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-The Project Gutenberg eBook, Der letzte Sommer, by Ricarda Huch
-
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
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-
-
-Title: Der letzte Sommer
- Eine Erzählung in Briefen
-
-
-Author: Ricarda Huch
-
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-
-Release Date: September 18, 2017 [eBook #55578]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-
-***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LETZTE SOMMER***
-
-
-E-text prepared by Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading
-Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by
-Internet Archive (https://archive.org)
-
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-
-Note: Images of the original pages are available through
- Internet Archive. See
- https://archive.org/details/derletztesommere00huch
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-DER LETZTE SOMMER
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- Von Ricarda Huch erschienen früher im gleichen Verlage:
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- Von den Königen und der Krone.
- Roman. 5. Auflage.
-
- Geh. M 4.--, geb. M 5.--
-
-
- Seifenblasen. Drei scherzhafte Erzählungen.
- 3. Auflage.
-
- Geh. M 3.50, geb. M 4.50
-
-
- Die Verteidigung Roms. Roman.
- Der »Geschichten von Garibaldi«. I. Teil
- 6. Tausend.
-
- Geh. M 5.--, geb. M 6.--
-
-
- Der Kampf um Rom. Roman.
- Der »Geschichten von Garibaldi«. II. Teil
- 4. Auflage.
-
- Geh. M 5.--, geb. M 6.--
-
- * * * * * *
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-DER LETZTE SOMMER
-
-Eine Erzählung in Briefen
-
-von
-
-RICARDA HUCH
-
-Vierte Auflage
-
-
-
-
-
-
-Stuttgart und Leipzig
-Deutsche Verlags-Anstalt
-1910
-
-Alle Rechte,
-insbesondere das Recht der Uebersetzung in andere Sprachen,
-vorbehalten
-Nachdruck wird gerichtlich verfolgt
-
-Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart
-Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, Württemberg
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 5. Mai 19..
-
-Lieber Konstantin! Ich habe mein Amt angetreten und will Dir berichten,
-wie sich mir die Lage darstellt. Daß mir gelingen wird, was ich vorhabe,
-bezweifle ich nicht, es scheint sogar, daß die Umstände günstiger sind,
-als man voraussetzen konnte. Meine Persönlichkeit wirkt in der ganzen
-Familie des Gouverneurs sympathisch, von Argwohn ist keine Rede; dies
-ist im Grunde natürlich, nur wir Wissende konnten das Gegenteil
-befürchten. Wenn der Gouverneur Erkundigungen über mich eingezogen hat,
-so konnten diese mir nicht schaden; meine Zeugnisse von der Kinderschule
-an bis zur Universität sind glänzend, und das einzige, was zu meinem
-Nachteil sprechen könnte, daß ich mich mit meinem Vater überworfen habe,
-wird dadurch entkräftet, daß sein herrschsüchtiger und verschrobener
-Charakter allgemein bekannt ist. Ich glaube aber eher, daß er es nicht
-getan hat; der Mann ist so ganz ohne Mißtrauen, daß es in seiner Lage an
-Einfalt grenzen würde, wenn es nicht mehr mit seiner Furchtlosigkeit und
-seiner unrichtigen Beurteilung der Menschen zusammenhinge. Außerdem
-scheint meine Anstellung durchaus ein Werk seiner Frau zu sein, die, von
-Natur ängstlich, seit sie den Drohbrief erhalten hat, nichts andres mehr
-denkt, als wie sie das Leben ihres Mannes schützen kann. Mißtrauen liegt
-auch in ihrer Natur nicht; während sie in jedem Winkel unmögliche
-Gefahren wittert, könnte sie dem Mörder einen Löffel Suppe anbieten,
-wenn es ihr so vorkäme, als ob der arme Mann nichts Warmes im Leibe
-hätte.
-
-Sie erzählte mir, daß eben der von Dir verfaßte Brief sie auf den
-Gedanken gebracht hätte, einen jungen Mann zu suchen, der unter dem
-Vorwande, ihres Mannes Sekretär zu sein, seine Person vor etwaigen
-Anschlägen beschützte, ohne daß er selbst es bemerkte. Es sei ihr jedoch
-nicht möglich gewesen, weder ihre Angst noch ihren Plan vor ihrem Manne
-geheimzuhalten, und auf ihr inständiges Bitten und um Ruhe vor ihr zu
-haben, sei er endlich darauf eingegangen, teils auch, weil er seit
-kurzem eine Art Nervenschmerz am rechten Arm habe, der ihm das Schreiben
-erschwere. Er habe aber die Bedingung gestellt, daß er wenigstens des
-Nachts unter dem alleinigen Schutze seiner Frau bleiben dürfe. Sie
-lachten beide, und er setzte hinzu, seine Frau verstehe sich so
-ausgezeichnet auf die Befestigung der Schlafzimmer, daß er sich dreist
-ihr anvertrauen dürfe; sie gehe nie zu Bett, ohne vorher alle Schränke
-und besonders die Vorhänge untersucht zu haben, die sie für
-Schlupfwinkel von Verbrechern hielte. Natürlich, sagte sie lebhaft,
-vorsichtig müsse man doch sein, ängstlich sei sie durchaus nicht, sie
-lasse sogar nachts die Fenster offen, weil sie eine Freundin der
-frischen Luft sei, gehe allerdings mit dem Gedanken um, Gitter machen zu
-lassen, die man davor setzen könne; denn da die Haustüre verschlossen
-wäre, bliebe doch den Leuten, die Böses vorhätten, nichts andres übrig,
-als durchs Fenster einzusteigen. Indessen, sagte sie, habe sie schon
-jetzt das Gefühl, daß sie sich weniger Gedanken machen würde, nun ich da
-wäre. Ihr Gesicht hatte etwas ungemein Gewinnendes bei diesen Worten.
-Ich sagte: »Das hoffe ich. Ich würde jede Sorge, die Sie sich jetzt noch
-machten, als einen Vorwurf gegen meine Berufstreue auffassen.« Während
-dieses Gespräches war der Sohn ins Zimmer gekommen; er sah mich mit
-einem besorgten Blick an und sagte: »Fangen Sie heute schon an?«,
-worüber wir alle so lachen mußten, daß dadurch sofort ein vertraulicher
-Ton hergestellt war. Dieser Sohn, er heißt Welja, ist ein hübscher und
-sehr drolliger Junge, nicht viel jünger als ich, spielt aber noch wie
-ein Kind von fünf Jahren, nur daß das Spielzeug nicht mehr ganz dasselbe
-ist. Studieren tut er die Rechte, um einmal die diplomatische Laufbahn
-einzuschlagen; man merkt aber nichts davon. Er ist klug und ein moderner
-Mensch mit zahllosen unbeschnittenen Trieben und unbegrenzter
-Empfänglichkeit; sein Charakter ist, keinen zu haben, und dies macht ihn
-vollkommen belanglos. Er sieht von jeder Sache nur die Seite, an die
-sich ein Bonmot anknüpfen läßt, dessen größter und unwiderstehlicher
-Reiz in der verschlafenen Art besteht, wie er es vorbringt.
-
-Außer dem Sohne sind zwei Töchter da, Jessika und Katja, zwischen
-zwanzig und dreiundzwanzig Jahren, blond, niedlich, einander ähnlich wie
-Zwillinge. Sie waren gegen mich eingenommen, weil sie die Furchtsamkeit
-ihrer Mutter albern finden und weil sie fürchteten, in ihrer
-sommerlichen Zurückgezogenheit gestört zu werden; da ihnen aber mein
-Aeußeres hübsch und stilvoll vorkommt, und da Welja, der ihr Vorbild
-ist, sich zu mir hingezogen fühlt, fangen sie an, sich mit meiner
-Anwesenheit zu befreunden. Diese drei Kinder erinnern mich, ich weiß
-nicht warum, an kleine Kanarienvögel, die dicht zusammengedrängt auf
-einer Stange sitzen und zwitschern. Ueberhaupt hat die ganze Familie
-etwas kindlich Harmloses, das mich und meine Aufgabe vor mir selbst
-lächerlich machen könnte; aber ich kenne die menschliche Seele gut
-genug, um zu wissen, daß diesem Wesen maßloser Hochmut zugrunde liegt.
-Haß, ja selbst Uebelwollen setzt doch eine gewisse Nähe zu den Menschen
-voraus; diese fühlen sich im Grunde allein in einer ihnen gehörenden
-Welt. Alle andern haben nicht die Bedeutung der Wirklichkeit und greifen
-nicht in ihren Frieden ein.
-
-Die Dienerschaft besteht aus einem Kutscher, Iwan, der trinkt, und den
-Welja Väterchen nennt, und drei Mädchen; alles sind Leute altrussischer
-Art, fühlen noch als Leibeigene, beten ihre Herrschaft an und urteilen
-doch mit unbewußter Ueberlegenheit über sie, weil sie dem Urquell noch
-näher sind. Liebe Wesen, die mir, wie Tiere, eine gewisse Ehrfurcht
-einflößen.
-
-Dies sind meine ersten Eindrücke; Du hörst bald mehr von mir.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 6. Mai.
-
-Lieber Peter! Ich habe mich damit abgefunden, daß ich während der ganzen
-Dauer von Papas Urlaub hier auf dem Lande bleiben muß. Blödsinnige
-Sache, dieser Schluß der Universität. Ich hatte doch vollkommen recht,
-als ich Ruhe empfahl; denn daß wir bei einem Kampfe den kürzeren ziehen
-mußten, war vorauszusehen. Aber Du mußtest natürlich wie eine geheizte
-Maschine ohne Bremse drauflos, und es ist reiner Zufall, daß Du nicht
-von meinem eignen Vater an den Galgen gebracht wirst. Es ist durchaus
-keine Schande, der Uebermacht nachzugeben, vielmehr Stumpfsinn und
-Raserei, gegen sie anzugehen; ich leide an keinem von beiden. Wenn mir
-die armen Kerls nicht leid täten, die mit ihrem heiligen Eifer so
-rettungslos hereingefallen sind, würde ich mich mit der Geschichte ganz
-aussöhnen; den Sommer genießt man hier schließlich am besten, und aus
-der Affäre mit der Lisabeth, die ich ein bißchen unüberlegt angezettelt
-hatte, hätte ich mich nicht so leicht loswickeln können, wenn ich in
-Petersburg geblieben wäre. Wenn Papa und Mama auch etwas rückständig
-sind, so haben sie doch Verstand und Geschmack und sind zum täglichen
-Umgang viel angenehmer als die rabiaten Köpfe, mit denen Du Deine
-antediluvianische Dickhaut zu umgeben liebst. Papa darf man zwar nicht
-ernstlich widersprechen, wenn man seine Ruhe bei Tisch haben will, aber
-Mama hört gelegentlich eine rebellische Ansicht recht gern und frondiert
-mit einer gewissen Verve gegen Papa, was ihm auch in angemessenen
-Grenzen gut an ihr gefällt; wenn er sich aber nachdrücklich räuspert
-oder die Augenbrauen zusammenzieht, lenkt sie gleich ein, schon um uns
-mit dem guten Beispiel der Unterordnung voranzugehen. Uebrigens ist ja
-auch Katja hier, es ist also nicht nur erträglich, sondern positiv nett.
-
-Der Schutzengel ist angekommen. Mama ist überzeugt, daß er das Talent
-hat, alle Gifte, Waffen, Dynamitpatronen und sonstigen Unfälle von Papa
-ab- und auf sich hinzulenken, und schätzt den begabten jungen Mann
-unendlich. Wir dachten, es würde ein Mann mit breitem Vollbart, biederen
-Fäusten und aufgeblasenen Redensarten ankommen; anstatt dessen ist er
-schlank, glattrasiert, zurückhaltend, eher ein englischer Typus. Mir
-sagte er, sein Vater habe verlangt, daß er sich zu einer Professur
-melde, er hat nämlich Philosophie studiert, aber er wolle keinen Beruf
-und habe besonders einen Widerwillen gegen die zünftigen Philosophen. Um
-ihn zu zwingen, habe sein Vater ihm alle Geldmittel entzogen, und
-deshalb habe er diese Stellung angenommen, zu der er im Grunde wohl
-wenig befähigt sei. Er sagte: »Ich glaube, ich kann mich am ersten
-dadurch nützlich machen, daß ich Ihre Frau Mutter ein wenig beruhige,
-und das scheint mir gar nicht schwer zu sein. Sie hat die liebenswürdige
-Eigenschaft, nicht zweifelsüchtig zu sein, und wird mich gern für einen
-geborenen Blitzableiter halten, wenn ich mir einigermaßen Mühe gebe,
-einen solchen vorzustellen.« Ich sagte: »Wenn Sie sich nur nicht dabei
-langweilen.« Darüber lachte er und sagte: »Ich langweile mich nie. Der
-Mensch befindet sich, wo er auch ist, im Mittelpunkt eines Mysteriums.
-Aber auch abgesehen davon: ich liebe das Landleben und gute
-Gesellschaft, für mich ist also gesorgt.« Er hat einen durchdringenden
-Blick, und ich bin überzeugt, daß er uns alle schon ziemlich zutreffend
-zerlegt und eingeteilt hat. Er selbst glaubt unergründlich zu sein; ich
-halte ihn trotz seiner anscheinenden Kälte für verwegen, sehr
-leidenschaftlich und ehrgeizig. Es wäre schade, wenn er doch noch einmal
-Professor würde. Man hat das Gefühl, daß er mehr will und kann als andre
-Menschen. Seine Ansichten werden wohl nicht weniger revolutionär sein
-als unsre, aber er ist bis jetzt ganz unpersönlich im Gespräch. Diese
-Objektivität imponiert mir eigentlich am meisten, besonders weil seine
-Unterhaltung trotzdem anregend ist. Jessika und Katja sind dafür
-natürlich sehr empfänglich, weswegen Du aber noch nicht eifersüchtig zu
-werden brauchst, alter Saurier.
-
- Dein Welja.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 7. Mai.
-
-Liebe Tante! Da es tiefstes Geheimnis ist und bleiben soll, daß Mama
-einen Sekretär für Papa angestellt hat, dessen eigentliche Bestimmung
-ist, Papa vor den Bomben zu schützen, die ihm angedroht sind, kann ich
-die Tatsache wohl als bekannt voraussetzen. Vielleicht ist es auch
-besser, wenn sie in den weitesten Kreisen verbreitet wird, dann fangen
-die Anarchisten gar nicht erst an zu werfen, wodurch unserm Schutzengel
-seine Arbeit erleichtert wird. Du siehst, daß ich ihm wohl will, und er
-verdient es schon deshalb, weil seine Anwesenheit so günstig auf Mamas
-Stimmung einwirkt. Am ersten Mittag fragte Mama ihn, was er geträumt
-habe; der erste Traum an einem neuen Aufenthalt sei bedeutungsvoll. Ich
-glaube, er hatte gar nichts geträumt, aber er erzählte, ohne sich zu
-besinnen, eine lange Geschichte, daß er sich im Innern eines herrlichen
-Palastes befunden habe und langsam von einem Raume zum andern gegangen
-sei, und beschrieb alle ganz ausführlich. Zuletzt sei er zu einem Gemach
-gekommen, in dem es ganz dunkel gewesen sei und auf dessen Schwelle ihn
-eine unerklärliche Bangigkeit befallen habe; er habe gezögert,
-weiterzugehen, dann sich zusammengenommen, dann wieder innegehalten und
-sei dann unter Herzklopfen aufgewacht. Mamas Augen wurden immer größer.
-»Wie gut,« sagte sie, »daß Sie nicht hereingegangen sind, es wäre gewiß
-etwas Schreckliches darin gewesen.« »Vielleicht eine Badewanne,« sagte
-Welja ruhig. Wir mußten alle lachen, und da Katja erst anfing, als wir
-andern schon fertig waren, dauerte es sehr lange. Ich sagte: »Bitte,
-träumen Sie doch nächste Nacht weiter und nehmen Sie ein Bad, damit Mama
-beruhigt ist; denn Baden kann doch nur Gutes bedeuten.« Nein, sagte
-Mama, Wasser wäre zweideutig, nur Feuer wäre ein unbedingter
-Glückstraum, und sie hätte eben diese Nacht einen gehabt. Dann erzählte
-sie ihren Traum, er war zu niedlich; sie hatte nämlich mit Papa schlafen
-gehen wollen, und da hatten ihre Betten in Flammen gestanden, schönen,
-hellen Flammen ohne Rauch (das ist sehr wichtig!), und sie hatte immer
-hineingeblasen in der Meinung zu löschen. Da hatte Papa gerufen:
-»Lusinja, so blase doch nicht!« und hatte vor Lachen kaum sprechen
-können, und darüber war sie auch ins Lachen gekommen und war lachend
-aufgewacht. Diesen Traum bezog Mama auf Lju, dessen Ankunft für uns
-glückbringend sei; Lju heißt unser Schutzengel. Daran anknüpfend
-erklärte er, woher der Volksglaube an die Bedeutung der Träume stamme
-und daß und warum Wasser und Feuer bei allen Völkern im selben Sinne
-aufgefaßt würden und was Wahres daran sei; leider kann ich es Dir nicht
-so hübsch auseinandersetzen, wie er es tat. Papa hörte auch sehr
-interessiert zu, obgleich er von Träumen und dergleichen eigentlich gar
-nichts versteht, und sagte zuletzt mit einem Seufzer: »Sie würden
-ausgezeichnet zum Sekretär meiner Frau passen!«
-
-Nun will ich Dir noch etwas Niedliches erzählen, das heute mittag
-passierte. Ich fragte Welja, ob er noch Pudding wolle, und er sagte nach
-seiner Gewohnheit: »Vater, wie du willst.« Lju sah ihn neugierig an, und
-da erklärte Mama, das wäre Weljas Lieblingsredensart, die er immer im
-Munde führte, um zu sagen, es ist mir gleichgültig; sie hoffe aber,
-setzte sie nachdrücklich hinzu, er unterdrückte nun einmal diese üble
-Angewohnheit, denn sie möge Profanationen des Heiligen durchaus nicht
-leiden. »Profanationen des Heiligen?« sagte Welja erstaunt. »Was meinst
-du damit?« »Aber Welja,« sagt Mama mit Entrüstung, »tu doch nicht, als
-ob du nicht wüßtest, daß die Worte in der Bibel stehen!« »Nein,
-wahrhaftig,« ruft Welja, »wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, daß solche
-faule Redensarten in der Bibel stehen, hätte ich auch mal drin gelesen!«
-Der gute Junge, das ehrlichste Staunen strahlte aus seinen
-weitaufgerissenen Augen. Lju konnte gar nicht aufhören zu lachen, ich
-glaube, er ist entzückt von Welja.
-
-Mit Papas Nerven geht es ganz gut, er hat Iwan einmal angegrollt, als er
-dachte, er wäre betrunken -- er war es zufällig gerade nicht -- und
-einmal, weil ihm der Reis angebrannt vorkam, aber einen richtigen Krach
-hat er noch nicht gemacht, obgleich wir schon vier Tage draußen sind.
-
-Geliebteste Tante, ich lege alle Tage Sträuße von Thymian, Lavendel und
-Rosmarin in unser Gastzimmer, nicht nur auf den Tisch, sondern auch in
-Schränke und Kommoden, damit es durch und durch einen hübschen
-Biedermeiergeruch bekommt. Belohne meine Aufmerksamkeit, indem Du
-kommst.
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Katja an Peter
-
-
- Kremskoje, 9. Mai.
-
-Lieber Peter! Du bist ein Kalb, wenn Du mir wirklich übelgenommen hast,
-daß ich nicht zu Hause war, als Du mir Adieu sagen wolltest. Konnte ich
-wissen, daß Du kommen würdest? Und außerdem machte ich noch einen Besuch
-bei der alten Generalin, was doch wahrhaftig kein Vergnügen ist.
-Uebelnehmen ist kleinbürgerlich, hoffentlich hat Welja mich angelogen.
-Wenn ich es nicht so unverschämt von Papa fände, daß er die Universität
-geschlossen hat, würde ich froh sein, daß ich hier bin. Ich tue nichts
-als essen, schlafen, lesen und radfahren. Der neue Sekretär ist sehr
-elegant, obgleich er kein Geld hat, eine glänzende Erscheinung und
-fabelhaft klug. Er radelt auch mit uns, aber er tut es nicht gern, er
-sagt, es wäre schon veraltet, man müßte jetzt Automobil fahren. Ich
-finde, er hat ganz recht, wir wollen Papa auch dahin bringen, daß er
-eins anschafft, einstweilen halten wir eine Zeitung für Automobilwesen.
-Gruß
-
- Katja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 10. Mai.
-
-Der Aufenthalt hier ist mir von großem psychologischem Interesse. Die
-Familie hat alle Vorzüge und Fehler ihres Standes. Vielleicht kann man
-von Fehlern nicht einmal reden; sie haben vorzüglich den einen, einer
-Zeit anzugehören, die vergehen muß, und einer im Wege zu stehen, die
-sich entwickelt. Wenn ein schöner alter Baum fallen muß, um einer
-Eisenbahnlinie Platz zu machen, so schmerzt es einen; man steht bei ihm
-wie bei einem alten Freunde und betrachtet ihn bewundernd und trauernd
-bis zu seinem Sturze. Unleugbar ist es schade um den Gouverneur, der ein
-vortreffliches Exemplar seiner Gattung ist; allerdings glaube ich, daß
-er seinen Höhepunkt bereits überschritten hat. Wenn er die Einsicht
-davon hätte und von seinem Amte zurückträte, oder wenn er es täte, um
-sein Leben nicht auszusetzen, niemand würde es freudiger begrüßen als
-ich; aber dazu ist er zu stolz. Er glaubt, nur wer arbeite und etwas
-leiste, habe ein Recht zu leben, überhaupt kann er sich ein Leben ohne
-Arbeit nicht vorstellen; darum will er arbeiten und glaubt, wenn er dies
-und das tue, was die Aerzte ihm empfehlen, so würde er die frühere Kraft
-allmählich wiedererhalten. Neulich schlief er ein, während er am
-Schreibtische saß, und ich konnte ihn ungestört beobachten; wie das
-schöne, dunkle und leidenschaftliche Auge sein Gesicht nicht belebte,
-erschien es sehr schlaff und erschöpft, während er im allgemeinen noch
-den Eindruck reifer Manneskraft hervorruft. Als er aufwachte, setzte er
-sich sofort aufrecht hin, warf einen schnellen Blick auf mich und war
-sichtlich dadurch beruhigt, daß ich nichts bemerkt zu haben schien. Es
-ist charakteristisch für ihn, daß er nicht gern zugibt, wenn er ermüdet
-oder schläfrig ist. So ist es ihm angenehm, daß ich ihm das bißchen
-Arbeit, das er hier während des Urlaubs erledigt, abnehme oder
-erleichtere, und er sagt es auch; aber er möchte nicht, daß man dächte,
-er wäre zu abgespannt, um es allein zu tun, ja es würde ihn unglücklich
-machen, es selbst zu denken.
-
-Er ist, wie oft Menschen, die im Amte für streng und mitleidlos gelten,
-gegen jeden einzelnen wohlwollend, ja sogar von unbegrenzter
-Gutmütigkeit, wenn er liebevoller Nachgiebigkeit und Unterordnung
-begegnet. Widersetzlichkeit macht ihn fassungslos, da er unmittelbar
-nichts empfindet als seinen Willen und naiv genug ist, um
-vorauszusetzen, daß er ebenso für alle andern maßgebend sein müßte. Er
-kommt mir vor wie eine Sonne, die schön und treu, wenn auch etwas
-rücksichtslos, ihre Welt zu unterhalten beflissen ist; er trägt, brennt
-und leuchtet nach Kräften und zweifelt nicht, daß die Planeten ihr Ideal
-darin finden, sich zeitlebens um ihn herumzudrehen. An die Existenz von
-Kometen und Abnormitäten glaubt er im Grunde nicht, es sei denn, daß sie
-in ihm selbst vorkämen; ich könnte mir denken, daß die ernstliche,
-tatsächliche Abtrünnigkeit eines Trabanten ihn eher wahnsinnig als
-zornig machte. Dabei tun seine Kinder im allgemeinen, was sie Lust
-haben; aber in der Theorie tasten sie seine Herrschaft nicht an; dann
-sind es seine eignen Kinder, und er ist ein Mann von starken Instinkten,
-und schließlich ist er bequem, was sich mit Arbeitsamkeit wohl vereinen
-läßt; zu Hause will er es behaglich haben.
-
-Welja ist ein reizvoller Junge, obwohl er hier nicht an seinem Platze
-ist. Er hat die Seele eines neapolitanischen Fischerknaben oder eines
-fürstlichen Lieblings, der hübsche Kleider trägt, hübsche, kecke Dinge
-sagt und keinen großen Unterschied zwischen Leben und Traum macht. Die
-beiden Töchter sind nicht so zwillingshaft, wie es mir zuerst schien,
-auch äußerlich nicht. Sie sind beide eher klein als groß und haben
-Massen blonden Haares über zarten Gesichtern, übrigens sind sie so
-verschieden voneinander wie eine Teerose von einer Moosrose. Wenn
-Jessika geht, ist es, als ob ein weicher Wind ein losgerissenes
-Blütenblatt durchs Zimmer wehte; Katja steht fest auf der Erde, und was
-ihr nicht ausweicht, wird wo möglich mit Nachdruck beiseitegeworfen.
-Jessika ist zart, hat oft Schmerzen, und ihre Verletzlichkeit gibt ihr
-einen besonderen, raffinierten Zauber; man glaubt, man könne sie nicht
-ans Herz drücken, ohne daß es ihr weh täte. Katja ist gesund, ehrlich,
-durchaus nicht aufregend, ein kluges, temperamentvolles Kind, an dem man
-seine Freude hat. Jessika hat zuweilen etwas Schmachtendes, dann wieder
-überrascht sie durch anmutigen Witz, der niemals verletzend, sondern
-eher wie eine auserwählte Liebkosung wirkt. Es hat einen Zauber, Einfluß
-auf diese jungen Menschen zu gewinnen, und ich genieße ihn einstweilen:
-das Schwere und Harte bleibt nicht aus.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 10. Mai.
-
-Liebste Tante! Du beunruhigst Dich wegen unsers Beschützers, der eigens
-zum Beruhigen da ist? Ich bin entzückt von ihm, und aus meinem Briefe
-spricht eine verdächtige Fröhlichkeit? Mein Gott, natürlich finde ich
-ihn angenehm, da seine Anwesenheit Mamas Besorgnisse zerstreut hat! Sei
-ruhig, geliebteste Tante, wenn er sich verliebt, wird er sich in Katja
-verlieben, und Katjas Herz hältst Du doch nicht für so zerbrechlich wie
-meins. Oder fürchtest Du in dem Falle, daß Peter eifersüchtig wird?
-Weißt Du, ich glaube, Katja verliebt sich überhaupt nicht ernstlich; sie
-steckt mit Welja in den Johannisbeeren, und beide essen mit derselben
-Geschwindigkeit und Unbedenklichkeit wie vor zehn Jahren, als bekämen
-sie einen Orden dafür.
-
-Mama ist jetzt wirklich so ruhig und vergnügt wie seit langer Zeit
-nicht. Gott, wenn ich an die letzte Zeit in der Stadt denke, an die
-Auftritte, wenn Papa eine halbe Stunde länger ausblieb, als sie
-gerechnet hatte! Neulich fand sie ihn nicht in seinem Zimmer, im ganzen
-Hause nicht und auch nicht im Garten. Sie fing schon an aufgeregt zu
-werden, da sagte unsre Mariuschka, der Herr Gouverneur wäre mit dem
-Herrn Sekretär spazieren gegangen. Sofort war ihre Stimmung wieder im
-Gleichgewicht, sie forderte mich auf, ein Duett mit ihr zu singen,
-behauptete, ich sänge entzückend, und schmetterte selbst wie eine
-Nachtigall in Liebesromanen.
-
-Heute nachmittag war Papa, als er zum Tee gerufen wurde, noch etwas
-verschlafen. Mama nahm ihre Lorgnette zur Hand, betrachtete ihn
-aufmerksam und fragte mit zärtlicher Betonung: »Warum bist du so blaß,
-Jegor?« Papa sagte: »Endlich! Ich habe schon gedacht, du liebtest mich
-nicht mehr, weil du mich seit acht Tagen nicht danach gefragt hast.«
-Dies war natürlich Spaß; aber wenn Mamas Aengstlichkeit, über die er
-sich immer lustig macht, wirklich mal ausbliebe, würde er sich
-tatsächlich sehr vernachlässigt fühlen; so ist der Herr Gouverneur.
-
-Da fällt mir ein, geliebteste Tante, daß ich noch nicht weiß, ob Deine
-Erkältung ganz verschwunden ist. Ob der fatale, rätselhafte Schmerz an
-Deinem kleinen Finger nachgelassen hat. Ob und wann Du kommst. Der
-Flieder blüht, die Kastanien blühen, alles, was blühen kann, blüht!
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 12. Mai.
-
-Lieber Peter! Wenn Du Eifersucht merken läßt, machst Du Dich lächerlich
-bei Katja. Wozu auch? Am ersten könntest Du noch auf mich eifersüchtig
-sein, aber dazu bist Du zu grob organisiert. Lju macht Jessika den Hof,
-das heißt er sieht sie an und regiert sie mit den Augen, denn sie fällt
-natürlich darauf herein. Lju ist ein fabelhafter Mensch, man könnte
-sagen seelenlos, wenn man ein Element, das ganz Kraft ist, so nennen
-kann. Er würde sich wahrscheinlich kein Gewissen daraus machen, Jessika
-oder sonst ein Mädchen unglücklich zu machen; wenn man den Mut hat, sich
-ihm ganz hinzugeben, muß man auch den haben, sich zerstören zu lassen.
-Und warum stürzen sich die Mädchen so gierig ins Licht? Es ist
-jedenfalls ihre Bestimmung, wie die der Motten, sich die Flügel zu
-verbrennen. Uebrigens würde Lju niemals ein Mädchen seiner Eitelkeit zum
-Opfer bringen, wie doch schließlich die meisten von uns tun. Er zerstört
-sie nur so beiläufig, wie zum Beispiel die Sonne tut; sie sollten ihm
-einfach nicht zu nahe kommen, aber das können sie natürlich nicht
-lassen. Katja ist gottlob anders, das gefällt mir so gut an ihr,
-obgleich ich nicht möchte, daß alle so wären.
-
-Katja und ich haben gestern im Dorfe einen türkischen Konfekthändler
-entdeckt, der unerhört gute Sachen hat, rosa und klebrig und
-durchsichtig und gummiartig. Er scheint ein echter Türke zu sein, denn
-etwas so Süßes habe ich noch nie gegessen. Ich glaube, je mehr man nach
-Südosten kommt, desto wundervoller werden die Süßigkeiten. Katja und ich
-aßen immerzu, der Türke betrachtete uns ganz ausdruckslos mit seinen
-großen Kuhaugen. Endlich konnten wir nicht mehr, und ich sagte: »Jetzt
-müssen wir aufhören.« -- »Haben Sie kein Geld mehr?« fragte er; ich
-glaube, er hielt uns für Kinder. Ich sagte: »Mir wird übel.« Sein gelbes
-Gesicht veränderte sich nicht; ich glaube, wenn wir vor seinen Augen
-geplatzt wären, er hätte nicht mit der Wimper gezuckt.
-
-Wir trafen ein sehr niedliches Mädchen im Dorf, mit dem wir als Kinder
-zuweilen gespielt haben. Damals fanden wir sie furchtbar häßlich, weil
-sie rote Haare hat, und neckten sie damit; jetzt kam sie mir verteufelt
-niedlich vor. Ich rief ihr zu: »Anetta, du bist ja gar nicht mehr
-häßlich?« und sie antwortete gleich: »Welja, du bist ja gar nicht mehr
-blind!« Weil Katja dabei war, konnte ich weiter nichts machen, aber ich
-habe ihr zugenickt, und sie hat mich verstanden.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 13. Mai.
-
-Liebe Tatjana! Nun sag, warum bildest Du Dir so fest ein, meine Töchter
-müßten sich in Lju verlieben? Ich habe sie bisher für viel zu
-unentwickelt zur Liebe gehalten, Katja ist ja wirklich noch ein Kind. Da
-Du mich einmal darauf aufmerksam gemacht hast, sehe ich ein, daß Lju
-gefährlich ist; männlich, mutig, klug, interessant, auffallend, alles,
-was einem jungen Mädchen imponiert. Ich muß es aber rühmen, daß er eher
-zurückhaltend gegen meine beiden Kleinen ist; möglicherweise ist er
-schon gebunden. Daß Jessika ihn bewundert, habe ich wohl bemerkt; wenn
-er spricht, hängen ihre Augen an ihm, sie ist selbst gesprächiger als
-sonst und voll allerliebster Einfälle. Ich dachte mir nichts Arges
-dabei, sondern freute mich an ihrer Freudigkeit. Tatjana, wenn Du sie
-einladen willst und sie gern zu Dir kommen will, werde ich ihr nichts in
-den Weg legen. Es mag sein, daß es besser ist. Meine arme kleine
-Jessika, wenn ich mir denke, daß sie ihn liebte! Liebte er sie nicht,
-müßte sie leiden, und vielleicht noch mehr, wenn er sie liebte. Nein,
-der ist kein Mann für sie. Er versteht alles, aber er vergißt sich
-niemals, er hat gar keinen Sinn für Kleinigkeiten und Torheiten, oder,
-wenn er Sinn dafür hat, so ist es wie für Kräuter, die man in ein
-Herbarium sammelt. Hingeben kann er sich nicht, er verzehrt nur. Ich
-traue ihm sehr viel zu, zum Beispiel, daß er einmal ein sehr berühmter
-Mann wird; jedenfalls braucht er dünne Höhenluft, in der mein kleines
-Mädchen nicht atmen könnte.
-
-Merkwürdig ist es an ihm, daß er sich offenbar für uns alle lebhaft
-interessiert, daß er für unsre Vorzüge empfänglich scheint, daß er das
-Vertrauen, das wir ihm entgegenbringen, als etwas Selbstverständliches
-hinnimmt und doch von sich selbst eigentlich nichts hergibt. Nicht daß
-er nicht offen wäre, er beantwortet jede Frage, die man zufällig einmal
-an ihn richtet, freimütig und ausgiebig; man kann vielleicht nicht
-einmal sagen, daß er verschlossen ist, wenigstens spricht er ziemlich
-viel und stets von Dingen, die ihm wirklich wichtig sind. Trotzdem hat
-man nicht das Gefühl, daß man sein Inneres kennt. Ich habe schon
-gedacht, daß es Geheimnisse in seinem Leben geben könnte, die ihm
-Zurückhaltung auferlegen; aber es beunruhigt mich nicht, weil ich sicher
-bin, daß es nichts Gemeines ist.
-
-Neulich war von Lügen die Rede. Da sagte Lju, Lügen wäre unter Umständen
-eine Waffe im Kampfe des Lebens, nicht schlechter als eine andre, nur
-sich selbst belügen wäre verächtlich. Welja sagte: »Sich selbst belügen?
-Wie macht man das überhaupt? Ich würde mir doch niemals glauben.« Lju
-lachte ganz beseligt, ich mußte auch lachen, hielt mich aber doch
-verpflichtet, Welja zu sagen, es wäre ein schlechter Witz gewesen.
-»Bessere können wir doch hier nicht machen,« sagte der Junge, »sonst
-versteht Katja sie nicht.« Ja, eigentlich wollte ich Dir nur sagen, die
-Ueberzeugung habe ich wirklich, daß Lju sich niemals selbst belügen
-würde, und das ist mir das Wesentliche. Der Grundsatz mag gefährlich
-sein, aber einem bedeutenden Menschen ist er angemessen.
-
-Liebe Schwester meines geliebten Mannes, wenn ich nicht die großen
-Kinder um mich hätte, könnte ich mir jetzt einbilden, wir wären auf der
-Hochzeitsreise. Brauchten wir nur niemals in die Stadt zurück! Jegor hat
-sein Klavierspiel wieder aufgenommen, da er nun einmal nicht
-unbeschäftigt sein kann, und ich, die es sehr wohl kann, höre zu und
-träume. Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, wo ich ihn meinen
-Unsterblichen nannte? Manchmal jetzt, wenn ich ihn ansehe, überläuft
-mich das Gefühl, daß etwas anders geworden ist; es sind nicht die weißen
-Haare, deren schon mehr als schwarze sind, nicht die tiefen Schatten,
-die oft unter seinen Augen liegen, nicht die strengen Linien, die sein
-Gesicht verdunkeln, es ist etwas Unnennbares, das sein ganzes Wesen
-umgibt. Einmal mußte ich plötzlich aufspringen und fortlaufen, weil mir
-die Tränen aus den Augen sprangen, und im Schlafzimmer habe ich ins
-Kissen geschrien: »Mein Unsterblicher! ach, mein Unsterblicher!« Siehst
-Du, das ist nicht merkwürdig, daß es Wahnsinnige gibt, aber daß auch die
-Allervernünftigsten einmal einen Wahnsinnsanfall haben können, das ist
-beklagenswert.
-
- Deine Lusinja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 15. Mai.
-
-Lieber Konstantin! Ich hätte mir das denken können; aber ich möchte, daß
-ich mich täusche, wenn ich es künftig denke. Es macht den Eindruck, daß
-ich mich zum Zweck psychologischer Studien hier befinde; Du findest, daß
-ich sehr viel Sinn für das Familienleben entwickle; Du meinst, ich hätte
-ebensogut meine Großtante in Odessa besuchen können, und sonst noch
-mehreres. Was willst Du? Hattest Du erwartet, ich würde mich wie ein
-hungriger Kannibale oder haßerfüllter Nebenbuhler oder betrogener
-Ehemann auf sein Opfer stürzen? Wir waren uns darüber einig, daß wir es
-nicht machen wollten wie die fanatischen Büffel, denen es bei ihren
-Attentaten mehr darauf anzukommen scheint, daß sie ihr eignes Leben
-wegwerfen, als das des Gegners. Wir wollten unser Ziel erreichen, ohne
-unser Leben, unsre Freiheit, womöglich sogar unsern Ruf aufs Spiel zu
-setzen; denn wir haben noch mehr zu erreichen, und wir wissen, daß wir
-nicht leicht zu ersetzen sind. Wenn es eilte, würde ich anders gehandelt
-haben; aber der Studentenprozeß beginnt erst Anfang August, bis dahin
-dauert der Urlaub des Gouverneurs, und ich habe demnach noch drei Monate
-Zeit, von denen erst ein halber verflossen ist. Ich sehe mich hier um,
-ich lerne die Menschen, die Umgebung kennen und warte auf eine
-Gelegenheit. Natürlich hätte ich den Gouverneur längst ermorden können,
-wenn es mir nur darauf ankäme; ich bin oft mit ihm allein gewesen,
-sowohl im Hause wie im Garten und im Walde. Aber dann hätte ich
-unrichtig gehandelt. Jetzt, wo ich zwar geschätzt und fast geliebt
-werde, aber immerhin noch ein Fremder bin, könnte sich ein Argwohn gegen
-mich erheben; in ein paar Wochen werde ich wie ein Glied der Familie und
-wird das nicht mehr möglich sein. Ich schrieb Dir neulich, glaube ich,
-daß ich einige Minuten neben ihm gesessen habe, während er schlief. Ich
-betrachtete den Teil seines Gesichtes, der mir zugewendet war; die
-breiten schwarzen Brauen -- ein Zeichen starker Vitalität --, die
-strenggebogene Nase, in jeder Linie liegt Feuer und Noblesse; durch
-vornehmes Empfinden gemäßigte Leidenschaft scheint mir auch ein Grundzug
-seines Charakters zu sein. Ein wundervolles Geschöpf! Indem ich ihn
-betrachtete, dachte ich, wieviel lieber ich diesen Kopf meinen Gedanken,
-meinen Absichten zugänglicher machen als ihn mit einer Kugel zerstören
-möchte. Auch dies mußt Du bedenken, daß ich den Mord umgehen könnte,
-wenn es mir glückte, ihn zu beherrschen, zu beeinflussen. Ich will aber
-gleich hinzusetzen, daß ich die Möglichkeit für gering halte: in kleinen
-Dingen ist er wie Wachs, in wichtigen wie Eisen. Wenn er etwas bestimmt
-will, können weder Furcht noch Liebe ihn umstimmen; so scheint es mir
-bis jetzt.
-
-Der Kleine ist anders; er ist so indolent, daß er einem dankbar ist,
-wenn man für ihn will, man muß es nur mit Verstand tun. Seine
-Vorurteilslosigkeit setzt in Erstaunen. Er scheint gar nicht durch
-Tradition beherrscht; er hat etwas, als ob er mit keinem Bande an
-Vergangenheit, Familie, Vaterland angeknüpft wäre. Ich muß an ein altes
-Märchen denken, in dem ein elternloses Kind als Kind der Sonne auftritt;
-daran erinnert auch seine goldbraune Haut. Im Gespräch mit ihm spreche
-ich fast so, wie ich denke; er ist so unbefangen, daß es ihm nicht
-einmal auffällt, wie ich mit meinen Ideen eine Stellung bei seinem Vater
-habe annehmen können. Er findet es offenbar selbstverständlich, daß ein
-Mensch von Verstand so denkt, wie ich denke, und nebenbei jede Rolle
-spielt, die nach seinem Geschmack und zu seinem Fortkommen nützlich ist.
-Ich habe ihn lieb, und es freut mich, daß ich ihm nichts zuleide zu tun
-brauche. Katja denkt wie ihr Bruder, zum Teil vielleicht aus Liebe zu
-ihm. Sie ist für ein Mädchen sehr klug und einsichtsvoll; aber sie kann
-so verständig reden, wie sie will, sie ist immer wie ein kleiner,
-niedlicher Vogel, der auf einem Zweige sitzt und zwitschert, das ist das
-Reizende an ihr.
-
-Konstantin, mache mir nicht wieder Vorwürfe. Wenn mir solche zu machen
-wären, würde ich es selbst tun; deshalb hat kein andrer das Recht dazu.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 15. Mai.
-
-Tante, Du hast mich eingeladen, huldvolle Tante! Ich küsse dankbar Deine
-schöne Hand. Vielleicht komme ich auch einmal, wenn Du gerade gar nicht
-daran denkst. Aber Liebste, weißt Du denn gar nicht, daß ich Pflichten
-habe? Ich kann doch nicht so ohne weiteres fort. Wir haben doch einen
-Haushalt, und Du weißt, daß auch die besten Dienstleute von einem
-höheren Wesen inspiriert werden müssen. Ich bedaure die Köchin, die bei
-unsrer fünffachen Wunderlichkeit gar keinen Rückhalt hätte. Papa
-schwärmt für gefüllte Tomaten, aber nicht für Tomaten an der Sauce, was
-Mama besonders liebt, während Welja eine Leidenschaft für Tomaten in
-Salat hat, Katja ißt sie nur roh. Katja ißt keinen süß zubereiteten
-Reis, Papa keinen gepfefferten, ich keinen Milchreis. Niemand von uns
-ißt Kohl, wir wollen aber täglich grünes Gemüse; so könnte ich noch
-seitenlang fortfahren. Keine Köchin behält das alles, und lesen kann
-unsre nicht. Wenn ich fort wäre, müßte Mama an das alles denken -- denn
-Katja fiele das nicht ein --, und das täte mir so leid. Sie geht den
-ganzen Tag herum und ist glücklich, ihren Mann einmal für sich und in
-Sicherheit zu haben; man mag ihr keine dummen Alltäglichkeiten aufbürden
-gerade jetzt.
-
-Ihr denkt, ich wäre nur eine unbedeutende kleine Person! Aber sie würden
-es schon bemerken, wenn nicht vor jedem die Tasse Tee oder Kaffee mit
-gerade so viel Zucker und Milch oder Zitrone stände, wie er es haben
-mag, oder wenn ihm die Orangenschnitten nicht so fein geschält und
-entkernt auf den Teller flögen, wie er es gewohnt ist, oder wenn die
-Bleistifte und Scheren und Schirme, die er verliert oder verlegt, nicht
-gerade im richtigen Augenblick von mir wiedergefunden würden! Ja, so bin
-ich! Komm Du nur einmal hierher und überzeuge Dich, wie unentbehrlich
-ich bin.
-
-Wenn Du nun findest, daß ich belohnt und entschädigt werden muß, Tante
-Tatjana, so schicke mir doch lila Batist zu einer Bluse und dazu
-passenden Zwischensatz und Spitzen. Ich habe nichts, was leicht genug
-wäre bei der Hitze. Niemand hat so viel Geschmack wie Du, darum besorge
-es, bitte, selbst, Holdseligste.
-
- Deine dankbare Jessika.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 17. Mai.
-
-Lieber Peter! Ich habe mich nicht getäuscht, Lju ist im Grunde ein
-Revolutionär, nur daß noch etwas dabei ist, was seine Ansichten
-himmelhoch über die durchschnittlichen erhebt. Wie soll ich Dir das
-begreiflich machen, süßes Megatherium? Er denkt und steht zugleich über
-dem, was er denkt. Er hält das, was er denkt und wünscht, nicht für das
-Letzte, Absolute. Darum steht er auch abseits von den Parteien, weil er
-über sie hinaussieht. Er sagt, der alten Generation gegenüber haben die
-Neuen recht, obwohl sie an sich betrachtet fast noch weniger recht haben
-als die Alten. Natürlich verstehst Du das nicht, weil Dir die
-Selbstironie fehlt, sowohl der Begriff wie die Qualität. Ihr habt keine
-Idee, wie komisch es ist, wenn ihr euch über die Verkommenheit der alten
-Kultur erhitzt und nicht von ferne ahnt, was Kultur eigentlich bedeutet.
-Macht nichts, brülle nicht, alter Saurier, ich bin ganz euer. Mein Vater
-ist köstlich; er findet, daß Lju ein sehr angenehmer, kluger und
-unterhaltender Mensch ist, weiter dringt sein Scharfblick nicht. Er
-kommt nicht auf die Idee, daß ein Mensch in honetten Kleidern, der
-höflich mit ihm umgeht und ihm nicht widerspricht, sich außerhalb seines
-Systems bewegen könnte. Mama ist viel weniger, wie soll ich es nennen,
-auf ihr Selbst beschränkt. Sie sieht wenigstens deutlich ein, daß sie
-längst nicht Ljus ganzes Wesen erfaßt hat; sie fühlt etwas Fremdes, wenn
-sie dessen auch nicht habhaft werden kann. Neulich sagte sie zu ihm,
-seinen Talenten und Kenntnissen und seiner Leistungsfähigkeit sei
-eigentlich das Amt, das er in unserm Hause bekleide, nicht angemessen,
-ebensowenig das Entgelt, er hätte es gar nicht annehmen dürfen. Lju
-sagte, er hätte gehofft, als Privatsekretär freie Zeit übrig zu haben,
-die er gebrauche, um ein philosophisches Werk zu vollenden, das sei sein
-nächstes Arbeitsziel. Darüber wurde Mama ordentlich rot und meinte, er
-sei nun gewiß enttäuscht, da ja seine ganze Person bei uns dauernd in
-Anspruch genommen werde. Ich glaube, Lju hatte schon ganz vergessen, daß
-er hier ist, um Mörder und Bomben abzufangen, während Mama denkt, er
-riebe sich bei dieser schwer zu definierenden Tätigkeit auf. Sie fordert
-ihn seitdem öfters auf, sich in sein Zimmer zurückzuziehen und zu
-arbeiten, und ist geneigt, es sehr anspruchsvoll von Papa zu finden,
-wenn er ihm mal außer der Zeit einen Brief diktieren will; er könnte
-sich eigentlich eine Schreibmaschine anschaffen, meinte sie. Man kann
-nicht behaupten, daß Mama die Leute ausbeutet.
-
-Wir sind augenblicklich damit beschäftigt, Papa ein Automobil kaufen zu
-lassen; er ist auch schon nahe daran. Wir sprechen bei Tisch immer von
-den letzten Automobilrennen und erörtern, ob es mit Benzin oder
-Elektrizität billiger ist. Lju meinte, ob wir nicht lieber warten und
-dann gleich ein lenkbares Luftfahrzeug anschaffen wollten. Von dem
-Gedanken war Papa ordentlich hingerissen, und wie er die Kosten davon
-berechnete, kam ihm das Auto hernach schon ganz alltäglich und
-kleinbürgerlich vor.
-
-Lju ist gar nicht musikalisch. Er sagt, Musik wäre eine primitive Kunst,
-wenigstens die man bis jetzt kennte. Es könnte vielleicht auch anders
-sein, wovon Richard Wagner gewisse Andeutungen gäbe. Das Musikalische in
-unsrer Familie wäre primitiv. Ich glaube, daß das ganz richtig ist,
-besonders bei Papa. Er spielt schön in dem Sinne, wie der Wald rauscht
-oder der Wind saust, es ist etwas Dämonisches. Aber das Besessensein ist
-kein Kulturfaktor. Lju hat aber viel übrig für das Primitive. Er findet,
-Jessikas Stimme klänge so, wie wenn in der fahlen Dämmerung tief im
-Osten die Morgenröte aufginge. Jessikas Stimme finde ich auch fein, auf
-mich wirkt sie wie ein Harfenton; sonst habe ich mir nie viel aus Gesang
-gemacht, bei der Sinfonie fängt doch die Musik eigentlich erst an. Bilde
-Du Dir aber ja nicht ein, Du wärest ein Uebermensch, weil Du
-unmusikalisch bist. Bei Dir ist es ein Vakuum.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Katja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 17. Mai.
-
-Liebe Tante! Jessika hat vergessen, Dich zu bitten, daß Du uns die
-Partitur von »Tristan und Isolde« besorgst oder besorgen läßt. Papa ist
-dagegen, er meint, man könnte Noten auch leihen! Gibt es das überhaupt?
-Ach, erkundige Dich nur gar nicht, Bücher aus Leihbibliotheken beziehen
-ist unfein, und Noten sind auch Bücher, also. Im Grunde ärgert sich Papa
-nur, daß wir uns mit Wagner beschäftigen wollen, er ist nun einmal
-einseitig. Nicht mal kennen lernen will er ihn, sondern ist von
-vornherein entschlossen, ihn gräßlich zu finden. Ja, hätte Wagner vor
-ein paar hundert Jahren gelebt und Kirchenmusik gemacht wie Palestrina
--- ach so, das klingt dumm, aber ich habe es nun einmal geschrieben, und
-Du verstehst mich auch schon. Natürlich sind Beethovens Lieder an seine
-ferne Geliebte schön, die Papa immer singt, aber unsre Zeit und unser
-Leben drückt das doch nicht aus. Jedenfalls, Tante Tatjana, Du schickst
-uns »Tristan und Isolde«, nicht wahr? Bitte recht bald, Peter kann es ja
-besorgen.
-
- Deine Katja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 20. Mai.
-
-Lieber Konstantin! Dein Brief hat mich zu einer Unvorsichtigkeit
-veranlaßt; aber der wäre ein schlechter Feldherr, der nicht einen
-falschen Zug wieder einbringen oder sogar verwerten könnte. Das Gerücht,
-daß der Studentenprozeß sofort vorgenommen würde und der Gouverneur
-infolgedessen sofort nach Petersburg zurückginge, muß unbegründet sein;
-denn er selbst würde es doch am ersten wissen und gleichzeitig auch ich.
