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If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Freiland - Ein sociales Zukunftsbild - -Author: Theodor Hertzka - -Release Date: August 8, 2017 [EBook #55301] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FREILAND *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive. - - - - - - - Freiland. - - - - - Freiland. - - - Ein sociales Zukunftsbild - von - Theodor Hertzka. - - - Vierte durchgesehene Auflage. - - - Dresden und Leipzig. - E. Pierson's Verlag. - - Alle Rechte vorbehalten. - - - - - Vorrede zur vierten Auflage. - - -Auch die dritte Auflage ist vergriffen, kaum daß sie die Presse zu -verlassen vermochte, und so übergebe ich denn meinen Lesern diese -vierte. Möge sie vereint mit ihren Vorgängerinnen dahin wirken, daß der -Gedanke, dem ich in den nachfolgenden Blättern Worte leihe, möglichst -rasch zur That werde. - -_Wien_ im August 1890. - - Theodor Hertzka. - - - - - Inhalt. - - - Erstes Buch. - 1. Kapitel 3 - 2. Kapitel 9 - 3. Kapitel 21 - 4. Kapitel 34 - 5. Kapitel 47 - 6. Kapitel 58 - 7. Kapitel 69 - Zweites Buch. - 8. Kapitel 79 - 9. Kapitel 94 - 10. Kapitel 105 - 11. Kapitel 110 - 12. Kapitel 127 - Drittes Buch. - 13. Kapitel 143 - 14. Kapitel 155 - 15. Kapitel 169 - 16. Kapitel 181 - 17. Kapitel 192 - 18. Kapitel 200 - 19. Kapitel 209 - 20. Kapitel 222 - 21. Kapitel 240 - 22. Kapitel 251 - Viertes Buch. - 23. Kapitel 267 - 24. Kapitel 283 - 25. Kapitel 295 - 26. Kapitel 307 - 27. Kapitel 321 - Schlußwort 334 - - - - - Erstes Buch. - - - - - 1. Kapitel. - - -Um die Mitte des Monats Juli des Jahres 18.. war in den angesehensten -Zeitungen Europas und Amerikas folgende Ankündigung zu lesen: - - »Internationale freie Gesellschaft. - -Eine Anzahl von Männern aus allen Teilen der civilisierten Welt hat sich -zu dem Zwecke vereinigt, einen praktischen Versuch zur Lösung des -socialen Problems ins Werk zu setzen. - -Diese Lösung suchen und finden dieselben in der Schaffung eines -Gemeinwesens auf Grundlage vollkommenster Freiheit und wirtschaftlicher -Gerechtigkeit zugleich, d. i. eines solchen, welches, bei unbedingter -Wahrung des individuellen Selbstbestimmungsrechtes, jedem Arbeitenden -den ganzen und ungeschmälerten Genuß der Früchte seiner eigenen Arbeit -gewährleistet. - -Zum Zwecke der Gründung eines solchen Gemeinwesens soll auf bisher -herrenlosem aber fruchtbarem und zur Besiedelung wohlgeeignetem Gebiete -ein größerer Landstrich besetzt werden. - -Auf diesem ihrem Gebiete wird die freie Gesellschaft keinerlei Eigentum -an Grund und Boden anerkennen, ebensowenig dasjenige eines Einzelnen, -als ein solches der Gesamtheit. - -Behufs Bearbeitung des Bodens, wie überhaupt zum Zwecke jeglicher -Produktion, werden sich Associationen bilden, deren jede sich nach -eigenem Gutdünken selber verwalten und den Ertrag ihrer Produktion unter -ihre eigenen Mitglieder je nach deren Leistung verteilen wird. Jedermann -hat das Recht, sich einer beliebigen Association anzuschließen und -dieselbe nach freier Willkür zu verlassen. - -Die Arbeitskapitalien werden den Produzenten zinslos von -Gesellschaftswegen zur Verfügung gestellt, müssen jedoch von denselben -zurückerstattet werden. - -Arbeitsunfähige und Frauen haben das Recht auf auskömmlichen Unterhalt -von Gesellschaftswegen. - -Die zu obigen Zwecken, sowie zu sonstigen gemeinnützigen Ausgaben -erforderlichen Geldmittel werden durch eine auf das Reineinkommen -jeglicher Produktion gelegte Abgabe beschafft. - -Die Internationale freie Gesellschaft verfügt derzeit schon über eine -Mitgliederzahl und über Kapitalien, die zur Durchführung ihres Planes -- -wenn auch nur in bescheidenem Maßstabe -- ausreichen. Da sie jedoch -einerseits der Ansicht ist, daß der Erfolg ihres Versuches desto -sicherer und durchgreifender ausfallen muß, mit je größeren Mitteln -derselbe ins Werk gesetzt wird, andererseits etwaigen Gesinnungsgenossen -Gelegenheit geboten werden soll, sich an dem Unternehmen zu beteiligen, -so tritt sie hiermit vor die Öffentlichkeit und giebt bekannt, daß -Anfragen oder Mitteilungen, welcher Art immer, an das Bureau der -Gesellschaft: Haag, Boschstraße 57 zu richten sind. Auch wird die -Internationale freie Gesellschaft am 20. Oktober l. J. im Haag eine -öffentliche Versammlung abhalten, in welcher die letzten Beschlüsse vor -praktischer Inangriffnahme des Werkes gefaßt werden sollen. - - Für den geschäftsführenden Ausschuß der - Internationalen freien Gesellschaft. - _Karl Strahl._ - -Haag, im Juli 18..« - - * * * * * - -Diese Ankündigung rief in der gesamten Presse eine nicht geringe -Aufregung hervor. Der Name des für den geschäftsführenden Ausschuß -Unterschriebenen beseitigte von vornherein den sonst so naheliegenden -Gedanken an irgend eine Mystifikation oder Unlauterkeit, denn Dr. Karl -Strahl war nicht bloß als Mann von geachteter socialer Stellung, sondern -auch als einer der ersten volkswirtschaftlichen Schriftsteller -Deutschlands rühmlichst bekannt. Man mußte also das seltsame Projekt -ernst nehmen und die Zeitungen verschiedenster Parteirichtung -bemächtigten sich alsbald desselben mit größtem Eifer. Lange vor dem 20. -Oktober gab es diesseits wie jenseits des atlantischen Ozeans kein -Journal, das nicht zu der Frage Stellung genommen hätte, ob die -Verwirklichung der von der Freien Gesellschaft angekündigten Pläne in -den Bereich des Möglichen oder des Utopischen gehöre; diese Gesellschaft -selbst aber mengte sich nicht in den Kampf der Zeitungen. Es war -offenbar zunächst nicht ihre Absicht, die Gegner durch theoretische -Beweise zu gewinnen; sie wollte allfällige Gesinnungsgenossen an sich -ziehen und dann handeln. - -Als der 20. Oktober herannahte, zeigte es sich, daß selbst der größte im -Haag vorhandene öffentliche Saal nicht genügen würde, die Menge der -erschienenen Mitglieder, Gäste und Neugierigen zu fassen; es erwies sich -daher als notwendig, zum mindesten die letztere Kategorie des -Auditoriums durch irgend ein Mittel einzuschränken, welches Mittel denn -auch darin gefunden wurde, daß die von fernher zugereisten Gäste zwar -unentgeltlich, die Ortsansässigen dagegen bloß gegen Erlegung von 20 -holländischen Gulden Eintrittskarten erhielten. (Der Erlös dieser Karten -wurde dem Haager Krankenhause zugewiesen.) Nichtsdestoweniger war der -2000 Personen fassende Versammlungssaal am Morgen des 20. Oktober bis in -den letzten Winkel gefüllt. - -Unter atemloser Spannung aller Anwesenden nahm der Vorsitzende -- Dr. -Strahl -- das Wort, um die Versammlung zu eröffnen und zu begrüßen. Die -alle Erwartungen der Einberufer überflügelnde Zahl der neuen Mitglieder -und die Höhe der gezeichneten Beiträge zeuge dafür, daß die Bedeutung -des von der Internationalen freien Gesellschaft beabsichtigten -Unternehmens heute schon, noch bevor die Thatsachen gesprochen, vollauf -erkannt worden sei von Tausenden aus allen Teilen der bewohnten Erde -ohne Unterschied des Geschlechtes und der Lebensstellung. »Die -Überzeugung, daß das Gemeinwesen, an dessen Gründung wir nunmehr -schreiten,« so fuhr Redner fort -- »bestimmt ist, Armut und Elend an der -Wurzel zu fassen und mit diesen zugleich auch all jenen Jammer und die -Reihe von Lastern zu vernichten, die als Folgeübel des Elends anzusehen -sind, sie drückt sich nicht bloß in den Worten, sondern auch in der -Handlungsweise des größten Teiles unserer Mitglieder aus, in der hohen, -opferfrohen Begeisterung, mit der sie -- ein Jedes nach seinen Kräften --- zur Verwirklichung des gemeinsamen Zieles beigesteuert haben. Als wir -unseren Aufruf erließen, waren wir unser 84, das Vermögen, über welches -wir verfügten, betrug 11400 Pfund Sterling; heute besteht die -Gesellschaft aus 5650 Mitgliedern, ihr Vermögen beträgt 205620 Pfd. -Sterling.« (Hier wurde der Vorsitzende von minutenlangem Applaus -unterbrochen.) »Es ist selbstverständlich, daß eine solche Summe nicht -von jenen Elendesten der Elenden allein aufgebracht werden konnte, die -man gemeinhin als bei der Lösung des socialen Problems ausschließlich -interessiert anzusehen gewohnt ist. Noch deutlicher wird das, wenn man -die Liste unserer Mitglieder im Einzelnen durchmustert. Unwiderstehlich -drängt sich dabei die Erkenntnis auf, daß Ekel und Grauen vor den -socialen Zuständen der Gesellschaft allgemach auch jene Kreise ergriffen -hat, die scheinbar Vorteil ziehen aus den Entbehrungen ihrer enterbten -Mitmenschen. Denn -- und darauf möchte ich besonderen Nachdruck legen -- -diese Wohlhabenden und Reichen, die zum Teil mit vielen Tausenden von -Pfunden an unserer Kasse erscheinen, sie sind bis auf geringe Ausnahmen -nicht bloß als Helfer, sondern zugleich als Hilfesuchende beigetreten, -sie wollen das neue Gemeinwesen nicht bloß für ihre darbenden Mitbrüder, -sondern zugleich für sich selber gründen. Und daraus mehr als aus allem -Anderen schöpfen wir die felsenfeste Überzeugung vom Gelingen unseres -Werkes.« - -Neuerdings unterbrach langandauernder, jubelnder Applaus den -Vorsitzenden; als die Ruhe wieder hergestellt war, schloß dieser -folgendermaßen seinen kurzen Vortrag: - -»In Ausführung unseres Programms soll ein annoch herrenloser größerer -Landstrich zum Zwecke der Gründung eines unabhängigen Gemeinwesens -erworben werden. Es fragt sich nunmehr, welchen Teil der Erde wir zu -solchem Vorhaben wählen wollen. Europäisches Gebiet kann aus -naheliegenden Gründen nicht in Frage kommen; auch in Asien würden wir -überall, zum mindesten dort, wo Ansiedler kaukasischer Rasse gedeihen -könnten, leicht in Kollision mit alten Rechts- und Gesellschaftsformen -geraten. In Amerika und Australien ist zwar zu erwarten, daß die -dortigen Staaten uns bereitwillig Raum und Freiheit der Bewegung -einräumen würden, aber auch dort könnte unser junges Gemeinwesen nur -schwer jene ungestörte Ruhe und Sicherheit vor feindlichen Angriffen -gewährleistet erhalten, die insbesondere für den Anfang eine der -Voraussetzungen raschen und ungetrübten Erfolges ist. Bleibt also nur -Afrika, der älteste und doch der jüngstentdeckte Weltteil. Dessen -centrales Innere ist der Hauptsache nach herrenlos, dort finden wir -nicht bloß schrankenlosen Raum und ungestörte Ruhe zur Entfaltung, -sondern bei richtiger Wahl auch die denkbar günstigsten Verhältnisse des -Klimas und der Bodenbeschaffenheit. Gewaltige Hochländer, welche die -Vorzüge der Tropen und unserer Alpenwelt in sich vereinigen, harren dort -noch der Besiedelung. Die Verbindung mit diesen, tief im Inneren des -dunklen Weltteiles gelegenen Bergländern ist allerdings schwierig, aber -gerade das ist's, was uns für den Anfang notthut. Wir schlagen Ihnen -daher vor, die neue Heimat im äquatorialen Innerafrika zu suchen. Und -zwar denken wir zunächst an das Hochgebirge des Kenia, das ist an das -Land östlich vom Ukerewesee, zwischen dem 1. Grade südlicher bis zum 1. -Grade nördlicher Breite und zwischen dem 34. bis 38. Grade östlicher -Länge. Dort glauben wir die geeignetsten Gebiete für unsere Zwecke -finden zu können. Ist die Versammlung mit dieser Wahl einverstanden?« - -Allgemeine Zustimmung folgte und stürmische Rufe: »Vorwärts, lieber -heute als morgen!« wurden laut. Unverkennbar zeigte sich, daß die -Mehrzahl gewillt war, sofort aufzubrechen. Neuerdings nahm jetzt der -Vorsitzende das Wort: - -»So rasch geht dies denn doch nicht, meine Freunde. Die neue Heimat muß -erst gesucht und erworben werden; das aber ist ein schwieriges und -gefahrvolles Unternehmen. Durch Wüsteneien und unwirtliche Wälder führt -der Weg, Kämpfe mit feindseligen wilden Stämmen werden vielleicht nicht -zu vermeiden sein, und zu all dem taugen nur kräftige Männer, nicht -Frauen, Kinder und Greise. Auch die Verpflegung eines viele Tausende -umfassenden Auswandererzuges durch jene Gebiete muß erst noch organisirt -werden, kurzum: es ist durchaus notwendig, daß der Masse der Unseren -eine Schar erlesener Pfadfinder vorausgehe. Erst wenn diese ihre Aufgabe -gelöst haben, können die Anderen nachfolgen. - -»Damit nun alles Erforderliche mit möglichster Kraft, Umsicht und -Raschheit ins Werk gesetzt werde, ist einheitliche, zielbewußte Leitung -vonnöten. Bisher lagen die Geschäfte der Gesellschaft in den Händen -eines Zehnerausschusses; da die Mitgliederzahl inzwischen so stark -gestiegen ist und noch fernerhin steigen wird, so wäre eine Erneuerung -oder zum Mindesten eine Ergänzung der Geschäftsleitung durch die -neuhinzugetretenen Elemente im Wege freier Wahl höchst wünschenswert; -trotzdem können wir Ihnen eine solche jetzt nicht empfehlen, und zwar -aus dem Grunde, weil die neuen Mitglieder einander nicht kennen, und so -rasch auch nicht genügend kennen lernen werden, um Wahlen vorderhand als -etwas anders, denn als ein bloßes Spiel des Zufalls erscheinen zu -lassen. Wir verlangen vielmehr von Ihnen eine Bestätigung unserer -Vollmacht, verbunden mit der Befugnis, uns durch Cooptirungen aus Ihrer -Mitte nach unserem Ermessen verstärken zu dürfen. Und zwar bitten wir um -diese Vollmachten, die übrigens durch Beschluß Ihrer Vollversammlung -jederzeit widerrufbar sein sollen, für die Dauer von zwei Jahren. Nach -Ablauf dieser Frist werden wir, das ist unsere feste Zuversicht, die -neue Heimat nicht blos gefunden, sondern in ihr auch genügend lange -miteinander gelebt haben, um uns einigermaßen kennen zu lernen.« - -Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. - -Der Vorsitzende teilte hierauf noch mit, daß alle Kundmachungen des -geschäftsführenden Ausschusses den Mitgliedern sowohl in den Zeitungen -als durch besondere Zirkulare bekannt gegeben würden und schloß die -Versammlung, welche in gehobenster Stimmung auseinanderging. - -Die erste That des von der Generalversammlung bestätigten Ausschusses -der Internationalen freien Gesellschaft war, daß er für die Leitung des -nach Centralafrika zu entsendenden Zuges der Pfadfinder zwei -Persönlichkeiten ernannte und mit umfassenden Vollmachten ausstattete. -Diese zwei Führer der Expedition sollten sich in ihre Aufgabe derart -teilen, daß der eine die Expedition bis in das zur ersten Ansiedelung zu -erwählende Gebiet leiten, der andere die Organisation der eigentlichen -Ansiedelungsarbeiten zu unternehmen habe. Der eine sollte gleichsam der -Heerführer, der andere der Staatsmann des Expeditionskorps sein. Zu -ersterem Amte wählte der Ausschuß den bekannten Afrikareisenden Thomas -Johnston, der insbesondere das Gebiet zwischen dem Kilima Ndscharo und -Kenia, das sogenannte Massaï-Land wiederholt durchquert hatte. Johnston -war ein jüngeres Mitglied der Gesellschaft und wurde vom Ausschusse erst -aus Anlaß seiner Ernennung zum Führer des Pfadfinderzuges kooptirt. Zur -Leitung der Expedition nach deren Ankunft an ihrem Ziele designirte der -Ausschuß einen jungen Ingenieur, Namens Henri Ney, der als innigster -Freund des Gründers und geistigen Führers der Gesellschaft -- Dr. Strahl --- der Geeignetste war, diesen während der ersten Epoche der Gründung zu -vertreten. - -Dr. Strahl hatte allerdings ursprünglich die Absicht, sich -den Pfadfindern selber anzuschließen und gleich die ersten -Organisationsarbeiten in der neuen Heimat persönlich zu leiten; die -anderen Mitglieder des Ausschusses erhoben jedoch dagegen Einsprache. -Sie konnten nicht zugeben, daß der Mann, von dessen fernerem Wirken das -Gedeihen der Gesellschaft in so hohem Maße abhing, sich Gefahren -aussetze, die für ihn um so bedrohlicher waren, als seine Gesundheit -nicht eben die festeste schien. Auch mußte er bei reiflichem Erwägen -selber zugeben, daß für die nächsten Monate seine Anwesenheit in Europa -weit nützlicher und notwendiger sei, als in Centralafrika. Kurzum: Dr. -Strahl willigte ein, zu bleiben, den Pfadfindern erst mit dem großen -Auswandererzuge nachzufolgen und Henri Ney trat an seine Stelle. - - - - - 2. Kapitel. - - -Wir überlassen nunmehr dem vom Ausschusse der Internationalen freien -Gesellschaft zum eigentlichen Leiter der afrikanischen Expedition -erwählten Freunde des Dr. Strahl das Wort, indem wir sowohl die -Vorbereitungen des Zuges, als auch dessen glückliche Durchführung und -die ersten Kulturarbeiten in den Hochländern des Kenia nach Auszügen aus -dessen Tagebuch mitteilen. - - * * * * * - -Meine Ernennung zum provisorischen Stellvertreter unseres verehrten -Führers hatte mich anfangs mit Schrecken erfüllt. Der Gedanke, daß von -meinen Fähigkeiten zu nicht geringem Teile die glückliche Einleitung -eines Werkes abhängen solle, welches wir alle als das bedeutsamste -und folgenreichste im bisherigen Verlaufe der menschlichen -Entwickelungsgeschichte zu betrachten uns gewöhnt hatten, erfüllte mich -mit einer Art Schwindel. Doch dieser Zustand der Mutlosigkeit währte -nicht lange; ich hatte kein Recht, mich einer Verantwortlichkeit zu -entziehen, zu deren Übernahme die Genossen mich als den Passendsten -erachteten, und als vollends mein väterlicher Freund Strahl mich fragte, -ob ich ein Mißlingen für möglich hielte, wenn die meiner Leitung -Unterstellten von gleicher Begeisterung erfüllt wären wie ich, und ob -ich mich berechtigt glaube, daran zu zweifeln, daß diese Voraussetzung -zutreffen würde, da trat hoher Mut und felsenfestes Vertrauen auf das -Gelingen des Werkes an die Stelle der anfänglichen Verzagtheit, eine -Stimmung, die mich fürderhin keinen Augenblick verlassen hat. - -Die ersten Vorbereitungen zur Organisierung des Zuges der Pfadfinder -wurden übrigens gemeinschaftlich vom gesamten Ausschusse der -Internationalen freien Gesellschaft beraten und beschlossen. Zunächst -galt es festzustellen, aus wieviel Mitgliedern die Expedition bestehen -solle. Dieselbe durfte nicht zu schwach sein, da gerade jener -Volksstamm, inmitten dessen wir uns niederzulassen beabsichtigten -- die -zwischen dem Kilima und Kenia nomadisierenden Massai --, der -kriegerischeste von allen des äquatorialen Afrika ist und ihm nur durch -kräftiges, machtvolles Auftreten imponiert werden kann. Aber auch allzu -zahlreich durfte die Expedition nicht sein, wollte sie sich nicht der -Gefahr aussetzen, durch Schwierigkeiten der Verproviantierung -aufgehalten zu werden. Schließlich einigte man sich darüber, daß -zweihundert »Pfadfinder« mitgenommen werden sollten. Natürlich mußten -diese aus den kräftigsten, zur Überwindung von Anstrengungen, -Entbehrungen und Gefahren am besten geeigneten Mitgliedern der -Gesellschaft erwählt werden. Auch jenes Ausmaß von Intelligenz wurde bei -jedem Teilnehmer der Expedition für notwendig erachtet, welches dazu -gehört, um den vollen Umfang der Verantwortlichkeit und Bedeutung der -übernommenen Mission zu erfassen. - -In Verfolgung dieses Zweckes wendete sich der Ausschuß an die -Zweigvereine, die er inzwischen allerorten gebildet hatte, wo Mitglieder -der Gesellschaft wohnten, mit der Bitte, ihm eine Liste jener sich zur -Expedition Meldenden einzusenden, für deren Gesundheit, kräftige -Konstitution und Intelligenz der betreffende Zweigverein glaube -einstehen zu können. Zugleich sollte angegeben werden, welche -Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten die Vorgeschlagenen besäßen. -Daraufhin liefen binnen wenigen Wochen die Anerbietungen von 870 -wärmstens empfohlenen Mitgliedern ein. Von diesen wurden zunächst -hundert ausgewählt, deren Qualifikation dem Ausschusse unter allen -Umständen in erster Linie berücksichtigenswert erschien. Dieses erlesene -Hundert enthielt 4 Naturforscher (darunter 2 Geologen), 3 Ärzte, 8 -Ingenieure, 4 Vertreter anderer technischer Wissenszweige und 6 -theoretisch geschulte Land- und Forstwirte; ferner 30 solche -Gewerbsleute, die man der Expedition für alle Fälle sichern wollte und -schließlich 45 als besonders treffliche Schützen oder als ausnehmend -kräftig gerühmte Männer. Sonach blieben noch 100 Mitglieder, deren -Auslese den Zweigvereinen in der Weise überlassen wurde, daß jedem -derselben für angemeldete 7 bis 8 Pfadfinder die Wahl je eines solchen -zufiel. Die solcherart Auserlesenen wurden aufgefordert, thunlichst -rasch in Alexandrien, dem vorläufigen Versammlungsorte der Expedition, -einzutreffen; das erforderliche Reisegeld wurde ihnen sofort angewiesen -(im übrigen, wie nebenbei bemerkt werden mag, von ungefähr der Hälfte, -welche die Reisekosten aus Eigenem bestritt, dankend abgelehnt). - -Darüber verging der Monat November. Der Ausschuß aber hatte inzwischen -nicht gefeiert. Die Ausrüstung der Expedition wurde nach allen Seiten -gründlich erörtert, festgestellt und für die Beschaffung aller -Erfordernisse vorgesorgt. Für jedes der 200 Mitglieder wurden sechs -komplete Unterkleider aus leichtem elastischem Wollenstoff, sogenannte -Jägerwäsche, ein leichter und ein schwerer Wollenanzug, ferner zwei Paar -wasserdichte und zwei Paar leichtere Stiefel, je zwei Korkhelme und je -ein wasserdichter Regenanzug bestellt. An Waffen erhielt jedes Mitglied -ein Repetiergewehr bester Konstruktion für zwölf Schüsse, einen -Taschenrevolver und ein amerikanisches Bowiemesser. Außerdem wurden 100 -Jagdgewehre verschiedensten Kalibers, von den vierlötige Sprengkugeln -schießenden Elefantenflinten bis zur leichtesten Schrotbüchse -angeschafft, selbstverständlich ausreichende Munition nicht vergessen. - -Die hierauf zu erörternde wichtigste Frage war, ob die Expedition -beritten gemacht werden solle oder nicht, und ob die Beförderung der -mitzunehmenden Lasten von der Zanzibarküste ab durch Träger, sogenannte -Pagazis, oder durch Lasttiere zu erfolgen habe. Johnston hatte anfangs -die Absicht gehabt, bloß 80 Pferde und Esel, teils zum Tragen der -schwereren Laststücke, teils zur Beförderung etwaiger Kranker oder -Maroder anzukaufen und als Träger des von ihm auf 400 Zentner -veranschlagten Gesamtgepäcks 800 Pagazis in Zanzibar und Mombas -anzuwerben. Diesen Plan ließ er jedoch sofort fallen, als ich seiner -Gepäckliste, die der Hauptsache nach bloß die zum Unterhalte der -Expedition für sechs Monate berechnenden Bedarfs- und Tauschartikel -umfaßte, meine Anforderungen hinzufügte. Ich verlangte vor allem die -Mitnahme von Werkzeugen, Maschinenbestandteilen und sonstigen -Gegenständen, die uns -- am Ziele angelangt -- in den Stand setzen -sollten, möglichst rasch rationellen Feldbau und die Selbsterzeugung der -notwendigsten Bedarfsartikel für viele Tausend uns nachfolgender -Ansiedler in Angriff zu nehmen. Zu diesem Behufe brauchten wir eine -Reihe landwirtschaftlicher Geräte oder doch jene Bestandteile derselben, -die sich ohne komplizierte, zeitraubende Vorrichtungen nicht herstellen -lassen, ähnliche Bestandteile für eine Feldschmiede und Schlosserei, -sowie für eine Mahl- und Sägemühle; ferner Sämereien und Setzlinge in -nicht geringer Menge, desgleichen einige Materialien, auf deren rasche -Beschaffung im inneren Afrika nicht zu rechnen wäre. Schließlich machte -ich darauf aufmerksam, daß zum Zwecke der vollkommenen Sicherung des -Weges für die uns nachfolgenden Karawanen die Abschließung fester -Freundschaftsbündnisse, insbesondere mit den kriegerischen Massai sich -empfehlen würde, wozu wieder weit zahlreichere und wertvollere Geschenke -erforderlich seien, als er sie präliminiert habe. - -Johnston hatte gegen all dies nichts einzuwenden, meinte aber, daß damit -die zu befördernde Last sich mindestens verdoppeln, wahrscheinlich -verdreifachen würde und daß die sohin erforderlichen 1600 bis 2400 -Pagazis den Zug allzu schwerfällig gestalten würden. Da schlug Dr. -Strahl vor, von der Beförderung durch Pagazis gänzlich abzugehen und -ausschließlich Lasttiere zu verwenden. Er wisse wohl, daß in den -Niederungen des äquatorialen Afrika die Tsetsefliege und das schlechte -Wasser insbesondere den Pferden tötlich werde; auf unserer Route sei -aber solches nicht zu befürchten, da dieselbe sehr bald das den Tieren -ganz zuträgliche Hochland erreiche. Ebenso lasse sich die in der -Beschaffenheit der innerafrikanischen Wege gelegene Schwierigkeit wohl -überwinden. Dieselben besitzen -- wie er unter anderem auch aus -Johnstons Reiseberichten wisse -- überall, wo sie Dickicht oder Gestrüpp -durchziehen, eine Breite von knapp zwei Fuß, zu wenig für Packtiere, die -deshalb an solchen Stellen oft abgeladen werden müßten, wobei -menschliche Träger zeitweilig die Lastenbeförderung zu übernehmen haben. -Letzteres wäre nun allerdings bei einer ausschließlich aus Tragtieren -bestehenden Karawane mit verhältnismäßig nur wenigen Treibern und -Begleitern entweder ganz unmöglich oder doch mit unberechenbarem -Zeitverluste verbunden. Er glaube aber, daß es gelingen müsse, mittels -einer entsprechenden Anzahl gut ausgerüsteter Eclaireure den Weg überall -auch für Tragtiere frei zu machen. Johnston stimmte dem zu; wenn man ihm -etwa 100 mit Äxten und Faschinenmessern versehene Eingeborene, die er -sich unter der Küstenbevölkerung aussuchen würde, zur Disposition -stelle, so mache er sich anheischig, auch eine Karawane von Tragtieren -ohne nennenswerten Aufenthalt bis an den Kenia zu führen. - -Nachdem diese Frage erledigt war, regte Dr. Strahl des ferneren die Idee -an, auch die sämtlichen 200 Mitglieder der Expedition beritten zu -machen. Er habe dabei einen doppelten Zweck im Auge. Erstlich -- und das -habe teilweise auch zu seinem obigen Vorschlage den Anstoß gegeben, -müsse für die Einführung und dauernde Akklimatisierung von Trag- und -Zugtieren in der künftigen Heimat gesorgt werden, wo es zwar derzeit -Rinder, Schafe und Ziegen, nicht aber Pferde, Esel oder Kamele gebe, und -zwar sei es am besten, diese nützlichen Tiere in thunlichst großer Zahl -schon von Anbeginn mitzunehmen; sodann glaube er, daß wir beritten uns -viel rascher bewegen könnten. Er fügte hinzu, daß er sowohl bei den -Last- als bei den Reittieren auf die Anschaffung erlesener, zur -Fortzucht geeigneter Exemplare Gewicht legen würde, insbesondere bei den -Pferden, da doch von der Beschaffenheit dieses ersten Materials auch die -der späterhin zu erzielenden Nachzucht abhänge. Auch dem wurde -zugestimmt; nur gab Johnston zu bedenken, daß sich durch all dies die -Kosten der Expedition ganz außerordentlich verteuern würden. So wie er -sie ursprünglich geplant habe, wären mit höchstens 12000 Pfd. Sterl. die -Kosten zu decken gewesen, jetzt müsse mit ungefähr der vierfachen Summe -gerechnet werden. Letzterer Umstand wurde nicht bestritten und die -Rechnung erwies sich auch nachträglich insofern richtig, als die -Expedition in Wahrheit 52500 £ verschlang; aber übereinstimmend wurde -hervorgehoben, daß es eine nützlichere Verwendung der doch so reichlich -zu Gebote stehenden und fortwährend in raschem Wachsen begriffenen -Geldmittel gar nicht geben könne, als den Aufwand für alles, was -geeignet sei, den Erfolg der Expedition zu beschleunigen und das neu zu -gründende Gemeinwesen auf möglichst gedeihlicher Grundlage einzurichten. - -Hierauf wurde zu einer detaillierten Beratung und Feststellung des -gesamten anzuschaffenden Materials geschritten. Als alles verzeichnet -und seinem Gewichte nach abgeschätzt war, zeigte sich, daß wir ungefähr -1200 Zentner würden zu befördern haben und zwar: - - 150 Ztr. verschiedene Lebensmittel und Getränke; - 120 " Reisegeräte (darunter 50 wasserdichte Zelte für je 4 - Mann); - 160 " verschiedene Sämereien und Materialien; - 220 " Werkzeuge, Maschinenbestandteile und Instrumente; - 400 " Tauschwaren und Geschenke; - 120 " Munition und Sprengstoffe. - -Außerdem wurden auf Johnstons besonderen Wunsch bei Krupp in Essen 4 -leichte stählerne Gebirgskanonen für Sprenggeschosse bestellt. Seine -Absicht bei dieser Anschaffung war keineswegs, diese Mordwaffen -ernstlich gegen etwaige Feinde zu gebrauchen; aber er rechnete darauf, -durch den Schrecken, den dieselben erforderlichenfalls erregen mußten, -den Frieden desto sicherer erhalten zu können. Dazu kamen im letzten -Momente 300 Werndlgewehre samt entsprechenden Patronen, sehr gute -Hinterlader, die wir billig von der österreichischen Regierung erstanden -und teils als Reserve, teils zur Ausrüstung eines Teiles der in Zanzibar -anzuwerbenden Neger gebrauchen konnten. - -Diese ansehnliche Last sollte auf 100 Saumpferde, 200 Esel und Maultiere -und 80 Kamele verladen werden. Da wir außerdem 200 Pferde brauchten, um -uns beritten zu machen und auch eine kleine Reserve zum Ersatze -unterwegs eingehender Tiere wünschenswert war, so wurde beschlossen, in -allem 320 Pferde, 210 Esel und 85 Kamele zu kaufen, die Pferde teils in -Ägypten, teils in Arabien, die Kamele in Ägypten, die Esel in Zanzibar. - -Alle erforderlichen Anschaffungen wurden sofort gemacht. Unsere -Bevollmächtigten wählten und bestellten alles an erster Quelle; nach -Jemen in Arabien und nach Zanzibar wurde je ein Einkäufer für Pferde und -Esel gesendet, und nachdem dies besorgt oder angeordnet war, machten -Johnston und ich -- die wir inzwischen innige Freundschaft geschlossen -hatten -- uns auf den Weg nach Alexandrien. - -Bevor ich jedoch zur Schilderung unserer dortigen Thätigkeit übergehe, -muß ich einen Zwischenfall erwähnen, den wir im Ausschusse mit einer -jungen Amerikanerin hatten, die durchaus in die Expedition aufgenommen -werden wollte. Die Dame war reich, schön und exzentrisch, eine -schwärmerische Anhängerin unserer Ideen und sichtlich nicht gewöhnt, an -die Möglichkeit irgend eines ernstlichen Widerstandes ihren Wünschen -gegenüber zu glauben. Sie hatte der Gesellschaft eine sehr bedeutende -Summe gewidmet und sich jetzt in den Kopf gesetzt, mit unter den Ersten -zu sein, welche die neue afrikanische Heimat betreten würden. Ich muß -gestehen, daß mich das herrliche Mädchen dauerte, das sichtlich von -verzehrendem Thatendrange erfüllt war und die seinem Geschlechte -gegenüber an den Tag gelegte ängstliche Schonung als beschämende -Zurücksetzung empfand. Allein es ließ sich nichts thun; wir hatten -mehreren Frauen, die in Begleitung ihrer als Pfadfinder acceptierten -Ehemänner die Expedition mitmachen wollten, dies abgeschlagen und -konnten jetzt keine Ausnahme machen. Die junge Miß wandte sich hierauf, -da ihr Drängen bei uns Männern vom Ausschusse nichts half, an unsere -weiblichen Angehörigen, die sie rasch ausgekundschaftet hatte; allein -auch dort erntete sie geringen Erfolg. Sie wurde zwar von den Damen -herzlich und liebenswürdig aufgenommen, denn sie war in der That reizend -in ihrer Schwärmerei; aber das war in den Augen der Frauen nur ein Grund -mehr, den Männern darin Recht zu geben, daß so zarte Geschöpfe nicht in -die Gefahren und Entbehrungen einer Forschungsreise gehören. Man -hätschelte und schmeichelte ihr wie einem verzogenen Kinde, welches -Unmögliches fordere, und das brachte Fräulein Ellen Fox -- so hieß die -Amerikanerin -- vollends außer sich. - -Plötzlich schien sie beruhigt und zwar auffallenderweise kurze Zeit -nachdem sie die Bekanntschaft einer anderen Dame gemacht, die -gleichfalls, wenn auch aus anderen Gründen, unsere Expedition mitmachen -wollte. Diese andere Dame war meine Schwester Klara. Wollte jene aus -Begeisterung für unsere Ideen mit nach Afrika, so war diese aus Abscheu -und Angst vor diesen selben Ideen zu dem gleichen Entschlusse gelangt. -Meine Schwester -- um zwölf Jahre älter als ich und ledig geblieben, -weil sie keinen Mann zu finden vermocht, der ihren Vorstellungen von -Distinktion und vornehmem Wesen genügend entsprochen hätte -- war eine -der besten, im innersten Herzen edelsten, aber von den mannigfaltigsten -Vorurteilen fest eingesponnenen Frauen, auf die ich während der 26 Jahre -meines bisherigen Lebens gestoßen. Sie war nicht kaltherzig, ihre Hand -jedem Hilfsbedürftigen gegenüber stets offen, aber vor allem, was nicht -den sogenannten höheren, gebildeten Ständen angehörte, hatte sie eine -unüberwindliche Mißachtung. Als sie durch mich zum ersten Male von der -socialen Frage Näheres erfuhr, flößte es ihr Grauen ein, daß vernünftige -Menschen ernstlich glauben könnten, sie und ihre Küchenmagd seien von -Natur aus mit gleichem Rechte ausgestattet, und da ich wußte, daß hier -alle Bekehrungsversuche eitel wären, teilte ich der Guten Jahre hindurch -nichts mit von meinen Verbindungen mit Dr. Strahl, nichts von der -Gründung der freien Gesellschaft und von der Rolle, die ich in dieser -spielte. Ich wollte ihr den Kummer über meine »Verirrung« möglichst -lange ersparen, denn ich liebe diese Schwester zärtlich, deren Abgott -hinwieder ich bin. Seit langen, langen Jahren war meine Betreuung, die -ängstliche Sorge um mich, ihr einziger Lebenszweck. Ich wohnte bei ihr -und sie behandelte mich stets als kleinen Jungen, dessen Erziehung ihre -Sache sei. Daß ich ihrer Hut entrückt länger als höchstens zwei bis drei -Tage existieren könne, ohne das Opfer meiner kindlichen Unerfahrenheit -und der Bosheit schlechter Menschen zu werden, erschien ihr stets als -ein Ding der baren Unmöglichkeit. Nun denke man sich das namenlose -Entsetzen dieser meiner Vormünderin, als ich ihr endlich doch die -Eröffnung machen mußte, daß ich nicht nur einer socialistischen -Gesellschaft beigetreten, nicht nur mein ganzes, bescheidenes Vermögen -deren Zwecken geweiht, sondern überdies dazu ausersehen sei, 200 -Socialisten in das Innere von Afrika zu führen. Es dauerte mehrere Tage, -bis sie das Ungeheure begreifen, glauben lernte; dann kamen Bitten, -Thränen, verzweifelte Vorwürfe und Vorstellungen. Ich möge den -»Strolchen« mein Geld, auf welches sie es doch allein abgesehen hätten, -ruhig überlassen und nur ums Himmels willen redlich im Lande bleiben; -sie konsultierte unseren Hausarzt über meine Zurechnungsfähigkeit, kam -aber dabei übel weg, denn dieser war auch einer der Unsrigen, ja sogar -Mitglied der Expedition. Schließlich, da alles nichts fruchtete, -eröffnete sie mir, daß sie, wenn ich partout in mein Verderben rennen -wolle, mich begleiten werde. Als ich ihr erklärte, dies gehe nicht an, -da Frauen nicht mitgenommen würden, führte sie ihr schwerstes Geschütz -ins Treffen, sie erinnerte mich an unsere verstorbene Mutter, die ihr -noch auf dem Totenbette aufgetragen habe, mich nicht zu verlassen, eine -letztwillige Anordnung, der ich mich fügen müsse; und als ich auch dem -gegenüber hartnäckig blieb, zum ersten Mal in meinem Leben die Bemerkung -wagend, die gute Mutter habe mich damit offenbar bloß während der Zeit -meiner Kindheit ihrer Obhut empfehlen wollen, verfiel sie in -hoffnungslose Verzweiflung, aus der nichts sie herauszureißen vermochte. -Vergebens nannte ich sie mein liebes kleines Mütterchen, vergebens -versicherte ich ihr, daß unter unseren 200 Pfadfindern immerhin einige -ganz erträgliche Kerle seien, die wohl ein menschliches Rühren mit mir -haben würden, vergebens versprach ich ihr, daß sie in Halbjahrsfrist -etwa mir nachfolgen könne -- es half alles nichts, sie gab mich -verloren, und ich begann nachgerade, als der Tag meiner Abreise -herannahte, ernstlich in Sorge zu geraten, was diesem ebenso rührenden -als närrischen Schmerze gegenüber wohl zu beginnen sei. - -Da besuchte Miß Ellen meine Schwester; ich mußte, von Geschäften -gerufen, die Beiden allein lassen, und als ich zurückkam, fand ich Klara -wunderbar getröstet. Sie jammerte und stöhnte nicht mehr, ja sie konnte -sogar, ohne in Thränen auszubrechen, von dem Schrecklichen sprechen. -Offenbar hatte Miß Ellens Exaltation wohlthuend auf ihre kindische Angst -gewirkt und ich segnete um deswillen die schöne Amerikanerin, umsomehr, -da auch sie uns von da ab durch ihr Drängen nicht mehr quälte. Sie war -plötzlich abgereist und ich beglückwünschte mich höchlichst, einer -doppelten Verlegenheit so rasch ledig geworden zu sein. - -Am 3. trafen Johnston und ich in Alexandrien ein, von der Mehrzahl -unserer Expeditionsgenossen bereits erwartet. Es fehlten nur noch 23, -die teils aus zu entfernten Weltgegenden herbeieilten, um schon -eingetroffen sein zu können, teils durch irgendwelche unvorhergesehene -Zwischenfälle noch zurückgehalten waren. Johnston schritt ohne Zögern an -die Equipierung, Einübung und Organisierung der Schar. Zu diesem Behufe -wurde die Stadt verlassen und zehn Kilometer entfernt vom Weichbilde -derselben, an den Ufern des Mariut-Sees, ein Zeltlager bezogen. Die -Verpflegung besorgte unter meiner Leitung ein aus 6 Mitgliedern -gebildeter Wirtschaftsausschuß; jeder Mann erhielt vollständige -Beköstigung und außerdem -- sofern er nicht ausdrücklich darauf -verzichtete -- 2 £ in Bargeld monatlichen Zuschuß. Dieselbe Summe wurde -auch später während der Dauer des eigentlichen Zuges bezahlt, nur -selbstverständlich nicht in der Form von Gold- oder Silbermünze, die im -äquatorialen Afrika nutzlos ist, sondern in der von mitgenommenen -Bedarfsgegenständen oder Tauschwaren zum Kostenpreise. Nachdem die -Ausrüstungsgegenstände -- Kleider und Waffen -- ausgepackt waren, -begannen die Übungen. Täglich wurde acht Stunden lang manövriert, -marschiert, geschwommen, geritten, gefochten und nach der Scheibe -geschossen. Später veranstaltete Johnston größere auf mehrere Tage -ausgedehnte Märsche bis nach Gizeh und an den Pyramiden vorbei nach -Kairo. Inzwischen lernten wir uns genauer kennen, Johnston ernannte -seine Unterbefehlshaber, denen gleich ihm militärischer Gehorsam -geleistet werden mußte, eine Notwendigkeit, die von allen ohne Ausnahme -freudig anerkannt wurde. Das mag vielleicht manchem sonderbar erscheinen -angesichts der Thatsache, daß wir doch auszogen, ein Gemeinwesen zu -gründen, in welchem unbedingte Gleichberechtigung und schrankenloses -individuelles Selbstbestimmungsrecht herrschen sollte; aber wir -begriffen eben alle, daß dieser Endzweck unseres Unternehmens und die -Expedition, die uns dahin führen sollte, zwei verschiedene Dinge seien; -es kam während des ganzen Zuges auch nicht ein Fall von -Widersetzlichkeit vor, wogegen allerdings auch von Seiten der Offiziere -kein Fall überflüssigen barschen Befehlens bemerkt werden konnte. - -Als der Zeitpunkt unserer Weiterreise nach Zanzibar herannahte, waren -wir eine vollkommen eingeübte Elitetruppe. Im Manövrieren konnten wir es -mit jedem Gardekorps aufnehmen -- natürlich nur hinsichtlich jener -Übungen, die Schlagfertigkeit und Beweglichkeit einem etwaigen Feinde -gegenüber, nicht aber den Parademarsch und die s. g. militärischen -Honneurs zum Gegenstande haben. In letzterer Beziehung waren und blieben -wir so unwissend wie die Hottentotten; dafür konnten wir ohne Beschwer -24 Stunden lang mit bloß sehr kurzen Unterbrechungen marschieren oder im -Sattel sein, unser Schnellfeuer ergab schon auf 1000 Meter Distanz eine -ganz respektable Zahl von Treffern; auch unser Granatenfeuer wäre im -Bedarfsfalle nicht zu verachten gewesen und ebenso trefflich wußten wir -mit einer kleinen Batterie Congrève'scher Raketen umzugehen, die -Johnston auf den Rat eines im Sudan bedienstet gewesenen ägyptischen -Offiziers, eines geborenen Österreichers, der sich in Alexandrien häufig -als Zuschauer bei unseren Übungen eingefunden, aus Triest hatte -nachsenden lassen. - -Am 30. März schifften wir uns auf der »Aurora«, einem prächtigen -Schraubendampfer von 3000 Tonnen ein, den der Ausschuß von der -englischen P. & O.-Company gechartert hatte und der, nachdem er zuvor in -Liverpool, Marseille und Genua die für uns bestimmten Waren an Bord -genommen, am 22. März in Alexandrien eingetroffen war. Die Einschiffung -und sichere Unterbringung von 200 Pferden und 60 Kamelen, die in Ägypten -gekauft worden waren, nahm mehrere Tage in Anspruch; doch hatten wir -keinen Grund zur Eile, da der eigentliche Zug ins Innere Afrikas der -Regenzeit wegen ohnehin nicht vor dem Monat Mai angetreten werden -sollte. Von Alexandrien bis Zanzibar aber rechneten wir -- den -Aufenthalt in Aden behufs Einschiffung der noch notwendigen Pferde und -Kamele eingerechnet -- höchstens 20 Tage. Es blieben uns also noch immer -reichlich zwei Wochen für Zanzibar und für die Überfahrt nach Mombas, -von wo aus wir den Weg zum Kilima Ndscharo und Kenia antreten wollten -und wo wir uns, der an der Küste angeblich herrschenden Fiebergefahr -wegen, keinen Tag länger als notwendig aufzuhalten gedachten. - -Es ging auch alles ganz programmgemäß von statten. In Aden trafen wir -unseren Agenten mit 120 der prachtvollsten edelsten Jemener Pferde und -mit 25 Kamelen, nicht minder vorzüglicher Rasse; ebenso wurden hier 115 -Esel eingeschifft, die gleich den Kamelen infolge geänderter -Dispositionen in Arabien statt in Zanzibar, resp. Ägypten angeschafft -worden waren. Am 16. April warf die »Aurora« im Hafen von Zanzibar -Anker. - -Die halbe Bevölkerung der Insel hatte sich aufgemacht, uns zu begrüßen. -Der Ruf war uns voraufgegangen, und wie es schien, kein schlechter Ruf, -denn nicht bloß die hier lebende, während der letzten Jahre auf nahezu -200 Köpfe angewachsene europäische Kolonie, sondern auch Araber, Hindu -und Neger wetteiferten an Freundlichkeit und Entgegenkommen. Die erste -Persönlichkeit, die uns in Empfang nahm, war natürlich unser Zanzibarer -Bevollmächtigter, der uns auch sofort die erfreuliche Versicherung gab, -daß er alles ihm Aufgetragene vollbracht habe und daß angesichts der uns -gegenüber herrschenden Stimmung die Anwerbung der erforderlichen -eingeborenen Mannschaften mit größter Leichtigkeit von statten gehen -werde. - -Am 26. April verließen wir mit der Aurora Zanzibar und kamen am Morgen -des nächsten Tages wohlbehalten in Mombas an. Unsere sämtlichen Tiere -und den größten Teil der Waren hatten wir schon sieben Tage vorher in -Begleitung eines Trupps der in Zanzibar aufgenommenen Wärter und unter -Aufsicht von 10 Mann der Unsrigen -- gleichfalls mit der Aurora -- dahin -gesendet, wo wir sie alle in sehr guter Verfassung und zumeist auch -schon erholt von den Strapazen der Seereise antrafen. Um die -aufgenommenen Leute zu mustern und jeglichem seine Obliegenheiten -zuzuteilen, bezogen wir außerhalb der Stadt Mombas in einem kleinen -Palmenhaine mit herrlicher Aussicht auf das Meer ein Lager. Für je 2 -Handpferde oder Kamele und für je 4 Esel wurde je ein Treiber und Wärter -bestellt, so daß zu diesem Behufe von unseren 280 Suahelileuten 145 -beansprucht waren; 35 wurden zum Tragen leichter und zerbrechlicher oder -solcher Gegenstände ausersehen, die jederzeit zur Hand sein mußten; 100 --- unter diesen selbstverständlich die Wegführer und zwei Dolmetscher -- -dienten als Eclaireure. Am 2. Mai war all dies organisiert und -durchgeführt, die Lasten verteilt, jedem Manne sein Platz angewiesen; -der Zug ins Innere konnte angetreten werden. - -Da wir aber programmgemäß nicht vor dem 5. Mai abmarschieren durften, um -zuvor noch das am 3. oder 4. in Zanzibar eintreffende europäische -Postschiff abzuwarten, welches uns die letzten Nachrichten von unseren -Freunden und allenfallsige Anordnungen des Ausschusses überbringen -sollte, so hatten wir einige Tage der Muße vor uns, die wir dazu -benutzen konnten, die Gegend um Mombas zu besichtigen. - -Der Ort selber liegt auf einem Inselchen, welches hier von einem sich -ins Meer ergießenden und zu einer mächtigen Bucht sich ausweitenden -Flusse gebildet wird, dessen Ufer einige dichte Mangrovesümpfe umgeben. -Der Aufenthalt unmittelbar an der Küste und auf Mombas selber ist daher -nicht ganz gesund und keineswegs für längere Zeit rätlich. Aber schon -wenige Kilometer landeinwärts finden sich sanftgeschwungene Hügel, -bestanden mit prachtvollen Gruppen von Kokospalmen, die sich inmitten -smaragdgrüner Grasmatten erheben und unter denen die von Gemüsebeeten -umgebenen Hütten der Wanjika, der hiesigen Küstenbewohner, -hervorlauschen, welche Hügel selbst während der Regenzeit einen ganz -gesunden Aufenthalt bieten. Allerdings wäre es für einen Europäer -gefährlich, hier jahrelang zu wohnen, da die während der Hitzemonate -- -Oktober bis Januar -- herrschende Temperatur ihm auf die Dauer schädlich -wird. Im Mai jedoch, wo die großen Regen, die in den Monaten Februar bis -April niedergehen, den Boden und die Atmosphäre tüchtig erfrischt haben, -ist die Hitze nicht eben lästig. - -Das Eilschiff der französischen Messagerie hatte sich zwar um einen Tag -verspätet, so daß es in Zanzibar erst am 4. spät Nachts eintraf; wir -aber erhielten, Dank der Liebenswürdigkeit des Kapitäns die für uns -bestimmten Sendungen trotzdem einen Tag früher als wir erwartet hatten. -Dieser nämlich, der in Aden erfahren hatte, daß und wo wir auf die von -ihm beförderte Post warteten, hielt auf der Höhe von Mombas, das er -zeitlich am Morgen des 4. passierte, eine gerade vorbeisegelnde -arabische Dhau an und übergab ihr die für uns bestimmten Pakete, die wir -demzufolge noch am selben Vormittag empfingen, während wir andernfalls -bis zum Abend des nächsten Tages hätten auf sie warten müssen. Von den -uns solcherart unmittelbar vor unserem Aufbruche erreichenden -Nachrichten, sind nur zwei hervorzuheben; erstlich die Anzeige, daß der -Ausschuß unseren Bevollmächtigten in Zanzibar beauftragt habe, während -der ganzen Dauer unseres Zuges engste Fühlung mit Mombas zu unterhalten -und dort für alle Fälle einige Eilboten nebst einem schnellsegelnden -Kutter bereit zu halten; zum zweiten die Mitteilung, daß bis zum 18. -April, dem Tage der Postabfertigung, die Zahl der gesellschaftlichen -Mitglieder auf 8460, das Vermögen auf nahezu 400000 £ gestiegen sei. - -Und noch eine kleine Überraschung kam in Begleitung dieser letzten -Nachrichten aus der Heimat. Zugleich mit den Postpaketen hatte das -Postschiff der Dhau ein Koppel von nicht weniger als 32 Hunden -übergeben, geführt von 2 Wärtern, welch letztere uns Grüße von ihrem -Auftraggeber, Lord Clinton, vermeldeten, der als warmer Freund unserer -Ideen und großer Hundeliebhaber dies Geschenk eigens aus York übersende, -überzeugt, daß uns dasselbe auf der Reise sowohl als am Ziele derselben -vortrefflich zu statten kommen werde. Die Tiere waren prachtvoll, 12 -Doggen und 20 Schäferhunde von jener langbeinigen und langhaarigen -Rasse, die ein Mittelding zwischen Windspiel und Bernhardiner zu sein -scheint. Die kleinste der Doggen war vom Kreuz gemessen 70 Zentimeter -hoch, die Schäferhunde nicht sonderlich kleiner, wie sich bald erwies, -alles wohlgesittete, anstellige Kreaturen, die denn auch allseitig mit -größter Freude begrüßt wurden. Die beiden Wärter erklärten, daß ihnen -zwar unsere Pläne und Ideen höchst gleichgültig seien, da sie »von all -dem Zeug nichts verstünden«, daß sie aber, wenn wir es gestatteten, in -Begleitung ihrer lieben vierfüßigen Freunde sehr gerne mit uns zögen. Da -sie sich als kräftige, gesunde und trotz aller Einfalt ganz anstellige -Kerle zeigten, überdies versicherten, im Reiten und Schießen leidlich -bewandert, in der Dressur mannigfaltigen Getiers aber geradezu Virtuosen -zu sein, so nahmen wir sie gerne mit. An Lord Clinton wurde ein -herzliches Dankschreiben adressiert, und nachdem die Post mit diesem und -den anderen für Europa bestimmten Nachrichten über Zanzibar expediert -und die Anordnungen für morgen getroffen waren, umfing uns die letzte -Nacht vor unserem Aufbruche in das dunkle Innere der afrikanischen Welt. - - - - - 3. Kapitel. - - -Am Morgen des 5. Mai weckten uns die Horn- und Trommelsignale der -Kirangozis (Karawanenführer), wie angeordnet war, um 3 Uhr aus dem -Schlafe. Große, schon Abends vorher bereit gelegte Lagerfeuer wurden -angezündet, an denen das Frühstück -- Thee oder Kaffee mit Eiern und -kaltem Fleisch für uns Weiße, eine Fleisch- und Gemüsesuppe für die -Suahelis -- gekocht und bei deren Schein die Vorbereitungen für den -Abmarsch getroffen wurden. Der Vortrab, bestehend aus den 100 -Eclaireuren und 20 leichtbeladenen Packpferden, brach, begleitet von 30 -Berittenen, schon eine Stunde später auf. Ihm war die Aufgabe -zugewiesen, den Weg, wo er durch Dschungel oder dichtes Gehölz führte, -mit Axt, Faschinenmesser und Haue soweit zu lichten, daß unsere -umfangreichsten Gepäckstücke ungefährdet auf dem Rücken der Tragtiere -passieren könnten, Gewässer nach Thunlichkeit zu überbrücken und die -Lagerplätze für das nachrückende Hauptkorps vorzubereiten. Zu diesem -Behufe mußte diese Truppe -- je nach der Beschaffenheit der vor uns -liegenden Wegstrecke -- einige Stunden bis zu einigen Tagen Vorsprung -nehmen. Für den Anfang, wo nach Aussage der wegekundigen Führer -sonderliche Hindernisse nicht zu erwarten waren, genügte ein Vorsprung -von wenigen Stunden. - -Der Hauptzug war erst um 8 Uhr in Ordnung. Die Tête nahmen hier 150 von -uns Weißen, voran Johnston und ich; dann folgten in langer Linie zuerst -die Handpferde, dann die Esel, zum Schluß die Kamele; der Nachtrab war -durch 20 Weiße gebildet. So verließen wir endlich, als die Sonne schon -heiß herniederbrannte, unseren Lagerplatz, warfen einen letzten Blick -nach dem malerisch hinter uns gelegenen Mombas zurück, sandten unsere -Scheidegrüße dem da unten brandenden Meere zu, dessen dumpfes Grollen -trotz der Entfernung von mindestens 7 Kilometern in der Luftlinie -deutlich zu hören war -- und vorwärts ging es unter Hörnerklang und -Trommelwirbel die ziemlich steilen, doch nicht eben ansehnlichen Höhen -hinan, die uns von der am Eingange ins Innere liegenden sogenannten -Wüste trennten. Diesen Namen verdient jedoch dieser alsbald von uns -erreichte Landstrich offenbar nur in der heißen Jahreszeit; jetzt, wo -die dreimonatliche Regenepoche kaum erst abgeschlossen war, fanden wir -die Landschaft eher parkähnlich. Schönes, wenn auch nicht eben hohes -Gras wechselte ab mit Gebüschen von Mimosen oder Zwergpalmen und mit -kleinen Akaziengruppen. Als wir nach zwei Stunden die letzten Ausläufer -des Küstengebirges hinter uns hatten, wurde das Gras noch üppiger, die -Bäume häufiger und höher, zahlreiche Antilopen zeigten sich in der -Ferne, waren aber sehr scheu und wurden alsbald von den Hunden, denen -das nutzlose Jagen noch nicht abgewöhnt war, verscheucht. Gegen 11 Uhr -wurde unter dem Schatten eines von dichten Schlingpflanzen zu einem -förmlichen Riesenbaldachin umgestalteten Palmenhaines Rast gemacht und -abgekocht. Wir alle, Menschen und Tiere, waren trotz des bloß -dreistündigen Marsches sehr erschöpft; das vorangegangene vierstündige -Rennen und Laufen im Lager war eben auch gerade keine Erholung gewesen -und die Hitze hatte von 10 Uhr ab angefangen höchst unangenehm zu -werden. - -Durch eine reichliche Mahlzeit, deren Hauptbestandteil zwei fette, -unterwegs gekaufte Ochsen waren, und die erquickende Ruhe im Schatten -des dichten Lianen-Baldachins gestärkt, brachen wir schon um 4 Uhr -nachmittags wieder auf und erreichten nach sehr anstrengendem, nahezu -fünfstündigem Marsche den von unserer Avantgarde bereiteten Lagerplatz, -in der Nähe eines Wakambadorfes zwischen Kwale und Mkinga. Die -Avantgarde selber trafen wir nicht mehr; sie hatte hier Mittagsrast -gehalten und war mehrere Stunden vor unserer Ankunft weiter marschiert, -um ihren Vorsprung nicht zu verlieren. Dafür hinterließ sie uns unter -der Obhut eines der Ihrigen elf verschiedene Antilopen, die ihre Jäger -unterwegs geschossen, zum Abendimbiß. - -Am Morgen des zweiten Marschtages befanden wir uns -- eingedenk der -Qualen des gestrigen Vormittags -- schon um 4½ Uhr unterwegs. Das Land -war anfangs recht offen; schon nach zwei Stunden aber erreichten wir das -Gebiet von Duruma, wo unser Vortrab sichtlich heiße Arbeit gefunden -hatte. Kilometerweit zog sich der Pfad durch dornige Gestrüppe -abscheulichster Art, in denen ohne die Beile und Messer unserer wackeren -Eclaireure an ein Fortkommen mit Packtieren nicht zu denken gewesen -wäre. Da jene jedoch tüchtig aufgeräumt hatten, so kamen wir überall -rasch und ohne Hindernis hindurch. Gegen acht Uhr wurde der Weg wieder -besser und das wechselte dann so ab, bis wir am Abend des dritten Tages -Durumaland hinter uns hatten und die große Wüste betraten, die sich von -da nahezu ununterbrochen bis Teita ausdehnt. - -Sonst ist über diese Marschtage nichts zu berichten, als daß wir stets -ziemlich pünktlich um 4½ Uhr aufbrachen, nach 9 Uhr morgens eine erste -Station machten, vor 5 Uhr nachmittags uns wieder in Marsch setzten und -zwischen 8 und 9 Uhr abends das Nachtlager bezogen. Die -Verproviantierung in Duruma-Land war nicht eben leicht, aber es gelang -uns doch, von den Viehzucht und Landbau treibenden Bewohnern genügende -Lebensmittel an Vegetabilien und Fleisch, von letzterem auch einen -ausreichenden Vorrat für den Durchzug durch die Duruma-Wüste -einzuhandeln. Das Land scheint von großer natürlicher Fruchtbarkeit zu -sein, ist aber gerade an seinen besten Stellen unangebaut und verlassen, -da die Bewohner der unablässigen Einfälle der Massai halber sich aus -ihren unzugänglichen Dschungeldickichten kaum hervorwagen. Allenthalben -hörten wir Klagen über die Missethaten jener ritterlichen Räuber, die -erst vor einigen Wochen einen Stamm überfallen, die Männer -niedergemacht, Weiber, Kinder und Vieh weggetrieben hatten und jetzt -schon wieder unterwegs sein sollten, um nach neuer Beute auszuspähen. -Unsere Versicherung, daß wir ihr Gebiet sowohl als dasjenige aller -Stämme, mit denen wir Freundschaft geschlossen oder noch zu schließen -gedächten, von dieser Plage demnächst befreien würden, nahmen die -Wa-Duruma mit starkem Zweifel entgegen; hatte doch selbst der Sultan von -Zanzibar gegen die Massai, die zeitweilig bis Mombas und Pangani -streiften und brandschatzten, nichts auszurichten vermocht. Indessen -verbreitete sich doch dieses unser Versprechen sehr rasch überall in der -Umgegend. - -Am Morgen unseres vierten Marschtages, als wir uns eben zum Eintritte in -die Wüste anschickten, wurden wir durch atemlos unter allen Anzeichen -des Entsetzens und der Angst herbeieilende Eingeborene benachrichtigt, -daß ein starker Schwarm Massai wieder da sei, in der Nacht ansehnliche -Beute an Sklaven und Rindern gemacht habe und sich im Anzuge gegen uns -befinde. Wir änderten darauf unsere Dispositionen, ließen das Gepäck und -die Treiber im Lager und formirten uns, da das Terrain günstig war, -sofort zum Gefecht. Die Geschütze wurden auf ihre Lafetten gesetzt und -bespannt, die Raketen bereit gemacht; erstere kamen in das Centrum, -letztere in die beiden Flügel unserer in einer langen Linie sich -ausdehnenden Front. Das Alles war das Werk von kaum zehn Minuten und es -verstrich auch keine fernere Viertelstunde, daß wir die Massais, die -ungefähr 600 Mann stark sein mochten, im Laufschritt nahen sahen. Wir -ließen sie ruhig bis auf etwa einen Kilometer herankommen; dann -schmetterten die Trompeten und unsere ganze Linie jagte im Galopp den -Massai entgegen. Diese stutzten und hielten, als sich ihnen der -ungewohnte Anblick einer ansprengenden Kavalleriemasse darbot, worauf -auch wir unser Tempo mäßigten und langsam bis auf hundert Meter -heranritten. Nun machten wir Halt und Johnston, der den Massaidialekt -leidlich spricht, ritt einige Schritte vor die Front, mit lauter Stimme -fragend, was sie wollten. Darauf gab es unter den Massai eine kurze -Beratung, dann trat auch ihrerseits ein Mann vor die Front, und fragte, -ob wir Tribut zahlen oder kämpfen wollten? »Ist das _Euer_ Land«, war -die Gegenfrage, »daß Ihr Tribut verlangt? Wir zahlen Niemand Tribut; wir -haben Geschenke für unsere Freunde, schreckliche Waffen für unsere -Feinde. Ob die Massai unsere Freunde werden wollen, werden wir sehen, -wenn wir sie in ihrem Lande besuchen. Mit den Wa-Duruma aber haben wir -schon Freundschaft geschlossen und wir erlauben daher Niemand, sie zu -berauben. Gebt die Gefangenen und die Beute freiwillig heraus und kehret -zurück in Eure Krals, damit wir nicht genötigt seien, unsere Waffen und -Medizinen (Zaubermittel) gegen Euch zu gebrauchen, was uns sehr leid -thäte, denn wir wünschen, Freundschaft auch mit Euch zu halten.« - -Letztere Versicherung wurde offenbar für ein Zeichen der Schwäche -angesehen, denn die Massai, die anfangs etwas eingeschüchtert schienen, -schwangen nun drohend unter gewaltigem Geschrei ihre Speere und setzten -sich neuerdings gegen uns in Bewegung. Da erklangen abermals unsere -Trompeten, und während wir Reiter vorsprengten, eröffneten die Kanonen -und Raketen ihr Feuer -- nicht auf die Gegner, in deren dichtgedrängten -Massen sie eben so schreckliche als überflüssige Verheerungen -angerichtet hätten, sondern über deren Köpfe hinweg. Die Massai hielten -nur einer einzigen Salve Stand; als die Geschütze donnerten, die Raketen -zischend und knatternd über sie hinfegten und überdies die unheimlichen -Geschöpfe mit vier Füßen und zwei Köpfen -- wir Reiter nämlich -- auf -sie zustürmten, wandten sie sich augenblicklich heulend zu wilder -Flucht. Unsere Artillerie sandte ihnen noch einige Salven nach, um ihre -Panik womöglich zu steigern, während die Reiter sich damit -beschäftigten, Gefangene zu machen und die in der Ferne sichtbar -werdenden, von den Massai erbeutet gewesenen Sklaven und Rinder in -unsere Gewalt zu bringen. - -Beides gelang; nach kaum einer halben Stunde hatten wir 43 Massais und -die ganze Beute in der Hand. Die in Sklaverei gefallenen Durumaweiber -und Kinder zu befreien, wäre uns, nebenbei bemerkt, kaum so vollständig -gelungen, wenn dieselben nicht in einer Weise gefesselt gewesen wären, -die ihnen rasches Laufen unmöglich machte. Als nämlich diese armen -Geschöpfe den Lärm des Gefechts sahen und hörten, machten sie -verzweifelte Anstrengungen, davon- und zwar den fliehenden Massai -nachzulaufen. Klüger benahmen sich die Rinder, die durch die Schüsse und -Raketenschläge zwar auch in hochgradige Unruhe versetzt waren, sich aber -trotzdem von uns und unseren Hunden, die bei dieser Arbeit sich als -ausnehmend verwendbar erwiesen, ohne sonderliche Beschwer auf unser -Lager zutreiben ließen. - -Die gefangenen Massai waren prächtige, verwegen aussehende Kerle, die -trotz des Schreckens, der ihnen noch sichtlich in allen Gliedern lag und -trotzdem sie offenbar erwarteten, kurzen Weges niedergemacht zu werden, -doch eine gewisse Haltung behaupteten. Unter ihnen befand sich -- ein -sehr glücklicher Umstand -- auch der Leitunu, d. i. der oberste, -unumschränkte Anführer der Bande, ein bronce-farbener Apoll von -reichlich 2 Meter Höhe, der ganz darnach aussah, als ob er sich am -liebsten sein kurzes Schwert, die »Sime«, in die eigene Brust gestoßen -hätte, insbesondere, als die von weither zusammengelaufenen Wa-Duruma -ihn und die Seinen zu verhöhnen und grimmig schreiend, ihren Tod zu -verlangen begannen. Johnston verwies ihnen dies mit großer Strenge. -Laut, daß es die Gefangenen hören konnten, erklärte er, auch die Massai -sollten unsere Freunde werden, wir hätten sie blos deshalb gezüchtigt, -weil sie sich hier schlecht benommen; ob sie denn glaubten, daß wir -ihrer, der Duruma, oder sonstwessen Hülfe bedürften, um jene zu tödten, -wenn wir es wollten; ob sie denn nicht gesehen hätten, wie wir in die -Luft schossen, wo doch ein paar ernstlich gemeinte Schüsse aus unseren -gewaltigen Maschinen genügt hätten, um alle Massai in Stücke zu reißen? -Um ihnen -- mehr aber noch den Massai -- die Wahrheit dieser ohnehin mit -tiefem Grausen und ohne die geringste Spur eines Zweifels angehörten -Worte zu zeigen, ließ Johnston eine volle Lage unserer sämtlichen -Geschütze und Raketen auf eine etwa 1000 Meter entfernte verfallene, -strohgedeckte Lehmhütte abgeben. Natürlich brach diese sofort zusammen -und geriet unmittelbar in Brand, ein Schauspiel, das auf die Wilden den -gewaltigsten Eindruck machte. - -»Jetzt geht«, wandte sich hierauf Johnston, der bei all dem so that, als -merke er gar nicht, wie gespannt unsere Gefangenen zuhörten und zusahen, -zu den Wa-Duruma, »nehmt Euere Weiber, Kinder und Rinder, die wir -befreit haben, und laßt die Massai in Ruhe. Wir werden dafür sorgen, daß -sie Euch in Zukunft nicht mehr belästigen, aber vergesset nicht, daß in -wenigen Wochen auch sie unsere Freunde sein werden«. - -Die Wa-Duruma gehorchten, obwohl sie nicht recht wußten, was sie aus der -Sache machen sollten. Nachdem sie sich entfernt hatten, ließ Johnston -den gefangenen Massai ihre Waffen zurückgeben und forderte sie auf, sich -gleichfalls zu entfernen; binnen höchstens 2 Wochen gedenke er sie in -Leitok-i-tok, dem südöstlichen Grenzdistrikte Massailands, zu besuchen; -um ihnen das mitzuteilen, habe er sie vor sich bringen lassen. Statt -jedoch dieser Erlaubnis sofort zu entsprechen, zögerten die El Moran -(der Name für Massaikrieger); schließlich trat Mdango, ihr Leitunu, vor -und erklärte, jetzt durch das aufgeregte Duruma-Land, versprengt von den -Ihrigen, heimzuziehen, wäre für eine so kleine Massai-Schaar der sichere -Tod, und wenn sie schon sterben müßten, so sei es ihnen größere Ehre, -von der Hand so gewaltiger weißer Leibons (Zauberer), als durch feige -Wa-Duruma oder Wateita zu fallen. Da wir die Absicht hätten, sie -demnächst zu besuchen, so mögen wir ihnen gestatten, mit uns zu ziehen. - -Johnstons Gesicht strahlte bei dieser Eröffnung vor innerer Genugthuung; -den Massai gegenüber jedoch bewahrte er seine gemessene Ruhe und -erklärte feierlichen Tones, das sei eine so große Gunst, die sie da -verlangten, und deren sie sich durch ihr bisheriges Benehmen so wenig -würdig erwiesen, daß er zuerst ein Schauri (eine Ratsversammlung) mit -den Seinigen abhalten müsse, bevor er ihnen Bescheid geben könne. Damit -ließ er sie stehen, rief unserer zwanzig die wir ihm zunächst zu Pferde -hielten, beiseite, und teilte uns den Inhalt des Gespräches mit. »Daß -wir, den Wunsch des Leitunu, der nach der großen Zahl der von ihm -geführten El Moran zu schließen, einer der einflußreicheren sein dürfte, -erfüllen, versteht sich von selbst; der Mann muß vollständig gewonnen -werden, und gewinnt uns dann seine Landleute. So, jetzt werde ich ihm -das Ergebnis unseres »Schauri« mitteilen.« - -»Höre« -- so wandte er sich an Mdango, »wir haben beschlossen, Deinen -Wunsch zu erfüllen, denn Euere Brüder in Leitok-i-tok sollen nicht -sagen, daß wir Euch einem schimpflichen Tode entgegengejagt hätten. Aber -nachdem wir einmal -- wenn auch ohne Blutvergießen -- unsere Waffen -gegen Euch gerichtet, können wir Euch -- das verbieten unsere Gebräuche --- nicht als Gäste in unser Lager und an unseren Tisch lassen, bevor der -Frevel, durch den Ihr uns gereizt habt, vollständig gesühnt ist. Dies -wird nur dann geschehen sein, wenn jeder von Euch mit demjenigen unter -uns Blut-Brüderschaft schließt, der ihn zum Gefangenen gemacht hat. -Wollt Ihr das, und werdet Ihr den Bund ehrlich halten?« - -Die El Moran bejahten dies mit großer Bereitwilligkeit; hierauf neues -»Schauri« unter uns, dem dann die 43fache Verbrüderung nach den -eigentümlichen Gebräuchen der Massai folgte, und wir hatten 43 Freunde -gewonnen, die sich -- wie Johnston versicherte -- eher in Stücke hauen -lassen, als zugeben würden, daß uns ein Leides geschehe, wo sie es -irgend verhindern könnten. - -Über all dem war es 9 Uhr geworden und da der Tag glühend heiß zu werden -versprach, so hatten wir keine Lust, die sengende Duruma-Wüste zu -betreten, so lange die Sonne hoch am Horizonte stand. Wir kehrten daher -in das von unseren Tragtieren ohnehin noch nicht verlassene Lager zurück -und rüsteten das Mittagmahl. Zur Feier des unblutig erfochtenen Sieges -wurde dasselbe besonders reich, vornehmlich mit Fleisch nebst Milch, der -einzigen Nahrung der Massai-Elmoran -- bereitet, und zum Schlusse eine -riesige Bowle aus Rum, Honig, Limonen und heißem Wasser gespendet, die -allen unseren Leuten trefflich mundete, die Massai aber geradezu in -Begeisterung versetzte. Diese Begeisterung überschritt alle Grenzen, als -die diversen 43 Blutbrüder nach genossenem Punsche mit einer -Freundschaftsgabe von je einer -- roten Hose bedacht wurden. Der Leitunu -erhielt ein Extrageschenk in Form eines goldgestickten Scharlachmantels. - -Die Duruma-Wüste, in die wir um 5 Uhr nachmittag eintraten, ist gänzlich -unbewohnt und während der trockenen Monate berüchtigt wegen ihres -beinahe absoluten Wassermangels. Jetzt, unmittelbar nach der Regenzeit, -fanden wir in den zahlreichen Bodenspalten und brunnenartig oft bis zu 2 -und 3 Metern vertieften natürlichen Löchern erträgliches Wasser in -genügender Menge. Von der Hitze aber hatten wir bis Sonnenuntergang viel -zu leiden, was uns veranlaßte, mit Preisgebung unserer Nachtruhe in -einem Gewaltmarsche bis Taro vorzudringen, einem recht ansehnlichen, -durch angesammeltes Regenwasser gebildeten Teich, den wir gegen Morgen -erreichten. Hier hielten wir einen halben Rasttag, d. h. wir brachen -nicht des Morgens, sondern des Abends auf, unsere Kräfte für den nun -folgenden bösesten Teil des Weges schonend. Die Wasserlöcher wurden von -da ab seltener, das Aussehen der Landschaft besonders trostlos: -eintönige, flache Steinfelder, abwechselnd besetzt mit häßlichem -Dornendickicht. Doch Menschen und Tiere hielten die schlimmen 3 Tage -wacker aus und am 12. Mai erreichten wir wohlbehalten, obwohl arg -durchnäßt durch einen uns plötzlich überraschenden Platzregen, das -liebliche Land der Wateita am herrlichen Ndaragebirge. - -Hier lernten wir zum ersten Male die entzückende Pracht äquatorialen -Hochlandes kennen. Das Ndara-Gebirge erreicht eine Höhe bis zu 1550 -Metern, ist vom Gipfel bis zum Fuße mit üppiger Vegetation bedeckt, -zahlreiche silberhelle Bäche und Flüsse rauschen und tosen an seinen -Abhängen zu Thale und die Rundschau von günstiger situierten -Aussichtspunkten ist geradezu entzückend. Da wir hier einen vollen -Rasttag hielten, so benützten die meisten von uns die Gelegenheit zu -Ausflügen rings in der wundervollen Landschaft, wobei uns einige zu -Handels- und Missionszwecken angesiedelte Engländer in liebenswürdigster -Weise als Führer dienten. Ich selber konnte nicht allzutief in das -Gewirr köstlicher, schattenreicher Thäler und Gipfel, das uns rings -umgab, eindringen, da ich die Verproviantierung der Karawane sowohl in -Teita als auch für die jenseits desselben bis zum Kilima-Ndscharo sich -erstreckende Wüstenei durchführen mußte. Aber meine glücklicheren -Genossen erstiegen die umliegenden Höhen, übernachteten zumeist auf oder -dicht unter denselben, erquickten sich an der kühlen Luft derselben und -kamen zurück trunken von all der Schönheit die sie genossen. Im übrigen -war es auch am Fuße der Teitaberge kaum minder entzückend. Das Bad unter -einem der plätschernden Wasserfälle, umfächelt von den milden Lüften und -Düften die der Abend brachte, würde stets zu den schönsten Erinnerungen -meines Lebens zählen -- wenn mir Afrika nicht noch weit herrlichere -Naturscenen geboten hätte. - -Am 14. und 15. wanderten wir in nicht zu anstrengenden Märschen weiter -durch dies Paradies, in welchem auch unsere Jäger reiche Beute an -Giraffen und verschiedenen Antilopen machten, schlossen überall -mit den Stämmen und Häuptlingen durch Geschenke besiegelte -Freundschaftsbündnisse, arbeiteten uns dann in zwei weiteren Tagen durch -die menschenleere, dafür aber desto wildreichere Wüste von Taweta, die -im übrigen gar nicht so schlimm ist, als ihr Name, und hatten am -Nachmittag des 17. die kühlen Wälder der Vorberge des Kilima vor uns -- -wo uns eine seltsame Überraschung erwartete. - -Wir waren Taweta auf wenige Kilometer nahe gekommen und unsere -Gewehrsalven hatten -- wie dies in Afrika üblich -- dort soeben die -Ankunft einer Karawane verkündigt, als Johnston und ich, die wir an der -Spitze des Zuges ritten, einen Mann mit verhängtem Zügel auf uns -zusprengen sahen, in welchem wir alsbald den Führer unseres Vortrabs, -Ingenieur Demestre, erkannten. Anfangs machte uns die rasende Eile, mit -der er auf uns zujagte, einigermaßen besorgt, dann aber zeigte uns sein -lachendes Gesicht, daß es kein Unfall sei, was ihn uns entgegenführe. Er -winkte mir schon von Weitem zu und rief, sein Pferd vor uns parierend: -»Deine Schwester und Miß Fox sind in Taweta!« - -Wir beide, Johnston und ich, müssen auf diese unerwartete Botschaft hin -erklecklich alberne Gesichter gemacht haben, denn Demestre brach jetzt -in ein tolles Gelächter aus, in welches endlich auch wir einstimmten. -Dann erzählte er, die beiden Damen hätten ihn und die Seinen, die -gestern Abend in Taweta anlangten, ganz harmlos, als träfen sie sich -daheim auf der Straße, begrüßt, ihre Verblüffung gänzlich ignoriert und -auf Befragen im gleichmütigsten Tone erzählt, sie wären am 30. April, -also während wir in Mombas saßen, von Aden kommend, in Zanzibar -eingetroffen, nach kurzem Aufenthalte nach Pangani übergefahren und von -dort über Mkumbara und am Jipe-See vorbei schon am 14. in Taweta -angelangt, wo sie sich mitsamt ihrem Diener oder Freunde Sam, einem -alten ehrwürdigen Neger, der Miß Fox überall begleite, und ihren vier -Elefanten -- denn auf dem Rücken solcher Tiere wären sie zu grenzenlosem -Erstaunen der Neger gereist -- ganz ausnehmend wohl befänden. »Fräulein -Klara läßt Dich grüßen und Dir sagen, sie sehne sich schon recht sehr, -Dich an ihr schwesterliches Herz zu drücken.« - -Da ich sah, daß Demestre nicht scherze, so gab ich meinem Pferde die -Sporen, befand mich schon nach wenigen Minuten in einem der -tiefschattigen, laubenartigen Waldwege, die vom offenen Lande nach -Taweta hineinführen, und sah auch bald darauf die beiden Damen, von -denen die eine mit ausgebreiteten Armen auf mich zueilte und mich, kaum -daß ich den Boden berührt hatte, laut weinend ans Herz drückte. Nachdem -der erste Sturm des Wiedersehens vorüber war, suchte ich von meiner -Schwester nähere Aufklärung über die Art ihres Erscheinens hier mitten -unter den Wilden zu erlangen; allein das war ein vergebliches Bemühen; -so oft die Gute auch zu einem Berichte ansetzte, unterbrachen sie -Thränen und Ausrufe der Freude über unser Wiedersehen sowie des -nachträglichen Entsetzens über all die Gefahren, vor denen mich -leichtsinnigen Knaben sicherlich nur mein gutes Glück bewahrt. -Inzwischen hatten wir uns Miß Fox genähert, die meinen Gruß zwar etwas -spöttisch, aber deßhalb nicht minder herzlich erwiderte und aus deren -Munde ich endlich alles Wissenswerte erfuhr. - -Darnach hatten sich also die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung -verständigt und das Komplott in seinen Grundzügen angelegt, die näheren -Vereinbarungen der Zeit nach meiner Abreise aus Europa vorbehaltend. -Meine Schwester hatte in Miß Fox die Energie und die erforderlichen -pekuniären Mittel zur Inscenierung einer gegen den Willen der Männer auf -eigene Faust durchzusetzenden Expedition, Miß Fox dagegen in meiner -Schwester die Gefährtin und ältere Beschützerin gefunden, ohne welche -auch sie vor einem solchen Geniestreich zurückschreckte. Da insbesondere -Miß Fox die Dispositionen unserer Reise ganz genau kannte, so ahmte sie -dieselben dem Wesen nach im Kleinen nach; sie bestellte bei denselben -Fabrikanten und Lieferanten, von denen wir unsere Vorräte, Tauschwaren -und Reisegeräte bezogen, auch die ihrigen, entschied sich gleich uns für -Tragtiere statt für Pagazis, wählte aber, um wenigstens in Einem Punkte -originell zu sein, Elefanten statt der Pferde, Kamele oder Esel. Da es -überall dort, wo wir hin wollten, wilde, wenn auch bisher niemals -gezähmte Elefanten in Menge gebe, so mußten -- das war ihr Kalkül, -indische Elefanten auch überall im äquatorialen Afrika fortkommen. Ein -Geschäftsfreund ihres verstorbenen Vaters in Kalkutta, hatte ihr vier -Prachtexemplare dieser Dickhäuter verschafft, diese mitsamt acht -erprobten indischen Führern und Wärtern nach Aden expediert, wo sie -dieselben angetroffen und nach Zanzibar genommen. Hier wurden einige -Wegführer und Dolmetscher geworben und um nicht etwa zu nahe an der -Küste mit uns zusammenzutreffen, der Weg über Pangani genommen, auf -welchem ihnen zwar die Neugier der Eingeborenen hie und da lästig -geworden, im übrigen aber, insbesondere Dank der liebenswürdigen -Fürsorge der in Pangani, Mkumbana, Membe und Taweta stationierten -deutschen Agenten nicht der geringste Unfall zugestoßen sei. Ihre -Suaheli-Leute hätten sie sofort nach ihrer Ankunft entlassen, mit den -Elefanten und Indern gedächten sie sich uns anzuschließen -- es sei -denn, daß wir sie allein in Taweta zurücklassen wollten. - -Was war unter so bewandten Umständen zu thun? Es verstand sich von -selbst, daß die beiden Amazonen von da ab zu den Unsrigen gehörten und -was mich anlangt, so müßte ich die Unwahrheit sagen, wollte ich -behaupten, ich sei meiner Schwester oder Miß Fox ob ihrer Hartnäckigkeit -gram geworden. Die ärgsten Gefahren konnten nach der Affaire mit den -Massai in Duruma als beschworen gelten; die Beschwerden des Weges waren --- wie ja der Erfolg zeigte -- auch von Frauen recht gut zu überwinden; -ich gab mich also der Freude des unverhofften Wiedersehens ungetrübt -hin. Aber auch die anderen Mitglieder der Expedition waren -- wie ich -mit Genugthuung bemerkte -- mit dem Zuwachse, der uns in Taweta -geworden, durchaus einverstanden und so erhielten denn die Elefanten -mitsamt ihrer schönen Last -- denn nebenbei bemerkt ist auch meine -Schwester trotz ihrer 38 Jahre noch immer ein schönes Weib -- ihren -Platz in der Karawane angewiesen. - -Vor Taweta verabschiedeten sich unsere Massai-Freunde. Sie nahmen den -Auftrag mit, ihren Landsleuten mitzuteilen, daß wir in 8-10 Tagen an den -Grenzen von Leitok-i-tok eintreffen würden, daß es unsere Absicht sei, -ganz Massai-Land zu durchreisen, um uns dort, wo es uns am besten -gefallen würde, dauernd niederzulassen. Diese unsere Ansiedelung werde -dem Stamme, in dessen Nachbarschaft wir Hütten bauen würden, zum größten -Vorteil gereichen, denn wir würden ihn reich und unbesiegbar allen -Feinden gegenüber machen. Uns aufzunehmen und Gebiete abzutreten würden -wir Niemand zwingen, obwohl wir, wie sie bezeugen könnten, dazu -genügende Macht besäßen und noch viele Tausende unserer weißen Brüder -nur auf Nachricht von uns warteten, um uns nachzufolgen; den freien -Durchzug aber würden wir, wenn er uns nicht friedlich gewährt werde, -überall zu erkämpfen wissen. Schließlich banden wir unseren Blutbrüdern -noch ans Herz, dafür zu sorgen, daß bei den Verhandlungen möglichst -zahlreiche Stämme erscheinen, insbesondere diejenigen, welche längs des -Weges nach dem Naiwascha-See -- unserer Route an den Kenia -- wohnen, -und schieden unter beiderseitigen herzlich gemeinten Wünschen von -einander. Als letztes Angedenken gaben wir den ganz zuthunlich -gewordenen Kerlen eine Reihe in ihren Augen überaus kostbarer Geschenke -für ihre Herzallerliebsten, die sogenannten »Dittos« mit, als da sind, -Messingdraht, messingene Armbänder und Ringe mit falschen Steinen, -Handspiegel, auf Schnüre gereihte Glasperlen, Baumwollzeuge und Bänder. -Der Tauschwert dieser Geschenke, obwohl sie uns in Europa insgesamt -keine 200 Mark gekostet hatten, betrug nach Massai-Währung, wie wir uns -später zu überzeugen Gelegenheit hatten, reichlich den von 100 fetten -Ochsen, und die El Moran waren auch ganz sprachlos über unsere -Freigebigkeit. Geradezu unschätzbar aber war in ihren Augen das -Geschenk, mit welchem Johnston zum Schlusse herausrückte: ein -Kavalleriesäbel mit eiserner Scheide und guter Solinger Klinge für jeden -der sich verabschiedenden Helden. Um ihnen die Vortrefflichkeit dieser -Waffe _ad oculos_ zu demonstrieren, ließ Johnston durch einen in solchen -Kunststücken bewanderten Belgier den mächtigsten der Massaispeere, -dessen Klinge gut 12 Centimeter breit war, mit einem Hiebe durchhauen, -und wies dann den zu Bildsäulen erstarrten Kriegern die völlig -unversehrte Schwertklinge vor. »So schneiden _unsere_ »Siemes,« sagte -er, wenn sie in gerechtem Kampfe gebraucht werden; hütet Euch aber, sie -bei Raubzügen oder Mordthaten zu ziehen, sie würden Euch in der Hand -zerspringen wie Glas und Unheil über Eure Köpfe bringen.« Damit winkten -wir ihnen nochmals freundlich zu und hatten sie bald aus den Augen -verloren. - -In Taweta weilten wir 5 Tage, um den Tieren nach den anstrengenden -Märschen Ruhe zu gönnen und uns an den über alle Beschreibung -entzückenden Reizen dieses an Lieblichkeit und tropischer Pracht sowohl -als an Großartigkeit der Gebirgsformen alles bis dahin Gesehene weitaus -übertreffenden Landes zu erlaben, und schließlich um unsere Ausrüstung -mit Hilfe der hier und im benachbarten Moschi residierenden deutschen -Agenten einigermaßen zu ergänzen. Diese Herren, wie nicht minder die -freundlichen Eingeborenen, informierten uns bereitwilligst über jene -Waren, nach denen augenblicklich im Massai-Lande besonderer Begehr -herrsche und da sich ergab, daß wir von einer derzeit bei den Dittos -modernen blauen Perlenart sehr wenig, von einer als haute Nouveauté -geltenden Sorte Baumwolltücher vollends auch nicht einen Ballen besaßen, -so kauften wir in Taweta mehrere Traglasten von diesen Kostbarkeiten. - -Auf unseren Streifungen in Taweta sahen wir zum ersten Male den Kilima -Ndscharo in seiner vollen überwältigenden Majestät. Nahe an 4000 Meter -steil aus dem umliegenden Hochlande emporragend, trägt dieser -zweizinkige, sich zu 5700 Metern über die Meeresfläche erhebende Riese -auf seinem breiten, wuchtigen Rücken ein Schneefeld, mit dessen Wirkung -sich nicht die Gletscher unserer europäischen Alpenriesen, ja in -gewissem Sinne nicht einmal die der Anden und des Himalaja vergleichen -lassen. Denn nirgend sonst auf unserer Erde bietet die Natur so -unvermittelt nebeneinander den Kontrast der üppigsten, saftigsten -Tropenwelt und der schauerlichen Öde zerrissenen Geklüftes und ewigen -Eises, wie hier im äquatorialen Afrika. Die Flora und Fauna am Fuße des -Himalaja z. B. ist zwar kaum minder herrlich, wie im Wald- und -Quell-Lande von Taweta; aber während die schneebedeckten Gipfel des -Central-Asiatischen Gebirgsstockes sich Hunderte von Kilometern entfernt -vom Fuße desselben erheben und es daher dem Menschen nicht vergönnt ist, -die Reize beider zugleich zu genießen und durch den Kontrast zu -steigern, kann man hier, beschattet von einer wildwachsenden Banane oder -Mangopalme mit einem guten Fernrohre die unergründlichen Schlünde der -Gletscherspalten zählen, so zum Greifen nahe ist die Welt des ewigen -Eises der des ewigen Sommers gerückt. Und welchen Sommers! Eines -Sommers, der seine reichsten Schätze an Schönheit und Fruchtbarkeit -gewährt, ohne unsere Nerven durch seinen Gluthauch zu erschlaffen. Man -muß diese schattigen und doch lichten Wälder, diese allenthalben durch -den blumenduftenden Boden hüpfenden krystallklaren Bäche gesehen, diese -kühlenden Lüfte, die beinahe ununterbrochen von den nahen Eisfeldern -herabwehen und sich unterwegs durch den Blumenatem der tiefer gelegenen -Bergabhänge würzen, um seine Schläfen empfunden haben, um zu wissen, was -Taweta ist. - -An materiellen Genüssen greifbarer Art bietet dieses gesegnete Ländchen -eine überreiche Fülle. Fette Rinder, Schafe und Ziegen, Hühner, -köstliche Fische aus dem nahen Jipe-See und dem Lumi-Flusse, einige -besonders delikate aus den rings vom Kilima-Ndscharo herabschäumenden -kleineren Gebirgswässern, Wildpret in tausenderlei Varietäten, -befriedigen selbst den unersättlichen Hunger nach Fleisch; das -Pflanzenreich schüttet ein nicht minder reiches Füllhorn fast aller in -den Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und Obstarten aus. -Dabei ist alles so wohlfeil, daß selbst der übermütigste Schlemmer nicht -im Stande ist, mehr als wenige Pfennige täglich auszugeben -- falls die -liebenswürdigen, gastfreundlichen Wataweta überhaupt Zahlung annehmen, -was z. B. uns gegenüber fast niemals der Fall war. Allerdings kam uns -dabei der Ruhm unserer Heldenthaten gegen die Massai und insbesondere -unsere Versicherung zu statten, daß wir auch Taweta von diesen bösen -Gästen befreien würden, die bisher zwar noch bei jedem Angriffe von den -uneinnehmbaren Waldfestungen des Kilima abgeschlagen worden waren, deren -Nachbarschaft sich aber bisher doch sehr lästig erwiesen hatte. Auch war -unsere Hand den Taweta-Männern und mehr noch den Weibern gegenüber stets -offen. Europäische Geräte aller Art, Kleidungsstücke, primitive -Schmucksachen, und hauptsächlich eine Auslese von Photographien und -bemalten Münchener Bilderbogen gewannen uns die Herzen unserer schwarzen -Gastfreunde, so daß, als wir am Morgen des 23. Mai endlich aufbrachen, -wir ebenso ungern diesen herrlichen Waldwinkel verließen, als die -Wataweta uns ungern scheiden sahen. Bis über die Grenze ihres Gebietes -begleiteten uns diese guten, einfachen Menschen, und gar manches der -keineswegs unschönen Tawetafräulein, das sein Herz an einen der weißen, -oder wohl auch der Suaheli-Gäste verloren haben mochte, vergoß bittere -Thränen und klagte sein Leid mit Vorliebe -- unseren beiden Damen, die -glücklicher Weise von diesen Ergüssen und Eröffnungen tawetanischer -Mädchen-Seelen kein Wort verstanden. Prüderie ist im äquatorialen Afrika -eine gänzlich unbekannte Sache und die Taweta-Schönen würden ebensowenig -begriffen haben, daß irgend Jemand Übles darin finden könne, wenn man -einem Gaste ohne weiteres sein Herz entgegenträgt, als ihre weißen -Schwestern begriffen hätten, daß man derlei Dinge in aller Unschuld -ausplaudern könne, ohne daß Freunde und Verwandte daran den geringsten -Anstoß nähmen. - - - - - 4. Kapitel. - - -Nach Massailand führen von Taweta zwei Wege, der eine westlich vorbei am -Kilima durch das Gebiet der Wakwafi; der andere am Ostabhange des -Gebirgsstockes durch die verschiedenen Tribus der Wadjagga. - -Das Land ist fruchtbar und schön auf beiden Seiten; wir wählten aber die -letztere Route, weil die Wakwafi eben im Kriege waren mit den Massai und -wir uns in keine überflüssigen Händel mengen wollten, auch ganz im -allgemeinen der Verkehr mit den friedfertigen und schüchternen Wadjagga -dem mit den rauflustigen Wakwafi vorzuziehen ist. In kleinen -Tagemärschen zogen wir vorbei an dem wildromantischen, von düsteren, -senkrecht abfallenden Felsen eingefaßten Dschallasee, durch die waldigen -Bergabhänge von Rombo und durch die Hochebenen von Useri, übersetzten -dabei drei nicht unansehnliche, wasserreiche Bäche, die vereint den -Tsabofluß bilden, und zahllose Quellen, die allenthalben vom Kilima -herunterrieselnd, die parkartigen Wiesen und die wohlangebauten Felder -der Eingeborenen bewässern. Überall tauschten wir reiche Geschenke und -schlossen Freundschaftsbündnisse. Nebenbei wurde auch der Jagd gepflegt, -die Antilopen, Zebras, Giraffen und Rhinoceros in großer Menge ergab. - -Am 28. Mai trafen wir an der Grenze von Leitok-i-tok, dem südöstlichen -Grenzdistrikt von Massailand ein. Als wir den Rongeibach überschritten, -stieß unser Freund Mdango in Begleitung zahlreicher seiner Krieger zu -uns. Sein Bericht war befriedigend. Die ihm aufgetragene Botschaft hatte -er nicht bloß den Alten und den Kriegern des eigenen Stammes, sondern -allen Stämmen von Leitok-i-tok bis an die Grenzen von Kapte übermittelt -und sie zu einem großen Schauri am Minjenjeberge -- einen halben -Tagmarsch von der Grenze gegen Useri -- eingeladen. Sie waren zahlreich -erschienen, El-Morun und El-Moran, d. i. verheiratete Männer und -Krieger, letztere in einer Gesamtstärke von über 3000 Mann, und -vorgestern hatten sie vom Morgen bis Abend verhandelt. Das Ergebnis war -der einstimmige Beschluß, uns ein Freundschaftsbündnis anzutragen. - -Bald darauf nahten die Massai in hellen Haufen. Wir luden sie in unser -Lager, wo wir sie Mann für Mann reichlich beschenkten. Zuerst bekam -Mdango für seine diplomatischen Bemühungen ein buntes, goldgesticktes -Ehrenkleid (wo bei Geschenken von »Gold« die Rede ist, welches die -Centralafrikaner nicht kennen und nicht schätzen, muß überall unechte -Waare verstanden werden), eine silberne Taschenuhr, ein Eßbesteck aus -Weißblech und einige Zinnteller. Die Verwendung und Behandlung der -letztgenannten Dinge mußte ihm allerdings erst mühsam beigebracht -werden, doch sei bemerkt, daß Mdangos Uhr von da ab stets in gutem Gange -blieb und daß er sich bei feierlichen Gelegenheiten des Messers und der -Gabel mit angemessener Würde bediente. - -Andere Massaigrößen wurden gleichfalls, wenn auch nicht so -verschwenderisch wie der vielbeneidete Mdango, mit auserlesenen Dingen -bedacht; alle El-Moran aber erhielten außer Perlenschnüren und Tüchern -für ihre Mädchen, die vielbegehrte rote Hose, die verheirateten Männer -farbige Mäntel, und jedes Weib -- Frau oder Mädchen -- das unser Lager -mit seinem Besuche beehrte, ward durch Bilder, Perlen, Zeuge und -allerlei broncenen und gläsernen Tand erfreut. Das Verteilen dieser -Gaben nahm viele Stunden in Anspruch, trotzdem etwa fünfzig von uns -damit beschäftigt waren. Es hielt eben schwer, in dieser entzückt -durcheinander schwatzenden und wogenden Masse Ordnung zu halten. Erst -als die Sonne sich ihrem Untergange zuneigte, verließen die letzten -Massaimänner unser Lager, während gerade die hübschesten der jungen -Mädchen und Frauen keine Miene machten, die heimischen Penaten -aufzusuchen. Die Männer bemerkten es, fanden es jedoch sichtlich in der -Ordnung, daß ihre Frauen und Töchter so freigebigen Fremden auch nach -Sonnenuntergang Gesellschaft leisten. So will es die Sitte in -Massailand, und wir hatten Mühe, uns vor deren Konsequenzen zu bewahren, -ohne die zwar nach ranzigem Fett duftenden, sonst aber selbst nach -europäischen Begriffen wohlgebildet zu nennenden braunen Damen zu -beleidigen. - -Am nächsten Vormittag schritten wir zum Abschlusse des Friedens- und -Freundschaftsvertrages. Johnston forderte jeglichen Kral -- es waren -deren 17 aus Leitok-i-tok und 4 aus Kapte vertreten -- auf, den Leitunu -und Leigonani der El-Moran und je zwei der El-Morun zu designieren, die -den Vertragsabschluß mit uns vollziehen sollten. Dieser Wahlakt ging -merkwürdig rasch von statten und schon eine Stunde später war die -Ratsversammlung, an welcher unsererseits bloß Johnston, ich und 6 -Offiziere teilnahmen, unter allerlei Zeremonien eröffnet. Zuerst gab es -einige Reden, in denen unsererseits die Vorteile auseinandergesetzt -wurden, die den Massai aus unserer bevorstehenden Ansiedelung in ihrer -Mitte oder an ihren Grenzen erwachsen würden, von Seiten der -Massaisprecher hinwieder Versicherungen der Bewunderung und Liebe den -weißen Freunden gegenüber, die Hauptrolle spielten. Dann legte Johnston -die Punktationen des Vertrages vor. Dieselben lauteten wie folgt: - -1. Die Massai werden uns und unseren Bundesgenossen gegenüber, als da -sind: die Bewohner von Duruma, Teita, Taweta, Dschalla und Useri, -unverbrüchlich Frieden und Freundschaft einhalten. - -2. Die Massai werden von keiner von Weißen geführten Karawane unter -irgend welchem Vorgeben Hongo verlangen, versprechen vielmehr, dem -Durchzuge derselben in jeder Weise behülflich zu sein, insbesondere, so -weit ihre Vorräte reichen, gegen billige Bezahlung Lebensmittel -beizustellen. - -3. Die Massai werden auf unser Verlangen jederzeit El-Moran in jeder -beliebigen Zahl zu unserer Verfügung stellen, die Geleits- und -Wachdienste zu leisten haben und uns während der Dauer ihrer Verwendung -militärischen Gehorsam schuldig sind. - -4. Dagegen verpflichten wir uns, die Massai als unsere Freunde -anzuerkennen, sie in ihren Rechten zu schützen und ihnen gegen fremde -Angriffe beizustehen. - -5. Die El-Moran jedes am Bunde teilnehmenden Stammes erhalten von uns -alljährlich Mann für Mann je zwei Beinkleider aus gutem Baumwollstoff -und je 50 Schnüre Glasperlen, deren Auswahl ihnen überlassen bleibt, -oder auf Wunsch andere Waren im gleichen Werte. Die El-Morun erhalten je -einen Baumwollmantel, die Leitunu und Leigonani Beinkleid, Perlen und -Mantel. - -6. Die zu Dienstleistungen herangezogenen El-Moran erhalten außer voller -Verpflegung an Fleisch und Milch je 5 Perlenschnüre oder deren Wert als -tägliche Besoldung. - -Dieses, von den anwesenden Massai mit den Zeichen unverhohlener -Befriedigung aufgenommene Aktenstück wurde durch eine symbolische -Blutverbrüderung zwischen den beiderseitigen Kontrahenten unter vielen -Feierlichkeiten bekräftigt. Da die in achtungsvoller Ferne lauschende -Menge dasselbe, als es ihr verlesen ward, mit lautem Freudengeschrei -aufnahm, so wußten wir, daß die öffentliche Meinung von Leitok-i-tok und -eines Teiles von Kapte vollkommen gewonnen sei. - -Wir teilten nun unseren neuen Bundesgenossen mit, daß es unsere Absicht -sei, über Matumbato und Kapte an den Naiwascha-See zu ziehen, die -unterwegs wohnenden Massaistämme womöglich alle in den Bund aufzunehmen -und dann entweder über Kikuja oder über Leikipia an den Kenia -vorzudringen. Behufs rascherer Herstellung der freundschaftlichen -Beziehungen mit jenen Stämmen, deren Gebiete wir zu durchziehen hätten, -verlangten wir die Beistellung einer 50 Mann starken Schar El-Moran, die -unter Führung unseres -- inzwischen unter seinen Landsleuten zu hohem -Ansehen gelangten -- Freundes Mdango, uns voraufziehen solle. Es geschah -wie wir wünschten und Mdango fühlte sich durch die auf ihn gefallene -Wahl nicht wenig geschmeichelt. Aus den 50 El-Moran, die wir forderten, -wurden übrigens mehr als 500, da sich die jungen Krieger um die Ehre -stritten, uns dienlich zu sein. Vom Wege über Kikuja aber rieten uns die -Massai ab. Die Wa-Kikuja sind kein Massaistamm, sondern gehören einer -ganz anderen Rasse an, die von altersher mit ihnen in steter Fehde lebt. -Sie wurden uns als verräterisch, feige und grausam zugleich geschildert, -als Leute ohne Treu und Glauben, mit denen ein ehrlicher Bund ganz -unmöglich sei. Da wir indessen aus unserer civilisierten Heimat her -wußten, welches Vertrauen man auf das gegenseitige Urteil einander -bekämpfender »Nationen« legen dürfe, so machte obige Schilderung -vorderhand weiter keinen Eindruck auf uns, als daß wir derselben -entnahmen, die Wakikuja seien »Erbfeinde« der Massai. Wie sehr im Rechte -wir mit unserer Skepsis waren, sollte die Folge lehren. Mdango wurde -bedeutet, daß es bei der ursprünglichen Abrede sein Bewenden habe. Er -solle uns in Eilmärschen voranziehen, wo möglich bis an die Grenzen von -Leikipia, dann aber umkehren und uns am Ostufer des Naiwascha-Sees -erwarten, wo wir drei Wochen von heute an gerechnet das große -Bundes-Schauri mit den von ihm unterwegs verständigten und berufenen -Massai-Stämmen abzuhalten gedächten. Was es mit den Wakikuja, die das -Gebiet östlich vom Naiwascha bewohnen, auf sich habe, würden wir selber -untersuchen. - -Am ersten Juni um 4 Uhr Morgens brachen wir von Miveruni auf. Nach -mehrstündigem Marsche lagen die letzten Waldstreifen der Kilima-Vorberge -hinter uns und wir betraten die kahlen Flächen der Ngiriwüste. Der Weg -durch diese und an den Limgeriningbergen vorbei durch das Hochplateau -von Motumbuto bot wenig des Bemerkenswerten. Am 6. Juni erreichten wir -die Berge von Kapte, längs deren Westabhang wir in einer Seehöhe von -1200 bis 1700 Metern dahinzogen, zur Linken unter uns die eintönige -unabsehbare Dogilaniebene, zur Rechten die bis zu 3000 Metern -aufsteigenden Kapteberge, an den Abhängen meist grasreiches Parkland, -auf den Kuppen dunkle Wälder zeigend. Zahlreiche Bäche, die stellenweise -malerische Wasserfälle bilden, rauschen von ihnen hernieder und -vereinigen sich im Dogilaniland zu größeren Flüssen, die, soweit das -Auge sie verfolgen kann, allesamt nach Westen ihren Lauf nehmen und in -den Ukerewe, diesen größten unter den Riesenseen Centralafrikas, münden. -Alle Stämme unterwegs nahmen uns wie alte Freunde auf, selbst -diejenigen, mit denen wir noch kein Bündnis geschlossen hatten. Zu ihnen -allen war die Wundermär von den weißen Männern gedrungen, die sich bei -ihnen ansiedeln wollen und die so mächtig und freigebig zugleich seien; -Mdangos Einladung zum Schauri am Naiwaschasee war überall freudig -aufgenommen worden, große Scharen waren schon unterwegs. Andere -schlossen sich uns an oder versprachen nachzufolgen. Von »Hongo« nirgend -die Rede, kurzum, wir hatten gewonnenes Spiel in allen Gauen des Landes. - -Am 12. erreichten wir die Grenze des Kikujalandes, dem entlang der -weitere Weg an den Naiwascha sich hinzieht. Die schlimmen Berichte über -den heimtückischen, häßlichen Charakter dieses Volkes waren uns von den -Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in verstärkter Form -wiederholt worden; inzwischen aber hatten wir von anderer Seite durchaus -verschieden klingende Darstellung erhalten. Unsere beiden Damen führten -nämlich ein Andorobomädchen mit sich, welches sie in Taweta aufgenommen -hatten. Die Andorobo sind ein Jägervolk, welches ohne festen Wohnsitz -durch das ganze ungeheure Gebiet zwischen dem Ukerewesee und der -Zanzibarküste hin zu finden ist; aus einem Stamme dieses Volkes, welcher -die Gegenden am Fuße des Kenia, nördlich von Kikuja nach Elefanten -durchstreift, war Sakemba -- so hieß das fragliche ungefähr 18 Jahre -zählende Mädchen -- vor zwei Jahren von Massai geraubt worden; diese -verhandelten sie an eine Suahelikarawane, mit welcher sie nach Taweta -kam. Das Mädchen hatte -- eine Seltenheit bei diesen Rassen -- eine -unbesiegliche Sehnsucht nach ihrer Heimat, und da meine Schwester und -Miß Ellen, in Taweta vor uns angelangt, auf Befragen erzählten, sie -warteten auf eine nach dem Kenia ziehende Karawane, so wandte sich jene -mit der flehenden Bitte an die Beiden, sie ihrem gegenwärtigen Herrn -abzukaufen und in ihre Heimat mitzunehmen; dort würden ihre Angehörigen -gern einige schöne Elefantenzähne an ihre Auslösung wenden. Durch das -inständige Flehen des Negermädchens gerührt, bewilligten Klara und Miß -Fox sofort diese Bitte, d. h. sie bezahlten den Herrn, schenkten der -Andorobo die Freiheit und versprachen ihr, sie mitzunehmen. Dieses, als -sehr intelligent und über die Verhältnisse ihres Heimatlandes -wohlunterrichtet sich erweisende Mädchen hatte schon in Miveruni gehört, -wie schlecht die Massai von den Wakikuja sprachen und bei nächster -Gelegenheit seinen Beschützerinnen versichert, daß die Sache lange nicht -so schlimm sei. Massai und Wakikuja seien alte Feinde und da sie -einander demzufolge gegenseitig möglichst viel Übles zufügen, so -glaubten und erzählten sie auch alles erdenkliche Böse über einander. -Wahr wäre allerdings, daß die Wakikuja lieber aus dem Hinterhalt als in -offener Feldschlacht kämpften, und so tapfer, als die Massai seien sie -auch nicht; verräterisch und grausam aber wären sie nur gegen ihre -Feinde und wer ihr Vertrauen einmal gewonnen habe, der könne sich so gut -auf sie verlassen, als auf Angehörige irgend eines anderen Volkes. Die -Andorobo zögen den Verkehr mit den Wakikuja dem mit den Massai sogar -weit vor, denn sie seien friedfertiger und nicht so übermütig wie diese. -Der direkte Weg an den Kenia aber führe für uns über Kikuja, während die -Straße über Leikipia wegen des in weitem Bogen zu umgehenden -Aberdargebirges um mindestens 6 Tagereisen länger wäre. - -Da wir keinen Grund hatten, an der Glaubhaftigkeit dieses Berichtes zu -zweifeln, dessen letzten, für uns wichtigsten Teil zudem ein Blick auf -die Karte vollauf bestätigte, so beschlossen wir, es jedenfalls mit -Kikuja zu versuchen. Während also der größere Teil der Expedition unter -Johnstons Führung die Straße nördlich an den Naiwaschasee weiter -verfolgte, schwenkte ich mit 50 Mann und einigem Gepäck bei dem -Grenzorte Ngongo-a-Bagas östlich ab. Meine Absicht war, bloß Sakemba, -als Kennerin von Land und Volk, mitzunehmen und die zwei Damen bis zu -meiner Rückkehr der Obhut Johnstons zu übergeben. Allein meine Schwester -erklärte, mich um keinen Preis zu verlassen und da das Andorobomädchen -nicht mir, sondern den Frauen gehorchte, überdies aber versicherte, daß -für diese schon ganz und gar nicht an Gefahr zu denken sei, indem -zwischen Massai und Wakikuja seit unvordenklicher Zeit der niemals -verletzte Brauch bestehe, die Weiber gegenseitig selbst mitten im Kriege -zu respektieren, eine Versicherung, die allseitig -- auch von den Massai --- bekräftigt wurde, so waren meine Schwester und Miß Ellen mit von der -Partie. - -Sowie wir die Grenze von Kikuja überschritten, nahmen uns gewaltige -schattige Wälder auf, die jedoch keineswegs »undurchdringlich« genannt -werden können, vielmehr das Eigentümliche haben, daß sie an sehr -zahlreichen Stellen von breiten Durchschlägen durchschnitten sind, die -geradezu den Eindruck machen, als wären sie von einem geschickten -Gärtner zur Bequemlichkeit und Erquickung Lustwandelnder angelegt. Die -Breite dieser nicht eben schnurgeraden, doch in der Regel eine bestimmte -Richtung einhaltenden Wege schwankt zwischen einem und sechs Metern; -stellenweise erweitern sich dieselben zu umfangreichen Lichtungen, die -jedoch mit den eigentlichen Wegen gemein haben, daß der Boden mit dem -schönsten, dichtesten, kurzen Grase bedeckt ist, und daß schattige Kühle -in ihnen herrscht. Wodurch diese Durchschläge entstanden sind, war und -blieb mir rätselhaft. Seitlich von denselben giebt es Unterholz zwischen -den hochstämmigen Bäumen, stellenweise sogar sehr dichtes, und wir -konnten ganz gut bemerken, daß dunkle Gestalten zu beiden Seiten uns -folgten, jede unserer Bewegungen beobachtend und offenbar nicht ganz im -Reinen darüber, was sie aus uns machen sollten. Daß wir aus dem -feindlichen Massailande kamen, mochte wohl Mißtrauen erregen, denn wir -waren schon zwei Stunden lang solcher Art marschiert, ohne daß unsere -Begleiter sich hervorwagten. - -Dem mußte ein Ende gemacht werden, da irgend ein unvorhergesehener -Zwischenfall leicht zu Mißverständnissen und daraus sich ergebenden -Feindseligkeiten führen konnte; ich fragte daher Sakemba, ob sie sich -getraue, allein unter die Wakikuja zu gehen. »Warum nicht«, meinte sie, -»dabei ist so wenig Gefahr für mich, als wenn ich allein in die Hütte -meiner Eltern träte«. Ich ließ also Halt machen, die Andorobo schritt -furchtlos auf die Büsche zu, hinter denen wir die Wakikuja wußten und -hinter denen sie alsbald verschwand. Nach Verlauf einer halben Stunde -kam sie in Begleitung einiger Wakikujaweiber zurück, die abgesandt -worden waren, die Glaubhaftigkeit von Sakembas Aussagen zu untersuchen, -d. h. zu sehen, ob wir wirklich allesamt bis auf einige Treiber Weiße -seien und ob sich -- der sicherste Beweis unserer friedlichen Absichten --- wirklich auch zwei weiße Mädchen unter uns befänden. Dunkle Gerüchte -über uns waren zwar schon bis zu den Wakikuja gelangt, allein da die -feindlichen Massai die Quelle derselben gewesen, so wußten sie nicht, -was sie davon glauben sollten. Mit der Entsendung der Weiberkommission -waren aber die guten Beziehungen zwischen uns eingeleitet; einige -verschwenderisch gespendete Kostbarkeiten gewannen uns sehr bald die -Herzen und das volle Zutrauen der schwarzen Schönen. Unsere -Besucherinnen nahmen sich gar nicht Zeit, zu den Männern zurückzukehren, -sondern winkten und riefen dieselben herbei, welchem Rufe diese denn -auch Folge leisteten, so daß wir im Handumdrehen von einigen Hundert uns -verwundert und noch immer etwas scheu anglotzender Wakikuja umgeben -waren. - -Nun trat aber ich, begleitet bloß von einem Dolmetsch mitten unter sie -und fragte, wo ihr Sultan oder ihre Ältesten wären. Sultan hätten sie -keinen, war die Antwort, sie seien unabhängige Männer; ihre Ältesten -dagegen seien anwesend, mitten unter ihnen. »Dann laßt uns sofort ein -Schauri halten, denn ich habe Euch Wichtiges mitzuteilen«. Der -Aufforderung zu einem Schauri kann kein Afrikaner widerstehen, und so -saßen wir denn alsbald im Kreise und ich konnte mein Anliegen -vorbringen. Zunächst berichtete ich von unseren Heldenthaten bei den -Massai und wie wir diese zum Friedenhalten mit uns sowohl als mit allen -unseren Freunden gezwungen, wie nicht minder von unserer späterhin -bethätigten Freigebigkeit. Darauf versicherte ich, daß wir auch die -Wakikuja uns zu Freunden zu machen wünschten, woraus für sie Ruhe vor -den Massai und großer Gewinn von uns sich ergeben würde. Wir aber -verlangten nichts, als freundliche Aufnahme und ruhigen Durchzug durch -ihr Gebiet. Sodann ließ ich einen, für solchen Anlaß bereitgelegten -Ballen unterschiedlicher Waren herbeischaffen, öffnen und erklärte: »Das -gehört Euch, damit Ihr Euch dieser Stunde, in der Ihr uns zum ersten -Male gesehen, erinnern möget. Niemand soll sagen: »»Ich saß bei den -weißen Männern und hielt Schauri mit ihnen und meine Hand blieb leer««.« - -Die Wirkung dieser oratorischen Leistung und mehr noch der -ausgebreiteten Geschenke ließ nichts zu wünschen übrig. Wegen Verteilung -der Letzteren entstand zwar eine ausgiebige Balgerei unter unseren -zukünftigen Freunden, als aber diese glücklich ohne ernsten Unfall -vorüber war, ging es an Beteuerungen überschwänglicher Zärtlichkeit und -Dienstbeflissenheit uns gegenüber. Zunächst wurden wir eingeladen, ihre -sehr geschickt in den Dickungen des Waldes versteckten Hütten mit -unserer Gegenwart zu beehren, eine Aufforderung, der wir bereitwilligst -Folge leisteten, vorsichtshalber aber doch darauf achteten, in einer -möglichst dominierenden Position und nicht all zu sehr zerstreut -einquartiert zu werden. Auch sorgte ich dafür, daß unausgesetzt einige -von unseren Leuten in unauffälliger Weise Wache standen. Das Gepäck ließ -ich unter der Obhut von vier riesigen Doggen, die wir mitgenommen -hatten. Im übrigen erwies sich der eine Teil dieser Vorsichtsmaßregeln -als überflüssig; Niemand führte Böses gegen uns im Schilde und auch die -in den ersten Stunden noch immer hervortretende Ängstlichkeit der -Wakikuja machte rasch vollkommenster Zutraulichkeit Platz, wobei -- -nebenbei bemerkt -- die Weiber in sehr entschiedener Weise vorangingen. -Dagegen zeigte sich die Bewachung der Waren als höchst ersprießlich, wie -uns alsbald das verzweifelte Zeter- und Hülfegeschrei eines -Wakikujajünglings bewies, der unsere Ballen, unbewacht wähnend, sich mit -einem Messer an einen derselben herangeschlichen hatte, dabei aber von -einer der Doggen kunstgerecht gestellt worden war. Wir befreiten den zu -Tode Erschrockenen, im übrigen jedoch gänzlich Unverletzten, aus den -Fängen des gewaltigen Tieres und hatten fernerhin auch kein Attentat auf -unsere Güter zu besorgen. - -Am nächsten Morgen forderten wir unsere Gastfreunde auf, uns noch einige -Tagmärsche weit in das Innere ihres Landes in der Richtung nach dem -Kenia hin zu begleiten und dabei ihre Stammesgenossen, soweit sie diese -in so kurzer Zeit mit einer Botschaft erreichen könnten, zu einem -Schauri mit uns zu laden, da wir einen festen Freundschaftsbund -vereinbaren wollten. Dem wurde bereitwilligst entsprochen und so zogen -wir denn in Gesellschaft mehrerer Hundert Wakikuja noch zwei Tage lang -durch den herrlichen Wald, in welchem die Mannigfaltigkeit und Pracht -der Flora mit jener der Fauna wetteiferte. Unsere Verpflegung besorgten -dabei die Wakikuja ohne Bezahlung für irgend etwas zu nehmen in wahrhaft -verschwenderischer Weise. Wir schwammen förmlich in Milch, Honig, -Butter, allerlei Fleisch- und Geflügelsorten, Mtamakuchen, Bananen, -süßen Kartoffeln, Yams und einer großen Auswahl sehr wohlschmeckender -Früchte. Dabei wunderten wir uns, von wo dieser unerschöpfliche Überfluß -insbesondere an Feldfrüchten wohl stammen möge, denn in den Lichtungen -der Wälder, die wir bis nun durchzogen hatten, wurde neben Viehzucht -zwar auch Feldbau betrieben, aber sichtlich doch nur nebenbei. Am Ende -des zweiten Tagmarsches aber wurde uns das Rätsel gelöst, denn sowie wir -den »Guaso Amboni« genannten, nach dem indischen Ocean hin abfallenden -recht ansehnlichen Fluß erreicht hatten, dehnte sich ein unabsehbares -Hochplateau vor uns, das, soweit unser Auge reichen konnte, den -Charakter eines offenen Parklandes trug, in welchem, insbesondere am -Saume des von uns soeben verlassenen Waldlandes, alle Anzeichen eines -sehr intensiven Feldbaues zu bemerken waren. Von hier bezieht offenbar -Kikuja seinen unerschöpflichen Körnerreichtum. Ganz fern im Norden -dieses Plateaus sahen wir eine mächtige Gebirgsgruppe blauen, in der -Luftlinie wohl 80 bis 90 Kilometer entlegen, die unsere Führer und -Sakemba als den Gebirgsstock des Kenia bezeichneten. Man könne von hier -aus, so versicherten sie, bei klarem Himmel auch den Schneegipfel des -Hauptberges sehen; derzeit aber sei er in jenen Wolken dort verborgen. - -Hier lag es also vor uns, das Ziel unserer Wanderung, und mächtige -Rührung ergriff uns Alle, als wir, wenn auch vorläufig nur aus weiter -Ferne, die zukünftige Heimat zum ersten male erschauten. Der Keniagipfel -aber blieb unsichtbar in Wolken gehüllt während der zwei Tage unseres -Aufenthaltes an der Ostlisière des Kikujawaldes. Wir machten dort in -einem entzückenden Haine riesiger Brotbäume Halt, wo gastfreie Wakikuja -uns ihre Hütten einräumten. Der Ort heißt Semba und war als -Versammlungsplatz für das große Schauri verabredet worden. Wir fanden -denn auch eine große Zahl Eingeborener bereits versammelt und am -nächsten Tage wurde Alles zu größter beiderseitiger Zufriedenheit -zwischen uns geordnet und festgemacht, so daß wir schon am 16. Juni den -Rückmarsch antreten konnten, den wir jedoch nicht über Ngongo, sondern, -einen Nebenfluß des Amboni bis zu dessen nahe an 2200 Meter über dem -Meeresspiegel gelegenen Quellgebiet verfolgend und dann vom Rande der -Kikujatafelberge jäh hinabsteigend, direkt auf den Naiwascha zu nahmen. -Diesen erreichten wir am 19. Abends zwar etwas erschöpft, aber -wohlbehalten und in köstlichster Stimmung. Wir hatten die Sicherheit -erlangt, den Kenia um eine gute Woche rascher erreichen zu können, als -auf dem ursprünglich in Aussicht genommenen Wege über Leikipia möglich -gewesen wäre. - -Am Naiwascha -- einem von malerischen Bergzügen, deren höchste Gipfel -sich zu 2800 Meter erheben, umsäumten schönen See von ungefähr 80 -Quadratkilometer Flächenraum, dessen charakteristische Eigenschaft ein -fabelhafter Reichtum an Federwild aller Art ist, hatte inzwischen -Johnston umfassende Vorkehrungen zu dem großen Friedens- und -Freudenfeste getroffen, das wir den Massai zu geben gedachten. Die -Botschaft, daß sie von nun ab auch die Wakikuja als in den Kreis unserer -Freunde gehörig zu betrachten hätten, wurde zwar von den El-Moran mit -gemischten Gefühlen entgegengenommen; indessen fügten sie sich doch ohne -Murren und bei dem nun folgenden Feste, an welchem auch 50 mit uns -angelangte angesehene Wakikuja teilnahmen, wurden die neugeknüpften -Freundschaftsbande zwischen den Beiden etwas inniger gestaltet. - -Dieses Fest aber bestand aus einer zweitägigen großen Schmauserei, bei -welcher wir nicht weniger als 6000 Gäste -- Weiber und Kinder -ungerechnet -- mit riesigen Quantitäten Fleisch, Backwerk, Früchten und -Punsch bewirteten, und dessen Glanzpunkt ein splendides Feuerwerk war. -150 fette Stierkälber, 260 verschiedene Antilopen, 25 Giraffen, -unzählbares Federwild, und gar nicht zu übersehende Mengen von -Vegetabilien wurden in diesen zwei Tagen vertilgt, der Punsch aber in -160 je 30 Liter fassenden Töpfen gebraut, die im Durchschnitt nicht -weniger als viermal frisch gefüllt werden mußten. Nichtsdestoweniger -kostete uns diese kolossale Gastfreundschaft -- vom Feuerwerke abgesehen --- fast gar nichts. Denn die Rinder waren Geschenke -- und zwar nur ein -Teil der uns von zahlreichen Stämmen als Zeichen dankbarer Wertschätzung -dargebrachten -- das Wild hatten wir natürlich nicht gekauft, sondern -geschossen, und die Vegetabilien waren hier an der Grenze von Kikuja so -billig, daß man die Preise eigentlich nur nominelle nennen konnte; was -dagegen den Punsch anlangt, dessen wichtigster Bestandteil bekanntlich -Rum ist, ein Saft, der in Massai- und Kikujaland -- glücklicherweise -- -nicht heimisch ist, so hatten unsere Techniker auch diesen dadurch -verschafft, ohne unsere ohnehin zur Neige gehenden mitgebrachten Vorräte -anzugreifen, daß sie denselben an Ort und Stelle brannten. Unter den -mitgenommenen Maschinen und Geräten befand sich nämlich auch eine -Destillierblase. Diese wurde ausgepackt, wildwachsendes Zuckerrohr war -in Menge vorhanden und so gab es alsbald Rum in Fülle. Nur wurde dafür -Sorge getragen, daß diese Prozedur nicht etwa von den Eingeborenen -erlauscht und späterhin nachgeahmt werde, denn die Rumflasche -- diese -Pest der Negerländer -- wollten wir nicht unter unseren Nachbarn -einbürgern. Den Punsch, den wir ihnen servierten, erhielten sie zwar -heiß, aber anständig verdünnt, etwa 10 Teile Wasser auf einen Teil Rum, -was übrigens nicht hinderte, daß während der zwei Festtage 18 Hektoliter -dieses edlen Nasses in den improvisierten Bowlen verschwanden. Der -Jubel, insbesondere während des Feuerwerkes, war unbeschreiblich, und -als wir vollends, nachdem ein Trompetentusch Stillschweigen geboten -hatte, durch stimmkräftige Herolde ausrufen ließen, das Volk der Massai -sei von nun an _alljährlich_ für den 19. und 20. Juni hier an dieser -Stelle von uns zu Gaste geladen, wären wir aus purer Begeisterung -beinahe in Stücke gerissen worden. - -Den 21. Juni weihten wir der Erholung von den Strapazen des Festes und -der Ordnung des Gepäcks; am 22. wurde der Marsch nach Kikuja angetreten. -Da wir mit den Lasttieren den von mir auf dem Rückwege gewählten Pfad -über die steilen Abhänge der das Naiwaschathal umsäumenden Berge -vermeiden wollten, kehrten wir vorerst nach Ngongo-a-Bagas zurück, -welches am 24. erreicht wurde. Von hier aus beschlossen wir eine -Eilbotenverbindung mit dem Meere herzustellen, damit die Nachricht von -unserem Eintreffen am Ziele, dem wir binnen wenigen Tagen entgegensahen, -so rasch als möglich nach Mombas und von da an den Ausschuß der -Internationalen freien Gesellschaft gelangen könne. Von Mombas nach -Ngongo hatten unsere Ingenieure 802 Kilometer verzeichnet; wir rechneten -nun, daß unsere arabischen Hengste, wenn ihnen immer bloß je eine -eintägige Anstrengung zugemutet würde, während eines solchen Tages -bequem 100 Kilometer, demnach in 8 Etappen den ganzen Weg in 8 Tagen -zurücklegen könnten. Es wurden also 16 unserer besten Reiter mit 24 der -ausdauerndsten Renner zurückbeordert; diese Kuriere erhielten die -Anweisung, sich zu zweien und zweien in Distanzen von circa 100 -Kilometern -- wo böse Wegestrecken sind, etwas weniger, wo der Weg -leicht ist, etwas mehr -- zu verteilen. An Gepäck bekamen sie nebst -Waffen und Munition bloß so viel europäische Bedarfsartikel und -Tauschwaren auf den Weg, als die 8 überzähligen Pferde, die zugleich als -Reserve dienen sollten, leicht zu tragen vermochten. Im übrigen konnten -wir uns jetzt darauf verlassen, daß sie überall, wo sie längs der von -uns durchzogenen Straße auf Eingeborene stoßen, mit offenen Armen -aufgenommen und reichlich verpflegt werden würden. Der gleiche -Etappendienst wurde selbstverständlich auch zwischen Ngongo und dem -Kenia eingerichtet; da diese Wegestrecke 193 Kilometer maß, so genügten -hier zwei Etappen, so daß ihrer im ganzen zehn waren; dabei wurde also -vorausgesetzt, daß eine Nachricht vom Kenia nach Mombas in zehn Tagen -gelangen werde -- was sich denn auch als richtig erwies. - -Der Marsch durch das Waldland von Kikuja, der am 25. Juni angetreten -wurde, vollzog sich ohne jeden Zwischenfall. Als wir zeitlich am Morgen -des 27. in das offene Land eintraten, umfing uns zuerst dichter Nebel, -der von uns Kaukasiern bloß insofern unangenehm empfunden wurde, als er -uns jegliche Aussicht benahm, unsere Suahelileute dagegen, die eine -Temperatur von 12 Grad Celsius, verbunden mit Feuchtigkeit noch niemals -erlebt hatten, zum Zähneklappern brachte. Für die Nordländer und -insbesondere für die Gebirgsbewohner unter unter uns hatten die -wallenden, vom Dufte balsamischer Bäume und Sträucher durchtränkten -Nebelmassen sogar etwas anheimelndes. Da -- es war gegen 8 Uhr -- erhob -sich plötzlich eine von Norden her wehende leichte warme Brise, mit -zauberhafter Schnelle teilten sich die Nebel, und vor uns lag im -strahlenden Glanze des sieghaften Tagesgestirnes eine Landschaft, deren -überwältigende Großartigkeit jeder Beschreibung spottet. Hinter uns und -seitlich zu unserer Linken der wundervolle Wald, den wir erst kürzlich -verlassen; unmittelbar vor uns ein sanft abfallendes Gelände, in welchem -smaragdne Wiesen mit dunkeln Bananenhainen und kleinen Flecken wogender -Saat abwechselten. Der Boden überall mit leuchtenden Blumen bedeckt, -deren süßen Duft uns die laue Brise in berauschender Fülle -entgegentrieb; kleine Gruppen hoher Palmen, einzelne riesenhaft sich -ausbreitende Feigen, Platanen, Sykomoren da und dort zerstreut, und all -das belebt von zahlreichen Herden des verschiedensten Wildes. Hier -tummelt sich übermütig eine Schar von Zebras, dort weiden ruhig einige -Giraffen zwischen zierlichen Antilopen; links jagen sich grunzend zwei -ungeschlachte Nashörner, ein Rudel von 20 Elefanten zieht einige tausend -Meter von uns dem Walde zu, und in noch größerer Ferne trottet eine nach -Hunderten zählende Herde Büffel dem gleichen Ziele entgegen. - -Unabsehbar dehnt sich dieses herrliche Land nach Ost und Südost, -durchschnitten von einem breiten Silberbande, dem Guaso Amboni, der etwa -8 Kilometer vor uns und vielleicht 100 Meter tiefer gelegen als unser -Standplatz, seine Fluten nach Osten trägt und soweit wir es übersehen -können, mindestens ein Dutzend von Quellbächen von beiden Seiten der ihn -einfassenden Abdachung aufnimmt. Die von der Südseite -- auf welcher wir -uns befinden -- entsprungen aus dem Kikujawalde, sind die kleineren; die -von der Nordseite sind unvergleichlich wasserreicher und mächtiger, denn -ihr Quellland ist der Kenia. Und dieser Riese unter den Bergen Afrikas, -dessen Massiv ein Areale von reichlich 2000 Quadratkilometern deckt, und -dessen Gipfel nahezu 6000 Meter hoch gen Himmel ragt, zeigt sich jetzt -zum ersten Male unseren trunkenen Blicken, ein trotz der Entfernung von -gut 80 Kilometern in der Luftlinie sich vom tiefdunkeln Firmament scharf -abhebendes riesiges Eisfeld und darüber hinausragend zwei krystallklare -Spitzen. - -Selbst unsere Suahelis, die sonst Naturschönheiten gegenüber stumpf -sind, brechen bei diesem Anblicke in betäubendes Jubelgeschrei aus; wir -Weißen aber stehen in Entzücken versunken, drücken uns stumm die Hände -und gar Mancher wischt verstohlen eine Thräne aus dem Auge. Das Land der -Verheißung liegt vor uns, schöner, herrlicher, als wir zu träumen -gewagt, die Wiege einer beglückenden Zukunft für uns und, wenn unser -Hoffen und Wollen nicht eitel ist, noch für die spätesten Geschlechter. - -Von da ab war's, als ob unsere Füße und die unserer Tiere Flügel -bekommen hätten. Die reine, erquickende Luft dieses schönen Tafellandes, -erfrischt durch die vom Kenia kommenden Winde, der angenehme Weg auf -weichem kurzem Grase und die vortreffliche leichte Verpflegung -ermöglichten uns bisher unerreichte Marschleistungen. Am Abend des 27. -überschritten wir die Ostgrenze von Kikuja, wo wir uns reichlich -verproviantieren mußten, weil von da ab gänzlich unbewohntes Gebiet -begann, durchstreift bloß von wandernden Andorobo. Das Land glich, so -weit das Auge reichte, einem Garten, aber der Mensch hatte noch nicht -Besitz ergriffen von diesem Paradiese. Den 28. und die größere Hälfte -des 29. zogen wir dahin durch blumige Wiesen und malerische Wäldchen, -über murmelnde Bäche und ansehnliche Flüsse; aber Giraffen, Elefanten, -Nashörner, Büffel, Zebras, Antilopen und Strauße, an den Flußufern -Nilpferde und Flamingos waren die einzigen lebenden Wesen, denen wir -begegneten. Die meisten dieser Tiere waren so wenig scheu, daß sie -unserem Zuge kaum auswichen, ja einige übermütige Zebras begleiteten uns -unter Kapriolen und herausforderndem Gewieher eine Strecke weit. Am -Nachmittag des 29. betraten wir den gewaltigen, in unabsehbarer Linie -vor uns sich dehnenden Hochwald, durch dessen dichtes Unterholz die Axt -unserer Pioniere uns Bahn hauen mußte. Das Terrain, schon seit zwei -Tagen, seitdem wir nämlich den Amboni überschritten hatten, allmählich -ansteigend, wurde jetzt steiler; wir waren am Fuße der Keniaberge -angelangt. Die Waldzone erwies sich jedoch als ein bloßer Gürtel von -verhältnismäßig geringer Breite, jenseits dessen wir schon am Vormittag -des 30. wieder offenes welliges Vorland betraten. Als wir den Rücken -einer der vor uns gelagerten Erhöhungen erreicht hatten, lag vor uns, -fast mit Händen zu greifen, der Kenia in der ganzen eisigen Pracht -seiner Gletscherwelt. - -Wir waren am Ziele! - - - - - 5. Kapitel. - - -Am Morgen nach unserer Ankunft am Kenia war meine erste Sorge -- denn -von da ab überging die Leitung der Expedition in meine Hände -- das -ausführliche, die bisherigen Ereignisse schildernde Tagebuch und einen -kurzen Schlußbericht an unsere Freunde in Europa zu expedieren. Ich -erklärte in diesem Berichte, daß wir dafür einstehen könnten, bis zur -nächsten Ernte, d. i. also nach afrikanischem Kalender bis Ende Oktober -dieses Jahres, alles zum Empfange von vielen Tausenden unserer Brüder -vorbereitet zu haben; ebenso könnten wir versprechen, von Mombas zum -Kenia einen für langsam fahrendes Fuhrwerk vollkommen geeigneten Weg bis -längstens Ende September fertig zu stellen und Zugochsen in genügender -Zahl herbeizuschaffen. Ich forderte die Gesellschaftsleitung auf, -ihrerseits den rechtzeitigen Bau geeigneter und genügender Wagen zu -veranlassen und machte mich anheischig, jede beliebige, uns rechtzeitig -angekündete Zahl einwandernder Mitglieder, vom 1. Oktober angefangen, -gefahrlos und so bequem, als angesichts der gebotenen Transportmittel -nur immer möglich, in die neue Heimat zu befördern. Zum Schlusse bat ich -um sofortige Nachsendung einiger hundert Zentner verschiedener Waren in -Begleitung einer neuen Schar kräftiger junger Mitglieder. - -Die zwei Kuriere mit dieser Depesche -- die Kuriere hatten nämlich -überall zu zweien zu reisen -- ritten am 1. Juli vor Morgengrauen ab; -pünktlich am 10. Juli war die Depesche in Mombas, am 11. in Zanzibar, am -selben Tage noch hatte der Ausschuß meinen ihm von Zanzibar -telegraphisch durch unseren Bevollmächtigten weiterbeförderten Bericht -in Händen, während er das per Postschiff gehende Tagebuch allerdings -erst zwanzig Tage später erhielt; noch am Abend des gleichen Tages war -die Rückantwort in Zanzibar und am 22. Juli schon konnte ich dieselbe -den gleich mir über dieses erste Lebenszeichen von den fernen Freunden -seltsam bewegten Brüdern vorlesen. Sie war sehr kurz: »Dank für -hocherfreuliche Nachricht; Mitgliederzahl derzeit 10000 überschritten; -Wagen für je 10 Personen und 20 Zentner Last nach Bedarf bestellt; -werden von Ende September ab successive in Mombas eintreffen; 260 Reiter -mit 300 Tragtieren und 800 Zentner Waren gehen Ende Juli ab. Bitten um -möglichst häufige Nachricht.« Letzterem Wunsche war inzwischen -meinerseits schon entsprochen worden, denn nicht weniger als fünf -fernere Depeschen hatte ich zwischen dem 6. und 21. Juli expediert. Was -dieselben enthielten, wird sich am besten aus dem weiteren Laufe der -Erzählung über unsere Erlebnisse und Arbeiten ergeben. Und zwar sind von -da ab zweierlei Vorgänge zu unterscheiden: Kulturarbeiten zur -Installierung der neuen Heimat am Kenia, und Vorkehrungen behufs -Sicherstellung und Erleichterung des Verkehrs mit der Küste. - -Unser Lager hatten wir am Abend des letzten Juni am Ufer eines -ansehnlichen Flusses aufgeschlagen, des wasserreichsten, den wir bisher -getroffen. Die Breite desselben betrug 30 bis 40 Meter, seine Tiefe -schwankte zwischen 1 und 3 Metern. Seine Fluten waren klar und kühl, -sein Gefäll jedoch ein auffallend mäßiges. Er durchströmte von Nordwest -nach Südost ein muldenartig sanft eingebuchtetes Plateau von nahezu 30 -Kilometer Länge, welches sich halbmondförmig an die Vorberge des Kenia -schmiegte; dessen größte Breite in der Mitte betrug 14 Kilometer, -während es sich am Westende bis auf 1½, am Ostende bis auf 4 Kilometer -verengte. Diese etwa 260 Quadratkilometer bedeckende Mulde war durchweg -saftiges Grasland, bestanden von zahlreichen kleinen Palmen-, Bananen- -und Sykomorenhainen. Begrenzt war dieselbe im Süden von den -grasbedeckten Hügeln, die wir überschritten hatten, im Westen von -schroffen Felswänden, im Norden teils von dunkeln Waldbergen, teils -gleichfalls von kahlen, himmelanstrebenden Felsen, welche die Aussicht -nach dem hinter ihnen liegenden Kenia-Massiv benahmen; im Osten zeigte -sich zwischen den Hügeln des Südens und den Felsen des Nordrandes eine -Lücke, durch welche der Fluß seinen Abzug fand, und zwar, wie von -dorther trotz der großen Entfernung herübertönendes Donnern und Brausen -anzeigte, in Form eines mächtigen Wasserfalls, der sich als ein solcher -von 95 Metern Fallhöhe ergab. Seinen westlichen Eintritt in das Plateau -fand dieser Fluß, der sich späterhin als der Oberlauf des an der -Wituküste in den indischen Ozean mündenden Dana erwies, durch ein enges -Felsenthor, durch welches wir vorerst nicht weiter vorzudringen -vermochten. Vom Norden her, den Abhängen der Keniavorberge entlang, -eilten dem Dana vier größere und zahlreiche kleinere Bäche zu, die -während ihres Laufes über die Felsenschroffen eine Menge mehr oder -minder malerischer Kaskaden bildeten. Die Seehöhe dieses, einem großen -Tierparke gleichenden Plateaus war, an seinem tiefsten Punkte, dem -Spiegel des Flusses gemessen, 1740 Meter. - -Noch während wir uns mit der näheren Untersuchung dieser Hochebene -beschäftigten, sandte ich mehrere Expeditionen aus mit der Aufgabe, -möglichst tief in das Keniagebirge einzudringen, um von beherrschenden -Höhen aus genauen Einblick in die Gestaltung und Beschaffenheit des vor -uns liegenden Gebietes zu erlangen. Denn so ausnehmend uns allen auch -die Landschaft gefiel, in deren Mitte wir lagerten, so wollte ich mich -doch nicht entschließen, den Grundstein zu unserer ersten Ansiedelung zu -legen, bevor ich zum mindesten oberflächlichen Überblick über das -Gesamtgebiet des Kenia gewonnen hätte. Die Auskünfte, die uns -diesbezüglich Sakemba erteilen konnte, erwiesen sich als dürftig und -ungenügend. Wir waren daher sehr erfreut, als sich acht Eingeborene, die -wir als Andorobo erkannten, vor unserem Lager zeigten. Sie hatten in der -vorigen Nacht unsere Lagerfeuer bemerkt und wollten nun sehen, wer wir -seien. Sakemba, die ihnen entgegenging, machte sie rasch zutraulich und -nun hatten wir ortskundige Führer, wie wir sie nur wünschen konnten. Was -wir zunächst von ihnen verlangten, war ihnen mit Hilfe Sakembas bald -begreiflich gemacht, acht verschiedene Expeditionen unter Führung je -eines Andorobo zogen aus und kehrten -- die erste schon am Abend des -nächsten Tages, die letzte erst nach Verlauf von sieben Tagen, mit -ziemlich erschöpfenden Berichten zurück. - -Dem Gipfel des Kenia war keine auch nur nahe gekommen. Dagegen hatten -sie von verschiedenen leichter zugänglichen Punkten des Hauptstockes, -zum Teil aus Höhen von nahezu 5000 Metern, großartige Rundsichten -erlangt. Danach war die offenste, für Viehzucht und Ackerbau günstigste -Seite des Kenia gerade diejenige, von welcher wir uns genaht hatten. -Auch im Osten und Norden dehnte sich anscheinend sehr fruchtbares -Vorland, doch war dasselbe im Osten recht monoton, ohne jene nicht bloß -malerische, sondern auch mannigfache praktische Vorteile bietende -Abwechselung von offenem Land und Wald, Hügel und Ebene, die wir im -Süden getroffen; das Land im Norden hinwieder schien zu feucht; im -Westen dehnten sich endlose, nur von wenig offenem Land unterbrochene -Wälder. All das konnte späterhin ohne Zweifel in üppiges Kulturland -umgewandelt werden; vorläufig aber war selbstverständlich bereits -kulturfähiger Boden vorzuziehen. Das Innere der Gebirgswelt vor uns -erfüllten hohe Waldberge und Felsen, durchkreuzt von zahllosen Thälern -und Schluchten. Diese Vorberge treten von allen Seiten nahe an das -schroff emporsteigende Hauptmassiv des Kenia heran; nur im Südwesten, -etwa fünf Kilometer entfernt vom Westende unseres Plateaus, treten die -Vorberge zurück, den Raum freilassend für eine ausgedehnte offene -Thalmulde, in deren Mitte auch ein See sich befindet, dessen Abfluß der -Dana ist. Den Flächeninhalt dieses Thales schätzten unsere Kundschafter -auf ungefähr 150 Quadratkilometer und alle stimmten darin überein, daß -es sehr fruchtbar und seiner Lage nach ein wahres Wunder an Schönheit -wäre. Zugänglich aber sei dieses Thal am besten durch die Schlucht, aus -welcher der Dana hervorbreche, nur müsse dieselbe, so lange geeignete -Wasserfahrzeuge fehlen, nicht unmittelbar von unserem Plateau aus, -sondern auf dem Umwege über ein südlich einmündendes kleines Seitenthal -betreten werden. - -Diese Nachricht empfing ich am 3. Juli. Am nächsten Tage schon war ich, -ohne die Rückkehr zweier noch fehlender Expeditionen abzuwarten, -unterwegs nach diesem vielgepriesenen Seethale. Der bezeichnete und in -der That sehr praktikabel sich erweisende Weg führte von unserem -Lagerplatze zunächst an das Westende des Plateaus, dann südlich -ausbiegend und einen kleinen felsigen Waldberg umgehend, zu einem nach -Nordosten ziehenden engen Thale, welches seinerseits in die vom Dana -durchflossene Schlucht mündete, die jedoch hier weder so eng, noch so -ungangbar war, wie beim Austritte in die Hochebene. Diese Schlucht -aufwärts verfolgend, standen wir nach einer Stunde plötzlich inmitten -des gesuchten Thales. - -Der Anblick, der sich uns hier bot, war geradezu unbeschreiblich. Man -denke sich ein 18 Kilometer langes, an seiner breitesten Stelle 12 -Kilometer messendes, mit beinahe geometrischer Regelmäßigkeit -aufgebautes Amphitheater, dessen Halbkreis durch einen Kranz sanft -aufsteigender, 100 bis 150 Meter hoher Waldhügel, dessen Grundlinie -dagegen durch die jäh und schroff sich emportürmenden Felswände des -Kenia gebildet wird, von deren Höhe, die Wolken überragend, die -schneeigen Firnen herniederleuchten. Den Boden dieses majestätischen -Amphitheaters deckt auf der einen, dem Kenia zugewandten Seite, ein -tiefblauer, klarer See, zur anderen ein blumiges Park- und Wiesenland. -Das Publikum, welches diese Arena füllt, sind zahllose Elefanten, -Giraffen, Zebras, Antilopen; und das Stück, welches in demselben zur -Aufführung gelangt, betitelt sich: Die Kaskaden des Keniagletschers. -Hoch oben, in unerreichbarer Höhe, entspringen unter dem Kuß der -glühenden Sonne zahllose Wasseradern den bläulich und grünlich -strahlenden Eisklüften; schäumend und funkelnd, bald zerstäubt in alle -Farben des Regenbogens, bald vereint in weißlichem Glaste, eilen sie -hernieder, stets kräftiger anwachsend, stets unbändiger tobend, bis -endlich der gesamte Schwall sich vereinigt zu _einem_ mächtigen Flusse, -der nun mit donnerndem Tosen, das bei günstiger Windrichtung selbst da -unten, in einer Entfernung von gut 10 Kilometern, deutlich zu hören ist, -seiner Gletscherheimat enteilt und den Felsschroffen zustürmt; dort -angelangt aber stürzt die ganze kolossale Wassermasse, dieselbe, die -wenige Kilometer weiter den Dana bildet, 500 Meter tief jäh herab, in -Atome zerstäubend, zu einer Regenbogenwolke umgestaltet. Der Fluß ist -urplötzlich in den Lüften verschwunden, vergebens sucht dein Auge die -Fortsetzung seines Laufes auf den schwarz gleißenden Klippen; erst 500 -Meter weiter unten sammeln sich die fallenden Nebelmassen wieder zu -fließendem Wasser, um von da ab in kleineren Absätzen dumpf brausend und -grollend dem See auf gewundenen Umwegen zuzueilen. - -In sprachloses Entzücken versunken standen wir lange vor diesem -Naturwunder sonder gleichen, dessen unsägliche Majestät und Schönheit -Worte nicht schildern können. Gierig sog das Auge die Flut von Licht und -Farbenglanz, gierig das Ohr den aus märchenhafter Höhe herabklingenden -Ton der Wässer, gierig die Brust das duftgeschwängerte Labsal ein, -welches als Atmosphäre dieses Zauberthal durchfächelt. Zuerst fand das -Weib in unserer Mitte, Ellen Fox, wieder Worte. Einer verzückten Seherin -gleich hatte sie lange dem Spiel der Wässer zugeschaut; da rief sie -plötzlich, als ein stärkerer Windhauch den Nebelschleier des -Wasserfalles, der soeben noch einen schillernden, schwertähnlich -geschwungenen Streifen gebildet hatte, vollends verwehte: »Seht hin, das -Flammenschwert des Erzengels, welches den Eingang zum Paradiese bewacht -hat, ist bei unserem Erscheinen zerstäubt; »Eden« laßt uns diesen Ort -nennen!« - -Daß dieses Thal -- der Name Eden wurde für dasselbe einhellig acceptiert --- unser zukünftiger Wohnort sein müsse, stand bei uns allen sofort -fest. Eine nähere Untersuchung desselben ergab, daß dessen Gesamtfläche -160 Quadratkilometer betrug. Davon entfallen auf den, in Form einer -langgestreckten Ellipse unter dem Keniaabhange sich ausdehnenden See 35, -auf den die Höhen umsäumenden Wald 40 Kilometer; 95 Kilometer sind -offenes Parkland, welches den See bis auf einige Stellen, wo die -Keniafelsen unmittelbar in ihn abfallen, rings umgiebt, im Nordosten, -dem Kenia zu, in schmalen Streifen, auf den anderen drei Seiten in einer -Breite von 1 bis 7 Kilometern. Der den Abfluß des Keniagletschers -bildende Dana mündet am Nordwestende des Sees in diesen und verläßt ihn -am Südostende. Seine Wasser, schon vor ihrem Eintritt in den See nicht -so kalt, als man nach ihrem Ursprunge unmittelbar aus dem Gletscher da -oben vermuten sollte, erwärmen sich hier mit merkwürdiger Raschheit; die -Temperatur des Sees erreicht an heißen Tagen bis zu 24 Grad Celsius. -Außer dem Dana münden in den Edensee noch mehrere Quellen, die teils den -Keniaklippen, teils den Abhängen der seitlich und gegenüber gelagerten -Berge entspringen. Wir zählten deren nicht weniger als elf, darunter -eine heiße, deren Temperatur 52 Grad Celsius betrug. - -Daß wir in den vier Tagen bis zur Entdeckung von Edenthal nicht müßig -gewesen, versteht sich von selbst. Zunächst hatten sich schon am 1. -Juli, wenige Stunden nach den mit den ersten Depeschen entsandten -Kurieren, die zur Herstellung geregelter Verbindung mit Mombas -bestimmten Expeditionen auf den Weg gemacht. Es waren deren zwei; die -eine unter Leitung Demestres' und dreier anderer Ingenieure, sollte die -Straße bauen, die andere unter Leitung Johnstons, das erforderliche -Zugvieh -- dessen Menge einstweilen auf 5000 Stück Ochsen präliminiert -war -- auftreiben und die Verproviantierung längs der ganzen Wegstrecke -sicherstellen. Ersterer wurden 20 unserer Mitglieder und 200 unserer -Suahelileute nebst einem Train von 50 Tragtieren mitgegeben; Johnston -bekam bloß 10 der Unseren, 20 Tragtiere und 10 Schäferhunde mit. Wie -diese Expeditionen ihre Aufgabe lösten, davon später. - -Bei mir am Kenia blieben, da ich bis nun insgesamt 53 der Unseren, 200 -Suahelis und 131 Reit- und Tragtiere entsendet hatte, von letzteren -überdies auf dem Marsche 9 zugrunde gegangen waren, 149 Weiße, 80 -Suahelis und 475 Tiere -- die Hunde und Elefanten ungerechnet. Außerdem -waren uns aber einige hundert Wakikuja gefolgt, die sich bereitwilligst -zu beliebigen Dienstleistungen erboten. Von diesen behielt ich 150 der -anstelligsten zurück, die anderen sandte ich -- begleitet von fünf der -Unserigen -- noch am 1. Juli in ihre Heimat, mit dem Auftrage, 300 -kräftige Zugochsen, 150 Kühe, 400 Schlachtochsen und einige tausend -Zentner verschiedener Sämereien und Nahrungsmittel einzukaufen und -successive an den Kenia zu befördern. Nachdem ich dies erledigt, -verteilte und übergab ich die mannigfaltigen Arbeiten, die uns nun -zunächst zu beschäftigen hatten, sachverständigen Händen. Einer unserer -Techniker erhielt die Feldschmiede und Schlosserei, ein anderer die -Sägemühle zugewiesen -- dazu selbstverständlich die entsprechenden -Arbeitskräfte; zum Holzfällen war eine besondere Sektion bestimmt, eine -andere sollte die landwirtschaftlichen Geräte in Stand setzen und -ergänzen. Einer der am Kenia zurückgebliebenen Ingenieure hatte mit 100 -Schwarzen die Herstellung geeigneter Kommunikationen in dem zu -besiedelnden Gebiete, insbesondere den Bau von Brücken über den Dana zu -bewerkstelligen. - -Am 5. Juli fand die Übersiedelung in das Edenthal statt. Das Terrain -wurde genau vermessen und zuvörderst rings um den See die zukünftige -Stadt abgesteckt, mit ihren Straßen und Plätzen, öffentlichen Gebäuden -und Belustigungsorten. Dieser -- zunächst allerdings bloß in unserem -Geiste existierenden Stadt -- reservierten wir vorerst einen Raum für -25000 Familienhäuser, deren jedem auch ein ansehnliches Gärtchen -zugedacht war, was insgesamt 35 Quadratkilometer beanspruchte. Außerhalb -dieses Bauareals -- das späterhin nach Bedarf beliebig ausgedehnt werden -mochte -- wurden 1000 Hektaren als vorläufiger Ackergrund ausgesucht; -sie erhielten ein Netz kleiner Bewässerungskanäle und sollten so bald -als möglich eingefriedigt werden, zum Schutze gegen die Invasion des -zahllos umherschwärmenden Wildes, wie nicht minder unserer Haustiere, -die bei Nacht in einem starken Pferch untergebracht, bei Tag dagegen, -sofern man ihrer nicht bedurfte, unter der Hut einiger Suaheli und der -Hunde im Freien weideten. - -Inzwischen hatte die Sägemühle, die wir nicht mit nach Eden genommen, -sondern am Danaplateau belassen und dort unter Benutzung der Wasserkraft -eines der vom Gebirge herniederrauschenden Bäche hart am Flusse -errichtet hatten, ihre Arbeit begonnen. Die ersten Bretter und Pfosten, -welche sie lieferte, wurden zur Erbauung zweier größerer Flachboote -benutzt, auf denen dann sofort der Transport des gewonnenen Bauholzes -den Fluß aufwärts nach dem Edensee begann. Wenige Wochen später erhoben -sich an dessen Ufern vierzig geräumige Holzbaracken, in welche nun wir -Weiße aus den bisher bewohnten engen Lagerzelten übersiedelten; die -Neger zogen es vor, in den Grashütten zu bleiben, die sie sich unter dem -Schutze eines Wäldchens errichtet. Gleichzeitig bekam das Vieh seinen -Pferch, der hoch und stark genug war, um jeder vierfüßigen Invasion -unübersteigliche Schranken zu ziehen. Dieser Pferch bot Raum für -ungefähr zweitausend Tiere und war überdies mit einem gedeckten Raume -versehen, der bei Regenwetter Schutz gewährte. - -Schon am 9. Juli hatten unsere Schmiede, Wagner und Zimmerleute zehn von -den mitgebrachten Pflugscharen zu Pflügen ergänzt; gleichzeitig war aus -Kikuja der erste Viehtransport -- 120 Ochsen und 50 Kühe samt 200 -Schafen und zahllosem Geflügel eingetroffen. Sofort wurden unter -Anleitung unserer Ackerbauer Pflügeversuche gemacht. Die Kikujaochsen -sträubten sich zwar ein wenig gegen das Joch und auch das Gehen in der -Ackerfurche leuchtete ihnen anfangs nicht ein; binnen drei Tagen aber -hatten wir sie doch so weit, daß sich mit ihnen, zu achten vor den Pflug -gespannt, leidlich ackern ließ. Dieser Kraftaufwand war notwendig, da -der schwarze, fette Boden, gebunden überdies durch die üppige Grasnarbe, -sich außerordentlich schwer aufbrechen ließ. Jedes Ochsenpaar mußte zwar -anfangs seinen eigenen Treiber haben und die Ackerfurchen liefen -trotzdem nicht so schnurgerade, wie von civilisierten Ochsen gefordert -wird; aber umgebrochen wurde der Boden doch und binnen verhältnismäßig -kurzer Zeit hatten die Tiere weg, worauf es bei ihrer Arbeit ankam und -leisteten dieselbe von da ab zur vollsten Zufriedenheit. Am 15. Juli -kamen mit Hilfe inzwischen neu angelangter Ochsen fünfzehn fernere -Pflüge in Verwendung, ebensoviel am 20. Mit diesen vierzig Pflügen waren -bis zu Ende des Monats 300 Hektaren gepflügt, die sodann geeggt und -gewalzt, soweit der Vorrat reichte mit unseren mitgebrachten Sämereien --- hauptsächlich Weizen und Gerste, zu reichlich drei Vierteilen dagegen -mit afrikanischem Weizen und Mtamakorn bestellt, und schließlich wieder -eingewalzt wurden. In der zweiten Augusthälfte war diese Arbeit gethan, -kurze Zeit darauf das ganze Ackerareal eingehegt, und wir konnten -getrost der nun beginnenden kleinen Regenzeit entgegensehen. - -Inzwischen war auch ein -- vorläufig bloß 10 Hektare umfassender -- -Garten angelegt worden, etwas entfernter vom Weichbilde der zukünftigen -Stadt als das Ackerland, denn während letzteres bei dem zu gewärtigenden -Wachstume der Stadt leicht weiter hinaus verlegt werden konnte, mußte -für den Garten ein möglichst dauernder Standort gesucht werden, also ein -solcher, der außerhalb des Weges der zukünftigen städtischen -Entwickelung lag. Da wir nicht weniger als achtzehn geschickte Gärtner -besaßen und diesen Suaheli und Wakikuja als Gehilfen nach Bedarf an die -Hand gegeben wurden, so gelang es, binnen wenigen Monaten die ganzen 10 -Hektaren mit den erlesensten Obst- und Beerenarten, Gemüsen, Blumen, -kurzum mit Nutz- und Zierpflanzen aller Art zu besetzen, die wir teils -aus der alten Heimat herübergebracht, teils unterwegs vorgefunden und -mitgenommen, teils am Kenia und in dessen Umgebung angetroffen hatten. -Auch der Garten wurde mit einem Netze kleiner Bewässerungskanäle -versehen und durch einen starken hohen Zaun gegen unliebsame Besuche -gesichert. - -Die Bestellung der Felder, Gartenbau und Jagd hatten nicht alle uns zur -Verfügung stehenden Kräfte absorbiert. Es waren gleichzeitig mehrere -praktikable Fahrwege rings um den Edensee, längs des Flusses bis zum -Ostende des Plateaus und von diesem Hauptstrange aus abzweigend nach -mehreren anderen Richtungen unseres Gebietes hergestellt worden. Man -darf sich darunter keine Kunststraßen vorstellen, es waren eben -Feldwege, die jedoch die Beförderung ganz ansehnlicher Lasten ohne -sonderliche Kraftverschwendung ermöglichten. Der Dana wurde an drei -Stellen für Fuhrwerk und an zwei anderen für Fußgänger überbrückt; sonst -waren nur an zwei kurzen Strecken Kunstbauten erforderlich gewesen: am -Ende der Schlucht, die den Dana aus Edenthal nach dem großen Plateau -führt, und an einer der in den See abfallenden Keniaklippen. An diesen -beiden Orten mußten mehrere Kubikmeter Felsen weggesprengt werden, damit -am Ufer Raum für einen Weg geschaffen werde. - -Da inzwischen auch Wagnerei und Feldschmiede nicht stille gestanden -hatten, so waren gleichzeitig mit den Wegen auch mehrere tüchtige Wagen -und Karren fertig geworden, die alsbald nützliche Verwendung fanden. - -Größere Arbeit beanspruchte die Herstellung der Mahlmühle. Dieselbe -wurde mit zehn kompleten Mahlgängen am Oberlaufe des Dana, einen -Kilometer vor dessen Einfluß in den Edensee, errichtet. Diese Stelle -wurde aus dem Grunde gewählt, weil dicht oberhalb derselben eine große -Stromschnelle ist, von da ab jedoch der Dana jenes ruhige, geringe -Gefälle hat, das erst am großen Wasserfall, am Ostende des Plateaus, -unterbrochen ist. Wir hatten also durch das ganze vorläufig okkupierte -Gebiet hindurch eine vortreffliche Wasserstraße zur Mühle und konnten -für dieselbe trotzdem den raschen Lauf des oberen Dana ausnützen. Die -komplicierteren, feineren Bestandteile dieser Mühle hatten wir aus -Europa mitgebracht; die Räder, Wellen und die zehn Mühlsteine dagegen -erzeugten wir uns selber. Auch diese Mühle war -- vorläufig zwar nur aus -Holz und Fachwerk erbaut -- Ende September fertig, allerdings schon mit -Hilfe jenes Nachschubs der Unseren, der während der ersten Hälfte des -gleichen Monats in zwei Kolonnen zu uns gestoßen war. - -Ich habe bereits erzählt, daß ich sofort nach unserem Eintreffen am -Kenia neue Vorräte und eine Schar neuer Pioniere vom Ausschusse verlangt -und daß dieser den mit Ende des Monats Juli erfolgenden Abgang einer -Expedition von 260 Reitern und 800 Zentner Waren auf 300 Tieren -angezeigt hatte. Diese Expedition traf am 16. August in Mombas ein; -hier teilte sie sich in zwei Gruppen; die eine, die besten, -unternehmungslustigsten 145 Reiter enthaltend, machte sich schon am 18. -August mit bloß 50 sehr leicht bepackten Handpferden -- die 300 -Tragtiere waren, nebenbei bemerkt, sämtlich Pferde -- auf den Weg, ohne, -von einem Dolmetscher abgesehen, auch nur einen einzigen Eingeborenen -mitzunehmen; sie verließ sich beinahe gänzlich auf die Aushülfe von -seiten unserer unterwegs beschäftigten Wegbauer und der uns freundlich -gesinnten Bevölkerung, nicht zum mindesten aber auf ihren Entschluß, -alle etwa zu gewärtigenden Entbehrungen und Strapazen ohne Murren zu -ertragen. Ein Gewaltritt von zwanzig Tagen mit bloß eintägiger -Unterbrechung in Taweta brachte diese Wackeren am 9. September in unsere -Mitte. Fünf Pferde waren den Anstrengungen erlegen, sieben andere mußten -unterwegs marod zurückgelassen werden; sie selber aber trafen sämtlich -bis auf einen, der bei einem Sturze das Bein gebrochen und unter guter -Pflege in Miveruni geblieben war, zwar etwas erschöpft, im übrigen aber -in bester Verfassung ein und beteiligten sich schon zwei Tage später -rüstig an unseren Arbeiten. Die 115 anderen folgten mit 250 Lastpferden, -zu denen sie 100 Suaheli-Treiber aufgenommen hatten, erst zehn Tage -später. Die größere Hälfte der mitgenommenen Waren hatten sie unterwegs -an Johnston abgegeben, auf den sie in Useri gestoßen waren und der -darauf schon sehnsüchtig gewartet hatte. Die an den Kenia gebrachten -neuen Vorräte -- in allem etwas über 300 Zentner -- enthielten auch -mancherlei Werkzeuge und Maschinen; diese und mehr noch der ansehnliche -Kräftezuwachs beflügelten unsere Kulturarbeiten in nicht geringem Maße. - -Die Mahlmühle wurde -- wie schon erzählt -- noch Ende September fertig. -Sie fand sofort vollauf Beschäftigung. Zwar unsere eigene Ernte war noch -nicht eingebracht; aber von den Wakikuja hatten wir inzwischen -allmählich 10000 Zentner verschiedener Getreidearten gekauft und in -Speichern am Seeufer eingelagert, zu denen die Sägemühle reichlich -Baumaterial geliefert hatte. Bis Ende Oktober waren diese 10000 Zentner -zu Mehl vermahlen; selbst wenn wir eine Mißernte hatten, brauchten die -ersten paar Tausend fernerer Ankömmlinge nicht Hunger zu leiden. - -Wir hatten aber keine Fehlernte, vielmehr brachte uns, wenige Wochen -nach Beginn der mit dem Oktober anhebenden heißen Jahreszeit, der -üppige, durch unser Bewässerungsnetz mit reichlicher Feuchtigkeit -regelmäßig versehene Boden einen Segen, der aller europäischen -Vorstellungen spottet. Hundertzwanzigfache Frucht gab im Durchschnitt -jedes gesäete Korn; wir ernteten von unseren 300 Hektaren 42000 Zentner -verschiedener Getreidearten, denn nicht in einzelnen mageren Ähren, -sondern in dichten, mächtigen Ährenbüscheln endete jeglicher Halm, der -europäische Weizen und unsere Gerste nicht minder als die afrikanischen -Sorten. Bei Bergung dieses Segens kam uns besonders zu statten, daß -schon gegen Ende August auch eine Maschinenschlosserei einige hundert -Meter oberhalb der Mahlmühle eingerichtet worden war, die alsbald unter -Benutzung von Wasserkraft zu arbeiten begann und teils aus mitgebrachten -Bestandteilen, hauptsächlich aber aus selbsterzeugten Materialien einige -Erntemaschinen und zwei mit Pferdegöpel zu treibende Dreschmaschinen -geliefert hatte. - -Zu solcher Leistung aber war diese Werkstätte befähigt, weil unsere -Geologen neben anderen wertvollen mineralischen Schätzen auch Eisen und -Kohle auf unserem Gebiete entdeckt hatten. Die Kohle lag in einem der -Keniavorberge auf dem Danaplateau, drei Kilometer vom Flusse; das Eisen -in einem der Vorberge, die der Dana in seinem Oberlauf durchschneidet, -zwei Kilometer oberhalb des Edenthals. Die Kohle war mittelguter -Anthracit, das Eisenerz vortrefflicher, 40prozentiger Manganeisenstein. -Es wurde in der Nähe des Eisenfundortes sofort ein Schmelz- und -Raffinierofen und ein Hammerwerk errichtet, provisorisch und primitiv, -aber doch genügend, um ganz brauchbares Guß- und Schmiedeeisen zu -liefern, das uns in unseren Ausführungen sofort unabhängig machte von -den aus Europa mitgebrachten Vorräten. Nun erst besaßen wir eine, wenn -auch kleine, so doch auf eigenen Füßen stehende Maschinenindustrie, und -diese setzte uns in den Stand, die unverhofft reiche Ernte binnen -wenigen Wochen einzuheimsen und zu verarbeiten. - -Ein fernerer Gebrauch, den wir sofort von unserer gesteigerten -Leistungsfähigkeit machten, war die Errichtung zweier neuer Sägemühlen -und einer Bierbrauerei. Die Sägemühlen brauchten wir, um für die stetig -anschwellende Menge der angekündigten Ankömmlinge bequeme Unterkunft zu -schaffen, die Brauerei sollte dazu dienen, sie durch einen -Willkommentrunk des von den meisten sicherlich schwer entbehrten -heimischen Getränks zu überraschen. Sowie die Gerste geschnitten und -gedroschen war, ging's ans Malzen; den Hopfen hatten unsere Gärtner an -den Hängen der Kenia-Vorberge in sehr annehmbarer Güte gezogen, und bald -füllten zahlreiche Fässer des edlen Getränkes einen unter Benutzung -natürlicher Höhlungen angelegten kühlen Felsenkeller. - -Als der Oktober seinem Ende entgegenging, durften wir mit Beruhigung und -Genugthuung auf unsere viermonatliche Thätigkeit im Keniagebiete -zurückblicken. Sechshundert nette Blockhäuser für ebensoviel Familien -harrten ihrer Bewohner; 50000 Zentner Getreide und Mehl, reiche Vorräte -an Schlacht- und Zugvieh, Baumaterialien und Werkzeuge zur Unterbringung -und Ausrüstung vieler Tausende waren aufgespeichert. Der Garten hatte -sich nicht minder schön entwickelt und seine köstlichen Gaben waren -teilweise schon zum Genusse bereit. Zwar hier genügte unsere eigene -Produktion vorläufig noch nicht zur Deckung des voraussichtlichen -Bedarfes; aber dem ließ sich, wie bisher, durch den sich stets lebhafter -gestaltenden Tauschverkehr mit den Wakikuja abhelfen. Diesen hatten wir -regelmäßig einmal in der Woche einen Markt in Edenthal veranstaltet, -welchen sie jedesmal zu vielen Hunderten beschickten, ihre Waren auf -Ochsenkarren mit sich führend, deren Gebrauch wir ihnen beigebracht und -durch Herstellung des inzwischen durch unsere Ingenieure vollendeten, -ihr Land durchziehenden Weges auch praktisch ermöglicht hatten. Seitdem -wir unsere Eisenhütten besaßen, suchten die Wakikuja bei uns vornehmlich -Eisen, entweder roh oder in Form von allerlei Werkzeugen. Dafür brachten -sie uns anfangs Vieh und Vegetabilien, dann, als wir deren vorläufig -nicht mehr bedurften, hauptsächlich Elfenbein, von welchem wir, teils -durch diesen Handel, teils durch die Andorobo, teils durch das Ergebnis -unserer eigenen Jagden successive schon 140000 Kilogramm aufgespeichert -hatten. Denn Elfenbein ist hier wohlfeil wie Brombeeren; für unser -Schmiedeeisen geben uns die Wakikuja und Andorobo mit Vergnügen das -doppelte Gewicht jenes im Abendlande so geschätzten Materials, und jedes -eiserne Werkzeug, es sei nun Hammer, Nagel oder Messer, wird mit dem -zehn- bis zwanzigfachen Elfenbeingewichte aufgewogen. Der ganze -Kostenbetrag unserer Expedition war also schon nahezu in Elfenbein -bezahlt; das Vieh und die Vorräte, die Werkzeuge und Maschinen -- vom -Lande gar nicht zu reden -- gingen gratis drein. - - - - - 6. Kapitel. - - -Während wir am Kenia solcherart damit beschäftigt waren, den aus der -alten Welt erwarteten Brüdern das neue Heim behaglich einzurichten, -arbeiteten unsere Genossen unter Demestres und Johnstons Führung nicht -minder erfolgreich an den ihnen zugeteilten Aufgaben. - -Die Herstellung der Wege innerhalb des eigentlichen Keniagebietes ging -Demestre nichts an; sein Geschäft begann erst am Saume der die -Keniaregion umgürtenden großen Wälder. Von hier bis zur Grenze zwischen -Kikuja und Massailand bei Ngongo übergab er die Ausführung des Werkes -dem Ingenieur Frank, einem Amerikaner; die zweite Sektion von Ngongo bis -Masimani im Massailande, mittwegs zwischen Ngongo und Taweta, erhielt -der Ingenieur Möllendorf, ein Deutscher, die dritte Sektion, -Masimani-Taweta, Lermanoff, wie sein Name verrät, ein Russe; die letzte -und schwierigste Sektion, Taweta-Mombas zwei der bösesten Einöden -enthaltend, behielt sich Demestre selber vor. Jeder der vier Sektionen -waren 5 Weiße zugeteilt; seine 200 Suahelis, verstärkt durch die -doppelte Zahl auf dem Marsche durch ihr Land angeworbener Wakikuja, wies -Demestre den beiden ersten Sektionen zu, und zwar der ersten in -Kikujaland 50 Suaheli und 300 Wakikuja, der zweiten in Massai-Land 150 -Suaheli und 100 Wakikuja. Die dritte Sektion wurde von Taweta aus -organisiert; dahin ritt Lermanoff mit einem Begleiter unter Benützung -unserer Kurieretappen vom Kenia binnen 6 Tagen, engagierte in Taweta, wo -sich stets Suahelikarawanen finden, 100 Suahelileute, in Useri und -Dschagga 250 der dortigen Eingeborenen und begann, nachdem inzwischen -auch seine anderen vier Begleiter eingetroffen waren und auch die ihm -wie jeder Sektion, zugeteilten Packpferde mitgebracht hatten, schon am -15. Juli von Taweta und Useri zugleich die Arbeiten. Demestre dagegen -ritt, gleichfalls unter Benutzung der Kurieretappen, in einer nur von -Nachtruhen unterbrochenen Tour zuerst nach Teita, warb dort 400 Wateita -an, die er unter Leitung eines seiner Begleiter sofort die Strecke -Teita-Taweta in Angriff nehmen ließ, eilte dann weiter nach Mombas und -brachte es zuwege, schon am 20. Juli mit 500 Küstenleuten auf der -schwierigsten Strecke, Mombas-Teita, die Arbeiten zu beginnen. - -Diese Arbeiten waren überall dreifacher Art. Zunächst mußten an den -wasserarmen Stellen, deren es auf den unteren Sektionen mehrere gab, -insbesondere aber in den Wüsten von Duruma, Teita und Ngiri, Brunnen, -und wo sich kein Grundwasser fand, Cisternen gegraben werden, ergiebig -genug, um nicht nur die Arbeiter während der Bauzeit, sondern späterhin -Menschen und Vieh der durchziehenden Karawanen ausreichend mit Wasser zu -versorgen. Da es im äquatorialen Afrika zu allen Jahreszeiten heftige -Regengüsse giebt, die in den sogenannten trockenen Zeiten eben nur um -vieles seltener sind, als in der sogenannten Regenzeit, so war nicht zu -besorgen, daß große Cisternen, denen das Regenwasser aus genügend weitem -Umkreise zufloß, selbst in den heißen Monaten erschöpft werden könnten; -nur mußten diese Cisternen sowohl gegen den unmittelbaren Sonnenbrand -als auch gegen Schmutz geschützt werden. Ersteres geschah durch -Eindeckung und Überdachung, letzteres durch Einfriedigung der Cisternen -sowie dadurch, daß das Regenwasser, bevor es in die Gruben gelangen -konnte, durch eine mehrere Meter mächtige Sand- und Schotterschicht -hindurchgeleitet wurde. Die natürlichen, jedoch in Zeiten anhaltender -Dürre austrocknenden Wasserlöcher, die sich in allen Einöden vorfanden, -zeigten die Stellen an, wo diese Cisternen am praktischesten anzulegen -seien, denn es waren das selbstverständlich die tiefsten Punkte, nach -denen zu das Regenwasser seinen natürlichen Abfluß nahm. Die -bedeutendsten dieser Wasserlöcher brauchten blos entsprechend vertieft, -gegen Verdunstung des ihnen zuströmenden Wassers geschützt und mit den -oben erwähnten natürlichen Filtern umgeben zu werden, und die Cisternen -waren fertig. Von diesen wurden in den verschiedenen Sektionen 25 -gegraben, mit einer Tiefe von 8 bis 15 und mit einem Durchmesser von 2 -bis 8 Metern. Gewöhnliche Brunnen mit Grundwasser wurden 39 hergestellt. -An jedem dieser künstlichen Wasserbehälter ward zur Überwachung gegen -Verunreinigung ein Wächter angesiedelt. - -In zweiter Reihe kamen die eigentlichen Wegbauten. Im allgemeinen wurde -dabei die schon beim Zuge von Mombas aufwärts hergestellte Straße -benutzt, bloß von Hindernissen etwas sorgfältiger befreit und wo sie -durch den Busch gehauen werden mußte, um mehr als das Doppelte -erweitert. An einzelnen Stellen jedoch, insbesondere wo steilere Höhen -zu überschreiten waren, mußte eine neue, minder jäh ansteigende Trace -gesucht werden. Daß auch einige Brücken zu bauen waren, bedarf wohl -keiner Erwähnung. - -Der dritte Teil der Arbeit bestand in der Herstellung von primitiven -Unterkunftshäusern für Menschen und Vieh an geeigneten Orten. Speise- -und Schlafräume für einige Hundert Menschen, Pferche für zahlreiche -Rinder und Magazine für Lebensmittel wurden in Abständen von 12 bis 20 -Kilometern, im ganzen 65 an der Zahl errichtet. - -Alle diese Arbeiten waren auf der Strecke Mombas-Teita Ende September, -auf allen anderen Sektionen 14 Tage später vollendet. Die aufgenommenen -Arbeiter wurden jedoch nicht entlassen, da ein Teil derselben zur -Überwachung und Instandhaltung des Weges und der Baulichkeiten, ein -anderer Teil dagegen zu Zwecken des Transportdienstes auf der -neugeschaffenen Strecke Verwendung fand. Der Kostenaufwand für das -wahrlich nicht kleine Werk betrug 14500 Pfd. Sterling, zur Hälfte in -Löhnen, zur Hälfte in Subsistenzmitteln für die Arbeiter; zu bezahlendes -Baumaterial gab es nicht. - -In der gleichen Zeit vollbrachte Johnston den Einkauf des zum Transporte -erforderlichen Zugviehes und die Organisation des Verpflegwesens der -Karawane. Seine Massai-Freunde verschafften ihm binnen wenigen Wochen -die ursprünglich bestellten 5000 Rinder, aus denen schließlich, da die -Zahl der zu transportierenden Mitglieder sich in jeder neuen, vom -Ausschusse der freien Gesellschaft anlangenden Depesche größer und -größer angegeben fand, nicht weniger als 9000 wurden. Ein Rind stellte -sich auf durchschnittlich etwas über 8 Schill. (Mark), wobei jedoch -reichlich die Hälfte auf die Nebenspesen entfiel; der nackte -Einkaufspreis betrug im Durchschnitt nicht einmal ganze 4 Schilling per -Stück. - -Den Transportdienst organisierte Johnston in der Weise, daß von Mombas -täglich 25 Wagen abgehen und unterwegs auf jeder der 65 Stationen -frische Zugochsen finden sollten. In Edenthal angelangt, hatten dann die -Wagen wieder umzukehren, um von den Ochsengespannen Etappe um Etappe -zurückbefördert zu werden. Im Sinne dieser ebenso einfachen als -praktischen Anordnung durchliefen also alle Wagen einen ununterbrochenen -Kreislauf von Mombas nach dem Kenia und von dort wieder nach Mombas, -während die Zugochsen in gleichen Abteilungen immer bloß zwischen je -zwei benachbarten Stationen hin und her wanderten. Es konnten solcher -Art täglich 250 Personen befördert werden, und um die sämtlichen, vom -Ausschusse signalisierten 20000 Mitglieder aufzunehmen, waren 80 Tage -erforderlich, es sei denn, daß ein Teil derselben den Weg zu Pferde -zurücklegte. - -Die in England, Amerika und Deutschland konstruierten Wagen trafen -rechtzeitig in Mombas ein. Sie waren in jeder Beziehung Musterbilder -sinnreicher Konstruktion, solid und im Verhältnis zu ihrer Größe doch -leicht gebaut, eine Menge von Bequemlichkeiten bietend und doch einfach. -10 Personen fanden in jedem derselben bei Tag gute Sitzplätze, bei Nacht -ein erträgliches Lager. Eine höchst einfache Vorrichtung ermöglichte -eine derartige Veränderung in der Anordnung der Sitze, daß _unter_ -denselben für 6, _auf_ denselben für 4 andere Personen genügender Raum -zum Liegen gewonnen wurde. Solide Federn milderten die Stöße des -Gefährtes, ein bewegliches Lederdach bot im Bedarfsfalle Deckung gegen -Regen wie Sonnenbrand, und die -- des Nachts zur Lagerstätte dienenden --- Matratzen waren tagsüber derart unterhalb des Lederdaches -angeschnallt, daß dieses doppelten Schutz gegen die Sonnenhitze -gewährte. Auch für die Unterbringung des Gepäcks war in sehr praktischer -Weise gesorgt. - -Am 30. September langte das erste Schiff mit 900 Mitgliedern an -- und -zwar war dasselbe gleich allen folgenden Eigentum der Gesellschaft. In -der Voraussicht, daß der Zuzug von Einwanderern sobald nicht aufhören, -ja wahrscheinlich stetig zunehmen werde, und von der Absicht geleitet, -diese Einwanderung soweit nur irgend möglich in eigener Hand zu -behalten, hatte sie 12 große, schnellfahrende Dampfer von -durchschnittlich 3500 Tonnen Tragkraft angekauft und ihren Zwecken -entsprechend umgestalten lassen. Klassenunterschiede gab es auf den -Schiffen der Gesellschaft nicht; es wurde von Niemand Bezahlung -genommen, weder für den Transport noch für die Verpflegung auf der -ganzen Reise, dafür mußte sich auch Jedermann mit dem gleichen, -allerdings nicht geringen, Ausmaße von Komfort begnügen. Auf Deck waren -große Speise- und Gesellschaftsräume, unter Deck zwar kleine, aber für -jede Familie gesonderte, bequem ausgestattete und durchweg ausgezeichnet -ventilierte Schlafkabinen. Die Aufnahme geschah in der Reihenfolge der -Beitrittserklärungen zur Gesellschaft; die älteren Mitglieder hatten die -Priorität. Natürlich blieb es jedermann freigestellt, die Seereise auch -auf fremden Schiffen zu machen, ohne dadurch in Mombas seines Platzes in -der Reihe der zu Befördernden verlustig zu werden. - -In Mombas angelangt, stand es Jedermann frei, die Weiterreise zu Pferd -oder zu Wagen zu wählen. Die Reiter ihrerseits konnten entweder die -Wagenkarawanen begleiten oder in beliebig eingeteilten Märschen -voraneilen; nur der jeweilige Vorrat an Pferden zum Wechseln in den 65 -Stationen mußte beachtet werden; doch war thunlichst dafür gesorgt, daß -der erforderliche Pferdebestand nirgends ausging. Die Fahrenden hatten -gleichfalls die Wahl, ob sie ununterbrochen Tag und Nacht, bloß mit den -zum Wechseln der Gespanne nötigen Pausen, oder bedächtiger, unter -Einhaltung beliebig ausgedehnter Mittags- oder Nachtstationen sich -fortbewegen wollten. Ersterenfalls konnten sie bei günstigem Wetter in -14 Tagen, ja sogar rascher in Edenthal anlangen, letzterenfalls waren -dazu 20 Tage und darüber erforderlich. - -Alle getroffenen Anordnungen bewähren sich aufs vollständigste. Nirgends -gab es Aufenthalt, die Verpflegung ließ nichts zu wünschen übrig; eine -Massaieskorte, die Johnston in der Stärke von 10 Mann für jede Station -organisiert hatte, sorgte während der Nachtreisen für Sicherheit gegen -wilde Tiere, hatte überhaupt als Beistand in etwaigen Verlegenheiten zu -dienen, und 4 aus der Mitte der Unseren entsendete Kommissare mit dem -Sitze in Teita, Tawete, Miveruni und Ngongo überwachten das Ganze. Die -Eingeborenen kamen den ersten Wagenzügen mit staunendem Jubel, Allen -aber mit größter Freundlichkeit und Dienstbeflissenheit entgegen. -Insbesondere die Wataweta, der Sultan von Useri und die Massaistämme -ließen es sich nicht nehmen, unsere Reisenden mit den Beweisen ihrer -Verehrung und Liebe für die »am großen Berge angesiedelten« weißen -Brüder zu überhäufen. - -Die ersten neuen Ankömmlinge -- unter ihnen unser geliebter Meister -- -trafen am 14. Oktober in Edenthal ein; ihnen folgten in ununterbrochener -Reihe stets neue und neue Scharen. Doch bevor über die damit anhebende -neue Ära der Geschichte unseres Unternehmens berichtet wird, mag noch -kurz erzählt werden, was in der letzten Zeit am Kenia geschah. - -Zunächst ist zu erwähnen, daß noch im Monat August eine zahlreiche -Gesandtschaft von Massaistämmen aus Leikipia -- das ist das Land -nordwestlich von Kenia -- und aus den Distrikten nördlich vom Naiwascha- -bis zum Baringosee in Edenthal eingetroffen war, uns Gruß und -Freundschaft entbietend und die Bitte an uns richtend, sie in den mit -den anderen Massai abgeschlossenen Bundesvertrag mit aufzunehmen. Die -Gewährung dieser sehr beweglich und nicht ohne einige Empfindlichkeit -vorgetragenen Bitte legte uns nun allerdings erhebliche neue Lasten auf; -trotzdem besann ich mich keinen Augenblick, dieselbe zu gewähren und -alle Mitglieder stimmten mir einhellig zu. Denn mit dem Opfer von -einigen tausend Pfd. Sterling jährlich war die vollständige -Pacifizierung des streitbarsten und zweifellos tüchtigsten unter allen -Volksstämmen der ganzen Äquatorialzone wahrlich nicht zu teuer erkauft. -Wir hatten nunmehr genügende Sicherheit, allmählich wachsende Kultur in -diesen bisher von unaufhörlichen Fehden und Raubzügen heimgesuchten -Gegenden einziehen zu sehen, stets brauchbarere Genossen unseres großen -Werkes in den schwarzen und braunen Eingeborenen zu erziehen, und indem -wir sie lehrten, Wohlstand und Überfluß für sich selber zu erzeugen, die -Quellen unseres eigenen Wohlstandes zu vermehren. Ich hielt also den -braunen Recken eine sehr schmeichelhafte Lobrede, erklärte mich gerührt -über die an den Tag gelegte gute Gesinnung und versprach behufs -Ausfertigung des Vertrages, wie nicht minder, um sie zu ehren, demnächst -eine Gesandtschaft an sie zu senden. Reich beschenkt wurden die, -übrigens auch ihrerseits nicht mit leeren Händen erschienenen Massai -- -sie hatten 100 erlesene Rinder und 200 fettschwänzige Schafe als -Ehrengabe mitgebracht -- entlassen. Johnston, den ich sofort von dem -Vorgefallenen verständigte, übernahm die Ausführung des gegebenen -Versprechens. Daß er sich zu diesem Behufe aus den Waren der im -September am Kenia angelangten Expedition, auf die er in Miveruni -gestoßen, reichlich mit Hülfsmitteln versorgte, habe ich schon -berichtet; als seine Aufgabe an der Etappenstraße erfüllt war, zog er -- -zu Anfang des Monats Oktober -- an den Naiwaschasee, von da weiter durch -die mächtige, meist überaus fruchtbare Hochebene von 1800 Meter Seehöhe, -die, eingerahmt von 1000-2000 Meter höheren Randbergen, die Hochseen von -Massailand enthält, nämlich außer dem Naiwascha-, dem wunderbaren -Elmetaita- und dem Salzsee von Nakuro noch eine Reihe kleinerer Becken, -und erreichte am 20. Oktober den etwa 200 Quadratkilometer deckenden, in -einer bloß 980 Meter hohen Bodensenkung gelegenen Baringosee, an der -Nordgrenze von Massailand. Von da westlich wieder aufwärts steigend -durchzog er, vorbei an den gewaltigen Thomsonfällen, das wald- und -wasserreiche Leikipia und traf in der zweiten Novemberwoche bei uns am -Kenia ein, nachdem er mit allen unterwegs wohnenden Massaistämmen, wie -nicht minder mit den »Ndemps« am Baringosee, Bündnisverträge geschlossen -hatte. - -In zweiter Linie ist von den erfolgreichen Zähmungsversuchen zu -berichten, die auf Anregung unserer beiden Damen mit mehreren der am -Kenia heimischen Tierarten angestellt wurden. Die Idee hiezu ging -ursprünglich von Miß Fox aus, der dabei in erster Reihe bloß die Absicht -vorschwebte, den Frauen und Kindern der neuen Ankömmlinge Freude zu -bereiten. Für diese Idee gewann sie meine Schwester, eine große -Tierfreundin, und so warben denn die Beiden einige Andorobo und Wakikuja -zunächst dafür, Affen und Papageien zu fangen, deren es im Edenthal und -Umgebung einige sehr reizende Arten gab. Als die Zähmungsversuche mit -diesen Tierchen über Erwarten rasch und gut gelangen, so daß schon nach -Verlauf weniger Wochen die ihrer Haft entlassenen Gefangenen den -Herrinnen freiwillig nachsprangen und nachflatterten, wuchs Beider -Ehrgeiz und die Andorobo erhielten den Auftrag, einige Exemplare einer -besonders niedlichen Antilopenart einzufangen, die unsere Naturforscher -als eine Abart der hauptsächlich in Westafrika vorkommenden -Schopfantilope (_Cephalophus rufilatus_) bestimmten. Auch dieser Versuch -war von Erfolg begleitet; zwar die alten Tiere erwiesen sich so scheu -und ungeberdig, daß man sie schließlich laufen ließ; aber mehrere Junge -gewöhnten sich überraschend schnell an ihre Wärterinnen und liefen -denselben nach, wie die Hündchen. Diese Antilopengattung wird nicht -größer, als etwa ein mittelgroßes Schaf, insbesondere die jungen Tiere -nehmen sich mit ihren rötlichen Schöpfen überaus putzig aus und geberden -sich in allen Stücken wie übermütige Zicklein. Miß Ellen und meine -Schwester hatten bald eine ganze Menagerie von Antilopen, Äffchen, -Papageien um sich versammelt, die zu Nutz und Frommen der erwarteten -Kinderwelt zu allerlei Kunststücken dressiert wurden. - -So standen die Dinge, als einer der indischen Elefantenwärter, die Miß -Ellen mit an den Kenia genommen hatte und die nicht daran dachten, -jemals wieder in ihre Heimat zurückzukehren, seiner »Herrin« gegenüber --- denn die Inder konnten sich noch nicht daran gewöhnen, sich als -vollkommen unabhängige Männer zu fühlen -- die Frage wagte, ob sie nicht -auch ein Elefanten-Baby als Schoßtierchen wünsche? Als diese bejaht -wurde, machte er sich anheischig, eines oder mehrere zu fangen, falls -ihm erlaubt werde, mit den vier Elefanten und ihren Führern für einige -Tage in die Wälder zu ziehen. Da Miß Ellen ihre Elefanten zum Baudienste -hergegeben hatte, wo die intelligenten Kolosse von geradezu -unschätzbarem Nutzen waren, und eines Spielzeugs halber die Arbeit nicht -stören mochte, sagte sie dies dem Inder und erklärte, auf die Erfüllung -ihres Wunsches verzichten oder wenigstens so lange damit warten zu -wollen, bis man die Elefanten bei der Arbeit leichter entbehren könne. -Der Inder ging; aber die Idee, daß seine geliebte Herrin sich etwas -versagen sollte, was ihr -- das hatte er sofort bemerkt -- großes -Vergnügen bereitet hätte, rüttelte ihn aus seiner gewohnten -fatalistischen Indolenz auf; er grübelte über die Sache zwei Tage lang -und erschien am dritten mit dem Vorschlage, die Zeitversäumnis der vier -Elefanten dadurch gut zu machen, daß er und die anderen Kornaks nebst -dem Elefanten-Jungen auch einige Elefanten-Alte fangen und zur Arbeit -dressieren wollten. »Aber afrikanische Elefanten lassen sich nicht -dressieren, gleich den indischen«, wandte Miß Ellen ein. Der Inder -erlaubte sich, das zu bezweifeln, und seine 7 Kollegen waren sämtlich -der gleichen Meinung. Elefant sei Elefant; sie möchten das Rüsseltier -sehen, das sie nicht binnen wenigen Wochen kirre bekämen, wenn es erst -einmal in ihrer Gewalt wäre. »Wenn dem wirklich so ist, warum habt Ihr -das früher nicht gesagt, da Ihr doch sehen mußtet, wie gut man hier -Elefanten gebrauchen kann?« forschte die Amerikanerin weiter, erhielt -jedoch darauf bloß ein lakonisches »Weil Du uns nicht gefragt hast« zur -Antwort. - -Miß Ellen wußte sich nicht zu raten; der Gedanke, die Kolonie von -Edenthal mit Herden gezähmter Elefanten zu versehen -- denn wenn sich -diese Tiere überhaupt zähmen ließen, dann konnte man hier ebensogut -Tausende als Einen zur Stelle schaffen -- ließ sie nicht zur Ruhe -kommen; aber andererseits erinnerte sie sich, in ihrer Naturgeschichte -gelesen zu haben, der afrikanische Elefant sei unzähmbar, und wir alle, -die sie diesfalls befragte, mußten ihr bestätigen, daß es nirgends in -Afrika gezähmte Elefanten gebe. Sie wurde über dieses Problem nachgerade -beinahe trübsinnig; sichtlich gelüstete es sie, es auf einen Versuch -ankommen zu lassen; aber die Inder blieben dabei, ohne Mitwirkung der -zahmen keinen wilden Elefanten einbringen zu können, und erstere in der -Zeit dringendster Arbeiten zu problematischen Versuchen zu verwenden, -das zu beantragen, scheute sie sich um so mehr -- als die Elefanten -_ihr_ Eigentum waren und sie daher eigentlich nach Gutdünken über -dieselben verfügen konnte. Da kehrte unser Zoologe, Signor Michaele -Faënze, von einem längeren Ausfluge nach dem Kenia-Massiv zurück und -stellte sich, als ihn Miß Fox ins Vertrauen zog, ohne weiteres auf die -Seite der Inder. Zwar auch er gab zu, daß es thatsächlich keine zahmen -afrikanischen Elefanten gebe, behauptete aber geradezu, dies müsse bloß -daran liegen, daß die Afrikaner verlernt hätten, dies edle Tier dem -Menschen dienstbar zu machen. An der Rasse liege es ganz gewiß nicht, -was schon daraus hervorgehe, daß zur Römerzeit dressierte Elefanten in -Afrika gerade so gut bekannt waren, wie in Asien. Man solle die Inder -nur machen lassen; wenn sie ihre Kunst verstünden, werde ihnen dieselbe -hier so gut gelingen wie in Indien. - -Und so geschah's. Die 8 Kornaks mit ihren 4 Elefanten zogen in einen der -nahen Wälder, und als sie dort, was gar nicht lange dauerte, eine Herde -wilder Elefanten gefunden hatten, machten sie es mit diesen genau so, -wie sie es in ihrer Heimat erlernt hatten. Die zahmen Elefanten wurden -führerlos in die Herde der wilden gelassen, von denen sie zwar anfangs -mit einigem Befremden empfangen, schließlich aber in aller Freundschaft -aufgenommen wurden. Einmal so weit, machten sich die listigen Tiere -zunächst mit dem Führer der Herde, dem stärksten und schönsten Bullen, -zu schaffen, liebkosten ihn, wedelten ihm die Fliegen weg, fesselten -aber dabei mit mitgenommenen starken Stricken einen seiner Füße an einen -starken Baumstamm. Nachdem dies geschehen war, stießen sie ihren -Angstruf -- einen scharfen Trompetenton -- aus, als ob sie irgendeine -Gefahr bemerkt hätten und stürmten davon, auf welches Signal hin die -Inder unter Geschrei und Flintenschüssen hervorstürzten, was die ganze -Herde veranlaßte, den Zahmen in größter Eile nachzufolgen. Der arme -Gefesselte konnte natürlich nicht mithalten, so verzweifelt er auch an -dem Stricke zerrte, und die Inder ließen ihn trampeln und trompeten, -ohne sich vorläufig um ihn zu kümmern. Ihre nächste Sorge war, die Spur -der enteilten Herde zu finden. Nach etwa einer Stunde hatten sie sich an -diese neuerlich herangeschlichen, wo inzwischen die vier Zahmen das -vorige Spiel mit einem neuen Opfer wiederholten; auch dieses wurde -gefesselt und dann unter großem Spektakel verlassen. Noch drei weitere -Elefanten teilten im Laufe des Tages dies Schicksal; dann schien die -Herde argwöhnisch geworden zu sein, denn die berüsselten Verräter -kehrten nach einer Weile allein zu ihren Treibern zurück. - -Nunmehr erst wurde jedem der fünf Gefesselten -- unter ihnen ein -Weibchen mit einem etwa einjährigen Jungen in der Größe eines mittleren -Kalbes -- ein Besuch abgestattet. Die zahmen Elefanten gingen ohne -weiteres auf die verzweifelt am Stricke Zerrenden los und banden ihnen -die Vorderfüße eng aneinander. Das gelang zwar nicht, ohne daß die -Betrogenen wütenden Widerstand leisteten, aber dieser wurde in höchst -brutaler Weise durch Rüsselschläge und Zahnstöße bewältigt. Hierauf -machten sich die erbarmungslosen Schergen daran, rings um ihre Opfer -alles für Elefantengaumen Genießbare -- also Gras, Büsche und Baumzweige -zu entfernen; wo dazu die Rüssel nicht ausreichten, drängten sie die -Gefesselten auf die Seite und ermöglichten es den Treibern, mit Axt und -Beil das Werk zu vollenden. - -Als der Abend anbrach, waren alle fünf Gefangenen geknebelt und jeder -Möglichkeit beraubt, sich Nahrung zu verschaffen. Nunmehr mußten sie -aber auch bewacht werden, damit nicht etwa Löwen oder Leoparden die -Gelegenheit wahrnähmen, die wehrlos Gemachten anzufallen. Am anderen -Morgen statteten die zahmen Elefanten ihren gefesselten Brüdern der -Reihe nach Besuche ab, halfen den bei ihrem nächtlichen Toben -Umgefallenen sich aufrichten, was wieder nicht ohne ausgiebige Prügel -und Stöße vollbracht ward und überließen sie dann abermals ihrem -Schicksale. - -Das ging so drei Tage hindurch; die armen Gefesselten litten Hunger und -Durst und bekamen, so oft ihre verräterischen Brüder nach ihnen sahen, -jämmerliche Schläge. Am vierten Tage waren sie so schwach und kleinlaut, -daß sie gar nicht mehr tobten, sondern kläglich brüllten, als sich ihre -Peiniger nahten, die aber nichtsdestoweniger mit Rüsseln und Zähnen über -sie herfielen. Da erschien nun den Mißhandelten ein rettender Engel -- -in Gestalt des Menschen. Dieser verjagte zunächst unter drohenden -Geberden und einigen schallenden Schlägen die Schergen von ihrem Opfer -und hielt diesem dann ein Gefäß Wasser hin. Stutzte darauf der wilde -Elefant und nahm sich Zeit, die Sachlage zu überblicken, so war die -Tragikomödie aus, das Tier gebändigt. Denn es acceptierte in diesem -Falle nach einigem Bedenken den gebotenen Trunk, nach diesem einige -Nahrungsmittel, konnte dann gefahrlos vollständig getränkt und gefüttert -und unter Eskorte der zahmen Elefanten zu weiterer Ausbildung -heimgeführt werden. Wurde es dagegen beim Anblicke des Menschen erst -recht rabiat -- was allerdings bei dreien von den Fünfen der Fall war -- -so mußte mit der Prügel- und Hungerkur so lange fortgefahren werden, bis -der Elefant zu begreifen begann, Erlösung aus seiner Lage könne hier nur -das schreckliche zweibeinige Geschöpf spenden. - -Schließlich ergab sich jeder der Gefangenen in sein Schicksal. Die -einzige Gefahr dieser Jagd bestand bloß darin, daß der Jäger sich auf -die Sicherheit seines Urteils über den Charakter des Gefesselten -verlassen mußte in dem Augenblicke, wo er ihm zum ersten Male nahte. -Zwar standen die zahmen Elefanten hülfsbereit und aufmerksam dabei; da -jedoch ein einziger Rüsselhieb des gereizten Tieres genügen kann, einen -Menschen zu töten, so gehört immerhin viel Geistesgegenwart und Mut zu -der Sache. Die Inder versicherten übrigens, daß ein halbwegs an den -Umgang mit Elefanten Gewöhnter aus dem Blick des Tieres ganz zuverlässig -auf dessen Absichten schließen könne; man brauche daher bloß die -Vorsicht zu beachten, keinem Gefangenen völlig nahe zu treten, bevor man -in dessen Auge die Ergebung in das Unvermeidliche gelesen, und es sei -überhaupt nichts zu fürchten. - -Schon nach sechs Tagen kehrte die Expedition mit ihren fünf Gefangenen -zurück, die zwar noch nicht dressiert und zur Arbeit brauchbar, aber -doch schon insoweit »zahm« waren, daß sie sich ruhig einsperren, -füttern, tränken und unterrichten ließen. Nach Verlauf fernerer zwei -Wochen waren sie der Hauptsache nach »fertig«, d. h. brauchbar zu -allerlei Arbeiten, insbesondere wenn ihnen einer der Veteranen an die -Seite gegeben wurde. Miß Ellen feierte einen doppelten Triumph: sie -besaß ein herziges Elefantenbaby, das zwar für ein Schoßtierchen etwas -zu plump, aber nichtsdestoweniger das drolligste Wesen war, das es geben -mag und sich rasch zum erklärten Liebling von ganz Edenthal aufschwang; -und sie hatte des ferneren der Gesellschaft eine unerschöpfliche Quelle -sehr schätzbarer Arbeitskraft eröffnet, auf welche ohne sie niemand -geraten wäre. Denn hätte sie sich nicht seinerzeit in den Kopf gesetzt, -die Expedition mitzumachen, so wären wohl schwerlich so rasch indische -Elefanten und Elefantenführer an den Kenia gekommen, und ohne diese -wären die Elefanten Afrikas vielleicht von den Elfenbeinjägern -ausgerottet gewesen, bevor an ihre Zähmung auch nur jemand gedacht -hätte. - -Von da ab fuhren wir mit dem Elefantenfange rüstig fort, so daß binnen -kurzem der Elefant das hauptsächlichste _Tragtier_ am Kenia wurde und -überall dort verwendet werden konnte, wo schwere Lasten auf kurze -Entfernungen oder auf Gebieten, die für Wagen unpassierbar waren, -bewältigt werden sollten. - -Das so vortrefflich gelungene Experiment mit den Elefanten legte uns -aber auch den Gedanken nahe, es mit der Zähmung anderer Tiere nicht bloß -zu Zwecken der Belustigung, sondern um des Nutzens willen zu versuchen. -Zunächst kam das Zebra an die Reihe und es gelang auch mit diesem. Zwar -die alten Tiere waren unbrauchbar; aber die Füllen erwiesen sich -- wenn -sehr jung eingefangen -- als leidlich gelehrig und nicht sonderlich -scheu und in den zweiten Generationen unterschieden sich später unsere -zahmen Zebras in nichts, als in der Hautfarbe von den besten Maultieren. -Strauß und Giraffe wurden der Reihe unserer Haustiere angereiht; den -größten Triumph aber feierten unsere Dresseure mit der Zähmung des -afrikanischen Büffels. Es ist das das bösartigste, unbändigste und -gefährlichste unter allen afrikanischen Tieren und dennoch wurde es so -vollständig gezähmt, daß es im Verlaufe der Jahre das gemeine Rind als -Zugtier vollständig verdrängte. Zwar in Freiheit aufgewachsene Bullen -waren und blieben wahre Teufel; doch schon die gefangenen Kühe konnte -man wenigstens so weit bringen, daß sie dem Wärter aus der Hand fraßen, -und was die in Gefangenschaft aufgezogenen Büffel anlangt, so zeigten -diese genau den nämlichen Charakter wie das gewöhnliche Rind. Die Bullen -blieben, insbesondere wenn sie alt wurden, immer etwas unverläßlich, die -Kühe und die verschnittenen Ochsen dagegen waren so sanft und gelehrig -wie nur irgend ein Wiederkäuer. Als Milchkühe wurden sie bei uns niemals -geschätzt, da sie zwar fette, aber nicht reichliche Milch gaben; als -Zugtiere aber waren unsere Büffelochsen unvergleichlich. Es gibt für -diese riesigen Tiere -- sie überragen das größte Hausrind um reichlich ½ -Fuß, ihr Nacken hat eine Breite bis zu 2 Fuß und ihre Hörner lassen sich -an der Wurzel mit zwei Händen nicht umspannen -- keine zu schweren -Lasten; wo vier gewöhnliche Ochsen erlahmen, gehen zwei Büffel ihren -gleichmäßigen Schritt weiter, als wären sie ledig. Dabei vertragen sie -Hunger, Durst Hitze und Regen besser als ihre längst gezähmten -Verwandten -- kurzum sie erweisen sich in einem Lande, wo gute Chausseen -noch nicht überall zu finden sind, als geradezu unschätzbar. - -Das dritte Ereignis -- doch dieses geht eigentlich direkt nur mich -persönlich an und gehört bloß insofern in den Rahmen dieser Erzählung, -als es mit der Lebensweise und mit den socialen Zuständen in Edenthal -zusammenhing. Es wird also am besten sein, wenn ich zunächst erzähle, -wie wir vor dem Eintreffen der Hauptmasse unserer Brüder in der neuen -Heimat lebten, uns einrichteten und arbeiteten. - - - - - 7. Kapitel. - - -Die Kolonisten auf Edenthal betrachteten mich, den Bevollmächtigten der -Gesellschaft, der unseren Zug an den Kenia veranstaltet und die Mittel -zu demselben beschafft hatte, als ihren Vorgesetzten im -gemeingebräuchlichen Sinne des Wortes: ich hätte befehlen können und es -wäre gehorcht worden. Anderseits aber handelte ich nicht bloß meinen -eigenen Neigungen, sondern den offenbaren Intentionen des Ausschusses -gemäß, wenn ich mich dem Wesen nach als den Vorsitzenden einer -Versammlung frei über sich selber verfügender Männer benahm. Wo immer -möglich, befragte ich vor meinen Anordnungen die Genossen, fügte mich -der Meinung der Mehrheit und traf selbständige Verfügungen bloß in -dringenden Fällen oder wenn es sich um Zuweisung von Aufträgen an -Abwesende handelte. Sonst geschah die Zuteilung der verschiedenen -Arbeiten an verschiedene Gruppen stets im Einverständnisse mit allen -betreffenden Mitgliedern, die Vorsteher dieser Arbeitszweige wurden von -ihren speziellen Genossen selber gewählt, und wenn dabei auch in allen -wesentlichen Fragen stets meiner und meiner engeren Vertrauten Ansichten -und Vorschläge zur Ausführung gelangten, (so daß -- wenn im Bisherigen -zumeist der Kürze halber gesagt wurde: »ich ordnete an, ich designierte« --- damit dem Wesen nach die Wahrheit erzählt wurde) so geschah dies doch -nur aus dem Grunde, weil diese meine Vertrauten eben die geistigen -Spitzen der Kolonie waren und die anderen sich diesen freiwillig -unterordneten. Dabei wußten wir alle, daß dies keine auf Dauer -berechnete Organisation sei. Niemand arbeitete einstweilen für sich, -alles was wir erzeugten, gehörte nicht dem Erzeuger, auch nicht der -Gesamtheit von uns Erzeugern, sondern dem Unternehmen, aus dessen -Mitteln wir hinwieder allesamt zehrten. Mit einem Worte, die »freie -Gesellschaft«, die wir gründen wollten, war noch nicht gegründet, sie -befand sich noch unterwegs und inzwischen waren wir ihr gegenüber nichts -anderes, als Angestellte nach altem Recht, die sich von gewöhnlichen -Lohnarbeitern bloß dadurch unterschieden, daß ihnen selber überlassen -war, was sie zu ihrem Unterhalte vorweg nehmen und was sie als -»Unternehmergewinn« für die Auftraggeberin zurücklegen mochten. Hätte -mich böser Wille einzelner Genossen dazu genötigt, so war ich nicht bloß -im Rechte, sondern auch entschlossen, den »Bevollmächtigten« -hervorzukehren; daß ich es vermeiden konnte, trug nicht wenig dazu bei, -das Behagen, das uns alle erfüllte, zu steigern und war auch insofern -von großem Werte, als dadurch der Übergang zu den späteren endgültigen -Organisationsformen wesentlich erleichtert wurde, ändert aber nichts an -dem Sachverhalt, daß unser Leben und Wirken unterwegs wie am Kenia sich -noch innerhalb der sozialen Formen der alten Welt bewegte. - -Die Arbeitszeit war in Edenthal einstweilen für jedermann -- ob -Arbeitsvorsteher oder simpler Arbeiter, Weißer oder Neger -- die -gleiche, von 5 bis 10 Uhr vormittags und von 4 bis 6 Uhr nachmittags; -nur in der Erntezeit waren ein bis zwei Stunden zugegeben worden. Am -Sonntag ruhte ebenso gleichmäßig alle Arbeit. - -Die Tagesordnung war die folgende: Gegen 4 Uhr wurde aufgestanden, im -Edensee -- es waren zu diesem Behufe mehrere Badehütten errichtet -- ein -Bad genommen und hierauf Toilette gemacht. Das Reinigen und etwa -notwendige Ausbessern der Kleider besorgte unter Anleitung eines in -solchen Künsten bewanderten Mitgliedes eine Gruppe von Suaheli, welcher -diese Arbeit als alleinige Verrichtung zugewiesen worden war. Da wir -Kleidungsstücke zum Wechseln besaßen, so wurden des Morgens immer die -während des gestrigen Tages gereinigten gebracht, dafür die gestern -gebrauchten abgeholt, um im Laufe des Tages für den morgigen Gebrauch in -Stand gesetzt zu werden. Hierauf kam das Frühstück, gleich allen -Mahlzeiten wieder das Werk einer damit betrauten anderen Schar von -Suahelis -- um deren Einweihung in mehrfache Geheimnisse französischer -Kochkunst sich meine Schwester große Verdienste erworben hatte. Dieses -erste Frühstück bestand je nach dem Geschmacke eines Jeden aus Thee, -Schokolade, schwarzem oder mit Milch gemengtem Kaffee, Milch oder irgend -einer Suppe; dazu ebenso nach Wahl Butter, Käse, Honig, Eier, kalter -Braten nebst Brot oder anderem Gebäck. Nach diesem ersten Frühstück -wurde bis 8 Uhr gearbeitet, um welche Zeit ein zweites Frühstück kam, -bestehend aus irgend einer substantiellen warmen Speise -- Omelette, -Fisch oder Braten mit Brot, etwas Käse und Früchten, dazu als Getränk -entweder das köstliche Quellwasser unserer Berge, oder der sehr -erfrischende, wohlschmeckende Bananenwein, den die Eingeborenen zu -bereiten verstehen. Nach diesem Frühstück, welches in der Regel 15 bis -20 Minuten in Anspruch nahm, wurde bis 10 Uhr weiter gearbeitet, worauf -die große Mittagspause folgte. Diese wurde, insbesondere in den heißeren -Monaten, von den Meisten zunächst zu einem zweiten Bade im See benutzt, -welchem irgendeine häusliche Zerstreuung, Lektüre, Konversation oder -Spiel folgte. Die Hitze war um diese Zeit in der Regel groß; während der -heißen Monate stieg das Thermometer häufig auf 35 Grad Celsius im -Schatten. Zwar verhüteten kühle Brisen, die bei schönem Wetter -regelmäßig zwischen 11 Uhr vormittags und 5 Uhr nachmittags vom Kenia -her wehten und zwar desto stärker, je heißer der Tag sich anließ, daß -der Aufenthalt im Freien jemals unerträglich wurde; aber am angenehmsten -und zuträglichsten war während der Mittagsstunden jedenfalls das -Verweilen in gedeckten Räumen. Um 1 Uhr wurde die Hauptmahlzeit -gehalten, bestehend aus Suppe, einem Fleisch- oder Fischgericht mit -Gemüsen, süßem Backwerk und Früchten der mannigfachsten Art, dazu -abermals Bananenwein oder, nachdem unsere Brauerei zu arbeiten -angefangen hatte, Bier. Nach dem Speisen wurde von Einzelnen ein halbes -Stündchen geschlafen, hierauf gab es wieder Konversation, Lektüre, -Spiel, worauf, nachdem die ärgste Hitze vorüber war, die zweistündige -Nachmittagsarbeit erledigt ward. Dieser ließen Einzelne ein drittes -kurzes Bad folgen. Um 7 Uhr nahm man wieder eine dem ersten Frühstück -ähnliche Mahlzeit, sofern es nicht regnete, im Freien und zu größeren -Gesellschaften vereinigt. Zu bemerken ist dabei, daß hinsichtlich aller -Mahlzeiten, wie überhaupt aller Genußmittel als Regel galt, daß -Jedermann wählen konnte, was und soviel ihm beliebte. Nur bezüglich der -geistigen Getränke hielten wir es anders -- aus leicht begreiflichen -Gründen. Späterhin, wenn Jedermann auf eigenen Füßen stand, mochte er es -auch mit diesen halten, wie ihm beliebte; solange wir von -Gesellschaftswegen verpflegt wurden, mußten wir schon mit Rücksicht auf -unsere Neger Beschränkung üben. - -Des Abends wurde meist Musik gemacht. Wir hatten einige sehr tüchtige -Musiker, ein ganz artiges, 45 Mann zählendes Orchester von Blas- und -Streichinstrumenten und einen vortrefflichen Chor, die sich, so oft es -das Wetter erlaubte, hören ließen. Zwei oder drei Stunden nach -Sonnenuntergang pflegte es kühl zu werden; in wenigen Nächten behauptete -sich das Thermometer über 22 Grad, sank aber bisweilen bis auf 15 Grad -Celsius, so daß die Nachtruhe stets erquickend war. - -An den Sonntagen gab es mannigfaltige Veranstaltungen zu Zwecken der -Belustigung sowohl als der Belehrung: Ausflüge in die benachbarten -Wälder, Jagden, Konzerte, Vorlesungen, Vorträge. - -Die von uns bewohnten Blockhäuser waren eigentlich dazu bestimmt, je -einer Familie als zukünftiges, wenn auch bloß provisorisches Heim zu -dienen. Ein jedes lag inmitten eines tausend Quadratmeter umfassenden -Gärtchens und deckte mit seinen 6 Räumen: Vorzimmer, Küche und 4 Stuben, -selber ein Areal von 150 Quadratmetern. Jedes solcher Häuschen nun wurde -einstweilen von Vieren der Unseren besetzt; den beiden Frauen mit -Sakemba, die inzwischen den Besuch ihrer Eltern und Geschwister erhalten -und diese bewogen hatten, ihre Grashütten gleichfalls in Edenthal -aufzuschlagen, war selbstverständlich auch ein besonderes Häuschen -eingeräumt. - -Letztere Anordnung aber gefiel meiner Schwester ganz und gar nicht. -Während der Reise hatte sie sich notgedrungen darein gefunden, getrennt -von mir, dem ihr von unserer verewigten Mutter ans Herz gelegten -Pfleglinge, zu kampieren; in Edenthal angelangt, gedachte sie jedoch -ihre alten Vormundschaftsrechte und -Pflichten wieder zu beanspruchen, -sah sich aber durch die Rücksicht auf einen zweiten Schützling, der -inzwischen auch zu einem Liebling geworden war, durch die auf Ellen Fox -nämlich, in der Ausführung ihrer Vorsätze gehindert. Sie konnte doch -unmöglich dies junge Mädchen inmitten so vieler Männer allein lassen; -ebenso wenig aber konnte sie uns beide -- obwohl wir in ihren Augen die -reinen Kinder waren -- Thür an Thür im selben Häuschen unterbringen. Was -hätten ihre Freunde und Freundinnen in Paris dazu gesagt! Zwar brachte -ich all meine freie Zeit bei den Frauen zu, wo mich, ohne daß ich es -bemerkte, die aus geistreichen theoretischen Kontroversen und -unbefangenem Geplauder eigentümlich gemengte Konversation der jungen -Amerikanerin nicht minder als ihr Harfenspiel und ihre glockenhelle -Altstimme, stets mehr und mehr fesselten; aber das genügte Schwester -Klara nicht und sie geriet schließlich auf den Gedanken, uns zu -verheiraten. Schon wegen unserer gemeinsamen »Narrheit« -- unserer -sozialen Ideen nämlich -- paßten wir ganz gut zu einander, und wenn auch --- ihrer Meinung nach -- außer Zweifel stand, daß in dieser Ehe -gesunder, hausbackener Menschenverstand gänzlich fehlen würde, so war ja -_sie_ dazu da, für die beiden Kindsköpfe zu sorgen und zu handeln. - -Nachdem sie diesen Vorsatz einmal gefaßt, legte sie sich als -vorsichtige, diskrete Person, die ganz richtig voraussah, daß in diesem -Punkte weder bei mir, noch bei Miß Ellen auf unbedingten Gehorsam zu -rechnen wäre, zunächst aufs Beobachten, und dabei machte sie denn -ungeachtet ihrer in Sachen der Liebe höchst mangelhaften eigenen -Erfahrungen, ausgerüstet bloß mit dem keinem Weibe fehlenden -instinktiven Feingefühle, die überraschende Entdeckung -- daß wir beiden -bereits bis über die Ohren ineinander verliebt seien. Anfangs war sie -über diese Wahrnehmung so erstaunt, daß sie ihren Augen keinen Glauben -schenken wollte. Aber die Sache war zu klar, als daß eine Täuschung -möglich gewesen wäre. Wir beiden Liebenden ahnten zwar selber nicht im -entferntesten, wie es um uns stand; aber wer Miß Fox so genau kannte, -wie dies bei meiner Schwester nach mehrmonatlichem ununterbrochenen -Zusammenleben mit der offenherzigen und freimütigen Amerikanerin -selbstverständlich war, der konnte sich nicht darüber täuschen, was es -zu bedeuten habe, wenn ein Mädchen, das bisher nur seinen Idealen: -Freiheit und Gerechtigkeit, gelebt, deren Abgott die Menschheit gewesen -und das keinem Manne gegenüber anderes Interesse gezeigt, als dasjenige -für die Ideen, denen er diente -- wenn dieses selbe Mädchen in Aufregung -geriet, so oft es eines gewissen Mannes Schritte hörte, und im -vertrauten Umgange mit meiner Schwester statt von der Herrlichkeit -unserer Prinzipien mit Vorliebe von den Vorzügen dessen sprach, der hier -in Edenthal der erste Diener dieser Prinzipien war. Und was meine -Gefühle anlangt, so wußte Schwester Klara allzu genau, daß mir am Weibe -bisher dessen Stellung in der menschlichen Gesellschaft das einzig -Interessante gewesen, als daß es ihr nicht wie Schuppen von den Augen -hätte fallen sollen, als ich sie kürzlich, nachdem ich Miß Fox, die eben -abseits mit etwas beschäftigt war, lange und andächtig betrachtet hatte, -mit den Worten apostrophierte: »Ist nicht jede Bewegung dieses Mädchens -Musik?