß du mich -fortschickst.« - -Es war kein guter Geist, der aus Frida in diesem Augenblicke sprach. -Ihr Vater stand ihr traurig und rathlos gegenüber und wußte nicht, wie -er den Weg zu ihrem Herzen finden sollte. Da fiel sein Blick auf ein -Bild, das über Frida's Nähtischchen hing. Leise ergriff er die Hand -seiner Tochter und führte sie zu diesem Bilde. Es war das ihrer Mutter. - -»Frida,« sagte der Vater weich, »was würde sie dazu sagen, wenn sie -hörte, wie ihr Kind mit ihrem Vater spricht!« - -Das junge Mädchen zuckte leise zusammen und erblaßte. Einen Augenblick -stand sie mit gesenkten Lidern vor dem Bilde, dann rief sie: »Papa!« -und laut schluchzend sank sie an ihres Vaters Brust. Still hielt dieser -sein Kind in den Armen, sprechen konnte er nicht, und auch Frida -weinte nur heftig ohne zu sprechen. Endlich aber stammelte sie erregt: -»Verzeih mir, Papa! O ich bin zu, zu unglücklich!« Und wieder weinte -sie leidenschaftlich. - -»Ich verstehe dich nicht, Kind,« sagte der Vater sanft und streichelte -ihre Wange, »du bist mir völlig räthselhaft; denn wenn du nur wolltest, -so würde dir aus deiner jetzigen Situation unendlich viel Glück und -Freude erwachsen; aber erzwingen kann ich es freilich nicht. Machen -wir deshalb den Versuch einer Trennung in aller Liebe, Frida, hörst -du wohl? ohne von Verbannung oder dergleichen Thorheiten zu sprechen. -Ein Landaufenthalt wird dir in allen Fällen gut thun; der letzte -Winter hat dich etwas blaß und nervös gemacht. Tante Marie hat dich -lieb und freut sich lange schon auf dein Kommen, und ihre Töchter -werden dir ein angenehmer Umgang sein. Scheiden wir in aller Liebe und -Herzlichkeit für eine Weile von einander, und wenn du dann wieder zu -uns zurückkommst, wirst du alles mit anderen Augen ansehen, deß bin ich -sicher.« - -Frida schüttelte zwar leise und ungläubig den Kopf; aber der gute -Geist, den ihr Vater heraufbeschworen, breitete seine Hände über sie. - -»Wie du willst, Papa. Ich glaube, du hast Recht, und es ist gut für -alle Theile,« sagte sie weich und ergeben. »Ich werde meine Sachen -zusammen suchen, dann können wir fort, je eher je lieber.« - -Der Geheimerath küßte sein Kind liebevoll und sagte leise: »So ist's -recht, Frida, mache deinem armen Vater das Herz nicht gar zu traurig. -Ich danke dir, und =sie= wird dich dafür segnen.« Dabei blickte der -weiche Mann noch einmal feuchten Auges nach dem Bilde seiner ersten, -unsäglich geliebten und betrauerten Gattin, dann verließ er still das -Zimmer. - -Frida setzte sich wie gebrochen diesem lieben Bilde gegenüber, und -leise rannen noch einige Thränen über ihre Wangen. Aber es waren -gute Gedanken, welche jetzt durch ihre Seele zogen. Sie gedachte -jener traurigen Zeit, als diese treue Mutter von den Ihren schied, -nachdem sie noch dem kleinen Käthchen das Leben geschenkt hatte, und -welche Zerstörung dieser Tod in die Familie brachte. Ihr Vater war -wie vernichtet von Kummer und Leid; das schwache, neugeborne Kindchen -lag kraftlos und still in seiner Wiege, und das matte Lebenslicht -schien verlöschen zu wollen. Sich selbst überlassen, trieben sich -die andern Kinder im Hause umher, Frida selbst erst 12 Jahre alt und -unfähig, die jüngeren Geschwister zu zügeln. Wohl kamen dann Fremde -in das Haus, sich der Kinder und des Hauswesens anzunehmen; aber es -war ein zerfahrener Geist in dem Ganzen, und der Hausherr besaß nicht -Kraft und Umsicht genug, es zu ändern. Summen wurden verschwendet, -die Leute gewechselt, bald Strenge, bald Güte versucht, die Dinge -anders zu gestalten, es war vergebens. Dann erkrankten die Kinder am -Scharlachfieber, zwei von ihnen, welche vielleicht bei sorgsamerer -Pflege gerettet werden konnten, erlagen der Krankheit, und die beiden -Jüngsten blieben kränklich und blaß, nachdem sie genesen waren. Endlich -übernahm Frida die Oberleitung des Hauswesens, sie war ja sechzehn -Jahr alt und also ein erwachsenes Mädchen. Aber statt besser, wurde es -nur schlimmer. Frida fühlte das wohl, wußte es aber nicht zu ändern. -Sie war sich selbst nicht klar, daß ohne Anleitung und ernsten Sinn, -nur voll Interesse für ihr Vergnügen, ihren Putz und ihre Freundinnen, -sie einer solchen Aufgabe nicht gewachsen war. Frei und ohne jegliche -Schranke ließ der Vater sie schalten und walten, that alles, was Frida -wollte, gab ihr Geld über Geld und bewilligte alle Vorschläge, nur um -Ruhe und Frieden im Hause zu haben. Und doch erreichte er damit wenig, -Frida aber brachte er großen Schaden. Ein dunkles Gefühl sagte dies dem -jungen Mädchen gar wohl; aber doch war es gar zu schön, so unbeschränkt -leben und befehlen zu können, sie wünschte es nicht anders. - -Welch ein Donnerschlag war da für sie die Nachricht, ihr Vater -werde wieder heirathen! Tiefe Entrüstung ergriff Frida über solches -Unterfangen, und mit lebhaftem Mißtrauen und starker Abneigung trat sie -der unwillkommnen Stiefmutter entgegen. Mit innerer Empörung übergab -sie den Händen der neuen Hausfrau alle Pflichten, welche jetzt ihr -obgelegen, und denen sie freilich nur allzu lässig nachgekommen war. -Die Uebergabe dieser Geschäfte konnte sie nicht ändern und mußte sie -schweigend ertragen. Aber eines stand fest: sie selbst wollte nie etwas -mit dieser Stiefmutter gemein haben und sich nie und nimmer ihrer Macht -unterwerfen. Freilich suchte diese neue Mutter durch unsägliche Geduld -und Milde solche Entschlüsse zu stürzen und Frida's Herz zu erobern, -Frida jedoch stemmte sich mit aller Macht dagegen, und wie sie ihre -vermeintlichen Rechte glaubte schützen zu müssen, das haben wir selbst -gesehen. Aber es war ihr nicht wohl dabei. Sie fühlte Tag täglich, -welchen Schatz ihr Vater mit dieser Mutter in das Haus geführt, und wie -wohl geordnet jetzt alles seine stillen Wege ging. Wie froh und heiter -blickte ihr Vater jetzt in die Welt hinein, wie wohl versorgt waren -die kleinen Geschwister, und wie ordentlich und gesittet thaten die -Dienstleute ohne Lärm und ohne Widerspenstigkeit ihre Pflichten. Aber -trotz dieser Einsicht konnte sie die Erbitterung und den Verdruß nicht -aus ihrem Herzen scheuchen, und so war es besser, sie ging. Mochte -ihr Vater Recht haben oder nicht, mochte Zeit und Entfernung günstig -wirken oder nicht, für jetzt =konnte= es nicht so bleiben, das sah und -begriff sie. Der vorige Trotz ihres ungebändigten, kindischen Herzens -hatte jetzt ruhigerer Einsicht Platz gemacht, ja endlich behauptete -die Jugend so sehr ihr Recht, daß die bevorstehende Reise mit ihren -neuen Verhältnissen und Eindrücken ihr sehr lockend erschien, und sie -sich von Herzen auf den Landaufenthalt freute, den sie sich lange schon -gewünscht. So machte sie denn gute Miene zum bösen Spiel, erzählte -ihren Freundinnen von der bevorstehenden frohen Aussicht und war ganz -heiter und guter Dinge. Gertrud ging auf diese Stimmung Frida's nur zu -gern ein und half ihr eifrig, für die Reise alles in Stand zu setzen, -wobei sie freilich wünschte, gar vieles von dem Putz und Staat aus den -Koffern wieder heraus zu legen, den die eitle Frida einpackte, welche -sich einen sonderbaren Begriff von den Bedürfnissen ihres Landlebens zu -machen schien. - -So war denn einige Tage später der Schritt geschehen und Frida im -Hause der Tante Marie. Ihr Vater war wieder abgereist, Frida aber saß -bald nach ihrer Ankunft bei einem Briefe an ihre liebste Freundin, und -damit wir sehen, wie es ihr in der neuen Umgebung gefällt, blicken -wir über die Schulter der Schreiberin und nehmen Kenntniß von ihren -Freundschaftsergüssen. - - - »Liebste, beste Franziska! - - Drei Tage sind schon darüber hingegangen, daß ich meinem Papa - Lebewohl gesagt habe und hier in das Haus von Onkel und Tante Bremer - eingetreten bin. Wie voll ist mir das Herz, und wie sehr verlangt mich - danach, Dir, meiner besten, liebsten Freundin, von meinem Ergehen und - meiner hiesigen Situation Kunde zu geben. Aber bis jetzt kam ich nicht - dazu; denn ich kann Dir sagen, daß ich völlig benommen bin von der - Neuheit meines Aufenthaltes. Eine Sehnsucht und ein Verlangen nach - meinem himmlisch behaglichen Vaterhause, nach Dir und meinen anderen - geliebten Freundinnen erfüllt mich von früh bis spät, und wenn ich - mich nicht schämte, ich packte am liebsten wieder ein und eilte zurück - zu Euch Allen, trotz der unerträglichen Verhältnisse im Vaterhause. - - Ach Deinem Herzen, mein Fränzchen, als dem meiner intimsten Freundin, - habe ich ja allein den wahren Sachverhalt anvertraut, Du allein weißt - ja, was und wer mich aus dem Vaterhause hinaus getrieben. Die, die - sich jetzt meine Mutter nennt, ist es, ich weiß es wohl, und wenn ich - auch um Papa's willen heiteren Auges geschieden bin, Du weißt besser, - wie es in mir aussieht. Ach eines nur beruhigt und tröstet mich trotz - allem -- daß ich diese Reise nicht schon einige Monate früher antreten - mußte. Du ahnest und weißt warum, meine süße Freundin! Die himmlischen - Stunden in Eurem Hause, wo ich =ihn= sehen und sprechen durfte, ach - sie sind ja doch ohnehin jetzt vorüber, seit er fort ist. Aber wo ist - er, warum sagte er es nicht, und warum ging er so plötzlich fort ohne - unser Wissen? Zum Winter aber, wenn ich wieder bei Dir bin, dann will - ja auch er wiederkommen, das hoffte er so sicher, als ich ihn zum - letzten Male sprach. O dieses letzte Mal, Fränzchen, es wird mir ewig - in der Seele bleiben! - - Wie oft hast Du mir versichert, ich sei ihm nicht gleichgültig, Du, - liebe, treue Freundin, ach immer und immer konnte ich nicht daran - glauben. Aber beim Abschied, da habe ich es wohl glauben müssen, (o - und =wie= gern!) denn daß ich es Dir jetzt nur gestehe, er hat es mir - nur allzudeutlich gesagt. Aber nicht blos in trocknen, prosaischen - Worten, wie ein Anderer es wohl an seiner Stelle gethan hätte; o nein, - das wäre dieses genialen, poetischen Kopfes nicht würdig! Nein, er hat - mir in einigen entzückenden Versen seine Gefühle gestanden. Denke nur, - Verse von ihm selbst. O ich müßte ein Herz von Eis oder Stein haben, - wenn mich diese Worte nicht gerührt hätten, und der Blick, von dem - sie begleitet waren. Ich muß Dir wirklich als Sühne für mein spätes - Vertrauen dieses Gedichtchen hersetzen; urtheile selbst, =was= ich - dabei fühlte. - - - In einem stillen Thale - Blüht eine Rose hold, - Die Blätter glühn und glänzen - Wie süßer Minne Sold. - - Da kommt mit müdem Schritte - Ein Wandersmann daher, - Sein Aug' ist matt und trübe, - Sein Herz ist bang und schwer. - - Doch wie mit holdem Zauber - Weht's um ihn wunderbar, - Und weiche Rosendüfte - Umspielen Stirn und Haar. - - Und wie ein Himmelsbote - Schaut ihn das Röslein an: - »Wohl kann ich Heilung bringen, - »Du armer, kranker Mann.« - - »Wem ich am Herzen ruhe - »In stiller Lieb' und Treu', - »Dem lächelt Freud' und Wonne - »Und süßes Glück aufs Neu. - - »»O Rose, holde Rose, - »»So sei auf ewig mein! - »»Des Herzens banges Sehnen, - »»Das stillest du allein! - - »»An treuer Brust geborgen - »»Blühst du in sichrer Huth; - »»O Rose, sei mein eigen, - »»Nur dann ist alles gut!«« - - - O wenn Papa dies läse, dann würde er eine andere, höhere Meinung - von den Gaben dieses herrlichen Mannes bekommen! Aber um alles in - der Welt, ihm darf ich es nicht sagen, er würde mir nie verzeihen, - daß ich solche Dinge angenommen habe von einem jungen Manne, der - ihm ganz fremd, und, wie ich mit blutendem Herzen bemerkt, durchaus - nicht willkommen ist. So mag es denn ein süßes Geheimniß zwischen uns - bleiben, mein Fränzchen, und wenn er wieder zurückkehrt, dann geht - hoffentlich die Sonne heller für uns auf. Was kümmert es mich, wer - und was er ist, wonach Papa so sorglich forschte! Er ist Deiner Mama - von einem Jugendfreunde empfohlen, das genügt mir, und wer so edel - und vornehm in seiner Erscheinung, so fein und ritterlich in seinem - Benehmen ist, der kann kein untergeordnetes Menschenkind sein. Der - Stempel edler Abkunft ist ja seiner schönen Stirn aufgeprägt! -- Doch - genug; ich verliere mich in meine süßen wonnigen Träume, und doch muß - ich ihnen hier so ganz Lebewohl sagen und der rauhen Wirklichkeit um - mich her leben. Laß Dir jetzt hiervon ein Wenig erzählen und bedaure - mich, Du Getreue! - - Franziska, was giebt es doch für Existenzen, und was das Wunderbarste - ist, wie glücklich scheinen mir hier die Leute alle in diesen mehr als - einfachen Existenzen. Mir steht der Verstand still, und Dein scharfer - Humor fände hier nur allzureichen Stoff für Witz und Spöttereien. - - Also mit dem Anfang zu beginnen, das heißt, mit unserer Ankunft hier - in Dahme. Auf der Eisenbahnstation erwartete uns die Tante Marie - selbst, eine große, brünette Frau mit starken Zügen und einer derben - Art und Weise, sich auszudrücken. Ich kannte sie jedoch schon, obwohl - ich sie damals mit Kinderaugen anblickte, denen alles Neue schön - erscheint. Leider sehen diese Kinderaugen jetzt auch noch anderes, - an der Tante z. B. gleich einen mehr als einfachen Anzug und einen - Hut, den Noah's Eheweib füglich hätte tragen können, so uralt war - er und bot Schutz vor Sonne, Wind und Regenwetter. Sie schloß mich - stürmisch in ihre großen, starken Arme und schüttelte mir die Hände - so energisch, daß meine feinen, blaßgrauen Josephinenhandschuhe, die - ich mir zur Reise frisch angeschafft, sogleich in einem breiten Riß - auseinander platzten. »Zieh die Dinger herunter, Kind!« rief sie - lachend, als sie sah, was sie angerichtet; aber das ließ ich wohl - bleiben, die scharfe Sonne hätte mir die Haut gleich abscheulich - verbrannt. Eine breitbauchige, schwerfällige Kalesche nahm uns dann - auf, vor welche ein paar lächerlich plumpe Ackergäule gespannt waren, - die ein roher Knecht vom Kutschbocke aus dirigirte. Meine hohen - Koffer blickte die Tante mit starrem Schrecken an, auf der Kalesche - hatten =die= keinen Platz. »Wir müssen einen Leiterwagen herschicken, - anders geht's nicht,« sagte die Tante achselzuckend. »Was schleppst du - denn alles mit dir in der Welt herum?« fragte sie lachend, »in solchen - Koffern hat ja ganz Dahme Platz.« Aber dann zogen Knecht und Pferde - Tante's Aufmerksamkeit auf sich, und wir waren kaum zum Bahnhofe - hinaus, da rief sie gebieterisch: »Stillhalten, Michel!« Wie der Blitz - schwang sie sich dann auf den Bock, griff dem tölpelhaften Knechte in - die Leine und kutschirte nun selbst. - - »Ich bitte um Verzeihung, lieber Schwager,« sagte sie dabei äußerst - munter, »mein Mann brauchte unsern Kutscher heut anderweitig, ich - mußte den Michel nehmen. Da der aber gewöhnlich nur Arbeitswagen - fährt, will ich ihm den ungewohnten Posten lieber abnehmen.« - - »Du fährst selbst, Tante?« rief ich erstaunt, sie nickte aber blos - und schnalzte mit der Zunge, und in raschem Trabe führten die plumpen - Gäule uns und die alte Kalesche durch Wiesen und Felder. Auf einige - Worte und Zeichen der Tante sprang nach einer Weile der Michel - vom Wagen herunter und lief zu einem Trupp Arbeiter, die im Acker - beschäftigt waren. - - »Das ist schon Dahme'scher Grund und Boden!« rief die Tante stolz und - deutete mit der Peitsche hinüber. »Sie sind gerade beim Düngen.« - - Auch ohne ihre Erklärung hätten meine Geruchsnerven mir das verrathen; - es war ein gräulicher Gestank, und erschrocken hielt ich mir das Tuch - vor's Gesicht. Die Tante sah es und lachte. »Ja ja, Kindchen, nach - Rosenöl riecht's gerade nicht; aber ich sage dir, für einen rechten - Landwirth giebt's auf der ganzen Welt keinen schöneren Duft, als - solchen frischen Dünger. Wirst dich schon daran gewöhnen, wenn du ein - Weilchen bei uns bist. Der glatte Misthaufen inmitten unseres Hofes - ist unserer Augen Trost und Freude.« - - Ich blickte Papa betroffen an, denn ich war entsetzt über solche - Reden. Papa aber lachte und fing an mit der Tante über die Ländereien - zu sprechen, durch welche wir fuhren, und zwar mit einem Interesse - und einer Sachkenntniß, daß ich ganz erstaunt zuhörte. Ich hatte - nie gewußt, daß mein feiner, eleganter Papa, der sich in seinem - Arbeitszimmer und im Kabinet des Ministers nur mit Akten und Zahlen - beschäftigt, auch davon etwas verstand. - - Nun endlich waren wir in Dahme. Ein spitzer Kirchthurm schaute lange - schon über eine Anzahl Dächer herüber, und umgeben von einem weiten, - bäuerlich aussehenden Garten stand ein schlichtes, großes Haus vor - uns, vor dem der Wagen still hielt. - - »So, da wären wir glücklich!« rief die Tante und sprang vom Bock - herunter, mit der Peitsche ein Paar große Hunde abwehrend, welche mit - wüthendem Gebell zum Hofthore herausstürzten, das ein Knecht öffnete. - - Hinter dem Knechte erschienen zwei junge Mädchen, welche ich für - Dienerinnen hielt und ihnen schweigend meine Sachen zu tragen gab, die - ich im Wagen hatte. Da stellte Tante Marie sie mir plötzlich als ihre - Töchter Lottchen und Hannchen vor. Denke Dir meinen Schrecken! Ganz - verdutzt über meine so äußerst simpel aussehenden Cousinen folgte ich - denselben nun in den Hof, der das Haus von drei Seiten umgab, und in - dem ich wirklich, wie Tante Marie gesagt, in der Mitte einen mächtig - breiten, glatten, wohlgepflegten und umzäumten Misthaufen erblickte, - auf dem sich eine Masse Hühner, Enten und Gänse, Futter suchend, - umhertrieben. Rings im Hofe, der von Wirthschaftsgebäuden umgeben - ist, standen eine Menge Pflüge, Wagen und was weiß ich alles, und - eine Anzahl Arbeiter waren dabei, Pferde an- und abzuschirren. Tante - Marie lief sogleich zu diesen Leuten hinüber und gab einige Befehle, - und wenige Minuten darauf rasselte ein Leiterwagen zum Thore hinaus, - wahrscheinlich um meine unglücklichen Koffer von der Bahn zu holen. - - Als wir in das Haus eingetreten waren, umarmte Tante Marie mich noch - einmal und begrüßte mich als lieben Gast. Auch meine Cousinen kamen - jetzt ganz zutraulich herbei und nahmen mir Hut und Mäntelchen ab, mit - höchst verwunderten Blicken meine Frisur und Toilette betrachtend, - wie ich wohl merkte. Ich kam mir in meinem Anzuge, der doch nur - eben modern und gewiß nicht übertrieben elegant ist, hier in dieser - grenzenlos einfachen, ja ich möchte sagen, ärmlichen Umgebung aber - auch selbst höchst eigenthümlich vor, wie eine Prinzessin im Kreise - von schlichten Bürgersleuten. Und doch ist Tante Marie die Schwester - meiner Mutter, also bin ich doch gar nicht vornehmer als meine - Cousinen, wenn mein Papa auch ein hoher Staatsbeamter ist. Uebrigens - sind diese meine Cousinen ganz hübsche Mädchen, nur freilich zu roth - und zu gesund aussehend für unsere Cirkel. Das glatt gescheitelte - Haar, wie es bekanntlich jetzt nur noch die Engel tragen, bei - Charlotte dunkel, bei Hannchen weich und blond, umrahmt angenehme - Züge, und die blauen Kornblumenaugen blicken ohne Falsch in die Welt - hinein. Aber denke Dir, daß meine Cousinen in dunkeln Kattun gekleidet - sind, wie ihn unsere Dienstleute tragen, ohne einen Schatten von - Ueberwurf oder Garnierung, und helle, bunte Kattunschürzen liegen - darüber zum Schutz dieser kostbaren Gewänder. Und welcher Schnitt von - Taille und Aermel! Wahrhaft lächerlich einfach. Der Onkel, der jetzt - rasch und laut in das Zimmer trat und uns wie ein rechter Biedermann - begrüßte, ist der Typus eines schlichten Landmannes vom Kopf bis - zur Zehe. Seine blonden, krausen Haarlocken und das feuerrothe - Gesicht, aus dem die hellen, blauen Augen ordentlich spashaft bunt - herausleuchten, werden von ein Paar mächtig breiten Schultern - getragen, und der ganze prachtvolle Mann steht so fest und sicher mit - seinen Füßen in den riesigen Stulpenstiefeln, als gehörte ihm die - ganze Welt. Aber wenn Du denkst, das ist nun die ganze Familie, da - irrst Du Dich sehr. Jene beiden Cousinen sind nur die Aeltesten einer - ganzen Reihe von Kindern. Zuerst präsentirte sich noch ein halbreifer - Backfisch in ausgewachsenen Kleidern, mit einem schüchternen Gesicht - und linkischem Benehmen; dann ein Bursche von etwa 13 Jahren, der - gerade zu den Ferien hier ist, ein richtiger Schlagtodt, und endlich - kommen noch ein Mädel und zwei kleine Jungen, der Jüngste etwa 3-1/2 - Jahr alt. Und das ist alles roth und dick und kräftig und gesund, - bald schwarz wie die Mutter, bald blond wie Papa, und lacht und - schwatzt und läuft durcheinander, daß einem der Kopf schwirren möchte. - Lieber Gott, wenn ich an meine beiden blassen, stillen Geschwister - zu Hause denke, wie wird mir da! Die hätte Papa herschicken sollen, - daß sie frisch und gesund hier werden, =ich= mag ja gar nicht solche - unverschämt rothen Backen haben, wie Hannchen und Lottchen, das ist - ja so schrecklich gewöhnlich. Nun ich denke, ich werde mich wohl - davor hüten können. Aber freilich, diese Kost, welche hier täglich - genossen wird, ist dazu angethan, den Körper robust und derb zu - machen. Was wird hier alles aufgetragen! Von diesen Riesenschinken, - diesen armstarken Würsten, diesen mächtigen Fleischstücken, welche - hier geräuchert, gekocht und gebraten die Tafel möchten brechen - machen, hast Du gar keine Idee. Und diese Butter, dieser Honig, diese - Milch und Sahne und diese Fülle von Obst -- ich meine oft, ich bin - im Lande Kanaan, und Onkel Bremer lacht immer über sein ganzes, - hübsches Gesicht, wenn er mein Staunen über solche Fülle mit ansieht. - Welche Ueberwindung kostet es da, nicht frisch drauf los zu schmausen, - sondern an seine zierliche Figur zu denken, für welche solche Kost - ewiger Ruin wäre. Denke Dir, wenn ich als derbe, plumpe, feuerrothe - Landdirne mit dicker Taille und braunem Gesicht und Händen wieder zu - Dir käme! Was würde wohl Baron L. dazu sagen? Und wie würde Lieutenant - v. F. verächtlich sein bleiches Bärtchen drehen und mit einem hm, hm, - ei wie Schade! seinen Augenkneifer eilig wieder herabfallen lassen, - durch den er die ehemalige »Rosenknospe« bewundern wollte. - - Aber ich schreibe alles durcheinander und wollte Dir doch von dem - Leben hier noch etwas erzählen. Den nächsten Tag, als Papa noch hier - blieb, war das Treiben im Hause noch etwas festlich und aus dem - Geleise gebracht, dann aber ging alles wieder seinen regelmäßigen - Gang, gerade wie ein Uhrwerk, und da bin ich denn mitten hinein - gefallen, ohne daß irgend Jemand sich in seinen täglichen Arbeiten - stören läßt oder besondere Notiz von mir nimmt. Jedermann ist herzlich - und freundlich gegen mich, wie man denn den ganzen Tag kein böses - Wort hört, trotz der vielen Kinder. Aber ich fühle mich doch im - höchsten Grade unbehaglich; denn was soll =ich= unter diesen Menschen, - die den ganzen Tag vom frühesten Morgengrauen, (o mein Gott, =wie= - entsetzlich früh!!) bis in die Nacht hinein nichts thun als arbeiten, - arbeiten! Am ersten Tage meinte ich, man habe etwas Besonderes vor, - daß alles so unablässig thätig war; aber nun merke ich wohl, man - treibt es nie anders. Mir schwindelt ordentlich, wenn ich sehe, wie - meine Cousinen immerfort nähen, stricken, kochen, plätten, im Hof und - Garten, Küche und Keller wirthschaften, und die Tante an der Spitze; - denn sie arbeitet wie ein Mann und hat die Wirthschaft und die - Leute in fabelhafter Zucht und Ordnung. Man hat mir einen Einblick - gegeben, wie alles im Hause eingetheilt ist und wie jeder seine Arbeit - zugewiesen erhält. In dieser Woche hat Hannchen die Küche und Lottchen - die Milchwirthschaft und die Nähereien, und selbst Martha, der - Backfisch, hat sein Revier meist in der Kinderstube. In nächster Woche - wechselt die Eintheilung wieder: Lottchen bekommt Hannchens Arbeit - und umgekehrt Hannchen die Lottchens. Tante führt die Oberleitung - und steht sogar oft dem Onkel bei; denn sie besitzt Kenntnisse und - Verstand wie ein Landwirth. Sogar die kleinen Kinder helfen schon - in ihrer Weise, indem sie ihre Sachen selbst aufräumen, sich unter - einander beim Anziehen beistehen, im Garten oder der Küche kleine - Dienste thun, kurz, wie kleine Sclaven schon ganz wacker ihre Kette - nachschleppen. Du kannst denken, wie mir bei solchem Leben zu Muthe - ist. Kennt man denn in diesem Hause keine besseren Beschäftigungen? Wo - bleibt da Bildung und Sinn für edlere Dinge? Und von irgend welchem - Vergnügen ist nie und nimmer die Rede. Heißt das Jugendglück, heißt - das Lebensgenuß für ein junges Mädchen? O wie froh bin ich, daß ich - anderes kennen gelernt, daß ich anders erzogen und aufgewachsen bin, - als meine armen Cousinen, die mir schrecklich Leid thun würden, wenn - sie nicht so äußerst zufrieden und froh in die Welt hinein blickten - und nichts anderes wünschen. Aber wie ich es hier lange aushalten - soll, das mag Gott wissen. Bedaure mich etwas, meine theure Franziska, - und schreibe bald - - Deiner Frida.« - - -Was Frida in großen Zügen ihrer Freundin mitgetheilt, das war -allerdings Wahrheit. Der Geist, der dieses Haus beherrschte, war der -Geist der Arbeit, und Jedermann schien sich dabei äußerst wohl zu -fühlen. Frida freilich kam sich in dieser Welt unsäglich überflüssig -vor. Ueberall war sie im Wege und fühlte sich einsam mitten unter -den vielen Bewohnern des Hauses. Bisher war sie stets die Bewunderte -und Tonangebende gewesen; ihre Freundinnen hatten ihr gehuldigt und -geschmeichelt, der Vater alles gut und schön gefunden, was sie that, -und ihr Wille wurde Gebot für das ganze Haus. Hier war sie ein Glied -einer langen Kette, und niemand dachte daran, daß sie im Herzen -andere Ansprüche machte. Der Vater hatte sie hergebracht, damit sie -wie eine Tochter des Hauses in der Familie leben sollte, und wie eine -solche wurde sie in dem Kreise aufgenommen und gehalten, gerade so -und nicht anders, nur daß man eben keine Arbeiten von ihr verlangte. -Aber Umstände machte man freilich auch nicht mit ihr. Ihr Zimmerchen -lag neben dem von Charlotte und Hannchen. Es war eben so einfach, -wie alles sonst im Hause, und Frida meinte zuerst, hier =könne= sie -es nicht aushalten. Das verzärtelte Kind setzte zu Haus den Fuß auf -weiche Teppiche, sowie sie das Bett verließ, und tausend zierliche -und üppige Bequemlichkeiten umgaben sie, welche sie von jeher als -etwas Selbstverständliches betrachtet hatte. Mit flinker Hand stand -die Jungfer schon beim ersten Erwachen des jungen Dämchens bereit, -ihre Dienste anzubieten, und ohne daß sie selbst es wußte war Frida -ein unsäglich verwöhntes und verzärteltes Prinzeßchen geworden. Was -Wunder, wenn ihr die so äußerst einfachen Zustände in dem Pächterhause -als abschreckend und unerträglich vorkamen. Am ersten Abend hatten -die Cousinen bereitwillig ihre Dienste angeboten, als Frida sich -auskleidete; war es ja doch für die einfachen Mädchen ein wahres Fest, -Frida's zierliche und elegante Toilette so Stück für Stück in der Hand -mustern und bewundern zu können. Achtlos warf Frida all die kostbaren -Dinge auf Stühlen und Fußboden umher, denn sie war nicht daran gewöhnt, -selbst etwas aufzuräumen. Die Cousinen flogen eilfertig hierhin und -dorthin zu ihrer Bedienung, räumten und ordneten, falteten und -glätteten mit geschäftigen Händen, und Frida nahm ruhig alles hin, als -gehöre sich das so. Endlich löste sie ihr reiches, blondes Haar auf, -das die Jungfer ihr vor dem Schlafengehen stets sorgfältig kämmte und -bürstete. Beim Losstecken desselben fielen einige Locken und Toupé's -zur Erde, welche den hohen modernen Aufbau der Frisur noch höher und -reicher gemacht hatten, wie es bei den jungen Modedamen so Sitte ist. -Laut auflachend hob Hannchen diese Trophäen der Eitelkeit empor und -hielt sie staunend in den Händen. - -»Aber Frida, warum packst du dir denn solch' falsches Zeug auf deinen -Kopf?« rief sie verwundert. »Du hast ja so schönes Haar; das fremde -möchte ich nicht tragen, wer weiß, wer das auf dem Kopfe gehabt hat!« -Frida nahm ihr die Dinge verdrießlich aus der Hand und sagte: »Das -verstehst du nicht; in der Stadt kleidet man sich eben wie die Mode es -fordert. Mein eigenes Haar ist mir oft sogar im Wege, fremdes frisirt -sich viel besser. Aber hier freilich scheint es mir unnütz, denn wer -soll mich hier frisiren?« Aergerlich griff sie bei diesen Worten zum -Kamm und fuhr sich hastig und ungeschickt durch das lange, dichte Haar, -da sie in Abwesenheit ihrer Jungfer dies Geschäft selbst machen mußte. -Da es ihr aber nicht gelang, warf sie den Kamm verdrießlich wieder hin -und wollte das Haar ungekämmt aufstecken. Sie verfitzte es dabei jedoch -so arg, daß Lottchen endlich zugriff und rief: »O das schöne Haar! -Warum verwirrst du es denn so? Soll ich es dir auskämmen, Cousinchen?« - -Und flink huschte der Kamm bei den Worten schon durch das weiche Haar, -was das junge Mädchen ruhig geschehen ließ. - -»Mein Gott, warum Papa nur nicht wollte, daß ich meine Jungfer -mitnahm!« klagte Frida verstimmt, »wie soll ich denn mit meiner -Toilette allein fertig werden?« - -»O wir helfen dir, liebe Cousine,« riefen die jungen Mädchen. - -»Aber habt ihr denn keine Jungfer, die euch anzieht?« fragte Frida -erstaunt, und ein schallendes Gelächter antwortete ihr. - -»Eine Jungfer? Wir?« rief Lottchen belustigt. »Ja was sollten wir denn -mit der? Wir machen alles selbst, und ich wüßte gar nicht wie spaßig -ich mich dabei anstellen würde, wenn ich mich sollte in allen Stücken -bedienen lassen. Seit wir erwachsen sind, Hannchen und ich, haben wir -der Mutter alles abgenommen, im Hause und in der Wirthschaft. Vater hat -einen sehr hohen Pachtzins zu zahlen, da müssen wir alle sparen helfen, -und Gott hat uns ja gesunde Glieder gegeben, die arbeiten können. -Unnütze Dienstleute kosten Geld; so haben wir jetzt auch für die -Milchwirthschaft keine Mamsell mehr, sondern besorgen diese Geschäfte -abwechselnd. Diese Woche bin ich an der Reihe, und wenn ich morgen früh -um 3 Uhr aufstehe, um in den Kuhstall zu gehen, so erschrick nicht über -die Störung; beim Melken muß ich dabei sein.« - -»Was, um drei willst du aufstehen?« rief Frida entsetzt. »Das ist ja -fürchterlich! Bist du denn da nicht den ganzen Tag nervös und müde?« - -»Nervös niemals, ich weiß gar nicht, was das ist,« sagte Lottchen. -»Müde jedoch bin ich natürlich oft rechtschaffen; aber das schadet -nichts, da schläft sich's um so schöner. Und wenn man seine Arbeit -hat, vergißt man die Müdigkeit. Ich denke, du wirst schon Gefallen am -Landleben bekommen, und ich freue mich darauf, dir unsere sauberen -Ställe zu zeigen mit dem schmucken Vieh; die schönen Milchkeller mit -den vielen Milchschüsseln und Butterfässern und dann die anderen -Wirthschaftsräume alle -- o ich sage dir, es ist eine wahre Lust, darin -thätig zu sein. Um keinen Preis möchte ich unser Leben mit einem in der -Stadt vertauschen, obwohl ich gar keine rechte Vorstellung habe, was -ihr in der Stadt eigentlich treibt ohne Vieh und ohne Landwirthschaft.« - -Frida verzog bei diesen Worten ihr Mündchen etwas höhnisch und -zuckte mit den Schultern. »Jeder lobt sich seine Existenz als die -Beste,« sagte sie herbe. »Für ein Leben, wie ihr es führt, müßte ich -meinerseits nun wieder danken. Ich stürbe in den ersten acht Tagen -dabei.« - -Die Cousinen lachten herzlich und versicherten, es käme nur auf -Gewöhnung an; Frida aber ließ sich innerlich schaudernd über solche -Gewöhnung von Lottchen das gestickte Nachthemd überwerfen, und die -Bewunderung über dies Kleidungsstück, das den jungen Mädchen etwas ganz -Neues war, führte die Gedanken wieder auf andere Dinge. Das zierliche -Nachthäubchen barg die vollen Flechten kaum, welche Hannchen bewundernd -darunter schob, und die feinen, seidenen Pantöffelchen brachten -Lottchen ganz in Ekstase. - -»Du bist wie eine kleine Prinzessin im Märchen,« rief sie entzückt. -»Solche reizenden Sachen habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! -Aber ich möchte sie nicht an mir haben; ich würde mich immer ängstigen, -etwas davon zu zerreißen.« - -»Nun was schadet das?« sagte Frida müde, »ewig kann man das Zeug doch -nicht tragen, dann kauft man anderes.« - -»Wir können das nicht, wir müssen sparsam sein und unsere Sachen lange -tragen, sagt die Mutter,« erwiederte Hannchen. »Viel Kinder kosten -Geld, für unsere Garderobe darf nicht viel ausgegeben werden. Aber bei -unserm Leben hier auf dem Lande denkt auch niemand an Putz und Staat, -das entbehren wir nie.« - -»Aber kommt ihr denn nie in Gesellschaft oder auf Bälle und in -Concerte?« sagte Frida. - -»In Gesellschaft? O ja, zuweilen,« rief Lottchen stolz. »Pastor Werders -und unsere Nachbarn in Hermsbach besuchen wir häufig, besonders an -Festtagen, und das ist dann prachtvoll. Ich freue mich schon darauf, -dich ihnen vorzustellen. Manchmal wird dann auch wohl ein Tänzchen -gemacht, besonders wenn die Söhne in den Ferien da sind, jedoch wir -Mädchen tanzen auch unter einander. Am schönsten aber ist's, wenn wir -Geschwister unter uns sind, und Vater seine drei alten Tänze aufspielt, -nach denen wir in der großen Unterstube tanzen. Du sollst nur einmal -dies Vergnügen der Kinder mit ansehen; sogar unsere Mutter dreht sich -da mit uns herum, wir lassen ihr keine Ruhe. Und nun kommt bald Kirmes, -da tanzt das ganze Dorf und die ganze Umgegend unter unsern Linden. Das -ist ein Fest, sage ich dir, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst. -Unser Großknecht ist ein prachtvoller Tänzer; du sollst sehen, mit -ihm tanzt sich's so schön, wie mit deinem trefflichsten Cavalier im -Tanzsaal.« - -»Ich soll mit euren Knechten tanzen?« rief Frida erschrocken, »thut ihr -denn das?« - -»Nun natürlich, das ist ja eine Ehre, die wir den Leuten nicht -abschlagen dürfen,« entgegnete Hannchen. »Wir würden es aber auch -selbst gar nicht entbehren mögen; denn auf den Kirmestanz freuen wir -uns schon das ganze Jahr, es ist gar zu lustig.« - -Frida schüttelte ungläubig den Kopf und war im Herzen außerordentlich -indignirt über den Geschmack ihrer Cousinen. Mit den Knechten aber -je zu tanzen, dazu sollte sie sicher nichts bewegen. Es wäre ja eine -Schmach für das feine Fräulein, das sich bisher nur in aristokratischen -Kreisen bewegt hatte. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich und sagte -ihren Cousinen gute Nacht, denn sie war müde von all dem Neuen, was sie -umgab. - -Als sie am andern Tage erwachte, hörte sie schon viel reges Leben im -Hause, und doch war es für Frida noch eine so frühe Stunde, daß sie -im Vaterhause sich noch ruhig auf die andere Seite gelegt hätte, um -weiter zu schlafen. Hier jedoch fing der Tag früher an, wie sie merkte, -und seufzend wickelte sie sich aus dem schweren Federbett heraus, das -sie am Abend aufgenommen hatte. Aber mit welchem Seufzer dachte sie -nun daran, daß sie sich ganz allein anziehen müsse und keine helfende -Jungfer zur Seite habe. Jetzt erst merkte sie, wie verwöhnt sie war, -und wie Recht ihre Stiefmutter hatte, welche ihr freundlich gerathen, -ihren Anzug möglichst selbst zu besorgen und sich nicht von Anderen -abhängig zu machen, was oft sehr unbequem werden könne. Ach jetzt =war= -es entsetzlich unbequem, sie sah es wohl ein; denn fast weinend vor -Verdruß gerieth sie mit Kämmen und Bürsten, Bändern und Haken und allen -andern Gegenständen der Toilette in Krieg und Feindschaft. Endlich -schaute Hannchens frisches Gesicht zur Thür herein. - -»Gut geschlafen, Cousinchen?« rief sie fröhlich. - -»Danke, leidlich,« erwiederte Frida verstimmt. - -»Ich will dir bei der Toilette ein Bischen helfen, wenn du erlaubst,« -fuhr Hannchen freundlich fort und griff gleich nach all den -Gegenständen, welchen Frida Urfehde geschworen hatte. Aber freilich die -Toilette einer eleganten Stadtdame war für Hannchen ein Buch mit sieben -Siegeln. Fragend hob sie bald dies, bald jenes empor, dessen Zweck ihr -fremd war, vor allem aber wußte sie mit den Chignons und Locken, welche -Frida's Haarputz vervollständigen sollten, absolut nichts anzufangen. - -»Wirf die Dinger in den Kasten, was willst du hier damit!« rief sie -endlich, und Frida wußte auch keinen andern Rath. Dann schlang Hannchen -das schöne Haar ihrer Cousine in zwei lange, glatte Flechten, wand -dieselben einfach um deren Kopf und führte Frida nun triumphirend vor -den Spiegel. - -»Du siehst zum Verlieben hübsch aus mit diesem glatten Köpfchen!« rief -Hannchen bewundernd; Frida aber mochte ihr Spiegelbild kaum eines -Blickes würdigen, denn sie fand sich abscheulich. Was kam hier jedoch -darauf an, wie sie aussah? Für diese altmodische, einfache Familie war -sie gut genug, und selbst im Morgenrock noch zu elegant, und von ihren -städtischen Bekannten sah sie ja zum Glück niemand in solchem Aufzuge. - -Mit wahrem Hohn dachte sie jetzt an all die zierlichen, eleganten -Anzüge, welche ihre hohen Koffer bargen, und die sie gar nicht -auspacken mochte. Die waren freilich hier von Ueberfluß, das wußte sie -jetzt und bedachte dies mit stillem Seufzen. Sie wählte unter all den -schönen Dingen ein einfaches Kleid aus, das freilich immer noch viel -zu elegant für dies Haus war, und folgte dann Hannchen zu den übrigen -Gliedern der Familie. - -Ihr Vater saß ganz behaglich mit Onkel Bremer in der Sophaecke und -rauchte sein Pfeifchen, und Frida hörte voll Staunen, daß er schon seit -zwei Stunden in Feld und Wald mit dem Schwager umhergestrichen war. -Lächelnd nickte er seinem Töchterchen zu und rief: »Sieh da, Frida, wie -schmuck und nett du heut aussiehst. Diese glatten Zöpfe sind hübscher -als deine hohe städtische Frisur, das gefällt mir gut.« - -Frida erröthete und Hannchen blickte triumphirend auf ihr Werk. -Dann gingen die jungen Mädchen zum Frühstück, mit dem man auf Frida -gewartet hatte, und alles begrüßte das neue Glied des Hauses mit einem -fröhlichen »guten Morgen!« - -Es war ein guter Geist, der in diesem Hause lebte, das sah und empfand -Frida gar bald, und trotz allem, was ihr hier unerträglich erschien, -fühlte sie sich durch den Zauber dieses Geistes schon in kurzer Zeit -gefesselt. Wie lebendig und laut es auch oft um sie her war, nie hörte -sie unfreundliche oder lieblose Worte, und selbst die unbändigen, -kleinen Knaben gehorchten schnell und ohne Murren, wenn die Eltern -oder die älteren Geschwister sie zurechtwiesen. Besonders schön -aber war das Verhältniß zwischen den erwachsenen Töchtern und ihrer -Mutter, und mit tiefer Beschämung gedachte Frida ihres Betragens im -Vaterhause, wenn sie sah, mit welcher Verehrung und Liebe, welcher -dienstfertigen Aufmerksamkeit Charlotte und Hannchen den Wünschen der -Mutter entgegen kamen, und wie dankbar sie jede kleine Zurechtweisung -aufnahmen. »Ja, es ist ihre rechte Mutter, mit einer Stiefmutter wäre -es gewiß auch anders,« seufzte Frida wohl im Stillen, um sich selbst zu -entschuldigen; daß sie sich aber auch gegen ihren Vater oft unartig und -launisch betrug, obwohl es ihr »rechter Vater« war, das mochte sie sich -kaum eingestehen. - -Schon kurze Zeit nach ihrem Eintritte in das Haus ihrer Verwandten -beklagte sich Frida bitter gegen Tante Marie über das Leid, das Papa -ihr angethan, indem er wieder geheirathet hatte. Aber voll Verwunderung -hörte sie, daß Tante Marie diesen Schritt des Schwagers vollständig -billigte. - -»Aber Tante, meine Mutter war ja doch deine Schwester; wie kannst du -dich freuen, daß ihre Stelle durch eine Andere ersetzt worden ist?« -rief Frida verletzt. - -»Gerade weil ich meine Schwester so innig liebte!« entgegnete Tante -Marie. »Könntest du deine theure Mutter selbst fragen, meine liebe -Frida, so würdest du hören, wie glücklich es sie machte, ihren Mann -wieder ruhig und zufrieden, ihre armen, kleinen Kinder in treuer -Obhut, und ihre heranwachsende Tochter an der Seite einer erfahrenen, -liebevollen Freundin zu wissen. Ich bin keine sentimentale Natur, -mein liebes Kind, welche sich nur unpraktischen Wünschen und Gefühlen -hingiebt, und obwohl ich recht wohl weiß, daß einem Manne nichts in der -Welt die erste Jugendliebe ersetzen kann, und die Wunde, welche der Tod -ihm da schlägt, ewig bluten wird, so bin ich doch der Ansicht, es ist -sowohl für ihn selbst wie für seine jungen Kinder ein Glück, wenn er -ein treues, weibliches Wesen findet, das ihm in Herz und Haus wieder -Glück und Frieden bringt. Und wie ich deine zweite Mutter kenne, so ist -sie ganz dazu geschaffen, das schöne Amt, das Gott ihr anvertraut, -treu zu erfüllen. Und auch du, meine liebe Frida, wirst dich mit dem -Gedanken aussöhnen, das weiß ich sicher, so traurig du auch jetzt den -Kopf dazu schüttelst. Wäre Gertrud jung und unerfahren, so würde ich um -deinetwillen die Wahl deines Vaters mißbilligt haben; denn einer fast -erwachsenen Tochter muß der Vater keine junge Stiefmutter bringen, das -thut nimmer gut aus tausend Gründen. Aber Gertrud könnte den Jahren -nach ja deine eigne Mutter sein, und sie hat so viel Trübes im Leben -erfahren, daß sie gereiften und ernsten Sinnes zu euch kommt. Vertraue -ihr nur getrost, mein liebes Kind; du kannst keine bessere Freundin -erhalten, als dein Vater dir in dieser zweiten Mutter gegeben hat.« - -Frida wagte auf diese Worte nichts zu entgegnen, denn sie fühlte -wohl, daß es unlautre Gründe waren, welche sie gegen ihre Stiefmutter -einnahmen, und daß besonders die Beschränkung ihrer Launen und ihres -übermäßig freien Willens sie so dauernd empörte. Sie hatte gehofft, -an der Schwester ihrer Mutter eine Bundesgenossin zu finden, welche -völlig so eingenommen gegen Gertrud war, als sie selbst. Da sie nun -aber sah, wie anders Tante Marie den Schritt des Vaters beurtheilte, -nahm sie sich vor, solch Gespräch nie wieder in Anregung zu bringen, -sondern ihren Verdruß im Herzen zu verschließen; verstanden wurde -sie ja doch nicht. Auch gegen ihre Cousinen mochte sie über diesen -Gegenstand nicht sprechen, sie kannten ja die Verhältnisse nicht. Wie -anders freilich war das zu Haus, wo sie gegen ihre Freundinnen ihr Herz -ausschütten konnte und bei diesen zehnfaches Echo fand! Wie wurde sie -von diesen bedauert wegen des Unrechtes, das ihr geschehen, und wie -bestärkten sie diese klugen, jungen Mädchen in der Opposition, welche -sie der unwillkommnen Stiefmutter entgegen zu bringen entschlossen war. -Im Kreise dieser jungen Backfischchen hatte Frida stets neue Nahrung -für ihre Gefühle gesucht und gefunden, und wenn Gertruds sanfte, -liebevolle Weise oft schon auf Frida's Herz ihren günstigen Einfluß -geübt, dann waren es die leidenschaftlichen Rathschläge und Ansichten -dieser Freundinnen, und besonders Franziska's, welche alles wieder -verdarben. Gertrud ahnte das wohl, denn sie kannte einige dieser jungen -Mädchen; aber dennoch wagte sie nicht, Frida den Umgang mit denselben -zu verbieten, die Sache wäre dadurch nur schlimmer geworden. - -Hier nun im Hause der Tante machte das friedliche Leben bald seine -Rechte auf das junge Mädchen geltend, und da jene leidenschaftlichen -Empfindungen nirgends Anklang und Nahrung fanden, wurden sie stiller -und stiller, und endlich dachte Frida gar nicht mehr mit jener -Abneigung an Gertrud, welche sie bis dahin erfüllt hatte. Die Briefe -aus der Heimath waren Boten der Freude; das Vaterhaus strahlte aus -der Ferne bald wieder in freundlichem Glanze zu ihr herüber, und der -Gedanke, bei ihrer Rückkehr wieder in jenes verhaßte Verhältniß zur -Stiefmutter einzutreten, nahm mehr und mehr eine andere Färbung an, je -länger Frida vom Hause fort war. - -Als am ersten Tage gleich früh Morgens alles an die Arbeit eilte, -wie es in diesem Hause Sitte war, sagte Tante Marie in ihrer -schlichten Weise zu Frida: »Nun, mein liebes Töchterchen, da du ganz -als Familienglied und Kind des Hauses bei uns sein sollst, versteht -es sich auch, daß wir keine Umstände mit dir machen. Jeder geht an -seine Geschäfte wie alle Tage. Charlotte hat heut die Küche unter -ihrer Leitung, Hannchen ist seit dem frühen Morgen schon in der -Milchwirthschaft beschäftigt, Martha besorgt soeben die Hühner und dann -nimmt sie sich der Kleinen an, während ich mit Hermann im Keller Bier -auf Flaschen füllen will. Magst du einem von uns Gesellschaft leisten, -so soll es uns lieb sein; willst du aber lieber lesen oder musiciren, -oder dich im Garten ergehen, so findest du hier Bücher und Noten und -manch hübsches Plätzchen draußen im Freien. Ich will dir die Kinder zur -Gesellschaft schicken, wenn Martha ihnen Urlaub giebt; denn bei ihr -haben sie Schule. Das Mädel ist ein geborner Schulmeister, sage ich -dir.« - -Frida zog es vor, im Zimmer bei Büchern und Clavier zu bleiben, und so -verließ sie die Tante, um den tausend Geschäften nachzugehen, welche -ihrer harrten. Das junge Mädchen sah sich nun allein mitten unter -all den vielen thätigen Menschen, welche sie umgaben und kam sich -unendlich überflüssig in diesem Hause vor. Sie ergriff ein Buch und -las ein Wenig; aber ihre Gedanken flogen davon fort, bald zurück in -die Heimath, bald den Stimmen nach, welche sie hier und dort hörte. -Dann versuchte sie die Noten, welche auf dem Clavier lagen; aber sie -fand dieselben altmodisch und langweilig und das Instrument gar zu -klanglos. Es war ja ein Jammer, daß sie ihre Uebungen auf solchem -»Rumpelkasten« halten sollte; zu Hause hatte sie einen so prachtvollen -Flügel von Papa erhalten. Sie stand ärgerlich auf und suchte andere -Unterhaltung; aber alles mißfiel ihr. Ein Gefühl von Verdruß überkam -sie mehr und mehr, daß niemand sich um sie bekümmerte, gerade als wäre -sie gar nicht in der Welt! Und sie war doch Gast hier im Hause und an -Vernachlässigungen überdies in keiner Weise gewöhnt. Was in aller Welt -sollte sie hier anfangen, wo jeder nur an sich selbst dachte, jeder -seiner Arbeit nachging, ohne danach zu fragen, ob sie sich indessen zu -Tode langweilte? Das war ja wirklich nicht zu ertragen! - -Frida's Verstimmung wuchs von Minute zu Minute, bis endlich die -Langeweile sie bewog, da man sich nicht um sie bekümmerte, selbst -den ersten Schritt zu thun und zu ihren Cousinen zu gehen. Sehr -verlockend freilich war es nicht, sie bei ihren Arbeiten aufzusuchen; -aber was thut man nicht, um sich die Zeit zu vertreiben! Sie ging in -die Kinderstube, wo Martha beschäftigt war, ihren beiden kleinen -Geschwistern Lesestunde zu geben, während das dreijährige Brüderchen -daneben spielte und sich aus Bausteinen einen Palast erbaute. - -Bei Frida's Eintritt blickten die Kinder von ihren Beschäftigungen auf, -und die kleine Marie sprang dem jungen Mädchen fröhlich entgegen. - -»Wo steckt ihr denn nur alle?« sagte Frida gereizt, »und wo ist -Hannchen und Charlotte geblieben?« - -»Ich dachte, du wärest bei ihnen, liebe Cousine,« entgegnete Martha -etwas schüchtern. »Ich muß die Kinder einige Stunden beschäftigen; -Hannchen ist im Milchkeller und Lottchen in der Küche. Sie denken wohl, -da ist keine Unterhaltung für dich. Willst du bei uns bleiben?« - -»Ich werde Hannchen aufsuchen,« sagte Frida kurz; denn sie fand es -schon bei ihren kleinen Geschwistern zu Hause unter ihrer Würde, sich -mit diesen abzugeben, wie viel mehr noch diesen kleinen Bauernkindern -gegenüber; denn etwas anderes als Bauernkinder waren die dicken, -kleinen Posaunenengel doch wirklich nicht. - -»Mariechen, lauf und zeige Frida den Milchkeller!« rief Martha der -kleinen Schwester zu, und diese ergriff zutraulich die Hand der Cousine -und zog sie mit sich fort. Sie hatten den großen Hof zu durchschreiten, -den allerlei Federvieh und anderes Gethier belebte. Es hatte in -der Nacht geregnet, und in Folge davon war der Hof etwas unsauber, -besonders in der Nähe einiger Ställe, an denen sie vorüber schritten. - -»O Gott, meine Stiefeln! Ist das ein Koth hier bei euch!« rief -Frida und blickte voll Entsetzen auf ihre hellfarbigen, zierlichen -Stiefelchen, welche in diesem unvermeidlichen Unrath schon nach -wenig Minuten feucht und unsauber geworden waren. »Warte, ich hole -dir Holzpantoffeln!« rief Marie und kam sogleich mit einem solchen -Paar zurück, während ein zweites lustig an ihren eigenen, kleinen -Füßen klapperte. Frida versuchte darin zu gehen, unmöglich! Sie ging -wie auf Stelzen und fiel nun erst recht in die Pfützen. Aergerlich -erreichte sie endlich ihr Ziel und kroch die Stufen hinab, welche in -den Milchkeller führten. Hannchen kam ihr hier fröhlich entgegen, das -Kleid aufgeschürzt und in der Hand einen breiten Löffel, mit dem sie -soeben die Sahne von den zahllosen Milchschüsseln abrahmte, welche -ringsum im Keller standen. Frida trippelte zaghaft näher, denn ihr -war sehr unbehaglich zu Muthe. Für ihre dünnen, nassen Stiefelchen -war dieser feuchte, von Milch hier und dort getränkte Fußboden noch -schlimmer, als draußen der schmutzige Hof; auch umgab sie hier eine so -kalte Kellerluft, es roch so unangenehm nach Milch und Molken, sie wäre -am liebsten gleich wieder fortgelaufen. Hannchen ging ruhig weiter von -Schüssel zu Schüssel, ohne sich in der Arbeit stören zu lassen, und -das verdroß Frida auch. Was sollte sie hier, sie war ja nur im Wege -und erkältete sich am Ende noch bis auf den Tod. Aber jetzt lächelte -Hannchen ihr so freundlich zu und schien so erfreut, sie hier zu sehen, -da durfte sie doch nicht gleich wieder davon laufen. So hob sie denn -ihr helles, reichgarnirtes Kleid sorgfältig auf und trippelte hinter -Hannchen drein von einer Milchsatte zur andern. - -»Was machst du nur eigentlich, Hannchen?« rief sie nach einer Weile, -als sie sah, wie jene überall sorgfältig mit dem breiten Löffel die -dicke Sahne von der geronnenen Milch abschöpfte. »Du verdirbst ja -die ganze saure Milch! Wer soll die denn genießen, wenn du die Sahne -herunternimmst?« - -Hannchen lachte herzlich und sagte: »Die Schweine, Cousinchen! Etwas -bleibt zur Bereitung von Käse, das Uebrige wird Viehfutter. Auf den -Tisch kommt solche abgerahmte Milch nicht, habe keine Furcht!« - -»Aber wer soll denn all die Sahne essen, die du da sammelst?« fragte -Frida weiter. - -»Essen? Gott bewahre, das wäre schön!« rief Hannchen. »Daraus soll ja -die Butter für's ganze Haus gemacht werden.« - -»Die Butter? =Daraus= macht ihr Butter?« fragte Frida verwundert. - -»Nun ja, woraus denn sonst?« lachte Hannchen. »Komm und sieh dir das -Buttern einmal mit an; du hast es wohl noch nie gesehen?« - -Frida folgte der Cousine in den Nebenraum, und hier sah sie mehrere -hohe Butterfässer, welche von einigen derben Mägden in Bewegung gesetzt -wurden. Das war für die kleine Stadtdame ein völlig neuer Anblick, und -erstaunt sah sie dann, daß das Fett der Sahne sich bei der Bewegung -im Faß von den Milch- und Wassertheilen trennte und sich zu kleinen -Butterklümpchen verwandelte. Hannchen bot ihr ein Glas frischer -Buttermilch an, welche aus dem Fasse gegossen wurde, und Frida genoß -mit Vergnügen den unbekannten Trank, der ihr sehr mundete. - -»Heute Abend kostest du gewiß mit doppeltem Appetit von der Butter, die -du hier entstehen sahst,« sagte Hannchen, auf die leckere, weiße Masse -zeigend, welche nach und nach aus den Fässern wanderte. »Ueberhaupt -denke ich, wenn du erst allerlei hier kennen gelernt hast, wirst du -Geschmack an unserm Leben finden. Aber nun soll Mariechen dich ein -Bischen umherführen, ich muß zu den Leuten!« - -Frida folgte der kleinen Marie etwas zaghaft nach dem Hofe, der ihr als -ein äußerst unangenehmer Aufenthalt erschien. Aber die kleine Cousine -ruhte nicht, bis sie dem jungen Mädchen all ihre Lieblinge gezeigt -hatte, und kroch aus einem Stalle in den andern, bald hier eine Ziege -an den Hörnern hervorziehend, bald dort weiße Kaninchen oder ein junges -Lämmchen, oder besonders hübsche Hühner und Tauben. Frida kam sich vor -wie ein Opferlamm und ließ sich geduldig von einem Stall zum andern, -von einer Hütte oder einem Verschlag zum andern führen. Ihre schönen -Stiefelchen waren ja doch einmal für ewig verdorben, und in welchen -Zustand ihr feines Kleid auf dieser Wanderung gerieth, das sollte sie -nicht länger beunruhigen; sie hatte doch wenigstens etwas Unterhaltung -bei diesen Streifzügen. - -»Aber das Kälbchen von unserer guten Bleß mußt du noch sehen, Frida, es -ist zu niedlich!« rief Mariechen, abermals eine Stallthür öffnend und -das junge Mädchen hereinziehend. - -»Aber hier riecht es ja so schrecklich und ist zu fürchterlich -schmutzig,« sagte Frida und blieb zögernd in der Thür des Kuhstalles -stehen, ängstliche Blicke auf die Kühe heftend, welche brummend die -dicken Köpfe nach ihr umdrehten. Sie mochte es nicht gestehen, daß sie -sich vor den Thieren fürchtete, in deren nächster Nähe sie noch niemals -gewesen war. »Sie werden dich stoßen, Mariechen, nimm dich in Acht!« -rief Frida ängstlich, als sie sah, wie das kleine Mädchen furchtlos -zwischen den schrecklichen Thieren umherkroch und sie mit ihren kleinen -Händen zur Seite schob, um sich Platz zu dem Kälbchen zu machen, das -neben einer hellbraunen Kuh in der Ecke am Boden lag. - -»Mich stoßen?« lachte die Kleine. »Das wäre schön, alte Bleß, nicht -wahr? Wir kennen uns besser. Alle Kühe in den Ställen kennen mich, -Frida, sie sind nicht böse. Komm doch einmal her und sieh dir das -Kälbchen an; es hat einen weißen Stern auf der Stirn, gerade wie seine -Mutter, die Bleß.« - -Aber Frida blieb ängstlich in der Thür stehen; sie hätte sich um die -Welt nicht zwischen diesen Ungeheuern durchgedrängt, die sie alle mit -ihren Hörnern zu bedrohen schienen. - -»Nein nein, es riecht so sehr schlecht im Stalle,« sagte sie und -wollte eben zurücktreten, da wurde sie von außenher hineingedrängt. - -»O der Duft vom Kuhstall ist sehr gesund, Cousinchen, nur immer hinein -und zier dich nicht!« rief eine etwas rauhe Stimme, und Frida sah -Hermann neben sich, welcher, ein Paar hohe Stulpenstiefeln an den -Füßen, sich an ihr vorbei drängte. Dann ging er pfeifend die Reihe -entlang und klopfte bald dies, bald jenes der Thiere auf den glatten -Schenkel, sie liebkosend und beim Namen nennend, und ein leises -Brummen war die Antwort der gehörnten Freunde. Zögernd folgte Frida, -indem sie sich ängstlich von den Thieren fern hielt, und sie seufzte -froh auf, als sie die andere Seite erreicht hatte und durch die Thür -hinausschlüpfen konnte. - -»Hast du unsere Ferkel schon gesehen, Cousinchen?« sagte Hermann jetzt. - -»Schweine?« rief Frida entsetzt. »Pfui, in den Schweinestall soll ich -doch nicht etwa auch kriechen?« - -»Hoho,« lachte Hermann, »da ist nicht pfui zu sagen! Unsere Schweine -wohnen höchst appetitlich; komm nur mit, es ist da eine ganz prächtige -Gesellschaft beisammen.« - -Frida verzog den Mund spöttisch, folgte aber doch dem etwas ungalanten -Vetter, der sie zu seinen Schützlingen führte. Aber sich abwendend -hielt sie sich hier schnell das Tuch vor's Gesicht und wollte davon -laufen. Hermann ergriff jedoch rasch ihre Hand und zog sie vorwärts. -»Narrenspossen, ich lasse dich nicht fort, die Ferkelchen mußt du -sehen, sie sind zu prachtvoll!« rief er eifrig. Dabei öffnete er -einen der Bretterverschläge, und sogleich kamen eine ganze Menge -kleiner, weißer Schweinchen herausgesprungen, welche quiekend um -Frida herumliefen. Diese schrie laut auf vor Schrecken und Angst und -klammerte sich mit den Händen an Hermanns Arm, besonders als das alte -Mutterschwein jetzt grunzend mit seiner Schnauze ihre Füße berührte -und sich nach ihren muntern Sprößlingen umschaute. Hermann lachte -aus vollem Halse über Frida's Angst, und der alten Sau einen Tritt -gebend, daß sie zur Seite fuhr, rief er lustig: »Bist du aber ein -Hasenfuß, Cousinchen! Die Thiere thun dir alle nichts, das sind keine -Löwen und Tiger. Sieh dir nur einmal die schmucken Ferkelchen an, -hast du so was Niedliches dein Lebtag schon gesehen? Sind sie nicht -weiß und lecker wie kleine Leberwürstchen? Und sieh nur, was sie für -possirliche Sprünge machen und für allerliebste Schwänzchen haben! So -ein Ferkelschwänzchen könntest du als Cravatte um den Hals tragen; -so niedlich und zierlich kannst du keinen Knoten schlingen, sieh -nur einmal!« Und rasch fing er eins der glatten, flinken Thiere und -legte es Frida auf die Arme, das zierlich zu einer Schleife gewundene -Schwänzchen hoch emporhebend. - -Frida warf das völlig haarlose, fette, kleine Wesen voll Grauen zur -Erde und rief beleidigt: »Behalte dein Viehzeug für dich, ich danke -bestens! Pfui, wie ich nun rieche und aussehe!« - -Hermann schlug mit seiner Reitpeitsche, die er in der Hand hielt, -lachend unter die kleinen, quiekenden Thiere, daß sie über einander -sprangen und sich kugelnd umher wälzten wie Gummibälle. »Bist du aber -zimperlich!« rief er spottend. »Ihr Stadtleute seid komisches Volk. -Einen Schweinsbraten, oder einen leckeren Schinken und frische Wurst -verachtet ihr doch wahrlich nicht, obwohl es von diesen armen Thieren -herstammt. Aber die Narrenspossen wirst du schon verlernen, hoffe ich, -Fridelchen, ich werde dafür sorgen; dann nimmst du so ein Ferkel mit -Entzücken in deine Arme und herzt es wie ein Schooßhündchen, das sollst -du sehen.« - -Frida hatte jetzt aber genug. Sie war dem ungalanten Vetter böse und -wandte ihm rasch davongehend, den Rücken. Dieser pfiff lustig hinter -ihr drein in echter Jungensweise; dann sang er in äußerst unmelodischen -Tönen und mit der Reitpeitsche in der Luft umherfuchtelnd: »Hans mit -den Pluderhosen sprang über'n Kachelofen -- wutsch! war er weg.« Darauf -verschwand er wieder in den Ställen, die zimperliche Cousine sich -selbst überlassend. - -Frida wollte eben ihr Zimmer aufsuchen, um sich von allem Schmutz -dieser ersten ländlichen Inspectionsreise zu befreien, da kam Charlotte -vom Hause her und sagte: »Ich will meine Glucken besuchen, Frida, -kommst du mit mir? Vier habe ich gesetzt, wir wollen einmal sehen, was -sie machen.« - -Frida verstand von dieser Rede eben nur, daß die Reise nach dem -Hühnerstalle gehen sollte, und da Federvieh ihr noch das Liebste von -all dem Gethier auf dem Hofe war und ihr auch am wenigsten Furcht -erregte, so begleitete sie Charlotten, denn schmutziger konnte sie -ja doch jetzt nicht mehr werden, als sie nach diesen vorhergehenden -Besuchen schon war. - -»Hier sind nur einige von unsern Glucken,« sagte Charlotte, einen -engen, dunklen Stall betretend, in dem einige Hennen still in Körben -saßen, die mit Stroh ausgefüllt waren. »Der eigentliche Brütstall steht -unter Mutters Leitung, du mußt dich einmal von ihr mit dahin nehmen -lassen. Das hier ist mein Privatbesitz; die Hennen schenkte mir der -Herr Pastor an meinem Geburtstage, und er soll nun auch die ersten -Küken davon haben.« - -Vorsichtig hob Charlotte nun eine Henne nach der andern empor und -untersuchte die unter ihr liegenden Eier. »Die gelbe Kronenhenne sitzt -am längsten, unter ihr scheint es mir lebendig zu werden,« sagte sie -mit leuchtenden Augen und kniete neben derselben nieder »Sieh da, zwei -Kleine sind glücklich an's Tageslicht gekommen!« rief sie freudig und -zog Frida zu dem Korbe herab, von dem sie die laut gackernde Glucke -an den Flügeln empor gehoben hatte. Zwei kleine Küken krabbelten -da vergnüglich im Stroh herum, und das Eine hatte noch ein Stück -Eierschale auf dem Kopfe. - -»Faß einmal das Ei da an, Frida, aber vorsichtig,« sagte Charlotte, -auf eines der im Neste liegenden Eier zeigend. Frida blickte hin und -nahm das Ei zögernd in die Hand, legte es aber sogleich wieder hin, -einen leisen Ruf der Ueberraschung ausstoßend. Aus der Schale des Eies -sah nämlich ein kleiner, spitzer Schnabel hervor, dem gleich darauf -ein dunkles Köpfchen folgte, das sich durch die Eierschale hindurch -arbeitete. - -Die Federchen lagen feucht und zusammengeklebt auf dem runden Köpfchen, -die Aeugelchen blickten aber ganz vergnügt daraus hervor. Nach einer -Weile hatte sich das ganze Körperchen aus der Schale herausgearbeitet -und zappelte mit den Resten seines kleinen Gefängnisses in Gesellschaft -der andern Kükel im Stroh umher. An einem daneben liegenden andern Ei -war auch schon ein großer Sprung; man hörte leise picken und sah, wie -von innen ein spitzes Schnäbelchen an der Umhüllung bohrte, um sie -zu durchbrechen. Frida war außer sich vor Entzücken und wollte gar -nicht fort von dem Korbe, denn so etwas Reizendes war ihr noch nie -vorgekommen. Charlotte aber nahm die Küken heraus und setzte dann die -Glucke vorsichtig wieder auf den Korb. »Länger darf ich das Nest nicht -unzugedeckt lassen, die Eier werden sonst kalt,« sagte sie. »Die Kükel -aber thun wir hier in den Federtopf, daß die Alte sie nicht zertritt, -bis alle heraus sind.« - -Frida war glücklich wie ein Kind, als Charlotte ihr die kleinen -Hühnchen in die Hand gab, damit sie dieselben in den Federtopf tragen -sollte. Als Charlotte ihr aber sogar versprach, die Kükel der nächsten -Glucke wollte sie ihr schenken, diese ersten müsse der Herr Pastor -haben, da sprang sie jubelnd in dem engen Stalle umher und umarmte -und küßte Charlotte vor Wonne. Kein kostbarer Schmuck und kein neues -Kleid hätte dem jungen Mädchen eben jetzt solche Freude machen können, -als der Besitz solch kleiner, spashafter Küken, wie diese, die leise -piepsend in dem Federtopfe über einander kugelten. - -»Wann kommen denn wieder welche aus, Lottchen?« rief sie ungeduldig und -lief von einem Brütkorbe zum andern. - -»In den nächsten Tagen, hoffe ich,« sagte Charlotte, »sie sitzen fast -alle schon drei Wochen.« - -»Was, so lange muß solch arme Henne sitzen?« rief Frida, die Hände -zusammenschlagend. »Das ist ja ganz schrecklich! Muß =die= sich -langweilen!« - -Charlotte lachte herzlich. »Ja, und denke nur, das arme Thier frißt -und säuft nicht einmal zu ihrer Unterhaltung, während sie brütet. Früh -Morgens kommt sie vom Nest herunter und frißt sich satt, und dann -fastet sie den ganzen übrigen Tag. Es ist keine Kleinigkeit für eine -gute Glucke, ihre Eierchen sich auszubrüten.« - -Frida blickte ordentlich mit Respect nach den treuen, pflichteifrigen -Hennen -- der Hühnerstall hatte ihr Herz gewonnen. Das war der erste -Schritt zu ihrer Aussöhnung mit dem ihr so schrecklich erscheinenden -Landleben, und täglich folgte sie Charlotten oder Tante Marie zu dem -Federvieh, dessen Leben und Treiben ihr bald ganz bekannt war, und -das sie mit regstem Interesse verfolgte. Die jungen, frisch aus dem -Ei gekommenen Kükel aus dem Federtopf zu nehmen, sie dann auf den -Tisch zu setzen und mit klein gehacktem Ei oder Hirse zu füttern, -war ihre liebste Unterhaltung. Wenn dann die täppischen, kleinen -Wesen ungeschickt über einander kugelten und vorn überfallend das -Gleichgewicht verloren, sobald sie die Körnchen aufpicken wollten, dann -jubelte Frida laut auf vor Vergnügen und konnte sich keine hübschere -Unterhaltung denken. Und um Hühner- oder Enteneier zu suchen und -einzusammeln, scheute sie bald keinen Stallgeruch und keine unsauberen -Winkel mehr; ja selbst enge Treppen und Leitern kletterte sie eifrig -hinauf, wenn sie irgend ein Huhn dort gackern hörte und es in Verdacht -hatte, seine Eier verschleppt zu haben. - -»Unser Fridchen wird noch eine ganz leidenschaftliche Landwirthin -werden, gebt Acht!« rief Onkel Bremer oft vergnügt, wenn er die -hübsche Nichte in ihrem Eifer beobachtete, und Tante Marie behauptete -ganz ernsthaft, noch nie solch reichen Eiersegen gehabt zu haben, als -seitdem Frida die Hühner unter ihren Schutz genommen; sie besitze gewiß -ein Geheimmittel, womit sie die Hühner bezaubere. - -Onkel und Tante waren überhaupt von einer Güte und Herzlichkeit gegen -das verwöhnte Nichtchen, daß diese es nicht besser hätte wünschen -können. Alle die kleinen Thorheiten des jungen Mädchens, das sich für -etwas Besseres hielt und Hochmuth und Eitelkeit in Fülle kund gab, -wurden von Allen im Hause ohne Empfindlichkeit und Verdruß hingenommen. -An den einfachen, frischen Naturen Charlottens und Hannchens glitten -Frida's Unliebenswürdigkeiten völlig ab, und bereitwillig spendeten -sie der Cousine den Weihrauch, den diese beanspruchte, und bewunderten -deren Talente und Kenntnisse, welche die ihren weit übertrafen. Aber -wäre Frida weniger von sich eingenommen gewesen, sie hätte schon in den -ersten Tagen ihres Landaufenthalts erkannt, was sie später recht wohl -einsah: daß sie selbst trotz ihrer glänzenden Eigenschaften an wahrhaft -innerer Bildung diesen ihren beiden Cousinen gar sehr nachstand. Je -länger sie unter diesen Verwandten lebte, desto mehr dämmerte in ihrem -Herzen diese Einsicht empor. Bald empfand sie, wie lächerlich und -thöricht es sei, daß sie sich besser dünkte als Alle, und bald fing -sie an, bescheidner aufzutreten und sich dem schlichten Wesen ihrer -Umgebung mehr anzupassen, der alles fremd war, was Ueberhebung und -Eitelkeit hieß. Wußten und verstanden doch ihre einfachen Cousinen -tausend Dinge, von denen die kleine Stadtdame keine Idee hatte! -Und wie fleißig waren sie und wie pflichttreu, was schafften diese -Mädchen alles den Tag über, und wie nützlich waren sie dem Hauswesen, -während sie selbst die Hände in den Schooß legte, oder ein Bischen -las, schrieb oder musicirte, Dinge, mit denen sie nur sich selbst -Nutzen brachte. In diesem Hause vergrub niemand das ihm anvertraute -Pfund, sondern ein Jeder verwandte die ihm von Gott gegebenen Kräfte -zum Wohle des Ganzen, still, anspruchslos und bescheiden, als etwas, -das sich ganz von selbst verstand. Was war und wirkte sie dagegen, -die sich so vortrefflich und so hoch über diesen Mädchen stehend -erschien? Was hatte sie ihrem vereinsamten Vater, was ihren kleinen -Geschwistern genützt, was dem Hause und allem, das ihr anvertraut -gewesen? Hatte sie nicht immer nur an sich selbst und an ihr Behagen -gedacht? Waren die Pflichten, die freilich allzufrüh auf ihre Schultern -gelegt wurden, ihr nicht unerträglich gewesen, und hatte sie sich -denselben nicht stets entzogen, so viel sie nur immer konnte? Ach sie -mochte gar nicht daran denken, in welchem Zustande alles gewesen war, -als ihr Vater die Stiefmutter in das Haus führte, -- was mußte diese -von ihr gedacht haben? Und doch, welche Güte, welche Nachsicht hatte -Gertrud ihr entgegengebracht; wie hatte sie stets alles zum Besten -gekehrt, was Frida Thörichtes gethan, und wie hatte sie ihr diese Liebe -gelohnt? -- Immer und immer kamen Frida solche Gedanken, wenn sie die -thätigen, liebreichen und demüthigen Menschen beobachtete, von denen -sie hier umgeben war. O es sollte anders werden! Auch sie wollte brav -und tüchtig und ein brauchbares Glied ihres Hauses sein, wenn sie erst -wieder bei den Eltern war, und Gertrud sollte sehen, daß sie auch gut -und liebenswürdig sein könnte und dankbar für die ihr erwiesene Liebe. - -So übte schon in kurzer Zeit der Segen eines harmonisch schönen, -thätigen Familienlebens seinen wohlthätigen Einfluß auf das junge -Mädchen aus, und mit Freuden bemerkten ihre Eltern diesen Wechsel, -welcher mehr und mehr in den Briefen erkennbar wurde, die Frida in -die Heimath sandte. »Laßt mich ja noch eine Weile hier, ich muß noch -so viel lernen und es gefällt mir so gut!« so schrieb sie schon nach -einigen Wochen nach Hause, und nur zu gern kamen die Eltern diesem -Wunsche entgegen. - -Und zu lernen hatte Frida allerdings noch so viel in dieser ihr völlig -fremden Welt, daß sie noch Jahre hätte da bleiben können. Alles war ihr -neu und unbekannt, die kleinen Kinder des Hauses wußten zehn Mal mehr -Bescheid als sie, und ihre Unwissenheit, die sie stets offen bekannte, -war häufig die Veranlassung zu großer Heiterkeit. - -»Marie, kannst du ein Paar schöne Enten gebrauchen, die der Förster -geschossen hat?« fragte Onkel Bremer eines Tages seine Frau. - -»Geschossen?« rief Frida erstaunt, »warum schießt er denn die Enten vom -Hofe weg, Onkel? Das kann er doch bequemer haben.« - -Ein schallendes Gelächter vom Onkel war die Antwort; Frida meinte, -der Förster habe nicht wilde Enten geschossen, sondern die zahmen des -Hofes. Sie hatte in der Stadt ja nie andere gesehen und ebensowenig -gegessen. - -»O welch eine Menge schöner blauer Blumen!« rief Frida dann wieder, -als sie an einem Flachsfelde vorbeiging und war höchst erstaunt, als -sie erfuhr, daß ihr Leinenzeug eines Tages in Gestalt ebensolch blauer -Blümchen auf dem Felde gestanden habe. Natürlich hatte sie auch keine -Idee davon, wie die einzelnen Getreidesorten hießen, welche auf den -Feldern standen, und der Onkel, der mit Leib und Seele Landwirth -war, entsetzte sich vollständig, wenn Frida einen Spaziergang mit -ihm machte, und den schönen Hafer bewunderte, wo sie Gerste vor sich -sah, oder ein Roggenfeld für Weizen erklärte, und über die Unmasse -schöner Kornblumen und Kornraden jubelte, welche unter dem Getreide -standen und den Aerger des Landwirthes ausmachten. Von der Existenz -und Anwendung landwirthschaftlicher Geräthschaften hatte sie ebenfalls -keine Vorstellung. Eine Egge war für sie ein vollständiges Räthsel, -und wie man eigentlich mit einem Pfluge arbeite, war ihr bisher auch -noch ein Geheimniß gewesen. Als man Klee schnitt zum Futter für das -Vieh, fragte sie ganz erstaunt, warum man die Thiere nicht lieber -gleich in das Kleefeld trieb, damit sie sich da satt fressen, es sei -doch viel einfacher; und verwundert sah sie zu, wie man den schmutzigen -Dünger der Ställe sorgfältig aufbewahrte, statt das häßliche Zeug -fortzuwerfen, da es so garstig roch. Das Waschen der Schafe vor der -Schur erregte ihr höchstes Erstaunen, das Scheeren selbst aber konnte -sie vor Mitleid mit den armen Thieren gar nicht mit ansehen. - -In ganz entschiedener Feindschaft aber lebte sie tagtäglich mit dem -Rindvieh, das ihr gleich in den ersten Tagen solche Furcht erregte, -und doch war es an jenem Tage im Stalle angebunden. Welcher Schrecken -aber war es für das arme Stadtkind, wenn sie mitten durch eine Wiese -schreiten mußte, auf der Kühe und Ochsen frei weideten. Allein und -ohne ihre Cousinen hätte sie es nie gewagt; aber auch in Begleitung -richtete sie verzweifelte Blicke auf die gehörnten Ungeheuer, welche -gar nicht daran dachten, sie zu belästigen, sondern ruhig grasend -die dicken Köpfe auf und ab senkten. Wenn am Abend die Heerden in -das Dorf hereinzogen, ein wahres Fest für die ganze Dorfjugend, da -flüchtete Frida gewöhnlich furchtsam in's Innere des Hauses, damit -nur ja keiner ihrer persönlichen Feinde etwa einen Angriff auf sie -wagte. Alle Neckereien des Onkels und der Cousinen, aller Spott des -ungalanten Hermann, nichts konnte sie bewegen, ihre Furcht abzulegen, -und als sie nun gar einmal die Bekanntschaft eines Stieres gemacht -hatte, der seiner Heerde dumpf brüllend vorauf schritt, den mächtig -breiten Kopf tief zur Erde gesenkt, und mit den blutunterlaufenen Augen -böse und drohend zur Seite blickend, da war es vollends aus mit ihrer -Herzhaftigkeit. Sie behauptete, lieber einem Löwen allein im Felde -begegnen zu wollen, als solchem Ungeheuer, und der kleine Hirtenbube, -der dies furchtbare Geschöpf mit seinem langen Stock regierte, war für -sie ein größerer Held, als Blücher oder Ziethen. - -Der Onkel nahm Frida häufig mit sich hinaus auf''s Feld oder in Wald -und Wiese, um ihre bodenlose Unkenntniß in allen landwirthschaftlichen -Dingen einigermaßen zu heben. Da lernte sie denn nach und nach nicht -nur die Früchte des Feldes, dessen Art der Bestellung und dergleichen -mehr kennen, wovon ein Stadtkind in seinem Häusermeer keine Ahnung -bekommt, sondern bald auch die einzelnen Bäume des Waldes, die Stimmen -und die Gestalt der Vögel, die Insecten und Würmchen, welche Wald und -Wiese beleben, und alle die tausend herrlichen Einzelheiten, welche -sich dem beobachtenden Auge so unendlich mannigfaltig darstellen und -den Genuß und die Freude an der schönen Gotteswelt erst ganz und voll -machen. Es war ordentlich, als ob Frida jetzt erst recht sehen lernte, -und der Onkel war ein trefflicher Lehrer, der mit Liebe und Sorgfalt -beobachtete. Die Natur war seine Freundin gewesen von Kindheit an, -und wenn er einerseits als tüchtiger Landwirth sich ihr praktisch in -Dienst gestellt hatte, so versäumte er darüber doch nicht, auch für -ihre schönen und idealen Seiten das Auge offen zu halten. Besonders -für den Wald gewann Frida eine immer größere Vorliebe, je mehr sie an -der Bildung von Stamm und Blättern die einzelnen Bäume von einander -unterscheiden lernte. Buche und Eiche, Birke und Pappel, Erle und -Esche, das alles waren für Frida bisher Bäume, von denen sie freilich -gehört, und die sie auch wohl gesehen und gezeichnet hatte, die rechte -Gestalt und Eigenthümlichkeit aber eines jeden Baumes, und wodurch -man ihn schon von fern erkennen konnte, das lernte sie jetzt erst. -Ihr Tannenbaum am Weihnachtsabend, der, wie sie jetzt lernte, eine -Rothtanne oder Fichte war; da seine Nadeln nicht nach den Seiten, -sondern rund um den Zweig herum standen, dieser war ihr fast allein -der Bote aus dem fernen Walde gewesen. Wenn Frida sonst ja einmal -in Gesellschaft ihrer Freundinnen eine Spazierfahrt in der Umgegend -ihrer Stadt gemacht hatte und ein Stündchen in dem dortigen, schmalen -Waldstrich verweilte, so gab es dann immer so viel mit den Freundinnen -zu plaudern, so große Aufmerksamkeit auf ihre elegante Toilette zu -verwenden, oder zierliche Gesellschaftsspiele vorzunehmen, daß sie über -diesen Dingen alles andere vergaß, und es ihr gar nicht aufgefallen -war, wie schön so ein Wald doch eigentlich sei. Sie begriff jetzt -nicht, wie sie in der Stadt mitten unter lauter Häusern ohne ihre -lieben Bäume und Wiesen und Felder sich so wohl befinden konnte, und -Charlottes Worte am ersten Abend, worin sie das Landleben als das -Schönste hingestellt hatte, was sie sich denken konnte, fing jetzt an, -ihr verständlich zu werden. - -Bei solchen Spaziergängen, sowie bei dem Umhertreiben in Hof und Garten -war Frida im steten Kampfe mit ihrer eleganten, zierlichen Toilette, -welche für solches Landleben, wie sie es hier führte, vollständiger -Unsinn war. An jeder Hecke blieb sie mit den dünnen Falbeln ihres -Kleides hängen; jeder Busch trug ein Zeichen, wenn die elegante, junge -Dame mit ihren Spitzen und Frangen und Stickereien hindurch gekrochen -war, und nie kam sie nach Hause, ohne sich irgend etwas zerrissen, -beschmutzt oder sonst verdorben zu haben. Die Cousinen schlüpften in -ihren kurzen, einfachen Kleidern rasch und unbehindert überall durch, -ohne den geringsten Schaden zu leiden, während Frida mit ihrer langen -Schleppe und den dünnen, bauschigen Stoffen unsäglichen Aerger und -tausend Mühe und Beschwerde hatte. Brachte sie dann solch schmutziges -oder zerrissenes Kleid nach Hause, da hing sie es, wie sie immer -gewöhnt war, ruhig fort, ohne daran zu denken, daß es wieder sauber -und ganz werden mußte. Mit Verwunderung sah sie dann, daß Tante Marie -oder eine der Cousinen sich des armen Kleidungstückes annahm und es -bürstete und plättete, stopfte und nähte, bis es wieder in Ordnung war. -Und nun gar die dünnen Waschkleider, die sie so gern im warmen Sommer -trug! Zu Hause hatte die Wäscherin der jungen Dame solch zierlich -Kunstwerk stets fix und fertig überliefert, und die Jungfer sorgte -für die tägliche Herstellung des Anzuges. Hier aber waren es wieder -die Hände von Tante und Cousinen, welche diese Aufgabe übernahmen -und oft einen halben Vormittag damit zubrachten, eine einzige dieser -luftigen Hüllen auf dem Plättbrete wieder in Stand zu setzen, und -diese zierlichen Falbeln und Striche, diese Ueberwürfe und Frisuren -zu plätten und zu kniffen, welche Frida oft binnen einer einzigen -Stunde in unbrauchbaren Zustand versetzt hatte. Ein Gefühl von Scham, -wie es das verzogne Kind nie gekannt, kam bei solchem Anblick über -Frida. Sie wollte den Cousinen die Arbeit abnehmen; aber sie hatte -ja keine Ahnung weder vom Waschen, noch Plätten, noch sonst einer -der häuslichen Arbeiten, in denen diese jungen Mädchen Meisterinnen -waren. Bei Frida's Entschuldigungen lachten sie und behaupteten, es sei -ein großes Vergnügen, solche allerliebste Sachen unter den Händen zu -haben, so gut sei es ihnen noch niemals geworden. Aber jetzt wünschte -Frida nichts sehnlicher, als einfache, derbe Kleidung, mit der sie -unbehindert umherlaufen konnte, ohne ihrer Umgebung so viel unnütze -Arbeit zu bereiten. Eines Morgens hatte sie einen ganzen Koffer mit -ihren unpraktischen, eleganten Kleidern gefüllt und bat den Onkel, den -nach Hause zu senden. Die Mutter aber flehte sie an, ihr so schnell als -möglich einige recht einfache, derbe Kleider zu schicken, sowie auch -feste Lederstiefeln; denn ihr zierliches Stadtschuhwerk sei schon nach -einigen Wochen in völlig unbrauchbarem Zustande. - -Und so wie Frida sich in diesen Dingen immer mehr ihrer Umgebung -anpaßte, so auch in vielen andern. Manches, was ihr zu Hause als -etwas Entwürdigendes erschienen war, und was man eben den Dienstboten -überließ, das machte sie jetzt mit ihren eigenen, feinen Händchen -selbst, ohne einen Anstoß daran zu nehmen; denn Charlotte und -Hannchen, Martha und vor allem die Tante selbst, alle thaten ohne -Zögern derartige Dinge. Wenn Frida sich das Kleid beschmutzt, Bänder -und Haken abgerissen, oder die Schuhe bestäubt hatte, so litt sie es -bald nicht mehr, daß Tante Marie Bürste oder Nadel für sie ergriff, -oder Hannchen herbeieilte, die Schäden auszubessern. Fröhlich ließ sie -selbst ihre Nadel durch die Stoffe fliegen und die Bürste über Schuhe -und Kleider, ohne ihre Umgebung wie bisher zu bemühen, und bald fand -sie auch Gefallen an allerlei häuslichen Arbeiten, in denen sie sich -von den Cousinen unterweisen ließ. Zuweilen betrachtete sie dann wohl -mit etwas sorglicher Miene ihre feinen Fingerchen, welche beim Kochen -oder Plätten oder Früchte schälen bedenkliche Farben annahmen und rauhe -Stellen zeigten. Aber lachend trösteten sie dann die Cousinen, und -Frida selbst spottete endlich über ihre Eitelkeit, von der sie bisher -tyrannisirt worden war, und in deren Banne sie gelegen hatte. Die -Zeiten waren glücklich vorüber, in denen sie in Furcht und Angst vor -der kräftigen Kost des Hauses gelebt hatte. Jetzt dachte sie nicht mehr -daran, ob sie auch von den nahrhaften Gerichten, unter denen die Tische -seufzten, wohl eine plumpe Taille oder zu gesunde Farben erhalten -könne; ob auch ihre Hände verbrennen oder der Taint verderben werde, -wenn sie ohne Handschuh hinauslief und sogar oft den schützenden Hut -verschmähte. Tante Marie mußte sie jetzt sogar manchmal daran erinnern, -sich der Sonne doch nicht zu sehr auszusetzen; denn Frida selbst vergaß -häufig solche Sorgen, wenn sie sich auf der Wiese im frischen Heu -lagerte, oder im Walde auf weichem Moosteppiche behaglich ihre Glieder -streckte. - -»Papa wird mich gar nicht wieder erkennen!« rief sie oft lachend, wenn -sie ihr frisches Gesicht im Spiegel sah, das jetzt seine kränkliche -Blässe und die bläulichen Ringe unter den Augen verloren hatte. Was -aber ihre zierlichen Freundinnen dazu sagen, und ob sie vielleicht -die Näschen über die einst so elegante Frida rümpfen würden, wenn -sie zurück kam, kräftig und blühend wie eine volle, rothe Rose, das -kümmerte das junge Mädchen wenig mehr; denn von diesen Thorheiten war -sie so ziemlich geheilt. Auch überflüssig fühlte sie sich jetzt nicht -mehr im Hause, wie im Anfange; denn sie half, wo sie konnte: bald in -Küche und Garten, bald in der Schul- oder Kinderstube, wie sie es von -ihren Cousinen sah, und der Segen der Arbeit machte ihr Gemüth heiter -und sorglos. Ist man ja doch nie glücklicher, als wenn man mit sich -selbst zufrieden sein kann, und das konnte Frida jetzt wie noch nie -zuvor in ihrem Leben. Eine große Befriedigung gewährte es ihr, daß -sie Martha einigen Unterricht ertheilen konnte. Dies strebsame, junge -Mädchen hatte große Lust am Lernen und doch im Dorfe selbst nicht -viel Gelegenheit, und so unterrichtete Frida sie in neueren Sprachen, -Musik und Zeichnen, worin diese vortreffliche Unterweisung erhalten -hatte. Auch Hannchen und Charlotte nahmen Theil an diesem Unterricht, -so viel ihre Zeit es eben erlaubte, und besonders die Musik vertrieb -ihnen gemeinsam manche Stunde; denn die jungen Mädchen hatten helle, -frische Stimmen, welche sich unter Frida's Anleitung ganz allerliebst -entwickelten. - -So lebte Frida behaglich, fleißig und glücklich von Tag zu Tage und von -Woche zu Woche, und je länger sie hier im Hause verweilte, desto lieber -war sie dort. Die große Welt, in die sie wieder eintreten sollte, -kehrte sie nach Hause zurück, und von der sie mit so schwerem Seufzer -geschieden, sie hatte kaum halb noch den Reiz, den sie früher auf das -Gemüth Frida's ausgeübt, und wirkliche Sehnsucht fühlte sie nur oft -nach ihrem Vater und den Geschwistern, ja, sie gestand es sich kaum -selbst, auch nach Gertrud. Nach ihr freilich mit dem immer lebhafteren -Wunsche, wieder gut zu machen, was sie einst Thörichtes gethan, und zu -zeigen, daß sie auch brav und gut sein könne und nicht nur das eitle, -hochfahrende Mädchen von ehemals. - -Im Laufe der Zeit hatte Frida auch die andern Familien kennen gelernt, -welche den Umgang der Familie Bremer bildeten, und wir kehren noch -einmal zu den ersten Tagen zurück, welche Frida im Hause des Onkels -verlebte und treten mit ihr in diesen Freundeskreis ein. Eines Morgens -erschien in dem Wohnzimmer eine große, mächtige Männergestalt, deren -frisches Gesicht von dichtem, weißen Haar umgeben war, und den man als -den Herrn Pastor äußerst freudig begrüßte. Die kleinen Kinder hingen -sich an seine langen Rockschöße, Hannchen schob ihm gleich Vaters -großen Lehnstuhl herbei, und Onkel Bremer schüttelte ihm so gewaltig -die große, breite Hand, daß sie ordentlich in ihren Gelenken krachte. -Pastor Werder hatte ein breites, offnes Gesicht mit freundlichen, -grauen Augen, und seine Art und Weise war so fröhlich, und mit jedem -hatte er so viel Scherz und Neckereien, daß Frida ganz verwundert drein -schaute; einen Landprediger hatte sie sich so ganz anders vorgestellt. -Auch mit ihr fing er gleich ein heitres Gespräch an, und war so -zutraulich und herzlich, als kenne er das junge Mädchen schon seit -Jahren. - -»Nun, Kinderchen,« sagte er dann zu Hannchen und Charlotte, »Sonntag -Nachmittag kommt mein Justus, da bitte ich mir aus, daß ihr euch hübsch -macht und die Pfarre von oben bis unten umkehrt. Mein Lenchen hat schon -alle Blumen im Garten zu riesigen Sträußen und Kränzen gebunden, und -die Mutter eine Unmasse Kuchen gebacken, alle Tische liegen voll davon. -Meine morgende Predigt rettete ich gerade vom Untergange, als sie -eben zu Butterpapier benutzt und unter einen prächtigen Zuckerkuchen -gebreitet werden sollte. Ich glaube, der Just bringt seine beiden -Zöglinge und einen Freund mit, da soll's um so vergnügter werden. Ich -denke ja, die Hermsbacher werden auch alle kommen und wohl noch der -oder jener aus der Nachbarschaft. Da sieht unser schönes, kleines -Mamsellchen hier doch auch einmal, daß man auf dem Dorfe vergnügt sein -kann; denn Kinder, das bitte ich mir aus, bringt euch alle Taschen voll -Fröhlichkeit mit zur Pfarre.« - -Diese Nachricht erregte große Freude. Justus war ebensosehr der -Liebling aller, wie es sein Vater war, und ein Nachmittag im -Pastorhause schien für jedermann ein Fest zu sein. Ein Sonntag auf -dem Dorfe hat etwas gar Feierliches und Stilles, und als Frida am -Vormittage ihre Cousinen und Onkel und Tante in die Kirche begleitete, -stimmte die ganze Umgebung sie so festlich, wie es ihr an den -Sonntagen im Vaterhause nie geschehen. Sie war ganz erstaunt, von -dem alten, fröhlichen Geistlichen nun eine so gehaltvolle, schöne -Predigt zu hören, welche tief zum Herzen sprach. Auch bemerkte sie, -mit welch großer Andacht und Innigkeit die bäuerliche Gemeinde zu -ihrem weißhaarigen Prediger emporblickte, und wie er von Jung und Alt -geliebt und geehrt wurde. In der Stadt war Frida keine sehr eifrige -Kirchgängerin gewesen; nur die Zeit ihrer Einsegnung machte eine -Ausnahme. Aber auch von dieser schönen Zeit ward ein großer Theil -durch Eitelkeiten und Thorheiten ausgefüllt, wie sie nur in so jungen -Mädchenköpfen hausen können, denen keine ernste, liebevolle Mutter oder -Freundin zur Seite steht, welche die Schlacken von dem edlen Metall -sondert, das gerade in diesen ernsten Zeiten in die empfänglichen -jungen Gemüther gelegt wird. Frida hatte eben niemand zur Seite, -und so dachte sie bei den Vorbereitungen zu ihrer Confirmation eben -so viel an den modernen Schnitt ihres neuen Kleides, an den schönen -Schmuck und den Sammetpaletot, den Papa ihr geschenkt, und der die -ihrer Freundinnen an Eleganz noch übertraf, als an die ernste, schöne -Feier selbst. Diese bewegte dann ihr empfängliches Gemüth nichts desto -weniger tief und innig und rief eine Fülle edler und guter Gedanken -und Vorsätze in ihrer Seele wach. Kaum aber war diese ernste Zeit -vorüber, so schlugen die Wellen des täglichen Lebens über ihrem Kopfe -wieder zusammen; Rührung und gute Vorsätze klangen nur noch in leisen -Accorden zu ihr herüber, und ohne gerade tadelnswerther zu sein, als -hundert Andere ihres Alters, konnte man Frida doch durchaus kein -musterhaftes junges Mädchen nennen. Aber als sie jetzt hier in der -stillen Dorfkirche den Worten des alten Geistlichen lauschte, da zogen -diese ernsten Gedanken auf's Neue durch ihre Seele. Eine Ahnung von -dem, was ihr bisher gefehlt, schlich sich leise und unmerkbar in ihre -Brust, und als sie die frommen, seelenvollen Blicke sah, mit denen ihre -Cousinen an dem Antlitz ihres Seelsorgers hingen, da wußte sie, daß -in diesen Gemüthern anderer Ernst und andere Frömmigkeit lebte, als -jemals in ihrem eigenen. Aber noch lagen Herz und Sinn zu sehr in den -Banden ihres bisherigen Lebens gefangen; noch mancher Tag gehörte dazu, -ehe diese Einsicht ganz und voll in ihr wurde und noch manche Stunde -stiller Andacht zu den Füßen des würdigen Geistlichen. Aber sie kam -doch, und mit ihr eine Demuth und Bescheidenheit, wie man sie früher -nie an dem jungen Mädchen gekannt hatte. - -»O Tante,« sagte sie eines Tages leise, als sie neben dieser das -Gotteshaus verließ, »o warum bin ich nicht früher zu euch gekommen, ich -wäre ein besseres Mädchen geworden!« - -Tante Marie drückte Frida's Hand voll Innigkeit und erwiederte sanft: -»Zum Gutsein ist es keinen Tag zu spät, mein liebes Kind; wolle es nur -ernstlich, dann kannst du's auch, dazu ist man nie zu alt.« - -»Ja Tante, wenn du mir hilfst und ihr Alle!« sagte Frida bewegt. Die -Tante aber nickte ihr ernst lächelnd zu, und von dem Tage an war ohne -weitere Worte ein Bund zwischen Frida und der Tante geschlossen, dessen -Segen dem jungen Mädchen immer fühlbarer wurde, je länger sie in diesem -Hause lebte. - -Aber kehren wir zu dem Feste zurück, zu dem Pastor Werder das ganze -Bremer'sche Haus eingeladen hatte. Charlotte, Hannchen und Martha -hatten sich »hübsch« gemacht, wie der Gastgeber es sich ausgebeten, -das heißt, sie hatten saubere, helle Battistkleider angelegt, jedoch -keinen anderen Schmuck, als den ihrer frischen, rothen Wangen und -ihres sorglich gescheitelten Haares. Frida blickte betroffen auf -diese so unendlich einfachen Toiletten. Sie selbst hatte einen ihrer -elegantesten Anzüge gewählt, wie sie es bei festlichen Gelegenheiten -zu thun pflegte. Nun aber kam sie sich höchst unpassend gekleidet -vor, und sie wollte das kostbare Gewand wieder in den Kasten werfen. -Die Cousinen jedoch litten das nicht, fanden sie allerliebst und -behaupteten, Onkel Pastor sehe elegante Damen sehr gern. Da suchte -Frida denn rasch aus der Ueberfülle von Bändern, Spitzen und Schleifen -einige prächtige, farbige Schärpen aus, welche sie Hannchen und -Lottchen um die Taille schlang; Martha steckte sie eine schöne Schleife -vor die Brust, und die Cousinen mochten wollen oder nicht, sie mußten -sich so schmücken lassen. Frida jubelte über ihren Einfall, und -fröhlich zog die ganze Gesellschaft endlich dem Pfarrhause zu. - -Dies war ein großes, altes Gebäude mit weiten, etwas dunklen Räumen, -durch dicht herumstehende Bäume noch düstrer gemacht. Aber Thüren und -Fenster waren mit Blumen geschmückt, und auf der steinernen Außentreppe -stand Pastor Werder mit den Seinen zum Empfang der Gäste. Die Pastorin, -eine rasche, rüstige Frau mit lebhaften, dunklen Augen, lief den -Ankommenden, ihre kleine Tochter Gretchen an der Hand, ungeduldig ein -Stück entgegen, und ihr folgte die zierliche Gestalt ihrer älteren -Tochter Helene, ein auffallend zartes, liebliches Mädchen mit vollem, -dunklen Haar und schwärmerischen, braunen Augen. An der Seite des -Pastors aber stand sein einziger Sohn, groß und schön und stattlich wie -er selbst, nur daß die lang herabfallenden Locken des jungen Mannes -von schöner hellbrauner Färbung und die Züge des Gesichtes frisch und -jugendlich waren. Zwei Knaben von 13 und 14 Jahren, die Zöglinge Justus -Werder's, und sein Freund, ein junger Arzt, begrüßten mit ihnen die -Ankommenden als liebe, alte Freunde. Kaum aber hatte man sich die Hände -geschüttelt und das Haus betreten, da rollte ein Wagen vor. - -»Das sind die Hermsbacher!« tönte es fröhlich, und abermals -öffnete sich die gastliche Pforte. Herr und Frau von Helldorf, ein -freundliches, behagliches Ehepaar, wurde im Triumph hereingeführt, -und mit ihnen kam Sophie, des Gutsherrn Nichte, ein großes, blondes, -aber sehr unscheinbares Mädchen. Ihnen folgten zwei junge Männer, sehr -verschieden in ihrer Erscheinung. Walter, der Sohn des Gutsherrn, war -stämmig und kräftig gebaut, und sein Gesicht trug den Stempel großer -Güte und Milde; aber etwas Schüchternes, ja Linkisches that seiner -sonst angenehmen Erscheinung einigen Abbruch. Sein Begleiter jedoch, -der sich seit Kurzem als Volontair auf dem Gute aufhielt, besaß alle -die Eigenschaften, welche einen jungen Mann zu einer hervortretend -gewinnenden Erscheinung machen. Elegant in Manieren und Kleidung, schön -an Gesicht und Gestalt, und angenehm in der Art und Weise zu sprechen -und sich zu bewegen, machte er auf Jedermann einen äußerst günstigen -Eindruck. - -Frida hatte mit stiller Verwunderung ihre Blicke in dem Kreise -umhergeschickt, in dem sie sich hier befand; denn diese biedre, ja -derbe Art und Weise, mit welcher die Freunde hier mit einander -verkehrten, war für die feine, junge Dame etwas völlig Neues. Sie -verglich soeben im Stillen diese derbe Redeweise, welche häufig mit -plattdeutschen Worten vermischt war, und dies Händeschütteln und -laute, ungenirte Wesen der Gäste mit den graziösen, feinen Formen -der eleganten Welt, in der sie sich bis jetzt bewegt hatte. Da trat -sie aus dem Nebenzimmer, in das sie für einige Augenblicke gegangen, -wieder zu der Gesellschaft, und ihre Blicke fielen jetzt auf den jungen -Volontair, welcher von den breiten, mecklenburger Schultern der andern -Herren für sie bisher verdeckt worden war. - -Ein leiser Ausruf der Verwunderung entschlüpfte bei diesem Anblick -ihren Lippen; tiefe Röthe überzog ihr Gesicht, und unwillkürlich -trat sie einige Schritte vor. Herr von Gablenz, wie dieser junge -Mann genannt wurde, war in seiner leichten, gewandten Manier von -Einem zum Andern geschritten, indem er jeder der älteren Damen etwas -Verbindliches sagte und sich soeben in sehr sichrer, anmuthiger Haltung -dem Kreise der jungen Mädchen näherte, sein krauses, dunkles Bärtchen -mit leisem Lächeln über den Finger drehend. Da erblickte er Frida. -Höchstes Erstaunen in den Zügen hemmte er plötzlich den leichten -Schritt, und etwas wie Schrecken oder Verdruß beschattete für einen -Augenblick seine Züge. Aber auch nur für einen Augenblick. Im nächsten -schon blitzte sein dunkles Auge hell auf, und das beglückteste Lächeln -auf der Lippe trat er mit freudigem Gruß auf das junge Mädchen zu, das -ihm zum Willkommen die Hand entgegenstreckte. - -»Mein gnädiges Fräulein, welche freudige Ueberraschung, Sie hier zu -sehen!« sagte er halblaut und küßte Frida's bebende Hand, die er einen -Augenblick in der seinen hielt und wie zum stillen Einverständniß -leise drückte. Frida konnte ihrer freudigen Bewegung nur mit Mühe Herr -werden; aber sie fühlte, wie nöthig es sei, daß sie ruhig blieb, und -so sagte sie möglichst unbefangen, denn Hannchen trat eben zu ihnen: -»Herr von Gablenz, ich freue mich sehr, Sie hier zu begrüßen. Sie haben -ihre Freunde in B. so schnell verlassen, daß wir Alle nicht wußten, -wohin Sie abgereist waren. Liebes Hannchen,« wandte sie sich dann -unbefangen zu ihrer Cousine, »Herr von Gablenz ist ein Freund unsres -Kreises in B., es ist eine große Ueberraschung für mich, ihn hier -wieder zu sehen.« - -»Ein Glück, das ich mir nicht träumen ließ, mein gnädigstes Fräulein!