-Trotzdem erwog ich gestern die Möglichkeit und bereitete mich darauf
-vor, schnell oder plötzlich handeln zu müssen. Ich sagte mir, bei Tage
-würde ich nicht leicht eine Gelegenheit finden, besonders keine für mich
-günstige. Nachts könnte ich ihn und seine Frau, denn sie schlafen
-zusammen, mit Aether betäuben, ihn durch einen Stich ins Herz töten und
-mich ungesehen wieder zu Bett legen. Kein besonderes Verdachtsmoment
-würde auf mich hinweisen; bei Tage hingegen könnte sich kaum jemand an
-den Gouverneur herandrängen, ohne daß irgendwer, namentlich ohne daß ich
-es bemerkte. Am Tage können unzählige unvorhergesehene Störungen
-dazwischenkommen; nachts liegen bestimmte, übersichtliche Umstände vor.
-Die Ausführbarkeit des Planes hängt wesentlich von dem mehr oder weniger
-leisen Schlafe des Gouverneurs und seiner Frau ab; ich beschloß, mir
-sofort Gewißheit über die Frage zu verschaffen. Ich warf einen Mantel
-über und schlich mich nach ihrem Schlafzimmer, das durch ein
-Ankleidezimmer mit angrenzendem Bade- und Garderoberaum von meinem
-getrennt ist. Kaum hatte ich den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ich
-Frau von Rasimkara auf mich zustürzen sah. Ich will Dir gestehen, daß
-ich in diesem Augenblick fast die Besinnung verloren hätte: die Frau so
-merkwürdig, so schön, so anders als am Tage vor mir zu sehen, es raubte
-mir den Atem. In ihrem Gesicht stand zugleich der Ausdruck des
-Entsetzens und der unbedenklichsten Entschlossenheit, der sofort, da sie
-mich erkannte, dem Gefühl der Erlösung, dem Erstaunen und ich möchte
-sagen dem Gefühl für das Komische der Lage Platz machte. Ja, für die
-Dauer eines Augenblicks dachte und empfand ich nichts, als wie
-hinreißend sie war, sie zog mich rasch in das Ankleidezimmer zurück und
-sagte flüsternd, ich hätte sie sehr erschreckt, sie hätte mich für einen
-Mörder gehalten, was geschehen wäre? Ob mir etwas fehlte, ob ich
-nachtwandelte? Ich sagte, sie möchte ganz ruhig sein, geschehen wäre
-nichts, ich wäre aufgewacht, hätte geglaubt, ein Geräusch zu hören, und
-hätte mich überzeugen wollen, ob bei ihnen alles ruhig und in Ordnung
-wäre; ich hätte das schon öfters getan, weil ich es als zu der von mir
-übernommenen Pflicht gehörig betrachtete, bisher hätte sie es aber nicht
-bemerkt. Ich setzte noch hinzu, sie würde vielleicht gut tun, ihrem
-Manne nichts von dem Vorfall zu sagen. Natürlich nicht, sagte sie, sie
-wäre froh, daß er nicht erwacht wäre; dann drückte sie mir die Hand,
-nickte mir zu und lächelte und ging in ihr Schlafzimmer zurück.
-
-Dies war ein sehr gefährlicher Augenblick, und ich habe erst gegen
-Morgen wieder einschlafen können. Als sie vor mir stand und mich
-anlächelte, dachte ich, daß sie hinreißend sei und gleichzeitig, daß ich
-sie würde töten müssen. Ich dachte es mit solcher Lebhaftigkeit, daß mir
-war, es schreie aus meinen Augen heraus: ich bin dein Mörder, weil ich
-sein Mörder bin. Du wirst immer an seiner Seite sein, dein Leib wird
-sich vor seinen werfen, wenn die Stunde da ist, darum mußt du mit ihm
-fallen. Das eigentümliche Lächeln, mit dem sie mich ansah, schien zu
-sagen: ich verstehe dich, es ist mein Schicksal, ich nehme es auf mich.
-
-In gewisser Weise habe ich bei meinem unglücklichen Versuch etwas
-gewonnen. Ich weiß nun, daß der Gouverneur tief und fest schläft. Ihr
-habe ich die Meinung eingeflößt, daß ich zum Schutze ihres Mannes
-zuweilen ihr Schlafzimmer betrete. Sähe sie mich eintreten, mich über
-sie beugen, sie würde bis zum letzten Augenblick keinen Verdacht
-schöpfen, mich nur mit großen Augen erwartungsvoll ansehen. Anderseits
-habe ich erfahren, daß mir diese Art der Ausführung widerstrebt. Ich
-würde nur im äußersten Notfall dazu schreiten. Ein andrer Weg wird sich
-finden lassen, der mir mehr zusagt. Sei Du jedenfalls ohne Sorge: es mag
-sein, daß ich unüberlegt gehandelt habe, aber ich habe auch die etwaigen
-schlimmen Folgen im Keim erstickt.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 20. Mai.
-
-Lieber Peter! Heute habe ich das Gefühl, in einem Irrenhaus zu sein.
-Mama hat diese Nacht irgend etwas gehört, was nachher gar nichts war,
-aber trotzdem sich alles als Einbildung entpuppt hat, sieht sie verweint
-aus und fährt bei jedem Geräusch zusammen. Papa hat Furoranfälle, die
-wir als Nervosität respektieren sollen. Vorhin klingelt er Mariuschka
-her, weil sie in der Garderobe das elektrische Licht habe brennen
-lassen. Er machte solchen Krakeel, daß ich es im Garten hörte, und
-stellte sich ungefähr so an, als ob dies elektrische Flämmchen das
-Verderben auf unsre ganze Familie herunterziehen müßte. Nachher stellte
-sich heraus, daß er selbst es angezündet und auszumachen vergessen
-hatte. Katja erhob nun ihrerseits ein Geschrei, es wäre empörend von
-Papa, das ganze Haus schwämme in Tränen seinetwegen, die Dienstleute
-könnten unmöglich Respekt vor ihm haben, wenn er sich so benähme, und
-dazwischen rief sie mich an, ob ich es nicht auch fände. Ich sagte:
-»Vater, wie du willst.« Da wendete sich plötzlich ihre Entrüstung gegen
-mich, worüber wir dann glücklich alle ins Lachen kamen. Papa sagte, nun
-müßte er sich wohl bei Mariuschka entschuldigen, weil er ihr unrecht
-getan hätte, und begab sich zu diesem Zweck ins Leutezimmer. Wir wollten
-gern mitgehen, um der Szene beizuwohnen, aber Mama verbot es als
-unschicklich. Ich fand die Geschichte von vornherein nur komisch und
-verstehe nicht, wie Katja sich ärgern kann.
-
-
-
-
- Katja an Peter
-
-
-Natürlich ärgere ich mich, Welja kann eben nichts ernst nehmen, weil er
-zu faul ist. Es ist doch empörend, daß ein Mann wie Papa, der sich
-selbst gar nicht beherrschen kann, die Universität schließt, weil die
-Studenten ihre Rechte verteidigen. Es ist empörend, daß ein Mann solche
-Macht hat, die Tatsache allein verdammt unsre Zustände. Sieh doch zu, ob
-sich nicht Lehrer finden, uns und allen, die teilnehmen wollen,
-Privatkurse zu halten. Es könnte ja bei Dir zu Hause sein, das kann man
-doch nicht verbieten. Ich finde, daß man sich so etwas nicht gefallen
-lassen soll. Mir ist es ganz gleichgültig, ob ich ein paar Jahre früher
-oder später fertig werde, aber es soll doch wenigstens von mir abhängen.
-Und wenn das nicht geht, möchte ich fort, ins Ausland. Es ist mir
-unleidlich, in Rußland leben zu müssen. Von Welja habe ich gar nichts,
-er ist zu dusselig, was ich auch sage und vorschlage, ihm ist alles
-gleich. Natürlich, wenn man muß, muß man, aber erst versucht man doch,
-ob es nicht anders geht.
-
- Katja.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- 24. Mai.
-
-Du Liebe! Die Kinder haben Dir geschrieben, daß wir wieder sehr nervös
-sind? Wenn Du mich nicht verraten willst, will ich Dir sagen, wovon es
-bei mir gekommen ist. Du weißt, ich bin ängstlich und schreckhaft, und
-Du weißt auch, daß ich leider sehr ernsten Anlaß dazu habe. Ich gebe zu,
-daß ich es auch ohne das wäre, das ändert aber nichts daran, daß der
-Anlaß da ist. Nun also, neulich nachts wache ich auf und sehe einen Mann
-auf der Schwelle unsers Schlafzimmers stehen. Natürlich denke ich, daß
-er Jegor töten will, und stürze blindlings auf ihn zu, um Jegor zu
-schützen -- wie, darüber nachzudenken hatte ich keine Zeit. Es war nur
-ein Augenblick, dann erkannte ich Lju. Ja, es war Lju. Das plötzliche
-Aufhören der Angst und des Schreckens wirkte so befreiend auf mich, daß
-ich beinahe lachen mußte; ich hätte ihn umarmen können. Aber nachher,
-als ich wieder im Bett lag, machten sich die Folgen der heftigen
-Nervenerregung geltend, ich mußte nun weinen und konnte gar nicht mehr
-aufhören. Es kam ein Unbehagen über mich, das viel peinlicher war als
-die Furcht, die ich vorher gehabt hatte; es war mir nämlich so
-unheimlich, daß Lju nachtwandelt. Anders kann ich mir das Vorgefallene
-doch nicht erklären, als daß er somnambul ist. Er selbst hat mir eine
-andre Erklärung gegeben; er betrachte es als zu seiner Pflicht gehörig,
-sich zuweilen zu überzeugen, ob bei uns alles in Ordnung sei, und er sei
-schon öfters in unserm Schlafzimmer gewesen, besonders wenn er ein
-Geräusch zu hören geglaubt hätte. Das klingt ganz plausibel, und Du
-wirst vielleicht sagen, es müßte etwas Beruhigendes für mich haben, zu
-wissen, daß er so treu über uns wacht. Vorher würde ich das auch gedacht
-haben; aber ich sehe nun, daß die Vorstellung von einer Tatsache ganz
-etwas andres ist als die Tatsache selbst. Es ist mir nichts
-Beruhigendes, sondern etwas im höchsten Grade Unheimliches, daß ein
-Mensch plötzlich nachts in unserm Zimmer stehen kann, sei es nun, weil
-er nachtwandelt oder aus andern Gründen. Ich kann nicht mehr schlafen,
-weil ich immer denke, plötzlich steht er da und sieht mich aus diesen
-seltsamen grauen Augen an, die alle Körper zu durchdringen scheinen.
-Wenn ich eben eingeschlafen bin, schrecke ich entsetzt wieder auf. Der
-Einfall ist mir gekommen, er könnte durch das offene Fenster
-hereinsteigen; Du weißt doch, daß Nachtwandler überall, selbst auf der
-Kante des Daches, gehen können. Und das zu denken, ist mir unheimlich,
-ich kann nicht dagegen an. Ich möchte gern das Fenster schließen, aber
-Jegor will es nicht; er sagt, es wäre Unsinn, und ich müßte solche
-krankhafte Einbildungen unterdrücken. Schlangen könnten wohl an einer
-glatten Hausmauer hinaufkriechen, Nachtwandler nicht. Was meinst Du? Ich
-habe einmal gelesen, für Nachtwandler wäre das Gesetz der Schwere
-aufgehoben; Gott weiß es.
-
-Unglücklicherweise habe ich Jegor, der nicht aufgewacht war und nichts
-gehört hatte, alles erzählt. Er ist gut, aber meine Furchtsamkeit macht
-ihn ein wenig ungeduldig, weil er sie aus sich selbst nicht
-nachempfinden kann. Und dann allerdings machen ihn auch die Verhältnisse
-nervös, die eine gewisse Vorsicht vernünftigerweise doch nötig machen,
-die er seinem Temperament nach so ungern beobachten möchte.
-
-Die Kinder wissen von dem Vorfall nichts, denn ich möchte nicht, daß
-darüber bei Tisch gesprochen wird. Es scheint mir auch rücksichtsvoller
-gegen Lju zu sein, dem wir so viel verdanken; wenn sich das Gerücht
-verbreitete, er wäre Nachtwandler, würde es ihm bei den Leuten schaden.
-Und daß er nachts in unser Zimmer kommt, um uns zu bewachen, soll auch
-nicht bekannt werden.
-
-Katja, mein Goldkind, ist ein unverbesserlicher kleiner Teufel. Sie
-schilt bei jeder Gelegenheit über die Schließung der Universität, obwohl
-sie weiß, daß jetzt die politischen und geschäftlichen Dinge nicht
-berührt werden sollen, weil es Jegor aufregt. Mich wundert, ob Dein
-Peter einmal mit ihr fertig wird, es spricht für seinen Charakter, daß
-er es sich zutraut. Von Dir, Liebste, hat er nichts; er schlägt ganz
-Deinem Manne nach, und der hat ja sogar Dir zu imponieren verstanden,
-nicht wahr? Ach, meine Kleine ist noch zu kindisch, als daß ihr irgend
-etwas auf der Welt imponieren könnte. Ich wollte, es gelänge ihm, ihr
-Herz zu gewinnen, wäre es nur, damit sie Dich zur Schwiegermutter
-bekäme. Aber auch Dein Sohn würde ihr gut tun mit seiner Stämmigkeit und
-Wurzelfestigkeit. Jessika blüht, die Landluft tut ihr gut, sie ist unsre
-Hebe mit den Rosenwangen. Mich wird das kleine nächtliche Intermezzo
-auch nicht lange stören, hoffe ich. Sei gegrüßt und geküßt von Deiner
-
- Lusinja.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 25. Mai.
-
-Liebste Tante! Es ist sehr gut, daß ich hiergeblieben bin. Mama hat
-jetzt gerade eine Zeit, wo sie sich um nichts bekümmert als um ihren
-Jegor, unsern Vater. Und ein Geist muß doch über dem Haushalt schweben.
-In ein paar Tagen kommt unser Automobil, denke dir, Tante. Mama schlug
-im letzten Augenblick vor, wir wollten lieber doch keins haben, weil es
-gefährlich wäre, und das gab der Sache gerade den letzten kleinen Stoß,
-den es noch brauchte, um Papa zum Entschluß zu bringen. Denn nun sagte
-er, auf Mamas Aengstlichkeit dürfe keine Rücksicht genommen werden; sie
-müßte endlich einmal erzogen werden, sonst würde sie schließlich zu alt
-dazu. Einen Chauffeur will Papa nicht haben, das verteuerte die
-Geschichte, und er möchte keine fremden Leute ins Haus nehmen; unser
-Iwan soll sich dazu ausbilden. Welja sagte: »Väterchen fährt ja schon
-mit der Kutsche in den Graben, wohin wird er erst mit dem Automobil
-fallen!« Papa sagte, Welja sollte nicht übertreiben, Iwan wäre auch oft
-ganz nüchtern. Mama sagte mit einem Seufzer, hoffentlich wäre er es
-gerade dann, wenn wir ausfahren wollten. Ich schlug vor, wir wollten nur
-selten fahren, dann träfen wir gewiß gerade mit den oftmaligen
-Nüchternheiten Iwans zusammen. Das leuchtete Mama sehr ein, aber Katja
-schmetterte los, dazu hätte man kein Automobil, sie wolle alle Tage
-fahren und so weiter. Zum Glück sprang Lju ein und sagte, er wäre
-Dilettant im Automobilfahren und wollte sich noch mehr ausbilden, dann
-könnte er Iwan zuweilen ersetzen. Welja sagte nachher, als Papa nicht
-dabei war: »Papa wird doch lieber mit Iwan fahren, weil er denkt, daß
-die Betrunkenen in Gottes Hand sind.« Das ist doch ein Sprichwort, weißt
-du.
-
-Von unserm Iwan muß ich dir noch etwas erzählen. Welja sagte gestern
-mittag, er hätte ihn gefragt, was er von Lju hielte, eigens weil er
-gemerkt hätte, daß er ihn nicht leiden möchte. Iwan hätte Ausflüchte
-gemacht und nicht mit der Sprache heraus wollen. Welja hätte gesagt, Lju
-wäre doch freundlich, gerecht, hilfsbereit, gescheit, geschickt, was
-Iwan alles zugegeben hätte. Endlich hätte Iwan dann gesagt: »Er ist mir
-zu gebildet.« Darauf hätte Welja gesagt, Papa wäre doch auch gebildet;
-da hätte Iwan ganz listige Augen gemacht und den Kopf geschüttelt und
-gesagt: »Das stellt sich äußerlich wohl so vor, aber im Grunde ist er
-nur ein guter Kerl wie unsereiner.« Wir haben alle sehr gelacht, Lju am
-meisten, er war geradezu begeistert über die Bemerkung und sah allen
-erdenklichen Tiefsinn darin. Ob jemand ihn leiden mag oder nicht, danach
-fragt Lju gar nicht, das finde ich groß an ihm.
-
-Liebe Tante, ich singe Tristan, Isolde, Brangäne, König Marke und noch
-ein paar Heldenkräfte. Kannst Du Dir mich vorstellen? Papa hat nur einen
-unwilligen Seitenblick auf die Partitur geworfen, und ich singe
-natürlich nur, wenn er außer Hörweite ist.
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 27. Mai.
-
-Lieber Konstantin! Du meinst, daß ich vielleicht mittels des Automobils
-zum Ziele kommen könnte. Ja, wenn es sich so einrichten ließe, daß der
-Gouverneur das Genick bräche und ich das Handgelenk! Weißt Du, wie man
-das macht? Durch den Kopf gegangen ist mir der Gedanke natürlich, sowie
-von dem Automobil die Rede war, und ich habe im Hinblick darauf die
-Anschaffung befürwortet, habe mich auch anerboten, zuweilen den
-Chauffeur zu machen, was mit Beifall aufgenommen wurde. Es hat aber
-außer der erwähnten Schwierigkeit das gegen sich, daß ich mit dem
-Einüben viel Zeit verlieren müßte, wahrscheinlich ohne Erfolg und sicher
-ganz ohne Vergnügen für mich. Ich bin kein Sportsmann. Zeit und
-Aufmerksamkeit lasse ich mir solche Dinge nicht gern in hohem Maße
-kosten. Für die Luftschiffahrt würde ich mich etwa interessieren; aber
-das ist Arbeit und Tat, nicht Sport, und hat allerlei wissenschaftliche
-Haupt- und Nebenzwecke. Ein wenig werde ich mich aber doch mit dem
-Automobil befassen; es könnte auch der Fall eintreten, daß ich es zu
-schleuniger Flucht benutzen müßte.
-
-Ein andrer Einfall ist mir gekommen, von dem ich fühle, daß er ergiebig
-sein wird. Ich möchte wo möglich bei dem Akt selbst nicht persönlich
-beteiligt sein; es müßte also eine Maschine meine Rolle spielen. Nun
-schwebt mir vor, daß dies eine Schreibmaschine sein könnte. Das Nähere
-sage ich Dir, wenn der Plan etwas reifer in mir ist. Dann könnte es wohl
-sein, daß ich Deiner verständnisvollen Mithilfe bedürfte, damit die
-Maschine zweckentsprechend eingerichtet wird, ohne daß der Fabrikant
-etwas davon erfährt.
-
-Frau von Rasimkara ist seit jener Nacht verändert, blaß und beinahe
-etwas scheu, beständig in der Nähe ihres Mannes. Es ließe sich so
-erklären, daß mein Benehmen ihre Aengstlichkeit verdoppelt hat, weil sie
-den Schluß daraus ziehen mußte, ich hielte ihren Mann für sehr
-gefährdet. Vielleicht schläft sie seitdem nicht mehr gut. Vorher hatte
-meine Sicherheit und Sorglosigkeit beruhigend auf sie eingewirkt. Eine
-gewisse Zurückhaltung, die sie mir gegenüber weniger zeigt als wider
-ihren Willen verrät, könnte darin begründet sein, daß die Erinnerung an
-unser nächtliches Begegnen, das so seltsam, so flüchtig und doch so
-eindrucksvoll war, und das niemand außer uns weiß, sie verlegen macht
-oder wenigstens in irgendeiner Hinsicht bewegt. Verdacht gegen mich hat
-sie nicht, dessen bin ich sicher; sie behandelt mich im Gegenteil mit
-vermehrter Freundlichkeit und Rücksicht. Da sie jetzt fast immer um
-ihren Mann ist, bin ich mehr in die Gesellschaft der Kinder gedrängt,
-deren Vertrauter und teuerster Freund ich geworden bin.
-
-Du darfst dich in der nächsten Zeit nicht von Petersburg entfernen, da
-ich Deiner wegen der Schreibmaschine bedürfen könnte.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 28. Mai.
-
-Lieber Peter! Heute hätte es beinahe eine Familienkatastrophe gegeben,
-bei der ich natürlich nicht aktiv war. Katja fing bei Tisch von den
-Universitätsgeschichten an; ihr könne es ja gleichgültig sein, denn sie
-braucht ihren Lebensunterhalt nicht zu verdienen, für die meisten wäre
-es aber verhängnisvoll, daß sie ihr Studium auf unbestimmte Zeit
-unterbrechen müßten. Papa sagte, noch verhältnismäßig ruhig und
-beherrscht, allerdings wäre das ein Unglück für viele; um so härter
-wären diejenigen zu verurteilen, die durch ihr aufrührerisches Tun
-mutwillig das Unglück über ihre Kollegen gebracht hätten. Jetzt aber
-sauste Katja los! Wie ein künstlicher Wasserfall, den man plötzlich
-springen läßt! Das wäre die Art ungerechter Despoten, die Opfer noch zu
-verleumden und die eigne Schuld auf sie abzuladen! Demodow und die
-andern wären Märtyrer, hinrichten und nach Sibirien schicken könnte man
-sie, nicht aber ihnen den Ruhm rauben, daß sie tapfer und selbstlos
-gehandelt hätten. Uebrigens hätten fast alle ebenso wie sie gedacht, Du
-zum Beispiel hättest auch die Absicht gehabt, den Kosaken Widerstand zu
-leisten, Du wärest nur durch einen Zufall auf dem Wege zur Universität
-aufgehalten, sonst könnte Papa Dich auch in die Bergwerke schicken. Mama
-gelang es endlich, sie zu unterbrechen, indem sie sagte, das würde Papa
-allerdings tun, wenn er es für seine Pflicht hielte; denn daran zweifele
-sie doch wohl nicht, daß Papa sich von seiner Pflicht leiten ließe,
-folglich dürfe sie auch seine Handlungen nicht kritisieren. Ich sagte:
-»Mit deinem Spatzengehirn im Kopfe würde er natürlich anders handeln,«
-worauf sie mir einen vernichtenden Blick zuwarf. Papa war ganz bleich
-und seine Augenbrauen sahen wie ein zackiger schwarzer Blitz aus,
-furchtbar stimmungsvoll; wenn es sich nicht um Katja gehandelt hätte,
-wäre ein Unwetter losgebrochen, das den ganzen Tisch und alle Stühle
-fortgeschwemmt hätte; so hielt er einigermaßen an sich. Und dann hebt
-Ljus Gegenwart eigentlich jede Katastrophe auf; seine überlegene Ruhe
-zerstreut gewissermaßen alle angesammelte Elektrizität, oder er hat so
-viel Kraft, daß er sie in sich sammeln und unschädlich machen kann. Er
-saß kühl wie Talleyrand dabei und bewies, daß jeder recht hätte, so daß
-alle schweigen und zufrieden sein mußten. Er sagte, selbstverständlich
-schließe die Maßregel der Universitätsschließung Ungerechtigkeiten ein,
-deshalb könnte sie aber vollständig gerecht sein innerhalb des Systems,
-zu dem sie gehöre. Er billige dies System nicht durchaus, er glaube, daß
-es sich überlebt habe, aber so lange es herrsche, müsse man mit seinen
-Gesetzen arbeiten. Papa sah Lju interessiert und etwas erstaunt an und
-fragte, wie das zu verstehen sei, daß er das System nicht billige. Keine
-Regierung sei fehlerlos, weil die menschliche Natur überhaupt fehlerhaft
-sei. Seiner Meinung nach sei es besser, dahin zu wirken, daß jeder seine
-Pflicht tue, anstatt die Irrtümer des Systems aufzudecken. Lju sagte,
-ohne den Grundsatz, daß jeder einzelne seine Pflicht zu erfüllen habe,
-könne kein gesellschaftliches System sich halten. Er glaube, das
-herrschende System habe den Fehler, das Pflichtgefühl nicht auszubilden,
-weil es lauter Gesetze und Vorschriften an dessen Stelle gesetzt habe.
-Dies sei für eine primitive Kultur berechtigt, jetzt aber sei das Volk
-keine Herde mehr, sondern bestehe aus Individuen. Kein Kunstverständiger
-werde die byzantinische Malerei mit ihren starren Formen nicht
-bewundern; man könne es vielleicht sogar beklagen, daß der
-Individualismus sie durchbrochen habe; man könne vielleicht sogar
-glauben und wünschen, daß man einmal auf irgendwelchen Umwegen dahin
-zurückkehre; aber verständigerweise könne man doch nicht die Entwicklung
-auf jene Stufe zurückdrehen wollen.
-
-Er sprach so liebenswürdig, galant und beinahe herzlich gegen Papa, daß
-der ganz angeregt wurde und lebhaft auf alles einging; ich glaube, er
-hatte das Gefühl, vollkommen einer Meinung mit Lju zu sein.
-
-Bei Tisch waren also die Fugen wieder eingerenkt; aber hernach ergoß
-sich Katjas zurückgehaltener Zorn gegen Lju. Er hätte sich verächtlich
-benommen, er hätte zu ihr halten müssen, denn er dächte ebenso wie sie.
-Was er gesagt hätte, möchte ganz schön sein, sie hätte es nicht
-verstanden, wolle es auch nicht verstehen, es wäre doch nur eine Brühe
-gewesen, um seine wahren Ansichten zu verkleistern. Von mir erwartete
-sie ja nichts andres, als daß ich falsch und feig wäre, aber ihn hätte
-sie für stolzer gehalten. Sie war zu niedlich, wie ein kleiner Vogel,
-der gereizt wird und sein Federschöpfchen sträubt, mit dem Schnabel um
-sich pickt und in den höchsten Tönen lospiepst. Lju fand sie offenbar
-auch niedlich, denn er ging sehr liebevoll auf ihren Kohl ein. Ich ging
-mitten darin fort, weil meine Dorfschönheit auf mich wartete.
-
-Ich habe Papa eine Auswahl von den feinsten Süßigkeiten mitgebracht, die
-der Türke hat. Er fand sie ausgezeichnet und sagte, er hätte sich gleich
-gedacht, daß ich einen bestimmten Grund hätte, immer ins Dorf zu radeln.
-Er aß übrigens mehr davon als ich und wurde nicht einmal übel; er ist
-eigentlich ein großartiger Mensch, ich bin dekadent gegen ihn. Mit Lju
-kann er sich allerdings nicht vergleichen; er ist wie ein schöner Dolch
-mit kunstvollem Griff und einer mit Edelsteinen buntgeschmückten
-Scheide, wie sie zuweilen in Museen ausgestellt sind; Lju ist wie der
-schlichte Bogen des Apollo, der nie fehlende Pfeile entsendet.
-Schmucklos, schlank, elastisch, durch die vollendete Zweckmäßigkeit
-schön, ein Bild göttlicher Kraft, Treffsicherheit und Gewissenlosigkeit.
-Ach Gott, ich schreibe ja an ein silurisches Faultier und nicht an einen
-feinwitternden Griechen. Quäle Dich nicht mit der Durchdringung meiner
-poetischen Bilder und triumphiere nicht, wenn sie hinken sollten; ein
-Achilles, der hinkt, kommt immer noch eher an als ein Brontosaurus, der
-im Sande stecken bleibt.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Katja an Peter
-
-
- Kremskoje, 30. Mai.
-
-Lieber Peter! Wir sind nicht verlobt, ich habe Dir sogar einmal gesagt,
-ich würde Dich niemals heiraten; aber ich weiß ja, daß Du doch noch
-daran denkst, darum will ich Dir etwas sagen. Ich habe jetzt den Mann
-kennen gelernt, den ich heiraten werde, wenn ich überhaupt heirate. Den
-einzigen, den ich lieben kann. Frage nicht, wer er ist, frage überhaupt
-nicht weiter. Ich hätte Dir ja nichts davon zu sagen brauchen, ich tue
-es nur, weil ich Dich gern habe und Dich als meinen Freund betrachte,
-und weil Du mich seit unsrer Kindheit als Deine zukünftige Frau
-angesehen hast. Dafür kann ich freilich nichts. Wissen darf dies niemand
-außer Dir.
-
- Katja.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 2. Juni.
-
-Meine liebe Tatjana! Auf unsern einzig schönen Sommer fällt von
-irgendwoher ein kleiner Schatten. Vielleicht eben weil er so schön ist,
-muß er das Abzeichen seiner Erdennatur tragen. Jetzt sorge ich mich
-besonders um Jessika; ich kann es mir nicht mehr verhehlen, daß sie den
-Lju liebt. Ohne daß sie es weiß, richtet sich ihr ganzes Wesen nach ihm:
-ich könnte sagen, sie ist eine Art Sonnenuhr, von der man immer ablesen
-kann, wo ihr Gestirn steht. Er hat auch etwas Sonnenhaftes; es ist, als
-ob eine lebenzeugende Kraft von ihm ausginge, in der freilich auch Leben
-verdorren kann. Auf Welja und Katja übt er einen heilsamen Einfluß aus;
-er regt sie zum Denken, zu gesteigerter geistiger Tätigkeit an; für
-meine kleine Jessika, fürchte ich, sind seine Strahlen zu heiß. Sie muß
-Wärme haben, darf aber nicht mitten im Feuer stehen. So erscheint es mir
-wenigstens. Zuweilen kommt es mir so vor, als ob nicht nur in ihr ein
-Neigen zu ihm wäre, sondern als ob auch ihn ein leises Anziehen zu ihr
-hinzöge. Ob er sie liebt? Ich kann nicht umhin, mit ihr in meiner Seele
-aufzujubeln, wenn ich es zu bemerken glaube, denn eine Mutter fühlt
-jeden Schmerz und jedes Glück mit ihrem Kinde. Wäre es aber überhaupt
-wünschbar? Würde es ein Glück für sie sein? Ljus Ansichten und, was
-wichtiger ist, seine ganze Auffassung des Lebens weicht sehr von Jegors
-und meiner ab, das fühle ich. Auch den Kindern steht er nach Erziehung
-und Lebensgewohnheiten ferner, als sie selbst es ahnen. Vielleicht ist
-er uns gegenüber im Rechte; aber verbürgt das die Möglichkeit dauernden
-Zusammenlebens? Und was würde Jegor sagen? Er hat nichts gegen Lju, er
-ist frei von gewöhnlichen Vorurteilen; aber er möchte unsre Mädchen mit
-Männern verheiraten, deren Lebensführung ihm vertraut ist, mit denen wir
-alle zu einer Familie verwachsen können. Und dann, Liebste, daß er
-nachtwandelt! Das ist beinahe das Schrecklichste für mich. Ach Gott, es
-ist ja so töricht, aber manchmal wünsche ich, Lju wäre niemals zu uns
-gekommen oder er verließe uns wieder.
-
- Nachmittags.
-
-Lju ist doch ein unheimlicher Mensch! Er hat Augen, die im Herzen lesen.
-Ich hatte eben den Satz geschrieben, als er kam und mir sagte, er fühle
-sich sehr wohl bei uns, er hätte auch das Gefühl, daß wir ihn gern
-hätten, aber er käme sich überflüssig vor und fände, daß es richtiger
-wäre, wenn er ginge; er möchte mit mir darüber sprechen. Er sprach so
-vertrauensvoll, so einfach, beinahe kindlich. Ich war ganz betroffen und
-sagte, meine Besorgnis um das Leben meines Mannes hätte sich allerdings
-allmählich gelegt; aber er wäre doch auch als Sekretär tätig, selbst
-schreiben könne mein Mann augenblicklich nicht -- er leidet doch am
-Schreibkrampf -- und er würde sich nur ungern an einen andern Herrn
-gewöhnen, auch sicher keinen von seiner, Ljus, Bildung und seinen
-Kenntnissen finden. Er sagte, darüber hätte er schon nachgedacht, für
-meinen Mann würde gewiß das zweckmäßigste sein, wenn er sich an eine
-Schreibmaschine gewöhnte, dann wäre er von niemand abhängig, und er
-hätte doch so manche Korrespondenzen, die womöglich geheimbleiben
-sollten. Diesen Gedanken lobte ich sehr -- ich finde ihn wirklich höchst
-vernünftig -- und sagte, eine Schreibmaschine könnte sich ja Jegor
-anschaffen, es würde aber wohl eine gute Weile dauern, bis er damit
-umzugehen verstände, wenn er es überhaupt wollte, und auch sonst würde
-er dadurch doch nicht ganz ersetzt werden. Etwas andres wäre es
-natürlich, wenn er aus irgendeinem Grunde seinetwegen fort wollte.
-Darauf sagte er, wenn es im Leben auf Glücklichsein ankäme, würde er
-sein ganzes Streben darauf richten, immer bei uns bleiben zu können. Er
-hätte bei uns eine Art des Glückes kennen gelernt, an die er vorher
-nicht geglaubt hätte; er hätte unauslöschliche Eindrücke empfangen. Aber
-er hielte es für die Bestimmung des Menschen oder wenigstens für seine,
-tätig zu sein, zu wirken, an großen Zielen zu bauen. Er wäre wie ein
-Pferd, das, wenn es ihm noch so wohl vor seiner Krippe voll Hafer wäre,
-der Trompete folgen müßte, die zur Schlacht riefe; er glaubte in der
-Ferne den Ruf der Trompete gehört zu haben. Ich fragte: »Haben Sie etwas
-Bestimmtes vor? Wollen Sie uns sofort verlassen?« Nein, sagte er, so
-wäre es nicht gemeint. Er hätte nur von mir bestätigt hören wollen, daß
-er überflüssig hier wäre, und ich wäre freimütig genug, ihm das
-zuzugestehen. Er würde sich nun überlegen, wohin er gehen wollte.
-Inzwischen könnte mein Mann sich eine Schreibmaschine kommen lassen und
-versuchen, ob er Geschmack daran fände.
-
-Ja, siehst Du, Tatjana, nun bin ich betrübt, daß es so gekommen ist.
-Meine kleine Jessika! Weißt Du, was ich glaube? Es ist Jessikas wegen,
-daß er fort will. Daß sie ihn liebt, muß er bemerkt haben; entweder er
-erwidert das Gefühl nicht, oder er will im Bewußtsein seiner Armut und
-seiner unselbständigen Lage nicht um sie anhalten und hält es für seine
-Pflicht, sie zu meiden. Das ist edel gehandelt und besonders fein die
-Art und Weise, wie er es ausführt. Er hat nichts angedeutet, nichts
-erschwert, alles geebnet. Er ist mir nie so liebenswert erschienen, und
-ich empfinde Schmerz für Jessika, trotzdem ist mir leichter zumute, nun
-ich sehe, daß der Konflikt -- wenn einer vorhanden ist -- sich lösen
-läßt. Was für ein Schreibebrief! Hast Du Geduld bis zu Ende gehabt?
-
- Deine Schwägerin
- Lusinja.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- 7. Juni.
-
-Geliebteste Tante! Du hast lange keine Nachricht von uns gehabt? Und ich
-habe das Gefühl, Dir erst gestern geschrieben zu haben, auf so leichten
-und schnellen Füßen laufen diese Sommertage. Und wenn man sogar noch ein
-Automobil davorspannt! Lju hat uns einmal spazierengefahren, aber nicht
-lange, weil er noch nicht sicher ist. Unser Iwan kann noch weniger als
-er, obwohl er täglich ein paar Stunden damit herumturnt. Papa möchte
-auch gern selbst lenken, Mama will es aber nicht, weil es die Nerven
-angreife, sie wüßte aufs bestimmteste, daß zwei Drittel aller Chauffeure
-durch Wahnsinn oder Selbstmord infolge von Nervenzerrüttung endeten.
-Papa versuchte zwar das Argument anzugreifen, aber wir schrien im Chore,
-er müßte sich für Staat und Familie erhalten, und einstweilen hat er
-nachgegeben. Er hat ja nun auch einen andern Sport, nämlich die
-Schreibmaschine. Gestern abend nach dem Essen saßen wir in der Veranda.
-Es war so schön, wie es nirgends sonst als hier ist; über uns im Schwarz
-des Himmels schimmerten die feuchten Sterne und um uns her im Dunkel der
-Erde die bleichen Birken. Wir saßen still und jedes träumte seine eignen
-Träume, bis Mama Lju fragte, weil er doch alles wisse, sollte er sagen,
-was für Schlangen es in dieser Gegend gäbe. Er nannte augenblicklich
-eine Reihe lateinischer Namen und sagte, es wären alles Ottern und
-Vipern, harmlose, ungiftige Geschöpfe. Ich dachte bei mir, ob es diese
-Namen wohl überhaupt gäbe, aber Mama hielt alles für Evangelium und war
-sehr angenehm davon berührt. Papa hätte nämlich neulich gesagt, erzählte
-sie, an der glatten Mauer eines Hauses könnte niemand hinaufkriechen
-außer Schlangen, und seitdem könnte sie die Vorstellung nicht mehr los
-werden, wie der feste, glatte, klebrige Schlangenleib sich am Hause
-heraufzöge, und sie könnte oft nachts nicht davor einschlafen. Welja
-sagte, er begriffe nicht, wie man sich vor Schlangen fürchten könnte, er
-fände sie schön, anmutig, schillernd, geheimnisvoll, gefährlich, und er
-würde sich in keine Frau verlieben können, die nicht etwas von einer
-Schlange hätte. Katja sagte: »Du Kalb!« und Lju sagte, ich hätte etwas
-von einer Schlange, nämlich das lautlos Gleitende und Mystische. Dann
-erzählte er ein südrussisches Märchen von einer Schlange, das sehr
-grausig war. Ein Zaubrer liebte eine Königstochter, die in einen hohen
-Turm eingesperrt war. Um Mitternacht kroch er als Schlange am Turm
-herauf durch das Fenster in ihr Gemach, dort nahm er wieder seine
-Menschengestalt an, weckte sie und blieb in Liebe bei ihr bis zum
-Morgen. Einmal aber schlief die Königstochter nicht und wartete auf ihn;
-da sah sie plötzlich mitten im Fenster im weißen Mondschein den
-schwarzen Kopf einer Schlange, flach und dreieckig auf steilem Halse,
-die sie ansah. Darüber erschrak sie so sehr, daß sie ohne einen Laut ins
-Bett zurückfiel und starb. Gerade in diesem Augenblick klingelte es
-heftig an der Gartentür, wo ein alter, verrosteter Klingelzug ist, der
-fast nie gebraucht wird und deswegen in Vergessenheit geraten ist. Wir
-wunderten uns alle, daß Mama nicht auch umfiel und tot war. Papa stand
-auf, um an die Gartentür zu gehen und zu sehen, was es gäbe, Mama sprang
-auch auf und sah Lju flehend an, damit er zuerst dem Mörder die Stirn
-böte, wenn einer da auf Papa wartete, und weil das Aufstehen und die
-ersten Schritte bei Papa immer etwas mühsam sind und Lju sehr schnell
-laufen kann, kam er zuerst an und empfing den Paketboten, der eine Kiste
-trug. Er sagte, es würde eigentlich nichts mehr ausgetragen, aber der
-Postmeister hätte gesagt, die Kiste sei aus Petersburg und enthalte
-vielleicht etwas Wichtiges, und weil es der Herr Gouverneur sei, für den
-der Postmeister eine besondere Verehrung habe, hätte er sie ihm doch
-noch zustellen wollen. Na, der Bote bekam ein Trinkgeld, und in der
-Kiste war die Schreibmaschine. Lju packte sie gleich aus und fing an zu
-schreiben, Papa wollte auch, konnte aber nichts, wir probierten alle,
-konnten es aber ebensowenig, nur ich -- ungelogen -- ein bißchen, und
-dann sahen wir zu, wie Lju schrieb. Nach einer Weile probierte Papa noch
-einmal, und wie Lju sagte, er hätte Talent, war er ganz zufrieden. Mama
-war geradezu selig und sagte, sie hätte sogar die Schlange vergessen, so
-hübsch wäre die Schreibmaschine. Welja sagte: »Was wollt ihr denn
-eigentlich mit der Scharteke?« Und Katja sagte, wenn man doch schon
-einmal die Finger gebrauchen müßte, könnte man gerade so gut schreiben,
-sie sähe den Zweck davon nicht ein; sie wurde aber überstimmt.
-
-Bist Du nun _au fait_, einzige Tante? Nun sage ich Dir nur noch, daß die
-Rosen zu blühen anfangen, die Zentifolien und die gelben Kletterrosen,
-die so merkwürdig riechen, und die wilden Rosen auch, und daß die
-Erdbeeren reifen, ferner, daß Papa in der umgänglichsten Stimmung ist
-und neulich sogar gefragt hat, ob denn diesen Sommer gar kein Besuch
-käme!
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 9. Juni.
-
-Lieber Konstantin! Ja, Du bist mein Freund, das empfinde ich. Du ehrst
-und schätzest dasjenige in mir, was wir für das Höhere halten, und
-kennst und liebst doch auch das andre, den Urstrom des Ahnenblutes,
-dessen unfaßbare Verzweigungen überall eingreifen und mich leiden
-machen. Daß ich leide, will ich Dir nicht verhehlen, auch hast Du es
-längst bemerkt. Vielleicht habe ich noch nie so gelitten, aber daß es
-überwunden werden wird, weiß ich auch. Ich habe alle diese Menschen vom
-ersten Augenblick an, da ich in ihre Mitte trat, zu beherrschen gesucht,
-daraus folgt alles übrige; denn auch der Herrscher ist gebunden, nicht
-nur der Beherrschte. Was mir gelungen ist, ist ebenso verhängnisvoll für
-mich geworden wie das, woran ich scheiterte. Den Gouverneur kann ich
-vielleicht täuschen, aber ich habe keinen Einfluß auf ihn. Es kränkt ein
-wenig meine Eitelkeit, hauptsächlich beklage ich es aber wegen alles
-dessen, was daraus folgt. Der Mann übt einen Zauber aus, für den ich
-nicht unempfänglich bin, obwohl er von Kräften ausgeht, die ich nicht
-für die höchsten halte. Man sieht die Merkmale eines Geschlechtes an
-ihm, in welchem das Lebensfeuer stärker und schöner brannte als in den
-gemeinen Menschen. Er ist etwas in sich Vollendetes, wenn auch durchaus
-nicht vollendet überhaupt. Gerade seine Unzugänglichkeit gefällt mir;
-ich glaube, er ist im Kampfe des Lebens gewachsen, fester und härter
-geworden, aber er hat sich nicht erweitert, hat nichts Neues in sich
-aufgenommen. Das ist beschränkt, aber es verleiht eine gewisse
-Intensität. Verloren hat er auch nichts; er hat noch viel von der
-Torheit, von dem Eigensinn und der Innigkeit der Kindheit an sich, was
-der in der Regel nicht behält, der sich viel Neues und Fremdes aneignet.
-Sein Ich ist ganz, so saftreich und gesammelt und stolz, daß es einen
-schmerzt, daran zu tasten; und gerade weil es so ist, muß ich ihn
-zerstören. Einmal faßte ich die Hoffnung, ich könnte ihn gewinnen,
-könnte ihm andre Ansichten eröffnen. Ich schrieb Dir nichts davon, es
-lag mir allzusehr am Herzen, und ich ahnte schon, daß es vergebens sein
-würde. Mein Gott, dieser Mann, diese heiße, blinde Sonne! Ich rolle wie
-ein Komet neben ihm her, und er ahnt nicht, daß der Augenblick, wo unsre
-Bahnen zusammenstoßen, ihn in Stücke reißen wird! Von den Kindern laß
-mich schweigen. Besser, viel besser wäre es gewesen, ich hätte auf den
-Vater so gewirkt wie auf sie. Das klingt albern; es ist ja natürlich,
-daß die Jugend leichter zu beeinflussen und zu beherrschen ist als das
-Alter; aber hätte nicht einmal, durch Zufall oder Wunder, das Umgekehrte
-stattfinden können? Da es nicht der Fall ist, versuche ich daran zu
-denken, daß ich keine Wahl habe, daß ich tun muß, was ich für notwendig
-erkannt habe, daß die Heilkraft der Jugend überschwenglich ist, daß es
-diesen spielenden Kindern vielleicht nützlich ist, vom Schicksal
-aufgerüttelt zu werden. Ach Gott, was heißt nützlich? Sie waren so
-wundervoll in ihrem Traumleben! Freilich, einmal muß es doch enden.
-Kinder mit Runzeln und gebeugten Rücken sind Zerrbilder, und beizeiten
-muß die Umbildung beginnen. Vielleicht kann sogar ich selbst ihnen bei
-der Veränderung hilfreich zur Seite stehen. Was ein Mensch wollen kann,
-ist möglich; nur zum Wollen gehört Kühnheit.
-
-So werde ich Dir nun nicht wieder schreiben. Auch rechne ich darauf, daß
-Du mich nicht mißverstehst. Zweifel ist nicht in mir. Antworte mir auch
-nicht auf alles dies! Trösten kann mich niemand, und daß Du mich
-verstehst, weiß ich
-
- Lju.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 11. Juni.
-
-Lieber Peter! Sei morgen oder übermorgen zu Hause, wenn du einen
-historischen Augenblick erleben willst. Unser treuer Iwan ist mit dem
-Automobil in den Graben gefallen, was von ihm auf die Tücke des
-Vehikels, von uns auf die des Branntweins geschoben wird. Da er nebst
-Automobil mehrere Stunden im Graben gelegen hat, war er ziemlich
-nüchtern, als er heimkam, und die Streitfrage ist nicht mehr zu
-entscheiden. Das Automobil hat mehr gelitten als er, es sieht aus wie
-eine Schildkröte ohne Schale; laufen kann es aber. Mama war ganz
-zufrieden mit dem Ergebnis und fand, wir möchten es so lassen, bis Iwan
-ganz erprobt wäre, damit er uns nicht auch noch in den Graben führe.
-Papa hingegen sagte, in diesem Zustande könnte er das Automobil nicht
-auf die Straße lassen, auch wenn niemand als Iwan darinsäße, das würde
-seinem Ansehen schaden, es wäre geradeso, als ob seine Töchter mit
-durchlöcherten Kleidern ausgingen. Hierdurch überzeugt, beschlossen wir,
-daß das Automobil repariert werden müsse, und Lju hat sich erboten, das
-Wrack in die Stadt zu fahren und das Nötige zu veranlassen. Jessika will
-gern mitfahren, aber Lju will es nicht, weil es bei dem schadhaften
-Zustande nicht sicher wäre. Seitdem geht sie mit einem wehleidigen
-Gesicht herum; denn sie ist natürlich in Lju verliebt. »Natürlich« sage
-ich, weil in einen Mann wie Lju, dessen Willenskraft jedes Atom seiner
-Materie durchdringt, sich alle verlieben müssen. Mir ist eigentlich
-alles einerlei, sogar wenn ich verliebt bin, ist es mir im allertiefsten
-Grunde einerlei, ob ich sie habe oder nicht.
-
-Auch das hat einen gewissen Reiz für manche Frauen; aber das wahrhaft
-Unwiderstehliche ist der Wille. Niemand kann dagegen an, es ist die
-Schwerkraft der Seele. Lju hat in bezug auf alles einen bestimmten
-Willen. Ich hielte eine solche Lebensweise nicht ein Jahr lang aus, und
-er treibt es schon achtundzwanzig Jahre so und wird wahrscheinlich sehr
-alt werden. Ob er sich für einzelne Frauen auf die Dauer interessieren
-kann, bezweifle ich; die Vielweiberei müßte für ihn eingeführt werden.
-Er würde sich nicht viel um sie bekümmern, aber an einem Satz, den er
-mal im Vorbeigehen fallen ließe, würden sie wochenlang saugen und damit
-zufrieden sein. Also er wird Deiner Mutter einen Besuch machen, sieh Dir
-ihn an!
-
- Welja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 11. Juni.
-
-Lieber Konstantin! Ich komme morgen oder übermorgen nach Petersburg und
-rechne darauf, Dich zu treffen. Es handelt sich um die Einrichtung der
-Schreibmaschine, worüber ich am liebsten mündlich mit Dir verhandeln
-will; sie kann explosiv wirken oder mit einem Revolverschuß geladen
-werden. Im letzteren Falle würden wir aber nicht sicher sein, ob die
-Kugel ihr Ziel träfe. Ich werde sie demnächst unter dem Vorwande einer
-Reparatur an die Fabrik schicken, wo sie gekauft worden ist. Sie muß
-dorthingehen und von dort zurückexpediert werden, damit bei einer
-späteren Untersuchung keine Spur zu mir führt. Deine Sorge muß es sein,
-daß sie nicht abgeht, ohne zu unserm Gebrauch eingerichtet zu sein; also
-wirst Du über einen Angestellten der Fabrik oder über einen Angestellten
-der Bahn verfügen müssen. Es eilt nicht, Du kannst Deine Vorkehrungen
-mit ruhiger Ueberlegung treffen.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 12. Juni.
-
-Geliebteste Tante! Ich wollte Dich gern besuchen, aber ich soll nicht!
-Ich wäre so gern mit dem zerfetzten Automobil bei Dir vorgefahren,
-gerade weil es so schrecklich kaput ist. Denke Dir, ich hätte mich so
-hübsch wie möglich gemacht und wäre aus dem zersplitterten Kasten
-herausgestiegen wie eine Dryade aus einem hohlen Baumstamme. Und vor
-allen Dingen, ich hätte Dich gesehen, ich hätte meinen Charakter an der
-schweren Aufgabe gestählt, Deine blühenden Wangen, Deine mit dem Schmelz
-ewiger Jugend gepuderte Haut neidlos zu bewundern. Meine Wangen sind,
-fürchte ich, augenblicklich blaß und tränennaß, so enttäuscht bin ich,
-daß ich nicht mitfahren kann.
-
-Wir werden nun ohne Beschützer sein, Tante. Ich habe vorgeschlagen, wir
-drei könnten Tag und Nacht Fangen ums Haus spielen, dann könnte sich
-gewiß niemand ungesehen ins Haus einschleichen. Der gute Welja war auch
-bereit dazu, aber Katja nicht; sie sagte, sie wäre doch kein Kind mehr!
-Lju bringt Dir diesen Brief. Laß Du Dich unterdessen von ihm beschützen,
-wenn Du es auch nicht nötig hast.
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 14. Juni.
-
-Wenn ich nicht sehr tätig bin, kommt es im Grunde daher, daß meine
-Familie immer zur Betrachtung einlädt. Durch Anpassung an die bewegten
-Verhältnisse hat sich mein beschauliches Temperament herausgebildet;
-wenn ich auch noch mitagierte, würde es zu toll. Heute ist wieder der
-Teufel los. Ich saß, noch erschöpft von gestern -- denn seit Lju fort
-ist, muß ich immer bis Mitternacht auf der Lauer liegen, weil Mama
-Gefahren wittert --, also ich saß in der Bibliothek und blätterte in
-einem Buche, als Katja wie ein wirbelnder Federball herein und ans
-Telephon gestürzt kam. Damit Dein Gehirn nicht ebenso erschüttert wird,
-wie meins bei dieser Gelegenheit wurde, will ich Dir zur Erklärung
-voranschicken, daß Katja soeben Jessika dabei betroffen hatte, daß sie
-einen Brief an Lju schrieb, und daß Jessika, von Katja zur Rede
-gestellt, damit herausgeplatzt war, sie liebte Lju und wäre so gut wie
-verlobt mit ihm. Ich mußte dies schließen und erraten, was ich Deinem
-Walfischschädel nicht zumuten will.