« - -Sie nahm uns daher beide einzeln beiseite und erklärte, daß wir uns -heiraten müßten. Aber da kam sie hier und dort schlecht an. Miß Ellen -wurde zwar auf diesen Antrag hin abwechselnd purpurrot und leichenblaß, -erklärte aber sofort, lieber sterben zu wollen, als mich zu heiraten. -»Würden diese übermütigen Männer, die uns Frauen allen Sinn für das -Ideale, jede Fähigkeit rein sachlichen Strebens absprechen und als -Sklavinnen unserer egoistischen Triebe betrachten, nicht triumphierend -behaupten, daß meine vorgebliche Begeisterung für unser soziales -Unternehmen nichts anderes gewesen, als Leidenschaft für einen Mann, daß -ich nicht um einer Idee, sondern um dieses Mannes willen nach Afrika bis -an den Äquator gelaufen? Nein, -- ich liebe Deinen Bruder nicht -- ich -werde überhaupt niemals lieben und noch weniger heiraten!« Dieser -heroischen Apostrophe folgte zwar ein Strom von Thränen, die jedoch -- -als Schwester Klara sie zu meinen Gunsten auslegen wollte -- für Zeugen -der Empörung ob des kränkenden Verdachtes ausgegeben wurden. Nicht viel -anders machte ich es; als Klara mir auf den Kopf zusagte, ich sei in Miß -Fox verliebt, lachte ich sie aus und erklärte die mir vorgehaltenen -Symptome meiner Leidenschaft als bloße Zeichen psychologischen -Interesses an einem weiblichen Geschöpfe, welches echter Begeisterung -für abstrakte Ideen fähig sei. - -Doch eine mütterliche Schwester, die einmal den Vorsatz gefaßt, ihren -Bruder -- und noch dazu an ihre Freundin -- zu verheiraten, ist nicht so -leicht aus dem Felde zu schlagen, am allerwenigsten, wenn sie so gute -und mannigfache Gründe hat, auf ihrem Willen zu beharren. Da es auf -geradem Wege nicht ging, wählte sie einen krummen -- keinen neuen, aber -einen oft bewährten: sie machte uns beide eifersüchtig. Jedem von uns -erzählte sie im Vertrauen, es sei nichts mit ihrem »dummen Plane«, da -der andere Teil nicht mehr frei wäre. Da sie mir gegenüber schlauerweise -hinzufügte, sie habe ihr Projekt bloß ersonnen, um zugleich mit der -jungen Frau in mein Haus ziehen und die ihr von rechtswegen gebührenden -Mutterpflichten mir gegenüber neuerlich übernehmen zu können, so glaubte -ich ihr um dieser offenbaren Wahrheit willen auch die Erfindung, daß -Ellen einen Verlobten in Amerika zurückgelassen, welcher demnächst schon -hier eintreffen werde. »Denke Dir nur, Ellen ist mit diesem Bekenntnisse -erst herausgerückt, als ich ihr gleich Dir mit meiner Heiratsidee -zusetzte. Es ist nur ein Glück, daß Du mein Junge Dir nichts aus der -kleinen Duckmäuserin machst; das wäre jetzt eine schöne Bescherung, wenn -Du Dir Ellen in den Kopf gesetzt hättest.« - -Ich erklärte mich mit dieser Wendung der Dinge höchlich zufrieden, hatte -aber das Gefühl dabei, als ob mir ein Messer im Herzen umgewendet würde. -Deutlich und klar stand jetzt plötzlich meine Liebe vor meinem inneren -Auge, eine glühende grenzenlose Leidenschaft, wie sie nur der empfinden -kann, dessen Herz 26 Jahre lang jungfräulich geblieben. Ich konnte -hinfort -- das ward mir zu unumstößlicher Gewißheit -- noch leben und -kämpfen -- mich des Lebens und des Erkämpften freuen, nimmermehr! Aber -war es denn auch gewiß und unabwendbar? Gab es denn keine Möglichkeit, -diesen Verlobten, der seine Braut allen Gefahren einer abenteuerlichen -Reise, allen Versuchungen der Schutzlosigkeit preisgab und der jetzt -plötzlich hier auftauchen soll, um mir aus meinem Eden die Seligkeit zu -rauben, gab es keine Möglichkeit, ihn aus dem Felde zu schlagen? Doch -ist es überhaupt denkbar, daß Ellen, diese Ellen, wie ich sie seit -Monaten kenne, einen solchen Jammermenschen lieben würde? Hin zu ihr, -mir Klarheit zu verschaffen, um jeden Preis! - -Damit stürmte ich hinüber ins Nachbarhaus. Dort hatte inzwischen meine -Schwester ein ähnlich Märchen auch Ellen erzählt. Sie habe sich nun -einmal in den Kopf gesetzt gehabt, aus uns ein Paar zu machen, und daher -in der Hoffnung, daß meine Werbung ihren (Ellens) Widerstand brechen -würde, auch mir von ihrem Plane gesprochen, wäre, als auch ich mich -weigerte, dringender geworden, und da hätte ich ihr endlich gestanden, -mich hinter ihrem Rücken in Europa verlobt zu haben; die Braut werde mit -dem nächsten Einwanderzuge hier eintreffen ... So weit war Klara -gelangt, als mein Erscheinen ihre Erzählung unterbrach. - -Totenbleich wankte Ellen auf mich zu; sie wollte sprechen, doch ihre -Stimme versagte; erst meine halb angst-, halb zornerfüllten Fragen nach -dem amerikanischen Bräutigam gaben ihr die Sprache wieder. Zugleich aber -hatte sie auch den Schlüssel der Situation gefunden: daß ich sie liebe, -daß meine Schwester uns beide getäuscht. Was weiter folgte, läßt sich -leicht erraten. So kam es, daß Ellen meine Braut war, als Dr. Strahl in -Edenthal anlangte -- und dieses ist das dritte Ereignis, von welchem ich -vorher noch erzählen wollte. - -Ob das Entzücken, mit welchem ich das Weib meiner Liebe zum ersten Male -ans Herz drückte, das größere gewesen oder jenes, mit welchem ich den -Freund meiner Seele, den Abgott meines Geistes einführte in jenes -irdische Paradies, zu welchem er uns den Weg gewiesen -- das wage ich -nicht zu entscheiden. - -Als ich im Auge des verehrten Freundes beim Erschauen der Herrlichkeit -unserer neuen Heimat und des kräftig pulsierenden fröhlichen Lebens, das -sie bereits erfüllte, Thränen der Freude, in diesen aber die sichere -Bürgschaft unmittelbar bevorstehenden Erfolges erblickte, da erfaßte -mich zwar nicht jene überschwängliche, für die Brust, die ihr zum ersten -Male sich öffnet, schier unerträgliche Wonne, wie wenige Tage zuvor, als -die Geliebte mir in Küssen das Geheimnis ihres Herzens offenbarte; aber -wenn einst mein Haar weiß und mein Nacken gebeugt sein wird, dürfte wohl -die Erinnerung an jene bräutlichen Küsse mein Blut nicht mehr so -siedendheiß durch die Adern jagen, wie heute, während der Gedanke an die -Stunde, in der ich Hand in Hand mit dem Freunde die stolze und doch -reine Freude empfand, den ersten, schwersten Schritt zur -Erlösung unserer leidenden, enterbten Mitbrüder aus den Martern -vieltausendjähriger Knechtschaft vollbracht zu haben, niemals seine -beseligende Kraft einbüßen wird, so lange ich unter den Lebenden wandle -und mein Geist nicht von Nacht umfangen ist. - -Lange, lange stand der Meister auf den Höhen vor Edenthal, jede -Einzelheit des entzückenden Bildes andächtig in sich aufnehmend; dann zu -uns sich wendend, die wir ihn rings umgaben, fragte er, ob wir dem -Lande, das unabsehbar nach allen Seiten sich ausdehnt und welches unsere -Heimat werden solle, schon den Namen gegeben hätten. Als ich dies -verneinte, mit dem Beifügen, daß ihm, der dem Gedanken Worte lieh, -welcher uns hierher geführt, auch das Amt gebühre, das Wort für das Land -zu finden, in welchem dieser Gedanke zuerst verwirklicht werden soll, da -rief er: »Die Freiheit wird in diesem Lande ihre Geburtsstätte finden: -»_Freiland_« wollen wir es nennen!« - - - - - Zweites Buch. - - - - - 8. Kapitel. - - -Wir nehmen nunmehr den Faden der Erzählung dort auf, wo ihn das Tagebuch -Ney's verlassen. - -Zugleich mit dem Vorsitzenden waren 3 Mitglieder des dirigierenden -Ausschusses in Edenthal eingetroffen; 5 andere folgten binnen wenigen -Tagen mit der ersten Wagenkarawane aus Mombas nach, so daß deren -- Ney, -Johnston, und den auf dieser Beiden Vorschlag kooptierten Demestre -eingerechnet, in Freiland 12 anwesend waren. Da es im ganzen derzeit 15 -Ausschußmitglieder gab, so waren ihrer noch drei zurückgeblieben und -zwar je eins in London, Triest und Mombas, wo sie bis auf Weiteres als -Bevollmächtigte des Ausschusses den abendländischen Geschäften der -Gesellschaft vorstehen sollten. Ihr Amt war die Aufnahme neuer -Mitglieder, die Einkassierung und provisorische Verwaltung der -einfließenden Gelder und die Überwachung der Auswanderungen nach -Edenthal. - -Ihre Instruktion bezüglich der Aufnahme neuer Mitglieder ging vorerst -dahin, jeden sich darum Bewerbenden aufzunehmen, sofern er kein -rückfälliger Verbrecher und des Lesens und Schreibens kundig wäre. -Erstere Einschränkung bedarf wohl keiner eingehenden Motivierung. Wir -hatten allerdings unbedingtes Vertrauen in die veredelnden, weil das -treibende Motiv der meisten Laster beseitigenden Folgewirkungen unserer -socialen Reformen; wir waren vollkommen beruhigt darüber, daß Freiland -keine Verbrecher erzeugen und selbst durch Elend und Unwissenheit da -draußen zu Verbrechern Gewordene, wenn nur irgend möglich, dem Laster -entreißen werde; für den Anfang aber wollten wir es vermeiden, von -schlimmen Elementen überschwemmt zu werden, und angesichts des -verzeihlichen Bestrebens einzelner Staaten, sich ihrer rückfälligen -Verbrecher in irgend welcher Weise zu entledigen, mußten wir von -Anbeginn vorbauen. - -Härter mag erscheinen, daß wir der Einwanderung von gänzlich Unwissenden -eine Schranke zogen. Doch gerade das war ein notwendiges -Erfordernis unseres Programms. Wir wollten das absolute, freie -Selbstbestimmungsrecht des Individuums auch auf dem Gebiete der -Arbeit an die Stelle des Jahrtausende hindurch geltenden -Knechtschaftsverhältnisses setzen; wir wollten den unter der -Botmäßigkeit der Brotherren stehenden Arbeiter zum selbständigen in -freier Vereinbarung mit freien Genossen auf eigene Gefahr thätigen -Produzenten umgestalten -- es ist daher selbstverständlich, daß wir zu -diesem unserem Werke blos solche Arbeiter gebrauchen konnten, die zum -mindesten über die unterste Stufe der Brutalität und Unwissenheit hinaus -waren. Daß wir damit gerade die Elendesten der Elenden zurückstießen, -ist wahr; aber abgesehen davon, daß dem Unwissenden zumeist das klare -Bewußtsein seines Unglücks und seiner Entwürdigung fehlt, seine Leiden -daher in der Regel blos physischer und nicht auch moralischer Natur -sind, wie die des mit Intelligenz gepaarten Elends, abgesehen davon -durften wir uns auch durch weichliches Mitleid nicht dazu verleiten -lassen, den Erfolg unseres Werkes zu gefährden. Der Unwissende muß -beherrscht werden und da wir unsere Mitglieder nicht erst allmählich zu -freien Produzenten erziehen, sondern unmittelbar in die freie Produktion -einführen wollten, so _mußten_ wir uns, wie gegen das Verbrechen, auch -gegen die Unwissenheit schützen. - -Sollte hinwieder geltend gemacht werden, daß Kenntnis des Lesens und -Schreibens allein denn doch kein genügendes Kennzeichen jenes Ausmaßes -von Bildung und Intelligenz sei, welches bei Menschen, die ihre Arbeit -selber regieren sollen, vorausgesetzt werden müsse; so ist darauf zu -erwidern, daß zu diesem Behufe allerdings ein sehr hoher Grad der -Intelligenz erforderlich ist, aber nicht bei allen, sondern bloß bei -verhältnismäßig nicht sehr zahlreichen der solcherart sich selber -organisierenden Arbeiter, während bei der Majorität jenes Mittelmaß von -Geisteskräften und Geistesausbildung durchaus genügt, dessen es zu -richtiger Erkenntnis des eigenen Interesses bedarf. Wenn hundert oder -tausend Arbeiter sich zusammenthun, um für gemeinsame Rechnung und -Gefahr zu arbeiten, so kann und muß nicht jeder derselben die -Fähigkeiten zur Organisation und Leitung dieser gemeinsamen Produktion -besitzen; dieses höhere Ausmaß von Intelligenz wird bloß bei einigen -Wenigen unerläßlich sein, während es für die Majorität genügt, daß sie -richtig beurteilen könne, was mit der gemeinsam zu betreibenden -Produktion erzielt werden soll und kann und welche Eigenschaften -Diejenigen besitzen müssen, in deren Hände die Wahrung dieses -gemeinsamen Interesses gelegt wird. Gerade in diesem Punkte aber ist die -Kenntnis der Schrift von ausschlaggebender Bedeutung, denn das gedruckte -Wort allein ist es, welches den Menschen und sein Urteil unabhängig -macht von den zufälligen Einflüssen der unmittelbaren Umgebung, seinen -Verstand der Belehrung erst öffnet. Es wird sich später zeigen, in wie -hohem Maße die ausgedehnteste, lediglich durch Schrift und Druck zu -vermittelnde Öffentlichkeit aller Vorgänge auf dem Gebiete jeglicher -produktiven Thätigkeit zum Gelingen unseres Werkes beitrug. - -Es versteht sich von selbst, daß diese beiden Bedingungen für -aufzunehmende Mitglieder auch bisher schon vom Ausschusse gefordert -wurden, und zwar das zweitgenannte ursprünglich in ziemlich strenger -Form. Da sich jedoch gezeigt hatte, daß das geistige Niveau der meisten -Bewerber ein überraschend hohes war, indem der Hauptsache nach von den -körperlich arbeitenden Klassen sich blos die Elite in ausgedehnterem -Maße für unser Unternehmen interessierte, und da nunmehr, wo die Zahl -der Mitglieder 20000 überschritten hatte, die mitunterlaufende -Unwissenheit nicht mehr so gefährlich sein konnte, so begnügte sich der -Ausschuß mit der Forderung, daß die Anmeldungen eigenhändig und -schriftlich geschehen müßten. - -Die Zahl der sich meldenden Mitglieder -- es ist zu bemerken, daß Frauen -und Kinder stets mitgerechnet sind -- war in stetigem Wachstume -begriffen, insbesondere seit Veröffentlichung der ersten Berichte über -die am Kenia angelegte Kolonie. Als der Ausschuß sich unter -Hinterlassung seiner Delegierten in Triest einschiffte, hatte der -Mitgliederzuwachs 1200 in der Woche erreicht; drei Monate später war er -auf 1800 wöchentlich gestiegen. Die Aufgabe der europäischen -Bevollmächtigten war es nun, die neuen Mitglieder -- gleichwie dies -vorher schon mit den alten geschehen -- sorgfältig nach Geschlecht, -Alter und Beruf zu registrieren und mit jeder Schiffsgelegenheit die -entsprechenden Listen nach Freiland zu expedieren; sie hatten den -- -nach wie vor unentgeltlich erfolgenden -- Transport bis Mombas zu -organisieren und zu überwachen und waren mit Vollmacht versehen, alle zu -diesem Behufe erforderlichen Ausgaben, im Bedarfsfalle auch den Ankauf -neuer Schiffe, gegen nachträgliche Verrechnung und Genehmigung zu -bestreiten. Sache der Bevollmächtigten war es ferner, den sich zur Reise -rüstenden Mitgliedern mit Rat und That an die Hand zu gehen; auch hatten -sie Vollmacht, hilfsbedürftigen Genossen materiell beizuspringen. Die -Mitgliederbeiträge zeigten ähnlich wachsende Tendenz, wie die -Mitgliederzahl; es wuchs eben offenbar das Interesse und Verständnis für -unser Unternehmen nicht blos in den arbeitenden, sondern auch in den -besitzenden Klassen; der Wochenzufluß steigerte sich in der Zeit von -Ende September bis Ende Dezember von rund 20,000 £ auf 30,000 £. Über -diese Gelder war, nach Bestreitung der den Delegirten eingeräumten -Kredite, dem Ausschusse die Verfügung vorbehalten, dessen Vollzugsorgan -übrigens auch in diesem Punkte bei allen in der alten Welt zu -bestreitenden Auslagen die zurückgelassenen Delegierten waren. - -Am 20. Oktober hielt der Ausschuß seine erste Sitzung in Edenthal, um -über die geeignetesten Vollzugsmaßregeln zur Konstituierung jener freien -Vergesellschaftungen schlüssig zu werden, deren Sache von da ab die -Produktion in Freiland sein sollte. Die Ausschußsitzungen waren von -jeher öffentlich gewesen, d. h. jedes Mitglied der Gesellschaft hatte -Zutritt zu denselben und so sollte es auch fernerhin bleiben; eine bloß -provisorisch eingeführte Neuerung dagegen war es, daß die Zuhörerschaft -auch eingeladen wurde, an den Verhandlungen -- allerdings nur mit -beratender Stimme, teilzunehmen. Diese Maßregel hat die Bestimmung, in -der Zwischenzeit, bis die Presse ihre informierende und kontrollierende -Wirksamkeit beginnen konnte, deren Rolle zu übernehmen. - -Die Grundlage des zur Durchführung gelangenden Organisationsplanes war -schrankenlose Öffentlichkeit in Verbindung mit ebenso schrankenloser -Freiheit der Bewegung. Jedermann in ganz Freiland mußte jederzeit -wissen, nach welcherlei Produkten jeweilig der größere oder geringere -Bedarf und in welchen Produktionszweigen jeweilig der größere oder -geringere Ertrag vorhanden sei. Ebenso aber mußte Jedermann in Freiland -jederzeit das Recht und die Macht haben, sich -- soweit seine -Fähigkeiten und Fertigkeiten reichen -- den jeweilig rentabelsten -Produktionszweigen zuzuwenden. - -Die zu treffenden Maßnahmen hatten also zunächst diese zwei Punkte ins -Auge zu fassen. Eine sorgfältige Statistik hatte in übersichtlicher, und -was die Hauptsache ist, in denkbar raschester Weise jede Bewegung der -Produktion auf der einen, des Consums auf der anderen Seite zu -registrieren; ebenso galt es, die Preisbewegung aller Produkte zur -allgemeinen Kenntnis zu bringen. Angesichts der entscheidenden -Wichtigkeit dieser Veröffentlichungen mußte Vorsorge getroffen werden, -daß Täuschungen oder unbeabsichtigte Irrungen bei denselben von -vornherein ausgeschlossen seien -- ein Problem, welches wie im -Nachfolgenden gezeigt werden wird, in vollkommenster und doch -einfachster Weise gelöst wurde. - -Und damit nun die solcherart erlangte Kenntnis auch von Jedermann -praktisch zum eigenen Vorteile ausgenutzt werden könne, was nur möglich -ist, wenn Jedermann in die Lage versetzt wird, sich jenem seinen -Fähigkeiten entsprechenden Arbeitszweige zuzuwenden, der jeweilig die -höchste Rente bietet, mußte dafür gesorgt werden, daß Jedermann -jederzeit in den Besitz der hierzu erforderlichen Produktionsmittel -gelangen könne. Dieser Produktionsmittel giebt es zweierlei: Naturkräfte -und Kapitalien. Ohne diese Beiden nützt die genaueste Kenntnis jener -Arbeitszweige, nach deren Erzeugnissen gerade der dringendste Bedarf -vorhanden ist und die deshalb die höchsten Erträge liefern, eben so -wenig, als die vollendetste Geschicklichkeit in diesen Produktionen. Der -Mensch kann seine Arbeitskraft nur verwerten, wenn er über die von der -Natur gebotenen Stoffe und Kräfte, wie nicht minder über entsprechende -Instrumente und Maschinen verfügt; und zwar muß er, um mit seinen -Mitbewerbern konkurrieren zu können, Beides in gleich guter und -vollkommener Beschaffenheit besitzen, wie diese. Man muß nicht bloß -Boden zur Verfügung haben, um Weizen zu bauen, sondern auch gleich -ergiebigen Weizenboden wie die anderen Weizenbauer, sonst wird man mit -geringerem Nutzen, ja möglicherweise sogar mit Schaden arbeiten; und der -Besitz des ergiebigsten Bodens wird die Arbeit noch nicht ermöglichen, -oder doch nicht gleich ertragreich machen, wenn man die erforderlichen -landwirtschaftlichen Geräte nicht, oder doch nicht in jener -Vollkommenheit besitzt, wie die Konkurrenten. - -Was nun die Kapitalien anlangt, so machte sich die freie Gesellschaft -anheischig, sie Jedermann nach Wunsch zur Verfügung zu stellen, und zwar -zinslos, gegen Rückzahlung in gewissen Fristen, deren Ausmaß je nach der -Natur der beabsichtigten Anlagen in der Weise festgestellt wurde, daß -die Abtragung aus den Produktionsergebnissen stattfand. Da die -Arbeitsinstrumente und sonstigen kapitalistischen Arbeitsbehelfe in -beliebigem Umfange und in beliebiger Qualität hergestellt werden können, -so wäre damit der eine Teil des Problems gelöst gewesen. - -Anders verhält sich die Sache mit den Naturkräften, als deren -Repräsentanten wir den Boden, an den sie doch gebunden sind, gelten -lassen wollen. Den Boden hat Niemand erzeugt, es hat also Niemand -Eigentumsanspruch auf ihn und Jedermann hat das Recht, ihn zu benutzen; -aber den Boden hat nicht bloß Niemand erzeugt, es kann ihn auch -fernerhin Niemand erzeugen; Boden ist daher bloß in beschränkter Menge -vorhanden und außerdem ist auch der vorhandene Boden nicht von gleicher -Güte. Wie soll es nun trotzdem möglich sein, nicht bloß Jedermanns -Anspruch auf Boden, sondern sogar auf gleich ertragreichen Boden zur -Geltung zu bringen? - -Um dies zu erklären, muß zunächst noch die dritte und in Wahrheit -fundamentalste Voraussetzung der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -dargelegt werden. Wenn in deren Sinne jedem Arbeitenden der -ungeschmälerte Ertrag der eigenen Arbeit zugesprochen wird, so ist dies -nur insofern und unter der Voraussetzung wirklich gerecht, daß -angenommen wird, der Arbeitende sei selber und ausschließlich der -Erzeuger dieses ganzen Ertrages. Das war er aber nach der alten -Wirtschaftsordnung mit nichten. Der Arbeitende erzeugte als solcher nur -einen Teil des Produkts, während ein anderer Teil vom Arbeitgeber -- -derselbe sei nun Grundbesitzer, Kapitalist oder Unternehmer -- -hervorgebracht wurde. Ohne den organisatorischen, disciplinierenden -Einfluß dieses Letzteren wäre die Mühe der Arbeitenden unfruchtbar, oder -doch weit minder fruchtbar gewesen; der Arbeiter lieferte bisher stets -nur die zusammenhanglose Kraft, während der ordnende Geist Sache des -Arbeitgebers war. - -Damit soll nicht gesagt sein, daß die größere geistige Kraft bisher -ausnahmslos oder notwendiger Weise auf Seite des Letzteren sich -befunden; auch die Techniker und Direktoren, die den großen -Produktionsanstalten vorstehen, gehören dem Wesen nach zu den -Lohnarbeitern und ganz im allgemeinen kann ohne weiteres zugegeben -werden, daß die höhere Intelligenz in zahlreichen Fällen nicht bei den -Arbeitgebern, sondern bei den Arbeitern sich gefunden haben mag. -Trotzdem ist es der Arbeitgeber, dessen Verdienst überall dort, wo es -galt, mehrere Arbeitende zu gemeinsamem Werke zu vereinigen und zu -disciplinieren, diese Vereinigung und Disciplinierung gewesen. Für sich -zu produzieren, vermochten die Arbeitenden bisher stets nur vereinzelt; -sowie ihrer Mehrere unter einen Hut gebracht werden sollten, war ein -»Herr« notwendig, ein Herr, der mit der Peitsche -- dieselbe mag nun aus -Riemen, oder aus den Paragraphen einer Fabrikordnung geflochten sein -- -die Widerstrebenden beisammenhält und _dafür_ -- nicht für seine höhere -Intelligenz, den Ertrag der Arbeit einstreicht, den Arbeitenden, sie -mögen nun dem Proletariate oder der sogenannten Intelligenz angehören, -nur so viel einräumend, als zu ihrem Unterhalte erforderlich ist. Noch -niemals bisher haben die Arbeitenden den Versuch gewagt, ohne Herrn, als -freie eigenberechtigte Männer und nicht als Knechte -- dabei aber mit -vereinten Kräften zu produzieren. Die Benützung jener gewaltigen, den -Ertrag der menschlichen Thätigkeit so unendlich vervielfältigenden -Instrumente und Einrichtungen, die Wissenschaft und Erfindungsgeist der -Menschheit an die Hand gegeben, setzt vereintes Wirken Vieler voraus, -und dieses hat sich bisher nur Hand in Hand mit der Knechtschaft -bewerkstelligen lassen. Man spreche nicht von den Produktivassociationen -eines Schulze-Delitzsch und Anderer; sie haben am Wesen der Knechtschaft -nichts geändert, bloß der Name der Herren ist ein anderer geworden. Auch -in diesen Associationen gibt es nach wie vor Arbeitgeber und Arbeiter; -Ersteren gehört der Ertrag, Letztere erhalten Stall und gefüllte -Futterraufe gleich den zweibeinigen Arbeitstieren des Einzelunternehmers -oder der gewöhnlichen Aktiengesellschaft, deren Aktionäre zufällig keine -Arbeiter sind. Damit die Arbeit frei und eigenberechtigt werde, müssen -sich die Arbeitenden als solche, nicht aber als kleine Kapitalisten -zusammenthun; sie dürfen keinen wie immer genannten oder gearteten -Arbeitgeber über sich setzen, also auch keinen solchen, der aus einer -Genossenschaft von Ihresgleichen besteht; sie müssen sich als Arbeitende -und nur als solche organisieren, dann erst haben sie auch als solche -Anspruch auf den vollen Arbeitsertrag. Und diese Organisation der Arbeit -ohne jeglichen Rückstand des altererbten Herrschaftsverhältnisses irgend -eines Arbeitgebers ist das Grundproblem der socialen Befreiung; ist -dieses glücklich gelöst, so folgt alles Andere ganz von selbst. - -Diese Organisation aber war mit nichten so schwierig, als auf den ersten -Blick scheinen mag. Der Ausschuß ging von dem Grundsatze aus, daß die -richtigen Organisationsformen freier Arbeit sich am besten durch das -freie Zusammenwirken sämtlicher an dieser Organisation Beteiligten werde -finden lassen. Besondere Schwierigkeiten vermochte er dabei nicht zu -entdecken. Handelte es sich dabei doch dem Wesen nach um höchst einfache -Dinge. Um z. B. ein Eisenwerk zu errichten, brauchten die Arbeiter den -Gesamtmechanismus der Eisenfabrikation keineswegs sämtlich zu verstehen; -was notthat, war bloß zweierlei: erstlich daß sie wußten, welcherlei -Leute sie an die Spitze ihrer Fabrik zu stellen hätten und zweitens, daß -sie diesen Leuten einerseits genügende Gewalt einräumten, um die Arbeit -in Ordnung zu erhalten, anderseits aber auch sie genügend -kontrollierten, um jederzeit das Heft über ihr Unternehmen in eigenen -Händen zu behalten. Dabei konnten ohne Zweifel sehr ernste Fehler -begangen werden; man konnte sich in der Organisation der leitenden -sowohl als der überwachenden Organe, im Ausmaße der erteilten -Vollmachten arg vergreifen; aber gerade die einmal bereits erwähnte, -schrankenlose Öffentlichkeit aller Produktionsvorgänge, die von -Gesamtheitswegen auch aus anderen Gründen gefordert werden mußte, -erleichterte den Arbeiterschaften ihr Werk wesentlich, und da alle -Genossen einer jeden Produktiv-Association im entscheidenden Punkte -genau die gleichen Interessen hatten, und ihre gesammelte Aufmerksamkeit -jederzeit auf diese Interessen gerichtet war, so lernten sie wunderbar -rasch die gemachten Fehler verbessern, so daß schon nach wenigen Monaten -der neue Apparat leidlich arbeitete und in merkwürdig kurzer Zeit einen -hohen Grad von Vollkommenheit erreichte. Fleiß und Emsigkeit aller -Genossen aber ließen von Anbeginn nichts zu wünschen übrig, was -angesichts der vollkommen entfesselten Eigeninteressen, sowie der -unablässigen gegenseitigen Anfeuerung und Kontrolle Gleichberechtigter -und Gleichinteressierter eigentlich selbstverständlich ist. - -Der Ausschuß arbeitete daher zum Gebrauche der Associationen zwar ein -sogenanntes »Musterstatut« aus, jedoch keineswegs in der Meinung, daß -dasselbe sich wirklich mustergiltig erweisen werde oder auch nur könne, -sondern bloß um einen Anfang zu machen, den Genossenschaften gleichsam -ein Formular zu bieten, das sie als Gerippe ihrer eigenen, durch -Erfahrung allmählich entstehenden Organisationsentwürfe gebrauchen -könnten. Thatsächlich war dieses »Musterstatut«, anfangs von allen -Genossenschaften beinahe unverändert angenommen, nach kaum einem Jahre -überall so gründlich geändert und ergänzt, daß von seinen ursprünglichen -Bestimmungen meist nur die leitenden Prinzipien übrig blieben. Diese -aber waren die folgenden: - -1. Der Beitritt in jede Association steht Jedermann frei, gleichviel ob -er zugleich Mitglied anderer Associationen ist, oder nicht; auch kann -Jedermann jede Association jederzeit verlassen. - -2. Jedes Mitglied hat Anspruch auf einen, seiner Arbeitsleistung -entsprechenden Anteil am Nettoertrage der Association. - -3. Die Arbeitsleistung wird jedem Mitgliede im Verhältnisse der -geleisteten Arbeitsstunden berechnet, mit der Maßgabe jedoch, daß -älteren Mitgliedern für jedes Jahr, um welches sie der Gesellschaft -länger angehören, als die später Beigetretenen, ein Präcipuum von x -Procent eingeräumt ist. Ebenso kann für qualifizierte Arbeit im Wege -freier Vereinbarung ein Präcipuum bedungen werden. - -4. Die Arbeitsleistung der Vorsteher oder Direktoren wird im Wege einer, -mit jedem Einzelnen derselben zu treffenden freien Vereinbarung, einer -bestimmten Anzahl täglich geleisteter Arbeitsstunden gleichgesetzt. - -5. Der gesellschaftliche Ertrag wird erst am Schlusse eines jeden -Betriebsjahres berechnet und nach Abzug der Kapitalrückzahlungen und der -an das freiländische Gemeinwesen zu leistenden Abgaben zur Verteilung -gebracht. Inzwischen erhalten die Mitglieder Vorschüsse in der Höhe von -x Procent des vorjährigen Reinertrags für jede geleistete oder -angerechnete Arbeitsstunde. - -6. Die Mitglieder haften für den Fall der Auflösung oder Liquidation der -Association nach dem Verhältnisse ihrer Gewinnbeteiligung für die -kontrahierten Darlehn, welche Haftung sich bezüglich der noch -aushaftenden Beträge auch auf neueintretende Mitglieder überträgt. Auch -erlischt mit dem Austritte eines Mitgliedes dessen Haftung für die schon -kontrahiert gewesenen Darlehn nicht. Dieser Haftbarkeit für die Schulden -der Association entspricht im Falle der Auflösung oder Liquidation der -Anspruch der haftenden Mitglieder an das vorhandene Vermögen. - -7. Oberste Behörde der Association ist die Generalversammlung, in -welcher jedes Mitglied das gleiche aktive und passive Wahlrecht ausübt. -Die Generalversammlung faßt ihre Beschlüsse mit einfacher -Stimmenmehrheit; zu Statutenänderungen und zur Auflösung und Liquidation -der Association ist ¾ Majorität erforderlich. - -8. Die Generalversammlung übt ihre Rechte entweder direkt als solche, -oder durch ihre gewählten Funktionäre aus, die ihr jedoch verantwortlich -sind. - -9. Die Leitung der gesellschaftlichen Geschäfte ist einem Direktorium -von x Mitgliedern übertragen, die von der Generalversammlung auf x Jahre -gewählt werden, deren Bestallung jedoch jederzeit widerruflich ist. Die -untergeordneten Funktionäre der Geschäftsleitung werden von den -Direktoren ernannt; doch geschieht die Feststellung des Gehaltes dieser -Funktionäre -- bemessen in Arbeitsstunden -- auf Vorschlag der -Direktoren durch die Generalversammlung. - -10. Die Generalversammlung wählt jährlich einen aus x Mitgliedern -bestehenden Aufsichtsrat, der die Bücher sowie das Gebahren der -Geschäftsleitung zu überwachen und darüber periodischen Bericht zu -erstatten hat. - -Es fällt sofort auf, daß in diesem Statut bloß für den Fall der -Auflösung der Association (Absatz 6) von dem die Rede ist, was scheinbar -doch als Hauptsache angesehen werden sollte, nämlich vom »Vermögen« der -Associationen und von den Ansprüchen der Mitglieder an dieses Vermögen. -Der Grund liegt aber darin, daß ein Vermögen der Association im -gemeingebräuchlichen Sinne gar nicht existiert. Die Mitglieder besitzen -allerdings das Nutznießungsrecht der vorhandenen Produktivkapitalien; da -sie aber dieses Recht mit jedem beliebigen Neueintretenden jederzeit -teilen und selber durch nichts anderes, als durch das Interesse am -Ertrage ihrer Arbeit an die Association gebunden sein sollen, so darf es -Vermögensinteressen bei den Associationen gar nicht geben, so lange -dieselben im Betriebe sind. Und in der That ist ein -- sei es auch noch -so nützlicher -- Gegenstand, den Jedermann benutzen kann, kein -Vermögensbestandteil. Es giebt keine Eigentümer, bloß Nutznießer der -Associationskapitalien. Und sollte darin vielleicht ein Widerspruch mit -jener Bestimmung erblickt werden, wonach die dargeliehenen -Produktivkapitalien von den Associationen zurückgezahlt werden müssen, -so darf nicht übersehen werden, daß auch diese Kapitalrückzahlung -- den -bereits erwähnten Fall der Liquidation ausgenommen -- von den -Mitgliedern bloß in ihrer Eigenschaft als Nutznießer der -Produktionsmittel geleistet wird. Da die Kapitalrückzahlungen von den -Erträgen in Abzug gebracht, diese aber je nach der Arbeitsleistung unter -die Mitglieder verteilt werden, so leistet eben auch jedes Mitglied -Abzahlung je nach seiner Arbeitsleistung. Und wenn man noch genauer -zusieht, so wird man finden, daß diese Abzahlungen in letzter Linie -eigentlich von den Verbrauchern der von den Associationen erzeugten -Güter getragen werden; sie bilden -- selbstverständlich -- einen Teil -der Betriebskosten und müssen notwendigerweise im Preise des Produkts -Deckung finden. Daß dies auch überall vollkommen geschehe, dafür sorgt -mit unfehlbarer Sicherheit die freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte. -Eine Produktion, bei welcher diese Abzahlungen im Preise der Erzeugnisse -nicht vollkommen Deckung gefunden hätten, wäre solange von -Arbeitskräften teilweise verlassen worden, bis das sinkende Angebot die -Preise entsprechend erhöht hätte. Ist hinwieder die Abzahlung geleistet, -so entfällt dieser Bestandteil der Betriebskosten; die betreffenden -Gesellschaftskapitalien können als amortisiert angesehen werden und -nunmehr sinken -- wieder unter dem Einflusse der Freizügigkeit der -Arbeitskräfte -- die Preise des Produkts, so daß die Mitglieder der -Association ebensowenig einen Sondervorteil aus der Benützung -lastenloser Kapitalien ziehen, als sie früher einen Sondernachteil aus -der Abtragung dieser Lasten hatten. Vorteil und Nachteil verteilt sich --- immer Dank der freien Beweglichkeit der Arbeitskräfte -- stets -gleichmäßig auf die Gesamtheit aller Arbeitenden Freilands. - -Man sieht, die Produktivkapitalien sind infolge dieser einfach und -unfehlbar funktionierenden Einrichtung streng genommen ebenso herrenlos, -als der Boden; sie gehören Jedermann und daher eigentlich Niemand. Die -Gemeinschaft der Produzenten giebt sie her und benützt sie, beides genau -nach Maßgabe der Arbeitsleistung jedes Einzelnen; und Zahlung für den -gemachten Aufwand leistet die Gemeinschaft aller Konsumenten, abermals -ein Jeder genau nach Maßgabe seines Konsums. - -Daß mit der absoluten Freizügigkeit der Arbeit weder beabsichtigt, noch -jemals erreicht wurde, daß der Ertrag überall das _absolut_ gleiche -Niveau einhielt, ist selbstverständlich. Abgesehen davon, daß ja die -Ungleichheiten oft erst nachträglich, bei Gelegenheit der -Bilanzabschlüsse, sich zeigen, also auch erst nachträglich durch Zu- und -Abfluß von Arbeitskräften ausgeglichen werden können, giebt es eine -nicht unerhebliche, dauernde, jeder Ausgleichung entrückte -Verschiedenheit der Gewinne, die in der Verschiedenheit der mit den -unterschiedlichen Arbeitszweigen verknüpften Anstrengungen und -Unannehmlichkeiten ihre naturgemäße Begründung hat. Nur ist es -allerdings in Freiland anders, als in der alten Welt, wo nur zu oft die -Last der Arbeit im umgekehrten Verhältnisse steht zu ihrem Ertrage; bei -uns müssen schwierige, lästige, unangenehme Arbeiten ausnahmslos höheren -Gewinn abwerfen, als die leichteren, angenehmeren -- sofern Letztere -keine besonderen Fähigkeiten voraussetzen -- sonst würde man Jene sofort -verlassen und sich Diesen zuwenden. Außerdem ist auch das im 3. Absatze -den älteren Mitgliedern eingeräumte Präcipuum -- dasselbe schwankt bei -verschiedenen Gesellschaften zwischen 1 und 3 Prozent per Jahr, summiert -sich also bei längerer Arbeitszeit zu ganz respektabler Höhe und ist -dazu bestimmt, die erprobten Arbeitsveteranen an das Unternehmen zu -binden, -- ein Hindernis absoluter Gewinnausgleichung selbst bei ganz -gleichgearteten Associationen. - -Einer kurzen Erläuterung bedarf Punkt 5 der Statuten. Für das -erste Betriebsjahr war natürlich die Berechnung der den -Associationsmitgliedern zu leistenden Gewinnvorschüsse in Prozenten des -vorjährigen Reinertrags nicht möglich, und der Ausschuß schlug daher für -dieses erste Jahr ein Fixum von 1 Shilling (1 Mark) per Stunde vor. Man -wird vielleicht erstaunen über die -- insbesondere unter -Berücksichtigung der am Kenia herrschenden Preisverhältnisse -- -auffallende Höhe dieses Ansatzes und billig fragen, von wo der Ausschuß -den Mut schöpfte, auf derartige Erträge zu hoffen, daß solche -Gewinnanteile, und noch dazu »vorschußweise« ausbezahlt werden könnten. -Es gehörte aber dazu keine besondere Kühnheit, vielmehr war dieser -Ansatz in Wahrheit mit äußerster Vorsicht bemessen. Das Ergebnis der bis -dahin in Gang gesetzten gesellschaftlichen Produktionen war nämlich -thatsächlich ein wesentlich günstigeres gewesen. Die Körnerwirtschaft z. -B. hatte bei einem Arbeitsaufwande von insgesamt 44,500 Arbeitsstunden -einen Rohertrag von 42,000 Centnern verschiedener Sämereien ergeben. -Deren Preis in Edenthal betrug derzeit im Durchschnitt allerdings nicht -ganz 3 Schilling per Centner, da wir mehr davon erzeugen konnten, als -wir brauchten, der Export über Mombas aber, der einstweilen noch recht -primitiven Transportmittel halber, keinen größeren Ertrag, als eben -diese 3 Schilling ergab. Wir hatten also rund 6,000 Pfd. Sterling -landwirtschaftlichen Rohertrag. An Produktionskosten hierfür waren zu -berechnen: 400 Pfd. Sterling für Materialien, 300 Pfd. Sterling als -Amortisation der investierten Kapitalien (Werkzeuge und Vieh), so daß -5300 Pfd. Sterling Netto-Gewinn verbleiben werden. Da zur Deckung all -der gemeinnützigen Ausgaben, die im Sinne unseres Programms Sache des -gesamten Gemeinwesens sind, und von denen später noch gesprochen werden -soll, eine Abgabe von nicht weniger als 35 Prozent in Aussicht genommen -war, so verblieben rund 3400 Pfd. Sterling als verfügbarer Gewinn. -Repartiert man nun diesen auf die geleisteten 44,500 Arbeitsstunden, so -berechnet sich die Arbeitsstunde mit 1,5 Schilling. Das war aber auch -annähernd der Durchschnittsertrag der anderen bislang betriebenen -Produktionen gewesen, soweit sich derselbe für die Vergangenheit, in -welcher es einen regelmäßigen Markt für alle Waren am Kenia noch nicht -gab, überhaupt feststellen ließ; so viel war mit größter Beruhigung -anzunehmen, daß für den Fall, als wir den Preis jedes Arbeitsprodukts -durch Angebot und Nachfrage hätten regulieren können, im Durchschnitt -für jedes derselben mindestens jener Preis hätte bezahlt oder -angerechnet werden müssen, der dem landwirtschaftlichen Ertrage -entsprach. Denn Körnerfrüchte, zu 3 Schilling ab Edenthal gerechnet, -hätten wir doch vorerst erzeugen und absetzen können, so weit unsere -Arbeitskraft reichte; es hätte also in der hinter uns liegenden -Betriebsperiode Jedermann mindestens 1,5 Schilling für eine -Arbeitsstunde erwerben können. Der nächsten Betriebsepoche schon gingen -wir aber -- wie man bald sehen wird -- mit wesentlich verbesserten -Hülfsmitteln entgegen, es mußte also, von unvorhergesehenen -Unglücksfällen abgesehen, die Ergiebigkeit unserer Arbeit sehr namhaft -steigen, so daß, als wir 1 Schilling Vorschuß für die Arbeitsstunde -beantragten, unsere Meinung dahin ging, kaum die Hälfte des wirklichen -Verdienstes vorweg zahlen zu lassen -- eine Voraussetzung, der die -Erfahrung durchaus entsprach. In den späteren Betriebsepochen wurde es -bei den meisten Associationen üblich, 90 Prozent des vorjährigen -Reinertrages als zu bezahlenden Vorschuß zu bestimmen. - -Die Honorierung der Direktoren anlangend, ist zu bemerken, daß dieselbe -bei den verschiedenen Gesellschaften von Anbeginn höchst verschieden -war. Wo zur Leitung keine ausnahmsweisen Kenntnisse und kein besonderer -Scharfblick erforderlich war, begnügten sich die Vorsteher damit, daß -ihre Mühewaltung einer Arbeitsleistung von täglich 8-10 Stunden -gleichgesetzt wurde; es gab aber auch Direktoren, die bis zu 24 Stunden -täglich angerechnet erhielten, was schon im ersten Jahre einem -Jahresgehalt von ungefähr 850 £ entsprach. Den Funktionären minderen -Grades wurden in der Regel zwischen 8 und 10 Arbeitsstunden angerechnet; -die kontrollierenden Aufsichtsräte erhielten für ihre Funktion meist -keinerlei Extravergütung. - -Die den Associationen gewährten Kredite erreichten im ersten -Betriebsjahre durchschnittlich 145 £ per Kopf der beteiligten -Arbeiterschaft -- und wenn nun die Frage auftaucht, von wo wir diese -Beträge für die Gesammtzahl unserer Mitglieder aufbrachten, so ist die -Antwort: eben durch die Mitglieder. Und zwar sind hier nicht blos die -von den Mitgliedern anläßlich ihres Beitritts zur Internationalen freien -Gesellschaft gezahlten freiwilligen Beiträge gemeint, denn diese waren -in erster Reihe dem Transportdienste zwischen Triest und Freiland -geweiht, und hätten, auch wenn sie allesammt zur Ausstattung unserer -Associationen mit Kapitalien herbeigezogen worden wären, zu diesem -Behufe nicht genügt; die im Laufe des ersten Jahres beanspruchten -Kredite umfaßten die Gesamtsumme von nahezu 2 Millionen Pfd. Sterling, -während die gleichzeitig eingelaufenen freiwilligen Beiträge nur -unwesentlich 1,5 Mill. Pfd. Sterling überstiegen. Die hauptsächlichen -Mittel, die wir zu obigen Krediten an unsere Mitglieder gebrauchten, -lieferte uns einerseits das durch die verfügbaren Vorräte repräsentierte -gesellschaftliche Vermögen, andererseits die von den Mitgliedern -gezahlte Steuer. - -Nicht unerwähnt darf hier bleiben, daß sich der Ausschuß für die ersten -Jahre die Entscheidung über Ausmaß und Reihenfolge der zu gewährenden -Kredite vorbehielt. Diese -- wenn auch blos negative -- Einmischung in -die Betriebsverhältnisse der Associationen stand allerdings nicht im -Einklange mit dem Prinzipe des unbedingten Selbstbestimmungsrechtes der -Produzenten, war aber insolange unvermeidlich, als unser Gemeinwesen -jene hohe Stufe der Ergiebigkeit der Arbeit noch nicht thatsächlich -erreicht hatte, welche eben die Voraussetzung vollkommener Durchführung -aller ihm zu Grunde liegenden Prinzipien ist. Späterhin, als die -Ausrüstung mit auf der Höhe des technischen Fortschritts stehenden -Produktionsmitteln der Hauptsache nach bei uns vollbracht war und es -sich folglich nurmehr darum handelte, das Vorhandene fortlaufend zu -ergänzen und zu verbessern, konnte niemals die Frage sein, ob die -Überschüsse der laufenden Produktion auch genügen würden, selbst den -weitestgehenden neu auftauchenden Kapitalansprüchen zu genügen. Anders -zu Beginn, wo die Kapitalbedürfnisse unbegrenzt und die Hülfsmittel noch -unentwickelt waren. Mehr, als es zu leisten vermochte, konnte das freie -Gemeinwesen nicht bieten, und es mußte sich daher eine Auslese der zu -bewilligenden Investionskredite vorbehalten. Dank der durch die freie -Beweglichkeit der Arbeitskräfte sich geltend machenden durchgreifenden -Interessensolidarität konnte dies geschehen, ohne daß damit auch nur -vorübergehend eine gefährliche Bevorzugung oder Benachteiligung der -verschiedenen Produzenten in ihren wesentlichen materiellen Interessen -verknüpft gewesen wäre. Denn wenn -- wie dies kaum zu vermeiden war -- -durch die gewährten oder verweigerten Kredite einzelne Produktionen -begünstigt oder benachteiligt wurden, so hatte dies unmittelbar und -selbstverständlich ein derartiges Zu- und Abströmen von Arbeitskraft zur -Folge, daß die auf die gleichen Arbeitsleistungen entfallenden Erträge -sich alsbald wieder ins Gleichgewicht setzten. - -Doch wie gesagt, nur auf Ausmaß und Reihenfolge der zu gewährenden -Kredite erstreckte sich diese in den ersten Jahren geübte Einmischung, -nicht aber auf die Art der Verwendung derselben. Diesbezüglich wurde von -Anbeginn das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit der Produzenten zu -vollständiger Durchführung gebracht. Da die Produzenten für die -Rückzahlung der empfangenen Kapitalien aufzukommen hatten, so blieb es -ihre Sache, für die nützliche Verwendung derselben Sorge zu tragen. -Allerdings sind es -- wie früher erwähnt -- die Konsumenten, welche in -letzter Linie die Kosten der gemachten Anlagen bezahlen; aber das thun -sie selbstverständlich nur, wenn und insoweit diese Anlagen nützlich und -notwendig sind. Hätte eine Association überflüssige oder schlechte -Maschinen angeschafft, so wäre es ihr unmöglich gewesen, die für -dieselben zu leistenden Abzahlungen auf die Käufer ihrer Erzeugnisse -abzuwälzen, sie hätte durch solche Investionen ihren Gewinn nicht -erhöht, sondern geschmälert, und man durfte es daher füglich dem -Eigeninteresse der bei den Associationen Beteiligten überlassen, dafür -Sorge zu tragen, daß derartige Kapitalvergeudung unterbleibe. - -Wir kommen nun zu der Frage, wie es möglich war, das gleiche Anrecht -Aller auf gleich ergiebigen Boden zur Wahrheit zu machen. -- Auch dieses -Problem löste sich in einfachster Weise durch die im Prinzipe der freien -Vergesellschaftung enthaltene freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte. -Zwar gab es auch in Freiland besseren und minder guten Boden wie überall -in der Welt; aber da dem besseren Boden mehr Arbeiter zuströmten, als -dem schlechten und da einem bekannten ökonomischen Gesetze zufolge der -Mehraufwand von Arbeitskraft auf gleicher Bodenfläche mit -_verhältnismäßig sinkendem_ Ertrage verknüpft ist, so entfiel für den -einzelnen Arbeiter, respektive für die einzelne Arbeitsstunde auf bestem -Boden kein höherer Reinertrag, als auf überhaupt noch in Arbeit -genommenem schlechtesten. - -Im Danaplateau z. B. konnten mit einem Arbeitsaufwande von 80 Stunden -120 Centner Weizen vom Hektar gewonnen werden, in Edenthal mit dem -gleichen Arbeitsaufwande bloß 90 Centner. Die Bodenassociation im -Danaplateau hatte daher, da der Centner Weizen 3-1/8 Schilling galt und -1/8 Schilling zur Deckung aller Spesen ausreichte, am Schlusse des -Jahres 4½ Schilling pro Arbeitsstunde als Gewinn und konnte von diesem -nach Abzug der Steuer und der Kapitalrückzahlungen 2¾ Schilling zur -Verteilung bringen. Die Mitglieder der Edenthal-Association dagegen -erhielten bloß 2 Schilling pro Arbeitsstunde Gewinnanteil, und da nähere -Untersuchung ergab, daß dieser Unterschied nicht in zufälligen -Witterungsverschiedenheiten und auch nicht in minderer Arbeit, sondern -in der Beschaffenheit des Bodens zu suchen sei, so war die Folge, daß im -nächsten Jahre die neu eingewanderten Feldarbeiter mit Vorliebe den -besseren Boden des Danaplateaus aufsuchten. Dort kamen jetzt -durchschnittlich 105 Arbeitsstunden auf den Hektar, in Edenthal bloß 60; -die mehraufgewendeten 25 Stunden ergaben aber auf Ersterem keinen -Rohertrag von je 1½ Centner, wie im Durchschnitt die früher -aufgewendeten 80 Stunden, sondern bloß einen solchen von knapp ¾ -Centner, d. h. der Ertrag stieg nicht von 120 auf 157½ sondern bloß auf -138 Centner, sank also per geleisteter Arbeitsstunde auf 1,34 Centner, -was zur Folge hatte, daß der Gewinn, ungeachtet der inzwischen wegen -Verbesserung der Kommunikationsmittel eingetretenen namhaften -Preissteigerung des Getreides, sich bloß auf 5 Schilling erhöhte, wovon -3 Schilling pro Stunde zur Verteilung gelangten. In Edenthal dagegen -verminderte sich der Rohertrag durch den Entgang von 20 Arbeitsstunden -per Hektar bloß um je 8 Centner; er betrug also jetzt für 60 -Arbeitsstunden 82 Centner oder 1,27 Centner per Arbeitsstunde. Die -Edenassociation zahlte also eine Kleinigkeit mehr als die von Dana und -da zudem der Aufenthalt in Edenthal mit größeren Annehmlichkeiten -verknüpft war, als der im Danaplateau, so wandte sich nun der Zuzug von -Ackerbauern wieder insolange nach Edenthal, bis endlich -- nach 2 -ferneren Betriebsepochen -- eine ungefähr fünfprocentige Gewinndifferenz -zu Gunsten Danas hervortrat, bei welcher es dann, von kleinen -Schwankungen abgesehen, auch sein Bewenden hatte. - -Ebenso aber, wie das durch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte -verwirklichte Prinzip der Interessensolidarität Denjenigen, der -thatsächlich schlechteren Boden bearbeitet, in den Mitgenuß der Vorteile -besseren Bodens setzt, so partizipiert auch jeder, in welchem -Produktionszweige immer Beschäftigte an allen wie immer gearteten -Vorteile des besten Bodens und umgekehrt zieht auch der Bodenbebauer, -wie überhaupt jeglicher Produzent, Gewinn aus sämmtlichen -Produktionsvorteilen, die in welchem Arbeitszweige unseres Gemeinwesens -immer erzielt werden, gerade so, als ob er bei demselben unmittelbar -beteiligt wäre. _Alle_ Produktionsmittel sind Gemeingut; über das Ausmaß -des Nutzens, den ein jeglicher von uns von diesem gemeinsamen Eigentume -ziehen mag, entscheidet nicht der Zufall des Besitzes -- aber auch nicht -die Fürsorge einer Alles bevormundenden kommunistischen Obrigkeit, -sondern einzig die Fähigkeit und der Fleiß eines Jeden. - - - - - 9. Kapitel. - - -Ausgedehnteste Öffentlichkeit aller wirtschaftlichen Vorgänge war -- wie -bereits erwähnt -- die oberste Voraussetzung des richtigen -Funktionierens der im Vorherigen geschilderten überaus einfachen -Organisation, die in Wahrheit in nichts anderem, als in der -Hinwegräumung aller, der freien Bethätigung von weisem Eigennutze -geleiteter individueller Willkür im Wege stehenden Hindernisse bestand. -Um so notwendiger war es, diese souveräne Willkür wohl zu beraten, dem -Eigennutze alle Handhaben zu richtigem und raschem Erfassen seines -wahren Vorteils zu bieten. - -Kein wie immer geartetes Geschäftsgeheimnis! Das war gleichsam mit eines -der Grundgesetze von Edenthal. Da draußen, wo der Kampf ums Dasein darin -gipfelt, einander nicht blos auszubeuten und zu verknechten, sondern -überdies wirtschaftlich zu vernichten, wo infolge der allgemeinen, aus -Unterkonsum hervorgehenden Überproduktion konkurrieren gleichbedeutend -ist mit: einander die Kunden abjagen; da draußen in der alten Welt wäre -Preisgebung der Geschäftsgeheimnisse gleichbedeutend mit Preisgebung -mühsam ergatterten, erlisteten Absatzes, also mit Untergang. Wo die -ungeheure Mehrzahl der Menschen kein Anrecht auf steigende -Produktionserträge besitzt, sondern sich -- unbekümmert um die -Ergiebigkeit der Arbeit -- mit »Arbeitslohn«, d. i. mit dem zur -Lebensfristung Erforderlichen begnügen muß, dort kann es auch keine -Verwendung für die Gesammterträge hochproduktiver Arbeit geben. Denn die -wenigen Besitzenden können unmöglich die stetig wachsenden Überschüsse -verzehren und ihr Bestreben, solche zu kapitalisieren, d. h. in -Arbeitsinstrumente zu verwandeln, scheitert an der Unmöglichkeit der -Verwendung von Produktionsmitteln, für deren Produkte es keine -Verwendung giebt. Es herrscht also in der ausbeuterischen Welt ein -stetiges Mißverhältnis zwischen Produktivkraft und Konsum, zwischen -Angebot und Nachfrage, und die selbstverständliche Folge ist, daß der -Absatz Gegenstand eines eben so stetigen und schonungslosen Kampfes -zwischen den verschiedenen Produzenten ist. Nicht möglichst viel und gut -zu erzeugen, sondern für einen möglichst großen Teil der eigenen -Erzeugnisse einen Markt zu erobern, ist die vornehmste Sorge der -ausbeuterischen Produzenten, und da dieser Absatzmarkt angesichts des -oben klargelegten Mißverhältnisses stets nur auf Kosten anderer -Produzenten erlangt und behauptet werden kann, so besteht hier -notwendigerweise ein dauernder und unversöhnlicher Interessenkonflikt. -Anders bei uns. Wir können des Absatzes jederzeit sicher sein, denn bei -uns kann nicht mehr erzeugt werden, als gebraucht wird, da ja der -gesamte Produktionsertrag dem Arbeitenden gehört und der Verbrauch, die -Befriedigung irgendeines realen Bedürfnisses, die ausschließliche -Triebfeder der Arbeit ist; bei uns kann also durch Preisgebung seiner -Absatzquellen niemand um seine Kunden kommen, da ihm für die eventuell -verlorenen notwendigerweise andere zufallen müßten. - -Und welchen Anlaß hätte anderseits der Produzent da draußen, seine -Erfahrungen Anderen mitzuteilen? Können sie von der erlangten Kenntnis -überhaupt anderen Gebrauch machen, als einen auf seinen Nachteil -abzielenden? Kann er die ihm ihrerseits mitgeteilte Kunde zu etwas -anderem benützen, als wieder zu ihrer Schädigung? Läßt er den Anderen -heran zur Teilnahme an seinem Geschäfte, wenn dieses das ertragreichere -ist, oder läßt ihn Jener in das seine, wenn es sich umgekehrt verhält? -Steigt die Nachfrage nach den Erzeugnissen eines Produzenten, so steht -ihm der Arbeits-»Markt« offen, wo er stets Knechte in Hülle findet, die -zur Arbeit bereit sind, ohne nach deren Ertrag zu fragen, sofern sie nur -ihren »Lohn« erhalten. Also nicht einmal die Konsumenten sind da draußen -an der Öffentlichkeit der Geschäftsführung interessiert, die übrigens, -wie schon gesagt, ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Ganz anders auch dies -bei uns in Freiland. Wir lassen Jedermann teilnehmen an unseren -Geschäftsvorteilen, können dafür aber auch teilnehmen an Jedermanns -Geschäftsvorteilen, und wir _müssen_ diese veröffentlichen, weil Mangels -eines Marktes willen- und interesseloser Arbeiter, diese -Veröffentlichung der einzige Weg ist, bei steigender Nachfrage -entsprechende Arbeitskräfte heranzuziehen. - -Und was die Hauptsache ist: während da draußen Niemand ein wirkliches -Interesse daran hat, daß die Produktion Anderer sich hebe, ist bei uns -Jedermann aufs lebhafteste dabei interessiert, daß Jedermann möglichst -leicht und gut produziere. Denn die klassische Phrase von der -Solidarität aller wirtschaftlichen Interessen ist zwar bei uns zur -Wahrheit geworden, da draußen aber nichts anderes, als eine jener -zahlreichen Selbsttäuschungen, aus denen sich die nationalökonomische -Doktrin der ausbeuterischen Welt zusammengesetzt. _Allgemeine_ -Steigerung der Produktion, des Reichtums ist dort wo die alte -Wirtschaftsordnung herrscht, ein Unding. Wo der Massenkonsum nicht -zunehmen kann, dort können auch Produktion und Reichtum nicht wachsen, -sondern nur verschoben werden, Ort und Eigner wechseln; um was die -Produktion des Einen zunimmt, genau um das nämliche muß die irgendeines -Anderen abnehmen -- es sei denn, daß auch der Verbrauch einigermaßen -gewachsen ist, was jedoch, wo die Massen ausgeschlossen sind vom Genusse -wachsender Arbeitserträge, nur zufällig und keineswegs schritthaltend -mit der gewachsenen Arbeitsergiebigkeit geschehen kann. Bei uns in -Freiland dagegen, wo die Produktion -- angesichts der mit ihr -naturnotwendig genau proportional wachsenden Konsumtionskraft -- ins -Ungemessene steigen kann und steigt, soweit nur unsere Fertigkeiten und -Künste es gestatten, bei uns ist es das oberste, absoluteste Interesse -der Gesamtheit, jedermanns Arbeitskraft verwertet zu sehen, wo jeweilig -die höchsten Erträge für ihn zu erzielen sind, und niemand giebt es, der -nicht Vorteil daraus zöge, wenn dies in möglichst vollkommener Weise -überall geschieht. Der Einzelne oder die einzelnen Associationen, die -vermöge unserer Organisation genötigt sind, einen zufällig erlangten -Vorteil mit anderen zu teilen, erleiden durch dieses einzelne Faktum für -sich betrachtet allerdings einen Gewinnentgang; aber unendlich größer -ist für alle Fälle der Vorteil, den sie davon haben, daß Ähnliches -überall geschieht, daß die Produktivität unablässig wächst, und ihr -eigener Nutzen gebietet also, daß es überall -- sohin selbstverständlich -auch bei ihnen -- geschehe. In wie ungeahnt hohem Maße dies der Fall -ist, wird die fernere Geschichte von Freiland sattsam zeigen. - -Über die zu ausgedehntester Öffentlichkeit der wirtschaftlichen Vorgänge -abzielenden Maßnahmen ist folgendes zu sagen. Wir gehen von dem -Grundsatze aus, daß die Gesamtheit sich so wenig als möglich hindernd -oder anordnend, dagegen so viel als möglich orientierend und belehrend -in das Thun und Lassen der Individuen zu mengen habe. Jedermann mag -handeln, wie ihm beliebt, sofern er nur die Rechte anderer nicht kränkt; -aber wie er immer handle, sein Thun muß vor jedermann offen daliegen. In -Gemäßheit dieses Grundsatzes wurde schon in der alten Heimat bei -Anmeldung des neuen Mitgliedes dessen wirtschaftliche Eignung -festgestellt und die betreffenden Listen gelangten -- wie einmal schon -erwähnt -- mit möglichster Beschleunigung an den Ausschuß. Dem lag weder -müßige Neugier, noch polizeiliche Bevormundungssucht zu Grunde, vielmehr -wurden diese Daten ausschließlich zu Nutz und Frommen der -Produktionsgenossenschaften sowohl als der Neuangemeldeten selber -veröffentlicht. Die Folge davon war, daß Letztere in der Regel schon bei -ihrer Ankunft am Kenia auf sie vorbereitete und eingerichtete -Arbeitsstätten vorfanden, und zwar allemal diejenigen, an denen sie die -jeweilig beste Verwertung ihrer Arbeitskraft fanden. Niemand zwang sie, -sich diesen ohne ihr Zuthun getroffenen Vorbereitungen anzubequemen, -aber da dieselben in denkbar bester Weise ihrem eigenen Vorteile -dienten, so thaten sie es -- von vereinzelten Ausnahmen abgesehen -- mit -der größten Freude. - -Der zweite und wichtigste Gegenstand der Publikationen waren die -Betriebsausweise der Produzenten -- der Associationen sowohl als der -- -in geringer Zahl stets vorhandenen -- Einzelproduzenten. Von ersteren, -als den weitaus wichtigeren und überdies ihrer Natur nach schon zu -sorgfältiger Buchführung genötigten, wurde sehr viel, in Wahrheit die -Bloßlegung ihres gesamten Gebahrens verlangt. Rohertrag, Spesen, -Reinertrag, Einkauf und Verkauf, Arbeitsleistung, Verwendung des -Reinertrags, alles mußte fortlaufend veröffentlicht werden und zwar je -nach der Beschaffenheit der betreffenden Daten einmal jährlich, anderes -in kürzeren Abständen, der gemachte Arbeitsaufwand z. B. allwöchentlich. -Von Seite der wenigen Einzelproduzenten begnügte man sich mit dem, was -infolge der nunmehr zu beschreibenden Einrichtung auch ohne ihr Zuthun -über sie bekannt wurde. - -Einkauf und Verkauf aller erdenklichen Produkte und Handelsartikel -Freilands war nämlich in großen Warenhallen und -lagern konzentriert, -deren Leitung und Überwachung von Gesamtheitswegen geschah. Es war zwar -niemand verboten, zu kaufen und zu verkaufen, wo ihm beliebte, diese -öffentlichen Magazine boten aber so gewaltige Vorteile, daß Jedermann, -der sich nicht selber schädigen wollte, sie in Anspruch nahm. Gebühren -für Einlagerung und Manipulation wurden nicht berechnet, da wir von der -Anschauung ausgingen, daß es ganz gleichgültig sei, ob man in einem -Lande, wo Jedermann einen seiner Produktion entsprechenden Verbrauch -hat, diese Manipulationsgebühren von den Konsumenten als solchen, oder -in Form eines minimalen Steuerzuschlages von ihnen in ihrer Eigenschaft -als Produzenten einhebe. Als reiner Gewinn verblieb die Ersparnis aus -der Vereinfachung des Verrechnungswesens. - -Die oberste Verwaltung von Freiland war aber zugleich auch der Bankier -der gesamten Bevölkerung. Nicht bloß jede Association, sondern Jedermann -hatte sein Konto in den Büchern der Centralbank, diese besorgte die -Inkassi und die Auszahlungen, von den Millionen Pfunden angefangen, die -späterhin gar manche Genossenschaft im Inlande wie im Auslande zu -fordern und zu entrichten hatte, bis hinab zu den auf die -Arbeitsleistung des Einzelnen entfallenden Gewinnanteilen und dessen -Kleider- oder Küchenrechnungen. Ein in Wahrheit »alles« umfassendes -Clearingsystem ermöglichte die Durchführung dieser zahllosen Geld- und -Kreditoperationen beinahe ohne jeden Aufwand wirklichen Geldes, -lediglich durch Zu- und Abschreibungen in den Büchern. Niemand zahlte -bar, sondern gab Anweisungen auf sein Konto bei der Centralbank, die ihm -seine Forderungen gutschrieb, die Ausgaben zu seinen Lasten buchte und -ihm allmonatlich mitteilte, mit welchem Betrage er bei ihr aktiv oder -passiv sei. Denn auch die von Gesamtheitswegen gewährten, zu -kapitalistischer Ausrüstung der Produktion dienenden, im vorigen Kapitel -erwähnten Kredite gingen selbstverständlich durch die Bücher der Bank. -Diese war solcherart über jede wie immer geartete geschäftliche -Beziehung im ganzen Lande fortlaufend bis ins kleinste Detail -unterrichtet. Sie wußte nicht bloß, wo und wie teuer die Produzenten -ihre Vorräte und Rohstoffe einkaufen, ihre Erzeugnisse absetzen, sie -kannte auch die Haushaltungsbilanz, das Einkommen und den Küchenzettel -jeder Familie. Selbst der Kleinhandel konnte an der Allgegenwart dieser -Kontrolle nichts ändern. Die meisten Lebensmittel und zahlreiche andere -Bedarfsartikel wurden von diesen Geschäftszweig betreibenden -Associationen den Kunden ins Haus gestellt; auch diesen konnte die Bank -auf den Heller nachrechnen, wieviel sie verdient hätten, denn auch deren -Einkäufe wie Verkäufe gingen durch die Bücher dieses Instituts. Die -Konti der Bank aber mußten mit den Ausweisen des statistischen Amtes -stimmen, und so besaßen denn alle Veröffentlichungen eine nicht bloß -annähernd und schätzungsweise, sondern absolut sichere Grundlage; selbst -wer es gewollt hätte, wäre schlechterdings außer stande gewesen, irgend -etwas zu verheimlichen oder zu fälschen. - -Diese allumfassende, automatisch sich ergebende Durchsichtigkeit der -gesamten Produktions- und Erwerbsverhältnisse bot nun auch für die in -Freiland eingehobenen Abgaben eine vollkommen verläßliche Grundlage. -Grundsatz war, daß alle Ausgaben des Gemeinwesens von jedem Einzelnen -genau nach Maßgabe seines Reineinkommens gedeckt werden sollen, und da -es in Freiland anderes Einkommen als das von Arbeit nicht gab, dieses -aber genau bekannt war, so machte die Verteilung der Abgaben nicht die -geringsten Schwierigkeiten. Dieselben wurden ganz einfach schon bei -Entstehung des Einkommens erfaßt, und zwar durch Vermittlung der Bank -nicht bloß bei den Associationen, sondern auch bei den wenigen -Einzelproduzenten. In Wahrheit hatte ja das Gemeinwesen durch seine Bank -jegliches Einkommen früher in Händen als der Bezugsberechtigte selber, -und es brauchte diesem daher die Abgabe bloß in Rechnung zu stellen, -unter den Passiven zu buchen, und die Steuer war einkassiert. Man -betrachtete daher in Freiland diese Steuer gar nicht als Abzug vom -Reineinkommen, sondern gleichsam als eine vom Bruttoertrage in -Abrechnung kommende Auslage, etwa gleich den Betriebsspesen. Niemand -empfand sie, trotz ihrer sehr bedeutenden Höhe, als Last, schon aus dem -Grunde nicht, weil Jedermann wußte, daß der größte Teil derselben ihm -oder den Seinen wieder zurückfließen werde, jeder Heller derselben aber -ausschließlich gemeinnützigen Zwecken gewidmet sei, deren Früchte ihm -mittelbar zu Gute kämen. Die Auffassung war also durchaus berechtigt, -zwischen den durch Vermittlung der Gesamtheit und den im engeren Kreise -vorgenommenen fruchtbringenden Ausgaben keinerlei Unterschied zu machen. - -Diese Abgaben aber waren sehr hoch; sie betrugen im ersten Jahre 35 -Prozent des Reinertrages und sanken niemals unter 30 Prozent, trotzdem -das Einkommen, von welchem die Abgabe erhoben wurde, den gewaltigsten -Aufschwung nahm. Denn die Aufgaben, welche sich das Gemeinwesen in -Freiland gerade zu dem Zwecke gesteckt hatte, um diesen Aufschwung des -Reichtums zu ermöglichen, waren sehr umfassend und beanspruchten die -kolossalsten Beträge. - -Die eine dieser Aufgaben war die Beistellung der zu Zwecken der -Produktion erforderlichen Kapitalien. Doch mußte bloß im Anfang dieser -Bedarf seinem ganzen Umfang nach aus der laufenden Steuer gedeckt -werden, während späterhin die Rückzahlungen der Schuldner dem neuen -Bedarfe teilweise die Wage hielten. - -Eine stetig wachsende Ausgabenpost bildete das Erziehungswesen, welches -Summen verschlang, von denen man außerhalb Freilands keine Vorstellung -besitzt. - -Ebenso beanspruchte das Kommunikationswesen einen in riesigen -Dimensionen zunehmenden Aufwand und das nämliche gilt vom öffentlichen -Bauwesen. - -Die Hauptpost des freiländischen Ausgabenbudgets aber bildete der Titel -»Versorgungswesen«, unter welchem die Ansprüche all jener zu verstehen -sind, denen wegen thatsächlicher Arbeitsunfähigkeit, oder weil sie im -Sinne unserer Grundsätze von Arbeit entbunden werden sollten, ein Recht -auf auskömmlichen Unterhalt eingeräumt war. Zu diesen gehörten alle -Frauen, alle Kinder, alle Männer über 60 Jahre und selbstverständlich -alle Kranken oder Invaliden. Die Bezüge dieser verschiedenen -Versorgungsberechtigten waren sämtlich so hoch bemessen, daß nicht bloß -der dringenden Notdurft, sondern auch höheren Ansprüchen, wie sie nach -dem jeweiligen Stande des allgemeinen Reichtums in Freiland gebräuchlich -waren, Genüge geschah; zu diesem Behufe mußten sie derart berechnet -sein, daß sie parallel mit dem Einkommen der arbeitenden Bevölkerung -stiegen, waren daher nicht in festen Summen, sondern in Teilbeträgen vom -Durchschnittseinkommen ausgeworfen. Der Jahr für Jahr erhobene, im -Durchschnitt aller im Lande betriebenen Produktionen auf den einzelnen -Produzenten entfallene Reinertrag war die Versorgungseinheit, und von -dieser Einheit entfiel nun auf jede alleinstehende Jungfrau oder Witwe --- sofern sie nicht das Lehreramt oder Krankenpflege ausübten und -hierfür entsprechend bezahlt wurden -- 30 Prozent; verheirateten sie -sich, so sank ihr Anspruch auf 15 Prozent der Einheit; auf die drei -ersten Kinder jedes Haushalts entfielen je 5 Prozent. Vater- und -mutterlose Waisen wurden in öffentliche Verpflegung genommen und -erforderten einen Aufwand von durchschnittlich 12 Prozent der Einheit. -Männer über 60 Jahre und Kranke oder Invaliden erhielten 40 Prozent. - -Es mag hier sofort bemerkt werden, daß diese sämtlichen -Versorgungsbeträge nach außerfreiländischen Begriffen geradezu horrend -zu nennen wären; schon im ersten Jahre betrug die Einheit 180 Pfd. -Sterling, es bekam also eine Jungfrau oder Witwe 48 Pfd. Sterling, eine -verheiratete Frau 24 Pfd. Sterling, eine Familie mit drei Kindern und -Frau wieder 48 Pfd. Sterling, ein Greis oder Invalide 54 Pfd. Sterling, -was angesichts der bei uns damals herrschenden Preise mehr war, als die -meisten europäischen Staaten ihren höchsten Funktionären oder deren -Witwen und Waisen an Pension zahlen. Denn ein Zentner feines Mehl -kostete in jenem ersten Jahre am Kenia 7 Shilling oder Mark, ein fetter -Ochse 12 Shilling, Butter, Honig, das köstlichste Obst waren zu -ähnlichen Preisen zu haben, Wohnung beanspruchte nicht mehr als -höchstens 2 Pfd. Sterling im Jahr, kurzum mit ihren 48 Pfd. Sterling -konnte bei uns eine ledige Frau in Überfluß leben und brauchte sich -nichts Wesentliches von jenen Annehmlichkeiten und Vergnügungen zu -versagen, die zu jener Zeit in Edenthal überhaupt erreichbar waren. Und -späterhin, als die Preise in Freiland denn doch einigermaßen stiegen, -eilte das Steigen der Arbeitserträge, d. i. also auch der -Versorgungsbeträge dem gewaltig voran, so daß der in diesen gewährte -Überfluß stets ausgesprochener wurde. Allein das lag eben in der Absicht -des Volkes von Freiland. Warum? Davon wird an geeigneter Stelle noch die -Rede sein, insbesondere auch davon, warum den Frauen ausnahmslos -Versorgungsrecht zugesprochen wurde und warum bloß das Lehramt und die -Krankenpflege als ihnen zugedachter Beruf erwähnt ist. Auch von den -Ansprüchen der Kinder wird noch gesprochen werden. Hier sei nur -konstatiert, daß die Deckung all dieser Ansprüche selbstverständlich -stetig wachsende Summen erforderte. - -Recht namhafte Ausgabeposten waren auch die für Statistik, Lagerhaus- -und Bankwesen; indessen nahmen die Kosten dieser Verwaltungszweige -- -trotz ihres großen absoluten Wachstums -- relativ, nämlich im -Verhältnisse zu dem steuerbaren Einkommen, so rasch ab, daß sie schon -nach wenigen Jahren auf einen minimalen Prozentsatz der Gesamtausgaben -gesunken waren. - -Dagegen kosteten Justiz, Polizei, Militär und Finanzverwaltung, die in -anderen Ländern reichlich Neun-Zehnteile des Gesamtbudgets verschlingen, -in Freiland nichts. Wir hatten keine Richter und Polizeiorgane, unsere -Steuern flossen von selber ein und Soldaten kannten wir auch nicht. -Nichtsdestoweniger wurde bei uns nicht gestohlen, geraubt oder gemordet, -gab es keine Steuerrückstände und wehrlos waren wir, wie sich aus dem -Späteren ergeben wird, keineswegs. Im übrigen mögen unsere Waffen- und -Munitionsvorräte sowie unsere an die kriegerischen Massai gezahlten -Subsidien immerhin als Surrogat für ein Militärbudget gelten. In Bezug -auf das Justizwesen waren wir so arge Barbaren, daß wir nicht einmal -einen Zivil- oder Kriminalkodex für nötig hielten, nebenbei bemerkt, -einstweilen auch keinerlei geschriebenes Verfassungsrecht besaßen. Der -Ausschuß, immer noch im Besitze der ihm im Haag erteilten Vollmacht, -begnügte sich, alle seine Maßnahmen in öffentlichen Versammlungen -darzulegen und die Zustimmung der Gemeine zu verlangen, die ihm auch -einstimmig gewährt wurde. Zur Schlichtung etwa auftauchender -Streitigkeiten unter den Mitgliedern wurden -- einstweilen gleichfalls -vom Ausschusse empfohlene -- Schiedsrichter gewählt, die einzeln in -mündlichem Verfahren nach bestem Wissen ihre Entscheidungen treffen -sollten und von denen der Appell an das Schiedsrichter-Kollegium offen -stand; sie hatten aber allesamt so gut wie nichts zu thun. Gegen Laster -und deren gemeingefährliche Folgen maßten wir uns kein _Straf_-, sondern -bloß ein _Schutz_recht an, und zwar erachteten wir die _Besserung_ als -das beste und wirksamste Schutzmittel. Da geistig und moralisch normal -veranlagte Menschen in einem Gemeinwesen, welches alle berechtigten -Interessen jedes seiner Mitglieder gleichmäßig berücksichtigt, sich -unmöglich gewaltsam gegen fremdes Recht vergehen können, so betrachteten -wir allenfallsige Verbrecher als geistig oder moralisch Kranke, deren -Heilung eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses sei. Sie wurden -daher -- je nach dem Grade ihrer Gemeingefährlichkeit -- in Beobachtung -oder in Gewahrsam genommen und insolange geeigneter Behandlung -unterzogen, als dies nach dem Urteile kompetenter Fachmänner im -Interesse der allgemeinen Sicherheit rätlich erschien. Fachmänner im -obigen Sinne waren aber nicht die Friedensrichter, welche bloß darüber -zu entscheiden hatten, _ob_ das verklagte Individuum dem -Besserungsverfahren zu unterziehen sei, sondern besondere, zu diesem -Behufe eigens erwählte Ärzte. Dem in Beobachtung oder Gewahrsam -Genommenen stand es frei, an das _Kollegium_ der vereinigten Ärzte und -Friedensrichter zu appellieren und seine Sache vor demselben öffentlich -zu vertreten, wenn er sich durch das Verfahren des ihm vorgesetzten -Arztes gekränkt erachtete. - -Die Anstellungen der sämtlichen Beamten für öffentliches Bauwesen, -Kommunikationswesen, Statistik, Lagerhaus und Centralbank, -Unterrichtswesen etc. gingen provisorisch vom Ausschusse aus. Die -Gehalte wurden in Stundenäquivalenten angesetzt, gleich denen der -genossenschaftlichen Funktionäre, und zwar betrugen diese Gehalte den -Durchschnittswert von 1200 bis zu 5000 Arbeitsstunden jährlich, was im -ersten Jahre schon 150 bis 600 Pfd. Sterling ausmachte. Die -Bevollmächtigten in London, Triest und Mombas wurden mit je 800 Pfd. -Sterling im Jahre bezahlt. Bemerkt muß hier werden, daß diese -Delegierten bloß 2 Jahre lang auf ihrem auswärtigen Posten verharrten -und dann Anspruch auf entsprechende Verwendung in Freiland hatten. -Seinen eigenen Mitgliedern bestimmte der Ausschuß einen Gehalt von je -5000 Stundenäquivalenten. - -Jedes Ausschußmitglied stand einem der 12 Verwaltungszweige vor, in -welche die sämtlichen öffentlichen Geschäfte Freilands provisorisch -geteilt wurden. Die Verwaltungszweige waren: - - 1. _Das Präsidium_ - 2. _Versorgungswesen_ - 3. _Unterricht_ - 4. _Kunst und Wissenschaft_ - 5. _Statistik_ - 6. _Straßenbau und Kommunikationsmittel_ - 7. _Post_, dazu später Telegraph - 8. _Auswärtige Angelegenheiten_ - 9. _Lagerhaus_ - 10. _Centralbank_ - 11. _Gemeinnützige Unternehmungen_ - 12. _Sanitätswesen und Justiz._ - -Hiermit wären in großen Zügen die für den Anfang in Freiland geltenden -Verwaltungs- und Organisationsprinzipien geschildert. Dieselben -bewährten sich allseitig aufs vortrefflichste. Die Bildung der -Genossenschaften ging ohne den geringsten Anstand vor sich. Da die -Mehrzahl der successive anlangenden Mitglieder gegenseitig einander -fremd war, mußte man sich bei Besetzung der leitenden Stellen vorläufig -auf die Empfehlungen des Ausschusses verlassen, begnügte sich deshalb -auch zumeist mit provisorischen Wahlen, die jedoch ziemlich rasch durch -definitive ersetzt werden konnten. Die schon vorgefundenen Produktionen: -Landwirtschaft, Gartenkultur, Viehzucht, Mahlmühle, Sägmühle, -Bierbrauerei, Kohlengruben und Eisenwerke, wurden nach Maßgabe des -täglich mit den Mombas-Karawanen einlangenden Kräftezuwachses namhaft -erweitert und mit wesentlichen Verbesserungen ausgestattet. Eine -stattliche Zahl neuer Industrien reihte sich unmittelbar daran. Eine der -ersten war eine -- der Hauptsache nach schon fertig importierte und nur -zu adjustierende Druckerei mit 2 Rotations- und 5 Schnellpressen, und -gestützt auf diese eine täglich erscheinende Zeitung; diesen reihten -sich in rascher Folge eine Maschinenfabrik, eine Glashütte, eine -Ziegelei, eine Ölmühle, eine chemische Fabrik, eine Näh- und -Schuhfabrik, eine Bautischlerei und eine Eisfabrik an. Am 1. Januar des -neuen Jahres wurde der erste kleine Schraubendampfer für den -Remorquierdienst im Edensee und Danaflusse vom Stapel gelassen, welchem -die ihres ausgezeichneten Verdienstes halber außerordentlich rasch -anwachsende Betriebs-Association in kurzen Intervallen zahlreiche andere -und größere Lasten- und Personendampfer folgen ließ. - -Gleichzeitig nahm auch der Ausschuß einen nicht unbedeutenden Teil der -neu eintreffenden Kräfte für mehrere auf öffentliche Kosten zu -bewerkstelligende Arbeiten und Einrichtungen in Anspruch; den dabei -beschäftigten Arbeitern mußte selbstverständlich ein, der -Durchschnittshöhe des allgemeinen Arbeitsertrages entsprechender -- und -wo es sich um besonders anstrengende Leistungen handelte, ein diesen -Durchschnitt entsprechend übersteigender, Verdienst gesichert werden. -Diese Arbeiten waren in erster Reihe die provisorischen Hausbauten für -die neu eintreffenden Mitglieder. Dabei wurde daran festgehalten, daß -jede Familie je ein eigenes Häuschen erhalte, während für die -alleinstehenden Ankömmlinge mehrere große Hotels eingerichtet wurden. -Die Familienhäuser waren der Größe nach verschieden -- von 4 bis zu 10 -Wohnräumen, jedes mit einem Garten von 1000 Quadratmeter Fläche -ausgestattet. Jeder Ankömmling konnte ein ihm nach Größe und Lage -passend erscheinendes wählen, selbstverständlich gegen je nach Belieben -ratenweise oder sofortige Abzahlung. Solcher Häuschen mußten im -Monatsdurchschnitt nicht weniger als 1500 fertiggestellt werden; sie -waren aus starken Bohlen in doppelter Lage solid gefügt und der -Bauaufwand stellte sich auf durchschnittlich 8½ Pfd. Sterling für jeden -Wohnraum. Für die Benutzung der Hotelzimmer wurde eine zur Amortisation -der Baukosten und Deckung der Regie genügende Wochengebühr von ½ Sh. -berechnet. - -Gleichzeitig mit diesen Wohnhäusern wurde der Bau von Schulen in Angriff -genommen, und zwar mußte, da bis auf weiteres dem Eintreffen von 1000 -bis 1200 Schulkindern im Monatsdurchschnitt entgegenzusehen war, -fortlaufend für genügende Räume zu entsprechender Unterbringung -dieser so rasch anwachsenden Menge Vorsorge getroffen werden. -Selbstverständlich waren auch diese -- gleich den Wohnhäusern -- teils -im Edenthale, teils auf dem Danaplateau errichteten Schulräume nur -provisorische Barackenbauten, dabei aber licht, luftig und geräumig. - -In der Lebensweise am Kenia hatte sich im übrigen einstweilen noch wenig -verändert, mit Ausnahme des Umstandes, daß Edenthal, vor Eintreffen der -ersten Wagenkarawane ein mäßiges Dorf, binnen wenigen Monaten zu einer -mehr als 20000 Seelen zählenden ansehnlichen Stadt herangewachsen war. -Auf dem Danaplateau, wo sich zuvor nur einige Hütten gefunden hatten, -waren zwei ansehnliche Dörfer entstanden, das eine mit den -Arbeiterschaften einiger Fabriken am Ostende, hart neben dem großen -Wasserfalle, das andere, näher zu Edenthal gelegen, der Sitz einer -Ackerbaukolonie. Gemeinsam war all diesen Bewohnern von Freiland ein -ausgesprochener Zug sorgloser Fröhlichkeit und unverkennbaren Behagens. -Die Lebensweise blieb, was die Wohnungs- und Kleidungsverhältnisse -anlangt, noch sehr primitiv, dagegen herrschte in Speisen und Getränken -Überfluß, ja Luxus. Mit den Mahlzeiten wurde es der Hauptsache nach so -gehalten, wie einige Monate zuvor von den ersten Ankömmlingen; nur -hatten die Frauen gar bald eine ganze Reihe neuer und sinnreicher -Verwendungsarten der vielen köstlichen Landesprodukte herausgefunden. -Das Register der erreichbaren ästhetischen und geistigen Genüsse hatte -vorerst keine sonderliche Bereicherung erfahren. Die Zeitung, eine von -der Unterrichtsverwaltung angelegte Bibliothek, die beinahe Tag für Tag -durch neueintreffende Bücherkisten bereichert wurde, zu Neujahr aber -doch erst 18000 Bände zählte, die dem insbesondere während der heißen -Mittagsstunden sehr lebhaften Lesebedürfnisse keineswegs voll genügen -konnten, mehrere neue Sing- und Orchestervereine, Lese- oder -Debattierzirkel und zwei Dutzend Klaviere -- das war alles, was zu dem -ursprünglich Vorhandenen gekommen war. Daneben wurde in den herrlichen -Wäldern fleißig gejagt, Ausflüge nach nicht allzu schwierig erreichbaren -Aussichtspunkten waren an der Tagesordnung -- kurz man suchte sich das -Leben so angenehm als möglich zu machen, ohne jedoch einstweilen große -Abwechslung in das Programm der Vergnügungen und geistigen Genüsse -bringen zu können. Das hinderte aber nicht, daß Glück und Zufriedenheit -in jedem Hause herrschten. - -Auch hinsichtlich der Arbeitseinteilung war im großen Ganzen das -ursprünglich beobachtete System beibehalten worden. Die Männer -arbeiteten meist zwischen 5 und 10 Uhr morgens und zwischen 4 und 6 Uhr -abends; die Frauen -- im Bedarfsfalle unterstützt von Eingeborenen -- -versahen inzwischen das Haus und die Kinder, sofern diese nicht in der -Schule waren. Doch erachtete sich niemand gerade an diese Zeiteinteilung -gebunden; jedermann arbeitete wann und so lange es ihm beliebte; auch -hatten einige Associationen, deren Betrieb die gänzliche Unterbrechung -der Arbeit während der Mittagszeit schwer vertrug, einen Turnus -eingeführt, der während der heißen Tagesstunden dem Werke einige Hände -sicherte. Da auch hierzu niemand gezwungen werden konnte, wurde es -üblich, die lästigere Mittagsarbeit höher anzurechnen, als die zu der -übrigen Tageszeit, wonach dann die erforderlichen Freiwilligen sich -fanden. Dasselbe gilt für die in einzelnen Etablissements notwendige -Nachtarbeit. - - - - - 10. Kapitel. - - -Als das erste Jahr unseres Aufenthaltes am Kenia vergangen war, zählte -Freiland 95000 Seelen, wovon 27000 arbeitsfähige Männer, die, zu 218 -Associationen vereinigt, 87 verschiedene Gewerbe betrieben. Die letzte -Ernte -- es gibt nämlich hier zwei Ernten im Jahr, die eine nach der -kleinen Regenzeit im Oktober, die andere nach der großen im Juni -- -hatte von 14500 Hektaren angebauten Ackerlandes nahezu 2 Millionen -Centner Getreide getragen, die einen Wert von 300000 Pfd. Sterling -repräsentierten und den dabei beschäftigten 10800 Arbeitern im -Durchschnitt nahe an 2½ Schilling Gewinn für jede darangewendete -Arbeitsstunde ergaben. Doch darf man nicht etwa glauben, daß diese -sämtlichen Arbeiter ihre gesamte Zeit durch landwirtschaftliche -Beschäftigung ausfüllten; das war blos während der Saat- und Erntetage -der Fall gewesen, während in der ganzen übrigen Zeit stets zahlreiche -Landbauer in den benachbarten industriellen Etablissements lohnende -Verwendung ihrer im Ackerbau gerade überschüssigen Arbeitskraft fanden. -Der Durchschnittsertrag der Industrien stellte sich um eine Kleinigkeit -höher, als der der Landwirtschaft, und da im Mittel 40 Stunden -wöchentlich gearbeitet wurde, so betrug der Wochenverdienst eines -gewöhnlichen Handarbeiters von mäßigem Fleiße in dieser zweiten -Jahreshälfte durchschnittlich 5¼ Pfd. Sterling. - -Nächst der Landwirtschaft beanspruchte die Eisen- und -Maschinenfabrikation die zahlreichsten Arbeitskräfte, ja, wenn man nicht -die zeitweilig in Verwendung kommende Arbeiterzahl, sondern die -überhaupt aufgewendeten Arbeitsstunden zum Maßstabe nimmt, so war diese -Industrie der Landwirtschaft sogar stark voraus. Und dies ist nicht zum -Verwundern, denn Maschinen verlangten und bestellten alle Associationen, -um ihren Betrieb möglichst zu verbessern. In der alten Welt, wo -Arbeitslohn und Arbeitsertrag grundverschiedene Dinge sind, besteht auch -zwischen Rentabilität und theoretischer Vollkommenheit von Maschinen ein -fundamentaler Unterschied. Um theoretisch brauchbar zu sein, muß eine -Maschine bloß Arbeitskraft ersparen, d. h. die zu ihrer Herstellung und -Betriebführung erforderliche Arbeit muß geringer sein, als die durch -ihren Gebrauch zu ersparende. Der Dampfpflug z. B. ist dann eine -theoretisch gute und nützliche Maschine, wenn die Fabrikation eines -Dampfpfluges mit samt der Erzeugung des zu seiner Heizung erforderlichen -Kohlenquantums weniger menschliche Arbeit verschlingt, als auf der -anderen Seite beim Pflügen mit Dampf gegen das Pflügen mit Rindern -gewonnen wird. Etwas anderes aber ist die Rentabilität einer Maschine -- -wohlverstanden außerhalb Freilands. Um rentabel zu sein, muß der -Dampfpflug nicht Arbeitskraft, sondern Wert oder Geld ersparen, d. h. er -muß weniger kosten, als die durch ihn ersparte Arbeitskraft gekostet -hätte. Das ist aber da draußen mit nichten schon deshalb der Fall, weil -die ersparte Arbeitskraft größer ist, als die zur Herstellung des -Pfluges und der Kohle erforderliche. Denn während die Arbeit, die der -verbesserte Pflug erspart, blos ihren »Lohn« erhält, muß bei dem -gekauften Pfluge und der gekauften Kohle neben der zu ihrer Herstellung -erforderlich gewesenen Arbeit auch noch der aus drei Bestandteilen -bestehende »Gewinn«, nämlich Grundrente, Kapitalzins und -Unternehmerlohn, bezahlt werden. So kann es kommen, daß der Dampfpflug -von seiner Entstehung bis zu seiner Abnützung 1 Million Arbeitsstunden -erspart, selber aber mitsamt dem ganzen, zu seinem Betriebe -erforderlichen Kohlenquantum bloß 100000 Arbeitsstunden verschluckt -hätte -- und dennoch höchst unrentabel ist, d. h. denjenigen, der -gestützt auf die Sicherheit so riesiger Kraftersparnis ihn kaufen und -benutzen wollte, den größten Schaden verursachte. Denn die Million -ersparter Arbeitsstunden bedeutet eben nicht mehr, als eine Million -ersparter Stunden_löhne_, also beispielsweise ersparte 10000 Pfd. -Sterling, wenn der Arbeitslohn bloß 1 Pfund für 100 Arbeitsstunden -beträgt. An den zur Herstellung des Pfluges und der Betriebsmittel -erforderlichen 100000 Arbeitsstunden, die für sich allein allerdings -bloß 1000 Pfd. Sterling beansprucht haben mögen, haftet aber außerdem -noch die Rente, welche die Besitzer der Eisen- und Kohlengruben -einheben, der Zins, der für die investierten Kapitalien gezahlt werden -muß und schließlich der Gewinn der Eisenfabrikanten und Kohlenerzeuger; -all dies kann unter Umständen mehr betragen, als die Differenz von 9000 -Pfd. Sterling zwischen den hier und dort aufgewendeten Arbeitslöhnen, -und wenn es der Fall ist, verliert der abendländische _Arbeitgeber_ Geld -daran, daß er eine Maschine kauft, die tausend Prozent Arbeit erspart. -Ganz anders bei uns; die lebendige Arbeit, die der Dampfpflug _uns_ -erspart, ist Stunde für Stunde genau so viel wert, als die im Pfluge und -in der Kohle steckende, bereits in Warenform verwandelte Arbeitszeit; -denn in Freiland giebt es keinen Unterschied zwischen Arbeitsertrag und -Arbeitslohn; in Freiland ist daher jede theoretisch brauchbare, d. i. -jede wirklich Kraft ersparende Maschine zugleich notwendigerweise -rentabel. Dies der Grund, warum in Freiland die Maschinenindustrie von -so enormer, stetig zunehmender Bedeutung sein mußte. Die eine Hälfte -unseres Volkes war damit beschäftigt, jene stählernen, von Dampf, -Elektricität, Wasser, komprimierter oder verdünnter Luft in Bewegung -gesetzten sinnreichen Werkzeuge herzustellen, mittels deren die andere -Hälfte ihre Leistungsfähigkeit verhundertfachte, und notwendigerweise -mußte sich daher bei uns in der Verwendung von Maschinenkraft eine -Vielseitigkeit und Vollkommenheit entwickeln, von welcher man außerhalb -der Grenzen unseres Landes keinerlei Vorstellung besitzt. - -Die wichtigsten Einrichtungen, die noch vor Ablauf dieses ersten Jahres -in Angriff genommen wurden, waren erstlich die Herstellung von -Dampfpflügen und -- vorläufig noch durch tierische Kraft bewegten -- -Säe- und Erntemaschinen, genügend zur Bearbeitung von 26000 Hektaren, -die für die Oktoberernte unter den Pflug genommen werden sollten. Wir -rechneten dabei, durch einmaligen Aufwand von 3½ Mill. Arbeitsstunden -mindestens 3 Millionen Arbeitsstunden jährlich zu ersparen. Das wäre da -draußen in der alten Welt für die solcherart überflüssig werdenden -Arbeiter ein großes Unglück gewesen, ohne daß die Gesamtheit davon den -geringsten Vorteil gehabt hätte; wir dagegen wußten für derart ersparte -Arbeitsstunden vortreffliche Verwendung; sie wurden zu allerlei -Veredlungsindustrien frei, für deren Produkte eben infolge der -gewachsenen Ergiebigkeit der Arbeit die Abnehmer sofort gegeben waren. - -Eine zweite, noch im Laufe des nächsten Jahres zu vollendende Arbeit war -die Verbesserung der Kommunikationsmittel durch Ausbaggerung des -Danaflusses von der Mahlmühle oberhalb des Edensees bis zum großen -Wasserfall am Danaplateau, und durch Anlage einer das Danaplateau -durchziehenden Eisenbahn. Daran sollten sich Seilbahnen auf einige der -Keniavorberge zu Zwecken des Bergwerks- und Forstbetriebs schließen. - -Daß alle bestehenden Industrien neuerlich vergrößert und eine stattliche -Reihe neuer eingerichtet wurden, versteht sich von selbst. Erwähnt mag -dabei werden, daß nur solche Fabriken in Edenthal oder am Oberlaufe des -Dana angelegt wurden, die weder die Luft, noch das Wasser verdarben; die -minder reinlichen Betriebe siedelten sich entweder am Ostende des -Danaplateaus, hart am Wasserfalle, oder auch unterhalb desselben an. -Später wurden Einrichtungen getroffen, die der Vergiftung der Wässer -durch industrielle Abfälle ganz im Allgemeinen ein Ende machten. - -Die Stadt Edenthal war auf 48000 Seelen angewachsen und deckte mit ihren -10600 Häuschen und Gärten, ihren zahlreichen großen, wenn auch immer -noch im Holzbarackenstil gehaltenen öffentlichen Bauten, mehr als 16 -Quadratkilometer. Die zu riesiger Zahl angewachsenen Rinderherden wie -nicht minder die Pferde, Esel, Kamele, Elefanten und die neu -importierten Schweine und feinen Schafsorten übersiedelten zum größeren -Teile nach dem Danaplateau. - -Schon zu Beginn des zweiten Jahres hatten uns unsere europäischen -Bevollmächtigten angezeigt, daß die bei ihnen einlaufenden Anmeldungen -sich in gewaltigen Dimensionen vermehrten. Die in den Zeitungen -veröffentlichten Berichte aus Freiland -- es waren inzwischen -Korrespondenten einiger der größten europäischen und amerikanischen -Journale bei uns eingetroffen -- hatten die Auswanderungslust -selbstverständlich in hohem Grade entfacht und wenn nicht alle Anzeichen -trogen, hatten wir uns für das zweite Jahr unseres Aufenthalts am Kenia -auf einen Zuzug von mindestens dem doppelten, wahrscheinlich aber von -dreifachem Umfange, wie im ersten Jahre, gefaßt zu machen. Es mußte also -für Beschaffung der erforderlichen Kommunikationsmittel Vorsorge -getroffen werden. Da zahlreiche der bemittelten neuen Mitglieder -einstweilen die Schiffe fremder Gesellschaften gegen Zahlung benutzten, -anstatt darauf zu warten, bis auf unseren Schiffen die Reihe an sie -käme, so war das Dringendste, für Vermehrung der Fahrgelegenheiten von -Mombas ab zu sorgen. Es wurden daher schleunigst 1000 neue Wagen nebst -der entsprechenden Anzahl von Zugtieren gekauft und successive vom März -ab in Betrieb gesetzt. Gleichzeitig aber kaufte unser Londoner -Bevollmächtigter sechs und kurze Zeit darauf noch vier weitere Dampfer -von 4000-10000 Tonnen Laderaum, die zu unseren Zwecken umgebaut, je 1000 -bis 3000 Passagiere faßten. Mit Hülfe dieser neuen Dampfer wurde -zunächst der Verkehr über Triest verstärkt; die größten Schiffe kamen an -dieses, zum Transport über Suez für ganz Mitteleuropa günstigst gelegene -Ausfallthor; daneben aber wurde zweimal in der Woche eine Fahrt ab -Marseille und einmal im Monat eine Fahrt ab San Franzisko über den -stillen Ocean eingerichtet. Nachdem noch für alle Fälle eine dritte -Serie von 1000 Wagen bestellt worden war, erachteten wir uns den -Anforderungen des bevorstehenden zweiten Jahres gegenüber ausreichend -gerüstet. - -So standen die Dinge, als Demestre mit der Erklärung vor den Ausschuß -trat, daß die primitive Art der Beförderung von Mombas ab angesichts der -voraussichtlich auch in Zukunft anhaltenden gewaltigen Einwanderung -unmöglich genügen könne. Wir müßten sofort an den Bau einer Eisenbahn -von Edenthal an die Küste denken. - -Alles, was Demestre zur Begründung seines Vorschlages sagte, war so -richtig und einleuchtend, daß derselbe ohne Debatte einhellig angenommen -wurde, ja, daß sich Jedermann insgeheim wunderte, ihn nicht schon längst -selber gemacht zu haben. Es handelte sich jetzt nurmehr darum, die Trace -der zukünftigen Eisenbahn festzustellen. In erster Reihe stand der alte -Weg, durch Kikuja ins Massailand, durch dieses, den Kilima östlich -umgehend über Tawenta und Teita nach Mombas. Eine zweite, möglicherweise -viel günstigere Trace, ließ sich zwei Längengrade weiter östlich, aber -gleichfalls nach Süden gerichtet und in Mombas die Küste erreichend, -durch Kikuja ins Land der Ukumbani und dort das Flußthal des Athi bis -Teita verfolgend, denken. Diese Trace konnte günstigenfalls eine -Distanzverkürzung von nahe an 200 Kilometern mit sich bringen. Die -dritte, kürzeste Route an den Ocean aber wäre die in streng östlicher -Richtung, den Dana verfolgend, durch die Gallaländer an die Wituküste -gewesen; hier konnte eventuell nahezu die Hälfte der Distanz erspart -werden, denn in der Luftlinie waren wir östlich keine 450 Kilometer vom -Meere entfernt. - -Diese drei Alternativlinien sollten also näher untersucht werden, so -genau, als es binnen wenigen Monaten möglich wäre; denn länger als -höchstens ein halbes Jahr sollte mit dem Beginne der Bauarbeiten nicht -gezögert werden. Die Tracierung der alten Route, die er schon ziemlich -genau kannte, behielt sich Demestre vor; nach dem Athi und dem Dana -wurden zwei andere tüchtige Ingenieure, begleitet gleich Demestre von -einem Stabe nicht minder tüchtiger Kollegen, entsendet. Außerdem aber -mußten diese beiden letzteren Expeditionen, da sie noch gänzlich -unbekannte Gebiete mit wahrscheinlich feindlichen Einwohnern zu -durchziehen hatten, wehrhaft gemacht werden. Sie waren je 300 Mann stark -und hatten außer entsprechenden Repetirgewehren auch einige -Kriegselefanten, Kanonen und Raketen mit sich. Überdies waren alle drei -Expeditionen von einer kleinen Schar Naturforscher -- unter diesen -hauptsächlich Geologen -- begleitet. Anfangs Mai zogen diese -Expeditionen aus; womöglich noch vor der kleinen Regenzeit -- im August --- sollten sie zurück sein. - - - - - 11. Kapitel. - - -Die Haager Versammlung der »Internationalen freien Gesellschaft« hatte, -wie man sich erinnern wird, dem Ausschusse Generalvollmacht für die -Dauer von zwei Jahren erteilt. Am 20. Oktober lief diese Frist zu Ende, -und bis dahin mußte sich die Gesellschaft eine neue, endgiltige -Verfassung geben, eine frei durch das Volk von Freiland gewählte Behörde -die bisherigen Vollmachten des Ausschusses übernehmen. Dieser berief -daher schon für den 15. September eine constituierende Versammlung, und -zwar, da die Zahl der Bewohner Freilands zu groß war, als daß allesamt -zu einer Beratung hätten vereinigt werden können, indem er das Land in -500, der Einwohnerzahl nach gleiche Sektionen teilte und jede Sektion -zur Wahl eines Abgeordneten aufforderte. Diese derart zustande gekommene -Repräsentantenversammlung erklärte er sofort zur vorläufigen Trägerin -der obersten souveränen Gewalt und forderte sie auf, das Weitere zu -verfügen, es ihr anheim stellend, ob sie ihn bis zu Ausarbeitung der -Verfassung noch vorläufig in Funktion belassen, oder irgend eine neue, -sofort zu schaffende Behörde mit der Geschäftsführung von Freiland -betrauen wolle. Die Versammlung entschied sich nach kurzer Debatte -einstimmig für das Erstere und beauftragte überdies den Ausschuß, einen -Verfassungsentwurf vorzulegen. Da ein solcher für alle Fälle bereits -fertig ausgearbeitet war, so konnte dieser Forderung sofort willfahrt -werden. Dr. Strahl legte den Verfassungsentwurf namens des Ausschusses -»auf den Tisch des Hauses«, dieses beschloß dessen Drucklegung und trat -schon nach drei Tagen in die Beratung der neuen Verfassung. Auch diese -Beratungen waren, angesichts der großen Einfachheit der vorgeschlagenen -Grundgesetze und Ausführungsbestimmungen nicht sehr langatmig und schon -am 2. Oktober konnten diese, einhellig approbiert, als solche verkündet, -und in ihrem Geiste die neue Verwaltung in Kraft gesetzt werden. - -Die Grundgesetze lauteten: - -l. Jeder Bewohner Freilands hat das gleiche unveräußerliche Anrecht auf -den gesamten Boden und auf die von der Gesamtheit beigestellten -Produktionsmittel. - -2. Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähige haben Anspruch auf -auskömmlichen, der Höhe des allgemeinen Reichtums billig entsprechenden -Unterhalt. - -3. Niemand kann, sofern er nicht in die Rechtssphäre eines Anderen -greift, in der Bethätigung seines freien individuellen Willens gehindert -werden. - -4. Die öffentlichen Angelegenheiten werden nach den Entschließungen -aller volljährigen (mehr als 20jährigen) Bewohner Freilands ohne -Unterschied des Geschlechts verwaltet, die sämtlich in allen, das -gemeine Wesen betreffenden Angelegenheiten das gleiche aktive und -passive Stimm- und Wahlrecht besitzen. - -5. Die beschließende sowohl als die ausübende Gewalt ist nach -Geschäftszweigen geteilt und zwar in der Weise, daß die Gesamtheit der -Stimmberechtigten für die hauptsächlichen öffentlichen Geschäftszweige -gesonderte Vertreter wählt, die gesondert ihre Beschlüsse fassen und das -Gebahren der den fraglichen Geschäftszweigen vorstehenden -Verwaltungsorgane überwachen. - -In diesen fünf Punkten ist das Um und Auf des öffentlichen Rechts von -Freiland niedergelegt; alles weitere ist nichts anderes, als das -selbstverständliche Ergebnis oder die nähere Ausführung derselben. So -ergeben sich die Prinzipien, auf denen die Associationen sich aufbauten --- Anrecht des Arbeiters am Ertrage, Verteilung desselben nach der -Arbeitsleistung und freie Vereinbarung mit höherwertigen Arbeitskräften --- naturgemäß und notwendigerweise aus dem ersten und dritten -Grundgesetze. Da jedermann über sämtliche Arbeitsmittel verfügte, so -konnte niemand sich gedrängt sehen, auf den Ertrag der eigenen Arbeit zu -verzichten, und da niemand gezwungen werden konnte, seine höheren -Fähigkeiten anderen zur Verfügung zu stellen, so mußten diese höheren -Fähigkeiten, sofern man ihrer zur Leitung der Produktion bedurfte, im -Wege freier Vereinbarung entsprechende Verwertung finden. - -Mit Bezug auf das im zweiten Absatze ausgesprochene Versorgungsrecht der -Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähigen ist zu bemerken, daß dieses -im Sinne unserer Grundsätze als Ausfluß der Wahrheit angesehen wurde, -daß der Reichtum des Kulturmenschen nicht Produkt seiner eigenen, -individuellen Fähigkeiten, sondern das Ergebnis der geistigen Arbeit -zahlloser vorangegangener Generationen sei, _deren Erbe dem Schwachen -und Arbeitsunfähigen gerade so gebühre, wie dem Starken und Tüchtigen_. -Alles, was wir genießen, verdanken wir nur zu unendlich geringem Teile -unserer eigenen Intelligenz und Kraft; auf diese allein angewiesen, -wären wir arme, in tiefstem, tierischem Elend vegetierende Wilde; die -reiche Hinterlassenschaft unserer Vorfahren seit unvordenklicher Zeit -ist es, von welcher wir zehren, der wir neunundneunzig Hundertteile -all unserer Genüsse verdanken. Ist dem aber so -- und kein -Zurechnungsfähiger hat dies jemals in Abrede gestellt -- dann haben all -unsere Geschwister Anrecht auf Mitgenuß der Erbschaft. Daß diese -Erbschaft ohne unsere, der Starken, Arbeit unfruchtbar wäre, ist -allerdings richtig, und unbillig, ja thöricht und undurchführbar wäre -daher das Verlangen der schwächeren Geschwister nach _gleicher_ Teilung. -Aber geschwisterlichen, nicht auf das bloße Erbarmen, sondern auf -Anerkennung ihres Erbrechts gestützten Anteil des dem gemeinsamen -Erbgute -- und es sei immerhin bloß durch _unsere_ Arbeit -- -abgewonnenen reichen Ertrages können sie fordern; sie stehen uns nicht -als bettelnde Fremdlinge, sondern als erbberechtigte Familiengenossen -gegenüber. Und unser, der stärkeren Geschwister eigenes wohlverstandenes -Interesse verlangt die rückhaltlose Anerkennung dieses guten Rechtes -jedes Angehörigen der menschlichen Familie. Denn unser eigenes Glück -kann nicht gedeihen, wenn wir Geschöpfe, die Unseresgleichen sind, -entwürdigen, zu Not und Schmach verurteilen. Gesunder Egoismus verbietet -uns, dem Elend und seinen Kindern, den Lastern, irgend einen -Schlupfwinkel inmitten von Unseresgleichen offen zu halten. Frei und -»edelgeboren«, ein König und Herr dieses Planeten muß jeder sein, dessen -Mutter ein menschliches Weib gewesen, sonst wird seine Not zu einem -fressenden Geschwüre, welches um sich greifend den stolzen Bau auch -unserer, der Starken, Herrlichkeit vergiftet. - -So viel über das Versorgungsrecht im allgemeinen. Was aber speziell das -den Frauen zugesprochene anlangt, so war bei diesem die fernere Erwägung -maßgebend, daß das Weib seiner physischen und psychischen Beschaffenheit -nach nicht zu aktivem Kampfe ums Dasein, sondern einerseits zu dessen -Fortpflanzung, anderseits zu dessen Verschönerung und Veredlung bestimmt -ist. So lange wir alle, oder doch die ungeheuere Mehrheit von uns allen, -in unablässigem, jammervollem Kampfe mit des Lebens gemeinster, -tierischer Notdurft uns quälten, konnte von Rücksicht auf die Schwäche -und auf den Adel des Weibes keine Rede sein; die Schwäche konnte -- -gleich der jedes anderen Schwachen -- nicht der Rechtstitel auf -Schonung, sondern mußte zu einem Anreize der Unterjochung werden; der -Adel des Weibes war geschändet -- abermals gleich dem jedes rein -menschlichen, wirklichen Adels. Eine Sklavin und ein käufliches Werkzeug -der Lüste war das Weib ungezählte Jahrtausende hindurch -- und die -vielgerühmte Civilisation der letzten Jahrhunderte hatte daran dem Wesen -nach nichts geändert. Auch unter den sogenannten Kulturnationen der -Gegenwart blieb das Weib rechtlos, und was schrecklicher ist, es blieb, -um sein Dasein zu fristen, angewiesen darauf, sich dem ersten Besten zu -verkaufen, der um seiner Reize willen die Verpflichtung übernahm, es zu -»versorgen«. Diese von Recht und Sitte geheiligte Prostitution ist in -ihren Wirkungen verheerender, als jene andere, ihr Wesen unverhüllt zur -Schau tragende, die sich von ihr bloß dadurch unterscheidet, daß hier -der schmähliche Handel nicht auf Lebenszeit, sondern für kürzere Frist -geschlossen wird, für Jahre, Wochen, Stunden. Gemeinsam ist beiden, daß -das süßeste, heiligste Kleinod der Menschheit, das Herz des Weibes, zum -Gegenstande gemeinen Schachers, zu einem Mittel des Lebensunterhalts -gemacht wird, und schrecklicher als die Prostitution der Straße ist die -von Gesetz und Sitte geheiligte der Versorgungsehe, weil unter ihrem -verpestenden Gifthauche nicht bloß Würde und Glück der jeweilig -lebenden, sondern auch Saft und Mark der zukünftigen Geschlechter -verdorren. Da die Liebe, jener geheiligte Instinkt, der bestimmt ist, -das Weib in die Arme jenes Gatten zu führen, mit dem vereint es der -kommenden Generation die tüchtigsten Mitglieder schenken könnte, zum -Erwerbsmittel, dem einzigen das ihm offen stand, geworden, so mußte das -Weib, um zu leben, sich -- in sich aber die Zukunft der Rasse schänden. - -Glück und Würde, wie das zukünftige Heil der Menschheit, erfordern daher -im gleichen Maße, daß das Weib der entehrenden Notwendigkeit enthoben -werde, im Gatten zugleich den Versorger, in der Ehe das einzige -Rettungsmittel gegen materielle Not zu sehen. Aber auch gemeiner Arbeit -darf das Weib nicht überwiesen werden. Auch das verbietet das Glück der -jeweilig lebenden und die Tüchtigkeit der zukünftigen Generation in -gleicher Weise. Die Gleichberechtigung des Weibes dadurch verwirklichen -wollen, daß man ihm gestattet, im Broterwerb mit dem Manne zu -konkurrieren, ist eben so nutzlos als verderblich; nutzlos, weil dem -weiblichen Geschlechte als Ganzes genommen eine solche Befugnis, von -welcher es nur in Ausnahmefällen wirklichen Gebrauch machen kann, doch -nicht hilft; verderblich, weil das Weib mit dem Manne hier nicht -konkurrieren darf, ohne seinen edleren schöneren Aufgaben untreu zu -werden. Und diese Aufgaben liegen nicht etwa in der Verfolgung von Küche -und Wäschespinde, sondern in der Pflege des Schönen in der gegenwärtigen -Generation einerseits und der geistigen wie körperlichen Entwickelung -des Nachwuchses anderseits. Das Weib muß daher nicht bloß in seinem -eigenen, sondern ebenso im Interesse des Mannes und insbesondere in -jenem der zukünftigen Geschlechter dem Kampf um des Lebens Notdurft -gänzlich entrückt werden; es darf kein Rad im Getriebe des Broterwerbs, -es muß ein Juwel am Herzen der Menschheit sein. Nur eine »Arbeit« ist -dem Weibe angemessen: die der Kindererziehung und allenfalls noch die -Pflege von Kranken und Gebrechlichen. In der Schule und am Siechbett -kann weibliche Zärtlichkeit und Vorsorge eine passende Vorschule für die -Pflichten des späteren eigenen Hauses finden, und hier mag die -alleinstehende Frau zugleich Erwerb suchen, sofern sie es wünscht. Als -selbstverständlich darf gelten, daß im Sinne unserer Prinzipien jeder -dem Weibe gegenüber geübte abwehrende Zwang durchaus verpönt war. -_Verboten_ war der Frau nicht, welches Gewerbe immer zu ergreifen, was -denn in vereinzelten Fällen auch jederzeit geschah, insbesondere auf dem -Gebiete der geistigen Berufe; aber die öffentliche Meinung in Freiland -billigte dies eben auch nur in Ausnahmefällen, d. h. wenn hervorragende -Fähigkeiten solches Thun rechtfertigten und es muß bemerkt werden, daß -unsere Frauen in erster Reihe es waren, welche sich auf die Seite dieser -öffentlichen Meinung stellten. - -Daß der Versorgungsanspruch der Frauen um ein Vierteil geringer bemessen -wurde, als derjenige der Männer -- die konstituierende Versammlung -bestätigte nämlich nicht bloß das Prinzip, sondern auch das bereits -mitgeteilte Ausmaß der verschiedenen Versorgungsrechte -- hat nicht in -einer Minderbewertung des weiblichen _Anspruches_ seine Motivierung, -sondern lediglich in der Thatsache, daß die _Bedürfnisse_ des Weibes -geringer sind, als die des Mannes. Wir gingen von der Ansicht aus, daß -die Frau mit ihren dreißig Hundertteilen des durchschnittlichen -Arbeitsertrages eines freiländischen Produzenten ebenso reichliches -Auslangen finden werde, als ein versorgungsbedürftiger Mann mit seinen -vierzig Hundertteilen; und die Erfahrung hat dies vollauf bestätigt. - -Es hatte jedoch nicht bloß die alleinstehende Jungfrau oder Witwe, -sondern auch die Ehefrau -- wenn auch bloß den halben -- -Versorgungsanspruch. Das begründete sich dadurch, daß auch das -verheiratete Weib nicht auf die Versorgung des Mannes angewiesen und -dadurch in ein materielles Abhängigkeitsverhältnis zu diesem gebracht -sein sollte. Da im Haushalte die Thätigkeit der Frau immerhin mit einem -Teile ihres Eigenbedarfs zu veranschlagen ist, so bedurfte es, um dem -Ehemanne die Versorgungslast abzunehmen, auch nur einer teilweisen -Versorgung von Gesamtheitswegen. Mit dem beginnenden Kindersegen -vermehrt sich die Familienlast neuerlich, und da diese abermals durch -das Weib erwächst, so steigerten wir den Versorgungszuschuß insolange, -bis er wieder die volle Höhe des Versorgungsanspruches der Frau, d. i. -30 Prozent erreichte. - -Das vierte Grundgesetz, das allgemeine, auf volljährige Frauen -ausgedehnte Stimmrecht, bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. Zu -bemerken wäre hier nur, daß sich diese Bestimmung auch auf die in -Freiland wohnenden Neger erstreckte, mit dem Beifügen jedoch, daß des -Lesens und Schreibens Unkundige insofern von der thatsächlichen Ausübung -politischer Rechte ausgeschlossen waren, als alle Abstimmungen durch -eigenhändig auszufüllende Stimmzettel vorgenommen wurden. Wir gaben uns -übrigens redlich Mühe, unseren Negern nicht bloß das Lesen und -Schreiben, sondern auch eine Reihe anderer Kenntnisse beizubringen, und -da dies im allgemeinen von gutem Erfolge begleitet war, so nahmen unsere -schwarzen Brüder allmählich an allen unseren Rechten teil. - -Näherer Erklärung bedarf dagegen Punkt 5 der Grundrechte, wonach die -Gemeine ihr Beschluß- und Kontrollrecht über alle öffentlichen -Angelegenheiten nicht durch _eine_, sondern durch mehrere, nach -Verwaltungszweigen geordnete Körperschaften ausübte, die von der Gemeine -auch ebenso gesondert gewählt wurden. Dieser Bestimmung verdankt die -Verwaltung von Freiland ihre geradezu erstaunliche Sachkenntnis, das -öffentliche Leben Freilands seine nicht minder beispiellose Ruhe und das -Fehlen aller tiefergehenden, leidenschaftlichen Parteiungen. In den -Staaten Europas und Amerikas besteht bloß die vollziehende Gewalt aus -Männern, die unter Rücksicht auf ihre Sachkenntnis und Befähigung für -jenen Zweig des öffentlichen Dienstes ernannt, respektive gewählt sein -_sollten_, dem vorzustehen ihres Amtes ist. Selbst das ist nur mit sehr -großen Einschränkungen der Fall, ja insbesondere den sogenannten -parlamentarischen Verfassungen Europas und Amerikas gegenüber muß mit -Recht behauptet werden, daß sie gerade an die Spitze der verschiedenen -Verwaltungszweige Männer stellen, die nur zu oft von den wichtigen -Angelegenheiten, denen sie vorstehen sollen, sehr wenig verstehen. Die -Versammlungen, aus deren Mitte und durch deren Willen parlamentarische -Minister zur Macht gelangen, sind in der Regel gänzlich außer Stande, -durchweg sachkundige Männer zu berufen, schon aus _dem_ Grunde nicht, -weil sie solche häufig gar nicht in ihrer Mitte besitzen. Damit soll -nicht gesagt sein, daß nicht selbst parlamentarische Schönredner und -Berufspolitiker in der Regel immer noch mehr von ihrem Amte verstehen, -als jene Günstlinge der Macht und des blinden Glücks, die in -nichtparlamentarischen Ländern das Ruder führen -- aber Sachverständige -sind sie nicht, können sie nicht immer sein. Doch wie gesagt, die Organe -der Exekutive _sollten_ es doch zum mindesten sein, es besteht die -Fiktion, daß sie es seien, und ein Mann, der sich in irgend einem Fache -rühmlich hervorthut, hat damit wenigstens einen -- wenn auch -thatsächlich ziemlich untergeordneten -- Anspruch mehr, in diesem Fache -Verwendung im öffentlichen Dienste zu finden. Für die _gesetzgebenden_ -Körperschaften des Abendlandes dagegen ist Sach- und Fachkenntnis nicht -einmal prinzipiell ein Grund der Wahl. Die Männer, welche Gesetze -erlassen und deren Ausübung zu kontrollieren haben, brauchen -grundsätzlich von all den Angelegenheiten, auf welche sich diese Gesetze -beziehen, nicht das Geringste zu verstehen. Das Vertrauen ihrer Wähler -ist vom Grade dieses ihres Verständnisses in der Regel unabhängig, sie -werden nicht als Fachmänner, sondern als »_gesinnungstüchtige_« Männer -gewählt. - -Das aber hat einen doppelten Übelstand im Gefolge; es macht zunächst den -öffentlichen Dienst mehr als irgend eine Privatangelegenheit zum -Spielballe menschlicher Unwissenheit und Unklugheit; das Wort -Oxenstiernas: »Du weißt nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die -Welt regiert wird«, ist in weit höherem Maße, als allgemein geglaubt -wird, ein wahres Wort; der durchschnittliche Grad von Klugheit und -Sachkenntnis in zahlreichen öffentlichen Verwaltungszweigen der -sogenannten civilisierten Welt, steht tief unter dem in den -Privatgeschäften der nämlichen Länder gemeinhin anzutreffenden -Durchschnittsniveau. Zum zweiten aber gestaltet diese, zugleich -centralisierte und kenntnislose Organisation der öffentlichen -Verwaltungszweige das Parteigetriebe zu einem leidenschaftlichen und -erbitterten Kampfe, in welchem stets alles an alles gesetzt werden muß -und in welchem beinahe niemals sachliche Erwägungen, sondern stets nur -die vorgefaßten politischen Meinungen entscheiden. Unablässiger Kampf, -stete, leidenschaftliche Erregung ist also die zweite, notwendige Folge -dieser verkehrten Einrichtung. - -Eine Änderung derselben ist aber schlechthin unmöglich, so lange die -geltende soziale Ordnung in Kraft bleibt. Denn solange dies der Fall -ist, fährt das allgemeine Wohl noch immer besser, wenn die öffentlichen -Angelegenheiten von Unwissenden, ohne Rücksicht auf ihre Fachkenntnis -Gewählten, verwaltet und kontrolliert werden, als wenn Fachleute von -Beruf die Macht erhielten, in Sachen ihres Faches namens der Gesamtheit -zu handeln. Das Interesse dieser wirklichen Fachmänner ist nämlich in -der ausbeuterischen Gesellschaft dem der großen Masse nicht bloß häufig, -sondern in der Regel entgegengesetzt. Man denke sich einen europäischen -oder amerikanischen Staat, in welchem die Fabrikanten über Fabrikation, -die Landwirte über Bodenproduktion, die Eisenbahnleute über -Transportwesen, und so fort die sachkundigen Vertreter jedes -Interessen-Zweiges über das sie zunächst interessierende Gebiet Gesetze -machen, ausführen und überwachen könnten! Da in der ausbeuterischen -Gesellschaft der Kampf ums Dasein auf gegenseitige Unterdrückung und -Verdrängung gerichtet ist, so müßten die Folgen einer solchen -»Verfassung« für sie geradezu schrecklich sein, und in jenen, unter dem -Sammelnamen der politischen Korruption bekannten Fällen, wo es -vereinzelten Interessenkreisen gelang, ihren Willen dem der Gesamtheit -unterzuschieben, überschritt auch thatsächlich die Schamlosigkeit der -Ausbeutung alle Grenzen. - -Anders in Freiland; bei uns giebt es keine dem Gesamtinteresse -entgegenstehenden oder auch nur nicht vollkommen mit diesem -harmonierenden Sonderinteressen. Produzenten z. B., die in Freiland auf -den Gedanken gerieten, ihren Gewinn dadurch zu erhöhen, daß sie den -Import mit Zöllen belegten, müßten Blödsinnige sein; denn daß sie die -Konsumenten zwängen, ihre Fabrikate höher zu bezahlen, würde ihnen -nichts nützen -- da sofort der Zufluß von Arbeitskraft ihren Gewinn -wieder auf sein Durchschnittsniveau herabbrächte -- dagegen würde ihnen -allerdings schaden, daß sie allen andern Produzenten das Produzieren -erschwert hätten, denn dadurch würde eben jenes Durchschnittsniveau der -Gewinne, über welches sich ihr eigener niemals dauernd erheben kann, -herabgedrückt worden sein. Und genau das nämliche gilt für alle unsere -Interessenkreise. Dadurch, daß jeder derselben Jedem zugänglich ist, und -daß Niemand das Recht und die Macht hat, einen irgendwo erwachsenden -Vorteil für sich allein zu beanspruchen, sind wir in der glücklichen -Lage, in allen Interessenfragen Jenen die Entscheidung anzuvertrauen, -welche die _zunächst_ Interessierten, also die Sachkundigsten sind. -Dadurch aber gestalten sich Gesetzgebung und Verwaltung nicht bloß -sachkundig im höchsten Grade, es verschwindet auch aus dem öffentlichen -Leben jene leidenschaftliche Voreingenommenheit, die da draußen das -charakteristische Merkmal des Parteigetriebes ist. Da überall -wohlverstandenes gemeinsames Interesse und Vernunft entscheiden, so -haben wir niemals Grund, uns zu erhitzen. Bei unseren Wahlen handelt es -sich gar nicht darum, »einen Gesinnungsgenossen durchzubringen«, sondern -höchstens um Meinungsverschiedenheiten darüber, welcher der Kandidaten -wohl der Erfahrenste, Klügste sein möge. Und da die Fähigkeiten eines -Jeden unter uns wegen der Organisation unserer gesamten Arbeit auf die -Dauer unmöglich verborgen bleiben können, so sind Irrtümer in diesem, -für unser öffentliches Leben allein maßgebenden Punkte kaum möglich. - -Da die Konstituante die Zwölfteilung der Verwaltung beibehalten hatte, -so gab es von da ab in Freiland neben den zwölf verschiedenen -Exekutivbehörden -- die in ihrem Wirkungskreise etwa mit den -abendländischen Ministerien in Parallele zu stellen wären -- zwölf -verschiedene beratende, beschließende und überwachende, aus der -allgemeinen Wahl hervorgegangene Versammlungen an Stelle der -einheitlichen abendländischen Parlamente. Diese zwölf Versammlungen -wurden sämtlich von der Gesamtheit aller Wähler gewählt, es hatte zum -Mindesten jeder Wähler das Recht, bei allen Wahlen seine -gleichgewichtige Stimme abzugeben; aber die Einteilung der Wahlkörper -war verschieden, und die Wahlen fanden für jeden der zwölf -Vertretungskörper gesondert statt; ein Teil derselben, nämlich die für -die Geschäfte des Verwaltungspräsidiums und der Finanzen, für -Versorgungswesen, Unterricht, Kunst und Wissenschaft, Sanitätswesen und -Justiz, fand nach Wohnbezirken, die Wahlen in die anderen -Vertretungskörper fanden nach Berufskategorien statt. Zu letzterem -Zwecke waren die sämtlichen Einwohner Freilands je nach ihren -Berufsgeschäften in zahlreiche größere oder geringere Wahlkörper -geteilt, deren jeder, je nach der Zahl seiner Angehörigen einen oder -mehrere Abgeordnete wählte; von ganz kleinen Berufsklassen waren je -einige möglichst gleichartige zu je einem Wahlkörper zusammengelegt; die -Zugehörigkeit zu den verschiedenen Wahlkörpern hing vom Belieben jedes -Wählers ab, d. h. es konnte sich Jedermann -- und ebenso -selbstverständlich auch jede Frau -- in eine ihm oder ihr genehme -Berufsklasse eintragen lassen, und übte dann in dieser das Wahlrecht für -die von diesen Klassen gewählten Vertretungskörper aus. - -Die obersten Beamten der zwölf Verwaltungszweige wurden sodann je von -den zwölf Vertretungskörpern ernannt; die Ernennung der anderen Beamten -war Sache der Verwaltungschefs. In allen wichtigeren Fällen hatten diese -alle den Vertretungskörpern vorzulegenden Maßnahmen vorher gemeinsam -untereinander zu beraten. - -Die Beratungen der verschiedenen Vertretungskörper fanden in der Regel -gesondert und meist auch in verschiedenen Sessionsperioden statt; -einzelne derselben waren in Permanenz, andere traten bloß einigemal im -Jahr für wenige Tage zusammen; auch die Mitgliederzahl dieser -Fachparlamente war verschieden; das schwächste derselben, das für -Statistik, bestand bloß aus 30 Mitgliedern, die vier zahlreichsten -zählten je 120 Mitglieder. Wenn Angelegenheiten, die mehrere -Vertretungskörper gemeinsam interessierten, zur Sprache kamen, so traten -die betreffenden Körperschaften zu gemeinsamen Sitzungen zusammen. -Kompetenzstreitigkeiten waren unmöglich, da der bloße von Seiten welches -Vertretungskörpers immer ausgesprochene Wunsch, an den Beratungen irgend -eines anderen Teil zu nehmen, dazu genügte, um die betreffende -Angelegenheit zu einer gemeinsamen zu machen. - -Das naturgemäße Ergebnis dieser Organisation war, daß jeder Bewohner -Freilands bloß an jenen öffentlichen Angelegenheiten teilnahm, von denen -er etwas verstand oder doch zu verstehen glaubte, und daß er in jedem -Verwaltungszweige jenem Kandidaten seine Stimme gab, der seiner Meinung -nach der berufenste und befähigteste gerade für den fraglichen -Verwaltungszweig war, was wieder zu naturgemäßen -- abendländischem -Begriffe nach allerdings schier unglaublichen -- Folge hatte, daß jeder -öffentliche Verwaltungszweig von den sachverständigsten und berufensten -Männern in ganz Freiland verwaltet wurde. Und dabei entwickelte sich -sehr bald eine höchst eigentümliche Art politischer Ehre, die -gleichfalls sehr verschieden war von der überall anderwärts geltenden. -Gilt es da draußen für »gesinnungstüchtig,« der einmal erwählten Partei -unterschiedlos durch Dick und Dünn zu folgen, ihr seine Stimme und -seinen Einfluß zu leihen, gleichviel ob man von der Sache, um die es -sich gerade handelt, etwas versteht oder nicht, so verlangt die -politische Ehre eines Bürgers von Freiland zwar noch viel entschiedener, -daß er seine Aufmerksamkeit und seinen Eifer den öffentlichen -Angelegenheiten widme; die öffentliche Meinung verübelt es ihm aber -höchlich, wenn er -- gleichviel aus welchen Rücksichten -- sich in -solche Angelegenheiten mengt, von denen er offenbar nichts versteht, so -daß streng genommen schon vom Wähler verlangt wird, daß er in jenen -Verwaltungszweigen, bei denen er das Gewicht seiner Stimme geltend -macht, einigermaßen Fachmann sei. Die Wahlen befinden sich daher -durchweg in sehr guter Hand, Beeinflussung der Wählerschaften durch -phantastische Vorspiegelungen oder Versprechungen wären, selbst wenn -versucht, niemals von Erfolg. Es giebt keinen Wähler, der für sämtliche -zwölf Vertretungskörper wählen würde; speziell die Frauen halten sich -mit verschwindenden Ausnahmen fern von allen Wahlen, die nach -Berufsklassen vorgenommen wurden; dagegen beteiligen sie sich sehr -lebhaft an den nach Wohnbezirken stattfindenden; speciell bei denen für -Unterrichtswesen geben ihre Stimmen den Ausschlag. Auch ihr passives -Wahlrecht kommt zur Geltung und in den Vertretungskörpern für -Versorgungswesen, Kunst und Wissenschaft, Sanitätswesen und Justiz -sitzen häufig, in dem für Unterricht stets mehrere Frauen. An der -Exekutive beteiligen sie sich niemals. Der Vollständigkeit halber mag -noch erwähnt werden, daß die gewählten Abgeordneten für ihre Thätigkeit -bezahlt werden und zwar erhalten sie für jeden Tag der Sessionsdauer je -acht Stundenäquivalente. - -Nachdem die Verfassung von der Konstituante angenommen worden war, löste -sich diese auf und es wurden sofort die Wahlen für die zwölf -Vertretungskörper vorgenommen. Pünktlich am 20. Oktober traten diese -zusammen und der Ausschuß legte in deren Hände seine Gewalten nieder. -Die alten Ausschußmitglieder wurden jedoch als Chefs der verschiedenen -Verwaltungszweige wiedergewählt, mit Ausnahme von Vieren, welche -erklärten, kein öffentliches Amt mehr anzunehmen und an deren Stelle -neue Männer traten. Die Regierung von Freiland war endgiltig -konstituiert. - -Inzwischen waren die drei zur Feststellung der geeignetsten Trace für -eine Eisenbahn an die Küste entsendeten Expeditionen zurückgekehrt. Die -eine derselben, die auf der kürzesten Route, im Danathale an die -Wituküste, operiert hatte, war zwar auf keine ungewöhnlichen -Terrainschwierigkeiten gestoßen und die Voraussicht, daß diese weitaus -kürzeste Strecke sich als die technisch empfehlenswerteste erweisen -werde, hatte sich bewährt; auch im übrigen hatte sich bis zu einer -Entfernung von 200 Kilometern vom Kenia keinerlei ernstliche -Schwierigkeit ergeben; aber von da ab bis an die Küste setzten die jenes -Gebiet bewohnenden Gallastämme der Expedition einen so hartnäckigen und -bösartigen Widerstand entgegen, daß die Feindseligkeiten zwei Monate -lang kein Ende nahmen, zahlreiche Gefechte bestanden werden mußten, in -denen sich die Gallas zwar stets schwere Züchtigungen holten, die aber -doch nicht bewirken konnten, daß die Expedition anders, als in stetem -Kriegszustande ihre doch durchaus friedliche Mission zu erfüllen -vermochte. Der Eisenbahnbau durch jenes Gebiet hätte durch einen -förmlichen Feldzug zur Pacifizierung oder Vertreibung der Galla -eingeleitet werden müssen und wäre auch dann nur unter dauernder -Kriegsbereitschaft zu vollenden gewesen. Diese Linie mußte also -- -vorläufig zum mindesten -- fallen gelassen werden. - -Nicht minder gewichtige Gründe sprachen gegen die Linie über Ukumbani -längs des Athiflusses. Die Trace durch das Flußthal wäre zwar ohne -sonderliche technische Schwierigkeiten gewesen, aber sie durchzog, -insbesondere in der zweiten Hälfte, ungesundes Sumpf- und Dschungelland, -welches in nächster Zukunft nicht kulturfähig zu machen war. Entschied -man sich dagegen für eine, das eigentliche Flußthal verlassende, die -begleitenden Höhenzüge durchquerende Nebenvariante, so waren die -technischen Verhältnisse nicht günstiger und die voraussichtlichen -Baukosten nicht geringer, als bei der dritten Linie, der längs unserer -alten Straße nach Mombas nämlich, die denn auch einhellig gewählt wurde. -Zu ihren Gunsten sprach der gewichtige Umstand, daß sie befreundete -Gebiete durchzog, die in nicht zu ferner Zukunft höchst wahrscheinlich -von freiländischen Kolonisten zum Wohnplatze erkoren werden durften; daß -sie die längste und kostspieligste von allen war, konnte daher, wenn der -Kostenunterschied nicht allzusehr in die Wagschale fiel -- was, wie sich -zeigte, thatsächlich nicht der Fall war -- nicht abhalten, ihr den -Vorzug zu geben. - -Der Bau wurde unverzüglich begonnen. Mächtige, neuartige Maschinen aller -Art waren inzwischen in großer Zahl durch unsere freiländischen -Maschinenfabriken konstruiert worden, und mit diesen ausgerüstet, -griffen 5000 freiländische und 8000 Negerarbeiter das Werk an 18 Punkten -zugleich an, wobei die 11 größeren und 32 kleineren Tunnels in einer -Gesamtlänge von 38 Kilometern, die auf der Strecke vorkamen, und die -jeder für sich ein eigenes Bauobjekt bildeten, gar nicht mitgezählt -sind. Die Schienen -- bestes Bessemermaterial -- lieferten teils unsere -eigenen Fabriken, teils -- und zwar für die Strecke Mombas-Taweta -- -kamen sie aus Europa. Zwei Jahre nach Beginn des ersten Spatenstiches -wurde die Teilstrecke Edenthal-Ngongo, drei Monate später die Strecke -Mombas-Taweta und abermals ¾ Jahre später das Mittelstück Ngongo-Taweta -dem Verkehr übergeben, so daß genau fünf Jahre, nachdem unsere Pioniere -zum erstenmale den Boden von Freiland betreten hatten, die erste -Lokomotive, die den Tag zuvor noch die Brandung des indischen Oceans an -die Ufer von Mombas schlagen gesehen, die Gletscher des Kenia mit -gellendem Pfiff begrüßte. - -Daß dieses gewaltige Werk in so kurzer Frist und mit verhältnismäßig so -geringem Arbeitsaufwande vollendet werden konnte, verdankten wir unseren -Maschinen, auf deren Rechnung es auch zu stellen ist, daß der -Kostenaufwand sich innerhalb verhältnismäßig billiger Grenzen hielt, -trotzdem wir unseren Arbeitern -- selbstverständlich -- Löhne zahlen -mußten, wie sie wohl noch bei keinem Eisenbahnbaue jemals vorgekommen. -Unsere freiländischen Eisenbahnbauer -- sie hatten sich natürlich sofort -zu einer Anzahl von Associationen zusammengethan -- bezogen im ersten -Baujahre einen Tagesverdienst von je 22 Sh., im dritten einen solchen -von 28 Sh. -- und arbeiteten dabei bloß je 7 Stunden täglich. Trotzdem -kosteten die gesamten 1082 Kilometer, meist ziemlich schwieriger -Gebirgsbahn, bloß 9½ Millionen Pfd. Sterling, d. i. nicht ganz 9000 Pfd. -Sterling per Kilometer. Unsere 13000 Arbeiter leisteten eben mit ihren -großartigen kraftersparenden Maschinen mehr, als 100000 gewöhnliche -Arbeiter mit Haue, Krampe und Karren auszurichten vermocht hätten: und -die Verwendung dieses kolossalen, mehr als 4 Millionen Pfd. Sterling -verschlingenden »Kapitals« war »rentabel,« gerade weil die Arbeit so -hohen Lohn empfing. - -Daß zugleich mit dieser -- zweigeleisigen -- Eisenbahn auch ein -Telegraph zwischen Edenthal und Mombas gelegt wurde, ist -selbstverständlich. - -Während aber diese Arbeiten im Zuge waren, und die unaufhaltsam -anwachsende Bevölkerung von Freiland in engere Berührung mit der alten -Heimat trat, hatten sich in den Beziehungen zu unseren eingeborenen -afrikanischen Nachbarn wichtige Veränderungen vollzogen, teils -friedlicher, teils kriegerischer Natur, die von nicht minder bedeutsamem -Einflusse auf den Entwickelungsgang unseres Gemeinwesens waren. - -Zunächst hatten die Massai von Leikipia und aus dem Seengebiete zwischen -Naiwascha und Baringo aus eigener Initiative und auf eigene Kosten, wenn -auch unter Anleitung von ihnen erbetener freiländischer Ingenieure, eine -gute, 380 Kilometer lange Fahrstraße durch ihr ganzes Gebiet vom -Naiwaschasee erst nördlich und dann östlich durch Leikipia bis nach -Edenthal gebaut. Sie erklärten, es gehe wider ihre Ehre und ihren Stolz, -daß sie durch fremdes Gebiet von uns getrennt seien und wenn sie uns -oder wir sie besuchen wollten, der einzige praktikable Weg über das Land -der Wakikuja genommen werden müsse. So groß war der eifersüchtige Wunsch -nach unmittelbarem Anschlusse an unser Gebiet, daß die Massai, als sie -ein Teil der angeworbenen Wataweta-Straßenarbeiter irgend einer -Mißhelligkeit halber während der besten Bauzeit plötzlich im Stiche -ließ, selber zugriffen und abwechselnd in der Zahl von 3000 das Werk mit -einer Energie förderten, die Niemand bei diesem noch vor kurzem so -arbeitsscheuen Volke für möglich gehalten hätte. Wir beschlossen denn -auch, diesen Beweis ungewöhnlicher Anhänglichkeit und Tüchtigkeit durch -einen ebenso hervorragenden Akt der Anerkennung zu belohnen. Als die -Massaistraße fertig war und eine aus den Ältesten und Führern aller -Stämme bestehende Massaideputation auf derselben freude- und -triumphstrahlend ihren Einzug in Edenthal hielt, wurde dieselbe mit -großen Ehren empfangen, und mit Geschenken für das ganze Massaivolk -bedacht, die dem Bauwerte der neuen Straße ungefähr gleichkamen. - -Die damit bewerkstelligte innigere Verbindung mit den nördlichen und -westlichen Massaistämmen brachte uns bald darauf in Berührung mit den am -Ostufer des Ukerewe-Sees wohnenden Kawirondo. Diese, ein sehr -zahlreicher und friedlich von Ackerbau und Viehzucht lebender -Volksstamm, grenzten im Norden ihres Gebietes an Uganda, wo in den -letzten Jahren mannigfache innere Kämpfe und Umwälzungen vor sich -gegangen waren. Unähnlich den anderen Völkern, die wir bis dahin kennen -gelernt und die sämtlich in unabhängigen, nur lose verbundenen kleinen -Stämmen, meist unter freigewählten Häuptlingen mit geringem Einflusse -lebten, waren die Wangwana (der Name für die Bewohner von Uganda) schon -seit Jahrhunderten zu einem größeren, despotisch regierten Staate unter -einem Kabaka oder Kaiser vereinigt. Ihr Reich, dessen Stammland sich -längs des Nordufers des Ukerewe erstreckt, war von wechselndem Umfange, -je nachdem die wilde Eroberungspolitik des jeweiligen Kabaka den -umliegenden Völkerschaften gegenüber von größerem oder geringerem -Erfolge begleitet war; stets aber blieb Uganda eine Geißel für alle -Nachbarn, die unter den unaufhörlichen Beutezügen, Erpressungen und -Grausamkeiten der Wangwana litten. Weite, fruchtbare Landstriche -verödeten unter dieser Plage, und als vollends seit einer Reihe von -Jahren der Kabaka es verstanden hatte, sich durch Vermittelung -arabischer Händler in den Besitz einiger tausend -- wenn auch recht -miserabler -- Gewehre und einiger Geschütze zu setzen, mit welch -Letzteren er mangels geeigneter Munition allerdings wenig auszurichten -vermochte, wuchs der Schrecken vor dem grausamen Raubstaate in riesigen -Dimensionen. Gerade in die Zeit unserer Ankunft am Kenia war eine Epoche -vorübergehender Ruhe gefallen, weil die Wangwana, durch innere -Streitigkeiten allzusehr beschäftigt, ihren Nachbarn geringere -Aufmerksamkeit schenken konnten. Nach des letzten Kabaka Tod machten -sich dessen zahlreiche Söhne die Herrschaft in Kriegen streitig, die, -mit bestialischer Wut geführt, das Land schrecklich verheerten, bis -endlich einer der Prätendenten, der den Namen des durch seine unerhörte -Grausamkeit wie durch sein Kriegsglück berühmten großen Ahnen Suna -führte, sich im Vorjahre durch Verräterei der Mehrzahl seiner Brüder -entledigte. Von da ab konzentrierte sich die Macht mehr und mehr in -dieses Kabaka Händen und sofort begannen auch die Überfälle und -Brandschatzungen der benachbarten Stämme. Insbesondere richtete sich -Sunas Zorn gegen die Kawirondo, weil diese einen seiner Brüder, der zu -ihnen geflüchtet, ihm nicht ausgeliefert, sondern hatten entwischen -lassen. Wiederholt waren einige tausend Wangwana in Kawirondo -eingefallen, hatten Menschen und Vieh geraubt, die Dörfer angezündet, -die Bananen umgehauen, die Ernten verwüstet und sich dabei unmenschliche -Grausamkeit zu schulden kommen lassen. Die Kawirondo wandten sich in -ihrer Not an die nördlichen Massaistämme um Hülfe. Es war die Kunde zu -ihnen gedrungen, daß wir den Massai Gewehre und Pferde geschenkt hätten, -und sie baten nun diese, ihnen eine Schar europäisch ausgerüsteter -Krieger zur Bewachung ihrer Grenze gegen Uganda zu senden; als Lohn -versprachen sie jedem ihnen zu Hülfe ziehenden Massaikrieger neben -vollständiger reichlicher Verpflegung einen Ochsen monatlich, den -Reitern zwei. - -Weniger dieses Lohnes halber, als um ihrer Abenteuerlust zu genügen, -sagten die Massai zu. 2500 El-Moran machten sich nach Kawirondo auf und -bezogen dort -- es war das im März des vierten Jahres von Freiland, an -der Grenze gegen Uganda eine Reihe von Kantonnements. - -Anfangs ging auch alles vortrefflich; die Wangwanaräuber wurden, wo sie -sich zeigten, mit blutigen Köpfen heimgeschickt, auch wenn sie mit -bedeutender Übermacht auftraten und es schien nach einigen Monaten fast, -als ob man in Uganda, durch die empfangenen herben Lektionen gewitzigt, -Kawirondo künftighin in Frieden zu lassen gedenke, denn es verlautete -geraume Zeit nichts mehr von neuen Einfällen. Da plötzlich, wir waren in -Freiland eben mit Einbringung der Oktoberernte beschäftigt, traf uns die -erschütternde Kunde von einer schrecklichen Katastrophe, die über unsere -Massaifreunde in Kawirondo hereingebrochen. Der Kabaka Suna hatte nur -Ruhe gehalten, um zu einem größeren, vernichtenden Schlage auszuholen. -Während die bisherigen Einfälle nach Kawirondo immer nur mit wenigen -tausend Mann versucht worden waren, vereinigte er diesmal 30000 Mann, -darunter 5000 Flintenträger, und überfiel mit diesen persönlich die -ahnungslosen Kawirondo und Massai. Es gelang ihm, die 900 Mann mit 300 -Pferden zählende Massaibesatzung eines Grenzlagers beinahe im Schlafe zu -überfallen und bevor sie sich noch zu ernstem Widerstande zu sammeln -vermochte, niederzumetzeln. Dadurch waren die Massai nicht bloß um mehr -als ein Drittel ihrer Stärke reduziert, sondern außerdem in zwei -zusammenhanglose Teile getrennt, denn das überfallene Lager lag gerade -im Centrum ihres Grenzkordons. Statt nun aber schleunigst den Rückzug -anzutreten und bestenfalls erst nach vollzogener Vereinigung ihrer -getrennten Streitkräfte die Offensive zu ergreifen, ließ sich einer der -Massaiführer, kaum daß er 500 Mann zusammengerafft hatte, in der Wut -über den Untergang so vieler seiner Kameraden zu einem tollkühnen -Angriffe auf die ungeheuere Überzahl der Feinde verleiten, fiel dabei in -einen Hinterhalt und wurde, nachdem er seine Patronen nur zu rasch -verschossen hatte, mitsamt den Seinen, von denen nur wenige Mann -entkamen, nach heldenmütigem Widerstande gleichfalls niedergemetzelt. -Nur 1100-1200 Massai vermochte unser nunmehr das Oberkommando -übernehmende Freund Mdango auf dem andern Flügel zu vereinen und mit -diesen gelang es ihm auch, einen ziemlich geordneten Rückzug ins Innere -von Kawirondo anzutreten, wenig verfolgt von Suna, dessen Hauptaugenmerk -auf die Bergung der kolossalen Beute gerichtet war. - -Noch am nämlichen Tage, an welchem uns Massai- und Kawirondo-Eilboten -diese Trauerkunde überbrachten, ging unser Ultimatum an Suna ab. Den -Massai, die sich erboten hatten, ihre gesamten Krieger gegen Uganda zu -senden, ließen wir sagen, 1000 Mann zu den noch in Kawirondo stehenden -1200 seien mehr als genug; diese 2200 Massai stellten wir unter -freiländische Offiziere, nahmen aus unserer Mitte 900 Freiwillige, -darunter 500 Reiter, dazu 12 Geschütze und 16 Raketen nebst 30 -Elefanten, und schon am 24. Oktober brach Johnston, der Führer dieses -Kriegszuges, unter Benutzung der Massaistraße nach Kawirondo auf. - -Dort traf er rings um das -- jetzt, wo es zu spät war, sehr vorsichtig -verschanzte und bewachte -- Lager der El-Moran ungezählte Tausende mit -Speer und Bogen bewaffneter Kawirondo und Nangi, die er aber allesamt -als unnützen Troß heimschickte. Am 10. November überschritt er die -Ugandagrenze, sechs Tage später wurde Suna in einem kurzen Gefecht in -der Nähe der Riponfälle total auf's Haupt geschlagen, sein 110000 Mann -zählendes Heer in alle Winde zerstreut und er selbst nebst einigen -tausend Mann seiner von Küstenarabern geführten, mit Flinten bewaffneten -Leibgarde gefangen genommen. - -Schon am zweiten Tage nach der Schlacht besetzten die Unseren Rubaga, -die Hauptstadt von Uganda. Dort stellten sich in rascher Folge die -sämtlichen Häuptlinge des Landes ein, bedingungslose Unterwerfung -gelobend und bereit, jede ihnen auferlegte Forderung zu erfüllen. -Johnston aber bot ihnen an, sie in den großen Bund all der bisher mit -uns in Berührung getretenen eingeborenen Völker aufzunehmen, worauf die -Wangwana selbstverständlich mit größter Freude eingingen. Die ihnen -auferlegten Bedingungen waren: Freigebung aller Sklaven, friedliche -Aufnahme freiländischer Kolonisten und Instruktoren und Ersatz alles den -Kawirondo und Massai zugefügten Schadens. In letzterer Beziehung war -übrigens das Wangwanavolk gar nicht in Mitleidenschaft gezogen, denn die -unermeßlichen Rinderherden ihres Kabaka, die uns als gute Beute in die -Hände gefallen waren, genügten reichlich zu vollem Ersatz des in -Kawirondo gemachten Raubes und als Buße für die getöteten Kawirondo- und -Massaikrieger. Suna selber wurde als Gefangener abgeführt und am -Naiwaschasee interniert. - -Der fernere Verlauf der Ereignisse war dann ein friedlicher, nur von -einem vereinzelten Empörungsversuche im Lande verbliebener Araber -unterbrochener, welchen Versuch aber die Wangwana selber energisch und -prompt unterdrückten, ohne daß unsere Intervention notwendig gewesen -wäre. Allerdings trug eine gute Heerstraße, welche die Kawirondo und -Nangi vom Ukerewe bis zum Anschlusse an die Massaistraße am Baringosee -ausbauten, und eine an der Grenze zwischen Kawirondo und Uganda -angesiedelte Massaikolonie von 3000 El-Moran einigermaßen dazu bei, die -Wangwana in gehörigem Respekt zu erhalten. Doch genügte der Hauptsache -nach seit der Schlacht an den Riponfällen der bloße Klang unseres -Namens, uns auch in diesem Teile des äquatorialen Innerafrika Ruhe und -Frieden zu gewährleisten. Rings um den Ukerewe, dessen Ufer seit -unvordenklicher Zeit der Schauplatz grimmigen, erbarmungslosen Krieges -Aller gegen Alle gewesen, stellten sich allmählich Gesittung und -Menschlichkeit ein, und verhältnismäßig rasch entwickelte sich in deren -Gefolge, selbst unter den bis dahin wildesten der umwohnenden Stämme, -nicht unerheblicher Wohlstand. - -Der Ukerewe ist, auch abgesehen von seiner Größe, unter den Riesenseen -des centralen Afrika der bedeutsamste. Sein Spiegel deckt eine Fläche -von circa 50000 Quadratkilometern, er ist also, außer dem Kaspisee, dem -Aralsee und der großen nordamerikanischen Seegruppe, das größte -Binnenwasser der Erde. Diese ganze das Königreich Bayern an Umfang -übertreffende Wassermasse, deren Tiefe in gutem Verhältnisse zu ihrer -Flächenausdehnung steht, denn das Senkblei erreicht stellenweise erst -bei 480 Metern den Grund, befindet sich in einer Höhe von 1350 Metern -über dem Meeresniveau, d. i. 200 Meter über dem Gipfel des Brocken, des -höchsten der Berge Mitteldeutschlands. Umrahmt aber wird dieser Hochsee -meist von Gebirgszügen, die sich noch 500-1500 Meter über seinen Spiegel -erheben, so daß das Klima seiner -- ausnahmslos gesunden, von Sümpfen -freien -- Uferlandschaften überall gemildert, stellenweise geradezu -arkadisch ist. Und dieser gewaltige, malerische, an vielen Stellen -hochromantische See ist das Quellenbassin des heiligen Nil, der, ihn am -äußersten Nordende über die Riponfälle verlassend, von hier aus dem 450 -Meter tiefer gelegenen Albert Njanza zuströmt und von dort aus als -weißer Nil seinen Lauf fortsetzt. - -Schon zwei Monate nachdem wir uns in Kawirondo und Uganda festgesetzt, -durchfurchte ein Schraubendampfer von 500 Tonnen die meeresgleichen -Wogen des Ukerewe und vor Schluß des nächsten Jahres bestand unsere -Seeflotille aus 5 Schiffen. Dieselben wurden überall an der Küste -freundlich aufgenommen und der von ihnen entfachte lebhafte Handel -erwies sich als eines der kräftigsten Beförderungsmittel rasch -zunehmender Civilisation. Die Fruchtbarkeit der Uferlandschaften dieses -herrlichen Sees ist geradezu grenzenlos; wenige hundert Quadratmeter gut -bewässerten Bodens genügen, um alle Bedürfnisse einer noch so -zahlreichen Familie zu decken, und als wir die Eingebornen erst einmal -mit brauchbaren Geräten der Bodenkultur bekannt und vertraut gemacht -hatten, war der überall erzeugte Überfluß der erlesensten Garten- und -Feldfrüchte beispiellos. Merkwürdigerweise blieb das Wachstum der -Bedürfnisse, insbesondere unter den am Westufer des Sees wohnenden -Volksstämmen, lange Zeit hinter der Verbesserung der Produktionsmittel -erheblich zurück. Diese einfachen Völkchen erzeugten beinahe ohne -Arbeitsaufwand, oft aus bloßer Neugierde nach der Wirksamkeit der zu -ihnen gebrachten verbesserten Werkzeuge, wesentlich mehr als sie -gebrauchten und da sie den Begriff des Grundeigentums nicht kannten, der -unverwendbare Überfluß also bei ihnen nicht wie sonst unfraglich -geschehen wäre, Massenelend erzeugen konnte, so wurde hier Jahre -hindurch das Märchen vom Schlaraffenlande zur Wahrheit. Der -Eigentumsbegriff verlor beinahe seinen ganzen Inhalt, Lebensmittel -wurden wertlos, jedermann konnte sich davon nehmen so viel er mochte; -durchreisende Fremde fanden überall gedeckten Tisch, kurzum, das goldene -Zeitalter schien seinen Einzug am Ukerewe halten zu wollen. Indessen -erwies sich diese gänzliche Bedürfnislosigkeit ebenso auch als Hindernis -vermehrten Fortschritts und wir gaben uns daher -- wenn auch nicht ganz -ohne Bedauern -- ernstliche Mühe, diesen paradiesischen Zustand insofern -zu stören, als wir den Leutchen Geschmack an vermehrten Bedürfnissen -beizubringen suchten, was langsam zwar, aber schließlich doch gelang. -Erst zugleich mit diesen schlugen dann höhere Gesittung und geistige -Kultur in jenem Erdenwinkel tiefere Wurzeln. - - - - - 12. Kapitel. - - -Eine der Hauptaufgaben der freiländischen Verwaltung, zu deren -Durchführung in der Regel die Ministerien für Kunst und Wissenschaft und -für öffentliche Arbeiten einander die Hände reichten, war die gründliche -Erforschung unserer neuen Heimat und zwar zunächst des engeren -Keniagebietes, dann aber weiter ausgreifend auch aller benachbarten -Landschaften, mit denen wir successive in stets engere Berührung traten. -Das oro- und hydrographische System des ganzen Landes wurde -festgestellt, Bodenbeschaffenheit und Klima genau untersucht und dabei -sowohl der höhere wissenschaftliche, als der prosaische -Nützlichkeitsstandpunkt gleichmäßig vor Augen gehalten. Ersteren -anlangend kam zunächst eine genaue, wenn auch noch nicht alle Details -umfassende Terrainkarte des ganzen Massai- und Kikujalandes zu stande; -alle hervorragenden Berghöhen wurden genau vermessen und -- der -Keniagipfel nicht ausgenommen -- erstiegen. - -Der Ausblick vom Kenia ist großartig über alle Maßen, bietet aber -- -abgesehen vom Kenia und seinem Gletscher selber -- wenig Abwechslung. -Rings im Umkreise, so weit der Blick reichen mag, dehnt sich -fruchtbarstes, üppigstes Land, durchzogen von zahllosen Flußläufen, die -jedoch nirgend, mit Ausnahme einer etwa 5000 Quadratkilometer großen -Bodenmulde im Nordwesten, zur Versumpfung des Bodens führen. Der -hervorstechende Charakter des ganzen Gebietes ist der eines in -zahlreichen Terrassen abfallenden, von mäßigen Bergrücken durchbrochenen -Tafellandes. Erst von der obersten Terrasse ab beginnen die eigentlichen -Vorberge des Kenia, die rings um das aus einem Gusse steil und -unvermittelt aufsteigende eigentliche Keniamassiv einen Gebirgsgürtel -von verschiedener Breiten- und Höhenentwickelung schließen. Dieses -Massiv trägt in einer Höhe von 5000 bis 5500 Metern eine Reihe riesiger -Gletscherfelder, aus deren Mitte dann steil der Gipfel des Berges -emporsteigt, in einiger Entfernung flankiert von einem noch steileren, -kleinen Horne. - -Durchaus verschiedenen Charakter zeigt die zweitwichtigste der zum -Gebiete von Freiland gehörigen Gebirgsbildungen, nämlich die 70 -Kilometer westlich vom Kenia in einer Längenausdehnung von reichlich 100 -Kilometern und in einer Breite von durchschnittlich 20 Kilometern von -Norden nach Süden streichende Aberdarebergkette. Die höchsten Gipfel -dieses Gebirgszuges erreichen 4500 Meter Seehöhe, und während der Kenia -überall das Gepräge des Großartigen zeigt, ist bestrickende Lieblichkeit -der hervorstechende Charakterzug der Aberdarelandschaften. Zwar fehlt es -auch hier nicht an Bergkolossen von überwältigendem Eindrucke, aber das -Charakteristische sind die in reizvollster Abwechslung sich -aneinanderschließenden romantischen, sanftgeschwungenen Berge und weiten -Thäler, teils von üppigen, aber durchschnittlich nicht allzu dichten -Wäldern, teils von smaragdenen, blumigen Wiesen bestanden, überall -bespült von zahllosen kristallklaren Bächen und Flüssen, Seen und -Teichen. Einem einzigen, herrlichen Parke gleicht dieses 2000 -Quadratkilometer bedeckende Gebirgsland, von dessen Höhen aus gen Osten -überall das überwältigende Schneemeer des Kenia, gen Westen die Smaragd- -und Saphirflächen der großen Massaiseen -- Naiwascha, Elmeteita und -Nakuro -- sichtbar sind. Und diese wunderliebliche Landschaft, die in -sich alle Reize der Schweiz und Indiens vereinigt, birgt zugleich im -Schoße ihrer Berge überschwengliche mineralische Schätze. Hier und nicht -am Kenia, das hatten unsere Geologen bald festgestellt, war der -zukünftige Sitz der freiländischen Industrie, insbesondere der -metallurgischen. Kohlenlager, die an Mächtigkeit und Güte den besten -englischen mindestens ebenbürtig sind, Magneteisenstein mit einem -Eisengehalte von 50 bis 70 Prozent, Kupfer, Blei, Wismut, Antimon, -Schwefel in reichen Gängen, an der Westabdachung, gerade oberhalb des -Salzsees von Nakuro, ein großes Steinsalzlager, und noch eine Menge -anderer Schätze wurden in rascher Reihenfolge entdeckt und die -bestgelegenen sofort in Ausbeutung genommen. Insbesondere die -neueröffneten Kupferminen fanden unmittelbar bei Anlage des Telegraphen -an die Küste umfassende Verwendung, die jedoch an Ausdehnung von -derjenigen zu Zwecken elektrischer Kraftleitungen alsbald übertroffen -wurde. - -Denn am Kenia hatte sich inzwischen mancherlei verändert. Die -Bevölkerung von Freiland war, da der Zuzug unaufhaltsam sich steigerte, -schon gegen Schluß des vierten Jahres auf 780000 Seelen gestiegen. Ein -großer Teil des Edenthals war zu einer einzigen, 102 Quadratkilometer -bedeckenden und 58000 Wohnhäuser zählenden Villenstadt geworden, deren -270000 Einwohner dem Gartenbau, industriellen Gewerben oder geistiger -Beschäftigung oblagen. Aber auch die auf 140000 Seelen angewachsene -Bevölkerung des Danaplateaus betrieb neben der Kultur des dort noch -verfügbaren Ackerlandes zum weitaus überwiegenden Teil gleichfalls -verschiedenartige Industrieen, während die Landwirtschaft der Hauptsache -nach hinabgerückt war in die jenseits der umgrenzenden Waldzone um 200 -Meter tiefer gelegene Hochebene, die -- mit mannigfaltigen -Unterbrechungen allerdings -- rings um den ganzen Gebirgsstock sich -erstreckend, auf ihrem 8000 Quadratkilometer umfassenden fruchtbaren -Boden bis auf weiteres genügenden Raum zur Ausdehnung bot. - -Hier wurden zunächst 96000 Hektaren (960 Quadratkilometer) unter den -Pflug genommen, nachdem sie zuvor -- gleich allem Kulturboden in ganz -Freiland -- durch einen tüchtigen Balkenzaun gegen die Besuche lästigen -Wildes geschützt worden waren. Kleineres Wild, welches durch Einhegung -von den Saaten nicht fernzuhalten war, hielten die Hunde in Respekt, -die, in großer Menge gezüchtet, darauf dressiert waren, diese -Feldeinzäunungen und ebenso die Hürden des Viehs fleißig zu umkreisen. -Dieser Schutz erwies sich gegen alles den Saaten nachstellende Getier -als vollkommen ausreichend, die Affen etwa ausgenommen, unter die -zeitweise geschossen werden mußte, wenn sie sich auf ihren nächtlichen -Raubzügen durch noch so wütendes Gekläffe der vierbeinigen Wächter nicht -vollständig verscheuchen ließen. - -Zum Betriebe der in dieser Landwirtschaft in Gebrauch stehenden -Maschinen wurde zwar vorläufig noch Dampfkraft verwendet; es war aber -die Herstellung einer großartigen elektrischen Kraftanlage im Werke, die -künftighin die Dampfmotoren überflüssig machen sollte. Die Triebkraft -für die elektrischen Dynamos lieferte der Danafluß, der, verstärkt durch -zwei mächtige Gebirgsbäche, die sich unterhalb des großen Wasserfalls -mit ihm vereinen, am unteren Ende des Tafellandes, welches wir seiner -Bestimmung entsprechend, Kornland genannt hatten, in einer Reihe -gewaltiger Stromschnellen und Katarakte dem Tieflande zueilt. Und zwar -wurde zu Zwecken der Betriebe von Kornland nicht etwa der große -Wasserfall von 90 Meter Fallhöhe am Ausgange des Danaplateaus benutzt, -sondern eben jene Stromschnellen und kleineren, aber zahlreichen -Katarakte, von denen soeben die Rede gewesen. Diese ergeben insgesamt -eine Fallhöhe von 265 Metern, und da der Fluß hier bereits gewaltige -Wassermassen führt, so war durch entsprechende Kombination von Turbinen -und elektrischen Kraftmaschinen ein Gesamteffekt von 5 bis 600000 -Pferdekräften zu erzielen, weit mehr, als zur Bewirtschaftung des -gesamten Bodens von Kornland selbst bei intensivster Kultur erforderlich -sein konnte. Die für das nächste Jahr veranschlagten Kraftanlagen waren -auf 40,000 indizierte Pferdekräfte berechnet. Gut isolierte, starke -Kupferstränge sollten die von 20 riesigen Turbinen auf 200 -Dynamomaschinen erzeugten elektrischen Ströme in die Wirtschaftsgebäude -und über den zu bewirtschaftenden Boden leiten, wo die in diesen Strömen -abgelagerte Kraft alle landwirtschaftlichen Arbeiten -- vom Pflügen -angefangen bis zum Dreschen, Reinigen und Transportieren des Getreides --- zu vollbringen hatte. Denn auch ein Netz elektrischer Bahnen gehörte -mit zum Systeme dieser landwirtschaftlichen Anlage. - -Der große Danakatarakt aber mit seiner, auf 124000 indizierte -Pferdekräfte berechneten Wasserkraft diente zunächst elektrischen -Beleuchtungszwecken in Edenthal und in den am Danaplateau gelegenen -Städten. Einstweilen genügten zu öffentlichen Beleuchtungszwecken 5000, -auf 35 Meter hohen Masten angebrachte Kontaktlampen von je 2000 Kerzen -Lichtstärke, die insgesamt 12000 Pferdekräfte erforderten; zur -Beleuchtung der Wohnhäuser und einzelner, auch bei Nacht in Betrieb -stehender Fabriketablissements standen 420000 Glühlampen in Verwendung, -die 40000 Pferdekräfte beanspruchten, so daß insgesamt 52000 -Pferdekräfte von den elektrischen Kraftmaschinen am großen Katarakte -erzeugt werden mußten, die jedoch tagsüber auch zum Betriebe eines -Eisenbahnnetzes von insgesamt 340 Kilometer Ausdehnung Verwendung -fanden, welches die Hauptverkehrsadern und belebteren Straßenzüge im -Danaplateau und in Edenthal durchzog. Bloß abends und nachts, wenn die -Beleuchtung funktionierte, mußte der Eisenbahnbetrieb aus besonderen, -einige tausend Pferdekraft abgebenden Dynamos gespeist werden. Im ganzen -waren solcherart nahezu zwei Fünfteile der verfügbaren Gesamtkraft bis -zum Schlusse des fünften Jahres von Freiland zur Ausnutzung gelangt; die -noch erübrigenden drei Fünfteile blieben vorläufig noch unverwendet und -bildeten die Reserve für zukünftige Verwendungsarten der gleichen -Kraftquelle. - -Ebenfalls in das vierte und fünfte Jahr Freilands fiel der Ausbau eines -Kanalnetzes und mehrerer Wasserleitungen, für Edenthal sowohl als für -das Danaplateau. Ersteres diente bloß zur Abfuhr der Meteorwässer in den -Dana, während das Spülwasser und der Unrat durch ein System -pneumatischer Aufsaugung vermittelst mächtiger Saugwerke in gußeisernen -Röhren abgeleitet, dann desinfiziert und als Dünger verwertet wurden. -Die Wasserleitungen wurden unter Benutzung der besten Hochgebirgsquellen -mit einer Leistungsfähigkeit von vorläufig 1 Million Hektoliter täglich -angelegt und sowohl zur Speisung zahlreicher öffentlicher Brunnen, als -auch zur Einleitung in sämtliche Privathäuser benutzt. Durch -Einbeziehung neuer Quellen war die Ergiebigkeit dieser Leitung in kurzer -Frist zu verdoppeln und zu verdreifachen. Gleichzeitig waren alle -Straßen makadamisiert worden, so daß nach jeder Richtung für die -Reinlichkeit und Gesundheit der jungen Städte bestens vorgesorgt war. - -Die Unterrichtsverwaltung hatte inzwischen nicht minder gewaltige -Anstrengungen gemacht. Es hatte sich eine dahingehende öffentliche -Meinung entwickelt, daß die Jugend von Freiland ohne Unterschied des -Geschlechts und späteren Berufs einen Unterricht zu genießen habe, der -mit Ausnahme der lateinischen und griechischen Sprachstudien demjenigen -ungefähr entsprechen solle, der beispielsweise in den sechs ersten -Gymnasialklassen Deutschlands erteilt wird. Zu diesem Behufe sollten -Knaben wie Mädchen vom 6. bis 16. Jahre die Schule besuchen, wo sie nach -Erledigung der Elementarkenntnisse in Sprachlehre, Litteraturgeschichte, -Geschichte, Kulturgeschichte, Physik, Naturgeschichte, Geometrie und -Algebra unterwiesen wurden. - -Nicht minderes Gewicht als auf die geistige und moralische wurde auf die -körperliche Ausbildung gelegt, ja es war Grundsatz in Freiland, daß -letztere vorauszugehen habe, indem ein gesunder harmonisch entwickelter -Körper die Voraussetzung eines gesunden, harmonisch entwickelten Geistes -sei. Und auch bei der geistigen Ausbildung wurde weniger auf die -Ansammlung von Kenntnissen, als auf die Anregung des jungen Geistes zu -selbständigem Denken gesehen, daher nichts ängstlicher und sorgfältiger -gemieden ward, als Überbürdung mit geistiger Arbeit. Kein Kind sollte -- -die häuslichen Repetitionen mit eingerechnet -- länger als höchstens 6 -Stunden täglich geistig beschäftigt sein; die Unterrichtsstunden für -alle geistigen Lehrfächer waren daher auf 3 Stunden täglich beschränkt, -während 2 andere Schulstunden täglich körperlichen Übungen -- dem -Turnen, Laufen, Tanzen, Schwimmen, Reiten, bei Knaben außerdem dem -Fechten, Ringen und Schießen -- gewidmet wurden. Ein fernerer Grundsatz -des freiländischen Unterrichtswesens war, daß auch die Kinder so wenig -wie die Erwachsenen zur Thätigkeit gezwungen werden sollten; einer -zielbewußten, konsequenten und in ihren Mitteln nicht beschränkten -Pädagogik -- so meinten wir -- könne es unmöglich schwer fallen, das -lenkbare Kindergemüt zu freiwilliger und freudiger Erfüllung vernünftig -bemessener Pflichten zu bringen. Und auch darin gab uns die Erfahrung -Recht. Unsere Unterrichtsleitung mußte es sich zwar in hohem Grade -angelegen sein lassen, den Unterricht anregend zu gestalten; nachdem ihr -dies aber einmal gelungen war, lernten unsere Jungen und Mädchen in der -halben Zeit doppelt so viel und gründlich, als ihre physisch und geistig -mißhandelten europäischen Altersgenossen. Der Unterricht wurde -- -abermals aus Rücksichten der Gesundheit -- so weit nur immer möglich im -Freien erteilt. Die Schulhäuser waren daher sämtlich entweder -inmitten großer Gärten oder am Waldessaum errichtet, und die -naturwissenschaftlichen Disziplinen wurden regelmäßig, andere häufig, -mit Ausflügen in die Umgebung in Verbindung gebracht. Dafür bot aber -auch unsere Schuljugend ein anderes Bild, als wir es in der alten Heimat -und insbesondere in deren Großstädten zu sehen gewohnt waren. Rosige, -von Gesundheit, Kraft und Lebensfreude strotzende Gesichter und -Gestalten, Selbstvertrauen und sichere Intelligenz aus jeder Miene, aus -jeder Geberde hervorleuchtend -- so traten unsere Kinder in den Ernst -des Lebens ein. - -Natürlich erforderte eine derartige Organisation des Unterrichts ein -sehr zahlreiches und tüchtiges Lehrpersonal. In der That kam in Freiland -durchschnittlich schon auf je 15 Schulkinder je eine Lehrkraft, und um -die Auswahl unter den besten Intelligenzen des Landes zu haben, mußten -hohe Gehalte gezahlt werden. Für die vier ersten Klassen -- in denen -überwiegend Mädchen oder junge Witwen unterrichteten -- betrug der -Jahresgehalt zwischen 1400 bis 1800, für die sechs anderen Klassen -- in -denen hinwieder die männlichen Lehrkräfte überwogen -- 1800 bis 2400 -Stundenäquivalente; im fünften Jahre der Gründung waren das, in Geld -umgerechnet, Gehalte zwischen 350 und 600 Pfd. Sterling. - -Aber auch mit seinem sehr umfangreichen Bedarfe an höheren Intelligenzen -wollte Freiland auf eigenen Füßen stehen. Es wurde daher schon im -dritten Jahre eine Hochschule errichtet, an welcher sämtliche -Wissenszweige, die in Europa an Universitäten, Akademien und technischen -Lehranstalten gelehrt werden, gesammelt vertreten waren. Alle Lehrfächer -waren mit einer Freigebigkeit ausgestattet, von welcher man außerhalb -Freilands kaum eine Vorstellung besitzt. Unsere Sternwarte, unsere -Laboratorien und Sammlungen verfügten über geradezu unbegrenzte Mittel -und kein Gehalt war zu hoch, um eine glänzende Lehrkraft heranzuziehen -und festzuhalten. Das nämliche gilt von den technischen und nicht minder -von den landwirtschaftlichen und merkantilistischen Lehrkanzeln und -Lehrmitteln unserer Hochschule. Der Unterricht an dieser war in allen -Fächern durchaus frei und, gleich demjenigen in den unteren Schulen, -unentgeltlich. Im fünften Jahre der Gründung Freilands besuchten 7500 -Hörer die Hochschule; die Zahl ihrer Lehrkanzeln war 215, ihr -Jahresbudget hatte die Höhe von 2½ Millionen Pfd. Sterling erreicht und -war andauernd in rapidem Wachstum begriffen. - -Die Mittel zu all diesen gewaltigen Ausgaben lieferte überreichlich die -vom Gesamteinkommen aller Produzenten erhobene prozentuelle Abgabe, denn -dieses Gesamteinkommen wuchs unter dem verdoppelten Einflusse der -Bevölkerungszunahme und der steigenden Arbeitsergiebigkeit in riesigem -Maße. Als die Eisenbahn zur Küste fertig war und ihre Wirkung sich -fühlbar zu machen begann, stieg der Wert des durchschnittlichen Ertrags -einer Arbeitsstunde rasch auf 6 Sh., und da um diese Zeit -- zu Ende des -fünften Jahres von Freiland -- 280000 Arbeiter im Tagesdurchschnitt -während 6 Stunden, d. i. 1800 Stunden im Jahre produktiv beschäftigt -waren, so bezifferte sich in jenem Jahre der Gesamtwert des -Arbeitsertrages von Freiland auf 280000 × 1800 × 6 Sh., d. i. auf rund -150 Millionen Pfd. Sterling. Davon reservierte sich nun das Gemeinwesen -eine Abgabe in der Höhe von 35 Prozent, d. i. in runder Summe 52½ -Millionen Pfd. Sterling und dieses war die Quelle, aus welcher nach -Abzug der zur Deckung der Versorgungsansprüche erforderlichen, -allerdings die größere Hälfte beanspruchenden Beträge, die als -wünschenswert erkannten Ausgaben bestritten wurden. - -Ja, das Wachstum der Einnahmen war ein so gesichertes und hatte so -bedeutenden Umfang erreicht, daß die Verwaltung von Freiland sich am -Ende dieses fünften Jahres entschloß, den Vertretungskörpern, die zu -diesem Behufe zu einer gemeinsamen Sitzung einberufen wurden, zwei -Maßregeln von entscheidender Bedeutung vorzuschlagen: erstlich, die den -Associationen einzuräumenden Kredite hinfort von der Zustimmung der -Zentralbehörde unabhängig zu machen; und zum zweiten die sämtlichen, bis -dahin von neueintretenden Mitgliedern freiwillig gezahlten Beiträge -zurückzuerstatten und künftighin derlei Beiträge nicht mehr -entgegenzunehmen. - -Aus den im 8. Kapitel dargelegten Gründen waren bisher Umfang und -Reihenfolge der Produktivkredite von der Entscheidung der -Zentralverwaltung abhängig gewesen; jetzt, da die Ausrüstung mit -kapitalistischen Arbeitsbehelfen und damit die Leistungsfähigkeit des -Gemeinwesens eine genügend hohe Stufe erreicht hatte, wurde auch diese -Schranke des freien Selbstbestimmungsrechtes für unnötig erachtet; die -Associationen mochten fordern, was ihnen nützlich dünkte, die -Kapitalkraft des Landes schien auch den umfangreichsten, irgend zu -erwartenden Kreditansprüchen gewachsen. Und in der That erwies sich -diese Zuversicht als wohlbegründet. In den diesem Beschlusse unmittelbar -folgenden Jahren ereignete es sich zwar zu zwei verschiedenen Malen, daß -infolge unvermittelt eintretender großartiger Kapitalbedürfnisse der zur -Deckung derselben bestimmte Teil der öffentlichen Abgaben um einige -Prozente über das normale Maß gesteigert werden mußte; das wurde jedoch -angesichts des stetigen Wachstums aller Produktionserträge ohne die -geringste Beschwerde ertragen und späterhin genügten die vom Gemeinwesen -angelegten Reserven, um selbst dieses Element der Schwankung aus dem -Verhältnisse zwischen Kapitalbedarf und öffentlichem Einkommen zu -beseitigen. - -Dagegen gab dieser Beschluß den Anstoß zu einem ganz merkwürdigen -Versuche, die damit eingeräumte vollkommene Freiheit der Kreditgewährung -zu einer großartigen gegen das Gemeinwesen gerichteten Schwindelei zu -mißbrauchen. In Amerika hatte sich ein Konsortium unternehmender -»Geschäftsleute« gebildet, eigens zu dem Zwecke, die Vertrauensseligkeit -von uns »dummen Freiländern« gehörig auszubeuten, und zwar in der Weise, -daß unserer Zentralbank unter der Maske einer zu solchem Behufe zu -gründenden beliebigen Association, eine möglichst große Summe entlockt -werden sollte. 46 der geriebensten und skrupellosesten Yankees -vereinigten sich zu diesem Feldzuge gegen unsere Taschen; wie sie es -anstellten und was sie dabei erreichten, entnehmen wir am einfachsten -der nachträglich zum Besten gegebenen Erzählung ihres damaligen -Anführers, gegenwärtig ehrsamen Werkmeisters in der großen Salzsiederei -am Nakuro-See: - -»Wir waren also in Edenthal angelangt und beschlossen fürs erste, das -Terrain genau zu sondieren, ehe wir an die Ausführung unseres Geschäftes -schritten. Dabei bemerkten wir sofort zu unserer großen Genugthuung, daß -Mißtrauen der Freiländer uns wenig zu schaffen machen werde. Das -Gasthaus, in welchem wir abgestiegen, gab Alles auf Kredit, ohne daß man -uns auch nur fragte, wer wir seien. Als ich dem Wirt gegenüber in -väterlichem Tone bemerkte, solch unterschiedsloser Pump für jeden -Hergelaufenen sei doch großer Leichtsinn, lachte mir der Wirt, will -sagen der Direktor der Edenthaler Hotel-Association, ins Gesicht und -meinte zuversichtlich, hier brenne Niemand durch, wer da sei, denke -nicht daran, Freiland wieder zu verlassen. »Schon gut«, dachte ich mir; -fragte aber weiter, was die Hotel-Gesellschaft mache, wenn ein Gast -nicht zahlen _könne_? »Unsinn«, sagte der Direktor, »hier kann jeder -zahlen, sowie er zu arbeiten anfängt«. »Und wenn er nicht arbeiten -kann?« »Dann erhält er Unterstützung vom Gemeinwesen.« »Und wenn er -nicht arbeiten will?« Da klopfte mir der Mann lächelnd auf die Schulter -und meinte: »Nichtwollen hält bei uns nicht lange vor, verlaßt Euch -darauf. Übrigens, wenn Einer durchaus mit gesunden Gliedern faullenzen -will -- Bett und gedeckten Tisch findet er bei uns trotzdem allezeit. -Macht Euch also wegen Berichtigung der Zeche in keinem Fall Sorge; Ihr -werdet zahlen wann Ihr könnt und wollt.« - -»Machte auf uns einen ganz curiosen Eindruck, dieser Direktor; wir -sagten aber nichts, sondern beschlossen, den Freiländern weiter auf den -Zahn zu fühlen. Wir kamen in die große Warenhalle und versuchten -Kleider, Wäsche u. dgl. auf Borg zu nehmen. Es ging vortrefflich. Die -Verkäufer -- es waren, wie sich herausstellte, Kommis der Anstalt -- -verlangten zwar eine Zahlungsanweisung an die Centralbank, als wir -jedoch entgegneten, daß wir dort noch kein Konto besäßen, meinten sie, -das thäte auch nichts; sie begnügten sich einstweilen mit schriftlicher -Bestätigung der Kaufsumme, welche die Bank ihnen seinerzeit, wenn wir -unser Konto hätten, schon gutschreiben werde. So ging's überall. Mackay -oder Gould kann in New-York nicht bereitwilliger Kredit finden, als wir -in Edenthal fanden. - -»Nach einigen Tagen schon schritten wir an unsere »Gründung«. Mißtrauen -war, wie gesagt, fürs erste nicht zu besorgen, unangenehm blieb aber -trotzdem, daß die freiländischen Einrichtungen die Öffentlichkeit aller -auf Geschäfte bezüglichen Akte, Daten und Umstände verlangen. Wir wußten -zwar, daß von Polizei oder Gerichten nichts zu befürchten sei; was aber -wollten wir thun, wenn das freiländische Publikum der vorgeschützten -Gründung Geschmack abgewinnt und unserer Association beizutreten -wünscht? Wir konnten natürlich Kompagnons nicht brauchen, sondern mußten -hübsch unter uns bleiben, sonst war unser ganzer Plan ins Wasser -gefallen. Wir forschten überall, ob es kein Mittel gäbe, die Zahl der -Teilnehmer zu begrenzen, hatten über diesen Gegenstand eingehende -Besprechungen mit gutunterrichteten Freiländern, beklagten uns über das -himmelschreiende Unrecht, daß wir gezwungen sein sollten, den Nutzen der -ausgezeichneten »Idee«, die wir gefaßt, hier mit aller Welt zu teilen, -unsere Geschäftsgeheimnisse preiszugeben u. s. w.; es half aber alles -nichts. Die Freiländer blieben in diesem Punkte verstockt und meinten, -Niemand zwinge uns, unsere Geheimnisse preiszugeben, wenn wir selbe aus -eigenen Kräften fruktifizieren wollten; wenn wir aber hierzu -freiländischen Boden und freiländisches Kapital brauchten, so müsse -selbstverständlich ganz Freiland wissen, worum es sich handelt. »Und -wenn unser Geschäft nur eine kleine Anzahl von Arbeitern brauchen kann, -wenn z. B. die Ware, die wir fabrizieren wollen, zwar großen Gewinn -abwirft, aber doch nur beschränkten Absatz hat, müssen wir auch dann -alle Welt beitreten lassen? »In diesem Fall« -- so war die Antwort -- -werden freiländische Arbeiter nicht so dumm sein, sich Euch massenhaft -aufzudrängen.« »Schön!« rief ich mit verbissenem Zorn, »wenn aber doch -mehr beitreten, als wir gerade brauchen können?« Doch auch darauf wußten -die Leute eine Antwort; dann, so meinten sie, würden die zuviel -Beigetretenen eben nachträglich austreten, oder wenn sie partout dabei -blieben, so müßten wir alle die Arbeitszeit etwas einschränken, etwa -einen Turnus einführen, oder dergleichen; an Gelegenheit, unsere dadurch -frei werdende Zeit nützlich anderweitig zu verwerten, fehle es in -Freiland nirgend. - -»Was ließ sich da machen? Wir mußten unser Plänchen so einkleiden, daß -den freiländischen Arbeitern ganz von selbst die Lust verginge, sich zu -beteiligen. Aber auch allzu plump durfte anderseits die Sache nicht -gemacht werden, sonst witterten die Leute am Ende doch Unrat, oder -beteiligten sich vielleicht gar aus purer Menschenliebe, um unserer -Thorheit mit gutem Rat zu Hilfe zu kommen. Schließlich einigten wir uns -dahin, eine Nähnadelfabrik zu errichten; eine solche war nach der ganzen -Geschäftslage offenbar unrentabel, der Plan klang aber doch nicht allzu -abenteuerlich, um uns Neugierige an den Hals zu ziehen. Wir -konstituierten uns also und hatten in der That die Genugthuung, -vorläufig außer zwei Dummköpfen, welche die Nähnadelfabrikation aus -irgend einem Grunde für ein gutes Geschäft halten mochten, und mit denen -fertig zu werden, nicht allzu schwer fallen konnte, keine Genossen zu -erhalten. Jetzt handelte es sich um die Festsetzung des -Gründungskapitals, will sagen um die Höhe des bei der Centralbank zu -fordernden Kredits. Natürlich hätten wir am liebsten gleich eine Million -Pfd. Sterling verlangt; das ging aber nicht, da wir, wie gesagt, angeben -mußten, wozu wir das Geld brauchten und eine Nähnadelfabrik für 48 -Arbeiter doch unmöglich so viel verschlingen durfte, ohne uns sofort -eine ganze Legion von Untersuchungsrichtern in Gestalt beitretender -Arbeiter auf den Nacken zu setzen. Wir beschränkten uns also -notgedrungen auf 130000 Pfd. Sterling, was zwar auch einiges Aufsehen -erregte, von uns aber damit motiviert wurde, daß die neuartigen -Maschinen, die wir anzuwenden gedächten, sehr teuer wären. - -»Jetzt kam aber die Hauptsorge; wie sollten diese 130000 Pfd. Sterling -oder doch der größte Teil derselben in unsere Taschen geleitet werden? -Mich hatten unsere Jungens zum Direktor der »ersten Edenthaler -Nähnadel-Fabriks-Association« gewählt und als solcher begab ich mich -anderntags zu der Bank, um uns dort unser Konto eröffnen zu lassen und -gleichzeitig alle erforderlichen Informationen einzuholen. Der Kassierer -versicherte mir zwar auf Befragen, daß alle von mir angewiesenen -Auszahlungen ohne weiteres durchgeführt werden sollten, als ich aber -daraufhin um ein »kleines Akonto« von einigen tausend Pfunden bat, -fragte er mich verwundert, was es damit solle. »Je nun, wir müssen doch -gewisse kleine Zahlungen leisten.« -- »Unnötig«, war die Antwort, »alle -Zahlungen werden hier bei der Bank ausgeglichen.« -- »Ja, aber wovon -soll denn ich mit meinen Leuten inzwischen, bis die Nähnadelfabrik zu -arbeiten anfängt, leben?« fragte ich gereizt. »Nun, von Ihrer Arbeit bei -anderen Unternehmungen, oder von Ihren Ersparnissen, wenn sie welche -haben. Auch an Kredit wird es Ihnen nirgend fehlen -- wir aber, die -Centralbank -- geben bloß Produktivkredite; was Sie verzehren, können -wir Ihnen nicht vorstrecken.« - -»Da standen wir nun mit unserem Kredite von 130000 Pfd. Sterling und -fingen an zu begreifen, daß derselbe doch nicht so leicht davonzutragen -sei. Allerdings konnten wir bauen lassen und bestellen, so viel und was -wir wollten. Was hatten wir aber davon, Geld auf unnütze Dinge -auszugeben? - -»Das ärgerlichste war, daß wir ehrlich zu arbeiten beginnen mußten, -wollten wir das allgemeine Mißtrauen nicht doch schließlich gegen uns -erwecken, und so traten wir denn verschiedenen Unternehmungen bei. -Überwunden aber wollten wir uns noch immer nicht geben und nach -reiflichem Nachdenken fiel mir folgendes als die allein mögliche Methode -des von uns geplanten Schwindels ein. Die Centralbank vermittelt zwar -alle Käufe und Verkäufe, hindert aber, wie ich bald herausbekam, den -Käufer oder Besteller nicht im geringsten in der Wahl der ihm passend -erscheinenden Güter. Wir hatten also das Recht, für unsere -Nähnadelfabrik Maschinen in Europa oder Amerika bei beliebigen -Fabrikanten zu bestellen, für welche dann die Centralbank Zahlung -leisten würde. Wir mußten also bloß mit einer geeigneten europäischen -oder amerikanischen Schwindelfirma in Verbindung treten und den zu -erzielenden Nutzen mit dieser teilen, um schließlich doch eine recht -ansehnliche Beute wegtragen zu können. - -»Aber zugleich mit diesem Auskunftsmittel fiel mir auch ein, wie -grenzenlos dumm es wäre, von demselben Gebrauch zu machen. Sehr viel, -das leuchtete mir ein, war mit demselben nicht zu gewinnen; aber selbst -wenn es möglich gewesen wäre, für jeden Einzelnen von uns ein Vermögen -herauszuschwindeln, hatte ich doch die Lust verloren, Freiland wieder zu -verlassen. Die Rechnung stand für alle Fälle zu ungleich. Ich war in -ehrlicher Arbeit ein Neuling und sonderliche Anstrengungen sagten meinem -damaligen Geschmack nicht zu; trotzdem hatte ich es auf einen -Tagesverdienst von 12 Shillingen gebracht, das sind 180 Pfd. Sterling im -Jahr, mit denen sich hier mindestens so gut leben ließ, wie mit dem -Doppelten in Amerika oder England; selbst wenn ich in der bisherigen -Weise, gleichsam bloß, um mir die Langeweile zu kürzen, fortarbeitete, -mußte sich dieses Einkommen sehr bald steigern, ich konnte hier -schlimmstenfalls ein Leben führen, wie da draußen im Besitze einer -Jahresrente von 400-500 Pfd. Sterling; auch nur annähernd so viel zu -stehlen, war nun nicht die geringste Aussicht vorhanden. Doch wenn auch! -Ich wäre doch nicht weggegangen. Erstlich weil es mir hier zu gut -gefiel; der Umgang gleich und gleich mit anständigen Menschen hat etwas -Lockendes selbst für Spitzbuben, wie ich damals einer war. Und dann -- -es kam mir damals komisch vor -- begann ich mich meines Gaunertums zu -schämen. Auch die Spitzbuben haben ihre Ehre. Da draußen, wo _Jeder_ dem -Nebenmanne das Fell über die Ohren zieht, wenn er nur kann, erachtete -ich mich im Wesen nicht schlechter, als die sog. ehrlichen Leute; ich -hielt mich nicht so genau an das Gesetz, als diese, das war aber auch -der ganze Unterschied. Auf der Jagd nach dem lieben Nebenmenschen -befinden sie sich da draußen Alle; daß ich ohne Jagdkarte zu jagen mir -erlaubte, beschwerte mir das Gewissen nicht sonderlich, umsoweniger, da -ich doch nur die Wahl hatte, zu jagen, oder gejagt zu werden. Hier aber -jagte Niemand dem Nebenmenschen das Seine ab, hier mußte sich jeder -Gauner selber gestehen, daß er schlechter sei, als die Anderen alle, und -zwar ein schlechter Kerl ohne Not, aus purer Freude am Schlechten. Und -wenn man dabei noch den Reiz der Gefahr gehabt hätte, der da draußen die -Jagd mit einer gewissen Poesie umgiebt! aber auch davon keine Spur! -Nicht einmal verfolgt hätten uns die Freiländer, wenn wir uns mit der -erschwindelten Beute aus dem Staube gemacht hätten; sie hätten uns -laufen lassen wie räudige Hunde. Nein, hier wollte und konnte ich kein -Spitzbube sein. Ich rief die Genossen zusammen, um ihnen anzuzeigen, daß -ich meine Würde als ihr Anführer niederlege, mich überhaupt von der -Kompagnie lossage und es hier mit anständiger Arbeit versuchen wolle. -Nicht einer war, der mir nicht zugestimmt hätte. Zwar mit der -Arbeitslust sah es bei einigen noch windig aus, aber hier bleiben -wollten sie Alle. Ein besonders zäher Kerl warf zwar die Frage auf, ob -es, da wir doch einmal so hübsch beisammen seien, wie später wohl nicht -wieder, nicht vielleicht doch ganz nett wäre, ein paar Tausend Pfund -herauszuschwindeln und dann erst ehrliche Leute zu werden; aber schon -bedurfte es des Hinweises auf die Haftpflicht der Associationsmitglieder -für die von ihnen kontrahierten Kredite nicht, um den Vorschlag dieses -Nachzüglers unserer ehemaligen Gaunerei zu beseitigen. Nicht bloß hier -bleiben, sondern ehrlich werden wollten sie, diese hartgesottenen -Schelme, die wenige Wochen früher ehrlich und dumm als gleichbedeutende -Worte zu gebrauchen pflegten. So kam's, daß das feine Plänchen, an -welchem die »smartesten fellows« von Neu-England ihren Witz erschöpft -hatten, klanglos fallen gelassen wurde und wenn ich gut berichtet bin, -so hat nachher keiner von uns 46 je zu ernstlicher Klage Anlaß gegeben.