« -fuhr Herr von Gablenz fort und fügte ein so bedeutsames Lächeln hinzu, -daß Frida sich schnell abwandte und Hannchens Aufmerksamkeit auf -etwas anderes zu lenken suchte. Diese war aber weit davon entfernt, -den wahren Sachverhalt zu ahnen, sondern drückte nur in ihrer sanften -Weise ihre herzliche Befriedigung aus, daß Frida die Freude habe, -einen Bekannten aus ihrer lieben Heimath wiederzusehen. Bald aber ließ -sie die Beiden allein, die sich nun schnell in ein lebhaftes Gespräch -vertieften. Als man hörte, daß Frida und Herr von Gablenz gute Bekannte -seien, verwunderte sich auch niemand, daß sie den Tag über viel mit -einander sprachen und verkehrten; was aber Frida fühlte und dachte, -das mögen uns wieder einige Zeilen sagen, welche sie ihrer Freundin am -Morgen nach diesem für sie so ereignißreichen Tage sandte. - - - »Liebste, theuerste Franziska! - - Was habe ich Dir heute mitzutheilen! O Fränzchen, wie glücklich, - wie selig bin ich, denke nur, ich habe =ihn= gesehen! Ja, staune - immerhin, ich habe auch gestaunt, und im ersten Augenblicke meinte - ich zu träumen, als seine schöne, edle Gestalt vor mir stand, und - sein herrliches, dunkles Auge mich anschaute, mit dem bekannten, ach - nur =mir= bekannten, strahlenden Blicke! O was so ein Blick alles - sagen kann und so ein Lächeln, wie es bei meinem Anblick um seinen - Mund schwebte! Ich hätte jubeln, aufjauchzen mögen vor Wonne, und - doch durfte ich es nicht, mußte stumm und still mein Glück im Herzen - verschließen, damit niemand es ahnte; ja ich durfte selbst den süßen - Händedruck nicht erwiedern, mit dem er mich begrüßte, denn meiner - Cousine Augen ruhten verwundert auf uns. Aber wenn wir auch den - ganzen Tag nur gleichgültige Dinge mit einander gesprochen haben, was - schadet es, wir sind uns doch wieder nah', ich kann doch wieder ab und - zu dieselbe Luft mit ihm einathmen; denn ich werde ihn wiedersehen, - hoffentlich oft und lange. Er ist als Volontair für einige Zeit hier - in der Nähe auf einem der Güter, und er sagte mir zur Entschuldigung - für seine schnelle Abreise, die Sache habe sich so rasch gemacht, - und sein Aufenthalt auf Hermsbach sei keineswegs eine so fest - abgeschlossene Sache, daß er davon gegen uns im Voraus hätte sprechen - mögen. Ach für mich bedurfte es ja dieser Entschuldigungen nicht, mir - genügte damals das Schreckliche: er war fort; aber die Wonne, ihn nun - hier wieder gefunden zu haben, wiegt alles auf. Nun will ich gern in - meines Onkels Hause bleiben, so lange sie mich behalten mögen, nun - sehe ich =ihn= doch zuweilen, das läßt alle Entbehrungen und alles - Unbehagen vergessen, das ich dort zu ertragen habe. O wie er dasteht - unter diesen derben, massigen, mecklenburger Gestalten! Wie ein Prinz - im Märchen! Ich würde mich nicht wundern, wenn eine goldene Krone - in seinen glänzenden, schwarzen Locken blitzte; denn wie ein Fürst - schreitet er unter diesen derben, simplen Leuten hier einher, und - in der That scheint auch alles ihm zu huldigen und das Uebergewicht - seiner geistigen wie körperlichen Gaben anzuerkennen. Die alten Damen - werden ordentlich wieder jung, wenn er ihnen in seiner anmuthigen - Weise den Hof macht, was ihnen von den hiesigen hölzernen, jungen - Herren nicht geboten wird. Und nun gar die jungen! Sie hängen alle - mit wahrhaft schwärmerischen Blicken an ihm, wie an einem Zauberer, - und selbst meine beiden schlichten, blöden Cousinen können ihre - Kornblumenaugen nicht von ihm abwenden, wenn er in ihre Nähe kommt. - Die kleine, reizende Pastorentochter ist ganz bestimmt schrecklich - in ihn verliebt, oder ich müßte mich wenig auf dergleichen Dinge - verstehen. Das Spashafteste aber ist die Schwärmerei eines großen, - blassen Mädchens, die über die erste Blüthe hinaus ist, wenn sie - überhaupt je eine hatte. Es ist die Nichte des Herrn von Helldorf, in - dessen Hause Gablenz sich aufhält, und die, wie ich höre, sehr reich - sein soll. Das stete Beisammensein mit dem jungen Volontair scheint - das arme Wesen ganz bezaubert und verwirrt zu haben. Es ist wahrhaft - jämmerlich, wie sie die blassen Augen verdreht und die Lippen zum - süßesten Lächeln spitzt, wenn er sie einiger Worte würdigt, und dann - sitzt sie wie verzückt da und schaut ihm nach, wenn er ihr den Rücken - gewandt. Und nun zu wissen, dieser herrliche Mann, den alle lieben, - alle verehren, alle besitzen möchten, er gehört mir, mir allein; - keine von allen, denen er in seiner gewandten Weise oft angenehme - Dinge sagt, besitzt seine Liebe, sondern nur allein ich, ich, die - Glückliche, Beneidenswerthe; -- o Franziska, das ist ein Gefühl, ein - Gedanke, überwältigend schön und beglückend. Wenn ich nicht wüßte, - wie theuer ich ihm bin, so könnte ich hier unter den vielen jungen - Mädchen ganz eifersüchtig werden, da sie ihn alle so verehren und - lieben. Den ungeleckten, jungen Bären der hiesigen Gesellschaft - gegenüber wirkt sein einnehmendes Wesen mit doppeltem Zauber auf die - schlichten Landmädchen, und der lose Gablenz scheint sich ein wahres - Vergnügen daraus zu machen, diesen Zauber möglichst auszubeuten. - Einige Worte, die er mir lachend zuflüsterte, als er mit der schönen, - schwärmerischen Pfarrerstochter zwei schmelzende Duette gesungen und - der blassen Frl. von Helldorf eine zarte Rose mit einigen schelmischen - Worten überreicht hatte, bestätigten meine Vermuthung. Mich liebt - er; aber den andern jungen Damen macht er ebensosehr den Hof, als - mir selbst, und das ist mir ganz recht, so merkt eben niemand, wie - die Sachen eigentlich stehen. O wenn Papa erführe, daß er hier ist! - Ich glaube wirklich, er holte mich gleich zurück. Aber er weiß ja - glücklicherweise nicht, daß Gablenz überhaupt B. verlassen hat, und - nun gar, daß er sich hier in dieser Gegend aufhält. - - Doch nun genug, mein Fränzchen. Du kannst jetzt wieder ruhig und froh - an mich denken; denn jetzt ist alles gut. Uebrigens muß ich meinen - Verwandten zum Lobe nachsagen, sie sind von einer außerordentlichen - Liebe und Güte gegen mich, und das Landleben ist überhaupt nicht so - schlimm, als ich erst dachte. An dem gestrigen Tage haben wir auf dem - kleinen See bei Pastors herrliche Stunden verlebt unter Gesang und - tausend Scherzen, und dann auf der Wiese prächtig gespielt. Aber sind - die Mädchen hier plump und blöde, es ist zum Todtlachen. Sie wissen - alle nicht um die Ecke, wie Graf Salm immer sagt. Gablenz war immer - der Mittelpunkt, um den sich alles schaarte; er leitete und ordnete - alles, und Du kannst denken, daß ich ihm treulich zur Seite stand. O - es war himmlisch! In Liebe und Glück - - Deine =Frida=.« - - -Aber auch Herr von Gablenz schrieb an dem Morgen, der dem -Zusammentreffen Frida's mit ihm folgte und das schwärmerische junge -Mädchen so unendlich beglückt hatte, einen Brief, der uns einen Blick -geben mag, wie es eigentlich mit diesem Herrn bestellt war, dem Frida -in ihrer Unerfahrenheit und Schwärmerei bereits nur allzuviel Raum in -ihrem Herzen eingeräumt hatte. - - - »Bester Eduard!« schrieb er mit fliegender Feder. »Vor Kurzem theilte - ich Dir mit, wie weise ich Deine Rathschläge mir zu Herzen genommen, - und wie gut sich alles zu gestalten scheint. Dank Deiner Fürsorge habe - ich zur rechten Zeit noch in B. den Staub von meinen Füßen schütteln - und der Stätte Lebewohl sagen können, wo mir das Pflaster zu heiß - unter den Füßen wurde, und meine Gläubiger anfingen, gar zu scharf - die Zähne zu zeigen. Wie ein Meteor kam ich und verschwand ich in - jenen angenehmen Kreisen, um hier von Neuem aufzutauchen und mir jene - Erbin zu sichern, von der Deine Freundschaft für mich Errettung hofft - aus dem Drangsale, das mein edles Haupt umgarnt. O Himmel ja, meine - Schulden fressen an mir wie hungrige Ungethüme, und nur eine Erbschaft - oder eine reiche Heirath kann mich retten. Da mir für Erstere aber - nirgends ein Stern dämmern will, denn das Geschlecht der Goldonkel - hat mir Aermsten nie geblüht, so bleibt nur das Zweite noch übrig. In - B. gab es hübsche Mädchen genug; aber alle mit würdigen Vätern und - Müttern versehen und von zahllosen Geschwistern umringt, also für - meine Zwecke nicht geschaffen. Ich muß disponibles Vermögen vor mir - sehen, um meiner Schwachheit hülfreich beistehen zu können; ferne - Aussichten, oder Abhängigkeit von der Güte barmherziger Schwiegerväter - kann mich nicht retten, und wenn die Töchter Engel an Schönheit wären. - Solch ein blondes Engelchen hätte mich edlen Ritter sonst sicher nicht - verschmäht; ich las es in ihren veilchenblauen Aeuglein und ahnte - wohl, daß mein Verschwinden ihr Herzchen bitter kränken würde, da sie - gewaltig Feuer gefangen. Aber lieber Himmel, wer kann an so etwas - denken, wenn das Feuer auf den Nägeln brennt! Ich war ihr entschlüpft - zur rechten Stunde, und alles schien im besten Gange. Ich wurde als - Volontair in Hermsbach angenommen, die Erbin ist blaß und häßlich - und gründlich langweilig; -- aber was hilft das alles, ihr Geld muß - die Schäden zudecken. Sie ist bereits zum Sterben in mich Ausbund von - Liebenswürdigkeit und Anmuth verliebt; denn das bei dieser simplen - Landpommeranze zu erreichen, war für mich keine Herkulesarbeit. Leider - haben Onkel und Tante aber ein Wort mitzusprechen, und die mir günstig - zu stimmen, bedarf noch einiger Geschicklichkeit. Uebrigens scheint - dies Mecklenburg eine wahre Fundgrube von hübschen Mädchen zu sein; - (leider macht nur meine Erbin eine traurige Ausnahme!) denn wie die - Amoretten in Thorwaldsens Neste voll Liebesgötter sitzen sie hier - dicht bei einander, so daß man sich die Zeit gut vertreiben kann. - Besonders eine kleine, schwarzäugige Pfarrerstochter könnte mich alle - hübschen Blondinen zeitlebens vergessen machen. Höchst unbequemer - Weise aber, und während ich im besten Zuge bin, den Liebenswürdigen - bei all den hübschen Mädels zu spielen, taucht plötzlich meine holde - Blondine aus B. vor mir auf, aus deren Banden ich glücklich entflohen - war, als Deine Weisung kam, mir den hiesigen Goldfisch zu fangen. - Sie war strahlend vor Entzücken, mich Ausreißer hier zu finden, und - ich? Nun ich müßte nicht Alfred von Gablenz sein, hätte ich nicht - augenblicklich ebenso strahlend in ihr holdes Augenpaar geblickt - und das Lied fortgesungen, das ich in B. begonnen. Ach Lied! Das - war ein unglückliches Bild; denn ein Lied ist's, was allein mich - bei der Geschichte etwas beunruhigt. Jetzt ist's nun eine köstliche - Komödie, die ich zu spielen habe; denn die kleine, schwarzlockige - Pfarrerstochter, deren schöne Augen mich für die blassen meines - Goldfischchens etwas entschädigen müssen, glaubt mich ebenfalls zu - ihren Füßen, und es gehört die ganze Gewandtheit Deines Freundes dazu, - mein Schifflein hier geschickt so zu steuern, daß Jede die Beglückte - zu sein scheint, bis ich meines Zieles ganz sicher bin. Aber das - gerade ist mein Element, drum Glückauf und ein fröhlich Gelingen - Deiner Pläne, Du kluger Pfadfinder. - - Dein getreuer - =Alfred von Gablenz=.« - - -Woche um Woche verging; Frida aber hatte keine Ahnung von der -Treulosigkeit und dem doppelten Spiele des leichtsinnigen Mannes, dem -sie mit der ganzen schwärmerischen Liebe eines jungen Herzens anhing. -Obwohl er sich hütete, mit Frida in bestimmteren Worten von seiner -Liebe zu sprechen, so behielt er doch gegen sie den Ton der Hingebung -und Verehrung bei, den er bisher schon angeschlagen, und nährte dadurch -Frida's stilles Träumen und Hoffen. Wohl sah und hörte sie, daß er -auch gegen Helene eine wärmere Sprache führte, und daß er Sophie von -Helldorf oft in auffallender Weise auszeichnete; aber ihr Herz ward nie -ernstlich hiervon beunruhigt. Glaubte sie doch immer, es geschehe nur, -um die Aufmerksamkeiten gegen sie selbst dadurch zu verdecken, und kein -Schatten eines Mißtrauens zog in ihr junges, unerfahrenes Gemüth. - -Das Glück und die Freude machten Frida noch lieblicher, als sie -ohnehin schon war, und ihre Anmuth gewann ihr schnell die Herzen all -dieser braven, einfachen Menschen, mit denen sie hier verkehrte. Ihr -launisches und trotziges Wesen, wie sie es zu Hause so oft gegen -die Ihren zeigte, schien ganz verschwunden; denn das Beispiel ihrer -bescheidenen Cousinen, denen derartige Unarten etwas völlig Fremdes -waren, wirkte unendlich vortheilhaft auf das weiche, leichtempfängliche -Gemüth Frida's. Immer mehr und mehr wurde sie der Liebling von Jung -und Alt; denn sie gehörte zu jenen glücklichen Naturen, welche von -jedermann verzogen und gehätschelt werden. Die jungen Mädchen wagten -sich in ihrer blöden, zaghaften Weise zwar Anfangs nicht recht an -die so elegante, junge Dame heran, die mit so viel Gewandtheit und -Sicherheit unter sie trat; Frida aber zeigte ihnen ein so herzliches -und unbefangenes Entgegenkommen, daß alle Scheu entschwand, und sie -mit allen bald gute Freundschaft schloß. Die jungen Herren hingegen -hatte Frida's Anmuth gleich von Anfang an gewonnen. Durch ihr leichtes, -gewandtes Benehmen, verbunden mit Witz und Heiterkeit, zeichnete sie -sich so vortheilhaft aus vor den schwerfälligen, schüchternen und -zaghaften jungen Mädchen, unter welchen sie auftrat, daß jeder sich -am liebsten mit ihr unterhielt. Sie verstand es vortrefflich, den -Ton zu treffen, der für jeden Einzelnen paßte, und selbst der scheue -und steife Walter Helldorf überwand mit der Zeit seine ängstliche -Blödigkeit, wenn die muntere Frida mit ihm scherzte. Justus Werder aber -und sein Freund, der lustige, junge Arzt, und mit ihnen noch einige -andere junge Leute der Nachbarschaft, schwärmten bald sämmtlich für -die bezaubernde junge Dame und brachten ihr jeder in seiner Weise die -wärmsten Huldigungen dar. Zur großen Verwunderung ihrer Cousinen nahm -Frida diese allgemeine Verehrung äußerst ruhig und sorglos hin; sie -hatte es ja auch zu Haus nicht anders gekannt, und ihr Herz wurde in -keiner Weise dadurch beunruhigt. Sie scherzte und lachte mit allen um -so sorgloser, da sie eigentlich dabei nur immer an den dachte, der ihr -die ganze Seele erfüllte. Er war ja fast immer unter den jungen Leuten, -mit denen sie verkehrte, und das belebte ihr ganzes Wesen. Ihm allein -galten ja eigentlich ihre Worte und ihre witzigen, munteren Reden, und -ein rascher Blick seines Auges, eine flüchtige Anspielung, nur für sie -verständlich, waren völlig hinreichend, Frida für viele Tage froh und -glücklich zu machen. - -Wenn Frida jetzt nach Hause schrieb, daß sie sich wohl und zufrieden -bei Onkel und Tante fühle, so hatte natürlich die Anwesenheit dessen, -den sie im Herz und Sinn trug, einen großen Antheil hieran. Aber -der alleinige Grund ihres Wohlseins war es dennoch nicht; Frida -lebte sich in der That von Tage zu Tage mehr ein in dem Kreise, -der sie aufgenommen. Jugend ist so empfänglich für alles Neue, und -hier waren es zu Frida's Glück nur edle und gute Elemente, welche -auf sie einwirkten. Die Freundschaft, die sie bald mit Hannchen und -Charlotte verknüpfte, war viel tieferer und besserer Art, als alle -ihre bisherigen Freundschaften, und Frida war selbst oft verwundert, -daß junge Mädchen so wenig von Putz und Aeußerlichkeiten mit einander -sprachen, als sie und ihre Cousinen, und sich dennoch ganz vortrefflich -dabei unterhielten. Auch mit Helene Werder, der braunäugigen -Pfarrerstochter, war Frida bald herzlich befreundet, und selbst Sophie -Helldorf zeigte für die bedeutend jüngere Frida eine warme Zuneigung -wenn auch ihre Blicke oft mit ängstlicher Spannung die Huldigungen -verfolgten, welche der schöne Volontair dem reizenden Mädchen -darbrachte. - -So war eine geraume Zeit vergangen, da bemerkte Frida zuweilen, daß ihr -liebes Hannchen mit roth geweinten Augen umherging, und auch Charlotte -oft niedergeschlagen und trübäugig dreinschaute. Auf ihre Fragen -erhielt Frida ausweichende Antworten, sie machte sich deshalb keine -weiteren Sorgen darüber. - -Eines Tages aber, als man wieder im Hause Pastor Werders fröhlich -zusammen gewesen, nahm Charlotte Frida unter den Arm und ging mit ihr -in eine der verstecktesten Lauben des Gartens. - -»Ich möchte dich gern einmal etwas fragen, liebe Frida; aber sei mir -drum nicht böse,« sagte Lottchen dort schüchtern und malte mit einem -Stöckchen, das im Wege lag, verlegen Figuren in den Sand. - -»Warum sollte ich böse sein, Lottchen? Was hast du?« entgegnete Frida -verwundert. - -»Es ist nur,« fuhr Charlotte zögernd fort, »ich wollte dich nur fragen, -liebst du das Leben auf dem Lande jetzt sehr?« - -»Ei gewiß liebe ich es, mehr als ich je dachte!« rief Frida lebhaft. - -»So möchtest du wohl ganz gern dort leben, vielleicht einmal als -Pastorenfrau?« stotterte Lottchen jetzt tief erröthend und wühlte mit -dem Stöckchen aufgeregt im Fußboden umher. - -»Als Pastorenfrau?« sagte Frida staunend. »Wie kommst du denn darauf, -Lottchen? Das ist ja eine merkwürdige Idee. Findest du denn, daß ich -=dazu= passe?« - -»Nein, ehrlich gestanden finde ich eben, daß du gar nicht dazu paßt, -Frida; aber nimm es mir nur nicht übel,« entgegnete Lottchen immer -befangener werdend. - -»Nun warum in aller Welt frägst du mich denn da so sonderbar?« lachte -Frida. - -»Weil -- nun weil ich dachte, du möchtest den Justus heirathen,« rief -Lottchen nun fassungslos und warf das Stöckchen weit von sich. - -»Den Justus Werder? Ich den Justus Werder heirathen? Lottchen, ich -glaube du träumst!« sagte Frida, die Augen weit öffnend. »Wie kommst du -denn darauf? Das würde mir ja nun und nimmer in die Gedanken gekommen -sein! Der Justus und ich, welch eine unglückliche Zusammenstellung!« - -Charlotte war von ihrem Sitze aufgesprungen und hatte Frida's beide -Hände ergriffen. - -»Du denkst nicht daran und hast den Justus nicht lieb, Frida?« rief sie -mit strahlenden Blicken. - -»Nein doch, nein, ich bin so weit davon entfernt, als man es nur sein -kann!« entgegnete Frida von Herzen lachend. »Ich gäbe eine schöne -Predigerfrau ab! Du komisches Mädchen, wenn du dir darum Gedanken -gemacht hast, dann beruhige dich. =Ich= nehme dir Justus Werder nicht -weg, und er will mich auch gar nicht.« - -»Ach ich ließe ihn dir gern, Frida,« sagte Lottchen leise. »Wenn =ich= -ihn liebte, hätte ich diese Fragen nicht an dich richten können. Aber -siehst du, ich kann es nicht mit ansehen, daß Hannchen sich so abhärmt, -um ihretwillen ist's.« - -»Hannchen liebt den Justus?« rief Frida voller Entzücken. »O das ist ja -köstlich, das muß ein Paar werden! Hannchen mit ihrem frommen, blonden -Gesichtchen giebt eine wundervolle Pastorsfrau ab. Hat Justus denn eine -Ahnung davon, und glaubst du, daß er sie auch liebt?« - -»Das ist's ja eben, was mich quält!« sagte Charlotte niedergeschlagen -»Früher, ehe -- nun daß ich es dir ehrlich sage, Cousinchen, ehe =du= -kamst, zeichnete Justus unser Hannchen ganz entschieden aus. Das -sahen auch seine Eltern, die es sehr wünschen; denn Hannchen ist ihr -Liebling. Aber jetzt ist er so anders geworden. Jetzt gilt seine ganze -Aufmerksamkeit dir, und das ist ja so natürlich, Hannchen verschwindet -ja neben dir vollständig, wie wir alle. Da du nun so sehr freundlich -gegen Justus bist und ihn so sehr auszeichnest, so -- -- --« - -»Ja ja, so dachtet ihr, ich wollte ihn deshalb gleich heirathen!« rief -Frida lachend. »O ihr guten, lieben Kinder! Wenn ich alle die heirathen -wollte, die mir den Hof machen, dann hätte ich eine schöne Auswahl. -Courmachen und Heirathen sind zwei himmelweit verschiedene Dinge, -Liebchen!« - -Charlotte war sehr ernst geworden. »Frida,« sagte sie, »weißt du, es -ist vielleicht sehr altmodisch und ländlich von mir; aber mir scheint, -man müßte nur demjenigen so freundlich entgegen kommen, als du es mit -Justus gethan, den man wirklich lieb hat, sonst thut man ein Unrecht. -Wenn Justus nun deine Liebenswürdigkeit anders auslegt und sich -einbildet, du magst ihn leiden? Er würde dir dann vielleicht einen -argen Vorwurf daraus machen, sobald er erführe, er habe sich geirrt.« - -»Aber Lottchen, bin ich denn gegen Justus wirklich freundlicher, als -gegen alle andern jungen Leute?« sagte Frida kopfschüttelnd. - -»Ich weiß es nicht, Cousinchen,« entgegnete Charlotte plötzlich -sehr roth werdend. »Aber es muß wohl so sein, sonst könnte Hannchen -sich nicht so sehr grämen. Aber freilich, du bist so ganz anders -erzogen, als wir. Bei dir ist alles Grazie und Anmuth; wir sind wahre -Perückenstöcke neben dir, da mag solche Liebenswürdigkeit wohl anders -beurtheilt werden. Niemand von uns hätte den Muth und die Gewandtheit, -so unbefangen über alles zu scherzen, als du es thust, und so ungerührt -sich die süßesten Schmeicheleien sagen zu lassen.« - -Frida erröthete. »Gestehe es nur, Lottchen,« sagte sie schelmisch, -»eigentlich findet ihr alle zusammen, daß ich eine ausgemachte, eitle -Coquette bin, nicht wahr?« - -»O nein, nein, Frida, um alles in der Welt, denke das nicht!« rief -Lottchen eifrig. - -»Nun, wenn auch nicht ganz so schlimm, so doch ein Bischen, nicht wahr, -Schatz?« sagte Frida, Charlotten umschlingend und ihr herzlich in die -Augen schauend. - -»Nun ein Wenig zurückhaltender könntest du allerdings wohl sein, Frida, -das ist richtig,« entgegnete Charlotte ehrlich. »Aber sei nicht böse -drum. Ich las kürzlich ein Verschen in den Gedichten von Friedrich -Rückert, die du mir geborgt hast; das fällt mir jetzt manchmal ein, -wenn ich dich so sicher und selbstbewußt unter den jungen Leuten sehe.« - -»Und wie ist dieser Vers, meine kleine Lotte?« fragte ihre Cousine -lächelnd. - -»Er heißt, aber sei nicht böse: - - - Schön bist du, - Das weißt du - Nur leider zu sehr; - O wüßtest du's minder, - So wär'st du es mehr.« - - -»Du ganz abscheuliches Mädchen!« lachte Frida tief erröthend, »du sagst -mir da bittere Süßigkeiten. Aber ich danke dir dafür, ich werde daran -denken. Bis jetzt hat mir kein Mensch gesagt, daß ich anders sein -sollte; es ist aber möglich, du hast nicht unrecht.« - -»Und du bist mir wirklich nicht böse, Frida?« sagte Charlotte flehend, -ihre Cousine schüttelte aber halb lächelnd, halb ernsthaft den Kopf und -küßte die hübsche Tadlerin herzlich. Dann versprach sie ihr, besonders -gegen Justus zurückhaltender zu sein, damit er sähe, sie denke nicht -daran, ihn für sich zu gewinnen. - -Charlotte schien zwar noch etwas sagen zu wollen, schloß aber die schon -geöffneten Lippen wieder mit einem kleinen Seufzer und folgte Frida, -welche sie fröhlich plaudernd den Baumgang hinabführte. - -Aber kaum waren die beiden Cousinen wieder in das Haus zurückgekehrt, -so merkte Frida, daß Hannchen auch gern etwas mit ihr sprechen wollte, -die Gelegenheit dazu sich aber immer nicht fand. - -»Hannchen,« sagte Frida endlich unbefangen, »du hast gewiß wieder -einmal deine bösen Kopfweh; komm ein Bischen mit mir in den Garten, mir -ist heut auch gar nicht recht wohl.« - -Hannchen war schnell bereit dazu, und bald umschattete jene ferne -Laube, welche kurz zuvor Lottchens Geständnisse aufgenommen hatte, nun -auch Hannchens Wangen, welche sich plötzlich sehr dunkel färbten. - -»Weißt du, liebe Frida,« sagte sie plötzlich mit ihrer weichen, -lieblichen Stimme und preßte die Hände fest in einander. »Es ist mir so -lieb, daß ich einmal allein mit dir sprechen kann.« - -Frida konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; denn sie ahnte, von wem -ihr sanftes Hannchen mit ihr sprechen wollte. Sie versuchte ihrer -Cousine auf halbem Wege entgegen zu kommen und sagte vertraulich: - -»Du hast etwas auf deinem Herzen, Hannchen, ich habe es wohl gemerkt, -was ist's? Welcher Bösewicht hat es gewagt, den Frieden deines sanften -Gemüthes zu stören, mein schüchterner, kleiner Vogel?« - -»Nicht doch, Frida, sag' doch so etwas nicht,« entgegnete Hannchen und -schlug bang die Augen nieder, damit ihr Blick nicht die Worte strafen -möchte. »Ich wollte dich gern etwas fragen, einen unsrer Nachbarn -betreffend.« - -»Sagt' ich's nicht?« rief Frida schelmisch, »ein Nachbar macht deinem -sanften Herzchen zu schaffen! Heißt er mit dem ersten Anfangsbuchstaben -etwa Justus Werder?« - -Hannchen schrak leicht zusammen und blickte Frida scheu an. - -»Wie kommst du darauf, von =ihm= so zu sprechen?« sagte sie herber, als -sonst ihre Art war. Dann aber strich sie leicht mit der Hand über ihre -Augen, und als bereue sie ihre Unfreundlichkeit fuhr sie in sanftem -Tone fort: »Nicht von mir ist die Rede, liebe Cousine, sondern von -jemand ganz andrem. Sage mir, Frida, meinst du nicht auch, daß jemand -dich sehr, sehr gern zu haben scheint?« - -»Mich? Von mir sprichst du, Hannchen?« rief Frida lachend. »Nun ich -hoffe, ihr alle habt mich sehr, sehr gern.« - -»Ach so meine ich es ja nicht, das versteht sich ja von selbst,« sagte -Hannchen ausweichend. »Wie soll ich mich nur deutlich machen, ich -bin so ungeschickt! Ich meine, hast du nicht gemerkt, daß jemand in -Hermsbach dich sehr, sehr gern hat?« - -Jetzt war es an Frida, zusammenzuschrecken und erröthend die Augen -niederzuschlagen. Rasch aber faßte sie sich und sagte: »Ach die -Galanterien der jungen Leute sind nicht so ernsthaft zu nehmen, liebes -Hannchen. Herr von Gablenz hat ja für uns alle stets etwas Angenehmes -auf den Lippen; mich zeichnet er wirklich nicht mehr aus, als jede von -euch.« - -»Ich meine auch gar nicht den Herrn von Gablenz,« fuhr Hannchen zögernd -fort, »ich meine einen Anderen, der dich so auszeichnet, wie sonst -niemanden. Erräthst du ihn nicht?« - -Frida athmete froh auf und rief lachend: »Ich glaube gar, du sprichst -von Walter Helldorf! Hab' ich's errathen, Cousinchen?« - -Hannchen nickte ernst und sah vor sich nieder. - -»Nun? Und warum beunruhigt es dich, daß ich den armen, blöden Jungen -ein Bischen munter gemacht und ihm die Zunge gelöst habe? Ich denke, -für deine Augen giebt es doch einen anderen Magnet, als Walters -ehrliches Gesicht, oder ich müßte auf ganz falschem Wege sein.« - -»Ach bitte, laß =mich= doch nur aus dem Spiele,« sagte jetzt Hannchen -fast weinend. »Ich hätte dies Gespräch ja gar nicht begonnen, wenn -nicht..... Ach siehst du, Frida, sage doch ehrlich, liebst du Walter -Helldorf?« - -Frida lachte hell auf. »Ihr seid ein paar wundervolle Kinder, du und -Lottchen um die Wette. Die Eine denkt, ich..... Doch halt, das wollte -ich nicht sagen. Nun Hannchen, und =wenn= ich ihn nun gern hätte, den -guten, ehrlichen Jungen, was dann? =Dir= käme ich ja doch nicht in's -Gehege damit, Kleine?« - -Hannchen brach plötzlich in Thränen aus. »O Frida, ist es wahr, liebst -du ihn wirklich?« rief sie angstvoll. »O bitte, bitte, sage die -Wahrheit!« - -Frida wurde jetzt ganz ernst und sagte weich: »Nein, nein, Hannchen, -beunruhige dich nicht; Walter paßte so wenig zu mir, als etwa Justus -Werder. Die brauchen alle Beide ganz andere Frauen, als ich eine -abgäbe. Aber nun sage mir auch, was deine Frage zu bedeuten hat; denn -ehrlich gestanden, ich werde nicht klug aus dir. Ist dir wirklich so -viel an Walter gelegen, daß dich der Gedanke so unruhig macht, ich -könnte ihn gern haben?« - -»O nein, nicht meinetwegen ist's, Frida!« rief Hannchen jetzt durch -ihre Thränen lächelnd. »Wäre dies der Fall, dann hätte ich nie den Muth -gehabt, dich danach zu fragen. Nein, es ist wegen Lottchen. Ich weiß, -sie hängt mit inniger Liebe an Walter, und ich glaube, er hatte sie -wohl auch recht gern, ehe....« - -»Aha, ich merke schon,« rief Frida rasch, »ehe die abscheuliche Frida -zu euch kam, und mit ihrer unerträglichen Coquetterie sein armes, -braves Herz umgarnte, ist's nicht so, Cousinchen? O gestehe es nur, -so ist's! Seine blauen, ehrlichen Augen sind seitdem etwas aus ihrem -Cours gewichen und meiner Spur gefolgt, statt daß sie den beiden -Kornblumenäuglein nachschauen, die bis dahin ihr Ziel bildeten. Nicht -wahr, mein armes Hannchen, das war's, was dich gekränkt hat?« - -Hannchen blickte mit sanftem Flehen auf und wußte nichts zu erwiedern, -Frida aber fuhr mit ironischem Lachen fort: »Jetzt fehlt nur noch, daß -Helene und Sophie kommen und mich anklagen, ich bestricke den jungen -Doktor und Herrn von Gablenz, die sie für sich bestimmt haben. O!« rief -sie heftig und sprang vom Sitze auf, »warum jagt ihr die abscheuliche -Coquette denn nicht zum Hause hinaus? Besseres verdient sie ja nicht -für ihr schamloses Betragen.« - -Hannchen umschlang das leidenschaftliche Mädchen weinend mit ihren -Armen, denn sie verstand nicht recht, was Frida so heftig erregt hatte. - -»O verzeih mir, Cousinchen, verzeih mir,« bat sie schluchzend, »es -war unrecht von mir, dich durch meine Fragen so zu kränken, ich sehe -es jetzt erst ein. Nur meine Sorge und Liebe für Lottchen ließen mich -alle Rücksicht vergessen, sonst hätte ich nie den Muth gehabt, so etwas -zu sagen. O nun bist du mir so böse, und wahrlich, ich habe es nicht -anders verdient!« - -Und bitterlich weinend sank sie wieder auf die Bank, das Gesicht mit -den Händen bedeckend. - -Frida, deren Heftigkeit so plötzlich hervorgebrochen war, nachdem -sie eben noch über Hannchens Idee gescherzt, schämte sich ihrer -Leidenschaft und setzte sich still neben Hannchen, ihr die Hände -streichelnd und bemüht, sie zu beruhigen. Als ihr dies endlich -gelungen, sagte sie, mit Gewalt ihre Aufregung bei der Frage -niederkämpfend: »Nun sollst du mir zur Sühne aber noch etwas gestehen, -liebes Hannchen. Was ich vorhin mit bitterem Hohn sagte, will ich jetzt -noch einmal ruhig und gleichmüthig fragen, damit ich weiß, daß ich -weiter niemanden unter euch mit meinem Betragen kränke. Glaubst du, daß -auch Helene oder Sophie oder sonst jemand der Freunde Grund hat, mein -Benehmen in ähnlicher Weise zu tadeln? Bitte, sage es mir ehrlich; ich -will nicht wieder heftig werden, ich verspreche es dir!« - -»Nein, das glaube ich kaum,« entgegnete Hannchen nachdenkend. »Helene -und Sophie sind sich gegenseitig wohl mehr im Wege, als du es ihnen -bist, das fürchte ich seit einiger Zeit.« - -»Sich gegenseitig?« fragte Frida aufhorchend. »Wobei denn?« - -»O sie sind Beide thöricht!« rief Hannchen ungewöhnlich streng, »mir -scheint -- aber nein, ich will lieber nicht davon sprechen. Sie werden -selbst bald genug sehen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, und daß -so ein glatter Herr nicht gemacht ist für uns simple Dorfmädchen.« - -»Sprichst du von Herr von Gablenz, Hannchen?« stammelte Frida leise. - -»Freilich spreche ich von ihm,« sagte Hannchen achselzuckend. »Es -verdrießt mich, daß ihr alle den eitlen Mann so vergöttert und ihn -dadurch nur noch mehr verderbt, als er so schon ist.« - -»Verdorben nennst du ihn?« rief Frida empört. »Was berechtigt dich -sanftes Wesen denn zu einem so ungerechten und harten Urtheil über -diesen so ungewöhnlich liebenswürdigen, jungen Mann?« - -»Eben seine ungewöhnliche Liebenswürdigkeit,« entgegnete Hannchen -ernst. »Ich bin einmal ein sehr ruhiges und nüchternes Mädchen und in -einfachen Verhältnissen aufgewachsen; mir gefällt Herr von Gablenz ganz -und gar nicht, und wenn ich es ehrlich sagen soll, ich traue ihm nicht.« - -»Aber warum denn in aller Welt, Hannchen? Was giebt dir denn nur Grund -zu solcher Härte und solchem Mißtrauen?« rief Frida bebend; denn sie -konnte ihren Zorn und ihre Aufregung kaum verbergen, den Mann von -Hannchen schmähen zu hören, den sie so verehrte und liebte. - -»Er ist glatt wie ein Aal,« sagte diese achselzuckend. »Er entschlüpft -jedem ernsteren Gespräch, wie ich von den Herren gehört habe, und da -er allen jungen Mädchen so übertrieben den Hof macht, meint er es mit -keiner ernst. So etwas mag für die große Welt passen, für unser stilles -Dorf paßt es nicht. Es geht das Gerücht, er werde Sophie Helldorf -heirathen. Ich glaube es nicht. Aber wenn er es thun will, so kann er -es nur wegen ihres Reichthums wünschen; denn ein so eleganter Herr wird -sich nicht gerade die Unscheinbarste aussuchen; ihren hohen, innern -Werth kennt er schwerlich. Sophie wäre eine große Thörin, wenn sie -seine Werbung annähme. Gott mag wissen, wie es möglich ist, aber er hat -es ihr mit seinem glatten Wesen angethan, wie auch der schwärmerischen -Helene, ich habe es wohl gemerkt. Dich freilich ficht ein derartiges -einschmeichelndes Wesen nicht an, Frida, du bist von zu Haus daran -gewöhnt und weißt, daß nicht viel auf dergleichen zu geben ist. Bei -uns schlichten Dorfkindern aber ist das anders. Helene und Sophie -nehmen alle die schönen Reden als baare Münze und lassen sich den -Kopf damit verdrehen. Warnen oder Schelten hilft nichts, sie sind wie -bezaubert.« - -Frida hatte stumm zugehört, denn jede Aeußerung würde sie verrathen -haben. Aber ihr Herz klopfte so ungestüm, daß sie kaum athmen konnte. -Jetzt stand sie rasch auf und sagte: »Du bist härter, als ich dich -noch je gesehen habe, Hannchen. Aber ich will mich darüber nicht mit -dir streiten. Ich glaube, wir müssen jetzt zum Abendbrod, es ist spät -geworden. Was unser voriges Gespräch betrifft, Lottchen und Walter -angehend, so verspreche ich dir, du sollst mit mir zufrieden sein, ich -werde an deine Mahnung denken.« - -Dann gingen die beiden jungen Mädchen schnell dem Hause zu. Aber ein -unruhiges, gespanntes Wesen war seit diesem Gespräche über Frida -gekommen. Hannchens klares, nüchternes Urtheil hatte sie aufmerksamer -auf das Benehmen ihres Verehrers gemacht, und sie konnte ihrer Cousine -in einigen Punkten nicht Unrecht geben. Vor allem aber beunruhigte -sie das Gerücht, Gablenz werde Sophie von Helldorf heirathen und zwar -um ihres Reichthums willen. Sie warf den Gedanken als abscheulich und -unwürdig weit von sich; aber doch kam er immer von Neuem wieder in -ihren Sinn und quälte sie unaussprechlich. Sie mußte wissen, ob auch -nur der Schatten von Wahrheit an dem Gerücht war, und nur von Sophie -allein konnte sie etwas darüber erfahren. Sie überwand deshalb ihre -innere Abneigung und Eifersucht und suchte häufiger mit dem jungen -Mädchen zusammenzutreffen. - -Sophie von Helldorf war erst seit einiger Zeit im Hause ihres Onkels, -der dem verwaisten Mädchen eine neue Heimath in seiner Familie gegeben, -und ihre Unbekanntschaft mit den Freunden ihrer Verwandten sowohl, -als auch etwas Scheues und Steifes in ihrem Benehmen, hatten sie -bisher den andern jungen Mädchen etwas fern gehalten. Obwohl sie in -ihrer äußeren Erscheinung unbehülflich und ungraziös erschien, so war -der Kern ihres Wesens doch durchaus trefflich und edel, und bei einer -äußerst abgeschlossenen Erziehung hatte sie eine sorgfältige innere -Ausbildung erhalten. Obwohl sonst schüchtern und ängstlich, zeigte sie -bei Gelegenheit ein entschlossenes, festes Wesen, das gar wohl seinen -eigenen Weg zu finden wußte. - -Bisher hatte sie ein ganz zurückgezogenes Leben geführt, durch die -Krankheit ihres Vaters bedingt. Nach dessen Tode trat sie als Erbin -eines großen Vermögens in des Onkels Haus und fing erst hier an, ihrer -Jugend froh zu werden. Die Huldigungen, welche der einnehmende Herr von -Gablenz ihr widmete, umstrickten ihr unerfahrnes Herz mächtig, waren es -doch die ersten, welche ihr überhaupt je im Leben dargebracht wurden. -Der Wunsch, die Seine zu werden, befestigte sich mehr und mehr in ihr -trotz des Widerstrebens ihrer Angehörigen, welche dem gewandten, jungen -Weltmanne nicht sehr günstig waren und gar wohl ahnten, was denselben -so schnell und mächtig an das unscheinbare Mädchen fesselte. - -Frida hatte es bald verstanden, sich das Vertrauen Sophie's zu -erwerben, und allerlei gemeinsame Interessen verknüpften sie mehr und -mehr. Lange Zeit aber, so oft auch Frida das Gespräch auf Herrn von -Gablenz brachte, wurde Sophie ernst und einsilbig; denn eine stille -Eifersucht, welche immer wieder lebendig wurde, sobald Sophie Herrn -von Gablenz in Frida's Gesellschaft sah, schloß dieser gerade Frida -gegenüber die Lippen doppelt fest. - -Der Sommer war mit seinen warmen Tagen in das Land gezogen und hatte -die Früchte der Felder in so reicher Fülle gereift, daß man einer -gesegneten Ernte entgegenging. Diese für den Landmann so wichtige -und bewegte Zeit brachte denn unendlich viel neues und reges Leben -mit sich, und Frida griff wacker mit in das Räderwerk ein, das jetzt -doppelte Geschäftigkeit und Arbeit für alle Hausbewohner brachte. Dies -rege Treiben und diese Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend -ward gerade jetzt zum unendlichen Segen für Frida. Es war unmöglich, -den Tag über den eignen Gedanken nachzuhängen, oder über Dinge still zu -grübeln, welche das Herz bewegten; denn unter doppelter Fröhlichkeit -schaffte und wirkte jedermann von früh bis spät zum Wohle des Ganzen, -und Abends war Frida so müde und erschöpft von der ungewohnten -Thätigkeit, daß sie sogleich von den Armen des Schlafes umschlungen -und in dessen stilles Reich getragen wurde, sobald sie nur die Augen -geschlossen hatte. - -Der Ernte folgte alsdann in den verschiedenen Dorfschaften die -fröhliche Kirchweih, und es war eine alte Sitte, daß die Nachbarschaft -zur Feier dieser Feste einander besuchte. Da gab es denn ein munteres -Treiben bald in Dahme, bald in Hermsbach oder einigen anderen -befreundeten Nachbardörfern, und die jungen Mädchen hatten nicht mit -Unrecht Frida gleich am ersten Abend von dieser fröhlichen Zeit, als -der schönsten des ganzen Jahres, erzählt. Tanz und Jubel und fröhliche -Spiele vereinigten Jung und Alt unter den weiten Lauben, die überall -zu diesem größten Feste der Dorfbewohner errichtet wurden. Herrschaft -und Gesinde verkehrte in gemüthlicher, ungebundener Weise mit einander, -und wenn sich die anmuthige Frida jetzt lustig im Arme des stattlichen -Großknechtes im Rundtanz drehte, so dachte sie nicht im Entferntesten -mehr daran, daß sie einst solche Zumuthung als eine Beleidigung stolz -von sich gewiesen hatte. - -Seit Frida's geheimen Gesprächen mit ihren beiden Cousinen in -jener fernen Laube des Gartens achtete das junge Mädchen fast mit -Aengstlichkeit darauf, ihr Benehmen zu ändern und besonders gegen -die jungen Herren vorsichtiger und zurückhaltender zu sein, als sie -es bisher gewesen. Einestheils wurde sie hierzu durch den Wunsch -bestimmt, sowohl Justus als Walter ihren Cousinen weniger zu entziehen; -anderentheils aber war es Charlottens leise Mißbilligung ihres zu -freien Benehmens, was sie beeinflußte; denn bei ihrer wachsenden Liebe -und Achtung für ihre Cousinen hatte auch deren Urtheil einen größeren -Einfluß auf Frida, als ehemals aller Tadel und alle Vorstellungen von -Seiten ihres Vaters oder ihrer Stiefmutter. In dem stillen Wunsche, -Hannchens und Lottchens Glück ihrerseits möglichst zu fördern, gelang -es ihr zwar häufig, Walter und Justus an die Seite ihrer Cousinen zu -führen; aber ihrer Ungeduld gingen die Sachen viel zu langsam. Freilich -waren Hannchen und Charlotte auch von einer peinlichen Zurückhaltung, -und um keinen Preis hätten sie ahnen lassen, was ihr Herz bewegte. -Aber eben so wenig verstanden es auch ihre gar steifen, schwerfälligen -Verehrer, die Gelegenheit beim Schopf zu erfassen, um den Sternen näher -zu kommen, die augenscheinlich das Ziel ihrer Wünsche bildeten. - -Dies Interesse für ihre Cousinen zog Frida jetzt häufig von den -Beobachtungen ab, welche ihre eigne Herzensneigung betrafen. Herr -von Gablenz war in unveränderter Weise ihr ergeben; aber in ebenso -unveränderter Weise umschwärmte er auch die andern jungen Mädchen, -deren durch diese ländlichen Feste eine noch größere Anzahl zugegen -waren. Den Schluß der Vergnügungen sollte die Feier des Geburtstages -des alten Herrn von Helldorf bilden, und die ganze Umgegend war -eingeladen, derselben beizuwohnen. - -»Helfen Sie mir, Fräulein Frida, etwas Abwechslung in die Freuden -dieses Tages zu bringen,« sagte Herr von Gablenz halblaut. »Wenn wir -Beide die Sache nicht in die Hand nehmen, wird sie langweilig wie die -ganze liebe Gesellschaft hier zu Lande.« - -Frida erröthete froh, denn der Vorzug, den Gablenz ihr vor all den -Andern einräumte, machte für sie ja wieder alle Gerüchte und alle -Befürchtungen zu Schanden. - -»Von Herzen gern,« entgegnete sie hellen Blickes. »Aber wie fangen wir -es an?« - -»Was meinen Sie zu einem improvisirten Valentinstage,« sagte Gablenz -leise. »Mir scheint, das würde unserm Verkehr einen pikanteren -Beigeschmack geben. Ein _tête à tête_ mit meiner holden Valentine, nach -dem mich seit langen schon so unaussprechlich verlangt, wäre das Ziel -meiner Wünsche.« - -Frida schlug erglühend das Auge nieder vor dem kecken Blick des jungen -Mannes, dessen Sprache sie nicht mißdeuten konnte. Während sie nach -Fassung rang, fuhr Gablenz vertraulich fort: »Blumen sind, wie die -schöne Frida von früher weiß, die besten Dolmetscher unsrer Gefühle. -Wie wäre es, wenn wir sie auch hier sprechen ließen?« - -Frida preßte mit klopfendem Herzen ihr Tuch an die Lippen; dann sagte -sie, den Kopf leicht abwendend: »Gewiß, das wäre ein hübscher Gedanke. -Bringen Sie die Sache in Vorschlag und hören wir, ob unsere zaghaften -Damen sich den kleinen Freiheiten auszusetzen wagen, welche das -Verhältniß zu ihrem Valentin mit sich bringt.« - -Anfangs schien es allerdings, als ob der Vorschlag Bedenken erregte; -die jungen Männer aber waren Feuer und Flamme für diesen Plan, und -so wurde er schließlich angenommen. Für den Abend bereitete Herr von -Gablenz ein brillantes Feuerwerk vor, vorher aber sollte Tanz im -Freien, sowie allerlei Spiel und Scherz die Gäste unterhalten. - -Am Morgen dieses Festtages fand Justus Werder, welcher, wie gar -oft, zum Besuch in das Vaterhaus gekommen war, eine frische blaue -Kornblume auf seiner Tasse, als Helene sie ihm beim Kaffee überreichte. -Verwundert schaute er auf, sah aber, daß seine hübsche Schwester rasch -den Finger auf die Lippen legte. Justus nahm die Blume schweigend an -sich; da fiel ein Streifchen Papier herab, das am Stiel derselben -gehangen. Unbemerkt öffnete es der junge Mann und las folgende Worte: - - - »Kornblume und blau Aeugelein - »Sie harren heut im Stillen dein.« - - -Ein glückliches Lächeln flog über Justus frisches Gesicht, und Blume -und Zettelchen zu sich steckend nickte er seiner Schwester dankend zu; -denn was die Botschaft heißen sollte, ahnte er recht wohl. - -Eine ähnliche hatte auch Walter Helldorf an diesem Morgen erhalten, er -wußte nur nicht von wem; sein Zeichen aber war ein rothes Tausendschön, -das ihm die Worte zuflüsterte: - - - »Von tausend Schönen gieb den Preis - »Ihr, die dein Herz zu finden weiß.« - - -Während Walter die Deutung dieser Blumensprache noch überlegte und -unschwer zu entziffern wußte, ging in den entferntesten Wegen des -Hermsbacher Parkes ein schlankes Mädchen langsam und gedankenvoll an -der Seite eines jungen Mannes, der eifrig auf sie einsprach. Er hatte -eine rothe Nelke in der Hand, und indem er dieselbe in dem Knopfloch -seines Rockes befestigte, sagte er halblaut: »Wenn ich Ihre Zustimmung -habe, theure Sophie, so kann Ihr Onkel sie mir nicht entziehen. Sie -sind seit Kurzem mündig, wie Sie sagen, also wer kann Ihnen verwehren, -selbst Ihre Angelegenheiten zu ordnen?« - -»Die Rücksicht auf meine gütigen Verwandten, sonst allerdings -nichts,« entgegnete Sophie leise. »Aber ich hoffe ihr Widerstreben -zu überwinden, da ich keinen Grund ihrer Abneigung weiß, und im -schlimmsten Falle....« - -»Im schlimmsten Falle läßt du die Liebe den Sieg davon tragen, nicht -wahr, geliebtes, himmlisches Mädchen?« rief Herr von Gablenz, denn er -war der junge Mann, mit stürmischer Zärtlichkeit, indem er den Arm um -Sophie von Helldorf schlang und die nur leise Widerstrebende an seine -Brust drückte. - -»Aber heut schweigen Sie noch, ich bitte dringend darum,« sagte Sophie, -sich ängstlich aus des jungen Mannes Armen losmachend. »Heut kann ich -dem Onkel unmöglich sein Fest mit dieser Nachricht trüben; denn trüben -würde ich es dadurch, ich kann mir kein Hehl daraus machen.« - -»Heut und so lange du willst, Geliebte!« rief Gablenz, Sophie's Hand -küssend. »Diese Hand ist mein, und niemand soll sie mir streitig -machen, das gelobe ich. Aber theure Sophie, wenn ich meine Rechte noch -nicht in Anspruch nehmen darf, so ist es auch besser, ich bin heut -nicht dein Valentin, meine Leidenschaft würde mich verrathen. Nimm -deshalb die Nelke zurück, ich werde sie nicht wählen. Aber welches der -anderen jungen Mädchen auch meine Valentine sein wird, glaube mir, -Geliebte, die Huldigungen alle, die ich derselben spende, sie gelten -eigentlich allein dir, der Königin meines Herzens, der Valentine meines -ganzen künftigen Lebens.« - -Sophie's bleiches Gesicht war von Purpurgluth bedeckt, und das Glück -strahlte aus ihren Augen. Aengstlich aber wandte sie jetzt ihre Blicke -dem fernen Wohnhause zu und sagte: »Länger darf ich nicht hier bleiben, -die Tante wird mich ohnehin schon vermissen. Folgen Sie mir nicht -gleich, ich bitte Sie, Alfred.« - -»Noch eins, geliebte Sophie,« sagte Gablenz rasch. »Ist es dir recht, -wenn ich die kleine Helene zur Valentine wähle? Welche Blume trägt sie -heute Nachmittag?« - -Sophie erröthete wieder und sagte lebhaft: »Wählen Sie die rothe Rose, -es ist Helene's Blume.« Dann eilte sie schnell davon, sehr zufrieden, -daß ihr Geliebter nicht Frida zur Valentine wünschte, wie sie geglaubt -hatte. Sie wußte nicht warum, aber ihr Herz war voll banger Eifersucht, -wenn sie an die schöne Frida dachte. Helene war wohl auch schön; mit -ihrem schüchternen, zurückhaltenden Wesen erschien sie ihr jedoch nicht -halb so gefährlich, als die weltgewandte, bewunderte Frida. - -So kam der Nachmittag heran und mit ihm die Gäste in Menge. Wie -verabredet führte Sophie die jungen Mädchen nach einer Weile in ein -besonderes Zimmer, und Walter die jungen Männer. Dann öffneten sich -die Thüren; aus der einen traten die mit Blumenkränzen geschmückten -Jungfrauen, aus der andern die Herren, jeder eine Blume in der Hand, -die ihm seine Valentine zuführen sollte. Ein Kichern und Drängen -entstand jetzt unter der Mädchenwelt, denn jede scheute sich, von ihrem -Valentin begrüßt zu werden. Aber sicher schritt Herr von Gablenz, eine -rothe Rose in der Hand, auf den Kreis zu und zwar Frida entgegen. Erst -als er dicht vor ihr stand schrak er zusammen und flüsterte hastig: »O -Gott, welch ein Irrthum Sie haben nicht die =rothe= Rose, die Blume -seliger Stunden?« - -Frida war schon beim Eintritt der Herren blaß geworden; denn sie hatte -augenblicklich gesehen, daß Gablenz nicht ihre Blume, die weiße Rose, -erwählt hatte. Ein freudiger Schreck durchzuckte sie aber, als er -nichts desto weniger doch auf sie zuschritt; also hatte er sie doch -zur Valentine wählen wollen. Jetzt war sie nur froh, daß auch Sophie -es nicht wurde; denn neue Gerüchte hatten ihr Ohr in den letzten Tagen -erreicht und sie auf's Neue bang und mißtrauisch gemacht. - -Unter allgemeiner Heiterkeit begrüßten nun die jungen Herren mit -einem Handkuß ihre Valentinen, in ihr Recht eintretend, welches sie -als getreue Ritter für den ganzen Tag an der Seite ihrer Erwählten -festhielt. Jeder Dienst lag ihnen ob, und für alles, was ihre -Valentine bedurfte, hatten sie zu sorgen, beim Tanz aber konnte -ohne ihre Einwilligung kein Anderer ihre Stelle ausfüllen. Nur der -Geburtstäger machte hiervon eine Ausnahme, und der fröhliche, alte Herr -von Helldorf benutzte dieselbe mit Freuden und schwenkte sich in seiner -steifen, altmodischen Weise mit so vielen der hübschen Valentinen unter -den Linden am Hause, als zähle er nur die Hälfte der Jahre, die sein -kahler Schädel schon gesehen hatte. - -Auch der gemüthliche, alte Pastor Werner mischte sich häufig unter die -muntere Jugend und brachte mit seinen harmlosen Neckereien manches -Lächeln und manches tiefere Roth auf die frischen Mädchengesichter. -Jetzt kam er auf seinen Liebling, das blonde Hannchen zu, welche mit -ihrem blauen Kornblumenkranze ganz allerliebst aussah. - -»Das nenn' ich aber einen Treffer, mein Söhnchen!« sagte er schelmisch -zu Justus, der an Hannchens Seite saß. »So eine Valentine hätte ich -mir auch wählen mögen, du Glückspilz. Nutz die Stunden eh' sie fliehn, -morgen ist nicht heut! So gut wird dir's vielleicht so bald nicht -wieder.« - -Und Hannchen mit einem frohen Lächeln die frischen Backen streichelnd -ging er im Kreise weiter. Als er zu Lottchen kam, mit der Walter -Helldorf soeben ein merkwürdig lebhaftes Gespräch führte, sagte er -schmunzelnd: »Sieh da, hm, hm, wie der Zufall spielt! 's ist doch -ein hübsches Ding um so einen Valentin. Das löst die Zunge und macht -Courage, nicht wahr, Lottchen? Nun nun, ich will nicht stören, Glück -zu, ihr Leutchen!« Dann aber kam er an seinem schönen Töchterchen -vorüber, welches soeben mit ihrem Valentin getanzt hatte und nun mit -glühenden Wangen an dessen Arme hing, in Folge des Tanzes oder der -leisen Worte, die Gablenz ihr soeben gesagt hatte, rascher athmend und -aufgeregt ihrem Sitze zuschreitend. - -»Lenchen, tanz nicht so viel und so rasch!« sagte der Vater mit einem -unwilligen Seitenblicke auf ihren Tänzer; dann strich er seinem Kinde -ernst über das schöne, dunkle Haar und schien noch etwas sagen zu -wollen, schwieg aber doch und ging weiter, seine Heiterkeit jedoch war -für eine Weile verschwunden. »Sieh, daß du den frechen Patron, den -Junker Gablenz bald wieder los wirst, Helldorf,« sagte er verdrießlich -zu dem Geburtstäger. »Der Mensch gehört nicht unter uns schlichte -Leute, und den Mädels verdreht er mit seinen glatten Reden die Köpfe.« - -»Hast recht, Bruder, 's ist mir lang schon nicht lieb, daß er da ist,« -entgegnete Herr von Helldorf beistimmend, »aber ihn hinausjagen ohne -Grund, das kann ich doch nicht, obwohl der windige Monsieur in der -Wirthschaft gar nicht zu brauchen ist; Walter muß immer hinter ihm -drein sein. Bei mir säet er ganz sicher Drachenzähne, ich möchte darauf -wetten.« - -In derselben Zeit gingen Frida und Sophie eine Weile Arm in Arm durch -die Gänge des Gartens. - -»Das ist mir prächtig geglückt!« rief Frida lachend, »und ich danke -dir und Helene für euren treuen Beistand. Wie erstaunt Hannchen und -Charlotte aus ihren guten, blauen Augen blickten, als sie ihre Blumen -in der Hand ihrer still Geliebten sahen, es war köstlich!« - -»Aber ahnen dürfen sie nicht, daß wir Justus und Walter verrathen -haben, welche Blume sie trügen; das würden sie uns nicht verzeihen,« -entgegnete Sophie. - -»O =wir= thaten es ja gar nicht, die Blumen sprachen ja selbst!« lachte -Frida. - -»Du bist eine kleine Sophistin,« sagte Sophie. Dann seufzte sie leise -und pflückte im Vorbeigehen eine rothe Rose vom Strauch. - -»Was hast du, Sophie?« fragte Frida. - -»O nichts weiter, es fiel mir nur eben ein, daß die Blumen gar oft als -Dolmetscher dienen,« entgegnete Sophie. - -Frida dachte an ihr Gedicht von der Rose und sagte lächelnd: »Besonders -die Rosen. Ich glaube, so lange es Rosen gegeben, so lange haben sie -auch der Liebe als Dolmetscher gedient und Stoff zu Liebesliedern -gegeben. Keine Blume ist wohl je so viel besungen worden, als die Rose.« - -Sophie wurde dunkelroth und vergrub ihr Gesicht in der Blume, die sie -in der Hand trug. »Ich kenne ein Gedicht an eine Rose,« sagte sie -zögernd, »das gehört zu den schönsten, die ich je gelesen. Freilich -kommt wohl auch dazu, daß der Dichter mir bekannt und lieb ist.« - -»Und wie lautet es?« entgegnete Frida ziemlich gleichgültig; denn ihre -Gedanken waren weit fort von hier. Da aber schlugen Worte an ihr Ohr, -welche das Blut zu ihrem Herzen trieben. - -Sophie sagte mit etwas bebender Stimme: - - - »In einem stillen Thale - »Blüht eine Rose hold, - »Die Blätter glühn und glänzen - »Wie süßer Minne Sold.« - - -»Um Gottes Willen, Sophie, woher kennst du diese Verse?« rief jetzt -Frida und legte zitternd die Hand auf der Freundin Arm. - -»Woher?« sagte Sophie sich abwendend und zögerte mit der Antwort. »Nun, -daß ich es dir nur gestehe,« fuhr sie dann verlegen lächelnd fort, -»Herr von Gablenz hat sie gedichtet und mir gegeben.« - -»Er hat sie =dir= gegeben, Sophie?« rief Frida heftig und blickte -verstört in Sophies Gesicht. »Dir? Und wann?« - -»O schon bald nach seiner Herkunft,« sagte diese lächelnd. »Aber warum -bist du denn so bleich und sonderbar, Frida? Mein Gott, was fehlt dir? -Bist du unwohl?« - -»Nein, nein,« stotterte Frida. »Ich.... ich. O Sophie, sage mir, ich -flehe dich an, sollten diese Verse mehr für dich sein, als eben nur ein -schönes Gedicht?« - -Sophie erschrak über den Ausdruck von Angst und Spannung, den -Frida's Züge trugen. »Wenn es nun so wäre, und die Verschen mir mehr -aussprechen sollten, warum frägst du mich danach, Frida?« sagte sie -beklommen. - -»O weil er kurz zuvor mit demselben Gedicht =mir= seine Liebe gestanden -hat!« rief Frida fassungslos und barg das Gesicht in beiden Händen. - -»Dir, Frida? Gott im Himmel, so sind wir Beide betrogen!« sagte Sophie -tonlos. »Gestern hat er sich mit mir verlobt.« - -Mit einem Aufschrei sank Frida auf eine Bank nieder, und lange saßen -die beiden unglücklichen, jungen Mädchen still und sprachlos neben -einander. Jede rang nach Fassung. Frida weinte krampfhaft in ihr -Tuch, das in ihrer Hand zitterte; denn ihr armes, junges Herz war -wie vernichtet von dem Schlage, der sie getroffen. Eine ganze Welt -von Glück und Hoffnungen war für sie in einem einzigen Augenblicke -zusammengestürzt, und das Bitterste, was ein Herz erfahren kann, -war über sie gekommen: getäuschtes Vertrauen, verrathene Liebe. -- -Sophie war viel ruhiger und gefaßter, als ihre viel jüngere und viel -leidenschaftlichere Freundin. Bleich und wie gelähmt saß sie da und -blickte düster zu Boden. - -»Hat dich Gablenz noch während dieser letzten Zeit in dem Glauben -erhalten, daß er dich liebe?« sagte sie endlich matt. - -»O heut noch, heut noch!« schluchzte Frida. »Er schien außer sich zu -sein, als ich nicht seine Valentine wurde. Er hatte eine rothe Rose in -der Hand und erschrak, als er meine weiße sah.« - -»O dieser Komödiant!« rief Sophie emporspringend. »Ich selbst habe ihm -gesagt, rothe Rosen trage Helene, die er zur Valentine wählen wollte. -So hat er dreifaches Spiel getrieben und umstrickt auch die arme -Helene. O mein Gott, mein Gott, und ich habe der Stimme meiner Vernunft -nicht hören wollen, die mich immer wieder vor ihm warnte, habe mir -wirklich eingebildet, er könne mich häßliches, unscheinbares Mädchen -lieben! Wie bitter bin ich für meine Eitelkeit und Thorheit bestraft -worden. O Frida, wie entsetzlich ist's doch, ein reiches Mädchen zu -sein!« - -»Du meinst wirklich, daß er dich deshalb heirathen wollte, weil du -reich bist?« rief Frida empört. - -»Nur deshalb, ich sehe es nur zu deutlich!« entgegnete Sophie spöttisch -lachend. »O daß ich dem Onkel nicht glaubte! Aber ihm will ich die -Sache jetzt anvertrauen; er soll uns von dieser Natter befreien, die -sich bei uns eingeschlichen, ich mag ihn nicht wiedersehen.« - -»O um alles in der Welt, auch ich nicht!« schluchzte Frida in neue -Thränen ausbrechend. Dann warf sie ein Blättchen Papier, das sie wie -ein Heiligthum still in einem goldenen Medaillon am Herzen getragen, -voll Ingrimm zu Boden, und mit dem Fuße darauf tretend sagte sie -heftig: »Fort mit dir, du Zeuge meiner Thorheit und Leichtgläubigkeit. -O könnte ich mich selbst zur Strafe auch so mit Füßen treten!« - -Sophie aber bückte sich und nahm das Papier auf; es war Gablenz -Rosengedicht. »Laß es mir, Frida,« sagte sie bitter, »es soll uns -rächen.« - -Jetzt hörte man Stimmen in der Nähe; es waren die der jungen Männer, -welche kamen, ihre Valentinen zu suchen. - -»Ich kann nicht, ich bin krank!« rief Frida zitternd und klammerte sich -an Sophie fest. - -»Sei ruhig und laß mich nur machen,« entgegnete Sophie, welche seit der -traurigen Entdeckung etwas so Energisches, Entschlossenes in ihrem -Wesen hatte, daß die arme; schwache Frida, die wie zerschmettert war -von Jammer und Weh, sich unwillkürlich von ihr leiten ließ. - -»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte Sophie, den jungen Leuten -entgegengehend, »Fräulein Frida war so unwohl, daß wir die Stille -aufsuchten, und jetzt sogar auf mein Zimmer gehen müssen; Sie -entschuldigen uns wohl freundlichst noch für eine Stunde.« - -Mit lebhaftem Bedauern zogen sich die Herren zurück, die jungen Mädchen -aber eilten durch eine Seitenthür in das Haus auf Sophie's Zimmer; denn -Frida bedurfte in der That der Ruhe und Einsamkeit. Sophie selbst hatte -noch keine Thräne vergossen; Scham und Empörung waren so heftig in ihr, -daß sie den Schmerz übertäubten, und in dieser Stimmung eilte sie zu -ihrem Onkel. - -»Hm, hm, das ist ja eine saubere Geschichte!« sagte der alte Herr -nachdenklich, als Sophie ihre Mittheilung beendet hatte. »Laß mich nur -machen, mein Kindchen! Hat er Komödie gespielt, laß sehn, ob wir es -nicht noch besser können.« - -»Was willst du thun, lieber Onkel?« rief Sophie ängstlich. - -»Nichts weiter, als dir ganz die Augen öffnen. Sorge dich nur nicht -und laß mich machen!« entgegnete der Alte, sich vergnügt die Hände -reibend. »=Den= Junker wollen wir heut los werden; eine bessere -Geburtstagsbescheerung konntest du mir nicht machen, mein Töchterchen. -Da, stell dich dort in das tiefe Fenster, da hörst du die ganze -Geschichte mit an, ohne gesehen zu werden.« - -Kaum hatte Sophie sich zurückgezogen, als Herr von Gablenz in seiner -sorglosen, eleganten Manier in das Zimmer trat. - -»Sie wünschen mich zu sprechen, Herr von Helldorf?« sagte er, sich -leicht verbeugend. - -»Allerdings, mein lieber Herr,« entgegnete dieser leutselig. »Meine -Nichte sagte mir soeben, daß sie sich mit Ihnen verlobt habe, und da -wollte ich doch der Erste sein, der Ihnen Glück dazu wünscht.« - -Gablenz war sehr roth geworden und verbeugte sich tief, um seine -Ueberraschung zu verbergen. Aber ehe er noch ein Wort des Dankes -hervorbringen konnte, fuhr der alte Herr freundlich fort: »Es freut -mich das für Sophie um so mehr, als ich dadurch über ihre unsichre -Zukunft beruhigt bin; denn bei so wenig Vermögen ist die Lage einer -Waise oft trübe genug.« - -Gablenz fuhr bei diesen Worten leicht auf und umfaßte krampfhaft die -Lehne des Stuhles, an dem er stand. - -»Ich glaubte,« sagte er halblaut, »die Verhältnisse Ihrer Fräulein -Nichte seien bessere.« - -»Ja, so denken die Leute,« entgegnete der alte Herr, eine Prise -nehmend. »Aber das ist ein Irrthum. Wer meine Nichte heirathet, muß -sich schon mit ihren andern guten Eigenschaften begnügen. Aber ich -denke ja, das versteht sich von selbst bei einer rechten Neigung. Also, -mein lieber Herr, Sophie hat Ihnen gestern schon das Jawort gegeben, -wenn ich nicht irre, nicht wahr?« - -»O so bestimmt doch noch nicht, mein verehrter Herr von Helldorf,« -sagte Gablenz, der jetzt wieder seine sichre Haltung gewonnen hatte. -»Sie wissen ja, wie das bei jungen Leuten so geht! Man läßt sich im -Augenblick oft wohl hinreißen und ein Wort entschlüpfen, das der Moment -geboren; aber zu einer ernsteren oder gar bindenden Entscheidung ist -es bis jetzt noch nicht gekommen. Auch würde ich einen solchen Schritt -jetzt kaum wagen dürfen, so sehr mich Ihr Vertrauen ehrt, theurer Herr -von Helldorf. Meine Lage ist durchaus im Augenblick derart, daß ich an -keine ernstere Verbindung denken kann. Auch fürchte ich sehr, Fräulein -Sophie nicht länger meine Verehrung darbringen zu können, da ich leider -genöthigt bin, morgen schon Ihr werthes Haus zu verlassen, wie ein -Brief mir heut die Nachricht bringt. Ich bin....« - -»Halt, ich kann das nicht länger ertragen!« rief jetzt Sophie rasch, -welche bleich und bebend aus der Fensternische hervortrat. »Wozu -die Komödie, Onkel? Es ist unwürdig und ganz überflüssig. Herr von -Gablenz,« wandte sie sich stolz an den jungen Mann, der wie vom Blitz -getroffen vor ihr stand, »nicht Sie, sondern =ich= löse hiermit ein -Verhältniß auf, das Sie die Dreistigkeit haben, als nicht bestehend -anzusehen. Mein Vermögen habe ich =nicht= verloren, wie mein Onkel -sagte, indessen....« - -»Aber theure Sophie, höre mich doch erst!« rief Gablenz schnell, der -wieder Leben erhielt, sowie Sophie die letzten Worte ausgesprochen -hatte. »Ich meinte ja nur....« - -»Was Sie meinen und denken, habe ich leider schon zu lange mit -angehört!« rief Sophie sich hochaufrichtend. »Sie würden vielleicht -besser thun, heut schon Hermsbach zu verlassen, es möchten sonst noch -mehr peinliche Augenblicke für Sie eintreten.« - -»Und bitte, nehmen Sie doch gefälligst diese Verschen auch wieder -mit, die sich im Duplikat vorgefunden haben!« sagte Herr von Helldorf -schmunzelnd, indem er Gablenz die beiden verhängnißvollen Gedichte -überreichte. »Ich würde Ihnen rathen,« fügte er, abermals eine Prise -nehmend, hinzu, »das Dingelchen gleich lithographiren zu lassen, da -vertheilt es sich noch schneller an leichtgläubige Schönen. Und damit -guten Tag, mein lieber Herr! Ihre plötzliche Abreise wird Sie wohl -verhindern, sich bei der Gesellschaft zu verabschieden, ich übernehme -das von Herzen gern. Empfehl' mich, empfehl' mich, glückliche Reise!« - -Mit diesen Worten schloß er die Thür hinter dem bestürzten jungen Mann, -dessen Dreistigkeit und Sicherheit während der letzten Augenblicke -in der That völlig Schiffbruch gelitten hatten, und der nichts -Eiligeres zu thun wußte, als sich schnell aus dem Staube zu machen. -Bald hörte man einen Wagen zum Hofthore hinausfahren, der den lockern -Patron davonführte. Sophie aber war jetzt von Schmerz und Aufregung -überwältigt und lag weinend im Arme ihres braven Onkels, der ihr bald -lachend, bald tröstend die Backen streichelte. - -»Wein' doch nicht, mein herziges Kindchen!« sagte er schmeichelnd, »der -schuftige Patron ist ja gar nicht werth, daß so liebe Guckaugen darum -roth werden. Danke Gott, daß wir ihn los sind, ehe er noch mehr Unheil -stiftete.« - -Und dasselbe sagte Sophie, welche endlich wieder ihre Fassung erlangte, -zu der trostlosen Frida, die ganz außer sich gerieth, als sie das -weitere Benehmen dessen erfuhr, der ihr so unsäglich theuer gewesen -war. Sie konnte sich nicht entschließen, wieder in der Gesellschaft -zu erscheinen, und so dauerte es nicht lange, da kam Hannchen zu ihr, -welche von ihrem Unwohlsein gehört hatte. - -Frida sank ihr schluchzend in die Arme. »O Hannchen, Hannchen!« rief -sie trostlos, »warum habe ich deine Warnungen verachtet und die meines -Vaters; nun bin ich grausam dafür bestraft worden!« -- - -Wir verlassen jetzt unsere Frida für eine Weile und übergeben sie noch -für einige Wochen der treuen Liebe und Sorge ihrer Cousinen und Tante, -welche in ihrer liebevollen und zartfühlenden Weise es vortrefflich -verstanden, das tief gekränkte junge Herz wieder mit Welt und Menschen -zu versöhnen. Dann aber folgen wir ihr wieder nach dem Vaterhause, in -welches sie nach langer Abwesenheit endlich zurückkehrte. Wir finden -sie an der Seite Gertruds, mit der sie soeben ein langes, ernstes -Gespräch gehabt hat, das sich noch immer auf Frida's lieblichem -Gesicht wiederspiegelt. Das junge Mädchen blickt unendlich viel -ernster und sinniger aus ihren schönen Augen, seit wir sie an jenem -verhängnißvollen Tage in Hermsbach verließen, und ein ruhigeres, -gehaltneres Wesen spricht aus ihrer ganzen Haltung. Das eitle, -thörichte Kind, das der Vater einst seiner Schwägerin vertrauensvoll -übergab, es ist seitdem zur verständigen Jungfrau herangereift, und -auch ihr Aeußeres trägt den Stempel dieser Sinnesänderung. - -Statt in der so äußerst eleganten Kleidung und übertriebenen -Haartracht, in der wir sie zuerst kennen lernten, finden wir sie -jetzt zwar zierlich und gut, aber doch höchst einfach gekleidet, und -ihr reiches, blondes Haar in der Art um ihren Kopf geschlungen, wie -Hannchen es an jenem ersten Morgen in Dahme geordnet hatte. Jetzt -blickte sie auf, und plötzlich Gertruds Hand an ihre Lippen ziehend, -sagte sie leise: »O Mama, nun aber ist alles, alles gut, und ich will -ein neues Leben beginnen. Es war eine harte Schule, durch welche Gott -mich zur Einsicht geführt; aber ich danke ihm jetzt dafür. Diese -entsetzliche Täuschung hat mich viel älter und ernster, aber auch viel -besser gemacht. Ich wollte meine eignen Wege gehen in diesen wie in -allen andren Dingen, und widerstrebte sowohl meines Vaters Wünschen, -als auch deiner liebevollen Führung, und daraus konnte nichts Gutes für -mich erwachsen. Verzeih mir und habe Geduld, jetzt soll alles anders -werden.« - -Gertrud zog ihre Tochter liebevoll an sich und sprach gute Worte zu ihr -voll Sanftmuth und Anerkennung. Da trat der Diener in das Zimmer mit -einem Briefchen an Frida. Das junge Mädchen öffnete es, und ein Zug des -Mißvergnügens flog über ihr Gesicht. - -»Es ist eine Einladung von Franziska,« sagte sie mit einem leisen -Seufzer. - -»Willst du nicht zusagen, liebe Frida?« fragte Gertrud. - -»Nein, Mama, ich möchte es nicht,« entgegnete Frida ernst. - -»Es ist aber schon das zweite Mal, daß du es ihr abschlägst,« sagte -Gertrud. »Sie wird es dir gewiß übel nehmen.« - -»Mag sie doch, ich werde ihr einige Zeilen schreiben,« rief Frida rasch -entschlossen und stand vom Stuhle auf. »Warum soll ich ein Verhältniß -aufrecht erhalten, das mir in so hohem Grade unerträglich wird. -Franziska hat es fast als eine Beleidigung ihrer Familie angesehen, daß -Gablenz in dieser Weise aus Hermsbach entlassen wurde, da er selbst es -ihnen als seinen freien Entschluß darzustellen wußte. Sie hat in dieser -unglücklichen Geschichte, welche hauptsächlich durch ihr Zuthun so weit -gedeihen konnte, jetzt nur spitze Reden für mich, die ich nicht länger -ertragen will, und seit ich nicht mehr so viel Sinn wie einst für ihre -Eitelkeiten und Thorheiten zeige, muß ich nichts als Spöttereien mit -anhören über ländliche Einfalt und Tugend. Das kann und mag ich nicht -länger, Mama, darum will ich ihr lieber klar und ehrlich gestehen, -daß unsre Wege verschieden sind. Ueber lang oder kurz käme es doch zu -einem Bruche, und ich begreife jetzt blos nicht, wie es zwischen uns -überhaupt jemals zu solcher Freundschaft kommen konnte.« - -Während Frida dies Briefchen schrieb, trat ihr Vater in's Zimmer. - -»Hier, mein Töchterchen,« sagte er heiter, Frida ein Blatt Papier -reichend, »da kommt Tante Marie's vorläufige Einladung zur Hochzeit. -Hannchen schreibt dir wohl selbst das Nähere, sieh einmal nach.« - -Mit leuchtenden Augen öffnete Frida das Briefchen. - -»O es soll ja eine Doppelhochzeit sein, Papa,« rief sie jubelnd. -»Justus und Hannchen hatten erst noch warten sollen, bis die neue -Pfarre in Hermsbach fertig würde, die Papa Helldorf seinem neuen Pastor -bauen läßt. Walter und Lottchen wollen aber absolut nicht allein -heirathen. Auf dem Vorwerk, das Walter übernimmt, sei so schrecklich -viel Platz, daß da zwei junge Ehepaare bequem hausen können, behaupten -sie, und so soll ich mich eilen, meinen Hochzeitsstaat fertig zu -machen, denn lange wollen sie nun nicht mehr warten. Sophie und Helene, -Martha und ich sind die Brautjungfern. O wie köstlich, Papa, und wir -sind alle, alle eingeladen, du und Mama und die Kinder, alle, alle. -Aber da liegt ja noch ein Zettelchen im Briefe, was ist denn das?« - -Neugierig entfaltete Frida einen schmalen Streifen Papier und las die -Worte: - - - »Was du gewünscht, es ist geschehn, - Und Ernst entsproß den Scherzen; - Kornblümchen blau und Tausendschön - Blühn jetzt an treuen Herzen. - Nun schlinge selbst die Myrthe ein, - Die Valentinen harren dein!« - - -Frida lachte herzlich, als sie das Verschen gelesen hatte. »Das ist -sicher ohne Hannchens Vorwissen zu mir gewandert,« sagte sie dann -nachdenkend. »Aber es bestätigt mir endlich, was ich lange schon -gedacht habe: Jener unselige Valentinstag hat zur Verlobung der beiden -lieben Paare geführt, wie ich im Stillen so innig wünschte. Sie haben -es nur nicht eingestehen wollen, da dieser Tag für andre so unheilvoll -wurde. Aber wie Herr von Helldorf zu Pastor Werder beim Abschied leise -sagte, so können wir schließlich alle sprechen: »Gott sei Dank, das war -ein gesegneter Tag für mich!« -- - -Und rasch eine Thräne zerdrückend, welche gegen ihren Willen noch -einmal ihr helles Auge trübte, reichte Frida ihren Eltern beide Hände. -»Auch ihr sollt so sagen können, das verspreche ich euch! Eure Frida -ist an jenem Tage und in jener Zeit von mehr als dieser einen Thorheit -geheilt worden.« - -[Illustration] - - - - - Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. - - - - - Transcriber's Note: - - -Antiqua are indicated by _underscores_. -Gesperred are indicated by =equal signs=. -A number of minor spelling errors have been corrected without note. - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Drei Erzählungen für junge Mädchen, by -Clementine Helm - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DREI ERZÄHLUNGEN FÜR JUNGE MÄDCHEN *** - -***** This file should be named 56098-8.txt or 56098-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/6/0/9/56098/ - -Produced by Jens Sadowski, Pál Haragos and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - -Title: Drei Erzählungen für junge Mädchen - -Author: Clementine Helm - -Release Date: December 1, 2017 [EBook #56098] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DREI ERZÄHLUNGEN FÜR JUNGE MÄDCHEN *** - - - - -Produced by Jens Sadowski, Pál Haragos and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - - - - - - -</pre> - - - - - -<div class="figcenter" style="width: 50%" > -<img src="images/cover.jpg" alt="Cover" style="width: 70%" /> -</div> - - - -<hr class="chap" /> - - - - -<h1>Drei Erzählungen<br /> -<small><small>für junge Mädchen</small></small></h1> - -<p class="p2c"><small>von</small></p> - -<p class="p2c">Clementine Helm.</p> - -<p class="p26c">(Verfasserin von Backfischchens Leiden und Freuden, Lilli's Jugend &c.)</p> - - -<div class="figcenter" style="width: 50%" > -<img src="images/endoc.jpg" alt="ornament" style="width: 20%" /> -</div> - - - -<p class="p2c">Leipzig,</p> -<p class="center"><em class="gesperrt">Georg Wigand's Verlag</em></p> -<p class="center">1873.</p> - - - - -<hr class="chap" /> - - - - -<p class="p26c">Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten.</p> - - - -<hr class="chap" /> - - - -<h2><a name="Inhalt" id="Inhalt">Inhalt.</a></h2> - - -<table class="toc" summary="Contents"> -<tr> - <th class="tocnum"></th> - <th class="toctit"></th> - <th class="tocpag">Seite</th> -</tr><tr> - <td class="tocnum">1.</td> - <td class="toctit"><em class="gesperrt"><a href="#Esther_Wieburg">Esther Wieburg</a></em></td> - <td class="tocpag">1</td> -</tr><tr> - <td class="tocnum">2.</td> - <td class="toctit"><em class="gesperrt"><a href="#Verwaist">Verwaist</a></em></td> - <td class="tocpag">129</td> -</tr><tr> - <td class="tocnum">3.</td> - <td class="toctit"><em class="gesperrt"><a href="#Neue_Wege">Neue Wege</a></em></td> - <td class="tocpag">199</td> -</tr> -</table> - - - -<hr class="chap" /> - - - - - -<h2><a name="Esther_Wieburg" id="Esther_Wieburg">Esther Wieburg.</a></h2> - - -<p>»Wie gesagt, Herr Pastor, darin kann ich Ihnen nicht Recht -geben, das <em class="gesperrt">ist</em> keine Erziehung für ein Mädchen! Einen -Jungen mögen Sie alle diese Dinge lernen lassen, meinetwegen; -aber ein Mädchen kann in ihrem ganzen Leben nichts damit anfangen. -Das ist meine Meinung, und dabei bleibe ich, sowahr ich -Friederike Booland heiße!«</p> - -<p>Frau Friederike Booland, die Sprecherin dieser energischen -Worte, bekräftigte den Schluß ihrer Rede damit, daß sie ihre große, -knochige Hand laut schallend auf den Schreibtisch niederfallen ließ, -neben welchem sie stand. An diesem Schreibtische aber saß derjenige, -dem ihre Rede galt, Pastor Wieburg, der Geistliche im Dorfe Rahmstedt. -Seit Jahren schon lebte Frau Booland hier im Hause, nachdem -ihr eigener Gatte, der Schulmeister des Dorfes, gestorben, und -von jenem Tage an führte sie die Zügel des Haushaltes mit ebensoviel -Energie als Gewissenhaftigkeit. Pastor Wieburg hätte keine -bessere Haushälterin finden können und so überließ er ihr getrost -alle Regierungssorgen. Nur ein Departement hatte er sich vorbehalten, -und das war die Erziehung seines einzigen Kindes, eines -kleinen, dunkeläugigen Mädchens. So großen Respect Frau Booland -nun auch vor allen Meinungen und Ansichten ihres Brodherrn -<span class="pagenum"><a name="Page_4" id="Page_4">[Pg 4]</a></span>hatte, in diesem Punkte war sie seine stete Gegnerin, und sie scheute -sich nicht, dies immer wieder gegen ihn auszusprechen, so wenig Erfolg -ihre Worte auch haben mochten. Pastor Wieburg hörte ihre -Reden geduldig an, ohne den Fluß derselben durch Widerspruch zu -hemmen, so lange seine Pfeife brannte. War diese jedoch zu Ende, -so stand er ruhig von seinem Stuhle auf, ging nach dem Ofen, die -Asche aus der Pfeife zu klopfen, und dann sagte er gleichmüthig: -»Schon recht, Frau Booland; aber jetzt möchte ich Ruhe haben, meine -Predigt fertig zu arbeiten. Sie sind wohl so gut, und kommen ein -andermal wieder.«</p> - -<p>Frau Booland blieb alsdann freilich nichts übrig, als sich mit -einem Knix zu empfehlen. Aber ihr sonst gutmüthiges Gesicht war -dann durchaus nicht sonnenhell, und leise vor sich hin brummend -ging sie die Treppe hinunter, um sie nach einiger Zeit von Neuem -zu ersteigen und abermals ihre Vorwürfe anzubringen.</p> - -<p>»Er ist und bleibt unverbesserlich!« rief sie auch heute voll Aerger, -als sie die Thür der Studirstube etwas kräftiger als gewöhnlich -geschlossen hatte und zu ihrem Haushalte zurückkehrte. »Es ist, als -ob ich zur Wand redete, so wenig Eindruck machen meine Worte -auf ihn! Wenn er nur wenigstens mit mir stritte oder mir seine -Meinung sagte. Aber nein, steif und ruhig sitzt er in seinem Stuhle -und läßt mich reden und reden, und am Ende muß ich wieder abziehen -und alles bleibt beim Alten. O diese Männer!«</p> - -<p>Als Frau Booland in ihrem gerechten Grimme das Wohnzimmer -im Untergeschoß des Pfarrhauses betrat, flogen ihre Blicke nach einer -Ecke in der Nähe des Fensters, wo ein niedriger Arbeitstisch stand, -an dem ein kleines Mädchen schrieb. Es war Esther, ihre junge -Pflegebefohlene, für deren Wohl und Wehe die brave Frau soeben -vergeblich gekämpft hatte.</p> - -<p>»Schreiben und schreiben, und nichts als lesen und schreiben den<span class="pagenum"><a name="Page_5" id="Page_5">[Pg 5]</a></span> -ganzen Tag!« rief Frau Booland verdrießlich. »Bist du denn noch -nicht bald fertig für heute, Estherchen? Du sollst noch ein Bischen -in die Luft, Kind, ich denke, du hast genug gelernt. Hast den ganzen -Nachmittag schon studirt, der Kopf muß dir ja brummen von all' der -grausamen Gelehrsamkeit, du armer kleiner Fisch.«</p> - -<p>»Ich bin bald fertig, Tante, nur noch dies eine <em class="gesperrt">Verbum</em> muß -ich zu Ende schreiben,« entgegnete das kleine Mädchen aufsehend. -»Vater schilt sonst, denn er sagt ohnehin immer, ich sei nicht fleißig -genug!«</p> - -<p>»Das Gott erbarm! Noch nicht fleißig genug!« rief die Wittwe, -ihre Hände zusammenschlagend. »Es ist ein Elend, daß du kein -Junge geworden bist, dann hätte dies Gelerne einen Sinn, aber -so? Was in aller Welt willst <em class="gesperrt">du</em> damit anfangen?«</p> - -<p>»Ich wollte auch lieber, ich wär' ein Junge, das weißt du ja, -Tante! Und Vater will gewiß einen aus mir machen, daß er mich -so viel lernen läßt,« rief Esther lachend und nickte der erzürnten Frau -begütigend zu. »Aber bitte, Tante, ich möchte das Bischen Tageslicht -noch gern benutzen, um meine Arbeit fertig zu machen. Ich komme -dann auch gleich zu dir in den Garten.« Und ohne sich weiter stören -zu lassen, schrieb das Kind eifrig weiter, während die letzten Strahlen -der Herbstsonne über ihr dunkles Haar forthuschten und ihre -blassen Wangen vom Abendroth leise geröthet wurden.</p> - -<p>Frau Booland hatte von ihrem Standpunkte aus allerdings -guten Grund, sich über die Art und Weise zu beklagen, in welcher -ihre kleine Pflegebefohlene von ihrem Vater erzogen wurde. Pastor -Wieburg war ein durch und durch braver, rechtschaffener Mann und -für seine Gemeinde ein trefflicher Seelsorger; außerdem aber ein -ernster, ja strenger und verschlossener Gelehrter, der den Verkehr -mit der Außenwelt mied und nur seinem Amte und seiner Wissenschaft -lebte. So lange Esther, das einzige Kind seiner früh ver<span class="pagenum"><a name="Page_6" id="Page_6">[Pg 6]</a></span>storbenen -Gattin, noch zu klein war, um lernen zu können, hatte -er sich sehr wenig um sie bekümmert, und sie völlig der Sorge Frau -Booland's überlassen. Das schüchterne, kleine Mädchen war auch -viel lieber in der Gesellschaft dieser guten Frau, als in der des -ernsthaften, schweigsamen Vaters, der nur immer Ruhe gebot, wenn -sie in seiner Nähe spielte und ihre Puppen stets sehr unsanft in die -Ecke warf, hatte sich ja einmal eine in die Nähe seiner Bücher verirrt.</p> - -<p>Als Esther jedoch älter ward und ihr Vater bemerkte, daß in dem -kleinen Körperchen eine starke Seele und viel Verstand wohnte, da -wuchs sein Interesse für das Kind. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, -um auf ihn all' sein Wissen und seine Gelehrsamkeit zu -übertragen; nun hatte er statt dessen eine kluge kleine Tochter bekommen, -sie sollte ihm den Sohn ersetzen. Wirklich lernte die kleine -Esther bald mit so viel Eifer und Erfolg, daß ihr Vater immer -mehr Gefallen an ihr fand und sie wie einen Knaben unterrichtete. -In der Zeit, wo andere kleine Mädchen mühsam einzelne Worte -zusammen buchstabiren, und mit dem Schieferstifte unsichere Kritzeleien -auf die Tafel malen, konnte unsere kleine Esther schon recht geläufig -lesen und schreiben, und nicht etwa nur in ihrer Muttersprache, -sondern auch in den Anfangsgründen des Lateinischen, dem sich später -sogar das Griechische zugesellte. Bei diesem eifrigen Lernen und -Studiren blieb freilich zum steten Leidwesen der braven Frau Booland -wenig Zeit übrig zur Erlernung all' der weiblichen Künste und -Kenntnisse, welche diese häusliche Frau in der Erziehung eines -Mädchens für unerläßlich hielt. Esther zeigte leider auch wenig -Vorliebe für dergleichen Dinge, und die Geheimnisse der fünf Stricknadeln -blieben ihr sehr lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln. -Tante Booland strickte und nähte ja den ganzen Tag, was sollte -Esther sich damit quälen, und die kleinen Dienste in Küche und -Kammer, wozu ihre Erzieherin sie anzuleiten sich abmühte, erschienen<span class="pagenum"><a name="Page_7" id="Page_7">[Pg 7]</a></span> -Esther ebenfalls erstaunlich überflüssig. Was kam denn darauf -an, ob ein Kleid drinnen im Schranke hing oder draußen, ob die -Schuhe absolut im Kasten stecken mußten, und Kamm und Bürste -nicht mit der reinen Wäsche Gemeinschaft halten durften. Wenn -Esther nur fand, was sie suchte, so war sie zufrieden; für alles -andere mochte Tante Booland sorgen, die immerfort hinter ihr her -lief, um wieder aufzuräumen, was ihr kleiner Wildfang in Unordnung -gebracht hatte. Wenn dann Frau Booland böse werden und -darauf dringen wollte, daß die leichtfertige kleine Dirne selbst Ordnung -schaffe, dann hatte Esther immer Nöthigeres zu thun und -absolut gar keine Zeit für dergleichen.</p> - -<p>»Aber Tante, ich <em class="gesperrt">muß</em> doch jetzt lernen, Papa wird sonst zu böse! -Bitte bitte, mache du es doch nur, das nächste Mal will ich es -gewiß thun!« So hieß es stets, wenn das kleine Fräulein etwas -vornehmen sollte, was ihr nicht behagte, und da Frau Booland -nicht beurtheilen konnte, in wieweit Esther's Entschuldigung begründet -war, sondern nur immer mit stillem Grauen des Kindes Gelehrsamkeit -anstaunte, so wagte sie auch nie, energisch gegen Esther's -Unarten einzuschreiten. Beim Vater fand die arme Frau für -derartige Klagen auch kein Gehör; denn dieser hatte jene wunderlichen -Ideen über Freiheit in der Erziehung, wie sie Rousseau einst lehrte, -und ihm war es ganz recht, wenn seine Tochter frei und ungebunden -und nicht geleckt und geschniegelt aufwuchs. »Sie soll mir ein -tüchtiges Frauenzimmer werden ohne weibische Faxen und Narrheiten!« -pflegte er auf Frau Booland's Klagen zu antworten. -»Solche hausbackne Tugenden lernt sie noch zeitig genug! Jetzt laßt -mir das Mädel damit in Ruhe, sie kann ihre Zeit besser anwenden.«</p> - -<p>So wuchs die kleine Esther denn heran mit allen Neigungen -und Beschäftigungen eines Knaben, und kräftig wie ihr Geist -entwickelte sich auch ihr Körper bei dieser Lebensweise. Obwohl sie<span class="pagenum"><a name="Page_8" id="Page_8">[Pg 8]</a></span> -weder blühende Farben, noch besonders kräftigen Körperbau besaß, so -war sie doch ein gesundes, frisches Kind, und ihre feinen Glieder -besaßen eine auffallend große Gewandheit und Festigkeit. Sie sprang -und turnte, lief und kletterte wie der tollste Junge, und für sie war -kein Baum zu hoch und kein Graben zu breit. Freilich in welchem -Zustande Kleider und Schuhwerk nach solchen Thaten vor den entsetzten -Blicken der Frau Booland erschienen, das kümmerte Esther -wenig, ihr thaten nie die Finger weh vom Ausbessern dieser Sachen, -denn wie hätte <em class="gesperrt">sie</em> dazu Zeit gehabt! Tante Booland schalt und -brummte zwar stets bei jedem neuen Riß, aber im Grunde freute -sie sich doch, wenn ihr blasser Schützling lieber in Feld und Wald -umhersprang, statt immer über den bösen Büchern zu sitzen. Deshalb, -wenn Esther ihrer Ansicht nach genug studirt hatte, nahm -Frau Booland des Kindes Strohhütchen vom Nagel, drückte ihr -ihn auf die schwarzen Flechten und sagte: »Basta für heute, mein -kleiner Fisch! Jetzt lauf' hinüber zum Bertel. Aber zum Nachtessen -sei wieder hier, du weißt, dein Vater liebt die Pünktlichkeit!«</p> - -<p>Dann blitzten Esthers tiefschwarze Augen in heller Freude auf, -und wie ein Pfeil sprang sie empor. Gewöhnlich nahm sie noch -einige Bücher unter den Arm, wenn ihre Arbeiten noch nicht fertig -waren, dann aber jagte sie wie ein Reh durch die Laubgänge ihres -Gartens, und weiter hinaus über die Dorfstraße, Wiesen und Felder. -Sie hatte nur ein Ziel und das war der Gutshof ihres Dorfes -Rahmstedt.</p> - -<p>Aus den Fenstern des Gutshofes konnte man den ganzen Weg -bis zur Pfarre übersehen. Sobald nun Esthers leichte Gestalt daher -geflogen kam, dauerte es nicht lange, da knarrte die Gartenthür, und -ein mächtig großer schwarzer Neufundländer sprang laut bellend in -langen Sätzen über Hecken und Zäune, der kleinen Esther entgegen, -die er fast umrannte. Hinter dem Hunde drein aber kam athemlos<span class="pagenum"><a name="Page_9" id="Page_9">[Pg 9]</a></span> -ein blonder Knabe daher, der Esther fröhlich anlachte. Dann faßten -die beiden Kinder sich an den Händen, und lustig ging's nun zusammen -in die weite Welt hinein, bis sie zuletzt den Hafen aufsuchten, -nämlich den Blumengarten im Gutshofe. Auf der Freitreppe am -Hause saß dann zuweilen eine stattliche junge Frau, welcher Esther -freundlich die Hand zum Gruß entgegenstreckte, und dann verließ -das kleine Mädchen ihren Spielgefährten, um sich neben die Dame -zu setzen, welche gern mit der Kleinen plauderte. Auch ein großer, -freundlicher Herr kam dann wohl seitwärts über den Hof geschritten, -wo er mit den Dienstleuten gesprochen oder in den Ställen nachgesehen -hatte, und begrüßte das Kind. Das war Herr von Ihlefeld, -der Gutsherr von Rahmstedt, die schöne, junge Dame aber seine -Frau und Hubert, auch Bertel genannt, das einzige Kind der Beiden. -Ein behagliches, glückliches Familienleben herrschte in dem Hause, -und die kleine Esther war ein täglicher, gern gesehener Gast in demselben. -Man rechnete sie so zur Familie, daß stets ein Gedeck -mit für sie aufgelegt wurde, und jederzeit ein Bett für sie bereit stand, -besonders im Winter, wenn die Kleine Abends nicht in Wind und -Wetter den Weg nach Hause machen sollte. Und wie Esther hier, -so war auch Bertel täglich der Gast im Pfarrhause. Pastor Wieburg -hatte es übernommen, den Knaben zu unterrichten, und so war derselbe -neben Esther sein täglicher Schüler. Bertel war zwei Jahr -älter als Esther; das kleine Mädchen lernte aber so rasch und war -so eifrig und ehrgeizig, daß sie vielen Unterricht mit dem Knaben gemeinsam -hatte, und das waren für Esther die herrlichsten Stunden. -»Die kleinen Gelehrten,« nannte man die Kinder in der Umgegend, -denn nirgends wußten andere Kinder ihres Alters so viel, als diese -Beiden.</p> - -<p>»Ich werde einmal ein Gelehrter, wie du, Onkel Pastor,« pflegte -Bertel zu sagen, und wirklich schien er auch dauernd Freude am<span class="pagenum"><a name="Page_10" id="Page_10">[Pg 10]</a></span> -Lernen zu haben. Esther aber lernte eigentlich nur darum so eifrig, -weil Bertel lernte und sie eben nichts thun und denken mochte, was -dieser nicht auch that. Hätte ihr junger Spielgefährte angefangen, -Seil zu tanzen oder Schuhe zu nähen, Esther wäre ohne Zögern -auch mit auf das Seil gestiegen, oder hätte sich hingesetzt, Schuhe zu -flicken, denn Bertel that es ja. Wenn sie früh aufwachte, so flogen -ihre Gedanken hinüber nach dem Gutshofe, und ihre Blicke wanderten -beim Ankleiden fortwährend nach dem Gartensteg woher Bertel ja -nun kommen mußte. Der Tag bestand für sie eigentlich nur aus -zwei Hälften: der, wo sie <em class="gesperrt">mit</em> Bertel, und der, wo sie <em class="gesperrt">ohne</em> ihn war. -Die letzte Hälfte suchte sie immer möglichst abzukürzen, denn es war -ja die Schattenseite ihres Tages, die Zeit <em class="gesperrt">mit</em> Bertel aber das -Licht, die Sonne, dem ihre junge Seele zustrebte mit allem Denken -und Fühlen. Und wie Esther, so ging es ihrem kleinen Freunde. -Auch er kannte keine Freude, keinen Genuß ohne seine junge Gespielin, -und am liebsten wäre er oft den ganzen Tag auf dem Pfarrhofe -geblieben. Er nannte Esther seinen besten Kameraden, und -wie Kameraden verkehrten die beiden Kinder auch mit einander.</p> - -<p>Man konnte nicht schöner und liebenswürdiger sein, als es der -schlanke Bertel war, das gestand Jeder, der den Knaben sah, und für -Esther aber war ihr Kamerad der Inbegriff alles Schönen, Guten -und Ausgezeichneten. Das dunkeläugige und tief brünette Mädchen -bildete einen ganz eigenthümlichen Contrast zu dem rosigen Knaben, -dessen feines, mädchenhaft zartes Gesicht von einer Fülle dichter -blonder Locken umgeben wurde. Esther war kaum hübsch zu nennen; -denn etwas scharfe, unregelmäßige Züge und die bräunliche Haut -hätten sie wenig anziehend gemacht, wenn nicht die großen schwarzen -Augen mit strahlendem Feuer aus diesem Gesichtchen geleuchtet und -dicke, seidenweiche schwarze Flechten den kleinen Kopf umkränzt hätten. -Und verschieden wie im Aeußeren waren die beiden Kinder auch an<span class="pagenum"><a name="Page_11" id="Page_11">[Pg 11]</a></span> -Charakter und Temperament. Die braune Esther war Feuer und -Leben bis in die kleinste Fingerspitze hinein, furchtlos und unternehmend, -rasch und leicht erregbar. Ihr warmes Herz bestand harte -Kämpfe mit ihrem Eigensinn und ihrem sehr energischen Willen; -aber wenn dieser Wille sich beugte, dann war sie sanft und weich -und gut. Der blonde Hubert hingegen hatte bei einem äußerst -scharfen Verstande ruhigere Besonnenheit und Ueberlegung und -einen weichen, fügsamen Sinn, der sich durch fremde Einflüsse sogar -allzuleicht bestimmen ließ. Etwas Scheues und Abgeschlossenes im -Charakter des Knaben wurde durch die eigenthümliche Erziehung, -welche der ernste Pastor Wieburg ihm ertheilte, noch vermehrt, und -außer Esther besaß der kleine Gelehrte eigentlich keinen nennenswerthen -Umgang. Aber lebendig und kraftvoll wie sein kleiner Kamerad -Esther war auch Hubert trotz dieser Gelehrsamkeit und trotz -seines schlanken, mädchenhaften Körpers. Doch war er nicht so wild -und ungestüm als jene, ja zuweilen erschien er mit dieser Besonnenheit -sogar feige und zaghaft. Erreichte seine Geduld aber die Grenze, -dann konnte er heftig und leidenschaftlich aufflammen mit Esther um -die Wette.</p> - -<p>Esther hingegen gab sich der augenblicklichen Regung ganz hin, -und besonders, wenn es galt, für Bertel etwas zu thun, da gab es -kein Ueberlegen. Die Liebe zu ihrem kleinen Freunde war für sie -schon in den ersten Jahren ihres Beisammenseins der Punkt, um -den sich alles bewegte, was sie dachte und that, und für ihn schien -ihr kein Opfer zu schwer. Das Beste, was sie bekam an Naschwerk, -oder Obst oder sonstigen Dingen legte sie stets für ihn zurück; -alles was ihm lästig oder unangenehm war, nahm sie in ihre Hand, -und wo sie dem älteren Knaben mit ihren schwachen Kräften Hülfe -leisten konnte, that sie es ohne Zagen. Bekam er Schelte, so klagte -sie sich oft auch als Missethäterin an, um ihn nicht allein leiden zu<span class="pagenum"><a name="Page_12" id="Page_12">[Pg 12]</a></span> -lassen, und sie konnte ganz außer sich gerathen, wenn er Schmerzen -litt und sie ihm nicht helfen konnte. In den Unterrichtsstunden, -die sie gemeinsam hatten, freute sie sich vielmehr über ein Lob, das -Bertel gespendet wurde, als über ihr eigenes, und wenn Bertel, -wie es in den Naturwissenschaftsstunden oft geschah, für die der -Knabe am wenigsten Interesse zeigte, eine Arbeit schlecht gemacht -hatte oder Fragen verfehlte, da setzte Esther oft absichtlich in ihre -nächste Arbeit auch Fehler, oder stellte sich unwissend, nur um nicht -besser zu sein als Bertel.</p> - -<p>Eines Tages war Hubert krank geworden und konnte nicht zum -Pfarrhause kommen. Esther wollte natürlich gleich zu ihm eilen, Tante -Booland aber ließ sie nicht fort, denn der Arzt hatte ihr gesagt, Bertel -werde das Scharlachfieber bekommen, sie möge Esther's Zusammensein -mit dem Kranken verhüten, damit sie nicht angesteckt würde. -Esther war außer sich, daß man sie nicht zu Bertel lassen wollte. Drei -Tage hielt sie es aus, ging aber jammernd und klagend umher; als -sie nun aber hörte, Bertel läge im Fieber, sie dürfe unter Wochen -nicht zu ihm, sonst bekomme sie auch diese Krankheit, da sah sie Frau -Booland stumm und thränenlos an. Dann ging sie hinaus in den -Garten, in der Dämmerung aber rannte sie in einem unbewachten -Augenblicke mit Blitzeseile nach dem Gutshofe. Hier schlich sie leise -die Treppe hinauf, ohne gesehen zu werden und versteckte sich hinter -einem Schranke, der neben der Thür von Bertels Krankenstube stand. -Dort wartete sie lange geduldig, bis sie sah, daß die Wärterin und -dann auch Frau von Ihlefeld das Zimmer verlassen hatten; da -huschte sie zur Thür hinein. Wirklich war in diesem Augenblicke -niemand als der Kranke in der Stube, und mit einem leisen Jubelrufe -stürzte Esther zu Bertel hin, der ihr voll Entzücken die Arme -entgegenstreckte. »Nun bleibe ich bei dir, Bertel!« sagte Esther, -ihm das heiße Gesicht streichelnd, »ich halte es nicht aus ohne dich, -und wenn du krank bist, will ich es auch werden!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_13" id="Page_13">[Pg 13]</a></span></p> - -<p>Frau von Ihlefeld sah bei ihrem Eintritt voll Schrecken, wer -an Bertels Bett saß. »Kind,« sagte sie, Esther zurückziehend, »wer -hat dir erlaubt, herzukommen, und wer hat dich hier hereingelassen? -Willst du auch das Scharlachfieber bekommen?«</p> - -<p>»Ja, wenn Bertel krank ist mag ich nicht gesund sein,« rief -Esther und schmiegte sich an den Kranken. In demselben Augenblicke -kam Frau Booland herein, ganz außer sich vor Angst und -Schrecken. Sie schalt Esther wegen ihres Ungehorsams und wollte -sie sogleich wieder mit sich fort nehmen. Esther aber weinte und -sträubte sich und wollte bei Bertel bleiben, den sie umschlungen hielt. -Da trat der Arzt herein und Esther flog auf ihn zu und bat, er -möge erlauben, daß sie hier bleibe.</p> - -<p>Frau Booland aber rief angstvoll: »Nein, ich leide es nicht! -Wenn du noch länger bei dem Kranken bleibst, wirst du unfehlbar -angesteckt, und mich trifft dann die Verantwortung für deine Thorheiten. -Gleich komm mit mir, ehe es zu spät ist!«</p> - -<p>»Es ist schon zu spät, Frau Booland,« sagte der Arzt leise. -»Esther hielt den Kranken umschlungen, als ich eintrat, da ist der -Krankheitsstoff bereits in sie übergegangen, wenn sie überhaupt -dafür empfänglich ist. Ein längeres Bleiben schadet jetzt nicht, -lassen wir die Kinder ruhig beisammen; Bertel kann es nur zuträglich -sein, Esther um sich zu haben.«</p> - -<p>Frau Booland war leichenblaß geworden, denn sie sah schon -ihren Liebling von der Krankheit ergriffen in Fieberphantasien liegen; -aber zu ändern war hier nichts mehr. Esther erhielt die Erlaubniß, -auf dem Gutshofe zu bleiben und war glückselig. Sie wich nicht -von Bertels Lager, und sobald der Kranke nur wieder Unterhaltung -haben durfte, war sie unermüdlich, ihm vorzulesen, mit ihm zu -spielen, oder ihm sonst wie die Zeit zu vertreiben. Freilich dauerte -es nicht lange, da mußte auch sie sich legen, von der Krankheit<span class="pagenum"><a name="Page_14" id="Page_14">[Pg 14]</a></span> -ergriffen, und nun stellte man die Betten der Kinder neben einander. -Frau Booland kam, ihren kleinen Liebling zu pflegen, und nach kurzer -Zeit war es dann der genesene Hubert, der Esther unterhielt, wie -sie es erst an seinem Bette gethan. Aber so sehr Esther auch zu -leiden hatte, denn sie wurde bedeutend kränker als Bertel, keine -Klage kam über ihre Lippen. Sie hatte es ja so gewollt und war -bei Bertel, da war alles gut!</p> - -<p>Und wie sie hier keine Furcht kannte, so zeigte sie kurze Zeit darauf -abermals ihre muthige, selbstvergessende Liebe zu Hubert. Pastor -Wieburg kam eines Tages sehr erregt in das Zimmer und sagte: -»Frau Booland, lassen Sie Esther nicht auf die Straße; ich höre -soeben von unserem Knechte, daß sich ein fremder, toller Hund auf -dem Felde vor dem Gutshofe herumtreiben soll. Die Bauern sammeln -sich eben im Dorfe, Jagd auf ihn zu machen.« Esther blickte bei -diesen Worten nach der Uhr. Die Zeit war ganz nahe, in der Bertel -zu den Stunden kommen mußte. Wenn er nun von dem tollen Hunde -nichts wußte und ihm vielleicht gerade in den Weg lief! Auf dem -Felde beim Gutshofe trieb sich das Thier herum, er <em class="gesperrt">mußte</em> es -ja treffen! Kaum hatte Pastor Wieburg und Frau Booland den -Rücken gewendet, als Esther in den Garten flog und durch den -Garten hindurch auf die Landstraße, den Weg nach dem Gutshofe -einschlagend. In athemloser Hast stürzte sie vorwärts, damit sie -noch auf dem Gutshofe ankam, ehe Bertel ihn verließ. Und wenn -nun gar vielleicht Hector mit ihm kam, wie gewöhnlich, dann war -die Gefahr eine doppelte; denn dieser würde unfehlbar den fremden -Hund angreifen, wenn er in der Nähe war.