-
-Also Katja verbindet sich mit Petersburg. Ich frage, mit wem sie reden
-will. Mit Lju, obgleich mich das nichts anginge. Ich sage, du kannst
-doch wohl so lange warten, bis er wieder hier ist, so wichtig wird es
-nicht sein. Sie: »Kannst du das beurteilen? Hier werde ich überhaupt
-nicht mehr mit ihm sprechen und bedaure, es jemals getan zu haben.« Ich:
-»Alle Heiligen!« In dem Augenblicke klingelt das Telephon, Katja
-ergreift es. »Sind Sie da? Quak, quak, quak ... Ich will Ihnen nur
-sagen, daß ich Sie verachte! Quak, quak ... Sie sind ein Heuchler, eine
-Qualle, ein Judas! Quak, quak, quak, quak. Bitte, leugnen Sie nicht! Sie
-haben die Stirn, sich zu verteidigen? Sie haben mich genug belogen! Ich
-werde Jessika aufklären. Für einen solchen Elenden ist sie trotz ihrer
-Schwachheit zu gut. Quak, quak, quak, quak, quak ... Sie halten mich für
-dümmer, als ich bin. Sie glauben, Sie allein wären klug und alle andern
-wären schwachsinnig, aber vielleicht ist es umgekehrt!«
-
-Dies alles trompetete Katja mit so gellender Stimme, daß Papa und Mama
-es hörten, glaubten, es wäre etwas passiert, und herbeigelaufen kamen.
-Beide hören erstaunt zu und fragen: »Was bedeutet das? Mit wem spricht
-sie denn?« Ich: »Ach, mit Lju, sie hat sich ein bißchen über ihn
-geärgert.« Katja am Telephon: »Ich du zu Ihnen sagen? Zu einem so
-abgefeimten, zweizüngigen Charakter, wie Sie sind? Niemals!« Papa und
-Mama: »Aber um Gottes willen, was hat er denn getan?« Ich: »Ach, sie hat
-eine Karte von ihm bekommen mit der Adresse Katinka von Rasimkara, und
-das betrachtet sie doch nun einmal als Beleidigung, wenn man ihren Namen
-Katja von Katinka ableitet.« Papa und Mama entzückt: »Das ist ganz
-Katja!« Beide wollen sich totlachen. Katja dreht sich um. Ich:
-»Täubchen, ruh dich doch mal aus!« Katja mit einem vernichtenden Blick
-auf mich: »Affe!« Dann ab.
-
-Ich stürze ans Telephon, erwische Lju noch und gebe ihm das Versprechen,
-beruhigend zu wirken. Er sagte mit einem durchs Telephon zu Herzen
-gehenden Seufzer: »Du bist das Oel auf den Sturmwogen deiner Familie;
-ohne dich würde man seekrank.« Das Gespräch schien ihn sehr mitgenommen
-zu haben.
-
-Ob er von euch aus gesprochen hat, weiß ich gar nicht; es wäre sehr
-belustigend, wenn Du die andre Hälfte des Gespräches mit angehört
-hättest. Das ist sicher, Katja ist fertig mit Lju, wenn auch ihre Wut
-mit der Zeit nachlassen wird. Ob sie nun, nachdem sie mit der
-Intelligenz gebrochen hat, wieder für Deinen Stumpfsinn schwärmen wird,
-darüber läßt sich noch nichts sagen, rechne nicht zu bestimmt darauf.
-Uebrigens gedeiht sie vortrefflich bei ihrer Enttäuschung; zu beklagen
-ist nur die arme kleine Jessika. Sie kommt mir vor wie ein kleiner
-Vogel, dem sein Nest zerstört ist, der Sturm und Regen ergeben über sich
-ergehen läßt, erschrocken und behutsam piepst und zuweilen mit dem
-zerzausten Köpfchen hervorlugt, ob es noch nicht besser wird. Ich
-glaube, zuerst hat sie stundenlang geweint, ihr Gesicht zitterte noch
-lange nachher. Sie hat etwas so Süßes wie eine überreife Feige und etwas
-so Weiches wie eine Schneeflocke, die einem in der Hand zerschmelzen
-will. Es wäre für sie sehr gut, wenn Du sie heiratetest; aber Dir ist
-nun einmal zuerst Katja eingefallen, und nach dem Gesetz der Trägheit,
-das Dich beherrscht, rollst Du damit durch dick und dünn und hältst es
-für Charakter. Für Dich ist es ja ziemlich einerlei, wen Du betreust;
-aber für Jessika wäre es gut, wenn sie durch die Dickhaut Deiner
-saurischen Person vor der Welt geschützt wäre, während Katja eine solche
-antediluvianische Mauer nicht nötig hat und sie vielleicht auf die Dauer
-sogar nicht gut aushalten könnte. Ich will aber nicht so töricht sein,
-jemand Vernunft zu predigen, der keine hat.
-
-Katja hat Einsicht genug, um Papa und Mama den wahren Sachverhalt zu
-verschweigen; aber wenn Papa sie mit Katinka anredet, um sie zu necken,
-wirft sie mir zornige Blicke zu, was die andern erst recht ins Lachen
-bringt. Lebe wohl!
-
- Welja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 17. Juni.
-
-Lieber Konstantin! Es war durchaus zweckmäßig, daß ich Frau Tatjana
-bewogen habe, mit mir nach Kremskoje zu fahren; der Einfluß, den ich auf
-sie ausübe, hat auf den Gouverneur und seine Familie Eindruck gemacht,
-weil sie diese Verwandte sehr bewundern, die in der Gesellschaft eine
-große Rolle spielt. Sie ist schön und hat Geist genug, um zu wissen,
-wieviel davon eine Frau merken lassen darf. Ihr Verstand ist gut, wenn
-auch nicht ausgebildet. Sie liebt die geistigen Genüsse, die man ohne
-Anstrengung haben kann, deshalb bevorzugt sie zum Umgang kenntnisreiche
-und denkende Menschen, die das Ergebnis ihrer Gedankenarbeit in
-anregende Form zu kleiden wissen. Ihre Vorurteilslosigkeit würde man
-noch mehr bewundern, wenn sie etwas dadurch riskierte; aber der ganz
-unpolitischen Dame läßt man gern die Freiheit, das Gesellschaftseinerlei
-durch naive Offenheiten zu kolorieren.
-
-Ihr Sohn Peter, der seit seiner Kindheit Katja liebt und unbeeinflußt
-durch die Tatsache, daß sie seine Neigung nicht erwidert, dabei
-verharrt, hat, oberflächlich betrachtet, etwas von den gutmütigen Riesen
-des Märchens. Aus einer Art von kindlicher Menschlichkeit und naivem
-Gerechtigkeitssinn zählt er sich zur revolutionären Partei. Trotzdem er
-eifersüchtig auf mich ist, da seine Cousine mich ihm vorzieht, kam er
-mir, wenn auch nicht gerade herzlich, doch mit anständiger
-Vorurteilslosigkeit entgegen. Er hat mit einigen andern Studenten, die,
-wie er, über bedeutende Mittel verfügen, medizinische Privatkurse
-eingerichtet, um sich und seinen Kollegen die Fortsetzung des Studiums
-zu ermöglichen, zugleich natürlich, um gegen die Maßregel der Regierung
-zu protestieren. An diesen Kursen, die nächstens beginnen werden, will
-Katja teilnehmen. Der Gouverneur wußte bis jetzt nichts davon und ist
-empfindlich betroffen, daß ein solches Unternehmen von seinem Neffen
-ausgeht, und vollends, daß Katja sich daran beteiligen will. Da er gegen
-Katja nicht gut streng sein kann, begann er damit, seiner Schwester
-Tatjana Vorwürfe zu machen, daß sie ihren Sohn nicht von so ärgerlichen
-Donquichotterien zurückhielte. Sie lächelte wie ein Kind und sagte, ihr
-Sohn wäre ein erwachsener Mensch, sie könne ihn nicht am Gängelbande
-führen, überhaupt sollte man sie mit politischen Dingen, von denen die
-Frauen doch ausgeschlossen wären, in Ruhe lassen. Warum sollte sie sich
-ein Urteil bilden, das sie doch nicht geltend machen könnte? In
-Gesellschaft besonders sollten Gespräche über politische Dinge verboten
-sein, bei denen auch der klügste Mann plötzlich ein beschränkter und
-borstiger Esel würde. Uebrigens schiene es ihr eigentlich erlaubt zu
-sein, daß, wenn der Staat ihm die Mittel dazu nähme, ein junger Mann
-sich auf eigne Hand die zu seinem Berufe nötige Bildung zu verschaffen
-suchte, denn eine Tätigkeit müsse ein Mann doch einmal haben.
-
-Katja fiel ein, es wäre empörend, die Schulen zu schließen, was die
-Regierung sich einbildete, die Universitäten wären unabhängige
-Körperschaften, ob schließlich auch die Eltern den Zaren um Erlaubnis
-fragen sollten, ehe sie die Kinder lesen und schreiben lehren dürften.
-
-Der Gouverneur sagte, wenn die Universität sich damit begnügt hätte,
-Wissenschaft zu lehren, würde die Regierung sie respektiert haben, aber
-indem sie sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt und Partei
-ergriffen hätte, hätte sie sich ihres Rechtes auf Unantastbarkeit
-begeben. Die Härte, welche die Maßregel mit sich brächte, würde dadurch
-nicht ausgeglichen, daß einige, denen ihr Vermögen es erlaubte, sich den
-Unterricht auf privatem Wege verschafften, dessen Wegfall für
-Unbemittelte ohnehin viel schädlicher wäre. Da fuhr aber Katja los: »Du
-kennst Peter schlecht! Der verschafft sich keine Vorteile vor den Armen!
-Im Interesse der Unbemittelten hat er die Kurse hauptsächlich
-eingerichtet! Es können alle daran teilnehmen, auch die nicht zahlen
-können!« Der Gouverneur wurde dunkelrot und sagte, dann wäre die Sache
-schlimmer, als er geahnt hätte. Er hätte geglaubt, es handelte sich
-gewissermaßen um Privatstunden, dies wäre aber eine Gegenuniversität,
-eine Herausforderung, ein revolutionärer Akt. Er hätte nie für möglich
-gehalten, daß sein eignes Kind sich in die Reihen seiner Gegner stellte.
-
-Ich habe ihn noch nie so zornig gesehen. Seine Stirn zog sich dicht
-zusammen, seine Nase schien zu flammen wie ein frisch geschliffener
-Dolch, es war eine unheimliche Atmosphäre um ihn, wie wenn ein
-Hagelwetter im Anzuge ist. Katja fürchtete sich ein wenig, hielt aber
-tapfer stand, Tatjana wunderte sich unbefangen und kindlich lächelnd
-weiter, daß er die Sache so ernst auffaßte. Frau von Rasimkara sah
-traurig aus; ich weiß nicht, was sie dachte, aber ich glaube, sie war
-außer mir die einzige, die das Gefühl eines unabwendbaren Verhängnisses
-hatte. Nicht aus einem bestimmten Grunde, nur weil sie liebt, und wer
-liebt, fürchtet und ahnt.
-
-In dem unangenehmsten Augenblick sagte ich zum Gouverneur, er möchte
-doch Welja und Katja ins Ausland schicken; er hätte doch sowieso die
-Absicht, sie eine Zeitlang an ausländischen Universitäten studieren zu
-lassen, und sie bereiteten ihm dann hier keine Aergernisse mehr. Dieser
-Vorschlag heiterte die Gewitterstimmung auf. Welja war bezaubert. »Ja,
-Papa,« sagte er, »alle vornehmen jungen Leute werden ins Ausland
-geschickt, wenn etwas aus uns werden soll, mußt du es auch tun. Ich bin
-für Paris.« Frau Tatjana sagte: »Ich gebe euch Peter mit, damit ein
-vernünftiger Mensch dabei ist. Und für Peter ist Paris notwendig, es
-fehlt ihm an Grazie.« Der Gouverneur beschränkte seinen Widerspruch
-darauf, daß er Berlin für angemessener als Paris erklärte; aber der
-Vorschlag leuchtete ihm sichtlich ein, und ich bin überzeugt er wird zur
-Ausführung kommen. Gemacht habe ich ihn, damit Katja und Welja abwesend
-sind, wenn das Unglück geschieht; Jessika zu entfernen wird sich auch
-noch ein Vorwand finden. Ich denke, die Sache wird nun schnell
-fortschreiten.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Katja an Welja
-
-
- Petersburg, 20. Juni.
-
-Du bist ein Dussel, Welja! Du hast ja doch Peter die ganze Geschichte
-mit Lju geschrieben! Ich konnte es mir ja denken, aber warum prahlst Du
-denn, Du hättest keiner Menschenseele ein Wort davon mitgeteilt? Erstens
-fragte ich Dich nicht danach, und zweitens glaubte ich Dir nicht einmal.
-Peter denkt nun, er müßte mich trösten, und ich müßte ihn heiraten;
-Logik hat er doch nicht. Uebrigens ist er entzückend, Gott, zu schade,
-daß ich nicht in ihn verliebt bin! Nun muß ich diese Albernheit von
-Peter ertragen und dazu noch anhören, wie Tante Tatjana für Lju
-schwärmt: wie elegant er wäre, und wie anregend, und wie energisch, und
-was für einen guten Einfluß er auf uns gehabt hätte! Paß Du nur
-wenigstens auf Jessika auf. Es ist auch zu toll, daß sie solche Eltern
-hat. Papa merkt nichts, Mama findet alles sympathisch, und Dir ist alles
-einerlei. Besinn Dich mal darauf, daß Du ein Mann bist; Lju kann alles
-mit Dir anstellen und Dir alles weismachen, gerade als ob Du in ihn
-verliebt wärest, das ist unwürdig. Wenn Tante Tatjana nicht gerade von
-Lju redet, ist sie reizend und sehr vernünftig. Die Kurse sind noch
-nicht eröffnet. Wie steht es mit Paris? Hat Papa ja gesagt? Im Notfall
-gehen wir natürlich auch nach Berlin, wenn wir erst fort sind, findet
-sich das übrige. Adieu!
-
- Katja.
-
-
-
-
- Jessika an Katja
-
-
- Kremskoje, 20. Juni.
-
-Mein süßer kleiner Maikäfer! Ich möchte lieber weinen, als Dir
-schreiben, aber davon hättest Du ja nichts. Ich kann das Gefühl nicht
-loswerden, als wäre ich daran schuld, daß Du fortgegangen bist. An etwas
-bin ich schuld, das fühle ich ganz sicher, und es fing damit an, daß ich
-an Lju schrieb; daß Du darüber außer Dir warst, kannst Du doch nicht
-leugnen. Erst dachte ich, Du liebtest Lju auch, aber er lachte und
-sagte, das tätest Du ganz gewiß nicht, und als ich euch nachher zusammen
-sah, kam es mir auch nicht mehr so vor. Und wenn Du ihn liebtest,
-liebtest Du ihn doch nicht so wie ich; Du würdest nicht daran sterben,
-wenn er Dich nicht wiederliebte. Aber das täte ich. Du bist doch
-überhaupt nicht so, daß Du Dich ernstlich verliebst, mein
-Klimperkleinchen, nicht? Welja sagt doch immer, Du wärest nicht so
-sentimental wie ich. Schreib mir etwas Tröstliches! Alle sind jetzt
-unzufrieden. Papa ist schrecklich nervös, seit ihr fort seid, Besuch
-greift ihn ja immer etwas an, aber hauptsächlich ist es, glaube ich,
-wegen Deiner Kurse. Es ist doch auch fatal für ihn, wenn seine Tochter
-und sein Neffe bei etwas beteiligt sind, was gegen die Regierung
-gerichtet ist. Gestern wurden ein paar Bibliotheksbücher entdeckt, die
-Welja vor einem oder zwei Jahren entlehnt und vergessen hat
-zurückzubringen. Das kostet nun natürlich verhältnismäßig viel, und Papa
-wurde wütend und machte Krach. Er sagte, Welja wäre gedankenlos und
-verschwenderisch und täte, als wenn er ein Millionär wäre, und würde uns
-noch alle an den Bettelstab bringen. Mama, die dazukam, versuchte Welja
-zu verteidigen, da wurde Papa erst recht böse. Mittags, als wir uns zu
-Tisch setzten, waren alle ernst und still, und Papa starrte finster vor
-sich hin. Mama nahm ihre Lorgnette, guckte ratlos von einem zum andern,
-endlich betrachtete sie Papa eine Weile und fragte liebevoll: »Warum
-bist Du so blaß, Jegor?« Wir fingen alle dermaßen zu lachen an, Papa
-auch, daß die Stimmung wiederhergestellt war.
-
-Welja war hauptsächlich deshalb niedergeschlagen, weil Papa unter anderm
-auch sagte, er könnte ihn doch nicht auf weite Reisen schicken, weil er
-zu leichtsinnig wäre. Aber das hat er nur so im Aerger gesagt, ich
-glaube, er will euch doch gehen lassen.
-
-Quält Peter Dich sehr? Meinetwegen mache Dir keine Sorge. Lju hat mir
-von Anfang an gesagt, er könnte und wollte nicht um mich anhalten, bis
-er eine entsprechende Stellung hätte, er wollte nur mein Freund sein; Du
-siehst, wie ehrenhaft er ist. Welja würde niemals so sein. Mein
-geliebtes Sonnenkäferchen, ich vermisse Dich stündlich. Du mich wohl
-nicht?
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Lusinja an Katja
-
-
- Kremskoje, 21. Juni.
-
-Meine kleine Katja! Du hast nun Deinen Willen. Bist Du glücklich, daß Du
-in der Stadt bist? Wirst Du dadurch klüger, besser, froher? Ich will Dir
-nicht verschweigen, mein Liebling, daß es mich schmerzte, daß Du
-fortgingest, obwohl Du sahest, was Du Deinem Papa damit zufügst. Ist das
-so schwer zu begreifen? Denn wenn Du es recht begriffen hättest, hättest
-Du es doch nicht tun können. Es ist ja nicht, daß Du anders denkst als
-er, was ihn am meisten schmerzt, auch nicht, daß Du seinen Wünschen
-zuwiderhandelst. Aber er liebt Dich zu sehr, um Dir das zu verbieten,
-was er andern verbieten würde. Er liebt Dich, trotzdem Du etwas tust,
-wodurch alle andern seine Teilnahme verscherzen würden. Das macht ihn
-irre an sich, an seinem System, an allem. Warum fügst Du das Deinem
-Vater zu, der Dich liebt, einem alternden Manne? Erreichst Du etwas
-Bedeutendes für Dich oder für andre damit? Ach, ich glaube zuweilen,
-unsre Kinder sind da, um eine Rache an uns zu nehmen, und doch könnte
-ich nicht sagen für wen und für was. Kinder sind die einzigen Wesen,
-denen gegenüber wir ganz selbstlos sind, darum sind sie die einzigen,
-die uns wahrhaft vernichten können. In ein paar Jahren vielleicht wirst
-Du selbst Mutter sein und mich verstehen, und auch wissen, daß ich
-solche Betrachtungen anstellen kann, ohne daß meine Liebe zu Dir um den
-allerkleinsten Grad vermindert wäre.
-
-Ich denke, es wird dazu kommen, daß Papa Dich und Welja ins Ausland
-schickt; er neigt schon sehr dazu, und es wird das beste für uns alle
-sein. Lju ist uns eine Stütze in diesen Tagen. Ich bin ihm zu Danke
-verpflichtet, und doch möchte ich am liebsten, daß wir nach eurer
-Abreise ganz allein wären, Dein Papa und ich. Der Urlaub hat noch nicht
-die guten Folgen für ihn gehabt, die ich erhoffte, vielleicht weil zu
-viel Umtrieb und Unruhe bei uns herrschte. Furcht habe ich seinetwegen
-augenblicklich nicht, weil ich zu sehr von Dingen erfüllt bin, die noch
-schlimmer sind als körperliche Gefahren.
-
-Sei rücksichtsvoll gegen Tante Tatjana, mein Liebling, und auch gegen
-Peter. Ich will Dich nicht bereden, einen Mann zu heiraten, den Du nicht
-liebst; aber die Freundschaft eines guten Mannes suche Dir zu erhalten.
-
- Deine Mama.
-
-
-
-
- Welja an Katja
-
-
- Kremskoje, 23. Juni.
-
-Dein Spatzengehirn hat, Gott weiß woher, einen vernünftigen Einfall
-gehabt, indem Du fortgingest. Spatzen und Mäuse wittern auch ungünstige
-Futterverhältnisse, das ist Instinkt, und den will ich Dir ja auch nicht
-absprechen. Es ist in der Tat jetzt sehr ungemütlich hier. Gestern früh
-hat Mama unter ihrem Kopfkissen wieder einen Drohbrief gefunden: wenn
-Demodow und die übrigen Studenten nicht begnadigt würden, würde Papa
-ihnen im Tode folgen oder vorangehen. Dies wäre die letzte Warnung, die
-er erhielte. Durch die Post kam am selben Tage ein Brief der Mutter
-Demodows, in dem sie Papa anflehte, das Leben ihres Sohnes zu schonen.
-Ob der Drohbrief mit dem in Zusammenhang steht? Mama fand den Brief
-nicht so schrecklich, wie daß sie ihn erst am Morgen fand und also die
-ganze Nacht darauf gelegen hat; das ist ihr unheimlich. Merkwürdig ist
-es ja, wie er dahin gekommen ist; unsern Leuten kann man so etwas nicht
-zutrauen, es ist ausgeschlossen, und wer kann sonst in Papas und Mamas
-Schlafzimmer kommen? Selbstverständlich ist es auf natürliche Art
-zugegangen, aber dahinterkommen können wir nicht. Man meint, es müßte
-spät abends jemand zum Fenster eingestiegen sein; es leuchtet mir nicht
-ein, aber widerlegen kann ich es natürlich auch nicht. Lju ist peinlich
-berührt, weil seine Bewachung sich so deutlich als ungenügend erwiesen
-hat. Ich glaube, im Grunde hat er in der letzten Zeit gar nicht mehr
-daran gedacht. Er ist sehr ernst, ordentlich düster. Heute hat er lange
-mit mir über die Geschichte gesprochen; er hält es für ausgemacht, daß
-die Verfasser des Drohbriefs von dem Briefe der Frau Demodow Kenntnis
-hatten; daß er also aus dem Kreise seiner Freunde hervorgegangen sei.
-Natürlich braucht Frau Demodow nichts davon zu wissen. Zunächst, meint
-Lju, sollte der Drohbrief wahrscheinlich nur bewirken, daß Papa den
-Brief der Frau Demodow in günstigem Sinne beantworte, gewissermaßen
-seine Wirkung verstärken. Bei Papas Charakter würde er aber natürlich
-seinen Zweck gänzlich verfehlen. Lju sagte, er achtete und liebte Papa,
-der immer seinem Charakter und seiner Einsicht gemäß handle; aber
-anderseits müßte man zugeben, daß die Revolution ihm gegenüber im Rechte
-wäre. Die Regierung hätte einen allgemein verehrten Professor, einen der
-wenigen, die noch den Mut freier Meinungsäußerung gehabt hätten,
-verhaften und nach Sibirien schicken wollen; Demodow hätte ihn und die
-Rechte der Universität verteidigen wollen. In späteren Jahren würde man
-auf diese paar Studenten hindeuten als Beweis, daß es damals in
-Petersburg noch junge Männer von Mut und Ehre gegeben hätte. In diesem
-Falle wären im Grunde die Regierung Aufrührer und gesetzloser Barbar,
-die sogenannten Revolutionäre Bewahrer des Rechtes. Sie handelten
-anständig, indem sie Papa von ihrer Ansicht und von ihren Absichten
-unterrichteten und ihm Zeit ließen, einen andern Weg einzuschlagen, der
-sie befriedigen würde. Ich gab ihm natürlich recht, aber ich sagte, ich
-könnte es doch Papa nachfühlen, daß er nun erst recht nicht nachgäbe.
-Vielleicht, sagte Lju, wenn Papa sicher wüßte, daß die Drohungen ernst
-gemeint wären und ausgeführt würden, täte er es doch aus Liebe zu seiner
-Frau und seinen Kindern. Ich glaube es doch nicht; und jedenfalls würde
-er eben davon nicht zu überzeugen sein. Papa ist der einzige, der ganz
-unerschüttert ist, das gefällt mir von ihm. Es ist kein Schatten von
-Furcht an ihm, wenn es früher noch möglich gewesen wäre, würde er jetzt
-auf keinen Fall einlenken. Es ist natürlich auch Trotz und Eigensinn und
-Rechthaberei dabei, aber fein ist es doch. Mama ist traurig; sie findet
-es natürlich schrecklich, daß die Studenten hingerichtet werden sollen,
-oder wenigstens Demodow, und daß Papa es ändern könnte und es nicht tut;
-ich glaube aber, sie hat jetzt nicht wieder versucht auf ihn
-einzuwirken, weil sie weiß, daß es doch umsonst wäre. Papa und Mama sind
-beides außerordentlich geschmackvolle Menschen, ich hätte mir keine
-andern Eltern ausgesucht, obgleich mir ihr Charakter und ihre Ansichten
-oft komisch vorkommen.
-
-Lju hat übrigens gesagt, nach seiner Meinung wäre Papas Leben zunächst
-noch gar nicht gefährdet, erst wenn die Studenten wirklich verurteilt
-wären, würde es vielleicht kritisch. Unsre Dienerschaft wäre ja aber
-unbedingt treu, und deshalb wäre kaum für ihn zu fürchten. Ich fragte
-ihn nämlich, weil er so ungewöhnlich ernst und gedankenvoll war. Er
-sagte, er hätte eingesehen, daß er uns so bald wie möglich verlassen
-müßte, und das stimmte ihn traurig. Er hätte es ja sowieso getan, nun
-würde er es beschleunigen. Auch weil die Nichtübereinstimmung zwischen
-seinen Ideen und Papas doch zu groß wäre, als daß er ein
-Zusammenarbeiten für anständig halten könnte. Ich habe versucht, ihm das
-auszureden.
-
-Ich bleibe jedenfalls noch hier, um Papa und Mama ein bißchen zu
-zerstreuen, sie tun mir leid. Jessika ist nur verliebt. Gottlob, daß ich
-es nicht bin, es ist ein scheußlicher Zustand. Benimm Dich korrekt,
-Spatz, damit Papa in dieser Zeit Unannehmlichkeiten erspart werden.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Jegor von Rasimkara an Frau Demodow
-
-
- Kremskoje, 23. Juni.
-
-Gnädige Frau! Hätte Ihr Sohn mich persönlich beleidigt oder angegriffen,
-so hätte es Ihrer Fürbitte nicht bedurft, damit ich seiner Jugend und
-seinem ungestümen Charakter die Kränkung unbedingt vergeben hätte.
-Unglücklicherweise ist es nicht die Privatperson, an die Sie sich
-wenden, sondern der Vertreter der Regierung; als solcher kann ich nicht
-großmütig sein, denn den Staat angehend handelt es sich nicht um
-Gefühle, sondern um Nutzen und Notwendigkeit. Ich habe den jungen Mann,
-dessen Gesinnung mir bekannt war, zeitig gewarnt, sowohl in seinem wie
-im Interesse seiner unglücklichen Eltern; damit, daß er meine Warnung
-unbeachtet ließ, erklärte er, die Folgen seiner Handlungsweise auf sich
-nehmen zu wollen. Ich traue ihm zu, daß er selbst weder um Gnade bittet,
-noch der Regierung aus ihrer Strenge einen Vorwurf machen wird.
-
-Ihnen zu sagen, gnädige Frau, wie sehr ich mit Ihnen empfinde, hätte ich
-vielleicht nur das Recht, wenn ich Ihre Bitte gewähren könnte. Erlauben
-Sie mir jedoch, Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen dankbar wäre, wenn Sie mir
-jemals Gelegenheit gäben, Ihnen mein aufrichtiges und schmerzliches
-Mitgefühl durch die Tat zu beweisen.
-
- Ihr ergebener
- Jegor von Rasimkara.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 24. Juni.
-
-Lieber Konstantin! Frau von Rasimkara hat von dem Brief, den ich ihr
-unter das Kopfkissen legte, einen starken Eindruck empfangen. Sie fand
-ihn erst am Morgen, nachdem sie eine ganze Nacht darauf geschlafen
-hatte. Dies und daß sie nicht begreifen kann, wie der Brief an seine
-Stelle gekommen ist, findet sie am unheimlichsten. Uebrigens ist sie
-gefaßt; sie ist überzeugt, daß ihr Mann verloren ist, daß niemand es
-ändern kann, und erwartet das unvermeidliche Schicksal. Das ist aber
-eine Stimmung, die durch andre Stimmungen wieder verscheucht werden
-kann; oder es ist ein Grundbewußtsein, über das der Tag immer wieder
-hinflutet. Der Gouverneur ist beinahe unempfindlich für den immerhin
-aufregenden, auch ihm unerklärlichen Vorfall. Er hat die Bittschrift der
-Frau Demodow ohne Zögern in abschlägigem Sinne beantwortet. Es ist
-keinerlei Veränderung an ihm wahrzunehmen; allerdings litt er schon
-einige Zeit unter dem Verhalten seiner Tochter Katja. Daß ihm eine
-ernstliche Gefahr droht, scheint er nicht für möglich zu halten,
-jedenfalls will er sie nicht für möglich halten.
-
-Daß es so kommen würde, habe ich vorausgesehen. Ich hätte den
-unerschrockenen und unerschütterlichen Menschen gern gerettet; ich habe
-fast zu lange an die Möglichkeit geglaubt, daß ich es vermöchte. Wenn
-ich an Selbstüberhebung gelitten habe, können die Erfahrungen, die ich
-in diesem Hause gemacht habe, mich davon heilen. Ich sehe, einen
-Menschen ändern kann nur Gott; oder nicht einmal Gott! Das könnte meinen
-Stolz trösten. Man hat so wenig Macht über die Menschen wie über die
-Sterne; man sieht sie nach ihren unbeugsamen Gesetzen auf- und
-untergehen.
-
-Es wird nun nicht mehr lange dauern, es gibt keinen Ausweg. Jetzt ist
-mir selbst das liebste, wenn es bald vorüber ist.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Katja an Welja
-
-
- Petersburg, 25. Juni.
-
-Welja, ich glaube, Du bist noch nie ganz wach gewesen, seit Du lebst.
-Wache doch endlich mal auf! Mir werden von allen Seiten Vorwürfe
-gemacht, von andern kann es ja hingehen, aber von Dir? Unerhört! Was tu'
-ich denn? Papa hat seine Ideen und ich meine; warum soll er mehr Recht
-haben, seinen nachzuleben, als ich? Seine sind schädlicher als meine,
-find' ich. Ich bringe doch niemand um. Vielleicht weil er älter ist als
-ich? Schöner Grund; sein Alter spricht doch höchstens gegen ihn. Aber
-lieb habe ich ihn gewiß ebenso wie Ihr, wahrscheinlich mehr als Du. Du
-siehst nicht einmal ein, daß Lju nicht im Hause bleiben darf, wenn er
-solche Ansichten hat, wie er Dir gesagt hat. Wenn wir finden, daß Papa
-im Unrecht ist, und daß es der Gegenpartei schließlich nicht zu
-verdenken ist, wenn sie ihn umbringt, so ist das etwas ganz andres, als
-wenn ein Fremder es findet. Was wissen wir denn eigentlich von Lju? Ich
-weiß, daß er vollkommen gewissenlos ist. Dir imponiert das natürlich,
-mir hat es zuerst auch imponiert, es mag ja auch großartig sein,
-vielleicht hast Du auch kein Gewissen, vielleicht möchte ich ebensowenig
-haben wie er, aber das ist mir jetzt ganz einerlei, in unserm Hause darf
-er nicht bleiben. Siehst Du denn nicht ein, daß er wirklich Papa ganz
-ruhig umbringen lassen würde? Halte wenigstens die Augen offen und passe
-auf. Es wurde mir geradezu unheimlich zumute, als ich Deinen Brief las.
-Er heftet seine eisigen Augen auf Papa und denkt: eigentlich hätten sie
-recht, wenn sie dich umbrächten. Wozu soll er überhaupt dasein? Daß er
-kein Mann für Jessika ist, mußt du doch einsehen; übrigens will er sie
-ja gar nicht einmal heiraten, er macht sie nur unglücklich. Die
-Geschichte mit Jessika muß auch Mama einsehen, das andre darf sie
-natürlich nicht wissen, damit sie sich keine Gedanken macht. Hörst Du,
-Du darfst ihn nicht zurückhalten, sondern mußt ihm im Gegenteil sagen,
-ja, geh sofort, Du hättest es schon längst tun sollen! Wenn Du ein Mann
-wärest, hättest Du ihm längst gesagt, er müßte Jessikas wegen aus dem
-Hause. Sei mal ein Mann! Papa sieht und hört ja leider Gottes nichts;
-eigentlich wäre es besser, er spielte im Berufe die Rolle, die er bei
-uns spielt, und umgekehrt, dann wären Volk und Familie zufrieden. Armer
-Mann, er opfert sich einem Popanz von Pflichtgefühl -- und doch ist auch
-etwas Schönes an dem Unsinn. Ich weiß nicht, was mir mehr gefällt, das
-oder Ljus Gewissenlosigkeit. Ach, Papa ist nun einmal Papa, und darum
-geht er vor. Wir müssen über ihn wachen, Du mußt mir für ihn bürgen,
-hörst Du?
-
- Katja.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 26. Juni.
-
-Liebe Tatjana! Es ist gerade, als ob Du die Sonne mit fortgenommen
-hättest; seitdem haben wir häßliche Regentage. Der Tag, an dem Du so
-überraschend ankamest, wie war der sorglos und heiter! So werden wir
-gewiß lange keinen mehr erleben. Als wir hier herauszogen im Mai, dachte
-ich nur an die Zeit, die vor mir lag, die ich mir unbeschreiblich
-glücklich dachte, wo ich Jegor ganz für mich haben würde, fern von
-Geschäften und Sorgen, und mein Gefühl war geradeso, als ob nachher
-nichts mehr käme. Das hat man wohl immer so, wenn man ein Glück vor sich
-hat; Glück scheint einem ewig zu sein -- obwohl es im Gegenteil nur
-flüchtig sein kann. Nun merke ich, daß der Sommer vorübergehen wird,
-daß, noch ehe er vorüber ist, die Zeit kommen wird, wo wir wieder in die
-Stadt ziehen müssen, wo der Prozeß anfängt mit allen Schrecknissen für
-andre und für uns. Jegor wird der Menge und Energie des aufgehäuften
-Hasses nicht entrinnen. Wenn sie ihn kennten! Aber sie kennen nur seine
-Taten. Und ist der Mensch nicht in seinen Taten? Ach Gott, ich habe mir
-fest vorgenommen, ich will nicht urteilen: es ist so viel auf beiden
-Seiten abzuwägen, daß ich irren könnte. Nur das weiß ich sicher, daß
-Jegor niemals aus angeborener Grausamkeit oder aus persönlicher
-Rachsucht handelte, er glaubte immer das Rechte zu tun, und es ist ihm
-oft schwer geworden. Vielleicht hat er unrecht; aber daß er irren kann,
-macht ihn mir nicht weniger teuer. Er wertet das Bestehende und die
-legitime Macht am höchsten, mich hätte die Neigung eher in eine andre
-Richtung gezogen, aber ich bin deshalb nicht besser als er. Das liegt im
-Blute; seine Ahnen haben ihm andres Blut vererbt, als meine mir.
-
-Ach, Tatjana, mein Herz ist schwer! Wohin ich sehe, ist alles dunkel, so
-gleichmäßig dunkel, daß ich schon gedacht habe, es wären meine Augen,
-die nicht mehr hell sehen könnten. Aber sage selbst, wo ist etwas Gutes,
-Tröstendes? Wie soll der Konflikt mit den Kindern enden, die nur ihren
-Neigungen nachrennen und stolz darauf sind, daß sie sich kaum nach uns
-umsehen? Müssen alle Menschen dies erleben? Ja, vielleicht haben wir
-unsre Eltern ähnliches erleben lassen; aber es ist darum nicht minder
-bitter.
-
-Furcht ist das Aergste; die Furcht, glaube ich, hat mich so entnervt,
-daß ich an keiner Freude mehr teilnehmen kann, daß ich aus mir selbst
-keine mehr hervorbringen kann. Ich fürchte ja immer, Tag und Nacht, auch
-während ich schlafe. Das ist das Schlimmste. Du kannst Dir gewiß nicht
-vorstellen, wie das ist, zu schlafen und zu träumen und währenddessen
-fortwährend von Furcht gequält zu sein. Seit ich den Brief unter meinem
-Kopfkissen gefunden habe, ist mir zumute wie einem, der zum Tode
-verurteilt ist und nicht weiß, wann das Urteil vollstreckt wird. Siehst
-Du, der Mörder muß durch das offene Fenster gekommen sein, am Hause
-hinaufgekrochen wie eine Schlange, und hat an meinem Bett gestanden,
-ganz dicht, und hat den Brief unter mein Kissen geschoben. Er muß
-lautlos gekommen sein, wirklich wie eine Schlange, Du weißt doch, daß
-ich damals sofort aufwachte, als Lju in unser Schlafzimmer kam, und daß
-ich überhaupt einen leisen Schlaf habe. Er hatte ein Messer in der Hand
-oder einen Strick und hätte Jegor auf der Stelle ermorden können; aber
-er wollte ihm noch eine Frist geben, oder er hatte im Augenblick nicht
-das Herz dazu, oder er wollte uns nur auf die Folter spannen. Jede
-nächste Nacht kann die sein, wo er wiederkommt und es ausführt.
-
-Und warum hörte Lju nichts? Ja, warum hätte er mehr hören sollen als
-wir, in deren unmittelbarer Nähe sich alles abspielte? Vor diesem
-Verhängnis ist auch seine Wachsamkeit unwirksam. Er scheint mir ganz
-verändert seitdem, ernst und in sich gekehrt; aber mit diesen Worten ist
-sein Wesen noch nicht treffend genug bezeichnet. Sicherlich leidet er
-darunter, daß er das nicht leisten konnte, was er versprochen hatte und
-was ich ihm zutraute. Vielleicht ist es ihm selbst unheimlich. Er sieht,
-daß wir verloren sind. Er mag nicht dabei sein. Oder wenn nun das wäre,
-daß er uns nicht schützen kann, nicht schützen darf? Nach seiner Meinung
-natürlich. Ob er diejenigen gesehen und erkannt hat, die Jegor
-nachstellen? Ob er Freunde unter ihnen erkannt hat? Oder irgendwelche
-Menschen, die er für wertvoller hält als uns? Diese Vermutung -- nicht
-Vermutung, dies Gedankengespinst wird Dir wahnsinnig erscheinen; ich
-wäre auch nie daraufgekommen, wenn ich nicht sein seltsames Wesen vor
-meinen Augen hätte. Irgend etwas Geheimnisvolles ist um ihn. Zuweilen,
-wenn sein Blick auf Jegor und mir ruht, schaudert mich. Vorwerfen tue
-ich ihm nichts, das Mitleid, das ich mit ihm habe, spricht deutlich für
-ihn. Wenn es wahr ist, daß er uns schützen könnte und es doch nicht tun
-zu dürfen glaubt, so glaubt er im Rechte zu sein. O Gott, alle Leute
-haben recht, alle die, welche hassen und morden und verleumden -- o
-Gott, was für eine Welt! Was für eine Verschlingung! Am Ende ist der
-wohl daran, für den sie gelöst ist.
-
-Ich gebe zu, daß meine Nerven sehr überreizt sind. Es ist zu
-entschuldigen unter diesen Umständen, nicht wahr, Tatjana? Jegor ist
-ganz ohne Furcht. Er gefällt mir so gut, ich glaube, ich habe ihn noch
-nie so geliebt wie jetzt. Das ist auch ein Glück. Ich weiß ja wohl, daß
-ich glücklich bin vor vielen, vielen Frauen; aber es ist ein schwarzer
-Vorhang vor diesem Wissen. Ob noch einmal ein guter Wind kommt und ihn
-fortreißt? Denke an mich, Liebe.
-
- Deine Lusinja.
-
-
-
-
- Welja an Katja
-
-
- Kremskoje, 27. Juni.
-
-Täubchen, Katinka, was für einen Unsinn schreibst Du mir da von meinem
-Schlafen und Wachen? Und von Ljus Gewissenlosigkeit und Papas
-Pflichtgefühl, die Dir abwechselnd imponieren? Vater, wie Du willst!
-Wenn Du psychologischen Scharfblick hättest, würdest du bemerkt haben,
-daß Lju ein Theoretiker ist, Handeln ist eigentlich seine Sache nicht.
-Er findet, daß gewisse Leute ganz recht hätten, wenn sie Papa töteten.
-Ist das neu? Natürlich hätten sie recht. Als sie voriges Jahr den Kaiser
-in die Luft sprengen wollten, waren wir uns auch darüber einig, daß sie
-recht hätten, und hätten es doch nicht getan. Dann könntest Du ja auch
-von mir denken, ich brächte Papa um. So etwas tut man eben nicht, wenn
-man es auch theoretisch tadellos findet oder sogar billigt; die Kultur
-hindert einen daran. Du bist einfach noch eifersüchtig, ich hätte besser
-von Dir gedacht. Die Liebe macht alle Frauenzimmer dumm und kleinlich.
-Jessikas wegen wäre es ja besser, Lju ginge fort, das gebe ich zu; ich
-mag nur selbst verliebt sein, von andern kann ich es nicht leiden, sie
-werden lächerlich dadurch, für Jessika ist es geradezu ein Elend. Das
-heißt, ich kann mir denken, daß andre Leute es entzückend finden, sie
-kommt mir selbst oft so vor wie ein blühendes Pfirsichbäumchen, das in
-Flammen steht. An sich eine hübsche Erscheinung -- aber wenn ich denke,
-daß sie ein Mensch und meine Schwester ist, finde ich es albern. Ich
-habe auch zu Lju gesagt, die Sache hätte sich überlebt, und es wäre
-besser, daß sie nun ein Ende nähme. Er war ganz damit einverstanden und
-sagte, er ginge ja schon längst mit dem Gedanken um, unser Haus zu
-verlassen, er wollte nur sicher sein, ob Mama ihn auch gern gehen ließe.
-Du siehst, wie unrecht Du hast. Vielleicht geht er mit uns ins Ausland;
-natürlich geht das nur, wenn Du vernünftig bist. Er kann doch nicht
-jedes Mädchen heiraten, das sich in ihn verliebt, kleines Kalb! Hätte
-ich das getan? Was Dich anbetrifft, Du brauchst überhaupt nicht zu
-heiraten. Du bist ein furchtbar niedlicher Spatz, als Eheweib und Mutter
-wärest Du lächerlich.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 29. Juni.
-
-Lieber Konstantin! Ich habe Frau von Rasimkara gebeten, daß sie mich
-entlassen möchte. Ich sagte, der Vorfall mit dem Briefe hätte mich davon
-überzeugt, daß meine Anwesenheit nutzlos wäre. Ich hätte Tag und Nacht
-darüber nachgedacht, wie es hätte geschehen können, und wäre zu keinem
-Ergebnis gekommen. Durch das Fenster könnte bei Nacht niemand gekommen
-sein, dessen wäre ich sicher, ich würde es gehört haben. Die Dienstboten
-könnte man meiner Ansicht nach nicht verdächtigen, ich hielte sie für
-unbestechlich treu. Sie unterbrach mich und sagte lebhaft, in diesem
-Punkte hätte sie keinen Zweifel. Ich sagte, die einzige Möglichkeit
-wäre, daß ein Dienstbote es in der Hypnose getan hätte. Immerhin wäre es
-nicht wahrscheinlich. So etwas interessiert sie sehr, und wir sprachen
-eine Weile darüber. Uebrigens, sagte sie, wollte sie die Sache mit dem
-Briefe ruhen lassen, es käme doch nichts dabei heraus. Eine eigentliche
-Untersuchung wollte ihr Mann nicht anstellen, er pflegte Drohbriefe
-immer zu ignorieren und mäße ihnen keine große Bedeutung bei. Bis jetzt
-hätten die Erfahrungen ihm ja auch recht gegeben. Ich bestritt dies
-weder, noch bestätigte ich es. Jedenfalls, sagte ich, wäre die Lage so,
-daß sie meiner nicht mehr bedürfte, sei es nun, weil keine Gefahr
-vorhanden sei oder weil ich nicht dafür einstehen könnte, daß ich sie
-abzuwenden imstande wäre.
-
-Sie fragte, wohin ich mich zu wenden und was ich zu tun gedächte. Ich
-sagte, ich wollte mein Werk vollenden, das läge mir zumeist am Herzen.
-Wenn ich mich mit meinem Vater aussöhnte, würde ich bis auf weiteres zu
-Hause bleiben; er hätte mir kürzlich einen entgegenkommenden Brief
-geschrieben. Sonst würde ich bei einem Freunde Zuflucht finden. Sie
-sagte, daß sie und ihr Mann mir zu Dank verpflichtet wären und daß ich
-ihnen gestatten müßte, daß sie mir zu Hilfe kämen, wenn ich Hilfe
-gebrauchte; das würde keine Wohltat, sondern Erstatten einer Schuld
-sein. Sie war ernst, liebenswürdig, von gewähltester Feinheit. Wenn es
-mir paßte, sagte sie, wäre ich frei, sofort zu gehen, wenn ich aber über
-meinen künftigen Aufenthalt noch nicht im klaren wäre, sollte ich
-bleiben, solange ich möchte. Ich sagte, ich wollte versuchen, ein
-Verständnis mit meinem Vater zu erzielen, und würde ihr dankbar sein,
-wenn ich ihre Gastfreundschaft noch etwa vierzehn Tage in Anspruch
-nehmen dürfte; bis dahin würde sich das entschieden haben. Ich wollte
-ihre Hand küssen, die sehr schön ist; aber ich dachte plötzlich daran,
-was ich ihr anzutun willens bin, und unterließ es.
-
-Ich habe den Eindruck, daß meine Mitteilung sie froh gemacht hat,
-wahrscheinlich Jessikas wegen. Ich glaube sogar, sie denkt, ich hielte
-es Jessikas wegen für meine Pflicht, zu gehen, und hat deswegen ein
-Gefühl der Dankbarkeit für mich. Lebe wohl!
-
- Lju.
-
-
-
-
- Jessika an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 29. Juni.
-
-Liebste, holdeste Tante! Ich glaube, ich komme bald zu Dir. Die paar
-Tage, wo Du hier warest, waren so schön! Alle waren heiter und zufrieden
-durch Deine Gegenwart. Jetzt ist es schrecklich. Lju wird fortgehen, er
-sagt, er müsse fort, weil es sich gezeigt hätte, daß er überflüssig
-wäre, und weil Mama ihn nicht mehr brauchte. Zuerst sagte Mama doch, sie
-hätte noch niemals ein solches Sicherheitsgefühl gehabt wie jetzt, weil
-Lju da wäre. Aber Papa hatte es niemals gern, und er wird zu Mama gesagt
-haben, daß er es nun nicht länger möchte. Du weißt ja, daß Papa nicht
-gern fremde Menschen um sich hat, sogar daß Du hier warest, hat seine
-Nerven angegriffen. Mama ist gewiß im Grunde sehr unglücklich, daß Lju
-fortgeht. Und wenn nun Welja und Katja auch noch fortgehen! Papa ist
-schon beinahe überzeugt, daß es am besten ist, wenn sie in Berlin oder
-Paris die Universität besuchen. Welja freut sich schrecklich und Katja
-natürlich auch, ich gönne es ihnen, sie mögen ja so gern reisen. Aber
-nimm mich dann zu Dir, Tante Tatjana, bis wir wieder in die Stadt
-ziehen. Es ist mir hier zu traurig so allein, nachdem es im Mai so schön
-war wie noch nie. Die Stimmung hier ist so erdrückend. Papa und Mama
-werden ganz einverstanden sein, vielleicht tut es ihnen gut, einmal
-allein zu sein. Dann kann Papa sich am besten ausruhen, und die Arbeit,
-die für die beiden zu machen ist, können unsre Dienstboten ja bequem
-ohne mich ausrichten. Lju weiß noch nicht, wohin er geht. Er sagte mir,
-wenn er nach Petersburg ginge, würde er Dich besuchen, falls Du es
-erlaubtest. Er schwärmt oft von Deiner Schönheit und Deinem Geist. Wer
-täte das nicht? Am meisten
-
- Deine kleine Jessika.
-
-
-
-
- Welja an Katja
-
-
- Kremskoje, 1. Juli.
-
-Nun, mein süßer Spatz, Deine Schopffedern sind wohl noch zornig
-gesträubt gegen Deinen Bruder, weil er Dir, wie es seine Pflicht ist,
-die Wahrheit gesagt hat? Unterdessen arbeitet er für Dein und sein und
-unser aller Wohl. Seit Papa sich überzeugt hat, daß wir die tiefere
-Bildung nur erlangen können, wenn wir ein paar Semester im kultivierten
-Westen studieren, ist seine Laune wieder sehr gestiegen. Er findet es
-jetzt auch besser, daß wir mit dem mehr äußerlichen Paris beginnen, um
-später zum gründlichen philosophischen Deutschland fortzuschreiten. Wir
-sollen bald fort; denn Papa begreift auf einmal, daß alle unsre
-Unzulänglichkeiten nur davon kommen, daß wir den Einfluß der alten
-westlichen Kultur noch nicht durchgemacht haben. Du mußt also Dein
-Studium sofort aufgeben und für unsre Ausrüstung sorgen, das heißt
-dabeistehen, wenn Tante Tatjana es tut.
-
-Lju geht fort, vielleicht schon vor uns. Ich denke mir, er wird auch
-nach Paris kommen, wenn wir da sind, obgleich er sich nicht bestimmt
-darüber ausspricht. Wir fahren oft Automobil zusammen. Ich habe Mama
-mein Wort geben müssen, ihn möglichst selten mit Jessika allein zu
-lassen -- ganz überflüssig, denn er hat selbst gar keine Lust dazu. Auf
-Papa nehme ich auch viel Rücksicht, ich spiele nie mehr Wagner, weil ihn
-das nervös macht. Uebrigens geht es ihm wirklich viel besser, außer
-seiner Scharteke hat er jetzt noch unsre Reise, die ihn angenehm
-beschäftigt, er gibt mir Anweisungen, welche Züge wir nehmen müssen, in
-welchen Hotels wir absteigen sollen, und hat dabei fast das Gefühl, er
-könnte selbst mit. Sei Deinem Bruder dankbar, anstatt zu schmollen, was
-überhaupt kindisch ist.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 1. Juli.
-
-Lieber Peter! Das beste wäre, Du gingest mit nach Paris. Meine Mutter
-wünscht es, weil sie Dich für verständiger hält als uns, denn sie ist
-auch einverstanden, und mir mußt Du nur versprechen, kein verliebtes
-Gedusel mit Katja anzufangen. So bist Du ja aber auch nicht; was Du im
-Innern fühlst, ist mir natürlich einerlei. Wenn Deine Kurse sich durch
-Deine Abreise auflösen, ist es um so besser. Papa hat noch Schererei
-genug, er kann einem wirklich leid tun. Mit der Gesinnungsmeierei kann
-es ja dann wieder losgehen, wenn wir zurückkommen. Ich meinerseits mache
-sehr gern mal eine Pause. In Paris wirst Du Dich auch noch politisch
-entwickeln, ich sehe Dich schon als gereiften Robespierre ins heilige
-Rußland einbrechen.
-
- Unbedingt Dein
- Welja.
-
-
-
-
- Lusinja an Katja
-
-
- Kremskoje, 2. Juli.