« - -Der zweite, vor die Gesamtvertretung von Freiland gebrachte Antrag -- -die Rückzahlung der bis dahin von den meisten Mitgliedern bei -Gelegenheit ihres Eintrittes in die Gesellschaft geleisteten größeren -oder geringeren Beiträge betreffend, bedeutete die Aufbringung einer -Gesamtsumme von nicht weniger als 43 Millionen Pfd. Sterling. Nun hatte -man allerdings den Mitgliedern jederzeit gesagt, daß die Beiträge nicht -rückzahlbar, sondern ein den gesellschaftlichen Zwecken gebrachtes Opfer -seien; nichtsdestoweniger erachtete es die Verwaltung von Freiland der -Billigkeit entsprechend, daß nunmehr, wo das neue Gemeinwesen eines -solchen Opfers nicht mehr bedurfte, auf dasselbe für die Zukunft sowohl -als für die Vergangenheit verzichtet werde. Die großmütigen Spender -hatten zwar niemals aus ihrer den ärmeren Mitgliedern so reichlich -geleisteten Hülfe irgendwelchen Rechtstitel auf besondere Anerkennung -oder höhere Ehre abgeleitet, ja die meisten hatten es sich sogar -verbeten, namentlich als Schenker angeführt zu werden; auch widersprach -diese Hülfeleistung keineswegs den Prinzipien, auf denen das neue -Gemeinwesen begründet war, ja im Sinne derselben durfte das Eintreten -der Bemittelten für die Hülflosen gerad zu als eine Forderung des -gesunden, vernünftigen Eigennutzes angesehen werden. Aber mit dem -Momente, wo gerade infolge dieses so ausgiebig bethätigten vernünftigen -Egoismus das Gemeinwesen kräftig genug wurde, um außergewöhnliche -Hülfeleistungen entbehren und die vordem dargebrachten zurückerstatten -zu können, erschien es uns wieder billig, daß dies auch sofort geschehe. - -Auch dieser Antrag wurde debattelos einstimmig angenommen und sofort zur -Ausführung gebracht. Den sämtlichen Beitragleistenden wurden die -eingezahlten Beträge zurückerstattet, resp. in den Büchern der -Centralbank gutgeschrieben, wo sie nach Gefallen über dieselben verfügen -mochten. - -Damit aber kann auch die zweite Epoche der Geschichte von Freiland als -abgeschlossen betrachtet werden. Die Gründung des Gemeinwesens -- die -erste Epoche ausfüllend -- vollzog sich gänzlich durch freiwillige Opfer -einzelner seiner Mitglieder; in der zweiten Periode war diese -Hülfeleistung, wenn auch nicht mehr durchaus notwendig, doch ein -nützliches und wirksames Beförderungsmittel des raschen Wachstums -gewesen; von jetzt ab wies die zu einem Riesen erstarkte freie -Gemeinschaft jeden wie immer gearteten, nicht aus ihren regelmäßigen -Hülfsquellen geschöpften Beistand ab, und die einst empfangene -Unterstützung tausendfach vergeltend, war nun sie es, auf deren stets -unerschöpflicher fließende Mittel Not und Elend, sie mochten sich in -welchem Teile der bewohnten Erde immer zeigen, mit Sicherheit zählen -durften. - - - - - Drittes Buch. - - - - - 13. Kapitel. - - -Abermals sind zwanzig Jahre verflossen, fünfundzwanzig Jahre, seitdem -unsere Pfadfinder den Kenia erreichten. Die Prinzipien, nach denen sich -Freiland regiert und verwaltet, sind die gleichen geblieben und auch der -Erfolg hat nicht gewechselt, nur daß das Wachstum von geistiger und -materieller Kultur, von Einwohnerzahl und Reichtum sich in unablässig -steigender Progression bewegte. Die Einwanderung, vermittelt durch 54 -der größten Ozeandampfer von zusammen 495000 Registertonnen, hatte im -letzten Jahre die Ziffer von 1152000 Köpfen erreicht. Um diesen, aus -allen Weltteilen anlangenden Zuzug an den afrikanischen Küsten -aufzunehmen und mit möglichster Beschleunigung in das Herz des -Kontinents zu befördern, war das Eisenbahnnetz von Freiland an vier -verschiedenen Punkten bis an den Ozean, resp. bis an die zum Ozean -führenden fremden Anschlußbahnen vorgedrungen. Der eine dieser -Schienenstränge ist der noch in der vorigen Epoche vollendete von -Edenthal nach Mombas; diesem folgte vier Jahre später, nachdem die -Pacifizierung der Gallasstämme gelungen war, die Eisenbahn im Danathale -an die Wituküste; nach neun ferneren Jahren war ein -- gleich allen -freiländischen Hauptbahnen zweigeleisiger -- Schienenstrang längs des -ganzen Nilthales, vom Ukerewe und Albert-Njanza über die ägyptischen -Äquatorialprovinzen, Dongola, den Sudan und Nubien bis zum Anschlusse an -das ägyptische Bahnnetz fertig und solcherart die Verbindung der -Mittelmeerküste mit Freiland bewerkstelligt; im Vorjahre endlich war der -letzte Spatenstich der großen äquatorialen »Transversalbahn« gemacht -worden, die von Uganda am Ukerewe ausgehend und den Nil bei dessen -Austritt aus dem Albert-Njanza überbrückend, von hier den Aruwhimi und -Kongo entlang den atlantischen Ozean erreichte. Wir besaßen also zwei -direkte Schienenverbindungen mit dem indischen und je eine mit dem -mittelländischen und atlantischen Meere. Die Mombaslinie war durch die -weitaus kürzere Danabahn selbstverständlich in den Hintergrund gedrängt; -die 580 Kilometer der letzteren durchflogen unsere Passagierzüge in 9 -Stunden, während die Mombasstrecke, trotz ihrer inzwischen erfolgten -Abkürzung durch die Athizweigbahn, nahezu die doppelte Zeit erforderte. -Auf der Nilbahn waren von Alexandrien bis Edenthal 6452 Kilometer zu -durchmessen, deren Betrieb von Assuan -- der Grenze Oberägyptens -- ab -in unseren Händen war; die Reise beanspruchte hier -- wegen des -langsameren Betriebes auf der ägyptischen Linie -- 6½ Tage; trotzdem war -diese Route die meistbenutzte, da sie allen über das Mittelmeer gehenden -Einwanderern, also allen europäischen und den meisten amerikanischen, -die Reise nahezu um zwei Wochen verkürzte. Die im Einvernehmen mit dem -Kongostaate, jedoch beinahe ausschließlich auf unsere Kosten ausgebaute -und durchweg in freiländischem Betrieb stehende äquatoriale -Transversalbahn endlich hatte eine Länge von 4874 Kilometern und auf ihr -konnte man in nicht ganz 4 Tagen von der Kongomündung in Edenthal -anlangen. - -Edenthal, wie überhaupt das Keniagebiet, hatten schon seit langer Zeit -aufgehört, den ganzen Zuzug der Einwanderer in sich aufzunehmen. Zwar -die dichteste Menge der freiländischen Bevölkerung war noch immer in den -Hochgebirgslandschaften zwischen dem Ukerewe und dem indischen Ozean zu -suchen, der Sitz der obersten Verwaltung war nach wie vor in Edenthal, -Freiland aber hatte seither seine Grenzen nach allen Seiten, -insbesondere nach Westen zu mächtig ausgedehnt. Über ganz Massailand, -Kawirondo und Uganda, rings um die Ufer des Ukerewe, Mwutan-Nzige und -Albert-Njanza hatten sich freiländische Ansiedler ausgebreitet, so weit -gesunde, hohe Lage und fruchtbarer Boden zu finden war. Im Südosten -bilden die paradiesischen Gebirgslandschaften von Teita, im Norden die -Höhenzüge zwischen dem Baringo und Ukerewe und den Gallaländern, im -Westen die äußersten Ausläufer der am Albertsee beginnenden Mondberge, -im Süden endlich die bis zum Tanganikasee streichenden Gebirgszüge die -vorläufigen Grenzen unserer Ausbreitung, ein Gesamtareal von 1½ -Millionen Quadratkilometern umfassend, welches jedoch nicht überall von -kompakten Massen freiländischer Bevölkerung besiedelt ist, vielmehr -unsere Kolonisten an vielen Stellen zerstreut unter den Eingeborenen -sitzen, dieselben überall zu höherer, freier Kultur erziehend. Die -Gesamtbevölkerung des derzeit unter freiländischem Einflusse stehenden -Gebietes beträgt 42 Millionen Seelen, davon 26 Millionen Weiße und 16 -Millionen schwarze oder braune Eingeborene. Von ersteren wohnen 12½ -Millionen im Stammlande am Kenia und Aberdaregebirge; 1½ Millionen sind -im übrigen Massailand, am Nordabhange des Kilima-Ndscharo und in Teita -zerstreut; die Berge westlich und nördlich vom Baringosee haben eine -weiße Bevölkerung von 2 Millionen; rings um den Ukerewe sitzen 3½ -Millionen, in den Bergen zwischen diesem und dem Mwutan-Nzige und -Albertsee 1½ Millionen, in den Mondgebirgen westlich vom Albert-Njanza 3 -Millionen und endlich südlich von diesen beiden Seen bis zum Tanganika -zerstreut 2 Millionen. - -Die freiländische Produktion hat sich auf nahezu alle Bedarfsartikel des -Kulturmenschen ausgedehnt, der hauptsächlichste Produktionszweig aber -ist die Maschinenindustrie geblieben. Sie erzeugt vornehmlich für den -inländischen Gebrauch, trotzdem ihre Leistungsfähigkeit schon seit -Jahren die aller Maschinenfabriken der ganzen übrigen Welt -zusammengenommen sehr wesentlich übertrifft; Freiland hat eben für mehr -Maschinen Verwendung, als die ganze übrige Welt zusammengenommen, denn -die Arbeit seiner Maschinen ersetzt ihm die Sklaven- oder Knechtesarbeit -der Anderen und da unser -- die civilisierten Neger gar nicht gerechnet --- 26 Millionen »Arbeitgeber« sind, so brauchen wir sehr viel stählerne -und eiserne Knechte, um unseren mit jedem Fortschritte unserer -Kunstfertigkeit stetig Schritt haltenden Bedürfnissen zu genügen. Von -unseren Maschinen also geht -- mit Ausnahme einiger Specialitäten -- -verhältnismäßig wenig über unsere Grenzen; dafür arbeitet die -Landwirtschaft überwiegend für den Export, ja es kann füglich behauptet -werden, daß die Gesamtproduktion des freiländischen Körnerbaues für den -Export verfügbar ist, da die zur Deckung des eigenen Bedarfs -erforderlichen Mengen im Durchschnitt kaum so groß sind, als die auf -unsere Märkte gelangenden Überschüsse der Negerproduktion. Im letzten -Jahre waren 9 Millionen Hektaren Ackerland bestellt gewesen, die in zwei -Ernten einen Ertrag von 2100 Millionen Zentner Körner- und sonstiger -Feldfrüchte im Werte von rund 600 Millionen Pfd. Sterling ergaben. Zu -diesem Getreidequantum kamen nun noch für 550 Millionen anderweitige -Ausfuhrgüter, so daß der Gesamtexport 1150 Millionen Pfd. Sterling -betrug. Unter den Importartikeln dagegen nimmt weitaus die erste Stelle -der Posten: »Bücher und andere Drucksachen« ein, diesen zunächst folgen -Kunst- und Luxusgegenstände. Von den, anderwärts als sogenannte -Massenartikel des Außenhandels anzutreffenden Waren, zeigen die -freiländischen Importlisten bloß Baumwollwaren, die im Lande selbst fast -gar nicht erzeugt, im Gesamtbetrage von 57 Millionen Pfd. Sterling zur -Einfuhr gelangten. Der Bücherimport -- Zeitungen eingeschlossen -- -betrug im letzten Jahre 138 Millionen Pfd. Sterling -- nicht -unwesentlich mehr, als im gleichen Jahre die ganze übrige Welt für -Bücher ausgegeben hatte. Und dabei darf man nicht etwa glauben, daß -Freiland seinen Bücherbedarf gänzlich oder auch nur zum größeren Teile -vom Auslande her gedeckt hätte; mehr als zweimal so viel, als an -ausländische Verleger hatten im selben Jahre die freiländischen Leser an -ihre einheimischen zu bezahlen; sie lesen eben zur Zeit, bei welcher wir -angelangt sind, mehr als dreimal so viel, als das ganze Lesepublikum -außerhalb Freilands. - -Diese Ziffern schon lassen auf die Höhe des Reichtums schließen, zu -welchem Freiland gediehen. In der That, der Gesamtwert der von 7½ -Millionen Produzenten im letzten Jahre hervorgebrachten Erzeugnisse -hatte den Betrag von nahezu 7 Milliarden Pfd. Sterling erreicht, wovon -nach Abzug von 2½ Milliarden zur Deckung der Ausgaben des Gemeinwesens, -4½ Milliarden als Gewinn der Produzenten verblieben, aus welchem im -Durchschnitt 600 Pfd. Sterling auf den einzelnen Arbeiter entfielen. Und -dabei hatten wir im Mittel bloß 5 Stunden täglich oder 1500 Stunden im -Jahre zu arbeiten gebraucht, so daß der durchschnittliche Nettowert der -Arbeitsstunde 8 Schilling erreichte, kaum weniger, als in gar manchen -Teilen Europas der durchschnittliche Wochenlohn gewöhnlicher -Handarbeiter. - -Die Preise fast aller Bedarfsartikel in ganz Freiland sind dabei immer -noch wesentlich billiger, als sonst in einem Teile der civilisierten -Welt. Ein Zentner Weizen kostet durchschnittlich 6 Schilling, ein -Kilogramm Rindfleisch nicht ganz ½ Schilling, ein Hektoliter Lagerbier -oder leichten Weines 10 Schilling, ein kompletter Anzug aus gutem -Schafwollstoff 20-30 Schilling, ein Pferd vorzüglicher arabischer -Vollblutzucht 15 Pfd. Sterling, eine gute Milchkuh 2 Pfd. Sterling u. s. -w. Teuer sind bloß einige vom Ausland bezogene Luxusartikel, z. B. -einige Weine und alle nur durch Handarbeit produzierbaren Dinge, deren -es aber äußerst wenig giebt. Letztere werden sämtlich aus dem Auslande -importiert, mit welchem in Handarbeit zu konkurrieren, einem Freiländer -natürlich nicht in den Sinn kommen kann. Denn obwohl die harmonisch -ausgebildeten, vollkräftigen und intelligenten Arbeiter unseres Landes -auch an Kraft und Geschicklichkeit ihrer Muskeln den entnervten, -ausgemergelten Knechten des Abendlandes sicherlich mindestens zwei- und -dreifach überlegen sind, so vermögen sie doch nicht zu konkurrieren mit -einer Arbeitskraft, die fünfzig- und hundertfach wohlfeiler ist, als die -ihrige. Ihre Überlegenheit beginnt erst, wo sie den ausländischen -Knechten aus Menschenfleisch und Bein ihre stählernen entgegenstellen -können; mit diesen arbeiten sie dann billiger noch, als jene, denn diese -von Dampf, Elektrizität und Wasser in Bewegung erhaltenen Sklaven sind -noch genügsamer, als die Lohnarbeiter des »freien« Europa. Verlangen -diese doch immerhin Kartoffeln zur Füllung ihres Magens und einige -Lumpen zur Verhüllung ihrer Blöße, während Kohle oder ein Wasserstrahl -den Hunger jener stillt und ein wenig Schmieröl hinreicht, um ihre -Glieder geschmeidig zu erhalten. - -Im übrigen bestätigt diese Überlegenheit Freilands im Maschinenwesen und -die des Auslandes in Handarbeit bloß einen alten Erfahrungssatz, der -deshalb nicht minder richtig ist, weil er der Erkenntnis der sogenannten -»Kulturnationen« noch immer entgeht. Daß nur die verhältnismäßig reichen -Nationen, d. h. jene, deren Massen verhältnismäßig am besten gestellt -sind, zugleich eine unter starker Verwendung von Maschinenkraft -betriebene Produktion besitzen, konnte selbst dem blödesten Auge auf die -Dauer unmöglich entgehen, nur erklärte man sich dieses unleugbare -Phänomen umgekehrt; man glaubte, daß das englische oder amerikanische -Volk deshalb menschenwürdiger existiere, als z. B. das chinesische oder -russische, weil es reicher sei und daß aus dem gleichen Grunde, weil -nämlich die erforderlichen Kapitalien reichlicher vorhanden seien, dort -mit Maschinenkraft, hier mit menschlicher Muskelkraft gearbeitet werde. -Das läßt allerdings die Hauptfrage, nämlich woher denn eigentlich diese -Unterschiede des Reichtums rühren, unerledigt und schlägt anderseits den -Thatsachen ganz ungeniert ins Antlitz, denn dem Chinesen oder Russen -nützt alles ihm noch so freigebig und billig angebotene Kapital nichts; -die Maschinenarbeit bleibt bei ihm unrentabel, so lange sich seine -Lohnarbeiter mit einer Handvoll Reis oder mit halbverfaulten Kartoffeln -und etwas Schnaps begnügen -- aber es gehört einmal ins Kredo der -orthodoxen Nationalökonomie und wird deshalb unbesehen geglaubt. Wer -jedoch seine Augen nicht bloß dazu hat, um sie den Thatsachen gegenüber -zu verschließen, seinen Verstand nicht bloß dazu, um einmal angenommene -Vorurteile hartnäckig festzuhalten, der muß endlich begreifen, daß der -Reichtum der Nationen nichts anderes ist, als ihr Besitz an -Produktionsmitteln, daß dieser Reichtum groß oder gering ist, je nachdem -zahlreiche und mächtige, oder wenige und kleinliche Produktionsmittel -vorhanden sind und daß man viele oder geringfügige Produktionsmittel -braucht, nach Maßgabe des großen oder geringen Verbrauches jener Dinge, -die mittels dieser Produktionsmittel erzeugt werden sollen -- also -ausschließlich nach Maßgabe des großen oder geringen Konsums. Wo man -wenig gebraucht, kann man wenig erzeugen, kann also auch wenig -Instrumente der Erzeugung besitzen, _muß_ also arm bleiben. - -Auch der Außenhandel vermag daran nichts zu ändern; denn für die Dinge, -die man ausführt, muß man doch irgend etwas -- sei es nun ein -Genußmittel, ein Arbeitsinstrument, bares Geld oder sonst ein Gut -- -wieder einführen, und für dieses eingeführte Etwas muß man Verwendung -haben, was jedoch, wenn der Konsum fehlt, unmöglich ist, da in diesem -Falle auch importierte so wenig als im Inlande erzeugte Dinge Verwendung -finden können. Allenfalls könnte man noch jene Güter, die man erzeugt, -ohne weder sie selber noch etwas anderes an ihrer Statt gebrauchen zu -können, dem Auslande leihweise überlassen; aber das hängt wieder davon -ab, ob das Ausland Verwendung für solche im Inlande unverwendbare -Überschüsse hat, und da dies natürlich in der Regel ebenso wenig der -Fall ist, so bleibt es ein für allemal dabei: Jedes Volk vermag nur so -viel zu erzeugen, für wie viel es Verwendung hat und die Höhe seines -Reichtums ist daher bedingt durch die Höhe seiner Bedürfnisse. - -Natürlich ist hier nur von jenen Völkern die Rede, deren Kultur so weit -vorgeschritten ist, daß der Verwendung hochentwickelter -Arbeitsinstrumente nicht ihre Unwissenheit, sondern lediglich ihre -socialpolitische Hülflosigkeit im Wege steht. Für diese aber gilt ihrem -vollen Umfange noch die Wahrheit, daß sie arm sind lediglich aus dem -Grunde, weil sie sich nicht satt essen _dürfen_ und daß die Zunahme -ihres Reichtums durch nichts anderes bedingt ist, als durch das Ausmaß -der Energie, mit welcher die arbeitenden Klassen sich gegen ihr Elend -aufbäumen. Die Engländer und Amerikaner _wollen_ Fleisch essen, sie -lassen ihren Arbeitslohn nicht so weit herabdrücken; das ist der einzige -Grund, warum England und Amerika mehr Maschinen verwenden, als China und -Rußland, wo sich das Volk mit Reis oder Kartoffeln begnügt; wir in -Freiland aber haben es zuwege gebracht, unseren arbeitenden Klassen den -Genuß des ganzen Ertrages ihrer Arbeit zu sichern, dieser Ertrag mag -noch so hoch wachsen -- was ist selbstverständlicher, als daß wir so -viel Maschinen verwenden, als unsere Techniker nur immer zu ersinnen -vermögen. - -Nichts kann auf die Dauer der Wirksamkeit dieses obersten Gesetzes der -Volkswirtschaft widerstehen. Die Produktion ist einzig um des Konsums -Willen da und muß daher -- das hätte man sich längst sagen sollen -- in -ihrem Maße sowohl als in der Art ihres Betriebes vom Ausmaße des Konsums -abhängen. Und wenn morgen ein mutwilliger Kobold all unseren Reichtum, -all unsere Maschinen über Nacht nach irgend einem europäischen Lande -versetzte, dabei aber diesem Lande unsere socialen Institutionen nicht -mit als Angebinde brächte, so wäre dieses Land damit so gewiß nicht um -eines Hellers Wert reicher als zuvor, als es gewiß ist, daß China nicht -reicher würde, wenn man die Reichtümer Englands und Amerikas dahin -versetzte, ohne den chinesischen Arbeitern mehr als abgebrühten Reis zur -Nahrung und mehr als ein Lendentuch zur Kleidung zu gewähren. Gleichwie -in diesem Falle die englischen und amerikanischen Maschinen in China -sofort zu nutzlosem alten Eisen würden, ebenso erginge es in jenem Falle -unseren Maschinen in Europa oder Amerika. Und gleichwie umgekehrt die -Engländer und Amerikaner das ihnen durch Koboldstücke nach China -verzauberte Maschinenkapital -- beharrten ihre arbeitenden Klassen nur -bei ihren derzeitigen Lebensgewohnheiten -- sehr rasch wieder ersetzen -und damit die frühere Stufe ihres Reichtums wieder erklommen haben -würden, so könnte es auch uns nicht schwer fallen, zu wiederholen, was -wir einmal vollbracht, nämlich uns neuerlich in den Besitz all jener -Reichtümer zu setzen, die _unseren_ Lebensgewohnheiten entsprechen. Denn -diese letzteren, die socialen Einrichtungen Freilands, sind die wahre -und einzige Quelle unseres Reichtums: daß wir sie _gebrauchen_ können, -ist der Seinsgrund unserer ganzen Maschinenkraft. - -Diese Kraft aber, wir fassen hier überall unter dem Sammelbegriff -Maschine alles zusammen, was einerseits kein freies Geschenk der Natur, -sondern Erzeugnis menschlichen Fleißes, und anderseits dazu bestimmt -ist, die Ergiebigkeit menschlicher Arbeit zu steigern -- diese Kraft ist -in Freiland zu kollosalen Dimensionen erwachsen. Unser Eisenbahnnetz -- -die oben genannten Linien umfassen bloß die vier großen, dem Außenhandel -dienenden Bahnen -- hat eine Gesamtausdehnung von 575000 Kilometer -erreicht, wovon allerdings bloß 180000 Kilometer Hauptbahnen, während -nahezu 400000 Kilometer landwirtschaftliche und industrielle -Schienenanlagen sind. Unser Kanalsystem dient hauptsächlich Be- und -Entwässerungszwecken und die Ausdehnung seines in unzähligen tausenden -von Adern und Äderchen sich verzweigenden Netzes entzieht sich jeder -Berechnung; schiffbar aber sind diese Kanäle in einer Länge von 57000 -Kilometern. Außer den bereits erwähnten Passagierschiffen schwimmen auf -allen Meeren nahezu 3000 unserer Frachtendampfer mit einem Laderaume von -15 Millionen Registertonnen; auf den Seen und Flüssen Afrikas besitzen -wir 17800 größere und kleinere Dampfer von insgesamt 5½ Millionen -Tonnen. Die motorische Kraft aber, die all diese Verkehrsmittel und die -zahllosen Maschinen unserer Landwirtschaft und unserer Fabriken, unserer -öffentlichen und privaten Anlagen, in Bewegung erhält, beträgt nicht -weniger als 245 Millionen indizierter Pferdekräfte, d. i. reichlich das -Doppelte der mechanischen Kraft, über welche derzeit die ganze übrige -Welt verfügt. Es kommen sohin in Freiland nahezu 9½ Pferdekraft -mechanischer Arbeitsenergie auf den Kopf der Bevölkerung, und da eine -indizierte Pferdekraft die Leistungsfähigkeit von 12 bis 13 Männern -entwickelt, so ist der Arbeitseffekt der nämliche, als ob jeder -Freiländer Kopf für Kopf ungefähr 120 Sklaven zu seiner Verfügung hätte. -Was Wunder, daß wir ein Herrendasein zu führen vermögen, trotzdem es in -Freiland keine menschlichen Knechte gibt. - -Der Wert jener ungeheuren Investitionen aller Art läßt sich angesichts -der wunderbaren Durchsichtigkeit unseres ganzen wirtschaftlichen -Getriebes auf Heller und Pfennig berechnen. Das freiländische -Gemeinwesen als solches hat in den 25 Jahren seines Bestandes in runder -Summe 11 Milliarden zu Investitionszwecken ausgegeben; der Aufwand durch -Vermittlung der Associationen und einzelner Individuen (letztere -allerdings bloß mit relativ verschwindenden Ziffern vertreten) hatte 23 -Milliarden -- alles Pfund Sterling -- betragen, so daß die -Gesamtinvestitionen einen Reichtum von 34 Milliarden repräsentieren, -durchweg vorzüglich rentierendes Kapital, trotzdem, oder richtiger -gerade weil es keinen bestimmten Herrn hat, denn eben diese -Herrenlosigkeit der gesamten Produktionskapitalien ist die Ursache, daß -jede Arbeitskraft sich jener Betriebsmittel bedienen kann, durch deren -Anwendung sie jeweilig die höchsten Erträge zu erzielen vermag. Jeder -Freiländer ist Mitbesitzer dieses ganzen ungeheueren Reichtums, von -welchem -- den unschätzbaren Wert des Kulturbodens gar nicht gerechnet --- auf den Kopf der Gesamtbevölkerung rund 1300 Pfd. Sterl., auf die -Familie rund 6000 Pfd. Sterl. entfallen. Wir sind also in diesen 25 -Jahren allesamt gewissermaßen ganz behäbige »Kapitalisten« geworden; -»Zinsen« trägt uns dieses Kapital allerdings nicht, dafür aber verdanken -wir ihm den Arbeitsertrag von 7 Milliarden, der, umgerechnet auf die 26 -Millionen Seelen Freilands, rund 270 Pfd. Sterl. per Kopf ergibt. - -Ehe wir jedoch einer Schilderung des auf Grundlage dieser Fülle von -Reichtum und Kraft sich entwickelnden Lebens Freilands Raum geben, wird -es notwendig sein, in kurzen Zügen einen Abriß der freiländischen -Geschichte während der letzten 20 Jahre zu bieten. - -Wir sind im vorigen Abschnitte bis zur Eröffnung der ersten -Schienenverbindung mit dem indischen Ozean auf der einen Seite und bis -zu dem Feldzuge gegen Uganda und der damit beginnenden Besiedelung der -Uferlandschaften des Ukerewe anderseits gelangt. Die Aufmerksamkeit -unserer Forscher war von da ab zunächst auf das hochinteressante -Gebirgsland nördlich und nordwestlich vom Baringosee gerichtet, wo -insbesondere das Gebiet des nahezu 4300 Meter hohen, an der Grenze -Ugandas gelegenen Elgon ihren Eifer nach mehr als einer Richtung -herausforderte. Hier war ersichtlich ein großes, den Kenia- und -Aberdarebergen an Fruchtbarkeit, klimatischen Vorzügen und -landschaftlicher Schönheit ebenbürtiges Feld zukünftiger Besiedelung -vorhanden. Die Aussicht vom Gipfel des Elgon übertraf sogar, was -Mannigfaltigkeit der gebotenen Eindrücke anlangt, alles bisher Gesehene; -im Südosten reichte der Blick bis zu der meerartig sich in unabsehbarer -Ferne verlierenden Fläche des Ukerewe; im Norden ragten, 65 Kilometer -entfernt, die mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel des Lekakisera gen -Himmel; im Osten streifte das Auge über mächtige Waldgebirge, während im -Westen sich endlos das lachende Hügelland von Uganda erstreckte. - -Doch unaufhaltsam weiter drangen unsere Pioniere; Platz war zwar noch im -Überfluß an den alten Wohnsitzen vorhanden; aber der Forschungstrieb in -Verbindung mit dem Zauber der Neuheit, der die ferner liegenden -Landschaften umgab, lockte stets neue Scharen tiefer und tiefer hinein -in den »dunklen Erdteil«. Nachdem die Ufer des Ukerewe nichts -Unbekanntes mehr boten, drangen unsere Pfadfinder in die Urwaldungen der -Zwischenseegebirge gegen den Muta-Nzige und Albertsee. Hier stießen wir -zum ersten Mal auf menschenfressende Stämme, deren Bändigung keine -geringe Arbeit bot und auch keineswegs ganz ohne Blutvergießen abging. -Am Albert-Njanza angelangt, dessen Ostufer meist kahl und unwirtlich -sind, erblickte man von jenseits verführerisch die Mondberge, deren -höchste, 4000 Meter überragende Gipfel in der kühlen Jahreszeit häufig -eine Schneedecke zeigen und von deren malerisch gegen den See -abfallenden Hängen zahlreiche Katarakte von ganz unglaublicher Fallhöhe -und gewaltigem Wasserreichtum zur Tiefe stürzen, angenehme Rückschlüsse -auf die Beschaffenheit ihrer Quellgebiete gestattend. Selbstverständlich -blieben sie nicht lange unbesucht und der Ruf der neuen Wunder -großartiger Naturpracht, die dort gefunden wurden, lenkte bald den -Schritt vieler Hunderttausende dahin. Auch dort gab es Kämpfe mit -anthropophagen Stämmen, die zum Teil heute noch ihren schlimmen -Gewohnheiten im Geheimen fröhnen. Von hier aus wandten sich die Pioniere -mehr südwärts, überall die Gebirgszüge als Heerstraße benutzend. Vor -sechs Jahren langten unsere ersten Vorposten am Tanganika an, wo sie mit -Vorliebe die sich im Westen erhebenden Höhenzüge wählten, welche -stellenweise den 900 Meter über dem Meere gelegenen Seespiegel um 1500 -Meter überragen; jetzt sitzen schon Hunderttausende in den lieblichen -Uferlandschaften dieses wenn auch nur zweitgrößten, so doch weitaus -längsten der Äquatorialseen. Der Tanganika hat nicht ganz den halben -Flächeninhalt des Ukerewe, er ist nirgends so breit, daß ein gutes Auge -nicht die jenseitigen Uferberge zu sehen vermöchte; seine Länge aber -beträgt 580 Kilometer, also ziemlich genau drei Vierteile derjenigen des -adriatischen Meeres, und der schnellste von den 286 Dampfern, die ihn -derzeit für unsere Rechnung befahren, braucht nahezu 24 Stunden, um von -seinem Nordende zum Südende zu gelangen. - -Jetzt war aber auch die Zeit gekommen, wo wir mehr und mehr mit -europäischen, resp. unter europäischem Einfluß stehenden Kolonien in -unmittelbare Berührung gerieten. Im Süden und Osten stießen wir auf -deutsche und englische Interessensphären, im Nordosten teils direkt, -teils indirekt auf französische und italienische, im Norden auf -ägyptische, im Westen an den mächtig aufstrebenden Kongostaat. Dabei -waren die sich ergebenden Wechselbeziehungen zwar überall von den -besten, entgegenkommendsten Absichten geleitet, es tauchte aber doch -eine Menge von Fragen auf, die nachgerade dringend einer endgültigen -Lösung bedurften. Für die benachbarten Kolonien stellte sich nämlich der -Übelstand heraus, daß sie nirgend die unmittelbare Nähe freiländischer -Ansiedelungen auf die Dauer zu ertragen vermochten; ihre Bevölkerung -wurde von uns angezogen, wie Eisenfeilstäbchen durch einen Magnet; wo -sich eine freiländische Association in der Nähe etablierte, blieb von -fremden Kolonien binnen kürzester Frist nichts übrig, als die verödeten -Wohnstätten, die verlassenen Plantagen; die Kolonisten waren zu uns -übersiedelt und Freiländer geworden. Dagegen konnten die fremden -Regierungen nichts thun, wollten es wohl auch nicht, da doch das -Interesse ihrer Unterthanen dabei wahrlich nicht schlecht fuhr; aber mit -Rücksicht auf die Machtstellung ihrer betreffenden Länder mußte ihnen -diese Unmöglichkeit, sich in unserer Nähe zu behaupten, unbequem werden -und sie zum Nachdenken anregen. - -Doch auch wir mußten die Frage in Erwägung ziehen, was denn geschehen -werde, wenn freiländische Ansiedler irgendwo fremdes, einem -abendländischen Volke gehöriges Gebiet betreten sollten. Bisher hatten -wir dies absichtlich vermieden; auf die Dauer war es jedoch -unvermeidlich. Was würde dann geschehen? Sollten wir, im Besitze der -stärkeren Civilisationsform, vor der zurückgebliebenen zurückweichen? -Konnten wir es, selbst wenn wir wollten? Freiland ist kein Staat im -gemeingebräuchlichen Sinne des Wortes; sein Wesen liegt nicht in der -Herrschaft über ein bestimmtes Territorium, sondern in seinen socialen -Einrichtungen; diese sind an sich mit fremden Regierungsformen ganz gut -vereinbar, und wir mußten im Interesse friedlichen Zusammenlebens mit -unseren Nachbarn bestrebt sein, diesen Einrichtungen gesetzliche -Anerkennung -- zunächst in den benachbarten Kolonialgebieten -- zu -verschaffen. - -Und nicht bloß auf dem afrikanischen Kontinente, sondern auch in den -anderen Weltteilen häuften sich die einer Erledigung dringend -bedürftigen »Fragen« zwischen uns und unterschiedlichen Regierungen. Wir -mengten uns zwar grundsätzlich nicht in die politischen Angelegenheiten -des Auslandes, aber für unser Recht und unsere Pflicht hielten wir es, -aus der Fülle unseres Reichtums und unserer Macht unseren notleidenden -Brüdern, in welchem Teile der bewohnten Erde immer, beizuspringen. -Freiländisches Geld war überall zur Hand, wo es galt, irgend welche Not -zu lindern, den Enterbten und Elenden in welchem Winkel der Erde immer -gegen Ausbeutung Hülfe zu bringen. Unsere Anmeldebureaux und Schiffe -standen jedermann zur unentgeltlichen Verfügung bereit, der sich aus dem -Jammer der alten Weltordnung zu uns herüberretten wollte, und wir ließen -es an Bemühungen nicht fehlen, die Segnungen unserer Einrichtungen -unseren leidenden Mitbrüdern in stets ausgedehnterem Maße zugänglich zu -machen. Das alles betrachteten wir, wie gesagt, als unsere Pflicht und -unser Recht zugleich; wir waren daher nicht gesonnen, uns in der -Ausübung dieser Mission durch den Einspruch ausländischer Machthaber -beirren zu lassen. Damit aber gerieten wir -- auf die Dauer ließ sich -das unmöglich verkennen -- mehr und mehr in Kollision mit den -Anschauungen einzelner europäischer und asiatischer Regierungen. Zwar im -demokratischen Westen Europas, in Amerika und Australien sprach die -öffentliche Meinung zu mächtig zu unseren Gunsten, als daß von dorther -irgendwelcher -- und sei es auch bloß passiver -- Widerstand unseren -Bestrebungen gegenüber zu besorgen gewesen wäre; anders aber verhielt es -sich in einzelnen Staaten des Ostens, und insbesondere seitdem unsere -Mittel und mit diesen unsere propagandistische Thätigkeit die kolossalen -Dimensionen der letzten Jahre erreicht hatten und eine stetige Zunahme -voraussehen ließen, begann man sich hie und da ganz ernstlich mit der -Frage zu beschäftigen, ob und durch Anwendung welcher Mittel es thunlich -wäre, freiländischem Gelde und freiländischem Einflusse die Wege zu -verlegen. Zwar scheuten einstweilen jene Regierungen noch den offenen -Bruch mit uns, teils aus Rücksicht auf die auch bei ihnen sich geltend -machende öffentliche Meinung, teils aus Respekt vor den gewaltigen -finanziellen Hülfsmitteln, über welche wir verfügten. Man wollte uns -nicht gerne zu erklärten Feinden haben, aber man wollte freiländische -Geldsendungen und deren Zwecke kontrollieren und die Auswanderung nach -Freiland einschränken. - -Wir waren nun durchaus nicht gewillt, derartigen Bestrebungen mit -verschränkten Armen zuzusehen; das Recht, unseren geknechteten -Mitmenschen beizuspringen oder ihnen die Zuflucht nach Freiland offen zu -halten, waren wir fest entschlossen, zu verteidigen, so weit unsere -Kräfte reichten, und Niemand in Freiland zweifelte daran, daß wir stark -genug seien, um die Absperrungsgelüste der fremden Machthaber im -Notfalle gewaltsam niederzuschlagen. Nur war man in Freiland ebenso -einig darüber, daß zuvor jedes erdenkliche friedliche Mittel versucht -werden müsse, ehe man an die Waffen appellieren dürfe. Und die -Schwierigkeit einer unblutigen Einigung lag eben darin, daß ersichtlich -im Punkte der Anschauungen über die kriegerische Stärke Freilands ein -Gegensatz zwischen unserer freiländischen und der außerfreiländischen -öffentlichen Meinung bestand; während wir -- wie gesagt -- der -Überzeugung waren, jedem Militärstaate der Welt, ja selbst mehreren -zugleich durchaus gewachsen zu sein, hielten uns insbesondere jene -Regierungen, mit denen wir diesfalls zu thun hatten, für militärisch -durchaus ohnmächtig. Wir mußten also darauf gefaßt sein, daß eine -eventuell drohende Sprache unserer Bevollmächtigten gar nicht ernst -genommen werden dürfte und daß gerade deshalb jeder Versuch, unseren -Standpunkt energisch zu vertreten, nur durch einen thatsächlichen Krieg -den erforderlichen Nachdruck erlangen könnte. Und ein Krieg war es denn -auch, der unseren Standpunkt allenthalben im Auslande zur Geltung -bringen sollte, nur allerdings nicht ein Krieg mit einer europäischen -oder asiatischen, sondern ein solcher mit einer afrikanischen Großmacht, -ein Krieg zudem, der mit den soeben erörterten Fragen höchstens indirekt -etwas gemein hatte, trotzdem aber auch diese zur Entscheidung brachte. - -Wie dies kam, darüber sollen die in den nachfolgenden Kapiteln -mitgeteilten Briefe Aufschluß geben. Dieselben haben den Prinzen Carlo -Falieri, einen jungen italienischen Diplomaten zum Verfasser, der -nachmals nach Freiland übersiedelte, in jener Zeit jedoch, von welcher -die Briefe handeln, im Auftrage seiner Regierung Edenthal aufsuchte. -Zugleich werden diese Korrespondenzen ein lebhaftes Bild der -freiländischen Zustände und der Lebensweise im fünfundzwanzigsten Jahre -der Gründung bieten. - - - - - 14. Kapitel. - - - Edenthal, den 12. Juli .. - -Ich schreibe Dir diese Zeilen nach mehrmonatlichem Stillschweigen aus -der Hauptstadt von Freiland, die mich und meinen Vater seit einigen -Tagen beherbergt. Was uns ins Land der socialen Freiheit gebracht hat? -Du weißt, oder weißt vielleicht auch nicht, daß meine Chefs auf Monte -Citorio sich in letzter Zeit gegen den braunen Napoleon an der Ostküste -Afrikas, den Negus Johannes V. von Abyssinien, keinen Rat mehr wissen, -und da ihnen solcher von unseren guten Freunden in London und Paris, wo -man sich in gleichen Nöten befindet, auch nicht erteilt werden kann, so -einigten sich die drei westmächtlichen Kabinette schließlich dahin, -gegen die gemeinsame afrikanische Krankheit ein afrikanisches Heilmittel -zu suchen; diesem nachzuspüren sind wir nun hier, von seiten Englands -die Herren Lord Elgin und Sir Bartelet, von seiten Frankreichs Mrs. -Charles Delpart und Henri de Pons, von seiten unseres Italien Principe -Falieri und dessen Sohn, meine Wenigkeit nämlich. Beauftragt sind wir -insgesamt, den Freiländern nahezulegen, daß es in ihrem wie in unserem -gemeinsamen Besten gelegen wäre, wenn sie ihr Land zum Kriegsschauplatze -gegen Abyssinien hergeben wollten. - -Der Negus nämlich, der uns Europäern, die wir Besitzungen an den -afrikanischen Küsten des Roten Meeres und südlich der Straße von -Bab-el-Mandeb unser eigen nennen, auch bisher schon viel zu schaffen -machte und gelegentlich des letzten Krieges die verbündeten -englisch-französisch-italienischen Armeen in Schach hielt, ja ohne die -Intervention unserer Flotten denselben um ein kleines das Schicksal -jenes ägyptischen Heeres bereitet hätte, welches nach biblischen -Berichten vor 3300 Jahren im Roten Meere ertränkt wurde, der Negus, sage -ich, hat den fünfjährigen, für uns nicht gerade rühmlichen Frieden -- -offenbar mit Hülfe gewisser guter Freunde in Europa -- dazu benützt, um -seine auch vorher schon Achtung gebietende Armee vollkommen nach -abendländischem Muster zu organisieren. Er besitzt jetzt 300000 Mann, -durchweg mit Waffen bester, modernster Konstruktion versehen, eine -vorzügliche Kavallerie von mindestens 40000 Köpfen, und eine Artillerie -von 106 Batterien, die es, unseren Militärbevollmächtigten zufolge, mit -jeder europäischen an Tüchtigkeit aufnehmen soll. Die Absichten aber, -die Johannes mit diesen für das arme Abyssinien geradezu ungeheuerlichen -Rüstungen verfolgt, können -- insbesondere nach den Erfahrungen des -vergangenen Lustrums -- nicht zweifelhaft sein. Er will uns und den -Engländern die Küstenplätze am Roten Meere, den Franzosen ihr Gebiet -südlich von Bab-el-Mandeb abnehmen. Unsere Küstenfestungen und Flotten -werden dies auf die Dauer nicht verhindern, falls es uns nicht gelingt, -die Abyssinier in offener Feldschlacht zu schlagen. Wie aber Armeen, die -der reorganisierten abyssinischen gewachsen wären, an jenen unwirtlichen -Küsten erhalten, wie einen Feldzug mit dem Meere als einziger -Rückzugslinie gegen einen Feind wagen, dessen furchtbare Offensivkraft -wir auch bisher schon sattsam kennen gelernt haben? Und doch muß dem -Negus begegnet werden, koste es, was es wolle, da mit dem Preisgeben der -Küstenorte die Verbindung mit Ostasien und dem seit den letzten zwei -Dezennien in die erste Linie des Welthandels gerückten Ostafrika für -alle europäischen Mächte verloren wäre. Ist uns doch nur zu wohl -bekannt, daß Johannes V. sich diesbezüglich mit den weitestgehenden -Plänen trägt. Heute schon werben seine Agenten in Griechenland, -Dalmatien und selbst in Nordamerika Matrosen zu Tausenden, die offenbar -bestimmt sind, eine Kriegsflotte zu bemannen, sowie der Besitz der -Küstenpunkte es den Abyssiniern ermöglicht, eine solche zu halten. Ob er -diese Flotte im Auslande kaufen, oder selber bauen will, ist annoch ein -Rätsel. Wäre ersteres der Fall, so könnte es den Nachforschungen der von -dieser Zukunftsflotte bedrohten Mächte unmöglich entgehen; aber keine -der bekannten Schiffswerften der Welt hat derzeit Kriegsfahrzeuge -unbekannter Bestimmung in Bau. Soll die abyssinische Flotte aber am -Roten Meere gebaut werden, erst nachdem dessen Küsten in abyssinische -Gewalt geraten sind, wozu braucht der Negus jetzt schon die vielen -Matrosen? Keineswegs ist dieses Geheimnis geeignet, über die -Endabsichten Abyssiniens zu beruhigen -- kurzum, man hat in London, -Paris und Rom beschlossen, den Stier an den Hörnern zu fassen und gegen -den ostafrikanischen Eroberer offensiv vorzugehen. Die drei Kabinette -wollen gemeinsam ein Expeditionskorps von mindestens 300000 Mann -ausrüsten, und mit diesem sofort nach Ablauf des fünfjährigen Friedens --- das wäre also Ende September dieses Jahres -- gegen Abyssinien -vorgehen. Als Operationsbasis aber sind diesmal nicht unsere eigenen -Küstenorte -- sondern Freiland ausersehen. Dieses würde den verbündeten -Armeen eine gesicherte Verpflegungs- und Rückzugslinie gewähren, und -Aufgabe von uns Diplomaten ist es nun, die freiländische Verwaltung für -dieses Projekt zu gewinnen. Wir verlangen nichts, als passive -Mitwirkung, d. h. freien Durchzug für unsere Truppen. Ob unsere -Instruktionen dahin gehen, diese passive Assistenz im Notfalle zu -erzwingen, weiß ich nicht, denn nicht ich, bloß mein Vater ist -eingeweiht in die letzten Hintergedanken der Leiter unserer auswärtigen -Politik, und wenn meine bekannte Schwärmerei für dies Land der -Socialisten unsere Regierung auch nicht hinderte, mich meinem Vater -beizugeben, so vermute ich doch, daß mir die intimeren Geheimnisse -unserer Diplomatie vorenthalten werden. - -Du weißt also jetzt, Freund meiner Seele, _warum_ wir nach Freiland -reisten. Bist Du zu erfahren begierig, _wie_ wir die Reise -bewerkstelligten, so diene Dir, daß wir dazu von Brindisi bis -Alexandrien den »Uranus«, eines der Riesenschiffe benützten, die -Freiland zum Zwecke des Post- und Passagierdienstes auf allen Meeren -laufen läßt. Zugleich mit uns machten 2300 Einwanderer nach Freiland die -Seereise, und wenn diesen die neue Heimat nur einen Teil dessen hält, -was sie sich von ihr versprechen, so muß sie ein wahres Paradies sein. -Mein Vater, der anfangs einige Bedenken hegte, sich einem freiländischen -Dampfer anzuvertrauen, auf welchem keinerlei Überfahrtgebühr angenommen, -dafür aber auch, wie männiglich bekannt ist, keinerlei Unterschiede in -der Behandlung der Passagiere gemacht werden, gestand mir schon am -zweiten Tage der Fahrt, daß er nicht bereue, meinem Drängen nachgegeben -zu haben. Die Kabine, die wir erhielten, war nicht zu klein, komfortabel -und von peinlichster Sauberkeit, Küche und Verpflegung ließen nichts zu -wünschen übrig und -- was uns am meisten wunderte -- der Umgang mit den -buntzusammengewürfelten Auswanderern erwies sich als keineswegs -unangenehm. Zwar waren unter unseren 2300 Reisegenossen alle Stände und -Berufsklassen, vom Gelehrten bis zum Handarbeiter, vertreten; allein -auch die letzteren erwiesen sich von dem Bewußtsein, einer neuen Heimat -entgegenzueilen, in welcher unbedingte Gleichberechtigung aller Menschen -herrschen sollte, dermaßen gehoben, daß während der ganzen Fahrt -keinerlei Roheit oder gemeine Ausschreitung vorkam. - -In Alexandrien benützten wir den nächsten nach dem Sudan abgehenden -Kurierzug, der jedoch bis Assuan, so lange nämlich ägyptische -Kondukteure und Maschinisten ihn führten, von einem solchen wenig mehr -als den Namen hatte. In Assuan nahm uns ein freiländischer Eisenbahnzug -auf, und nunmehr ging es mit einer Accuratesse und Raschheit vorwärts, -wie man sie sonst nur in England oder Amerika antrifft. Mit -raffiniertester Bequemlichkeit eingerichtete Schlaf-, Speise- und -Konversationswagen führten uns in rasendem Fluge den Nil aufwärts, den -Riesenstrom bis Dongola zweimal übersetzend. Charakteristisch ist, daß -von Assuan ab keinerlei Fahrtaxe berechnet wurde. Die im Speisewagen -oder auf den Stationen verzehrten Speisen und Getränke mußten zwar -bezahlt werden -- auf der Urania waren auch die Mahlzeiten unentgeltlich -gewesen -- die Beförderung aber besorgte das freiländische Gemeinwesen -unentgeltlich zu Land wie zu Wasser. - -Die Schilderung von Land und Leuten in Ägypten und dessen Dependenzen -wirst Du mir erlassen; es hat sich zwar diesbezüglich im letzten -Decennium, und insbesondere seit Vollendung der freiländischen Nilbahn -einiges zum Besseren geändert; aber im großen Ganzen fand ich das Elend -der Fellachen noch sehr arg und nur dem Grade, nicht dem Wesen nach -verschieden von jenen Schilderungen, die den zahlreichen älteren -Reiseberichten über diese Gegenden zu entnehmen sind. Ein durchaus -anderes Bild bot sich dem Auge, sowie wir uns dem Albert-Njanza näherten -und freiländisches Gebiet erreichten. Ich traute meinen Sinnen kaum, als -ich am Morgen des fünften Tages der Eisenbahnreise erwachend, zum -Waggonfenster hinausblickte und statt der bisherigen Landschaft von -üppigen Gärten und lachenden Hainen anmutig unterbrochene endlose -Fruchtfelder erblickte, aus deren Mitte elegante Villen, teils -zerstreut, teils zu größeren Ortschaften vereinigt, hervorleuchteten. -Als der Zug bald darauf in einer Station -- sie hieß, ein freundliches -Omen für uns Italiener, Garibaldi -- hielt, sahen wir auch zum -erstenmale Freiländer in ihrer eigentümlichen und, wie ich auf den -ersten Blick erkannte, überaus zweckmäßig den Anforderungen des Klimas -angepaßten, ebenso einfachen als kleidsamen Tracht. - -Diese ist der antik griechischen sehr ähnlich, selbst die Sandalen an -Stelle der Schuhe fehlten nicht, nur daß dieselben nicht auf bloßem -Fuße, sondern über Strümpfe getragen werden. Die Kleider der -Freiländerinnen sind zumeist farbenprächtiger, als jene der Männer, die -jedoch auch keineswegs jene düsteren monotonen Tinten zur Schau tragen, -wie die abendländische Männertracht. Insbesondere die freiländischen -Jünglinge lieben heitere, helle Farben, die jüngeren Damen bevorzugen -Weiß mit farbigen Ornamenten. Der Eindruck, den die Freiländer auf mich -machten, war ein geradezu blendender. Strotzend von Kraft und -Gesundheit, bewegten sie sich in heiterer Anmut unter den schattigen -Bäumen des Bahnhofgartens, mit einer vornehmen Sicherheit des Benehmens, -die mich anfangs glauben ließ, daß sich hier die Spitzen der -ortsansässigen Gesellschaft Stelldichein gegeben hätten. Diese Meinung -wurde noch verstärkt, als späterhin einige Freiländer den Zug bestiegen -und ich aus den Gesprächen während der Weiterfahrt entnahm, daß deren -Bildungsgrad durchaus dem äußeren Eindrucke entsprach; und doch waren es -gewöhnliche Landleute, Ackerbauer und Gärtner mit ihren Frauen, Söhnen -und Töchtern, mit denen wir es zu thun hatten. - -Nicht minder überraschend war das Behagen der unter den Weißen zerstreut -auftretenden und mit diesen unbefangen verkehrenden Neger. Deren -Kleidung war zwar noch leichter und luftiger als die der Weißen -- meist -Baumwollzeuge an Stelle der von diesen ausschließlich benützten -Schafwolle; im übrigen aber machten diese Eingeborenen den Eindruck -durchaus civilisierter Menschen, und wie ich mich aus dem Gespräche mit -einem der den Zug gleichfalls zur Weiterfahrt benützenden Neger -überzeugen konnte, stand ihre Bildung auf einer ziemlich hohen Stufe, -jedenfalls auf einer weit höheren, als die der Landbevölkerung in den -meisten Gegenden Europas. Der Schwarze, mit dem ich mich unterhielt, -sprach ein fließendes, korrektes Englisch, hielt eine freiländische -Zeitung, in welcher er während der Fahrt eifrig las und erwies sich -nicht nur in den Angelegenheiten des eigenen Landes, sondern auch über -europäische Verhältnisse sehr gut unterrichtet. - -Gegen Mittag erreichten wir mit der Station Baker den Albert-See, genau -an jener Stelle, wo ihm der weiße Nil entströmt. Hier erwartete mich -eine sehr angenehme Überraschung. Du wirst Dich noch David Neys, jenes -jungen freiländischen Bildhauers erinnern, mit welchem wir während des -letzten Herbstes in Rom zusammentrafen, und an welchen insbesondere ich -mich damals so innig anschloß, weil der herrliche Jüngling es mir durch -den Adel seiner äußeren Erscheinung sowohl, als seiner Gesinnung -angethan hatte. Was Du wahrscheinlich nicht weißt, ist, daß wir, nachdem -David nach Abschluß seiner Kunststudien Rom und Europa verlassen hatte, -wiederholt Briefe wechselten, so daß er von meiner bevorstehenden -Ankunft genau unterrichtet war. Mein Freund hatte nun die -dreißigstündige Reise von Edenthal, wo er bei seinen Eltern -- sein -Vater ist, wie Du weißt, einer der Regenten Freilands -- wohnt, an den -Albert-Njanza nicht gescheut, war mir bis Baker entgegen geeilt, und das -erste, was ich, in die Station eingefahren, bemerkte, war sein liebes, -mir freudig zulächelndes Antlitz. Er brachte meinem Vater und mir eine -Einladung der Seinen, während unseres Aufenthaltes in Edenthal ihre -Gäste zu sein. »Wenn Sie, Herr Herzog -- sagte er -- mit der Wohnung und -Bewirtung, die Ihnen ein Bürger von Freiland zu bieten vermag, zufrieden -sein wollen, würden Sie uns alle, insbesondere aber mich, dem damit das -Glück ungestörten Beisammenseins mit Ihrem Sohne zu teil würde, zu -höchstem Danke verpflichten. Den Glanz und die Pracht, an welche Sie -daheim gewöhnt sind, werden Sie allerdings in unserem Hause vermissen, -welches sich nur wenig von denen der einfachsten Arbeiter unseres Landes -unterscheidet; aber diese Entbehrung wäre Ihnen überall in Freiland -auferlegt, und ich glaube Ihnen versprechen zu können, daß Ihnen auch -bei uns keinerlei wirkliche Bequemlichkeit fehlen wird.« Zu meiner -großen Genugthuung acceptierte mein Vater nach kurzem Besinnen dieses -herzliche Anerbieten mit lebhaftem Danke. - -Über das während der eineinhalbtägigen Fahrt vom Albert-See nach -Edenthal Gesehene will ich mich für heute kurz fassen, da ja noch -Gelegenheit sein wird, ausführlich darauf zurückzukommen, und schon -dieser erste meiner freiländischen Reisebriefe ohnehin zu ungebührlichem -Umfange anschwellen wird, wenn ich Dir über das mich zunächst -Interessierende, die Lebensweise der Freiländer nämlich, auch nur -oberflächlich Bericht abstatten will. Unser Kurierzug durchflog in -rasender Eile die von Saatfeldern und Plantagen bedeckten Ebenen Unjoros -und Hügellandschaften Ugandas, lief hierauf einige Stunden längs der -Ufer des mächtig brandenden Ukerewe durch liebliches, einem einzigen -Garten gleichendes Hügel- und Bergland; bei den Riponfällen den See -verlassend, wandten wir uns in das wildromantische Gebirgsland des Elgon -mit seinen zahllosen Herden und reichen Fabrikstädten, umkreisten den -gärtenumsäumten Baringo-See und drangen durch Leikipia in die -Alpenlandschaften des Kenia ein. Gegen 9 Uhr Abend des sechsten Tages -der Eisenbahnreise erreichten wir endlich Edenthal. - -Es war eine herrliche Mondnacht, als wir, den Bahnhof verlassend, die -Stadt betraten; überdies glänzte diese im Scheine zahlloser mächtiger -elektrischer Bogenlampen, so daß dem neugierig forschenden Blicke nichts -entging. Selbst wenn ich es jetzt schon wollte, ich könnte Dir den -Eindruck, den diese erste freiländische Stadt, deren Inneres wir -betraten, auf mich machte, nicht im einzelnen schildern. Denke Dir einen -etwa hundert Quadratkilometer bedeckenden Feengarten, erfüllt von -zehntausenden reizender, geschmackvoller Häuschen und hunderten -märchenhaft prächtiger Paläste; dazu den berauschenden Duft aller -erdenklichen Blumenarten und den Gesang zahlloser Nachtigallen -- -dieselben wurden in den ersten Jahren der Gründung des Gemeinwesens aus -Europa und Asien importiert, haben sich aber seither unglaublich -vermehrt -- und fasse all' das in den Rahmen einer Landschaft, wie sie -großartiger und pittoresker kein Teil der Erde aufweist -- so kannst Du -Dir, wenn Deine Phantasie lebendig ist, eine matte Vorstellung des -Entzückens machen, mit welchem mich diese Wunderstadt erfüllte, und je -länger ich sie kennen lerne, mehr und mehr erfüllt. Die Straßen und -Plätze, durch die wir kamen, waren ziemlich menschenleer, doch -versicherte uns David, daß rings um den Edensee allabendlich bis -Mitternacht reges Leben flute. Und auch in zahlreichen Häusern, an denen -wir vorbeifuhren, herrschte geräuschvolles, heiteres Treiben. Auf -breiten, luftigen Terrassen und in den Gärten rings um dieselben saßen -und lustwandelten die Bewohner, zu kleineren oder größeren -Gesellschaften vereint; Becherklang, Musik, silberhelles Lachen schlugen -an unser Ohr, kurzum, alles deutete darauf hin, daß hier die Abende -fröhlichster Geselligkeit geweiht seien. - -Nach ungefähr halbstündiger rascher Fahrt langten wir bei der so -ziemlich im Centrum der Stadt, nicht weit vom Edensee gelegenen -Behausung unserer Gastfreunde an. Die Familie Ney empfing uns in der -herzlichsten, liebenswürdigsten Weise, trotzdem aber imponierte die -sichere Würde ihres Benehmens selbst meinem stolzen Vater aufs -Gründlichste. Insbesondere die Damen des Hauses glichen so sehr -verkleideten Prinzessinnen, daß mein Vater sich sofort in den galanten -Paladin von unerreichter Ritterlichkeit verwandelte, als welchen Du ihn -von den Hoffesten in Rom, London und Wien her kennst. Vater Ney verrät -auf den ersten Blick den tiefen, an ernste Arbeit gewöhnten Denker, dem -jedoch heitere Sicherheit des Benehmens keineswegs fehlt. Er dürfte, -nach seiner sechsundzwanzigjährigen Thätigkeit im Dienste des -freiländischen Gemeinwesens zu schließen, mindestens 50 Jahre zählen, -seinem Äußeren nach aber würdest Du ihm keine 40 geben. Der jüngere der -Söhne, Emanuel, Techniker von Beruf, ist Davids vollkommenes Ebenbild, -nur etwas dunkler und kräftiger noch als dieser, der, wie Du wissen -wirst, auch gerade kein Schwächling ist. Die Hausfrau, Ellen genannt, -eine geborene Amerikanerin, die mir, Dank offenbar den Berichten meines -David, sofort mit wahrhaft mütterlichem Wohlwollen begegnete, muß nach -dem Alter ihrer Kinder zu schließen, etwa 45 Jahre zählen, macht -indessen vermöge ihrer Jugendfrische mehr den Eindruck einer Schwester, -als einer Mutter ihrer Kinder. Sie ist von blendender Schönheit, -bezaubert aber insbesondere durch die Güte und Geisteshoheit, die ihren -Zügen aufgeprägt sind. Als ihre Töchter stellte sie uns drei junge Damen -im Alter zwischen 18 und 20 Jahren vor, von denen jedoch nur eine, -Bertha genannt, ihr und den Söhnen ähnlich ist. Diese, das verjüngte -Ebenbild ihrer Mutter, verwirrte mich geradezu durch den unsäglichen -Reiz ihrer Erscheinung, glich aber so wenig den beiden anderen, Leonore -und Klementine, daß ich mich einer Bemerkung hierüber vor David nicht -enthalten konnte. »Diese zwei sind auch nicht blutsverwandt mit uns, -sondern die Ziehtöchter meiner Mutter; was das zu bedeuten hat, erzähle -ich Dir später«, lautete die Antwort. - -Da wir -- wie Du begreiflich finden wirst -- von der sechstägigen -Eisenbahnreise trotz allen Comforts freiländischer Waggons ziemlich -erschöpft waren, baten wir, nach kurzem Geplauder mit unseren herrlichen -Wirten, um die Erlaubnis, uns in die uns bestimmten Gemächer -zurückziehen zu dürfen. David machte unseren Führer. Nachdem wir von der -geräumigen Gartenterrasse aus, auf welcher wir bis dahin geweilt hatten, -einen mit einfachem, aber gediegenem Geschmack eingerichteten -Gesellschaftsraum und einen stattlichen Speisesaal durchschritten -hatten, an welchen sich, wie ich bemerkte, rechts ein großer als -Bibliothek dienender Saal und links zwei kleinere Gemächer anschlossen, -die, wie mir David auf Befragen mitteilte, seinen Eltern als -Arbeitsstuben dienten; betraten wir eine zierliche Vorhalle, von welcher -aus eine Treppe in das obere Stockwerk mit den Schlafräumen führte. Hier -wies uns unser Führer zwei Schlafzimmer mit gemeinsamem Empfangzimmer -an. - -Dann ging es an eine kurze Erklärung der mannigfachen, zur -Bequemlichkeit der Bewohner dienenden Einrichtungen. »Ein Druck auf -diesen Knopf hier, rechter Hand neben dem Thürstock -- demonstrierte -David -- bringt den elekrischen Lustre zum Brennen, ein gleicher dort -neben dem Nachttischchen den Wandkandelaber oberhalb des Bettes. Hier -das Telephon No. 1 ist ausschließlich dem Verkehr im Hause selbst und -mit der benachbarten Wachtstube der »Association für persönliche -Dienstleistungen« bestimmt; bloßes Klingeln -- so, in diesem Rhythmus -- -bedeutet, daß sich Jemand aus der Wachtstube herbemühen möge; alle diese -Knöpfe -- sie sind durch die eigentümliche Kerbung kenntlich -- hier und -dort an den Wänden, da am Schreibtische und dort neben den Betten, -stehen mit dieser Telephonklingel in Verbindung; Sie brauchen sich also -aus dem Lehnstuhl, den Sie jetzt inne haben, nachts oder morgens aus dem -Bette, in dem Sie ruhen, gar nicht zu erheben, wenn Sie ein Mitglied -dieser allezeit dienstbereiten Gesellschaft zu sich citieren wollen. -Jedes Telephon und jedes Läutewerk hat seine Nummer in der Wachtstube -sowohl, als an einer Tafel im Vestibul, das wir soeben verlassen haben; -längstens zwei Minuten, nachdem Sie geklingelt haben, steht der auf dem -Flügelrad herbeigeeilte Abgesandte der Gesellschaft zu Ihren Diensten.« - -»Das ist eine wunderbare Einrichtung«, bemerkte ich, »die Euch die -Annehmlichkeit eines jeden Winkes gewärtigen Kammerdieners gewährt, ohne -daß Ihr den Ärger mit in den Kauf nehmen müßtet, den uns Abendländern -unsere Kammerdiener bereiten; nur dürfte dieser Luxus ziemlich -kostspielig und deshalb nicht allgemein üblich sein.« - -»Die Kosten sind sehr bescheiden, gerade weil hier alle Welt Gebrauch -von diesen öffentlichen Dienstleistungen macht«, antwortete mein Freund. -»Für je 600 bis 800 Häuser ist je eine derartige Wachtstube mit je drei -Wachthabenden errichtet; es wird nun jede geforderte Dienstleistung nach -der Zeit bezahlt, richtiger gesagt, angerechnet, und zwar, wie dies nun -einmal bei uns üblich ist, nach Maßgabe des von unserer Centralbank am -Schlusse jedes Bilanzjahres veröffentlichten Durchschnittswertes der -Arbeitsstunde. Im abgelaufenen Jahre, wo der Stundenwert 8 Shilling -betrug, mußten wir für je 3 Minuten -- denn das ist die Einheit, nach -welcher diese Gesellschaft rechnet -- 40 Pfennige bezahlen; wer nun -häufig klingelt und die Association stark in Atem erhält, auf den -entfällt am Jahresschluß ein stärkerer, wer dies seltener thut, ein -geringerer Beitrag: für alle Fälle aber muß die Association auf ihre -Kosten, d. h. auf ihre Ausgaben kommen und auf den Verdienst für ihre 9 -wachthabenden Mitglieder -- denn die drei Wächter wechseln morgens, -mittags und abends. Diese für je eine Wachtstube erforderliche Summe -berechnete sich im Vorjahre mit rund 6000 Pfd. Sterling, und da -beispielsweise die Zeitrechnungen der sämtlichen 720 Familien unseres -Rayons nicht ganz zwei Dritteile dieser Summe ergeben hatten, so wurden -die restlichen 2000 Pfd. Sterling nach Maßgabe des von jeder Familie -gemachten Gebrauches nachgetragen. Unsere Familie hat verhältnismäßig -geringen Bedarf nach den guten Diensten dieser Wachtstuben; wir zahlten -z. B. im Vorjahre alles in allem 6 Pfd. Sterling, nämlich 4 Pfd. -Sterling direkte Zeittaxen und 2 Pfd. Sterling nachträglichen Zuschlag, -denn wir hatten binnen Jahresfrist bloß zweihundertmal 3 Minuten der -fraglichen Dienste bedurft.« - -»Warum« -- so fragte mein Vater -- »wird in Ihrem Hause verhältnismäßig -weniger geklingelt, als anderwärts?« - -»Weil unser Haushalt beständig zwei oder drei junge Damen beherbergt, -die es sich zur angenehmen Pflicht machen, meinen Eltern all' jene -persönlichen Dienste zu leisten, die sich mit der Würde wohlerzogener, -gebildeter Frauenzimmer vertragen. Diese -- seit einem Jahre auch von -meiner Schwester unterstützten -- Mädchen sind junge Freiländerinnen, -wie man sie in jeder freiländischen Familie findet, wo die Hausfrau im -Rufe besonderer Intelligenz und feiner Sitte steht -- Sie entschuldigen, -daß ich meine Mutter so ohne weiteres zu diesen Auserwählten zähle. -Jedes junge Mädchen Freilands rechnet es sich zur besonderen Ehre und zu -großem Vorteile an, in einem solchen Hause mindestens für ein Jahr -Aufnahme zu erlangen, weil allgemein die Ansicht besteht, daß nichts den -Geist und die Sitte heranwachsender weiblicher Geschöpfe mehr veredle, -als möglichst intimer Umgang mit hervorragenden Frauen. -Selbstverständlich ist, daß derartige junge Damen durchaus wie Kinder -vom Hause angesehen und behandelt werden; aber sie leisten ihren -Adoptiveltern auch durchweg die nämlichen Dienste, wie aufmerksame, -liebevolle Töchter. Vater und Mutter können einen Wunsch kaum im -Gedanken fassen, so ist er schon erraten und erfüllt.« - -»Ei, das ist ja ganz das Institut unserer königlichen Ehrenfräulein«, -meinte lächelnd mein Vater. - -»Allerdings; und ich zweifle sehr, ob Ihr Königspaar so gut, und -insbesondere ob es so zärtlich betraut ist, wie mein Elternpaar -jederzeit von diesen Ziehtöchtern der Mutter, deren seit 18 Jahren -- -denn so alt ist diese Einrichtung in Freiland -- nicht weniger als 24 -durch unser Haus gegangen sind, die aber sämtlich heute noch in durchaus -kindlichem Verhältnisse zu meinen Eltern und in geschwisterlichem zu uns -stehen. Unsere gegenwärtigen Ziehschwestern Leonore und Klementine haben -Sie soeben kennen gelernt.« - -»Sie sagten vorhin«, nahm wieder mein Vater das Wort, »daß Ihr gesamtes -Haus -- also vier Damen und drei Herren -- während eines ganzen Jahres -bloß zweihundertmal 3 Minuten hindurch die durch diese Klingel citierten -dienstbaren Geister in Anspruch genommen hätte; außerdem erwähnten Sie -die Dienste der reizenden Ehrenfräulein -- wer aber verrichtet jene -gröberen Hantierungen, welche binnen 600 Minuten oder zehn Stunden -jährlich kaum der Geist aus Aladins Lampe in einem Hause wie dieses hier -zu vollbringen vermöchte. Sie haben, wie mir scheint, etwa zehn bis -zwölf Wohnräume; das Estrich ist zwar aus Marmor -- aber sie müssen doch -gefegt werden. Ich sehe überall schwere Teppiche, wer reinigt diese? Mit -einem Worte, wer verrichtet die gröbere Arbeit in diesem, wie der -oberflächlichste Augenschein zeigt, mit peinlichster Sorgsamkeit instand -gehaltenen, komfortabel eingerichteten Hause?« - -Die nämliche Association, mit deren Wachtstube ich Sie soeben bekannt -gemacht habe; nur brauchen wir nicht zu klingeln, um diese, zum -regelmäßigen Bedarfe gehörigen Verrichtungen besorgen zu lassen, -vielmehr geschieht dieses auf Grund eines vereinbarten Tarifs, ohne daß -man sich fernerhin darum zu kümmern hätte, mit einer Pünktlichkeit, die -nichts zu wünschen übrig läßt. Die Association besitzt Haus- und -Stubenschlüssel der mit ihr in Akkord stehenden Häuser. Zeitlich -morgens, wir schlafen meist noch alle, erscheinen geräuschlos ihre -Sendlinge, nehmen die zu reinigenden Kleider -- richtiger die zu -wechselnden, denn wir Freiländer tragen niemals ein Kleidungsstück an -zwei aufeinander folgenden Tagen -- von den Orten, wo sie des Abends -hinterlegt wurden, thun die gereinigten an die dazu bestimmte Stelle, -bereiten die Bäder -- denn in den meisten freiländischen Häusern hat -jedes Familienglied sein besonderes Bad, das täglich genommen wird, es -sei denn, daß man ein See- oder Flußbad vorzöge -- reinigen die Vorräume -und einen Teil der Stuben, entfernen die Teppiche und sind verschwunden, -ohne daß man zumeist auch nur eine Ahnung ihrer Anwesenheit besitzt. Und -zu all dem genügen wenige Minuten. Es wird nämlich fast durchweg mit -Maschinen gearbeitet. Sehen Sie jenen kleinen Apparat dort hinten im -Korridor? Das ist eine Wasserkraftmaschine, in Gang gebracht durch das -Öffnen jenes Hahnes dort, der sie mit der großen, von den Keniakaskaden -gespeisten Hochdruckleitung in Verbindung setzt. (In anderen Städten, wo -Wasserdruck bis zu 35 Atmosphären nicht so leicht zu beschaffen ist, -thun elektrische oder atmosphärische Kraftleitungen den nämlichen -Dienst.) Hier die stählerne Welle in der mit dem zierlichen Gitter -verdeckten Höhlung am Boden, und dort oben am Plafond die broncene, die -dem Gestänge zum Aufhängen der Spiegel und Bilder zum Verwechseln -ähnlich sieht -- es sind alles Transmissionen, welche die Bewegung der -Wassermaschine in jeden Raum des ganzen Hauses, von den Kellern -angefangen bis zu den Gelassen unter dem Dache, übertragen. Und dort in -jener Kammer findet sich eine Anzahl von Maschinen, deren Bedeutung ich -Ihnen schwer erklären kann, wenn Sie sie nicht in Funktion sehen. Eine -Reihe anderer Geräte führen die 3-4 Leute der Association bei ihren -Besuchen mit sich, und wenn diese Maschinen mit dem Gestänge da oben -oder da unten in Verbindung gebracht sind und der Hahn des Wassermotors -geöffnet wird, so ist solch ein Raum im Handumdrehen gefegt, gewaschen, -die schwerste Last an ihren Ort gebracht, kurz alles mit Zauberschnelle -geräuschlos verrichtet, was Menschenhände nur langsam und meist mit -unangenehmem Gepolter zuwege brächten. - -»Einige Zeit später erscheinen die Arbeiter der Association neuerlich, -um die noch übrigen Stuben zu reinigen, die früher entfernten Teppiche -an ihren Ort zu geben, in Küche und Frühstückszimmer alles zum Frühstück -Erforderliche herzurichten. Und so kommen und gehen diese Leute tagsüber -mehrmals, so oft es eben vereinbart ist, um nach dem Rechten zu sehen. -Alles geschieht unaufgefordert, unhörbar, mit Blitzesschnelle. Unser -Haus gehört zu den größeren, unsere Einrichtung zu den besseren in -Edenthal; die Association hat also in wenigen Häusern mehr zu thun, als -bei uns; trotzdem rechnete sie uns für all' diese Dienste im Vorjahre -nicht mehr als 180 Stunden an, für welche wir nach dem bereits erwähnten -Tarife jenes Jahres 72 Pfd. Sterling zu zahlen hatten. Ich bezweifle, -daß irgend ein Haus gleich dem unsrigen in Europa oder Amerika um das -Doppelte und Dreifache dieses Betrages in gleich gutem Stande erhalten -werden könnte. Und dabei haben wir statt mit den leidigen »Domestiken«, -mit intelligenten, höflichen, diensteifrigen Geschäftsleuten zu thun, -die schon durch die Konkurrenz -- denn wir haben in Edenthal sechs -solche Associationen -- genötigt sind, ihr Äußerstes zur Befriedigung -der sie beschäftigenden Familien zu thun. Die Mitglieder dieser -Associationen sind Gentleman, mit denen man füglich an der gleichen -Tafel Platz nehmen kann, die sie soeben selber hergerichtet, und weder -unsere zwei »Ehrenfräulein«, noch meine Schwester, würden den geringsten -Anstand nehmen, bei Tische mit anderen Gästen auch Mitgliedern der -Association für persönliche Dienstleistungen aufzuwarten. - -»Sie werden übrigens die Herren der Association heute noch kennen -lernen, denn die unser Haus versorgenden Mitglieder werden sofort -eintreffen, um sich mit peinlicher Genauigkeit über jeden Ihrer -speziellen Wünsche zu unterrichten. Sie dürfen nicht ungeduldig werden, -wenn _Sie_ dabei einem etwas umständlichen Verhöre unterzogen werden; es -geschieht zu Ihrem Besten und nur dies eine Mal. Haben Sie einmal den -keine Kleinigkeit übersehenden Fragen der Association Stand gehalten, so -wird es Ihnen, so lange Sie in Freiland sind, gewiß nicht widerfahren, -des morgens ein anderes als das gewünschte Kleid an der bezeichneten -Stelle, Ihr Bad um einige Grade zu kalt oder zu warm, Ihr Bett nicht in -der gewohnten Weise bereitet zu finden, oder was dergleichen kleine -Ungehörigkeiten mehr sind, aus deren Vermeidung zu nicht geringem Teile -das häusliche Behagen besteht. - -»Mit der Association für persönliche Dienstleistungen wären wir fertig. -Ich kann also mit der Erklärung unserer häuslichen Einrichtungen -fortfahren. Hier dieses andere Telephon hat die auch in Europa -gebräuchliche Bestimmung, mit dem Unterschiede allerdings, daß -hierzulande Jedermann sein Telephon besitzt. Jene Schraube dort hat den -Zweck die Kaltluftleitung zu öffnen, welche künstlich gekühlte und -zugleich ein wenig ozonisierte Luft in jeden Raum leitet, falls die -Hitze unangenehm werden sollte; da dieses ausnahmsweise -- wenn nämlich -in den heißen Monaten ein nächtliches Gewitter am Horizonte heraufzieht --- auch des Nachts vorzukommen pflegt, so ist die Schraube -vorsichtshalber in der Nähe des Bettes angebracht.« - -Ich teile Dir all' diese Details mit, weil ich glaube, daß sie Dich als -Beweise dafür interessieren werden, wie wunderbar es diese Freiländer -verstanden haben, unsere abendländischen Haussklaven durch ihre -»eisernen Sklaven« zu ersetzen. Bemerken will ich nur noch, daß die -»Association für persönliche Dienstleistungen« selbst meines Vaters -weitgehenden Ansprüchen durchaus zu genügen vermochte; er versichert, im -Hotel Bristol zu Paris keine bessere Bedienung gefunden zu haben. - -Um Dich nicht zu ermüden, erlasse ich Dir die Schilderung des ersten und -zweiten Frühstücks am nächsten Tage, und will Dir nur nach der -Hauptmahlzeit, die um 6 Uhr genommen wird, den Mund wässern machen. - -David gestand mir auf Befragen, daß man uns zu Ehren den sonst -gebräuchlichen vier Gängen einen fünften zugelegt habe; aber nicht in -der Mannigfaltigkeit, sondern in der Vorzüglichkeit der Gerichte, wie -nicht minder in der Abwesenheit nicht zur Gesellschaft gehöriger und -deshalb störender Dienerschaft bestand der Reiz des Mahles. Ohne -Übertreibung kann ich versichern, selten so vorzügliche Bereitung, -niemals zuvor aber so erlesenes Material vereinigt gesehen zu haben. Das -Fleisch der auf den würzigen Hochalpen gemästeten jungen Ochsen und -zahmen Antilopen hat nirgend anderwärts seines Gleichen; die Gemüse -stellen die seltensten Schaustücke einer Pariser Ausstellung in den -Schatten; insbesondere aber ist die Pracht und Mannigfaltigkeit seiner -Frucht- und Obstsorten der Stolz Freilands. Und nun die mysteriöse Art -des Servierens! Ein in der Wand des Speisegemachs angebrachter Schrank -entwickelte aus seinem Innern eine scheinbar unerschöpfliche Reihe von -Eßwaren. Zunächst entnahm Fräulein Bertha diesem Schrank eine Terrine, -welche sie vorsichtig an den elfenbeinenen Henkeln anfassen mußte -- als -der Deckel gehoben wurde, präsentierte sich eine köstlich dampfende -Suppe. Dann gab ein anderes Fach des gleichen Schrankes einen Fisch -heraus -- derselbe war kalt, als ob er frisch vom Eise gekommen wäre. -Nun folgte -- wieder aus einem anderen Fache -- ein warmes Ragout, -diesem ein ditto Braten mit mannigfaltigen Gemüsen und Salat -- dann kam -Eis mit Backwerk, Obst, Käse. Den Schluß bildete ein schwarzer Kaffee, -der aber vor den Augen der Gäste bereitet wurde, nebst erlesenen -Cigarren -- alles gleich dem Biere und den Weinen freiländisches Gewächs -und Fabrikat. Dienerschaft war während der ganzen Mahlzeit nicht -sichtbar; die drei reizenden Mädchen holten alles aus dem -geheimnisvollen Schranke oder von einem in dessen Nachbarschaft -befindlichen Serviertische. - -Frau Ney machte jetzt den Cicerone. »Dieser Wandschrank« -- erklärte sie --- »ist zur einen Hälfte Eiskeller, d. h. von gekälteter Luft -durchströmt, zur anderen Hälfte Herd, d. h. mit elektrischen -Heizvorkehrungen ausgestattet; in der Mitte zwischen diesen beiden -Extremen befindet sich -- durch schlechtleitende Wände von beiden -getrennt -- eine neutrale Abteilung von gewöhnlicher Zimmertemperatur. -Außerdem hat dieser Schrank die Eigenheit, sich nach zwei Seiten zu -öffnen, hier herein in den Speisesaal, und hinaus in den Korridor. -Während wir nun tafelten, brachte die »Speiseassociation« in rascher -Reihenfolge die bei ihr bestellten Gerichte, teils vollkommen bereitet, -teils, wie z. B. den Braten und einige Gemüse, fertig adjustiert, aber -noch roh. Die fertigen Speisen wurden vom Korridor aus in die -verschiedenen Fächer des Schrankes eingeschoben; Braten und Gemüse -kochte ein Mitglied der Association in der rückwärts befindlichen Küche -mit gleichfalls elektrischem Herde gar. Das ist übrigens nicht die -gewöhnliche Ordnung; wenn wir allein sind, wird in der Regel auch das -Geschäft des Garkochens hier am Schranke besorgt und zwar von meinen -Töchtern; das nimmt bloß kurze Zeit in Anspruch und Küchendünste sind -dabei niemals zu spüren, denn dieser Speiseschrank, der Herd- und -Eiskeller zugleich ist, vereinigt damit auch noch die Eigenschaften -eines guten Ventilators. Das Reinigen der Geräte ist Sache der -Association, die übrigens, wenn es gewünscht wird, auch das Geschäft des -Servierens bei Tisch übernimmt. - -Der Kaffee wurde im Freien auf einer der Terrassen genommen; dann sangen -die Damen zur Harfe und zum Klavier einige Lieder. Inzwischen machte uns -Herr Ney mit den Familienverhältnissen der beiden Ziehtöchter seiner -Frau bekannt. Die eine derselben -- Leonore -- ist eines Ackerbauers -Kind aus Leikipia, die andere -- Klementine -- die Tochter eines seiner -Departementschefs. Letzteres befremdete uns. »Warum« -- so fragte ich -- -»verläßt diese zweite Dame das elterliche Haus, das doch auch ein -vornehmes, hochgebildetes sein muß?« Herr Ney erklärte nun, daß die -Ziehtöchter nicht sowohl das vornehme gebildete »Haus«, sondern -ausschließlich die gebildete, geistreiche _Frau_ des Hauses suchen. Der -Mann mag noch so berühmt und gelehrt sein, wenn die Hausfrau ein -gewöhnliches Geschöpf ist, betritt niemals eine Ziehtochter ihre -Schwelle. Diese Institution hat eben bloß den Zweck, den betreffenden -Jungfrauen den Vorteil eines höheren Beispiels, eines veredelnden -weiblichen Umganges, nicht aber den Glanz günstiger äußerer Verhältnisse -zu gewähren, was, nebenbei bemerkt, angesichts der hier herrschenden -Zustände auch keinen rechten Sinn hätte, da im großen Ganzen jede -freiländische Familie dem Wesen nach auf gleichem Fuße lebt. Die Mutter -Klementinens nun ist eine herzensgute brave Dame, aber schließlich doch -nur eine tüchtige Hausfrau; »deshalb bat sie meine Ellen, die«, so fügte -er leuchtenden Auges hinzu, »den edelsten Frauen unseres an herrlichen -Weibern so reichen Landes zugezählt wird, um die Gunst, sich ihrer -Klementine für zwei Jahre anzunehmen.« - -Ich muß für heute schließen, denn Müdigkeit überwältigt mich, trotzdem -ich Dir noch vielerlei über meine Erfahrungen sowohl innerhalb als -außerhalb des Ney'schen Hauses zu erzählen hätte .... - - - - - 15. Kapitel. - - - Edenthal, den 18. Juli. - -Erst heute komme ich dazu, den vor Wochenfrist unterbrochenen Bericht -über unsere hiesigen Erlebnisse wieder aufzunehmen. Begreiflich wirst Du -finden, daß wir beide, mein Vater und ich, vor Begierde brannten, die -Stadt zu besichtigen, welchen Wunsch erratend, uns Herr Ney schon am -Morgen des ersten Tages einlud, unter seiner und seines Sohnes Führung -eine Rundfahrt durch Edenthal zu unternehmen. Der Wagen warte schon. - -Es war das ein leicht und elegant gebautes Gefährte auf stählernen, -denen eines Velocipeds ähnlichen Rädern, mit zwei bequemen, für je zwei -Personen ausreichenden Sitzen. Da wir beide Davids zum Einsteigen -auffordernde Handbewegung mit betretenen Mienen aufnahmen und keine -Anstalt machten, der Einladung Folge zu leisten, bemerkte dieser erst, -daß wir die -- Pferde vermißten. Er sah sich also bemüßigt, uns zu -erklären, daß man hierzulande aus mancherlei Gründen im Wagenverkehr, -insbesondere im städtischen, die animalische Zugkraft durch mechanische -ersetzt habe. Das sei sicherer, reinlicher und nebenbei auch billiger. -Der Lenker dieser Gefährte, einer Art Draisinen, dessen Platz rechts auf -dem vorderen Sitze ist und dessen Amt keinerlei Kraftaufwand oder -besondere Kunstfertigkeit erfordert, setzt durch einen leichten Druck -nach abwärts auf eine zur rechten Hand angebrachte kleine Hebelstange -den Wagen in Bewegung, und zwar in desto raschere, je stärker gedrückt -wird; ein Druck nach aufwärts verlangsamt den Gang oder bringt das -Gefährte zum Stillstand; das Ausweichen oder Umlenken nach rechts oder -links wird durch entsprechende Drehbewegungen desselben Hebels -hervorgebracht. Die Kraft, welche die Räder in Bewegung setzt, ist weder -Dampf noch Elektricität, sondern die Elasticität einer Spiralfeder, die -jedoch nicht fix mit dem Wagen verbunden, sondern nach Bedarf -einzuschalten oder zu entfernen ist. - -»Die oberhalb der vorderen Achse angebrachte, etwa ½ Meter lange und 20 -Centimeter tiefe cylindrische Kapsel hier«, so demonstrierte mein Freund --- »ist zur Aufnahme der Spiralfeder bestimmt. Vor dem Gebrauche wird -die Feder »aufgezogen«, d. h. in Spannung gebracht und zwar in sehr -hochgradige, ein Geschäft, welches Dampfmaschinen in den Ateliers der -»Association für Transportwesen« besorgen, und solcherart einen -entsprechenden Teil ihrer in Form von Dampfspannung vorhandenen -Arbeitsenergie in die Form von Federnspannung umwandeln. Dieses in den -Spiralen niedergelegte Quantum lebendiger Kraft genügt, um -- durch -einen sehr einfachen Mechanismus auf die Achse des Rades übertragen -- -ein solches Rad zehntausend Umdrehungen machen zu lassen, auch wenn der -Wagen ziemlich schwer beladen ist, und da der Radumfang 2 Meter beträgt, -so reicht der Kraftvorrat der Spirale zur Durchmessung eines Weges von -20 Kilometern hin. Die Schnelligkeit der Fortbewegung hängt einerseits -von der Belastung des Wagens, anderseits von der mehr oder minder -vollständigen Auslösung der Hemmvorrichtung -- reguliert durch den Druck -des oben erwähnten Hebels -- ab; das zu erreichende Maximum bei mäßiger -Belastung und gutem Wege beträgt bei diesen gewöhnlichen Draisinen 2½ -Radumdrehungen, d. i. eine Fortbewegung um 5 Meter in der Sekunde oder -18 Kilometer in der Stunde: doch besitzen wir auch sogenannte Rennwagen, -mit denen nahezu die doppelte Geschwindigkeit erreicht werden kann. Die -Kraft der Spirale ist erschöpft, sowie das Rad seine 10000 Umdrehungen -gemacht hat, was auch bei langsamerem Fahren binnen 1¼-1½ Stunden -eintritt; es muß daher bei länger dauernden oder rascheren Fahrten für -angemessene Reserven gesorgt werden, was in mannigfaltiger Weise -geschieht. Zunächst kann man eine oder mehrere aufgezogene Spiralen -- -denn wenn die Hemmung geschlossen bleibt, bewahren dieselben Monate und -Jahre lang ihre Spannung -- für welche hinten im Wagen eigene -Reservebehälter angebracht sind, auf die Fahrt mitnehmen. Da jedoch jede -Spirale mindestens 35 Kilogramm wiegt, so hat auch diese Art -Kraftverlängerung ihre Grenzen; außerdem ist das Auswechseln der -Spiralen immerhin keine angenehme Arbeit; man zieht daher in der Regel -die zweite Methode der Kraftverlängerung vor, die darin besteht, daß man -nach Verlauf einer gewissen Zeit bei einer der zahlreichen, auch anderen -Zwecken dienenden Stationshäuschen der Transportassociation, die sich -auf allen belebteren Straßen finden und durch weithin sichtbare Flaggen -kenntlich sind, Halt macht und die Spirale wechseln läßt. Jede Station -besitzt jederzeit einen genügenden Vorrat gespannter Spiralen und so -kann man jede beliebige Zeit hindurch umherkutschieren, ohne stecken zu -bleiben, zumal wenn man die Vorsicht gebraucht, für den Fall des -Übersehens einer notwendig gewordenen Auswechslung eine Reservespirale -mit sich zu führen. Solche Auswechslungsstationen aber giebt es nicht -bloß in und um Edenthal, sondern in und um alle Städte Freilands und -außerdem auf allen belebteren Landstraßen, und da die unterschiedlichen -Associationen des gleichen Geschäftszweiges im ganzen Lande so klug -waren, überall Spiralen von genau den gleichen Maßen einzuführen, so -kann man das ganze Land bereisen und mit einiger Bestimmtheit darauf -rechnen, überall entsprechende Relais zu finden. Will man jedoch völlig -sicher gehen, so kann man sich durch seine Association die -Relaisspiralen für eine vorher angegebene Route eigens bestellen, in -welch letzterem Falle auch nichts hindert, die großen Straßen zu -verlassen und minder frequentierte Nebenwege einzuschlagen, sofern -dieselben nur nicht allzuschlecht und steil sind, was aber angesichts -der hohen Vollendung des freiländischen Straßennetzes nur bei ganz -entlegenen Gebirgswegen zu besorgen ist. Unsere Familie hat solcherart -vor zwei Jahren das ganze Aberdare- und Baringo-Gebiet bereist, dabei -1700 Kilometer zurückgelegt und zu der ganzen Reise in aller -Bequemlichkeit bloß 14 Tage gebraucht.« - -Wir entschlossen uns endlich kopfschüttelnd, den automatischen Wagen zu -besteigen. Mein Vater mit Herrn Ney nahm den ersten, ich mit David den -zweiten Sitz ein; ein Druck Ney's auf den Leithebel, und geräuschlos -setzte sich die Maschine in Bewegung, unserem ersten Ziele, dem Edensee -zu. Dessen Ufer sind mit Ausnahme der Nordwestseite, wo in einer -Ausdehnung von 5 Kilometern die Quais für den Waarenverkehr sich -erstrecken, sämtlich von vierfachen Palmenreihen umsäumt und bestehen -teils aus breiten, bis zum Wasserspiegel hinabreichenden Marmorstufen, -teils aus in den See vorspringenden Molen, bedeckt von säulengetragenen -Wandelbahnen. An letzteren landen die zahlreichen, den See nach allen -Richtungen durchfurchenden Passagierdampfer, die jedoch, um die -balsamische Luft nicht zu verderben, mit vollkommen funktionierenden -Rauchverzehrern versehen sein müssen. Auch das mißtönige Pfeifen der -Dampfventile ist in Edenthal verpönt. Denn der Edensee ist nur nebenbei -Verkehrsstraße; seine hauptsächliche Bestimmung ist die eines gewaltigen -Zier- und Lustteiches. Ein großer Teil der Ufer wird von den luxuriös -ausgestatteten Badeanstalten eingenommen, die weit in den See -hineinreichen und zu jeder Tageszeit von tausenden Badender benützt -werden. Neben diesen, zumeist von schattigen Lusthainen umgebenen Bädern -haben sich auch die sämtlichen Theater-, Opern- und Konzerthäuser -Edenthals, im Ganzen 16 an der Zahl, angesiedelt, die wir jedoch -einstweilen nur von außen in Augenschein nahmen. Unsere Gastfreunde -machten uns darauf aufmerksam, daß der Edensee seine Hauptreize erst bei -Monden- oder Elektrodenschein entfalte, und daher an einem der nächsten -Abende von uns aufgesucht werden solle. - -Wir wendeten den Wagen und bogen in eine der Radialstraßen, die vom See -zu den halbkreisförmig das Edenthal umgrenzenden Höhen führen. Hier -leuchtete uns sofort, wenn auch noch reichlich 3 Kilometer entfernt, ein -Riesenbau entgegen, der selbst den dieses Anblicks Gewohnten stets aufs -neue mit staunender Bewunderung erfüllen muß, uns Fremden aber geradezu -die Sinne verwirrte. Er ist ebenso unerreicht an Größe, wie -unvergleichlich an Ebenmaß und harmonischer Vollendung all seiner -Bestandteile. Er macht gleichzeitig den Eindruck des überwältigend -Majestätischen und des märchenhaft Lieblichen. Dieses, vor 5 Jahren -vollendete Wunderwerk ist der Volkspalast von Freiland, der Sitz der -zwölf obersten Verwaltungsbehörden und der zwölf Vertretungskörper. Er -ist durchwegs aus weißem und gelbem Marmor gebaut, übertrifft an -Flächenausdehnung den Vatikan, seine luftigen Kuppeln sind höher als der -Petersdom; daß er mit einem Kostenaufwande von 9½ Millionen Pfd. -Sterling hergestellt werden konnte, erklärt sich bloß dadurch, daß alle -Baugewerke wie nicht minder die hervorragendsten Künstler des Landes -sich dazu drängten, bei dem Baue irgendwie verwendet zu werden. Und -- -so belehrte mich David -- das geschah nicht etwa aus patriotischer, -sondern aus rein künstlerischer Begeisterung. Freiland ist reich genug, -um sein Volkshaus wie hoch immer zu bezahlen; um den Bau billiger zu -gestalten, hätte sich also Niemand in Aufregung versetzt; aber die aus -dem Entwurfe hervorleuchtende eigenartige, überwältigende Schönheit des -Werkes hatte es allen Künstlern angethan. Er erinnere sich noch der -fieberhaften Erregung, mit der schon die Mitglieder jener -Prüfungskommission, welche über die vorgelegten Bauentwürfe zu -entscheiden hatte, allenthalben erzählten, es sei ein Plan eingelaufen, -von einem bis dahin unbekannten jungen Architekten, der Unsagbares -biete; eine neue Ära der Baukunst sei angebrochen, ein neuer Baustil -erfunden, der an Adel der Form die besten griechischen, an Großartigkeit -die gewaltigsten ägyptischen Denkmale erreiche. Und diese Begeisterung -teilte sich allen mit, die den Entwurf sahen; die Konkurrenten -- es -waren deren nicht weniger als 84, denn in Edenthal wurde damals schon -viel und schön gebaut -- zogen ausnahmslos ihre Entwürfe zurück, und -huldigten freiwillig dem neuaufgegangenen Stern am Kunsthimmel. - -Wir waren sobald nicht dazu zu bewegen, uns der Besichtigung anderer -Bauwerke zuzuwenden. Endlich, nachdem wir dreimal die Runde um den -Volkspalast gemacht, willigten wir ein, demselben den Rücken zu kehren. -Mit der Aufzählung der zahllosen Prachtbauten, an denen wir flüchtig -vorbeirollten, will ich Dich verschonen; nur soviel lasse Dir sagen, daß -die Mannigfaltigkeit und Großartigkeit der den unterschiedlichen -wissenschaftlichen und künstlerischen Zwecken dienenden öffentlichen -Anstalten auf mich durchaus verblüffend wirkte. Die Akademien, Museen, -Laboratorien, Versuchsanstalten u. dergl. wollten gar kein Ende nehmen -und allen sah man es auf den ersten Blick an, daß sie mit -verschwenderischer Munifizenz ausgestattet seien. - -Nachdem wir schon an zahllosen öffentlichen Gebäuden vorbeigefahren -waren, deren Bestimmung mir zum Teil nur schwer begreiflich gemacht -werden konnte, da unser »civilisiertes« Europa nichts ihnen Ähnliches -besitzt -- ich nenne Dir beispielsweise bloß das Institut für -»animalische Zuchtversuche«, welches den Zweck hat, durch Experiment und -Beobachtung festzustellen, welchen Einfluß Erblichkeit, Lebensweise, -Nahrung auf die Entwickelung des menschlichen Organismus äußern -- fiel -es mir auf, daß wir noch an keinem Spital vorbeigekommen. Da ich nun -begierig war zu sehen, wie die weltberühmte freiländische Humanität, die -seit Jahren mindestens die Hälfte aller Spitäler der Welt mit reichen -Mitteln ausstattet, daheim im eigenen Lande sich der armen Kranken -annehme, bat ich David, uns doch in ein solches zu führen. »Ich kann Dir -ebensowenig ein Spital, als einen Kerker oder eine Kaserne in Edenthal -zeigen, aus dem sehr einfachen Grunde, weil wir deren in ganz Freiland -keines besitzen«, war dessen Antwort. - -»»Den Mangel von Kerker und Kaserne lasse ich gelten; man weiß ja, daß -Ihr Freiländer Euch ohne Kriminal- und Militärwesen behelft; aber -- so -meinte ich -- Krankheiten muß es doch auch hier geben, diese haben doch -mit Euren socialen Einrichtungen nichts zu thun!«« - -»Letzteres kann ich zwar nicht so unbedingt zugeben«, mengte sich hier -Herr Ney ins Gespräch; »auch die Krankheiten haben unter dem Einflusse -unserer socialen Institutionen abgenommen; aber verschwunden sind sie -allerdings nicht; wir haben Kranke auch in Freiland -- aber keine -_armen_ Kranken, weil wir eben keine Armen haben, weder kranke, noch -gesunde. Wir besitzen daher auch nicht jene Sammelstellen des -Massensiechtums, die man da draußen mit dem Namen »Spital« bezeichnet. -Anstalten, in denen sich Kranke unter besonderer Aufsicht gegen gute -Bezahlung verpflegen lassen können, haben wir allerdings und sie werden -insbesondere in Fällen schwierigerer chirurgischer Operationen häufig -aufgesucht; aber das sind Privatanstalten und sie gleichen in ihrer -Einrichtung wie in ihrem Gebaren durchwegs Ihren feinsten Sanatorien für -»distinguierte Patienten«.« - -Wir waren inzwischen des Fahrens müde geworden, was nach nahezu -vierstündiger Rundfahrt trotz des sanften Ganges und der bequemen -Einrichtung der Wagen erklärlich erscheint. Neys machten daher den -Vorschlag, den automatischen Wagen heimzuschicken und den Rückweg zu -Fuße anzutreten, was von uns gern angenommen wurde. Wir hielten vor -einem der Stationshäuschen der Transportassociation, ließen dort das -Gefährte zurück und durchschritten die schattigen Alleen, von denen jede -Edenthaler Straße eingesäumt ist. Jetzt hatten wir Muße, die zierlichen -Privathäuser näher zu betrachten, die zwar alle den eigentümlichen, halb -an den maurischen, halb an den griechischen erinnernden Edenthaler -Baustil zeigen, im übrigen aber weder an Größe noch an Ausstattung -gleich sind. Den vornehmsten Reiz dieser Villen bilden deren -wunderliebliche Gärten mit ihren erlesenen Bäumen, ihrer unglaublichen -Blumenpracht, den weißen Marmorstatuen, Fontänen und den mannigfaltigen -zahmen Tieren -- insbesondere Äffchen, Papageien, Prachtfinken und -allerlei Singvögeln -- die sich in ihnen neben jauchzenden Kindern -tummeln. Des weiteren überraschte uns die außerordentliche Reinlichkeit -der Straßen, als deren Hauptgrund uns angegeben wurde, daß seit -Erfindung der automatischen Wagen keinerlei Zugtiere in den Straßen -freiländischer Städte Staub aufwühlen und Unrat hinterlassen. - -»Giebt es also keinerlei Pferde hier?« fragte ich, worauf mir die -Erklärung ward, daß deren allerdings und zwar in bedeutender Anzahl und -von edelster Zucht vorhanden seien; dieselben würden jedoch nur -außerhalb des eigentlichen Weichbildes der Stadt zu Promenaderitten -durch die benachbarten Wiesen, Haine und Wälder benützt. »Das muß aber -hierzulande ein sehr teurer Luxus sein«, meinte ich. »Das Pferd selber -und was es frißt, mag billig sein; aber da Menschenkraft in Freiland das -teuerste von allen Dingen ist, so kann ich nicht begreifen, wie ein -freiländischer Haushalt die Kosten eines Pferdewärters zu erschwingen -vermag. Oder erhält diese Klasse Bediensteter hierzulande ausnahmsweise -geringeren Lohn?« - -»Letzteres wäre bei uns wohl kaum möglich«, -- antwortete lächelnd Herr -Ney -- »denn wer würde dann in Freiland Pferdewärter sein wollen? Wir -müssen auch dem Stallpersonal denselben Durchschnittsverdienst gewähren, -wie anderen Arbeitern, und wenn ich für die sieben Reitpferde, die ich -zum Gebrauche meiner Familie in den Ställen der Transport-Association -halte, ein Wartepersonal nach abendländischem Zuschnitt bezahlen wollte, -so würden die Kosten mein gesamtes Einkommen überschreiten. Aber das -Rätsel löst sich sehr einfach dadurch, daß auch die Arbeit im -Pferdestall mit Hülfe von Maschinen verrichtet wird, derart, daß -durchschnittlich ein Mann für je 50 Tiere vollkommen genügt. Sie -schütteln ungläubig den Kopf? Wenn Sie gesehen haben werden, binnen wie -wenigen Minuten unsere durch mechanische Kraft in Rotation versetzten -riesigen cylinderförmigen Bürsten ein Pferd spiegelblank putzen; binnen -welch kurzer Zeit unsere Kehrmaschinen und Wasserleitungen den größten -Stall von Mist und jeglicher Unreinlichkeit säubern; wie das Futter den -Tieren automatisch zugeteilt wird: so dürfte Ihnen nicht bloß das, -sondern ebenso die Thatsache einleuchten, daß in Freiland auch die -»Stallknechte« gebildete Gentlemen sind, Geschäftsleute so ehrenwert und -geachtet, wie alle anderen«. - -Unter solchen Gesprächen waren wir daheim angelangt, wo ein ausgiebiger -Imbiß genommen ward und einige Geschäfte Erledigung fanden. Nach dem -bereits letzthin geschilderten Diner fuhren wir mit unseren Gastfreunden -abermals zum Edensee und besuchten zunächst die große Oper, wo an diesem -Tage das Werk eines freiländischen Kompositeurs gegeben wurde. Dasselbe -war uns nicht neu, da es eines jener zahlreichen freiländischen Tonwerke -ist, die auch im Auslande großen Anklang finden und häufig aufgeführt -werden. Dagegen überraschte uns die eigenartige -- allen freiländischen -Theatern gemeinsame -- Anordnung des Zuschauerraums. Die Sitzreihen -bauen sich amphitheatralisch bis zu bedeutender Höhe auf; das Dach ruht -auf Säulen, durch welche die äußere Luft frei hereinstreichen kann. Bis -zu 10000 Personen finden solcherart in den größeren dieser Theater -bequem Platz, ohne daß jemals Hitze oder verdorbene Luft sich in -denselben ansammeln könnte. - -Die Darstellung war eine vorzügliche, die Ausstattung in jeder Beziehung -glänzend; trotzdem waren die Preise der -- durch keinerlei Rangordnung -unterschiedenen -- Plätze nach abendländischen Begriffen lächerlich -mäßig. Der Sitz kostete einen halben Schilling -- doch wohlverstanden -bloß hier, in der großen Oper; die anderen Theater sind alle noch -wesentlich wohlfeiler. Unternehmer sind überall die städtischen -Kommunen, als deren Angestellte die ausübenden Künstler sowohl als das -Regiepersonal fungieren; als ökonomischer Grundsatz gilt dabei -allgemein, daß die Kosten des Baues und Unterhalts der Gebäude vom -allgemeinen Kommunalbudget zu tragen seien, und daß die Eintrittspreise -bloß die Gehalte und Tantiemen des angestellten Personals und die -Ausstattung zu decken haben. - -Von David erfuhr ich, daß Edenthal außer der großen Oper noch eine -Spieloper und vier Schauspielhäuser besitze, ferner drei Konzerthäuser, -in denen allabendlich Orchester-, Kammermusik und Chöre sich hören -ließen. Als freiländische Specialität aber nannte er mir fünf -verschiedene »Lehrtheater«, in denen astronomische, archäologische, -geologische, paläontologische, physikalische, geschichtliche, -geographische, naturgeschichtliche, kurz alle erdenklichen -wissenschaftlichen Vorträge mit dem umfassendsten Aufwande plastischer -Darstellungskunst den Hörern vorgeführt werden. Die Vorträge sind von -den geistreichsten Gelehrten verfaßt, von den gewandtesten Rednern -vorgetragen, von den tüchtigsten Ingenieuren und Dekorateuren in Scene -gesetzt. Diese Art Theater seien die besuchtesten; in der Regel genügen -die vorhandenen Plätze nicht, so daß die Kommune kürzlich zwei neue -derartige Darstellungshäuser bauen ließ, die binnen wenigen Monaten -eröffnet werden dürften. Die Großartigkeit dieser Vorführungen, die ich -an den nächsten Abenden kennen lernte, ist in der That staunenerregend -und wenn auch die Jugend bei den meisten derselben den größeren Teil des -Auditoriums stellt, so werden dieselben doch von Erwachsenen sehr -fleißig besucht. - -Nach dem Theater mieteten Neys am Ufer eine der zahllosen dort von einer -Association bereit gehaltenen Gondeln mit mechanischer Triebkraft (von -elastischen Federn getriebene Propellerschrauben) und wir steuerten in -den See hinaus. Derselbe war von gewaltigen, rings am Ufer in -beträchtlicher Höhe angebrachten elektrischen Reflektoren taghell -erleuchtet und es stand uns heute ein ganz besonderer Genuß bevor, denn -Walter, der berühmteste Liederkomponist Freilands, ließ an diesem Abend -eine neue Kantate durch die Mitglieder des Edenthaler Choralvereins zur -ersten Aufführung bringen. Dieser Verein, welcher zu seinen -allwöchentlichen Vorträgen in der Regel den Edensee als Schauplatz -wählt, verfügt zu solchen Zwecken über mehrere der großartigsten -Prachtbarken, deren bisweilen geradezu märchenhafte Ausstattung durch -freiwillige Beiträge seiner zahlreichen Mitglieder und Verehrer gedeckt -wird. - -War es die Wirkung der ganz eigenartigen Scenerie, war es die Schönheit -des Tonstückes an sich -- der Effekt, den die Kantate auf mich machte, -war ein überwältigender. Als wir uns auf den Heimweg machten, gestand -ich David, daß mir niemals zuvor die gleichsam transcendentale Gewalt -der Töne so deutlich geworden, wie während dieser Vorstellung am See; -ich hatte durchaus den Eindruck, als ob der Weltgeist in diesen Klängen -zu meiner Seele spräche und als ob diese auch ganz genau seine Sprache -verstünde und nur unvermögend sei, dieselbe in gewöhnliches Italienisch -oder Englisch zu übersetzen. Zugleich aber äußerte ich mein Erstaunen -darüber, daß ein so junges Gemeinwesen, wie das freiländische, in allen -Kunstarten Anerkennenswertes, in zweien aber, in Architektur und -Tonkunst, den besten Vorbildern aller Zeiten Ebenbürtiges leiste. - -Frau Ney gab hierüber ihre Meinung dahin ab, daß dies die schlechthin -notwendige Konsequenz der Gesamtrichtung des freiländischen Geistes sei. -Wo fröhlicher Lebensgenuß mit ruhiger Muße sich paarten, dort müßten die -Künste gedeihen, die ja in Wahrheit nichts anderes seien, als Produkte -des Reichtums und edler Muße. Und daß gerade Architektur und Musik den -Anfang der Kunstblüte machten, lasse sich ganz ungezwungen erklären. -Erstere mußte durch die, dem neuartigen großartigen Gemeinwesen -entsprungenen Bedürfnisse in erster Reihe mächtig angeregt werden; auch -der Einfluß der gewaltigen und doch lieblichen Natur des Landes sei hier -unverkennbar. Die Musik dagegen sei die unmittelbarste aller -Kunstformen, diejenige, deren sich der Genius der Menschheit stets in -erster Reihe bediene, wenn eine neue Ära künstlerischen Schaffens durch -neue Arten des Fühlens und Denkens eingeleitet worden sei. - -»Bei dem so überaus regen Sinne Ihres Volkes für das Schöne« -- so -wandte sich mein Vater an Frau Ney -- »nimmt es mich nur Wunder, daß zum -Schmucke der schönsten Zierde Freilands, seiner königlich gearteten -Frauen nämlich, so wenig aufgewendet wird. Zwar die Tracht ist kleidsam, -und nirgend bisher habe ich noch so erlesenen Geschmack in der Wahl der -geeignetsten Formen und Farben getroffen; aber eigentliches Geschmeide -sieht man nicht. Hie und da Goldreifen im Haar, da und dort goldene oder -silberne Spangen an den Kleidern, das ist alles; Edelsteine und Perlen -scheinen bei den hiesigen Damen verpönt zu sein. Woran liegt das?« - -»Der Grund liegt darin« -- so antwortete Frau Ney -- »daß uns -Freiländern jene ausschließliche Triebfeder fehlt, die den anderen -Völkern die Geschmeide eigentlich begehrenswert macht. Eitelkeit ist -auch hierzulande heimisch, unter Männern sowohl als Frauen; aber sie -findet in der Schaustellung von sogenannten »Kostbarkeiten«, deren -alleiniger Vorzug vor ähnlichen Dingen lediglich darin besteht, daß sie -teuer sind, kein Genüge. Glauben Sie wirklich, daß es die _Schönheit_ -der Diamanten ist, was gar manche unserer bedauernswerten Schwestern da -draußen Glück und Ehre in die Schanze schlagen läßt, um in den Besitz -solch glitzernder Steinchen zu gelangen? Warum stieße dann dasselbe -Weib, welches sich um echter Steine willen verkaufte, unechte, die es in -Wahrheit von jenen gar nicht zu unterscheiden vermag, achtlos beiseite? -Und zweifeln Sie daran, daß auch der echte Diamant sofort zum -unbeachteten Kiesel würde, den keine »Dame von Geschmack« fernerhin -eines Blickes würdigte, sowie dieser Stein aus irgend einem Grunde -seinen hohen Preis verlöre? Die Geschmeide gefallen also nicht, weil sie -schön, sondern weil sie kostbar sind. Sie schmeicheln der Eitelkeit -nicht durch ihren Glanz, sondern durch das Bewußtsein, welches sie in -ihrem Eigner erwecken, in diesen unscheinbaren Dingerchen den Extrakt so -und so vieler Menschenleben zu besitzen. »»Seht her, hier an meinem -Halse trage ich einen Talisman, um den Hunderte von Knechten Jahre lang -ihr bestes Mark vergeuden mußten und dessen Gewalt auch Euch, die Ihr -die netten Dingerchen ehrfurchtsvoll anstaunt, mir als Sklaven zu Füßen -legen, allen meinen Launen dienstbar machen könnte! Seht her, ich bin -mehr als Ihr, ich bin die Herrin, die auf nichtigen Tand vergeuden kann, -wonach Ihr vergeblich giert um Euren Hunger zu stillen!«« Das etwa -ist's, was das Diamantenkollier aller Welt verkündet, und _darum_ hat -seine Besitzerin vielleicht sich und andere verraten, elend gemacht, um -es als ihr Eigen um den Nacken schlingen zu können. Denn beachten Sie -wohl, das Geschmeide schmückt nur, wenn es Eigentum des Trägers ist; -entliehenes Geschmeide zu tragen ist ignobel, gilt als unanständig, und -mit Recht, denn entliehenes Geschmeide lügt, es ist eine Krone, die -ihrem Träger den Schein einer Macht verleihen soll, die er in Wahrheit -nicht besitzt. - -»Die Macht nun, deren legitimen Anspruch das Geschmeide zur Schau tragen -soll, die Macht über fremdes Leben und fremde Leiber existiert in -Freiland nicht. Zwar wer einen Diamanten von beispielsweise 600 Pfund -Wert besäße, der hätte damit auch hierzulande das Verfügungsrecht über -einjährigen Ertrag menschlicher Arbeit; aber wer ihn deshalb erwürbe und -zur Schau trüge, würde sich damit -- angesichts unserer Institutionen -- -doch nur lächerlich machen; denn _seine eigene Arbeit_ wäre es, deren -Ertrag er solcherart festlegte, gleich gegen gleich müßte er mit Jedem, -dessen Arbeit er sich um den Stein dienstbar machen wollte, tauschen und -statt ehrfurchtsvollen Staunens könnte er bloß bedauerndes Mitleid -erwecken, Mitleid darüber, daß er sich bessere Genüsse versagt, oder -nutzlose Anstrengungen auferlegt, um den albernen Kiesel zu erwerben. Es -wäre das gleichsam, als ob der Besitzer des Diamanten aller Welt -verkünden wollte; »»Seht her, während Ihr genosset oder ruhtet, habe ich -gedarbt und gearbeitet, um den Tand zu gewinnen««! Nicht der Mächtigere, -der Thörichtere wäre er in Jedermanns Augen -- der Stein, dessen -fascinierende Kraft an die Vorstellung geknüpft ist, daß sein Besitzer -zu den Herren der Erde gehöre, die über fremde Arbeit verfügen und -_deshalb_ sich den Scherz erlauben dürfen, das Produkt so großen -Schweißes in nutzlosen Sächelchen anzulegen -- der Stein kann für ihn -keinen Reiz mehr haben. Wer ihn in Freiland kauft, der gliche Jenem, der -sein Leben an den Besitz einer Krone setzt, die aufgehört hat, das -Symbol der Herrschaft zu sein.« - -»Sie sprechen also dem Geschmeide alle wirklich schmückende Kraft ab? -Sie leugnen, daß Perlen oder Diamanten geeignet sind, die Reize eines -schönen Körpers noch wesentlich hervorzuheben?« entgegnete mein Vater. - -»Das thue ich allerdings«, war die Antwort. »Nicht daß ich die -dekorative Wirkung an sich überall bestreiten wollte; nur leugne ich, -daß sich nicht genau der nämliche, ja in der Regel ein weit besserer -Effekt durch andere Mittel auch erreichen läßt. Im allgemeinen aber -schmückt der, seiner ganzen Beschaffenheit nach gar nicht zum -menschlichen Körper passende Tand durchaus nicht, entstellt vielmehr in -neunundneunzig unter hundert Fällen den stolzen Besitzer. Daß ein -diamantengeschmücktes Weib Euch Herren da draußen besser gefällt, als -ein blumengeschmücktes, hat genau den nämlichen Grund, aus welchem Euch --- Ihr mögt noch so starre Republikaner sein -- eine Königin schöner -erscheinen wird, als ihre vor dem Richterstuhle unbefangener Ästhetik -vielleicht schöneren Rivalinnen. Ein gewisses Etwas, ein eigentümlicher -Zauber umschwebt sie -- der Zauber -- Sie entschuldigen das harte Wort --- des Knechtsinnes; dieser, nicht Euer ästhetisches Urteil ist es, was -Euch weismacht, das Diadem verleihe höheren Reiz, als der Kranz von -Rosen; lasset die Rose zum Symbol der Herrschaft werden, dessen sich nur -Königinnen bedienen dürfen, und Ihr werdet jetzt ohne Zweifel finden, -daß die Rosen es sind, die wahre Majestät zur Geltung bringen.« - -»Eitel sind wir Freiländerinnen deshalb doch. Wir wollen nicht bloß -schön sein, sondern auch schön erscheinen und die Männer bestärken uns -nach Kräften in diesem Bestreben; nur bitte ich wohl im Auge zu -behalten: wir wollen nicht prunken, sondern gefallen. Deshalb sind Kleid -und Zierat einer Freiländerin nie Selbstzweck, sondern Mittel zum -Zwecke. Eine richtige Modedame in Europa entstellt sich oft in der -greulichsten Weise, weil es ihr weniger auf den Effekt ihrer Person, als -auf den ihrer Kleider, ihres Putzes ankommt; sie wählt nicht das Gewand, -welches ihre persönlichen Reize am günstigsten hervorhebt, sondern das -kostbarste, welches ihre Mittel ihr gestatten. Wir halten es anders; -schon unsere eigenen ästhetischen Anschauungen bewahren uns vor der -Thorheit, einem Kleiderkünstler zu Liebe andere Gewänder anzulegen, als -jene, von welchen wir vermuten oder wissen, daß sie unsere Gestalt am -vorteilhaftesten zur Geltung bringen. Außerdem aber steht uns -diesbezüglich jederzeit der Rat künstlerisch gebildeter Männer zur -Seite. Kein hervorragender Maler verschmäht es, jungen Damen Aufschluß -über die passendste Wahl ihrer Toilette zu gewähren, ja es werden -besondere Vorträge über diesen wichtigen Punkt gehalten. Natürlich kann -es eine strenge Mode bei uns nicht geben, da Zusammenstellung, -Faltenwurf und Farbe der Kleidung durchweg der Individualität der -Trägerin angepaßt sind; daß Hagere und Wohlbeleibte, Große und Kleine, -Blonde und Brünette, Imposante und Niedliche, sich nach der gleichen -Schablone tragen sollten, gälte hier zu Lande als Gipfel der -Abgeschmacktheit. Ebenso lächerlich aber fände es eine Freiländerin, die -gefallen will, mutete man ihr zu, ein Kleid, eine Haartracht, die sie -als für sich passend einmal erprobt, zu wechseln, bloß aus dem Grunde, -weil man sie in dieser Tracht schon zu oft gesehen. Wir begreifen es -nicht, daß man, um zu gefallen, am besten thue, sich möglichst -mannigfaltig zu entstellen; insbesondere aber halten wir, darin abermals -unterstützt von unseren Männern, zähe fest an dem Glauben, daß die -menschliche Gestalt durch das Kleid zwar bedeckt und verhüllt, aber -nicht verzerrt werden dürfe.« - -Wir erklärten galant, diese Toiletteprinzipien durchaus zu billigen. Die -Wahrheit ist, daß der an die Excentricitäten abendländischer Moden -gewohnte Fremde in Freiland angelangt, die nach künstlerischen -Grundsätzen zusammengestellte hiesige Frauentracht anfangs etwas zu -einfach, dann aber die Rückkehr zu den abendländischen Zerrbildern -schlechterdings unerträglich findet. Du wirst Dich erinnern, daß David -uns in Rom versicherte, die europäischen Moden machten ihm genau den -nämlichen Eindruck, wie die der afrikanischen Wilden; nach kaum -einwöchentlichem Aufenthalte hier beginne ich diese Auffassung zu -teilen. - -Doch ich sehe, daß ich abermals schließen muß, ohne meinen Bericht -erschöpft zu haben. Mit dem Versprechen, das Versäumte nachzuholen - - Dein ..... - ..... - - - - - 16. Kapitel. - - - Edenthal, den 28. Juli. - -Ich konnte mein Versprechen, Dir bald zu schreiben, nicht halten, weil -die vergangene Woche einer Reihe kürzerer oder längerer Ausflüge -gewidmet war, die ich mit David teils zu Pferde oder mittels -automatischer Draisinen in die unmittelbare Umgebung Edenthals und der -benachbarten Danastadt, teils mit der Eisenbahn bis an die Ufer des -Ukerewe unternahm. Ich lernte solcherart eine ziemliche Anzahl -freiländischer Städte und ebenso mehrere zerstreute Industrie- und -Ackerbaukolonien kennen. Ich sah die lieblichen, in schattigen Wäldern -eingebetteten Orte des Aberdaregebirges mit ihrer gewaltigen -Metallindustrie; Naiwaschacity, das Emporium der Lederindustrieen und -des Fleischexports, dessen Villenreihen den ganzen Naiwaschasee in einer -Längenausdehnung von 64 Kilometern umrahmen; die Ansiedelungen in den -Bergen nördlich vom Baringosee mit ihren zahllosen Herden edler Pferde, -Rinder, Schweine, Schafe, zahmer Elefanten, Büffel, Zebras, mit ihren -Gold- und Silberbergwerken, und Ripon, das Centrum der Mühlenindustrie -und des Ukerwehandels. In allen Städten fand ich dem Wesen nach die -nämlichen Einrichtungen wie in Edenthal; elektrische Eisenbahnen in den -Hauptstraßen, elektrische Beleuchtung und Beheizung, Bibliotheken, -Theater u. s. w. Was mich jedoch zumeist überraschte, war, daß auch die -ländlichen Ansiedelungen mit sehr geringen Ausnahmen eines -hochentwickelten städtischen Comforts nicht entbehrten. Elektrische -Bahnen zogen auch an ihnen vorüber und setzten sie mit den -Hauptverkehrslinien in Verbindung; wo nur 5-6 Villen -- denn der -Villenstil herrscht ausnahmslos durch ganz Freiland -- nebeneinander -standen, fanden sich elektrische Beleuchtung und Beheizung; Telegraph -und Telephon fehlten selbst dem entlegensten Gebirgsthale nicht, ebenso -keinem Hause das Bad; und wo einige hundert Villen in nicht gar zu -großer Entfernung zerstreut lagen, war sicherlich ein Theater für sie -gebaut, in welchem abwechselnd Schauspiele, Concerte, Vorträge -abgehalten wurden. An Schulen gab es allenthalben Überfluß, und wo -irgend ein Ansiedler sich allzu einsam angebaut hatte, als daß die -Kinder eine in der Nähe gelegene Schule hätten besuchen können, dort -waren diese bei befreundeten Familien untergebracht, denn der -Jugendunterricht darf in Freiland unter keinen Umständen leiden. - -Daß ich die Gelegenheit nicht versäumte, mir das freiländische Volk an -seiner Arbeit -- auf dem Felde und in der Fabrik -- zu betrachten, ist -selbstverständlich. Hier wurde mir die Größe Freilands erst offenbar. -Ungeheuer, überwältigend war, was ich allenthalben sah. Von der -Großartigkeit der maschinellen Einrichtungen, von der unermeßlichen -Kraftfülle, welche die gebändigten Elemente hier dem Menschen zur -Verfügung stellen, kann sich der Abendländer ebensowenig eine -Vorstellung machen, als von dem raffinierten, ich möchte fast sagen -aristokratischen Komfort, mit welchem die Arbeit überall umgeben ist. -Keine schmutzige, aufreibende Handlangung verrichtet der Mensch; die -sinnreichsten Apparate entheben ihn jedes wirklich unangenehmen -Geschäftes; er hat der Hauptsache nach bloß seine unermüdlichen eisernen -Sklaven zu überwachen. Und nicht einmal durch ihr Klappern, Stöhnen und -Rasseln dürfen diese überall geschäftigen Diener das Ohr ihrer Herren -beleidigen. Ich bewegte mich in den Stampfwerken von Leikipia, die den -mineralischen Dünger für die dortige Bodenassociation bereiten, zwischen -Steinzermalmern von tausenden Centnern Stoßkraft, und kein lästiges -Geräusch war zu hören, kein Atom Staub zu sehen. Ich durchschritt -Eisenwerke, in denen Stahlhämmer bis zu 3000 Tonnen Fallgewicht -verwendet werden; die gleiche Ruhe herrschte in den lichten freundlichen -Fabriksälen, kein Ruß auf Händen oder Gesichtern der Arbeiter störte den -Eindruck, daß man es mit Gentlemen zu thun habe, die sich dazu -herbeilassen, die Schmiedearbeit der Elemente zu überwachen. Ich sah auf -den Feldern ackern und säen -- wieder dieselbe Erscheinung des Herrn der -Schöpfung, der durch den Druck eines Fingers die Riesen »Dampf« oder -»Elektricität« nach seinem Willen lenkt, wohin und wozu es ihm nützlich -dünkt. Ich war _unter_ der Erde in den Kohlengruben und in den -Eisenminen; auch dort fand ich es nicht anders: keinen Schmutz, keine -aufreibende Plage für den Menschen, der in vornehmer Ruhe zusieht, wie -seine gehorsamen Geschöpfe aus Stahl und Eisen für ihn schaffen ohne zu -ermüden und zu murren, von ihm nichts anderes verlangend, als daß er sie -lenke. - -Während der nämlichen Ausflüge lernte ich auch eine Reihe besonderer in -Freiland üblicher Vergnügungen näher kennen; ich besuchte mit David die -mannigfaltigen entzückenden Aussichtspunkte des Kenia und der -Aberdareberge, auf denen es allsonntäglich Gesang und Tanz der jungen -Leute gibt, gewürzt in der Regel durch eine Überraschung, welche die -Vergnügungskomitees -- eine ständige Institution in jedem freiländischen -Orte -- zur Feier eines beliebigen Anlasses veranstalten. Mir waren die -Eisfeste auf dem großen Eislaufteiche am Keniagletscher das -Überraschendste. Dort hatten vor fünf Jahren die vereinigten -Vergnügungskomitees von Edenthal, Danastadt und Oberleikipia ein 2400 -Hektaren messendes, 4250 Meter über dem Meeresspiegel gelegenes Plateau -in einen Teich verwandeln lassen, der von den Wässern der unmittelbar -daran grenzenden großen Eisfelder gespeist wird. Von Ende Mai bis Mitte -August gibt es nun in dieser Höhe stets sehr empfindliche Nachtfröste, -die das ohnehin dem Gefrierpunkte nahe Gletscherwasser des Teiches sehr -rasch in eine solide Eisbahn verwandeln. Nachdem hierauf dieser -großartige Eislaufplatz seinem ganzen Umfange nach mit luxuriösen -heizbaren Warte-, Toilette und Speise-Sälen umgeben, des ferneren -mittels einer leistungsfähigen Zahnradbahn mit dem Fuße des Berges in -Verbindung gebracht worden war, übergaben die vereinigten Komitees ihr -Werk der Öffentlichkeit zur unentgeltlichen Benutzung. Die, wie sich -denken läßt, sehr beträchtlichen Anlagekosten waren mit Leichtigkeit im -Wege freiwilliger Subskriptionen aufgebracht worden, und ebenso decken -sich die Erfordernisse der Instandhaltung überreichlich durch -freiwillige Beiträge der zahlreichen Besucher. Denn die ganze kühle -Jahreszeit hindurch ist die Riesenfläche des Eisteiches von -Schlittschuhläufern und insbesondere von Schlittschuhläuferinnen nicht -bloß aus der Umgebung des Kenia auf hundert Kilometer in der Runde, -sondern aus allen Teilen Freilands bedeckt. Selbst von den Gestaden des -indischen Ozeans und der großen Seen kommen Freunde und Freundinnen -dieses gesunden Sports hierher, um an den zeitweilig veranstalteten -glänzenden Eisfesten teilzunehmen. Gegenwärtig beschäftigt man sich mit -dem Plane, unmittelbar am Eislaufplatze ein großartiges Hotel zu -errichten, das besonders ausdauernden Verehrern dieser ebenso graziösen -als gesunden Leibesübung Gelegenheit geben soll, in 4200 Meter Seehöhe -zu übernachten. Des ferneren hat die große Beliebtheit des -Kenia-Eisteiches den Anlaß gegeben, auch am Kilima-Ndscharo, und zwar -dort in einer noch um 500 Meter höheren Lage ein ähnliches Unternehmen -ins Werk zu setzen, welches gegenwärtig seiner Vollendung nahe ist; ein -drittes, in den Mondbergen am Albertsee, hat einstweilen das -Versuchsstadium nicht überschritten, da dem dortigen Komitee die -Auffindung eines zu solchem Zwecke genügend hoch gelegenen und dabei -ausreichend großen Platzes bisher nicht recht gelungen sein soll. - -Mehr als all' diese Vergnügungseinrichtungen aber erregte die -ungetrübte, im besten Sinne des Wortes kindliche Lust und Fröhlichkeit -meine Bewunderung, mit denen nicht bloß diese Veranstaltungen, sondern -das ganze Leben in Freiland genossen werden. Man gewinnt durchaus den -Eindruck, als ob die Sorge hierzulande unbekannt wäre. Jene unbefangene -Heiterkeit, die bei uns in Europa der beneidenswerte Vorzug bloß der -ersten Jugendjahre ist, thront hier auf jeder Stirne, strahlt aus -Jedermanns Auge. Durchwandere welches civilisierte Land der Welt immer, -Du wirst selten, ja ich möchte fast behaupten niemals, einen Erwachsenen -finden, auf dessen Antlitz behagliches Glück, ungetrübter Lebensgenuß zu -lesen wäre; mit sorgenschweren, meist sogar kummervollen Mienen hasten -oder schleichen bei uns daheim die Menschen aneinander vorüber, und -zeigt sich irgendwo wirkliche, nicht bloß erkünstelte Fröhlichkeit, so -ist es beinahe ausnahmslos die der Gedankenlosigkeit. Glücklich sind bei -uns höchstens die »Armen an Geist«; die Reflexion scheint uns nur -gegeben, um über des Lebens Not und Qual nachzudenken. Hier zum -erstenmale finde ich Menschengesichter, die den Stempel bewußten Denkens -und unbefangenen Glückes zugleich zur Schau tragen. Und dieses -Schauspiel allgemein glücklicher Zufriedenheit ist für mich erhebender -als alles, was wir hier zu sehen bekamen; freier und wohliger atmet die -Brust; es ist, als ob ich zum erstenmale aus der beängstigenden -Atmosphäre eines mit erstickenden Dünsten geschwängerten Kerkers -hinausgelangt wäre in die freie Natur, wo balsamische reine Lüfte mich -umfächeln. »Woher kommt Euch allen, allen dieser Abglanz sonniger -Heiterkeit?« fragte ich David. - -»Sie ist das naturgemäße Ergebnis der heiteren Sorglosigkeit, in der wir -alle leben«, war seine Antwort. »Denn es scheint nicht bloß, es ist -wirklich an dem, daß die Sorge hierzulande unbekannt ist, zum mindesten -jene häßlichste, erniedrigendste aller Sorgen, die um das tägliche Brot. -Nicht daß wir reicher sind, und auch nicht, daß wir es alle sind, ist -diesbezüglich das Entscheidende, sondern daß wir, und zwar -wohlverstanden jeder Einzelne unter uns, die absolute Sicherheit -besitzen, es stets zu bleiben. Hier _kann_ niemand verarmen, denn -unveräußerlich ist ihm sein Anteil am unermeßlichen Vermögen der -Gesamtheit. Heiter und lachend liegt das »Morgen« vor uns; es kann uns -nichts Schlimmes bringen, denn Gewähr und Sicherheit für das Wohlergehen -auch des Letzten unter uns ist eine Macht, so stark und dauerhaft, wie -der Bestand unserer Rasse auf diesem Planeten, die Macht des -menschlichen Fortschritts. Wir gleichen in diesem Punkte wirklich den -Kindern, denen Schirm und Hort des elterlichen Hauses jede materielle -Sorge fernhält.« - -»Und befürchtet Ihr nicht« -- so warf ich ein -- »daß diese -Sorglosigkeit schließlich gerade dem ein Ende bereiten wird, worauf sie -sich stützt, dem Fortschritte nämlich? Bisher zum mindesten waren noch -stets Not und Sorge die besten Triebfedern menschlicher Betriebsamkeit; -erlahmen diese beiden, hat die quälende Angst um das Morgen ihr Ende, so -wird auch der Fortschritt erlahmen, Stillstand, dann Rückschritt werden -ihm folgen und zugleich mit der dadurch notwendigerweise eintretenden -Verarmung werden auch Not und Sorge wieder ihren Einzug halten. Daß -bisher unter Euch nichts von alledem zu bemerken ist, muß ich zugeben; -aber es kann mich dies nicht beruhigen. Denn einstweilen genießt Ihr in -Freiland noch die Früchte des Fortschritts Anderer. Was unter Not und -Qual ungezählter Jahrtausende ersonnen und erfunden wurde, unter Not und -Qual ungezählter Millionen außerhalb der Grenzen Eures Landes auch heute -noch ersonnen und erfunden wird, das ist's, was Euer Glück einstweilen -ermöglicht. Wie aber dann, wenn dereinst -- was Ihr ja offenbar anstrebt --- die _ganze_ Menschheit sich zu Euren Prinzipien bekehrt? Glaubt Ihr, -daß die Not gänzlich von der Erdoberfläche verschwinden kann, ohne den -Fortschritt mit sich zu nehmen?« - -»Das glauben wir nicht bloß« -- war seine Antwort -- »wir wissen es, und -jedermann, der unbeirrt durch überkommene Vorurteile die Thatsachen -prüft, muß unsere Erkenntnis teilen. Kampf ums Dasein ist das -unerbittliche Gebot, an welches die Natur den Fortschritt, ja die -Existenz jeglichen lebenden Wesens geknüpft hat -- das begreifen wir -besser, als irgend jemand da draußen. Aber daß dieser Kampf gerade durch -den Hunger gestachelt werden muß, leugnen wir, und ebenso, daß er -notwendigerweise als ein gegenseitiger Kampf der Individuen der -nämlichen Art aufzufassen ist. Auch wir kämpfen den Kampf ums Dasein, -denn mühe- und arbeitslos fällt auch uns der Genuß nicht in den Schoß. -Aber nicht _gegeneinander_, sondern _miteinander_ stehen wir in unserem -Streben, und gerade deshalb ist uns der Erfolg desselben niemals -zweifelhaft. Wir könnten uns, wenn auf das Beispiel des in der Tierwelt -herrschenden Kampfes verwiesen wird, darauf berufen, daß der Mensch, dem -andere Kampfmittel zu Gebote stehen, als seinen niedriger stehenden -animalischen Vettern, den Entwickelungskampf auch in anderer Weise -auszutragen vermöchte, als diese; aber das wäre eine ebenso schlechte, -als überflüssige Ausflucht. Denn in Wahrheit verhält sich die Sache -umgekehrt; Not und materielle Sorge sind -- von höchst vereinzelten -Ausnahmen abgesehen -- keine natürlichen Kampfmittel im Mitbewerbe ums -Dasein; die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Tiere leidet niemals -Mangel, sorgt niemals und in keinerlei wie immer gearteter Form um das -Morgen, und ist trotzdem von Uranfang aller Dinge dem großen -ausnahmslosen Gesetze des Fortschritts unterworfen gewesen. Am -allerwenigsten aber ist im Tierreiche gegenseitiger Kampf der -Angehörigen der nämlichen Art die Regel; die Individuen der gleichen Art -leben friedlich und der Hauptsache nach kampflos untereinander, ihre -Waffen sind nach außen gekehrt, gegen andersgeartete Feinde. Gegen den -Löwen und den Panther ficht die Gazelle den Daseinskampf durch -Wachsamkeit und Schnelligkeit, nicht gegen ihresgleichen; gegen die -Gazelle und den Büffel, Löwe und Panther den ihrigen durch List und -Stärke, nicht aber gegen Mit-Löwen und Mit-Panther. Der Kampf unter uns -und gegen uns selber war und ist unser, der menschlichen Rasse, -Privilegium gewesen. Entsprungen aber ist dies traurige Privilegium -allerdings einer Kulturnotwendigkeit; um uns zu dem zu entwickeln, was -wir geworden sind, mußten wir von der Natur mehr verlangen, als sie -freiwillig zu bieten in der Lage ist; um es zu erlangen, blieb lange -Jahrtausende hindurch kein anderer Ausweg, als das zur Befriedigung -unserer höheren Bedürfnisse Erforderliche uns gegenseitig abzujagen und -abzupressen. Und dadurch erst gestaltete sich die Not zu einem -Kampfmittel im menschlichen Daseinskampfe. Also wohlgemerkt, daß der -Mensch gegen den Menschen kämpfte, und daß in diesem Kampfe die -materielle Sorge den empfindlichsten Stachel bildete, war und ist nicht -die einfache Übertragung eines in der ganzen belebten Natur geltenden -Gesetzes auf die menschliche Gesellschaft, sondern eine ausnahmsweise -Verzerrung dieses großen Naturgesetzes unter dem Einflusse einer -menschlichen Entwickelungsphase. Wir litten Not, nicht weil die Natur es -durchaus so verlangt, sondern weil wir uns gegenseitig beraubten, und -wir beraubten uns gegenseitig, weil mit der beginnenden Kultur ein -Mißverhältnis unserer Bedürfnisse und unserer natürlichen Mittel zur -Befriedigung derselben entstand. Jetzt aber hat die bis zur Herrschaft -über die Naturkräfte gediehene Kultur dieses Mißverhältnis wieder -ausgeglichen; um Überfluß und Muße zu genießen, müssen wir uns fürderhin -nicht mehr gegenseitig ausbeuten, und wenn nunmehr der Kampf des -Menschen gegen den Menschen, und damit zugleich die materielle Not ihr -Ende finden, so bedeutet das nicht die Abwendung von den natürlichen -Formen des Daseinskampfes, sondern in Wahrheit Rückkehr zu denselben. -Nicht der Kampf ist damit zu Ende, sondern bloß die unnatürliche Form -desselben. In ihrem Ringen, sich über die rein tierische Natur zu -erheben, geriet die Menschheit in einen Jahrtausende währenden -Widerstreit mit der Natur selber, und dieser Widerstreit war die Quelle -all der unsäglichen Marter und Pein, der Verbrechen und -Scheußlichkeiten, deren ununterbrochene Kette die Geschichte unserer -ganzen Rasse ist, von den ersten Anfängen ihrer beginnenden Kultur bis -zur Gegenwart. Jetzt aber ist der schreckliche Widerstreit durch den -glorreichsten Sieg beendet, wir sind geworden, was wir Jahrtausende -hindurch erstrebten, ein Geschlecht, das der Natur Überfluß und Muße -für alle seine Angehörigen abzugewinnen vermag und gerade -durch diese wiedererlangte Harmonie unserer Bedürfnisse und -Bedürfnisbefriedigungsmittel haben wir den Einklang mit der Natur wieder -hergestellt. Unterworfen bleiben wir ihrem unwandelbaren Gesetze des -Kampfes ums Dasein, aber wir werden diesen Kampf hinfort in der -nämlichen Weise führen, wie alle anderen Naturwesen, nach außen, nicht -nach innen gegen die Genossen der eigenen Art, und entledigt des -Stachels materieller Not.« - -»Was aber« -- so fragte ich -- »soll hinfort den Menschen zu ferneren -Kämpfen im Dienste des Fortschritts anspornen, wenn die Not ihren -Stachel verloren hat?« - -»Sonderbare Frage! Sie zeigt so recht deutlich, wie schwer es ist, Dinge -zu sehen, die jenen Anschauungen widersprechen, die wir mit der -Muttermilch eingesogen haben und die wir als Grundpfeiler der Ordnung -und Gesittung anzusehen uns gewöhnt haben, auch wenn diese Anschauungen -den offenbarsten Thatsachen aufs augenscheinlichste widersprechen. Als -ob jemals Not die ausschließliche, oder auch nur die vornehmste -Triebfeder menschlichen Fortschrittes gewesen wäre! Der Widerstreit zur -Natur, in welchen das Mißverhältnis zwischen Kulturbedürfnissen und -Kulturkräften die Menschheit in den Jahrtausenden des Übergangs von -Barbarei zu wirklich menschenwürdiger Kultur brachte, hatte zwar zur -Folge, daß der Kampf ums Dasein neben seinen natürlichen auch -widernatürliche, der tiefinnersten Eigenart der meisten Naturwesen Hohn -sprechende Formen annahm; doch zur Alleinherrschaft gelangten diese -niemals, ja die Natur erwies sich in der Regel doch mächtiger, als die -ihr widerstrebenden Menschensatzungen, und alle Epochen der -Kulturgeschichte hindurch haben wir die besten Errungenschaften des -menschlichen Geistes nicht der Not, sondern jenen anderen Impulsen zu -verdanken, die unserer Rasse eigentümlich sind und bleiben werden, so -lange sie als herrschende die Erde bevölkert. Dreimal blind, wer dies -nicht sehen will! Die großen Denker, Erfinder und Entdecker aller Zeiten -und aller Nationen, sie wurden nicht durch Hunger angespornt, ja man -kann in der Mehrzahl der Fälle behaupten, daß sie sannen und dachten, -forschten und fanden, nicht _weil_, sondern _trotzdem_ sie hungerten. -»Doch« -- so könnte man einwenden -- »das waren eben die wenigen -Erlesenen unseres Geschlechts; die große Masse der Alltagsmenschen aber -kann nur durch gemeinen, prosaischen Hunger angespornt werden, nach -besten Kräften zu gebrauchen, was jene fanden und ersannen.« Wer so -urteilt, geht abermals von einem höchst merkwürdigen Übersehen aus. -Welche Voreingenommenheit gehört dazu, sich der Thatsache zu -verschließen, daß es gerade die Besitzenden sind, die Nichthungernden, -die am emsigsten vorwärts streben. Der Hunger ist zwar ein Stachel zur -Arbeit, aber ein entnervender, verderblicher, und wer triumphierend auf -jene Elenden weist, die thatsächlich nur durch bitterste Not zur -Thätigkeit angespornt werden können und sofort wieder in träge Apathie -versinken, sowie der nagendste Hunger gestillt ist, der vergißt, daß es -eben das Elend ist, was Schuld an dieser Entartung trägt. Der -Kulturmensch, der höhere Bedürfnisse einmal kennen gelernt, wird desto -emsiger deren Befriedigung anstreben, je weniger ihm entwürdigende Not -die Spannkraft des Geistes und Körpers gebrochen hat und je zweifelloser -der Erfolg seines Strebens ist. Denn nicht in der hoffnungslosen Not, -sondern im vernünftigen, auf ein sicheres Ziel fröhlich zusteuernden -Eigennutze muß jeder Unbefangene den wirksamsten Sporn der -Betriebsamkeit erkennen. Diesen Eigennutz aber hat _unsere_ sociale -Ordnung -- weit entfernt, ihn abzustumpfen -- in Wahrheit erst zu voller -Entfaltung gebracht. Du kannst also vollkommen beruhigt darüber sein: -was Du bisher bei uns wahrzunehmen Gelegenheit hattest, daß wir nämlich -an Erfindungskraft und geistiger Regsamkeit den anderen Nationen -voranschreiten, es ist kein zufälliges Ergebnis irgendwelcher -vorübergehender Einflüsse, sondern die notwendige Konsequenz unserer -Institutionen, und jedes Volk, welches diese letztere nachahmt, wird die -gleichen Konsequenzen verspüren. So wenig als wir der quälenden Not -bedürfen, um Erfindungen und Verbesserungen zu ersinnen, welche die -Menge und Mannigfaltigkeit unserer materiellen wie geistigen Genüsse zu -vermehren geeignet sind, ebensowenig wird bei irgend einem anderen Volke -der Fortschritt aus dem Grunde erlahmen, weil dieses Volk gleich uns in -die glückliche Lage gerät, die Früchte des Fortschritts zu genießen.« - -Ich konnte mich nicht enthalten dem gleich einem begeisterten Seher -sprechenden Freunde um den Hals zu fallen. »Wenn ich es bei Lichte -betrachte« -- erklärte ich -- »so läuft die gegenteilige Auffassung -darauf hinaus, als ob der Fortschritt nur dort gedeihen könne, wo er der -Hauptsache nach nutzlos ist. Denn der fundamentale Unterschied zwischen -Euch Freiländern und uns anderen liegt doch darin, daß Ihr die Früchte -jeden Fortschritts genießet, während wir mit demselben eigentlich bloß -in das Danaidenfaß der Überproduktion schöpfen. Niemand bezweifelt, daß -Stuart Mill Recht hatte, als er beklagte, daß alle Entdeckungen und -Erfindungen bisher nicht vermochten, die Plage und Not auch nur _eines_ -arbeitenden Menschen zu lindern; welch schrecklicher Wahnsinn jedoch, zu -glauben, daß gerade _das_ notwendig sei, damit fernerhin entdeckt und -erfunden werde!« - -»Doch, um wieder auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen«, fuhr ich -fort, »so ist mir mit alledem die geradezu wunderbare, herzerquickende -Heiterkeit, die alles hier in diesem Lande der Glücklichen atmet, noch -immer nicht ganz erklärlich. Not und materielle Sorge sind hier -unbekannt, zugegeben. Aber es gibt ja auch außerhalb Freilands -Hunderttausende und Millionen, die jeder drückenden Sorge enthoben sind; -warum fehlt diesen die wirkliche Heiterkeit? Vergleiche doch einmal -unsere beiderseitigen Väter. Der meinige ist unstreitig der reichere, -und doch, welch' tiefe Furchen hat die Sorge in seine Stirn gegraben, -welch' herben Zug schmerzlicher Reflexion um seine Mundwinkel; und -welch' froher Glanz ewiger Jugend leuchtet aus jedem Zuge Deines Vaters. -Ich möchte beinahe vermuten, daß die Luft, die man in diesem Lande -atmet, sehr wesentlich mit im Spiele ist; denn die Falten und Furchen in -Vaters Zügen, von denen ich soeben sprach, haben sich schon in den zwei -Wochen unseres Aufenthaltes hier merklich geglättet, und ich selber -fühle mich heiterer, glücklicher als jemals zuvor.« - -»Du hast«, entgegnete mir David, »das Wichtigste vergessen, den Einfluß -des Gesamtgefühls auf das Gefühl des Einzelnen. Der Mensch ist ein -geselliges Wesen, das seine Gedanken und Empfindungen nur zum Teile dem -eigenen Kopfe und dem eigenen Herzen entnimmt, während ein anderer, -nicht minder wichtiger Teil, ich möchte sagen die Grundstimmung, die den -individuellen Geistes- und Gemütsregungen Farbe und Inhalt verleiht, in -der jeweilig existierenden Gesamtgesellschaft ihren Ursprung hat. Jeder -Einzelne steht mit seinen Mitlebenden nicht bloß äußerlich, sondern -ebenso auch innerlich in unlöslicher Berührung; er glaubt zu denken, zu -fühlen und zu handeln, bloß wie seine Individualität es erheischt, -fühlt, denkt und handelt aber der Hauptsache nach unter dem -unentrinnbaren Banne einer alle Köpfe, Herzen und Handlungen -umschlingenden Zeitströmung. Der aufgeklärte, humane Freidenker der -Gegenwart hätte -- wäre er drei Jahrhunderte früher geboren worden, -um der kleinlichsten, ihm heute lächerlich erscheinenden -Glaubensdifferenzen willen Andersdenkende mit demselben grimmigen Hasse -verfolgt, wie dazumal alle anderen Lebenden auch; und hätte er noch um -einige Jahrhunderte früher, etwa unter den heidnischen Sachsen zur Zeit -Karls des Großen das Sonnenlicht gesehen, so wären ihm Menschenopfer so -wenig ein Greuel gewesen, als den andern Verehrern der Göttin Hertha. -Derselbe Mann aber, welcher als heidnischer Sachse in den Wäldern der -Weser und Elbe aufgewachsen, Ruhm und Preis darin gefunden hätte, das -Blut geschlachteter Gefangener vom Herthastein gen Himmel dampfen zu -lassen, wäre dazumal schon von unüberwindlichem Grauen vor solchem Thun -geschüttelt worden, wenn ihn -- begabt mit genau den nämlichen -individuellen Anlagen -- der Zufall im kaiserlichen Byzanz, statt unter -germanischen Barbaren hätte geboren werden lassen; hier dagegen hätte er -skrupellos Lug und Verrat geübt, während er -- im übrigen vom Wirbel bis -zur Zehe derselbe Mann -- umgeben von den trotzigen Germanenhelden, -solch weichlicher Laster ganz und gar unfähig geblieben wäre. Da dem -aber so ist, da die Tugenden und Laster, die Gedanken und Gefühle jener -unserer Zeitgenossen, in deren Mitte wir geboren und erzogen worden, die -Grundstimmung unseres eigenen Wesens bilden, so ist es schlechterdings -unmöglich, daß der Angehörige einer von wahnsinnigster Angst vor dem -Hunger bis ins innerste Mark gerüttelten Gesellschaft, jemals in -ungetrübter Sorglosigkeit seines Lebens sich freue. Wo die ungeheure -Mehrzahl der Zeitgenossen niemals weiß, was der morgige Tag bringen mag, -ob eine fernere Fristung des jammervollen Daseins oder den völligen -wirtschaftlichen Untergang, unter dem Obwalten einer socialen Ordnung, -die den eigenen Erfolg im Daseinskampfe davon abhängig macht, daß es uns -gelinge, dem gierig nach unserem Brote lechzenden, gleich uns von -fiebernder Angst gerüttelten Konkurrenten sein Brot aus den Zähnen zu -reißen; in einer Gesellschaft, wo jedermann jedermanns Feind ist, von -wirklich heiterem Lebensgenusse zu sprechen, ist der Gipfel des Unsinns. -Kein individueller Reichtum gewährt Schutz gegen den zermalmenden Jammer -der Gesamtheit aller Mitlebenden. Dem hundertfachen Millionär, der nicht -den hundertsten Teil der Zinsen seiner Zinsen in Wirklichkeit verzehren -kann, ihm greift das schreckliche Hungergespenst mit ebenso scharfen -Krallen ins Gemüt, wie dem elendesten der Elenden, der obdachlos, -frierend und hungernd durch die Straßen Eurer Großstädte irrt. Der -Unterschied zwischen beiden liegt nicht im Hirn und im Herzen, sondern -lediglich in den Magennerven; der zweite empfindet auch physisch, was -der erste bloß seelisch und geistig empfindet. Die seelischen und -geistigen Leiden aber sind die dauernden und deshalb wirksameren. -Betrachtet ihn doch, Eueren vom wahnwitzigen Hungerfieber besessenen -Krösus, wie er atemlos nach immer neuem und neuem Erwerbe hastet, wie er -sich und der Seinen Glück und Ehre, Genuß und Frieden dem Götzen -schlachtet, von welchem er sich Hilfe in der allgemeinen Not erwartet, -dem Götzen des Mammons. Denn nicht besitzt er seinen Reichtum, er ist -von ihm besessen. Besitz auf Besitz will er häufen, vermeinend, daß er -hoch oben auf dem schwindelnden Gipfel zahlloser Millionen Sicherheit -erlangen könnte gegen das Meer von Elend, das ihn grauenerregend rings -umbrandet; ja, so verblendet ist der Thor, daß er nicht einmal bemerkt, -wie nur dieser Ozean des allgemeinen Elends es ist, was ihm Grauen -einjagt, vielmehr des traurigen Wahnes lebt, seine Angst werde sich -mindern, wenn nur der Abgrund da unten noch tiefer und schauerlicher -sich abhebt von seinem schwindelnden Sitze da oben. Und man glaube nicht -etwa, daß unter dieser abergläubischen Angst vor dem Hunger bloß die -Thorheit Einzelner gemeint sei. Das ganze Zeitalter ist davon besessen, -und gerade die besten Naturen am meisten. Denn je empfänglicher Kopf und -Herz sind, zu desto schrankenloserer Vorherrschaft gelangt das -Gemeingefühl der allgemeinen Not dem vorübergehenden individuellen -Behagen gegenüber; bloß vollkommen kaltherzige Egoisten oder vollendete -Idioten machen hie und da eine Ausnahme; bloß sie können sich, unbeirrt -durch das Hungergespenst, welches die Millionen ihrer Brüder würgt, mit -wirklichem Behagen ihres Reichtums freuen. - -»Das ist's, o mein Karlo, was Euch allen den hippokratischen Leidenszug -ins Antlitz prägt; Ihr könnt Euch unbefangenem Lebensgenusse nimmermehr -hingeben, so lange Ihr inmitten einer Atmosphäre des Elends, des Jammers -und der Angst atmet. Und das ist's auch, dieses Gemeingefühl, welches -jeden Menschen mit seiner Umgebung verbindet, was Euch hier, kaum -angelangt inmitten einer Gesellschaft, der dieses Elend, dieser Jammer, -diese Angst gänzlich unbekannt sind, zu jener Heiterkeit des Denkens und -Empfindens erwachen läßt, die jedem gesunden Naturwesen ureigentümlich -ist. Und vollends wir, die wir seit einem Menschenalter uns inmitten -dieser, des Elends sowohl als der Furcht vor dem Elend entledigten -Gesellschaft bewegen, wir haben die düstere Auffassung des -Menschenschicksals, von welcher auch wir befangen waren, solange die -alte Welt mit ihrem selbstauferlegten Martyrium uns umfing, beinahe -vollständig überwunden. Ich gebrauche das einschränkende »beinahe« für -diejenigen unter uns, die erst im Mannesalter Freiländer geworden sind. -Wir jüngeren, die wir hier im Lande geboren und aufgewachsen sind, ohne -das Elend jemals gesehen zu haben, unterscheiden uns in diesem Punkte -nicht unerheblich von den älteren, die in ihrer Jugend das Medusenhaupt -der Knechtschaft von Angesicht zu Angesicht geschaut. Fünfundzwanzig -Jahre sind es her, daß mein Vater und meine Mutter, die beide unter den -ersten hier am Kenia anlangten, der Stickluft des Massenelends, der -Entwürdigung des Menschen durch den Menschen entrückt sind; aber die -Erinnerung des Entsetzlichen, das sie vorher miterlebt, dessen -Teilnehmer sie gewesen, ohne es hindern zu können, sie wird bis zu ihrem -Ende nicht gänzlich aus ihrem Gemüte schwinden und nimmermehr kann jene -göttergleiche Ruhe und Heiterkeit völlig von ihrem Herzen Besitz -ergreifen, die das selbstverständliche Erbteil ihrer Kinder ist, an -deren Händen niemals Schweiß und Mark geknechteter Menschen haftete, die -um zu genießen, niemals die Früchte fremder Arbeit sich aneigneten, -niemals vor der grausamen Alternative standen, Hammer oder Ambos im -Daseinskampfe zu sein.« - -Damit schloß David für diesmal seine Belehrungen und ich will es ihm -nachthun. - - - - - 17. Kapitel. - - - Edenthal, 2. August. - -Längst schon hatte mich die Frage der hiesigen Jugenderziehung in hohem -Maße interessiert; der vorgestrige Tag nun war dem Studium dieses -Gegenstandes gewidmet. Zunächst besuchte ich in Davids Gesellschaft -einen der zahlreichen Kindergärten, die in Edenthal ziemlich gleichmäßig -über die Stadt verteilt sind. In einer teils aus sonnigen Grasmatten, -teils aus schattigen Baumpflanzungen gebildeten Anlage tummelten sich -hier unter der Leitung zweier Mädchen im Alter von 18-20 Jahren und -einer jungen Witwe etwa 50 Bübchen und Mädchen im Alter zwischen 4 und 6 -Jahren. Es wurde gesungen, getanzt, allerlei Possen getrieben, -dazwischen Bilderbücher besehen und erklärt, Märchen abwechselnd mit -belehrenden Geschichten erzählt, Spiele gespielt, die gleicherweise -teils bloßer Unterhaltung, teils der Belehrung dienten. Unter dem -kleinen Volke, das sich königlich amüsierte, war ein ziemlich starkes -Kommen und Gehen; die eine Mutter brachte ihre Sprößlinge herbei, eine -andere holte die ihrigen ab. Im allgemeinen ziehen es nämlich die -freiländischen Mütter vor, ihre Kinder um sich zu haben; nur wenn sie -das Haus verlassen, um einen Besuch zu machen oder etwas zu besorgen, -werden die Kleinen dem nächsten Kindergarten übergeben und bei der -Heimkehr wieder abgeholt -- es sei denn, daß das junge Volk selber darum -bettelt, dortgelassen resp. dahin gebracht zu werden, und die Mutter den -Bitten zu willfahren geneigt ist. Doch das sind wie gesagt -Ausnahmefälle; in der Regel tummeln sich die Kinder daheim unter den -Augen der Eltern, und die Leitung der ersten Erziehung ist insbesondere -Sache der Mutter. Belehrung darüber, wie diese am besten anzustellen -sei, braucht eine freiländische Frau selten; im Bedarfsfalle ist -übrigens der benachbarte Kindergarten, später das Pädagogium zur Hand, -wo guter Rat jederzeit geholt werden kann. Als Thatsache wurde mir -mitgeteilt, daß jedes in Freiland aufgewachsene sechsjährige Kind des -Lesens, Kopfrechnens und einer ganz artigen Summe nützlichen Wissens -kundig sei, ohne bis dahin ein anderes als ein Bilderbuch gesehen zu -haben. - -Nach dem Kindergarten kam die Elementarschule an die Reihe. Auch diese -Schulen sind möglichst gleichförmig über Edenthal zerstreut und liegen -gleicherweise in größeren Gärten. Sie sind vierklassig, und der -Unterricht wird Mädchen und Knaben gemeinsam erteilt. Das Lehramt liegt -durchweg in Händen junger Mädchen und Frauen; nur Turnen und Schwimmen -der Knaben leiten männliche Lehrer. Die beiden letzteren Übungen -beanspruchen bei Knaben und Mädchen täglich je eine Stunde; mindestens -dreimal wöchentlich werden unter Leitung je einer Lehrerin von jeder -Klasse mehrstündige Ausflüge in die benachbarten Wälder und Berge -unternommen, bei denen allerlei Anschauungsunterricht getrieben wird. -Ich beobachtete die Zöglinge beim Buche und am Turnplatz, in der -Schwimmschule und auf den Bergen und hatte dabei Gelegenheit, mich zu -überzeugen, daß die Kinder mindestens so viel und so systematisches -Wissen besaßen, als europäische Altersgenossen, dabei sich aber auf Reck -und Barren, Kletterstange und Hängeseil bewegten wie die Eichhörnchen, -im Wasser schwammen wie die Fische, und nach dreistündigem Marsche über -Berg und Thal so munter umhersprangen wie die Rehe. - -Hierauf besuchten wir die Mittelschulen, in denen Knaben und Mädchen -gesondert vom 10. bis 16. Jahre unterrichtet wurden, erstere durch -männliche, letztere teilweise durch weibliche Lehrkräfte. Hier war den -Leibesübungen mannigfaltigster Art noch weit größere Beachtung -geschenkt, und um den hierfür erforderlichen Raum zu gewinnen, befanden -sich diese Schulen im Umkreise der Stadt, in der Nachbarschaft der diese -umgebenden Wälder. Ich hatte Gelegenheit, die Ausdauer, Kraft und Grazie -der Knaben und Mädchen im Turnen, Laufen, Springen, Tanzen und Reiten zu -bewundern, die ersteren überdies bei ihren Ring-, Fecht- und -Schießübungen zu sehen. Einige Gänge auf Stoßdegen und Säbel mit -verschiedenen der jungen Leute belehrten mich zu meinem Erstaunen, daß -dieselben mir nicht bloß ebenbürtig, sondern in manchen Punkten -überlegen seien, obwohl Dir bekannt ist, daß ich zu den besseren -Fechtern unseres in dieser Kunst so vielgepriesenen Italien gehöre. Die -beim Ringen und Turnen hervortretende Muskulatur der halbwüchsigen -Recken erregte in nicht minderem Grade meine Bewunderung, als die -spielende Leichtigkeit, mit welcher dieselben ein Pferd im vollen Galopp -einholten und sich auf dessen Rücken schwangen. Besonders überrascht -aber war ich von der Sicherheit, mit welcher die Knaben ihre Schußwaffen -handhabten. Auf 500 Meter Distanz wurde die kaum tellergroße Scheibe -selten verfehlt, und nicht wenige der jungen Schützen sandten Kugel auf -Kugel ins Schwarze. Alles in allem machten insbesondere die obersten -Klassen dieser Mittelschulen dem Äußeren der Zöglinge nach zu urteilen -den Eindruck einer Schar erlesener junger Athleten; dabei erwiesen sich -jedoch diese Athleten auch in allen Wissenszweigen wohlbewandert, die an -den besten europäischen Mittelschulen getrieben werden. - -Bis dahin ist, wie ich erfuhr, der Unterricht für alle Kinder Freilands -der gleiche, mit dem alleinigen Unterschiede, daß bei den Mädchen etwas -geringerer Nachdruck auf die Leibesübungen, dafür desto größerer auf -musikalische Ausbildung gelegt wird. Von da ab jedoch trennen sich die -Berufe. Die jungen Mädchen bleiben entweder im elterlichen Hause, um -sich dort in jenen Künsten und Wissenszweigen, zu denen sie bis dahin -den Grundstein gelegt, weiter auszubilden, oder sie ziehen als -Ziehtöchter zu gleichem Zwecke in das Haus irgend einer als hochgebildet -und geistreich bekannten Frau. Ein anderer Teil bezieht die -pädagogischen Lehranstalten, um sich für das Lehramt auszubilden, hört -einen Kursus über Krankenpflege oder über Ästhetik, Kunstgeschichte u. -dergl. - -Die Knaben dagegen zerstreuen sich insgesamt in die verschiedenen -höheren Lehranstalten. Die Mehrzahl besucht die gewerblichen und -geschäftlichen Fachschulen, in denen ein oder zwei Jahre hindurch -wissenschaftliche und praktische Anleitung zu den verschiedenartigsten -Geschäfts- und Produktionsarten erteilt wird. Durch eine dieser -Fachschulen geht jeder freiländische Arbeiter, er mag späterhin als -Landbauer, als Spinner, als Bergmann oder in welcher Eigenschaft immer -seinen Verdienst suchen. Dabei wird ein doppelter Zweck verfolgt: -erstens der, jeden Arbeiter ohne Unterschied in den Zusammenhang des -ganzen Getriebes seiner Produktion einzuweihen und zweitens, ihn in den -Stand zu setzen, seinen Erwerb nach Wahl auch in mehreren -Produktionszweigen zu suchen. Der simple Spinner, der nichts anderes zu -thun hat, als den Gang seiner Spindeln zu überwachen, weiß hier zu Lande -auch über die Einrichtung und den Betrieb der ganzen Spinnerei, über -Bezugsquellen und Absatzgebiete einigen Bescheid, was zur Folge hat, daß -solch ein Arbeiter, wenn es gilt die Leiter seiner Association zu -wählen, seine Stimme mit einer Sachkenntnis abgiebt, die Mißgriffe bei -der Auslese der geeignetsten Persönlichkeiten nahezu unmöglich macht. -Zum zweiten aber ist dieser einfache Spinner in Freiland kein Automat, -dessen Wissen und Können mit den Handgriffen und Kenntnissen seines -engeren Faches erschöpft wäre; er ist jedenfalls noch in einem oder -einigen anderen Erwerbszweigen zu Hause und das hat wieder zur Folge, -daß unser Mann jede in diesem anderen Erwerbszweige sich zeigende -günstige Konjunktur sofort ausnutzen, die Spinnmaschine mit dem Pfluge, -mit dem Hammer oder mit der Drehbank, wohl auch mit dem Schreibpulte -oder der Rechentafel zu vertauschen in der Lage ist, wodurch eben jenes -wundervolle Gleichgewicht der verschiedenartigsten Einkommenszweige -ermöglicht wird, welches die Grundlage der socialen Ordnung des Landes -ist. - -Junge Leute, die Beruf zu höherer geistiger Thätigkeit in sich -verspüren, wenden sich den eigentlichen Hochschulen zu, in denen -Freilands Professoren, höhere Verwaltungsbeamte, Ärzte, Techniker u. s. -w. ausgebildet werden, oder den mit großartigen Mitteln ausgestatteten -verschiedenartigen Kunstakademien, aus denen die Architekten, Bildhauer, -Maler, Musiker des Landes hervorgehen. Doch auch in allen diesen -Unterrichtsanstalten wird fortlaufend neben der geistigen auf die -körperliche Fortbildung der größte Nachdruck gelegt. Die gewerblichen -und kaufmännischen Fachschulen haben ihre Turn-, Ring- und Reitbahnen, -ihre Schieß- und Fechtplätze so gut wie die Hochschulen und Akademien, -und da die Jünglinge, welche hier ihre Fortbildung suchen, nicht so -unmittelbar unter dem Einflusse ihrer Lehrer stehen, wie die Knaben der -Mittelschulen, so ist durch das Institut der öffentlichen Gau- und -Landesübungen dafür gesorgt, ihren Eifer für körperliche Ausbildung -nicht erlahmen zu lassen. Alle Jünglinge zwischen dem vollendeten 16. -und 22. Jahre sind nämlich je nach ihrem Wohnsitze in Tausendschaften -geteilt, die unter selbstgewählten Führern allmonatlich Übungen halten, -bei denen sie ihre körperlichen Kräfte und Fähigkeiten erproben. Einmal -im Jahre findet in jedem der 48 Distrikte, in welche zu -Verwaltungs-Zwecken ganz Freiland geteilt ist, vor einem -Preisrichterkollegium, welches aus den Siegern früherer Jahre gebildet -wird, eine große Preisübung statt, bei welcher erstlich von jeder -Tausendschaft gestellte Champions -- es sind das natürlich die -tüchtigsten Recken, über die jede Tausendschaft verfügt -- als -Einzel-Fechter, -Schützen, -Reiter, -Ringer und -Läufer sich messen; -sodann kämpfen die Tausendschaften als solche, d. h. in Gesamtübungen um -verschiedene Preise. Die Sieger bei diesen Gauübungen bewerben sich dann -bei dem wenige Wochen später in einem zu solchen Zwecken besonders -eingerichteten Thale des Aberdaregebirges stattfindenden Landesfeste um -die Ehre der Meisterschaft für ganz Freiland und man versicherte mir, -daß kein griechischer Jüngling aus der Blütezeit von Hellas in heißerem -Bemühen um den Ölzweig bei den Isthmischen Spielen warb, als die -freiländischen Jünglinge um die Ehrenpreise bei diesen Aberdarespielen, -obwohl auch hier die Preise in nichts anderem, als in schlichten -Blätterkronen, daneben aber allerdings in dem vom Indischen Ocean bis zu -den Mondbergen und vom Tanganika bis zum Baringosee wiederhallenden -Ruhmesfanfaren und in dem begeisterten Jubel jenes Gaues und jener Stadt -bestehen, die so glücklich sind, die Sieger die Ihren zu nennen. -Hunderttausende strömen aus allen Landesteilen zu diesen Preisübungen -zusammen und die Mutterstadt der Sieger, insbesondere die der siegenden -Tausendschaft, empfängt ausnahmslos die heimkehrenden Jünglinge mit -einer Reihe der erlesensten Feste. - -Ich konnte mich, als mir dies berichtet wurde, der Bemerkung nicht -enthalten, daß mir solcher Enthusiasmus aus Anlaß eines bloßen Spieles -denn doch übertrieben erscheine; insbesondere äußerte ich darüber mein -Erstaunen, daß Freiland, die Heimat der socialen Gerechtigkeit, sich für -Leistungen zu begeistern vermöge, die im kriegerischen Hellas von -besonderem Werte erscheinen mochten, hier aber, wo alles -unverbrüchlichen Frieden atmet, keine andere Bedeutung haben könnten, -als die einer harmlosen Leibesübung. - -»Sehr richtig« -- bemerkte David -- »nur daß die Tüchtigkeit in diesen -harmlosen Leibesübungen es eben ist, was uns Freiländern die -Unverbrüchlichkeit des Friedens verbürgt, dessen wir uns zu erfreuen -haben. Wir besitzen keinerlei militärische Einrichtungen und wären, wenn -wir uns nicht auf unsere Überlegenheiten in allem, was körperliche Kraft -und Gewandtheit betrifft, verlassen könnten, die leichte Beute jedes -Militärstaates, dem es nach unseren Reichtümern gelüstete.« - -»Du glaubst doch nicht etwa« -- rief ich nicht ohne ein sarkastisches -Lächeln -- »mit euern fechtenden und schießenden Knaben und mit den -Siegern eurer Isthmischen Spiele einer großen Militärmacht gewachsen zu -sein, die es wirklich auf Euch abgesehen haben sollte? Meines Erachtens -liegt Euer Schutz in der gegenseitigen Eifersucht der europäischen -Staaten, die eine solche Beute keinem einzelnen gönnt, und mehr noch in -der weiten Entfernung, dem Meere und den Bergen, die Euch so gefährliche -Besuche vom Leibe halten. Für alle Fälle aber glaube ich, daß einige -militärische Vorsorge, etwa die Aufstellung einer tüchtigen Miliz und -insbesondere eine starke Flotte, deren Kosten doch bei Eurem Reichtume -gar nicht in Betracht kämen, sehr heilsam wäre.« - -»Wir sind anderer Ansicht« -- erklärte David. »Nicht unsere Kampfspiele, -wohl aber die überlegene körperliche Tüchtigkeit, die in ihnen zu Tage -tritt, sichern uns unseres Dafürhaltens vollkommen gegen jeden, selbst -den mächtigsten Feind, der gegen unsere harmonisch ausgebildeten, im -Gebrauche jeglicher Waffe bis zur höchsten Vollendung geübten Jünglinge -und Männer doch nichts anderes ins Feld stellen könnte, als verkommene, -ihre Waffen kaum notdürftig handhabende Proletarier. Wir glauben, daß es -im Kriege weniger auf die Anzahl der Schüsse, als auf die Anzahl der -Treffer, weniger auf die Masse, als auf die Leistungsfähigkeit der -Kämpfenden ankommt. Wenn Du gleich mir Zeuge gewesen wärest, in welcher -Weise bei dem vorjährigen Landesfeste die siegende Tausendschaft ihren -Preis herausschoß, so würdest Du vielleicht zugeben, daß eine Truppe, -die aus solchen, oder doch annähernd solchen Schützen gebildet wäre, -keine europäische Armee zu fürchten brauchte.« - -»Wie wollt Ihr Euch aber gegen die Kanonen europäischer Armeen -verteidigen?« fragte ich. - -»Ei, eben auch durch Kanonen«, entgegnete David. »Da wir nun einmal mit -diesen Einrichtungen den Doppelzweck verfolgen, den Eifer für -körperliche Ausbildung zu fördern und zugleich Sicherheit gegen -feindliche Angriffe zu erlangen, so nehmen unter unseren Schießübungen -auch solche mit Kanonen des verschiedensten Kalibers einen ausgedehnten -Platz ein. Und zwar geschieht auch das schon von der Schule aus. Von der -vierten Mittelklasse an werden jene Knaben, die sich auf den anderen -Gebieten hervorgethan haben, zu Geschützübungen herangezogen -- was -sich, nebenbei bemerkt, als ganz besonderer Ansporn des Fleißes bewährt -hat. Daß Du diese Geschütze nicht zu Gesicht bekamst, hat seinen Grund -darin, daß der Schießplatz für dieselben ziemlich weit außerhalb des -Bannkreises der Stadt liegt, was um so notwendiger ist, als sich unter -diesen Übungskanonen Ungetüme bis zu 200 Tonnen Gewicht befinden, deren -Donner nur schlecht zur idyllischen Ruhe unseres Edenthals passen würde. -Die Jünglinge aber werden mit diesem artigen Spielzeug so vertraut und -zahlreiche bringen es nach eingehenderen ballistischen Studien zu so -großer Vollendung in Handhabung desselben, daß sie sich meines Erachtens -auch auf diesem Gebiete europäischen Gegnern ebenso überlegen erweisen -würden, wie auf demjenigen des Schützenwesens. Genau dasselbe gilt von -unseren Reitern. Kurzum, wir haben keine Armee, aber unsere Jünglinge -und Männer handhaben alle Waffen, deren eine Armee bedarf, unendlich -vollkommener, als die Soldaten welcher Armee immer, und da überdies zu -Zwecken der großen Preisspiele auch eine Organisation geschaffen ist, -kraft deren aus der Mitte 2½ Millionen waffengeübter Jünglinge und -Männer, welche Freiland zur Stunde besitzt, die gewandtesten und -tüchtigsten 2-300000 jederzeit verfügbar sind, so meinen wir, daß es uns -ein Leichtes wäre, die größte Invasionsarmee abzuwehren -- eine Gefahr, -die wir jedoch im Ernste keineswegs besorgen, denn wir bezweifeln, daß -irgend ein europäisches Volk dazu zu haben wäre, uns anzugreifen. Gegen -uns gesammelte Gewehre und Kanonen dürften sich, auch ohne daß wir etwas -dazu thun, sehr rasch wider diejenigen kehren, die Feindseliges gegen -uns sinnen.« - -Dem stimmte ich zu. Wir besprachen hierauf noch einige andere -Gegenstände der Jugenderziehung, bei welcher Gelegenheit die Rede auf -das freiländische Erbrecht kam. - -»Dürfte ich Dich fragen, wie Ihr es mit dem Erbrecht im allgemeinen und -mit dem Erbrecht an liegendem Besitz im besonderen haltet. Denn hier, im -Eigentum an Häusern, scheint mir eine Klippe zu liegen, an welcher Eure -allgemeinen Prinzipien über Grundbesitz Schiffbruch leiden können. Eine -der Grundlagen Eurer Organisation ist doch, daß Grund und Boden niemand -eigentümlich gehören dürfe; Häuser aber stehen -- wenn ich recht -unterrichtet bin -- im Privateigentum. Wie vereinbart sich das?« - -»Jedermann«, so antwortete David, »verfügt für den Todesfall wie im -Leben vollkommen frei über sein gesamtes Eigentum. Die Testierfreiheit -ist eine unbedingte, nur ist dabei zu beachten, daß unter den Ehegatten -vollständige Gütergemeinschaft besteht, woraus hervorgeht, daß nur der -überlebende Teil über das gemeinsame Vermögen letztwillig verfügen kann. -Das Eigentum am Hause jedoch kann nicht geteilt werden und ebensowenig -ist es gestattet, auf einem Haus- resp. Gartengrunde mehr als _ein_ -Wohnhaus zu errichten. Schließlich darf das Wohnhaus nur vom Eigentümer -bewohnt, nicht aber vermietet werden. Geschieht von diesen drei Dingen -eines, wird überhaupt der Hausgrund zu irgend einem anderen Zwecke, als -zu Errichtung der Wohnstätte des Eigentümers verwendet, so trifft den -Zuwiderhandelnden zwar keinerlei besondere Strafe und es wird auch -keinerlei besonderer Zwang gegen ihn geübt, die unmittelbare Folge aber -ist der Verlust des ausschließlichen Nutzungsanspruchs am Hausgrunde. -Die Baufläche wird damit zu Boden gewöhnlicher Art, an welchem es kein -Sonderrecht giebt, an welches jedermann das gleiche ungeteilte Anrecht -hat. Denn nach unseren Anschauungen giebt es überhaupt kein Eigentum am -Boden, also auch nicht am Baugrund des Hauses, und das Recht, solchen -Boden abzusondern und für sich allein zu benutzen, ist lediglich ein zu -bestimmten Zwecken eingeräumtes Nutznießungsrecht. Gleichwie z. B. der -Eisenbahnreisende ein Anrecht auf den Platz hat, den er zuerst -occupierte, jedoch nur zu dem Zwecke, um darauf zu sitzen, nicht aber, -um dort seine Gepäckstücke abzuladen oder um ihn gegen Entgelt an Andere -zu überlassen; so habe ich das Recht, den Platz auf Erden, auf welchem -ich mein Heim gründen will, durch bloße Occupation für mich zu -reservieren, und Niemand darf sich auf meinem Baugrunde neben mir -ansiedeln, so wenig, als es ihm gestattet ist, auf der Eisenbahn neben -mir auf meinem Sitze Platz zu nehmen, auch wenn im Notfalle Raum für -zwei vorhanden wäre. Aber es liegt auch nicht in meinem Belieben, auf -meinem Polster guten Freunden ein Plätzchen neben mir einzuräumen, denn -die Mitreisenden brauchen sich die dadurch für sie erwachsenden -Unbequemlichkeiten nicht gefallen zu lassen; sie können dagegen -protestieren, daß die Beine und Ellbogen meines Sitzpartners ihnen zu -nahe kommen und daß der nur für eine bestimmte Personenzahl berechnete -Luftraum des Wagens durch meine Eigenmacht zahlreicheren Lungen -zugeteilt werde. Ebenso brauchen es sich meine Hausnachbarn nicht -gefallen zu lassen, daß ihnen meine Mauern und Dachfirste zu nahe an den -Leib rücken und daß ich eigenmächtig den Luftraum einer Stadt dichter -fülle, als dem allgemeinen Übereinkommen entspricht. - -»Nun habe ich aber in Ausübung meines mir auf eine bestimmte -Bodenparzelle eingeräumten Nutzungsrechtes diese Parzelle untrennbar mit -einem Dinge verbunden, auf welches mir nicht bloß Nutzungs-, sondern -Eigentumsrecht zusteht, dem Hause nämlich. Daraus ziehen wir die -Konsequenz, daß mein Nutzungsrecht auf denjenigen übergeht, dem ich -- -sei es entgeltlich oder unentgeltlich -- das Eigentumsrecht an meinem -Hause überlasse. Ich kann daher mein Haus verkaufen, vererben, -verschenken, ohne daß ich daran durch den Umstand gehindert würde, daß -mir am Baugrunde des Hauses kein Eigentum zusteht.« - - - - - 18. Kapitel. - - - Edenthal, 6. August. - -Gestern besichtigten wir in Begleitung der beiden englischen -Geschäftsträger die freiländische Centralbank, deren allumfassendes und -gerade wegen dieser seiner Allgemeinheit verhältnismäßig so überaus -einfaches Clearingsystem die höchste Bewunderung der sachverständigen -beiden Herren erntete. Die Erkenntnis, mit wie verschwindend geringen -Barbeträgen sich hier die Ausgleichung des gesamten riesigen Umsatzes -vollzog, regte Lord Elgin zu der Frage an, wozu Freiland überhaupt das -Gold als Wertmesser beibehalte; er sprach die Meinung aus, es wäre, da -man ohnehin die wichtigsten Leistungen nach dem Werte der Arbeitszeit -berechne, das Einfachste, diese Rechnungsmethode zu verallgemeinern, d. -h. die Arbeitsstunde als Wertmesser, als Geldeinheit zu gebrauchen. Dies -würde -- so glaube er -- auch der gesamten socialen Ordnung Freilands -weit besser entsprechen, in welcher doch die Arbeit Quelle und Grundlage -allen Wertes sei. - -»Das ist«, entgegnete der Direktor des Instituts, Herr Clark, »eine von -Fremden wiederholt schon geteilte Anschauung, sie beruht aber lediglich -auf einer Verwechslung des _Wertmaßes_ mit der _Quelle_ des -_Einkommens_. Wir in Freiland haben der Arbeit das Recht auf den ganzen -mit ihrer Hülfe hervorgebrachten Ertrag gesichert; wir begründen dies -aber nicht durch die unwahre Behauptung, daß Arbeit die einzige Quelle -des Wertes dieser Erträge sei, sondern dadurch, daß wir behaupten, der -Arbeitende habe auch auf jene anderweitigen Faktoren, nämlich Kapital -und Naturstoffe oder -Kräfte, die zur Wertbildung erforderlich sind, den -gleichen Anspruch wie auf seine Arbeitskraft selber. Doch das nur -nebenbei. Selbst wenn Arbeit die einzige Wert_quelle_ und der einzige -Wert_bestandteil_ wäre, ist sie doch der denkbar schlechteste -Wert_maßstab_, denn sie ist unter allen Dingen, die überhaupt Wert -besitzen, jenes, dessen Wert den größten Veränderungen ausgesetzt ist. -Mit jedem Fortschritte menschlicher Kunstfertigkeit und Betriebsamkeit -wächst ihr Wert, d. h. ein Arbeitstag oder eine Arbeitsstunde setzt sich -fortlaufend in eine größere Menge aller erdenklichen anderen Werte um. -Daß der Wert des Arbeitsproduktes verschieden ist, je nachdem die -Arbeitskraft gut oder schlecht ausgerüstet, gut oder schlecht angewendet -wird, kann gar keinem Zweifel unterliegen und wurde auch niemals -ernstlich in Zweifel gezogen. Nun ist bei uns in Freiland allerdings -_alle_ Arbeitskraft möglichst gut ausgerüstet und verwendet, weil eben -die vollkommene und schrankenlose Freiheit, sich der jeweilig besten, d. -h. die höchsten Werte erzeugenden Arbeitsgelegenheit zuzuwenden, diese -wenn auch nicht absolute, so doch relative Gleichartigkeit zuwege -bringt; aber damit sie zuwege gebracht werde, ist eben ein fester und -verläßlicher Maßstab erst recht vonnöten, an welchem der Wert der durch -Arbeit erzeugten Dinge gemessen werden kann. Daß die auf Schuhwaren und -auf Gespinste, auf Getreide und auf Eisenwaren gewendete Arbeit bei uns -gleichwertig ist, zeigt sich ja erst dadurch, daß die in der gleichen -Zeit erzeugten Schuhe, Gespinste, Körnerfrüchte und Eisenwaren gleichen -Wert besitzen, welch letzteren Umstand aber nimmermehr die Vergleichung -mit der aufgewendeten Arbeitszeit, sondern bloß die mit einer an sich -wertbeständigen Sache anzeigen kann. Würden wir die in gleicher Zeit -erzeugten Dinge schon deshalb allein für gleichwertig halten, weil sie -eben in gleicher Zeit erzeugt sind, so würden wir sehr bald dahin -gelangen, Schuhe zu erzeugen, die Niemand braucht, dafür aber Mangel an -Gespinst zu leiden, und wir könnten unbekümmert um die Überfülle von -Eisenwaren deren Erzeugung steigern, während vielleicht alle verfügbaren -Hände erforderlich wären, um empfindlichem Getreidemangel abzuhelfen. -Mit dem Arbeitstage als Wertmaß vermöchte -- wenn er aus anderen Gründen -nicht unmöglich wäre -- nur der Kommunismus zu wirtschaften, der die -Herstellung des richtigen Wechselverhältnisses zwischen Angebot und -Nachfrage nicht dem freien Verkehre überläßt, sondern von -Obrigkeitswegen bewerkstelligt, dies aber selbstverständlich nur in der -Weise zu Wege bringt, daß er Niemand fragt, was er genießen und was er -arbeiten will, vielmehr Genuß und Arbeit Jedermann von Obrigkeitswegen -vorschreibt. - -»Wir in Freiland dagegen, die wir das Gegenteil des Kommunismus, nämlich -absolute individuelle Freiheit, verwirklicht haben, wir brauchen -notwendiger als irgendwer ein möglichst genaues, verläßliches Wertmaß, -das ist ein solches, dessen Tauschkraft allen anderen Dingen gegenüber -möglichst geringen Abweichungen und Schwankungen ausgesetzt ist. Dieses -möglichst beste, möglichst wertkonstante Maß nun hat die Kulturwelt mit -Recht seit jeher im Golde erblickt. Diese Thatsache ist nicht etwa das -Ergebnis irgend einer geheimnisvollen Eigenschaft dieses Metalles, -sondern das seiner hochgradigen Dauerbarkeit, in deren Folge im Laufe -der Jahrhunderte und Jahrtausende Goldmengen aufgestapelt und der -Nachfrage zur Verfügung gehalten wurden, im Vergleiche zu welchen die -gewaltigsten Veränderungen der jeweiligen Produktion gar nicht in die -Wagschale fallen. Während eine gute oder schlechte Weizenernte von -ausschlaggebender Bedeutung für den jeweiligen Weizenwert ist, weil die -alten Weizenvorräte im Verhältnis zum Ergebnisse der neuen Ernte nur von -nebensächlicher Bedeutung sind, bleibt der Goldwert von noch so großen -Schwankungen selbst mehrerer Produktionsjahre verhältnismäßig unberührt, -weil die alten Goldvorräte für alle Fälle ganz außerordentlich größer -sind, als das Ergebnis selbst der reichsten Ausbeute eines einzelnen -Jahres. Alle Goldminen der Welt könnten mit einem Schlage vollständig -versiegen, ohne daß dies auf die Menge des verfügbaren Goldes sofort von -sonderlichem Einflusse wäre, während eine einzige allgemeine -Getreidemißernte fürchterlichsten Getreidemangel zur sofortigen und -unvermeidlichen Folge hätte. Dies also ist der Grund, warum Gold der -bestmögliche, wenn auch keineswegs ein absolut guter Wertmaßstab ist. -Die Arbeitszeit aber wäre unter allen denkbaren der schlechteste -Wertmaßstab, denn weder sind zwei gleiche Arbeitszeiten notwendig -wertgleich, noch behält die Arbeitszeit im allgemeinen unveränderten -Wert, vielmehr wächst ihre Tauschkraft allen anderen Dingen gegenüber -mit jedem zur Geltung gelangenden Fortschritte der Arbeitsmethoden.« - -Wir waren alle überzeugt; nur konnte Lord Elgin die Bemerkung nicht -unterdrücken, daß die Freiländer denn doch eine Reihe von Leistungen -nach Arbeitsäquivalenten berechneten. Sofort erhielt er aber von meinem -Vater die treffende Antwort, daß dies nach allem bisher Gehörten nur -dort geschehe, wo eine mit der Steigerung des Wertes der Arbeit parallel -laufende Erhöhung einer Zahlung geradezu beabsichtigt sei. Gehalte und -Versorgungsansprüche _sollen_ steigen, wenn der Ertrag von Arbeit und -damit der allgemeine Verbrauch steige, und zwar genau im selben Maße, -wie diese, und nur weil dies beabsichtigt ist, kann man sie nach -Arbeitsäquivalenten bemessen. - -Herr Clark machte uns jetzt darauf aufmerksam, welch' weitgehende, alles -durchdringende Offenheit und Übersichtlichkeit zufolge der durch die -Bank geübten Klarstellung aller Verkehrs- und Erwerbsverhältnisse in -allen pekuniären Angelegenheiten Freilands herrsche. Niemand kann weder -sich noch andere über seine Mittel täuschen und eine der in socialer -Beziehung wichtigsten Folgen davon ist, daß es Niemand beifällt, durch -ungehörigen Aufwand glänzen zu wollen. Die Verschwendung entspringt nur -zu häufig dem Bestreben, sich in den Augen der Welt als reicher -darzustellen, als man thatsächlich ist; ein solcher Versuch könnte hier -zu Lande nur Lächeln erwecken. Doch auch wer aus übertriebenem Hange zu -Luxus mehr ausgeben wollte, als er einnimmt, vermöchte dies nicht, da -die Bank zu solchen Zwecken natürlich keine Kredite gewährt, und ohne -diese der Verschwender geradezu auf die Mildthätigkeit seiner Mitbürger -angewiesen wäre, um seinem Hange zu fröhnen. Die Höhe aller Einnahmen -und Ausgaben liegt klar zu Tage, alle Welt weiß, was jedermann hat und -woher er es hat. Und da es zudem jedermann freisteht, jeden beliebigen -Erwerbszweig zu ergreifen, so können Unterschiede des Einkommens auch -Niemandes Neid erwecken. - -Nun warf aber Lord Elgin die Frage auf, ob sich aus den bei Feststellung -von Honoraren unterschiedlicher Art, z. B. von Beamtengehalten, -unvermeidlichen Willkür keinerlei Widerspruch zu dem sonst geltenden -Prinzipe der unbeschränkten freien Berufswahl und dem gerade aus dieser -Freiheit hervorgehenden Gleichgewichte der verschiedenen Arbeitserträge -ergebe. »Wenn der Ertrag aus Wollenweberei aus irgendwelchem Grunde -höher ist, als der aus Getreidebau, so werden neue Arbeitskräfte -insolange zur Weberei übergehen, bis der beiderseitige Ertrag sich ins -Gleichgewicht gesetzt hat; sollte sich etwa ein dauernder Mehrertrag bei -einem dieser beiden Produktionszweige zeigen, so kann dies angesichts -Ihrer Institutionen offenbar nur daher rühren, daß die Arbeit in diesem -ertragreicheren die unangenehmere, anstrengendere, eventuell auch die -höhere, seltenere Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordernde ist; Niemand -kann sich über die geringste Benachteiligung beklagen und insofern ist -die im Wege der Freiheit hergestellte Harmonie geradezu -bewunderungswürdig. Aber sowie es sich um Ernennungen und Gehalte -handelt, muß doch diese Gleichheit aufhören. Sie als Chef eines -Verwaltungszweiges verdienen 1400, Ihr Nachbar Handarbeiter bloß 600 -Pfund; woher wissen Sie, daß letzterer sich darob nicht benachteiligt -fühlt?« - -»Wenn Sie, Mylord«, -- meinte lächelnd Herr Clark -- »darunter -verstehen, woher ich wisse, ob sich mein Nachbar nicht dadurch _von der -Natur_ benachteiligt fühlt, daß er außer stande ist, gleich mir 1400 -Pfund jährlich zu verdienen, so muß ich Ihnen antworten, daß ich darüber -thatsächlich bloß Vermutungen, aber keine sichere Wissenschaft besitze; -wenn Sie aber meinen, daß dieser mein Nachbar oder sonst jemand in -Freiland in diesem meinem höheren Gehalte einen mir durch behördliche -Willkür oder Gunst der Wähler zugewendeten, möglicherweise auch -überflüssigen Vorteil erblicken könnte, so kann ich dies entschieden -bestreiten. Denn mein Gehalt ist in letzter Auflösung gerade so das -Ergebnis der freien Konkurrenz, wie der Arbeitsertrag meines fraglichen -Nachbars. Ob ich der richtige Mann auf meinem Posten sei, darüber -entscheidet allerdings die freie, durch keinerlei automatisch wirkende -Einrichtung zu ersetzende oder zu kontrollierende Meinung jener -Körperschaften, von denen meine Wahl abhängt; mit welchem Gehalte jedoch -mein Amt bedacht werden muß, damit geeignete, oder sagen wir als -geeignet geltende Männer für dasselbe sich finden, das regelt sich genau -nach den nämlichen automatischen Gesetzen, wie der Arbeitsertrag eines -Webers oder Landbauers. Und zwar gilt dies vom Gehalte des jüngsten -Postbeamten angefangen bis hinauf zu uns Chefs der freiländischen -Verwaltungszweige. Die Ernennungen hängen überall vom freien Ermessen -der Vorgesetzten oder der Wahlkollegien ab; aber diese Vorgesetzten und -Wahlkollegien müssen die Gehalte so bestimmen, daß jederzeit eine -genügende Anzahl geeignet befundener Bewerber vorhanden sei. Natürlich -kann es dabei auf ein Pfund mehr oder weniger im Jahre nicht ankommen; -es gilt als Grundsatz, daß die Gehalte stets so bemessen sein müssen, -daß eher ein kleiner Überfluß als ein Mangel an Bewerbern sich -einstelle; aber wenn der Überfluß ein gewisses Maß übersteigt, so -reduziert man eben die Gehalte, während bei drohendem Mangel an -Bewerbern mit Gehalterhöhungen vorgegangen würde. Als selbstverständlich -will ich hier bloß einschalten, daß unter abgewiesenen Bewerbern in -Freiland nicht brotlose Aspiranten zu verstehen sind; Ernennung oder -Ablehnung sind niemals Existenz-, sondern bloß Neigungs-, allenfalls -auch Eitelkeitsfragen. Ebenso verläßt man ein Amt, wenn anderwärts -lohnendere oder angenehmere Beschäftigung winkt. Die Staatsämter werden -auch nicht in jedem Dienstzweige gleich hoch bezahlt; besonders -anstrengende, oder besondere Kenntnisse verlangende Arbeit setzt auch -hier höheren Ertrag voraus, gerade wie bei den unterschiedlichen -Gewerben. Und während der Arbeitsertrag gewöhnlicher Handarbeit das -Richtmaß der niederen Beamtengehalte ist, wirken die Honorare der -unterschiedlichen Associationsleiter bestimmend auf die Gehalte der -oberen Stellen zurück. Dabei hat sich die auch bei Ihnen gemachte -Erfahrung wiederholt, daß der Reiz mit öffentlicher Thätigkeit -verbundener Stellungen die Gehalte von Verwaltungsbeamten, Professoren -u. dergl. nicht unerheblich unter das Niveau jener Bezüge hinabdrückt, -welche in den leitenden Stellen der Associationen zu erlangen sind. -Im allgemeinen macht sich mit steigender Intelligenz ein -_verhältnismäßiges_ -- beileibe kein absolutes -- Sinken der obersten -Gehalte überall geltend. Aber während die Direktoren einzelner großer -Associationen noch immer bis zu 5000 Stundenwerte im Jahre beziehen, -erhalten die obersten Chefs der freiländischen Centralverwaltung derzeit -nur mehr 3600, und auch das nur, weil die Parlamente der von uns -unablässig beantragten Ermäßigung der oberen Gehalte ebenso unablässig -zähen Widerstand entgegensetzen und sich nur zögernd und widerwillig -dazu verstehen. Um gerecht zu sein, muß man übrigens hinzufügen, daß -sich bei den Associationen das nämliche Spiel wiederholt. Die Direktoren -würden sich mit weit geringeren Gehalten begnügen, und von oben -ausgehende Anträge auf Gehaltsreduktion sind, insbesondere in den -letzten zehn Jahren, seitdem der Wert der Stundenäquivalente so sehr -gestiegen ist, in den meisten Generalversammlungen geradezu stehende -Formeln geworden. Ich wiederhole, daß diese Reduktion immer nur -verhältnismäßig, d. h. mit Bezug auf den Ansatz in Stundenäquivalenten -zu verstehen ist; der Wert der Arbeitsstunde hat sich binnen 20 Jahren -vervierfacht; wer also, wie z. B. wir öffentlichen Verwaltungschefs, um -28 Procent weniger Stundenwerte erhält, als ursprünglich, dessen -Einkommen hat sich, in Geld berechnet, doch nahezu verdreifacht. Die -Associationen aber wollen in der Regel auch von einer so verstandenen -Gehaltermäßigung nichts wissen. Sie besorgen, daß trotz aller von ihren -Direktoren an den Tag gelegten Geneigtheit, sich mit geringeren Bezügen -zu begnügen, denn doch der eine oder andere sich von einer -konkurrierenden, höhere Bezüge zahlenden Gesellschaft ihnen werde -abspenstig machen lassen, und da thatsächlich angesichts der -Riesensummen, die solch eine große Association im Jahre umsetzt, einige -hundert Pfund auf oder ab gar nicht der Rede wert sind, so geht es bei -den Associationen mit der Gehaltsreduktion nur langsam vorwärts. -Trotzdem gleicht sich der Abstand zwischen höchstem und geringstem -Verdienste durchweg immer mehr aus, da wir in Folge der steigenden -allgemeinen Bildung dem Gleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage -auch in den höheren, besondere Fähigkeiten voraussetzenden Berufen stets -näher kommen. Sollte dies Gleichgewicht dereinst vollkommen erreicht -werden, was mit der Ausdehnung unserer Institutionen auf die gesamte -Menschheit und dem damit verknüpften gänzlichen Verschwinden -ungebildeter Massen unzweifelhaft stattfinden dürfte, so ist es unsere -Meinung, daß auch die Unterschiede der Gehalte gänzlich verschwinden, -oder doch auf ein Minimum sinken werden.« - -Lord Elgin dankte für diese Aufklärung. Jetzt aber trat Sir Bartelet mit -einer weitaus wichtigeren Frage hervor. »Was mir bei Besichtigung des -bewältigenden Getriebes Ihrer Centralbank neuerlich und ganz besonders -aufgefallen ist«, meinte er, »und worüber ich mir noch immer keine volle -Rechenschaft zu geben vermag, das ist die Frage, wie es ohne Willkür und -kommunistische Einrichtungen möglich ist, Kapitalien und zwar so -ungeheure Kapitalien, wie sie bei Ihnen erforderlich sind, aufzubringen, -ohne daß Kapitalzins gezahlt oder berechnet wird. Daß der Zins die -notwendige und gerechte Belohnung des Kapitalisten für die -»Entbehrungen« sei, die er sich auferlegte, glaube ich zwar nicht; aber -ich hielt ihn für den Tribut, den man dem Sparer dafür zahlen müsse, daß -seine freiwillige Sparsamkeit die Gesellschaft der Notwendigkeit -ungerechten Sparzwanges enthebt, der sonst von Obrigkeitswegen ausgeübt -werden müßte. Was ich nun endlich wissen möchte, wäre eine genaue -Darlegung der Gründe, die Sie veranlaßten, den Kapitalzins zu verbieten. -Oder teilen Sie in Freiland die Ansicht, daß es Unrecht sei, dem Sparer -einen Anteil an den Früchten seiner Sparsamkeit zu gönnen?« - -»Diese Ansicht teilen wir nicht«, war des Direktors Antwort. »Aber -zunächst muß ich konstatieren, daß Sie von einer ganz falschen -Voraussetzung ausgehen. Wir _verbieten_ den Kapitalzins ebenso wenig, -als wir den Gewinn des Arbeitgebers oder die Grundrente »verbieten«. -Diese drei Einkommenzweige existieren hier zu Lande bloß aus dem Grunde -nicht, weil Niemand in der Notlage ist, sie bezahlen zu müssen. Niemand -wird Sie hindern, wenn Sie hier eine Fabrik eröffnen und zu deren -Betrieb Lohnarbeiter anwerben wollen; nur allerdings müßten Sie diesen -erstlich mindestens so viel bieten, als durchschnittlich in Freiland die -Arbeit trägt, und zum zweiten würde es trotzdem fraglich sein, ob Sie -überhaupt Leute fänden, die sich Ihrem Kommando unterordnen. Ähnlich -verhält es sich mit der Grundrente. Bei uns ist der Boden -- sofern er -nicht zu Wohnstätten, sondern als Produktionsmittel dient -- gänzlich -herrenlos, frei gleich der Luft; er gehört weder Einzelnen, noch Vielen; -Jedermann, der Boden bebauen will, steht es frei, dies zu thun, wo ihm -beliebt, und seinen Anteil am Ertrage einzuheimsen. Damit entfällt -natürlich alle Grundrente, die nichts anderes ist, als der Herrenzins -für die Benutzung des Bodens; aber ein »Verbot« wird man hier vergeblich -suchen. Darin, daß ich kein Recht habe, anderen etwas zu verbieten, -liegt doch wahrlich kein Verbot; man kann nicht einmal sagen, daß mir -»verboten« ist, etwas zu verbieten; mag ich es doch immerhin thun, -Niemand wird mich hindern, nur auslachen wird mich alle Welt, genau so -auslachen, als ob ich den Leuten das Atmen verbieten wollte, behauptend, -die atmosphärische Luft sei mein Eigentum. Wo die Macht zur Durchsetzung -solcher Prätensionen fehlt, braucht Niemand dieselben zu verbieten; sie -dürfen nur nicht künstlich hervorgerufen und unterstützt werden, dann -unterbleiben sie ganz von selbst. Diese Macht aber besitzt in Freiland -Niemand, weil hier Niemand dazu gebraucht wird, den Boden mit Beschlag -zu belegen, damit er bebaut werden könne. Das Zaubermittel aber, welches -uns dazu verhalf, herrenlosen Boden zu kultivieren, ohne uns darob in -die Haare zu geraten, ist das nämliche, welches uns auch zur Produktion -ohne Arbeitgeber befähigte: die freie Association. - -»Ebenso wenig aber verbieten wir den Kapitalzins. Niemand wird Sie in -Freiland hindern, so hohe Kapitalzinsen zu fordern, als Ihnen nur immer -beliebt; nur werden Sie allerdings Niemand finden, der sie Ihnen zahlt, -weil Jedermann zinsloses Kapital in Hülle zur Verfügung steht. Nun -fragen Sie aber, ob in dieser Verfügung über die Ersparnisse der -Gesamtheit zu Gunsten der Kapitalbedürftigen kein Unrecht liege? Ob das -nicht Kommunismus sei? Und zugeben will ich, daß hier die Sache nicht so -einfach liegt, wie bei Unternehmergewinn und Grundrente. Der Kapitalzins -wird nämlich für eine wirkliche greifbare Leistung entrichtet, die sich -von derjenigen des Arbeitgebers und Grundrentners sehr wesentlich -unterscheidet. Während nämlich die wirtschaftliche Leistung der beiden -Letzteren in nichts anderem, als in der Geltendmachung eines -Herrschaftsverhältnisses besteht, welches überflüssig wird in dem -Momente, wo sich die arbeitenden Massen aus erzwungen gehorchenden -Knechten in frei vergesellschaftete Männer verwandelt haben, bietet der -Kapitalist dem Arbeiter ein Instrument, welches unter allen Umständen -dessen Thätigkeit befruchtet. Und während ohne weiteres ersichtlich ist, -daß mit der Etablierung der wirtschaftlichen Freiheit Arbeitgeber und -Grundrentner nicht bloß überflüssig, sondern geradezu gegenstandlos -werden, könnte bezüglich des Kapitalisten, des Besitzers von -Ersparnissen, sogar behauptet werden, daß gerade die freie Gesellschaft -in unendlich höherem Maße auf ihn angewiesen sei, als die geknechtete, -weil sie viel mehr Kapital verwenden könne und müsse, als diese. Die zur -Aufbringung der Kapitalien dienenden Abgaben werden nun gleichmäßig auf -alle Produzenten verteilt; der Kapitalbedarf dagegen ist ein sehr -ungleicher; wie kamen wir nun dazu, aus den Abgaben von Leuten, die -vielleicht wenig Kapital brauchen, die Produktion anderer auszustatten, -die zufällig starken Kapitalbedarf haben? Welchen Vorteil boten wir -ersteren für die ihnen aufgenötigte Sparsamkeit? - -»Und doch liegt die Antwort nahe genug. _In der ausbeuterischen -Gesellschaft hat allerdings der Gläubiger nicht den geringsten Vorteil -von der, kraft seiner Ersparnisse durch den Schuldner bewerkstelligten -Verbesserung der Produktion; in der auf socialer Freiheit und -Gerechtigkeit beruhenden dagegen genau den nämlichen wie dieser._ Wo -- -wie bei uns -- jeder Produktionsvorteil sich gleichmäßig auf Alle -verteilen muß, erledigt sich die Frage nach dem Anteil des Sparers am -Nutzen seines Kapitals ganz von selbst. Der Maschinenschlosser oder -Weber, dessen Abgabe beispielsweise zur Anschaffung oder Vervollkommnung -landwirtschaftlicher Maschinen verwendet wird, hat davon -- bei uns -- -genau den nämlichen Vorteil wie der betreffende Landwirt, denn Dank -unseren Institutionen überträgt sich die in welcher Produktion immer -erzielte Ertragssteigerung mittelbar auf alle Produktionsorte und -Produktionsarten. - -»Sollte man aber fragen, mit welchem Rechte ein den Kommunismus -verwerfendes, auf freier Selbstbestimmung des Individuums gegründetes -Gemeinwesen seine Mitglieder überhaupt zur Sparsamkeit zwingen könne, so -ist die Antwort, daß solcher Zwang in Wahrheit gar nicht geübt wird. Die -Abgabe, aus welcher die Kapitalisation bestritten wird, zahlt doch -Jedermann nur nach Maßgabe seiner Arbeitsleistung. Zur Arbeit wird nun -Niemand gezwungen; so weit er aber thatsächlich arbeitet, nimmt er ja -die Kapitalien selbst in Anspruch; es wird von ihm nur verlangt und zwar -genau proportional verlangt, was er selber gebraucht; der Gerechtigkeit -sowohl als dem Selbstbestimmungsrechte geschieht also in jedem Punkte -volles Genüge. - -»Sie sehen, es gilt vom Kapitalzinse genau das nämliche, was bezüglich -des Unternehmergewinnes und der Grundrente steht: die erlangte Fähigkeit -der Association enthebt den Arbeitenden der Notwendigkeit, unter welchem -Titel immer irgend einen Teil des Ertrages seiner Produktion an dritte -Personen abzutreten. Der Zins verschwindet ganz von selbst, wie Gewinn -und Rente, aus dem allein entscheidenden Grunde, weil der frei -vergesellschaftete Arbeiter sein eigener Kapitalist so gut, wie sein -eigener Arbeitgeber und Grundherr wird. Oder wenn man so will: _Zins, -Gewinn und Rente bleiben, sie verlieren nur ihr vom Arbeitslohne -losgelöstes Sonderdasein; sie verschmelzen mit diesem zum einigen und -unteilbaren Arbeitsertrage._« - -Und damit gute Nacht für heute. - - - - - 19. Kapitel. - - - Edenthal, den 11. August. - -Die Mitteilungen und Aufklärungen des Direktors der freiländischen -Centralbank beschäftigten meinen Vater und mich noch lange aufs -lebhafteste. Da dieser zu den Intimen des Ney'schen Hauses zählende hohe -Funktionär für den nächsten Tag dort speiste, so bewegte sich das -Tischgespräch um verwandte Themata. Zunächst wurde von meinem Vater die -Frage aufgeworfen, in welcher Weise das freiländische Gemeinwesen der -Gefahr von _Krisen_ begegnet, die seines Erachtens hier viel -verhängnisvoller sein müßten als irgend anderwärts. - -»Krisen welcher Art immer -- war die Antwort -- müßten allerdings den -ganzen Komplex der freiländischen Institutionen geradezu in die Luft -sprengen; aber sie sind hierzulande eben unmöglich, die Quelle, aus -welcher sie anderwärts entspringen, ist verschüttet. Denn die Ursache -aller Krisen, sie mögen nun Produktions- oder Kapitalkrisen heißen, -liegt einzig in der Überproduktion, d. h. in dem Mißverhältnisse -zwischen Produktiv- und Konsumtionskraft und dieses Mißverhältnis -existiert bei uns nicht. Allerdings behaupteten auch in der alten, -ausbeuterischen Welt die Nationalökonomen, es gebe gar keine wirkliche -Überproduktion, d. h. keine allgemeine Unverwendbarkeit von Produkten, -denn, so führten sie aus, der Mensch arbeitet nur, sofern ihn irgend ein -Bedürfnis dazu antreibt und es ist daher der Natur der Sache nach -ausgeschlossen, daß jemals mehr Güter erzeugt, als gebraucht werden -könnten. Das ist auch, unter einer Voraussetzung, auf die ich sofort zu -sprechen kommen werde, vollkommen richtig. Jedermann will das, was er -erzeugt, zur Deckung irgend eines Bedarfs gebrauchen; er will sein -Produkt entweder selber verwenden oder gegen das Erzeugnis eines anderen -Produzenten austauschen; was dieses andere Erzeugnis sei, ist -gleichgültig, irgend ein Produkt ist es jedenfalls, und es sollte daher -niemals die Frage sein, ob überhaupt, sondern allemal nur, welche Art -von Produkten gerade gesucht wird. Nehmen wir an, die Weizenproduktion -habe eine Verbesserung erfahren, so ist es allerdings möglich, daß damit -der Weizenbedarf noch immer nicht, oder doch nicht gerade im -Verhältnisse der gebotenen Möglichkeit der Produktionssteigerung wachse, -denn daß die Weizenproduzenten ihren Mehrertrag gerade zu Mehrgebrauch -von Weizen benutzen werden, ist allerdings nicht notwendig; aber dann -sollte, so scheint es, die Nachfrage nach etwas anderem entsprechend -zunehmen, z. B. nach Kleidern oder nach Werkzeugen, und wenn man dies -nur allemal rechtzeitig vorher wüßte und die Produktion darauf -einrichten könnte, so sollte es niemals eine Störung des -Tauschverhältnisses der einzelnen Güterarten geben. Also nicht aus einem -Zuviel von Produkten im allgemeinen, nicht aus einem Mißverhältnisse -zwischen Produktivkraft und Verbrauch schlechthin, sondern aus -vorübergehenden Störungen des richtigen Verhältnisses zwischen den -einzelnen Produktionen erklärt die orthodoxe Doktrin die Krisen, indem -sie noch hinzufügt, daß angesichts des in der ganzen Welt herrschenden -Elends von mangelndem Bedarf zu reden, geradezu widersinnig sei. - -»Bei dieser, im übrigen schlechthin unanfechtbaren Gedankenkette, ist -nur _Eines_ vergessen worden, nämlich die Grundeinrichtung der gesamten -ausbeuterischen Gesellschaft. Allerdings ist es ein grauenerregender -Widersinn, angesichts des grenzenlosen Elends von allgemein mangelndem -Bedarfe reden zu müssen; wo aber die ungeheure Majorität der Menschen -kein Anrecht auf die Früchte ihrer Arbeit besitzt, da erlangt dieser -Widersinn eine fürchterliche Bedeutung. Was nützt es dem darbenden -Arbeiter, daß er ganz vortreffliche und überaus dringende Verwendung für -jene Produkte wüßte, die er hervorgebracht, wenn diese nicht ihm -gehören? Bleiben wir bei dem Beispiel mit der durch verbesserte -Kulturmethoden gesteigerten Weizenproduktion. Wenn es die -landwirtschaftlichen Arbeiter wären, denen das Verfügungsrecht über das -mehr erzeugte Getreide zustünde, so würden sie allerdings mehr oder -feineres Brot essen, also einen Teil des Mehrprodukts selber verzehren; -mit einem anderen Teile würden sie verstärkte Nachfrage nach Kleidern, -mit einem dritten Teile ebenso verstärkte Nachfrage nach Werkzeugen -hervorrufen, die ja notwendig wären, um das Mehr an Getreide und -Kleidungsstoffen zu erzeugen. Hier würde es sich wirklich bloß darum -handeln, das richtige Verhältnis zwischen Weizen-, Kleider- und -Werkzeugproduktion, welches durch eine, lediglich bei Weizen eintretende -Vermehrung allerdings gestört wäre, wieder herzustellen, und vermehrte -Produktion, gesteigerter Wohlstand für Alle, wäre nach vorübergehenden -Schwankungen die unvermeidliche Folge. Da aber der Mehrertrag von -Weizenproduktion nicht den Arbeitern gehört, da diese für alle Fälle nur -das zur Fristung ihres Lebens Erforderliche erhalten, so können sie -infolge des auf ihrem Produktionsgebiete eingetretenen Fortschritts -weder mehr Getreide, noch mehr Kleidungsstücke verbrauchen, und da dies -nicht der Fall ist, so kann auch kein verstärkter Bedarf nach Werkzeugen -zur Erzeugung von Weizen und Geweben entstehen.« - -»Aber -- so wendete ich ein -- damit, daß den Arbeitern der Mehrertrag -der Produktion vorenthalten bleibt, ist doch dieser Mehrertrag nicht -herrenlos; er gehört den Arbeitgebern und diese sind doch auch Menschen, -die ihren Gewinn zur Deckung irgend eines Bedürfnisses verwenden wollen; -die Arbeitgeber werden ihren Gebrauch steigern, und abermals -- so -sollte man meinen -- wird es unmöglich sein, daß ein allgemeines -Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage einträte. Nur werden es -allerdings andere Bedarfsartikel sein, auf welche sich die Produktion -werfen muß, um das gestörte Gleichgewicht der einzelnen Arbeitszweige -herzustellen. Gehörte der Mehrertrag den Arbeitern, so würde man mehr -Getreide, ordinäre Gewebe und Werkzeuge brauchen; da er den wenigen -Arbeitgebern gehört, so wird sich die Nachfrage bloß bei feinen -Leckerbissen, Spitzen, Equipagen und bei Werkzeugen steigern, die zur -Erzeugung dieser Luxuswaren erforderlich sind.« - -»Vortrefflich!« mengte sich hier David in das Gespräch, »nur daß die -Arbeitgeber keineswegs gewillt sind, die Überschüsse, welche ihnen der -Mehrertrag ihrer Produktion liefert, in sonderlichem Maße zur Steigerung -ihres Luxuskonsums zu verwenden, sondern der Hauptsache nach -kapitalisieren, d. h. den Mehrertrag in Werkzeugen der Produktion -anlegen wollen. Ja, unter Umständen ist der »Arbeitgeber«, wie wir -gestern schon gehört, gar kein Mensch, der menschliche Bedürfnisse -besitzt, sondern ein Popanz, der nichts genießt und alles -kapitalisiert.« - -»Desto besser!« meinte ich, »desto rascher kann der Reichtum zunehmen, -denn rasch wachsende Kapitalien bedeuten rasch wachsende Produktion und -diese ist an sich gleichbedeutend mit rasch wachsendem Reichtume.« - -»Herrlich!« rief David. »Also weil die arbeitenden Massen ihren Konsum -nicht steigern können, die Arbeitgeber den ihrigen nicht entsprechend -steigern wollen, weil man demnach von keinerlei menschlichen -Bedarfsartikeln mehr gebrauchen kann, als zuvor, so benützt man die -überschüssige Produktivkraft zur Vermehrung der Produktionsmittel. D. h. -mit anderen Worten: Niemand braucht mehr Getreide -- folglich bauen wir -neue Pflüge; niemand braucht mehr Gewebe -- folglich errichten wir neue -Spinnereien und Webereien! Ermissest du noch nicht den Gipfel des -Unsinnes, zu welchem Eure Doktrin führt?« - -Ich glaube, Luigi, Du wirst gleich mir zugeben, daß sich gegen dieses -ebenso einfache als überzeugende Raisonnement schlechterdings nichts -einwenden ließ. Eine Wirtschaftsordnung, die den Produkten des -menschlichen Fleißes und Erfindungsgeistes die einzige Verwendung, der -sie in letzter Linie alle dienen, nämlich die bessere Befriedigung -irgendwelcher menschlicher Bedürfnisse, abschneidet und sich dann -wundert, daß dieselben nicht verwendet werden können, ist thatsächlich -an der Grenze des Blödsinns angelangt. Und daß die Dinge bei uns in -Europa und Amerika wirklich so liegen, muß schließlich jedermann -einleuchten. - -»Aber was geschieht -- um des Himmels willen -- mit der solcherart bei -uns unverwendbar gewordenen Produktivkraft?« fragte ich weiter. »Wir -sind der Hauptsache nach in Künsten, Wissenschaften und technischen -Fertigkeiten so vorgeschritten, als Ihr in Freiland; ich muß also -glauben, daß wir, besäßen wir nur Verwendung für alle Erträge unserer -Produktion, so reich, oder doch annähernd so reich sein könnten, wie -Ihr. Nun besitzen wir aber thatsächlich lange nicht den zehnten Teil -Eures Reichtums und trotzdem wird bei uns ungefähr doppelt so -angestrengt gearbeitet, als hier. Denn wenn auch bei Euch alles -arbeitet, während es bei uns einige Müssiggänger gibt, die lediglich von -fremder Arbeit leben, so fällt dies doch angesichts des Umstandes, daß -unsere arbeitenden Massen acht bis zehn Stunden und darüber ins Joch -gespannt sind, während hier durchschnittlich bloß fünf Stunden lang -gearbeitet wird, gar nicht ins Gewicht. Es gibt bei uns zahlreiche -Millionen feiernder Arbeiter, allerdings; aber auch das wird -überreichlich aufgewogen durch Weiber- und Kinderarbeit, die Ihr nicht -kennt; wo also -- ich wiederhole es -- liegt der unermeßliche -Unterschied in der Ausnutzung unserer und Eurer Produktivkräfte?« - -»In der _Ausrüstung_ der Arbeitskräfte«, war die Antwort. »Wir -Freiländer arbeiten weniger angestrengt als Ihr, aber wir benutzen dazu -alle Behelfe der Wissenschaft und Technik in vollstem Umfange, während -Ihr dies nur ausnahmsweise und nirgends so vollkommen als wir, vermögt. -Alle Erfindungen und Entdeckungen der großen Geister der Menschheit sind -Euch so gut bekannt, als uns; in allgemeinem Gebrauche aber stehen sie -nur bei uns. Da Euch Eure herrlichen socialen Einrichtungen den Genuß -jener Dinge verwehren, zu deren erleichterter Erzeugung doch all jene -Erfindung einzig dienen -- nun so bedient Ihr Euch ihrer eben nicht, -oder doch nur entsprechend jenem geringen Maße, in welchem Eure -Einrichtungen Euch den Genuß zumessen.« - -Selbst mein Vater war von dieser vernichtenden Beleuchtung eines -Systems, das als höchsten Ausfluß ewiger Weisheit zu verehren er von -jeher gewöhnt gewesen, aufs tiefste erschüttert. »Unglaublich! -Schrecklich!« murmelte er, nur mir verständlich. - -Herr Clark aber fuhr fort: »Bei uns hingegen ist der Lehrsatz der sog. -klassischen Ökonomie, daß ein allgemeines Zuviel an Produkten unmöglich -sei, allerdings zur Wahrheit geworden, denn in Freiland decken sich -Konsum und Produktivität thatsächlich aufs vollkommenste. Hier könnte es -also wirklich bloß geschehen, daß vorübergehend zu viel von _einzelnen_ -Dingen erzeugt, d. h. daß das Gleichgewicht der verschiedenen -Produktionsarten zeitweilig gestört würde. Doch auch diese, an sich -geringfügige Gefahr brauchen wir nicht zu fürchten. Der durch unsere -Einrichtungen bewerkstelligte innige Zusammenhang aller -Produktionsinteressen gewährleistet von vornherein das Gleichgewicht -aller Produktionserträge. Genauer besehen ist ganz Freiland eine einzige -große Produktionsgenossenschaft, deren einzelne Mitglieder unabhängig -von einander sind in allen Dingen, in einem Punkte jedoch -zusammenhängen, im Ertrage ihrer Arbeit nämlich. Gerade weil jedermann -arbeiten kann wo und was ihm beliebt, jedermanns Arbeit aber in dem -einen Zwecke der Erzielung möglichst hohen Nutzens zusammenläuft, so ist -es, von vorübergehenden nebensächlichen Irrungen abgesehen, anders gar -nicht möglich, als daß der bei gleicher Arbeit erzielbare Nutzen überall -der gleiche sei. Alle unsere Einrichtungen gipfeln in diesem _einen_ -Punkte. Anfangs, so lange unser Gemeinwesen noch im Werden begriffen -war, kam es vor, daß ziemlich bedeutende Ungleichheiten erst -nachträglich ausgeglichen werden konnten; die Produzenten wußten oft -erst nach Abschluß der Jahresbilanzen, was sie und was andere verdient -hatten. Das ist ein längst überwundenes Stadium der Kindheit; heute weiß -jeder Freiländer bis auf geringfügige, durch unvorhergesehene kleinere -Zufälle herbeigeführte Abweichungen ganz genau, was er und alle anderen -nicht bloß verdient haben, sondern was sie aller Voraussicht nach in -nächster Zukunft verdienen werden; er wartet nicht erst, bis -Ungleichheiten eingetreten sind, um sie dann auszugleichen, sondern er -sorgt dafür, daß Ungleichheiten gar nicht eintreten. Da unsere Statistik -jederzeit mit untrüglicher Sicherheit angibt, was in jedem -Produktionszweige jeweilig erzeugt wird und der Bedarf sowohl, als -dessen Einfluß auf die Preise überall aus sorgfältiger Beobachtung -früherer Jahre genau bekannt ist, so läßt sich die Rentabilität nicht -bloß jedes Produktionszweiges, sondern jedes einzelnen Etablissements so -verläßlich vorherberechnen, daß namhaftere Irrtümer nur im Falle -elementarer Katastrophen möglich sind. Ereignen sich solche, nun dann -greift eben die wechselseitige Versicherung helfend ein; im übrigen -giebt es hierzulande nicht bloß keine Krisen, sondern nicht einmal -sonderliche Ertragsschwankungen der verschiedenen Produktionen. -Unser statistisches Amt veröffentlicht ununterbrochen genaue -Zusammenstellungen, aus denen jederzeit zu ersehen ist, wo in nächster -Zukunft Bedarf, wo Überfluß an Arbeitskraft herrschen wird; nach diesen -Ausweisen richtet sich unser Arbeiternachwuchs und das genügt, von -höchst seltenen Ausnahmen abgesehen, vollkommen zur Erhaltung des -Gleichgewichts der Erträge. Daß da oder dort ein neueingerichtetes -Etablissement verunglückt, kommt manchmal, insbesondere bei der -Minenindustrie vor. Aber dieses Verunglücken darf man sich nicht etwa -als Bankerott vorstellen -- wie sollen Unternehmer bankerottieren, die -weder Grundrente, noch Kapitalzins, noch Arbeitslohn zu bezahlen haben -und denen für alle Fälle ihre hochwertige Arbeitskraft bleibt -- sondern -schlimmstenfalls als getäuschte Erwartung. Und verliert in einem ganz -besonderen Falle das Gemeinwesen oder irgend eine Association durch den -vorzeitigen Tod eines Schuldners wirklich die dargeliehene Summe -- was -kann das angesichts der gefahrlos umgesetzten Riesensummen unseres -Verkehrs zu bedeuten haben? Sollte man zur Deckung solcher Verluste ein -Delcredere einheben, es würde kaum Tausendteile eines Prozents betragen -und wäre die seinetwegen verspritzte Tinte nicht wert.