</p> - -<p>Schon war Esther über ein Stück jenes Feldes gelaufen, auf -dem der Hund sich heruntertreiben sollte. Sie sah nichts Verdächtiges -und rannte dem Hofthore zu, das vor ihr lag und aus dem -jeden Augenblick Bertel treten konnte. Da plötzlich hörte sie es hinter<span class="pagenum"><a name="Page_15" id="Page_15">[Pg 15]</a></span> -sich schnaufen und röcheln, und als sie sich umblickte, rannte der tolle -Hund hinter ihr drein. Zur Seite springen, einen dicken Pfahl ergreifen, -der am Wege lag, und mit diesem dem Hunde einen wuchtigen -Hieb über den Kopf versetzen, war das Werk eines Augenblickes. -Der Hund taumelte, bellte dumpf und schlich dann in der -Richtung fort, in der er gekommen, Esther aber stürzte in Todesangst -ohne umzuschauen nach dem Hofthore, das sie aufriß und blitzschnell -hinter sich wieder zuwarf. Die Leute des Gutes, die hier -auf dem Hofe versammelt waren, um sich zur Jagd auf den Hund -zu rüsten, sahen voll Schrecken auf Esther, deren einzige Worte beim -Hereinfliegen waren: »Ist Bertel noch zu Haus?« Erst als er ihr -selbst entgegentrat gab sie sich zufrieden und sank erschöpft auf eine -Bank im Hofe, sich den Angstschweis von der Stirn trocknend. Nun -umringte man sie und ließ sich von ihr erzählen, daß der tolle Hund -ihr ganz in der Nähe des Hauses begegnet sei, und während die -Knechte hinauseilten, Jagd auf das unglückliche Geschöpf zu machen, -zog Bertel sie in das Haus hinein, sie mit Vorwürfen überschüttend, -daß sie sich um seinetwillen solcher Gefahr ausgesetzt habe.</p> - -<p>Esther blickte den Knaben lachend an und sagte: »Daran, daß -<em class="gesperrt">mich</em> der Hund beißen konnte, habe ich gar nicht gedacht, als ich -vom Hause fortgerannt bin. Aber jetzt wird sich Tante Booland -schön um mich ängstigen, nun will ich nur schnell wieder nach Haus -laufen.« »Nicht eher, als bis der Hund unschädlich gemacht ist!« -rief Bertel sie zurückhaltend. Da aber hörte man einen Schuß in der -Nähe, und gleich darauf kamen die Leute zurück und erzählten, daß -man den Hund getödet habe, der wie betrunken umher getaumelt -sei. »Daran ist der Schlag Schuld, den ich ihm mit dem Pfahle -gegeben habe,« lachte Esther, und dann lief sie eiligen Schrittes wieder -zu Frau Booland zurück, die in Todesangst nach ihr ausschaute. —</p> - -<p>So wuchsen die beiden Kinder mit einander auf Jahr um Jahr,<span class="pagenum"><a name="Page_16" id="Page_16">[Pg 16]</a></span> -und von Liebe umgeben und glücklich durch stetes Beisammensein, -vergingen ihnen die sorglos frohen Jugendjahre wie ein heller Sommertag. -Während der blonde Bertel zu einem schönen schlanken -Burschen emporwuchs, war Esther noch immer das braune Mädchen -mit den feurigen Augen und dunklem Haar; aber ihre Gesichtszüge -wurden weicher und anmuthiger, und mit ihrem schlanken, graziösen -Körperchen war sie ein allerliebstes Mädel geworden. Aber ein -Wildfang blieb sie trotz ihrer 13 Jahre, und Frau Booland hatte -oft ihre Noth mit ihr; böse freilich konnte niemand ihr sein. Aber -auch geistig entwickelten sich beide Kinder sehr zur Zufriedenheit der -Ihren, und den »kleinen Professor« besonders, wie man Bertel -nannte, war Pastor Wieburg mit unermüdlichem Eifer bestrebt, -immer mehr zu fördern, so lange er seiner Leitung anvertraut blieb, -denn er war ein selten begabter Knabe. Aber endlich mußte man -sich doch zu einer Aenderung entschließen, um so mehr, da Pastor -Wieburg anfing zu kränkeln und den Unterricht oft unterbrechen -mußte. Das Gymnasium der nächsten Stadt war vortrefflich, und -so entschlossen sich Hubert's Eltern schweren Herzens, den Knaben -künftige Ostern dorthin zu geben.</p> - -<p>Das war das erste große Ereigniß in dem Leben der beiden -Kinder. Sie hatten die Trennung, so oft auch davon die Rede war, -doch immer in so ferne Zeiten verschoben, daß es wie ein entsetzlicher -Donnerschlag über sie kam, als sie erfuhren, daß in wenig Wochen -Hubert's Abreise erfolgen sollte.</p> - -<p>»Ich gehe mit dir nach H..,« sagte Esther entschlossen und stellte -sich an Bertel's Seite. »Vater hat gewiß nichts dagegen; ich werde -ja dann studiren wie du, und ohne dich lerne ich hier keine Zeile -mehr, das weiß ich. Was sollst du denn ohne mich anfangen, Bertel?«</p> - -<p>Hubert sah das kecke Mädchen nachdenklich an.</p> - -<p>»Ich glaube, das wird doch nicht gehen, Esther,« sagte er traurig, -<span class="pagenum"><a name="Page_17" id="Page_17">[Pg 17]</a></span>»denn ich werde ja auf ein Gymnasium kommen, wo lauter Knaben -sind, da paßt kein Mädchen hinein.«</p> - -<p>»So ziehe ich Knabenkleider an, das ist köstlich, das habe ich -mir ja immer gewünscht!« jubelte Esther und klatschte in die Hände.</p> - -<p>»Aber deine langen Zöpfe?« sagte Bertel kopfschüttelnd.</p> - -<p>»O die schneide ich ab,« rief Esther fröhlich. »Da habe ich doch -endlich Ruhe vor Tante Booland, die früh Morgens immer so lange -daran kämmt und flicht, daß mir die Geduld oft ausgeht und ich ihr -davon laufe. Da sieh', das ist bald geschehen!« Rasch ergriff sie -eine Scheere und that einen tiefen Schnitt in ihr prachtvolles Haar. -Aber da trat Frau Booland in das Zimmer und riß ihr die Scheere -aus der Hand.</p> - -<p>»Bist du unklug, Kind? Was treibst du denn wieder?« rief -sie heftig.</p> - -<p>»Ich gehe mit Bertel auf das Gymnasium nach H., da kann -ich die dummen Zöpfe nicht brauchen,« entgegnete Esther, an den -Flechten reißend.</p> - -<p>»Mit auf's Gymnasium?« sagte Frau Booland lachend. »Nun -damit hat es gute Wege, da laß nur deine Zöpfe in Ruhe, mein -Kind. Mädchen kommen da nicht hin.«</p> - -<p>»Ich gehe auch als Junge mit, versteht sich!« rief Esther rasch. -»Tante Ihlefeld giebt mir gewiß von Bertels Kleidern, damit ich -gleich mit kommen kann.« Frau Booland fing herzlich an zu lachen -über Esthers Pläne, die sie für Scherz hielt. Als sie dann aber sah, -daß ihr junger Wildfang wirklich im Ernst solchen Gedanken Raum -gab, war sie still und sagte leise vor sich hin: »Im Stande wäre -sie's, glaub' ich. Das hat ihr Vater von <em class="gesperrt">der</em> Erziehung!«</p> - -<p>Als sie mit ihrem Schützling dann am Abend allein im -Schlafzimmer war, zog sie Esther auf ihre Knie, was sie selten that -und sprach mild und freundlich: »Mein liebes Mädchen, ich muß<span class="pagenum"><a name="Page_18" id="Page_18">[Pg 18]</a></span> -dir einmal etwas sagen. Du bist jetzt schon 13 Jahre alt, da wird -es wirklich Zeit, daß du den Jungen ausziehst. Thust du es nicht -selbst, so thun es dir andere Leute, und das ist ein schlimmes Ding. -Dein Vater hat dich studiren und aufwachsen lassen, wie einen -Knaben; aber du bist und bleibst trotz alledem <em class="gesperrt">doch</em> ein Mädchen. -Siehst du, ich bin nur eine einfache Frau; aber das, was sich -schickt, besonders für ein junges Mädchen, das du nun bald sein -wirst, weiß ich so gut als jede große Dame, da folge mir nur -getrost. Bertel geht fort, er ist eben ein Knabe und muß sich für -seine zukünftige Laufbahn vorbereiten; aber mit ihm gehen kannst -du nicht, denn das schickt sich nicht. Wozu auch? Ein Mädchen hat -einen anderen Lebenslauf vor sich, als ein Knabe. Er muß in die -Welt, das Mädchen gehört in das Haus. Bis jetzt warst du ein -Kind, da paßte sich alles; aber nun wird das anders, das hilft -einmal nichts und mußt du dir gefallen lassen. Für junge Mädchen -schickt sich vieles nicht, was sich für junge Männer schickt; so will -es die Sitte, und ihr müssen wir uns Alle beugen. Ueber kurz oder -lang mußten sich eure Wege doch scheiden, das ist so der Lauf der -Welt und die Bestimmung des Menschen. Und nun sei verständig -und mache Bertel das Herz nicht schwer mit Weinen und Klagen; -denn dann wird ihm das Fortgehen noch viel saurer. Nicht wahr, -Esther, daran willst du denken, ihm zu lieb?«</p> - -<p>Esther hatte schweigend zugehört, denn Tante Booland sprach -selten so ernst und zusammenhängend mit ihr. Sie machte zuerst ein -finsteres Gesicht, denn ihr Eigenwille bäumte sich arg in ihr empor; -nach und nach aber wurde sie nachdenklich, und ein tiefes Roth zog -sich ihr über Stirn und Nacken. Sie biß die Lippen fest auf einander, -wie sie immer that, wenn sie von einem neuen Gedanken überrascht -wurde, sagte aber kein Wort. Auf die letzte Frage von Tante -Booland nickte sie rasch und ernst mit dem Kopfe; dann lehnte sie<span class="pagenum"><a name="Page_19" id="Page_19">[Pg 19]</a></span> -ihre Stirn eine lange Weile still an die Brust ihrer treuen Pflegerin, -die ihr leise über das Haar strich. Endlich aber brach sie in einen -Strom von Thränen aus und rief jammernd: »Ach Tante Booland, -ohne Bertel kann ich ja aber nicht leben!«</p> - -<p>»Einmal mußt du es lernen, Kind, es geht nicht anders,« sagte -Frau Booland sanft. »Der liebe Gott giebt uns so manches Schwere -zu tragen, und du wirst noch manchesmal in deinem Leben sagen: ->ich kann es nicht!< Und doch wirst du es lernen; denn der himmlische -Vater legt uns keine größere Last auf die Schultern, als wir zu -tragen im Stande sind. Dir hat Gott ein starkes Herz gegeben, -deshalb wirst du dem armen Bertel die Trennung leicht machen, -wozu wärst du sonst seine brave, kleine Esther?«</p> - -<p>Das kindliche Mädchen wischte sich entschlossen die Thränen -aus den Augen und lächelte zuversichtlich. »Ich will ihm helfen, -Tante!« sagte sie fest, und dann legte sie sich still und ergeben in -ihr Bettchen. Lange noch bewegten sich ihre Lippen im Gebet und -baten um Muth und Kraft für die schwere vor ihr liegende Zeit, -dann aber schloß der Schlaf ihr die müden Augen.</p> - -<p>Am andern Tage war mit Esther sichtlich eine Veränderung -vorgegangen. Sie war bleicher und ruhiger als sonst, und auf -ihrem Gesicht lag ein nachdenklicher Zug. Als Hubert zum Unterricht -kam, und Esther ihm im Garten entgegen lief, geschah es mit -etwas zögernden Schritten, und ein brennendes Roth flog einen -Augenblick über ihre Stirn. Dann aber rief sie in ihrer alten -muntern Weise: »Ach Bertel, unsere schönen Pläne werden doch -zu Wasser, mit dir ziehen kann ich nicht. Die andern Jungens -würden doch merken, daß ich ein Mädchen bin, und dann bissen -sie mich sicher zum Neste hinaus, wo ich mich einschleichen wollte, -wie's neulich die Schwalben mit dem Spatz machten, weißt du -wohl noch?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_20" id="Page_20">[Pg 20]</a></span></p> - -<p>Hubert sah sehr bleich aus. Er nickte still mit dem Kopfe und -sagte: »Ich wußte es gleich und wollte es dir nur nicht sagen, Esther. -Aber ich glaube, ich komme bald wieder; denn so allein ohne dich -und ohne euch alle, — ich <em class="gesperrt">kann</em> es nicht ertragen!«</p> - -<p>Mit einem lauten Stöhnen warf er sich auf eine Bank nieder -und weinte so ungestüm und leidenschaftlich, wie Esther es noch -nie von ihm gesehen hatte. Erschrocken setzte sie sich zu ihm und -lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Dicke Thränen rollten auch -über ihr Gesicht, und ihre Brust arbeitete heftig. Aber entschlossen -richtete sie sich bald empor, preßte die Hände fest aufeinander und -sagte leise: »Bertel, sei ruhig, einmal mußtest du ja fort, hier auf -unserem Dorfe kannst du ja doch kein großer Gelehrter werden. Aber -das sollst du, denn ich will stolz auf dich sein, und alle sollen -es.« Und nun malte sie dem Knaben in heiterer Weise aus, wie -schön es sein müsse, wenn er nun zu den Ferien nach Hause kommen -und ihnen erzählen werde, wie er dort in der Stadt lebe, -wie viel er jetzt lerne und studire, und welches seine Kameraden -sein würden. Bertel hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt und -schluchzte leise.</p> - -<p>»Kameraden?« rief er jetzt heftig. »Sprich mir nicht von -Kameraden! Bis jetzt habe ich noch keinen Jungen gefunden, der -mir zugesagt hätte, und ich werde sicher auch keinen finden. Du bist -mein liebster und einziger Kamerad, Esther, und du sollst es mir -bleiben, das gelobe ich dir, wenn auch tausend andere um mich sein -werden; dich ersetzt mir keiner!«</p> - -<p>Er ergriff Esthers Hand und blickte finster vor sich nieder, Esther -aber saß strahlenden Auges neben ihm. Ihre Lippen zitterten, aber -sie sprach nicht. Sie sah ihren blonden Bertel im Geiste unter der -Schaar anderer Knaben, und wie viel schöner er sein würde, als alle -anderen, und wie viel klüger. Und doch war und blieb er <em class="gesperrt">ihr</em><span class="pagenum"><a name="Page_21" id="Page_21">[Pg 21]</a></span> -Bertel, ihr Kamerad wie bisher. Nun wollte sie auch nicht mehr -daran denken, wie allein, ach so trostlos allein sie sein würde!</p> - -<p>Esther hatte in Gedanken einen Zweig des Fliederbusches -herabgezogen, unter dem sie saßen und dessen Büschel noch kahl und -ohne Knospen standen.</p> - -<p>»Wenn die blühen, bist du wieder hier, Bertel,« rief sie plötzlich -und schüttelte den Zweig. »Ostern ist in diesem Jahr so früh, -gerade zu Pfingsten wird dann alles blühen, Flieder, Goldregen, -Schneeballen, alles, alles. Und die ersten Veilchen schicke ich dir in -die Stadt, Bertel, denn da kannst du gewiß keine pflücken. Von den -Erdbeeren aber und den Stachel- und Himbeeren in unserem Garten -soll kein Mensch etwas bekommen, die schicke ich dir auch alle oder -hebe sie dir auf, und auch die Haselnüsse unten am Wasser. Komm, -wir wollen geschwind einmal nachsehen, Bertel, am Ende sind unten -am Wasser schon Veilchen heraus, oder <span class="antiqua">Primula veris</span>. Weißt du -auch noch, wie die braune Pflanze heißt, die zuerst im Frühjahr auf -der Wiese blüht?«</p> - -<p>Bertel's trübes Gesicht war unter dem Plaudern Esthers wieder -hell geworden; jetzt lachte er und sagte: »Ach was, Botanik ist einmal -nicht mein Steckenpferd, ich kann mir das Zeug nicht merken. -Verrathe mich aber nicht bei deinem Vater.«</p> - -<p>»So komm, ich will dein Mentor sein, <span class="antiqua">Tussilago</span> heißt das -Pflänzchen, mein kluger Herr,« rief Esther lustig und zog ihn mit -sich fort; denn was sie gewollt, hatte sie durch ihr Plaudern erreicht, -Bertel vergaß seine trüben Gedanken. Und in dieser Weise gelang -es ihr von jetzt an stets, ihren Kameraden zu erheitern, ob ihr -selbst auch oft das arme junge Herz zerspringen wollte vor Weh. -Bertel durfte nicht sehen, wie schwer ihr die Trennung wurde, sonst -wäre er mit noch traurigerem Herzen von ihnen gegangen. Und wie -gut hatte sie es doch im Vergleich mit ihm: Sie blieb zurück in ihrem<span class="pagenum"><a name="Page_22" id="Page_22">[Pg 22]</a></span> -schönen Garten und traulichen Hause, hatte Vater und Tante Booland -um sich, und dort drüben den Gutshof mit Onkel und Tante -Ihlefeld. Alles, ihre Blumen und Bücher, ihre Hühner, Hunde, -Katzen, die Ziegen und Kaninchen im Stall und die Vögel im -Walde draußen, alles blieb ihr, während der arme Bertel alles verlassen -und allein hinaus mußte unter lauter fremde Menschen. War -es da nicht ihre Pflicht, heiter zu sein und ihm das Herz nicht auch -noch schwer zu machen? O Tante Booland hatte recht, <em class="gesperrt">sie</em> durfte -Bertel nichts vorklagen!</p> - -<p>Aber trotz alledem wurden ihre Wangen immer blässer, und ihre -Augen blickten immer angstvoller um sich, je näher der Tag der Abreise -kam. Endlich hatten die beiden Kinder den letzten Unterricht -beim Vater gehabt, und Bertel hatte Abschied genommen. In einigen -Stunden fuhren seine Eltern mit ihm nach der Stadt. Esther hatte -mitfahren sollen; aber Frau Booland meinte, für Bertel sei es besser, -sie thäte es nicht, und so blieb sie zurück, willig und sanft, wie sonst -nie, wenn etwas gegen ihren Willen war. Sie setzte sich mit einem -Buche in die Fliederlaube, in der sie neulich mit Bertel gesessen, ihre -Augen waren aber so roth, als sie dann zum Essen in das Zimmer -kam, daß Frau Booland sie mit innigem Mitleiden anblickte. Vor -ihrem Vater aber verbarg Esther, daß sie geweint, denn er konnte -»weinerliche Frauenzimmer« nicht leiden. Es war gut, daß er viel -von der Schule und den Lehrern sprach, wo Bertel jetzt Unterricht -haben werde, da bemerkte er doch Esthers Kummer nicht, von dessen -Größe er keine Idee hatte. Die einfache Frau Booland wußte das -besser, als der gelehrte Herr Pastor.</p> - -<p>Es waren traurige Tage für Esther, diese ersten nach Bertel's -Abreise. Wohl hatte sie sich alles vorgeführt, was sie an Glück vor -Bertel voraus habe, da sie zu Hause blieb, während er unter fremde -Menschen und Verhältnisse kam; aber jetzt, nachdem er fort war, -<span class="pagenum"><a name="Page_23" id="Page_23">[Pg 23]</a></span>fühlte sie erst, <em class="gesperrt">was</em> sie verloren. Wie im wachen Traume ging sie -daher, sie meinte immer, jetzt müsse jemand kommen und sie wecken. -War denn die Sonne nicht mehr am Himmel, daß so wenig Glanz -über Garten und Wiese lag? Und waren denn das ihre lieben -Blumen, die so wenig Farbe und Duft hatten, das ihre lustigen -Thiere, die mit ihr sonst so fröhlich durch den Hof und Garten -sprangen? Und ihre Bücher, wie langweilig sahen diese Buchstaben -sie an, das Lernen war ja eine Strafe statt wie bisher eine Lust. -Und wie endlos war so ein Tag! Sonst kamen die Mittag- und -Abendstunden, wo sie zum Essen gerufen wurde, immer viel zu früh, -jetzt sah sie fort und fort nach der Uhr, ob denn die Stunden noch -immer nicht rascher davongehen wollten. Nach dem Stege aber, -auf dem Bertel jeden Morgen gekommen war, konnte sie vor Jammer -gar nicht mehr hinsehen, und nach dem Gutshofe zog sie jetzt -so wenig. Onkel und Tante Ihlefeld waren zwar sehr gut und lieb -zu ihr, wie bisher; aber es war so öde in dem Hause und Hofe, und -auch Bertel's Neufundländer sah so traurig aus und heulte laut -auf, wenn Esther ihn streichelte und leise sagte: »Ach Hektor, unser -Bertel ist fort!«</p> - -<p>Hubert war jetzt unter eine ziemlich große Zahl von Pensionairen -aufgenommen, welche bei einem der Professoren des Gymnasiums -wohnten. Der zarte, scheue Knabe fühlte sich anfangs -unsäglich unbehaglich unter all' den fremden Gesichtern, und das -laute Treiben seiner Stubengenossen war ihm sehr zuwider. Auch -in der Klasse, unter deren Schülern er einer der jüngsten war, kam -er sich wie verloren vor; denn niemand achtete weiter auf ihn, und -die Lehrer hatten ihre Aufmerksamkeit der ganzen Klasse zu schenken. -Wie anders war das, als bisher bei seinem Lehrer! Aber eigentlich -lernte es sich gut in Gemeinschaft mit so vielen, die alle dasselbe Ziel -verfolgten. Und hier waren einige so kluge, eifrige Mitschüler in<span class="pagenum"><a name="Page_24" id="Page_24">[Pg 24]</a></span> -der Klasse, da galt es fleißig sein, wenn er es ihnen gleich thun -wollte! Und das wollte und mußte er, das war ohne Frage.</p> - -<p>So lernte er denn mit unverdrossenem Eifer und vergaß dabei, -wie einsam er unter den vielen Mitschülern dastand, denen er sich, -wie es seine Neigung war und wie er Esther versprochen, nicht anschließen -mochte. Aber dieses Abschließen reizte die andren Knaben -zu Neckereien und Spottreden und bereitete ihm bald manchen Verdruß. -Man gab ihm allerlei Spitznamen, nannte ihn Jungfer -Bertel, Muttersöhnchen, Blondel, Mehlweißchen und suchte ihn zu -Zank und Streit aufzustacheln. Bertel that, als merke er nichts und -kämpfte seinen Aerger tapfer nieder; denn ihm war aller wüste -Zank und Lärm in der Seele verhaßt. Das reizte seine Kameraden -doppelt, die solche Selbstüberwindung für Feigheit hielten. -Mit einem Feigling aber meinte man sich ungestraft alles erlauben -zu können. Nun erhielt Bertel eines Tages einen langen Brief -von Esther. Zwei seiner Stubenkameraden, die dabei zugegen -waren, sahen, wie freudig er denselben las.</p> - -<p>»Von wem ist der Brief?« fragte Franz Reichard.</p> - -<p>»Von Esther!« entgegnete Bertel zerstreut und las eifrig weiter.</p> - -<p>»Esther? Wer ist Esther?« forschte Franz weiter. »Ist das -eine Schwester von dir?«</p> - -<p>»Nein doch, laß mich in Ruh'! Esther ist — nun Esther ist -Esther!« sagte Bertel kurz abweisend und kehrte Franz den Rücken.</p> - -<p>»Esther ist Esther! Eine schöne Erklärung!« rief dieser spöttisch. -»Du, Walter,« fuhr er dann lachend fort und winkte seinem Kameraden -verständnißvoll zu, »weißt du schon, Jungfer Bertel ist mit -einer alttestamentarischen Freundschaft behaftet. Königin Esther heißt -seine Coeurdame.«</p> - -<p>»I was tausend, Mehlweißchen!« rief Walter. »Du bist ja ein -Mordskerl! Und ein Jüdchen hast du zur Freundin? Da heißt's wohl:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_25" id="Page_25">[Pg 25]</a></span></p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Ihrer Augen schwarze Kohlen<br /></span> -<span class="i0">Haben mir das Herz gestohlen?<br /></span> -</div></div> - - -<p>Wahrhaftig, du bist ja ganz vernarrt in ihren Brief, laß doch -'mal sehen, was die schwarzhaarige Schöne dir schreibt!« Und dabei -blickte er frech in Esthers Brief, als wollte er ihn lesen. Bertel wurde -dunkelroth vor Aerger, bekämpfte seinen Verdruß aber und sagte -nur, sich rasch abwendend: »Ach Unsinn, Esther ist eine Predigertochter -und keine Jüdin.« Unwillkürlich aber blickten ihn dabei seiner -Freundin schwarze Augen aus dem Briefe an, die allerdings einer -kleinen Jüdin alle Ehre gemacht hätten, und er achtete bei diesem -Gedankengange so wenig auf seine Umgebung, daß er nicht bemerkte, -wie Franz sich herbeischlich und plötzlich einen raschen Griff nach dem -Briefe that. Bertel jedoch hielt fest, und so bekam der Brief einen -großen Riß. Nun aber war Huberts Geduld zu Ende. Mit dem -Rufe: »Wart', das sollst du büßen!« flog er wie ein Pfeil auf den -schlechten Kameraden los, faßte ihn um den Leib und warf ihn zu -Boden. Franz war einer der stärksten Burschen der Stube, und -nachdem er sich von der ersten Ueberraschung erholt hatte, fing er -an mit Bertel zu ringen. Ein heißer Kampf entspann sich, denn -Franz war stärker als sein Angreifer; Bertel aber besaß trotz seines -zarten, schlanken Körpers eine große Zähigkeit und Gewandtheit, -und mit Vorsicht wußte er sich stets gegen alle Angriffe zu decken. -Er hatte zu Hause viel geturnt und oft mit den Dorfkindern gerungen, -denn sein Vater pflegte zu sagen, ohne richtige Balgerei wird -keiner ein rechter Junge. So gelang es ihm endlich, den Gegner -zu bezwingen und ihm das Knie auf die Brust zu setzen.</p> - -<p>»Jetzt versprichst du mir, mich ungeschoren zu lassen!« rief er -mit funkelnden Augen. »Ich dulde eure Flegeleien nicht länger, -daß ihr es nur wißt. Wer mich nicht in Ruhe läßt, dem zeige ich, -<span class="pagenum"><a name="Page_26" id="Page_26">[Pg 26]</a></span>daß ich Fäuste habe.« Und damit schlug er auf den großen Burschen -so tapfer los, daß es schallte, und Walter ganz verblüfft daneben -stand. Franz knirschte vor Aerger, konnte sich aber nicht rühren, -und da er ein weicher Junge war trotz seiner groben Glieder, so bat -er schließlich himmelhoch, Bertel möchte ihn loslassen, er verspräche -auch alles, was er verlange. Hubert sprang auf und ließ ihn frei, -Franz aber schüttelte sich, strich sich die Haare glatt und dann trat -er zu seinem Gegner heran. »Du hast mich gut verarbeitet, Bertel,« -sagte er stöhnend und reckte seine langen Glieder. »Bis jetzt dachte -ich, du wärst feige, weil du dir alles gefallen ließest; aber nun habe -ich Respect vor dir. Wer Courage hat, den lasse ich in Ruhe. Wollen -wir Frieden schließen?«</p> - -<p>Hubert sah dem ehrlichen Burschen ganz erstaunt in das feuerrothe -Gesicht; es war ein guter Zug darin, und Bertel ergriff ohne -Zögern die dargebotene Hand. »Recht gern, Franz«, sagte er herzlich, -»mir soll's recht sein; ich bin kein Freund von Zank und Streit.«</p> - -<p>So hatte die Schlägerei ein gutes Ende und in ihren Folgen -trug sie vortreffliche Früchte. »Bertel hat den Franz gezwungen!« -hieß es bald in der ganzen Anstalt, und das war wie ein Orden; -denn Franz war für einen tüchtigen Raufer bekannt und also nicht -gut mit ihm anzubinden. Niemand hielt den blonden Bertel ferner -für einen Feigling und wagte ihn böswillig zu foppen; hatte derselbe -doch auch jetzt an dem älteren Franz einen Kameraden zur Seite, der -sich des jüngeren in allen Dingen annahm, denn er hing dem neuen -Schüler mit immer wachsender Freundschaft an. Hubert war diese -Freundschaft zwar ganz angenehm und schmeichelhaft, eigentlich aber -wagte er nicht recht, dieselbe anzunehmen; hatte er nicht Esther -gelobt, sie allein solle sein Kamerad sein und bleiben? Und war -es nicht Wortbruch, wenn er hier nun doch eine neue Freundschaft -schloß? Lange aber hielten solche Gedanken nicht vor; es war doch<span class="pagenum"><a name="Page_27" id="Page_27">[Pg 27]</a></span> -eben gar zu angenehm, nicht allein dazustehen unter so viel Schülern, -und Esther selbst hatte sicher nichts dagegen. Sie konnte doch einmal -nicht bei ihm sein, warum sollte er sich da nicht an jemand aus -seiner jetzigen Umgebung anschließen? Esther blieb ihm ja doch immer -so lieb, als sie ihm je gewesen war, das verstand sich von selbst. —</p> - -<p>Trotz dieser Ueberzeugung sprach er in seinen Briefen an -Esther doch nicht viel von seinem neuen Freunde. Die Scene -aber, welche ihr Brief veranlaßt hatte, berichtete er ihr getreulich, -und Esther glühte vor Wonne und Stolz, daß ihr Bertel sich so -tapfer gehalten hatte, und tief innen im Herzen regte sich etwas, -wie ein Jauchzen, daß <em class="gesperrt">sie</em> der Anlaß zu diesem ersten Kampfe -Bertels gewesen war. Davon sagte sie aber Tante Booland nichts, -als sie den Brief vorgelesen, sie wußte selbst nicht warum. Freilich -ahnte Esther nicht, daß Bertel gerade in Folge davon, daß sie es -war, die jenen Kampf veranlaßt hatte, von jetzt an sorgfältig vermied, -wieder von ihr zu sprechen. Er fürchtete abermalige Neckereien -seiner Kameraden, die ohnehin nicht ganz ausblieben; denn ab -und zu erkundigte man sich nach seiner jungen Freundin, welche für -die Knaben durch jene Schlägerei einen geheimnißvollen Reiz erhalten -hatte. Bertel gab aber immer verlegene ausweichende Antworten, -und wenn er Esther auch nicht völlig verleugnete, so wünschte er -doch, die Sache todt zu schweigen, um die Neckereien der Jungens -los zu werden. »Mädchen passen einmal nicht in eine Jungenpension, -nicht einmal in Gedanken!« entschuldigte er sich heimlich, und -wirklich verging jetzt mancher Tag, wo Bertel so von seinen Arbeiten -und seinen Kameraden in Anspruch genommen wurde, daß er seiner -kleinen Esther gar nicht gedachte. Dann aber fiel ihm sein Unrecht -plötzlich wieder schwer auf die Seele, und nun schickte er ihr, wie -um vor sich selbst sein Erkalten wieder gut zu machen, einen so -herzlichen, kameradschaftlichen Brief, erzählte ihr so getreulich von<span class="pagenum"><a name="Page_28" id="Page_28">[Pg 28]</a></span> -seinem Lernen und Leben und Treiben, daß Esther voll Entzücken -ihres lieben getreuen Kameraden gedachte, der sie unter all' den -neuen Verhältnissen nicht vernachlässigte. Sie wollte ihm auch zeigen, -daß sie seiner in treuer Anhänglichkeit gedachte, und trotz ihrer -Abneigung gegen weibliche Handarbeiten mühte sie sich jetzt häufig -ab, um für Bertel irgend etwas anzufertigen. Zum ersten Male -im Leben zeigte sie Geduld und Ausdauer bei diesen Arbeiten. Die -Knaben in der Pension trugen hellblaue Mützen mit roth und silbernen -Bändern, und wenn das Band besonders schön war, so -bestanden die silbernen Streifen aus kleinen gestickten Blätterchen. -Eine solche Mütze hatte Bertel sich gewünscht, und Esther saß nun -mit eiserner Geduld und nähte mit ihren kleinen ungeschickten Fingern -unermüdlich Blättchen um Blättchen, so sauer ihr auch die -ungewohnte Arbeit wurde. Endlich war das Werk vollendet und -zu seinem nächsten Geburtstage prangte die Mütze unter Bertels -Geschenken, die ihm nach der Pension gesandt wurden. Ein feuriger -Dankesbrief lohnte Esther die gewaltige Mühe, und von nun an -war sie immer mit irgend einer Arbeit für ihren kleinen Freund -beschäftigt, zur stillen Freude Tante Boolands, die ihr getreulich -beistand, wo die Schwierigkeiten gar zu groß wurden. Aber gut -war es, daß Esther nicht erfuhr, wie Bertel alle solche Arbeiten vor -seinen Schulkameraden verleugnete, um sich nicht neuen Neckereien -auszusetzen. Die Mütze machte den Anfang. Als seine Geburtstagsgeschenke -bewundert wurden, betrachtete sein neuer Freund Franz -mit etwas neidischen Blicken den zierlichen Streifen an der Mütze.</p> - -<p>»Wer hat dies gestickt, Bertel?« fragte er neugierig. Bertel -wurde roth und wandte sich ab. »Deine Mutter?« forschte Franz weiter. -»Ja!« sagte Bertel kurz und fing ein anderes Gespräch an. Aber -die Lüge brannte wie Feuer auf seiner Seele, und er schalt sich selbst -wegen seiner Feigheit, die ihm nicht erlaubte, dem Spotte der Mit<span class="pagenum"><a name="Page_29" id="Page_29">[Pg 29]</a></span>schüler -zu trotzen. »Sie würden mir nimmer Ruhe lassen, und ich -könnte die Mütze nie tragen ohne gefoppt zu werden!« rechtfertigte -er sich vor sich selbst; aber gegen Esther hätte er diese Untreue nie eingestehen -mögen. Aber freilich folgten diesem ersten Verleugnen bald -andere, bis er sich schließlich gar kein Gewissen mehr daraus machte, -alle Geschenke Esthers vor seinen Kameraden zu verheimlichen, nur -um Ruhe zu haben.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Esther war seit Bertels Fortgang viel stiller und ernster geworden. -»Die wilde Hummel,« wie man sie im Hause nannte, saß jetzt oft -stundenlang bei Tante Booland, ihr vorlesend oder auch wohl bei -einer kleinen häuslichen Beschäftigung helfend. Nur manchmal -sprang sie plötzlich rasch auf, rannte durch Hof und Garten oder -hinüber nach dem Gutshofe, und dann kam sie mit roth geweinten -Augen zurück. Aber selten nur sprach sie es aus, wie unsäglich -Bertel ihr fehle, und wenn irgend jemand sie fragte, ob sie den -Kameraden nicht sehr vermisse, dann zuckten ihre dunkeln Augenbrauen -leise und sie sagte stolz: »Ein Junge kann nicht ewig mit -Mädchen spielen, er muß fort und lernen, wenn er ein Gelehrter -werden will.«</p> - -<p>Am liebsten hörte sie es, wenn ihr Vater über Bertel sprach. -Jetzt, nachdem sein Schüler ihn verlassen, wagte der Prediger erst -es auszusprechen, wie große Erwartungen er von Bertel hege, und -was er für ein kluger, talentvoller Knabe sei. Seine Eltern lobten -den Sohn zwar auch in unbegrenzter Weise, aber das hatten sie -auch bisher schon gethan. Von Pastor Wieburg aber, dem strengen, -schweigsamen Manne fiel ein Lob viel schwerer in die Wagschaale, -als von allen anderen Menschen. Ihre eigenen Lehrstunden hatten -für Esther allen Reiz verloren, seit sie allein lernte, und sie sah es -nicht ungern, daß ihr Vater, durch körperliche Leiden belästigt, diese<span class="pagenum"><a name="Page_30" id="Page_30">[Pg 30]</a></span> -Stunden jetzt sehr beschränkte. Nur wenn sie dem Vater bei seinen -Arbeiten helfen konnte, wozu die gelehrte Erziehung, welche sie erhalten, -sie wohl befähigte, dann war sie eifrig und fleißig; und so -verging ihr manche Stunde mit Vorlesen griechischer oder lateinischer -Bücher, mit Nachschlagen oder Abschreiben, oder mit Niederschreiben -von Dictaten, da der Vater seine schwachen Augen in dieser -Weise gern schonte. Immerhin aber blieb für Esther jetzt viel mehr -freie Zeit übrig als früher.</p> - -<p>»Nun wird das kleine Ding wohl endlich einmal ein Frauenzimmer -werden!« sagte Frau Booland oft still für sich, wenn sie -ihres Zöglings häufige Musestunden mit Behagen bemerkte. »Jetzt -kann man doch mit gutem Gewissen noch andere Dinge von ihr verlangen.« -Aber der Geschmack an diesen anderen Dingen wollte bei -Esther noch gar nicht kommen trotz dieser freieren Zeit, und Frau -Booland sah nun wohl, daß ein Kind in späteren Jahren schwer -etwas lernt, wozu es nicht von früh auf angehalten wurde. Esther -lag trotz ihrer 13 Jahre mit der Ordnung und Sauberkeit noch -immer in ewiger Fehde, und alles andere war ihr lieber, als stricken -und nähen oder sonstige weibliche Beschäftigungen; die Arbeit für -Bertel ausgenommen. Hart konnte Tante Booland unmöglich zu -ihrem Herzblättchen sein, und so that sie selbst lieber nach wie vor -alle die Dinge, die Esther zukamen, um nur das arme Kind nicht -allzusehr zu quälen. »Sie wird es schon von selbst machen, wenn -sie einmal verständiger ist,« tröstete sie sich selbst, »ich kann ihr die -liebe Jugend unmöglich dadurch verbittern.« Und so blieb alles so -ziemlich beim Alten.</p> - -<p>Da brachte der Winter ein schweres Leid über die Bewohner des -Pfarrhauses. Pastor Wieburg wurde von einem Schlagfluß zur -Hälfte gelähmt und war unfähig, sich zu bewegen, ja fast zu sprechen -und zu denken. Nun aber zeigte die wilde Esther plötzlich, daß ein<span class="pagenum"><a name="Page_31" id="Page_31">[Pg 31]</a></span> -braver Kern in ihr verborgen lag, und sie auch still und geduldig -sein konnte. Vereint mit Frau Booland pflegte und versorgte sie -unermüdlich den hülflosen Vater und übernahm Geschäfte, welche -ihr bis dahin unerträglich oder langweilig gewesen waren. Stundenlang -konnte sie still an dem Bette des Kranken sitzen, oder alles um -ihn her ordnen und zurechtmachen, ohne ungeduldig zu werden, und -oft stand sie selbst am Heerdfeuer, um ein Gericht zu überwachen, -das sie ihm nach Frau Boolands Anweisung bereitete. Die wilden -Sprünge und das ungestüme Davonstürmen vertauschte sie mit leisem -Tritt und vorsichtigen Bewegungen, und wer die besonnene, sanfte -Esther hier am Bette des Vaters sah, der hätte das wilde Kind aus -Wald und Wiese nicht wieder erkannt. Frau Booland stand oft mit -gefaltenen Händen still neben dem Lager und beobachtete ihren jungen -Liebling, und eine Thräne stahl sich dann in ihr gutes Auge. -»Gott segne und schütze das arme Herzchen!« sagte sie leise und -seufzte tief auf, denn unwillkürlich schweiften ihre sorgenden Gedanken -in die Zukunft.</p> - -<p>Und nur zu bald sollten diese Sorgen Begründung finden. -Statt der Genesung nahte ein sanfter Tod dem Erkrankten, und Esther -weinte schon nach wenig Wochen am Sarge ihres geliebten Vaters. -Das früh verwaiste Mädchen schmiegte sich in ihrem Kummer -jetzt mit doppelter Innigkeit an das treue Herz, das ihre Kindheit -behütet und bewahrt hatte.</p> - -<p>»O Tante Booland,« rief sie weinend, als sie an der Seite dieser -braven Frau vom Friedhofe zurückkehrte und das einsame Pfarrhaus -wieder betrat, aus dem man ihren Vater zur ewigen Ruhe hinweggetragen, -»nicht wahr, du verläßt mich nicht auch, sondern -bleibst bei deiner armen kleinen Esther?«</p> - -<p>»Nein, mein liebes Herzenskind, ich verlasse dich nicht, wenn's -der liebe Gott nicht anders bestimmt,« sagte Frau Booland sanft und<span class="pagenum"><a name="Page_32" id="Page_32">[Pg 32]</a></span> -streichelte die Wange des Mädchens. Dabei aber flogen ihre Blicke -unruhig und sorgenvoll hinüber nach dem Gutshofe, und eine erwartungsvolle -Spannung trieb sie rastlos umher, so daß sie zum ersten -Male im Leben selbst bei ihrer Näharbeit keine Ruhe fand. Rasch -fuhr sie oft empor, als höre sie jemand kommen, und immer wieder -blickte sie nach dem Wege hinaus, der durch das Dorf führte.</p> - -<p>Endlich steigerte sich die Erwartung der braven Frau bis zum -Aeußersten; denn sie hörte draußen im Hofe Schritte und sah -gleich darauf Frau von Ihlefelds schlanke Gestalt in das Haus -eintreten.</p> - -<p>Herr und Frau von Ihlefeld hatten mit dem Pfarrhause stets -freundlichen Verkehr gepflogen, so lange Pastor Wieburg Pfarrer -ihres Dorfes Rahmstadt gewesen, und die Freundschaft der Kinder -hatte die beiden Häuser in mannigfache Verbindung gebracht. Der -ernste, abgeschlossene Pfarrer besuchte den Gutshof zwar nur selten; -aber er war jederzeit dort ein geehrter und lieber Gast. Herr von -Ihlefeld besaß wirkliche Hochachtung für ihn und auch die Gutsherrin, -obwohl sie vor dem ernsten Manne eine kleine Scheu nicht überwinden -konnte, ehrte in demselben den würdigen Geistlichen und -langjährigen Freund. Beide Gatten aber waren vom tiefsten Danke -beseelt für die treue Liebe und Hingebung, mit welcher Pastor Wieburg -jahrelang ihren einzigen Sohn unterrichtete und ihm der sorgsamste -Lehrer und liebevollste Erzieher gewesen war.</p> - -<p>Aber trotz dieses freundschaftlichen Verkehrs und trotz der steten -Freundlichkeit, welche Esther im Gutshofe genoß, konnte man doch -bemerken, daß Herr und Frau von Ihlefeld jederzeit etwas Zurückhaltendes -im Umgang mit den Gliedern des Pfarrhauses behielten. -Sie waren und blieben stets die adlige Herrschaft von Rahmstedt, -und ihre Freundlichkeit glich nur zu häufig der Gunstbezeugung -eines Höheren gegen Niedriggestellte. Besonders die einfache Frau -<span class="pagenum"><a name="Page_33" id="Page_33">[Pg 33]</a></span>Booland hatte oft von dem Stolze der Gutsherrin zu leiden; aber -in ihrer Demuth klagte sie nie über derartige Kränkungen. Der -Pfarrer bemerkte dergleichen Schwächen bei seinen Freunden kaum, -oder lächelte nur im Stillen darüber, Esther aber war viel zu sehr -sorgloses Kind, um dergleichen zu empfinden.</p> - -<p>Bei der Erkrankung des Pfarrers aber hatten sich Herr und Frau -von Ihlefeld theilnehmend und wahrhaft freundschaftlich bewiesen, -und mehr als einmal hatte die Gutsherrin, wenn sie auf den leider -zu erwartenden Trauerfall Bezug nahm, mit inniger Theilnahme -zu Frau Booland gesagt: »Um Esthers Zukunft soll der Kranke -keine Sorge haben, dieses lieben Kindes werden wir uns annehmen, -das versteht sich von selbst.« Aber in welcher Weise dies geschehen -würde, darüber sprach sie sich nie weiter aus, und so war es natürlich, -daß Frau Booland der jetzigen Entscheidung mit lebhafter -Unruhe entgegensah. Drohte der braven Pflegerin ja doch die -Trennung von ihrem Lieblinge, der sie mit wirklich mütterlicher Liebe -anhing. Und doch wagte sie nicht zu klagen und solche Gedanken -laut werden zu lassen; denn was konnte es für Esther's Zukunft -denn Besseres geben, als im Hause von Bertels Eltern liebevolle -Aufnahme zu finden? Ihre Phantasie wob dann in reger Geschäftigkeit -weiter an den herrlichen Zukunftsträumen für ihren jungen Pflegling, -und wenn ihr auch die hellen Thränen dabei über das ehrliche Gesicht -tropften, dachte sie an die Trennung und an ihr eigenes einsames -Leben, so schalt sie sich doch immer wieder selbst über solchen -Egoismus, der noch an das eigene Glück neben dem der geliebten -Esther denken konnte.</p> - -<p>Und nun war der Augenblick gekommen, der ihr die Kunde -bringen mußte, daß Esther jetzt mit Frau von Ihlefeld gehen und -sie allein zurücklassen sollte! Die brave Frau Booland hatte all' -ihre Kraft zusammen zu nehmen, um Frau von Ihlefeld ruhig und -<span class="pagenum"><a name="Page_34" id="Page_34">[Pg 34]</a></span>mit der gewöhnlichen höflichen Ergebenheit entgegen zu gehen. Die -Gutsherrin war ein seltener Gast in dem Pfarrhause, nur während -der Krankheit Pastor Wieburgs hatte sie dasselbe häufiger besucht, -um Esther ihre Theilnahme zu beweisen; der Kranke selbst erkannte -sie kaum noch. Hubert begleitete heute seine Mutter; denn zur Beerdigung -seines theuren Lehrers war er auf einige Tage aus der -Pension nach Hause gekommen. Während die beiden Kinder nun in -Esthers Stübchen beisammen waren, und Bertel seine junge Freundin -zu trösten und zu zerstreuen suchte, saß im Wohnzimmer Frau -von Ihlefeld der erregten Frau Booland gegenüber und sagte nach -einer kleinen Pause, während welcher das Herz der ehemaligen Frau -Schulmeisterin fast hörbar klopfte: »Meine gute Frau Booland, ich -habe Ihnen schon mehrfach angedeutet, daß nach Herrn Pastor Wieburgs -Tode die Sorge für dessen Tochter mein und meines Mannes -Sache sein wird; das sind wir demjenigen schuldig, der unserem Sohne -ein so treuer, väterlicher Freund gewesen ist. Wir haben vielfach -nachgedacht, was für Esther wohl das Beste sein möchte. Wollten -wir sie zur Lehrerin ausbilden lassen, so müßte sie noch lange Zeit -in eine Pensionsanstalt gehen; denn sonderbarer Weise hat sie gerade -die Dinge, welche eine Erzieherin wissen muß, nicht gelernt trotz -aller Gelehrsamkeit. Moderne Sprachen kann sie nicht und mit -Musik und Zeichnen ist es auch nicht viel geworden. Aber bei der -Eigenthümlichkeit Esthers würde sie ein solcher Aufenthalt sehr unglücklich -machen, denke ich mir. Das Einfachste wäre, sie zu uns -in das Haus zu nehmen. Aber auch dagegen spricht vieles. Esther -ist ein armes Mädchen, eines schlichten Landpredigers Tochter, angewiesen -auf eine Zukunft voll bescheidener Aussichten und einfacher -Lebensstellung. In unserem Hause aber würde sie sehr verwöhnt -werden, würde Ansprüche lernen, welche für ein Mädchen bürgerlicher -Herkunft und ohne Vermögen nicht passend wären. Und doch -<span class="pagenum"><a name="Page_35" id="Page_35">[Pg 35]</a></span>würde es, glaube ich, kränkend für sie sein, wollte ich, um diese -Uebelstände zu vermeiden, ihr eine untergeordnete Stellung in -unserem Hause zuweisen.</p> - -<p>So haben wir denn beschlossen, ihr ein kleines Eigenthum -zu schenken, in dem sie mit dem mütterlichen Vermögen, welches ihr -geblieben ist, eine bescheidene selbständige Existenz finden kann. Sie, -meine brave Frau Booland, würden ein gutes Werk thun, wenn -Sie Esther zur Seite blieben, wie bisher. Das kleine Haus, das -neben der Försterei liegt, und ein Stückchen Garten und Feld soll -Esthers Eigenthum werden. Ich denke, das wird ihr lieb sein, -besonders wenn sie hört, daß es Bertels Idee war, ihr dies zu -schenken; er glaubt, der nahe Wald wird für Esther einen besonderen -Reiz haben. Er ist immer so sinnig und gut, unser braver Sohn, -und möchte jedem eine Freude machen, und wir kommen seinen -Wünschen immer gern nach, wenn es möglich ist. Ich denke, Esther -wird sich gegen uns und gegen Hubert auch stets dankbar beweisen, -denn sie ist ja ein liebes, bescheidnes Mädchen und wird es hoffentlich -auch stets bleiben. Nun aber rufen Sie mir Esther, liebe Booland, -damit ich mit ihr über diese Sachen sprechen kann.</p> - -<p>Frau Booland war froh, daß sie einen Grund hatte, hinaus -zu gehen; denn in ihr jagten und überstürzten sich tausend Gedanken -und Gefühle, und doch wagte die bescheidene Frau nicht, dieselben -gegen die stolze Gutsherrin auszusprechen. Mit einer leichten Verbeugung -erhob sie sich vom Stuhle und schritt dann rasch zum Zimmer -hinaus.</p> - -<p>»Gott sei Dank, daß ich fort konnte!« sagte sie tief aufathmend -und legte die große Hand wie beruhigend auf ihr weißes Brusttuch. -»Ist das eine Welt! Sind das Menschen! Hochmuth, Hochmuth -und nichts als Hochmuth! Ja, sorgen wollen sie für das arme, -herzige Kindchen; aber mit welcher Miene, welcher beleidigenden<span class="pagenum"><a name="Page_36" id="Page_36">[Pg 36]</a></span> -Art und Weise! Die Füße soll sie ihnen wo möglich dafür küssen, -und daß sie sich nur ja nicht etwa untersteht, sich jemals ihres Gleichen -zu dünken! Und da muß Bertel erst noch kommen und ihnen -den Weg zeigen, und eigentlich ist's nur, um ihm einen Wunsch zu -erfüllen, sonst hätten sie es sicher gar nicht gethan. Nun Gott sei -Dank, daß es so gekommen ist, da kann ich doch bei meinem Herzblättchen -bleiben! Mir konnte ja kein größeres Glück passiren. -Aber für Esther! Nein, nein, auch für Esther ist es besser so, als -um Gotteswillen in einer Familie zu leben, die ihr hochmüthig das -Bürgerblut vorwirft und sie wohl gar zum Hauspudel herabwürdigen -möchte. Was? Meine Esther, dies kluge, liebreizende Geschöpfchen, -meine Wonne und mein Augentrost, die Gespielin des -braven Bertel, soll die etwa Kammerjungfer der gnädigen Frau -werden, damit sie nur nicht vergißt, daß sie kein <em class="gesperrt">von</em> vor ihrem -Namen hat und also nicht werth ist, in Gemeinschaft mit solchen hochgebornen -Leuten die Füße unter den Tisch zu stecken? Nein, mein -Goldkind, das litte ich nun und nimmer, da wollte ich mir lieber -die Hände abarbeiten, um dich vor solcher Existenz zu bewahren. -Aber so sind sie nun, diese vornehmen Leute! Den Sohn herzuschicken -Tag für Tag, daß er von unserem Herrn Pastor die schönsten -gelehrtesten Dinge lernt, von denen sie sich alle zusammen kein Tütelchen -können träumen lassen, dazu sind sie nicht zu vornehm, das -nehmen sie von dem armen bürgerlichen Pfarrer recht gern an Jahr -für Jahr. Aber der Dank dafür, wenn er auch schließlich gegeben -wird, hat einen gar unangenehmen Beigeschmack. Nun Estherchen -soll's aber nicht merken, das liebe unschuldige Herz; sie soll nur die -Freude von dem Geschenk haben, mir zähen Alten kann der Beigeschmack -doch nichts mehr schaden.«</p> - -<p>Unter derartigen Worten und Gedanken hatte Frau Booland -das Zimmer erreicht, in dem Hubert und Esther beisammen saßen.<span class="pagenum"><a name="Page_37" id="Page_37">[Pg 37]</a></span> -Bertel hatte seiner kleinen Freundin bereits den Plan mitgetheilt, -den seine Mutter Frau Booland eröffnete; aber freilich in sehr anderer -Weise, als Frau von Ihlefeld es gethan. So fand denn Tante -Booland ihren jungen Liebling mit freudig strahlenden Augen und -glühenden Wangen an Bertels Seite sitzend, und voll Entzücken flog -sie ihrer braven Pflegemutter entgegen und verkündete ihr die erfreuliche -Neuigkeit. Frau Booland lachte mit ihr durch ihre Thränen -hindurch, dann aber führte sie beide Kinder zu Frau von Ihlefeld -hinab. Hier hatte sie die Genugthuung, zu bemerken, daß Hubert, -als seine Mutter anfing, auch gegen Esther von der bescheidenen -Lebensstellung und Herkunft zu sprechen, an welche sie allein Ansprüche -machen könne, plötzlich feuerroth wurde und heftig sagte: -»Mama, laß doch, das ist ja alles ganz egal. Ich bin Esthers Bruder, -und also ist Esther ebensoviel als ich. Sie hat mir versprochen, -sie will als meine Schwester alles von mir annehmen, wenn sie etwas -braucht, und als erstes Geschenk gebe ich ihr das hübsche kleine Haus, -niemand anders, nicht wahr? So hast du's mir wenigstens versprochen, -Mama. Esther hat sich auch schon bei mir bedankt; aber -eigentlich braucht sie das gar nicht, da sie meine Schwester ist.«</p> - -<p>Frau von Ihlefeld war sehr roth geworden bei dem kindischen -Gespräch ihres Sohnes; doch lächelte sie und sagte ausweichend: -»Schon gut, lieber Bertel! Esther wird sich hoffentlich recht wohl in -der neuen Heimath fühlen und ihr Vaterhaus nicht zu schmerzlich -entbehren. Wir aber, mein liebes Kind, wollen dir auch ferner treu -zur Seite stehen, das verspreche ich dir.«</p> - -<p>Dabei küßte sie das junge Mädchen liebevoll, und Esther weinte -bald, bald lachte sie wieder, innig aber dankte sie für alle Liebe und -Güte, die ihr zu Theil wurde. Und wie viel Grund hatte sie zu -Glück und Freude! Der Gedanke, ihr liebes Dorf nicht verlassen -zu müssen, in der Nähe von Bertel und dessen Eltern zu bleiben,<span class="pagenum"><a name="Page_38" id="Page_38">[Pg 38]</a></span> -und bei der Pflegerin ihrer Kindheit, der treuen Tante Booland, -ferner leben zu können — es war eine schöne, beglückende Aussicht -mitten in ihrer Trübsal, und sie gab sich diesem Glücke mit vollem -Herzen hin.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>So sehen wir denn mit dem beginnenden Frühjahr unsere kleine -Esther als Bewohnerin eines hübschen, freundlichen Häuschens, das -rings von einem netten Gärtchen umgeben ist. Unmittelbar hinter -dem Hause erhebt sich der dichte Laubwald, und in einiger Entfernung -davon liegen die Häuser des Dorfes und der Gutshof. In -nächster Nachbarschaft steht das Haus des Försters, und Esther sowohl -als ihre treue Tante Booland sind hier wie im ganzen Dorfe -liebe, gern gesehene Gäste. Ein harmlos glückliches, friedliches Dasein -erblühte für Esther in dieser traulichen Häuslichkeit, sie selbst -aber wuchs heran zu einem frischen, schönen, fröhlichen Mädchen, -das alle Menschen lieb hatten.</p> - -<p>Mehr als ein Jahr war so vergangen, da durchlief eine schreckliche -Kunde das Dorf Rahmstedt. Oft schon hatte man sonderbare Gestalten -auf dem Gutshofe ein- und ausgehen sehen, schäbig gekleidete, -jüdische Männer. Man sprach vom Verkauf des Gutes und von großen -Verlusten, welche Herr von Ihlefeld gehabt habe, eines Morgens -aber fand man den unglücklichen Gutsherrn erschossen in seinem Zimmer. -Ein Brief an seine Gattin sagte dieser, daß sie am Bettelstabe -wären in Folge unglücklicher Speculationen, in welche er sich eingelassen -habe, und daß er nicht im Stande sei, diesen Schlag zu überleben. -Auch sie und seinen armen Sohn habe er durch seinen Leichtsinn -unglücklich gemacht, das könne er nicht mit ansehen. Dem Todten -würden sie eher verzeihen als dem Lebenden, darum scheide er lieber -von ihnen.</p> - -<p>Es war ein furchtbarer Schlag für die unglückliche Frau. Sie, -die so stolz und erhaben über all' denen gestanden hatte, welche sie<span class="pagenum"><a name="Page_39" id="Page_39">[Pg 39]</a></span> -umgaben, sie mußte es nun ertragen, daß man sie von ihrer Höhe -stürzte und sie hinausstieß in die Welt, arm und hülflos wie das -ärmste Weib ihres Dorfes. Das ganze prachtvolle Gut ging in -andere Hände über, und die arme Frau rettete von der ganzen Habe -kaum so viel, sich vor der bittersten Noth zu schützen. Wie verzweifelt -irrte sie durch die wüsten Zimmer des schönen Hauses, nicht -wissend, wohin sie sich wenden sollte in ihrem grenzenlosen Elend; -denn erbarmungslos achteten die hartherzigen Gläubiger wenig ihres -Kummers. Suchte doch jeder so schnell wie möglich sich für seine -Verluste an dem hinterlassenen Besitzthum schadlos zu halten, und -obwohl der Todte noch nicht bestattet, wühlten doch schon fremde -Hände in seinen Papieren und versiegelten die ganze Hinterlassenschaft. -Da flogen hastige Schritte die Stufen der Freitreppe hinauf, -und an das Herz der trostlosen Wittwe schmiegte sich weinend und -zärtlich ein schlankes Mädchen. Es war Esther. Noch zitterte das -Entsetzen über die fürchterliche Nachricht in allen ihren Gliedern; -aber der unglücklichen Frau gedenkend kämpfte sie alle andern Gefühle -nieder und gab nur dem einen Raum: der Mutter Bertels -Hülfe und Trost zu bringen so viel in ihren Kräften stand. Und sie -konnte es ja, dem Himmel sei Dank, konnte es durch die einstige -Güte derer, denen sie nun helfen wollte. Jetzt war sie ja die Reiche -ihren ehemaligen Wohlthätern gegenüber und konnte ihnen den Zins -abtragen für so viele Güte und Liebe. O wie glücklich machte sie -der Gedanke, und mit welchem Entzücken erfüllte sie diese Aussicht!</p> - -<p>Frau von Ihlefeld umschlang Esther mit einem Schrei der Verzweiflung, -und dann brach sie in einen Strom von Thränen aus. -Bis dahin hatte das Entsetzen über das furchtbare Schicksal, das sie -betroffen, wie eine Felsenlast auf ihr gelegen und sie aller Thränen -und aller klaren Gedanken beraubt. Beim Anblick des Kindes aber, -das weinend an ihr Herz sank, wich der Bann, der auf ihr lastete,<span class="pagenum"><a name="Page_40" id="Page_40">[Pg 40]</a></span> -und sie fand erlösende Thränen. Als die arme Frau endlich ruhiger -wurde, da schlang Esther ihre Arme um sie und zog sie mit sich -hinaus aus den wüsten, unheimlichen Räumen, in denen so Schreckliches -über sie gekommen war, und führte sie schweigend nach ihrem -eigenen kleinen Hause am Walde.</p> - -<p>»Hier ist jetzt Ihre Heimath, liebe Tante Ihlefeld,« sagte Esther -freudig. »Bertel hat mich seine Schwester genannt, so habe ich also -ein Recht, unsere theure Mutter in meinem Hause zu haben und zu -pflegen, denn es ist ja auch das Ihre. Nicht wahr, Tante Ihlefeld, -Sie bleiben bei uns?«</p> - -<p>Frau von Ihlefeld verbarg ihr Gesicht in den Händen und -weinte bitterlich. »O Kind, Kind,« schluchzte sie, »Gott segne dich, du -bist ein braves Mädchen! O, was wird Bertel sagen!« Und wieder -brach das unglückliche Weib unter der Last ihres Jammers zusammen. -Aber in der jetzigen Umgebung fand sie doch eher Ruhe und -Fassung, und Esther, wie auch die gute, einfache Frau Booland verstanden -es, ihr das schwere Schicksal zu erleichtern.</p> - -<p>Und nun kam Hubert. Man hatte ihm erst nach und nach das -schreckliche Schicksal mitgetheilt, das über ihn und seine Mutter -hereingebrochen war, und der arme Knabe war wie vernichtet von -der Nachricht. Einer seiner Lehrer begleitete ihn nach Rahmstedt, -da er den Fassungslosen nicht allein lassen wollte, und es war ihm -gelungen, den armen Bertel wenigstens so weit zu beruhigen, daß -er der Mutter gegenüber seinen Kummer zu beherrschen versprach, -um dieselbe nicht noch unglücklicher zu machen. Esther hatte mit -großer Umsicht dafür gesorgt, daß Hubert bei seiner Ankunft den -Gutshof gar nicht betrat. In ihrem Häuschen fand das erschütternde -Wiedersehen statt zwischen Mutter und Sohn, und hier bereitete Esther -auch für Bertel die Wohnung. So klein das Haus war, die unteren -Räume genügten für sie und für Tante Booland, die oberen aber -gehörten Frau von Ihlefeld und Bertel.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_41" id="Page_41">[Pg 41]</a></span></p> - -<p>Ein ganz neues Leben begann nun für unsere Esther. Sie hatte -die Sorge für zwei geliebte Wesen übernommen, das forderte all' ihre -Kräfte heraus sowohl des Geistes als des Körpers. Die Mittel -zum täglichen Unterhalt waren sehr beschränkt; denn Frau von Ihlefeld -rettete aus den Trümmern ihres Besitzthums nur einen ganz -unbedeutenden Rest. Und doch galt es, die arme verwöhnte Frau -nicht allzuschmerzlich fühlen zu lassen, was sie alles zu entbehren -hatte, vor allem aber galt es, Bertels Pension weiter zu bezahlen, -damit er seine Studien nicht unterbrechen mußte. Und doch besaß -Esther nur das kleine mütterliche Vermögen, welches gerade für ihre -eigenen bescheidnen Bedürfnisse ausreichte. Aber sie blickte mit frohem -Muthe all' diesen Schwierigkeiten in das Antlitz. Sie hatte versprochen, -für Bertel und dessen Mutter zu sorgen, und nun mußte -sie auch die Mittel dazu finden.</p> - -<p>»Ich bin gesund und kann arbeiten, Tante,« sagte sie entschlossen -zu Frau Booland, als diese bedenklich hin und her überlegte, wie -man sich einzurichten habe. »Bis jetzt habe ich dir und andern überlassen, -für mich zu arbeiten, nun will ich selbst mit angreifen, dadurch -ersparen wir gewiß manche Ausgabe. Für fremde Hülfe dürfen wir -jetzt nichts mehr bezahlen, denn du sollst sehen, deine faule, kleine -Esther wird die Hände besser rühren als bisher.«</p> - -<p>Wirklich fing das junge Mädchen jetzt mit energischem Entschlusse -an, sich des Hauswesens und aller sonstigen Geschäfte anzunehmen. -Nur die groben Arbeiten in Haus, Hof und Garten überließ sie -einer jungen Magd, bei allen andern Geschäften in Küche und Haus -aber und allen Arbeiten der Nadel stand sie der fleißigen Frau Booland -jetzt unermüdlich zur Seite. Die frühe Morgenstunde fand -Esther schon in voller Thätigkeit; denn früh müßte sie anfangen, -wollte sie mit allem fertig werden, was sie übernommen hatte. Mit -wahrhaftem Heroismus griff sie in den vor ihr stehenden hochauf<span class="pagenum"><a name="Page_42" id="Page_42">[Pg 42]</a></span>gepackten -Korb, in dem die Wäsche Bertels und seiner Mutter ihrer -ausbessernden Hand wartete, und wenn die ungewohnte Arbeit sie -auch manchen Seufzer und manchen Schweistropfen kostete, das -brave Kind verlor die Ausdauer nicht. Sie hatte die Pflichten einmal -übernommen, so wollte sie auch nicht als Feigling der Fahne -wieder entfliehen, der sie Treue gelobt. Die sorglose Esther früherer -Tage, welche leichtsinnig alle Mühe des Ordnens und Aufräumens -ihrer nachsichtigen Pflegemutter überließ, sie trippelte schon von früh -ab geschäftig im Hause herum, für Tante Ihlefeld alles fertig zu -machen, was diese bedurfte. Mit dem Morgenkaffee erschien Esthers -lachendes Gesichtchen in dem stillen Zimmer ihres Gastes und verscheuchte -die traurigen Gedanken, welche auf der gebeugten Frau -lasteten. Geschäftig räumte sie die beiden Zimmer auf, welche Frau -von Ihlefeld bewohnte; denn es war ihr Stolz, dies selbst zu machen; -niemand durfte ihr das abnehmen. Dann half sie derselben bei -ihrem Anzuge, kämmte ihr das schöne blonde Haar, das Bertel von -der Mutter geerbt, und verrichtete freiwillig und eifrig alle Dienste -einer Kammerjungfer bei der verwöhnten Frau, welche nie im Leben -selbst dergleichen Dinge gethan hatte. Was Frau Booland einst -mit Zorn und Unwillen erfüllte, der Gedanke, daß ihr Goldkind -Esther eine dienende Stellung bei Frau von Ihlefeld einnehmen -könnte, das war jetzt etwas so Selbstverständliches geworden, daß -auch Tante Booland es nur loben konnte. Aber freilich, unter wie -andern Verhältnissen geschah es jetzt!</p> - -<p>»Es ist wirklich ein Prachtmädel, die Esther!« dachte Frau -Booland eines Tages und blickte voll Stolz in das frische, bräunliche -Gesicht ihres Lieblings, das von Eifer und Freudigkeit glühte, -während es sich über einen feinen Kuchenteig bückte, zu dessen Bereitung -ihre Pflegemutter sie angeleitet hatte.</p> - -<p>»Wenn sie etwas ordentlich will, dann kann sie es auch. Für sich<span class="pagenum"><a name="Page_43" id="Page_43">[Pg 43]</a></span> -selbst hätte sie nie einen Finger gerührt und lieber nie einen Bissen -Kuchen gegessen, wenn sie ihn hätte selbst backen sollen. Aber wen -sie lieb hat, für den thut sie alles und ginge durch's Feuer.«</p> - -<p>»Tante Ihlefeld wird einmal staunen, wenn ich ihr morgen -früh mit dem Kaffee diesen Lieblingskuchen bringe!« rief Esther fröhlich. -»Dem Bertel möchte ich auch davon schicken, er ißt ihn auch -so gern, und eine kleine Freude würde ihm jetzt so gut thun, dem -armen Jungen. Meinst du nicht auch, Tante?«</p> - -<p>»Gewiß, mein Goldkind, thue es nur!« entgegnete Frau Booland. -»Aber streiche die Butter nicht gar zu dick darauf, mein Schatz, -es ist unnütz und Butter ist theuer.«</p> - -<p>Esther blickte betroffen auf. »Da ist wohl eigentlich mein ganzer -Gedanke unklug gewesen, Tante,« sagte sie nachdenklich. »Kuchenbacken -kostet Geld, daran dachte ich nicht, wir müssen ja sparsam -sein.«</p> - -<p>»Laß nur, Kind,« beruhigte Frau Booland, »du wolltest der -gnädigen Frau eine Freude machen und sie mit etwas aufheitern, -da sind die paar Groschen keine Verschwendung. Wir wollen sie -schon anderweitig wieder ersparen.«</p> - -<p>»Tante, was meinst du!« rief Esther, »ich werde mir den Kaffee -abgewöhnen, er erhitzt mich doch nur und das ist gleich eine Ersparniß. -Was ich bisher an Kaffee und Zucker verbrauchte, bringe ich -jetzt Tante Ihlefeld, da kostet es nicht mehr als bisher. Und meine -Weißbrodchen können wir auch sparen. Ich trinke ein Glas Milch, -wenn's hoch kommt, und dazu schmeckt Schwarzbrod vortrefflich. Besinne -dich einmal, was könnte man denn noch weiter sparen. Du hast -mich so verwöhnt, liebste Tante, daß ich gar nicht weiß, was entbehren -heißt. Und doch wäre es mir eine so große Wonne, für Tante Ihlefeld -und Bertel mir <em class="gesperrt">recht</em> große Entbehrungen aufzuerlegen.«</p> - -<p>In dieser Opferfreudigkeit fand sie denn noch tausend kleine -<span class="pagenum"><a name="Page_44" id="Page_44">[Pg 44]</a></span>Dinge, welche sie als unnütz aufgab; bald die Butter auf dem -Vesperbrode, bald Obst oder Honnig oder Fleischwerk. Dann -opferte sie auch allerlei überflüssige Kleinigkeiten an ihrer Kleidung, -um Ersparungen zu machen: das farbige Band ihres schwarzen -Haares und die bunte Schleife am Kragen wurden für festliche Gelegenheiten -in den Kasten gelegt, und die seidene Schürze ersetzte -jetzt eine von Kattun oder Wolle. Wo sie in ihrer Lebendigkeit sich -bisher wenig darum gesorgt hatte, wenn ein Riß ihr Kleid verdarb, -oder Schmutzflecke es unbrauchbar machten, da wachte sie jetzt mit -ängstlicher Sorgfalt darüber, ihren Anzug zu schonen, damit er um -so länger hielt und die Ausgaben für neue Sachen erspart blieben. -Was sie aber Schönes oder Zierliches besaß und geschenkt bekam, -das trug sie hinauf zu ihrer lieben Tante Ihlefeld, um dieser ein -Lächeln oder einen freundlichen Blick zu entlocken. Jeden Morgen -stellte sie frische Blumen auf den Tisch des Wohnzimmers, brachte -die blühenden Pflanzen, welche ihr Fenster schmückten, hinauf in das -Stübchen der Wittwe, und immer fand sie irgend eine kleine Gabe, -welche sie mit dem Frühstück auf den Tisch stellte. Den weichen -Lehnstuhl ihrer verstorbenen Mutter setzte sie in Frau von Ihlefelds -Fenster, und ihren eigenen zierlichen Nähtisch davor. Gestickte Kissen -und Fußbänke, ihren kleinen Teppich und ihre feinsten Gardinen, -alles brachte sie herbei, die Wohnung freundlich auszuschmücken, -und selbst ihr zahmer Kanarienvogel erhielt dort am Fenster sein -Plätzchen und zwitscherte der traurigen Frau seine fröhlichen Lieder -zu, als wollte er auch helfen ihre trüben Gedanken zu verscheuchen.</p> - -<p>Frau von Ihlefeld dankte Esther für diese liebende Sorge mit -wehmüthigem Lächeln und thränendem Auge. In der ersten Zeit, -welche ihrem Unglück folgte, war sie wie betäubt von dem entsetzlichen -Schlage und unfähig, für sich selbst zu denken und zu sorgen. -So wurde Esthers Liebe für sie ein doppelter Segen. Nach und<span class="pagenum"><a name="Page_45" id="Page_45">[Pg 45]</a></span> -nach aber begann sie, selbst zu sorgen und zu überlegen, in welcher -Weise sich ihre und ihres Sohnes Zukunft gestalten sollte. Ihr Gatte -hatte ihr stets alles fern gehalten, was die Sorge für das tägliche -Leben betraf, und hatte der zarten Frau nie Einblick in seine Geschäfte -und Unternehmungen gestattet, um sie nicht zu beunruhigen. -So stand sie denn doppelt hülflos ihrem Schicksale gegenüber. Nahe -Verwandte besaß sie selbst nicht, und denen ihres Gatten hatte sie -stets ziemlich fern gestanden. Jetzt jedoch wandte sie sich an dieselben, -Hülfe und Rath von ihnen erbittend. Nun aber erfuhr sie erst, -daß auch diese Verwandten durch den Ruin ihres Gatten bedeutende -Verluste erlitten hatten und in Folge davon wenig geneigt waren, -noch weitere Opfer zu bringen. Frau von Ihlefelds Stolz sträubte -sich unter diesen Verhältnissen auch dagegen, von denen Hülfe anzunehmen, -welche ihrem Gatten zürnen mußten, und so legte sie -allein Gott ihre und ihres Sohnes Zukunft an das Herz. Von Esther -Opfer anzunehmen, kränkte sie nicht; denn sie fühlte nur zu sehr, -daß es einzig Liebe und Dankbarkeit war, welche diese zu allem antrieb, -und so war und blieb das junge Mädchen nach wie vor die -einzige Versorgerin der einst so stolzen Frau.</p> - -<p>Das Verhältniß zwischen Esther und Frau von Ihlefeld gestaltete -sich mehr und mehr so herzlich und innig, als es unter den früheren -Umständen nie der Fall gewesen wäre, und auch die brave Frau -Booland hatte jetzt keinen Grund mehr, sich über den Stolz der -gnädigen Frau zu beklagen.</p> - -<p>Um Esther doch auch etwas Freundliches zu erzeigen, unterwies -Frau von Ihlefeld dieselbe jetzt im Französischen, was Esther bei -ihrem Vater nicht gelernt hatte. »Man kann nicht wissen, wozu du -es im Leben noch brauchst, mein Kind,« sagte sie, und Esther lernte -mit Freuden, schon um ihrer Lehrerin willen.</p> - -<p>So ging die Zeit hin und auch diese Wunden schlossen sich nach<span class="pagenum"><a name="Page_46" id="Page_46">[Pg 46]</a></span> -und nach. Bertel war seit dem Unglücksfalle stiller und ernster -geworden und hatte sich mit doppeltem Eifer dem Studium gewidmet. -»Ich habe jetzt keine anderen Hülfsquellen mehr im Leben,« sagte er -zu Esther, als diese eines Tages seine bleichen Wangen sorgenvoll -ansah und ihm wegen des zu großen Fleißes Vorwürfe machte. -»Aber Gott weiß,« fügte er düster hinzu, »ob ich überhaupt einmal -studiren kann, ich habe ja kein Geld dazu!« Da fuhr Esther angstvoll -empor und blickte Bertel in das Gesicht. »Es <em class="gesperrt">muß</em> dazu da -sein, Bertel,« entgegnete sie fest. Bertel sah gedankenvoll vor sich -nieder. »Esther,« sagte er tonlos, »meine Mutter und ich nehmen -jetzt schon zu viel von dir an, ich weiß, du entbehrst selbst dabei. -Aber zum Studiren reicht es doch nicht.«</p> - -<p>»Es <em class="gesperrt">muß</em> aber geschafft werden, Bertel, denn studiren mußt -du,« rief Esther abermals entschieden. »Und was meine sonstigen -Ausgaben betrifft, darüber mache dir nur keine Gedanken. Bin ich -nicht deine Schwester, Bertel? Und würdest du nicht dasselbe für -mich thun?«</p> - -<p>Bertel nickte stumm mit dem Kopfe. »Du hast recht,« sagte er -nach einer Pause, »von niemand anderm würde ich solche Opfer annehmen, -von dir thue ich es mit Freuden.«</p> - -<p>Esther blickte ihren jungen Freund mit glücklichem Stolze in das -feine Gesicht. »Leider bin ich ja kein Junge wie du,« sagte sie nachdenklich, -»und kann nicht mit dir studiren; da mußt du es nun für -uns Beide thun. Damit ich mein Schärflein aber auch beitrage, -arbeite ich nun für dich, dann habe ich doch auch meinen Antheil an -deinem Ruhme. Und habe nur keine Angst, ich werde schon die -Mittel finden, wenn die Zeit da ist, wo du studiren sollst.«</p> - -<p>Bertel war von jeher so daran gewöhnt, Esther in allen praktischen -Dingen für sich eingreifen zu lassen, daß er auch jetzt sich -vertrauensvoll aller weiteren Sorgen entschlug. Schon als kleines<span class="pagenum"><a name="Page_47" id="Page_47">[Pg 47]</a></span> -Mädchen hatte sie dem Knaben alles abgenommen, was ihm unbequem -oder lästig war; denn dem kleinen Gelehrten hatten alle praktischen -Dinge von jeher schon Schwierigkeiten bereitet, und die rührige -Esther griff überall zu. War für die Stunden ein Buch zu heften, -oder Tafelstifte zu spitzen, Tinte einzugießen oder Linien zu ziehen, -immer war Esther die geschäftige Martha. Und wenn sie dann beim -Spiel in Wasser oder Koth gerathen waren, oder beim Klettern und -Haselnüssesuchen sich das Haar zerzausten, so wußte Esther immer -rasch dem Uebel abzuhelfen. Denn wenn sie selbst auch an Tante -Booland eine gar nachsichtige Erzieherin hatte, so fand doch Bertel -mit beschmutzten Kleidern oder wüstem Aussehen weniger gute Aufnahme -bei seiner Mutter. »Esther wird schon helfen,« das war -Bertels Trostspruch in allen Verlegenheiten seiner Kindertage, und -»Esther wird schon helfen,« so hieß es auch jetzt, das verstand sich ganz -von selbst, darüber brauchte Bertel sich keine Sorgen zu machen.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Esther stand nach diesem letzten Gespräch lange am Fenster und -war in tiefe Gedanken verloren. Als Kind hatte sie nie viel Worte -darum gemacht, wenn sie Bertel die kleinen Sorgen abnahm, sondern -eben einfach zugegriffen. Auch jetzt galt es, nicht erst lange mit ihm -zu überlegen, wie sie ihm helfen sollte. Genug, daß sie es versprochen -hatte. Es war Dämmerstunde und die Abendglocke läutete -im Dorfe. Esther trat mit Hut und Tuch unter die Hausthüre und -sagte zu Frau Booland, welche erstaunt fragte, wohin sie denn gehe: -»Ich will der Frau Pastorin eine Probe des neuen Gestrickes bringen, -Tante, ich komme bald wieder.« Und rasch eilte sie die Dorfstraße -hinab dem Pfarrhause zu.</p> - -<p>Der neue Prediger von Rahmstedt war ein freundlicher, leutseliger -Mann, der sich Esthers sowohl, als der unglücklichen Frau -von Ihlefeld sehr thätig angenommen hatte. Auch seine Frau war<span class="pagenum"><a name="Page_48" id="Page_48">[Pg 48]</a></span> -herzlich und liebevoll zu Esther, und mit Frau Booland hatte sie sogar -innige Freundschaft geschlossen. Gern weilte das junge Mädchen -denn auch jetzt noch in dem ihr so theuren Pfarrhause. Auch die -Kinder Pastor Krauses, zwei Knaben und ein Mädchen, hingen mit -großer Liebe an Esther und empfingen dieselbe immer mit lautem -Jubel; denn das junge, heitere Mädchen verschmähte es nicht, sich -ihnen in Garten und Wald zu lustigen Spielen anzuschließen.</p> - -<p>Als Esther heute Abend das Pfarrhaus betrat, sagte sie der Frau -Pastorin und den Kindern nur flüchtig guten Abend und eilte auf das -Studirzimmer des Pfarrers. Die kleine Studirlampe brannte schon -auf dem Schreibtische, der Geistliche aber ging in Gedanken verloren -in seinem Zimmer auf und ab.</p> - -<p>»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie störe, Herr Pastor,« sagte -Esther eintretend, »aber ich möchte Ihnen heute eine große Bitte -vortragen, die ich nicht aufschieben darf.«</p> - -<p>»Bitte, meine liebe Esther, sprechen Sie, Sie stören mich nicht,« -entgegnete der Pfarrer freundlich, indem er des jungen Mädchens -Hand ergriff und sie nach dem Sopha führte, wo er sich erwartungsvoll -neben sie setzte.</p> - -<p>»Lieber Herr Pastor,« sagte nun Esther etwas zaghaft, »Sie -sagten mir, daß Sie bald einige Knaben erwarten, die Sie mit -Ihren Söhnen erziehen und unterrichten lassen wollen. Haben -Sie für diese schon einen Lehrer engagirt?«</p> - -<p>»Nein Esther, noch nicht bestimmt, ich bin noch in Unterhandlung -mit einem jungen Manne. Aber warum? Wollten Sie mir vielleicht -einen vorschlagen?« entgegnete der Pfarrer.</p> - -<p>»Ja, Herr Pastor, das wollte ich allerdings und zwar mich selbst!« -sagte Esther erröthend.</p> - -<p>»Wie, Sie selbst, liebe Esther? Wie soll ich das verstehen?« -erwiederte Jener lächelnd.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_49" id="Page_49">[Pg 49]</a></span></p> - -<p>»Sie wissen vielleicht, daß mein Vater mich im Lateinischen -und Griechischen, sowie in den Wissenschaften sehr sorgfältig unterrichtet -hat,« sagte Esther nun muthig aufschauend. »Ich bin genöthigt, -mir jetzt Geld zu verdienen, und durch Unterricht vermöchte ich das doch -wohl am besten. Aber bei Mädchen könnte ich nicht Erzieherin oder -Lehrerin werden; alte Sprachen lernen diese nicht, neue Sprachen -aber sind mir fremd, und diese werden von einer Erzieherin gefordert. -Knaben jedoch kann ich das lehren, was ich gelernt habe. -Deshalb kam mir der Gedanke, mich Ihnen als Lehrerin anzubieten, -vielleicht versuchen Sie es mit mir. Geht es nicht, so ist ein Wechsel -ja bald gemacht. Sie würden mich unendlich glücklich machen, wollten -Sie den Versuch wagen, Herr Pastor.«</p> - -<p>Pastor Krause blickte ganz erstaunt in Esthers brennend rothes -Gesichtchen, das sich ihm erwartungsvoll zuwandte. »Mein liebes -Kind,« sagte er sanft, »es ist eine Riesenaufgabe, für welche Sie, -ein Mädchen, sich melden. Abgesehen davon, daß ich bezweifle, Ihre -Kenntnisse würden ausreichen, so ist so ein Rudel wilder Jungen -kein Spaß; ein zartes Mädchen ist dem nicht gewachsen.«</p> - -<p>»Ich bin kein zartes Mädchen, Herr Pastor,« sagte Esther lachend, -»mein Vater hat mich nicht nur im Unterricht wie einen Jungen -erzogen. Ich bin eigentlich immer ein wilder Bursche gewesen und -würde mit den Jungens sicher auskommen.«</p> - -<p>Der Prediger sah von Neuem überrascht in Esthers flammendes -Auge, und zum ersten Male fiel ihm der feste, energische Zug auf, -der auf ihren Lippen ruhte. Er schüttelte nun lächelnd den Kopf und -sagte: »Ja, liebe Esther, ein solcher Lehrer muß sich aber erst einer -Prüfung unterziehen.«</p> - -<p>»Natürlich, ich bitte dringend darum,« entgegnete Esther rasch.</p> - -<p>»Gut, so mag es gleich geschehen, liebes Kind,« rief Pastor Krause -und holte Bücher und Schreibzeug herbei, denn die Sache fing an,<span class="pagenum"><a name="Page_50" id="Page_50">[Pg 50]</a></span> -ihn aufs Aeußerste zu interessiren. Er ließ nun Esther lesen und -übersetzen, richtete eine lange Reihe Kreuz- und Querfragen an sie, -ließ sich kleine Vorträge über allerlei wissenschaftliche Gegenstände -halten, und schließlich gab er ihr einige schriftliche Aufgaben, welche -sie zu Hause ausarbeiten sollte. Sein Gesicht nahm während dieser -Prüfung mehr und mehr den Ausdruck freudigen Staunens an, und -als er endlich Esther entließ, reichte er ihr die Hand und sagte ernst: -»Sie haben mich wahrhaft überrascht, Esther. Ich weiß nicht, was -ich mehr anstaunen soll: Ihre trefflichen Kenntnisse oder Ihren verehrten -Lehrer. Jedenfalls kann ich wegen Ihres <em class="gesperrt">Wissens</em> die -Knaben Ihnen überantworten; aber wir wollen uns Beide die Sache -doch noch weiter überlegen. Wenn Sie mir die Arbeiten bringen, -sprechen wir weiter davon.«</p> - -<p>Aber als Esther einige Tage darauf das Studirzimmer mit ihren -Ausarbeitungen wieder betrat, kam ihr Pastor Krause äußerst herzlich -entgegen und sagte: »Esther, ich glaube, ich engagire Sie auf der -Stelle. Ich habe noch viel über Sie nachgedacht und ich meine, Sie -sind der Sache gewachsen. Alles, was ich über Sie gehört, zeigt -mir, daß Sie ein Mädchen sind, stark an Seele und Geist, und ein -solcher Lehrer ist einer Schaar Knaben wohl gewachsen. Sie werden -schon mit den Bürschchen fertig werden, und im Uebrigen stehe ich -Ihnen ja zur Seite.«</p> - -<p>So trat Esther denn wenig Wochen darauf ihr neues Amt im -Pfarrhause an. Drei fremde Knaben waren mit den beiden Söhnen -des Pastors ihre Schüler, und der Unterricht ging vortrefflich. Pastor -Krause hatte einige Stunden übernommen, die übrigen aber gab -Esther. Die Knaben machten zwar Anfangs große Augen zu ihrer -jugendlichen Lehrmeisterin, bald aber bekamen sie den höchsten Respect -vor ihr; denn nicht nur, daß sie im Unterricht eifrig und tüchtig -war, sie verstand auch, die oft unbändigen, übermüthigen Burschen<span class="pagenum"><a name="Page_51" id="Page_51">[Pg 51]</a></span> -vortrefflich im Zaume zu halten. Gerade daß sie selbst der tollen -und wilden Streiche eine solche Menge gemacht hatte, schärfte ihren -Blick für die Streiche ihrer Zöglinge, die oft ganz verblüfft waren, -wie schnell Esther ihre Pläne und Absichten durchschaute. Für sie -selbst aber erschloß sich eine reiche Quelle der Freude durch diese -Thätigkeit, und lehrend lernte sie selbst alles das wieder, was im -Laufe der Jahre ihrem Gedächtnisse entschlüpft war.</p> - -<p>Und mit welch' freudigem Stolze empfing sie dann die Einnahmen, -die ihr aus ihrer Lehrerthätigkeit erwuchsen! Mit leuchtenden Blicken -zeigte sie eines Tages Frau von Ihlefeld ihren kleinen Schatz, den -sie in Jahresfrist für Bertel gesammelt hatte.</p> - -<p>»Du gutes Kind, welche Opfer bringst du!« seufzte die Wittwe -traurig. »Wenn ich selbst doch nur nicht so gänzlich aller Mittel -beraubt wäre! Immer habe ich noch gehofft, eine alte Schuld, die -mein armer Mann ausstehen hatte, würde noch einmal einlaufen; -aber auch diese Hoffnung ist sicher vergebens.«</p> - -<p>»Eine Schuld, liebe Tante?« fragte Esther erstaunt. »Warum -fordern Sie dieselbe denn nicht ein? Wer ist denn der Schuldner?«</p> - -<p>»Das ist ja eben das Unglück,« entgegnete Frau von Ihlefeld -klagend. »Der Schuldner ist todt, und durch ein unbegreifliches -Versehen ist der Schein verschwunden, der die Schuld bestätigt. -Ein Vetter meines Mannes, der uns vor einigen Jahren besuchte, -bedurfte zu einem Unternehmen eines Kapitals, das mein Mann -ihm vorschoß. Ich selbst war dabei, als sie es in meinem Zimmer -besprachen und ich sah, wie der Vetter die Schuldverschreibung aufsetzte. -Wo dies Papier dann aber hingekommen ist, weiß ich nicht; -mein Mann suchte oft danach, besonders nachdem die Nachricht vom -plötzlichen Tode des Vetters eintraf. O mein Gott, jenes Kapital -von 15 Tausend Thalern hätte meinen unglücklichen Mann vielleicht -gerettet! Aber da der Schuldschein verschwunden war, hat er nicht<span class="pagenum"><a name="Page_52" id="Page_52">[Pg 52]</a></span> -gewagt, von dem Erben des Vetters jene Summe zu fordern. Und -so ist alles Wünschen vergebens, das Geld ist und bleibt verloren.«</p> - -<p>»Wer ist denn der Erbe dieses Vetters, Tante?« fragte Esther. -»Ein Kaufmann in Südfrankreich, in Nîmes glaube ich,« entgegnete -Frau von Ihlefeld. »Er heißt Richard und ist ein Neffe unseres -Vetters Etienne de Villemaud.«</p> - -<p>»Und Sie glauben, er wisse nichts von der Schuld?« forschte -Esther.</p> - -<p>»Augenscheinlich hat der Vetter die Summe nicht als Schuld -verzeichnet, und sein schneller Tod hat alle Mittheilungen über seine -Verhältnisse unmöglich gemacht,« sagte Frau von Ihlefeld niedergeschlagen. -»Herrn Richard kann niemand die Summe abfordern, der -den Schuldschein nicht vorzeigt. Aber während wir im Wohlstand -lebten, sorgte ich mich wegen solchen Verlustes wenig, und mein -Mann hat mir bis zum letzten Augenblick alles verborgen gehalten, -was ihn bekümmerte. Ich ahnte ja nie, daß mit dem unseligen Gelde -so viel Glück und Frieden zu Grunde gehen könne.«</p> - -<p>Esther suchte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu -lenken, denn Frau von Ihlefeld wurde durch solche Erinnerungen -stets von Neuem aufgeregt. Im Stillen aber konnte sie den Gedanken -an jenen verschwundenen Schuldschein nicht los werden. -Fast das ganze Besitzthum der Ihlefeld'schen Familie war in fremde -Hände übergegangen. Wenn der Schein in irgend einem Schranke -oder Fache verborgen lag, so war er unwiederbringlich für Bertel -und dessen Mutter verloren. Und doch welcher Besitz wäre für -Bertel eine solche Geldsumme! Aber es war eine Thorheit, sich mit -solchen Gedanken abzugeben. Wäre der Schein nur irgendwie zu finden -gewesen, so hätte Herr von Ihlefeld in seiner Noth und Verzweiflung -sicher alles daran gesetzt, ihn zu entdecken. Das Verschwinden des -Scheines war eben ein Unglück wie alles andere, was über die Familie<span class="pagenum"><a name="Page_53" id="Page_53">[Pg 53]</a></span> -hereingebrochen. Es war das Beste, nicht mehr daran zu denken. —</p> - -<p>Jetzt bezog Hubert die Universität, und Esther übergab ihm -mit freudigem Stolze ihre so tapfer erworbenen Schätze.</p> - -<p>»Du bist und bleibst eben mein bester Kamerad, Esther,« sagte -Bertel, die Summe freudig annehmend. »Ich kann dir nicht besser -danken, als indem ich alle meine Kräfte opfere, um das schöne Ziel -zu erreichen, das mir vorschwebt. Aber nie, und wenn ich hundert -Jahr alt werde, will ich vergessen, welche Hand es war, die mir zu -dem Ziele verhalf. Ich weiß, mein Glück ist auch das deine, darum -nehme ich deine Opfer ohne Zögern an. Gott segne dich für alles, -was du an mir thust, Esther!«</p> - -<p>Die Einzige, die sich mit all' diesen Arbeiten, Mühen und -Opfern Esthers nicht ganz einverstanden erklärte, war Frau Booland. -Sonst fand sie immer alles vortrefflich, was ihr Liebling -unternahm; aber die jetzige Thätigkeit ging doch etwas gegen ihren -Sinn. »Das arme junge Blut quält sich da Tag für Tag mit den -wilden Jungens ab, statt ihre Jugend in Ruhe und Freude zu genießen,« -sagte sie eines Tages in einer traulichen Stunde zu ihrer -jetzigen Freundin, der Pastorin Krause. »Ihre Söhne sind freilich -auch dabei, liebe Pastorin, und ich selbst bin wohl mit daran Schuld, -daß der Herr Pastor dem braven Kinde das Amt anvertraute; warum -lobte ich sie auch immerfort so gegen ihn, besonders nachdem -Esther sich um die Stelle bemüht hatte, und er mich über das Kind -ausforschte. Aber lügen kann ich einmal nicht und weß das Herz -voll ist, deß geht der Mund über. Aber jetzt geht er mir auch wieder -über, denn mein Herz ist voll Jammer um das liebe Goldkind, -das noch nichts als Arbeit in seinem jungen Leben kennen gelernt -hat. Und Gott weiß, ob ihr all' ihre Mühe und Quälerei einmal -ordentlich gedankt wird; denn wenn das Unglück die arme Frau von -Ihlefeld auch ordentlich gebeugt hat, die gnädige Frau bleibt sie noch<span class="pagenum"><a name="Page_54" id="Page_54">[Pg 54]</a></span> -immer bis in die kleine Fußzehe hinab, und da habe ich so meine -Gedanken. Estherchen ist und bleibt halt eben Bürgerblut, das aber -erkennt <em class="gesperrt">die</em> Frau nie für Ihresgleichen, und wenn das Kind noch -tausend Mal mehr für sie thäte.«</p> - -<p>»Aber Hubert denkt doch nicht so, liebe Frau Booland, das sollte -Sie trösten,« entgegnete die Pastorin.</p> - -<p>»Nein, <em class="gesperrt">stolz</em> ist der nicht, das muß wahr sein!« sagte Frau -Booland den Kopf erhebend. »Aber, aber, so wie er sollte, ist er doch -auch nicht. Alles was Esther für ihn thut, nimmt er ruhig hin, als -verstände sich das ganz von selbst so. Danken mag er ihr wohl, -denn er ist ein lieber, weicher Junge; aber er hat keine Idee, und -frägt auch weiter nicht danach, <em class="gesperrt">was</em> Esther alles opfert, nur um ihm -das Leben leicht zu machen. Das Mädchen ginge mit Freuden für -ihn durch das Feuer, und er? Nun ja, wenn er dadurch Nutzen -hätte, würde er sie auch ruhig gehen lassen. Lieb hat er sie, das ist -gewiß; aber immer nur, wie man einen guten Kameraden lieb hat, -und so nennt er sie ja auch immer. Die leidenschaftliche Liebe aber, -die meine kleine Esther von Kindesbeinen an schon für den hübschen -Jungen gehabt hat, und die jetzt wie ein stilles Feuer das ganze -Mädchen durchglüht, davon hat der junge Herr keine Ahnung. Ach -ich weiß es nicht, aber mir ist das Herz oft gar zu schwer, denke ich -an Esthers Zukunft. So ein Prachtmädchen verdiente ein herrliches -Schicksal; aber, aber, wie wird das einmal werden? Ich hörte -neulich einige Worte, als Esther dem Bertel das Ersparte mitgab; -es war so recht bezeichnend. »Ich weiß, Esther,« sagte Bertel, »mein -Glück ist auch das deine, darum nehme ich deine Opfer ruhig an.«</p> - -<p>»Nun ja, <em class="gesperrt">mein</em> Glück ist auch das <em class="gesperrt">deine</em>! Da liegt's. Aber ob -<em class="gesperrt">ihr</em> Glück auch das <em class="gesperrt">seine</em> ist? Davon schweigt die Geschichte, -und erst die Zukunft kann es lehren.«</p> - -<p>»Legen wir alles in Gottes Hände, meine liebe Frau Booland,« -<span class="pagenum"><a name="Page_55" id="Page_55">[Pg 55]</a></span>sagte die Pastorin tröstend. Die brave Schullehrerswittwe nickte -still mit dem Kopfe und eilte ihrem kleinen Waldhause zu, an dessen -Thür sie ihr Goldkind, wie gewöhnlich, wenn sie ausgegangen war, -freudig erwartete.</p> - -<p>Ein Jahr verstrich Esther noch in gewohnter Thätigkeit, da rief -sie eines Tages Pastor Krause in sein Studirzimmer. »Meine liebe -Tochter,« sagte er freundlich, »Sie haben den Ihnen anvertrauten -Posten während der ganzen Zeit mit seltener Treue und Tüchtigkeit -ausgefüllt, so daß Sie stolz auf Ihre Schüler sein können. Aber -jetzt muß ich das Amt leider aus Ihren Händen nehmen, denn die -Knaben sollen auf das Gymnasium in der Stadt, für dessen Oberklassen -sie jetzt reif sind. Nun will ich Sie aber trotzdem doch nicht -zu Athem kommen lassen, mein liebes Kind. Ich habe eine Aufforderung -aus England erhalten, einen jungen Lehrer dorthin zu -schicken, welcher in einer vornehmen Familie einige Knaben zu unterrichten -versteht. Auf meine Anfrage, ob der Lehrer nicht ein junges -Mädchen sein könnte, welches so viel Kenntnisse besitzt, daß sie meine -Söhne zum Gymnasium vorbereitet hätte, erhielt ich eine Antwort, -welche sich außerordentlich erfreut über solches Anerbieten ausspricht. -Eine sehr bedeutende Summe ist der jungen Lehrerin zugesichert, und -so ergeht denn die Anfrage an Sie, liebe Esther, ob Sie diese Stelle -annehmen wollen. Aber freilich, eine Bedingung ist dabei, welche -Ihnen vielleicht Schwierigkeiten machen wird: man wünscht, daß -Sie auch fertig französisch sprechen. Doch auch das wird sich einrichten -lassen. Die Stelle ist erst in einem halben Jahre anzutreten, -bis dahin lernen Sie alles. Die Schwester meiner Frau hat eine -französische Pension in Genf und wird Sie mit Freuden als lieben -Gast bei sich aufnehmen. Den Ausfall, den Ihre Einnahmen in -dieser Zeit erleiden, deckt die Aussicht auf baldige größere Summen, -die Ihnen in England zufließen werden. So denke ich, sind die<span class="pagenum"><a name="Page_56" id="Page_56">[Pg 56]</a></span> -Wege gebahnt, und Sie sind mit mir zufrieden, liebe Esther. Habe -ich Recht?«</p> - -<p>»O sehr, sehr, lieber, guter Herr Pastor,« rief Esther, welche jetzt -wie aus einem Traum erwachte. Hastig ergriff sie die dargebotene -Hand Pastor Krauses. »Verzeihen Sie mir nur, daß ich nicht augenblicklich -mit Entzücken aufjuble,« sagte sie und eine Thräne glänzte -in ihrem Auge. »Aber eine Trennung von meinen Lieben ist mir ein -gar zu beängstigender Gedanke. Ich war ja noch nie auch nur einen -Tag vom Hause fort, und nun.... Aber haben Sie Geduld mit -mir, Herr Pastor! Ich werde schon alles in mir verarbeiten und -Ihnen dann Ehre machen, das verspreche ich Ihnen. Jetzt aber -muß ich zuerst mit Tante Booland sprechen, früher kann und darf -ich nichts bestimmen.«</p> - -<p>Aber Frau Booland nahm die Nachricht freudiger auf, als Esther -gefürchtet hatte. Muthig bekämpfte das brave Weib allen Jammer -ihres Herzens, den eine lange Trennung ihr verursachen mußte, -nur um Esther den Abschied leicht zu machen. Die Pastorin Krause -hatte schon seit einiger Zeit geheime Besprechungen mit Frau Booland -gehabt und ihr alle diese Pläne mitgetheilt, welche ihr Gatte Esther -darlegte. So überraschten sie Esthers Mittheilungen denn nicht -mehr, sondern fanden schon ein vielfach bearbeitetes Terrain vor sich.</p> - -<p>»Ich bin froh, daß du einmal ein Stückchen von Gottes schöner -Welt sehen sollst, meine kleine Esther,« sagte Frau Booland heiter. -»Hier in unserem Dorfe versauerst du ja ganz und gar, und Arbeit -hast du hier wie anderswo. Die Schwester unserer lieben Pastorin -freut sich schon auf dich, da wirst du eine schöne, vergnügte Zeit verleben, -und was die Sache mit England betrifft, nun, gute Menschen -sollen es ja auch sein, zu denen du kommst, sagt der Herr Pastor. -Du lernst dort ein Bischen von der großen Welt kennen, das ist -auch gut, und für alles andere lassen wir den lieben Gott sorgen.<span class="pagenum"><a name="Page_57" id="Page_57">[Pg 57]</a></span> -Deine alte Tante Booland wird dir dein Häuschen indessen gut versorgen, -daß du jeden Augenblick wieder in dein warmes Nest zurückkommen -kannst. Mit bösen Gedanken über die Trennung wollen -wir uns das Herz nicht unnütz schwer machen, mein Goldkind; denn -wir haben ja alle Beide starke Herzen und sind nicht aus Wachs oder -aus Marzipan gemacht.«</p> - -<p>Aber Esther hatte noch eine andere Trennung zu überwinden, -mit welcher ihr junges Herz noch viel schwerer kämpfte. Ihren Bertel -sollte sie verlassen! Und doch war er es ja gerade, der sie hinaustrieb -in die Welt; denn für wen sonst hätte sie diese Opfer gebracht, -für wen sonst das friedliche Stillleben ihrer Heimath aufgeben mögen? -Nur damit ihr junger Freund sorglos und unbekümmert seinen -Studien obliegen, noch Jahr für Jahr ungetheilt der Wissenschaft -leben konnte, ohne für sein tägliches Brod sorgen zu müssen, unterwarf -sie sich all' diesen Dingen freudig und unverdrossen. Deshalb, -wie sehr ihr auch das Herz blutete, schrieb sie dennoch einen jubelnden -Brief an Bertel, der ihm alle diese Pläne mittheilte. Er durfte -ja nicht ahnen, wie schwer ihr das Opfer wurde. Ein letzter Besuch -Bertels vor Esthers Abreise war das Einzige, was sie sich von ihm -erbat, und in vollen Zügen genossen Beide noch einmal das Glück -ihres Beisammenseins.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>So sagte denn Esther eines Morgens der lieben, traulichen -Heimath Lebewohl, von ihren Freunden im kleinen Waldhause wie -von Pastor Krauses bis zur nächsten Stadt begleitet, von wo die -Eisenbahn sie gen Süden weiter führte. Sie war einer befreundeten -Dame anvertraut worden, die nach der Schweiz reiste, und bald -vertrieben die stets neuen Eindrücke, welche Esther auf dieser ersten -Reise fast überstürzten, die Schmerzen des Abschiedes.</p> - -<p>Die großen Städte, in denen sie übernachteten, erregten ihr<span class="pagenum"><a name="Page_58" id="Page_58">[Pg 58]</a></span> -Staunen und ihre Neugierde; als sich aber endlich die hohe Kette -der Alpen vor ihren Blicken ausbreitete mit ihren majestätischen -Häuptern, auf denen Eis und Schnee lagerte, während saftig grüne -Matten und Wälder die Vorberge deckten, und unzählige Ortschaften -wie Spielzeug auf der Ebene verstreut lagen, da jubelte Esther auf -vor Wonne und Entzücken, und ihr junges Herz gab sich rückhaltlos -den Eindrücken hin, die sie bestürmten. Und nun gar der herrliche -Genfersee, der schimmernd blau zu ihren Füßen ruhte, rings umkränzt -von köstlichen Bergen, grünen Fluren und lachenden Dörfern, -hoch oben alles überragend, aber die Jungfrau mit ihren ewigen Eisfeldern -und der leichten Wolke, welche fast immer ihren höchsten Gipfel -krönt. Es war so namenlos herrlich, daß Esther fromm ihre -Hände in einander legte und thränenden Auges Gott dankte, der sie -in diese Wunderwelt geleitet. Denn hier am Fuße dieser herrlichen -Jungfrau, am Rande dieses köstlichen Sees sollte sie ja leben und -Tag für Tag diese Wunder vor Augen haben! Welch eine Aussicht -war dies, und wie schlug ihr das Herz bei diesem Gedanken voll -Freude und Wonne.</p> - -<p>Genf selbst freilich, die alte Stadt mit ihren vielen engen Straßen -gefiel Esther weniger; aber das Haus Madame Gautier's lag -vor dem Thore mitten in einem hübschen Garten, da hatte man die -schönste Aussicht gleich vom Fenster aus vor sich. Man empfing Esther -mit großer Freundlichkeit, und besonders Madame Gautier war so -herzlich und gut, als sei die neue Hausgenossin die Tochter ihrer -Schwester. Eine Menge fröhlicher junger Mädchen umgab sie -früh und spät, und diese schienen sich förmlich den Rang streitig zu -machen, ihr Angenehmes zu erzeigen.</p> - -<p>So fühlte sich Esther denn wie in eine neue herrliche Welt versetzt -und ihre Briefe, die sie nach Hause schickte, athmeten nichts als -Glück und Behagen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_59" id="Page_59">[Pg 59]</a></span></p> - -<p>Esther war bereits einige Monate im Hause Madame Gautier's -und ihr eifriges Bestreben war, die französische Sprache möglichst -schnell und gründlich zu erlernen. Sie machte auch bald die besten -Fortschritte, hatte ja doch Frau von Ihlefeld schon vortrefflich vorgearbeitet, -als sie Esther Unterricht ertheilte, dem das junge Mädchen -freilich wegen ihrer anderweitigen Beschäftigungen wenig Zeit -hatte widmen können. Frau von Ihlefeld hatte Esther einige französische -Bücher zur Lectüre mitgegeben, welche sie aus ihrem einstigen -Besitzthum mit sich genommen, und Esther war erfreut, so gute -Fortschritte zu machen, daß sie diese Bücher bald selbständig lesen -konnte. Eines Tages wagte sie sich sogar an Gedichte und griff -nach einem Buche, das längst schon ihr lebhaftes Interesse erweckt -hatte. Es war sehr elegant eingebunden und von ziemlich großem -Format, auf dem inneren Deckel aber standen die Worte: »<span class="antiqua">A son -cousin Oscar de Ihlefeld Etienne de Villemaud. Auteur.</span>«</p> - -<p>Esther kam beim Anblick dieses Namens das Gespräch wieder -in den Sinn, das sie mit Frau von Ihlefeld gehabt hatte, und die -Erinnerung an jenen unglücklichen verschwundenen Schuldschein. -Jener Etienne war also Dichter und hatte dies sein Werk dem Vetter -als Geschenk hinterlassen. Zerstreut ließ Esther die Blätter des Buches -durch ihre Finger gleiten und überblickte die Ueberschriften der Gedichte. -Dabei schob sich ein zusammengefaltetes Papier aus dem -Buche, und Esther schlug es gleichgültig auseinander, irgend ein -abgeschriebenes Gedicht vermuthend. Aber wer beschreibt ihre Ueberraschung — -das zusammengefaltete Papier war der verloren geglaubte -Schuldschein!</p> - -<p>Esther zitterten die Kniee von dem freudigen Schreck, und lange -wollte sie ihren Augen nicht trauen. Aber da stand ja alles, wie -Frau von Ihlefeld es ihr mitgetheilt: Oscar von Ihlefeld, Besitzer -vom Rittergut Rahmstedt, hatte am 6. Mai 18.... an Etienne<span class="pagenum"><a name="Page_60" id="Page_60">[Pg 60]</a></span> -de Villemaud eine Summe von fünfzehntausend Thalern übergeben; -die Zinsen sollten zum Kapital geschlagen werden. Unterzeichnet -war der Schein von den beiden Vettern und alles in voller Ordnung -und Richtigkeit.</p> - -<p>Wahrscheinlich lag das Buch als Geschenk Etienne's auf dem -Tische, und Herr von Ihlefeld hatte in Gedanken den Schein da -hinein gelegt, als er ihn in sein Zimmer trug; denn Frau von -Ihlefeld sagte ja, die Sache sei in ihrer Gegenwart und ihrem -Zimmer verhandelt worden.</p> - -<p>O welch ein Fund war das! Und wie gut, daß der Schuldschein -bis jetzt verborgen gewesen, sonst wäre das Geld sicher auch -noch verloren gegangen wie alles andere. Nun hatte ja alle Noth und -Sorge ein Ende! Nun konnte Bertel studiren und reisen nach -Herzenslust, wie er so sehnlich wünschte, und die arme Frau von -Ihlefeld sah nun wieder bessere Tage. Esther schwindelte der Kopf -von der Fülle der Gedanken, und lange saß sie sinnend und Pläne -schmiedend an ihrem Fenster. Zum erstenmale schaute ihr Auge -theilnahmlos auf die wunderschöne Welt, die sich vor ihr ausbreitete, -und ihr Herz jubelte nicht auf über die Pracht und Herrlichkeit, in -welcher die Abendsonne das stolze Haupt der Jungfrau umkleidete, -deren Gipfel in Gluth getaucht in den glänzenden Abendhimmel -hinein ragte, während der See zu Füßen des Berges wie ein -rosiger Spiegel blitzte und schimmerte.</p> - -<p>»Und du, was willst du denn nun noch länger im fremden Lande, -fern von deinen Lieben?« dachte Esther mit leuchtenden Blicken. -»Nun ist es ja nicht mehr nöthig, Geld zu verdienen; denn nun hat -Bertel ja mehr, als du in deinem ganzen Leben für ihn zusammenscharren -könntest. Ade Freunde, ade Schweiz und England, nun -geht's wieder heim in mein kleines Waldhaus, dem schönsten Orte -der Welt trotz Alpen und Gletscher und Seen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_61" id="Page_61">[Pg 61]</a></span></p> - -<p>Eben wollte sich Esther an den Schreibtisch setzen, um einen -jubelnden Brief nach Hause zu senden mit der herrlichen Botschaft, -da trat Frau von Gautier in ihr Zimmer.