-
-Mein Herzenskind! Es ist beschlossen, daß Ihr, Du und Welja, nach Paris
-geht. Du freust Dich, nicht wahr? Ich denke, Ihr werdet vernünftig sein
-und nicht gar zu viel Geld ausgeben, Ihr seid doch alt genug, um die
-Verhältnisse zu begreifen und Euch in sie zu schicken. Ihr habt den
-besten Vater, der sich niemals auf unrechtmäßige oder auch nur unfeine
-Weise bereichert hat, wie so viele tun, und ich hoffe, ihr ehrt und
-liebt ihn deswegen um so mehr und seid stolz auf die verhältnismäßige
-Beschränktheit unsrer Mittel. Er hat trotzdem immer mit
-verschwenderischer Güte für Euch gesorgt, mißbraucht es nicht. Das
-Ueberschreiten eines gewissen Maßes würde ihm nicht nur Kummer, sondern
-sehr ernste Widerwärtigkeiten bereiten. Innerhalb dieser Begrenzung,
-mein Liebling, sollt Ihr eure Freiheit herzhaft genießen und die Euch
-gebotenen Mittel, Euch zu ganzen Menschen zu bilden, benutzen.
-
-Ich denke mir, daß Jessika, wenn Lju und Ihr fort sein werdet, zu Tante
-Tatjana gehen wird. Ihr armes, zärtliches Herz muß noch viel
-durchmachen, sie wird dort weniger leiden als hier, deshalb lege ich ihr
-nichts in den Weg. Daß Lju fortgeht, ist ihretwegen notwendig. Seine
-anregende Art zu sprechen, die naheliegenden mit entfernten und
-interessanten Vorstellungen zu verbinden, werde ich vermissen. Er läßt
-nie ein Wort, das man sagt, fallen, sondern fängt es auf und spinnt
-daran weiter. Das lieb' ich sehr an ihm; am meisten aber, daß er eine
-Persönlichkeit ist, ein Mensch mit einem intensiven Bewußtsein von allen
-Dingen und mit einem klaren Willen. Anderseits erleichtert es mein
-Gemüt, daß er fortgeht, und nicht nur Jessikas wegen. Er hat etwas
-Fremdartiges und Unergründliches für mich, das mich zuzeiten sehr
-aufgeregt hat. Er hat einen sonderbaren Blick; vielleicht hat er auch
-damit solche Macht über Jessika gewonnen. Das Rätselhafte zieht an und
-ängstigt zugleich. Er gehört nun einmal nicht zu uns, und all sein Sinn
-für die verschiedenartigsten Menschen kann das nicht überbrücken. Und
-dann nachtwandelt er; darüber kann ich nicht wegkommen.
-
-Nach allen Erregungen dieses Sommers freue ich mich darauf, mit Papa
-allein zu sein. Wirklich, ich freue mich darauf -- macht Euch also keine
-Gedanken unsertwegen. Ihr werdet uns viele schöne Briefe schreiben, und
-wir werden Euch im Geiste zur Mona Lisa und zur Place de la Concorde und
-zu den Springbrunnen von Versailles begleiten. Dabei fällt mir ein, daß
-wir dazu nicht einmal den Hut aufzusetzen brauchen, daß Ihr aber
-Reisekleider und sonst noch allerlei haben müßt. Vieles werdet Ihr gewiß
-geschmackvoller und billiger in Paris besorgen. Wäret Ihr nur
-praktischer! Kann ich es Euch überlassen? Jedenfalls, eine gewisse
-kleine Ausrüstung müßt Ihr doch von hier mitnehmen, damit beschäftige
-Dich jetzt, Du hast ja Tante Tatjana, die beste Ratgeberin, zur Seite.
-Lebe wohl, mein Herzenskind, schreibe Deinem Vater bald, daß Du Dich auf
-Paris freust.
-
- Deine Mama.
-
-
-
-
- Katja an Jegor
-
-
- Petersburg, 4. Juli.
-
-Lieber Papa! Es ist fabelhaft anständig von Dir, daß Du uns nach Paris
-gehen läßt. Du hast aber auch etwas Gutes davon, indem Du uns los wirst.
-Peter will vielleicht auch mit, es ist mir ganz recht, denn er ist so
-praktisch, daß man ihn eigentlich gar nicht entbehren kann. Zum Beispiel
-ein Automobil heilmachen, weswegen Lju damals eigens in die Stadt fuhr,
-das kann er selbst und wenn es noch so kompliziert ist. Er ersetzt einem
-Dienstmann, Schlosser, Tapezierer, Schneider, Koch und sogar
-Putzmacherin, nur ist sein Geschmack etwas veraltet. Er ist jetzt auch
-sehr zurückhaltend gegen mich, es scheint mir beinahe, als wäre er nicht
-mehr verliebt; das ist eigentlich schade, obgleich es mir manchmal
-lästig war. Für die Reise ist es aber besser so, das sehe ich ein. Und
-gefällig ist er auch doch noch ebenso wie früher, gestern hat er mir
-erst ein Buch sehr schön eingebunden und einen Schlüssel gemacht für
-einen, den ich verloren hatte, was Tante Tatjana nicht erfahren sollte.
-
-Wenn Peter mitgeht, werden wir viel Geld sparen, auch weil er immer
-aufpaßt. Soll ich noch einmal kommen und Euch Adieu sagen? Ich tue es
-sehr gern, dann müßt Ihr aber Lju vorher wegschicken, ich kann ihn nicht
-ausstehen, und seine Gegenwart würde mir alles verleiden.
-
- Deine allerkleinste Katja.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 5. Juli.
-
-Liebste Tatjana! Ich habe die melancholischen Anwandlungen ganz
-überwunden, das muß ich Dir doch erzählen. Weil es einfach so nicht
-weiterging, hat sich in mir ein Umschwung vollzogen. Man entdeckt oft
-platte Wahrheiten, so ist es mir mit dem Sprichwort gegangen, daß Gott
-dem Mutigen hilft. Zuerst kostete es mich Anstrengung, die
-Furchtgedanken zu unterdrücken und zuversichtlich in die Zukunft zu
-sehen, aber nachdem ich dies ein paarmal gemacht hatte, schien mich auf
-einmal eine unbekannte Kraft zu tragen und von selbst überströmte mich
-Heiterkeit. Zum Teil kommt es allerdings auch daher, daß Jegor wieder in
-guter Stimmung ist, seit er den Entschluß gefaßt hat, die Kinder nach
-Paris gehen zu lassen. Das ist mir der größte Schmerz, ihn so gedrückt
-und ohnmächtig traurig zu sehen. Nun freue ich mich ordentlich auf die
-Zeit, wo wir allein sein werden. Ich glaube, so ganz allein waren wir
-noch niemals, seit die Kinder auf der Welt sind. Und auf dem Lande, ohne
-etwas zu tun, in schöner Umgebung! Es muß jetzt alles schnell gehen,
-sonst ist die Zeit des Urlaubs zu Ende, bevor sie alle fort sind. Jegor
-freut sich auch darauf, er meint nur immer, ich könnte gar nicht mehr
-für ihn und in ihm allein leben, weil ich gewohnt wäre, mich für viele
-und vieles auszugeben, aber im Herzen weiß er genau, daß ich mit ihm
-allein erst in meinem Elemente sein werde. Wann wird man wohl einmal
-älter? Bis jetzt bin ich seit meinem zwanzigsten Jahre immer jünger
-geworden -- ich! Meine Haare und meine Haut natürlich nicht.
-
-Liebe Tatjana! Hilfst Du meiner kleinen Katja besorgen, was sie zur
-Reise braucht? Du hast ja soviel Geschmack und Einsicht. Wenn Dein Peter
-mitginge nach Paris, das wäre eine große Beruhigung für uns. Obwohl er
-nur so wenig älter ist als Welja, wäre es mir doch, als wenn ein Mentor
-mitginge. Ich dachte erst an Lju in diesem Sinne, aber Katjas Abneigung
-ist ja nicht zu besiegen. Und wenn ich denke, wie sie zuerst für ihn
-schwärmte! Er war ein Orakel für alle drei Kinder. Da nannte er sie
-einmal Katinka statt Katja, und aus war es für immer. Ein bißchen
-verrückt kommen mir meine Kinder zuweilen vor, Gott weiß, woher sie es
-haben. Natürlich, Tatjana, glaube ich nicht, daß diese Namensirrung der
-einzige Grund ist. Es wird wohl allerlei zwischen den Kindern
-vorgefallen sein, Eifersucht und dergleichen. Im Charakter würden ja Lju
-und Katja ganz gut zusammenpassen, wenigstens eher als Lju und Jessika;
-aber es pflegen sich nun einmal die Gegensätze anzuziehen. Jedenfalls
-ist mir die Abneigung, und wenn sie noch so ungerecht wäre, lieber als
-das Gegenteil. Es ist mir auch viel lieber, wenn Peter mitgeht. Ich
-weiß, daß Lju die Kinder liebt und versteht, er hat etwas Imponierendes,
-etwas Gewandtes, und wäre insofern geeignet, ihr Führer zu sein. Aber
-ich glaube, ich würde zuweilen davon träumen, daß er in somnambulem
-Zustande in ihr Schlafzimmer ginge und an ihrem Bett stände und sie mit
-dem rätselhaften Blick, der ihm eigen ist, betrachtete.
-
-Ach, Tatjana, das muß ich Dir doch erzählen! Als ich damals den
-Drohbrief unter meinem Kopfkissen gefunden hatte, sagte Lju, es könnte
-auch jemand im Hause getan haben, den ein andrer daraufhin hypnotisiert
-hätte, so etwas wäre möglich. Da dachte ich an seinen rätselhaften Blick
-und sein nächtliches Wandern, und es kam mir in den Sinn, er selbst
-könnte ja von einem fremden, dämonischen Willen besessen sein. Ich wäre
-damals nicht imstande gewesen, mit jemand darüber zu sprechen oder Dir
-davon zu schreiben, so grausig war mir die Vorstellung. Jetzt kann ich
-es ganz ruhig und lache sogar dabei. Neulich erzählte ich es Jegor, der
-amüsierte sich so darüber, daß ich jetzt immer lachen muß, wenn ich
-daran denke. Er sagte, je aberwitziger eine Geschichte wäre, desto
-bereitwilliger glaubte ich sie. Für ganz unmöglich halte ich so etwas
-aber doch an sich nicht, sonst hätte auch Lju es nicht gesagt.
-
-Du bist also einverstanden, liebe Tatjana, daß Jessika zu Dir kommt?
-Wenn Peter fortgeht, wärest Du ja sonst allein, und Jessika ist so gern
-bei Dir. Uns freut es, wenn sie Dir etwas sein kann.
-
- Deine Lusinja.
-
-
-
-
- Jessika an Katja
-
-
- Kremskoje, 6. Juli.
-
-Liebes Kleines! Werde nicht böse, aber es ist doch sehr häßlich von Dir,
-daß Du nicht kommen willst, solange Lju hier ist, und ihn dadurch aus
-dem Hause treibst. Das hat er doch nicht um uns verdient. Ich glaube, Du
-denkst, er handelte schlecht gegen mich, und das ist doch gar nicht
-richtig. Er liebt mich, aber er hat mir von Anfang an gesagt, daß er
-nicht wüßte, ob er mich jemals heiraten könnte, weil er zu stolz ist,
-und daß ich meinen Gefühlen den Charakter der Freundschaft geben müßte.
-Das tue ich doch auch, und was ist denn dabei, daß er mein Freund ist?
-Er ist doch auch Weljas Freund und war auch Deiner, bis Du Dich so
-abstoßend gegen ihn benahmest. Er kann sich ja so einrichten, daß er den
-ganzen Tag nicht zu Hause ist, wenn Du hier bist. Für Papa und Mama ist
-die Geschichte doch auch peinlich, und da Du so viel Schönes vor Dir
-hast, könntest Du recht gut in solchen Kleinigkeiten ein wenig Rücksicht
-nehmen.
-
-Bist Du böse, mein Brummerchen, daß ich Dir das sage? Ich predige Dir
-doch selten Moral, das mußt Du mir zugestehen. Aber Du wirst ja doch
-tun, was Du willst. Papa und Mama sind jetzt sehr wohl, es ist zu
-niedlich, wie sie sich auf ihr Alleinsein freuen. Sie sehen manchmal aus
-wie ein Brautpaar, das bald Hochzeit haben wird, jung und schön und
-geheimnisvoll beseligt. Ich freue mich, daß gerade Rosenzeit ist; in ein
-paar Wochen werden alle blühen, dann kann Mama alle Tage ihre Tafel mit
-Rosen bedecken und sich Rosen ins Haar stecken und alle Vasen
-vollfüllen.
-
- Jessika.
-
-
-
-
- Welja an Peter
-
-
- Kremskoje, 8. Juli.
-
-Lieber Peter! Gestern begegnete mir etwas Merkwürdiges. Ich wollte Lju
-in seinem Zimmer aufsuchen, und da er nicht da war, wartete ich auf ihn.
-Ich setzte mich an seinen Schreibtisch und blätterte gedankenlos in
-seiner Schreibmappe, da sah ich einen Zettel, auf den mit einer
-Handschrift etwas geschrieben war, was mir auffiel. Erst wußte ich gar
-nicht warum -- dann fiel mir plötzlich ein, daß mit derselben oder einer
-ganz ähnlichen Handschrift der Drohbrief geschrieben war, den Mama unter
-ihrem Kopfkissen gefunden hat. Denke Dir, ich habe zum erstenmal in
-meinem Leben einen wahnsinnigen Schrecken bekommen, es drehte sich alles
-um mich. Und dabei weiß ich gar nicht bestimmt, was mich eigentlich so
-entsetzte; aber meine Hände und meine Schläfen waren in einem Augenblick
-mit Schweiß bedeckt. Wahrscheinlich machte mein Unbewußtes blitzschnell
-eine Reihe von Schlüssen, deren Ergebnis der Schrecken war. Ich ging
-rasch fort und versuchte meine Gedanken zu ordnen, ich schwöre Dir, ich
-war so bestürzt, daß ich nicht klar denken konnte. Als Lju wieder da
-war, richtete ich es so ein, daß wir uns in sein Zimmer setzten, ich
-blätterte in seiner Mappe, spielte mit dem Zettel und sagte so
-beiläufig, die Handschrift wäre ja der auf dem Drohbrief ganz ähnlich.
-»Nicht wahr?« sagte Lju vergnügt, »ich glaube auch, daß man sie für
-dieselbe halten kann. Ich habe versucht, sie aus dem Gedächtnis
-nachzumachen, damit man eventuell damit auf die Spur des Schreibers
-kommen könnte; aber dein Vater will ja nicht, daß die Sache verfolgt
-wird.« Papa hat nämlich den Brief zerrissen, das machte er immer so mit
-anonymen Zuschriften. Es ist ja unfaßlich, daß mir dies passieren
-konnte! Ich wußte, daß Lju anfangs mit dem Plan umging, herauszukriegen,
-wer den Brief geschrieben hat, und wußte auch, daß er sich viel mit
-Graphologie beschäftigt! Allerdings, sowie ich seine Stimme hörte und
-ihn sah, kam mir meine Aufregung schon gleich kindisch vor. Am liebsten
-hätte ich hernach zu Lju gesagt, wie es gewesen ist, aber ich weiß nicht
-warum, ich brachte es nicht über die Lippen. Er ist vollkommen
-ahnungslos und freut sich über seinen Erfolg; es ist ja auch eine
-kolossale Leistung, eine Schrift aus dem Gedächtnis so täuschend
-nachzuahmen.
-
-Ich erkläre mir meine Dummheit damit, daß die Geschichte mit dem
-Drohbrief einen doch ein bißchen nervös gemacht hat. Wenn Papa anders
-wäre, würde man sich, glaube ich, tatsächlich ängstigen; aber er hat
-eine solche Sicherheit, daß man es für unmöglich hält, ihm könnte etwas
-zustoßen. Schließlich erlebt man doch auch solche Schauergeschichten
-nicht in Wirklichkeit, das ist höchstens Reiselektüre. Attentate sind ja
-allerdings oft vorgekommen. Aber Papa sagt, er wäre im allgemeinen gar
-nicht so verhaßt, und die Angehörigen der Studenten wären gebildete
-Leute, unter denen keine Mörder zu suchen wären. Dieser letzte Drohbrief
-sollte ihn doch nur einschüchtern, das wäre klar, und übrigens könnte
-man auch plötzlich krank werden und sterben, dem Tode wäre man immer
-ausgesetzt, man müßte dergleichen nicht beachten. Manchmal frage ich
-mich, ob die Furchtlosigkeit ein Vorzug oder ein Mangel an Papa ist;
-vielleicht hat er einfach gar keine Phantasie.
-
-Er ist jetzt ganz besonders gut aufgelegt. Seine Scharteke ist
-entzweigegangen und er klütert stundenlang mit Lju daran herum, um
-herauszukriegen, woran es liegt. Lju betreibt die Sache auch mit Eifer
-und Ernst, es ist mir nicht klar geworden, ob er es tut, um Papa ein
-Vergnügen zu machen oder weil es ihn wirklich auch interessiert.
-
-Herrgott, ich will froh sein, wenn wir erst in Paris sind; helfen oder
-ändern kann ich hier doch nichts. Erzähle Katja nichts von meiner
-Geschichte mit Lju. Papa sagt, in Deutschland könnte man sehr gut
-zweiter Klasse fahren. Vater, wie du willst, wenn wir nur überhaupt
-reisen.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Jessika an Katja
-
-
- Kremskoje, 10. Juli.
-
-Katja, Du sollst auf gar keinen Fall kommen, hörst Du! Wenn Du nur noch
-nicht fort bist! Denke Dir, gestern ist das Väterchen plötzlich
-furchtbar krank geworden. Er hatte Krämpfe und wand sich und wurde blau
-im Gesicht, es war einfach schrecklich. Zuerst sagte Welja, er wäre
-betrunken, aber das merkte man bald, daß es etwas andres war, und die
-Mädchen sagten, er hätte die Cholera, und stellten sich unbeschreiblich
-an, keine wollte bei ihm bleiben. Lju nahm alles in die Hand, er sagte,
-Cholera könnte es nicht sein, das hätte andre Symptome, es wäre
-wahrscheinlich ein typhöses Fieber mit irgendwelchen Komplikationen. Er
-verordnete allerlei und blieb bei Iwan, obgleich Papa und Mama es nicht
-leiden wollten, weil sie meinten, es könnte ansteckend sein; aber er
-sagte, erstens glaubte er das nicht und außerdem fürchtete er sich gar
-nicht davor und wäre deshalb auch nicht empfänglich. Iwan starrte ihn
-immer ganz erschrocken an, wenn er zu sich kam, ich glaube, er hatte ihn
-ungern bei sich, aber er wagte es nicht zu sagen. Als der Arzt kam,
-sagte er, alles, was Lju angeordnet hätte, wäre angemessen, er würde
-auch nichts andres gemacht haben und er glaubte auch, daß es
-Unterleibstyphus wäre. Papa und Mama wollen durchaus nicht, daß Du
-kommst, wegen der Ansteckung. Wir wären nun einmal da, das wäre nicht zu
-ändern, Du solltest Dich aber nicht mutwillig der Gefahr aussetzen. Ich
-finde, sie haben ganz recht, helfen kannst Du doch nicht, und Mama würde
-sich ängstigen, selbst wenn es mit der Ansteckung gar nicht so schlimm
-ist. Zunächst kann Iwan noch nicht in die Stadt transportiert werden,
-weil er zu krank ist. Das arme Väterchen! Welja sagt immer, es wäre zu
-schade um ihn, der Wein schmeckte ihm so gut, ja, mit Branntwein war er
-schon glücklich.
-
-Ich sehe Dich nun gewiß auch nicht mehr vor der Reise, mein
-Glühwürmchen! Aber ich komme nicht dazu, Dich zu vermissen, so viel ist
-jetzt zu tun!
-
- Deine Jessika.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 10. Juli.
-
-Lieber Konstantin! Ich habe die Schreibmaschine abgeschickt. Es bleibt
-also dabei, daß die Explosion durch Druck auf den Buchstaben _J_ zur
-Entladung kommt. Da wir uns auf einen Buchstaben einigen müssen, soll es
-der sein, mit dem der Vorname des Gouverneurs beginnt; es ist
-ausgeschlossen, daß er einen Brief schreibt, ohne ihn zu benutzen.
-Zunächst liegt nun die Verantwortung auf Dir. Ich bin froh, auf kurze
-Zeit davon frei zu sein, denn ich fühle mich krank. Es liegt mir ein
-Fieber in den Knochen, am liebsten würde ich mich zu Bett legen, ich
-glaube aber, daß ich das Entstehen einer Krankheit am ersten durch
-Widerstand verhindern kann. Es ist mir schon einmal gelungen. Der
-Kutscher Iwan hat den Unterleibstyphus in hohem Grade, er ist noch in
-Lebensgefahr; und weil hier Schrecken und Ratlosigkeit herrschte, denn
-die Dienstleute meinten, er hätte die Cholera, und ich einigermaßen
-Bescheid mit solchen Sachen weiß, habe ich mich seiner angenommen. Der
-Mann mag mich nicht leiden, er empfindet eine unklare Furcht oder
-Abneigung gegen mich, ich denke mir, er spürt in der Art, wie Tiere das
-können, die Gefahr, die seinem Herrn von mir droht. Ich habe eine
-besondere Vorliebe für diese noch halb tierischen, im Unbewußten
-lebenden Volksnaturen, es war mir eine ordentliche Freude, ihn zu
-behandeln und zu beobachten. Vielleicht habe ich mich bei der Pflege
-überanstrengt, da ich ohnehin angegriffen war.
-
-Sollte die Krankheit stärker als ich sein und sollte ich nach Petersburg
-ins Spital geschafft werden, das wäre sehr schlimm. Denn ich muß
-durchaus die Maschine selbst in Empfang nehmen und aufstellen. Ich kann
-aber mit Sicherheit darauf rechnen, daß Herr und Frau von Rasimkara mich
-im Hause behalten und bei sich verpflegen würden, selbst wenn ich mich
-sträubte. Vor allen Dingen rechne ich auf meine gesunde Natur und auf
-die Kraft meines Willens. Mauern einreißen wie Simson kann man wohl
-nicht mehr, aber seinen Körper aufrechthalten, wenn er einstürzen
-möchte, wenigstens für eine Weile. Auf alle Fälle erwarte noch ein
-Zeichen von mir, ehe Du handelst.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Lusinja an Tatjana
-
-
- Kremskoje, 12. Juli.
-
-Liebste Tatjana! Wie sehr schnell wandelt sich doch das Antlitz aller
-irdischen Dinge, wirklich schneller als der bewölkte Himmel; das ist
-auch so ein Gemeinplatz, der uns plötzlich wie eine Offenbarung
-vorkommt, wenn wir seine Wahrheit erleben. Unserm guten alten Iwan
-scheint es besser gehen zu wollen; wenigstens meint der Arzt, daß, wenn
-die Krankheit zum Ende führte, schon eine erhebliche Verschlimmerung
-eingetreten wäre. Du weißt, wie eng wir mit unsern Leuten verbunden
-sind; andre zu haben, wäre für uns geradeso traurig, wie in ein andres
-Haus zu ziehen. Einen Menschen in Lebensgefahr, gewissermaßen sterben zu
-sehen, ist für mich überhaupt ein schreckliches Leiden; es wird mir dann
-auf einmal klar, daß dies unser aller Los ist, daß die schwarze Kugel
-ebensogut mich hätte treffen können und mich morgen vielleicht trifft
-oder übermorgen vielleicht, daß sie eines Tages mich unabwendbar treffen
-muß. Dann kann mich eine Angst erfassen, eine Angst, die tausendmal
-schlimmer als der Tod ist. Ja, an Iwan scheint es diesmal
-vorübergegangen zu sein. Aber gestern abend mußte sich Lju hinlegen. Er
-hat doch Iwan so gut gepflegt und sich der Ansteckung ausgesetzt, als ob
-es etwas Selbstverständliches wäre. Wir bewunderten ihn um so mehr, als
-Iwan ihn niemals hat leiden mögen und kein Hehl daraus gemacht hat.
-Vorgestern war er schon nicht wie sonst; aber wenn ich ihn fragte,
-behauptete er, vollständig wohl zu sein. Gestern mittag sah er
-fieberhaft aus. Jegor, der natürlich nichts merkte, sprach davon, daß er
-seine Schreibmaschine vermißte, an die er sich so gewöhnt hätte, und daß
-er hoffe, sie käme bald wieder. Da sagte Lju: »Ach, sagen Sie das nicht!
-Mir wäre es lieber, wenn sie noch recht lange ausbliebe!« Ich habe mal
-von einem berühmten Schauspieler gelesen, der sich zuweilen vor der
-Aufführung berauschte und so haltlos war, daß man für unmöglich hielt,
-er könnte spielen; wenn er aber auftreten mußte, nahm er sich mit
-dämonischer Willenskraft zusammen und spielte hinreißend, nur selten
-ließ diese Kraft etwas nach, so daß sein Zustand zum Durchbruch kam.
-Weißt Du, daran erinnerte er mich in dem Augenblick; er war immer nahe
-daran, zu phantasieren. Ich stellte ihm eindringlich vor, daß er Fieber
-hätte und daß er sich hinlegen müßte, er gab es auch zu, behauptete
-aber, Bewegung wäre für ihn in solchen Fällen das Beste, er wollte einen
-Ausflug auf dem Rade machen. Es war ihm nicht auszureden, er fuhr fort
-und kam nach drei Stunden ganz in Schweiß und vollständig erschöpft
-zurück. Dann hat er sich zu Bett gelegt, ohne etwas zu sich zu nehmen.
-Heute ist er vollständig ermattet liegen geblieben, aber das Fieber
-scheint wirklich gebrochen zu sein. Der Arzt, der Iwans wegen kam,
-sagte, solche Kuren könnten tatsächlich zuweilen glücken, aber er würde
-sie niemand vorschreiben, es wäre nicht jedermanns Sache. Ein
-außerordentlicher Mensch ist Lju, er fesselt einen immer wieder aufs
-neue.
-
-Liebe Tatjana, wenn wir nur erst allein sind! Ich pflege gern Kranke,
-und es ist mir ordentlich lieb, daß ich etwas für Lju tun kann -- es ist
-nur sehr wenig, eigentlich pflegen kann man ihn gar nicht, er ist ein
-Mensch, der nur geben kann, zum Empfangen fehlt ihm das Organ -- ja,
-aber ich hatte mich nun einmal auf das Alleinsein mit Jegor gefreut, und
-alles Unerwartete, was jetzt geschieht, kommt mir wie ein tückisches
-Hemmnis vor, das sich zwischen uns und die ersehnten Ferientage schiebt.
-Welja und Jessika wären schon heute zu Dir gekommen, aber sie wollten
-durchaus nicht abreisen, bevor sich entschieden hätte, ob Lju ernstlich
-krank würde. Gott sei Dank, daß diese Gefahr vorübergegangen ist -- wie
-würde das in Jessikas weichem Herzen die Liebe gesteigert haben! Iwan
-wird, sowie er transportfähig ist, ins Spital geschafft werden, und bis
-er hergestellt ist, wird ein verläßlicher Mann, den wir schon mehrmals
-zur Aushilfe hatten, an seine Stelle treten. Ich dachte daran, mit Jegor
-in die Stadt zu kommen, um die Kinder abreisen zu sehen; er sagt aber,
-da er eigens Urlaub genommen hätte, um seiner Gesundheit wegen einen
-Landaufenthalt zu nehmen, möchte er sich lieber nicht in Petersburg
-sehen lassen, es könnte mißdeutet werden. Er meint auch, der Abschied
-würde mir dort viel mehr zum Bewußtsein kommen, ich würde mich sehr
-aufregen, weinen und so weiter. Ja, weinen werde ich wohl doch. Ein Jahr
-werden sie sicher fortbleiben, wenn nicht noch länger, sonst hat es kaum
-Zweck. Ein ganzes Jahr ohne die beiden Kinder! Wenn ich nicht Jegor
-gerade jetzt so für mich hätte --! Und dann bin ich auch nicht mehr so
-jung, daß ein Jahr mir lang schiene; es sind nur zwölfmaldreißig Tage,
-ach, es ist eigentlich nur ein Atemzug! Wie froh bin ich, daß Peter
-mitgeht; ich will den Kindern auftragen, daß sie ihm folgen.
-
- Deine Lusinja.
-
-
-
-
- Welja an Katja
-
-
- Kremskoje, 12. Juli.
-
-Mein kleiner Trompetenstoß, Du kannst losschmettern, denn morgen reise
-ich. Solltest Du kontra schmettern, so schadet es nichts, weil ich es
-nicht höre, es würde Dir also auch nichts helfen. Wir können Papa und
-Mama jetzt keine größere Wohltat erweisen, als daß wir abreisen. Es hat
-bereits eine Notiz in den Blättern gestanden über die »rote
-Universität«. Etwas Schlimmes kann den Leuten nicht passieren, als
-höchstens, daß die Kurse aufgehoben werden, aber Papa ist es natürlich
-lieb, wenn wir nicht dabei sind. Väterchen lebt noch, er hat heute
-bereits nach einem Tropfen Schnaps verlangt, also scheint er mir in der
-Genesung begriffen zu sein. Da ich ihm nicht Ade sagen soll, der
-Ansteckung wegen, habe ich ihm ein Abschiedsgedicht gemacht. Es fängt
-an:
-
- Schon fünf Tage sind hinabgesunken,
- Seit sich Väterchen zuletzt betrunken.
-
-Und endet:
-
- Soll ich Dir die treue Hand nicht reichen,
- Ohne Abschiedskuß ins Ausland weichen,
- Wünsch' ich unter Tränen Dir hienieden
- Gute Besserung oder ruh in Frieden.
-
-Ich habe es Lju vorgelesen, der noch zu Bett liegt, er konnte gar nicht
-aufhören zu lachen, obgleich er wirklich sehr schwach ist. Er sagte, er
-wäre überzeugt, Iwan würde mich für den größten Dichter Rußlands und das
-Gedicht für die Ausgeburt aller Poesie halten, und er beneidete die
-Menschen, die noch durch den bloßen Rhythmus und den simpeln Reim in
-einen seelischen Rausch geraten können. Lju möchte gern mit uns nach
-Petersburg fahren, er fürchtet aber, er würde noch zu schwach sein, und
-Mama wird ihn auch gar nicht gehen lassen. Du wirst ihn also nicht mehr
-sehen. Jessika ist ein dummer kleiner Wurm mit ihrer Liebe, trotzdem
-empfehle ich Dir, süßes Spätzchen, zart mit ihr umzugehen, nicht zu
-zetern, nicht zu picken. Sie ist gerade wie ein Tautropfen, der in der
-Sonne schön wie ein Edelstein funkelt und beweglich lebendig ist und,
-wenn die Sonne fortgeht, glanzlos wird und versiegt. Dies schreibe ich,
-damit Du siehst, daß ich mich auch echt dichterisch ausdrücken kann. Hör
-mal, Peter soll für Zigarren und Zigaretten unterwegs sorgen, der hat
-gern Aufgaben zu erfüllen.
-
- Welja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 13. Juli.
-
-Lieber Konstantin! Du hast mir nicht geschrieben, damit, wenn ich
-todkrank oder tot wäre, der Brief nicht in unrechte Hände geriete. Jetzt
-ist die Gefahr vorüber. Wenn Du keine weitere Nachricht von mir
-erhältst, laß die Schreibmaschine am 16. abgehen; melde es mir
-gleichzeitig. Die Krankheit ist endgültig gebrochen, aber ich bin noch
-sehr erschöpft, so erschöpft, daß ich gern noch ein paar Tage lang im
-Bett liegen würde, ohne zu denken, ohne andre Bilder in meinem Gehirn
-als das der dunkeln Frau und des blonden Mädchens, die von Zeit zu Zeit
-durch mein Zimmer gleiten, sich über mich beugen und mit sanfter Stimme
-freundlich zu mir sprechen, oder das der Tannen und Birken, die ich
-durch das offene Fenster sehen kann. Wird es einmal Menschen geben, die
-ohne Qual, ohne den göttlich-fluchwürdigen Stachel der Seele im
-Anschauen der Schönheit verharren können?
-
-Welja und Jessika reisen morgen nach Petersburg, Jessika bleibt bei
-ihrer Tante. Wenn ich sie wiedersehe, wird sie ein schwarzes Kleid
-tragen. Diese Nacht, als ich den Mond, leuchtend bleich, von dunkelm
-Gewölk umgeben sah, mußte ich an ihren blonden Kopf über dem schwarzen
-Kleide denken. Ach, das ist das wenigste. Sie wird wieder rosige Wangen
-bekommen und lächeln und weiße Kleider tragen. Daß alles verdammt ist zu
-vergehen, indem es entsteht, das ist die einzige Tragik des Lebens; weil
-es das Wesen des Lebens ist, weil dies so geartete Leben das einzige
-ist, das jemals unser sein kann. Ich erwarte Deine Nachricht.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Lusinja an Katja
-
-
- 14. Juli.
-
-Mein Jüngstes! Heute reisen Welja und Jessika ab. Sie haben noch einen
-Tag auf Lju gewartet, ihm zuletzt aber selbst davon abgeredet, die
-Anstrengung des Reisens heute schon auf sich zu nehmen. Er ist
-aufgestanden, aber noch schwach. Etwa drei Tage wird er gewiß noch
-hierbleiben, also wirst Du ihn auf keinen Fall mehr sehen, wenn Ihr
-übermorgen fahrt. Jessika hat tapfer mit ihren Gefühlen gekämpft, ich
-hätte ihr so viel Selbstüberwindung nicht zugetraut. Heute war sie schon
-in aller Frühe im Garten und pflückte Körbe voll Rosen, mit denen sie
-das ganze Haus geschmückt hat. »Ich finde, es ist wie ein
-Hochzeitshaus,« sagte sie. Dann sagte sie: »Mama, wir müssen euch doch
-eigentlich recht im Wege gewesen sein, als wir gleich so nacheinander
-anrückten?« Ich sagte: »Ja, wenn wir nicht selbst schuld gewesen wären,
-hätten wir uns vielleicht ein bißchen geärgert.« Dein Bruder Welja, der
-dazukam, sagte: »Gott, was denkst du, sie hätten sich schrecklich
-gelangweilt ohne uns.« Jessika entrüstet: »Anmaßender Junge! Du mit
-deiner Faulheit hast vor dem zweiten Jahre nicht gesprochen und vor dem
-zehnten keinen Witz gemacht.« Nun, Du kannst Dir denken, wie zierlich
-sie einander ankläfften. Und dazu das kleine Gesicht, so still und blaß
-unter dem alten Kinderlachen. Gebt ihr noch recht viel Liebe an dem
-letzten Tage, hörst Du, Herzblatt? Und kränke sie nicht dadurch, daß Du
-etwas gegen Lju sagst. Du bist ein viel zu junges und törichtes
-Glühwürmchen, als daß Du ihn richtig beurteilen könntest. Er ist
-jedenfalls ein bedeutender Mensch, und vor bedeutenden Menschen muß man
-die Achtung haben, daß man zunächst das Beste von ihnen denkt und im
-Zweifelsfalle mit seinem Urteil zurückhält.
-
-Was den Chauffeur anbelangt, den Tante Tatjana anstatt des alten
-Aushilfsdieners zu nehmen vorschlägt, so kann sich Papa nicht dazu
-entschließen, obwohl er zugibt, daß es vielleicht angenehmer für uns
-wäre. Er sagt, einen ganz fremden Menschen will er nicht ins Haus
-nehmen. Es käme nicht selten vor, daß die revolutionäre Partei auf diese
-Art ihre Leute in die Häuser einschmuggelte, um durch sie private
-Verhältnisse auszukundschaften oder sich mit der Dienerschaft in
-Verbindung zu setzen. Er möchte nicht gern ein zweideutiges Element
-zwischen unsre so treuen und zuverlässigen Dienstboten bringen. Da Papa
-von jeder Aengstlichkeit frei ist, wird diese Vorsicht wohl berechtigt
-sein. Wir bleiben also bei dem alten Kyrill, mehr als Iwan trinkt er
-auch nicht, und Papa sagt, Trunkenbolde hätten die treuesten Herzen.
-
-Ich umarme Dich, Du geliebtes Kind! Habt Euch recht lieb, alle drei, und
-zankt Euch nicht auf der Reise, Du und Welja. Nennt Euch auch nicht Kalb
-oder Molch oder Spatzengehirn -- das letzte geht allenfalls noch --, aus
-dem Scherz könnte einmal Ernst werden, und überhaupt ist es eine
-häßliche Gewohnheit, die bei Menschen, die Euch nicht kennen, Anstoß
-erregen kann. Gib auch acht auf Welja, als ob Du die Aeltere wärest,
-aber ohne es ihn merken zu lassen; um ihn sorge ich mich mehr als um
-Dich, Du, mein Liebling, wirst schon das Rechte tun und etwas Rechtes
-werden.
-
-Also bin ich nun eine kinderlose Frau! In meinem Herzen habe ich Euch
-aber, ganz fest, da seid Ihr noch klein und habt es gern, in einem
-winzigen Raum geschlossen dicht bei Eurer Mama zu sitzen.
-
- Lebe wohl!
-
-
-
-
- Welja und Katja an Jegor
-
-
- Petersburg, 16. Juli.
-
-Lieber Papa! Als Katja in Mamas Brief Deinen Ausspruch gelesen hatte,
-Trunkenbolde hätten die treuesten Herzen, trompetete sie los: »Seht ihr,
-Lju ist kein Trinker! Er trank Wein nur wegen der schönen Farbe und des
-Aromas!« Es wird sich nun gewiß verbreiten, Du hättest Lju entlassen,
-weil er sich niemals betrunken hätte, Du wirst ein Liebling des Volkes
-werden, und eine Horde taumelnder Kosaken wird Dich als freiwillige
-Schutzgarde beständig umgeben. Wir haben gestern abend Tante Tatjana
-überzeugt, daß sie uns zum Abschiedsessen sehr feinen Wein vorsetzte,
-und Peter, der gerade im Begriff war, in einen Abstinenzverein
-einzutreten, hat das deshalb bis zu unsrer Rückkehr verschoben.
-
-Lieber Papa! Welja schreibt doch nur Dummheiten. Es ist nicht möglich,
-mit ihm zu leben, ohne zuweilen Kalb oder Molch zu sagen. Mama, Du
-hättest ihn von vornherein besser erziehen sollen. Mit dem Trinken hast
-Du ganz recht, Papa, es war eine abgeschmackte Idee von Peter, in einen
-Abstinenzverein eintreten zu wollen. Warum soll man nicht trinken, wenn
-es einem schmeckt? Zu dumm! Jessika sagt, um Euch brauchte man sich
-keine Gedanken zu machen, Ihr sähet beide jung und glücklich aus. So
-wollen wir Euch uns unterwegs vorstellen. Mit Jessika bin ich sehr nett,
-aber ein Schaf ist sie doch. Da fährt unser Wagen vor! Morgen um diese
-Zeit sind wir schon über die Grenze. Unterwegs schreibe ich Dir einen
-richtigen langen Brief, süße Mama.
-
- Katja.
-
-
-
-
- Lju an Konstantin
-
-
- Kremskoje, 17. Juli.
-
-Lieber Konstantin! Ich fahre morgen in der Frühe ab. Ich nehme das
-Automobil nach Petersburg. Von da fahre ich zu meinem Vater. Ich nehme
-an, daß die Schreibmaschine heute abend kommt. Es wäre mir nicht lieb,
-wenn sie früher käme, weil der Gouverneur dann wahrscheinlich sofort zu
-schreiben verlangen würde. Die beiden Menschen freuen sich auf ihr
-Alleinsein wie glückliche Kinder. Sie wissen selbst nicht, was sie
-eigentlich erwarten -- ach, mein Gott, was erwartet man überhaupt, wenn
-man einem Augenblick der Liebesaufwallung entgegensieht? Was findet man?
-
-Daß jemand anders vor dem Gouverneur die Maschine benutzt, das einzige,
-was meinen Plan zerstören könnte, halte ich für ausgeschlossen. Die
-Dienstmädchen getrauen sich aus Angst vor dem Gouverneur nicht, sie
-anzurühren, besonders seit sie einmal entzweigegangen ist. Er hat ihnen
-einmal sogar verboten, sie abzustauben, er wolle das selbst tun. Auch
-wird er sie sehr bald in Gebrauch nehmen, einige Briefe hat er immer zu
-schreiben, auch wird er sie nach der Reparatur probieren wollen. Ein Tag
-wird nicht darüber hingehen. Vermutlich wird er an die Kinder schreiben.
-Sie -- seine Frau -- was wird aus ihr werden? Das beste wäre für sie,
-wenn sie an seiner Seite wäre. Sie ist es ja fast immer. Wenn ich das
-nächstemal nach Petersburg komme, möchte ich Dich sehen. Zunächst
-brauche ich Ruhe.
-
- Lju.
-
-
-
-
- Lusinja an Jessika
-
-
- Kremskoje, 17. Juli.
-
-Jessika, mein Blümchen, Deine schönen Rosen sind nun welk, noch ehe die
-Freude des Alleinseins angefangen hat. Der Garten ist aber voll neuer.
-Lju reist morgen in aller Frühe ab, er hat sich schon verabschiedet,
-weil er früher fährt, als wir aufgestanden sein werden. Vorhin, als wir
-von einem Spaziergang zurückkamen, stand ein Mann an der Gartentür. Ich
-sah ihn erst, als wir ganz nahe bei ihm waren, und fuhr unwillkürlich
-zusammen. Lju lachte und sagte: »Es ist gewiß wieder der Paketbote mit
-der Schreibmaschine.« Und wirklich, er war es. Ich sah ihn ganz entsetzt
-und bewundernd an, und da lachte er wieder und Papa auch; es war nämlich
-ganz natürlich, daß er es erriet, weil sie eigentlich schon mit der
-ersten Post erwartet wurde. Denke Dir, Papa fiel gar nicht über die
-Kiste her, sondern ließ Lju auspacken und sitzt jetzt noch bei mir und
-spielt so schön Klavier, wie sonst niemand auf der Welt spielt.
-Vielleicht duftet zur selben Zeit die Lindenblüte Deiner Stimme an Tante
-Tatjanas Flügel. Du weißt doch, daß Lju gesagt hat, Dein Gesang wäre so
-zart, daß man nicht sagen könnte, er klänge; er duftete. Es ist mir
-gerade, als hörte ich Dich, meine kleine Holdseligkeit.
-
-Lju sah mich wieder mit einem unergründlichen Blick an, als er mir
-Lebewohl sagte; ich freue mich, daß ich diesem Blick morgen nicht mehr
-begegnen werde. Aber sei ganz ruhig, ich habe ihm ein allerliebstes
-Futterkörbchen für die Reise zurechtgemacht und will ihm sehr wohl. Wenn
-er nicht nachtwandelte, wäre ich seine unbedingte Freundin. Denke Dir,
-Väterchen hat zuletzt noch die Anwandlung bekommen, außer sich zu sein,
-daß Lju fortginge, bevor er wieder auf den Beinen wäre; er wäre jetzt
-krank und hinfällig und zählte nicht, und ein Mann müßte doch im Hause
-sein. Da hat Papa wütend gesagt: »Bin ich denn ein Klapperstorch?«
-Darüber hat Iwan erst geweint, und dann hat er gesagt, er hätte Papa
-noch nie für einen Klapperstorch gehalten, aber er sollte doch gerade
-beschützt werden, und sich selber beschützen könnte man nicht, so wenig
-wie man sich selbst den Rücken waschen könnte. Papa fragte Mariuschka,
-die uns dies berichtete: »Wer wäscht ihm denn seinen? Du?« Was sie
-entrüstet verneinte; also ist das im Dunkeln geblieben.
-
-Gute Nacht, Liebling. Wann werde ich Dir einmal Dein Haar mit Rosen
-schmücken? Wer weiß wie bald! Das Schöne kommt unverhofft über Nacht.
-
- Deine Mama.
-
-
-
-
- Jegor an Welja und Katja
-
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- Kremskoje, 18. Juli.
-
-Nun ihr beiden kleinen Kinder, was für ein Unsinn ist das mit dem
-Trinken? Was soll ich gesagt haben? Gebildete Menschen müssen Maß
-halten, das ist selbstverständlich. Wenn ein russischer Bauer nicht
-trinkt, kann man auf Theorien und Berechnung schließen, auf den Hang zu
-irgendeiner Vervollkommnung, und wo der tierische Trieb einmal gebrochen
-ist, da tritt zunächst nichts Gutes an die Stelle. So; ihr habt mäßig zu
-sein, weil ihr für gebildete Menschen gelten wollt. Unser Schutzengel
-ist abgereist, ich habe augenblicklich keinen andern als Eure Mutter,
-unter deren Flügeln ich mich am wohlsten befinde. Eben tritt sie hinter
-meinen Stuhl, legt den Arm um mich und tut die nicht mehr neue, aber
-immer wieder gern gehörte Frage: »Warum bist du so blaß, J......«
-
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- * * * * * *
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-Anmerkungen zur Transkription
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-Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
-Offensichtliche Fehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-
- [S. 52]:
- ... Zum Glück sprang Lju ein und sagt er wäre ...
- ... Zum Glück sprang Lju ein und sagte, er wäre ...
-
- [S. 89]:
- ... wenigstens auf Jessika. Es ist auch zu toll, daß ...
- ... wenigstens auf Jessika auf. Es ist auch zu toll, daß ...
-
- [S. 144]:
- ... ihnen denkt und im Zweifelfalle mit seinem Urteil ...
- ... ihnen denkt und im Zweifelsfalle mit seinem Urteil ...
-
- [S. 145]:
- ... Ihr noch klein und habt es gern, in einen winzigen ...
- ... Ihr noch klein und habt es gern, in einem winzigen ...
-
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-***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LETZTE SOMMER***
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-<h1 class="pg">The Project Gutenberg eBook, Der letzte Sommer, by Ricarda Huch</h1>
-<p>This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States
-and most other parts of the world at no cost and with almost no
-restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
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-<p>Title: Der letzte Sommer</p>
-<p> Eine Erzählung in Briefen</p>
-<p>Author: Ricarda Huch</p>
-<p>Release Date: September 18, 2017 [eBook #55578]</p>
-<p>Language: German</p>
-<p>Character set encoding: ISO-8859-1</p>
-<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LETZTE SOMMER***</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<h4>E-text prepared by Jens Sadowski<br />
- and the Online Distributed Proofreading Team<br />
- (<a href="http://www.pgdp.net">http://www.pgdp.net</a>)<br />
- from page images generously made available by<br />
- Internet Archive<br />
- (<a href="https://archive.org">https://archive.org</a>)</h4>
-<p>&nbsp;</p>
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- <tr>
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- Note:
- </td>
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-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="halftitle">
-Der letzte Sommer
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="ads">
-<p class="hdr">
-Von Ricarda Huch erschienen früher im gleichen
-Verlage:
-</p>
-
-<p class="book">
-<em>Von den Königen und der Krone.</em><br />
-Roman. 5. Auflage.
-</p>
-
-<p class="price">
-Geh. M 4.&mdash;, geb. M 5.&mdash;
-</p>
-
-<p class="book">
-<em>Seifenblasen.</em> Drei scherzhafte Erzählungen.<br />
-3. Auflage.
-</p>
-
-<p class="price">
-Geh. M 3.50, geb. M 4.50
-</p>
-
-<p class="book">
-<em>Die Verteidigung Roms.</em> Roman.<br />
-Der &bdquo;Geschichten von Garibaldi&ldquo;. I. Teil<br />
-6. Tausend.
-</p>
-
-<p class="price">
-Geh. M 5.&mdash;, geb. M 6.&mdash;
-</p>
-
-<p class="book">
-<em>Der Kampf um Rom.</em> Roman.<br />
-Der &bdquo;Geschichten von Garibaldi&ldquo;. II. Teil<br />
-4. Auflage.
-</p>
-
-<p class="price">
-Geh. M 5.&mdash;, geb. M 6.&mdash;
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<h1 class="title">
-Der letzte Sommer
-</h1>
-
-<p class="aut">
-<span class="line1">Eine Erzählung in Briefen</span><br />
-<span class="line2">von</span><br />
-<span class="line3">Ricarda Huch</span>
-</p>
-
-<p class="run">
-Vierte Auflage
-</p>
-
-<div class="centerpic logo">
-<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div>
-
-<p class="pub">
-<span class="line1">Stuttgart und Leipzig</span><br />
-<span class="line2">Deutsche Verlags-Anstalt</span><br />
-<span class="line3">1910</span>
-</p>
-
-</div>
-
-<div class="frontmatter">
-<p class="cop">
-Alle Rechte,<br />
-insbesondere das Recht der Uebersetzung in andere Sprachen, vorbehalten<br />
-Nachdruck wird gerichtlich verfolgt
-</p>
-
-<p class="printer">
-Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart<br />
-Papier von der Papierfabrik Salach in Salach, Württemberg
-</p>
-
-</div>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-1">
-<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a>
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 5. Mai 19..
-</p>
-
-<p class="dropart">
-<span class="firstchar"><img src="images/drop_l.jpg" alt="L" /><span class="hidden">L</span></span><span class="postfirstchar">ieber</span> Konstantin! Ich habe mein Amt angetreten
-und will Dir berichten, wie sich mir
-die Lage darstellt. Daß mir gelingen wird, was
-ich vorhabe, bezweifle ich nicht, es scheint sogar,
-daß die Umstände günstiger sind, als man voraussetzen
-konnte. Meine Persönlichkeit wirkt in der ganzen
-Familie des Gouverneurs sympathisch, von Argwohn
-ist keine Rede; dies ist im Grunde natürlich,
-nur wir Wissende konnten das Gegenteil
-befürchten. Wenn der Gouverneur Erkundigungen
-über mich eingezogen hat, so konnten diese mir
-nicht schaden; meine Zeugnisse von der Kinderschule
-an bis zur Universität sind glänzend, und
-das einzige, was zu meinem Nachteil sprechen
-könnte, daß ich mich mit meinem Vater überworfen
-habe, wird dadurch entkräftet, daß sein
-herrschsüchtiger und verschrobener Charakter allgemein
-bekannt ist. Ich glaube aber eher, daß
-er es nicht getan hat; der Mann ist so ganz
-<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a>
-ohne Mißtrauen, daß es in seiner Lage an Einfalt
-grenzen würde, wenn es nicht mehr mit seiner
-Furchtlosigkeit und seiner unrichtigen Beurteilung
-der Menschen zusammenhinge. Außerdem scheint
-meine Anstellung durchaus ein Werk seiner Frau
-zu sein, die, von Natur ängstlich, seit sie den
-Drohbrief erhalten hat, nichts andres mehr denkt,
-als wie sie das Leben ihres Mannes schützen
-kann. Mißtrauen liegt auch in ihrer Natur nicht;
-während sie in jedem Winkel unmögliche Gefahren
-wittert, könnte sie dem Mörder einen Löffel Suppe
-anbieten, wenn es ihr so vorkäme, als ob der
-arme Mann nichts Warmes im Leibe hätte.
-</p>
-
-<p>
-Sie erzählte mir, daß eben der von Dir verfaßte
-Brief sie auf den Gedanken gebracht hätte,
-einen jungen Mann zu suchen, der unter dem
-Vorwande, ihres Mannes Sekretär zu sein, seine
-Person vor etwaigen Anschlägen beschützte, ohne
-daß er selbst es bemerkte. Es sei ihr jedoch nicht
-möglich gewesen, weder ihre Angst noch ihren
-Plan vor ihrem Manne geheimzuhalten, und auf
-ihr inständiges Bitten und um Ruhe vor ihr zu
-haben, sei er endlich darauf eingegangen, teils
-auch, weil er seit kurzem eine Art Nervenschmerz
-am rechten Arm habe, der ihm das Schreiben
-<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
-erschwere. Er habe aber die Bedingung gestellt,
-daß er wenigstens des Nachts unter dem alleinigen
-Schutze seiner Frau bleiben dürfe. Sie lachten
-beide, und er setzte hinzu, seine Frau verstehe sich
-so ausgezeichnet auf die Befestigung der Schlafzimmer,
-daß er sich dreist ihr anvertrauen dürfe;
-sie gehe nie zu Bett, ohne vorher alle Schränke
-und besonders die Vorhänge untersucht zu haben,
-die sie für Schlupfwinkel von Verbrechern hielte.