« - -»Und stören auswärtige Katastrophen nicht zeitweilig den ruhigen -Gleichgang Ihrer freiländischen Produktion? Werden Ihre Märkte nicht -durch ausländische Überproduktion mit Waren überflutet, für die -entsprechende Verwendung fehlt?« fragte ich. - -»Daß die durch die anarchische Gestaltung der ausbeuterischen -Produktionsverhältnisse so häufig eintretenden heftigen -Preisschwankungen der Welthandelsgüter nicht auch für uns mit -empfindlichen Unannehmlichkeiten verknüpft wären, kann allerdings nicht -behauptet werden. Wir sehen uns dadurch nur zu oft genötigt, einzelne -Produktionen einzuschränken und die damit frei werdenden Arbeitskräfte -anderen Erzeugungsarten zuzuwenden, ohne daß ein wirklicher Wechsel in -den Produktionskosten oder in den Bedarfsverhältnissen dies begründen -würde. Thatsächlich sind diese fremden, plötzlichen und unberechenbaren -Einflüsse bisweilen Schuld daran, daß zur Erhaltung des Gleichgewichts -der Erträge wirkliche Auswanderung von Arbeitskräften aus einer -Produktion in die andere notwendig wird, während zu Ausgleichung der aus -natürlichen Gründen eintretenden Verschiebungen des Angebots und der -Nachfrage fast immer die planmäßige Zu- oder Ableitung des -Arbeiternachwuchses genügt. Eine tiefergehende Erschütterung unserer -Erwerbsverhältnisse aber vermögen auch diese sprunghaften ausländischen -Ereignisse nicht herbeizuführen. Gleichwie es unmöglich ist, eine -Flüssigkeit, die jedem Drucke oder Stoße nachgibt und ausweicht, aus dem -Gleichgewichte zu bringen, so kann auch unsere Wirtschaft, gerade wegen -ihrer absoluten freien Beweglichkeit, nie ihr Gleichgewicht verlieren. -In unnütze, störende Bewegung mag sie gebracht werden, aber die -natürliche Schwerkraft stellt sofort das Gleichmaß aller Verhältnisse -wieder her.« - -Nach beendeter Mahlzeit lud uns Herr Ney ein, ihn in den Volkspalast zu -begleiten, wo heute das Fachparlament für öffentliche Arbeiten eine -Nachtsitzung halten werde, um über ein von ihm vorgelegtes großes -Kanalprojekt sich schlüssig zu machen. Er glaube, daß der Gegenstand -auch uns interessieren werde. Wir nahmen mit Dank an. - -Das Fachparlament für öffentliche Arbeiten besteht aus 120 Mitgliedern; -die meisten derselben sind, wie mir David, der mit von der Partie war, -erklärte, Direktoren großer Associationen, insbesondere der das -Baugewerbe betreibenden; doch sitzen auch Professoren technischer -Hochschulen und andere Fachmänner in demselben. Laien, die von -öffentlichen Arbeiten nichts verstehen, giebt es in dieser Körperschaft -nicht, und ohne weiteres kann behauptet werden, daß dieselbe die Blüte -und Quintessenz des technischen Wissens und Könnens von ganz Freiland in -sich schließt. - -Das Projekt, welches gegenwärtig vorlag, war vor Jahresfrist seitens der -Direktoren der Wasser- und Hochbau-Associationen von Edenthal, -Nordbaringo, Ripon und Strahlstadt, in Verbindung mit zwei Professoren -der technischen Hochschule von Ripon angeregt worden. Es handelte sich -bei demselben um nichts geringeres, als um die Herstellung einer für -Schiffe bis zu 2000 Tonnen fahrbaren Wasserstraße vom Tanganika über den -Muta-Nzige und Albert-Njanza unter Benutzung des Nillaufes bis an das -Mittelländische Meer einerseits und von der Kongomündung den Kongo -aufwärts über den Aruwhimi in den Albertsee, von dort unter Benützung -einiger kleinerer Ströme über den Baringosee an den Unterlauf des Dana -und von hier an den indischen Ocean. Es waren das also zwei Wasserwege, -deren einer die großen centralafrikanischen Seen mit dem Mittelmeere, -der andere, quer durch den ganzen Weltteil, den atlantischen mit dem -indischen Ocean verbinden sollte. Da ein Teil der zu diesem Behufe -erforderlichen gewaltigen Arbeiten auf fremdem Gebiete -- dem des -Kongostaates und Ägyptens -- durchgeführt werden mußte, so waren -Verträge mit diesen Staaten abgeschlossen worden, die Freiland alle -notwendigen Rechte einräumten. Die Bereitwilligkeit der fremden -Regierungen, auf die Wünsche der Edenthaler Verwaltung einzugehen, wird -man begreiflich finden, wenn man erwägt, daß Freiland keinerlei Gebühr -für die Benutzung seiner Kanäle einzuheben, den Nachbarn also ein freies -Geschenk mit seinen kolossalen Arbeiten zu machen gedachte. Im -Zusammenhange mit diesem Projekte stand auch das auf Erwerbung des -Suez-Kanals, der zu doppelter Breite und Tiefe ausgebaggert und dem -Verkehre gleichfalls zu unentgeltlicher Benutzung übergeben werden -sollte. Die englische Regierung, welcher der größte Teil der Kanalaktien -gehörte, war den Freiländern mit weitgehender Liberalität -entgegengekommen; sie überließ ihnen ihre Aktien zu einem sehr mäßigen -Preise, so daß diese es nur mit den kleineren Aktionären zu thun hatten, -welche allerdings die Situation weidlich auszunützen verstanden. Die -britische Regierung verlangte Sicherheit für die unantastbare -Neutralität des Kanals und förderte im übrigen das Unternehmen nach -Kräften. - -Die präliminierten Kosten waren die folgenden: - - Süd-Nordkanal (Gesamtlänge 6250 Kilometer) 385 Mill. Pfund, - Ost-Westkanal (Gesamtlänge 5460 Kilometer) 412 Mill. Pfund, - Suez-Kanal (für Ankauf und Erweiterung) 280 Mill. Pfund. - Zusammen 1077 Mill. Pfund. - -Die Bauzeit war mit 6 Jahren in Aussicht genommen, so daß im -Jahresdurchschnitt rund 180 Millionen erforderlich schienen. Nach den -bisherigen Erfahrungen glaubte die freiländische Verwaltung darauf -rechnen zu dürfen, daß die jährlichen Gesamteinkünfte des Landes sich im -Laufe der nächsten sechs Jahre von 7 Milliarden -- ihrem vorjährigen -Stande -- successive auf mindestens 10½ Milliarden steigern und 8½ -Milliarden im Durchschnitte der sechs Jahre betragen würden; der -Bauaufwand beanspruchte also bloß 2-1/8 Prozent des zu erwartenden -Nationaleinkommens und konnte gedeckt werden, ohne daß eine Erhöhung der -auf dieses Einkommen gelegten öffentlichen Abgaben über ihr -normales Maß erforderlich gewesen wäre. Dem Kostenvoranschlage -waren die detaillierten Baupläne beigelegt, desgleichen eine -Rentabilitätsberechnung, nach welcher die Kanäle schon im ersten Jahre -ihrer Inbetriebsetzung eine voraussichtliche Transportkostenersparnis -von 32 Millionen Pfund im Gefolge haben, also schon dadurch allein und -unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Frachtenzunahme in ungefähr -30 Jahren sich bezahlt machen würden; außerdem aber sollten diese -künstlichen Wasserstraßen teilweise auch als Be- und Entwässerungskanäle -dienen und der hieraus sich ergebende Nutzen war mit 45 Millionen Pfund -im Jahresdurchschnitte berechnet, so daß die Kosten der sämtlichen -Anlagen binnen längstens 14 Jahren getilgt sein mußten, wobei überall -bloß der auf Freiland entfallende, nicht aber der dem Auslande mit -eingeräumte Nutzen in Rechnung gestellt war. - -Da die sämtlichen Vorlagen schon seit einigen Wochen in Händen des -Fachparlamentes und von diesem sorgfältig studiert worden waren, so ging -dasselbe unmittelbar in die Beratung derselben ein. Prinzipieller -Widerspruch wurde von keiner Seite erhoben; die Verhandlung bewegte sich -der Hauptsache nach bloß um zwei Fragen: erstlich, ob es nicht möglich -wäre, die Bauzeit zu verkürzen, zweitens, ob nicht eine gleichfalls -tracierte und mit allen Detailplänen vorgelegte Alternativlinie der von -der Verwaltung empfohlenen vorzuziehen wäre. In ersterer Beziehung -stellte sich heraus, daß durch ein von gewiegten Fachmännern -vorgeschlagenes, ganz neues System der Baggerung thatsächlich ein halbes -Jahr Bauzeit erspart werden könnte; es wurde also beschlossen, dem -entsprechend vorzugehen; bezüglich der zu wählenden Trace dagegen -entschied sich die Versammlung infolge der von Herrn Ney geltend -gemachten Gründe einstimmig für den Plan der Centralverwaltung. Die -ganze Debatte währte keine drei Stunden; nach Verlauf derselben hatte -die Verwaltung die Ermächtigung, 1077 Millionen Pfund Sterling, etwas -mehr als die Anlagekosten sämtlicher Kanäle der übrigen civilisierten -Welt betragen, binnen 5½ Jahren zu dem Zwecke auszugeben, damit -Oceandampfer den afrikanischen Kontinent von Ost nach West durchqueren, -aus dem Mittelmeere bis 10 Breitengrade südlich vom Äquator eindringen -und den Weg vom Mittelmeere ins rote Meer gebührenfrei und ohne jeden -Aufenthalt zurücklegen könnten. - -Ich war von all dem geradezu konsterniert. »Wenn ich mir nicht -vorgenommen hätte, das Wort >unmöglich< hier aus meinem Wörtervorrate zu -streichen, so würde ich es jetzt anwenden«, meinte ich auf dem Heimwege -Herrn Ney gegenüber. Bemerken will ich noch, daß in den freiländischen -Parlamenten alle Vorlagen auch unter das anwesende Publikum verteilt -werden, so daß ich Gelegenheit gehabt hatte, die Details des soeben zur -Annahme gelangten Projektes oberflächlich einzusehen. Du weißt, daß ich -von derlei Dingen Einiges verstehe und so war ich denn in der Lage, den -Plänen zu entnehmen, daß die beiden Binnenschiffahrtkanäle mehrere -Wasserscheiden passieren. Eine dieser Wasserscheiden kenne ich nun -zufällig ziemlich genau, da wir sie teils auf unserer Reise, teils bei -unseren Ausflügen erst kürzlich passiert hatten; sie erhebt sich meiner -Schätzung nach mindestens 500 Meter über die Kanalsohle; ich fragte nun -Herrn Ney, ob er denn wirklich mit einem Wasserwege für -Zweitausendtonnen-Schiffe 500 Meter auf- und abwärts klimmen wolle; das -sei doch bau- und betriebstechnisch gleich unausführbar. - -»Natürlich!« gab dieser lächelnd zu. »Wenn Sie jedoch die Detailpläne -genauer einsehen wollen, so werden Sie finden, daß wir solche -Wasserscheiden nicht vermittels zahlreicher Schleußen _übersteigen_, -sondern vermittels eines oder mehrerer Tunnels _unterfahren_.« - -Jetzt blickte ich ihn aber erst recht ungläubig an und auch mein Vater -machte ein nicht minder erstauntes Gesicht. - -»Was finden Sie daran gar so merkwürdiges, meine werten Gäste? Warum -soll bei Kanälen unpraktisch sein, was bei Eisenbahnen, die doch immer -noch viel leichter _über_ Berg und Thal zu führen wären, schon so lange -und in so ausgedehntem Maße geübt wird?« fragte Herr Ney. »Unsere -Kanaltunnels sind sehr teuer, das gebe ich Ihnen zu; da sie uns aber -beim Betriebe das kostbarste von allen Dingen, d. i. menschliche Arbeit, -ersparen, so sind sie für unsere Verhältnisse überaus praktisch. Zudem -hatten wir ja in zahlreichen Fällen keine andere Wahl, als die Kanäle -fallen zu lassen, oder Tunnels zu bauen. Die Wasserscheide, von der Sie -sprachen, ist gar nicht die bedeutendste von allen; unser größter -Durchbruch -- er verknüpft das Flußgebiet des Ukerewe mit dem des -Indischen Oceans -- geht in einer Länge von 17 Kilometern 1200 Meter -unter der Wasserscheide, und alles in allem haben wir in diesem neuen -Projekte nicht weniger als 132 Kilometer Tunnelbauten. Dieselben sind -übrigens durchaus nichts ganz neues; auch in Frankreich giebt es -- wie -Sie wissen -- einige, wenn auch sehr kurze Wassertunnels; wir besitzen -deren schon in unserem alten Kanalsysteme mehrere ganz respektable, nur -können sie sich allerdings weder an Längenentwicklung noch an -Mächtigkeit mit diesen neuen vergleichen, auf denen große Oceanfahrer -- -mit zurückgelegten Masten natürlich -- durch die Eingeweide ganzer -Gebirgszüge hindurchdampfen werden. Das kostet Riesensummen, aber -bedenken Sie doch, daß jede Stunde Zeitgewinn eines freiländischen -Matrosen heute schon ihre 8 Schilling wert ist und von Jahr zu Jahr an -Wert gewinnt.« - -»Unbegreiflich aber bleibt mir trotz alledem die Raschheit, ich möchte -fast sagen die Nonchalance, mit welcher diese Milliarde Ihnen votiert -wurde, als handle es sich um die nächstbeste Kleinigkeit«, meinte mein -Vater. »Ich will der Ehrenhaftigkeit sämtlicher Mitglieder Ihres -Fachparlamentes für öffentliche Bauten beileibe nicht nahe treten; aber -verschweigen kann ich nicht, daß mir die ganze Versammlung den Eindruck -machte, als verspräche sie sich den größten persönlichen Vorteil aus der -möglichst raschen und großartigen Durchführung des Werkes.« - -»Dieser Eindruck war auch ganz der richtige«, gab Herr Ney zur Antwort. -»Doch bitte ich hinzuzufügen, daß jeder Bewohner Freilands genau den -nämlichen persönlichen Gewinn aus der Verwirklichung dieses -Kanalprojekts ziehen muß und wird. Nur weil dem so ist, weil bei uns -jene Solidarität der Interessen Wahrheit ist, von welcher man außerhalb -Freilands fälschlich spricht, nur deshalb können wir so ungeheure Summen -für jede Anlage ausgeben, von welcher nachzuweisen ist, daß ihr Nutzen -den Kostenaufwand überragt. Wird bei Ihnen ein Kanal gebaut, der die -Ertragsfähigkeit weiter Landstrecken erhöht, so dociert Ihre -Schulökonomie zwar auch, daß er den Wohlstand Aller befördere; richtig -ist dies aber nur für die Besitzer der betreffenden Grundstücke, während -den großen Massen der Bevölkerung solch ein Kanal nicht das geringste -nützt, den Besitzern anderer, konkurrierender Grundstücke vielleicht -geradezu schadet. Die Ermäßigung der Getreidepreise -- so behaupten Ihre -Staatswirte -- komme den nichtbesitzenden Massen zu statten; sie -vergessen dabei die Kleinigkeit, daß der >Arbeitslohn< sich auf die -Dauer nicht zu behaupten pflegt, wenn die Getreidepreise sinken. Dem -steht allerdings als Trost auf der andren Seite gegenüber, daß die -nichtbesitzenden Massen auch durch die Abgabenerhöhung, welche solche -öffentliche Bauten beanspruchen, nicht dauernd geschädigt werden können; -denn wer nicht mehr Lohn bezieht, als zur Lebensfristung notwendig ist, -dem kann auf die Dauer auch nicht viel entzogen werden; ihm auferlegte -Abgaben müssen also in letzter Linie auf den Arbeitgeber oder den -Consumenten abgewälzt werden. Der Streit um solche Anlagen ist daher bei -Ihnen zu Hause ein Interessenkonflikt, einzelner Grundeigentümer und -Arbeitgeber, von denen ein Teil gewinnt, während andere leer ausgehen -oder geradezu geschädigt werden. Bei uns dagegen ist jedermann -gleichmäßig nach Maßgabe seiner Arbeitsleistung am Nutzen -fruchtbringender Investitionen interessiert, und da ebenso jedermann -gleichmäßig nach Maßgabe seiner Arbeitsleistungen zur Kostendeckung -herangezogen wird, so ist hier ein Interessenkonflikt, oder auch nur -eine Unverhältnismäßigkeit des Vorteils schlechterdings ausgeschlossen. -7 Millionen Hektaren Landes werden durch die neuen Kanäle aus Sümpfen in -fruchtbaren Ackerboden verwandelt werden; wer wird den Vorteil davon -haben, wenn dieser jungfräuliche, dicht an so vortrefflicher -Wasserstraße gelegene Boden um etliche Pfd. Sterling pro Hektar jährlich -mehr trägt, als anderer? Nun offenbar jedermann in Freiland und zwar -jedermann gleichmäßig, er mag Landbauer, Industrieller, Professor oder -Beamter sein. Wer zieht Gewinn aus der Ermäßigung der Frachten? Etwa -bloß die Associationen und Arbeiter, welche die neuen Wasserstraßen zum -Transporte thatsächlich benutzen? Keineswegs; denn jeden Vorteil, -welchen sie solcherart erlangen, müssen sie, Dank der unbeschränkten -Beweglichkeit unserer Arbeitskräfte, mit jedermann in ganz Freiland -teilen. Wir überlassen daher mit der größten Seelenruhe die Entscheidung -über derlei Fragen jenen, die dabei am unmittelbarsten interessiert -sind. Diese wissen am besten, was ihnen nützt, und da ihr Nutzen sich -vollkommen mit jedermanns Nutzen deckt, so steht ihnen jedermanns, d. h. -des Gemeinwesens, Kasse so weit und frei geöffnet, wie nur immer ihre -eigene. Mögen sie nur hineingreifen -- je tiefer, desto besser! Wir -haben nicht zu untersuchen, _wem_ die Investition nützt, sondern bloß, -_ob_ sie überhaupt nützlich ist, d. h. Arbeitskraft erspart.« - -»Wunderbar, aber wahr!« mußte mein Vater zugeben. »Da dem aber so ist, -da hierzulande wirklich die vollkommenste Interessensolidarität besteht, -so ist mir hinwieder unerklärlich, warum sie die Rückzahlung jener -Kapitalien verlangen, die das Gemeinwesen den einzelnen Associationen -vorstreckt.« - -»Weil das Gegenteil der Kommunismus mit allen seinen unvermeidlichen -Konsequenzen wäre«, war die Antwort. »Der eventuelle Vorteil aus -derartiger unentgeltlicher Kapitalzuwendung käme zwar auch hier Allen -gleichmäßig zugute, wer aber könnte in diesem Falle dafür einstehen, -_ob_ solche Kapitalanlagen vorteilhaft oder schädlich wären. Denn -vorteilhaft ist eine Kapitalanlage doch nur in dem Falle, wenn mit deren -Hilfe mehr Arbeit erspart wird, als die Herstellung der Kapitalien -selber kostet. Eine Maschine, die mehr Arbeit fordert, als hereinbringt, -ist schädlich. Derzeit nun sind wir gegen solche Vergeudung, zum -mindesten gegen absichtliche Vergeudung von Kapitalien gesichert. Das -Gemeinwesen sowohl, als die Einzelnen können sich in ihren Berechnungen -täuschen, sie können eine Anlage für rentabel halten, die sich -nachträglich als unrentabel erweist, d. h. die auf ihre Herstellung -verwendete Arbeit nicht hereinbringt; die _Absicht_ bei allen Anlagen -jedoch kann immer nur auf Kraftersparnisse gerichtet sein, denn das -Gemeinwesen sowohl als die Einzelnen müssen ein jeder seine Anlagen -bezahlen. Wenn aber das Gemeinwesen auch für die Kapitalanlagen der -Einzelnen, respektive der Associationen, aufzukommen hätte, dann läge -für die einzelne Association kein Grund vor, nicht auch solche -Einrichtungen zu fordern, die weniger Kraft ersparen, als zu ihrer -Herstellung beanspruchen; die notwendige Ergänzung dieser Liberalität -des Gemeinwesens wäre daher, daß sich dieses ein Recht der Überwachung -und Bevormundung den Kapitalbedürftigen gegenüber herausnähme, welches -mit Freiheit und Fortschritt unvereinbar wäre. Alles Gefühl der -Selbstverantwortung ginge verloren, das Gemeinwesen müßte sich in -Verhältnisse mengen, denen es nicht gewachsen ist, und Verluste wären -trotz aller beengenden Willkür von Oben unvermeidlich.« - -»Das ist wieder so einleuchtend und einfach, als nur immer möglich«, -meinte mein Vater. »Ich erbitte mir aber für einen ferneren Punkt nähere -Erklärung. Kraft der bei Ihnen herrschenden Interessensolidarität nimmt -jedermann an den Vorteilen aller wo immer eintretenden Verbesserungen -teil; dies geschieht in der Weise, daß jedermann das Recht hat, einen -minderergiebigen Produktionszweig oder Produktionsort mit einem sich -ergiebiger erweisenden zu vertauschen. Welches Interesse hat also der -_einzelne_ Produzent, respektive die _einzelne_ Association, -Verbesserungen einzuführen, da es doch viel einfacher, bequemer und -gefahrloser erscheinen muß, Andere vorangehen zu lassen und sich ihnen -erst anzuschließen, wenn der Erfolg gesichert ist? Nun sehe ich aber, -daß es ihren Associationen an Regsamkeit und Unternehmungsgeist -keineswegs fehlt; wie erklärt sich dies? was veranlaßt Ihre Produzenten, -sich Gefahren -- sie mögen noch so gering sein -- auszusetzen, wenn der -damit erreichte Gewinn so rasch mit aller Welt geteilt werden muß?« - -»Sie übersehen erstlich«, entgegnete Herr Ney, »daß die Höhe des zu -erzielenden Gewinnes denn doch nicht der alleinige Beweggrund ist, von -welchem sich arbeitende Menschen, insbesondere aber unsere -freiländischen Arbeiter, leiten lassen. Der Ehrgeiz, das Etablissement, -an welchem man beteiligt ist, an der Spitze und nicht im Nachtrabe aller -anderen einherschreiten zu sehen, darf bei intelligenten, von starkem -Gemeingeiste beseelten Menschen nicht eben unterschätzt werden. Aber -abgesehen davon, bitte ich Sie zu bedenken, daß die an den Associationen -Beteiligten auch sehr lebhafte _materielle_ Interessen am Gedeihen -gerade ihrer speciellen Unternehmung haben. Freiländische Arbeiter -besitzen ausnahmslos recht behagliche, ja luxuriöse Heimstätten -- -naturgemäß meist in der Nähe der von ihnen gewählten Arbeitsstätten; sie -sind in Gefahr, dieselben verlassen zu müssen, falls ihr Unternehmen -sich nicht auf gleicher Höhe mit anderen erhält. Zum zweiten genießen -die älteren, d. h. durch längere Zeit bei einem Unternehmen beteiligten -Arbeiter ein stetig wachsendes Präcipium; ihre Arbeitszeit wird ihnen um -einige Prozente höher angerechnet, als den Neueintretenden. -Die Mitglieder jeder Association müssen also trotz aller -Interessensolidarität sehr lebhaft darauf bedacht sein, daß ihr -Etablissement nicht überflügelt werde, und da das Risiko neuer -Verbesserungen ein verschwindend geringes ist, so regt sich der -Erfindungs- und Unternehmungsgeist nirgends in der Welt so kühn und -mächtig, wie bei uns. Die Associationen wetteifern aufs lebhafteste um -den Vorrang, nur daß dies allerdings ein friedlicher Wettbewerb, kein -ingrimmiger, auf gegenseitige Schädigung abzielender Konkurrenzkampf -ist.« - -Es war inzwischen sehr spät geworden; mein Vater und ich hätten -allerdings gerne noch längere Zeit den hochinteressanten Aufklärungen -unseres freundlichen Wirtes gelauscht; doch wir durften die -Liebenswürdigkeit unserer Gastfreunde nicht mißbrauchen und so trennten -wir uns -- was mir denn auch Anlaß giebt, von Dir, mein Luigi, für heute -Abschied zu nehmen. - - - - - 20. Kapitel. - - - Edenthal, den 16. August. - -Du äußerst in Deinem letzten Briefe einige Verwunderung darüber, daß -unser Gastfreund aus seinem bloß 1440 Pfund betragenden Gehalte als -Regent von Freiland einen Hausstand gleich dem Dir beschriebenen zu -führen, eine elegante Villa mit zwölf Wohnräumen zu bewohnen, feine -Küche zu führen, Wagen und Reitpferde zu halten, kurzum einen Luxus zu -treiben vermöge, den sich bei uns daheim nur die Reichsten gönnen -dürfen. Die Erklärung liegt darin, daß Dank der wunderbaren Organisation -von Arbeit und Verkehr hier eben alles fabelhaft billig ist, ja -zahlreiche Dinge, die in Europa und Amerika recht viel Geld -verschlingen, den freiländischen Haushalt überhaupt nicht belasten, da -sie vom Gemeinwesen unentgeltlich beigestellt werden und ihre Deckung -schon in den vom Reineinkommen vorweg abgezogenen Steuern finden. So -erscheinen z. B. bei den Reisekosten die Fahrpreise auf Eisenbahnen und -Dampfschiffen auch nicht mit einem Heller, da, wie Du schon aus meinen -früheren Briefen entnommen haben kannst, das freiländische Gemeinwesen -den Personentransport unentgeltlich besorgt. Das Gleiche gilt, wie ich -ebenfalls schon erwähnt zu haben glaube, bei allen Telegraphen, -Telephonanstalten, Briefpost, elektrischer Beleuchtung, mechanischer -Kraftabgabe u. dergl. Beim Frachtentransporte zu Lande und Wasser -dagegen läßt sich die freiländische Verwaltung die Selbstkosten -ersetzen. Bemerken will ich bei diesem Anlasse noch, daß beinahe jede -freiländische Familie durchschnittlich zwei Monate des Jahres auf Reisen -wendet, die meist den wundervollen und mannigfaltigen Naturschönheiten -des eigenen Landes gelten, teils auch -- dies jedoch seltener -- bis ins -entfernte Ausland sich erstrecken. Jeder Freiländer nimmt alljährlich -mindestens sechs, bisweilen aber auch zehn Wochen Urlaub von allen -Geschäften und sucht während dieser Zeit Erholung, Vergnügen und -Belehrung als Tourist. Insbesondere in den Hochlanden des -Kilima-Ndscharo, Kenia und Elgon, des Aberdare und Mondgebirges, sowie -an den Gestaden der sämtlichen großen Seen wimmelt es mit Ausnahme der -beiden Regenepochen jederzeit von fahrenden, reitenden, wandernden, -rudernden und segelnden Männern, Frauen und Kindern, die in vollen Zügen -jegliche Lust des Reisens genießen. - -Überhaupt gehört sinnige, herzliche Freude an der Natur und ihren -Schönheiten zu den charakteristischen Eigenschaften der Freiländer. Sie -sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und inniges Behagen -an diesem ihrem köstlichsten Eigentum tritt überall zu Tage. So halte -ich es z. B. für bezeichnend, daß nirgend in Freiland Bäche und Flüsse -durch Abfallwässer vergiftet, nirgend malerische Berghänge durch wahllos -angebrachte Steinbrüche verunstaltet werden, oder sonst ein Frevel gegen -die landschaftliche Schönheit zu rügen ist. Warum auch sollten diese -selbstherrlichen Arbeiter um geringer Ersparnisse willen -- die sie -zudem sehr bald mit aller Welt teilen müßten -- sich selber eines so -wesentlichen Genusses berauben, wie es eine möglichst gesunde und schöne -Landschaft ist? Natürlich kommt diese verständige Pflege aller -landschaftlichen Reize auch den Reisenden zu gute. Allenthalben sind -Straßen sowohl als Eisenbahnen von mehrfachen Alleen prächtiger Palmen -eingesäumt, deren schlanke astlose Stämme nirgend die Aussicht -behindern, während ihre dichten Kronen erquickenden Schatten gewähren. -Man hat infolge dieser ebenso einfachen als wirksamen Einrichtung beim -Reisen hier unter dem Äquator von Hitze und Staub weit weniger zu -leiden, als im »gemäßigten« Europa, wo während der Sommermonate eine -mehrstündige Eisenbahn- oder Wagenfahrt häufig zur Tortur wird. An allen -schön und romantisch gelegenen Punkten haben die zahlreichen, mit den -gewaltigsten Mitteln arbeitenden Hôtel- und Vergnügungsassociationen -sowohl riesige Gasthöfe als eine Menge kleiner Villen angelegt, in denen -die Touristen und Sommerfrischler je nach Laune und Geschmack für -Stunden, Tage, Wochen oder Monate gemeinsam zu Hunderten und Tausenden -oder allein in ländlicher Zurückgezogenheit Unterkunft und allen -erdenklichen Comfort finden. - -Wunderst Du Dich schon über den Luxus im Neyschen Hause, was wirst Du -erst sagen, wenn ich Dir erzähle, daß hierzulande dem Wesen nach jeder -einfache Arbeiter so lebt, wie unsere Gastfreunde. Die Villen haben -einige Wohnräume weniger, die Möbel sind einfacher, statt eigene -Reitpferde in den Ställen der Transportassociation zu halten, werden -Mietpferde benützt, auf Kunstgegenstände, Bücher und zu wohlthätigen -Zwecken wird weniger ausgegeben, das ist aber auch der ganze -Unterschied. Da ist z. B. unser Nachbar Moro. Derselbe, ein gewöhnlicher -Werkführer der Edenthaler Farbwarenassociation, gehört samt seiner -reizenden Frau zu den Intimen des Neyschen Hauses, und wir haben schon -einigemale vortrefflich in seinem netten und komfortabel eingerichteten -7 Wohnräume enthaltenden Heim gespeist. Ja selbst die »Ziehtöchter« -fehlen -- nebenbei bemerkt -- in seinem Hause nicht, denn auch seine -Gattin genießt -- und, wie ich hinzufügen will, nicht mit Unrecht -- den -Ruf einer hervorragenden Geistes- und Herzensbildung, und die -Ziehtöchter suchen, wie Du weißt, nicht das große Haus, sondern die -bedeutende Frau auf. Und sollte Dir besonders auffallend erscheinen, daß -solch ein Phönix von Frau Gattin eines gewöhnlichen Fabrikarbeiters ist, -so bedenke, daß freiländische Arbeiter etwas anderes sind, als -europäische. Gediegene Mittelschulbildung genießt hier alle Welt, und -daß ein junger Mann Handwerker und nicht Lehrer, Arzt, Ingenieur oder -dergl. wird, hat darin seinen Grund, daß er eben keinerlei -_hervorragende_ geistige Fähigkeiten in sich entdeckt oder vermutet. -Denn hierzulande kann sich den geistigen Berufszweigen nur ein geistig -hervorragend Befähigter mit Aussicht auf Erfolg zuwenden, da der -Minderbefähigte angesichts der Konkurrenz _aller_ wirklich Befähigten -unmöglich aufzukommen vermag. Bei uns da draußen, wo nur eine -verschwindende Minderzahl die materiellen Mittel zum Studium hat, -gewährt diese Mittellosigkeit einer ungeheuern Mehrzahl auch den -Dummköpfen unter den Bemittelten ein Privilegium. Die Reichen können -eben nicht alle talentiert sein -- so wenig als die Armen alle es sind; -da wir aber trotzdem unseren Bedarf an geistigen Arbeitern -- von -Ausnahmen, die ja überall vorkommen, muß dabei natürlich abgesehen -werden -- bloß aus der kleinen Menge von Söhnen reicher Familien decken, -so kommen bei uns -- günstig gerechnet -- auf je einen fähigen -Studierenden zehn Unfähige, von welchen Zehnen aber, da wir mit dem -einen Fähigen natürlich nicht den ganzen Bedarf decken können, höchstens -die zwei oder drei Allerdümmsten Schiffbruch leiden. Hier dagegen, wo -Jedermann die Mittel zum Studium hat, giebt es selbstverständlich -unendlich mehr befähigte Studierende, folglich brauchen die Freiländer -bei Deckung ihres geistigen Bedarfes lange nicht so tief zu greifen, als -wir. Ihre Tüchtigsten sind nicht notwendig tüchtiger, als die unsrigen, -aber unsere Unfähigsten -- unter den Studierenden -- sind viel, viel -unfähiger, als ihre überhaupt noch möglichen Unfähigsten. Was bei uns -noch mittelgut wäre, ist hier schon lange aussichtslos. Freund Moro z. -B. hätte es in Europa oder Amerika vielleicht auch zu keiner »Leuchte -der Wissenschaft« oder »Zierde des Barreau« gebracht, doch ein ganz -annehmbarer Durchschnittslehrer, Advokat oder Beamter wäre er immerhin -geworden. Hier aber mußte er -- nach absolvierten Mittelschulen -- -gewissenhafter mit seinen geistigen Fähigkeiten zu Rate zu gehen und -gelangte dabei zu dem Resultate, daß es ersprießlicher für ihn sei, ein -tüchtiger Fabrikwerkführer, als ein mittelmäßiger Lehrer oder Beamter zu -werden. Und er konnte diesem Ratschlage strenger -- vielleicht -allzustrenger -- Selbstprüfung Folge geben, ohne sich gesellschaftlich -zu degradieren, denn in Freiland schändet Handarbeit wirklich nicht, zum -Unterschiede von Europa und Amerika, wo dies zwar auch behauptet wird, -jedoch lediglich eine der vielen konventionellen Lügen ist, mit denen -wir uns selber hinters Licht zu führen versuchen. Arbeit ist bei uns -- -trotz aller demokratischen Redensarten -- ganz im Allgemeinen eine -Schande, denn der Arbeitende ist ein höriger Mann, ein ausgebeuteter -Knecht, er hat einen Herrn über sich, der ihn kommandiert, für sich -ausnützt gleich dem arbeitenden Tiere -- keine Moraltheorie der Welt -wird die Ehre des Knechtes der des Herrn gleichsetzen. Hier aber ist das -anders. Um dies voll zu ermessen, brauchst Du bloß einmal gesellige -Vereinigungen in Freiland besucht zu haben. Zwar liegt es in der Natur -der Sache, daß Personen des gleichen Interessenkreises sich zunächst -aufsuchen und anziehen, doch darf dies beileibe nicht so aufgefaßt -werden, als ob damit auch nur im entferntesten eine Sonderung -verschiedener Gesellschaftsschichten nach Berufen verbunden wäre. Das -allgemeine Bildungsniveau ist ein so hohes, das Interesse an den -erhabensten Problemen der Menschheit auch unter den Handarbeitern so -verbreitet, daß Gelehrte, Künstler, hohe Beamte die mannigfaltigsten -geistigen und gemütlichen Berührungspunkte auch mit Fabrik- oder -Feldarbeitern finden. - -Dies ist umsomehr der Fall, als eigentlich eine Scheidung von Kopf- und -Handarbeitern sich hierzulande gar nicht streng durchführen läßt. Der -Handarbeiter von heute kann morgen durch die Wahl seiner Genossen -Betriebsleiter, also Kopfarbeiter werden, und umgekehrt gibt es unter -den Handarbeitern ungezählte Tausende, die ursprünglich einen anderen -Beruf gewählt und die für diesen erforderlichen höheren Studien -absolviert hatten, dann aber -- sei es, weil ihre geistigen Fähigkeiten -sich als nicht vollkommen ausreichend erwiesen, sei es, weil ihre -Geschmacksrichtung wechselte -- die Feder mit dem Werkzeug vertauschten. -So hat z. B. ein anderer Hausfreund der Familie Ney sein mehrere Jahre -hindurch zu allgemeiner Zufriedenheit verwaltetes Amt als Arzt -niedergelegt und sich der Gärtnerei gewidmet, weil er fand, daß dieser -ruhige Beruf ihn weniger von seinem Lieblingsstudium, der Astronomie -abziehe, als die ärztliche Thätigkeit. Um sich als Astronom zu ernähren, -dazu reichten seine Kenntnisse und Fähigkeiten nicht aus, und da ihm -einigemal widerfahren war, von interessanten Beobachtungen zu plötzlich -des Nachts erkrankten Kindern abberufen zu werden, so zog er es vor, -seinen Haushalt durch den Ertrag von Gartenarbeit zu decken und des -Nachts ungestört seinen lieben Sternen nachzuspüren. Ein anderer Mann, -den ich hier kennen gelernt, vertauschte seine Carrière als Bankbeamter -mit der Maschinenschlosserei, lediglich weil ihm auf die Dauer die -sitzende Thätigkeit nicht behagte; er wäre wiederholt schon von den -Mitgliedern seiner Association in die Oberleitung gewählt worden, lehnte -aber stets ab, da seine Abneigung gegen Bureauarbeiten noch immer nicht -überwunden ist. Insbesondere aber ist die Zahl derjenigen sehr groß, die -irgendwelche Handarbeit mit Kopfarbeit verbinden. So allgemein -verbreitet ist in Freiland die Abneigung gegen _ausschließliche_ -Kopfarbeit, daß sich die sämtlichen höheren Berufe, ja sogar die -öffentlichen Ämter darauf einrichten mußten, ihren Angehörigen -zeitweilig körperliche Berufsthätigkeit zu gestatten. Die Buchhalter und -Korrespondenten der Associationen sowohl als der Centralbank, die -Lehrer, Beamten und sonstigen Angestellten welcher Art immer, haben das -Recht, außer den der Erholung gegönnten zweimonatlichen Ferien auch noch -beliebigen Urlaub von längerer oder kürzerer Dauer zu verlangen und die -Zeit desselben durch anderweitige Erwerbsthätigkeit auszufüllen. -Natürlich wird diese außerordentliche Urlaubszeit vom Gehalte in Abzug -gebracht, was jedoch die weitaus größere Hälfte all' dieser -Bureauarbeiter nicht hindert, in Zwischenpausen von zwei bis drei Jahren -je einige Monate hindurch als Fabrikarbeiter, Bergleute, Landbauer, -Gärtner u. dgl. sich vom Einerlei ihrer gewohnten Berufsthätigkeit zu -erholen. Ein mir bekannter Bureauchef der Centralverwaltung arbeitet -jedes zweite Jahr acht Wochen lang in einer anderen Mine des Aberdare- -oder Baringo-Distrikts; er hat -- wie er mir erzählte -- bis jetzt den -Kohlen-, Eisen-, Zinn-, Kupfer- und Schwefelbau praktisch durchgenommen -und freut sich jetzt auf den bevorstehenden Kursus in den Salzwerken von -Elmeteita. - -Angesichts dieser allgemeinen und durchgängigen wechselseitigen -Durchdringung von gewöhnlichster körperlicher und höchster geistiger -Thätigkeit kann selbstverständlich von irgendwelchen Standes- oder -Klassenunterschieden nirgend die Rede sein. Die hiesigen Ackerbauer sind -gerade so geachtete, selbstbewußte Gentlemen, wie die Gelehrten, -Künstler oder hohen Beamten, und nichts steht dem im Wege, sie im Salon -als gute Kameraden zu behandeln, sofern die Charaktere und die -Geistesrichtungen harmonieren. - -Insbesondere aber sind die Frauen -- anderwärts die hauptsächlichen -Vertreterinnen aristokratischer Absonderung -- hierzulande Förderinnen -vollständiger Verschmelzung aller Bevölkerungsschichten. Die -freiländische Frau steht beinahe ausnahmslos auf einer sehr hohen Stufe -ethischer und geistiger Bildung. Losgelöst von jeglicher materiellen -Sorge und Arbeit, ist es ihr alleiniger Beruf, sich zu veredeln, ihr -Verständnis für alles Gute und Erhabene zu schärfen. Da sie sich der -entwürdigenden Notwendigkeit enthoben sieht, im Manne einen Ernährer zu -suchen, mit ihrem Werte auf sich selber gestellt und nicht von der -äußeren Lebensstellung des Mannes abhängig ist, so fehlt ihr jener -exklusive Hochmut, der überall dort sich einfindet, wo wirkliche Vorzüge -fehlen. Sind doch die Frauen der sog. besseren Stände bei uns daheim -meist nur deshalb so schroff abweisend ihren vom Glücke minder -begünstigten Schwestern gegenüber, weil sie des instinktiven Gefühls -nicht ledig werden, daß diese sehr gut ihren Platz ausfüllen und sie -selber mitunter in deren dienende Stelle passen würden, wenn sie die -Ehegatten vertauscht hätten. Und auch, wenn dem nicht so ist, wenn die -europäische »Dame« wirklich höheren ethischen und geistigen Wert -besitzt, so muß sie sich doch sagen, daß ihre Stellung im Urteile der -Welt weniger von diesen ihren eigenen Eigenschaften, als von Rang und -Stellung des Mannes abhänge, also vom Werte eines Dritten, der ebensogut -jede Andere auf den erborgten Thron hätte setzen können. Schopenhauer -hat nicht ganz Unrecht: die Frauen betreiben zumeist das gleiche -Gewerbe: die Männerjagd, und Konkurrenzneid ist es, was ihrem Hochmut zu -Grunde liegt. Nur vergißt er hinzuzufügen, oder vielmehr er weiß wohl -selber nicht, daß dieses den Frauen gemeinsame, von ihm mit so herbem -Spotte gegeißelte Gewerbe mit all seinen häßlichen Folgeübeln ihnen -durch ihre Rechtlosigkeit aufgenötigt und keineswegs mit ihrer Natur -untrennbar verknüpft ist. - -Die hiesigen Frauen, die frei und gleichberechtigt sind in der -höchsten Bedeutung des Wortes, kennen diesen Hochmut auf äußere -Lebensverhältnisse nicht. Selbst wenn Beruf oder Reichtum des Gatten -hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen könnten, sie -würden dieselben niemals anerkennen, sondern sich in ihrem Umgange -lediglich von persönlichen Eigenschaften bestimmen lassen. Die -geistreichste, liebenswürdigste Frau ist es, deren Freundschaft von -ihnen am eifrigsten gesucht wird, gleichviel, welche Stellung der Gatte -einnehmen mag. Du begreifst also, daß Frau Moro ihren Mann wählen -konnte, ohne sich in der hiesigen »Gesellschaft« das Geringste zu -vergeben. - -Da wir gerade mit diesem Thema beschäftigt sind, laß mich die -Gelegenheit benützen, einige Worte über das Wesen der hiesigen -Geselligkeit nachzutragen. Dieselbe ist überaus lebhaft; die bekannten -Familien versammeln sich beinahe jeden Abend in zwanglosen Cirkeln, in -denen geplaudert, musiciert, vom jungen Volke wohl auch getanzt wird. -Soweit wäre dabei nichts besonderes; ihren ganz eigentümlichen, dem -Fremden anfangs schier unbegreiflichen Reiz aber erhält diese -Geselligkeit durch den sie durchwehenden Ton höchster Freiheit im -Vereine mit reinstem Adel und tadelloser Feinheit. Nachdem ich sie -einigemale gekostet, dürstete ich förmlich nach den Freuden dieser -Zusammenkünfte, ohne mir anfangs Rechenschaft geben zu können über die -Natur des Zaubers, den sie auf mich übten. Schließlich bin ich zu der -Überzeugung gelangt, daß es in erster Linie jene Atmosphäre wahrer -Menschenliebe sein müsse, die in Freiland alles umfängt, was hier den -geselligen Verkehr zu einem so genußreichen gestaltet. - -Europäische Gesellschaften sind im Grunde doch nichts anderes, als -Maskeraden, bei denen alle Welt sich gegenseitig belügt; Zusammenkünfte -von Feinden, die das Böse, das sie sich gegenseitig wünschen, unter -höflichen Grimassen zu verbergen suchen, ohne jedoch dadurch irgendwen -ernstlich zu täuschen. Und dies ist in einer ausbeuterischen -Gesellschaft anders gar nicht möglich, denn in dieser ist -Interessengegensatz die Regel, wahre Interessensolidarität eine höchst -seltene und bloß zufällige Ausnahme; seinen Nebenmenschen wirklich zu -lieben, ist bei uns eine Tugend, zu deren Übung ein nicht gerade -alltägliches Maß von Selbstverleugnung gehört, und Jedermann weiß daher, -daß neun Zehnteile dieser verbindlich grinsenden Masken sofort in -bitterem Hasse über einander herfallen würden, wenn die angeborene und -anerzogene Dressur der wohlanständigen Sitte sie auch nur einen Moment -im Stiche ließe. Man hat also inmitten solcher Gesellschaften stets ein -Gefühl, welches etwa dem der unterschiedlichen Bestien gleichen mag, -welche in den Menagerien zum Ergötzen des schaulustigen Publikums in -einen gemeinsamen Käfig gesperrt, sich wohl oder übel miteinander -vertragen müssen. Der Unterschied liegt bloß darin, daß die Dressur von -uns zweibeinigen Tigern, Panthern, Luchsen, Wölfen, Bären und Hyänen -vollkommener ist, als die unserer vierbeinigen Ebenbilder; diese -umschleichen einander, ingrimmig knurrend, ihre Rauf- und Mordlust -sichtlich nur mühsam unter scheuen Seitenblicken auf die Peitsche des -Tierbändigers unterdrückend; während wir den im Herzen lauernden bösen -Willen höchstens dem aufmerksamen Beobachter durch ein tückisches -Blinzeln des Auges oder sonst eine kaum zu bemerkende Kleinigkeit -verraten. Ja, so mächtig ist die Dressur von uns zweibeinigen -Raubtieren, daß wir uns durch dieselbe zeitweilig selber täuschen -lassen; die Hyäne unter uns hat Momente, wo sie allen Ernstes glaubt, -ihr verbindliches Grinsen dem Tiger gegenüber sei ehrlich gemeint, und -wo der Tiger sich einbildet, hinter seinem leisen Knurren verberge sich -eitel Liebe und Freundschaft mit seinen Mitbestien. Aber das sind eben -nur vorübergehende Momente holden Selbstbetrugs, und im allgemeinen wird -man der Empfindung nicht ledig, sich unter natürlichen Feinden zu -befinden, die nur äußerer Zwang hindert, uns des lieben Futters halber -an die Kehle zu springen. Die Freiländer dagegen sehen sich unter -wahren, aufrichtigen Freunden, wenn sie unter Menschen sind. Sie haben -einander nichts zu verbergen, sie wollen einander weder übervorteilen, -noch gegenseitig ausnützen. Wetteifer findet allerdings auch unter ihnen -statt, aber dieser kann das Gefühl kameradschaftlichen Wohlwollens nicht -beeinträchtigen, da der Erfolg des Siegers allemal auch dem Besiegten -gute Früchte trägt. Harmlose Offenheit, ein geradezu kindliches -Sichgehenlassen ist daher allenthalben unter ihnen heimisch und das in -Verbindung mit der heiteren Lebensanschauung und geistigen -Vielseitigkeit ist es, was der hiesigen Geselligkeit so wunderbaren Reiz -verleiht. - -Doch jetzt laß mich fortfahren in meinen Berichten über unsere hiesigen -Erlebnisse. Gestern sahen wir hier den ersten -- Betrunkenen. Wir -- d. -h. mein Vater und ich -- hatten in Begleitung Davids nach dem Diner eine -kleine Promenade am Edensee gemacht, an dessen Ufern bekanntlich die -meisten der Edenthaler Hotels gelegen sind; eben als wir wieder -heimkehren wollten, begegnete uns ein Trunkener, der wankend auf uns -zukam und lallend nach einem der Gasthöfe fragte. Es war sichtlich ein -erst kürzlich eingetroffener Einwanderer. David bat uns, die wenigen -Schritte nach Hause allein zurückzulegen, nahm den Betrunkenen unter den -Arm und führte ihn nach seinem Gasthofe; ich schloß mich diesem -Liebeswerke an, während mein Vater heimkehrte. Als auch wir anlangten, -fanden wir ihn im lebhaftesten Gespräche mit Frau Ney über dieses kleine -Abenteuer. »Denke nur,« rief er mir zu, »Madame behauptet, wir könnten -uns rühmen, einer der in diesem Lande seltensten Sehenswürdigkeiten -begegnet zu sein; sie ihrerseits habe während der 25 Jahre ihres -Aufenthalts in Freiland bloß drei Trunkene bemerkt, und sie sei -überzeugt, daß Edenthal zur Stunde sicherlich keinen zweiten Menschen in -seinen Mauern beherberge, der jemals bis zur Sinnlosigkeit tränke! Ihr -Freiländer« -- so wandte er sich nun an David -- »seid doch sicherlich -keine Temperenzler; Euer Bier und Palmwein ist vorzüglich, Euere Weine -lassen nichts zu wünschen übrig, und Ihr scheint mir nicht die Leute, -diese guten Dinge bloß zum Gebrauche etwaiger Gäste in Bereitschaft zu -halten; sollte es Euch also wirklich niemals widerfahren, daß Ihr ein -klein wenig über den Durst tränket?« - -»Und doch ist dem so, wie meine Mutter sagt. Wir trinken gern einen -guten Tropfen und gönnen uns einen solchen nicht gerade selten; auch -will ich nicht leugnen, daß bei festlichen Gelegenheiten die -Begeisterung des Weines hie und da in ziemlich hellen Flammen -emporschlägt; ein sinnlos trunkener Freiländer gehört aber trotzdem zu -den allerseltensten Erscheinungen. Wenn Sie das gar so sehr Wunder -nimmt, so werfen Sie sich doch die Frage auf, ob denn in Europa und -Amerika gesittete und gebildete Menschen sich zu betrinken pflegen. Das -geschieht, wie ich weiß, auch bei Ihnen bloß in den seltensten Fällen, -obwohl dort die öffentliche Meinung in diesem Punkte minder streng ist, -als hierzulande. In Freiland aber gibt es keinen Pöbel, der im Rausche -Vergessenheit seines Elendes suchen müßte, und das Beispiel dieses -Pöbels kann daher auch nicht dazu dienen, an den Anblick dieses -erniedrigendsten aller Laster zu gewöhnen.« - -»Daß ihr Freiländer gegen dieses Laster gefeit seid, nimmt uns auch -nicht gar so sehr Wunder,« entgegnete mein Vater. »Aber ihre verehrte -Mama erklärte uns, daß auch unter den Eingewanderten Trunkenbolde so rar -sind, wie weiße Raben. Nun ist mir nicht bekannt, daß an den Grenzen -Ihres Landes Mäßigkeitsapostel Wache halten; die Einwanderer gehören zum -Teil jedenfalls solchen Rassen und Klassen an, die in ihrer alten Heimat -dem Trunke -- und zwar dem Trunke in seiner häßlichsten Bedeutung -- -keineswegs abgeneigt sind; was veranlaßt diese Leute hier, sich solcher -Enthaltsamkeit zu befleißigen?« - -»Zunächst der Wegfall jener Gründe, die in Europa und Amerika zum Trunke -verleiten. Ich habe mich gelegentlich meiner europäischen Studienreise, -die nicht bloß der Kunst, sondern auch dem Leben Ihres Landes gewidmet -war, in den Höhlen der Armut umgesehen und dort Verhältnisse gefunden, -die es geradezu wunderbar erscheinen ließen, wenn die inmitten derselben -Lebenden nicht in der Schnapsflasche Vergessenheit ihrer Marter, ihrer -Schmach, ihrer Entwürdigung gesucht hätten. Ich sah Menschen, die zu -zwanzig und dreißig -- alle Altersklassen und Geschlechter bunt -durcheinander gewürfelt -- in _einem_ Gemache schliefen, welches gerade -nur soviel Raum bot, daß die Insassen dichtgedrängt auf der eklen, den -Boden bedeckenden Streu Unterkunft fanden; Menschen, die tagsüber kein -anderes Heim hatten, als den Fabriksaal -- oder die Schenke. Und das -waren nicht etwa brotlose, sondern in regelmäßiger Arbeit stehende -Leute, und nicht vereinzelte Ausnahmen, sondern Typen der Arbeiterschaft -großer Landstriche. Daß solche Menschen in viehischer Betäubung Rettung -suchen gegen die Erinnerungen ihrer Entbehrungen, der Schande ihrer -Weiber und Töchter, daß sie das Bewußtsein ihrer Menschenwürde -verlieren, das hat mich niemals in Erstaunen und noch weniger in -Entrüstung versetzt; diese beiden Gefühle kehrten sich bloß gegen den -Unverstand, der solchen Jammer ruhig gewähren läßt, als wäre er in -Wahrheit der Ausfluß eines unwandelbaren Naturgesetzes. Und eben so -natürlich finde ich, daß diese selben Menschen hier, wo sie ihre Würde -und ihr Recht zurückerlangt haben, wo ihnen sorglose, schöne -Lebensfreude allenthalben entgegenlacht, zugleich mit dem Elend auch das -Laster des Elends abstreifen. Diese neuen Ankömmlinge stürzen sich alle -mit wollüstiger Gier in den Umgang mit uns; sie können es meist gar -nicht erwarten, ganz und vollständig unseresgleichen zu werden; je -elender, entwürdigter sie zuvor gewesen, desto grenzenloser ist ihr -Entzücken, ihr Dankgefühl, sich hier von Jedermann als Seinesgleichen -betrachtet zu sehen; um keinen Preis würden sie der Achtung ihrer neuen -Genossen verlustig werden, und da diese den Trunk allgemein meiden, so -trinken sie eben auch nicht.« - -»Du hast uns erklärt, warum Ihr keine Trunkenbolde hierzulande habet« -- -nahm nunmehr ich das Wort. »Aber noch um vieles wunderbarer erscheint -mir, daß Euer Grundsatz, jedem Arbeitsunfähigen -- er mag es aus welchem -Grunde immer sein -- einen Versorgungsanspruch einzuräumen, Euch nicht -mit Krüppeln und Greisen sonder Zahl überflutet. Oder gibt es -irgendwelche, uns noch unbekannte Einrichtungen, welche Euch gegen -solche Gäste schützen? Und in welcher Weise erwehrt Ihr Euch, ohne -peinlich inquisitorische Kontrolle, jener Trägen, die das -Versorgungsrecht der wirklich Arbeitsunfähigen erschleichen wollen, um -dem Müssiggange fröhnen zu können? Werden hinsichtlich der -Versorgungsansprüche vielleicht Unterschiede zwischen Einheimischen und -Eingewanderten gemacht, und was ist zur Geltendmachung eines solchen -Anspruches vonnöten?« - -»Hinsichtlich der Versorgungsansprüche wird keinerlei Unterschied -gemacht, und zu deren Geltendmachung genügt das Krankheitszeugnis eines -unserer Ärzte, oder der Ausweis des zurückgelegten 60. Jahres. Bei -Ausstellung der Krankheitsatteste wird prinzipiell mit der größten -Liberalität vorgegangen, ja es hat Jedermann das Recht, für den Fall, -daß ihm der eine Arzt das Zeugnis verweigern sollte, sich nach Belieben -einen anderen auszusuchen, da wir es grundsätzlich vorziehen, lieber -zehn träge Simulanten zu füttern, als einen wirklich Kranken abzuweisen. -Trotzdem gibt es bei uns ebensowenig fremde, als einheimische -Müssiggänger von Beruf. Auch hier erweist sich der Einfluß unserer -Institutionen als genügend mächtig, um alle derartigen Gelüste im Keime -zu ersticken. Beachte vor allem, daß der Neueingewanderte den obersten -Ehrgeiz hat, Unseresgleichen zu werden, sich uns anzuschließen; zu -diesem Behufe muß er, ist er anders gesund und kräftig, an unseren -Geschäften teilnehmen. Der kennt die menschliche Natur schlecht, der da -glaubt, Proletarier, die sich noch einen Rest von Menschenwürde -gerettet, würden, wenn sie Gelegenheit haben, als gleichberechtigte, -selbstherrliche Männer in blühende, mächtige Geschäfte einzutreten, -darauf verzichten und es vorziehen, sich von Gesamtheitswegen füttern zu -lassen. Die Ankömmlinge _wollen_ an allem teilnehmen, was hierzulande zu -erlangen und zu leisten ist; es bedarf in neunundneunzig unter hundert -Fällen keines anderen Anreizes zur Arbeit für sie. Jene Wenigen aber, -denen dieser Sporn nicht genügt, finden sich, ist erst einmal die erste -Zeit des Schauens und Hörens vorbei, sehr rasch durch Langeweile und -Vereinsamung genötigt, irgend eine fruchtbare Thätigkeit zu wählen. Wir -haben hier kein Wirtshausleben im abendländischen Sinne, keine -Geselligkeit gewohnheitsmäßiger Müssiggänger; man _muß_ hier eben -arbeiten, um sich behaglich zu fühlen, und so arbeitet denn Alles, was -arbeitsfähig ist. Die verstockteste Trägheit und Indolenz kann höchstens -durch einige Wochen dem Zauber des Gedankens Stand halten, daß man, um -den Ersten des Landes als Seinesgleichen die Hand schütteln zu dürfen, -keines anderen Ehren- und Machttitels bedürfe, als einiger ehrlicher -Arbeit. Kräftige, gesunde Müssiggänger sind also auch unter den -Eingewanderten geradezu verschwindende Ausnahmen, die wir resigniert als -eine Art geistiger Krankheitsfälle über uns ergehen lassen. Darben aber -dürfen bei uns auch diese Trägen nicht. Sie erhalten, ohne daß ihnen ein -besonderes Recht eingeräumt wird, alles, was sie brauchen und zwar nach -europäischen Begriffen überreichlich. - -»Was nun die Frage anlangt, ob das Institut der Versorgungsrechte nicht -geradezu alles ins Land locke, was die übrige Welt an körperlich und -geistig Invaliden, an Krüppeln und Greisen besitze, so kann ich darauf -nur antworten, daß Freiland Jedermann unwiderstehlich anlockt, der -nähere Kunde von seinen Einrichtungen erhalten hat, und daß daher das -Verhältnis zwischen arbeitstüchtigen und arbeitsuntüchtigen Einwanderern -lediglich davon abhängt, ob solche Kunde leichter und rascher zu -ersteren oder zu letzteren gelangt. Wir weisen niemand zurück und -befördern den lahmen Krüppel ebenso unentgeltlich in unser Land, wie den -rüstigsten Arbeiter; aber es liegt in der Natur der Sache, daß die -Tüchtigsten, Regsamsten sich in stärkerer Zahl melden, als die Armen an -Geist und Körper. - -»Auf der Forderung, daß jeder Einwanderer des Lesens und Schreibens -kundig sein müsse, um all' unserer Rechte teilhaftig zu werden, bestehen -wir seit Gründung des Gemeinwesens. Freiheit und Gleichberechtigung -setzen ein gewisses Ausmaß von Kenntnissen voraus, welche wir niemand -erlassen _können_. Freilich bliebe uns der Ausweg, die Unwissenden zu -bevormunden; aber damit wäre den Behörden ein Wirkungskreis eingeräumt, -den wir für unvereinbar mit wahrer Freiheit halten, und wir behandeln -daher Einwanderer, die Analphabeten sind, als Fremdlinge, oder wenn man -so will, als Gäste, die nach Möglichkeit zu fördern jedermanns -Menschenpflicht ist, die in materieller Beziehung, sofern sie sich -leistungsfähig erweisen, den Einheimischen gegenüber keineswegs verkürzt -werden, die jedoch keinerlei politisches Recht auszuüben vermögen.« - -»Wie aber«, so fragte mein Vater, »konstatieren Sie diese geistige -Beschaffenheit Ihrer unwissenden Landesgenossen? Existiert zu diesem -Behufe eine besondere Behörde, und ergeben sich keine Unzukömmlichkeiten -bei solcher Inquisition?« - -»Wir inquirieren nicht, und keine Behörde kümmert sich um das Wissen der -Leute. Anfänglich übten wir, um nicht von fremder Unwissenheit -überflutet zu werden, die Vorsicht, Analphabeten von der unentgeltlichen -Beförderung nach Freiland auszuschließen; wir haben vor 19 Jahren auch -das fallen gelassen. Jedermann, ohne jegliche Ausnahme, wird seither -unentgeltlich bis an jeden ihm beliebigen Punkt Freilands befördert; -niemand befragt ihn auch hier um den Stand seines Wissens; es steht ihm -frei, von allen unseren Einrichtungen vollen Gebrauch zu machen, alle -unsere Rechte auszuüben -- nur muß er dies in derselben Weise thun, wie -wir -- und das ist dem Analphabeten eben unmöglich. Wohin er sich wenden -mag, bei der Centralbank, bei allen Associationen, in allen Wahlbureaus, -muß er lesen, schreiben -- und zwar der Natur der Sache nach meist mit -Verstand schreiben -- sich in Gedrucktem und Geschriebenem -zurechtfinden, kurz, ein gewisses Maß von Bildung haben, welches wir ihm -nicht erlassen könnten, auch wenn wir wollten.« - -»Dann ist aber«, meinte mein Vater, »Ihre berühmte Gleichberechtigung -doch nur für einigermaßen gebildete Leute vorhanden?« - -»Selbstverständlich« -- erklärte nun Frau Ney. »Oder glauben Sie -wirklich, daß vollkommen Unwissende die Fähigkeit besitzen, sich selber -zu regieren? Jawohl, wirkliche Freiheit und Gleichberechtigung hat einen -gewissen Grad von Civilisation zur unerläßlichen Voraussetzung. Die -Freiheit und Gleichberechtigung der Armut und Barbarei, diese allerdings -lassen sich auch von unwissenden Horden ins Werk setzen; Reichtum und -Muße aber sind Produkte hoher Kunst und Kultur, sie können nur von -wirklichen Kulturmenschen genossen werden. Wer die Menschen frei und -reich machen will, der muß ihnen zuvor Wissen beibringen -- das liegt -nun einmal in der Natur der Sache, und nicht unsere, sondern Euere -Schuld ist es, daß so Viele Eurer Volksgenossen zur Freiheit erst noch -erzogen werden müssen.« - -»Da haben Sie abermals Recht«, seufzte mein Vater. »Nun, und welche -Erfahrungen machen Sie mit diesen eingewanderten Analphabeten?« - -»Die Erfahrung, daß diese Ausschließung von vollkommener -Gleichberechtigung, gerade weil sie mit keinerlei materieller -Benachteiligung verknüpft ist, als schlechthin unwiderstehlicher Antrieb -zu möglichst raschem Nachholen des in der alten Heimat Versäumten wirkt. -Wir haben zu Nutz und Frommen solcher Einwanderer besondere Schulen für -Erwachsene eingerichtet; auch Nachbarn und gute Freunde nehmen sich -ihrer an und die Leute lernen mit geradezu rührendem Eifer. Sie begnügen -sich keineswegs mit der mechanischen Aneignung jenes Ausmaßes von -Kenntnissen, dessen sie zu Ausübung aller freiländischen Rechte gerade -bedürfen, sondern sind redlich bemüht, sich möglichst vollständiges -Wissen zu erwerben, und es sind wenige Fälle bekannt, wo aus solchen -Einwanderern in kurzer Zeit nicht ganz gebildete Menschen geworden -wären.« - -»Und was schließlich die hier wirklich als Invaliden anlangenden -Einwanderer betrifft«, nahm jetzt wieder David das Wort, »so üben wir -diesen gegenüber die Versorgungspflicht in der nämlichen Weise, als ob -sie in freiländischen Werkstätten alt und schwach geworden wären. Eine -merkliche Belastung unseres Budgets haben wir davon nicht verspürt. -Charakteristisch ist übrigens, daß die invaliden Eingewanderten meist -nur unvollständigen Gebrauch von dem ihnen eingeräumten -Versorgungsrechte machen; diese Bedauernswerten gewöhnen sich in der -Regel nur allmählich an das sich ihnen hier bietende Ausmaß höherer -Genüsse, und sie wissen daher anfangs keine Verwendung für den auf sie -einstürmenden Reichtum.« - -»Jetzt bitte ich Sie, noch _ein_ Bedenken zu zerstreuen, wie mir -scheint, das wichtigste. -- Was ist's mit Verbrechern, gegen deren -Einwanderung Sie doch auch nicht geschützt sind? Erscheint mir schon -höchst merkwürdig, daß Sie ohne Polizei und Strafeinrichtungen mit den -Millionen Ihrer freiländischen Bevölkerung auskommen, so kann ich -vollends nicht begreifen, wie Sie mit jenen Strolchen und Verbrechern -fertig werden wollen, welche durch die ihnen hier winkende Milde, die -auch den Verbrecher nicht strafen, bloß bessern will, doch angelockt -werden sollten, wie Wespen vom Honig. Nun haben Sie uns allerdings -erzählt, daß die zur Entscheidung der Civilstreitfälle eingesetzten -Friedensrichter auch in Criminalsachen als erste Instanz zu fungieren -haben, und daß von diesen der Appell an höhere Richterkollegien zulässig -sei; Sie fügten jedoch hinzu, daß diese Richter allesamt so gut wie -nichts zu thun haben und nur in höchst seltenen Ausnahmefällen das -hierzulande übliche Besserungsverfahren zu verhängen in die Lage kommen. -Wirken thatsächlich Ihre Institutionen so besänftigend auch auf -verstockte Verbrechergemüter?« - -»Allerdings«, antwortete Frau Ney. »Und wenn Sie ruhig erwägen, welches -die eigentliche und letzte Quelle aller Verbrechen ist, so werden Sie -das auch ganz begreiflich finden. Vergessen Sie doch nicht, daß Recht -und Gesetz in der ausbeuterischen Gesellschaft Anforderungen an das -Individuum stellen, die der menschlichen Natur geradezu entgegenlaufen. -Der Hungernde und Frierende soll vorübergehen an fremdem Überflusse, -ohne sich davon anzueignen, wessen er zur Befriedigung seines -unabweislichen Bedürfnisses bedarf, ja ohne Neid und Mißgunst gegen die -Glücklicheren zu empfinden, die reichlich besitzen, was er so grausam -entbehrt! Er soll seinen Nebenmenschen lieben, trotzdem dieser gerade -auf jenem Gebiete, wo Interessenkonflikte am unversöhnlichsten sind, -weil sie die Grundlagen der ganzen Existenz berühren, sein Nebenbuhler, -sein Zwingherr oder sein Sklave, für alle Fälle aber sein Feind ist, aus -dessen Nachteil er Vorteil zieht und aus dessen Vorteil ihm Nachteil -erwächst! Daß all' dies Jahrtausende hindurch unerbittliche -Notwendigkeiten waren, läßt sich freilich nicht leugnen; aber thöricht -wäre es, zu übersehen, daß derselbe grausame Zusammenhang, welcher die -Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, also das Unrecht, zur -Voraussetzung des Kulturfortschrittes machte, auch das Verbrechen, d. h. -die Auflehnung des gemarterten Individuums gegen die zum Wohle der -Gesamtheit unerläßliche schreckliche Ordnung, erst ins Leben rief. Die -ausbeuterische Weltordnung verlangt vom Individuum, daß es thue, was ihm -schadet, weil das Wohl der Gesamtheit es so erfordert, und sie verlangt -dies nicht etwa als besonders anerkennenswerte, hervorragende Leistung, -die bloß einzelnen edlen Naturen zugemutet werden dürfe, in denen der -Gemeinsinn jegliche Regung des Egoismus unterdrückt hat, sondern als -etwas bei jedermann stets und überall Selbstverständliches, dessen Übung -nicht Tugend, sondern dessen Unterlassung Verbrechen genannt wird. Auch -der Held, der sein Leben dem Vaterlande, der Menschheit opfert, -unterordnet sein Einzelinteresse dem Wohle einer höheren Gesamtheit, und -niemals wird die Menschheit auf solche Opferthaten verzichten können, -immer wird sie von ihren Edelsten verlangen, daß die Liebe zur Gattung -den Sieg davon trage über die Liebe zum eigenen kleinen Ich, ja es darf -ohne weiteres als logisches Ergebnis fortschreitender Kultur bezeichnet -werden, daß diese Forderung stets gebieterischer im Busen des Menschen -sich geltend machen und dort stets freudigeren Gehorsam finden wird. -Aber der Name dieses Gehorsams ist »Heroismus«, sein Mangel noch kein -Verbrechen; er kann nicht erzwungen werden, sondern ist ein freiwilliger -Liebestribut groß angelegter Naturen. Auf wirtschaftlichem Gebiete aber -wird ähnlicher, ja schwerer zu übender Heldenmut dem Letzten und -Elendesten, ja diesem in erster Reihe zugemutet, muß ihm, so lange -Ausbeutung die Grundlage der Gesellschaft ist, zugemutet werden, und -»Verbrecher« heißen dann alle Jene, die sich minder groß erweisen, als -ein Leonidas, Curtius oder Winkelried auf dem Schlachtfelde, oder als -jene meist ungenannten Heroen der Menschenliebe, die ihr Leben im Kampfe -gegen feindliche Naturmächte zaglos zum Opfer brachten, wenn die heilige -Stimme in ihnen, die Stimme der Nächstenliebe, es forderte. - -»Wir in Freiland aber verlangen von niemand zwangsweise solchen -Heldenmut. Auf wirtschaftlichem Gebiete muten wir dem Individuum nichts -zu, was seinem eigenen Interesse widerspricht, es ist daher nur -selbstverständlich, daß es sich niemals gegen unsere Rechtsordnung -empört. Bei uns ist Wahrheit, was unter der Herrschaft der alten Ordnung -bloß selbstgefällige Gedankenlosigkeit behaupten konnte, daß nämlich -wirtschaftliche Moral nichts anderes sei, als vernünftiger Egoismus. Sie -werden es also begreiflich finden, daß _vernünftige_ Menschen unsere -Rechtsordnung nicht verletzen können. Wir haben einige Dutzend -unverbesserlicher Übelthäter im Lande, dieselben sind aber ohne Ausnahme --- unheilbare Idioten.« - -Nachdem auch dieser Punkt erledigt war, erbat sich mein Vater eine -letzte Aufklärung. Er erklärte, nunmehr vollständig zu begreifen, daß -die freiländischen Institutionen, gerade weil sie nichts anderes seien, -als die konsequente Durchführung des Prinzipes der wirtschaftlichen -Gerechtigkeit, durchaus geeignet wären, jeglichem billigen und -vernünftigen Anspruche zu genügen. Nichtsdestoweniger drückte er seine -Verwunderung über die sichtlich herrschende allgemeine und ausnahmslose -Zufriedenheit mit denselben aus. Ob denn _unvernünftige_ Parteiungen -Freiland keinerlei Schwierigkeiten bereiteten? Insbesondere wollte er -wissen, ob Kommunismus und Nihilismus, die in Europa stets drohender ihr -Haupt erheben, hierzulande gar nicht zu schaffen machten. »In den Augen -eines echten Kommunisten«, so rief er, »seid Ihr hier doch nichts -weiter, als arge Aristokraten. Von absoluter Gleichheit keine Spur bei -Euch! Welchen Wert kann Euere vielberühmte Gleich_berechtigung_ in den -Augen von Leuten haben, die von dem Grundsatze ausgehen, daß jeder -Bissen Brot, den einer dem andern gegenüber voraus hat, Diebstahl sei, -und die daher, damit niemand mehr besitze, als der andere, alles -Eigentum aufheben? Und dabei keine Polizei, keine Soldaten, um diese -Tollhäusler im Zaume zu halten! Teilt doch auch uns das Recept mit, nach -welchem sich der nihilistische und kommunistische Fanatismus so -unschädlich machen läßt!« - -»Nichts leichter als das« -- antwortete Frau Ney. »Machen Sie, daß -jedermann satt werde, und niemand wird dem anderen die Bissen vorzählen -wollen. Die absolute Gleichheit ist eine Hallucination des -Hungerfiebers, weiter nichts. Die Menschen sind einander _nicht_ gleich, -weder in ihren Fähigkeiten, noch in ihren Bedürfnissen; Ihr Appetit ist -stärker, als der meinige; Sie lieben vielleicht hübsche Kleider -- ich -gebe keinen Heller für dieselben; dafür bin ich vielleicht ein -Leckermaul, während Sie grobe Kost vorziehen, und so fort ohne Ende. -Welcher Menschenverstand soll nun darin liegen, unsere beiderseitigen -Bedürfnisse über denselben Leisten zu schlagen! Ich will gar nicht -untersuchen, ob es möglich ist, ob über den davon unzertrennlichen Zwang -nicht Freiheit und Fortschritt zu Grunde gehen müßten; der Zweck an sich -ist so unsinnig, daß absolut unbegreiflich wäre, wie zurechnungsfähige -Menschen auf derartige Gedanken geraten können, wenn nicht _eines_ -dazwischen träte, nämlich, daß der eine von uns weder seinen starken, -noch seinen schwachen Appetit, seine Vorliebe weder für feine noch für -ordinäre Kleidung, weder für leckere noch für gewöhnliche Speisen -befriedigen kann, sondern grimmiges, brutales Elend leidet. Kommt dazu -noch der Irrtum, daß mein Überfluß an Ihren Entbehrungen die Schuld -trägt, so wird es begreiflich, daß Sie und diejenigen, die Mitleid mit -Ihren Leiden haben, nach Teilung, nach vollkommen gleichmäßiger Teilung -rufen. Mit einem Worte, der Kommunismus hat keine andere Quelle, als die -Erkenntnis des grenzenlosen Elends der überwiegenden Mehrzahl aller -Menschen, verknüpft mit der falschen Anschauung, daß es der thatsächlich -vorhandene Reichtum Einzelner sei, aus welchem allein die Linderung -dieses Elends geschöpft werden könne. Diese letztere Meinung ist nun -allerdings eine unbegreifliche Thorheit, denn man braucht nur die Augen -zu öffnen, um zu sehen, welch kümmerlicher Gebrauch von den so reichlich -vorhandenen Fähigkeiten, Reichtümer zu erzeugen, gemacht wird; aber -nicht die Kommunisten sind es, welche diese Thorheit ausheckten; Euere -orthodoxe Ökonomie hat die Lehre in Umlauf gebracht, daß gesteigerte -Ergiebigkeit der Arbeit die vorhandenen Werte nicht zu vermehren -vermöge, sie, nicht der Kommunismus war es, was die Menschheit blind -machte gegen den wahren Zusammenhang der wirtschaftlichen Vorgänge; -Kommunisten sind in Wirklichkeit nichts anderes, als gläubige Anhänger -der sogenannten »Grundwahrheiten« orthodoxer Ökonomie und der einzige -Unterschied zwischen der bei Euch herrschenden Partei und ihnen liegt -lediglich darin, daß sie hungrig sind, während jene satt ist. Mit der -Erkenntnis, daß es nur der vollkommenen Gleich_berechtigung_ bedürfe, -_um Überfluß für alle zu schaffen_, verfliegt der Kommunismus ganz von -selbst wie ein böser, beängstigender Traum. Man kann verlangen -- wenn -auch nicht durchführen -- daß alle Menschen auf gleiche Brotrationen -gesetzt werden, so lange man glaubt, daß der gemeinsame Reichtum, von -dem wir alle zehren müssen, eben nicht weiter als fürs liebe Brot -reiche; denn satt werden wollen wir doch alle. Zu verlangen, daß jedem -die gleiche Sorte und Menge Braten, Backwerk und Konfekt aufgezwungen -werde, nachdem sich herausgestellt hat, daß genug für alle auch von -diesen guten Dingen vorhanden sein könnte, wäre schlechthin läppisch. Es -gibt daher bei uns keine Kommunisten und kann keine geben. - -»Aber auch der Nihilismus ist aus dem gleichen Grunde in Freiland -unmöglich, denn auch er ist nichts anderes, als eine durch die -Verzweiflung des Hungers hervorgerufene Hallucination, die nur auf dem -Boden der orthodoxen Weltanschauung gedeihen kann. Ist der Kommunismus -die Nutzanwendung, welche der Hunger aus dem Lehrsatze zieht, daß die -Arbeit der Menschheit nicht ausreiche, um Überfluß für Alle zu erzeugen, -so kann man den Nihilismus als die Schlußfolgerung der Verzweiflung aus -jener anderen Lehre ziehen, daß Kultur und Civilisation unvereinbar -seien mit wirtschaftlicher Gleichberechtigung. Die Orthodoxie ist's, -welche auch dieses Dogma in Umlauf gebracht hat; allerdings hält sie, -als die Wortführerin der Satten, auch hier keine andere Schlußfolgerung -für denkbar, als diejenige, daß die auf ewig enterbten Massen sich im -Interesse der Civilisation resigniert in ihr Schicksal fügen müßten; die -Partei der Hungrigen aber wendet sich in wütendem Grimme gegen diese -Civilisation, von welcher selbst ihre Anhänger behaupten, daß sie der -ungeheuern Mehrzahl der Menschen niemals helfen könne und die deshalb -für diese keinen anderen Effekt hat, als den einer Steigerung der -_Empfindung_ des Elends. _Wir_ haben den Beweis erbracht, daß -Civilisation nicht bloß vereinbar, sondern geradezu die Voraussetzung -der wirtschaftlichen Gleichberechtigung ist -- auch der Nihilismus muß -also hierzulande unbekannt sein.« - -»Sie glauben also«, nahm ich das Wort, »daß die Gleichheit des -thatsächlichen Einkommens mit der Gleich_berechtigung_ nichts zu thun -habe? Ich meinerseits muß gestehen, daß mir jene nutzlose Anhäufung -überflüssiger Reichtümer, die wir in unserer abendländischen -Gesellschaft zu beobachten Gelegenheit haben, an und für sich -widerwärtig geworden ist, auch wenn ich mich überzeugt habe, daß das -Elend der Massen weder in diesem Überflusse einer kleinen Minderzahl -seinen letzten Grund habe, noch sich durch Verteilung dieses Überflusses -wesentlich lindern ließe. Eine gesellschaftliche Ordnung, welche diese -geilen Überschüsse nicht beseitigt, wird in meinen Augen immer -unvollkommen bleiben, mag sie im übrigen noch so ausreichend für den -Wohlstand Aller Sorge tragen.« - -»Auch ich kann dieses Gefühles nicht ganz Herr werden«, meinte mein -Vater. »Aber ich bin der Ansicht, daß in dieser Auflehnung gegen die -Ungleichheit an sich, denn doch nichts anderes zu suchen sein dürfte, -als die sittliche Empörung, welche in jedem unbefangen denkenden -Menschen gegen die bisherigen _Ursachen_ der Ungleichheit Wurzel -geschlagen hat. Wir sehen bei uns zu Hause, daß große Vermögen fast -niemals in hervorragenden individuellen Anlagen, sondern regelmäßig bloß -in der Ausbeutung der Nebenmenschen ihren Entstehungsgrund haben, und -daß sie ebenso regelmäßig zu neuer Ausbeutung benutzt werden. Das ist's, -was uns dagegen einnimmt. Könnten noch so große Vermögen bloß durch -hervorragende persönliche Fähigkeiten entstehen und vermöchte man sie zu -nichts anderem zu gebrauchen, als zur Steigerung der individuellen -Genüsse, wie dies in Freiland alles zutrifft, so würde auch die nicht -hinwegzuleugnende Abneigung gegen dieselben rasch aufhören. Was ist -übrigens die Meinung unserer liebenswürdigen Wirtin über diesen Punkt?« - -»Der Widerwille gegen übergroße Vermögen« -- erklärte diese -- »ist -meines Erachtens nicht bloß in der ungerechten Quelle und Verwendung -derselben zu suchen, sondern liegt tiefer, in der Erkenntnis nämlich, -daß von sehr vereinzelten Ausnahmen abgesehen, die Verschiedenheiten in -den Fähigkeiten der Menschen nicht so einschneidend sind, um so -gewaltige Differenzen des Reichtums genügend zu rechtfertigen. Der -Reichtum einer hochkultivierten Gesellschaft besteht zu derart -überwiegendem Teile aus den Hinterlassenschaften der Vergangenheit und -zu verhältnismäßig so geringem Teile aus den ureigenen Leistungen der -einzelnen Individuen, daß ein gewisser Grad der Gleichheit -- nicht bloß -der Rechte, sondern auch der thatsächlichen Genüsse -- allerdings im -Wesen der Sache begründet und ein Gebot der Gerechtigkeit ist. Jeder -Fortschritt der Kultur ist gleichbedeutend mit fortschreitender -Ausgleichung der Differenzen der Leistungsfähigkeit. Denken Sie sich -zurück in den Urzustand, wo das Individuum den Kampf ums Dasein der -Hauptsache nach mit den ihm angeborenen Hilfsmitteln zu Ende führen -mußte, so werden Sie finden, daß die Unterschiede sehr groß waren: bloß -der Kräftige, Gewandte, Schlaue vermochte sich zu erhalten; der minder -Begabte mußte untergehen. Als dann späterhin wachsende Kultur die -Hilfsmittel der Menschen vermehrte, dermaßen, daß auch dem minder -Fähigen möglich wurde, das zur Lebensfristung erforderliche zu erzeugen, -blieb doch der Unterschied der individuellen Leistungen anfangs sehr -groß. Der geschickte Jäger wird um ein Vielfaches reichlichere Beute -haben, als der minder geschickte; der kräftige, gewandte Ackerbauer wird -mit dem Spaten vielfach mehr richten, als der schwächliche, -schwerfällige. Schon mit Erfindung des Pfluges verringert sich diese -Verschiedenheit der Leistungen sehr wesentlich, und sie wird -- was -körperliche Fähigkeiten anlangt -- mit der Erfindung der Kraftmaschinen -beinahe auf Null reduciert. Mehr und mehr ersetzt die Maschine die -Energie der menschlichen Muskeln, mehr und mehr aber gleichzeitig auch -Witz und Erfahrung der Vorfahren die individuelle Findigkeit. Zwar so -vollständig wie auf körperlichem Gebiete treten auf geistigem die -individuellen Unterschiede nicht in den Hintergrund, aber auch sie -rechtfertigen mit nichten jene kolossalen Differenzen des Reichtums, an -welche man zu denken pflegt, wenn von »großen Vermögen« die Rede ist. -Der Arbeiter am Dampfpfluge leistet -- er mag ein Riese oder ein -Schwächling sein -- so ziemlich das nämliche; Klugheit und Umsicht der -Leitung des Produktionsprozesses kann den Ertrag noch immer -vervielfachen; eine Leistung aber, die hundertfach und tausendfach den -Wert gewöhnlicher Durchschnittsleistung überträfe, ist heutzutage nur -mehr -- dem Genie möglich, und diesem allein würde sie dem entsprechend -auch unser Billigkeitsgefühl zuerkennen.« - -Damit schloß dieses Gespräch, welches mir aus dem Grunde ewig denkwürdig -bleiben wird, weil es meinen Entschluß, Freiländer zu werden, zur Reife -gebracht hat. - - - - - 21. Kapitel. - - - Edenthal, den 20. August. - -Du schreibst in Deinem Letzten, es komme Dir nicht ganz geheuer vor, daß -in meinen Briefen so gar keine Rede mehr von den jungen Damen sei, mit -denen ich seit nunmehr sechs Wochen unter einem Dache weile. Wenn ein -junger Italiener -- so argumentiert Deine unerbittliche Logik -- von -schönen Mädchen, mit denen er verkehrt, darunter eines, dessen erster -Anblick ihn -- eigenem Geständnis zufolge -- »geradezu verwirrt« habe, -nichts zu erzählen wisse, so habe er sich entweder einen Korb von der -bewußten Einen geholt oder sei doch im Begriffe, es darauf ankommen zu -lassen. Die Logik hat Recht, Luigi; ich bin verliebt, d. h. ich war es -vom ersten Blicke an, und zwar in Bertha, meines David herrliches -Schwesterlein, und auch mit dem Korbe hätte es um ein Kleines seine -Richtigkeit gehabt. Nicht, daß die Geliebte meine Gefühle unerwidert -gelassen hätte; Bertha gestand mir mit jener unbefangenen Offenheit, die -ihr -- richtiger, die allen Freiländerinnen -- so entzückend steht, beim -ersten Anlasse, wo ich mir zu einem Geständnisse den Mut faßte, daß auch -sie mich sofort in ihr Herz geschlossen, daß sie noch am ersten Abend -unseres Beisammenseins gewußt, mir oder niemand werde sie als Gattin -angehören -- und trotzdem bekam ich auf meine Werbung zunächst ein -»Nein« zu hören, das an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. -Bertha vermochte sich nämlich nicht zu entschließen, italienische -Herzogin zu werden, und mein Vater, der -- höre und staune -- -den Brautwerber für mich machte, hatte von ihr als etwas -selbstverständliches gefordert, sie solle mir nach Italien auf unsere -dortigen fürstlichen Besitzungen folgen, das Herzogsdiadem in ihre -Locken -- sie sind von einem entzückenden Blond -- flechten und im -Vereine mit mir die Fortpflanzung des erlauchten Geschlechts der Falieri -zu ihrer Lebensaufgabe zu machen. Meinen Wunsch, mich als Freiländer in -Freiland anzusiedeln, betrachtete mein Vater als überspannte Narrheit. -Du kennst seine Anschauungen, die ein seltsames Gemengsel von -aufrichtigem Freisinn und aristokratischem Stolze sind, richtiger waren; -hier in Freiland hatte die demokratische Seite seiner Anschauungen sich -allgemach gewaltig ins Breite und Tiefe entwickelt; er begann sogar aufs -feurigste für die freiländischen Institutionen zu schwärmen; wenn es -einen anderen Zweig der Falieri gäbe, dem man die Erhaltung der -fürstlichen Familientraditionen hätte anvertrauen können -- _per baccho_ --- mein Vater hätte mich sofort gewähren lassen. Aber um einer -- und -sei es auch noch so edlen -- Schwärmerei willen, die Axt an den -Stammbaum eines Hauses zu legen, dessen Ahnen unter den ersten -Kreuzfahrern gekämpft und späterhin als italienische Duodez-Fürsten die -Welt mit ihren (Schand-) Thaten erfüllt -- das war mehr, als er mir zu -gewähren vermochte. Gegen die Liebe zu Bertha aber hatte er nichts -einzuwenden; wirklich und wahrhaftig, lieber Freund, nicht das -geringste. Im Gegenteil, er war ordentlich stolz auf mich, als ich ihm -die Frage, ob ich denn der Gegenliebe des Mädchens sicher sei, mit einem -zuversichtlichen »Ja« beantworten konnte. »Blitzjunge« rief er, »dieses -Prachtgeschöpf so im Handumdrehen erobern! Das soll uns Falieris jemand -nachmachen!« Bertha hatte es meinem Vater geradeso angethan, wie mir, -und da dieser ganz im allgemeinen vor den freiländischen Frauen den -größten Respekt empfindet, so war ihm die »bürgerliche« Schwiegertochter -ganz recht. Aber nur unter der Bedingung, daß ich den »tollen« Gedanken -des Hierbleibens aufgebe. »Das Mädchen ist im kleinen Finger klüger als -Du«, rief er; »sie würde sich schön bedanken, wenn ihr der Bräutigam die -Herzogskrone zerbrochen vor die Füße würfe. Freiländerin sein ist recht -schön -- aber, glaube mir, Fürstin zu sein, ist noch schöner. Zudem kann -man ja diese beiden Vorteile recht wohl vereinigen. Den Winter und -Frühling verbringt Ihr in unseren Palästen in Rom und Venedig; Sommer -und Herbst hindurch könnt Ihr dann -- wenn es Euch recht ist, in meiner -Begleitung -- hier an Euren Seen und in Euren Bergen die Freiheit -genießen. Also es bleibt dabei; ich werbe für Dich um Bertha -- aber von -dauernder Ansiedelung hier kein Wort weiter!« - -Mir gefiel die Sache nicht; den Vorsatz, Freiländer zu werden, hatte ich --- Du darfst es mir glauben -- nicht der Geliebten halber gefaßt, aber -deren Lichtgestalt vermochte ich mir nun einmal weder mit dem -Fürstendiadem, noch in den Prunkgemächern unserer Schlösser zu denken. -Indessen mußte ich mich dem Willen des Vaters einstweilen fügen und so -brachte nun dieser seine Werbung an den Mann, indem er in meinem und -Berthas Beisein deren Eltern um die Hand ihrer Tochter für seinen Sohn, -den Prinzen Carlo Falieri bat, hinzufügend, daß er sofort nach -vollzogener Heirat die Güter in der Romagna, im Toskanischen und -Venetianischen, sowie die Paläste in Rom, Florenz, Mailand, Verona und -Venedig an mich übergeben und sich bloß unsere sicilianischen -Besitzungen -- als »Altenteil«, wie er scherzend meinte -- vorbehalten -werde. Die alten Neys nahmen diese grandiosen Zusagen mit einer nichts -Gutes verkündenden eisigen Zurückhaltung entgegen; nach minutenlangem -Schweigen und nachdem er auf Gattin und Tochter einen langen, prüfenden, -auf mich aber einen vorwurfsvollen Blick geworfen, erklärte Herr Ney: -»Wir Freiländer sind nicht die Tyrannen, bloß die Berater unserer -Töchter; in _diesem_ Falle aber bedarf unser Kind des Rates nicht; wenn -Bertha Ihnen als Fürstin Falieri nach Italien folgen will, wir werden es -ihr nicht verwehren.« - -Hochaufgerichtet, einem erzürnten Cherub vergleichbar, wandte sich nun -Bertha an meinen Vater: »Niemals! Niemals!« rief sie mit zuckenden -Lippen. »Mehr als mein Leben liebe ich Ihren Sohn; ich werde sterben, -wenn er, um Ihnen zu gehorchen, mir entsagt; aber Freiland verlassen, -als _Fürstin_ verlassen? Niemals! Niemals! Lieber tausendmal den Tod!« - -»Aber unseliges Kind,« entgegnete ganz entsetzt über diesen unerwarteten -Effekt seines Antrages mein Vater, »Sie sprechen ja das Wort >Fürstin< -aus, als wäre es für Sie der Inbegriff des Schrecklichen. Jawohl, -Fürstin sollen Sie werden, eine der reichsten, stolzesten Fürstinnen -Europas, d. h. Sie sollen fürderhin keinen Wunsch haben, den zu erfüllen -nicht Tausende wetteifern würden; Sie sollen Gelegenheit und Macht -erlangen, Tausende zu beglücken; Millionen werden Sie beneiden« - -»und verfluchen und hassen« -- unterbrach ihn mit bebenden Lippen -Bertha. »Wie, sechs Wochen leben Sie unter uns und begreifen nicht, was -eine freie Tochter Freilands empfinden muß bei dem Ansinnen, diese -glücklichen Gefilde, die Heimstätte der Gerechtigkeit und der -Menschenliebe zu verlassen, um fern in Ihrem traurigen Vaterlande -- -nicht etwa die Thränen Unterdrückter zu stillen, sondern zu erpressen, -nicht etwa die Scheußlichkeiten Ihrer Sklaverei zu bekämpfen, sondern -sie selber zu üben? Ich liebe Carlo so über alle Maßen, daß ich bereit -wäre, an seiner Seite dies Land des Glückes mit dem des Elends zu -vertauschen, wenn irgend eine unlösliche Pflicht ihn dahin riefe; aber -nur unter der Bedingung, daß seine und meine Hand frei bliebe von -fremdem Gute, daß wir in ehrlicher Arbeit selber verdienten, was wir zum -Leben brauchen; aber _Fürstin_ soll ich werden, _Fürstin_! Tausende von -Knechten sollen das Mark ihrer Knochen hergeben, damit ich im Überfluß -schwelge, tausende von Flüchen zu Tode gequälter Menschen sollen haften -an der Speise, die ich genieße, an der Kleidung, die meine Glieder -umhüllt! (Bei diesen Worten verbarg sie ihr Antlitz schaudernd in den -Händen; dann aber, sich gewaltsam aufraffend, fuhr sie fort): Bedenken -Sie doch, wenn Sie eine Tochter hätten und man würde von ihr verlangen, -unter die menschenfressenden Njam-Njam zu gehen, um dort Königin zu -werden, und der Vater des Bräutigams würde ihr versprechen, es sollten -ihr recht zahlreiche und fette Sklaven geschlachtet werden -- was würde -das arme Kind, das unüberwindliches Grauen vor Menschenfleisch mit der -Muttermilch eingesogen hat, dazu sagen? Nun, sehen Sie, wir in Freiland -empfinden Grauen vor Menschenfleisch, auch wenn das Schlachtopfer ohne -Blutvergießen, Zoll um Zoll und Glied um Glied langsam getötet wird, uns -flößt das allmähliche Aussaugen und Verzehren eines Nebenmenschen nicht -minderes Entsetzen ein, als Ihnen das buchstäbliche Auffressen -desselben, und so wenig Sie an den Mahlzeiten der Kannibalen Teil zu -nehmen im Stande sind, so unmöglich ist es uns, von der Ausbeutung -geknechteter Mitmenschen zu leben. Ich _kann_ nicht Fürstin werden, ich -kann nicht! O, trennen Sie mich nicht von Carlo, denn wir werden beide -darüber zu Grunde gehen, und -- das weiß ich nicht erst seit heute -- -Sie lieben nicht nur ihn, sondern auch mich.« - -Dieser Appell, verbunden mit den rührendsten Blicken und einem sanften -Erfassen seiner Hände, war mehr, als mein Vater -- aus solchem Munde -- -ungerührt zu ertragen vermochte. »Mädchen, Du hast mir ja ordentlich -Entsetzen vor mir selber eingejagt! Also Menschenfresser sind wir, mit -dem Unterschiede bloß von Euern liebenswürdigen Njam-Njam, daß wir -unsere Schlachtopfer nicht mit _einem_ herzhaften Keulenschlage erlegen -und dann sofort verschlingen, sondern stückweise, Zoll um Zoll uns zu -Gemüte führen! Nun, Du magst so Unrecht nicht haben und keineswegs will -ich Dich zu den Freuden einer Fürstlichkeit zwingen, bezüglich deren Du -solche Anschauungen hegst. Auch mein entarteter Sohn scheint in diesem -Punkte mehr Deiner als meiner -- bisherigen Geschmacksrichtung zu -huldigen. Nehmt einander also und werdet glücklich nach Eurer Façon. Was -mich anlangt, so werde ich über Mittel und Wege nachsinnen, um mich in -den Augen meines neuen Töchterchens einigermaßen vom Geruche des -Kannibalismus zu befreien.« - -Meine Bertha flog jetzt zuerst mir, dann meinem Vater, dann der Reihe -nach ihren Eltern und Geschwistern, dann aber wieder meinem Vater an den -Hals. Das Küssen und Umarmen des Schwiegerpapas geriet so begeistert und -stürmisch, daß ich um ein Haar eifersüchtig geworden wäre. Mein Vater -aber war nun derart Feuer und Flamme für unsere bevorstehende -Verbindung, daß er Neys aufforderte, sofort alle erforderlichen -Formalitäten dieses erfreulichen Aktes einzuleiten. Binnen Monatsfrist -ungefähr glaube er -- vorübergehend -- nach Europa zurückkehren zu -müssen, und es wäre ihm eine große Freude, uns bis dahin schon vereint -zu wissen. So wurde nun festgestellt, daß unsere Vermählung nach Ablauf -von 14 Tagen, d. i. am 3. September stattfinden solle. - - Ungama, den 24. August. - - »Zwischen Lipp' und Bechers Rand ........« - -Als ich vor vier Tagen meinen Brief geschlossen hatte und zum Zwecke -eines Nachtrags, den Bertha hinzufügen wollte (sie erklärte sich -verpflichtet, »meinem besten Freunde« einige Worte der Entschuldigung ob -des Raubes zu sagen, den sie an ihm begangen), einstweilen noch -zurückbehielt -- da ahnte ich nicht, daß gewaltige Ereignisse sich -zwischen mich und die sofortige Erfüllung meiner glühenden Wünsche -drängen könnten. Der Krieg, dem wir entgegengehen, läßt zwar mein neues -Vaterland merkwürdig ruhig, und befände ich mich nicht in Ungama, so -würde nichts verraten, daß es den Kampf mit einem Gegner gilt, der -mehreren der mächtigsten kriegsgeübten Staaten Europas wiederholt schon -schwere Sorge bereitet; aber ich bin noch nicht lange genug Freiländer, -um die bittere Schmach und das schwere Unglück, von welchen mein -Geburtsland neuerlich betroffen wurde, nicht schmerzlich zu empfinden, -und für alle Fälle -- in meiner Eigenschaft sowohl als ehemaliger -Italiener, wie als gegenwärtiger Freiländer -- halte ich es für meine -Pflicht, den Kampf persönlich mitzumachen; bis dieser beendet ist, kann -ich an Hochzeit und Ehe natürlich nicht denken. Einstweilen hat mich das -Würfelspiel des Krieges von Edenthal weg, hierher, an die Küste des -indischen Oceans verschlagen. Doch laß mich ordnungsgemäß der Reihe nach -berichten. - -Zunächst also wisse, daß -- es ist dies ja jetzt kein »diplomatisches -Geheimnis« mehr -- meines Vaters und seiner englischen wie französischen -Kollegen Bemühungen, für 300000 bis 350000 Mann anglo-franco-italischer -Truppen Durchzug durch Freiland zu erlangen, von vollständigstem -Mißerfolge begleitet waren. Freiland lebe mit Abyssinien in Frieden, so -erklärten die Edenthaler Regenten und habe vorerst kein Recht, sich in -dessen Händel mit den Westmächten zu mischen. Anders stünden allerdings -die Sachen, wenn letztere sich entschließen wollten, auf ihren -afrikanischen Territorien freiländisches Recht einzuführen, in welchem -Falle diese als freiländisches Gebiet angesehen und als solches dann -selbstverständlich von Freiland geschützt werden müßten. Aber dann wäre -die geforderte Militärkonvention erst recht überflüssig, denn in diesem -Falle würde Freiland jeden Angriff auf seine Verbündeten als _casus -belli_ für sich selber auffassen und Abyssinien aus eigenen Kräften zur -Ruhe bringen. Darüber nun flossen die Verhandlungen seit Wochen -resultatlos hin und wider. Sichtlich nahmen die Kabinette von London, -Paris und Rom letztere Zusage Freilands nicht recht ernst, trotzdem ihre -Gesandten, insbesondere mein Vater, redlich das ihre thaten, ihnen mehr -Vertrauen in die kriegerische Kraft Freilands einzuflößen; die -europäischen Mächte waren nicht abgeneigt, die von Freiland als -Bedingung eines Bündnisses geforderte Anerkennung des freiländischen -Rechts für die Kolonien am roten und indischen Meere zuzugestehen, -beharrten aber trotzdem auf der Forderung nach Abschluß einer -Militärkonvention, worauf jedoch Freiland nicht eingehen wollte. So -standen die Sachen bis in die letzten Tage. - -Am Morgen nach meiner Verlobung saßen wir eben beim Frühstück, als für -meinen Vater eine chiffrierte Depesche aus Ungama -- dem großen -Hafenplatze Freilands am indischen Ocean -- eintraf, nach deren -Entzifferung derselbe, von seiner gewohnten diplomatischen Ruhe gänzlich -im Stiche gelassen, totenbleich aufsprang und Papa Ney bat, sofort eine -Sitzung der sämtlichen Regenten der freiländischen Centralverwaltung -einzuberufen, er habe eine Mitteilung von entscheidender Bedeutung zu -machen. Den teilnahmsvollen Schrecken unserer Freunde bemerkend, -erklärte mein Vater: »Geheimnis kann die Sache ohnehin nicht bleiben, so -erfahret denn aus meinem Munde die Unglücksbotschaft. Die mir von -Commodore Cialdini, dem Kapitän eines unserer in Massaua stationiert -gewesenen Panzerschiffe zugekommene Depesche lautet: »Ungama, den 21. -August 8 Uhr Morgens. Bin soeben mit Panzerfregatte Erebus und zwei -Avisodampfern -- einem eigenen und einem französischen -- -schwerbeschädigt und flüchtig aus Massaua hier eingetroffen. Johannes -von Abyssinien hat vorgestern Nachts unter Bruch des bestehenden -Friedens Massaua verräterisch überfallen und fast ohne Schwertstreich -eingenommen. Unsere im Hafen liegenden und ebenso die englischen und -französischen Schiffe, 17 an der Zahl, wurden gleichfalls überrumpelt -und genommen, nur mir und den zwei Avisos gelang es zu entkommen. Die -kleineren Küstenfestungen, an denen wir vorbeikamen, sind auch sämtlich -in den Händen der Abyssinier. Da uns der Cours nach Aden durch mehrere -uns verfolgende feindliche Dampfer abgeschnitten wurde und der Erebus -kampfunfähig ist, suchten wir Zuflucht in Ungama, um unsere Havarien -auszubessern. Finden uns hier die Abyssinier, so sprenge ich unsere -Schiffe in die Luft.« - -Das war in der That eine üble Botschaft, nicht bloß für die Verbündeten, -sondern auch für Freiland, denn sie bedeutete Krieg mit Abyssinien, den -man hier zu vermeiden gehofft hatte. Zwar war man -- wie gesagt -- von -Anbeginn gefaßt darauf gewesen, den europäischen Mächten als präsumtiven -Bundesbrüdern, Ruhe vor Abyssinien zu verschaffen, aber man hatte sich --- im Vertrauen auf die hohe Achtung, welche Freiland bei allen -Nachbarvölkern genoß -- mit der Erwartung geschmeichelt, dem trotzigen -Halbbarbaren durch festes Auftreten imponieren und ihn in friedlichem -Wege zur Ruhe verhalten zu können. Der verräterische Überfall gerade zu -einer Zeit, wo die Unterhändler der Angegriffenen eben in Edenthal -weilten, zerstörte jedoch diese Hoffnung. - -Im Volkspalaste fanden wir die freiländischen Verwaltungschefs schon -vollzählig versammelt, und bald nach uns trafen auch die englischen und -französischen Bevollmächtigten ein. Den Franzosen sahen wir es sofort an -den verstörten Mienen an, daß ihnen die Unglücksbotschaft schon -zugekommen war; die Engländer erhielten erst einige Stunden später -direkte Nachricht, als ihre Panzerkorvette »Nelson«, die unterwegs mit -zweien der in abyssinische Hände gefallenen Schiffe ein mörderisches -Gefecht bestanden und eines derselben in den Grund gebohrt hatte, als -halbes Wrack ebenfalls in Ungama anlangte. Inzwischen waren aber auch an -das freiländische auswärtige Amt aus verschiedenen Küstenorten nähere -und ausführliche Nachrichten eingetroffen, die das Unglück seinem ganzen -Umfange nach bestätigten. Der mit sehr überlegener Macht unternommene -und offenbar von Verrat begünstigte Überfall war den Abyssiniern -vollständig gelungen. Da der Frieden mit Abyssinien noch mehrere Wochen -zu gelten hatte, so waren die Garnisonen der meist ungesunden Küstenorte -weder sehr zahlreich, noch sonderlich wachsam gewesen; die Abyssinier -hatten zur nämlichen Stunde -- gegen 2 Uhr nach Mitternacht -- Massaua, -Arkiko und Obok, die Hauptfestungen der Italiener, Engländer und -Franzosen, und sämtliche acht Küstenforts derselben erstiegen, die im -Schlafe überraschten Garnisonen teils niedergemetzelt, teils gefangen -genommen und sich gleichzeitig auch der in den Häfen liegenden Schiffe -bis auf die schon erwähnten vier bemächtigt. Daß sie einige derselben -schon am nächsten Morgen segelfertig machen und mit ihnen in See stechen -konnten, erklärt sich aus den früher schon erwähnten Matrosenwerbungen -des Negus, welch letztere aber auch ein bezeichnendes Licht darauf -werfen, wie lange geplant und wohlvorbereitet der Überfall gewesen. So -vortrefflich funktionierte das Getriebe des Verrats, daß die vier -geretteten Schiffe wenige Minuten nachdem der Überfall auf die anderen -gelungen war, aus Schiffsgeschützen sehr wirksam und heftig beschossen -werden konnten. Die den Abyssiniern in den sämtlichen drei Häfen in die -Hände gefallenen Fahrzeuge waren 7 englische, 5 französische und 4 -italienische Panzerschiffe, darunter mehrere erster Größe, und 11 -englische, 8 französische und 4 italienische Kanonenbote und Avisos; die -in den Festungen und Schiffen gefangenen oder gefallenen Truppen -betrugen in runder Zahl 24000 Mann. - -Die Bevollmächtigten aller drei Mächte hatten sofort, nachdem sie die -Hiobsbotschaften empfangen, an ihre Regierungen telegraphiert und um -Verhaltungsmaßregeln gebeten. Der freiländischen Verwaltung gegenüber -erklärten sie, daß nunmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit größter -Energie auf dem Abschluß der Militärkonvention bestanden werden dürfte. -Jetzt, da die Festungen gefallen, wäre es vollends unmöglich, an den -unwirtlichen Küsten des roten Meeres ein so großes Heer zu sammeln, wie -es gegen den Negus nun erst recht notwendig sei. In der That war das -auch die ziemlich kategorisch lautende, noch im Laufe des nämlichen -Tages einlangende Kollektivforderung der drei Mächte. Ebenso kategorisch -aber war die Ablehnung, begleitet von der Erklärung, daß man den, aller -Voraussicht nach für Freiland allerdings unvermeidlichen Krieg mit -Abyssinien allein auszufechten gedenke. Im übrigen, so gab man den -Alliierten zu bedenken, kämen doch ihre Armeen ohnehin viel zu spät. -Wäre der Suezkanal für ihre Truppensendungen auch praktikabel, so -könnten ihre 350000 Mann -- für so viel lautete die nun geforderte -Durchzugsbewilligung -- frühestens binnen 2 Monaten bei uns konzentriert -sein, und es hieße fürwahr dem Negus Johannes sehr wenig zutrauen, -wollte man sich darauf verlassen, daß er bis dahin nicht längst schon -versucht haben sollte, sich in den Besitz aller strategischen Positionen -Freilands zu setzen. Nunmehr vollends, wo die den Abyssiniern in die -Hände gefallenen Schiffe von diesen in erster Linie dazu benutzt werden -dürften, den Suezkanal zu sperren, kämen die Alliierten, selbst wenn man -sie rufen wollte, jedenfalls zu spät. Denn auch der Landweg über Ägypten -könne von den Abyssiniern so leicht verlegt werden, daß der zur -Operationsbasis zu wählen schlechthin unsinnig wäre. Bliebe also nur der -Weg ums Kap der guten Hoffnung, und wie lange es brauchen würde, bis von -dorther 350000 Mann Hülfstruppen bei uns einträfen, das möge man sich in -Paris, Rom und London doch selber beantworten. Unsere Freunde möchten im -übrigen vollkommen beruhigt sein; rascher als sie zu glauben schienen -und vollständiger sollte ihnen Genugthuung werden. Ehe man in England, -Frankreich und Italien auch nur mit der Ausrüstung eines so großen -Expeditionsheeres fertig sein könnte, würden wir mit dem Negus -abgerechnet haben. Inzwischen möchten die Alliierten ihre neuen, nach -den Küstenorten des roten und indischen Meeres bestimmten Garnisonen -segelfertig machen; sie könnten für dieselben ohne weiteres den -gewohnten Weg über den Suezkanal in Aussicht nehmen, denn bis ihre -Transportschiffe vor demselben angelangt sein dürften -- woran vor Ende -des nächsten Monats kaum zu denken sei -- würde Freiland den Abyssiniern -ihre gestohlene Flotte genommen oder vernichtet haben. - -Insbesondere die letztere Zusage erregte in hohem Grade das Befremden -der verbündeten Regierungen und ihrer Gesandten, und ich muß gestehen, -daß auch ich nicht recht abzusehen vermochte, wie wir es, ohne auch nur -ein Kriegsfahrzeug zu besitzen, anstellen wollten, eine aus 16 der -besten Schlachtschiffe und 23 kleineren Fahrzeugen bestehende Flotte vom -Meere wegzublasen. Nicht ohne Bitterkeit meinten die Gesandten, statt so -großartige Pläne zu verfolgen, wäre es vielleicht praktischer, ihren im -Hafen von Ungama liegenden jämmerlich zugerichteten vier Schiffen dazu -zu verhelfen, daß sie ihre Schäden möglichst rasch ausbessern und dann -mit thunlichster Schnelligkeit das Weite suchen könnten. Beruhe doch die -Möglichkeit, sie vor der so unendlich überlegenen feindlichen Flotte zu -retten, angesichts der vollständigen Wehrlosigkeit Ungamas lediglich auf -der höchst unsicheren Hoffnung, daß der Feind nicht sofort auf den -Gedanken geraten werde, sie dort zu suchen. - -»Für den Moment« -- so tröstete einer der Verwaltungschefs die -geängstigten Diplomaten -- »d. h. für wenige Stunden noch haben Sie -allerdings Recht. Wenn heute vor einbrechender Dunkelheit eine -abyssinische Übermacht vor Ungama erscheint und den Kampf mit Ihren -Schiffen sofort aufnimmt, sind diese allerdings menschlicher Voraussicht -nach verloren. Allein das gilt eben nur für heute. Zeigt sich morgen die -abyssinische Flotte, so haben wir einen Empfang vorbereitet, der sie -sicherlich nicht zur Wiederkehr einladen wird.« - -»Wie das?« fragten jene wie aus einem Munde. »Was thaten Sie, was -konnten Sie thun zum Schutze der traurigen Überreste unserer kürzlich -noch so stolzen verbündeten Flotte?« Dabei hingen die Blicke dieser in -ihrem Patriotismus so tief verwundeten Männer mit ängstlicher Spannung -an den Zügen ihrer Gastfreunde, und trotz meiner jungen Zugehörigkeit -nach Freiland teilte ich nur zu sehr ihre Empfindungen. Du wirst -begreifen, daß es uns nicht um die paar Schiffe allein zu thun war; aber -endlich einen Punkt des Widerstandes gegen den frechen Barbaren gefunden -zu haben, die Unseren der fernern Notwendigkeit beschämender Flucht -enthoben zu wissen, das war es, was uns als süße Verheißung in den Ohren -klang. Man beeilte sich uns vollständige Aufklärung zu geben. - -Wie ich Dir bereits erzählte, besitzt die freiländische -Unterrichtsverwaltung zum Gebrauche der Jugend eine stattliche Anzahl -von Geschützen verschiedensten Kalibers in allen Teilen des Landes. Die -größten derselben durchschlagen den stärksten der derzeit in Gebrauch -befindlichen Schiffspanzer wie ein Kartenblatt; 84 dieser -Riesengeschütze aus den zunächst der Seeküste gelegenen Distrikten hatte -man nun, sofort nachdem die ersten Nachrichten eingelaufen, nach Ungama -in Bewegung gesetzt. Da alle diese Ungetüme ohnehin auf Schienen laufen, -die mit dem freiländischen Eisenbahnnetze in Verbindung gesetzt sind, so -waren sie allesamt noch am gleichen Vormittage in Begleitung der mit -ihrer Behandlung vertrauten Jünglinge unterwegs nach ihrem -Bestimmungsorte und mußten dort successive am Abend und im Laufe der -Nacht eintreffen. Da ebenso in Ungama zu Zwecken des gewöhnlichen -Hafendienstes mehrere mit dem Eisenbahnnetze in Verbindung stehende -Schienenstränge längs der Seeküste hinlaufen, so können die anlangenden -Geschütze ohne weiteres sofort in die für sie bestimmten Stellungen -einfahren, die inzwischen -- gleichfalls noch im Laufe des nämlichen -Tages -- mit provisorischen Erdwerken versehen werden. Späterhin sollen -diese Werke auch Panzerdeckung erhalten; fürs erste aber, so rechnete -die Centralverwaltung, mußten 84 Geschütze erster Größe, denen die auf -ihnen eingeschossenen besten Kanoniere mitgegeben waren, auch ohne -sonderliche Deckung genügen, um von zusammengelaufenen Abenteurern -bemannte Panzerschiffe in respektvoller Entfernung zu halten. - -Mich litt es nun nicht länger in Edenthal; nach kurzem Abschiede von -meinem Vater, nach etwas längerem von meiner Bertha, eilte ich nach -Ungama, und schon der zweitnächste Tag zeigte, daß die getroffenen -Schutzmaßregeln weder überflüssig noch ungenügend gewesen waren. Am 23. -August erschienen 5 abyssinische Panzerfregatten und 4 Kanonenboote vor -Ungama und versuchten, da sie den Ort für wehrlos hielten, ohne weiteres -in den Hafen einzulaufen, um die dort liegenden Wracks der Verbündeten -vollends zu zerstören. Ein auf sie aus 10000 Meter Entfernung -abgegebener scharfer Schuß des größten unserer Panzerbrecher, der einen -der Schornsteine der vordersten Panzerfregatte wegnahm, veranlaßte sie -zwar zu etwas größerer Vorsicht, hielt sie jedoch in ihrem Laufe nicht -auf. Jetzt ließen unsere jungen Kanoniere den einmal gewarnten Gegner -bis auf 7 Kilometer Distanz herandampfen, ohne ein Lebenszeichen von -sich zu geben; dann eröffneten sie aus 37 Geschützen zugleich das Feuer, -welches jedoch nur kurze Zeit währte. Schon die erste Salve brachte ein -Kanonenboot zum sofortigen Sinken und beschädigte die sämtlichen Schiffe -so stark, daß die ganze feindliche Schlachtlinie in sichtliche Unordnung -geriet. Einige Schiffe machten Miene, das Feuer der Unseren zu erwidern, -andere legten sofort eine sichtliche Neigung zum Stoppen und -Rückwärtsdampfen an den Tag. Zwei Minuten später fegte unsere zweite -Salve über die Wogen; deutlich konnte man verfolgen, daß diesmal keiner -der 37 Schüsse fehlgegangen war; alle feindlichen Schiffe zeigten -schwere Havarien und insgesamt hatten sie die Lust verloren, den -ungleichen Kampf weiterzuspinnen. Sie gaben Kontredampf und suchten mit -möglichster Beschleunigung das Weite. Eine dritte und vierte Salve wurde -ihnen nachgesandt, worauf ein zweites Kanonenboot und die größte der -Panzerfregatten sank; noch drei weitere Salven fügten dem fliehenden -Feinde zwar beträchtlichen ferneren Schaden zu, vermochten aber kein -Schiff mehr zu sofortigem Sinken zu bringen; nur erfuhren wir durch den -italienischen Aviso, der den abyssinischen Schiffen von weitem -nachfolgte, daß noch ein drittes Kanonenboot eine Stunde nach Abbruch -des Kampfes unterging, und daß eine der Panzerfregatten ins Schlepptau -genommen werden mußte, um den Kugeln unserer Strandbatterien zu -entgehen. Diese selbst hatten bloß zwei Mann verloren. - -Mit dem Berichte dieser ersten freiländischen Waffenthat, an welcher ich -jedoch lediglich als staunender Zuschauer teilzunehmen vermochte, -schließe ich diesen Brief. Wann, wo -- und ob ich Dir einen nächsten -schreiben werde, weiß allein der Kriegsgott. - - - - - 22. Kapitel. - - - Massaua, 25. September. - -Wenn ich mich recht entsinne, sind es genau ein Monat und ein Tag, daß -ich mein letztes Schreiben an Dich sandte; binnen dieser kurzen Frist -haben sich Ereignisse abgespielt, welche Euch drüben im alten Europa gar -mancherlei Überraschungen gebracht haben dürften und die -- täusche ich -mich über die Absichten meiner neuen Landsleute nicht -- in ihren -mittelbaren Konsequenzen für die ganze bewohnte Erde von entscheidender -Tragweite sein werden. Die Freiheit der Welt ist es -- so glaube ich -- -die auf den Schlachtfeldern des Roten Meeres und der Gallaländer gesiegt -hat -- nicht bloß über den unseligen Johannes von Abyssinien, sondern -auch über gar mancherlei Tyrannei, die inmitten Euerer sogen. -civilisierten Welt geknechtete Völker darniederhält. Doch wozu sich in -Vermutungen ergehen über Dinge, welche die nächste Zukunft schon zur -Entscheidung bringen muß; mein heutiger Brief dient dem Zwecke, Dich -meines ungetrübten Wohlbefindens zu versichern und Dir den -freiländisch-abyssinischen Feldzug zu schildern, den ich vom ersten bis -zum letzten Kanonenschusse mitgemacht. - -Am 25. August, also zwei Tage, nachdem der erste Kampf stattgefunden, -erhielt die Edenthaler Zentralbehörde das Ultimatum des Negus, in -welchem dieser erklärte, daß er gegen Freiland nichts Böses im Schilde -führe, sondern die Waffen nur deshalb ergriffen habe, um sich und -- -Freiland gegen eine europäische Invasion zu schützen, die diesem, wie er -erfahren habe, aufgenötigt worden sei. Da wir nicht die Macht besäßen, -seine Feinde von unseren Grenzen fernzuhalten, so gebiete ihm die -Pflicht der Selbsterhaltung, von uns die Auslieferung einiger -strategisch wichtiger Punkte zu verlangen. Fügten wir uns diesem -Begehren, so wolle er unsere Freiheiten und Rechte im übrigen schonen, -auch den seinen Schiffen bei Ungama zugefügten Schaden verzeihen; -widersetzten wir uns, so werde er uns mit Krieg überziehen, und da er -dafür gesorgt, daß uns so rasch keine Hilfe aus Europa zu erreichen -vermöge, so könne der Ausgang wohl nicht zweifelhaft sein. Er habe sich -mit einem Occupationsheere von 300000 Mann bereits in Bewegung gegen -unsere Nordgrenze gesetzt und werde längstens binnen Wochenfrist an -derselben eintreffen; an uns sei es, ob wir ihn als Freund oder Feind -empfangen wollten. - -Die Antwort an den Negus lautete dahin, daß er sich zwar in seiner -Voraussetzung, daß Freiland fremde Truppen aufzunehmen gedachte, -täusche, da dieses den Engländern, Franzosen und Italienern ebensowenig -als ihm zu kriegerischen Zwecken die Grenzen offen zu halten gesonnen -sei; in Frieden mit ihm könnten wir jedoch trotzdem nur dann leben, wenn -er sich entschließe, auch den genannten europäischen Mächten gegenüber -Frieden zu halten, und für das ihnen zugefügte Unrecht volle Sühne zu -leisten. Nicht verschweigen wolle man nämlich, daß Freiland im Begriffe -sei, mit dessen europäischen Staaten einen Freundschaftsvertrag zu -schließen, in dessen Sinne es sich dann verpflichtet halten würde, die -Feinde seiner Freunde auch als die seinigen anzusehen. Man warne ihn, -Freilands stets an den Tag gelegte Friedfertigkeit als Mutlosigkeit oder -Schwäche auszulegen. Eine Woche Frist solle ihm gelassen werden, um -seine drohende Haltung aufzugeben und Bürgschaften des Friedens und der -Sühne zu stellen. Sollten diese bis dahin nicht geboten worden sein, so -würde Freiland ihn angreifen, wo immer es ihn fände. - -Selbstverständlich gab sich niemand über den Erfolg dieses Notenwechsels -einer Täuschung hin und mit aller Beschleunigung wurden die Rüstungen -zum Kriege betrieben. - -Kaum daß Telegraph und Zeitungen die erste Kunde von dem abyssinischen -Überfalle durch Freiland getragen, trafen von allen Seiten Meldungen und -Anfragen bei der Zentralverwaltung ein, die Jedermann den vollgültigen -Beweis lieferten, daß die Bevölkerung des ganzen Landes nicht bloß -sofort begriffen hatte, ein Krieg sei bevorstehend, sondern daß sich -auch unmittelbar ohne jeden bevormundenden Eingriff von oben, alle jene -Faktoren des Widerstandes ganz von selbst in Aktion setzten, welche eine -auf den Krieg jederzeit gerüstete Militärverwaltung nur immer hätte -aufbieten können. Freiland mobilisierte sich selber und es erwies sich, -daß diese selbstdenkende Thätigkeit von Millionen intelligenter, dabei -aber an durchgreifendes Zusammenwirken gewohnter Köpfe, vollkommenere -Ergebnisse lieferte, als durch einen noch so weislich erwogenen und -vorbereiteten behördlichen Mobilisierungsplan auch nur entfernt möglich -gewesen wäre. Von allen Tausendschaften des Landes langten schon im -Laufe des ersten Tages Anfragen ein, ob die Zentralstelle ihre -Mitwirkung für wünschenswert hielte; die Tausendschaften erster Klasse -aus den zwölf Nord- und Nordostdistrikten, die Baringoländer und -Leikipia umfassend, zeigten zugleich an, daß sie schon am nächsten Tage -vollzählig -- bis auf die zufällig verreisten Mitglieder -- versammelt -sein würden, da sie von der Voraussetzung ausgingen, daß die Ausfechtung -des Kampfes mit Abyssinien zunächst ihre Sache sein werde. Man war -nämlich ziemlich allgemein in Freiland der Ansicht, daß zur Bekämpfung -der Abyssinier zwischen 40000 und 50000 Mann vollauf genügen würden, und -da die Norddistrikte bekanntermaßen 85 der aus den Distriktsübungen als -Sieger hervorgegangene Tausendschaften besaßen, so war von Anbeginn -Niemand in Zweifel darüber, daß diesen allein die Kriegsarbeit zufallen -würde. Zwar regte sich sicherlich in der Brust gar manchen Jünglings -auch in den anderen Landesteilen der Thatendrang, aber nirgend zeigte -sich das Gelüste, durch dessen Geltendmachung dem Lande mehr als nötig -Arbeitskräfte zu entziehen oder unter Störung des naturgemäßen -Mobilisierungsplanes entferntere Tausendschaften in den Vordergrund zu -schieben. Und eben so bereitwillig, als die anderen zurücktraten, als -ebenso selbstverständlich erachteten es die Norddistrikte, daß sie in -Aktion zu treten hätten. Nur jene Tausendschaften, die während der -letzten Jahre bei den großen Aberdarespielen Sieger gewesen waren, -äußerten, auch sofern sie nicht zu den mobilisierenden Distrikten -gehörten, den Wunsch, in die Mobilisierung mit einbezogen zu werden; -ebenso ersuchten alle Sieger in den Einzelübungen der letztjährigen -Distrikts- und Landesspiele um die Vergünstigung, in die mobilisierten -Tausendschaften eingeteilt zu werden. Beides wurde bewilligt und es -vermehrte sich solcherart das zur Verfügung gestellte Material um vier -Tausendschaften und 960 Einzelne. Damit wären insgesamt 90000 Mann -verfügbar gewesen, der im Lande herrschenden Ansicht zufolge ungefähr -doppelt so viel als erforderlich war. Doch auch darauf nahmen die -betreffenden Tausendschaften sofort aus eigener Initiative Bedacht, -indem sie sich durch Vermittlung der Zentralverwaltung schon am nächsten -Tage darüber einigten, bloß die vier letzten Jahrgänge zwischen 22 und -26 Jahren und in diesen bloß die Unverheirateten ins Feld zu stellen. -Dadurch reducierte sich der Mannschaftsstand auf 48000 Mann -- darunter -9500 Berittene -- und 180 Geschütze; letzteren wurden nachträglich noch -80 Stücke aus dem oberen Naiwaschadistrikt hinzugefügt. - -Diese Truppe besaß von Haus aus schon ihre Anführer bis zum Range der -Tausendführer. Zwar waren zahlreiche dieser Offiziere verheiratet, doch -wurde übereinstimmend beschlossen, sie nichtsdestoweniger beizubehalten. -Die Wahlen der Oberoffiziere fanden, nachdem auch die Hundert- und -Tausendführer der vier auswärtigen Tausendschaften in dem zu diesem -Behufe bestimmten Vereinigungspunkte Nordleikipias eingetroffen waren, -am 23. August statt. Das Oberkommando trugen die versammelten -Offiziere keinem aus ihrer Mitte, sondern einem als Chef der -Ukerewebaugesellschaft in Ripon lebenden jungen Ingenieur Namens Arago -an, der selbstverständlich annahm, sich aber einen der Oberbeamten des -Verkehrsressorts der Centralverwaltung als Generalstabschef ausbat. An -diesen wandte ich mich, aus Ungama direkt nach Nordleikipia geeilt, mit -der Bitte um Aufnahme in den Generalstab, die mir, da ich mich über die -entsprechenden Kenntnisse auszuweisen vermochte, mit Rücksicht auf meine -erst kürzlich aufgegebene italienische Staatsbürgerschaft bereitwillig -zugestanden wurde. Gleichzeitig mit mir war auch David eingetroffen, der -mir die zärtlichsten Grüße und die freudige Zustimmung meiner Braut zu -meinem Entschlusse brachte, und zugleich erklärte, daß er während des -Feldzuges nicht von meiner Seite weichen werde. - -Mit Waffen und Munition waren alle Tausendschaften ohnehin reichlich -versehen; ebensowenig fehlte es an gut eingerittenen und geschulten -Pferden. - -Die Verpflegung des Heeres wurde den Approvisionierungsgesellschaften -von Edenthal und Danastadt übergeben. Den technischen Dienst -- -Pionierwesen, Brückenbau, Feldtelegraphie u. dergl. -- übernahmen zwei -Associationen aus Central- und Ostbaringo, den Transportdienst endlich -besorgte die freiländische Centralstelle für diesen Verwaltungszweig. -Innerhalb der Grenzen Freilands konnte bei der hohen Vollendung des -Kommunikationsnetzes die Beförderung und Verpflegung einer so kleinen -Armee natürlich nicht die geringsten Schwierigkeiten machen. Da man -jedoch keineswegs gesonnen war, die Abyssinier zu erwarten, sondern den -Krieg in die Gallaländer und nach Habesch hinüberzuspielen gedachte, so -wurden 5000 Elefanten, 8000 Kamele, 20000 Pferde und 15000 Büffelochsen -für den Lastendienst aufgebracht. Zelte, Feldkochgeräte, Konserven u. -dergl. mußten herbeigeschafft, kurzum Vorsorge getroffen werden, daß die -Armee auch in den unwirtlichen Gegenden außerhalb Freilands an nichts -Mangel leide. - -Alle diese Vorbereitungen waren am 29. August vollendet; schon zwei Tage -vorher hatte Arago 4000 Reiter mit 28 Geschützen über den Konsopaß ins -benachbarte Wakwafiland gesendet, mit dem Auftrage, sich fächerförmig -ausbreitend, Fühlung mit den Abyssiniern zu suchen, deren Anzug wir auf -dieser Seite erwarteten. Um für alle Eventualitäten gesichert zu sein, -sandte er kleinere Streifkorps von 1200 und 900 Mann mit je 8 und 4 -Geschützen zur Bewachung der sich nordöstlich und nordwestlich von -dieser seiner Operationslinie erstreckenden Gebirgszüge von Endika und -Silali. Am Konsopaß hinterließ er des ferneren eine Reserve von 6000 -Mann und 20 Geschützen und überschritt am 30. August mit 36000 Mann und -200 Geschützen die Gallagrenze. Um möglichst große Marschleistungen zu -erzielen und die Mannschaft trotzdem zu schonen, war das Handgepäck aufs -äußerste reduciert. Es bestand außer den Waffen -- Repetiergewehr, -Repetierpistole und kurzem, auch als Haubajonett zu gebrauchendem -Schwert -- nur aus 80 Patronen, einer Feldflasche und kleinem, zur -Aufnahme _einer_ Mahlzeit bestimmten Ranzen. Alle anderen Gepäckstücke -trugen Handpferde, die den Marschkolonnen unmittelbar folgten und deren -auf jede Hundertschaft 25 kamen. Dieser der Mannschaft jederzeit zur -Verfügung stehende sehr bewegliche Train führte wasserdichte Zelte, -komplette Anzüge und Schuhwerk zum wechseln, Regenmäntel, Konserven und -Getränke für einige Tage, und eine Patronenreserve für 200 Schuß per -Mann mit sich. Unsere jungen Leute waren solcherart mit allem Nötigen -versehen, ohne selber überlastet zu sein und sie legten daher an -einzelnen Tagen bis zu 40 Kilometer zurück, ohne daß es Marode gegeben -hätte. - -Die freiländische Centralverwaltung hatte der Armee einen Kommissar -beigegeben, dessen Amt es war, etwaige Wünsche der Heeresleitung, soweit -deren Erfüllung Sache der Centralstelle sein sollte, entgegenzunehmen; -ferner für den Fall, als der Negus sich zu Friedensverhandlungen geneigt -zeigen sollte, dieselben zu führen; schließlich für Sicherheit und -Bequemlichkeit der fremden Militärbevollmächtigten und Zeitungsreporter -Sorge zu tragen, die unseren Kriegszug mitmachten. Ein Teil dieser -Herren begleitete uns zu Pferde, ein anderer Teil war auf Elefanten -bequem untergebracht; die meisten folgten dem Hauptquartier, welches -dieselben über alle Vorkommnisse auf dem Laufenden erhielt. - -Am dritten Marschtage, dem zweiten September, verständigte uns unsere -vorausschwärmende Reiterei, daß sie auf den Feind gestoßen sei. Da -Arago, bevor er einen entscheidenden Kampf annahm, zuvor praktisch -erproben wollte, ob er und wir alle nicht etwa doch in einer -verhängnisvollen Täuschung bezüglich der vorausgesetzten Überlegenheit -unserer Mannschaften über die feindlichen befangen wären, gab er der -Vorhut Auftrag, eine forcierte Rekognoscierung vorzunehmen, d. h. den -Gegner zu möglichst vollständiger Entfaltung seiner Kräfte zu nötigen -und erst zurückzuweichen, wenn über die Marschrichtung der feindlichen -Hauptmacht Sicherheit erlangt sei. - -Am 3. September bei grauendem Morgen griffen wir -- ich war nämlich auf -meinen Wunsch dieser Truppe beigegeben worden -- die abyssinische Vorhut -bei Ardeb im Flußthale des Dschub an. Diese, der unsrigen nicht stark an -Zahl überlegen, wurde im ersten Anlauf über den Haufen gerannt, ihr -sämtliches Geschütz -- 36 Stücke -- nebst 1800 Gefangenen abgenommen, -ohne daß die Unsrigen mehr als fünf Mann verloren. Die ganze Affaire -dauerte kaum 40 Minuten. Unsere Artillerie war der schon auf 6000 Meter -Distanz ein wirkungsloses Feuer gegen unsere sich entwickelnden Linien -eröffnenden abyssinischen ohne einen Schuß abzugeben bis auf 2500 Meter -entgegengefahren, hatte sie von hier aus mit wenigen Salven zum -Schweigen gebracht, 19 Stücke demontiert und die übrigen zum Rückzuge -genötigt. Sich hierauf gegen die tollkühn heransprengende feindliche -Kavallerie wendend, hatte sie diese durch einige wohlgezielte -Granatschüsse auseinander gesprengt, so daß unsere Eskadronen nurmehr -die in regelloser Flucht Davoneilenden zu verfolgen und die schwache, -von der eigenen flüchtenden Kavallerie ohnehin schon in heillose -Unordnung gebrachte Infanterie niederzureiten hatten. Der Rest war dann -Verfolgung und Einbringung der von panischem Schreck gejagten Gegner, -deren Verluste an Toten und Verwundeten, wenn auch die unserigen namhaft -überragend, im Ganzen verhältnismäßig doch nur gering waren. - -Doch damit war bloß das Vorspiel des blutigen Dramas zu Ende. Unsere -Reiter hatten sich eben gesammelt, und die Gefangenen mitsamt den -erbeuteten Geschützen unter geringer Bedeckung dem Hauptquartiere -zugesandt, als sich in der Ferne dichte und immer dichtere Massen des -Feindes zeigten. Es war dies der gesamte, 65000 Mann mit 120 Kanonen -zählende, linke Flügel der Abyssinier. Zwanzig von unseren Kanonen waren -auf einer kleinen, die Marschlinie des Feindes dominierenden Höhe -aufgefahren und gaben von dort um 7 Uhr morgens den ersten Schuß auf den -Gegner ab. Alsbald sah man die feindlichen Infanteriemassen seitlich -abbiegen, während unserer Artillerie gegenüber successive 90 der -abyssinischen Geschütze auffuhren. Der sich nun entspinnende Kampf der -Kanonen währte eine Stunde, ohne unserer Artillerie sonderlichen Schaden -zuzufügen, denn die abyssinischen Artilleristen trafen auf so große -Distanz -- es waren gut 5000 Meter -- nur sehr schlecht, während die -Granaten der unserigen nach und nach 34 feindliche Stücke zum Schweigen -brachten. Zweimal versuchten es die Abyssinier, näher an unsere Position -heranzufahren, mußten aber beidemal schon nach wenigen Minuten wieder -zurückweichen, so mörderisch räumten unsere Geschosse bei dieser -Annäherung unter ihnen auf. Da es so nicht ging, versuchte der Feind -unsere Position zu stürmen. Seine Infanterie- und Kavalleriemassen -hatten sich längs unserer ganzen, sehr dünn gestreckten Front entwickelt -und kurze Zeit nach 8 Uhr setzte sich die gesamte kolossale Übermacht -gegen uns in Bewegung. - -Was sich nunmehr abspielte, hätte ich nimmermehr für möglich gehalten, -trotzdem ich über die Waffengewandtheit der freiländischen -Elite-Tausendschaften schon so Manches vernommen und auch der spielend -erfochtene Sieg über die feindliche Vorhut zu hochgespannten Erwartungen -berechtigte. Ich gestehe, daß ich es für unverantwortlichen Leichtsinn -und für eine gänzliche Verkennung der ihm vom Oberkommando zugeteilten -Aufgabe hielt, daß Oberst Ruppert, der Führer unserer kleinen Schar, den -Kampf annahm und zwar nicht etwa in Form eines Rückzugsgefechtes, -sondern als regelrechte Schlacht, die, wenn verloren, unfehlbar mit der -Vernichtung seiner 4000 Mann enden mußte. Denn in einer fünf Kilometer -umfassenden, die feindlichen Linien sogar um ein Geringes überflügelnden -dünnen Aufstellung mit nur schwachen Reserven im Rücken, hatte er seine -Reiter -- sie waren sämtlich abgesessen und schossen mit ihren -vortrefflichen Karabinern -- entwickelt und erwartete die Abyssinier, -als ob diese als Tirailleure und nicht in kompakten Sturmkolonnen -heranrückten. Und diese Sturmkolonnen kannte ich sehr wohl, sie hatten -bei Erdeb und vor Obok die ihnen an Zahl gleichen indischen Veteranen -Englands, die bretonischen Grenadiere Frankreichs und die Bersaglieri -Italiens geworfen, ihre Waffen waren den Freiländischen gleichwertig, -ihre militärische Disziplin mußte ich der meiner gegenwärtigen -Kampfgenossen überlegen halten; wie sollte unsere dünne Linie dem -Ansturme dieser, uns an Zahl sechzehnfach überlegenen kampfgewohnten -Krieger widerstehen? Sie mußte -- das war meine felsenfeste Überzeugung --- in der nächsten Viertelstunde zerreißen, wie ein Bindfaden, der einer -Lokomotive den Weg versperren will; und dann, das konnte jedes Kind -sehen, war nach einem Gemetzel von wenigen Minuten alles vorbei. Ich -nahm im Geiste Abschied von der fernen Geliebten, vom Vater -- und auch -Deiner, mein Luigi, gedachte ich in dieser Stunde, die für meine letzte -zu halten ich damals vollen Grund zu haben wähnte. - -Und was mich am meisten Wunder nahm: die Freiländer schienen insgesamt -meine Empfindungen zu teilen; nichts von jener wilden Kampflust war in -ihren Mienen zu finden, die man doch bei denjenigen voraussetzen sollte, -die -- überflüssiger Weise -- Einer gegen sechzehn den Kampf aufnehmen. -Tiefen, düsteren Ernst, ja Widerwillen und Schrecken las ich in den -sonst so klaren, heiteren Augen dieser freiländischen Jünglinge und -Männer; es war als sähen sie allesamt gleich mir sicherem Tode entgegen. -Auch die Offiziere, ja selbst der kommandierende Oberst, teilten -sichtlich diese unerfreulichen Gefühle -- warum um des Himmelswillen -nahmen sie dann die Schlacht an? Wenn sie Übles vorher sahen, warum -zogen sie sich nicht rechtzeitig zurück? Wie sehr aber hatte ich diesen -Männern Unrecht gethan, wie gründlich Anlaß und Richtung ihrer -Besorgnisse verkannt! So unglaublich es klingen mag: meine -Kriegskameraden waren nicht für ihre, sondern für des Gegners Haut -besorgt, ihnen graute vor dem Gemetzel, das -- nicht ihnen, den Feinden -bevorstand. Der Gedanke, daß sie, die freien Männer, von armseligen -Knechten besiegt werden könnten, lag ihnen so fern, als etwa dem Jäger -der Gedanke, die Hasen könnten ihm gefährlich werden; aber sie sahen -sich vor der Notwendigkeit, Tausende dieser Bejammernswerten kaltblütig -niederschießen zu müssen und das erregte ihnen, denen der Mensch das -Heiligste und Höchste ist, unsäglichen Widerwillen. Hätte man mir das -_vor_ der Schlacht gesagt, ich hätte es nicht begriffen und jedenfalls -für Renommisterei gehalten; jetzt, nach dem was ich schaudernd mit -erlebt, finde ich es begreiflich. Denn, daß ich es nur gleich sage: eine -gegen freiländische Linien anstürmende und von deren Feuer zerrissene -Kolonne bietet einen Anblick, der selbst an Massenmord einigermaßen -gewöhnten Männern, wie mir, das Blut zu Eis gerinnen macht. Ich habe den -Würgengel des Schlachtfeldes einigemal an der Arbeit gesehen und durfte -mich daher gegen dessen Schrecken gefeit halten. Hier aber ... - -Doch ich will ja nicht meine Gefühle, sondern die Ereignisse schildern. -Als die Abyssinier uns auf etwa 1½ Kilometer nahe gekommen waren, -sprengten ein letztesmal Rupperts Adjutanten die Front entlang und -riefen den Unseren die Losung zu: Schonung! keinen Schuß, sobald sie -weichen! Dann war es bei uns totenstill, während von jenseits stets -lauter der Klang der Trommeln und einer wilden Musik, unterbrochen -zeitweilig von dem gellenden Schlachtrufe der Abyssinier, herübertönte. -Als die Feinde bis auf 700 Meter etwa herangerückt waren, gab unsere -Schützenlinie eine einzige Salve ab; als ob ein Pesthauch in sie -gefahren wäre, so brach die Stirnlinie des Feindes zusammen, seine -Reihen wankten und mußten sich neu formieren. Kein Schuß wurde -inzwischen von den Freiländern abgefeuert; als aber die Abyssinier unter -wildem Schlachtgeschrei abermals, jetzt im Laufschritte vorrückten, -donnerte eine zweite und da die todeskühnen braunen Krieger diesmal über -ihr zerschmettertes erstes Glied hinweg den Ansturm fortsetzten, eine -dritte Salve über das Feld. Mit dieser aber hatten Jene einstweilen -genug; sie wandten sich zu wilder Flucht, und hielten erst, als sie sich -außerhalb unserer Schußweite wußten. Auch jetzt hörte unser Feuer -augenblicklich auf, sowie der Feind sich gewandt hatte, aber es war auch -hohe Zeit gewesen. Nicht als ob die geringste Gefahr für unsere -Stellungen aus einer Fortsetzung des Sturmes hätte entstehen können; die -Abyssinier hatten kaum 100 Meter gewonnen gehabt, waren also immer noch -gute 600 Meter entfernt gewesen und die Gewißheit, daß Keiner von ihnen -unsere Front erreicht hätte, erwies sich als augenscheinlich; aber -gerade diese eigene, jede eigentliche Kampfeserregung ausschließende -Unnahbarkeit ließ die Gräßlichkeit des unter den Gegnern wütenden -Gemetzels mit so elementarer Gewalt hervortreten, daß mehr als -menschliche Nerven dazu gehört hätten, dies Schauspiel längere Zeit zu -ertragen. Nahe an 1000 Abyssinier waren binnen wenigen Minuten tot oder -verwundet gefallen und zahlreiche der freiländischen Schützen erklärten -mir später, sie hätten beim Anblicke der reihenweise zusammenbrechenden -und am Boden zuckenden Feinde Ohnmachtsanfälle gehabt -- was ich -vollkommen begreife, da auch mir ernstlich übel dabei wurde. - -Die freiländischen Ärzte und Sanitätstruppen waren eben an der Arbeit, -die verwundeten Gegner vom Schlachtfelde aufzulesen, als die -abyssinische Artillerie neuerlich den Kampf aufnahm und alsbald auch die -Infanterie ein rasendes Schnellfeuer eröffnete. Da Letztere sich jedoch -diesmal vorsichtig in der respektablen Entfernung von ungefähr 2000 -Metern hielt, so war ihr Feuer anfangs ganz ungefährlich und wurde daher -von den Unseren nicht erwidert; nachgerade aber verirrte sich doch die -eine oder andere Kugel in unsere Reihen und Oberst Ruppert gab daher -Befehl, die Zehntführer möchten den Feinden deutlich sichtbar mehrere -Schritte aus der Front hervortreten und eine Salve abgeben. Dieser Wink -wurde drüben verstanden; das feindliche Infanteriefeuer hörte sofort -auf, da die Abyssinier aus der Wirkung dieser einen kleinen Salve -ersahen, daß die freiländischen Schützen auch auf so große Distanz allzu -unangenehm werden könnten, als daß es rätlich wäre, sie durch ohnehin -wirkungsloses Feuer zum Antworten herauszufordern. Die zähen Burschen, -die offenbar den Gedanken nicht zu ertragen vermochten, vor einer so -kleinen Minderzahl das Feld zu räumen, formierten nun neuerlich einige -Sturmkolonnen, diesmal mit schmaler Front und von beträchtlicher Tiefe. -Doch auch diesen ging es nicht besser als ihren Vorgängern, nur daß -gegen sie etwas rascheres Feuer abgegeben werden mußte; sie wurden mit -einem neuerlichen Verluste von 800 Mann nach wenigen Minuten zum Weichen -gebracht und waren nunmehr zu abermaligem Vorgehen nicht mehr zu -bewegen. Um die verwundeten Abyssinier, die in freiländischer -Verpflegung weitaus besser versorgt waren, als in der ihrer Landsleute, -zu bergen, ließ jetzt Ruppert einen Vorstoß bewerkstelligen, vor welchem -sich der Gegner eilfertig zurückzog, so daß wir unbestritten Herren des -Schlachtfeldes blieben. Unsere Verluste betrugen 8 Tote und 47 -Verwundete; die Abyssinier hatten 360 Tote, 1480 Verwundete und 39 -Kanonen zurückgelassen. Die erste Sorge der Unseren war, die Verwundeten --- Freund und Feind mit gleich liebevoller Sorgfalt -- in den reichlich -vorhandenen und mit sinnreichstem Komfort ausgestatteten Sanitätswagen -unterzubringen und nach Freiland zu in Bewegung zu setzen. Dann wurden -die Geschütze und sonstigen erbeuteten Waffen geborgen, die Toten -begraben. - -Letztere Arbeit war eben vollendet und der Rückzug aufs Hauptquartier -sollte angetreten werden, als von Westen starke abyssinische Heersäulen -auftauchten, während gleichzeitig auch der nach Norden abgezogene linke -Flügel des Feindes wieder sichtbar wurde. Ruppert ließ sich dadurch in -seiner Absicht nicht beirren. Feindliche Kavalleriemassen machten einen -stürmischen Versuch, uns zu verfolgen, wurden aber von unserer -Artillerie rasch zurückgeworfen, und fernerhin unbehelligt -bewerkstelligten wir unseren Rückzug auf das Hauptkorps. - -Wir wußten nun aus Erfahrung, daß die von uns vorausgesetzte -Überlegenheit freiländischer Männer über Gegner welcher Art immer eine -Thatsache sei. Die Abyssinier hatten sich gegen uns so brav geschlagen, -als je zuvor gegen europäische Truppen; ihre Bewaffnung, Disziplin und -Schulung, das vieljährige Werk eines ausschließlich diesem Zwecke -gewidmeten rücksichtslosen Despotismus, ließ -- nach europäischen -Begriffen -- nichts zu wünschen übrig und thatsächlich hatten diese -braunen Soldaten sich gleichstarken abendländischen Heeren im offenen -Felde stets ebenbürtig gezeigt. Wir aber hatten eine sechzehnfache -Übermacht zum Weichen gebracht, ohne daß dabei das Zünglein der Wage -auch nur einen Moment geschwankt hätte. Daß der Kampf überhaupt so lange -währte und nicht viel früher schon mit vollständiger Niederlage der -Abyssinier endete, lag nur daran, daß der Führer der Vorhut sich an die -Ordre hielt: den Feind zur Entfaltung seiner Kräfte zu nötigen. Hätte er -sich statt dessen mit voller Wucht sofort auf den Gegner geworfen, ihm -_nicht_ Zeit zur Entwicklung gelassen, und jeden erlangten Vorteil -energisch ausgebeutet, so wären die 65000 Mann des linken Flügels der -Feinde längst zersprengt gewesen, bevor das Zentrum in die Aktion -eingreifen konnte. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß Oberst Ruppert -Unrecht that, den Kampf hinhaltend und mehr defensiv zu führen. Ganz -abgesehen davon, daß doch auch ihm erst im Laufe des Gefechtes der bis -dahin bloß vermutete hohe Grad freiländischer Überlegenheit zur -absoluten Gewißheit werden konnte, war es, je zweifelloser der -schließliche Sieg unserer Sache erschien, desto entschiedener die -Pflicht jedes gewissenhaften Führers, das Blut unserer freiländischen -Jünglinge nicht überflüssigerweise um eines Heldenstückleins willen zu -vergießen. Er mußte gleich uns allen annehmen, daß diese erste Lektion -vollkommen genügen werde, den Negus darüber aufzuklären, daß eine -Fortsetzung des Kampfes seinerseits Thorheit wäre. - -Wir hatten aber unsere Rechnung ohne Rücksicht auf den Dünkel eines -barbarischen Despoten gemacht. Als der dem Hauptquartier folgende -Kommissär der Centralverwaltung am nächsten Tage Parlamentäre ins -abyssinische Hauptquartier sandte, um Johannes erklären zu lassen, daß -Freiland gegen Rückgabe der überrumpelten Festungen und Schiffe und -gegen Leistung zu vereinbarender Friedensbürgschaften noch immer bereit -sei, sich mit ihm zu vertragen, empfing dieser die Abgesandten hochmütig -mit der Frage, ob sie gekommen seien, Unterwerfung anzubieten. Weil -unsere Vorhut sich schließlich zurückgezogen, gab er die Affaire des -gestrigen Tages für einen abyssinischen Sieg aus. Die Offiziere der -zurückgeworfenen 5 Brigaden seines Heeres seien Feiglinge, meinte er, -wir sollten sehen, wie _er_ sich schlagen werde -- kurzum der -Verblendete wollte von Nachgiebigkeit nichts hören. - -Am 8. September griffen wir die am Dschubflusse verschanzte abyssinische -Hauptarmee an. Nach zweistündigem Kampfe war der Feind geschlagen, -167000 Mann streckten die Waffen, der Rest eilte in wilder, regelloser -Flucht den abyssinischen Bergen zu. 10 Tage später lagen wir vor den -Mauern Massauas, in welche sich der Negus mit den Trümmern seines Heeres -geworfen. - -Die Zentralverwaltung von Freiland hatte unmittelbar nachdem sie die -Nachricht von der Wegnahme der Küstenfestungen und der Schiffe erhalten, -den Bau einer Flotte beschlossen und keine Stunde mit der Verwirklichung -gezögert. Eine Panzerflotte herzustellen, dazu fehlte allerdings die -Zeit; sie hielt aber dafür, einer solchen nicht zu bedürfen. Was sie -plante, war die Konstruktion sehr schnellfahrender Fahrzeuge mit so weit -tragenden Geschützen, daß ihre Geschosse die fremden Panzerschiffe -zerstören könnten, ohne daß die Geschosse der Letzteren unsere Schiffe -zu erreichen vermöchten. Dabei rechnete sie allerdings nicht bloß auf -die größere Schnelligkeit der Fahrzeuge und die weitere Flugbahn der -Geschosse, sondern hauptsächlich auf die Überlegenheit unserer -Artilleristen. Wenn unsere Schiffsmaschinen den Feind immer nur auf die -uns passend erscheinende Distanz heranließen, so mußte -- das war der -Kalkül -- den Unseren gelingen, das stärkste feindliche Schiff zu -vernichten, ehe unsere Fahrzeuge auch nur getroffen werden könnten. Um -Schiffe von 2000 bis 3500 Tonnen -- so groß sollten unsere Kanonenbote -sein -- in beliebiger Zahl binnen wenigen Wochen vollkommen auszurüsten, -dazu genügten, wenn nur mit entsprechender Energie daran gegangen wurde -und alles gehörig ineinander griff, die freiländischen Rhedereien und -sonstigen Industrien vollkommen. Schon am 23. August wurde daher in -Ungama der Kiel zu 36 Schiffen gelegt; Schiffsmaschinen zwischen 2000 -und 3000 Pferdekräften -- von denen die größeren Kriegsdampfer bis zu -vieren erhalten sollten -- waren genügend in den Maschinenwerkstätten -Ungamas vorrätig. Aus allen freiländischen Schießplätzen wurden die -vorzüglichsten und größten Geschütze herbeigezogen, 24 neue, alles -bisher Erreichte in den Schatten stellende Ungetüme in den -Gußstahlwerkstätten von Danastadt konstruiert und solchergestalt -ermöglicht, daß binnen 22 Tagen der letzte Hammerschlag und Feilenstrich -an der letzten der 36 schwimmenden Kriegsmaschinen gethan werden konnte. -Die Eleganz der Ausstattung ließ in einzelnen Punkten zu wünschen übrig; -die Vollkommenheit der technischen Ausführung aber war tadellos. Die -Fahrzeuge, ziemlich flachbordig um den feindlichen Kugeln ein möglichst -geringes Ziel zu bieten, waren in wasserdichte Kammern geteilt, um -selbst durch einige unter der Wasserlinie einschlagende Granaten nicht -zum Sinken gebracht zu werden; da jedes Schiff mindestens zwei -vollkommen unabhängig funktionierende Maschinen besaß, so war auch eine -Lähmung seiner Beweglichkeit nicht so leicht zu besorgen; gepanzert, und -zwar mit Platten der stärksten Art, waren bloß die Pulverkammern. Die -verwendeten, durchwegs frei beweglich an Deck angebrachten Geschütze -wogen zwischen 95 und 245 Tonnen, und waren den einzelnen Schiffen teils -einzeln, teils zu zweien und dreien zugeteilt; insgesamt besaßen die 36 -Fahrzeuge deren 78. Das Maximum der Fahrgeschwindigkeit betrug bei den -verschiedenen Schiffen zwischen 23 und 27 Knoten in der Stunde. - -Da wir den Westmächten versprochen hatten, die den Suezkanal sperrende -Flotte vor Eintreffen der europäischen Expeditionskorps unschädlich zu -machen, so mußte geeilt werden, dieses gegebene Wort einzulösen. Am 19. -September abends bekamen unsere Schiffe eine bei Bab-el-Mandeb kreuzende -abyssinische Eskadre von 5 Panzern in Sicht. Diese, die scharfgebauten -Schiffe für Passagierdampfer nehmend, machte sofort Jagd auf sie und -wunderte sich nicht wenig, daß die so harmlos aussehenden Fahrzeuge -ihren Kurs unbeirrt fortsetzten. Erst als die Abyssinier sich auf 14000 -Meter Distanz genähert und nunmehr einige der gröbsten Brocken aus -unseren Feuerschlünden zu kosten bekamen, erkannten sie ihren Irrtum und -machten augenblicklich kehrt. Das Gros unserer Flotte hielt sich auch -mit ihrer Verfolgung nicht auf, sondern setzte die Fahrt ins Rote Meer -fort; bloß 6 unserer größten und zugleich als schnellste Fahrer -geltenden Kriegsdampfer eilten den Fliehenden nach, brachten deren zwei -durch eine Reihe wohlgezielter Schüsse, die von den Abyssiniern der -großen Distanz halber wirksam gar nicht erwidert werden konnten, zum -Sinken, und jagten die andern auf den Strand. Unsere Schaluppen nahmen -von den im Wasser treibenden Mannschaften auf, so viel sie nur immer -erreichen konnten und setzten dann -- die Affaire mit der -Bab-el-Mandeb-Eskadre hatte bloß 2½ Stunden beansprucht -- den Weg nach -Suez fort. - -An Massaua dampfte das Gros unserer Flotte in der Nacht vom 19. und 20. -unbemerkt vorbei; die nachfolgenden 6 Schiffe aber wurden im -Morgengrauen von einem feindlichen Kreuzer gesehen und verfolgt. Da es -weder in der Absicht der Unseren lag, sich vor Massaua jetzt schon -aufzuhalten, noch die dort liegenden abyssinischen Schiffe durch eine, -ihrem Kreuzer im Vorbeifahren erteilte Lektion vorzeitig zu warnen, so -beantworteten sie dessen Schüsse nicht, trotzdem einige derselben -trafen, sondern suchten bloß so rasch als möglich an ihm vorbei zu -kommen, was auch ohne ernstlichen Schaden gelang. Wie wir später -erfuhren, wurden sie in Massaua gleichfalls für Postschiffe gehalten, -die unbegreiflicherweise den Suez bewachenden Kreuzern in die Hände -liefen. Alles, was der Negus that, war, daß er in den nächsten Nächten -vor Massaua fleißig kreuzen ließ, um die vermeintlichen 6 Postdampfer, -wenn sie vor Suez etwa rechtzeitig kehrt machen sollten, diesmal nicht -entschlüpfen zu lassen. - -Am 22. nachmittags erschien unsere Flotte vor Suez, griff die den Kanal -bewachenden abyssinischen Schiffe unverzüglich an und bohrte drei -derselben nach kurzem Gefechte in den Grund. Die anderen, darunter drei -Panzerfregatten, liefen auf den Strand, wo die Bemannung von den -ägyptischen Truppen gefangen genommen wurde. Denselben Ägyptern lieferte -unser Admiral auch die aufgefischten abyssinischen Matrosen und -Seesoldaten provisorisch aus, wandte sich sofort wieder nach Süden und -langte am 24. September vor Massaua an. - -Dort waren wir inzwischen unthätig geblieben; wir wußten, daß das -Eingreifen unserer Schiffe genügen werde, die Feste in kurzem Wege zu -Falle zu bringen. Als diese auf der Höhe von Massaua erschienen, -näherten sich ihnen einige kleinere abyssinische Kriegsfahrzeuge. Wenige -Schüsse jagten sie in die Flucht und nun erst begriff der Negus die -Situation. Zwar hoffte er noch immer, mit unseren Schiffen fertig zu -werden; die schreckliche Wirkung der ersten Lagen aus unseren -Riesengeschützen belehrte ihn und seine Admiralität eines Besseren. Vor -den herandampfenden schwerfälligen Panzerkolossen stetig zurückweichend -gaben unsere unerreichbaren Vernichtungsmaschinen ihre Geschosse ab und -zwei der Fregatten sanken in die Tiefe, bevor nur _eine_ abyssinische -Kugel ein freiländisches Schiff getroffen hätte. Nun wandten sich die -Abyssinier zum Rückzuge, aber die Unseren blieben ihnen -- stets in der -gleichen unnahbaren Distanz -- auf den Fersen und bevor die feindliche -Flotte den Hafen erreicht hatte, fuhr ein drittes Panzerschiff zu -Grunde. Doch im Hafen fanden sie so wenig Sicherheit, als auf offenem -Meere; die schrecklichen Panzerzerschmetterer sandten Kugel auf Kugel -hinein; ein viertes Schiff versank und ein fünftes; gleichzeitig -hämmerten unsere Riesengeschosse zermalmend an den Steinquadern der -Hafenbastionen -- wir erwarteten jeden Moment die weiße Fahne, das -Zeichen der Ergebung, in Massaua flattern zu sehen. Statt dessen machte -der Negus, die Unhaltbarkeit der Feste einsehend, von uns jedoch keine -Gnade erwartend, plötzlich einen verzweifelten Ausfall, um sich in die -Berge durchzuschlagen. Doch nur unsere äußerste Vorpostenkette gelang es -ihm zu durchbrechen; vor der ersten freiländischen Linie angelangt, -brachten einige Salven den Ansturm der Seinen zum Stehen, ihm aber den -Tod. Die Abyssinier warfen die Waffen weg, der Krieg war beendet. - - * * * * * - -Hiermit schließen die freiländischen Briefe unseres neuen Landsmannes -Carlo Falieri an seinen Freund, den Architekten Luigi Cavalotti. Die -beiden Freunde haben inzwischen den Aufenthalt getauscht; Cavalotti ist -zu uns nach Freiland übersiedelt, Falieri dagegen wurde, kaum daß er mit -seinem jungen Weibe einige Wochen seligster Zurückgezogenheit auf einer -der paradiesischen Ukerewe-Inseln genossen, uns zeitweilig wieder -entführt. Er folgte einem Rufe seines Geburtslandes, welches seiner zu -Durchführung jener Reformen zu bedürfen glaubte, die in Konsequenz der -soeben von ihm geschilderten und der diesen folgenden Ereignisse dort -wie fast überall in der bewohnten Welt ins Werk gesetzt werden sollen. -Seine Gattin begleitet ihn auf dieser Mission, zu deren Durchführung ihm -seitens unserer Centralverwaltung die unbegrenzten Hülfsquellen -Freilands zur Verfügung gestellt sind. Doch damit geraten wir schon in -den Bereich jener Begebenheiten, deren Darstellung das folgende Buch -gewidmet sein soll. - - - - - Viertes Buch. - - - - - 23. Kapitel. - - -Die moralische Wirkung unseres abyssinischen Feldzuges war eine -ungeheure, soweit civilisierte und halbcivilisierte Völker die Kunde -davon empfingen. Wir selber hatten uns heilsame Folgen davon versprochen -insofern, als wir voraussahen, daß die vor aller Welt abgelegte -glänzende Kraftprobe unseren Widersachern Vorsicht und größere -Geneigtheit beibringen werde, auf unsere gerechten Wünsche einzugehen. -Doch der Erfolg übertraf unsere kühnsten Erwartungen weitaus. Nicht -eingeschüchtert, sondern bekehrt wurden die bisherigen Gegner der -wirtschaftlichen Gerechtigkeit, was indessen mehr uns Freiländer, als -unsere auswärtigen Freunde zu überraschen schien. Wir vermochten nicht -recht zu begreifen, warum Leute, die Jahrzehnte lang unsere socialen und -wirtschaftlichen Bestrebungen für thöricht oder verwerflich gehalten -hatten, aus der Thatsache, daß unsere jungen Leute sich als treffliche -Krieger erwiesen, urplötzlich die Schlußfolgerung zogen, es sei möglich -und nützlich, jedem Arbeitenden den vollen Ertrag seines Fleißes -zuzuwenden. Uns, die wir unter der Herrschaft der Vernunft und -Gerechtigkeit lebten, wollte der Zusammenhang zwischen Letzterem und der -Wirkung unserer Gewehre und Geschütze nicht einleuchten; außerhalb -Freilands jedoch, wo immer noch physische Gewalt die letzte Quelle allen -Rechtes war, hielt es ersichtlich Jedermann -- selbst der prinzipielle -Anhänger unserer Ideen -- für selbstverständlich, daß die blitzartig -zerschmetternden Schläge, unter deren elementarer Gewalt der Negus von -Abyssinien erlegen, das untrüglichste _Argumentum ad hominem_ für die -Vorzüglichkeit unserer gesamten Einrichtungen seien. Insbesondere das -urplötzliche siegreiche Auftreten unserer Flotte wirkte da draußen -gleichwie ein entscheidendes Beweismittel dafür, daß die wirtschaftliche -Gerechtigkeit keine wesenlose Utopie, sondern sehr reelle Wirklichkeit -sei -- kurzum, unsere kriegerischen Erfolge gestalteten sich zu einem -Triumphe unserer socialen Einrichtungen. Eine gewaltige fieberhafte -Bewegung ergriff alle Geister, und mit _einem_ Schlage wollte man nun -überall verwirklichen, was bis dahin bloß von verhältnismäßig Wenigen -schüchtern als dereinst zu erreichendes Ideal aufgestellt, von Vielen -mit Abneigung betrachtet, von den großen Massen aber zumeist gänzlich -ignoriert worden war. - -Und dabei erwies sich -- was uns nun allerdings wieder _nicht_ -überraschte -- daß die Ungeduld und das Revolutionsfieber desto heftiger -waren, je weniger man sich zuvor mit unseren Ideen beschäftigt hatte. -Die fortgeschrittensten freisinnigsten Völker, deren leitende -Staatsmänner auch zuvor schon mit uns sympathisiert und gutgemeinte, -wenn auch zusammenhanglose Versuche unternommen hatten, ihre arbeitenden -Massen zu wirtschaftlicher Freiheit heranzuziehen, schickten sich in -verhältnismäßiger Ruhe an, die große ökonomische und sociale Revolution -unter möglichster Wahrung aller bestehenden Interessen einzuleiten. -England, Frankreich und Italien, die schon vor Ausbruch des -abyssinischen Krieges bereit gewesen waren, unsere Einrichtungen -- wenn -auch vorläufig bloß in ihren ostafrikanischen Besitzungen -- zuzulassen, -beschlossen nunmehr, ohne daß dazu besondere politische Umwälzungen bei -ihnen notwendig gewesen wären, sich wegen Überführung ihrer bestehenden -Institutionen in den unsrigen ähnliche, mit Freiland ins Einvernehmen zu -setzen, und mehrere andere europäische Staaten, sowie ganz Amerika und -Australien schlossen sich ihnen unmittelbar an. Dieses Ereignis war in -den betreffenden Staaten allenthalben von stürmischen Ausbrüchen der -Volksbegeisterung begleitet; aber mit Ausnahme einiger Fensterscheiben -litt Niemand Schaden dabei. Gewaltthätiger schon ging es in den -»konservativen« Staaten Europas und in einzelnen Ländern Asiens her; -dort kam es zu heftigen Krawallen, ernstlichen Verfolgungen verhaßter -Staatsmänner, die vergebens beteuerten, daß nunmehr auch sie gegen die -wirtschaftliche Gleichberechtigung nichts einzuwenden hätten, -stellenweise zu Blutvergießen und Vermögenskonfiskationen. Die -arbeitenden Massen mißtrauten dort den besitzenden Ständen, waren aber -selber uneinig über den einzuschlagenden Weg, so daß drohender stets und -gehässiger die Parteien einander entgegentraten. Vollends schlimm aber -gestalteten sich die Ereignisse dort, wo die Regierungen früher wirklich -und bewußt volksfeindlich gehandelt, die Besitzenden gegen die Massen -ausgespielt und Letztere vorsätzlich in Unwissenheit und Verkommenheit -darniedergehalten hatten. Dort gab es keine intelligente Volksklasse, -die genügenden Einfluß besessen hätte, sich den Ausbrüchen wütenden und -unvernünftigen Hasses entgegenzuwerfen; dort wurden Grausamkeiten und -Scheußlichkeiten aller Art begangen, die einstigen Unterdrücker -massenhaft abgeschlachtet und es wäre kein Ende der sinn- und zwecklosen -Gräuel abzusehen gewesen, wenn nicht zum Glücke auch für diese Länder -unser Ansehen und unsere Autorität schließlich die wütenden Massen -beruhigt und die Bewegung in geregelte Bahnen geleitet hätte. Nachdem -eine der in diesen Gebieten sich ohne ersichtliches Ziel zerfleischenden -Parteien auf den Gedanken geraten war, unsere Intervention anzurufen, -fand dieses Beispiel allgemeine Nachahmung. Allenthalben aus dem Osten -Europas, aus Asien und aus einigen afrikanischen Staaten richteten die -der Anarchie Verfallenen die Bitte an uns, ihnen Kommissäre zu senden, -denen man unumschränkte Gewalt einräumen wolle. Wir willfahrteten dem -natürlich aufs bereitwilligste und diese freiländischen Kommissäre -begegneten thatsächlich allenthalben jenem ungeteilten Vertrauen, das -zur Herstellung der Ruhe erforderlich war. - -Inzwischen hatten sich aber auch jene Staaten, die von Anbeginn besonnen -vorgegangen waren, freiländische Vertrauensmänner erbeten, die ihren -Regierungen bei Anbahnung der beabsichtigten Reformen mit Rat und That -behülflich sein sollten. Wir sagen nicht ohne Grund: mit Rat und _That_, -denn das freiländische Volk hatte, sowie es erkannt, daß man seine -Mitwirkung in Anspruch nehmen werde, den Beschluß gefaßt, seinen -Delegierten -- sie mochten nun als beratende Mitglieder einer fremden -Regierung oder als mit unumschränkter Gewalt ausgerüstete Kommissäre -auftreten, das Verfügungsrecht über die materiellen Hülfsquellen -Freilands zu Gunsten der sie berufenden Völker einzuräumen, denen diese -Summen übrigens nicht schenkungs-, sondern leihweise zufließen sollten. -Der Edenthaler Centralverwaltung wurde zwar formell das Recht -vorbehalten, von Fall zu Fall über die von diesen Delegierten -angemeldeten Geldforderungen zu entscheiden; da jedoch als Prinzip -aufgestellt war, daß jede notwendige Hülfe zu gewähren sei, über die -Notwendigkeit der Hülfeleistung aber zumeist doch nur die an Ort und -Stelle Befindlichen urteilen konnten, so lag thatsächlich in Händen -dieser Kommissäre und Vertrauensmänner das diskretionäre Verfügungsrecht -über die flüssig gemachten Kapitalien. - -Daß wir aber in der Lage waren, einem solchen, binnen wenigen Monaten -nahe an 2 Milliarden Pfd. Sterling erreichenden Bedarfe sofort zu -entsprechen, erklärt sich daraus, daß unsere freiländische -Versicherungsabteilung ungefähr den fünften Teil ihrer derzeit 10 -Milliarden überschreitenden Reserven in allezeit flüssiger Form zur -Disposition hatte. Die anderen vier Fünftel waren arbeitend angelegt, d. -h. den Associationen sowohl als dem Gemeinwesen zu mannigfaltigen -Investitionen leihweise überlassen; ein Fünftel aber wurde als für alle -Fälle bereiter Stock in den Magazinen der Bank zurückgelegt und konnte -jetzt dem plötzlich aufgetauchten Kapitalbedarfe dienen. -Selbstverständlich ist, daß diese Reserve nicht in Form von Gold oder -Silber hinterlegt war, da sie sich in diesem Falle als unbrauchbar in -der Stunde eines eventuellen Bedarfs erwiesen hätte. Nicht Gold oder -Silber, sondern ganz andere Dinge sind es, die in Zeiten der Not -gefordert werden; die Edelmetalle können bloß als geeignete Mittel -dienen, um diese eigentlich benötigten Dinge sich zu verschaffen; damit -Letzteres jedoch geschehen könne, wird vorausgesetzt, daß sie in -entsprechender Menge überhaupt irgendwo vorhanden seien, was bei einem -plötzlich auftretenden Bedarfe von außergewöhnlichem Umfange eben -_nicht_ angenommen werden darf. Wer plötzlich Waren im Gesamtwerte von -Milliarden braucht, der wird dieselben nirgend _kaufen_ können, weil sie -nirgend vorrätig sein werden; will er auch im Falle solchen Bedarfes vor -Not geschützt sein, so muß er nicht das Geld zum Einkaufe, sondern die -voraussichtlich erforderlichen Güter selber vorrätig halten. Was hätte -es z. B. den Russen, welche die Getreidespeicher ihrer Gutsherren, die -Warenmagazine ihrer Kaufleute, die Maschinen in ihren Fabriken verbrannt -und zerstört hatten, genützt, wenn wir ihnen die Milliarden Rubel, deren -sie zur Ersetzung sowohl als zur Vermehrung dieser vernichteten Dinge -bedurften, in Form von Geld zur Verfügung gestellt hätten? Nirgend gab -es entbehrliche Vorräte, die sie hätten kaufen können; wären sie mit -unserem Gelde auf den Märkten erschienen, so hätte dies zum -ausschließlichen Erfolge gehabt, daß alle Preise gestiegen und ihre Not -sich allen Nachbarvölkern mitgeteilt hätte. Und ebenso bedurften auch -alle andere Nationen, die wir in ihrem Bestreben unterstützen wollten, -möglichst rasch aus ihrem bisherigen Elend zu einem dem unsrigen -ähnlichen Reichtume zu gelangen, nicht vermehrter Geldmittel, sondern -vermehrter Nahrungsmittel, Rohstoffe, Werkzeuge. Und in Form solcher -Dinge hatten wir denn auch unsere Reserven angelegt. Ungefähr die Hälfte -derselben bestand stets aus Getreide, die andere Hälfte aus -verschiedenen Rohmaterialien, insbesondere Webestoffen und Metallen. Als -daher unser Kommissär in Rußland successive 285 Millionen Pfund -forderte, erhielt er von uns nicht einen Heller Geld, wohl aber 3040 -Schiffsladungen Weizen, Wolle, Eisen, Kupfer, Hölzer u. dgl. zugesendet, -was zur Folge hatte, daß das verwüstete Land an nichts Mangel litt, -vielmehr schon wenige Monate nachher -- allerdings weniger infolge -dieser ihm dargeliehenen Schätze, als vielmehr der in freiländischem -Geiste durchgeführten Verwendung derselben -- sich eines Wohlstandes -erfreute, den man dort noch vor kurzem kaum im Traume für möglich -gehalten hätte. In ähnlicher Weise machten wir auch anderen Nationen der -Erde unsere Vorräte nutzbar und waren für den Fall, als diese nicht -genügen sollten, entschlossen, aus den Erträgen der kommenden Jahre das -Fehlende zu ersetzen. - -Doch gedachten wir keineswegs diese uns zugefallene Rolle der -ökonomischen und socialen Vorsehung der Brudervölker länger als -unumgänglich notwendig zu bewahren. Nicht weil wir die Verantwortung -oder Last scheuten, sondern weil wir es in jeder Beziehung und im -allseitigen Interesse für das Beste hielten, wenn der soziale -Umgestaltungsprozeß, welchem nunmehr die gesamte Menschheit -entgegenging, von dieser auch mit gesammelten Kräften nach gemeinsam -wohl erwogenem Plane ins Werk gesetzt werde, beschlossen wir, ungesäumt -die Nationen der Erde zu einer Beratung nach Edenthal einzuladen, in -welcher erörtert werden solle, was nunmehr zu geschehen habe. Unsere -Meinung dabei war nicht, daß dieser Kongreß bindende Beschlüsse zu -fassen hätte; es möge, so beantragten wir, jedem Volke unbenommen -bleiben, aus den Beratungen des Kongresses die ihm beliebigen -Konsequenzen zu ziehen; nützlich aber, das war unsere Ansicht, würde es -für alle Fälle sein, zu wissen, wie die Gesamtheit über die im Zuge -befindliche Bewegung dächte. - -Auf ernstlichen Widerstand stieß diese Anregung nirgend. Insbesondere -bei den zurückgebliebeneren Völkern des Ostens machte sich zwar eine -starke dahingehende Strömung geltend, man möge die Zeit nicht mit -nutzlosen Reden vertrödeln, sondern einfach thun, was wir Freiländer -vorschlagen würden; sie ihrerseits, so thaten uns die konstituierenden -Versammlungen mehrerer -- und nicht gerade der kleinsten -- Nationen zu -wissen, würden doch nur auf uns hören, der Kongreß möge sagen, was er -wolle. Doch bedurfte es bloß des Hinweises darauf, daß wir, um ihnen zu -raten, sie doch auch hören müßten und daß uns hierzu der Kongreß das -geeignetste Forum scheine, um sie zu dessen Beschickung zu veranlassen. -Auch konnten wir nicht verhindern, daß viele von den nach Edenthal -entsendeten Delegierten die bindende Instruktion auf den Weg erhielten, -bei allen Abstimmungen unbedingt mit uns Freiländern zu gehen, welche -Instruktion sich jedoch insofern gegenstandlos erwies, als der Kongreß -überhaupt nur über Formfragen abstimmte, sonst aber bloß beriet, es -Jedermann anheimgebend, sich die Diskussionsresultate selber zu bilden. - -Dagegen hatte sich gerade inmitten der vorgeschrittensten Länder eine, -wenn auch der Zahl nach geringe, Opposition wiedereingestellt, die zwar -das Prinzip der wirtschaftlichen Gerechtigkeit in seiner Allgemeinheit -anerkannte, jedoch eine ganze Reihe angeblich »praktischer« Bedenken -gegen dessen durchgreifende Verwirklichung geltend machte. Diese -Opposition hätte, auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, nirgend vermocht, -ein Mandat für den Welt-Kongreß zu erlangen; sie fand aber allerorten -kräftige Fürsprecher -- in den freiländischen Vertrauensmännern und -Kommissären, die, durchaus im Einklang mit der öffentlichen Meinung -Freilands, das Bestreben verfolgten, wo möglich jeder namhafteren -Parteirichtung eine Vertretung zu sichern, damit selbst die etwa -vorhandenen offenen Anhänger der überlebten, alten Wirtschaftsordnung -kein Recht hätten, darüber Klage zu führen, daß man sie nicht hätte zu -Worte kommen lassen. 68 Nationen waren zur Teilnahme am Kongresse -geladen worden; die Anzahl der zu entsendenden Delegierten blieb dem -Belieben der Geladenen überlassen, nur wurde gebeten, die Zahl von je -zehn Abgesandten nicht zu überschreiten; thatsächlich wählten die 68 -Länder insgesamt 425 Delegierte, was mit den 12 am Kongresse gleichfalls -teilnehmenden Chefs der freiländischen Verwaltung eine Gesamtzahl von -437 Kongreßmitgliedern ergab. - -Am 3. März des 26. Jahres nach der Gründung von Freiland versammelte -sich der Kongreß im großen Saale des Edenthaler Volkspalastes. Auf der -Rechten saßen die Zweifler an der allgemeinen Durchführbarkeit der im -Zuge befindlichen Reformen, im Centrum die Anhänger Freilands, auf der -Linken die Radikalen, denen die gewaltsamsten Mittel die besten -schienen. Den Vorsitz führte der Chef der freiländischen -Präsidialabteilung, welches Amt seit Gründung des Gemeinwesens -ununterbrochen Dr. Strahl verwaltet hatte. Wir lassen nunmehr den -Verlauf der fünftägigen Diskussion auszugsweise an der Hand der -Sitzungsprotokolle folgen. - - Erster Verhandlungstag. - -Der _Vorsitzende_ begrüßt namens des freiländischen Volkes die auf -dessen Einladung herbeigeeilten Abgesandten der sämtlichen -Brudernationen der Erde und fährt dann fort: - -»Um einiges, wenn auch nicht gerade strenges und starres System in den -Gang der Beratungen zu bringen, schlage ich vor, daß wir von Anbeginn -eine gewisse Reihenfolge der zu behandelnden Fragen feststellen; -Abschweifungen von dieser Reihenfolge werden allerdings nicht immer zu -vermeiden sein; aber als nützlich dürfte es sich für alle Fälle -erweisen, wenn die Redner zum mindesten das Bestreben zeigen, möglichst -nur zu dem gerade in Verhandlung stehenden Gegenstande zu sprechen. Um -die Diskussion dieser Formfrage abzukürzen, hat die freiländische -Verwaltung sich erlaubt, eine Art Tagesordnung auszuarbeiten, die Sie -annehmen, amendieren oder auch verwerfen können; die in diese -Tagesordnung aufgenommenen Diskussionsstoffe sind jedoch, wie ich sofort -bemerken will, nicht unserer hierortigen Initiative entsprungen, sondern -wurden uns von den Führern der verschiedenen ausländischen Parteien als -näherer Aufklärung bedürftig bezeichnet; wir unserseits begnügten uns -damit, System in diese uns vorgelegten Fragen zu bringen. Wir schlagen -also folgende Reihenfolge der Verhandlungsgegenstände vor: - -1. Wie erklärt sich die Thatsache, daß es im geschichtlichen Verlaufe -vor Gründung Freilands noch niemals gelungen ist, ein Gemeinwesen auf -den Prinzipien der wirtschaftlichen Gerechtigkeit und Freiheit -einzurichten? - -2. Ist der Erfolg der freiländischen Institutionen nicht etwa bloß auf -das ausnahmsweise und daher vielleicht vorübergehende Zusammenwirken -besonders günstiger Verhältnisse zurückzuführen oder beruhen dieselben -auf überall vorhandenen, in der menschlichen Natur begründeten -Voraussetzungen? - -3. Sind Not und Elend nicht etwa Naturnotwendigkeiten und müßte nicht -Übervölkerung eintreten, wenn es vorübergehend gelänge, das Elend -allgemein zu beseitigen? - -4. Ist es möglich, die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -überall unter Schonung der erworbenen Rechte und überkommener Interessen -zur Durchführung zu bringen; und wenn dies möglich ist, welches sind die -geeigneten Mittel hierzu? - -Hat jemand zu diesem unserem Vorschlage eine Bemerkung zu machen? Es ist -nicht der Fall. Ich setze also Punkt 1 auf die Tagesordnung und erteile -dem Abgeordneten Erasmus Kraft das Wort. - -_Erasmus Kraft_ (Rechte). Wir schicken uns allenthalben, so weit -denkende Menschen den Erdball bewohnen, an, den Zustand der Knechtschaft -und des Elends, in welchem, so weit menschliche Erinnerung zurückreicht, -unsere Rasse gefangen war, mit einer glücklicheren Ordnung der Dinge zu -vertauschen. Das leuchtende Beispiel, welches wir hier in Freiland vor -Augen haben, scheint dafür zu sprechen, daß der Versuch gelingen werde, -gelingen müsse. Doch je deutlicher sich diese Perspektive uns darstellt, -desto dringender, unabweislicher wird die Frage, warum das, was sich -jetzt vollziehen soll, nicht schon längst geschehen, warum der Genius -der Menschlichkeit so lange geschlafen, ehe er sich zur Vollbringung -dieses segensreichen Werkes aufraffte. Wir sehen, daß es genügt, -Jedermann den vollen Genuß dessen, was er erzeugt, zu gönnen, um -Jedermann Überfluß zu verschaffen, und trotzdem hat man ungezählte -Jahrtausende hindurch grenzenloses Elend mit all seinem Gefolge von -Jammer und Verbrechen geduldig ertragen, als wären sie unabweisliche -Naturnotwendigkeiten. Woran liegt das? Sind wir klüger, weiser, -gerechter als alle unsere Vorfahren, oder befinden wir uns trotz all der -scheinbar untrüglichen Beweise, die für das Gelingen unseres Werkes -sprechen, nicht vielleicht doch im Irrtume? Die zum größten, wichtigsten -Teile allerdings in das Dunkel der Urzeit gehüllte Geschichte der -Menschheit ist so alt, daß schwerlich anzunehmen ist, eine so wichtige, -dem brennendsten Wunsche jeglicher Kreatur entsprechende Bestrebung, wie -diejenige nach materiellem Wohlbefinden aller, trete jetzt zum ersten -Male in die Erscheinung; sie muß nicht _einmal_, wiederholt schon -hervorgetreten sein, auch wenn keinerlei Überlieferung uns darüber -Verläßliches erzählt. Wo aber sind ihre Erfolge? Oder waren vielleicht -solche Erfolge vorhanden, auch wenn wir nichts davon wissen, ist die -Erzählung vom goldenen Zeitalter mehr als eine fromme Fabel und sind wir -etwa im Begriffe, neuerdings ein solches heraufzubeschwören? Dann aber -taucht wieder die Frage auf, von welcher Dauer dieses Zeitalter sein, ob -ihm nicht abermals das eherne und eiserne folgen werden -- vielleicht in -traurigerer schrecklicherer Gestalt als jenes gezeigt, von welchem -Abschied zu nehmen wir uns eben anschicken. Ich will es, dem Winke des -verehrten Vorsitzenden gehorchend, vermeiden, jetzt schon die möglichen -Ursachen eines solchen Rückfalls in verdoppeltes Elend zu untersuchen, -da dies das Thema des dritten Punktes der Tagesordnung sein wird; auch -glaube ich, daß, bevor wir an die Klarlegung aller denkbaren -Konsequenzen eines Gelingens unserer Bestrebungen schreiten, sehr -zweckentsprechend zunächst festgestellt werden sollte, _ob_ diese denn -auch wirklich und in vollem Umfange gelingen werden, zu welchem Behufe -hinwieder die Klarlegung der Frage ersprießlich ist, warum dieselbe -bisher niemals gelungen, ja vielleicht niemals versucht worden sind. - -_Christian Castor_ (Centrum). Der Vorredner irrt, wenn er behauptet, im -geschichtlichen Verlaufe der letzten Jahrtausende sei es zu keinerlei -ernsthaftem Versuche einer Verwirklichung des Prinzips der -wirtschaftlichen Gerechtigkeit gekommen. Einer der großartigsten -Versuche dieser Art ist das Christentum. Wer die Evangelien kennt, muß -wissen, daß Christus und seine Apostel die Ausbeutung des Menschen durch -den Menschen verdammen; das Wort der Schrift: »Wehe dem, der sich mästet -vom Schweiße seines Bruders« enthält schon im Keime den ganzen Kodex des -freiländischen Rechts und alles, was wir nunmehr ins Werk zu setzen -bestrebt sind. Daß das offizielle Christentum späterhin seine sociale -Befreiungsarbeit fallen ließ, ist allerdings richtig, aber einzelne -Kirchenväter haben immer und immer wieder, gestützt auf die heiligen -Texte, die ursprünglichen Absichten Christi zu verwirklichen gestrebt. -Und daß es im ganzen Verlaufe des Mittelalters wie später in der Neuzeit -an zum Teil sehr energischen Versuchen zur Verwirklichung des -christlichen Ideals niemals gefehlt hat, ist gleichfalls bekannt. Das -wollte ich zunächst hervorheben. Die Beleuchtung der Frage, warum alle -diese Versuche Schiffbruch litten, überlasse ich anderen bewährteren -Kräften. - -_Wladimir Ossip_ (Linke). Fern sei es von mir, den edlen Stifter des -Christentums mit dem, was später aus seiner Lehre gemacht wurde, zu -verwechseln; aber unser Freund aus der amerikanischen Union geht meines -Erachtens doch zu weit, wenn er ihn und seine Nachfolger als _unsere_ -Vorgänger hinstellen will. Wir verkünden das Glück und die Freiheit, -Christus predigte Entsagung und Demut; wir wollen den Reichtum, er die -Armut Aller; wir beschäftigen uns mit den Dingen dieser Erde, er hat das -Jenseits vor Augen; wir sind -- um es kurz zu sagen -- Revolutionäre, -wenn auch friedliche, er ist ein Religionsstifter. Lassen wir die -Religion; ich glaube, es kann zu nichts führen, sich in Fragen des Mein -und Dein auf das Christentum zu berufen. - -_Lionel Acosta_ (Centrum). Ich bin diesfalls durchaus anderer Meinung -als mein geehrter Herr Vorredner und schließe mich dem Kollegen aus -Nordamerika an. Die Lehre Christi ist die reinste, edelste, wenn auch -über Mittel und Ziele noch nicht klar bewußte Verkündigung der socialen -Freiheit, die bisher gehört worden ist, und diese Verkündigung der -socialen Befreiung, nicht religiöse Neuerungen, sind der Inhalt der -»guten Botschaft«; Christus für einen Religionsstifter statt für einen -socialen Reformator auszugeben, eine Lehre, die im Fluge die Herzen der -unterdrückten Massen gewonnen, weil sie ihnen Abhülfe ihrer Leiden -versprach, zu einem Einschläferungsmittel ihrer erwachenden Energie zu -gebrauchen, war das Meisterstück der Verknechtungskunst. Christus hat -sich mit Religion gar nicht beschäftigt, keine Zeile der Evangelien -enthält auch nur eine Spur davon, daß er an den alten religiösen -Satzungen seines Landes rüttelte; der frömmste, eifrigste Jude kann -seinen Kindern unbedenklich die Evangelien zu lesen geben, sie werden -nichts darin finden, was ihr religiöses Gefühl verletzt. (Eine Stimme: -Warum wurde aber dann Christus ans Kreuz geschlagen?) Man fragt mich, -warum Christus von den Juden gekreuzigt wurde, wenn er nichts gegen das -mosaische Gesetz unternommen hatte. Ja mordet man denn _bloß_ aus -religiösen Gründen? Christus wurde zum Tode geschleift, weil er ein -_socialer_, nicht weil er ein religiöser Neuerer war, und nicht die -Frommen, sondern die Mächtigen unter den Juden haben seinen Tod -gefordert. Darüber auch nur ein Wort zu verlieren ist in den Augen all -jener durchaus überflüssig, welche die weltbewegenden Begebenheiten -jener traurigsten und doch zugleich glorreichsten Tage Israels, in denen -der edelste seiner Söhne den freiwillig gesuchten Märtyrertod fand, -unbefangen betrachten. Zunächst ist es eine wohlbeglaubigte -geschichtliche Thatsache, daß im Judäa der damaligen Zeit für religiöse -Sektirerei ebenso wenig auf Tod erkannt wurde, wie etwa in Europa des -letzten Jahrhunderts. Zum zweiten spricht die Art der Hinrichtung, das -den Juden ganz unbekannte Kreuz, dafür, daß Christus nach römischem, -nicht nach jüdischem Recht gerichtet wurde; die Römer, dieses in -religiöser Beziehung toleranteste aller Völker, hätten aber erst recht -wegen religiöser Neuerungen Niemand zum Tode gebracht; sie hätten die -Hinrichtung keineswegs geduldet, geschweige denn selber das Urteil -gesprochen und in ihrer Art vollzogen; das Kreuz war bei ihnen die -Strafe _aufrührerischer Sklaven_ oder ihrer _Verführer_. - -Ich sage das nicht, um die Verantwortung für Christi Tod von Juda -abzuwälzen; es ist jedes Volkes trauriges Privilegium, der Henker seiner -Edelsten zu sein, und gleichwie Niemand anders als die Athener Sokrates -tötete, so hat auch Niemand anders als die Juden Christus getötet; der -Römer war nur das Werkzeug des jüdischen Hasses, doch wohlverstanden des -Hasses der um ihre Besitztümer zitternden Reichen unter den damaligen -Juden, die den »Verführer des Volkes« dem Statthalter denunzierten. Ja, -es ist auch durchaus glaubhaft, daß dieser letztere sich nicht -bereitwillig zeigte, auf die Wünsche der geängstigten Denunzianten -einzugehen, denn er, der Römer, der im niemals erschütterten Glauben an -seine starre Eigentumsordnung Aufgewachsene, verstand die Bedeutung und -Tragweite der socialen Lehre Christi gar nicht. Er hielt ihn -- die -Evangelien lassen darüber kaum einen Zweifel und es wäre im Grunde -genommen anders auch schwer zu begreifen -- für einen harmlosen -Schwärmer, den man mit ein paar Rutenstreichen laufen lassen könnte. -Generationen mußten vergehen, bis die _römische_ Welt erkennen lernte, -was die Lehre Christi eigentlich zu bedeuten habe -- dann aber fiel sie -auch mit einer Wut sonder gleichen über ihre Anhänger her, kreuzigte -sie, warf sie den Bestien vor, kurz that alles, was Rom niemals gegen -abweichende Religionen, stets aber gegen die Feinde seiner Rechts- und -Eigentumsordnung that. Anders die _jüdische_ Aristokratie; diese begriff -Sinn und Tragweite der christlichen Propaganda sofort, denn im -Pentateuch wie in den Lehren der früheren Propheten hatte sie längst -schon die Keime dieser socialen Forderungen kennen gelernt. Das -Jubeljahr, welches neuerliche Grundverteilung nach je 49 Jahren -forderte, die Bestimmung, daß alle Knechte im siebenten Jahre -freizulassen seien, was waren sie anderes, als die Vorläufer der von -Christus verlangten allgemeinen Gleichheit. Ob all diese in den heiligen -Schriften des alten Juda niedergelegten socialen Gedanken jemals zu -praktischer Durchführung gelangt waren, ist mehr als zweifelhaft, aber -bekannt und geläufig waren sie längst jedem Juden, und als Christus -daher den Versuch machte, sie ins praktische Leben einzuführen, als er -in gewaltigen, hinreißenden Reden Wehe über den Reichen rief, der sich -vom Schweiße seines Bruders mäste, da erkannten die Mächtigen in -Jerusalem sofort die ihren Interessen drohende Gefahr, welche ihren -nicht jüdischen Standesgenossen erst viel später klar wurde. Es -unterliegt auch nicht dem geringsten Zweifel, daß sie dem römischen -Statthalter gegenüber aus der wahren Beschaffenheit ihrer Besorgnisse -kein Hehl machten, denn nicht als Sektierer, als Aufwiegler wurde -Christus hingerichtet. - -Dem Volke aber konnte ebenso selbstverständlich nicht gesagt werden, daß -man den Tod Christi fordere, weil er die in den heiligen Büchern -niedergelegte und von den Propheten oft genug geforderte Gleichheit -praktisch verwirklichen wolle; diesem mußte das Märlein von den -religiösen Ketzereien des Nazareners aufgetischt werden, welches Märlein -indessen -- abgesehen von dem bei der Hinrichtung zusammengelaufenen -urteilslosen Pöbel -- lange Zeit nirgend Glauben fand. Als gut jüdisch -galten die ersten Christengemeinden allenthalben in Israel, als »judaei« -werden sie uns von allen römischen Schriftstellern genannt, in denen -ihrer Erwähnung geschieht. Was sie wirklich waren, wodurch allein sie -sich von den anderen Judengemeinden unterschieden, darüber ist -- trotz -aller anfangs aus leicht begreiflichen Gründen beobachteten Vorsicht und -trotz der später, aus ebenso begreiflichen Gründen geübten Fälschungen --- in den Apostelgeschichten Genügendes auf uns gekommen. Socialisten, -ja zum Teil Kommunisten waren sie; absolute wirtschaftliche Gleichheit, -Gütergemeinschaft wurde in ihnen geübt. Später erst, als die christliche -Kirche unter Preisgebung ihres socialen Inhalts Frieden mit der -Staatsgewalt geschlossen, aus einer grausam verfolgten Märtyrerin der -Gleichheit, sich in ein Werkzeug der Herrschaft und zwar vielleicht -gerade wegen dieses Renegatentums, doppelt verfolgungssüchtiger -Herrschaft, umgewandelt hatte, erst von da ab suchte sie selber die -tückische Verleumdung ihrer einstigen Ankläger hervor, spielte sich -selber als neue Religion aus -- was sie seither in der That auch -geworden ist. Und daß es ihr gelang, durch länger als anderthalb -Jahrtausende diese ihre neue Rolle mit dem Namen Christi in Verbindung -zu erhalten, ist zum weitaus überwiegenden Teile allerdings die Schuld -des jüdischen Stammes, der durch die blutigen Verfolgungen, die unter -Berufung auf den milden Dulder von Golgata gegen ihn verübt wurden, sich -zu blindem, thörichtem Hasse gegen diesen seinen größten und edelsten -Sohn verleiten ließ. - -Aber deshalb bleibt es nicht minder wahr, daß Christus für die Idee der -socialen Gerechtigkeit und nur für diese den Tod erlitten, ja daß diese -Idee schon vor ihm dem Judentume nicht unbekannt war. Und ebenso wahr -ist, daß trotz aller nachträglichen Verdunkelung und Fälschung dieser -welterlösenden Idee, die Propaganda der wirtschaftlichen Befreiung -niemals wieder völlig erstickt werden konnte. Vergebens untersagte die -Kirche der Laienwelt die Lektüre jener Bücher, welche angeblich nichts -anderes, als ihre, der Kirche, Lehren enthalten sollten; immer und immer -wieder holten sich die in tiefster Erniedrigung schmachtenden -europäischen Völker aus diesen verfehmten Schriften Mut und Begeisterung -zu Versuchen der Befreiung. - -_Darja-Sing_ (Centrum). Ich möchte das soeben Gehörte dahin ergänzen, -daß auch noch ein anderes Volk und zwar 600 Jahre vor Christus, die Idee -der Freiheit und Gerechtigkeit aus sich gebar -- es ist das indische. -Der eigentliche Kern auch des Buddhismus ist die Lehre von der -Gleichheit aller Menschen und von der Sündhaftigkeit der Unterdrückung -und Ausbeutung. Ja, ich wage sogar die Vermutung zu äußern, daß die -bereits erwähnten socialen Freiheitsgedanken des Pentateuch wie der -Propheten und folglich mittelbar auch die Christi, auf indische Anregung -zurückzuführen sind. Das scheint auf den ersten Blick ein arger -Anachronismus zu sein, denn Buddha lebte wie gesagt 600 Jahre vor -Christus, während die jüdische Legende die Abfassung der fünf Bücher in -das 14. Jahrhundert v. Chr. verlegt. Allein es ist mir bekannt, daß -neuere Forschungen mit nahezu absoluter Sicherheit festgestellt haben, -daß diese angeblichen Bücher Mosis frühestens im sechsten Jahrhundert, -und jedenfalls erst nach der Rückkehr aus der sogenannten babylonischen -Gefangenschaft verfaßt wurden. Gerade zur Zeit aber, als die Elite des -damaligen Juda nach Babylon verpflanzt war, sandte Buddha seine Apostel -durch ganz Asien, und daß die »an den Wassern Babels Weinenden« gegen -solche Lehren damals besonders empfänglich gewesen sein mußten, liegt -auf der Hand. - -Wenn also einige germanische Schriftsteller die Behauptung aufstellten, -das Christentum sei ein fremder Blutstropfen im Körper des arischen -Volkstums, so haben sie insofern allerdings Recht, als ihnen das -Christentum thatsächlich als Semitismus, nämlich dem Judentum -entsprossen, zukam; nichtsdestoweniger kann die arische Welt den -Grundgedanken des Christentums für sich reklamieren, da -höchstwahrscheinlich sie es war, welche die ersten Keime hierzu dem -Semitentume übergab. Ich sage das nicht, um das Verdienst des großen -semitischen Freiheitsmärtyrers zu schmälern. Ich kann leider nicht -leugnen, daß wir Arier mit dem unserem Schoße entsprossenen göttlichen -Gedanken aus eigener Kraft nichts anzufangen verstanden. Gleichwie es -wahrscheinlich ist, daß gerade die Scheußlichkeit des indischen -Kastenwesens, jener schändlichsten Blüte, die jemals dem blut- und -thränengedüngten Boden der Knechtschaft entsprossen, Ursache gewesen, -daß in Indien zuerst die geistige Reaktion gegen diese Geißel der -Menschheit sich zeigte, ebenso sicher ist es auf der anderen Seite, daß -das nämliche Kastenwesen die Spannkraft unseres indischen Volkes -allzusehr gebrochen, als daß dieses die empfangene Anregung selber hätte -fruchtbringend verarbeiten können. Der Buddhismus erlosch in Indien und -wurde außerhalb Indiens sehr bald seines socialen Inhalts gänzlich -entkleidet. Jene transcendenten Spekulationen, auf welche man auch im -Abendlande das Christentum zu beschränken _versuchte_, sie sind im Osten -Asiens thatsächlich der einzige Effekt des Buddhismus gewesen. Ja schon -im Geiste der Stifter gestaltet sich der Freiheitsgedanke anders bei -dem, trotz aller Erhabenheit doch den Stempel seines Volkstumes -tragenden »Avatar« Indiens und anders bei dem Messias in Juda, der -inmitten eines von nie gebändigtem Gleichheitsdrange durchglühten Volkes -das Licht der Welt erblickte. Buddha konnte sich die Freiheit wirklich -nur in Form jener hoffnungslosen Entsagung vorstellen, die dem -christlichen Freiheitsgedanken bloß fälschlich von Jenen untergeschoben -wurde, die durch fremde Ansprüche im eigenen Genusse nicht gestört zu -werden wünschten. - -Ja ich bin überzeugt, daß auch unsere kräftigeren, nach dem Westen -ausgewanderten Verwandten den Freiheits- und Gleichheitsgedanken nicht -hätten verwerten können, wenn wir -- die indische Welt -- ihnen -denselben unverändert, wie wir ihn schufen, übergeben hätten. Denn auch -ihnen steckte, als sie nach Europa kamen und noch ein Jahrtausend -später, das Kastengefühl im Blute; daß alle Menschen gleich, wirklich -schon hier auf Erden gleich seien, wäre dem germanischen Edeling sowohl, -als dem germanischen Knechte ebenso unfaßbar geblieben, als es dem -indischen Paria oder Sudra und dem Brahmanen oder Ksatrija unfaßbar -geblieben ist. Dieser Gedanke mußte zuerst von dem streng demokratisch -gesinnten kleinen semitischen Volksstamme an den Ufern des Jordan in -feste, fürderhin nicht mehr zu verdunkelnde Formen gebracht und von der -freien nüchternen Forschung Roms und Griechenlands in grelle -- wenn -auch vorläufig ablehnende -- Untersuchung gezogen worden sein, ehe er, -zu rein arischen Volksstämmen verpflanzt, Früchte zu tragen vermochte. -Nahmen doch die bekehrten germanischen Könige das Christentum ganz -ersichtlich nur an, weil sie es für ein passendes Werkzeug der -Herrschaft hielten. Was die neue Lehre den Knechten etwa sagen mochte, -war ihnen vorerst gleichgiltig, denn der Knecht, der in scheuer -Ehrfurcht zu den »Abkömmlingen der Asen«, seinen Herren, emporsah, -erschien für alle Ewigkeit ungefährlich; gegen wen es sich zu wappnen -galt, das waren die Mitherren, die Großen und Edlen, die bisher nur der -faktischen Macht, nicht dem Wesen nach, von den Königen verschieden -waren. Das Herrenrecht kam -- nach arischer Anschauung -- von Gott, sehr -wohl; aber das des kleinsten Edeln in der nämlichen Weise, wie das des -Königs; sie alle stammten von den Göttern ab. In Christus nun fanden die -Könige den _einen_ obersten Herrn, der ihnen, ihnen allein, die Macht -verliehen hatte; abermals besaßen sie eine göttliche Quelle des -Herrenrechts, aber für sich allein und deshalb erzählt uns die -Geschichte überall, daß die Könige gegen den -- oft verzweifelten -- -Widerstand der Großen das Christentum einführten, nirgends, daß die -Großen ohne, oder gar gegen den Willen der Könige sich bekehrt hätten. -Die Volksmassen, die Knechte -- wo werden diese jemals überhaupt -gefragt? Sie haben zu thun und zu glauben, was die Herren für gut finden --- und sie thun es ausnahmslos, ohne den geringsten Widerstand, lassen -sich gleich den Schafen herdenweise zur Taufe ins Wasser treiben und -glauben nunmehr auf Befehl, daß alle Macht von _einem_ Gotte komme, der -sie _einem_ Herrn verliehen. Denn der arische Knecht ist eine willenlose -Sache, die zu eigenem Denken erst erzogen werden muß. Dieses -Erziehungswerk nun hat allerdings ziemlich lange gedauert, aber wie der -Vorredner richtig bemerkte, geschlafen hat der Gedanke der Freiheit -nicht. - -_Erich Holm_ (Rechte). Ich glaube, es läßt sich gegen den Nachweis, daß -der Gedanke der wirtschaftlichen Gerechtigkeit in seiner Allgemeinheit -schon Jahrtausende alt ist und niemals vollständig entschlief, nichts -stichhaltiges sagen. Aber es fragt sich, ob denn dieser allgemeine -Gleichberechtigungs- und Freiheitsgedanke mit jenem speciellen, an -dessen Verwirklichung wir jetzt schreiten, viel des Gemeinsamen hat, -nicht vielleicht in manchen Stücken das Gegenteil desselben besagt; und -zum zweiten muß nun erst recht Bedenken erregen, daß dieser, wie wir -gehört haben, 2½ Jahrtausende alte Gedanke bisher noch nie und nirgend -verwirklicht werden konnte. - -Ersteres anlangend muß ich zugeben, daß Christus -- im Gegensatze zu -Buddha -- die Gleichheit nicht transcendent und metaphysisch, sondern -sehr materiell und buchstäblich verstanden hat. Er pries zwar auch die -Armen an Geist selig, aber unter den Reichen, die ihm zufolge schwerer -ins Himmelreich eingehen sollen, als ein Schiffsseil aus Kamelhaaren -durch ein Nadelöhr, verstand er ganz gewiß nicht die Reichen im Geiste, -sondern die an irdischen Gütern Reichen. Auch ist es richtig, daß er -sagte, »mein Reich ist nicht von dieser Welt« und dem Kaiser geben hieß, -was des Kaisers sei; allein, wer diese Stellen nicht aus dem -Zusammenhange reißt, kann unmöglich übersehen, daß er damit lediglich -jede Einmischung in die politischen Angelegenheiten ablehnt, nicht um -politischer, sondern um transcendenter _Zwecke_, um der ewigen Seligkeit -willen, der socialen Gerechtigkeit zum Siege verhelfen will. Ob Rom oder -Israel herrscht, ist ihm gleichgiltig, wenn nur Gerechtigkeit geübt -wird; doch daß er diese nicht erst im Jenseits, sondern schon hinieden -geübt wissen will, kann nur fromme Beschränktheit leugnen. Aber ist das, -was Christus unter Gerechtigkeit versteht, wirklich dasselbe, was wir -darunter meinen? Zwar das von ihm gleich anderen jüdischen Lehrern -verkündete »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst« wäre eine sinnlose -Phrase, wenn es nicht wirtschaftliche Gleichberechtigung zur -Voraussetzung hätte. Den Menschen, den man ausbeutet, liebt man wie sein -Haustier, nicht aber wie sich selbst; wahrhaft »christliche -Nächstenliebe« in einer ausbeuterischen Gesellschaft verlangen, wäre -einfach albern, und was dabei herauskommen kann, haben wir bisher -sattsam erfahren. Im übrigen nimmt uns ja der Apostel hierüber den -letzten Rest von Zweifel, denn er verdammt ausdrücklich, sich vom -Schweiße des Nächsten zu mästen, d. h. ihn auszubeuten. Insoweit also -wären wir mit Christus vollkommen eines Strebens. Aber er verdammt -ebenso ausdrücklich den Reichtum, preist die Armut, während wir den -Reichtum zum Gemeingute Aller machen, also alle unsere Mitmenschen in -einen Zustand versetzen wollen, in dem sie -- um mit Christus zu reden --- schwerer als ein Schiffstau durchs Nadelöhr, ins Himmelreich eingehen -könnten. Hier ist ein Gegensatz, dessen Überbrückung mir schwer möglich -erscheint. Wir halten das Elend, Christus den Reichtum für die Quelle -des Lasters, der Sünde; unsere Gleichheit ist die des Reichtums, die -seinige die der Armut; das bitte ich fürs erste festzuhalten. - -Zum zweiten aber hat ja Christus -- trotz des, wie man zugeben wird, -viel bescheidenen Zieles, welches er sich steckte, dasselbe _nicht_ -erreicht. Ist sohin die Berufung auf diesen erhabensten aller Geister, -statt uns in Verfolgung unserer Ziele zu stärken, nicht vielmehr -geeignet, uns zu entmutigen? - -_Emilio Lerma_ (Freiland). Die Verbindung, in welche der Vorredner die -von Christus gepriesene und geforderte Armut mit dem -- angeblichen -- -Mißlingen seines Befreiungswerkes gebracht hat, ist eine verfehlte. -Nicht trotzdem, sondern _weil_ Christus die Gleichheit auf Grundlage der -Armut herstellen wollte, ist dies fürs erste mißlungen. Die Gleichheit -der Armut läßt sich nicht herstellen, denn sie wäre gleichbedeutend mit -Stillstand der Kultur; wohl aber ist es nicht bloß möglich, sondern -notwendig, die Gleichheit des Reichtums ins Werk zu setzen -- sowie die -Voraussetzungen dafür vorhanden sind -- weil dies mit Fortschritt der -Kultur gleichbedeutend ist. Allerdings -- so werden Sie sagen -- so -verhält es sich nach unserer Auffassung; nach derjenigen Christi aber -ist der Reichtum ein Übel. Sehr wahr. Nur kann uns bei unbefangenem -Eingehen in die Sache unmöglich entgehen, _daß Christus den Reichtum nur -verwarf, weil er seine Quelle in der Ausbeutung hatte_. Nichts im ganzen -Laufe des Lebens Jesu deutet darauf hin, daß er jener finstere Ascet -gewesen, der er hätte sein müssen, wenn er den Reichtum als solchen für -sündhaft gehalten hätte; zahllose Stellen der Evangelien legen -unzweideutiges Zeugnis für das Gegenteil ab. Christi Bedürfnisse waren -allerdings einfach; aber er genoß stets mit Behagen, was ihm etwaiger -Reichtum seiner Anhänger bot und sah nirgends ein Übles darin, vom Leben -soviel anzunehmen, als sich mit der Gerechtigkeit verträgt. Auch der -Haß, mit welchem ihn die Reichen Jerusalems verfolgen, änderte diese -seine Anschauung nicht, wie denn überhaupt das oft citierte -Verdammungsurteil gegen die Reichen etwas geradezu verletzendes, dem -Geiste der Evangelien zuwiderlaufendes hat, wenn wir es außer -Zusammenhang halten mit dem »Wehe, wer sich mästet vom Schweiße seines -Bruders«. Im Reichtum verdammt Christus bloß dessen Quelle; nur weil -Reichtum anders, als durch Ausnützung des Schweißes der Brüder nicht -erworben werden konnte, deshalb und nur deshalb allein war ihm das -Himmelreich verschlossen. Kein Zweifel, daß Christus gleich uns sich mit -dem Reichtume versöhnt hätte, wäre damals wie zu unserer Zeit Reichtum -auch ohne Ausbeutung, ja ohne diese erst recht möglich gewesen. Aus -welchen Gründen dies zu Christi Zeiten und noch viele Jahrhunderte -nachher unmöglich war, darüber werden wir uns noch ausführlich zu -verbreiten haben; vorläufig sei bloß konstatiert, _daß_ es unmöglich -war, daß die Wahl bloß zwischen Armut oder Reichtum durch Ausbeutung -stand. - -Diese Alternative schärfer als je zuvor ein Anderer erkannt und sich mit -hinreißender Glut gegen die Ausbeutung gewendet zu haben, ist eben die -unsterbliche That Christi. Er mußte dafür am Kreuze sterben, denn im -Gegensatze von Gerechtigkeit und Kulturnotwendigkeit wird stets die -erstere unterliegen; er mußte sterben, weil er nahezu zwei Jahrtausende -zu früh das Banner wahrer Menschenliebe, Freiheit und Gleichheit, kurz -aller edelsten Gefühle des menschlichen Herzens entrollte -- zu früh, -wohlverstanden für ihn, nicht für uns, denn die träge Menschheit -bedurfte dieser zwei Jahrtausende, um voll zu begreifen, was ihr -Märtyrer gemeint, für _sie_ starb er keinen Tag zu früh. Es gibt also -keinen Gegensatz der christlichen Ideen mit unseren Bestrebungen; der -Unterschied beider liegt bloß darin, daß jene, die erste Verkündigung -des Gedankens der Gleichheit, in eine Zeit fallen, wo die materiellen -Voraussetzungen der Verwirklichung dieser göttlichen Idee noch nicht -vorhanden waren, während diese die »Fleischwerdung des Wortes« zu -bedeuten haben, die Frucht des damals in den Geist der Menschheit -niedergelegten Samenkorns. Auch von einem wirklichen »Mißlingen« des -christlichen Befreiungswerkes kann daher eigentlich nicht die Rede sein: -es liegen bloß zwei Jahrtausende zwischen dem Beginn und dem Abschluß -des von Christus unternommenen Werkes. - -Hiermit schloß der vorgerückten Stunde halber der Präsident die Sitzung, -die Erledigung der auf der Tagesordnung stehenden Frage auf den morgigen -Tag verschiebend. - - - - - 24. Kapitel. - - - Zweiter Verhandlungstag. - (Fortsetzung der Verhandlungen über Punkt 1 der Tagesordnung.) - -Das Wort erhält _Leopold Stockau_ (Centrum): Ich glaube, daß die -Vorfrage des ersten Punktes der Tagesordnung, nämlich ob unsere -gegenwärtigen Bemühungen im Interesse der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -wirklich ohne jedes wie immer geartete weltgeschichtliche Präcedens -dastehen, am gestrigen Tage erschöpfend, und zwar im verneinenden Sinne -erledigt worden ist. Zum mindesten bin ich von den gestrigen Wortführern -der Gegenpartei ermächtigt, zu erklären, daß sie vollkommen davon -überzeugt worden seien, die Lehre Christi unterscheide sich in keinem -wesentlichen Punkte von dem, was in Freiland verwirklicht ist und was -wir nunmehr zum Gemeingute des ganzen Erdkreises machen wollen. Wir -kommen jetzt zum Hauptgegenstande des ersten Fragepunktes, zu der -Erörterung nämlich, warum diese früheren Versuche, Gerechtigkeit und -Freiheit zur Grundlage der menschlichen Wirtschaft zu machen, erfolglos -bleiben mußten. - -Die Antwort auf diese Frage ist durch den letzten Redner des gestrigen -Tages schon angedeutet worden. Die früheren Versuche mißlangen, weil sie -die Gleichheit der Armut etablieren wollten, der unsere wird gelingen, -weil er die Gleichheit des Reichtums bedeutet. Gleichheit der Armut wäre -Stillstand der Kultur gewesen. Kunst und Wissenschaft, diese beiden -Triebfedern des Fortschritts, haben Überfluß und Muße zur Voraussetzung; -sie können nicht bestehen, geschweige denn sich entwickeln, wenn es -Niemand giebt, der mehr besäße, als zur Stillung der tierischen Notdurft -hinreicht. In früheren Epochen menschlicher Kultur war es jedoch -unmöglich, Überfluß und Muße für Alle zu schaffen; es war unmöglich, -weil die Hilfsmittel der Produktion nicht hinreichten, Überfluß für Alle -zu erzeugen, selbst wenn Alle unausgesetzt unter Einsatz ihrer gesamten -physischen Kraft gearbeitet, geschweige denn, wenn sie sich zugleich -jene Muße gegönnt hätten, die zur Entfaltung der höheren geistigen -Kräfte ebenso notwendig ist, wie der Überfluß zur Zeitigung der höheren -geistigen Bedürfnisse. Und da es nicht möglich war, Allen ein vollkommen -menschenwürdiges Dasein zu gewähren, so blieb es eine traurige zwar, -aber darum nicht minder unerschütterliche Kulturnotwendigkeit, die -Mehrzahl der Menschen auch in dem Wenigen, das ihr Teil gewesen wäre, zu -verkürzen und mit dem, den Massen entzogenen Beutestücken eine -Minderzahl auszustatten, die solcherart zu Überfluß und Muße gelangen -konnte. Die Knechtschaft war eine Kulturnotwendigkeit, weil sie allein -zum mindesten in einzelnen Menschen Kulturbedürfnisse und -Kulturfähigkeiten zur Entfaltung zu bringen vermochte, während ohne sie -Barbarei das Los Aller gewesen wäre. - -Falsch ist übrigens die Meinung, als ob die Knechtschaft so alt wäre, -als das Menschengeschlecht; sie ist nur so alt, als die menschliche -Kultur. Es gab einst eine Zeit, in der sie unbekannt war, in der es -keine Herren und Knechte gab und niemand die Arbeit seiner Nebenmenschen -auszubeuten vermochte; nur war das nicht das goldene, sondern das -barbarische Zeitalter unserer Rasse. So lange der Mensch die Kunst noch -nicht erlernt hatte, seine Bedürfnisse zu _erzeugen_, sondern sich damit -begnügen mußte, die freiwilligen Gaben der Natur zu sammeln, zu erjagen; -so lange daher jeder Mitkonkurrent als Feind angesehen wurde, der nach -demselben Gute trachtete, welches jeder Einzelne als die ihm bestimmte -Beute ansah; so lange richtete sich der Daseinskampf unter den Menschen -notwendigerweise auf gegenseitige _Vernichtung_, statt auf Unterjochung -und Ausbeutung. Es nützt dem Stärkeren, Schlaueren noch nichts, die -Schwächeren zu unterjochen; der Konkurrent im Daseinskampfe muß getötet -werden, und da der Kampf von Haß und Aberglauben begleitet ist, so -gelangt man bald dahin, den Getöteten auch zu fressen. Ausrottungskrieg -Aller gegen Alle, gefolgt in der Regel von Kannibalismus, war daher der -Urzustand unseres Geschlechts. - -Überwunden aber wurde diese erste sociale Ordnung nicht durch moralische -oder philosophische Erwägungen, sondern durch einen Wandel im Wesen der -Arbeit. Der Mann, welcher zuerst auf den Gedanken geriet, ein Samenkorn -in die Erde zu legen, es zu pflegen und Früchte heranzuziehen, war der -Erlöser der Menschheit aus der niedrigsten, blutigsten Stufe der -Barbarei, denn er schuf die erste Produktion, die Kunst, Nahrungsmittel -nicht bloß zu sammeln, sondern zu erzeugen; und als diese Kunst sich in -dem Maße verbessert hatte, daß es möglich wurde, dem Arbeitenden einen -Teil seines Ertrages zu entziehen, ohne ihn geradezu dem Hungertode zu -überantworten, zeigte es sich allgemach, daß es nützlicher sei, den -Besiegten als Arbeitstier und nicht wie bisher, als Schlachttier zu -gebrauchen. Und da dem so war, da die Sklaverei zum erstenmal die -Möglichkeit bot, Überfluß und Muße zum mindesten für eine bevorzugte -Minderheit zu schaffen, so war sie die erste Anregerin höherer Kultur. -Kultur aber ist Macht und so kam es denn, daß Sklaverei oder -Knechtschaft in irgend welcher Form allgemach den Erdball eroberten. - -Daraus folgt aber mit nichten, daß die Dauer ihrer Herrschaft eine ewige -sein muß oder auch nur sein kann. Gleichwie Menschenfresserei das -Ergebnis jenes geringsten Ausmaßes der Ergiebigkeit menschlicher Arbeit -gewesen, bei welchem die angestrengteste Thätigkeit eben nur zur -Fristung des nackten tierischen Lebens ausreichte, und der Knechtschaft -weichen mußte, sowie die erste Möglichkeit des Überflusses infolge -wachsender Arbeitsergiebigkeit sich zeigte, so ist auch diese nichts -anderes, als das sociale Ergebnis jenes mittleren Ausmaßes von -Ergiebigkeit, bei welchem die Arbeit zwar genügt, um Einzelnen, nicht -aber, um Allen Überfluß und Muße zugleich zu gewähren, und auch sie -_muß_ einer anderen, höheren socialen Ordnung weichen, sowie dieses -mittlere Maß der Ergiebigkeit überschritten ist, denn von da ab ist sie -aus einer Kulturnotwendigkeit ein Kulturhindernis geworden. - -Das ist seit Generationen thatsächlich geschehen. Seitdem es dem -Menschen gelungen ist, die Naturkräfte seiner Produktion dienstbar zu -machen, seitdem er die Fähigkeit erlangt hat, an Stelle der Kraft seiner -Muskeln die unbegrenzten Elementarkräfte eintreten zu lassen, hindert -ihn nichts, Überfluß und Muße für Alle zu erzeugen -- nichts als jene -überlebte sociale Einrichtung, die Knechtschaft nämlich, welche den -Massen den Genuß dieser Güter vorenthält. Wir können nicht bloß, wir -müssen die soziale Gerechtigkeit verwirklichen, weil die neue Form der -Arbeit dies ebenso gebieterisch fordert, als die alten Formen der Arbeit -gebieterisch die Knechtschaft gefordert haben. Diese, einst das Werkzeug -des Kulturfortschrittes, ist zu einem Hindernisse der Kultur geworden, -denn sie vereitelt den vollen Gebrauch der uns zu Gebote stehenden -Kulturmittel. Dadurch, daß sie die Genüsse der großen Majorität unserer -Brüder auf ein äußerst geringes Maß reduziert, auf ein Maß, zu dessen -Erfüllung der Gebrauch der modernen Produktionsbehelfe keineswegs -erforderlich ist, zwingt sie uns, in unserer Arbeit weit hinter jenem -Umfange und hinter jener Vollkommenheit zurückzubleiben, die wir sofort -erreichen würden, sowie nur einmal Verwendung für die dann -unvermeidliche Fülle aller Reichtümer vorhanden wäre. - -Ich resumiere also: die wirtschaftliche Gleichberechtigung konnte in -früheren Kulturepochen aus dem Grunde nicht verwirklicht werden, weil -menschliche Arbeit in jenen Epochen nicht hinreichend ergiebig war, um -Reichtum für Alle zu ermöglichen, die Gleichheit also Armut für Alle -bedeutet, diese aber gleichbedeutend mit Barbarei gewesen wäre; sie kann -nicht nur, sie _muß_ jetzt zur Wahrheit werden, weil Dank der erlangten -Kulturmittel unerschöpflicher Reichtum für alle produzierbar wäre, die -thatsächliche Produktion dieses dem Kulturfortschritte entsprechenden -Reichtums aber zudem an die Bedingung geknüpft ist, daß jedermann -genieße, was das Ergebnis seines Fleißes ist. - -Der _Vorsitzende_ fragt hierauf, ob niemand fernerhin zu Punkt 1 der -Tagesordnung das Wort ergreifen wolle und erklärt, da dies nicht -geschieht, die Diskussion über dieses Thema für geschlossen. - -Zur Debatte gelangt nun Punkt 2: - -_Ist der Erfolg der freiländischen Institutionen nicht etwa bloß auf das -ausnahmsweise und daher vielleicht vorübergehende Zusammenwirken -besonders günstiger Verhältnisse zurückzuführen, oder beruhen dieselben -auf überall vorhandenen, in der menschlichen Natur begründeten -Voraussetzungen?