</p> - -<p>»Meine liebe Esther,« sagte sie dann freundlich, »obwohl Sie mir -ein gar lieber Gast sind, und ich Sie ungern wieder fort lassen -möchte, so gebietet mir doch die Rücksicht auf Ihre Verhältnisse, von -denen meine Schwester mir einiges mitgetheilt hat, Ihnen ein Anerbieten -zu machen, welches soeben an mich gerichtet ist. Die Vorsteherin -eines Pensionates in Süd-Frankreich, in le Vigan bei -Nîmes, wünscht eine junge Dame für ihr Institut zu engagiren -und bietet ihr sehr annehmbare Bedingungen. Wollen Sie diese -Stelle annehmen, so erreichen Sie Ihren Zweck, französisch zu lernen, -dort ebensogut, verdienen in dieser Zeit noch nebenbei etwas -und lernen ein neues Land und andere Verhältnisse kennen, was -immer ein Vortheil ist für jedermann. Aber besinnen freilich dürfen -Sie sich nicht lange; denn schon übermorgen will Mademoiselle -Bertin wieder abreisen und Sie dann natürlich gleich mitnehmen, -denn für ein junges Mädchen ist eine so weite Reise allein nicht -sehr rathsam.«</p> - -<p>Esther hatte bei den ersten Worten Madame Gautier's gleich -sagen wollen, daß es mit ihren Plänen jetzt überhaupt ein Ende -habe und sie so bald als möglich wieder nach Hause reisen werde. -Aber als sie hörte, wohin sie mit jener Dame gehen sollte, da schwieg -sie plötzlich betroffen. Das war ja wie eine Sendung vom Himmel -gerade im entscheidenden Momente! Süd-Frankreich, Nîmes, dahin -sollte sie? Und war es nicht gerade dort, wo jener Herr Richard -wohnte, der Erbe jenes Etienne und jener Schuld? Wie, wenn sie -diesem Winke folgte und in dem Orte selbst diesen Mann aufsuchte? -Eine Reihe von Jahren war seit jener Zeit verstrichen, wenn nun -der Mann nicht mehr dort lebte? Eine schriftliche Erfahrung konnte<span class="pagenum"><a name="Page_62" id="Page_62">[Pg 62]</a></span> -große Schwierigkeiten bereiten, während man an Ort und Stelle -sicher leicht zum Ziele gelangte. Und wie, wenn auch dieser Mann -vielleicht todt war und man wieder neue Personen vor sich hatte? -Wie viel Zeit und Mühe war vielleicht nöthig, um an's Ziel zu -kommen, wo persönliches Eingreifen rasch alles in Ordnung bringen -konnte! Und besser, sie sagte erst gar nichts von der Auffindung -des Scheines, sondern trat ihren Freunden gleich mit dem glücklichen -Resultate entgegen. Warum ihnen erst vorher so unruhige Stunden -bereiten, ehe sie ihr Ziel erreichen konnte? Nein, rasch ohne Besinnen -und Zögern wollte sie mit dieser Französin reisen, rasch dort -in Frankreich diesen Herrn Richard oder seine Erben aufsuchen und -erst dann mit der vollen, glücklichen Lösung hervortreten. Zeit zum -Fragen, ob sie reisen sollte, hatte sie ja auch gar nicht, d'rum lieber -ganz schweigen, bis alles glücklich erreicht war. Dann war die Freude -voll und ungetheilt, und wie im Triumphe wollte sie dann wieder nach -der Heimath ziehen, beladen mit Schätzen für ihren geliebten Bertel.</p> - -<p>Ein so unerfahrenes junges Mädchen, als Esther war, konnte -wohl solchen Plan schmieden und auf dessen glückliche Ausführung -rechnen. Welches nun aber die Erfolge ihrer Bemühungen waren, -das wollen wir weiter sehen.</p> - -<p>Ueber den Quai de Bergue eilten in Genf zwei Tage darauf eine -ältliche und eine junge Dame der Messagerie zu, von wo aus die -Posten nach Frankreich abfahren. Es war Mademoiselle Bertin -und unsere Esther. Schon von Weitem sahen sie das hochgebaute und -hochbepackte gelbe Gebäude, Postwagen genannt, das sie über die -Grenze führen sollte. Die Französin traf bei der Post einen alten -Herrn, Monsieur Martin, welcher mit ihnen reiste. Eben wollte -dieser im Innern des Wagens Platz nehmen, als Mademoiselle -plötzlich mit Schrecken bemerkte, daß ihre Postbillets aus Versehen -Plätze auf der »Banquette« bezeichneten. Mit aller Lebendigkeit einer<span class="pagenum"><a name="Page_63" id="Page_63">[Pg 63]</a></span> -Südländerin fuhr sie auf den sie begleitenden Diener los, ihn zur -Rechenschaft zu ziehen, dieser sagte aber ganz phlegmatisch: »Mademoiselle -wollte doch absolument heute reisen, andere Plätze aber gab's -nicht mehr.« La banquette war allerdings für eine ältliche Dame -ein etwas bedenklicher Sitz, denn er befand sich in höchster Höhe der -ohnehin schon himmelhohen Kutsche. Ihrer Verzweiflung machte -jedoch ihr alter Freund bald ein Ende; denn sehr froh, seinen heißen -Innenplatz mit dem luftigen auf der Banquette zu vertauschen, -kroch er vergnügt wieder aus dem Wagen heraus und überließ der -Dame sein Billet. Nun brachte der Knecht eine hohe Leiter herbei, -und leicht wie ein Eichkätzchen kletterte Esther die Sprossen empor, -ihrer ehemaligen Turnkünste sich erinnernd. Langsamer folgte ihr -alter Nachbar, und während Esther auf der schmalen Banquette -sich's möglichst behaglich zu machen suchte, bestieg der alte Herr einen -bequemeren Sitz zur Seite, eine Art Lehnstuhl. Vergnügt hüllte er -sich in einen weichen Schafpelz, der auf dem Sitze lag, und der ihm -bei der rauhen Herbstluft sehr willkommen war; er freute sich -seines köstlichen Platzes. Eben wollten die sechs starkknochigen -Pferde ihr beschwerliches Tagewerk beginnen, da klimmte noch ein -Passagier zur Banquette empor. »<span class="antiqua">Oh, à la bonheur</span>,« rief er, sich -zu dem alten Herrn wendend, »Monsieur wollen den Hemmschuh -führen?« »Was Hemmschuh?« rief dieser verwundert. »Nun ja, -das ist der Platz für denjenigen, der dies Geschäft übernimmt,« -sagte der Conducteur lachend und zeigte auf die Schraube, welche -der Alte ganz gemüthlich als Stütze für seine Arme benutzt hatte. -Mit sehr saurer Miene wickelte sich dieser nun aus seinem warmen -Schafpelze heraus und kletterte auf die Banquette zu Esther, die -ihm herzlich lachend neben sich Platz machte. Dies kleine Ereigniß -hatte die ganze Gesellschaft der Außenkutsche einander näher gebracht; -denn auch der Postillion auf seinem Sitz zu Füßen Esthers nahm<span class="pagenum"><a name="Page_64" id="Page_64">[Pg 64]</a></span> -an der allgemeinen Heiterkeit Theil, und unter Lachen und Scherzen -fuhr man über Genf's holpriges Straßenpflaster und überschritt endlich -die französische Grenze. Esther war kindlich vergnügt, von ihrem -hohen Sitz aus die herrliche Gegend gemächlich überschauen zu können, -und ihr alter Nachbar stimmte herzlich in diese Freude mit ein, denn -auch er war ein großer Naturfreund. Bald erzählte er Esther, er sei -eigentlich ein geborener Deutscher, lebe aber nun schon seit vielen -Jahren in Nîmes.</p> - -<p>»In Nîmes?« rief Esther hoch erfreut aus. »O kennen Sie -da vielleicht einen Herrn Richard?«</p> - -<p>»Richard?« sagte Herr Martin nachdenklich. »Welchen Richard, -mein Fräulein? Es giebt deren eine ganze Menge in Nîmes.«</p> - -<p>»Ich meine den Neffen eines Herrn Etienne de Villemaud, der -vor einigen Jahren gestorben ist,« entgegnete Esther.</p> - -<p>»Hm, da kann ich wirklich nicht dienen,« sagte der Alte kopfschüttelnd. -»Haben Sie eine Empfehlung an ihn, so bin ich gern bereit, -Ihnen behülflich zu sein, den richtigen Richard aufsuchen zu helfen.«</p> - -<p>»O Sie sind sehr gütig,« rief Esther erfreut, »das wäre mir in -der That sehr lieb, denn ich habe allerdings ein Anliegen an ihn.«</p> - -<p>»Ich werde Ihnen die nähere Adresse des Herrn schreiben, mein -Fräulein, wenn Sie es mir erlauben,« sagte Herr Martin verbindlich. -Esther sprach nochmals ihre Dankbarkeit aus und fühlte -ihr Herz sehr erleichtert, daß sie gleich im ersten Augenblick eine -Hand gefunden hatte, die ihr den Weg zu bahnen versprach. Voll -froher Hoffnungen schaute sie dem Gelingen ihres Unternehmens -entgegen und genoß nun mit doppeltem Vergnügen die so mannigfachen -Freuden, welche diese interessante Reise ihr darbot.</p> - -<p>Ueberall, wo während der Postfahrt der Wagen hielt, umdrängte -eine Schaar bettelnder elender Kinder die Reisenden, ihre zerfetzten Hüte -hinhaltend mit dem Rufe: »<span class="antiqua">Charité, s'il vous plaît, charité!</span>« Esther -<span class="pagenum"><a name="Page_65" id="Page_65">[Pg 65]</a></span>mußte bei diesem Elend immer an die sauberen Schweizer Dörfer zurückdenken, -die sie jetzt gesehen, und an ihr eignes freundliches Dorf -Rahmstedt, in dem solche Armuth etwas Unbekanntes war.</p> - -<p>Der schwerfällige Postwagen brachte seine Passagiere bis zu der -Eisenbahnstation Seyßel, und von da aus flog Esther auf Dampfesflügeln -ihrem Ziele zu, zur Rechten die Berge des Jura, links -Savoyen mit seinen wilden, romantischen Landschaften und verfallenen -Dörfern.</p> - -<p>Die Gegend bis Lyon war unendlich schön. Das reizende Thal -der Rhone nahm die Reisenden auf, und zu beiden Seiten erhoben -sich anmuthige Berge. Schäumend und rauschend schoß das Wasser -der Rhone neben der Eisenbahn hin, ihre blauen Wellen wie schwere -Atlasfalten auf- und abrollend. Leichte Kettenbrücken schwebten hoch -oben darüber, und auf felsigem Ufer, zackige Bergspitzen im Hintergrunde, -erhoben sich terrassenförmig unzählige kleine Ortschaften. Es -war äußerst malerisch. Lyon, das sie Abends erreichten, interessirte -Esther lebhaft, und muthig durcheilte sie am Morgen vor der Weiterreise -allein einige Straßen. Prachtvolle Läden fesselten ihr Auge, und -schöne Quais, aber auch viel Verfallenheit; doch jedes, auch das -verfallenste Häuschen, hatte seinen Balcon und seine Blumen. Von -Lyon ab wurde die Landschaft lieblicher: Maulbeerbäume mit ihrem -frischen, saftigen Grün deckten die Felder, echte Kastanien standen -dazwischen, Weinstöcke rankten ihre Reben am Boden hin, wie es dort -Sitte, und dunkle Cypressen erhoben ihre düsteren schlanken Zweige -gen Himmel. Große Heerden grauer und schwarzer Schafe weideten -zu vielen Tausenden in der Ebene, unzählige Maulesel hoben dazwischen -ihre großen Köpfe empor, und abenteuerlich aussehende -Hirten mit zottigen Fellen um die Schulter bewachten die Heerden. -In der Gegend von Avignon erinnerten zahlreiche Ruinen an die -ehemalige Herrlichkeit dieser Gegenden. Esther hätte wohl gewünscht,<span class="pagenum"><a name="Page_66" id="Page_66">[Pg 66]</a></span> -hier weitere Ausflüge in die Umgegend machen und sich dies interessante -Stück Land näher ansehen zu können; aber ihre Begleiterin drängte -zur Weiterreise. Sie fuhren den ganzen Tag immer weiter in das -Land hinein, bis endlich am Abend Nîmes erreicht war. Wie gern -wäre Esther mit dem freundlichen Herrn Martin gegangen, der sich -hier von ihnen trennte; ihr Herz klopfte freudig bei dem Gedanken, -dem Manne vielleicht ganz nahe zu sein, den sie suchte, -und wegen dessen sie eigentlich die ganze Reise unternommen. Aber -sie hatte sich Mademoiselle Bertin verpflichtet, und so mußte sie mit ihr -weiter. Im Vorbeigehen sah sie die mächtigen Trümmer einer alten -römischen Arena in die Luft hinein ragen; die Säulen des berühmten -Maisen carée warfen im Mondschein breite Schatten hernieder, und -wundervolle Baumgänge umsäumten einen freien Platz, in dessen -Mitte hohe Fontainen ihre Wasser im Mondlicht funkeln ließen.</p> - -<p>Esther eilte mit ihrer Gefährtin an all' diesem Zauber vorüber, -denn ihr Ziel lag noch vor ihnen. Eine lange Postfahrt die Nacht -hindurch brachte sie nach dem kleinen Städtchen le Vigan, das sie -am Morgen erreichten. Obwohl es schon spät im November war, -zeigte doch die warme Nacht, daß man sich im Süden befand, und -Esther athmete mit Behagen die angenehme Nachtluft. Mit neugierigen -Blicken schaute sie sich dann in dem Orte um, der sie aufnehmen -sollte; aber der Anblick dieses Städtchens war äußerst wenig -erfreulich. Die Lage des Ortes zwar war höchst romantisch zwischen -Felsen und Bergen; aber die Stadt selbst hatte graue, düstere, steinerne -Häuser, viele davon elend und verfallen. Schweine und anderes -Vieh trieb sich in den Straßen umher, und der Haupteindruck des -Ganzen war überall Armuth, Koth und Verfallenheit. Es war -Sonntag und die Straßen wenig lebhaft; aber als die Postkutsche -hielt, sah Esther, daß eine ganze Schaar junger Mädchen und Kinder -den Wagen umringten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_67" id="Page_67">[Pg 67]</a></span></p> - -<p>Kaum hatte Madame Bertin den Fuß an die Erde gesetzt, so -wurde sie mit lautem Jubel von dieser Schaar begrüßt, und es war -gar kein Ende zu finden mit Küssen und Umarmungen. Esther -stand still zur Seite und betrachtete sich voll Staunen diese Welt, -in die sie eintreten sollte; denn es waren in der That die Pensionairinnen -Madame Bertin's, die sie hier vor sich sah. Aber welch -ein Anblick! Welch ein Schmutz und welch ein Gelumpe unter diesen -jungen Mädchen, und das sogar am Sonntage! Ueber großen -Reifröcken elende, schmutzige Kleider, zerrissene Schuhe an den Füßen, -die im Straßenkothe umherhüpften, daß das Wasser hoch aufspritzte, -und auf dem schwarzen, wirren Haar wunderliche Mützchen von -unaussprechlicher Unsauberkeit. Dabei aber die niedlichsten Gesichterchen -mit feurigen schwarzen Augen, lachenden Mäulerchen und -blendend weißen Zähnen, und alle graziös und zierlich, vergnügt -und glückselig, als feierten sie das herrlichste aller Feste.</p> - -<p>Esther wurde nun vorgestellt und gleich mitten im Straßenkoth -von all' den schmutzigen jungen Wesen so herzlich umarmt und geküßt, -als wäre sie eine liebe, alte Bekannte. Es kostete Esther eine wahrhafte -Ueberwindung, die Arme dieser kleinen, unsauberen Mädchen -und diese schmutzigen Hände mit den schwarzen Nägeln nicht -von sich zu stoßen, und lächelnd mußte sie ihrer guten Tante Booland -gedenken, welcher ein einziger Riß oder Schmutzfleck in Esthers -Kleidern schon so großes Entsetzen erregt hatte. Was würde sie wohl -zu dieser jungen Schaar sagen! Aber trotz alledem mußte man diesen -lustigen, gutherzigen Kindern gut sein, und getrosten Muthes folgte -ihnen Esther nach der Wohnung Madame Bertin's.</p> - -<p>Aber auch hier war der Eindruck: Schmutz und Verfall wohin -man blickte. Hinter einer zerbröckelten Mauer versteckte sich ein -altes steinernes Gebäude, in dessen unteren Räumen die Pensionsanstalt -sich befand. Steinerne von Schmutz bedeckte Fußböden in<span class="pagenum"><a name="Page_68" id="Page_68">[Pg 68]</a></span> -allen Zimmern, finstere verwahrloste Kamine, Spinneweben an den -lichtlosen Fenstern, und unbehaglich düstere Möbel überall — das war -der Anblick, der sich Esther beim Eintritt in das Haus darbot. Nur -der sogenannte Salon war mit rothseidenen Sophas und Fauteuils -ausstaffirt, welche aber auch von Staub überzogen waren und sich -überhaupt wohl wundern mochten, wie sie in diese Räume gerathen -konnten. Esthers eigenes kleines Zimmer bestand in einem Raum, -der einen Durchgang bildete für die ganze Pensionsgesellschaft, und -außerdem vollgepfropft war von allem möglichen Hausgeräth, so daß -es einen unsäglich unbehaglichen Aufenthalt bildete. Das waren -denn nun freilich keine schönen Aussichten für Esther, die an ein -behagliches Leben gewöhnt war, und das Herz schlug dem armen -Kinde etwas bange in dieser Umgebung. Aber war es nicht ihr -Bertel, für den sie alles zu ertragen hatte? Wie leicht wurde bei -diesem Gedanken jede Last! Ihr frischer Jugendmuth erhielt bald -wieder die Oberhand, und ihr Humor regte sich und half ihr über -die tausend Unannehmlichkeiten fort, die sich ihr sonst noch entgegenstellten.</p> - -<p>Höchst fremdartig und unangenehm war ihr vor allem auch die -südfranzösische Kost. Gleich am ersten Morgen sah Esther mit Staunen, -daß das Frühstück der jungen Mädchen aus nichts bestand, -als aus einer Scheibe harten grauen Brodes, das Einige sich am -Heerdfeuer rösteten, und einigen Zwiebeln, Salatblättern oder Kohlrabistücken. -Für Esther hatte man rücksichtsvoll ein unaussprechliches -Gebräu aus einer Art Kaffee bereitet, und seufzend weichte sie -ihre Scheibe gerösteten Brodes darin auf, zufrieden, daß sie wenigstens -mit dem Genuß jener Zwiebeln und Kohlrabi verschont blieb. -Aber beim Mittagsessen konnte sie sich auch diesen Freuden nicht -entziehen. Einer steifen Suppe von Brod und Kohlrabi folgte -eine Art Salat von dicken Zwiebelstücken, und Hammelfleisch, das<span class="pagenum"><a name="Page_69" id="Page_69">[Pg 69]</a></span> -außen verkohlt, innen aber ganz roh war, und mit dem Esther sich -durchaus nicht befreunden konnte trotz ihres jugendlichen Appetits. -Ein Beigeschmack von Knoblauch und ranzigem Oel umschwebte -alle Gerichte; denn bekanntlich wird im Süden das Oel statt der -Butter zur Bereitung der Speisen benutzt, und so wohlschmeckend -solches Oel in frischem Zustande ist, so widerlich wird es in etwas -verdorbenem, wie man es hier benutzte. In einer Pension nimmt -man nicht immer das Beste und darf eben nicht sehr wählerisch sein.</p> - -<p>Esther aß stets mit heftigem Widerwillen, und in ihrem ersten -Briefe an Frau Booland ergötzte sie sich damit, dieser einen südfranzösischen -Speisezettel mit einigen für eine Deutsche grauenvollen -Gerichten zur Disposition zu stellen. — »Zuerst also, liebe Tante,« -schrieb sie, »erscheint eine dicke Suppe von Weinbergschnecken mit -einem Zusatz von Knoblauch, Oel und Brod. Dann als <span class="antiqua">entre-met</span>, -den Appetit zu reizen, giebt es rohe Zwiebeln, als Fleischspeise ein -Ragout von Kaninchen mit Cichoriensalat, und zum Dessert rohe -Saubohnen und ein Dutzend großer, lebender Schnecken. Was -meinst du zu diesen Delikatessen, mein Tantelchen? Wie sehne ich -mich unter diesen Knoblauch- und Oelgerichten nach meiner lieben -deutschen Kost, zu welcher ihrerseits aber die jungen Französinnen -die Köpfe schütteln, erzähle ich ihnen davon. Ueberhaupt komme ich -mir hier, liebe Tante Booland, vor, wie verbannt, und oft ist mir, -als ob ich in Afrika unter den Wilden wäre, denn ich lerne die wunderbarsten -Zustände hier kennen. Die kleine Schaar hier ist so unreinlich, -so ungebildet, so wild und fremdartig, wie ich mir nie -junge Mädchen gedacht hätte. Freilich sind hier in dieser Pension -keine Kinder aus feinen Häusern; in vornehmeren Erziehungsanstalten -mag es ganz anders sein, und ich bedauere, daß ich so schlimm -ankommen mußte. Bei uns hier sind meist Töchter von Bürgern, -Handwerkern und Weinbauern, die alle keine Ansprüche an eine -<span class="pagenum"><a name="Page_70" id="Page_70">[Pg 70]</a></span>Erziehung machen, wie wir sie gewöhnt sind, denn wie viel wohlerzogener -und gebildeter sind Mädchen solchen Standes bei uns in -Deutschland. Ich weiß oft nicht, über was ich mehr staunen soll: -ob über diese verwahrlosten Kinder oder über diejenigen, die sie erziehen -und belehren; denn deren Bildung und Lebensweise läßt eben -auch gar viel zu wünschen übrig. Die ganze Mädchenschaar von -einigen 30 solcher lebendigen, plappernden, schwarzbraunen und -unsauberen Geschöpfchen sehr verschiedenen Alters, hat meist in einer -einzigen Klasse Unterricht, jedoch in zwei Abtheilungen, und da -kannst Du Dir nun eine Vorstellung von diesem Unterricht machen! -Auf einer Seite des Saales spreche ich auf die kleinen, unruhigen -Geister ein, auf der andern ein Lehrer; aber wie wenig da wirklich -verstanden und gelernt wird, ist begreiflich. Es kommt aber hierauf -auch herzlich wenig an, wie mir scheint; über Elementarkenntnisse -kommen diese Kinder sicher nie weit heraus, man verlangt das aber -auch gar nicht. Sobald sie die Pension verlassen und nach Hause -zurückkehren, arrangirt man eine Heirath für sie, und wozu nützen -dann noch die Kenntnisse? Das Wissen scheint einer solchen kleinen -Französin erstaunlich unnützer Ballast für das Leben. Wenn sie -nur recht munter zu plaudern und zu lachen versteht und sich recht -graziös und zierlich bewegt, mehr verlangt niemand von ihr. Aber -freilich, von dieser Anmuth und Grazie der Bewegungen, dieser -steten verbindlichen Freundlichkeit, dieser ewigen und unverwüstlichen -Heiterkeit haben wir steifen, groben, ernsthaften Norddeutschen -keinen Begriff, und so sehr mein Herz sich oft empört über -diese unbeschreiblichen Zustände, immer wieder versöhnt mich die -hinreißende Liebenswürdigkeit dieser Kinder des südlichen Frankreichs. -Du solltest nur einmal sehen, liebste Tante, mit welcher -unnachahmlichen Grazie unsere doch schon ältliche Mademoiselle Bertin -bei dem Dîner an der Spitze der Tafel präsidirt. Für Jeden hat<span class="pagenum"><a name="Page_71" id="Page_71">[Pg 71]</a></span> -sie ein Lächeln, ein verbindliches Wort, eine gefällige Handreichung. -Anmuthig erfaßt sie mit ihren höchst unsaubern Fingern ihr Glas, -noch anmuthiger führt sie es an den ewig lächelnden, ewig freundlich -plaudernden Mund, und mit reizender Grazie reicht sie hier -einem Kinde süß lächelnd ein Stück des schauerlich harten Brodes, -dort einem andern einen winzigen Bissen verkohlten Cotteletts, als -seien es seltene Kostbarkeiten. Am Ende des wundervollen Mittagmahles -säubert sie voll lächelnder Anmuth mit ihren Lippen Gabel, -Messer und Löffel, die sie alsdann in ihre Serviette einwickelt; die -ganze Tischgesellschaft thut das Gleiche, und bei der nächsten Mahlzeit -benutzt man diese also gereinigten Geräthschaften von Neuem, -ohne jemals eine andere Säuberung für nothwendig zu halten! — -Und wie spaßhaft sehen alle diese jungen Mädchen aus mit ihren -großen weißen oder schwarzen Mützen auf dem Kopfe! Sie sind -nämlich viel zu träge, sich täglich ihr Haar zu kämmen und zu flechten, -das geschieht höchstens ein Mal in der Woche; die übrigen Tage -steckt man die wirren schwarzen Flechten und Locken unter eine solche -Mütze, die deckt alles. Aber wie sieht die aus! Würdig des ganzen -Anzuges! Als ich mir am ersten Morgen Gesicht und Nacken in -frischem Wasser badete, sah meine junge Stubengenossin mich ganz -erstaunt an und sagte: »Waschen Sie sich immer so, Mademoiselle?« -»Natürlich, Louison,« erwiederte ich, »thun Sie es denn nicht auch?« -»<span class="antiqua">O mon dieu non!</span>« rief sie ganz entsetzt aus, »ich würde sicher den -Tod davon haben!« Und wirklich sah ich nun, daß sie nur eben die -Zipfel eines Tuches in's Wasser tauchte und sich die Augen damit -anfeuchtete, das war die ganze Wäsche. Daß man sich auch Mund -und Zähne reinigt, daß Nagel- und Kleiderbürsten existiren und -benutzt werden, daß Seife schmutzigen Händen ein Bedürfniß ist, -alles das sind Dinge, welche nicht zur Kenntniß dieser jungen Mädchen -gehören. Und doch wäre in diesem Lande, wo der Sommer so<span class="pagenum"><a name="Page_72" id="Page_72">[Pg 72]</a></span> -heiß und lang ist, Reinlichkeit ein doppeltes Bedürfniß. Ich sehne -mich ordentlich danach, einmal einen Blick in andere Pensionen und -andere Häuser zu thun; denn unmöglich kann doch solche Unsauberkeit -allgemein verbreitet sein. Was ich jedoch hier in dem kleinen -Orte sehe, gleicht freilich alles mehr oder weniger unserer theuren -Pensionsanstalt! Aber wenn ich nun an den Menschen und deren -Sitten auch vieles anders wünsche, wie köstlich ist dafür die Natur, -die mich umgiebt! Ein so entzückend schönes Thal, wie das ist, in -dem unser altes kleines Städtchen liegt, kann man so bald nicht -wieder finden. Von den Bergen rauschen frische Quellen hernieder -und bilden tausend kleine Cascaden; das üppigste Grün, durchzogen -von blühenden Büschen und Bäumen, deckt trotz der Nähe des Winters -noch überall Höhen und Tiefen, und von einzelnen nackten -Felsspitzen schauen prächtig zerfallene Ruinen herab in das Thal, von -ehemaliger Größe und Herrlichkeit erzählend. Pflanzen, von denen -wir kleine Zweige zu Hause als kostbare Schätze im Fenster stehen -haben, blühen und wuchern hier als riesige Büsche und Sträucher, -und was üppiger Pflanzenwuchs ist, davon habe ich jetzt erst einen -Begriff bekommen. Wie würdest Du, beste Tante, die Du die -Blumen so liebst, Dein Herz erfreuen an all' den köstlichen Gewächsen, -welche mich hier umgeben und welche die Verfallenheit und -Unsauberkeit so reizend verhüllen, daß man beinahe mit derselben -ausgesöhnt wird.« —</p> - -<p>So verstand es Esther, die Augen für das Schöne zu öffnen, -das sie umgab, und für die unerquickliche Existenz, in welche das -Schicksal sie geführt, sich möglichst reiche Entschädigung zu suchen. -Ihr heiterer Sinn erfreute sich mehr und mehr an der Liebenswürdigkeit -ihrer Umgebung, und die lustige junge Schaar hing bald mit -feuriger Verehrung an der neuen Lehrerin.</p> - -<p>Mit sehnsüchtiger Erwartung hoffte Esther von Tag zu Tag<span class="pagenum"><a name="Page_73" id="Page_73">[Pg 73]</a></span> -auf eine Nachricht von Herrn Martin aus Nîmes; aber Woche auf -Woche verging und noch immer kam kein Brief. Esther glaubte, -der alte Herr werde sein Versprechen wohl vergessen haben, und es -werde ihr nichts übrig bleiben, als die Sache selbst in die Hand zu -nehmen. Dazu aber mußte sie das Weihnachtsfest abwarten, wo -einige Tage Ferien den täglichen Unterricht unterbrachen und ihr -eine Reise nach Nîmes ermöglichten. Da aber brachte der Briefträger -ihr eines Morgens doch noch den sehnlich erwarteten Brief, und -erwartungsvoll öffnete Esther denselben. Ihr alter Freund schrieb -ihr sehr verbindlich und freundlich und bat um Verzeihung, daß er -sie so lange auf Nachricht habe warten lassen; aber er sei durch -Krankheit verhindert worden, sein Versprechen zu erfüllen. Nun -freue er sich, ihr über den betreffenden Herrn Richard Bescheid sagen -zu können. Derselbe sei Kaufmann und habe vor Jahr und Tag -eine überseeische Reise angetreten. Wann er von derselben zurückkommen -werde, sei ungewiß, wahrscheinlich im kommenden Frühjahr. -Da der Herr unverheirathet sei und auch keine sonstigen Anverwandten -in Nîmes habe, bedauere Herr Martin, nichts Genaueres -weiter über ihn erfahren zu können.</p> - -<p>Diese Nachricht war für Esther sehr betrübend. Alle ihre -schönen Pläne, Hoffnungen und Wünsche schienen für jetzt scheitern -zu sollen; denn wenn derjenige, von dem Esther die Schuld einfordern -wollte, fern war, und niemand weder seinen Aufenthalt noch -die Zeit seiner Rückkehr angeben konnte, so war ja alles vergebens. -Selbst wenn sie Frau von Ihlefeld von der Auffindung des Scheines -sagen wollte, erreichte sie damit weiter nichts, als diese unnöthig aufzuregen, -denn in der Ferne hätte dieselbe ja noch weniger wirken -können. Esthers hatte doch wenigstens noch immer die Hoffnung, daß -Herr Richard während ihres Aufenthaltes in Frankreich zurückkommen -würde. Sie prüfte lange, was das Beste sein möchte, und<span class="pagenum"><a name="Page_74" id="Page_74">[Pg 74]</a></span> -sehnlichst wünschte sie, sich mit jemand berathen zu können. Nach -reiflicher Ueberlegung war sie entschlossen, ruhig in ihrer jetzigen -Stellung zu bleiben und ihr Geheimniß wie bisher für sich zu behalten, -bis sie dennoch vielleicht bald mit dem glücklichen Resultat -vor ihre Lieben hintreten konnte. Das Opfer, welches sie brachte, -war groß; denn die Existenz, in der sie auszuharren beschloß, wurde -mit dem herankommenden Winter immer unerfreulicher. Frühe -Kälte und sogar Schnee kamen Mitte December über die Berge gezogen -und machten sich in dem kleinen hochgelegenen Städtchen, -das im Sommer seiner kühlern Temperatur wegen als angenehmer -Aufenthalt besucht wurde, ziemlich unangenehm fühlbar. Und man -litt in diesen Gegenden vielmehr durch die Kälte, als im Norden, -wo man sich dagegen zu schützen versteht. Aber hier besonders, in -dieser wüsten Pensionsanstalt, wurde der Aufenthalt durch Kälte und -Schnee fast unerträglich. Die steinernen Fußböden, durch keinen -Teppich geschützt, waren ohnehin schon kalt wie Eis; aber mit ihren -dicken Holzschuhen, Sabots genannt und wie kleine Kähne gestaltet, -trugen die unruhigen Füße der quecksilberigen jungen Schaar unablässig -alle Nässe und allen Schnee von Hof und Straße mit herein, -so daß der Fußboden sich binnen Kurzem in einen wahren Sumpf -verwandelte. Keine Thüre schloß und kein Fenster hielt Wind und -Kälte ab, und wenn es dem schwarzen Kamin auch wirklich endlich gelungen -war, nach unsäglichem Rauchen und Qualmen etwas Wärme -um sich her zu verbreiten, der erste Windstoß warf diese oder jene Thür -wieder auf, und aus dem offenen Hausflur strömte dann die ganze -Winterkälte wie im Triumphe herein, denn niemand beeilte sich, ihr -den Eingang wieder abzuschneiden. Besonders wenn der Mistrâl -wehte, ein Wind, der dort heimisch und von markdurchdringender -Schärfe und Intensität ist, wußte man sich mitten im Zimmer und -selbst im Bett kaum zu retten vor Zugluft und Unbehagen. Dieser<span class="pagenum"><a name="Page_75" id="Page_75">[Pg 75]</a></span> -Wind dauert stets mehrere Tage, der Himmel ist dabei tiefblau und -die Sonne blitzend, aber die Luft von einer Schärfe, daß nichts vor -ihrem Eindringen schützt, und Thüren und Fensterrahmen Spalten -bekommen, so trocknet der Wind sie aus.</p> - -<p>Aber so sehr Esther durch diese Zustände litt, die muntern Französinnen -ließen sich dadurch wenig aus ihrer guten Laune bringen, -und wenn der Wind recht eisig durch Thür und Fenster pfiff, dann -trappelten sie desto lustiger mit ihren hölzernen Sabots auf dem steinernen -Fußboden umher, daß man meinen konnte, eine Schwadron -Cürassire komme über das Steinpflaster geritten. Es war ein unaussprechlicher -Spectakel; aber den lebendigen Kindern machte das gerade -Vergnügen. Gut, daß Esthers Nerven von solider Stärke waren, -sonst hätte sie diesen Lärm und dieses Treiben nicht lange ertragen. — -So kam das Weihnachtsfest heran, und Esther's Herz übermannte -jetzt eine so unsägliche Sehnsucht, daß sie all' ihrer tapfern Entschlossenheit -bedurfte, um nicht die Flinte in das Korn zu werfen und auf -und davon zu gehen, der lieben Heimath wieder zu, mit den Ihren -das schönste aller Feste zu feiern. Hier in Frankreich hatte man -keine Idee von der Feier des Weihnachtsfestes, wie Esther es kannte; -Geschenke gab man sich am Neujahrstage, aber ohne besondere Festlichkeit.</p> - -<p>Der Arzt der Pension, dessen Frau eine Deutsche war, hatte -sich sehr freundlich gegen Esther bewiesen und das junge Mädchen -durfte diese Familie zuweilen besuchen. O wie athmete sie hier auf -in dieser sauberen, geordneten Häuslichkeit, und hier fühlte sie erst, -wie leicht man bei verständiger Vorsorge den dortigen Winter ertragen -konnte, der trotz Mistrâl doch unendlich viel milder war als -ein deutscher. Von dieser Familie wurde Esther eingeladen, das -Weihnachtsfest mit ihnen zu feiern, und freudig folgte das junge -Mädchen dieser Aufforderung. Am Nachmittage schon machte sie sich<span class="pagenum"><a name="Page_76" id="Page_76">[Pg 76]</a></span> -auf den Weg, und bei köstlich warmem Sonnenschein, wie er in der -Heimath etwa im Mai die Erde wärmt, durcheilte sie die Straßen. -Ihr Weg führte sie durch einen großen öffentlichen Garten, auf dessen -Terrassen eine Menge Frauen bei ihrer Spindel saßen, gerade wie -im Sommer, die Kinder zu ihren Füßen spielend.</p> - -<p>Aber wie köstlich war auch noch alles grün trotz Winter und -Schnee! Ueppiges Moos deckte überall die ruinenhaften Mauern, -saftig grüne Wiesen zogen sich weithin, Cypressen und Lorbeer und -immergrüne Eichen standen mit vollem Laube in dichten Gruppen, -Oliven mit ihrem matten Grün breiteten sich dazwischen aus. -Eine Menge wundervoller fremdartiger Bäume wölbten ihr Laubdach -über Esther, von denen besonders einer mit brennend rothen -Früchten ihr Auge entzückte, man nannte ihn Arbousier. Dichte -Hecken von hohem Oleander und in weißen Dolden blühenden -Gewächsen zogen sich ringsum, üppige Schlingpflanzen rankten sich -hernieder, und überall blühte die Monatsrose in Fülle, von Veilchen, -Narcissen, Tazetten und tausend anderen Blumen umringt. Es -war eine Pracht und ein Reichthum in der Natur, daß Esthers Herz -laut jubelte und sie sich nicht satt sehen konnte an all' dem Schönen. -Wie herrlich mußte diese Natur erst im Frühjahr sein, wenn am -Weihnachtsabend, mitten im Winter, schon alles in dieser Weise -blühte und duftete!</p> - -<p>Die Doktorin empfing Esther mit großer Herzlichkeit, und das -junge Mädchen verlebte den Abend so angenehm, daß ihr Heimweh -fast gänzlich Abschied nahm. Mit Jubel begrüßte sie eine schöne grüne -Tanne, den lieben nordischen Weihnachtsbaum, der in vollem Lichterglanze -ihr entgegenlachte, als wäre sie zu Hause in ihrem trauten -Waldhause. Man hatte den Baum in eine riesige Vase gepflanzt, -und statt der Aepfel lachten goldene Apfelsinen aus dem grünen -Laube. Eine dicke Guirlande von frischen rothen Rosen, die man am<span class="pagenum"><a name="Page_77" id="Page_77">[Pg 77]</a></span> -Morgen im Weinberge gepflückt, zog sich um den Rand der Vase; -hohe silberne Candelaber waren mit Gewinden von Lorbeer und -Oleander umschlungen und durch Rosenketten verbunden, und an -diesen Guirlanden wie an dem Tannenbaum hing eine Menge -buntes Zuckerwerk und silberne und goldene Kugeln. Es war ein -reizender Anblick. Für Esther lagen einige hübsche Geschenke unter -dem Baume, und als beste Gabe ein dicker Brief aus der Heimath, -den der Doktor heimlich dem Briefträger abgenommen hatte. Esthers -Dank und Freude war namenlos, einen so herrlichen Weihnachtsabend -hätte sie nimmer in der Fremde erwartet, und diese Freude -stärkte sie wieder für all' die vielen unangenehmen Tage, welche noch -vor ihr lagen.</p> - -<p>Unter wenig erfreulichen Verhältnissen, in welche Esther ihr -Geschick geführt, verging der Winter, und ein Frühjahr kam -herbei, so warm und wonnig und so reich an Blüthen und Düften -ringsum, daß Esther alles Ungemach vergaß und mit vollem Herzen -diese Zauberwelt genoß. Sie schrieb glückselige Briefe an ihre -Lieben in der Heimath, bei denen der Winter noch mit all' seinen -rauhen Lüften und mit Kälte und Schnee regierte, während es -rings um Esther schon blühte und duftete.</p> - -<p>Als dann aber auch in Deutschland das Frühjahr gekommen -war, da brannte die Sonne schon so heiß und sengend auf die Fluren -hernieder, in denen Esther umherwanderte, daß sich diese gar oft -ihren nordischen Himmel herbei wünschte.</p> - -<p>Mit dem Frühjahr sollte sich ja vielleicht Esthers Hoffen und -Harren belohnen, so glaubte sie sicher, und ihr alter Freund hatte -ihr versprochen, sobald er Kunde über die Rückkehr Herrn Richard's -erhalten könne, wolle er sie sogleich benachrichtigen. Aber Woche -um Woche verging abermals, und kein Brief kam. Die warmen -Frühlingstage verwandelten sich in heißen Sommer, unter dessen<span class="pagenum"><a name="Page_78" id="Page_78">[Pg 78]</a></span> -sengender Sonnengluth alles verdorrte und verbrannte, so daß statt -der saftigen Fluren eine gelbbraune Decke sich überall ausbreitete, -und Menschen und Thiere nach Kühlung schmachteten.</p> - -<p>Jetzt bot das eisig kalte Steinhaus, in dem Esther wohnte, allerdings -angenehmen Schutz vor der Sonnengluth; aber doch freute -sich das junge Mädchen, daß einige Wochen Ferien die Stunden -unterbrechen sollten, denn sie fühlte sich oft unendlich müde und angegriffen. -Das stete vergebliche Hoffen machte sie nervös und niedergeschlagen, -sie sah ja, daß ihr Opfer vergebens sein und sie ohne -das Geld nach Hause zurückkehren mußte. Sie hatte gehofft, die -Erlangung dieses Schatzes werde ihr die Stellung in England ersparen, -und sie könne wieder zurück in ihr Waldhaus. Nun schwand -auch diese Freude; denn wenn sie nichts verdiente, litt Bertel Mangel -und konnte nicht weiter studiren. So mußte sie also jene Stelle -binnen Kurzem antreten; man wollte dort nicht länger warten, -wie Pastor Krause ihr schrieb. Schon beabsichtigte Esther, gleich -beim Beginn der Ferien nach Hause zurück zu kehren, da schrieb ihr -Herr Martin, seine Frau wollte für einige Wochen in das Seebad -nach Cette gehen und würde sich freuen, wenn Esther sie begleiten -wolle. Er bitte sie, vorher für einige Tage in Nîmes ihr Gast sein -zu wollen. Esther zögerte anfangs, dies Anerbieten anzunehmen, -ihre angegriffene Gesundheit aber bedurfte allerdings der Stärkung -durch Seebäder; denn neue Pflichten erwarteten sie ja, für welche -sie eines kräftigen Körpers bedurfte. So nahm sie denn Abschied -von ihren liebenswürdigen Pensionsgefährtinnen, die ihr trotz aller -Mängel und Fehler herzlich lieb geworden waren, und eilte unter -das gastliche Dach ihres guten alten Freundes in Nîmes.</p> - -<p>Hier wurde sie mit großer Herzlichkeit aufgenommen und fand -eine angenehmere Häuslichkeit, wenn auch ein deutsches Hauswesen -diese südlichen Zustände bedeutend an Behagen übertraf. Frau<span class="pagenum"><a name="Page_79" id="Page_79">[Pg 79]</a></span> -Martin war eine lebendige, liebenswürdige, alte Dame, und die -beiden guten Alten machten es sich zur Aufgabe, Esther alle Sehenswürdigkeiten -von Stadt und Umgegend zu zeigen.</p> - -<p>Es traf sich gerade, daß man einen Geburtstag in der kaiserlichen -Familie feierte, wozu die ganze Stadt sich mit Fahnen, Guirlanden -und Teppichen geschmückt hatte, was den Straßen einen -äußerst freundlichen Anblick verlieh. Große Processionen durchzogen -die Stadt, Abends war brillantes Feuerwerk und Illumination, das -Schönste aber war am andern Tage ein Volksfest in den alten -Mauern der Arena, wozu jedermann freien Zutritt hatte. Unser -altes Pärchen führte natürlich seinen Gast auch dahin, und mit -Staunen und Entzücken sah Esther dieses prächtige Schauspiel mit -an. Die vortrefflich erhaltenen Ruinen der einst durch die Römer -erbauten Arena waren jetzt von oben bis unten überdeckt von vielen -Tausend Menschen, und jedes Plätzchen, so klein oder gefährlich es -auch sein mochte, war besetzt. Alle diese Terrassen, Bogen, Arkaden, -ja selbst der oberste Rand der Umfassungsmauer, alles stand gedrängt -voll Menschen, und da war kein Stein, kein Pfeiler, der nicht seine -interessante Gruppe aufwies. Auf einzelnen losgebrochenen Mauerresten -standen und hingen kühne Burschen, und während ihre braunen -Gesichter vor Vergnügen leuchteten, baumelten sie lustig mit den -nackten Beinen über dem Abgrunde und lachten der ängstlichen Rufe -und Blicke um sie her. Männer und Weiber, Kinder und Greise, -zerrissene Bettler und elegante Damen, alles drängte sich dicht an -einander, sitzend, stehend, hängend, kauernd oder liegend, wie es eben -ging; aber alles jubelnd, schreiend, lachend und hoch oben darüber -der tiefblaue Himmel, wie ihn eben nur der Süden aufzuweisen hat. -Während unten in der Arena Seiltänzer und Jongleure ihre Künste -zeigten, ein Luftballon emporgelassen wurde und bei laut kreischender -Musik allerlei Tänze und Scherze aufgeführt wurden, wanderten<span class="pagenum"><a name="Page_80" id="Page_80">[Pg 80]</a></span> -auf der untersten Terrasse eine Menge Verkäufer umher, die Zuschauer -mit Früchten und Gebäck zu versorgen. Mit wahrhafter -Virtuosität schleuderten diese Händler ihre Waaren bis hoch zu den -obersten Sitzen hinauf, und gelbe Citronen, goldene Apfelsinen, lange -Weißbrode, Feigen, Pfirsiche, Stücke Melonen, alles flog und -schwirrte durch die Luft und wurde ebenso geschickt aufgefangen als -geschleudert. Verfehlte aber ein unglückliches Gebäck oder eine leckere -Frucht einmal ihr Ziel und rollte in ein Gebüsch oder in das lose -Steingeröll, dann zitterte die Luft von endlosem Jubel, und tausend -Hände und Füße waren in Bewegung, den Schatz zu erobern. -Esther war ganz hingerissen von dem Zauber dieses echt südlichen -Festes, und feurig und lebendig wie auch ihr Temperament war, -jubelte sie mit ihren französischen Nachbarn um die Wette und vergaß -es vollständig, daß von allen Seiten der verhaßte Knoblauchgeruch -sie einhüllte, und eine Menge höchst uncivilisirter Beine über -ihrem Kopfe baumelten.</p> - -<p>Nach einigen in Nîmes froh verlebten Tagen reiste Esther in -Gesellschaft der alten Frau Martin nach Cette ab, das prächtig am -Gestade des Mittelmeeres sich hinzog. Von dort gedachte sie einige -Wochen später in die Heimath zurückzukehren, und Frau von Ihlefeld -dann selbst die Erlangung jenes Kapitals zu überlassen, da ihr diese -Freude nicht vergönnt ward. Der Anblick des Meeres war ein -neuer Genuß für Esther, und mit Entzücken badete sie ihre Glieder -in dieser herrlichen Fluth. Sie fühlte sich durch die Bäder bald -wunderbar gestärkt und belebt, und da auch das Zusammensein mit -Frau Martin durchaus angenehm war, so freute sich Esther aus -voller Seele dieser schönen Tage. Leider aber war Frau Martin -schon nach Kurzem genöthigt, wieder nach Hause zurückzukehren, da -ihr Mann heftig erkrankte; da sie aber hoffte, bald wieder nach Cette -kommen zu können, blieb Esther zurück, durch die alte Dame den -braven Hauswirthen warm empfohlen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_81" id="Page_81">[Pg 81]</a></span></p> - -<p>In dieser Zeit war es, wo eine junge Dame Esthers Bekanntschaft -erneuerte, welche schon in Nîmes in der Arena neben ihr -gesessen und sie mehrfach angesprochen hatte. Esther freute sich, -Gesellschaft zu haben, und obwohl sie eigentlich keinen großen Gefallen -an der Dame fand, kam sie doch täglich mit derselben zusammen. -Sie nannte sich Mademoiselle Lasson, war sehr heiter -und gesprächig, und Esther vergaß in ihrer Gesellschaft alle trüben -Sehnsuchtsgedanken. Dies veranlaßte sie, häufiger mit Mademoiselle -Lasson zusammen zu sein, als sie sonst wohl gethan hätte.</p> - -<p>An einem herrlichen Sommerabend ging Esther auch wieder -mit ihrer neuen Freundin am Meeresstrande spazieren, und mit -ihnen noch viele andere Badegäste. Man hatte in der Ferne das -Herankommen eines Schiffes gesehen, und das Einlaufen eines solchen -in den Hafen war stets ein Vergnügen für die Fremden. Auch -Esther freute sich des Anblicks, wie das schöne, stolze Schiff auf den -Wellen daher segelte, und als dann die Ankommenden ausstiegen, -betrachtete sie dieselben voll natürlicher Neugierde. Da ging einer -der angekommenen Herren an ihr vorüber. Mademoiselle Lasson -begrüßte denselben und zwar mit so lauten Worten und fröhlichem -Lachen, daß Esther etwas scheu zurücktrat. Der Herr blickte auf und -schien über die Begrüßung durchaus nicht erfreut; denn mit einem -kurzen Seitenblick auf Esther ging er leicht grüßend davon.</p> - -<p>»Wer war der Herr, Mademoiselle?« fragte Esther rasch.</p> - -<p>»O, ein alter Bekannter von mir, Monsieur Richard; er schien -mich nicht recht zu erkennen,« sagte die Dame achselzuckend.</p> - -<p>»Herr Richard?« rief Esther freudestrahlend. »Herr Richard aus -Nîmes? Der Neffe des Herrn Etienne de Villemaud?«</p> - -<p>»Wie seine Verwandten alle heißen, weiß ich wahrlich nicht,« lachte -Jene, »ich glaube aber, den Namen gehört zu haben. Er that -diesem Herrn hier den Gefallen, zu sterben und ihm sein schönes<span class="pagenum"><a name="Page_82" id="Page_82">[Pg 82]</a></span> -Geld zu hinterlassen, wenn ich nicht irre. Was wissen Sie denn -von diesem Kauz, liebe Kleine?«</p> - -<p>Esther war so aufgeregt vor Freude, Glück und Wonne, daß sie -zitterte und ihrer Begleiterin in kurzen Worten sagte, daß es für sie -von unendlicher Wichtigkeit sei, diesen Herrn zu treffen. »O bitte, -wir wollen ihm schnell nacheilen, daß er nicht abreist, ehe ich ihn -gesprochen habe!« rief sie glühend und zog Mademoiselle Lasson -mit sich fort.</p> - -<p>»Halt, liebe Kleine, nicht so hitzig!« lachte diese und machte ein -so sonderbares Gesicht, daß Esther verlegen stehen blieb.</p> - -<p>»Sie sind ja sehr eilig hinter dem Herrn her, der wenig von -uns wissen zu wollen schien. Ich weiß, er kehrt hier bei einem Bekannten -ein, da werden Sie ihn zeitig genug treffen auch ohne so -große Eile. Aber hingehen wollen wir, da Ihnen so viel daran zu -liegen scheint. Ich darf doch mit Ihnen gehen?«</p> - -<p>Esther dankte ihrer Begleiterin herzlich, daß sie ihr zur Seite -bleiben und sie zu der Wohnung Herrn Richard's führen wollte. Zuerst -aber eilte sie nach Hause, das wichtige Papier zu holen, das ihr -bisher so viel Angst und Sorge, Hoffnung und Enttäuschung gebracht -hatte. Ihre Begleiterin führte sie bis zu dem betreffenden Hause, -dann aber verabschiedete sie sich, was Esther im Grunde nicht unlieb -war, sollte doch niemand weiter von ihrem Geheimniß erfahren.</p> - -<p>Als sie Herrn Richard gegenüber stand, schlug ihr doch das Herz -gewaltig vor banger Erwartung, besonders da jener Herr ihr sehr -kalt und erstaunt entgegentrat und sie mit wenig freundlichen Blicken -anschaute und nach ihrem Begehr fragte. Esther nannte ihren -Namen und versicherte sich zuerst, daß sie auch die gesuchte Persönlichkeit -vor sich habe; dann aber nahm sie mit zitternder Hand den -Schuldschein aus ihrer Brieftasche und sagte: »Mein Herr, wissen -Sie von dieser Schuld?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_83" id="Page_83">[Pg 83]</a></span></p> - -<p>Herr Richard blickte das Blatt voll Staunen an und sagte: -»Der Empfang der Summe ist in den Büchern meines Vetters notirt, -aber kein Name. Ich habe bisher umsonst gewartet, daß der -Gläubiger sich melden solle. Aber mein Fräulein, wie kommen <em class="gesperrt">Sie</em> -zu dem Schuldscheine?« Und wieder blickte er Esther prüfend in das -glühende Gesicht.</p> - -<p>»Der Schein war seit Jahren verloren, durch einen Zufall kam -er in meine Hände,« sagte Esther ruhig, aber unwillkürlich noch -tiefer erröthend.</p> - -<p>»So, durch einen Zufall? Und Sie wünschen, ich soll das Geld -an Sie auszahlen?« entgegnete der Kaufmann scharf.</p> - -<p>»Ja, natürlich wünsche ich das,« sagte Esther unbefangen.</p> - -<p>»So besitzen Sie eine Vollmacht, welche Sie berechtigt, die -Summe von mir zu fordern im Namen des Gläubigers?« entgegnete -Herr Richard.</p> - -<p>»Eine Vollmacht?« sagte Esther betroffen. »Nein, wozu bedürfte -es einer solchen? Herr von Ihlefeld ist todt, seiner Familie aber -stehe ich so nahe, daß Sie mir das Geld getrost ohne solche Vollmacht -einhändigen können. Ich bin mit dem Sohne des Hauses erzogen -und besitze das volle Vertrauen der Mutter, welcher ich mit der -Ueberbringung des Geldes eine unerwartete Freude machen will, da -sie in sehr dürftigen Umständen lebt. Ich habe ihr die Auffindung -des Schuldscheines, den ich in einem Buche fand, welches sie mir -geliehen, nicht mitgetheilt, um ihr unnöthige Unruhe zu ersparen. -Mein Weg führte mich nach Frankreich, und so nahm ich Gelegenheit, -den Erben jenes Herrn Etienne von Villemaud aufzusuchen, -um Frau von Ihlefeld bei meiner Heimkehr das Geld statt des -Scheines zu überreichen. Schon glaubte ich meine Hoffnungen betrogen, -da Sie für unbestimmte Zeit von der Heimath abwesend -waren; da führte ein günstiger Zufall mich heute in Ihre Nähe,<span class="pagenum"><a name="Page_84" id="Page_84">[Pg 84]</a></span> -und so ist der Zweck meines Aufenthaltes in Frankreich doch nicht -vergebens.«</p> - -<p>Herr Richard hatte Esther's Erzählung mit einiger Ungeduld -angehört; jetzt sagte er kalt: »Darf ich um Ihre Legitimation bitten, -mein Fräulein?«</p> - -<p>»Mein Paß liegt in Nîmes bei Herrn Martin,« sagte Esther -unbefangen, »ich glaubte ihn hier nicht zu brauchen.«</p> - -<p>»So?« entgegnete der Kaufmann ironisch. »Ich weiß nicht, mein -Fräulein, über was ich mich mehr wundern soll: über Ihre Dreistigkeit, -ohne jegliche Vollmacht und Legitimation eine solche Forderung -zu stellen, oder über die Naivität, mir jenes Märchen zu -erzählen, den Schein betreffend. Haben Sie in der That geglaubt, -irgend jemand würde Ihnen ohne Sicherheit und ohne Vollmacht -jene Summe auszahlen? Wer bürgt denn dafür, daß Sie das Geld -auch den Erben bringen, da diese gar nichts davon wissen, daß der -Schein gefunden ist?«</p> - -<p>»Mein Herr!« fuhr Esther empört auf, »wie können Sie mich so -beleidigen? Ich bin die Tochter eines Predigers und keine Diebin.«</p> - -<p>»Wenigstens wären Sie eine sehr ungewitzigte Diebin, mein -Fräulein,« sagte Jener trocken. »Denn ohne Vollmacht würde Ihnen -schwerlich jemand das Geld geben, ich wenigstens bin kein solcher -Thor. Aber da Sie glaubten, das Geld werde Ihnen ausgezahlt -werden ohne Vorzeigung des Scheines, so entstand diese Hoffnung -vielleicht schon bei Erlangung desselben. Gerade daß Sie der Familie -so nahe standen, ermöglichte ja die Erwerbung jenes Papieres. -Jene Dame, in deren Gesellschaft ich Sie soeben am Strande sah, -ist eine sehr schlechte Empfehlung für Ihre Solidität und Ehrlichkeit, -mein Fräulein. Sie selbst habe ich nicht die Ehre zu kennen, ich -gestehe Ihnen aber ehrlich, daß ich Ihnen gleich mit Mißtrauen -entgegen kam, denn Sie werden das Sprichwort kennen: »<span class="antiqua">Dis-moi -que tu hantes, et je te dirai que tu es.</span>«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_85" id="Page_85">[Pg 85]</a></span></p> - -<p>Esther war außer sich. »Mein Herr!« rief sie, in Thränen ausbrechend, -»Sie beschimpfen ein ehrliches, schutzloses Mädchen! Meine -Unerfahrenheit hat mich in eine böse Situation gebracht; aber gerade -diese sollte Ihnen dafür bürgen, daß ich unschuldig bin. Jene -Dame kenne ich kaum und habe keine Ahnung davon, daß sie für -ein ehrliches Mädchen keine passende Gesellschaft ist. Uebrigens verlange -ich jetzt, daß Sie augenblicklich an Frau von Ihlefeld schreiben -und sich nach Esther Wieburgs Ruf erkundigen; ich selbst werde ein -Gleiches thun und die Auffindung des Scheines und alles andere -berichten. Sie haben die unbescholtene Tochter eines Predigers -tödtlich beleidigt; Gott verzeihe es ihnen.« Dann schrieb sie rasch -Frau von Ihlefelds Adresse auf einen Zettel und wandte sich stolz -nach der Thür; mit einem kalten Gruß ging sie hinaus. Zu -Hause angekommen sank sie weinend auf ihre Knie. Lange schluchzte -sie krampfhaft und leidenschaftlich; denn der Gedanke, hier als eine -Diebin, als eine schamlose Betrügerin behandelt worden zu sein, -war ihr entsetzlich. Wenn auch nach kurzer Zeit der Verdacht von -ihr genommen wurde, der Schatten hatte doch auf ihr geruht und -ihr war, als sei sie nun für ewig gebrandmarkt. »O Bertel, Bertel, -deinetwegen habe ich alles das zu ertragen!« rief sie, das Gesicht in -den Händen verbergend.</p> - -<p>Aber endlich ermannte sie sich und eilte nach ihrem Schreibtische. -Sie mußte Herrn Martin brieflich bitten, ihren Paß ihr zu übersenden, -den sie bei ihm deponirt hatte, damit sie sich durch diesen -legitimiren konnte. Dann aber schrieb sie an Frau von Ihlefeld, -dieser ihr ganzes Wünschen und Hoffen darlegend, und wie sie vergebens -durch die Auffindung jenes Schuldscheines und die Erwartung, -gleich selbst die Geldsumme erheben zu können, zu der Reise nach -Frankreich bestimmt worden sei. Dann erzählte sie ihr die Behandlung, -welche sie durch Herrn Richard erlitten und bat dringend um<span class="pagenum"><a name="Page_86" id="Page_86">[Pg 86]</a></span> -jene wichtige Vollmacht, damit sie das Geld erheben könne, und ihre -Ehre wieder hergestellt werde. Als sie das Schreiben fortgetragen, fand -sie bei ihrer Rückkehr einen Brief in ihrem Zimmer. Er war aus der -Heimath. Welch ein herrlicher Trost in aller Trübsal und Kränkung. -Voll Freude öffnete sie das Schreiben, es war ein Brief von Bertel -und ein kurzer von Frau Booland. Esther las den kurzen Brief zuerst, -er lautete:</p> - - - -<blockquote> -<p class="center">»Mein liebes theures Kind!<br /> -</p> - -<p>Heute schreibe ich Dir nicht viel, obwohl mir das Herz zum -Zerspringen voll ist. Bertels Brief enthält das Weitere. Ich -habe es immer gedacht, so werde es einmal kommen; denn Adel -bleibt Adel, und Geld hat einen schönen Klang. Bertel ist ein -guter Sohn, er will seine Mutter nicht betrüben, indem er ihrem -Willen entgegen ist, er ist ja so leicht zu etwas zu bestimmen. -Ob er dadurch freilich den Dolch in <em class="gesperrt">das</em> Herz stößt, das ihm -anhängt mit unerschütterlicher Treue, und dessen dieser Undankbare -nie und nimmer würdig war, das kommt nicht in seinen -Sinn. Aber genug, mein Herzblatt, ich will meine bittern -Thränen still für mich weinen und Dir dein armes Herzchen nicht -noch schwerer machen. Nun gehst Du nicht nach England, sondern -bleibst bei mir, Deiner ewig und unwandelbar getreusten</p> - -<p class="right">Friederike Booland.«<br /> -</p></blockquote> - - -<p>Mit zitternder Hand faltete nun Esther Bertels Brief von einander. -Was konnte er enthalten, daß Tante Booland so gegen ihn -erzürnte? Die Buchstaben schwammen vor ihren Augen, lange Zeit -konnte sie die geliebten Schriftzüge nicht festhalten. Endlich aber -las sie, was Bertel schrieb. Nach einigen unwichtigeren Notizen -erzählte er ihr, daß er seit einiger Zeit ein häufiger Gast in seinem -einstigen Vaterhause in Rahmstedt sei, das jetzt in den Besitz eines -entfernten Anverwandten, eines Herrn von Sassen, übergegangen<span class="pagenum"><a name="Page_87" id="Page_87">[Pg 87]</a></span> -sei. Die Frau sei todt, eine ältliche Cousine vertrete ihre Stelle im -Hause. Er sei hier mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, -und auch seine Mutter sei, nachdem sie den ersten Schmerz überwunden, -in das Haus wieder eingetreten, wo sie so Schreckliches -erlebt. Nun verkehrten sie Beide häufig mit diesen Verwandten, welche -früher im Auslande lebten, und es habe sich ein sehr inniges Verhältniß -zwischen beiden Familien gebildet. Die höchst anmuthige -junge Tochter Susanne, das einzige Kind des Onkels, sei ihm wie -eine Schwester entgegengekommen, und er sei dem hübschen Kinde -herzlich zugethan. Mit Esther freilich dürfe er sie nicht vergleichen, -aber wer käme dieser überhaupt gleich? — Seine Mutter habe ihm -nun vor einigen Stunden gesagt, daß der Onkel eine Verbindung -ihrer beiden Familien sehr wünsche, und Bertel ihm trotz seiner -Armuth einst ein willkommner Gatte für sein Kind sein werde. Frau -von Ihlefeld habe keinen höhern Wunsch, als daß ihr Sohn zu -diesem Plane die Hand reiche, und auch Susanne werde sich sicher -damit einverstanden erklären, das dürfe er erwarten; denn sie sei ein -gutes, fügsames Kind, das dem Willen des Vaters schwerlich entgegen -sein würde. »Der Reichthum des Onkels,« schrieb Bertel -weiter, »sichert meiner Mutter eine sorgenfreie Zukunft, und für -mich selbst erschließt sich eine neue Welt. Mein einstiges Vaterhaus -nimmt mich wieder auf als Sohn und Erben, und der Besitz dieses -lieben Mädchens giebt mir zugleich die Mittel in die Hand, die -Träume meiner Jugend zu verwirklichen und im Dienste meiner -Wissenschaft Reisen zu machen. Ein Archäolog, zu dem ich mich -bilden will, ist nichts ohne Reisen, und so verschafft dieser Bund -allen Theilen Glück und Vortheil. Aber so sehr ich entschlossen bin, -einen so wichtigen Schritt zu thun,« schrieb Hubert weiter, »so muß ich -doch wissen, wie Du darüber denkst, meine gute Esther. Schreibe -es mir ganz ehrlich; denn einen bessern Freund als Dich habe ich ja<span class="pagenum"><a name="Page_88" id="Page_88">[Pg 88]</a></span> -nie besessen, und nie im Leben habe ich etwas Wichtiges ohne Deinen -Rath und Deine Billigung unternommen. Wohl weiß ich es, meine -liebe theure Schwester, mein Glück ist auch immer das Deine gewesen, -das hast Du mir bewiesen, seit wir als kleine Kinder schon -alles Leid und alle Freuden mit einander getheilt haben. Doch ich -möchte ein Wort von Deiner lieben Hand sehen, möchte von Dir -selbst hören, daß Du mein Vorhaben billigst, sonst kann ich meines -Glückes nicht froh werden. Lange war ich unschlüssig, ob ich mich -in dieser Weise binden sollte; aber meine Mutter drängt, und ich -sehe ja selbst ein, daß diese Verbindung große Vortheile für uns hat. -Aber dennoch — ach Esther, mein lieber, getreuer Kamerad, sage -auch Du, daß ich recht thue, daß Du es vernünftig und gut findest, -und daß Du auch ferner meine liebe, treue Schwester bleiben -willst. Dann erst bin ich ruhig darüber, daß ich dem Drängen -meiner Mutter nachgegeben und will das innere Unbehagen überwinden, -das mich peinigt, ich weiß selbst nicht, weshalb. Ohne Dich -bin ich ja immer nur ein halber Mensch, immer stützest und ergänzest -Du mich, Du mein besseres Ich, der Schutzengel meines Lebens!«</p> - -<p>Esther saß nach Beendigung dieses Briefes bleich und still auf -ihrem Sessel. Die Hände waren in ihren Schoos gesunken und -hielten den Brief noch fest, ihre Augen waren geschlossen und die -Lippen zitterten leise. Endlich entrang sich ein Ton ihrer Brust, die -angstvoll athmete. Es war wie der Schrei eines Versinkenden. -Heftig warf sie plötzlich beide Arme empor und sprang vom Sitze -auf. Eine furchtbare Angst trieb sie umher, und wie verzweifelt -durcheilte sie fort und fort ihr Zimmer, die Hände fest in einander -gekrampft und leise stöhnend. Aber keine Thräne kam in die heißen -Augen und erleichterte ihrer gepreßten Brust den entsetzlichen Kampf, -den sie zu bestehen hatte.</p> - -<p>O was ging in diesem jungen Herzen vor, während ihr Fuß<span class="pagenum"><a name="Page_89" id="Page_89">[Pg 89]</a></span> -angstvoll im Zimmer auf und nieder eilte! Ihr war, als hätte eine -grausame Hand mit einem Wurfe plötzlich alles in Trümmer geschlagen, -was das Wesen ihres ganzen Lebens ausgemacht hatte; -als hätte sie bis jetzt in süßen Träumen gelegen, und nun sei sie mit -einemmale geweckt worden zu einem Dasein, so furchtbar, so grauenvoll, -daß das Herz ihr davor erbebte. Was war es nur, das man -ihr zertrümmert? Was war es, das man ihr so plötzlich entrissen? -War es das Herz in ihrer Brust oder ihr Fühlen, ihr Denken? Ein -Schmerz durchdrang sie so entsetzlich, wie sie ihn noch nie im Leben -empfunden, und doch wußte sie nicht, war es der Körper oder der -Geist, der so grausam litt. »O Bertel, Bertel!« rief sie endlich -verzweifelt und schlug die Hände vor das Gesicht, und jetzt brach -ein Strom Thränen hervor, so leidenschaftlich und überwältigend, -als wollte sich ihr ganzer Körper in Thränen auflösen.</p> - -<p>Schwach und gebrochen ruhte Esther endlich im Lehnstuhle, und -ihre Augen blickten hinauf zum Himmel, von woher Hülfe und -Trost allein noch kommen konnte. Ihre Gedanken waren klarer -geworden, und jetzt erst wußte sie, was ihr zertrümmert worden. -Es war der Traum ihrer Zukunft. Ohne daß sie sich je davon -Rechenschaft gegeben, hatte sie ihr Leben mit all' seinem Hoffen und -Wünschen, Denken und Fühlen so völlig mit dem ihres geliebten -Bertel zusammengeschmolzen, daß es für sie eben eine Unmöglichkeit -war, sich ihre Existenz von der ihres Spielgefährten getrennt zu -denken. Vom ersten Tage ihres Zusammenseins an hatte sie nur -an ihn gedacht und für ihn gelebt und gesorgt, und so war es geblieben -bis zu dieser Stunde. Was fragte sie je nach ihrem eigenen Wohlbehagen, -ihren eigenen Bedürfnissen, wenn nur Bertel zufrieden -war! Wie sie als kleines Mädchen nur um seinetwillen gelernt, -nur an den Spielen Freude hatte, die ihm lieb waren, und für alles -gesorgt hatte, was er bedurfte, so war es bis heute noch geblieben.<span class="pagenum"><a name="Page_90" id="Page_90">[Pg 90]</a></span> -Für wen mühte sie sich Tag für Tag mit den Schülern bei Pastor -Krause? Für wen hatte sie sich die Schmerzen der Trennung auferlegt -und wollte in England Erzieherin werden, und für wen war -sie endlich hier nach Frankreich gegangen, hatte alles Ungemach in -jener Pension und heute selbst Schmähungen und Verdächtigungen -ertragen? Ach für ihn, für ihn allein, der ihr Gedanke war früh -und spät, und dem sie den Weg bahnen wollte zu Glück und Ehre -und Ruhm. O und welcher Jubel hatte ihr Herz erfüllt beim Auffinden -des Scheines! Nun ward er ja wohlhabend und die Sorgen -hatten ein Ende, und sie, sie hatte es ihm verschafft! Aber nun -war alles aus! Nun bedurfte er ihrer nicht mehr und ihrer Arbeit -und Mühe; nun gaben ihm Andere mit vollen Händen, was er -brauchte und mehr als er brauchte. Aber nun gehörte er auch diesen -Anderen, und sie hatte keine Rechte mehr an ihn. Sie war allein, -allein mit ihrem Herzen, das er verschmäht hatte, eine Andere trat -nun an diese Stelle!</p> - -<p>Weiter konnte Esther mit ihren Gedanken nicht kommen, es kam -wieder wie ein Krampf über sie, und leise wimmernd sank sie zusammen. -Hätte sie nur wenigstens jemand gehabt, der mit ihr sprechen -konnte; aber diese trostlose Einsamkeit, es war zu schrecklich!</p> - -<p>Endlich jedoch trat ein Friedensengel zu dem armen, einsamen -Kinde. »Und Du wirst ihm doch noch immer lieb und theuer sein, -trotz aller neuen Bande! Er wird Deiner bedürfen nach wie vor -trotz alles Reichthums und alles Wohlbehagens!« so tönte es in ihrer -Brust. »Ich will ihm bleiben, was ich ihm bis jetzt gewesen, seine -treue, helfende Freundin, das kann ihm weder Geld noch Gut noch -sonst etwas auf der Welt ersetzen. O möchte er nur glücklich -werden, möchte diese Susanne ihn lieben! Doch wie sollte sie nicht, -wie sollte man Bertel nicht lieben, den schönen, herrlichen Bertel! -Aber warum er nur nicht glücklicher schreibt? Ein Unbehagen peinigt<span class="pagenum"><a name="Page_91" id="Page_91">[Pg 91]</a></span> -ihn und läßt ihn nicht froh werden. Liebt er denn Susanne nicht? -Ist es <em class="gesperrt">nur</em> der Wunsch seiner Mutter, der ihn bestimmte und die -Aussicht auf Reichthum und Wohlbehagen? O, das wäre schrecklich! -Daß seine Mutter ihn drängt, ist doch sehr unrecht; aber sie meint -freilich, Bertels Glück dadurch zu sichern.</p> - -<p>Aber das Geld allein ist's wohl nicht, was Tante Ihlefeld zu -dem Wunsche treibt, Bertel soll diese Cousine heirathen! Wie schreibt -Tante Booland? Adel bleibt Adel! Tante Ihlefeld hat mich ja -immer fühlen lassen, daß ich nicht ihresgleichen bin, ich weiß es recht -wohl, wenn ich auch nie darüber sprach. Wußte ich ja doch, daß -Bertel nicht so stolz war und seine kleine Esther wirklich wie eine -Schwester liebte. Und die will ich ihm bleiben! Ach jetzt erst weiß -ich ja, daß ich noch andere Wünsche im Herzen für uns Beide hatte; -aber er hat wohl an mich nie anders gedacht, als an eine treue -Schwester.</p> - -<p>»O mein Gott, mein Gott,« rief Esther flehend und hob die -Hände zum Himmel empor, »o gieb mir die Kraft und die Selbstüberwindung, -ihm auch ferner diese treue Schwester zu bleiben! Ich -muß es — und ich will es!«</p> - -<p>Dann setzte sie sich nieder, Bertel einige Zeilen auf seinen Brief -zu antworten, wie er gebeten. Es war ein schweres Werk; aber -Esther vollendete es mit ihrem starkem Herzen und starken Willen. -Sie schrieb Bertel, daß er sie richtig beurtheilt, <em class="gesperrt">sein</em> Glück sei auch -das Ihre, und Gott möge den Schritt segnen, den er thun wolle, -oder nun wohl bereits gethan habe. Sie aber verspreche, ihm und -seiner Frau ihr ganzes Lebenlang eine treue Schwester und Freundin -zu bleiben.</p> - -<p>Weiter schrieb sie nichts, sie konnte es nicht. Und nun war ihr, -als habe sie ihr Lebensglück in das Grab gelegt, nun war alles, -alles vorüber. Eine Müdigkeit und Gleichgültigkeit kam über sie,<span class="pagenum"><a name="Page_92" id="Page_92">[Pg 92]</a></span> -wie sie nie im Leben noch erfahren. Was kümmerte sie es jetzt, was -aus ihr wurde, wohin sie ging, was die nächste Zeit nun bringen -würde? Es war ihr alles gleich. Sollte sie hier bleiben oder nach -England gehen oder wo sonst hin. Nur jetzt nicht nach Hause, nur -nicht sehen, daß Bertel durch den Besitz dieser Susanne glücklich war -und andern angehörte, als ihr. Nach Hause in das stille Waldhäuschen, -ohne Arbeit und Zerstreuung, in steter Nähe jener grausamen -Frau, die ihr Bertel entrissen, durch deren Willen er zu diesem -Schritte gedrängt worden — nein, das war unmöglich! Tante -Booland mußte dies einsehen trotz aller ihrer sehnsüchtigen Liebe. -Nein, lieber fort unter fremde Menschen, wo sie arbeiten und ihre -Gedanken ableiten konnte! — Hier wollte sie nur noch so lange -bleiben, bis die Vollmacht ankam. Dann wollte sie Herrn Richard -bitten, das Geld an Frau von Ihlefeld zu senden, sie selbst aber -wollte sich direct nach England in die Familie begeben, welche sie -mit Ungeduld erwartete.</p> - -<p>Es waren traurige Tage für die arme Esther, die bis zur Ankunft -dieses Briefes vergehen mußten. Sie blieb fast immer zu Hause; -denn am Strande fürchtete sie entweder Herrn Richard zu begegnen, -oder jener Dame, welche ihr so unsäglich geschadet hatte. Esther -begriff nun wohl, hätte Herr Richard sie nicht mit dieser Begleiterin -gesehen, so wäre er ihr nicht gleich so mißtrauisch entgegen getreten, -sondern würde sie höchstens für ein sehr unerfahrenes Mädchen -gehalten haben, aber nicht für eine mögliche Diebin und Betrügerin.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Während für Esther die Tage trübe und langsam dahin schlichen, -verlassen wir sie für einige Zeit und kehren zurück nach dem kleinen -Waldhause zu Rahmstedt.</p> - -<p>Kurze Zeit nach Absendung jenes Briefes von Esther war -Bertel der Verlobte von Susanne von Sassen. Die Verlobung -sollte jetzt noch ein Geheimniß bleiben, bis Bertel promovirt hatte.<span class="pagenum"><a name="Page_93" id="Page_93">[Pg 93]</a></span> -Susanne war fast noch ein Kind und auch Bertel noch zu jung für -eine Heirath; so traf alles passend zusammen. Bertel ward aber auch -jetzt schon als Sohn des Hauses aufgenommen, und das jugendliche -Brautpaar lernte sich jetzt im täglichen Beisammensein erst näher -kennen. Susanne war eine bildhübsche, kleine Blondine, gut und -weichherzig und von fröhlichem Gemüth; aber weder besonders klug -noch auch sehr gebildet. Ein hübsches Kleid war ihr tausendmal -lieber als ein gutes Buch, und Vergnügen und Tanz ging ihr über -alles. Sie hatte ihre sechzehn Lebensjahre in süßem Nichtsthun und -steter Fröhlichkeit vertändelt, unter Spielen und Tanzen, Lachen -und Schwatzen. Verwöhnt als einziges Kind reicher Eltern kannte -sie keinen andern Willen, als den ihren, und kein Wunsch blieb ihr -versagt. Daß man auch für Andere leben, sich auch nützlich machen -konnte in der Welt, das war ihr ebenso fremd, wie alles, was Ernst -oder Arbeit hieß. Aber bei alledem war sie ein gutes, fügsames Kind, -und als der Vater ihr sagte, er wünsche, daß sie den hübschen, liebenswürdigen -Hubert von Ihlefeld heirathen solle, da war sie nicht -unzufrieden damit, obwohl sie eigentlich vor dem klugen, gelehrten -jungen Vetter, von dem alle Welt mit so großer Bewunderung -sprach, etwas Furcht hatte. Er war oft gar so ernsthaft, und an -Tanzen und hübschen Kleidern fand er gar kein Vergnügen. Er sah -es gar nicht einmal, wenn sie ein schönes neues Kleid ihm zu Ehren -angezogen hatte und unterhielt sich eigentlich immer viel mehr mit -ihrem Vater über so schrecklich ernsthafte Sachen, statt daß er mit ihr -schwatzte und lachte. Aber er war so ein bildhübscher Junge, und -es war eine so große Ehre, mit einem so gelehrten Manne verlobt -zu sein; vielleicht lernte er bei ihr noch Lachen und Tanzen und -Freude an all' dem, was sie liebte. Nun war sie eine Braut, das -klang doch zu hübsch! Wenn sie es nur erst öffentlich wäre! Wie -würden ihre Freundinnen sie beneiden! —</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_94" id="Page_94">[Pg 94]</a></span></p> - -<p>Und so tanzte und lachte und spielte sie um Bertel her, wenn -dieser bei ihr war und trieb tausend Tollheiten, sobald er versuchte, -ein ernstes Wort mit ihr zu sprechen.</p> - -<p>Bis dahin hatte Bertel nur das reizende Kind in ihr gesehen, -jetzt erst bemerkte er, wie oberflächlich und unbedeutend sie war. -Das Bild Esthers trat unwillkürlich daneben, und Bertel, der wenig -Mädchen kennen gelernt, hatte geglaubt, alle müßten so viel wissen -und so klug und strebsam sein, als sie. Ein Unbehagen, wie er es -neben Esther nie empfunden, kam über ihn, wenn er längere Zeit -mit Susanne verkehrte, und obwohl er alles auf die große Jugend seiner -Braut schob und von der Zukunft erwartete, daß sie ernster und -gediegener werden möchte, so konnte er doch nicht recht froh neben ihr -werden. Oft schon hatte er ihr von Esther erzählt, und jetzt that -er es noch häufiger in der Hoffnung, Susanne solle fühlen, wie sehr -er wünsche, sie möge Esther ähnlich werden. Aber der lustigen -Susanne lag nichts ferner, als solcher Wunsch. Sie staunte Esthers -Vortrefflichkeiten und Wissen an wie etwas höchst Sonderbares und -Merkwürdiges, der Wunsch aber, selbst so zu sein, kam ihr nie, im -Gegentheil, ihr graute bei dem Gedanken, so viel lernen und arbeiten -zu müssen und so ernsthaft und fleißig zu sein.</p> - -<p>Hätte Bertel sich aus Liebe mit ihr verlobt, so würde er Susanne's -Fehler kaum bemerkt haben; denn Liebe umgiebt alles mit einem -sonnigen Glanze, und selbst kleine Fehler erscheinen an einem geliebten -Wesen als etwas Anziehendes. Jetzt aber, ohne eine so innige -Neigung traten ihm Susannes Mängel mit jedem Tage unangenehmer -entgegen; die Folge davon aber war, daß auch er seiner leichtherzigen -jungen Braut weniger gefiel, die immer daran gewöhnt war, -daß alles ihr huldigte und schmeichelte. Daß aber ihr Bräutigam -dies nicht nur unterließ, sondern sie sogar zuweilen tadelte, das war -dem verwöhnten Kinde höchst empfindlich. Schon in den ersten Tagen<span class="pagenum"><a name="Page_95" id="Page_95">[Pg 95]</a></span> -ihres Brautstandes schmollte ihr hübscher kleiner Mund mehrfach, und -warf sie das blonde Köpfchen ärgerlich in den Nacken. Ein solch' -kindisches Benehmen war Bertel aber etwas ganz Fremdes und mißfiel -ihm in hohem Grade; Esther war ja nie launisch gewesen.</p> - -<p>So waren die ersten Tage von Bertels Brautstand vergangen. -Seine Mutter überhäufte ihn mit Liebkosungen und Zärtlichkeit, denn -sie war ihm innig dankbar, daß er sich ihrem Willen so bald gefügt -trotz seines ersten Widerstrebens. Aber Frau Booland, die alte treue -Freundin aus Bertels Kinderjahren, sie hatte jetzt kein gutes Wort -und keinen freundlichen Blick mehr für ihren einstigen Liebling. -Finster schaute sie drein, wenn Bertel bei ihr eintrat, wie er gewöhnt -war, und bei all' seinen Schmeichelworten und Erzählungen blieb ihr -sonst so gesprächiger Mund fest verschlossen.</p> - -<p>»Tante Booland, du bist mir sehr böse, sage es nur,« rief -Bertel endlich, nachdem er mehrmals vergebens versucht, ihr einen -freundlichen Blick abzuschmeicheln. »Gönnst du deinem armen Bertel -wirklich gar kein Wort mehr?«</p> - -<p>»Wer mir keins gönnt verdient es nicht besser!« entgegnete -Frau Booland kurz. »Die Zeiten sind vorbei, wo man Tante Booland -noch um Rath fragte. Jetzt ist sie für gewisse Leute gar nicht -mehr in der Welt. O Undank, Undank!« Dann aber seufzte sie -tief auf und schwieg beharrlich, und Bertel versuchte umsonst, seine -alte Freundin milder zu stimmen, es ging nicht. Aber ihre rothgeweinten -Augen gaben ihm viel zu denken und vermehrten das Unbehagen, -das auf seinem Gemüthe lastete.</p> - -<p>Da kam Esthers Brief an mit der Erzählung dessen, was sie nach -Frankreich getrieben und was sie um dieses Schuldscheines willen -hatte ertragen müssen. Auch Herrn Richards Brief mit der Anfrage, -welche Bewandniß es mit Esthers Erzählung habe, folgte gleich darauf. -Welch' eine Nachricht war das!</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_96" id="Page_96">[Pg 96]</a></span></p> - -<p>Frau von Ihlefeld überreichte Bertel Esthers Brief mit zitternder -Hand, als dieser in das Zimmer trat. Die Thränen perlten über -ihr bleiches Gesicht, und mit leiser Stimme sagte sie nichts als: -»Lies, Bertel!« Dieser blickte seine Mutter überrascht an und durchflog -Esthers Zeilen. Dann sank er auf einen Stuhl und bedeckte -schweigend sein Gesicht mit den Händen. Auch Frau von Ihlefeld -schwieg, aber sie weinte leise in ihr Tuch. Endlich stand sie auf, trat -zu ihrem Sohne heran und legte ihre Arme um seinen Hals.</p> - -<p>»Mein lieber, lieber Sohn!« sagte sie weich und küßte seine -Stirn, auf der dicke Schweistropfen standen. Bertel aber erwiederte -ihre Zärtlichkeit nicht, sondern ließ die Hände schlaff herabsinken und -schaute düster vor sich nieder. »Rede doch, Bertel, sprich mit mir!« -flehte die Mutter, aber Bertel hörte sie kaum. Es arbeitete furchtbar -in seiner Brust; endlich stand er rasch auf und eilte zur Thüre. -»Wo willst du hin, Bertel?« rief Frau von Ihlefeld angstvoll.</p> - -<p>»Laß mich, Mutter, ich muß allein sein!« stöhnte er leise und -schob die Mutter zur Seite. Dann stürzte er zum Zimmer hinaus.</p> - -<p>Frau von Ihlefeld blickte ihm bestürzt nach, wie er schnellen -Schrittes in den Wald hinein eilte. Dann aber nahm sie Esthers -Brief und den des Herrn Richard und ging zu Frau Booland hinab. -Diese staunte nicht wenig über den seltenen Besuch; denn seitdem -Bertel mit Susanne verlobt war, hatte sich Frau von Ihlefeld -mehr von ihr zurückgezogen und wieder ihren ehemaligen hochmüthigen -Ton gegen sie angeschlagen. Und nun kam sie sogar zu ihr -herab und hatte Thränen im Auge. Als dann aber Frau Booland -Esthers Brief gelesen, da brachen die Wellen der Erregung über der -alten treuen Pflegerin zusammen, und sie zitterte und flog wie ein Blatt -im Winde, während sie weinend und schluchzend in ihren Stuhl zurücksank.</p> - -<p>»O das Kind, das Kind!« stöhnte sie immerfort schluchzend,<span class="pagenum"><a name="Page_97" id="Page_97">[Pg 97]</a></span> -weiter aber konnte sie nichts hervor bringen. Frau von Ihlefeld -versuchte, mit der erschütterten alten Frau zu reden; denn ihr Herz -war ihr zum Zerspringen voll. Aber Frau Booland schwieg bei allen -ihren Reden und schien sie kaum zu hören, und so verließ Jene nach -einiger Zeit das Zimmer, müde der vergeblichen Versuche. »Sie -wird wahrlich stumpf und alt,« murmelte Frau von Ihlefeld verdrießlich, -»zu reden ist gar nicht mehr mit der armen Person.«</p> - -<p>Frau Booland saß noch eine lange Weile still und in sich versunken -am Fenster und schaute in das flammende Abendroth, das den -Himmel in seltener Pracht überzog. Ihr Zimmerchen lag nach dem -Walde hinaus, und die verschwindende Sonnengluth tauchte die Wipfel -der Bäume in wundervolle Farbentöne. Die Abendluft zog weich und -würzig zum Fenster herein und spielte um die faltige Stirn der -Matrone, welche das weiße Haar mild und freundlich umrahmte. Ihr -Auge schweifte wehmüthig in die Ferne, als wollte es den Raum durchdringen, -der sie von ihrem lieben Kinde trennte. Banger und banger -legte die Sehnsucht sich um ihr altes Herz, und endlich konnte sie es -im Zimmer nicht länger aushalten. Dort drüben im Walde stand eine -kleine Bank, da hatte sie so oft mit ihrer Esther gesessen, da zog es -sie hin, als könnte sie ihren Liebling dort wieder finden, wie früher.</p> - -<p>Als Frau Booland langsamen Schrittes in die Nähe dieser -Lieblingsbank kam, sah sie, daß schon jemand dort saß. Ihre alten -Augen konnten aus der Ferne nicht erkennen, wer es war, und so -trat sie unbemerkt näher heran. Es war Bertel. Er hatte den -Kopf in beide Hände gestützt und das Gesicht verhüllt und schien so -in sich versunken, daß er die Herantretende nicht bemerkte, selbst als -sie dicht vor ihm stand.</p> - -<p>»Bertel, du bist's?« rief Frau Booland verwundert, und erschrocken -fuhr der junge Mann bei dieser Anrede empor. Nun sah -die alte Frau, daß Bertels Gesicht ganz verstört war und von<span class="pagenum"><a name="Page_98" id="Page_98">[Pg 98]</a></span> -Thränen überfluthet. Kaum erkannte er die vor ihm Stehende, als -er laut weinend an ihre Brust sank.</p> - -<p>»O Tante Booland, was hab' ich gethan!« rief er ganz außer -sich und schluchzte wie ein Kind. Die große, stattliche Alte schlang -ihre Arme fest und zärtlich um die schlanke Gestalt, als sei es wieder -der kleine Bertel, den sie in früheren Jahren so oft beruhigt und -getröstet, wenn ein kindliches Leid ihn zu ihr geführt. Liebevoll -strich sie wie ehemals über sein weiches, blondes Haar und gab -ihm sanfte Schmeichelworte, um ihn zu beruhigen. Bertel ließ sich -alles gefallen; es war ihm ein Trost, sich an dieser treuen Brust -ausweinen zu können. Frau Booland setzte sich endlich auf die Bank, -und Bertel ließ sich neben ihr nieder, den Kopf immer noch an ihre -breite Schulter lehnend, denn ihm war so wohl im Schutze dieser alten -treuen Freundin. Die Alte sah bewegt in ihres Lieblings schönes -Gesicht, und indem sie ihm die prachtvollen Haarlocken von der Stirn -strich, die in wilder Unordnung darüber gefallen waren, sagte sie -mild: »Nun, mein armer Junge, was quält dich denn so? Sprich -dich doch aus, du weißt, ich meinte es immer gut mit dir.«</p> - -<p>»Ja, ich weiß es!« rief Bertel und küßte die breite, derbe Hand, -die so zärtlich um ihn bemüht war. »O Tante Booland, aber auch -du kannst mir nicht mehr helfen, es ist ja zu spät. O mein Gott, -mein Gott, welch' ein Thor bin ich gewesen, welch' ein verblendeter -Narr!« Und in wildem Grimm ballte er die Hände und schlug -sich damit vor die Stirn. Frau Booland schüttelte den Kopf, und -die Hände ihm vom Gesicht herab ziehend sagte sie ernst: »Mit -Klagen und Jammern hat noch nie jemand einen Grashalm bewegt, -laß das jetzt, Bertel. Was bereust du denn und was erkennst du -jetzt erst?«</p> - -<p>»Was ich erkenne?« rief Bertel heftig, »daß ich nicht werth bin, -Esther die Füße zu küssen! O <em class="gesperrt">was</em> hat sie gethan, was ertragen<span class="pagenum"><a name="Page_99" id="Page_99">[Pg 99]</a></span> -für mich und um meinetwillen! O Tante Booland, sage mir nur -das Eine, nicht wahr, Esther liebt mich?«</p> - -<p>»Esther hat dich geliebt, seit ihr zusammen als kleine Kinder gespielt -habt,« entgegnete Frau Booland und eine Thräne rollte über -ihre gefurchte Wange.</p> - -<p>»O das meine ich nicht, Tante,« rief Bertel, »nicht wie eine -Schwester und nicht als mein lieber bester Kamerad, wie ich sie immer -nannte. Ich meine, glaubst du, daß sie mich noch lieber hat, — o so -lieb, wie <em class="gesperrt">ich</em> sie habe? So unsäglich, so unaussprechlich lieb, daß ich -für sie sterben könnte, wenn ich wüßte, sie würde glücklich dadurch!«</p> - -<p>»Wie Bertel? Du liebst Esther, und doch willst du eine Andere -heirathen?« sagte Frau Booland tief verletzt und blickte voll Erstaunen -in Bertels erregtes Gesicht.</p> - -<p>»O das ist ja eben das Entsetzliche!« rief Bertel in Verzweiflung -und verhüllte wieder sein Gesicht. »Kannst du es denn glauben, daß -mir soeben erst die Binde von den Augen gefallen ist? Daß es soeben -erst, als ich Esthers Brief an meine Mutter gelesen, wie ein Blitz -durch meine Seele ging und mir die Tiefen meines eigenen Herzens -enthüllte? O niemand, niemand wohnt ja in diesem Herzen, als meine -Esther, dies theure, geliebte Mädchen, die all' ihr Glück und all' ihre -Ruhe hingegeben seit ich denken kann, nur damit ich glücklich sein -konnte. O das muß ja Liebe sein, ja sie <em class="gesperrt">muß</em> mich lieben! Und ich -Thor habe diese Liebe hingenommen wie etwas, das sich von selbst -versteht, o und jetzt, jetzt — habe ich ihre Liebe verrathen!«</p> - -<p>Frau Booland saß schweigend neben dem unglücklichen Jüngling; -denn auch sie wußte ja nicht zu rathen und zu helfen!</p> - -<p>»Meine Mutter hat die Schuld!« sprach Bertel weiter. »Sie -hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich auf ihren Plan einging, und -jetzt weiß ich erst, was es war, das mich zurückhielt und mir immer -zurief: »Thu' es nicht, thu' es nicht!« Aber wenn eine Mutter bittet<span class="pagenum"><a name="Page_100" id="Page_100">[Pg 100]</a></span> -und fleht, dann giebt der Sohn doch endlich nach, ich wenigstens -konnte nicht anders! Und ich deckte ja mir den Abgrund selbst zu -mit so herrlichen Blumen, sagte mir immer wieder, welche Vortheile -aus dieser Heirath entstehen würden, so daß ich wirklich zuletzt selbst -daran glaubte. Aber jetzt ist mir die Binde von den Augen gerissen, -und ich sehe erst ganz, was ich gethan! Mich selbst habe ich unglücklich -gemacht, o und was noch viel tausend Mal schlimmer ist, auch -Esther! Das ist der Dank für alle ihre Liebe, alle ihre jahrelangen -Opfer! Und für wen opferte ich dieses herrliche Mädchen? Für eine -leichtfertige, eitle Puppe, die mich ewig unglücklich machen wird und -ich sie; denn wir werden nie zu einander passen, o nie, nie!«</p> - -<p>»Aber mein Gott, Bertel, <em class="gesperrt">so</em> sprichst du von deiner schönen -Braut!« rief Frau Booland in höchstem Erstaunen.</p> - -<p>»Ja, es ist nicht anders, ich sehe es mit jeder Stunde deutlicher, -es war ein entsetzlicher Irrthum, mich mit ihr zu verloben!« sagte -Bertel vor sich hin brütend. »Aber es ist einmal geschehen; meine -Ehre verlangt, daß ich das Wort einlöse, das ich gegeben, denn ich -gab es freiwillig. O es ist entsetzlich!«</p> - -<p>Wieder brach Bertel unter der Last seines Jammers zusammen, -und Frau Booland stützte sinnend den Kopf auf ihre Hand; ihre -Lippen schlossen sich immer fester und energischer auf einander, und -ihre Augen wurden immer lebendiger. »Bertel,« sagte sie endlich -und legte ihre Hand auf des jungen Mannes Schulter, »höre mich -einmal an. Ich bin eine alte Frau und habe auf der ganzen Welt -kein anderes Glück, als das meiner Esther und auch deines, mein -lieber Sohn. Was es mir für ein Kummer gewesen ist, als ich sah, -wie man dich zu diesem Bunde zu bestimmen suchte, das hat der liebe -Gott allein erfahren. Wußte ich ja doch, daß meiner Esther Glück -und Leben damit zu Grunde ging. Denn Bertel, das sage ich dir -jetzt: du magst Esther sehr lieb haben; aber was Esther für dich fühlt, -<span class="pagenum"><a name="Page_101" id="Page_101">[Pg 101]</a></span>davon hast du doch keine Idee. Die Liebe zu dir ist der Lebensodem -des Kindes; nimm ihr diese, und du nimmst ihr auch das Leben, -oder wenigstens das beste Theil davon; denn der schale Rest, der -dann noch übrig bleibt, ist meine herrliche Esther nicht mehr. Aber -auch dein Unglück geht mir nahe, mein armer Junge. Freilich hast -du dein Wort gegeben, das ist richtig, und ehrenvoll wäre es nicht, -nun zurückzutreten, gerade jetzt, wo du selbst Geld hast und das -Ihre nicht mehr brauchst. Aber daß darum drei junge Herzen unglücklich -werden sollen, — denn die arme kleine Susanne thut mir -auch leid, sie ist ein gutes kleines Herze, für dich aber scheint sie -freilich keine Frau zu sein, — ja, warum ihr alle zusammen unglücklich -werden sollt, das sehe ich denn doch auch nicht ein. »Bist du es -zufrieden, Bertel, wenn ich für dich eintrete, und die Sache in die -Hand nehme? Ein leichtes Werk wird es wohl nicht sein, das -sage ich mir; aber was wäre mir für meine Esther zu schwer? -Und im schlimmsten Falle, wenn meine Versuche mißglücken, kräht -kein Hahn darum, daß die alte Frau sich blamirt hat mit ihren Vorschlägen. -Nun also, Bertel, sage, ist dir's recht, soll ich mein Heil -versuchen?«</p> - -<p>»Was willst du denn thun, Tante Booland?« sagte Bertel zerstreut -und theilnahmlos.</p> - -<p>»Das laß mein Geheimniß sein!« entgegnete die Alte aufstehend. -»Wenn mein Plan gelingt, wirst du schon zufrieden sein, gelingt er -nicht — nun dann ist's überhaupt einerlei. Aber deine Zustimmung -muß ich haben, sonst kann ich nicht handeln. Willst du sie mir geben?«</p> - -<p>»Meinetwegen alles, was du willst, Tante,« sagte der junge -Mann trübe, »Hoffnung habe ich für mich keine mehr auf der Welt. -Ich habe mein Glück mit eigenen Füßen zertreten, nun muß ich die -Folgen tragen. O wenn nur <em class="gesperrt">sie</em> nicht auch dadurch leiden müßte; -das ist der Fluch, der mich zu Boden drückt!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_102" id="Page_102">[Pg 102]</a></span></p> - -<p>»Nur Muth und Gottvertrauen, mein Junge! Es wird vielleicht -noch alles gut,« tröstete Frau Booland, noch einmal liebevoll über -Bertels Backen streichend. Dann ging sie nach dem Hause zurück, -setzte sich ihre Sonntagshaube auf und nahm ihr bestes Umschlagetuch -um die Schultern. Mit ihren großen, festen Schritten durcheilte -die rüstige Alte alsdann die Dorfstraße, und nach einiger Zeit betrat -sie den Gutshof.</p> - -<p>Die Sonne war bereits untergegangen, und matte Dämmerung -lag auf Haus und Garten, als Frau Booland die breite Terrasse -überschritt und den herbeieilenden Diener fragte, ob sie das gnädige -Fräulein sprechen könne. Fräulein Susanne war im Garten, die -übrige Herrschaft jedoch ausgefahren. Frau Booland sagte, sie -wolle das Fräulein selbst aufsuchen, und so durchwanderte sie den -schon leise dunkelnden Park, bis sie endlich Susannes helles Kleid -erblickte, das rasch hier und dort zwischen dem Gebüsch auftauchte. -Fröhliches Gelächter und Gekreisch drang bis zu Frau Booland, -welche lauschend näher trat.</p> - -<p>Nun sah sie, wie sich die leichte Gestalt Susannes soeben auf -einem niedern Baumstamme schaukelte, während über ihr auf einem -Zweige ein bunter Papagei saß und heftig kreischend mit den Flügeln -schlug. Mit dem Schnabel hackte er wüthend in die Schnur, die -um seinen Fuß geschlungen war und welche Susanne in ihrer Hand -hielt. Das Geschrei und der Aerger des Vogels schienen des jungen -Mädchens Heiterkeit immer mehr zu erregen, und sie rief lustig, indem -sie die Schnur bald fester, bald loser hielt: »Peterchen, Papchen, -kleiner Trotzkopf, ärgere dich doch nicht so, los lasse ich dich doch nicht. -Mußt auch fühlen, wie's thut, einen Faden um's Bein zu haben, -an dem immerfort gezogen und gezerrt wird; 's ist abscheulich, -nicht wahr, Papchen? O ganz abscheulich!« Und wieder zerrte -sie und lachte und schwang sich auf dem Aste hin und her, während -der Papagei aus Leibeskräften schrie und flatterte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_103" id="Page_103">[Pg 103]</a></span></p> - -<p>Frau Booland sah dem kindischen Treiben still eine Weile zu und -hatte dabei ihre Gedanken. »So, die Schnur drückt dich also ganz -abscheulich, mein Püppchen?« sagte sie leise und runzelte die Stirn. -»Denkst wohl, ich weiß nicht, welche Fessel du meinst? Und das ist ein -Gegenstand zu Possen und Vergnügen? Armer Bertel, gut, daß du -es nicht siehst! Nein, nein, das ist nichts für meinen ernsten, lieben -Jungen; dies Kind paßt für ihn sicherlich nicht, das glaube ich gern.«</p> - -<p>Dann aber schlug sie das Gebüsch zurück und trat auf Susanne -zu. »Guten Abend, Fräulein Susanne!« sagte sie mit einem höflichen -Knix und ging noch näher auf das junge Mädchen zu. Diese -sprang rasch von ihrem schwankenden Sitze herab und riß dabei auch -den Papagei von seinem Zweige nieder, der nun kreischend auf ihre -Schulter flog und sich dort lebhaft hin und her schaukelte. Susanne -lachte laut auf, und indem sie Frau Booland die Hand zum Gruß -reichte, rief sie fröhlich: »Gut, daß jemand kommt, mich besser zu -unterhalten, als mein dummer Peter. Er will absolut nicht sprechen -lernen, ich mag mich noch so viel mit ihm quälen. Er ist gerade -so dumm als ich, ich spiele auch lieber, als daß ich lerne.«</p> - -<p>»Fräulein Susanne,« sagte Frau Booland jetzt höflich, »hätten -Sie wohl ein halbes Stündchen Zeit für mich übrig? Ich möchte -gern etwas mit Ihnen sprechen.«</p> - -<p>»Ach mein Gott, doch nichts Ernsthaftes?« rief Susanne in -komischem Schrecken. »Sie machen ein so feierliches Gesicht, liebe -gute Tante Booland, Bertel schickt Sie doch nicht etwa, um mich -auszuschelten? Ach lieber Gott, ich bin den ganzen Tag in Angst, -daß ich wieder etwas Dummes oder Kindisches gemacht habe. Bertel -ist so furchtbar streng, gerade wie unser alter Schulmeister drüben -in der Dorfschule, vor dem die Kinder auch solche Furcht haben. Liebe, -einzige Tante Booland, sagen Sie doch nur, wollen Sie mich wirklich -schelten?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_104" id="Page_104">[Pg 104]</a></span></p> - -<p>»Nein, nein, Fräulein Susanne,« lächelte die Alte, »das fällt -mir nicht ein. Setzen Sie Ihren Papagei dort auf den Baum, daß -er uns nicht mit seinem Geschrei stört, und dann kommen Sie ein -Bischen drüben in die Laube; ich habe eine Geschichte, die ich Ihnen -erzählen will, das freut Sie ja immer so, nicht wahr, Kindchen?«</p> - -<p>»Ach ja, ja, das ist reizend von Ihnen, Tante Booland!« rief -das junge Mädchen und hob den Papagei auf den nächsten Baum, -wo sie ihn mit der Schnur festband, indem sie noch mehrmals kosend -mit der Hand über seinen Kopf und Rücken fuhr. »So Papchen, -nun langweile dich nicht zu sehr,« sagte sie dann fortgehend und -nickte dem Vogel noch einmal freundlich zu, dann hing sie sich an -Frau Boolands Arm und folgte dieser in die nahestehende Laube. -Hier war es schon ziemlich dunkel; aber da plaudert es sich am Besten, -sagte Susanne und rückte dicht an die Alte heran, für welche sie -eine ganz besondere Zuneigung gefaßt hatte. Frau Booland war -jederzeit freundlich, gefällig und nachsichtig gegen das harmlose Kind -gewesen und wußte ihr immer allerlei Neues oder auch Altes zu -erzählen, was der heiteren Susanne Spaß machte. Heut nun war -es freilich keine fröhliche Erzählung, welche die Alte für Susanne -bereit hielt. Aber doch hörte diese still zu, ganz gegen ihre Gewohnheit, -obwohl Frau Booland lange und ernst sprach, und endlich -klang es sogar, wie leises Weinen aus dem Innern der Laube. -Aber die Dunkelheit verhinderte zu erkennen, aus wessen Augen die -Thränen flossen. Nach langer Zeit traten die beiden Gestalten in -den dunkeln Laubgang heraus, die Hände fest in einander geschlungen. -Die Alte küßte dann rasch die schöne weiße Stirn des jungen -Mädchens und eilte davon, Susanne aber ging zu ihrem Vogel und -nahm ohne ihr gewöhnliches Scherzen und Lachen den schreienden -Papagei auf die Hand. »Wir wollen die Fessel lösen, nicht wahr, -mein Papchen?« sagte sie unterwegs zu dem Vogel, indem sie die<span class="pagenum"><a name="Page_105" id="Page_105">[Pg 105]</a></span> -Schnur von seinem Fuße knüpfte und ihn streichelte. Still kehrte -sie dann in das Haus zurück. Hier setzte sie sich sogleich an ihren -Schreibtisch, ergriff Feder und Papier und schrieb folgenden Brief:</p> - - - -<blockquote> -<p class="center"> -»<em class="gesperrt">Liebe Esther!</em><br /> -</p> - -<p>Sie müssen mir schon erlauben, daß ich Sie so nenne, wie -wir Alle es hier thun, obwohl Sie uns nicht kennen. Wir aber -kennen Sie sehr gut, und besonders ich habe mir so viel von Ihnen -erzählen lassen, daß mir ist, als sähe ich Sie vor mir. Daß ich -jedoch einen Brief an Sie schreibe, liebe Esther, hat heute einen -ganz besonderen Grund; eigentlich bin ich ein sehr faules Mädchen, -dem Briefeschreiben eine große Last ist. Ich habe nämlich eine -sehr, sehr große Bitte an Sie. Liebe, gute Esther, aber Sie -müssen mir nicht böse sein — bitte, bitte, heirathen Sie doch -Bertel an meiner Stelle! — Wissen Sie, liebe Esther, ich bin -ein gar zu dummes, kindisches, kleines Mädchen, über das sich der -kluge Bertel seit den wenigen Tagen unserer geheimen Verlobung -schon so sehr viel geärgert hat, und ich kann doch wirklich nichts -dafür. Wir hätten uns lieber gar nicht mit einander verloben -sollen; denn wenn ich Ihnen ganz heimlich etwas sagen darf, -(aber verrathen Sie es nicht!) ich fürchte mich vor dem gelehrten, -ernsthaften Bertel! Und das ist doch gar nicht hübsch; denn ich -traue mich gar nicht mehr zu lachen und vergnügt zu sein, weil -Bertel dann immer schilt. Er ist der einzige Mensch, dem ich -nicht gefalle, und das ist doch zu ärgerlich für mich! Ich weiß -gar nicht, warum Papa es so gern wollte, daß ich Bertels Braut -werden sollte, für einen gelehrten Mann passe ich doch gar nicht. -Mir gefällt ein hübscher Officier viel tausendmal besser, und der -junge Graf Redern, der immer so liebenswürdig zu mir ist und -so fröhlich mit mir lacht, sieht viel prächtiger aus in seiner glän<span class="pagenum"><a name="Page_106" id="Page_106">[Pg 106]</a></span>zenden -Uniform und dem schwarzen Schnurrbart, als Bertel in -seinem dunklen Röckchen, obwohl Bertel zehn Mal schöner ist -als er. Sehen Sie, liebe, gute Esther, Sie sind so furchtbar -klug und gelehrt, Sie gefallen Bertel hundert tausend Mal besser, -als ich kleines Gänschen, und Sie haben ihn ja auch so sehr lieb, -sonst hätten Sie gewiß nicht alles das für ihn gethan und ertragen, -was Tante Booland mir erzählt hat. Ich weiß, Bertel -möchte mich jetzt so gern wieder los sein, und mir wäre es auch -viel lieber, er heirathete eine Andere, als mich. Ich werde ihm -das sagen, sobald er zu mir kommt, und dann müßt Ihr Beide -ein Paar werden. O wie ich mich darauf freue! Und nicht wahr, -liebe Esther, wir werden dann recht gute Freunde? Denn wenn -ich Sie nicht jetzt schon so lieb hätte, gönnte ich Ihnen meinen -lieben, schönen, klugen Bertel doch nicht! Kommen Sie recht recht -bald zu uns Allen, es erwartet Sie mit offenen Armen</p> - -<p class="right"> -Ihre <em class="gesperrt">Susanne</em>.<br /> -</p> - -<p><span class="antiqua">P. S.</span> Ich habe gehört, daß Sie tief brünett sind, das paßt -herrlich zu dem blonden Bertel! Ich meine, ein blonder Mann -muß immer eine brünette Frau haben und umgekehrt. Ich bin -ein Blondkopf, also? — —«</p></blockquote> - - - -<p>Nun siegelte das junge Mädchen den Brief rasch, schrieb die -Adresse darauf und steckte ihn in die Postmappe, welche jeden Abend -nach der nächsten Poststation getragen wurde. Als sie dies Geschäft -beendet, seufzte sie tief auf, strich sich die blonden Löckchen aus der -Stirn, die bei der ungewohnten Anstrengung herabgefallen waren, -und sah in den Mond, der eben über den Bäumen des Parkes heraufstieg. -Aber ihre Gedanken wurden schnell durch das Rollen eines -Wagens abgezogen. Herr von Sassen und seine Cousine kehrten -zurück. Susanne lauschte, bis ihr Vater in seinem Zimmer war,<span class="pagenum"><a name="Page_107" id="Page_107">[Pg 107]</a></span> -dann trippelte sie eilig zu ihm. Als sie bei ihm eintrat, nahm sie -eine sehr ernsthafte Miene an, und indem sie ihre zierliche kleine -Figur so hoch aufrichtete, als ihr überhaupt möglich war, stellte sie -sich vor ihren Vater.</p> - -<p>»Papa, ich habe etwas sehr Ernsthaftes mit dir zu sprechen!« -sagte sie feierlich und zog das weiche Kindergesichtchen in ernste Falten.</p> - -<p>»Wie? Etwas Ernsthaftes, meine lustige, kleine Lachtaube?