-Natürlich, sagte sie lebhaft, vorsichtig müsse man
-doch sein, ängstlich sei sie durchaus nicht, sie lasse
-sogar nachts die Fenster offen, weil sie eine
-Freundin der frischen Luft sei, gehe allerdings
-mit dem Gedanken um, Gitter machen zu lassen,
-die man davor setzen könne; denn da die Haustüre
-verschlossen wäre, bliebe doch den Leuten, die
-Böses vorhätten, nichts andres übrig, als durchs
-Fenster einzusteigen. Indessen, sagte sie, habe sie
-schon jetzt das Gefühl, daß sie sich weniger
-Gedanken machen würde, nun ich da wäre. Ihr
-Gesicht hatte etwas ungemein Gewinnendes bei
-diesen Worten. Ich sagte: &bdquo;Das hoffe ich. Ich
-würde jede Sorge, die Sie sich jetzt noch machten,
-als einen Vorwurf gegen meine Berufstreue auffassen.&ldquo;
-Während dieses Gespräches war der Sohn
-<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a>
-ins Zimmer gekommen; er sah mich mit einem
-besorgten Blick an und sagte: &bdquo;Fangen Sie heute
-schon an?&ldquo;, worüber wir alle so lachen mußten,
-daß dadurch sofort ein vertraulicher Ton hergestellt
-war. Dieser Sohn, er heißt Welja, ist
-ein hübscher und sehr drolliger Junge, nicht viel
-jünger als ich, spielt aber noch wie ein Kind von
-fünf Jahren, nur daß das Spielzeug nicht mehr
-ganz dasselbe ist. Studieren tut er die Rechte,
-um einmal die diplomatische Laufbahn einzuschlagen;
-man merkt aber nichts davon. Er ist klug und
-ein moderner Mensch mit zahllosen unbeschnittenen
-Trieben und unbegrenzter Empfänglichkeit; sein
-Charakter ist, keinen zu haben, und dies macht
-ihn vollkommen belanglos. Er sieht von jeder
-Sache nur die Seite, an die sich ein Bonmot anknüpfen
-läßt, dessen größter und unwiderstehlicher
-Reiz in der verschlafenen Art besteht, wie er es
-vorbringt.
-</p>
-
-<p>
-Außer dem Sohne sind zwei Töchter da,
-Jessika und Katja, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig
-Jahren, blond, niedlich, einander ähnlich
-wie Zwillinge. Sie waren gegen mich eingenommen,
-weil sie die Furchtsamkeit ihrer Mutter albern
-finden und weil sie fürchteten, in ihrer sommerlichen
-<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
-Zurückgezogenheit gestört zu werden; da
-ihnen aber mein Aeußeres hübsch und stilvoll vorkommt,
-und da Welja, der ihr Vorbild ist, sich
-zu mir hingezogen fühlt, fangen sie an, sich mit
-meiner Anwesenheit zu befreunden. Diese drei
-Kinder erinnern mich, ich weiß nicht warum, an
-kleine Kanarienvögel, die dicht zusammengedrängt
-auf einer Stange sitzen und zwitschern. Ueberhaupt
-hat die ganze Familie etwas kindlich Harmloses,
-das mich und meine Aufgabe vor mir
-selbst lächerlich machen könnte; aber ich kenne
-die menschliche Seele gut genug, um zu wissen,
-daß diesem Wesen maßloser Hochmut zugrunde
-liegt. Haß, ja selbst Uebelwollen setzt doch eine
-gewisse Nähe zu den Menschen voraus; diese
-fühlen sich im Grunde allein in einer ihnen gehörenden
-Welt. Alle andern haben nicht die Bedeutung
-der Wirklichkeit und greifen nicht in ihren
-Frieden ein.
-</p>
-
-<p>
-Die Dienerschaft besteht aus einem Kutscher,
-Iwan, der trinkt, und den Welja Väterchen nennt,
-und drei Mädchen; alles sind Leute altrussischer
-Art, fühlen noch als Leibeigene, beten ihre Herrschaft
-an und urteilen doch mit unbewußter Ueberlegenheit
-über sie, weil sie dem Urquell noch näher
-<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a>
-sind. Liebe Wesen, die mir, wie Tiere, eine gewisse
-Ehrfurcht einflößen.
-</p>
-
-<p>
-Dies sind meine ersten Eindrücke; Du hörst
-bald mehr von mir.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-2">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 6. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Ich habe mich damit abgefunden,
-daß ich während der ganzen Dauer von Papas
-Urlaub hier auf dem Lande bleiben muß. Blödsinnige
-Sache, dieser Schluß der Universität. Ich
-hatte doch vollkommen recht, als ich Ruhe empfahl;
-denn daß wir bei einem Kampfe den kürzeren
-ziehen mußten, war vorauszusehen. Aber Du
-mußtest natürlich wie eine geheizte Maschine ohne
-Bremse drauflos, und es ist reiner Zufall, daß
-Du nicht von meinem eignen Vater an den Galgen
-gebracht wirst. Es ist durchaus keine Schande,
-der Uebermacht nachzugeben, vielmehr Stumpfsinn
-und Raserei, gegen sie anzugehen; ich leide an
-keinem von beiden. Wenn mir die armen Kerls
-nicht leid täten, die mit ihrem heiligen Eifer so
-rettungslos hereingefallen sind, würde ich mich
-mit der Geschichte ganz aussöhnen; den Sommer
-<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
-genießt man hier schließlich am besten, und aus
-der Affäre mit der Lisabeth, die ich ein bißchen
-unüberlegt angezettelt hatte, hätte ich mich nicht
-so leicht loswickeln können, wenn ich in Petersburg
-geblieben wäre. Wenn Papa und Mama
-auch etwas rückständig sind, so haben sie doch
-Verstand und Geschmack und sind zum täglichen
-Umgang viel angenehmer als die rabiaten Köpfe,
-mit denen Du Deine antediluvianische Dickhaut
-zu umgeben liebst. Papa darf man zwar nicht
-ernstlich widersprechen, wenn man seine Ruhe bei
-Tisch haben will, aber Mama hört gelegentlich
-eine rebellische Ansicht recht gern und frondiert
-mit einer gewissen Verve gegen Papa, was ihm
-auch in angemessenen Grenzen gut an ihr gefällt;
-wenn er sich aber nachdrücklich räuspert oder die
-Augenbrauen zusammenzieht, lenkt sie gleich ein,
-schon um uns mit dem guten Beispiel der Unterordnung
-voranzugehen. Uebrigens ist ja auch
-Katja hier, es ist also nicht nur erträglich, sondern
-positiv nett.
-</p>
-
-<p>
-Der Schutzengel ist angekommen. Mama ist
-überzeugt, daß er das Talent hat, alle Gifte,
-Waffen, Dynamitpatronen und sonstigen Unfälle
-von Papa ab- und auf sich hinzulenken, und schätzt
-<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
-den begabten jungen Mann unendlich. Wir dachten,
-es würde ein Mann mit breitem Vollbart, biederen
-Fäusten und aufgeblasenen Redensarten ankommen;
-anstatt dessen ist er schlank, glattrasiert, zurückhaltend,
-eher ein englischer Typus. Mir sagte er, sein
-Vater habe verlangt, daß er sich zu einer Professur
-melde, er hat nämlich Philosophie studiert, aber
-er wolle keinen Beruf und habe besonders einen
-Widerwillen gegen die zünftigen Philosophen. Um
-ihn zu zwingen, habe sein Vater ihm alle Geldmittel
-entzogen, und deshalb habe er diese Stellung
-angenommen, zu der er im Grunde wohl wenig
-befähigt sei. Er sagte: &bdquo;Ich glaube, ich kann
-mich am ersten dadurch nützlich machen, daß ich
-Ihre Frau Mutter ein wenig beruhige, und das
-scheint mir gar nicht schwer zu sein. Sie hat die
-liebenswürdige Eigenschaft, nicht zweifelsüchtig zu
-sein, und wird mich gern für einen geborenen
-Blitzableiter halten, wenn ich mir einigermaßen
-Mühe gebe, einen solchen vorzustellen.&ldquo; Ich sagte:
-&bdquo;Wenn Sie sich nur nicht dabei langweilen.&ldquo;
-Darüber lachte er und sagte: &bdquo;Ich langweile mich
-nie. Der Mensch befindet sich, wo er auch ist,
-im Mittelpunkt eines Mysteriums. Aber auch
-abgesehen davon: ich liebe das Landleben und
-<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
-gute Gesellschaft, für mich ist also gesorgt.&ldquo; Er
-hat einen durchdringenden Blick, und ich bin überzeugt,
-daß er uns alle schon ziemlich zutreffend
-zerlegt und eingeteilt hat. Er selbst glaubt unergründlich
-zu sein; ich halte ihn trotz seiner anscheinenden
-Kälte für verwegen, sehr leidenschaftlich
-und ehrgeizig. Es wäre schade, wenn er doch
-noch einmal Professor würde. Man hat das
-Gefühl, daß er mehr will und kann als andre
-Menschen. Seine Ansichten werden wohl nicht
-weniger revolutionär sein als unsre, aber er ist
-bis jetzt ganz unpersönlich im Gespräch. Diese
-Objektivität imponiert mir eigentlich am meisten,
-besonders weil seine Unterhaltung trotzdem anregend
-ist. Jessika und Katja sind dafür natürlich
-sehr empfänglich, weswegen Du aber noch
-nicht eifersüchtig zu werden brauchst, alter Saurier.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Dein Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-3">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 7. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebe Tante! Da es tiefstes Geheimnis ist
-und bleiben soll, daß Mama einen Sekretär für
-Papa angestellt hat, dessen eigentliche Bestimmung
-<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
-ist, Papa vor den Bomben zu schützen, die ihm
-angedroht sind, kann ich die Tatsache wohl als
-bekannt voraussetzen. Vielleicht ist es auch besser,
-wenn sie in den weitesten Kreisen verbreitet wird,
-dann fangen die Anarchisten gar nicht erst an zu
-werfen, wodurch unserm Schutzengel seine Arbeit
-erleichtert wird. Du siehst, daß ich ihm wohl will,
-und er verdient es schon deshalb, weil seine Anwesenheit
-so günstig auf Mamas Stimmung einwirkt.
-Am ersten Mittag fragte Mama ihn, was
-er geträumt habe; der erste Traum an einem
-neuen Aufenthalt sei bedeutungsvoll. Ich glaube,
-er hatte gar nichts geträumt, aber er erzählte,
-ohne sich zu besinnen, eine lange Geschichte, daß
-er sich im Innern eines herrlichen Palastes befunden
-habe und langsam von einem Raume zum
-andern gegangen sei, und beschrieb alle ganz ausführlich.
-Zuletzt sei er zu einem Gemach gekommen,
-in dem es ganz dunkel gewesen sei und
-auf dessen Schwelle ihn eine unerklärliche Bangigkeit
-befallen habe; er habe gezögert, weiterzugehen,
-dann sich zusammengenommen, dann wieder innegehalten
-und sei dann unter Herzklopfen aufgewacht.
-Mamas Augen wurden immer größer.
-&bdquo;Wie gut,&ldquo; sagte sie, &bdquo;daß Sie nicht hereingegangen
-<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
-sind, es wäre gewiß etwas Schreckliches darin gewesen.&ldquo;
-&bdquo;Vielleicht eine Badewanne,&ldquo; sagte Welja
-ruhig. Wir mußten alle lachen, und da Katja
-erst anfing, als wir andern schon fertig waren,
-dauerte es sehr lange. Ich sagte: &bdquo;Bitte, träumen
-Sie doch nächste Nacht weiter und nehmen Sie
-ein Bad, damit Mama beruhigt ist; denn Baden
-kann doch nur Gutes bedeuten.&ldquo; Nein, sagte
-Mama, Wasser wäre zweideutig, nur Feuer wäre
-ein unbedingter Glückstraum, und sie hätte eben
-diese Nacht einen gehabt. Dann erzählte sie ihren
-Traum, er war zu niedlich; sie hatte nämlich mit
-Papa schlafen gehen wollen, und da hatten ihre
-Betten in Flammen gestanden, schönen, hellen
-Flammen ohne Rauch (das ist sehr wichtig!), und
-sie hatte immer hineingeblasen in der Meinung
-zu löschen. Da hatte Papa gerufen: &bdquo;Lusinja, so
-blase doch nicht!&ldquo; und hatte vor Lachen kaum
-sprechen können, und darüber war sie auch ins
-Lachen gekommen und war lachend aufgewacht.
-Diesen Traum bezog Mama auf Lju, dessen Ankunft
-für uns glückbringend sei; Lju heißt unser
-Schutzengel. Daran anknüpfend erklärte er, woher
-der Volksglaube an die Bedeutung der Träume
-stamme und daß und warum Wasser und Feuer
-<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
-bei allen Völkern im selben Sinne aufgefaßt würden
-und was Wahres daran sei; leider kann ich es Dir
-nicht so hübsch auseinandersetzen, wie er es tat.
-Papa hörte auch sehr interessiert zu, obgleich er
-von Träumen und dergleichen eigentlich gar nichts
-versteht, und sagte zuletzt mit einem Seufzer: &bdquo;Sie
-würden ausgezeichnet zum Sekretär meiner Frau
-passen!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-Nun will ich Dir noch etwas Niedliches erzählen,
-das heute mittag passierte. Ich fragte
-Welja, ob er noch Pudding wolle, und er sagte
-nach seiner Gewohnheit: &bdquo;Vater, wie du willst.&ldquo;
-Lju sah ihn neugierig an, und da erklärte
-Mama, das wäre Weljas Lieblingsredensart,
-die er immer im Munde führte, um zu sagen,
-es ist mir gleichgültig; sie hoffe aber, setzte sie
-nachdrücklich hinzu, er unterdrückte nun einmal
-diese üble Angewohnheit, denn sie möge Profanationen
-des Heiligen durchaus nicht leiden.
-&bdquo;Profanationen des Heiligen?&ldquo; sagte Welja erstaunt.
-&bdquo;Was meinst du damit?&ldquo; &bdquo;Aber Welja,&ldquo;
-sagt Mama mit Entrüstung, &bdquo;tu doch nicht, als
-ob du nicht wüßtest, daß die Worte in der Bibel
-stehen!&ldquo; &bdquo;Nein, wahrhaftig,&ldquo; ruft Welja, &bdquo;wenn
-ich eine Ahnung gehabt hätte, daß solche faule
-<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
-Redensarten in der Bibel stehen, hätte ich auch
-mal drin gelesen!&ldquo; Der gute Junge, das ehrlichste
-Staunen strahlte aus seinen weitaufgerissenen
-Augen. Lju konnte gar nicht aufhören zu lachen,
-ich glaube, er ist entzückt von Welja.
-</p>
-
-<p>
-Mit Papas Nerven geht es ganz gut, er hat
-Iwan einmal angegrollt, als er dachte, er wäre
-betrunken &mdash; er war es zufällig gerade nicht &mdash;
-und einmal, weil ihm der Reis angebrannt vorkam,
-aber einen richtigen Krach hat er noch nicht
-gemacht, obgleich wir schon vier Tage draußen sind.
-</p>
-
-<p>
-Geliebteste Tante, ich lege alle Tage Sträuße
-von Thymian, Lavendel und Rosmarin in unser
-Gastzimmer, nicht nur auf den Tisch, sondern auch
-in Schränke und Kommoden, damit es durch und
-durch einen hübschen Biedermeiergeruch bekommt.
-Belohne meine Aufmerksamkeit, indem Du kommst.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-4">
-Katja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 9. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Du bist ein Kalb, wenn Du
-mir wirklich übelgenommen hast, daß ich nicht zu
-Hause war, als Du mir Adieu sagen wolltest.
-<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
-Konnte ich wissen, daß Du kommen würdest? Und
-außerdem machte ich noch einen Besuch bei der
-alten Generalin, was doch wahrhaftig kein Vergnügen
-ist. Uebelnehmen ist kleinbürgerlich, hoffentlich
-hat Welja mich angelogen. Wenn ich es
-nicht so unverschämt von Papa fände, daß er
-die Universität geschlossen hat, würde ich froh
-sein, daß ich hier bin. Ich tue nichts als essen,
-schlafen, lesen und radfahren. Der neue Sekretär
-ist sehr elegant, obgleich er kein Geld hat, eine
-glänzende Erscheinung und fabelhaft klug. Er
-radelt auch mit uns, aber er tut es nicht gern,
-er sagt, es wäre schon veraltet, man müßte jetzt
-Automobil fahren. Ich finde, er hat ganz recht,
-wir wollen Papa auch dahin bringen, daß er
-eins anschafft, einstweilen halten wir eine Zeitung
-für Automobilwesen. Gruß
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-5">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 10. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Der Aufenthalt hier ist mir von großem
-psychologischem Interesse. Die Familie hat alle
-Vorzüge und Fehler ihres Standes. Vielleicht
-<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
-kann man von Fehlern nicht einmal reden; sie
-haben vorzüglich den einen, einer Zeit anzugehören,
-die vergehen muß, und einer im Wege
-zu stehen, die sich entwickelt. Wenn ein schöner
-alter Baum fallen muß, um einer Eisenbahnlinie
-Platz zu machen, so schmerzt es einen; man steht
-bei ihm wie bei einem alten Freunde und betrachtet
-ihn bewundernd und trauernd bis zu seinem
-Sturze. Unleugbar ist es schade um den Gouverneur,
-der ein vortreffliches Exemplar seiner Gattung
-ist; allerdings glaube ich, daß er seinen Höhepunkt
-bereits überschritten hat. Wenn er die Einsicht
-davon hätte und von seinem Amte zurückträte,
-oder wenn er es täte, um sein Leben nicht auszusetzen,
-niemand würde es freudiger begrüßen
-als ich; aber dazu ist er zu stolz. Er glaubt,
-nur wer arbeite und etwas leiste, habe ein Recht
-zu leben, überhaupt kann er sich ein Leben ohne
-Arbeit nicht vorstellen; darum will er arbeiten und
-glaubt, wenn er dies und das tue, was die Aerzte
-ihm empfehlen, so würde er die frühere Kraft allmählich
-wiedererhalten. Neulich schlief er ein,
-während er am Schreibtische saß, und ich konnte ihn
-ungestört beobachten; wie das schöne, dunkle und
-leidenschaftliche Auge sein Gesicht nicht belebte, erschien
-<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
-es sehr schlaff und erschöpft, während er im
-allgemeinen noch den Eindruck reifer Manneskraft
-hervorruft. Als er aufwachte, setzte er sich sofort
-aufrecht hin, warf einen schnellen Blick auf mich
-und war sichtlich dadurch beruhigt, daß ich nichts
-bemerkt zu haben schien. Es ist charakteristisch
-für ihn, daß er nicht gern zugibt, wenn er ermüdet
-oder schläfrig ist. So ist es ihm angenehm,
-daß ich ihm das bißchen Arbeit, das er
-hier während des Urlaubs erledigt, abnehme oder
-erleichtere, und er sagt es auch; aber er möchte
-nicht, daß man dächte, er wäre zu abgespannt,
-um es allein zu tun, ja es würde ihn unglücklich
-machen, es selbst zu denken.
-</p>
-
-<p>
-Er ist, wie oft Menschen, die im Amte für
-streng und mitleidlos gelten, gegen jeden einzelnen
-wohlwollend, ja sogar von unbegrenzter Gutmütigkeit,
-wenn er liebevoller Nachgiebigkeit und
-Unterordnung begegnet. Widersetzlichkeit macht
-ihn fassungslos, da er unmittelbar nichts empfindet
-als seinen Willen und naiv genug ist, um
-vorauszusetzen, daß er ebenso für alle andern
-maßgebend sein müßte. Er kommt mir vor wie
-eine Sonne, die schön und treu, wenn auch etwas
-rücksichtslos, ihre Welt zu unterhalten beflissen
-<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
-ist; er trägt, brennt und leuchtet nach Kräften
-und zweifelt nicht, daß die Planeten ihr Ideal
-darin finden, sich zeitlebens um ihn herumzudrehen.
-An die Existenz von Kometen und Abnormitäten
-glaubt er im Grunde nicht, es sei denn, daß sie
-in ihm selbst vorkämen; ich könnte mir denken,
-daß die ernstliche, tatsächliche Abtrünnigkeit eines
-Trabanten ihn eher wahnsinnig als zornig machte.
-Dabei tun seine Kinder im allgemeinen, was sie
-Lust haben; aber in der Theorie tasten sie seine
-Herrschaft nicht an; dann sind es seine eignen
-Kinder, und er ist ein Mann von starken Instinkten,
-und schließlich ist er bequem, was sich
-mit Arbeitsamkeit wohl vereinen läßt; zu Hause
-will er es behaglich haben.
-</p>
-
-<p>
-Welja ist ein reizvoller Junge, obwohl er
-hier nicht an seinem Platze ist. Er hat die Seele
-eines neapolitanischen Fischerknaben oder eines
-fürstlichen Lieblings, der hübsche Kleider trägt,
-hübsche, kecke Dinge sagt und keinen großen Unterschied
-zwischen Leben und Traum macht. Die
-beiden Töchter sind nicht so zwillingshaft, wie
-es mir zuerst schien, auch äußerlich nicht. Sie
-sind beide eher klein als groß und haben Massen
-blonden Haares über zarten Gesichtern, übrigens
-<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
-sind sie so verschieden voneinander wie eine Teerose
-von einer Moosrose. Wenn Jessika geht,
-ist es, als ob ein weicher Wind ein losgerissenes
-Blütenblatt durchs Zimmer wehte; Katja steht
-fest auf der Erde, und was ihr nicht ausweicht,
-wird wo möglich mit Nachdruck beiseitegeworfen.
-Jessika ist zart, hat oft Schmerzen, und ihre Verletzlichkeit
-gibt ihr einen besonderen, raffinierten
-Zauber; man glaubt, man könne sie nicht ans
-Herz drücken, ohne daß es ihr weh täte. Katja
-ist gesund, ehrlich, durchaus nicht aufregend, ein
-kluges, temperamentvolles Kind, an dem man seine
-Freude hat. Jessika hat zuweilen etwas Schmachtendes,
-dann wieder überrascht sie durch anmutigen
-Witz, der niemals verletzend, sondern eher wie
-eine auserwählte Liebkosung wirkt. Es hat einen
-Zauber, Einfluß auf diese jungen Menschen zu
-gewinnen, und ich genieße ihn einstweilen: das
-Schwere und Harte bleibt nicht aus.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-6">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 10. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebste Tante! Du beunruhigst Dich wegen
-unsers Beschützers, der eigens zum Beruhigen da
-ist? Ich bin entzückt von ihm, und aus meinem
-<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
-Briefe spricht eine verdächtige Fröhlichkeit? Mein
-Gott, natürlich finde ich ihn angenehm, da seine
-Anwesenheit Mamas Besorgnisse zerstreut hat!
-Sei ruhig, geliebteste Tante, wenn er sich verliebt,
-wird er sich in Katja verlieben, und Katjas Herz
-hältst Du doch nicht für so zerbrechlich wie meins.
-Oder fürchtest Du in dem Falle, daß Peter eifersüchtig
-wird? Weißt Du, ich glaube, Katja verliebt
-sich überhaupt nicht ernstlich; sie steckt mit
-Welja in den Johannisbeeren, und beide essen mit
-derselben Geschwindigkeit und Unbedenklichkeit wie
-vor zehn Jahren, als bekämen sie einen Orden dafür.
-</p>
-
-<p>
-Mama ist jetzt wirklich so ruhig und vergnügt
-wie seit langer Zeit nicht. Gott, wenn ich an die
-letzte Zeit in der Stadt denke, an die Auftritte,
-wenn Papa eine halbe Stunde länger ausblieb, als
-sie gerechnet hatte! Neulich fand sie ihn nicht in
-seinem Zimmer, im ganzen Hause nicht und auch
-nicht im Garten. Sie fing schon an aufgeregt zu
-werden, da sagte unsre Mariuschka, der Herr Gouverneur
-wäre mit dem Herrn Sekretär spazieren gegangen.
-Sofort war ihre Stimmung wieder im Gleichgewicht,
-sie forderte mich auf, ein Duett mit ihr zu singen, behauptete,
-ich sänge entzückend, und schmetterte selbst
-wie eine Nachtigall in Liebesromanen.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
-Heute nachmittag war Papa, als er zum
-Tee gerufen wurde, noch etwas verschlafen.
-Mama nahm ihre Lorgnette zur Hand, betrachtete
-ihn aufmerksam und fragte mit zärtlicher Betonung:
-&bdquo;Warum bist du so blaß, Jegor?&ldquo; Papa
-sagte: &bdquo;Endlich! Ich habe schon gedacht, du liebtest
-mich nicht mehr, weil du mich seit acht Tagen
-nicht danach gefragt hast.&ldquo; Dies war natürlich
-Spaß; aber wenn Mamas Aengstlichkeit, über
-die er sich immer lustig macht, wirklich mal ausbliebe,
-würde er sich tatsächlich sehr vernachlässigt
-fühlen; so ist der Herr Gouverneur.
-</p>
-
-<p>
-Da fällt mir ein, geliebteste Tante, daß ich
-noch nicht weiß, ob Deine Erkältung ganz verschwunden
-ist. Ob der fatale, rätselhafte Schmerz
-an Deinem kleinen Finger nachgelassen hat. Ob
-und wann Du kommst. Der Flieder blüht, die
-Kastanien blühen, alles, was blühen kann, blüht!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-7">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 12. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Wenn Du Eifersucht merken
-läßt, machst Du Dich lächerlich bei Katja. Wozu
-auch? Am ersten könntest Du noch auf mich
-<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
-eifersüchtig sein, aber dazu bist Du zu grob
-organisiert. Lju macht Jessika den Hof, das heißt
-er sieht sie an und regiert sie mit den Augen,
-denn sie fällt natürlich darauf herein. Lju ist
-ein fabelhafter Mensch, man könnte sagen seelenlos,
-wenn man ein Element, das ganz Kraft ist,
-so nennen kann. Er würde sich wahrscheinlich
-kein Gewissen daraus machen, Jessika oder sonst
-ein Mädchen unglücklich zu machen; wenn man
-den Mut hat, sich ihm ganz hinzugeben, muß
-man auch den haben, sich zerstören zu lassen.
-Und warum stürzen sich die Mädchen so gierig
-ins Licht? Es ist jedenfalls ihre Bestimmung,
-wie die der Motten, sich die Flügel zu verbrennen.
-Uebrigens würde Lju niemals ein Mädchen seiner
-Eitelkeit zum Opfer bringen, wie doch schließlich
-die meisten von uns tun. Er zerstört sie nur so
-beiläufig, wie zum Beispiel die Sonne tut; sie
-sollten ihm einfach nicht zu nahe kommen, aber
-das können sie natürlich nicht lassen. Katja ist
-gottlob anders, das gefällt mir so gut an ihr,
-obgleich ich nicht möchte, daß alle so wären.
-</p>
-
-<p>
-Katja und ich haben gestern im Dorfe einen
-türkischen Konfekthändler entdeckt, der unerhört
-gute Sachen hat, rosa und klebrig und durchsichtig
-<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
-und gummiartig. Er scheint ein echter
-Türke zu sein, denn etwas so Süßes habe ich
-noch nie gegessen. Ich glaube, je mehr man
-nach Südosten kommt, desto wundervoller werden
-die Süßigkeiten. Katja und ich aßen immerzu,
-der Türke betrachtete uns ganz ausdruckslos mit
-seinen großen Kuhaugen. Endlich konnten wir
-nicht mehr, und ich sagte: &bdquo;Jetzt müssen wir aufhören.&ldquo;
-&mdash; &bdquo;Haben Sie kein Geld mehr?&ldquo; fragte
-er; ich glaube, er hielt uns für Kinder. Ich
-sagte: &bdquo;Mir wird übel.&ldquo; Sein gelbes Gesicht
-veränderte sich nicht; ich glaube, wenn wir vor
-seinen Augen geplatzt wären, er hätte nicht mit
-der Wimper gezuckt.
-</p>
-
-<p>
-Wir trafen ein sehr niedliches Mädchen im
-Dorf, mit dem wir als Kinder zuweilen gespielt
-haben. Damals fanden wir sie furchtbar häßlich,
-weil sie rote Haare hat, und neckten sie damit;
-jetzt kam sie mir verteufelt niedlich vor. Ich
-rief ihr zu: &bdquo;Anetta, du bist ja gar nicht mehr
-häßlich?&ldquo; und sie antwortete gleich: &bdquo;Welja, du
-bist ja gar nicht mehr blind!&ldquo; Weil Katja dabei
-war, konnte ich weiter nichts machen, aber
-ich habe ihr zugenickt, und sie hat mich verstanden.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-8">
-<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 13. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebe Tatjana! Nun sag, warum bildest Du
-Dir so fest ein, meine Töchter müßten sich in Lju
-verlieben? Ich habe sie bisher für viel zu unentwickelt
-zur Liebe gehalten, Katja ist ja wirklich
-noch ein Kind. Da Du mich einmal darauf
-aufmerksam gemacht hast, sehe ich ein, daß Lju
-gefährlich ist; männlich, mutig, klug, interessant,
-auffallend, alles, was einem jungen Mädchen imponiert.
-Ich muß es aber rühmen, daß er eher
-zurückhaltend gegen meine beiden Kleinen ist;
-möglicherweise ist er schon gebunden. Daß Jessika
-ihn bewundert, habe ich wohl bemerkt; wenn er
-spricht, hängen ihre Augen an ihm, sie ist selbst
-gesprächiger als sonst und voll allerliebster Einfälle.
-Ich dachte mir nichts Arges dabei, sondern
-freute mich an ihrer Freudigkeit. Tatjana,
-wenn Du sie einladen willst und sie gern zu Dir
-kommen will, werde ich ihr nichts in den Weg
-legen. Es mag sein, daß es besser ist. Meine
-arme kleine Jessika, wenn ich mir denke, daß sie
-ihn liebte! Liebte er sie nicht, müßte sie leiden,
-und vielleicht noch mehr, wenn er sie liebte. Nein,
-<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
-der ist kein Mann für sie. Er versteht alles, aber er
-vergißt sich niemals, er hat gar keinen Sinn für
-Kleinigkeiten und Torheiten, oder, wenn er Sinn
-dafür hat, so ist es wie für Kräuter, die man
-in ein Herbarium sammelt. Hingeben kann er
-sich nicht, er verzehrt nur. Ich traue ihm sehr
-viel zu, zum Beispiel, daß er einmal ein sehr berühmter
-Mann wird; jedenfalls braucht er dünne
-Höhenluft, in der mein kleines Mädchen nicht
-atmen könnte.
-</p>
-
-<p>
-Merkwürdig ist es an ihm, daß er sich offenbar
-für uns alle lebhaft interessiert, daß er für
-unsre Vorzüge empfänglich scheint, daß er das
-Vertrauen, das wir ihm entgegenbringen, als
-etwas Selbstverständliches hinnimmt und doch
-von sich selbst eigentlich nichts hergibt. Nicht
-daß er nicht offen wäre, er beantwortet jede
-Frage, die man zufällig einmal an ihn richtet,
-freimütig und ausgiebig; man kann vielleicht nicht
-einmal sagen, daß er verschlossen ist, wenigstens
-spricht er ziemlich viel und stets von Dingen,
-die ihm wirklich wichtig sind. Trotzdem hat man
-nicht das Gefühl, daß man sein Inneres kennt.
-Ich habe schon gedacht, daß es Geheimnisse in
-seinem Leben geben könnte, die ihm Zurückhaltung
-<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
-auferlegen; aber es beunruhigt mich nicht, weil
-ich sicher bin, daß es nichts Gemeines ist.
-</p>
-
-<p>
-Neulich war von Lügen die Rede. Da sagte
-Lju, Lügen wäre unter Umständen eine Waffe
-im Kampfe des Lebens, nicht schlechter als eine
-andre, nur sich selbst belügen wäre verächtlich.
-Welja sagte: &bdquo;Sich selbst belügen? Wie macht
-man das überhaupt? Ich würde mir doch niemals
-glauben.&ldquo; Lju lachte ganz beseligt, ich
-mußte auch lachen, hielt mich aber doch verpflichtet,
-Welja zu sagen, es wäre ein schlechter
-Witz gewesen. &bdquo;Bessere können wir doch hier
-nicht machen,&ldquo; sagte der Junge, &bdquo;sonst versteht
-Katja sie nicht.&ldquo; Ja, eigentlich wollte ich Dir
-nur sagen, die Ueberzeugung habe ich wirklich,
-daß Lju sich niemals selbst belügen würde, und
-das ist mir das Wesentliche. Der Grundsatz
-mag gefährlich sein, aber einem bedeutenden
-Menschen ist er angemessen.
-</p>
-
-<p>
-Liebe Schwester meines geliebten Mannes,
-wenn ich nicht die großen Kinder um mich hätte,
-könnte ich mir jetzt einbilden, wir wären auf der
-Hochzeitsreise. Brauchten wir nur niemals in
-die Stadt zurück! Jegor hat sein Klavierspiel
-wieder aufgenommen, da er nun einmal nicht unbeschäftigt
-<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
-sein kann, und ich, die es sehr wohl
-kann, höre zu und träume. Erinnerst Du Dich
-noch an die Zeit, wo ich ihn meinen Unsterblichen
-nannte? Manchmal jetzt, wenn ich ihn
-ansehe, überläuft mich das Gefühl, daß etwas
-anders geworden ist; es sind nicht die weißen
-Haare, deren schon mehr als schwarze sind, nicht
-die tiefen Schatten, die oft unter seinen Augen
-liegen, nicht die strengen Linien, die sein Gesicht
-verdunkeln, es ist etwas Unnennbares, das sein
-ganzes Wesen umgibt. Einmal mußte ich plötzlich
-aufspringen und fortlaufen, weil mir die
-Tränen aus den Augen sprangen, und im Schlafzimmer
-habe ich ins Kissen geschrien: &bdquo;Mein Unsterblicher!
-ach, mein Unsterblicher!&ldquo; Siehst Du,
-das ist nicht merkwürdig, daß es Wahnsinnige
-gibt, aber daß auch die Allervernünftigsten einmal
-einen Wahnsinnsanfall haben können, das
-ist beklagenswert.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-9">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 15. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ich hätte mir das denken
-können; aber ich möchte, daß ich mich täusche, wenn
-ich es künftig denke. Es macht den Eindruck, daß
-<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
-ich mich zum Zweck psychologischer Studien hier
-befinde; Du findest, daß ich sehr viel Sinn für das
-Familienleben entwickle; Du meinst, ich hätte ebensogut
-meine Großtante in Odessa besuchen können,
-und sonst noch mehreres. Was willst Du?
-Hattest Du erwartet, ich würde mich wie ein
-hungriger Kannibale oder haßerfüllter Nebenbuhler
-oder betrogener Ehemann auf sein Opfer
-stürzen? Wir waren uns darüber einig, daß
-wir es nicht machen wollten wie die fanatischen
-Büffel, denen es bei ihren Attentaten mehr darauf
-anzukommen scheint, daß sie ihr eignes Leben
-wegwerfen, als das des Gegners. Wir wollten unser
-Ziel erreichen, ohne unser Leben, unsre Freiheit,
-womöglich sogar unsern Ruf aufs Spiel zu
-setzen; denn wir haben noch mehr zu erreichen,
-und wir wissen, daß wir nicht leicht zu ersetzen
-sind. Wenn es eilte, würde ich anders gehandelt
-haben; aber der Studentenprozeß beginnt erst
-Anfang August, bis dahin dauert der Urlaub des
-Gouverneurs, und ich habe demnach noch drei
-Monate Zeit, von denen erst ein halber verflossen
-ist. Ich sehe mich hier um, ich lerne die
-Menschen, die Umgebung kennen und warte auf
-eine Gelegenheit. Natürlich hätte ich den Gouverneur
-<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
-längst ermorden können, wenn es mir
-nur darauf ankäme; ich bin oft mit ihm allein
-gewesen, sowohl im Hause wie im Garten und
-im Walde. Aber dann hätte ich unrichtig gehandelt.
-Jetzt, wo ich zwar geschätzt und fast
-geliebt werde, aber immerhin noch ein Fremder
-bin, könnte sich ein Argwohn gegen mich erheben;
-in ein paar Wochen werde ich wie ein Glied der
-Familie und wird das nicht mehr möglich sein.
-Ich schrieb Dir neulich, glaube ich, daß ich einige
-Minuten neben ihm gesessen habe, während er
-schlief. Ich betrachtete den Teil seines Gesichtes,
-der mir zugewendet war; die breiten schwarzen
-Brauen &mdash; ein Zeichen starker Vitalität &mdash;, die
-strenggebogene Nase, in jeder Linie liegt Feuer
-und Noblesse; durch vornehmes Empfinden gemäßigte
-Leidenschaft scheint mir auch ein Grundzug
-seines Charakters zu sein. Ein wundervolles
-Geschöpf! Indem ich ihn betrachtete, dachte ich,
-wieviel lieber ich diesen Kopf meinen Gedanken,
-meinen Absichten zugänglicher machen als ihn
-mit einer Kugel zerstören möchte. Auch dies
-mußt Du bedenken, daß ich den Mord umgehen
-könnte, wenn es mir glückte, ihn zu beherrschen,
-zu beeinflussen. Ich will aber gleich hinzusetzen,
-<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
-daß ich die Möglichkeit für gering halte: in kleinen
-Dingen ist er wie Wachs, in wichtigen wie Eisen.
-Wenn er etwas bestimmt will, können weder
-Furcht noch Liebe ihn umstimmen; so scheint es
-mir bis jetzt.
-</p>
-
-<p>
-Der Kleine ist anders; er ist so indolent, daß
-er einem dankbar ist, wenn man für ihn will,
-man muß es nur mit Verstand tun. Seine Vorurteilslosigkeit
-setzt in Erstaunen. Er scheint gar
-nicht durch Tradition beherrscht; er hat etwas,
-als ob er mit keinem Bande an Vergangenheit,
-Familie, Vaterland angeknüpft wäre. Ich muß an
-ein altes Märchen denken, in dem ein elternloses
-Kind als Kind der Sonne auftritt; daran erinnert
-auch seine goldbraune Haut. Im Gespräch
-mit ihm spreche ich fast so, wie ich denke; er ist
-so unbefangen, daß es ihm nicht einmal auffällt,
-wie ich mit meinen Ideen eine Stellung bei seinem
-Vater habe annehmen können. Er findet es offenbar
-selbstverständlich, daß ein Mensch von Verstand
-so denkt, wie ich denke, und nebenbei jede
-Rolle spielt, die nach seinem Geschmack und zu
-seinem Fortkommen nützlich ist. Ich habe ihn
-lieb, und es freut mich, daß ich ihm nichts zuleide
-zu tun brauche. Katja denkt wie ihr Bruder,
-<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
-zum Teil vielleicht aus Liebe zu ihm. Sie
-ist für ein Mädchen sehr klug und einsichtsvoll;
-aber sie kann so verständig reden, wie sie will,
-sie ist immer wie ein kleiner, niedlicher Vogel,
-der auf einem Zweige sitzt und zwitschert, das
-ist das Reizende an ihr.
-</p>
-
-<p>
-Konstantin, mache mir nicht wieder Vorwürfe.
-Wenn mir solche zu machen wären, würde ich
-es selbst tun; deshalb hat kein andrer das Recht
-dazu.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-10">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 15. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Tante, Du hast mich eingeladen, huldvolle
-Tante! Ich küsse dankbar Deine schöne Hand.
-Vielleicht komme ich auch einmal, wenn Du gerade
-gar nicht daran denkst. Aber Liebste, weißt
-Du denn gar nicht, daß ich Pflichten habe? Ich
-kann doch nicht so ohne weiteres fort. Wir
-haben doch einen Haushalt, und Du weißt, daß
-auch die besten Dienstleute von einem höheren
-Wesen inspiriert werden müssen. Ich bedaure
-die Köchin, die bei unsrer fünffachen Wunderlichkeit
-gar keinen Rückhalt hätte. Papa schwärmt
-<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
-für gefüllte Tomaten, aber nicht für Tomaten an
-der Sauce, was Mama besonders liebt, während
-Welja eine Leidenschaft für Tomaten in Salat
-hat, Katja ißt sie nur roh. Katja ißt keinen
-süß zubereiteten Reis, Papa keinen gepfefferten,
-ich keinen Milchreis. Niemand von uns ißt
-Kohl, wir wollen aber täglich grünes Gemüse;
-so könnte ich noch seitenlang fortfahren. Keine
-Köchin behält das alles, und lesen kann unsre
-nicht. Wenn ich fort wäre, müßte Mama an
-das alles denken &mdash; denn Katja fiele das nicht
-ein &mdash;, und das täte mir so leid. Sie geht den
-ganzen Tag herum und ist glücklich, ihren Mann
-einmal für sich und in Sicherheit zu haben; man
-mag ihr keine dummen Alltäglichkeiten aufbürden
-gerade jetzt.
-</p>
-
-<p>
-Ihr denkt, ich wäre nur eine unbedeutende
-kleine Person! Aber sie würden es schon bemerken,
-wenn nicht vor jedem die Tasse Tee oder
-Kaffee mit gerade so viel Zucker und Milch oder
-Zitrone stände, wie er es haben mag, oder wenn
-ihm die Orangenschnitten nicht so fein geschält
-und entkernt auf den Teller flögen, wie er es gewohnt
-ist, oder wenn die Bleistifte und Scheren
-und Schirme, die er verliert oder verlegt, nicht
-<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
-gerade im richtigen Augenblick von mir wiedergefunden
-würden! Ja, so bin ich! Komm Du
-nur einmal hierher und überzeuge Dich, wie unentbehrlich
-ich bin.
-</p>
-
-<p>
-Wenn Du nun findest, daß ich belohnt und
-entschädigt werden muß, Tante Tatjana, so schicke
-mir doch lila Batist zu einer Bluse und dazu
-passenden Zwischensatz und Spitzen. Ich habe
-nichts, was leicht genug wäre bei der Hitze. Niemand
-hat so viel Geschmack wie Du, darum besorge
-es, bitte, selbst, Holdseligste.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine dankbare Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-11">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 17. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Ich habe mich nicht getäuscht,
-Lju ist im Grunde ein Revolutionär, nur daß
-noch etwas dabei ist, was seine Ansichten himmelhoch
-über die durchschnittlichen erhebt. Wie soll
-ich Dir das begreiflich machen, süßes Megatherium?
-Er denkt und steht zugleich über dem, was er
-denkt. Er hält das, was er denkt und wünscht,
-nicht für das Letzte, Absolute. Darum steht er
-auch abseits von den Parteien, weil er über sie
-<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
-hinaussieht. Er sagt, der alten Generation gegenüber
-haben die Neuen recht, obwohl sie an sich betrachtet
-fast noch weniger recht haben als die
-Alten. Natürlich verstehst Du das nicht, weil
-Dir die Selbstironie fehlt, sowohl der Begriff
-wie die Qualität. Ihr habt keine Idee, wie
-komisch es ist, wenn ihr euch über die Verkommenheit
-der alten Kultur erhitzt und nicht von ferne
-ahnt, was Kultur eigentlich bedeutet. Macht
-nichts, brülle nicht, alter Saurier, ich bin ganz
-euer. Mein Vater ist köstlich; er findet, daß Lju
-ein sehr angenehmer, kluger und unterhaltender
-Mensch ist, weiter dringt sein Scharfblick nicht.
-Er kommt nicht auf die Idee, daß ein Mensch
-in honetten Kleidern, der höflich mit ihm umgeht
-und ihm nicht widerspricht, sich außerhalb
-seines Systems bewegen könnte. Mama ist viel
-weniger, wie soll ich es nennen, auf ihr Selbst
-beschränkt. Sie sieht wenigstens deutlich ein, daß
-sie längst nicht Ljus ganzes Wesen erfaßt hat;
-sie fühlt etwas Fremdes, wenn sie dessen auch
-nicht habhaft werden kann. Neulich sagte sie zu
-ihm, seinen Talenten und Kenntnissen und seiner
-Leistungsfähigkeit sei eigentlich das Amt, das er
-in unserm Hause bekleide, nicht angemessen, ebensowenig
-<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
-das Entgelt, er hätte es gar nicht annehmen
-dürfen. Lju sagte, er hätte gehofft, als
-Privatsekretär freie Zeit übrig zu haben, die er
-gebrauche, um ein philosophisches Werk zu vollenden,
-das sei sein nächstes Arbeitsziel. Darüber
-wurde Mama ordentlich rot und meinte, er sei
-nun gewiß enttäuscht, da ja seine ganze Person
-bei uns dauernd in Anspruch genommen werde.
-Ich glaube, Lju hatte schon ganz vergessen, daß
-er hier ist, um Mörder und Bomben abzufangen,
-während Mama denkt, er riebe sich bei dieser
-schwer zu definierenden Tätigkeit auf. Sie
-fordert ihn seitdem öfters auf, sich in sein
-Zimmer zurückzuziehen und zu arbeiten, und ist
-geneigt, es sehr anspruchsvoll von Papa zu finden,
-wenn er ihm mal außer der Zeit einen Brief
-diktieren will; er könnte sich eigentlich eine Schreibmaschine
-anschaffen, meinte sie. Man kann nicht
-behaupten, daß Mama die Leute ausbeutet.
-</p>
-
-<p>
-Wir sind augenblicklich damit beschäftigt,
-Papa ein Automobil kaufen zu lassen; er ist auch
-schon nahe daran. Wir sprechen bei Tisch immer
-von den letzten Automobilrennen und erörtern,
-ob es mit Benzin oder Elektrizität billiger ist.
-Lju meinte, ob wir nicht lieber warten und dann
-<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
-gleich ein lenkbares Luftfahrzeug anschaffen wollten.
-Von dem Gedanken war Papa ordentlich hingerissen,
-und wie er die Kosten davon berechnete,
-kam ihm das Auto hernach schon ganz alltäglich
-und kleinbürgerlich vor.
-</p>
-
-<p>
-Lju ist gar nicht musikalisch. Er sagt, Musik
-wäre eine primitive Kunst, wenigstens die man
-bis jetzt kennte. Es könnte vielleicht auch anders
-sein, wovon Richard Wagner gewisse Andeutungen
-gäbe. Das Musikalische in unsrer Familie wäre
-primitiv. Ich glaube, daß das ganz richtig ist,
-besonders bei Papa. Er spielt schön in dem
-Sinne, wie der Wald rauscht oder der Wind
-saust, es ist etwas Dämonisches. Aber das Besessensein
-ist kein Kulturfaktor. Lju hat aber viel
-übrig für das Primitive. Er findet, Jessikas
-Stimme klänge so, wie wenn in der fahlen Dämmerung
-tief im Osten die Morgenröte aufginge.
-Jessikas Stimme finde ich auch fein, auf mich
-wirkt sie wie ein Harfenton; sonst habe ich mir
-nie viel aus Gesang gemacht, bei der Sinfonie
-fängt doch die Musik eigentlich erst an. Bilde
-Du Dir aber ja nicht ein, Du wärest ein Uebermensch,
-weil Du unmusikalisch bist. Bei Dir ist
-es ein Vakuum.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-12">
-<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
-Katja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 17. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebe Tante! Jessika hat vergessen, Dich zu
-bitten, daß Du uns die Partitur von &bdquo;Tristan
-und Isolde&ldquo; besorgst oder besorgen läßt. Papa
-ist dagegen, er meint, man könnte Noten auch
-leihen! Gibt es das überhaupt? Ach, erkundige
-Dich nur gar nicht, Bücher aus Leihbibliotheken
-beziehen ist unfein, und Noten sind auch Bücher,
-also. Im Grunde ärgert sich Papa nur, daß
-wir uns mit Wagner beschäftigen wollen, er ist
-nun einmal einseitig. Nicht mal kennen lernen
-will er ihn, sondern ist von vornherein entschlossen,
-ihn gräßlich zu finden. Ja, hätte
-Wagner vor ein paar hundert Jahren gelebt und
-Kirchenmusik gemacht wie Palestrina &mdash; ach so,
-das klingt dumm, aber ich habe es nun einmal
-geschrieben, und Du verstehst mich auch schon.
-Natürlich sind Beethovens Lieder an seine ferne
-Geliebte schön, die Papa immer singt, aber unsre
-Zeit und unser Leben drückt das doch nicht aus.
-Jedenfalls, Tante Tatjana, Du schickst uns &bdquo;Tristan
-und Isolde&ldquo;, nicht wahr? Bitte recht bald,
-Peter kann es ja besorgen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-13">
-<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 20. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Dein Brief hat mich zu
-einer Unvorsichtigkeit veranlaßt; aber der wäre
-ein schlechter Feldherr, der nicht einen falschen
-Zug wieder einbringen oder sogar verwerten
-könnte. Das Gerücht, daß der Studentenprozeß
-sofort vorgenommen würde und der Gouverneur
-infolgedessen sofort nach Petersburg zurückginge,
-muß unbegründet sein; denn er selbst würde es
-doch am ersten wissen und gleichzeitig auch ich.
-Trotzdem erwog ich gestern die Möglichkeit und
-bereitete mich darauf vor, schnell oder plötzlich handeln
-zu müssen. Ich sagte mir, bei Tage würde
-ich nicht leicht eine Gelegenheit finden, besonders
-keine für mich günstige. Nachts könnte ich ihn
-und seine Frau, denn sie schlafen zusammen, mit
-Aether betäuben, ihn durch einen Stich ins Herz
-töten und mich ungesehen wieder zu Bett legen.
-Kein besonderes Verdachtsmoment würde auf mich
-hinweisen; bei Tage hingegen könnte sich kaum
-jemand an den Gouverneur herandrängen, ohne
-daß irgendwer, namentlich ohne daß ich es bemerkte.
-Am Tage können unzählige unvorhergesehene
-<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
-Störungen dazwischenkommen; nachts
-liegen bestimmte, übersichtliche Umstände vor. Die
-Ausführbarkeit des Planes hängt wesentlich von
-dem mehr oder weniger leisen Schlafe des Gouverneurs
-und seiner Frau ab; ich beschloß, mir
-sofort Gewißheit über die Frage zu verschaffen.
-Ich warf einen Mantel über und schlich mich
-nach ihrem Schlafzimmer, das durch ein Ankleidezimmer
-mit angrenzendem Bade- und Garderoberaum
-von meinem getrennt ist. Kaum hatte ich
-den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ich Frau
-von Rasimkara auf mich zustürzen sah. Ich will
-Dir gestehen, daß ich in diesem Augenblick fast
-die Besinnung verloren hätte: die Frau so merkwürdig,
-so schön, so anders als am Tage vor
-mir zu sehen, es raubte mir den Atem. In ihrem
-Gesicht stand zugleich der Ausdruck des Entsetzens
-und der unbedenklichsten Entschlossenheit,
-der sofort, da sie mich erkannte, dem Gefühl der
-Erlösung, dem Erstaunen und ich möchte sagen
-dem Gefühl für das Komische der Lage Platz
-machte. Ja, für die Dauer eines Augenblicks
-dachte und empfand ich nichts, als wie hinreißend
-sie war, sie zog mich rasch in das Ankleidezimmer
-zurück und sagte flüsternd, ich hätte sie sehr erschreckt,
-<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
-sie hätte mich für einen Mörder gehalten,
-was geschehen wäre? Ob mir etwas fehlte, ob
-ich nachtwandelte? Ich sagte, sie möchte ganz
-ruhig sein, geschehen wäre nichts, ich wäre aufgewacht,
-hätte geglaubt, ein Geräusch zu hören,
-und hätte mich überzeugen wollen, ob bei ihnen
-alles ruhig und in Ordnung wäre; ich hätte das
-schon öfters getan, weil ich es als zu der von mir
-übernommenen Pflicht gehörig betrachtete, bisher
-hätte sie es aber nicht bemerkt. Ich setzte noch hinzu,
-sie würde vielleicht gut tun, ihrem Manne nichts
-von dem Vorfall zu sagen. Natürlich nicht, sagte
-sie, sie wäre froh, daß er nicht erwacht wäre; dann
-drückte sie mir die Hand, nickte mir zu und lächelte
-und ging in ihr Schlafzimmer zurück.