_ - -Das Wort hat _George Dare_ (Rechte): Wir haben den großartigen Erfolg -eines ersten Versuches der Etablierung wirtschaftlicher Gerechtigkeit in -Freiland so handgreiflich vor uns, daß die Frage, ob ein solcher Versuch -gelingen _kann_, gegenstandlos geworden ist. Ein anderes ist jedoch die -Frage, ob er gelingen _muß_, überall gelingen muß, weil er in diesem -einen Falle gelungen ist. Denn die Verhältnisse Freilands sind -exceptionelle in mehr als einer Beziehung. Von den hervorragenden -Fähigkeiten, dem Feuereifer und Opfermute jener Männer ganz zu -schweigen, welche dieses glückliche Gemeinwesen gründeten und zum Teil -heute noch an dessen Spitze stehen, Männer, wie wir sie mit Sicherheit -nicht überall zur Hand haben werden, darf auch nicht übersehen werden, -daß dieses Land von der Natur so verschwenderisch ausgestattet ist, wie -wenige andere, und daß ein breiter Gürtel von Wüste und Wildnis es -- -anfangs zum mindesten -- vor jedem störenden fremden Einflusse bewahrte. -Wenn geniale, von unbedingtem Vertrauen ihrer Mitbürger getragene -Männer, auf einem Boden, wo jedes Samenkorn hundertfältige Frucht trägt, -das Wunder vollbringen, unerschöpflichen Reichtum für Millionen aus dem -Nichts hervorzuzaubern, Elend und Laster auszurotten, den Fortschritt -der Künste und Wissenschaften auf die Spitze zu treiben, so beweist das -meines Erachtens noch immer nicht, daß gewöhnliche Menschen, die zudem -vielleicht miteinander hadern, einander mißtrauen werden, auf mageren -Boden und mitten im Gewühle des Konkurrenzkampfes der Welt, die gleichen -oder auch nur ähnliche Resultate erzielen werden. Und daß ich in diesem -Punkte einige Zweifel hege, wird um so erklärlicher erscheinen, wenn man -bedenkt, daß wir in Amerika Zeugen hunderter und aber hunderter von -socialen Experimenten waren, die jedoch alle entweder mehr oder minder -kläglich Fiasko litten, oder günstigen Falls die Bedeutung eines -gelungenen industriellen Einzelunternehmens zu erlangen vermochten. Es -ist wahr, einzelne dieser unserer Versuche zu socialer Revolutionierung -der modernen Gesellschaft haben ganz hübsche pekuniäre Erfolge gehabt; -das war aber auch alles; eine neue, ersprießliche Grundlage der socialen -Ordnung haben sie nicht geschaffen, nicht einmal im Keime. Das möchte -ich zu bedenken geben und bevor wir uns am Beispiele Freilands -berauschen, zu nüchterner Erwägung der Frage auffordern, ob alles, was -für Freiland Geltung hat, auch für die ganze übrige Welt Geltung haben -muß. - -_Thomas Johnston_ (Freiland): Der Vorredner irrt, wenn er in -ausnahmsweise günstigen Verhältnissen den Grund des Gelingens des -freiländischen Unternehmens zu finden glaubt. Zwar daß unser Boden -fruchtbarer ist, als in den meisten Teilen der übrigen Welt, ist ein -dauernder Vorteil, der uns jedoch bloß mit dem Betrage der -Frachtdifferenz zugute kommt, denn wenn Sie diesen in Abrechnung -bringen, können Sie überall, wohin Eisenbahn und Dampfschiff reichen, am -Gewinne dieser Fruchtbarkeit vollständig teilnehmen. Die Getrenntheit -vom Weltmarkte durch weite Wüsten war anfangs ein Vorteil, wäre aber -jetzt ein Nachteil, wenn wir ihrer nicht Herr geworden wären, und was -schließlich die Fähigkeiten der freiländischen Verwaltung anlangt, so -muß ich -- nicht aus Bescheidenheit, sondern der Wahrheit entsprechend --- die uns gemachten Komplimente ablehnen. Wir sind nicht klüger als -andere, die Sie zu Dutzenden in jedem civilisierten Lande finden werden. - -Daß aber jene Versuche, von denen der geschätzte Vorredner sprach, -allesamt mißglückten, erklärt sich daraus, daß sie allesamt auf -verkehrter Grundlage unternommen wurden. Mit dem, was wir in Freiland -vollführten und was Sie jetzt nachahmen wollen, haben sie alle bloß ganz -im Allgemeinen das Bestreben gemein, Abhilfe gegen das Elend der -ausbeuterischen Welt zu finden; ein anderes aber ist die Abhilfe, die -wir, eins die, anderes die, welche jene suchten, und darin, nicht in -exceptionellen Vorteilen, die wir voraus gehabt hätten, liegt die -Ursache des Gelingens bei uns, des Mißlingens bei jenen. - -Denn es war nicht die wirtschaftliche Gerechtigkeit, mit deren Hilfe -jene zum Ziele gelangen wollten; sie suchten Rettung aus dem Kerker der -Ausbeutung, sei es auf einem Wege, der gar nicht hinausführt, sei es auf -einem solchen, der zwar aus diesem hinaus, dafür aber in einen anderen, -noch abscheulicheren Kerker hineinführt. Bei keinem dieser -amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den Kolonien der -Quäker bis zu dem Ikarien Cabets wurde jemals der volle und -ungeschmälerte Arbeitsertrag dem Arbeitenden als solchem zugewiesen, -vielmehr gehörte der Ertrag entweder kleinen, sich am Unternehmen -zugleich als Arbeiter beteiligenden Arbeitgebern nach Maßgabe ihrer -Kapitaleinlage, oder der Gesamtheit, die als solche über die -Arbeitskraft sowohl als über den Arbeitsertrag jedes Einzelnen -despotisch zu disponieren hatte. Associierte kleine Kapitalisten oder -Kommunisten waren ohne Ausnahme alle diese Reformer. Sie mochten, wenn -sie besonderes Glück hatten, oder unter besonders fähiger Leitung -standen, vorübergehende Erfolge erzielen; an einen Umschwung der -geltenden Wirtschaftsordnung durch sie war nicht zu denken. - -_Johann Storm_ (Rechte). Ich glaube, daß das Fehlen jeglicher Analogie -zwischen den wiederholt unternommenen kleinkapitalistischen oder -kommunistischen Gesellschaftsrettungsversuchen und den freiländischen -Institutionen keines ferneren Beweises bedarf. Auch darüber erachte ich -die Akten als geschlossen, daß die exceptionellen äußeren Vorteile, die -den Erfolg jener letzteren allenfalls begünstigt und erleichtert haben -mögen, nicht von der Art sind, daß zu besorgen wäre, unser nunmehr -beabsichtigtes Werk könnte wegen deren Mangel scheitern. Aber damit -wissen wir immer noch nicht, ob wirklich tief im Wesen der menschlichen -Natur gelegene, also mit Sicherheit überall zu erwartende -Voraussetzungen für das Gelingen der Socialreform Gewähr leisten. Wir -haben allerdings schon bei Gelegenheit der Diskussion des ersten Punktes -de Tagesordnung festgestellt, daß die Ausbeutung, Dank der über die -Naturkräfte erlangten Herrschaft, zu einer Kulturwidrigkeit, ihre -Beseitigung also zu einer Kulturnotwendigkeit geworden ist. Die strenge -Kritik kann sich jedoch damit noch nicht beruhigen. Ist denn alles, was -behufs Förderung des Kulturfortschrittes notwendig wäre, damit zugleich -auch möglich? Wie, wenn die wirtschaftliche Gerechtigkeit zwar ein ganz -außerordentliches Kulturvehikel, leider aber aus irgend einem Grunde -undurchführbar wäre? Wie, wenn jener wunderbare Aufschwung, den wir in -Freiland staunend wahrnehmen, doch nur eine vorübergehende Erscheinung -wäre, trotz aller, ja vielleicht gerade wegen seiner märchenhaften Größe -den Keim des Unterganges schon in sich trüge, mit einem Worte, wenn die -Menschheit als Ganzes und auf die Dauer jenes Fortschrittes _nicht_ -teilhaftig werden könnte, dessen Voraussetzung allerdings die -wirtschaftliche Gerechtigkeit ist? - -Der bisher vernommene Beweis des Gegenteils gipfelt in dem Satze, daß -Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bloß insolange notwendig war, -als der Ertrag menschlicher Arbeit nicht genügte, um Überfluß und Muße -für alle zu ermöglichen. Wie aber, wenn auch noch andere Motive die -Ausbeutung, die Knechtschaft zur Notwendigkeit machten, Motive, deren -zwingende Wirkung mit der gestiegenen Ergiebigkeit der Arbeit noch nicht -beseitigt wäre, vielleicht gar niemals beseitigt werden könnte? Als -gewaltigstes Hindernis dauernder Etablierung eines Zustandes -wirtschaftlicher Gerechtigkeit mit seinem Gefolge von Glück und Reichtum -bietet sich dem vorsorglich in die Zukunft blickenden Sinne die Gefahr -der Übervölkerung dar; doch da die Erörterung dieses Bedenkens einen -besonderen Punkt unserer Tagesordnung bildet, so will auch ich gleich -jenen meiner Gesinnungsgenossen, die vor mir das Wort ergriffen, -vorläufig die sich unter diesem Gesichtspunkte aufdrängenden Argumente -bei Seite lassen; es gibt deren aber noch einige andere, nicht minder -gewichtige. Kann auf die Dauer eine Gesellschaft bestehen und -fortschreiten, welcher die Triebfeder des Eigennutzes fehlt, vermögen -Gemeinsinn und vernünftige Erwägung letztere durchweg und mit gleicher -Wirksamkeit zu ersetzen? Gilt nicht dasselbe vom Eigentume? Eigennutz -und Eigentum aber sind meines Erachtens durch die freiländischen -Institutionen zwar nicht gänzlich bei Seite geschoben -- das will ich -gern zugeben -- aber doch sehr wesentlich eingeengt. Auch unter dem -Walten der wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist das Individuum immerhin -für das geringere oder größere Maß seines Wohlergehens selber -verantwortlich, der Zusammenhang zwischen dem eigenen Thun und dem -eigenen Nutzen ist nicht vollständig aufgehoben; aber indem das -Gemeinwesen jedermann und für alle Fälle gegen Not, also gegen die -letzte Konsequenz eigener Fehler oder Unterlassungen unbedingt schützt, -ist doch der Stachel der Selbstverantwortlichkeit sehr wesentlich -abgestumpft. Ebenso sehen wir das Eigentum zwar nicht gänzlich, aber -doch in seinen wichtigsten Bestandteilen abgeschafft. Die ganze Erde mit -allen an ihr haftenden Kräften ist herrenlos erklärt; die -Produktionsmittel sind Gemeingut; wird das, kann das überall und -allezeit ohne schädliche Konsequenzen bleiben? Wird der Gemeinsinn auf -die Dauer jene liebevolle, alle Eventualitäten sinnreich abwägende -Vorsorge ersetzen, die der Eigentümer dem ihm allein überantworteten -Gute angedeihen läßt? Wird die heitere Sorglosigkeit, die bisher in -Freiland allerdings bloß ihre Lichtseiten hervorgekehrt hat, nicht -schließlich in Leichtsinn und Mißachtung dessen umschlagen, was -Niemandes spezieller Verantwortlichkeit übergeben ist? Die Thatsache, -daß es bisher nicht geschehen, erklärt sich vielleicht nur durch die -noch immer -- es ist ja noch kein Menschenalter über die Gründung dieses -Gemeinwesens dahingegangen -- vorwaltende Begeisterung des ersten -Anfanges. Neue Besen, sagt man, kehren gut. Der Freiländer sieht das -Auge einer ganzen Welt auf sich und sein Thun gerichtet; er fühlt sich -noch als Bahnbrecher der neuen Einrichtungen; er ist stolz auf dieselben -und der letzte Arbeiter hier mag sich solcherart noch verantwortlich -fühlen für die Art und Weise, wie er das ihm zugefallene Apostolat der -Weltfreiheit ausübt. Wird das auf die Dauer vorhalten, wird insbesondere -die gesamte Menschheit ähnlich fühlen und handeln? Ich bezweifle es, bin -zum mindesten nicht vollkommen von der Notwendigkeit überzeugt, daß es -geschehen werde. Und was dann, wenn es nicht geschieht, wenn sich zeigen -sollte, daß -- sagen wir nicht alle, aber doch zahlreiche -- Völker des -Stachels von Not getriebenen Eigennutzes, des Lockmittels vollen und -ganzen Eigentums nicht entbehren können, ohne in Stumpfsinn und Trägheit -zu verfallen? Das sind die Fragen, auf die wir zunächst Antwort -erbitten. - -_Richard Held_ (Centrum). Der Vorredner findet, daß Eigennutz und -Eigentum so wichtige Beförderungsmittel der Betriebsamkeit sind, daß -ohne deren volle und uneingeschränkte Wirksamkeit menschlicher -Fortschritt auf die Dauer kaum denkbar und deren Ersatz durch den -Gemeinsinn höchst unverläßlich wäre. Ich gehe viel weiter. Ich behaupte, -daß ohne diese beiden Vehikel der Betriebsamkeit an materielles Gedeihen -irgend welchen Gemeinwesens gar nicht zu denken ist, zum mindesten -insolange nicht, bis die menschliche Natur sich nicht radikal geändert, -oder die Arbeit aufgehört hat, eine Plage zu sein. Jeder Versuch, auf -wirtschaftlichem Gebiete den Eigennutz durch Gemeinsinn oder -anderweitige ethische Triebfedern zu ersetzen, müßte schmählich Fiasko -leiden. Das eigens zu beweisen, halte ich für ganz überflüssig; aber -gerade weil dem so ist, gerade weil der Eigennutz und sein Korrelat, das -Eigentum, die besten, durch keinerlei Surrogat gleich wirksam zu -ersetzenden Triebfedern der Arbeit sind, gerade deshalb, so sollte ich -meinen, verdienen die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -auch in diesem Betracht ganz ausgesprochener Maßen den Vorzug vor denen -der ausbeuterischen Wirtschaftsordnung. Denn sie erst bringen Eigennutz -und Eigentum wirklich zur Geltung, während die ausbeuterische Ordnung -sich dieses Verdienst nur fälschlich anmaßt. - -Die Knechtschaft ist doch in Wahrheit geradezu die Verneinung des -Eigennutzes. Dieser setzt voraus, daß der Arbeitende durch seine Mühe -dem »eigenen Nutzen« diene -- trifft dies unter dem Walten der -Ausbeutung zu, arbeitet der Knecht zu _eigenem_ Nutzen? Wollte man mit -Rücksicht auf die Frage des Eigennutzes einen Nachteil der -wirtschaftlichen Gerechtigkeit der Knechtschaft gegenüber ableiten, so -müßte man behaupten, die Arbeit gehe dann am fruchtbarsten und -erfolgreichsten von statten, wenn der Arbeitende _nicht_ zu eigenem, -sondern zu fremdem Nutzen produciere. Aber der Arbeitgeber produciert -doch zu eigenem Nutzen, wird man vielleicht einwenden. Richtig. Doch -abgesehen davon, daß auch das streng genommen mit der Wirkung des -Eigennutzes _der Arbeit_ gegenüber nichts zu thun hat, denn hier ist es -wieder nicht der Nutzen eigener, sondern fremder Arbeit, der in Frage -kommt; so ist es doch klar, daß ein System, welches bloß einer -Minderzahl Nutzen an der Arbeit einräumt, unendlich minder wirksam sein -muß, als jenes andere, von uns beabsichtigte, welches diesen Nutzen -_jedem_ Arbeitenden einräumt. In Wahrheit kennt die ausbeuterische Welt --- von geringfügigen Ausnahmen abgesehen -- nur Menschen, welche ohne -eigenen Nutzen arbeiten und Menschen, welche ohne eigene Arbeit Nutzen -von der Arbeit haben; Arbeit zu eigenem Nutzen kommt in ihr höchstens -nebensächlich vor. Mit welchem Scheine von Recht darf sich also die -Ausbeutung damit brüsten, den _Eigen_nutz als Triebfeder der Arbeit zu -gebrauchen? _Fremd_nutzen ist der richtige Name des bei ihr ins Spiel -kommenden Arbeitmotivs, und daß dieser Fremdnutzen sich wirksamer -erweisen sollte, als der Eigennutz, den die wirtschaftliche -Gerechtigkeit erst als Neuerung in die moderne Welt einführen muß, wäre -denn doch einigermaßen schwer zu beweisen. - -Nicht viel anders verhält es sich mit dem Eigentume. Welch grenzenlose -Voreingenommenheit gehört dazu, einem Systeme, welches neunundneunzig -Hundertteile der Menschheit aller und jeglicher Sicherheit des Eigentums -beraubt, ihnen außer der Luft, die sie atmen, nichts läßt, was sie ihr -eigen nennen dürften, nachzurühmen, daß es das Eigentum als -Beförderungsmittel menschlicher Betriebsamkeit gebrauche, und dies einem -anderen Systeme gegenüber, welches alle Menschen ohne Ausnahme zu -Eigentümern, und zwar zu unverkürzten unbedingten Eigentümern all dessen -macht, was sie nur immer hervorbringen mögen! Oder soll vielleicht der -Vorzug des ausbeuterischen »Eigentums« darin liegen, daß es sich auf -Dinge erstreckt, die der Eigentümer _nicht_ hervorgebracht hat? Keine -Frage, die Anhänger des Alten haben schlechthin keine klare Vorstellung -über den Begriff des Mein und Dein. Was gehört denn eigentlich _mir_? -»Alles, was Du Irgendwem wegnimmst«, wäre -- wenn sie aufrichtig sein -wollten -- ihre einzige Antwort. Weil diese Aneignung _fremden_ -Eigentums im Laufe der Jahrtausende in gewisse feste, durch grausame -Notwendigkeit geheiligte Formen gebracht worden ist, kam ihnen der -unlöslich mit dem Wesen der Sache verknüpfte, natürliche Begriff des -Eigentums gänzlich abhanden. Es geht über ihr Begriffsvermögen, daß die -Gewalt zwar in Besitz und Genuß erhalten kann, wen ihr beliebt, daß aber -der freie ungehinderte Gebrauch der eigenen Kräfte Jedermanns -ureigenstes Eigentum ist, und daß folglich jede staatliche oder -gesellschaftliche Ordnung, welche sich über dieses Urrecht jedes -Menschen hinwegsetzt, nicht das Eigentum, sondern -- den Raub zur -Grundlage hat. Dieser Raub mag immerhin notwendig, ja nützlich sein -- -wir haben gesehen, daß er es Jahrtausende hindurch thatsächlich gewesen --- »Eigentum« wird er darum doch niemals, und wer ihn dafür hält, der -hat eben vergessen, was Eigentum ist. - -Es erscheint mir nach dem Gesagten kaum noch nötig, viel Worte über -jenes Bedenken zu verlieren, daß mangels vollkommenen Eigentums -Leichtsinn oder liebloses Verfahren mit den Produktionsmitteln einreißen -könne. Ersteres anlangend, genügt es wohl zu fragen, ob denn -hoffnungsloses Elend sich als gar so vorzügliches Beförderungsmittel -wirtschaftlicher Voraussicht erwiesen habe, daß dessen Ersatz durch eine -dieses Stachels allerdings beraubte, im übrigen aber vollkommen -durchgeführte Selbstverantwortlichkeit sich als gefährlich erweisen -könnte. Und was das zweite Bedenken betrifft, so hätte dieses nur dann -Berechtigung, wenn in der bisherigen Ordnung die Arbeitenden Eigentümer -der Produktionsmittel gewesen wären. Sondereigentum an diesen wird ihnen -zwar auch die neue Ordnung nicht einräumen, dafür aber den -ungeschmälerten Fruchtgenuß derselben, und wessen Begeisterung für die -Schönheiten der bestehenden Ordnung nicht so weit geht, daß er den Stock -des Herrn für ein wirksameres Beförderungsmittel auch der liebevollen -Vorsorge hält, als den Nutzen der Arbeitenden, der mag beruhigt darüber -sein, daß es auch in dieser Beziehung nicht schlimmer, sondern nur -besser werden kann. - -_Charles Prud_ (Rechte). Ich begreife durchaus nicht, wie der geehrte -Vorredner bestreiten kann, daß in der bisherigen Ordnung Eigennutz es -ist, was die Massen zur Arbeit nötigt. Wer wollte leugnen, daß sie einen -Teil des Nutzens ihrer Arbeit abgeben müssen; aber ein anderer Teil -verbleibt doch jedenfalls auch ihnen, sie arbeiten daher, zwar nicht -ausschließlich, wohl aber mit zu ihrem eigenen Nutzen. Und jedenfalls -_müssen_ sie arbeiten, wollen sie dem Hunger entgehen, und man sollte -meinen, daß dieser Sporn der wirksamste von allen ist. Soviel über die -Leugnung des Eigennutzes als Triebfeder der sogenannten ausgebeuteten -Arbeit. Was aber den Ausfall gegen den Eigentumsbegriff von uns -Verteidigern -- nicht etwa der bestehenden Übelstände, aber doch einer -besonnenen, maßhaltenden Reform derselben -- anlangt, so möchte ich mir -in aller Bescheidenheit die Bemerkung erlauben, daß unser Rechtsgefühl -sich dabei beruhigte, daß den Arbeitenden Niemand zwang, mit dem -Arbeitgeber zu teilen. Er schloß als freier Mann einen Vertrag mit -demselben ... (allgemeine Heiterkeit). Lachen Sie immerhin, es ist doch -so. In politisch freien Ländern hindert den Arbeiter nichts, ungeteilt -für eigene Rechnung zu arbeiten; den Anteil, den er dem Unternehmer -abtritt, Raub zu nennen, ist daher jedenfalls ungerecht. - -_Béla Székely_ (Centrum). Mir will scheinen, daß es ein müßiger Streit -um Worte ist, den mein Vorredner zu entfesseln sich anschickt. Er nennt -den Arbeitslohn einen Teil des Nutzens der Produktion -- mag sein, daß -hie und da die Arbeiter wirklich einen Teil des Nutzens als Lohn oder -als Zugabe zu diesem empfangen; bei uns und, wenn ich recht unterrichtet -bin, auch im Lande des Redners war das im allgemeinen nicht üblich, -vielmehr zahlten wir den Arbeitern, ganz unbekümmert um den Nutzen ihrer -Arbeit, eine zur Fristung ihres Lebens dienende Summe; Nutzen -- -eventuell auch Schaden -- der Produktion gehörte ausschließlich uns, den -Unternehmern. Mit ungefähr demselben Rechte könnte er behaupten, daß -seine Ochsen oder Pferde am »Nutzen« der Produktion teilhaben. Wenn ich -sage, mit »ungefähr« demselben Rechte, so meine ich damit, daß dies von -Ochsen und Pferden in der Regel mit etwas _besserem_ Rechte gesagt -werden könnte, denn während diese nützlichen Kreaturen zumeist besseres -und reichlicheres Futter erhielten, wenn ihre Arbeit den Herrn reich -gemacht hatte, geschah dies bei unseren zweibeinigen, vernunftbegabten -Arbeitskreaturen höchstens in sehr seltenen Ausnahmefällen. - -Dann identificiert der Herr Vorredner vollends den Hunger mit dem -Eigennutze. Die Massen _müssen_ arbeiten, sonst verhungern sie. -Allerdings. Aber der Sklave muß auch arbeiten, sonst erhält er Prügel -- -folglich, so sollten wir nach dieser seltsamen Logik sagen, wird auch -der Sklave durch Eigennutz zur Arbeit getrieben. Oder will man sich -vielleicht darauf steifen, daß Eigennutz sich nur auf die Erlangung -materieller Güter beziehe? Das wäre zwar falsch, denn Prügel vermeiden -ist schließlich nicht mehr und nicht minder eine Forderung des -Eigennutzes, als den Hunger stillen; aber ich will um solche -Kleinigkeiten nicht streiten; lassen wir also den Stock und die Peitsche -als Symbole vom Eigennutz beflügelter Betriebsamkeit fallen. Wie aber -steht es dann mit jenen Sklavenhaltern, die -- wahrscheinlich im -Interesse der >Freiheit der Arbeit< -- ihre faulen Sklaven nicht -prügelten, sondern hungern ließen? Unter deren Regime wurde -- dem -Vorredner nach -- offenbar der Eigennutz als Triebfeder der Arbeit auf -den Thron gesetzt? Daß der Hunger ein sehr wirksames _Zwangs_mittel ist, -ein wirksameres, als die Peitsche -- wer wollte das leugnen; er hat -daher letztere auch überall und sehr zum Vorteile der Arbeitgeber -verdrängt. Aber Eigennutz? Dazu gehört, das sagt schon der Klang des -Wortes, daß der Nutzen der Arbeit Eigen des Arbeitenden sei. Soviel über -den Eigennutz. - -Und was nun vollends die Verwahrung gegen das Unrecht der Ausbeutung -anlangt, so verstehe ich dieselbe schon ganz und gar nicht. >Frei< waren -die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem Vorteil zu producieren? -Jawohl, nichts als die Kleinigkeit, der Hunger. Sie mochten es immerhin -bleiben lassen, wenn sie verhungern wollten! Wieder genau dieselbe ->Freiheit<, die auch der Sklave hat. Wenn ihn die Peitsche nicht -geniert, nötigt ihn nichts zur Arbeit für seinen Herrn. Die Fesseln, in -denen die >freien< Massen der ausbeuterischen Gesellschaft schmachten, -sind enger, peinigender, als die Ketten des Sklaven. Das Wort >Raub< -gefällt dem Vorredner nicht? Es ist in der That ein hartes, häßliches -Wort; aber der >Räuber< ist ja nicht der einzelne Ausbeuter, sondern die -ausbeuterische Gesellschaft und diese war einst, in der bitteren Not des -Daseinskampfes, zu diesem Raube genötigt. Ist das Töten im Kriege -deshalb weniger Todschlag, weil nicht der Einzelne, sondern der Staat, -und dieser häufig notgedrungen, die Veranlassung dazu giebt? Man wird -sagen, daß diese Art des Tötens durch das Strafgesetz nicht verboten, ja -von der Pflicht gegen das Vaterland geboten sei und daß >Todschlag< nur -verbotene Arten des Tötens genannt werden dürfen. Das ist _juristisch_ -sehr richtig, und wenn sich jemand beifallen ließe, das Töten im Kriege -vor den Strafrichter zu ziehen, so würde man ihn mit Fug auslachen. Aber -ebenso verlachen müßte man Jenen, der, weil Töten im Kriege erlaubt ist, -bestreiten wollte, dasselbe sei Todschlag, wenn es sich nicht um die -juristische Strafbarkeit, sondern um die Begriffsbestimmung des -Totschlags als einer Handlungsweise handelte, bei welcher ein Mensch -gewaltsam vom Leben zum Tode gebracht wird. So ist auch die Ausbeutung -kein Raub im strafrechtlichen Sinne; wenn aber jede Aneignung fremden -Eigentums Raub genannt werden darf -- und nur darum handelt es sich im -vorliegenden Falle -- dann ist Raub und nichts anderes die Grundlage -jeder ausbeuterischen Gesellschaft, der modernen >freien< nicht minder, -als der auf Sklaverei oder Hörigkeit gestützten antiken oder -mittelalterlichen. (Lang andauernder Applaus, in welchen auch die Herren -Johann Storm und Charles Prud einstimmen). - - (Schluß des zweiten Verhandlungstages.) - - - - - 25. Kapitel. - - - Dritter Verhandlungstag. - (Fortsetzung der Debatte über Punkt 2 der Tagesordnung.) - -_James Brown_ (Rechte). Unser Kollege aus Ungarn hat gestern die wahre -Beschaffenheit des Eigennutzes und des Eigentums in der ausbeuterischen -Gesellschaft mit so markigen Worten gekennzeichnet, daß davon fürderhin -wohl nicht mehr die Rede sein wird. Aber wenn es auch richtig ist, daß -erst die wirtschaftliche Gerechtigkeit diese beiden Triebfedern der -Arbeit in ihr Recht einzusetzen vermöchte, so muß immer noch gefragt -werden, ob der einzige Weg, der zu diesem Ziele führt, nämlich die -Organisation freier, selbstherrlicher, unausgebeuteter Arbeit sich -überall und ausnahmslos praktikabel erweisen wird. Mit der noch so -feierlichen Proklamierung des Grundsatzes, daß jeder Arbeitende sein -eigener Herr sei und mit noch so vollständiger Einräumung des -Verfügungsrechtes über die Produktionsmittel an alle Arbeitenden, wäre -wenig gewonnen, wenn letztere sich unfähig erweisen sollten, von diesen -Rechten den entsprechenden Gebrauch zu machen. Worauf es in letzter -Linie ankommt, das ist also die Frage, ob die Arbeiter der Zukunft -allezeit und überall jene Disciplin, jene Mäßigung und Weisheit an den -Tag legen werden, die zur Organisierung wahrhaft fruchtbringender, -fortschrittlicher Produktion erforderlich sind? Die ausbeuterische -Wirtschaft hat eine vieltausendjährige Routine hinter sich; wie es -anzustellen sei, um eine Schar zu stummem Gehorsam gezwungener Knechte -in Ordnung zu erhalten, das sagt dem Arbeitgeber nach altem Rechte die -gesammelte Erfahrung unzähliger Generationen. Trotzdem begeht auch er -häufig Mißgriffe und nur zu oft scheitern seine Pläne an der -Widersetzlichkeit der Untergebenen. Die Leiter der Arbeiterassociationen -der Zukunft haben so gut wie keinerlei Erfahrungen hinter sich, wenn es -sich um die Organisationsformen handelt, welche sie anzuwenden haben; -sie werden diejenigen zu Herren erhalten, denen sie befehlen sollen -- -und trotzdem, so sagt man uns, kann ihnen der Erfolg nicht fehlen, ja er -darf nicht fehlen, soll die associierte freie Gesellschaft nicht in -ihren Grundfesten erschüttert werden. Denn während die ausbeuterische -Gesellschaft die Verantwortlichkeit für das Schicksal der einzelnen -Unternehmungen ausschließlich diesen Unternehmungen selber überläßt, -hängt vermöge der so oft hervorgehobenen Interessensolidarität der -freien Gesellschaft das Wohl und Wehe der Gesamtheit aufs unlöslichste -mit dem jeder einzelnen Unternehmung zusammen. Ich will mich gern eines -Besseren belehren lassen; aber insolange dies nicht geschehen ist, kann -ich nicht umhin, in dem soeben Gesagten Bedenken zu erblicken, welche -durch die bisherigen Erfahrungen Freilands mit nichten völlig zerstreut -sind. Die freiländischen Arbeiter haben es verstanden, sich zu -disciplinieren; folgt daraus, daß dies die Arbeiter überall verstehen -werden? - -_Miguel Spada_ (Linke). Ich beschränke mich darauf, eine kurze Antwort -auf jene Frage zu erteilen, mit welcher der Vorredner geschlossen. Nein, -sicherlich, daraus, daß den Freiländern die Organisierung und -Disciplinierung der Arbeit ohne herrische Arbeitgeber gelungen ist und -daraus, daß sie ganz unfraglich noch zahlreichen anderen Völkern -gelingen wird, folgt mit nichten, daß sie _allen_ Völkern -notwendigerweise gelingen muß. Möglich, ja sagen wir immerhin -wahrscheinlich, daß einzelne Völker sich unfähig erweisen werden, von -dieser höchsten Art des Selbstbestimmungsrechtes Gebrauch zu machen; um -so schlimmer für diese. Aber daraus, das will ich hoffen, wird doch -Niemand die Folgerung ableiten, daß auch jene Völker, und befänden sie -sich selbst in der Minderzahl, denen diese Fähigkeit nicht abgeht, auf -die Anwendung derselben verzichten sollen. Diese Fähigeren werden dann -die Lehrmeister der Unfähigeren werden. Sollten sich aber diese nicht -nur unfähig, sondern auch als ungelehrig erweisen -- je nun, dann werden -sie eben so von dem Erdboden verschwinden, wie ungelehrige Kannibalen -verschwinden müssen, wo sie mit Kulturnationen in Berührung treten. Daß -die Nation, welcher der Fragesteller angehört, diesen unfähigen Nationen -_nicht_ beigezählt werden muß, darauf mag er sich getrost verlassen. - -_Wladimir Tonof_ (Freiland). Das geehrte Mitglied aus England (Brown) -hat eine unrichtige Vorstellung sowohl von den Schwierigkeiten der hier -in Frage kommenden Organisation und Disciplin, als von der Bedeutung -eventueller Mißerfolge einzelner Unternehmungen in einem freien -Gemeinwesen. Erstere anlangend will ich darauf hinweisen, daß in der -Organisation associierter Kapitalien, die bekanntlich Jahrhunderte alt -ist, eine keineswegs zu verachtende Vorschule der Arbeitsassociation -gegeben ist, soweit es sich um die dabei zu wählenden Formen der Leitung -und Überwachung handelt. Zwar giebt es Verschiedenheiten -tiefeingreifender Art, die wohl beachtet sein wollen; es liegt aber im -Wesen der Sache, daß die Unterschiede alle zu Gunsten der -Arbeitsassociation sich geltend machen. Bei diesen sind nämlich die -Hauptgebrechen der Kapitalsassociation, das sind Unkenntnis und -Gleichgiltigkeit der Genossen den Aufgaben des Unternehmens gegenüber, -nicht zu besorgen und es ist daher hier auch jener peinliche, die -Aktionsfreiheit der Leitung lähmende und trotzdem nutzlose -Kontrollapparat, welcher den Statuten der Kapitalsvergesellschaftungen -als Ballast anhaftet, vollkommen entbehrlich. Der einzelne Aktionär -versteht in der Regel nichts von den Geschäften seiner Gesellschaft und -hat ebenso in der Regel gar nicht die Absicht, sich um den Geschäftsgang -anders, als durch Empfangnahme der Dividenden zu kümmern. Trotzdem ist -_er_ der Herr des Unternehmens, von seinem Votum hängt dessen Schicksal -in letzter Linie ab; welche Umsicht ist daher vonnöten, -um diesen Aktionär vor den möglichen Folgen der eigenen -Unkenntnis, Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit zu schützen! Die -vergesellschafteten Arbeiter dagegen sind mit dem Wesen ihres -Unternehmens sehr wohl vertraut, dessen Gedeihen ist ihr vornehmstes -materielles Interesse und wird von ihnen auch ausnahmslos als solches -erkannt. Das sind ausschlaggebende Vorteile. Oder will man darin eine -besondere Schwierigkeit sehen, daß die Arbeiter sich der Leitung von -Personen unterwerfen sollen, deren Stellung von ihrem, der zu Leitenden, -Votum abhängt? Dann könnte man mit demselben Rechte die Autorität aller -aus Wahl hervorgehenden politischen und sonstigen Behörden anzweifeln. -Den Leitern fehlt jegliches Mittel, Gehorsam zu _erzwingen_? Falsch; es -fehlt ihnen nur eines, das Recht, den Unbotmäßigen willkürlich zu -entlassen. Aber dieses Recht fehlte auch gar mancher anderen, auf -Disciplin und vernünftige Fügsamkeit der Mitglieder angewiesenen -Körperschaft, die nichtsdestoweniger, oder gerade deshalb weitaus -bessere Disciplin hielt, als jene Vereinigungen, deren Gehorsam durch -die weitestgehenden Zwangsmittel gewährleistet war. Zwar kann, wo der -äußere Zwang fehlt, die Disciplin schwerer in Tyrannei ausarten, aber -das ist doch wahrlich kein Übel. Zudem steht den Leitern freier -Arbeitervergesellschaftungen ein Zwangsmittel der Disciplin zur -Verfügung, dessen Gewalt schrankenloser und unbedingter ist, als die der -schonungslosesten Tyrannei: die alles umfassende gegenseitige Kontrolle -der Genossen, deren Einfluß selbst der Hartnäckigste auf die Dauer nicht -widerstehen kann. Allerdings ist zu all dem unerläßlich, daß die -Arbeitenden insgesamt, oder doch zu weitaus überwiegendem Teile -vernünftige Männer seien, deren Intelligenz zu nüchterner Abwägung des -eigenen Vorteils ausreicht. Allein das ist ja ganz im Allgemeinen die -erste und oberste Voraussetzung der Etablierung wirtschaftlicher -Gerechtigkeit. Daß diese -- das Endergebnis des bisherigen -Entwicklungsganges der Menschheit -- nur für Menschen paßt, die sich aus -dem untersten Stadium der Brutalität herausgearbeitet haben, unterliegt -in keinem Betracht einer Frage. Daraus folgt, daß Völker und Individuen, -welche diese Stufe der Entwicklung noch nicht erreicht haben, zu -derselben erzogen werden müssen, welches Erziehungswerk bei nur einigem -guten Willen durchaus nicht schwer ist. Daß es, ernstlich in Angriff -genommen, irgendwo gänzlich mißlingen könnte, bezweifeln wir. - -Und nun besehen wir uns die zweite Seite der aufgeworfenen Frage. Ist es -richtig, daß vermöge der im freien Gemeinwesen waltenden -Interessensolidarität das Wohl und Wehe der Gesamtheit unlöslich mit dem -jeder einzelnen Unternehmung zusammenhänge? Versteht man darunter, daß -in einem solchen Gemeinwesen Jedermann an Jedermanns Wohl, also auch am -Gedeihen jeder Unternehmung interessirt ist, so entspricht dies -vollkommen dem Sachverhalte; soll aber -- und das war ersichtlich die -Meinung des geehrten Redners -- damit gesagt sein, daß das Wohl eines -solchen Gemeinwesens vom Gedeihen jedes einzelnen Unternehmens seiner -Angehörigen abhänge, so ist dies durchaus grundlos. Geht es einem -Unternehmen schlecht, so verlassen es seine Mitglieder und wenden sich -einem besser gedeihenden zu, das ist alles. Wohl aber schützt umgekehrt -diese mit der Interessensolidarität verknüpfte Beweglichkeit der -Arbeitskräfte das freie Gemeinwesen vor tiefergehenden Folgen etwa -wirklich begangener Mißgriffe. Kommt es irgendwo zu übelberatenen -Wahlen, so können die ungeschickten Geschäftsleiter verhältnismäßig -geringes Unheil stiften; sie sehen sich, d. h. das von ihnen geleitete -Unternehmen, sehr rasch von Arbeitern verlassen, die Verluste bleiben -bedeutungslos, weil auf einen kleinen Kreis beschränkt. Ja, diese -Beweglichkeit erweist sich in letzter Linie als wirksamstes Korrektiv -aller wie immer gearteten Fehler, als das Mittel, welches überall die -mangelhaften Organisationsformen und schwachen Intelligenzen verdrängt -und gleichsam automatisch durch tüchtigere ersetzt. Denn die aus welchem -Grunde immer schlecht gedeihenden Unternehmungen werden stets in -verhältnismäßig kurzer Zeit von den besseren aufgesogen, ohne daß dies, -wie in der ausbeuterischen Gesellschaft, zum Ruine der bei ersteren -Beteiligten führen könnte. Es ist daher auch nicht nötig, daß diese -freien Organisationen überall gleich im ersten Anlaufe das Beste -treffen, damit schließlich allenthalben Ordnung und Tüchtigkeit -herrsche; denn im friedlichen Wettbewerbe verschwindet das Mangelhafte -rasch vom Schauplatze, indem es in die als tüchtig erprobten -Unternehmungen aufgeht, die dann allein das Feld behaupten. - -_Miguel-Diego_ (Rechte). Wir wissen nunmehr, daß die neue Ordnung alle -natürlichen Erfordernisse des Gelingens in sich vereinigt; daß ihre -Einführung ein Erfordernis des Kulturfortschrittes sei, wurde früher -schon nachgewiesen. Wie kommt es trotz alledem, daß dieselbe nicht als -das Ergebnis des Zusammenwirkens elementarer, gleichsam automatisch -eintretender geschichtlicher Vorgänge, sondern vielmehr als eine Art -Kunstprodukt, als planmäßig eingeleitetes Resultat der Bestrebungen -einzelner Männer ihren Einzug in die Welt hielt? Wie, wenn die -»Internationale freie Gesellschaft« sich nicht gebildet hätte, oder wenn -ihr Aufruf erfolglos geblieben, wenn ihr Werk gleich im Keime gewaltsam -erstickt worden, oder wenn es aus irgend einem anderen Grunde -fehlgeschlagen wäre? Man wird zugeben, daß dies immerhin denkbare -Eventualitäten sind. Wie stände es um die wirtschaftliche Gerechtigkeit, -wenn eine dieser Möglichkeiten Thatsache geworden wäre? Wenn die -Socialreform in Wahrheit eine unvermeidliche Notwendigkeit ist, dann -müßte sie sich schließlich auch gegen den Widerstand einer ganzen Welt -durchsetzen, dann müßte sich zeigen lassen, daß und kraft welcher -unlöslich mit ihr verknüpften Gewalten, sie den Sieg über Vorurteil, -bösen Willen und Mißgeschick davongetragen hätte. Erst damit wäre der -Beweis erbracht, daß das Werk, um welches wir uns bemühen, mehr ist, als -die ephemere Frucht unsicheren Menschenwitzes, daß vielmehr jene Männer, -die den ersten Anlaß dazu gaben und seine Entwickelung überwachten, -damit lediglich als Werkzeuge jenes Weltgeistes handelten, der -- hätten -_sie_ ihm versagt -- um andere Werkzeuge und Wege zu dem unvermeidlichen -Ziele nicht verlegen gewesen wäre. - -_Henri Ney_ (Freiland). In der That, wenn die wirtschaftliche -Gerechtigkeit auf unser, der Gründer von Freiland, Eingreifen angewiesen -wäre, um Thatsache zu werden, dann stünde es schlecht nicht bloß um ihre -Notwendigkeit, sondern auch um ihre Sicherheit. Denn was einzelne -Menschen schaffen, können demnächst andere Menschen wieder rückgängig -machen. Zwar sind äußerlich betrachtet alle geschichtlichen Vorgänge -Menschenwerk; aber die großen geschichtlichen Notwendigkeiten -unterscheiden sich dadurch von den bloß zufälligen Ereignissen, daß sich -bei ihnen allemal erkennen läßt, ihre Akteure seien lediglich die -Werkzeuge des Schicksals, Werkzeuge, die der Genius der Menschheit -hervorbringt, wenn er ihrer bedarf. Wir wissen nicht, wer die Sprache, -das erste Werkzeug, die Schrift, erfunden hat; aber wer es auch sei, wir -wissen, daß er in dem Sinne ein bloßes Werkzeug des Fortschritts -gewesen, als wir mit der nämlichen Sicherheit, mit welcher wir irgend -ein anderes Naturgesetz aussprechen, die Behauptung wagen können, -Sprache, Werkzeug, Schrift wären erfunden worden, auch wenn ihre -zufälligen Erfinder niemals das Licht der Welt erblickt hätten. Das -nämliche nun gilt auch von der wirtschaftlichen Freiheit; sie wäre -gefunden worden, auch wenn keiner von uns, die wir sie thatsächlich -zuerst fanden, existiert hätte. Nur freilich wäre in diesem Falle die -Form ihres Eintritts in die Welt der geschichtlichen Thatsachen -wahrscheinlich eine andere geworden, vielleicht eine friedlichere, -erfreulichere noch, als jene, deren Zeugen wir sind, vielleicht aber -auch eine gewaltthätige und schreckliche. - -Um das in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu zeigen, muß -zunächst erwiesen werden, daß der Fortbestand der modernen Gesellschaft, -so wie sie sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt hat, ein -Ding innerer Unmöglichkeit ist. Zu diesem Behufe werden Sie mir -gestatten, etwas weiter auszuholen. - -In der ursprünglichen barbarischen Gesellschaft, wo die Ergiebigkeit der -Arbeit so gering war, daß der Schwächere durch den Stärkeren nicht -ausgebeutet und das eigene Gedeihen nur durch Verdrängung und -Vernichtung der Mitkonkurrenten gefördert werden konnte, waren Blutgier, -Grausamkeit, Hinterlist, durchaus erforderlich nicht bloß zum Fortkommen -des Individuums, sondern sie dienten auch ersichtlich zum Vorteile jener -Gesellschaft, der das Individuum angehörte. Sie waren deshalb nicht bloß -allgemein verbreitet, sondern galten ganz offenbar als Tugenden. Der -erfolgreichste, erbarmungsloseste Menschenschlächter war der -geehrteste seiner Horde und wurde sicherlich in Wort und Lied als -nachahmenswürdiges Beispiel gepriesen. - -Als dann die Ergiebigkeit der Arbeit wuchs, verloren diese »Tugenden« -zwar viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung, in ihr Gegenteil aber -verkehrten sie sich erst, als die Sklaverei erfunden wurde und nunmehr -die Möglichkeit sich einstellte, statt des Fleisches die Arbeitskraft -des besiegten Konkurrenten sich und der eigenen Gemeinschaft nutzbar zu -machen. Nun erst wurde blutgierige Grausamkeit, die bis dahin immer noch -nützlich gewesen, schädlich, denn sie beraubte um eines vorübergehenden -Genusses -- des Menschenfleischgenusses -- willen das siegende -Individuum sowohl, als die Gesellschaft, welcher es angehörte, des -dauernden Vorteils vermehrten Wohlstandes und gewachsener Macht. Die -bestialische Blutgier mußte daher in der neuen Form des Daseinskampfes -allmählich schwinden, aus einer bewunderten und gehegten Tugend zu einer -mehr und mehr der allgemeinen Mißbilligung unterworfenen Eigenschaft, d. -i. also zu einem Laster werden. Sie _mußte_ dazu werden, weil nur jene -Horden, in denen dieser moralische Umwandlungsproceß Platz griff, der -Vorteile der neuen Formen der Arbeit und der neuen socialen Institution --- der Sklaverei -- in vollem Maße teilhaft werden konnten, dadurch an -Kultur und Macht zunahmen und ihre gewachsene Macht dann dazu benützten, -die auf ihren alten kannibalischen Sitten beharrenden Stämme auszurotten -oder sich zu unterwerfen. Eine neue Moral setzte sich solcherart im -Laufe der Jahrtausende unter den Menschen fest, eine Moral, die in ihren -Grundzügen sich bis auf unsere Tage erhalten hat, die der Ausbeutung. - -Eine der seltsamsten Täuschungen aber ist es, diese Ethik -»Menschenliebe« zu nennen. Zwar der wilde, blutdürstige Haß gegen den -Nebenmenschen war milderen Gefühlen gewichen, aber von diesen bis zu -wirklicher Menschenliebe, unter welcher wir die Wertschätzung des -Nebenmenschen als _Unseresgleichen_ verstehen, zum Unterschiede von -jenem kalten Wohlwollen, welches wir allenfalls auch dem Tiere -entgegenbringen, ist noch ein weiter Schritt. Wirkliche Menschenliebe -verträgt sich mit der Ausbeutung so wenig, als mit dem Kannibalismus. -Denn die neue Form des Daseinskampfes verdammt zwar das Töten des -Besiegten, macht aber an dessen Statt die Unterdrückung und -Vergewaltigung des Nebenmenschen zu einem gebieterischen Erfordernisse -des eigenen Gedeihens. Und man verstehe wohl: wahre, vollkommene -Menschenliebe kann bei jener Art des Daseinskampfes, wie ihn die -ausbeuterische Gesellschaft führt, nicht bloß nicht gefördert werden, -sie erweist sich als geradezu schädlich und vermag -- als allgemein -verbreiteter Gattungsinstinkt -- gar nicht zu bestehen. Einzelne -Individuen mögen immerhin den Nebenmenschen als Ihresgleichen lieben; -sie bleiben, solange die Ausbeutung in Kraft ist, seltene und von der -öffentlichen Meinung keineswegs geschätzte Sonderlinge. Nur Heuchelei -oder grobe Selbsttäuschung werden das in Zweifel ziehen. Allerdings -haben die sogenannten civilisierten Nationen des Abendlandes seit länger -als einem Jahrtausend das Wort: »Liebe Deinen Nächsten _wie dich -selbst_« auf ihre Fahnen geschrieben und ohne Scheu behauptet, sich an -dasselbe zu halten, oder doch zum mindesten bestrebt zu sein, diesem -Worte nachzuleben. In Wahrheit aber liebten sie den Nebenmenschen -- -bestenfalls -- wie ein nützliches Haustier, zogen ohne den geringsten -Skrupel Vorteil aus seiner Plage, seiner Marter, und schreckten auch vor -dessen kaltblütiger Tötung nicht entfernt zurück, wenn ihr wirklicher -oder vermeintlicher Vorteil sie dazu antrieb. Und das waren nicht etwa -die Gesinnungen und Gefühle einzelner, besonders hartherziger -Individuen, sondern die der Gesellschaft als solcher; sie wurden von der -öffentlichen Meinung nicht mißbilligt, sondern gebieterisch gefordert, -unter allerlei wohlklingenden Namen als Tugenden gepriesen, und ihr -Widerspiel, die wirkliche Menschenliebe, galt, sowie statt leerer -Phrasen Thaten in Frage kamen, günstigenfalls als bemitleidenswerte -Thorheit, in der Regel aber als todeswürdiges Verbrechen. Er, der jenes -Wort gesprochen und zu dem sie in ihren Kirchen beteten, wäre von ihnen -allen abermals ans Kreuz geschlagen, verbrannt, gerädert, gehängt -- in -der jüngsten Vergangenheit vielleicht bloß eingekerkert worden, hätte er -es abermals, wie vor neunzehn Jahrhunderten, gewagt, auf offenem Markte -und in zündender, nicht mißzuverstehender, lebendiger Rede zu predigen, -was ihr blödes Auge und ihr durch Jahrtausende alten Selbstbetrug -verwirrter Sinn in den Schriften seiner Jünger wohl las, aber nicht -begriff. - -Und das Entscheidende dabei ist, daß die Menschheit in der Epoche der -Ausbeutung anders gar nicht fühlen und denken, geschweige denn handeln -konnte. Sie _mußte_ auf der Ausbeutung beharren, solange diese eine -Kulturnotwendigkeit war, sie _konnte_ daher keine Menschenliebe -empfinden und üben, denn diese verträgt sich mit Ausbeutung so wenig, -als Widerwille vor dem Totschlag mit Kannibalismus. Gleichwie in der -ersten barbarischen Menschheitsepoche schon das, was die Ausbeutung -»Humanität« nennt, ein Nachteil im Daseinskampfe gewesen wäre, so hätte -späterhin das, was _wir_ Humanität nennen, die wahre Menschenliebe, jede -davon befallene Nation in Nachteil versetzt. Fressen oder gefressen -werden -- das war die Alternative in der Epoche des Kannibalismus; -unterdrücken oder unterdrückt werden, in der Epoche der Ausbeutung. - -Nun hat sich ein neuerlicher Wandel in der Form und Ergiebigkeit der -Arbeit vollzogen; die socialen Einrichtungen sowohl, als die moralischen -Empfindungen der Menschheit können davon nicht unberührt bleiben. Aber --- und damit bin ich zum letzten entscheidenden Punkte gekommen -- es -sind dabei allerdings mehrere Formen der Entwickelung denkbar. Die erste -ist diejenige, mit welcher wir uns bisher ausschließlich beschäftigt -haben: die socialen Einrichtungen unterziehen sich dem durch die neue -Arbeitsform bedingten Wandel, und entsprechend der damit bewirkten -Änderung des Daseinskampfes vollzieht sich auch der Umschwung in den -moralischen Gefühlen; friedlicher Wettbewerb, vollkommene -Interessensolidarität löst die wechselseitige Ausnutzung, vollkommene -Menschenliebe die Menschennutzung aus. - -Wollen wir nun den letzten Zweifel über die bedingungslose Notwendigkeit -dieses Entwickelungsganges ein für allemal beseitigen, so setzen wir den -Fall, daß es anders käme: die Anpassung der socialen Einrichtungen an -die geänderte Arbeitsform vollziehe sich _nicht_. _Denken_ läßt sich -eine solche Möglichkeit immerhin, und ich halte es -- bis zu diesem -Punkte der Beweisführung gediehen -- auch für ganz überflüssig, die -Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit derselben abzuwägen; wir -nehmen einfach an, daß sie sich verwirkliche. Unsinnig und undenkbar -aber wäre in diesem Falle die fernere Annahme, daß dieses Beharren der -socialen Einrichtungen auf den alten Formen stattfinden könne, ohne daß -sehr wesentliche Rückwirkungen sowohl auf die Formen der Arbeit als die -moralischen Instinkte der Menschheit die notwendige Folge wären. Jene -überaus orthodoxen, aber nicht minder gedankenlosen Socialpolitiker, die -solches annehmen, halten es für möglich, daß eine Ursache von so -überwältigender Tragweite, wie es die bis zur Möglichkeit des -Überflusses und der Muße für alle Menschen gediehene Produktivität der -Arbeit ist, überhaupt ohne irgend welche, wie immer geartete Wirkung auf -den Entwickelungsgang der Menschheit bleiben könne. Sie übersehen, daß -der Daseinskampf innerhalb der menschlichen Gesellschaft sich unter dem -Einflusse dieses Faktors für alle Fälle ändern muß, gleichviel, ob die -socialen Einrichtungen sich einer entsprechenden Anpassung unterziehen -oder nicht, und daß demnach ebenso für alle Fälle untersucht werden muß, -welche Rückwirkung diese geänderte Form des Daseinskampfes auf die -Gesamtheit der menschlichen Institutionen äußern könne oder müsse. - -Und worin besteht nun die Änderung des Daseinskampfes für den oben -gekennzeichneten Fall? _Ganz einfach in einem teilweisen Rückfalle in -die Kampfesformen der ersten, der kannibalischen Menschheitsepoche!_ - -Wir haben gesehen, daß die Ausbeutung den früher auf Vernichtung des -Konkurrenten abzielenden Kampf in einen auf Unterjochung desselben -gerichteten umgewandelt hat; nun denn, mit dem Momente, wo die -Produktivität der Arbeit so groß wird, daß der -- durch die Ausbeutung -darniedergehaltene -- Konsum ihr nicht mehr zu folgen vermag, wird -abermals die Verdrängung, die -- wenn auch nicht physische, so doch -wirtschaftliche -- Vernichtung des Konkurrenten zu einer Voraussetzung -des eigenen Gedeihens, der Daseinskampf muß die Formen der Unterjochung -und Vernichtung zugleich annehmen. Wenig nützt nunmehr auf -wirtschaftlichem Gebiete die noch so schonungslose Herrschaft über noch -so zahlreiche menschliche Ausbeutungsobjekte; sofern es dem Ausbeuter -nicht gelingt, den Mitausbeuter vom Markte zu verdrängen, muß er im -Daseinskampfe unterliegen. Und ebenso haben nunmehr die Ausgebeuteten -sich nicht bloß der Härten ihrer Zwingherren zu erwehren, sie müssen, -wollen sie dem Hunger entgehen, sich gegenseitig die unzureichend -gewordenen Stellen an den Futterkrippen des »Arbeitsmarktes« mit Zähnen -und Klauen streitig machen. - -Ist es nun denkbar, daß eine so fürchterliche Änderung der Grundlagen -des Daseinskampfes ohne Wirkung auf die Moral der Menschheit bleibe? Die -gleiche Ursache _muß_ von der gleichen Wirkung begleitet sein, die Ethik -der kannibalischen Epoche _muß_ ihre siegreiche Wiederkehr feiern. Zwar -den veränderten Modalitäten des Vernichtungskampfes entsprechend werden -auch die einstigen grausamen, bösartigen Instinkte eine Modifikation -erleiden, aber die Grundstimmung, die schonungslose Feindseligkeit gegen -den Nebenmenschen, muß wiederkehren. In den Jahrtausenden, in denen der -Kampf nur der Ausnützung des Nächsten galt, war, insbesondere wenn der -Ausgenützte sich gewöhnt hatte, im Ausbeuter ein höheres Wesen zu -verehren, zwischen Herr und Knecht zum mindesten jener Grad der -Anhänglichkeit möglich, wie er zwischen Mensch und Haustier besteht. -Herren oder Knechte unter sich hatten vollends keinen notwendigen Anlaß -einander zu hassen. Wechselseitige Schonung, Großmut, Milde, Dankbarkeit -konnten als -- allerdings sehr kärgliche -- Surrogate der Menschenliebe -bei einem solchen Zustande gedeihen. Nunmehr jedoch, wo Ausbeutung und -Verdrängung zugleich die Losung des Kampfes sind, müssen sich die -obgenannten Tugenden mehr und mehr als verderbliche Hindernisse -erfolgreichen Daseinskampfes erweisen, sie müssen folglich verschwinden -und der Erbarmungslosigkeit, Hinterlist, Grausamkeit, Tücke Platz -machen. Und wohlverstanden, all diese schändlichen Eigenschaften müssen -nicht bloß allgemein verbreitet, sie müssen auch allgemein geschätzt, -aus dem Inbegriffe schmählichster Niedertracht zum Inbegriffe der -»Tugend« werden. Ebenso wenig, als ein »humaner« Menschenfresser oder -ein von wirklicher Menschenliebe erfüllter Ausbeuter denkbar sind, -ebenso wenig läßt sich ein großmütiger, im bisherigen Sinne tugendhafter -Ausbeuter unter dem Alpdrucke der Überproduktion auf die Dauer auch nur -denken; und ebenso sicher, als die kannibalische Gesellschaft tückische -Mordgier als preiswürdigste aller Tugenden anerkennen mußte, ebenso -sicher müßte die von Überproduktion heimgesuchte ausbeuterische -Gesellschaft dahin gelangen, den hinterlistigsten Betrüger als ihr -Tugendideal zu verehren. - -Aber, so wird man einwenden, das widerspricht denn doch, trotz aller -logischen Unanfechtbarkeit, den Thatsachen allzusehr, als daß es richtig -sein könnte. Die Überproduktion, der Zwiespalt zwischen der -Produktivität der Arbeit und der durch die socialen Einrichtungen -bedingten Konsumtionsfähigkeit, bestehen thatsächlich seit Generationen -und trotzdem wäre es zum mindesten eine arge Übertreibung, wollte man -behaupten, daß die moralischen Empfindungen der civilisierten Menschheit -die im obigen gekennzeichnete schreckliche Verschlimmerung erfahren -hätten. Daß mancherlei Nichtswürdigkeit infolge des stets schonungsloser -sich gestaltenden wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes mehr und mehr an -Verbreitung gewinne, ja daß allgemach eine gewisse Verwirrung sich der -öffentlichen Meinung zu bemächtigen beginne, die den Unterschied -zwischen wahrem Verdienst und erfolgreicher Schurkerei nicht überall -mehr festzuhalten vermöge, sei allerdings wahr; ebenso wahr aber -umgekehrt, daß niemals zuvor Humanität in allen Formen so hoch geschätzt -und stark verbreitet gewesen, wie eben in der Gegenwart. - -Diese unleugbaren Thatsachen aber besagen nicht, daß Überproduktion auf -die Dauer zu anderen, als den oben gekennzeichneten Ergebnissen führen -könnte -- sie zeigen nur, daß einerseits diese schreckliche -Krankheitserscheinung im wirtschaftlichen Getriebe der Menschheit noch -nicht lange genug wirksam ist, um ihre Früchte schon voll gezeitigt zu -haben, und daß anderseits der moralische Instinkt der Menschheit den -richtigen Ausweg aus dem ökonomischen Zwiespalte geahnt hat, lange bevor -die menschliche Erkenntnis ihn zu betreten vermochte. Bloß wenige -Generationen ist es her, daß das Mißverhältnis zwischen Produktivität -und Konsum äußerlich in die Erscheinung getreten; was aber sind einige -Generationen im Leben der Menschheit? Auch die Ethik der Ausbeutung -bedurfte sicherlich sehr vieler Jahrhunderte, ehe sie diejenige des -Kannibalismus überwand; warum sollte der Rückfall in die kannibalische -Ethik sich um so vieles rascher vollziehen? Die instinktive Ahnung aber, -daß wachsende Kultur nicht mit socialem Stillstande und moralischem -Rückschritte, sondern mit dem Fortschritte beider verknüpft sein werde, -diese der abendländischen Menschheit trotz aller Thorheiten und aller -Greuel, in denen sie sich zwischenzeitig erging, unausrottbar -eingeimpfte Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sie -ist eben jener »fremde Blutstropfen im Körper der europäischen -Völkerfamilie«, der semitisch-christliche Sauerteig, der sie, als die -Zeit der Knechtschaft um war, davor bewahrte, auch nur vorübergehend dem -Verwesungsprozeß von Knechtschaft und Barbarei zugleich zu verfallen. -Die Dinge werden eben die zuletzt gekennzeichnete Entwickelung _nicht_ -nehmen, die Ausbeutung wird sich neben der gesteigerten Produktivität -_nicht_ erhalten, und das ist der Grund, warum auch die gekennzeichneten -moralischen Folgen nicht hervortraten. Wollte man aber materiellen -Fortschritt und Ausbeutung zugleich als das zukünftige Los der -Menschheit voraussetzen, so ließe sich dies logischer Weise anders, als -verknüpft mit vollständigem moralischen Rückfalle gar nicht denken. - -Und noch eine dritte Entwickelungsform ließe sich als denkbar -hinstellen: in dem Zwiespalte, in welchen die Produktivität der Arbeit -mit dem geltenden socialen Rechte geraten, könnte erstere, die neue Form -der Arbeit, unterliegen; vor die Unmöglichkeit gestellt, von den -erlangten wirtschaftlichen Fähigkeiten den vollen Gebrauch zu machen, -könnte die Menschheit diese Fähigkeiten wieder verlieren. In diesem -Falle wäre der Einklang zwischen Produktivität und Konsum, Arbeit und -Recht, auf der alten Grundlage zurückgewonnen und dem entsprechend -könnte auch die Moral der Menschheit im alten Geleise verharren. Der -Fortschritt zu wahrer Menschenliebe müßte zwar unterbleiben, denn nach -wie vor würde der Kampf ums Dasein auf Unterdrückung des Nebenmenschen -beruhen, aber die Notwendigkeit des Vernichtungskampfes wäre vermieden. -Auch die Ahnung der Möglichkeit einer solchen Entwickelung war der -abendländischen Menschheit nicht fremd; es hat, insbesondere während der -jüngsten Generationen, an teils bewußten, teils unbewußten Versuchen -nicht gefehlt, sie in diese Richtung hinüberzuleiten. Von der würgenden -Umklammerung der Überproduktion geängstigt, dem Wahnsinne nahe gebracht, -rüttelten zeitweise ganze Nationen an den Grundpfeilern der -Produktivität, suchten die Quelle der Arbeitsergiebigkeit zu verschütten -und verfolgten mit verbissenem Hasse den Kulturfortschritt, dessen -Früchte zeitweise so bitter waren. Die Angriffe gegen die Volksbildung, -gegen die unterschiedlichen Arten der Arbeitsteilung, gegen das -Maschinenwesen, sind nicht anders zu verstehen, als eben durch dieses -zeitweilige Bestreben, den Zwiespalt, in welchen die Gütererzeugung zur -Güterverteilung geraten, durch Zurückschraubung ersterer zu überwinden. -Daß solcherart auch die Moral vor einer Ausartung bewahrt werden sollte, -deren eigentlich treibende Ursache diese Sorte von Reformatoren -allerdings nicht begriff, die aber als düstere Ahnung vor ihrem -geistigen Auge schwebte, läßt sich desgleichen nicht verkennen. - -Und nun, nachdem wir alle drei überhaupt denkbaren Entwickelungsformen -der Reihe nach betrachtet: 1. die Anpassung des socialen Rechts an die -neue, höhere Arbeitsform und dem entsprechende Entwickelung einer neuen, -höheren Moral; 2. den dauernden Gegensatz zwischen Arbeitsform und Recht -und dem entsprechende Rückbildung der Moral; 3. die Anpassung der -Arbeitsform an das bisherige sociale Recht durch Preisgebung der höheren -Produktivität und dem entsprechenden Fortbestand der bisherigen Moral -- -nunmehr fragen wir uns, ob im Kampfe dieser drei Richtungen eine andere -als die erste Siegerin sein kann. Denkbar sind sie, wie gesagt, alle -drei; ist aber auch denkbar, daß materieller oder moralischer Verfall -sich neben moralischem zugleich und materiellem Fortschritt behaupten, -oder vollends über diesen endgültig triumphieren würden? Möglich, sagen -wir sogar wahrscheinlich, daß ohne unser vor 25 Jahren erfolgreich -durchgeführtes Unternehmen die Menschheit zunächst noch längere Zeit -hindurch sich vorwiegend auf den Bahnen der sittlichen Verwilderung -einerseits, der Attentate gegen den Fortschritt anderseits fortbewegt -hätte; an Versuchen nach der Richtung der socialen Befreiung hin hätte -es deshalb doch niemals gänzlich gefehlt, und der schließliche Triumph -derselben konnte stets nur eine Zeitfrage sein. Nein, die Menschheit ist -uns nichts schuldig, was sie nicht auch ohne uns für alle Fälle erlangt -hätte; wenn wir ein Verdienst beanspruchen, so beschränkt es sich -darauf, das, was kommen mußte, rascher und wahrscheinlich unblutiger -herbeigeführt zu haben, als ohne uns geschehen wäre. (Stürmischer, lang -andauernder Applaus und jubelnde Zurufe von allen Bänken. Die Wortführer -der Opposition drücken der Reihe nach dem Redner die Hände und -versichern ihn ihrer Zustimmung.) - - (Schluß des dritten Verhandlungstages.) - - - - - 26. Kapitel. - - -Da zahlreiche Congreßmitglieder den Wunsch geäußert hatten, sich -eingehender davon zu überzeugen, daß thatsächlich die anscheinend so -wunderbare harmonische Organisation des gesamten wirtschaftlichen -Getriebes in Freiland nichts anderes, als das selbstverständliche -Ergebnis wohlberatenen und wahrhaft freien Eigennutzes sei, wurden die -Sitzungen des Congresses für zwei Tage unterbrochen und diese dazu -benützt, um eine Reihe größerer Edenthaler und Danastädter -Etablissements zu besichtigen und bei diesem Anlasse im Wege des -Gedankenaustausches mit den sich zu diesem Behufe bereitwilligst zur -Verfügung der fremden Gäste stellenden Direktoren der fraglichen -Anstalten sowohl, als des Leiters der freiländischen Centralbank alle -etwa auftauchenden Zweifel gründlich zu erörtern. - -Das erste Bedenken, welches geltend gemacht wurde, betraf die Frage, -woher denn all die zahllosen Arbeiter allesamt die erforderliche -Sachkenntnis und Intelligenz hernähmen, um jederzeit genau beurteilen zu -können, wo man ihrer gerade am nötigsten bedürfe. »Sie haben,« so meinte -einer der Besucher, »eine allumfassende, pünktliche Statistik, die jede -Regung Ihres wirtschaftlichen Lebens mit peinlichster Genauigkeit -verzeichnet -- sehr wohl; aber welch hohes Verständnis gehört dazu, um -sich in einer solchen Statistik zu orientieren!« - -»Dazu gehört in Wahrheit ein überaus bescheidenes Maß von Verständnis, -kein höheres, als es bei jedem vernünftigen Menschen ohne weiteres -vorausgesetzt werden kann,« war die Antwort. »Denn kein Arbeiter braucht -sich um anderes zu kümmern, als lediglich um den auf die einzelne Stunde -seiner Arbeit entfallenden Ertrag. Hätten wir keinen freien Markt, auf -welchem Angebot und Nachfrage die Preise regeln, so wäre es allerdings -eine nicht bloß schwierige, sondern eine in Wahrheit ganz und gar -unlösliche Aufgabe, herauszufinden, nach welcherlei Produkten jeweilig -stärkerer oder geringerer Bedarf vorhanden und wo dementsprechend -vermehrte Zuwendung von Arbeitskraft wünschenswert sei. Da sich aber bei -uns jede Veränderung der Verhältnisse zwischen Angebot und Nachfrage, im -Preise der Produkte ausdrückt, so ist es ganz selbstverständlich, daß -der in Gemäßheit dieser Preise auf die einzelne Arbeitsstunde -entfallende Nettoertrag in untrüglichster Weise anzeigt, ob der -Produktionszweig oder das einzelne Etablissement, um welches es sich -handelt, im Vergleiche zu anderen Produktionszweigen oder Etablissements -einer Vermehrung oder Verminderung der Arbeitskraft bedarf. Daß z. B. -die Maschinenfabrik, in deren Räumen wir uns momentan befinden, ihren -Betrieb ausdehnen soll, ist in letzter Linie allerdings darauf -zurückzuführen, daß deren Erzeugnisse derzeit besonders gesucht sind, -eine Thatsache, die an und für sich zu konstatieren in der That höchst -kompliziert und schwierig wäre; da aber diese gesteigerte Nachfrage nach -hier erzeugten Maschinen insolange, als die Produktion ihr nicht -vollkommen nachgefolgt ist, notwendiger Weise das Erträgnis aller hier -beschäftigten Arbeiter entsprechend vermehrt, so genügt es vollkommen, -letzteren Umstand zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, damit das im -Interesse der Consumenten gelegene Ergebnis, nämlich der vermehrte -Zufluß von Arbeitern, sich ganz von selbst einstelle.« - -»Aber ist nicht auch diese Ergründung des überall in jedem -gegebenen Momente vorhandenen Erträgnisses eine für gewöhnliche -Durchschnittsarbeiter allzu schwierige Aufgabe?« lautete die fernere -Frage. - -»Durchaus nicht,« erklärte der Direktor der freiländischen Centralbank. -»Sich in dem von all den tausenden Associationen vorgelegten, von -unserer Centralstelle ergänzten und bearbeiteten Urmateriale -zurechtzufinden, ist allerdings nicht Jedermanns Sache. Aber solch -eingehender Untersuchung unterziehen sich auch nur Diejenigen, die sich -für statistische Studien um ihrer selbst willen interessieren. Der -gewöhnliche Arbeiter, der nichts anderes wissen will, als den Ort, wo er -die seinen Fähigkeiten entsprechende höchste Rente findet, begnügt sich -mit jenen übersichtlich geordneten Zusammenstellungen, welche die -statistische Centralstelle zu seinem Gebrauche bietet, und welche die -zahlreichen Fachzeitungen zudem mit Erläuterungen aller Art begleiten. -Die geistige Arbeit, die von ihm dabei verlangt wird, besteht in nichts -anderem, als in der Entscheidung der Frage z. B., ob er sich mit dem am -Orte seiner augenblicklichen Arbeit gebotenen Stundenertrage von 8 -Schilling begnügen, oder wegen des bei einem anderen verwandten -Etablissement winkenden, um 15 Pfennige per Stunde höheren Ertrages sich -diesem, oder etwa zeitweilig einer jener Bodenassociationen zuwenden -soll, die vorübergehend -- während der Erntezeit nämlich -- bis zu 10 -Schilling für die Arbeitsstunde zu bieten pflegen. Er muß mit sich -darüber ins Reine kommen, ob solche Gewinnsteigerung ihm genügenden -Ersatz gewährt für die mit dem Ortswechsel möglicherweise verknüpften -materiellen oder gemütlichen Nachteile, für die Beschwerden und -Unannehmlichkeiten des Umzuges, für die anstrengendere Arbeit u. dergl.; -im übrigen aber wird von ihm weder irgendwelches Verständnis -verwickelter wirtschaftlicher Vorgänge, noch irgendwelches Interesse für -anderes, als für den eigenen Vorteil gefordert.« - -»Wie aber verhüten Sie,« so fragte ein anderer der Herren, »daß bei -einer irgendwo eintretenden stärkeren Steigerung der Erträge der Zuzug -der Arbeitskräfte allzu massenhaft ausfalle? Da keinerlei Behörde -ordnend eingreift und bestimmt, wer und wie viele herbeieilen sollen, so -ist doch immerhin möglich, daß statt der gewünschten Hunderte sich -Tausende einstellen.« - -»Das könnte nur geschehen« -- so lautete die Erklärung -- »wenn -Telegraph und Druckerpresse bei uns unbekannt wären, oder wenn wir uns -ihrer nicht zu bedienen verstünden. Um welchen Teilbetrag die Rente -sinkt, wenn das Angebot von Arbeitskraft wächst, läßt sich natürlich -überall mit großer Genauigkeit berechnen, und da nun niemand so thöricht -ist, einer irgendwo auftauchenden höheren Gewinnziffer nachzulaufen, -ohne sich vorher zu vergewissern, daß er diese höhere Gewinnziffer, am -Orte seiner neuen Bestimmung angelangt, noch vorfinden werde, so ist es -bei uns selbstverständliche Übung, daß die Arbeiter ihre Absicht den -Leitungen der Associationen rechtzeitig anzeigen, daß diese Anmeldungen -fortlaufend publiziert werden und daß demnach Jedermann, noch bevor er -sich auf den Weg macht, vollkommen darüber beruhigt sein muß, an seinem -zukünftigen Arbeitsorte auch wirklich noch vonnöten zu sein.« - -Einen zweiten Anlaß zu eingehenderen Erörterungen boten die in -zahlreichen der besichtigten Etablissements vorhandenen -Versuchsanstalten und wissenschaftlichen Laboratorien, die von den dort -beschäftigten Technikern und Chemikern dazu benutzt werden, um die -mannigfaltigsten Experimente behufs Erzielung von Verbesserungen des -Betriebs anzustellen. Der hohe praktische Wert dieser Einrichtung -leuchtete den Gästen natürlich sofort ein, weniger einleuchtend aber -erschien den meisten derselben der erläuternde Zusatz eines der -Direktoren -- es war das zufällig in der Danastädter Chemikalienfabrik --- daß man die gewonnenen Erfahrungen »selbstverständlich« jederzeit -publiziere, auf besonders nützlich erscheinende die anderen -Associationen wohl auch ausdrücklich aufmerksam mache und dafür ebenso -selbstverständlich von diesen über alle in deren Versuchsanstalten -gemachten Funde pünktlichst auf dem Laufenden erhalten werde. - -»Wenn das hierzulande selbstverständlich ist, dann müßt Ihr -freiländischen Industriellen uneigennützig wie die Engel sein,« meinte -einer der Besucher. Und sich direkt an den Direktor wendend, fügte er -hinzu: »Es scheint also doch, daß nicht alle Eure Einrichtungen sich -sofort zu uns Abendländern übertragen lassen, denn bei uns, dessen kann -ich Sie versichern, würde Niemand freiwillig von ihm ersonnene -Produktionsverbesserungen zur Kenntnis seiner Concurrenten bringen, und -am allerwenigsten könnte er sich darauf verlassen, daß diese ihm die -ihrigen preisgeben.« - -»Sie haben ganz recht,« war die Antwort, »das würde Niemand bei Ihnen -thun, so lange Sie an Ihren bisherigen Einrichtungen festhalten; sowie -Sie jedoch die unserigen acceptieren, versteht sich all das, was Ihnen -so wunderbar uneigennützig vorkommt, ganz von selbst, als unabweisliches -Gebot gerade des Eigennutzes. Denn damit z. B. wir hier in Danastadt uns -des Vorteils einer von uns ersonnenen Verbesserung möglichst vollständig -erfreuen, ist durchaus notwendig, daß alle chemischen Fabriken des -ganzen Landes die gleiche Verbesserung thunlichst rasch auch bei sich -einführen. Wären wir so thöricht, unsere Entdeckungen geheim zu halten --- ein Versuch, der nebenbei bemerkt angesichts der Öffentlichkeit all -unserer geschäftlichen Vorgänge an und für sich ziemlich aussichtslos -bliebe -- so wäre das einzig mögliche Ergebnis, daß aus allen -concurrierenden Associationen insolange Arbeitskräfte zu uns -einwanderten, bis der Ertrag unserer Arbeit -- umgerechnet auf die -einzelne Arbeitsstunde -- wieder auf das Niveau der anderwärts in -Freiland erzielbaren Erträge herabgedrückt würde, wir also von unserer -Entdeckung oder Erfindung so gut als keinen Vorteil behielten. Um das zu -vermeiden, bleibt uns schlechterdings kein anderes Auskunftsmittel, als -auch den Anderen Allen unsere Errungenschaft mitzuteilen; dadurch allein -erzielen wir, daß die Arbeit auch anderwärts ertragreicher wird und daß -also Niemand ein Interesse hat, sich behufs Mitgenusses unserer -Produktionsvorteile an uns heranzudrängen. Gerade so verhält es sich -natürlich mit den in anderen Associationen gemachten Verbesserungen; wir -können mit absoluter Sicherheit darauf rechnen, daß wir sofort von -denselben verständigt werden, da auch die Anderen Alle das gleiche -Interesse haben wie wir, nämlich unsere Produktionserträge zu steigern, -damit sie selber den Vorteil der ihrerseits erzielten Verbesserungen -möglichst vollständig genießen.« - -Gegen dieses Raisonnement konnte nichts Stichhaltiges eingewendet -werden. Aber jetzt machte sich die Besorgnis geltend, ob es denn nicht -doch möglich sei, dieses Anrecht der Gesamtheit an den Ergebnissen jedes -irgend erzielten Produktionsvorteils auf Umwegen zu durchkreuzen. - -»Was geschähe« -- so wurde einer der anwesenden Direktoren gefragt -- -»wenn beispielsweise Sie als Leiter der Bodenassociation von -Nordleikipia, dazu aufgefordert durch -- selbstverständlich geheimen -- -Beschluß der die Majorität bildenden alten Mitglieder, es versuchen -wollten, neue Zuwanderer vom Mitgenusse irgendwelcher besonderer -Produktionsvorteile im Wege schlechter unfreundlicher Behandlung -fernzuhalten; wer schützt in solchem Falle diese Neulinge gegen Ihre, -von der Majorität Ihrer Associationsmitglieder nicht bloß gebilligte, -sondern geradezu in deren Interesse geübte Willkür? Die Mißhandelten -haben die Freiheit, fortzuziehen; aber das ist es ja eben, was -- Sie -entschuldigen wohl die, bloß um der prinzipiellen Aufklärung willen -vorgebrachte Unterstellung -- erreicht werden will und was doch verhütet -werden muß, soll darüber nicht Ihre ganze Gleichberechtigung in die -Brüche gehen. Oder die Majorität kann sich zu gleichem Zwecke ein so -hohes Präcipuum votieren, daß das damit geübte Unrecht alle Zuwanderung -abhält. Wo liegt der Schutz gegen derartige Ausschreitungen des -Eigennutzes in einem Gemeinwesen, welches keinerlei Einengung des -individuellen Eigennutzes kennt und kennen will?« - -»Abermals in der freien Concurrenz,« entgegnete lächelnd der Direktor. -»Derartige Ausschreitungen wären bei uns nur möglich, wenn sie im -geheimen geübt werden könnten, d. h. wohlverstanden, wenn nicht bloß die -darauf abzielenden Beschlüsse, sondern auch deren Ausführung der -Aufmerksamkeit des ganzen Landes vollständig entginge. Ich müßte nicht -bloß den geheimen Auftrag von meinen Associationsmitgliedern erhalten, -alle Zuwanderer hinauszuchikanieren, ich müßte auch das Kunststück -zuwege bringen, diesen Auftrag derart im Verborgenen zu vollstrecken, -daß Niemand, am allerwenigsten die Opfer desselben, das Geringste davon -merkten. Denn mit dem Momente, wo meine Praktiken ruchbar würden, wäre -ich -- darauf können Sie sich verlassen -- zum längsten Direktor, meine -Auftraggeber wären zum längsten Majorität der Bodenassociation von -Nordleikipia gewesen. Und genau ebenso verhielte es sich, sowie unser -Beschluß, den alten Mitgliedern ein ungebührliches Präcipuum zuzuwenden, -bekannt würde. Denn wie Sie leichtlich ermessen können, ist die -öffentliche Meinung Freilands in keinem Punkte wachsamer und -eifersüchtiger, als gerade in diesem, ihren Lebensnerv berührenden, das -individuelle Interesse Aller gleichmäßig bedrohenden; und da die -schrankenlose Freizügigkeit allen Arbeitern des ganzen Landes jederzeit -gestattet, welcher Association immer beizutreten, so gehört keine -sonderliche Phantasie dazu, um sich das mit unfehlbarer Sicherheit -Kommende genau auszumalen. Der erste Arbeiter, den meine planmäßigen -Chikanen zum Verlassen unserer Association zwängen, würde vielleicht -selber noch keine böse Absicht bemerken; der zweite vielleicht schon -Lärm, aber vorerst noch vergeblichen schlagen; beim dritten und vierten -dürfte bereits das öffentliche Mißtrauen rege werden, und ehe ich meine -Künste am zehnten Opfer zu üben vermöchte, wäre durch einen aus allen -Gauen herbeiströmenden Zufluß neuer Mitglieder die übelwollende -Majorität und ich natürlich mit ihr unschädlich gemacht.« - -Diese Darlegung wirkte so schlagend, daß fernerhin kein Zweifel gegen -die im Wege wahrhaft freier Concurrenz bewirkte Harmonie der -wirtschaftlichen Interessen laut wurde. Die Congreßmitglieder hatten -zwar noch wiederholt Anlaß, über gar Manches, was sie sahen und hörten, -in Erstaunen zu geraten; daß jedoch Freiheit und Gleichberechtigung die -unfehlbaren Zauberformeln seien, auf deren Ruf die nämlichen Wunder -allüberall auch außerhalb Freilands in die Erscheinung treten müßten, -war ihnen zur Gewißheit geworden. - - * * * * * - -Nach Ablauf der zweitägigen Pause wurden die Beratungen des Congresses -wieder aufgenommen. Zur Discussion gelangte Punkt 3 der Tagesordnung: -_Sind Not und Elend nicht etwa Naturnotwendigkeiten und müßte nicht -Übervölkerung eintreten, wenn es vorübergehend gelänge, das Elend -allgemein zu beseitigen?_ Als erster Redner war vorgemerkt - -_Robert Murchison_ (Rechte): Ich muß zuvörderst Namens meiner bisher die -Durchführbarkeit des socialen Reformwerkes bezweifelnden -Gesinnungsgenossen die formelle Erklärung abgeben, daß wir nunmehr nicht -allein von der Durchführbarkeit, sondern von der naturgesetzlichen -Unvermeidlichkeit desselben durchaus überzeugt sind. Auch die fernere -Hoffnung hat das bisherige Ergebnis der Verhandlungen gezeitigt, daß es -der geehrten Gegenpartei gelingen werde, unsere noch vorhandenen -Bedenken eben so siegreich zu zerstreuen; einstweilen kann ich mich -derselben noch nicht entschlagen und fühle mich daher im Interesse -allseitiger Aufklärung verpflichtet, dieselben nach Kräften zu -begründen. - -Das weitaus gewichtigste dieser Bedenken, welches unabhängig von allen -bisher erörterten Fragen noch ungebrochen aufrecht steht, ist das -nunmehr zur Diskussion gelangende. Es richtet sich nicht gegen die -Durchführbarkeit des allgemeinen Freiheits- und Wohlfahrtswerkes. Die -wirtschaftliche Gerechtigkeit muß und wird zur Wahrheit werden, das -wissen wir nun; wissen wir damit aber auch schon, daß sie sich wird -behaupten können? Die wirtschaftliche Gerechtigkeit wird Reichtum für -alle Lebenden zur Folge haben. Not und Elend mit ihrem Gefolge -zerstörender Laster werden vom Erdboden verschwinden. Mit diesen aber -werden zugleich jene Hemmnisse verschwunden sein, welche bisher der -schrankenlosen Vermehrung des Menschengeschlechts Grenzen zogen. Mehr -und mehr wird die Menge der Bevölkerung anwachsen, bis endlich -- der -Tag mag noch so ferne sein -- die Erde ihre Bewohner nicht mehr zu -ernähren im Stande sein wird. - -Ich will Sie mit ausführlicher Wiederholung und Begründung des bekannten -Lehrsatzes meines berühmten Landsmannes Malthus nicht ermüden. Viel -wurde gegen denselben gesagt, Stichhaltiges, Überzeugendes bisher nicht. -Daß die Vermehrung der lebenden Individuen keine andere natürliche -Schranke als den Nahrungsmangel kennt, ist ein Naturgesetz, dem nicht -bloß der Mensch, sondern jedes lebende Wesen erbarmungslos unterworfen -bleiben muß. Gleichwie die Heringe, wenn sie sich frei vermehren -könnten, endlich im Weltmeere nicht mehr Raum hätten, so müßte auch der -Mensch, wenn die Zunahme seiner Zahl nicht auf das Hindernis des -Nahrungsmangels stieße, endlich keinen Raum mehr auf der Erdoberfläche -finden. Auch bestätigt die Erfahrung aller Zeiten und aller Völker diese -grausame Wahrheit; überall sehen wir, daß es der Nahrungsmangel, die Not -mit ihrem Gefolge ist, was die Menge der Lebenden innerhalb gewisser -Grenzen hält. Das wird auch in alle Zukunft so bleiben. Die -wirtschaftliche Gerechtigkeit kann diese traurige Grenze weit, sehr weit -hinausrücken, völlig beseitigen kann sie sie nicht. Zehnfach und -hundertfach größer kann unter ihrem Walten der Nahrungsspielraum werden, -ins Unendliche kann er sich nicht ausdehnen. Und ist einmal das -Unvermeidliche eingetreten, was dann? Mehr und mehr wird dann der -Reichtum den Entbehrungen und schließlich bitterster Not weichen und -zwar einer Not, die um so schrecklicher, hoffnungsloser sein wird, weil -es aus ihrem alle Kultur erdrückenden Bannkreise kein Entrinnen geben -wird, nicht einmal jenes teilweise, welches früher die Ausbeutung zum -mindesten einer Minderzahl geboten hatte. Wird dann die Menschheit, -nachdem sie den Kreislauf vom Kannibalismus zur Ausbeutung und von -dieser zur wirtschaftlichen Gerechtigkeit vollendet, wieder umkehren zur -Ausbeutung, vielleicht gar zum Kannibalismus? Wer könnte es sagen? Klar -scheint nur, daß die wirtschaftliche Gerechtigkeit keine -Entwickelungsphase ist, deren sich unser Geschlecht längere Zeit -hindurch erfreuen könnte. - -Zwar hat Malthus und haben Andere nach ihm vorbeugende Maßregeln zur -Verhütung der Übervölkerung vorgeschlagen, um dem rückwirkenden -Einflusse des Elends zuvorzukommen. Aber alle diese auf künstliche, -planmäßige Unterdrückung der Volksvermehrung abzielenden Mittel und -Mittelchen sind -- wenn sie sich überhaupt durchgreifend in Anwendung -bringen lassen, nur denkbar in einer armen, vor den äußersten -Konsequenzen des Elends zitternden Bevölkerung; wie in Überfluß und Muße -lebende, zudem vollkommenster Freiheit sich erfreuende Menschen dahin -gebracht werden sollten, sich geschlechtlichen Einschränkungen zu -unterwerfen, vermag ich nicht abzusehen. Diese Art Vorbeugung könnte -meines Erachtens in der freien Gesellschaft günstigsten Falles erst dann -Platz greifen, wenn die Not der Übervölkerung schon einen hohen Grad -erreicht, den einstigen Wohlstand und mit diesem vielleicht auch das -individuelle Freiheitsgefühl bedenklich vermindert hätte. Das sind, ganz -abgesehen von der ethischen Widerwärtigkeit all dieser gewaltsamen -Eingriffe in das -- gerade unter dem Walten der wirtschaftlichen -Gerechtigkeit so überaus zart sich gestaltende -- Verhältnis der -Geschlechter, sehr wenig erfreuliche Perspektiven. Sie zeigen uns im -Hintergrunde der Ereignisse ein Bild, welches gar traurig absticht von -der überschwenglichen Entfaltung des ersten Anfanges. Glauben die Männer -von Freiland ihre Schöpfung auch gegen diese Gefahren wappnen zu können? - -_Franzisko Espero_ (Linke): Der Mensch unterscheidet sich dadurch von -den anderen lebenden Wesen, daß er sich seine Nahrungsmittel selber -bereitet, und zwar desto leichter bereitet, je dichter mit -fortschreitender Kultur die Bevölkerung wird. Das hat ein großer -amerikanischer Volkswirt (Carey) seinerzeit bewiesen und damit gezeigt, -daß das im übrigen unangefochten geltende Naturgesetz des notwendigen -Zurückbleibens des Nahrungsspielraums hinter der Vermehrung der Arten, -auf den Menschen keine Anwendung findet. Daß trotzdem Not und Elend -bisher stets als Hemmnisse der Volksvermehrung wirksam waren, hat nicht -in einem Naturgesetze, sondern in der Ausbeutung seinen Grund. Die Erde -hätte genug für Alle hervorgebracht, wenn man nur Allen gestattet hätte, -freien Gebrauch von ihren Kräften zu machen. Die Ausbeutung aber ist -eine Einrichtung der Menschen, nicht der Natur, wie wir gesehen haben. -Beseitiget sie, und Ihr habt für immer das Gespenst des Hungers verjagt. - -_Stefan Való_ (Freiland): Ich halte es für nützlich, den freiländischen -Standpunkt in der bisher aufgetauchten Kontroverse sofort zu -konstatieren. Das geehrte Kongreßmitglied aus Brasilien (Espero) hat -recht, wenn es das thatsächliche Elend der Menschheit in der Epoche der -Ausbeutung statt mit dem Walten natürlicher Kräfte, mit menschlichen -Einrichtungen in Zusammenhang bringt. Die Massen litten Mangel, weil sie -in Knechtschaft darniedergehalten waren, nicht weil die Erde sie -reichlicher zu ernähren unvermögend gewesen wäre. Ich will übrigens -hinzufügen, daß dieses thatsächliche Elend die Massen niemals hinderte, -sich zu vermehren in dem Maße, als dies durch andere, auf die -Bevölkerungsbewegung entscheidend einwirkende Faktoren bedingt war, ja -daß sich in der Regel das Elend sogar als Ansporn zur Volksvermehrung -erwies. Im Unrecht aber befindet sich unser Freund aus Brasilien, wenn -er, gestützt auf die hohlen Redensarten Carey's, leugnet, daß die -Volksvermehrung, könnte sie ins Unbegrenzte fortschreiten, endlich zu -Nahrungsmangel führen müßte. Der erste der heutigen Redner hat ganz -richtig bemerkt, daß es in diesem Falle schließlich dahin käme, daß den -Menschen der Raum auf Erden mangelte. Man wird doch nicht annehmen, daß -ein Zustand denkbar ist, bei welchem unsere Rasse die Erdoberfläche -bedeckte gleich den Heuschrecken ein von ihnen heimgesuchtes Feld? Ja, -in letzter Linie müßte bei wirklich schrankenlos fortschreitender -Vermehrung der Menschenmenge nicht bloß die Oberfläche, sondern sogar -der stoffliche Inhalt unseres Planeten zu klein werden, um die Elemente -für die sich häufenden Menschenleiber herzugeben. Die Volkszunahme -- in -so weit hat Malthus mitsamt seinen Anhängern Recht, _muß_ also irgend -eine Grenze haben. Ob diese Grenze aber gerade im sog. Nahrungsspielraum -zu suchen sei, das ist denn doch eine andere Frage, eine Frage, die -vernünftiger Weise erst dann bejaht werden dürfte, wenn festgestellt, -oder auch nur plausibel gemacht werden könnte, daß nicht früher schon, -lange bevor Nahrungsmangel sich einstellt, andere Faktoren in Aktion -treten, deren Zusammenwirken dann zur Folge hätte, daß die Grenzen des -Nahrungsspielraums, von ganz außergewöhnlichen Fällen abgesehen, niemals -auch nur annähernd erreicht, geschweige denn überschritten werden -könnten. - -_Arthur French_ (Rechte): Das soeben Gehörte erfüllt mich mit maßlosem -Erstaunen. Wie, das Mitglied der freiländischen Verwaltung gibt zu -- -was allerdings vernünftiger Weise nicht geleugnet werden kann -- daß -unbegrenzte Vermehrung eine Unmöglichkeit sei, und bestreitet dennoch, -daß Nahrungsmangel eben die gesuchte Grenze der Vermehrung wäre? Daß -Malthus geirrt, als er dieses natürliche Hemmnis auch bisher schon als -in der menschlichen Gesellschaft wirksam hinstellte, kann ja ohne -weiteres zugegeben werden. Die Menschen litten bisher Hunger, weil ihnen -verwehrt war, sich zu sättigen, nicht weil die Erde unvermögend gewesen -wäre, sie allesamt reichlich, oder zum mindesten reichlicher, zu -ernähren; die Ausbeutung erwies sich also wirklich als ein schon vor -Erreichung des Nahrungsspielraums wirksam gewesenes Hemmnis der -Volksvermehrung, gleichsam als eine Hungerkur, die der Mensch sich -selber auferlegte, noch bevor die Natur ihn zu einer solchen verurteilt -hatte. Schon minder verständlich ist mir, was Redner darunter meint, -wenn er behauptet, das durch die Ausbeutung künstlich hervorgerufene -Elend habe sich mitunter nicht als Hindernis, vielmehr als -Beförderungsmittel der Volkszunahme erwiesen. Insbesondere aber möchte -ich näheres über jene anderen, entscheidenden Faktoren hören, welche -dies angeblich bewirkt haben sollen und von denen Redner offenbar auch -in Zukunft die Regulierung der Bevölkerungszahl erwartet. Diese anderen -Faktoren sollen des ferneren den wunderbaren Effekt haben, die -Bevölkerung gar niemals den Grenzen des Nahrungsspielraums auch nur nahe -kommen zu lassen. Künstliche, willkürlich zur Anwendung gelangende -Mittel können das nicht sein, sonst würde ein Mitglied der -freiländischen Verwaltung, dieses auf schrankenloser Freiheit -gegründeten Gemeinwesens, nicht so zuversichtlich von ihnen sprechen. -Doch abgesehen von all dem -- wie kann die Wirksamkeit eines so -elementaren Hemmnisses der Vermehrung, wie es der Nahrungsmangel ist, -gerade in der menschlichen Gesellschaft in Zweifel gezogen werden, -während dieselbe doch so ersichtlich in der ganzen organischen Natur -hervortritt? Ist etwa der Mensch allein unter allen lebenden Wesen -diesem Naturgesetze nicht unterworfen oder kennt man vielleicht in -Freiland sogar ein Mittel, welches z. B. die Heringe nötigen würde, bei -ihrem Fortpflanzungsgeschäfte den Grenzen ihres Nahrungsspielraums -niemals nahe zu kommen, sich vielmehr bei demselben auf jenes -vernünftige Maß zu beschränken, welches den Rücksichten auf das -gedeihliche und reichliche Fortkommen ihrer Sippe entspräche?« - -Mächtige Erregung herrschte nach dieser mit schneidiger Schärfe -vorgebrachten Rede im Saale. Gesteigert wurde das Gefühl -erwartungsvoller Spannung noch dadurch, daß mehrere Mitglieder der -freiländischen Verwaltung -- unter diesen auch der frühere Redner Stefan -Való -- zum Präsidenten eilten und demselben ersichtlich nahe legten, -sich zum Worte zu melden. Der ganzen Versammlung bemächtigte sich die -Empfindung, daß die Debatte -- nicht bloß die heutige, sondern die des -Kongresses überhaupt -- an ihren entscheidenden Wendepunkt gelangt sei. -Vermochten die Wortführer der wirtschaftlichen Gerechtigkeit auch -diesmal die Bedenken der Gegner siegreich zu widerlegen, als irrig und -gegenstandlos nachzuweisen, so war die große Geistesschlacht endgiltig -gewonnen; was dann noch folgen mochte, konnte fürderhin nicht mehr der -Frage gelten, _ob_, sondern bloß derjenigen, _wie_ die neue sociale -Ordnung gedeihlich und dauernd ins Werk zu setzen sei. Erlahmte aber an -diesem Punkte die Kraft der freiländischen Beweisführung, gelang es ihr -nicht abermals, das Gebäude der gegnerischen Argumentation umzublasen, -gleich einem Kartenhause, so waren alle bisherigen Erfolge vergebens. -Das Elend der Gegenwart zu beseitigen, um damit der Zukunft nur desto -hoffnungsloseres Elend zu bereiten, das war es nicht, wofür man sich -begeistert hatte; blieb auch nur ein Schatten dieser Gefahr bestehen, so -war der wirtschaftlichen Gerechtigkeit das Todesurteil gesprochen. - -Unter atemloser Spannung ergriff endlich Dr. _Strahl_ das Wort, nachdem -er den Vorsitz an seinen Kollegen Ney aus der freiländischen Verwaltung -abgegeben hatte: - -»Unser Freund von der Rechten«, so begann er seine Rede, »hat den an uns -gerichteten Appell mit der Frage geschlossen, ob wir in Freiland das -Mittel kennten, welches die Heringe nötigen würde, sich bei ihrem -Fortpflanzungsgeschäfte innerhalb jener Schranken zu halten, die den -Rücksichten auf das gedeihliche und reichliche Fortkommen ihrer Sippe -entsprächen. Meine Antwort darauf lautet kurz und bündig: Jawohl, wir -kennen dieses Mittel. (Bewegung.) Sie erstaunen? Mit Unrecht, lieben -Freunde, denn Sie kennen es in Wahrheit so gut wie wir, und nur jene -eigenartige geistige Kurzsichtigkeit, die den Menschen hindert, noch so -bekannte Dinge wahrzunehmen, sowie es sich um deren Nutzanwendung auf -einen Gegenstand handelt, bezüglich dessen die mit der Muttermilch -eingesogenen Vorurteile ihm verbieten, von seinen Sinnen und seinem -Urteilvermögen Gebrauch zu machen, nur diese ist es, die Sie glauben -macht, Sie kennten es nicht. Also, ich behaupte, daß Sie Alle das -fragliche Mittel so gut wüßten, wie wir. Aber damit will ich keineswegs -sagen, wie Sie anzunehmen scheinen, daß wir oder Sie imstande wären, den -Heringen diese vorsorgliche Rücksicht erst beizubringen, was in der That -ziemlich schwer durchführbar wäre; ich behaupte vielmehr, daß unsere -gemeinsame Kenntnis des Mittels nicht in unserer Erfindungs-, sondern in -unserer Beobachtungsgabe ihre Quelle hat, mit anderen Worten, daß die -Heringe von jeher üben, wozu sie nach der Meinung des Fragestellers erst -durch unseren Witz angeleitet werden müßten und daß wir daher, um zur -Kenntnis des fraglichen Vorganges zu gelangen, bloß nötig hatten: -erstlich, die Augen zu öffnen, um zu sehen, _was_ in der Natur vorgeht -und sodann unseren Verstand einigermaßen zu gebrauchen, um auch hinter -das _Wie_ dieses Naturvorganges zu gelangen. - -Öffnen wir also zunächst unsere Augen, d. h. entfernen wir die Binde, -die ererbte ökonomische Vorurteile um dieselben gelegt haben. Um Ihnen -dieses zu erleichtern, meine Freunde, bitte ich Sie, ein beliebiges -Naturwesen, also beispielsweise den Hering ins Auge zu fassen, ohne -dabei an dessen mögliche Beziehungen zur Bevölkerungsfrage innerhalb der -menschlichen Gesellschaft zu denken, d. h. suchen Sie beim Hering keinen -Erklärungsgrund des menschlichen Elends, sondern betrachten Sie -denselben einfach als einen der vielen Kostgänger am Tische der Natur. -Unmöglich wird Ihnen dann entgehen, daß diese Tierspecies zwar in sehr -zahlreichen Exemplaren vertreten ist, daß aber noch unendlich -zahlreichere an besagtem Tische reichlich Platz fänden. Ja ich behaupte, -daß Sie sich -- immer vorausgesetzt, daß Sie dabei nur den Hering und -nicht zugleich im Hintergrunde das menschliche Elend im Auge haben -- -selber verlachen würden, käme Ihnen auch nur entfernt der Gedanke, die -Heringe könnten, wenn ihrer etwas mehr wären, keine Nahrung im Weltmeere -finden, es seien ihrer gerade so viel vorhanden, als dort satt zu -werden vermöchten. Oder nehmen wir eine andere Tierart, deren -Ernährungsverhältnisse wir nicht wie bei den Heringen bloß durch -unbefangenes Nachdenken, sondern erforderlichen Falls leicht durch -wirklichen Augenschein zu erkennen vermögen, also z. B. den Elefanten, -den Malthus ja auch speziell namhaft gemacht und für den er gleichfalls -berechnet hat, in welcher Frist ein einzelnes Pärchen den ganzen -Erdkreis mit seinen Nachkommen erfüllen müßte, um daraus die -Schlußfolgerung zu ziehen, daß es der Nahrungsmangel sei, was dieser -schrankenlosen Vermehrung das Ziel setze. Lehrt Sie nicht der erste, -oberflächlichste Blick, daß nirgends auf Erden auch nur entfernt so viel -Elefanten sind, als reichlich und in Fülle Nahrung fänden? Würden Sie -nicht jeden für einen Faselanten halten, der Ihnen das Gegenteil weis -machen wollte? - -Sie wissen also insgesamt -- das bitte ich zunächst festzuhalten -- daß -jede Tierart, sie mag nun selten oder zahlreich, mehr oder minder -fruchtbar sein, sich mit ihrer Vermehrung regelmäßig innerhalb solcher -Schranken hält, die von den Grenzen des sogenannten Nahrungsspielraums -weit, unendlich weit entfernt sind. Ich gehe weiter; Sie wissen nicht -bloß, daß es so ist, Sie wissen auch, daß und warum es so sein _muß_. -Die unbefangene Beobachtung der Naturvorgänge sagt Ihnen nämlich bei nur -einigem Nachdenken, daß eine Art, die sich wirklich regelmäßig bis an -die Grenzen des Nahrungsspielraums vermehrte, also regelmäßig dem Hunger -und den Entbehrungen ausgesetzt wäre, notwendiger Weise verkümmern -müßte. - -Sie wissen also, daß jener unerschöpfliche Überfluß, der im Gegensatze -zum Elend der menschlichen Gesellschaft allenthalben in der Natur -herrscht und den dieses Gegensatzes halber die Denker und Dichter aller -Zeiten besprochen und besungen haben, kein Werk des Zufalls, sondern der -Notwendigkeit ist und es erübrigt nur mehr die Ergründung jenes -Naturprozesses, jenes causalen Zusammenhanges, kraft dessen sich diese -Notwendigkeit vollzieht. In diesem Punkte war man zur Zeit, als Malthus -schrieb, allerdings auf allgemeine Redensarten angewiesen. Das Dunkel, -welches die Entwickelungsgeschichte der organischen Welt verhüllt, war -damals noch nicht erhellt; man mußte sich also damit begnügen, alle -Vorgänge im Tier- und Pflanzenreiche aus dem Walten der Vorsehung oder -der sogenannten Lebenskraft zu erklären -- was natürlich auch damals -niemand hinderte, die Thatsache sowohl, als die Notwendigkeit dieses -einstweilen unerklärlichen Naturvorganges zu sehen und zu begreifen. Sie -aber -- im Jahrhundert nach Darwin lebend -- können auch über diesen -letzten Punkt keinen Augenblick im Zweifel sein. Sie wissen, daß es der -Kampf ums Dasein ist, in welchem sich die lebenden Wesen zu dem -entwickeln, was sie sind, daß Eigenschaften, die sich als nützlich und -notwendig zum Gedeihen einer Art erweisen, durch diesen Kampf -hervorgelockt, ausgebildet und festgehalten, Eigenschaften dagegen, die -sich als schädlich für das Gedeihen der Art erweisen, unterdrückt und -beseitigt werden. Da nun die Eigenschaft, sich niemals bis an die -Grenzen des Nahrungsspielraums zu vermehren, zum Gedeihen, ja zur -Existenz jeglicher Art nicht bloß nützlich, sondern durchaus notwendig -ist, so muß eben auch sie durch den Daseinskampf hervorgerufen, -ausgebildet und als bleibender Artcharakter festgehalten worden sein. - -Das alles haben Sie gewußt, meine Freunde, bevor ich es Ihnen sagte; nur -war Ihnen dieses Ihr Wissen bloß in jenen Fällen auch bewußt, zum -Gebrauche beim Denkprozesse gegenwärtig, wo es sich um rein botanische -oder zoologische Fragen handelte; sowie in Ihrem Denkapparate die Saite -der socialen oder ökonomischen Probleme berührt wurde, senkte sich -augenblicklich ein dichter, undurchdringlicher Schleier über diese -soeben noch so klaren Erkenntnisse; die Welt stellte sich Ihnen jetzt -nicht mehr so dar, wie sie ist, sondern wie sie sich durch besagten -Schleier -- seine Fäden heißen anerzogene Vorurteile und -Wahnvorstellungen -- ansieht, und Ihr Urteilsvermögen funktionierte nun -nicht mehr nach jenen allgemeinen Gesetzen, die sonst unter dem Namen ->Logik< sich Ihrer Achtung erfreuen, sondern machte ganz eigenartige -Kapriolen, die -- läge besagter Schleier nicht auf Ihren Sinnen -- -unmöglich ohne Wirkung auf Ihre Lachmuskeln bleiben könnten. Ja, so -gründlich haben Sie sich daran gewöhnt, die Bilder, die Ihnen dieser -Schleier zeigt, für die wirkliche Welt zu halten, daß Sie sich von -denselben nicht zu befreien vermögen, auch nachdem Sie sich dazu -aufgerafft, den Schleier selber zu zerreißen. - -Die Wahnvorstellungen und Trugschlüsse der Malthus'schen Theorie sind -doch eigentlich nur dadurch entstanden, daß ihr Autor nach Gründen für -das Elend der Menschheit suchte, den wahren Grund aber nicht zu -entdecken vermochte. Warum hungert der irische Bauer und der ägyptische -Fellache, so fragte er sich; und da er -- gehindert durch den bewußten -Schleier -- nicht zu sehen vermochte, daß sie hungerten, weil ihnen der -Ertrag ihrer Arbeit weggenommen wird, ja weil man ihnen gar nicht -gestattet, zu arbeiten, dabei aber bemerkte, daß die Massen überall und -allezeit hungerten, örtlich und zeitlich etwas minder empfindlich als zu -anderen Zeiten und Orten, aber schließlich doch hungerten, hungerten, -hungerten, trotz aller Plage und allen Fleißes, soweit menschliche -Erinnerung zurückreicht -- so geriet er endlich auf den Ausweg, diesen -allgemeinen Hunger für die Folge eines Naturgesetzes zu halten. Jetzt -wußte er es; der Fellache hungert und der irische Bauer hungert und die -Völker aller Weltteile und aller Zeiten hungern, weil sie zu zahlreich -sind, und sie sind zu zahlreich, weil nur der Hunger sie hindert, noch -zahlreicher zu werden. Daß die vom Rätsel des Elends gepeinigte Welt -_das_ glaubte, ist schließlich zu begreifen, denn einen Grund muß das -Elend doch haben und Mangels der richtigen haben noch allezeit falsche -Erklärungsgründe herhalten müssen; Sie aber, meine Freunde, die Sie die -Ursache des Elends in der Ausbeutung und Knechtschaft erkannt haben, Sie -glauben merkwürdiger Weise noch immer an jenes seltsame Naturgesetz, -welches doch Malthus nur ersann, um obigen Notbehelf aus ihm zu -konstruieren; das macht: Sie haben den Schleier zwar zerrissen, -durchlöchert, aber seine Fetzen umhüllen Ihnen noch immer Haupt und -Sinne. Warum der Fellache und der irische Bauer _heute_ hungert, das zu -sehen, dazu haben Sie sich aufgerafft; aber für unsere Nachkommen -zittern Sie noch immer vor Übervölkerung, den Hering sehen Sie noch -immer von Nahrungssorgen verfolgt, und der Elefant durchstreift für Sie -immer noch mit knurrendem Magen die kahlgefressenen Waldungen Hindostans -oder Afrikas -- sowie Sie von Hering und Elefant weiter hinaus denken an -diese unsere armen, der Übervölkerung verfallenen Nachkommen.« - -Jubelnder Applaus, untermengt mit Ausbrüchen lauter Heiterkeit -durchbrauste den Saal, nachdem Dr. Strahl geschlossen. Auf seinem Wege -von der Rednerbühne zum Präsidentensitze erwarteten ihn neben den -Freunden, die herbeigeeilt waren, ihm die Hand zu drücken, auch die -Wortführer der Opposition, die freudig und rückhaltlos den vollkommenen -Sieg anerkannten. - - (Schluß des vierten Verhandlungstages.) - - - - - 27. Kapitel. - - - Fünfter Verhandlungstag. - -Zur Diskussion gelangt der vierte und letzte Punkt der Tagesordnung: - -_Ist es möglich, die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -überall unter Schonung der erworbenen Rechte und überkommenen Interessen -zur Durchführung zu bringen; und wenn dies möglich ist, welches sind die -geeigneten Mittel hierzu?_ - -_Der Vorsitzende._ Ich glaube dem Wunsche der Versammlung zu -entsprechen, wenn ich den heute Morgen in Edenthal eingetroffenen -Spezialgesandten des amerikanischen Kongresses, _William Stuart_, bitte, -sich seines Auftrages zu entledigen und uns Bericht zu erstatten über -jene Vorschläge, welche das mit Ausarbeitung der Übergangsbestimmungen -in das Regime der wirtschaftlichen Gleichberechtigung betraute Komitee -dem Kongresse seines Landes unterbreitet hat. - -_William Stuart._ Im Auftrage der Vertreter des amerikanischen Volkes -erbitte ich mir die Wohlmeinung dieser hochansehnlichen Versammlung über -eine Reihe von gesetzlichen Verfügungen, die bestimmt sein sollen, uns -mit jener Energie, die nun einmal unseren Gewohnheiten entspricht, -zugleich aber unter vollkommener Schonung aller bestehenden Rechte, aus -dem bisherigen wirtschaftlichen Zustande in denjenigen der -wirtschaftlichen Gleichberechtigung hinüberzuleiten. Meine Auftraggeber -sahen sich zu diesem Schritte durch den Umstand veranlaßt, daß unsere -Nation unter allen Nationen außerhalb Freilands die erste ist, welche -- -unseres Wissens zum mindesten -- über das Stadium der Vorberatungen -hinaus gediehen, unmittelbar vor der zur Durchführung des Werkes -führenden Aktion steht. Die Institutionen der wirtschaftlichen -Gerechtigkeit selber sind nichts Neues mehr; wir konnten uns -diesbezüglich auf ein bewährtes Präcedenz, das Beispiel Freilands, -stützen, was denn auch -- mit einigen höchst unwesentlichen, der -Eigenart des amerikanischen Volkscharakters und Landes entsprechenden -Abweichungen -- durchweg geschehen wird. Dagegen fehlt es für die -Übergangsbestimmungen an jeglicher Erfahrung, und da wir, ungeachtet der -bekannten Raschheit unseres Handelns, guten Rat -- insbesondere in so -wichtiger Sache -- lieber vor als nach der That einholen, so bin ich -hergesandt, Ihre Meinung zu hören und dieselbe dann im amerikanischen -Kongresse zu vertreten, bevor die Vorschläge des Komitees Gesetzeskraft -erlangen. - -Es ist beantragt, allen im Gebiete der Union gelegenen Boden für -herrenlos zu erklären, die bisherigen Besitzer aber mit dem vollen -Katasterwerte zu entschädigen. Um denjenigen, die sich dabei verkürzt -erachten sollten, die Möglichkeit der Abhilfe zu gewähren, sollen -besondere Sachverständigenkommissionen zur Prüfung allfälliger -Reklamationen niedergesetzt werden und die öffentliche Meinung der Union -geht dahin, daß diesen Kommissionen ein möglichst rücksichtsvolles -Verfahren zur Richtschnur empfohlen werden sollte. Der gleiche Vorgang -ist bei Gebäuden beantragt, mit der Maßgabe jedoch, daß zum eigenen -Gebrauche des Besitzers dienende Wohnhäuser auf dessen Wunsch von der -Ablösung ausgenommen werden können. Die solcherart erhobenen und -festgestellten Ablösungsbeträge sollen je nach Wunsch der Berechtigten -entweder sofort oder in Raten zur Auszahlung gelangen, mit der Maßgabe, -daß für jede Erstreckung der Raten um je ein Jahr eine Prämie von 1/5 -Prozent gewährt wird, welche Prämie der Berechtigte in Form von -Zuschlagsraten nach erfolgter Abtragung des eigentlichen Kaufpreises -ausgezahlt erhält. Auf länger als fünfzig Jahre wird die Abzahlung nicht -erstreckt. Gesetzt also den Fall, eine Liegenschaft sei mit 10000 -Dollars bewertet worden, so erhält der Besitzer, falls er sofortige -Auszahlung der ganzen Summe verlangt, seine 10000 Dollars, mit denen er -dann anfangen mag, was ihm beliebt; verlangt er beispielsweise zehn -Jahresrenten _à_ 1000 Dollars, so hat er das Anrecht auf zehn Prämien -von je 20 Dollars, die ihm gesammelt als elfte Jahresrate von 200 -Dollars zugezählt werden. Verlangt er Abzahlung in fünfzig Raten _à_ 200 -Dollars, so erwächst ihm ein Prämienanspruch von fünfzigmal 20, d. i. -also von 1000 Dollars, die er in Form fünf fernerer Jahressraten _à_ 200 -Dollars einkassiert. Dieselben Rückzahlungsmodalitäten gelten für die -gesamte, sofort zu kündigende Nationalschuld. - -Die bestehenden Kredit- und Schuldverhältnisse der Privaten -bleiben aufrecht; doch soll der Schuldner, gleichviel welche -Abzahlungsbedingungen ursprünglich vereinbart waren, das _Recht_ -unmittelbarer Rückerstattung des entliehenen Kapitals haben. Die -Beistellung der zum Betriebe welcher Produktion immer erforderlichen -Kapitalien abseitens des Gemeinwesens wird die Privatschuldner in den -Stand setzen, von diesem ihrem Rechte Gebrauch zu machen; nur soll nach -dem Antrage der Kommission das Gemeinwesen bis auf weiteres die nämliche -Prämie, die es seinen Gläubigern gewährt, auch von seinen Schuldnern -verlangen. Der Zweck letzterer Maßregel liegt auf der Hand; sie soll -verhüten, daß -- Mangels jedes ihnen eingeräumten Vorteils -- die -Privatgläubiger ihre Kapitalien aus dem Verkehre ziehen und tot liegen -lassen. Bekämen die Kapitalbedürftigen anfangs ihren Bedarf gänzlich -kostenlos, lediglich gegen die Verpflichtung allmählicher Rückerstattung -des entliehenen Kapitals, so würden sie sich zu keinerlei Vergütung -ihren alten Gläubigern gegenüber verstehen, während sie, wird der -Vorschlag der Kommission angenommen, jene Prämie, die das Gemeinwesen -von ihnen verlangt, auch jenen zu bewilligen bereit sein werden. - -Zu bemerken wäre noch, daß, dank dem schon bei Gelegenheit der -Wahlagitationen für den konstituierenden Kongreß allenthalben zum -Ausdrucke gebrachten Grundsatze, alle erworbenen Rechte peinlichst zu -achten, die produktive Thätigkeit in der Übergangszeit nicht allein -keinerlei Störung erlitten, sondern einen, vorher niemals noch erlebten -Aufschwung erfahren hat. Die in Bildung begriffenen freien Associationen -zwingen die alten Unternehmer, sich durch ausgiebige Lohnerhöhungen die -zum provisorischen Fortbetriebe erforderlichen Arbeitskräfte zu -erhalten, und da gerade diese Lohnerhöhungen den Bedarf nach allen -Produkten sprunghaft steigern, so wächst damit zugleich das Interesse -der Unternehmer, ihre Produktion vor jeder Stockung zu bewahren. Diese -beiden Strömungen steigern sich gegenseitig in solchem Maße, daß im -Momente der Minimallohn drei Dollars per Tag übersteigt, und daß -fieberhafter Unternehmungsgeist sich der gesamten Geschäftswelt -bemächtigt hat. Insbesondere die Maschinenindustrie entfaltet eine -Regsamkeit, die aller bisherigen Vorstellungen spottet. Die Furcht vor -Überproduktion ist zur Mythe geworden, und da die Unternehmer darauf -rechnen können, in den Associationen demnächst schon bereitwillige -Abnehmer für guteingerichtete Anlagen zu finden, so hält sie nichts ab, -den letzten Moment, der ihrer Privatthätigkeit noch gelassen ist, -thunlichst auszunützen. Auch die Landbesitzer finden dabei ihre -Rechnung, denn selbstverständlich ist der Bodenwert infolge der so rapid -gewachsenen Nachfrage nach Bodenprodukten aller Art sehr namhaft -gestiegen. Kurzum, alles berechtigt uns zu der Annahme, daß sich der -Übergang in die neue Ordnung der Dinge bei uns nicht bloß leicht und -glatt, sondern auch zu vollster Befriedigung _aller_ Teile unseres -Volkes vollziehen werde. - -Der _Vorsitzende_ fragt die Versammlung, ob sie sofort in die Diskussion -der soeben gehörten Botschaft des amerikanischen Kongresses, respektive -in die Debatte über Punkt vier der Tagesordnung eingehen, oder zuvor -noch den Bericht entgegennehmen wolle, welchen der freiländische -Kommissär in Rußland durch einen soeben in Edenthal eingetroffenen -Abgesandten zu erstatten beabsichtige. Da sich der Kongreß für letzteres -entschied, nahm - -_Demeter Nowikof_ (Abgesandter des freiländischen Kommissars für -Rußland) das Wort: Als wir, auf Wunsch des russischen Volkes von der -freiländischen Centralverwaltung delegierten Kommissäre, in Moskau -eingetroffen waren, fanden wir die Ruhe wenigstens äußerlich insoweit -hergestellt, als die einander bis dahin mit schonungsloser Wut -zerfleischenden Fraktionen auf die Nachricht unserer Ankunft vorderhand -Waffenstillstand geschlossen hatten. Nicht bloß die Kanonen und Gewehre, -auch die Guillotine und der Galgen feierten. Radoslajew, unser -bevollmächtigter Kommissär, berief sofort die sämtlichen Parteihäupter -zu sich, bewog sie, die Waffen vollends niederzulegen, die Gefangenen -freizugeben, die sieben verschiedenen, sich bis dahin sämtlich als -ausschließliche Vertreter des russischen Volkes geberdenden Parlamente -heimzusenden, und schrieb dann, nachdem er sich für die Zwischenzeit mit -einem Rate von Vertrauensmännern der verschiedenen Parteien umgeben, mit -thunlichster Beschleunigung allgemeine Neuwahlen für eine -konstituierende Versammlung aus. - -Da Produktion und Verkehr beinahe gänzlich stille standen, so war das -Elend grenzenlos. Die Arbeitgeberschaft war von einigen der extremsten -Parteien als todeswürdiges Verbrechen verfolgt worden, niemand wagte es -daher, Arbeiter zu beschäftigen; sich selber zu organisieren, dazu waren -in den meisten Teilen des Reiches die unwissenden, in knechtischem -Gehorsam darniedergehalten gewesenen Massen gänzlich außer Stande, und -da zum Überfluß die radikalsten unter den Nihilisten auch die -Organisatoren freier Associationen als »maskierte Herren« zu -guillotinieren begonnen hatten, so schien es fast, als ob gegenseitiges -Todschlagen die einzige Thätigkeit sei, der man hinfort in Rußland -obliegen könne. - -Die Proklamation, mit welcher Radoslajew die Wahlen ausschrieb, -beruhigte zwar die Gemüter, genügte aber nicht zu rascher Inaugurierung -ersprießlicher produktiver Thätigkeit. Als daher die neugewählte -konstituierende Versammlung zusammengetreten war, schlug ihr Radoslajew -als Übergangsstadium in das Regime der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -ein gemischtes System vor, in welchem neben den Keimen der -anzustrebenden freien Gesellschaft und neben allfälligen Resten alter -Einzelwirtschaft eine Art von Übergangs-Kommunismus Platz finden sollte. - -Zunächst aber mußte Ordnung in die bestehenden Rechtsverhältnisse -gebracht werden. Während der unserer Ankunft vorhergehenden -Schreckensherrschaft war aller immobile Besitz zu Nationaleigentum -erklärt worden, ohne daß die früheren Eigentümer irgendwelche -Entschädigung erhalten hatten; alle bestehenden Schuldverhältnisse waren -einfach annulliert und es galt nun, nachträglich diese Gewaltakte -gutzumachen, soweit es irgend noch anging. Doch in diesem Punkte erwies -sich anfangs auch die neue Nationalversammlung untraitabel. Der Haß -gegen die alte Ordnung war ein so allgemein verbreiteter und tiefer, daß -selbst die Depossedierten es nicht wagten, auf unsere Absichten -einzugehen. Das aus der Epoche der Ausbeutung herrührende Privateigentum -galt schlechthin als Raub und Diebstahl, die Inanspruchnahme von -Entschädigungen als schimpflich derart, daß eine Deputation früherer -Großgrundbesitzer und Fabrikanten, an ihrer Spitze zwei ehemalige -Großfürsten, Radoslajew beschwor, von seiner Forderung abzustehen, damit -der kaum entschlafene nihilistische Fanatismus nicht neuerlich gereizt -werde. Nichtsdestoweniger beharrte dieser, nachdem er sich mit uns, den -ihm beigegebenen Freiländern, beraten, auf seiner Forderung. Er erklärte -der Nationalversammlung, daß es uns natürlich fern liege, dem russischen -Volke unsere Anschauungen aufzunötigen, daß anderseits aber auch Rußland -von uns nicht verlangen könne, uns an einem Werke zu beteiligen, dessen -Grundlage -- in unseren Augen -- Raub wäre; und diese Drohung mit -unserem Rücktritte wirkte endlich. Die Nationalversammlung machte noch -den Versuch, sich der Votierung einer ihr verhaßten Maßregel dadurch zu -entziehen, daß sie Radoslajew für die Zeit des Überganges die Diktatur -anbot; nachdem er jedoch auch dieses Ansinnen abgelehnt hatte, fügte sie -sich und ging widerwillig in die Beratung des Entschädigungsgesetzes -ein. Im Sinne des von Radoslajew vorgelegten Entwurfes sollte den -früheren Eigentümern der volle Wert in Raten bezahlt werden, ebenso -sollten die früheren Schuldverhältnisse voll reaktiviert und gleichfalls -in Raten abgetragen werden; die unveränderte Annahme dieses Gesetzes -konnte Radoslajew jedoch nicht durchsetzen. Die Nationalversammlung -votierte einstimmig eine Klausel, nach welcher kein einzelner -Entschädigungsanspruch die Höhe von 100000 Rubel überschreiten durfte; -hatte der Eigentümer Schulden, so wurde deren Betrag in Anrechnung -gebracht, doch durfte auch der Ersatzanspruch aus dem Titel von -Schuldforderungen keines einzelnen Gläubigers 100000 Rubel übersteigen. -Ebenso wurde für verwüstetes Eigentum eine auf das gleiche Maximum -beschränkte Entschädigung gewährt. - -Inzwischen hatten wir alle Anstalten getroffen, um die Produktion auf -den neuen Grundlagen zu organisieren. Privatunternehmer wagten sich, -trotzdem ihnen das Feld freigegeben war, nicht hervor; dagegen begannen -sich insbesondere in den westlichen Gouvernements auf Grund unserer zum -Muster genommenen freiländischen Statuten, freie Arbeiterassociationen -zu bilden. Die große Masse der arbeitenden Bevölkerung erwies sich -jedoch hiezu noch unfähig, und notgedrungen mußte daher die -Regierungsgewalt organisierend eingreifen. Zwanzig verantwortliche -Komitees wurden für zwanzig verschiedene Produktionszweige geschaffen -und diese Komitees nahmen mit Hülfe der sich bereitwillig zur Verfügung -stellenden Intelligenz die Produktion in die Hand. Der Freiheit ist -insoweit Rechnung getragen, als niemand zwangsweise zur Arbeit verhalten -wird. Derzeit sind 83000 solcher Unternehmungen mit 12½ Millionen -Arbeitern im Betriebe. Bezüglich der Verteilung des Ertrages herrscht in -denselben ein aus freier Vergesellschaftung und Kommunismus gemischtes -System. Die Hälfte des erzielten Nettoertrages gelangt unter den -gesamten 12½ Millionen Arbeitern zur gleichmäßigen Verteilung; die -andere Hälfte verteilen die einzelnen Unternehmungen für sich unter die -ihnen angehörigen Arbeiter. Wir glauben solcher Art jede Unternehmung -einerseits gegen die äußersten Konsequenzen eines allfälligen -Mißerfolges ihrer Produktion sichergestellt, anderseits aber auch das -Interesse der Beteiligten am Gedeihen der einzelnen Produktion -wachgerufen zu haben. Die Leiter dieser Produktivkörperschaften erhalten -nach dem gleichen gemischten Systeme Zahlung. - -Die Arbeitszeit ist auf 36 Stunden wöchentlich fixiert. Außerdem ist ein -zweistündiger täglicher Unterricht für Erwachsene eingerichtet, welchen -Unterricht gegenwärtig 65000 Wanderlehrer, deren Zahl jedoch stetig -vermehrt wird, zu besorgen haben. Desgleichen sind bisher 120000 -Volksbibliotheken errichtet, zu deren Versorgung mit den notwendigsten -Büchern eine Anzahl großer Druckereien in Rußland selber gegründet, -außerdem aber die bedeutenderen Druckereien des Auslandes beschäftigt -sind; die freiländischen Druckereien allein haben bisher 28 Millionen -Bände geliefert. Da auch der Jugendunterricht mit aller erdenklichen -Energie gefördert wird -- 780 Lehrerseminare sind teils gegründet, teils -in Gründung begriffen, vom slawischen Auslande, insbesondere aus Böhmen, -sind massenhaft Lehrkräfte herangezogen worden, und dergleichen mehr -- -so hoffen wir den Bildungsgrad der Massen sich binnen wenigen Jahren so -weit heben zu sehen, daß mit den Resten des Kommunismus wird aufgeräumt -werden können. - -Inzwischen wird die provisorisch geübte Bevormundung den sich derselben -freiwillig unterwerfenden Massen gegenüber auch zur Hebung und Veredlung -ihrer Gewohnheiten und Bedürfnisse ausgenutzt. Geistige Getränke, -insbesondere Branntwein, werden nur in begrenzten Dosen ausgeschenkt, -die elenden Lehmhütten und Arbeiterhöhlen werden successive -niedergerissen und durch nette, mit kleinen Gärten versehene -Familienhäuser ersetzt; monatlich mindestens einmal werden -Volksfeste veranstaltet, bei denen leichte zwar, aber gute Musik, -Theatervorstellungen und populäre Vorträge den ästhetischen, eine -rationelle feinere Küche den materiellen Geschmack der Teilnehmer zu -heben bestimmt sind. Besondere Sorgfalt wird der Erziehung der Frauen -gewidmet. Nahe an 80000 Wanderlehrerinnen durchziehen heute schon das -Land, unterrichten die -- von jeder groben Arbeit befreiten -- Weiber in -den Elementen der Wissenschaft sowohl, als civilisierterer -Haushaltungskunst, suchen ihr Selbstgefühl und ihren Geschmack zu heben, -sie über ihre neuen Rechte und Pflichten aufzuklären und insbesondere -der bis dahin herrschend gewesenen häuslichen Brutalität zu steuern. Da -diese Apostel höherer Weiblichkeit -- wie überhaupt alle Lehrkräfte -- -die volle Autorität der Behörden hinter sich haben und sich ihrem Berufe -mit hingebender Begeisterung widmen, so lassen sich derzeit schon nicht -unerhebliche Erfolge ihres Wirkens feststellen. Die Weiber der -arbeitenden Klassen, bis dahin schmutzige, mißhandelte, störrige -Lasttiere, beginnen allgemach für ihre Würde als Menschen sowohl wie als -Frauen Verständnis zu zeigen. Sie lassen sich von ihren Männern nicht -mehr prügeln, halten diese, sich selber, die Kinder und ihr Haus -reinlich und wetteifern untereinander in Erwerbung von allerlei -nützlichen Kenntnissen. Ein ganz unglaublicher Fortschritt, ja eine -Revolution hat -- Dank dem sofort eingeführten Versorgungsanspruche der -Frauen -- in den Sittlichkeitsverhältnissen stattgefunden. Während -früher, insbesondere unter dem städtischen Proletariate, geschlechtliche -Zügellosigkeit und Käuflichkeit allgemein verbreitet waren, sind jetzt -geschlechtliche Fehltritte eine unerhörte Seltenheit geworden. Dabei ist -es insbesondere interessant, den Unterschied zu beobachten, welchen die -Meinung des Volkes zwischen derlei Sünden aus früherer Zeit und zwischen -denen der Gegenwart macht. Während über jene ganz allgemein der Mantel -der Vergessenheit gebreitet wird, kennt die öffentliche Meinung für -diese keine Nachsicht. »Die sich früher verkaufte, war eine -Unglückliche, die es jetzt thäte, wäre eine Verworfene,« so spricht und -handelt in diesem Punkte das Volk. Die öffentliche Dirne von ehemals -trägt die Stirne hoch und frei, sofern sie jetzt nur tadellos ist, und -sieht mit stolzer Verachtung herab auf das Mädchen oder die Frau, die -sich nunmehr, »seitdem wir Weiber uns nicht mehr verkaufen müssen, um -Brot zu haben,« auch nur das Geringste zu Schulden kommen läßt.« - -Es wird nunmehr in die Debatte über Punkt 4 der Tagesordnung -eingegangen. - -_Ibrahim el Melek_ (Rechte). Die überaus lehrreichen Berichte aus -Amerika und Rußland liefern den drastischen Beweis dafür, daß der -Übergang zu dem Systeme der wirtschaftlichen Gerechtigkeit sich nicht -bloß im allgemeinen desto leichter, sondern insbesondere auch unter -desto annehmlicheren Formen für die besitzenden Klassen vollziehe, je -entwickelter und vorgeschrittener zuvor die arbeitenden Klassen gewesen. -Unter diesem Gesichtspunkte darf es also nicht Wunder nehmen, daß auch -wir in Ägypten den Systemwechsel voraussichtlich nicht ohne schwere -Erschütterungen werden durchmachen können. Die Nähe Freilands und das -rasche Eintreffen seiner von den aus Rand und Band geratenen Fellachim -mit nahezu göttlichen Ehren empfangenen Kommissäre hat uns zwar vor -ähnlichen Greuelscenen bewahrt, wie sie Rußland Wochen hindurch -zerfleischten; es sind keinerlei Mordthaten und nur geringe Zerstörungen -von Eigentum vorgekommen; aber die von den freiländischen Kommissären -einberufene ägyptische Nationalversammlung zeigt sich noch weit -abgeneigter als ihre russische Kollegin, die Entschädigungsansprüche der -früheren Besitzer anzuerkennen. Ich sehe darin eine Fügung des -Schicksals, gegen die sich nichts machen läßt und die man daher mit -Resignation hinnehmen muß. Von Verschulden aber möchte ich die so schwer -Betroffenen freisprechen. Ohne daß es ausdrücklich gesagt worden ist, -habe ich doch das deutliche Empfinden, daß die große Majorität dieser -Versammlung von dem Gedanken ausgeht, die ehemals herrschend gewesenen -Klassen erführen nunmehr überall das Los, welches sie sich selber -bereiteten; dem gegenüber möchte ich fragen, ob denn etwa die -amerikanischen, australischen und west-europäischen Grundherren, -Kapitalisten und Arbeitgeber früher die Vorteile ihrer Stellung minder -schonungslos ausbeuteten, als die russischen oder ägyptischen? Daß sie -ihren arbeitenden Klassen nicht so übel mitzuspielen vermochten, als die -letzteren, hat in der größeren Energie des Volkscharakters, in der -größeren Widerstandskraft der Massen, nicht aber in ihrer, der -Herrschenden, Gutmütigkeit seinen Grund. Ich vermag also keine -Gerechtigkeit darin zu sehen, wenn der russische Edelmann oder der -ägyptische Bey sein Vermögen verliert, während der amerikanische -Spekulant, der französische Kapitalist oder der englische Lord aus dem -Umschwunge vielleicht sogar mit Gewinn hervorgeht. - -_Lionel Spencer_ (Centrum). Der Herr Vorredner dürfte mit seiner -Vermutung, daß auch die besitzenden Klassen Englands gleich denen -Amerikas ohne Verlust aus der im Zuge befindlichen Revolution -hervorgehen werden, voraussichtlich Recht behalten; daß den Besitzenden -nichts genommen werden dürfe, was ihnen nicht zum vollen Werte bezahlt -wird, kann bei uns in England so gut als z. B. in Frankreich und noch in -einigen anderen demokratisch verwaltet gewesenen Ländern nicht dem -geringsten Zweifel unterliegen. Ein Spiel des blinden Fatums aber vermag -ich darin nicht zu erblicken. Bemerken Sie, daß die Opfer der socialen -Revolution überall im umgekehrten Verhältnisse des bis dahin üblich -gewesenen Arbeitslohnes stehen, dessen Höhe in erster Reihe bestimmend -ist für das Durchschnittsniveau der geistigen Bildung des Volkes. Wo die -Massen in tierischem Elend schmachteten, dort darf man sich nicht -wundern, daß sie, als ihre Ketten brachen, sich auch mit tierischer Wut -auf ihre Zwingherrn stürzten. Die Höhe des Arbeitslohnes hinwieder ist -überall abhängig von dem Ausmaße politischer und socialer Freiheit, -welches die Besitzenden den Massen gönnen. Mag immerhin der russische -Edelmann oder der ägyptische Bey persönlich sogar gutmütiger sein, als -der amerikanische Spekulant oder der englische Landlord; der essentielle -Unterschied liegt darin, daß das Schicksal der Massen in Amerika und -England vom persönlichen Belieben der Reichen unabhängiger war als in -Rußland und Ägypten. Die Besitzenden waren dort -- wenn auch vielleicht -im Privatverkehr noch härter -- politisch klüger, maßvoller, als hier -und die Früchte dieser politischen Klugheit nun sind es, die sie ernten. -Mag auch sein, daß sie selbst zu dieser Klugheit sich bloß gezwungen -bekannt hatten -- sie _thaten_ es eben und nur die Thaten, nicht die -Gesinnungen richtet die Geschichte. Die herrschend gewesenen Klassen der -zurückgebliebenen Länder büßen jetzt für das Übermaß ihres -Herrenbewußtseins; sie zahlen gleichsam nachträglich jene Differenzen -des Arbeitslohnes, welche sie früher noch an dem, ohnehin kärglich genug -bemessenen, allgemeinen Durchschnitt der ausbeuterischen Ordnung -abgezwackt hatten. - -_Tei-Fu_ (Rechte). Der Herr Vorredner übersieht, daß die Bestimmung des -Arbeitslohnes nicht vom Belieben der Arbeitgeber, sondern von Angebot -und Nachfrage abhängt. Daß Hungerlöhne zum Tiere herabdrücken, ist ja -leider richtig und die Blutbäder, mit denen die zur Verzweiflung -getriebenen Massen auch meines Vaterlandes allenthalben das -Befreiungswerk einleiteten, sind gleich den Ereignissen in Rußland -beredte Beweise dieser Wahrheit; aber wie hätte alle politische Klugheit -der Herrschenden dem vorbeugen können? Der Arbeitsmarkt in China war -eben überfüllt, das Händeangebot zu groß; keine Macht der Erde konnte -den Lohn erhöhen. - -_Alexander Ming-Li_ (Freiland). Mein Bruder Tei-Fu glaubt, daß der -Arbeitslohn von Angebot und Nachfrage abhänge; es ist das kein in -unserem gemeinsamen Geburtslande erdachtes Axiom, sondern ein der -Nationalökonomie des Westens entlehnter Satz, der aber deshalb in -gewissem Sinne nicht minder richtig ist. Er gilt schließlich von jeder -Ware, also auch von menschlicher Arbeitskraft, so lange sie als Ware -feilgeboten werden muß. Aber daneben hängt der Preis auch noch von zwei -anderen Dingen ab, nämlich von den Produktionskosten und vom Nutzwerte -der Ware, ja diese beiden letztgenannten Faktoren sind es, die auf die -Dauer den Preis regulieren, während die Schwankungen von Angebot und -Nachfrage auch bloß Schwankungen innerhalb der von Produktionskosten und -Nutzwert gezogenen Grenzen herbeizuführen vermögen. Man muß auf die -Dauer für jedes Ding so viel bezahlen, als seine Herstellung kostet und -man kann auf die Dauer nicht mehr für dasselbe erhalten, als sein -Gebrauch wert ist. Das ist alles auch längst bekannt, nur hat man es -sonderbarer Weise niemals vollständig auf die Frage des Arbeitslohnes -angewendet. Was kostet die Herstellung der Arbeitskraft? Nun offenbar so -viel, als der Arbeiter an Mitteln des Unterhalts braucht, um bei Kräften -zu bleiben. Und was ist der Nutzwert der menschlichen Arbeit? Nun ebenso -offenbar der Wert des durch sie zu erzielenden Produkts. Was heißt das -also in seiner Anwendung auf den Arbeitsmarkt? Wie mir scheint, nichts -anderes, als daß die Höhe des Arbeitslohnes -- unbeschadet der -Fluktuationen durch Angebot und Nachfrage -- auf die Dauer bestimmt wird -durch die Lebensgewohnheiten der Arbeiter einerseits und durch die -Produktivität ihrer Arbeit anderseits. Ersteres Moment ist bestimmend -für die Forderungen der Arbeiter, letzteres für die Zugeständnisse der -Arbeitgeber. - -Nun aber bitte ich meinen geehrten Landsmann wohl Acht zu geben. Die -Lebensgewohnheiten der Massen sind nichts unabänderlich gegebenes; jedes -menschliche Wesen hat das natürliche Bestreben, möglichst gut zu leben, -und wenn auch zugegeben werden muß, daß Sitte und Gewohnheit häufig -dieser natürlichen Expansionstendenz der Bedürfnisse einige Zeit -hindurch hemmend entgegentreten können, so darf ich doch mit gutem -Gewissen behaupten, daß unsere unglücklichen Brüder im blumigen Lande -der Mitte nicht aus unüberwindlicher Abneigung gegen ausreichende Kost -und Kleidung hungerten und halbnackt umherliefen, sondern sehr gern -bereit gewesen wären, sich höhere Gewohnheiten anzueignen, wenn nur die -vorsorgliche Weisheit aller chinesischen Regierungen dem nicht jederzeit -dadurch entgegengetreten wäre, daß sie alle Versuche der Arbeiter, sich -behufs wirksamer Geltendmachung ihrer Forderungen zu verabreden und zu -vereinigen, mit den härtesten Strafen verfolgte. Verbündete Arbeiter -wurden nicht anders behandelt, denn als Rebellen und die Besitzenden -Chinas -- das ist ihre Thorheit und ihre Schuld -- haben dieser -verbrecherischen Thorheit der chinesischen Regierung stets Beifall -gespendet. - -Thorheit sowohl als Verbrechen nenne ich dies Beginnen, weil es nicht -bloß gegen die Gerechtigkeit und Menschlichkeit, sondern auch gegen den -eigenen Vorteil der also Handelnden und der ihnen Beifall Spendenden in -gröblichster Weise verstieß. Die Regierung anlangend sollte man meinen, -daß dieser das Aberwitzige und Selbstmörderische ihres Beginnens ganz -von selbst auch ohne tieferes Nachdenken längst hätte einleuchten -sollen. Mußte doch ein Blinder sehen, daß sie ihre finanzielle sowohl -als ihre militärische Kraft in dem Maße ruinierte, in welchem ihre -Maßregeln gegen die unteren Volksklassen von Erfolg begleitet waren. Der -Konsum der Massen ist wie allerorten so auch in China die hauptsächliche -Quelle der Staatseinnahmen, die physische Gesundheit der Bevölkerung die -Stütze der militärischen Kraft gewesen. Was sollten aber Chinas Zölle -und Accisen einbringen, wenn das Volk nichts verzehren konnte und wie -sollten seine aus dem elendesten Proletariate rekrutierten Soldaten Mut -und Kraft vor dem Feinde beweisen? Ebenso schädigte diese -Darniederhaltung der Massen auch die Interessen der Besitzenden. Weil -das chinesische Volk wenig konsumierte, vermochte es auch nicht zu höher -produktiver Arbeit überzugehen, d. h. seine Arbeitskraft hatte, gerade -weil ihre Herstellungskosten so jämmerlich wenig beanspruchten, auch -jämmerlich wenig Nutzwert. - -Der chinesische Arbeitgeber konnte also wirklich nicht viel für die -Arbeit zahlen, aber nur aus dem Grunde, weil dem Arbeiter verwehrt war, -in wirksamer, d. h. nicht bloß den einzelnen Arbeitgeber, sondern den -Arbeitsmarkt beeinflussender Weise, viel zu verlangen. Der einzelne -Unternehmer hätte freilich den Forderungen seiner Arbeiter nur in -beschränktem Maße nachgeben können, da er als Einzelner das Mehr an Lohn -an seinem Gewinne eingebüßt hätte; wäre aber in ganz China der -Arbeitslohn gestiegen, so hätte dies den Bedarf in solchem Maße erhöht, -daß die gesamte chinesische Arbeit ergiebiger geworden wäre, d. h. mit -besseren Produktionsmitteln hätte ausgestattet werden können; nicht aus -ihrem Gewinne, sondern aus dem gesteigerten Ertrage hätten die -Arbeitgeber die Lohnaufbesserung gedeckt, ja ihr Gewinn wäre sogar -gewachsen, ihr Reichtum, dargestellt durch die in ihrem Besitze -befindlichen kapitalistischen Arbeitsmittel, hätte sich vermehrt. Das -schließt natürlich nicht aus, daß einzelne Produktionszweige unter -diesem Umschwunge gelitten hätten, denn die Zunahme des Konsums infolge -verbesserter Löhne erstreckt sich nicht gleichmäßig auf alle -Bedarfsartikel. Der Konsum kann sich im Durchschnitt verzehnfacht haben -und trotzdem die Nachfrage nach einem einzelnen Gute ziemlich stationär -bleiben, ja vielleicht sogar zurückgehen; dafür aber wird in diesem -Falle ganz gewiß die Nachfrage nach gewissen anderen Gütern sich mehr -als verzehnfachen, den Einbußen einzelner Arbeitgeber stehen sicherlich -desto größere Gewinne anderer Arbeitgeber gegenüber und als allgemeine -Regel kann überall gelten, daß der Reichtum der Besitzenden im geraden -Verhältnisse mit dem Arbeitslohne wächst, den sie bezahlen müssen. Es -ist dies ja anders auch gar nicht möglich, da dieser Reichtum der -besitzenden Klassen der Hauptsache nach in gar nichts anderem besteht, -als in den Produktionsmitteln, die zur Herstellung der Bedarfsgüter des -ganzen Volkes dienen. - -Und sollte mein geehrter Landsmann vielleicht meinen, daß man sich mit -der Frage der Lohnerhöhung in einem Zirkel bewege, indem einerseits die -Ergiebigkeit der Arbeit, d. i. der Nutzwert der Arbeitskraft allerdings -nicht verbessert werden könne, so lange der Volksgebrauch, d. i. der -Selbstkostenbetrag der Arbeitskraft, sich nicht steigere, anderseits -aber auch letztere Steigerung undurchführbar sei, so lange erstere nicht -zur Thatsache geworden; so sage ich ihm, daß dies eben der -verhängnisvolle Aberglaube ist, den die besitzenden Klassen und die -Machthaber so manchen Landes nun so grausam zu büßen haben. Da der -Arbeits_lohn_ in der ausbeuterischen Welt immer nur einen Teil und dazu -in der Regel noch einen sehr geringen des Arbeits_ertrages_ -beanspruchte, so waren -- von höchst vereinzelten Ausnahmen abgesehen -- -die Arbeitgeber sehr wohl in der Lage, Lohnerhöhungen zu gewähren, noch -bevor die, allerdings erst als Folge _allgemeiner_ Lohnerhöhung zu -gewärtigende Steigerung der Erträge faktisch eingetreten war; ich sage -ihm, daß speciell in China durchschnittlich selbst der dreifache und -vierfache Lohn noch immer nicht den ganzen -- wohlverstanden nicht -einmal den alten, von der Erhöhung der Erträge noch unbeeinflußten -- -Gewinn verschlungen hätte. Die Arbeitgeber _konnten_ also mehr zahlen, -sie _wollten_ bloß nicht. Letzteres war vom Standpunkte des Einzelnen -betrachtet auch ganz begreiflich; Jeder sorgt bloß für den eigenen -Vorteil, und dieser verlangt, daß man vom erzielten Nutzen so viel als -möglich für sich behalte, so wenig als möglich anderen abtrete. In -diesem Punkte waren die amerikanischen Spekulanten, die französischen -Kapitalisten und die englischen Landlords nicht um ein Gran besser als -unsere chinesischen Mandarinen. Anders aber handelten Jene und anders -Diese als Gesamtheit. Trotzdem der Unsinn, daß man den Arbeitslohn nicht -erhöhen _könne_, eigentlich im Westen erfunden und von allen Lehrkanzeln -verkündet worden ist, hat der richtigere Volksinstinkt der westlichen -Völker diese doch seit einigen Menschenaltern veranlaßt, in ihrer -Politik so zu handeln, als ob sie das Gegenteil erkannt hätten. In der -Theorie beharrten sie dabei, der Lohn könne nicht wachsen; in der Praxis -aber begünstigten sie mehr und mehr die Lohnforderungen ihrer -arbeitenden Massen, mit deren unleugbaren Erfolgen sich dann hinterher -die Theorie abfand, so gut oder so schlecht es eben ging. Ihr, meine -chinesischen Brüder dagegen, habt Euch in der Politik strikte an die -Lehren dieser Theorie gehalten; Ihr habt Euere arbeitenden Massen -zunächst durch die Erkenntnis, daß der Staat ihr Feind sei, in -Verzweiflung gebracht und jede Ausschreitung der Verzweifelten dann -sofort dazu benützt, »Ordnung« in Eurem Sinne zu machen. Euere Hand war -stets gegen die Schwächeren erhoben -- wundert Euch nicht, daß diese -einen fürwahr nur geringen Teil der ihnen zugefügten Leiden vergelten, -nachdem sie die Stärkeren geworden. - -Das hindert natürlich nicht, daß wir in Freiland -- wie ja unsere Thaten -beweisen -- auch das den ehemaligen Unterdrückern zugefügte Unrecht -beklagen und so viel an uns liegt, gutzumachen bestrebt sind. Wir halten -dafür, daß auch das Volk von Rußland, Ägypten und China, kurzum, daß -alle Welt am besten thäte, das von der amerikanischen Union gegebene -Beispiel nachzuahmen; wir glauben dies schon aus dem Grunde, weil diese -weise Großmut sich nicht bloß für die Besitzenden, sondern auch für die -Arbeitenden als vorteilhaft erweisen wird. Es liegt jedoch leider nicht -in unserer Macht, dem russischen Muschik, dem ägyptischen Fellah oder -dem chinesischen Kuli sofort Anschauungen beizubringen, wie sie den -Arbeitern des vorgeschrittenen Westens natürlich sind. Die -Weltgeschichte ist das Weltgericht; in ihr wird schließlich Jedem -zugemessen, was er sich selber verdient hat.« - -Da kein fernerer Redner vorgemerkt war, schloß der Präsident die Debatte -über diesen Punkt der Tagesordnung, und damit zugleich die Beratungen -des Kongresses. - - - - - Schlußwort. - - -Die Geschichte von »Freiland« ist zu Ende. Ich könnte zwar, den Faden -der Erzählung weiter spinnend, das Befreiungswerk der Menschheit, wie es -meinem geistigen Auge sich darstellt, in seinen Einzelheiten ausmalen; -aber wozu sollte dies dienen? Wer aus dem Bisherigen nicht die -Überzeugung geschöpft hat, daß wir an der Schwelle eines neuen, -glücklicheren Zeitalters stehen und daß es nur von unserer Einsicht und -unserem Willen abhängt, dieselbe sofort zu überschreiten, den werden -auch Dutzende folgender Bände nicht überführen. - -Denn nicht die wesenlose Schöpfung einer ausschweifenden Phantasie ist -dieses Buch, sondern das Ergebnis ernsten, nüchternen Nachdenkens, -gründlicher, wissenschaftlicher Forschung. Alles, was ich als -thatsächlich geschehen erzähle, es _könnte_ geschehen, wenn sich -Menschen fänden, die erfüllt gleich mir von der Unhaltbarkeit der -bestehenden Zustände, sich zu dem Entschlusse aufrafften, zu handeln, -statt zu klagen. Gedankenlosigkeit und Trägheit sind in Wahrheit annoch -die einzigen Stützen der bestehenden wirtschaftlichen und socialen -Ordnung. Was einst notwendig und deshalb unvermeidlich gewesen, es ist -schädlich und überflüssig geworden; nichts zwingt uns fürderhin, das -Elend einer überlebten Weltordnung zu ertragen, nichts hindert uns, -jenes Glück und jenen Überfluß zu genießen, zu deren Bereitung uns die -vorhandenen Kulturmittel befähigen würden, nichts, als unsere eigene -Thorheit. - -»So sprachen und schrieben seit des Thomas Morus Zeiten schon zahllose -Weltverbesserer, und stets hat sich als Utopie erwiesen, was sie der -Menschheit als Universalmittel gegen alle Leiden empfahlen« -- wird man -mir vielleicht entgegenhalten; und gestehen will ich, daß die Furcht, -mit der Legion von Verfassern utopischer Staatsromane vermengt zu -werden, mir anfangs nicht geringe Bedenken gegen die von mir gewählte -Form des Buches einflößte. Aber bei reiflichem Erwägen entschied ich -mich doch dafür, statt trockener Abstraktionen ein möglichst -lebensvolles Bild zu bieten, das in anschaulichen Vorstellungen deutlich -mache, was bloße Begriffe doch nur in schattenhaften Umrissen darstellen -können. Der Leser, der den Unterschied zwischen jenen Werken der -Phantasie und dem vorliegenden nicht selber herausfindet, ist für mich -ohnehin verloren; ihm bliebe ich der »unpraktische Schwärmer«, auch wenn -ich mich noch so trockener Systematik befleißigte, denn ihm genügt, daß -ich an eine Änderung des Bestehenden glaube, um mich dafür zu halten. In -welcher Gestalt ich meine Beweise vorbringe, ist für diese Art Leser -schon aus dem Grunde einerlei, weil sie -- gleich den Frommen in Sachen -der Religion -- schlechterdings außer stande sind, Beweise zu prüfen, -die ihre Spitze gegen das Bestehende kehren. - -Den unbefangenen Leser dagegen wird die erzählende Form nicht hindern, -nüchternen Sinnes zu untersuchen, ob meine Ausführungen innerlich wahr -oder falsch sind. Sollte auch er finden, daß ich -- und sei es nur in -_einem_ wesentlichen Punkte -- von irrigen Voraussetzungen ausgegangen, -daß die von mir dargestellte Ordnung der Freiheit und Gerechtigkeit -irgendwie den natürlichen und allgemein anerkannten Triebfedern -menschlicher Handlungsweise widerspreche, ja sollte er, nachdem er mein -Buch gelesen, nicht zu der unumstößlichen Überzeugung gelangt sein, daß -die Durchführung dieser neuen Ordnung -- von nebensächlichen Details -natürlich abgesehen -- ganz und gar unvermeidlich sei -- dann allerdings -müßte ich mich damit bescheiden, mit Morus, Fourier, Cabet und wie sie -alle heißen mögen, die auf socialem Gebiete ihre Wünsche der nüchternen -Wirklichkeit unterschoben, in _einen_ Topf geworfen zu werden. - -Ausdrücklich hervorheben will ich zum Schluß, daß sich die innere -Wahrhaftigkeit meines Buches nicht bloß auf die der Handlung zugrunde -gelegten wirtschaftlichen und ethischen Prinzipien und Motive, sondern -auch auf den äußeren Schauplatz derselben erstreckt. Die Hochlande im -äquatorialen Afrika entsprechen durchaus dem im Vorstehenden entworfenen -Bilde. Wer dies bezweifelt, der kontrolliere meine Erzählung durch die -Reiseberichte Speekes, Grants, Livingstones, Bakers, Stanleys, Emin -Paschas, Thomsons, Johnstons, Fischers, kurz all Derer, welche jene -paradiesischen Gegenden besucht haben. Um »Freiland«, so wie ich es -darstelle, zur Thatsache werden zu lassen, bedarf es also in jeder -Hinsicht bloß einer genügenden Anzahl thatkräftiger Menschen. Werden -sich solche finden? Wird diesen Blättern die Kraft innewohnen, mir die -Genossen und Helfer zuzuführen, die zur Durchführung des großen Werkes -erforderlich sind? - -_Wien_ 1890. - - Theodor Hertzka. - - - Druck von Hallberg & Büchting, Leipzig. - - - - -Anmerkungen zur Transkription - - -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Korrekturen (vorher/nachher): - - [S. 32]: - ... Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und Obstgarten - aus. ... - ... Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und Obstarten - aus. ... - - [S. 38]: - ... uns von dem Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in - verstärkter ... - ... uns von den Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in - verstärkter ... - - [S. 51]: - ... teils den Anhängen der seitlich und gegenüber gelagerten - Berge entspringen. ... - ... teils den Abhängen der seitlich und gegenüber gelagerten - Berge entspringen. ... - - [S. 56]: - ... unter Benutzung von Wasserkraft zu bearbeiten begann und - teils ... - ... unter Benutzung von Wasserkraft zu arbeiten begann und teils ... - - [S. 72]: - ... Eltern und Geschwister erhalten und diese bewogen hatten, - ihre Glashütten ... - ... Eltern und Geschwister erhalten und diese bewogen hatten, - ihre Grashütten ... - - [S. 86]: - ... solche, oder durch ihre gewählten Funktionäre, die ihr jedoch - verantwortlich ... - ... solche, oder durch ihre gewählten Funktionäre aus, die ihr - jedoch verantwortlich ... - - [S. 91]: - ... Erträge sich alsbald wieder ins Gleichgewicht setzen. ... - ... Erträge sich alsbald wieder ins Gleichgewicht setzten. ... - - [S. 92]: - ... der Edenthal-Association dagegen erhielt bloß 2 Schilling pro ... - ... der Edenthal-Association dagegen erhielten bloß 2 Schilling - pro ... - - [S. 95]: - ... Nicht möglich viel und gut zu erzeugen, sondern für einen - möglichst ... - ... Nicht möglichst viel und gut zu erzeugen, sondern für einen - möglichst ... - - [S. 209]: - ... dazu antreibt und es ist daher die Natur der Sache nach - ausgeschlossen, ... - ... dazu antreibt und es ist daher der Natur der Sache nach - ausgeschlossen, ... - - [S. 211]: - ... »Herrlich!« rief David. »Also weil die arbeitenden Massen ihr ... - ... »Herrlich!« rief David. »Also weil die arbeitenden Massen - ihren ... - - [S. 221]: - ... Schädigung abziehender Konkurrenzkampf ist.« ... - ... Schädigung abzielender Konkurrenzkampf ist.« ... - - [S. 223]: - ... sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und - inniges Betragen ... - ... sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und - inniges Behagen ... - - [S. 227]: - ... hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen - könnte, sie ... - ... hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen - könnten, sie ... - - [S. 231]: - ... wollen, um dem Müssiggange fröhnen zu können. Werden - hinsichtlich ... - ... wollen, um dem Müssiggange fröhnen zu können? Werden - hinsichtlich ... - - [S. 244]: - ... seit Wochen resultatlos hin und wieder. Sichtlich nahmen die - Kabinette ... - ... seit Wochen resultatlos hin und wider. Sichtlich nahmen die - Kabinette ... - - [S. 285]: - ... nur zur Fristung des nackten tierischen Leben ausreichte, und - der Knechtschaft ... - ... nur zur Fristung des nackten tierischen Lebens ausreichte, - und der Knechtschaft ... - - [S. 287]: - ... amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den - Kolonien ... - ... amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den - Kolonien der ... - - [S. 293]: - ... Frei >Frei< waren die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem - Vorteil ... - ... >Frei< waren die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem - Vorteil ... - - [S. 306]: - ... Preigebung der höheren Produktivität und dem entsprechenden - Fortbestand ... - ... Preisgebung der höheren Produktivität und dem entsprechenden - Fortbestand ... - - [S. 331]: - ... die Nachfrage nach einem einzelnem Gute ziemlich stationär - bleiben, ja ... - ... die Nachfrage nach einem einzelnen Gute ziemlich stationär - bleiben, ja ... - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Freiland, by Theodor Hertzka - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FREILAND *** - -***** This file should be named 55301-8.txt or 55301-8.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/5/3/0/55301/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of -the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have -to check the laws of the country where you are located before using this ebook. - - - -Title: Freiland - Ein sociales Zukunftsbild - -Author: Theodor Hertzka - -Release Date: August 8, 2017 [EBook #55301] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FREILAND *** - - - - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This file was -produced from images generously made available by The -Internet Archive. - - - - - - -</pre> - - -<div class="frontmatter"> -<p class="halftitle"> -Freiland. -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter"> -<h1 class="title"> -Freiland. -</h1> - -<p class="aut"> -<span class="line1">Ein sociales Zukunftsbild</span><br /> -<span class="line2">von</span><br /> -<span class="line3">Theodor Hertzka.</span> -</p> - -<p class="run"> -Vierte durchgesehene Auflage. -</p> - -<p class="pub"> -<span class="line1">Dresden und Leipzig.</span><br /> -<span class="line2">E. Pierson’s Verlag.</span> -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter"> -<p class="cop"> -Alle Rechte vorbehalten. -</p> - -</div> - -<h2 class="intro" id="part-1"> -Vorrede zur vierten Auflage. -</h2> - -<p class="first"> -Auch die dritte Auflage ist vergriffen, kaum daß sie die Presse zu -verlassen vermochte, und so übergebe ich denn meinen Lesern diese vierte. -Möge sie vereint mit ihren Vorgängerinnen dahin wirken, daß der -Gedanke, dem ich in den nachfolgenden Blättern Worte leihe, möglichst -rasch zur That werde. -</p> - -<p class="datesign"> -<em>Wien</em> im August 1890. -</p> - -<p class="sign"> -Theodor Hertzka. -</p> - -<h2 class="toc" id="part-2"> -Inhalt. -</h2> - -<div class="table"> -<table class="toc" summary="TOC"> -<tbody> - <tr class="c"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">Erstes Buch.</td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">1.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-3">3</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">2.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">3.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-21">21</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">4.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-34">34</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">5.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-47">47</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">6.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-58">58</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">7.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td> - </tr> - <tr class="c"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">Zweites Buch.</td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">8.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-79">79</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">9.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-94">94</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">10.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-105">105</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">11.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-110">110</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">12.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-127">127</a></td> - </tr> - <tr class="c"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">Drittes Buch.</td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">13.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-143">143</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">14.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-155">155</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">15.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-169">169</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">16.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-181">181</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">17.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-192">192</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">18.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-200">200</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">19.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-209">209</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">20.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-222">222</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">21.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-240">240</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">22.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-251">251</a></td> - </tr> - <tr class="c"> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">Viertes Buch.</td> - <td class="col_page"> </td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">23.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-267">267</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">24.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-283">283</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">25.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-295">295</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">26.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-307">307</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">27.</td> - <td class="col2">Kapitel</td> - <td class="col_page"><a href="#page-321">321</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1"> </td> - <td class="col2">Schlußwort</td> - <td class="col_page"><a href="#page-334">334</a></td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<h2 class="part" id="part-3"> -<a id="page-1" class="pagenum" title="1"></a> -Erstes Buch. -</h2> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-1"> -<a id="page-3" class="pagenum" title="3"></a> -1. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Um die Mitte des Monats Juli des Jahres 18.. war in den -angesehensten Zeitungen Europas und Amerikas folgende Ankündigung -zu lesen: -</p> - -<p class="hdr"> -<span class="line1">„Internationale freie Gesellschaft.</span> -</p> - -<p class="first"> -Eine Anzahl von Männern aus allen Teilen der civilisierten Welt -hat sich zu dem Zwecke vereinigt, einen praktischen Versuch zur Lösung -des socialen Problems ins Werk zu setzen. -</p> - -<p> -Diese Lösung suchen und finden dieselben in der Schaffung eines -Gemeinwesens auf Grundlage vollkommenster Freiheit und wirtschaftlicher -Gerechtigkeit zugleich, d. i. eines solchen, welches, bei unbedingter -Wahrung des individuellen Selbstbestimmungsrechtes, jedem Arbeitenden -den ganzen und ungeschmälerten Genuß der Früchte seiner eigenen Arbeit -gewährleistet. -</p> - -<p> -Zum Zwecke der Gründung eines solchen Gemeinwesens soll auf -bisher herrenlosem aber fruchtbarem und zur Besiedelung wohlgeeignetem -Gebiete ein größerer Landstrich besetzt werden. -</p> - -<p> -Auf diesem ihrem Gebiete wird die freie Gesellschaft keinerlei Eigentum -an Grund und Boden anerkennen, ebensowenig dasjenige eines -Einzelnen, als ein solches der Gesamtheit. -</p> - -<p> -Behufs Bearbeitung des Bodens, wie überhaupt zum Zwecke jeglicher -Produktion, werden sich Associationen bilden, deren jede sich nach -eigenem Gutdünken selber verwalten und den Ertrag ihrer Produktion -unter ihre eigenen Mitglieder je nach deren Leistung verteilen wird. -Jedermann hat das Recht, sich einer beliebigen Association anzuschließen -und dieselbe nach freier Willkür zu verlassen. -</p> - -<p> -<a id="page-4" class="pagenum" title="4"></a> -Die Arbeitskapitalien werden den Produzenten zinslos von Gesellschaftswegen -zur Verfügung gestellt, müssen jedoch von denselben zurückerstattet -werden. -</p> - -<p> -Arbeitsunfähige und Frauen haben das Recht auf auskömmlichen -Unterhalt von Gesellschaftswegen. -</p> - -<p> -Die zu obigen Zwecken, sowie zu sonstigen gemeinnützigen Ausgaben -erforderlichen Geldmittel werden durch eine auf das Reineinkommen -jeglicher Produktion gelegte Abgabe beschafft. -</p> - -<p> -Die Internationale freie Gesellschaft verfügt derzeit schon über eine -Mitgliederzahl und über Kapitalien, die zur Durchführung ihres Planes -— wenn auch nur in bescheidenem Maßstabe — ausreichen. Da sie -jedoch einerseits der Ansicht ist, daß der Erfolg ihres Versuches desto -sicherer und durchgreifender ausfallen muß, mit je größeren Mitteln -derselbe ins Werk gesetzt wird, andererseits etwaigen Gesinnungsgenossen -Gelegenheit geboten werden soll, sich an dem Unternehmen zu beteiligen, -so tritt sie hiermit vor die Öffentlichkeit und giebt bekannt, daß Anfragen -oder Mitteilungen, welcher Art immer, an das Bureau der Gesellschaft: -Haag, Boschstraße 57 zu richten sind. Auch wird die Internationale -freie Gesellschaft am 20. Oktober l. J. im Haag eine öffentliche -Versammlung abhalten, in welcher die letzten Beschlüsse vor praktischer -Inangriffnahme des Werkes gefaßt werden sollen. -</p> - -<p class="sign"> -Für den geschäftsführenden Ausschuß der<br /> -Internationalen freien Gesellschaft.<br /> -<em>Karl Strahl.</em> -</p> - -<p class="datesign"> -Haag, im Juli 18..“ -</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="noindent"> -Diese Ankündigung rief in der gesamten Presse eine nicht geringe -Aufregung hervor. Der Name des für den geschäftsführenden Ausschuß -Unterschriebenen beseitigte von vornherein den sonst so naheliegenden Gedanken -an irgend eine Mystifikation oder Unlauterkeit, denn Dr. Karl -Strahl war nicht bloß als Mann von geachteter socialer Stellung, sondern -auch als einer der ersten volkswirtschaftlichen Schriftsteller Deutschlands -rühmlichst bekannt. Man mußte also das seltsame Projekt ernst -nehmen und die Zeitungen verschiedenster Parteirichtung bemächtigten -sich alsbald desselben mit größtem Eifer. Lange vor dem 20. Oktober -gab es diesseits wie jenseits des atlantischen Ozeans kein Journal, das -nicht zu der Frage Stellung genommen hätte, ob die Verwirklichung -der von der Freien Gesellschaft angekündigten Pläne in den Bereich des -Möglichen oder des Utopischen gehöre; diese Gesellschaft selbst aber -mengte sich nicht in den Kampf der Zeitungen. Es war offenbar zunächst -nicht ihre Absicht, die Gegner durch theoretische Beweise zu gewinnen; -<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a> -sie wollte allfällige Gesinnungsgenossen an sich ziehen und -dann handeln. -</p> - -<p> -Als der 20. Oktober herannahte, zeigte es sich, daß selbst der -größte im Haag vorhandene öffentliche Saal nicht genügen würde, die -Menge der erschienenen Mitglieder, Gäste und Neugierigen zu fassen; -es erwies sich daher als notwendig, zum mindesten die letztere Kategorie -des Auditoriums durch irgend ein Mittel einzuschränken, welches Mittel -denn auch darin gefunden wurde, daß die von fernher zugereisten Gäste -zwar unentgeltlich, die Ortsansässigen dagegen bloß gegen Erlegung -von 20 holländischen Gulden Eintrittskarten erhielten. (Der Erlös -dieser Karten wurde dem Haager Krankenhause zugewiesen.) Nichtsdestoweniger -war der 2000 Personen fassende Versammlungssaal am -Morgen des 20. Oktober bis in den letzten Winkel gefüllt. -</p> - -<p> -Unter atemloser Spannung aller Anwesenden nahm der Vorsitzende -— Dr. Strahl — das Wort, um die Versammlung zu eröffnen und -zu begrüßen. Die alle Erwartungen der Einberufer überflügelnde Zahl -der neuen Mitglieder und die Höhe der gezeichneten Beiträge zeuge dafür, -daß die Bedeutung des von der Internationalen freien Gesellschaft beabsichtigten -Unternehmens heute schon, noch bevor die Thatsachen gesprochen, -vollauf erkannt worden sei von Tausenden aus allen Teilen -der bewohnten Erde ohne Unterschied des Geschlechtes und der Lebensstellung. -„Die Überzeugung, daß das Gemeinwesen, an dessen Gründung -wir nunmehr schreiten,“ so fuhr Redner fort — „bestimmt ist, Armut -und Elend an der Wurzel zu fassen und mit diesen zugleich auch all -jenen Jammer und die Reihe von Lastern zu vernichten, die als Folgeübel -des Elends anzusehen sind, sie drückt sich nicht bloß in den -Worten, sondern auch in der Handlungsweise des größten Teiles unserer -Mitglieder aus, in der hohen, opferfrohen Begeisterung, mit der -sie — ein Jedes nach seinen Kräften — zur Verwirklichung des gemeinsamen -Zieles beigesteuert haben. Als wir unseren Aufruf erließen, -waren wir unser 84, das Vermögen, über welches wir verfügten, betrug -11400 Pfund Sterling; heute besteht die Gesellschaft aus 5650 -Mitgliedern, ihr Vermögen beträgt 205620 Pfd. Sterling.“ (Hier -wurde der Vorsitzende von minutenlangem Applaus unterbrochen.) „Es -ist selbstverständlich, daß eine solche Summe nicht von jenen Elendesten -der Elenden allein aufgebracht werden konnte, die man gemeinhin als -bei der Lösung des socialen Problems ausschließlich interessiert anzusehen -gewohnt ist. Noch deutlicher wird das, wenn man die Liste -unserer Mitglieder im Einzelnen durchmustert. Unwiderstehlich drängt -sich dabei die Erkenntnis auf, daß Ekel und Grauen vor den socialen -Zuständen der Gesellschaft allgemach auch jene Kreise ergriffen hat, die -scheinbar Vorteil ziehen aus den Entbehrungen ihrer enterbten Mitmenschen. -Denn — und darauf möchte ich besonderen Nachdruck -<a id="page-6" class="pagenum" title="6"></a> -legen — diese Wohlhabenden und Reichen, die zum Teil mit vielen -Tausenden von Pfunden an unserer Kasse erscheinen, sie sind bis auf -geringe Ausnahmen nicht bloß als Helfer, sondern zugleich als Hilfesuchende -beigetreten, sie wollen das neue Gemeinwesen nicht bloß für -ihre darbenden Mitbrüder, sondern zugleich für sich selber gründen. -Und daraus mehr als aus allem Anderen schöpfen wir die felsenfeste -Überzeugung vom Gelingen unseres Werkes.“ -</p> - -<p> -Neuerdings unterbrach langandauernder, jubelnder Applaus den -Vorsitzenden; als die Ruhe wieder hergestellt war, schloß dieser folgendermaßen -seinen kurzen Vortrag: -</p> - -<p> -„In Ausführung unseres Programms soll ein annoch herrenloser -größerer Landstrich zum Zwecke der Gründung eines unabhängigen -Gemeinwesens erworben werden. Es fragt sich nunmehr, welchen Teil -der Erde wir zu solchem Vorhaben wählen wollen. Europäisches -Gebiet kann aus naheliegenden Gründen nicht in Frage kommen; auch -in Asien würden wir überall, zum mindesten dort, wo Ansiedler kaukasischer -Rasse gedeihen könnten, leicht in Kollision mit alten Rechts- -und Gesellschaftsformen geraten. In Amerika und Australien ist zwar -zu erwarten, daß die dortigen Staaten uns bereitwillig Raum und -Freiheit der Bewegung einräumen würden, aber auch dort könnte unser -junges Gemeinwesen nur schwer jene ungestörte Ruhe und Sicherheit -vor feindlichen Angriffen gewährleistet erhalten, die insbesondere für -den Anfang eine der Voraussetzungen raschen und ungetrübten Erfolges -ist. Bleibt also nur Afrika, der älteste und doch der jüngstentdeckte -Weltteil. Dessen centrales Innere ist der Hauptsache nach herrenlos, -dort finden wir nicht bloß schrankenlosen Raum und ungestörte Ruhe -zur Entfaltung, sondern bei richtiger Wahl auch die denkbar günstigsten -Verhältnisse des Klimas und der Bodenbeschaffenheit. Gewaltige Hochländer, -welche die Vorzüge der Tropen und unserer Alpenwelt in sich -vereinigen, harren dort noch der Besiedelung. Die Verbindung mit -diesen, tief im Inneren des dunklen Weltteiles gelegenen Bergländern -ist allerdings schwierig, aber gerade das ist’s, was uns für den Anfang -notthut. Wir schlagen Ihnen daher vor, die neue Heimat im -äquatorialen Innerafrika zu suchen. Und zwar denken wir zunächst -an das Hochgebirge des Kenia, das ist an das Land östlich vom -Ukerewesee, zwischen dem 1. Grade südlicher bis zum 1. Grade nördlicher -Breite und zwischen dem 34. bis 38. Grade östlicher Länge. -Dort glauben wir die geeignetsten Gebiete für unsere Zwecke finden -zu können. Ist die Versammlung mit dieser Wahl einverstanden?“ -</p> - -<p> -Allgemeine Zustimmung folgte und stürmische Rufe: „Vorwärts, -lieber heute als morgen!“ wurden laut. Unverkennbar zeigte sich, daß -die Mehrzahl gewillt war, sofort aufzubrechen. Neuerdings nahm jetzt -der Vorsitzende das Wort: -</p> - -<p> -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -„So rasch geht dies denn doch nicht, meine Freunde. Die neue -Heimat muß erst gesucht und erworben werden; das aber ist ein schwieriges -und gefahrvolles Unternehmen. Durch Wüsteneien und unwirtliche -Wälder führt der Weg, Kämpfe mit feindseligen wilden Stämmen -werden vielleicht nicht zu vermeiden sein, und zu all dem taugen nur -kräftige Männer, nicht Frauen, Kinder und Greise. Auch die Verpflegung -eines viele Tausende umfassenden Auswandererzuges durch -jene Gebiete muß erst noch organisirt werden, kurzum: es ist durchaus -notwendig, daß der Masse der Unseren eine Schar erlesener Pfadfinder -vorausgehe. Erst wenn diese ihre Aufgabe gelöst haben, können -die Anderen nachfolgen. -</p> - -<p> -„Damit nun alles Erforderliche mit möglichster Kraft, Umsicht und -Raschheit ins Werk gesetzt werde, ist einheitliche, zielbewußte Leitung -vonnöten. Bisher lagen die Geschäfte der Gesellschaft in den Händen -eines Zehnerausschusses; da die Mitgliederzahl inzwischen so stark gestiegen -ist und noch fernerhin steigen wird, so wäre eine Erneuerung -oder zum Mindesten eine Ergänzung der Geschäftsleitung durch die -neuhinzugetretenen Elemente im Wege freier Wahl höchst wünschenswert; -trotzdem können wir Ihnen eine solche jetzt nicht empfehlen, und -zwar aus dem Grunde, weil die neuen Mitglieder einander nicht -kennen, und so rasch auch nicht genügend kennen lernen werden, um -Wahlen vorderhand als etwas anders, denn als ein bloßes Spiel des -Zufalls erscheinen zu lassen. Wir verlangen vielmehr von Ihnen eine -Bestätigung unserer Vollmacht, verbunden mit der Befugnis, uns durch -Cooptirungen aus Ihrer Mitte nach unserem Ermessen verstärken zu -dürfen. Und zwar bitten wir um diese Vollmachten, die übrigens -durch Beschluß Ihrer Vollversammlung jederzeit widerrufbar sein sollen, -für die Dauer von zwei Jahren. Nach Ablauf dieser Frist werden -wir, das ist unsere feste Zuversicht, die neue Heimat nicht blos gefunden, -sondern in ihr auch genügend lange miteinander gelebt haben, -um uns einigermaßen kennen zu lernen.“ -</p> - -<p> -Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. -</p> - -<p> -Der Vorsitzende teilte hierauf noch mit, daß alle Kundmachungen -des geschäftsführenden Ausschusses den Mitgliedern sowohl in den -Zeitungen als durch besondere Zirkulare bekannt gegeben würden und -schloß die Versammlung, welche in gehobenster Stimmung auseinanderging. -</p> - -<p> -Die erste That des von der Generalversammlung bestätigten Ausschusses -der Internationalen freien Gesellschaft war, daß er für die -Leitung des nach Centralafrika zu entsendenden Zuges der Pfadfinder -zwei Persönlichkeiten ernannte und mit umfassenden Vollmachten ausstattete. -Diese zwei Führer der Expedition sollten sich in ihre Aufgabe -derart teilen, daß der eine die Expedition bis in das zur ersten Ansiedelung -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -zu erwählende Gebiet leiten, der andere die Organisation der -eigentlichen Ansiedelungsarbeiten zu unternehmen habe. Der eine sollte -gleichsam der Heerführer, der andere der Staatsmann des Expeditionskorps -sein. Zu ersterem Amte wählte der Ausschuß den bekannten -Afrikareisenden Thomas Johnston, der insbesondere das Gebiet zwischen -dem Kilima Ndscharo und Kenia, das sogenannte Massaï-Land wiederholt -durchquert hatte. Johnston war ein jüngeres Mitglied der Gesellschaft -und wurde vom Ausschusse erst aus Anlaß seiner Ernennung -zum Führer des Pfadfinderzuges kooptirt. Zur Leitung der Expedition -nach deren Ankunft an ihrem Ziele designirte der Ausschuß einen jungen -Ingenieur, Namens Henri Ney, der als innigster Freund des Gründers -und geistigen Führers der Gesellschaft — Dr. Strahl — der Geeignetste -war, diesen während der ersten Epoche der Gründung zu -vertreten. -</p> - -<p> -Dr. Strahl hatte allerdings ursprünglich die Absicht, sich den -Pfadfindern selber anzuschließen und gleich die ersten Organisationsarbeiten -in der neuen Heimat persönlich zu leiten; die anderen Mitglieder des -Ausschusses erhoben jedoch dagegen Einsprache. Sie konnten nicht -zugeben, daß der Mann, von dessen fernerem Wirken das Gedeihen der -Gesellschaft in so hohem Maße abhing, sich Gefahren aussetze, die für -ihn um so bedrohlicher waren, als seine Gesundheit nicht eben die -festeste schien. Auch mußte er bei reiflichem Erwägen selber zugeben, -daß für die nächsten Monate seine Anwesenheit in Europa weit nützlicher -und notwendiger sei, als in Centralafrika. Kurzum: Dr. Strahl -willigte ein, zu bleiben, den Pfadfindern erst mit dem großen Auswandererzuge -nachzufolgen und Henri Ney trat an seine Stelle. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-2"> -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -2. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Wir überlassen nunmehr dem vom Ausschusse der Internationalen -freien Gesellschaft zum eigentlichen Leiter der afrikanischen Expedition -erwählten Freunde des Dr. Strahl das Wort, indem wir sowohl die -Vorbereitungen des Zuges, als auch dessen glückliche Durchführung und -die ersten Kulturarbeiten in den Hochländern des Kenia nach Auszügen -aus dessen Tagebuch mitteilen. -</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="noindent"> -Meine Ernennung zum provisorischen Stellvertreter unseres verehrten -Führers hatte mich anfangs mit Schrecken erfüllt. Der Gedanke, -daß von meinen Fähigkeiten zu nicht geringem Teile die glückliche -Einleitung eines Werkes abhängen solle, welches wir alle als das -bedeutsamste und folgenreichste im bisherigen Verlaufe der menschlichen -Entwickelungsgeschichte zu betrachten uns gewöhnt hatten, erfüllte mich -mit einer Art Schwindel. Doch dieser Zustand der Mutlosigkeit währte -nicht lange; ich hatte kein Recht, mich einer Verantwortlichkeit zu entziehen, -zu deren Übernahme die Genossen mich als den Passendsten -erachteten, und als vollends mein väterlicher Freund Strahl mich fragte, -ob ich ein Mißlingen für möglich hielte, wenn die meiner Leitung -Unterstellten von gleicher Begeisterung erfüllt wären wie ich, und ob -ich mich berechtigt glaube, daran zu zweifeln, daß diese Voraussetzung -zutreffen würde, da trat hoher Mut und felsenfestes Vertrauen auf -das Gelingen des Werkes an die Stelle der anfänglichen Verzagtheit, -eine Stimmung, die mich fürderhin keinen Augenblick verlassen hat. -</p> - -<p> -Die ersten Vorbereitungen zur Organisierung des Zuges der Pfadfinder -wurden übrigens gemeinschaftlich vom gesamten Ausschusse der -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -Internationalen freien Gesellschaft beraten und beschlossen. Zunächst -galt es festzustellen, aus wieviel Mitgliedern die Expedition bestehen -solle. Dieselbe durfte nicht zu schwach sein, da gerade jener Volksstamm, -inmitten dessen wir uns niederzulassen beabsichtigten — die -zwischen dem Kilima und Kenia nomadisierenden Massai —, der kriegerischeste -von allen des äquatorialen Afrika ist und ihm nur durch kräftiges, -machtvolles Auftreten imponiert werden kann. Aber auch allzu -zahlreich durfte die Expedition nicht sein, wollte sie sich nicht der Gefahr -aussetzen, durch Schwierigkeiten der Verproviantierung aufgehalten -zu werden. Schließlich einigte man sich darüber, daß zweihundert „Pfadfinder“ -mitgenommen werden sollten. Natürlich mußten diese aus den -kräftigsten, zur Überwindung von Anstrengungen, Entbehrungen und Gefahren -am besten geeigneten Mitgliedern der Gesellschaft erwählt werden. -Auch jenes Ausmaß von Intelligenz wurde bei jedem Teilnehmer -der Expedition für notwendig erachtet, welches dazu gehört, um den -vollen Umfang der Verantwortlichkeit und Bedeutung der übernommenen -Mission zu erfassen. -</p> - -<p> -In Verfolgung dieses Zweckes wendete sich der Ausschuß an die -Zweigvereine, die er inzwischen allerorten gebildet hatte, wo Mitglieder -der Gesellschaft wohnten, mit der Bitte, ihm eine Liste jener sich zur -Expedition Meldenden einzusenden, für deren Gesundheit, kräftige Konstitution -und Intelligenz der betreffende Zweigverein glaube einstehen -zu können. Zugleich sollte angegeben werden, welche Kenntnisse, Erfahrungen -und Fertigkeiten die Vorgeschlagenen besäßen. Daraufhin -liefen binnen wenigen Wochen die Anerbietungen von 870 wärmstens -empfohlenen Mitgliedern ein. Von diesen wurden zunächst hundert ausgewählt, -deren Qualifikation dem Ausschusse unter allen Umständen in -erster Linie berücksichtigenswert erschien. Dieses erlesene Hundert enthielt -4 Naturforscher (darunter 2 Geologen), 3 Ärzte, 8 Ingenieure, -4 Vertreter anderer technischer Wissenszweige und 6 theoretisch geschulte -Land- und Forstwirte; ferner 30 solche Gewerbsleute, die man der -Expedition für alle Fälle sichern wollte und schließlich 45 als besonders -treffliche Schützen oder als ausnehmend kräftig gerühmte Männer. -Sonach blieben noch 100 Mitglieder, deren Auslese den Zweigvereinen -in der Weise überlassen wurde, daß jedem derselben für angemeldete -7 bis 8 Pfadfinder die Wahl je eines solchen zufiel. Die solcherart -Auserlesenen wurden aufgefordert, thunlichst rasch in Alexandrien, dem -vorläufigen Versammlungsorte der Expedition, einzutreffen; das erforderliche -Reisegeld wurde ihnen sofort angewiesen (im übrigen, wie nebenbei -bemerkt werden mag, von ungefähr der Hälfte, welche die Reisekosten -aus Eigenem bestritt, dankend abgelehnt). -</p> - -<p> -Darüber verging der Monat November. Der Ausschuß aber hatte -inzwischen nicht gefeiert. Die Ausrüstung der Expedition wurde nach -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -allen Seiten gründlich erörtert, festgestellt und für die Beschaffung aller -Erfordernisse vorgesorgt. Für jedes der 200 Mitglieder wurden sechs -komplete Unterkleider aus leichtem elastischem Wollenstoff, sogenannte -Jägerwäsche, ein leichter und ein schwerer Wollenanzug, ferner zwei -Paar wasserdichte und zwei Paar leichtere Stiefel, je zwei Korkhelme -und je ein wasserdichter Regenanzug bestellt. An Waffen erhielt jedes -Mitglied ein Repetiergewehr bester Konstruktion für zwölf Schüsse, -einen Taschenrevolver und ein amerikanisches Bowiemesser. Außerdem -wurden 100 Jagdgewehre verschiedensten Kalibers, von den vierlötige -Sprengkugeln schießenden Elefantenflinten bis zur leichtesten Schrotbüchse -angeschafft, selbstverständlich ausreichende Munition nicht vergessen. -</p> - -<p> -Die hierauf zu erörternde wichtigste Frage war, ob die Expedition -beritten gemacht werden solle oder nicht, und ob die Beförderung der -mitzunehmenden Lasten von der Zanzibarküste ab durch Träger, sogenannte -Pagazis, oder durch Lasttiere zu erfolgen habe. Johnston -hatte anfangs die Absicht gehabt, bloß 80 Pferde und Esel, teils zum -Tragen der schwereren Laststücke, teils zur Beförderung etwaiger Kranker -oder Maroder anzukaufen und als Träger des von ihm auf 400 Zentner -veranschlagten Gesamtgepäcks 800 Pagazis in Zanzibar und Mombas -anzuwerben. Diesen Plan ließ er jedoch sofort fallen, als ich seiner -Gepäckliste, die der Hauptsache nach bloß die zum Unterhalte der Expedition -für sechs Monate berechnenden Bedarfs- und Tauschartikel umfaßte, -meine Anforderungen hinzufügte. Ich verlangte vor allem die -Mitnahme von Werkzeugen, Maschinenbestandteilen und sonstigen Gegenständen, -die uns — am Ziele angelangt — in den Stand setzen sollten, -möglichst rasch rationellen Feldbau und die Selbsterzeugung der notwendigsten -Bedarfsartikel für viele Tausend uns nachfolgender Ansiedler -in Angriff zu nehmen. Zu diesem Behufe brauchten wir eine Reihe -landwirtschaftlicher Geräte oder doch jene Bestandteile derselben, die sich -ohne komplizierte, zeitraubende Vorrichtungen nicht herstellen lassen, -ähnliche Bestandteile für eine Feldschmiede und Schlosserei, sowie für -eine Mahl- und Sägemühle; ferner Sämereien und Setzlinge in nicht -geringer Menge, desgleichen einige Materialien, auf deren rasche Beschaffung -im inneren Afrika nicht zu rechnen wäre. Schließlich machte -ich darauf aufmerksam, daß zum Zwecke der vollkommenen Sicherung -des Weges für die uns nachfolgenden Karawanen die Abschließung fester -Freundschaftsbündnisse, insbesondere mit den kriegerischen Massai sich -empfehlen würde, wozu wieder weit zahlreichere und wertvollere Geschenke -erforderlich seien, als er sie präliminiert habe. -</p> - -<p> -Johnston hatte gegen all dies nichts einzuwenden, meinte aber, -daß damit die zu befördernde Last sich mindestens verdoppeln, wahrscheinlich -verdreifachen würde und daß die sohin erforderlichen 1600 -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -bis 2400 Pagazis den Zug allzu schwerfällig gestalten würden. Da -schlug Dr. Strahl vor, von der Beförderung durch Pagazis gänzlich -abzugehen und ausschließlich Lasttiere zu verwenden. Er wisse wohl, -daß in den Niederungen des äquatorialen Afrika die Tsetsefliege und -das schlechte Wasser insbesondere den Pferden tötlich werde; auf unserer -Route sei aber solches nicht zu befürchten, da dieselbe sehr bald das -den Tieren ganz zuträgliche Hochland erreiche. Ebenso lasse sich die in -der Beschaffenheit der innerafrikanischen Wege gelegene Schwierigkeit -wohl überwinden. Dieselben besitzen — wie er unter anderem auch -aus Johnstons Reiseberichten wisse — überall, wo sie Dickicht oder Gestrüpp -durchziehen, eine Breite von knapp zwei Fuß, zu wenig für Packtiere, -die deshalb an solchen Stellen oft abgeladen werden müßten, wobei -menschliche Träger zeitweilig die Lastenbeförderung zu übernehmen -haben. Letzteres wäre nun allerdings bei einer ausschließlich aus Tragtieren -bestehenden Karawane mit verhältnismäßig nur wenigen Treibern -und Begleitern entweder ganz unmöglich oder doch mit unberechenbarem -Zeitverluste verbunden. Er glaube aber, daß es gelingen müsse, mittels -einer entsprechenden Anzahl gut ausgerüsteter Eclaireure den Weg überall -auch für Tragtiere frei zu machen. Johnston stimmte dem zu; wenn -man ihm etwa 100 mit Äxten und Faschinenmessern versehene Eingeborene, -die er sich unter der Küstenbevölkerung aussuchen würde, zur -Disposition stelle, so mache er sich anheischig, auch eine Karawane -von Tragtieren ohne nennenswerten Aufenthalt bis an den Kenia zu -führen. -</p> - -<p> -Nachdem diese Frage erledigt war, regte Dr. Strahl des ferneren -die Idee an, auch die sämtlichen 200 Mitglieder der Expedition beritten -zu machen. Er habe dabei einen doppelten Zweck im Auge. Erstlich -— und das habe teilweise auch zu seinem obigen Vorschlage den -Anstoß gegeben, müsse für die Einführung und dauernde Akklimatisierung -von Trag- und Zugtieren in der künftigen Heimat gesorgt werden, wo -es zwar derzeit Rinder, Schafe und Ziegen, nicht aber Pferde, Esel -oder Kamele gebe, und zwar sei es am besten, diese nützlichen Tiere -in thunlichst großer Zahl schon von Anbeginn mitzunehmen; sodann -glaube er, daß wir beritten uns viel rascher bewegen könnten. Er -fügte hinzu, daß er sowohl bei den Last- als bei den Reittieren auf -die Anschaffung erlesener, zur Fortzucht geeigneter Exemplare Gewicht -legen würde, insbesondere bei den Pferden, da doch von der Beschaffenheit -dieses ersten Materials auch die der späterhin zu erzielenden Nachzucht -abhänge. Auch dem wurde zugestimmt; nur gab Johnston zu -bedenken, daß sich durch all dies die Kosten der Expedition ganz außerordentlich -verteuern würden. So wie er sie ursprünglich geplant habe, -wären mit höchstens 12000 Pfd. Sterl. die Kosten zu decken gewesen, jetzt -müsse mit ungefähr der vierfachen Summe gerechnet werden. Letzterer Umstand -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -wurde nicht bestritten und die Rechnung erwies sich auch nachträglich -insofern richtig, als die Expedition in Wahrheit 52500 £ verschlang; -aber übereinstimmend wurde hervorgehoben, daß es eine nützlichere -Verwendung der doch so reichlich zu Gebote stehenden und -fortwährend in raschem Wachsen begriffenen Geldmittel gar nicht geben -könne, als den Aufwand für alles, was geeignet sei, den Erfolg der -Expedition zu beschleunigen und das neu zu gründende Gemeinwesen -auf möglichst gedeihlicher Grundlage einzurichten. -</p> - -<p> -Hierauf wurde zu einer detaillierten Beratung und Feststellung des -gesamten anzuschaffenden Materials geschritten. Als alles verzeichnet -und seinem Gewichte nach abgeschätzt war, zeigte sich, daß wir ungefähr -1200 Zentner würden zu befördern haben und zwar: -</p> - -<div class="table"> -<table class="table013" summary="Table-1"> -<tbody> - <tr> - <td class="col1">150</td> - <td class="col2">Ztr.</td> - <td class="col3">verschiedene Lebensmittel und Getränke;</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">120</td> - <td class="col2">"</td> - <td class="col3">Reisegeräte (darunter 50 wasserdichte Zelte für je 4 Mann);</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">160</td> - <td class="col2">"</td> - <td class="col3">verschiedene Sämereien und Materialien;</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">220</td> - <td class="col2">"</td> - <td class="col3">Werkzeuge, Maschinenbestandteile und Instrumente;</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">400</td> - <td class="col2">"</td> - <td class="col3">Tauschwaren und Geschenke;</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">120</td> - <td class="col2">"</td> - <td class="col3">Munition und Sprengstoffe.