« -sagte Herr von Sassen fröhlich. »Da bin ich aber wirklich neugierig -zu hören, was das sein mag.« Dabei nahm er den Lockenkopf seines -hübschen Töchterchens zwischen beide Hände und sah ihr lustig in die -braunen Rehaugen. Susanne entzog sich aber den Liebkosungen des -Vaters und sagte schmollend: »Papa, du denkst immer, ich kann niemals -ernsthaft sein. Aber ich bin wirklich kein kleines Kind mehr, -und damit du siehst, ich kann auch einmal etwas ganz Ernsthaftes -denken, so will ich dir nur sagen, daß ich mir überlegt habe, ich will -Bertel lieber nicht heirathen.«</p> - -<p>Herr von Sassen fuhr überrascht auf. »Und das nennst du -ernsthaft sprechen, kleine Suse?« lachte er, blickte dabei aber sein -Töchterchen doch etwas schärfer an; denn sie sah allerdings nicht aus, -als scherze sie. Sie stand mit gesenkten Augen vor ihm, und als -sie dieselben aufschlug, waren sie voll Thränen.</p> - -<p>»Suschen, mein Herzenskind, was ist denn vorgefallen?« rief -Herr von Sassen erschrocken; denn Thränen in des fröhlichen Kindes -Augen, das war etwas ganz Unerhörtes. Susanne fiel dem Vater -plötzlich um den Hals, und ihr blondes Köpfchen in den dunklen -Vollbart desselben schmiegend schluchzte sie bitterlich.</p> - -<p>»O Papa, Papa!« rief sie endlich flehend, »erlaube doch nur, -daß ich Bertel nicht heirathe! Wir Beiden passen wirklich nicht zusammen. -Wenn du deine kleine Susanne lieb hast, Papa, zwinge -mich nicht, und sei mein guter, lieber kleiner Papa, der du immer -gewesen bist!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_108" id="Page_108">[Pg 108]</a></span></p> - -<p>Und nun schlang sie ihre vollen weichen Arme von Neuem zärtlich -um seinen Hals und küßte seinen Mund und seine Augen so -stürmisch, daß er gar nicht im Stande war, sogleich zu antworten. -Endlich aber machte er sich frei und blickte sein Kind kopfschüttelnd an.</p> - -<p>»Ich begreife dich nicht, Susanne,« sagte er ernst. »Den braven, -schönen Bertel, auf den jedes Mädchen stolz sein würde, willst du -nicht haben? Ich denke, du bist die glücklichste Braut unter der -Sonne? Aus euch Mädchen werde ein Anderer klug! Und das jetzt -so wie aus der Pistole geschossen? Weiß denn Bertel, daß du andern -Sinnes geworden bist? Wie kränkend ist das für ihn. Und ich freute -mich so, einen so ausgezeichneten Schwiegersohn zu bekommen. Ich -begreife dich wirklich nicht, Susanne.«</p> - -<p>Das junge Mädchen zog den Vater zum Sopha, und sich dicht -an ihn schmiegend sagte sie leise: »Papa, komm, ich will dir alles -erzählen!« Und dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter, nahm -seine große Hand zärtlich zwischen ihre kleinen, feinen Fingerchen -und erzählte ihm die Geschichte, die sie soeben in der dunklen Laube -im Garten gehört hatte.</p> - -<p>Als sie zu Ende war, saß Herr von Sassen noch eine lange -Weile schweigend neben seiner Tochter. Endlich küßte er ihre Stirn -und sagte sanft: »Und du, kleine Susanne, an dich selbst denkst du -gar nicht dabei?«</p> - -<p>»O Papa,« rief das junge Mädchen lebhaft, »an mich denke ich -wohl. Soll ich es dir gestehen? Mir ist zu Muthe, wie meinem -Papagei vorhin. Nachdem ich die Schnur abgelöst, die ich um sein -Bein gebunden, um ihn fest zu halten, schlug er fröhlich mit den -Flügeln und war so vergnügt, wieder frei zu sein. Mich hat meine -Fessel schon in den paar Tagen so gedrückt, daß ich gar nicht mehr -recht lustig sein konnte. Bertel ist so schön und gut, das ist wahr; -aber er ist dabei so furchtbar klug und gelehrt — und das Papa,<span class="pagenum"><a name="Page_109" id="Page_109">[Pg 109]</a></span> -das paßt nicht für mich, und ich passe nicht für ihn. Es ist mir ein -wahrer Trost, daß ich es jetzt weiß, er wird froh sein, wenn ich ihm -sein Wort zurückgebe. Nun kann ich doch auch wieder lachen und -jubeln wie früher, ich glaube, bei Bertel hätte ich das ganz und -gar verlernt.«</p> - -<p>»Wenn es so steht, mein Kind, und nicht der Edelmuth allein -dich bestimmt, so ist es freilich besser, wir lösen das Band,« sagte -Herr von Sassen ernst, Susanne aber blickte ihn lachend an und -rief: »Nein Papa, zu einer Tugendheldin ist deine kleine Suse verdorben. -Hätte ich Bertel wirklich lieb, so wie ich denke, daß man -seinen Bräutigam lieb haben <em class="gesperrt">muß</em>, dann hätten tausend Esthers -kommen können, ich wäre nicht zurückgetreten.«</p> - -<p>»Ich will gleich einige Worte an Bertel schreiben, das sind wir -ihm schuldig,« sagte Herr von Sassen aufstehend.</p> - -<p>»Ja, ja, thue das, Papa,« rief Susanne und küßte den Vater -noch einmal herzlich, dann hüpfte sie fröhlich trällernd zur Thür -hinaus. Herr von Sassen blickte ihr sinnend nach, dann stützte er -den Kopf in die Hand und seufzte. »Sie mag recht haben, dies -Kind ist nicht für Hubert geschaffen,« sagte er traurig. »<em class="gesperrt">Mir</em> geht -es an das Herz, diesen lieben Jungen nicht Sohn nennen zu können, -<em class="gesperrt">sie</em> jubelt und singt, daß sie ihn los ist. O ihr Mädchen, -was seid ihr für ein wunderlich Volk!« Dann griff er zur Feder -und schrieb:</p> - -<blockquote> -<p class="center"> -»<em class="gesperrt">Lieber Hubert!</em><br /> -</p> - -<p>Soeben macht mir meine kleine Susanne das Geständniß, daß -sie trotz aller Liebe und Bewunderung, die sie für Dich hege, doch -nicht deine Frau werden wolle und mich bitte, Dir das mitzutheilen. -Sie behauptet, Ihr Beiden paßtet nicht für einander, -und da ich mein einzig Kind nicht zu einem Bunde zwingen will, -dem ihr Herz widerspricht, so bitte ich Dich, sie frei zu geben. -<span class="pagenum"><a name="Page_110" id="Page_110">[Pg 110]</a></span>Ein inniger Wunsch meines Herzens geht freilich damit zu Grabe; -denn ich hätte Dich so gern meinen Sohn genannt! Aber, lieber -Bertel, wenn auch meine wunderliche kleine Tochter anderen Sinnes -geworden ist, mir wirst Du immer so lieb sein und bleiben, -als wärest Du mein Sohn. Sieh' auch ferner noch mein Haus als -das Deine an, und wie sich auch Deine Zukunft gestalten möge, -Du wirst jederzeit einen treuen, väterlichen Freund besitzen in<br /></p> - -<p class="right"> -Deinem <em class="gesperrt">Adolph von Sassen</em>.«<br /> -</p></blockquote> - -<p>Diesen Brief in der Hand stürzte Hubert in das Zimmer seiner -alten Freundin, Frau Booland.</p> - -<p>»Das ist dein Werk, Du Zauberin, sieh' hier!« rief er und -warf das Blatt Papier der Alten in den Schooß; dann umschlang -er sie mit beiden Armen und erdrückte sie fast vor ungestümer Freude.</p> - -<p>»Ich bin ja frei, Tante, frei wie der Vogel in der Luft. O -Dank, Dank! Nicht wahr, du bist es, die mich gerettet hat?«</p> - -<p>Die Alte schob den Ungestümen sanft von sich, um den Brief -zu lesen, der so verhängnißvolle Worte enthielt. Dann nickte sie -mit dem Kopfe und sagte bewegt: »Braves, liebes Kind! Sie -hätte es sicher auch gethan, selbst wenn sie dich lieb gehabt hätte! -O Bertel, dies liebe Herz ist besser als du denkst! In diesem leichtherzigen, -sorglosen Kinde ruht ein tief gefühlvolles, edles Gemüth. -Du hast sie nicht geliebt, sonst hättest du den Schatz wohl erkannt, -und sie hätte sich an deiner Seite herrlich entwickelt; Gott gebe ihr -ein anderes Herz, das es versteht, sie glücklich zu machen; denn -wahrlich sie verdient es!«</p> - -<p>Nun hatten die Beiden noch eine lange Unterredung, und die -Folge derselben war ein äußerst geschäftiges Kramen und Gehen -und Bedenken von Seiten unserer guten alten Dame Booland, die -einen riesenhaften Entschluß gefaßt hatte. Am andern Morgen<span class="pagenum"><a name="Page_111" id="Page_111">[Pg 111]</a></span> -wanderte sie schon in früher Stunde eilig durch das Dorf, dem -Pfarrhause zu, um ihrer lieben Pastorin das volle Herz auszuschütten, -während Hubert indessen eine wichtige Zwischensprache mit -seiner Mutter hielt. Frau von Ihlefelds Herz hatten in der ganzen -letztvergangenen Zeit tausend widerstreitende Gefühle und Gedanken -bestürmt; denn wenn bisher einerseits ihr sehnlichstes Wünschen -und Hoffen dahin gerichtet war, ihrem Sohne durch die Verbindung -mit der Familie von Sassen den Weg zu Reichthum und Wohlbehagen -zu bahnen, so fühlte sie andererseits doch gar wohl, welches -Unrecht sie dadurch an der großherzigen Esther beging, und mit welchem -Undank sie die Opfer dieses edlen Mädchens lohnte, deren Liebe -zu Bertel ihrem scharfsichtigen Frauenauge nicht entgangen war. -Aber Hubert schien Esther nicht zu lieben, sonst hätte er sich schwerlich -den Bitten seiner Mutter gefügt. Das war für Frau von Ihlefeld -eine große Beruhigung; jetzt mußte man suchen, sich Esther auf -irgend eine Weise dankbar zu erzeigen für alles, was sie gethan -hatte. Die Mittel dazu mußten sich finden, es konnte nicht allzu -schwer sein; denn Esther war ja ein einfaches, anspruchsloses Mädchen. -Aber als jetzt nach Ankunft von Esthers letztem Briefe ihr -Sohn so aufgeregt davon stürmte, da schlug auch Frau von Ihlefelds -Herz unruhiger. Was hatte Bertels Gemüth so heftig bewegt, als -er diesen Brief las? Ahnte er Esthers Liebe zu ihm, die ja nicht mehr -zu verkennen war? Jetzt aber war ja die Brücke abgebrochen, an -Esther durfte er nicht mehr denken! Wie gut, daß dieser Brief erst -jetzt kam, nachdem alles fertig und Bertels Zukunft gesichert war; -wäre er früher gekommen, Hubert wäre schwerlich auf ihre Pläne -eingegangen! Während Frau von Ihlefeld noch ihren Gedanken -nachhing, trat ihr Sohn mit dem Briefe Herrn von Sassens zu -ihr, freilich ohne zu gestehen, wer diese Wandlung in Susannes -Seele hervorgerufen. Da aber erwachte der ganze Stolz in dem<span class="pagenum"><a name="Page_112" id="Page_112">[Pg 112]</a></span> -Herzen der noch immer vornehmen Frau; zornig fuhr sie auf und -rief heftig: »Wie? Das bietet man uns? O wahrlich, in früheren -Tagen hätte man das nicht gewagt! Erst weiß man nicht Wege -genug, dich heran zu ziehen, und jetzt wirft man dich wieder fort, -wie ein Spielzeug, das der albernen kleinen Prinzessin nicht mehr -gefällt! Und der schwache Vater leidet solche Thorheit? O sie ist deiner -gar nicht werth, das leichtsinnige Ding! Dich so zu behandeln, es -ist ja empörend. Gut denn, laß sie laufen, sie verdient es nicht besser! -Gott sei Dank, wir haben jetzt nicht mehr nöthig, durch andere unsre -Lage zu verbessern. Wenn es auch kein großes Vermögen ist, das wir -erhalten, so genügt es doch, bis du einmal eine Anstellung bekommst. -Und weißt du, was du jetzt thun solltest, Bertel, gerade um der -hochmüthigen Susanne zu zeigen, daß du dir aus ihrem Korbe -nichts machst? Verlobe dich mit unserer Esther! Sie liebt dich, -dessen bin ich sicher, und wenn ich es recht bedenke, kannst -du eigentlich nie ein Mädchen finden, das besser zu dir paßt. -Freilich, sie ist nur ein Bürgerkind, und unser alter Adel wird -arg dadurch geschädigt; — aber lieber Gott, wir sind dem guten -Mädchen doch sehr viel Dank schuldig, und sie wird dich und mich -sicher stets mehr in Ehren halten, als es jene leichtfertige Susanne -gethan hätte.«</p> - -<p>Hubert hatte seine Mutter ruhig ausreden lassen; denn das Herz -war ihm so übervoll, daß er jeden Augenblick in Gefahr war, sein -Geheimniß zu verrathen. Seine Mutter aber durfte nicht ahnen, -daß er selbst die Hand zu dem Bruche mit Susanne geboten, sie -hätte ihm das nie vergeben. Rastlos schritt er während ihrer Rede in -dem kleinen Zimmer auf und nieder. Als aber Frau von Ihlefeld von -dem neuen Verlobungsplane sprach, da trat er rasch an das Fenster, -seine Bewegung zu verbergen. So freudig überrascht er auch war, -von seiner Mutter selbst eine Aufforderung zu erhalten, von der er<span class="pagenum"><a name="Page_113" id="Page_113">[Pg 113]</a></span> -sich gefürchtet hatte, ihr zu sprechen, so verletzte es ihn doch, daß sie -glauben konnte, sein Herz sei so rascher Wandelung fähig. Wie, wenn -er nun Susanne wirklich geliebt hätte, wie sie geglaubt? Konnte -er dann augenblicklich eine Andere an ihre Stelle setzen? Und seine -Mutter gestand jetzt, sie habe gewußt, daß Esther ihn liebte; trotz -alledem überredete sie ihn zu der Verbindung mit Susanne! In -Huberts Seele stritten tausend Gedanken mit einander, und er -fühlte, daß sein Herz mehr und mehr von bittren Gefühlen gegen -seine Mutter erfüllt wurde, in deren Händen er wie Wachs bald so -bald so geformt werden sollte, gerade wie es ihren Zwecken entsprach. -Aber endlich verwandelte sich diese Bitterkeit in Zorn gegen sein -eigenes, schwaches Gemüth, das diesen Anmuthungen so wenig eigene -Willenskraft entgegengesetzt hatte. Seine Mutter, so wenig er auch -deren Handlungsweise billigen konnte, war doch nur durch die Liebe -zu ihrem Sohne dazu getrieben worden; ihr durfte er nicht zürnen. -So gab er denn keinem jener bittern Gedanken Worte, sondern sich -zu seiner Mutter wendend, sagte er weich: »Liebe Mutter, es ist mir -lieb, daß Susanne mir ihr Wort zurückgegeben. Ich hätte sie nie -glücklich machen können; denn seit der Ankunft von Esthers Brief -weiß ich erst, wie sehr ich Esther liebe und immer geliebt habe. Ich -danke Gott für diese Lösung, und ich bin glücklich, daß dein Wunsch -mit dem meinen zusammentrifft. Eine bessere Tochter, als Esther -könnte ich dir nie zuführen.« Dann küßte Hubert mit Innigkeit -seiner Mutter, die ihn betroffen anblickte, die Hand; aber Beide -schwiegen, denn sie fühlten wohl, daß es besser sei, alles Weitere -unerörtert zu lassen.</p> - -<p>Frau von Ihlefeld wandte das Gespräch auf den Brief, den sie -soeben im Begriff war, sowohl an Esther, als auch an Herrn Richard -zu schreiben, um Esther aus der peinlichen Situation zu erlösen, in -welcher das brave Kind sich befand.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_114" id="Page_114">[Pg 114]</a></span></p> - -<p>»Nur an Herrn Richard schreibe sogleich, liebe Mutter; alles -andere übernehme ich selbst,« sagte Hubert freudig erröthend. »Morgen -früh reise ich selbst zu Esther.«</p> - -<p>Frau von Ihlefeld blickte erstaunt auf ihren Sohn, dessen rasches -entschlossenes Wesen ihr etwas ganz Neues war. Sein Gesicht war -plötzlich so strahlend schön geworden, von Wonne und Glückseligkeit, -daß sie ihr Auge fast erschrocken auf ihm ruhen ließ; denn jetzt erst -erkannte sie, was in ihrem Sohne vorging. »Bertel, mein liebes, -theures Kind!« rief sie unwillkürlich und streckte ihm die Arme entgegen, -und mit dem jubelnden Ruf: »O meine Mutter!« hielt der -Sohn seine Mutter umschlungen.</p> - -<p>Für Esther war indessen die Zeit mit bleiernem Flügelschlage -dahingeflogen. Ein unsägliches Weh erfüllte ihre Brust; sie hätte -sich am liebsten nieder gelegt, um nie wieder aufzustehen; denn was -sollte sie noch hier auf Erden, wo Glück und Freude für sie verschwunden -waren. Müde und gleichgültig saß sie eines Abends am -Fenster ihres Zimmerchens und schaute in die fast unheimliche Gluth, -welche die sinkende Sonne über Himmel und Meer verbreitete, als -solle die ganze Erde von dem glühenden Feuer verzehrt werden. -Endlich verblichen die brennenden Tinten; kalte Abendschatten legten -sich über Land und Meer, und der Zauber von Licht und Glanz, -der soeben noch die Welt in wonniger Pracht erstrahlen ließ, er war -geschwunden; graue Nebel stiegen empor, und erloschen war aller -Reiz und alle Schönheit.</p> - -<p>»Wie mein Leben!« seufzte Esther, die trüben Blicke über das -Meer hinübersendend. »Seine Liebe war die Sonne, in deren -goldnem Scheine mein armes Leben in wunderbarer Herrlichkeit -lachte — nun ist meine Sonne erloschen, mein Leben todt und -reizlos und von grauen Nebeln umhüllt!«</p> - -<p>Sie legte ihren Kopf gegen die kalten Scheiben des Fensters, denn<span class="pagenum"><a name="Page_115" id="Page_115">[Pg 115]</a></span> -ihre Stirn brannte und suchte Kühlung. Da wurde an die Thür -geklopft. »Ein Brief, mein Fräulein!« Hastig griff Esther nach demselben. -Er war auf der Heimath, aber die Schrift kannte sie nicht. -Mit fliegender Hand riß sie ihn auf; es war Susannes Brief.</p> - -<p>Als Esther das Schreiben gelesen, strich sie langsam über ihre -Stirn. War es denn Wirklichkeit, was sie soeben durchlebte, oder -trieben muthwillige Träume ihr Spiel mit ihr? Sie trat näher an -das Fenster, den Brief noch einmal zu lesen; aber ihr armer Kopf, -der in den letzten Tagen so Furchtbares durchdacht und durchkämpft, -schwindelte heftig, und die Buchstaben schwammen durch einander. -Esther zündete Licht an, ging einige Male im Zimmer auf und -nieder, um sich zu sammeln, und dann setzte sie sich still in den Lehnstuhl, -den Brief noch einmal ruhig zu lesen. Während ihre Augen -diese Zeilen jetzt von Neuem durcheilten, flog mehrere Male ein -Lächeln über ihre Züge, und endlich schüttelte sie wehmüthig den -Kopf. »Liebes, herziges Kind,« seufzte sie leise, »du ahnst nicht, was -deine Worte mir für Schmerzen bereiten! Gott, mein Gott, was -heißt das alles nur? Sie weiß von meiner Liebe zu Bertel, die mir -bis vor Kurzem selbst noch ein Geheimniß war? Sollte Tante Booland -mit ihr davon gesprochen haben? aber ich selbst habe ja nie etwas -gesagt, das sie dazu berechtigte, und diese treue Seele würde mein -heiligstes Geheimniß doch nicht preisgeben. Und wem preisgeben! -Der Braut dessen, den ich liebe. O nein, nein, das ist unmöglich. -Aber woher sonst sollte Susanne es wissen? Und Bertel? O wenn -er dieses holde, kleine Geschöpf wirklich liebt, wie trostlos muß er -sein, daß sie ihm sein Wort zurückgiebt und den Bund wieder löst, -der ihn so zu beglücken schien. In welches Wirrsal stürzt mich dieser -kindische Brief! Und dabei keine Nachricht von den Meinen! Jetzt -könnte doch nun Antwort hier sein; warum schreibt nur niemand?</p> - -<p>Es war für Esther eine traurige Nacht, welche der Ankunft -<span class="pagenum"><a name="Page_116" id="Page_116">[Pg 116]</a></span>dieses Briefes folgte. Schlaflos wälzte sie sich auf ihrem Lager umher, -und tausend Gedanken durchkreuzten ihren heißen, schmerzenden -Kopf. Hoffnung, Liebe und Zuversicht kämpften mit Schmerz und -Zweifeln, und erst der heraufdämmernde Morgen brachte ihr Schlaf -und Ruhe. Sie schlief schwer und tief viele Stunden lang; es war -als ob ihr erschöpfter Körper Kräfte sammeln wollte für die bevorstehenden -Wonnetage, welche leise und sonnig, aber ungeahnt fern -am Horizonte heraufzogen.</p> - -<p>Die Sonne stand schon hoch im Mittag, als Esther erwachte. -Ueberrascht fuhr sie empor und rieb sich die Augen; ihr war, als -hätte sich etwas Besonderes zugetragen, aber lange konnte sie keinen -klaren Gedanken fassen. Ein Klopfen an der Thür schreckte sie auf. -Hastig sprang sie empor und öffnete. Es war die Hauswirthin, -welche ihr mittheilte, ein Herr habe vor einiger Zeit nach ihr gefragt, -da Mademoiselle aber auf öfteres Klopfen nicht geantwortet, -so sei der Herr wieder fortgegangen mit dem Versprechen, in einigen -Stunden wieder vorzufragen.</p> - -<p>Esther forschte nach dem Aeußeren des Fremden, und aus der -Beschreibung schien ihr hervorzugehen, daß Herr Richard sie besucht -habe. Ihr Herz schlug stürmisch. Schnell kleidete sie sich an, und -kaum war sie fertig, da sah sie wirklich Herrn Richard auf das Haus -zuschreiten und gleich darauf bei ihr eintreten.</p> - -<p>»Mein Fräulein,« sagte der Kaufmann, indem er zögernd an der -Thür stehen blieb, »darf ich es wagen, Sie aufzusuchen, nachdem -Sie neulich so tief beleidigt von mir schieden? Ich komme, Sie -um Verzeihung zu bitten, daß ich Sie so bitter kränkte. Aber die -Umstände, unter denen ich Sie kennen lernte, müssen mein Betragen -gegen Sie entschuldigen; ich kann jetzt eben nichts weiter thun, als -die Bitte an Sie richten: Verzeihen Sie mir, denn ich kannte Sie -nicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_117" id="Page_117">[Pg 117]</a></span></p> - -<p>»Warum sind Sie jetzt andrer Meinung geworden, mein Herr?« -fragte Esther mit leise zitternder Stimme, ohne jedoch ihrem Gaste -einen Schritt entgegen zu treten.</p> - -<p>»Hier diese Zeilen sagen mir, welches edle Herz ich beleidigt -und gekränkt habe!« rief Herr Richard und hielt dem jungen Mädchen -einen Brief hin. Esther trat jetzt schnell näher und erkannte -Frau von Ihlefelds Handschrift.</p> - -<p>»Frau von Ihlefeld hat Ihnen geschrieben, mein Herr?« sagte -sie hoch erröthend. »Sind Sie angewiesen, mir das Geld zu übergeben?«</p> - -<p>»Wenn ich recht verstehe, so wird Herr von Ihlefeld in diesen -Tagen selbst kommen, die Schuld einzufordern,« entgegnete Herr -Richard sorglos, erschrak aber über die Wirkung, welche diese Worte -hervorbrachten.</p> - -<p>»Selbst? Er will selbst kommen?« stammelte Esther erbleichend, -und plötzlich vergingen ihr die Sinne. Mit einem leisen Stöhnen -sank sie zusammen, und fiel dem rasch zuspringenden Herrn Richard -bewußtlos in die Arme.</p> - -<p>Als sie sich endlich erholte, blickte sie scheu und erschrocken um sich; -bald aber war sie wieder das starke Mädchen, und hörte jetzt ruhig -an, was Herr Richard ihr mitzutheilen hatte. Dieser erzählte nun, -daß Frau von Ihlefeld ihm geschrieben, Esther Wieburg sei der gute -Engel ihres Hauses; was sie für ihren Sohn und sie selbst gethan, -könne nur Gott dem edlen Kinde vergelten, und wer ihr wehe thue, -kränke ein Herz, das immer nur für das Glück Anderer geschlagen.</p> - -<p>»Und ich habe dies Herz so tief gekränkt!« schloß Herr Richard, -der erglühenden Esther herabhängende Hand an seine Lippen führend. -»Sagen Sie mir, Fräulein Esther, wollen Sie mir verzeihen?«</p> - -<p>Das junge Mädchen blickte ernst vor sich hin. »Sie kannten -mich ja nicht, Herr Richard,« sagte sie sanft, »und ich glaube, es war<span class="pagenum"><a name="Page_118" id="Page_118">[Pg 118]</a></span> -sehr thöricht von mir, jene Forderung ohne Beweisgründe an Sie -zu stellen. Es mag in der Welt wohl so viel schlechte Menschen -geben, daß man sich vorsehen muß. Lassen wir das jetzt. Mein -Zürnen war vielleicht ganz ungerecht; Sie konnten wohl kaum anders -handeln, als Sie gethan, das sehe ich mehr und mehr ein, da ich -ruhiger darüber nachgedacht habe. Aber nun lesen Sie mir die -Worte vor, die Sie zu der Vermuthung veranlassen, Hubert werde -selbst kommen.«</p> - -<p>Herr Richard faltete den Brief und überlas ihn schnell. »Hier -ist's,« sagte er dann und las: »Was nun die Geldsumme betrifft, -von welcher der Schuldschein meines Vetters spricht, so soll diese -Sache der braven Esther keine Mühe mehr verursachen. Mein -Sohn wird selbst....« In diesem Augenblicke aber hörte man eine -Stimme in dem Hausflur. Esther stieß einen lauten Schrei aus und -sprang empor; aber ihre Füße zitterten so heftig, daß sie kraftlos auf -ihren Sitz zurückfiel. Da hörte man rasche Schritte; die Thür flog -auf, und Bertel stand in dem Zimmer. »Esther!« rief er jubelnd und -in demselben Augenblicke lag das geliebte Mädchen an seiner Brust.</p> - -<p>Lange fanden die beiden glücklichen Menschen kein Wort für -das Entzücken ihres Herzens. Esther war so erschüttert von diesem -plötzlichem Wiedersehen, daß sie kraftlos und weinend in ihres -Freundes Armen lag, der ihren lieben Kopf zärtlich küßte und immer -von Neuem an seine Brust drückte. Die süßesten Schmeichelnamen, -wie sie nie über seine Lippen gekommen, flüsterte er dem vor Freude -erbebenden Mädchen in das Ohr, und endlich erhob diese unter -Thränen lächelnd ihr Gesicht. Nie hatte Bertel bis jetzt so zu ihr -gesprochen, nie hatte sie noch an seiner Brust gelegen wie jetzt, und -noch nie war sie ihm gegenüber so schwach und weichmüthig gewesen.</p> - -<p>»Verzeih' mir, Bertel; die Freude, Dich wiederzusehen, macht -<span class="pagenum"><a name="Page_119" id="Page_119">[Pg 119]</a></span>mich ganz hinfällig!« sagte sie, die Thränen aus den Augen trocknend. -Dann schrak sie plötzlich etwas zusammen, machte sich aus -Huberts Armen los und flüsterte, sich verlegen umschauend: »Aber -wir sind ja nicht allein, erlaube daß ich dir Herrn Richard....«</p> - -<p>Doch kein Herr Richard war mehr in dem Zimmer; an seiner -Stelle aber stand eine andere Person, welche still, die hellen Thränen -auf dem guten, alten Gesicht, auf die beiden Kinder ihres Herzens -schaute. Es war Frau Booland.</p> - -<p>»Tante, liebe, gute Tante!« jubelte Esther und flog zu der Alten, -die ihre großen Arme weit nach ihr ausbreitete und sie dann so -energisch über ihrem Herzblättchen schloß, als sollten sie sich nie -wieder öffnen.</p> - -<p>»Aber liebe, einzige Tante Booland, solche Reise hast du zu -unternehmen gewagt!« rief Esther endlich, als sie wieder auf eigenen -Füßen stand; denn die große, starke Frau hatte das schlanke Mädchen -wie ein kleines Kind zu sich empor gehoben, als könne sie nur -so ihrer stürmischen Zärtlichkeit Genüge leisten. »Du mußt ja Tag -und Nacht gefahren sein, um schon heute hier anzukommen.«</p> - -<p>Die Alte schob die zerknickte Haube zurecht, die im Sturme des -Entzückens auf und davon zu fliegen drohte, und dann mit ihren -großen Händen Bertel drohend, der lachend und von Glück strahlend -neben Esther stand, rief sie ärgerlich: »Hat der Bengel da -mir armen, alten Frau denn Ruhe gegönnt unterwegs? Durfte ich -meine alten Knochen denn auf der ganzen heillosen Hetzparthie nur -ein einzig Mal ordentlich in ein Bett legen? War's nicht immer, -als stände einer mit der Hetzpeitsche hinter uns und triebe uns -vorwärts? Weiß Gott, wie's der Bursche fertig gebracht hat, mich -ganzbeinig bis hierher zu schleifen, nun aber bringen mich keine -zehn Pferde von hier wieder fort, ehe ich nicht ordentlich einmal -wieder ausgeschlafen habe!«</p> - -<p>»Aber Tante Booland, die Betten hier zu Lande, bedenke doch!<span class="pagenum"><a name="Page_120" id="Page_120">[Pg 120]</a></span> -Du hast dich ja verschworen, dich in keins wieder zu legen, so lange -du in diesem heillosen Franzosenlande bist,« rief Bertel lachend.</p> - -<p>»Herr du mein Gott, ja da hast du Recht, Kind!« rief Frau -Booland entrüstet. »Hat man je so etwas von einem Nachtlager -erlebt, wie da in dem Neste,.... na wie hieß es denn gleich?« -»Avignon,« ergänzte Hubert.</p> - -<p>»Ja, diesem Avignon! Und das haben sie noch die Frechheit, -<em class="gesperrt">Betten</em> zu nennen! Nicht eine einzige Feder ist ja in so einem -harten, entsetzlichen Dinge von einem Bette! Mein armer Kopf -rollte zum Verzweifeln immer von einer Seite zur andern auf diesen -harten Rollkissen, gerade als wälzte ich mich im Fieber. Na und -überhaupt, ist das ein Land! Solch ein Schmutz, solches Ungeziefer, -solche Hitze und solcher Staub, und dann.... puh, so entsetzliches -Essen! Du armer Wurm, wie hast du es denn nur drei Tage hier -aushalten können! Ich wäre schon am ersten Morgen wieder auf -und davon gelaufen. Und dann diese Eisenbahnen! O mein Gott, -dieser Lärm, dies Getreibe, diese Wirthschaft! Wäre es nicht mein -Herzblättchen gewesen, das ich mir hier aus dem Heidenlande wieder -holen wollte, schon in der ersten Stunde wäre ich umgekehrt nach -meinem lieben, stillen Waldhause! Und solches Reisen, solch' Umhertreiben -auf Eisenbahnen und Landstraßen, solch' Umherwälzen in -fremden, himmelschreienden Betten, solch' gräßliches Essen und Trinken, -Schmachten und sich todt müde und elend machen nennen die -Leute nun Vergnügen! Na, wenn ich erst wieder glücklich in meinem -Waldhause auf unserem lieben Dorfe bin, da soll mich Gott bewahren, -wieder solche Thorheiten zu begehen und mich einem verrückten -Liebhaber als Reisebegleiter anzubieten!«</p> - -<p>Während Frau Booland ihren Gefühlen in dieser Weise Luft -machte, hatte Bertel Esther neben sich auf das Sopha gezogen, und -während er beide Hände des jungen Mädchens ergriffen, ruhte sein -Auge forschend auf ihren Zügen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_121" id="Page_121">[Pg 121]</a></span></p> - -<p>»Warst du krank, Esther?« fragte er jetzt angstvoll, und erschrocken -wandte nun auch Frau Booland ihre Blicke auf ihres Lieblings -Gesicht, das allerdings von der Anstrengung und dem unbehaglichen -Leben der vergangenen Monate, und nun gar von den -durchkämpften, schweren Tagen der letzten Woche schmal und bleich -geworden war, wie nie zuvor. Esther beruhigte die beiden geliebten -Menschen, saß aber unbeschreiblich ängstlich und unbehaglich an -Bertels Seite, immerfort bestrebt, ihm ihre Hände zu entziehen, die -er jedoch nicht frei gab. Da erhob sich Frau Booland rasch von -ihrem Stuhle, auf den sie sich erschöpft niedergelassen hatte und sagte, -sich die Stirn mit dem Tuche abwischend und dann den Staub von -ihrem Kleide schüttelnd: »Aber mein Gott, wie sieht man nach so -einer Reise aus! Es ist ja ganz grauenvoll, solchen Schmutz mit -sich herum zu tragen. Estherchen, da nebenan ist wohl dein Schlafstübchen? -Ich will mich dort nur ein Bischen zurecht machen; laßt -euch die Zeit indessen nicht lang werden, ihr Kinderchen!«</p> - -<p>Und eilig huschte sie in das anstoßende, kleine Zimmer, dessen -Thür nur halb geschlossen war, ihren beiden Lieblingen im Hinausgehen -noch schelmisch zulächend. Sie klinkte das Thürschloß fest hinter -sich zu, und Esther war allein mit ihrem Freunde.</p> - -<p>»Esther, nicht wahr, du hast einen Brief von Susanne erhalten?« -fragte Bertel, sobald Frau Booland das Zimmer verlassen.</p> - -<p>»Ja Bertel, gestern,« erwiederte Esther und tiefe Gluth flog -über ihr blasses, bräunliches Gesicht.</p> - -<p>»So weißt du, daß wir nicht mehr verlobt sind?«</p> - -<p>Esther schüttelte den Kopf und sagte scheu: »Ich kann nicht -glauben, daß es Susanne Ernst mit diesem kindlichen Briefe gewesen -ist. Wenn du sie liebst, wird sie sich bald anders besinnen.«</p> - -<p>»Aber ich liebe sie ja nicht, Esther!« rief Bertel, das junge -<span class="pagenum"><a name="Page_122" id="Page_122">[Pg 122]</a></span>Mädchen wieder bei beiden Händen ergreifend. »Ich liebe ja niemanden, -als dich, Esther, du mein Glück, mein Stolz, der gute -Engel meines ganzen, ganzen Lebens! O, jetzt erst weiß ich es ja, -daß ich dich geliebt habe, seit wir als kleine Kinder zusammen in -Wald und Wiese spielten, und ich danke Gott auf meinen Knieen -dafür, daß es endlich klar in mir geworden ist!« Und nun erzählte -Bertel alles, was er seit der Ankunft von Esthers letztem Briefe -durchlebt und durchkämpft hatte, und wie er jetzt nur noch einen -Wunsch auf der Welt habe, — Esthers Liebe.</p> - -<p>»Darf ich Undankbarer, Verblendeter denn noch hoffen, daß du -mich lieben kannst, Esther?« fragte er endlich weich, und seine Stimme -zitterte. Esther aber schlang ihre Arme um seinen Hals, und das -Gesicht an seine Wange schmiegend, schluchzte sie: »Mein Bertel, -mein lieber, ewig geliebter Bertel!«</p> - -<p>Im Zimmer war es sehr still geworden, und man hörte nichts, -als ein merkwürdig lebhaftes Rumoren und Umhergehen in der -anstoßenden Kammer. Frau Booland mußte eine äußerst umfangreiche -Toilette machen, denn es dauerte erstaunlich lange, ehe sie -damit zu Ende war und wieder in dem Zimmer bei Esther und -Hubert erschien. Diesen aber war die Zeit indessen so wenig lang -geworden, daß sie die alte, treue Freundin völlig vergessen hatten. -Als Frau Booland endlich zu ihnen hereintrat, führte Bertel seine -Esther zu ihr und sagte: »Hier unserer treuen Tante Booland danken -wir die glückliche Lösung. Ohne sie wäre ich nicht hier und wir -Beiden nicht das glücklichste Brautpaar unter Gottes Sonne.«</p> - -<p>»Na, Gott sei Dank, daß wir endlich am Ziele sind!« jubelte die -Alte, ihre beiden Kinder an die breite Brust ziehend, wo sie alle -Beide reichlich Platz hatten. »Nun aber macht, daß wir von hier -fort kommen; der Boden brennt mir unter den Füßen.«</p> - -<p>Ehe man jedoch an die Abreise denken konnte, mußte die Geldangelegenheit -mit Herrn Richard in Ordnung gebracht werden.<span class="pagenum"><a name="Page_123" id="Page_123">[Pg 123]</a></span> -Hubert übernahm jetzt diese Sache und war erfreut, in dem neuen -Vetter einen unendlich liebenswürdigen Mann zu finden. Die -Geldsumme, welche sein Onkel von Huberts Vater geliehen, hatte -gute Zinsen getragen; denn jenes Unternehmen, wozu es gegeben -worden, glückte über Erwarten. Aus den 15 Tausend Thalern waren -im Laufe der Jahre zwanzig geworden, und Herr Richard, welcher -ein ungewöhnlich großes Vermögen erworben hatte, war hoch erfreut, -durch Rückerstattung jenes Kapitals zum Glücke so lieber Anverwandter -beitragen zu können. Das fröhliche Lächeln, mit dem Esther -jetzt den Vetter ihres geliebten Bertel empfing, als dieser kam, sie als -die Braut seines Anverwandten zu begrüßen, sagte demselben besser, -als Worte es thun konnten, daß Esther die peinliche Scene, welche -zwischen ihnen vorgefallen, vergessen habe. »Aber zu unserer Hochzeit -müssen Sie kommen, lieber Vetter!« rief Bertel in fröhlichem Uebermuthe -beim Abschiede, »nur dann verzeiht Ihnen Esther ganz.«</p> - -<p>Mit wie frohem Herzen sagte jetzt Esther dem Lande Lebewohl, -in dem sie so viel schwere Stunden durchlebt hatte! In Nîmes -sprach sie noch bei dem braven, alten Ehepaar Martin vor, um ihnen -alles Erlebte mitzutheilen und sie mit Hubert und Tante Booland -bekannt zu machen. Nach le Vigan jedoch führte sie ihre Lieben nicht, -so sehr sie auch gewünscht hätte, den guten Doktorsleutchen mündlich -von ihrem Glücke zu erzählen. Aber Tante Booland hätte nie wieder -Ruhe im Herzen gefunden, hätten ihre eigenen Augen jene Zustände -in der Pension gesehen, in denen ihr Herzblättchen so lange Zeit -leben mußte. Aber alle jene herrlichen Gegenden, jene schönen Städte -mit all' den Sehenswürdigkeiten, woran das Land so reich war, sah -und genoß Esther jetzt, wie sie es auf der Herreise so sehnlich gewünscht -hatte; denn langsam und in kleinen Stationen traten sie die -Rückkehr in die Heimath an, um die alte Frau Booland nicht zu -ermüden. Die Behaglichkeit dieser Art zu reisen, sowie das Glück<span class="pagenum"><a name="Page_124" id="Page_124">[Pg 124]</a></span> -ihrer Kinder, das sie umgab, versöhnte Frau Booland jetzt auch mit -allem, was Reisen hieß, und vergnügt ließ sie sich überall herumführen -und alles Sehenswerthe zeigen, so daß sie nun eine etwas bessere -Meinung von dem Lande erhielt, in dem Esther so lange gelebt hatte.</p> - -<p>Eine unaussprechlich tiefe, stille Glückseligkeit ruhte auf Esthers -Antlitz, als sie in ihr liebes Dorf einfuhr, und Hand in Hand saßen -die beiden glücklichen Jugendgespielen nebeneinander, ohne ein Wort -zu sprechen.</p> - -<p>Aber als sie jetzt in die Nähe der Kirche und der ehemaligen -Wohnung Esthers kamen, da ertönte plötzlich Glockenschall und froher -Gesang. Blumenkränze in den Händen und bunte Fahnen in der -Luft schwingend, eilten die Kinder des Dorfes dem Brautpaare entgegen, -und jubelnder Zuruf begrüßte die Ankommenden, welche -unter einem festlich prangenden Triumphbogen umringt und angehalten -wurden. Pfarrer Krause schritt mit seiner Familie an der -Spitze des Zuges, und als derselbe den Wagen erreichte, hielt der -Geistliche im Namen seiner Gemeinde eine kurze, freudige Ansprache -an Hubert und Esther, in welcher er die Glückwünsche aller derer -darbrachte, in deren Mitte die Beiden aufgewachsen waren und -welche bisher alles Leid und alle Freude mit ihnen getheilt hatten. -Ein lautes Hurrah folgte dieser Ansprache; die Glocken tönten, die -Fahnen flatterten, und bedeckt von Blumen und Kränzen fuhr das -junge Paar durch das Dorf, von dessen Einwohnern bis zu dem -Waldhause geleitet. Auch dies Häuschen war festlich geschmückt; -als aber jetzt Esther und Bertel an die Brust der Mutter sanken, -welche sie in der Thür empfing, da blieb kein Auge trocken, und in -stiller Rührung umstanden die Dorfbewohner das Häuschen.</p> - -<p>In ihr Wohnzimmer eingetreten, erblickte Esther eine Menge -Blumen und Geschenke, welche ihr hier von den Freunden zur Begrüßung -dargebracht wurden. Zwischen diesen Geschenken stand eine<span class="pagenum"><a name="Page_125" id="Page_125">[Pg 125]</a></span> -große, geschlossene Kiste, welche Tags zuvor erst angekommen war. -Sie kam aus Frankreich und war an Esther adressirt. Verwundert -öffnete das junge Mädchen dieselbe und fand eine Fülle der schönsten -Stoffe darinnen in Seide, Leinen und Battist, wie sie eine junge -Hausfrau nur je zur Ausstattung ihrer neuen Haushaltung wünschen -konnte. Ein kleines Kästchen lag obenauf, mit der Inschrift »Esther,« -und in demselben ruhte ein kostbarer Schmuck nebst einem kleinen -Briefe von der Hand des Herrn Richard. In den verbindlichsten -Worten bat er seine neue Cousine, diese Sendung von ihm anzunehmen, -als einen Beweis seiner unbegrenzten Verehrung für das -edelste, tapferste, weibliche Herz, das ihm je begegnet sei.</p> - -<p>Während Esther mit diesem Briefchen noch ganz bestürzt vor -der prachtvollen Gabe stand, und Frau Booland in hellem Entzücken -bald die Steine des Schmuckes im Lichte funkeln ließ, bald wieder -die köstlichen Stoffe aus einander faltete, wurde auch Bertel ein -Briefchen übergeben. Es kam von Herrn von Sassen und lautete -folgendermaaßen:</p> - - -<blockquote> -<p class="center">»Mein lieber Hubert!<br /> -</p> - -<p>Wo alles Dich und Deine liebe Braut mit Jubel empfängt, -da will auch ich nicht zurückbleiben. Bald hoffe ich Euch persönlich -begrüßen zu können; für's Erste nur die Nachricht, daß unser -verehrter Kronprinz soeben die Anfrage an Dich ergehen läßt, ob -Du für seine Reise nach Italien, Griechenland und dem Orient, -welche er in einigen Monaten antreten wird, sein Begleiter sein -willst. Die Anerbietungen, welche außerdem hinzugefügt sind, -versprechen so viel Genuß und Vortheile, daß ich gewiß bin, Dein -Herz jubelt ihnen zu, wenn Dir auch eine neue Trennung von -Deiner Braut für's Erste wenig lockend sein mag. Eine Professur -für Archäologie soll im Laufe der nächsten Zeit an der -Universität B. besetzt werden, und ich müßte mich sehr irren, -<span class="pagenum"><a name="Page_126" id="Page_126">[Pg 126]</a></span>wenn unser gnädiger Kronprinz nicht im Sinne hätte, seinen -Reisebegleiter für diese Stelle vorzuschlagen, wenn er diesen -als einen tüchtigen Gelehrten erkannt hat. Daß dem so sein -wird, dafür ist mir nicht bange, falls Du dieser Reisegefährte -bist. Ich freue mich sehr, daß meine Dienste, welche ich in früheren -Jahren dem Hofe geleistet habe, jetzt noch so gute Früchte tragen. -Deiner verehrten Braut meinen besten Gruß und die Bitte, mir -nicht zu zürnen, daß ich ihr den Geliebten wieder entführen will, -nachdem sie kaum die Schwelle ihres Hauses betreten. Meine -kleine Susanne sendet Esther aus der Ferne ihre Grüße und -freut sich, bei ihrer Heimkehr aus B., wohin sie für einige Monate -durch meinen Bruder entführt worden, eine liebe Freundin -in ihr begrüßen zu dürfen. Bald umarmt Dich in väterlicher Liebe</p> - -<p class="right"> -Dein <em class="gesperrt">Adolph von Sassen</em>.« -</p></blockquote> - - -<p>Das waren denn wundervolle Neuigkeiten! Der höchste Wunsch -Bertels, eine Reise nach jenen Ländern unternehmen zu können, -auf deren klassischen Boden so reiche Schätze für seine Wissenschaft -ruhten, sollten sich ihm erfüllen, und unter welch' verlockenden Bedingungen! -Esther war es zuerst, welche aufjubelte und keinem -Zögern Raum gab, obwohl sie sich von Neuem von dem Geliebten -trennen sollte. »Gehören wir uns denn jetzt nicht für ewig, mein -lieber Bertel?« rief sie freudestrahlend, als Hubert sie etwas trübselig -anschaute in dem Gedanken abermaliger Trennung.</p> - -<p>»Reise in Gottes Namen, mein Geliebter, und wenn du dann -heimkehrst, laß dir zum Schluß die schöne Professur von deinem -Kronprinzen schenken; dann wissen wir gleich, wo wir eines Tages, -so Gott will, unsere Hütte bauen werden.«</p> - -<p>Und so geschah es denn auch. Hubert erwarb vor allem den -Titel eines Doktors der Philosophie, und als solcher begleitete er -dann mit noch einigen andern strebsamen, jungen Gelehrten den<span class="pagenum"><a name="Page_127" id="Page_127">[Pg 127]</a></span> -Kronprinzen nach jenen schönen Ländern, reiche Schätze sammelnd -an Kenntnissen und Erfahrungen. Ein ganzes Jahr verging, ehe -die kleine Expedition heimkehrte, und diese Zeit verlebte Esther in -ihrem Waldhause in stillem, glücklichen Seelenfrieden. Tante Booland -war unermüdlich, an der Ausstattung des jungen, künftigen -Haushaltes zu arbeiten; Frau von Ihlefeld aber fühlte täglich von -Neuem, welchen Schatz sie an Esther gewonnen. Keine andere -Tochter hätte ihr je mit größerer Liebe und Verehrung anhängen, -keine ihr je die Tage mehr verschönern können, als dieses Mädchen, -das so brav und klug, so selbstvergessend und treu stets für die -Ihren lebte und dachte.</p> - -<p>Als dann endlich das Trennungsjahr vorüber und Bertel heimgekehrt -war von seiner Reise, da schaute die Morgensonne eines -Tages mit ganz besonderem Glanze in die freundliche, reich geschmückte -Dorfkirche von Rahmstedt. Hier stand Pastor Krause am Altare, -und seine tief bewegten Worte erklangen feierlich in dem kleinen -Gotteshause, das die Menge der Andächtigen kaum fassen konnte. -Zu den Füßen des Geistlichen aber kniete ein junges Paar, deren -Ehebund seine Hand einsegnete; es war Hubert und Esther. An -dem Schicksale dieser braven Kinder des Dorfes Rahmstedt nahm -Alt und Jung den innigsten Antheil, und es war ein langer, fröhlicher -Zug, welcher das junge Paar nach dem reich bekränzten Waldhause -geleitete, in dem Tante Booland ein festliches Hochzeitmahl -hergerichtet hatte. Am selben Tage führte Bertel dann seine Esther -als stattliche Frau Professorin nach B., der neuen Heimath des -glücklichen Paares, denn hier hatte der talentvolle, junge Mann in -der That jene Stelle an der Universität erhalten, von der Herr von -Sassen gesprochen.</p> - -<p>Wenige Monate später begrüßte ein anderes junges Ehepaar -auf der Durchreise unsere Freunde in B. Die blonde Susanne lag<span class="pagenum"><a name="Page_128" id="Page_128">[Pg 128]</a></span> -bald lachend, bald weinend an Esthers Halse, ihr hübscher junger -Gatte aber, jener schwarzbärtige Graf Redern, dem das junge Mädchen -bald nach Esthers damaliger Rückkehr Herz und Hand geschenkt -hatte, stand ungeduldig daneben, um auch seinerseits die hübsche -Frau Professorin zu begrüßen, an der seine kleine Frau mit so -schwärmerischer Liebe hing. Bald darauf flog das schöne, junge -Paar dem herrlichen Italien zu, lustig und fröhlich wie ein paar -glückliche Kinder, welche für einander geschaffen schienen zu heiterer -Lebenslust. Auch Frau von Ihlefeld folgte ihren Kindern bald nach, -und an dem häuslichen Heerde derselben, an dem nur Friede und -Freude waltete, erblühten der schwer geprüften Frau noch einmal -frohe, glückliche Tage. In diesem Hafen konnte sie ausruhen von -allen Stürmen, die über sie dahin gezogen, und einen frohen Lebensabend -genießen, den die Liebe ihrer Kinder verschönte. Tante Booland -aber hütete stillen und fröhlichen Sinnes das kleine Waldhaus -in Rahmstedt, in dem Esther in jedem Sommer einige Wochen oder -Monate verlebte, dankbaren Herzens ihrer Kindheit gedenkend und -all' der wechselvollen Schicksale, welche ihr jetziges Glück an der -Seite ihres Bertel begründete. Die wissenschaftliche Ausbildung, -welche sie einst gemeinsam mit ihrem Spielkameraden erhalten, befähigte -sie jetzt, den Arbeiten Bertels mit Interesse und Verständniß -zu folgen, und was sie einst so sehnlich gewünscht: ein Knabe zu -sein, um Antheil nehmen zu können an ihres Gespielen ehrenvoller -Laufbahn, das wurde ihr nun in <em class="gesperrt">der</em> Weise zu Theil, wie es eben -für ein weibliches Wesen am besten und wünschenswerthesten ist. -Wie früher das Kind Esther, so kannte auch jetzt Bertels Gattin kein -schöneres Ziel und keine bessere Aufgabe, als Huberts Lebensglück -und keinen höheren Stolz, als den Ruhm ihres Gatten.</p> - - - -<div class="figcenter" style="width: 50%" > -<img src="images/endoc.jpg" alt="Cover" style="width: 40%" /> -</div> - - - - - -<h2><a name="Verwaist" id="Verwaist">Verwaist.</a></h2> - - - - -<h3 class="no-break"><a name="Erstes_Kapitel" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel.</a><br /> - -Der Abschied.</h3> - - -<p>»Dacht' ich's doch! Da sitzt sie wieder bei ihren Büchern und -lernt, als sollte sie morgen gleich noch ein Examen bestehen! -O du Nimmersatt, hast du denn immer noch nicht genug Weisheit?« -so rief Fanny, ein junges Mädchen von 16 Jahren, indem sie in -ein großes Zimmer trat, dessen ganze Einrichtung den Charakter -einer Schulstube trug. Mitten an einem der kahlen Arbeitstische, -die mit Büchern und Schreibmaterialien bedeckt waren, neigte sich -ein anderes junges Mädchen über ihre Bücher und ließ sich durch den -Eintritt Fanny's in ihrer Arbeit wenig stören. Diese aber trat -hinter den Stuhl der Freundin, schlug ihr neckend das Buch zu, -und indem sie die Arme um den Hals derselben schlang, fuhr sie -scheltend fort: »Nein, Agathe, ich lasse dir keine Ruhe, bis du mit -mir hinaus in den Garten kommst, wo wir Alle beisammen sind. -Hier in der abscheulichen Schulstube ist es so dumpf und enge, und -du bist wieder so bleich, daß ich es nicht länger leide, dich hier sitzen -zu sehen. Du liebe Gelehrsamkeit, ich dächte, heute könntest du dir -wahrlich Ruhe gönnen! Du hast uns ja beim Examen Alle durch -deine Antworten überflügelt, und es ist nur eine Stimme darüber, -daß du die beste Schülerin der Anstalt bist.«</p> - -<p>Die Angeredete blickte still vor sich hin und schüttelte den Kopf.</p> -<p><span class="pagenum"><a name="Page_132" id="Page_132">[Pg 132]</a></span></p> -<p>»Du glaubst es nicht, Agathe?« rief Fanny lebhaft. »So geh' -und frage alle Lehrer, besonders Herrn Lobner; da wirst du erfahren, -ob ich Recht habe! Aber statt daß du dich darüber freuen solltest, -machst du so große, traurige Augen, daß mir wahrhaftig selbst ganz -bange dabei wird. Du bist doch gar zu ernst für deine 16 Jahre, -Mädchen!«</p> - -<p>Agathe seufzte, und Thränen traten ihr in das Auge. »Kann -ich dafür, wenn ich ernster bin, als all' ihr andern?« sagte sie sanft. -»Ist nicht auch meine Zukunft ernst und trübe, und muß ich da nicht -doppelt eifrig sein, mir so viel Kenntnisse, als möglich, zu erwerben? -Was soll denn aus mir werden, wenn ich mir nicht selbst in der -Welt forthelfen kann? Ich habe ja keinen Vater, ach und jetzt auch -keine Mutter mehr, die für mich sorgt, wie du, beste Fanny! Ach -daß <em class="gesperrt">sie</em> noch lebte!«</p> - -<p>Heiße Thränen stürzten bei diesen Worten aus Agathes Augen, -und Fanny zog die schluchzende Freundin liebevoll an ihr Herz und -strich ihr sanft über das dunkle Haar. »Du sollst ja in dem Hause -deines Onkels eine zweite Heimath finden, liebe Agathe!« sprach sie -tröstend. »Sei doch guten Muthes; deine Zukunft wird sich gewiß -besser gestalten, als du jetzt fürchtest!«</p> - -<p>»O, bei meinem Onkel, Fanny,« schluchzte Agathe; »das ist es -ja eben, wovor ich mich fürchte! Ich kenne weder ihn, noch die -Tante, und obwohl meine Mutter immer sehr gut von ihrem Bruder -sprach, so ist er mir doch ein Fremder, und das Herz schlägt mir so -unaussprechlich bange bei der Aussicht, in jenem Hause zu leben! -Gott mag es mir verzeihen; denn gewiß sind solche Gedanken eine -große Sünde, und ich sollte lieber dankbar dafür sein, daß sie die -arme Waise bei sich aufnehmen.«</p> - -<p>»Du bist noch zu unglücklich über den Tod deiner guten Mutter -und siehst alle Dinge deshalb so trübe und schwer an, liebes Herz,«<span class="pagenum"><a name="Page_133" id="Page_133">[Pg 133]</a></span> -tröstete Fanny; Agathe aber schüttelte wehmüthig den Kopf und -weinte still noch eine Weile am Herzen der Freundin. Endlich aber -richtete sie sich auf, und getrost die Blicke zum Himmel aufschlagend, -sprach sie ruhig: »Wie der liebe Gott es will, so mag es geschehen! -Diese Thränen haben mein Herz erleichtert; nun ist mir wohl. Habe -Dank, meine liebe Fanny, du treue Seele, daß ich mich gegen dich -aussprechen durfte. Aber auch von dir soll ich ja scheiden, o von -allem, was mir lieb und theuer ist!«</p> - -<p>»Wir wollen uns recht oft schreiben, Agathe, das wird ein neuer -Genuß sein, den uns die Freundschaft giebt,« rief Fanny heiter. -»Aber nun komm' in den Garten; die Luft wird dir gut thun. Von -dem vielen Lernen wirst du nur noch schwermüthiger.«</p> - -<p>»Dürfte ich nur noch hier in der Pension bleiben, bis ich so weit -ausgebildet wäre, um als Erzieherin mich nützlich zu machen!« seufzte -Agathe, der Freundin folgend. »Mein größter Kummer wäre es, -könnte ich beim Onkel meine Studien nicht fortsetzen, was ich fast -fürchte.«</p> - -<p>»Warte es doch nur erst ruhig ab, du kleinmüthiges Kind! Warum -machst du dir nur im Voraus solche Skrupel?« scherzte Fanny -und nach und nach gelang es ihr wirklich, die traurige Freundin zu -erheitern und ihr die Zukunft in weniger düstern Farben erscheinen -zu lassen. Traulich plaudernd gingen die beiden jungen Mädchen -in dem Garten auf und nieder, bis die Hausglocke sie zum Abendbrod -rief, und sie im Verein mit den übrigen Schülerinnen der -Anstalt dem Hause zueilten.</p> - -<p>»Kommst du mit mir, Agathe, Herrn Lobner Lebewohl zu sagen?« -fragte am andern Morgen Fanny, indem sie schnell bei ihrer Freundin -eintrat. »Sieh, diesen schönen Blumenstrauß und die reizende -Tasse hat mir Mama für ihn geschickt; ich hoffe, er wird sich freuen. -Hast du auch etwas für ihn, Agathe?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_134" id="Page_134">[Pg 134]</a></span></p> - -<p>»Ich? Nein, Fanny. Was könnte ich armes Mädchen bringen; -ich habe ja nichts!« sagte Agathe traurig.</p> - -<p>»O dann gieb du ihm die Blumen, bestes Herz!« drängte Fanny, -Agathen den Strauß in die Hand drückend; diese aber gab ihn der -Freundin sanft zurück und sagte leise: »Nein, Fanny, ich danke -dir für deine Liebe. Aber ich denke, daß unser liebster Lehrer mir -auch ohne dies sein freundliches Andenken bewahren wird, wenn ich -ihm lieb geworden bin, und wäre dies nicht der Fall, so wird ihm -mein Geschenk auch keine Freude machen.«</p> - -<p>»So schenke ich ihm auch nichts!« rief Fanny ärgerlich.</p> - -<p>»Das wäre sehr unrecht, da deine Mutter ihm dies Geschenk -bestimmt,« sagte Agathe. »Komm, komm, es wird ihm gewiß Freude -machen.«</p> - -<p>Bald traten die beiden jungen Mädchen in das Zimmer des -ersten Lehrers der Anstalt, Herrn Lobner, einem zwar noch jungen -Manne, der sich aber durch seinen vortrefflichen Unterricht, wie durch -die milde und doch ernste Weise, in welcher er den Schülerinnen -gegenüber trat, die Liebe und Verehrung aller dieser jungen Herzen -erworben hatte.</p> - -<p>Mit Freude und Rührung empfing er den Dank der beiden -jungen Mädchen, welche ihm jetzt schon Lebewohl sagten, obwohl sie -noch einige Tage in der Pension blieben; aber seinen Unterricht -sollten sie jetzt nicht mehr genießen. Der Tag ihrer Einsegnung -lag vor ihnen und mit diesem die Trennung von dem Hause, das -besonders Agathen unbeschreiblich lieb geworden war.</p> - -<p>Milde ermahnende Worte gab Herr Lobner den jungen Mädchen -mit auf den Weg: die lebhafte, etwas leichtsinnige Fanny ermahnte -er zu Ernst und größerer Besonnenheit; der stillen Agathe -sprach er Muth und heitere Zuversicht in die Seele. Mit unbeschreiblicher -Wehmuth ruhte sein Auge auf der einsamen Waise, und<span class="pagenum"><a name="Page_135" id="Page_135">[Pg 135]</a></span> -wie segnend legte er seine Hand auf das Haupt des armen Kindes. -Fanny's Geschenk nahm er freundlich dankend an, dann ergriff er -Agathes Hand, und sein kleines Heft von dem Tische nehmend, -sagte er bewegt: »Willst du mir wohl diese Arbeit als Andenken -zurücklassen, Agathe? Es ist dein letzter Aufsatz; ich möchte mir ihn -zur Erinnerung an meine fleißigste Schülerin aufbewahren.«</p> - -<p>Agathe erröthete tief und vermochte nicht zu antworten; aber -mit beiden Händen des theuren Lehrers Hand ergreifend, drückte sie -dieselben inbrünstig an ihre Brust; dann eilte sie schnell zum Zimmer -hinaus, denn Freude und Wehmuth bestürmten ihr Herz so mächtig, -daß sie ihre Thränen nicht länger zurück halten konnte.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Palmsonntag war gekommen, und feierlich zitterten die Glockentöne -durch die sonnige Frühlingsluft. Drinnen im Gotteshause -stand andächtig eine Schaar junger Mädchen und Knaben an den -Stufen des festlich geschmückten Altares und empfing die Weihe als -Christen. Mit ihren eigenen Lippen sprachen sie jetzt das Gelübde -aus, das sie in den Bund der Gemeinde Christi einführte, und tief -bewegt erklang der Segen des Geistlichen am Schluß der Feier.</p> - -<p>Auch Agathe war unter der Zahl jener festlich gekleideten Mädchen, -welche jetzt vom Altar hinweg gingen, und die Augen mit dem -Tuche verhüllend, sah sie nicht, wie sie einsam auf ihrem Stuhle -zurück blieb, als Freunde und Verwandte herbei kamen, die Confirmanden -aus der Kirche zu führen. — »Mein Vater und meine -Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf!« das waren -die Worte, die der Geistliche ihr als Zuspruch mit in die Welt gegeben, -und tief erschüttert fühlte sie die ganze Gewalt derselben. -Sie hatte niemanden, als Gott im Himmel, den Vater der Waisen, -an dem sie halten konnte; aber war Er nicht der festeste Stab, der -treuste Helfer in Noth und in Kummer?</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_136" id="Page_136">[Pg 136]</a></span></p> - -<p>Still und getrost wollte das einsame Kind eben die Kirche verlassen, -den Gefährtinnen folgend, da fühlte sie eine Hand auf ihrer -Schulter, und eine sanfte Stimme sprach: »Gott segne dich, mein -theures Kind!« Agathe wandte sich überrascht um und blickte in das -treue Auge ihres Lehrers, welcher ihr innig die Hand drückte und -dann tief bewegt an ihrer Seite blieb. Erst am Ausgange der Kirche -trennte er sich von dem jungen Mädchen; denn hier wartete dieser -ein zweites Herz, das treu und liebevoll für sie schlug. Es war die -alte Anne Sommer, die Dienerin ihrer Mutter, welche Agathe seit -ihrer frühesten Jugend gekannt, und dem einzigen Kinde ihrer -theuren Herrin stets die wärmste Liebe bewahrt hatte. Frau Sommer -war die Wittwe eines Corporals und eine gar wunderliche Alte; -groß und kräftig von Gestalt, und doch so grau und runzlich wie -ein alter verwitterter Ulmenbaum. Aber ihre Gutmüthigkeit und -ihre frische Laune machten sie zum Liebling aller ihrer Bekannten, -und trotz ihrer etwas auffallenden Manieren konnte niemand der -alten Soldatenfrau böse sein. Agathe hing mit unendlicher Zärtlichkeit -an dieser treuen Seele und ließ sich willig von ihr auf offner -Straße herzen und küssen.</p> - -<p>»Mein Herzchen, mein Vögelchen, meine arme, kleine Blume!« -rief die Alte ganz hingerissen von Zärtlichkeit und streichelte Agathes -bleiche Wangen mit ihren großen, rauhen Händen; dann schlang sie -wieder ihre Arme um des Mädchens feine Gestalt, so daß diese ganz -in den Kleidern der lebhaften Alten verschwand.</p> - -<p>»Ach Anne, könntest du wenigstens mit mir ziehen, wenn ich -hier fort gehe, dann fürchtete ich mich nicht so sehr,« seufzte Agathe. -»Aber so allein in die fremde Stadt, zu diesen fremden Verwandten; -ach Anne, es drückt mir fast das Herz ab!«</p> - -<p>»Nur Courage, mein Goldkäferchen, nur immer stramm dem -<span class="pagenum"><a name="Page_137" id="Page_137">[Pg 137]</a></span>Feinde in's Auge gesehen, und Carée formirt, daß er dir nichts anhaben -kann!« sagte die Alte fest und machte eine Bewegung, als -schultre sie das Gewehr. »Wir Soldatenkinder fürchten uns vor -keinem Popanz, und käme er selbst in Gestalt deiner Frau Tante! -»Nur nicht ängstlich!« das war meines guten Corporals Sprüchwort, -und das hat ihm zuletzt denn auch den Soldatentod gebracht, der -alten braven Seele, Gott segne ihn!« »Wer weiß, wer weiß, mein -Vögelchen, wie die Sachen kommen!« fuhr sie dann nach einer -Pause geheimnißvoll fort, und in ihrem Kopfe zog Plan auf Plan -vorüber, wie sie es wohl bewerkstelligen könnte, ihrem lieben Kinde -nach Leipzig zu folgen, wohin dieses in wenig Tagen abreiste.</p> - -<p>Noch einmal betete Agathe an den Gräbern ihrer theuren Eltern, -von denen sie mit traurigem Herzen Abschied nahm; noch einmal -umarmte sie ihre Schulfreundinnen, und vor allem die treue Fanny, -und noch einmal blickte sie in die treuen Augen ihres geliebten -Lehrers, — dann führte der fortrollende Wagen die junge Waise -hinaus aus den lieben, bekannten Umgebungen, hinaus in die weite, -fremde Welt. — Agathe hatte sich weinend in die Ecke des Wagens -gedrückt, um sich den Blicken der Mitreisenden zu entziehen; da -hörte sie ängstlich ihren Namen rufen und erkannte in der Morgendämmerung -die große Gestalt ihrer treuen Anne, welche mit mächtigen -Schritten neben dem Wagen herlief, der gemächlich über das -Steinpflaster polterte.</p> - -<p>»Hier, hier, mein Liebling, mein Goldkind!« rief Frau Sommer -athemlos und warf Agathen ein Päckchen in den Wagen. »Hier -nimm das hinein in dein Nestchen, mein armer, kleiner Vogel; es -sind Pfefferkuchen, die du so gern knupperst; die alte Anne hat sie -dir gebacken, daß du eine kleine Gesellschaft unterwegs hast. Der -liebe Gott gehe mit dir, mein Herzblatt, mein süßes, armes Kindchen! -Sei nicht gar zu traurig, sollst sehen, ich bin bald wieder bei -dir. Adieu, adieu, mein Herzchen; behüt dich Gott, behüt dich Gott!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_138" id="Page_138">[Pg 138]</a></span></p> - -<p>Die letzten Sätze rief die treue Seele unter heftigen Schluchzen -in den Wagen hinein, an dessen Fenster sie sich fest angeklammert -hatte, und trotz des schnelleren Fahrens trabte sie athemlos noch eine -Weile nebenher, bis endlich der Kutscher über das alte Weibergewinsel -schimpfte und die Pferde zu schnellem Trabe anfeuerte. -Da nickte die Alte ihrem Lieblinge noch einmal zu; die Finger lösten -sich vom Kutschenschlage, und mit gefalteten Händen blickte Anne -Sommer dem Wagen nach, ein Gebet für das Wohl der armen -Waise auf den Lippen.</p> - - - -<hr class="chap" /> - - -<h3 class="no-break"><a name="Zweites_Kapitel" id="Zweites_Kapitel">Zweites Kapitel.</a><br /> - -Die neue Heimath.</h3> - - -<p>Es war schon völlig dunkel geworden, als Agathe in Leipzig -ankam, dem Orte ihrer Bestimmung, und die Fahrt während des -ganzen Tages in dem engen Wagen war ihr zuletzt so lästig geworden, -daß sie sich freute, endlich am Ziele zu sein, so bange ihr auch -das Herz vor Erwartung klopfte. — Vor einem alten düstern Eckhause -in der Hainstraße hielt der Wagen, und schläfrig kam der -Hausknecht mit der Laterne herbei, dem Kutscher zu leuchten, der -hier einige Passagiere seines Lohnfuhrwerkes abzusetzen hatte. Die -engen, finstern Straßen mit den hohen Häusern, deren Giebel und -Erker weit vorsprangen und dem Himmel noch weniger Einblick -gewährten, bedrückten Agathes Herz unbeschreiblich. Sie schaute -in der völlig fremden Umgebung ängstlich um sich; da hörte sie -plötzlich, wie eine grobe Stimme fragte: »Is Freiln Wiggers mit -gekommen?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_139" id="Page_139">[Pg 139]</a></span></p> - -<p>»Ja ja, hier ist sie!« rief Agathe schnell und hätte den schmutzigen -Lastträger vor Entzücken um den Hals fallen mögen, daß er unter -all' den fremden Menschen sich ihrer annehmen wollte. Schnell -sprang sie aus dem Wagen, und der Kutscher reichte den kleinen -Koffer des jungen Mädchens herab, welchen der große Packträger -wie einen leichten Ball auffing.</p> - -<p>»Is das alles?« fragte er dabei verwundert, als Agathe sich -zum Fortgehen anschickte. Auf deren bejahende Antwort blickte der -Mann ordentlich mitleidig auf den kleinen Koffer, und gab einem -Rollwagen, der neben ihm stand, einen Tritt, daß er zur Seite -fuhr. »Na, der war von Ueberfluß!« murmelte er dabei lachend und -rief einen Knecht herbei, der den Karren bis zu seiner Rückkehr in -Verwahrung nahm. Dann schwang er den Koffer auf die Schulter, -und schritt schnell vor Agathen her, Straße auf, Straße ab, bis -sie vor einem Hause des Thomaskirchhofes Halt machten.</p> - -<p>»Gehen Sie nur da 'nauf, liebes Mamsellchen,« sagte er auf -die erleuchtete Treppe deutend. »Se kennen nich fehlen, die erste -Thür rechts is es! Ich muß mit dem Kofferchen die Hintertreppe -rauf, sonst giebts e Donnerwetter da oben!«</p> - -<p>Er schob grüßend die Mütze zur Seite und verschwand im dunkeln -Hofraum; Agathe aber stand bald vor der bezeichneten Thür, -an welcher der Name Niedrer in goldner Schrift zu lesen war. Ach -diese Thür allein trennte sie ja jetzt von der neuen Heimath! Was -mochte alles hinter derselben auf sie warten; wie mochten diejenigen -ihr entgegen treten, die ihr nun Vater und Mutter ersetzen sollten! -Noch einmal wandte sie ihr Auge zu dem empor, der ihr Muth und -Hoffnung gegeben, wenn sie verzagen wollte, und getrost streckte sie -ihre Hand nach dem verhängnißvollen Klingelzuge aus.</p> - -<p>Eine nette, freundliche Dienerin öffnete die Thür, und Agathe -trat in den Vorflur. Auf ihre Frage nach Onkel und Tante sagte<span class="pagenum"><a name="Page_140" id="Page_140">[Pg 140]</a></span> -das Mädchen verlegen, der Herr sei verreist, und Madame eben -im Begriff, in Gesellschaft zu gehen; sie wolle das Fräulein aber -anmelden. Agathe ging es wie ein Frost durch die Glieder; das -war ein sonderbarer Empfang. Sie hatte sich so unsäglich danach -gesehnt, diesen Verwandten an das Herz zu sinken, diesen guten -Menschen, die sich der armen Waise erbarmten; aber konnte sie -das nun? Mit klopfendem Herzen folgte sie endlich der zurückkehrenden -Dienerin, welche sie in ein elegantes Zimmer führte, mit der -Weisung, sich etwas zu gedulden, Madame werde gleich kommen.</p> - -<p>Agathe harrte bangen Herzens; die Erwartung wollte ihr den -Athem fast rauben. Endlich ging die Thür auf, und eine große, -stattliche Dame in eleganter Toilette trat rauschend in das Zimmer. -Sie blieb einen Augenblick stehen, dann streckte sie dem jungen -Mädchen ihre mit vielen Ringen bedeckte Hand hin und sagte mit -etwas schleppendem, affectirten Tone: »So, bist du da? Guten -Tag, liebe.... Wie heißt du doch?«</p> - -<p>»Agathe, liebe Tante!« flüsterte diese ängstlich und kam zaghaft -herbei, der Dame die dargebotene Hand zu küssen. Doch noch hatte -sie sich der Tante nicht ganz genähert, als sich plötzlich ein wüthendes -Hundegebell erhob, und ein kleiner Bologneserhund zähnefletschend -auf Agathe losfuhr. Erschrocken sprang diese einige Schritte zurück; -die Tante aber lachte laut auf und hob den kleinen Hund auf den -Arm, indem sie ihn herzte und küßte.</p> - -<p>»Du spaßhafter, kleiner Bursche, willst wohl nicht leiden, daß -man deiner Herrin die Hand küßt?« rief sie, den Hund von Neuem -liebkosend. »Denkst, du hast allein das Recht dazu, mein kleiner -Liebling? Soll dich wohl wieder gut machen für den Kummer, den -ich dir verursacht, nicht wahr, kleines Bellochen? Nun so komm, -weißt ja, wo's was Gutes für dich giebt, du Schelm!«</p> - -<p>Dabei ging sie nach einem Glasschranke, und holte eine Hand<span class="pagenum"><a name="Page_141" id="Page_141">[Pg 141]</a></span> -voll des schönsten Confectes heraus, das sie dem Hunde darbot. -Dieser beschnupperte es, wählte sich einige Stücke davon aus, und -ließ sich dann beruhigt nach einem zierlichen Korbe tragen, in welchem -von rothseidenen Betten sein Lager bereitet war, über das sich ein -ebensolcher Baldachin wölbte.</p> - -<p>Agathe hatte all' dem staunend und mit weit geöffneten Augen -zugeschaut; sie glaubte zu träumen. Die Tante jedoch unterbrach -ihre Reflexionen, indem sie sich jetzt wieder zu ihr wandte und sagte: -»Du siehst, ich habe den kleinen Kerl etwas verwöhnt; aber er -ist mir so lieb, daß ich ihm nichts verweigern kann. Ich hoffe, ihr -werdet auch gute Freunde werden; denn ich will ja meinen kleinen -Liebling deiner speciellen Sorge anvertrauen. Meine alte Cousine, -die ihn bis jetzt versorgte, versteht ihn nicht richtig zu behandeln; -deshalb ist es mir ganz lieb, daß du zu uns kommst! Aber jetzt -muß ich fort, liebes Kind,« schloß die Dame, einen prachtvoll türkischen -Shawl um die Schultern schlingend; »laß dir in der Leutestube -etwas zu essen geben, wenn du Hunger hast!«</p> - -<p>Dabei ging sie mit affectirt vornehmer und majestätischer Haltung -an Agathen vorüber, und nickte ihr einen leichten Gruß zu; -dann war sie fort. Agathe stand lange wie gelähmt noch immer an -derselben Stelle und blickte der Tante mit starren, verwunderten -Augen nach. Sie also war es, die ihr die Mutter ersetzen sollte! -Wieder lief es dem jungen Mädchen wie Eis durch die Adern, und -voll Schrecken überdachte sie die Worte, welche sie gehört hatte. -Unfreundlich war die Tante nicht gewesen, das mußte sich Agathe -gestehen; aber doch hatte sie ihr nicht ein Wort gesagt, das sie -freundlich im Hause willkommen geheißen, nicht eines, das ihr warm -zum Herzen gesprochen hätte. »Ich will meinen kleinen Liebling -deiner Sorge anvertrauen; deshalb ist es mir ganz lieb, daß du zu -uns kommst!« Das war eigentlich der Inhalt der Rede, die sie<span class="pagenum"><a name="Page_142" id="Page_142">[Pg 142]</a></span> -begrüßt hatte. »Also Hundewärterin!« sprach Agathe leise vor sich -hin und blickte nach der Wiege des Schooshundes. »Deshalb bin -ich hier willkommen, nur deshalb!« — »Aber nein, ich thue der -Tante gewiß Unrecht,« dachte sie dann wieder; »ich bin so reizbar, -so empfindlich, hatte einen so anderen Empfang erwartet! Es wird -gewiß anders, wenn ich erst hier bekannt bin. Die Tante ist gewiß -gut, sonst wäre sie zu dem Hunde auch nicht freundlich.« Lange -stand das junge Mädchen und überdachte in dieser Weise alles, was -sie gehört und gesehen; da endlich öffnete sich die Thür, und ein -altes, gutes Gesicht blickte herein.</p> - -<p>»Willst du nicht etwas Warmes genießen, liebes Kind?« sprach -eine sanfte Stimme, und Agathe sah nun eine kleine, verwachsene -Frauengestalt neben sich, deren unregelmäßiges, altes Gesicht mit -gewinnender Freundlichkeit zu dem jungen Mädchen aufblickte.</p> - -<p>»Ich bin die Cousine, liebes Kind!« sprach sie zutraulich, Agathes -fragende Blicke verstehend. »Ich besorge das Hauswesen und habe -dir etwas Warmbier zurecht gemacht. Ich denke, es soll dir gut -thun. Willst du mit mir kommen?«</p> - -<p>Agathe folgte ihrer gutherzigen Führerin nach einem kleinen -Zimmer, das neben der Küche lag, und das ganz hübsch und behaglich -aussah, so einfach auch die Einrichtung desselben war. Ein -kleiner, gedeckter Tisch stand am Fenster, und bald füllte der Duft -des würzigen Warmbiers die Stube und erregte in Agathen lebhafte -Eßlust, denn sie hatte den Tag über wenig genossen. Die Cousine -leistete ihr Gesellschaft, und gemüthlich saßen sie in traulichem -Geplauder beisammen. Agathe war glücklich, ein Wesen hier zu -finden, das ihr Theilnahme bewies, und gegen das sie sich aussprechen -konnte.</p> - -<p>»Ja, es ist ein wunderliches Haus, in das du hier eintrittst, -<span class="pagenum"><a name="Page_143" id="Page_143">[Pg 143]</a></span>liebes Kind!« sagte die Cousine seufzend, nachdem Agathe ihre Verwunderung -über den sonderbaren Empfang ausgesprochen hatte; -»du wirst dich noch über vieles verwundern.«</p> - -<p>»Aber der Onkel, liebe Cousine, wie ist denn der?« sprach das -junge Mädchen gespannt.</p> - -<p>»Mein Vetter! Hm, der möchte freilich wohl manches anders -haben!« erwiederte die Kleine; »aber was kann das helfen! Er ist -ein guter, lieber Mann; aber seine Schwäche erlaubt ihm nicht, der -Frau zu wehren, wenn sie launisch und böse ist, und so bleibt es -beim Alten. Sie regiert, er gehorcht, das ist das Ende von allen -Dingen.«</p> - -<p>»Wo ist er denn? Ich hatte gehofft, ihn sogleich kennen zu lernen!« -seufzte Agathe.</p> - -<p>»Mein Vetter freute sich auch darauf; aber die Cousine brauchte -allerlei für das Geschäft; da mußte er fort, er mochte wollen oder -nicht!« sagte Jene. »Aber morgen früh kommt er zurück.«</p> - -<p>»Für das Geschäft? Was denn für ein Geschäft?« entgegnete -Agathe. »Ich glaubte, der Onkel sei Buchhalter des Hauses F. und -habe selbst kein Geschäft?«</p> - -<p>»Er nicht, aber sie!« sagte die Cousine. »Es ist ein Putzgeschäft, -das Madame als Mädchen schon gehabt hat, und da es ihr selbst -keine Mühe macht, aber Geld einbringt, so setzt sie es fort: denn -Geld braucht sie zu ihrem Staate mehr, als er ihr geben kann. -Unter den Nätherinnen wirst du nun wohl auch dein Plätzchen bekommen, -liebe Agathe; Madame hat schon davon gesprochen.« »Ich -soll Putzmacherin werden?« rief Agathe auffahrend, und helle Gluth -bedeckte ihr bleiches Gesicht. »Wenigstens weiß ich es nicht anders!« -entgegnete die Cousine achselzuckend.</p> - -<p>Agathen entsank der Bissen Brod, den sie zum Munde führte, -und Thränen stürzten aus ihren Augen. »O meine schönen Träume!« -rief sie traurig und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Die gute<span class="pagenum"><a name="Page_144" id="Page_144">[Pg 144]</a></span> -Alte blickte mitleidig auf das junge Mädchen und seufzte leise, dann -aber suchte sie ihr Muth und Trost zuzusprechen. Sie irre sich -vielleicht; die Tante habe es vielleicht ganz anders im Sinne, als sie -sich denke, und am Ende könne es einem jungen Mädchen ja nicht -schaden, wenn sie etwas Putzmachen lerne; es sei eine gar gute und -nützliche Zugabe für's Leben. Agathe war gern bereit, Trostgründen -Gehör zu leihen, auch konnte sie den vernünftigen Worten ihrer -Gefährtin nicht so ganz Unrecht geben. Sie sprachen noch eine lange -Zeit mit einander; endlich aber fielen Agathen die Augen vor Müdigkeit -zu, und die Cousine führte sie in ein Nebenzimmerchen, in welchem -außer wenigen Meubel zwei Betten standen.</p> - -<p>»Wir schlafen hier zusammen, liebes Kind,« sagte die gute Alte -freundlich; dann half sie dem jungen Mädchen beim Auskleiden, -und trotz der vielen Gedanken, welche auf Agathe einstürmten, schloß -der Schlaf dennoch bald ihr müdes Auge, und führte sie zurück in -den lieben, schönen Kreis, den sie verlassen. —</p> - - - -<hr class="chap" /> - - -<h3 class="no-break"><a name="Drittes_Kapitel" id="Drittes_Kapitel">Drittes Kapitel.</a><br /> - -Erster Morgen.</h3> - - -<p>Als Agathe am folgenden Morgen erwachte, konnte sie sich lange -Zeit gar nicht besinnen, wo sie denn sei und was mit ihr vorgegangen. -Das freundliche Gesicht der alten Cousine, das zur Thür -herein schaute, rief ihr jedoch sogleich alles Erlebte zurück, und schnell -erhob sie sich, um sich anzukleiden.</p> - -<p>»Der Onkel ist soeben zurück gekommen,« sagte die Cousine. -»Er erwartet dich vorn im Zimmer; eile dich, liebes Kind!«</p> - -<p>Agathe kleidete sich so schnell als möglich an, und bald hatte sie -ihre Toilette beendet. Sie trug noch Trauerkleider; denn ihre -Mutter war erst kürzlich gestorben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_145" id="Page_145">[Pg 145]</a></span></p> - -<p>In dem kleinen Zimmer nebenan, dessen Thür Agathe zögernd -öffnete, kam ihr der Onkel, ein kleiner, starker Mann, mit ausgebreiteten -Armen entgegen.</p> - -<p>»Sei mir willkommen, mein liebes Kind!« sagte er sanft und -zog das junge Mädchen in seine Arme. Agathe schmiegte sich bewegt -und glücklich an die Brust des lieben Mannes, den sie zwar noch -nie gesehen, aber der sie so herzlich begrüßte, als sie nur hoffen -und wünschen konnte. Nun stellte dieser das junge Mädchen vor -sich hin und betrachtete sie prüfend von oben bis unten.</p> - -<p>»Ganz wie meine liebe, gute Schwester, als sie so jung war!« -rief er dann bewegt und streichelte Agathes Wange. Ganz ihre lieben, -blauen Augen und das weiche, braune Haar! »Sei nur auch so -fromm und brav, als sie es war, mein Kind, so wird es dir gut -gehen.« Das junge Mädchen küßte die Hand das Onkels, dieser aber -sagte etwas hastig: »Jetzt komm aber zu meiner Frau, sie erwartet -dich, und — und wenn sie vielleicht manchmal etwas streng gegen -dich ist, so denke immer, sie meint es gut mit dir, und verliere den -Muth nicht; es wird alles schon ganz gut werden.« Agathe folgte dem -Onkel und fand in dem Zimmer, in welchem die Tante sie gestern -empfangen, einen reich besetzten Frühstückstisch, an dem Madame -in Gesellschaft ihres Hundes das Frühstück einnahm.</p> - -<p>Agathes freundlichen Morgengruß erwiederte sie mit leichtem -Kopfnicken; dann aber wandte sie sich zu ihrem Gatten und sagte -verdrießlich: »Du läßt mich lange warten, Albert! Ich dächte, -Agathe konnte zu dir kommen, statt daß du sie aufsuchtest!«</p> - -<p>»Nein, liebe Marie, ich hatte sie gestern bei ihrer Ankunft nicht -begrüßen können, darum ging ich gleich jetzt zu ihr,« sagte Herr Niedrer -sanft. »Uebrigens brauchtest du ja nicht mit dem Frühstück auf uns -zu warten.«</p> - -<p>»Das habe ich auch nicht! Aber du weißt, daß ich Bellochen<span class="pagenum"><a name="Page_146" id="Page_146">[Pg 146]</a></span> -die Milch nicht gern selbst gebe, das ist deine Sache!« sagte Madame -ärgerlich. »Das arme, kleine Thier stirbt fast vor Hunger.«</p> - -<p>Der gehorsame Gatte ergriff schnell die zierliche Schale mit -Milch, blies, daß sie sich abkühlte, und neigte sich dann zu dem -Hunde herab, der knurrend den Morgentrunk zu sich nahm. Den -Kuchen, aus welchem ferner das Frühstück des Kleinen bestand, reichte -ihm die Hand seiner Herrin. Bellochen beliebte es jedoch, von demselben -nur die oberste Zuckerdecke abzulecken; den darunter liegenden -Kuchenteig stieß er knurrend mit der Schnauze von sich, und Madame -griff schnell nach einem andern Stück Kuchen, das der liebe Hund -dann abermals in gleicher Weise beknabberte. Darauf streckte sich -das Thier gähnend und mit der Zunge die Schnauze beleckend und -legte sich endlich mit geschlossenen Augen auf dem Sopha zurecht, an -der Seite Madames.</p> - -<p>Agathe hatte belustigt zusehen; aber sie wußte nicht, ob sie es -wagen durfte, sich an den Tisch zu setzen, da die Tante gar keine -Notiz von ihr nahm. Sie zupfte ängstlich an ihrem Taschentuche, -strich sich den kleinen Kragen glatt und trat verlegen von einem -Fuße auf den andern.</p> - -<p>»Aber so komm doch näher, du schüchternes Kind, und frühstücke -mit uns!« rief jetzt der Onkel, der ihre Verlegenheit bemerkte, und -schob einen Stuhl herbei, auf dessen äußerster Ecke Agathe schüchtern -Platz nahm.</p> - -<p>»Ich dächte, sie könnte sich den Stuhl wohl selbst holen; junge -Mädchen müssen sich nicht bedienen lassen!« sagte Madame scharf. -Ein peinliches Schweigen entstand, das nur durch das Geklapper -von Tassen und Löffeln unterbrochen wurde, und Agathen stand der -Angstschweiß auf der Stirn. Sie dachte mit Sehnsucht an die frohe -Frühstücksstunde in der Pension, wo sie zwar nur Milch und trocknes -Weißbrod erhielten; aber wie viel tausend Mal besser hatte ihr dies<span class="pagenum"><a name="Page_147" id="Page_147">[Pg 147]</a></span> -geschmeckt, als hier in diesem eleganten Zimmer der süße Kaffee und -das leckere Gebäck, welches der Onkel ihr reichlich zuertheilte. Die -Tante kümmerte sich um nichts, als um ihren Hund, der etwas verstimmt -schien, denn er fing an zu knurren und sich unruhig hin und -her zu werfen. Wahrscheinlich litt er an Verdauungsbeschwerden.</p> - -<p>»Wie sehr Agathe meiner Schwester gleicht, Marie!« sagte der -Onkel endlich, die Stille unterbrechend. — »Ich glaubte, deine -Schwester sei schön gewesen,« erwiederte Frau Marie gleichgültig.</p> - -<p>»Ja, das war sie auch, und Agathe hat ganz diese hellblauen -Augen. Sie wird ihr gewiß noch viel ähnlicher werden, wenn sie -älter ist,« sagte der Onkel.</p> - -<p>»So? Nun meinetwegen; aber so lange sie dieses blasse Gesicht -hat, ist von Schönheit keine Rede,« entgegnete die Tante und streckte -sich auf dem Sopha. »Aber laß mich jetzt in Ruhe; ich bin wieder so -furchtbar angegriffen.«</p> - -<p>»Ach leiden Sie auch an den Nerven, wie meine Mama?« wagte -jetzt Agathe zu sagen. »Sie sehen so wohl aus; ich hätte es nicht -gedacht!«</p> - -<p>Das war ein schlimmes Wort, das schlimmste fast, was sie hätte -sagen können! Es berührte den unangenehmsten Punkt in den -Empfindungen Madames; denn niemand durfte daran zweifeln, daß -sie schwach und leidend sei, obwohl sie nur aus Bequemlichkeit und -Ziererei die Kranke spielte.</p> - -<p>Unwillig blickte sie deshalb Agathe bei diesen Worten an, und -das helle, blaue Auge erhielt etwas so Stechendes, daß Agathes Herz -erzitterte.</p> - -<p>»Denkst du etwa, ich verstelle mich?« rief sie, dunkelroth vor -Aerger. »Das sind oft gerade die schlimmsten Uebel, bei denen man -wohl und blühend aussieht!« — »Aber,« fuhr sie dann streng fort, -»jetzt mein Kind, steh' auf, und mache dich nützlich! Hier, übernimm<span class="pagenum"><a name="Page_148" id="Page_148">[Pg 148]</a></span> -gleich zuerst dein tägliches Geschäft, meinen kleinen Bello zu -waschen und ihm dann die Locken zu kämmen. Aber daß du ihm -ja nicht weh thust, wie die Cousine, die immer so furchtbar unzart -mit dem armen Thierchen umgeht!«</p> - -<p>Agathe war sehr erschrocken über den Verweis, den sie erhalten, -und verschluckte nur mit Mühe die Thränen. Schnell stand sie vom -Stuhle auf und näherte sich dem Hunde, um ihn auf den Arm zu -nehmen. Aber knurrend fletschte ihr dieser die Zähne entgegen und -drohte zu beißen. Das brachte der Tante ihre gute Laune zurück; -lachend gab sie Agathen ein Stück Zucker und sagte: »Du mußt -dir erst seine Gunst erwerben. Da, gieb ihm das, dann wird er -nicht beißen.«</p> - -<p>Agathe that, wie ihr geboten, und wirklich ließ sich der verzogene, -kleine Hund jetzt ruhig auf den Arm nehmen.</p> - -<p>»Geh' nur zur Cousine, die wird dir zeigen, was du zu thun hast; -aber eile dich, es wartet noch andere Arbeit!« rief die Tante, und -Agathe war froh, auf diese Weise wenigstens wieder zum Zimmer -hinaus zu kommen; ihr Schutzgeist, der Onkel, war schon vor ihr -fortgegangen, seinen Geschäften nach, die ihn bis Mittag vom Hause -fern hielten.</p> - -<p>Aber welch' böse Arbeit war diese Hundetoilette! Mit warmem -Wasser und feiner Seife wurden die langen Haare des Thieres erst -wieder und wieder gebadet, dann säuberlich abgerieben und endlich -mit Kamm und Bürste gekämmt und geglättet, als wären es die -Locken eines kleinen Kindes. Aber Bello betrug sich bei seiner Toilette -viel schlimmer, als das unartigste Kind; denn er zappelte und -bellte und biß um sich, da ihm Agathe eine fremde Wärterin war, so -daß diese ohne die Hülfe der Cousine nimmermehr damit zu Stande -gekommen wäre. In Schweiß gebadet, mit verschobenen Kleidern -und zerkratzten Händen trug sie das kleine Ungethüm endlich zu seiner<span class="pagenum"><a name="Page_149" id="Page_149">[Pg 149]</a></span> -Herrin zurück, welche noch immer behaglich auf dem Sopha ruhte, -und in die Lectüre eines Romanes vertieft war.</p> - -<p>»Hier, gieb dem Thierchen sein zweites Frühstück!« rief nun -Madame, Agathen Semmel, Butter und feine Wurst hinschiebend. -Das junge Mädchen schnitt ein zierliches Brödchen ab, bestrich es -mit Butter und legte eine Wurstscheibe darauf.</p> - -<p>»Mein Gott, schmiere doch nicht so mager!« rief Madame -entrüstet, »und ich glaube gar, du verlangst, daß Bellochen die -Schale mitessen soll!« — Still lächend verbesserte Agathe die -Fehler und hielt dem Hunde das Frühstück hin. Das Thier knurrte -verdrießlich, fraß erst die Wurstscheibe vom Brode, dann leckte er -die Butter ab; mehr aber mochte er nicht, er war entschieden nicht bei -Laune. »Das arme, kleine Thier!« rief Madame ängstlich; »wenn -er nur nicht krank wird! Lege ihm sein Bettchen glatt, er wird -schlafen wollen.«</p> - -<p>Als Agathe den Hund auf sein Lager möglichst sanft gebettet hatte, -sagte die Tante, sich vom Sopha erhebend: »Nun komm mit mir; ich -will dir zeigen, was du weiter thun sollst, denn ein junges Mädchen -muß immer fleißig sein, und wer essen will, muß auch arbeiten.«</p> - -<p>Sie ging schnell voraus, durchschritt ein Nebenzimmer und -öffnete endlich die Thür eines großen Gemaches, in dem eine Anzahl -junger Mädchen eifrig bei der Arbeit saßen. Vor ihnen auf großen -Tischen lag eine Menge Draht, Stroh, Seidenzeug, Band und -Blumen, sowie angefangene Hüte und Hauben, und lustig flogen die -Finger mit der Nadel durch die Arbeit. Als Madame Niedrer eintrat, -erhoben sich die jungen Mädchen grüßend und setzten um so -eifriger ihre Näherei fort.</p> - -<p>»Hier bringe ich Ihnen eine neue Schülerin, Fräulein Schneider,« -sagte Madame und wandte sich zu einer etwas ältlichen Dame, welche -den jungen Mädchen zur Seite auf einem erhöhten Stuhle saß.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_150" id="Page_150">[Pg 150]</a></span></p> - -<p>»Meine Nichte Agathe wird jetzt hier mit arbeiten; haben Sie -die Güte, sie anzuleiten. Komm Agathe,« sprach sie dann zu dem -zaghaft um sich blickenden Mädchen, »hier ist Fräulein Schneider, -die Directrice des Geschäfts. Sie wird dir zeigen, was du zu -thun hast; gieb dir ja rechte Mühe, etwas zu lernen.«</p> - -<p>Nach diesen Worten wandte sie sich zu den jungen Näherinnen -und betrachtete deren Arbeit. Mit einigen war sie zufrieden, an -vielen aber hatte sie etwas zu tadeln, und besonders lange sprach sie -mit Fräulein Schneider über die Garnirung der Hüte, welche sie -anders wünschte. Agathe bewunderte im Stillen, wie gut die Tante -mit all' diesen Sachen Bescheid wußte, und besonders, wie schön und -geschmackvoll die Anordnungen waren, welche sie für die Zusammenstellungen -der einzelnen Theile gab. Aber der Ton, in welchen sie -mit den Damen redete, war nicht angenehm. Kurz und bestimmt -gab sie ihre Befehle, zwar nicht unfreundlich, aber kalt und scharf, -wie Nordwind. Alles athmete auf, als sie sich endlich wieder entfernte. -Die jungen Mädchen blickten sich bedeutungsvoll an und -zischelten lachend unter einander, und auch Fräulein Schneider -schaute froher d'rein, als vorher. Sie bat Agathe, neben ihr Platz -zu nehmen und gab ihr eine leichte Arbeit in die Hand.</p> - -<p>»Haben Sie schon etwas Putzmachen gelernt, Fräulein?« sagte -sie dabei freundlich.</p> - -<p>»Nein, niemals,« entgegnete Agathe. »Ich komme eben aus der -Pension und da hatten wir zu Handarbeiten wenig Zeit.«</p> - -<p>»Ist es Ihr Wunsch, das Putzmachen zu lernen?« fragte die gute -Dame theilnehmend weiter.</p> - -<p>»Ach nein, mein Wunsch ist es bis jetzt nie gewesen,« -sagte Agathe unbefangen. »Ich wollte ja so gern Erzieherin -werden.«</p> - -<p>»Erzieherin?« rief Fräulein Schneider verwundert. »Welche<span class="pagenum"><a name="Page_151" id="Page_151">[Pg 151]</a></span> -sonderbare Idee! Da muß man ja so viel lernen! Nein, liebes -Kind, werden Sie lieber Putzmacherin; das ist eine leichte, angenehme -Beschäftigung, so recht etwas für uns Damen, und wer sein -Fach gut versteht, der findet immer sein Brod dabei. Das sehen -Sie am Besten an Madame Niedrer, unserer Frau Principalin. -Sie hat sich als Mädchen schon damit ihren guten Unterhalt verdient, -und jetzt ist es ihr immer noch eine schöne Erwerbsquelle, -denn sie hat gar vornehme Kundschaft. Aber freilich, einen bessern -Geschmack, als Madame, hat auch niemand unter den Modisten in -ganz Leipzig; das muß man sagen! Obwohl sie jetzt nicht mehr -selbst arbeitet, so versteht sie die Sachen doch besser, als wir Alle, -und ehe sie nicht gesehen hat, wie ein Hut oder eine Haube garnirt -ist, schicke ich nichts nach dem Verkaufszimmer. — Da sehen Sie -z. B. diese Capotte!« fuhr die gesprächige Dame lebhaft fort und -hob einen violetten Sammthut empor. »Ich wollte sie mit grünen -Blättern und weißen Knospen garniren; es sah recht hübsch aus. -Aber Madame warf nur <em class="gesperrt">einen</em> Blick darauf, und da sah ich wohl, -wie wenig ihr mein Arrangement gefiel. Und ich muß ihr Recht -geben; denn kann man wohl etwas Geschmackvolleres finden, als -diese dunklen Stiefmütterchen mit dem feinen goldnen Rande, welche -sie statt der Blätter und Knospen wählte? Der Hut ist dadurch so -fein, so vornehm geworden, daß ihn eine Prinzessin aufsetzen könnte, -ohne sich der Arbeit zu schämen. Nun wer weiß, was kommt. Es -wäre nicht das erste Mal, daß der Hof uns mit seinen Aufträgen -beehrte; denn in Dresden hat man gar keinen Geschmack. Leipzig -ist klein Paris, und Madame Niedrer's Geschäft kann es mit jedem -Pariser Modistenladen aufnehmen; das weiß ich so sicher, als ich -schon seit 10 Jahren hier auf diesem Stuhle sitze!« Sie sprach dies -alles mit einem unaussprechlichem Stolze und Selbstbewußtsein, und -ihre kleine Gestalt wuchs ordentlich auf dem hohen Stuhle. Agathe<span class="pagenum"><a name="Page_152" id="Page_152">[Pg 152]</a></span> -aber blickte mit stillem Entsetzen zu der gesprächigen Dame auf, -denn der Gedanke, zehn Jahre hindurch hier zu sitzen, Tag für Tag, -Sommer und Winter, von Morgens früh bis Abends spät, erregte -ihr förmlich ein Grauen.</p> - -<p>»Zehn Jahre? Das ist ja schrecklich! Ist Ihnen das Putzmachen -denn da nicht unerträglich geworden?« rief sie unwillkürlich und -seufzte tief auf.</p> - -<p>Die jungen Mädchen stießen sich mit dem Ellbogen gegenseitig -an und lachten heimlich; Fräulein Schneider aber sah mit strengen -Blicken von ihrem Throne herab und rief: »Lassen Sie das alberne -Lachen, meine jungen Damen. Fräulein Agathe wird bald selbst -finden, wie angenehm unsere Arbeit ist, sobald sie sich näher damit -befreundet.«</p> - -<p>Agathe dachte im Herzen, zu dieser Ueberzeugung werde sie wohl -nie kommen; denn wenn weibliche Arbeiten ihr auch nie unangenehm -gewesen waren, so sah sie es doch als ein großes Mißgeschick an, -sich nur mit der Nadel, nie aber mit Lesen, Schreiben und Zeichnen -beschäftigen zu können. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich und -arbeitete ruhig weiter.</p> - -<p>Die jungen Mädchen durften nicht viel sprechen, weil sie dies -von ihrer Arbeit abzog, und da jetzt auch Fräulein Schneider schwieg, -hörte man nichts, als das Rascheln des Seidenzeuges und das Pfeifen -der vielen Fäden, welche mit der Nadel durch die Arbeit fuhren. -So verging Stunde um Stunde. Nur einmal, als die Glocke elf -schlug, entsank die Nadel den Händen. Jedes der jungen Mädchen -zog eine trockene Semmel aus der Tasche, und ein allgemeines frugales -Frühstück, bei dem ein Glas Wasser das Getränk abgab, -unterbrach den rastlosen Eifer. In dieser Arbeitspause durften sich auch -die Zungen rühren, und nun schwatzte und lachte und zischelte es -durcheinander, daß es eine Lust war. Agathe arbeitete still weiter,<span class="pagenum"><a name="Page_153" id="Page_153">[Pg 153]</a></span> -denn sie hatte kein Frühstück, und sie war während ihrer stillen Arbeit, -bei der sie ungestört denken konnte, so traurig geworden, daß -sie auch gar keine Lust zum Essen hatte.</p> - -<p>Aber da öffnete sich die Thür, und die alte Cousine kam freundlich -grüßend herein.</p> - -<p>»Ich bringe dir das Frühstück, liebe Agathe,« sagte sie, dem -jungen Mädchen eine Semmel reichend. »Verzeih', daß ich sie dir -trocken gebe; aber fette Speisen dürfen nicht hier in das Arbeitszimmer -kommen; es würde gar zu leicht etwas dadurch verdorben.«</p> - -<p>»O, ich kenne es nicht anders; in der Pension gab es auch keine -Butter,« entgegnete Agathe und griff dankend nach dem Weißbrod. -Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken hin nach der lieben Pension, -in der jetzt auch gerade Freistunde war und Semmeln verzehrt wurden. -O, könnte sie dort sein, nur eine Viertelstunde, dort unter den -lieben, fröhlichen Freundinnen; könnte sie, wie sonst, von ihren -Stunden, ihren Arbeiten, ihren Lehrern mit ihnen plaudern, ein -paar Mal durch den Garten laufen, um frische Luft zu schöpfen; es -war so eng, so schwül, so drückend hier in dem Arbeitszimmer! Aber -was half das alles; sie saß hier, und mußte hier bleiben. Die Frühstückszeit -war jetzt vorüber, und eifrig ging es nun wieder an die -Arbeit. Bald fuhren wieder die Nadeln wie Blitze durch die Luft, -und Schweigen breitete sich wie vorher über die fleißigen -Arbeiterinnen. Zwei Stunden vergingen noch so; aber als es ein -Uhr schlug, erhob sich Fräulein Schneider, legte die Arbeit fort, verneigte -sich und verschwand. Dies war das Lösungszeichen für die junge -Schaar. Die Arbeit flog zur Seite, und nicht fünf Minuten vergingen, -so war das Zimmer leer, und Agathe blieb allein zurück. -Aber auch sie warf jetzt schnell die Arbeit aus der Hand und seufzte -tief auf; denn noch nie in ihrem Leben hatte sie so viele Stunden -hinter einander genäht. Der Kopf war ihr ganz dumm davon<span class="pagenum"><a name="Page_154" id="Page_154">[Pg 154]</a></span> -geworden; er hatte so gar keinen Theil an der Arbeit der Hände -nehmen können. Die Finger thaten ihr weh, der Rücken schmerzte, -und sie war so müde, als hätte sie drei Tage hinter einander genäht. -»Lieber zwölf Stunden schreiben und lesen, als zwei hinter einander -nähen!« seufzte sie und blickte zum Fenster hinaus, wo sie einige -der jungen Mädchen eilig die Straße hinauf trippeln sah.</p> - -<p>»O, die sind doch frei und können fort aus diesem Hause!« -dachte Agathe sehnsüchtig. »Aber ich, ich bin hier fest gebannt, kann -nicht fort, muß Hunde warten, Hüte nähen und mich schelten lassen; -— o mein Gott, mein Gott, ich bin doch zu unglücklich!«</p> - -<p>Sie drückte das Gesicht in beide Hände und weinte bitterlich. -Die Thränen erleichterten ihr Herz, und bald kamen ruhigere Gedanken. -»Könnte es nicht noch viel schlimmer sein, du thörichtes -Kind?« tönte es in ihrer Brust. »Was bist du denn, daß du so -große Ansprüche machen kannst? Die Tante ist nicht zärtlich, aber -doch auch nicht gerade unfreundlich gegen dich. Du hast ihren Hund -zu besorgen; das ist nicht sehr angenehm, aber doch auch kein großer -Kummer, und daß du wie diese anderen jungen Mädchen viele -Stunden bei der Näharbeit sitzen mußt, geschieht ja, damit du etwas -lernst. Das ist doch eigentlich sehr vernünftig von der Tante gehandelt; -denn sie will dir die Mittel geben, dir später selbst fortzuhelfen. -Du wünschtest dies freilich in einer andern Weise zu thun, aber das -kostet wieder Geld; denn zum Lernen braucht man Unterricht, und -wer soll den bezahlen?«</p> - -<p>Solche Gedanken kamen der guten Agathe noch gar viele; aber -so sehr sie sich auch bestrebte, ihr Geschick ruhig hinzunehmen, es -wollte und wollte nicht gehen! »O wenn ich nur lernen dürfte, um -Erzieherin werden zu können, dann wollte ich alles, alles ertragen!« -das war immer wieder der Schluß aller ihrer Gedanken und Betrachtungen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_155" id="Page_155">[Pg 155]</a></span></p> - -<p>Endlich wurde sie von der Cousine zum Mittagessen gerufen, -und ihr trauriges Gesichtchen in ein möglichst heiteres verwandelnd, -verließ sie mit der guten Führerin das Arbeitszimmer.</p> - - - -<hr class="chap" /> -<h3 class="no-break"><a name="Viertes_Kapitel" id="Viertes_Kapitel">Viertes Kapitel.</a><br /> - -Schooßhund und Zughüte.</h3> - - -<p>Die Tante hatte bestimmt, daß Agathe mit der Cousine zusammen -das Mittagbrod einnahm; sie selbst aß später, denn Herr -Niedrer kam erst um drei Uhr aus dem Comptoir nach Haus. Um -diese Zeit aber sollte Agathe schon wieder mit den Arbeiterinnen -fleißig sein, deren Arbeitsstunden von Morgens neun bis Mittag ein -Uhr währten, dann Nachmittag von zwei bis sieben Uhr. Agathe freute -sich, daß sie mit der guten Cousine so traulich allein an dem kleinen -Eßtisch im Fenster, wo sie gleich am ersten Abend mit ihr gesessen, ihr -Mittagbrod verzehren konnte; leider aber war die freie Stunde bald -vorüber, und Schlag zwei Uhr mußte sie wieder in das Arbeitszimmer. -Da fing der Fleiß wie des Morgens von Neuem an und dauerte -ohne bedeutende Unterbrechung bis sieben Uhr. Fröhlich packte die -junge Gesellschaft dann alles zusammen; lachend und scherzend ging -es zum Hause hinaus, und Agathe war wieder allein, beneidete -wieder die forteilenden Mädchen, welche doch jetzt am Abend wenigstens -frei waren und ihrem Familienkreise zueilen konnten. <em class="gesperrt">Sie</em> -hatte ja keine Eltern, keine Geschwister, die sie freudig erwarteten; -ungeliebt und unbeachtet stand sie allein in der Welt; niemand sehnte -sich nach ihr, niemand bedurfte ihrer, niemand fragte nach ihrem -Wohl und nach ihrem Weh! O es war zu traurig, zu niederdrückend. -Die trüben Gedanken kamen wieder über sie, stärker und -banger als je; denn die langanhaltende, ungewohnte Arbeit war ihr<span class="pagenum"><a name="Page_156" id="Page_156">[Pg 156]</a></span> -unerträglich und hatte ihr allen Muth und alle Hoffnung genommen. -Mit Grauen dachte sie daran, daß es so einen Tag wie den andern -fortgehen sollte. Sie blickte in ihre Zukunft wie in einen dunklen, -erschreckenden Nebel, der sie einhüllen und alle Hoffnungen ersticken -würde.</p> - -<p>»Aber meine freie Zeit soll wenigstens meinen armen lieben -Büchern gehören!« rief sie endlich froh auffahrend und eilte nach -ihrer Kammer. Die gute Cousine hatte ihre wenigen Sachen nett -und sauber in Schrank und Komode geordnet, und mit wahrem Jubel -griff Agathe nach einem Werke Schillers, ihres Lieblingsdichters, -dessen Schriften sie noch von ihrer Mutter zum letzten Geburtstage -erhalten hatte. Sie verlor sich schon nach kurzer Zeit so sehr in -die wundervolle Sprache des Trauerspiels: »Die Jungfrau von -Orleans,« in welches sie sich vertiefte, daß sie den Eintritt der Tante -gar nicht bemerkte, welche plötzlich neben ihr stand. Agathe fuhr -empor, als hätte sie ein Unrecht begangen und legte das Buch schnell -zur Seite. »Befehlen Sie etwas, liebe Tante?« fragte sie hastig.