-</p>
-
-<p>
-Dies war ein sehr gefährlicher Augenblick,
-und ich habe erst gegen Morgen wieder einschlafen
-können. Als sie vor mir stand und mich anlächelte,
-dachte ich, daß sie hinreißend sei und
-gleichzeitig, daß ich sie würde töten müssen. Ich
-dachte es mit solcher Lebhaftigkeit, daß mir war,
-es schreie aus meinen Augen heraus: ich bin dein
-Mörder, weil ich sein Mörder bin. Du wirst
-immer an seiner Seite sein, dein Leib wird sich vor
-seinen werfen, wenn die Stunde da ist, darum mußt
-<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
-du mit ihm fallen. Das eigentümliche Lächeln, mit
-dem sie mich ansah, schien zu sagen: ich verstehe
-dich, es ist mein Schicksal, ich nehme es auf mich.
-</p>
-
-<p>
-In gewisser Weise habe ich bei meinem unglücklichen
-Versuch etwas gewonnen. Ich weiß
-nun, daß der Gouverneur tief und fest schläft.
-Ihr habe ich die Meinung eingeflößt, daß ich
-zum Schutze ihres Mannes zuweilen ihr Schlafzimmer
-betrete. Sähe sie mich eintreten, mich
-über sie beugen, sie würde bis zum letzten Augenblick
-keinen Verdacht schöpfen, mich nur mit großen
-Augen erwartungsvoll ansehen. Anderseits habe ich
-erfahren, daß mir diese Art der Ausführung
-widerstrebt. Ich würde nur im äußersten Notfall
-dazu schreiten. Ein andrer Weg wird sich
-finden lassen, der mir mehr zusagt. Sei Du jedenfalls
-ohne Sorge: es mag sein, daß ich unüberlegt
-gehandelt habe, aber ich habe auch die etwaigen
-schlimmen Folgen im Keim erstickt.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-14">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 20. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Heute habe ich das Gefühl,
-in einem Irrenhaus zu sein. Mama hat diese
-Nacht irgend etwas gehört, was nachher gar nichts
-<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
-war, aber trotzdem sich alles als Einbildung
-entpuppt hat, sieht sie verweint aus und fährt
-bei jedem Geräusch zusammen. Papa hat Furoranfälle,
-die wir als Nervosität respektieren sollen.
-Vorhin klingelt er Mariuschka her, weil sie in
-der Garderobe das elektrische Licht habe brennen
-lassen. Er machte solchen Krakeel, daß ich es
-im Garten hörte, und stellte sich ungefähr so an,
-als ob dies elektrische Flämmchen das Verderben
-auf unsre ganze Familie herunterziehen müßte.
-Nachher stellte sich heraus, daß er selbst es angezündet
-und auszumachen vergessen hatte. Katja
-erhob nun ihrerseits ein Geschrei, es wäre empörend
-von Papa, das ganze Haus schwämme in
-Tränen seinetwegen, die Dienstleute könnten unmöglich
-Respekt vor ihm haben, wenn er sich so
-benähme, und dazwischen rief sie mich an, ob ich
-es nicht auch fände. Ich sagte: &bdquo;Vater, wie du
-willst.&ldquo; Da wendete sich plötzlich ihre Entrüstung
-gegen mich, worüber wir dann glücklich alle ins
-Lachen kamen. Papa sagte, nun müßte er sich
-wohl bei Mariuschka entschuldigen, weil er ihr
-unrecht getan hätte, und begab sich zu diesem
-Zweck ins Leutezimmer. Wir wollten gern mitgehen,
-um der Szene beizuwohnen, aber Mama
-<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
-verbot es als unschicklich. Ich fand die Geschichte
-von vornherein nur komisch und verstehe nicht,
-wie Katja sich ärgern kann.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-15">
-Katja an Peter
-</h2>
-
-<p class="noindent">
-Natürlich ärgere ich mich, Welja kann eben
-nichts ernst nehmen, weil er zu faul ist. Es ist
-doch empörend, daß ein Mann wie Papa, der
-sich selbst gar nicht beherrschen kann, die Universität
-schließt, weil die Studenten ihre Rechte
-verteidigen. Es ist empörend, daß ein Mann
-solche Macht hat, die Tatsache allein verdammt
-unsre Zustände. Sieh doch zu, ob sich nicht
-Lehrer finden, uns und allen, die teilnehmen
-wollen, Privatkurse zu halten. Es könnte ja bei
-Dir zu Hause sein, das kann man doch nicht
-verbieten. Ich finde, daß man sich so etwas nicht
-gefallen lassen soll. Mir ist es ganz gleichgültig,
-ob ich ein paar Jahre früher oder später fertig
-werde, aber es soll doch wenigstens von mir abhängen.
-Und wenn das nicht geht, möchte ich
-fort, ins Ausland. Es ist mir unleidlich, in
-Rußland leben zu müssen. Von Welja habe ich
-gar nichts, er ist zu dusselig, was ich auch sage
-und vorschlage, ihm ist alles gleich. Natürlich,
-<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
-wenn man muß, muß man, aber erst versucht
-man doch, ob es nicht anders geht.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-16">
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-24. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Du Liebe! Die Kinder haben Dir geschrieben,
-daß wir wieder sehr nervös sind? Wenn Du
-mich nicht verraten willst, will ich Dir sagen,
-wovon es bei mir gekommen ist. Du weißt, ich
-bin ängstlich und schreckhaft, und Du weißt auch,
-daß ich leider sehr ernsten Anlaß dazu habe. Ich
-gebe zu, daß ich es auch ohne das wäre, das
-ändert aber nichts daran, daß der Anlaß da ist.
-Nun also, neulich nachts wache ich auf und sehe
-einen Mann auf der Schwelle unsers Schlafzimmers
-stehen. Natürlich denke ich, daß er
-Jegor töten will, und stürze blindlings auf ihn
-zu, um Jegor zu schützen &mdash; wie, darüber nachzudenken
-hatte ich keine Zeit. Es war nur ein
-Augenblick, dann erkannte ich Lju. Ja, es war
-Lju. Das plötzliche Aufhören der Angst und des
-Schreckens wirkte so befreiend auf mich, daß ich
-beinahe lachen mußte; ich hätte ihn umarmen
-können. Aber nachher, als ich wieder im Bett
-<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
-lag, machten sich die Folgen der heftigen Nervenerregung
-geltend, ich mußte nun weinen und konnte
-gar nicht mehr aufhören. Es kam ein Unbehagen
-über mich, das viel peinlicher war als die Furcht,
-die ich vorher gehabt hatte; es war mir nämlich
-so unheimlich, daß Lju nachtwandelt. Anders
-kann ich mir das Vorgefallene doch nicht erklären,
-als daß er somnambul ist. Er selbst hat mir
-eine andre Erklärung gegeben; er betrachte es als
-zu seiner Pflicht gehörig, sich zuweilen zu überzeugen,
-ob bei uns alles in Ordnung sei, und er
-sei schon öfters in unserm Schlafzimmer gewesen,
-besonders wenn er ein Geräusch zu hören geglaubt
-hätte. Das klingt ganz plausibel, und Du
-wirst vielleicht sagen, es müßte etwas Beruhigendes
-für mich haben, zu wissen, daß er so treu
-über uns wacht. Vorher würde ich das auch
-gedacht haben; aber ich sehe nun, daß die Vorstellung
-von einer Tatsache ganz etwas andres
-ist als die Tatsache selbst. Es ist mir nichts
-Beruhigendes, sondern etwas im höchsten Grade
-Unheimliches, daß ein Mensch plötzlich nachts in
-unserm Zimmer stehen kann, sei es nun, weil er
-nachtwandelt oder aus andern Gründen. Ich kann
-nicht mehr schlafen, weil ich immer denke, plötzlich
-<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
-steht er da und sieht mich aus diesen seltsamen
-grauen Augen an, die alle Körper zu
-durchdringen scheinen. Wenn ich eben eingeschlafen
-bin, schrecke ich entsetzt wieder auf. Der Einfall
-ist mir gekommen, er könnte durch das offene
-Fenster hereinsteigen; Du weißt doch, daß Nachtwandler
-überall, selbst auf der Kante des Daches,
-gehen können. Und das zu denken, ist mir unheimlich,
-ich kann nicht dagegen an. Ich möchte
-gern das Fenster schließen, aber Jegor will es
-nicht; er sagt, es wäre Unsinn, und ich müßte solche
-krankhafte Einbildungen unterdrücken. Schlangen
-könnten wohl an einer glatten Hausmauer hinaufkriechen,
-Nachtwandler nicht. Was meinst Du?
-Ich habe einmal gelesen, für Nachtwandler wäre
-das Gesetz der Schwere aufgehoben; Gott weiß es.
-</p>
-
-<p>
-Unglücklicherweise habe ich Jegor, der nicht
-aufgewacht war und nichts gehört hatte, alles erzählt.
-Er ist gut, aber meine Furchtsamkeit
-macht ihn ein wenig ungeduldig, weil er sie aus
-sich selbst nicht nachempfinden kann. Und dann
-allerdings machen ihn auch die Verhältnisse nervös,
-die eine gewisse Vorsicht vernünftigerweise doch
-nötig machen, die er seinem Temperament nach
-so ungern beobachten möchte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
-Die Kinder wissen von dem Vorfall nichts,
-denn ich möchte nicht, daß darüber bei Tisch gesprochen
-wird. Es scheint mir auch rücksichtsvoller
-gegen Lju zu sein, dem wir so viel verdanken;
-wenn sich das Gerücht verbreitete, er wäre Nachtwandler,
-würde es ihm bei den Leuten schaden.
-Und daß er nachts in unser Zimmer kommt, um
-uns zu bewachen, soll auch nicht bekannt werden.
-</p>
-
-<p>
-Katja, mein Goldkind, ist ein unverbesserlicher
-kleiner Teufel. Sie schilt bei jeder Gelegenheit
-über die Schließung der Universität, obwohl sie
-weiß, daß jetzt die politischen und geschäftlichen
-Dinge nicht berührt werden sollen, weil es Jegor
-aufregt. Mich wundert, ob Dein Peter einmal
-mit ihr fertig wird, es spricht für seinen Charakter,
-daß er es sich zutraut. Von Dir, Liebste,
-hat er nichts; er schlägt ganz Deinem Manne
-nach, und der hat ja sogar Dir zu imponieren
-verstanden, nicht wahr? Ach, meine Kleine ist
-noch zu kindisch, als daß ihr irgend etwas auf
-der Welt imponieren könnte. Ich wollte, es gelänge
-ihm, ihr Herz zu gewinnen, wäre es nur,
-damit sie Dich zur Schwiegermutter bekäme. Aber
-auch Dein Sohn würde ihr gut tun mit seiner
-Stämmigkeit und Wurzelfestigkeit. Jessika blüht,
-<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
-die Landluft tut ihr gut, sie ist unsre Hebe mit
-den Rosenwangen. Mich wird das kleine
-nächtliche Intermezzo auch nicht lange stören,
-hoffe ich. Sei gegrüßt und geküßt von Deiner
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-17">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 25. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebste Tante! Es ist sehr gut, daß ich hiergeblieben
-bin. Mama hat jetzt gerade eine Zeit,
-wo sie sich um nichts bekümmert als um ihren
-Jegor, unsern Vater. Und ein Geist muß doch
-über dem Haushalt schweben. In ein paar Tagen
-kommt unser Automobil, denke dir, Tante. Mama
-schlug im letzten Augenblick vor, wir wollten lieber
-doch keins haben, weil es gefährlich wäre, und
-das gab der Sache gerade den letzten kleinen
-Stoß, den es noch brauchte, um Papa zum Entschluß
-zu bringen. Denn nun sagte er, auf
-Mamas Aengstlichkeit dürfe keine Rücksicht genommen
-werden; sie müßte endlich einmal erzogen
-werden, sonst würde sie schließlich zu alt
-dazu. Einen Chauffeur will Papa nicht haben,
-das verteuerte die Geschichte, und er möchte keine
-fremden Leute ins Haus nehmen; unser Iwan
-<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
-soll sich dazu ausbilden. Welja sagte: &bdquo;Väterchen
-fährt ja schon mit der Kutsche in den Graben,
-wohin wird er erst mit dem Automobil fallen!&ldquo;
-Papa sagte, Welja sollte nicht übertreiben, Iwan
-wäre auch oft ganz nüchtern. Mama sagte mit
-einem Seufzer, hoffentlich wäre er es gerade dann,
-wenn wir ausfahren wollten. Ich schlug vor,
-wir wollten nur selten fahren, dann träfen wir
-gewiß gerade mit den oftmaligen Nüchternheiten
-Iwans zusammen. Das leuchtete Mama sehr ein,
-aber Katja schmetterte los, dazu hätte man kein
-Automobil, sie wolle alle Tage fahren und so weiter.
-Zum Glück sprang Lju ein und <a id="corr-0"></a>sagte, er wäre
-Dilettant im Automobilfahren und wollte sich noch
-mehr ausbilden, dann könnte er Iwan zuweilen ersetzen.
-Welja sagte nachher, als Papa nicht dabei
-war: &bdquo;Papa wird doch lieber mit Iwan fahren,
-weil er denkt, daß die Betrunkenen in Gottes Hand
-sind.&ldquo; Das ist doch ein Sprichwort, weißt du.
-</p>
-
-<p>
-Von unserm Iwan muß ich dir noch etwas
-erzählen. Welja sagte gestern mittag, er hätte
-ihn gefragt, was er von Lju hielte, eigens weil
-er gemerkt hätte, daß er ihn nicht leiden möchte.
-Iwan hätte Ausflüchte gemacht und nicht mit
-der Sprache heraus wollen. Welja hätte gesagt,
-<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
-Lju wäre doch freundlich, gerecht, hilfsbereit, gescheit,
-geschickt, was Iwan alles zugegeben hätte.
-Endlich hätte Iwan dann gesagt: &bdquo;Er ist mir zu
-gebildet.&ldquo; Darauf hätte Welja gesagt, Papa wäre
-doch auch gebildet; da hätte Iwan ganz listige
-Augen gemacht und den Kopf geschüttelt und gesagt:
-&bdquo;Das stellt sich äußerlich wohl so vor, aber
-im Grunde ist er nur ein guter Kerl wie unsereiner.&ldquo;
-Wir haben alle sehr gelacht, Lju am
-meisten, er war geradezu begeistert über die Bemerkung
-und sah allen erdenklichen Tiefsinn darin.
-Ob jemand ihn leiden mag oder nicht, danach
-fragt Lju gar nicht, das finde ich groß an ihm.
-</p>
-
-<p>
-Liebe Tante, ich singe Tristan, Isolde, Brangäne,
-König Marke und noch ein paar Heldenkräfte.
-Kannst Du Dir mich vorstellen? Papa hat nur
-einen unwilligen Seitenblick auf die Partitur geworfen,
-und ich singe natürlich nur, wenn er
-außer Hörweite ist.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-18">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 27. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Du meinst, daß ich vielleicht
-mittels des Automobils zum Ziele kommen
-könnte. Ja, wenn es sich so einrichten ließe,
-<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
-daß der Gouverneur das Genick bräche und ich
-das Handgelenk! Weißt Du, wie man das macht?
-Durch den Kopf gegangen ist mir der Gedanke
-natürlich, sowie von dem Automobil die Rede
-war, und ich habe im Hinblick darauf die Anschaffung
-befürwortet, habe mich auch anerboten,
-zuweilen den Chauffeur zu machen, was mit Beifall
-aufgenommen wurde. Es hat aber außer
-der erwähnten Schwierigkeit das gegen sich, daß
-ich mit dem Einüben viel Zeit verlieren müßte,
-wahrscheinlich ohne Erfolg und sicher ganz ohne
-Vergnügen für mich. Ich bin kein Sportsmann.
-Zeit und Aufmerksamkeit lasse ich mir solche
-Dinge nicht gern in hohem Maße kosten. Für
-die Luftschiffahrt würde ich mich etwa interessieren;
-aber das ist Arbeit und Tat, nicht Sport, und
-hat allerlei wissenschaftliche Haupt- und Nebenzwecke.
-Ein wenig werde ich mich aber doch mit
-dem Automobil befassen; es könnte auch der Fall
-eintreten, daß ich es zu schleuniger Flucht benutzen
-müßte.
-</p>
-
-<p>
-Ein andrer Einfall ist mir gekommen, von
-dem ich fühle, daß er ergiebig sein wird. Ich möchte
-wo möglich bei dem Akt selbst nicht persönlich beteiligt
-sein; es müßte also eine Maschine meine
-<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
-Rolle spielen. Nun schwebt mir vor, daß dies
-eine Schreibmaschine sein könnte. Das Nähere
-sage ich Dir, wenn der Plan etwas reifer in mir
-ist. Dann könnte es wohl sein, daß ich Deiner
-verständnisvollen Mithilfe bedürfte, damit die
-Maschine zweckentsprechend eingerichtet wird, ohne
-daß der Fabrikant etwas davon erfährt.
-</p>
-
-<p>
-Frau von Rasimkara ist seit jener Nacht verändert,
-blaß und beinahe etwas scheu, beständig
-in der Nähe ihres Mannes. Es ließe sich so
-erklären, daß mein Benehmen ihre Aengstlichkeit
-verdoppelt hat, weil sie den Schluß daraus ziehen
-mußte, ich hielte ihren Mann für sehr gefährdet.
-Vielleicht schläft sie seitdem nicht mehr gut.
-Vorher hatte meine Sicherheit und Sorglosigkeit
-beruhigend auf sie eingewirkt. Eine gewisse Zurückhaltung,
-die sie mir gegenüber weniger zeigt
-als wider ihren Willen verrät, könnte darin begründet
-sein, daß die Erinnerung an unser
-nächtliches Begegnen, das so seltsam, so flüchtig
-und doch so eindrucksvoll war, und das niemand
-außer uns weiß, sie verlegen macht oder wenigstens
-in irgendeiner Hinsicht bewegt. Verdacht
-gegen mich hat sie nicht, dessen bin ich sicher;
-sie behandelt mich im Gegenteil mit vermehrter
-<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
-Freundlichkeit und Rücksicht. Da sie jetzt fast
-immer um ihren Mann ist, bin ich mehr in die
-Gesellschaft der Kinder gedrängt, deren Vertrauter
-und teuerster Freund ich geworden bin.
-</p>
-
-<p>
-Du darfst dich in der nächsten Zeit nicht von
-Petersburg entfernen, da ich Deiner wegen der
-Schreibmaschine bedürfen könnte.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-19">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 28. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Heute hätte es beinahe eine
-Familienkatastrophe gegeben, bei der ich natürlich
-nicht aktiv war. Katja fing bei Tisch von den
-Universitätsgeschichten an; ihr könne es ja gleichgültig
-sein, denn sie braucht ihren Lebensunterhalt
-nicht zu verdienen, für die meisten wäre es
-aber verhängnisvoll, daß sie ihr Studium auf
-unbestimmte Zeit unterbrechen müßten. Papa
-sagte, noch verhältnismäßig ruhig und beherrscht,
-allerdings wäre das ein Unglück für viele; um so
-härter wären diejenigen zu verurteilen, die durch
-ihr aufrührerisches Tun mutwillig das Unglück
-über ihre Kollegen gebracht hätten. Jetzt aber
-sauste Katja los! Wie ein künstlicher Wasserfall,
-<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
-den man plötzlich springen läßt! Das wäre die
-Art ungerechter Despoten, die Opfer noch zu verleumden
-und die eigne Schuld auf sie abzuladen!
-Demodow und die andern wären Märtyrer, hinrichten
-und nach Sibirien schicken könnte man sie,
-nicht aber ihnen den Ruhm rauben, daß sie
-tapfer und selbstlos gehandelt hätten. Uebrigens
-hätten fast alle ebenso wie sie gedacht, Du
-zum Beispiel hättest auch die Absicht gehabt, den
-Kosaken Widerstand zu leisten, Du wärest nur
-durch einen Zufall auf dem Wege zur Universität
-aufgehalten, sonst könnte Papa Dich auch in die
-Bergwerke schicken. Mama gelang es endlich,
-sie zu unterbrechen, indem sie sagte, das würde
-Papa allerdings tun, wenn er es für seine Pflicht
-hielte; denn daran zweifele sie doch wohl nicht,
-daß Papa sich von seiner Pflicht leiten ließe,
-folglich dürfe sie auch seine Handlungen nicht
-kritisieren. Ich sagte: &bdquo;Mit deinem Spatzengehirn
-im Kopfe würde er natürlich anders handeln,&ldquo;
-worauf sie mir einen vernichtenden Blick zuwarf.
-Papa war ganz bleich und seine Augenbrauen
-sahen wie ein zackiger schwarzer Blitz aus, furchtbar
-stimmungsvoll; wenn es sich nicht um Katja
-gehandelt hätte, wäre ein Unwetter losgebrochen,
-<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
-das den ganzen Tisch und alle Stühle fortgeschwemmt
-hätte; so hielt er einigermaßen an sich.
-Und dann hebt Ljus Gegenwart eigentlich jede
-Katastrophe auf; seine überlegene Ruhe zerstreut
-gewissermaßen alle angesammelte Elektrizität, oder
-er hat so viel Kraft, daß er sie in sich sammeln
-und unschädlich machen kann. Er saß kühl wie
-Talleyrand dabei und bewies, daß jeder recht
-hätte, so daß alle schweigen und zufrieden sein
-mußten. Er sagte, selbstverständlich schließe die
-Maßregel der Universitätsschließung Ungerechtigkeiten
-ein, deshalb könnte sie aber vollständig
-gerecht sein innerhalb des Systems, zu dem sie
-gehöre. Er billige dies System nicht durchaus,
-er glaube, daß es sich überlebt habe, aber so
-lange es herrsche, müsse man mit seinen Gesetzen
-arbeiten. Papa sah Lju interessiert und etwas
-erstaunt an und fragte, wie das zu verstehen sei,
-daß er das System nicht billige. Keine Regierung
-sei fehlerlos, weil die menschliche Natur
-überhaupt fehlerhaft sei. Seiner Meinung nach
-sei es besser, dahin zu wirken, daß jeder seine
-Pflicht tue, anstatt die Irrtümer des Systems
-aufzudecken. Lju sagte, ohne den Grundsatz, daß
-jeder einzelne seine Pflicht zu erfüllen habe, könne
-<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
-kein gesellschaftliches System sich halten. Er
-glaube, das herrschende System habe den Fehler,
-das Pflichtgefühl nicht auszubilden, weil es lauter
-Gesetze und Vorschriften an dessen Stelle gesetzt
-habe. Dies sei für eine primitive Kultur berechtigt,
-jetzt aber sei das Volk keine Herde mehr,
-sondern bestehe aus Individuen. Kein Kunstverständiger
-werde die byzantinische Malerei mit
-ihren starren Formen nicht bewundern; man
-könne es vielleicht sogar beklagen, daß der Individualismus
-sie durchbrochen habe; man könne
-vielleicht sogar glauben und wünschen, daß man
-einmal auf irgendwelchen Umwegen dahin zurückkehre;
-aber verständigerweise könne man doch nicht
-die Entwicklung auf jene Stufe zurückdrehen wollen.
-</p>
-
-<p>
-Er sprach so liebenswürdig, galant und beinahe
-herzlich gegen Papa, daß der ganz angeregt
-wurde und lebhaft auf alles einging; ich glaube,
-er hatte das Gefühl, vollkommen einer Meinung
-mit Lju zu sein.
-</p>
-
-<p>
-Bei Tisch waren also die Fugen wieder eingerenkt;
-aber hernach ergoß sich Katjas zurückgehaltener
-Zorn gegen Lju. Er hätte sich verächtlich
-benommen, er hätte zu ihr halten müssen,
-denn er dächte ebenso wie sie. Was er gesagt
-<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
-hätte, möchte ganz schön sein, sie hätte es nicht
-verstanden, wolle es auch nicht verstehen, es
-wäre doch nur eine Brühe gewesen, um seine
-wahren Ansichten zu verkleistern. Von mir erwartete
-sie ja nichts andres, als daß ich falsch
-und feig wäre, aber ihn hätte sie für stolzer gehalten.
-Sie war zu niedlich, wie ein kleiner
-Vogel, der gereizt wird und sein Federschöpfchen
-sträubt, mit dem Schnabel um sich pickt und in
-den höchsten Tönen lospiepst. Lju fand sie
-offenbar auch niedlich, denn er ging sehr liebevoll
-auf ihren Kohl ein. Ich ging mitten darin fort,
-weil meine Dorfschönheit auf mich wartete.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe Papa eine Auswahl von den feinsten
-Süßigkeiten mitgebracht, die der Türke hat. Er
-fand sie ausgezeichnet und sagte, er hätte sich
-gleich gedacht, daß ich einen bestimmten Grund
-hätte, immer ins Dorf zu radeln. Er aß übrigens
-mehr davon als ich und wurde nicht einmal
-übel; er ist eigentlich ein großartiger Mensch,
-ich bin dekadent gegen ihn. Mit Lju kann er
-sich allerdings nicht vergleichen; er ist wie ein
-schöner Dolch mit kunstvollem Griff und einer
-mit Edelsteinen buntgeschmückten Scheide, wie sie
-zuweilen in Museen ausgestellt sind; Lju ist wie
-<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
-der schlichte Bogen des Apollo, der nie fehlende
-Pfeile entsendet. Schmucklos, schlank, elastisch,
-durch die vollendete Zweckmäßigkeit schön, ein
-Bild göttlicher Kraft, Treffsicherheit und Gewissenlosigkeit.
-Ach Gott, ich schreibe ja an ein silurisches
-Faultier und nicht an einen feinwitternden
-Griechen. Quäle Dich nicht mit der Durchdringung
-meiner poetischen Bilder und triumphiere
-nicht, wenn sie hinken sollten; ein Achilles, der
-hinkt, kommt immer noch eher an als ein Brontosaurus,
-der im Sande stecken bleibt.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-20">
-Katja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 30. Mai.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Wir sind nicht verlobt, ich
-habe Dir sogar einmal gesagt, ich würde Dich
-niemals heiraten; aber ich weiß ja, daß Du doch
-noch daran denkst, darum will ich Dir etwas
-sagen. Ich habe jetzt den Mann kennen gelernt,
-den ich heiraten werde, wenn ich überhaupt heirate.
-Den einzigen, den ich lieben kann. Frage nicht,
-wer er ist, frage überhaupt nicht weiter. Ich
-hätte Dir ja nichts davon zu sagen brauchen, ich
-<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
-tue es nur, weil ich Dich gern habe und Dich
-als meinen Freund betrachte, und weil Du mich
-seit unsrer Kindheit als Deine zukünftige Frau
-angesehen hast. Dafür kann ich freilich nichts.
-Wissen darf dies niemand außer Dir.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-21">
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 2. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Meine liebe Tatjana! Auf unsern einzig
-schönen Sommer fällt von irgendwoher ein kleiner
-Schatten. Vielleicht eben weil er so schön ist,
-muß er das Abzeichen seiner Erdennatur tragen.
-Jetzt sorge ich mich besonders um Jessika; ich
-kann es mir nicht mehr verhehlen, daß sie den
-Lju liebt. Ohne daß sie es weiß, richtet sich ihr
-ganzes Wesen nach ihm: ich könnte sagen, sie ist
-eine Art Sonnenuhr, von der man immer ablesen
-kann, wo ihr Gestirn steht. Er hat auch
-etwas Sonnenhaftes; es ist, als ob eine lebenzeugende
-Kraft von ihm ausginge, in der freilich
-auch Leben verdorren kann. Auf Welja und
-Katja übt er einen heilsamen Einfluß aus; er
-regt sie zum Denken, zu gesteigerter geistiger
-<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
-Tätigkeit an; für meine kleine Jessika, fürchte ich,
-sind seine Strahlen zu heiß. Sie muß Wärme
-haben, darf aber nicht mitten im Feuer stehen.
-So erscheint es mir wenigstens. Zuweilen kommt
-es mir so vor, als ob nicht nur in ihr ein Neigen
-zu ihm wäre, sondern als ob auch ihn ein leises
-Anziehen zu ihr hinzöge. Ob er sie liebt? Ich
-kann nicht umhin, mit ihr in meiner Seele aufzujubeln,
-wenn ich es zu bemerken glaube, denn
-eine Mutter fühlt jeden Schmerz und jedes Glück
-mit ihrem Kinde. Wäre es aber überhaupt
-wünschbar? Würde es ein Glück für sie sein?
-Ljus Ansichten und, was wichtiger ist, seine ganze
-Auffassung des Lebens weicht sehr von Jegors
-und meiner ab, das fühle ich. Auch den Kindern
-steht er nach Erziehung und Lebensgewohnheiten
-ferner, als sie selbst es ahnen. Vielleicht ist er
-uns gegenüber im Rechte; aber verbürgt das die
-Möglichkeit dauernden Zusammenlebens? Und
-was würde Jegor sagen? Er hat nichts gegen
-Lju, er ist frei von gewöhnlichen Vorurteilen;
-aber er möchte unsre Mädchen mit Männern
-verheiraten, deren Lebensführung ihm vertraut
-ist, mit denen wir alle zu einer Familie verwachsen
-können. Und dann, Liebste, daß er
-<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
-nachtwandelt! Das ist beinahe das Schrecklichste
-für mich. Ach Gott, es ist ja so töricht, aber
-manchmal wünsche ich, Lju wäre niemals zu uns
-gekommen oder er verließe uns wieder.
-</p>
-
-<p class="date">
-Nachmittags.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lju ist doch ein unheimlicher Mensch! Er
-hat Augen, die im Herzen lesen. Ich hatte eben
-den Satz geschrieben, als er kam und mir sagte,
-er fühle sich sehr wohl bei uns, er hätte auch
-das Gefühl, daß wir ihn gern hätten, aber er
-käme sich überflüssig vor und fände, daß es richtiger
-wäre, wenn er ginge; er möchte mit mir
-darüber sprechen. Er sprach so vertrauensvoll,
-so einfach, beinahe kindlich. Ich war ganz betroffen
-und sagte, meine Besorgnis um das Leben
-meines Mannes hätte sich allerdings allmählich
-gelegt; aber er wäre doch auch als Sekretär
-tätig, selbst schreiben könne mein Mann augenblicklich
-nicht &mdash; er leidet doch am Schreibkrampf
-&mdash; und er würde sich nur ungern an
-einen andern Herrn gewöhnen, auch sicher keinen
-von seiner, Ljus, Bildung und seinen Kenntnissen
-finden. Er sagte, darüber hätte er schon nachgedacht,
-für meinen Mann würde gewiß das
-zweckmäßigste sein, wenn er sich an eine Schreibmaschine
-<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
-gewöhnte, dann wäre er von niemand
-abhängig, und er hätte doch so manche Korrespondenzen,
-die womöglich geheimbleiben sollten.
-Diesen Gedanken lobte ich sehr &mdash; ich finde ihn
-wirklich höchst vernünftig &mdash; und sagte, eine
-Schreibmaschine könnte sich ja Jegor anschaffen,
-es würde aber wohl eine gute Weile dauern, bis
-er damit umzugehen verstände, wenn er es überhaupt
-wollte, und auch sonst würde er dadurch
-doch nicht ganz ersetzt werden. Etwas andres
-wäre es natürlich, wenn er aus irgendeinem
-Grunde seinetwegen fort wollte. Darauf sagte
-er, wenn es im Leben auf Glücklichsein ankäme,
-würde er sein ganzes Streben darauf richten,
-immer bei uns bleiben zu können. Er hätte bei
-uns eine Art des Glückes kennen gelernt, an die
-er vorher nicht geglaubt hätte; er hätte unauslöschliche
-Eindrücke empfangen. Aber er hielte
-es für die Bestimmung des Menschen oder
-wenigstens für seine, tätig zu sein, zu wirken, an
-großen Zielen zu bauen. Er wäre wie ein Pferd,
-das, wenn es ihm noch so wohl vor seiner Krippe
-voll Hafer wäre, der Trompete folgen müßte, die
-zur Schlacht riefe; er glaubte in der Ferne den
-Ruf der Trompete gehört zu haben. Ich fragte:
-<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
-&bdquo;Haben Sie etwas Bestimmtes vor? Wollen
-Sie uns sofort verlassen?&ldquo; Nein, sagte er, so
-wäre es nicht gemeint. Er hätte nur von mir
-bestätigt hören wollen, daß er überflüssig hier
-wäre, und ich wäre freimütig genug, ihm das
-zuzugestehen. Er würde sich nun überlegen,
-wohin er gehen wollte. Inzwischen könnte
-mein Mann sich eine Schreibmaschine kommen
-lassen und versuchen, ob er Geschmack daran
-fände.
-</p>
-
-<p>
-Ja, siehst Du, Tatjana, nun bin ich betrübt,
-daß es so gekommen ist. Meine kleine Jessika!
-Weißt Du, was ich glaube? Es ist Jessikas
-wegen, daß er fort will. Daß sie ihn liebt, muß
-er bemerkt haben; entweder er erwidert das Gefühl
-nicht, oder er will im Bewußtsein seiner
-Armut und seiner unselbständigen Lage nicht um
-sie anhalten und hält es für seine Pflicht, sie zu
-meiden. Das ist edel gehandelt und besonders
-fein die Art und Weise, wie er es ausführt.
-Er hat nichts angedeutet, nichts erschwert, alles
-geebnet. Er ist mir nie so liebenswert erschienen,
-und ich empfinde Schmerz für Jessika, trotzdem
-ist mir leichter zumute, nun ich sehe, daß der
-Konflikt &mdash; wenn einer vorhanden ist &mdash; sich
-<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
-lösen läßt. Was für ein Schreibebrief! Hast
-Du Geduld bis zu Ende gehabt?
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Schwägerin<br />
-Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-22">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-7. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Geliebteste Tante! Du hast lange keine Nachricht
-von uns gehabt? Und ich habe das Gefühl,
-Dir erst gestern geschrieben zu haben, auf
-so leichten und schnellen Füßen laufen diese
-Sommertage. Und wenn man sogar noch ein
-Automobil davorspannt! Lju hat uns einmal
-spazierengefahren, aber nicht lange, weil er noch
-nicht sicher ist. Unser Iwan kann noch weniger
-als er, obwohl er täglich ein paar Stunden damit
-herumturnt. Papa möchte auch gern selbst
-lenken, Mama will es aber nicht, weil es die
-Nerven angreife, sie wüßte aufs bestimmteste,
-daß zwei Drittel aller Chauffeure durch Wahnsinn
-oder Selbstmord infolge von Nervenzerrüttung
-endeten. Papa versuchte zwar das
-Argument anzugreifen, aber wir schrien im Chore,
-er müßte sich für Staat und Familie erhalten,
-<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
-und einstweilen hat er nachgegeben. Er hat ja
-nun auch einen andern Sport, nämlich die
-Schreibmaschine. Gestern abend nach dem Essen
-saßen wir in der Veranda. Es war so schön,
-wie es nirgends sonst als hier ist; über uns im
-Schwarz des Himmels schimmerten die feuchten
-Sterne und um uns her im Dunkel der Erde
-die bleichen Birken. Wir saßen still und jedes
-träumte seine eignen Träume, bis Mama Lju
-fragte, weil er doch alles wisse, sollte er sagen,
-was für Schlangen es in dieser Gegend gäbe.
-Er nannte augenblicklich eine Reihe lateinischer
-Namen und sagte, es wären alles Ottern und
-Vipern, harmlose, ungiftige Geschöpfe. Ich dachte
-bei mir, ob es diese Namen wohl überhaupt gäbe,
-aber Mama hielt alles für Evangelium und war
-sehr angenehm davon berührt. Papa hätte nämlich
-neulich gesagt, erzählte sie, an der glatten Mauer
-eines Hauses könnte niemand hinaufkriechen außer
-Schlangen, und seitdem könnte sie die Vorstellung
-nicht mehr los werden, wie der feste, glatte,
-klebrige Schlangenleib sich am Hause heraufzöge,
-und sie könnte oft nachts nicht davor einschlafen.
-Welja sagte, er begriffe nicht, wie man sich vor
-Schlangen fürchten könnte, er fände sie schön,
-<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
-anmutig, schillernd, geheimnisvoll, gefährlich, und
-er würde sich in keine Frau verlieben können,
-die nicht etwas von einer Schlange hätte. Katja
-sagte: &bdquo;Du Kalb!&ldquo; und Lju sagte, ich hätte etwas
-von einer Schlange, nämlich das lautlos Gleitende
-und Mystische. Dann erzählte er ein südrussisches
-Märchen von einer Schlange, das sehr grausig
-war. Ein Zaubrer liebte eine Königstochter,
-die in einen hohen Turm eingesperrt war. Um
-Mitternacht kroch er als Schlange am Turm
-herauf durch das Fenster in ihr Gemach, dort
-nahm er wieder seine Menschengestalt an, weckte
-sie und blieb in Liebe bei ihr bis zum Morgen.
-Einmal aber schlief die Königstochter nicht und
-wartete auf ihn; da sah sie plötzlich mitten im
-Fenster im weißen Mondschein den schwarzen
-Kopf einer Schlange, flach und dreieckig auf
-steilem Halse, die sie ansah. Darüber erschrak
-sie so sehr, daß sie ohne einen Laut ins Bett
-zurückfiel und starb. Gerade in diesem Augenblick
-klingelte es heftig an der Gartentür, wo ein
-alter, verrosteter Klingelzug ist, der fast nie gebraucht
-wird und deswegen in Vergessenheit geraten
-ist. Wir wunderten uns alle, daß Mama
-nicht auch umfiel und tot war. Papa stand auf,
-<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a>
-um an die Gartentür zu gehen und zu sehen,
-was es gäbe, Mama sprang auch auf und sah
-Lju flehend an, damit er zuerst dem Mörder die
-Stirn böte, wenn einer da auf Papa wartete,
-und weil das Aufstehen und die ersten Schritte
-bei Papa immer etwas mühsam sind und Lju
-sehr schnell laufen kann, kam er zuerst an und
-empfing den Paketboten, der eine Kiste trug. Er
-sagte, es würde eigentlich nichts mehr ausgetragen,
-aber der Postmeister hätte gesagt, die Kiste sei
-aus Petersburg und enthalte vielleicht etwas
-Wichtiges, und weil es der Herr Gouverneur sei,
-für den der Postmeister eine besondere Verehrung
-habe, hätte er sie ihm doch noch zustellen wollen.
-Na, der Bote bekam ein Trinkgeld, und in der
-Kiste war die Schreibmaschine. Lju packte sie
-gleich aus und fing an zu schreiben, Papa wollte
-auch, konnte aber nichts, wir probierten alle,
-konnten es aber ebensowenig, nur ich &mdash; ungelogen
-&mdash; ein bißchen, und dann sahen wir zu,
-wie Lju schrieb. Nach einer Weile probierte
-Papa noch einmal, und wie Lju sagte, er hätte
-Talent, war er ganz zufrieden. Mama war
-geradezu selig und sagte, sie hätte sogar die
-Schlange vergessen, so hübsch wäre die Schreibmaschine.
-<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
-Welja sagte: &bdquo;Was wollt ihr denn
-eigentlich mit der Scharteke?&ldquo; Und Katja sagte,
-wenn man doch schon einmal die Finger gebrauchen
-müßte, könnte man gerade so gut
-schreiben, sie sähe den Zweck davon nicht ein;
-sie wurde aber überstimmt.
-</p>
-
-<p>
-Bist Du nun <span class="antiqua">au fait</span>, einzige Tante? Nun
-sage ich Dir nur noch, daß die Rosen zu blühen
-anfangen, die Zentifolien und die gelben Kletterrosen,
-die so merkwürdig riechen, und die wilden
-Rosen auch, und daß die Erdbeeren reifen, ferner,
-daß Papa in der umgänglichsten Stimmung ist und
-neulich sogar gefragt hat, ob denn diesen Sommer
-gar kein Besuch käme!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-23">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 9. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ja, Du bist mein Freund,
-das empfinde ich. Du ehrst und schätzest dasjenige
-in mir, was wir für das Höhere halten,
-und kennst und liebst doch auch das andre, den
-Urstrom des Ahnenblutes, dessen unfaßbare Verzweigungen
-überall eingreifen und mich leiden
-machen. Daß ich leide, will ich Dir nicht verhehlen,
-<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
-auch hast Du es längst bemerkt. Vielleicht
-habe ich noch nie so gelitten, aber daß es
-überwunden werden wird, weiß ich auch. Ich
-habe alle diese Menschen vom ersten Augenblick
-an, da ich in ihre Mitte trat, zu beherrschen gesucht,
-daraus folgt alles übrige; denn auch der
-Herrscher ist gebunden, nicht nur der Beherrschte.
-Was mir gelungen ist, ist ebenso verhängnisvoll
-für mich geworden wie das, woran ich scheiterte.
-Den Gouverneur kann ich vielleicht täuschen, aber
-ich habe keinen Einfluß auf ihn. Es kränkt ein
-wenig meine Eitelkeit, hauptsächlich beklage ich es
-aber wegen alles dessen, was daraus folgt. Der
-Mann übt einen Zauber aus, für den ich nicht
-unempfänglich bin, obwohl er von Kräften ausgeht,
-die ich nicht für die höchsten halte. Man
-sieht die Merkmale eines Geschlechtes an ihm,
-in welchem das Lebensfeuer stärker und schöner
-brannte als in den gemeinen Menschen. Er ist
-etwas in sich Vollendetes, wenn auch durchaus
-nicht vollendet überhaupt. Gerade seine Unzugänglichkeit
-gefällt mir; ich glaube, er ist im
-Kampfe des Lebens gewachsen, fester und härter
-geworden, aber er hat sich nicht erweitert, hat
-nichts Neues in sich aufgenommen. Das ist beschränkt,
-<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
-aber es verleiht eine gewisse Intensität.
-Verloren hat er auch nichts; er hat noch viel
-von der Torheit, von dem Eigensinn und der
-Innigkeit der Kindheit an sich, was der in der
-Regel nicht behält, der sich viel Neues und
-Fremdes aneignet. Sein Ich ist ganz, so saftreich
-und gesammelt und stolz, daß es einen
-schmerzt, daran zu tasten; und gerade weil es so
-ist, muß ich ihn zerstören. Einmal faßte ich die
-Hoffnung, ich könnte ihn gewinnen, könnte ihm
-andre Ansichten eröffnen. Ich schrieb Dir nichts
-davon, es lag mir allzusehr am Herzen, und ich
-ahnte schon, daß es vergebens sein würde. Mein
-Gott, dieser Mann, diese heiße, blinde Sonne!
-Ich rolle wie ein Komet neben ihm her, und er
-ahnt nicht, daß der Augenblick, wo unsre Bahnen
-zusammenstoßen, ihn in Stücke reißen wird! Von
-den Kindern laß mich schweigen. Besser, viel
-besser wäre es gewesen, ich hätte auf den Vater
-so gewirkt wie auf sie. Das klingt albern; es ist
-ja natürlich, daß die Jugend leichter zu beeinflussen
-und zu beherrschen ist als das Alter;
-aber hätte nicht einmal, durch Zufall oder
-Wunder, das Umgekehrte stattfinden können?
-Da es nicht der Fall ist, versuche ich daran zu
-<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
-denken, daß ich keine Wahl habe, daß ich tun
-muß, was ich für notwendig erkannt habe, daß
-die Heilkraft der Jugend überschwenglich ist, daß
-es diesen spielenden Kindern vielleicht nützlich ist,
-vom Schicksal aufgerüttelt zu werden. Ach Gott,
-was heißt nützlich? Sie waren so wundervoll
-in ihrem Traumleben! Freilich, einmal muß
-es doch enden. Kinder mit Runzeln und gebeugten
-Rücken sind Zerrbilder, und beizeiten
-muß die Umbildung beginnen. Vielleicht kann
-sogar ich selbst ihnen bei der Veränderung hilfreich
-zur Seite stehen. Was ein Mensch wollen
-kann, ist möglich; nur zum Wollen gehört
-Kühnheit.
-</p>
-
-<p>
-So werde ich Dir nun nicht wieder schreiben.
-Auch rechne ich darauf, daß Du mich nicht mißverstehst.
-Zweifel ist nicht in mir. Antworte mir
-auch nicht auf alles dies! Trösten kann mich
-niemand, und daß Du mich verstehst, weiß ich
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-24">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 11. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Sei morgen oder übermorgen
-zu Hause, wenn du einen historischen Augenblick
-<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
-erleben willst. Unser treuer Iwan ist mit dem
-Automobil in den Graben gefallen, was von
-ihm auf die Tücke des Vehikels, von uns auf die
-des Branntweins geschoben wird. Da er nebst
-Automobil mehrere Stunden im Graben gelegen
-hat, war er ziemlich nüchtern, als er heimkam,
-und die Streitfrage ist nicht mehr zu entscheiden.
-Das Automobil hat mehr gelitten als er, es sieht
-aus wie eine Schildkröte ohne Schale; laufen
-kann es aber. Mama war ganz zufrieden mit
-dem Ergebnis und fand, wir möchten es so
-lassen, bis Iwan ganz erprobt wäre, damit er
-uns nicht auch noch in den Graben führe. Papa
-hingegen sagte, in diesem Zustande könnte er das
-Automobil nicht auf die Straße lassen, auch
-wenn niemand als Iwan darinsäße, das würde
-seinem Ansehen schaden, es wäre geradeso, als
-ob seine Töchter mit durchlöcherten Kleidern ausgingen.
-Hierdurch überzeugt, beschlossen wir, daß
-das Automobil repariert werden müsse, und Lju
-hat sich erboten, das Wrack in die Stadt zu
-fahren und das Nötige zu veranlassen. Jessika
-will gern mitfahren, aber Lju will es nicht, weil
-es bei dem schadhaften Zustande nicht sicher
-wäre. Seitdem geht sie mit einem wehleidigen
-<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
-Gesicht herum; denn sie ist natürlich in Lju
-verliebt. &bdquo;Natürlich&ldquo; sage ich, weil in einen
-Mann wie Lju, dessen Willenskraft jedes Atom
-seiner Materie durchdringt, sich alle verlieben
-müssen. Mir ist eigentlich alles einerlei, sogar
-wenn ich verliebt bin, ist es mir im allertiefsten
-Grunde einerlei, ob ich sie habe oder
-nicht.
-</p>
-
-<p>
-Auch das hat einen gewissen Reiz für manche
-Frauen; aber das wahrhaft Unwiderstehliche ist
-der Wille. Niemand kann dagegen an, es ist die
-Schwerkraft der Seele. Lju hat in bezug auf
-alles einen bestimmten Willen. Ich hielte eine
-solche Lebensweise nicht ein Jahr lang aus, und
-er treibt es schon achtundzwanzig Jahre so und
-wird wahrscheinlich sehr alt werden. Ob er sich
-für einzelne Frauen auf die Dauer interessieren
-kann, bezweifle ich; die Vielweiberei müßte für
-ihn eingeführt werden. Er würde sich nicht viel
-um sie bekümmern, aber an einem Satz, den er
-mal im Vorbeigehen fallen ließe, würden sie
-wochenlang saugen und damit zufrieden sein.
-Also er wird Deiner Mutter einen Besuch machen,
-sieh Dir ihn an!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-25">
-<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 11. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ich komme morgen oder
-übermorgen nach Petersburg und rechne darauf,
-Dich zu treffen. Es handelt sich um die
-Einrichtung der Schreibmaschine, worüber ich
-am liebsten mündlich mit Dir verhandeln
-will; sie kann explosiv wirken oder mit einem
-Revolverschuß geladen werden. Im letzteren
-Falle würden wir aber nicht sicher sein, ob
-die Kugel ihr Ziel träfe. Ich werde sie demnächst
-unter dem Vorwande einer Reparatur
-an die Fabrik schicken, wo sie gekauft worden
-ist. Sie muß dorthingehen und von dort zurückexpediert
-werden, damit bei einer späteren
-Untersuchung keine Spur zu mir führt. Deine
-Sorge muß es sein, daß sie nicht abgeht, ohne
-zu unserm Gebrauch eingerichtet zu sein; also
-wirst Du über einen Angestellten der Fabrik
-oder über einen Angestellten der Bahn verfügen
-müssen. Es eilt nicht, Du kannst
-Deine Vorkehrungen mit ruhiger Ueberlegung
-treffen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-26">
-<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 12. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Geliebteste Tante! Ich wollte Dich gern besuchen,
-aber ich soll nicht! Ich wäre so gern
-mit dem zerfetzten Automobil bei Dir vorgefahren,
-gerade weil es so schrecklich kaput ist. Denke
-Dir, ich hätte mich so hübsch wie möglich gemacht
-und wäre aus dem zersplitterten Kasten
-herausgestiegen wie eine Dryade aus einem
-hohlen Baumstamme. Und vor allen Dingen,
-ich hätte Dich gesehen, ich hätte meinen Charakter
-an der schweren Aufgabe gestählt, Deine blühenden
-Wangen, Deine mit dem Schmelz ewiger Jugend
-gepuderte Haut neidlos zu bewundern. Meine
-Wangen sind, fürchte ich, augenblicklich blaß und
-tränennaß, so enttäuscht bin ich, daß ich nicht
-mitfahren kann.
-</p>
-
-<p>
-Wir werden nun ohne Beschützer sein, Tante.
-Ich habe vorgeschlagen, wir drei könnten Tag
-und Nacht Fangen ums Haus spielen, dann
-könnte sich gewiß niemand ungesehen ins Haus
-einschleichen. Der gute Welja war auch bereit
-dazu, aber Katja nicht; sie sagte, sie wäre doch
-kein Kind mehr! Lju bringt Dir diesen Brief.
-<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
-Laß Du Dich unterdessen von ihm beschützen,
-wenn Du es auch nicht nötig hast.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-27">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 14. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Wenn ich nicht sehr tätig bin, kommt es im
-Grunde daher, daß meine Familie immer zur
-Betrachtung einlädt. Durch Anpassung an die
-bewegten Verhältnisse hat sich mein beschauliches
-Temperament herausgebildet; wenn ich auch noch
-mitagierte, würde es zu toll. Heute ist wieder
-der Teufel los. Ich saß, noch erschöpft von
-gestern &mdash; denn seit Lju fort ist, muß ich immer
-bis Mitternacht auf der Lauer liegen, weil Mama
-Gefahren wittert &mdash;, also ich saß in der Bibliothek
-und blätterte in einem Buche, als Katja wie
-ein wirbelnder Federball herein und ans Telephon
-gestürzt kam. Damit Dein Gehirn nicht ebenso
-erschüttert wird, wie meins bei dieser Gelegenheit
-wurde, will ich Dir zur Erklärung voranschicken,
-daß Katja soeben Jessika dabei betroffen hatte,
-daß sie einen Brief an Lju schrieb, und daß
-Jessika, von Katja zur Rede gestellt, damit herausgeplatzt
-<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
-war, sie liebte Lju und wäre so gut wie
-verlobt mit ihm. Ich mußte dies schließen und
-erraten, was ich Deinem Walfischschädel nicht
-zumuten will.