</p> - -<p>»Ich wollte wissen, was du treibst,« sagte diese kalt. »Du hast -den ganzen Tag gesessen; es ist nöthig, daß du dir jetzt einige Bewegung -machst, du wirst sonst noch bleicher. Geh' aus, und sieh dir -die Stadt an, und nimm Bello mit dir; er ist heute auch noch nicht -an die Luft gekommen.«</p> - -<p>»Ja wohl, liebe Tante!« entgegnete Agathe, blickte aber ängstlich -zum Fenster hin, denn es war schon fast ganz dunkel, und sie -völlig fremd in der Stadt.</p> - -<p>»Die Cousine kann dich heute ein Stück begleiten, damit du dich -nicht verläufst,« sagte Madame Niedrer, indem sie sich wieder -entfernte.</p> - -<p>»Die Tante ist doch sehr gut, daß sie so für meine Gesundheit -sorgt,« dachte Agathe und kleidete sich schnell an, so ungern sie ihrem<span class="pagenum"><a name="Page_157" id="Page_157">[Pg 157]</a></span> -Buche Lebewohl sagte. Dann lockte sie den Hund mit einem Stück -Kuchen an sich, nahm ihn auf den Arm und eilte, von der Cousine -begleitet, in's Freie. Sie ergötzte sich an dem bunten Treiben, -das die Straßen dieser Handelsstadt belebte; aber das Gewirr in -denselben, die hohen, überhängenden Häuser, die dunkeln Höfe und -Gäßchen, durch welche sie gingen, und die in der Dämmerung noch -unheimlicher aussahen, bedrückten das Herz des jungen Mädchens -mehr und mehr. Dazu kam, daß Bello unruhig wurde und weder -auf Agathes Arm, noch auf dem der Cousine bleiben wollte, und doch -wagte Agathe nicht, ihn auf den Boden zu setzen; denn in dem -Gewühl und der Dunkelheit hätte sie ihn sicher verloren.</p> - -<p>»Warte, wir wollen ihn anbinden!« sagte die Cousine und zog -eine Schnur durch das Halsband des Hundes. Aber damit war -nichts gebessert; denn nun wollte das Thier nicht vom Fleck, bellte -und stemmte sich, Agathe mochte ziehen, so viel sie wollte. Die -Vorübergehenden lachten und neckten die junge Hundewärterin, so -daß diese dem Weinen nahe war. Aber die Cousine tröstete und -half treulich, indem sie den Widerspenstigen von hinten mit dem -Fuße vorwärts stieß, und so, ziehend und stoßend gingen sie ein -Stück Weges weiter. Aber endlich trat ein muthwilliger Bursche dem -Hunde auf eine Pfote, und nun war nichts mehr mit dem Thiere -anzufangen. Winselnd warf es sich zu Boden, und als ihn Agathe -wieder auf den Arm nahm, war er so bissig und bösartig, daß der -Spaziergang möglichst schnell beendigt werden mußte.</p> - -<p>Die Tante war sehr ärgerlich, sowohl über den Unfall, der -ihrem Lieblinge widerfahren war, als über die schnelle Rückkehr -Agathes. »Mein armes Hundchen bedurfte der frischen Luft so sehr,« -sagte sie, »du hättest ihn wohl noch eine Weile führen können.«</p> - -<p>»Aber liebe Tante, es war ja nicht möglich; laufen wollte er nicht, -und auf dem Arme blieb er auch nicht!« entschuldigte sich Agathe.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_158" id="Page_158">[Pg 158]</a></span></p> - -<p>»Ach du verstehst das liebe Thier nur nicht zu behandeln!« rief -die Tante heftig und streichelte die verletzte Pfote ihres Lieblings. -»So unaufmerksam, ihn treten zu lassen!«</p> - -<p>Das junge Mädchen wollte sich schüchtern zurückziehen, da sagte die -Tante: »Bleib nur hier, Agathe; du sollst mit mir Karte spielen. Ich -bleibe heute Abend zu Hause, denn ich bin so sehr angegriffen.«</p> - -<p>»Karte, liebe Tante? Das kann ich nicht; ich habe nie Karte -gespielt,« erwiederte Agathe erstaunt.</p> - -<p>»So? Nun so geh' zur Cousine, sie soll es dir beibringen, damit -du morgen mit mir spielen kannst,« sagte die Tante. »Die alte -Person mag ich nicht mehr um mich haben, sie spielt auch gar zu -schlecht! Gieb dir rechte Mühe, daß du es morgen schon kannst; -ich langweile mich sonst zu schrecklich.«</p> - -<p>»Ich will Ihnen vorlesen, liebe Tante, das ist doch hübscher als -Kartenspiel,« wagte Agathe zu sagen, aber Madame entgegnete -verdrießlich: »Nein, laß mich damit in Ruhe, das greift meine Nerven -an und ist zum Einschlafen langweilig. Geh' nur, und lerne -Kartenspiel.«</p> - -<p>So blieb denn Agathen nichts anderes übrig, als den Befehlen -der Tante zu gehorchen, und die alte Cousine um Unterricht in dieser -völlig unbekannten Kunst zu bitten.</p> - -<p>Es wurde ihr sehr schwer, alles das zu merken, was nöthig -war, und der ganze schöne Abend verging, ehe sie Boston, das -Lieblingsspiel der Tante, begriffen hatte, der schöne Abend, an dem -sie sich so unsäglich gern mit ihren Büchern beschäftigt, ihren früheren -wissenschaftlichen Arbeiten einige Zeit gewidmet hätte!</p> - -<p>Den Onkel sah sie beim Abendbrod erst wieder. Er war -freundlich wie am Morgen, aber um die Beschäftigungen Agathes -bekümmerte er sich nicht; das war die Sache seiner Frau, dahinein -durfte er sich nicht mischen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_159" id="Page_159">[Pg 159]</a></span></p> - -<p>Aber doch übertrug er ihr auch ein Geschäft, das Agathen mit -der Zeit sehr angenehm wurde; es war das Vorlesen der Zeitung -nach dem Abendbrode. Bald bestand in dieser Lectüre Agathes -einzige geistige Beschäftigung; denn so wie dieser erste Tag, vergingen -alle übrigen, nur mit dem Unterschiede, daß Agathe den -Hund am Tage spazieren führen mußte, statt Abends, und zwar in -der einzig freien Zeit von eins bis zwei Uhr, sobald sie ihr Mittagbrod -verzehrt hatte. Doch war die Tante so gütig, ihr noch eine halbe -Stunde länger zu bewilligen, ob zum Vortheil Agathes oder Bello's -blieb freilich unentschieden. Bald hieß das junge Mädchen bei der -fröhlichen Straßenjugend, welche sich um die Mittagszeit zum Spielen -in der Nähe einfand, nur noch das »Hundefreiln.« Aber statt sie, -wie im Anfange, zu necken, half ihr bald dieser, bald jener gutherzige -Junge, den Hund zu beruhigen, wenn derselbe seine bösen Mucken -bekam, und oft genug wurde er von solch' kecker Hand tapfer durchgeprügelt -für seine Unarten, was Agathe durchaus nicht verwehrte; -denn Bellochen lernte jetzt ordentlich, was es heißt, ein artiger -Hund zu sein.</p> - -<p>So vergingen Agathen die Tage in ihrer neuen Heimath. Am -Morgen begann sie ihr Tagewerk mit der Toilette des Hundes, -dann nähte sie bis ein Uhr, aß geschwind, und führte alsdann ihren -Schutzbefohlenen an die Luft, was ihr freilich selbst sehr zuträglich -war. Dann wurde wieder genäht bis sieben Uhr, und regelmäßiges -Kartenspiel mit Onkel und Tante sowie schließlich die Zeitungslectüre -beschloß den Tag und raubte ihr jegliche freie Minute. Wohl -versuchte sie bis in die Nacht hinein zu lesen und zu studiren; aber -dies duldete die alte Cousine mit Recht niemals; denn Agathes -zarter Körper bedurfte nach der Arbeit des Tages unbedingt der -Ruhe. Die einzige freie Zeit hatte Agathe nur, wenn die Tante -Abends ausgegangen war; aber sie ging dann auch immer so spät,<span class="pagenum"><a name="Page_160" id="Page_160">[Pg 160]</a></span> -daß nur noch wenige Stunden bis zum Schlafengehen übrig blieben. -Aber doch waren diese Stunden die Freude und Wonne des eifrigen -Kindes, und an ihnen richtete sich ihr Herz auf, wenn sie oft unter -der Last ihrer geisttödtenden Arbeiten zu erliegen meinte.</p> - -<p>Auch an den Sonntagen gehörten einige Stunden ihr selbst, -und nie waren ihr diese Feiertage so lieb und werthvoll gewesen, -als jetzt. Regelmäßig besuchte sie dann des Morgens die Kirche, -und hier fand sie Trost für alles, was ihr Herz bedrückte, und frischen -Muth, der Zukunft hoffend entgegen zu sehen. Auch am Nachmittage -blieb sie sich einige Stunden selbst überlassen, ehe der Abend -mit dem Kartenspiel heran kam, und daß sie diese schöne Freiheit -benutzte, um zu ihren Büchern zu flüchten und Briefe an ihre lieben -Freundinnen zu schreiben, versteht sich von selbst. — Aber wäre -dem schönen Sonntage nur nicht das Erwachen am Montag früh -gefolgt, das war gar zu traurig! Wie eine lange Kette von sechs -schweren, drückenden Bleigewichten lagen diese kommenden Wochentage -vor ihr, und nie begann sie ihr Tagewerk ohne Seufzer, sie -mochte sich selbst noch so sehr deshalb schelten. Leider zeigte sie zu -den feinen Arbeiten, die sie jetzt erlernte, sehr wenig Geschick. Es -gehörten gewandte, flinke Finger dazu, und große Leichtigkeit der -Hand, um all' die Tausend Fältchen und Kniffchen und niedlichen -Zierlichkeiten hervorzubringen, wodurch aus Nichts etwas Hübsches -entsteht, und dazu war Agathe ganz und gar nicht gemacht. Sie -hatte eine schwerfällige Hand, arbeitete langsam und gewissenhaft, -und machte so kleine zierliche Stiche, als nähte sie feine Wäsche. -Schon bei dem ABC der Putzmacherkunst war sie in Verzweiflung, -und Fräulein Schneider mit ihr; was sollte erst werden, wenn die -schweren Aufgaben daran kamen. Das ABC, das jede Schülerin -erst lernen mußte, um dann zu den höheren Graden zu gelangen, -war nämlich das Nähen von Millionen dicht an einander stoßenden,<span class="pagenum"><a name="Page_161" id="Page_161">[Pg 161]</a></span> -kleinen Säumen, in welche Fischbeine geschoben wurden, um dann -die sogenannten Zughüte zu geben, in denen Madame Niedrers -Geschäft eine besondere Berühmtheit erlangt hatte, weshalb -denn diese massenhaften Säume auch nimmermehr ein Ende nahmen. -Staunend hatte Agathe gleich am ersten Morgen gesehen, -mit welcher Blitzesschnelle die Nadeln der jungen Mädchen bei dieser -Arbeit durch das Seidenzeug fuhren. Nun sollte sie es ebenso -machen; aber damit kam sie nun und nimmer zu Stande. Vorsichtig -nähte sie Stich um Stich, und solch Zughütchen, von ihrer -Hand gefertigt, würde vielleicht am jüngsten Tage einmal fertig geworden -sein. Und wie mit dieser Arbeit, so ging es ihr mit allen -andern. Einst die beste Schülerin der ganzen Pension, war und blieb -sie die schlechteste hier in der Arbeitsstube. Fräulein Schneider war -zum Glück eine sehr gutherzige Dame und sah wohl, wie viel Mühe -sich die arme Agathe gab. Sie verschwieg ihrer Principalin die -Ungeschicklichkeit des jungen Mädchens; aber freilich änderte sie dadurch -in der Sache nichts, und Agathe fühlte sich von Tage zu Tage -muthloser. Dazu kam, daß Bello krank wurde und sie diesem unleidlichen -Gesellen jetzt jede ihrer freien Stunden opfern mußte. Das -Thier litt zuweilen an Krämpfen, und wenn diese sich einstellten, -dann gerieth das ganze Haus in Aufregung. Madame Niedrer lag -schluchzend im Sopha, unfähig ihren Schmerz zu überwinden, oder -sie kniete neben dem Lager des Hundes, Agathen zusehend, wie sie -nach Angabe des Thierarztes den Kranken mit aller Anstrengung -frottirte, daß ihr der Schweiß von der Stirn rann, oder das Thier -in warme Decken einhüllte, die immer neu erwärmt werden mußten. -Bei solchen Krankheitszufällen hatte Agathe auch in der Nacht keine -Ruhe; denn alsdann stand das Bett des Hundes neben dem ihren, -und sie mußte viele Male in der Nacht aufstehen, dem Thiere auf -der Spirituslampe süße Milch zu erwärmen und ihm dieselbe dann<span class="pagenum"><a name="Page_162" id="Page_162">[Pg 162]</a></span> -einzuflößen. Die Cousine half dabei natürlich gern und nahm -Agathen die Hälfte der Arbeit ab; aber Agathe war doch immer in -Angst und Sorge; denn ihr war der Hund anvertraut, und passirte -ihm etwas, so bekam sie die Vorwürfe. Bello war gewöhnt, stets -bei der Nachtlampe zu schlafen, und so brannte dieselbe natürlich -auch jetzt neben Agathes Bett. In einer Nacht aber war das Licht -ausgegangen, und Bello bekam in Folge davon wieder seine Krämpfe; -denn das zarte Geschöpf hatte sich über die ungewohnte Finsterniß -alterirt, die es umgab. Kein Mittel wollte helfen, und am nächsten -Tage war Bello so krank, daß Madame Niedrer fassungslos umherirrte.</p> - -<p>»Fahre mit ihm nach der Klinik, Agathe,« rief sie weinend, »ich -kann es nicht, ich bin zu trostlos!«</p> - -<p>So holte sich denn Agathe einen Wagen, nahm Bello auf den -Schoos und fuhr nach der Thierarzneischule. Es war eine entsetzliche -Fahrt, denn jeden Augenblick dachte sie, das Thier würde sterben. -In der Klinik wurde sie von einer Menge junger Aerzte umringt, -welche sich des Hundes anzunehmen schienen, hierbei aber Agathen -mehr ansahen, als den armen Bello. Das junge Mädchen wurde -von Minute zu Minute unruhiger; tödtliche Verlegenheit und Angst -färbte ihre zarten Wangen immer tiefer; aber gerade dies erhöhte -ihre Schönheit, und beifälliges Flüstern erhob sich rings um sie her. -Sie fühlte, wie unpassend es war, daß sie allein hier unter den -jungen Aerzten stand; aber was sollte sie thun? Den Hund konnte -und durfte sie nicht verlassen, und ein älterer Mann, der sich mit -ihm beschäftigte, fand gar kein Ende in seinen Untersuchungen. -»Lassen Sie den Hund hier, und holen Sie ihn morgen wieder ab, -meine Dame, falls er da noch lebt!« sagte endlich der alte Herr, -und froh aufathmend eilte Agathe davon, umringt von den jungen -Aerzten, die ihr die Thür öffnen, ihr einen Wagen herbeirufen, sie<span class="pagenum"><a name="Page_163" id="Page_163">[Pg 163]</a></span> -begleiten, kurz ihr alle möglichen Dienste erzeigen wollten. Schluchzend -kam Agathe zu Hause an; denn das schüchterne Kind war außer -sich über das, was sie hatte ertragen müssen, und ihre Aufregung -war so groß, daß Madame Niedrer's Vorwürfe darüber, daß sie -den Hund in der Klinik gelassen, gar keinen Eindruck auf sie machten. -Als aber Madame am andern Tage verlangte, sie solle wieder hingehen -und Bello abholen, da erklärte sie mit einer für die Tante -völlig neuen Entschiedenheit, das thue sie nicht, die Cousine möge -hingehen. Trotz Madames Zorn ob solcher Opposition ließ sich -Agathe nicht bestimmen, und so wurde wirklich die Cousine an ihrer -Stelle abgeschickt. Zum Glück war Bello wieder gesund; Agathe -aber haßte ihn jetzt nur doppelt, denn die Angst und Sorge um -ihren Liebling ließ Frau Niedrer gar nicht mehr zu Ruhe kommen, -und Agathe hatte schlimmere Tage als je. Heulte und wimmerte -das Thier, so sollte sie dafür einstehen; denn die Tante behauptete, -sie besorge ihn schlecht. Lief er in plötzlicher Laune zur Thür hinaus, -so mußte sie von der Arbeit fort hinter ihm d'rein springen, um ihn -zurück zu holen, damit er sich nicht wieder erkälte, und kam sie dann -athemlos zurück, so zitterten ihr die Hände von dem Kampfe mit -dem widerspenstigen Thiere, und die Arbeit wollte noch weniger -gehen, als bisher schon. So verging Woche um Woche; ihre Lage -wurde nur schlimmer statt besser. Zum Lesen und Lernen kam sie -jetzt gar nicht mehr, und ein schwerer, stiller Trübsinn lagerte sich -auf ihr Herz. Es war ihr alles gleichgültig; am liebsten wäre sie -im Grabe bei ihrer lieben, theuren Mutter gewesen, denn das Leben -hatte trotz ihrer Jugend gar keinen Reiz mehr für sie.</p> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_164" id="Page_164">[Pg 164]</a></span></p> - - - - -<h3 class="no-break"><a name="Funftes_Kapitel" id="Funftes_Kapitel">Fünftes Kapitel.</a><br /> - -Wiedersehn.</h3> - - -<p>Still und in sich gekehrt ging Agathe eines Tages vor einem -der Thore Leipzigs spazieren. Der Sommer war in voller Pracht -in das Land gezogen; in den Gärten standen Rosen und Lilien in -voller Pracht, und die blühenden Lindenbäume neigten ihre duftenden -Zweige zu dem jungen Mädchen herab, als wollten sie ihr Liebes -und Freundliches erzeigen. In dem frischgrünen Laube der schattigen -Baumgänge, unter denen Agathe dahin schritt, sangen die -Vögel fröhliche Lieder, und die Sonne blickte mild und warm vom -blauen Himmel hernieder. Aber Agathe hatte heute für gar nichts -Sinn. Allerlei Verdruß und Aerger bedrückte ihr Herz mehr als -gewöhnlich, und sie fühlte sich so einsam, so allein in der Welt, daß -sie sich wie verstoßen vorkam. Thräne auf Thräne rollte über ihre -Wange, und müde setzte sie sich endlich auf eine der Bänke, welche -unter den Bäumen standen. Bello war ungewöhnlich artig und -legte sich ruhig zu ihren Füßen nieder, und so wurde sie durch nichts -von ihren Gedanken abgezogen.</p> - -<p>Aber plötzlich fuhr sie zusammen; der Ton einer Stimme schlug -an ihr Ohr, und wie träumend starrte sie in ein liebes, treues, nur -gar zu wohl bekanntes Gesicht.</p> - -<p>»Mein Goldkind, bist du es denn wirklich? Muß ich dich gleich -hier finden, mein armes kleines Vögelchen?« so rief schon von Weitem -die bekannte Stimme der alten Soltatenfrau, und in ihrer ganzen -gewichtigen Höhe und Breite stürmte sie mit großen Schritten auf -Agathe los.</p> - -<p>»Anne, meine Anne!« jubelte das junge Mädchen und flog mit<span class="pagenum"><a name="Page_165" id="Page_165">[Pg 165]</a></span> -offenen Armen an die Brust der alten, treuen Seele, und laut schluchzend -umschlang diese ihren Liebling.</p> - -<p>»Ach Anne, dich schickt mir der liebe Gott!« sagte endlich Agathe. -»Gerade heute wollte ich ganz verzagen, und aller Muth war mir -entschwunden. Aber nun ist alles gut, nun bist du hier, nun habe -ich jemanden, der mich lieb hat. Nicht wahr, du bleibst hier, Anne? -Du ziehst hierher und läßt dein armes Kind nicht mehr allein? Ach -Anne, wenn du wüßtest, wie traurig ich bin, du verließest mich nicht -wieder!«</p> - -<p>»Nun will ich denn das, mein Herzkäferchen? Will ich denn -wieder fort? Habe ich nicht meine ganze Bagage im Train, damit -ich hier Quartier nehme?« rief die Alte fröhlich und lachte mit ihrer -lauten, rauhen Stimme, daß die Vorübergehenden verwundert auf -das sonderbare Pärchen blickten. Die alte Soltatenfrau war eine -geborne Schlesierin und hatte heute den großen Staat ihrer Heimath -angelegt, welche Tracht sich allerdings unter den glatten, weißen -Mützchen und den modischen Kleidern der Leipziger Stubenmädchen -gar wunderlich ausnahm. Sie trug einen feuerrothen Rock mit -weiter Schürze und Mieder, darüber den rothen schlesischen Frießmantel, -welcher, wie der blaue Regenschirm, Sommer und Winter -den Schlesier begleitet, und den Kopf deckte eine Mütze mit langen -Bändern, von einem großen, schwarzseidenem Tuche umschlungen, -dessen Schleifen wie ein Paar mächtige Fächer über der Stirn -schwebten.</p> - -<p>Agathe war so glücklich über das Wiedersehen ihrer treuen -Anne, daß ihr alle Traurigkeit entschwunden war. Froh, der braven -Freundin ihr Herz öffnen zu können, erzählte sie alles, was ihr begegnet, -und alles Leid, das sie zu tragen hatte. Anne begleitete die -Erzählung mit den theilnehmendsten Zeichen und Ausrufungen, indem -sie wie ein <em class="gesperrt">Telegraph</em> mit ihren langen Armen in der Luft<span class="pagenum"><a name="Page_166" id="Page_166">[Pg 166]</a></span> -umher focht; glückselig aber war sie, daß sie Agathe wenigstens den -Trost geben konnte, sie werde sich ihrer nun aus allen Kräften annehmen, -da sie ihr so nahe sei.</p> - -<p>»Ach gute Anne, du kannst mir ja doch nicht helfen!« seufzte -Agathe. Aber im Herzen hoffte sie doch wieder von Neuem, seit sie -diese treue Seele neben sich wußte.</p> - -<p>»Wer weiß, ob ich dir nicht einmal beistehen kann, wo du es am -wenigsten denkst,« sagte die Alte, und schritt gedankenvoll neben -Agathe her, die sich bei diesem Wiedersehen schon sehr verspätet hatte -und nun eilte, nach Hause zu kommen.</p> - -<p>»Besuche mich morgen ganz früh, Anne, den Tag über habe ich -keine Zeit,« rief Agathe noch beim Abschied; dann winkte sie der -Alten noch einmal zu und flog die Treppe hinauf.</p> - -<p>»Du armes, armes Vögelchen! Das ist kein Ort für dich!« sprach -Anne leise, indem sie ihr nachblickte und dann still ihres Weges ging.</p> - -<p>»Wie sie bleich aussieht und mager. Diese Tante muß gar kein -Herz im Leibe haben, sonst könnte sie solche kleine, blasse Blume -nicht von früh bis Abend an die Näherei schmieden, wie einen Galeerensträfling!«</p> - -<p>Das Wiedersehen ihrer alten treuen Freundin hatte Agathen so -fröhlich gestimmt, daß die Cousine ganz verwundert drein schaute, -sich aber herzlich mit dem jungen Mädchen freute, als sie den Grund -zu deren Frohsinn erfuhr.</p> - -<p>»Gegen die Tante sprich aber lieber nicht davon; sie liebt solche -Besuche nicht,« sagte die Cousine, und da Agathe überhaupt in Gegenwart -der Tante sehr wenig sprach, so wurde es ihr nicht schwer, -gegen dieselbe zu schweigen. Dem Onkel aber theilte sie die Anwesenheit -der Alten mit, sobald sie einmal mit ihm allein war, und -in seiner milden Weise nahm auch er herzlichen Antheil an der Freude -des guten Kindes.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_167" id="Page_167">[Pg 167]</a></span></p> - -<p>Anne kam am folgenden Morgen, wie sie versprochen, ihren Liebling -zu besuchen, und aus den weiten Taschen ihres rothen Frießrockes -holte sie eine Menge Briefe und kleine Geschenke heraus, -welche die Freundinnen der Pension an Agathe schickten. O, was -für eine Freude war das, welch ein herrlicher, glücklicher Tag! Das -junge Mädchen lachte und weinte vor Entzücken, und fiel ihrer Anne -immer wieder dankend um den Hals. Die ganze unaussprechliche -Sehnsucht ihres Herzens nach den vergangenen Zeiten war durch -diese Boten aus der Heimath ihrer Kinderjahre über sie gekommen.</p> - -<p>Anne versprach, Agathen recht oft zu besuchen, und sie hielt -Wort; öfter aber noch traf sie mit ihrem Lieblinge auf deren täglichen -Spaziergängen zusammen, wodurch dieselben nicht wenig an Reiz -gewannen.</p> - -<p>Wieder verging Woche um Woche; der Herbst vertrieb den -Sommer, und die fallenden Blätter deckten die Laubgänge vor der -Stadt, in denen Agathe so gern auf und nieder wandelte. Aber -wenn auch die Natur um sie her ein anderes Ansehen gewann, die -Lage Agathes blieb dieselbe. Kein freundlicher Hoffnungsstern wollte -an ihrem Himmel aufgehen, wie sehr sie ihn auch ersehnte und Plan -auf Plan schmiedete und selbst an den Eisenstäben zu rütteln versuchte, -die sie umschlossen.</p> - -<p>Eines Tages jedoch schritt ihr die alte Soldatenfrau in großer -Aufregung entgegen, und kaum erreichte ihre rauhe Stimme Agathen, -als sie fröhlich ausrief: »Hurrah, mein Goldkind, ich sehe Licht! Helles -Licht, sage ich dir!« Dabei focht sie mit ihren großen Händen -gewaltig in der Luft umher, als risse sie dunkle Schleier herab, die -besagtes Licht verhüllten. »Die Bresche ist geschossen, nun muß auch -die Festung bald fallen; denn die Bresche ist die Hauptsache, sagte -mein Corporal, wenn er sich vor einer Attaque den Schnurrbart -strich,« schloß sie dann und fuhr sich über die Lippen, um zu zeigen,<span class="pagenum"><a name="Page_168" id="Page_168">[Pg 168]</a></span> -wo der Schnurrbart gesessen, der so regen Antheil an den Berathungen -ihres Corporals hatte.</p> - -<p>»Aber was giebt's denn nur, Anne, was hast du nur?« rief -Agathe neugierig und zog die Alte auf eine Bank.</p> - -<p>»Was es giebt? Eine Stelle giebt es für dich, mein Vögelchen!« -jubelte die Alte. »Aber wie gesagt, Sturm müssen wir -laufen, sonst kommt uns ein Anderer zuvor, oder deine Frau Tante -bekommt gar Wind und verrennt uns den Weg.«</p> - -<p>»Eine Stelle? Du träumst wohl, Anne; für mich eine Stelle?« -rief Agathe ungläubig. »Was soll ich armes Ding denn für eine -Stelle ausfüllen! Ich kann ja nichts als Hunde warten und Karte -spielen! Nicht einmal Putzmachen begreife ich; ich bin ja zu gar -nichts zu gebrauchen!«</p> - -<p>»Das wird sich finden!« sagte die Alte stolz und schüttelte den -grauen Kopf, daß die Fächer ihrer Mütze hin und her schwankten. -»Jeder soll thun, was für ihn paßt! Putzmachen ist eine gute, -ehrenwerthe Beschäftigung, das versteht sich; aber wer kein Geschick -dazu hat, sondern Kopf zu was anderm, der soll sich damit nicht abquälen, -sondern lieber das thun, was ihm leichter wird! Ich kenne -dich besser und weiß, wer in der Pension stets die beste Schülerin gewesen -ist! Es ist mir ganz egal, was du seitdem gethan hast; in dir -steckt mehr, das muß ich wissen. Ich kenne mein liebes Kind vom -ersten Tage an, als es auf die Welt kam, damit Basta!«</p> - -<p>»Aber so sag' doch, was hast du denn für eine Stelle?« lachte -Agathe und ergriff zärtlich die schwielige Hand der braven Freundin.</p> - -<p>»Nun du weißt doch, daß ich die Aufwartung bei Madame -Groß übernommen habe,« hub die Alte geheimnißvoll an. »Diese -hat jetzt Besuch von ihrem Bruder, der mit seiner kranken Frau nach -Frankreich oder Italien, oder wo es ist, gehen will. Da kam mir -denn ein Gedanke: »Wenn sie für die arme, kranke Dame nur eine<span class="pagenum"><a name="Page_169" id="Page_169">[Pg 169]</a></span> -weibliche Begleitung hätten, liebe Madame Groß,« sagte ich gestern -Abend zu meiner Herrin, und hatte so meine Absichten. »Eine Kranke -bedarf so manches, was der Mann nicht versteht, und die liebe, kranke -Dame wird das gewiß später empfinden. Sehen Sie, Madame,« sagte -ich weiter, »mein Corporal war der beste Mann in der ganzen Welt; -aber wenn ich krank im Bett lag, da war er wie ein kleines Kind; -es fehlte an allen Ecken; denn er verstand gar nichts, was nicht zum -Dienste gehörte.« Was meinst du nun, mein Goldkind, was ich bei -den Worten im Sinne hatte? Nichts anderes, als daß du die Leute -als Gesellschafterin begleiten solltest!« schloß die Alte mit glänzenden -Augen, »und ich glaube, es wird was draus, denn Madame Groß -fand meine Gedanken vortrefflich.«</p> - -<p>»Ich, Anne, Gesellschafterin? Ach, mein Gott, wo denkst du -hin!« rief Agathe ganz erschrocken.</p> - -<p>»Aber warum denn nicht?« sagte die Alte eifrig. »Ist es nicht -besser, du pflegst eine gute, kranke Dame (denn sehr gut ist sie, das -habe ich gemerkt), als daß du Hunde wartest und dich zu Tode stichelst? -Denke doch, sie gehen vielleicht nach Frankreich; da kannst du ja -noch was lernen und siehst dich in der Welt um! Hier bei deiner -elenden Putzmacherei verkümmerst du ganz; ich kann das nicht länger -mit ansehen. Gelt, Schäfchen, du gehst darauf ein?«</p> - -<p>Agathe begriff nur zu wohl, wie Recht die treue Seele hatte, und -die Aussicht, in fremde Länder zu gehen, und dort noch vieles zu -sehen und zu lernen, was für ihre Ausbildung nützlich sein mußte, -tauchte wie ein Strahl freudiger Hoffnung vor ihren Blicken empor.</p> - -<p>»Aber sie werden mich nicht nehmen, Anne,« seufzte sie traurig.</p> - -<p>»Dafür laß mich sorgen, das wird sich finden,« sagte die Alte. -»Meine Bresche ist gut angelegt, ich werde schon siegen, da ist mir -nicht bange. Aber deine Tante, das ist die Hauptsache, die wird<span class="pagenum"><a name="Page_170" id="Page_170">[Pg 170]</a></span> -nicht wollen. Sie hat von dir wenig Kosten; du lieber Gott, was -braucht denn so ein armes, kleines Vögelchen; aber Hülfe hat sie von -dir in Menge, und gewiß denkt sie, du sollst einmal Directrice in -ihrem Geschäft werden, damit sie die jetzige nicht mehr zu bezahlen -braucht. Die alte Cousine hat neulich so was gesagt, und die Sache -wäre freilich für sie bequem.«</p> - -<p>»Ach, mein Gott, das wäre ja schrecklich!« rief Agathe, und -dachte mit Entsetzen an die zehn Jahre, in welchen Fräulein Schneider -bereits jenen hohen Directricensitz einnahm, und der ihrer wartete, -um sie ihr ganzes Lebenlang dort fest zu halten.</p> - -<p>»Aber wie soll ich es der Tante sagen? ich werde dazu nie den -Muth haben!« fuhr Agathe ängstlich fort.</p> - -<p>»Nun laß mich nur machen; es soll schon alles gut gehen!« tröstete -Anne. »Morgen gehst du mit mir zu Madame Groß, ihr lernt -euch gegenseitig kennen, und das andere findet sich dann.«</p> - -<p>Am andern Tage trat denn die gute Anne Sommer getrost mit -ihrem Liebling in das Zimmer ihrer Herrin, und mit einem fröhlichen: -»Na, da ist das Goldkind, Madame!« schob sie militärisch -grüßend, zwei Finger an die Fächer ihrer Haube gelegt, die schüchterne -Agathe vor Madame Groß hin.</p> - -<p>»So jung noch, und so zart?« konnte sich die Dame nicht enthalten, -auszurufen, als sie Agathen betrachtete. »Sie wird sich für -diese Stelle nicht eignen, liebe Sommer.«</p> - -<p>»Soll sie denn die kranke Madame heben und tragen?« sagte die -Soldatenfrau barsch.</p> - -<p>»Nein, das soll sie nicht!« entgegnete Madame Groß. »Aber -sie würde doch zuweilen des Nachts aufstehen müssen, oder dergleichen -Dinge thun, und wenn sie schwach und kränklich ist, so hält sie das -nicht aus; denn das Leben bei einer Kranken ist angreifend.«</p> - -<p>»Aber ich bin nicht schwach, wenn ich auch bleich aussehe,« sagte<span class="pagenum"><a name="Page_171" id="Page_171">[Pg 171]</a></span> -Agathe jetzt angstvoll, denn sie fürchtete so sehr, abgewiesen zu -werden.</p> - -<p>»Kommen Sie mit zu meiner Schwägerin, liebes Kind; sie mag -selbst entscheiden,« sagte endlich Madame Groß nach einigem Zögern, -und bald stand Agathe vor der Kranken, einer sanften, jungen Frau, -deren durchsichtige Farbe die böse Krankheit verkündete, welche ihren -zarten Körper zerstörte. Sie blickte Agathen mit sanftem, seelenvollem -Blicke an, und dieser traten Thränen in das Auge; denn unwillkürlich -dachte sie an ihre geliebte Mutter, die ja auch so zart und -leidend ausgesehen hatte, ehe sie von der Erde schied. Frau von -Menzel, so hieß die Kranke, bat Agathen, sich neben sie zu setzen -und erkundigte sich nach ihren Verhältnissen. Agathe erzählte anfangs -zaghaft und schüchtern; aber die rege Theilnahme der Kranken -flößte ihr bald großes Vertrauen ein, und offen legte sie derselben -nun ihre ganze Lage dar und verhehlte nicht, wie innig sie wünschte, -bei ihr bleiben und mit ihr gehen zu können. — Frau von Menzel -reichte dem jungen Mädchen endlich die Hand und sagte freundlich, -sie gefalle ihr sehr wohl, und herzlich wünsche sie ihre Begleitung. -Deshalb, wenn sie mit ihnen gehen wollte, so möge sie nur mit -ihren Verwandten darüber Rücksprache nehmen. Aber freilich sei -nicht viel Zeit zu verlieren, denn schon in drei Wochen wollten sie -abreisen.</p> - -<p>Agathe küßte voll des innigsten Dankes die Hand der gütigen -Dame. Ihr Herz fühlte sich unbeschreiblich zu ihr hingezogen, und -mit aufrichtiger Freude versprach sie, alles zu thun, um die Zufriedenheit -derselben zu verdienen. Mit frohem Herzen kehrte sie -dann zu ihrer Anne zurück, und diese war so glücklich über das -Gelingen ihres Planes, daß sie wie ein Kind sprang und tanzte.</p> - -<p>»Aber nun die Tante; ach, wäre das erst überstanden!« jammerte -Agathe. »Wenn ich es nur dem Onkel sagen könnte; aber ich sehe<span class="pagenum"><a name="Page_172" id="Page_172">[Pg 172]</a></span> -ihn ja nie allein. Und was hilft das auch; er schickt mich doch zu -der Tante, denn er fürchtet sich, ihr etwas Unangenehmes zu sagen.«</p> - -<p>»So nimm das Herz in die Hand, und geh' gleich zu ihr,« sagte -Anne. »Ich warte in der Küche draußen auf die Antwort; zu Hause -läßt es mir doch keine Ruhe.«</p> - -<p>Agathe that, wie Anne ihr gerathen, und nun stand sie vor der -Thür, die zu dem Zimmer der Tante führte. Sie hörte ihr Herz -ordentlich klopfen und kämpfte nach Athem; endlich aber drückte sie -muthig auf die Thürklinke, und nun war sie im Zimmer.</p> - -<p>»Liebe Tante, wenn ich Sie nicht störe, möchte ich Ihnen etwas -sagen,« begann sie ziemlich kühn.</p> - -<p>»Was willst du? Warum bist du nicht bei der Arbeit?« sagte -die Tante streng und blickte nach der Uhr, welche Arbeitszeit verkündete.</p> - -<p>»Ich.. ich werde das Putzmachen doch nie lernen, verzeihen -Sie, liebe Tante!« stotterte Agathe, ihre muthige Haltung schon -etwas verlierend.</p> - -<p>»Du wirst es nie lernen? Was soll das heißen? Du willst nicht, -bist faul, ich weiß es lange!« fuhr die Tante auf. »Aber es hilft -dir alles nichts, du sollst dein Brod hier nicht umsonst essen, sondern -es dir verdienen; verstehst du mich? Jetzt geh' und bessere dich, und -laß mich solche Reden nicht wieder hören! Du bist ein armes Mädchen; -du mußt daran denken, dir dein Brod später selbst zu verdienen.«</p> - -<p>»Ja wohl, liebe Tante, das will ich auch,« stammelte Agathe. -»Wenn Sie es mir erlauben, so möchte ich eine Stelle annehmen.«</p> - -<p>»Eine Stelle?« rief die Tante staunend. »Ich glaube, du weißt -nicht, was du sprichst! Was willst du ungeschicktes Mädchen denn -für eine Stelle annehmen?«</p> - -<p>»Ich soll eine kranke Dame nach Italien begleiten,« sagte Agathe<span class="pagenum"><a name="Page_173" id="Page_173">[Pg 173]</a></span> -wieder muthiger. »Sie will mich mitnehmen, wenn Sie es mir erlauben.«</p> - -<p>»Will dich mitnehmen? Also alles schon fix und fertig verabredet?« -rief die Tante jetzt, und ihr Zorn loderte empor. »Also -hinter meinem Rücken schmiedest du solche Ränke, du falsches Mädchen? -Ohne mir vorher ein Wort zu sagen, läßt du dich von andern -Leuten engagiren! Aber, mein liebes Kind, daraus kann ein für -alle Mal nichts werden! Du wirst hier bleiben und nach wie vor -dich beschäftigen, wie bisher; denn ich sehe wohl, es ist Faulheit, -was dich forttreibt! Du denkst, als Gesellschafterin wirst du ein -bequemes Leben führen und in der Welt umher reisen. Laß es dir -lieb sein, daß ich dich davon zurück halte, denn du würdest gar bald -sehen, wie sehr du dich geirrt hast.«</p> - -<p>»Aber liebe Tante, ich würde französisch lernen und vielleicht -dann Erzieherin werden können, wenn ich die Dame begleite. O -bitte, bitte, erlauben Sie es mir doch?« flehte Agathe weinend und -mit dem Muthe der Verzweiflung.</p> - -<p>»Nein, sage ich dir! Meine Erlaubniß bekommst du nicht!« -fuhr die Tante heftig auf. »Erzieherin! Glaubst du, die wird man -so mir nichts, dir nichts durch ein Bischen französisch schwatzen? -Dummes Zeug! Schweig jetzt, und geh an die Arbeit! Das ist -mein letztes Wort über die Sache!«</p> - -<p>Weinend eilte Agathe zu ihrer alten Anne, die ihrer in der Küche -harrte. Aber kaum hatte sie der treuen Seele ihr Leid geklagt, als -sie die Stimme der Tante hörte. Geschwind schob sie die alte Soldatenfrau -die Hintertreppe hinab und flog in das Arbeitszimmer, -um neuer Schelte zu entgehen. Aber wie viel stille Thränen, wie -viel Seufzer und wie viel Gedanken begleiteten nun jeden Stich, -den ihre Nadel langsamer und schwerfälliger als je zu Stande brachte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_174" id="Page_174">[Pg 174]</a></span></p> - - - - -<h3 class="no-break"><a name="Sechstes_Kapitel" id="Sechstes_Kapitel">Sechstes Kapitel.</a><br /> - -Treue Hülfe.</h3> - - -<p>Frau Anne Sommer war zwar die Hintertreppe hinab gegangen, -da Agathe es so gewollt; aber gedankenvoll und leise vor sich hin -brummend, trabte sie die Treppe im Vorderhause wieder herauf, -klingelte, und ließ sich bei Madame Niedrer anmelden.</p> - -<p>»Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe!« sagte die Alte mit -ihrer rauhen Stimme und schritt auf Madame Niedrer zu, welche -mit höchster Verwunderung diesen sonderbaren Besuch eintreten sah.</p> - -<p>»Ich bin Fräulein Agathes frühere Dienerin, Madame!« fuhr -die Alte weiter fort, »und habe eine große Bitte an Sie.«</p> - -<p>»Mein Gott, nicht einmal in seinem Zimmer ist man vor Betteleien -sicher!« rief die Angeredete unwillig und ergriff den Klingelzug.</p> - -<p>»O bitte, ich bettle nicht!« sagte die Alte stolz und richtete sich -in ihrer ganzen Länge auf. »Ich komme nur, um für Fräulein -Agathe etwas zu bitten.«</p> - -<p>»Was will Sie? Ich habe keine Zeit; rede Sie schnell!« rief -Madame Niedrer heftig.</p> - -<p>»Madame, Ihre Nichte wünscht eine Stelle anzunehmen; ich -bitte Sie flehentlich, erlauben Sie ihr das!« sprach die Alte nun -laut und dringend, aber immer noch bescheiden, wie bisher.</p> - -<p>»Was geht das Sie an; damit hat Sie gar nichts zu schaffen!« -rief Madame zornig. »Sie ist es gewiß, die ihr die Stelle suchte -und das undankbare Mädchen gegen ihre eigenen Verwandten aufhetzte. -Auf der Stelle gehe Sie, oder ich klingle, daß man Sie -hinaus bringt!«</p> - -<p>»Hoho, Madame, sprechen Sie so, so brauche ich auch nicht -hinter dem Berge zu halten!« brach nun Anne Sommer los und<span class="pagenum"><a name="Page_175" id="Page_175">[Pg 175]</a></span> -athmete schwer und tief. »Ja, ich bin es, da haben Sie recht; aber -ich bin es auch, der das arme Kind lieber ist, als irgend jemanden -in der ganzen Welt. Und darum will ich, daß sie glücklich wird. -Hier aber geht sie ganz und gar zu Grunde, und d'rum soll sie fort. -Sind Sie denn von Stein, Madame, daß Sie es mit ansehen können, -wie das arme, zarte Kind leidet an Körper und auch an ihrem Geiste? -Denn sie arbeitet sich elend und grämt sich zu Tode, daß sie nicht -noch etwas lernen und sich weiter ausbilden kann. Darum, Madame, -entweder Sie erlauben ihr, daß sie lernt statt zu nähen, oder Sie -lassen sie fort.«</p> - -<p>Die Alte hatte in ihrem Eifer die Hand empor gehoben; ihre -Augen blitzten, und drohend stand sie vor der Frau des Hauses. -Diese war zuerst etwas überrascht; bald aber faßte sie sich und sagte, -die Klingel ziehend: »Augenblicklich verläßt Sie mein Haus, Sie -unverschämte Person! Meine Nichte bleibt hier und wird Putzmacherin, -damit Punktum; Sie aber läßt sich nie wieder blicken!«</p> - -<p>Dabei gebot sie der eintretenden Dienerin, das Weib fortzubringen; -sie selbst aber verließ stolz und heftig das Zimmer.</p> - -<p>»So also geht's nicht!« brummte Anne vor sich hin, als sie -wieder auf der Straße war. »Du hast dem armen Kinde mehr geschadet, -als genützt; das war dumm von dir, Anne. Jetzt strenge -deinen alten Kopf an; denn fort muß sie, nun erst recht. Jetzt hat -sie's nun gewiß doppelt schlimm, die arme, kleine Maus.«</p> - -<p>Das war allerdings der Fall. Die Tante war so unfreundlich -und streng gegen Agathe und gönnte ihr so wenig freie Zeit, daß -das arme Mädchen es kaum geduldig ertragen konnte. Und was -sollte aus ihrer Stelle werden! Die Tante gab nie ihre Einwilligung, -das wußte sie jetzt nur zu gut, und ohne dieselbe konnte sie natürlich -nicht fort. Den Onkel um Hülfe zu bitten, war auch nutzlos; -denn wo die Tante so entschieden gesprochen, verhallte sein Wort und<span class="pagenum"><a name="Page_176" id="Page_176">[Pg 176]</a></span> -Wille wie ein Ton im Winde. Und doch verging die Zeit, und -konnte sie diese Stelle nicht annehmen, wer weiß, wann sich wieder -etwas so Passendes finden würde.</p> - -<p>Agathe fand Tag und Nacht keine Ruhe, und die gute Cousine, -der sie ihr Herz ausschüttete, wußte auch weder Rath noch Hülfe. -Auch Anne Sommer war Anfangs sehr aufgeregt und sorgenvoll -gewesen, seit einiger Zeit jedoch schwieg sie, schien aber so sicher und -guten Muthes zu sein, daß Agathe sie nicht begriff; denn ihr war -jede Hoffnung entschwunden. »Sage nur der guten Frau von Menzel, -wie sehr ich ihr danke und wie ich bedaure, sie nicht begleiten zu -können, Anne,« sagte Agathe weinend, und Anne nickte still mit dem -Kopfe, sah aber ganz heiter dabei aus, als lache sie in sich hinein.</p> - -<p>So waren zwei Wochen von der Zeit verstrichen, welche bis zur -Abreise Frau von Menzel's noch vergehen sollten. Agathe gab sich -Mühe, gar nicht mehr an ihre schönen Hoffnungen zu denken; aber -natürlich wollte ihr das nicht gelingen, sie wurde nur immer trauriger.</p> - -<p>In ihre Gedanken verloren, schritt sie eines Tages wieder unter -den Linden auf und nieder, und unwillkürlich verglich sie das gelbe, -trockene Laub am Boden, das unter ihrem Fuße rauschte, mit den -gestorbenen Hoffnungen ihrer Jugend. Da sah sie Anne Sommer -in ungewöhnlicher Hast auf sich zukommen; sie hatte einen Zettel -in der Hand und sagte freudig: »Nun ist's gut; jetzt hab' ich alles, -was ich brauche. Nun kommt es nur auf dich an, ob du willst oder -nicht, mein Herzkind!«</p> - -<p>»Was soll ich denn wieder, Anne; was hast du denn wieder im -Sinn?« sagte Agathe niedergeschlagen.</p> - -<p>»Ob du mit Frau von Menzel reisen willst!« rief Anne lebhaft.</p> - -<p>»Ach laß doch nur dies unglückliche Thema!« sagte Agathe sich -abwendend, denn die Thränen brachen ihr wieder hervor. »Du weißt -ja, ich darf nicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_177" id="Page_177">[Pg 177]</a></span></p> - -<p>»Ja du darfst! Hier steht es schwarz auf weiß!« jubelte Anne -und hielt ihren Zettel triumphirend empor. »Madame freilich erlaubt -es nicht, das steht fest; aber was thut uns das? Dein Vormund -ist der Onkel, und der hat es mir hier drauf geschrieben, daß -er nichts dagegen hat. Na, Mühe freilich hat's gekostet, ehe er sich -dazu entschloß; denn seine böse Frau durfte nichts davon wissen. Aber -ich habe ihm keine Ruhe gelassen, habe ihm das Herz so weich gemacht, -daß er dir doch endlich seine Erlaubniß gab. Denn gut ist er -und helfen möchte er dir, das muß ich sagen; aber die Furcht vor -der Frau läßt ja alles das nicht aufkommen!«</p> - -<p>»Wie? Du hast die Erlaubniß des Onkels?« rief Agathe in -in höchster Verwunderung »Wo hast du ihn denn gesprochen?«</p> - -<p>»In seinem Comptoir, mein Schäfchen! Drei Mal bin ich bei -ihm gewesen und habe ihn bestürmt, bis ich den Zettel hatte!« rief -die Alte und rieb sich vergnügt die harten Hände, daß es raschelte. -»Aber Abschied zu Hause darfst du freilich nicht nehmen, dann wäre -alles umsonst. Madame sperrte dich sicher ein; darum entschließe dich -nur und komm gleich mit mir, das ist das Allerbeste; es ist alles -schon vorbereitet.«</p> - -<p>»Wie? Ich soll gleich mit dir kommen?« rief Agathe, die Augen -weit öffnend. »So ohne Abschied, ohne alles, ohne....«</p> - -<p>»Ja den Abschied von deiner zärtlichen Tante, den mußt du freilich -dran geben,« lachte die Alte; »alles andere aber ist besorgt, da sei -ruhig. Die alte Cousine packt eben deine Sachen zusammen, die ich -in der Dämmerung abhole; sie weiß um alles, ist aber verschwiegen -und freut sich, daß du fort kommst. In meiner Wohnung bleibst -du bis zur Abreise von Menzels. Auch sie wissen um unsern Plan -und reisen deshalb einige Tage früher; die guten Menschen, sie -haben dich so lieb gewonnen.«</p> - -<p>»Aber das ist ja eine wahre Entführung! Ich laufe ja davon,<span class="pagenum"><a name="Page_178" id="Page_178">[Pg 178]</a></span> -als wäre ich ein Verbrecher rief Agathe ganz außer sich vor Bestürzung.</p> - -<p>»Nun ja, was bleibt denn anders übrig, wenn dein Onkel seine -Frau nicht zwingen kann und will?« lachte die Alte. »Er hat ja eine -Furcht vor ihr, als wäre sie Napoleon seine größte Kanone!«</p> - -<p>»Aber dem Onkel muß ich Lebewohl sagen; von ihm kann ich -nicht so fortlaufen, es wäre zu abscheulich!« sagte Agathe.</p> - -<p>»Nun dann komm schnell, und besuche ihn in seinem Comptoir,« -drängte die Alte. »Bis zwei Uhr ist er dort allein; das trifft sich gut.«</p> - -<p>Eilig gingen die beiden Freundinnen nach dem Arbeitszimmer -des Onkels, der in großer Unruhe in demselben auf und nieder ging.</p> - -<p>»Agathe!« rief er freudig, als das junge Mädchen schnell bei -ihm eintrat, und zog dasselbe an die Brust.</p> - -<p>»O mein lieber, lieber Onkel!« schluchzte Agathe, »verzeihe -mir!«</p> - -<p>»Ich habe dir nichts zu verzeihen, Kind!« sagte Herr Niedrer -sanft. »Ich sehe ein, daß es besser für dich ist, du verläßt unser -Haus und nimmst die Stelle bei jenen braven Leuten an. Deshalb -habe ich auch meine Einwilligung dazu gegeben. Gehe mit Gott, -mein gutes Kind, und bleibe gut und brav. Alles andere laß dich -nicht kümmern; ich weiß, was ich thue. Du kannst ruhig sein, sowohl -was dich selbst, als auch was mich betrifft. Bist du in Noth, so -wende dich getrost an mich; mein Herz wird dir immer offen sein, -wenn es auch mein Haus in Zukunft nicht mehr sein kann.«</p> - -<p>Agathe konnte sich schwer von dem Onkel trennen; aber Fremde -kamen, und nach einer letzten innigen Umarmung eilte sie fort. Die -treue Anne hatte in ihrem Stübchen alles zum Empfange des lieben -Gastes bereitet, und bald schloß sie die Thür hinter der Entführten.</p> - -<p>»Hier bist du sicher, mein Vögelchen!« rief sie fröhlich. »Hier -finden dich selbst die scharfen Augen deiner Frau Tante nicht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_179" id="Page_179">[Pg 179]</a></span></p> - -<p>Agathe saß stumm und traurig da, und alle Fröhlichkeit der -guten Soldatenfrau war nicht im Stande, sie zu erheitern. Ihre -Gedanken flogen nach dem Hause, das sie verlassen; sie kam sich wie -eine Verbrecherin vor. Im Geiste sah sie den furchtbaren Zorn der -Tante, die jetzt schon ihr Ausbleiben bemerken mußte. Dann kam -die Stunde, in welcher der Onkel heimkehrte, und in Todesangst -dachte sie daran, daß er vielleicht eben jetzt der Tante ihre Flucht -mittheilte; denn er hatte versprochen, sich ihrer treu anzunehmen, -und sie zu vertheidigen und zu schützen.</p> - -<p>»Unsinn! Er ist der Generalfeldmarschall seiner Truppen; was -er will, muß in seinem Hause geschehen, so gehört sich's!« sagte Anne -Sommer mit grimmigem Ernst, als Agathe ihre Sorge aussprach, -der Onkel werde um ihretwillen gewiß viel Aerger und Verdruß zu -leiden haben. »Hätte er es dir nicht erlaubt, würdest du natürlich nicht -desertirt sein. Aber jetzt beruhige dich, und sei kein Närrchen. Heute -Abend werde ich ja erfahren, wie es dort steht.«</p> - -<p>In der Dämmerstunde holte Anne Agathes Koffer ab, den die -alte Cousine heimlich gepackt hatte, und durch sie erfuhr denn die -Alte, daß es freilich einen sehr heftigen Auftritt zwischen Herrn und -Madame Niedrer gegeben habe. Der Herr sei aber so fest und bestimmt -bei seinem Willen geblieben, daß Madame sich schließlich beruhigt und -sich vor den Leuten das Ansehen gegeben habe, als sei Agathes Entfernung -mit ihrer Zustimmung erfolgt.</p> - -<p>Unter den jungen Arbeiterinnen des Putzgeschäfts hatte Agathes -Flucht große Heiterkeit hervor gerufen; denn alle hatten das innigste -Mitleid mit ihr gehabt. Selbst Fräulein Schneider lächelte, als sie -den ersten Schreck überwunden und gestand seufzend, sie habe jetzt -eine Sorge weniger; denn zu einer Putzmacherin hätte sie Fräulein -Agathen doch nimmermehr heran bilden können.</p> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_180" id="Page_180">[Pg 180]</a></span></p> - - - - -<h3 class="no-break"><a name="Siebentes_Kapitel" id="Siebentes_Kapitel">Siebentes Kapitel.</a><br /> - -Im fremden Lande.</h3> - - -<p>Es war an einem schönen, sonnigen Herbsttage, als eine blasse -Frau, auf den Arm ihres Mannes gestützt, eines der Eisenbahncoupé's -bestieg und sich freundlich nach einem jungen Mädchen umschaute, -das an dem Halse einer großen Frau hing, deren bunte -Bauerntracht wunderlich gegen die dunkle Reisekleidung des Mädchens -abstach.</p> - -<p>»O Anne, behalte mich lieb, und habe ewig Dank für alles!« -schluchzte Agathe, denn sie war es. Die alte Soldatenfrau fand -keine Worte und streichelte nur immer wieder die Wangen des -jungen Mädchens, indem ihr einzelne, dicke Thränen über das gute -Gesicht liefen.</p> - -<p>»Ich muß fort, lebe wohl, meine Anne; vergiß deine Agathe -nicht!« rief diese endlich, rasch davon stürzend, und eilte, ohne zurück -zu blicken, nach dem Wagen. Aber hier erwartete sie noch ein -anderer Abschied. Der Onkel war es, welcher ihr noch Lebewohl -sagen und ihr mittheilen wollte, daß zu Hause alles gut stehe, die -Tante ihr sogar einen Gruß schicke. Das erleichterte Agathes Herz -unbeschreiblich; denn sie machte sich wegen ihrer Flucht doch unsägliche -Vorwürfe. Nun konnte sie ruhig abreisen, und trotz der Thränen, -die ihr Auge trübten, als sie dem guten Onkel zum letzten Male -die Hand reichte, schlug ihr Herz doch froh und hoffend der Zukunft -entgegen.</p> - -<p>Die Reise war schön und genußreich, und da man wegen der -Kranken nur kleine Tagestouren machen konnte, auch durchaus für -Agathe nicht anstrengend. Die Geschäfte, welche sie zu besorgen -hatte, wurden ihr sehr leicht, und die große Milde und Freundlichkeit<span class="pagenum"><a name="Page_181" id="Page_181">[Pg 181]</a></span> -der Kranken berührten Agathen um so angenehmer, als sie von der -Tante nur strenge, kalte Behandlung erfahren hatte. Herr von -Menzel, ein reicher Gutsbesitzer, war ein heiterer, freundlicher -Mann, der die junge Gesellschafterin wie eine Tochter behandelte, -und bald fühlte sich Agathe so glücklich, wie noch nie in ihrem Leben. -Die Aerzte hatten es für gerathen gehalten, die Kranke nach Nizza -zu schicken, dessen warme, geschützte Lage ihrer kranken Brust vielleicht -noch Heilung bringen konnte. Die weiche Seeluft des Mittelmeeres, -an dessen Ufern sich diese schöne Stadt hinzieht, umwehte -die Kranke mit ihrem schmeichelnden Hauche und that ihr bald so -wohl, daß sie in Agathes Begleitung täglich einen kleinen Spaziergang -machen konnte. Die eifrige, kleine Gesellschafterin suchte der -sanften Kranken alle Wünsche vom Auge zu lesen, und diese wieder -dachte immer daran, das gute, junge Mädchen möglichst zu schonen -und ihr Gelegenheit zu geistigen Beschäftigungen zu verschaffen, -wonach sich, wie sie wußte, Agathes Herz so innig sehnte. Sie -selbst war eine fein gebildete Frau und ließ sich von Agathe oft -durch Vorlesen guter Bücher unterhalten; bessere Fortbildung aber -fand sich für das junge Mädchen bald noch durch den Verkehr mit -einem würdigen Geistlichen aus der französischen Schweiz, welcher -dasselbe Haus mit ihnen bewohnte. Er hatte Agathes eifrige Lernbegierde -bemerkt, und freundlich bot er ihr an, sie sowohl in der -französischen Sprache als auch in einigen Wissenschaften zu unterrichten, -da er, wie er sagte, seine Musestunden nicht besser ausfüllen -könne. Gern gab die Kranke ihre Einwilligung, und mit innigem -Entzücken widmete sich nun Agathe all den Dingen, nach denen -sie im Hause des Onkels so vergebens verlangt hatte.</p> - -<p>Diese innere Freudigkeit, verbunden mit der herrlich reinen Luft -der Berge und der üppigen, kräftigen Kost, welche ihr jetzt geboten -wurde, ließen auf Agathes Wangen bald frische Rosen erblühen.<span class="pagenum"><a name="Page_182" id="Page_182">[Pg 182]</a></span> -Das zarte, blasse Kind wuchs zur schönen, frischen Jungfrau heran, -und voll wahrhaft mütterlicher Liebe verfolgte Frau von Menzel -die körperliche wie geistige Entwickelung des jungen Mädchens. -Schön und genußreich schwanden die Tage wie Stunden dahin, -und die Liebe der Menschen, mit denen sie lebte, erwärmten Agathes -Herz eben so sehr, als die herrliche Natur, welche sie umgab.</p> - -<p>Der Herbst verging, und der Winter mit seinen rauhen Tagen -zog in das Land. Aber die Lage Nizza's, welches im Norden und -Osten geschützt und von milder Seeluft umgeben ist, verhindert die -scharfen Winde, diesen Zufluchtsort der Kranken zu erreichen, an -welchem sich die kleine Familie glücklich und wohl fühlte. Herr von -Menzel hatte für einige Zeit nach der Heimath zurückkehren müssen, -und da er die Kranke in Agathes treuen Händen wußte, verließ er -sie mit ruhigem Herzen. Agathe schloß sich in dieser Zeit um so -enger an die sanfte Frau an, die ihr immer mehr Freundin wurde -und sie nie wieder von sich lassen wollte. Aber wenn die Kranke -auch an keine Trennung dachte, so mußte es Agathe im Stillen nur -zu häufig thun, denn sie bemerkte nur zu gut, wie die Krankheit -der theuren Frau immer größere Fortschritte machte. Das milde -Klima konnte das Leiden nur hinziehen, nicht heben, und mit tiefem, -geheimen Kummer, aber heiterem Auge hörte sie, wie die Kranke -Pläne auf Pläne entwarf, welch schönes Leben sie ferner mit einander -führen wollten. Agathe küßte dann in dankbarer Liebe die -schmale, abgezehrte Hand ihrer gütigen Freundin; aber in ihrem -Herzen konnte sie solchen schönen Träumen keinen Glauben schenken. -Der Winter war vorüber und für den nahenden Frühling und -Sommer wählte die Familie einen anderen, den heißen Sonnenstrahlen -weniger ausgesetzten Aufenthalt in den Schweizer Alpen. -Agathe hatte die Freude, daß auch ihr Freund, der Geistliche, für -<span class="pagenum"><a name="Page_183" id="Page_183">[Pg 183]</a></span>einige Zeit mit ihnen zog; denn er hatte die Familie so lieb gewonnen, -daß er sich nicht so schnell von ihnen trennen mochte. — Aber -war es nun der Wechsel des Ortes, oder war es die, allen Brustkranken -gefährliche Frühlingsluft, Frau von Menzel wurde bald -so leidend, daß ihr Ende schneller herannahte, als selbst Agathe in -den bangsten Stunden gefürchtet hatte. Mit stiller Ergebung trug -der unglückliche Gatte die herannahende Trübsal, und Agathe wurde -ihm sowohl durch ihre treue Pflege, als durch den tiefen Ernst ihres -Gemüthes unendlich lieb und trostbringend. Die Kranke selbst ahnte -ihren Zustand nicht. Sie wurde schwächer und schwächer; aber -indem ihr blaues Auge wunderbar glänzte, sprach sie lächelnd von -der schönen Zeit, in welcher sie wieder gekräftigt sein und sich der -herrlichen Natur werde erfreuen können.</p> - -<p>»Wie sehne ich mich, wieder in die warme Sonne zu kommen -und den weiten, blauen Himmel sehen zu können!« sprach sie eines -Tages freudig und wendete ihr Auge nach dem Fenster. »Tragt -mich in's Freie, ich möchte der schönen Gotteswelt näher sein,« -bat sie dann sanft, und langsam rollte ihr Gatte und Agathe das -Ruhebett der Kranken an die offene Thür der Veranda.</p> - -<p>»O wie wird mir so wohl, mir ist, als öffne sich mir der Himmel!« -sagte sie begeistert und breitete die Arme aus; dann schloß -sie die Augen und sank leise zurück. Eine selige Verklärung ruhte -auf ihrem Antlitz; der Himmel hatte sich ihr wirklich geöffnet, sie -schwebte empor zu der ewigen himmlischen Herrlichkeit.</p> - -<p>Der Kummer des einsamen Gatten war so unsäglich tief und -ergreifend, daß Agathe den eigenen Schmerz zu bekämpfen suchte, -um den unglücklichen Mann trostreich zur Seite stehen zu können. -Aber war sie allein, so stürzte Leid und Jammer um so mächtiger -über ihr zusammen, und schluchzend kniete sie an der Hülle der -lieben Verklärten, die ihr Freundin und Mutter geworden war. -»O Gott, mein Gott!« betete sie inbrünstig, »was soll nun aus<span class="pagenum"><a name="Page_184" id="Page_184">[Pg 184]</a></span> -mir werden! Verlaß Du mich nicht; nimm mich in Deinen treuen -Schutz, und führe mich gnädig weiter an Deiner Vaterhand. Allein -bin ich nun wieder, allein und obdachlos; o nimm Du dich ferner -der armen Waise liebend an!«</p> - -<p>Und sie hoffte nicht vergebens. Wohl war jetzt ihres Bleibens -nicht mehr in den bisherigen Verhältnissen; denn Herr von Menzel -kehrte so schnell als möglich wieder nach der Heimath zurück, um -die theure Hülle seiner Gattin in dem dortigen Erbbegräbniß der -Familie beisetzen zu lassen. Aber ehe der Sarg der Verklärten -geschlossen wurde, ergriff der Trauernde Agathes Hand und sprach -mit tiefer Bewegung: »Meine liebe Agathe, Sie sind meiner Gattin -theurer gewesen, als Sie glauben können. In Ihnen hat sie bis zu -ihrem letzten Augenblicke eine treue Freundin und Tochter besessen. -Welchen Trost auch mir Ihre Gegenwart gewährt hat, davon lassen -Sie mich schweigen; aber es ist mir ein inniges Herzensbedürfniß, -Ihnen zu zeigen, wie dankbar ich Ihnen bin und mein ganzes Leben -hindurch sein werde. Ich glaube Ihnen davon einen, wenn auch -nur geringen Beweis geben zu können, indem ich Sie bitte, mir -die Sorge für Ihre weitere geistige Ausbildung zu überlassen. Sie -wünschen sehr, Erzieherin werden zu können, das weiß ich, und Ihre -schönen Anlagen befähigen Sie auch völlig dazu. Wollen Sie nun -für ein Jahr als Zögling in das treffliche Erziehungsinstitut in -Neufchâtel eintreten, um daselbst noch die letzte Ausbildung zu erhalten, -so wird es mich freuen, einen Ihrer Wünsche erfüllt zu -sehen. Alle Vorbereitungen zu Ihrer Aufnahme sind getroffen, und -der Geistliche, Ihr würdiger Freund und Lehrer, wird Sie gern -dahin begleiten, sobald Sie es wünschen.«</p> - -<p>Agathe war wie in einem Taumel von Glück und Wonne. In -demselben Momente, wo wieder alle schönen Hoffnungen entschwanden, -und sie abermals angstvoll einer unsichern Zukunft entgegen<span class="pagenum"><a name="Page_185" id="Page_185">[Pg 185]</a></span> -blickte, stand sie am Ziele ihrer sehnlichsten Wünsche. Sie fand -keine Worte, ihren Dank und ihre Freude auszudrücken; aber aus -ihrem Auge leuchtete eine bessere Antwort, als der Mund zu geben -vermochte. Ueber dem verklärten Antlitz der Entseelten reichte sie -ihrem Freunde und Beschützer die Hand, und im stummen Danke -zitterten ihre Lippen.</p> - -<p>Herr von Menzel war abgereist, und traurig kehrte Agathe an -der Seite des Geistlichen von dem Bahnhofe zurück, wo sie dem -theuren Manne und seiner stillen, verklärten Begleiterin das letzte -Lebewohl gesagt hatte. Der Geistliche hatte ihr gleich nach dem -Tode der Kranken in freundlichster Weise angeboten, sein Haus in -Genf und seine Familie für's Erste ganz als die ihrige zu betrachten, -und Agathe hatte diese Zufluchtsstätte dankbar angenommen, bis -sich eine andere Stelle für sie finden würde. Jetzt aber wünschte -sie natürlich, sobald als möglich in jenes Pensionat einzutreten, und -der Geistliche versprach schon andern Tages mit ihr nach Neufchâtel -abzureisen.</p> - -<p>Madame Reutin, die Vorsteherin der Anstalt, war von Agathe's -Ankunft bereits unterrichtet und empfing das junge Mädchen mit -großer Herzlichkeit. Agathe war eine der ältesten Pensionairinnen, -und da Madame Reutin an den Schicksalen ihres neuen Zöglings -großen Antheil nahm, und bald bemerkte, welchen Eifer dieselbe besaß, -um sich möglichst viel Kenntnisse zu erwerben, so widmete sie -ihr ganz besondere Aufmerksamkeit. Sie suchte das stille, sinnige -Mädchen viel in ihrer Umgebung zu beschäftigen und zeigte ihr so -viel Liebe, daß Agathe bald ihre Schüchternheit verlor und sich in -den fremden Verhältnissen ungemein wohl fühlte. Der Unterricht -war vortrefflich, und so reifte die begabte Agathe schnell zu einem -geistig fein gebildeten Mädchen heran, welches nach Verlauf eines Jahres -gar wohl befähigt war, die Stelle einer Erzieherin auszufüllen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_186" id="Page_186">[Pg 186]</a></span></p> - -<p>Herr von Menzel, mit dem Agathe in stetem brieflichen Verkehr -war, bot ihr an, noch länger in der Anstalt zu bleiben, und Madame -Reutin schlug ihr vor, die Stelle einer Hülfslehrerin zu übernehmen, -da sie das sanfte Mädchen ungern von sich ließ. So entschloß -sich denn Agathe, noch einige Zeit im fremden Lande zu -bleiben, obwohl ihr Herz unbeschreiblich nach ihrer treuen Anne -verlangte, welche ihr rührend zärtliche Briefe schrieb, zwar auf -merkwürdig dickem Papier, und mit heftiger Verschwendung von -Dinte, da die Buchstaben groß und gewaltig auftraten, und schwer -zu entziffernde Hieroglyphen bildeten, aber nichts desto weniger die -innigste Liebe und Anhänglichkeit aussprachen. Auch der Onkel und -ihre Freundinnen aus der Pension schrieben Agathen fleißig, und -jeder Brief erregte ihr so tiefes, gewaltiges Heimweh, daß nur der -Wunsch nach fernerer Ausbildung sie noch von der Rückkehr in die -Heimath abhielt. Ja Heimath, hatte sie denn überhaupt eine? Sie -wußte ja gar nicht, wohin sie gehen sollte, verließ sie ihren jetzigen -Aufenthalt. Dieser Gedanke hing sich immer wie ein Bleigewicht -an ihren Wunsch, nach Deutschland zurück zu kehren, und sie hatte -deshalb an Anne Sommer wie an ihre Freunde geschrieben, sich nach -einer Stelle für sie umzusehen.</p> - -<p>Fast zwei volle Jahre waren jetzt seit Agathes Abreise von Leipzig -verstrichen, da erhielt sie eines Tages einen Brief von ihrer -Freundin Fanny, welcher die frohe Kunde brachte von deren Verlobung -mit einem jungen Gutsbesitzer. Mit dieser freudigen Botschaft -aber verband sich noch eine zweite, welche Agathen betraf.</p> - -<p>»Jetzt zu Dir, meine beste Agathe!« lautete Fanny's fröhlicher -Brief. »Mein Bräutigam ist der älteste Sohn einer zahlreichen -Familie, und seine beiden jüngsten Schwestern, Mädchen von -10 und 12 Jahren, können meiner Ansicht nach nicht länger ohne -specielle Aufsicht bleiben. Auch ihr Schulunterricht scheint mir mehr<span class="pagenum"><a name="Page_187" id="Page_187">[Pg 187]</a></span> -als mangelhaft, was auf dem Lande freilich kein Wunder ist. Meine -gute Schwiegermutter hat durchaus nichts dagegen einzuwenden, -die jungen Springinsfelde unter die Zucht einer Erzieherin zu stellen, -falls ich ihr eine verschaffen könnte, die, wie sie sagte, nicht gar zu -störend in das Familienleben eingriffe. Sie hat etwas sonderbare -Vorstellungen von allem, was Erzieherin heißt, und da ich sie von -ihrem Vorurtheil gern kuriren möchte, so würde dies allein schon -mich bestimmen, Dich, meine gute Agathe, dringend aufzufordern, -diese Stelle bei meinen kleinen Schwägerinnen zu übernehmen. -Tausend andere Gründe aber drängen sich außerdem noch herbei, um -Dich mit Bitten zu bestürmen, vor allem meine grenzenlose Sehnsucht -nach meiner liebsten Freundin. Komm, komm, so bald als möglich, -meine Agathe; Du wirst von all' meinen Lieben mit offenen Armen -erwartet und wirst Dich glücklich unter uns fühlen, dafür bürgt dir -deine treuste Fanny.«</p> - -<p>Ein Postscriptum fehlte dem Briefe nach junger Mädchen Art -natürlich auch nicht; es lautete: »Uebrigens wirst Du Dich freuen, -ein liebes, bekanntes Gesicht hier in unserer Nähe zu finden. Wem -das aber zugehört, sage ich nicht; Du magst selbst kommen, es dir -anzusehen.«</p> - -<p>Das war denn allerdings eine so wundervolle Kunde, daß Agathe -mit glühenden Wangen zu Madame Reutin eilte, ihr alles mitzutheilen -und sie um Erlaubniß zur Heimkehr zu bitten.</p> - -<p>Freudig willigte die gute Dame sogleich in Agathes Wünsche, -und so ungern sie das brave Mädchen von sich ließ, so sehr freute -sie sich doch andrerseits über die gute Wendung, welche deren Schicksal -abermals genommen. Nicht ohne die tiefste Bewegung schied Agathe -kurze Zeit darauf aus der Anstalt, wo ihr so viel Gutes zu Theil -geworden, sowie aus dem herrlichen Lande, in dem sie eine reiche, -glückliche Zeit verlebt hatte.</p> - -<hr class="chap" /> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_188" id="Page_188">[Pg 188]</a></span></p> - - - - -<h3 class="no-break"><a name="Achtes_Kapitel" id="Achtes_Kapitel">Achtes Kapitel.</a><br /> - -Die Heimath.</h3> - - -<p>In dem Herrenhause des Dorfes Schönfelde waren die jüngern -Glieder der Familie seit dem frühen Morgen in großer Bewegung. -Geschäftig liefen sie die breiten Treppen auf und nieder und hielten -wichtige Zwiegespräche mit Gärtner und Stubenmädchen, die Kränze -und Guirlanden aus den wenigen Blumen des Gartens zusammenwanden, -welche die Herbstkälte noch übrig gelassen hatte. Bald -thronte über der Hausthür ein mächtiger Kranz, in dessen Mitte -das Wort »Willkommen« prangte, und frische Guirlanden umzogen -die Thür des Wohnzimmers, in dem einige Kinder in großer Aufregung -um ein blühendes, junges Mädchen versammelt waren, das -sie mit Fragen bestürmten.</p> - -<p>»Nicht wahr, Fanny, sie trägt keine Brille, wie die alte Fräulein -Danton, Lucie Bülow's Erzieherin?« rief Marie, ein zwölfjähriges -Mädchen.</p> - -<p>»Und auch keine Schnupftabaksdose, nicht wahr?« setzte Hannchen -hinzu, die jüngere Schwester. »Die Mama behauptet es.«</p> - -<p>»Ob sie wohl Pferd mit mir spielen wird, Fanny? Ich will sie -auch nicht so derb mit meiner Peitsche schlagen, als gestern den -Anton; aber dann muß sie auch nicht heulen, wie der immer gleich -thut!« rief der kleine Max und fuhr knallend mit der Peitsche durch -die Luft.</p> - -<p>»Ihr werdet's ja sehen, Kinder, macht mich doch nur nicht todt -mit euren Fragen,« lachte das junge Mädchen. »Aber jetzt adieu; -Friedrich fährt eben vor, und ihr wißt, die Pferde stehen nicht ruhig. -Seid hübsch artig, daß meine liebe Agathe nicht gleich eine gar zu<span class="pagenum"><a name="Page_189" id="Page_189">[Pg 189]</a></span> -schlechte Meinung von euch bekommt. Adieu, adieu, ihr lustiges -Corps!«</p> - -<p>Fort flog der Wagen, in dessen Mitte das junge Mädchen fröhlich -lachend thronte, noch lange gefolgt von dem gellenden Hurrah -der kleinen Gesellschaft. Einige Stunden vergingen, und sie kehrte -zurück, Freude und Glück in den lieblichen Zügen, denn an ihrer -Seite saß die Freundin ihrer Jugend, unsere Agathe.</p> - -<p>Was Fanny verheißen, das fand die Ankommende bestätigt. -Offene Arme empfingen die neue Hausgenossin, gute treffliche Menschen -hießen sie freudig in ihrer Mitte willkommen. Man kam ihr -als der liebsten Freundin der Schwiegertochter mit Vertrauen und -Herzlichkeit entgegen und dankte es ihr aufrichtig, daß sie die Erziehung -der jüngsten Kinder zu übernehmen versprochen hatte, und so -begrüßte man in ihr nicht die gefürchtete Erzieherin, sondern ein -liebes, neues Glied der Familie. Agathe war unsäglich glücklich -über solche Aufnahme; denn oft hatte ihr Herz gezittert, ob wohl die -Erzieherin in dem vornehmen Hause auch gern gesehen und nicht vielleicht -als fremder Eindringling behandelt oder gar als eine Art -Dienstbote kalt und vornehm aufgenommen sein würde. Aber schon -das Willkommen, das ihr von fern so freundlich entgegen leuchtete, -sagte ihr, daß sie nichts zu fürchten habe, und all die guten, frohen -Gesichter, welche sie umdrängten, sprachen gar wohlthuend zu ihrem -zagenden Herzen. Frau von Wedell, die Herrin des Hauses, umarmte -sie gleich beim Eintritt, und bald erschien auch der Gutsherr -selbst, Agathen in einfach herzlicher Weise willkommen zu heißen.</p> - -<p>Bald war die junge Erzieherin in dem Familienkreise heimisch, -und nun begann ein Leben voll Lust und freudiger Arbeit. Mit regem -Eifer machte sich Agathe an die Aufgabe, die ihr gestellt war, die -Erziehung der beiden Mädchen Marie und Hannchen. Aber auch -der wilde Max wurde von ihr mit Beschlag belegt, und den Fleiß<span class="pagenum"><a name="Page_190" id="Page_190">[Pg 190]</a></span> -ihrer Schüler belohnte die fröhliche junge Lehrerin gern damit, daß -sie sich an den Spielen betheiligte, welche sowohl Max als die kleinen -Mädchen in den Freistunden vornahmen. Ueberhaupt war Agathe -jetzt so heiter und frisch, daß man das einst so traurige, blasse Mädchen -gar nicht wieder erkannte. Frau von Wedell gestand lachend, -daß sie freilich eine ganz andere Vorstellung von einer Erzieherin gehabt -habe, da sie sich dieselbe nie anders als keifend und verbissen, -und mit den wunderlichen Attributen einer alter Jungfer versehen, -habe denken können.</p> - -<p>Agathe hatte in der ersten Zeit die Freude, ihre liebe Fanny, -die für einige Wochen zum Besuch ihrer Schwiegereltern gekommen -war, im Hause zu sehen. Der Bräutigam war ein frischer, liebenswürdiger -junger Mann, der im kommenden Jahre ein zweites Gut -des Vaters bewirthschaften sollte, und mit Ungeduld dieser Zeit -entgegen sah, da er alsdann seine Fanny als junge Frau daselbst -einführen wollte.</p> - -<p>»Aber das liebe, bekannte Gesicht, von dem du mir geschrieben, -Fanny, wo ist das?« sagte Agathe bald nach ihrer Ankunft und -spähte suchend überall umher. — »Du hast doch nicht etwa meine -alte Anne hierher entführt, da du weißt, sie schwärmt für Entführungen?« -fuhr sie scherzend fort, denn im Stillen hatte sie jetzt -keinen größeren Wunsch, als dies treue Wesen wiederzusehen.</p> - -<p>»Nein, Agathe, die alte Soldatenfrau holen wir nächstens einmal -auf ein paar Wochen zu uns; Leipzig ist ja nur drei Stunden von -Schönfelde entfernt,« sagte Fanny, welche sich diese Erlaubniß schon -von ihrer Schwiegermutter erbeten hatte, da sie wußte, welche -Freude sie dadurch Agathen bereitete.</p> - -<p>»Nein, mein Schätzchen, du mußt besser rathen!« fuhr sie neckend -fort. »Giebt es denn gar kein liebes Gesicht mehr unter der Sonne, -als das alte, verwitterte Antlitz deiner Frau Corporalin? Besinne -dich doch!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_191" id="Page_191">[Pg 191]</a></span></p> - -<p>Aber Agathe besann sich nicht; sie wußte ja gar nicht, wohin -sie ihre Gedanken wenden sollte. Sinnend blickte sie zum Fenster -hinaus, das von schönen alten Linden beschattet wurde. Da schrak -sie plötzlich zusammen, und ein Ausruf freudiger Ueberraschung kam -über ihre Lippen.</p> - -<p>»Fanny, ist das nicht unser Lehrer, Herr Lobner?« rief sie, auf -einen Herren deutend, der eben in einiger Entfernung an dem Hause -vorüber ging.</p> - -<p>»Nun ja, erkennst du ihn wirklich?« lachte Fanny fröhlich. »Ich -dachte schon, du hättest deine besten Freunde vergessen, du leichtsinniges -Kind!«</p> - -<p>»Aber wie kommt der hierher, liebste Fanny?« rief Agathe, -freudig erglühend.</p> - -<p>»Um deinetwillen nicht, mein Töchterchen, denn er hat von -deinem Hiersein keine Ahnung,« neckte Fanny. »Er ist wohlbestallter -Prediger im Pfarrdorf Schönfelde, und wird die Ehre haben, Seelsorger -seiner einstigen, liebsten Schülerin von nun an zu werden. -Wie gefällt dir das, Schätzchen?«</p> - -<p>»Fanny, ist das wahr? Ist unser lieber, lieber Herr Lobner -wirklich hier Prediger?« rief Agathe jetzt strahlend vor Freude -und ergriff Fanny's Hand.</p> - -<p>»Meinst du, er tauge nicht dazu? Nun dann geh morgen in -die Kirche, und überzeuge dich selbst. Es ist Sonntag; um 9 Uhr -hält er die Predigt,« sagte Fanny.</p> - -<p>»Aber das ist ja herrlich!« jubelte Agathe, Fanny umarmend. -»Wie ist das denn nur gekommen? Wer hat ihn denn hierher -gezogen?«</p> - -<p>»Nun Papa Wedell, dem er so gefiel, als er sich um die Stelle -bewarb, daß er ihn auch ohne meine Fürsprache in die leerstehende -Pfarre eingesetzt hätte,« rief Fanny. »Aber wie gesagt, daß er hier<span class="pagenum"><a name="Page_192" id="Page_192">[Pg 192]</a></span> -seine kleine, blasse Freundin aus der Pension ebenfalls in Amt und -Würden finden sollte, davon hat er bis jetzt keine Ahnung. Der -Anblick dieser Ueberraschung soll mein Lohn für all die Mühe sein, -die ich mir um euch alle Beide gemacht habe.«</p> - -<p>Wessen Freude über das Wiedersehen größer war, ob die Agathes -oder die ihres einstigen Lehrers, wäre freilich schwer zu entscheiden -gewesen. Die schelmische Fanny, der Herr Lobner seine Stelle verdankte, -hatte demselben wirklich Agathes Ankunft verheimlicht, und -kaum traute dieser seinen Augen, als ihm das junge Mädchen an -der Seite ihrer Freundin entgegen kam.</p> - -<p>Es war ein frohes Wiedersehen, und doch voll tief innerlicher -Bewegung; denn an Agathe's Seele zog all das vorüber, was sie -in der Zeit erlebt, welche zwischen jenem Abschiede in dem Zimmer -des theuren Lehrers und dem jetzigen Augenblicke lag.</p> - -<p>»Gott hat seine Hand wunderbar über Ihnen gehalten, liebe -Agathe!« sagte der junge Geistliche freundlich, als das junge Mädchen -ihm ihre Schicksale mitgetheilt hatte. »Ich hätte nicht geglaubt, -daß mir so bald die Freude werden würde, Sie wieder zu sehen, -und nun gar unter so erfreulichen Verhältnissen. Irre ich nicht, -so haben Sie wie ich, Ihren jetzigen Wirkungskreis Ihrer gütigen -Freundin zu danken, durch deren Fürsprache auch ich meine Stelle -erhalten.«</p> - -<p>Fanny wies allen Dank von sich und behauptete, sie habe nur -aus purem Eigennutz sich für ihre alten Freunde verwendet; denn -da sie selbst nun bald in der Nähe residiren werde, so wollte sie -doch im Voraus schon für freundliche Nachbarschaft sorgen.</p> - -<p>Jetzt begann eine so reiche, wundervolle Zeit für Agathe, daß -diese Gott nicht genug dafür danken konnte, der sie in dies Haus -geführt hatte. Ihr Wirkungskreis befriedigte sie täglich mehr und -mehr; die etwas verwilderten Zöglinge gewannen unter Agathes<span class="pagenum"><a name="Page_193" id="Page_193">[Pg 193]</a></span> -milder und kluger Leitung sichtlich an gutem Betragen wie an Kenntnissen, -und alle Bewohner des Hauses betrachteten die junge Erzieherin -als liebes Familienglied. Mehrere Abende der Woche verbrachte -Herr Lobner in der Familie des Gutsherrn, und diese Stunden -waren für Agathe unschätzbar. Ihr einstiger Lehrer war ihr jetzt -ein treuer Freund geworden, der ihr als kluger und besonnener -Rathgeber in allen den schwierigen Fragen zur Seite stand, über -welche ein so junges, unerfahrenes Mädchen bei der Erziehung verschiedenartiger -Kinder zweifelhaft sein mußte.</p> - -<p>Bald kam denn nun auch die alte, treue Anne Sommer in das -Herrenhaus, und das war ein Fest nicht nur für Agathe, sondern -auch für die ganze übrige Familie; denn jeder gewann die brave, -wunderliche Alte lieb, und ergötzte sich an der Soldatensprache, wie -an den handfesten Manieren derselben. Die Kinder besonders hingen -wie die Kletten an ihrem rothen Frießrock und konnten nie müde -werden, die prächtigen Geschichten anzuhören, die sie ihnen erzählte, -und die stets von Krieg und Soldatenwesen handelten.</p> - -<p>An ihrem Goldkinde Agathe hing die Alte, wenn es möglich -war, noch viel zärtlicher, als früher, und die Freude über deren -blühendes Aussehen, wie über das Glück, das aus ihren schönen -Zügen sprach, machte sie ordentlich wieder jung. »Hätte das nur -ihre arme Mutter noch erlebt,« sagte sie oft leise vor sich hin, »dann -wäre sie ruhiger zum großen Appell gegangen, zu dem sie der große -Kriegsherr im Himmel so zeitig abgerufen, die liebe Seele! Aber -ihr Segen ruht auf dem Kinde, das ist sicher!«</p> - -<p>Die Alte kehrte nach einigen Wochen wieder nach Leipzig zurück, -doch blieb sie ein häufig wiederkehrender und immer gern gesehener -Gast in Schönfelde. Die Nachrichten, die sie Agathen aus dem -Hause des Onkels brachte, zeigten, daß dort noch alles seinen ehemaligen, -stillen Fortgang hatte, bis auf eine große, erschütternde<span class="pagenum"><a name="Page_194" id="Page_194">[Pg 194]</a></span> -Begebenheit — Bello war gestorben! — Auf seinen rothseidnen -Kissen lag er eines Morgens kalt und todt, und keine heiße Thräne -seiner trostlosen Herrin konnte den geliebten Freund wieder ins -Leben zurück rufen. Ein kleines Grab, von Blumen überdeckt, -bezeichnete im Garten einer Freundin die Stelle, an welcher die -geliebte Hülle ruhte. Noch vermochte kein Nachfolger seine Stelle -zu ersetzen, und Agathe dachte mit Freuden daran, daß die alte, gute -Cousine dadurch für einige Zeit eine lästige Arbeit weniger hatte.</p> - -<p>In angenehmer Weise vergingen Agathen die langen Wintertage, -und wieder schaute endlich der fröhliche Lenz zum Fenster herein -und verkündigte seine Ankunft durch weiche Luft und duftende Blumenglocken, -welche unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein -kamen.</p> - -<p>Aber mit der überall erwachenden Fröhlichkeit zog abermals eine -Fülle neuer Freuden in das Herz unserer Agathe. Werfen wir einen -Blick zum Fenster hinaus, und sehen wir die lange Kastanienallee -hinab, in welcher die Baumzweige schon große, braune Knospen -tragen, so zeigen sich uns zwei Personen, die still und schweigend -neben einander gehen. Ihr Mund ist jetzt stumm, aber was er soeben -gesprochen, das leuchtet noch wunderbar in den Augen der -Beiden, welche mit unaussprechlicher Liebe auf einander blicken. -Agathe ist soeben die Braut ihres Freundes und Lehrers, des braven -Pfarrers Lobner geworden. Was damals schon die Seelen Beider -verband, als Lobner von Agathe Abschied nahm und als einziges -Andenken das kleine Schreibebuch von der Schülerin erbat, das war -fort und fort lebendig in ihnen geblieben, und hatte nun, da sie sich -auf ihrem Lebenswege so bald wieder begegneten, feste, dauernde -Gestalt erhalten. Längst schon ahnten Beide, daß sie einander theuer -waren; jetzt wußten sie es, jetzt gehörten sie einander für das -Leben.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_195" id="Page_195">[Pg 195]</a></span></p> - -<p>»Also das wäre mir geglückt!« rief Fanny, voll Freude in die -Hände schlagend, als sie die Verlobung ihrer beiden Freunde erfuhr. -»Ich bitte mir die Ehre der Anerkennung aus; mir kommt das Verdienst -zu, euch Beide zusammen gebracht zu haben. Denn, meine -liebe Agathe, nimm mir's nicht übel, allen Respect vor deinen Talenten -in der Erziehungskunst, aber wahrlich, es war mir viel mehr -darum zu thun, dich wieder in die Nähe unseres lieben Freundes -Lobner zu bringen, als meinen kleinen Rangen von Schwägerinnen -eine Erzieherin zu verschaffen. Deshalb hätte ich dich nicht so knall -und fall aus der Schweiz hercitirt. Aber Gelegenheit macht Diebe. -Mit meiner Pfarrerwahl war mir's so trefflich gelungen, nun fehlte -nur noch eine nette, kleine Pfarrfrau dazu. Und wen hätte ich meinen -neuen Herrn Pastor, sowie mir selbst besser dazu wählen können, als -die Verfasserin jenes kleinen, ominösen Schreibebuchs, das in der -Bibel unseres sehr ehrenwerthen Herrn Pastor Lobner seinen Platz -erhielt, als das Heiligste, was besagter Herr im Besitz hat?«</p> - -<p>Der glückliche Pfarrer zog seine erglühende Braut an das Herz; -der schelmischen Fanny aber drohte er mit dem Finger und sagte -lachend: »Warten Sie nur, Sie Schelm; das ist gewiß die Rache -dafür, daß die schöne Tasse nicht mehr lebt, die eine leichtsinnige -Schülerin mir einst als Andenken schenkte. Aber nur Geduld, jetzt -werde ich die Scherben all' wieder zusammen suchen, und als ewige -Erinnerung sollen diese Reste unter dem Bilde der Freundin aufgestellt -werden, welches einst über dem Nähtischchen der jungen Frau -Pastorin Lobner hängen wird«.</p> - -<hr class="tb" /> - -<p>Wieder blühten die Rosen und Lilien in den Gärten, und die -Linden neigten ihre vollen Blüthenbüschel zur Erde herab, gerade -wie an jenem Tage, an dem einst Agathe verlassen und einsam in -den Baumgängen Leipzigs dahinschritt, bis sie von den Armen ihrer<span class="pagenum"><a name="Page_196" id="Page_196">[Pg 196]</a></span> -treuen Anne umfangen wurde, und neue Freude und Hoffnung in -ihr Herz einzog. Auch heute schaute das alte Gesicht der Soldatenfrau -in die glänzenden Augen ihres Lieblings, und ihre rauhe Hand -strich schmeichelnd über die zarte Wange des Mädchens. Aber Muth -und Trost brauchte die alte, treue Seele ihrem Goldkinde heute nicht -zuzusprechen, denn das reinste Glück spiegelte sich auf dem holden -Gesicht derselben. Die blühende Myrthe schmückte Agathes dunkle -Locken, und Brautkleid und Schleier verkündeten, daß der schönste -Tag ihres Lebens gekommen war.</p> - -<p>Man feierte in Schönfelde heut eine Doppelhochzeit; Fanny sowohl -als Agathe sollten als junge Frauen in die neue Heimath -einziehen, welche die Liebe ihnen bereitete. Es war ein schönes Fest, -das die Familie feierte; denn trat Fanny jetzt als wirkliche Tochter -in das Haus ihrer neuen Eltern, so zählte man auch Agathe durch -die innigsten Herzensbande zu den Kindern des Hauses und freute -sich, sie als die Frau des braven Predigers im Orte zu behalten.</p> - -<p>Fanny hatte die Freude, von ihrer Mutter, welche ihre Tage -in der Nähe der einzigen Tochter zu beschließen gedachte, an den -Traualtar begleitet zu werden; aber auch Agathe stand nicht einsam. -Der Onkel Niedrer war der Einladung Agathes gefolgt und führte -die geliebte Nichte ihrem Gatten zu, und zu Agathes unaussprechlicher -Freude gehörte auch Herr von Menzel zu den Hochzeitgästen, -die Schönfelde beherbergte. Die Tante Niedrer freilich konnte es -nicht über sich gewinnen, ihren Gatten zu begleiten; aber einige -schöne Geschenke, welche sie Agathen schickte, zeigten doch, daß sie ihr -vergeben hatte.</p> - -<p>Das freundliche Pfarrhaus, in das wir unsere Agathe nun zum -Schluß noch begleiten, war durch die Güte aller ihrer Freunde höchst -behaglich und nett eingerichtet worden. Denn sowohl der Onkel -Niedrer, als auch Herr von Menzel und die Gutsherrschaft waren<span class="pagenum"><a name="Page_197" id="Page_197">[Pg 197]</a></span> -bemüht gewesen, alle Schränke und Kasten der jungen Hausfrau zu -füllen und ihr ein wohlausgestattetes Häuschen zu übergeben. Aber -neben dem blühenden Gesichtchen der jungen Frau Pastorin zog noch -ein altes, verwittertes mit in das Haus, dem mit Agathen zugleich eine -schöne, stille Heimath geworden war. Wer es ist, brauche ich nicht erst -zu sagen. Der neue, rothe Frießrock glänzt nicht herrlicher, als das -glückliche Gesicht der Alten, die ihn trägt, und obwohl das neue -schwarze Kopftuch von untadelhaft starkem Seidenzeug ist, so können -die mächtigen Schleifen doch kaum ihre steife Würde bewahren, denn der -Kopf, den sie zieren, schwankt und zittert heut in nie erlebter Aufregung.</p> - -<p>»Dir danke ich ja alles, meine Anne, mein Glück und meine -Heimath, und nie mehr lasse ich dich von mir!« sagte die junge Frau -mit Thränen im Auge, als sie gemeinsam mit ihrem Gatten die alte -Anne Sommer in das trauliche Hinterstübchen einführte, das sie ihr -behaglich eingerichtet hatten. »Wärst du nicht gekommen, mir die -Wege zu bahnen, wer weiß, wie es jetzt mit mir stände!«</p> - -<p>»Du säßest als Directrice auf dem hohen Stuhle und nähetest Zughüte, -daß sich die Königin selbst nicht zu schämen brauchte, sie aufzusetzen,« -neckte der Pfarrer fröhlich. »Und in den Freistunden exercirtest -du junge Bello's als Rekruten ein!« lachte die Alte, daß es dröhnte.</p> - -<p>»Ach um alles, schweigt mir nur davon!« seufzte Agathe in -komischer Angst. »Zwei Dinge in der Welt sind es, die nie in unser -Haus kommen sollen, das sind Schooßhunde und Zughüte.«</p> - -<p>»Halt, dergleichen Bedingungen darf man nie im Leben stellen, -wie es im Sprüchlein heißt:</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Du sollst dich nie mit Schwur vermessen,<br /></span> -<span class="i0">Von dieser Speise will ich nicht essen!«<br /></span> -</div></div> - - -<p>rief der Geistliche schelmisch. »Wer weiß denn, was in dem Kasten -steckt, den ich soeben für dich aus Leipzig erhalten habe!« Dabei holte -er eine kleine Kiste herbei, deren schon losen Deckel er schnell öffnete -und sie dann Agathen überreichte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_198" id="Page_198">[Pg 198]</a></span></p> - -<p>Die junge Frau blickte verwundert hinein und zog ein Tuch fort, -das den Inhalt noch verhüllte. Und was lag nun vor ihr? Ein -wunderniedliches, weißseidenes Zughütchen, in dessen Höhlung sich -ein zierlicher Schooßhund verkroch, zwar nur aus Wachs, und in -verkleinertem Maaßstabe, aber dem theuren Bello so ähnlich, wie das -Kind der Mutter. Ein Brief begleitete die Sendung; er war von -der guten, alten Cousine und enthielt nebst tausend herzlichen Glückwünschen -von ihr und allen Bewohnern der Arbeitsstube die Bitte, -beifolgenden Scherz freundlich aufzunehmen. Das Hundchen war -ein Abbild dessen, den sich Madame Niedrer zu Erinnerung an ihren -theuren Bello verfertigen ließ, und dessen Doppelgänger sich die Cousine -für Agathen verschafft hatte. An dem Hute aber hatten alle -Mitglieder der Arbeitsstube einige jener furchtbaren, kleinen Säume -genäht, welche einst den Schrecken und die Verzweiflung Agathes -ausmachten. Fräulein Schneider garnirte das Kunstwerk schließlich -mit zierlichen Maiblumen, und dieses Hütchen war in der ganzen -langjährigen Praxis der würdigen Directrice das Erste und Einzige -gewesen, das ohne vorherige Prüfung ihrer Principalin in die Welt -hinaus wanderte.</p> - -<p>»Also nun birgt unsere Pfarre dennoch gerade jene beiden verpönten -Gegenstände, Schooßhund und Zughut! O du arme Agathe!« -rief der Pfarrer lustig und hielt die beiden Geschenke hoch empor. Agathe -aber hatte Thränen im Auge, während ihr Mund lächelte, und innig -bewegt sagte sie: »Ja, es ist recht so! Gerade diese beiden Dinge -sollen mir immer vor Augen stehen; denn sie werden mir eine stete -Mahnung daran sein, wie gütig Gott die arme Waise aus Trübsal -zu Glück und Frieden führte.«</p> - - - -<div class="figcenter" style="width: 50%" > -<img src="images/endoc.jpg" alt="Cover" style="width: 40%" /> -</div> - - - - - -<h2><a name="Neue_Wege" id="Neue_Wege">Neue Wege.</a></h2> - - - - -<p>Auf dem weichen Teppich eines kleinen, behaglichen Zimmers -schritt ein schlanker Mann in mittleren Jahren unruhig auf -und nieder und wühlte mit seiner Hand oft ungeduldig in dem vollen, -dunkelblonden Haar, das sein angenehmes Gesicht beschattete. Zuweilen -blieb er stehen und schaute aufmerksam nach der hübschen -Frau, welche sich leicht in die Kissen des Sophas zurücklehnte und -mit einer Handarbeit beschäftigt war. Während das Gesicht des -Mannes sich immer lebhafter röthete und Spuren des Verdrusses -zeigte, ruhte auf den Zügen der noch ziemlich jung aussehenden Frau -eine milde Freundlichkeit, und ihr Auge blickte ab und zu mit einem -ungemein sanften Ausdrucke von der Arbeit auf.</p> - -<p>»Du bist zu gut und nachsichtig gegen sie, Gertrud, und dadurch -erreichst du einmal nichts bei dem verwöhnten Mädchen,« sagte -Geheimerath Seebald, jener blonde Mann, endlich unwillig und blieb -vor seiner Frau stehen, welche soeben eine längere Mittheilung gemacht -zu haben schien und ihren Gatten nun fragend anblickte.</p> - -<p>»Aber, lieber Gustav, bedenke, wie frei und unabhängig Frida -in diesen letzten Jahren gewesen ist,« entgegnete die Frau sanft. -»Es ist für jedes junge Mädchen eine schwere Sache, sich einer Stiefmutter -unterzuordnen; für Frida aber ist es doppelt schwer, da du -sie so völlig ungehindert schalten und walten ließest. Nun soll das -arme Kind mit einemmale ein Muster von Ordnung und Vortrefflichkeit -<span class="pagenum"><a name="Page_202" id="Page_202">[Pg 202]</a></span>sein; aber du vergißt, daß gerade in dem so wichtigen Uebergange -vom Kinde zur Jungfrau ihr niemand zur Seite stand, der -sie leitete und sie eines Bessern belehrte, sobald sie Fehler beging.«</p> - -<p>»Niemand?« rief der Geheimerath lebhaft. »Habe ich ihr nicht -eine Gouvernante gehalten und Dienstleute und alles was sie sonst -brauchte?«</p> - -<p>»Ja, lieber Gustav, nur eben allzuviel!« entgegnete Frau Gertrud -still lächelnd. »Die Gouvernante war vielleicht keine ganz glückliche -Wahl; ihre Erziehungsresultate wenigstens sprechen für wenig -Geschick und Klugheit. Ich bitte dich heut nur, habe Geduld mit -Frida; es wird schon besser werden. Ich verberge mir nicht, daß -ich keinen leichten Stand ihr gegenüber habe, da sie mich als unwillkommenen -Eindringling eher hassen als lieben mag. Aber ich vertraue -auf ihren Verstand und ihr gutes Herz und auf meine geduldige -Liebe zu dem Kinde.«</p> - -<p>»Ich tadle an Frida weniger ihre schlechten Eigenschaften, als vielmehr -ihr Benehmen gegen dich, liebe Gertrud,« sagte der Geheimerath -verstimmt. »Ist es nicht empörend, daß meine älteste Tochter -dir mit Mißtrauen und Kälte entgegentritt, wo sie doch vielmehr -froh sein sollte, eine liebevolle Mutter und Freundin in dir zur -Seite zu haben, die ihr alle die Lasten abnimmt, welchen ein so -junges Mädchen ja noch gar nicht gewachsen ist. Und daß Frida -auch dafür kein Verständniß hat, was du für mich bist, der ich lange -Jahre hindurch einsam und freudlos dagestanden habe, und vor -allem, welche treue Mutter ich in dir für ihre kleinen Geschwister -gewonnen, die so unsäglich einer andern Pflege und Liebe bedurften, -als sie ihnen Wärterinnen geben konnten, — siehst du, Gertrud, -alles das ist's, was mich so sehr gegen Frida aufbringt. Sollte -ich sie etwa erst um Erlaubniß fragen, ehe ich einen neuen Ehebund -schloß? Wahrlich, das verwöhnte Kind scheint es beansprucht zu -haben.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_203" id="Page_203">[Pg 203]</a></span></p> - -<p>»Eben <em class="gesperrt">weil</em> sie ein verwöhntes Kind ist, Gustav!« sagte Gertrud -sanft. »Vielleicht wäre es in der That besser gewesen, du hättest -vorher mit ihr gesprochen und ihr deine Lage und die der Kinder -vorgestellt. Du hättest ihr damit ein Vertrauen bewiesen, das ihr -schmeichelte, hättest an ihr Herz und ihren Verstand appellirt und -uns Allen die Situation dadurch erleichtert. Indem du ihr mit -der fertigen Thatsache gegenüber tratest, reiztest du ihren Trotz und -ihre Opposition ganz unnöthig; denn jetzt hat sie absolut keinen -Antheil an dem, was du für gut und nöthig fandest und kommt mir -mit Abneigung und Mißtrauen entgegen. Daß ich unter diesen Umständen -für's Erste sehr vorsichtig sein muß und sie vor allem wegen -ihrer Fehler jetzt noch nicht tadeln mag, ist wohl ganz natürlich. -Aber wenn Frida erst einsehen wird, daß ich nur ihr Bestes will -und daß sie nur Erleichterung und Annehmlichkeiten durch meinen -Eintritt in die Familie hat, dann wird sich das alles bald ändern.«</p> - -<p>»Gebe es Gott; es lastet wie ein Alp auf mir und läßt mich des -Glückes gar nicht froh werden, das du mir in das Haus gebracht -hast, meine geliebte Gertrud!« sagte der Geheimerath seufzend, indem -er den Arm um seine Gattin legte, die jetzt an seiner Seite stand. -»Aber das sage ich dir: wenn Frida sich noch ein einzig Mal so -beleidigend und so über alles Maaß hochfahrend gegen dich beträgt, -wie es heut Vormittag der Fall gewesen, dann muß ich auf eine -Aenderung denken. Dergleichen Unbilden sollst du nicht durch das -thörichte Mädchen ausgesetzt sein; das darf ich nicht leiden.«</p> - -<p>»Laß doch nur jetzt gut sein, liebster Gustav,« entgegnete Gertrud -tief erröthend. »Mich kränken solche Ausbrüche von Frida's Laune -nicht nachhaltig. Wenn ich mich in ihre Stelle versetze, wäre ich -gegen meine unwillkommene Stiefmutter vielleicht auch nicht sehr -liebenswürdig.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_204" id="Page_204">[Pg 204]</a></span></p> - -<p>»Nein, nein, Gertrud, es liegt tiefer; es ist nicht blos augenblickliche, -üble Laune, glaube es mir,« sagte der Geheimerath düster. -»Es wäre für Frida vielleicht auf alle Fälle gut, sie käme eine zeitlang -aus dem Hause, in andre, einfachere Verhältnisse. Es sprechen auch -noch einige andre Gründe für einen solchen Wechsel, welcher sie dem -Einfluß einiger unklugen Freundinnen, sowie allerlei Thorheiten -entzöge, die sie sich, wie ich sehr stark vermuthe, in den Kopf gesetzt -hat.«</p> - -<p>»Aber nur jetzt nicht, nicht gleich nach meinem Eintritt in deine -Familie,« bat Gertrud dringend. »Welche Gründe dich auch für -einen solchen Wunsch bestimmen mögen, warte noch damit, ich bitte -dich. Bedenke doch, welches Licht es auf deine Frau werfen würde, -die die älteste Tochter aus dem Hause treibt, sobald sie nur den Fuß -in dasselbe setzte.«</p> - -<p>»Wenn es nöthig wäre, würde niemand meine sanfte, engelsgute -Frau beschuldigen, sondern nur meine stolze, trotzige Tochter, -das glaube mir, Gertrud,« erwiederte der Geheimerath milde und -küßte die schmale, weiße Stirn seiner Gattin. »Aber du magst -Recht haben. Besser, wir schieben die Sache noch etwas hinaus, -vorausgesetzt aber, wie gesagt, daß Frida solche Auftritte vermeidet, -wie ich heute Morgen im Nebenzimmer mit anhörte. Dergleichen -<em class="gesperrt">darf</em> in meinem Hause nicht vorkommen; das leide ich nicht.«</p> - -<p>Nach diesem Gespräche trennten sich die beiden Gatten; der -Geheimerath ging an seine Geschäfte, Gertrud in das Zimmer ihrer -beiden kleinen Stiefkinder, einem Knaben von sechs und einem -Mädchen von vier Jahren. Es waren blasse, kränklich aussehende -Kinder, welche die Stiefmutter mit ziemlich gleichgültiger Miene -anblickten, als dies zu ihnen herantrat.</p> - -<p>»Zeigst du Käthchen Bilder, lieber Franz?« sagte Gertrud -freundlich und strich dem Knaben über das glatte, dunkle Haar.</p> - -<p>»Ja, Mama, die Bilder sind aber so langweilig; ich kenne sie<span class="pagenum"><a name="Page_205" id="Page_205">[Pg 205]</a></span> -schon alle so sehr,« klagte Franz, mit seinen schwimmenden, dunklen -Augen zu Gertrud aufschauend.</p> - -<p>»So kommt mit in mein Zimmer, Kinder; ich will euch heute -einmal wieder die hübschen Kupferstiche zeigen, die euch neulich so -gut gefielen,« sagte die Mutter freundlich. Ein leises Roth der -Freude zog über des Knaben blasse Wange, und rasch sprang er -vom Stuhle auf, der voranschreitenden Gertrud zu folgen. Die -kleine Katharine trippelte eilig hinterdrein, und bald neigten sich die -beiden Kindergesichter über einen Band schöner, großer Kupferstiche, -welchen die Mutter ihnen auf den Tisch gelegt.</p> - -<p>»Erkläre Käthchen die Bilder, wenn sie nicht alles versteht; du -bist ja schon ein verständiger Junge,« sagte Gertrud lächelnd zu -Franz, der ernsthaft mit dem Kopfe nickte und ganz stolz sein Amt -eines Informators antrat, indem er sich Geschichten zu den bildlichen -Darstellungen erfand, denen Käthchen mit gespannter Aufmerksamkeit -lauschte. Gertrud setzte sich indeß still an ihre Arbeit und ließ -ihren Gedanken freien Lauf, bis nach einer Weile die Thür des -Nebenzimmers heftig aufgerissen wurde, und ein junges Mädchen -rasch eintrat.</p> - -<p>»Franz, du unartiger Junge, du hast mir gewiß wieder mein -Buch fortgenommen,« rief sie ärgerlich und kam zu den Kindern. -»Bilder beseh'n, und immer und ewig Bilder beseh'n, weiter treibst -du den ganzen Tag nichts. Meine Bücher <em class="gesperrt">sollst</em> du aber nicht -nehmen; das weißt du doch?«</p> - -<p>Franz war feuerroth geworden und antwortete nichts; Gertrud -aber sagte milde: »Welches Buch fehlt dir denn, Frida?«</p> - -<p>Das junge Mädchen wandte den Kopf nur halb nach der Fragenden -um und sagte kurz: »Ein Dumas'scher Roman, in dem Franz -einige Bilder gesehen hat, die ich hineingelegt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_206" id="Page_206">[Pg 206]</a></span></p> - -<p>»Das Buch liegt in deines Vaters Zimmer, liebe Frida,« entgegnete -Gertrud. »Er hielt die Lectüre für nicht ganz passend für -ein so junges Mädchen und nahm das Buch an sich. Ich will dir -bessere Bücher geben, liebes Kind, als diese leichtfertigen, französischen -Romane. Hast du z. B. die Bücher von Jeremias Gotthelf -schon gelesen?«</p> - -<p>Frida blickte ihrer Stiefmutter jetzt voll in das Gesicht. Es -war ein feines, schönes Köpfchen, das auf den jungen, siebzehnjährigen -Schultern saß, der edlen Bildung ihres Vaters sehr ähnlich und -von vollem, blonden Haar umwogt. Aber die maaßlos moderne -Frisur verdarb das prachtvolle Haar ebensosehr, wie der stolze Ausdruck -des Gesichtes der Schönheit dieser Züge schadete. Bei Gertruds -Worten warf sie den Kopf hochmüthig zurück und sagte scharf: -»Wer hat denn in meinem Zimmer herumspionirt und Papa meine -Bücher zugetragen?