-</p>
-
-<p>
-Also Katja verbindet sich mit Petersburg.
-Ich frage, mit wem sie reden will. Mit Lju,
-obgleich mich das nichts anginge. Ich sage, du
-kannst doch wohl so lange warten, bis er wieder
-hier ist, so wichtig wird es nicht sein. Sie:
-&bdquo;Kannst du das beurteilen? Hier werde ich überhaupt
-nicht mehr mit ihm sprechen und bedaure,
-es jemals getan zu haben.&ldquo; Ich: &bdquo;Alle Heiligen!&ldquo;
-In dem Augenblicke klingelt das Telephon, Katja
-ergreift es. &bdquo;Sind Sie da? Quak, quak, quak ...
-Ich will Ihnen nur sagen, daß ich Sie verachte!
-Quak, quak ... Sie sind ein Heuchler, eine
-Qualle, ein Judas! Quak, quak, quak, quak.
-Bitte, leugnen Sie nicht! Sie haben die Stirn,
-sich zu verteidigen? Sie haben mich genug belogen!
-Ich werde Jessika aufklären. Für einen
-solchen Elenden ist sie trotz ihrer Schwachheit zu
-gut. Quak, quak, quak, quak, quak ... Sie
-halten mich für dümmer, als ich bin. Sie glauben,
-Sie allein wären klug und alle andern wären
-schwachsinnig, aber vielleicht ist es umgekehrt!&ldquo;
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
-Dies alles trompetete Katja mit so gellender
-Stimme, daß Papa und Mama es hörten,
-glaubten, es wäre etwas passiert, und herbeigelaufen
-kamen. Beide hören erstaunt zu und
-fragen: &bdquo;Was bedeutet das? Mit wem spricht sie
-denn?&ldquo; Ich: &bdquo;Ach, mit Lju, sie hat sich ein bißchen
-über ihn geärgert.&ldquo; Katja am Telephon: &bdquo;Ich du
-zu Ihnen sagen? Zu einem so abgefeimten, zweizüngigen
-Charakter, wie Sie sind? Niemals!&ldquo;
-Papa und Mama: &bdquo;Aber um Gottes willen, was
-hat er denn getan?&ldquo; Ich: &bdquo;Ach, sie hat eine
-Karte von ihm bekommen mit der Adresse Katinka
-von Rasimkara, und das betrachtet sie doch nun
-einmal als Beleidigung, wenn man ihren Namen
-Katja von Katinka ableitet.&ldquo; Papa und Mama
-entzückt: &bdquo;Das ist ganz Katja!&ldquo; Beide wollen
-sich totlachen. Katja dreht sich um. Ich: &bdquo;Täubchen,
-ruh dich doch mal aus!&ldquo; Katja mit
-einem vernichtenden Blick auf mich: &bdquo;Affe!&ldquo;
-Dann ab.
-</p>
-
-<p>
-Ich stürze ans Telephon, erwische Lju noch
-und gebe ihm das Versprechen, beruhigend zu
-wirken. Er sagte mit einem durchs Telephon zu
-Herzen gehenden Seufzer: &bdquo;Du bist das Oel auf
-den Sturmwogen deiner Familie; ohne dich würde
-<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
-man seekrank.&ldquo; Das Gespräch schien ihn sehr
-mitgenommen zu haben.
-</p>
-
-<p>
-Ob er von euch aus gesprochen hat, weiß ich
-gar nicht; es wäre sehr belustigend, wenn Du
-die andre Hälfte des Gespräches mit angehört
-hättest. Das ist sicher, Katja ist fertig mit Lju,
-wenn auch ihre Wut mit der Zeit nachlassen
-wird. Ob sie nun, nachdem sie mit der Intelligenz
-gebrochen hat, wieder für Deinen Stumpfsinn
-schwärmen wird, darüber läßt sich noch
-nichts sagen, rechne nicht zu bestimmt darauf.
-Uebrigens gedeiht sie vortrefflich bei ihrer Enttäuschung;
-zu beklagen ist nur die arme kleine
-Jessika. Sie kommt mir vor wie ein kleiner
-Vogel, dem sein Nest zerstört ist, der Sturm und
-Regen ergeben über sich ergehen läßt, erschrocken
-und behutsam piepst und zuweilen mit dem zerzausten
-Köpfchen hervorlugt, ob es noch nicht
-besser wird. Ich glaube, zuerst hat sie stundenlang
-geweint, ihr Gesicht zitterte noch lange
-nachher. Sie hat etwas so Süßes wie eine überreife
-Feige und etwas so Weiches wie eine Schneeflocke,
-die einem in der Hand zerschmelzen will.
-Es wäre für sie sehr gut, wenn Du sie heiratetest;
-aber Dir ist nun einmal zuerst Katja eingefallen,
-<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
-und nach dem Gesetz der Trägheit, das Dich beherrscht,
-rollst Du damit durch dick und dünn
-und hältst es für Charakter. Für Dich ist es
-ja ziemlich einerlei, wen Du betreust; aber für
-Jessika wäre es gut, wenn sie durch die Dickhaut
-Deiner saurischen Person vor der Welt geschützt
-wäre, während Katja eine solche antediluvianische
-Mauer nicht nötig hat und sie vielleicht auf die
-Dauer sogar nicht gut aushalten könnte. Ich
-will aber nicht so töricht sein, jemand Vernunft
-zu predigen, der keine hat.
-</p>
-
-<p>
-Katja hat Einsicht genug, um Papa und
-Mama den wahren Sachverhalt zu verschweigen;
-aber wenn Papa sie mit Katinka anredet, um sie
-zu necken, wirft sie mir zornige Blicke zu, was die
-andern erst recht ins Lachen bringt. Lebe wohl!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-28">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 17. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Es war durchaus zweckmäßig,
-daß ich Frau Tatjana bewogen habe,
-mit mir nach Kremskoje zu fahren; der Einfluß,
-den ich auf sie ausübe, hat auf den Gouverneur
-<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
-und seine Familie Eindruck gemacht, weil sie
-diese Verwandte sehr bewundern, die in der Gesellschaft
-eine große Rolle spielt. Sie ist schön
-und hat Geist genug, um zu wissen, wieviel davon
-eine Frau merken lassen darf. Ihr Verstand ist
-gut, wenn auch nicht ausgebildet. Sie liebt die
-geistigen Genüsse, die man ohne Anstrengung
-haben kann, deshalb bevorzugt sie zum Umgang
-kenntnisreiche und denkende Menschen, die das
-Ergebnis ihrer Gedankenarbeit in anregende
-Form zu kleiden wissen. Ihre Vorurteilslosigkeit
-würde man noch mehr bewundern, wenn sie
-etwas dadurch riskierte; aber der ganz unpolitischen
-Dame läßt man gern die Freiheit, das
-Gesellschaftseinerlei durch naive Offenheiten zu
-kolorieren.
-</p>
-
-<p>
-Ihr Sohn Peter, der seit seiner Kindheit
-Katja liebt und unbeeinflußt durch die Tatsache,
-daß sie seine Neigung nicht erwidert, dabei verharrt,
-hat, oberflächlich betrachtet, etwas von den
-gutmütigen Riesen des Märchens. Aus einer Art
-von kindlicher Menschlichkeit und naivem Gerechtigkeitssinn
-zählt er sich zur revolutionären
-Partei. Trotzdem er eifersüchtig auf mich ist, da
-seine Cousine mich ihm vorzieht, kam er mir,
-<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
-wenn auch nicht gerade herzlich, doch mit anständiger
-Vorurteilslosigkeit entgegen. Er hat
-mit einigen andern Studenten, die, wie er, über
-bedeutende Mittel verfügen, medizinische Privatkurse
-eingerichtet, um sich und seinen Kollegen die
-Fortsetzung des Studiums zu ermöglichen, zugleich
-natürlich, um gegen die Maßregel der
-Regierung zu protestieren. An diesen Kursen, die
-nächstens beginnen werden, will Katja teilnehmen.
-Der Gouverneur wußte bis jetzt nichts davon
-und ist empfindlich betroffen, daß ein solches
-Unternehmen von seinem Neffen ausgeht, und
-vollends, daß Katja sich daran beteiligen will.
-Da er gegen Katja nicht gut streng sein kann,
-begann er damit, seiner Schwester Tatjana Vorwürfe
-zu machen, daß sie ihren Sohn nicht von
-so ärgerlichen Donquichotterien zurückhielte. Sie
-lächelte wie ein Kind und sagte, ihr Sohn wäre
-ein erwachsener Mensch, sie könne ihn nicht am
-Gängelbande führen, überhaupt sollte man sie
-mit politischen Dingen, von denen die Frauen doch
-ausgeschlossen wären, in Ruhe lassen. Warum
-sollte sie sich ein Urteil bilden, das sie doch nicht
-geltend machen könnte? In Gesellschaft besonders
-sollten Gespräche über politische Dinge verboten
-<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
-sein, bei denen auch der klügste Mann plötzlich
-ein beschränkter und borstiger Esel würde. Uebrigens
-schiene es ihr eigentlich erlaubt zu sein, daß,
-wenn der Staat ihm die Mittel dazu nähme, ein
-junger Mann sich auf eigne Hand die zu seinem
-Berufe nötige Bildung zu verschaffen suchte, denn
-eine Tätigkeit müsse ein Mann doch einmal haben.
-</p>
-
-<p>
-Katja fiel ein, es wäre empörend, die Schulen zu
-schließen, was die Regierung sich einbildete, die Universitäten
-wären unabhängige Körperschaften, ob
-schließlich auch die Eltern den Zaren um Erlaubnis
-fragen sollten, ehe sie die Kinder lesen und
-schreiben lehren dürften.
-</p>
-
-<p>
-Der Gouverneur sagte, wenn die Universität
-sich damit begnügt hätte, Wissenschaft zu lehren,
-würde die Regierung sie respektiert haben, aber
-indem sie sich in die öffentlichen Angelegenheiten
-gemischt und Partei ergriffen hätte, hätte sie sich
-ihres Rechtes auf Unantastbarkeit begeben. Die
-Härte, welche die Maßregel mit sich brächte,
-würde dadurch nicht ausgeglichen, daß einige,
-denen ihr Vermögen es erlaubte, sich den Unterricht
-auf privatem Wege verschafften, dessen Wegfall
-für Unbemittelte ohnehin viel schädlicher wäre.
-Da fuhr aber Katja los: &bdquo;Du kennst Peter schlecht!
-<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
-Der verschafft sich keine Vorteile vor den Armen!
-Im Interesse der Unbemittelten hat er die Kurse
-hauptsächlich eingerichtet! Es können alle daran
-teilnehmen, auch die nicht zahlen können!&ldquo; Der
-Gouverneur wurde dunkelrot und sagte, dann
-wäre die Sache schlimmer, als er geahnt hätte.
-Er hätte geglaubt, es handelte sich gewissermaßen
-um Privatstunden, dies wäre aber eine Gegenuniversität,
-eine Herausforderung, ein revolutionärer
-Akt. Er hätte nie für möglich gehalten, daß sein
-eignes Kind sich in die Reihen seiner Gegner stellte.
-</p>
-
-<p>
-Ich habe ihn noch nie so zornig gesehen.
-Seine Stirn zog sich dicht zusammen, seine Nase
-schien zu flammen wie ein frisch geschliffener Dolch,
-es war eine unheimliche Atmosphäre um ihn, wie
-wenn ein Hagelwetter im Anzuge ist. Katja
-fürchtete sich ein wenig, hielt aber tapfer stand,
-Tatjana wunderte sich unbefangen und kindlich
-lächelnd weiter, daß er die Sache so ernst auffaßte.
-Frau von Rasimkara sah traurig aus;
-ich weiß nicht, was sie dachte, aber ich glaube,
-sie war außer mir die einzige, die das Gefühl
-eines unabwendbaren Verhängnisses hatte. Nicht
-aus einem bestimmten Grunde, nur weil sie liebt,
-und wer liebt, fürchtet und ahnt.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
-In dem unangenehmsten Augenblick sagte ich
-zum Gouverneur, er möchte doch Welja und Katja
-ins Ausland schicken; er hätte doch sowieso die
-Absicht, sie eine Zeitlang an ausländischen Universitäten
-studieren zu lassen, und sie bereiteten
-ihm dann hier keine Aergernisse mehr. Dieser
-Vorschlag heiterte die Gewitterstimmung auf.
-Welja war bezaubert. &bdquo;Ja, Papa,&ldquo; sagte er,
-&bdquo;alle vornehmen jungen Leute werden ins Ausland
-geschickt, wenn etwas aus uns werden soll,
-mußt du es auch tun. Ich bin für Paris.&ldquo;
-Frau Tatjana sagte: &bdquo;Ich gebe euch Peter mit,
-damit ein vernünftiger Mensch dabei ist. Und
-für Peter ist Paris notwendig, es fehlt ihm an
-Grazie.&ldquo; Der Gouverneur beschränkte seinen
-Widerspruch darauf, daß er Berlin für angemessener
-als Paris erklärte; aber der Vorschlag
-leuchtete ihm sichtlich ein, und ich bin überzeugt
-er wird zur Ausführung kommen. Gemacht habe
-ich ihn, damit Katja und Welja abwesend sind,
-wenn das Unglück geschieht; Jessika zu entfernen
-wird sich auch noch ein Vorwand finden.
-Ich denke, die Sache wird nun schnell fortschreiten.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-29">
-<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
-Katja an Welja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Petersburg, 20. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Du bist ein Dussel, Welja! Du hast ja doch
-Peter die ganze Geschichte mit Lju geschrieben!
-Ich konnte es mir ja denken, aber warum prahlst
-Du denn, Du hättest keiner Menschenseele ein
-Wort davon mitgeteilt? Erstens fragte ich Dich
-nicht danach, und zweitens glaubte ich Dir nicht
-einmal. Peter denkt nun, er müßte mich trösten,
-und ich müßte ihn heiraten; Logik hat er doch
-nicht. Uebrigens ist er entzückend, Gott, zu
-schade, daß ich nicht in ihn verliebt bin! Nun
-muß ich diese Albernheit von Peter ertragen und
-dazu noch anhören, wie Tante Tatjana für Lju
-schwärmt: wie elegant er wäre, und wie anregend,
-und wie energisch, und was für einen guten Einfluß
-er auf uns gehabt hätte! Paß Du nur
-wenigstens auf Jessika<a id="corr-1"></a> auf. Es ist auch zu toll, daß
-sie solche Eltern hat. Papa merkt nichts, Mama
-findet alles sympathisch, und Dir ist alles einerlei.
-Besinn Dich mal darauf, daß Du ein Mann bist;
-Lju kann alles mit Dir anstellen und Dir alles
-weismachen, gerade als ob Du in ihn verliebt
-wärest, das ist unwürdig. Wenn Tante Tatjana
-<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
-nicht gerade von Lju redet, ist sie reizend und
-sehr vernünftig. Die Kurse sind noch nicht eröffnet.
-Wie steht es mit Paris? Hat Papa ja
-gesagt? Im Notfall gehen wir natürlich auch
-nach Berlin, wenn wir erst fort sind, findet sich
-das übrige. Adieu!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-30">
-Jessika an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 20. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Mein süßer kleiner Maikäfer! Ich möchte
-lieber weinen, als Dir schreiben, aber davon
-hättest Du ja nichts. Ich kann das Gefühl
-nicht loswerden, als wäre ich daran schuld, daß
-Du fortgegangen bist. An etwas bin ich schuld,
-das fühle ich ganz sicher, und es fing damit an,
-daß ich an Lju schrieb; daß Du darüber außer
-Dir warst, kannst Du doch nicht leugnen. Erst
-dachte ich, Du liebtest Lju auch, aber er lachte
-und sagte, das tätest Du ganz gewiß nicht, und
-als ich euch nachher zusammen sah, kam es mir
-auch nicht mehr so vor. Und wenn Du ihn
-liebtest, liebtest Du ihn doch nicht so wie ich;
-Du würdest nicht daran sterben, wenn er Dich
-<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
-nicht wiederliebte. Aber das täte ich. Du bist
-doch überhaupt nicht so, daß Du Dich ernstlich
-verliebst, mein Klimperkleinchen, nicht? Welja
-sagt doch immer, Du wärest nicht so sentimental
-wie ich. Schreib mir etwas Tröstliches! Alle
-sind jetzt unzufrieden. Papa ist schrecklich nervös,
-seit ihr fort seid, Besuch greift ihn ja immer
-etwas an, aber hauptsächlich ist es, glaube ich,
-wegen Deiner Kurse. Es ist doch auch fatal für
-ihn, wenn seine Tochter und sein Neffe bei etwas
-beteiligt sind, was gegen die Regierung gerichtet
-ist. Gestern wurden ein paar Bibliotheksbücher
-entdeckt, die Welja vor einem oder zwei Jahren
-entlehnt und vergessen hat zurückzubringen. Das
-kostet nun natürlich verhältnismäßig viel, und
-Papa wurde wütend und machte Krach. Er sagte,
-Welja wäre gedankenlos und verschwenderisch
-und täte, als wenn er ein Millionär wäre, und
-würde uns noch alle an den Bettelstab bringen.
-Mama, die dazukam, versuchte Welja zu verteidigen,
-da wurde Papa erst recht böse. Mittags,
-als wir uns zu Tisch setzten, waren alle ernst
-und still, und Papa starrte finster vor sich hin.
-Mama nahm ihre Lorgnette, guckte ratlos von
-einem zum andern, endlich betrachtete sie Papa
-<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
-eine Weile und fragte liebevoll: &bdquo;Warum bist
-Du so blaß, Jegor?&ldquo; Wir fingen alle dermaßen
-zu lachen an, Papa auch, daß die Stimmung
-wiederhergestellt war.
-</p>
-
-<p>
-Welja war hauptsächlich deshalb niedergeschlagen,
-weil Papa unter anderm auch sagte,
-er könnte ihn doch nicht auf weite Reisen schicken,
-weil er zu leichtsinnig wäre. Aber das hat er
-nur so im Aerger gesagt, ich glaube, er will euch
-doch gehen lassen.
-</p>
-
-<p>
-Quält Peter Dich sehr? Meinetwegen mache
-Dir keine Sorge. Lju hat mir von Anfang an
-gesagt, er könnte und wollte nicht um mich anhalten,
-bis er eine entsprechende Stellung hätte,
-er wollte nur mein Freund sein; Du siehst, wie
-ehrenhaft er ist. Welja würde niemals so sein.
-Mein geliebtes Sonnenkäferchen, ich vermisse Dich
-stündlich. Du mich wohl nicht?
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-31">
-Lusinja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 21. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Meine kleine Katja! Du hast nun Deinen
-Willen. Bist Du glücklich, daß Du in der Stadt
-bist? Wirst Du dadurch klüger, besser, froher?
-<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
-Ich will Dir nicht verschweigen, mein Liebling,
-daß es mich schmerzte, daß Du fortgingest, obwohl
-Du sahest, was Du Deinem Papa damit
-zufügst. Ist das so schwer zu begreifen? Denn
-wenn Du es recht begriffen hättest, hättest Du es
-doch nicht tun können. Es ist ja nicht, daß Du
-anders denkst als er, was ihn am meisten schmerzt,
-auch nicht, daß Du seinen Wünschen zuwiderhandelst.
-Aber er liebt Dich zu sehr, um Dir
-das zu verbieten, was er andern verbieten würde.
-Er liebt Dich, trotzdem Du etwas tust, wodurch
-alle andern seine Teilnahme verscherzen würden.
-Das macht ihn irre an sich, an seinem System,
-an allem. Warum fügst Du das Deinem Vater
-zu, der Dich liebt, einem alternden Manne?
-Erreichst Du etwas Bedeutendes für Dich oder
-für andre damit? Ach, ich glaube zuweilen,
-unsre Kinder sind da, um eine Rache an uns
-zu nehmen, und doch könnte ich nicht sagen für
-wen und für was. Kinder sind die einzigen
-Wesen, denen gegenüber wir ganz selbstlos sind,
-darum sind sie die einzigen, die uns wahrhaft
-vernichten können. In ein paar Jahren vielleicht
-wirst Du selbst Mutter sein und mich verstehen,
-und auch wissen, daß ich solche Betrachtungen
-<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
-anstellen kann, ohne daß meine Liebe zu Dir um
-den allerkleinsten Grad vermindert wäre.
-</p>
-
-<p>
-Ich denke, es wird dazu kommen, daß Papa
-Dich und Welja ins Ausland schickt; er neigt
-schon sehr dazu, und es wird das beste für uns
-alle sein. Lju ist uns eine Stütze in diesen Tagen.
-Ich bin ihm zu Danke verpflichtet, und doch
-möchte ich am liebsten, daß wir nach eurer Abreise
-ganz allein wären, Dein Papa und ich.
-Der Urlaub hat noch nicht die guten Folgen für
-ihn gehabt, die ich erhoffte, vielleicht weil zu viel
-Umtrieb und Unruhe bei uns herrschte. Furcht
-habe ich seinetwegen augenblicklich nicht, weil ich
-zu sehr von Dingen erfüllt bin, die noch schlimmer
-sind als körperliche Gefahren.
-</p>
-
-<p>
-Sei rücksichtsvoll gegen Tante Tatjana, mein
-Liebling, und auch gegen Peter. Ich will Dich
-nicht bereden, einen Mann zu heiraten, den Du nicht
-liebst; aber die Freundschaft eines guten Mannes
-suche Dir zu erhalten.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Mama.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-32">
-Welja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 23. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Dein Spatzengehirn hat, Gott weiß woher,
-einen vernünftigen Einfall gehabt, indem Du
-<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
-fortgingest. Spatzen und Mäuse wittern auch
-ungünstige Futterverhältnisse, das ist Instinkt,
-und den will ich Dir ja auch nicht absprechen.
-Es ist in der Tat jetzt sehr ungemütlich hier.
-Gestern früh hat Mama unter ihrem Kopfkissen
-wieder einen Drohbrief gefunden: wenn Demodow
-und die übrigen Studenten nicht begnadigt würden,
-würde Papa ihnen im Tode folgen oder
-vorangehen. Dies wäre die letzte Warnung, die
-er erhielte. Durch die Post kam am selben Tage
-ein Brief der Mutter Demodows, in dem sie
-Papa anflehte, das Leben ihres Sohnes zu schonen.
-Ob der Drohbrief mit dem in Zusammenhang
-steht? Mama fand den Brief nicht so schrecklich,
-wie daß sie ihn erst am Morgen fand und also
-die ganze Nacht darauf gelegen hat; das ist ihr
-unheimlich. Merkwürdig ist es ja, wie er dahin
-gekommen ist; unsern Leuten kann man so etwas
-nicht zutrauen, es ist ausgeschlossen, und wer
-kann sonst in Papas und Mamas Schlafzimmer
-kommen? Selbstverständlich ist es auf natürliche
-Art zugegangen, aber dahinterkommen können wir
-nicht. Man meint, es müßte spät abends jemand
-zum Fenster eingestiegen sein; es leuchtet mir
-nicht ein, aber widerlegen kann ich es natürlich
-<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
-auch nicht. Lju ist peinlich berührt, weil seine
-Bewachung sich so deutlich als ungenügend erwiesen
-hat. Ich glaube, im Grunde hat er in
-der letzten Zeit gar nicht mehr daran gedacht.
-Er ist sehr ernst, ordentlich düster. Heute hat er
-lange mit mir über die Geschichte gesprochen; er
-hält es für ausgemacht, daß die Verfasser des
-Drohbriefs von dem Briefe der Frau Demodow
-Kenntnis hatten; daß er also aus dem Kreise
-seiner Freunde hervorgegangen sei. Natürlich
-braucht Frau Demodow nichts davon zu wissen.
-Zunächst, meint Lju, sollte der Drohbrief wahrscheinlich
-nur bewirken, daß Papa den Brief der
-Frau Demodow in günstigem Sinne beantworte,
-gewissermaßen seine Wirkung verstärken. Bei
-Papas Charakter würde er aber natürlich seinen
-Zweck gänzlich verfehlen. Lju sagte, er achtete und
-liebte Papa, der immer seinem Charakter und
-seiner Einsicht gemäß handle; aber anderseits
-müßte man zugeben, daß die Revolution ihm
-gegenüber im Rechte wäre. Die Regierung hätte
-einen allgemein verehrten Professor, einen der
-wenigen, die noch den Mut freier Meinungsäußerung
-gehabt hätten, verhaften und nach Sibirien
-schicken wollen; Demodow hätte ihn und
-<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
-die Rechte der Universität verteidigen wollen. In
-späteren Jahren würde man auf diese paar Studenten
-hindeuten als Beweis, daß es damals in
-Petersburg noch junge Männer von Mut und
-Ehre gegeben hätte. In diesem Falle wären im
-Grunde die Regierung Aufrührer und gesetzloser
-Barbar, die sogenannten Revolutionäre Bewahrer
-des Rechtes. Sie handelten anständig, indem sie
-Papa von ihrer Ansicht und von ihren Absichten
-unterrichteten und ihm Zeit ließen, einen andern
-Weg einzuschlagen, der sie befriedigen würde.
-Ich gab ihm natürlich recht, aber ich sagte, ich
-könnte es doch Papa nachfühlen, daß er nun
-erst recht nicht nachgäbe. Vielleicht, sagte Lju,
-wenn Papa sicher wüßte, daß die Drohungen
-ernst gemeint wären und ausgeführt würden,
-täte er es doch aus Liebe zu seiner Frau und
-seinen Kindern. Ich glaube es doch nicht; und
-jedenfalls würde er eben davon nicht zu überzeugen
-sein. Papa ist der einzige, der ganz unerschüttert
-ist, das gefällt mir von ihm. Es ist
-kein Schatten von Furcht an ihm, wenn es
-früher noch möglich gewesen wäre, würde er jetzt
-auf keinen Fall einlenken. Es ist natürlich auch
-Trotz und Eigensinn und Rechthaberei dabei,
-<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
-aber fein ist es doch. Mama ist traurig; sie
-findet es natürlich schrecklich, daß die Studenten
-hingerichtet werden sollen, oder wenigstens Demodow,
-und daß Papa es ändern könnte und
-es nicht tut; ich glaube aber, sie hat jetzt nicht
-wieder versucht auf ihn einzuwirken, weil sie
-weiß, daß es doch umsonst wäre. Papa und
-Mama sind beides außerordentlich geschmackvolle
-Menschen, ich hätte mir keine andern Eltern ausgesucht,
-obgleich mir ihr Charakter und ihre Ansichten
-oft komisch vorkommen.
-</p>
-
-<p>
-Lju hat übrigens gesagt, nach seiner Meinung
-wäre Papas Leben zunächst noch gar nicht gefährdet,
-erst wenn die Studenten wirklich verurteilt
-wären, würde es vielleicht kritisch. Unsre
-Dienerschaft wäre ja aber unbedingt treu, und
-deshalb wäre kaum für ihn zu fürchten. Ich
-fragte ihn nämlich, weil er so ungewöhnlich ernst
-und gedankenvoll war. Er sagte, er hätte eingesehen,
-daß er uns so bald wie möglich verlassen
-müßte, und das stimmte ihn traurig. Er
-hätte es ja sowieso getan, nun würde er es beschleunigen.
-Auch weil die Nichtübereinstimmung
-zwischen seinen Ideen und Papas doch zu groß
-wäre, als daß er ein Zusammenarbeiten für anständig
-<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
-halten könnte. Ich habe versucht, ihm
-das auszureden.
-</p>
-
-<p>
-Ich bleibe jedenfalls noch hier, um Papa und
-Mama ein bißchen zu zerstreuen, sie tun mir leid.
-Jessika ist nur verliebt. Gottlob, daß ich es nicht
-bin, es ist ein scheußlicher Zustand. Benimm
-Dich korrekt, Spatz, damit Papa in dieser Zeit
-Unannehmlichkeiten erspart werden.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-33">
-Jegor von Rasimkara an Frau Demodow
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 23. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Gnädige Frau! Hätte Ihr Sohn mich persönlich
-beleidigt oder angegriffen, so hätte es
-Ihrer Fürbitte nicht bedurft, damit ich seiner
-Jugend und seinem ungestümen Charakter die
-Kränkung unbedingt vergeben hätte. Unglücklicherweise
-ist es nicht die Privatperson, an die Sie
-sich wenden, sondern der Vertreter der Regierung;
-als solcher kann ich nicht großmütig sein, denn
-den Staat angehend handelt es sich nicht um
-Gefühle, sondern um Nutzen und Notwendigkeit.
-Ich habe den jungen Mann, dessen Gesinnung
-mir bekannt war, zeitig gewarnt, sowohl in seinem
-<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
-wie im Interesse seiner unglücklichen Eltern;
-damit, daß er meine Warnung unbeachtet ließ,
-erklärte er, die Folgen seiner Handlungsweise
-auf sich nehmen zu wollen. Ich traue ihm zu,
-daß er selbst weder um Gnade bittet, noch der
-Regierung aus ihrer Strenge einen Vorwurf
-machen wird.
-</p>
-
-<p>
-Ihnen zu sagen, gnädige Frau, wie sehr ich
-mit Ihnen empfinde, hätte ich vielleicht nur das
-Recht, wenn ich Ihre Bitte gewähren könnte.
-Erlauben Sie mir jedoch, Ihnen zu sagen, daß
-ich Ihnen dankbar wäre, wenn Sie mir jemals
-Gelegenheit gäben, Ihnen mein aufrichtiges
-und schmerzliches Mitgefühl durch die Tat zu
-beweisen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Ihr ergebener<br />
-Jegor von Rasimkara.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-34">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 24. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Frau von Rasimkara hat
-von dem Brief, den ich ihr unter das Kopfkissen
-legte, einen starken Eindruck empfangen. Sie fand
-ihn erst am Morgen, nachdem sie eine ganze
-<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
-Nacht darauf geschlafen hatte. Dies und daß
-sie nicht begreifen kann, wie der Brief an seine
-Stelle gekommen ist, findet sie am unheimlichsten.
-Uebrigens ist sie gefaßt; sie ist überzeugt, daß ihr
-Mann verloren ist, daß niemand es ändern kann,
-und erwartet das unvermeidliche Schicksal. Das
-ist aber eine Stimmung, die durch andre Stimmungen
-wieder verscheucht werden kann; oder es
-ist ein Grundbewußtsein, über das der Tag immer
-wieder hinflutet. Der Gouverneur ist beinahe
-unempfindlich für den immerhin aufregenden,
-auch ihm unerklärlichen Vorfall. Er hat die Bittschrift
-der Frau Demodow ohne Zögern in abschlägigem
-Sinne beantwortet. Es ist keinerlei
-Veränderung an ihm wahrzunehmen; allerdings
-litt er schon einige Zeit unter dem Verhalten seiner
-Tochter Katja. Daß ihm eine ernstliche Gefahr
-droht, scheint er nicht für möglich zu halten, jedenfalls
-will er sie nicht für möglich halten.
-</p>
-
-<p>
-Daß es so kommen würde, habe ich vorausgesehen.
-Ich hätte den unerschrockenen und unerschütterlichen
-Menschen gern gerettet; ich habe
-fast zu lange an die Möglichkeit geglaubt, daß
-ich es vermöchte. Wenn ich an Selbstüberhebung
-gelitten habe, können die Erfahrungen, die ich in
-<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
-diesem Hause gemacht habe, mich davon heilen.
-Ich sehe, einen Menschen ändern kann nur Gott;
-oder nicht einmal Gott! Das könnte meinen
-Stolz trösten. Man hat so wenig Macht über die
-Menschen wie über die Sterne; man sieht sie nach
-ihren unbeugsamen Gesetzen auf- und untergehen.
-</p>
-
-<p>
-Es wird nun nicht mehr lange dauern, es
-gibt keinen Ausweg. Jetzt ist mir selbst das
-liebste, wenn es bald vorüber ist.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-35">
-Katja an Welja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Petersburg, 25. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Welja, ich glaube, Du bist noch nie ganz
-wach gewesen, seit Du lebst. Wache doch endlich
-mal auf! Mir werden von allen Seiten Vorwürfe
-gemacht, von andern kann es ja hingehen,
-aber von Dir? Unerhört! Was tu&rsquo; ich denn?
-Papa hat seine Ideen und ich meine; warum
-soll er mehr Recht haben, seinen nachzuleben, als
-ich? Seine sind schädlicher als meine, find&rsquo; ich.
-Ich bringe doch niemand um. Vielleicht weil
-er älter ist als ich? Schöner Grund; sein Alter
-spricht doch höchstens gegen ihn. Aber lieb habe
-<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
-ich ihn gewiß ebenso wie Ihr, wahrscheinlich mehr
-als Du. Du siehst nicht einmal ein, daß Lju
-nicht im Hause bleiben darf, wenn er solche Ansichten
-hat, wie er Dir gesagt hat. Wenn wir
-finden, daß Papa im Unrecht ist, und daß es
-der Gegenpartei schließlich nicht zu verdenken ist,
-wenn sie ihn umbringt, so ist das etwas ganz
-andres, als wenn ein Fremder es findet. Was
-wissen wir denn eigentlich von Lju? Ich weiß,
-daß er vollkommen gewissenlos ist. Dir imponiert
-das natürlich, mir hat es zuerst auch imponiert,
-es mag ja auch großartig sein, vielleicht hast Du
-auch kein Gewissen, vielleicht möchte ich ebensowenig
-haben wie er, aber das ist mir jetzt ganz
-einerlei, in unserm Hause darf er nicht bleiben.
-Siehst Du denn nicht ein, daß er wirklich Papa
-ganz ruhig umbringen lassen würde? Halte
-wenigstens die Augen offen und passe auf. Es
-wurde mir geradezu unheimlich zumute, als ich
-Deinen Brief las. Er heftet seine eisigen Augen
-auf Papa und denkt: eigentlich hätten sie recht,
-wenn sie dich umbrächten. Wozu soll er überhaupt
-dasein? Daß er kein Mann für Jessika
-ist, mußt du doch einsehen; übrigens will er sie
-ja gar nicht einmal heiraten, er macht sie nur
-<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
-unglücklich. Die Geschichte mit Jessika muß auch
-Mama einsehen, das andre darf sie natürlich
-nicht wissen, damit sie sich keine Gedanken macht.
-Hörst Du, Du darfst ihn nicht zurückhalten,
-sondern mußt ihm im Gegenteil sagen, ja, geh
-sofort, Du hättest es schon längst tun sollen!
-Wenn Du ein Mann wärest, hättest Du ihm
-längst gesagt, er müßte Jessikas wegen aus dem
-Hause. Sei mal ein Mann! Papa sieht und
-hört ja leider Gottes nichts; eigentlich wäre es
-besser, er spielte im Berufe die Rolle, die er bei
-uns spielt, und umgekehrt, dann wären Volk und
-Familie zufrieden. Armer Mann, er opfert sich
-einem Popanz von Pflichtgefühl &mdash; und doch ist
-auch etwas Schönes an dem Unsinn. Ich weiß
-nicht, was mir mehr gefällt, das oder Ljus Gewissenlosigkeit.
-Ach, Papa ist nun einmal Papa,
-und darum geht er vor. Wir müssen über ihn
-wachen, Du mußt mir für ihn bürgen, hörst Du?
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-36">
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 26. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebe Tatjana! Es ist gerade, als ob Du die
-Sonne mit fortgenommen hättest; seitdem haben
-<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
-wir häßliche Regentage. Der Tag, an dem Du
-so überraschend ankamest, wie war der sorglos
-und heiter! So werden wir gewiß lange keinen
-mehr erleben. Als wir hier herauszogen im
-Mai, dachte ich nur an die Zeit, die vor mir
-lag, die ich mir unbeschreiblich glücklich dachte,
-wo ich Jegor ganz für mich haben würde, fern
-von Geschäften und Sorgen, und mein Gefühl
-war geradeso, als ob nachher nichts mehr käme.
-Das hat man wohl immer so, wenn man ein
-Glück vor sich hat; Glück scheint einem ewig zu
-sein &mdash; obwohl es im Gegenteil nur flüchtig sein
-kann. Nun merke ich, daß der Sommer vorübergehen
-wird, daß, noch ehe er vorüber ist, die
-Zeit kommen wird, wo wir wieder in die Stadt
-ziehen müssen, wo der Prozeß anfängt mit allen
-Schrecknissen für andre und für uns. Jegor wird
-der Menge und Energie des aufgehäuften Hasses
-nicht entrinnen. Wenn sie ihn kennten! Aber
-sie kennen nur seine Taten. Und ist der Mensch
-nicht in seinen Taten? Ach Gott, ich habe mir
-fest vorgenommen, ich will nicht urteilen: es ist
-so viel auf beiden Seiten abzuwägen, daß ich irren
-könnte. Nur das weiß ich sicher, daß Jegor
-niemals aus angeborener Grausamkeit oder aus
-<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
-persönlicher Rachsucht handelte, er glaubte immer
-das Rechte zu tun, und es ist ihm oft schwer
-geworden. Vielleicht hat er unrecht; aber daß
-er irren kann, macht ihn mir nicht weniger teuer.
-Er wertet das Bestehende und die legitime Macht
-am höchsten, mich hätte die Neigung eher in eine
-andre Richtung gezogen, aber ich bin deshalb
-nicht besser als er. Das liegt im Blute; seine
-Ahnen haben ihm andres Blut vererbt, als
-meine mir.
-</p>
-
-<p>
-Ach, Tatjana, mein Herz ist schwer! Wohin
-ich sehe, ist alles dunkel, so gleichmäßig dunkel,
-daß ich schon gedacht habe, es wären meine
-Augen, die nicht mehr hell sehen könnten. Aber
-sage selbst, wo ist etwas Gutes, Tröstendes?
-Wie soll der Konflikt mit den Kindern enden,
-die nur ihren Neigungen nachrennen und stolz
-darauf sind, daß sie sich kaum nach uns umsehen?
-Müssen alle Menschen dies erleben? Ja, vielleicht
-haben wir unsre Eltern ähnliches erleben lassen;
-aber es ist darum nicht minder bitter.
-</p>
-
-<p>
-Furcht ist das Aergste; die Furcht, glaube ich,
-hat mich so entnervt, daß ich an keiner Freude
-mehr teilnehmen kann, daß ich aus mir selbst
-keine mehr hervorbringen kann. Ich fürchte ja
-<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
-immer, Tag und Nacht, auch während ich schlafe.
-Das ist das Schlimmste. Du kannst Dir gewiß
-nicht vorstellen, wie das ist, zu schlafen und zu
-träumen und währenddessen fortwährend von
-Furcht gequält zu sein. Seit ich den Brief unter
-meinem Kopfkissen gefunden habe, ist mir zumute
-wie einem, der zum Tode verurteilt ist und nicht
-weiß, wann das Urteil vollstreckt wird. Siehst
-Du, der Mörder muß durch das offene Fenster
-gekommen sein, am Hause hinaufgekrochen wie
-eine Schlange, und hat an meinem Bett gestanden,
-ganz dicht, und hat den Brief unter mein Kissen
-geschoben. Er muß lautlos gekommen sein, wirklich
-wie eine Schlange, Du weißt doch, daß ich
-damals sofort aufwachte, als Lju in unser Schlafzimmer
-kam, und daß ich überhaupt einen leisen
-Schlaf habe. Er hatte ein Messer in der Hand
-oder einen Strick und hätte Jegor auf der Stelle
-ermorden können; aber er wollte ihm noch eine
-Frist geben, oder er hatte im Augenblick nicht
-das Herz dazu, oder er wollte uns nur auf die
-Folter spannen. Jede nächste Nacht kann die
-sein, wo er wiederkommt und es ausführt.
-</p>
-
-<p>
-Und warum hörte Lju nichts? Ja, warum
-hätte er mehr hören sollen als wir, in deren
-<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
-unmittelbarer Nähe sich alles abspielte? Vor
-diesem Verhängnis ist auch seine Wachsamkeit
-unwirksam. Er scheint mir ganz verändert seitdem,
-ernst und in sich gekehrt; aber mit diesen
-Worten ist sein Wesen noch nicht treffend genug
-bezeichnet. Sicherlich leidet er darunter, daß er
-das nicht leisten konnte, was er versprochen hatte
-und was ich ihm zutraute. Vielleicht ist es ihm
-selbst unheimlich. Er sieht, daß wir verloren
-sind. Er mag nicht dabei sein. Oder wenn nun
-das wäre, daß er uns nicht schützen kann, nicht
-schützen darf? Nach seiner Meinung natürlich.
-Ob er diejenigen gesehen und erkannt hat, die
-Jegor nachstellen? Ob er Freunde unter ihnen
-erkannt hat? Oder irgendwelche Menschen, die er
-für wertvoller hält als uns? Diese Vermutung
-&mdash; nicht Vermutung, dies Gedankengespinst wird
-Dir wahnsinnig erscheinen; ich wäre auch nie
-daraufgekommen, wenn ich nicht sein seltsames
-Wesen vor meinen Augen hätte. Irgend etwas
-Geheimnisvolles ist um ihn. Zuweilen, wenn
-sein Blick auf Jegor und mir ruht, schaudert
-mich. Vorwerfen tue ich ihm nichts, das Mitleid,
-das ich mit ihm habe, spricht deutlich für
-ihn. Wenn es wahr ist, daß er uns schützen
-<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
-könnte und es doch nicht tun zu dürfen glaubt,
-so glaubt er im Rechte zu sein. O Gott, alle
-Leute haben recht, alle die, welche hassen und
-morden und verleumden &mdash; o Gott, was für
-eine Welt! Was für eine Verschlingung! Am
-Ende ist der wohl daran, für den sie gelöst ist.
-</p>
-
-<p>
-Ich gebe zu, daß meine Nerven sehr überreizt
-sind. Es ist zu entschuldigen unter diesen
-Umständen, nicht wahr, Tatjana? Jegor ist ganz
-ohne Furcht. Er gefällt mir so gut, ich glaube,
-ich habe ihn noch nie so geliebt wie jetzt. Das
-ist auch ein Glück. Ich weiß ja wohl, daß ich
-glücklich bin vor vielen, vielen Frauen; aber es
-ist ein schwarzer Vorhang vor diesem Wissen.
-Ob noch einmal ein guter Wind kommt und ihn
-fortreißt? Denke an mich, Liebe.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-37">
-Welja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 27. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Täubchen, Katinka, was für einen Unsinn
-schreibst Du mir da von meinem Schlafen und
-Wachen? Und von Ljus Gewissenlosigkeit und
-Papas Pflichtgefühl, die Dir abwechselnd imponieren?
-<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
-Vater, wie Du willst! Wenn Du
-psychologischen Scharfblick hättest, würdest du bemerkt
-haben, daß Lju ein Theoretiker ist,
-Handeln ist eigentlich seine Sache nicht. Er
-findet, daß gewisse Leute ganz recht hätten, wenn
-sie Papa töteten. Ist das neu? Natürlich hätten
-sie recht. Als sie voriges Jahr den Kaiser in
-die Luft sprengen wollten, waren wir uns auch
-darüber einig, daß sie recht hätten, und hätten
-es doch nicht getan. Dann könntest Du ja auch
-von mir denken, ich brächte Papa um. So etwas
-tut man eben nicht, wenn man es auch theoretisch
-tadellos findet oder sogar billigt; die Kultur
-hindert einen daran. Du bist einfach noch eifersüchtig,
-ich hätte besser von Dir gedacht. Die
-Liebe macht alle Frauenzimmer dumm und kleinlich.
-Jessikas wegen wäre es ja besser, Lju ginge
-fort, das gebe ich zu; ich mag nur selbst verliebt
-sein, von andern kann ich es nicht leiden, sie
-werden lächerlich dadurch, für Jessika ist es
-geradezu ein Elend. Das heißt, ich kann mir
-denken, daß andre Leute es entzückend finden, sie
-kommt mir selbst oft so vor wie ein blühendes
-Pfirsichbäumchen, das in Flammen steht. An sich
-eine hübsche Erscheinung &mdash; aber wenn ich denke,
-<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
-daß sie ein Mensch und meine Schwester ist,
-finde ich es albern. Ich habe auch zu Lju gesagt,
-die Sache hätte sich überlebt, und es wäre
-besser, daß sie nun ein Ende nähme. Er war
-ganz damit einverstanden und sagte, er ginge ja
-schon längst mit dem Gedanken um, unser Haus
-zu verlassen, er wollte nur sicher sein, ob Mama
-ihn auch gern gehen ließe. Du siehst, wie unrecht
-Du hast. Vielleicht geht er mit uns ins
-Ausland; natürlich geht das nur, wenn Du vernünftig
-bist. Er kann doch nicht jedes Mädchen
-heiraten, das sich in ihn verliebt, kleines Kalb!
-Hätte ich das getan? Was Dich anbetrifft, Du
-brauchst überhaupt nicht zu heiraten. Du bist
-ein furchtbar niedlicher Spatz, als Eheweib und
-Mutter wärest Du lächerlich.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-38">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 29. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ich habe Frau von Rasimkara
-gebeten, daß sie mich entlassen möchte. Ich
-sagte, der Vorfall mit dem Briefe hätte mich
-davon überzeugt, daß meine Anwesenheit nutzlos
-<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
-wäre. Ich hätte Tag und Nacht darüber nachgedacht,
-wie es hätte geschehen können, und wäre
-zu keinem Ergebnis gekommen. Durch das Fenster
-könnte bei Nacht niemand gekommen sein, dessen
-wäre ich sicher, ich würde es gehört haben. Die
-Dienstboten könnte man meiner Ansicht nach nicht
-verdächtigen, ich hielte sie für unbestechlich treu.
-Sie unterbrach mich und sagte lebhaft, in diesem
-Punkte hätte sie keinen Zweifel. Ich sagte, die
-einzige Möglichkeit wäre, daß ein Dienstbote es
-in der Hypnose getan hätte. Immerhin wäre
-es nicht wahrscheinlich. So etwas interessiert sie
-sehr, und wir sprachen eine Weile darüber.
-Uebrigens, sagte sie, wollte sie die Sache mit
-dem Briefe ruhen lassen, es käme doch nichts
-dabei heraus. Eine eigentliche Untersuchung
-wollte ihr Mann nicht anstellen, er pflegte Drohbriefe
-immer zu ignorieren und mäße ihnen keine
-große Bedeutung bei. Bis jetzt hätten die Erfahrungen
-ihm ja auch recht gegeben. Ich bestritt
-dies weder, noch bestätigte ich es. Jedenfalls,
-sagte ich, wäre die Lage so, daß sie meiner
-nicht mehr bedürfte, sei es nun, weil keine Gefahr
-vorhanden sei oder weil ich nicht dafür einstehen
-könnte, daß ich sie abzuwenden imstande wäre.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
-Sie fragte, wohin ich mich zu wenden und
-was ich zu tun gedächte. Ich sagte, ich wollte
-mein Werk vollenden, das läge mir zumeist am
-Herzen. Wenn ich mich mit meinem Vater aussöhnte,
-würde ich bis auf weiteres zu Hause
-bleiben; er hätte mir kürzlich einen entgegenkommenden
-Brief geschrieben. Sonst würde ich
-bei einem Freunde Zuflucht finden. Sie sagte,
-daß sie und ihr Mann mir zu Dank verpflichtet
-wären und daß ich ihnen gestatten müßte, daß
-sie mir zu Hilfe kämen, wenn ich Hilfe gebrauchte;
-das würde keine Wohltat, sondern Erstatten
-einer Schuld sein. Sie war ernst, liebenswürdig,
-von gewähltester Feinheit. Wenn es mir paßte,
-sagte sie, wäre ich frei, sofort zu gehen, wenn
-ich aber über meinen künftigen Aufenthalt noch
-nicht im klaren wäre, sollte ich bleiben, solange
-ich möchte. Ich sagte, ich wollte versuchen, ein
-Verständnis mit meinem Vater zu erzielen, und
-würde ihr dankbar sein, wenn ich ihre Gastfreundschaft
-noch etwa vierzehn Tage in Anspruch
-nehmen dürfte; bis dahin würde sich das
-entschieden haben. Ich wollte ihre Hand küssen,
-die sehr schön ist; aber ich dachte plötzlich daran,
-was ich ihr anzutun willens bin, und unterließ es.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
-Ich habe den Eindruck, daß meine Mitteilung
-sie froh gemacht hat, wahrscheinlich Jessikas wegen.
-Ich glaube sogar, sie denkt, ich hielte es Jessikas
-wegen für meine Pflicht, zu gehen, und hat deswegen
-ein Gefühl der Dankbarkeit für mich.
-Lebe wohl!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-39">
-Jessika an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 29. Juni.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebste, holdeste Tante! Ich glaube, ich komme
-bald zu Dir. Die paar Tage, wo Du hier warest,
-waren so schön! Alle waren heiter und zufrieden
-durch Deine Gegenwart. Jetzt ist es schrecklich.
-Lju wird fortgehen, er sagt, er müsse fort, weil
-es sich gezeigt hätte, daß er überflüssig wäre,
-und weil Mama ihn nicht mehr brauchte. Zuerst
-sagte Mama doch, sie hätte noch niemals
-ein solches Sicherheitsgefühl gehabt wie jetzt, weil
-Lju da wäre. Aber Papa hatte es niemals gern,
-und er wird zu Mama gesagt haben, daß er es
-nun nicht länger möchte. Du weißt ja, daß
-Papa nicht gern fremde Menschen um sich hat,
-sogar daß Du hier warest, hat seine Nerven angegriffen.
-Mama ist gewiß im Grunde sehr unglücklich,
-<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
-daß Lju fortgeht. Und wenn nun Welja
-und Katja auch noch fortgehen! Papa ist schon beinahe
-überzeugt, daß es am besten ist, wenn sie in
-Berlin oder Paris die Universität besuchen. Welja
-freut sich schrecklich und Katja natürlich auch, ich
-gönne es ihnen, sie mögen ja so gern reisen. Aber
-nimm mich dann zu Dir, Tante Tatjana, bis wir
-wieder in die Stadt ziehen. Es ist mir hier zu
-traurig so allein, nachdem es im Mai so schön war
-wie noch nie. Die Stimmung hier ist so erdrückend.
-Papa und Mama werden ganz einverstanden sein,
-vielleicht tut es ihnen gut, einmal allein zu sein.
-Dann kann Papa sich am besten ausruhen, und die
-Arbeit, die für die beiden zu machen ist, können unsre
-Dienstboten ja bequem ohne mich ausrichten. Lju
-weiß noch nicht, wohin er geht. Er sagte mir, wenn
-er nach Petersburg ginge, würde er Dich besuchen,
-falls Du es erlaubtest. Er schwärmt oft von Deiner
-Schönheit und Deinem Geist. Wer täte das nicht?
-Am meisten
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine kleine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-40">
-Welja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 1. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Nun, mein süßer Spatz, Deine Schopffedern
-sind wohl noch zornig gesträubt gegen Deinen
-<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
-Bruder, weil er Dir, wie es seine Pflicht ist,
-die Wahrheit gesagt hat? Unterdessen arbeitet
-er für Dein und sein und unser aller Wohl.
-Seit Papa sich überzeugt hat, daß wir die tiefere
-Bildung nur erlangen können, wenn wir ein
-paar Semester im kultivierten Westen studieren,
-ist seine Laune wieder sehr gestiegen. Er findet
-es jetzt auch besser, daß wir mit dem mehr
-äußerlichen Paris beginnen, um später zum
-gründlichen philosophischen Deutschland fortzuschreiten.