«</p> - -<p>»Nicht in deiner Stube lag das Buch, Frida,« entgegnete -Gertrud ruhig, »sondern im Eßzimmer trieb es sich herum. Dein -Vater sah es dort liegen und blätterte darin.«</p> - -<p>»Papa hat sich doch sonst nicht um meine Lectüre bekümmert, -warum denn jetzt auf einmal?« sagte Frida spitz. »Von selbst ist -er sicher nicht darauf verfallen, und ich möchte doch sehr bitten, mich -auch ferner mit dergleichen in Ruhe zu lassen. Solche Hetzereien -sind gräßlich.«</p> - -<p>»Du bist noch zu jung, liebe Frida, um jedes Buch lesen zu -können, das dir in die Hand kommt,« erwiederte die Mutter immer -noch ruhig, obwohl ihr zartes Gesicht bei Frida's bösen Worten -abwechselnd bleich und roth wurde. »Böse gemeint ist dabei nichts, -im Gegentheil bin ich gern bereit, dir viel bessere Lectüre zu -geben, als du in deiner natürlichen Unkenntniß dir aussuchst. -Du weißt, ich habe eine sehr reiche Bibliothek sie steht dir gern zu -Diensten.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_207" id="Page_207">[Pg 207]</a></span></p> - -<p>»Ich danke, ich bin in der Leihbibliothek abonnirt,« sagte Frida -kurz und ging hinaus, die Thür sehr unsanft in das Schloß werfend. -Gertrud strich sich mit der Hand langsam über das Gesicht und -seufzte. Dann aber blickte sie heiter nach den beiden Kindern, welche -fröhlich über ein spashaftes Bild lachten, das sie soeben aufgeschlagen, -und Franz brachte das Buch zu der Mutter, damit diese -ihnen die Geschichte erzählte, die herrlich sein mußte. Gertrud -erfüllte bereitwillig die Bitte und vergaß in dieser Weise einigermaßen -den häßlichen Auftritt, den Frida veranlaßt hatte. Sie -fürchtete aber freilich trotz aller Sanftmuth und trotz der unablässigen -Mühe, die sie sich gab, Frida für sich zu gewinnen, daß -ihr dies nicht gelingen werde, und einige Tage später brach denn -auch wirklich die Katastrophe herein, welche Gertrud trotz aller Liebe -und Milde nicht abwenden konnte.</p> - -<p>Gertrud hatte sich zum Ausgehen fertig gemacht und sagte, in -das Zimmer tretend, zu Frida, welche am Clavier saß: »Aber -willst du dich nicht anziehen, mein Kind? Ich sagte dir ja, wir -wollten bei Präsident Wehrmann und Regierungsrath Keller Besuche -machen. Dein Vater wird gleich eintreten, uns abzuholen; beeile dich -etwas.«</p> - -<p>Frida wandte in ihrer beliebten Weise den Kopf nur halb herum -und spielte weiter. Die Mutter wartete einige Augenblicke, dann -forderte sie das junge Mädchen von Neuem auf, nur mühsam ihre -Ungeduld verbergend; denn sie wußte, wie ungern ihr Gatte wartete, -wenn er ausgehen wollte. Frida aber spielte noch immer und sagte -nur leichthin: »Ich gehe nicht mit!«</p> - -<p>»Du gehst nicht mit, Frida? Warum nicht?« rief Gertrud -erstaunt.</p> - -<p>»Weil ich keine Lust habe,« entgegnete Frida schnippisch. »Ich -kann das Volk nicht ausstehen.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_208" id="Page_208">[Pg 208]</a></span></p> - -<p>»Wen meinst du eigentlich, liebes Kind?« sagte Gertrud betreten, -und ihre Stirn röthete sich vor Unwillen.</p> - -<p>»Wen ich meine?« rief Frida nachlässig; »nun deine Präsident -Wehrmanns und Kellers und wie sie alle heißen. Eine langweiligere -Gesellschaft kenne ich nicht. Ich habe meinen eigenen Bekanntenkreis; -jene Leute besuche ich nicht.«</p> - -<p>»Du wirst dich doch wohl dazu entschließen müssen, liebe Frida,« -sagte Gertrud ruhig, »denn jene Familien gehören zu dem Kreis der -Freunde deines Vaters, und da schickt es sich nicht anders, als daß -die Tochter des Hauses mit uns Besuche bei ihnen macht.«</p> - -<p>»Das sind wieder einmal solche herrlichen Neuerungen, wie sie -jetzt massenhaft ins Haus kommen!« rief Frida trotzig. »Es ist -doch mindestens sonderbar, daß mir jetzt fortwährend geboten wird, -das thu, und das laß, wo ich doch bisher ganz gut selbst wußte, was -ich zu thun und zu lassen hatte.«</p> - -<p>»Dein <em class="gesperrt">Vater</em> will es so, mein Kind,« sagte Gertrud kurz.</p> - -<p>»Papa will es nur, weil <em class="gesperrt">du es</em> willst; sonst fiele es ihm gar -nicht ein, mir Dinge zuzumuthen, die mir unerträglich sind!« fuhr -Frida leidenschaftlich auf. »Aber ich werde deshalb doch thun, was -mir beliebt, wie ich es bisher gethan habe; ich bin alt genug und -bedarf keiner Gouvernante mehr. Und wenn Papa kommt, will ich -es ihm selbst sagen; warum hat er mir Situationen octroyirt, die -mich empören müssen!« Dabei warf sie ein Notenheft so stürmisch -auf den Flügel, daß die losen Blätter weit im Zimmer umherflogen, -und stieß den Clavierschemel mit dem Fuße zur Seite, daß er -umstürzte.</p> - -<p>»Augenblicklich schweigst du, und möge deine Mutter die bösen -Reden vergessen, die du führtest!« rief jetzt aber die Stimme des -Geheimeraths, welcher rasch in das Zimmer eintrat. »Ich habe -alles mit angehört, was du gesagt hast, du unartiges Mädchen;<span class="pagenum"><a name="Page_209" id="Page_209">[Pg 209]</a></span> -aber jetzt hat das Spiel ein Ende. In dieser Weise dulde ich es -nicht länger, daß meine Tochter ihrer Mutter gegenübertritt. Geh' -jetzt auf dein Zimmer und erwarte dort das Weitere.«</p> - -<p>Frida warf den Kopf trotzig zurück und ging hinaus. Gertrud -aber verbarg schluchzend ihr Gesicht in dem Tuche.</p> - -<p>»Gräme dich nicht, liebe Gertrud,« sagte ihr Gatte weich. »Ich -fühle deutlich, ich habe einen großen Fehler begangen, daß ich Frida -so völlig zügellos aufwachsen ließ. Gebe Gott, daß es noch nicht zu -spät ist, sie zu ändern. Ich kenne sie in der That kaum wieder. -Eigentlich ist sie ein gutes, fröhliches Geschöpf; aber jetzt ist sie wie -ausgetauscht, und mir scheint, es wird immer schlimmer statt besser. -Was ich dir neulich schon sagte, das wiederhole ich: das Beste ist, -sie kommt eine Weile aus dem Hause. Wir entziehen sie dadurch -auch zugleich dem Einfluß einer ihrer nächsten Freundinnen, die in -hohem Grade ungünstig auf ihr weiches Gemüth einwirkt, wie ich -fürchte. Ich kann ihr den Umgang mit dieser Familie nicht untersagen; -auch würde ich die Sache dadurch nicht bessern, sondern nur -Heimlichkeiten hervorrufen.«</p> - -<p>»Du erwähntest neulich schon etwas der Art,« sagte Gertrud; -»welche Freundin meinst du?«</p> - -<p>»Franziska von Froreich, ein eitles, leichtsinniges, aber kluges -und angenehmes Mädchen,« entgegnete der Geheimerath. »Sie hat -den Kopf voll Phantastereien und Thorheiten, und leider steckt sie -meine empfängliche Frida sehr damit an. Durch unsere würdige -Geheimeräthin Gerold, eine mütterliche Freundin meines Hauses, -habe ich einige Dinge erfahren, die mich in der That beunruhigen. -Im Hause dieser Froreich's hat Frida einen jungen Mann kennen -gelernt, der ganz das Zeug dazu hat, einen phantastischen siebzehnjährigen -Mädchenkopf zu verdrehen; denn er ist schön, elegant, -witzig und angenehm, gerade wie es ein Held der Romane sein muß,<span class="pagenum"><a name="Page_210" id="Page_210">[Pg 210]</a></span> -die sie lesen. Dieser junge Herr scheint alle Künste zu verstehen, -die Herzen unerfahrener Mädchen zu gewinnen. Mit dieser singt -und musicirt er, mit jener schwärmt er für Literatur und bringt ihr -Gedichte, dann wieder treibt er Blumensprache oder sonstige Fadaisen -mit ihnen, tanzt vortrefflich, zeichnet etwas, kurz, es giebt eben nichts, -was er nicht verstände und wüßte. Aeltere Frauen schütteln die -Köpfe, den Männern ist er gleichgültig oder im Wege. Niemand -aber weiß recht, wer er ist und was er eigentlich treibt. Meiner -hübschen Frida aber hat er das Köpfchen augenscheinlich gründlich -mit seinen Süßigkeiten verdreht, und wenn ich etwas sorglicher die -Augen offen gehalten hätte, als ich leider gethan, so würde ich wohl -selbst gesehen haben, worauf mich liebe Freunde jetzt aufmerksam -machen. Ich denke jedoch, Frida ist noch ein solches Kind, daß ihr -die Sache aus dem Kopfe kommt, lebt sie einige Monate in anderen -Kreisen, und besonders auch fern von Franziska, die sich darin -scheint gefallen zu haben, als Beschützerin dieser keimenden Liebe -eine interessante Rolle zu spielen.«</p> - -<p>»Hast du gegen Frida etwas über diese Sache erwähnt?« sagte -Gertrud nachdenkend.</p> - -<p>»Thörichter Weise allerdings!« entgegnete der Geheimerath -achselzuckend. »Ich glaubte, ihr klar machen zu können, daß an -einem jungen Manne elegantes und einschmeichelndes Wesen etwas -Gefährliches sei, und daß es verdienstvollere Eigenschaften gäbe -und würdigere, um die Achtung und Liebe eines Mädchens zu -gewinnen. Aber das war nur Oel in's Feuer. Sie vertheidigte -ihren jungen Verehrer mit flammenden Augen, und ich bin sicher, -hätte ich ihr den Verkehr mit demselben jetzt untersagt, die Sache -wäre bei Frida's Heftigkeit wohl zu einer bösen Wendung gekommen. -Ich zog es daher vor, sie mit ihrer jugendlichen Schwärmerei zu -necken und das Ganze scherzhaft und leicht zu nehmen. Aber ich<span class="pagenum"><a name="Page_211" id="Page_211">[Pg 211]</a></span> -kann dir sagen, liebe Gertrud, ich bin froh, dich jetzt zur Seite -zu haben, damit du über das Kind mit treuen Mutteraugen wachest -und mit vorsichtiger Frauenhand den Knoten lösest, der sich da etwa -zu schlingen droht. An dem jungen Galan ist nichts, davon bin -ich überzeugt, seit ich ihn etwas näher beobachtet; aber mein Männerkopf -versteht es nicht, da das Rechte zu ergreifen.«</p> - -<p>Gertrud sah ernst sinnend vor sich nieder. »Du kannst auf meine -Hülfe rechnen, Gustav,« sagte sie sanft. »Aber die Aufgabe ist keine -leichte. Wie ich Frida beurtheile, wird sie sich schwer von einer -ernsten Neigung zurückbringen lassen, und Widerstand ihr die Sache -vielleicht noch anziehender machen. Sie glaubt dann wohl eine jener -Romanheldinnen zu sein, die für ihre Liebe schwere Opfer zu bringen -haben, wie sie in den Büchern gelesen. Lassen wir für jetzt die ganze -Angelegenheit unberührt, vielleicht wirkt Zeit und Entfernung günstig -auf ihr Gemüth. Wenn du sie unter recht einfache, frische und -brave Menschen bringen könntest, so wäre dies wohl das beste -Mittel, das Kind zu ändern und zu bessern; aber wo finden wir -solche?«</p> - -<p>»Ich denke, ich habe sie schon gefunden,« entgegnete der Geheimerath -heiter. »Die Sache liegt mir länger schon im Sinn; denn -seit jener Mittheilung unserer lieben, alten Freundin, Frida's -keimende Neigung betreffend, war ich entschlossen, das Kind für eine -Weile anderen Händen anzuvertrauen und sie aus den hiesigen Verhältnissen -fortzuschicken. Seitdem aber kam durch dich, meine -Gertrud, neues Glück über mich, und ich hoffte, auch über Frida, -und so gab ich den Gedanken jener Trennung auf. Nun aber ist -dieselbe nöthiger als je, nöthig für alle Theile, und so zögere ich nicht -länger. Ich werde Frida meiner Schwägerin anvertrauen, der -Schwester ihrer Mutter. Das ist eine einfache, gute und tüchtige -Frau, und ihre Töchter liebe, nette Mädchen. Bei ihnen ist unser<span class="pagenum"><a name="Page_212" id="Page_212">[Pg 212]</a></span> -Kind wohlaufgehoben. Mein Schwager, ein braver, trefflicher -Mann, hat eine Pachtung in Mecklenburg übernommen, und das -Landleben wird Frida mit vielem aussöhnen, was ihr in den sehr -einfachen Verhältnissen sicher nicht gefallen wird. Ich habe bereits -früher schon einmal angefragt, ob meine Schwägerin mir das Opfer -bringen will, Frida für einige Zeit in ihr Haus zu nehmen, und -sie ist gern dazu bereit. Du bist wohl so freundlich, liebe Gertrud, -in Frida's Sachen nachzusehen, was sie etwa bedarf. Staat wird -sie überflüssig genug haben, für alles andere aber übernimm, bitte, -die Sorge.«</p> - -<p>Während Frida's Eltern noch Weiteres mit einander besprachen, -lag das junge Mädchen in ihrem Zimmer auf dem Sopha, das -Gesicht in die Kissen gedrückt, und ihre Brust athmete heftig. Aber -Thränen flossen trotz aller Leidenschaft nicht aus den heißen Augen. -Mit ihren kleinen, weißen Zähnen biß sie fest in das feine Taschentuch, -das sie vor die Lippen drückte, und riß so heftig daran herum, daß -es in Stücken flog. Da ballte sie die Fetzen grimmig in der kleinen -Hand zusammen und schleuderte den Knäul in die Ecke; ihre hübschen -Füße aber stampften nun so energisch den Boden, daß die -höchst eleganten Stiefelchen, welche sie umschlossen, in allen Nähten -krachten.</p> - -<p>»Unerträglich! Unerträglich!« rief sie ungestüm und schlug die -Hände vor das Gesicht. »Mich so zu behandeln, mir das zu bieten, -und in ihrer Gegenwart! O, ich möchte ersticken vor Aerger. Und -was nun seine Worte heißen sollten? >Erwarte dort das Weitere!< -Was soll ich erwarten? Will man mich etwa einschließen, mich gefangen -halten bei Wasser und Brod, bis ich kirre werde und der -Frau Mutter zu Füßen liege? O da können sie lange warten; -aber es ist abscheulich, ganz abscheulich vom Papa. Bis jetzt war -<span class="pagenum"><a name="Page_213" id="Page_213">[Pg 213]</a></span>er immer so gut und that alles, was ich wollte; nun ist er wie verwandelt. -Und an allem ist <em class="gesperrt">sie</em> allein schuld, ich weiß es wohl, sie -mag sich verstellen wie sie will. Aber ich dulde es nicht, nein, absolut -nicht!«</p> - -<p>In dieser Weise trieb es das heftige Mädchen noch eine lange -Weile, ohne dabei ruhiger zu werden. Da öffnete sich die Thür und -ihr Vater trat herein.</p> - -<p>»Frida,« sagte er ruhig und ernst, »ich denke, es wird für alle -Theile besser sein, wir versuchen es, eine Aenderung dadurch im Hause -eintreten zu lassen, daß du deine Tante Marie, die dich lange -schon so freundlich eingeladen hat, für einige Zeit besuchst. Ich -habe dich zu sehr verzogen, ich sehe es jetzt wohl ein; der Schaden -jedoch läßt sich nicht so schnell gutmachen. Aber deine treffliche -Mutter soll nicht durch dich leiden. Ich hoffe, bei Tante Marie -wirst du etwas vernünftiger werden und als ein verständigeres -Mädchen heimkehren. Suche deine Sachen zusammen, übermorgen -bringe ich dich nach Dahme.«</p> - -<p>»Also eine Verbannung!« sagte Frida kalt. »Gut, ich gehe -und mache Platz; es mag das Beste sein, du hast Recht, Papa. -Zwei Willen das geht nicht. Schade nur, daß du das jetzt erst -merkst, und ich darunter so bitter leiden muß. Aber es mag drum -sein; ich danke dir, daß du mich fortschickst.«</p> - -<p>Es war kein guter Geist, der aus Frida in diesem Augenblicke -sprach. Ihr Vater stand ihr traurig und rathlos gegenüber und -wußte nicht, wie er den Weg zu ihrem Herzen finden sollte. Da -fiel sein Blick auf ein Bild, das über Frida's Nähtischchen hing. -Leise ergriff er die Hand seiner Tochter und führte sie zu diesem -Bilde. Es war das ihrer Mutter.</p> - -<p>»Frida,« sagte der Vater weich, »was würde sie dazu sagen, -wenn sie hörte, wie ihr Kind mit ihrem Vater spricht!«</p> - -<p>Das junge Mädchen zuckte leise zusammen und erblaßte. Einen<span class="pagenum"><a name="Page_214" id="Page_214">[Pg 214]</a></span> -Augenblick stand sie mit gesenkten Lidern vor dem Bilde, dann rief -sie: »Papa!« und laut schluchzend sank sie an ihres Vaters Brust. -Still hielt dieser sein Kind in den Armen, sprechen konnte er nicht, -und auch Frida weinte nur heftig ohne zu sprechen. Endlich aber -stammelte sie erregt: »Verzeih mir, Papa! O ich bin zu, zu -unglücklich!« Und wieder weinte sie leidenschaftlich.</p> - -<p>»Ich verstehe dich nicht, Kind,« sagte der Vater sanft und -streichelte ihre Wange, »du bist mir völlig räthselhaft; denn wenn -du nur wolltest, so würde dir aus deiner jetzigen Situation unendlich -viel Glück und Freude erwachsen; aber erzwingen kann ich -es freilich nicht. Machen wir deshalb den Versuch einer Trennung -in aller Liebe, Frida, hörst du wohl? ohne von Verbannung oder -dergleichen Thorheiten zu sprechen. Ein Landaufenthalt wird dir -in allen Fällen gut thun; der letzte Winter hat dich etwas blaß und -nervös gemacht. Tante Marie hat dich lieb und freut sich lange -schon auf dein Kommen, und ihre Töchter werden dir ein angenehmer -Umgang sein. Scheiden wir in aller Liebe und Herzlichkeit -für eine Weile von einander, und wenn du dann wieder zu uns -zurückkommst, wirst du alles mit anderen Augen ansehen, deß bin -ich sicher.«</p> - -<p>Frida schüttelte zwar leise und ungläubig den Kopf; aber der -gute Geist, den ihr Vater heraufbeschworen, breitete seine Hände -über sie.</p> - -<p>»Wie du willst, Papa. Ich glaube, du hast Recht, und es ist -gut für alle Theile,« sagte sie weich und ergeben. »Ich werde meine -Sachen zusammen suchen, dann können wir fort, je eher je lieber.«</p> - -<p>Der Geheimerath küßte sein Kind liebevoll und sagte leise: -»So ist's recht, Frida, mache deinem armen Vater das Herz nicht -gar zu traurig. Ich danke dir, und <em class="gesperrt">sie</em> wird dich dafür segnen.« -Dabei blickte der weiche Mann noch einmal feuchten Auges nach dem<span class="pagenum"><a name="Page_215" id="Page_215">[Pg 215]</a></span> -Bilde seiner ersten, unsäglich geliebten und betrauerten Gattin, -dann verließ er still das Zimmer.</p> - -<p>Frida setzte sich wie gebrochen diesem lieben Bilde gegenüber, -und leise rannen noch einige Thränen über ihre Wangen. Aber es -waren gute Gedanken, welche jetzt durch ihre Seele zogen. Sie gedachte -jener traurigen Zeit, als diese treue Mutter von den Ihren -schied, nachdem sie noch dem kleinen Käthchen das Leben geschenkt -hatte, und welche Zerstörung dieser Tod in die Familie brachte. -Ihr Vater war wie vernichtet von Kummer und Leid; das schwache, -neugeborne Kindchen lag kraftlos und still in seiner Wiege, und das -matte Lebenslicht schien verlöschen zu wollen. Sich selbst überlassen, -trieben sich die andern Kinder im Hause umher, Frida selbst erst -12 Jahre alt und unfähig, die jüngeren Geschwister zu zügeln. -Wohl kamen dann Fremde in das Haus, sich der Kinder und des -Hauswesens anzunehmen; aber es war ein zerfahrener Geist in dem -Ganzen, und der Hausherr besaß nicht Kraft und Umsicht genug, es -zu ändern. Summen wurden verschwendet, die Leute gewechselt, -bald Strenge, bald Güte versucht, die Dinge anders zu gestalten, -es war vergebens. Dann erkrankten die Kinder am Scharlachfieber, -zwei von ihnen, welche vielleicht bei sorgsamerer Pflege -gerettet werden konnten, erlagen der Krankheit, und die beiden -Jüngsten blieben kränklich und blaß, nachdem sie genesen waren. -Endlich übernahm Frida die Oberleitung des Hauswesens, sie war -ja sechzehn Jahr alt und also ein erwachsenes Mädchen. Aber statt -besser, wurde es nur schlimmer. Frida fühlte das wohl, wußte es -aber nicht zu ändern. Sie war sich selbst nicht klar, daß ohne Anleitung -und ernsten Sinn, nur voll Interesse für ihr Vergnügen, -ihren Putz und ihre Freundinnen, sie einer solchen Aufgabe nicht -gewachsen war. Frei und ohne jegliche Schranke ließ der Vater sie -schalten und walten, that alles, was Frida wollte, gab ihr Geld<span class="pagenum"><a name="Page_216" id="Page_216">[Pg 216]</a></span> -über Geld und bewilligte alle Vorschläge, nur um Ruhe und Frieden -im Hause zu haben. Und doch erreichte er damit wenig, Frida aber -brachte er großen Schaden. Ein dunkles Gefühl sagte dies dem -jungen Mädchen gar wohl; aber doch war es gar zu schön, so unbeschränkt -leben und befehlen zu können, sie wünschte es nicht anders.</p> - -<p>Welch ein Donnerschlag war da für sie die Nachricht, ihr Vater -werde wieder heirathen! Tiefe Entrüstung ergriff Frida über solches -Unterfangen, und mit lebhaftem Mißtrauen und starker Abneigung -trat sie der unwillkommnen Stiefmutter entgegen. Mit innerer -Empörung übergab sie den Händen der neuen Hausfrau alle Pflichten, -welche jetzt ihr obgelegen, und denen sie freilich nur allzu lässig -nachgekommen war. Die Uebergabe dieser Geschäfte konnte sie nicht -ändern und mußte sie schweigend ertragen. Aber eines stand fest: -sie selbst wollte nie etwas mit dieser Stiefmutter gemein haben -und sich nie und nimmer ihrer Macht unterwerfen. Freilich suchte -diese neue Mutter durch unsägliche Geduld und Milde solche Entschlüsse -zu stürzen und Frida's Herz zu erobern, Frida jedoch -stemmte sich mit aller Macht dagegen, und wie sie ihre vermeintlichen -Rechte glaubte schützen zu müssen, das haben wir selbst gesehen. -Aber es war ihr nicht wohl dabei. Sie fühlte Tag täglich, welchen -Schatz ihr Vater mit dieser Mutter in das Haus geführt, und wie -wohl geordnet jetzt alles seine stillen Wege ging. Wie froh und -heiter blickte ihr Vater jetzt in die Welt hinein, wie wohl versorgt -waren die kleinen Geschwister, und wie ordentlich und gesittet thaten -die Dienstleute ohne Lärm und ohne Widerspenstigkeit ihre Pflichten. -Aber trotz dieser Einsicht konnte sie die Erbitterung und den Verdruß -nicht aus ihrem Herzen scheuchen, und so war es besser, sie ging. -Mochte ihr Vater Recht haben oder nicht, mochte Zeit und Entfernung -günstig wirken oder nicht, für jetzt <em class="gesperrt">konnte</em> es nicht so -<span class="pagenum"><a name="Page_217" id="Page_217">[Pg 217]</a></span>bleiben, das sah und begriff sie. Der vorige Trotz ihres ungebändigten, -kindischen Herzens hatte jetzt ruhigerer Einsicht Platz gemacht, -ja endlich behauptete die Jugend so sehr ihr Recht, daß die bevorstehende -Reise mit ihren neuen Verhältnissen und Eindrücken ihr -sehr lockend erschien, und sie sich von Herzen auf den Landaufenthalt -freute, den sie sich lange schon gewünscht. So machte sie denn gute -Miene zum bösen Spiel, erzählte ihren Freundinnen von der bevorstehenden -frohen Aussicht und war ganz heiter und guter Dinge. -Gertrud ging auf diese Stimmung Frida's nur zu gern ein und -half ihr eifrig, für die Reise alles in Stand zu setzen, wobei sie -freilich wünschte, gar vieles von dem Putz und Staat aus den -Koffern wieder heraus zu legen, den die eitle Frida einpackte, welche -sich einen sonderbaren Begriff von den Bedürfnissen ihres Landlebens -zu machen schien.</p> - -<p>So war denn einige Tage später der Schritt geschehen und -Frida im Hause der Tante Marie. Ihr Vater war wieder abgereist, -Frida aber saß bald nach ihrer Ankunft bei einem Briefe an -ihre liebste Freundin, und damit wir sehen, wie es ihr in der neuen -Umgebung gefällt, blicken wir über die Schulter der Schreiberin und -nehmen Kenntniß von ihren Freundschaftsergüssen.</p> - -<blockquote> -<p class="center"> -»Liebste, beste Franziska!<br /> -</p> - -<p>Drei Tage sind schon darüber hingegangen, daß ich meinem -Papa Lebewohl gesagt habe und hier in das Haus von Onkel -und Tante Bremer eingetreten bin. Wie voll ist mir das Herz, -und wie sehr verlangt mich danach, Dir, meiner besten, liebsten -Freundin, von meinem Ergehen und meiner hiesigen Situation -Kunde zu geben. Aber bis jetzt kam ich nicht dazu; denn ich kann -Dir sagen, daß ich völlig benommen bin von der Neuheit meines -Aufenthaltes. Eine Sehnsucht und ein Verlangen nach meinem -himmlisch behaglichen Vaterhause, nach Dir und meinen anderen -geliebten Freundinnen erfüllt mich von früh bis spät, und wenn -<span class="pagenum"><a name="Page_218" id="Page_218">[Pg 218]</a></span>ich mich nicht schämte, ich packte am liebsten wieder ein und eilte -zurück zu Euch Allen, trotz der unerträglichen Verhältnisse im -Vaterhause.</p> - -<p>Ach Deinem Herzen, mein Fränzchen, als dem meiner intimsten -Freundin, habe ich ja allein den wahren Sachverhalt anvertraut, -Du allein weißt ja, was und wer mich aus dem Vaterhause -hinaus getrieben. Die, die sich jetzt meine Mutter nennt, -ist es, ich weiß es wohl, und wenn ich auch um Papa's willen -heiteren Auges geschieden bin, Du weißt besser, wie es in mir -aussieht. Ach eines nur beruhigt und tröstet mich trotz allem — -daß ich diese Reise nicht schon einige Monate früher antreten mußte. -Du ahnest und weißt warum, meine süße Freundin! Die himmlischen -Stunden in Eurem Hause, wo ich <em class="gesperrt">ihn</em> sehen und sprechen -durfte, ach sie sind ja doch ohnehin jetzt vorüber, seit er fort ist. -Aber wo ist er, warum sagte er es nicht, und warum ging er so -plötzlich fort ohne unser Wissen? Zum Winter aber, wenn ich -wieder bei Dir bin, dann will ja auch er wiederkommen, das -hoffte er so sicher, als ich ihn zum letzten Male sprach. O dieses -letzte Mal, Fränzchen, es wird mir ewig in der Seele bleiben!</p> - -<p>Wie oft hast Du mir versichert, ich sei ihm nicht gleichgültig, -Du, liebe, treue Freundin, ach immer und immer konnte ich nicht -daran glauben. Aber beim Abschied, da habe ich es wohl glauben -müssen, (o und <em class="gesperrt">wie</em> gern!) denn daß ich es Dir jetzt nur gestehe, -er hat es mir nur allzudeutlich gesagt. Aber nicht blos in trocknen, -prosaischen Worten, wie ein Anderer es wohl an seiner Stelle -gethan hätte; o nein, das wäre dieses genialen, poetischen Kopfes -nicht würdig! Nein, er hat mir in einigen entzückenden Versen -seine Gefühle gestanden. Denke nur, Verse von ihm selbst. O ich -müßte ein Herz von Eis oder Stein haben, wenn mich diese -Worte nicht gerührt hätten, und der Blick, von dem sie begleitet -<span class="pagenum"><a name="Page_219" id="Page_219">[Pg 219]</a></span>waren. Ich muß Dir wirklich als Sühne für mein spätes Vertrauen -dieses Gedichtchen hersetzen; urtheile selbst, <em class="gesperrt">was</em> ich dabei -fühlte.</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">In einem stillen Thale<br /></span> -<span class="i0">Blüht eine Rose hold,<br /></span> -<span class="i0">Die Blätter glühn und glänzen<br /></span> -<span class="i0">Wie süßer Minne Sold.<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">Da kommt mit müdem Schritte<br /></span> -<span class="i0">Ein Wandersmann daher,<br /></span> -<span class="i0">Sein Aug' ist matt und trübe,<br /></span> -<span class="i0">Sein Herz ist bang und schwer.<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">Doch wie mit holdem Zauber<br /></span> -<span class="i0">Weht's um ihn wunderbar,<br /></span> -<span class="i0">Und weiche Rosendüfte<br /></span> -<span class="i0">Umspielen Stirn und Haar.<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">Und wie ein Himmelsbote<br /></span> -<span class="i0">Schaut ihn das Röslein an:<br /></span> -<span class="i0">»Wohl kann ich Heilung bringen,<br /></span> -<span class="i0">»Du armer, kranker Mann.«<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">»Wem ich am Herzen ruhe<br /></span> -<span class="i0">»In stiller Lieb' und Treu',<br /></span> -<span class="i0">»Dem lächelt Freud' und Wonne<br /></span> -<span class="i0">»Und süßes Glück aufs Neu.<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">»»O Rose, holde Rose,<br /></span> -<span class="i0">»»So sei auf ewig mein!<br /></span> -<span class="i0">»»Des Herzens banges Sehnen,<br /></span> -<span class="i0">»»Das stillest du allein!<br /></span> -</div><div class="stanza"> -<span class="i0">»»An treuer Brust geborgen<br /></span> -<span class="i0">»»Blühst du in sichrer Huth;<br /></span> -<span class="i0">»»O Rose, sei mein eigen,<br /></span> -<span class="i0">»»Nur dann ist alles gut!««<br /></span> -</div></div> - - -<p>O wenn Papa dies läse, dann würde er eine andere, höhere -Meinung von den Gaben dieses herrlichen Mannes bekommen! -Aber um alles in der Welt, ihm darf ich es nicht sagen, er würde -mir nie verzeihen, daß ich solche Dinge angenommen habe von -einem jungen Manne, der ihm ganz fremd, und, wie ich mit -blutendem Herzen bemerkt, durchaus nicht willkommen ist. So -mag es denn ein süßes Geheimniß zwischen uns bleiben, mein -Fränzchen, und wenn er wieder zurückkehrt, dann geht hoffentlich -die Sonne heller für uns auf. Was kümmert es mich, wer und -was er ist, wonach Papa so sorglich forschte! Er ist Deiner -Mama von einem Jugendfreunde empfohlen, das genügt mir, -und wer so edel und vornehm in seiner Erscheinung, so fein und -<span class="pagenum"><a name="Page_220" id="Page_220">[Pg 220]</a></span>ritterlich in seinem Benehmen ist, der kann kein untergeordnetes -Menschenkind sein. Der Stempel edler Abkunft ist ja seiner -schönen Stirn aufgeprägt! — Doch genug; ich verliere mich in -meine süßen wonnigen Träume, und doch muß ich ihnen hier so -ganz Lebewohl sagen und der rauhen Wirklichkeit um mich her -leben. Laß Dir jetzt hiervon ein Wenig erzählen und bedaure -mich, Du Getreue!</p> - -<p>Franziska, was giebt es doch für Existenzen, und was das -Wunderbarste ist, wie glücklich scheinen mir hier die Leute alle in -diesen mehr als einfachen Existenzen. Mir steht der Verstand -still, und Dein scharfer Humor fände hier nur allzureichen Stoff -für Witz und Spöttereien.</p> - -<p>Also mit dem Anfang zu beginnen, das heißt, mit unserer Ankunft -hier in Dahme. Auf der Eisenbahnstation erwartete uns die -Tante Marie selbst, eine große, brünette Frau mit starken Zügen -und einer derben Art und Weise, sich auszudrücken. Ich kannte -sie jedoch schon, obwohl ich sie damals mit Kinderaugen anblickte, -denen alles Neue schön erscheint. Leider sehen diese Kinderaugen -jetzt auch noch anderes, an der Tante z. B. gleich einen mehr als -einfachen Anzug und einen Hut, den Noah's Eheweib füglich -hätte tragen können, so uralt war er und bot Schutz vor Sonne, -Wind und Regenwetter. Sie schloß mich stürmisch in ihre großen, -starken Arme und schüttelte mir die Hände so energisch, daß meine -feinen, blaßgrauen Josephinenhandschuhe, die ich mir zur Reise -frisch angeschafft, sogleich in einem breiten Riß auseinander -platzten. »Zieh die Dinger herunter, Kind!« rief sie lachend, als -sie sah, was sie angerichtet; aber das ließ ich wohl bleiben, die -scharfe Sonne hätte mir die Haut gleich abscheulich verbrannt. -Eine breitbauchige, schwerfällige Kalesche nahm uns dann auf, -vor welche ein paar lächerlich plumpe Ackergäule gespannt waren, -<span class="pagenum"><a name="Page_221" id="Page_221">[Pg 221]</a></span>die ein roher Knecht vom Kutschbocke aus dirigirte. Meine hohen -Koffer blickte die Tante mit starrem Schrecken an, auf der Kalesche -hatten <em class="gesperrt">die</em> keinen Platz. »Wir müssen einen Leiterwagen herschicken, -anders geht's nicht,« sagte die Tante achselzuckend. »Was -schleppst du denn alles mit dir in der Welt herum?« fragte sie -lachend, »in solchen Koffern hat ja ganz Dahme Platz.« Aber -dann zogen Knecht und Pferde Tante's Aufmerksamkeit auf sich, -und wir waren kaum zum Bahnhofe hinaus, da rief sie gebieterisch: -»Stillhalten, Michel!« Wie der Blitz schwang sie sich -dann auf den Bock, griff dem tölpelhaften Knechte in die Leine und -kutschirte nun selbst.</p> - -<p>»Ich bitte um Verzeihung, lieber Schwager,« sagte sie dabei -äußerst munter, »mein Mann brauchte unsern Kutscher heut -anderweitig, ich mußte den Michel nehmen. Da der aber gewöhnlich -nur Arbeitswagen fährt, will ich ihm den ungewohnten -Posten lieber abnehmen.«</p> - -<p>»Du fährst selbst, Tante?« rief ich erstaunt, sie nickte aber -blos und schnalzte mit der Zunge, und in raschem Trabe führten -die plumpen Gäule uns und die alte Kalesche durch Wiesen und -Felder. Auf einige Worte und Zeichen der Tante sprang nach -einer Weile der Michel vom Wagen herunter und lief zu einem -Trupp Arbeiter, die im Acker beschäftigt waren.</p> - -<p>»Das ist schon Dahme'scher Grund und Boden!« rief die -Tante stolz und deutete mit der Peitsche hinüber. »Sie sind gerade -beim Düngen.«</p> - -<p>Auch ohne ihre Erklärung hätten meine Geruchsnerven mir -das verrathen; es war ein gräulicher Gestank, und erschrocken hielt -ich mir das Tuch vor's Gesicht. Die Tante sah es und lachte. -»Ja ja, Kindchen, nach Rosenöl riecht's gerade nicht; aber ich -sage dir, für einen rechten Landwirth giebt's auf der ganzen Welt -<span class="pagenum"><a name="Page_222" id="Page_222">[Pg 222]</a></span>keinen schöneren Duft, als solchen frischen Dünger. Wirst dich -schon daran gewöhnen, wenn du ein Weilchen bei uns bist. Der -glatte Misthaufen inmitten unseres Hofes ist unserer Augen Trost -und Freude.«</p> - -<p>Ich blickte Papa betroffen an, denn ich war entsetzt über -solche Reden. Papa aber lachte und fing an mit der Tante über -die Ländereien zu sprechen, durch welche wir fuhren, und zwar -mit einem Interesse und einer Sachkenntniß, daß ich ganz erstaunt -zuhörte. Ich hatte nie gewußt, daß mein feiner, eleganter Papa, -der sich in seinem Arbeitszimmer und im Kabinet des Ministers -nur mit Akten und Zahlen beschäftigt, auch davon etwas verstand.</p> - -<p>Nun endlich waren wir in Dahme. Ein spitzer Kirchthurm -schaute lange schon über eine Anzahl Dächer herüber, und umgeben -von einem weiten, bäuerlich aussehenden Garten stand ein -schlichtes, großes Haus vor uns, vor dem der Wagen still hielt.</p> - -<p>»So, da wären wir glücklich!« rief die Tante und sprang -vom Bock herunter, mit der Peitsche ein Paar große Hunde abwehrend, -welche mit wüthendem Gebell zum Hofthore herausstürzten, -das ein Knecht öffnete.</p> - -<p>Hinter dem Knechte erschienen zwei junge Mädchen, welche -ich für Dienerinnen hielt und ihnen schweigend meine Sachen zu -tragen gab, die ich im Wagen hatte. Da stellte Tante Marie sie -mir plötzlich als ihre Töchter Lottchen und Hannchen vor. Denke -Dir meinen Schrecken! Ganz verdutzt über meine so äußerst -simpel aussehenden Cousinen folgte ich denselben nun in den Hof, -der das Haus von drei Seiten umgab, und in dem ich wirklich, -wie Tante Marie gesagt, in der Mitte einen mächtig breiten, -glatten, wohlgepflegten und umzäumten Misthaufen erblickte, auf -dem sich eine Masse Hühner, Enten und Gänse, Futter suchend, -umhertrieben. Rings im Hofe, der von Wirthschaftsgebäuden -<span class="pagenum"><a name="Page_223" id="Page_223">[Pg 223]</a></span>umgeben ist, standen eine Menge Pflüge, Wagen und was weiß -ich alles, und eine Anzahl Arbeiter waren dabei, Pferde an- und -abzuschirren. Tante Marie lief sogleich zu diesen Leuten hinüber -und gab einige Befehle, und wenige Minuten darauf rasselte ein -Leiterwagen zum Thore hinaus, wahrscheinlich um meine unglücklichen -Koffer von der Bahn zu holen.</p> - -<p>Als wir in das Haus eingetreten waren, umarmte Tante -Marie mich noch einmal und begrüßte mich als lieben Gast. Auch -meine Cousinen kamen jetzt ganz zutraulich herbei und nahmen -mir Hut und Mäntelchen ab, mit höchst verwunderten Blicken -meine Frisur und Toilette betrachtend, wie ich wohl merkte. Ich -kam mir in meinem Anzuge, der doch nur eben modern und gewiß -nicht übertrieben elegant ist, hier in dieser grenzenlos einfachen, -ja ich möchte sagen, ärmlichen Umgebung aber auch selbst höchst -eigenthümlich vor, wie eine Prinzessin im Kreise von schlichten -Bürgersleuten. Und doch ist Tante Marie die Schwester meiner -Mutter, also bin ich doch gar nicht vornehmer als meine Cousinen, -wenn mein Papa auch ein hoher Staatsbeamter ist. Uebrigens -sind diese meine Cousinen ganz hübsche Mädchen, nur freilich zu -roth und zu gesund aussehend für unsere Cirkel. Das glatt gescheitelte -Haar, wie es bekanntlich jetzt nur noch die Engel tragen, -bei Charlotte dunkel, bei Hannchen weich und blond, umrahmt -angenehme Züge, und die blauen Kornblumenaugen blicken ohne -Falsch in die Welt hinein. Aber denke Dir, daß meine Cousinen -in dunkeln Kattun gekleidet sind, wie ihn unsere Dienstleute tragen, -ohne einen Schatten von Ueberwurf oder Garnierung, und helle, -bunte Kattunschürzen liegen darüber zum Schutz dieser kostbaren -Gewänder. Und welcher Schnitt von Taille und Aermel! Wahrhaft -lächerlich einfach. Der Onkel, der jetzt rasch und laut in das -Zimmer trat und uns wie ein rechter Biedermann begrüßte, ist -<span class="pagenum"><a name="Page_224" id="Page_224">[Pg 224]</a></span>der Typus eines schlichten Landmannes vom Kopf bis zur Zehe. -Seine blonden, krausen Haarlocken und das feuerrothe Gesicht, -aus dem die hellen, blauen Augen ordentlich spashaft bunt herausleuchten, -werden von ein Paar mächtig breiten Schultern getragen, -und der ganze prachtvolle Mann steht so fest und sicher -mit seinen Füßen in den riesigen Stulpenstiefeln, als gehörte ihm -die ganze Welt. Aber wenn Du denkst, das ist nun die ganze -Familie, da irrst Du Dich sehr. Jene beiden Cousinen sind nur -die Aeltesten einer ganzen Reihe von Kindern. Zuerst präsentirte -sich noch ein halbreifer Backfisch in ausgewachsenen Kleidern, -mit einem schüchternen Gesicht und linkischem Benehmen; dann -ein Bursche von etwa 13 Jahren, der gerade zu den Ferien hier -ist, ein richtiger Schlagtodt, und endlich kommen noch ein Mädel -und zwei kleine Jungen, der Jüngste etwa 3-1/2 Jahr alt. Und -das ist alles roth und dick und kräftig und gesund, bald schwarz -wie die Mutter, bald blond wie Papa, und lacht und schwatzt und -läuft durcheinander, daß einem der Kopf schwirren möchte. Lieber -Gott, wenn ich an meine beiden blassen, stillen Geschwister zu -Hause denke, wie wird mir da! Die hätte Papa herschicken sollen, -daß sie frisch und gesund hier werden, <em class="gesperrt">ich</em> mag ja gar nicht solche -unverschämt rothen Backen haben, wie Hannchen und Lottchen, -das ist ja so schrecklich gewöhnlich. Nun ich denke, ich werde mich -wohl davor hüten können. Aber freilich, diese Kost, welche hier -täglich genossen wird, ist dazu angethan, den Körper robust und -derb zu machen. Was wird hier alles aufgetragen! Von diesen -Riesenschinken, diesen armstarken Würsten, diesen mächtigen -Fleischstücken, welche hier geräuchert, gekocht und gebraten die -Tafel möchten brechen machen, hast Du gar keine Idee. Und -diese Butter, dieser Honig, diese Milch und Sahne und diese -Fülle von Obst — ich meine oft, ich bin im Lande Kanaan, und -<span class="pagenum"><a name="Page_225" id="Page_225">[Pg 225]</a></span>Onkel Bremer lacht immer über sein ganzes, hübsches Gesicht, -wenn er mein Staunen über solche Fülle mit ansieht. Welche -Ueberwindung kostet es da, nicht frisch drauf los zu schmausen, -sondern an seine zierliche Figur zu denken, für welche solche Kost -ewiger Ruin wäre. Denke Dir, wenn ich als derbe, plumpe, -feuerrothe Landdirne mit dicker Taille und braunem Gesicht und -Händen wieder zu Dir käme! Was würde wohl Baron L. dazu -sagen? Und wie würde Lieutenant v. F. verächtlich sein bleiches -Bärtchen drehen und mit einem hm, hm, ei wie Schade! seinen -Augenkneifer eilig wieder herabfallen lassen, durch den er die -ehemalige »Rosenknospe« bewundern wollte.</p> - -<p>Aber ich schreibe alles durcheinander und wollte Dir doch von -dem Leben hier noch etwas erzählen. Den nächsten Tag, als -Papa noch hier blieb, war das Treiben im Hause noch etwas -festlich und aus dem Geleise gebracht, dann aber ging alles wieder -seinen regelmäßigen Gang, gerade wie ein Uhrwerk, und da -bin ich denn mitten hinein gefallen, ohne daß irgend Jemand -sich in seinen täglichen Arbeiten stören läßt oder besondere Notiz -von mir nimmt. Jedermann ist herzlich und freundlich gegen -mich, wie man denn den ganzen Tag kein böses Wort hört, -trotz der vielen Kinder. Aber ich fühle mich doch im höchsten -Grade unbehaglich; denn was soll <em class="gesperrt">ich</em> unter diesen Menschen, -die den ganzen Tag vom frühesten Morgengrauen, (o mein Gott, -<em class="gesperrt">wie</em> entsetzlich früh!!) bis in die Nacht hinein nichts thun als -arbeiten, arbeiten! Am ersten Tage meinte ich, man habe etwas -Besonderes vor, daß alles so unablässig thätig war; aber nun -merke ich wohl, man treibt es nie anders. Mir schwindelt -ordentlich, wenn ich sehe, wie meine Cousinen immerfort nähen, -stricken, kochen, plätten, im Hof und Garten, Küche und Keller -wirthschaften, und die Tante an der Spitze; denn sie arbeitet wie -<span class="pagenum"><a name="Page_226" id="Page_226">[Pg 226]</a></span>ein Mann und hat die Wirthschaft und die Leute in fabelhafter -Zucht und Ordnung. Man hat mir einen Einblick gegeben, wie -alles im Hause eingetheilt ist und wie jeder seine Arbeit zugewiesen -erhält. In dieser Woche hat Hannchen die Küche und -Lottchen die Milchwirthschaft und die Nähereien, und selbst Martha, -der Backfisch, hat sein Revier meist in der Kinderstube. In -nächster Woche wechselt die Eintheilung wieder: Lottchen bekommt -Hannchens Arbeit und umgekehrt Hannchen die Lottchens. Tante -führt die Oberleitung und steht sogar oft dem Onkel bei; denn sie -besitzt Kenntnisse und Verstand wie ein Landwirth. Sogar die -kleinen Kinder helfen schon in ihrer Weise, indem sie ihre Sachen -selbst aufräumen, sich unter einander beim Anziehen beistehen, im -Garten oder der Küche kleine Dienste thun, kurz, wie kleine -Sclaven schon ganz wacker ihre Kette nachschleppen. Du kannst -denken, wie mir bei solchem Leben zu Muthe ist. Kennt man -denn in diesem Hause keine besseren Beschäftigungen? Wo bleibt -da Bildung und Sinn für edlere Dinge? Und von irgend welchem -Vergnügen ist nie und nimmer die Rede. Heißt das Jugendglück, -heißt das Lebensgenuß für ein junges Mädchen? O wie froh bin -ich, daß ich anderes kennen gelernt, daß ich anders erzogen und -aufgewachsen bin, als meine armen Cousinen, die mir schrecklich -Leid thun würden, wenn sie nicht so äußerst zufrieden und froh -in die Welt hinein blickten und nichts anderes wünschen. Aber -wie ich es hier lange aushalten soll, das mag Gott wissen. Bedaure -mich etwas, meine theure Franziska, und schreibe bald</p> - -<p class="right"> -Deiner Frida.«<br /> -</p></blockquote> - -<p>Was Frida in großen Zügen ihrer Freundin mitgetheilt, das -war allerdings Wahrheit. Der Geist, der dieses Haus beherrschte, -war der Geist der Arbeit, und Jedermann schien sich dabei äußerst -wohl zu fühlen. Frida freilich kam sich in dieser Welt unsäglich<span class="pagenum"><a name="Page_227" id="Page_227">[Pg 227]</a></span> -überflüssig vor. Ueberall war sie im Wege und fühlte sich einsam -mitten unter den vielen Bewohnern des Hauses. Bisher war sie -stets die Bewunderte und Tonangebende gewesen; ihre Freundinnen -hatten ihr gehuldigt und geschmeichelt, der Vater alles gut und schön -gefunden, was sie that, und ihr Wille wurde Gebot für das ganze -Haus. Hier war sie ein Glied einer langen Kette, und niemand -dachte daran, daß sie im Herzen andere Ansprüche machte. Der -Vater hatte sie hergebracht, damit sie wie eine Tochter des Hauses -in der Familie leben sollte, und wie eine solche wurde sie in dem -Kreise aufgenommen und gehalten, gerade so und nicht anders, nur -daß man eben keine Arbeiten von ihr verlangte. Aber Umstände -machte man freilich auch nicht mit ihr. Ihr Zimmerchen lag neben -dem von Charlotte und Hannchen. Es war eben so einfach, wie -alles sonst im Hause, und Frida meinte zuerst, hier <em class="gesperrt">könne</em> sie es -nicht aushalten. Das verzärtelte Kind setzte zu Haus den Fuß auf -weiche Teppiche, sowie sie das Bett verließ, und tausend zierliche und -üppige Bequemlichkeiten umgaben sie, welche sie von jeher als etwas -Selbstverständliches betrachtet hatte. Mit flinker Hand stand die -Jungfer schon beim ersten Erwachen des jungen Dämchens bereit, -ihre Dienste anzubieten, und ohne daß sie selbst es wußte war -Frida ein unsäglich verwöhntes und verzärteltes Prinzeßchen geworden. -Was Wunder, wenn ihr die so äußerst einfachen Zustände -in dem Pächterhause als abschreckend und unerträglich vorkamen. -Am ersten Abend hatten die Cousinen bereitwillig ihre Dienste angeboten, -als Frida sich auskleidete; war es ja doch für die einfachen -Mädchen ein wahres Fest, Frida's zierliche und elegante Toilette -so Stück für Stück in der Hand mustern und bewundern zu können. -Achtlos warf Frida all die kostbaren Dinge auf Stühlen und Fußboden -umher, denn sie war nicht daran gewöhnt, selbst etwas aufzuräumen. -Die Cousinen flogen eilfertig hierhin und dorthin zu ihrer<span class="pagenum"><a name="Page_228" id="Page_228">[Pg 228]</a></span> -Bedienung, räumten und ordneten, falteten und glätteten mit geschäftigen -Händen, und Frida nahm ruhig alles hin, als gehöre -sich das so. Endlich löste sie ihr reiches, blondes Haar auf, das die -Jungfer ihr vor dem Schlafengehen stets sorgfältig kämmte und -bürstete. Beim Losstecken desselben fielen einige Locken und Toupé's -zur Erde, welche den hohen modernen Aufbau der Frisur noch höher -und reicher gemacht hatten, wie es bei den jungen Modedamen so -Sitte ist. Laut auflachend hob Hannchen diese Trophäen der Eitelkeit -empor und hielt sie staunend in den Händen.</p> - -<p>»Aber Frida, warum packst du dir denn solch' falsches Zeug auf -deinen Kopf?« rief sie verwundert. »Du hast ja so schönes Haar; -das fremde möchte ich nicht tragen, wer weiß, wer das auf dem -Kopfe gehabt hat!« Frida nahm ihr die Dinge verdrießlich aus -der Hand und sagte: »Das verstehst du nicht; in der Stadt kleidet -man sich eben wie die Mode es fordert. Mein eigenes Haar ist mir -oft sogar im Wege, fremdes frisirt sich viel besser. Aber hier freilich -scheint es mir unnütz, denn wer soll mich hier frisiren?« Aergerlich -griff sie bei diesen Worten zum Kamm und fuhr sich hastig und -ungeschickt durch das lange, dichte Haar, da sie in Abwesenheit ihrer -Jungfer dies Geschäft selbst machen mußte. Da es ihr aber nicht -gelang, warf sie den Kamm verdrießlich wieder hin und wollte das -Haar ungekämmt aufstecken. Sie verfitzte es dabei jedoch so arg, -daß Lottchen endlich zugriff und rief: »O das schöne Haar! Warum -verwirrst du es denn so? Soll ich es dir auskämmen, Cousinchen?«</p> - -<p>Und flink huschte der Kamm bei den Worten schon durch das -weiche Haar, was das junge Mädchen ruhig geschehen ließ.</p> - -<p>»Mein Gott, warum Papa nur nicht wollte, daß ich meine -Jungfer mitnahm!« klagte Frida verstimmt, »wie soll ich denn mit -meiner Toilette allein fertig werden?«</p> - -<p>»O wir helfen dir, liebe Cousine,« riefen die jungen Mädchen.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_229" id="Page_229">[Pg 229]</a></span></p> - -<p>»Aber habt ihr denn keine Jungfer, die euch anzieht?« fragte -Frida erstaunt, und ein schallendes Gelächter antwortete ihr.</p> - -<p>»Eine Jungfer? Wir?« rief Lottchen belustigt. »Ja was sollten -wir denn mit der? Wir machen alles selbst, und ich wüßte gar nicht -wie spaßig ich mich dabei anstellen würde, wenn ich mich sollte in -allen Stücken bedienen lassen. Seit wir erwachsen sind, Hannchen -und ich, haben wir der Mutter alles abgenommen, im Hause und -in der Wirthschaft. Vater hat einen sehr hohen Pachtzins zu zahlen, -da müssen wir alle sparen helfen, und Gott hat uns ja gesunde -Glieder gegeben, die arbeiten können. Unnütze Dienstleute kosten -Geld; so haben wir jetzt auch für die Milchwirthschaft keine Mamsell -mehr, sondern besorgen diese Geschäfte abwechselnd. Diese Woche -bin ich an der Reihe, und wenn ich morgen früh um 3 Uhr aufstehe, -um in den Kuhstall zu gehen, so erschrick nicht über die Störung; -beim Melken muß ich dabei sein.«</p> - -<p>»Was, um drei willst du aufstehen?« rief Frida entsetzt. »Das -ist ja fürchterlich! Bist du denn da nicht den ganzen Tag nervös und -müde?«</p> - -<p>»Nervös niemals, ich weiß gar nicht, was das ist,« sagte Lottchen. -»Müde jedoch bin ich natürlich oft rechtschaffen; aber das schadet -nichts, da schläft sich's um so schöner. Und wenn man seine Arbeit -hat, vergißt man die Müdigkeit. Ich denke, du wirst schon Gefallen -am Landleben bekommen, und ich freue mich darauf, dir unsere -sauberen Ställe zu zeigen mit dem schmucken Vieh; die schönen -Milchkeller mit den vielen Milchschüsseln und Butterfässern und dann -die anderen Wirthschaftsräume alle — o ich sage dir, es ist eine -wahre Lust, darin thätig zu sein. Um keinen Preis möchte ich unser -Leben mit einem in der Stadt vertauschen, obwohl ich gar keine -rechte Vorstellung habe, was ihr in der Stadt eigentlich treibt ohne -Vieh und ohne Landwirthschaft.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_230" id="Page_230">[Pg 230]</a></span></p> - -<p>Frida verzog bei diesen Worten ihr Mündchen etwas höhnisch -und zuckte mit den Schultern. »Jeder lobt sich seine Existenz als -die Beste,« sagte sie herbe. »Für ein Leben, wie ihr es führt, müßte -ich meinerseits nun wieder danken. Ich stürbe in den ersten acht -Tagen dabei.«</p> - -<p>Die Cousinen lachten herzlich und versicherten, es käme nur auf -Gewöhnung an; Frida aber ließ sich innerlich schaudernd über solche -Gewöhnung von Lottchen das gestickte Nachthemd überwerfen, und -die Bewunderung über dies Kleidungsstück, das den jungen Mädchen -etwas ganz Neues war, führte die Gedanken wieder auf andere -Dinge. Das zierliche Nachthäubchen barg die vollen Flechten kaum, -welche Hannchen bewundernd darunter schob, und die feinen, seidenen -Pantöffelchen brachten Lottchen ganz in Ekstase.</p> - -<p>»Du bist wie eine kleine Prinzessin im Märchen,« rief sie entzückt. -»Solche reizenden Sachen habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! -Aber ich möchte sie nicht an mir haben; ich würde mich immer -ängstigen, etwas davon zu zerreißen.«</p> - -<p>»Nun was schadet das?« sagte Frida müde, »ewig kann man das -Zeug doch nicht tragen, dann kauft man anderes.«</p> - -<p>»Wir können das nicht, wir müssen sparsam sein und unsere -Sachen lange tragen, sagt die Mutter,« erwiederte Hannchen. »Viel -Kinder kosten Geld, für unsere Garderobe darf nicht viel ausgegeben -werden. Aber bei unserm Leben hier auf dem Lande denkt auch -niemand an Putz und Staat, das entbehren wir nie.«</p> - -<p>»Aber kommt ihr denn nie in Gesellschaft oder auf Bälle und -in Concerte?« sagte Frida.</p> - -<p>»In Gesellschaft? O ja, zuweilen,« rief Lottchen stolz. »Pastor -Werders und unsere Nachbarn in Hermsbach besuchen wir häufig, -besonders an Festtagen, und das ist dann prachtvoll. Ich freue -mich schon darauf, dich ihnen vorzustellen. Manchmal wird dann<span class="pagenum"><a name="Page_231" id="Page_231">[Pg 231]</a></span> -auch wohl ein Tänzchen gemacht, besonders wenn die Söhne in den -Ferien da sind, jedoch wir Mädchen tanzen auch unter einander. -Am schönsten aber ist's, wenn wir Geschwister unter uns sind, und -Vater seine drei alten Tänze aufspielt, nach denen wir in der großen -Unterstube tanzen. Du sollst nur einmal dies Vergnügen der Kinder -mit ansehen; sogar unsere Mutter dreht sich da mit uns herum, wir -lassen ihr keine Ruhe. Und nun kommt bald Kirmes, da tanzt das -ganze Dorf und die ganze Umgegend unter unsern Linden. Das ist ein -Fest, sage ich dir, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst. Unser -Großknecht ist ein prachtvoller Tänzer; du sollst sehen, mit ihm tanzt -sich's so schön, wie mit deinem trefflichsten Cavalier im Tanzsaal.«</p> - -<p>»Ich soll mit euren Knechten tanzen?« rief Frida erschrocken, -»thut ihr denn das?«</p> - -<p>»Nun natürlich, das ist ja eine Ehre, die wir den Leuten nicht -abschlagen dürfen,« entgegnete Hannchen. »Wir würden es aber -auch selbst gar nicht entbehren mögen; denn auf den Kirmestanz -freuen wir uns schon das ganze Jahr, es ist gar zu lustig.«</p> - -<p>Frida schüttelte ungläubig den Kopf und war im Herzen außerordentlich -indignirt über den Geschmack ihrer Cousinen. Mit den -Knechten aber je zu tanzen, dazu sollte sie sicher nichts bewegen. Es -wäre ja eine Schmach für das feine Fräulein, das sich bisher nur -in aristokratischen Kreisen bewegt hatte. Aber sie behielt ihre Gedanken -für sich und sagte ihren Cousinen gute Nacht, denn sie war -müde von all dem Neuen, was sie umgab.</p> - -<p>Als sie am andern Tage erwachte, hörte sie schon viel reges -Leben im Hause, und doch war es für Frida noch eine so frühe -Stunde, daß sie im Vaterhause sich noch ruhig auf die andere Seite -gelegt hätte, um weiter zu schlafen. Hier jedoch fing der Tag früher -an, wie sie merkte, und seufzend wickelte sie sich aus dem schweren -Federbett heraus, das sie am Abend aufgenommen hatte. Aber mit<span class="pagenum"><a name="Page_232" id="Page_232">[Pg 232]</a></span> -welchem Seufzer dachte sie nun daran, daß sie sich ganz allein anziehen -müsse und keine helfende Jungfer zur Seite habe. Jetzt erst -merkte sie, wie verwöhnt sie war, und wie Recht ihre Stiefmutter -hatte, welche ihr freundlich gerathen, ihren Anzug möglichst selbst -zu besorgen und sich nicht von Anderen abhängig zu machen, was -oft sehr unbequem werden könne. Ach jetzt <em class="gesperrt">war</em> es entsetzlich unbequem, -sie sah es wohl ein; denn fast weinend vor Verdruß gerieth -sie mit Kämmen und Bürsten, Bändern und Haken und allen -andern Gegenständen der Toilette in Krieg und Feindschaft. Endlich -schaute Hannchens frisches Gesicht zur Thür herein.</p> - -<p>»Gut geschlafen, Cousinchen?« rief sie fröhlich.</p> - -<p>»Danke, leidlich,« erwiederte Frida verstimmt.</p> - -<p>»Ich will dir bei der Toilette ein Bischen helfen, wenn du erlaubst,« -fuhr Hannchen freundlich fort und griff gleich nach all den -Gegenständen, welchen Frida Urfehde geschworen hatte. Aber freilich -die Toilette einer eleganten Stadtdame war für Hannchen ein Buch -mit sieben Siegeln. Fragend hob sie bald dies, bald jenes empor, -dessen Zweck ihr fremd war, vor allem aber wußte sie mit den Chignons -und Locken, welche Frida's Haarputz vervollständigen sollten, -absolut nichts anzufangen.</p> - -<p>»Wirf die Dinger in den Kasten, was willst du hier damit!« -rief sie endlich, und Frida wußte auch keinen andern Rath. Dann -schlang Hannchen das schöne Haar ihrer Cousine in zwei lange, glatte -Flechten, wand dieselben einfach um deren Kopf und führte Frida -nun triumphirend vor den Spiegel.</p> - -<p>»Du siehst zum Verlieben hübsch aus mit diesem glatten Köpfchen!« -rief Hannchen bewundernd; Frida aber mochte ihr Spiegelbild -kaum eines Blickes würdigen, denn sie fand sich abscheulich. Was -kam hier jedoch darauf an, wie sie aussah? Für diese altmodische, -einfache Familie war sie gut genug, und selbst im Morgenrock noch<span class="pagenum"><a name="Page_233" id="Page_233">[Pg 233]</a></span> -zu elegant, und von ihren städtischen Bekannten sah sie ja zum Glück -niemand in solchem Aufzuge.</p> - -<p>Mit wahrem Hohn dachte sie jetzt an all die zierlichen, eleganten -Anzüge, welche ihre hohen Koffer bargen, und die sie gar nicht auspacken -mochte. Die waren freilich hier von Ueberfluß, das wußte -sie jetzt und bedachte dies mit stillem Seufzen. Sie wählte unter all -den schönen Dingen ein einfaches Kleid aus, das freilich immer noch -viel zu elegant für dies Haus war, und folgte dann Hannchen zu -den übrigen Gliedern der Familie.</p> - -<p>Ihr Vater saß ganz behaglich mit Onkel Bremer in der Sophaecke -und rauchte sein Pfeifchen, und Frida hörte voll Staunen, daß -er schon seit zwei Stunden in Feld und Wald mit dem Schwager -umhergestrichen war. Lächelnd nickte er seinem Töchterchen zu und -rief: »Sieh da, Frida, wie schmuck und nett du heut aussiehst. -Diese glatten Zöpfe sind hübscher als deine hohe städtische Frisur, -das gefällt mir gut.«</p> - -<p>Frida erröthete und Hannchen blickte triumphirend auf ihr Werk. -Dann gingen die jungen Mädchen zum Frühstück, mit dem man -auf Frida gewartet hatte, und alles begrüßte das neue Glied des -Hauses mit einem fröhlichen »guten Morgen!«</p> - -<p>Es war ein guter Geist, der in diesem Hause lebte, das sah und -empfand Frida gar bald, und trotz allem, was ihr hier unerträglich -erschien, fühlte sie sich durch den Zauber dieses Geistes schon in -kurzer Zeit gefesselt. Wie lebendig und laut es auch oft um sie her -war, nie hörte sie unfreundliche oder lieblose Worte, und selbst die -unbändigen, kleinen Knaben gehorchten schnell und ohne Murren, -wenn die Eltern oder die älteren Geschwister sie zurechtwiesen. Besonders -schön aber war das Verhältniß zwischen den erwachsenen -Töchtern und ihrer Mutter, und mit tiefer Beschämung gedachte -Frida ihres Betragens im Vaterhause, wenn sie sah, mit welcher<span class="pagenum"><a name="Page_234" id="Page_234">[Pg 234]</a></span> -Verehrung und Liebe, welcher dienstfertigen Aufmerksamkeit Charlotte -und Hannchen den Wünschen der Mutter entgegen kamen, und -wie dankbar sie jede kleine Zurechtweisung aufnahmen. »Ja, es ist -ihre rechte Mutter, mit einer Stiefmutter wäre es gewiß auch -anders,« seufzte Frida wohl im Stillen, um sich selbst zu entschuldigen; -daß sie sich aber auch gegen ihren Vater oft unartig und -launisch betrug, obwohl es ihr »rechter Vater« war, das mochte sie -sich kaum eingestehen.</p> - -<p>Schon kurze Zeit nach ihrem Eintritte in das Haus ihrer Verwandten -beklagte sich Frida bitter gegen Tante Marie über das Leid, -das Papa ihr angethan, indem er wieder geheirathet hatte. Aber -voll Verwunderung hörte sie, daß Tante Marie diesen Schritt des -Schwagers vollständig billigte.</p> - -<p>»Aber Tante, meine Mutter war ja doch deine Schwester; wie -kannst du dich freuen, daß ihre Stelle durch eine Andere ersetzt -worden ist?« rief Frida verletzt.</p> - -<p>»Gerade weil ich meine Schwester so innig liebte!« entgegnete -Tante Marie. »Könntest du deine theure Mutter selbst fragen, meine -liebe Frida, so würdest du hören, wie glücklich es sie machte, ihren -Mann wieder ruhig und zufrieden, ihre armen, kleinen Kinder in -treuer Obhut, und ihre heranwachsende Tochter an der Seite einer -erfahrenen, liebevollen Freundin zu wissen. Ich bin keine sentimentale -Natur, mein liebes Kind, welche sich nur unpraktischen -Wünschen und Gefühlen hingiebt, und obwohl ich recht wohl weiß, -daß einem Manne nichts in der Welt die erste Jugendliebe ersetzen -kann, und die Wunde, welche der Tod ihm da schlägt, ewig bluten -wird, so bin ich doch der Ansicht, es ist sowohl für ihn selbst wie -für seine jungen Kinder ein Glück, wenn er ein treues, weibliches -Wesen findet, das ihm in Herz und Haus wieder Glück und Frieden -bringt. Und wie ich deine zweite Mutter kenne, so ist sie ganz dazu<span class="pagenum"><a name="Page_235" id="Page_235">[Pg 235]</a></span> -geschaffen, das schöne Amt, das Gott ihr anvertraut, treu zu erfüllen. -Und auch du, meine liebe Frida, wirst dich mit dem Gedanken -aussöhnen, das weiß ich sicher, so traurig du auch jetzt den -Kopf dazu schüttelst. Wäre Gertrud jung und unerfahren, so würde -ich um deinetwillen die Wahl deines Vaters mißbilligt haben; denn -einer fast erwachsenen Tochter muß der Vater keine junge Stiefmutter -bringen, das thut nimmer gut aus tausend Gründen. Aber -Gertrud könnte den Jahren nach ja deine eigne Mutter sein, und -sie hat so viel Trübes im Leben erfahren, daß sie gereiften und -ernsten Sinnes zu euch kommt. Vertraue ihr nur getrost, mein -liebes Kind; du kannst keine bessere Freundin erhalten, als dein -Vater dir in dieser zweiten Mutter gegeben hat.«</p> - -<p>Frida wagte auf diese Worte nichts zu entgegnen, denn sie fühlte -wohl, daß es unlautre Gründe waren, welche sie gegen ihre Stiefmutter -einnahmen, und daß besonders die Beschränkung ihrer Launen -und ihres übermäßig freien Willens sie so dauernd empörte. Sie -hatte gehofft, an der Schwester ihrer Mutter eine Bundesgenossin -zu finden, welche völlig so eingenommen gegen Gertrud war, als sie -selbst. Da sie nun aber sah, wie anders Tante Marie den Schritt -des Vaters beurtheilte, nahm sie sich vor, solch Gespräch nie wieder -in Anregung zu bringen, sondern ihren Verdruß im Herzen zu verschließen; -verstanden wurde sie ja doch nicht. Auch gegen ihre Cousinen -mochte sie über diesen Gegenstand nicht sprechen, sie kannten -ja die Verhältnisse nicht. Wie anders freilich war das zu Haus, wo -sie gegen ihre Freundinnen ihr Herz ausschütten konnte und bei -diesen zehnfaches Echo fand! Wie wurde sie von diesen bedauert -wegen des Unrechtes, das ihr geschehen, und wie bestärkten sie diese -klugen, jungen Mädchen in der Opposition, welche sie der unwillkommnen -Stiefmutter entgegen zu bringen entschlossen war. Im -Kreise dieser jungen Backfischchen hatte Frida stets neue Nahrung<span class="pagenum"><a name="Page_236" id="Page_236">[Pg 236]</a></span> -für ihre Gefühle gesucht und gefunden, und wenn Gertruds sanfte, -liebevolle Weise oft schon auf Frida's Herz ihren günstigen Einfluß -geübt, dann waren es die leidenschaftlichen Rathschläge und Ansichten -dieser Freundinnen, und besonders Franziska's, welche alles wieder -verdarben. Gertrud ahnte das wohl, denn sie kannte einige dieser -jungen Mädchen; aber dennoch wagte sie nicht, Frida den Umgang -mit denselben zu verbieten, die Sache wäre dadurch nur schlimmer -geworden.</p> - -<p>Hier nun im Hause der Tante machte das friedliche Leben bald -seine Rechte auf das junge Mädchen geltend, und da jene leidenschaftlichen -Empfindungen nirgends Anklang und Nahrung fanden, -wurden sie stiller und stiller, und endlich dachte Frida gar nicht mehr -mit jener Abneigung an Gertrud, welche sie bis dahin erfüllt hatte. -Die Briefe aus der Heimath waren Boten der Freude; das Vaterhaus -strahlte aus der Ferne bald wieder in freundlichem Glanze zu ihr -herüber, und der Gedanke, bei ihrer Rückkehr wieder in jenes verhaßte -Verhältniß zur Stiefmutter einzutreten, nahm mehr und mehr -eine andere Färbung an, je länger Frida vom Hause fort war.</p> - -<p>Als am ersten Tage gleich früh Morgens alles an die Arbeit -eilte, wie es in diesem Hause Sitte war, sagte Tante Marie in ihrer -schlichten Weise zu Frida: »Nun, mein liebes Töchterchen, da du -ganz als Familienglied und Kind des Hauses bei uns sein sollst, -versteht es sich auch, daß wir keine Umstände mit dir machen. Jeder -geht an seine Geschäfte wie alle Tage. Charlotte hat heut die Küche -unter ihrer Leitung, Hannchen ist seit dem frühen Morgen schon in -der Milchwirthschaft beschäftigt, Martha besorgt soeben die Hühner -und dann nimmt sie sich der Kleinen an, während ich mit Hermann -im Keller Bier auf Flaschen füllen will. Magst du einem von uns -Gesellschaft leisten, so soll es uns lieb sein; willst du aber lieber -lesen oder musiciren, oder dich im Garten ergehen, so findest du hier<span class="pagenum"><a name="Page_237" id="Page_237">[Pg 237]</a></span> -Bücher und Noten und manch hübsches Plätzchen draußen im Freien. -Ich will dir die Kinder zur Gesellschaft schicken, wenn Martha ihnen -Urlaub giebt; denn bei ihr haben sie Schule. Das Mädel ist ein -geborner Schulmeister, sage ich dir.«</p> - -<p>Frida zog es vor, im Zimmer bei Büchern und Clavier zu -bleiben, und so verließ sie die Tante, um den tausend Geschäften -nachzugehen, welche ihrer harrten. Das junge Mädchen sah sich -nun allein mitten unter all den vielen thätigen Menschen, welche sie -umgaben und kam sich unendlich überflüssig in diesem Hause vor. -Sie ergriff ein Buch und las ein Wenig; aber ihre Gedanken flogen -davon fort, bald zurück in die Heimath, bald den Stimmen nach, -welche sie hier und dort hörte. Dann versuchte sie die Noten, welche -auf dem Clavier lagen; aber sie fand dieselben altmodisch und langweilig -und das Instrument gar zu klanglos. Es war ja ein Jammer, -daß sie ihre Uebungen auf solchem »Rumpelkasten« halten sollte; zu -Hause hatte sie einen so prachtvollen Flügel von Papa erhalten. -Sie stand ärgerlich auf und suchte andere Unterhaltung; aber alles -mißfiel ihr. Ein Gefühl von Verdruß überkam sie mehr und mehr, -daß niemand sich um sie bekümmerte, gerade als wäre sie gar nicht -in der Welt! Und sie war doch Gast hier im Hause und an Vernachlässigungen -überdies in keiner Weise gewöhnt. Was in aller -Welt sollte sie hier anfangen, wo jeder nur an sich selbst dachte, jeder -seiner Arbeit nachging, ohne danach zu fragen, ob sie sich indessen -zu Tode langweilte? Das war ja wirklich nicht zu ertragen!</p> - -<p>Frida's Verstimmung wuchs von Minute zu Minute, bis endlich -die Langeweile sie bewog, da man sich nicht um sie bekümmerte, selbst -den ersten Schritt zu thun und zu ihren Cousinen zu gehen. Sehr -verlockend freilich war es nicht, sie bei ihren Arbeiten aufzusuchen; -aber was thut man nicht, um sich die Zeit zu vertreiben! Sie -ging in die Kinderstube, wo Martha beschäftigt war, ihren beiden<span class="pagenum"><a name="Page_238" id="Page_238">[Pg 238]</a></span> -kleinen Geschwistern Lesestunde zu geben, während das dreijährige -Brüderchen daneben spielte und sich aus Bausteinen einen Palast -erbaute.</p> - -<p>Bei Frida's Eintritt blickten die Kinder von ihren Beschäftigungen -auf, und die kleine Marie sprang dem jungen Mädchen fröhlich entgegen.</p> - -<p>»Wo steckt ihr denn nur alle?« sagte Frida gereizt, »und wo -ist Hannchen und Charlotte geblieben?«</p> - -<p>»Ich dachte, du wärest bei ihnen, liebe Cousine,« entgegnete -Martha etwas schüchtern. »Ich muß die Kinder einige Stunden beschäftigen; -Hannchen ist im Milchkeller und Lottchen in der Küche. -Sie denken wohl, da ist keine Unterhaltung für dich. Willst du bei -uns bleiben?«</p> - -<p>»Ich werde Hannchen aufsuchen,« sagte Frida kurz; denn sie -fand es schon bei ihren kleinen Geschwistern zu Hause unter ihrer -Würde, sich mit diesen abzugeben, wie viel mehr noch diesen kleinen -Bauernkindern gegenüber; denn etwas anderes als Bauernkinder -waren die dicken, kleinen Posaunenengel doch wirklich nicht.</p> - -<p>»Mariechen, lauf und zeige Frida den Milchkeller!« rief Martha -der kleinen Schwester zu, und diese ergriff zutraulich die Hand der -Cousine und zog sie mit sich fort. Sie hatten den großen Hof zu -durchschreiten, den allerlei Federvieh und anderes Gethier belebte. -Es hatte in der Nacht geregnet, und in Folge davon war der Hof -etwas unsauber, besonders in der Nähe einiger Ställe, an denen -sie vorüber schritten.</p> - -<p>»O Gott, meine Stiefeln! Ist das ein Koth hier bei euch!« rief -Frida und blickte voll Entsetzen auf ihre hellfarbigen, zierlichen -Stiefelchen, welche in diesem unvermeidlichen Unrath schon nach -wenig Minuten feucht und unsauber geworden waren. »Warte, ich -hole dir Holzpantoffeln!« rief Marie und kam sogleich mit einem<span class="pagenum"><a name="Page_239" id="Page_239">[Pg 239]</a></span> -solchen Paar zurück, während ein zweites lustig an ihren eigenen, -kleinen Füßen klapperte. Frida versuchte darin zu gehen, unmöglich! -Sie ging wie auf Stelzen und fiel nun erst recht in die Pfützen. -Aergerlich erreichte sie endlich ihr Ziel und kroch die Stufen hinab, -welche in den Milchkeller führten. Hannchen kam ihr hier fröhlich -entgegen, das Kleid aufgeschürzt und in der Hand einen breiten -Löffel, mit dem sie soeben die Sahne von den zahllosen Milchschüsseln -abrahmte, welche ringsum im Keller standen. Frida trippelte zaghaft -näher, denn ihr war sehr unbehaglich zu Muthe. Für ihre dünnen, -nassen Stiefelchen war dieser feuchte, von Milch hier und dort getränkte -Fußboden noch schlimmer, als draußen der schmutzige Hof; -auch umgab sie hier eine so kalte Kellerluft, es roch so unangenehm -nach Milch und Molken, sie wäre am liebsten gleich wieder fortgelaufen. -Hannchen ging ruhig weiter von Schüssel zu Schüssel, ohne -sich in der Arbeit stören zu lassen, und das verdroß Frida auch. -Was sollte sie hier, sie war ja nur im Wege und erkältete sich am -Ende noch bis auf den Tod. Aber jetzt lächelte Hannchen ihr so -freundlich zu und schien so erfreut, sie hier zu sehen, da durfte sie -doch nicht gleich wieder davon laufen. So hob sie denn ihr helles, -reichgarnirtes Kleid sorgfältig auf und trippelte hinter Hannchen -drein von einer Milchsatte zur andern.</p> - -<p>»Was machst du nur eigentlich, Hannchen?« rief sie nach einer -Weile, als sie sah, wie jene überall sorgfältig mit dem breiten Löffel -die dicke Sahne von der geronnenen Milch abschöpfte. »Du verdirbst -ja die ganze saure Milch! Wer soll die denn genießen, wenn du -die Sahne herunternimmst?«</p> - -<p>Hannchen lachte herzlich und sagte: »Die Schweine, Cousinchen! -Etwas bleibt zur Bereitung von Käse, das Uebrige wird Viehfutter. -Auf den Tisch kommt solche abgerahmte Milch nicht, habe keine -Furcht!«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_240" id="Page_240">[Pg 240]</a></span></p> - -<p>»Aber wer soll denn all die Sahne essen, die du da sammelst?« -fragte Frida weiter.</p> - -<p>»Essen? Gott bewahre, das wäre schön!« rief Hannchen. -»Daraus soll ja die Butter für's ganze Haus gemacht werden.«</p> - -<p>»Die Butter? <em class="gesperrt">Daraus</em> macht ihr Butter?« fragte Frida verwundert.</p> - -<p>»Nun ja, woraus denn sonst?« lachte Hannchen. »Komm und -sieh dir das Buttern einmal mit an; du hast es wohl noch nie gesehen?«</p> - -<p>Frida folgte der Cousine in den Nebenraum, und hier sah sie -mehrere hohe Butterfässer, welche von einigen derben Mägden in -Bewegung gesetzt wurden. Das war für die kleine Stadtdame ein -völlig neuer Anblick, und erstaunt sah sie dann, daß das Fett der -Sahne sich bei der Bewegung im Faß von den Milch- und Wassertheilen -trennte und sich zu kleinen Butterklümpchen verwandelte. -Hannchen bot ihr ein Glas frischer Buttermilch an, welche aus dem -Fasse gegossen wurde, und Frida genoß mit Vergnügen den unbekannten -Trank, der ihr sehr mundete.</p> - -<p>»Heute Abend kostest du gewiß mit doppeltem Appetit von der -Butter, die du hier entstehen sahst,« sagte Hannchen, auf die leckere, -weiße Masse zeigend, welche nach und nach aus den Fässern wanderte. -»Ueberhaupt denke ich, wenn du erst allerlei hier kennen gelernt hast, -wirst du Geschmack an unserm Leben finden. Aber nun soll -Mariechen dich ein Bischen umherführen, ich muß zu den Leuten!«</p> - -<p>Frida folgte der kleinen Marie etwas zaghaft nach dem Hofe, -der ihr als ein äußerst unangenehmer Aufenthalt erschien. Aber die -kleine Cousine ruhte nicht, bis sie dem jungen Mädchen all ihre -Lieblinge gezeigt hatte, und kroch aus einem Stalle in den andern, -bald hier eine Ziege an den Hörnern hervorziehend, bald dort weiße -Kaninchen oder ein junges Lämmchen, oder besonders hübsche Hühner<span class="pagenum"><a name="Page_241" id="Page_241">[Pg 241]</a></span> -und Tauben. Frida kam sich vor wie ein Opferlamm und ließ sich -geduldig von einem Stall zum andern, von einer Hütte oder einem -Verschlag zum andern führen. Ihre schönen Stiefelchen waren ja -doch einmal für ewig verdorben, und in welchen Zustand ihr feines -Kleid auf dieser Wanderung gerieth, das sollte sie nicht länger -beunruhigen; sie hatte doch wenigstens etwas Unterhaltung bei -diesen Streifzügen.</p> - -<p>»Aber das Kälbchen von unserer guten Bleß mußt du noch -sehen, Frida, es ist zu niedlich!« rief Mariechen, abermals eine -Stallthür öffnend und das junge Mädchen hereinziehend.</p> - -<p>»Aber hier riecht es ja so schrecklich und ist zu fürchterlich -schmutzig,« sagte Frida und blieb zögernd in der Thür des Kuhstalles -stehen, ängstliche Blicke auf die Kühe heftend, welche brummend -die dicken Köpfe nach ihr umdrehten. Sie mochte es nicht gestehen, -daß sie sich vor den Thieren fürchtete, in deren nächster Nähe -sie noch niemals gewesen war. »Sie werden dich stoßen, Mariechen, -nimm dich in Acht!« rief Frida ängstlich, als sie sah, wie das kleine -Mädchen furchtlos zwischen den schrecklichen Thieren umherkroch und -sie mit ihren kleinen Händen zur Seite schob, um sich Platz zu -dem Kälbchen zu machen, das neben einer hellbraunen Kuh in der -Ecke am Boden lag.</p> - -<p>»Mich stoßen?« lachte die Kleine. »Das wäre schön, alte Bleß, -nicht wahr? Wir kennen uns besser. Alle Kühe in den Ställen -kennen mich, Frida, sie sind nicht böse. Komm doch einmal her und -sieh dir das Kälbchen an; es hat einen weißen Stern auf der Stirn, -gerade wie seine Mutter, die Bleß.«</p> - -<p>Aber Frida blieb ängstlich in der Thür stehen; sie hätte sich um -die Welt nicht zwischen diesen Ungeheuern durchgedrängt, die sie alle -mit ihren Hörnern zu bedrohen schienen.</p> - -<p>»Nein nein, es riecht so sehr schlecht im Stalle,« sagte sie<span class="pagenum"><a name="Page_242" id="Page_242">[Pg 242]</a></span> -und wollte eben zurücktreten, da wurde sie von außenher hineingedrängt.</p> - -<p>»O der Duft vom Kuhstall ist sehr gesund, Cousinchen, nur -immer hinein und zier dich nicht!« rief eine etwas rauhe Stimme, -und Frida sah Hermann neben sich, welcher, ein Paar hohe Stulpenstiefeln -an den Füßen, sich an ihr vorbei drängte. Dann ging er -pfeifend die Reihe entlang und klopfte bald dies, bald jenes der -Thiere auf den glatten Schenkel, sie liebkosend und beim Namen -nennend, und ein leises Brummen war die Antwort der gehörnten -Freunde. Zögernd folgte Frida, indem sie sich ängstlich von den -Thieren fern hielt, und sie seufzte froh auf, als sie die andere Seite -erreicht hatte und durch die Thür hinausschlüpfen konnte.</p> - -<p>»Hast du unsere Ferkel schon gesehen, Cousinchen?« sagte Hermann -jetzt.</p> - -<p>»Schweine?« rief Frida entsetzt. »Pfui, in den Schweinestall -soll ich doch nicht etwa auch kriechen?«</p> - -<p>»Hoho,« lachte Hermann, »da ist nicht pfui zu sagen! Unsere -Schweine wohnen höchst appetitlich; komm nur mit, es ist da eine -ganz prächtige Gesellschaft beisammen.«</p> - -<p>Frida verzog den Mund spöttisch, folgte aber doch dem etwas -ungalanten Vetter, der sie zu seinen Schützlingen führte. Aber sich -abwendend hielt sie sich hier schnell das Tuch vor's Gesicht und wollte -davon laufen. Hermann ergriff jedoch rasch ihre Hand und zog sie -vorwärts. »Narrenspossen, ich lasse dich nicht fort, die Ferkelchen -mußt du sehen, sie sind zu prachtvoll!« rief er eifrig. Dabei öffnete -er einen der Bretterverschläge, und sogleich kamen eine ganze Menge -kleiner, weißer Schweinchen herausgesprungen, welche quiekend um -Frida herumliefen. Diese schrie laut auf vor Schrecken und Angst -und klammerte sich mit den Händen an Hermanns Arm, besonders -als das alte Mutterschwein jetzt grunzend mit seiner Schnauze ihre<span class="pagenum"><a name="Page_243" id="Page_243">[Pg 243]</a></span> -Füße berührte und sich nach ihren muntern Sprößlingen umschaute. -Hermann lachte aus vollem Halse über Frida's Angst, und der alten -Sau einen Tritt gebend, daß sie zur Seite fuhr, rief er lustig: »Bist -du aber ein Hasenfuß, Cousinchen! Die Thiere thun dir alle nichts, -das sind keine Löwen und Tiger. Sieh dir nur einmal die schmucken -Ferkelchen an, hast du so was Niedliches dein Lebtag schon gesehen? -Sind sie nicht weiß und lecker wie kleine Leberwürstchen? Und sieh -nur, was sie für possirliche Sprünge machen und für allerliebste -Schwänzchen haben! So ein Ferkelschwänzchen könntest du als Cravatte -um den Hals tragen; so niedlich und zierlich kannst du keinen -Knoten schlingen, sieh nur einmal!« Und rasch fing er eins der -glatten, flinken Thiere und legte es Frida auf die Arme, das zierlich -zu einer Schleife gewundene Schwänzchen hoch emporhebend.</p> - -<p>Frida warf das völlig haarlose, fette, kleine Wesen voll Grauen -zur Erde und rief beleidigt: »Behalte dein Viehzeug für dich, ich -danke bestens! Pfui, wie ich nun rieche und aussehe!«</p> - -<p>Hermann schlug mit seiner Reitpeitsche, die er in der Hand hielt, -lachend unter die kleinen, quiekenden Thiere, daß sie über einander -sprangen und sich kugelnd umher wälzten wie Gummibälle. »Bist -du aber zimperlich!« rief er spottend. »Ihr Stadtleute seid komisches -Volk. Einen Schweinsbraten, oder einen leckeren Schinken und -frische Wurst verachtet ihr doch wahrlich nicht, obwohl es von diesen -armen Thieren herstammt. Aber die Narrenspossen wirst du schon -verlernen, hoffe ich, Fridelchen, ich werde dafür sorgen; dann nimmst -du so ein Ferkel mit Entzücken in deine Arme und herzt es wie ein -Schooßhündchen, das sollst du sehen.«</p> - -<p>Frida hatte jetzt aber genug. Sie war dem ungalanten Vetter -böse und wandte ihm rasch davongehend, den Rücken. Dieser pfiff -lustig hinter ihr drein in echter Jungensweise; dann sang er in -äußerst unmelodischen Tönen und mit der Reitpeitsche in der Luft<span class="pagenum"><a name="Page_244" id="Page_244">[Pg 244]</a></span> -umherfuchtelnd: »Hans mit den Pluderhosen sprang über'n Kachelofen -— wutsch! war er weg.« Darauf verschwand er wieder in den -Ställen, die zimperliche Cousine sich selbst überlassend.</p> - -<p>Frida wollte eben ihr Zimmer aufsuchen, um sich von allem -Schmutz dieser ersten ländlichen Inspectionsreise zu befreien, da kam -Charlotte vom Hause her und sagte: »Ich will meine Glucken besuchen, -Frida, kommst du mit mir? Vier habe ich gesetzt, wir wollen -einmal sehen, was sie machen.«</p> - -<p>Frida verstand von dieser Rede eben nur, daß die Reise nach -dem Hühnerstalle gehen sollte, und da Federvieh ihr noch das Liebste -von all dem Gethier auf dem Hofe war und ihr auch am wenigsten -Furcht erregte, so begleitete sie Charlotten, denn schmutziger konnte -sie ja doch jetzt nicht mehr werden, als sie nach diesen vorhergehenden -Besuchen schon war.</p> - -<p>»Hier sind nur einige von unsern Glucken,« sagte Charlotte, -einen engen, dunklen Stall betretend, in dem einige Hennen still in -Körben saßen, die mit Stroh ausgefüllt waren. »Der eigentliche -Brütstall steht unter Mutters Leitung, du mußt dich einmal von ihr -mit dahin nehmen lassen. Das hier ist mein Privatbesitz; die -Hennen schenkte mir der Herr Pastor an meinem Geburtstage, und -er soll nun auch die ersten Küken davon haben.«</p> - -<p>Vorsichtig hob Charlotte nun eine Henne nach der andern empor -und untersuchte die unter ihr liegenden Eier. »Die gelbe Kronenhenne -sitzt am längsten, unter ihr scheint es mir lebendig zu werden,« -sagte sie mit leuchtenden Augen und kniete neben derselben nieder -»Sieh da, zwei Kleine sind glücklich an's Tageslicht gekommen!« rief -sie freudig und zog Frida zu dem Korbe herab, von dem sie die laut -gackernde Glucke an den Flügeln empor gehoben hatte. Zwei kleine -Küken krabbelten da vergnüglich im Stroh herum, und das Eine -hatte noch ein Stück Eierschale auf dem Kopfe.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_245" id="Page_245">[Pg 245]</a></span></p> - -<p>»Faß einmal das Ei da an, Frida, aber vorsichtig,« sagte Charlotte, -auf eines der im Neste liegenden Eier zeigend. Frida blickte -hin und nahm das Ei zögernd in die Hand, legte es aber sogleich -wieder hin, einen leisen Ruf der Ueberraschung ausstoßend. Aus -der Schale des Eies sah nämlich ein kleiner, spitzer Schnabel hervor, -dem gleich darauf ein dunkles Köpfchen folgte, das sich durch die -Eierschale hindurch arbeitete.</p> - -<p>Die Federchen lagen feucht und zusammengeklebt auf dem runden -Köpfchen, die Aeugelchen blickten aber ganz vergnügt daraus hervor. -Nach einer Weile hatte sich das ganze Körperchen aus der Schale -herausgearbeitet und zappelte mit den Resten seines kleinen Gefängnisses -in Gesellschaft der andern Kükel im Stroh umher. An einem -daneben liegenden andern Ei war auch schon ein großer Sprung; -man hörte leise picken und sah, wie von innen ein spitzes Schnäbelchen -an der Umhüllung bohrte, um sie zu durchbrechen. Frida war außer -sich vor Entzücken und wollte gar nicht fort von dem Korbe, denn -so etwas Reizendes war ihr noch nie vorgekommen. Charlotte aber -nahm die Küken heraus und setzte dann die Glucke vorsichtig wieder -auf den Korb. »Länger darf ich das Nest nicht unzugedeckt lassen, die -Eier werden sonst kalt,« sagte sie. »Die Kükel aber thun wir hier in -den Federtopf, daß die Alte sie nicht zertritt, bis alle heraus sind.«</p> - -<p>Frida war glücklich wie ein Kind, als Charlotte ihr die kleinen -Hühnchen in die Hand gab, damit sie dieselben in den Federtopf tragen -sollte. Als Charlotte ihr aber sogar versprach, die Kükel der nächsten -Glucke wollte sie ihr schenken, diese ersten müsse der Herr Pastor haben, -da sprang sie jubelnd in dem engen Stalle umher und umarmte und -küßte Charlotte vor Wonne. Kein kostbarer Schmuck und kein neues -Kleid hätte dem jungen Mädchen eben jetzt solche Freude machen -können, als der Besitz solch kleiner, spashafter Küken, wie diese, die -leise piepsend in dem Federtopfe über einander kugelten.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_246" id="Page_246">[Pg 246]</a></span></p> - -<p>»Wann kommen denn wieder welche aus, Lottchen?« rief sie ungeduldig -und lief von einem Brütkorbe zum andern.</p> - -<p>»In den nächsten Tagen, hoffe ich,« sagte Charlotte, »sie sitzen -fast alle schon drei Wochen.«</p> - -<p>»Was, so lange muß solch arme Henne sitzen?« rief Frida, die -Hände zusammenschlagend. »Das ist ja ganz schrecklich! Muß <em class="gesperrt">die</em> -sich langweilen!«</p> - -<p>Charlotte lachte herzlich. »Ja, und denke nur, das arme Thier -frißt und säuft nicht einmal zu ihrer Unterhaltung, während sie brütet. -Früh Morgens kommt sie vom Nest herunter und frißt sich satt, und -dann fastet sie den ganzen übrigen Tag. Es ist keine Kleinigkeit für -eine gute Glucke, ihre Eierchen sich auszubrüten.«</p> - -<p>Frida blickte ordentlich mit Respect nach den treuen, pflichteifrigen -Hennen — der Hühnerstall hatte ihr Herz gewonnen. Das -war der erste Schritt zu ihrer Aussöhnung mit dem ihr so schrecklich -erscheinenden Landleben, und täglich folgte sie Charlotten oder Tante -Marie zu dem Federvieh, dessen Leben und Treiben ihr bald ganz -bekannt war, und das sie mit regstem Interesse verfolgte. Die jungen, -frisch aus dem Ei gekommenen Kükel aus dem Federtopf zu nehmen, -sie dann auf den Tisch zu setzen und mit klein gehacktem Ei oder Hirse -zu füttern, war ihre liebste Unterhaltung. Wenn dann die täppischen, -kleinen Wesen ungeschickt über einander kugelten und vorn überfallend -das Gleichgewicht verloren, sobald sie die Körnchen aufpicken wollten, -dann jubelte Frida laut auf vor Vergnügen und konnte sich keine -hübschere Unterhaltung denken. Und um Hühner- oder Enteneier -zu suchen und einzusammeln, scheute sie bald keinen Stallgeruch und -keine unsauberen Winkel mehr; ja selbst enge Treppen und Leitern -kletterte sie eifrig hinauf, wenn sie irgend ein Huhn dort gackern -hörte und es in Verdacht hatte, seine Eier verschleppt zu haben.</p> - -<p>»Unser Fridchen wird noch eine ganz leidenschaftliche Landwirthin<span class="pagenum"><a name="Page_247" id="Page_247">[Pg 247]</a></span> -werden, gebt Acht!« rief Onkel Bremer oft vergnügt, wenn er die -hübsche Nichte in ihrem Eifer beobachtete, und Tante Marie behauptete -ganz ernsthaft, noch nie solch reichen Eiersegen gehabt zu -haben, als seitdem Frida die Hühner unter ihren Schutz genommen; -sie besitze gewiß ein Geheimmittel, womit sie die Hühner bezaubere.</p> - -<p>Onkel und Tante waren überhaupt von einer Güte und Herzlichkeit -gegen das verwöhnte Nichtchen, daß diese es nicht besser hätte -wünschen können. Alle die kleinen Thorheiten des jungen Mädchens, -das sich für etwas Besseres hielt und Hochmuth und Eitelkeit in Fülle -kund gab, wurden von Allen im Hause ohne Empfindlichkeit und -Verdruß hingenommen. An den einfachen, frischen Naturen Charlottens -und Hannchens glitten Frida's Unliebenswürdigkeiten völlig -ab, und bereitwillig spendeten sie der Cousine den Weihrauch, den -diese beanspruchte, und bewunderten deren Talente und Kenntnisse, -welche die ihren weit übertrafen. Aber wäre Frida weniger von -sich eingenommen gewesen, sie hätte schon in den ersten Tagen ihres -Landaufenthalts erkannt, was sie später recht wohl einsah: daß sie -selbst trotz ihrer glänzenden Eigenschaften an wahrhaft innerer -Bildung diesen ihren beiden Cousinen gar sehr nachstand. Je länger -sie unter diesen Verwandten lebte, desto mehr dämmerte in ihrem -Herzen diese Einsicht empor. Bald empfand sie, wie lächerlich und -thöricht es sei, daß sie sich besser dünkte als Alle, und bald fing sie -an, bescheidner aufzutreten und sich dem schlichten Wesen ihrer Umgebung -mehr anzupassen, der alles fremd war, was Ueberhebung und -Eitelkeit hieß. Wußten und verstanden doch ihre einfachen Cousinen -tausend Dinge, von denen die kleine Stadtdame keine Idee hatte! -Und wie fleißig waren sie und wie pflichttreu, was schafften diese -Mädchen alles den Tag über, und wie nützlich waren sie dem Hauswesen, -während sie selbst die Hände in den Schooß legte, oder -ein Bischen las, schrieb oder musicirte, Dinge, mit denen sie nur<span class="pagenum"><a name="Page_248" id="Page_248">[Pg 248]</a></span> -sich selbst Nutzen brachte. In diesem Hause vergrub niemand das -ihm anvertraute Pfund, sondern ein Jeder verwandte die ihm von -Gott gegebenen Kräfte zum Wohle des Ganzen, still, anspruchslos -und bescheiden, als etwas, das sich ganz von selbst verstand. Was -war und wirkte sie dagegen, die sich so vortrefflich und so hoch über diesen -Mädchen stehend erschien? Was hatte sie ihrem vereinsamten Vater, -was ihren kleinen Geschwistern genützt, was dem Hause und allem, -das ihr anvertraut gewesen? Hatte sie nicht immer nur an sich selbst -und an ihr Behagen gedacht? Waren die Pflichten, die freilich allzufrüh -auf ihre Schultern gelegt wurden, ihr nicht unerträglich gewesen, -und hatte sie sich denselben nicht stets entzogen, so viel sie -nur immer konnte? Ach sie mochte gar nicht daran denken, in welchem -Zustande alles gewesen war, als ihr Vater die Stiefmutter in das -Haus führte, — was mußte diese von ihr gedacht haben? Und doch, -welche Güte, welche Nachsicht hatte Gertrud ihr entgegengebracht; -wie hatte sie stets alles zum Besten gekehrt, was Frida Thörichtes -gethan, und wie hatte sie ihr diese Liebe gelohnt? — Immer und -immer kamen Frida solche Gedanken, wenn sie die thätigen, liebreichen -und demüthigen Menschen beobachtete, von denen sie hier -umgeben war. O es sollte anders werden! Auch sie wollte brav -und tüchtig und ein brauchbares Glied ihres Hauses sein, wenn sie -erst wieder bei den Eltern war, und Gertrud sollte sehen, daß sie -auch gut und liebenswürdig sein könnte und dankbar für die ihr -erwiesene Liebe.</p> - -<p>So übte schon in kurzer Zeit der Segen eines harmonisch -schönen, thätigen Familienlebens seinen wohlthätigen Einfluß auf -das junge Mädchen aus, und mit Freuden bemerkten ihre Eltern -diesen Wechsel, welcher mehr und mehr in den Briefen erkennbar -wurde, die Frida in die Heimath sandte. »Laßt mich ja noch eine -Weile hier, ich muß noch so viel lernen und es gefällt mir so gut!«<span class="pagenum"><a name="Page_249" id="Page_249">[Pg 249]</a></span> -so schrieb sie schon nach einigen Wochen nach Hause, und nur zu -gern kamen die Eltern diesem Wunsche entgegen.</p> - -<p>Und zu lernen hatte Frida allerdings noch so viel in dieser ihr -völlig fremden Welt, daß sie noch Jahre hätte da bleiben können. -Alles war ihr neu und unbekannt, die kleinen Kinder des Hauses -wußten zehn Mal mehr Bescheid als sie, und ihre Unwissenheit, die -sie stets offen bekannte, war häufig die Veranlassung zu großer -Heiterkeit.</p> - -<p>»Marie, kannst du ein Paar schöne Enten gebrauchen, die der -Förster geschossen hat?« fragte Onkel Bremer eines Tages seine -Frau.</p> - -<p>»Geschossen?« rief Frida erstaunt, »warum schießt er denn die -Enten vom Hofe weg, Onkel? Das kann er doch bequemer haben.«</p> - -<p>Ein schallendes Gelächter vom Onkel war die Antwort; Frida -meinte, der Förster habe nicht wilde Enten geschossen, sondern die -zahmen des Hofes. Sie hatte in der Stadt ja nie andere gesehen -und ebensowenig gegessen.</p> - -<p>»O welch eine Menge schöner blauer Blumen!« rief Frida dann -wieder, als sie an einem Flachsfelde vorbeiging und war höchst -erstaunt, als sie erfuhr, daß ihr Leinenzeug eines Tages in Gestalt -ebensolch blauer Blümchen auf dem Felde gestanden habe. Natürlich -hatte sie auch keine Idee davon, wie die einzelnen Getreidesorten -hießen, welche auf den Feldern standen, und der Onkel, der mit -Leib und Seele Landwirth war, entsetzte sich vollständig, wenn Frida -einen Spaziergang mit ihm machte, und den schönen Hafer bewunderte, -wo sie Gerste vor sich sah, oder ein Roggenfeld für Weizen -erklärte, und über die Unmasse schöner Kornblumen und Kornraden -jubelte, welche unter dem Getreide standen und den Aerger des Landwirthes -ausmachten. Von der Existenz und Anwendung landwirthschaftlicher -Geräthschaften hatte sie ebenfalls keine Vorstellung. Eine<span class="pagenum"><a name="Page_250" id="Page_250">[Pg 250]</a></span> -Egge war für sie ein vollständiges Räthsel, und wie man eigentlich -mit einem Pfluge arbeite, war ihr bisher auch noch ein Geheimniß -gewesen. Als man Klee schnitt zum Futter für das Vieh, fragte sie -ganz erstaunt, warum man die Thiere nicht lieber gleich in das Kleefeld -trieb, damit sie sich da satt fressen, es sei doch viel einfacher; -und verwundert sah sie zu, wie man den schmutzigen Dünger der -Ställe sorgfältig aufbewahrte, statt das häßliche Zeug fortzuwerfen, -da es so garstig roch. Das Waschen der Schafe vor der Schur -erregte ihr höchstes Erstaunen, das Scheeren selbst aber konnte sie -vor Mitleid mit den armen Thieren gar nicht mit ansehen.</p> - -<p>In ganz entschiedener Feindschaft aber lebte sie tagtäglich mit -dem Rindvieh, das ihr gleich in den ersten Tagen solche Furcht -erregte, und doch war es an jenem Tage im Stalle angebunden. -Welcher Schrecken aber war es für das arme Stadtkind, wenn sie -mitten durch eine Wiese schreiten mußte, auf der Kühe und Ochsen -frei weideten. Allein und ohne ihre Cousinen hätte sie es nie gewagt; -aber auch in Begleitung richtete sie verzweifelte Blicke auf die gehörnten -Ungeheuer, welche gar nicht daran dachten, sie zu belästigen, -sondern ruhig grasend die dicken Köpfe auf und ab senkten. Wenn -am Abend die Heerden in das Dorf hereinzogen, ein wahres Fest -für die ganze Dorfjugend, da flüchtete Frida gewöhnlich furchtsam -in's Innere des Hauses, damit nur ja keiner ihrer persönlichen Feinde -etwa einen Angriff auf sie wagte. Alle Neckereien des Onkels und -der Cousinen, aller Spott des ungalanten Hermann, nichts konnte -sie bewegen, ihre Furcht abzulegen, und als sie nun gar einmal die -Bekanntschaft eines Stieres gemacht hatte, der seiner Heerde dumpf -brüllend vorauf schritt, den mächtig breiten Kopf tief zur Erde gesenkt, -und mit den blutunterlaufenen Augen böse und drohend zur Seite -blickend, da war es vollends aus mit ihrer Herzhaftigkeit. Sie behauptete, -lieber einem Löwen allein im Felde begegnen zu wollen,<span class="pagenum"><a name="Page_251" id="Page_251">[Pg 251]</a></span> -als solchem Ungeheuer, und der kleine Hirtenbube, der dies furchtbare -Geschöpf mit seinem langen Stock regierte, war für sie ein -größerer Held, als Blücher oder Ziethen.</p> - -<p>Der Onkel nahm Frida häufig mit sich hinaus auf's Feld oder -in Wald und Wiese, um ihre bodenlose Unkenntniß in allen landwirthschaftlichen -Dingen einigermaßen zu heben. Da lernte sie denn -nach und nach nicht nur die Früchte des Feldes, dessen Art der Bestellung -und dergleichen mehr kennen, wovon ein Stadtkind in seinem -Häusermeer keine Ahnung bekommt, sondern bald auch die einzelnen -Bäume des Waldes, die Stimmen und die Gestalt der Vögel, die -Insecten und Würmchen, welche Wald und Wiese beleben, und alle -die tausend herrlichen Einzelheiten, welche sich dem beobachtenden -Auge so unendlich mannigfaltig darstellen und den Genuß und die -Freude an der schönen Gotteswelt erst ganz und voll machen. Es -war ordentlich, als ob Frida jetzt erst recht sehen lernte, und der -Onkel war ein trefflicher Lehrer, der mit Liebe und Sorgfalt beobachtete. -Die Natur war seine Freundin gewesen von Kindheit an, -und wenn er einerseits als tüchtiger Landwirth sich ihr praktisch in -Dienst gestellt hatte, so versäumte er darüber doch nicht, auch für -ihre schönen und idealen Seiten das Auge offen zu halten. Besonders -für den Wald gewann Frida eine immer größere Vorliebe, -je mehr sie an der Bildung von Stamm und Blättern die einzelnen -Bäume von einander unterscheiden lernte. Buche und Eiche, Birke -und Pappel, Erle und Esche, das alles waren für Frida bisher -Bäume, von denen sie freilich gehört, und die sie auch wohl gesehen -und gezeichnet hatte, die rechte Gestalt und Eigenthümlichkeit aber -eines jeden Baumes, und wodurch man ihn schon von fern erkennen -konnte, das lernte sie jetzt erst. Ihr Tannenbaum am Weihnachtsabend, -der, wie sie jetzt lernte, eine Rothtanne oder Fichte war; -da seine Nadeln nicht nach den Seiten, sondern rund um den Zweig<span class="pagenum"><a name="Page_252" id="Page_252">[Pg 252]</a></span> -herum standen, dieser war ihr fast allein der Bote aus dem fernen -Walde gewesen. Wenn Frida sonst ja einmal in Gesellschaft ihrer -Freundinnen eine Spazierfahrt in der Umgegend ihrer Stadt gemacht -hatte und ein Stündchen in dem dortigen, schmalen Waldstrich -verweilte, so gab es dann immer so viel mit den Freundinnen -zu plaudern, so große Aufmerksamkeit auf ihre elegante Toilette zu -verwenden, oder zierliche Gesellschaftsspiele vorzunehmen, daß sie -über diesen Dingen alles andere vergaß, und es ihr gar nicht aufgefallen -war, wie schön so ein Wald doch eigentlich sei. Sie begriff -jetzt nicht, wie sie in der Stadt mitten unter lauter Häusern ohne -ihre lieben Bäume und Wiesen und Felder sich so wohl befinden -konnte, und Charlottes Worte am ersten Abend, worin sie das -Landleben als das Schönste hingestellt hatte, was sie sich denken -konnte, fing jetzt an, ihr verständlich zu werden.</p> - -<p>Bei solchen Spaziergängen, sowie bei dem Umhertreiben in Hof -und Garten war Frida im steten Kampfe mit ihrer eleganten, zierlichen -Toilette, welche für solches Landleben, wie sie es hier führte, -vollständiger Unsinn war. An jeder Hecke blieb sie mit den dünnen -Falbeln ihres Kleides hängen; jeder Busch trug ein Zeichen, wenn -die elegante, junge Dame mit ihren Spitzen und Frangen und -Stickereien hindurch gekrochen war, und nie kam sie nach Hause, -ohne sich irgend etwas zerrissen, beschmutzt oder sonst verdorben zu -haben. Die Cousinen schlüpften in ihren kurzen, einfachen Kleidern -rasch und unbehindert überall durch, ohne den geringsten Schaden -zu leiden, während Frida mit ihrer langen Schleppe und den dünnen, -bauschigen Stoffen unsäglichen Aerger und tausend Mühe und Beschwerde -hatte. Brachte sie dann solch schmutziges oder zerrissenes -Kleid nach Hause, da hing sie es, wie sie immer gewöhnt war, ruhig -fort, ohne daran zu denken, daß es wieder sauber und ganz werden -mußte. Mit Verwunderung sah sie dann, daß Tante Marie oder<span class="pagenum"><a name="Page_253" id="Page_253">[Pg 253]</a></span> -eine der Cousinen sich des armen Kleidungstückes annahm und -es bürstete und plättete, stopfte und nähte, bis es wieder in Ordnung -war. Und nun gar die dünnen Waschkleider, die sie so gern -im warmen Sommer trug! Zu Hause hatte die Wäscherin der -jungen Dame solch zierlich Kunstwerk stets fix und fertig überliefert, -und die Jungfer sorgte für die tägliche Herstellung des Anzuges. Hier -aber waren es wieder die Hände von Tante und Cousinen, welche -diese Aufgabe übernahmen und oft einen halben Vormittag damit -zubrachten, eine einzige dieser luftigen Hüllen auf dem Plättbrete -wieder in Stand zu setzen, und diese zierlichen Falbeln und Striche, -diese Ueberwürfe und Frisuren zu plätten und zu kniffen, welche -Frida oft binnen einer einzigen Stunde in unbrauchbaren Zustand -versetzt hatte. Ein Gefühl von Scham, wie es das verzogne Kind -nie gekannt, kam bei solchem Anblick über Frida. Sie wollte den -Cousinen die Arbeit abnehmen; aber sie hatte ja keine Ahnung weder -vom Waschen, noch Plätten, noch sonst einer der häuslichen Arbeiten, -in denen diese jungen Mädchen Meisterinnen waren. Bei Frida's -Entschuldigungen lachten sie und behaupteten, es sei ein großes Vergnügen, -solche allerliebste Sachen unter den Händen zu haben, so -gut sei es ihnen noch niemals geworden. Aber jetzt wünschte Frida -nichts sehnlicher, als einfache, derbe Kleidung, mit der sie unbehindert -umherlaufen konnte, ohne ihrer Umgebung so viel unnütze -Arbeit zu bereiten. Eines Morgens hatte sie einen ganzen Koffer -mit ihren unpraktischen, eleganten Kleidern gefüllt und bat den -Onkel, den nach Hause zu senden. Die Mutter aber flehte sie an, -ihr so schnell als möglich einige recht einfache, derbe Kleider zu -schicken, sowie auch feste Lederstiefeln; denn ihr zierliches Stadtschuhwerk -sei schon nach einigen Wochen in völlig unbrauchbarem -Zustande.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_254" id="Page_254">[Pg 254]</a></span></p> - -<p>Und so wie Frida sich in diesen Dingen immer mehr ihrer Umgebung -anpaßte, so auch in vielen andern. Manches, was ihr zu -Hause als etwas Entwürdigendes erschienen war, und was man eben -den Dienstboten überließ, das machte sie jetzt mit ihren eigenen, -feinen Händchen selbst, ohne einen Anstoß daran zu nehmen; denn -Charlotte und Hannchen, Martha und vor allem die Tante selbst, -alle thaten ohne Zögern derartige Dinge. Wenn Frida sich das -Kleid beschmutzt, Bänder und Haken abgerissen, oder die Schuhe -bestäubt hatte, so litt sie es bald nicht mehr, daß Tante Marie -Bürste oder Nadel für sie ergriff, oder Hannchen herbeieilte, die -Schäden auszubessern. Fröhlich ließ sie selbst ihre Nadel durch die -Stoffe fliegen und die Bürste über Schuhe und Kleider, ohne ihre -Umgebung wie bisher zu bemühen, und bald fand sie auch Gefallen -an allerlei häuslichen Arbeiten, in denen sie sich von den Cousinen -unterweisen ließ. Zuweilen betrachtete sie dann wohl mit etwas -sorglicher Miene ihre feinen Fingerchen, welche beim Kochen oder -Plätten oder Früchte schälen bedenkliche Farben annahmen und -rauhe Stellen zeigten. Aber lachend trösteten sie dann die Cousinen, -und Frida selbst spottete endlich über ihre Eitelkeit, von der sie bisher -tyrannisirt worden war, und in deren Banne sie gelegen hatte. Die -Zeiten waren glücklich vorüber, in denen sie in Furcht und Angst -vor der kräftigen Kost des Hauses gelebt hatte. Jetzt dachte sie nicht -mehr daran, ob sie auch von den nahrhaften Gerichten, unter denen -die Tische seufzten, wohl eine plumpe Taille oder zu gesunde Farben -erhalten könne; ob auch ihre Hände verbrennen oder der Taint verderben -werde, wenn sie ohne Handschuh hinauslief und sogar oft -den schützenden Hut verschmähte. Tante Marie mußte sie jetzt sogar -manchmal daran erinnern, sich der Sonne doch nicht zu sehr auszusetzen; -denn Frida selbst vergaß häufig solche Sorgen, wenn sie sich -auf der Wiese im frischen Heu lagerte, oder im Walde auf weichem -Moosteppiche behaglich ihre Glieder streckte.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_255" id="Page_255">[Pg 255]</a></span></p> - -<p>»Papa wird mich gar nicht wieder erkennen!« rief sie oft lachend, -wenn sie ihr frisches Gesicht im Spiegel sah, das jetzt seine kränkliche -Blässe und die bläulichen Ringe unter den Augen verloren hatte. -Was aber ihre zierlichen Freundinnen dazu sagen, und ob sie vielleicht -die Näschen über die einst so elegante Frida rümpfen würden, -wenn sie zurück kam, kräftig und blühend wie eine volle, rothe Rose, -das kümmerte das junge Mädchen wenig mehr; denn von diesen Thorheiten -war sie so ziemlich geheilt. Auch überflüssig fühlte sie sich jetzt -nicht mehr im Hause, wie im Anfange; denn sie half, wo sie konnte: -bald in Küche und Garten, bald in der Schul- oder Kinderstube, -wie sie es von ihren Cousinen sah, und der Segen der Arbeit machte -ihr Gemüth heiter und sorglos. Ist man ja doch nie glücklicher, als -wenn man mit sich selbst zufrieden sein kann, und das konnte Frida -jetzt wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Eine große Befriedigung -gewährte es ihr, daß sie Martha einigen Unterricht ertheilen konnte. -Dies strebsame, junge Mädchen hatte große Lust am Lernen und -doch im Dorfe selbst nicht viel Gelegenheit, und so unterrichtete Frida -sie in neueren Sprachen, Musik und Zeichnen, worin diese vortreffliche -Unterweisung erhalten hatte. Auch Hannchen und Charlotte -nahmen Theil an diesem Unterricht, so viel ihre Zeit es eben erlaubte, -und besonders die Musik vertrieb ihnen gemeinsam manche Stunde; -denn die jungen Mädchen hatten helle, frische Stimmen, welche -sich unter Frida's Anleitung ganz allerliebst entwickelten.</p> - -<p>So lebte Frida behaglich, fleißig und glücklich von Tag zu Tage -und von Woche zu Woche, und je länger sie hier im Hause verweilte, -desto lieber war sie dort. Die große Welt, in die sie wieder eintreten -sollte, kehrte sie nach Hause zurück, und von der sie mit so -schwerem Seufzer geschieden, sie hatte kaum halb noch den Reiz, den -sie früher auf das Gemüth Frida's ausgeübt, und wirkliche Sehnsucht -fühlte sie nur oft nach ihrem Vater und den Geschwistern, ja,<span class="pagenum"><a name="Page_256" id="Page_256">[Pg 256]</a></span> -sie gestand es sich kaum selbst, auch nach Gertrud. Nach ihr freilich -mit dem immer lebhafteren Wunsche, wieder gut zu machen, was -sie einst Thörichtes gethan, und zu zeigen, daß sie auch brav und -gut sein könne und nicht nur das eitle, hochfahrende Mädchen -von ehemals.</p> - -<p>Im Laufe der Zeit hatte Frida auch die andern Familien kennen -gelernt, welche den Umgang der Familie Bremer bildeten, und wir -kehren noch einmal zu den ersten Tagen zurück, welche Frida im -Hause des Onkels verlebte und treten mit ihr in diesen Freundeskreis -ein. Eines Morgens erschien in dem Wohnzimmer eine -große, mächtige Männergestalt, deren frisches Gesicht von dichtem, -weißen Haar umgeben war, und den man als den Herrn Pastor -äußerst freudig begrüßte. Die kleinen Kinder hingen sich an seine -langen Rockschöße, Hannchen schob ihm gleich Vaters großen Lehnstuhl -herbei, und Onkel Bremer schüttelte ihm so gewaltig die große, -breite Hand, daß sie ordentlich in ihren Gelenken krachte. Pastor -Werder hatte ein breites, offnes Gesicht mit freundlichen, grauen -Augen, und seine Art und Weise war so fröhlich, und mit jedem -hatte er so viel Scherz und Neckereien, daß Frida ganz verwundert -drein schaute; einen Landprediger hatte sie sich so ganz anders vorgestellt. -Auch mit ihr fing er gleich ein heitres Gespräch an, und -war so zutraulich und herzlich, als kenne er das junge Mädchen -schon seit Jahren.</p> - -<p>»Nun, Kinderchen,« sagte er dann zu Hannchen und Charlotte, -»Sonntag Nachmittag kommt mein Justus, da bitte ich mir aus, -daß ihr euch hübsch macht und die Pfarre von oben bis unten umkehrt. -Mein Lenchen hat schon alle Blumen im Garten zu riesigen -Sträußen und Kränzen gebunden, und die Mutter eine Unmasse -Kuchen gebacken, alle Tische liegen voll davon. Meine morgende Predigt -rettete ich gerade vom Untergange, als sie eben zu Butterpapier<span class="pagenum"><a name="Page_257" id="Page_257">[Pg 257]</a></span> -benutzt und unter einen prächtigen Zuckerkuchen gebreitet werden -sollte. Ich glaube, der Just bringt seine beiden Zöglinge und -einen Freund mit, da soll's um so vergnügter werden. Ich denke -ja, die Hermsbacher werden auch alle kommen und wohl noch -der oder jener aus der Nachbarschaft. Da sieht unser schönes, -kleines Mamsellchen hier doch auch einmal, daß man auf dem Dorfe -vergnügt sein kann; denn Kinder, das bitte ich mir aus, bringt -euch alle Taschen voll Fröhlichkeit mit zur Pfarre.«</p> - -<p>Diese Nachricht erregte große Freude. Justus war ebensosehr der -Liebling aller, wie es sein Vater war, und ein Nachmittag im Pastorhause -schien für jedermann ein Fest zu sein. Ein Sonntag auf dem -Dorfe hat etwas gar Feierliches und Stilles, und als Frida am -Vormittage ihre Cousinen und Onkel und Tante in die Kirche begleitete, -stimmte die ganze Umgebung sie so festlich, wie es ihr an -den Sonntagen im Vaterhause nie geschehen. Sie war ganz erstaunt, -von dem alten, fröhlichen Geistlichen nun eine so gehaltvolle, schöne -Predigt zu hören, welche tief zum Herzen sprach. Auch bemerkte sie, -mit welch großer Andacht und Innigkeit die bäuerliche Gemeinde zu -ihrem weißhaarigen Prediger emporblickte, und wie er von Jung und -Alt geliebt und geehrt wurde. In der Stadt war Frida keine sehr -eifrige Kirchgängerin gewesen; nur die Zeit ihrer Einsegnung machte -eine Ausnahme. Aber auch von dieser schönen Zeit ward ein großer -Theil durch Eitelkeiten und Thorheiten ausgefüllt, wie sie nur in so -jungen Mädchenköpfen hausen können, denen keine ernste, liebevolle -Mutter oder Freundin zur Seite steht, welche die Schlacken von dem -edlen Metall sondert, das gerade in diesen ernsten Zeiten in die -empfänglichen jungen Gemüther gelegt wird. Frida hatte eben niemand -zur Seite, und so dachte sie bei den Vorbereitungen zu ihrer -Confirmation eben so viel an den modernen Schnitt ihres neuen -Kleides, an den schönen Schmuck und den Sammetpaletot, den Papa<span class="pagenum"><a name="Page_258" id="Page_258">[Pg 258]</a></span> -ihr geschenkt, und der die ihrer Freundinnen an Eleganz noch übertraf, -als an die ernste, schöne Feier selbst. Diese bewegte dann ihr -empfängliches Gemüth nichts desto weniger tief und innig und rief -eine Fülle edler und guter Gedanken und Vorsätze in ihrer Seele -wach. Kaum aber war diese ernste Zeit vorüber, so schlugen die -Wellen des täglichen Lebens über ihrem Kopfe wieder zusammen; -Rührung und gute Vorsätze klangen nur noch in leisen Accorden zu -ihr herüber, und ohne gerade tadelnswerther zu sein, als hundert -Andere ihres Alters, konnte man Frida doch durchaus kein musterhaftes -junges Mädchen nennen. Aber als sie jetzt hier in der stillen -Dorfkirche den Worten des alten Geistlichen lauschte, da zogen diese -ernsten Gedanken auf's Neue durch ihre Seele. Eine Ahnung von -dem, was ihr bisher gefehlt, schlich sich leise und unmerkbar in ihre -Brust, und als sie die frommen, seelenvollen Blicke sah, mit denen -ihre Cousinen an dem Antlitz ihres Seelsorgers hingen, da wußte -sie, daß in diesen Gemüthern anderer Ernst und andere Frömmigkeit -lebte, als jemals in ihrem eigenen. Aber noch lagen Herz und Sinn -zu sehr in den Banden ihres bisherigen Lebens gefangen; noch -mancher Tag gehörte dazu, ehe diese Einsicht ganz und voll in ihr -wurde und noch manche Stunde stiller Andacht zu den Füßen des -würdigen Geistlichen. Aber sie kam doch, und mit ihr eine Demuth -und Bescheidenheit, wie man sie früher nie an dem jungen Mädchen -gekannt hatte.</p> - -<p>»O Tante,« sagte sie eines Tages leise, als sie neben dieser das -Gotteshaus verließ, »o warum bin ich nicht früher zu euch gekommen, -ich wäre ein besseres Mädchen geworden!«</p> - -<p>Tante Marie drückte Frida's Hand voll Innigkeit und erwiederte -sanft: »Zum Gutsein ist es keinen Tag zu spät, mein liebes Kind; -wolle es nur ernstlich, dann kannst du's auch, dazu ist man nie -zu alt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_259" id="Page_259">[Pg 259]</a></span></p> - -<p>»Ja Tante, wenn du mir hilfst und ihr Alle!« sagte Frida bewegt. -Die Tante aber nickte ihr ernst lächelnd zu, und von dem Tage -an war ohne weitere Worte ein Bund zwischen Frida und der Tante -geschlossen, dessen Segen dem jungen Mädchen immer fühlbarer -wurde, je länger sie in diesem Hause lebte.</p> - -<p>Aber kehren wir zu dem Feste zurück, zu dem Pastor Werder -das ganze Bremer'sche Haus eingeladen hatte. Charlotte, Hannchen -und Martha hatten sich »hübsch« gemacht, wie der Gastgeber es -sich ausgebeten, das heißt, sie hatten saubere, helle Battistkleider -angelegt, jedoch keinen anderen Schmuck, als den ihrer frischen, -rothen Wangen und ihres sorglich gescheitelten Haares. Frida blickte -betroffen auf diese so unendlich einfachen Toiletten. Sie selbst hatte -einen ihrer elegantesten Anzüge gewählt, wie sie es bei festlichen -Gelegenheiten zu thun pflegte. Nun aber kam sie sich höchst unpassend -gekleidet vor, und sie wollte das kostbare Gewand wieder in den -Kasten werfen. Die Cousinen jedoch litten das nicht, fanden sie allerliebst -und behaupteten, Onkel Pastor sehe elegante Damen sehr -gern. Da suchte Frida denn rasch aus der Ueberfülle von Bändern, -Spitzen und Schleifen einige prächtige, farbige Schärpen aus, welche -sie Hannchen und Lottchen um die Taille schlang; Martha steckte sie -eine schöne Schleife vor die Brust, und die Cousinen mochten wollen -oder nicht, sie mußten sich so schmücken lassen. Frida jubelte über -ihren Einfall, und fröhlich zog die ganze Gesellschaft endlich dem -Pfarrhause zu.</p> - -<p>Dies war ein großes, altes Gebäude mit weiten, etwas dunklen -Räumen, durch dicht herumstehende Bäume noch düstrer gemacht. -Aber Thüren und Fenster waren mit Blumen geschmückt, und auf -der steinernen Außentreppe stand Pastor Werder mit den Seinen -zum Empfang der Gäste. Die Pastorin, eine rasche, rüstige Frau -mit lebhaften, dunklen Augen, lief den Ankommenden, ihre kleine<span class="pagenum"><a name="Page_260" id="Page_260">[Pg 260]</a></span> -Tochter Gretchen an der Hand, ungeduldig ein Stück entgegen, und -ihr folgte die zierliche Gestalt ihrer älteren Tochter Helene, ein auffallend -zartes, liebliches Mädchen mit vollem, dunklen Haar und -schwärmerischen, braunen Augen. An der Seite des Pastors aber -stand sein einziger Sohn, groß und schön und stattlich wie er selbst, -nur daß die lang herabfallenden Locken des jungen Mannes von -schöner hellbrauner Färbung und die Züge des Gesichtes frisch und -jugendlich waren. Zwei Knaben von 13 und 14 Jahren, die Zöglinge -Justus Werder's, und sein Freund, ein junger Arzt, begrüßten -mit ihnen die Ankommenden als liebe, alte Freunde. Kaum -aber hatte man sich die Hände geschüttelt und das Haus betreten, -da rollte ein Wagen vor.</p> - -<p>»Das sind die Hermsbacher!« tönte es fröhlich, und abermals -öffnete sich die gastliche Pforte. Herr und Frau von Helldorf, ein -freundliches, behagliches Ehepaar, wurde im Triumph hereingeführt, -und mit ihnen kam Sophie, des Gutsherrn Nichte, ein großes, -blondes, aber sehr unscheinbares Mädchen. Ihnen folgten zwei junge -Männer, sehr verschieden in ihrer Erscheinung. Walter, der Sohn -des Gutsherrn, war stämmig und kräftig gebaut, und sein Gesicht -trug den Stempel großer Güte und Milde; aber etwas Schüchternes, -ja Linkisches that seiner sonst angenehmen Erscheinung einigen Abbruch. -Sein Begleiter jedoch, der sich seit Kurzem als Volontair -auf dem Gute aufhielt, besaß alle die Eigenschaften, welche einen -jungen Mann zu einer hervortretend gewinnenden Erscheinung -machen. Elegant in Manieren und Kleidung, schön an Gesicht und -Gestalt, und angenehm in der Art und Weise zu sprechen und -sich zu bewegen, machte er auf Jedermann einen äußerst günstigen -Eindruck.</p> - -<p>Frida hatte mit stiller Verwunderung ihre Blicke in dem Kreise -umhergeschickt, in dem sie sich hier befand; denn diese biedre, ja derbe<span class="pagenum"><a name="Page_261" id="Page_261">[Pg 261]</a></span> -Art und Weise, mit welcher die Freunde hier mit einander verkehrten, -war für die feine, junge Dame etwas völlig Neues. Sie -verglich soeben im Stillen diese derbe Redeweise, welche häufig mit -plattdeutschen Worten vermischt war, und dies Händeschütteln und -laute, ungenirte Wesen der Gäste mit den graziösen, feinen Formen -der eleganten Welt, in der sie sich bis jetzt bewegt hatte. Da trat -sie aus dem Nebenzimmer, in das sie für einige Augenblicke gegangen, -wieder zu der Gesellschaft, und ihre Blicke fielen jetzt auf den jungen -Volontair, welcher von den breiten, mecklenburger Schultern der -andern Herren für sie bisher verdeckt worden war.</p> - -<p>Ein leiser Ausruf der Verwunderung entschlüpfte bei diesem -Anblick ihren Lippen; tiefe Röthe überzog ihr Gesicht, und unwillkürlich -trat sie einige Schritte vor. Herr von Gablenz, wie dieser -junge Mann genannt wurde, war in seiner leichten, gewandten -Manier von Einem zum Andern geschritten, indem er jeder der -älteren Damen etwas Verbindliches sagte und sich soeben in sehr -sichrer, anmuthiger Haltung dem Kreise der jungen Mädchen näherte, -sein krauses, dunkles Bärtchen mit leisem Lächeln über den Finger -drehend. Da erblickte er Frida. Höchstes Erstaunen in den Zügen -hemmte er plötzlich den leichten Schritt, und etwas wie Schrecken -oder Verdruß beschattete für einen Augenblick seine Züge. Aber -auch nur für einen Augenblick. Im nächsten schon blitzte sein dunkles -Auge hell auf, und das beglückteste Lächeln auf der Lippe trat er mit -freudigem Gruß auf das junge Mädchen zu, das ihm zum Willkommen -die Hand entgegenstreckte.</p> - -<p>»Mein gnädiges Fräulein, welche freudige Ueberraschung, Sie -hier zu sehen!« sagte er halblaut und küßte Frida's bebende Hand, -die er einen Augenblick in der seinen hielt und wie zum stillen Einverständniß -leise drückte. Frida konnte ihrer freudigen Bewegung -nur mit Mühe Herr werden; aber sie fühlte, wie nöthig es sei, daß<span class="pagenum"><a name="Page_262" id="Page_262">[Pg 262]</a></span> -sie ruhig blieb, und so sagte sie möglichst unbefangen, denn Hannchen -trat eben zu ihnen: »Herr von Gablenz, ich freue mich sehr, Sie -hier zu begrüßen. Sie haben ihre Freunde in B. so schnell verlassen, -daß wir Alle nicht wußten, wohin Sie abgereist waren. -Liebes Hannchen,« wandte sie sich dann unbefangen zu ihrer Cousine, -»Herr von Gablenz ist ein Freund unsres Kreises in B., es ist -eine große Ueberraschung für mich, ihn hier wieder zu sehen.«</p> - -<p>»Ein Glück, das ich mir nicht träumen ließ, mein gnädigstes -Fräulein!« fuhr Herr von Gablenz fort und fügte ein so bedeutsames -Lächeln hinzu, daß Frida sich schnell abwandte und Hannchens Aufmerksamkeit -auf etwas anderes zu lenken suchte. Diese war aber -weit davon entfernt, den wahren Sachverhalt zu ahnen, sondern -drückte nur in ihrer sanften Weise ihre herzliche Befriedigung aus, -daß Frida die Freude habe, einen Bekannten aus ihrer lieben Heimath -wiederzusehen. Bald aber ließ sie die Beiden allein, die sich nun -schnell in ein lebhaftes Gespräch vertieften. Als man hörte, daß -Frida und Herr von Gablenz gute Bekannte seien, verwunderte sich -auch niemand, daß sie den Tag über viel mit einander sprachen und -verkehrten; was aber Frida fühlte und dachte, das mögen uns wieder -einige Zeilen sagen, welche sie ihrer Freundin am Morgen nach -diesem für sie so ereignißreichen Tage sandte.</p> - - -<blockquote> -<p class="center"> -»Liebste, theuerste Franziska!<br /> -</p> - -<p>Was habe ich Dir heute mitzutheilen! O Fränzchen, wie -glücklich, wie selig bin ich, denke nur, ich habe <em class="gesperrt">ihn</em> gesehen! -Ja, staune immerhin, ich habe auch gestaunt, und im ersten -Augenblicke meinte ich zu träumen, als seine schöne, edle Gestalt -vor mir stand, und sein herrliches, dunkles Auge mich anschaute, -mit dem bekannten, ach nur <em class="gesperrt">mir</em> bekannten, strahlenden Blicke! -O was so ein Blick alles sagen kann und so ein Lächeln, wie es -<span class="pagenum"><a name="Page_263" id="Page_263">[Pg 263]</a></span>bei meinem Anblick um seinen Mund schwebte! Ich hätte jubeln, -aufjauchzen mögen vor Wonne, und doch durfte ich es nicht, mußte -stumm und still mein Glück im Herzen verschließen, damit niemand -es ahnte; ja ich durfte selbst den süßen Händedruck nicht -erwiedern, mit dem er mich begrüßte, denn meiner Cousine Augen -ruhten verwundert auf uns. Aber wenn wir auch den ganzen -Tag nur gleichgültige Dinge mit einander gesprochen haben, was -schadet es, wir sind uns doch wieder nah', ich kann doch wieder -ab und zu dieselbe Luft mit ihm einathmen; denn ich werde ihn -wiedersehen, hoffentlich oft und lange. Er ist als Volontair für -einige Zeit hier in der Nähe auf einem der Güter, und er sagte -mir zur Entschuldigung für seine schnelle Abreise, die Sache habe -sich so rasch gemacht, und sein Aufenthalt auf Hermsbach sei keineswegs -eine so fest abgeschlossene Sache, daß er davon gegen uns -im Voraus hätte sprechen mögen. Ach für mich bedurfte es ja -dieser Entschuldigungen nicht, mir genügte damals das Schreckliche: -er war fort; aber die Wonne, ihn nun hier wieder gefunden -zu haben, wiegt alles auf. Nun will ich gern in meines -Onkels Hause bleiben, so lange sie mich behalten mögen, nun sehe -ich <em class="gesperrt">ihn</em> doch zuweilen, das läßt alle Entbehrungen und alles -Unbehagen vergessen, das ich dort zu ertragen habe. O wie er -dasteht unter diesen derben, massigen, mecklenburger Gestalten! -Wie ein Prinz im Märchen! Ich würde mich nicht wundern, -wenn eine goldene Krone in seinen glänzenden, schwarzen Locken -blitzte; denn wie ein Fürst schreitet er unter diesen derben, simplen -Leuten hier einher, und in der That scheint auch alles ihm zu -huldigen und das Uebergewicht seiner geistigen wie körperlichen -Gaben anzuerkennen. Die alten Damen werden ordentlich wieder -jung, wenn er ihnen in seiner anmuthigen Weise den Hof macht, -was ihnen von den hiesigen hölzernen, jungen Herren nicht ge<span class="pagenum"><a name="Page_264" id="Page_264">[Pg 264]</a></span>boten -wird. Und nun gar die jungen! Sie hängen alle mit -wahrhaft schwärmerischen Blicken an ihm, wie an einem Zauberer, -und selbst meine beiden schlichten, blöden Cousinen können ihre -Kornblumenaugen nicht von ihm abwenden, wenn er in ihre Nähe -kommt. Die kleine, reizende Pastorentochter ist ganz bestimmt -schrecklich in ihn verliebt, oder ich müßte mich wenig auf dergleichen -Dinge verstehen. Das Spashafteste aber ist die Schwärmerei -eines großen, blassen Mädchens, die über die erste Blüthe -hinaus ist, wenn sie überhaupt je eine hatte. Es ist die Nichte -des Herrn von Helldorf, in dessen Hause Gablenz sich aufhält, -und die, wie ich höre, sehr reich sein soll. Das stete Beisammensein -mit dem jungen Volontair scheint das arme Wesen ganz bezaubert -und verwirrt zu haben. Es ist wahrhaft jämmerlich, -wie sie die blassen Augen verdreht und die Lippen zum süßesten -Lächeln spitzt, wenn er sie einiger Worte würdigt, und dann sitzt -sie wie verzückt da und schaut ihm nach, wenn er ihr den Rücken -gewandt. Und nun zu wissen, dieser herrliche Mann, den alle -lieben, alle verehren, alle besitzen möchten, er gehört mir, mir -allein; keine von allen, denen er in seiner gewandten Weise oft -angenehme Dinge sagt, besitzt seine Liebe, sondern nur allein ich, -ich, die Glückliche, Beneidenswerthe; — o Franziska, das ist ein -Gefühl, ein Gedanke, überwältigend schön und beglückend. Wenn -ich nicht wüßte, wie theuer ich ihm bin, so könnte ich hier unter -den vielen jungen Mädchen ganz eifersüchtig werden, da sie ihn -alle so verehren und lieben. Den ungeleckten, jungen Bären der -hiesigen Gesellschaft gegenüber wirkt sein einnehmendes Wesen -mit doppeltem Zauber auf die schlichten Landmädchen, und der -lose Gablenz scheint sich ein wahres Vergnügen daraus zu machen, -diesen Zauber möglichst auszubeuten. Einige Worte, die er mir -lachend zuflüsterte, als er mit der schönen, schwärmerischen -<span class="pagenum"><a name="Page_265" id="Page_265">[Pg 265]</a></span>Pfarrerstochter zwei schmelzende Duette gesungen und der blassen -Frl. von Helldorf eine zarte Rose mit einigen schelmischen Worten -überreicht hatte, bestätigten meine Vermuthung. Mich liebt er; -aber den andern jungen Damen macht er ebensosehr den Hof, -als mir selbst, und das ist mir ganz recht, so merkt eben niemand, -wie die Sachen eigentlich stehen. O wenn Papa erführe, daß er -hier ist! Ich glaube wirklich, er holte mich gleich zurück. Aber -er weiß ja glücklicherweise nicht, daß Gablenz überhaupt B. verlassen -hat, und nun gar, daß er sich hier in dieser Gegend aufhält.</p> - -<p>Doch nun genug, mein Fränzchen. Du kannst jetzt wieder -ruhig und froh an mich denken; denn jetzt ist alles gut. Uebrigens -muß ich meinen Verwandten zum Lobe nachsagen, sie sind von -einer außerordentlichen Liebe und Güte gegen mich, und das Landleben -ist überhaupt nicht so schlimm, als ich erst dachte. An dem -gestrigen Tage haben wir auf dem kleinen See bei Pastors herrliche -Stunden verlebt unter Gesang und tausend Scherzen, und dann -auf der Wiese prächtig gespielt. Aber sind die Mädchen hier -plump und blöde, es ist zum Todtlachen. Sie wissen alle nicht -um die Ecke, wie Graf Salm immer sagt. Gablenz war immer -der Mittelpunkt, um den sich alles schaarte; er leitete und ordnete -alles, und Du kannst denken, daß ich ihm treulich zur Seite stand. -O es war himmlisch! In Liebe und Glück</p> - -<p class="right"> -Deine <em class="gesperrt">Frida</em>.«<br /> -</p></blockquote> - - -<p>Aber auch Herr von Gablenz schrieb an dem Morgen, der dem -Zusammentreffen Frida's mit ihm folgte und das schwärmerische -junge Mädchen so unendlich beglückt hatte, einen Brief, der uns -einen Blick geben mag, wie es eigentlich mit diesem Herrn bestellt -war, dem Frida in ihrer Unerfahrenheit und Schwärmerei bereits -nur allzuviel Raum in ihrem Herzen eingeräumt hatte.</p> -<p><span class="pagenum"><a name="Page_266" id="Page_266">[Pg 266]</a></span></p> - - -<blockquote> - -<p>»Bester Eduard!« schrieb er mit fliegender Feder. »Vor -Kurzem theilte ich Dir mit, wie weise ich Deine Rathschläge mir -zu Herzen genommen, und wie gut sich alles zu gestalten scheint. -Dank Deiner Fürsorge habe ich zur rechten Zeit noch in B. den -Staub von meinen Füßen schütteln und der Stätte Lebewohl -sagen können, wo mir das Pflaster zu heiß unter den Füßen -wurde, und meine Gläubiger anfingen, gar zu scharf die Zähne zu -zeigen. Wie ein Meteor kam ich und verschwand ich in jenen -angenehmen Kreisen, um hier von Neuem aufzutauchen und mir -jene Erbin zu sichern, von der Deine Freundschaft für mich Errettung -hofft aus dem Drangsale, das mein edles Haupt umgarnt. -O Himmel ja, meine Schulden fressen an mir wie hungrige Ungethüme, -und nur eine Erbschaft oder eine reiche Heirath kann -mich retten. Da mir für Erstere aber nirgends ein Stern dämmern -will, denn das Geschlecht der Goldonkel hat mir Aermsten -nie geblüht, so bleibt nur das Zweite noch übrig. In B. gab -es hübsche Mädchen genug; aber alle mit würdigen Vätern und -Müttern versehen und von zahllosen Geschwistern umringt, also -für meine Zwecke nicht geschaffen. Ich muß disponibles Vermögen -vor mir sehen, um meiner Schwachheit hülfreich beistehen -zu können; ferne Aussichten, oder Abhängigkeit von der Güte -barmherziger Schwiegerväter kann mich nicht retten, und wenn -die Töchter Engel an Schönheit wären. Solch ein blondes Engelchen -hätte mich edlen Ritter sonst sicher nicht verschmäht; ich las -es in ihren veilchenblauen Aeuglein und ahnte wohl, daß mein -Verschwinden ihr Herzchen bitter kränken würde, da sie gewaltig -Feuer gefangen. Aber lieber Himmel, wer kann an so etwas -denken, wenn das Feuer auf den Nägeln brennt! Ich war ihr -entschlüpft zur rechten Stunde, und alles schien im besten Gange. -Ich wurde als Volontair in Hermsbach angenommen, die Erbin -<span class="pagenum"><a name="Page_267" id="Page_267">[Pg 267]</a></span>ist blaß und häßlich und gründlich langweilig; — aber was hilft -das alles, ihr Geld muß die Schäden zudecken. Sie ist bereits -zum Sterben in mich Ausbund von Liebenswürdigkeit und Anmuth -verliebt; denn das bei dieser simplen Landpommeranze zu erreichen, -war für mich keine Herkulesarbeit. Leider haben Onkel und Tante -aber ein Wort mitzusprechen, und die mir günstig zu stimmen, -bedarf noch einiger Geschicklichkeit. Uebrigens scheint dies Mecklenburg -eine wahre Fundgrube von hübschen Mädchen zu sein; -(leider macht nur meine Erbin eine traurige Ausnahme!) denn -wie die Amoretten in Thorwaldsens Neste voll Liebesgötter sitzen -sie hier dicht bei einander, so daß man sich die Zeit gut vertreiben -kann. Besonders eine kleine, schwarzäugige Pfarrerstochter könnte -mich alle hübschen Blondinen zeitlebens vergessen machen. Höchst -unbequemer Weise aber, und während ich im besten Zuge bin, -den Liebenswürdigen bei all den hübschen Mädels zu spielen, -taucht plötzlich meine holde Blondine aus B. vor mir auf, aus -deren Banden ich glücklich entflohen war, als Deine Weisung -kam, mir den hiesigen Goldfisch zu fangen. Sie war strahlend -vor Entzücken, mich Ausreißer hier zu finden, und ich? Nun ich -müßte nicht Alfred von Gablenz sein, hätte ich nicht augenblicklich -ebenso strahlend in ihr holdes Augenpaar geblickt und das Lied -fortgesungen, das ich in B. begonnen. Ach Lied! Das war ein -unglückliches Bild; denn ein Lied ist's, was allein mich bei der -Geschichte etwas beunruhigt. Jetzt ist's nun eine köstliche Komödie, -die ich zu spielen habe; denn die kleine, schwarzlockige Pfarrerstochter, -deren schöne Augen mich für die blassen meines Goldfischchens -etwas entschädigen müssen, glaubt mich ebenfalls zu -ihren Füßen, und es gehört die ganze Gewandtheit Deines -Freundes dazu, mein Schifflein hier geschickt so zu steuern, -daß Jede die Beglückte zu sein scheint, bis ich meines Zieles -<span class="pagenum"><a name="Page_268" id="Page_268">[Pg 268]</a></span>ganz sicher bin. Aber das gerade ist mein Element, drum -Glückauf und ein fröhlich Gelingen Deiner Pläne, Du kluger -Pfadfinder.</p> - -<p class="center">Dein getreuer</p> - -<p class="right"><em class="gesperrt">Alfred von Gablenz</em>.«<br /></p> -</blockquote> - - -<p>Woche um Woche verging; Frida aber hatte keine Ahnung -von der Treulosigkeit und dem doppelten Spiele des leichtsinnigen -Mannes, dem sie mit der ganzen schwärmerischen Liebe eines jungen -Herzens anhing. Obwohl er sich hütete, mit Frida in bestimmteren -Worten von seiner Liebe zu sprechen, so behielt er doch gegen sie den -Ton der Hingebung und Verehrung bei, den er bisher schon angeschlagen, -und nährte dadurch Frida's stilles Träumen und Hoffen. -Wohl sah und hörte sie, daß er auch gegen Helene eine wärmere -Sprache führte, und daß er Sophie von Helldorf oft in auffallender -Weise auszeichnete; aber ihr Herz ward nie ernstlich hiervon beunruhigt. -Glaubte sie doch immer, es geschehe nur, um die Aufmerksamkeiten -gegen sie selbst dadurch zu verdecken, und kein Schatten -eines Mißtrauens zog in ihr junges, unerfahrenes Gemüth.</p> - -<p>Das Glück und die Freude machten Frida noch lieblicher, als -sie ohnehin schon war, und ihre Anmuth gewann ihr schnell die -Herzen all dieser braven, einfachen Menschen, mit denen sie hier -verkehrte. Ihr launisches und trotziges Wesen, wie sie es zu Hause -so oft gegen die Ihren zeigte, schien ganz verschwunden; denn das -Beispiel ihrer bescheidenen Cousinen, denen derartige Unarten etwas -völlig Fremdes waren, wirkte unendlich vortheilhaft auf das weiche, -leichtempfängliche Gemüth Frida's. Immer mehr und mehr wurde -sie der Liebling von Jung und Alt; denn sie gehörte zu jenen glücklichen -Naturen, welche von jedermann verzogen und gehätschelt -werden. Die jungen Mädchen wagten sich in ihrer blöden, zaghaften -Weise zwar Anfangs nicht recht an die so elegante, junge Dame<span class="pagenum"><a name="Page_269" id="Page_269">[Pg 269]</a></span> -heran, die mit so viel Gewandtheit und Sicherheit unter sie trat; -Frida aber zeigte ihnen ein so herzliches und unbefangenes Entgegenkommen, -daß alle Scheu entschwand, und sie mit allen bald gute -Freundschaft schloß. Die jungen Herren hingegen hatte Frida's -Anmuth gleich von Anfang an gewonnen. Durch ihr leichtes, gewandtes -Benehmen, verbunden mit Witz und Heiterkeit, zeichnete sie sich so -vortheilhaft aus vor den schwerfälligen, schüchternen und zaghaften -jungen Mädchen, unter welchen sie auftrat, daß jeder sich am liebsten -mit ihr unterhielt. Sie verstand es vortrefflich, den Ton zu treffen, -der für jeden Einzelnen paßte, und selbst der scheue und steife -Walter Helldorf überwand mit der Zeit seine ängstliche Blödigkeit, -wenn die muntere Frida mit ihm scherzte. Justus Werder aber und -sein Freund, der lustige, junge Arzt, und mit ihnen noch einige -andere junge Leute der Nachbarschaft, schwärmten bald sämmtlich -für die bezaubernde junge Dame und brachten ihr jeder in seiner -Weise die wärmsten Huldigungen dar. Zur großen Verwunderung -ihrer Cousinen nahm Frida diese allgemeine Verehrung äußerst ruhig -und sorglos hin; sie hatte es ja auch zu Haus nicht anders gekannt, -und ihr Herz wurde in keiner Weise dadurch beunruhigt. Sie scherzte -und lachte mit allen um so sorgloser, da sie eigentlich dabei nur -immer an den dachte, der ihr die ganze Seele erfüllte. Er war ja -fast immer unter den jungen Leuten, mit denen sie verkehrte, und -das belebte ihr ganzes Wesen. Ihm allein galten ja eigentlich ihre -Worte und ihre witzigen, munteren Reden, und ein rascher Blick -seines Auges, eine flüchtige Anspielung, nur für sie verständlich, -waren völlig hinreichend, Frida für viele Tage froh und glücklich -zu machen.</p> - -<p>Wenn Frida jetzt nach Hause schrieb, daß sie sich wohl und -zufrieden bei Onkel und Tante fühle, so hatte natürlich die Anwesenheit -dessen, den sie im Herz und Sinn trug, einen großen Antheil<span class="pagenum"><a name="Page_270" id="Page_270">[Pg 270]</a></span> -hieran. Aber der alleinige Grund ihres Wohlseins war es dennoch -nicht; Frida lebte sich in der That von Tage zu Tage mehr ein in -dem Kreise, der sie aufgenommen. Jugend ist so empfänglich für -alles Neue, und hier waren es zu Frida's Glück nur edle und gute -Elemente, welche auf sie einwirkten. Die Freundschaft, die sie bald -mit Hannchen und Charlotte verknüpfte, war viel tieferer und besserer -Art, als alle ihre bisherigen Freundschaften, und Frida war selbst -oft verwundert, daß junge Mädchen so wenig von Putz und Aeußerlichkeiten -mit einander sprachen, als sie und ihre Cousinen, und sich -dennoch ganz vortrefflich dabei unterhielten. Auch mit Helene -Werder, der braunäugigen Pfarrerstochter, war Frida bald herzlich -befreundet, und selbst Sophie Helldorf zeigte für die bedeutend -jüngere Frida eine warme Zuneigung wenn auch ihre Blicke oft -mit ängstlicher Spannung die Huldigungen verfolgten, welche der -schöne Volontair dem reizenden Mädchen darbrachte.</p> - -<p>So war eine geraume Zeit vergangen, da bemerkte Frida zuweilen, -daß ihr liebes Hannchen mit roth geweinten Augen umherging, -und auch Charlotte oft niedergeschlagen und trübäugig dreinschaute. -Auf ihre Fragen erhielt Frida ausweichende Antworten, -sie machte sich deshalb keine weiteren Sorgen darüber.</p> - -<p>Eines Tages aber, als man wieder im Hause Pastor Werders -fröhlich zusammen gewesen, nahm Charlotte Frida unter den Arm -und ging mit ihr in eine der verstecktesten Lauben des Gartens.</p> - -<p>»Ich möchte dich gern einmal etwas fragen, liebe Frida; aber sei -mir drum nicht böse,« sagte Lottchen dort schüchtern und malte mit -einem Stöckchen, das im Wege lag, verlegen Figuren in den Sand.</p> - -<p>»Warum sollte ich böse sein, Lottchen? Was hast du?« entgegnete -Frida verwundert.</p> - -<p>»Es ist nur,« fuhr Charlotte zögernd fort, »ich wollte dich nur -fragen, liebst du das Leben auf dem Lande jetzt sehr?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_271" id="Page_271">[Pg 271]</a></span></p> - -<p>»Ei gewiß liebe ich es, mehr als ich je dachte!« rief Frida -lebhaft.</p> - -<p>»So möchtest du wohl ganz gern dort leben, vielleicht einmal -als Pastorenfrau?« stotterte Lottchen jetzt tief erröthend und wühlte -mit dem Stöckchen aufgeregt im Fußboden umher.</p> - -<p>»Als Pastorenfrau?« sagte Frida staunend. »Wie kommst du -denn darauf, Lottchen? Das ist ja eine merkwürdige Idee. Findest -du denn, daß ich <em class="gesperrt">dazu</em> passe?«</p> - -<p>»Nein, ehrlich gestanden finde ich eben, daß du gar nicht dazu -paßt, Frida; aber nimm es mir nur nicht übel,« entgegnete Lottchen -immer befangener werdend.</p> - -<p>»Nun warum in aller Welt frägst du mich denn da so sonderbar?« -lachte Frida.</p> - -<p>»Weil — nun weil ich dachte, du möchtest den Justus heirathen,« -rief Lottchen nun fassungslos und warf das Stöckchen weit von sich.</p> - -<p>»Den Justus Werder? Ich den Justus Werder heirathen? Lottchen, -ich glaube du träumst!« sagte Frida, die Augen weit öffnend. -»Wie kommst du denn darauf? Das würde mir ja nun und nimmer -in die Gedanken gekommen sein! Der Justus und ich, welch eine -unglückliche Zusammenstellung!«</p> - -<p>Charlotte war von ihrem Sitze aufgesprungen und hatte Frida's -beide Hände ergriffen.</p> - -<p>»Du denkst nicht daran und hast den Justus nicht lieb, Frida?« -rief sie mit strahlenden Blicken.</p> - -<p>»Nein doch, nein, ich bin so weit davon entfernt, als man es -nur sein kann!« entgegnete Frida von Herzen lachend. »Ich gäbe -eine schöne Predigerfrau ab! Du komisches Mädchen, wenn du dir -darum Gedanken gemacht hast, dann beruhige dich. <em class="gesperrt">Ich</em> nehme dir -Justus Werder nicht weg, und er will mich auch gar nicht.«</p> - -<p>»Ach ich ließe ihn dir gern, Frida,« sagte Lottchen leise. »Wenn<span class="pagenum"><a name="Page_272" id="Page_272">[Pg 272]</a></span> -<em class="gesperrt">ich</em> ihn liebte, hätte ich diese Fragen nicht an dich richten können. -Aber siehst du, ich kann es nicht mit ansehen, daß Hannchen sich so -abhärmt, um ihretwillen ist's.«</p> - -<p>»Hannchen liebt den Justus?« rief Frida voller Entzücken. »O -das ist ja köstlich, das muß ein Paar werden! Hannchen mit ihrem -frommen, blonden Gesichtchen giebt eine wundervolle Pastorsfrau -ab. Hat Justus denn eine Ahnung davon, und glaubst du, daß er -sie auch liebt?«</p> - -<p>»Das ist's ja eben, was mich quält!« sagte Charlotte niedergeschlagen -»Früher, ehe — nun daß ich es dir ehrlich sage, Cousinchen, -ehe <em class="gesperrt">du</em> kamst, zeichnete Justus unser Hannchen ganz entschieden -aus. Das sahen auch seine Eltern, die es sehr wünschen; -denn Hannchen ist ihr Liebling. Aber jetzt ist er so anders geworden. -Jetzt gilt seine ganze Aufmerksamkeit dir, und das ist ja so natürlich, -Hannchen verschwindet ja neben dir vollständig, wie wir alle. Da -du nun so sehr freundlich gegen Justus bist und ihn so sehr auszeichnest, -so — — —«</p> - -<p>»Ja ja, so dachtet ihr, ich wollte ihn deshalb gleich heirathen!« -rief Frida lachend. »O ihr guten, lieben Kinder! Wenn ich alle -die heirathen wollte, die mir den Hof machen, dann hätte ich eine -schöne Auswahl. Courmachen und Heirathen sind zwei himmelweit -verschiedene Dinge, Liebchen!«</p> - -<p>Charlotte war sehr ernst geworden. »Frida,« sagte sie, »weißt -du, es ist vielleicht sehr altmodisch und ländlich von mir; aber mir -scheint, man müßte nur demjenigen so freundlich entgegen kommen, -als du es mit Justus gethan, den man wirklich lieb hat, sonst thut -man ein Unrecht. Wenn Justus nun deine Liebenswürdigkeit -anders auslegt und sich einbildet, du magst ihn leiden? Er würde -dir dann vielleicht einen argen Vorwurf daraus machen, sobald er -erführe, er habe sich geirrt.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_273" id="Page_273">[Pg 273]</a></span></p> - -<p>»Aber Lottchen, bin ich denn gegen Justus wirklich freundlicher, -als gegen alle andern jungen Leute?« sagte Frida kopfschüttelnd.</p> - -<p>»Ich weiß es nicht, Cousinchen,« entgegnete Charlotte plötzlich -sehr roth werdend. »Aber es muß wohl so sein, sonst könnte Hannchen -sich nicht so sehr grämen. Aber freilich, du bist so ganz anders -erzogen, als wir. Bei dir ist alles Grazie und Anmuth; wir sind -wahre Perückenstöcke neben dir, da mag solche Liebenswürdigkeit -wohl anders beurtheilt werden. Niemand von uns hätte den Muth -und die Gewandtheit, so unbefangen über alles zu scherzen, als du -es thust, und so ungerührt sich die süßesten Schmeicheleien sagen zu -lassen.«</p> - -<p>Frida erröthete. »Gestehe es nur, Lottchen,« sagte sie schelmisch, -»eigentlich findet ihr alle zusammen, daß ich eine ausgemachte, eitle -Coquette bin, nicht wahr?«</p> - -<p>»O nein, nein, Frida, um alles in der Welt, denke das nicht!« -rief Lottchen eifrig.</p> - -<p>»Nun, wenn auch nicht ganz so schlimm, so doch ein Bischen, -nicht wahr, Schatz?« sagte Frida, Charlotten umschlingend und ihr -herzlich in die Augen schauend.</p> - -<p>»Nun ein Wenig zurückhaltender könntest du allerdings wohl sein, -Frida, das ist richtig,« entgegnete Charlotte ehrlich. »Aber sei nicht -böse drum. Ich las kürzlich ein Verschen in den Gedichten von -Friedrich Rückert, die du mir geborgt hast; das fällt mir jetzt manchmal -ein, wenn ich dich so sicher und selbstbewußt unter den jungen -Leuten sehe.«</p> - -<p>»Und wie ist dieser Vers, meine kleine Lotte?« fragte ihre Cousine -lächelnd.</p> - -<p>»Er heißt, aber sei nicht böse:</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_274" id="Page_274">[Pg 274]</a></span></p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">Schön bist du,<br /></span> -<span class="i0">Das weißt du<br /></span> -<span class="i0">Nur leider zu sehr;<br /></span> -<span class="i0">O wüßtest du's minder,<br /></span> -<span class="i0">So wär'st du es mehr.«<br /></span> -</div></div> - - -<p>»Du ganz abscheuliches Mädchen!« lachte Frida tief erröthend, -»du sagst mir da bittere Süßigkeiten. Aber ich danke dir dafür, ich -werde daran denken. Bis jetzt hat mir kein Mensch gesagt, daß ich -anders sein sollte; es ist aber möglich, du hast nicht unrecht.«</p> - -<p>»Und du bist mir wirklich nicht böse, Frida?« sagte Charlotte -flehend, ihre Cousine schüttelte aber halb lächelnd, halb ernsthaft den -Kopf und küßte die hübsche Tadlerin herzlich. Dann versprach sie -ihr, besonders gegen Justus zurückhaltender zu sein, damit er sähe, -sie denke nicht daran, ihn für sich zu gewinnen.</p> - -<p>Charlotte schien zwar noch etwas sagen zu wollen, schloß aber -die schon geöffneten Lippen wieder mit einem kleinen Seufzer und -folgte Frida, welche sie fröhlich plaudernd den Baumgang hinabführte.</p> - -<p>Aber kaum waren die beiden Cousinen wieder in das Haus -zurückgekehrt, so merkte Frida, daß Hannchen auch gern etwas mit -ihr sprechen wollte, die Gelegenheit dazu sich aber immer nicht -fand.</p> - -<p>»Hannchen,« sagte Frida endlich unbefangen, »du hast gewiß -wieder einmal deine bösen Kopfweh; komm ein Bischen mit mir in -den Garten, mir ist heut auch gar nicht recht wohl.«</p> - -<p>Hannchen war schnell bereit dazu, und bald umschattete jene -ferne Laube, welche kurz zuvor Lottchens Geständnisse aufgenommen -hatte, nun auch Hannchens Wangen, welche sich plötzlich sehr dunkel -färbten.</p> - -<p>»Weißt du, liebe Frida,« sagte sie plötzlich mit ihrer weichen,<span class="pagenum"><a name="Page_275" id="Page_275">[Pg 275]</a></span> -lieblichen Stimme und preßte die Hände fest in einander. »Es ist -mir so lieb, daß ich einmal allein mit dir sprechen kann.«</p> - -<p>Frida konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; denn sie ahnte, von -wem ihr sanftes Hannchen mit ihr sprechen wollte. Sie versuchte ihrer -Cousine auf halbem Wege entgegen zu kommen und sagte vertraulich:</p> - -<p>»Du hast etwas auf deinem Herzen, Hannchen, ich habe es -wohl gemerkt, was ist's? Welcher Bösewicht hat es gewagt, den -Frieden deines sanften Gemüthes zu stören, mein schüchterner, -kleiner Vogel?«</p> - -<p>»Nicht doch, Frida, sag' doch so etwas nicht,« entgegnete Hannchen -und schlug bang die Augen nieder, damit ihr Blick nicht die Worte -strafen möchte. »Ich wollte dich gern etwas fragen, einen unsrer -Nachbarn betreffend.«</p> - -<p>»Sagt' ich's nicht?« rief Frida schelmisch, »ein Nachbar macht -deinem sanften Herzchen zu schaffen! Heißt er mit dem ersten -Anfangsbuchstaben etwa Justus Werder?«</p> - -<p>Hannchen schrak leicht zusammen und blickte Frida scheu an.</p> - -<p>»Wie kommst du darauf, von <em class="gesperrt">ihm</em> so zu sprechen?« sagte sie -herber, als sonst ihre Art war. Dann aber strich sie leicht mit der -Hand über ihre Augen, und als bereue sie ihre Unfreundlichkeit fuhr -sie in sanftem Tone fort: »Nicht von mir ist die Rede, liebe Cousine, -sondern von jemand ganz andrem. Sage mir, Frida, meinst du -nicht auch, daß jemand dich sehr, sehr gern zu haben scheint?«</p> - -<p>»Mich? Von mir sprichst du, Hannchen?« rief Frida lachend. -»Nun ich hoffe, ihr alle habt mich sehr, sehr gern.«</p> - -<p>»Ach so meine ich es ja nicht, das versteht sich ja von selbst,« -sagte Hannchen ausweichend. »Wie soll ich mich nur deutlich machen, -ich bin so ungeschickt! Ich meine, hast du nicht gemerkt, daß jemand -in Hermsbach dich sehr, sehr gern hat?«</p> - -<p>Jetzt war es an Frida, zusammenzuschrecken und erröthend die<span class="pagenum"><a name="Page_276" id="Page_276">[Pg 276]</a></span> -Augen niederzuschlagen. Rasch aber faßte sie sich und sagte: »Ach -die Galanterien der jungen Leute sind nicht so ernsthaft zu nehmen, -liebes Hannchen. Herr von Gablenz hat ja für uns alle stets etwas -Angenehmes auf den Lippen; mich zeichnet er wirklich nicht mehr -aus, als jede von euch.«</p> - -<p>»Ich meine auch gar nicht den Herrn von Gablenz,« fuhr Hannchen -zögernd fort, »ich meine einen Anderen, der dich so auszeichnet, -wie sonst niemanden. Erräthst du ihn nicht?«</p> - -<p>Frida athmete froh auf und rief lachend: »Ich glaube gar, du -sprichst von Walter Helldorf! Hab' ich's errathen, Cousinchen?«</p> - -<p>Hannchen nickte ernst und sah vor sich nieder.</p> - -<p>»Nun? Und warum beunruhigt es dich, daß ich den armen, blöden -Jungen ein Bischen munter gemacht und ihm die Zunge gelöst habe? -Ich denke, für deine Augen giebt es doch einen anderen Magnet, als -Walters ehrliches Gesicht, oder ich müßte auf ganz falschem Wege -sein.«</p> - -<p>»Ach bitte, laß <em class="gesperrt">mich</em> doch nur aus dem Spiele,« sagte jetzt -Hannchen fast weinend. »Ich hätte dies Gespräch ja gar nicht begonnen, -wenn nicht..... Ach siehst du, Frida, sage doch ehrlich, -liebst du Walter Helldorf?«</p> - -<p>Frida lachte hell auf. »Ihr seid ein paar wundervolle Kinder, -du und Lottchen um die Wette. Die Eine denkt, ich..... Doch -halt, das wollte ich nicht sagen. Nun Hannchen, und <em class="gesperrt">wenn</em> ich ihn -nun gern hätte, den guten, ehrlichen Jungen, was dann? <em class="gesperrt">Dir</em> -käme ich ja doch nicht in's Gehege damit, Kleine?«</p> - -<p>Hannchen brach plötzlich in Thränen aus. »O Frida, ist es -wahr, liebst du ihn wirklich?« rief sie angstvoll. »O bitte, bitte, sage -die Wahrheit!«</p> - -<p>Frida wurde jetzt ganz ernst und sagte weich: »Nein, nein, -Hannchen, beunruhige dich nicht; Walter paßte so wenig zu mir,<span class="pagenum"><a name="Page_277" id="Page_277">[Pg 277]</a></span> -als etwa Justus Werder. Die brauchen alle Beide ganz andere -Frauen, als ich eine abgäbe. Aber nun sage mir auch, was deine -Frage zu bedeuten hat; denn ehrlich gestanden, ich werde nicht klug -aus dir. Ist dir wirklich so viel an Walter gelegen, daß dich der -Gedanke so unruhig macht, ich könnte ihn gern haben?«</p> - -<p>»O nein, nicht meinetwegen ist's, Frida!« rief Hannchen jetzt -durch ihre Thränen lächelnd. »Wäre dies der Fall, dann hätte ich -nie den Muth gehabt, dich danach zu fragen. Nein, es ist wegen -Lottchen. Ich weiß, sie hängt mit inniger Liebe an Walter, und ich -glaube, er hatte sie wohl auch recht gern, ehe....«</p> - -<p>»Aha, ich merke schon,« rief Frida rasch, »ehe die abscheuliche -Frida zu euch kam, und mit ihrer unerträglichen Coquetterie sein -armes, braves Herz umgarnte, ist's nicht so, Cousinchen? O gestehe -es nur, so ist's! Seine blauen, ehrlichen Augen sind seitdem etwas -aus ihrem Cours gewichen und meiner Spur gefolgt, statt daß sie -den beiden Kornblumenäuglein nachschauen, die bis dahin ihr Ziel -bildeten. Nicht wahr, mein armes Hannchen, das war's, was dich -gekränkt hat?«</p> - -<p>Hannchen blickte mit sanftem Flehen auf und wußte nichts zu -erwiedern, Frida aber fuhr mit ironischem Lachen fort: »Jetzt fehlt -nur noch, daß Helene und Sophie kommen und mich anklagen, ich -bestricke den jungen Doktor und Herrn von Gablenz, die sie für sich -bestimmt haben. O!« rief sie heftig und sprang vom Sitze auf, -»warum jagt ihr die abscheuliche Coquette denn nicht zum Hause -hinaus? Besseres verdient sie ja nicht für ihr schamloses Betragen.«</p> - -<p>Hannchen umschlang das leidenschaftliche Mädchen weinend mit -ihren Armen, denn sie verstand nicht recht, was Frida so heftig -erregt hatte.</p> - -<p>»O verzeih mir, Cousinchen, verzeih mir,« bat sie schluchzend, -»es war unrecht von mir, dich durch meine Fragen so zu kränken,<span class="pagenum"><a name="Page_278" id="Page_278">[Pg 278]</a></span> -ich sehe es jetzt erst ein. Nur meine Sorge und Liebe für Lottchen -ließen mich alle Rücksicht vergessen, sonst hätte ich nie den Muth -gehabt, so etwas zu sagen. O nun bist du mir so böse, und wahrlich, -ich habe es nicht anders verdient!«</p> - -<p>Und bitterlich weinend sank sie wieder auf die Bank, das Gesicht -mit den Händen bedeckend.</p> - -<p>Frida, deren Heftigkeit so plötzlich hervorgebrochen war, nachdem -sie eben noch über Hannchens Idee gescherzt, schämte sich ihrer Leidenschaft -und setzte sich still neben Hannchen, ihr die Hände streichelnd -und bemüht, sie zu beruhigen. Als ihr dies endlich gelungen, sagte -sie, mit Gewalt ihre Aufregung bei der Frage niederkämpfend: -»Nun sollst du mir zur Sühne aber noch etwas gestehen, liebes -Hannchen. Was ich vorhin mit bitterem Hohn sagte, will ich jetzt -noch einmal ruhig und gleichmüthig fragen, damit ich weiß, daß ich -weiter niemanden unter euch mit meinem Betragen kränke. Glaubst -du, daß auch Helene oder Sophie oder sonst jemand der Freunde -Grund hat, mein Benehmen in ähnlicher Weise zu tadeln? Bitte, -sage es mir ehrlich; ich will nicht wieder heftig werden, ich verspreche -es dir!«</p> - -<p>»Nein, das glaube ich kaum,« entgegnete Hannchen nachdenkend. -»Helene und Sophie sind sich gegenseitig wohl mehr im Wege, als -du es ihnen bist, das fürchte ich seit einiger Zeit.«</p> - -<p>»Sich gegenseitig?« fragte Frida aufhorchend. »Wobei denn?«</p> - -<p>»O sie sind Beide thöricht!« rief Hannchen ungewöhnlich streng, -»mir scheint — aber nein, ich will lieber nicht davon sprechen. -Sie werden selbst bald genug sehen, daß nicht alles Gold ist, was -glänzt, und daß so ein glatter Herr nicht gemacht ist für uns simple -Dorfmädchen.«</p> - -<p>»Sprichst du von Herr von Gablenz, Hannchen?« stammelte -Frida leise.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_279" id="Page_279">[Pg 279]</a></span></p> - -<p>»Freilich spreche ich von ihm,« sagte Hannchen achselzuckend. -»Es verdrießt mich, daß ihr alle den eitlen Mann so vergöttert und -ihn dadurch nur noch mehr verderbt, als er so schon ist.«</p> - -<p>»Verdorben nennst du ihn?« rief Frida empört. »Was berechtigt -dich sanftes Wesen denn zu einem so ungerechten und harten Urtheil -über diesen so ungewöhnlich liebenswürdigen, jungen Mann?«</p> - -<p>»Eben seine ungewöhnliche Liebenswürdigkeit,« entgegnete Hannchen -ernst. »Ich bin einmal ein sehr ruhiges und nüchternes Mädchen -und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen; mir gefällt Herr -von Gablenz ganz und gar nicht, und wenn ich es ehrlich sagen soll, -ich traue ihm nicht.«</p> - -<p>»Aber warum denn in aller Welt, Hannchen? Was giebt dir -denn nur Grund zu solcher Härte und solchem Mißtrauen?« rief -Frida bebend; denn sie konnte ihren Zorn und ihre Aufregung kaum -verbergen, den Mann von Hannchen schmähen zu hören, den sie so -verehrte und liebte.</p> - -<p>»Er ist glatt wie ein Aal,« sagte diese achselzuckend. »Er entschlüpft -jedem ernsteren Gespräch, wie ich von den Herren gehört -habe, und da er allen jungen Mädchen so übertrieben den Hof macht, -meint er es mit keiner ernst. So etwas mag für die große Welt -passen, für unser stilles Dorf paßt es nicht. Es geht das Gerücht, -er werde Sophie Helldorf heirathen. Ich glaube es nicht. Aber -wenn er es thun will, so kann er es nur wegen ihres Reichthums -wünschen; denn ein so eleganter Herr wird sich nicht gerade die Unscheinbarste -aussuchen; ihren hohen, innern Werth kennt er schwerlich. -Sophie wäre eine große Thörin, wenn sie seine Werbung annähme. -Gott mag wissen, wie es möglich ist, aber er hat es ihr mit seinem -glatten Wesen angethan, wie auch der schwärmerischen Helene, ich -habe es wohl gemerkt. Dich freilich ficht ein derartiges einschmeichelndes -Wesen nicht an, Frida, du bist von zu Haus daran gewöhnt<span class="pagenum"><a name="Page_280" id="Page_280">[Pg 280]</a></span> -und weißt, daß nicht viel auf dergleichen zu geben ist. Bei uns -schlichten Dorfkindern aber ist das anders. Helene und Sophie -nehmen alle die schönen Reden als baare Münze und lassen sich den -Kopf damit verdrehen. Warnen oder Schelten hilft nichts, sie sind -wie bezaubert.«</p> - -<p>Frida hatte stumm zugehört, denn jede Aeußerung würde sie -verrathen haben. Aber ihr Herz klopfte so ungestüm, daß sie kaum -athmen konnte. Jetzt stand sie rasch auf und sagte: »Du bist härter, -als ich dich noch je gesehen habe, Hannchen. Aber ich will mich -darüber nicht mit dir streiten. Ich glaube, wir müssen jetzt zum -Abendbrod, es ist spät geworden. Was unser voriges Gespräch -betrifft, Lottchen und Walter angehend, so verspreche ich dir, du sollst -mit mir zufrieden sein, ich werde an deine Mahnung denken.«</p> - -<p>Dann gingen die beiden jungen Mädchen schnell dem Hause zu. -Aber ein unruhiges, gespanntes Wesen war seit diesem Gespräche -über Frida gekommen. Hannchens klares, nüchternes Urtheil hatte -sie aufmerksamer auf das Benehmen ihres Verehrers gemacht, und -sie konnte ihrer Cousine in einigen Punkten nicht Unrecht geben. -Vor allem aber beunruhigte sie das Gerücht, Gablenz werde Sophie -von Helldorf heirathen und zwar um ihres Reichthums willen. Sie -warf den Gedanken als abscheulich und unwürdig weit von sich; aber -doch kam er immer von Neuem wieder in ihren Sinn und quälte sie -unaussprechlich. Sie mußte wissen, ob auch nur der Schatten von -Wahrheit an dem Gerücht war, und nur von Sophie allein konnte -sie etwas darüber erfahren. Sie überwand deshalb ihre innere Abneigung -und Eifersucht und suchte häufiger mit dem jungen Mädchen -zusammenzutreffen.</p> - -<p>Sophie von Helldorf war erst seit einiger Zeit im Hause ihres -Onkels, der dem verwaisten Mädchen eine neue Heimath in seiner -Familie gegeben, und ihre Unbekanntschaft mit den Freunden ihrer<span class="pagenum"><a name="Page_281" id="Page_281">[Pg 281]</a></span> -Verwandten sowohl, als auch etwas Scheues und Steifes in ihrem -Benehmen, hatten sie bisher den andern jungen Mädchen etwas fern -gehalten. Obwohl sie in ihrer äußeren Erscheinung unbehülflich -und ungraziös erschien, so war der Kern ihres Wesens doch durchaus -trefflich und edel, und bei einer äußerst abgeschlossenen Erziehung -hatte sie eine sorgfältige innere Ausbildung erhalten. Obwohl sonst -schüchtern und ängstlich, zeigte sie bei Gelegenheit ein entschlossenes, -festes Wesen, das gar wohl seinen eigenen Weg zu finden wußte.</p> - -<p>Bisher hatte sie ein ganz zurückgezogenes Leben geführt, durch -die Krankheit ihres Vaters bedingt. Nach dessen Tode trat sie als -Erbin eines großen Vermögens in des Onkels Haus und fing erst -hier an, ihrer Jugend froh zu werden. Die Huldigungen, welche der -einnehmende Herr von Gablenz ihr widmete, umstrickten ihr unerfahrnes -Herz mächtig, waren es doch die ersten, welche ihr überhaupt -je im Leben dargebracht wurden. Der Wunsch, die Seine zu -werden, befestigte sich mehr und mehr in ihr trotz des Widerstrebens -ihrer Angehörigen, welche dem gewandten, jungen Weltmanne nicht -sehr günstig waren und gar wohl ahnten, was denselben so schnell -und mächtig an das unscheinbare Mädchen fesselte.</p> - -<p>Frida hatte es bald verstanden, sich das Vertrauen Sophie's zu -erwerben, und allerlei gemeinsame Interessen verknüpften sie mehr -und mehr. Lange Zeit aber, so oft auch Frida das Gespräch auf -Herrn von Gablenz brachte, wurde Sophie ernst und einsilbig; denn -eine stille Eifersucht, welche immer wieder lebendig wurde, sobald -Sophie Herrn von Gablenz in Frida's Gesellschaft sah, schloß dieser -gerade Frida gegenüber die Lippen doppelt fest.</p> - -<p>Der Sommer war mit seinen warmen Tagen in das Land gezogen -und hatte die Früchte der Felder in so reicher Fülle gereift, -daß man einer gesegneten Ernte entgegenging. Diese für den Landmann -so wichtige und bewegte Zeit brachte denn unendlich viel neues<span class="pagenum"><a name="Page_282" id="Page_282">[Pg 282]</a></span> -und reges Leben mit sich, und Frida griff wacker mit in das Räderwerk -ein, das jetzt doppelte Geschäftigkeit und Arbeit für alle Hausbewohner -brachte. Dies rege Treiben und diese Arbeit vom frühen -Morgen bis zum späten Abend ward gerade jetzt zum unendlichen -Segen für Frida. Es war unmöglich, den Tag über den eignen -Gedanken nachzuhängen, oder über Dinge still zu grübeln, welche -das Herz bewegten; denn unter doppelter Fröhlichkeit schaffte und -wirkte jedermann von früh bis spät zum Wohle des Ganzen, und -Abends war Frida so müde und erschöpft von der ungewohnten -Thätigkeit, daß sie sogleich von den Armen des Schlafes umschlungen -und in dessen stilles Reich getragen wurde, sobald sie nur die Augen -geschlossen hatte.</p> - -<p>Der Ernte folgte alsdann in den verschiedenen Dorfschaften die -fröhliche Kirchweih, und es war eine alte Sitte, daß die Nachbarschaft -zur Feier dieser Feste einander besuchte. Da gab es denn -ein munteres Treiben bald in Dahme, bald in Hermsbach oder -einigen anderen befreundeten Nachbardörfern, und die jungen -Mädchen hatten nicht mit Unrecht Frida gleich am ersten Abend von -dieser fröhlichen Zeit, als der schönsten des ganzen Jahres, erzählt. -Tanz und Jubel und fröhliche Spiele vereinigten Jung und Alt -unter den weiten Lauben, die überall zu diesem größten Feste der -Dorfbewohner errichtet wurden. Herrschaft und Gesinde verkehrte -in gemüthlicher, ungebundener Weise mit einander, und wenn sich -die anmuthige Frida jetzt lustig im Arme des stattlichen Großknechtes -im Rundtanz drehte, so dachte sie nicht im Entferntesten mehr daran, -daß sie einst solche Zumuthung als eine Beleidigung stolz von sich -gewiesen hatte.</p> - -<p>Seit Frida's geheimen Gesprächen mit ihren beiden Cousinen -in jener fernen Laube des Gartens achtete das junge Mädchen fast -mit Aengstlichkeit darauf, ihr Benehmen zu ändern und besonders<span class="pagenum"><a name="Page_283" id="Page_283">[Pg 283]</a></span> -gegen die jungen Herren vorsichtiger und zurückhaltender zu sein, -als sie es bisher gewesen. Einestheils wurde sie hierzu durch den -Wunsch bestimmt, sowohl Justus als Walter ihren Cousinen weniger -zu entziehen; anderentheils aber war es Charlottens leise Mißbilligung -ihres zu freien Benehmens, was sie beeinflußte; denn bei -ihrer wachsenden Liebe und Achtung für ihre Cousinen hatte auch -deren Urtheil einen größeren Einfluß auf Frida, als ehemals aller -Tadel und alle Vorstellungen von Seiten ihres Vaters oder ihrer -Stiefmutter. In dem stillen Wunsche, Hannchens und Lottchens -Glück ihrerseits möglichst zu fördern, gelang es ihr zwar häufig, -Walter und Justus an die Seite ihrer Cousinen zu führen; aber -ihrer Ungeduld gingen die Sachen viel zu langsam. Freilich waren -Hannchen und Charlotte auch von einer peinlichen Zurückhaltung, -und um keinen Preis hätten sie ahnen lassen, was ihr Herz bewegte. -Aber eben so wenig verstanden es auch ihre gar steifen, schwerfälligen -Verehrer, die Gelegenheit beim Schopf zu erfassen, um den -Sternen näher zu kommen, die augenscheinlich das Ziel ihrer Wünsche -bildeten.</p> - -<p>Dies Interesse für ihre Cousinen zog Frida jetzt häufig von den -Beobachtungen ab, welche ihre eigne Herzensneigung betrafen. -Herr von Gablenz war in unveränderter Weise ihr ergeben; aber -in ebenso unveränderter Weise umschwärmte er auch die andern -jungen Mädchen, deren durch diese ländlichen Feste eine noch größere -Anzahl zugegen waren. Den Schluß der Vergnügungen sollte die -Feier des Geburtstages des alten Herrn von Helldorf bilden, und die -ganze Umgegend war eingeladen, derselben beizuwohnen.</p> - -<p>»Helfen Sie mir, Fräulein Frida, etwas Abwechslung in die -Freuden dieses Tages zu bringen,« sagte Herr von Gablenz halblaut. -»Wenn wir Beide die Sache nicht in die Hand nehmen, wird sie -langweilig wie die ganze liebe Gesellschaft hier zu Lande.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_284" id="Page_284">[Pg 284]</a></span></p> - -<p>Frida erröthete froh, denn der Vorzug, den Gablenz ihr vor -all den Andern einräumte, machte für sie ja wieder alle Gerüchte -und alle Befürchtungen zu Schanden.</p> - -<p>»Von Herzen gern,« entgegnete sie hellen Blickes. »Aber wie -fangen wir es an?«</p> - -<p>»Was meinen Sie zu einem improvisirten Valentinstage,« sagte -Gablenz leise. »Mir scheint, das würde unserm Verkehr einen -pikanteren Beigeschmack geben. Ein <span class="antiqua">tête à tête</span> mit meiner holden -Valentine, nach dem mich seit langen schon so unaussprechlich verlangt, -wäre das Ziel meiner Wünsche.«</p> - -<p>Frida schlug erglühend das Auge nieder vor dem kecken Blick -des jungen Mannes, dessen Sprache sie nicht mißdeuten konnte. -Während sie nach Fassung rang, fuhr Gablenz vertraulich fort: -»Blumen sind, wie die schöne Frida von früher weiß, die besten -Dolmetscher unsrer Gefühle. Wie wäre es, wenn wir sie auch hier -sprechen ließen?«</p> - -<p>Frida preßte mit klopfendem Herzen ihr Tuch an die Lippen; -dann sagte sie, den Kopf leicht abwendend: »Gewiß, das wäre ein -hübscher Gedanke. Bringen Sie die Sache in Vorschlag und hören -wir, ob unsere zaghaften Damen sich den kleinen Freiheiten auszusetzen -wagen, welche das Verhältniß zu ihrem Valentin mit sich -bringt.«</p> - -<p>Anfangs schien es allerdings, als ob der Vorschlag Bedenken -erregte; die jungen Männer aber waren Feuer und Flamme für -diesen Plan, und so wurde er schließlich angenommen. Für den -Abend bereitete Herr von Gablenz ein brillantes Feuerwerk vor, -vorher aber sollte Tanz im Freien, sowie allerlei Spiel und Scherz -die Gäste unterhalten.</p> - -<p>Am Morgen dieses Festtages fand Justus Werder, welcher, wie -gar oft, zum Besuch in das Vaterhaus gekommen war, eine frische<span class="pagenum"><a name="Page_285" id="Page_285">[Pg 285]</a></span> -blaue Kornblume auf seiner Tasse, als Helene sie ihm beim Kaffee -überreichte. Verwundert schaute er auf, sah aber, daß seine hübsche -Schwester rasch den Finger auf die Lippen legte. Justus nahm die -Blume schweigend an sich; da fiel ein Streifchen Papier herab, das -am Stiel derselben gehangen. Unbemerkt öffnete es der junge Mann -und las folgende Worte:</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Kornblume und blau Aeugelein<br /></span> -<span class="i0">»Sie harren heut im Stillen dein.«<br /></span> -</div></div> - - -<p>Ein glückliches Lächeln flog über Justus frisches Gesicht, und -Blume und Zettelchen zu sich steckend nickte er seiner Schwester -dankend zu; denn was die Botschaft heißen sollte, ahnte er recht wohl.</p> - -<p>Eine ähnliche hatte auch Walter Helldorf an diesem Morgen -erhalten, er wußte nur nicht von wem; sein Zeichen aber war ein -rothes Tausendschön, das ihm die Worte zuflüsterte:</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Von tausend Schönen gieb den Preis<br /></span> -<span class="i0">»Ihr, die dein Herz zu finden weiß.«<br /></span> -</div></div> - - -<p>Während Walter die Deutung dieser Blumensprache noch überlegte -und unschwer zu entziffern wußte, ging in den entferntesten -Wegen des Hermsbacher Parkes ein schlankes Mädchen langsam und -gedankenvoll an der Seite eines jungen Mannes, der eifrig auf sie -einsprach. Er hatte eine rothe Nelke in der Hand, und indem er -dieselbe in dem Knopfloch seines Rockes befestigte, sagte er halblaut: -»Wenn ich Ihre Zustimmung habe, theure Sophie, so kann Ihr -Onkel sie mir nicht entziehen. Sie sind seit Kurzem mündig, wie -Sie sagen, also wer kann Ihnen verwehren, selbst Ihre Angelegenheiten -zu ordnen?«</p> - -<p>»Die Rücksicht auf meine gütigen Verwandten, sonst allerdings -nichts,« entgegnete Sophie leise. »Aber ich hoffe ihr Widerstreben -zu überwinden, da ich keinen Grund ihrer Abneigung weiß, und -<span class="pagenum"><a name="Page_286" id="Page_286">[Pg 286]</a></span>im schlimmsten Falle....«</p> - -<p>»Im schlimmsten Falle läßt du die Liebe den Sieg davon tragen, -nicht wahr, geliebtes, himmlisches Mädchen?« rief Herr von Gablenz, -denn er war der junge Mann, mit stürmischer Zärtlichkeit, indem -er den Arm um Sophie von Helldorf schlang und die nur leise -Widerstrebende an seine Brust drückte.</p> - -<p>»Aber heut schweigen Sie noch, ich bitte dringend darum,« sagte -Sophie, sich ängstlich aus des jungen Mannes Armen losmachend. -»Heut kann ich dem Onkel unmöglich sein Fest mit dieser Nachricht -trüben; denn trüben würde ich es dadurch, ich kann mir kein Hehl -daraus machen.«</p> - -<p>»Heut und so lange du willst, Geliebte!« rief Gablenz, Sophie's -Hand küssend. »Diese Hand ist mein, und niemand soll sie mir -streitig machen, das gelobe ich. Aber theure Sophie, wenn ich meine -Rechte noch nicht in Anspruch nehmen darf, so ist es auch besser, ich -bin heut nicht dein Valentin, meine Leidenschaft würde mich verrathen. -Nimm deshalb die Nelke zurück, ich werde sie nicht wählen. -Aber welches der anderen jungen Mädchen auch meine Valentine sein -wird, glaube mir, Geliebte, die Huldigungen alle, die ich derselben -spende, sie gelten eigentlich allein dir, der Königin meines Herzens, -der Valentine meines ganzen künftigen Lebens.«</p> - -<p>Sophie's bleiches Gesicht war von Purpurgluth bedeckt, und das -Glück strahlte aus ihren Augen. Aengstlich aber wandte sie jetzt ihre -Blicke dem fernen Wohnhause zu und sagte: »Länger darf ich nicht -hier bleiben, die Tante wird mich ohnehin schon vermissen. Folgen -Sie mir nicht gleich, ich bitte Sie, Alfred.«</p> - -<p>»Noch eins, geliebte Sophie,« sagte Gablenz rasch. »Ist es dir -recht, wenn ich die kleine Helene zur Valentine wähle? Welche -Blume trägt sie heute Nachmittag?«</p> - -<p>Sophie erröthete wieder und sagte lebhaft: »Wählen Sie die -rothe Rose, es ist Helene's Blume.« Dann eilte sie schnell davon,<span class="pagenum"><a name="Page_287" id="Page_287">[Pg 287]</a></span> -sehr zufrieden, daß ihr Geliebter nicht Frida zur Valentine wünschte, -wie sie geglaubt hatte. Sie wußte nicht warum, aber ihr Herz war -voll banger Eifersucht, wenn sie an die schöne Frida dachte. Helene -war wohl auch schön; mit ihrem schüchternen, zurückhaltenden Wesen -erschien sie ihr jedoch nicht halb so gefährlich, als die weltgewandte, -bewunderte Frida.</p> - -<p>So kam der Nachmittag heran und mit ihm die Gäste in Menge. -Wie verabredet führte Sophie die jungen Mädchen nach einer Weile -in ein besonderes Zimmer, und Walter die jungen Männer. Dann -öffneten sich die Thüren; aus der einen traten die mit Blumenkränzen -geschmückten Jungfrauen, aus der andern die Herren, jeder eine -Blume in der Hand, die ihm seine Valentine zuführen sollte. Ein -Kichern und Drängen entstand jetzt unter der Mädchenwelt, denn -jede scheute sich, von ihrem Valentin begrüßt zu werden. Aber sicher -schritt Herr von Gablenz, eine rothe Rose in der Hand, auf den -Kreis zu und zwar Frida entgegen. Erst als er dicht vor ihr stand -schrak er zusammen und flüsterte hastig: »O Gott, welch ein Irrthum -Sie haben nicht die <em class="gesperrt">rothe</em> Rose, die Blume seliger Stunden?«</p> - -<p>Frida war schon beim Eintritt der Herren blaß geworden; denn -sie hatte augenblicklich gesehen, daß Gablenz nicht ihre Blume, die -weiße Rose, erwählt hatte. Ein freudiger Schreck durchzuckte sie -aber, als er nichts desto weniger doch auf sie zuschritt; also hatte er -sie doch zur Valentine wählen wollen. Jetzt war sie nur froh, daß -auch Sophie es nicht wurde; denn neue Gerüchte hatten ihr Ohr in -den letzten Tagen erreicht und sie auf's Neue bang und mißtrauisch -gemacht.</p> - -<p>Unter allgemeiner Heiterkeit begrüßten nun die jungen Herren -mit einem Handkuß ihre Valentinen, in ihr Recht eintretend, welches -sie als getreue Ritter für den ganzen Tag an der Seite ihrer Erwählten -festhielt. Jeder Dienst lag ihnen ob, und für alles, was ihre<span class="pagenum"><a name="Page_288" id="Page_288">[Pg 288]</a></span> -Valentine bedurfte, hatten sie zu sorgen, beim Tanz aber konnte -ohne ihre Einwilligung kein Anderer ihre Stelle ausfüllen. Nur -der Geburtstäger machte hiervon eine Ausnahme, und der fröhliche, -alte Herr von Helldorf benutzte dieselbe mit Freuden und schwenkte -sich in seiner steifen, altmodischen Weise mit so vielen der hübschen -Valentinen unter den Linden am Hause, als zähle er nur die Hälfte -der Jahre, die sein kahler Schädel schon gesehen hatte.</p> - -<p>Auch der gemüthliche, alte Pastor Werner mischte sich häufig -unter die muntere Jugend und brachte mit seinen harmlosen -Neckereien manches Lächeln und manches tiefere Roth auf die frischen -Mädchengesichter. Jetzt kam er auf seinen Liebling, das blonde -Hannchen zu, welche mit ihrem blauen Kornblumenkranze ganz -allerliebst aussah.</p> - -<p>»Das nenn' ich aber einen Treffer, mein Söhnchen!« sagte er -schelmisch zu Justus, der an Hannchens Seite saß. »So eine Valentine -hätte ich mir auch wählen mögen, du Glückspilz. Nutz die -Stunden eh' sie fliehn, morgen ist nicht heut! So gut wird dir's -vielleicht so bald nicht wieder.«</p> - -<p>Und Hannchen mit einem frohen Lächeln die frischen Backen -streichelnd ging er im Kreise weiter. Als er zu Lottchen kam, mit -der Walter Helldorf soeben ein merkwürdig lebhaftes Gespräch -führte, sagte er schmunzelnd: »Sieh da, hm, hm, wie der Zufall -spielt! 's ist doch ein hübsches Ding um so einen Valentin. Das -löst die Zunge und macht Courage, nicht wahr, Lottchen? Nun -nun, ich will nicht stören, Glück zu, ihr Leutchen!« Dann aber -kam er an seinem schönen Töchterchen vorüber, welches soeben mit -ihrem Valentin getanzt hatte und nun mit glühenden Wangen an -dessen Arme hing, in Folge des Tanzes oder der leisen Worte, -die Gablenz ihr soeben gesagt hatte, rascher athmend und aufgeregt -ihrem Sitze zuschreitend.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_289" id="Page_289">[Pg 289]</a></span></p> - -<p>»Lenchen, tanz nicht so viel und so rasch!« sagte der Vater -mit einem unwilligen Seitenblicke auf ihren Tänzer; dann strich er -seinem Kinde ernst über das schöne, dunkle Haar und schien noch -etwas sagen zu wollen, schwieg aber doch und ging weiter, seine -Heiterkeit jedoch war für eine Weile verschwunden. »Sieh, daß du -den frechen Patron, den Junker Gablenz bald wieder los wirst, -Helldorf,« sagte er verdrießlich zu dem Geburtstäger. »Der Mensch -gehört nicht unter uns schlichte Leute, und den Mädels verdreht er -mit seinen glatten Reden die Köpfe.«</p> - -<p>»Hast recht, Bruder, 's ist mir lang schon nicht lieb, daß er da -ist,« entgegnete Herr von Helldorf beistimmend, »aber ihn hinausjagen -ohne Grund, das kann ich doch nicht, obwohl der windige -Monsieur in der Wirthschaft gar nicht zu brauchen ist; Walter muß -immer hinter ihm drein sein. Bei mir säet er ganz sicher Drachenzähne, -ich möchte darauf wetten.«</p> - -<p>In derselben Zeit gingen Frida und Sophie eine Weile Arm -in Arm durch die Gänge des Gartens.</p> - -<p>»Das ist mir prächtig geglückt!« rief Frida lachend, »und ich -danke dir und Helene für euren treuen Beistand. Wie erstaunt -Hannchen und Charlotte aus ihren guten, blauen Augen blickten, -als sie ihre Blumen in der Hand ihrer still Geliebten sahen, es war -köstlich!«</p> - -<p>»Aber ahnen dürfen sie nicht, daß wir Justus und Walter verrathen -haben, welche Blume sie trügen; das würden sie uns nicht -verzeihen,« entgegnete Sophie.</p> - -<p>»O <em class="gesperrt">wir</em> thaten es ja gar nicht, die Blumen sprachen ja selbst!« -lachte Frida.</p> - -<p>»Du bist eine kleine Sophistin,« sagte Sophie. Dann seufzte -sie leise und pflückte im Vorbeigehen eine rothe Rose vom Strauch.</p> - -<p>»Was hast du, Sophie?« fragte Frida.</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_290" id="Page_290">[Pg 290]</a></span></p> - -<p>»O nichts weiter, es fiel mir nur eben ein, daß die Blumen -gar oft als Dolmetscher dienen,« entgegnete Sophie.</p> - -<p>Frida dachte an ihr Gedicht von der Rose und sagte lächelnd: -»Besonders die Rosen. Ich glaube, so lange es Rosen gegeben, so -lange haben sie auch der Liebe als Dolmetscher gedient und Stoff zu -Liebesliedern gegeben. Keine Blume ist wohl je so viel besungen -worden, als die Rose.«</p> - -<p>Sophie wurde dunkelroth und vergrub ihr Gesicht in der Blume, -die sie in der Hand trug. »Ich kenne ein Gedicht an eine Rose,« -sagte sie zögernd, »das gehört zu den schönsten, die ich je gelesen. -Freilich kommt wohl auch dazu, daß der Dichter mir bekannt und -lieb ist.«</p> - -<p>»Und wie lautet es?« entgegnete Frida ziemlich gleichgültig; denn -ihre Gedanken waren weit fort von hier. Da aber schlugen Worte -an ihr Ohr, welche das Blut zu ihrem Herzen trieben.</p> - -<p>Sophie sagte mit etwas bebender Stimme:</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»In einem stillen Thale<br /></span> -<span class="i0">»Blüht eine Rose hold,<br /></span> -<span class="i0">»Die Blätter glühn und glänzen<br /></span> -<span class="i0">»Wie süßer Minne Sold.«<br /></span> -</div></div> - - -<p>»Um Gottes Willen, Sophie, woher kennst du diese Verse?« -rief jetzt Frida und legte zitternd die Hand auf der Freundin Arm.</p> - -<p>»Woher?« sagte Sophie sich abwendend und zögerte mit der -Antwort. »Nun, daß ich es dir nur gestehe,« fuhr sie dann verlegen -lächelnd fort, »Herr von Gablenz hat sie gedichtet und mir gegeben.«</p> - -<p>»Er hat sie <em class="gesperrt">dir</em> gegeben, Sophie?« rief Frida heftig und blickte -verstört in Sophies Gesicht. »Dir? Und wann?«</p> - -<p>»O schon bald nach seiner Herkunft,« sagte diese lächelnd. »Aber -warum bist du denn so bleich und sonderbar, Frida? Mein Gott, -was fehlt dir? Bist du unwohl?«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_291" id="Page_291">[Pg 291]</a></span></p> - -<p>»Nein, nein,« stotterte Frida. »Ich.... ich. O Sophie, sage -mir, ich flehe dich an, sollten diese Verse mehr für dich sein, als eben -nur ein schönes Gedicht?«</p> - -<p>Sophie erschrak über den Ausdruck von Angst und Spannung, -den Frida's Züge trugen. »Wenn es nun so wäre, und die Verschen -mir mehr aussprechen sollten, warum frägst du mich danach, Frida?« -sagte sie beklommen.</p> - -<p>»O weil er kurz zuvor mit demselben Gedicht <em class="gesperrt">mir</em> seine Liebe -gestanden hat!« rief Frida fassungslos und barg das Gesicht in -beiden Händen.</p> - -<p>»Dir, Frida? Gott im Himmel, so sind wir Beide betrogen!« -sagte Sophie tonlos. »Gestern hat er sich mit mir verlobt.«</p> - -<p>Mit einem Aufschrei sank Frida auf eine Bank nieder, und lange -saßen die beiden unglücklichen, jungen Mädchen still und sprachlos -neben einander. Jede rang nach Fassung. Frida weinte krampfhaft -in ihr Tuch, das in ihrer Hand zitterte; denn ihr armes, junges -Herz war wie vernichtet von dem Schlage, der sie getroffen. Eine -ganze Welt von Glück und Hoffnungen war für sie in einem einzigen -Augenblicke zusammengestürzt, und das Bitterste, was ein Herz -erfahren kann, war über sie gekommen: getäuschtes Vertrauen, verrathene -Liebe. — Sophie war viel ruhiger und gefaßter, als ihre -viel jüngere und viel leidenschaftlichere Freundin. Bleich und wie -gelähmt saß sie da und blickte düster zu Boden.</p> - -<p>»Hat dich Gablenz noch während dieser letzten Zeit in dem -Glauben erhalten, daß er dich liebe?« sagte sie endlich matt.</p> - -<p>»O heut noch, heut noch!« schluchzte Frida. »Er schien außer -sich zu sein, als ich nicht seine Valentine wurde. Er hatte eine rothe -Rose in der Hand und erschrak, als er meine weiße sah.«</p> - -<p>»O dieser Komödiant!« rief Sophie emporspringend. »Ich selbst -habe ihm gesagt, rothe Rosen trage Helene, die er zur Valentine<span class="pagenum"><a name="Page_292" id="Page_292">[Pg 292]</a></span> -wählen wollte. So hat er dreifaches Spiel getrieben und umstrickt -auch die arme Helene. O mein Gott, mein Gott, und ich habe der -Stimme meiner Vernunft nicht hören wollen, die mich immer wieder -vor ihm warnte, habe mir wirklich eingebildet, er könne mich häßliches, -unscheinbares Mädchen lieben! Wie bitter bin ich für meine -Eitelkeit und Thorheit bestraft worden. O Frida, wie entsetzlich -ist's doch, ein reiches Mädchen zu sein!«</p> - -<p>»Du meinst wirklich, daß er dich deshalb heirathen wollte, weil -du reich bist?« rief Frida empört.</p> - -<p>»Nur deshalb, ich sehe es nur zu deutlich!« entgegnete Sophie -spöttisch lachend. »O daß ich dem Onkel nicht glaubte! Aber ihm -will ich die Sache jetzt anvertrauen; er soll uns von dieser Natter befreien, -die sich bei uns eingeschlichen, ich mag ihn nicht wiedersehen.«</p> - -<p>»O um alles in der Welt, auch ich nicht!« schluchzte Frida in -neue Thränen ausbrechend. Dann warf sie ein Blättchen Papier, -das sie wie ein Heiligthum still in einem goldenen Medaillon am -Herzen getragen, voll Ingrimm zu Boden, und mit dem Fuße darauf -tretend sagte sie heftig: »Fort mit dir, du Zeuge meiner Thorheit -und Leichtgläubigkeit. O könnte ich mich selbst zur Strafe auch so -mit Füßen treten!«</p> - -<p>Sophie aber bückte sich und nahm das Papier auf; es war -Gablenz Rosengedicht. »Laß es mir, Frida,« sagte sie bitter, »es -soll uns rächen.«</p> - -<p>Jetzt hörte man Stimmen in der Nähe; es waren die der jungen -Männer, welche kamen, ihre Valentinen zu suchen.</p> - -<p>»Ich kann nicht, ich bin krank!« rief Frida zitternd und klammerte -sich an Sophie fest.</p> - -<p>»Sei ruhig und laß mich nur machen,« entgegnete Sophie, welche -seit der traurigen Entdeckung etwas so Energisches, Entschlossenes -<span class="pagenum"><a name="Page_293" id="Page_293">[Pg 293]</a></span>in ihrem Wesen hatte, daß die arme; schwache Frida, die wie zerschmettert -war von Jammer und Weh, sich unwillkürlich von ihr -leiten ließ.</p> - -<p>»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte Sophie, den jungen Leuten -entgegengehend, »Fräulein Frida war so unwohl, daß wir die Stille -aufsuchten, und jetzt sogar auf mein Zimmer gehen müssen; Sie -entschuldigen uns wohl freundlichst noch für eine Stunde.«</p> - -<p>Mit lebhaftem Bedauern zogen sich die Herren zurück, die jungen -Mädchen aber eilten durch eine Seitenthür in das Haus auf Sophie's -Zimmer; denn Frida bedurfte in der That der Ruhe und Einsamkeit. -Sophie selbst hatte noch keine Thräne vergossen; Scham und -Empörung waren so heftig in ihr, daß sie den Schmerz übertäubten, -und in dieser Stimmung eilte sie zu ihrem Onkel.</p> - -<p>»Hm, hm, das ist ja eine saubere Geschichte!« sagte der alte -Herr nachdenklich, als Sophie ihre Mittheilung beendet hatte. »Laß -mich nur machen, mein Kindchen! Hat er Komödie gespielt, laß -sehn, ob wir es nicht noch besser können.«</p> - -<p>»Was willst du thun, lieber Onkel?« rief Sophie ängstlich.</p> - -<p>»Nichts weiter, als dir ganz die Augen öffnen. Sorge dich nur -nicht und laß mich machen!« entgegnete der Alte, sich vergnügt die -Hände reibend. »<em class="gesperrt">Den</em> Junker wollen wir heut los werden; eine -bessere Geburtstagsbescheerung konntest du mir nicht machen, mein -Töchterchen. Da, stell dich dort in das tiefe Fenster, da hörst du die -ganze Geschichte mit an, ohne gesehen zu werden.«</p> - -<p>Kaum hatte Sophie sich zurückgezogen, als Herr von Gablenz -in seiner sorglosen, eleganten Manier in das Zimmer trat.</p> - -<p>»Sie wünschen mich zu sprechen, Herr von Helldorf?« sagte er, -sich leicht verbeugend.</p> - -<p>»Allerdings, mein lieber Herr,« entgegnete dieser leutselig. -»Meine Nichte sagte mir soeben, daß sie sich mit Ihnen verlobt habe, -und da wollte ich doch der Erste sein, der Ihnen Glück dazu wünscht.«</p> - -<p><span class="pagenum"><a name="Page_294" id="Page_294">[Pg 294]</a></span></p> - -<p>Gablenz war sehr roth geworden und verbeugte sich tief, um -seine Ueberraschung zu verbergen. Aber ehe er noch ein Wort des -Dankes hervorbringen konnte, fuhr der alte Herr freundlich fort: -»Es freut mich das für Sophie um so mehr, als ich dadurch über -ihre unsichre Zukunft beruhigt bin; denn bei so wenig Vermögen -ist die Lage einer Waise oft trübe genug.«</p> - -<p>Gablenz fuhr bei diesen Worten leicht auf und umfaßte krampfhaft -die Lehne des Stuhles, an dem er stand.</p> - -<p>»Ich glaubte,« sagte er halblaut, »die Verhältnisse Ihrer Fräulein -Nichte seien bessere.«</p> - -<p>»Ja, so denken die Leute,« entgegnete der alte Herr, eine Prise -nehmend. »Aber das ist ein Irrthum. Wer meine Nichte heirathet, -muß sich schon mit ihren andern guten Eigenschaften begnügen. -Aber ich denke ja, das versteht sich von selbst bei einer rechten -Neigung. Also, mein lieber Herr, Sophie hat Ihnen gestern schon -das Jawort gegeben, wenn ich nicht irre, nicht wahr?«</p> - -<p>»O so bestimmt doch noch nicht, mein verehrter Herr von Helldorf,« -sagte Gablenz, der jetzt wieder seine sichre Haltung gewonnen -hatte. »Sie wissen ja, wie das bei jungen Leuten so geht! Man -läßt sich im Augenblick oft wohl hinreißen und ein Wort entschlüpfen, -das der Moment geboren; aber zu einer ernsteren oder gar bindenden -Entscheidung ist es bis jetzt noch nicht gekommen. Auch -würde ich einen solchen Schritt jetzt kaum wagen dürfen, so sehr -mich Ihr Vertrauen ehrt, theurer Herr von Helldorf. Meine Lage -ist durchaus im Augenblick derart, daß ich an keine ernstere Verbindung -denken kann. Auch fürchte ich sehr, Fräulein Sophie nicht -länger meine Verehrung darbringen zu können, da ich leider genöthigt -bin, morgen schon Ihr werthes Haus zu verlassen, wie ein -Brief mir heut die Nachricht bringt. Ich bin....«</p> - -<p>»Halt, ich kann das nicht länger ertragen!« rief jetzt Sophie<span class="pagenum"><a name="Page_295" id="Page_295">[Pg 295]</a></span> -rasch, welche bleich und bebend aus der Fensternische hervortrat. -»Wozu die Komödie, Onkel? Es ist unwürdig und ganz überflüssig. -Herr von Gablenz,« wandte sie sich stolz an den jungen Mann, der -wie vom Blitz getroffen vor ihr stand, »nicht Sie, sondern <em class="gesperrt">ich</em> löse -hiermit ein Verhältniß auf, das Sie die Dreistigkeit haben, als nicht -bestehend anzusehen. Mein Vermögen habe ich <em class="gesperrt">nicht</em> verloren, wie -mein Onkel sagte, indessen....«</p> - -<p>»Aber theure Sophie, höre mich doch erst!« rief Gablenz schnell, -der wieder Leben erhielt, sowie Sophie die letzten Worte ausgesprochen -hatte. »Ich meinte ja nur....«</p> - -<p>»Was Sie meinen und denken, habe ich leider schon zu lange -mit angehört!« rief Sophie sich hochaufrichtend. »Sie würden vielleicht -besser thun, heut schon Hermsbach zu verlassen, es möchten -sonst noch mehr peinliche Augenblicke für Sie eintreten.«</p> - -<p>»Und bitte, nehmen Sie doch gefälligst diese Verschen auch wieder -mit, die sich im Duplikat vorgefunden haben!« sagte Herr von Helldorf -schmunzelnd, indem er Gablenz die beiden verhängnißvollen -Gedichte überreichte. »Ich würde Ihnen rathen,« fügte er, abermals -eine Prise nehmend, hinzu, »das Dingelchen gleich lithographiren -zu lassen, da vertheilt es sich noch schneller an leichtgläubige Schönen. -Und damit guten Tag, mein lieber Herr! Ihre plötzliche Abreise -wird Sie wohl verhindern, sich bei der Gesellschaft zu verabschieden, -ich übernehme das von Herzen gern. Empfehl' mich, empfehl' mich, -glückliche Reise!«</p> - -<p>Mit diesen Worten schloß er die Thür hinter dem bestürzten -jungen Mann, dessen Dreistigkeit und Sicherheit während der letzten -Augenblicke in der That völlig Schiffbruch gelitten hatten, und der -nichts Eiligeres zu thun wußte, als sich schnell aus dem Staube -zu machen. Bald hörte man einen Wagen zum Hofthore hinausfahren, -der den lockern Patron davonführte. Sophie aber war jetzt<span class="pagenum"><a name="Page_296" id="Page_296">[Pg 296]</a></span> -von Schmerz und Aufregung überwältigt und lag weinend im Arme -ihres braven Onkels, der ihr bald lachend, bald tröstend die Backen -streichelte.</p> - -<p>»Wein' doch nicht, mein herziges Kindchen!« sagte er schmeichelnd, -»der schuftige Patron ist ja gar nicht werth, daß so liebe Guckaugen -darum roth werden. Danke Gott, daß wir ihn los sind, ehe er noch -mehr Unheil stiftete.«</p> - -<p>Und dasselbe sagte Sophie, welche endlich wieder ihre Fassung -erlangte, zu der trostlosen Frida, die ganz außer sich gerieth, als sie -das weitere Benehmen dessen erfuhr, der ihr so unsäglich theuer -gewesen war. Sie konnte sich nicht entschließen, wieder in der Gesellschaft -zu erscheinen, und so dauerte es nicht lange, da kam Hannchen -zu ihr, welche von ihrem Unwohlsein gehört hatte.</p> - -<p>Frida sank ihr schluchzend in die Arme. »O Hannchen, Hannchen!« -rief sie trostlos, »warum habe ich deine Warnungen verachtet -und die meines Vaters; nun bin ich grausam dafür bestraft -worden!« —</p> - -<p>Wir verlassen jetzt unsere Frida für eine Weile und übergeben -sie noch für einige Wochen der treuen Liebe und Sorge ihrer Cousinen -und Tante, welche in ihrer liebevollen und zartfühlenden Weise -es vortrefflich verstanden, das tief gekränkte junge Herz wieder mit -Welt und Menschen zu versöhnen. Dann aber folgen wir ihr wieder -nach dem Vaterhause, in welches sie nach langer Abwesenheit endlich -zurückkehrte. Wir finden sie an der Seite Gertruds, mit der sie -soeben ein langes, ernstes Gespräch gehabt hat, das sich noch -immer auf Frida's lieblichem Gesicht wiederspiegelt. Das junge -Mädchen blickt unendlich viel ernster und sinniger aus ihren schönen -Augen, seit wir sie an jenem verhängnißvollen Tage in Hermsbach -verließen, und ein ruhigeres, gehaltneres Wesen spricht aus ihrer -ganzen Haltung. Das eitle, thörichte Kind, das der Vater einst<span class="pagenum"><a name="Page_297" id="Page_297">[Pg 297]</a></span> -seiner Schwägerin vertrauensvoll übergab, es ist seitdem zur verständigen -Jungfrau herangereift, und auch ihr Aeußeres trägt den -Stempel dieser Sinnesänderung.</p> - -<p>Statt in der so äußerst eleganten Kleidung und übertriebenen -Haartracht, in der wir sie zuerst kennen lernten, finden wir sie jetzt -zwar zierlich und gut, aber doch höchst einfach gekleidet, und ihr -reiches, blondes Haar in der Art um ihren Kopf geschlungen, wie -Hannchen es an jenem ersten Morgen in Dahme geordnet hatte. -Jetzt blickte sie auf, und plötzlich Gertruds Hand an ihre Lippen -ziehend, sagte sie leise: »O Mama, nun aber ist alles, alles gut, -und ich will ein neues Leben beginnen. Es war eine harte Schule, -durch welche Gott mich zur Einsicht geführt; aber ich danke ihm -jetzt dafür. Diese entsetzliche Täuschung hat mich viel älter und -ernster, aber auch viel besser gemacht. Ich wollte meine eignen -Wege gehen in diesen wie in allen andren Dingen, und widerstrebte -sowohl meines Vaters Wünschen, als auch deiner liebevollen -Führung, und daraus konnte nichts Gutes für mich erwachsen. -Verzeih mir und habe Geduld, jetzt soll alles anders werden.«</p> - -<p>Gertrud zog ihre Tochter liebevoll an sich und sprach gute Worte -zu ihr voll Sanftmuth und Anerkennung. Da trat der Diener in -das Zimmer mit einem Briefchen an Frida. Das junge Mädchen -öffnete es, und ein Zug des Mißvergnügens flog über ihr Gesicht.</p> - -<p>»Es ist eine Einladung von Franziska,« sagte sie mit einem -leisen Seufzer.</p> - -<p>»Willst du nicht zusagen, liebe Frida?« fragte Gertrud.</p> - -<p>»Nein, Mama, ich möchte es nicht,« entgegnete Frida ernst.</p> - -<p>»Es ist aber schon das zweite Mal, daß du es ihr abschlägst,« -sagte Gertrud. »Sie wird es dir gewiß übel nehmen.«</p> - -<p>»Mag sie doch, ich werde ihr einige Zeilen schreiben,« rief Frida -rasch entschlossen und stand vom Stuhle auf. »Warum soll ich ein<span class="pagenum"><a name="Page_298" id="Page_298">[Pg 298]</a></span> -Verhältniß aufrecht erhalten, das mir in so hohem Grade unerträglich -wird. Franziska hat es fast als eine Beleidigung ihrer Familie -angesehen, daß Gablenz in dieser Weise aus Hermsbach entlassen -wurde, da er selbst es ihnen als seinen freien Entschluß darzustellen -wußte. Sie hat in dieser unglücklichen Geschichte, welche hauptsächlich -durch ihr Zuthun so weit gedeihen konnte, jetzt nur spitze -Reden für mich, die ich nicht länger ertragen will, und seit ich nicht -mehr so viel Sinn wie einst für ihre Eitelkeiten und Thorheiten -zeige, muß ich nichts als Spöttereien mit anhören über ländliche -Einfalt und Tugend. Das kann und mag ich nicht länger, Mama, -darum will ich ihr lieber klar und ehrlich gestehen, daß unsre Wege -verschieden sind. Ueber lang oder kurz käme es doch zu einem Bruche, -und ich begreife jetzt blos nicht, wie es zwischen uns überhaupt jemals -zu solcher Freundschaft kommen konnte.«</p> - -<p>Während Frida dies Briefchen schrieb, trat ihr Vater in's -Zimmer.</p> - -<p>»Hier, mein Töchterchen,« sagte er heiter, Frida ein Blatt Papier -reichend, »da kommt Tante Marie's vorläufige Einladung zur Hochzeit. -Hannchen schreibt dir wohl selbst das Nähere, sieh einmal -nach.«</p> - -<p>Mit leuchtenden Augen öffnete Frida das Briefchen.</p> - -<p>»O es soll ja eine Doppelhochzeit sein, Papa,« rief sie jubelnd. -»Justus und Hannchen hatten erst noch warten sollen, bis die neue -Pfarre in Hermsbach fertig würde, die Papa Helldorf seinem neuen -Pastor bauen läßt. Walter und Lottchen wollen aber absolut nicht -allein heirathen. Auf dem Vorwerk, das Walter übernimmt, sei -so schrecklich viel Platz, daß da zwei junge Ehepaare bequem hausen -können, behaupten sie, und so soll ich mich eilen, meinen Hochzeitsstaat -fertig zu machen, denn lange wollen sie nun nicht mehr warten. -Sophie und Helene, Martha und ich sind die Brautjungfern. O wie<span class="pagenum"><a name="Page_299" id="Page_299">[Pg 299]</a></span> -köstlich, Papa, und wir sind alle, alle eingeladen, du und Mama -und die Kinder, alle, alle. Aber da liegt ja noch ein Zettelchen im -Briefe, was ist denn das?«</p> - -<p>Neugierig entfaltete Frida einen schmalen Streifen Papier und -las die Worte:</p> - - -<div class="poem"><div class="stanza"> -<span class="i0">»Was du gewünscht, es ist geschehn,<br /></span> -<span class="i0">Und Ernst entsproß den Scherzen;<br /></span> -<span class="i0">Kornblümchen blau und Tausendschön<br /></span> -<span class="i0">Blühn jetzt an treuen Herzen.<br /></span> -<span class="i0">Nun schlinge selbst die Myrthe ein,<br /></span> -<span class="i0">Die Valentinen harren dein!«<br /></span> -</div></div> - - -<p>Frida lachte herzlich, als sie das Verschen gelesen hatte. »Das -ist sicher ohne Hannchens Vorwissen zu mir gewandert,« sagte sie -dann nachdenkend. »Aber es bestätigt mir endlich, was ich lange -schon gedacht habe: Jener unselige Valentinstag hat zur Verlobung -der beiden lieben Paare geführt, wie ich im Stillen so innig wünschte. -Sie haben es nur nicht eingestehen wollen, da dieser Tag für andre -so unheilvoll wurde. Aber wie Herr von Helldorf zu Pastor Werder -beim Abschied leise sagte, so können wir schließlich alle sprechen: -»Gott sei Dank, das war ein gesegneter Tag für mich!« —</p> - -<p>Und rasch eine Thräne zerdrückend, welche gegen ihren Willen -noch einmal ihr helles Auge trübte, reichte Frida ihren Eltern beide -Hände. »Auch ihr sollt so sagen können, das verspreche ich euch! -Eure Frida ist an jenem Tage und in jener Zeit von mehr als -dieser einen Thorheit geheilt worden.«</p> - - - -<div class="figcenter" style="width: 50%" > -<img src="images/endoc.jpg" alt="Cover" style="width: 40%" /> -</div> - - -<p class="center">Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.</p> - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Drei Erzählungen für junge Mädchen, by -Clementine Helm - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DREI ERZÄHLUNGEN FÜR JUNGE MÄDCHEN *** - -***** This file should be named 56098-h.htm or 56098-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/6/0/9/56098/ - -Produced by Jens Sadowski, Pál Haragos and the Online -Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This -file was produced from images generously made available -by The Internet Archive) - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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