-Wir sollen bald fort; denn Papa begreift
-auf einmal, daß alle unsre Unzulänglichkeiten
-nur davon kommen, daß wir den Einfluß
-der alten westlichen Kultur noch nicht durchgemacht
-haben. Du mußt also Dein Studium
-sofort aufgeben und für unsre Ausrüstung sorgen,
-das heißt dabeistehen, wenn Tante Tatjana es tut.
-</p>
-
-<p>
-Lju geht fort, vielleicht schon vor uns. Ich
-denke mir, er wird auch nach Paris kommen,
-wenn wir da sind, obgleich er sich nicht bestimmt
-darüber ausspricht. Wir fahren oft Automobil
-zusammen. Ich habe Mama mein Wort geben
-müssen, ihn möglichst selten mit Jessika allein zu
-lassen &mdash; ganz überflüssig, denn er hat selbst gar
-keine Lust dazu. Auf Papa nehme ich auch viel
-<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
-Rücksicht, ich spiele nie mehr Wagner, weil ihn
-das nervös macht. Uebrigens geht es ihm wirklich
-viel besser, außer seiner Scharteke hat er
-jetzt noch unsre Reise, die ihn angenehm beschäftigt,
-er gibt mir Anweisungen, welche Züge
-wir nehmen müssen, in welchen Hotels wir absteigen
-sollen, und hat dabei fast das Gefühl, er
-könnte selbst mit. Sei Deinem Bruder dankbar,
-anstatt zu schmollen, was überhaupt kindisch ist.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-41">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 1. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Das beste wäre, Du gingest
-mit nach Paris. Meine Mutter wünscht es, weil
-sie Dich für verständiger hält als uns, denn sie
-ist auch einverstanden, und mir mußt Du nur
-versprechen, kein verliebtes Gedusel mit Katja
-anzufangen. So bist Du ja aber auch nicht;
-was Du im Innern fühlst, ist mir natürlich
-einerlei. Wenn Deine Kurse sich durch Deine
-Abreise auflösen, ist es um so besser. Papa hat
-noch Schererei genug, er kann einem wirklich leid
-tun. Mit der Gesinnungsmeierei kann es ja
-<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
-dann wieder losgehen, wenn wir zurückkommen.
-Ich meinerseits mache sehr gern mal eine Pause.
-In Paris wirst Du Dich auch noch politisch
-entwickeln, ich sehe Dich schon als gereiften Robespierre
-ins heilige Rußland einbrechen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Unbedingt Dein<br />
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-42">
-Lusinja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 2. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Mein Herzenskind! Es ist beschlossen, daß
-Ihr, Du und Welja, nach Paris geht. Du freust
-Dich, nicht wahr? Ich denke, Ihr werdet vernünftig
-sein und nicht gar zu viel Geld ausgeben,
-Ihr seid doch alt genug, um die Verhältnisse
-zu begreifen und Euch in sie zu schicken.
-Ihr habt den besten Vater, der sich niemals auf
-unrechtmäßige oder auch nur unfeine Weise bereichert
-hat, wie so viele tun, und ich hoffe, ihr
-ehrt und liebt ihn deswegen um so mehr und seid
-stolz auf die verhältnismäßige Beschränktheit
-unsrer Mittel. Er hat trotzdem immer mit verschwenderischer
-Güte für Euch gesorgt, mißbraucht
-es nicht. Das Ueberschreiten eines gewissen
-Maßes würde ihm nicht nur Kummer, sondern
-<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
-sehr ernste Widerwärtigkeiten bereiten. Innerhalb
-dieser Begrenzung, mein Liebling, sollt Ihr eure
-Freiheit herzhaft genießen und die Euch gebotenen
-Mittel, Euch zu ganzen Menschen zu bilden, benutzen.
-</p>
-
-<p>
-Ich denke mir, daß Jessika, wenn Lju und
-Ihr fort sein werdet, zu Tante Tatjana gehen
-wird. Ihr armes, zärtliches Herz muß noch
-viel durchmachen, sie wird dort weniger leiden
-als hier, deshalb lege ich ihr nichts in den Weg.
-Daß Lju fortgeht, ist ihretwegen notwendig.
-Seine anregende Art zu sprechen, die naheliegenden
-mit entfernten und interessanten Vorstellungen
-zu verbinden, werde ich vermissen. Er läßt nie
-ein Wort, das man sagt, fallen, sondern fängt
-es auf und spinnt daran weiter. Das lieb&rsquo; ich
-sehr an ihm; am meisten aber, daß er eine
-Persönlichkeit ist, ein Mensch mit einem intensiven
-Bewußtsein von allen Dingen und mit einem
-klaren Willen. Anderseits erleichtert es mein
-Gemüt, daß er fortgeht, und nicht nur Jessikas
-wegen. Er hat etwas Fremdartiges und Unergründliches
-für mich, das mich zuzeiten sehr
-aufgeregt hat. Er hat einen sonderbaren Blick;
-vielleicht hat er auch damit solche Macht über
-<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
-Jessika gewonnen. Das Rätselhafte zieht an und
-ängstigt zugleich. Er gehört nun einmal nicht
-zu uns, und all sein Sinn für die verschiedenartigsten
-Menschen kann das nicht überbrücken.
-Und dann nachtwandelt er; darüber kann ich
-nicht wegkommen.
-</p>
-
-<p>
-Nach allen Erregungen dieses Sommers freue
-ich mich darauf, mit Papa allein zu sein. Wirklich,
-ich freue mich darauf &mdash; macht Euch also
-keine Gedanken unsertwegen. Ihr werdet uns
-viele schöne Briefe schreiben, und wir werden
-Euch im Geiste zur Mona Lisa und zur Place
-de la Concorde und zu den Springbrunnen von
-Versailles begleiten. Dabei fällt mir ein, daß
-wir dazu nicht einmal den Hut aufzusetzen brauchen,
-daß Ihr aber Reisekleider und sonst noch allerlei
-haben müßt. Vieles werdet Ihr gewiß geschmackvoller
-und billiger in Paris besorgen. Wäret
-Ihr nur praktischer! Kann ich es Euch überlassen?
-Jedenfalls, eine gewisse kleine Ausrüstung müßt
-Ihr doch von hier mitnehmen, damit beschäftige
-Dich jetzt, Du hast ja Tante Tatjana, die beste
-Ratgeberin, zur Seite. Lebe wohl, mein Herzenskind,
-schreibe Deinem Vater bald, daß Du Dich
-auf Paris freust.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Mama.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-43">
-<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
-Katja an Jegor
-</h2>
-
-<p class="date">
-Petersburg, 4. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Papa! Es ist fabelhaft anständig von
-Dir, daß Du uns nach Paris gehen läßt. Du
-hast aber auch etwas Gutes davon, indem Du
-uns los wirst. Peter will vielleicht auch mit,
-es ist mir ganz recht, denn er ist so praktisch,
-daß man ihn eigentlich gar nicht entbehren kann.
-Zum Beispiel ein Automobil heilmachen, weswegen
-Lju damals eigens in die Stadt fuhr,
-das kann er selbst und wenn es noch so kompliziert
-ist. Er ersetzt einem Dienstmann, Schlosser,
-Tapezierer, Schneider, Koch und sogar Putzmacherin,
-nur ist sein Geschmack etwas veraltet.
-Er ist jetzt auch sehr zurückhaltend gegen mich,
-es scheint mir beinahe, als wäre er nicht mehr
-verliebt; das ist eigentlich schade, obgleich es mir
-manchmal lästig war. Für die Reise ist es aber
-besser so, das sehe ich ein. Und gefällig ist er
-auch doch noch ebenso wie früher, gestern hat er
-mir erst ein Buch sehr schön eingebunden und
-einen Schlüssel gemacht für einen, den ich verloren
-hatte, was Tante Tatjana nicht erfahren
-sollte.
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
-Wenn Peter mitgeht, werden wir viel Geld
-sparen, auch weil er immer aufpaßt. Soll ich
-noch einmal kommen und Euch Adieu sagen? Ich
-tue es sehr gern, dann müßt Ihr aber Lju vorher
-wegschicken, ich kann ihn nicht ausstehen, und
-seine Gegenwart würde mir alles verleiden.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine allerkleinste Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-44">
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 5. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebste Tatjana! Ich habe die melancholischen
-Anwandlungen ganz überwunden, das muß ich
-Dir doch erzählen. Weil es einfach so nicht
-weiterging, hat sich in mir ein Umschwung vollzogen.
-Man entdeckt oft platte Wahrheiten, so
-ist es mir mit dem Sprichwort gegangen, daß
-Gott dem Mutigen hilft. Zuerst kostete es mich
-Anstrengung, die Furchtgedanken zu unterdrücken
-und zuversichtlich in die Zukunft zu sehen, aber
-nachdem ich dies ein paarmal gemacht hatte,
-schien mich auf einmal eine unbekannte Kraft zu
-tragen und von selbst überströmte mich Heiterkeit.
-Zum Teil kommt es allerdings auch daher, daß
-Jegor wieder in guter Stimmung ist, seit er den
-<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
-Entschluß gefaßt hat, die Kinder nach Paris
-gehen zu lassen. Das ist mir der größte Schmerz,
-ihn so gedrückt und ohnmächtig traurig zu sehen.
-Nun freue ich mich ordentlich auf die Zeit, wo
-wir allein sein werden. Ich glaube, so ganz
-allein waren wir noch niemals, seit die Kinder
-auf der Welt sind. Und auf dem Lande, ohne
-etwas zu tun, in schöner Umgebung! Es muß
-jetzt alles schnell gehen, sonst ist die Zeit des
-Urlaubs zu Ende, bevor sie alle fort sind. Jegor
-freut sich auch darauf, er meint nur immer, ich
-könnte gar nicht mehr für ihn und in ihm allein
-leben, weil ich gewohnt wäre, mich für viele und
-vieles auszugeben, aber im Herzen weiß er genau,
-daß ich mit ihm allein erst in meinem Elemente
-sein werde. Wann wird man wohl einmal
-älter? Bis jetzt bin ich seit meinem zwanzigsten
-Jahre immer jünger geworden &mdash; ich! Meine
-Haare und meine Haut natürlich nicht.
-</p>
-
-<p>
-Liebe Tatjana! Hilfst Du meiner kleinen
-Katja besorgen, was sie zur Reise braucht? Du
-hast ja soviel Geschmack und Einsicht. Wenn
-Dein Peter mitginge nach Paris, das wäre eine
-große Beruhigung für uns. Obwohl er nur so
-wenig älter ist als Welja, wäre es mir doch,
-<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
-als wenn ein Mentor mitginge. Ich dachte erst
-an Lju in diesem Sinne, aber Katjas Abneigung
-ist ja nicht zu besiegen. Und wenn ich denke,
-wie sie zuerst für ihn schwärmte! Er war ein
-Orakel für alle drei Kinder. Da nannte er sie
-einmal Katinka statt Katja, und aus war es für
-immer. Ein bißchen verrückt kommen mir meine
-Kinder zuweilen vor, Gott weiß, woher sie es
-haben. Natürlich, Tatjana, glaube ich nicht, daß
-diese Namensirrung der einzige Grund ist. Es
-wird wohl allerlei zwischen den Kindern vorgefallen
-sein, Eifersucht und dergleichen. Im
-Charakter würden ja Lju und Katja ganz gut
-zusammenpassen, wenigstens eher als Lju und
-Jessika; aber es pflegen sich nun einmal die
-Gegensätze anzuziehen. Jedenfalls ist mir die
-Abneigung, und wenn sie noch so ungerecht wäre,
-lieber als das Gegenteil. Es ist mir auch viel
-lieber, wenn Peter mitgeht. Ich weiß, daß Lju
-die Kinder liebt und versteht, er hat etwas Imponierendes,
-etwas Gewandtes, und wäre insofern
-geeignet, ihr Führer zu sein. Aber ich
-glaube, ich würde zuweilen davon träumen, daß
-er in somnambulem Zustande in ihr Schlafzimmer
-ginge und an ihrem Bett stände und sie
-<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
-mit dem rätselhaften Blick, der ihm eigen ist,
-betrachtete.
-</p>
-
-<p>
-Ach, Tatjana, das muß ich Dir doch erzählen!
-Als ich damals den Drohbrief unter meinem
-Kopfkissen gefunden hatte, sagte Lju, es könnte
-auch jemand im Hause getan haben, den ein
-andrer daraufhin hypnotisiert hätte, so etwas
-wäre möglich. Da dachte ich an seinen rätselhaften
-Blick und sein nächtliches Wandern, und
-es kam mir in den Sinn, er selbst könnte ja
-von einem fremden, dämonischen Willen besessen
-sein. Ich wäre damals nicht imstande gewesen,
-mit jemand darüber zu sprechen oder Dir davon
-zu schreiben, so grausig war mir die Vorstellung.
-Jetzt kann ich es ganz ruhig und lache sogar
-dabei. Neulich erzählte ich es Jegor, der amüsierte
-sich so darüber, daß ich jetzt immer lachen muß,
-wenn ich daran denke. Er sagte, je aberwitziger
-eine Geschichte wäre, desto bereitwilliger glaubte
-ich sie. Für ganz unmöglich halte ich so etwas
-aber doch an sich nicht, sonst hätte auch Lju es
-nicht gesagt.
-</p>
-
-<p>
-Du bist also einverstanden, liebe Tatjana,
-daß Jessika zu Dir kommt? Wenn Peter fortgeht,
-wärest Du ja sonst allein, und Jessika ist
-<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
-so gern bei Dir. Uns freut es, wenn sie Dir
-etwas sein kann.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-45">
-Jessika an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 6. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebes Kleines! Werde nicht böse, aber es
-ist doch sehr häßlich von Dir, daß Du nicht
-kommen willst, solange Lju hier ist, und ihn dadurch
-aus dem Hause treibst. Das hat er doch
-nicht um uns verdient. Ich glaube, Du denkst,
-er handelte schlecht gegen mich, und das ist doch
-gar nicht richtig. Er liebt mich, aber er hat mir
-von Anfang an gesagt, daß er nicht wüßte, ob
-er mich jemals heiraten könnte, weil er zu stolz
-ist, und daß ich meinen Gefühlen den Charakter
-der Freundschaft geben müßte. Das tue ich doch
-auch, und was ist denn dabei, daß er mein
-Freund ist? Er ist doch auch Weljas Freund
-und war auch Deiner, bis Du Dich so abstoßend
-gegen ihn benahmest. Er kann sich ja so einrichten,
-daß er den ganzen Tag nicht zu Hause
-ist, wenn Du hier bist. Für Papa und Mama
-ist die Geschichte doch auch peinlich, und da Du
-<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
-so viel Schönes vor Dir hast, könntest Du recht
-gut in solchen Kleinigkeiten ein wenig Rücksicht
-nehmen.
-</p>
-
-<p>
-Bist Du böse, mein Brummerchen, daß ich
-Dir das sage? Ich predige Dir doch selten
-Moral, das mußt Du mir zugestehen. Aber Du
-wirst ja doch tun, was Du willst. Papa und
-Mama sind jetzt sehr wohl, es ist zu niedlich,
-wie sie sich auf ihr Alleinsein freuen. Sie sehen
-manchmal aus wie ein Brautpaar, das bald
-Hochzeit haben wird, jung und schön und geheimnisvoll
-beseligt. Ich freue mich, daß gerade
-Rosenzeit ist; in ein paar Wochen werden alle
-blühen, dann kann Mama alle Tage ihre Tafel
-mit Rosen bedecken und sich Rosen ins Haar
-stecken und alle Vasen vollfüllen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-46">
-Welja an Peter
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 8. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Peter! Gestern begegnete mir etwas
-Merkwürdiges. Ich wollte Lju in seinem Zimmer
-aufsuchen, und da er nicht da war, wartete ich
-auf ihn. Ich setzte mich an seinen Schreibtisch
-<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
-und blätterte gedankenlos in seiner Schreibmappe,
-da sah ich einen Zettel, auf den mit einer Handschrift
-etwas geschrieben war, was mir auffiel.
-Erst wußte ich gar nicht warum &mdash; dann fiel
-mir plötzlich ein, daß mit derselben oder einer
-ganz ähnlichen Handschrift der Drohbrief geschrieben
-war, den Mama unter ihrem Kopfkissen
-gefunden hat. Denke Dir, ich habe zum erstenmal
-in meinem Leben einen wahnsinnigen Schrecken
-bekommen, es drehte sich alles um mich. Und
-dabei weiß ich gar nicht bestimmt, was mich
-eigentlich so entsetzte; aber meine Hände und
-meine Schläfen waren in einem Augenblick mit
-Schweiß bedeckt. Wahrscheinlich machte mein
-Unbewußtes blitzschnell eine Reihe von Schlüssen,
-deren Ergebnis der Schrecken war. Ich ging
-rasch fort und versuchte meine Gedanken zu
-ordnen, ich schwöre Dir, ich war so bestürzt, daß
-ich nicht klar denken konnte. Als Lju wieder da
-war, richtete ich es so ein, daß wir uns in sein
-Zimmer setzten, ich blätterte in seiner Mappe,
-spielte mit dem Zettel und sagte so beiläufig, die
-Handschrift wäre ja der auf dem Drohbrief ganz
-ähnlich. &bdquo;Nicht wahr?&ldquo; sagte Lju vergnügt,
-&bdquo;ich glaube auch, daß man sie für dieselbe halten
-<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
-kann. Ich habe versucht, sie aus dem Gedächtnis
-nachzumachen, damit man eventuell damit auf die
-Spur des Schreibers kommen könnte; aber dein
-Vater will ja nicht, daß die Sache verfolgt
-wird.&ldquo; Papa hat nämlich den Brief zerrissen,
-das machte er immer so mit anonymen Zuschriften.
-Es ist ja unfaßlich, daß mir dies
-passieren konnte! Ich wußte, daß Lju anfangs
-mit dem Plan umging, herauszukriegen, wer den
-Brief geschrieben hat, und wußte auch, daß er
-sich viel mit Graphologie beschäftigt! Allerdings,
-sowie ich seine Stimme hörte und ihn sah, kam
-mir meine Aufregung schon gleich kindisch vor.
-Am liebsten hätte ich hernach zu Lju gesagt, wie
-es gewesen ist, aber ich weiß nicht warum, ich
-brachte es nicht über die Lippen. Er ist vollkommen
-ahnungslos und freut sich über seinen Erfolg; es
-ist ja auch eine kolossale Leistung, eine Schrift aus
-dem Gedächtnis so täuschend nachzuahmen.
-</p>
-
-<p>
-Ich erkläre mir meine Dummheit damit, daß
-die Geschichte mit dem Drohbrief einen doch ein
-bißchen nervös gemacht hat. Wenn Papa anders
-wäre, würde man sich, glaube ich, tatsächlich
-ängstigen; aber er hat eine solche Sicherheit, daß
-man es für unmöglich hält, ihm könnte etwas
-<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
-zustoßen. Schließlich erlebt man doch auch solche
-Schauergeschichten nicht in Wirklichkeit, das ist
-höchstens Reiselektüre. Attentate sind ja allerdings
-oft vorgekommen. Aber Papa sagt, er
-wäre im allgemeinen gar nicht so verhaßt, und
-die Angehörigen der Studenten wären gebildete
-Leute, unter denen keine Mörder zu suchen wären.
-Dieser letzte Drohbrief sollte ihn doch nur einschüchtern,
-das wäre klar, und übrigens könnte
-man auch plötzlich krank werden und sterben, dem
-Tode wäre man immer ausgesetzt, man müßte
-dergleichen nicht beachten. Manchmal frage ich
-mich, ob die Furchtlosigkeit ein Vorzug oder
-ein Mangel an Papa ist; vielleicht hat er einfach
-gar keine Phantasie.
-</p>
-
-<p>
-Er ist jetzt ganz besonders gut aufgelegt.
-Seine Scharteke ist entzweigegangen und er
-klütert stundenlang mit Lju daran herum, um
-herauszukriegen, woran es liegt. Lju betreibt die
-Sache auch mit Eifer und Ernst, es ist mir nicht
-klar geworden, ob er es tut, um Papa ein Vergnügen
-zu machen oder weil es ihn wirklich auch
-interessiert.
-</p>
-
-<p>
-Herrgott, ich will froh sein, wenn wir erst
-in Paris sind; helfen oder ändern kann ich hier
-<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
-doch nichts. Erzähle Katja nichts von meiner Geschichte
-mit Lju. Papa sagt, in Deutschland könnte
-man sehr gut zweiter Klasse fahren. Vater, wie du
-willst, wenn wir nur überhaupt reisen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-47">
-Jessika an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 10. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Katja, Du sollst auf gar keinen Fall kommen,
-hörst Du! Wenn Du nur noch nicht fort bist!
-Denke Dir, gestern ist das Väterchen plötzlich
-furchtbar krank geworden. Er hatte Krämpfe
-und wand sich und wurde blau im Gesicht, es
-war einfach schrecklich. Zuerst sagte Welja, er
-wäre betrunken, aber das merkte man bald, daß
-es etwas andres war, und die Mädchen sagten,
-er hätte die Cholera, und stellten sich unbeschreiblich
-an, keine wollte bei ihm bleiben. Lju nahm
-alles in die Hand, er sagte, Cholera könnte es
-nicht sein, das hätte andre Symptome, es wäre
-wahrscheinlich ein typhöses Fieber mit irgendwelchen
-Komplikationen. Er verordnete allerlei
-und blieb bei Iwan, obgleich Papa und Mama
-es nicht leiden wollten, weil sie meinten, es
-<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
-könnte ansteckend sein; aber er sagte, erstens
-glaubte er das nicht und außerdem fürchtete er
-sich gar nicht davor und wäre deshalb auch nicht
-empfänglich. Iwan starrte ihn immer ganz erschrocken
-an, wenn er zu sich kam, ich glaube,
-er hatte ihn ungern bei sich, aber er wagte es
-nicht zu sagen. Als der Arzt kam, sagte er,
-alles, was Lju angeordnet hätte, wäre angemessen,
-er würde auch nichts andres gemacht haben und
-er glaubte auch, daß es Unterleibstyphus wäre.
-Papa und Mama wollen durchaus nicht, daß Du
-kommst, wegen der Ansteckung. Wir wären nun
-einmal da, das wäre nicht zu ändern, Du solltest
-Dich aber nicht mutwillig der Gefahr aussetzen.
-Ich finde, sie haben ganz recht, helfen kannst Du
-doch nicht, und Mama würde sich ängstigen,
-selbst wenn es mit der Ansteckung gar nicht so
-schlimm ist. Zunächst kann Iwan noch nicht in
-die Stadt transportiert werden, weil er zu krank
-ist. Das arme Väterchen! Welja sagt immer,
-es wäre zu schade um ihn, der Wein schmeckte
-ihm so gut, ja, mit Branntwein war er schon
-glücklich.
-</p>
-
-<p>
-Ich sehe Dich nun gewiß auch nicht mehr
-vor der Reise, mein Glühwürmchen! Aber ich
-<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
-komme nicht dazu, Dich zu vermissen, so viel ist
-jetzt zu tun!
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Jessika.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-48">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 10. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ich habe die Schreibmaschine
-abgeschickt. Es bleibt also dabei, daß
-die Explosion durch Druck auf den Buchstaben <span class="antiqua">J</span>
-zur Entladung kommt. Da wir uns auf einen
-Buchstaben einigen müssen, soll es der sein, mit
-dem der Vorname des Gouverneurs beginnt; es
-ist ausgeschlossen, daß er einen Brief schreibt,
-ohne ihn zu benutzen. Zunächst liegt nun die
-Verantwortung auf Dir. Ich bin froh, auf
-kurze Zeit davon frei zu sein, denn ich fühle mich
-krank. Es liegt mir ein Fieber in den Knochen,
-am liebsten würde ich mich zu Bett legen, ich
-glaube aber, daß ich das Entstehen einer Krankheit
-am ersten durch Widerstand verhindern kann.
-Es ist mir schon einmal gelungen. Der Kutscher
-Iwan hat den Unterleibstyphus in hohem Grade,
-er ist noch in Lebensgefahr; und weil hier
-Schrecken und Ratlosigkeit herrschte, denn die
-<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
-Dienstleute meinten, er hätte die Cholera, und
-ich einigermaßen Bescheid mit solchen Sachen
-weiß, habe ich mich seiner angenommen. Der
-Mann mag mich nicht leiden, er empfindet eine
-unklare Furcht oder Abneigung gegen mich, ich
-denke mir, er spürt in der Art, wie Tiere das
-können, die Gefahr, die seinem Herrn von mir
-droht. Ich habe eine besondere Vorliebe für
-diese noch halb tierischen, im Unbewußten lebenden
-Volksnaturen, es war mir eine ordentliche
-Freude, ihn zu behandeln und zu beobachten.
-Vielleicht habe ich mich bei der Pflege überanstrengt,
-da ich ohnehin angegriffen war.
-</p>
-
-<p>
-Sollte die Krankheit stärker als ich sein und
-sollte ich nach Petersburg ins Spital geschafft
-werden, das wäre sehr schlimm. Denn ich muß
-durchaus die Maschine selbst in Empfang nehmen
-und aufstellen. Ich kann aber mit Sicherheit
-darauf rechnen, daß Herr und Frau von Rasimkara
-mich im Hause behalten und bei sich verpflegen
-würden, selbst wenn ich mich sträubte. Vor allen
-Dingen rechne ich auf meine gesunde Natur und
-auf die Kraft meines Willens. Mauern einreißen
-wie Simson kann man wohl nicht mehr, aber
-seinen Körper aufrechthalten, wenn er einstürzen
-<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
-möchte, wenigstens für eine Weile. Auf alle
-Fälle erwarte noch ein Zeichen von mir, ehe Du
-handelst.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-49">
-Lusinja an Tatjana
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 12. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Liebste Tatjana! Wie sehr schnell wandelt
-sich doch das Antlitz aller irdischen Dinge, wirklich
-schneller als der bewölkte Himmel; das ist auch
-so ein Gemeinplatz, der uns plötzlich wie eine
-Offenbarung vorkommt, wenn wir seine Wahrheit
-erleben. Unserm guten alten Iwan scheint es
-besser gehen zu wollen; wenigstens meint der
-Arzt, daß, wenn die Krankheit zum Ende führte,
-schon eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten
-wäre. Du weißt, wie eng wir mit unsern Leuten
-verbunden sind; andre zu haben, wäre für uns
-geradeso traurig, wie in ein andres Haus zu
-ziehen. Einen Menschen in Lebensgefahr, gewissermaßen
-sterben zu sehen, ist für mich überhaupt
-ein schreckliches Leiden; es wird mir dann
-auf einmal klar, daß dies unser aller Los ist,
-daß die schwarze Kugel ebensogut mich hätte
-treffen können und mich morgen vielleicht trifft
-<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
-oder übermorgen vielleicht, daß sie eines Tages
-mich unabwendbar treffen muß. Dann kann mich
-eine Angst erfassen, eine Angst, die tausendmal
-schlimmer als der Tod ist. Ja, an Iwan scheint
-es diesmal vorübergegangen zu sein. Aber gestern
-abend mußte sich Lju hinlegen. Er hat doch
-Iwan so gut gepflegt und sich der Ansteckung
-ausgesetzt, als ob es etwas Selbstverständliches
-wäre. Wir bewunderten ihn um so mehr, als
-Iwan ihn niemals hat leiden mögen und kein
-Hehl daraus gemacht hat. Vorgestern war er schon
-nicht wie sonst; aber wenn ich ihn fragte, behauptete
-er, vollständig wohl zu sein. Gestern
-mittag sah er fieberhaft aus. Jegor, der natürlich
-nichts merkte, sprach davon, daß er seine Schreibmaschine
-vermißte, an die er sich so gewöhnt
-hätte, und daß er hoffe, sie käme bald wieder.
-Da sagte Lju: &bdquo;Ach, sagen Sie das nicht! Mir
-wäre es lieber, wenn sie noch recht lange ausbliebe!&ldquo;
-Ich habe mal von einem berühmten
-Schauspieler gelesen, der sich zuweilen vor der
-Aufführung berauschte und so haltlos war, daß
-man für unmöglich hielt, er könnte spielen; wenn
-er aber auftreten mußte, nahm er sich mit dämonischer
-Willenskraft zusammen und spielte hinreißend,
-<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
-nur selten ließ diese Kraft etwas nach,
-so daß sein Zustand zum Durchbruch kam.
-Weißt Du, daran erinnerte er mich in dem
-Augenblick; er war immer nahe daran, zu phantasieren.
-Ich stellte ihm eindringlich vor, daß er
-Fieber hätte und daß er sich hinlegen müßte, er
-gab es auch zu, behauptete aber, Bewegung wäre
-für ihn in solchen Fällen das Beste, er wollte
-einen Ausflug auf dem Rade machen. Es war
-ihm nicht auszureden, er fuhr fort und kam nach
-drei Stunden ganz in Schweiß und vollständig
-erschöpft zurück. Dann hat er sich zu Bett gelegt,
-ohne etwas zu sich zu nehmen. Heute ist
-er vollständig ermattet liegen geblieben, aber das
-Fieber scheint wirklich gebrochen zu sein. Der
-Arzt, der Iwans wegen kam, sagte, solche Kuren
-könnten tatsächlich zuweilen glücken, aber er würde
-sie niemand vorschreiben, es wäre nicht jedermanns
-Sache. Ein außerordentlicher Mensch ist Lju,
-er fesselt einen immer wieder aufs neue.
-</p>
-
-<p>
-Liebe Tatjana, wenn wir nur erst allein
-sind! Ich pflege gern Kranke, und es ist mir
-ordentlich lieb, daß ich etwas für Lju tun kann
-&mdash; es ist nur sehr wenig, eigentlich pflegen kann
-man ihn gar nicht, er ist ein Mensch, der nur
-<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
-geben kann, zum Empfangen fehlt ihm das
-Organ &mdash; ja, aber ich hatte mich nun einmal
-auf das Alleinsein mit Jegor gefreut, und alles
-Unerwartete, was jetzt geschieht, kommt mir wie
-ein tückisches Hemmnis vor, das sich zwischen
-uns und die ersehnten Ferientage schiebt. Welja
-und Jessika wären schon heute zu Dir gekommen,
-aber sie wollten durchaus nicht abreisen, bevor
-sich entschieden hätte, ob Lju ernstlich krank würde.
-Gott sei Dank, daß diese Gefahr vorübergegangen
-ist &mdash; wie würde das in Jessikas weichem Herzen
-die Liebe gesteigert haben! Iwan wird, sowie er
-transportfähig ist, ins Spital geschafft werden,
-und bis er hergestellt ist, wird ein verläßlicher
-Mann, den wir schon mehrmals zur Aushilfe
-hatten, an seine Stelle treten. Ich dachte daran,
-mit Jegor in die Stadt zu kommen, um die
-Kinder abreisen zu sehen; er sagt aber, da er
-eigens Urlaub genommen hätte, um seiner Gesundheit
-wegen einen Landaufenthalt zu nehmen,
-möchte er sich lieber nicht in Petersburg sehen
-lassen, es könnte mißdeutet werden. Er meint
-auch, der Abschied würde mir dort viel mehr
-zum Bewußtsein kommen, ich würde mich sehr
-aufregen, weinen und so weiter. Ja, weinen
-<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
-werde ich wohl doch. Ein Jahr werden sie
-sicher fortbleiben, wenn nicht noch länger, sonst
-hat es kaum Zweck. Ein ganzes Jahr ohne die
-beiden Kinder! Wenn ich nicht Jegor gerade
-jetzt so für mich hätte &mdash;! Und dann bin ich auch
-nicht mehr so jung, daß ein Jahr mir lang
-schiene; es sind nur zwölfmaldreißig Tage, ach,
-es ist eigentlich nur ein Atemzug! Wie froh bin
-ich, daß Peter mitgeht; ich will den Kindern auftragen,
-daß sie ihm folgen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Lusinja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-50">
-Welja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 12. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Mein kleiner Trompetenstoß, Du kannst losschmettern,
-denn morgen reise ich. Solltest Du
-kontra schmettern, so schadet es nichts, weil ich
-es nicht höre, es würde Dir also auch nichts
-helfen. Wir können Papa und Mama jetzt keine
-größere Wohltat erweisen, als daß wir abreisen.
-Es hat bereits eine Notiz in den Blättern gestanden
-über die &bdquo;rote Universität&ldquo;. Etwas
-Schlimmes kann den Leuten nicht passieren, als
-höchstens, daß die Kurse aufgehoben werden, aber
-Papa ist es natürlich lieb, wenn wir nicht dabei
-<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
-sind. Väterchen lebt noch, er hat heute bereits
-nach einem Tropfen Schnaps verlangt, also
-scheint er mir in der Genesung begriffen zu sein.
-Da ich ihm nicht Ade sagen soll, der Ansteckung
-wegen, habe ich ihm ein Abschiedsgedicht gemacht.
-Es fängt an:
-</p>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Schon fünf Tage sind hinabgesunken,</p>
- <p class="verse">Seit sich Väterchen zuletzt betrunken.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="noindent">
-Und endet:
-</p>
-
-<div class="poem-container">
- <div class="poem">
- <div class="stanza">
- <p class="verse">Soll ich Dir die treue Hand nicht reichen,</p>
- <p class="verse">Ohne Abschiedskuß ins Ausland weichen,</p>
- <p class="verse">Wünsch&rsquo; ich unter Tränen Dir hienieden</p>
- <p class="verse">Gute Besserung oder ruh in Frieden.</p>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="noindent">
-Ich habe es Lju vorgelesen, der noch zu Bett
-liegt, er konnte gar nicht aufhören zu lachen, obgleich
-er wirklich sehr schwach ist. Er sagte, er
-wäre überzeugt, Iwan würde mich für den
-größten Dichter Rußlands und das Gedicht für
-die Ausgeburt aller Poesie halten, und er beneidete
-die Menschen, die noch durch den bloßen
-Rhythmus und den simpeln Reim in einen seelischen
-Rausch geraten können. Lju möchte gern
-mit uns nach Petersburg fahren, er fürchtet
-aber, er würde noch zu schwach sein, und Mama
-wird ihn auch gar nicht gehen lassen. Du wirst
-<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
-ihn also nicht mehr sehen. Jessika ist ein dummer
-kleiner Wurm mit ihrer Liebe, trotzdem empfehle
-ich Dir, süßes Spätzchen, zart mit ihr umzugehen,
-nicht zu zetern, nicht zu picken. Sie ist gerade
-wie ein Tautropfen, der in der Sonne schön wie
-ein Edelstein funkelt und beweglich lebendig ist
-und, wenn die Sonne fortgeht, glanzlos wird
-und versiegt. Dies schreibe ich, damit Du siehst,
-daß ich mich auch echt dichterisch ausdrücken
-kann. Hör mal, Peter soll für Zigarren und
-Zigaretten unterwegs sorgen, der hat gern Aufgaben
-zu erfüllen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Welja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-51">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 13. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Du hast mir nicht geschrieben,
-damit, wenn ich todkrank oder tot wäre,
-der Brief nicht in unrechte Hände geriete. Jetzt
-ist die Gefahr vorüber. Wenn Du keine weitere
-Nachricht von mir erhältst, laß die Schreibmaschine
-am 16. abgehen; melde es mir gleichzeitig. Die
-Krankheit ist endgültig gebrochen, aber ich bin
-noch sehr erschöpft, so erschöpft, daß ich gern
-<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a>
-noch ein paar Tage lang im Bett liegen würde,
-ohne zu denken, ohne andre Bilder in meinem
-Gehirn als das der dunkeln Frau und des
-blonden Mädchens, die von Zeit zu Zeit durch
-mein Zimmer gleiten, sich über mich beugen und
-mit sanfter Stimme freundlich zu mir sprechen,
-oder das der Tannen und Birken, die ich durch
-das offene Fenster sehen kann. Wird es einmal
-Menschen geben, die ohne Qual, ohne den göttlich-fluchwürdigen
-Stachel der Seele im Anschauen
-der Schönheit verharren können?
-</p>
-
-<p>
-Welja und Jessika reisen morgen nach Petersburg,
-Jessika bleibt bei ihrer Tante. Wenn ich
-sie wiedersehe, wird sie ein schwarzes Kleid tragen.
-Diese Nacht, als ich den Mond, leuchtend bleich,
-von dunkelm Gewölk umgeben sah, mußte ich an
-ihren blonden Kopf über dem schwarzen Kleide
-denken. Ach, das ist das wenigste. Sie wird
-wieder rosige Wangen bekommen und lächeln und
-weiße Kleider tragen. Daß alles verdammt ist
-zu vergehen, indem es entsteht, das ist die einzige
-Tragik des Lebens; weil es das Wesen des Lebens
-ist, weil dies so geartete Leben das einzige ist,
-das jemals unser sein kann. Ich erwarte Deine
-Nachricht.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-52">
-<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
-Lusinja an Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-14. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Mein Jüngstes! Heute reisen Welja und
-Jessika ab. Sie haben noch einen Tag auf Lju
-gewartet, ihm zuletzt aber selbst davon abgeredet,
-die Anstrengung des Reisens heute schon auf sich
-zu nehmen. Er ist aufgestanden, aber noch schwach.
-Etwa drei Tage wird er gewiß noch hierbleiben,
-also wirst Du ihn auf keinen Fall mehr sehen,
-wenn Ihr übermorgen fahrt. Jessika hat tapfer
-mit ihren Gefühlen gekämpft, ich hätte ihr so viel
-Selbstüberwindung nicht zugetraut. Heute war
-sie schon in aller Frühe im Garten und pflückte
-Körbe voll Rosen, mit denen sie das ganze Haus
-geschmückt hat. &bdquo;Ich finde, es ist wie ein Hochzeitshaus,&ldquo;
-sagte sie. Dann sagte sie: &bdquo;Mama,
-wir müssen euch doch eigentlich recht im Wege
-gewesen sein, als wir gleich so nacheinander anrückten?&ldquo;
-Ich sagte: &bdquo;Ja, wenn wir nicht selbst
-schuld gewesen wären, hätten wir uns vielleicht
-ein bißchen geärgert.&ldquo; Dein Bruder Welja, der
-dazukam, sagte: &bdquo;Gott, was denkst du, sie
-hätten sich schrecklich gelangweilt ohne uns.&ldquo;
-Jessika entrüstet: &bdquo;Anmaßender Junge! Du mit
-<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
-deiner Faulheit hast vor dem zweiten Jahre
-nicht gesprochen und vor dem zehnten keinen Witz
-gemacht.&ldquo; Nun, Du kannst Dir denken, wie
-zierlich sie einander ankläfften. Und dazu das
-kleine Gesicht, so still und blaß unter dem alten
-Kinderlachen. Gebt ihr noch recht viel Liebe an
-dem letzten Tage, hörst Du, Herzblatt? Und
-kränke sie nicht dadurch, daß Du etwas gegen
-Lju sagst. Du bist ein viel zu junges und törichtes
-Glühwürmchen, als daß Du ihn richtig beurteilen
-könntest. Er ist jedenfalls ein bedeutender Mensch,
-und vor bedeutenden Menschen muß man die
-Achtung haben, daß man zunächst das Beste von
-ihnen denkt und im <a id="corr-4"></a>Zweifelsfalle mit seinem Urteil
-zurückhält.
-</p>
-
-<p>
-Was den Chauffeur anbelangt, den Tante
-Tatjana anstatt des alten Aushilfsdieners zu
-nehmen vorschlägt, so kann sich Papa nicht dazu
-entschließen, obwohl er zugibt, daß es vielleicht
-angenehmer für uns wäre. Er sagt, einen ganz
-fremden Menschen will er nicht ins Haus nehmen.
-Es käme nicht selten vor, daß die revolutionäre
-Partei auf diese Art ihre Leute in die Häuser
-einschmuggelte, um durch sie private Verhältnisse
-auszukundschaften oder sich mit der Dienerschaft
-<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
-in Verbindung zu setzen. Er möchte nicht gern
-ein zweideutiges Element zwischen unsre so treuen
-und zuverlässigen Dienstboten bringen. Da Papa
-von jeder Aengstlichkeit frei ist, wird diese Vorsicht
-wohl berechtigt sein. Wir bleiben also bei dem alten
-Kyrill, mehr als Iwan trinkt er auch nicht, und Papa
-sagt, Trunkenbolde hätten die treuesten Herzen.
-</p>
-
-<p>
-Ich umarme Dich, Du geliebtes Kind! Habt
-Euch recht lieb, alle drei, und zankt Euch nicht
-auf der Reise, Du und Welja. Nennt Euch
-auch nicht Kalb oder Molch oder Spatzengehirn
-&mdash; das letzte geht allenfalls noch &mdash;, aus dem
-Scherz könnte einmal Ernst werden, und überhaupt
-ist es eine häßliche Gewohnheit, die bei
-Menschen, die Euch nicht kennen, Anstoß erregen
-kann. Gib auch acht auf Welja, als ob Du die
-Aeltere wärest, aber ohne es ihn merken zu
-lassen; um ihn sorge ich mich mehr als um Dich,
-Du, mein Liebling, wirst schon das Rechte tun
-und etwas Rechtes werden.
-</p>
-
-<p>
-Also bin ich nun eine kinderlose Frau! In
-meinem Herzen habe ich Euch aber, ganz fest, da seid
-Ihr noch klein und habt es gern, in <a id="corr-5"></a>einem winzigen
-Raum geschlossen dicht bei Eurer Mama zu sitzen.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lebe wohl!
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-53">
-<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
-Welja und Katja an Jegor
-</h2>
-
-<p class="date">
-Petersburg, 16. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Papa! Als Katja in Mamas Brief
-Deinen Ausspruch gelesen hatte, Trunkenbolde
-hätten die treuesten Herzen, trompetete sie los:
-&bdquo;Seht ihr, Lju ist kein Trinker! Er trank Wein
-nur wegen der schönen Farbe und des Aromas!&ldquo;
-Es wird sich nun gewiß verbreiten, Du hättest
-Lju entlassen, weil er sich niemals betrunken hätte,
-Du wirst ein Liebling des Volkes werden, und
-eine Horde taumelnder Kosaken wird Dich als
-freiwillige Schutzgarde beständig umgeben. Wir
-haben gestern abend Tante Tatjana überzeugt,
-daß sie uns zum Abschiedsessen sehr feinen Wein
-vorsetzte, und Peter, der gerade im Begriff war,
-in einen Abstinenzverein einzutreten, hat das
-deshalb bis zu unsrer Rückkehr verschoben.
-</p>
-
-<p>
-Lieber Papa! Welja schreibt doch nur Dummheiten.
-Es ist nicht möglich, mit ihm zu leben,
-ohne zuweilen Kalb oder Molch zu sagen. Mama,
-Du hättest ihn von vornherein besser erziehen
-sollen. Mit dem Trinken hast Du ganz recht,
-Papa, es war eine abgeschmackte Idee von Peter,
-in einen Abstinenzverein eintreten zu wollen.
-<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
-Warum soll man nicht trinken, wenn es einem
-schmeckt? Zu dumm! Jessika sagt, um Euch
-brauchte man sich keine Gedanken zu machen, Ihr
-sähet beide jung und glücklich aus. So wollen
-wir Euch uns unterwegs vorstellen. Mit Jessika
-bin ich sehr nett, aber ein Schaf ist sie doch. Da
-fährt unser Wagen vor! Morgen um diese Zeit
-sind wir schon über die Grenze. Unterwegs
-schreibe ich Dir einen richtigen langen Brief,
-süße Mama.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Katja.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-54">
-Lju an Konstantin
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 17. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Lieber Konstantin! Ich fahre morgen in der
-Frühe ab. Ich nehme das Automobil nach
-Petersburg. Von da fahre ich zu meinem Vater.
-Ich nehme an, daß die Schreibmaschine heute
-abend kommt. Es wäre mir nicht lieb, wenn sie
-früher käme, weil der Gouverneur dann wahrscheinlich
-sofort zu schreiben verlangen würde. Die
-beiden Menschen freuen sich auf ihr Alleinsein wie
-glückliche Kinder. Sie wissen selbst nicht, was sie
-eigentlich erwarten &mdash; ach, mein Gott, was erwartet
-man überhaupt, wenn man einem Augenblick der
-Liebesaufwallung entgegensieht? Was findet man?
-</p>
-
-<p>
-<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
-Daß jemand anders vor dem Gouverneur
-die Maschine benutzt, das einzige, was meinen
-Plan zerstören könnte, halte ich für ausgeschlossen.
-Die Dienstmädchen getrauen sich aus Angst vor
-dem Gouverneur nicht, sie anzurühren, besonders
-seit sie einmal entzweigegangen ist. Er hat ihnen
-einmal sogar verboten, sie abzustauben, er wolle
-das selbst tun. Auch wird er sie sehr bald in
-Gebrauch nehmen, einige Briefe hat er immer zu
-schreiben, auch wird er sie nach der Reparatur
-probieren wollen. Ein Tag wird nicht darüber
-hingehen. Vermutlich wird er an die Kinder
-schreiben. Sie &mdash; seine Frau &mdash; was wird aus
-ihr werden? Das beste wäre für sie, wenn sie
-an seiner Seite wäre. Sie ist es ja fast immer.
-Wenn ich das nächstemal nach Petersburg komme,
-möchte ich Dich sehen. Zunächst brauche ich Ruhe.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Lju.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-55">
-Lusinja an Jessika
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 17. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Jessika, mein Blümchen, Deine schönen Rosen
-sind nun welk, noch ehe die Freude des Alleinseins
-angefangen hat. Der Garten ist aber voll neuer.
-<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
-Lju reist morgen in aller Frühe ab, er hat sich
-schon verabschiedet, weil er früher fährt, als wir
-aufgestanden sein werden. Vorhin, als wir von
-einem Spaziergang zurückkamen, stand ein Mann
-an der Gartentür. Ich sah ihn erst, als wir
-ganz nahe bei ihm waren, und fuhr unwillkürlich
-zusammen. Lju lachte und sagte: &bdquo;Es ist gewiß
-wieder der Paketbote mit der Schreibmaschine.&ldquo;
-Und wirklich, er war es. Ich sah ihn ganz
-entsetzt und bewundernd an, und da lachte er
-wieder und Papa auch; es war nämlich ganz
-natürlich, daß er es erriet, weil sie eigentlich
-schon mit der ersten Post erwartet wurde. Denke
-Dir, Papa fiel gar nicht über die Kiste her,
-sondern ließ Lju auspacken und sitzt jetzt noch
-bei mir und spielt so schön Klavier, wie sonst
-niemand auf der Welt spielt. Vielleicht duftet
-zur selben Zeit die Lindenblüte Deiner Stimme
-an Tante Tatjanas Flügel. Du weißt doch, daß
-Lju gesagt hat, Dein Gesang wäre so zart, daß
-man nicht sagen könnte, er klänge; er duftete. Es
-ist mir gerade, als hörte ich Dich, meine kleine
-Holdseligkeit.
-</p>
-
-<p>
-Lju sah mich wieder mit einem unergründlichen
-Blick an, als er mir Lebewohl sagte; ich
-<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
-freue mich, daß ich diesem Blick morgen nicht
-mehr begegnen werde. Aber sei ganz ruhig, ich
-habe ihm ein allerliebstes Futterkörbchen für die
-Reise zurechtgemacht und will ihm sehr wohl.
-Wenn er nicht nachtwandelte, wäre ich seine unbedingte
-Freundin. Denke Dir, Väterchen hat
-zuletzt noch die Anwandlung bekommen, außer
-sich zu sein, daß Lju fortginge, bevor er wieder
-auf den Beinen wäre; er wäre jetzt krank und
-hinfällig und zählte nicht, und ein Mann müßte
-doch im Hause sein. Da hat Papa wütend gesagt:
-&bdquo;Bin ich denn ein Klapperstorch?&ldquo; Darüber
-hat Iwan erst geweint, und dann hat er gesagt,
-er hätte Papa noch nie für einen Klapperstorch
-gehalten, aber er sollte doch gerade beschützt
-werden, und sich selber beschützen könnte man
-nicht, so wenig wie man sich selbst den Rücken
-waschen könnte. Papa fragte Mariuschka, die
-uns dies berichtete: &bdquo;Wer wäscht ihm denn
-seinen? Du?&ldquo; Was sie entrüstet verneinte; also
-ist das im Dunkeln geblieben.
-</p>
-
-<p>
-Gute Nacht, Liebling. Wann werde ich Dir
-einmal Dein Haar mit Rosen schmücken? Wer
-weiß wie bald! Das Schöne kommt unverhofft
-über Nacht.
-</p>
-
-<p class="sign">
-Deine Mama.
-</p>
-
-<h2 class="chapter" id="chapter-0-56">
-<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
-Jegor an Welja und Katja
-</h2>
-
-<p class="date">
-Kremskoje, 18. Juli.
-</p>
-
-<p class="noindent">
-Nun ihr beiden kleinen Kinder, was für ein
-Unsinn ist das mit dem Trinken? Was soll
-ich gesagt haben? Gebildete Menschen müssen
-Maß halten, das ist selbstverständlich. Wenn ein
-russischer Bauer nicht trinkt, kann man auf
-Theorien und Berechnung schließen, auf den
-Hang zu irgendeiner Vervollkommnung, und
-wo der tierische Trieb einmal gebrochen ist, da
-tritt zunächst nichts Gutes an die Stelle. So;
-ihr habt mäßig zu sein, weil ihr für gebildete
-Menschen gelten wollt. Unser Schutzengel ist
-abgereist, ich habe augenblicklich keinen andern
-als Eure Mutter, unter deren Flügeln ich mich
-am wohlsten befinde. Eben tritt sie hinter meinen
-Stuhl, legt den Arm um mich und tut die nicht
-mehr neue, aber immer wieder gern gehörte Frage:
-&bdquo;Warum bist du so blaß, J......&ldquo;
-</p>
-
-
-<div class="trnote">
-<p id="trnote" class="transnote"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p>
-Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten.
-Offensichtliche Fehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
-(vorher/nachher):
-</p>
-
-<ul>
-
-<li>
-... Zum Glück sprang Lju ein und <span class="underline">sagt</span> er wäre ...<br />
-... Zum Glück sprang Lju ein und <a href="#corr-0"><span class="underline">sagte,</span></a> er wäre ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... wenigstens auf Jessika. Es ist auch zu toll, daß ...<br />
-... wenigstens auf Jessika<a href="#corr-1"><span class="underline"> auf</span></a>. Es ist auch zu toll, daß ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... ihnen denkt und im <span class="underline">Zweifelfalle</span> mit seinem Urteil ...<br />
-... ihnen denkt und im <a href="#corr-4"><span class="underline">Zweifelsfalle</span></a> mit seinem Urteil ...<br />
-</li>
-
-<li>
-... Ihr noch klein und habt es gern, in <span class="underline">einen</span> winzigen ...<br />
-... Ihr noch klein und habt es gern, in <a href="#corr-5"><span class="underline">einem</span></a> winzigen ...<br />
-</li>
-</ul>
-</div>
-
-
-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<hr class="full" />
-<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER LETZTE SOMMER***</p>
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-
-<h3>Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm</h3>
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-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.</p>
-
-<p>Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
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-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org.</p>
-
-<h3>Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation</h3>
-
-<p>The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.</p>
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-<p>The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact</p>
-
-<p>For additional contact information:</p>
-
-<p> Dr. Gregory B. Newby<br />
- Chief Executive and Director<br />
- gbnewby@pglaf.org</p>
-
-<h3>Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation</h3>
-
-<p>Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.</p>
-
-<p>The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit <a href="http://www.gutenberg.org/donate">www.gutenberg.org/donate</a>.</p>
-
-<p>While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.</p>
-
-<p>International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.</p>
-
-<p>Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate</p>
-
-<h3>Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.</h3>
-
-<p>Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.</p>
-
-<p>Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.</p>
-
-<p>Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org</p>
-
-<p>This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.</p>
-
-</body>
-</html>
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