</td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<p> -Außerdem wurden auf Johnstons besonderen Wunsch bei Krupp -in Essen 4 leichte stählerne Gebirgskanonen für Sprenggeschosse bestellt. -Seine Absicht bei dieser Anschaffung war keineswegs, diese Mordwaffen -ernstlich gegen etwaige Feinde zu gebrauchen; aber er rechnete darauf, -durch den Schrecken, den dieselben erforderlichenfalls erregen mußten, -den Frieden desto sicherer erhalten zu können. Dazu kamen im letzten -Momente 300 Werndlgewehre samt entsprechenden Patronen, sehr gute -Hinterlader, die wir billig von der österreichischen Regierung erstanden -und teils als Reserve, teils zur Ausrüstung eines Teiles der in Zanzibar -anzuwerbenden Neger gebrauchen konnten. -</p> - -<p> -Diese ansehnliche Last sollte auf 100 Saumpferde, 200 Esel und -Maultiere und 80 Kamele verladen werden. Da wir außerdem -200 Pferde brauchten, um uns beritten zu machen und auch eine kleine -Reserve zum Ersatze unterwegs eingehender Tiere wünschenswert war, -so wurde beschlossen, in allem 320 Pferde, 210 Esel und 85 Kamele -zu kaufen, die Pferde teils in Ägypten, teils in Arabien, die Kamele in -Ägypten, die Esel in Zanzibar. -</p> - -<p> -Alle erforderlichen Anschaffungen wurden sofort gemacht. Unsere -Bevollmächtigten wählten und bestellten alles an erster Quelle; nach -Jemen in Arabien und nach Zanzibar wurde je ein Einkäufer für -Pferde und Esel gesendet, und nachdem dies besorgt oder angeordnet -war, machten Johnston und ich — die wir inzwischen innige Freundschaft -geschlossen hatten — uns auf den Weg nach Alexandrien. -</p> - -<p> -Bevor ich jedoch zur Schilderung unserer dortigen Thätigkeit übergehe, -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -muß ich einen Zwischenfall erwähnen, den wir im Ausschusse mit -einer jungen Amerikanerin hatten, die durchaus in die Expedition aufgenommen -werden wollte. Die Dame war reich, schön und exzentrisch, -eine schwärmerische Anhängerin unserer Ideen und sichtlich nicht gewöhnt, -an die Möglichkeit irgend eines ernstlichen Widerstandes ihren -Wünschen gegenüber zu glauben. Sie hatte der Gesellschaft eine sehr -bedeutende Summe gewidmet und sich jetzt in den Kopf gesetzt, mit unter -den Ersten zu sein, welche die neue afrikanische Heimat betreten würden. -Ich muß gestehen, daß mich das herrliche Mädchen dauerte, das sichtlich -von verzehrendem Thatendrange erfüllt war und die seinem Geschlechte -gegenüber an den Tag gelegte ängstliche Schonung als beschämende -Zurücksetzung empfand. Allein es ließ sich nichts thun; wir -hatten mehreren Frauen, die in Begleitung ihrer als Pfadfinder acceptierten -Ehemänner die Expedition mitmachen wollten, dies abgeschlagen -und konnten jetzt keine Ausnahme machen. Die junge Miß wandte -sich hierauf, da ihr Drängen bei uns Männern vom Ausschusse nichts -half, an unsere weiblichen Angehörigen, die sie rasch ausgekundschaftet -hatte; allein auch dort erntete sie geringen Erfolg. Sie wurde zwar -von den Damen herzlich und liebenswürdig aufgenommen, denn sie war -in der That reizend in ihrer Schwärmerei; aber das war in den Augen -der Frauen nur ein Grund mehr, den Männern darin Recht zu geben, -daß so zarte Geschöpfe nicht in die Gefahren und Entbehrungen einer -Forschungsreise gehören. Man hätschelte und schmeichelte ihr wie -einem verzogenen Kinde, welches Unmögliches fordere, und das -brachte Fräulein Ellen Fox — so hieß die Amerikanerin — vollends -außer sich. -</p> - -<p> -Plötzlich schien sie beruhigt und zwar auffallenderweise kurze Zeit -nachdem sie die Bekanntschaft einer anderen Dame gemacht, die gleichfalls, -wenn auch aus anderen Gründen, unsere Expedition mitmachen -wollte. Diese andere Dame war meine Schwester Klara. Wollte jene -aus Begeisterung für unsere Ideen mit nach Afrika, so war diese aus -Abscheu und Angst vor diesen selben Ideen zu dem gleichen Entschlusse -gelangt. Meine Schwester — um zwölf Jahre älter als ich und ledig -geblieben, weil sie keinen Mann zu finden vermocht, der ihren Vorstellungen -von Distinktion und vornehmem Wesen genügend entsprochen -hätte — war eine der besten, im innersten Herzen edelsten, aber von -den mannigfaltigsten Vorurteilen fest eingesponnenen Frauen, auf die -ich während der 26 Jahre meines bisherigen Lebens gestoßen. Sie -war nicht kaltherzig, ihre Hand jedem Hilfsbedürftigen gegenüber stets -offen, aber vor allem, was nicht den sogenannten höheren, gebildeten -Ständen angehörte, hatte sie eine unüberwindliche Mißachtung. -Als sie durch mich zum ersten Male von der socialen Frage Näheres -erfuhr, flößte es ihr Grauen ein, daß vernünftige Menschen -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -ernstlich glauben könnten, sie und ihre Küchenmagd seien von Natur -aus mit gleichem Rechte ausgestattet, und da ich wußte, daß hier alle -Bekehrungsversuche eitel wären, teilte ich der Guten Jahre hindurch -nichts mit von meinen Verbindungen mit Dr. Strahl, nichts von der -Gründung der freien Gesellschaft und von der Rolle, die ich in dieser -spielte. Ich wollte ihr den Kummer über meine „Verirrung“ möglichst -lange ersparen, denn ich liebe diese Schwester zärtlich, deren Abgott hinwieder -ich bin. Seit langen, langen Jahren war meine Betreuung, -die ängstliche Sorge um mich, ihr einziger Lebenszweck. Ich wohnte -bei ihr und sie behandelte mich stets als kleinen Jungen, dessen Erziehung -ihre Sache sei. Daß ich ihrer Hut entrückt länger als höchstens -zwei bis drei Tage existieren könne, ohne das Opfer meiner kindlichen -Unerfahrenheit und der Bosheit schlechter Menschen zu werden, erschien -ihr stets als ein Ding der baren Unmöglichkeit. Nun denke man sich -das namenlose Entsetzen dieser meiner Vormünderin, als ich ihr endlich -doch die Eröffnung machen mußte, daß ich nicht nur einer socialistischen -Gesellschaft beigetreten, nicht nur mein ganzes, bescheidenes Vermögen -deren Zwecken geweiht, sondern überdies dazu ausersehen sei, 200 Socialisten -in das Innere von Afrika zu führen. Es dauerte mehrere Tage, bis -sie das Ungeheure begreifen, glauben lernte; dann kamen Bitten, Thränen, -verzweifelte Vorwürfe und Vorstellungen. Ich möge den „Strolchen“ -mein Geld, auf welches sie es doch allein abgesehen hätten, ruhig überlassen -und nur ums Himmels willen redlich im Lande bleiben; sie konsultierte -unseren Hausarzt über meine Zurechnungsfähigkeit, kam aber -dabei übel weg, denn dieser war auch einer der Unsrigen, ja sogar -Mitglied der Expedition. Schließlich, da alles nichts fruchtete, eröffnete -sie mir, daß sie, wenn ich partout in mein Verderben rennen -wolle, mich begleiten werde. Als ich ihr erklärte, dies gehe nicht an, -da Frauen nicht mitgenommen würden, führte sie ihr schwerstes Geschütz -ins Treffen, sie erinnerte mich an unsere verstorbene Mutter, die -ihr noch auf dem Totenbette aufgetragen habe, mich nicht zu verlassen, -eine letztwillige Anordnung, der ich mich fügen müsse; und als ich -auch dem gegenüber hartnäckig blieb, zum ersten Mal in meinem -Leben die Bemerkung wagend, die gute Mutter habe mich damit offenbar -bloß während der Zeit meiner Kindheit ihrer Obhut empfehlen -wollen, verfiel sie in hoffnungslose Verzweiflung, aus der nichts sie -herauszureißen vermochte. Vergebens nannte ich sie mein liebes -kleines Mütterchen, vergebens versicherte ich ihr, daß unter unseren -200 Pfadfindern immerhin einige ganz erträgliche Kerle seien, die wohl -ein menschliches Rühren mit mir haben würden, vergebens versprach -ich ihr, daß sie in Halbjahrsfrist etwa mir nachfolgen könne — es -half alles nichts, sie gab mich verloren, und ich begann nachgerade, -als der Tag meiner Abreise herannahte, ernstlich in Sorge zu geraten, -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -was diesem ebenso rührenden als närrischen Schmerze gegenüber wohl -zu beginnen sei. -</p> - -<p> -Da besuchte Miß Ellen meine Schwester; ich mußte, von Geschäften -gerufen, die Beiden allein lassen, und als ich zurückkam, fand ich Klara -wunderbar getröstet. Sie jammerte und stöhnte nicht mehr, ja sie -konnte sogar, ohne in Thränen auszubrechen, von dem Schrecklichen -sprechen. Offenbar hatte Miß Ellens Exaltation wohlthuend auf ihre -kindische Angst gewirkt und ich segnete um deswillen die schöne Amerikanerin, -umsomehr, da auch sie uns von da ab durch ihr Drängen -nicht mehr quälte. Sie war plötzlich abgereist und ich beglückwünschte -mich höchlichst, einer doppelten Verlegenheit so rasch ledig geworden -zu sein. -</p> - -<p> -Am 3. trafen Johnston und ich in Alexandrien ein, von der -Mehrzahl unserer Expeditionsgenossen bereits erwartet. Es fehlten -nur noch 23, die teils aus zu entfernten Weltgegenden herbeieilten, -um schon eingetroffen sein zu können, teils durch irgendwelche -unvorhergesehene Zwischenfälle noch zurückgehalten waren. Johnston -schritt ohne Zögern an die Equipierung, Einübung und Organisierung -der Schar. Zu diesem Behufe wurde die Stadt verlassen und zehn -Kilometer entfernt vom Weichbilde derselben, an den Ufern des Mariut-Sees, -ein Zeltlager bezogen. Die Verpflegung besorgte unter meiner -Leitung ein aus 6 Mitgliedern gebildeter Wirtschaftsausschuß; jeder -Mann erhielt vollständige Beköstigung und außerdem — sofern er nicht -ausdrücklich darauf verzichtete — 2 £ in Bargeld monatlichen Zuschuß. -Dieselbe Summe wurde auch später während der Dauer des eigentlichen -Zuges bezahlt, nur selbstverständlich nicht in der Form von Gold- -oder Silbermünze, die im äquatorialen Afrika nutzlos ist, sondern in -der von mitgenommenen Bedarfsgegenständen oder Tauschwaren zum -Kostenpreise. Nachdem die Ausrüstungsgegenstände — Kleider und -Waffen — ausgepackt waren, begannen die Übungen. Täglich wurde -acht Stunden lang manövriert, marschiert, geschwommen, geritten, gefochten -und nach der Scheibe geschossen. Später veranstaltete Johnston -größere auf mehrere Tage ausgedehnte Märsche bis nach Gizeh und -an den Pyramiden vorbei nach Kairo. Inzwischen lernten wir uns -genauer kennen, Johnston ernannte seine Unterbefehlshaber, denen gleich -ihm militärischer Gehorsam geleistet werden mußte, eine Notwendigkeit, -die von allen ohne Ausnahme freudig anerkannt wurde. Das mag -vielleicht manchem sonderbar erscheinen angesichts der Thatsache, daß -wir doch auszogen, ein Gemeinwesen zu gründen, in welchem unbedingte -Gleichberechtigung und schrankenloses individuelles Selbstbestimmungsrecht -herrschen sollte; aber wir begriffen eben alle, daß dieser -Endzweck unseres Unternehmens und die Expedition, die uns dahin -führen sollte, zwei verschiedene Dinge seien; es kam während des ganzen -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -Zuges auch nicht ein Fall von Widersetzlichkeit vor, wogegen allerdings -auch von Seiten der Offiziere kein Fall überflüssigen barschen -Befehlens bemerkt werden konnte. -</p> - -<p> -Als der Zeitpunkt unserer Weiterreise nach Zanzibar herannahte, -waren wir eine vollkommen eingeübte Elitetruppe. Im Manövrieren -konnten wir es mit jedem Gardekorps aufnehmen — natürlich nur -hinsichtlich jener Übungen, die Schlagfertigkeit und Beweglichkeit einem -etwaigen Feinde gegenüber, nicht aber den Parademarsch und die s. g. -militärischen Honneurs zum Gegenstande haben. In letzterer Beziehung -waren und blieben wir so unwissend wie die Hottentotten; dafür konnten -wir ohne Beschwer 24 Stunden lang mit bloß sehr kurzen Unterbrechungen -marschieren oder im Sattel sein, unser Schnellfeuer ergab -schon auf 1000 Meter Distanz eine ganz respektable Zahl von Treffern; -auch unser Granatenfeuer wäre im Bedarfsfalle nicht zu verachten gewesen -und ebenso trefflich wußten wir mit einer kleinen Batterie Congrève’scher -Raketen umzugehen, die Johnston auf den Rat eines im -Sudan bedienstet gewesenen ägyptischen Offiziers, eines geborenen -Österreichers, der sich in Alexandrien häufig als Zuschauer bei unseren -Übungen eingefunden, aus Triest hatte nachsenden lassen. -</p> - -<p> -Am 30. März schifften wir uns auf der „Aurora“, einem prächtigen -Schraubendampfer von 3000 Tonnen ein, den der Ausschuß von -der englischen P. & O.-Company gechartert hatte und der, nachdem er -zuvor in Liverpool, Marseille und Genua die für uns bestimmten -Waren an Bord genommen, am 22. März in Alexandrien eingetroffen -war. Die Einschiffung und sichere Unterbringung von 200 Pferden -und 60 Kamelen, die in Ägypten gekauft worden waren, nahm mehrere -Tage in Anspruch; doch hatten wir keinen Grund zur Eile, da -der eigentliche Zug ins Innere Afrikas der Regenzeit wegen ohnehin -nicht vor dem Monat Mai angetreten werden sollte. Von Alexandrien -bis Zanzibar aber rechneten wir — den Aufenthalt in Aden behufs -Einschiffung der noch notwendigen Pferde und Kamele eingerechnet — -höchstens 20 Tage. Es blieben uns also noch immer reichlich zwei -Wochen für Zanzibar und für die Überfahrt nach Mombas, von wo -aus wir den Weg zum Kilima Ndscharo und Kenia antreten wollten -und wo wir uns, der an der Küste angeblich herrschenden Fiebergefahr -wegen, keinen Tag länger als notwendig aufzuhalten gedachten. -</p> - -<p> -Es ging auch alles ganz programmgemäß von statten. In Aden -trafen wir unseren Agenten mit 120 der prachtvollsten edelsten Jemener -Pferde und mit 25 Kamelen, nicht minder vorzüglicher Rasse; ebenso -wurden hier 115 Esel eingeschifft, die gleich den Kamelen infolge geänderter -Dispositionen in Arabien statt in Zanzibar, resp. Ägypten -angeschafft worden waren. Am 16. April warf die „Aurora“ im -Hafen von Zanzibar Anker. -</p> - -<p> -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -Die halbe Bevölkerung der Insel hatte sich aufgemacht, uns zu -begrüßen. Der Ruf war uns voraufgegangen, und wie es schien, kein -schlechter Ruf, denn nicht bloß die hier lebende, während der letzten -Jahre auf nahezu 200 Köpfe angewachsene europäische Kolonie, sondern -auch Araber, Hindu und Neger wetteiferten an Freundlichkeit und -Entgegenkommen. Die erste Persönlichkeit, die uns in Empfang nahm, -war natürlich unser Zanzibarer Bevollmächtigter, der uns auch sofort -die erfreuliche Versicherung gab, daß er alles ihm Aufgetragene vollbracht -habe und daß angesichts der uns gegenüber herrschenden Stimmung -die Anwerbung der erforderlichen eingeborenen Mannschaften mit größter -Leichtigkeit von statten gehen werde. -</p> - -<p> -Am 26. April verließen wir mit der Aurora Zanzibar und kamen -am Morgen des nächsten Tages wohlbehalten in Mombas an. Unsere -sämtlichen Tiere und den größten Teil der Waren hatten wir schon -sieben Tage vorher in Begleitung eines Trupps der in Zanzibar aufgenommenen -Wärter und unter Aufsicht von 10 Mann der Unsrigen -— gleichfalls mit der Aurora — dahin gesendet, wo wir sie alle in -sehr guter Verfassung und zumeist auch schon erholt von den Strapazen -der Seereise antrafen. Um die aufgenommenen Leute zu mustern und -jeglichem seine Obliegenheiten zuzuteilen, bezogen wir außerhalb der -Stadt Mombas in einem kleinen Palmenhaine mit herrlicher Aussicht -auf das Meer ein Lager. Für je 2 Handpferde oder Kamele und für -je 4 Esel wurde je ein Treiber und Wärter bestellt, so daß zu diesem -Behufe von unseren 280 Suahelileuten 145 beansprucht waren; 35 -wurden zum Tragen leichter und zerbrechlicher oder solcher Gegenstände -ausersehen, die jederzeit zur Hand sein mußten; 100 — unter diesen -selbstverständlich die Wegführer und zwei Dolmetscher — dienten als -Eclaireure. Am 2. Mai war all dies organisiert und durchgeführt, -die Lasten verteilt, jedem Manne sein Platz angewiesen; der Zug ins -Innere konnte angetreten werden. -</p> - -<p> -Da wir aber programmgemäß nicht vor dem 5. Mai abmarschieren -durften, um zuvor noch das am 3. oder 4. in Zanzibar eintreffende -europäische Postschiff abzuwarten, welches uns die letzten Nachrichten -von unseren Freunden und allenfallsige Anordnungen des Ausschusses -überbringen sollte, so hatten wir einige Tage der Muße vor uns, die -wir dazu benutzen konnten, die Gegend um Mombas zu besichtigen. -</p> - -<p> -Der Ort selber liegt auf einem Inselchen, welches hier von einem -sich ins Meer ergießenden und zu einer mächtigen Bucht sich ausweitenden -Flusse gebildet wird, dessen Ufer einige dichte Mangrovesümpfe -umgeben. Der Aufenthalt unmittelbar an der Küste und auf -Mombas selber ist daher nicht ganz gesund und keineswegs für längere -Zeit rätlich. Aber schon wenige Kilometer landeinwärts finden sich -sanftgeschwungene Hügel, bestanden mit prachtvollen Gruppen von -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -Kokospalmen, die sich inmitten smaragdgrüner Grasmatten erheben und -unter denen die von Gemüsebeeten umgebenen Hütten der Wanjika, der -hiesigen Küstenbewohner, hervorlauschen, welche Hügel selbst während -der Regenzeit einen ganz gesunden Aufenthalt bieten. Allerdings wäre -es für einen Europäer gefährlich, hier jahrelang zu wohnen, da die -während der Hitzemonate — Oktober bis Januar — herrschende -Temperatur ihm auf die Dauer schädlich wird. Im Mai jedoch, wo -die großen Regen, die in den Monaten Februar bis April niedergehen, -den Boden und die Atmosphäre tüchtig erfrischt haben, ist die Hitze -nicht eben lästig. -</p> - -<p> -Das Eilschiff der französischen Messagerie hatte sich zwar um einen -Tag verspätet, so daß es in Zanzibar erst am 4. spät Nachts eintraf; -wir aber erhielten, Dank der Liebenswürdigkeit des Kapitäns die für -uns bestimmten Sendungen trotzdem einen Tag früher als wir erwartet -hatten. Dieser nämlich, der in Aden erfahren hatte, daß und wo -wir auf die von ihm beförderte Post warteten, hielt auf der Höhe -von Mombas, das er zeitlich am Morgen des 4. passierte, eine -gerade vorbeisegelnde arabische Dhau an und übergab ihr die für -uns bestimmten Pakete, die wir demzufolge noch am selben Vormittag -empfingen, während wir andernfalls bis zum Abend des nächsten -Tages hätten auf sie warten müssen. Von den uns solcherart -unmittelbar vor unserem Aufbruche erreichenden Nachrichten, sind nur -zwei hervorzuheben; erstlich die Anzeige, daß der Ausschuß unseren -Bevollmächtigten in Zanzibar beauftragt habe, während der ganzen -Dauer unseres Zuges engste Fühlung mit Mombas zu unterhalten -und dort für alle Fälle einige Eilboten nebst einem schnellsegelnden -Kutter bereit zu halten; zum zweiten die Mitteilung, daß bis zum -18. April, dem Tage der Postabfertigung, die Zahl der gesellschaftlichen -Mitglieder auf 8460, das Vermögen auf nahezu 400000 £ -gestiegen sei. -</p> - -<p> -Und noch eine kleine Überraschung kam in Begleitung dieser letzten -Nachrichten aus der Heimat. Zugleich mit den Postpaketen hatte das -Postschiff der Dhau ein Koppel von nicht weniger als 32 Hunden -übergeben, geführt von 2 Wärtern, welch letztere uns Grüße von ihrem -Auftraggeber, Lord Clinton, vermeldeten, der als warmer Freund -unserer Ideen und großer Hundeliebhaber dies Geschenk eigens aus -York übersende, überzeugt, daß uns dasselbe auf der Reise sowohl als -am Ziele derselben vortrefflich zu statten kommen werde. Die Tiere -waren prachtvoll, 12 Doggen und 20 Schäferhunde von jener langbeinigen -und langhaarigen Rasse, die ein Mittelding zwischen Windspiel -und Bernhardiner zu sein scheint. Die kleinste der Doggen war vom -Kreuz gemessen 70 Zentimeter hoch, die Schäferhunde nicht sonderlich -kleiner, wie sich bald erwies, alles wohlgesittete, anstellige Kreaturen, -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -die denn auch allseitig mit größter Freude begrüßt wurden. Die beiden -Wärter erklärten, daß ihnen zwar unsere Pläne und Ideen höchst -gleichgültig seien, da sie „von all dem Zeug nichts verstünden“, daß -sie aber, wenn wir es gestatteten, in Begleitung ihrer lieben vierfüßigen -Freunde sehr gerne mit uns zögen. Da sie sich als kräftige, gesunde -und trotz aller Einfalt ganz anstellige Kerle zeigten, überdies versicherten, -im Reiten und Schießen leidlich bewandert, in der Dressur mannigfaltigen -Getiers aber geradezu Virtuosen zu sein, so nahmen wir sie -gerne mit. An Lord Clinton wurde ein herzliches Dankschreiben -adressiert, und nachdem die Post mit diesem und den anderen für -Europa bestimmten Nachrichten über Zanzibar expediert und die Anordnungen -für morgen getroffen waren, umfing uns die letzte Nacht -vor unserem Aufbruche in das dunkle Innere der afrikanischen Welt. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-3"> -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -3. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Am Morgen des 5. Mai weckten uns die Horn- und Trommelsignale -der Kirangozis (Karawanenführer), wie angeordnet war, um -3 Uhr aus dem Schlafe. Große, schon Abends vorher bereit gelegte -Lagerfeuer wurden angezündet, an denen das Frühstück — Thee oder -Kaffee mit Eiern und kaltem Fleisch für uns Weiße, eine Fleisch- und -Gemüsesuppe für die Suahelis — gekocht und bei deren Schein die -Vorbereitungen für den Abmarsch getroffen wurden. Der Vortrab, -bestehend aus den 100 Eclaireuren und 20 leichtbeladenen Packpferden, -brach, begleitet von 30 Berittenen, schon eine Stunde später auf. Ihm -war die Aufgabe zugewiesen, den Weg, wo er durch Dschungel oder -dichtes Gehölz führte, mit Axt, Faschinenmesser und Haue soweit zu -lichten, daß unsere umfangreichsten Gepäckstücke ungefährdet auf dem -Rücken der Tragtiere passieren könnten, Gewässer nach Thunlichkeit zu -überbrücken und die Lagerplätze für das nachrückende Hauptkorps vorzubereiten. -Zu diesem Behufe mußte diese Truppe — je nach der -Beschaffenheit der vor uns liegenden Wegstrecke — einige Stunden bis -zu einigen Tagen Vorsprung nehmen. Für den Anfang, wo nach -Aussage der wegekundigen Führer sonderliche Hindernisse nicht zu erwarten -waren, genügte ein Vorsprung von wenigen Stunden. -</p> - -<p> -Der Hauptzug war erst um 8 Uhr in Ordnung. Die Tête -nahmen hier 150 von uns Weißen, voran Johnston und ich; dann -folgten in langer Linie zuerst die Handpferde, dann die Esel, zum -Schluß die Kamele; der Nachtrab war durch 20 Weiße gebildet. So -verließen wir endlich, als die Sonne schon heiß herniederbrannte, -unseren Lagerplatz, warfen einen letzten Blick nach dem malerisch hinter -uns gelegenen Mombas zurück, sandten unsere Scheidegrüße dem da -unten brandenden Meere zu, dessen dumpfes Grollen trotz der Entfernung -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -von mindestens 7 Kilometern in der Luftlinie deutlich zu hören war — -und vorwärts ging es unter Hörnerklang und Trommelwirbel die -ziemlich steilen, doch nicht eben ansehnlichen Höhen hinan, die uns -von der am Eingange ins Innere liegenden sogenannten Wüste trennten. -Diesen Namen verdient jedoch dieser alsbald von uns erreichte Landstrich -offenbar nur in der heißen Jahreszeit; jetzt, wo die dreimonatliche -Regenepoche kaum erst abgeschlossen war, fanden wir die Landschaft -eher parkähnlich. Schönes, wenn auch nicht eben hohes Gras wechselte -ab mit Gebüschen von Mimosen oder Zwergpalmen und mit kleinen -Akaziengruppen. Als wir nach zwei Stunden die letzten Ausläufer -des Küstengebirges hinter uns hatten, wurde das Gras noch üppiger, -die Bäume häufiger und höher, zahlreiche Antilopen zeigten sich in der -Ferne, waren aber sehr scheu und wurden alsbald von den Hunden, -denen das nutzlose Jagen noch nicht abgewöhnt war, verscheucht. Gegen -11 Uhr wurde unter dem Schatten eines von dichten Schlingpflanzen -zu einem förmlichen Riesenbaldachin umgestalteten Palmenhaines Rast -gemacht und abgekocht. Wir alle, Menschen und Tiere, waren trotz -des bloß dreistündigen Marsches sehr erschöpft; das vorangegangene -vierstündige Rennen und Laufen im Lager war eben auch gerade -keine Erholung gewesen und die Hitze hatte von 10 Uhr ab angefangen -höchst unangenehm zu werden. -</p> - -<p> -Durch eine reichliche Mahlzeit, deren Hauptbestandteil zwei fette, -unterwegs gekaufte Ochsen waren, und die erquickende Ruhe im Schatten -des dichten Lianen-Baldachins gestärkt, brachen wir schon um 4 Uhr -nachmittags wieder auf und erreichten nach sehr anstrengendem, nahezu -fünfstündigem Marsche den von unserer Avantgarde bereiteten Lagerplatz, -in der Nähe eines Wakambadorfes zwischen Kwale und Mkinga. Die -Avantgarde selber trafen wir nicht mehr; sie hatte hier Mittagsrast -gehalten und war mehrere Stunden vor unserer Ankunft weiter -marschiert, um ihren Vorsprung nicht zu verlieren. Dafür hinterließ -sie uns unter der Obhut eines der Ihrigen elf verschiedene Antilopen, -die ihre Jäger unterwegs geschossen, zum Abendimbiß. -</p> - -<p> -Am Morgen des zweiten Marschtages befanden wir uns — eingedenk -der Qualen des gestrigen Vormittags — schon um 4½ Uhr -unterwegs. Das Land war anfangs recht offen; schon nach zwei -Stunden aber erreichten wir das Gebiet von Duruma, wo unser Vortrab -sichtlich heiße Arbeit gefunden hatte. Kilometerweit zog sich der -Pfad durch dornige Gestrüppe abscheulichster Art, in denen ohne die -Beile und Messer unserer wackeren Eclaireure an ein Fortkommen mit -Packtieren nicht zu denken gewesen wäre. Da jene jedoch tüchtig aufgeräumt -hatten, so kamen wir überall rasch und ohne Hindernis hindurch. -Gegen acht Uhr wurde der Weg wieder besser und das wechselte -dann so ab, bis wir am Abend des dritten Tages Durumaland hinter -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -uns hatten und die große Wüste betraten, die sich von da nahezu -ununterbrochen bis Teita ausdehnt. -</p> - -<p> -Sonst ist über diese Marschtage nichts zu berichten, als daß wir -stets ziemlich pünktlich um 4½ Uhr aufbrachen, nach 9 Uhr morgens -eine erste Station machten, vor 5 Uhr nachmittags uns wieder in -Marsch setzten und zwischen 8 und 9 Uhr abends das Nachtlager bezogen. -Die Verproviantierung in Duruma-Land war nicht eben leicht, -aber es gelang uns doch, von den Viehzucht und Landbau treibenden -Bewohnern genügende Lebensmittel an Vegetabilien und Fleisch, von -letzterem auch einen ausreichenden Vorrat für den Durchzug durch die -Duruma-Wüste einzuhandeln. Das Land scheint von großer natürlicher -Fruchtbarkeit zu sein, ist aber gerade an seinen besten Stellen unangebaut -und verlassen, da die Bewohner der unablässigen Einfälle der Massai -halber sich aus ihren unzugänglichen Dschungeldickichten kaum hervorwagen. -Allenthalben hörten wir Klagen über die Missethaten jener -ritterlichen Räuber, die erst vor einigen Wochen einen Stamm überfallen, -die Männer niedergemacht, Weiber, Kinder und Vieh weggetrieben -hatten und jetzt schon wieder unterwegs sein sollten, um nach -neuer Beute auszuspähen. Unsere Versicherung, daß wir ihr Gebiet -sowohl als dasjenige aller Stämme, mit denen wir Freundschaft -geschlossen oder noch zu schließen gedächten, von dieser Plage demnächst -befreien würden, nahmen die Wa-Duruma mit starkem Zweifel entgegen; -hatte doch selbst der Sultan von Zanzibar gegen die Massai, die -zeitweilig bis Mombas und Pangani streiften und brandschatzten, nichts -auszurichten vermocht. Indessen verbreitete sich doch dieses unser -Versprechen sehr rasch überall in der Umgegend. -</p> - -<p> -Am Morgen unseres vierten Marschtages, als wir uns eben zum -Eintritte in die Wüste anschickten, wurden wir durch atemlos unter -allen Anzeichen des Entsetzens und der Angst herbeieilende Eingeborene -benachrichtigt, daß ein starker Schwarm Massai wieder da sei, in der -Nacht ansehnliche Beute an Sklaven und Rindern gemacht habe und -sich im Anzuge gegen uns befinde. Wir änderten darauf unsere Dispositionen, -ließen das Gepäck und die Treiber im Lager und formirten -uns, da das Terrain günstig war, sofort zum Gefecht. Die Geschütze -wurden auf ihre Lafetten gesetzt und bespannt, die Raketen bereit gemacht; -erstere kamen in das Centrum, letztere in die beiden Flügel -unserer in einer langen Linie sich ausdehnenden Front. Das Alles -war das Werk von kaum zehn Minuten und es verstrich auch keine -fernere Viertelstunde, daß wir die Massais, die ungefähr 600 Mann -stark sein mochten, im Laufschritt nahen sahen. Wir ließen sie ruhig -bis auf etwa einen Kilometer herankommen; dann schmetterten die -Trompeten und unsere ganze Linie jagte im Galopp den Massai entgegen. -Diese stutzten und hielten, als sich ihnen der ungewohnte Anblick -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -einer ansprengenden Kavalleriemasse darbot, worauf auch wir unser -Tempo mäßigten und langsam bis auf hundert Meter heranritten. -Nun machten wir Halt und Johnston, der den Massaidialekt leidlich -spricht, ritt einige Schritte vor die Front, mit lauter Stimme fragend, -was sie wollten. Darauf gab es unter den Massai eine kurze Beratung, -dann trat auch ihrerseits ein Mann vor die Front, und fragte, -ob wir Tribut zahlen oder kämpfen wollten? „Ist das <em>Euer</em> Land“, -war die Gegenfrage, „daß Ihr Tribut verlangt? Wir zahlen Niemand -Tribut; wir haben Geschenke für unsere Freunde, schreckliche Waffen -für unsere Feinde. Ob die Massai unsere Freunde werden wollen, -werden wir sehen, wenn wir sie in ihrem Lande besuchen. Mit den -Wa-Duruma aber haben wir schon Freundschaft geschlossen und wir -erlauben daher Niemand, sie zu berauben. Gebt die Gefangenen und -die Beute freiwillig heraus und kehret zurück in Eure Krals, damit -wir nicht genötigt seien, unsere Waffen und Medizinen (Zaubermittel) -gegen Euch zu gebrauchen, was uns sehr leid thäte, denn wir wünschen, -Freundschaft auch mit Euch zu halten.“ -</p> - -<p> -Letztere Versicherung wurde offenbar für ein Zeichen der Schwäche -angesehen, denn die Massai, die anfangs etwas eingeschüchtert schienen, -schwangen nun drohend unter gewaltigem Geschrei ihre Speere und -setzten sich neuerdings gegen uns in Bewegung. Da erklangen abermals -unsere Trompeten, und während wir Reiter vorsprengten, eröffneten -die Kanonen und Raketen ihr Feuer — nicht auf die Gegner, -in deren dichtgedrängten Massen sie eben so schreckliche als überflüssige -Verheerungen angerichtet hätten, sondern über deren Köpfe hinweg. -Die Massai hielten nur einer einzigen Salve Stand; als die Geschütze -donnerten, die Raketen zischend und knatternd über sie hinfegten und -überdies die unheimlichen Geschöpfe mit vier Füßen und zwei Köpfen -— wir Reiter nämlich — auf sie zustürmten, wandten sie sich augenblicklich -heulend zu wilder Flucht. Unsere Artillerie sandte ihnen noch -einige Salven nach, um ihre Panik womöglich zu steigern, während -die Reiter sich damit beschäftigten, Gefangene zu machen und die in -der Ferne sichtbar werdenden, von den Massai erbeutet gewesenen Sklaven -und Rinder in unsere Gewalt zu bringen. -</p> - -<p> -Beides gelang; nach kaum einer halben Stunde hatten wir 43 -Massais und die ganze Beute in der Hand. Die in Sklaverei gefallenen -Durumaweiber und Kinder zu befreien, wäre uns, nebenbei bemerkt, -kaum so vollständig gelungen, wenn dieselben nicht in einer -Weise gefesselt gewesen wären, die ihnen rasches Laufen unmöglich -machte. Als nämlich diese armen Geschöpfe den Lärm des Gefechts -sahen und hörten, machten sie verzweifelte Anstrengungen, davon- und -zwar den fliehenden Massai nachzulaufen. Klüger benahmen sich die -Rinder, die durch die Schüsse und Raketenschläge zwar auch in hochgradige -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -Unruhe versetzt waren, sich aber trotzdem von uns und unseren -Hunden, die bei dieser Arbeit sich als ausnehmend verwendbar -erwiesen, ohne sonderliche Beschwer auf unser Lager zutreiben -ließen. -</p> - -<p> -Die gefangenen Massai waren prächtige, verwegen aussehende -Kerle, die trotz des Schreckens, der ihnen noch sichtlich in allen Gliedern -lag und trotzdem sie offenbar erwarteten, kurzen Weges niedergemacht -zu werden, doch eine gewisse Haltung behaupteten. Unter ihnen -befand sich — ein sehr glücklicher Umstand — auch der Leitunu, d. i. -der oberste, unumschränkte Anführer der Bande, ein bronce-farbener -Apoll von reichlich 2 Meter Höhe, der ganz darnach aussah, als ob -er sich am liebsten sein kurzes Schwert, die „Sime“, in die eigene -Brust gestoßen hätte, insbesondere, als die von weither zusammengelaufenen -Wa-Duruma ihn und die Seinen zu verhöhnen und grimmig -schreiend, ihren Tod zu verlangen begannen. Johnston verwies ihnen -dies mit großer Strenge. Laut, daß es die Gefangenen hören konnten, -erklärte er, auch die Massai sollten unsere Freunde werden, wir hätten -sie blos deshalb gezüchtigt, weil sie sich hier schlecht benommen; ob sie -denn glaubten, daß wir ihrer, der Duruma, oder sonstwessen Hülfe -bedürften, um jene zu tödten, wenn wir es wollten; ob sie denn nicht -gesehen hätten, wie wir in die Luft schossen, wo doch ein paar ernstlich -gemeinte Schüsse aus unseren gewaltigen Maschinen genügt hätten, -um alle Massai in Stücke zu reißen? Um ihnen — mehr aber noch -den Massai — die Wahrheit dieser ohnehin mit tiefem Grausen und -ohne die geringste Spur eines Zweifels angehörten Worte zu zeigen, -ließ Johnston eine volle Lage unserer sämtlichen Geschütze und Raketen -auf eine etwa 1000 Meter entfernte verfallene, strohgedeckte Lehmhütte -abgeben. Natürlich brach diese sofort zusammen und geriet unmittelbar -in Brand, ein Schauspiel, das auf die Wilden den gewaltigsten -Eindruck machte. -</p> - -<p> -„Jetzt geht“, wandte sich hierauf Johnston, der bei all dem so -that, als merke er gar nicht, wie gespannt unsere Gefangenen zuhörten -und zusahen, zu den Wa-Duruma, „nehmt Euere Weiber, Kinder und -Rinder, die wir befreit haben, und laßt die Massai in Ruhe. Wir -werden dafür sorgen, daß sie Euch in Zukunft nicht mehr belästigen, -aber vergesset nicht, daß in wenigen Wochen auch sie unsere Freunde -sein werden“. -</p> - -<p> -Die Wa-Duruma gehorchten, obwohl sie nicht recht wußten, was -sie aus der Sache machen sollten. Nachdem sie sich entfernt hatten, -ließ Johnston den gefangenen Massai ihre Waffen zurückgeben und forderte -sie auf, sich gleichfalls zu entfernen; binnen höchstens 2 Wochen -gedenke er sie in Leitok-i-tok, dem südöstlichen Grenzdistrikte Massailands, -zu besuchen; um ihnen das mitzuteilen, habe er sie vor sich -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -bringen lassen. Statt jedoch dieser Erlaubnis sofort zu entsprechen, -zögerten die El Moran (der Name für Massaikrieger); schließlich trat -Mdango, ihr Leitunu, vor und erklärte, jetzt durch das aufgeregte -Duruma-Land, versprengt von den Ihrigen, heimzuziehen, wäre für -eine so kleine Massai-Schaar der sichere Tod, und wenn sie schon -sterben müßten, so sei es ihnen größere Ehre, von der Hand so gewaltiger -weißer Leibons (Zauberer), als durch feige Wa-Duruma oder -Wateita zu fallen. Da wir die Absicht hätten, sie demnächst zu besuchen, -so mögen wir ihnen gestatten, mit uns zu ziehen. -</p> - -<p> -Johnstons Gesicht strahlte bei dieser Eröffnung vor innerer Genugthuung; -den Massai gegenüber jedoch bewahrte er seine gemessene -Ruhe und erklärte feierlichen Tones, das sei eine so große Gunst, die -sie da verlangten, und deren sie sich durch ihr bisheriges Benehmen -so wenig würdig erwiesen, daß er zuerst ein Schauri (eine Ratsversammlung) -mit den Seinigen abhalten müsse, bevor er ihnen Bescheid -geben könne. Damit ließ er sie stehen, rief unserer zwanzig die wir -ihm zunächst zu Pferde hielten, beiseite, und teilte uns den Inhalt des -Gespräches mit. „Daß wir, den Wunsch des Leitunu, der nach der -großen Zahl der von ihm geführten El Moran zu schließen, einer der -einflußreicheren sein dürfte, erfüllen, versteht sich von selbst; der Mann -muß vollständig gewonnen werden, und gewinnt uns dann seine Landleute. -So, jetzt werde ich ihm das Ergebnis unseres „Schauri“ -mitteilen.“ -</p> - -<p> -„Höre“ — so wandte er sich an Mdango, „wir haben beschlossen, -Deinen Wunsch zu erfüllen, denn Euere Brüder in Leitok-i-tok sollen -nicht sagen, daß wir Euch einem schimpflichen Tode entgegengejagt -hätten. Aber nachdem wir einmal — wenn auch ohne Blutvergießen -— unsere Waffen gegen Euch gerichtet, können wir Euch — das verbieten -unsere Gebräuche — nicht als Gäste in unser Lager und an -unseren Tisch lassen, bevor der Frevel, durch den Ihr uns gereizt habt, -vollständig gesühnt ist. Dies wird nur dann geschehen sein, wenn -jeder von Euch mit demjenigen unter uns Blut-Brüderschaft schließt, -der ihn zum Gefangenen gemacht hat. Wollt Ihr das, und werdet -Ihr den Bund ehrlich halten?“ -</p> - -<p> -Die El Moran bejahten dies mit großer Bereitwilligkeit; hierauf -neues „Schauri“ unter uns, dem dann die 43fache Verbrüderung nach -den eigentümlichen Gebräuchen der Massai folgte, und wir hatten 43 -Freunde gewonnen, die sich — wie Johnston versicherte — eher in -Stücke hauen lassen, als zugeben würden, daß uns ein Leides geschehe, -wo sie es irgend verhindern könnten. -</p> - -<p> -Über all dem war es 9 Uhr geworden und da der Tag glühend -heiß zu werden versprach, so hatten wir keine Lust, die sengende Duruma-Wüste -zu betreten, so lange die Sonne hoch am Horizonte stand. -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -Wir kehrten daher in das von unseren Tragtieren ohnehin noch nicht -verlassene Lager zurück und rüsteten das Mittagmahl. Zur Feier des -unblutig erfochtenen Sieges wurde dasselbe besonders reich, vornehmlich -mit Fleisch nebst Milch, der einzigen Nahrung der Massai-Elmoran -— bereitet, und zum Schlusse eine riesige Bowle aus Rum, Honig, -Limonen und heißem Wasser gespendet, die allen unseren Leuten trefflich -mundete, die Massai aber geradezu in Begeisterung versetzte. Diese -Begeisterung überschritt alle Grenzen, als die diversen 43 Blutbrüder -nach genossenem Punsche mit einer Freundschaftsgabe von je einer — -roten Hose bedacht wurden. Der Leitunu erhielt ein Extrageschenk in -Form eines goldgestickten Scharlachmantels. -</p> - -<p> -Die Duruma-Wüste, in die wir um 5 Uhr nachmittag eintraten, -ist gänzlich unbewohnt und während der trockenen Monate berüchtigt -wegen ihres beinahe absoluten Wassermangels. Jetzt, unmittelbar nach -der Regenzeit, fanden wir in den zahlreichen Bodenspalten und brunnenartig -oft bis zu 2 und 3 Metern vertieften natürlichen Löchern erträgliches -Wasser in genügender Menge. Von der Hitze aber hatten -wir bis Sonnenuntergang viel zu leiden, was uns veranlaßte, mit -Preisgebung unserer Nachtruhe in einem Gewaltmarsche bis Taro vorzudringen, -einem recht ansehnlichen, durch angesammeltes Regenwasser -gebildeten Teich, den wir gegen Morgen erreichten. Hier hielten wir -einen halben Rasttag, d. h. wir brachen nicht des Morgens, sondern -des Abends auf, unsere Kräfte für den nun folgenden bösesten Teil -des Weges schonend. Die Wasserlöcher wurden von da ab seltener, -das Aussehen der Landschaft besonders trostlos: eintönige, flache Steinfelder, -abwechselnd besetzt mit häßlichem Dornendickicht. Doch Menschen -und Tiere hielten die schlimmen 3 Tage wacker aus und am 12. Mai -erreichten wir wohlbehalten, obwohl arg durchnäßt durch einen uns -plötzlich überraschenden Platzregen, das liebliche Land der Wateita am -herrlichen Ndaragebirge. -</p> - -<p> -Hier lernten wir zum ersten Male die entzückende Pracht äquatorialen -Hochlandes kennen. Das Ndara-Gebirge erreicht eine Höhe -bis zu 1550 Metern, ist vom Gipfel bis zum Fuße mit üppiger Vegetation -bedeckt, zahlreiche silberhelle Bäche und Flüsse rauschen und tosen -an seinen Abhängen zu Thale und die Rundschau von günstiger situierten -Aussichtspunkten ist geradezu entzückend. Da wir hier einen vollen -Rasttag hielten, so benützten die meisten von uns die Gelegenheit zu -Ausflügen rings in der wundervollen Landschaft, wobei uns einige zu -Handels- und Missionszwecken angesiedelte Engländer in liebenswürdigster -Weise als Führer dienten. Ich selber konnte nicht allzutief in -das Gewirr köstlicher, schattenreicher Thäler und Gipfel, das uns rings -umgab, eindringen, da ich die Verproviantierung der Karawane sowohl -in Teita als auch für die jenseits desselben bis zum Kilima-Ndscharo -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -sich erstreckende Wüstenei durchführen mußte. Aber meine glücklicheren -Genossen erstiegen die umliegenden Höhen, übernachteten zumeist auf -oder dicht unter denselben, erquickten sich an der kühlen Luft derselben -und kamen zurück trunken von all der Schönheit die sie genossen. Im -übrigen war es auch am Fuße der Teitaberge kaum minder entzückend. -Das Bad unter einem der plätschernden Wasserfälle, umfächelt von den -milden Lüften und Düften die der Abend brachte, würde stets zu den -schönsten Erinnerungen meines Lebens zählen — wenn mir Afrika nicht -noch weit herrlichere Naturscenen geboten hätte. -</p> - -<p> -Am 14. und 15. wanderten wir in nicht zu anstrengenden Märschen -weiter durch dies Paradies, in welchem auch unsere Jäger reiche Beute -an Giraffen und verschiedenen Antilopen machten, schlossen überall mit -den Stämmen und Häuptlingen durch Geschenke besiegelte Freundschaftsbündnisse, -arbeiteten uns dann in zwei weiteren Tagen durch die -menschenleere, dafür aber desto wildreichere Wüste von Taweta, die im -übrigen gar nicht so schlimm ist, als ihr Name, und hatten am Nachmittag -des 17. die kühlen Wälder der Vorberge des Kilima vor uns -— wo uns eine seltsame Überraschung erwartete. -</p> - -<p> -Wir waren Taweta auf wenige Kilometer nahe gekommen und -unsere Gewehrsalven hatten — wie dies in Afrika üblich — dort soeben -die Ankunft einer Karawane verkündigt, als Johnston und ich, die wir -an der Spitze des Zuges ritten, einen Mann mit verhängtem Zügel -auf uns zusprengen sahen, in welchem wir alsbald den Führer unseres -Vortrabs, Ingenieur Demestre, erkannten. Anfangs machte uns die -rasende Eile, mit der er auf uns zujagte, einigermaßen besorgt, dann -aber zeigte uns sein lachendes Gesicht, daß es kein Unfall sei, was ihn -uns entgegenführe. Er winkte mir schon von Weitem zu und rief, sein -Pferd vor uns parierend: „Deine Schwester und Miß Fox sind in -Taweta!“ -</p> - -<p> -Wir beide, Johnston und ich, müssen auf diese unerwartete Botschaft -hin erklecklich alberne Gesichter gemacht haben, denn Demestre -brach jetzt in ein tolles Gelächter aus, in welches endlich auch wir -einstimmten. Dann erzählte er, die beiden Damen hätten ihn und die -Seinen, die gestern Abend in Taweta anlangten, ganz harmlos, als -träfen sie sich daheim auf der Straße, begrüßt, ihre Verblüffung gänzlich -ignoriert und auf Befragen im gleichmütigsten Tone erzählt, sie wären -am 30. April, also während wir in Mombas saßen, von Aden kommend, -in Zanzibar eingetroffen, nach kurzem Aufenthalte nach Pangani übergefahren -und von dort über Mkumbara und am Jipe-See vorbei schon -am 14. in Taweta angelangt, wo sie sich mitsamt ihrem Diener oder -Freunde Sam, einem alten ehrwürdigen Neger, der Miß Fox überall -begleite, und ihren vier Elefanten — denn auf dem Rücken solcher -Tiere wären sie zu grenzenlosem Erstaunen der Neger gereist — ganz -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -ausnehmend wohl befänden. „Fräulein Klara läßt Dich grüßen und -Dir sagen, sie sehne sich schon recht sehr, Dich an ihr schwesterliches -Herz zu drücken.“ -</p> - -<p> -Da ich sah, daß Demestre nicht scherze, so gab ich meinem Pferde -die Sporen, befand mich schon nach wenigen Minuten in einem der -tiefschattigen, laubenartigen Waldwege, die vom offenen Lande nach -Taweta hineinführen, und sah auch bald darauf die beiden Damen, von -denen die eine mit ausgebreiteten Armen auf mich zueilte und mich, -kaum daß ich den Boden berührt hatte, laut weinend ans Herz drückte. -Nachdem der erste Sturm des Wiedersehens vorüber war, suchte ich von -meiner Schwester nähere Aufklärung über die Art ihres Erscheinens -hier mitten unter den Wilden zu erlangen; allein das war ein vergebliches -Bemühen; so oft die Gute auch zu einem Berichte ansetzte, -unterbrachen sie Thränen und Ausrufe der Freude über unser Wiedersehen -sowie des nachträglichen Entsetzens über all die Gefahren, vor denen -mich leichtsinnigen Knaben sicherlich nur mein gutes Glück bewahrt. -Inzwischen hatten wir uns Miß Fox genähert, die meinen Gruß zwar -etwas spöttisch, aber deßhalb nicht minder herzlich erwiderte und aus -deren Munde ich endlich alles Wissenswerte erfuhr. -</p> - -<p> -Darnach hatten sich also die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung -verständigt und das Komplott in seinen Grundzügen angelegt, -die näheren Vereinbarungen der Zeit nach meiner Abreise aus Europa -vorbehaltend. Meine Schwester hatte in Miß Fox die Energie und die -erforderlichen pekuniären Mittel zur Inscenierung einer gegen den -Willen der Männer auf eigene Faust durchzusetzenden Expedition, Miß -Fox dagegen in meiner Schwester die Gefährtin und ältere Beschützerin -gefunden, ohne welche auch sie vor einem solchen Geniestreich zurückschreckte. -Da insbesondere Miß Fox die Dispositionen unserer Reise -ganz genau kannte, so ahmte sie dieselben dem Wesen nach im Kleinen -nach; sie bestellte bei denselben Fabrikanten und Lieferanten, von denen -wir unsere Vorräte, Tauschwaren und Reisegeräte bezogen, auch die -ihrigen, entschied sich gleich uns für Tragtiere statt für Pagazis, wählte -aber, um wenigstens in Einem Punkte originell zu sein, Elefanten statt -der Pferde, Kamele oder Esel. Da es überall dort, wo wir hin -wollten, wilde, wenn auch bisher niemals gezähmte Elefanten in Menge -gebe, so mußten — das war ihr Kalkül, indische Elefanten auch überall -im äquatorialen Afrika fortkommen. Ein Geschäftsfreund ihres verstorbenen -Vaters in Kalkutta, hatte ihr vier Prachtexemplare dieser -Dickhäuter verschafft, diese mitsamt acht erprobten indischen Führern -und Wärtern nach Aden expediert, wo sie dieselben angetroffen und -nach Zanzibar genommen. Hier wurden einige Wegführer und Dolmetscher -geworben und um nicht etwa zu nahe an der Küste mit uns zusammenzutreffen, -der Weg über Pangani genommen, auf welchem ihnen zwar -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -die Neugier der Eingeborenen hie und da lästig geworden, im übrigen -aber, insbesondere Dank der liebenswürdigen Fürsorge der in Pangani, -Mkumbana, Membe und Taweta stationierten deutschen Agenten nicht -der geringste Unfall zugestoßen sei. Ihre Suaheli-Leute hätten sie -sofort nach ihrer Ankunft entlassen, mit den Elefanten und Indern gedächten -sie sich uns anzuschließen — es sei denn, daß wir sie allein -in Taweta zurücklassen wollten. -</p> - -<p> -Was war unter so bewandten Umständen zu thun? Es verstand -sich von selbst, daß die beiden Amazonen von da ab zu den Unsrigen -gehörten und was mich anlangt, so müßte ich die Unwahrheit sagen, -wollte ich behaupten, ich sei meiner Schwester oder Miß Fox ob ihrer -Hartnäckigkeit gram geworden. Die ärgsten Gefahren konnten nach der -Affaire mit den Massai in Duruma als beschworen gelten; die Beschwerden -des Weges waren — wie ja der Erfolg zeigte — auch von -Frauen recht gut zu überwinden; ich gab mich also der Freude des unverhofften -Wiedersehens ungetrübt hin. Aber auch die anderen Mitglieder -der Expedition waren — wie ich mit Genugthuung bemerkte — -mit dem Zuwachse, der uns in Taweta geworden, durchaus einverstanden -und so erhielten denn die Elefanten mitsamt ihrer schönen Last -— denn nebenbei bemerkt ist auch meine Schwester trotz ihrer 38 Jahre -noch immer ein schönes Weib — ihren Platz in der Karawane angewiesen. -</p> - -<p> -Vor Taweta verabschiedeten sich unsere Massai-Freunde. Sie -nahmen den Auftrag mit, ihren Landsleuten mitzuteilen, daß wir in -8-10 Tagen an den Grenzen von Leitok-i-tok eintreffen würden, daß -es unsere Absicht sei, ganz Massai-Land zu durchreisen, um uns dort, -wo es uns am besten gefallen würde, dauernd niederzulassen. Diese -unsere Ansiedelung werde dem Stamme, in dessen Nachbarschaft wir -Hütten bauen würden, zum größten Vorteil gereichen, denn wir würden -ihn reich und unbesiegbar allen Feinden gegenüber machen. Uns aufzunehmen -und Gebiete abzutreten würden wir Niemand zwingen, obwohl -wir, wie sie bezeugen könnten, dazu genügende Macht besäßen -und noch viele Tausende unserer weißen Brüder nur auf Nachricht von -uns warteten, um uns nachzufolgen; den freien Durchzug aber würden -wir, wenn er uns nicht friedlich gewährt werde, überall zu erkämpfen -wissen. Schließlich banden wir unseren Blutbrüdern noch ans Herz, -dafür zu sorgen, daß bei den Verhandlungen möglichst zahlreiche Stämme -erscheinen, insbesondere diejenigen, welche längs des Weges nach dem -Naiwascha-See — unserer Route an den Kenia — wohnen, und schieden -unter beiderseitigen herzlich gemeinten Wünschen von einander. -Als letztes Angedenken gaben wir den ganz zuthunlich gewordenen -Kerlen eine Reihe in ihren Augen überaus kostbarer Geschenke für ihre -Herzallerliebsten, die sogenannten „Dittos“ mit, als da sind, Messingdraht, -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -messingene Armbänder und Ringe mit falschen Steinen, Handspiegel, -auf Schnüre gereihte Glasperlen, Baumwollzeuge und Bänder. -Der Tauschwert dieser Geschenke, obwohl sie uns in Europa insgesamt -keine 200 Mark gekostet hatten, betrug nach Massai-Währung, wie wir -uns später zu überzeugen Gelegenheit hatten, reichlich den von 100 fetten -Ochsen, und die El Moran waren auch ganz sprachlos über unsere -Freigebigkeit. Geradezu unschätzbar aber war in ihren Augen das Geschenk, -mit welchem Johnston zum Schlusse herausrückte: ein Kavalleriesäbel -mit eiserner Scheide und guter Solinger Klinge für jeden der -sich verabschiedenden Helden. Um ihnen die Vortrefflichkeit dieser Waffe -<span class="antiqua">ad oculos</span> zu demonstrieren, ließ Johnston durch einen in solchen Kunststücken -bewanderten Belgier den mächtigsten der Massaispeere, dessen -Klinge gut 12 Centimeter breit war, mit einem Hiebe durchhauen, -und wies dann den zu Bildsäulen erstarrten Kriegern die völlig unversehrte -Schwertklinge vor. „So schneiden <em>unsere</em> „Siemes,“ sagte er, -wenn sie in gerechtem Kampfe gebraucht werden; hütet Euch aber, sie -bei Raubzügen oder Mordthaten zu ziehen, sie würden Euch in der -Hand zerspringen wie Glas und Unheil über Eure Köpfe bringen.“ -Damit winkten wir ihnen nochmals freundlich zu und hatten sie bald -aus den Augen verloren. -</p> - -<p> -In Taweta weilten wir 5 Tage, um den Tieren nach den anstrengenden -Märschen Ruhe zu gönnen und uns an den über alle Beschreibung -entzückenden Reizen dieses an Lieblichkeit und tropischer -Pracht sowohl als an Großartigkeit der Gebirgsformen alles bis dahin -Gesehene weitaus übertreffenden Landes zu erlaben, und schließlich -um unsere Ausrüstung mit Hilfe der hier und im benachbarten Moschi -residierenden deutschen Agenten einigermaßen zu ergänzen. Diese Herren, -wie nicht minder die freundlichen Eingeborenen, informierten uns bereitwilligst -über jene Waren, nach denen augenblicklich im Massai-Lande -besonderer Begehr herrsche und da sich ergab, daß wir von einer derzeit -bei den Dittos modernen blauen Perlenart sehr wenig, von einer -als haute Nouveauté geltenden Sorte Baumwolltücher vollends auch -nicht einen Ballen besaßen, so kauften wir in Taweta mehrere Traglasten -von diesen Kostbarkeiten. -</p> - -<p> -Auf unseren Streifungen in Taweta sahen wir zum ersten Male -den Kilima Ndscharo in seiner vollen überwältigenden Majestät. Nahe -an 4000 Meter steil aus dem umliegenden Hochlande emporragend, -trägt dieser zweizinkige, sich zu 5700 Metern über die Meeresfläche -erhebende Riese auf seinem breiten, wuchtigen Rücken ein Schneefeld, -mit dessen Wirkung sich nicht die Gletscher unserer europäischen Alpenriesen, -ja in gewissem Sinne nicht einmal die der Anden und des -Himalaja vergleichen lassen. Denn nirgend sonst auf unserer Erde -bietet die Natur so unvermittelt nebeneinander den Kontrast der üppigsten, -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -saftigsten Tropenwelt und der schauerlichen Öde zerrissenen Geklüftes und -ewigen Eises, wie hier im äquatorialen Afrika. Die Flora und Fauna -am Fuße des Himalaja z. B. ist zwar kaum minder herrlich, wie im -Wald- und Quell-Lande von Taweta; aber während die schneebedeckten -Gipfel des Central-Asiatischen Gebirgsstockes sich Hunderte von Kilometern -entfernt vom Fuße desselben erheben und es daher dem Menschen -nicht vergönnt ist, die Reize beider zugleich zu genießen und durch den -Kontrast zu steigern, kann man hier, beschattet von einer wildwachsenden -Banane oder Mangopalme mit einem guten Fernrohre die unergründlichen -Schlünde der Gletscherspalten zählen, so zum Greifen nahe -ist die Welt des ewigen Eises der des ewigen Sommers gerückt. Und -welchen Sommers! Eines Sommers, der seine reichsten Schätze an Schönheit -und Fruchtbarkeit gewährt, ohne unsere Nerven durch seinen Gluthauch -zu erschlaffen. Man muß diese schattigen und doch lichten Wälder, -diese allenthalben durch den blumenduftenden Boden hüpfenden krystallklaren -Bäche gesehen, diese kühlenden Lüfte, die beinahe ununterbrochen -von den nahen Eisfeldern herabwehen und sich unterwegs durch den -Blumenatem der tiefer gelegenen Bergabhänge würzen, um seine Schläfen -empfunden haben, um zu wissen, was Taweta ist. -</p> - -<p> -An materiellen Genüssen greifbarer Art bietet dieses gesegnete -Ländchen eine überreiche Fülle. Fette Rinder, Schafe und Ziegen, -Hühner, köstliche Fische aus dem nahen Jipe-See und dem Lumi-Flusse, -einige besonders delikate aus den rings vom Kilima-Ndscharo herabschäumenden -kleineren Gebirgswässern, Wildpret in tausenderlei Varietäten, -befriedigen selbst den unersättlichen Hunger nach Fleisch; das -Pflanzenreich schüttet ein nicht minder reiches Füllhorn fast aller in den -Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und <a id="corr-7"></a>Obstarten aus. -Dabei ist alles so wohlfeil, daß selbst der übermütigste Schlemmer nicht -im Stande ist, mehr als wenige Pfennige täglich auszugeben — falls -die liebenswürdigen, gastfreundlichen Wataweta überhaupt Zahlung annehmen, -was z. B. uns gegenüber fast niemals der Fall war. Allerdings -kam uns dabei der Ruhm unserer Heldenthaten gegen die Massai -und insbesondere unsere Versicherung zu statten, daß wir auch Taweta -von diesen bösen Gästen befreien würden, die bisher zwar noch bei -jedem Angriffe von den uneinnehmbaren Waldfestungen des Kilima abgeschlagen -worden waren, deren Nachbarschaft sich aber bisher doch sehr -lästig erwiesen hatte. Auch war unsere Hand den Taweta-Männern -und mehr noch den Weibern gegenüber stets offen. Europäische Geräte -aller Art, Kleidungsstücke, primitive Schmucksachen, und hauptsächlich -eine Auslese von Photographien und bemalten Münchener -Bilderbogen gewannen uns die Herzen unserer schwarzen Gastfreunde, -so daß, als wir am Morgen des 23. Mai endlich aufbrachen, wir -ebenso ungern diesen herrlichen Waldwinkel verließen, als die Wataweta -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -uns ungern scheiden sahen. Bis über die Grenze ihres Gebietes begleiteten -uns diese guten, einfachen Menschen, und gar manches der -keineswegs unschönen Tawetafräulein, das sein Herz an einen der -weißen, oder wohl auch der Suaheli-Gäste verloren haben mochte, -vergoß bittere Thränen und klagte sein Leid mit Vorliebe — unseren -beiden Damen, die glücklicher Weise von diesen Ergüssen und Eröffnungen -tawetanischer Mädchen-Seelen kein Wort verstanden. Prüderie -ist im äquatorialen Afrika eine gänzlich unbekannte Sache und die -Taweta-Schönen würden ebensowenig begriffen haben, daß irgend -Jemand Übles darin finden könne, wenn man einem Gaste ohne weiteres -sein Herz entgegenträgt, als ihre weißen Schwestern begriffen hätten, -daß man derlei Dinge in aller Unschuld ausplaudern könne, ohne daß -Freunde und Verwandte daran den geringsten Anstoß nähmen. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-4"> -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -4. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Nach Massailand führen von Taweta zwei Wege, der eine westlich -vorbei am Kilima durch das Gebiet der Wakwafi; der andere -am Ostabhange des Gebirgsstockes durch die verschiedenen Tribus der -Wadjagga. -</p> - -<p> -Das Land ist fruchtbar und schön auf beiden Seiten; wir wählten -aber die letztere Route, weil die Wakwafi eben im Kriege waren mit -den Massai und wir uns in keine überflüssigen Händel mengen wollten, -auch ganz im allgemeinen der Verkehr mit den friedfertigen und schüchternen -Wadjagga dem mit den rauflustigen Wakwafi vorzuziehen ist. -In kleinen Tagemärschen zogen wir vorbei an dem wildromantischen, -von düsteren, senkrecht abfallenden Felsen eingefaßten Dschallasee, durch -die waldigen Bergabhänge von Rombo und durch die Hochebenen von -Useri, übersetzten dabei drei nicht unansehnliche, wasserreiche Bäche, die -vereint den Tsabofluß bilden, und zahllose Quellen, die allenthalben -vom Kilima herunterrieselnd, die parkartigen Wiesen und die wohlangebauten -Felder der Eingeborenen bewässern. Überall tauschten wir -reiche Geschenke und schlossen Freundschaftsbündnisse. Nebenbei wurde -auch der Jagd gepflegt, die Antilopen, Zebras, Giraffen und Rhinoceros -in großer Menge ergab. -</p> - -<p> -Am 28. Mai trafen wir an der Grenze von Leitok-i-tok, dem -südöstlichen Grenzdistrikt von Massailand ein. Als wir den Rongeibach -überschritten, stieß unser Freund Mdango in Begleitung zahlreicher -seiner Krieger zu uns. Sein Bericht war befriedigend. Die ihm -aufgetragene Botschaft hatte er nicht bloß den Alten und den Kriegern -des eigenen Stammes, sondern allen Stämmen von Leitok-i-tok bis an -die Grenzen von Kapte übermittelt und sie zu einem großen Schauri -am Minjenjeberge — einen halben Tagmarsch von der Grenze gegen -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -Useri — eingeladen. Sie waren zahlreich erschienen, El-Morun und -El-Moran, d. i. verheiratete Männer und Krieger, letztere in einer -Gesamtstärke von über 3000 Mann, und vorgestern hatten sie vom -Morgen bis Abend verhandelt. Das Ergebnis war der einstimmige -Beschluß, uns ein Freundschaftsbündnis anzutragen. -</p> - -<p> -Bald darauf nahten die Massai in hellen Haufen. Wir luden -sie in unser Lager, wo wir sie Mann für Mann reichlich beschenkten. -Zuerst bekam Mdango für seine diplomatischen Bemühungen ein buntes, -goldgesticktes Ehrenkleid (wo bei Geschenken von „Gold“ die Rede ist, -welches die Centralafrikaner nicht kennen und nicht schätzen, muß überall -unechte Waare verstanden werden), eine silberne Taschenuhr, ein Eßbesteck -aus Weißblech und einige Zinnteller. Die Verwendung und -Behandlung der letztgenannten Dinge mußte ihm allerdings erst mühsam -beigebracht werden, doch sei bemerkt, daß Mdangos Uhr von da ab -stets in gutem Gange blieb und daß er sich bei feierlichen Gelegenheiten -des Messers und der Gabel mit angemessener Würde bediente. -</p> - -<p> -Andere Massaigrößen wurden gleichfalls, wenn auch nicht so -verschwenderisch wie der vielbeneidete Mdango, mit auserlesenen Dingen -bedacht; alle El-Moran aber erhielten außer Perlenschnüren und Tüchern -für ihre Mädchen, die vielbegehrte rote Hose, die verheirateten Männer -farbige Mäntel, und jedes Weib — Frau oder Mädchen — das unser -Lager mit seinem Besuche beehrte, ward durch Bilder, Perlen, Zeuge -und allerlei broncenen und gläsernen Tand erfreut. Das Verteilen -dieser Gaben nahm viele Stunden in Anspruch, trotzdem etwa fünfzig -von uns damit beschäftigt waren. Es hielt eben schwer, in dieser -entzückt durcheinander schwatzenden und wogenden Masse Ordnung zu -halten. Erst als die Sonne sich ihrem Untergange zuneigte, verließen -die letzten Massaimänner unser Lager, während gerade die hübschesten -der jungen Mädchen und Frauen keine Miene machten, die heimischen -Penaten aufzusuchen. Die Männer bemerkten es, fanden es jedoch -sichtlich in der Ordnung, daß ihre Frauen und Töchter so freigebigen -Fremden auch nach Sonnenuntergang Gesellschaft leisten. So will es -die Sitte in Massailand, und wir hatten Mühe, uns vor deren -Konsequenzen zu bewahren, ohne die zwar nach ranzigem Fett duftenden, -sonst aber selbst nach europäischen Begriffen wohlgebildet zu nennenden -braunen Damen zu beleidigen. -</p> - -<p> -Am nächsten Vormittag schritten wir zum Abschlusse des Friedens- -und Freundschaftsvertrages. Johnston forderte jeglichen Kral — es -waren deren 17 aus Leitok-i-tok und 4 aus Kapte vertreten — auf, -den Leitunu und Leigonani der El-Moran und je zwei der El-Morun -zu designieren, die den Vertragsabschluß mit uns vollziehen sollten. -Dieser Wahlakt ging merkwürdig rasch von statten und schon eine -Stunde später war die Ratsversammlung, an welcher unsererseits bloß -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -Johnston, ich und 6 Offiziere teilnahmen, unter allerlei Zeremonien -eröffnet. Zuerst gab es einige Reden, in denen unsererseits die Vorteile -auseinandergesetzt wurden, die den Massai aus unserer bevorstehenden -Ansiedelung in ihrer Mitte oder an ihren Grenzen erwachsen würden, -von Seiten der Massaisprecher hinwieder Versicherungen der Bewunderung -und Liebe den weißen Freunden gegenüber, die Hauptrolle spielten. -Dann legte Johnston die Punktationen des Vertrages vor. Dieselben -lauteten wie folgt: -</p> - -<p> -1. Die Massai werden uns und unseren Bundesgenossen gegenüber, -als da sind: die Bewohner von Duruma, Teita, Taweta, Dschalla und -Useri, unverbrüchlich Frieden und Freundschaft einhalten. -</p> - -<p> -2. Die Massai werden von keiner von Weißen geführten Karawane -unter irgend welchem Vorgeben Hongo verlangen, versprechen -vielmehr, dem Durchzuge derselben in jeder Weise behülflich zu sein, -insbesondere, so weit ihre Vorräte reichen, gegen billige Bezahlung -Lebensmittel beizustellen. -</p> - -<p> -3. Die Massai werden auf unser Verlangen jederzeit El-Moran -in jeder beliebigen Zahl zu unserer Verfügung stellen, die Geleits- und -Wachdienste zu leisten haben und uns während der Dauer ihrer Verwendung -militärischen Gehorsam schuldig sind. -</p> - -<p> -4. Dagegen verpflichten wir uns, die Massai als unsere Freunde -anzuerkennen, sie in ihren Rechten zu schützen und ihnen gegen fremde -Angriffe beizustehen. -</p> - -<p> -5. Die El-Moran jedes am Bunde teilnehmenden Stammes erhalten -von uns alljährlich Mann für Mann je zwei Beinkleider aus -gutem Baumwollstoff und je 50 Schnüre Glasperlen, deren Auswahl -ihnen überlassen bleibt, oder auf Wunsch andere Waren im gleichen -Werte. Die El-Morun erhalten je einen Baumwollmantel, die Leitunu -und Leigonani Beinkleid, Perlen und Mantel. -</p> - -<p> -6. Die zu Dienstleistungen herangezogenen El-Moran erhalten -außer voller Verpflegung an Fleisch und Milch je 5 Perlenschnüre -oder deren Wert als tägliche Besoldung. -</p> - -<p> -Dieses, von den anwesenden Massai mit den Zeichen unverhohlener -Befriedigung aufgenommene Aktenstück wurde durch eine symbolische -Blutverbrüderung zwischen den beiderseitigen Kontrahenten unter vielen -Feierlichkeiten bekräftigt. Da die in achtungsvoller Ferne lauschende -Menge dasselbe, als es ihr verlesen ward, mit lautem Freudengeschrei -aufnahm, so wußten wir, daß die öffentliche Meinung von Leitok-i-tok -und eines Teiles von Kapte vollkommen gewonnen sei. -</p> - -<p> -Wir teilten nun unseren neuen Bundesgenossen mit, daß es unsere -Absicht sei, über Matumbato und Kapte an den Naiwascha-See zu -ziehen, die unterwegs wohnenden Massaistämme womöglich alle in den -Bund aufzunehmen und dann entweder über Kikuja oder über Leikipia -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -an den Kenia vorzudringen. Behufs rascherer Herstellung der freundschaftlichen -Beziehungen mit jenen Stämmen, deren Gebiete wir zu -durchziehen hätten, verlangten wir die Beistellung einer 50 Mann -starken Schar El-Moran, die unter Führung unseres — inzwischen -unter seinen Landsleuten zu hohem Ansehen gelangten — Freundes -Mdango, uns voraufziehen solle. Es geschah wie wir wünschten und -Mdango fühlte sich durch die auf ihn gefallene Wahl nicht wenig -geschmeichelt. Aus den 50 El-Moran, die wir forderten, wurden -übrigens mehr als 500, da sich die jungen Krieger um die Ehre -stritten, uns dienlich zu sein. Vom Wege über Kikuja aber rieten uns -die Massai ab. Die Wa-Kikuja sind kein Massaistamm, sondern gehören -einer ganz anderen Rasse an, die von altersher mit ihnen in steter -Fehde lebt. Sie wurden uns als verräterisch, feige und grausam -zugleich geschildert, als Leute ohne Treu und Glauben, mit denen ein -ehrlicher Bund ganz unmöglich sei. Da wir indessen aus unserer -civilisierten Heimat her wußten, welches Vertrauen man auf -das gegenseitige Urteil einander bekämpfender „Nationen“ legen dürfe, -so machte obige Schilderung vorderhand weiter keinen Eindruck auf -uns, als daß wir derselben entnahmen, die Wakikuja seien „Erbfeinde“ -der Massai. Wie sehr im Rechte wir mit unserer Skepsis -waren, sollte die Folge lehren. Mdango wurde bedeutet, daß es bei -der ursprünglichen Abrede sein Bewenden habe. Er solle uns in Eilmärschen -voranziehen, wo möglich bis an die Grenzen von Leikipia, -dann aber umkehren und uns am Ostufer des Naiwascha-Sees erwarten, -wo wir drei Wochen von heute an gerechnet das große Bundes-Schauri -mit den von ihm unterwegs verständigten und berufenen Massai-Stämmen -abzuhalten gedächten. Was es mit den Wakikuja, die das Gebiet -östlich vom Naiwascha bewohnen, auf sich habe, würden wir selber -untersuchen. -</p> - -<p> -Am ersten Juni um 4 Uhr Morgens brachen wir von Miveruni -auf. Nach mehrstündigem Marsche lagen die letzten Waldstreifen der -Kilima-Vorberge hinter uns und wir betraten die kahlen Flächen der -Ngiriwüste. Der Weg durch diese und an den Limgeriningbergen vorbei -durch das Hochplateau von Motumbuto bot wenig des Bemerkenswerten. -Am 6. Juni erreichten wir die Berge von Kapte, längs deren -Westabhang wir in einer Seehöhe von 1200 bis 1700 Metern dahinzogen, -zur Linken unter uns die eintönige unabsehbare Dogilaniebene, -zur Rechten die bis zu 3000 Metern aufsteigenden Kapteberge, an den -Abhängen meist grasreiches Parkland, auf den Kuppen dunkle Wälder -zeigend. Zahlreiche Bäche, die stellenweise malerische Wasserfälle bilden, -rauschen von ihnen hernieder und vereinigen sich im Dogilaniland zu -größeren Flüssen, die, soweit das Auge sie verfolgen kann, allesamt -nach Westen ihren Lauf nehmen und in den Ukerewe, diesen größten -<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> -unter den Riesenseen Centralafrikas, münden. Alle Stämme unterwegs -nahmen uns wie alte Freunde auf, selbst diejenigen, mit denen -wir noch kein Bündnis geschlossen hatten. Zu ihnen allen war die -Wundermär von den weißen Männern gedrungen, die sich bei ihnen -ansiedeln wollen und die so mächtig und freigebig zugleich seien; Mdangos -Einladung zum Schauri am Naiwaschasee war überall freudig aufgenommen -worden, große Scharen waren schon unterwegs. Andere -schlossen sich uns an oder versprachen nachzufolgen. Von „Hongo“ -nirgend die Rede, kurzum, wir hatten gewonnenes Spiel in allen Gauen -des Landes. -</p> - -<p> -Am 12. erreichten wir die Grenze des Kikujalandes, dem entlang -der weitere Weg an den Naiwascha sich hinzieht. Die schlimmen Berichte -über den heimtückischen, häßlichen Charakter dieses Volkes waren -uns von <a id="corr-10"></a>den Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in verstärkter -Form wiederholt worden; inzwischen aber hatten wir von anderer -Seite durchaus verschieden klingende Darstellung erhalten. Unsere -beiden Damen führten nämlich ein Andorobomädchen mit sich, welches -sie in Taweta aufgenommen hatten. Die Andorobo sind ein Jägervolk, -welches ohne festen Wohnsitz durch das ganze ungeheure Gebiet zwischen -dem Ukerewesee und der Zanzibarküste hin zu finden ist; aus einem -Stamme dieses Volkes, welcher die Gegenden am Fuße des Kenia, -nördlich von Kikuja nach Elefanten durchstreift, war Sakemba — so -hieß das fragliche ungefähr 18 Jahre zählende Mädchen — vor zwei -Jahren von Massai geraubt worden; diese verhandelten sie an eine -Suahelikarawane, mit welcher sie nach Taweta kam. Das Mädchen -hatte — eine Seltenheit bei diesen Rassen — eine unbesiegliche Sehnsucht -nach ihrer Heimat, und da meine Schwester und Miß Ellen, in -Taweta vor uns angelangt, auf Befragen erzählten, sie warteten auf -eine nach dem Kenia ziehende Karawane, so wandte sich jene mit der -flehenden Bitte an die Beiden, sie ihrem gegenwärtigen Herrn abzukaufen -und in ihre Heimat mitzunehmen; dort würden ihre Angehörigen -gern einige schöne Elefantenzähne an ihre Auslösung wenden. Durch -das inständige Flehen des Negermädchens gerührt, bewilligten Klara -und Miß Fox sofort diese Bitte, d. h. sie bezahlten den Herrn, schenkten -der Andorobo die Freiheit und versprachen ihr, sie mitzunehmen. -Dieses, als sehr intelligent und über die Verhältnisse ihres Heimatlandes -wohlunterrichtet sich erweisende Mädchen hatte schon in Miveruni -gehört, wie schlecht die Massai von den Wakikuja sprachen und bei -nächster Gelegenheit seinen Beschützerinnen versichert, daß die Sache -lange nicht so schlimm sei. Massai und Wakikuja seien alte Feinde -und da sie einander demzufolge gegenseitig möglichst viel Übles zufügen, -so glaubten und erzählten sie auch alles erdenkliche Böse über einander. -Wahr wäre allerdings, daß die Wakikuja lieber aus dem Hinterhalt -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -als in offener Feldschlacht kämpften, und so tapfer, als die Massai -seien sie auch nicht; verräterisch und grausam aber wären sie nur gegen -ihre Feinde und wer ihr Vertrauen einmal gewonnen habe, der könne -sich so gut auf sie verlassen, als auf Angehörige irgend eines anderen -Volkes. Die Andorobo zögen den Verkehr mit den Wakikuja dem mit -den Massai sogar weit vor, denn sie seien friedfertiger und nicht so -übermütig wie diese. Der direkte Weg an den Kenia aber führe für -uns über Kikuja, während die Straße über Leikipia wegen des in -weitem Bogen zu umgehenden Aberdargebirges um mindestens 6 Tagereisen -länger wäre. -</p> - -<p> -Da wir keinen Grund hatten, an der Glaubhaftigkeit dieses Berichtes -zu zweifeln, dessen letzten, für uns wichtigsten Teil zudem ein -Blick auf die Karte vollauf bestätigte, so beschlossen wir, es jedenfalls -mit Kikuja zu versuchen. Während also der größere Teil der Expedition -unter Johnstons Führung die Straße nördlich an den Naiwaschasee -weiter verfolgte, schwenkte ich mit 50 Mann und einigem Gepäck bei -dem Grenzorte Ngongo-a-Bagas östlich ab. Meine Absicht war, bloß -Sakemba, als Kennerin von Land und Volk, mitzunehmen und die -zwei Damen bis zu meiner Rückkehr der Obhut Johnstons zu übergeben. -Allein meine Schwester erklärte, mich um keinen Preis zu -verlassen und da das Andorobomädchen nicht mir, sondern den Frauen -gehorchte, überdies aber versicherte, daß für diese schon ganz und gar -nicht an Gefahr zu denken sei, indem zwischen Massai und Wakikuja -seit unvordenklicher Zeit der niemals verletzte Brauch bestehe, die -Weiber gegenseitig selbst mitten im Kriege zu respektieren, eine Versicherung, -die allseitig — auch von den Massai — bekräftigt wurde, -so waren meine Schwester und Miß Ellen mit von der Partie. -</p> - -<p> -Sowie wir die Grenze von Kikuja überschritten, nahmen uns gewaltige -schattige Wälder auf, die jedoch keineswegs „undurchdringlich“ -genannt werden können, vielmehr das Eigentümliche haben, daß sie an -sehr zahlreichen Stellen von breiten Durchschlägen durchschnitten sind, -die geradezu den Eindruck machen, als wären sie von einem geschickten -Gärtner zur Bequemlichkeit und Erquickung Lustwandelnder angelegt. -Die Breite dieser nicht eben schnurgeraden, doch in der Regel eine -bestimmte Richtung einhaltenden Wege schwankt zwischen einem und -sechs Metern; stellenweise erweitern sich dieselben zu umfangreichen -Lichtungen, die jedoch mit den eigentlichen Wegen gemein haben, daß -der Boden mit dem schönsten, dichtesten, kurzen Grase bedeckt ist, und -daß schattige Kühle in ihnen herrscht. Wodurch diese Durchschläge entstanden -sind, war und blieb mir rätselhaft. Seitlich von denselben -giebt es Unterholz zwischen den hochstämmigen Bäumen, stellenweise -sogar sehr dichtes, und wir konnten ganz gut bemerken, daß dunkle -Gestalten zu beiden Seiten uns folgten, jede unserer Bewegungen -<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> -beobachtend und offenbar nicht ganz im Reinen darüber, was sie aus -uns machen sollten. Daß wir aus dem feindlichen Massailande kamen, -mochte wohl Mißtrauen erregen, denn wir waren schon zwei Stunden -lang solcher Art marschiert, ohne daß unsere Begleiter sich hervorwagten. -</p> - -<p> -Dem mußte ein Ende gemacht werden, da irgend ein unvorhergesehener -Zwischenfall leicht zu Mißverständnissen und daraus sich ergebenden -Feindseligkeiten führen konnte; ich fragte daher Sakemba, ob -sie sich getraue, allein unter die Wakikuja zu gehen. „Warum nicht“, -meinte sie, „dabei ist so wenig Gefahr für mich, als wenn ich allein -in die Hütte meiner Eltern träte“. Ich ließ also Halt machen, die -Andorobo schritt furchtlos auf die Büsche zu, hinter denen wir die -Wakikuja wußten und hinter denen sie alsbald verschwand. Nach Verlauf -einer halben Stunde kam sie in Begleitung einiger Wakikujaweiber -zurück, die abgesandt worden waren, die Glaubhaftigkeit von Sakembas -Aussagen zu untersuchen, d. h. zu sehen, ob wir wirklich allesamt bis -auf einige Treiber Weiße seien und ob sich — der sicherste Beweis -unserer friedlichen Absichten — wirklich auch zwei weiße Mädchen -unter uns befänden. Dunkle Gerüchte über uns waren zwar schon bis -zu den Wakikuja gelangt, allein da die feindlichen Massai die Quelle -derselben gewesen, so wußten sie nicht, was sie davon glauben sollten. -Mit der Entsendung der Weiberkommission waren aber die guten Beziehungen -zwischen uns eingeleitet; einige verschwenderisch gespendete -Kostbarkeiten gewannen uns sehr bald die Herzen und das volle Zutrauen -der schwarzen Schönen. Unsere Besucherinnen nahmen sich gar -nicht Zeit, zu den Männern zurückzukehren, sondern winkten und riefen -dieselben herbei, welchem Rufe diese denn auch Folge leisteten, so daß -wir im Handumdrehen von einigen Hundert uns verwundert und noch -immer etwas scheu anglotzender Wakikuja umgeben waren. -</p> - -<p> -Nun trat aber ich, begleitet bloß von einem Dolmetsch mitten -unter sie und fragte, wo ihr Sultan oder ihre Ältesten wären. Sultan -hätten sie keinen, war die Antwort, sie seien unabhängige Männer; -ihre Ältesten dagegen seien anwesend, mitten unter ihnen. „Dann -laßt uns sofort ein Schauri halten, denn ich habe Euch Wichtiges mitzuteilen“. -Der Aufforderung zu einem Schauri kann kein Afrikaner -widerstehen, und so saßen wir denn alsbald im Kreise und ich konnte -mein Anliegen vorbringen. Zunächst berichtete ich von unseren Heldenthaten -bei den Massai und wie wir diese zum Friedenhalten mit uns -sowohl als mit allen unseren Freunden gezwungen, wie nicht minder -von unserer späterhin bethätigten Freigebigkeit. Darauf versicherte ich, -daß wir auch die Wakikuja uns zu Freunden zu machen wünschten, -woraus für sie Ruhe vor den Massai und großer Gewinn von uns -sich ergeben würde. Wir aber verlangten nichts, als freundliche Aufnahme -und ruhigen Durchzug durch ihr Gebiet. Sodann ließ ich -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -einen, für solchen Anlaß bereitgelegten Ballen unterschiedlicher Waren -herbeischaffen, öffnen und erklärte: „Das gehört Euch, damit Ihr Euch -dieser Stunde, in der Ihr uns zum ersten Male gesehen, erinnern -möget. Niemand soll sagen: „„Ich saß bei den weißen Männern und -hielt Schauri mit ihnen und meine Hand blieb leer““.“ -</p> - -<p> -Die Wirkung dieser oratorischen Leistung und mehr noch der ausgebreiteten -Geschenke ließ nichts zu wünschen übrig. Wegen Verteilung -der Letzteren entstand zwar eine ausgiebige Balgerei unter unseren zukünftigen -Freunden, als aber diese glücklich ohne ernsten Unfall vorüber -war, ging es an Beteuerungen überschwänglicher Zärtlichkeit und Dienstbeflissenheit -uns gegenüber. Zunächst wurden wir eingeladen, ihre sehr -geschickt in den Dickungen des Waldes versteckten Hütten mit unserer -Gegenwart zu beehren, eine Aufforderung, der wir bereitwilligst Folge -leisteten, vorsichtshalber aber doch darauf achteten, in einer möglichst -dominierenden Position und nicht all zu sehr zerstreut einquartiert zu -werden. Auch sorgte ich dafür, daß unausgesetzt einige von unseren -Leuten in unauffälliger Weise Wache standen. Das Gepäck ließ ich -unter der Obhut von vier riesigen Doggen, die wir mitgenommen hatten. -Im übrigen erwies sich der eine Teil dieser Vorsichtsmaßregeln als -überflüssig; Niemand führte Böses gegen uns im Schilde und auch die -in den ersten Stunden noch immer hervortretende Ängstlichkeit der -Wakikuja machte rasch vollkommenster Zutraulichkeit Platz, wobei — -nebenbei bemerkt — die Weiber in sehr entschiedener Weise vorangingen. -Dagegen zeigte sich die Bewachung der Waren als höchst ersprießlich, -wie uns alsbald das verzweifelte Zeter- und Hülfegeschrei eines Wakikujajünglings -bewies, der unsere Ballen, unbewacht wähnend, sich mit einem -Messer an einen derselben herangeschlichen hatte, dabei aber von einer -der Doggen kunstgerecht gestellt worden war. Wir befreiten den zu Tode -Erschrockenen, im übrigen jedoch gänzlich Unverletzten, aus den Fängen -des gewaltigen Tieres und hatten fernerhin auch kein Attentat auf unsere -Güter zu besorgen. -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen forderten wir unsere Gastfreunde auf, uns -noch einige Tagmärsche weit in das Innere ihres Landes in der Richtung -nach dem Kenia hin zu begleiten und dabei ihre Stammesgenossen, soweit -sie diese in so kurzer Zeit mit einer Botschaft erreichen könnten, -zu einem Schauri mit uns zu laden, da wir einen festen Freundschaftsbund -vereinbaren wollten. Dem wurde bereitwilligst entsprochen und -so zogen wir denn in Gesellschaft mehrerer Hundert Wakikuja noch zwei -Tage lang durch den herrlichen Wald, in welchem die Mannigfaltigkeit -und Pracht der Flora mit jener der Fauna wetteiferte. Unsere Verpflegung -besorgten dabei die Wakikuja ohne Bezahlung für irgend etwas -zu nehmen in wahrhaft verschwenderischer Weise. Wir schwammen -förmlich in Milch, Honig, Butter, allerlei Fleisch- und Geflügelsorten, -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -Mtamakuchen, Bananen, süßen Kartoffeln, Yams und einer großen Auswahl -sehr wohlschmeckender Früchte. Dabei wunderten wir uns, von -wo dieser unerschöpfliche Überfluß insbesondere an Feldfrüchten wohl -stammen möge, denn in den Lichtungen der Wälder, die wir bis nun -durchzogen hatten, wurde neben Viehzucht zwar auch Feldbau betrieben, -aber sichtlich doch nur nebenbei. Am Ende des zweiten Tagmarsches -aber wurde uns das Rätsel gelöst, denn sowie wir den „Guaso Amboni“ -genannten, nach dem indischen Ocean hin abfallenden recht ansehnlichen -Fluß erreicht hatten, dehnte sich ein unabsehbares Hochplateau -vor uns, das, soweit unser Auge reichen konnte, den Charakter eines -offenen Parklandes trug, in welchem, insbesondere am Saume des von -uns soeben verlassenen Waldlandes, alle Anzeichen eines sehr intensiven -Feldbaues zu bemerken waren. Von hier bezieht offenbar Kikuja -seinen unerschöpflichen Körnerreichtum. Ganz fern im Norden dieses -Plateaus sahen wir eine mächtige Gebirgsgruppe blauen, in der Luftlinie -wohl 80 bis 90 Kilometer entlegen, die unsere Führer und -Sakemba als den Gebirgsstock des Kenia bezeichneten. Man könne von -hier aus, so versicherten sie, bei klarem Himmel auch den Schneegipfel -des Hauptberges sehen; derzeit aber sei er in jenen Wolken dort -verborgen. -</p> - -<p> -Hier lag es also vor uns, das Ziel unserer Wanderung, und -mächtige Rührung ergriff uns Alle, als wir, wenn auch vorläufig nur -aus weiter Ferne, die zukünftige Heimat zum ersten male erschauten. -Der Keniagipfel aber blieb unsichtbar in Wolken gehüllt während der -zwei Tage unseres Aufenthaltes an der Ostlisière des Kikujawaldes. -Wir machten dort in einem entzückenden Haine riesiger Brotbäume Halt, -wo gastfreie Wakikuja uns ihre Hütten einräumten. Der Ort heißt -Semba und war als Versammlungsplatz für das große Schauri verabredet -worden. Wir fanden denn auch eine große Zahl Eingeborener -bereits versammelt und am nächsten Tage wurde Alles zu größter beiderseitiger -Zufriedenheit zwischen uns geordnet und festgemacht, so daß wir -schon am 16. Juni den Rückmarsch antreten konnten, den wir jedoch nicht -über Ngongo, sondern, einen Nebenfluß des Amboni bis zu dessen nahe -an 2200 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Quellgebiet verfolgend -und dann vom Rande der Kikujatafelberge jäh hinabsteigend, direkt auf -den Naiwascha zu nahmen. Diesen erreichten wir am 19. Abends zwar -etwas erschöpft, aber wohlbehalten und in köstlichster Stimmung. Wir -hatten die Sicherheit erlangt, den Kenia um eine gute Woche rascher -erreichen zu können, als auf dem ursprünglich in Aussicht genommenen -Wege über Leikipia möglich gewesen wäre. -</p> - -<p> -Am Naiwascha — einem von malerischen Bergzügen, deren höchste -Gipfel sich zu 2800 Meter erheben, umsäumten schönen See von ungefähr -80 Quadratkilometer Flächenraum, dessen charakteristische Eigenschaft -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -ein fabelhafter Reichtum an Federwild aller Art ist, hatte inzwischen -Johnston umfassende Vorkehrungen zu dem großen Friedens- und -Freudenfeste getroffen, das wir den Massai zu geben gedachten. Die -Botschaft, daß sie von nun ab auch die Wakikuja als in den Kreis -unserer Freunde gehörig zu betrachten hätten, wurde zwar von den -El-Moran mit gemischten Gefühlen entgegengenommen; indessen fügten -sie sich doch ohne Murren und bei dem nun folgenden Feste, an welchem -auch 50 mit uns angelangte angesehene Wakikuja teilnahmen, wurden -die neugeknüpften Freundschaftsbande zwischen den Beiden etwas inniger -gestaltet. -</p> - -<p> -Dieses Fest aber bestand aus einer zweitägigen großen Schmauserei, -bei welcher wir nicht weniger als 6000 Gäste — Weiber und Kinder -ungerechnet — mit riesigen Quantitäten Fleisch, Backwerk, Früchten und -Punsch bewirteten, und dessen Glanzpunkt ein splendides Feuerwerk war. -150 fette Stierkälber, 260 verschiedene Antilopen, 25 Giraffen, unzählbares -Federwild, und gar nicht zu übersehende Mengen von Vegetabilien -wurden in diesen zwei Tagen vertilgt, der Punsch aber in 160 -je 30 Liter fassenden Töpfen gebraut, die im Durchschnitt nicht weniger -als viermal frisch gefüllt werden mußten. Nichtsdestoweniger kostete -uns diese kolossale Gastfreundschaft — vom Feuerwerke abgesehen — -fast gar nichts. Denn die Rinder waren Geschenke — und zwar nur -ein Teil der uns von zahlreichen Stämmen als Zeichen dankbarer -Wertschätzung dargebrachten — das Wild hatten wir natürlich nicht -gekauft, sondern geschossen, und die Vegetabilien waren hier an der -Grenze von Kikuja so billig, daß man die Preise eigentlich nur nominelle -nennen konnte; was dagegen den Punsch anlangt, dessen wichtigster -Bestandteil bekanntlich Rum ist, ein Saft, der in Massai- und Kikujaland -— glücklicherweise — nicht heimisch ist, so hatten unsere Techniker -auch diesen dadurch verschafft, ohne unsere ohnehin zur Neige gehenden -mitgebrachten Vorräte anzugreifen, daß sie denselben an Ort und Stelle -brannten. Unter den mitgenommenen Maschinen und Geräten befand -sich nämlich auch eine Destillierblase. Diese wurde ausgepackt, wildwachsendes -Zuckerrohr war in Menge vorhanden und so gab es alsbald -Rum in Fülle. Nur wurde dafür Sorge getragen, daß diese Prozedur -nicht etwa von den Eingeborenen erlauscht und späterhin nachgeahmt -werde, denn die Rumflasche — diese Pest der Negerländer — wollten -wir nicht unter unseren Nachbarn einbürgern. Den Punsch, den wir -ihnen servierten, erhielten sie zwar heiß, aber anständig verdünnt, etwa -10 Teile Wasser auf einen Teil Rum, was übrigens nicht hinderte, -daß während der zwei Festtage 18 Hektoliter dieses edlen Nasses in den -improvisierten Bowlen verschwanden. Der Jubel, insbesondere während -des Feuerwerkes, war unbeschreiblich, und als wir vollends, nachdem -ein Trompetentusch Stillschweigen geboten hatte, durch stimmkräftige -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -Herolde ausrufen ließen, das Volk der Massai sei von nun an <em>alljährlich</em> -für den 19. und 20. Juni hier an dieser Stelle von uns zu -Gaste geladen, wären wir aus purer Begeisterung beinahe in Stücke -gerissen worden. -</p> - -<p> -Den 21. Juni weihten wir der Erholung von den Strapazen des -Festes und der Ordnung des Gepäcks; am 22. wurde der Marsch nach -Kikuja angetreten. Da wir mit den Lasttieren den von mir auf dem -Rückwege gewählten Pfad über die steilen Abhänge der das Naiwaschathal -umsäumenden Berge vermeiden wollten, kehrten wir vorerst nach -Ngongo-a-Bagas zurück, welches am 24. erreicht wurde. Von hier aus -beschlossen wir eine Eilbotenverbindung mit dem Meere herzustellen, -damit die Nachricht von unserem Eintreffen am Ziele, dem wir binnen -wenigen Tagen entgegensahen, so rasch als möglich nach Mombas und -von da an den Ausschuß der Internationalen freien Gesellschaft gelangen -könne. Von Mombas nach Ngongo hatten unsere Ingenieure -802 Kilometer verzeichnet; wir rechneten nun, daß unsere arabischen -Hengste, wenn ihnen immer bloß je eine eintägige Anstrengung zugemutet -würde, während eines solchen Tages bequem 100 Kilometer, -demnach in 8 Etappen den ganzen Weg in 8 Tagen zurücklegen könnten. -Es wurden also 16 unserer besten Reiter mit 24 der ausdauerndsten -Renner zurückbeordert; diese Kuriere erhielten die Anweisung, sich zu -zweien und zweien in Distanzen von circa 100 Kilometern — wo böse -Wegestrecken sind, etwas weniger, wo der Weg leicht ist, etwas mehr — -zu verteilen. An Gepäck bekamen sie nebst Waffen und Munition bloß -so viel europäische Bedarfsartikel und Tauschwaren auf den Weg, als -die 8 überzähligen Pferde, die zugleich als Reserve dienen sollten, leicht -zu tragen vermochten. Im übrigen konnten wir uns jetzt darauf verlassen, -daß sie überall, wo sie längs der von uns durchzogenen Straße -auf Eingeborene stoßen, mit offenen Armen aufgenommen und reichlich -verpflegt werden würden. Der gleiche Etappendienst wurde selbstverständlich -auch zwischen Ngongo und dem Kenia eingerichtet; da diese -Wegestrecke 193 Kilometer maß, so genügten hier zwei Etappen, so daß -ihrer im ganzen zehn waren; dabei wurde also vorausgesetzt, daß eine -Nachricht vom Kenia nach Mombas in zehn Tagen gelangen werde — -was sich denn auch als richtig erwies. -</p> - -<p> -Der Marsch durch das Waldland von Kikuja, der am 25. Juni -angetreten wurde, vollzog sich ohne jeden Zwischenfall. Als wir zeitlich -am Morgen des 27. in das offene Land eintraten, umfing uns zuerst -dichter Nebel, der von uns Kaukasiern bloß insofern unangenehm empfunden -wurde, als er uns jegliche Aussicht benahm, unsere Suahelileute -dagegen, die eine Temperatur von 12 Grad Celsius, verbunden -mit Feuchtigkeit noch niemals erlebt hatten, zum Zähneklappern brachte. -Für die Nordländer und insbesondere für die Gebirgsbewohner unter -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -unter uns hatten die wallenden, vom Dufte balsamischer Bäume und -Sträucher durchtränkten Nebelmassen sogar etwas anheimelndes. Da -— es war gegen 8 Uhr — erhob sich plötzlich eine von Norden her -wehende leichte warme Brise, mit zauberhafter Schnelle teilten sich die -Nebel, und vor uns lag im strahlenden Glanze des sieghaften Tagesgestirnes -eine Landschaft, deren überwältigende Großartigkeit jeder Beschreibung -spottet. Hinter uns und seitlich zu unserer Linken der -wundervolle Wald, den wir erst kürzlich verlassen; unmittelbar vor uns -ein sanft abfallendes Gelände, in welchem smaragdne Wiesen mit dunkeln -Bananenhainen und kleinen Flecken wogender Saat abwechselten. -Der Boden überall mit leuchtenden Blumen bedeckt, deren süßen Duft -uns die laue Brise in berauschender Fülle entgegentrieb; kleine Gruppen -hoher Palmen, einzelne riesenhaft sich ausbreitende Feigen, Platanen, -Sykomoren da und dort zerstreut, und all das belebt von zahlreichen -Herden des verschiedensten Wildes. Hier tummelt sich übermütig eine -Schar von Zebras, dort weiden ruhig einige Giraffen zwischen zierlichen -Antilopen; links jagen sich grunzend zwei ungeschlachte Nashörner, ein -Rudel von 20 Elefanten zieht einige tausend Meter von uns dem -Walde zu, und in noch größerer Ferne trottet eine nach Hunderten -zählende Herde Büffel dem gleichen Ziele entgegen. -</p> - -<p> -Unabsehbar dehnt sich dieses herrliche Land nach Ost und Südost, -durchschnitten von einem breiten Silberbande, dem Guaso Amboni, der -etwa 8 Kilometer vor uns und vielleicht 100 Meter tiefer gelegen als -unser Standplatz, seine Fluten nach Osten trägt und soweit wir es -übersehen können, mindestens ein Dutzend von Quellbächen von beiden -Seiten der ihn einfassenden Abdachung aufnimmt. Die von der Südseite -— auf welcher wir uns befinden — entsprungen aus dem Kikujawalde, -sind die kleineren; die von der Nordseite sind unvergleichlich -wasserreicher und mächtiger, denn ihr Quellland ist der Kenia. Und -dieser Riese unter den Bergen Afrikas, dessen Massiv ein Areale von -reichlich 2000 Quadratkilometern deckt, und dessen Gipfel nahezu 6000 -Meter hoch gen Himmel ragt, zeigt sich jetzt zum ersten Male unseren -trunkenen Blicken, ein trotz der Entfernung von gut 80 Kilometern in -der Luftlinie sich vom tiefdunkeln Firmament scharf abhebendes riesiges -Eisfeld und darüber hinausragend zwei krystallklare Spitzen. -</p> - -<p> -Selbst unsere Suahelis, die sonst Naturschönheiten gegenüber stumpf -sind, brechen bei diesem Anblicke in betäubendes Jubelgeschrei aus; wir -Weißen aber stehen in Entzücken versunken, drücken uns stumm die -Hände und gar Mancher wischt verstohlen eine Thräne aus dem Auge. -Das Land der Verheißung liegt vor uns, schöner, herrlicher, als wir -zu träumen gewagt, die Wiege einer beglückenden Zukunft für uns und, -wenn unser Hoffen und Wollen nicht eitel ist, noch für die spätesten -Geschlechter. -</p> - -<p> -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -Von da ab war’s, als ob unsere Füße und die unserer Tiere -Flügel bekommen hätten. Die reine, erquickende Luft dieses schönen -Tafellandes, erfrischt durch die vom Kenia kommenden Winde, der angenehme -Weg auf weichem kurzem Grase und die vortreffliche leichte -Verpflegung ermöglichten uns bisher unerreichte Marschleistungen. Am -Abend des 27. überschritten wir die Ostgrenze von Kikuja, wo wir -uns reichlich verproviantieren mußten, weil von da ab gänzlich unbewohntes -Gebiet begann, durchstreift bloß von wandernden Andorobo. -Das Land glich, so weit das Auge reichte, einem Garten, aber der -Mensch hatte noch nicht Besitz ergriffen von diesem Paradiese. Den -28. und die größere Hälfte des 29. zogen wir dahin durch blumige -Wiesen und malerische Wäldchen, über murmelnde Bäche und ansehnliche -Flüsse; aber Giraffen, Elefanten, Nashörner, Büffel, Zebras, Antilopen -und Strauße, an den Flußufern Nilpferde und Flamingos waren -die einzigen lebenden Wesen, denen wir begegneten. Die meisten dieser -Tiere waren so wenig scheu, daß sie unserem Zuge kaum auswichen, ja -einige übermütige Zebras begleiteten uns unter Kapriolen und herausforderndem -Gewieher eine Strecke weit. Am Nachmittag des 29. betraten -wir den gewaltigen, in unabsehbarer Linie vor uns sich dehnenden -Hochwald, durch dessen dichtes Unterholz die Axt unserer Pioniere uns -Bahn hauen mußte. Das Terrain, schon seit zwei Tagen, seitdem wir -nämlich den Amboni überschritten hatten, allmählich ansteigend, wurde -jetzt steiler; wir waren am Fuße der Keniaberge angelangt. Die Waldzone -erwies sich jedoch als ein bloßer Gürtel von verhältnismäßig geringer -Breite, jenseits dessen wir schon am Vormittag des 30. wieder -offenes welliges Vorland betraten. Als wir den Rücken einer der vor -uns gelagerten Erhöhungen erreicht hatten, lag vor uns, fast mit -Händen zu greifen, der Kenia in der ganzen eisigen Pracht seiner -Gletscherwelt. -</p> - -<p> -Wir waren am Ziele! -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-5"> -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -5. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Am Morgen nach unserer Ankunft am Kenia war meine erste -Sorge — denn von da ab überging die Leitung der Expedition in -meine Hände — das ausführliche, die bisherigen Ereignisse schildernde -Tagebuch und einen kurzen Schlußbericht an unsere Freunde in Europa -zu expedieren. Ich erklärte in diesem Berichte, daß wir dafür einstehen -könnten, bis zur nächsten Ernte, d. i. also nach afrikanischem Kalender -bis Ende Oktober dieses Jahres, alles zum Empfange von vielen Tausenden -unserer Brüder vorbereitet zu haben; ebenso könnten wir versprechen, -von Mombas zum Kenia einen für langsam fahrendes Fuhrwerk -vollkommen geeigneten Weg bis längstens Ende September fertig -zu stellen und Zugochsen in genügender Zahl herbeizuschaffen. Ich -forderte die Gesellschaftsleitung auf, ihrerseits den rechtzeitigen Bau -geeigneter und genügender Wagen zu veranlassen und machte mich anheischig, -jede beliebige, uns rechtzeitig angekündete Zahl einwandernder -Mitglieder, vom 1. Oktober angefangen, gefahrlos und so bequem, als -angesichts der gebotenen Transportmittel nur immer möglich, in die -neue Heimat zu befördern. Zum Schlusse bat ich um sofortige Nachsendung -einiger hundert Zentner verschiedener Waren in Begleitung -einer neuen Schar kräftiger junger Mitglieder. -</p> - -<p> -Die zwei Kuriere mit dieser Depesche — die Kuriere hatten nämlich -überall zu zweien zu reisen — ritten am 1. Juli vor Morgengrauen -ab; pünktlich am 10. Juli war die Depesche in Mombas, am 11. in -Zanzibar, am selben Tage noch hatte der Ausschuß meinen ihm von -Zanzibar telegraphisch durch unseren Bevollmächtigten weiterbeförderten -Bericht in Händen, während er das per Postschiff gehende Tagebuch -allerdings erst zwanzig Tage später erhielt; noch am Abend des gleichen -Tages war die Rückantwort in Zanzibar und am 22. Juli schon konnte -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -ich dieselbe den gleich mir über dieses erste Lebenszeichen von den fernen -Freunden seltsam bewegten Brüdern vorlesen. Sie war sehr kurz: -„Dank für hocherfreuliche Nachricht; Mitgliederzahl derzeit 10000 überschritten; -Wagen für je 10 Personen und 20 Zentner Last nach Bedarf -bestellt; werden von Ende September ab successive in Mombas eintreffen; -260 Reiter mit 300 Tragtieren und 800 Zentner Waren gehen -Ende Juli ab. Bitten um möglichst häufige Nachricht.“ Letzterem -Wunsche war inzwischen meinerseits schon entsprochen worden, denn -nicht weniger als fünf fernere Depeschen hatte ich zwischen dem 6. und -21. Juli expediert. Was dieselben enthielten, wird sich am besten aus -dem weiteren Laufe der Erzählung über unsere Erlebnisse und Arbeiten -ergeben. Und zwar sind von da ab zweierlei Vorgänge zu unterscheiden: -Kulturarbeiten zur Installierung der neuen Heimat am Kenia, -und Vorkehrungen behufs Sicherstellung und Erleichterung des Verkehrs -mit der Küste. -</p> - -<p> -Unser Lager hatten wir am Abend des letzten Juni am Ufer eines -ansehnlichen Flusses aufgeschlagen, des wasserreichsten, den wir bisher -getroffen. Die Breite desselben betrug 30 bis 40 Meter, seine Tiefe -schwankte zwischen 1 und 3 Metern. Seine Fluten waren klar und -kühl, sein Gefäll jedoch ein auffallend mäßiges. Er durchströmte von -Nordwest nach Südost ein muldenartig sanft eingebuchtetes Plateau von -nahezu 30 Kilometer Länge, welches sich halbmondförmig an die Vorberge -des Kenia schmiegte; dessen größte Breite in der Mitte betrug -14 Kilometer, während es sich am Westende bis auf 1½, am Ostende -bis auf 4 Kilometer verengte. Diese etwa 260 Quadratkilometer bedeckende -Mulde war durchweg saftiges Grasland, bestanden von zahlreichen -kleinen Palmen-, Bananen- und Sykomorenhainen. Begrenzt -war dieselbe im Süden von den grasbedeckten Hügeln, die wir überschritten -hatten, im Westen von schroffen Felswänden, im Norden teils -von dunkeln Waldbergen, teils gleichfalls von kahlen, himmelanstrebenden -Felsen, welche die Aussicht nach dem hinter ihnen liegenden Kenia-Massiv -benahmen; im Osten zeigte sich zwischen den Hügeln des Südens -und den Felsen des Nordrandes eine Lücke, durch welche der Fluß -seinen Abzug fand, und zwar, wie von dorther trotz der großen Entfernung -herübertönendes Donnern und Brausen anzeigte, in Form eines -mächtigen Wasserfalls, der sich als ein solcher von 95 Metern Fallhöhe -ergab. Seinen westlichen Eintritt in das Plateau fand dieser Fluß, -der sich späterhin als der Oberlauf des an der Wituküste in den indischen -Ozean mündenden Dana erwies, durch ein enges Felsenthor, durch -welches wir vorerst nicht weiter vorzudringen vermochten. Vom Norden -her, den Abhängen der Keniavorberge entlang, eilten dem Dana vier -größere und zahlreiche kleinere Bäche zu, die während ihres Laufes -über die Felsenschroffen eine Menge mehr oder minder malerischer -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -Kaskaden bildeten. Die Seehöhe dieses, einem großen Tierparke gleichenden -Plateaus war, an seinem tiefsten Punkte, dem Spiegel des Flusses -gemessen, 1740 Meter. -</p> - -<p> -Noch während wir uns mit der näheren Untersuchung dieser Hochebene -beschäftigten, sandte ich mehrere Expeditionen aus mit der Aufgabe, -möglichst tief in das Keniagebirge einzudringen, um von beherrschenden -Höhen aus genauen Einblick in die Gestaltung und Beschaffenheit -des vor uns liegenden Gebietes zu erlangen. Denn so -ausnehmend uns allen auch die Landschaft gefiel, in deren Mitte wir -lagerten, so wollte ich mich doch nicht entschließen, den Grundstein zu -unserer ersten Ansiedelung zu legen, bevor ich zum mindesten oberflächlichen -Überblick über das Gesamtgebiet des Kenia gewonnen hätte. Die -Auskünfte, die uns diesbezüglich Sakemba erteilen konnte, erwiesen sich -als dürftig und ungenügend. Wir waren daher sehr erfreut, als sich -acht Eingeborene, die wir als Andorobo erkannten, vor unserem Lager -zeigten. Sie hatten in der vorigen Nacht unsere Lagerfeuer bemerkt -und wollten nun sehen, wer wir seien. Sakemba, die ihnen entgegenging, -machte sie rasch zutraulich und nun hatten wir ortskundige Führer, -wie wir sie nur wünschen konnten. Was wir zunächst von ihnen verlangten, -war ihnen mit Hilfe Sakembas bald begreiflich gemacht, acht -verschiedene Expeditionen unter Führung je eines Andorobo zogen aus -und kehrten — die erste schon am Abend des nächsten Tages, die letzte -erst nach Verlauf von sieben Tagen, mit ziemlich erschöpfenden Berichten -zurück. -</p> - -<p> -Dem Gipfel des Kenia war keine auch nur nahe gekommen. Dagegen -hatten sie von verschiedenen leichter zugänglichen Punkten des -Hauptstockes, zum Teil aus Höhen von nahezu 5000 Metern, großartige -Rundsichten erlangt. Danach war die offenste, für Viehzucht und -Ackerbau günstigste Seite des Kenia gerade diejenige, von welcher wir -uns genaht hatten. Auch im Osten und Norden dehnte sich anscheinend -sehr fruchtbares Vorland, doch war dasselbe im Osten recht monoton, -ohne jene nicht bloß malerische, sondern auch mannigfache praktische -Vorteile bietende Abwechselung von offenem Land und Wald, Hügel -und Ebene, die wir im Süden getroffen; das Land im Norden hinwieder -schien zu feucht; im Westen dehnten sich endlose, nur von wenig -offenem Land unterbrochene Wälder. All das konnte späterhin ohne -Zweifel in üppiges Kulturland umgewandelt werden; vorläufig aber war -selbstverständlich bereits kulturfähiger Boden vorzuziehen. Das Innere -der Gebirgswelt vor uns erfüllten hohe Waldberge und Felsen, durchkreuzt -von zahllosen Thälern und Schluchten. Diese Vorberge treten -von allen Seiten nahe an das schroff emporsteigende Hauptmassiv des -Kenia heran; nur im Südwesten, etwa fünf Kilometer entfernt vom -Westende unseres Plateaus, treten die Vorberge zurück, den Raum -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -freilassend für eine ausgedehnte offene Thalmulde, in deren Mitte auch -ein See sich befindet, dessen Abfluß der Dana ist. Den Flächeninhalt -dieses Thales schätzten unsere Kundschafter auf ungefähr 150 Quadratkilometer -und alle stimmten darin überein, daß es sehr fruchtbar und -seiner Lage nach ein wahres Wunder an Schönheit wäre. Zugänglich -aber sei dieses Thal am besten durch die Schlucht, aus welcher der -Dana hervorbreche, nur müsse dieselbe, so lange geeignete Wasserfahrzeuge -fehlen, nicht unmittelbar von unserem Plateau aus, sondern auf -dem Umwege über ein südlich einmündendes kleines Seitenthal betreten -werden. -</p> - -<p> -Diese Nachricht empfing ich am 3. Juli. Am nächsten Tage schon -war ich, ohne die Rückkehr zweier noch fehlender Expeditionen abzuwarten, -unterwegs nach diesem vielgepriesenen Seethale. Der bezeichnete -und in der That sehr praktikabel sich erweisende Weg führte von -unserem Lagerplatze zunächst an das Westende des Plateaus, dann südlich -ausbiegend und einen kleinen felsigen Waldberg umgehend, zu einem -nach Nordosten ziehenden engen Thale, welches seinerseits in die vom -Dana durchflossene Schlucht mündete, die jedoch hier weder so eng, -noch so ungangbar war, wie beim Austritte in die Hochebene. Diese -Schlucht aufwärts verfolgend, standen wir nach einer Stunde plötzlich -inmitten des gesuchten Thales. -</p> - -<p> -Der Anblick, der sich uns hier bot, war geradezu unbeschreiblich. -Man denke sich ein 18 Kilometer langes, an seiner breitesten Stelle 12 -Kilometer messendes, mit beinahe geometrischer Regelmäßigkeit aufgebautes -Amphitheater, dessen Halbkreis durch einen Kranz sanft aufsteigender, -100 bis 150 Meter hoher Waldhügel, dessen Grundlinie dagegen -durch die jäh und schroff sich emportürmenden Felswände des -Kenia gebildet wird, von deren Höhe, die Wolken überragend, die -schneeigen Firnen herniederleuchten. Den Boden dieses majestätischen -Amphitheaters deckt auf der einen, dem Kenia zugewandten Seite, ein -tiefblauer, klarer See, zur anderen ein blumiges Park- und Wiesenland. -Das Publikum, welches diese Arena füllt, sind zahllose Elefanten, -Giraffen, Zebras, Antilopen; und das Stück, welches in demselben zur -Aufführung gelangt, betitelt sich: Die Kaskaden des Keniagletschers. -Hoch oben, in unerreichbarer Höhe, entspringen unter dem Kuß der -glühenden Sonne zahllose Wasseradern den bläulich und grünlich -strahlenden Eisklüften; schäumend und funkelnd, bald zerstäubt in alle -Farben des Regenbogens, bald vereint in weißlichem Glaste, eilen sie -hernieder, stets kräftiger anwachsend, stets unbändiger tobend, bis endlich -der gesamte Schwall sich vereinigt zu <em>einem</em> mächtigen Flusse, der -nun mit donnerndem Tosen, das bei günstiger Windrichtung selbst da -unten, in einer Entfernung von gut 10 Kilometern, deutlich zu hören -ist, seiner Gletscherheimat enteilt und den Felsschroffen zustürmt; dort -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -angelangt aber stürzt die ganze kolossale Wassermasse, dieselbe, die -wenige Kilometer weiter den Dana bildet, 500 Meter tief jäh herab, -in Atome zerstäubend, zu einer Regenbogenwolke umgestaltet. Der Fluß -ist urplötzlich in den Lüften verschwunden, vergebens sucht dein Auge -die Fortsetzung seines Laufes auf den schwarz gleißenden Klippen; erst -500 Meter weiter unten sammeln sich die fallenden Nebelmassen wieder -zu fließendem Wasser, um von da ab in kleineren Absätzen dumpf -brausend und grollend dem See auf gewundenen Umwegen zuzueilen. -</p> - -<p> -In sprachloses Entzücken versunken standen wir lange vor diesem -Naturwunder sonder gleichen, dessen unsägliche Majestät und Schönheit -Worte nicht schildern können. Gierig sog das Auge die Flut von Licht -und Farbenglanz, gierig das Ohr den aus märchenhafter Höhe herabklingenden -Ton der Wässer, gierig die Brust das duftgeschwängerte Labsal -ein, welches als Atmosphäre dieses Zauberthal durchfächelt. Zuerst -fand das Weib in unserer Mitte, Ellen Fox, wieder Worte. Einer -verzückten Seherin gleich hatte sie lange dem Spiel der Wässer zugeschaut; -da rief sie plötzlich, als ein stärkerer Windhauch den Nebelschleier -des Wasserfalles, der soeben noch einen schillernden, schwertähnlich -geschwungenen Streifen gebildet hatte, vollends verwehte: „Seht -hin, das Flammenschwert des Erzengels, welches den Eingang zum -Paradiese bewacht hat, ist bei unserem Erscheinen zerstäubt; „Eden“ -laßt uns diesen Ort nennen!“ -</p> - -<p> -Daß dieses Thal — der Name Eden wurde für dasselbe einhellig -acceptiert — unser zukünftiger Wohnort sein müsse, stand bei uns allen -sofort fest. Eine nähere Untersuchung desselben ergab, daß dessen Gesamtfläche -160 Quadratkilometer betrug. Davon entfallen auf den, in -Form einer langgestreckten Ellipse unter dem Keniaabhange sich ausdehnenden -See 35, auf den die Höhen umsäumenden Wald 40 Kilometer; -95 Kilometer sind offenes Parkland, welches den See bis auf -einige Stellen, wo die Keniafelsen unmittelbar in ihn abfallen, rings -umgiebt, im Nordosten, dem Kenia zu, in schmalen Streifen, auf den -anderen drei Seiten in einer Breite von 1 bis 7 Kilometern. Der -den Abfluß des Keniagletschers bildende Dana mündet am Nordwestende -des Sees in diesen und verläßt ihn am Südostende. Seine Wasser, -schon vor ihrem Eintritt in den See nicht so kalt, als man nach ihrem -Ursprunge unmittelbar aus dem Gletscher da oben vermuten sollte, erwärmen -sich hier mit merkwürdiger Raschheit; die Temperatur des Sees -erreicht an heißen Tagen bis zu 24 Grad Celsius. Außer dem Dana -münden in den Edensee noch mehrere Quellen, die teils den Keniaklippen, -teils den <a id="corr-14"></a>Abhängen der seitlich und gegenüber gelagerten Berge entspringen. -Wir zählten deren nicht weniger als elf, darunter eine heiße, -deren Temperatur 52 Grad Celsius betrug. -</p> - -<p> -Daß wir in den vier Tagen bis zur Entdeckung von Edenthal -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -nicht müßig gewesen, versteht sich von selbst. Zunächst hatten sich schon -am 1. Juli, wenige Stunden nach den mit den ersten Depeschen entsandten -Kurieren, die zur Herstellung geregelter Verbindung mit Mombas -bestimmten Expeditionen auf den Weg gemacht. Es waren deren zwei; die eine -unter Leitung Demestres’ und dreier anderer Ingenieure, sollte die Straße -bauen, die andere unter Leitung Johnstons, das erforderliche Zugvieh — dessen -Menge einstweilen auf 5000 Stück Ochsen präliminiert war — auftreiben -und die Verproviantierung längs der ganzen Wegstrecke sicherstellen. -Ersterer wurden 20 unserer Mitglieder und 200 unserer Suahelileute -nebst einem Train von 50 Tragtieren mitgegeben; Johnston bekam -bloß 10 der Unseren, 20 Tragtiere und 10 Schäferhunde mit. -Wie diese Expeditionen ihre Aufgabe lösten, davon später. -</p> - -<p> -Bei mir am Kenia blieben, da ich bis nun insgesamt 53 der -Unseren, 200 Suahelis und 131 Reit- und Tragtiere entsendet hatte, -von letzteren überdies auf dem Marsche 9 zugrunde gegangen waren, -149 Weiße, 80 Suahelis und 475 Tiere — die Hunde und Elefanten -ungerechnet. Außerdem waren uns aber einige hundert Wakikuja gefolgt, -die sich bereitwilligst zu beliebigen Dienstleistungen erboten. Von -diesen behielt ich 150 der anstelligsten zurück, die anderen sandte ich — -begleitet von fünf der Unserigen — noch am 1. Juli in ihre Heimat, -mit dem Auftrage, 300 kräftige Zugochsen, 150 Kühe, 400 Schlachtochsen -und einige tausend Zentner verschiedener Sämereien und Nahrungsmittel -einzukaufen und successive an den Kenia zu befördern. Nachdem -ich dies erledigt, verteilte und übergab ich die mannigfaltigen Arbeiten, -die uns nun zunächst zu beschäftigen hatten, sachverständigen Händen. -Einer unserer Techniker erhielt die Feldschmiede und Schlosserei, ein -anderer die Sägemühle zugewiesen — dazu selbstverständlich die entsprechenden -Arbeitskräfte; zum Holzfällen war eine besondere Sektion -bestimmt, eine andere sollte die landwirtschaftlichen Geräte in Stand -setzen und ergänzen. Einer der am Kenia zurückgebliebenen Ingenieure -hatte mit 100 Schwarzen die Herstellung geeigneter Kommunikationen -in dem zu besiedelnden Gebiete, insbesondere den Bau von Brücken -über den Dana zu bewerkstelligen. -</p> - -<p> -Am 5. Juli fand die Übersiedelung in das Edenthal statt. Das -Terrain wurde genau vermessen und zuvörderst rings um den See die -zukünftige Stadt abgesteckt, mit ihren Straßen und Plätzen, öffentlichen -Gebäuden und Belustigungsorten. Dieser — zunächst allerdings bloß -in unserem Geiste existierenden Stadt — reservierten wir vorerst einen -Raum für 25000 Familienhäuser, deren jedem auch ein ansehnliches -Gärtchen zugedacht war, was insgesamt 35 Quadratkilometer beanspruchte. -Außerhalb dieses Bauareals — das späterhin nach Bedarf -beliebig ausgedehnt werden mochte — wurden 1000 Hektaren als -vorläufiger Ackergrund ausgesucht; sie erhielten ein Netz kleiner Bewässerungskanäle -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -und sollten so bald als möglich eingefriedigt werden, -zum Schutze gegen die Invasion des zahllos umherschwärmenden Wildes, -wie nicht minder unserer Haustiere, die bei Nacht in einem -starken Pferch untergebracht, bei Tag dagegen, sofern man ihrer nicht -bedurfte, unter der Hut einiger Suaheli und der Hunde im Freien -weideten. -</p> - -<p> -Inzwischen hatte die Sägemühle, die wir nicht mit nach Eden genommen, -sondern am Danaplateau belassen und dort unter Benutzung -der Wasserkraft eines der vom Gebirge herniederrauschenden Bäche hart -am Flusse errichtet hatten, ihre Arbeit begonnen. Die ersten Bretter -und Pfosten, welche sie lieferte, wurden zur Erbauung zweier größerer -Flachboote benutzt, auf denen dann sofort der Transport des gewonnenen -Bauholzes den Fluß aufwärts nach dem Edensee begann. Wenige -Wochen später erhoben sich an dessen Ufern vierzig geräumige Holzbaracken, -in welche nun wir Weiße aus den bisher bewohnten engen Lagerzelten -übersiedelten; die Neger zogen es vor, in den Grashütten zu -bleiben, die sie sich unter dem Schutze eines Wäldchens errichtet. Gleichzeitig -bekam das Vieh seinen Pferch, der hoch und stark genug war, um -jeder vierfüßigen Invasion unübersteigliche Schranken zu ziehen. Dieser -Pferch bot Raum für ungefähr zweitausend Tiere und war überdies -mit einem gedeckten Raume versehen, der bei Regenwetter Schutz -gewährte. -</p> - -<p> -Schon am 9. Juli hatten unsere Schmiede, Wagner und Zimmerleute -zehn von den mitgebrachten Pflugscharen zu Pflügen ergänzt; -gleichzeitig war aus Kikuja der erste Viehtransport — 120 Ochsen und -50 Kühe samt 200 Schafen und zahllosem Geflügel eingetroffen. Sofort -wurden unter Anleitung unserer Ackerbauer Pflügeversuche gemacht. -Die Kikujaochsen sträubten sich zwar ein wenig gegen das Joch und -auch das Gehen in der Ackerfurche leuchtete ihnen anfangs nicht ein; -binnen drei Tagen aber hatten wir sie doch so weit, daß sich mit ihnen, -zu achten vor den Pflug gespannt, leidlich ackern ließ. Dieser Kraftaufwand -war notwendig, da der schwarze, fette Boden, gebunden überdies -durch die üppige Grasnarbe, sich außerordentlich schwer aufbrechen -ließ. Jedes Ochsenpaar mußte zwar anfangs seinen eigenen Treiber -haben und die Ackerfurchen liefen trotzdem nicht so schnurgerade, wie -von civilisierten Ochsen gefordert wird; aber umgebrochen wurde der -Boden doch und binnen verhältnismäßig kurzer Zeit hatten die Tiere -weg, worauf es bei ihrer Arbeit ankam und leisteten dieselbe von da -ab zur vollsten Zufriedenheit. Am 15. Juli kamen mit Hilfe inzwischen -neu angelangter Ochsen fünfzehn fernere Pflüge in Verwendung, ebensoviel -am 20. Mit diesen vierzig Pflügen waren bis zu Ende des -Monats 300 Hektaren gepflügt, die sodann geeggt und gewalzt, soweit -der Vorrat reichte mit unseren mitgebrachten Sämereien — hauptsächlich -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -Weizen und Gerste, zu reichlich drei Vierteilen dagegen mit afrikanischem -Weizen und Mtamakorn bestellt, und schließlich wieder eingewalzt -wurden. In der zweiten Augusthälfte war diese Arbeit gethan, -kurze Zeit darauf das ganze Ackerareal eingehegt, und wir konnten getrost -der nun beginnenden kleinen Regenzeit entgegensehen. -</p> - -<p> -Inzwischen war auch ein — vorläufig bloß 10 Hektare umfassender -— Garten angelegt worden, etwas entfernter vom Weichbilde der -zukünftigen Stadt als das Ackerland, denn während letzteres bei dem -zu gewärtigenden Wachstume der Stadt leicht weiter hinaus verlegt -werden konnte, mußte für den Garten ein möglichst dauernder Standort -gesucht werden, also ein solcher, der außerhalb des Weges der -zukünftigen städtischen Entwickelung lag. Da wir nicht weniger als -achtzehn geschickte Gärtner besaßen und diesen Suaheli und Wakikuja -als Gehilfen nach Bedarf an die Hand gegeben wurden, so gelang es, -binnen wenigen Monaten die ganzen 10 Hektaren mit den erlesensten -Obst- und Beerenarten, Gemüsen, Blumen, kurzum mit Nutz- und -Zierpflanzen aller Art zu besetzen, die wir teils aus der alten Heimat -herübergebracht, teils unterwegs vorgefunden und mitgenommen, teils -am Kenia und in dessen Umgebung angetroffen hatten. Auch der -Garten wurde mit einem Netze kleiner Bewässerungskanäle versehen und -durch einen starken hohen Zaun gegen unliebsame Besuche gesichert. -</p> - -<p> -Die Bestellung der Felder, Gartenbau und Jagd hatten nicht alle -uns zur Verfügung stehenden Kräfte absorbiert. Es waren gleichzeitig -mehrere praktikable Fahrwege rings um den Edensee, längs des Flusses -bis zum Ostende des Plateaus und von diesem Hauptstrange aus abzweigend -nach mehreren anderen Richtungen unseres Gebietes hergestellt -worden. Man darf sich darunter keine Kunststraßen vorstellen, es waren -eben Feldwege, die jedoch die Beförderung ganz ansehnlicher Lasten -ohne sonderliche Kraftverschwendung ermöglichten. Der Dana wurde -an drei Stellen für Fuhrwerk und an zwei anderen für Fußgänger -überbrückt; sonst waren nur an zwei kurzen Strecken Kunstbauten erforderlich -gewesen: am Ende der Schlucht, die den Dana aus Edenthal -nach dem großen Plateau führt, und an einer der in den See abfallenden -Keniaklippen. An diesen beiden Orten mußten mehrere Kubikmeter -Felsen weggesprengt werden, damit am Ufer Raum für einen -Weg geschaffen werde. -</p> - -<p> -Da inzwischen auch Wagnerei und Feldschmiede nicht stille gestanden -hatten, so waren gleichzeitig mit den Wegen auch mehrere tüchtige -Wagen und Karren fertig geworden, die alsbald nützliche Verwendung -fanden. -</p> - -<p> -Größere Arbeit beanspruchte die Herstellung der Mahlmühle. Dieselbe -wurde mit zehn kompleten Mahlgängen am Oberlaufe des Dana, -einen Kilometer vor dessen Einfluß in den Edensee, errichtet. Diese -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -Stelle wurde aus dem Grunde gewählt, weil dicht oberhalb derselben -eine große Stromschnelle ist, von da ab jedoch der Dana jenes ruhige, -geringe Gefälle hat, das erst am großen Wasserfall, am Ostende des -Plateaus, unterbrochen ist. Wir hatten also durch das ganze vorläufig -okkupierte Gebiet hindurch eine vortreffliche Wasserstraße zur Mühle -und konnten für dieselbe trotzdem den raschen Lauf des oberen Dana -ausnützen. Die komplicierteren, feineren Bestandteile dieser Mühle -hatten wir aus Europa mitgebracht; die Räder, Wellen und die zehn -Mühlsteine dagegen erzeugten wir uns selber. Auch diese Mühle war -— vorläufig zwar nur aus Holz und Fachwerk erbaut — Ende -September fertig, allerdings schon mit Hilfe jenes Nachschubs der -Unseren, der während der ersten Hälfte des gleichen Monats in zwei -Kolonnen zu uns gestoßen war. -</p> - -<p> -Ich habe bereits erzählt, daß ich sofort nach unserem Eintreffen -am Kenia neue Vorräte und eine Schar neuer Pioniere vom Ausschusse -verlangt und daß dieser den mit Ende des Monats Juli erfolgenden -Abgang einer Expedition von 260 Reitern und 800 Zentner Waren -auf 300 Tieren angezeigt hatte. Diese Expedition traf am 16. August -in Mombas ein; hier teilte sie sich in zwei Gruppen; die eine, die -besten, unternehmungslustigsten 145 Reiter enthaltend, machte sich schon -am 18. August mit bloß 50 sehr leicht bepackten Handpferden — die -300 Tragtiere waren, nebenbei bemerkt, sämtlich Pferde — auf den -Weg, ohne, von einem Dolmetscher abgesehen, auch nur einen einzigen -Eingeborenen mitzunehmen; sie verließ sich beinahe gänzlich auf die -Aushülfe von seiten unserer unterwegs beschäftigten Wegbauer und der -uns freundlich gesinnten Bevölkerung, nicht zum mindesten aber auf -ihren Entschluß, alle etwa zu gewärtigenden Entbehrungen und Strapazen -ohne Murren zu ertragen. Ein Gewaltritt von zwanzig Tagen -mit bloß eintägiger Unterbrechung in Taweta brachte diese Wackeren -am 9. September in unsere Mitte. Fünf Pferde waren den Anstrengungen -erlegen, sieben andere mußten unterwegs marod zurückgelassen -werden; sie selber aber trafen sämtlich bis auf einen, der bei -einem Sturze das Bein gebrochen und unter guter Pflege in Miveruni -geblieben war, zwar etwas erschöpft, im übrigen aber in bester Verfassung -ein und beteiligten sich schon zwei Tage später rüstig an unseren -Arbeiten. Die 115 anderen folgten mit 250 Lastpferden, zu denen sie -100 Suaheli-Treiber aufgenommen hatten, erst zehn Tage später. Die -größere Hälfte der mitgenommenen Waren hatten sie unterwegs an -Johnston abgegeben, auf den sie in Useri gestoßen waren und der -darauf schon sehnsüchtig gewartet hatte. Die an den Kenia gebrachten -neuen Vorräte — in allem etwas über 300 Zentner — enthielten auch -mancherlei Werkzeuge und Maschinen; diese und mehr noch der ansehnliche -Kräftezuwachs beflügelten unsere Kulturarbeiten in nicht geringem Maße. -</p> - -<p> -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -Die Mahlmühle wurde — wie schon erzählt — noch Ende -September fertig. Sie fand sofort vollauf Beschäftigung. Zwar unsere -eigene Ernte war noch nicht eingebracht; aber von den Wakikuja hatten -wir inzwischen allmählich 10000 Zentner verschiedener Getreidearten -gekauft und in Speichern am Seeufer eingelagert, zu denen die Sägemühle -reichlich Baumaterial geliefert hatte. Bis Ende Oktober waren -diese 10000 Zentner zu Mehl vermahlen; selbst wenn wir eine Mißernte -hatten, brauchten die ersten paar Tausend fernerer Ankömmlinge -nicht Hunger zu leiden. -</p> - -<p> -Wir hatten aber keine Fehlernte, vielmehr brachte uns, wenige -Wochen nach Beginn der mit dem Oktober anhebenden heißen Jahreszeit, -der üppige, durch unser Bewässerungsnetz mit reichlicher Feuchtigkeit -regelmäßig versehene Boden einen Segen, der aller europäischen -Vorstellungen spottet. Hundertzwanzigfache Frucht gab im Durchschnitt -jedes gesäete Korn; wir ernteten von unseren 300 Hektaren 42000 Zentner -verschiedener Getreidearten, denn nicht in einzelnen mageren Ähren, -sondern in dichten, mächtigen Ährenbüscheln endete jeglicher Halm, der -europäische Weizen und unsere Gerste nicht minder als die afrikanischen -Sorten. Bei Bergung dieses Segens kam uns besonders zu statten, -daß schon gegen Ende August auch eine Maschinenschlosserei einige hundert -Meter oberhalb der Mahlmühle eingerichtet worden war, die alsbald -unter Benutzung von Wasserkraft zu <a id="corr-17"></a>arbeiten begann und teils -aus mitgebrachten Bestandteilen, hauptsächlich aber aus selbsterzeugten -Materialien einige Erntemaschinen und zwei mit Pferdegöpel zu treibende -Dreschmaschinen geliefert hatte. -</p> - -<p> -Zu solcher Leistung aber war diese Werkstätte befähigt, weil unsere -Geologen neben anderen wertvollen mineralischen Schätzen auch Eisen -und Kohle auf unserem Gebiete entdeckt hatten. Die Kohle lag in -einem der Keniavorberge auf dem Danaplateau, drei Kilometer vom -Flusse; das Eisen in einem der Vorberge, die der Dana in seinem -Oberlauf durchschneidet, zwei Kilometer oberhalb des Edenthals. Die -Kohle war mittelguter Anthracit, das Eisenerz vortrefflicher, 40prozentiger -Manganeisenstein. Es wurde in der Nähe des Eisenfundortes sofort -ein Schmelz- und Raffinierofen und ein Hammerwerk errichtet, provisorisch -und primitiv, aber doch genügend, um ganz brauchbares Guß- und -Schmiedeeisen zu liefern, das uns in unseren Ausführungen sofort -unabhängig machte von den aus Europa mitgebrachten Vorräten. Nun -erst besaßen wir eine, wenn auch kleine, so doch auf eigenen Füßen -stehende Maschinenindustrie, und diese setzte uns in den Stand, die -unverhofft reiche Ernte binnen wenigen Wochen einzuheimsen und -zu verarbeiten. -</p> - -<p> -Ein fernerer Gebrauch, den wir sofort von unserer gesteigerten -Leistungsfähigkeit machten, war die Errichtung zweier neuer Sägemühlen -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -und einer Bierbrauerei. Die Sägemühlen brauchten wir, um für die -stetig anschwellende Menge der angekündigten Ankömmlinge bequeme -Unterkunft zu schaffen, die Brauerei sollte dazu dienen, sie durch einen -Willkommentrunk des von den meisten sicherlich schwer entbehrten -heimischen Getränks zu überraschen. Sowie die Gerste geschnitten und -gedroschen war, ging’s ans Malzen; den Hopfen hatten unsere Gärtner -an den Hängen der Kenia-Vorberge in sehr annehmbarer Güte gezogen, -und bald füllten zahlreiche Fässer des edlen Getränkes einen unter -Benutzung natürlicher Höhlungen angelegten kühlen Felsenkeller. -</p> - -<p> -Als der Oktober seinem Ende entgegenging, durften wir mit -Beruhigung und Genugthuung auf unsere viermonatliche Thätigkeit im -Keniagebiete zurückblicken. Sechshundert nette Blockhäuser für ebensoviel -Familien harrten ihrer Bewohner; 50000 Zentner Getreide und Mehl, -reiche Vorräte an Schlacht- und Zugvieh, Baumaterialien und Werkzeuge -zur Unterbringung und Ausrüstung vieler Tausende waren aufgespeichert. -Der Garten hatte sich nicht minder schön entwickelt und -seine köstlichen Gaben waren teilweise schon zum Genusse bereit. Zwar -hier genügte unsere eigene Produktion vorläufig noch nicht zur Deckung -des voraussichtlichen Bedarfes; aber dem ließ sich, wie bisher, durch -den sich stets lebhafter gestaltenden Tauschverkehr mit den Wakikuja -abhelfen. Diesen hatten wir regelmäßig einmal in der Woche einen -Markt in Edenthal veranstaltet, welchen sie jedesmal zu vielen Hunderten -beschickten, ihre Waren auf Ochsenkarren mit sich führend, deren -Gebrauch wir ihnen beigebracht und durch Herstellung des inzwischen -durch unsere Ingenieure vollendeten, ihr Land durchziehenden Weges -auch praktisch ermöglicht hatten. Seitdem wir unsere Eisenhütten besaßen, -suchten die Wakikuja bei uns vornehmlich Eisen, entweder roh -oder in Form von allerlei Werkzeugen. Dafür brachten sie uns anfangs -Vieh und Vegetabilien, dann, als wir deren vorläufig nicht mehr -bedurften, hauptsächlich Elfenbein, von welchem wir, teils durch diesen -Handel, teils durch die Andorobo, teils durch das Ergebnis unserer -eigenen Jagden successive schon 140000 Kilogramm aufgespeichert hatten. -Denn Elfenbein ist hier wohlfeil wie Brombeeren; für unser Schmiedeeisen -geben uns die Wakikuja und Andorobo mit Vergnügen das doppelte -Gewicht jenes im Abendlande so geschätzten Materials, und jedes eiserne -Werkzeug, es sei nun Hammer, Nagel oder Messer, wird mit dem -zehn- bis zwanzigfachen Elfenbeingewichte aufgewogen. Der ganze -Kostenbetrag unserer Expedition war also schon nahezu in Elfenbein -bezahlt; das Vieh und die Vorräte, die Werkzeuge und Maschinen — -vom Lande gar nicht zu reden — gingen gratis drein. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-6"> -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -6. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Während wir am Kenia solcherart damit beschäftigt waren, den -aus der alten Welt erwarteten Brüdern das neue Heim behaglich -einzurichten, arbeiteten unsere Genossen unter Demestres und Johnstons -Führung nicht minder erfolgreich an den ihnen zugeteilten Aufgaben. -</p> - -<p> -Die Herstellung der Wege innerhalb des eigentlichen Keniagebietes -ging Demestre nichts an; sein Geschäft begann erst am Saume der die -Keniaregion umgürtenden großen Wälder. Von hier bis zur Grenze -zwischen Kikuja und Massailand bei Ngongo übergab er die Ausführung -des Werkes dem Ingenieur Frank, einem Amerikaner; die zweite -Sektion von Ngongo bis Masimani im Massailande, mittwegs -zwischen Ngongo und Taweta, erhielt der Ingenieur Möllendorf, ein -Deutscher, die dritte Sektion, Masimani-Taweta, Lermanoff, wie sein -Name verrät, ein Russe; die letzte und schwierigste Sektion, Taweta-Mombas -zwei der bösesten Einöden enthaltend, behielt sich Demestre -selber vor. Jeder der vier Sektionen waren 5 Weiße zugeteilt; seine -200 Suahelis, verstärkt durch die doppelte Zahl auf dem Marsche -durch ihr Land angeworbener Wakikuja, wies Demestre den beiden -ersten Sektionen zu, und zwar der ersten in Kikujaland 50 Suaheli -und 300 Wakikuja, der zweiten in Massai-Land 150 Suaheli und -100 Wakikuja. Die dritte Sektion wurde von Taweta aus organisiert; -dahin ritt Lermanoff mit einem Begleiter unter Benützung unserer -Kurieretappen vom Kenia binnen 6 Tagen, engagierte in Taweta, wo -sich stets Suahelikarawanen finden, 100 Suahelileute, in Useri und -Dschagga 250 der dortigen Eingeborenen und begann, nachdem inzwischen -auch seine anderen vier Begleiter eingetroffen waren und auch die ihm -wie jeder Sektion, zugeteilten Packpferde mitgebracht hatten, schon am -15. Juli von Taweta und Useri zugleich die Arbeiten. Demestre dagegen -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -ritt, gleichfalls unter Benutzung der Kurieretappen, in einer nur von -Nachtruhen unterbrochenen Tour zuerst nach Teita, warb dort 400 -Wateita an, die er unter Leitung eines seiner Begleiter sofort -die Strecke Teita-Taweta in Angriff nehmen ließ, eilte dann -weiter nach Mombas und brachte es zuwege, schon am 20. Juli mit -500 Küstenleuten auf der schwierigsten Strecke, Mombas-Teita, die -Arbeiten zu beginnen. -</p> - -<p> -Diese Arbeiten waren überall dreifacher Art. Zunächst mußten -an den wasserarmen Stellen, deren es auf den unteren Sektionen -mehrere gab, insbesondere aber in den Wüsten von Duruma, Teita -und Ngiri, Brunnen, und wo sich kein Grundwasser fand, Cisternen -gegraben werden, ergiebig genug, um nicht nur die Arbeiter während -der Bauzeit, sondern späterhin Menschen und Vieh der durchziehenden -Karawanen ausreichend mit Wasser zu versorgen. Da es im äquatorialen -Afrika zu allen Jahreszeiten heftige Regengüsse giebt, die in den sogenannten -trockenen Zeiten eben nur um vieles seltener sind, als in der -sogenannten Regenzeit, so war nicht zu besorgen, daß große Cisternen, -denen das Regenwasser aus genügend weitem Umkreise zufloß, selbst in -den heißen Monaten erschöpft werden könnten; nur mußten diese Cisternen -sowohl gegen den unmittelbaren Sonnenbrand als auch gegen Schmutz -geschützt werden. Ersteres geschah durch Eindeckung und Überdachung, -letzteres durch Einfriedigung der Cisternen sowie dadurch, daß das Regenwasser, -bevor es in die Gruben gelangen konnte, durch eine mehrere -Meter mächtige Sand- und Schotterschicht hindurchgeleitet wurde. -Die natürlichen, jedoch in Zeiten anhaltender Dürre austrocknenden -Wasserlöcher, die sich in allen Einöden vorfanden, zeigten die -Stellen an, wo diese Cisternen am praktischesten anzulegen seien, denn -es waren das selbstverständlich die tiefsten Punkte, nach denen zu das -Regenwasser seinen natürlichen Abfluß nahm. Die bedeutendsten dieser -Wasserlöcher brauchten blos entsprechend vertieft, gegen Verdunstung des -ihnen zuströmenden Wassers geschützt und mit den oben erwähnten natürlichen -Filtern umgeben zu werden, und die Cisternen waren fertig. -Von diesen wurden in den verschiedenen Sektionen 25 gegraben, mit -einer Tiefe von 8 bis 15 und mit einem Durchmesser von 2 bis 8 -Metern. Gewöhnliche Brunnen mit Grundwasser wurden 39 hergestellt. -An jedem dieser künstlichen Wasserbehälter ward zur Überwachung gegen -Verunreinigung ein Wächter angesiedelt. -</p> - -<p> -In zweiter Reihe kamen die eigentlichen Wegbauten. Im allgemeinen -wurde dabei die schon beim Zuge von Mombas aufwärts -hergestellte Straße benutzt, bloß von Hindernissen etwas sorgfältiger -befreit und wo sie durch den Busch gehauen werden mußte, um mehr -als das Doppelte erweitert. An einzelnen Stellen jedoch, insbesondere -wo steilere Höhen zu überschreiten waren, mußte eine neue, minder jäh -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -ansteigende Trace gesucht werden. Daß auch einige Brücken zu bauen -waren, bedarf wohl keiner Erwähnung. -</p> - -<p> -Der dritte Teil der Arbeit bestand in der Herstellung von primitiven -Unterkunftshäusern für Menschen und Vieh an geeigneten Orten. -Speise- und Schlafräume für einige Hundert Menschen, Pferche für -zahlreiche Rinder und Magazine für Lebensmittel wurden in Abständen -von 12 bis 20 Kilometern, im ganzen 65 an der Zahl errichtet. -</p> - -<p> -Alle diese Arbeiten waren auf der Strecke Mombas-Teita Ende -September, auf allen anderen Sektionen 14 Tage später vollendet. Die -aufgenommenen Arbeiter wurden jedoch nicht entlassen, da ein Teil derselben -zur Überwachung und Instandhaltung des Weges und der Baulichkeiten, -ein anderer Teil dagegen zu Zwecken des Transportdienstes -auf der neugeschaffenen Strecke Verwendung fand. Der Kostenaufwand -für das wahrlich nicht kleine Werk betrug 14500 Pfd. Sterling, zur -Hälfte in Löhnen, zur Hälfte in Subsistenzmitteln für die Arbeiter; zu -bezahlendes Baumaterial gab es nicht. -</p> - -<p> -In der gleichen Zeit vollbrachte Johnston den Einkauf des zum -Transporte erforderlichen Zugviehes und die Organisation des Verpflegwesens -der Karawane. Seine Massai-Freunde verschafften ihm -binnen wenigen Wochen die ursprünglich bestellten 5000 Rinder, aus -denen schließlich, da die Zahl der zu transportierenden Mitglieder sich -in jeder neuen, vom Ausschusse der freien Gesellschaft anlangenden Depesche -größer und größer angegeben fand, nicht weniger als 9000 -wurden. Ein Rind stellte sich auf durchschnittlich etwas über 8 Schill. -(Mark), wobei jedoch reichlich die Hälfte auf die Nebenspesen entfiel; der -nackte Einkaufspreis betrug im Durchschnitt nicht einmal ganze 4 Schilling -per Stück. -</p> - -<p> -Den Transportdienst organisierte Johnston in der Weise, daß von -Mombas täglich 25 Wagen abgehen und unterwegs auf jeder der 65 -Stationen frische Zugochsen finden sollten. In Edenthal angelangt, hatten -dann die Wagen wieder umzukehren, um von den Ochsengespannen -Etappe um Etappe zurückbefördert zu werden. Im Sinne dieser ebenso -einfachen als praktischen Anordnung durchliefen also alle Wagen einen -ununterbrochenen Kreislauf von Mombas nach dem Kenia und von dort -wieder nach Mombas, während die Zugochsen in gleichen Abteilungen -immer bloß zwischen je zwei benachbarten Stationen hin und her wanderten. -Es konnten solcher Art täglich 250 Personen befördert werden, -und um die sämtlichen, vom Ausschusse signalisierten 20000 Mitglieder -aufzunehmen, waren 80 Tage erforderlich, es sei denn, daß ein Teil -derselben den Weg zu Pferde zurücklegte. -</p> - -<p> -Die in England, Amerika und Deutschland konstruierten Wagen -trafen rechtzeitig in Mombas ein. Sie waren in jeder Beziehung -Musterbilder sinnreicher Konstruktion, solid und im Verhältnis zu ihrer -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -Größe doch leicht gebaut, eine Menge von Bequemlichkeiten bietend und -doch einfach. 10 Personen fanden in jedem derselben bei Tag gute -Sitzplätze, bei Nacht ein erträgliches Lager. Eine höchst einfache Vorrichtung -ermöglichte eine derartige Veränderung in der Anordnung der -Sitze, daß <em>unter</em> denselben für 6, <em>auf</em> denselben für 4 andere Personen -genügender Raum zum Liegen gewonnen wurde. Solide Federn -milderten die Stöße des Gefährtes, ein bewegliches Lederdach bot im -Bedarfsfalle Deckung gegen Regen wie Sonnenbrand, und die — des -Nachts zur Lagerstätte dienenden — Matratzen waren tagsüber derart -unterhalb des Lederdaches angeschnallt, daß dieses doppelten Schutz gegen -die Sonnenhitze gewährte. Auch für die Unterbringung des Gepäcks -war in sehr praktischer Weise gesorgt. -</p> - -<p> -Am 30. September langte das erste Schiff mit 900 Mitgliedern -an — und zwar war dasselbe gleich allen folgenden Eigentum der Gesellschaft. -In der Voraussicht, daß der Zuzug von Einwanderern sobald -nicht aufhören, ja wahrscheinlich stetig zunehmen werde, und von -der Absicht geleitet, diese Einwanderung soweit nur irgend möglich in -eigener Hand zu behalten, hatte sie 12 große, schnellfahrende Dampfer -von durchschnittlich 3500 Tonnen Tragkraft angekauft und ihren Zwecken -entsprechend umgestalten lassen. Klassenunterschiede gab es auf den -Schiffen der Gesellschaft nicht; es wurde von Niemand Bezahlung genommen, -weder für den Transport noch für die Verpflegung auf der -ganzen Reise, dafür mußte sich auch Jedermann mit dem gleichen, allerdings -nicht geringen, Ausmaße von Komfort begnügen. Auf Deck waren -große Speise- und Gesellschaftsräume, unter Deck zwar kleine, aber für -jede Familie gesonderte, bequem ausgestattete und durchweg ausgezeichnet -ventilierte Schlafkabinen. Die Aufnahme geschah in der Reihenfolge -der Beitrittserklärungen zur Gesellschaft; die älteren Mitglieder hatten -die Priorität. Natürlich blieb es jedermann freigestellt, die Seereise -auch auf fremden Schiffen zu machen, ohne dadurch in Mombas seines -Platzes in der Reihe der zu Befördernden verlustig zu werden. -</p> - -<p> -In Mombas angelangt, stand es Jedermann frei, die Weiterreise -zu Pferd oder zu Wagen zu wählen. Die Reiter ihrerseits konnten -entweder die Wagenkarawanen begleiten oder in beliebig eingeteilten -Märschen voraneilen; nur der jeweilige Vorrat an Pferden zum Wechseln -in den 65 Stationen mußte beachtet werden; doch war thunlichst -dafür gesorgt, daß der erforderliche Pferdebestand nirgends ausging. -Die Fahrenden hatten gleichfalls die Wahl, ob sie ununterbrochen Tag -und Nacht, bloß mit den zum Wechseln der Gespanne nötigen Pausen, -oder bedächtiger, unter Einhaltung beliebig ausgedehnter Mittags- oder -Nachtstationen sich fortbewegen wollten. Ersterenfalls konnten sie bei -günstigem Wetter in 14 Tagen, ja sogar rascher in Edenthal anlangen, -letzterenfalls waren dazu 20 Tage und darüber erforderlich. -</p> - -<p> -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -Alle getroffenen Anordnungen bewähren sich aufs vollständigste. -Nirgends gab es Aufenthalt, die Verpflegung ließ nichts zu wünschen -übrig; eine Massaieskorte, die Johnston in der Stärke von 10 Mann -für jede Station organisiert hatte, sorgte während der Nachtreisen für -Sicherheit gegen wilde Tiere, hatte überhaupt als Beistand in etwaigen -Verlegenheiten zu dienen, und 4 aus der Mitte der Unseren entsendete -Kommissare mit dem Sitze in Teita, Tawete, Miveruni und Ngongo -überwachten das Ganze. Die Eingeborenen kamen den ersten Wagenzügen -mit staunendem Jubel, Allen aber mit größter Freundlichkeit und -Dienstbeflissenheit entgegen. Insbesondere die Wataweta, der Sultan -von Useri und die Massaistämme ließen es sich nicht nehmen, unsere -Reisenden mit den Beweisen ihrer Verehrung und Liebe für die „am -großen Berge angesiedelten“ weißen Brüder zu überhäufen. -</p> - -<p> -Die ersten neuen Ankömmlinge — unter ihnen unser geliebter -Meister — trafen am 14. Oktober in Edenthal ein; ihnen folgten in -ununterbrochener Reihe stets neue und neue Scharen. Doch bevor über -die damit anhebende neue Ära der Geschichte unseres Unternehmens -berichtet wird, mag noch kurz erzählt werden, was in der letzten Zeit -am Kenia geschah. -</p> - -<p> -Zunächst ist zu erwähnen, daß noch im Monat August eine zahlreiche -Gesandtschaft von Massaistämmen aus Leikipia — das ist das -Land nordwestlich von Kenia — und aus den Distrikten nördlich vom -Naiwascha- bis zum Baringosee in Edenthal eingetroffen war, uns Gruß -und Freundschaft entbietend und die Bitte an uns richtend, sie in den -mit den anderen Massai abgeschlossenen Bundesvertrag mit aufzunehmen. -Die Gewährung dieser sehr beweglich und nicht ohne einige Empfindlichkeit -vorgetragenen Bitte legte uns nun allerdings erhebliche neue Lasten -auf; trotzdem besann ich mich keinen Augenblick, dieselbe zu gewähren -und alle Mitglieder stimmten mir einhellig zu. Denn mit dem Opfer -von einigen tausend Pfd. Sterling jährlich war die vollständige Pacifizierung -des streitbarsten und zweifellos tüchtigsten unter allen Volksstämmen -der ganzen Äquatorialzone wahrlich nicht zu teuer erkauft. -Wir hatten nunmehr genügende Sicherheit, allmählich wachsende Kultur -in diesen bisher von unaufhörlichen Fehden und Raubzügen heimgesuchten -Gegenden einziehen zu sehen, stets brauchbarere Genossen -unseres großen Werkes in den schwarzen und braunen Eingeborenen zu -erziehen, und indem wir sie lehrten, Wohlstand und Überfluß für sich -selber zu erzeugen, die Quellen unseres eigenen Wohlstandes zu vermehren. -Ich hielt also den braunen Recken eine sehr schmeichelhafte -Lobrede, erklärte mich gerührt über die an den Tag gelegte gute Gesinnung -und versprach behufs Ausfertigung des Vertrages, wie nicht -minder, um sie zu ehren, demnächst eine Gesandtschaft an sie zu senden. -Reich beschenkt wurden die, übrigens auch ihrerseits nicht mit leeren -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -Händen erschienenen Massai — sie hatten 100 erlesene Rinder und -200 fettschwänzige Schafe als Ehrengabe mitgebracht — entlassen. -Johnston, den ich sofort von dem Vorgefallenen verständigte, übernahm -die Ausführung des gegebenen Versprechens. Daß er sich zu diesem -Behufe aus den Waren der im September am Kenia angelangten -Expedition, auf die er in Miveruni gestoßen, reichlich mit Hülfsmitteln -versorgte, habe ich schon berichtet; als seine Aufgabe an der Etappenstraße -erfüllt war, zog er — zu Anfang des Monats Oktober — an den -Naiwaschasee, von da weiter durch die mächtige, meist überaus fruchtbare -Hochebene von 1800 Meter Seehöhe, die, eingerahmt von -1000-2000 Meter höheren Randbergen, die Hochseen von Massailand -enthält, nämlich außer dem Naiwascha-, dem wunderbaren Elmetaita- -und dem Salzsee von Nakuro noch eine Reihe kleinerer Becken, und -erreichte am 20. Oktober den etwa 200 Quadratkilometer deckenden, in -einer bloß 980 Meter hohen Bodensenkung gelegenen Baringosee, an -der Nordgrenze von Massailand. Von da westlich wieder aufwärts -steigend durchzog er, vorbei an den gewaltigen Thomsonfällen, das wald- -und wasserreiche Leikipia und traf in der zweiten Novemberwoche bei -uns am Kenia ein, nachdem er mit allen unterwegs wohnenden Massaistämmen, -wie nicht minder mit den „Ndemps“ am Baringosee, Bündnisverträge -geschlossen hatte. -</p> - -<p> -In zweiter Linie ist von den erfolgreichen Zähmungsversuchen zu -berichten, die auf Anregung unserer beiden Damen mit mehreren der -am Kenia heimischen Tierarten angestellt wurden. Die Idee hiezu ging -ursprünglich von Miß Fox aus, der dabei in erster Reihe bloß die -Absicht vorschwebte, den Frauen und Kindern der neuen Ankömmlinge -Freude zu bereiten. Für diese Idee gewann sie meine Schwester, eine -große Tierfreundin, und so warben denn die Beiden einige Andorobo -und Wakikuja zunächst dafür, Affen und Papageien zu fangen, deren es -im Edenthal und Umgebung einige sehr reizende Arten gab. Als -die Zähmungsversuche mit diesen Tierchen über Erwarten rasch und -gut gelangen, so daß schon nach Verlauf weniger Wochen die ihrer -Haft entlassenen Gefangenen den Herrinnen freiwillig nachsprangen und -nachflatterten, wuchs Beider Ehrgeiz und die Andorobo erhielten den -Auftrag, einige Exemplare einer besonders niedlichen Antilopenart einzufangen, -die unsere Naturforscher als eine Abart der hauptsächlich in -Westafrika vorkommenden Schopfantilope (<span class="antiqua">Cephalophus rufilatus</span>) bestimmten. -Auch dieser Versuch war von Erfolg begleitet; zwar die alten -Tiere erwiesen sich so scheu und ungeberdig, daß man sie schließlich -laufen ließ; aber mehrere Junge gewöhnten sich überraschend schnell an -ihre Wärterinnen und liefen denselben nach, wie die Hündchen. Diese -Antilopengattung wird nicht größer, als etwa ein mittelgroßes Schaf, -insbesondere die jungen Tiere nehmen sich mit ihren rötlichen Schöpfen -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -überaus putzig aus und geberden sich in allen Stücken wie übermütige -Zicklein. Miß Ellen und meine Schwester hatten bald eine ganze -Menagerie von Antilopen, Äffchen, Papageien um sich versammelt, die -zu Nutz und Frommen der erwarteten Kinderwelt zu allerlei Kunststücken -dressiert wurden. -</p> - -<p> -So standen die Dinge, als einer der indischen Elefantenwärter, -die Miß Ellen mit an den Kenia genommen hatte und die nicht daran -dachten, jemals wieder in ihre Heimat zurückzukehren, seiner „Herrin“ -gegenüber — denn die Inder konnten sich noch nicht daran gewöhnen, -sich als vollkommen unabhängige Männer zu fühlen — die Frage wagte, -ob sie nicht auch ein Elefanten-Baby als Schoßtierchen wünsche? Als -diese bejaht wurde, machte er sich anheischig, eines oder mehrere zu -fangen, falls ihm erlaubt werde, mit den vier Elefanten und ihren -Führern für einige Tage in die Wälder zu ziehen. Da Miß Ellen -ihre Elefanten zum Baudienste hergegeben hatte, wo die intelligenten -Kolosse von geradezu unschätzbarem Nutzen waren, und eines Spielzeugs -halber die Arbeit nicht stören mochte, sagte sie dies dem Inder und -erklärte, auf die Erfüllung ihres Wunsches verzichten oder wenigstens -so lange damit warten zu wollen, bis man die Elefanten bei der Arbeit -leichter entbehren könne. Der Inder ging; aber die Idee, daß seine -geliebte Herrin sich etwas versagen sollte, was ihr — das hatte er sofort -bemerkt — großes Vergnügen bereitet hätte, rüttelte ihn aus seiner -gewohnten fatalistischen Indolenz auf; er grübelte über die Sache zwei -Tage lang und erschien am dritten mit dem Vorschlage, die Zeitversäumnis -der vier Elefanten dadurch gut zu machen, daß er und die -anderen Kornaks nebst dem Elefanten-Jungen auch einige Elefanten-Alte -fangen und zur Arbeit dressieren wollten. „Aber afrikanische Elefanten -lassen sich nicht dressieren, gleich den indischen“, wandte Miß Ellen ein. -Der Inder erlaubte sich, das zu bezweifeln, und seine 7 Kollegen waren -sämtlich der gleichen Meinung. Elefant sei Elefant; sie möchten das -Rüsseltier sehen, das sie nicht binnen wenigen Wochen kirre bekämen, -wenn es erst einmal in ihrer Gewalt wäre. „Wenn dem wirklich so -ist, warum habt Ihr das früher nicht gesagt, da Ihr doch sehen mußtet, -wie gut man hier Elefanten gebrauchen kann?“ forschte die Amerikanerin -weiter, erhielt jedoch darauf bloß ein lakonisches „Weil Du uns nicht -gefragt hast“ zur Antwort. -</p> - -<p> -Miß Ellen wußte sich nicht zu raten; der Gedanke, die Kolonie -von Edenthal mit Herden gezähmter Elefanten zu versehen — denn -wenn sich diese Tiere überhaupt zähmen ließen, dann konnte man hier -ebensogut Tausende als Einen zur Stelle schaffen — ließ sie nicht zur -Ruhe kommen; aber andererseits erinnerte sie sich, in ihrer Naturgeschichte -gelesen zu haben, der afrikanische Elefant sei unzähmbar, und -wir alle, die sie diesfalls befragte, mußten ihr bestätigen, daß es -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -nirgends in Afrika gezähmte Elefanten gebe. Sie wurde über dieses -Problem nachgerade beinahe trübsinnig; sichtlich gelüstete es sie, es auf -einen Versuch ankommen zu lassen; aber die Inder blieben dabei, ohne -Mitwirkung der zahmen keinen wilden Elefanten einbringen zu können, -und erstere in der Zeit dringendster Arbeiten zu problematischen Versuchen -zu verwenden, das zu beantragen, scheute sie sich um so mehr — -als die Elefanten <em>ihr</em> Eigentum waren und sie daher eigentlich nach -Gutdünken über dieselben verfügen konnte. Da kehrte unser Zoologe, -Signor Michaele Faënze, von einem längeren Ausfluge nach dem Kenia-Massiv -zurück und stellte sich, als ihn Miß Fox ins Vertrauen zog, -ohne weiteres auf die Seite der Inder. Zwar auch er gab zu, daß es -thatsächlich keine zahmen afrikanischen Elefanten gebe, behauptete aber -geradezu, dies müsse bloß daran liegen, daß die Afrikaner verlernt -hätten, dies edle Tier dem Menschen dienstbar zu machen. An der -Rasse liege es ganz gewiß nicht, was schon daraus hervorgehe, daß zur -Römerzeit dressierte Elefanten in Afrika gerade so gut bekannt waren, -wie in Asien. Man solle die Inder nur machen lassen; wenn sie ihre -Kunst verstünden, werde ihnen dieselbe hier so gut gelingen wie in -Indien. -</p> - -<p> -Und so geschah’s. Die 8 Kornaks mit ihren 4 Elefanten zogen -in einen der nahen Wälder, und als sie dort, was gar nicht lange -dauerte, eine Herde wilder Elefanten gefunden hatten, machten sie es -mit diesen genau so, wie sie es in ihrer Heimat erlernt hatten. Die -zahmen Elefanten wurden führerlos in die Herde der wilden gelassen, -von denen sie zwar anfangs mit einigem Befremden empfangen, schließlich -aber in aller Freundschaft aufgenommen wurden. Einmal so weit, -machten sich die listigen Tiere zunächst mit dem Führer der Herde, dem -stärksten und schönsten Bullen, zu schaffen, liebkosten ihn, wedelten ihm -die Fliegen weg, fesselten aber dabei mit mitgenommenen starken Stricken -einen seiner Füße an einen starken Baumstamm. Nachdem dies geschehen -war, stießen sie ihren Angstruf — einen scharfen Trompetenton — -aus, als ob sie irgendeine Gefahr bemerkt hätten und stürmten davon, -auf welches Signal hin die Inder unter Geschrei und Flintenschüssen -hervorstürzten, was die ganze Herde veranlaßte, den Zahmen in größter -Eile nachzufolgen. Der arme Gefesselte konnte natürlich nicht mithalten, -so verzweifelt er auch an dem Stricke zerrte, und die Inder -ließen ihn trampeln und trompeten, ohne sich vorläufig um ihn zu -kümmern. Ihre nächste Sorge war, die Spur der enteilten Herde zu -finden. Nach etwa einer Stunde hatten sie sich an diese neuerlich -herangeschlichen, wo inzwischen die vier Zahmen das vorige Spiel mit -einem neuen Opfer wiederholten; auch dieses wurde gefesselt und dann -unter großem Spektakel verlassen. Noch drei weitere Elefanten teilten -im Laufe des Tages dies Schicksal; dann schien die Herde argwöhnisch -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -geworden zu sein, denn die berüsselten Verräter kehrten nach einer Weile -allein zu ihren Treibern zurück. -</p> - -<p> -Nunmehr erst wurde jedem der fünf Gefesselten — unter ihnen -ein Weibchen mit einem etwa einjährigen Jungen in der Größe eines -mittleren Kalbes — ein Besuch abgestattet. Die zahmen Elefanten -gingen ohne weiteres auf die verzweifelt am Stricke Zerrenden los und -banden ihnen die Vorderfüße eng aneinander. Das gelang zwar nicht, -ohne daß die Betrogenen wütenden Widerstand leisteten, aber dieser -wurde in höchst brutaler Weise durch Rüsselschläge und Zahnstöße bewältigt. -Hierauf machten sich die erbarmungslosen Schergen daran, -rings um ihre Opfer alles für Elefantengaumen Genießbare — also -Gras, Büsche und Baumzweige zu entfernen; wo dazu die Rüssel nicht -ausreichten, drängten sie die Gefesselten auf die Seite und ermöglichten -es den Treibern, mit Axt und Beil das Werk zu vollenden. -</p> - -<p> -Als der Abend anbrach, waren alle fünf Gefangenen geknebelt und -jeder Möglichkeit beraubt, sich Nahrung zu verschaffen. Nunmehr -mußten sie aber auch bewacht werden, damit nicht etwa Löwen oder -Leoparden die Gelegenheit wahrnähmen, die wehrlos Gemachten -anzufallen. Am anderen Morgen statteten die zahmen Elefanten -ihren gefesselten Brüdern der Reihe nach Besuche ab, halfen den bei -ihrem nächtlichen Toben Umgefallenen sich aufrichten, was wieder nicht -ohne ausgiebige Prügel und Stöße vollbracht ward und überließen sie -dann abermals ihrem Schicksale. -</p> - -<p> -Das ging so drei Tage hindurch; die armen Gefesselten litten -Hunger und Durst und bekamen, so oft ihre verräterischen Brüder nach -ihnen sahen, jämmerliche Schläge. Am vierten Tage waren sie so -schwach und kleinlaut, daß sie gar nicht mehr tobten, sondern kläglich -brüllten, als sich ihre Peiniger nahten, die aber nichtsdestoweniger -mit Rüsseln und Zähnen über sie herfielen. Da erschien nun den -Mißhandelten ein rettender Engel — in Gestalt des Menschen. -Dieser verjagte zunächst unter drohenden Geberden und einigen schallenden -Schlägen die Schergen von ihrem Opfer und hielt diesem dann ein -Gefäß Wasser hin. Stutzte darauf der wilde Elefant und nahm -sich Zeit, die Sachlage zu überblicken, so war die Tragikomödie aus, -das Tier gebändigt. Denn es acceptierte in diesem Falle nach einigem -Bedenken den gebotenen Trunk, nach diesem einige Nahrungsmittel, -konnte dann gefahrlos vollständig getränkt und gefüttert und unter -Eskorte der zahmen Elefanten zu weiterer Ausbildung heimgeführt -werden. Wurde es dagegen beim Anblicke des Menschen erst recht -rabiat — was allerdings bei dreien von den Fünfen der Fall war — -so mußte mit der Prügel- und Hungerkur so lange fortgefahren werden, -bis der Elefant zu begreifen begann, Erlösung aus seiner Lage könne -hier nur das schreckliche zweibeinige Geschöpf spenden. -</p> - -<p> -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -Schließlich ergab sich jeder der Gefangenen in sein Schicksal. Die -einzige Gefahr dieser Jagd bestand bloß darin, daß der Jäger sich auf -die Sicherheit seines Urteils über den Charakter des Gefesselten verlassen -mußte in dem Augenblicke, wo er ihm zum ersten Male nahte. -Zwar standen die zahmen Elefanten hülfsbereit und aufmerksam dabei; -da jedoch ein einziger Rüsselhieb des gereizten Tieres genügen kann, -einen Menschen zu töten, so gehört immerhin viel Geistesgegenwart -und Mut zu der Sache. Die Inder versicherten übrigens, daß ein -halbwegs an den Umgang mit Elefanten Gewöhnter aus dem Blick -des Tieres ganz zuverlässig auf dessen Absichten schließen könne; man -brauche daher bloß die Vorsicht zu beachten, keinem Gefangenen völlig -nahe zu treten, bevor man in dessen Auge die Ergebung in das Unvermeidliche -gelesen, und es sei überhaupt nichts zu fürchten. -</p> - -<p> -Schon nach sechs Tagen kehrte die Expedition mit ihren fünf Gefangenen -zurück, die zwar noch nicht dressiert und zur Arbeit brauchbar, -aber doch schon insoweit „zahm“ waren, daß sie sich ruhig einsperren, -füttern, tränken und unterrichten ließen. Nach Verlauf fernerer zwei -Wochen waren sie der Hauptsache nach „fertig“, d. h. brauchbar zu -allerlei Arbeiten, insbesondere wenn ihnen einer der Veteranen an die -Seite gegeben wurde. Miß Ellen feierte einen doppelten Triumph: -sie besaß ein herziges Elefantenbaby, das zwar für ein Schoßtierchen -etwas zu plump, aber nichtsdestoweniger das drolligste Wesen war, das -es geben mag und sich rasch zum erklärten Liebling von ganz Edenthal -aufschwang; und sie hatte des ferneren der Gesellschaft eine unerschöpfliche -Quelle sehr schätzbarer Arbeitskraft eröffnet, auf welche ohne sie -niemand geraten wäre. Denn hätte sie sich nicht seinerzeit in den Kopf -gesetzt, die Expedition mitzumachen, so wären wohl schwerlich so rasch -indische Elefanten und Elefantenführer an den Kenia gekommen, und -ohne diese wären die Elefanten Afrikas vielleicht von den Elfenbeinjägern -ausgerottet gewesen, bevor an ihre Zähmung auch nur jemand -gedacht hätte. -</p> - -<p> -Von da ab fuhren wir mit dem Elefantenfange rüstig fort, so daß -binnen kurzem der Elefant das hauptsächlichste <em>Tragtier</em> am Kenia -wurde und überall dort verwendet werden konnte, wo schwere Lasten -auf kurze Entfernungen oder auf Gebieten, die für Wagen unpassierbar -waren, bewältigt werden sollten. -</p> - -<p> -Das so vortrefflich gelungene Experiment mit den Elefanten legte -uns aber auch den Gedanken nahe, es mit der Zähmung anderer Tiere -nicht bloß zu Zwecken der Belustigung, sondern um des Nutzens willen -zu versuchen. Zunächst kam das Zebra an die Reihe und es gelang -auch mit diesem. Zwar die alten Tiere waren unbrauchbar; aber die -Füllen erwiesen sich — wenn sehr jung eingefangen — als leidlich -gelehrig und nicht sonderlich scheu und in den zweiten Generationen -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -unterschieden sich später unsere zahmen Zebras in nichts, als in der -Hautfarbe von den besten Maultieren. Strauß und Giraffe wurden -der Reihe unserer Haustiere angereiht; den größten Triumph aber -feierten unsere Dresseure mit der Zähmung des afrikanischen Büffels. Es -ist das das bösartigste, unbändigste und gefährlichste unter allen afrikanischen -Tieren und dennoch wurde es so vollständig gezähmt, daß es im -Verlaufe der Jahre das gemeine Rind als Zugtier vollständig verdrängte. -Zwar in Freiheit aufgewachsene Bullen waren und blieben -wahre Teufel; doch schon die gefangenen Kühe konnte man wenigstens -so weit bringen, daß sie dem Wärter aus der Hand fraßen, und was -die in Gefangenschaft aufgezogenen Büffel anlangt, so zeigten diese -genau den nämlichen Charakter wie das gewöhnliche Rind. Die Bullen -blieben, insbesondere wenn sie alt wurden, immer etwas unverläßlich, -die Kühe und die verschnittenen Ochsen dagegen waren so sanft und -gelehrig wie nur irgend ein Wiederkäuer. Als Milchkühe wurden sie -bei uns niemals geschätzt, da sie zwar fette, aber nicht reichliche Milch -gaben; als Zugtiere aber waren unsere Büffelochsen unvergleichlich. Es -gibt für diese riesigen Tiere — sie überragen das größte Hausrind um -reichlich ½ Fuß, ihr Nacken hat eine Breite bis zu 2 Fuß und ihre -Hörner lassen sich an der Wurzel mit zwei Händen nicht umspannen -— keine zu schweren Lasten; wo vier gewöhnliche Ochsen erlahmen, -gehen zwei Büffel ihren gleichmäßigen Schritt weiter, als wären sie -ledig. Dabei vertragen sie Hunger, Durst Hitze und Regen besser als -ihre längst gezähmten Verwandten — kurzum sie erweisen sich in -einem Lande, wo gute Chausseen noch nicht überall zu finden sind, als -geradezu unschätzbar. -</p> - -<p> -Das dritte Ereignis — doch dieses geht eigentlich direkt nur mich -persönlich an und gehört bloß insofern in den Rahmen dieser Erzählung, -als es mit der Lebensweise und mit den socialen Zuständen in -Edenthal zusammenhing. Es wird also am besten sein, wenn ich zunächst -erzähle, wie wir vor dem Eintreffen der Hauptmasse unserer Brüder in -der neuen Heimat lebten, uns einrichteten und arbeiteten. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-3-7"> -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -7. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Die Kolonisten auf Edenthal betrachteten mich, den Bevollmächtigten -der Gesellschaft, der unseren Zug an den Kenia veranstaltet und -die Mittel zu demselben beschafft hatte, als ihren Vorgesetzten im gemeingebräuchlichen -Sinne des Wortes: ich hätte befehlen können und -es wäre gehorcht worden. Anderseits aber handelte ich nicht bloß -meinen eigenen Neigungen, sondern den offenbaren Intentionen des -Ausschusses gemäß, wenn ich mich dem Wesen nach als den Vorsitzenden -einer Versammlung frei über sich selber verfügender Männer benahm. -Wo immer möglich, befragte ich vor meinen Anordnungen die -Genossen, fügte mich der Meinung der Mehrheit und traf selbständige -Verfügungen bloß in dringenden Fällen oder wenn es sich um Zuweisung -von Aufträgen an Abwesende handelte. Sonst geschah die -Zuteilung der verschiedenen Arbeiten an verschiedene Gruppen stets im -Einverständnisse mit allen betreffenden Mitgliedern, die Vorsteher dieser -Arbeitszweige wurden von ihren speziellen Genossen selber gewählt, -und wenn dabei auch in allen wesentlichen Fragen stets meiner und -meiner engeren Vertrauten Ansichten und Vorschläge zur Ausführung -gelangten, (so daß — wenn im Bisherigen zumeist der Kürze halber -gesagt wurde: „ich ordnete an, ich designierte“ — damit dem Wesen -nach die Wahrheit erzählt wurde) so geschah dies doch nur aus dem -Grunde, weil diese meine Vertrauten eben die geistigen Spitzen der -Kolonie waren und die anderen sich diesen freiwillig unterordneten. -Dabei wußten wir alle, daß dies keine auf Dauer berechnete Organisation -sei. Niemand arbeitete einstweilen für sich, alles was wir erzeugten, -gehörte nicht dem Erzeuger, auch nicht der Gesamtheit von -uns Erzeugern, sondern dem Unternehmen, aus dessen Mitteln wir -hinwieder allesamt zehrten. Mit einem Worte, die „freie Gesellschaft“, -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -die wir gründen wollten, war noch nicht gegründet, sie befand sich noch -unterwegs und inzwischen waren wir ihr gegenüber nichts anderes, als -Angestellte nach altem Recht, die sich von gewöhnlichen Lohnarbeitern bloß -dadurch unterschieden, daß ihnen selber überlassen war, was sie zu -ihrem Unterhalte vorweg nehmen und was sie als „Unternehmergewinn“ -für die Auftraggeberin zurücklegen mochten. Hätte mich böser -Wille einzelner Genossen dazu genötigt, so war ich nicht bloß im Rechte, -sondern auch entschlossen, den „Bevollmächtigten“ hervorzukehren; daß -ich es vermeiden konnte, trug nicht wenig dazu bei, das Behagen, das -uns alle erfüllte, zu steigern und war auch insofern von großem Werte, -als dadurch der Übergang zu den späteren endgültigen Organisationsformen -wesentlich erleichtert wurde, ändert aber nichts an dem Sachverhalt, -daß unser Leben und Wirken unterwegs wie am Kenia sich -noch innerhalb der sozialen Formen der alten Welt bewegte. -</p> - -<p> -Die Arbeitszeit war in Edenthal einstweilen für jedermann — ob -Arbeitsvorsteher oder simpler Arbeiter, Weißer oder Neger — die -gleiche, von 5 bis 10 Uhr vormittags und von 4 bis 6 Uhr nachmittags; -nur in der Erntezeit waren ein bis zwei Stunden zugegeben -worden. Am Sonntag ruhte ebenso gleichmäßig alle Arbeit. -</p> - -<p> -Die Tagesordnung war die folgende: Gegen 4 Uhr wurde aufgestanden, -im Edensee — es waren zu diesem Behufe mehrere Badehütten -errichtet — ein Bad genommen und hierauf Toilette gemacht. -Das Reinigen und etwa notwendige Ausbessern der Kleider besorgte -unter Anleitung eines in solchen Künsten bewanderten Mitgliedes eine -Gruppe von Suaheli, welcher diese Arbeit als alleinige Verrichtung -zugewiesen worden war. Da wir Kleidungsstücke zum Wechseln besaßen, -so wurden des Morgens immer die während des gestrigen Tages -gereinigten gebracht, dafür die gestern gebrauchten abgeholt, um im -Laufe des Tages für den morgigen Gebrauch in Stand gesetzt zu werden. -Hierauf kam das Frühstück, gleich allen Mahlzeiten wieder das Werk -einer damit betrauten anderen Schar von Suahelis — um deren Einweihung -in mehrfache Geheimnisse französischer Kochkunst sich meine -Schwester große Verdienste erworben hatte. Dieses erste Frühstück -bestand je nach dem Geschmacke eines Jeden aus Thee, Schokolade, -schwarzem oder mit Milch gemengtem Kaffee, Milch oder irgend einer -Suppe; dazu ebenso nach Wahl Butter, Käse, Honig, Eier, kalter -Braten nebst Brot oder anderem Gebäck. Nach diesem ersten Frühstück -wurde bis 8 Uhr gearbeitet, um welche Zeit ein zweites Frühstück kam, -bestehend aus irgend einer substantiellen warmen Speise — Omelette, -Fisch oder Braten mit Brot, etwas Käse und Früchten, dazu als Getränk -entweder das köstliche Quellwasser unserer Berge, oder der sehr -erfrischende, wohlschmeckende Bananenwein, den die Eingeborenen zu -bereiten verstehen. Nach diesem Frühstück, welches in der Regel 15 -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -bis 20 Minuten in Anspruch nahm, wurde bis 10 Uhr weiter gearbeitet, -worauf die große Mittagspause folgte. Diese wurde, insbesondere -in den heißeren Monaten, von den Meisten zunächst zu einem -zweiten Bade im See benutzt, welchem irgendeine häusliche Zerstreuung, -Lektüre, Konversation oder Spiel folgte. Die Hitze war um -diese Zeit in der Regel groß; während der heißen Monate stieg das -Thermometer häufig auf 35 Grad Celsius im Schatten. Zwar verhüteten -kühle Brisen, die bei schönem Wetter regelmäßig zwischen 11 -Uhr vormittags und 5 Uhr nachmittags vom Kenia her wehten und -zwar desto stärker, je heißer der Tag sich anließ, daß der Aufenthalt -im Freien jemals unerträglich wurde; aber am angenehmsten und zuträglichsten -war während der Mittagsstunden jedenfalls das Verweilen -in gedeckten Räumen. Um 1 Uhr wurde die Hauptmahlzeit gehalten, -bestehend aus Suppe, einem Fleisch- oder Fischgericht mit Gemüsen, -süßem Backwerk und Früchten der mannigfachsten Art, dazu abermals -Bananenwein oder, nachdem unsere Brauerei zu arbeiten angefangen -hatte, Bier. Nach dem Speisen wurde von Einzelnen ein halbes -Stündchen geschlafen, hierauf gab es wieder Konversation, Lektüre, -Spiel, worauf, nachdem die ärgste Hitze vorüber war, die zweistündige -Nachmittagsarbeit erledigt ward. Dieser ließen Einzelne ein drittes kurzes -Bad folgen. Um 7 Uhr nahm man wieder eine dem ersten Frühstück -ähnliche Mahlzeit, sofern es nicht regnete, im Freien und zu größeren -Gesellschaften vereinigt. Zu bemerken ist dabei, daß hinsichtlich aller -Mahlzeiten, wie überhaupt aller Genußmittel als Regel galt, daß -Jedermann wählen konnte, was und soviel ihm beliebte. Nur bezüglich -der geistigen Getränke hielten wir es anders — aus leicht begreiflichen -Gründen. Späterhin, wenn Jedermann auf eigenen Füßen stand, -mochte er es auch mit diesen halten, wie ihm beliebte; solange wir -von Gesellschaftswegen verpflegt wurden, mußten wir schon mit Rücksicht -auf unsere Neger Beschränkung üben. -</p> - -<p> -Des Abends wurde meist Musik gemacht. Wir hatten einige sehr -tüchtige Musiker, ein ganz artiges, 45 Mann zählendes Orchester von -Blas- und Streichinstrumenten und einen vortrefflichen Chor, die sich, -so oft es das Wetter erlaubte, hören ließen. Zwei oder drei Stunden -nach Sonnenuntergang pflegte es kühl zu werden; in wenigen Nächten -behauptete sich das Thermometer über 22 Grad, sank aber bisweilen -bis auf 15 Grad Celsius, so daß die Nachtruhe stets erquickend war. -</p> - -<p> -An den Sonntagen gab es mannigfaltige Veranstaltungen zu -Zwecken der Belustigung sowohl als der Belehrung: Ausflüge in die -benachbarten Wälder, Jagden, Konzerte, Vorlesungen, Vorträge. -</p> - -<p> -Die von uns bewohnten Blockhäuser waren eigentlich dazu bestimmt, -je einer Familie als zukünftiges, wenn auch bloß provisorisches -Heim zu dienen. Ein jedes lag inmitten eines tausend Quadratmeter -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -umfassenden Gärtchens und deckte mit seinen 6 Räumen: Vorzimmer, -Küche und 4 Stuben, selber ein Areal von 150 Quadratmetern. Jedes -solcher Häuschen nun wurde einstweilen von Vieren der Unseren besetzt; -den beiden Frauen mit Sakemba, die inzwischen den Besuch ihrer -Eltern und Geschwister erhalten und diese bewogen hatten, ihre <a id="corr-22"></a>Grashütten -gleichfalls in Edenthal aufzuschlagen, war selbstverständlich auch -ein besonderes Häuschen eingeräumt. -</p> - -<p> -Letztere Anordnung aber gefiel meiner Schwester ganz und gar -nicht. Während der Reise hatte sie sich notgedrungen darein gefunden, -getrennt von mir, dem ihr von unserer verewigten Mutter ans Herz -gelegten Pfleglinge, zu kampieren; in Edenthal angelangt, gedachte sie -jedoch ihre alten Vormundschaftsrechte und -Pflichten wieder zu beanspruchen, -sah sich aber durch die Rücksicht auf einen zweiten Schützling, -der inzwischen auch zu einem Liebling geworden war, durch die auf -Ellen Fox nämlich, in der Ausführung ihrer Vorsätze gehindert. Sie -konnte doch unmöglich dies junge Mädchen inmitten so vieler Männer -allein lassen; ebenso wenig aber konnte sie uns beide — obwohl wir -in ihren Augen die reinen Kinder waren — Thür an Thür im selben -Häuschen unterbringen. Was hätten ihre Freunde und Freundinnen -in Paris dazu gesagt! Zwar brachte ich all meine freie Zeit bei den -Frauen zu, wo mich, ohne daß ich es bemerkte, die aus geistreichen -theoretischen Kontroversen und unbefangenem Geplauder eigentümlich gemengte -Konversation der jungen Amerikanerin nicht minder als ihr -Harfenspiel und ihre glockenhelle Altstimme, stets mehr und mehr -fesselten; aber das genügte Schwester Klara nicht und sie geriet schließlich -auf den Gedanken, uns zu verheiraten. Schon wegen unserer gemeinsamen -„Narrheit“ — unserer sozialen Ideen nämlich — paßten -wir ganz gut zu einander, und wenn auch — ihrer Meinung nach — -außer Zweifel stand, daß in dieser Ehe gesunder, hausbackener Menschenverstand -gänzlich fehlen würde, so war ja <em>sie</em> dazu da, für die beiden -Kindsköpfe zu sorgen und zu handeln. -</p> - -<p> -Nachdem sie diesen Vorsatz einmal gefaßt, legte sie sich als vorsichtige, -diskrete Person, die ganz richtig voraussah, daß in diesem -Punkte weder bei mir, noch bei Miß Ellen auf unbedingten Gehorsam -zu rechnen wäre, zunächst aufs Beobachten, und dabei machte sie denn -ungeachtet ihrer in Sachen der Liebe höchst mangelhaften eigenen Erfahrungen, -ausgerüstet bloß mit dem keinem Weibe fehlenden instinktiven -Feingefühle, die überraschende Entdeckung — daß wir beiden bereits bis -über die Ohren ineinander verliebt seien. Anfangs war sie über diese -Wahrnehmung so erstaunt, daß sie ihren Augen keinen Glauben schenken -wollte. Aber die Sache war zu klar, als daß eine Täuschung möglich -gewesen wäre. Wir beiden Liebenden ahnten zwar selber nicht im entferntesten, -wie es um uns stand; aber wer Miß Fox so genau kannte, -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -wie dies bei meiner Schwester nach mehrmonatlichem ununterbrochenen -Zusammenleben mit der offenherzigen und freimütigen Amerikanerin -selbstverständlich war, der konnte sich nicht darüber täuschen, was es zu -bedeuten habe, wenn ein Mädchen, das bisher nur seinen Idealen: Freiheit -und Gerechtigkeit, gelebt, deren Abgott die Menschheit gewesen und -das keinem Manne gegenüber anderes Interesse gezeigt, als dasjenige -für die Ideen, denen er diente — wenn dieses selbe Mädchen in Aufregung -geriet, so oft es eines gewissen Mannes Schritte hörte, und im -vertrauten Umgange mit meiner Schwester statt von der Herrlichkeit -unserer Prinzipien mit Vorliebe von den Vorzügen dessen sprach, der -hier in Edenthal der erste Diener dieser Prinzipien war. Und was -meine Gefühle anlangt, so wußte Schwester Klara allzu genau, daß mir -am Weibe bisher dessen Stellung in der menschlichen Gesellschaft das -einzig Interessante gewesen, als daß es ihr nicht wie Schuppen von den -Augen hätte fallen sollen, als ich sie kürzlich, nachdem ich Miß Fox, die -eben abseits mit etwas beschäftigt war, lange und andächtig betrachtet -hatte, mit den Worten apostrophierte: „Ist nicht jede Bewegung dieses -Mädchens Musik?“ -</p> - -<p> -Sie nahm uns daher beide einzeln beiseite und erklärte, daß wir -uns heiraten müßten. Aber da kam sie hier und dort schlecht an. -Miß Ellen wurde zwar auf diesen Antrag hin abwechselnd purpurrot -und leichenblaß, erklärte aber sofort, lieber sterben zu wollen, als mich -zu heiraten. „Würden diese übermütigen Männer, die uns Frauen -allen Sinn für das Ideale, jede Fähigkeit rein sachlichen Strebens absprechen -und als Sklavinnen unserer egoistischen Triebe betrachten, -nicht triumphierend behaupten, daß meine vorgebliche Begeisterung für -unser soziales Unternehmen nichts anderes gewesen, als Leidenschaft für -einen Mann, daß ich nicht um einer Idee, sondern um dieses Mannes -willen nach Afrika bis an den Äquator gelaufen? Nein, — ich liebe -Deinen Bruder nicht — ich werde überhaupt niemals lieben und noch -weniger heiraten!“ Dieser heroischen Apostrophe folgte zwar ein Strom -von Thränen, die jedoch — als Schwester Klara sie zu meinen Gunsten -auslegen wollte — für Zeugen der Empörung ob des kränkenden Verdachtes -ausgegeben wurden. Nicht viel anders machte ich es; als Klara -mir auf den Kopf zusagte, ich sei in Miß Fox verliebt, lachte ich sie -aus und erklärte die mir vorgehaltenen Symptome meiner Leidenschaft -als bloße Zeichen psychologischen Interesses an einem weiblichen Geschöpfe, -welches echter Begeisterung für abstrakte Ideen fähig sei. -</p> - -<p> -Doch eine mütterliche Schwester, die einmal den Vorsatz gefaßt, -ihren Bruder — und noch dazu an ihre Freundin — zu verheiraten, -ist nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen, am allerwenigsten, wenn -sie so gute und mannigfache Gründe hat, auf ihrem Willen zu beharren. -Da es auf geradem Wege nicht ging, wählte sie einen krummen — keinen -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -neuen, aber einen oft bewährten: sie machte uns beide eifersüchtig. -Jedem von uns erzählte sie im Vertrauen, es sei nichts mit ihrem -„dummen Plane“, da der andere Teil nicht mehr frei wäre. Da sie -mir gegenüber schlauerweise hinzufügte, sie habe ihr Projekt bloß ersonnen, -um zugleich mit der jungen Frau in mein Haus ziehen und die -ihr von rechtswegen gebührenden Mutterpflichten mir gegenüber neuerlich -übernehmen zu können, so glaubte ich ihr um dieser offenbaren -Wahrheit willen auch die Erfindung, daß Ellen einen Verlobten in -Amerika zurückgelassen, welcher demnächst schon hier eintreffen werde. -„Denke Dir nur, Ellen ist mit diesem Bekenntnisse erst herausgerückt, -als ich ihr gleich Dir mit meiner Heiratsidee zusetzte. Es ist nur ein -Glück, daß Du mein Junge Dir nichts aus der kleinen Duckmäuserin -machst; das wäre jetzt eine schöne Bescherung, wenn Du Dir Ellen in -den Kopf gesetzt hättest.“ -</p> - -<p> -Ich erklärte mich mit dieser Wendung der Dinge höchlich zufrieden, -hatte aber das Gefühl dabei, als ob mir ein Messer im Herzen -umgewendet würde. Deutlich und klar stand jetzt plötzlich meine Liebe -vor meinem inneren Auge, eine glühende grenzenlose Leidenschaft, wie -sie nur der empfinden kann, dessen Herz 26 Jahre lang jungfräulich -geblieben. Ich konnte hinfort — das ward mir zu unumstößlicher Gewißheit -— noch leben und kämpfen — mich des Lebens und des Erkämpften -freuen, nimmermehr! Aber war es denn auch gewiß und unabwendbar? -Gab es denn keine Möglichkeit, diesen Verlobten, der -seine Braut allen Gefahren einer abenteuerlichen Reise, allen Versuchungen -der Schutzlosigkeit preisgab und der jetzt plötzlich hier auftauchen -soll, um mir aus meinem Eden die Seligkeit zu rauben, gab -es keine Möglichkeit, ihn aus dem Felde zu schlagen? Doch ist es überhaupt -denkbar, daß Ellen, diese Ellen, wie ich sie seit Monaten kenne, -einen solchen Jammermenschen lieben würde? Hin zu ihr, mir Klarheit -zu verschaffen, um jeden Preis! -</p> - -<p> -Damit stürmte ich hinüber ins Nachbarhaus. Dort hatte inzwischen -meine Schwester ein ähnlich Märchen auch Ellen erzählt. -Sie habe sich nun einmal in den Kopf gesetzt gehabt, aus uns ein Paar -zu machen, und daher in der Hoffnung, daß meine Werbung ihren -(Ellens) Widerstand brechen würde, auch mir von ihrem Plane gesprochen, -wäre, als auch ich mich weigerte, dringender geworden, und -da hätte ich ihr endlich gestanden, mich hinter ihrem Rücken in Europa -verlobt zu haben; die Braut werde mit dem nächsten Einwanderzuge -hier eintreffen ... So weit war Klara gelangt, als mein Erscheinen -ihre Erzählung unterbrach. -</p> - -<p> -Totenbleich wankte Ellen auf mich zu; sie wollte sprechen, doch -ihre Stimme versagte; erst meine halb angst-, halb zornerfüllten Fragen -nach dem amerikanischen Bräutigam gaben ihr die Sprache wieder. -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -Zugleich aber hatte sie auch den Schlüssel der Situation gefunden: daß -ich sie liebe, daß meine Schwester uns beide getäuscht. Was weiter -folgte, läßt sich leicht erraten. So kam es, daß Ellen meine Braut war, -als Dr. Strahl in Edenthal anlangte — und dieses ist das dritte Ereignis, -von welchem ich vorher noch erzählen wollte. -</p> - -<p> -Ob das Entzücken, mit welchem ich das Weib meiner Liebe zum -ersten Male ans Herz drückte, das größere gewesen oder jenes, mit -welchem ich den Freund meiner Seele, den Abgott meines Geistes einführte -in jenes irdische Paradies, zu welchem er uns den Weg gewiesen -— das wage ich nicht zu entscheiden. -</p> - -<p> -Als ich im Auge des verehrten Freundes beim Erschauen der Herrlichkeit -unserer neuen Heimat und des kräftig pulsierenden fröhlichen -Lebens, das sie bereits erfüllte, Thränen der Freude, in diesen aber -die sichere Bürgschaft unmittelbar bevorstehenden Erfolges erblickte, da -erfaßte mich zwar nicht jene überschwängliche, für die Brust, die ihr -zum ersten Male sich öffnet, schier unerträgliche Wonne, wie wenige -Tage zuvor, als die Geliebte mir in Küssen das Geheimnis ihres -Herzens offenbarte; aber wenn einst mein Haar weiß und mein Nacken -gebeugt sein wird, dürfte wohl die Erinnerung an jene bräutlichen -Küsse mein Blut nicht mehr so siedendheiß durch die Adern jagen, wie -heute, während der Gedanke an die Stunde, in der ich Hand in Hand mit dem -Freunde die stolze und doch reine Freude empfand, den ersten, schwersten -Schritt zur Erlösung unserer leidenden, enterbten Mitbrüder aus den -Martern vieltausendjähriger Knechtschaft vollbracht zu haben, niemals -seine beseligende Kraft einbüßen wird, so lange ich unter den Lebenden -wandle und mein Geist nicht von Nacht umfangen ist. -</p> - -<p> -Lange, lange stand der Meister auf den Höhen vor Edenthal, jede -Einzelheit des entzückenden Bildes andächtig in sich aufnehmend; dann -zu uns sich wendend, die wir ihn rings umgaben, fragte er, ob wir -dem Lande, das unabsehbar nach allen Seiten sich ausdehnt und -welches unsere Heimat werden solle, schon den Namen gegeben hätten. -Als ich dies verneinte, mit dem Beifügen, daß ihm, der dem Gedanken -Worte lieh, welcher uns hierher geführt, auch das Amt gebühre, -das Wort für das Land zu finden, in welchem dieser Gedanke -zuerst verwirklicht werden soll, da rief er: „Die Freiheit wird in -diesem Lande ihre Geburtsstätte finden: „<em>Freiland</em>“ wollen wir es -nennen!“ -</p> - -<h2 class="part" id="part-4"> -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -Zweites Buch. -</h2> - -<h3 class="chapter" id="chapter-4-1"> -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -8. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Wir nehmen nunmehr den Faden der Erzählung dort auf, wo -ihn das Tagebuch Ney’s verlassen. -</p> - -<p> -Zugleich mit dem Vorsitzenden waren 3 Mitglieder des dirigierenden -Ausschusses in Edenthal eingetroffen; 5 andere folgten binnen -wenigen Tagen mit der ersten Wagenkarawane aus Mombas nach, so -daß deren — Ney, Johnston, und den auf dieser Beiden Vorschlag -kooptierten Demestre eingerechnet, in Freiland 12 anwesend waren. -Da es im ganzen derzeit 15 Ausschußmitglieder gab, so waren ihrer -noch drei zurückgeblieben und zwar je eins in London, Triest und -Mombas, wo sie bis auf Weiteres als Bevollmächtigte des Ausschusses -den abendländischen Geschäften der Gesellschaft vorstehen sollten. -Ihr Amt war die Aufnahme neuer Mitglieder, die Einkassierung und -provisorische Verwaltung der einfließenden Gelder und die Überwachung -der Auswanderungen nach Edenthal. -</p> - -<p> -Ihre Instruktion bezüglich der Aufnahme neuer Mitglieder ging -vorerst dahin, jeden sich darum Bewerbenden aufzunehmen, sofern er -kein rückfälliger Verbrecher und des Lesens und Schreibens kundig -wäre. Erstere Einschränkung bedarf wohl keiner eingehenden Motivierung. -Wir hatten allerdings unbedingtes Vertrauen in die veredelnden, -weil das treibende Motiv der meisten Laster beseitigenden Folgewirkungen -unserer socialen Reformen; wir waren vollkommen beruhigt -darüber, daß Freiland keine Verbrecher erzeugen und selbst durch Elend -und Unwissenheit da draußen zu Verbrechern Gewordene, wenn nur -irgend möglich, dem Laster entreißen werde; für den Anfang aber wollten -wir es vermeiden, von schlimmen Elementen überschwemmt zu werden, -und angesichts des verzeihlichen Bestrebens einzelner Staaten, sich -ihrer rückfälligen Verbrecher in irgend welcher Weise zu entledigen, -mußten wir von Anbeginn vorbauen. -</p> - -<p> -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -Härter mag erscheinen, daß wir der Einwanderung von gänzlich Unwissenden -eine Schranke zogen. Doch gerade das war ein notwendiges -Erfordernis unseres Programms. Wir wollten das absolute, freie Selbstbestimmungsrecht -des Individuums auch auf dem Gebiete der Arbeit -an die Stelle des Jahrtausende hindurch geltenden Knechtschaftsverhältnisses -setzen; wir wollten den unter der Botmäßigkeit der Brotherren -stehenden Arbeiter zum selbständigen in freier Vereinbarung mit freien -Genossen auf eigene Gefahr thätigen Produzenten umgestalten — es -ist daher selbstverständlich, daß wir zu diesem unserem Werke blos -solche Arbeiter gebrauchen konnten, die zum mindesten über die unterste -Stufe der Brutalität und Unwissenheit hinaus waren. Daß wir damit -gerade die Elendesten der Elenden zurückstießen, ist wahr; aber abgesehen -davon, daß dem Unwissenden zumeist das klare Bewußtsein -seines Unglücks und seiner Entwürdigung fehlt, seine Leiden daher in -der Regel blos physischer und nicht auch moralischer Natur sind, wie die -des mit Intelligenz gepaarten Elends, abgesehen davon durften wir -uns auch durch weichliches Mitleid nicht dazu verleiten lassen, den Erfolg -unseres Werkes zu gefährden. Der Unwissende muß beherrscht -werden und da wir unsere Mitglieder nicht erst allmählich zu freien Produzenten -erziehen, sondern unmittelbar in die freie Produktion einführen -wollten, so <em>mußten</em> wir uns, wie gegen das Verbrechen, auch -gegen die Unwissenheit schützen. -</p> - -<p> -Sollte hinwieder geltend gemacht werden, daß Kenntnis des Lesens -und Schreibens allein denn doch kein genügendes Kennzeichen jenes -Ausmaßes von Bildung und Intelligenz sei, welches bei Menschen, die -ihre Arbeit selber regieren sollen, vorausgesetzt werden müsse; so ist -darauf zu erwidern, daß zu diesem Behufe allerdings ein sehr hoher -Grad der Intelligenz erforderlich ist, aber nicht bei allen, sondern bloß -bei verhältnismäßig nicht sehr zahlreichen der solcherart sich selber -organisierenden Arbeiter, während bei der Majorität jenes Mittelmaß von -Geisteskräften und Geistesausbildung durchaus genügt, dessen es zu -richtiger Erkenntnis des eigenen Interesses bedarf. Wenn hundert oder -tausend Arbeiter sich zusammenthun, um für gemeinsame Rechnung und -Gefahr zu arbeiten, so kann und muß nicht jeder derselben die Fähigkeiten -zur Organisation und Leitung dieser gemeinsamen Produktion -besitzen; dieses höhere Ausmaß von Intelligenz wird bloß bei einigen -Wenigen unerläßlich sein, während es für die Majorität genügt, daß sie -richtig beurteilen könne, was mit der gemeinsam zu betreibenden Produktion -erzielt werden soll und kann und welche Eigenschaften Diejenigen -besitzen müssen, in deren Hände die Wahrung dieses gemeinsamen Interesses -gelegt wird. Gerade in diesem Punkte aber ist die Kenntnis -der Schrift von ausschlaggebender Bedeutung, denn das gedruckte Wort -allein ist es, welches den Menschen und sein Urteil unabhängig macht -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -von den zufälligen Einflüssen der unmittelbaren Umgebung, seinen -Verstand der Belehrung erst öffnet. Es wird sich später zeigen, -in wie hohem Maße die ausgedehnteste, lediglich durch Schrift und -Druck zu vermittelnde Öffentlichkeit aller Vorgänge auf dem Gebiete -jeglicher produktiven Thätigkeit zum Gelingen unseres Werkes -beitrug. -</p> - -<p> -Es versteht sich von selbst, daß diese beiden Bedingungen für aufzunehmende -Mitglieder auch bisher schon vom Ausschusse gefordert -wurden, und zwar das zweitgenannte ursprünglich in ziemlich strenger -Form. Da sich jedoch gezeigt hatte, daß das geistige Niveau der -meisten Bewerber ein überraschend hohes war, indem der Hauptsache -nach von den körperlich arbeitenden Klassen sich blos die Elite in ausgedehnterem -Maße für unser Unternehmen interessierte, und da nunmehr, -wo die Zahl der Mitglieder 20000 überschritten hatte, die mitunterlaufende -Unwissenheit nicht mehr so gefährlich sein konnte, so -begnügte sich der Ausschuß mit der Forderung, daß die Anmeldungen -eigenhändig und schriftlich geschehen müßten. -</p> - -<p> -Die Zahl der sich meldenden Mitglieder — es ist zu bemerken, -daß Frauen und Kinder stets mitgerechnet sind — war in stetigem -Wachstume begriffen, insbesondere seit Veröffentlichung der ersten -Berichte über die am Kenia angelegte Kolonie. Als der Ausschuß sich -unter Hinterlassung seiner Delegierten in Triest einschiffte, hatte der -Mitgliederzuwachs 1200 in der Woche erreicht; drei Monate später -war er auf 1800 wöchentlich gestiegen. Die Aufgabe der europäischen -Bevollmächtigten war es nun, die neuen Mitglieder — gleichwie dies -vorher schon mit den alten geschehen — sorgfältig nach Geschlecht, -Alter und Beruf zu registrieren und mit jeder Schiffsgelegenheit die -entsprechenden Listen nach Freiland zu expedieren; sie hatten den — -nach wie vor unentgeltlich erfolgenden — Transport bis Mombas zu -organisieren und zu überwachen und waren mit Vollmacht versehen, -alle zu diesem Behufe erforderlichen Ausgaben, im Bedarfsfalle auch -den Ankauf neuer Schiffe, gegen nachträgliche Verrechnung und Genehmigung -zu bestreiten. Sache der Bevollmächtigten war es ferner, den -sich zur Reise rüstenden Mitgliedern mit Rat und That an die Hand -zu gehen; auch hatten sie Vollmacht, hilfsbedürftigen Genossen materiell -beizuspringen. Die Mitgliederbeiträge zeigten ähnlich wachsende Tendenz, -wie die Mitgliederzahl; es wuchs eben offenbar das Interesse und -Verständnis für unser Unternehmen nicht blos in den arbeitenden, -sondern auch in den besitzenden Klassen; der Wochenzufluß steigerte sich -in der Zeit von Ende September bis Ende Dezember von rund -20,000 £ auf 30,000 £. Über diese Gelder war, nach Bestreitung -der den Delegirten eingeräumten Kredite, dem Ausschusse die Verfügung -vorbehalten, dessen Vollzugsorgan übrigens auch in diesem -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -Punkte bei allen in der alten Welt zu bestreitenden Auslagen die zurückgelassenen -Delegierten waren. -</p> - -<p> -Am 20. Oktober hielt der Ausschuß seine erste Sitzung in Edenthal, -um über die geeignetesten Vollzugsmaßregeln zur Konstituierung -jener freien Vergesellschaftungen schlüssig zu werden, deren Sache von -da ab die Produktion in Freiland sein sollte. Die Ausschußsitzungen -waren von jeher öffentlich gewesen, d. h. jedes Mitglied der Gesellschaft -hatte Zutritt zu denselben und so sollte es auch fernerhin bleiben; -eine bloß provisorisch eingeführte Neuerung dagegen war es, daß die -Zuhörerschaft auch eingeladen wurde, an den Verhandlungen — allerdings -nur mit beratender Stimme, teilzunehmen. Diese Maßregel -hat die Bestimmung, in der Zwischenzeit, bis die Presse ihre informierende -und kontrollierende Wirksamkeit beginnen konnte, deren Rolle zu übernehmen. -</p> - -<p> -Die Grundlage des zur Durchführung gelangenden Organisationsplanes -war schrankenlose Öffentlichkeit in Verbindung mit ebenso schrankenloser -Freiheit der Bewegung. Jedermann in ganz Freiland mußte jederzeit -wissen, nach welcherlei Produkten jeweilig der größere oder geringere -Bedarf und in welchen Produktionszweigen jeweilig der größere oder -geringere Ertrag vorhanden sei. Ebenso aber mußte Jedermann in -Freiland jederzeit das Recht und die Macht haben, sich — soweit seine -Fähigkeiten und Fertigkeiten reichen — den jeweilig rentabelsten Produktionszweigen -zuzuwenden. -</p> - -<p> -Die zu treffenden Maßnahmen hatten also zunächst diese zwei -Punkte ins Auge zu fassen. Eine sorgfältige Statistik hatte in übersichtlicher, -und was die Hauptsache ist, in denkbar raschester Weise jede -Bewegung der Produktion auf der einen, des Consums auf der anderen -Seite zu registrieren; ebenso galt es, die Preisbewegung aller Produkte -zur allgemeinen Kenntnis zu bringen. Angesichts der entscheidenden -Wichtigkeit dieser Veröffentlichungen mußte Vorsorge getroffen werden, -daß Täuschungen oder unbeabsichtigte Irrungen bei denselben von vornherein -ausgeschlossen seien — ein Problem, welches wie im Nachfolgenden -gezeigt werden wird, in vollkommenster und doch einfachster Weise -gelöst wurde. -</p> - -<p> -Und damit nun die solcherart erlangte Kenntnis auch von Jedermann -praktisch zum eigenen Vorteile ausgenutzt werden könne, was -nur möglich ist, wenn Jedermann in die Lage versetzt wird, sich jenem -seinen Fähigkeiten entsprechenden Arbeitszweige zuzuwenden, der jeweilig -die höchste Rente bietet, mußte dafür gesorgt werden, daß Jedermann -jederzeit in den Besitz der hierzu erforderlichen Produktionsmittel -gelangen könne. Dieser Produktionsmittel giebt es zweierlei: Naturkräfte -und Kapitalien. Ohne diese Beiden nützt die genaueste Kenntnis -jener Arbeitszweige, nach deren Erzeugnissen gerade der dringendste Bedarf -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -vorhanden ist und die deshalb die höchsten Erträge liefern, eben -so wenig, als die vollendetste Geschicklichkeit in diesen Produktionen. -Der Mensch kann seine Arbeitskraft nur verwerten, wenn er über die -von der Natur gebotenen Stoffe und Kräfte, wie nicht minder über -entsprechende Instrumente und Maschinen verfügt; und zwar muß er, -um mit seinen Mitbewerbern konkurrieren zu können, Beides in gleich -guter und vollkommener Beschaffenheit besitzen, wie diese. Man muß -nicht bloß Boden zur Verfügung haben, um Weizen zu bauen, sondern -auch gleich ergiebigen Weizenboden wie die anderen Weizenbauer, sonst -wird man mit geringerem Nutzen, ja möglicherweise sogar mit Schaden -arbeiten; und der Besitz des ergiebigsten Bodens wird die Arbeit noch -nicht ermöglichen, oder doch nicht gleich ertragreich machen, wenn man -die erforderlichen landwirtschaftlichen Geräte nicht, oder doch nicht in -jener Vollkommenheit besitzt, wie die Konkurrenten. -</p> - -<p> -Was nun die Kapitalien anlangt, so machte sich die freie Gesellschaft -anheischig, sie Jedermann nach Wunsch zur Verfügung zu stellen, -und zwar zinslos, gegen Rückzahlung in gewissen Fristen, deren Ausmaß -je nach der Natur der beabsichtigten Anlagen in der Weise festgestellt -wurde, daß die Abtragung aus den Produktionsergebnissen stattfand. -Da die Arbeitsinstrumente und sonstigen kapitalistischen Arbeitsbehelfe -in beliebigem Umfange und in beliebiger Qualität hergestellt -werden können, so wäre damit der eine Teil des Problems gelöst -gewesen. -</p> - -<p> -Anders verhält sich die Sache mit den Naturkräften, als deren -Repräsentanten wir den Boden, an den sie doch gebunden sind, gelten -lassen wollen. Den Boden hat Niemand erzeugt, es hat also Niemand -Eigentumsanspruch auf ihn und Jedermann hat das Recht, ihn zu benutzen; -aber den Boden hat nicht bloß Niemand erzeugt, es kann ihn -auch fernerhin Niemand erzeugen; Boden ist daher bloß in beschränkter -Menge vorhanden und außerdem ist auch der vorhandene Boden nicht -von gleicher Güte. Wie soll es nun trotzdem möglich sein, nicht -bloß Jedermanns Anspruch auf Boden, sondern sogar auf gleich ertragreichen -Boden zur Geltung zu bringen? -</p> - -<p> -Um dies zu erklären, muß zunächst noch die dritte und in Wahrheit -fundamentalste Voraussetzung der wirtschaftlichen Gerechtigkeit dargelegt -werden. Wenn in deren Sinne jedem Arbeitenden der ungeschmälerte -Ertrag der eigenen Arbeit zugesprochen wird, so ist dies nur insofern -und unter der Voraussetzung wirklich gerecht, daß angenommen wird, -der Arbeitende sei selber und ausschließlich der Erzeuger dieses ganzen -Ertrages. Das war er aber nach der alten Wirtschaftsordnung mit -nichten. Der Arbeitende erzeugte als solcher nur einen Teil des -Produkts, während ein anderer Teil vom Arbeitgeber — derselbe sei -nun Grundbesitzer, Kapitalist oder Unternehmer — hervorgebracht wurde. -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -Ohne den organisatorischen, disciplinierenden Einfluß dieses Letzteren -wäre die Mühe der Arbeitenden unfruchtbar, oder doch weit minder -fruchtbar gewesen; der Arbeiter lieferte bisher stets nur die zusammenhanglose -Kraft, während der ordnende Geist Sache des Arbeitgebers -war. -</p> - -<p> -Damit soll nicht gesagt sein, daß die größere geistige Kraft bisher -ausnahmslos oder notwendiger Weise auf Seite des Letzteren sich befunden; -auch die Techniker und Direktoren, die den großen Produktionsanstalten -vorstehen, gehören dem Wesen nach zu den Lohnarbeitern und -ganz im allgemeinen kann ohne weiteres zugegeben werden, daß die -höhere Intelligenz in zahlreichen Fällen nicht bei den Arbeitgebern, -sondern bei den Arbeitern sich gefunden haben mag. Trotzdem ist es -der Arbeitgeber, dessen Verdienst überall dort, wo es galt, mehrere -Arbeitende zu gemeinsamem Werke zu vereinigen und zu disciplinieren, -diese Vereinigung und Disciplinierung gewesen. Für sich zu produzieren, -vermochten die Arbeitenden bisher stets nur vereinzelt; sowie ihrer Mehrere -unter einen Hut gebracht werden sollten, war ein „Herr“ notwendig, -ein Herr, der mit der Peitsche — dieselbe mag nun aus Riemen, oder -aus den Paragraphen einer Fabrikordnung geflochten sein — die Widerstrebenden -beisammenhält und <em>dafür</em> — nicht für seine höhere Intelligenz, -den Ertrag der Arbeit einstreicht, den Arbeitenden, sie mögen nun dem -Proletariate oder der sogenannten Intelligenz angehören, nur so viel -einräumend, als zu ihrem Unterhalte erforderlich ist. Noch niemals -bisher haben die Arbeitenden den Versuch gewagt, ohne Herrn, als -freie eigenberechtigte Männer und nicht als Knechte — dabei aber mit -vereinten Kräften zu produzieren. Die Benützung jener gewaltigen, den -Ertrag der menschlichen Thätigkeit so unendlich vervielfältigenden Instrumente -und Einrichtungen, die Wissenschaft und Erfindungsgeist der -Menschheit an die Hand gegeben, setzt vereintes Wirken Vieler voraus, -und dieses hat sich bisher nur Hand in Hand mit der Knechtschaft bewerkstelligen -lassen. Man spreche nicht von den Produktivassociationen -eines Schulze-Delitzsch und Anderer; sie haben am Wesen der Knechtschaft -nichts geändert, bloß der Name der Herren ist ein anderer geworden. -Auch in diesen Associationen gibt es nach wie vor Arbeitgeber -und Arbeiter; Ersteren gehört der Ertrag, Letztere erhalten Stall -und gefüllte Futterraufe gleich den zweibeinigen Arbeitstieren des Einzelunternehmers -oder der gewöhnlichen Aktiengesellschaft, deren Aktionäre -zufällig keine Arbeiter sind. Damit die Arbeit frei und eigenberechtigt -werde, müssen sich die Arbeitenden als solche, nicht aber als kleine -Kapitalisten zusammenthun; sie dürfen keinen wie immer genannten oder -gearteten Arbeitgeber über sich setzen, also auch keinen solchen, der aus -einer Genossenschaft von Ihresgleichen besteht; sie müssen sich als -Arbeitende und nur als solche organisieren, dann erst haben sie auch als -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -solche Anspruch auf den vollen Arbeitsertrag. Und diese Organisation -der Arbeit ohne jeglichen Rückstand des altererbten Herrschaftsverhältnisses -irgend eines Arbeitgebers ist das Grundproblem der -socialen Befreiung; ist dieses glücklich gelöst, so folgt alles Andere -ganz von selbst. -</p> - -<p> -Diese Organisation aber war mit nichten so schwierig, als auf den -ersten Blick scheinen mag. Der Ausschuß ging von dem Grundsatze -aus, daß die richtigen Organisationsformen freier Arbeit sich am besten -durch das freie Zusammenwirken sämtlicher an dieser Organisation Beteiligten -werde finden lassen. Besondere Schwierigkeiten vermochte er -dabei nicht zu entdecken. Handelte es sich dabei doch dem Wesen nach -um höchst einfache Dinge. Um z. B. ein Eisenwerk zu errichten, -brauchten die Arbeiter den Gesamtmechanismus der Eisenfabrikation -keineswegs sämtlich zu verstehen; was notthat, war bloß zweierlei: -erstlich daß sie wußten, welcherlei Leute sie an die Spitze ihrer Fabrik -zu stellen hätten und zweitens, daß sie diesen Leuten einerseits genügende -Gewalt einräumten, um die Arbeit in Ordnung zu erhalten, -anderseits aber auch sie genügend kontrollierten, um jederzeit das Heft -über ihr Unternehmen in eigenen Händen zu behalten. Dabei konnten -ohne Zweifel sehr ernste Fehler begangen werden; man konnte sich in -der Organisation der leitenden sowohl als der überwachenden -Organe, im Ausmaße der erteilten Vollmachten arg vergreifen; aber -gerade die einmal bereits erwähnte, schrankenlose Öffentlichkeit aller -Produktionsvorgänge, die von Gesamtheitswegen auch aus anderen -Gründen gefordert werden mußte, erleichterte den Arbeiterschaften ihr -Werk wesentlich, und da alle Genossen einer jeden Produktiv-Association -im entscheidenden Punkte genau die gleichen Interessen hatten, und ihre -gesammelte Aufmerksamkeit jederzeit auf diese Interessen gerichtet war, -so lernten sie wunderbar rasch die gemachten Fehler verbessern, so daß -schon nach wenigen Monaten der neue Apparat leidlich arbeitete -und in merkwürdig kurzer Zeit einen hohen Grad von Vollkommenheit -erreichte. Fleiß und Emsigkeit aller Genossen aber ließen von Anbeginn -nichts zu wünschen übrig, was angesichts der vollkommen entfesselten -Eigeninteressen, sowie der unablässigen gegenseitigen Anfeuerung -und Kontrolle Gleichberechtigter und Gleichinteressierter eigentlich selbstverständlich -ist. -</p> - -<p> -Der Ausschuß arbeitete daher zum Gebrauche der Associationen -zwar ein sogenanntes „Musterstatut“ aus, jedoch keineswegs in der -Meinung, daß dasselbe sich wirklich mustergiltig erweisen werde oder -auch nur könne, sondern bloß um einen Anfang zu machen, den Genossenschaften -gleichsam ein Formular zu bieten, das sie als Gerippe -ihrer eigenen, durch Erfahrung allmählich entstehenden Organisationsentwürfe -gebrauchen könnten. Thatsächlich war dieses „Musterstatut“, -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -anfangs von allen Genossenschaften beinahe unverändert angenommen, -nach kaum einem Jahre überall so gründlich geändert und ergänzt, daß -von seinen ursprünglichen Bestimmungen meist nur die leitenden -Prinzipien übrig blieben. Diese aber waren die folgenden: -</p> - -<p> -1. Der Beitritt in jede Association steht Jedermann frei, gleichviel -ob er zugleich Mitglied anderer Associationen ist, oder nicht; auch kann -Jedermann jede Association jederzeit verlassen. -</p> - -<p> -2. Jedes Mitglied hat Anspruch auf einen, seiner Arbeitsleistung -entsprechenden Anteil am Nettoertrage der Association. -</p> - -<p> -3. Die Arbeitsleistung wird jedem Mitgliede im Verhältnisse der -geleisteten Arbeitsstunden berechnet, mit der Maßgabe jedoch, daß älteren -Mitgliedern für jedes Jahr, um welches sie der Gesellschaft länger angehören, -als die später Beigetretenen, ein Präcipuum von x Procent -eingeräumt ist. Ebenso kann für qualifizierte Arbeit im Wege freier -Vereinbarung ein Präcipuum bedungen werden. -</p> - -<p> -4. Die Arbeitsleistung der Vorsteher oder Direktoren wird im -Wege einer, mit jedem Einzelnen derselben zu treffenden freien Vereinbarung, -einer bestimmten Anzahl täglich geleisteter Arbeitsstunden gleichgesetzt. -</p> - -<p> -5. Der gesellschaftliche Ertrag wird erst am Schlusse eines jeden -Betriebsjahres berechnet und nach Abzug der Kapitalrückzahlungen und -der an das freiländische Gemeinwesen zu leistenden Abgaben zur Verteilung -gebracht. Inzwischen erhalten die Mitglieder Vorschüsse in der -Höhe von x Procent des vorjährigen Reinertrags für jede geleistete -oder angerechnete Arbeitsstunde. -</p> - -<p> -6. Die Mitglieder haften für den Fall der Auflösung oder Liquidation -der Association nach dem Verhältnisse ihrer Gewinnbeteiligung -für die kontrahierten Darlehn, welche Haftung sich bezüglich der noch -aushaftenden Beträge auch auf neueintretende Mitglieder überträgt. -Auch erlischt mit dem Austritte eines Mitgliedes dessen Haftung -für die schon kontrahiert gewesenen Darlehn nicht. Dieser Haftbarkeit -für die Schulden der Association entspricht im Falle der Auflösung -oder Liquidation der Anspruch der haftenden Mitglieder an -das vorhandene Vermögen. -</p> - -<p> -7. Oberste Behörde der Association ist die Generalversammlung, -in welcher jedes Mitglied das gleiche aktive und passive Wahlrecht -ausübt. Die Generalversammlung faßt ihre Beschlüsse mit einfacher -Stimmenmehrheit; zu Statutenänderungen und zur Auflösung und -Liquidation der Association ist ¾ Majorität erforderlich. -</p> - -<p> -8. Die Generalversammlung übt ihre Rechte entweder direkt als -solche, oder durch ihre gewählten Funktionäre<a id="corr-27"></a> aus, die ihr jedoch verantwortlich -sind. -</p> - -<p> -9. Die Leitung der gesellschaftlichen Geschäfte ist einem Direktorium -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -von x Mitgliedern übertragen, die von der Generalversammlung auf x -Jahre gewählt werden, deren Bestallung jedoch jederzeit widerruflich ist. -Die untergeordneten Funktionäre der Geschäftsleitung werden von den -Direktoren ernannt; doch geschieht die Feststellung des Gehaltes dieser -Funktionäre — bemessen in Arbeitsstunden — auf Vorschlag der -Direktoren durch die Generalversammlung. -</p> - -<p> -10. Die Generalversammlung wählt jährlich einen aus x Mitgliedern -bestehenden Aufsichtsrat, der die Bücher sowie das Gebahren der Geschäftsleitung -zu überwachen und darüber periodischen Bericht zu erstatten -hat. -</p> - -<p> -Es fällt sofort auf, daß in diesem Statut bloß für den Fall der -Auflösung der Association (Absatz 6) von dem die Rede ist, was scheinbar -doch als Hauptsache angesehen werden sollte, nämlich vom „Vermögen“ der -Associationen und von den Ansprüchen der Mitglieder an dieses Vermögen. -Der Grund liegt aber darin, daß ein Vermögen der Association -im gemeingebräuchlichen Sinne gar nicht existiert. Die Mitglieder besitzen -allerdings das Nutznießungsrecht der vorhandenen Produktivkapitalien; -da sie aber dieses Recht mit jedem beliebigen Neueintretenden -jederzeit teilen und selber durch nichts anderes, als durch das Interesse -am Ertrage ihrer Arbeit an die Association gebunden sein sollen, so -darf es Vermögensinteressen bei den Associationen gar nicht geben, so -lange dieselben im Betriebe sind. Und in der That ist ein — sei -es auch noch so nützlicher — Gegenstand, den Jedermann benutzen -kann, kein Vermögensbestandteil. Es giebt keine Eigentümer, bloß Nutznießer -der Associationskapitalien. Und sollte darin vielleicht ein Widerspruch -mit jener Bestimmung erblickt werden, wonach die dargeliehenen -Produktivkapitalien von den Associationen zurückgezahlt werden müssen, -so darf nicht übersehen werden, daß auch diese Kapitalrückzahlung — -den bereits erwähnten Fall der Liquidation ausgenommen — von den -Mitgliedern bloß in ihrer Eigenschaft als Nutznießer der Produktionsmittel -geleistet wird. Da die Kapitalrückzahlungen von den Erträgen -in Abzug gebracht, diese aber je nach der Arbeitsleistung unter die -Mitglieder verteilt werden, so leistet eben auch jedes Mitglied Abzahlung -je nach seiner Arbeitsleistung. Und wenn man noch genauer zusieht, -so wird man finden, daß diese Abzahlungen in letzter Linie eigentlich -von den Verbrauchern der von den Associationen erzeugten Güter getragen -werden; sie bilden — selbstverständlich — einen Teil der Betriebskosten -und müssen notwendigerweise im Preise des Produkts -Deckung finden. Daß dies auch überall vollkommen geschehe, dafür -sorgt mit unfehlbarer Sicherheit die freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte. -Eine Produktion, bei welcher diese Abzahlungen im Preise der Erzeugnisse -nicht vollkommen Deckung gefunden hätten, wäre solange von Arbeitskräften -teilweise verlassen worden, bis das sinkende Angebot die Preise -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -entsprechend erhöht hätte. Ist hinwieder die Abzahlung geleistet, so -entfällt dieser Bestandteil der Betriebskosten; die betreffenden Gesellschaftskapitalien -können als amortisiert angesehen werden und nunmehr -sinken — wieder unter dem Einflusse der Freizügigkeit der Arbeitskräfte -— die Preise des Produkts, so daß die Mitglieder der Association -ebensowenig einen Sondervorteil aus der Benützung lastenloser Kapitalien -ziehen, als sie früher einen Sondernachteil aus der Abtragung dieser -Lasten hatten. Vorteil und Nachteil verteilt sich — immer Dank der -freien Beweglichkeit der Arbeitskräfte — stets gleichmäßig auf die Gesamtheit -aller Arbeitenden Freilands. -</p> - -<p> -Man sieht, die Produktivkapitalien sind infolge dieser einfach und -unfehlbar funktionierenden Einrichtung streng genommen ebenso herrenlos, -als der Boden; sie gehören Jedermann und daher eigentlich Niemand. -Die Gemeinschaft der Produzenten giebt sie her und benützt sie, beides -genau nach Maßgabe der Arbeitsleistung jedes Einzelnen; und Zahlung -für den gemachten Aufwand leistet die Gemeinschaft aller Konsumenten, -abermals ein Jeder genau nach Maßgabe seines Konsums. -</p> - -<p> -Daß mit der absoluten Freizügigkeit der Arbeit weder beabsichtigt, -noch jemals erreicht wurde, daß der Ertrag überall das <em>absolut</em> gleiche -Niveau einhielt, ist selbstverständlich. Abgesehen davon, daß ja die Ungleichheiten -oft erst nachträglich, bei Gelegenheit der Bilanzabschlüsse, -sich zeigen, also auch erst nachträglich durch Zu- und Abfluß von Arbeitskräften -ausgeglichen werden können, giebt es eine nicht unerhebliche, -dauernde, jeder Ausgleichung entrückte Verschiedenheit der Gewinne, -die in der Verschiedenheit der mit den unterschiedlichen Arbeitszweigen -verknüpften Anstrengungen und Unannehmlichkeiten ihre naturgemäße -Begründung hat. Nur ist es allerdings in Freiland anders, als in der -alten Welt, wo nur zu oft die Last der Arbeit im umgekehrten Verhältnisse -steht zu ihrem Ertrage; bei uns müssen schwierige, lästige, unangenehme -Arbeiten ausnahmslos höheren Gewinn abwerfen, als die -leichteren, angenehmeren — sofern Letztere keine besonderen Fähigkeiten -voraussetzen — sonst würde man Jene sofort verlassen und sich Diesen -zuwenden. Außerdem ist auch das im 3. Absatze den älteren Mitgliedern -eingeräumte Präcipuum — dasselbe schwankt bei verschiedenen Gesellschaften -zwischen 1 und 3 Prozent per Jahr, summiert sich also bei -längerer Arbeitszeit zu ganz respektabler Höhe und ist dazu bestimmt, -die erprobten Arbeitsveteranen an das Unternehmen zu binden, — ein -Hindernis absoluter Gewinnausgleichung selbst bei ganz gleichgearteten -Associationen. -</p> - -<p> -Einer kurzen Erläuterung bedarf Punkt 5 der Statuten. Für das -erste Betriebsjahr war natürlich die Berechnung der den Associationsmitgliedern -zu leistenden Gewinnvorschüsse in Prozenten des vorjährigen -Reinertrags nicht möglich, und der Ausschuß schlug daher für dieses -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -erste Jahr ein Fixum von 1 Shilling (1 Mark) per Stunde vor. Man -wird vielleicht erstaunen über die — insbesondere unter Berücksichtigung -der am Kenia herrschenden Preisverhältnisse — auffallende Höhe dieses -Ansatzes und billig fragen, von wo der Ausschuß den Mut schöpfte, auf -derartige Erträge zu hoffen, daß solche Gewinnanteile, und noch dazu -„vorschußweise“ ausbezahlt werden könnten. Es gehörte aber dazu keine -besondere Kühnheit, vielmehr war dieser Ansatz in Wahrheit mit äußerster -Vorsicht bemessen. Das Ergebnis der bis dahin in Gang gesetzten gesellschaftlichen -Produktionen war nämlich thatsächlich ein wesentlich -günstigeres gewesen. Die Körnerwirtschaft z. B. hatte bei einem Arbeitsaufwande -von insgesamt 44,500 Arbeitsstunden einen Rohertrag von -42,000 Centnern verschiedener Sämereien ergeben. Deren Preis in -Edenthal betrug derzeit im Durchschnitt allerdings nicht ganz 3 Schilling -per Centner, da wir mehr davon erzeugen konnten, als wir brauchten, -der Export über Mombas aber, der einstweilen noch recht primitiven -Transportmittel halber, keinen größeren Ertrag, als eben diese 3 Schilling -ergab. Wir hatten also rund 6,000 Pfd. Sterling landwirtschaftlichen -Rohertrag. An Produktionskosten hierfür waren zu berechnen: 400 Pfd. -Sterling für Materialien, 300 Pfd. Sterling als Amortisation der -investierten Kapitalien (Werkzeuge und Vieh), so daß 5300 Pfd. Sterling -Netto-Gewinn verbleiben werden. Da zur Deckung all der gemeinnützigen -Ausgaben, die im Sinne unseres Programms Sache des gesamten Gemeinwesens -sind, und von denen später noch gesprochen werden soll, eine -Abgabe von nicht weniger als 35 Prozent in Aussicht genommen war, -so verblieben rund 3400 Pfd. Sterling als verfügbarer Gewinn. -Repartiert man nun diesen auf die geleisteten 44,500 Arbeitsstunden, -so berechnet sich die Arbeitsstunde mit 1,5 Schilling. Das war aber -auch annähernd der Durchschnittsertrag der anderen bislang betriebenen -Produktionen gewesen, soweit sich derselbe für die Vergangenheit, in -welcher es einen regelmäßigen Markt für alle Waren am Kenia noch -nicht gab, überhaupt feststellen ließ; so viel war mit größter Beruhigung -anzunehmen, daß für den Fall, als wir den Preis jedes Arbeitsprodukts -durch Angebot und Nachfrage hätten regulieren können, im -Durchschnitt für jedes derselben mindestens jener Preis hätte bezahlt -oder angerechnet werden müssen, der dem landwirtschaftlichen Ertrage -entsprach. Denn Körnerfrüchte, zu 3 Schilling ab Edenthal gerechnet, -hätten wir doch vorerst erzeugen und absetzen können, so weit unsere -Arbeitskraft reichte; es hätte also in der hinter uns liegenden Betriebsperiode -Jedermann mindestens 1,5 Schilling für eine Arbeitsstunde erwerben -können. Der nächsten Betriebsepoche schon gingen wir aber — -wie man bald sehen wird — mit wesentlich verbesserten Hülfsmitteln -entgegen, es mußte also, von unvorhergesehenen Unglücksfällen abgesehen, -die Ergiebigkeit unserer Arbeit sehr namhaft steigen, so daß, als -<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> -wir 1 Schilling Vorschuß für die Arbeitsstunde beantragten, unsere -Meinung dahin ging, kaum die Hälfte des wirklichen Verdienstes vorweg -zahlen zu lassen — eine Voraussetzung, der die Erfahrung durchaus entsprach. -In den späteren Betriebsepochen wurde es bei den meisten -Associationen üblich, 90 Prozent des vorjährigen Reinertrages als zu -bezahlenden Vorschuß zu bestimmen. -</p> - -<p> -Die Honorierung der Direktoren anlangend, ist zu bemerken, daß -dieselbe bei den verschiedenen Gesellschaften von Anbeginn höchst verschieden -war. Wo zur Leitung keine ausnahmsweisen Kenntnisse und -kein besonderer Scharfblick erforderlich war, begnügten sich die Vorsteher -damit, daß ihre Mühewaltung einer Arbeitsleistung von täglich 8-10 -Stunden gleichgesetzt wurde; es gab aber auch Direktoren, die bis zu -24 Stunden täglich angerechnet erhielten, was schon im ersten Jahre -einem Jahresgehalt von ungefähr 850 £ entsprach. Den Funktionären -minderen Grades wurden in der Regel zwischen 8 und 10 Arbeitsstunden -angerechnet; die kontrollierenden Aufsichtsräte erhielten für -ihre Funktion meist keinerlei Extravergütung. -</p> - -<p> -Die den Associationen gewährten Kredite erreichten im ersten Betriebsjahre -durchschnittlich 145 £ per Kopf der beteiligten Arbeiterschaft — -und wenn nun die Frage auftaucht, von wo wir diese Beträge für die -Gesammtzahl unserer Mitglieder aufbrachten, so ist die Antwort: eben -durch die Mitglieder. Und zwar sind hier nicht blos die von den Mitgliedern -anläßlich ihres Beitritts zur Internationalen freien Gesellschaft -gezahlten freiwilligen Beiträge gemeint, denn diese waren in erster -Reihe dem Transportdienste zwischen Triest und Freiland geweiht, und -hätten, auch wenn sie allesammt zur Ausstattung unserer Associationen -mit Kapitalien herbeigezogen worden wären, zu diesem Behufe nicht -genügt; die im Laufe des ersten Jahres beanspruchten Kredite umfaßten -die Gesamtsumme von nahezu 2 Millionen Pfd. Sterling, während die -gleichzeitig eingelaufenen freiwilligen Beiträge nur unwesentlich 1,5 Mill. -Pfd. Sterling überstiegen. Die hauptsächlichen Mittel, die wir zu obigen -Krediten an unsere Mitglieder gebrauchten, lieferte uns einerseits das -durch die verfügbaren Vorräte repräsentierte gesellschaftliche Vermögen, -andererseits die von den Mitgliedern gezahlte Steuer. -</p> - -<p> -Nicht unerwähnt darf hier bleiben, daß sich der Ausschuß für die -ersten Jahre die Entscheidung über Ausmaß und Reihenfolge der zu -gewährenden Kredite vorbehielt. Diese — wenn auch blos negative — -Einmischung in die Betriebsverhältnisse der Associationen stand allerdings -nicht im Einklange mit dem Prinzipe des unbedingten Selbstbestimmungsrechtes -der Produzenten, war aber insolange unvermeidlich, -als unser Gemeinwesen jene hohe Stufe der Ergiebigkeit der Arbeit -noch nicht thatsächlich erreicht hatte, welche eben die Voraussetzung vollkommener -Durchführung aller ihm zu Grunde liegenden Prinzipien ist. -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -Späterhin, als die Ausrüstung mit auf der Höhe des technischen Fortschritts -stehenden Produktionsmitteln der Hauptsache nach bei uns vollbracht -war und es sich folglich nurmehr darum handelte, das Vorhandene -fortlaufend zu ergänzen und zu verbessern, konnte niemals die Frage -sein, ob die Überschüsse der laufenden Produktion auch genügen würden, -selbst den weitestgehenden neu auftauchenden Kapitalansprüchen zu -genügen. Anders zu Beginn, wo die Kapitalbedürfnisse unbegrenzt und -die Hülfsmittel noch unentwickelt waren. Mehr, als es zu leisten vermochte, -konnte das freie Gemeinwesen nicht bieten, und es mußte sich daher -eine Auslese der zu bewilligenden Investionskredite vorbehalten. Dank -der durch die freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte sich geltend machenden -durchgreifenden Interessensolidarität konnte dies geschehen, ohne daß -damit auch nur vorübergehend eine gefährliche Bevorzugung oder Benachteiligung -der verschiedenen Produzenten in ihren wesentlichen materiellen -Interessen verknüpft gewesen wäre. Denn wenn — wie dies kaum zu -vermeiden war — durch die gewährten oder verweigerten Kredite einzelne -Produktionen begünstigt oder benachteiligt wurden, so hatte dies unmittelbar -und selbstverständlich ein derartiges Zu- und Abströmen von Arbeitskraft -zur Folge, daß die auf die gleichen Arbeitsleistungen entfallenden -Erträge sich alsbald wieder ins Gleichgewicht <a id="corr-29"></a>setzten. -</p> - -<p> -Doch wie gesagt, nur auf Ausmaß und Reihenfolge der zu gewährenden -Kredite erstreckte sich diese in den ersten Jahren geübte -Einmischung, nicht aber auf die Art der Verwendung derselben. Diesbezüglich -wurde von Anbeginn das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit -der Produzenten zu vollständiger Durchführung gebracht. Da die Produzenten -für die Rückzahlung der empfangenen Kapitalien aufzukommen -hatten, so blieb es ihre Sache, für die nützliche Verwendung derselben -Sorge zu tragen. Allerdings sind es — wie früher erwähnt — die -Konsumenten, welche in letzter Linie die Kosten der gemachten Anlagen -bezahlen; aber das thun sie selbstverständlich nur, wenn und -insoweit diese Anlagen nützlich und notwendig sind. Hätte eine -Association überflüssige oder schlechte Maschinen angeschafft, so wäre es -ihr unmöglich gewesen, die für dieselben zu leistenden Abzahlungen auf -die Käufer ihrer Erzeugnisse abzuwälzen, sie hätte durch solche Investionen -ihren Gewinn nicht erhöht, sondern geschmälert, und man -durfte es daher füglich dem Eigeninteresse der bei den Associationen -Beteiligten überlassen, dafür Sorge zu tragen, daß derartige Kapitalvergeudung -unterbleibe. -</p> - -<p> -Wir kommen nun zu der Frage, wie es möglich war, das gleiche -Anrecht Aller auf gleich ergiebigen Boden zur Wahrheit zu machen. — -Auch dieses Problem löste sich in einfachster Weise durch die im Prinzipe -der freien Vergesellschaftung enthaltene freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte. -Zwar gab es auch in Freiland besseren und minder guten Boden -<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> -wie überall in der Welt; aber da dem besseren Boden mehr Arbeiter -zuströmten, als dem schlechten und da einem bekannten ökonomischen -Gesetze zufolge der Mehraufwand von Arbeitskraft auf gleicher Bodenfläche -mit <em>verhältnismäßig sinkendem</em> Ertrage verknüpft ist, so entfiel -für den einzelnen Arbeiter, respektive für die einzelne Arbeitsstunde -auf bestem Boden kein höherer Reinertrag, als auf überhaupt noch in -Arbeit genommenem schlechtesten. -</p> - -<p> -Im Danaplateau z. B. konnten mit einem Arbeitsaufwande von -80 Stunden 120 Centner Weizen vom Hektar gewonnen werden, in -Edenthal mit dem gleichen Arbeitsaufwande bloß 90 Centner. Die -Bodenassociation im Danaplateau hatte daher, da der Centner Weizen -3⅛ Schilling galt und ⅛ Schilling zur Deckung aller Spesen ausreichte, -am Schlusse des Jahres 4½ Schilling pro Arbeitsstunde als -Gewinn und konnte von diesem nach Abzug der Steuer und der -Kapitalrückzahlungen 2¾ Schilling zur Verteilung bringen. Die Mitglieder -der Edenthal-Association dagegen <a id="corr-30"></a>erhielten bloß 2 Schilling pro -Arbeitsstunde Gewinnanteil, und da nähere Untersuchung ergab, daß -dieser Unterschied nicht in zufälligen Witterungsverschiedenheiten und -auch nicht in minderer Arbeit, sondern in der Beschaffenheit des Bodens zu -suchen sei, so war die Folge, daß im nächsten Jahre die neu eingewanderten -Feldarbeiter mit Vorliebe den besseren Boden des Danaplateaus -aufsuchten. Dort kamen jetzt durchschnittlich 105 Arbeitsstunden -auf den Hektar, in Edenthal bloß 60; die mehraufgewendeten -25 Stunden ergaben aber auf Ersterem keinen Rohertrag von je 1½ -Centner, wie im Durchschnitt die früher aufgewendeten 80 Stunden, -sondern bloß einen solchen von knapp ¾ Centner, d. h. der Ertrag -stieg nicht von 120 auf 157½ sondern bloß auf 138 Centner, sank -also per geleisteter Arbeitsstunde auf 1,34 Centner, was zur Folge hatte, -daß der Gewinn, ungeachtet der inzwischen wegen Verbesserung der -Kommunikationsmittel eingetretenen namhaften Preissteigerung des Getreides, -sich bloß auf 5 Schilling erhöhte, wovon 3 Schilling pro Stunde -zur Verteilung gelangten. In Edenthal dagegen verminderte sich der -Rohertrag durch den Entgang von 20 Arbeitsstunden per Hektar bloß -um je 8 Centner; er betrug also jetzt für 60 Arbeitsstunden 82 Centner -oder 1,27 Centner per Arbeitsstunde. Die Edenassociation zahlte also -eine Kleinigkeit mehr als die von Dana und da zudem der Aufenthalt -in Edenthal mit größeren Annehmlichkeiten verknüpft war, als der im -Danaplateau, so wandte sich nun der Zuzug von Ackerbauern wieder -insolange nach Edenthal, bis endlich — nach 2 ferneren Betriebsepochen -— eine ungefähr fünfprocentige Gewinndifferenz zu Gunsten Danas -hervortrat, bei welcher es dann, von kleinen Schwankungen abgesehen, -auch sein Bewenden hatte. -</p> - -<p> -Ebenso aber, wie das durch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -verwirklichte Prinzip der Interessensolidarität Denjenigen, der thatsächlich -schlechteren Boden bearbeitet, in den Mitgenuß der Vorteile besseren -Bodens setzt, so partizipiert auch jeder, in welchem Produktionszweige -immer Beschäftigte an allen wie immer gearteten Vorteile des besten -Bodens und umgekehrt zieht auch der Bodenbebauer, wie überhaupt -jeglicher Produzent, Gewinn aus sämmtlichen Produktionsvorteilen, die -in welchem Arbeitszweige unseres Gemeinwesens immer erzielt werden, -gerade so, als ob er bei demselben unmittelbar beteiligt wäre. <em>Alle</em> -Produktionsmittel sind Gemeingut; über das Ausmaß des Nutzens, den -ein jeglicher von uns von diesem gemeinsamen Eigentume ziehen mag, -entscheidet nicht der Zufall des Besitzes — aber auch nicht die Fürsorge -einer Alles bevormundenden kommunistischen Obrigkeit, sondern einzig -die Fähigkeit und der Fleiß eines Jeden. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-4-2"> -<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> -9. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Ausgedehnteste Öffentlichkeit aller wirtschaftlichen Vorgänge war -— wie bereits erwähnt — die oberste Voraussetzung des richtigen -Funktionierens der im Vorherigen geschilderten überaus einfachen Organisation, -die in Wahrheit in nichts anderem, als in der Hinwegräumung -aller, der freien Bethätigung von weisem Eigennutze geleiteter -individueller Willkür im Wege stehenden Hindernisse bestand. Um so -notwendiger war es, diese souveräne Willkür wohl zu beraten, dem -Eigennutze alle Handhaben zu richtigem und raschem Erfassen seines -wahren Vorteils zu bieten. -</p> - -<p> -Kein wie immer geartetes Geschäftsgeheimnis! Das war gleichsam -mit eines der Grundgesetze von Edenthal. Da draußen, wo der -Kampf ums Dasein darin gipfelt, einander nicht blos auszubeuten und -zu verknechten, sondern überdies wirtschaftlich zu vernichten, wo infolge -der allgemeinen, aus Unterkonsum hervorgehenden Überproduktion konkurrieren -gleichbedeutend ist mit: einander die Kunden abjagen; da -draußen in der alten Welt wäre Preisgebung der Geschäftsgeheimnisse -gleichbedeutend mit Preisgebung mühsam ergatterten, erlisteten Absatzes, -also mit Untergang. Wo die ungeheure Mehrzahl der Menschen -kein Anrecht auf steigende Produktionserträge besitzt, sondern sich — -unbekümmert um die Ergiebigkeit der Arbeit — mit „Arbeitslohn“, -d. i. mit dem zur Lebensfristung Erforderlichen begnügen muß, dort -kann es auch keine Verwendung für die Gesammterträge hochproduktiver -Arbeit geben. Denn die wenigen Besitzenden können unmöglich -die stetig wachsenden Überschüsse verzehren und ihr Bestreben, solche -zu kapitalisieren, d. h. in Arbeitsinstrumente zu verwandeln, scheitert -an der Unmöglichkeit der Verwendung von Produktionsmitteln, für -deren Produkte es keine Verwendung giebt. Es herrscht also in der -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -ausbeuterischen Welt ein stetiges Mißverhältnis zwischen Produktivkraft -und Konsum, zwischen Angebot und Nachfrage, und die selbstverständliche -Folge ist, daß der Absatz Gegenstand eines eben so stetigen und -schonungslosen Kampfes zwischen den verschiedenen Produzenten ist. -Nicht <a id="corr-31"></a>möglichst viel und gut zu erzeugen, sondern für einen möglichst -großen Teil der eigenen Erzeugnisse einen Markt zu erobern, ist die -vornehmste Sorge der ausbeuterischen Produzenten, und da dieser Absatzmarkt -angesichts des oben klargelegten Mißverhältnisses stets nur -auf Kosten anderer Produzenten erlangt und behauptet werden kann, -so besteht hier notwendigerweise ein dauernder und unversöhnlicher -Interessenkonflikt. Anders bei uns. Wir können des Absatzes jederzeit -sicher sein, denn bei uns kann nicht mehr erzeugt werden, als -gebraucht wird, da ja der gesamte Produktionsertrag dem Arbeitenden -gehört und der Verbrauch, die Befriedigung irgendeines realen Bedürfnisses, -die ausschließliche Triebfeder der Arbeit ist; bei uns kann also -durch Preisgebung seiner Absatzquellen niemand um seine Kunden kommen, -da ihm für die eventuell verlorenen notwendigerweise andere zufallen -müßten. -</p> - -<p> -Und welchen Anlaß hätte anderseits der Produzent da draußen, -seine Erfahrungen Anderen mitzuteilen? Können sie von der erlangten -Kenntnis überhaupt anderen Gebrauch machen, als einen auf seinen -Nachteil abzielenden? Kann er die ihm ihrerseits mitgeteilte Kunde zu -etwas anderem benützen, als wieder zu ihrer Schädigung? Läßt er -den Anderen heran zur Teilnahme an seinem Geschäfte, wenn dieses -das ertragreichere ist, oder läßt ihn Jener in das seine, wenn es sich -umgekehrt verhält? Steigt die Nachfrage nach den Erzeugnissen eines -Produzenten, so steht ihm der Arbeits-„Markt“ offen, wo er stets -Knechte in Hülle findet, die zur Arbeit bereit sind, ohne nach -deren Ertrag zu fragen, sofern sie nur ihren „Lohn“ erhalten. Also -nicht einmal die Konsumenten sind da draußen an der Öffentlichkeit -der Geschäftsführung interessiert, die übrigens, wie schon gesagt, ein -Ding der Unmöglichkeit wäre. Ganz anders auch dies bei uns in -Freiland. Wir lassen Jedermann teilnehmen an unseren Geschäftsvorteilen, -können dafür aber auch teilnehmen an Jedermanns Geschäftsvorteilen, -und wir <em>müssen</em> diese veröffentlichen, weil Mangels eines -Marktes willen- und interesseloser Arbeiter, diese Veröffentlichung der -einzige Weg ist, bei steigender Nachfrage entsprechende Arbeitskräfte -heranzuziehen. -</p> - -<p> -Und was die Hauptsache ist: während da draußen Niemand ein wirkliches -Interesse daran hat, daß die Produktion Anderer sich hebe, ist -bei uns Jedermann aufs lebhafteste dabei interessiert, daß Jedermann -möglichst leicht und gut produziere. Denn die klassische Phrase von -der Solidarität aller wirtschaftlichen Interessen ist zwar bei uns zur -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -Wahrheit geworden, da draußen aber nichts anderes, als eine jener -zahlreichen Selbsttäuschungen, aus denen sich die nationalökonomische -Doktrin der ausbeuterischen Welt zusammengesetzt. <em>Allgemeine</em> Steigerung -der Produktion, des Reichtums ist dort wo die alte Wirtschaftsordnung -herrscht, ein Unding. Wo der Massenkonsum nicht zunehmen -kann, dort können auch Produktion und Reichtum nicht wachsen, sondern -nur verschoben werden, Ort und Eigner wechseln; um was die Produktion -des Einen zunimmt, genau um das nämliche muß die irgendeines -Anderen abnehmen — es sei denn, daß auch der Verbrauch einigermaßen -gewachsen ist, was jedoch, wo die Massen ausgeschlossen sind -vom Genusse wachsender Arbeitserträge, nur zufällig und keineswegs -schritthaltend mit der gewachsenen Arbeitsergiebigkeit geschehen kann. Bei -uns in Freiland dagegen, wo die Produktion — angesichts der mit -ihr naturnotwendig genau proportional wachsenden Konsumtionskraft -— ins Ungemessene steigen kann und steigt, soweit nur unsere Fertigkeiten -und Künste es gestatten, bei uns ist es das oberste, absoluteste -Interesse der Gesamtheit, jedermanns Arbeitskraft verwertet zu sehen, -wo jeweilig die höchsten Erträge für ihn zu erzielen sind, und niemand -giebt es, der nicht Vorteil daraus zöge, wenn dies in möglichst vollkommener -Weise überall geschieht. Der Einzelne oder die einzelnen -Associationen, die vermöge unserer Organisation genötigt sind, einen -zufällig erlangten Vorteil mit anderen zu teilen, erleiden durch dieses -einzelne Faktum für sich betrachtet allerdings einen Gewinnentgang; -aber unendlich größer ist für alle Fälle der Vorteil, den sie davon -haben, daß Ähnliches überall geschieht, daß die Produktivität unablässig -wächst, und ihr eigener Nutzen gebietet also, daß es überall — sohin -selbstverständlich auch bei ihnen — geschehe. In wie ungeahnt -hohem Maße dies der Fall ist, wird die fernere Geschichte von Freiland -sattsam zeigen. -</p> - -<p> -Über die zu ausgedehntester Öffentlichkeit der wirtschaftlichen Vorgänge -abzielenden Maßnahmen ist folgendes zu sagen. Wir gehen von -dem Grundsatze aus, daß die Gesamtheit sich so wenig als möglich -hindernd oder anordnend, dagegen so viel als möglich orientierend und -belehrend in das Thun und Lassen der Individuen zu mengen habe. -Jedermann mag handeln, wie ihm beliebt, sofern er nur die Rechte -anderer nicht kränkt; aber wie er immer handle, sein Thun muß vor -jedermann offen daliegen. In Gemäßheit dieses Grundsatzes wurde -schon in der alten Heimat bei Anmeldung des neuen Mitgliedes dessen -wirtschaftliche Eignung festgestellt und die betreffenden Listen gelangten -— wie einmal schon erwähnt — mit möglichster Beschleunigung an -den Ausschuß. Dem lag weder müßige Neugier, noch polizeiliche Bevormundungssucht -zu Grunde, vielmehr wurden diese Daten ausschließlich -zu Nutz und Frommen der Produktionsgenossenschaften sowohl als der -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -Neuangemeldeten selber veröffentlicht. Die Folge davon war, daß Letztere -in der Regel schon bei ihrer Ankunft am Kenia auf sie vorbereitete -und eingerichtete Arbeitsstätten vorfanden, und zwar allemal diejenigen, -an denen sie die jeweilig beste Verwertung ihrer Arbeitskraft fanden. -Niemand zwang sie, sich diesen ohne ihr Zuthun getroffenen Vorbereitungen -anzubequemen, aber da dieselben in denkbar bester Weise ihrem -eigenen Vorteile dienten, so thaten sie es — von vereinzelten Ausnahmen -abgesehen — mit der größten Freude. -</p> - -<p> -Der zweite und wichtigste Gegenstand der Publikationen waren -die Betriebsausweise der Produzenten — der Associationen sowohl als -der — in geringer Zahl stets vorhandenen — Einzelproduzenten. Von -ersteren, als den weitaus wichtigeren und überdies ihrer Natur nach -schon zu sorgfältiger Buchführung genötigten, wurde sehr viel, in Wahrheit -die Bloßlegung ihres gesamten Gebahrens verlangt. Rohertrag, -Spesen, Reinertrag, Einkauf und Verkauf, Arbeitsleistung, Verwendung -des Reinertrags, alles mußte fortlaufend veröffentlicht werden und zwar -je nach der Beschaffenheit der betreffenden Daten einmal jährlich, anderes -in kürzeren Abständen, der gemachte Arbeitsaufwand z. B. allwöchentlich. -Von Seite der wenigen Einzelproduzenten begnügte man -sich mit dem, was infolge der nunmehr zu beschreibenden Einrichtung -auch ohne ihr Zuthun über sie bekannt wurde. -</p> - -<p> -Einkauf und Verkauf aller erdenklichen Produkte und Handelsartikel -Freilands war nämlich in großen Warenhallen und -lagern konzentriert, -deren Leitung und Überwachung von Gesamtheitswegen geschah. -Es war zwar niemand verboten, zu kaufen und zu verkaufen, wo ihm -beliebte, diese öffentlichen Magazine boten aber so gewaltige Vorteile, -daß Jedermann, der sich nicht selber schädigen wollte, sie in Anspruch -nahm. Gebühren für Einlagerung und Manipulation wurden nicht -berechnet, da wir von der Anschauung ausgingen, daß es ganz -gleichgültig sei, ob man in einem Lande, wo Jedermann einen seiner -Produktion entsprechenden Verbrauch hat, diese Manipulationsgebühren -von den Konsumenten als solchen, oder in Form eines minimalen -Steuerzuschlages von ihnen in ihrer Eigenschaft als Produzenten einhebe. -Als reiner Gewinn verblieb die Ersparnis aus der Vereinfachung -des Verrechnungswesens. -</p> - -<p> -Die oberste Verwaltung von Freiland war aber zugleich auch der -Bankier der gesamten Bevölkerung. Nicht bloß jede Association, sondern -Jedermann hatte sein Konto in den Büchern der Centralbank, -diese besorgte die Inkassi und die Auszahlungen, von den Millionen -Pfunden angefangen, die späterhin gar manche Genossenschaft im Inlande -wie im Auslande zu fordern und zu entrichten hatte, bis hinab -zu den auf die Arbeitsleistung des Einzelnen entfallenden Gewinnanteilen -und dessen Kleider- oder Küchenrechnungen. Ein in Wahrheit -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -„alles“ umfassendes Clearingsystem ermöglichte die Durchführung dieser -zahllosen Geld- und Kreditoperationen beinahe ohne jeden Aufwand -wirklichen Geldes, lediglich durch Zu- und Abschreibungen in den Büchern. -Niemand zahlte bar, sondern gab Anweisungen auf sein Konto bei der -Centralbank, die ihm seine Forderungen gutschrieb, die Ausgaben zu -seinen Lasten buchte und ihm allmonatlich mitteilte, mit welchem Betrage -er bei ihr aktiv oder passiv sei. Denn auch die von Gesamtheitswegen -gewährten, zu kapitalistischer Ausrüstung der Produktion dienenden, -im vorigen Kapitel erwähnten Kredite gingen selbstverständlich durch -die Bücher der Bank. Diese war solcherart über jede wie immer geartete -geschäftliche Beziehung im ganzen Lande fortlaufend bis ins -kleinste Detail unterrichtet. Sie wußte nicht bloß, wo und wie teuer -die Produzenten ihre Vorräte und Rohstoffe einkaufen, ihre Erzeugnisse -absetzen, sie kannte auch die Haushaltungsbilanz, das Einkommen und -den Küchenzettel jeder Familie. Selbst der Kleinhandel konnte -an der Allgegenwart dieser Kontrolle nichts ändern. Die meisten -Lebensmittel und zahlreiche andere Bedarfsartikel wurden von diesen -Geschäftszweig betreibenden Associationen den Kunden ins Haus gestellt; -auch diesen konnte die Bank auf den Heller nachrechnen, wieviel sie -verdient hätten, denn auch deren Einkäufe wie Verkäufe gingen durch -die Bücher dieses Instituts. Die Konti der Bank aber mußten mit den -Ausweisen des statistischen Amtes stimmen, und so besaßen denn alle -Veröffentlichungen eine nicht bloß annähernd und schätzungsweise, sondern -absolut sichere Grundlage; selbst wer es gewollt hätte, wäre schlechterdings -außer stande gewesen, irgend etwas zu verheimlichen oder zu -fälschen. -</p> - -<p> -Diese allumfassende, automatisch sich ergebende Durchsichtigkeit der -gesamten Produktions- und Erwerbsverhältnisse bot nun auch für die -in Freiland eingehobenen Abgaben eine vollkommen verläßliche Grundlage. -Grundsatz war, daß alle Ausgaben des Gemeinwesens von jedem Einzelnen -genau nach Maßgabe seines Reineinkommens gedeckt werden -sollen, und da es in Freiland anderes Einkommen als das von Arbeit -nicht gab, dieses aber genau bekannt war, so machte die Verteilung der -Abgaben nicht die geringsten Schwierigkeiten. Dieselben wurden ganz -einfach schon bei Entstehung des Einkommens erfaßt, und zwar durch -Vermittlung der Bank nicht bloß bei den Associationen, sondern auch -bei den wenigen Einzelproduzenten. In Wahrheit hatte ja das Gemeinwesen -durch seine Bank jegliches Einkommen früher in Händen als der -Bezugsberechtigte selber, und es brauchte diesem daher die Abgabe bloß -in Rechnung zu stellen, unter den Passiven zu buchen, und die Steuer -war einkassiert. Man betrachtete daher in Freiland diese Steuer gar -nicht als Abzug vom Reineinkommen, sondern gleichsam als eine vom -Bruttoertrage in Abrechnung kommende Auslage, etwa gleich den Betriebsspesen. -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -Niemand empfand sie, trotz ihrer sehr bedeutenden Höhe, -als Last, schon aus dem Grunde nicht, weil Jedermann wußte, daß der -größte Teil derselben ihm oder den Seinen wieder zurückfließen werde, -jeder Heller derselben aber ausschließlich gemeinnützigen Zwecken gewidmet -sei, deren Früchte ihm mittelbar zu Gute kämen. Die Auffassung -war also durchaus berechtigt, zwischen den durch Vermittlung -der Gesamtheit und den im engeren Kreise vorgenommenen fruchtbringenden -Ausgaben keinerlei Unterschied zu machen. -</p> - -<p> -Diese Abgaben aber waren sehr hoch; sie betrugen im ersten Jahre -35 Prozent des Reinertrages und sanken niemals unter 30 Prozent, -trotzdem das Einkommen, von welchem die Abgabe erhoben wurde, den -gewaltigsten Aufschwung nahm. Denn die Aufgaben, welche sich das -Gemeinwesen in Freiland gerade zu dem Zwecke gesteckt hatte, um diesen -Aufschwung des Reichtums zu ermöglichen, waren sehr umfassend und -beanspruchten die kolossalsten Beträge. -</p> - -<p> -Die eine dieser Aufgaben war die Beistellung der zu Zwecken der -Produktion erforderlichen Kapitalien. Doch mußte bloß im Anfang -dieser Bedarf seinem ganzen Umfang nach aus der laufenden Steuer -gedeckt werden, während späterhin die Rückzahlungen der Schuldner dem -neuen Bedarfe teilweise die Wage hielten. -</p> - -<p> -Eine stetig wachsende Ausgabenpost bildete das Erziehungswesen, -welches Summen verschlang, von denen man außerhalb Freilands keine -Vorstellung besitzt. -</p> - -<p> -Ebenso beanspruchte das Kommunikationswesen einen in riesigen -Dimensionen zunehmenden Aufwand und das nämliche gilt vom öffentlichen -Bauwesen. -</p> - -<p> -Die Hauptpost des freiländischen Ausgabenbudgets aber bildete der -Titel „Versorgungswesen“, unter welchem die Ansprüche all jener zu -verstehen sind, denen wegen thatsächlicher Arbeitsunfähigkeit, oder weil -sie im Sinne unserer Grundsätze von Arbeit entbunden werden sollten, -ein Recht auf auskömmlichen Unterhalt eingeräumt war. Zu diesen -gehörten alle Frauen, alle Kinder, alle Männer über 60 Jahre und -selbstverständlich alle Kranken oder Invaliden. Die Bezüge dieser verschiedenen -Versorgungsberechtigten waren sämtlich so hoch bemessen, daß -nicht bloß der dringenden Notdurft, sondern auch höheren Ansprüchen, -wie sie nach dem jeweiligen Stande des allgemeinen Reichtums in Freiland -gebräuchlich waren, Genüge geschah; zu diesem Behufe mußten sie -derart berechnet sein, daß sie parallel mit dem Einkommen der arbeitenden -Bevölkerung stiegen, waren daher nicht in festen Summen, sondern -in Teilbeträgen vom Durchschnittseinkommen ausgeworfen. Der Jahr -für Jahr erhobene, im Durchschnitt aller im Lande betriebenen Produktionen -auf den einzelnen Produzenten entfallene Reinertrag war die -Versorgungseinheit, und von dieser Einheit entfiel nun auf jede alleinstehende -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -Jungfrau oder Witwe — sofern sie nicht das Lehreramt oder -Krankenpflege ausübten und hierfür entsprechend bezahlt wurden — 30 -Prozent; verheirateten sie sich, so sank ihr Anspruch auf 15 Prozent -der Einheit; auf die drei ersten Kinder jedes Haushalts entfielen -je 5 Prozent. Vater- und mutterlose Waisen wurden in öffentliche -Verpflegung genommen und erforderten einen Aufwand von durchschnittlich -12 Prozent der Einheit. Männer über 60 Jahre und Kranke oder -Invaliden erhielten 40 Prozent. -</p> - -<p> -Es mag hier sofort bemerkt werden, daß diese sämtlichen Versorgungsbeträge -nach außerfreiländischen Begriffen geradezu horrend zu -nennen wären; schon im ersten Jahre betrug die Einheit 180 Pfd. -Sterling, es bekam also eine Jungfrau oder Witwe 48 Pfd. Sterling, -eine verheiratete Frau 24 Pfd. Sterling, eine Familie mit drei Kindern -und Frau wieder 48 Pfd. Sterling, ein Greis oder Invalide 54 Pfd. -Sterling, was angesichts der bei uns damals herrschenden Preise mehr -war, als die meisten europäischen Staaten ihren höchsten Funktionären -oder deren Witwen und Waisen an Pension zahlen. Denn ein Zentner -feines Mehl kostete in jenem ersten Jahre am Kenia 7 Shilling oder -Mark, ein fetter Ochse 12 Shilling, Butter, Honig, das köstlichste Obst -waren zu ähnlichen Preisen zu haben, Wohnung beanspruchte nicht mehr -als höchstens 2 Pfd. Sterling im Jahr, kurzum mit ihren 48 Pfd. -Sterling konnte bei uns eine ledige Frau in Überfluß leben und brauchte -sich nichts Wesentliches von jenen Annehmlichkeiten und Vergnügungen -zu versagen, die zu jener Zeit in Edenthal überhaupt erreichbar waren. -Und späterhin, als die Preise in Freiland denn doch einigermaßen stiegen, -eilte das Steigen der Arbeitserträge, d. i. also auch der Versorgungsbeträge -dem gewaltig voran, so daß der in diesen gewährte Überfluß -stets ausgesprochener wurde. Allein das lag eben in der Absicht -des Volkes von Freiland. Warum? Davon wird an geeigneter Stelle -noch die Rede sein, insbesondere auch davon, warum den Frauen ausnahmslos -Versorgungsrecht zugesprochen wurde und warum bloß das -Lehramt und die Krankenpflege als ihnen zugedachter Beruf erwähnt -ist. Auch von den Ansprüchen der Kinder wird noch gesprochen werden. -Hier sei nur konstatiert, daß die Deckung all dieser Ansprüche selbstverständlich -stetig wachsende Summen erforderte. -</p> - -<p> -Recht namhafte Ausgabeposten waren auch die für Statistik, -Lagerhaus- und Bankwesen; indessen nahmen die Kosten dieser Verwaltungszweige -— trotz ihres großen absoluten Wachstums — relativ, -nämlich im Verhältnisse zu dem steuerbaren Einkommen, so rasch ab, -daß sie schon nach wenigen Jahren auf einen minimalen Prozentsatz -der Gesamtausgaben gesunken waren. -</p> - -<p> -Dagegen kosteten Justiz, Polizei, Militär und Finanzverwaltung, -die in anderen Ländern reichlich Neun-Zehnteile des Gesamtbudgets -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -verschlingen, in Freiland nichts. Wir hatten keine Richter und Polizeiorgane, -unsere Steuern flossen von selber ein und Soldaten kannten -wir auch nicht. Nichtsdestoweniger wurde bei uns nicht gestohlen, -geraubt oder gemordet, gab es keine Steuerrückstände und wehrlos -waren wir, wie sich aus dem Späteren ergeben wird, keineswegs. Im -übrigen mögen unsere Waffen- und Munitionsvorräte sowie unsere an -die kriegerischen Massai gezahlten Subsidien immerhin als Surrogat -für ein Militärbudget gelten. In Bezug auf das Justizwesen waren -wir so arge Barbaren, daß wir nicht einmal einen Zivil- oder Kriminalkodex -für nötig hielten, nebenbei bemerkt, einstweilen auch keinerlei -geschriebenes Verfassungsrecht besaßen. Der Ausschuß, immer noch im -Besitze der ihm im Haag erteilten Vollmacht, begnügte sich, alle seine -Maßnahmen in öffentlichen Versammlungen darzulegen und die Zustimmung -der Gemeine zu verlangen, die ihm auch einstimmig gewährt -wurde. Zur Schlichtung etwa auftauchender Streitigkeiten unter den -Mitgliedern wurden — einstweilen gleichfalls vom Ausschusse empfohlene -— Schiedsrichter gewählt, die einzeln in mündlichem Verfahren nach -bestem Wissen ihre Entscheidungen treffen sollten und von denen der -Appell an das Schiedsrichter-Kollegium offen stand; sie hatten aber -allesamt so gut wie nichts zu thun. Gegen Laster und deren gemeingefährliche -Folgen maßten wir uns kein <em>Straf</em>-, sondern bloß ein -<em>Schutz</em>recht an, und zwar erachteten wir die <em>Besserung</em> als das -beste und wirksamste Schutzmittel. Da geistig und moralisch normal -veranlagte Menschen in einem Gemeinwesen, welches alle berechtigten -Interessen jedes seiner Mitglieder gleichmäßig berücksichtigt, sich unmöglich -gewaltsam gegen fremdes Recht vergehen können, so betrachteten -wir allenfallsige Verbrecher als geistig oder moralisch Kranke, deren -Heilung eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses sei. Sie wurden -daher — je nach dem Grade ihrer Gemeingefährlichkeit — in -Beobachtung oder in Gewahrsam genommen und insolange geeigneter -Behandlung unterzogen, als dies nach dem Urteile kompetenter Fachmänner -im Interesse der allgemeinen Sicherheit rätlich erschien. Fachmänner -im obigen Sinne waren aber nicht die Friedensrichter, welche -bloß darüber zu entscheiden hatten, <em>ob</em> das verklagte Individuum dem -Besserungsverfahren zu unterziehen sei, sondern besondere, zu diesem -Behufe eigens erwählte Ärzte. Dem in Beobachtung oder Gewahrsam -Genommenen stand es frei, an das <em>Kollegium</em> der vereinigten Ärzte -und Friedensrichter zu appellieren und seine Sache vor demselben -öffentlich zu vertreten, wenn er sich durch das Verfahren des ihm -vorgesetzten Arztes gekränkt erachtete. -</p> - -<p> -Die Anstellungen der sämtlichen Beamten für öffentliches Bauwesen, -Kommunikationswesen, Statistik, Lagerhaus und Centralbank, Unterrichtswesen -etc. gingen provisorisch vom Ausschusse aus. Die Gehalte wurden -<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a> -in Stundenäquivalenten angesetzt, gleich denen der genossenschaftlichen -Funktionäre, und zwar betrugen diese Gehalte den Durchschnittswert -von 1200 bis zu 5000 Arbeitsstunden jährlich, was im ersten Jahre -schon 150 bis 600 Pfd. Sterling ausmachte. Die Bevollmächtigten -in London, Triest und Mombas wurden mit je 800 Pfd. Sterling im -Jahre bezahlt. Bemerkt muß hier werden, daß diese Delegierten bloß -2 Jahre lang auf ihrem auswärtigen Posten verharrten und dann -Anspruch auf entsprechende Verwendung in Freiland hatten. Seinen -eigenen Mitgliedern bestimmte der Ausschuß einen Gehalt von je -5000 Stundenäquivalenten. -</p> - -<p> -Jedes Ausschußmitglied stand einem der 12 Verwaltungszweige -vor, in welche die sämtlichen öffentlichen Geschäfte Freilands provisorisch -geteilt wurden. Die Verwaltungszweige waren: -</p> - -<div class="table"> -<table class="table102" summary="Table-2"> -<tbody> - <tr> - <td class="col1">1.</td> - <td class="col2"><em>Das Präsidium</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">2.</td> - <td class="col2"><em>Versorgungswesen</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">3.</td> - <td class="col2"><em>Unterricht</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">4.</td> - <td class="col2"><em>Kunst und Wissenschaft</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">5.</td> - <td class="col2"><em>Statistik</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">6.</td> - <td class="col2"><em>Straßenbau und Kommunikationsmittel</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">7.</td> - <td class="col2"><em>Post</em>, dazu später Telegraph</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">8.</td> - <td class="col2"><em>Auswärtige Angelegenheiten</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">9.</td> - <td class="col2"><em>Lagerhaus</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">10.</td> - <td class="col2"><em>Centralbank</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">11.</td> - <td class="col2"><em>Gemeinnützige Unternehmungen</em></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">12.</td> - <td class="col2"><em>Sanitätswesen und Justiz.</em></td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<p> -Hiermit wären in großen Zügen die für den Anfang in Freiland -geltenden Verwaltungs- und Organisationsprinzipien geschildert. Dieselben -bewährten sich allseitig aufs vortrefflichste. Die Bildung der -Genossenschaften ging ohne den geringsten Anstand vor sich. Da -die Mehrzahl der successive anlangenden Mitglieder gegenseitig einander -fremd war, mußte man sich bei Besetzung der leitenden Stellen vorläufig -auf die Empfehlungen des Ausschusses verlassen, begnügte sich -deshalb auch zumeist mit provisorischen Wahlen, die jedoch ziemlich -rasch durch definitive ersetzt werden konnten. Die schon vorgefundenen -Produktionen: Landwirtschaft, Gartenkultur, Viehzucht, Mahlmühle, -Sägmühle, Bierbrauerei, Kohlengruben und Eisenwerke, wurden nach -Maßgabe des täglich mit den Mombas-Karawanen einlangenden -Kräftezuwachses namhaft erweitert und mit wesentlichen Verbesserungen -ausgestattet. Eine stattliche Zahl neuer Industrien reihte sich unmittelbar -daran. Eine der ersten war eine — der Hauptsache nach schon fertig -importierte und nur zu adjustierende Druckerei mit 2 Rotations- und -5 Schnellpressen, und gestützt auf diese eine täglich erscheinende Zeitung; -diesen reihten sich in rascher Folge eine Maschinenfabrik, eine Glashütte, -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -eine Ziegelei, eine Ölmühle, eine chemische Fabrik, eine Näh- -und Schuhfabrik, eine Bautischlerei und eine Eisfabrik an. Am -1. Januar des neuen Jahres wurde der erste kleine Schraubendampfer -für den Remorquierdienst im Edensee und Danaflusse vom Stapel -gelassen, welchem die ihres ausgezeichneten Verdienstes halber außerordentlich -rasch anwachsende Betriebs-Association in kurzen Intervallen -zahlreiche andere und größere Lasten- und Personendampfer folgen ließ. -</p> - -<p> -Gleichzeitig nahm auch der Ausschuß einen nicht unbedeutenden -Teil der neu eintreffenden Kräfte für mehrere auf öffentliche Kosten zu -bewerkstelligende Arbeiten und Einrichtungen in Anspruch; den dabei -beschäftigten Arbeitern mußte selbstverständlich ein, der Durchschnittshöhe -des allgemeinen Arbeitsertrages entsprechender — und wo es sich -um besonders anstrengende Leistungen handelte, ein diesen Durchschnitt -entsprechend übersteigender, Verdienst gesichert werden. Diese -Arbeiten waren in erster Reihe die provisorischen Hausbauten für die -neu eintreffenden Mitglieder. Dabei wurde daran festgehalten, daß jede -Familie je ein eigenes Häuschen erhalte, während für die alleinstehenden -Ankömmlinge mehrere große Hotels eingerichtet wurden. Die Familienhäuser -waren der Größe nach verschieden — von 4 bis zu 10 Wohnräumen, -jedes mit einem Garten von 1000 Quadratmeter Fläche ausgestattet. -Jeder Ankömmling konnte ein ihm nach Größe und Lage -passend erscheinendes wählen, selbstverständlich gegen je nach Belieben -ratenweise oder sofortige Abzahlung. Solcher Häuschen mußten -im Monatsdurchschnitt nicht weniger als 1500 fertiggestellt werden; -sie waren aus starken Bohlen in doppelter Lage solid gefügt und -der Bauaufwand stellte sich auf durchschnittlich 8½ Pfd. Sterling -für jeden Wohnraum. Für die Benutzung der Hotelzimmer wurde eine -zur Amortisation der Baukosten und Deckung der Regie genügende -Wochengebühr von ½ Sh. berechnet. -</p> - -<p> -Gleichzeitig mit diesen Wohnhäusern wurde der Bau von Schulen -in Angriff genommen, und zwar mußte, da bis auf weiteres dem Eintreffen -von 1000 bis 1200 Schulkindern im Monatsdurchschnitt entgegenzusehen -war, fortlaufend für genügende Räume zu entsprechender -Unterbringung dieser so rasch anwachsenden Menge Vorsorge getroffen -werden. Selbstverständlich waren auch diese — gleich den Wohnhäusern -— teils im Edenthale, teils auf dem Danaplateau errichteten -Schulräume nur provisorische Barackenbauten, dabei aber licht, luftig -und geräumig. -</p> - -<p> -In der Lebensweise am Kenia hatte sich im übrigen einstweilen -noch wenig verändert, mit Ausnahme des Umstandes, daß Edenthal, -vor Eintreffen der ersten Wagenkarawane ein mäßiges Dorf, binnen -wenigen Monaten zu einer mehr als 20000 Seelen zählenden ansehnlichen -Stadt herangewachsen war. Auf dem Danaplateau, wo sich zuvor -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -nur einige Hütten gefunden hatten, waren zwei ansehnliche Dörfer entstanden, -das eine mit den Arbeiterschaften einiger Fabriken am Ostende, -hart neben dem großen Wasserfalle, das andere, näher zu Edenthal gelegen, -der Sitz einer Ackerbaukolonie. Gemeinsam war all diesen Bewohnern -von Freiland ein ausgesprochener Zug sorgloser Fröhlichkeit -und unverkennbaren Behagens. Die Lebensweise blieb, was die Wohnungs- -und Kleidungsverhältnisse anlangt, noch sehr primitiv, dagegen -herrschte in Speisen und Getränken Überfluß, ja Luxus. Mit den -Mahlzeiten wurde es der Hauptsache nach so gehalten, wie einige Monate -zuvor von den ersten Ankömmlingen; nur hatten die Frauen gar bald -eine ganze Reihe neuer und sinnreicher Verwendungsarten der vielen -köstlichen Landesprodukte herausgefunden. Das Register der erreichbaren -ästhetischen und geistigen Genüsse hatte vorerst keine sonderliche -Bereicherung erfahren. Die Zeitung, eine von der Unterrichtsverwaltung -angelegte Bibliothek, die beinahe Tag für Tag durch neueintreffende -Bücherkisten bereichert wurde, zu Neujahr aber doch erst 18000 Bände -zählte, die dem insbesondere während der heißen Mittagsstunden sehr -lebhaften Lesebedürfnisse keineswegs voll genügen konnten, mehrere neue -Sing- und Orchestervereine, Lese- oder Debattierzirkel und zwei Dutzend -Klaviere — das war alles, was zu dem ursprünglich Vorhandenen gekommen -war. Daneben wurde in den herrlichen Wäldern fleißig gejagt, -Ausflüge nach nicht allzu schwierig erreichbaren Aussichtspunkten waren -an der Tagesordnung — kurz man suchte sich das Leben so angenehm -als möglich zu machen, ohne jedoch einstweilen große Abwechslung in -das Programm der Vergnügungen und geistigen Genüsse bringen zu -können. Das hinderte aber nicht, daß Glück und Zufriedenheit in jedem -Hause herrschten. -</p> - -<p> -Auch hinsichtlich der Arbeitseinteilung war im großen Ganzen das -ursprünglich beobachtete System beibehalten worden. Die Männer -arbeiteten meist zwischen 5 und 10 Uhr morgens und zwischen 4 und -6 Uhr abends; die Frauen — im Bedarfsfalle unterstützt von Eingeborenen -— versahen inzwischen das Haus und die Kinder, sofern diese -nicht in der Schule waren. Doch erachtete sich niemand gerade an -diese Zeiteinteilung gebunden; jedermann arbeitete wann und so lange -es ihm beliebte; auch hatten einige Associationen, deren Betrieb die -gänzliche Unterbrechung der Arbeit während der Mittagszeit schwer -vertrug, einen Turnus eingeführt, der während der heißen Tagesstunden -dem Werke einige Hände sicherte. Da auch hierzu niemand gezwungen -werden konnte, wurde es üblich, die lästigere Mittagsarbeit höher anzurechnen, -als die zu der übrigen Tageszeit, wonach dann die erforderlichen -Freiwilligen sich fanden. Dasselbe gilt für die in einzelnen -Etablissements notwendige Nachtarbeit. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-4-3"> -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -10. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Als das erste Jahr unseres Aufenthaltes am Kenia vergangen war, -zählte Freiland 95000 Seelen, wovon 27000 arbeitsfähige Männer, die, -zu 218 Associationen vereinigt, 87 verschiedene Gewerbe betrieben. Die -letzte Ernte — es gibt nämlich hier zwei Ernten im Jahr, die eine -nach der kleinen Regenzeit im Oktober, die andere nach der großen im -Juni — hatte von 14500 Hektaren angebauten Ackerlandes nahezu 2 -Millionen Centner Getreide getragen, die einen Wert von 300000 Pfd. -Sterling repräsentierten und den dabei beschäftigten 10800 Arbeitern -im Durchschnitt nahe an 2½ Schilling Gewinn für jede darangewendete -Arbeitsstunde ergaben. Doch darf man nicht etwa glauben, daß diese -sämtlichen Arbeiter ihre gesamte Zeit durch landwirtschaftliche Beschäftigung -ausfüllten; das war blos während der Saat- und Erntetage -der Fall gewesen, während in der ganzen übrigen Zeit stets zahlreiche -Landbauer in den benachbarten industriellen Etablissements lohnende -Verwendung ihrer im Ackerbau gerade überschüssigen Arbeitskraft fanden. -Der Durchschnittsertrag der Industrien stellte sich um eine Kleinigkeit -höher, als der der Landwirtschaft, und da im Mittel 40 Stunden -wöchentlich gearbeitet wurde, so betrug der Wochenverdienst eines gewöhnlichen -Handarbeiters von mäßigem Fleiße in dieser zweiten Jahreshälfte -durchschnittlich 5¼ Pfd. Sterling. -</p> - -<p> -Nächst der Landwirtschaft beanspruchte die Eisen- und Maschinenfabrikation -die zahlreichsten Arbeitskräfte, ja, wenn man nicht die zeitweilig -in Verwendung kommende Arbeiterzahl, sondern die überhaupt -aufgewendeten Arbeitsstunden zum Maßstabe nimmt, so war diese Industrie -der Landwirtschaft sogar stark voraus. Und dies ist nicht zum -Verwundern, denn Maschinen verlangten und bestellten alle Associationen, -um ihren Betrieb möglichst zu verbessern. In der alten Welt, wo -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -Arbeitslohn und Arbeitsertrag grundverschiedene Dinge sind, besteht auch -zwischen Rentabilität und theoretischer Vollkommenheit von Maschinen -ein fundamentaler Unterschied. Um theoretisch brauchbar zu sein, muß -eine Maschine bloß Arbeitskraft ersparen, d. h. die zu ihrer Herstellung -und Betriebführung erforderliche Arbeit muß geringer sein, als die durch -ihren Gebrauch zu ersparende. Der Dampfpflug z. B. ist dann eine -theoretisch gute und nützliche Maschine, wenn die Fabrikation eines -Dampfpfluges mit samt der Erzeugung des zu seiner Heizung erforderlichen -Kohlenquantums weniger menschliche Arbeit verschlingt, als auf -der anderen Seite beim Pflügen mit Dampf gegen das Pflügen mit -Rindern gewonnen wird. Etwas anderes aber ist die Rentabilität einer -Maschine — wohlverstanden außerhalb Freilands. Um rentabel zu sein, -muß der Dampfpflug nicht Arbeitskraft, sondern Wert oder Geld ersparen, -d. h. er muß weniger kosten, als die durch ihn ersparte Arbeitskraft -gekostet hätte. Das ist aber da draußen mit nichten schon deshalb -der Fall, weil die ersparte Arbeitskraft größer ist, als die zur -Herstellung des Pfluges und der Kohle erforderliche. Denn während -die Arbeit, die der verbesserte Pflug erspart, blos ihren „Lohn“ erhält, -muß bei dem gekauften Pfluge und der gekauften Kohle neben der zu -ihrer Herstellung erforderlich gewesenen Arbeit auch noch der aus drei -Bestandteilen bestehende „Gewinn“, nämlich Grundrente, Kapitalzins -und Unternehmerlohn, bezahlt werden. So kann es kommen, daß der -Dampfpflug von seiner Entstehung bis zu seiner Abnützung 1 Million -Arbeitsstunden erspart, selber aber mitsamt dem ganzen, zu seinem Betriebe -erforderlichen Kohlenquantum bloß 100000 Arbeitsstunden verschluckt -hätte — und dennoch höchst unrentabel ist, d. h. denjenigen, -der gestützt auf die Sicherheit so riesiger Kraftersparnis ihn kaufen und -benutzen wollte, den größten Schaden verursachte. Denn die Million -ersparter Arbeitsstunden bedeutet eben nicht mehr, als eine Million -ersparter Stunden<em>löhne</em>, also beispielsweise ersparte 10000 Pfd. Sterling, -wenn der Arbeitslohn bloß 1 Pfund für 100 Arbeitsstunden -beträgt. An den zur Herstellung des Pfluges und der Betriebsmittel -erforderlichen 100000 Arbeitsstunden, die für sich allein allerdings bloß -1000 Pfd. Sterling beansprucht haben mögen, haftet aber außerdem -noch die Rente, welche die Besitzer der Eisen- und Kohlengruben einheben, -der Zins, der für die investierten Kapitalien gezahlt werden muß -und schließlich der Gewinn der Eisenfabrikanten und Kohlenerzeuger; -all dies kann unter Umständen mehr betragen, als die Differenz von -9000 Pfd. Sterling zwischen den hier und dort aufgewendeten Arbeitslöhnen, -und wenn es der Fall ist, verliert der abendländische <em>Arbeitgeber</em> -Geld daran, daß er eine Maschine kauft, die tausend Prozent -Arbeit erspart. Ganz anders bei uns; die lebendige Arbeit, die der -Dampfpflug <em>uns</em> erspart, ist Stunde für Stunde genau so viel wert, -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -als die im Pfluge und in der Kohle steckende, bereits in Warenform -verwandelte Arbeitszeit; denn in Freiland giebt es keinen Unterschied -zwischen Arbeitsertrag und Arbeitslohn; in Freiland ist daher jede -theoretisch brauchbare, d. i. jede wirklich Kraft ersparende Maschine zugleich -notwendigerweise rentabel. Dies der Grund, warum in Freiland -die Maschinenindustrie von so enormer, stetig zunehmender Bedeutung -sein mußte. Die eine Hälfte unseres Volkes war damit beschäftigt, jene -stählernen, von Dampf, Elektricität, Wasser, komprimierter oder verdünnter -Luft in Bewegung gesetzten sinnreichen Werkzeuge herzustellen, -mittels deren die andere Hälfte ihre Leistungsfähigkeit verhundertfachte, und -notwendigerweise mußte sich daher bei uns in der Verwendung von Maschinenkraft -eine Vielseitigkeit und Vollkommenheit entwickeln, von welcher -man außerhalb der Grenzen unseres Landes keinerlei Vorstellung besitzt. -</p> - -<p> -Die wichtigsten Einrichtungen, die noch vor Ablauf dieses ersten -Jahres in Angriff genommen wurden, waren erstlich die Herstellung -von Dampfpflügen und — vorläufig noch durch tierische Kraft bewegten -— Säe- und Erntemaschinen, genügend zur Bearbeitung von 26000 -Hektaren, die für die Oktoberernte unter den Pflug genommen werden -sollten. Wir rechneten dabei, durch einmaligen Aufwand von 3½ Mill. -Arbeitsstunden mindestens 3 Millionen Arbeitsstunden jährlich zu ersparen. -Das wäre da draußen in der alten Welt für die solcherart -überflüssig werdenden Arbeiter ein großes Unglück gewesen, ohne daß -die Gesamtheit davon den geringsten Vorteil gehabt hätte; wir dagegen -wußten für derart ersparte Arbeitsstunden vortreffliche Verwendung; sie -wurden zu allerlei Veredlungsindustrien frei, für deren Produkte -eben infolge der gewachsenen Ergiebigkeit der Arbeit die Abnehmer sofort -gegeben waren. -</p> - -<p> -Eine zweite, noch im Laufe des nächsten Jahres zu vollendende -Arbeit war die Verbesserung der Kommunikationsmittel durch Ausbaggerung -des Danaflusses von der Mahlmühle oberhalb des Edensees -bis zum großen Wasserfall am Danaplateau, und durch Anlage einer -das Danaplateau durchziehenden Eisenbahn. Daran sollten sich Seilbahnen -auf einige der Keniavorberge zu Zwecken des Bergwerks- und -Forstbetriebs schließen. -</p> - -<p> -Daß alle bestehenden Industrien neuerlich vergrößert und eine -stattliche Reihe neuer eingerichtet wurden, versteht sich von selbst. Erwähnt -mag dabei werden, daß nur solche Fabriken in Edenthal oder -am Oberlaufe des Dana angelegt wurden, die weder die Luft, noch -das Wasser verdarben; die minder reinlichen Betriebe siedelten sich entweder -am Ostende des Danaplateaus, hart am Wasserfalle, oder auch -unterhalb desselben an. Später wurden Einrichtungen getroffen, die -der Vergiftung der Wässer durch industrielle Abfälle ganz im Allgemeinen -ein Ende machten. -</p> - -<p> -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -Die Stadt Edenthal war auf 48000 Seelen angewachsen und -deckte mit ihren 10600 Häuschen und Gärten, ihren zahlreichen großen, -wenn auch immer noch im Holzbarackenstil gehaltenen öffentlichen Bauten, -mehr als 16 Quadratkilometer. Die zu riesiger Zahl angewachsenen -Rinderherden wie nicht minder die Pferde, Esel, Kamele, Elefanten -und die neu importierten Schweine und feinen Schafsorten übersiedelten -zum größeren Teile nach dem Danaplateau. -</p> - -<p> -Schon zu Beginn des zweiten Jahres hatten uns unsere europäischen -Bevollmächtigten angezeigt, daß die bei ihnen einlaufenden Anmeldungen -sich in gewaltigen Dimensionen vermehrten. Die in den -Zeitungen veröffentlichten Berichte aus Freiland — es waren inzwischen -Korrespondenten einiger der größten europäischen und amerikanischen -Journale bei uns eingetroffen — hatten die Auswanderungslust selbstverständlich -in hohem Grade entfacht und wenn nicht alle Anzeichen -trogen, hatten wir uns für das zweite Jahr unseres Aufenthalts am -Kenia auf einen Zuzug von mindestens dem doppelten, wahrscheinlich -aber von dreifachem Umfange, wie im ersten Jahre, gefaßt zu machen. -Es mußte also für Beschaffung der erforderlichen Kommunikationsmittel -Vorsorge getroffen werden. Da zahlreiche der bemittelten neuen Mitglieder -einstweilen die Schiffe fremder Gesellschaften gegen Zahlung -benutzten, anstatt darauf zu warten, bis auf unseren Schiffen die Reihe -an sie käme, so war das Dringendste, für Vermehrung der Fahrgelegenheiten -von Mombas ab zu sorgen. Es wurden daher schleunigst 1000 -neue Wagen nebst der entsprechenden Anzahl von Zugtieren gekauft -und successive vom März ab in Betrieb gesetzt. Gleichzeitig aber kaufte -unser Londoner Bevollmächtigter sechs und kurze Zeit darauf noch vier -weitere Dampfer von 4000-10000 Tonnen Laderaum, die zu unseren -Zwecken umgebaut, je 1000 bis 3000 Passagiere faßten. Mit Hülfe -dieser neuen Dampfer wurde zunächst der Verkehr über Triest verstärkt; -die größten Schiffe kamen an dieses, zum Transport über Suez für -ganz Mitteleuropa günstigst gelegene Ausfallthor; daneben aber wurde -zweimal in der Woche eine Fahrt ab Marseille und einmal im Monat -eine Fahrt ab San Franzisko über den stillen Ocean eingerichtet. Nachdem -noch für alle Fälle eine dritte Serie von 1000 Wagen bestellt -worden war, erachteten wir uns den Anforderungen des bevorstehenden -zweiten Jahres gegenüber ausreichend gerüstet. -</p> - -<p> -So standen die Dinge, als Demestre mit der Erklärung vor den -Ausschuß trat, daß die primitive Art der Beförderung von Mombas -ab angesichts der voraussichtlich auch in Zukunft anhaltenden gewaltigen -Einwanderung unmöglich genügen könne. Wir müßten sofort an den -Bau einer Eisenbahn von Edenthal an die Küste denken. -</p> - -<p> -Alles, was Demestre zur Begründung seines Vorschlages sagte, war -so richtig und einleuchtend, daß derselbe ohne Debatte einhellig angenommen -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -wurde, ja, daß sich Jedermann insgeheim wunderte, ihn -nicht schon längst selber gemacht zu haben. Es handelte sich jetzt nurmehr -darum, die Trace der zukünftigen Eisenbahn festzustellen. In -erster Reihe stand der alte Weg, durch Kikuja ins Massailand, durch -dieses, den Kilima östlich umgehend über Tawenta und Teita nach -Mombas. Eine zweite, möglicherweise viel günstigere Trace, ließ sich -zwei Längengrade weiter östlich, aber gleichfalls nach Süden gerichtet -und in Mombas die Küste erreichend, durch Kikuja ins Land der -Ukumbani und dort das Flußthal des Athi bis Teita verfolgend, denken. -Diese Trace konnte günstigenfalls eine Distanzverkürzung von nahe an -200 Kilometern mit sich bringen. Die dritte, kürzeste Route an den -Ocean aber wäre die in streng östlicher Richtung, den Dana verfolgend, -durch die Gallaländer an die Wituküste gewesen; hier konnte eventuell -nahezu die Hälfte der Distanz erspart werden, denn in der Luftlinie -waren wir östlich keine 450 Kilometer vom Meere entfernt. -</p> - -<p> -Diese drei Alternativlinien sollten also näher untersucht werden, -so genau, als es binnen wenigen Monaten möglich wäre; denn länger -als höchstens ein halbes Jahr sollte mit dem Beginne der Bauarbeiten -nicht gezögert werden. Die Tracierung der alten Route, -die er schon ziemlich genau kannte, behielt sich Demestre vor; nach -dem Athi und dem Dana wurden zwei andere tüchtige Ingenieure, begleitet -gleich Demestre von einem Stabe nicht minder tüchtiger Kollegen, -entsendet. Außerdem aber mußten diese beiden letzteren Expeditionen, -da sie noch gänzlich unbekannte Gebiete mit wahrscheinlich feindlichen -Einwohnern zu durchziehen hatten, wehrhaft gemacht werden. Sie waren -je 300 Mann stark und hatten außer entsprechenden Repetirgewehren -auch einige Kriegselefanten, Kanonen und Raketen mit sich. Überdies -waren alle drei Expeditionen von einer kleinen Schar Naturforscher — -unter diesen hauptsächlich Geologen — begleitet. Anfangs Mai zogen -diese Expeditionen aus; womöglich noch vor der kleinen Regenzeit — -im August — sollten sie zurück sein. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-4-4"> -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -11. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Die Haager Versammlung der „Internationalen freien Gesellschaft“ -hatte, wie man sich erinnern wird, dem Ausschusse Generalvollmacht -für die Dauer von zwei Jahren erteilt. Am 20. Oktober lief diese -Frist zu Ende, und bis dahin mußte sich die Gesellschaft eine neue, -endgiltige Verfassung geben, eine frei durch das Volk von Freiland -gewählte Behörde die bisherigen Vollmachten des Ausschusses übernehmen. -Dieser berief daher schon für den 15. September eine constituierende -Versammlung, und zwar, da die Zahl der Bewohner Freilands zu -groß war, als daß allesamt zu einer Beratung hätten vereinigt werden -können, indem er das Land in 500, der Einwohnerzahl nach gleiche -Sektionen teilte und jede Sektion zur Wahl eines Abgeordneten aufforderte. -Diese derart zustande gekommene Repräsentantenversammlung -erklärte er sofort zur vorläufigen Trägerin der obersten souveränen -Gewalt und forderte sie auf, das Weitere zu verfügen, es ihr anheim -stellend, ob sie ihn bis zu Ausarbeitung der Verfassung noch vorläufig -in Funktion belassen, oder irgend eine neue, sofort zu schaffende Behörde -mit der Geschäftsführung von Freiland betrauen wolle. Die Versammlung -entschied sich nach kurzer Debatte einstimmig für das Erstere und beauftragte -überdies den Ausschuß, einen Verfassungsentwurf vorzulegen. -Da ein solcher für alle Fälle bereits fertig ausgearbeitet war, so konnte -dieser Forderung sofort willfahrt werden. Dr. Strahl legte den Verfassungsentwurf -namens des Ausschusses „auf den Tisch des Hauses“, -dieses beschloß dessen Drucklegung und trat schon nach drei Tagen in -die Beratung der neuen Verfassung. Auch diese Beratungen waren, -angesichts der großen Einfachheit der vorgeschlagenen Grundgesetze und -Ausführungsbestimmungen nicht sehr langatmig und schon am 2. Oktober -konnten diese, einhellig approbiert, als solche verkündet, und in ihrem -Geiste die neue Verwaltung in Kraft gesetzt werden. -</p> - -<p> -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -Die Grundgesetze lauteten: -</p> - -<p> -l. Jeder Bewohner Freilands hat das gleiche unveräußerliche Anrecht -auf den gesamten Boden und auf die von der Gesamtheit beigestellten -Produktionsmittel. -</p> - -<p> -2. Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähige haben Anspruch -auf auskömmlichen, der Höhe des allgemeinen Reichtums billig entsprechenden -Unterhalt. -</p> - -<p> -3. Niemand kann, sofern er nicht in die Rechtssphäre eines Anderen -greift, in der Bethätigung seines freien individuellen Willens gehindert -werden. -</p> - -<p> -4. Die öffentlichen Angelegenheiten werden nach den Entschließungen -aller volljährigen (mehr als 20jährigen) Bewohner Freilands ohne Unterschied -des Geschlechts verwaltet, die sämtlich in allen, das gemeine Wesen -betreffenden Angelegenheiten das gleiche aktive und passive Stimm- und -Wahlrecht besitzen. -</p> - -<p> -5. Die beschließende sowohl als die ausübende Gewalt ist nach -Geschäftszweigen geteilt und zwar in der Weise, daß die Gesamtheit -der Stimmberechtigten für die hauptsächlichen öffentlichen Geschäftszweige -gesonderte Vertreter wählt, die gesondert ihre Beschlüsse fassen und das -Gebahren der den fraglichen Geschäftszweigen vorstehenden Verwaltungsorgane -überwachen. -</p> - -<p> -In diesen fünf Punkten ist das Um und Auf des öffentlichen Rechts -von Freiland niedergelegt; alles weitere ist nichts anderes, als das -selbstverständliche Ergebnis oder die nähere Ausführung derselben. So -ergeben sich die Prinzipien, auf denen die Associationen sich aufbauten -— Anrecht des Arbeiters am Ertrage, Verteilung desselben nach der -Arbeitsleistung und freie Vereinbarung mit höherwertigen Arbeitskräften -— naturgemäß und notwendigerweise aus dem ersten und dritten Grundgesetze. -Da jedermann über sämtliche Arbeitsmittel verfügte, so konnte -niemand sich gedrängt sehen, auf den Ertrag der eigenen Arbeit zu verzichten, -und da niemand gezwungen werden konnte, seine höheren Fähigkeiten -anderen zur Verfügung zu stellen, so mußten diese höheren Fähigkeiten, -sofern man ihrer zur Leitung der Produktion bedurfte, im Wege -freier Vereinbarung entsprechende Verwertung finden. -</p> - -<p> -Mit Bezug auf das im zweiten Absatze ausgesprochene Versorgungsrecht -der Frauen, Kinder, Greise und Arbeitsunfähigen ist zu bemerken, -daß dieses im Sinne unserer Grundsätze als Ausfluß der Wahrheit angesehen -wurde, daß der Reichtum des Kulturmenschen nicht Produkt seiner -eigenen, individuellen Fähigkeiten, sondern das Ergebnis der geistigen -Arbeit zahlloser vorangegangener Generationen sei, <em>deren Erbe dem -Schwachen und Arbeitsunfähigen gerade so gebühre, wie dem -Starken und Tüchtigen</em>. Alles, was wir genießen, verdanken wir -nur zu unendlich geringem Teile unserer eigenen Intelligenz und Kraft; -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -auf diese allein angewiesen, wären wir arme, in tiefstem, tierischem -Elend vegetierende Wilde; die reiche Hinterlassenschaft unserer Vorfahren -seit unvordenklicher Zeit ist es, von welcher wir zehren, der wir neunundneunzig -Hundertteile all unserer Genüsse verdanken. Ist dem aber -so — und kein Zurechnungsfähiger hat dies jemals in Abrede gestellt -— dann haben all unsere Geschwister Anrecht auf Mitgenuß der Erbschaft. -Daß diese Erbschaft ohne unsere, der Starken, Arbeit -unfruchtbar wäre, ist allerdings richtig, und unbillig, ja thöricht und -undurchführbar wäre daher das Verlangen der schwächeren Geschwister -nach <em>gleicher</em> Teilung. Aber geschwisterlichen, nicht auf das bloße Erbarmen, -sondern auf Anerkennung ihres Erbrechts gestützten Anteil des -dem gemeinsamen Erbgute — und es sei immerhin bloß durch <em>unsere</em> -Arbeit — abgewonnenen reichen Ertrages können sie fordern; sie stehen -uns nicht als bettelnde Fremdlinge, sondern als erbberechtigte Familiengenossen -gegenüber. Und unser, der stärkeren Geschwister eigenes wohlverstandenes -Interesse verlangt die rückhaltlose Anerkennung dieses guten -Rechtes jedes Angehörigen der menschlichen Familie. Denn unser eigenes -Glück kann nicht gedeihen, wenn wir Geschöpfe, die Unseresgleichen sind, -entwürdigen, zu Not und Schmach verurteilen. Gesunder Egoismus verbietet -uns, dem Elend und seinen Kindern, den Lastern, irgend einen -Schlupfwinkel inmitten von Unseresgleichen offen zu halten. Frei und -„edelgeboren“, ein König und Herr dieses Planeten muß jeder sein, -dessen Mutter ein menschliches Weib gewesen, sonst wird seine Not zu -einem fressenden Geschwüre, welches um sich greifend den stolzen Bau -auch unserer, der Starken, Herrlichkeit vergiftet. -</p> - -<p> -So viel über das Versorgungsrecht im allgemeinen. Was aber -speziell das den Frauen zugesprochene anlangt, so war bei diesem die -fernere Erwägung maßgebend, daß das Weib seiner physischen und -psychischen Beschaffenheit nach nicht zu aktivem Kampfe ums Dasein, -sondern einerseits zu dessen Fortpflanzung, anderseits zu dessen Verschönerung -und Veredlung bestimmt ist. So lange wir alle, oder doch -die ungeheuere Mehrheit von uns allen, in unablässigem, jammervollem -Kampfe mit des Lebens gemeinster, tierischer Notdurft uns quälten, -konnte von Rücksicht auf die Schwäche und auf den Adel des Weibes -keine Rede sein; die Schwäche konnte — gleich der jedes anderen -Schwachen — nicht der Rechtstitel auf Schonung, sondern mußte zu -einem Anreize der Unterjochung werden; der Adel des Weibes war -geschändet — abermals gleich dem jedes rein menschlichen, wirklichen -Adels. Eine Sklavin und ein käufliches Werkzeug der Lüste war das -Weib ungezählte Jahrtausende hindurch — und die vielgerühmte Civilisation -der letzten Jahrhunderte hatte daran dem Wesen nach nichts -geändert. Auch unter den sogenannten Kulturnationen der Gegenwart -blieb das Weib rechtlos, und was schrecklicher ist, es blieb, um sein -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -Dasein zu fristen, angewiesen darauf, sich dem ersten Besten zu verkaufen, -der um seiner Reize willen die Verpflichtung übernahm, es zu -„versorgen“. Diese von Recht und Sitte geheiligte Prostitution ist in -ihren Wirkungen verheerender, als jene andere, ihr Wesen unverhüllt -zur Schau tragende, die sich von ihr bloß dadurch unterscheidet, daß -hier der schmähliche Handel nicht auf Lebenszeit, sondern für kürzere -Frist geschlossen wird, für Jahre, Wochen, Stunden. Gemeinsam ist -beiden, daß das süßeste, heiligste Kleinod der Menschheit, das Herz des -Weibes, zum Gegenstande gemeinen Schachers, zu einem Mittel des -Lebensunterhalts gemacht wird, und schrecklicher als die Prostitution -der Straße ist die von Gesetz und Sitte geheiligte der Versorgungsehe, -weil unter ihrem verpestenden Gifthauche nicht bloß Würde und -Glück der jeweilig lebenden, sondern auch Saft und Mark der zukünftigen -Geschlechter verdorren. Da die Liebe, jener geheiligte Instinkt, -der bestimmt ist, das Weib in die Arme jenes Gatten zu führen, mit -dem vereint es der kommenden Generation die tüchtigsten Mitglieder -schenken könnte, zum Erwerbsmittel, dem einzigen das ihm offen stand, -geworden, so mußte das Weib, um zu leben, sich — in sich aber die -Zukunft der Rasse schänden. -</p> - -<p> -Glück und Würde, wie das zukünftige Heil der Menschheit, erfordern -daher im gleichen Maße, daß das Weib der entehrenden Notwendigkeit -enthoben werde, im Gatten zugleich den Versorger, in der -Ehe das einzige Rettungsmittel gegen materielle Not zu sehen. Aber -auch gemeiner Arbeit darf das Weib nicht überwiesen werden. Auch -das verbietet das Glück der jeweilig lebenden und die Tüchtigkeit der -zukünftigen Generation in gleicher Weise. Die Gleichberechtigung des -Weibes dadurch verwirklichen wollen, daß man ihm gestattet, im Broterwerb -mit dem Manne zu konkurrieren, ist eben so nutzlos als verderblich; -nutzlos, weil dem weiblichen Geschlechte als Ganzes genommen -eine solche Befugnis, von welcher es nur in Ausnahmefällen wirklichen -Gebrauch machen kann, doch nicht hilft; verderblich, weil das Weib mit -dem Manne hier nicht konkurrieren darf, ohne seinen edleren schöneren -Aufgaben untreu zu werden. Und diese Aufgaben liegen nicht etwa in -der Verfolgung von Küche und Wäschespinde, sondern in der Pflege -des Schönen in der gegenwärtigen Generation einerseits und der -geistigen wie körperlichen Entwickelung des Nachwuchses anderseits. Das -Weib muß daher nicht bloß in seinem eigenen, sondern ebenso im Interesse -des Mannes und insbesondere in jenem der zukünftigen Geschlechter -dem Kampf um des Lebens Notdurft gänzlich entrückt werden; -es darf kein Rad im Getriebe des Broterwerbs, es muß ein Juwel am -Herzen der Menschheit sein. Nur eine „Arbeit“ ist dem Weibe angemessen: -die der Kindererziehung und allenfalls noch die Pflege von -Kranken und Gebrechlichen. In der Schule und am Siechbett kann -<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> -weibliche Zärtlichkeit und Vorsorge eine passende Vorschule für die -Pflichten des späteren eigenen Hauses finden, und hier mag die alleinstehende -Frau zugleich Erwerb suchen, sofern sie es wünscht. Als selbstverständlich -darf gelten, daß im Sinne unserer Prinzipien jeder dem -Weibe gegenüber geübte abwehrende Zwang durchaus verpönt war. -<em>Verboten</em> war der Frau nicht, welches Gewerbe immer zu ergreifen, -was denn in vereinzelten Fällen auch jederzeit geschah, insbesondere -auf dem Gebiete der geistigen Berufe; aber die öffentliche Meinung in -Freiland billigte dies eben auch nur in Ausnahmefällen, d. h. wenn -hervorragende Fähigkeiten solches Thun rechtfertigten und es muß bemerkt -werden, daß unsere Frauen in erster Reihe es waren, welche sich -auf die Seite dieser öffentlichen Meinung stellten. -</p> - -<p> -Daß der Versorgungsanspruch der Frauen um ein Vierteil geringer -bemessen wurde, als derjenige der Männer — die konstituierende -Versammlung bestätigte nämlich nicht bloß das Prinzip, sondern auch -das bereits mitgeteilte Ausmaß der verschiedenen Versorgungsrechte — -hat nicht in einer Minderbewertung des weiblichen <em>Anspruches</em> seine -Motivierung, sondern lediglich in der Thatsache, daß die <em>Bedürfnisse</em> -des Weibes geringer sind, als die des Mannes. Wir gingen von der -Ansicht aus, daß die Frau mit ihren dreißig Hundertteilen des durchschnittlichen -Arbeitsertrages eines freiländischen Produzenten ebenso -reichliches Auslangen finden werde, als ein versorgungsbedürftiger -Mann mit seinen vierzig Hundertteilen; und die Erfahrung hat dies -vollauf bestätigt. -</p> - -<p> -Es hatte jedoch nicht bloß die alleinstehende Jungfrau oder Witwe, -sondern auch die Ehefrau — wenn auch bloß den halben — Versorgungsanspruch. -Das begründete sich dadurch, daß auch das verheiratete -Weib nicht auf die Versorgung des Mannes angewiesen und -dadurch in ein materielles Abhängigkeitsverhältnis zu diesem gebracht -sein sollte. Da im Haushalte die Thätigkeit der Frau immerhin mit -einem Teile ihres Eigenbedarfs zu veranschlagen ist, so bedurfte es, -um dem Ehemanne die Versorgungslast abzunehmen, auch nur einer -teilweisen Versorgung von Gesamtheitswegen. Mit dem beginnenden -Kindersegen vermehrt sich die Familienlast neuerlich, und da diese abermals -durch das Weib erwächst, so steigerten wir den Versorgungszuschuß -insolange, bis er wieder die volle Höhe des Versorgungsanspruches -der Frau, d. i. 30 Prozent erreichte. -</p> - -<p> -Das vierte Grundgesetz, das allgemeine, auf volljährige Frauen -ausgedehnte Stimmrecht, bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. -Zu bemerken wäre hier nur, daß sich diese Bestimmung auch auf die -in Freiland wohnenden Neger erstreckte, mit dem Beifügen jedoch, daß -des Lesens und Schreibens Unkundige insofern von der thatsächlichen -Ausübung politischer Rechte ausgeschlossen waren, als alle Abstimmungen -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -durch eigenhändig auszufüllende Stimmzettel vorgenommen wurden. -Wir gaben uns übrigens redlich Mühe, unseren Negern nicht bloß das -Lesen und Schreiben, sondern auch eine Reihe anderer Kenntnisse beizubringen, -und da dies im allgemeinen von gutem Erfolge begleitet -war, so nahmen unsere schwarzen Brüder allmählich an allen unseren -Rechten teil. -</p> - -<p> -Näherer Erklärung bedarf dagegen Punkt 5 der Grundrechte, wonach -die Gemeine ihr Beschluß- und Kontrollrecht über alle öffentlichen -Angelegenheiten nicht durch <em>eine</em>, sondern durch mehrere, nach Verwaltungszweigen -geordnete Körperschaften ausübte, die von der Gemeine -auch ebenso gesondert gewählt wurden. Dieser Bestimmung verdankt -die Verwaltung von Freiland ihre geradezu erstaunliche Sachkenntnis, -das öffentliche Leben Freilands seine nicht minder beispiellose Ruhe -und das Fehlen aller tiefergehenden, leidenschaftlichen Parteiungen. In -den Staaten Europas und Amerikas besteht bloß die vollziehende Gewalt -aus Männern, die unter Rücksicht auf ihre Sachkenntnis und Befähigung -für jenen Zweig des öffentlichen Dienstes ernannt, respektive gewählt -sein <em>sollten</em>, dem vorzustehen ihres Amtes ist. Selbst das ist nur -mit sehr großen Einschränkungen der Fall, ja insbesondere den sogenannten -parlamentarischen Verfassungen Europas und Amerikas gegenüber -muß mit Recht behauptet werden, daß sie gerade an die Spitze -der verschiedenen Verwaltungszweige Männer stellen, die nur zu oft -von den wichtigen Angelegenheiten, denen sie vorstehen sollen, sehr -wenig verstehen. Die Versammlungen, aus deren Mitte und durch deren -Willen parlamentarische Minister zur Macht gelangen, sind in der -Regel gänzlich außer Stande, durchweg sachkundige Männer zu berufen, -schon aus <em>dem</em> Grunde nicht, weil sie solche häufig gar nicht in ihrer -Mitte besitzen. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht selbst parlamentarische -Schönredner und Berufspolitiker in der Regel immer noch mehr -von ihrem Amte verstehen, als jene Günstlinge der Macht und des -blinden Glücks, die in nichtparlamentarischen Ländern das Ruder führen -— aber Sachverständige sind sie nicht, können sie nicht immer sein. -Doch wie gesagt, die Organe der Exekutive <em>sollten</em> es doch zum mindesten -sein, es besteht die Fiktion, daß sie es seien, und ein Mann, der -sich in irgend einem Fache rühmlich hervorthut, hat damit wenigstens -einen — wenn auch thatsächlich ziemlich untergeordneten — Anspruch -mehr, in diesem Fache Verwendung im öffentlichen Dienste zu finden. -Für die <em>gesetzgebenden</em> Körperschaften des Abendlandes dagegen ist -Sach- und Fachkenntnis nicht einmal prinzipiell ein Grund der Wahl. Die -Männer, welche Gesetze erlassen und deren Ausübung zu kontrollieren -haben, brauchen grundsätzlich von all den Angelegenheiten, auf welche -sich diese Gesetze beziehen, nicht das Geringste zu verstehen. Das -Vertrauen ihrer Wähler ist vom Grade dieses ihres Verständnisses in -<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> -der Regel unabhängig, sie werden nicht als Fachmänner, sondern als -„<em>gesinnungstüchtige</em>“ Männer gewählt. -</p> - -<p> -Das aber hat einen doppelten Übelstand im Gefolge; es macht -zunächst den öffentlichen Dienst mehr als irgend eine Privatangelegenheit -zum Spielballe menschlicher Unwissenheit und Unklugheit; das Wort -Oxenstiernas: „Du weißt nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand -die Welt regiert wird“, ist in weit höherem Maße, als allgemein geglaubt -wird, ein wahres Wort; der durchschnittliche Grad von Klugheit -und Sachkenntnis in zahlreichen öffentlichen Verwaltungszweigen der -sogenannten civilisierten Welt, steht tief unter dem in den Privatgeschäften -der nämlichen Länder gemeinhin anzutreffenden Durchschnittsniveau. -Zum zweiten aber gestaltet diese, zugleich centralisierte und -kenntnislose Organisation der öffentlichen Verwaltungszweige das Parteigetriebe -zu einem leidenschaftlichen und erbitterten Kampfe, in welchem -stets alles an alles gesetzt werden muß und in welchem beinahe niemals -sachliche Erwägungen, sondern stets nur die vorgefaßten politischen Meinungen -entscheiden. Unablässiger Kampf, stete, leidenschaftliche Erregung -ist also die zweite, notwendige Folge dieser verkehrten Einrichtung. -</p> - -<p> -Eine Änderung derselben ist aber schlechthin unmöglich, so lange -die geltende soziale Ordnung in Kraft bleibt. Denn solange dies der -Fall ist, fährt das allgemeine Wohl noch immer besser, wenn die öffentlichen -Angelegenheiten von Unwissenden, ohne Rücksicht auf ihre Fachkenntnis -Gewählten, verwaltet und kontrolliert werden, als wenn Fachleute -von Beruf die Macht erhielten, in Sachen ihres Faches namens -der Gesamtheit zu handeln. Das Interesse dieser wirklichen Fachmänner -ist nämlich in der ausbeuterischen Gesellschaft dem der großen Masse -nicht bloß häufig, sondern in der Regel entgegengesetzt. Man denke sich -einen europäischen oder amerikanischen Staat, in welchem die Fabrikanten -über Fabrikation, die Landwirte über Bodenproduktion, die Eisenbahnleute -über Transportwesen, und so fort die sachkundigen Vertreter jedes -Interessen-Zweiges über das sie zunächst interessierende Gebiet Gesetze -machen, ausführen und überwachen könnten! Da in der ausbeuterischen -Gesellschaft der Kampf ums Dasein auf gegenseitige Unterdrückung und -Verdrängung gerichtet ist, so müßten die Folgen einer solchen „Verfassung“ -für sie geradezu schrecklich sein, und in jenen, unter dem Sammelnamen -der politischen Korruption bekannten Fällen, wo es vereinzelten -Interessenkreisen gelang, ihren Willen dem der Gesamtheit unterzuschieben, -überschritt auch thatsächlich die Schamlosigkeit der Ausbeutung alle -Grenzen. -</p> - -<p> -Anders in Freiland; bei uns giebt es keine dem Gesamtinteresse -entgegenstehenden oder auch nur nicht vollkommen mit diesem harmonierenden -Sonderinteressen. Produzenten z. B., die in Freiland auf den -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -Gedanken gerieten, ihren Gewinn dadurch zu erhöhen, daß sie den Import -mit Zöllen belegten, müßten Blödsinnige sein; denn daß sie die Konsumenten -zwängen, ihre Fabrikate höher zu bezahlen, würde ihnen nichts -nützen — da sofort der Zufluß von Arbeitskraft ihren Gewinn wieder -auf sein Durchschnittsniveau herabbrächte — dagegen würde ihnen allerdings -schaden, daß sie allen andern Produzenten das Produzieren erschwert -hätten, denn dadurch würde eben jenes Durchschnittsniveau der -Gewinne, über welches sich ihr eigener niemals dauernd erheben kann, herabgedrückt -worden sein. Und genau das nämliche gilt für alle unsere -Interessenkreise. Dadurch, daß jeder derselben Jedem zugänglich ist, -und daß Niemand das Recht und die Macht hat, einen irgendwo erwachsenden -Vorteil für sich allein zu beanspruchen, sind wir in der glücklichen -Lage, in allen Interessenfragen Jenen die Entscheidung anzuvertrauen, -welche die <em>zunächst</em> Interessierten, also die Sachkundigsten sind. -Dadurch aber gestalten sich Gesetzgebung und Verwaltung nicht bloß -sachkundig im höchsten Grade, es verschwindet auch aus dem öffentlichen Leben -jene leidenschaftliche Voreingenommenheit, die da draußen das charakteristische -Merkmal des Parteigetriebes ist. Da überall wohlverstandenes -gemeinsames Interesse und Vernunft entscheiden, so haben wir niemals -Grund, uns zu erhitzen. Bei unseren Wahlen handelt es sich gar nicht -darum, „einen Gesinnungsgenossen durchzubringen“, sondern höchstens -um Meinungsverschiedenheiten darüber, welcher der Kandidaten wohl -der Erfahrenste, Klügste sein möge. Und da die Fähigkeiten eines Jeden -unter uns wegen der Organisation unserer gesamten Arbeit auf die Dauer -unmöglich verborgen bleiben können, so sind Irrtümer in diesem, für -unser öffentliches Leben allein maßgebenden Punkte kaum möglich. -</p> - -<p> -Da die Konstituante die Zwölfteilung der Verwaltung beibehalten -hatte, so gab es von da ab in Freiland neben den zwölf verschiedenen -Exekutivbehörden — die in ihrem Wirkungskreise etwa mit den abendländischen -Ministerien in Parallele zu stellen wären — zwölf verschiedene -beratende, beschließende und überwachende, aus der allgemeinen Wahl -hervorgegangene Versammlungen an Stelle der einheitlichen abendländischen -Parlamente. Diese zwölf Versammlungen wurden sämtlich von der Gesamtheit -aller Wähler gewählt, es hatte zum Mindesten jeder Wähler -das Recht, bei allen Wahlen seine gleichgewichtige Stimme abzugeben; -aber die Einteilung der Wahlkörper war verschieden, und die Wahlen -fanden für jeden der zwölf Vertretungskörper gesondert statt; ein Teil -derselben, nämlich die für die Geschäfte des Verwaltungspräsidiums und -der Finanzen, für Versorgungswesen, Unterricht, Kunst und Wissenschaft, -Sanitätswesen und Justiz, fand nach Wohnbezirken, die Wahlen in die -anderen Vertretungskörper fanden nach Berufskategorien statt. Zu letzterem -Zwecke waren die sämtlichen Einwohner Freilands je nach ihren -Berufsgeschäften in zahlreiche größere oder geringere Wahlkörper geteilt, -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -deren jeder, je nach der Zahl seiner Angehörigen einen oder mehrere Abgeordnete -wählte; von ganz kleinen Berufsklassen waren je einige -möglichst gleichartige zu je einem Wahlkörper zusammengelegt; die Zugehörigkeit -zu den verschiedenen Wahlkörpern hing vom Belieben jedes -Wählers ab, d. h. es konnte sich Jedermann — und ebenso selbstverständlich -auch jede Frau — in eine ihm oder ihr genehme Berufsklasse -eintragen lassen, und übte dann in dieser das Wahlrecht für die von -diesen Klassen gewählten Vertretungskörper aus. -</p> - -<p> -Die obersten Beamten der zwölf Verwaltungszweige wurden sodann -je von den zwölf Vertretungskörpern ernannt; die Ernennung der anderen -Beamten war Sache der Verwaltungschefs. In allen wichtigeren -Fällen hatten diese alle den Vertretungskörpern vorzulegenden Maßnahmen -vorher gemeinsam untereinander zu beraten. -</p> - -<p> -Die Beratungen der verschiedenen Vertretungskörper fanden in der -Regel gesondert und meist auch in verschiedenen Sessionsperioden statt; -einzelne derselben waren in Permanenz, andere traten bloß einigemal -im Jahr für wenige Tage zusammen; auch die Mitgliederzahl dieser -Fachparlamente war verschieden; das schwächste derselben, das für -Statistik, bestand bloß aus 30 Mitgliedern, die vier zahlreichsten -zählten je 120 Mitglieder. Wenn Angelegenheiten, die mehrere Vertretungskörper -gemeinsam interessierten, zur Sprache kamen, so traten -die betreffenden Körperschaften zu gemeinsamen Sitzungen zusammen. -Kompetenzstreitigkeiten waren unmöglich, da der bloße von Seiten welches -Vertretungskörpers immer ausgesprochene Wunsch, an den Beratungen -irgend eines anderen Teil zu nehmen, dazu genügte, um die betreffende -Angelegenheit zu einer gemeinsamen zu machen. -</p> - -<p> -Das naturgemäße Ergebnis dieser Organisation war, daß jeder -Bewohner Freilands bloß an jenen öffentlichen Angelegenheiten teilnahm, -von denen er etwas verstand oder doch zu verstehen glaubte, -und daß er in jedem Verwaltungszweige jenem Kandidaten seine -Stimme gab, der seiner Meinung nach der berufenste und befähigteste -gerade für den fraglichen Verwaltungszweig war, was wieder zu naturgemäßen -— abendländischem Begriffe nach allerdings schier unglaublichen -— Folge hatte, daß jeder öffentliche Verwaltungszweig von den -sachverständigsten und berufensten Männern in ganz Freiland verwaltet -wurde. Und dabei entwickelte sich sehr bald eine höchst eigentümliche -Art politischer Ehre, die gleichfalls sehr verschieden war von der überall -anderwärts geltenden. Gilt es da draußen für „gesinnungstüchtig,“ der -einmal erwählten Partei unterschiedlos durch Dick und Dünn zu folgen, -ihr seine Stimme und seinen Einfluß zu leihen, gleichviel ob man von -der Sache, um die es sich gerade handelt, etwas versteht oder nicht, so -verlangt die politische Ehre eines Bürgers von Freiland zwar noch viel -entschiedener, daß er seine Aufmerksamkeit und seinen Eifer den öffentlichen -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -Angelegenheiten widme; die öffentliche Meinung verübelt es ihm -aber höchlich, wenn er — gleichviel aus welchen Rücksichten — sich -in solche Angelegenheiten mengt, von denen er offenbar nichts versteht, -so daß streng genommen schon vom Wähler verlangt wird, daß er in -jenen Verwaltungszweigen, bei denen er das Gewicht seiner Stimme -geltend macht, einigermaßen Fachmann sei. Die Wahlen befinden sich -daher durchweg in sehr guter Hand, Beeinflussung der Wählerschaften -durch phantastische Vorspiegelungen oder Versprechungen wären, selbst -wenn versucht, niemals von Erfolg. Es giebt keinen Wähler, der für -sämtliche zwölf Vertretungskörper wählen würde; speziell die Frauen -halten sich mit verschwindenden Ausnahmen fern von allen Wahlen, die -nach Berufsklassen vorgenommen wurden; dagegen beteiligen sie sich -sehr lebhaft an den nach Wohnbezirken stattfindenden; speciell bei denen -für Unterrichtswesen geben ihre Stimmen den Ausschlag. Auch ihr -passives Wahlrecht kommt zur Geltung und in den Vertretungskörpern -für Versorgungswesen, Kunst und Wissenschaft, Sanitätswesen und -Justiz sitzen häufig, in dem für Unterricht stets mehrere Frauen. An -der Exekutive beteiligen sie sich niemals. Der Vollständigkeit halber -mag noch erwähnt werden, daß die gewählten Abgeordneten für ihre -Thätigkeit bezahlt werden und zwar erhalten sie für jeden Tag der -Sessionsdauer je acht Stundenäquivalente. -</p> - -<p> -Nachdem die Verfassung von der Konstituante angenommen worden -war, löste sich diese auf und es wurden sofort die Wahlen für die -zwölf Vertretungskörper vorgenommen. Pünktlich am 20. Oktober -traten diese zusammen und der Ausschuß legte in deren Hände seine -Gewalten nieder. Die alten Ausschußmitglieder wurden jedoch als Chefs -der verschiedenen Verwaltungszweige wiedergewählt, mit Ausnahme von -Vieren, welche erklärten, kein öffentliches Amt mehr anzunehmen und -an deren Stelle neue Männer traten. Die Regierung von Freiland -war endgiltig konstituiert. -</p> - -<p> -Inzwischen waren die drei zur Feststellung der geeignetsten Trace -für eine Eisenbahn an die Küste entsendeten Expeditionen zurückgekehrt. -Die eine derselben, die auf der kürzesten Route, im Danathale an die -Wituküste, operiert hatte, war zwar auf keine ungewöhnlichen Terrainschwierigkeiten -gestoßen und die Voraussicht, daß diese weitaus kürzeste -Strecke sich als die technisch empfehlenswerteste erweisen werde, hatte -sich bewährt; auch im übrigen hatte sich bis zu einer Entfernung von -200 Kilometern vom Kenia keinerlei ernstliche Schwierigkeit ergeben; -aber von da ab bis an die Küste setzten die jenes Gebiet bewohnenden -Gallastämme der Expedition einen so hartnäckigen und bösartigen Widerstand -entgegen, daß die Feindseligkeiten zwei Monate lang kein Ende -nahmen, zahlreiche Gefechte bestanden werden mußten, in denen sich die -Gallas zwar stets schwere Züchtigungen holten, die aber doch nicht bewirken -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -konnten, daß die Expedition anders, als in stetem Kriegszustande -ihre doch durchaus friedliche Mission zu erfüllen vermochte. Der Eisenbahnbau -durch jenes Gebiet hätte durch einen förmlichen Feldzug zur -Pacifizierung oder Vertreibung der Galla eingeleitet werden müssen und -wäre auch dann nur unter dauernder Kriegsbereitschaft zu vollenden -gewesen. Diese Linie mußte also — vorläufig zum mindesten — -fallen gelassen werden. -</p> - -<p> -Nicht minder gewichtige Gründe sprachen gegen die Linie über -Ukumbani längs des Athiflusses. Die Trace durch das Flußthal wäre -zwar ohne sonderliche technische Schwierigkeiten gewesen, aber sie durchzog, -insbesondere in der zweiten Hälfte, ungesundes Sumpf- und -Dschungelland, welches in nächster Zukunft nicht kulturfähig zu machen -war. Entschied man sich dagegen für eine, das eigentliche Flußthal -verlassende, die begleitenden Höhenzüge durchquerende Nebenvariante, -so waren die technischen Verhältnisse nicht günstiger und die voraussichtlichen -Baukosten nicht geringer, als bei der dritten Linie, der -längs unserer alten Straße nach Mombas nämlich, die denn auch -einhellig gewählt wurde. Zu ihren Gunsten sprach der gewichtige Umstand, -daß sie befreundete Gebiete durchzog, die in nicht zu ferner Zukunft -höchst wahrscheinlich von freiländischen Kolonisten zum Wohnplatze -erkoren werden durften; daß sie die längste und kostspieligste von -allen war, konnte daher, wenn der Kostenunterschied nicht allzusehr in -die Wagschale fiel — was, wie sich zeigte, thatsächlich nicht der Fall -war — nicht abhalten, ihr den Vorzug zu geben. -</p> - -<p> -Der Bau wurde unverzüglich begonnen. Mächtige, neuartige -Maschinen aller Art waren inzwischen in großer Zahl durch unsere -freiländischen Maschinenfabriken konstruiert worden, und mit diesen ausgerüstet, -griffen 5000 freiländische und 8000 Negerarbeiter das Werk -an 18 Punkten zugleich an, wobei die 11 größeren und 32 kleineren -Tunnels in einer Gesamtlänge von 38 Kilometern, die auf der Strecke -vorkamen, und die jeder für sich ein eigenes Bauobjekt bildeten, gar -nicht mitgezählt sind. Die Schienen — bestes Bessemermaterial — -lieferten teils unsere eigenen Fabriken, teils — und zwar für die -Strecke Mombas-Taweta — kamen sie aus Europa. Zwei Jahre nach -Beginn des ersten Spatenstiches wurde die Teilstrecke Edenthal-Ngongo, -drei Monate später die Strecke Mombas-Taweta und abermals ¾ Jahre -später das Mittelstück Ngongo-Taweta dem Verkehr übergeben, so daß -genau fünf Jahre, nachdem unsere Pioniere zum erstenmale den Boden -von Freiland betreten hatten, die erste Lokomotive, die den Tag zuvor -noch die Brandung des indischen Oceans an die Ufer von Mombas -schlagen gesehen, die Gletscher des Kenia mit gellendem Pfiff -begrüßte. -</p> - -<p> -Daß dieses gewaltige Werk in so kurzer Frist und mit verhältnismäßig -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -so geringem Arbeitsaufwande vollendet werden konnte, verdankten -wir unseren Maschinen, auf deren Rechnung es auch zu stellen ist, daß -der Kostenaufwand sich innerhalb verhältnismäßig billiger Grenzen -hielt, trotzdem wir unseren Arbeitern — selbstverständlich — Löhne -zahlen mußten, wie sie wohl noch bei keinem Eisenbahnbaue jemals -vorgekommen. Unsere freiländischen Eisenbahnbauer — sie hatten sich -natürlich sofort zu einer Anzahl von Associationen zusammengethan — -bezogen im ersten Baujahre einen Tagesverdienst von je 22 Sh., im -dritten einen solchen von 28 Sh. — und arbeiteten dabei bloß je 7 Stunden -täglich. Trotzdem kosteten die gesamten 1082 Kilometer, meist ziemlich -schwieriger Gebirgsbahn, bloß 9½ Millionen Pfd. Sterling, d. i. nicht -ganz 9000 Pfd. Sterling per Kilometer. Unsere 13000 Arbeiter -leisteten eben mit ihren großartigen kraftersparenden Maschinen mehr, -als 100000 gewöhnliche Arbeiter mit Haue, Krampe und Karren auszurichten -vermocht hätten: und die Verwendung dieses kolossalen, mehr -als 4 Millionen Pfd. Sterling verschlingenden „Kapitals“ war „rentabel,“ -gerade weil die Arbeit so hohen Lohn empfing. -</p> - -<p> -Daß zugleich mit dieser — zweigeleisigen — Eisenbahn auch ein -Telegraph zwischen Edenthal und Mombas gelegt wurde, ist selbstverständlich. -</p> - -<p> -Während aber diese Arbeiten im Zuge waren, und die unaufhaltsam -anwachsende Bevölkerung von Freiland in engere Berührung -mit der alten Heimat trat, hatten sich in den Beziehungen zu unseren -eingeborenen afrikanischen Nachbarn wichtige Veränderungen vollzogen, -teils friedlicher, teils kriegerischer Natur, die von nicht minder bedeutsamem -Einflusse auf den Entwickelungsgang unseres Gemeinwesens waren. -</p> - -<p> -Zunächst hatten die Massai von Leikipia und aus dem Seengebiete -zwischen Naiwascha und Baringo aus eigener Initiative und auf eigene -Kosten, wenn auch unter Anleitung von ihnen erbetener freiländischer -Ingenieure, eine gute, 380 Kilometer lange Fahrstraße durch ihr ganzes -Gebiet vom Naiwaschasee erst nördlich und dann östlich durch Leikipia -bis nach Edenthal gebaut. Sie erklärten, es gehe wider ihre Ehre und -ihren Stolz, daß sie durch fremdes Gebiet von uns getrennt seien und -wenn sie uns oder wir sie besuchen wollten, der einzige praktikable Weg -über das Land der Wakikuja genommen werden müsse. So groß war -der eifersüchtige Wunsch nach unmittelbarem Anschlusse an unser Gebiet, -daß die Massai, als sie ein Teil der angeworbenen Wataweta-Straßenarbeiter -irgend einer Mißhelligkeit halber während der besten Bauzeit -plötzlich im Stiche ließ, selber zugriffen und abwechselnd in der Zahl -von 3000 das Werk mit einer Energie förderten, die Niemand bei diesem -noch vor kurzem so arbeitsscheuen Volke für möglich gehalten hätte. -Wir beschlossen denn auch, diesen Beweis ungewöhnlicher Anhänglichkeit -und Tüchtigkeit durch einen ebenso hervorragenden Akt der Anerkennung -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -zu belohnen. Als die Massaistraße fertig war und eine aus den Ältesten -und Führern aller Stämme bestehende Massaideputation auf derselben -freude- und triumphstrahlend ihren Einzug in Edenthal hielt, wurde -dieselbe mit großen Ehren empfangen, und mit Geschenken für das ganze -Massaivolk bedacht, die dem Bauwerte der neuen Straße ungefähr -gleichkamen. -</p> - -<p> -Die damit bewerkstelligte innigere Verbindung mit den nördlichen -und westlichen Massaistämmen brachte uns bald darauf in Berührung -mit den am Ostufer des Ukerewe-Sees wohnenden Kawirondo. Diese, -ein sehr zahlreicher und friedlich von Ackerbau und Viehzucht lebender -Volksstamm, grenzten im Norden ihres Gebietes an Uganda, wo in den -letzten Jahren mannigfache innere Kämpfe und Umwälzungen vor sich -gegangen waren. Unähnlich den anderen Völkern, die wir bis dahin -kennen gelernt und die sämtlich in unabhängigen, nur lose verbundenen -kleinen Stämmen, meist unter freigewählten Häuptlingen mit geringem -Einflusse lebten, waren die Wangwana (der Name für die Bewohner -von Uganda) schon seit Jahrhunderten zu einem größeren, despotisch -regierten Staate unter einem Kabaka oder Kaiser vereinigt. Ihr Reich, -dessen Stammland sich längs des Nordufers des Ukerewe erstreckt, war -von wechselndem Umfange, je nachdem die wilde Eroberungspolitik des -jeweiligen Kabaka den umliegenden Völkerschaften gegenüber von größerem -oder geringerem Erfolge begleitet war; stets aber blieb Uganda eine -Geißel für alle Nachbarn, die unter den unaufhörlichen Beutezügen, -Erpressungen und Grausamkeiten der Wangwana litten. Weite, fruchtbare -Landstriche verödeten unter dieser Plage, und als vollends seit -einer Reihe von Jahren der Kabaka es verstanden hatte, sich durch -Vermittelung arabischer Händler in den Besitz einiger tausend — wenn -auch recht miserabler — Gewehre und einiger Geschütze zu setzen, mit -welch Letzteren er mangels geeigneter Munition allerdings wenig auszurichten -vermochte, wuchs der Schrecken vor dem grausamen Raubstaate -in riesigen Dimensionen. Gerade in die Zeit unserer Ankunft am Kenia -war eine Epoche vorübergehender Ruhe gefallen, weil die Wangwana, -durch innere Streitigkeiten allzusehr beschäftigt, ihren Nachbarn geringere -Aufmerksamkeit schenken konnten. Nach des letzten Kabaka Tod machten -sich dessen zahlreiche Söhne die Herrschaft in Kriegen streitig, die, mit -bestialischer Wut geführt, das Land schrecklich verheerten, bis endlich -einer der Prätendenten, der den Namen des durch seine unerhörte -Grausamkeit wie durch sein Kriegsglück berühmten großen Ahnen Suna -führte, sich im Vorjahre durch Verräterei der Mehrzahl seiner Brüder -entledigte. Von da ab konzentrierte sich die Macht mehr und mehr in -dieses Kabaka Händen und sofort begannen auch die Überfälle und -Brandschatzungen der benachbarten Stämme. Insbesondere richtete sich -Sunas Zorn gegen die Kawirondo, weil diese einen seiner Brüder, der -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -zu ihnen geflüchtet, ihm nicht ausgeliefert, sondern hatten entwischen -lassen. Wiederholt waren einige tausend Wangwana in Kawirondo eingefallen, -hatten Menschen und Vieh geraubt, die Dörfer angezündet, die -Bananen umgehauen, die Ernten verwüstet und sich dabei unmenschliche -Grausamkeit zu schulden kommen lassen. Die Kawirondo wandten sich -in ihrer Not an die nördlichen Massaistämme um Hülfe. Es war die -Kunde zu ihnen gedrungen, daß wir den Massai Gewehre und Pferde -geschenkt hätten, und sie baten nun diese, ihnen eine Schar europäisch -ausgerüsteter Krieger zur Bewachung ihrer Grenze gegen Uganda zu -senden; als Lohn versprachen sie jedem ihnen zu Hülfe ziehenden Massaikrieger -neben vollständiger reichlicher Verpflegung einen Ochsen monatlich, -den Reitern zwei. -</p> - -<p> -Weniger dieses Lohnes halber, als um ihrer Abenteuerlust zu genügen, -sagten die Massai zu. 2500 El-Moran machten sich nach -Kawirondo auf und bezogen dort — es war das im März des vierten -Jahres von Freiland, an der Grenze gegen Uganda eine Reihe von -Kantonnements. -</p> - -<p> -Anfangs ging auch alles vortrefflich; die Wangwanaräuber wurden, -wo sie sich zeigten, mit blutigen Köpfen heimgeschickt, auch wenn sie mit -bedeutender Übermacht auftraten und es schien nach einigen Monaten -fast, als ob man in Uganda, durch die empfangenen herben Lektionen -gewitzigt, Kawirondo künftighin in Frieden zu lassen gedenke, denn es -verlautete geraume Zeit nichts mehr von neuen Einfällen. Da plötzlich, -wir waren in Freiland eben mit Einbringung der Oktoberernte beschäftigt, -traf uns die erschütternde Kunde von einer schrecklichen Katastrophe, -die über unsere Massaifreunde in Kawirondo hereingebrochen. -Der Kabaka Suna hatte nur Ruhe gehalten, um zu einem größeren, -vernichtenden Schlage auszuholen. Während die bisherigen Einfälle -nach Kawirondo immer nur mit wenigen tausend Mann versucht worden -waren, vereinigte er diesmal 30000 Mann, darunter 5000 Flintenträger, -und überfiel mit diesen persönlich die ahnungslosen Kawirondo -und Massai. Es gelang ihm, die 900 Mann mit 300 Pferden zählende -Massaibesatzung eines Grenzlagers beinahe im Schlafe zu überfallen und -bevor sie sich noch zu ernstem Widerstande zu sammeln vermochte, -niederzumetzeln. Dadurch waren die Massai nicht bloß um mehr als -ein Drittel ihrer Stärke reduziert, sondern außerdem in zwei zusammenhanglose -Teile getrennt, denn das überfallene Lager lag gerade im -Centrum ihres Grenzkordons. Statt nun aber schleunigst den Rückzug -anzutreten und bestenfalls erst nach vollzogener Vereinigung ihrer getrennten -Streitkräfte die Offensive zu ergreifen, ließ sich einer der -Massaiführer, kaum daß er 500 Mann zusammengerafft hatte, in der -Wut über den Untergang so vieler seiner Kameraden zu einem tollkühnen -Angriffe auf die ungeheuere Überzahl der Feinde verleiten, fiel -<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> -dabei in einen Hinterhalt und wurde, nachdem er seine Patronen nur -zu rasch verschossen hatte, mitsamt den Seinen, von denen nur wenige -Mann entkamen, nach heldenmütigem Widerstande gleichfalls niedergemetzelt. -Nur 1100-1200 Massai vermochte unser nunmehr das -Oberkommando übernehmende Freund Mdango auf dem andern Flügel -zu vereinen und mit diesen gelang es ihm auch, einen ziemlich geordneten -Rückzug ins Innere von Kawirondo anzutreten, wenig verfolgt von -Suna, dessen Hauptaugenmerk auf die Bergung der kolossalen Beute -gerichtet war. -</p> - -<p> -Noch am nämlichen Tage, an welchem uns Massai- und Kawirondo-Eilboten -diese Trauerkunde überbrachten, ging unser Ultimatum an Suna -ab. Den Massai, die sich erboten hatten, ihre gesamten Krieger gegen -Uganda zu senden, ließen wir sagen, 1000 Mann zu den noch in -Kawirondo stehenden 1200 seien mehr als genug; diese 2200 Massai -stellten wir unter freiländische Offiziere, nahmen aus unserer Mitte -900 Freiwillige, darunter 500 Reiter, dazu 12 Geschütze und 16 Raketen -nebst 30 Elefanten, und schon am 24. Oktober brach Johnston, der -Führer dieses Kriegszuges, unter Benutzung der Massaistraße nach -Kawirondo auf. -</p> - -<p> -Dort traf er rings um das — jetzt, wo es zu spät war, sehr -vorsichtig verschanzte und bewachte — Lager der El-Moran ungezählte -Tausende mit Speer und Bogen bewaffneter Kawirondo und Nangi, -die er aber allesamt als unnützen Troß heimschickte. Am 10. November -überschritt er die Ugandagrenze, sechs Tage später wurde Suna in -einem kurzen Gefecht in der Nähe der Riponfälle total auf’s Haupt -geschlagen, sein 110000 Mann zählendes Heer in alle Winde zerstreut -und er selbst nebst einigen tausend Mann seiner von Küstenarabern -geführten, mit Flinten bewaffneten Leibgarde gefangen genommen. -</p> - -<p> -Schon am zweiten Tage nach der Schlacht besetzten die Unseren -Rubaga, die Hauptstadt von Uganda. Dort stellten sich in rascher -Folge die sämtlichen Häuptlinge des Landes ein, bedingungslose Unterwerfung -gelobend und bereit, jede ihnen auferlegte Forderung zu -erfüllen. Johnston aber bot ihnen an, sie in den großen Bund all der -bisher mit uns in Berührung getretenen eingeborenen Völker aufzunehmen, -worauf die Wangwana selbstverständlich mit größter Freude eingingen. -Die ihnen auferlegten Bedingungen waren: Freigebung aller Sklaven, -friedliche Aufnahme freiländischer Kolonisten und Instruktoren und -Ersatz alles den Kawirondo und Massai zugefügten Schadens. In -letzterer Beziehung war übrigens das Wangwanavolk gar nicht in -Mitleidenschaft gezogen, denn die unermeßlichen Rinderherden ihres -Kabaka, die uns als gute Beute in die Hände gefallen waren, genügten -reichlich zu vollem Ersatz des in Kawirondo gemachten Raubes und -als Buße für die getöteten Kawirondo- und Massaikrieger. Suna -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> -selber wurde als Gefangener abgeführt und am Naiwaschasee interniert. -</p> - -<p> -Der fernere Verlauf der Ereignisse war dann ein friedlicher, nur -von einem vereinzelten Empörungsversuche im Lande verbliebener -Araber unterbrochener, welchen Versuch aber die Wangwana selber -energisch und prompt unterdrückten, ohne daß unsere Intervention -notwendig gewesen wäre. Allerdings trug eine gute Heerstraße, welche -die Kawirondo und Nangi vom Ukerewe bis zum Anschlusse an die -Massaistraße am Baringosee ausbauten, und eine an der Grenze zwischen -Kawirondo und Uganda angesiedelte Massaikolonie von 3000 El-Moran -einigermaßen dazu bei, die Wangwana in gehörigem Respekt zu erhalten. -Doch genügte der Hauptsache nach seit der Schlacht an den Riponfällen -der bloße Klang unseres Namens, uns auch in diesem Teile des -äquatorialen Innerafrika Ruhe und Frieden zu gewährleisten. Rings -um den Ukerewe, dessen Ufer seit unvordenklicher Zeit der Schauplatz -grimmigen, erbarmungslosen Krieges Aller gegen Alle gewesen, stellten -sich allmählich Gesittung und Menschlichkeit ein, und verhältnismäßig -rasch entwickelte sich in deren Gefolge, selbst unter den bis dahin -wildesten der umwohnenden Stämme, nicht unerheblicher Wohlstand. -</p> - -<p> -Der Ukerewe ist, auch abgesehen von seiner Größe, unter den -Riesenseen des centralen Afrika der bedeutsamste. Sein Spiegel deckt -eine Fläche von circa 50000 Quadratkilometern, er ist also, außer -dem Kaspisee, dem Aralsee und der großen nordamerikanischen Seegruppe, -das größte Binnenwasser der Erde. Diese ganze das Königreich -Bayern an Umfang übertreffende Wassermasse, deren Tiefe in gutem -Verhältnisse zu ihrer Flächenausdehnung steht, denn das Senkblei -erreicht stellenweise erst bei 480 Metern den Grund, befindet sich -in einer Höhe von 1350 Metern über dem Meeresniveau, d. i. 200 -Meter über dem Gipfel des Brocken, des höchsten der Berge Mitteldeutschlands. -Umrahmt aber wird dieser Hochsee meist von Gebirgszügen, -die sich noch 500-1500 Meter über seinen Spiegel erheben, -so daß das Klima seiner — ausnahmslos gesunden, von Sümpfen -freien — Uferlandschaften überall gemildert, stellenweise geradezu -arkadisch ist. Und dieser gewaltige, malerische, an vielen Stellen hochromantische -See ist das Quellenbassin des heiligen Nil, der, ihn am -äußersten Nordende über die Riponfälle verlassend, von hier aus dem -450 Meter tiefer gelegenen Albert Njanza zuströmt und von dort aus -als weißer Nil seinen Lauf fortsetzt. -</p> - -<p> -Schon zwei Monate nachdem wir uns in Kawirondo und Uganda -festgesetzt, durchfurchte ein Schraubendampfer von 500 Tonnen die -meeresgleichen Wogen des Ukerewe und vor Schluß des nächsten Jahres -bestand unsere Seeflotille aus 5 Schiffen. Dieselben wurden überall -an der Küste freundlich aufgenommen und der von ihnen entfachte -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -lebhafte Handel erwies sich als eines der kräftigsten Beförderungsmittel rasch -zunehmender Civilisation. Die Fruchtbarkeit der Uferlandschaften dieses -herrlichen Sees ist geradezu grenzenlos; wenige hundert Quadratmeter -gut bewässerten Bodens genügen, um alle Bedürfnisse einer noch so -zahlreichen Familie zu decken, und als wir die Eingebornen erst einmal -mit brauchbaren Geräten der Bodenkultur bekannt und vertraut gemacht -hatten, war der überall erzeugte Überfluß der erlesensten Garten- und -Feldfrüchte beispiellos. Merkwürdigerweise blieb das Wachstum der -Bedürfnisse, insbesondere unter den am Westufer des Sees wohnenden -Volksstämmen, lange Zeit hinter der Verbesserung der Produktionsmittel -erheblich zurück. Diese einfachen Völkchen erzeugten beinahe -ohne Arbeitsaufwand, oft aus bloßer Neugierde nach der Wirksamkeit -der zu ihnen gebrachten verbesserten Werkzeuge, wesentlich mehr als sie -gebrauchten und da sie den Begriff des Grundeigentums nicht kannten, -der unverwendbare Überfluß also bei ihnen nicht wie sonst unfraglich -geschehen wäre, Massenelend erzeugen konnte, so wurde hier Jahre -hindurch das Märchen vom Schlaraffenlande zur Wahrheit. Der -Eigentumsbegriff verlor beinahe seinen ganzen Inhalt, Lebensmittel -wurden wertlos, jedermann konnte sich davon nehmen so viel er mochte; -durchreisende Fremde fanden überall gedeckten Tisch, kurzum, das -goldene Zeitalter schien seinen Einzug am Ukerewe halten zu wollen. -Indessen erwies sich diese gänzliche Bedürfnislosigkeit ebenso auch -als Hindernis vermehrten Fortschritts und wir gaben uns daher -— wenn auch nicht ganz ohne Bedauern — ernstliche Mühe, diesen -paradiesischen Zustand insofern zu stören, als wir den Leutchen Geschmack -an vermehrten Bedürfnissen beizubringen suchten, was langsam -zwar, aber schließlich doch gelang. Erst zugleich mit diesen schlugen -dann höhere Gesittung und geistige Kultur in jenem Erdenwinkel -tiefere Wurzeln. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-4-5"> -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -12. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Eine der Hauptaufgaben der freiländischen Verwaltung, zu deren -Durchführung in der Regel die Ministerien für Kunst und Wissenschaft -und für öffentliche Arbeiten einander die Hände reichten, war die gründliche -Erforschung unserer neuen Heimat und zwar zunächst des engeren -Keniagebietes, dann aber weiter ausgreifend auch aller benachbarten -Landschaften, mit denen wir successive in stets engere Berührung traten. -Das oro- und hydrographische System des ganzen Landes wurde festgestellt, -Bodenbeschaffenheit und Klima genau untersucht und dabei -sowohl der höhere wissenschaftliche, als der prosaische Nützlichkeitsstandpunkt -gleichmäßig vor Augen gehalten. Ersteren anlangend kam zunächst -eine genaue, wenn auch noch nicht alle Details umfassende Terrainkarte -des ganzen Massai- und Kikujalandes zu stande; alle hervorragenden -Berghöhen wurden genau vermessen und — der Keniagipfel nicht ausgenommen -— erstiegen. -</p> - -<p> -Der Ausblick vom Kenia ist großartig über alle Maßen, bietet -aber — abgesehen vom Kenia und seinem Gletscher selber — wenig -Abwechslung. Rings im Umkreise, so weit der Blick reichen mag, dehnt -sich fruchtbarstes, üppigstes Land, durchzogen von zahllosen Flußläufen, -die jedoch nirgend, mit Ausnahme einer etwa 5000 Quadratkilometer -großen Bodenmulde im Nordwesten, zur Versumpfung des Bodens -führen. Der hervorstechende Charakter des ganzen Gebietes ist der -eines in zahlreichen Terrassen abfallenden, von mäßigen Bergrücken -durchbrochenen Tafellandes. Erst von der obersten Terrasse ab beginnen -die eigentlichen Vorberge des Kenia, die rings um das aus -einem Gusse steil und unvermittelt aufsteigende eigentliche Keniamassiv -einen Gebirgsgürtel von verschiedener Breiten- und Höhenentwickelung -schließen. Dieses Massiv trägt in einer Höhe von 5000 bis 5500 Metern -<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> -eine Reihe riesiger Gletscherfelder, aus deren Mitte dann steil der -Gipfel des Berges emporsteigt, in einiger Entfernung flankiert von einem -noch steileren, kleinen Horne. -</p> - -<p> -Durchaus verschiedenen Charakter zeigt die zweitwichtigste der zum -Gebiete von Freiland gehörigen Gebirgsbildungen, nämlich die 70 Kilometer -westlich vom Kenia in einer Längenausdehnung von reichlich -100 Kilometern und in einer Breite von durchschnittlich 20 Kilometern -von Norden nach Süden streichende Aberdarebergkette. Die höchsten -Gipfel dieses Gebirgszuges erreichen 4500 Meter Seehöhe, und während -der Kenia überall das Gepräge des Großartigen zeigt, ist bestrickende -Lieblichkeit der hervorstechende Charakterzug der Aberdarelandschaften. -Zwar fehlt es auch hier nicht an Bergkolossen von überwältigendem -Eindrucke, aber das Charakteristische sind die in reizvollster Abwechslung -sich aneinanderschließenden romantischen, sanftgeschwungenen Berge und -weiten Thäler, teils von üppigen, aber durchschnittlich nicht allzu dichten -Wäldern, teils von smaragdenen, blumigen Wiesen bestanden, überall -bespült von zahllosen kristallklaren Bächen und Flüssen, Seen und -Teichen. Einem einzigen, herrlichen Parke gleicht dieses 2000 Quadratkilometer -bedeckende Gebirgsland, von dessen Höhen aus gen Osten -überall das überwältigende Schneemeer des Kenia, gen Westen die -Smaragd- und Saphirflächen der großen Massaiseen — Naiwascha, -Elmeteita und Nakuro — sichtbar sind. Und diese wunderliebliche -Landschaft, die in sich alle Reize der Schweiz und Indiens vereinigt, -birgt zugleich im Schoße ihrer Berge überschwengliche mineralische Schätze. -Hier und nicht am Kenia, das hatten unsere Geologen bald festgestellt, -war der zukünftige Sitz der freiländischen Industrie, insbesondere der -metallurgischen. Kohlenlager, die an Mächtigkeit und Güte den besten -englischen mindestens ebenbürtig sind, Magneteisenstein mit einem Eisengehalte -von 50 bis 70 Prozent, Kupfer, Blei, Wismut, Antimon, -Schwefel in reichen Gängen, an der Westabdachung, gerade oberhalb -des Salzsees von Nakuro, ein großes Steinsalzlager, und noch eine -Menge anderer Schätze wurden in rascher Reihenfolge entdeckt und die -bestgelegenen sofort in Ausbeutung genommen. Insbesondere die neueröffneten -Kupferminen fanden unmittelbar bei Anlage des Telegraphen -an die Küste umfassende Verwendung, die jedoch an Ausdehnung von -derjenigen zu Zwecken elektrischer Kraftleitungen alsbald übertroffen -wurde. -</p> - -<p> -Denn am Kenia hatte sich inzwischen mancherlei verändert. Die -Bevölkerung von Freiland war, da der Zuzug unaufhaltsam sich steigerte, -schon gegen Schluß des vierten Jahres auf 780000 Seelen gestiegen. -Ein großer Teil des Edenthals war zu einer einzigen, 102 Quadratkilometer -bedeckenden und 58000 Wohnhäuser zählenden Villenstadt -geworden, deren 270000 Einwohner dem Gartenbau, industriellen -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -Gewerben oder geistiger Beschäftigung oblagen. Aber auch die auf -140000 Seelen angewachsene Bevölkerung des Danaplateaus betrieb -neben der Kultur des dort noch verfügbaren Ackerlandes zum weitaus -überwiegenden Teil gleichfalls verschiedenartige Industrieen, während -die Landwirtschaft der Hauptsache nach hinabgerückt war in die jenseits -der umgrenzenden Waldzone um 200 Meter tiefer gelegene Hochebene, -die — mit mannigfaltigen Unterbrechungen allerdings — rings um -den ganzen Gebirgsstock sich erstreckend, auf ihrem 8000 Quadratkilometer -umfassenden fruchtbaren Boden bis auf weiteres genügenden Raum -zur Ausdehnung bot. -</p> - -<p> -Hier wurden zunächst 96000 Hektaren (960 Quadratkilometer) -unter den Pflug genommen, nachdem sie zuvor — gleich allem Kulturboden -in ganz Freiland — durch einen tüchtigen Balkenzaun gegen -die Besuche lästigen Wildes geschützt worden waren. Kleineres Wild, -welches durch Einhegung von den Saaten nicht fernzuhalten war, hielten -die Hunde in Respekt, die, in großer Menge gezüchtet, darauf dressiert -waren, diese Feldeinzäunungen und ebenso die Hürden des Viehs fleißig -zu umkreisen. Dieser Schutz erwies sich gegen alles den Saaten nachstellende -Getier als vollkommen ausreichend, die Affen etwa ausgenommen, -unter die zeitweise geschossen werden mußte, wenn sie sich auf -ihren nächtlichen Raubzügen durch noch so wütendes Gekläffe der vierbeinigen -Wächter nicht vollständig verscheuchen ließen. -</p> - -<p> -Zum Betriebe der in dieser Landwirtschaft in Gebrauch stehenden -Maschinen wurde zwar vorläufig noch Dampfkraft verwendet; es war -aber die Herstellung einer großartigen elektrischen Kraftanlage im Werke, -die künftighin die Dampfmotoren überflüssig machen sollte. Die Triebkraft -für die elektrischen Dynamos lieferte der Danafluß, der, verstärkt -durch zwei mächtige Gebirgsbäche, die sich unterhalb des großen Wasserfalls -mit ihm vereinen, am unteren Ende des Tafellandes, welches -wir seiner Bestimmung entsprechend, Kornland genannt hatten, in einer -Reihe gewaltiger Stromschnellen und Katarakte dem Tieflande zueilt. -Und zwar wurde zu Zwecken der Betriebe von Kornland nicht etwa -der große Wasserfall von 90 Meter Fallhöhe am Ausgange des Danaplateaus -benutzt, sondern eben jene Stromschnellen und kleineren, aber -zahlreichen Katarakte, von denen soeben die Rede gewesen. Diese -ergeben insgesamt eine Fallhöhe von 265 Metern, und da der -Fluß hier bereits gewaltige Wassermassen führt, so war durch entsprechende -Kombination von Turbinen und elektrischen Kraftmaschinen -ein Gesamteffekt von 5 bis 600000 Pferdekräften zu erzielen, weit -mehr, als zur Bewirtschaftung des gesamten Bodens von Kornland -selbst bei intensivster Kultur erforderlich sein konnte. Die für das -nächste Jahr veranschlagten Kraftanlagen waren auf 40,000 indizierte -Pferdekräfte berechnet. Gut isolierte, starke Kupferstränge sollten die -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -von 20 riesigen Turbinen auf 200 Dynamomaschinen erzeugten elektrischen -Ströme in die Wirtschaftsgebäude und über den zu bewirtschaftenden -Boden leiten, wo die in diesen Strömen abgelagerte Kraft alle landwirtschaftlichen -Arbeiten — vom Pflügen angefangen bis zum Dreschen, -Reinigen und Transportieren des Getreides — zu vollbringen hatte. -Denn auch ein Netz elektrischer Bahnen gehörte mit zum Systeme dieser -landwirtschaftlichen Anlage. -</p> - -<p> -Der große Danakatarakt aber mit seiner, auf 124000 indizierte -Pferdekräfte berechneten Wasserkraft diente zunächst elektrischen Beleuchtungszwecken -in Edenthal und in den am Danaplateau gelegenen Städten. -Einstweilen genügten zu öffentlichen Beleuchtungszwecken 5000, auf 35 -Meter hohen Masten angebrachte Kontaktlampen von je 2000 Kerzen -Lichtstärke, die insgesamt 12000 Pferdekräfte erforderten; zur Beleuchtung -der Wohnhäuser und einzelner, auch bei Nacht in Betrieb stehender -Fabriketablissements standen 420000 Glühlampen in Verwendung, -die 40000 Pferdekräfte beanspruchten, so daß insgesamt 52000 Pferdekräfte -von den elektrischen Kraftmaschinen am großen Katarakte erzeugt -werden mußten, die jedoch tagsüber auch zum Betriebe eines Eisenbahnnetzes -von insgesamt 340 Kilometer Ausdehnung Verwendung fanden, welches -die Hauptverkehrsadern und belebteren Straßenzüge im Danaplateau -und in Edenthal durchzog. Bloß abends und nachts, wenn die Beleuchtung -funktionierte, mußte der Eisenbahnbetrieb aus besonderen, einige -tausend Pferdekraft abgebenden Dynamos gespeist werden. Im ganzen -waren solcherart nahezu zwei Fünfteile der verfügbaren Gesamtkraft bis -zum Schlusse des fünften Jahres von Freiland zur Ausnutzung gelangt; -die noch erübrigenden drei Fünfteile blieben vorläufig noch unverwendet -und bildeten die Reserve für zukünftige Verwendungsarten der gleichen -Kraftquelle. -</p> - -<p> -Ebenfalls in das vierte und fünfte Jahr Freilands fiel der Ausbau -eines Kanalnetzes und mehrerer Wasserleitungen, für Edenthal sowohl -als für das Danaplateau. Ersteres diente bloß zur Abfuhr der Meteorwässer -in den Dana, während das Spülwasser und der Unrat -durch ein System pneumatischer Aufsaugung vermittelst mächtiger Saugwerke -in gußeisernen Röhren abgeleitet, dann desinfiziert und als -Dünger verwertet wurden. Die Wasserleitungen wurden unter Benutzung -der besten Hochgebirgsquellen mit einer Leistungsfähigkeit von -vorläufig 1 Million Hektoliter täglich angelegt und sowohl zur Speisung -zahlreicher öffentlicher Brunnen, als auch zur Einleitung in sämtliche -Privathäuser benutzt. Durch Einbeziehung neuer Quellen war die Ergiebigkeit -dieser Leitung in kurzer Frist zu verdoppeln und zu verdreifachen. -Gleichzeitig waren alle Straßen makadamisiert worden, so daß -nach jeder Richtung für die Reinlichkeit und Gesundheit der jungen Städte -bestens vorgesorgt war. -</p> - -<p> -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -Die Unterrichtsverwaltung hatte inzwischen nicht minder gewaltige -Anstrengungen gemacht. Es hatte sich eine dahingehende öffentliche -Meinung entwickelt, daß die Jugend von Freiland ohne Unterschied des -Geschlechts und späteren Berufs einen Unterricht zu genießen habe, der -mit Ausnahme der lateinischen und griechischen Sprachstudien demjenigen -ungefähr entsprechen solle, der beispielsweise in den sechs ersten Gymnasialklassen -Deutschlands erteilt wird. Zu diesem Behufe sollten Knaben -wie Mädchen vom 6. bis 16. Jahre die Schule besuchen, wo sie nach -Erledigung der Elementarkenntnisse in Sprachlehre, Litteraturgeschichte, -Geschichte, Kulturgeschichte, Physik, Naturgeschichte, Geometrie und Algebra -unterwiesen wurden. -</p> - -<p> -Nicht minderes Gewicht als auf die geistige und moralische wurde auf -die körperliche Ausbildung gelegt, ja es war Grundsatz in Freiland, daß -letztere vorauszugehen habe, indem ein gesunder harmonisch entwickelter -Körper die Voraussetzung eines gesunden, harmonisch entwickelten Geistes -sei. Und auch bei der geistigen Ausbildung wurde weniger auf die Ansammlung -von Kenntnissen, als auf die Anregung des jungen Geistes -zu selbständigem Denken gesehen, daher nichts ängstlicher und sorgfältiger -gemieden ward, als Überbürdung mit geistiger Arbeit. Kein Kind -sollte — die häuslichen Repetitionen mit eingerechnet — länger als -höchstens 6 Stunden täglich geistig beschäftigt sein; die Unterrichtsstunden -für alle geistigen Lehrfächer waren daher auf 3 Stunden täglich -beschränkt, während 2 andere Schulstunden täglich körperlichen Übungen -— dem Turnen, Laufen, Tanzen, Schwimmen, Reiten, bei Knaben -außerdem dem Fechten, Ringen und Schießen — gewidmet wurden. Ein -fernerer Grundsatz des freiländischen Unterrichtswesens war, daß auch die -Kinder so wenig wie die Erwachsenen zur Thätigkeit gezwungen werden -sollten; einer zielbewußten, konsequenten und in ihren Mitteln nicht beschränkten -Pädagogik — so meinten wir — könne es unmöglich schwer -fallen, das lenkbare Kindergemüt zu freiwilliger und freudiger Erfüllung -vernünftig bemessener Pflichten zu bringen. Und auch darin gab uns -die Erfahrung Recht. Unsere Unterrichtsleitung mußte es sich zwar in -hohem Grade angelegen sein lassen, den Unterricht anregend zu gestalten; -nachdem ihr dies aber einmal gelungen war, lernten unsere Jungen und -Mädchen in der halben Zeit doppelt so viel und gründlich, als ihre -physisch und geistig mißhandelten europäischen Altersgenossen. Der -Unterricht wurde — abermals aus Rücksichten der Gesundheit — so weit -nur immer möglich im Freien erteilt. Die Schulhäuser waren daher -sämtlich entweder inmitten großer Gärten oder am Waldessaum errichtet, -und die naturwissenschaftlichen Disziplinen wurden regelmäßig, andere -häufig, mit Ausflügen in die Umgebung in Verbindung gebracht. Dafür -bot aber auch unsere Schuljugend ein anderes Bild, als wir es in der -alten Heimat und insbesondere in deren Großstädten zu sehen gewohnt -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -waren. Rosige, von Gesundheit, Kraft und Lebensfreude strotzende Gesichter -und Gestalten, Selbstvertrauen und sichere Intelligenz aus jeder -Miene, aus jeder Geberde hervorleuchtend — so traten unsere Kinder -in den Ernst des Lebens ein. -</p> - -<p> -Natürlich erforderte eine derartige Organisation des Unterrichts -ein sehr zahlreiches und tüchtiges Lehrpersonal. In der That kam in -Freiland durchschnittlich schon auf je 15 Schulkinder je eine Lehrkraft, -und um die Auswahl unter den besten Intelligenzen des Landes zu -haben, mußten hohe Gehalte gezahlt werden. Für die vier ersten Klassen -— in denen überwiegend Mädchen oder junge Witwen unterrichteten -— betrug der Jahresgehalt zwischen 1400 bis 1800, für die sechs anderen -Klassen — in denen hinwieder die männlichen Lehrkräfte überwogen -— 1800 bis 2400 Stundenäquivalente; im fünften Jahre der -Gründung waren das, in Geld umgerechnet, Gehalte zwischen 350 und -600 Pfd. Sterling. -</p> - -<p> -Aber auch mit seinem sehr umfangreichen Bedarfe an höheren Intelligenzen -wollte Freiland auf eigenen Füßen stehen. Es wurde daher -schon im dritten Jahre eine Hochschule errichtet, an welcher sämtliche -Wissenszweige, die in Europa an Universitäten, Akademien und technischen -Lehranstalten gelehrt werden, gesammelt vertreten waren. Alle -Lehrfächer waren mit einer Freigebigkeit ausgestattet, von welcher man -außerhalb Freilands kaum eine Vorstellung besitzt. Unsere Sternwarte, -unsere Laboratorien und Sammlungen verfügten über geradezu unbegrenzte -Mittel und kein Gehalt war zu hoch, um eine glänzende Lehrkraft -heranzuziehen und festzuhalten. Das nämliche gilt von den -technischen und nicht minder von den landwirtschaftlichen und merkantilistischen -Lehrkanzeln und Lehrmitteln unserer Hochschule. Der -Unterricht an dieser war in allen Fächern durchaus frei und, gleich -demjenigen in den unteren Schulen, unentgeltlich. Im fünften Jahre -der Gründung Freilands besuchten 7500 Hörer die Hochschule; die -Zahl ihrer Lehrkanzeln war 215, ihr Jahresbudget hatte die Höhe von -2½ Millionen Pfd. Sterling erreicht und war andauernd in rapidem -Wachstum begriffen. -</p> - -<p> -Die Mittel zu all diesen gewaltigen Ausgaben lieferte überreichlich -die vom Gesamteinkommen aller Produzenten erhobene prozentuelle Abgabe, -denn dieses Gesamteinkommen wuchs unter dem verdoppelten Einflusse -der Bevölkerungszunahme und der steigenden Arbeitsergiebigkeit in -riesigem Maße. Als die Eisenbahn zur Küste fertig war und ihre -Wirkung sich fühlbar zu machen begann, stieg der Wert des durchschnittlichen -Ertrags einer Arbeitsstunde rasch auf 6 Sh., und da um diese -Zeit — zu Ende des fünften Jahres von Freiland — 280000 Arbeiter -im Tagesdurchschnitt während 6 Stunden, d. i. 1800 Stunden -im Jahre produktiv beschäftigt waren, so bezifferte sich in jenem Jahre -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -der Gesamtwert des Arbeitsertrages von Freiland auf 280000 × 1800 -× 6 Sh., d. i. auf rund 150 Millionen Pfd. Sterling. Davon reservierte -sich nun das Gemeinwesen eine Abgabe in der Höhe von 35 Prozent, -d. i. in runder Summe 52½ Millionen Pfd. Sterling und dieses -war die Quelle, aus welcher nach Abzug der zur Deckung der Versorgungsansprüche -erforderlichen, allerdings die größere Hälfte beanspruchenden -Beträge, die als wünschenswert erkannten Ausgaben bestritten -wurden. -</p> - -<p> -Ja, das Wachstum der Einnahmen war ein so gesichertes und hatte -so bedeutenden Umfang erreicht, daß die Verwaltung von Freiland sich -am Ende dieses fünften Jahres entschloß, den Vertretungskörpern, die -zu diesem Behufe zu einer gemeinsamen Sitzung einberufen wurden, zwei -Maßregeln von entscheidender Bedeutung vorzuschlagen: erstlich, die den -Associationen einzuräumenden Kredite hinfort von der Zustimmung der -Zentralbehörde unabhängig zu machen; und zum zweiten die sämtlichen, -bis dahin von neueintretenden Mitgliedern freiwillig gezahlten Beiträge -zurückzuerstatten und künftighin derlei Beiträge nicht mehr entgegenzunehmen. -</p> - -<p> -Aus den im 8. Kapitel dargelegten Gründen waren bisher Umfang -und Reihenfolge der Produktivkredite von der Entscheidung der Zentralverwaltung -abhängig gewesen; jetzt, da die Ausrüstung mit kapitalistischen -Arbeitsbehelfen und damit die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens eine -genügend hohe Stufe erreicht hatte, wurde auch diese Schranke des -freien Selbstbestimmungsrechtes für unnötig erachtet; die Associationen -mochten fordern, was ihnen nützlich dünkte, die Kapitalkraft des Landes -schien auch den umfangreichsten, irgend zu erwartenden Kreditansprüchen -gewachsen. Und in der That erwies sich diese Zuversicht als wohlbegründet. -In den diesem Beschlusse unmittelbar folgenden Jahren ereignete -es sich zwar zu zwei verschiedenen Malen, daß infolge unvermittelt -eintretender großartiger Kapitalbedürfnisse der zur Deckung derselben -bestimmte Teil der öffentlichen Abgaben um einige Prozente über -das normale Maß gesteigert werden mußte; das wurde jedoch angesichts -des stetigen Wachstums aller Produktionserträge ohne die geringste Beschwerde -ertragen und späterhin genügten die vom Gemeinwesen angelegten -Reserven, um selbst dieses Element der Schwankung aus dem -Verhältnisse zwischen Kapitalbedarf und öffentlichem Einkommen zu -beseitigen. -</p> - -<p> -Dagegen gab dieser Beschluß den Anstoß zu einem ganz merkwürdigen -Versuche, die damit eingeräumte vollkommene Freiheit der Kreditgewährung -zu einer großartigen gegen das Gemeinwesen gerichteten -Schwindelei zu mißbrauchen. In Amerika hatte sich ein Konsortium -unternehmender „Geschäftsleute“ gebildet, eigens zu dem Zwecke, die -Vertrauensseligkeit von uns „dummen Freiländern“ gehörig auszubeuten, -<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> -und zwar in der Weise, daß unserer Zentralbank unter der Maske einer -zu solchem Behufe zu gründenden beliebigen Association, eine möglichst -große Summe entlockt werden sollte. 46 der geriebensten und skrupellosesten -Yankees vereinigten sich zu diesem Feldzuge gegen unsere Taschen; -wie sie es anstellten und was sie dabei erreichten, entnehmen wir am einfachsten -der nachträglich zum Besten gegebenen Erzählung ihres damaligen -Anführers, gegenwärtig ehrsamen Werkmeisters in der großen Salzsiederei -am Nakuro-See: -</p> - -<p> -„Wir waren also in Edenthal angelangt und beschlossen fürs erste, -das Terrain genau zu sondieren, ehe wir an die Ausführung unseres -Geschäftes schritten. Dabei bemerkten wir sofort zu unserer großen Genugthuung, -daß Mißtrauen der Freiländer uns wenig zu schaffen machen -werde. Das Gasthaus, in welchem wir abgestiegen, gab Alles auf -Kredit, ohne daß man uns auch nur fragte, wer wir seien. Als ich -dem Wirt gegenüber in väterlichem Tone bemerkte, solch unterschiedsloser -Pump für jeden Hergelaufenen sei doch großer Leichtsinn, lachte -mir der Wirt, will sagen der Direktor der Edenthaler Hotel-Association, -ins Gesicht und meinte zuversichtlich, hier brenne Niemand durch, wer -da sei, denke nicht daran, Freiland wieder zu verlassen. „Schon gut“, -dachte ich mir; fragte aber weiter, was die Hotel-Gesellschaft mache, -wenn ein Gast nicht zahlen <em>könne</em>? „Unsinn“, sagte der Direktor, -„hier kann jeder zahlen, sowie er zu arbeiten anfängt“. „Und wenn -er nicht arbeiten kann?“ „Dann erhält er Unterstützung vom Gemeinwesen.“ -„Und wenn er nicht arbeiten will?“ Da klopfte mir der -Mann lächelnd auf die Schulter und meinte: „Nichtwollen hält bei uns -nicht lange vor, verlaßt Euch darauf. Übrigens, wenn Einer durchaus -mit gesunden Gliedern faullenzen will — Bett und gedeckten Tisch -findet er bei uns trotzdem allezeit. Macht Euch also wegen Berichtigung -der Zeche in keinem Fall Sorge; Ihr werdet zahlen wann Ihr könnt -und wollt.“ -</p> - -<p> -„Machte auf uns einen ganz curiosen Eindruck, dieser Direktor; -wir sagten aber nichts, sondern beschlossen, den Freiländern weiter auf -den Zahn zu fühlen. Wir kamen in die große Warenhalle und versuchten -Kleider, Wäsche u. dgl. auf Borg zu nehmen. Es ging vortrefflich. -Die Verkäufer — es waren, wie sich herausstellte, Kommis der -Anstalt — verlangten zwar eine Zahlungsanweisung an die Centralbank, -als wir jedoch entgegneten, daß wir dort noch kein Konto besäßen, -meinten sie, das thäte auch nichts; sie begnügten sich einstweilen mit -schriftlicher Bestätigung der Kaufsumme, welche die Bank ihnen seinerzeit, -wenn wir unser Konto hätten, schon gutschreiben werde. So ging’s -überall. Mackay oder Gould kann in New-York nicht bereitwilliger -Kredit finden, als wir in Edenthal fanden. -</p> - -<p> -„Nach einigen Tagen schon schritten wir an unsere „Gründung“. -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -Mißtrauen war, wie gesagt, fürs erste nicht zu besorgen, unangenehm -blieb aber trotzdem, daß die freiländischen Einrichtungen die Öffentlichkeit -aller auf Geschäfte bezüglichen Akte, Daten und Umstände verlangen. -Wir wußten zwar, daß von Polizei oder Gerichten nichts zu befürchten -sei; was aber wollten wir thun, wenn das freiländische Publikum der -vorgeschützten Gründung Geschmack abgewinnt und unserer Association -beizutreten wünscht? Wir konnten natürlich Kompagnons nicht brauchen, -sondern mußten hübsch unter uns bleiben, sonst war unser ganzer Plan -ins Wasser gefallen. Wir forschten überall, ob es kein Mittel gäbe, die -Zahl der Teilnehmer zu begrenzen, hatten über diesen Gegenstand eingehende -Besprechungen mit gutunterrichteten Freiländern, beklagten uns -über das himmelschreiende Unrecht, daß wir gezwungen sein sollten, den -Nutzen der ausgezeichneten „Idee“, die wir gefaßt, hier mit aller Welt -zu teilen, unsere Geschäftsgeheimnisse preiszugeben u. s. w.; es half -aber alles nichts. Die Freiländer blieben in diesem Punkte verstockt -und meinten, Niemand zwinge uns, unsere Geheimnisse preiszugeben, -wenn wir selbe aus eigenen Kräften fruktifizieren wollten; wenn wir -aber hierzu freiländischen Boden und freiländisches Kapital brauchten, -so müsse selbstverständlich ganz Freiland wissen, worum es sich handelt. -„Und wenn unser Geschäft nur eine kleine Anzahl von Arbeitern -brauchen kann, wenn z. B. die Ware, die wir fabrizieren wollen, zwar -großen Gewinn abwirft, aber doch nur beschränkten Absatz hat, müssen -wir auch dann alle Welt beitreten lassen? „In diesem Fall“ — so war -die Antwort — werden freiländische Arbeiter nicht so dumm sein, sich Euch -massenhaft aufzudrängen.“ „Schön!“ rief ich mit verbissenem Zorn, -„wenn aber doch mehr beitreten, als wir gerade brauchen können?“ -Doch auch darauf wußten die Leute eine Antwort; dann, so meinten -sie, würden die zuviel Beigetretenen eben nachträglich austreten, oder -wenn sie partout dabei blieben, so müßten wir alle die Arbeitszeit -etwas einschränken, etwa einen Turnus einführen, oder dergleichen; an -Gelegenheit, unsere dadurch frei werdende Zeit nützlich anderweitig zu -verwerten, fehle es in Freiland nirgend. -</p> - -<p> -„Was ließ sich da machen? Wir mußten unser Plänchen so einkleiden, -daß den freiländischen Arbeitern ganz von selbst die Lust verginge, -sich zu beteiligen. Aber auch allzu plump durfte anderseits die -Sache nicht gemacht werden, sonst witterten die Leute am Ende doch -Unrat, oder beteiligten sich vielleicht gar aus purer Menschenliebe, um -unserer Thorheit mit gutem Rat zu Hilfe zu kommen. Schließlich -einigten wir uns dahin, eine Nähnadelfabrik zu errichten; eine solche -war nach der ganzen Geschäftslage offenbar unrentabel, der Plan klang -aber doch nicht allzu abenteuerlich, um uns Neugierige an den Hals zu -ziehen. Wir konstituierten uns also und hatten in der That die Genugthuung, -vorläufig außer zwei Dummköpfen, welche die Nähnadelfabrikation -<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> -aus irgend einem Grunde für ein gutes Geschäft halten mochten, -und mit denen fertig zu werden, nicht allzu schwer fallen konnte, keine -Genossen zu erhalten. Jetzt handelte es sich um die Festsetzung des -Gründungskapitals, will sagen um die Höhe des bei der Centralbank -zu fordernden Kredits. Natürlich hätten wir am liebsten gleich eine -Million Pfd. Sterling verlangt; das ging aber nicht, da wir, wie gesagt, -angeben mußten, wozu wir das Geld brauchten und eine Nähnadelfabrik -für 48 Arbeiter doch unmöglich so viel verschlingen durfte, ohne -uns sofort eine ganze Legion von Untersuchungsrichtern in Gestalt beitretender -Arbeiter auf den Nacken zu setzen. Wir beschränkten uns also -notgedrungen auf 130000 Pfd. Sterling, was zwar auch einiges Aufsehen -erregte, von uns aber damit motiviert wurde, daß die neuartigen -Maschinen, die wir anzuwenden gedächten, sehr teuer wären. -</p> - -<p> -„Jetzt kam aber die Hauptsorge; wie sollten diese 130000 Pfd. -Sterling oder doch der größte Teil derselben in unsere Taschen geleitet -werden? Mich hatten unsere Jungens zum Direktor der „ersten Edenthaler -Nähnadel-Fabriks-Association“ gewählt und als solcher begab -ich mich anderntags zu der Bank, um uns dort unser Konto eröffnen -zu lassen und gleichzeitig alle erforderlichen Informationen einzuholen. -Der Kassierer versicherte mir zwar auf Befragen, daß alle von mir -angewiesenen Auszahlungen ohne weiteres durchgeführt werden sollten, -als ich aber daraufhin um ein „kleines Akonto“ von einigen tausend -Pfunden bat, fragte er mich verwundert, was es damit solle. „Je -nun, wir müssen doch gewisse kleine Zahlungen leisten.“ — „Unnötig“, -war die Antwort, „alle Zahlungen werden hier bei der Bank ausgeglichen.“ -— „Ja, aber wovon soll denn ich mit meinen Leuten inzwischen, -bis die Nähnadelfabrik zu arbeiten anfängt, leben?“ fragte -ich gereizt. „Nun, von Ihrer Arbeit bei anderen Unternehmungen, -oder von Ihren Ersparnissen, wenn sie welche haben. Auch an Kredit -wird es Ihnen nirgend fehlen — wir aber, die Centralbank — geben -bloß Produktivkredite; was Sie verzehren, können wir Ihnen nicht vorstrecken.“ -</p> - -<p> -„Da standen wir nun mit unserem Kredite von 130000 Pfd. -Sterling und fingen an zu begreifen, daß derselbe doch nicht so leicht -davonzutragen sei. Allerdings konnten wir bauen lassen und bestellen, -so viel und was wir wollten. Was hatten wir aber davon, Geld auf -unnütze Dinge auszugeben? -</p> - -<p> -„Das ärgerlichste war, daß wir ehrlich zu arbeiten beginnen mußten, -wollten wir das allgemeine Mißtrauen nicht doch schließlich gegen uns -erwecken, und so traten wir denn verschiedenen Unternehmungen bei. -Überwunden aber wollten wir uns noch immer nicht geben und nach -reiflichem Nachdenken fiel mir folgendes als die allein mögliche Methode -des von uns geplanten Schwindels ein. Die Centralbank vermittelt -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -zwar alle Käufe und Verkäufe, hindert aber, wie ich bald herausbekam, -den Käufer oder Besteller nicht im geringsten in der Wahl der ihm -passend erscheinenden Güter. Wir hatten also das Recht, für unsere -Nähnadelfabrik Maschinen in Europa oder Amerika bei beliebigen -Fabrikanten zu bestellen, für welche dann die Centralbank Zahlung -leisten würde. Wir mußten also bloß mit einer geeigneten europäischen -oder amerikanischen Schwindelfirma in Verbindung treten und den zu -erzielenden Nutzen mit dieser teilen, um schließlich doch eine recht ansehnliche -Beute wegtragen zu können. -</p> - -<p> -„Aber zugleich mit diesem Auskunftsmittel fiel mir auch ein, wie -grenzenlos dumm es wäre, von demselben Gebrauch zu machen. Sehr -viel, das leuchtete mir ein, war mit demselben nicht zu gewinnen; -aber selbst wenn es möglich gewesen wäre, für jeden Einzelnen von -uns ein Vermögen herauszuschwindeln, hatte ich doch die Lust verloren, -Freiland wieder zu verlassen. Die Rechnung stand für alle -Fälle zu ungleich. Ich war in ehrlicher Arbeit ein Neuling und sonderliche -Anstrengungen sagten meinem damaligen Geschmack nicht zu; trotzdem -hatte ich es auf einen Tagesverdienst von 12 Shillingen gebracht, -das sind 180 Pfd. Sterling im Jahr, mit denen sich hier mindestens -so gut leben ließ, wie mit dem Doppelten in Amerika oder England; -selbst wenn ich in der bisherigen Weise, gleichsam bloß, um mir die -Langeweile zu kürzen, fortarbeitete, mußte sich dieses Einkommen sehr -bald steigern, ich konnte hier schlimmstenfalls ein Leben führen, wie da -draußen im Besitze einer Jahresrente von 400-500 Pfd. Sterling; -auch nur annähernd so viel zu stehlen, war nun nicht die geringste -Aussicht vorhanden. Doch wenn auch! Ich wäre doch nicht weggegangen. -Erstlich weil es mir hier zu gut gefiel; der Umgang gleich und gleich -mit anständigen Menschen hat etwas Lockendes selbst für Spitzbuben, -wie ich damals einer war. Und dann — es kam mir damals komisch -vor — begann ich mich meines Gaunertums zu schämen. Auch die -Spitzbuben haben ihre Ehre. Da draußen, wo <em>Jeder</em> dem Nebenmanne -das Fell über die Ohren zieht, wenn er nur kann, erachtete -ich mich im Wesen nicht schlechter, als die sog. ehrlichen Leute; ich -hielt mich nicht so genau an das Gesetz, als diese, das war aber auch -der ganze Unterschied. Auf der Jagd nach dem lieben Nebenmenschen -befinden sie sich da draußen Alle; daß ich ohne Jagdkarte zu jagen -mir erlaubte, beschwerte mir das Gewissen nicht sonderlich, umsoweniger, -da ich doch nur die Wahl hatte, zu jagen, oder gejagt zu werden. Hier -aber jagte Niemand dem Nebenmenschen das Seine ab, hier mußte sich -jeder Gauner selber gestehen, daß er schlechter sei, als die Anderen -alle, und zwar ein schlechter Kerl ohne Not, aus purer Freude am -Schlechten. Und wenn man dabei noch den Reiz der Gefahr gehabt -hätte, der da draußen die Jagd mit einer gewissen Poesie umgiebt! -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -aber auch davon keine Spur! Nicht einmal verfolgt hätten uns die -Freiländer, wenn wir uns mit der erschwindelten Beute aus dem Staube -gemacht hätten; sie hätten uns laufen lassen wie räudige Hunde. Nein, -hier wollte und konnte ich kein Spitzbube sein. Ich rief die Genossen -zusammen, um ihnen anzuzeigen, daß ich meine Würde als ihr Anführer -niederlege, mich überhaupt von der Kompagnie lossage und es hier mit -anständiger Arbeit versuchen wolle. Nicht einer war, der mir nicht -zugestimmt hätte. Zwar mit der Arbeitslust sah es bei einigen noch -windig aus, aber hier bleiben wollten sie Alle. Ein besonders zäher -Kerl warf zwar die Frage auf, ob es, da wir doch einmal so hübsch -beisammen seien, wie später wohl nicht wieder, nicht vielleicht doch ganz -nett wäre, ein paar Tausend Pfund herauszuschwindeln und dann erst -ehrliche Leute zu werden; aber schon bedurfte es des Hinweises auf -die Haftpflicht der Associationsmitglieder für die von ihnen kontrahierten -Kredite nicht, um den Vorschlag dieses Nachzüglers unserer ehemaligen -Gaunerei zu beseitigen. Nicht bloß hier bleiben, sondern ehrlich werden -wollten sie, diese hartgesottenen Schelme, die wenige Wochen früher -ehrlich und dumm als gleichbedeutende Worte zu gebrauchen pflegten. -So kam’s, daß das feine Plänchen, an welchem die „smartesten fellows“ -von Neu-England ihren Witz erschöpft hatten, klanglos fallen gelassen -wurde und wenn ich gut berichtet bin, so hat nachher keiner von uns -46 je zu ernstlicher Klage Anlaß gegeben.“ -</p> - -<p> -Der zweite, vor die Gesamtvertretung von Freiland gebrachte -Antrag — die Rückzahlung der bis dahin von den meisten Mitgliedern -bei Gelegenheit ihres Eintrittes in die Gesellschaft geleisteten größeren -oder geringeren Beiträge betreffend, bedeutete die Aufbringung einer -Gesamtsumme von nicht weniger als 43 Millionen Pfd. Sterling. Nun -hatte man allerdings den Mitgliedern jederzeit gesagt, daß die Beiträge -nicht rückzahlbar, sondern ein den gesellschaftlichen Zwecken gebrachtes -Opfer seien; nichtsdestoweniger erachtete es die Verwaltung von Freiland -der Billigkeit entsprechend, daß nunmehr, wo das neue Gemeinwesen -eines solchen Opfers nicht mehr bedurfte, auf dasselbe für die -Zukunft sowohl als für die Vergangenheit verzichtet werde. Die großmütigen -Spender hatten zwar niemals aus ihrer den ärmeren Mitgliedern -so reichlich geleisteten Hülfe irgendwelchen Rechtstitel auf besondere -Anerkennung oder höhere Ehre abgeleitet, ja die meisten hatten es sich -sogar verbeten, namentlich als Schenker angeführt zu werden; auch -widersprach diese Hülfeleistung keineswegs den Prinzipien, auf denen -das neue Gemeinwesen begründet war, ja im Sinne derselben durfte -das Eintreten der Bemittelten für die Hülflosen gerad zu als eine -Forderung des gesunden, vernünftigen Eigennutzes angesehen werden. -Aber mit dem Momente, wo gerade infolge dieses so ausgiebig bethätigten -vernünftigen Egoismus das Gemeinwesen kräftig genug wurde, -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -um außergewöhnliche Hülfeleistungen entbehren und die vordem dargebrachten -zurückerstatten zu können, erschien es uns wieder billig, daß -dies auch sofort geschehe. -</p> - -<p> -Auch dieser Antrag wurde debattelos einstimmig angenommen und -sofort zur Ausführung gebracht. Den sämtlichen Beitragleistenden wurden -die eingezahlten Beträge zurückerstattet, resp. in den Büchern der Centralbank -gutgeschrieben, wo sie nach Gefallen über dieselben verfügen mochten. -</p> - -<p> -Damit aber kann auch die zweite Epoche der Geschichte von Freiland -als abgeschlossen betrachtet werden. Die Gründung des Gemeinwesens -— die erste Epoche ausfüllend — vollzog sich gänzlich durch -freiwillige Opfer einzelner seiner Mitglieder; in der zweiten Periode -war diese Hülfeleistung, wenn auch nicht mehr durchaus notwendig, doch -ein nützliches und wirksames Beförderungsmittel des raschen Wachstums -gewesen; von jetzt ab wies die zu einem Riesen erstarkte freie Gemeinschaft -jeden wie immer gearteten, nicht aus ihren regelmäßigen Hülfsquellen -geschöpften Beistand ab, und die einst empfangene Unterstützung -tausendfach vergeltend, war nun sie es, auf deren stets unerschöpflicher -fließende Mittel Not und Elend, sie mochten sich in welchem Teile der -bewohnten Erde immer zeigen, mit Sicherheit zählen durften. -</p> - -<h2 class="part" id="part-5"> -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -Drittes Buch. -</h2> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-1"> -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -13. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Abermals sind zwanzig Jahre verflossen, fünfundzwanzig Jahre, -seitdem unsere Pfadfinder den Kenia erreichten. Die Prinzipien, nach -denen sich Freiland regiert und verwaltet, sind die gleichen geblieben -und auch der Erfolg hat nicht gewechselt, nur daß das Wachstum von -geistiger und materieller Kultur, von Einwohnerzahl und Reichtum sich -in unablässig steigender Progression bewegte. Die Einwanderung, vermittelt -durch 54 der größten Ozeandampfer von zusammen 495000 -Registertonnen, hatte im letzten Jahre die Ziffer von 1152000 Köpfen -erreicht. Um diesen, aus allen Weltteilen anlangenden Zuzug an den -afrikanischen Küsten aufzunehmen und mit möglichster Beschleunigung in -das Herz des Kontinents zu befördern, war das Eisenbahnnetz von -Freiland an vier verschiedenen Punkten bis an den Ozean, resp. bis an -die zum Ozean führenden fremden Anschlußbahnen vorgedrungen. Der -eine dieser Schienenstränge ist der noch in der vorigen Epoche vollendete -von Edenthal nach Mombas; diesem folgte vier Jahre später, nachdem -die Pacifizierung der Gallasstämme gelungen war, die Eisenbahn im -Danathale an die Wituküste; nach neun ferneren Jahren war ein — -gleich allen freiländischen Hauptbahnen zweigeleisiger — Schienenstrang -längs des ganzen Nilthales, vom Ukerewe und Albert-Njanza über die -ägyptischen Äquatorialprovinzen, Dongola, den Sudan und Nubien bis -zum Anschlusse an das ägyptische Bahnnetz fertig und solcherart die -Verbindung der Mittelmeerküste mit Freiland bewerkstelligt; im Vorjahre -endlich war der letzte Spatenstich der großen äquatorialen „Transversalbahn“ -gemacht worden, die von Uganda am Ukerewe ausgehend -und den Nil bei dessen Austritt aus dem Albert-Njanza überbrückend, -von hier den Aruwhimi und Kongo entlang den atlantischen Ozean -erreichte. Wir besaßen also zwei direkte Schienenverbindungen mit dem -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -indischen und je eine mit dem mittelländischen und atlantischen Meere. -Die Mombaslinie war durch die weitaus kürzere Danabahn selbstverständlich -in den Hintergrund gedrängt; die 580 Kilometer der letzteren -durchflogen unsere Passagierzüge in 9 Stunden, während die Mombasstrecke, -trotz ihrer inzwischen erfolgten Abkürzung durch die Athizweigbahn, -nahezu die doppelte Zeit erforderte. Auf der Nilbahn waren -von Alexandrien bis Edenthal 6452 Kilometer zu durchmessen, deren -Betrieb von Assuan — der Grenze Oberägyptens — ab in unseren -Händen war; die Reise beanspruchte hier — wegen des langsameren -Betriebes auf der ägyptischen Linie — 6½ Tage; trotzdem war diese -Route die meistbenutzte, da sie allen über das Mittelmeer gehenden -Einwanderern, also allen europäischen und den meisten amerikanischen, -die Reise nahezu um zwei Wochen verkürzte. Die im Einvernehmen -mit dem Kongostaate, jedoch beinahe ausschließlich auf unsere Kosten -ausgebaute und durchweg in freiländischem Betrieb stehende äquatoriale -Transversalbahn endlich hatte eine Länge von 4874 Kilometern und auf -ihr konnte man in nicht ganz 4 Tagen von der Kongomündung in -Edenthal anlangen. -</p> - -<p> -Edenthal, wie überhaupt das Keniagebiet, hatten schon seit langer -Zeit aufgehört, den ganzen Zuzug der Einwanderer in sich aufzunehmen. -Zwar die dichteste Menge der freiländischen Bevölkerung war noch -immer in den Hochgebirgslandschaften zwischen dem Ukerewe und dem -indischen Ozean zu suchen, der Sitz der obersten Verwaltung war nach -wie vor in Edenthal, Freiland aber hatte seither seine Grenzen nach -allen Seiten, insbesondere nach Westen zu mächtig ausgedehnt. Über -ganz Massailand, Kawirondo und Uganda, rings um die Ufer des -Ukerewe, Mwutan-Nzige und Albert-Njanza hatten sich freiländische -Ansiedler ausgebreitet, so weit gesunde, hohe Lage und fruchtbarer Boden -zu finden war. Im Südosten bilden die paradiesischen Gebirgslandschaften -von Teita, im Norden die Höhenzüge zwischen dem Baringo -und Ukerewe und den Gallaländern, im Westen die äußersten Ausläufer -der am Albertsee beginnenden Mondberge, im Süden endlich die bis -zum Tanganikasee streichenden Gebirgszüge die vorläufigen Grenzen -unserer Ausbreitung, ein Gesamtareal von 1½ Millionen Quadratkilometern -umfassend, welches jedoch nicht überall von kompakten -Massen freiländischer Bevölkerung besiedelt ist, vielmehr unsere Kolonisten -an vielen Stellen zerstreut unter den Eingeborenen sitzen, dieselben -überall zu höherer, freier Kultur erziehend. Die Gesamtbevölkerung -des derzeit unter freiländischem Einflusse stehenden Gebietes beträgt -42 Millionen Seelen, davon 26 Millionen Weiße und 16 Millionen -schwarze oder braune Eingeborene. Von ersteren wohnen 12½ -Millionen im Stammlande am Kenia und Aberdaregebirge; 1½ -Millionen sind im übrigen Massailand, am Nordabhange des Kilima-Ndscharo -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -und in Teita zerstreut; die Berge westlich und nördlich -vom Baringosee haben eine weiße Bevölkerung von 2 Millionen; -rings um den Ukerewe sitzen 3½ Millionen, in den Bergen zwischen -diesem und dem Mwutan-Nzige und Albertsee 1½ Millionen, in -den Mondgebirgen westlich vom Albert-Njanza 3 Millionen und -endlich südlich von diesen beiden Seen bis zum Tanganika zerstreut -2 Millionen. -</p> - -<p> -Die freiländische Produktion hat sich auf nahezu alle Bedarfsartikel -des Kulturmenschen ausgedehnt, der hauptsächlichste Produktionszweig -aber ist die Maschinenindustrie geblieben. Sie erzeugt vornehmlich -für den inländischen Gebrauch, trotzdem ihre Leistungsfähigkeit schon -seit Jahren die aller Maschinenfabriken der ganzen übrigen Welt -zusammengenommen sehr wesentlich übertrifft; Freiland hat eben -für mehr Maschinen Verwendung, als die ganze übrige Welt -zusammengenommen, denn die Arbeit seiner Maschinen ersetzt ihm die -Sklaven- oder Knechtesarbeit der Anderen und da unser — die civilisierten -Neger gar nicht gerechnet — 26 Millionen „Arbeitgeber“ sind, -so brauchen wir sehr viel stählerne und eiserne Knechte, um unseren -mit jedem Fortschritte unserer Kunstfertigkeit stetig Schritt haltenden -Bedürfnissen zu genügen. Von unseren Maschinen also geht — mit -Ausnahme einiger Specialitäten — verhältnismäßig wenig über unsere -Grenzen; dafür arbeitet die Landwirtschaft überwiegend für den Export, -ja es kann füglich behauptet werden, daß die Gesamtproduktion des -freiländischen Körnerbaues für den Export verfügbar ist, da die zur -Deckung des eigenen Bedarfs erforderlichen Mengen im Durchschnitt -kaum so groß sind, als die auf unsere Märkte gelangenden Überschüsse -der Negerproduktion. Im letzten Jahre waren 9 Millionen Hektaren -Ackerland bestellt gewesen, die in zwei Ernten einen Ertrag von 2100 -Millionen Zentner Körner- und sonstiger Feldfrüchte im Werte von -rund 600 Millionen Pfd. Sterling ergaben. Zu diesem Getreidequantum -kamen nun noch für 550 Millionen anderweitige Ausfuhrgüter, -so daß der Gesamtexport 1150 Millionen Pfd. Sterling betrug. Unter -den Importartikeln dagegen nimmt weitaus die erste Stelle der Posten: -„Bücher und andere Drucksachen“ ein, diesen zunächst folgen Kunst- und -Luxusgegenstände. Von den, anderwärts als sogenannte Massenartikel -des Außenhandels anzutreffenden Waren, zeigen die freiländischen Importlisten -bloß Baumwollwaren, die im Lande selbst fast gar nicht -erzeugt, im Gesamtbetrage von 57 Millionen Pfd. Sterling zur Einfuhr -gelangten. Der Bücherimport — Zeitungen eingeschlossen — betrug -im letzten Jahre 138 Millionen Pfd. Sterling — nicht unwesentlich -mehr, als im gleichen Jahre die ganze übrige Welt für Bücher ausgegeben -hatte. Und dabei darf man nicht etwa glauben, daß Freiland -seinen Bücherbedarf gänzlich oder auch nur zum größeren Teile vom -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -Auslande her gedeckt hätte; mehr als zweimal so viel, als an ausländische -Verleger hatten im selben Jahre die freiländischen Leser an -ihre einheimischen zu bezahlen; sie lesen eben zur Zeit, bei welcher wir -angelangt sind, mehr als dreimal so viel, als das ganze Lesepublikum -außerhalb Freilands. -</p> - -<p> -Diese Ziffern schon lassen auf die Höhe des Reichtums schließen, -zu welchem Freiland gediehen. In der That, der Gesamtwert der von -7½ Millionen Produzenten im letzten Jahre hervorgebrachten Erzeugnisse -hatte den Betrag von nahezu 7 Milliarden Pfd. Sterling erreicht, -wovon nach Abzug von 2½ Milliarden zur Deckung der Ausgaben des -Gemeinwesens, 4½ Milliarden als Gewinn der Produzenten verblieben, -aus welchem im Durchschnitt 600 Pfd. Sterling auf den einzelnen -Arbeiter entfielen. Und dabei hatten wir im Mittel bloß 5 Stunden -täglich oder 1500 Stunden im Jahre zu arbeiten gebraucht, so daß der -durchschnittliche Nettowert der Arbeitsstunde 8 Schilling erreichte, kaum -weniger, als in gar manchen Teilen Europas der durchschnittliche -Wochenlohn gewöhnlicher Handarbeiter. -</p> - -<p> -Die Preise fast aller Bedarfsartikel in ganz Freiland sind dabei -immer noch wesentlich billiger, als sonst in einem Teile der civilisierten -Welt. Ein Zentner Weizen kostet durchschnittlich 6 Schilling, ein Kilogramm -Rindfleisch nicht ganz ½ Schilling, ein Hektoliter Lagerbier oder -leichten Weines 10 Schilling, ein kompletter Anzug aus gutem Schafwollstoff -20-30 Schilling, ein Pferd vorzüglicher arabischer Vollblutzucht -15 Pfd. Sterling, eine gute Milchkuh 2 Pfd. Sterling u. s. w. Teuer -sind bloß einige vom Ausland bezogene Luxusartikel, z. B. einige Weine -und alle nur durch Handarbeit produzierbaren Dinge, deren es aber -äußerst wenig giebt. Letztere werden sämtlich aus dem Auslande importiert, -mit welchem in Handarbeit zu konkurrieren, einem Freiländer -natürlich nicht in den Sinn kommen kann. Denn obwohl die harmonisch -ausgebildeten, vollkräftigen und intelligenten Arbeiter unseres Landes -auch an Kraft und Geschicklichkeit ihrer Muskeln den entnervten, ausgemergelten -Knechten des Abendlandes sicherlich mindestens zwei- und -dreifach überlegen sind, so vermögen sie doch nicht zu konkurrieren mit -einer Arbeitskraft, die fünfzig- und hundertfach wohlfeiler ist, als die -ihrige. Ihre Überlegenheit beginnt erst, wo sie den ausländischen -Knechten aus Menschenfleisch und Bein ihre stählernen entgegenstellen -können; mit diesen arbeiten sie dann billiger noch, als jene, denn diese -von Dampf, Elektrizität und Wasser in Bewegung erhaltenen Sklaven -sind noch genügsamer, als die Lohnarbeiter des „freien“ Europa. Verlangen -diese doch immerhin Kartoffeln zur Füllung ihres Magens und -einige Lumpen zur Verhüllung ihrer Blöße, während Kohle oder ein -Wasserstrahl den Hunger jener stillt und ein wenig Schmieröl hinreicht, -um ihre Glieder geschmeidig zu erhalten. -</p> - -<p> -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -Im übrigen bestätigt diese Überlegenheit Freilands im Maschinenwesen -und die des Auslandes in Handarbeit bloß einen alten Erfahrungssatz, -der deshalb nicht minder richtig ist, weil er der Erkenntnis der -sogenannten „Kulturnationen“ noch immer entgeht. Daß nur die verhältnismäßig -reichen Nationen, d. h. jene, deren Massen verhältnismäßig -am besten gestellt sind, zugleich eine unter starker Verwendung von -Maschinenkraft betriebene Produktion besitzen, konnte selbst dem blödesten -Auge auf die Dauer unmöglich entgehen, nur erklärte man sich -dieses unleugbare Phänomen umgekehrt; man glaubte, daß das englische -oder amerikanische Volk deshalb menschenwürdiger existiere, als z. B. -das chinesische oder russische, weil es reicher sei und daß aus dem -gleichen Grunde, weil nämlich die erforderlichen Kapitalien reichlicher -vorhanden seien, dort mit Maschinenkraft, hier mit menschlicher Muskelkraft -gearbeitet werde. Das läßt allerdings die Hauptfrage, nämlich -woher denn eigentlich diese Unterschiede des Reichtums rühren, unerledigt -und schlägt anderseits den Thatsachen ganz ungeniert ins Antlitz, -denn dem Chinesen oder Russen nützt alles ihm noch so freigebig und -billig angebotene Kapital nichts; die Maschinenarbeit bleibt bei ihm -unrentabel, so lange sich seine Lohnarbeiter mit einer Handvoll Reis -oder mit halbverfaulten Kartoffeln und etwas Schnaps begnügen — -aber es gehört einmal ins Kredo der orthodoxen Nationalökonomie und -wird deshalb unbesehen geglaubt. Wer jedoch seine Augen nicht bloß -dazu hat, um sie den Thatsachen gegenüber zu verschließen, seinen Verstand -nicht bloß dazu, um einmal angenommene Vorurteile hartnäckig -festzuhalten, der muß endlich begreifen, daß der Reichtum der Nationen -nichts anderes ist, als ihr Besitz an Produktionsmitteln, daß dieser -Reichtum groß oder gering ist, je nachdem zahlreiche und mächtige, -oder wenige und kleinliche Produktionsmittel vorhanden sind und daß -man viele oder geringfügige Produktionsmittel braucht, nach Maßgabe -des großen oder geringen Verbrauches jener Dinge, die mittels dieser -Produktionsmittel erzeugt werden sollen — also ausschließlich nach Maßgabe -des großen oder geringen Konsums. Wo man wenig gebraucht, -kann man wenig erzeugen, kann also auch wenig Instrumente der Erzeugung -besitzen, <em>muß</em> also arm bleiben. -</p> - -<p> -Auch der Außenhandel vermag daran nichts zu ändern; denn für -die Dinge, die man ausführt, muß man doch irgend etwas — sei es -nun ein Genußmittel, ein Arbeitsinstrument, bares Geld oder sonst -ein Gut — wieder einführen, und für dieses eingeführte Etwas muß -man Verwendung haben, was jedoch, wenn der Konsum fehlt, unmöglich -ist, da in diesem Falle auch importierte so wenig als im Inlande -erzeugte Dinge Verwendung finden können. Allenfalls könnte -man noch jene Güter, die man erzeugt, ohne weder sie selber noch -etwas anderes an ihrer Statt gebrauchen zu können, dem Auslande -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -leihweise überlassen; aber das hängt wieder davon ab, ob das Ausland -Verwendung für solche im Inlande unverwendbare Überschüsse hat, und -da dies natürlich in der Regel ebenso wenig der Fall ist, so bleibt es -ein für allemal dabei: Jedes Volk vermag nur so viel zu erzeugen, für -wie viel es Verwendung hat und die Höhe seines Reichtums ist daher -bedingt durch die Höhe seiner Bedürfnisse. -</p> - -<p> -Natürlich ist hier nur von jenen Völkern die Rede, deren Kultur -so weit vorgeschritten ist, daß der Verwendung hochentwickelter Arbeitsinstrumente -nicht ihre Unwissenheit, sondern lediglich ihre socialpolitische -Hülflosigkeit im Wege steht. Für diese aber gilt ihrem -vollen Umfange noch die Wahrheit, daß sie arm sind lediglich aus dem -Grunde, weil sie sich nicht satt essen <em>dürfen</em> und daß die Zunahme -ihres Reichtums durch nichts anderes bedingt ist, als durch das Ausmaß -der Energie, mit welcher die arbeitenden Klassen sich gegen ihr -Elend aufbäumen. Die Engländer und Amerikaner <em>wollen</em> Fleisch -essen, sie lassen ihren Arbeitslohn nicht so weit herabdrücken; das ist -der einzige Grund, warum England und Amerika mehr Maschinen verwenden, -als China und Rußland, wo sich das Volk mit Reis oder -Kartoffeln begnügt; wir in Freiland aber haben es zuwege gebracht, -unseren arbeitenden Klassen den Genuß des ganzen Ertrages ihrer -Arbeit zu sichern, dieser Ertrag mag noch so hoch wachsen — was ist -selbstverständlicher, als daß wir so viel Maschinen verwenden, als -unsere Techniker nur immer zu ersinnen vermögen. -</p> - -<p> -Nichts kann auf die Dauer der Wirksamkeit dieses obersten Gesetzes -der Volkswirtschaft widerstehen. Die Produktion ist einzig um -des Konsums Willen da und muß daher — das hätte man sich längst -sagen sollen — in ihrem Maße sowohl als in der Art ihres Betriebes -vom Ausmaße des Konsums abhängen. Und wenn morgen ein mutwilliger -Kobold all unseren Reichtum, all unsere Maschinen über Nacht -nach irgend einem europäischen Lande versetzte, dabei aber diesem Lande -unsere socialen Institutionen nicht mit als Angebinde brächte, so wäre -dieses Land damit so gewiß nicht um eines Hellers Wert reicher als -zuvor, als es gewiß ist, daß China nicht reicher würde, wenn man die -Reichtümer Englands und Amerikas dahin versetzte, ohne den chinesischen -Arbeitern mehr als abgebrühten Reis zur Nahrung und mehr als ein -Lendentuch zur Kleidung zu gewähren. Gleichwie in diesem Falle die -englischen und amerikanischen Maschinen in China sofort zu nutzlosem -alten Eisen würden, ebenso erginge es in jenem Falle unseren Maschinen -in Europa oder Amerika. Und gleichwie umgekehrt die Engländer und -Amerikaner das ihnen durch Koboldstücke nach China verzauberte -Maschinenkapital — beharrten ihre arbeitenden Klassen nur bei ihren -derzeitigen Lebensgewohnheiten — sehr rasch wieder ersetzen und damit -die frühere Stufe ihres Reichtums wieder erklommen haben würden, so -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -könnte es auch uns nicht schwer fallen, zu wiederholen, was wir einmal -vollbracht, nämlich uns neuerlich in den Besitz all jener Reichtümer -zu setzen, die <em>unseren</em> Lebensgewohnheiten entsprechen. Denn diese -letzteren, die socialen Einrichtungen Freilands, sind die wahre und -einzige Quelle unseres Reichtums: daß wir sie <em>gebrauchen</em> können, ist -der Seinsgrund unserer ganzen Maschinenkraft. -</p> - -<p> -Diese Kraft aber, wir fassen hier überall unter dem Sammelbegriff -Maschine alles zusammen, was einerseits kein freies Geschenk -der Natur, sondern Erzeugnis menschlichen Fleißes, und anderseits dazu -bestimmt ist, die Ergiebigkeit menschlicher Arbeit zu steigern — diese -Kraft ist in Freiland zu kollosalen Dimensionen erwachsen. Unser -Eisenbahnnetz — die oben genannten Linien umfassen bloß die vier -großen, dem Außenhandel dienenden Bahnen — hat eine Gesamtausdehnung -von 575000 Kilometer erreicht, wovon allerdings bloß -180000 Kilometer Hauptbahnen, während nahezu 400000 Kilometer -landwirtschaftliche und industrielle Schienenanlagen sind. Unser -Kanalsystem dient hauptsächlich Be- und Entwässerungszwecken und -die Ausdehnung seines in unzähligen tausenden von Adern und -Äderchen sich verzweigenden Netzes entzieht sich jeder Berechnung; schiffbar -aber sind diese Kanäle in einer Länge von 57000 Kilometern. -Außer den bereits erwähnten Passagierschiffen schwimmen auf allen -Meeren nahezu 3000 unserer Frachtendampfer mit einem Laderaume -von 15 Millionen Registertonnen; auf den Seen und Flüssen Afrikas -besitzen wir 17800 größere und kleinere Dampfer von insgesamt -5½ Millionen Tonnen. Die motorische Kraft aber, die all diese Verkehrsmittel -und die zahllosen Maschinen unserer Landwirtschaft und -unserer Fabriken, unserer öffentlichen und privaten Anlagen, in Bewegung -erhält, beträgt nicht weniger als 245 Millionen indizierter -Pferdekräfte, d. i. reichlich das Doppelte der mechanischen Kraft, über -welche derzeit die ganze übrige Welt verfügt. Es kommen sohin in -Freiland nahezu 9½ Pferdekraft mechanischer Arbeitsenergie auf den -Kopf der Bevölkerung, und da eine indizierte Pferdekraft die Leistungsfähigkeit -von 12 bis 13 Männern entwickelt, so ist der Arbeitseffekt -der nämliche, als ob jeder Freiländer Kopf für Kopf ungefähr -120 Sklaven zu seiner Verfügung hätte. Was Wunder, daß wir ein -Herrendasein zu führen vermögen, trotzdem es in Freiland keine menschlichen -Knechte gibt. -</p> - -<p> -Der Wert jener ungeheuren Investitionen aller Art läßt sich -angesichts der wunderbaren Durchsichtigkeit unseres ganzen wirtschaftlichen -Getriebes auf Heller und Pfennig berechnen. Das freiländische -Gemeinwesen als solches hat in den 25 Jahren seines Bestandes -in runder Summe 11 Milliarden zu Investitionszwecken ausgegeben; -der Aufwand durch Vermittlung der Associationen und einzelner -<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> -Individuen (letztere allerdings bloß mit relativ verschwindenden -Ziffern vertreten) hatte 23 Milliarden — alles Pfund Sterling — -betragen, so daß die Gesamtinvestitionen einen Reichtum von 34 Milliarden -repräsentieren, durchweg vorzüglich rentierendes Kapital, trotzdem, -oder richtiger gerade weil es keinen bestimmten Herrn hat, denn eben -diese Herrenlosigkeit der gesamten Produktionskapitalien ist die Ursache, -daß jede Arbeitskraft sich jener Betriebsmittel bedienen kann, durch -deren Anwendung sie jeweilig die höchsten Erträge zu erzielen vermag. -Jeder Freiländer ist Mitbesitzer dieses ganzen ungeheueren Reichtums, -von welchem — den unschätzbaren Wert des Kulturbodens gar nicht -gerechnet — auf den Kopf der Gesamtbevölkerung rund 1300 Pfd. -Sterl., auf die Familie rund 6000 Pfd. Sterl. entfallen. Wir sind -also in diesen 25 Jahren allesamt gewissermaßen ganz behäbige „Kapitalisten“ -geworden; „Zinsen“ trägt uns dieses Kapital allerdings nicht, -dafür aber verdanken wir ihm den Arbeitsertrag von 7 Milliarden, -der, umgerechnet auf die 26 Millionen Seelen Freilands, rund 270 Pfd. -Sterl. per Kopf ergibt. -</p> - -<p> -Ehe wir jedoch einer Schilderung des auf Grundlage dieser Fülle -von Reichtum und Kraft sich entwickelnden Lebens Freilands Raum -geben, wird es notwendig sein, in kurzen Zügen einen Abriß der freiländischen -Geschichte während der letzten 20 Jahre zu bieten. -</p> - -<p> -Wir sind im vorigen Abschnitte bis zur Eröffnung der ersten -Schienenverbindung mit dem indischen Ozean auf der einen Seite und -bis zu dem Feldzuge gegen Uganda und der damit beginnenden Besiedelung -der Uferlandschaften des Ukerewe anderseits gelangt. Die -Aufmerksamkeit unserer Forscher war von da ab zunächst auf das hochinteressante -Gebirgsland nördlich und nordwestlich vom Baringosee gerichtet, -wo insbesondere das Gebiet des nahezu 4300 Meter hohen, -an der Grenze Ugandas gelegenen Elgon ihren Eifer nach mehr als -einer Richtung herausforderte. Hier war ersichtlich ein großes, den -Kenia- und Aberdarebergen an Fruchtbarkeit, klimatischen Vorzügen und -landschaftlicher Schönheit ebenbürtiges Feld zukünftiger Besiedelung -vorhanden. Die Aussicht vom Gipfel des Elgon übertraf sogar, was -Mannigfaltigkeit der gebotenen Eindrücke anlangt, alles bisher Gesehene; -im Südosten reichte der Blick bis zu der meerartig sich in unabsehbarer -Ferne verlierenden Fläche des Ukerewe; im Norden ragten, 65 Kilometer -entfernt, die mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel des Lekakisera -gen Himmel; im Osten streifte das Auge über mächtige Waldgebirge, -während im Westen sich endlos das lachende Hügelland von Uganda erstreckte. -</p> - -<p> -Doch unaufhaltsam weiter drangen unsere Pioniere; Platz war -zwar noch im Überfluß an den alten Wohnsitzen vorhanden; aber der -Forschungstrieb in Verbindung mit dem Zauber der Neuheit, der die -ferner liegenden Landschaften umgab, lockte stets neue Scharen tiefer -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -und tiefer hinein in den „dunklen Erdteil“. Nachdem die Ufer des -Ukerewe nichts Unbekanntes mehr boten, drangen unsere Pfadfinder in -die Urwaldungen der Zwischenseegebirge gegen den Muta-Nzige und -Albertsee. Hier stießen wir zum ersten Mal auf menschenfressende -Stämme, deren Bändigung keine geringe Arbeit bot und auch keineswegs -ganz ohne Blutvergießen abging. Am Albert-Njanza angelangt, -dessen Ostufer meist kahl und unwirtlich sind, erblickte man von jenseits -verführerisch die Mondberge, deren höchste, 4000 Meter überragende -Gipfel in der kühlen Jahreszeit häufig eine Schneedecke zeigen und -von deren malerisch gegen den See abfallenden Hängen zahlreiche Katarakte -von ganz unglaublicher Fallhöhe und gewaltigem Wasserreichtum -zur Tiefe stürzen, angenehme Rückschlüsse auf die Beschaffenheit ihrer -Quellgebiete gestattend. Selbstverständlich blieben sie nicht lange unbesucht -und der Ruf der neuen Wunder großartiger Naturpracht, die -dort gefunden wurden, lenkte bald den Schritt vieler Hunderttausende -dahin. Auch dort gab es Kämpfe mit anthropophagen Stämmen, die -zum Teil heute noch ihren schlimmen Gewohnheiten im Geheimen fröhnen. -Von hier aus wandten sich die Pioniere mehr südwärts, überall die -Gebirgszüge als Heerstraße benutzend. Vor sechs Jahren langten unsere -ersten Vorposten am Tanganika an, wo sie mit Vorliebe die sich im -Westen erhebenden Höhenzüge wählten, welche stellenweise den 900 -Meter über dem Meere gelegenen Seespiegel um 1500 Meter überragen; -jetzt sitzen schon Hunderttausende in den lieblichen Uferlandschaften -dieses wenn auch nur zweitgrößten, so doch weitaus längsten -der Äquatorialseen. Der Tanganika hat nicht ganz den halben Flächeninhalt -des Ukerewe, er ist nirgends so breit, daß ein gutes Auge nicht -die jenseitigen Uferberge zu sehen vermöchte; seine Länge aber beträgt -580 Kilometer, also ziemlich genau drei Vierteile derjenigen des adriatischen -Meeres, und der schnellste von den 286 Dampfern, die ihn derzeit -für unsere Rechnung befahren, braucht nahezu 24 Stunden, um -von seinem Nordende zum Südende zu gelangen. -</p> - -<p> -Jetzt war aber auch die Zeit gekommen, wo wir mehr und mehr -mit europäischen, resp. unter europäischem Einfluß stehenden Kolonien -in unmittelbare Berührung gerieten. Im Süden und Osten stießen -wir auf deutsche und englische Interessensphären, im Nordosten teils -direkt, teils indirekt auf französische und italienische, im Norden auf -ägyptische, im Westen an den mächtig aufstrebenden Kongostaat. Dabei -waren die sich ergebenden Wechselbeziehungen zwar überall von den -besten, entgegenkommendsten Absichten geleitet, es tauchte aber doch eine -Menge von Fragen auf, die nachgerade dringend einer endgültigen -Lösung bedurften. Für die benachbarten Kolonien stellte sich nämlich -der Übelstand heraus, daß sie nirgend die unmittelbare Nähe freiländischer -Ansiedelungen auf die Dauer zu ertragen vermochten; ihre Bevölkerung -<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> -wurde von uns angezogen, wie Eisenfeilstäbchen durch einen -Magnet; wo sich eine freiländische Association in der Nähe etablierte, -blieb von fremden Kolonien binnen kürzester Frist nichts übrig, als die -verödeten Wohnstätten, die verlassenen Plantagen; die Kolonisten waren -zu uns übersiedelt und Freiländer geworden. Dagegen konnten die -fremden Regierungen nichts thun, wollten es wohl auch nicht, da doch -das Interesse ihrer Unterthanen dabei wahrlich nicht schlecht fuhr; aber -mit Rücksicht auf die Machtstellung ihrer betreffenden Länder mußte -ihnen diese Unmöglichkeit, sich in unserer Nähe zu behaupten, unbequem -werden und sie zum Nachdenken anregen. -</p> - -<p> -Doch auch wir mußten die Frage in Erwägung ziehen, was denn -geschehen werde, wenn freiländische Ansiedler irgendwo fremdes, -einem abendländischen Volke gehöriges Gebiet betreten sollten. Bisher -hatten wir dies absichtlich vermieden; auf die Dauer war es jedoch -unvermeidlich. Was würde dann geschehen? Sollten wir, im Besitze der -stärkeren Civilisationsform, vor der zurückgebliebenen zurückweichen? -Konnten wir es, selbst wenn wir wollten? Freiland ist kein Staat im -gemeingebräuchlichen Sinne des Wortes; sein Wesen liegt nicht in der -Herrschaft über ein bestimmtes Territorium, sondern in seinen socialen -Einrichtungen; diese sind an sich mit fremden Regierungsformen ganz -gut vereinbar, und wir mußten im Interesse friedlichen Zusammenlebens -mit unseren Nachbarn bestrebt sein, diesen Einrichtungen gesetzliche -Anerkennung — zunächst in den benachbarten Kolonialgebieten — zu -verschaffen. -</p> - -<p> -Und nicht bloß auf dem afrikanischen Kontinente, sondern auch in -den anderen Weltteilen häuften sich die einer Erledigung dringend bedürftigen -„Fragen“ zwischen uns und unterschiedlichen Regierungen. -Wir mengten uns zwar grundsätzlich nicht in die politischen Angelegenheiten -des Auslandes, aber für unser Recht und unsere Pflicht hielten -wir es, aus der Fülle unseres Reichtums und unserer Macht unseren -notleidenden Brüdern, in welchem Teile der bewohnten Erde immer, -beizuspringen. Freiländisches Geld war überall zur Hand, wo es galt, -irgend welche Not zu lindern, den Enterbten und Elenden in welchem -Winkel der Erde immer gegen Ausbeutung Hülfe zu bringen. Unsere -Anmeldebureaux und Schiffe standen jedermann zur unentgeltlichen -Verfügung bereit, der sich aus dem Jammer der alten Weltordnung zu -uns herüberretten wollte, und wir ließen es an Bemühungen nicht -fehlen, die Segnungen unserer Einrichtungen unseren leidenden Mitbrüdern -in stets ausgedehnterem Maße zugänglich zu machen. Das -alles betrachteten wir, wie gesagt, als unsere Pflicht und unser Recht -zugleich; wir waren daher nicht gesonnen, uns in der Ausübung dieser -Mission durch den Einspruch ausländischer Machthaber beirren zu lassen. -Damit aber gerieten wir — auf die Dauer ließ sich das unmöglich -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -verkennen — mehr und mehr in Kollision mit den Anschauungen einzelner -europäischer und asiatischer Regierungen. Zwar im demokratischen Westen -Europas, in Amerika und Australien sprach die öffentliche Meinung zu -mächtig zu unseren Gunsten, als daß von dorther irgendwelcher — und -sei es auch bloß passiver — Widerstand unseren Bestrebungen gegenüber -zu besorgen gewesen wäre; anders aber verhielt es sich in einzelnen -Staaten des Ostens, und insbesondere seitdem unsere Mittel und mit -diesen unsere propagandistische Thätigkeit die kolossalen Dimensionen der -letzten Jahre erreicht hatten und eine stetige Zunahme voraussehen -ließen, begann man sich hie und da ganz ernstlich mit der Frage zu -beschäftigen, ob und durch Anwendung welcher Mittel es thunlich wäre, -freiländischem Gelde und freiländischem Einflusse die Wege zu verlegen. -Zwar scheuten einstweilen jene Regierungen noch den offenen Bruch -mit uns, teils aus Rücksicht auf die auch bei ihnen sich geltend machende -öffentliche Meinung, teils aus Respekt vor den gewaltigen finanziellen -Hülfsmitteln, über welche wir verfügten. Man wollte uns nicht gerne -zu erklärten Feinden haben, aber man wollte freiländische Geldsendungen -und deren Zwecke kontrollieren und die Auswanderung nach Freiland -einschränken. -</p> - -<p> -Wir waren nun durchaus nicht gewillt, derartigen Bestrebungen -mit verschränkten Armen zuzusehen; das Recht, unseren geknechteten -Mitmenschen beizuspringen oder ihnen die Zuflucht nach Freiland offen -zu halten, waren wir fest entschlossen, zu verteidigen, so weit unsere -Kräfte reichten, und Niemand in Freiland zweifelte daran, daß wir -stark genug seien, um die Absperrungsgelüste der fremden Machthaber -im Notfalle gewaltsam niederzuschlagen. Nur war man in Freiland -ebenso einig darüber, daß zuvor jedes erdenkliche friedliche Mittel versucht -werden müsse, ehe man an die Waffen appellieren dürfe. Und -die Schwierigkeit einer unblutigen Einigung lag eben darin, daß -ersichtlich im Punkte der Anschauungen über die kriegerische Stärke -Freilands ein Gegensatz zwischen unserer freiländischen und der außerfreiländischen -öffentlichen Meinung bestand; während wir — wie -gesagt — der Überzeugung waren, jedem Militärstaate der Welt, ja -selbst mehreren zugleich durchaus gewachsen zu sein, hielten uns insbesondere -jene Regierungen, mit denen wir diesfalls zu thun hatten, -für militärisch durchaus ohnmächtig. Wir mußten also darauf gefaßt -sein, daß eine eventuell drohende Sprache unserer Bevollmächtigten gar -nicht ernst genommen werden dürfte und daß gerade deshalb jeder -Versuch, unseren Standpunkt energisch zu vertreten, nur durch einen -thatsächlichen Krieg den erforderlichen Nachdruck erlangen könnte. Und -ein Krieg war es denn auch, der unseren Standpunkt allenthalben im -Auslande zur Geltung bringen sollte, nur allerdings nicht ein Krieg mit -einer europäischen oder asiatischen, sondern ein solcher mit einer afrikanischen -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -Großmacht, ein Krieg zudem, der mit den soeben erörterten -Fragen höchstens indirekt etwas gemein hatte, trotzdem aber auch diese -zur Entscheidung brachte. -</p> - -<p> -Wie dies kam, darüber sollen die in den nachfolgenden Kapiteln -mitgeteilten Briefe Aufschluß geben. Dieselben haben den Prinzen -Carlo Falieri, einen jungen italienischen Diplomaten zum Verfasser, der -nachmals nach Freiland übersiedelte, in jener Zeit jedoch, von welcher -die Briefe handeln, im Auftrage seiner Regierung Edenthal aufsuchte. -Zugleich werden diese Korrespondenzen ein lebhaftes Bild der freiländischen -Zustände und der Lebensweise im fünfundzwanzigsten Jahre -der Gründung bieten. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-2"> -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -14. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 12. Juli .. -</p> - -<p class="first"> -Ich schreibe Dir diese Zeilen nach mehrmonatlichem Stillschweigen -aus der Hauptstadt von Freiland, die mich und meinen Vater seit -einigen Tagen beherbergt. Was uns ins Land der socialen Freiheit -gebracht hat? Du weißt, oder weißt vielleicht auch nicht, daß meine -Chefs auf Monte Citorio sich in letzter Zeit gegen den braunen -Napoleon an der Ostküste Afrikas, den Negus Johannes V. von -Abyssinien, keinen Rat mehr wissen, und da ihnen solcher von unseren -guten Freunden in London und Paris, wo man sich in gleichen Nöten -befindet, auch nicht erteilt werden kann, so einigten sich die drei westmächtlichen -Kabinette schließlich dahin, gegen die gemeinsame afrikanische -Krankheit ein afrikanisches Heilmittel zu suchen; diesem nachzuspüren -sind wir nun hier, von seiten Englands die Herren Lord Elgin und -Sir Bartelet, von seiten Frankreichs Mrs. Charles Delpart und Henri -de Pons, von seiten unseres Italien Principe Falieri und dessen Sohn, -meine Wenigkeit nämlich. Beauftragt sind wir insgesamt, den Freiländern -nahezulegen, daß es in ihrem wie in unserem gemeinsamen -Besten gelegen wäre, wenn sie ihr Land zum Kriegsschauplatze gegen -Abyssinien hergeben wollten. -</p> - -<p> -Der Negus nämlich, der uns Europäern, die wir Besitzungen an -den afrikanischen Küsten des Roten Meeres und südlich der Straße -von Bab-el-Mandeb unser eigen nennen, auch bisher schon viel zu -schaffen machte und gelegentlich des letzten Krieges die verbündeten -englisch-französisch-italienischen Armeen in Schach hielt, ja ohne die -Intervention unserer Flotten denselben um ein kleines das Schicksal -jenes ägyptischen Heeres bereitet hätte, welches nach biblischen Berichten -vor 3300 Jahren im Roten Meere ertränkt wurde, der Negus, sage -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -ich, hat den fünfjährigen, für uns nicht gerade rühmlichen Frieden — -offenbar mit Hülfe gewisser guter Freunde in Europa — dazu benützt, -um seine auch vorher schon Achtung gebietende Armee vollkommen -nach abendländischem Muster zu organisieren. Er besitzt jetzt 300000 -Mann, durchweg mit Waffen bester, modernster Konstruktion versehen, -eine vorzügliche Kavallerie von mindestens 40000 Köpfen, und eine -Artillerie von 106 Batterien, die es, unseren Militärbevollmächtigten -zufolge, mit jeder europäischen an Tüchtigkeit aufnehmen soll. Die -Absichten aber, die Johannes mit diesen für das arme Abyssinien -geradezu ungeheuerlichen Rüstungen verfolgt, können — insbesondere -nach den Erfahrungen des vergangenen Lustrums — nicht zweifelhaft -sein. Er will uns und den Engländern die Küstenplätze am Roten -Meere, den Franzosen ihr Gebiet südlich von Bab-el-Mandeb abnehmen. -Unsere Küstenfestungen und Flotten werden dies auf die Dauer nicht -verhindern, falls es uns nicht gelingt, die Abyssinier in offener Feldschlacht -zu schlagen. Wie aber Armeen, die der reorganisierten abyssinischen -gewachsen wären, an jenen unwirtlichen Küsten erhalten, wie einen -Feldzug mit dem Meere als einziger Rückzugslinie gegen einen Feind -wagen, dessen furchtbare Offensivkraft wir auch bisher schon sattsam -kennen gelernt haben? Und doch muß dem Negus begegnet werden, -koste es, was es wolle, da mit dem Preisgeben der Küstenorte die -Verbindung mit Ostasien und dem seit den letzten zwei Dezennien in -die erste Linie des Welthandels gerückten Ostafrika für alle europäischen -Mächte verloren wäre. Ist uns doch nur zu wohl bekannt, daß -Johannes V. sich diesbezüglich mit den weitestgehenden Plänen trägt. -Heute schon werben seine Agenten in Griechenland, Dalmatien und -selbst in Nordamerika Matrosen zu Tausenden, die offenbar bestimmt -sind, eine Kriegsflotte zu bemannen, sowie der Besitz der Küstenpunkte -es den Abyssiniern ermöglicht, eine solche zu halten. Ob er diese -Flotte im Auslande kaufen, oder selber bauen will, ist annoch ein -Rätsel. Wäre ersteres der Fall, so könnte es den Nachforschungen der -von dieser Zukunftsflotte bedrohten Mächte unmöglich entgehen; aber -keine der bekannten Schiffswerften der Welt hat derzeit Kriegsfahrzeuge -unbekannter Bestimmung in Bau. Soll die abyssinische Flotte aber -am Roten Meere gebaut werden, erst nachdem dessen Küsten -in abyssinische Gewalt geraten sind, wozu braucht der Negus -jetzt schon die vielen Matrosen? Keineswegs ist dieses Geheimnis -geeignet, über die Endabsichten Abyssiniens zu beruhigen — kurzum, -man hat in London, Paris und Rom beschlossen, den Stier an den -Hörnern zu fassen und gegen den ostafrikanischen Eroberer offensiv -vorzugehen. Die drei Kabinette wollen gemeinsam ein Expeditionskorps -von mindestens 300000 Mann ausrüsten, und mit diesem sofort nach -Ablauf des fünfjährigen Friedens — das wäre also Ende September -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -dieses Jahres — gegen Abyssinien vorgehen. Als Operationsbasis -aber sind diesmal nicht unsere eigenen Küstenorte — sondern Freiland -ausersehen. Dieses würde den verbündeten Armeen eine gesicherte -Verpflegungs- und Rückzugslinie gewähren, und Aufgabe von uns -Diplomaten ist es nun, die freiländische Verwaltung für dieses Projekt -zu gewinnen. Wir verlangen nichts, als passive Mitwirkung, d. h. -freien Durchzug für unsere Truppen. Ob unsere Instruktionen dahin -gehen, diese passive Assistenz im Notfalle zu erzwingen, weiß ich nicht, -denn nicht ich, bloß mein Vater ist eingeweiht in die letzten Hintergedanken -der Leiter unserer auswärtigen Politik, und wenn meine -bekannte Schwärmerei für dies Land der Socialisten unsere Regierung -auch nicht hinderte, mich meinem Vater beizugeben, so vermute ich doch, -daß mir die intimeren Geheimnisse unserer Diplomatie vorenthalten -werden. -</p> - -<p> -Du weißt also jetzt, Freund meiner Seele, <em>warum</em> wir nach -Freiland reisten. Bist Du zu erfahren begierig, <em>wie</em> wir die Reise -bewerkstelligten, so diene Dir, daß wir dazu von Brindisi bis Alexandrien -den „Uranus“, eines der Riesenschiffe benützten, die Freiland zum Zwecke -des Post- und Passagierdienstes auf allen Meeren laufen läßt. Zugleich -mit uns machten 2300 Einwanderer nach Freiland die Seereise, und -wenn diesen die neue Heimat nur einen Teil dessen hält, was sie sich -von ihr versprechen, so muß sie ein wahres Paradies sein. Mein -Vater, der anfangs einige Bedenken hegte, sich einem freiländischen -Dampfer anzuvertrauen, auf welchem keinerlei Überfahrtgebühr angenommen, -dafür aber auch, wie männiglich bekannt ist, keinerlei -Unterschiede in der Behandlung der Passagiere gemacht werden, gestand -mir schon am zweiten Tage der Fahrt, daß er nicht bereue, meinem -Drängen nachgegeben zu haben. Die Kabine, die wir erhielten, war -nicht zu klein, komfortabel und von peinlichster Sauberkeit, Küche und -Verpflegung ließen nichts zu wünschen übrig und — was uns am -meisten wunderte — der Umgang mit den buntzusammengewürfelten -Auswanderern erwies sich als keineswegs unangenehm. Zwar waren -unter unseren 2300 Reisegenossen alle Stände und Berufsklassen, vom -Gelehrten bis zum Handarbeiter, vertreten; allein auch die letzteren -erwiesen sich von dem Bewußtsein, einer neuen Heimat entgegenzueilen, -in welcher unbedingte Gleichberechtigung aller Menschen herrschen sollte, -dermaßen gehoben, daß während der ganzen Fahrt keinerlei Roheit -oder gemeine Ausschreitung vorkam. -</p> - -<p> -In Alexandrien benützten wir den nächsten nach dem Sudan abgehenden -Kurierzug, der jedoch bis Assuan, so lange nämlich ägyptische -Kondukteure und Maschinisten ihn führten, von einem solchen wenig mehr -als den Namen hatte. In Assuan nahm uns ein freiländischer Eisenbahnzug -auf, und nunmehr ging es mit einer Accuratesse und Raschheit -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -vorwärts, wie man sie sonst nur in England oder Amerika antrifft. -Mit raffiniertester Bequemlichkeit eingerichtete Schlaf-, Speise- und -Konversationswagen führten uns in rasendem Fluge den Nil aufwärts, -den Riesenstrom bis Dongola zweimal übersetzend. Charakteristisch ist, -daß von Assuan ab keinerlei Fahrtaxe berechnet wurde. Die im Speisewagen -oder auf den Stationen verzehrten Speisen und Getränke mußten -zwar bezahlt werden — auf der Urania waren auch die Mahlzeiten -unentgeltlich gewesen — die Beförderung aber besorgte das freiländische -Gemeinwesen unentgeltlich zu Land wie zu Wasser. -</p> - -<p> -Die Schilderung von Land und Leuten in Ägypten und dessen -Dependenzen wirst Du mir erlassen; es hat sich zwar diesbezüglich im -letzten Decennium, und insbesondere seit Vollendung der freiländischen -Nilbahn einiges zum Besseren geändert; aber im großen Ganzen fand -ich das Elend der Fellachen noch sehr arg und nur dem Grade, nicht -dem Wesen nach verschieden von jenen Schilderungen, die den zahlreichen -älteren Reiseberichten über diese Gegenden zu entnehmen sind. Ein -durchaus anderes Bild bot sich dem Auge, sowie wir uns dem Albert-Njanza -näherten und freiländisches Gebiet erreichten. Ich traute meinen -Sinnen kaum, als ich am Morgen des fünften Tages der Eisenbahnreise -erwachend, zum Waggonfenster hinausblickte und statt der bisherigen -Landschaft von üppigen Gärten und lachenden Hainen anmutig unterbrochene -endlose Fruchtfelder erblickte, aus deren Mitte elegante Villen, -teils zerstreut, teils zu größeren Ortschaften vereinigt, hervorleuchteten. -Als der Zug bald darauf in einer Station — sie hieß, ein freundliches -Omen für uns Italiener, Garibaldi — hielt, sahen wir auch zum erstenmale -Freiländer in ihrer eigentümlichen und, wie ich auf den ersten -Blick erkannte, überaus zweckmäßig den Anforderungen des Klimas angepaßten, -ebenso einfachen als kleidsamen Tracht. -</p> - -<p> -Diese ist der antik griechischen sehr ähnlich, selbst die Sandalen -an Stelle der Schuhe fehlten nicht, nur daß dieselben nicht auf -bloßem Fuße, sondern über Strümpfe getragen werden. Die Kleider -der Freiländerinnen sind zumeist farbenprächtiger, als jene der Männer, -die jedoch auch keineswegs jene düsteren monotonen Tinten zur Schau -tragen, wie die abendländische Männertracht. Insbesondere die freiländischen -Jünglinge lieben heitere, helle Farben, die jüngeren Damen -bevorzugen Weiß mit farbigen Ornamenten. Der Eindruck, den die -Freiländer auf mich machten, war ein geradezu blendender. Strotzend -von Kraft und Gesundheit, bewegten sie sich in heiterer Anmut unter -den schattigen Bäumen des Bahnhofgartens, mit einer vornehmen Sicherheit -des Benehmens, die mich anfangs glauben ließ, daß sich hier die -Spitzen der ortsansässigen Gesellschaft Stelldichein gegeben hätten. Diese -Meinung wurde noch verstärkt, als späterhin einige Freiländer den Zug -bestiegen und ich aus den Gesprächen während der Weiterfahrt entnahm, -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -daß deren Bildungsgrad durchaus dem äußeren Eindrucke entsprach; -und doch waren es gewöhnliche Landleute, Ackerbauer und Gärtner -mit ihren Frauen, Söhnen und Töchtern, mit denen wir es zu thun -hatten. -</p> - -<p> -Nicht minder überraschend war das Behagen der unter den Weißen -zerstreut auftretenden und mit diesen unbefangen verkehrenden Neger. -Deren Kleidung war zwar noch leichter und luftiger als die der Weißen -— meist Baumwollzeuge an Stelle der von diesen ausschließlich benützten -Schafwolle; im übrigen aber machten diese Eingeborenen den -Eindruck durchaus civilisierter Menschen, und wie ich mich aus dem Gespräche -mit einem der den Zug gleichfalls zur Weiterfahrt benützenden -Neger überzeugen konnte, stand ihre Bildung auf einer ziemlich hohen -Stufe, jedenfalls auf einer weit höheren, als die der Landbevölkerung -in den meisten Gegenden Europas. Der Schwarze, mit dem ich mich -unterhielt, sprach ein fließendes, korrektes Englisch, hielt eine freiländische -Zeitung, in welcher er während der Fahrt eifrig las und erwies -sich nicht nur in den Angelegenheiten des eigenen Landes, sondern -auch über europäische Verhältnisse sehr gut unterrichtet. -</p> - -<p> -Gegen Mittag erreichten wir mit der Station Baker den Albert-See, -genau an jener Stelle, wo ihm der weiße Nil entströmt. Hier -erwartete mich eine sehr angenehme Überraschung. Du wirst Dich noch -David Neys, jenes jungen freiländischen Bildhauers erinnern, mit welchem -wir während des letzten Herbstes in Rom zusammentrafen, und an -welchen insbesondere ich mich damals so innig anschloß, weil der herrliche -Jüngling es mir durch den Adel seiner äußeren Erscheinung sowohl, -als seiner Gesinnung angethan hatte. Was Du wahrscheinlich nicht -weißt, ist, daß wir, nachdem David nach Abschluß seiner Kunststudien -Rom und Europa verlassen hatte, wiederholt Briefe wechselten, so daß -er von meiner bevorstehenden Ankunft genau unterrichtet war. Mein -Freund hatte nun die dreißigstündige Reise von Edenthal, wo er bei -seinen Eltern — sein Vater ist, wie Du weißt, einer der Regenten -Freilands — wohnt, an den Albert-Njanza nicht gescheut, war mir bis -Baker entgegen geeilt, und das erste, was ich, in die Station eingefahren, -bemerkte, war sein liebes, mir freudig zulächelndes Antlitz. Er brachte -meinem Vater und mir eine Einladung der Seinen, während unseres -Aufenthaltes in Edenthal ihre Gäste zu sein. „Wenn Sie, Herr Herzog -— sagte er — mit der Wohnung und Bewirtung, die Ihnen ein Bürger -von Freiland zu bieten vermag, zufrieden sein wollen, würden Sie uns -alle, insbesondere aber mich, dem damit das Glück ungestörten Beisammenseins -mit Ihrem Sohne zu teil würde, zu höchstem Danke verpflichten. -Den Glanz und die Pracht, an welche Sie daheim gewöhnt -sind, werden Sie allerdings in unserem Hause vermissen, welches sich -nur wenig von denen der einfachsten Arbeiter unseres Landes unterscheidet; -<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> -aber diese Entbehrung wäre Ihnen überall in Freiland auferlegt, -und ich glaube Ihnen versprechen zu können, daß Ihnen auch bei -uns keinerlei wirkliche Bequemlichkeit fehlen wird.“ Zu meiner großen -Genugthuung acceptierte mein Vater nach kurzem Besinnen dieses herzliche -Anerbieten mit lebhaftem Danke. -</p> - -<p> -Über das während der eineinhalbtägigen Fahrt vom Albert-See -nach Edenthal Gesehene will ich mich für heute kurz fassen, da ja noch -Gelegenheit sein wird, ausführlich darauf zurückzukommen, und schon -dieser erste meiner freiländischen Reisebriefe ohnehin zu ungebührlichem -Umfange anschwellen wird, wenn ich Dir über das mich zunächst Interessierende, -die Lebensweise der Freiländer nämlich, auch nur oberflächlich -Bericht abstatten will. Unser Kurierzug durchflog in rasender Eile die -von Saatfeldern und Plantagen bedeckten Ebenen Unjoros und Hügellandschaften -Ugandas, lief hierauf einige Stunden längs der Ufer des -mächtig brandenden Ukerewe durch liebliches, einem einzigen Garten -gleichendes Hügel- und Bergland; bei den Riponfällen den See verlassend, -wandten wir uns in das wildromantische Gebirgsland des Elgon -mit seinen zahllosen Herden und reichen Fabrikstädten, umkreisten den -gärtenumsäumten Baringo-See und drangen durch Leikipia in die -Alpenlandschaften des Kenia ein. Gegen 9 Uhr Abend des sechsten -Tages der Eisenbahnreise erreichten wir endlich Edenthal. -</p> - -<p> -Es war eine herrliche Mondnacht, als wir, den Bahnhof verlassend, -die Stadt betraten; überdies glänzte diese im Scheine zahlloser -mächtiger elektrischer Bogenlampen, so daß dem neugierig forschenden -Blicke nichts entging. Selbst wenn ich es jetzt schon wollte, ich könnte -Dir den Eindruck, den diese erste freiländische Stadt, deren Inneres -wir betraten, auf mich machte, nicht im einzelnen schildern. Denke Dir -einen etwa hundert Quadratkilometer bedeckenden Feengarten, erfüllt -von zehntausenden reizender, geschmackvoller Häuschen und hunderten -märchenhaft prächtiger Paläste; dazu den berauschenden Duft aller erdenklichen -Blumenarten und den Gesang zahlloser Nachtigallen — dieselben -wurden in den ersten Jahren der Gründung des Gemeinwesens -aus Europa und Asien importiert, haben sich aber seither unglaublich -vermehrt — und fasse all’ das in den Rahmen einer Landschaft, wie -sie großartiger und pittoresker kein Teil der Erde aufweist — so kannst -Du Dir, wenn Deine Phantasie lebendig ist, eine matte Vorstellung -des Entzückens machen, mit welchem mich diese Wunderstadt erfüllte, -und je länger ich sie kennen lerne, mehr und mehr erfüllt. Die Straßen -und Plätze, durch die wir kamen, waren ziemlich menschenleer, doch -versicherte uns David, daß rings um den Edensee allabendlich bis -Mitternacht reges Leben flute. Und auch in zahlreichen Häusern, an -denen wir vorbeifuhren, herrschte geräuschvolles, heiteres Treiben. Auf -breiten, luftigen Terrassen und in den Gärten rings um dieselben -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -saßen und lustwandelten die Bewohner, zu kleineren oder größeren -Gesellschaften vereint; Becherklang, Musik, silberhelles Lachen schlugen -an unser Ohr, kurzum, alles deutete darauf hin, daß hier die Abende -fröhlichster Geselligkeit geweiht seien. -</p> - -<p> -Nach ungefähr halbstündiger rascher Fahrt langten wir bei der so -ziemlich im Centrum der Stadt, nicht weit vom Edensee gelegenen Behausung -unserer Gastfreunde an. Die Familie Ney empfing uns in -der herzlichsten, liebenswürdigsten Weise, trotzdem aber imponierte die -sichere Würde ihres Benehmens selbst meinem stolzen Vater aufs Gründlichste. -Insbesondere die Damen des Hauses glichen so sehr verkleideten -Prinzessinnen, daß mein Vater sich sofort in den galanten Paladin von -unerreichter Ritterlichkeit verwandelte, als welchen Du ihn von den -Hoffesten in Rom, London und Wien her kennst. Vater Ney verrät -auf den ersten Blick den tiefen, an ernste Arbeit gewöhnten Denker, -dem jedoch heitere Sicherheit des Benehmens keineswegs fehlt. Er -dürfte, nach seiner sechsundzwanzigjährigen Thätigkeit im Dienste des -freiländischen Gemeinwesens zu schließen, mindestens 50 Jahre zählen, -seinem Äußeren nach aber würdest Du ihm keine 40 geben. Der jüngere -der Söhne, Emanuel, Techniker von Beruf, ist Davids vollkommenes -Ebenbild, nur etwas dunkler und kräftiger noch als dieser, der, wie -Du wissen wirst, auch gerade kein Schwächling ist. Die Hausfrau, -Ellen genannt, eine geborene Amerikanerin, die mir, Dank offenbar den -Berichten meines David, sofort mit wahrhaft mütterlichem Wohlwollen -begegnete, muß nach dem Alter ihrer Kinder zu schließen, etwa 45 Jahre -zählen, macht indessen vermöge ihrer Jugendfrische mehr den Eindruck -einer Schwester, als einer Mutter ihrer Kinder. Sie ist von blendender -Schönheit, bezaubert aber insbesondere durch die Güte und Geisteshoheit, -die ihren Zügen aufgeprägt sind. Als ihre Töchter stellte sie uns drei -junge Damen im Alter zwischen 18 und 20 Jahren vor, von denen -jedoch nur eine, Bertha genannt, ihr und den Söhnen ähnlich ist. Diese, -das verjüngte Ebenbild ihrer Mutter, verwirrte mich geradezu durch den -unsäglichen Reiz ihrer Erscheinung, glich aber so wenig den beiden -anderen, Leonore und Klementine, daß ich mich einer Bemerkung hierüber -vor David nicht enthalten konnte. „Diese zwei sind auch nicht blutsverwandt -mit uns, sondern die Ziehtöchter meiner Mutter; was das zu -bedeuten hat, erzähle ich Dir später“, lautete die Antwort. -</p> - -<p> -Da wir — wie Du begreiflich finden wirst — von der sechstägigen -Eisenbahnreise trotz allen Comforts freiländischer Waggons ziemlich -erschöpft waren, baten wir, nach kurzem Geplauder mit unseren herrlichen -Wirten, um die Erlaubnis, uns in die uns bestimmten Gemächer -zurückziehen zu dürfen. David machte unseren Führer. Nachdem wir -von der geräumigen Gartenterrasse aus, auf welcher wir bis dahin -geweilt hatten, einen mit einfachem, aber gediegenem Geschmack eingerichteten -<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> -Gesellschaftsraum und einen stattlichen Speisesaal durchschritten -hatten, an welchen sich, wie ich bemerkte, rechts ein großer -als Bibliothek dienender Saal und links zwei kleinere Gemächer anschlossen, -die, wie mir David auf Befragen mitteilte, seinen Eltern als -Arbeitsstuben dienten; betraten wir eine zierliche Vorhalle, von welcher -aus eine Treppe in das obere Stockwerk mit den Schlafräumen führte. -Hier wies uns unser Führer zwei Schlafzimmer mit gemeinsamem -Empfangzimmer an. -</p> - -<p> -Dann ging es an eine kurze Erklärung der mannigfachen, zur Bequemlichkeit -der Bewohner dienenden Einrichtungen. „Ein Druck auf -diesen Knopf hier, rechter Hand neben dem Thürstock — demonstrierte -David — bringt den elekrischen Lustre zum Brennen, ein gleicher dort -neben dem Nachttischchen den Wandkandelaber oberhalb des Bettes. -Hier das Telephon No. 1 ist ausschließlich dem Verkehr im Hause -selbst und mit der benachbarten Wachtstube der „Association für persönliche -Dienstleistungen“ bestimmt; bloßes Klingeln — so, in diesem -Rhythmus — bedeutet, daß sich Jemand aus der Wachtstube herbemühen -möge; alle diese Knöpfe — sie sind durch die eigentümliche Kerbung -kenntlich — hier und dort an den Wänden, da am Schreibtische und -dort neben den Betten, stehen mit dieser Telephonklingel in Verbindung; -Sie brauchen sich also aus dem Lehnstuhl, den Sie jetzt inne haben, -nachts oder morgens aus dem Bette, in dem Sie ruhen, gar nicht zu -erheben, wenn Sie ein Mitglied dieser allezeit dienstbereiten Gesellschaft -zu sich citieren wollen. Jedes Telephon und jedes Läutewerk hat seine -Nummer in der Wachtstube sowohl, als an einer Tafel im Vestibul, -das wir soeben verlassen haben; längstens zwei Minuten, nachdem Sie -geklingelt haben, steht der auf dem Flügelrad herbeigeeilte Abgesandte -der Gesellschaft zu Ihren Diensten.“ -</p> - -<p> -„Das ist eine wunderbare Einrichtung“, bemerkte ich, „die Euch -die Annehmlichkeit eines jeden Winkes gewärtigen Kammerdieners gewährt, -ohne daß Ihr den Ärger mit in den Kauf nehmen müßtet, den -uns Abendländern unsere Kammerdiener bereiten; nur dürfte dieser -Luxus ziemlich kostspielig und deshalb nicht allgemein üblich sein.“ -</p> - -<p> -„Die Kosten sind sehr bescheiden, gerade weil hier alle Welt Gebrauch -von diesen öffentlichen Dienstleistungen macht“, antwortete mein -Freund. „Für je 600 bis 800 Häuser ist je eine derartige Wachtstube -mit je drei Wachthabenden errichtet; es wird nun jede geforderte Dienstleistung -nach der Zeit bezahlt, richtiger gesagt, angerechnet, und zwar, -wie dies nun einmal bei uns üblich ist, nach Maßgabe des von unserer -Centralbank am Schlusse jedes Bilanzjahres veröffentlichten Durchschnittswertes -der Arbeitsstunde. Im abgelaufenen Jahre, wo der Stundenwert -8 Shilling betrug, mußten wir für je 3 Minuten — denn das ist die -Einheit, nach welcher diese Gesellschaft rechnet — 40 Pfennige bezahlen; -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -wer nun häufig klingelt und die Association stark in Atem erhält, auf -den entfällt am Jahresschluß ein stärkerer, wer dies seltener thut, ein -geringerer Beitrag: für alle Fälle aber muß die Association auf ihre -Kosten, d. h. auf ihre Ausgaben kommen und auf den Verdienst für ihre -9 wachthabenden Mitglieder — denn die drei Wächter wechseln morgens, -mittags und abends. Diese für je eine Wachtstube erforderliche Summe -berechnete sich im Vorjahre mit rund 6000 Pfd. Sterling, und da beispielsweise -die Zeitrechnungen der sämtlichen 720 Familien unseres -Rayons nicht ganz zwei Dritteile dieser Summe ergeben hatten, so -wurden die restlichen 2000 Pfd. Sterling nach Maßgabe des von jeder -Familie gemachten Gebrauches nachgetragen. Unsere Familie hat verhältnismäßig -geringen Bedarf nach den guten Diensten dieser Wachtstuben; -wir zahlten z. B. im Vorjahre alles in allem 6 Pfd. Sterling, -nämlich 4 Pfd. Sterling direkte Zeittaxen und 2 Pfd. Sterling nachträglichen -Zuschlag, denn wir hatten binnen Jahresfrist bloß zweihundertmal -3 Minuten der fraglichen Dienste bedurft.“ -</p> - -<p> -„Warum“ — so fragte mein Vater — „wird in Ihrem Hause -verhältnismäßig weniger geklingelt, als anderwärts?“ -</p> - -<p> -„Weil unser Haushalt beständig zwei oder drei junge Damen beherbergt, -die es sich zur angenehmen Pflicht machen, meinen Eltern all’ -jene persönlichen Dienste zu leisten, die sich mit der Würde wohlerzogener, -gebildeter Frauenzimmer vertragen. Diese — seit einem Jahre -auch von meiner Schwester unterstützten — Mädchen sind junge Freiländerinnen, -wie man sie in jeder freiländischen Familie findet, wo die -Hausfrau im Rufe besonderer Intelligenz und feiner Sitte steht — Sie -entschuldigen, daß ich meine Mutter so ohne weiteres zu diesen Auserwählten -zähle. Jedes junge Mädchen Freilands rechnet es sich zur -besonderen Ehre und zu großem Vorteile an, in einem solchen Hause -mindestens für ein Jahr Aufnahme zu erlangen, weil allgemein die Ansicht -besteht, daß nichts den Geist und die Sitte heranwachsender weiblicher -Geschöpfe mehr veredle, als möglichst intimer Umgang mit hervorragenden -Frauen. Selbstverständlich ist, daß derartige junge Damen -durchaus wie Kinder vom Hause angesehen und behandelt werden; aber -sie leisten ihren Adoptiveltern auch durchweg die nämlichen Dienste, wie -aufmerksame, liebevolle Töchter. Vater und Mutter können einen -Wunsch kaum im Gedanken fassen, so ist er schon erraten und erfüllt.“ -</p> - -<p> -„Ei, das ist ja ganz das Institut unserer königlichen Ehrenfräulein“, -meinte lächelnd mein Vater. -</p> - -<p> -„Allerdings; und ich zweifle sehr, ob Ihr Königspaar so gut, und -insbesondere ob es so zärtlich betraut ist, wie mein Elternpaar jederzeit -von diesen Ziehtöchtern der Mutter, deren seit 18 Jahren — denn so -alt ist diese Einrichtung in Freiland — nicht weniger als 24 durch unser -Haus gegangen sind, die aber sämtlich heute noch in durchaus kindlichem -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -Verhältnisse zu meinen Eltern und in geschwisterlichem zu uns stehen. -Unsere gegenwärtigen Ziehschwestern Leonore und Klementine haben Sie -soeben kennen gelernt.“ -</p> - -<p> -„Sie sagten vorhin“, nahm wieder mein Vater das Wort, „daß -Ihr gesamtes Haus — also vier Damen und drei Herren — während -eines ganzen Jahres bloß zweihundertmal 3 Minuten hindurch die durch -diese Klingel citierten dienstbaren Geister in Anspruch genommen hätte; -außerdem erwähnten Sie die Dienste der reizenden Ehrenfräulein — -wer aber verrichtet jene gröberen Hantierungen, welche binnen 600 Minuten -oder zehn Stunden jährlich kaum der Geist aus Aladins Lampe -in einem Hause wie dieses hier zu vollbringen vermöchte. Sie haben, -wie mir scheint, etwa zehn bis zwölf Wohnräume; das Estrich ist zwar -aus Marmor — aber sie müssen doch gefegt werden. Ich sehe überall -schwere Teppiche, wer reinigt diese? Mit einem Worte, wer verrichtet -die gröbere Arbeit in diesem, wie der oberflächlichste Augenschein zeigt, -mit peinlichster Sorgsamkeit instand gehaltenen, komfortabel eingerichteten -Hause?“ -</p> - -<p> -Die nämliche Association, mit deren Wachtstube ich Sie soeben -bekannt gemacht habe; nur brauchen wir nicht zu klingeln, um diese, zum -regelmäßigen Bedarfe gehörigen Verrichtungen besorgen zu lassen, vielmehr -geschieht dieses auf Grund eines vereinbarten Tarifs, ohne daß -man sich fernerhin darum zu kümmern hätte, mit einer Pünktlichkeit, -die nichts zu wünschen übrig läßt. Die Association besitzt Haus- und -Stubenschlüssel der mit ihr in Akkord stehenden Häuser. Zeitlich morgens, -wir schlafen meist noch alle, erscheinen geräuschlos ihre Sendlinge, -nehmen die zu reinigenden Kleider — richtiger die zu wechselnden, denn -wir Freiländer tragen niemals ein Kleidungsstück an zwei aufeinander -folgenden Tagen — von den Orten, wo sie des Abends hinterlegt wurden, -thun die gereinigten an die dazu bestimmte Stelle, bereiten die -Bäder — denn in den meisten freiländischen Häusern hat jedes Familienglied -sein besonderes Bad, das täglich genommen wird, es sei denn, -daß man ein See- oder Flußbad vorzöge — reinigen die Vorräume -und einen Teil der Stuben, entfernen die Teppiche und sind verschwunden, -ohne daß man zumeist auch nur eine Ahnung ihrer Anwesenheit -besitzt. Und zu all dem genügen wenige Minuten. Es wird nämlich -fast durchweg mit Maschinen gearbeitet. Sehen Sie jenen kleinen Apparat -dort hinten im Korridor? Das ist eine Wasserkraftmaschine, in -Gang gebracht durch das Öffnen jenes Hahnes dort, der sie mit der -großen, von den Keniakaskaden gespeisten Hochdruckleitung in Verbindung -setzt. (In anderen Städten, wo Wasserdruck bis zu 35 Atmosphären -nicht so leicht zu beschaffen ist, thun elektrische oder atmosphärische -Kraftleitungen den nämlichen Dienst.) Hier die stählerne Welle in der -mit dem zierlichen Gitter verdeckten Höhlung am Boden, und dort oben -<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> -am Plafond die broncene, die dem Gestänge zum Aufhängen der Spiegel -und Bilder zum Verwechseln ähnlich sieht — es sind alles Transmissionen, -welche die Bewegung der Wassermaschine in jeden Raum des -ganzen Hauses, von den Kellern angefangen bis zu den Gelassen unter -dem Dache, übertragen. Und dort in jener Kammer findet sich eine -Anzahl von Maschinen, deren Bedeutung ich Ihnen schwer erklären -kann, wenn Sie sie nicht in Funktion sehen. Eine Reihe anderer Geräte -führen die 3-4 Leute der Association bei ihren Besuchen mit sich, und -wenn diese Maschinen mit dem Gestänge da oben oder da unten in -Verbindung gebracht sind und der Hahn des Wassermotors geöffnet -wird, so ist solch ein Raum im Handumdrehen gefegt, gewaschen, die -schwerste Last an ihren Ort gebracht, kurz alles mit Zauberschnelle geräuschlos -verrichtet, was Menschenhände nur langsam und meist mit -unangenehmem Gepolter zuwege brächten. -</p> - -<p> -„Einige Zeit später erscheinen die Arbeiter der Association neuerlich, -um die noch übrigen Stuben zu reinigen, die früher entfernten -Teppiche an ihren Ort zu geben, in Küche und Frühstückszimmer alles -zum Frühstück Erforderliche herzurichten. Und so kommen und gehen -diese Leute tagsüber mehrmals, so oft es eben vereinbart ist, um nach -dem Rechten zu sehen. Alles geschieht unaufgefordert, unhörbar, mit -Blitzesschnelle. Unser Haus gehört zu den größeren, unsere Einrichtung -zu den besseren in Edenthal; die Association hat also in wenigen Häusern -mehr zu thun, als bei uns; trotzdem rechnete sie uns für all’ diese -Dienste im Vorjahre nicht mehr als 180 Stunden an, für welche -wir nach dem bereits erwähnten Tarife jenes Jahres 72 Pfd. Sterling -zu zahlen hatten. Ich bezweifle, daß irgend ein Haus gleich dem unsrigen -in Europa oder Amerika um das Doppelte und Dreifache dieses Betrages -in gleich gutem Stande erhalten werden könnte. Und dabei haben wir -statt mit den leidigen „Domestiken“, mit intelligenten, höflichen, diensteifrigen -Geschäftsleuten zu thun, die schon durch die Konkurrenz — denn -wir haben in Edenthal sechs solche Associationen — genötigt sind, ihr -Äußerstes zur Befriedigung der sie beschäftigenden Familien zu thun. -Die Mitglieder dieser Associationen sind Gentleman, mit denen man -füglich an der gleichen Tafel Platz nehmen kann, die sie soeben selber -hergerichtet, und weder unsere zwei „Ehrenfräulein“, noch meine Schwester, -würden den geringsten Anstand nehmen, bei Tische mit anderen Gästen -auch Mitgliedern der Association für persönliche Dienstleistungen aufzuwarten. -</p> - -<p> -„Sie werden übrigens die Herren der Association heute noch kennen -lernen, denn die unser Haus versorgenden Mitglieder werden sofort eintreffen, -um sich mit peinlicher Genauigkeit über jeden Ihrer speziellen -Wünsche zu unterrichten. Sie dürfen nicht ungeduldig werden, wenn -<em>Sie</em> dabei einem etwas umständlichen Verhöre unterzogen werden; es -<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> -geschieht zu Ihrem Besten und nur dies eine Mal. Haben Sie einmal -den keine Kleinigkeit übersehenden Fragen der Association Stand gehalten, -so wird es Ihnen, so lange Sie in Freiland sind, gewiß nicht -widerfahren, des morgens ein anderes als das gewünschte Kleid an der -bezeichneten Stelle, Ihr Bad um einige Grade zu kalt oder zu warm, -Ihr Bett nicht in der gewohnten Weise bereitet zu finden, oder was -dergleichen kleine Ungehörigkeiten mehr sind, aus deren Vermeidung zu -nicht geringem Teile das häusliche Behagen besteht. -</p> - -<p> -„Mit der Association für persönliche Dienstleistungen wären wir -fertig. Ich kann also mit der Erklärung unserer häuslichen Einrichtungen -fortfahren. Hier dieses andere Telephon hat die auch in Europa gebräuchliche -Bestimmung, mit dem Unterschiede allerdings, daß hierzulande -Jedermann sein Telephon besitzt. Jene Schraube dort hat den Zweck -die Kaltluftleitung zu öffnen, welche künstlich gekühlte und zugleich ein -wenig ozonisierte Luft in jeden Raum leitet, falls die Hitze unangenehm -werden sollte; da dieses ausnahmsweise — wenn nämlich in den heißen -Monaten ein nächtliches Gewitter am Horizonte heraufzieht — auch des -Nachts vorzukommen pflegt, so ist die Schraube vorsichtshalber in der -Nähe des Bettes angebracht.“ -</p> - -<p> -Ich teile Dir all’ diese Details mit, weil ich glaube, daß sie Dich -als Beweise dafür interessieren werden, wie wunderbar es diese Freiländer -verstanden haben, unsere abendländischen Haussklaven durch ihre -„eisernen Sklaven“ zu ersetzen. Bemerken will ich nur noch, daß die -„Association für persönliche Dienstleistungen“ selbst meines Vaters weitgehenden -Ansprüchen durchaus zu genügen vermochte; er versichert, im -Hotel Bristol zu Paris keine bessere Bedienung gefunden zu haben. -</p> - -<p> -Um Dich nicht zu ermüden, erlasse ich Dir die Schilderung des -ersten und zweiten Frühstücks am nächsten Tage, und will Dir nur nach -der Hauptmahlzeit, die um 6 Uhr genommen wird, den Mund wässern -machen. -</p> - -<p> -David gestand mir auf Befragen, daß man uns zu Ehren den sonst -gebräuchlichen vier Gängen einen fünften zugelegt habe; aber nicht in -der Mannigfaltigkeit, sondern in der Vorzüglichkeit der Gerichte, wie nicht -minder in der Abwesenheit nicht zur Gesellschaft gehöriger und deshalb -störender Dienerschaft bestand der Reiz des Mahles. Ohne Übertreibung -kann ich versichern, selten so vorzügliche Bereitung, niemals zuvor aber -so erlesenes Material vereinigt gesehen zu haben. Das Fleisch der auf -den würzigen Hochalpen gemästeten jungen Ochsen und zahmen Antilopen -hat nirgend anderwärts seines Gleichen; die Gemüse stellen die seltensten -Schaustücke einer Pariser Ausstellung in den Schatten; insbesondere aber -ist die Pracht und Mannigfaltigkeit seiner Frucht- und Obstsorten der -Stolz Freilands. Und nun die mysteriöse Art des Servierens! Ein -in der Wand des Speisegemachs angebrachter Schrank entwickelte aus -<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> -seinem Innern eine scheinbar unerschöpfliche Reihe von Eßwaren. Zunächst -entnahm Fräulein Bertha diesem Schrank eine Terrine, welche sie vorsichtig -an den elfenbeinenen Henkeln anfassen mußte — als der Deckel -gehoben wurde, präsentierte sich eine köstlich dampfende Suppe. Dann -gab ein anderes Fach des gleichen Schrankes einen Fisch heraus — -derselbe war kalt, als ob er frisch vom Eise gekommen wäre. Nun -folgte — wieder aus einem anderen Fache — ein warmes Ragout, -diesem ein ditto Braten mit mannigfaltigen Gemüsen und Salat — -dann kam Eis mit Backwerk, Obst, Käse. Den Schluß bildete ein -schwarzer Kaffee, der aber vor den Augen der Gäste bereitet wurde, -nebst erlesenen Cigarren — alles gleich dem Biere und den Weinen -freiländisches Gewächs und Fabrikat. Dienerschaft war während der -ganzen Mahlzeit nicht sichtbar; die drei reizenden Mädchen holten alles -aus dem geheimnisvollen Schranke oder von einem in dessen Nachbarschaft -befindlichen Serviertische. -</p> - -<p> -Frau Ney machte jetzt den Cicerone. „Dieser Wandschrank“ — -erklärte sie — „ist zur einen Hälfte Eiskeller, d. h. von gekälteter Luft -durchströmt, zur anderen Hälfte Herd, d. h. mit elektrischen Heizvorkehrungen -ausgestattet; in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen -befindet sich — durch schlechtleitende Wände von beiden getrennt — -eine neutrale Abteilung von gewöhnlicher Zimmertemperatur. Außerdem -hat dieser Schrank die Eigenheit, sich nach zwei Seiten zu öffnen, -hier herein in den Speisesaal, und hinaus in den Korridor. Während -wir nun tafelten, brachte die „Speiseassociation“ in rascher Reihenfolge -die bei ihr bestellten Gerichte, teils vollkommen bereitet, teils, wie z. B. -den Braten und einige Gemüse, fertig adjustiert, aber noch roh. Die -fertigen Speisen wurden vom Korridor aus in die verschiedenen Fächer -des Schrankes eingeschoben; Braten und Gemüse kochte ein Mitglied -der Association in der rückwärts befindlichen Küche mit gleichfalls elektrischem -Herde gar. Das ist übrigens nicht die gewöhnliche Ordnung; -wenn wir allein sind, wird in der Regel auch das Geschäft des Garkochens -hier am Schranke besorgt und zwar von meinen Töchtern; das -nimmt bloß kurze Zeit in Anspruch und Küchendünste sind dabei niemals -zu spüren, denn dieser Speiseschrank, der Herd- und Eiskeller zugleich -ist, vereinigt damit auch noch die Eigenschaften eines guten Ventilators. -Das Reinigen der Geräte ist Sache der Association, die übrigens, wenn -es gewünscht wird, auch das Geschäft des Servierens bei Tisch übernimmt. -</p> - -<p> -Der Kaffee wurde im Freien auf einer der Terrassen genommen; -dann sangen die Damen zur Harfe und zum Klavier einige Lieder. -Inzwischen machte uns Herr Ney mit den Familienverhältnissen der beiden -Ziehtöchter seiner Frau bekannt. Die eine derselben — Leonore — -ist eines Ackerbauers Kind aus Leikipia, die andere — Klementine — -<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> -die Tochter eines seiner Departementschefs. Letzteres befremdete uns. -„Warum“ — so fragte ich — „verläßt diese zweite Dame das elterliche -Haus, das doch auch ein vornehmes, hochgebildetes sein muß?“ -Herr Ney erklärte nun, daß die Ziehtöchter nicht sowohl das vornehme -gebildete „Haus“, sondern ausschließlich die gebildete, geistreiche <em>Frau</em> -des Hauses suchen. Der Mann mag noch so berühmt und gelehrt sein, -wenn die Hausfrau ein gewöhnliches Geschöpf ist, betritt niemals eine -Ziehtochter ihre Schwelle. Diese Institution hat eben bloß den Zweck, -den betreffenden Jungfrauen den Vorteil eines höheren Beispiels, eines -veredelnden weiblichen Umganges, nicht aber den Glanz günstiger äußerer -Verhältnisse zu gewähren, was, nebenbei bemerkt, angesichts der hier -herrschenden Zustände auch keinen rechten Sinn hätte, da im großen -Ganzen jede freiländische Familie dem Wesen nach auf gleichem Fuße -lebt. Die Mutter Klementinens nun ist eine herzensgute brave Dame, -aber schließlich doch nur eine tüchtige Hausfrau; „deshalb bat sie meine -Ellen, die“, so fügte er leuchtenden Auges hinzu, „den edelsten Frauen -unseres an herrlichen Weibern so reichen Landes zugezählt wird, um -die Gunst, sich ihrer Klementine für zwei Jahre anzunehmen.“ -</p> - -<p> -Ich muß für heute schließen, denn Müdigkeit überwältigt mich, -trotzdem ich Dir noch vielerlei über meine Erfahrungen sowohl innerhalb -als außerhalb des Ney’schen Hauses zu erzählen hätte .... -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-3"> -<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> -15. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 18. Juli. -</p> - -<p class="first"> -Erst heute komme ich dazu, den vor Wochenfrist unterbrochenen -Bericht über unsere hiesigen Erlebnisse wieder aufzunehmen. Begreiflich -wirst Du finden, daß wir beide, mein Vater und ich, vor Begierde -brannten, die Stadt zu besichtigen, welchen Wunsch erratend, uns Herr -Ney schon am Morgen des ersten Tages einlud, unter seiner und seines -Sohnes Führung eine Rundfahrt durch Edenthal zu unternehmen. Der -Wagen warte schon. -</p> - -<p> -Es war das ein leicht und elegant gebautes Gefährte auf stählernen, -denen eines Velocipeds ähnlichen Rädern, mit zwei bequemen, für je -zwei Personen ausreichenden Sitzen. Da wir beide Davids zum Einsteigen -auffordernde Handbewegung mit betretenen Mienen aufnahmen -und keine Anstalt machten, der Einladung Folge zu leisten, bemerkte -dieser erst, daß wir die — Pferde vermißten. Er sah sich also bemüßigt, -uns zu erklären, daß man hierzulande aus mancherlei Gründen im -Wagenverkehr, insbesondere im städtischen, die animalische Zugkraft durch -mechanische ersetzt habe. Das sei sicherer, reinlicher und nebenbei auch -billiger. Der Lenker dieser Gefährte, einer Art Draisinen, dessen Platz -rechts auf dem vorderen Sitze ist und dessen Amt keinerlei Kraftaufwand -oder besondere Kunstfertigkeit erfordert, setzt durch einen leichten Druck -nach abwärts auf eine zur rechten Hand angebrachte kleine Hebelstange -den Wagen in Bewegung, und zwar in desto raschere, je stärker gedrückt -wird; ein Druck nach aufwärts verlangsamt den Gang oder bringt das -Gefährte zum Stillstand; das Ausweichen oder Umlenken nach rechts -oder links wird durch entsprechende Drehbewegungen desselben Hebels -hervorgebracht. Die Kraft, welche die Räder in Bewegung setzt, ist -weder Dampf noch Elektricität, sondern die Elasticität einer Spiralfeder, -<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> -die jedoch nicht fix mit dem Wagen verbunden, sondern nach Bedarf -einzuschalten oder zu entfernen ist. -</p> - -<p> -„Die oberhalb der vorderen Achse angebrachte, etwa ½ Meter lange -und 20 Centimeter tiefe cylindrische Kapsel hier“, so demonstrierte mein -Freund — „ist zur Aufnahme der Spiralfeder bestimmt. Vor dem Gebrauche -wird die Feder „aufgezogen“, d. h. in Spannung gebracht und -zwar in sehr hochgradige, ein Geschäft, welches Dampfmaschinen in den -Ateliers der „Association für Transportwesen“ besorgen, und solcherart -einen entsprechenden Teil ihrer in Form von Dampfspannung vorhandenen -Arbeitsenergie in die Form von Federnspannung umwandeln. Dieses -in den Spiralen niedergelegte Quantum lebendiger Kraft genügt, um -— durch einen sehr einfachen Mechanismus auf die Achse des Rades -übertragen — ein solches Rad zehntausend Umdrehungen machen zu -lassen, auch wenn der Wagen ziemlich schwer beladen ist, und da der -Radumfang 2 Meter beträgt, so reicht der Kraftvorrat der Spirale zur -Durchmessung eines Weges von 20 Kilometern hin. Die Schnelligkeit -der Fortbewegung hängt einerseits von der Belastung des Wagens, -anderseits von der mehr oder minder vollständigen Auslösung der Hemmvorrichtung -— reguliert durch den Druck des oben erwähnten Hebels — -ab; das zu erreichende Maximum bei mäßiger Belastung und gutem Wege -beträgt bei diesen gewöhnlichen Draisinen 2½ Radumdrehungen, d. i. -eine Fortbewegung um 5 Meter in der Sekunde oder 18 Kilometer in -der Stunde: doch besitzen wir auch sogenannte Rennwagen, mit denen -nahezu die doppelte Geschwindigkeit erreicht werden kann. Die Kraft -der Spirale ist erschöpft, sowie das Rad seine 10000 Umdrehungen -gemacht hat, was auch bei langsamerem Fahren binnen 1¼-1½ -Stunden eintritt; es muß daher bei länger dauernden oder rascheren -Fahrten für angemessene Reserven gesorgt werden, was in mannigfaltiger -Weise geschieht. Zunächst kann man eine oder mehrere aufgezogene -Spiralen — denn wenn die Hemmung geschlossen bleibt, bewahren -dieselben Monate und Jahre lang ihre Spannung — für welche -hinten im Wagen eigene Reservebehälter angebracht sind, auf die Fahrt -mitnehmen. Da jedoch jede Spirale mindestens 35 Kilogramm wiegt, -so hat auch diese Art Kraftverlängerung ihre Grenzen; außerdem ist -das Auswechseln der Spiralen immerhin keine angenehme Arbeit; man -zieht daher in der Regel die zweite Methode der Kraftverlängerung vor, -die darin besteht, daß man nach Verlauf einer gewissen Zeit bei einer -der zahlreichen, auch anderen Zwecken dienenden Stationshäuschen der -Transportassociation, die sich auf allen belebteren Straßen finden und -durch weithin sichtbare Flaggen kenntlich sind, Halt macht und die -Spirale wechseln läßt. Jede Station besitzt jederzeit einen genügenden -Vorrat gespannter Spiralen und so kann man jede beliebige Zeit hindurch -umherkutschieren, ohne stecken zu bleiben, zumal wenn man die -<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> -Vorsicht gebraucht, für den Fall des Übersehens einer notwendig gewordenen -Auswechslung eine Reservespirale mit sich zu führen. Solche -Auswechslungsstationen aber giebt es nicht bloß in und um Edenthal, -sondern in und um alle Städte Freilands und außerdem auf allen belebteren -Landstraßen, und da die unterschiedlichen Associationen des -gleichen Geschäftszweiges im ganzen Lande so klug waren, überall -Spiralen von genau den gleichen Maßen einzuführen, so kann man -das ganze Land bereisen und mit einiger Bestimmtheit darauf rechnen, -überall entsprechende Relais zu finden. Will man jedoch völlig sicher -gehen, so kann man sich durch seine Association die Relaisspiralen für -eine vorher angegebene Route eigens bestellen, in welch letzterem Falle -auch nichts hindert, die großen Straßen zu verlassen und minder -frequentierte Nebenwege einzuschlagen, sofern dieselben nur nicht allzuschlecht -und steil sind, was aber angesichts der hohen Vollendung des -freiländischen Straßennetzes nur bei ganz entlegenen Gebirgswegen zu -besorgen ist. Unsere Familie hat solcherart vor zwei Jahren das ganze -Aberdare- und Baringo-Gebiet bereist, dabei 1700 Kilometer zurückgelegt -und zu der ganzen Reise in aller Bequemlichkeit bloß 14 Tage gebraucht.“ -</p> - -<p> -Wir entschlossen uns endlich kopfschüttelnd, den automatischen -Wagen zu besteigen. Mein Vater mit Herrn Ney nahm den ersten, ich -mit David den zweiten Sitz ein; ein Druck Ney’s auf den Leithebel, -und geräuschlos setzte sich die Maschine in Bewegung, unserem ersten Ziele, -dem Edensee zu. Dessen Ufer sind mit Ausnahme der Nordwestseite, -wo in einer Ausdehnung von 5 Kilometern die Quais für den Waarenverkehr -sich erstrecken, sämtlich von vierfachen Palmenreihen umsäumt -und bestehen teils aus breiten, bis zum Wasserspiegel hinabreichenden -Marmorstufen, teils aus in den See vorspringenden Molen, bedeckt -von säulengetragenen Wandelbahnen. An letzteren landen die zahlreichen, -den See nach allen Richtungen durchfurchenden Passagierdampfer, die -jedoch, um die balsamische Luft nicht zu verderben, mit vollkommen -funktionierenden Rauchverzehrern versehen sein müssen. Auch das mißtönige -Pfeifen der Dampfventile ist in Edenthal verpönt. Denn der -Edensee ist nur nebenbei Verkehrsstraße; seine hauptsächliche Bestimmung -ist die eines gewaltigen Zier- und Lustteiches. Ein großer Teil der -Ufer wird von den luxuriös ausgestatteten Badeanstalten eingenommen, -die weit in den See hineinreichen und zu jeder Tageszeit von tausenden -Badender benützt werden. Neben diesen, zumeist von schattigen Lusthainen -umgebenen Bädern haben sich auch die sämtlichen Theater-, Opern- -und Konzerthäuser Edenthals, im Ganzen 16 an der Zahl, angesiedelt, -die wir jedoch einstweilen nur von außen in Augenschein nahmen. Unsere -Gastfreunde machten uns darauf aufmerksam, daß der Edensee seine -Hauptreize erst bei Monden- oder Elektrodenschein entfalte, und daher -an einem der nächsten Abende von uns aufgesucht werden solle. -</p> - -<p> -<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> -Wir wendeten den Wagen und bogen in eine der Radialstraßen, -die vom See zu den halbkreisförmig das Edenthal umgrenzenden Höhen -führen. Hier leuchtete uns sofort, wenn auch noch reichlich 3 Kilometer -entfernt, ein Riesenbau entgegen, der selbst den dieses Anblicks Gewohnten -stets aufs neue mit staunender Bewunderung erfüllen muß, uns Fremden -aber geradezu die Sinne verwirrte. Er ist ebenso unerreicht an -Größe, wie unvergleichlich an Ebenmaß und harmonischer Vollendung -all seiner Bestandteile. Er macht gleichzeitig den Eindruck des überwältigend -Majestätischen und des märchenhaft Lieblichen. Dieses, vor -5 Jahren vollendete Wunderwerk ist der Volkspalast von Freiland, der -Sitz der zwölf obersten Verwaltungsbehörden und der zwölf Vertretungskörper. -Er ist durchwegs aus weißem und gelbem Marmor gebaut, -übertrifft an Flächenausdehnung den Vatikan, seine luftigen Kuppeln -sind höher als der Petersdom; daß er mit einem Kostenaufwande von -9½ Millionen Pfd. Sterling hergestellt werden konnte, erklärt sich bloß -dadurch, daß alle Baugewerke wie nicht minder die hervorragendsten -Künstler des Landes sich dazu drängten, bei dem Baue irgendwie verwendet -zu werden. Und — so belehrte mich David — das geschah -nicht etwa aus patriotischer, sondern aus rein künstlerischer Begeisterung. -Freiland ist reich genug, um sein Volkshaus wie hoch immer zu bezahlen; -um den Bau billiger zu gestalten, hätte sich also Niemand in Aufregung -versetzt; aber die aus dem Entwurfe hervorleuchtende eigenartige, überwältigende -Schönheit des Werkes hatte es allen Künstlern angethan. -Er erinnere sich noch der fieberhaften Erregung, mit der schon die -Mitglieder jener Prüfungskommission, welche über die vorgelegten Bauentwürfe -zu entscheiden hatte, allenthalben erzählten, es sei ein Plan -eingelaufen, von einem bis dahin unbekannten jungen Architekten, der -Unsagbares biete; eine neue Ära der Baukunst sei angebrochen, ein -neuer Baustil erfunden, der an Adel der Form die besten griechischen, -an Großartigkeit die gewaltigsten ägyptischen Denkmale erreiche. Und -diese Begeisterung teilte sich allen mit, die den Entwurf sahen; die -Konkurrenten — es waren deren nicht weniger als 84, denn in Edenthal -wurde damals schon viel und schön gebaut — zogen ausnahmslos -ihre Entwürfe zurück, und huldigten freiwillig dem neuaufgegangenen -Stern am Kunsthimmel. -</p> - -<p> -Wir waren sobald nicht dazu zu bewegen, uns der Besichtigung -anderer Bauwerke zuzuwenden. Endlich, nachdem wir dreimal die Runde -um den Volkspalast gemacht, willigten wir ein, demselben den Rücken -zu kehren. Mit der Aufzählung der zahllosen Prachtbauten, an denen -wir flüchtig vorbeirollten, will ich Dich verschonen; nur soviel lasse Dir -sagen, daß die Mannigfaltigkeit und Großartigkeit der den unterschiedlichen -wissenschaftlichen und künstlerischen Zwecken dienenden öffentlichen -Anstalten auf mich durchaus verblüffend wirkte. Die Akademien, Museen, -<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> -Laboratorien, Versuchsanstalten u. dergl. wollten gar kein Ende nehmen -und allen sah man es auf den ersten Blick an, daß sie mit verschwenderischer -Munifizenz ausgestattet seien. -</p> - -<p> -Nachdem wir schon an zahllosen öffentlichen Gebäuden vorbeigefahren -waren, deren Bestimmung mir zum Teil nur schwer begreiflich -gemacht werden konnte, da unser „civilisiertes“ Europa nichts ihnen -Ähnliches besitzt — ich nenne Dir beispielsweise bloß das Institut für -„animalische Zuchtversuche“, welches den Zweck hat, durch Experiment -und Beobachtung festzustellen, welchen Einfluß Erblichkeit, Lebensweise, -Nahrung auf die Entwickelung des menschlichen Organismus äußern — -fiel es mir auf, daß wir noch an keinem Spital vorbeigekommen. Da -ich nun begierig war zu sehen, wie die weltberühmte freiländische Humanität, -die seit Jahren mindestens die Hälfte aller Spitäler der Welt mit -reichen Mitteln ausstattet, daheim im eigenen Lande sich der armen -Kranken annehme, bat ich David, uns doch in ein solches zu führen. -„Ich kann Dir ebensowenig ein Spital, als einen Kerker oder eine -Kaserne in Edenthal zeigen, aus dem sehr einfachen Grunde, weil wir -deren in ganz Freiland keines besitzen“, war dessen Antwort. -</p> - -<p> -„„Den Mangel von Kerker und Kaserne lasse ich gelten; man weiß -ja, daß Ihr Freiländer Euch ohne Kriminal- und Militärwesen behelft; -aber — so meinte ich — Krankheiten muß es doch auch hier geben, diese -haben doch mit Euren socialen Einrichtungen nichts zu thun!““ -</p> - -<p> -„Letzteres kann ich zwar nicht so unbedingt zugeben“, mengte sich -hier Herr Ney ins Gespräch; „auch die Krankheiten haben unter dem -Einflusse unserer socialen Institutionen abgenommen; aber verschwunden -sind sie allerdings nicht; wir haben Kranke auch in Freiland — aber -keine <em>armen</em> Kranken, weil wir eben keine Armen haben, weder kranke, -noch gesunde. Wir besitzen daher auch nicht jene Sammelstellen des -Massensiechtums, die man da draußen mit dem Namen „Spital“ bezeichnet. -Anstalten, in denen sich Kranke unter besonderer Aufsicht gegen -gute Bezahlung verpflegen lassen können, haben wir allerdings und sie -werden insbesondere in Fällen schwierigerer chirurgischer Operationen -häufig aufgesucht; aber das sind Privatanstalten und sie gleichen in -ihrer Einrichtung wie in ihrem Gebaren durchwegs Ihren feinsten Sanatorien -für „distinguierte Patienten“.“ -</p> - -<p> -Wir waren inzwischen des Fahrens müde geworden, was nach -nahezu vierstündiger Rundfahrt trotz des sanften Ganges und der bequemen -Einrichtung der Wagen erklärlich erscheint. Neys machten daher -den Vorschlag, den automatischen Wagen heimzuschicken und den Rückweg -zu Fuße anzutreten, was von uns gern angenommen wurde. Wir hielten -vor einem der Stationshäuschen der Transportassociation, ließen dort das -Gefährte zurück und durchschritten die schattigen Alleen, von denen jede -Edenthaler Straße eingesäumt ist. Jetzt hatten wir Muße, die zierlichen -<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> -Privathäuser näher zu betrachten, die zwar alle den eigentümlichen, -halb an den maurischen, halb an den griechischen erinnernden Edenthaler -Baustil zeigen, im übrigen aber weder an Größe noch an Ausstattung -gleich sind. Den vornehmsten Reiz dieser Villen bilden deren wunderliebliche -Gärten mit ihren erlesenen Bäumen, ihrer unglaublichen Blumenpracht, -den weißen Marmorstatuen, Fontänen und den mannigfaltigen -zahmen Tieren — insbesondere Äffchen, Papageien, Prachtfinken und -allerlei Singvögeln — die sich in ihnen neben jauchzenden Kindern -tummeln. Des weiteren überraschte uns die außerordentliche Reinlichkeit -der Straßen, als deren Hauptgrund uns angegeben wurde, daß seit -Erfindung der automatischen Wagen keinerlei Zugtiere in den Straßen -freiländischer Städte Staub aufwühlen und Unrat hinterlassen. -</p> - -<p> -„Giebt es also keinerlei Pferde hier?“ fragte ich, worauf mir die -Erklärung ward, daß deren allerdings und zwar in bedeutender Anzahl -und von edelster Zucht vorhanden seien; dieselben würden jedoch nur -außerhalb des eigentlichen Weichbildes der Stadt zu Promenaderitten -durch die benachbarten Wiesen, Haine und Wälder benützt. „Das muß -aber hierzulande ein sehr teurer Luxus sein“, meinte ich. „Das Pferd -selber und was es frißt, mag billig sein; aber da Menschenkraft in -Freiland das teuerste von allen Dingen ist, so kann ich nicht begreifen, -wie ein freiländischer Haushalt die Kosten eines Pferdewärters zu erschwingen -vermag. Oder erhält diese Klasse Bediensteter hierzulande -ausnahmsweise geringeren Lohn?“ -</p> - -<p> -„Letzteres wäre bei uns wohl kaum möglich“, — antwortete lächelnd -Herr Ney — „denn wer würde dann in Freiland Pferdewärter sein wollen? -Wir müssen auch dem Stallpersonal denselben Durchschnittsverdienst gewähren, -wie anderen Arbeitern, und wenn ich für die sieben Reitpferde, -die ich zum Gebrauche meiner Familie in den Ställen der Transport-Association -halte, ein Wartepersonal nach abendländischem Zuschnitt bezahlen -wollte, so würden die Kosten mein gesamtes Einkommen überschreiten. -Aber das Rätsel löst sich sehr einfach dadurch, daß auch die Arbeit im -Pferdestall mit Hülfe von Maschinen verrichtet wird, derart, daß durchschnittlich -ein Mann für je 50 Tiere vollkommen genügt. Sie schütteln ungläubig -den Kopf? Wenn Sie gesehen haben werden, binnen wie wenigen -Minuten unsere durch mechanische Kraft in Rotation versetzten riesigen -cylinderförmigen Bürsten ein Pferd spiegelblank putzen; binnen welch kurzer -Zeit unsere Kehrmaschinen und Wasserleitungen den größten Stall von -Mist und jeglicher Unreinlichkeit säubern; wie das Futter den Tieren -automatisch zugeteilt wird: so dürfte Ihnen nicht bloß das, sondern ebenso -die Thatsache einleuchten, daß in Freiland auch die „Stallknechte“ gebildete -Gentlemen sind, Geschäftsleute so ehrenwert und geachtet, wie alle anderen“. -</p> - -<p> -Unter solchen Gesprächen waren wir daheim angelangt, wo ein -ausgiebiger Imbiß genommen ward und einige Geschäfte Erledigung -<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> -fanden. Nach dem bereits letzthin geschilderten Diner fuhren wir mit -unseren Gastfreunden abermals zum Edensee und besuchten zunächst die -große Oper, wo an diesem Tage das Werk eines freiländischen Kompositeurs -gegeben wurde. Dasselbe war uns nicht neu, da es eines -jener zahlreichen freiländischen Tonwerke ist, die auch im Auslande -großen Anklang finden und häufig aufgeführt werden. Dagegen überraschte -uns die eigenartige — allen freiländischen Theatern gemeinsame -— Anordnung des Zuschauerraums. Die Sitzreihen bauen sich amphitheatralisch -bis zu bedeutender Höhe auf; das Dach ruht auf Säulen, -durch welche die äußere Luft frei hereinstreichen kann. Bis zu 10000 -Personen finden solcherart in den größeren dieser Theater bequem Platz, -ohne daß jemals Hitze oder verdorbene Luft sich in denselben ansammeln -könnte. -</p> - -<p> -Die Darstellung war eine vorzügliche, die Ausstattung in jeder -Beziehung glänzend; trotzdem waren die Preise der — durch keinerlei -Rangordnung unterschiedenen — Plätze nach abendländischen Begriffen -lächerlich mäßig. Der Sitz kostete einen halben Schilling — doch wohlverstanden -bloß hier, in der großen Oper; die anderen Theater sind -alle noch wesentlich wohlfeiler. Unternehmer sind überall die städtischen -Kommunen, als deren Angestellte die ausübenden Künstler sowohl als -das Regiepersonal fungieren; als ökonomischer Grundsatz gilt dabei -allgemein, daß die Kosten des Baues und Unterhalts der Gebäude vom -allgemeinen Kommunalbudget zu tragen seien, und daß die Eintrittspreise -bloß die Gehalte und Tantiemen des angestellten Personals und -die Ausstattung zu decken haben. -</p> - -<p> -Von David erfuhr ich, daß Edenthal außer der großen Oper noch -eine Spieloper und vier Schauspielhäuser besitze, ferner drei Konzerthäuser, -in denen allabendlich Orchester-, Kammermusik und Chöre sich -hören ließen. Als freiländische Specialität aber nannte er mir fünf -verschiedene „Lehrtheater“, in denen astronomische, archäologische, geologische, -paläontologische, physikalische, geschichtliche, geographische, naturgeschichtliche, -kurz alle erdenklichen wissenschaftlichen Vorträge mit dem -umfassendsten Aufwande plastischer Darstellungskunst den Hörern vorgeführt -werden. Die Vorträge sind von den geistreichsten Gelehrten -verfaßt, von den gewandtesten Rednern vorgetragen, von den tüchtigsten -Ingenieuren und Dekorateuren in Scene gesetzt. Diese Art Theater -seien die besuchtesten; in der Regel genügen die vorhandenen Plätze -nicht, so daß die Kommune kürzlich zwei neue derartige Darstellungshäuser -bauen ließ, die binnen wenigen Monaten eröffnet werden dürften. -Die Großartigkeit dieser Vorführungen, die ich an den nächsten Abenden -kennen lernte, ist in der That staunenerregend und wenn auch die -Jugend bei den meisten derselben den größeren Teil des Auditoriums -stellt, so werden dieselben doch von Erwachsenen sehr fleißig besucht. -</p> - -<p> -<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a> -Nach dem Theater mieteten Neys am Ufer eine der zahllosen dort -von einer Association bereit gehaltenen Gondeln mit mechanischer Triebkraft -(von elastischen Federn getriebene Propellerschrauben) und wir -steuerten in den See hinaus. Derselbe war von gewaltigen, rings am -Ufer in beträchtlicher Höhe angebrachten elektrischen Reflektoren taghell -erleuchtet und es stand uns heute ein ganz besonderer Genuß bevor, -denn Walter, der berühmteste Liederkomponist Freilands, ließ an diesem -Abend eine neue Kantate durch die Mitglieder des Edenthaler Choralvereins -zur ersten Aufführung bringen. Dieser Verein, welcher zu -seinen allwöchentlichen Vorträgen in der Regel den Edensee als Schauplatz -wählt, verfügt zu solchen Zwecken über mehrere der großartigsten -Prachtbarken, deren bisweilen geradezu märchenhafte Ausstattung durch -freiwillige Beiträge seiner zahlreichen Mitglieder und Verehrer gedeckt -wird. -</p> - -<p> -War es die Wirkung der ganz eigenartigen Scenerie, war es die -Schönheit des Tonstückes an sich — der Effekt, den die Kantate auf -mich machte, war ein überwältigender. Als wir uns auf den Heimweg -machten, gestand ich David, daß mir niemals zuvor die gleichsam -transcendentale Gewalt der Töne so deutlich geworden, wie während -dieser Vorstellung am See; ich hatte durchaus den Eindruck, als ob der -Weltgeist in diesen Klängen zu meiner Seele spräche und als ob diese -auch ganz genau seine Sprache verstünde und nur unvermögend sei, -dieselbe in gewöhnliches Italienisch oder Englisch zu übersetzen. Zugleich -aber äußerte ich mein Erstaunen darüber, daß ein so junges -Gemeinwesen, wie das freiländische, in allen Kunstarten Anerkennenswertes, -in zweien aber, in Architektur und Tonkunst, den besten Vorbildern -aller Zeiten Ebenbürtiges leiste. -</p> - -<p> -Frau Ney gab hierüber ihre Meinung dahin ab, daß dies die -schlechthin notwendige Konsequenz der Gesamtrichtung des freiländischen -Geistes sei. Wo fröhlicher Lebensgenuß mit ruhiger Muße sich paarten, -dort müßten die Künste gedeihen, die ja in Wahrheit nichts anderes -seien, als Produkte des Reichtums und edler Muße. Und daß gerade -Architektur und Musik den Anfang der Kunstblüte machten, lasse sich -ganz ungezwungen erklären. Erstere mußte durch die, dem neuartigen -großartigen Gemeinwesen entsprungenen Bedürfnisse in erster Reihe -mächtig angeregt werden; auch der Einfluß der gewaltigen und doch -lieblichen Natur des Landes sei hier unverkennbar. Die Musik dagegen -sei die unmittelbarste aller Kunstformen, diejenige, deren sich der Genius -der Menschheit stets in erster Reihe bediene, wenn eine neue Ära -künstlerischen Schaffens durch neue Arten des Fühlens und Denkens -eingeleitet worden sei. -</p> - -<p> -„Bei dem so überaus regen Sinne Ihres Volkes für das Schöne“ -— so wandte sich mein Vater an Frau Ney — „nimmt es mich nur -<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> -Wunder, daß zum Schmucke der schönsten Zierde Freilands, seiner -königlich gearteten Frauen nämlich, so wenig aufgewendet wird. Zwar -die Tracht ist kleidsam, und nirgend bisher habe ich noch so erlesenen -Geschmack in der Wahl der geeignetsten Formen und Farben getroffen; -aber eigentliches Geschmeide sieht man nicht. Hie und da Goldreifen -im Haar, da und dort goldene oder silberne Spangen an den -Kleidern, das ist alles; Edelsteine und Perlen scheinen bei den hiesigen -Damen verpönt zu sein. Woran liegt das?“ -</p> - -<p> -„Der Grund liegt darin“ — so antwortete Frau Ney — „daß -uns Freiländern jene ausschließliche Triebfeder fehlt, die den anderen -Völkern die Geschmeide eigentlich begehrenswert macht. Eitelkeit ist -auch hierzulande heimisch, unter Männern sowohl als Frauen; aber sie -findet in der Schaustellung von sogenannten „Kostbarkeiten“, deren -alleiniger Vorzug vor ähnlichen Dingen lediglich darin besteht, daß sie -teuer sind, kein Genüge. Glauben Sie wirklich, daß es die <em>Schönheit</em> -der Diamanten ist, was gar manche unserer bedauernswerten -Schwestern da draußen Glück und Ehre in die Schanze schlagen -läßt, um in den Besitz solch glitzernder Steinchen zu gelangen? Warum -stieße dann dasselbe Weib, welches sich um echter Steine willen verkaufte, -unechte, die es in Wahrheit von jenen gar nicht zu unterscheiden -vermag, achtlos beiseite? Und zweifeln Sie daran, daß auch der echte -Diamant sofort zum unbeachteten Kiesel würde, den keine „Dame von -Geschmack“ fernerhin eines Blickes würdigte, sowie dieser Stein aus -irgend einem Grunde seinen hohen Preis verlöre? Die Geschmeide -gefallen also nicht, weil sie schön, sondern weil sie kostbar sind. Sie -schmeicheln der Eitelkeit nicht durch ihren Glanz, sondern durch das -Bewußtsein, welches sie in ihrem Eigner erwecken, in diesen unscheinbaren -Dingerchen den Extrakt so und so vieler Menschenleben zu besitzen. -„„Seht her, hier an meinem Halse trage ich einen Talisman, um den -Hunderte von Knechten Jahre lang ihr bestes Mark vergeuden mußten -und dessen Gewalt auch Euch, die Ihr die netten Dingerchen ehrfurchtsvoll -anstaunt, mir als Sklaven zu Füßen legen, allen meinen Launen -dienstbar machen könnte! Seht her, ich bin mehr als Ihr, ich bin die -Herrin, die auf nichtigen Tand vergeuden kann, wonach Ihr vergeblich -giert um Euren Hunger zu stillen!““ Das etwa ist’s, was das Diamantenkollier -aller Welt verkündet, und <em>darum</em> hat seine Besitzerin -vielleicht sich und andere verraten, elend gemacht, um es als ihr Eigen -um den Nacken schlingen zu können. Denn beachten Sie wohl, das -Geschmeide schmückt nur, wenn es Eigentum des Trägers ist; entliehenes -Geschmeide zu tragen ist ignobel, gilt als unanständig, und mit Recht, -denn entliehenes Geschmeide lügt, es ist eine Krone, die ihrem Träger -den Schein einer Macht verleihen soll, die er in Wahrheit nicht -besitzt. -</p> - -<p> -<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> -„Die Macht nun, deren legitimen Anspruch das Geschmeide zur -Schau tragen soll, die Macht über fremdes Leben und fremde Leiber -existiert in Freiland nicht. Zwar wer einen Diamanten von beispielsweise -600 Pfund Wert besäße, der hätte damit auch hierzulande das -Verfügungsrecht über einjährigen Ertrag menschlicher Arbeit; aber wer -ihn deshalb erwürbe und zur Schau trüge, würde sich damit — angesichts -unserer Institutionen — doch nur lächerlich machen; denn -<em>seine eigene Arbeit</em> wäre es, deren Ertrag er solcherart festlegte, -gleich gegen gleich müßte er mit Jedem, dessen Arbeit er sich um den -Stein dienstbar machen wollte, tauschen und statt ehrfurchtsvollen -Staunens könnte er bloß bedauerndes Mitleid erwecken, Mitleid darüber, -daß er sich bessere Genüsse versagt, oder nutzlose Anstrengungen auferlegt, -um den albernen Kiesel zu erwerben. Es wäre das gleichsam, -als ob der Besitzer des Diamanten aller Welt verkünden wollte; „„Seht -her, während Ihr genosset oder ruhtet, habe ich gedarbt und gearbeitet, -um den Tand zu gewinnen““! Nicht der Mächtigere, der Thörichtere -wäre er in Jedermanns Augen — der Stein, dessen fascinierende Kraft -an die Vorstellung geknüpft ist, daß sein Besitzer zu den Herren der -Erde gehöre, die über fremde Arbeit verfügen und <em>deshalb</em> sich den -Scherz erlauben dürfen, das Produkt so großen Schweißes in nutzlosen -Sächelchen anzulegen — der Stein kann für ihn keinen Reiz mehr -haben. Wer ihn in Freiland kauft, der gliche Jenem, der sein Leben -an den Besitz einer Krone setzt, die aufgehört hat, das Symbol der -Herrschaft zu sein.“ -</p> - -<p> -„Sie sprechen also dem Geschmeide alle wirklich schmückende Kraft -ab? Sie leugnen, daß Perlen oder Diamanten geeignet sind, die Reize -eines schönen Körpers noch wesentlich hervorzuheben?“ entgegnete mein -Vater. -</p> - -<p> -„Das thue ich allerdings“, war die Antwort. „Nicht daß ich die -dekorative Wirkung an sich überall bestreiten wollte; nur leugne ich, daß -sich nicht genau der nämliche, ja in der Regel ein weit besserer Effekt -durch andere Mittel auch erreichen läßt. Im allgemeinen aber schmückt -der, seiner ganzen Beschaffenheit nach gar nicht zum menschlichen Körper -passende Tand durchaus nicht, entstellt vielmehr in neunundneunzig -unter hundert Fällen den stolzen Besitzer. Daß ein diamantengeschmücktes -Weib Euch Herren da draußen besser gefällt, als ein blumengeschmücktes, -hat genau den nämlichen Grund, aus welchem Euch — Ihr mögt -noch so starre Republikaner sein — eine Königin schöner erscheinen -wird, als ihre vor dem Richterstuhle unbefangener Ästhetik vielleicht -schöneren Rivalinnen. Ein gewisses Etwas, ein eigentümlicher Zauber -umschwebt sie — der Zauber — Sie entschuldigen das harte Wort -— des Knechtsinnes; dieser, nicht Euer ästhetisches Urteil ist es, was -Euch weismacht, das Diadem verleihe höheren Reiz, als der Kranz -<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> -von Rosen; lasset die Rose zum Symbol der Herrschaft werden, -dessen sich nur Königinnen bedienen dürfen, und Ihr werdet jetzt ohne -Zweifel finden, daß die Rosen es sind, die wahre Majestät zur Geltung -bringen.“ -</p> - -<p> -„Eitel sind wir Freiländerinnen deshalb doch. Wir wollen nicht -bloß schön sein, sondern auch schön erscheinen und die Männer bestärken -uns nach Kräften in diesem Bestreben; nur bitte ich wohl im Auge zu -behalten: wir wollen nicht prunken, sondern gefallen. Deshalb sind -Kleid und Zierat einer Freiländerin nie Selbstzweck, sondern Mittel -zum Zwecke. Eine richtige Modedame in Europa entstellt sich oft in -der greulichsten Weise, weil es ihr weniger auf den Effekt ihrer Person, -als auf den ihrer Kleider, ihres Putzes ankommt; sie wählt nicht -das Gewand, welches ihre persönlichen Reize am günstigsten hervorhebt, sondern -das kostbarste, welches ihre Mittel ihr gestatten. Wir halten es -anders; schon unsere eigenen ästhetischen Anschauungen bewahren uns -vor der Thorheit, einem Kleiderkünstler zu Liebe andere Gewänder anzulegen, -als jene, von welchen wir vermuten oder wissen, daß sie -unsere Gestalt am vorteilhaftesten zur Geltung bringen. Außerdem aber -steht uns diesbezüglich jederzeit der Rat künstlerisch gebildeter Männer -zur Seite. Kein hervorragender Maler verschmäht es, jungen Damen -Aufschluß über die passendste Wahl ihrer Toilette zu gewähren, ja es -werden besondere Vorträge über diesen wichtigen Punkt gehalten. Natürlich -kann es eine strenge Mode bei uns nicht geben, da Zusammenstellung, -Faltenwurf und Farbe der Kleidung durchweg der Individualität -der Trägerin angepaßt sind; daß Hagere und Wohlbeleibte, Große und -Kleine, Blonde und Brünette, Imposante und Niedliche, sich nach der -gleichen Schablone tragen sollten, gälte hier zu Lande als Gipfel der -Abgeschmacktheit. Ebenso lächerlich aber fände es eine Freiländerin, die -gefallen will, mutete man ihr zu, ein Kleid, eine Haartracht, die sie -als für sich passend einmal erprobt, zu wechseln, bloß aus dem Grunde, -weil man sie in dieser Tracht schon zu oft gesehen. Wir begreifen es -nicht, daß man, um zu gefallen, am besten thue, sich möglichst mannigfaltig -zu entstellen; insbesondere aber halten wir, darin abermals unterstützt -von unseren Männern, zähe fest an dem Glauben, daß die -menschliche Gestalt durch das Kleid zwar bedeckt und verhüllt, aber nicht -verzerrt werden dürfe.“ -</p> - -<p> -Wir erklärten galant, diese Toiletteprinzipien durchaus zu billigen. -Die Wahrheit ist, daß der an die Excentricitäten abendländischer Moden -gewohnte Fremde in Freiland angelangt, die nach künstlerischen Grundsätzen -zusammengestellte hiesige Frauentracht anfangs etwas zu einfach, -dann aber die Rückkehr zu den abendländischen Zerrbildern -schlechterdings unerträglich findet. Du wirst Dich erinnern, daß -David uns in Rom versicherte, die europäischen Moden machten ihm -<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> -genau den nämlichen Eindruck, wie die der afrikanischen Wilden; nach -kaum einwöchentlichem Aufenthalte hier beginne ich diese Auffassung -zu teilen. -</p> - -<p> -Doch ich sehe, daß ich abermals schließen muß, ohne meinen Bericht -erschöpft zu haben. Mit dem Versprechen, das Versäumte nachzuholen -</p> - -<p class="sign"> -Dein .....<br /> -..... -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-4"> -<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> -16. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 28. Juli. -</p> - -<p class="first"> -Ich konnte mein Versprechen, Dir bald zu schreiben, nicht halten, -weil die vergangene Woche einer Reihe kürzerer oder längerer Ausflüge -gewidmet war, die ich mit David teils zu Pferde oder mittels automatischer -Draisinen in die unmittelbare Umgebung Edenthals und der -benachbarten Danastadt, teils mit der Eisenbahn bis an die Ufer des -Ukerewe unternahm. Ich lernte solcherart eine ziemliche Anzahl freiländischer -Städte und ebenso mehrere zerstreute Industrie- und Ackerbaukolonien -kennen. Ich sah die lieblichen, in schattigen Wäldern eingebetteten -Orte des Aberdaregebirges mit ihrer gewaltigen Metallindustrie; -Naiwaschacity, das Emporium der Lederindustrieen und des -Fleischexports, dessen Villenreihen den ganzen Naiwaschasee in einer -Längenausdehnung von 64 Kilometern umrahmen; die Ansiedelungen -in den Bergen nördlich vom Baringosee mit ihren zahllosen Herden -edler Pferde, Rinder, Schweine, Schafe, zahmer Elefanten, Büffel, -Zebras, mit ihren Gold- und Silberbergwerken, und Ripon, das -Centrum der Mühlenindustrie und des Ukerwehandels. In allen -Städten fand ich dem Wesen nach die nämlichen Einrichtungen wie in -Edenthal; elektrische Eisenbahnen in den Hauptstraßen, elektrische Beleuchtung -und Beheizung, Bibliotheken, Theater u. s. w. Was mich -jedoch zumeist überraschte, war, daß auch die ländlichen Ansiedelungen -mit sehr geringen Ausnahmen eines hochentwickelten städtischen Comforts -nicht entbehrten. Elektrische Bahnen zogen auch an ihnen vorüber -und setzten sie mit den Hauptverkehrslinien in Verbindung; wo -nur 5-6 Villen — denn der Villenstil herrscht ausnahmslos durch -ganz Freiland — nebeneinander standen, fanden sich elektrische Beleuchtung -und Beheizung; Telegraph und Telephon fehlten selbst dem entlegensten -<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a> -Gebirgsthale nicht, ebenso keinem Hause das Bad; und wo -einige hundert Villen in nicht gar zu großer Entfernung zerstreut -lagen, war sicherlich ein Theater für sie gebaut, in welchem abwechselnd -Schauspiele, Concerte, Vorträge abgehalten wurden. An Schulen gab -es allenthalben Überfluß, und wo irgend ein Ansiedler sich allzu einsam -angebaut hatte, als daß die Kinder eine in der Nähe gelegene -Schule hätten besuchen können, dort waren diese bei befreundeten -Familien untergebracht, denn der Jugendunterricht darf in Freiland -unter keinen Umständen leiden. -</p> - -<p> -Daß ich die Gelegenheit nicht versäumte, mir das freiländische -Volk an seiner Arbeit — auf dem Felde und in der Fabrik — zu -betrachten, ist selbstverständlich. Hier wurde mir die Größe Freilands -erst offenbar. Ungeheuer, überwältigend war, was ich allenthalben sah. -Von der Großartigkeit der maschinellen Einrichtungen, von der unermeßlichen -Kraftfülle, welche die gebändigten Elemente hier dem Menschen -zur Verfügung stellen, kann sich der Abendländer ebensowenig eine -Vorstellung machen, als von dem raffinierten, ich möchte fast sagen -aristokratischen Komfort, mit welchem die Arbeit überall umgeben ist. -Keine schmutzige, aufreibende Handlangung verrichtet der Mensch; die -sinnreichsten Apparate entheben ihn jedes wirklich unangenehmen Geschäftes; -er hat der Hauptsache nach bloß seine unermüdlichen eisernen -Sklaven zu überwachen. Und nicht einmal durch ihr Klappern, Stöhnen -und Rasseln dürfen diese überall geschäftigen Diener das Ohr ihrer -Herren beleidigen. Ich bewegte mich in den Stampfwerken von Leikipia, -die den mineralischen Dünger für die dortige Bodenassociation bereiten, -zwischen Steinzermalmern von tausenden Centnern Stoßkraft, und kein -lästiges Geräusch war zu hören, kein Atom Staub zu sehen. Ich durchschritt -Eisenwerke, in denen Stahlhämmer bis zu 3000 Tonnen Fallgewicht -verwendet werden; die gleiche Ruhe herrschte in den lichten -freundlichen Fabriksälen, kein Ruß auf Händen oder Gesichtern der -Arbeiter störte den Eindruck, daß man es mit Gentlemen zu thun habe, -die sich dazu herbeilassen, die Schmiedearbeit der Elemente zu überwachen. -Ich sah auf den Feldern ackern und säen — wieder dieselbe -Erscheinung des Herrn der Schöpfung, der durch den Druck eines -Fingers die Riesen „Dampf“ oder „Elektricität“ nach seinem Willen -lenkt, wohin und wozu es ihm nützlich dünkt. Ich war <em>unter</em> der -Erde in den Kohlengruben und in den Eisenminen; auch dort fand ich -es nicht anders: keinen Schmutz, keine aufreibende Plage für den -Menschen, der in vornehmer Ruhe zusieht, wie seine gehorsamen Geschöpfe -aus Stahl und Eisen für ihn schaffen ohne zu ermüden und -zu murren, von ihm nichts anderes verlangend, als daß er sie lenke. -</p> - -<p> -Während der nämlichen Ausflüge lernte ich auch eine Reihe besonderer -in Freiland üblicher Vergnügungen näher kennen; ich besuchte -<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> -mit David die mannigfaltigen entzückenden Aussichtspunkte des Kenia -und der Aberdareberge, auf denen es allsonntäglich Gesang und Tanz -der jungen Leute gibt, gewürzt in der Regel durch eine Überraschung, -welche die Vergnügungskomitees — eine ständige Institution in jedem -freiländischen Orte — zur Feier eines beliebigen Anlasses veranstalten. -Mir waren die Eisfeste auf dem großen Eislaufteiche am Keniagletscher -das Überraschendste. Dort hatten vor fünf Jahren die vereinigten Vergnügungskomitees -von Edenthal, Danastadt und Oberleikipia ein 2400 -Hektaren messendes, 4250 Meter über dem Meeresspiegel gelegenes Plateau -in einen Teich verwandeln lassen, der von den Wässern der unmittelbar -daran grenzenden großen Eisfelder gespeist wird. Von Ende -Mai bis Mitte August gibt es nun in dieser Höhe stets sehr empfindliche -Nachtfröste, die das ohnehin dem Gefrierpunkte nahe Gletscherwasser -des Teiches sehr rasch in eine solide Eisbahn verwandeln. Nachdem -hierauf dieser großartige Eislaufplatz seinem ganzen Umfange nach mit -luxuriösen heizbaren Warte-, Toilette und Speise-Sälen umgeben, des -ferneren mittels einer leistungsfähigen Zahnradbahn mit dem Fuße des -Berges in Verbindung gebracht worden war, übergaben die vereinigten -Komitees ihr Werk der Öffentlichkeit zur unentgeltlichen Benutzung. -Die, wie sich denken läßt, sehr beträchtlichen Anlagekosten waren mit -Leichtigkeit im Wege freiwilliger Subskriptionen aufgebracht worden, -und ebenso decken sich die Erfordernisse der Instandhaltung überreichlich -durch freiwillige Beiträge der zahlreichen Besucher. Denn die ganze -kühle Jahreszeit hindurch ist die Riesenfläche des Eisteiches von Schlittschuhläufern -und insbesondere von Schlittschuhläuferinnen nicht bloß -aus der Umgebung des Kenia auf hundert Kilometer in der Runde, -sondern aus allen Teilen Freilands bedeckt. Selbst von den Gestaden -des indischen Ozeans und der großen Seen kommen Freunde und -Freundinnen dieses gesunden Sports hierher, um an den zeitweilig -veranstalteten glänzenden Eisfesten teilzunehmen. Gegenwärtig beschäftigt -man sich mit dem Plane, unmittelbar am Eislaufplatze ein großartiges -Hotel zu errichten, das besonders ausdauernden Verehrern -dieser ebenso graziösen als gesunden Leibesübung Gelegenheit geben soll, -in 4200 Meter Seehöhe zu übernachten. Des ferneren hat die große -Beliebtheit des Kenia-Eisteiches den Anlaß gegeben, auch am Kilima-Ndscharo, -und zwar dort in einer noch um 500 Meter höheren Lage -ein ähnliches Unternehmen ins Werk zu setzen, welches gegenwärtig -seiner Vollendung nahe ist; ein drittes, in den Mondbergen am Albertsee, -hat einstweilen das Versuchsstadium nicht überschritten, da dem -dortigen Komitee die Auffindung eines zu solchem Zwecke genügend hoch -gelegenen und dabei ausreichend großen Platzes bisher nicht recht gelungen -sein soll. -</p> - -<p> -Mehr als all’ diese Vergnügungseinrichtungen aber erregte die ungetrübte, -<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> -im besten Sinne des Wortes kindliche Lust und Fröhlichkeit -meine Bewunderung, mit denen nicht bloß diese Veranstaltungen, sondern -das ganze Leben in Freiland genossen werden. Man gewinnt durchaus -den Eindruck, als ob die Sorge hierzulande unbekannt wäre. Jene -unbefangene Heiterkeit, die bei uns in Europa der beneidenswerte Vorzug -bloß der ersten Jugendjahre ist, thront hier auf jeder Stirne, strahlt -aus Jedermanns Auge. Durchwandere welches civilisierte Land der -Welt immer, Du wirst selten, ja ich möchte fast behaupten niemals, -einen Erwachsenen finden, auf dessen Antlitz behagliches Glück, ungetrübter -Lebensgenuß zu lesen wäre; mit sorgenschweren, meist sogar -kummervollen Mienen hasten oder schleichen bei uns daheim die Menschen -aneinander vorüber, und zeigt sich irgendwo wirkliche, nicht bloß erkünstelte -Fröhlichkeit, so ist es beinahe ausnahmslos die der Gedankenlosigkeit. -Glücklich sind bei uns höchstens die „Armen an Geist“; die -Reflexion scheint uns nur gegeben, um über des Lebens Not und Qual -nachzudenken. Hier zum erstenmale finde ich Menschengesichter, die den -Stempel bewußten Denkens und unbefangenen Glückes zugleich zur -Schau tragen. Und dieses Schauspiel allgemein glücklicher Zufriedenheit -ist für mich erhebender als alles, was wir hier zu sehen bekamen; -freier und wohliger atmet die Brust; es ist, als ob ich zum erstenmale -aus der beängstigenden Atmosphäre eines mit erstickenden Dünsten geschwängerten -Kerkers hinausgelangt wäre in die freie Natur, wo balsamische -reine Lüfte mich umfächeln. „Woher kommt Euch allen, allen -dieser Abglanz sonniger Heiterkeit?“ fragte ich David. -</p> - -<p> -„Sie ist das naturgemäße Ergebnis der heiteren Sorglosigkeit, in -der wir alle leben“, war seine Antwort. „Denn es scheint nicht bloß, -es ist wirklich an dem, daß die Sorge hierzulande unbekannt ist, zum -mindesten jene häßlichste, erniedrigendste aller Sorgen, die um das tägliche -Brot. Nicht daß wir reicher sind, und auch nicht, daß wir es -alle sind, ist diesbezüglich das Entscheidende, sondern daß wir, und -zwar wohlverstanden jeder Einzelne unter uns, die absolute Sicherheit -besitzen, es stets zu bleiben. Hier <em>kann</em> niemand verarmen, denn unveräußerlich -ist ihm sein Anteil am unermeßlichen Vermögen der Gesamtheit. -Heiter und lachend liegt das „Morgen“ vor uns; es kann -uns nichts Schlimmes bringen, denn Gewähr und Sicherheit für das -Wohlergehen auch des Letzten unter uns ist eine Macht, so stark und -dauerhaft, wie der Bestand unserer Rasse auf diesem Planeten, die -Macht des menschlichen Fortschritts. Wir gleichen in diesem Punkte -wirklich den Kindern, denen Schirm und Hort des elterlichen Hauses -jede materielle Sorge fernhält.“ -</p> - -<p> -„Und befürchtet Ihr nicht“ — so warf ich ein — „daß diese -Sorglosigkeit schließlich gerade dem ein Ende bereiten wird, worauf sie -sich stützt, dem Fortschritte nämlich? Bisher zum mindesten waren noch -<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> -stets Not und Sorge die besten Triebfedern menschlicher Betriebsamkeit; -erlahmen diese beiden, hat die quälende Angst um das Morgen ihr -Ende, so wird auch der Fortschritt erlahmen, Stillstand, dann Rückschritt -werden ihm folgen und zugleich mit der dadurch notwendigerweise -eintretenden Verarmung werden auch Not und Sorge wieder -ihren Einzug halten. Daß bisher unter Euch nichts von alledem -zu bemerken ist, muß ich zugeben; aber es kann mich dies nicht -beruhigen. Denn einstweilen genießt Ihr in Freiland noch die Früchte -des Fortschritts Anderer. Was unter Not und Qual ungezählter Jahrtausende -ersonnen und erfunden wurde, unter Not und Qual ungezählter -Millionen außerhalb der Grenzen Eures Landes auch heute noch ersonnen -und erfunden wird, das ist’s, was Euer Glück einstweilen ermöglicht. -Wie aber dann, wenn dereinst — was Ihr ja offenbar -anstrebt — die <em>ganze</em> Menschheit sich zu Euren Prinzipien bekehrt? -Glaubt Ihr, daß die Not gänzlich von der Erdoberfläche verschwinden -kann, ohne den Fortschritt mit sich zu nehmen?“ -</p> - -<p> -„Das glauben wir nicht bloß“ — war seine Antwort — „wir -wissen es, und jedermann, der unbeirrt durch überkommene Vorurteile -die Thatsachen prüft, muß unsere Erkenntnis teilen. Kampf ums Dasein -ist das unerbittliche Gebot, an welches die Natur den Fortschritt, -ja die Existenz jeglichen lebenden Wesens geknüpft hat — das begreifen -wir besser, als irgend jemand da draußen. Aber daß dieser Kampf -gerade durch den Hunger gestachelt werden muß, leugnen wir, und -ebenso, daß er notwendigerweise als ein gegenseitiger Kampf der Individuen -der nämlichen Art aufzufassen ist. Auch wir kämpfen den -Kampf ums Dasein, denn mühe- und arbeitslos fällt auch uns der -Genuß nicht in den Schoß. Aber nicht <em>gegeneinander</em>, sondern <em>miteinander</em> -stehen wir in unserem Streben, und gerade deshalb ist uns -der Erfolg desselben niemals zweifelhaft. Wir könnten uns, wenn auf -das Beispiel des in der Tierwelt herrschenden Kampfes verwiesen wird, -darauf berufen, daß der Mensch, dem andere Kampfmittel zu Gebote -stehen, als seinen niedriger stehenden animalischen Vettern, den Entwickelungskampf -auch in anderer Weise auszutragen vermöchte, als -diese; aber das wäre eine ebenso schlechte, als überflüssige Ausflucht. -Denn in Wahrheit verhält sich die Sache umgekehrt; Not und materielle -Sorge sind — von höchst vereinzelten Ausnahmen abgesehen — -keine natürlichen Kampfmittel im Mitbewerbe ums Dasein; die weitaus -überwiegende Mehrzahl aller Tiere leidet niemals Mangel, sorgt niemals -und in keinerlei wie immer gearteter Form um das Morgen, und -ist trotzdem von Uranfang aller Dinge dem großen ausnahmslosen Gesetze -des Fortschritts unterworfen gewesen. Am allerwenigsten aber ist -im Tierreiche gegenseitiger Kampf der Angehörigen der nämlichen Art -die Regel; die Individuen der gleichen Art leben friedlich und der Hauptsache -<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a> -nach kampflos untereinander, ihre Waffen sind nach außen gekehrt, -gegen andersgeartete Feinde. Gegen den Löwen und den Panther ficht -die Gazelle den Daseinskampf durch Wachsamkeit und Schnelligkeit, -nicht gegen ihresgleichen; gegen die Gazelle und den Büffel, Löwe und -Panther den ihrigen durch List und Stärke, nicht aber gegen Mit-Löwen -und Mit-Panther. Der Kampf unter uns und gegen uns selber -war und ist unser, der menschlichen Rasse, Privilegium gewesen. Entsprungen -aber ist dies traurige Privilegium allerdings einer Kulturnotwendigkeit; -um uns zu dem zu entwickeln, was wir geworden sind, -mußten wir von der Natur mehr verlangen, als sie freiwillig zu bieten -in der Lage ist; um es zu erlangen, blieb lange Jahrtausende hindurch -kein anderer Ausweg, als das zur Befriedigung unserer höheren Bedürfnisse -Erforderliche uns gegenseitig abzujagen und abzupressen. Und -dadurch erst gestaltete sich die Not zu einem Kampfmittel im menschlichen -Daseinskampfe. Also wohlgemerkt, daß der Mensch gegen den -Menschen kämpfte, und daß in diesem Kampfe die materielle Sorge den -empfindlichsten Stachel bildete, war und ist nicht die einfache Übertragung -eines in der ganzen belebten Natur geltenden Gesetzes auf die -menschliche Gesellschaft, sondern eine ausnahmsweise Verzerrung dieses -großen Naturgesetzes unter dem Einflusse einer menschlichen Entwickelungsphase. -Wir litten Not, nicht weil die Natur es durchaus so verlangt, -sondern weil wir uns gegenseitig beraubten, und wir beraubten uns -gegenseitig, weil mit der beginnenden Kultur ein Mißverhältnis unserer -Bedürfnisse und unserer natürlichen Mittel zur Befriedigung derselben -entstand. Jetzt aber hat die bis zur Herrschaft über die Naturkräfte -gediehene Kultur dieses Mißverhältnis wieder ausgeglichen; um Überfluß -und Muße zu genießen, müssen wir uns fürderhin nicht mehr -gegenseitig ausbeuten, und wenn nunmehr der Kampf des Menschen -gegen den Menschen, und damit zugleich die materielle Not ihr Ende -finden, so bedeutet das nicht die Abwendung von den natürlichen Formen -des Daseinskampfes, sondern in Wahrheit Rückkehr zu denselben. -Nicht der Kampf ist damit zu Ende, sondern bloß die unnatürliche -Form desselben. In ihrem Ringen, sich über die rein tierische Natur -zu erheben, geriet die Menschheit in einen Jahrtausende währenden -Widerstreit mit der Natur selber, und dieser Widerstreit war die Quelle -all der unsäglichen Marter und Pein, der Verbrechen und Scheußlichkeiten, -deren ununterbrochene Kette die Geschichte unserer ganzen Rasse -ist, von den ersten Anfängen ihrer beginnenden Kultur bis zur Gegenwart. -Jetzt aber ist der schreckliche Widerstreit durch den glorreichsten -Sieg beendet, wir sind geworden, was wir Jahrtausende hindurch erstrebten, -ein Geschlecht, das der Natur Überfluß und Muße für alle -seine Angehörigen abzugewinnen vermag und gerade durch diese wiedererlangte -Harmonie unserer Bedürfnisse und Bedürfnisbefriedigungsmittel -<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> -haben wir den Einklang mit der Natur wieder hergestellt. Unterworfen -bleiben wir ihrem unwandelbaren Gesetze des Kampfes ums Dasein, -aber wir werden diesen Kampf hinfort in der nämlichen Weise -führen, wie alle anderen Naturwesen, nach außen, nicht nach innen -gegen die Genossen der eigenen Art, und entledigt des Stachels materieller -Not.“ -</p> - -<p> -„Was aber“ — so fragte ich — „soll hinfort den Menschen zu -ferneren Kämpfen im Dienste des Fortschritts anspornen, wenn die Not -ihren Stachel verloren hat?“ -</p> - -<p> -„Sonderbare Frage! Sie zeigt so recht deutlich, wie schwer es -ist, Dinge zu sehen, die jenen Anschauungen widersprechen, die wir mit -der Muttermilch eingesogen haben und die wir als Grundpfeiler der -Ordnung und Gesittung anzusehen uns gewöhnt haben, auch wenn diese -Anschauungen den offenbarsten Thatsachen aufs augenscheinlichste widersprechen. -Als ob jemals Not die ausschließliche, oder auch nur die -vornehmste Triebfeder menschlichen Fortschrittes gewesen wäre! Der -Widerstreit zur Natur, in welchen das Mißverhältnis zwischen Kulturbedürfnissen -und Kulturkräften die Menschheit in den Jahrtausenden des -Übergangs von Barbarei zu wirklich menschenwürdiger Kultur brachte, -hatte zwar zur Folge, daß der Kampf ums Dasein neben seinen natürlichen -auch widernatürliche, der tiefinnersten Eigenart der meisten Naturwesen -Hohn sprechende Formen annahm; doch zur Alleinherrschaft gelangten -diese niemals, ja die Natur erwies sich in der Regel doch mächtiger, -als die ihr widerstrebenden Menschensatzungen, und alle Epochen -der Kulturgeschichte hindurch haben wir die besten Errungenschaften des -menschlichen Geistes nicht der Not, sondern jenen anderen Impulsen -zu verdanken, die unserer Rasse eigentümlich sind und bleiben werden, -so lange sie als herrschende die Erde bevölkert. Dreimal blind, wer -dies nicht sehen will! Die großen Denker, Erfinder und Entdecker aller -Zeiten und aller Nationen, sie wurden nicht durch Hunger angespornt, -ja man kann in der Mehrzahl der Fälle behaupten, daß sie sannen -und dachten, forschten und fanden, nicht <em>weil</em>, sondern <em>trotzdem</em> sie -hungerten. „Doch“ — so könnte man einwenden — „das waren eben -die wenigen Erlesenen unseres Geschlechts; die große Masse der Alltagsmenschen -aber kann nur durch gemeinen, prosaischen Hunger angespornt -werden, nach besten Kräften zu gebrauchen, was jene fanden -und ersannen.“ Wer so urteilt, geht abermals von einem höchst merkwürdigen -Übersehen aus. Welche Voreingenommenheit gehört dazu, sich -der Thatsache zu verschließen, daß es gerade die Besitzenden sind, die -Nichthungernden, die am emsigsten vorwärts streben. Der Hunger ist -zwar ein Stachel zur Arbeit, aber ein entnervender, verderblicher, -und wer triumphierend auf jene Elenden weist, die thatsächlich nur -durch bitterste Not zur Thätigkeit angespornt werden können und -<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a> -sofort wieder in träge Apathie versinken, sowie der nagendste Hunger -gestillt ist, der vergißt, daß es eben das Elend ist, was Schuld -an dieser Entartung trägt. Der Kulturmensch, der höhere Bedürfnisse -einmal kennen gelernt, wird desto emsiger deren Befriedigung anstreben, -je weniger ihm entwürdigende Not die Spannkraft des Geistes -und Körpers gebrochen hat und je zweifelloser der Erfolg seines -Strebens ist. Denn nicht in der hoffnungslosen Not, sondern im vernünftigen, -auf ein sicheres Ziel fröhlich zusteuernden Eigennutze muß -jeder Unbefangene den wirksamsten Sporn der Betriebsamkeit erkennen. -Diesen Eigennutz aber hat <em>unsere</em> sociale Ordnung — weit entfernt, -ihn abzustumpfen — in Wahrheit erst zu voller Entfaltung gebracht. -Du kannst also vollkommen beruhigt darüber sein: was Du bisher bei -uns wahrzunehmen Gelegenheit hattest, daß wir nämlich an Erfindungskraft -und geistiger Regsamkeit den anderen Nationen voranschreiten, es -ist kein zufälliges Ergebnis irgendwelcher vorübergehender Einflüsse, sondern -die notwendige Konsequenz unserer Institutionen, und jedes Volk, -welches diese letztere nachahmt, wird die gleichen Konsequenzen verspüren. -So wenig als wir der quälenden Not bedürfen, um Erfindungen -und Verbesserungen zu ersinnen, welche die Menge und Mannigfaltigkeit -unserer materiellen wie geistigen Genüsse zu vermehren geeignet -sind, ebensowenig wird bei irgend einem anderen Volke der Fortschritt -aus dem Grunde erlahmen, weil dieses Volk gleich uns in die glückliche -Lage gerät, die Früchte des Fortschritts zu genießen.“ -</p> - -<p> -Ich konnte mich nicht enthalten dem gleich einem begeisterten Seher -sprechenden Freunde um den Hals zu fallen. „Wenn ich es bei Lichte -betrachte“ — erklärte ich — „so läuft die gegenteilige Auffassung -darauf hinaus, als ob der Fortschritt nur dort gedeihen könne, wo er -der Hauptsache nach nutzlos ist. Denn der fundamentale Unterschied -zwischen Euch Freiländern und uns anderen liegt doch darin, daß Ihr -die Früchte jeden Fortschritts genießet, während wir mit demselben -eigentlich bloß in das Danaidenfaß der Überproduktion schöpfen. Niemand -bezweifelt, daß Stuart Mill Recht hatte, als er beklagte, daß -alle Entdeckungen und Erfindungen bisher nicht vermochten, die Plage -und Not auch nur <em>eines</em> arbeitenden Menschen zu lindern; welch schrecklicher -Wahnsinn jedoch, zu glauben, daß gerade <em>das</em> notwendig sei, damit -fernerhin entdeckt und erfunden werde!“ -</p> - -<p> -„Doch, um wieder auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen“, -fuhr ich fort, „so ist mir mit alledem die geradezu wunderbare, herzerquickende -Heiterkeit, die alles hier in diesem Lande der Glücklichen -atmet, noch immer nicht ganz erklärlich. Not und materielle Sorge -sind hier unbekannt, zugegeben. Aber es gibt ja auch außerhalb Freilands -Hunderttausende und Millionen, die jeder drückenden Sorge enthoben -sind; warum fehlt diesen die wirkliche Heiterkeit? Vergleiche doch -<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a> -einmal unsere beiderseitigen Väter. Der meinige ist unstreitig der -reichere, und doch, welch’ tiefe Furchen hat die Sorge in seine Stirn -gegraben, welch’ herben Zug schmerzlicher Reflexion um seine Mundwinkel; -und welch’ froher Glanz ewiger Jugend leuchtet aus jedem -Zuge Deines Vaters. Ich möchte beinahe vermuten, daß die Luft, -die man in diesem Lande atmet, sehr wesentlich mit im Spiele ist; -denn die Falten und Furchen in Vaters Zügen, von denen ich soeben -sprach, haben sich schon in den zwei Wochen unseres Aufenthaltes hier -merklich geglättet, und ich selber fühle mich heiterer, glücklicher als -jemals zuvor.“ -</p> - -<p> -„Du hast“, entgegnete mir David, „das Wichtigste vergessen, den -Einfluß des Gesamtgefühls auf das Gefühl des Einzelnen. Der Mensch -ist ein geselliges Wesen, das seine Gedanken und Empfindungen nur -zum Teile dem eigenen Kopfe und dem eigenen Herzen entnimmt, während -ein anderer, nicht minder wichtiger Teil, ich möchte sagen die -Grundstimmung, die den individuellen Geistes- und Gemütsregungen -Farbe und Inhalt verleiht, in der jeweilig existierenden Gesamtgesellschaft -ihren Ursprung hat. Jeder Einzelne steht mit seinen Mitlebenden -nicht bloß äußerlich, sondern ebenso auch innerlich in unlöslicher Berührung; -er glaubt zu denken, zu fühlen und zu handeln, bloß wie -seine Individualität es erheischt, fühlt, denkt und handelt aber der Hauptsache -nach unter dem unentrinnbaren Banne einer alle Köpfe, Herzen -und Handlungen umschlingenden Zeitströmung. Der aufgeklärte, humane -Freidenker der Gegenwart hätte — wäre er drei Jahrhunderte -früher geboren worden, um der kleinlichsten, ihm heute lächerlich erscheinenden -Glaubensdifferenzen willen Andersdenkende mit demselben grimmigen -Hasse verfolgt, wie dazumal alle anderen Lebenden auch; und -hätte er noch um einige Jahrhunderte früher, etwa unter den heidnischen -Sachsen zur Zeit Karls des Großen das Sonnenlicht gesehen, so wären -ihm Menschenopfer so wenig ein Greuel gewesen, als den andern Verehrern -der Göttin Hertha. Derselbe Mann aber, welcher als heidnischer -Sachse in den Wäldern der Weser und Elbe aufgewachsen, Ruhm -und Preis darin gefunden hätte, das Blut geschlachteter Gefangener -vom Herthastein gen Himmel dampfen zu lassen, wäre dazumal schon -von unüberwindlichem Grauen vor solchem Thun geschüttelt worden, -wenn ihn — begabt mit genau den nämlichen individuellen Anlagen -— der Zufall im kaiserlichen Byzanz, statt unter germanischen Barbaren -hätte geboren werden lassen; hier dagegen hätte er skrupellos Lug und -Verrat geübt, während er — im übrigen vom Wirbel bis zur Zehe -derselbe Mann — umgeben von den trotzigen Germanenhelden, solch -weichlicher Laster ganz und gar unfähig geblieben wäre. Da dem aber -so ist, da die Tugenden und Laster, die Gedanken und Gefühle jener -unserer Zeitgenossen, in deren Mitte wir geboren und erzogen worden, -<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a> -die Grundstimmung unseres eigenen Wesens bilden, so ist es schlechterdings -unmöglich, daß der Angehörige einer von wahnsinnigster Angst -vor dem Hunger bis ins innerste Mark gerüttelten Gesellschaft, jemals -in ungetrübter Sorglosigkeit seines Lebens sich freue. Wo die ungeheure -Mehrzahl der Zeitgenossen niemals weiß, was der morgige Tag -bringen mag, ob eine fernere Fristung des jammervollen Daseins oder -den völligen wirtschaftlichen Untergang, unter dem Obwalten einer socialen -Ordnung, die den eigenen Erfolg im Daseinskampfe davon abhängig -macht, daß es uns gelinge, dem gierig nach unserem Brote lechzenden, -gleich uns von fiebernder Angst gerüttelten Konkurrenten sein -Brot aus den Zähnen zu reißen; in einer Gesellschaft, wo jedermann -jedermanns Feind ist, von wirklich heiterem Lebensgenusse zu sprechen, -ist der Gipfel des Unsinns. Kein individueller Reichtum gewährt Schutz -gegen den zermalmenden Jammer der Gesamtheit aller Mitlebenden. -Dem hundertfachen Millionär, der nicht den hundertsten Teil der Zinsen -seiner Zinsen in Wirklichkeit verzehren kann, ihm greift das schreckliche -Hungergespenst mit ebenso scharfen Krallen ins Gemüt, wie dem elendesten -der Elenden, der obdachlos, frierend und hungernd durch die Straßen -Eurer Großstädte irrt. Der Unterschied zwischen beiden liegt nicht im -Hirn und im Herzen, sondern lediglich in den Magennerven; der zweite -empfindet auch physisch, was der erste bloß seelisch und geistig -empfindet. Die seelischen und geistigen Leiden aber sind die dauernden -und deshalb wirksameren. Betrachtet ihn doch, Eueren vom wahnwitzigen -Hungerfieber besessenen Krösus, wie er atemlos nach immer -neuem und neuem Erwerbe hastet, wie er sich und der Seinen Glück -und Ehre, Genuß und Frieden dem Götzen schlachtet, von welchem er -sich Hilfe in der allgemeinen Not erwartet, dem Götzen des Mammons. -Denn nicht besitzt er seinen Reichtum, er ist von ihm besessen. Besitz -auf Besitz will er häufen, vermeinend, daß er hoch oben auf dem -schwindelnden Gipfel zahlloser Millionen Sicherheit erlangen könnte -gegen das Meer von Elend, das ihn grauenerregend rings umbrandet; -ja, so verblendet ist der Thor, daß er nicht einmal bemerkt, wie nur -dieser Ozean des allgemeinen Elends es ist, was ihm Grauen einjagt, -vielmehr des traurigen Wahnes lebt, seine Angst werde sich mindern, -wenn nur der Abgrund da unten noch tiefer und schauerlicher sich abhebt -von seinem schwindelnden Sitze da oben. Und man glaube nicht -etwa, daß unter dieser abergläubischen Angst vor dem Hunger bloß die -Thorheit Einzelner gemeint sei. Das ganze Zeitalter ist davon besessen, -und gerade die besten Naturen am meisten. Denn je empfänglicher -Kopf und Herz sind, zu desto schrankenloserer Vorherrschaft gelangt das -Gemeingefühl der allgemeinen Not dem vorübergehenden individuellen -Behagen gegenüber; bloß vollkommen kaltherzige Egoisten oder vollendete -Idioten machen hie und da eine Ausnahme; bloß sie können sich, unbeirrt -<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a> -durch das Hungergespenst, welches die Millionen ihrer Brüder -würgt, mit wirklichem Behagen ihres Reichtums freuen. -</p> - -<p> -„Das ist’s, o mein Karlo, was Euch allen den hippokratischen -Leidenszug ins Antlitz prägt; Ihr könnt Euch unbefangenem Lebensgenusse -nimmermehr hingeben, so lange Ihr inmitten einer Atmosphäre -des Elends, des Jammers und der Angst atmet. Und das ist’s auch, -dieses Gemeingefühl, welches jeden Menschen mit seiner Umgebung verbindet, -was Euch hier, kaum angelangt inmitten einer Gesellschaft, der -dieses Elend, dieser Jammer, diese Angst gänzlich unbekannt sind, zu -jener Heiterkeit des Denkens und Empfindens erwachen läßt, die jedem -gesunden Naturwesen ureigentümlich ist. Und vollends wir, die wir -seit einem Menschenalter uns inmitten dieser, des Elends sowohl als -der Furcht vor dem Elend entledigten Gesellschaft bewegen, wir haben -die düstere Auffassung des Menschenschicksals, von welcher auch wir befangen -waren, solange die alte Welt mit ihrem selbstauferlegten Martyrium -uns umfing, beinahe vollständig überwunden. Ich gebrauche -das einschränkende „beinahe“ für diejenigen unter uns, die erst im -Mannesalter Freiländer geworden sind. Wir jüngeren, die wir hier -im Lande geboren und aufgewachsen sind, ohne das Elend jemals gesehen -zu haben, unterscheiden uns in diesem Punkte nicht unerheblich -von den älteren, die in ihrer Jugend das Medusenhaupt der Knechtschaft -von Angesicht zu Angesicht geschaut. Fünfundzwanzig Jahre sind -es her, daß mein Vater und meine Mutter, die beide unter den ersten -hier am Kenia anlangten, der Stickluft des Massenelends, der Entwürdigung -des Menschen durch den Menschen entrückt sind; aber die Erinnerung -des Entsetzlichen, das sie vorher miterlebt, dessen Teilnehmer -sie gewesen, ohne es hindern zu können, sie wird bis zu ihrem Ende -nicht gänzlich aus ihrem Gemüte schwinden und nimmermehr kann jene -göttergleiche Ruhe und Heiterkeit völlig von ihrem Herzen Besitz ergreifen, -die das selbstverständliche Erbteil ihrer Kinder ist, an deren -Händen niemals Schweiß und Mark geknechteter Menschen haftete, die -um zu genießen, niemals die Früchte fremder Arbeit sich aneigneten, -niemals vor der grausamen Alternative standen, Hammer oder Ambos -im Daseinskampfe zu sein.“ -</p> - -<p> -Damit schloß David für diesmal seine Belehrungen und ich will -es ihm nachthun. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-5"> -<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a> -17. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, 2. August. -</p> - -<p class="first"> -Längst schon hatte mich die Frage der hiesigen Jugenderziehung -in hohem Maße interessiert; der vorgestrige Tag nun war dem Studium -dieses Gegenstandes gewidmet. Zunächst besuchte ich in Davids Gesellschaft -einen der zahlreichen Kindergärten, die in Edenthal ziemlich -gleichmäßig über die Stadt verteilt sind. In einer teils aus sonnigen -Grasmatten, teils aus schattigen Baumpflanzungen gebildeten Anlage -tummelten sich hier unter der Leitung zweier Mädchen im Alter von -18-20 Jahren und einer jungen Witwe etwa 50 Bübchen und -Mädchen im Alter zwischen 4 und 6 Jahren. Es wurde gesungen, -getanzt, allerlei Possen getrieben, dazwischen Bilderbücher besehen und -erklärt, Märchen abwechselnd mit belehrenden Geschichten erzählt, -Spiele gespielt, die gleicherweise teils bloßer Unterhaltung, teils der -Belehrung dienten. Unter dem kleinen Volke, das sich königlich -amüsierte, war ein ziemlich starkes Kommen und Gehen; die eine -Mutter brachte ihre Sprößlinge herbei, eine andere holte die ihrigen -ab. Im allgemeinen ziehen es nämlich die freiländischen Mütter vor, -ihre Kinder um sich zu haben; nur wenn sie das Haus verlassen, um -einen Besuch zu machen oder etwas zu besorgen, werden die Kleinen -dem nächsten Kindergarten übergeben und bei der Heimkehr wieder -abgeholt — es sei denn, daß das junge Volk selber darum bettelt, -dortgelassen resp. dahin gebracht zu werden, und die Mutter den Bitten -zu willfahren geneigt ist. Doch das sind wie gesagt Ausnahmefälle; -in der Regel tummeln sich die Kinder daheim unter den Augen der -Eltern, und die Leitung der ersten Erziehung ist insbesondere Sache -der Mutter. Belehrung darüber, wie diese am besten anzustellen sei, -braucht eine freiländische Frau selten; im Bedarfsfalle ist übrigens der -<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a> -benachbarte Kindergarten, später das Pädagogium zur Hand, wo guter -Rat jederzeit geholt werden kann. Als Thatsache wurde mir mitgeteilt, -daß jedes in Freiland aufgewachsene sechsjährige Kind des Lesens, -Kopfrechnens und einer ganz artigen Summe nützlichen Wissens kundig -sei, ohne bis dahin ein anderes als ein Bilderbuch gesehen zu haben. -</p> - -<p> -Nach dem Kindergarten kam die Elementarschule an die Reihe. -Auch diese Schulen sind möglichst gleichförmig über Edenthal zerstreut -und liegen gleicherweise in größeren Gärten. Sie sind vierklassig, und -der Unterricht wird Mädchen und Knaben gemeinsam erteilt. Das -Lehramt liegt durchweg in Händen junger Mädchen und Frauen; nur -Turnen und Schwimmen der Knaben leiten männliche Lehrer. Die -beiden letzteren Übungen beanspruchen bei Knaben und Mädchen -täglich je eine Stunde; mindestens dreimal wöchentlich werden unter -Leitung je einer Lehrerin von jeder Klasse mehrstündige Ausflüge in -die benachbarten Wälder und Berge unternommen, bei denen allerlei -Anschauungsunterricht getrieben wird. Ich beobachtete die Zöglinge -beim Buche und am Turnplatz, in der Schwimmschule und auf den -Bergen und hatte dabei Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß die -Kinder mindestens so viel und so systematisches Wissen besaßen, als -europäische Altersgenossen, dabei sich aber auf Reck und Barren, Kletterstange -und Hängeseil bewegten wie die Eichhörnchen, im Wasser -schwammen wie die Fische, und nach dreistündigem Marsche über Berg -und Thal so munter umhersprangen wie die Rehe. -</p> - -<p> -Hierauf besuchten wir die Mittelschulen, in denen Knaben und -Mädchen gesondert vom 10. bis 16. Jahre unterrichtet wurden, erstere -durch männliche, letztere teilweise durch weibliche Lehrkräfte. Hier war -den Leibesübungen mannigfaltigster Art noch weit größere Beachtung -geschenkt, und um den hierfür erforderlichen Raum zu gewinnen, -befanden sich diese Schulen im Umkreise der Stadt, in der Nachbarschaft -der diese umgebenden Wälder. Ich hatte Gelegenheit, die -Ausdauer, Kraft und Grazie der Knaben und Mädchen im Turnen, -Laufen, Springen, Tanzen und Reiten zu bewundern, die ersteren -überdies bei ihren Ring-, Fecht- und Schießübungen zu sehen. Einige -Gänge auf Stoßdegen und Säbel mit verschiedenen der jungen Leute -belehrten mich zu meinem Erstaunen, daß dieselben mir nicht bloß -ebenbürtig, sondern in manchen Punkten überlegen seien, obwohl Dir -bekannt ist, daß ich zu den besseren Fechtern unseres in dieser Kunst -so vielgepriesenen Italien gehöre. Die beim Ringen und Turnen -hervortretende Muskulatur der halbwüchsigen Recken erregte in nicht -minderem Grade meine Bewunderung, als die spielende Leichtigkeit, -mit welcher dieselben ein Pferd im vollen Galopp einholten und sich -auf dessen Rücken schwangen. Besonders überrascht aber war ich von -der Sicherheit, mit welcher die Knaben ihre Schußwaffen handhabten. -<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a> -Auf 500 Meter Distanz wurde die kaum tellergroße Scheibe selten -verfehlt, und nicht wenige der jungen Schützen sandten Kugel auf Kugel -ins Schwarze. Alles in allem machten insbesondere die obersten -Klassen dieser Mittelschulen dem Äußeren der Zöglinge nach zu urteilen -den Eindruck einer Schar erlesener junger Athleten; dabei erwiesen -sich jedoch diese Athleten auch in allen Wissenszweigen wohlbewandert, -die an den besten europäischen Mittelschulen getrieben werden. -</p> - -<p> -Bis dahin ist, wie ich erfuhr, der Unterricht für alle Kinder -Freilands der gleiche, mit dem alleinigen Unterschiede, daß bei den -Mädchen etwas geringerer Nachdruck auf die Leibesübungen, dafür -desto größerer auf musikalische Ausbildung gelegt wird. Von da ab -jedoch trennen sich die Berufe. Die jungen Mädchen bleiben entweder -im elterlichen Hause, um sich dort in jenen Künsten und Wissenszweigen, -zu denen sie bis dahin den Grundstein gelegt, weiter auszubilden, oder -sie ziehen als Ziehtöchter zu gleichem Zwecke in das Haus irgend -einer als hochgebildet und geistreich bekannten Frau. Ein anderer Teil -bezieht die pädagogischen Lehranstalten, um sich für das Lehramt auszubilden, -hört einen Kursus über Krankenpflege oder über Ästhetik, -Kunstgeschichte u. dergl. -</p> - -<p> -Die Knaben dagegen zerstreuen sich insgesamt in die verschiedenen -höheren Lehranstalten. Die Mehrzahl besucht die gewerblichen und -geschäftlichen Fachschulen, in denen ein oder zwei Jahre hindurch -wissenschaftliche und praktische Anleitung zu den verschiedenartigsten -Geschäfts- und Produktionsarten erteilt wird. Durch eine dieser Fachschulen -geht jeder freiländische Arbeiter, er mag späterhin als Landbauer, -als Spinner, als Bergmann oder in welcher Eigenschaft -immer seinen Verdienst suchen. Dabei wird ein doppelter Zweck verfolgt: -erstens der, jeden Arbeiter ohne Unterschied in den Zusammenhang des -ganzen Getriebes seiner Produktion einzuweihen und zweitens, ihn in -den Stand zu setzen, seinen Erwerb nach Wahl auch in mehreren -Produktionszweigen zu suchen. Der simple Spinner, der nichts anderes -zu thun hat, als den Gang seiner Spindeln zu überwachen, weiß hier -zu Lande auch über die Einrichtung und den Betrieb der ganzen -Spinnerei, über Bezugsquellen und Absatzgebiete einigen Bescheid, was -zur Folge hat, daß solch ein Arbeiter, wenn es gilt die Leiter -seiner Association zu wählen, seine Stimme mit einer Sachkenntnis -abgiebt, die Mißgriffe bei der Auslese der geeignetsten Persönlichkeiten -nahezu unmöglich macht. Zum zweiten aber ist dieser einfache Spinner -in Freiland kein Automat, dessen Wissen und Können mit den Handgriffen -und Kenntnissen seines engeren Faches erschöpft wäre; er ist -jedenfalls noch in einem oder einigen anderen Erwerbszweigen zu Hause -und das hat wieder zur Folge, daß unser Mann jede in diesem anderen -Erwerbszweige sich zeigende günstige Konjunktur sofort ausnutzen, die -<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a> -Spinnmaschine mit dem Pfluge, mit dem Hammer oder mit der -Drehbank, wohl auch mit dem Schreibpulte oder der Rechentafel zu -vertauschen in der Lage ist, wodurch eben jenes wundervolle Gleichgewicht -der verschiedenartigsten Einkommenszweige ermöglicht wird, -welches die Grundlage der socialen Ordnung des Landes ist. -</p> - -<p> -Junge Leute, die Beruf zu höherer geistiger Thätigkeit in sich verspüren, -wenden sich den eigentlichen Hochschulen zu, in denen Freilands -Professoren, höhere Verwaltungsbeamte, Ärzte, Techniker u. s. w. ausgebildet -werden, oder den mit großartigen Mitteln ausgestatteten verschiedenartigen -Kunstakademien, aus denen die Architekten, Bildhauer, -Maler, Musiker des Landes hervorgehen. Doch auch in allen diesen -Unterrichtsanstalten wird fortlaufend neben der geistigen auf die körperliche -Fortbildung der größte Nachdruck gelegt. Die gewerblichen und -kaufmännischen Fachschulen haben ihre Turn-, Ring- und Reitbahnen, -ihre Schieß- und Fechtplätze so gut wie die Hochschulen und Akademien, -und da die Jünglinge, welche hier ihre Fortbildung suchen, nicht so unmittelbar -unter dem Einflusse ihrer Lehrer stehen, wie die Knaben der -Mittelschulen, so ist durch das Institut der öffentlichen Gau- und Landesübungen -dafür gesorgt, ihren Eifer für körperliche Ausbildung nicht erlahmen -zu lassen. Alle Jünglinge zwischen dem vollendeten 16. und -22. Jahre sind nämlich je nach ihrem Wohnsitze in Tausendschaften geteilt, -die unter selbstgewählten Führern allmonatlich Übungen halten, -bei denen sie ihre körperlichen Kräfte und Fähigkeiten erproben. Einmal -im Jahre findet in jedem der 48 Distrikte, in welche zu Verwaltungs-Zwecken -ganz Freiland geteilt ist, vor einem Preisrichterkollegium, -welches aus den Siegern früherer Jahre gebildet wird, eine große Preisübung -statt, bei welcher erstlich von jeder Tausendschaft gestellte Champions -— es sind das natürlich die tüchtigsten Recken, über die jede -Tausendschaft verfügt — als Einzel-Fechter, -Schützen, -Reiter, -Ringer -und -Läufer sich messen; sodann kämpfen die Tausendschaften als solche, -d. h. in Gesamtübungen um verschiedene Preise. Die Sieger bei diesen -Gauübungen bewerben sich dann bei dem wenige Wochen später in -einem zu solchen Zwecken besonders eingerichteten Thale des Aberdaregebirges -stattfindenden Landesfeste um die Ehre der Meisterschaft für -ganz Freiland und man versicherte mir, daß kein griechischer Jüngling -aus der Blütezeit von Hellas in heißerem Bemühen um den Ölzweig -bei den Isthmischen Spielen warb, als die freiländischen Jünglinge um -die Ehrenpreise bei diesen Aberdarespielen, obwohl auch hier die Preise -in nichts anderem, als in schlichten Blätterkronen, daneben aber allerdings -in dem vom Indischen Ocean bis zu den Mondbergen und vom -Tanganika bis zum Baringosee wiederhallenden Ruhmesfanfaren und in -dem begeisterten Jubel jenes Gaues und jener Stadt bestehen, die so -glücklich sind, die Sieger die Ihren zu nennen. Hunderttausende strömen -<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a> -aus allen Landesteilen zu diesen Preisübungen zusammen und die Mutterstadt -der Sieger, insbesondere die der siegenden Tausendschaft, empfängt -ausnahmslos die heimkehrenden Jünglinge mit einer Reihe der erlesensten -Feste. -</p> - -<p> -Ich konnte mich, als mir dies berichtet wurde, der Bemerkung -nicht enthalten, daß mir solcher Enthusiasmus aus Anlaß eines bloßen -Spieles denn doch übertrieben erscheine; insbesondere äußerte ich darüber -mein Erstaunen, daß Freiland, die Heimat der socialen Gerechtigkeit, -sich für Leistungen zu begeistern vermöge, die im kriegerischen Hellas -von besonderem Werte erscheinen mochten, hier aber, wo alles unverbrüchlichen -Frieden atmet, keine andere Bedeutung haben könnten, als -die einer harmlosen Leibesübung. -</p> - -<p> -„Sehr richtig“ — bemerkte David — „nur daß die Tüchtigkeit -in diesen harmlosen Leibesübungen es eben ist, was uns Freiländern -die Unverbrüchlichkeit des Friedens verbürgt, dessen wir uns zu erfreuen -haben. Wir besitzen keinerlei militärische Einrichtungen und wären, -wenn wir uns nicht auf unsere Überlegenheiten in allem, was körperliche -Kraft und Gewandtheit betrifft, verlassen könnten, die leichte Beute -jedes Militärstaates, dem es nach unseren Reichtümern gelüstete.“ -</p> - -<p> -„Du glaubst doch nicht etwa“ — rief ich nicht ohne ein sarkastisches -Lächeln — „mit euern fechtenden und schießenden Knaben und -mit den Siegern eurer Isthmischen Spiele einer großen Militärmacht -gewachsen zu sein, die es wirklich auf Euch abgesehen haben sollte? -Meines Erachtens liegt Euer Schutz in der gegenseitigen Eifersucht der -europäischen Staaten, die eine solche Beute keinem einzelnen gönnt, und -mehr noch in der weiten Entfernung, dem Meere und den Bergen, die -Euch so gefährliche Besuche vom Leibe halten. Für alle Fälle aber -glaube ich, daß einige militärische Vorsorge, etwa die Aufstellung -einer tüchtigen Miliz und insbesondere eine starke Flotte, deren Kosten -doch bei Eurem Reichtume gar nicht in Betracht kämen, sehr heilsam -wäre.“ -</p> - -<p> -„Wir sind anderer Ansicht“ — erklärte David. „Nicht unsere -Kampfspiele, wohl aber die überlegene körperliche Tüchtigkeit, die in -ihnen zu Tage tritt, sichern uns unseres Dafürhaltens vollkommen gegen -jeden, selbst den mächtigsten Feind, der gegen unsere harmonisch ausgebildeten, -im Gebrauche jeglicher Waffe bis zur höchsten Vollendung -geübten Jünglinge und Männer doch nichts anderes ins Feld stellen -könnte, als verkommene, ihre Waffen kaum notdürftig handhabende -Proletarier. Wir glauben, daß es im Kriege weniger auf die Anzahl -der Schüsse, als auf die Anzahl der Treffer, weniger auf die Masse, -als auf die Leistungsfähigkeit der Kämpfenden ankommt. Wenn Du -gleich mir Zeuge gewesen wärest, in welcher Weise bei dem vorjährigen -Landesfeste die siegende Tausendschaft ihren Preis herausschoß, so würdest -<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a> -Du vielleicht zugeben, daß eine Truppe, die aus solchen, oder doch annähernd -solchen Schützen gebildet wäre, keine europäische Armee zu -fürchten brauchte.“ -</p> - -<p> -„Wie wollt Ihr Euch aber gegen die Kanonen europäischer Armeen -verteidigen?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Ei, eben auch durch Kanonen“, entgegnete David. „Da wir nun -einmal mit diesen Einrichtungen den Doppelzweck verfolgen, den Eifer -für körperliche Ausbildung zu fördern und zugleich Sicherheit gegen -feindliche Angriffe zu erlangen, so nehmen unter unseren Schießübungen -auch solche mit Kanonen des verschiedensten Kalibers einen ausgedehnten -Platz ein. Und zwar geschieht auch das schon von der -Schule aus. Von der vierten Mittelklasse an werden jene Knaben, -die sich auf den anderen Gebieten hervorgethan haben, zu Geschützübungen -herangezogen — was sich, nebenbei bemerkt, als ganz besonderer -Ansporn des Fleißes bewährt hat. Daß Du diese Geschütze -nicht zu Gesicht bekamst, hat seinen Grund darin, daß der Schießplatz -für dieselben ziemlich weit außerhalb des Bannkreises der Stadt liegt, -was um so notwendiger ist, als sich unter diesen Übungskanonen Ungetüme -bis zu 200 Tonnen Gewicht befinden, deren Donner nur schlecht -zur idyllischen Ruhe unseres Edenthals passen würde. Die Jünglinge -aber werden mit diesem artigen Spielzeug so vertraut und zahlreiche -bringen es nach eingehenderen ballistischen Studien zu so großer Vollendung -in Handhabung desselben, daß sie sich meines Erachtens auch auf diesem -Gebiete europäischen Gegnern ebenso überlegen erweisen würden, wie -auf demjenigen des Schützenwesens. Genau dasselbe gilt von unseren -Reitern. Kurzum, wir haben keine Armee, aber unsere Jünglinge und -Männer handhaben alle Waffen, deren eine Armee bedarf, unendlich -vollkommener, als die Soldaten welcher Armee immer, und da überdies -zu Zwecken der großen Preisspiele auch eine Organisation geschaffen ist, -kraft deren aus der Mitte 2½ Millionen waffengeübter Jünglinge und -Männer, welche Freiland zur Stunde besitzt, die gewandtesten und tüchtigsten -2-300000 jederzeit verfügbar sind, so meinen wir, daß es uns ein -Leichtes wäre, die größte Invasionsarmee abzuwehren — eine Gefahr, -die wir jedoch im Ernste keineswegs besorgen, denn wir bezweifeln, daß -irgend ein europäisches Volk dazu zu haben wäre, uns anzugreifen. -Gegen uns gesammelte Gewehre und Kanonen dürften sich, auch ohne -daß wir etwas dazu thun, sehr rasch wider diejenigen kehren, die Feindseliges -gegen uns sinnen.“ -</p> - -<p> -Dem stimmte ich zu. Wir besprachen hierauf noch einige andere -Gegenstände der Jugenderziehung, bei welcher Gelegenheit die Rede auf -das freiländische Erbrecht kam. -</p> - -<p> -„Dürfte ich Dich fragen, wie Ihr es mit dem Erbrecht im allgemeinen -und mit dem Erbrecht an liegendem Besitz im besonderen haltet. -<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a> -Denn hier, im Eigentum an Häusern, scheint mir eine Klippe zu liegen, -an welcher Eure allgemeinen Prinzipien über Grundbesitz Schiffbruch -leiden können. Eine der Grundlagen Eurer Organisation ist doch, daß -Grund und Boden niemand eigentümlich gehören dürfe; Häuser aber -stehen — wenn ich recht unterrichtet bin — im Privateigentum. Wie -vereinbart sich das?“ -</p> - -<p> -„Jedermann“, so antwortete David, „verfügt für den Todesfall -wie im Leben vollkommen frei über sein gesamtes Eigentum. Die -Testierfreiheit ist eine unbedingte, nur ist dabei zu beachten, daß unter -den Ehegatten vollständige Gütergemeinschaft besteht, woraus hervorgeht, -daß nur der überlebende Teil über das gemeinsame Vermögen -letztwillig verfügen kann. Das Eigentum am Hause jedoch kann nicht -geteilt werden und ebensowenig ist es gestattet, auf einem Haus- resp. -Gartengrunde mehr als <em>ein</em> Wohnhaus zu errichten. Schließlich darf -das Wohnhaus nur vom Eigentümer bewohnt, nicht aber vermietet -werden. Geschieht von diesen drei Dingen eines, wird überhaupt der -Hausgrund zu irgend einem anderen Zwecke, als zu Errichtung der -Wohnstätte des Eigentümers verwendet, so trifft den Zuwiderhandelnden -zwar keinerlei besondere Strafe und es wird auch keinerlei besonderer -Zwang gegen ihn geübt, die unmittelbare Folge aber ist der Verlust -des ausschließlichen Nutzungsanspruchs am Hausgrunde. Die Baufläche -wird damit zu Boden gewöhnlicher Art, an welchem es kein Sonderrecht -giebt, an welches jedermann das gleiche ungeteilte Anrecht hat. -Denn nach unseren Anschauungen giebt es überhaupt kein Eigentum am -Boden, also auch nicht am Baugrund des Hauses, und das Recht, -solchen Boden abzusondern und für sich allein zu benutzen, ist lediglich -ein zu bestimmten Zwecken eingeräumtes Nutznießungsrecht. Gleichwie -z. B. der Eisenbahnreisende ein Anrecht auf den Platz hat, den er -zuerst occupierte, jedoch nur zu dem Zwecke, um darauf zu sitzen, nicht -aber, um dort seine Gepäckstücke abzuladen oder um ihn gegen Entgelt -an Andere zu überlassen; so habe ich das Recht, den Platz auf Erden, -auf welchem ich mein Heim gründen will, durch bloße Occupation für -mich zu reservieren, und Niemand darf sich auf meinem Baugrunde -neben mir ansiedeln, so wenig, als es ihm gestattet ist, auf der Eisenbahn -neben mir auf meinem Sitze Platz zu nehmen, auch wenn -im Notfalle Raum für zwei vorhanden wäre. Aber es liegt auch nicht -in meinem Belieben, auf meinem Polster guten Freunden ein Plätzchen -neben mir einzuräumen, denn die Mitreisenden brauchen sich die dadurch -für sie erwachsenden Unbequemlichkeiten nicht gefallen zu lassen; sie -können dagegen protestieren, daß die Beine und Ellbogen meines Sitzpartners -ihnen zu nahe kommen und daß der nur für eine bestimmte -Personenzahl berechnete Luftraum des Wagens durch meine Eigenmacht -zahlreicheren Lungen zugeteilt werde. Ebenso brauchen es sich meine -<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a> -Hausnachbarn nicht gefallen zu lassen, daß ihnen meine Mauern und -Dachfirste zu nahe an den Leib rücken und daß ich eigenmächtig den -Luftraum einer Stadt dichter fülle, als dem allgemeinen Übereinkommen -entspricht. -</p> - -<p> -„Nun habe ich aber in Ausübung meines mir auf eine bestimmte -Bodenparzelle eingeräumten Nutzungsrechtes diese Parzelle untrennbar -mit einem Dinge verbunden, auf welches mir nicht bloß Nutzungs-, -sondern Eigentumsrecht zusteht, dem Hause nämlich. Daraus ziehen wir -die Konsequenz, daß mein Nutzungsrecht auf denjenigen übergeht, dem -ich — sei es entgeltlich oder unentgeltlich — das Eigentumsrecht an -meinem Hause überlasse. Ich kann daher mein Haus verkaufen, vererben, -verschenken, ohne daß ich daran durch den Umstand gehindert -würde, daß mir am Baugrunde des Hauses kein Eigentum zusteht.“ -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-6"> -<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a> -18. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, 6. August. -</p> - -<p class="first"> -Gestern besichtigten wir in Begleitung der beiden englischen Geschäftsträger -die freiländische Centralbank, deren allumfassendes und -gerade wegen dieser seiner Allgemeinheit verhältnismäßig so überaus -einfaches Clearingsystem die höchste Bewunderung der sachverständigen -beiden Herren erntete. Die Erkenntnis, mit wie verschwindend geringen -Barbeträgen sich hier die Ausgleichung des gesamten riesigen Umsatzes -vollzog, regte Lord Elgin zu der Frage an, wozu Freiland überhaupt -das Gold als Wertmesser beibehalte; er sprach die Meinung aus, es -wäre, da man ohnehin die wichtigsten Leistungen nach dem Werte der -Arbeitszeit berechne, das Einfachste, diese Rechnungsmethode zu verallgemeinern, -d. h. die Arbeitsstunde als Wertmesser, als Geldeinheit -zu gebrauchen. Dies würde — so glaube er — auch der gesamten -socialen Ordnung Freilands weit besser entsprechen, in welcher doch die -Arbeit Quelle und Grundlage allen Wertes sei. -</p> - -<p> -„Das ist“, entgegnete der Direktor des Instituts, Herr Clark, „eine -von Fremden wiederholt schon geteilte Anschauung, sie beruht aber -lediglich auf einer Verwechslung des <em>Wertmaßes</em> mit der <em>Quelle</em> -des <em>Einkommens</em>. Wir in Freiland haben der Arbeit das Recht auf -den ganzen mit ihrer Hülfe hervorgebrachten Ertrag gesichert; wir begründen -dies aber nicht durch die unwahre Behauptung, daß Arbeit -die einzige Quelle des Wertes dieser Erträge sei, sondern dadurch, daß -wir behaupten, der Arbeitende habe auch auf jene anderweitigen Faktoren, -nämlich Kapital und Naturstoffe oder -Kräfte, die zur Wertbildung -erforderlich sind, den gleichen Anspruch wie auf seine Arbeitskraft selber. -Doch das nur nebenbei. Selbst wenn Arbeit die einzige Wert<em>quelle</em> -und der einzige Wert<em>bestandteil</em> wäre, ist sie doch der denkbar -<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a> -schlechteste Wert<em>maßstab</em>, denn sie ist unter allen Dingen, die überhaupt -Wert besitzen, jenes, dessen Wert den größten Veränderungen -ausgesetzt ist. Mit jedem Fortschritte menschlicher Kunstfertigkeit und -Betriebsamkeit wächst ihr Wert, d. h. ein Arbeitstag oder eine Arbeitsstunde -setzt sich fortlaufend in eine größere Menge aller erdenklichen -anderen Werte um. Daß der Wert des Arbeitsproduktes verschieden -ist, je nachdem die Arbeitskraft gut oder schlecht ausgerüstet, gut oder -schlecht angewendet wird, kann gar keinem Zweifel unterliegen und -wurde auch niemals ernstlich in Zweifel gezogen. Nun ist bei uns in -Freiland allerdings <em>alle</em> Arbeitskraft möglichst gut ausgerüstet und -verwendet, weil eben die vollkommene und schrankenlose Freiheit, sich -der jeweilig besten, d. h. die höchsten Werte erzeugenden Arbeitsgelegenheit -zuzuwenden, diese wenn auch nicht absolute, so doch relative Gleichartigkeit -zuwege bringt; aber damit sie zuwege gebracht werde, ist eben -ein fester und verläßlicher Maßstab erst recht vonnöten, an welchem -der Wert der durch Arbeit erzeugten Dinge gemessen werden kann. -Daß die auf Schuhwaren und auf Gespinste, auf Getreide und auf -Eisenwaren gewendete Arbeit bei uns gleichwertig ist, zeigt sich ja -erst dadurch, daß die in der gleichen Zeit erzeugten Schuhe, Gespinste, -Körnerfrüchte und Eisenwaren gleichen Wert besitzen, welch letzteren -Umstand aber nimmermehr die Vergleichung mit der aufgewendeten -Arbeitszeit, sondern bloß die mit einer an sich wertbeständigen Sache -anzeigen kann. Würden wir die in gleicher Zeit erzeugten Dinge schon -deshalb allein für gleichwertig halten, weil sie eben in gleicher Zeit -erzeugt sind, so würden wir sehr bald dahin gelangen, Schuhe zu -erzeugen, die Niemand braucht, dafür aber Mangel an Gespinst zu -leiden, und wir könnten unbekümmert um die Überfülle von -Eisenwaren deren Erzeugung steigern, während vielleicht alle verfügbaren -Hände erforderlich wären, um empfindlichem Getreidemangel -abzuhelfen. Mit dem Arbeitstage als Wertmaß vermöchte — wenn er -aus anderen Gründen nicht unmöglich wäre — nur der Kommunismus -zu wirtschaften, der die Herstellung des richtigen Wechselverhältnisses -zwischen Angebot und Nachfrage nicht dem freien Verkehre überläßt, -sondern von Obrigkeitswegen bewerkstelligt, dies aber selbstverständlich -nur in der Weise zu Wege bringt, daß er Niemand fragt, was er -genießen und was er arbeiten will, vielmehr Genuß und Arbeit Jedermann -von Obrigkeitswegen vorschreibt. -</p> - -<p> -„Wir in Freiland dagegen, die wir das Gegenteil des Kommunismus, -nämlich absolute individuelle Freiheit, verwirklicht haben, wir -brauchen notwendiger als irgendwer ein möglichst genaues, verläßliches -Wertmaß, das ist ein solches, dessen Tauschkraft allen anderen -Dingen gegenüber möglichst geringen Abweichungen und Schwankungen -ausgesetzt ist. Dieses möglichst beste, möglichst wertkonstante Maß nun -<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a> -hat die Kulturwelt mit Recht seit jeher im Golde erblickt. Diese Thatsache -ist nicht etwa das Ergebnis irgend einer geheimnisvollen Eigenschaft -dieses Metalles, sondern das seiner hochgradigen Dauerbarkeit, in deren -Folge im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende Goldmengen aufgestapelt -und der Nachfrage zur Verfügung gehalten wurden, im Vergleiche -zu welchen die gewaltigsten Veränderungen der jeweiligen Produktion -gar nicht in die Wagschale fallen. Während eine gute oder -schlechte Weizenernte von ausschlaggebender Bedeutung für den jeweiligen -Weizenwert ist, weil die alten Weizenvorräte im Verhältnis zum Ergebnisse -der neuen Ernte nur von nebensächlicher Bedeutung sind, bleibt -der Goldwert von noch so großen Schwankungen selbst mehrerer Produktionsjahre -verhältnismäßig unberührt, weil die alten Goldvorräte für -alle Fälle ganz außerordentlich größer sind, als das Ergebnis selbst der -reichsten Ausbeute eines einzelnen Jahres. Alle Goldminen der Welt -könnten mit einem Schlage vollständig versiegen, ohne daß dies auf -die Menge des verfügbaren Goldes sofort von sonderlichem Einflusse -wäre, während eine einzige allgemeine Getreidemißernte fürchterlichsten -Getreidemangel zur sofortigen und unvermeidlichen Folge hätte. Dies -also ist der Grund, warum Gold der bestmögliche, wenn auch keineswegs -ein absolut guter Wertmaßstab ist. Die Arbeitszeit aber wäre unter -allen denkbaren der schlechteste Wertmaßstab, denn weder sind zwei -gleiche Arbeitszeiten notwendig wertgleich, noch behält die Arbeitszeit -im allgemeinen unveränderten Wert, vielmehr wächst ihre Tauschkraft -allen anderen Dingen gegenüber mit jedem zur Geltung gelangenden -Fortschritte der Arbeitsmethoden.“ -</p> - -<p> -Wir waren alle überzeugt; nur konnte Lord Elgin die Bemerkung -nicht unterdrücken, daß die Freiländer denn doch eine Reihe von -Leistungen nach Arbeitsäquivalenten berechneten. Sofort erhielt er -aber von meinem Vater die treffende Antwort, daß dies nach allem -bisher Gehörten nur dort geschehe, wo eine mit der Steigerung des -Wertes der Arbeit parallel laufende Erhöhung einer Zahlung geradezu -beabsichtigt sei. Gehalte und Versorgungsansprüche <em>sollen</em> steigen, -wenn der Ertrag von Arbeit und damit der allgemeine Verbrauch steige, -und zwar genau im selben Maße, wie diese, und nur weil dies beabsichtigt -ist, kann man sie nach Arbeitsäquivalenten bemessen. -</p> - -<p> -Herr Clark machte uns jetzt darauf aufmerksam, welch’ weitgehende, -alles durchdringende Offenheit und Übersichtlichkeit zufolge der durch die -Bank geübten Klarstellung aller Verkehrs- und Erwerbsverhältnisse -in allen pekuniären Angelegenheiten Freilands herrsche. Niemand kann -weder sich noch andere über seine Mittel täuschen und eine der in socialer -Beziehung wichtigsten Folgen davon ist, daß es Niemand beifällt, durch -ungehörigen Aufwand glänzen zu wollen. Die Verschwendung entspringt -nur zu häufig dem Bestreben, sich in den Augen der Welt als reicher -<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a> -darzustellen, als man thatsächlich ist; ein solcher Versuch könnte hier -zu Lande nur Lächeln erwecken. Doch auch wer aus übertriebenem -Hange zu Luxus mehr ausgeben wollte, als er einnimmt, vermöchte -dies nicht, da die Bank zu solchen Zwecken natürlich keine Kredite gewährt, -und ohne diese der Verschwender geradezu auf die Mildthätigkeit -seiner Mitbürger angewiesen wäre, um seinem Hange zu fröhnen. -Die Höhe aller Einnahmen und Ausgaben liegt klar zu Tage, alle Welt -weiß, was jedermann hat und woher er es hat. Und da es zudem -jedermann freisteht, jeden beliebigen Erwerbszweig zu ergreifen, so können -Unterschiede des Einkommens auch Niemandes Neid erwecken. -</p> - -<p> -Nun warf aber Lord Elgin die Frage auf, ob sich aus den -bei Feststellung von Honoraren unterschiedlicher Art, z. B. von Beamtengehalten, -unvermeidlichen Willkür keinerlei Widerspruch zu dem -sonst geltenden Prinzipe der unbeschränkten freien Berufswahl und -dem gerade aus dieser Freiheit hervorgehenden Gleichgewichte der verschiedenen -Arbeitserträge ergebe. „Wenn der Ertrag aus Wollenweberei -aus irgendwelchem Grunde höher ist, als der aus Getreidebau, so -werden neue Arbeitskräfte insolange zur Weberei übergehen, bis der -beiderseitige Ertrag sich ins Gleichgewicht gesetzt hat; sollte sich etwa -ein dauernder Mehrertrag bei einem dieser beiden Produktionszweige -zeigen, so kann dies angesichts Ihrer Institutionen offenbar nur daher -rühren, daß die Arbeit in diesem ertragreicheren die unangenehmere, -anstrengendere, eventuell auch die höhere, seltenere Kenntnisse oder Fähigkeiten -erfordernde ist; Niemand kann sich über die geringste Benachteiligung -beklagen und insofern ist die im Wege der Freiheit hergestellte -Harmonie geradezu bewunderungswürdig. Aber sowie es sich um Ernennungen -und Gehalte handelt, muß doch diese Gleichheit aufhören. -Sie als Chef eines Verwaltungszweiges verdienen 1400, Ihr Nachbar -Handarbeiter bloß 600 Pfund; woher wissen Sie, daß letzterer sich darob -nicht benachteiligt fühlt?“ -</p> - -<p> -„Wenn Sie, Mylord“, — meinte lächelnd Herr Clark — „darunter -verstehen, woher ich wisse, ob sich mein Nachbar nicht dadurch -<em>von der Natur</em> benachteiligt fühlt, daß er außer stande ist, gleich mir -1400 Pfund jährlich zu verdienen, so muß ich Ihnen antworten, daß -ich darüber thatsächlich bloß Vermutungen, aber keine sichere Wissenschaft -besitze; wenn Sie aber meinen, daß dieser mein Nachbar oder sonst -jemand in Freiland in diesem meinem höheren Gehalte einen mir durch -behördliche Willkür oder Gunst der Wähler zugewendeten, möglicherweise -auch überflüssigen Vorteil erblicken könnte, so kann ich dies entschieden -bestreiten. Denn mein Gehalt ist in letzter Auflösung gerade -so das Ergebnis der freien Konkurrenz, wie der Arbeitsertrag meines -fraglichen Nachbars. Ob ich der richtige Mann auf meinem Posten sei, -darüber entscheidet allerdings die freie, durch keinerlei automatisch wirkende -<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a> -Einrichtung zu ersetzende oder zu kontrollierende Meinung jener Körperschaften, -von denen meine Wahl abhängt; mit welchem Gehalte jedoch -mein Amt bedacht werden muß, damit geeignete, oder sagen wir als -geeignet geltende Männer für dasselbe sich finden, das regelt sich genau -nach den nämlichen automatischen Gesetzen, wie der Arbeitsertrag eines -Webers oder Landbauers. Und zwar gilt dies vom Gehalte des jüngsten -Postbeamten angefangen bis hinauf zu uns Chefs der freiländischen -Verwaltungszweige. Die Ernennungen hängen überall vom freien Ermessen -der Vorgesetzten oder der Wahlkollegien ab; aber diese Vorgesetzten -und Wahlkollegien müssen die Gehalte so bestimmen, daß jederzeit -eine genügende Anzahl geeignet befundener Bewerber vorhanden sei. -Natürlich kann es dabei auf ein Pfund mehr oder weniger im Jahre -nicht ankommen; es gilt als Grundsatz, daß die Gehalte stets so bemessen -sein müssen, daß eher ein kleiner Überfluß als ein Mangel an Bewerbern -sich einstelle; aber wenn der Überfluß ein gewisses Maß übersteigt, -so reduziert man eben die Gehalte, während bei drohendem -Mangel an Bewerbern mit Gehalterhöhungen vorgegangen würde. Als -selbstverständlich will ich hier bloß einschalten, daß unter abgewiesenen -Bewerbern in Freiland nicht brotlose Aspiranten zu verstehen sind; Ernennung -oder Ablehnung sind niemals Existenz-, sondern bloß -Neigungs-, allenfalls auch Eitelkeitsfragen. Ebenso verläßt man ein -Amt, wenn anderwärts lohnendere oder angenehmere Beschäftigung -winkt. Die Staatsämter werden auch nicht in jedem Dienstzweige gleich -hoch bezahlt; besonders anstrengende, oder besondere Kenntnisse verlangende -Arbeit setzt auch hier höheren Ertrag voraus, gerade wie bei -den unterschiedlichen Gewerben. Und während der Arbeitsertrag gewöhnlicher -Handarbeit das Richtmaß der niederen Beamtengehalte ist, -wirken die Honorare der unterschiedlichen Associationsleiter bestimmend -auf die Gehalte der oberen Stellen zurück. Dabei hat sich die auch bei -Ihnen gemachte Erfahrung wiederholt, daß der Reiz mit öffentlicher -Thätigkeit verbundener Stellungen die Gehalte von Verwaltungsbeamten, -Professoren u. dergl. nicht unerheblich unter das Niveau jener Bezüge -hinabdrückt, welche in den leitenden Stellen der Associationen zu erlangen -sind. Im allgemeinen macht sich mit steigender Intelligenz ein <em>verhältnismäßiges</em> -— beileibe kein absolutes — Sinken der obersten -Gehalte überall geltend. Aber während die Direktoren einzelner großer -Associationen noch immer bis zu 5000 Stundenwerte im Jahre -beziehen, erhalten die obersten Chefs der freiländischen Centralverwaltung -derzeit nur mehr 3600, und auch das nur, weil die Parlamente der -von uns unablässig beantragten Ermäßigung der oberen Gehalte -ebenso unablässig zähen Widerstand entgegensetzen und sich nur -zögernd und widerwillig dazu verstehen. Um gerecht zu sein, muß man -übrigens hinzufügen, daß sich bei den Associationen das nämliche Spiel -<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a> -wiederholt. Die Direktoren würden sich mit weit geringeren Gehalten -begnügen, und von oben ausgehende Anträge auf Gehaltsreduktion sind, -insbesondere in den letzten zehn Jahren, seitdem der Wert der Stundenäquivalente -so sehr gestiegen ist, in den meisten Generalversammlungen -geradezu stehende Formeln geworden. Ich wiederhole, daß diese Reduktion -immer nur verhältnismäßig, d. h. mit Bezug auf den Ansatz in Stundenäquivalenten -zu verstehen ist; der Wert der Arbeitsstunde hat sich -binnen 20 Jahren vervierfacht; wer also, wie z. B. wir öffentlichen -Verwaltungschefs, um 28 Procent weniger Stundenwerte erhält, -als ursprünglich, dessen Einkommen hat sich, in Geld berechnet, doch -nahezu verdreifacht. Die Associationen aber wollen in der Regel auch -von einer so verstandenen Gehaltermäßigung nichts wissen. Sie besorgen, daß -trotz aller von ihren Direktoren an den Tag gelegten Geneigtheit, sich -mit geringeren Bezügen zu begnügen, denn doch der eine oder andere -sich von einer konkurrierenden, höhere Bezüge zahlenden Gesellschaft ihnen -werde abspenstig machen lassen, und da thatsächlich angesichts der Riesensummen, -die solch eine große Association im Jahre umsetzt, einige hundert -Pfund auf oder ab gar nicht der Rede wert sind, so geht es bei den -Associationen mit der Gehaltsreduktion nur langsam vorwärts. Trotzdem -gleicht sich der Abstand zwischen höchstem und geringstem Verdienste -durchweg immer mehr aus, da wir in Folge der steigenden allgemeinen -Bildung dem Gleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage auch in -den höheren, besondere Fähigkeiten voraussetzenden Berufen stets näher -kommen. Sollte dies Gleichgewicht dereinst vollkommen erreicht werden, -was mit der Ausdehnung unserer Institutionen auf die gesamte Menschheit -und dem damit verknüpften gänzlichen Verschwinden ungebildeter -Massen unzweifelhaft stattfinden dürfte, so ist es unsere Meinung, daß -auch die Unterschiede der Gehalte gänzlich verschwinden, oder doch auf -ein Minimum sinken werden.“ -</p> - -<p> -Lord Elgin dankte für diese Aufklärung. Jetzt aber trat Sir -Bartelet mit einer weitaus wichtigeren Frage hervor. „Was mir bei -Besichtigung des bewältigenden Getriebes Ihrer Centralbank neuerlich -und ganz besonders aufgefallen ist“, meinte er, „und worüber ich mir -noch immer keine volle Rechenschaft zu geben vermag, das ist die Frage, -wie es ohne Willkür und kommunistische Einrichtungen möglich ist, -Kapitalien und zwar so ungeheure Kapitalien, wie sie bei Ihnen erforderlich -sind, aufzubringen, ohne daß Kapitalzins gezahlt oder berechnet -wird. Daß der Zins die notwendige und gerechte Belohnung des -Kapitalisten für die „Entbehrungen“ sei, die er sich auferlegte, glaube -ich zwar nicht; aber ich hielt ihn für den Tribut, den man dem Sparer -dafür zahlen müsse, daß seine freiwillige Sparsamkeit die Gesellschaft -der Notwendigkeit ungerechten Sparzwanges enthebt, der sonst von -Obrigkeitswegen ausgeübt werden müßte. Was ich nun endlich wissen -<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a> -möchte, wäre eine genaue Darlegung der Gründe, die Sie veranlaßten, -den Kapitalzins zu verbieten. Oder teilen Sie in Freiland die Ansicht, -daß es Unrecht sei, dem Sparer einen Anteil an den Früchten seiner -Sparsamkeit zu gönnen?“ -</p> - -<p> -„Diese Ansicht teilen wir nicht“, war des Direktors Antwort. -„Aber zunächst muß ich konstatieren, daß Sie von einer ganz falschen -Voraussetzung ausgehen. Wir <em>verbieten</em> den Kapitalzins ebenso wenig, -als wir den Gewinn des Arbeitgebers oder die Grundrente „verbieten“. -Diese drei Einkommenzweige existieren hier zu Lande bloß aus dem -Grunde nicht, weil Niemand in der Notlage ist, sie bezahlen zu müssen. -Niemand wird Sie hindern, wenn Sie hier eine Fabrik eröffnen und -zu deren Betrieb Lohnarbeiter anwerben wollen; nur allerdings müßten -Sie diesen erstlich mindestens so viel bieten, als durchschnittlich in Freiland -die Arbeit trägt, und zum zweiten würde es trotzdem fraglich sein, -ob Sie überhaupt Leute fänden, die sich Ihrem Kommando unterordnen. -Ähnlich verhält es sich mit der Grundrente. Bei uns ist der Boden -— sofern er nicht zu Wohnstätten, sondern als Produktionsmittel dient — -gänzlich herrenlos, frei gleich der Luft; er gehört weder Einzelnen, noch -Vielen; Jedermann, der Boden bebauen will, steht es frei, dies zu thun, -wo ihm beliebt, und seinen Anteil am Ertrage einzuheimsen. Damit -entfällt natürlich alle Grundrente, die nichts anderes ist, als der Herrenzins -für die Benutzung des Bodens; aber ein „Verbot“ wird man hier -vergeblich suchen. Darin, daß ich kein Recht habe, anderen etwas zu -verbieten, liegt doch wahrlich kein Verbot; man kann nicht einmal sagen, -daß mir „verboten“ ist, etwas zu verbieten; mag ich es doch immerhin -thun, Niemand wird mich hindern, nur auslachen wird mich alle Welt, -genau so auslachen, als ob ich den Leuten das Atmen verbieten wollte, -behauptend, die atmosphärische Luft sei mein Eigentum. Wo die Macht -zur Durchsetzung solcher Prätensionen fehlt, braucht Niemand dieselben -zu verbieten; sie dürfen nur nicht künstlich hervorgerufen und unterstützt -werden, dann unterbleiben sie ganz von selbst. Diese Macht aber besitzt -in Freiland Niemand, weil hier Niemand dazu gebraucht wird, -den Boden mit Beschlag zu belegen, damit er bebaut werden könne. -Das Zaubermittel aber, welches uns dazu verhalf, herrenlosen Boden -zu kultivieren, ohne uns darob in die Haare zu geraten, ist das nämliche, -welches uns auch zur Produktion ohne Arbeitgeber befähigte: -die freie Association. -</p> - -<p> -„Ebenso wenig aber verbieten wir den Kapitalzins. Niemand wird -Sie in Freiland hindern, so hohe Kapitalzinsen zu fordern, als Ihnen -nur immer beliebt; nur werden Sie allerdings Niemand finden, der sie -Ihnen zahlt, weil Jedermann zinsloses Kapital in Hülle zur Verfügung -steht. Nun fragen Sie aber, ob in dieser Verfügung über die Ersparnisse -der Gesamtheit zu Gunsten der Kapitalbedürftigen kein Unrecht -<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a> -liege? Ob das nicht Kommunismus sei? Und zugeben will ich, daß -hier die Sache nicht so einfach liegt, wie bei Unternehmergewinn und -Grundrente. Der Kapitalzins wird nämlich für eine wirkliche greifbare -Leistung entrichtet, die sich von derjenigen des Arbeitgebers und Grundrentners -sehr wesentlich unterscheidet. Während nämlich die wirtschaftliche -Leistung der beiden Letzteren in nichts anderem, als in der Geltendmachung -eines Herrschaftsverhältnisses besteht, welches überflüssig wird -in dem Momente, wo sich die arbeitenden Massen aus erzwungen gehorchenden -Knechten in frei vergesellschaftete Männer verwandelt haben, -bietet der Kapitalist dem Arbeiter ein Instrument, welches unter allen -Umständen dessen Thätigkeit befruchtet. Und während ohne weiteres -ersichtlich ist, daß mit der Etablierung der wirtschaftlichen Freiheit Arbeitgeber -und Grundrentner nicht bloß überflüssig, sondern geradezu -gegenstandlos werden, könnte bezüglich des Kapitalisten, des Besitzers -von Ersparnissen, sogar behauptet werden, daß gerade die freie Gesellschaft -in unendlich höherem Maße auf ihn angewiesen sei, als die geknechtete, -weil sie viel mehr Kapital verwenden könne und müsse, -als diese. Die zur Aufbringung der Kapitalien dienenden Abgaben -werden nun gleichmäßig auf alle Produzenten verteilt; der Kapitalbedarf -dagegen ist ein sehr ungleicher; wie kamen wir nun dazu, aus -den Abgaben von Leuten, die vielleicht wenig Kapital brauchen, die -Produktion anderer auszustatten, die zufällig starken Kapitalbedarf -haben? Welchen Vorteil boten wir ersteren für die ihnen aufgenötigte -Sparsamkeit? -</p> - -<p> -„Und doch liegt die Antwort nahe genug. <em>In der ausbeuterischen -Gesellschaft hat allerdings der Gläubiger nicht -den geringsten Vorteil von der, kraft seiner Ersparnisse -durch den Schuldner bewerkstelligten Verbesserung der Produktion; -in der auf socialer Freiheit und Gerechtigkeit beruhenden -dagegen genau den nämlichen wie dieser.</em> Wo — -wie bei uns — jeder Produktionsvorteil sich gleichmäßig auf Alle verteilen -muß, erledigt sich die Frage nach dem Anteil des Sparers am -Nutzen seines Kapitals ganz von selbst. Der Maschinenschlosser oder -Weber, dessen Abgabe beispielsweise zur Anschaffung oder Vervollkommnung -landwirtschaftlicher Maschinen verwendet wird, hat davon -— bei uns — genau den nämlichen Vorteil wie der betreffende Landwirt, -denn Dank unseren Institutionen überträgt sich die in welcher -Produktion immer erzielte Ertragssteigerung mittelbar auf alle Produktionsorte -und Produktionsarten. -</p> - -<p> -„Sollte man aber fragen, mit welchem Rechte ein den Kommunismus -verwerfendes, auf freier Selbstbestimmung des Individuums gegründetes -Gemeinwesen seine Mitglieder überhaupt zur Sparsamkeit -zwingen könne, so ist die Antwort, daß solcher Zwang in Wahrheit -<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a> -gar nicht geübt wird. Die Abgabe, aus welcher die Kapitalisation bestritten -wird, zahlt doch Jedermann nur nach Maßgabe seiner Arbeitsleistung. -Zur Arbeit wird nun Niemand gezwungen; so weit er aber -thatsächlich arbeitet, nimmt er ja die Kapitalien selbst in Anspruch; es -wird von ihm nur verlangt und zwar genau proportional verlangt, -was er selber gebraucht; der Gerechtigkeit sowohl als dem Selbstbestimmungsrechte -geschieht also in jedem Punkte volles Genüge. -</p> - -<p> -„Sie sehen, es gilt vom Kapitalzinse genau das nämliche, was -bezüglich des Unternehmergewinnes und der Grundrente steht: die erlangte -Fähigkeit der Association enthebt den Arbeitenden der Notwendigkeit, -unter welchem Titel immer irgend einen Teil des Ertrages -seiner Produktion an dritte Personen abzutreten. Der Zins verschwindet -ganz von selbst, wie Gewinn und Rente, aus dem allein entscheidenden -Grunde, weil der frei vergesellschaftete Arbeiter sein eigener -Kapitalist so gut, wie sein eigener Arbeitgeber und Grundherr wird. -Oder wenn man so will: <em>Zins, Gewinn und Rente bleiben, sie -verlieren nur ihr vom Arbeitslohne losgelöstes Sonderdasein; -sie verschmelzen mit diesem zum einigen und unteilbaren -Arbeitsertrage.</em>“ -</p> - -<p> -Und damit gute Nacht für heute. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-7"> -<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a> -19. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 11. August. -</p> - -<p class="first"> -Die Mitteilungen und Aufklärungen des Direktors der freiländischen -Centralbank beschäftigten meinen Vater und mich noch lange aufs lebhafteste. -Da dieser zu den Intimen des Ney’schen Hauses zählende -hohe Funktionär für den nächsten Tag dort speiste, so bewegte sich das -Tischgespräch um verwandte Themata. Zunächst wurde von meinem -Vater die Frage aufgeworfen, in welcher Weise das freiländische Gemeinwesen -der Gefahr von <em>Krisen</em> begegnet, die seines Erachtens hier viel -verhängnisvoller sein müßten als irgend anderwärts. -</p> - -<p> -„Krisen welcher Art immer — war die Antwort — müßten allerdings -den ganzen Komplex der freiländischen Institutionen geradezu in -die Luft sprengen; aber sie sind hierzulande eben unmöglich, die Quelle, -aus welcher sie anderwärts entspringen, ist verschüttet. Denn die Ursache -aller Krisen, sie mögen nun Produktions- oder Kapitalkrisen heißen, -liegt einzig in der Überproduktion, d. h. in dem Mißverhältnisse zwischen -Produktiv- und Konsumtionskraft und dieses Mißverhältnis existiert -bei uns nicht. Allerdings behaupteten auch in der alten, ausbeuterischen -Welt die Nationalökonomen, es gebe gar keine wirkliche Überproduktion, -d. h. keine allgemeine Unverwendbarkeit von Produkten, denn, so führten -sie aus, der Mensch arbeitet nur, sofern ihn irgend ein Bedürfnis -dazu antreibt und es ist daher <a id="corr-51"></a>der Natur der Sache nach ausgeschlossen, -daß jemals mehr Güter erzeugt, als gebraucht werden könnten. Das -ist auch, unter einer Voraussetzung, auf die ich sofort zu sprechen kommen -werde, vollkommen richtig. Jedermann will das, was er erzeugt, zur -Deckung irgend eines Bedarfs gebrauchen; er will sein Produkt entweder -selber verwenden oder gegen das Erzeugnis eines anderen Produzenten -austauschen; was dieses andere Erzeugnis sei, ist gleichgültig, -<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a> -irgend ein Produkt ist es jedenfalls, und es sollte daher niemals die -Frage sein, ob überhaupt, sondern allemal nur, welche Art von Produkten -gerade gesucht wird. Nehmen wir an, die Weizenproduktion -habe eine Verbesserung erfahren, so ist es allerdings möglich, daß damit -der Weizenbedarf noch immer nicht, oder doch nicht gerade im Verhältnisse -der gebotenen Möglichkeit der Produktionssteigerung wachse, -denn daß die Weizenproduzenten ihren Mehrertrag gerade zu Mehrgebrauch -von Weizen benutzen werden, ist allerdings nicht notwendig; -aber dann sollte, so scheint es, die Nachfrage nach etwas anderem entsprechend -zunehmen, z. B. nach Kleidern oder nach Werkzeugen, und -wenn man dies nur allemal rechtzeitig vorher wüßte und die Produktion -darauf einrichten könnte, so sollte es niemals eine Störung des -Tauschverhältnisses der einzelnen Güterarten geben. Also nicht aus -einem Zuviel von Produkten im allgemeinen, nicht aus einem Mißverhältnisse -zwischen Produktivkraft und Verbrauch schlechthin, sondern -aus vorübergehenden Störungen des richtigen Verhältnisses zwischen -den einzelnen Produktionen erklärt die orthodoxe Doktrin die Krisen, -indem sie noch hinzufügt, daß angesichts des in der ganzen Welt herrschenden -Elends von mangelndem Bedarf zu reden, geradezu widersinnig sei. -</p> - -<p> -„Bei dieser, im übrigen schlechthin unanfechtbaren Gedankenkette, ist -nur <em>Eines</em> vergessen worden, nämlich die Grundeinrichtung der gesamten -ausbeuterischen Gesellschaft. Allerdings ist es ein grauenerregender Widersinn, -angesichts des grenzenlosen Elends von allgemein mangelndem -Bedarfe reden zu müssen; wo aber die ungeheure Majorität der Menschen -kein Anrecht auf die Früchte ihrer Arbeit besitzt, da erlangt dieser -Widersinn eine fürchterliche Bedeutung. Was nützt es dem darbenden -Arbeiter, daß er ganz vortreffliche und überaus dringende Verwendung -für jene Produkte wüßte, die er hervorgebracht, wenn diese nicht ihm -gehören? Bleiben wir bei dem Beispiel mit der durch verbesserte -Kulturmethoden gesteigerten Weizenproduktion. Wenn es die landwirtschaftlichen -Arbeiter wären, denen das Verfügungsrecht über das -mehr erzeugte Getreide zustünde, so würden sie allerdings mehr oder -feineres Brot essen, also einen Teil des Mehrprodukts selber verzehren; -mit einem anderen Teile würden sie verstärkte Nachfrage nach Kleidern, -mit einem dritten Teile ebenso verstärkte Nachfrage nach Werkzeugen -hervorrufen, die ja notwendig wären, um das Mehr an Getreide und -Kleidungsstoffen zu erzeugen. Hier würde es sich wirklich bloß darum -handeln, das richtige Verhältnis zwischen Weizen-, Kleider- und Werkzeugproduktion, -welches durch eine, lediglich bei Weizen eintretende Vermehrung -allerdings gestört wäre, wieder herzustellen, und vermehrte Produktion, -gesteigerter Wohlstand für Alle, wäre nach vorübergehenden Schwankungen -die unvermeidliche Folge. Da aber der Mehrertrag von Weizenproduktion -nicht den Arbeitern gehört, da diese für alle Fälle nur das -<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a> -zur Fristung ihres Lebens Erforderliche erhalten, so können sie infolge -des auf ihrem Produktionsgebiete eingetretenen Fortschritts weder mehr -Getreide, noch mehr Kleidungsstücke verbrauchen, und da dies nicht der -Fall ist, so kann auch kein verstärkter Bedarf nach Werkzeugen zur Erzeugung -von Weizen und Geweben entstehen.“ -</p> - -<p> -„Aber — so wendete ich ein — damit, daß den Arbeitern der -Mehrertrag der Produktion vorenthalten bleibt, ist doch dieser Mehrertrag -nicht herrenlos; er gehört den Arbeitgebern und diese sind doch -auch Menschen, die ihren Gewinn zur Deckung irgend eines Bedürfnisses -verwenden wollen; die Arbeitgeber werden ihren Gebrauch steigern, -und abermals — so sollte man meinen — wird es unmöglich sein, -daß ein allgemeines Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage -einträte. Nur werden es allerdings andere Bedarfsartikel sein, -auf welche sich die Produktion werfen muß, um das gestörte Gleichgewicht -der einzelnen Arbeitszweige herzustellen. Gehörte der Mehrertrag -den Arbeitern, so würde man mehr Getreide, ordinäre Gewebe -und Werkzeuge brauchen; da er den wenigen Arbeitgebern gehört, so -wird sich die Nachfrage bloß bei feinen Leckerbissen, Spitzen, Equipagen -und bei Werkzeugen steigern, die zur Erzeugung dieser Luxuswaren erforderlich -sind.“ -</p> - -<p> -„Vortrefflich!“ mengte sich hier David in das Gespräch, „nur daß -die Arbeitgeber keineswegs gewillt sind, die Überschüsse, welche ihnen -der Mehrertrag ihrer Produktion liefert, in sonderlichem Maße zur -Steigerung ihres Luxuskonsums zu verwenden, sondern der Hauptsache -nach kapitalisieren, d. h. den Mehrertrag in Werkzeugen der Produktion -anlegen wollen. Ja, unter Umständen ist der „Arbeitgeber“, wie wir -gestern schon gehört, gar kein Mensch, der menschliche Bedürfnisse besitzt, -sondern ein Popanz, der nichts genießt und alles kapitalisiert.“ -</p> - -<p> -„Desto besser!“ meinte ich, „desto rascher kann der Reichtum zunehmen, -denn rasch wachsende Kapitalien bedeuten rasch wachsende Produktion -und diese ist an sich gleichbedeutend mit rasch wachsendem Reichtume.“ -</p> - -<p> -„Herrlich!“ rief David. „Also weil die arbeitenden Massen <a id="corr-52"></a>ihren -Konsum nicht steigern können, die Arbeitgeber den ihrigen nicht entsprechend -steigern wollen, weil man demnach von keinerlei menschlichen -Bedarfsartikeln mehr gebrauchen kann, als zuvor, so benützt man die -überschüssige Produktivkraft zur Vermehrung der Produktionsmittel. -D. h. mit anderen Worten: Niemand braucht mehr Getreide — folglich -bauen wir neue Pflüge; niemand braucht mehr Gewebe — folglich -errichten wir neue Spinnereien und Webereien! Ermissest du noch -nicht den Gipfel des Unsinnes, zu welchem Eure Doktrin führt?“ -</p> - -<p> -Ich glaube, Luigi, Du wirst gleich mir zugeben, daß sich gegen -dieses ebenso einfache als überzeugende Raisonnement schlechterdings nichts -einwenden ließ. Eine Wirtschaftsordnung, die den Produkten des menschlichen -<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a> -Fleißes und Erfindungsgeistes die einzige Verwendung, der sie in -letzter Linie alle dienen, nämlich die bessere Befriedigung irgendwelcher -menschlicher Bedürfnisse, abschneidet und sich dann wundert, -daß dieselben nicht verwendet werden können, ist thatsächlich an der -Grenze des Blödsinns angelangt. Und daß die Dinge bei uns -in Europa und Amerika wirklich so liegen, muß schließlich jedermann -einleuchten. -</p> - -<p> -„Aber was geschieht — um des Himmels willen — mit der -solcherart bei uns unverwendbar gewordenen Produktivkraft?“ fragte ich -weiter. „Wir sind der Hauptsache nach in Künsten, Wissenschaften und -technischen Fertigkeiten so vorgeschritten, als Ihr in Freiland; ich muß -also glauben, daß wir, besäßen wir nur Verwendung für alle Erträge -unserer Produktion, so reich, oder doch annähernd so reich sein könnten, -wie Ihr. Nun besitzen wir aber thatsächlich lange nicht den zehnten -Teil Eures Reichtums und trotzdem wird bei uns ungefähr doppelt so -angestrengt gearbeitet, als hier. Denn wenn auch bei Euch alles arbeitet, -während es bei uns einige Müssiggänger gibt, die lediglich von fremder -Arbeit leben, so fällt dies doch angesichts des Umstandes, daß unsere -arbeitenden Massen acht bis zehn Stunden und darüber ins Joch gespannt -sind, während hier durchschnittlich bloß fünf Stunden lang gearbeitet -wird, gar nicht ins Gewicht. Es gibt bei uns zahlreiche Millionen -feiernder Arbeiter, allerdings; aber auch das wird überreichlich aufgewogen -durch Weiber- und Kinderarbeit, die Ihr nicht kennt; wo also -— ich wiederhole es — liegt der unermeßliche Unterschied in der Ausnutzung -unserer und Eurer Produktivkräfte?“ -</p> - -<p> -„In der <em>Ausrüstung</em> der Arbeitskräfte“, war die Antwort. „Wir -Freiländer arbeiten weniger angestrengt als Ihr, aber wir benutzen dazu -alle Behelfe der Wissenschaft und Technik in vollstem Umfange, -während Ihr dies nur ausnahmsweise und nirgends so vollkommen als -wir, vermögt. Alle Erfindungen und Entdeckungen der großen Geister -der Menschheit sind Euch so gut bekannt, als uns; in allgemeinem -Gebrauche aber stehen sie nur bei uns. Da Euch Eure herrlichen -socialen Einrichtungen den Genuß jener Dinge verwehren, zu deren -erleichterter Erzeugung doch all jene Erfindung einzig dienen — nun -so bedient Ihr Euch ihrer eben nicht, oder doch nur entsprechend -jenem geringen Maße, in welchem Eure Einrichtungen Euch den -Genuß zumessen.“ -</p> - -<p> -Selbst mein Vater war von dieser vernichtenden Beleuchtung eines -Systems, das als höchsten Ausfluß ewiger Weisheit zu verehren er von -jeher gewöhnt gewesen, aufs tiefste erschüttert. „Unglaublich! Schrecklich!“ -murmelte er, nur mir verständlich. -</p> - -<p> -Herr Clark aber fuhr fort: „Bei uns hingegen ist der Lehrsatz der -sog. klassischen Ökonomie, daß ein allgemeines Zuviel an Produkten unmöglich -<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a> -sei, allerdings zur Wahrheit geworden, denn in Freiland decken -sich Konsum und Produktivität thatsächlich aufs vollkommenste. Hier -könnte es also wirklich bloß geschehen, daß vorübergehend zu viel von -<em>einzelnen</em> Dingen erzeugt, d. h. daß das Gleichgewicht der verschiedenen -Produktionsarten zeitweilig gestört würde. Doch auch diese, an sich geringfügige -Gefahr brauchen wir nicht zu fürchten. Der durch unsere -Einrichtungen bewerkstelligte innige Zusammenhang aller Produktionsinteressen -gewährleistet von vornherein das Gleichgewicht aller Produktionserträge. -Genauer besehen ist ganz Freiland eine einzige große Produktionsgenossenschaft, -deren einzelne Mitglieder unabhängig von einander sind in -allen Dingen, in einem Punkte jedoch zusammenhängen, im Ertrage ihrer -Arbeit nämlich. Gerade weil jedermann arbeiten kann wo und was ihm -beliebt, jedermanns Arbeit aber in dem einen Zwecke der Erzielung möglichst -hohen Nutzens zusammenläuft, so ist es, von vorübergehenden nebensächlichen -Irrungen abgesehen, anders gar nicht möglich, als daß der -bei gleicher Arbeit erzielbare Nutzen überall der gleiche sei. Alle unsere -Einrichtungen gipfeln in diesem <em>einen</em> Punkte. Anfangs, so lange -unser Gemeinwesen noch im Werden begriffen war, kam es vor, daß -ziemlich bedeutende Ungleichheiten erst nachträglich ausgeglichen werden -konnten; die Produzenten wußten oft erst nach Abschluß der Jahresbilanzen, -was sie und was andere verdient hatten. Das ist ein längst -überwundenes Stadium der Kindheit; heute weiß jeder Freiländer bis -auf geringfügige, durch unvorhergesehene kleinere Zufälle herbeigeführte -Abweichungen ganz genau, was er und alle anderen nicht bloß verdient -haben, sondern was sie aller Voraussicht nach in nächster Zukunft verdienen -werden; er wartet nicht erst, bis Ungleichheiten eingetreten sind, -um sie dann auszugleichen, sondern er sorgt dafür, daß Ungleichheiten -gar nicht eintreten. Da unsere Statistik jederzeit mit untrüglicher Sicherheit -angibt, was in jedem Produktionszweige jeweilig erzeugt wird und -der Bedarf sowohl, als dessen Einfluß auf die Preise überall aus sorgfältiger -Beobachtung früherer Jahre genau bekannt ist, so läßt sich die -Rentabilität nicht bloß jedes Produktionszweiges, sondern jedes einzelnen -Etablissements so verläßlich vorherberechnen, daß namhaftere Irrtümer -nur im Falle elementarer Katastrophen möglich sind. Ereignen sich -solche, nun dann greift eben die wechselseitige Versicherung helfend ein; -im übrigen giebt es hierzulande nicht bloß keine Krisen, sondern nicht -einmal sonderliche Ertragsschwankungen der verschiedenen Produktionen. -Unser statistisches Amt veröffentlicht ununterbrochen genaue Zusammenstellungen, -aus denen jederzeit zu ersehen ist, wo in nächster Zukunft -Bedarf, wo Überfluß an Arbeitskraft herrschen wird; nach diesen Ausweisen -richtet sich unser Arbeiternachwuchs und das genügt, von höchst -seltenen Ausnahmen abgesehen, vollkommen zur Erhaltung des Gleichgewichts -der Erträge. Daß da oder dort ein neueingerichtetes Etablissement -<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a> -verunglückt, kommt manchmal, insbesondere bei der Minenindustrie -vor. Aber dieses Verunglücken darf man sich nicht etwa als Bankerott -vorstellen — wie sollen Unternehmer bankerottieren, die weder Grundrente, -noch Kapitalzins, noch Arbeitslohn zu bezahlen haben und denen -für alle Fälle ihre hochwertige Arbeitskraft bleibt — sondern schlimmstenfalls -als getäuschte Erwartung. Und verliert in einem ganz besonderen -Falle das Gemeinwesen oder irgend eine Association durch den vorzeitigen -Tod eines Schuldners wirklich die dargeliehene Summe — was -kann das angesichts der gefahrlos umgesetzten Riesensummen unseres -Verkehrs zu bedeuten haben? Sollte man zur Deckung solcher Verluste -ein Delcredere einheben, es würde kaum Tausendteile eines Prozents -betragen und wäre die seinetwegen verspritzte Tinte nicht wert.“ -</p> - -<p> -„Und stören auswärtige Katastrophen nicht zeitweilig den ruhigen -Gleichgang Ihrer freiländischen Produktion? Werden Ihre Märkte nicht -durch ausländische Überproduktion mit Waren überflutet, für die entsprechende -Verwendung fehlt?“ fragte ich. -</p> - -<p> -„Daß die durch die anarchische Gestaltung der ausbeuterischen -Produktionsverhältnisse so häufig eintretenden heftigen Preisschwankungen -der Welthandelsgüter nicht auch für uns mit empfindlichen Unannehmlichkeiten -verknüpft wären, kann allerdings nicht behauptet -werden. Wir sehen uns dadurch nur zu oft genötigt, einzelne Produktionen -einzuschränken und die damit frei werdenden Arbeitskräfte anderen Erzeugungsarten -zuzuwenden, ohne daß ein wirklicher Wechsel in den -Produktionskosten oder in den Bedarfsverhältnissen dies begründen würde. -Thatsächlich sind diese fremden, plötzlichen und unberechenbaren Einflüsse -bisweilen Schuld daran, daß zur Erhaltung des Gleichgewichts der Erträge -wirkliche Auswanderung von Arbeitskräften aus einer Produktion -in die andere notwendig wird, während zu Ausgleichung der aus -natürlichen Gründen eintretenden Verschiebungen des Angebots und der -Nachfrage fast immer die planmäßige Zu- oder Ableitung des Arbeiternachwuchses -genügt. Eine tiefergehende Erschütterung unserer Erwerbsverhältnisse -aber vermögen auch diese sprunghaften ausländischen Ereignisse -nicht herbeizuführen. Gleichwie es unmöglich ist, eine Flüssigkeit, -die jedem Drucke oder Stoße nachgibt und ausweicht, aus dem -Gleichgewichte zu bringen, so kann auch unsere Wirtschaft, gerade wegen -ihrer absoluten freien Beweglichkeit, nie ihr Gleichgewicht verlieren. In -unnütze, störende Bewegung mag sie gebracht werden, aber die natürliche -Schwerkraft stellt sofort das Gleichmaß aller Verhältnisse wieder her.“ -</p> - -<p> -Nach beendeter Mahlzeit lud uns Herr Ney ein, ihn in den Volkspalast -zu begleiten, wo heute das Fachparlament für öffentliche Arbeiten -eine Nachtsitzung halten werde, um über ein von ihm vorgelegtes großes -Kanalprojekt sich schlüssig zu machen. Er glaube, daß der Gegenstand -auch uns interessieren werde. Wir nahmen mit Dank an. -</p> - -<p> -<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a> -Das Fachparlament für öffentliche Arbeiten besteht aus 120 Mitgliedern; -die meisten derselben sind, wie mir David, der mit von der -Partie war, erklärte, Direktoren großer Associationen, insbesondere der -das Baugewerbe betreibenden; doch sitzen auch Professoren technischer -Hochschulen und andere Fachmänner in demselben. Laien, die von -öffentlichen Arbeiten nichts verstehen, giebt es in dieser Körperschaft -nicht, und ohne weiteres kann behauptet werden, daß dieselbe die Blüte -und Quintessenz des technischen Wissens und Könnens von ganz Freiland -in sich schließt. -</p> - -<p> -Das Projekt, welches gegenwärtig vorlag, war vor Jahresfrist -seitens der Direktoren der Wasser- und Hochbau-Associationen von -Edenthal, Nordbaringo, Ripon und Strahlstadt, in Verbindung mit -zwei Professoren der technischen Hochschule von Ripon angeregt worden. -Es handelte sich bei demselben um nichts geringeres, als um die Herstellung -einer für Schiffe bis zu 2000 Tonnen fahrbaren Wasserstraße -vom Tanganika über den Muta-Nzige und Albert-Njanza unter Benutzung -des Nillaufes bis an das Mittelländische Meer einerseits und -von der Kongomündung den Kongo aufwärts über den Aruwhimi in den -Albertsee, von dort unter Benützung einiger kleinerer Ströme über den -Baringosee an den Unterlauf des Dana und von hier an den indischen -Ocean. Es waren das also zwei Wasserwege, deren einer die großen -centralafrikanischen Seen mit dem Mittelmeere, der andere, quer durch -den ganzen Weltteil, den atlantischen mit dem indischen Ocean verbinden -sollte. Da ein Teil der zu diesem Behufe erforderlichen gewaltigen -Arbeiten auf fremdem Gebiete — dem des Kongostaates und Ägyptens -— durchgeführt werden mußte, so waren Verträge mit diesen Staaten -abgeschlossen worden, die Freiland alle notwendigen Rechte einräumten. -Die Bereitwilligkeit der fremden Regierungen, auf die Wünsche der -Edenthaler Verwaltung einzugehen, wird man begreiflich finden, wenn -man erwägt, daß Freiland keinerlei Gebühr für die Benutzung seiner -Kanäle einzuheben, den Nachbarn also ein freies Geschenk mit seinen -kolossalen Arbeiten zu machen gedachte. Im Zusammenhange mit diesem -Projekte stand auch das auf Erwerbung des Suez-Kanals, der zu -doppelter Breite und Tiefe ausgebaggert und dem Verkehre gleichfalls -zu unentgeltlicher Benutzung übergeben werden sollte. Die englische -Regierung, welcher der größte Teil der Kanalaktien gehörte, war den -Freiländern mit weitgehender Liberalität entgegengekommen; sie überließ -ihnen ihre Aktien zu einem sehr mäßigen Preise, so daß diese es nur -mit den kleineren Aktionären zu thun hatten, welche allerdings die -Situation weidlich auszunützen verstanden. Die britische Regierung -verlangte Sicherheit für die unantastbare Neutralität des Kanals und -förderte im übrigen das Unternehmen nach Kräften. -</p> - -<p> -<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a> -Die präliminierten Kosten waren die folgenden: -</p> - -<div class="table"> -<table class="table216" summary="Table-3"> -<tbody> - <tr> - <td class="col1">Süd-Nordkanal (Gesamtlänge 6250 Kilometer)</td> - <td class="col2">385</td> - <td class="col3">Mill. Pfund,</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Ost-Westkanal (Gesamtlänge 5460 Kilometer)</td> - <td class="col2">412</td> - <td class="col3">Mill. Pfund,</td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Suez-Kanal (für Ankauf und Erweiterung)</td> - <td class="col2">280</td> - <td class="col3">Mill. Pfund.</td> - </tr> - <tr class="s"> - <td class="col1">Zusammen</td> - <td class="col2">1077</td> - <td class="col3">Mill. Pfund.</td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<p> -Die Bauzeit war mit 6 Jahren in Aussicht genommen, so daß -im Jahresdurchschnitt rund 180 Millionen erforderlich schienen. Nach -den bisherigen Erfahrungen glaubte die freiländische Verwaltung darauf -rechnen zu dürfen, daß die jährlichen Gesamteinkünfte des Landes sich -im Laufe der nächsten sechs Jahre von 7 Milliarden — ihrem vorjährigen -Stande — successive auf mindestens 10½ Milliarden steigern -und 8½ Milliarden im Durchschnitte der sechs Jahre betragen würden; -der Bauaufwand beanspruchte also bloß 2⅛ Prozent des zu erwartenden -Nationaleinkommens und konnte gedeckt werden, ohne daß eine Erhöhung -der auf dieses Einkommen gelegten öffentlichen Abgaben über ihr normales -Maß erforderlich gewesen wäre. Dem Kostenvoranschlage waren die -detaillierten Baupläne beigelegt, desgleichen eine Rentabilitätsberechnung, -nach welcher die Kanäle schon im ersten Jahre ihrer Inbetriebsetzung -eine voraussichtliche Transportkostenersparnis von 32 Millionen Pfund -im Gefolge haben, also schon dadurch allein und unter Berücksichtigung -der voraussichtlichen Frachtenzunahme in ungefähr 30 Jahren sich bezahlt -machen würden; außerdem aber sollten diese künstlichen Wasserstraßen -teilweise auch als Be- und Entwässerungskanäle dienen und der hieraus -sich ergebende Nutzen war mit 45 Millionen Pfund im Jahresdurchschnitte -berechnet, so daß die Kosten der sämtlichen Anlagen binnen längstens -14 Jahren getilgt sein mußten, wobei überall bloß der auf Freiland -entfallende, nicht aber der dem Auslande mit eingeräumte Nutzen in -Rechnung gestellt war. -</p> - -<p> -Da die sämtlichen Vorlagen schon seit einigen Wochen in Händen -des Fachparlamentes und von diesem sorgfältig studiert worden waren, -so ging dasselbe unmittelbar in die Beratung derselben ein. Prinzipieller -Widerspruch wurde von keiner Seite erhoben; die Verhandlung bewegte -sich der Hauptsache nach bloß um zwei Fragen: erstlich, ob es nicht -möglich wäre, die Bauzeit zu verkürzen, zweitens, ob nicht eine gleichfalls -tracierte und mit allen Detailplänen vorgelegte Alternativlinie der von -der Verwaltung empfohlenen vorzuziehen wäre. In ersterer Beziehung -stellte sich heraus, daß durch ein von gewiegten Fachmännern vorgeschlagenes, -ganz neues System der Baggerung thatsächlich ein halbes -Jahr Bauzeit erspart werden könnte; es wurde also beschlossen, dem -entsprechend vorzugehen; bezüglich der zu wählenden Trace dagegen -entschied sich die Versammlung infolge der von Herrn Ney geltend gemachten -Gründe einstimmig für den Plan der Centralverwaltung. Die -<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a> -ganze Debatte währte keine drei Stunden; nach Verlauf derselben hatte -die Verwaltung die Ermächtigung, 1077 Millionen Pfund Sterling, -etwas mehr als die Anlagekosten sämtlicher Kanäle der übrigen civilisierten -Welt betragen, binnen 5½ Jahren zu dem Zwecke auszugeben, -damit Oceandampfer den afrikanischen Kontinent von Ost nach West -durchqueren, aus dem Mittelmeere bis 10 Breitengrade südlich vom -Äquator eindringen und den Weg vom Mittelmeere ins rote Meer gebührenfrei -und ohne jeden Aufenthalt zurücklegen könnten. -</p> - -<p> -Ich war von all dem geradezu konsterniert. „Wenn ich mir nicht -vorgenommen hätte, das Wort ‚unmöglich‘ hier aus meinem Wörtervorrate -zu streichen, so würde ich es jetzt anwenden“, meinte ich auf dem Heimwege -Herrn Ney gegenüber. Bemerken will ich noch, daß in den freiländischen -Parlamenten alle Vorlagen auch unter das anwesende Publikum -verteilt werden, so daß ich Gelegenheit gehabt hatte, die Details -des soeben zur Annahme gelangten Projektes oberflächlich einzusehen. -Du weißt, daß ich von derlei Dingen Einiges verstehe und so war ich -denn in der Lage, den Plänen zu entnehmen, daß die beiden Binnenschiffahrtkanäle -mehrere Wasserscheiden passieren. Eine dieser Wasserscheiden -kenne ich nun zufällig ziemlich genau, da wir sie teils auf unserer -Reise, teils bei unseren Ausflügen erst kürzlich passiert hatten; sie -erhebt sich meiner Schätzung nach mindestens 500 Meter über die -Kanalsohle; ich fragte nun Herrn Ney, ob er denn wirklich mit einem -Wasserwege für Zweitausendtonnen-Schiffe 500 Meter auf- und abwärts -klimmen wolle; das sei doch bau- und betriebstechnisch gleich unausführbar. -</p> - -<p> -„Natürlich!“ gab dieser lächelnd zu. „Wenn Sie jedoch die Detailpläne -genauer einsehen wollen, so werden Sie finden, daß wir solche -Wasserscheiden nicht vermittels zahlreicher Schleußen <em>übersteigen</em>, sondern -vermittels eines oder mehrerer Tunnels <em>unterfahren</em>.“ -</p> - -<p> -Jetzt blickte ich ihn aber erst recht ungläubig an und auch mein -Vater machte ein nicht minder erstauntes Gesicht. -</p> - -<p> -„Was finden Sie daran gar so merkwürdiges, meine werten Gäste? -Warum soll bei Kanälen unpraktisch sein, was bei Eisenbahnen, die -doch immer noch viel leichter <em>über</em> Berg und Thal zu führen wären, -schon so lange und in so ausgedehntem Maße geübt wird?“ fragte Herr -Ney. „Unsere Kanaltunnels sind sehr teuer, das gebe ich Ihnen zu; -da sie uns aber beim Betriebe das kostbarste von allen Dingen, d. i. -menschliche Arbeit, ersparen, so sind sie für unsere Verhältnisse -überaus praktisch. Zudem hatten wir ja in zahlreichen Fällen -keine andere Wahl, als die Kanäle fallen zu lassen, oder Tunnels zu -bauen. Die Wasserscheide, von der Sie sprachen, ist gar nicht die bedeutendste -von allen; unser größter Durchbruch — er verknüpft das -Flußgebiet des Ukerewe mit dem des Indischen Oceans — geht in einer -<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a> -Länge von 17 Kilometern 1200 Meter unter der Wasserscheide, und -alles in allem haben wir in diesem neuen Projekte nicht weniger als -132 Kilometer Tunnelbauten. Dieselben sind übrigens durchaus nichts -ganz neues; auch in Frankreich giebt es — wie Sie wissen — einige, -wenn auch sehr kurze Wassertunnels; wir besitzen deren schon in unserem -alten Kanalsysteme mehrere ganz respektable, nur können sie sich -allerdings weder an Längenentwicklung noch an Mächtigkeit mit diesen -neuen vergleichen, auf denen große Oceanfahrer — mit zurückgelegten -Masten natürlich — durch die Eingeweide ganzer Gebirgszüge hindurchdampfen -werden. Das kostet Riesensummen, aber bedenken Sie -doch, daß jede Stunde Zeitgewinn eines freiländischen Matrosen heute -schon ihre 8 Schilling wert ist und von Jahr zu Jahr an Wert -gewinnt.“ -</p> - -<p> -„Unbegreiflich aber bleibt mir trotz alledem die Raschheit, ich -möchte fast sagen die Nonchalance, mit welcher diese Milliarde Ihnen -votiert wurde, als handle es sich um die nächstbeste Kleinigkeit“, meinte -mein Vater. „Ich will der Ehrenhaftigkeit sämtlicher Mitglieder Ihres -Fachparlamentes für öffentliche Bauten beileibe nicht nahe treten; aber -verschweigen kann ich nicht, daß mir die ganze Versammlung den Eindruck -machte, als verspräche sie sich den größten persönlichen Vorteil -aus der möglichst raschen und großartigen Durchführung des Werkes.“ -</p> - -<p> -„Dieser Eindruck war auch ganz der richtige“, gab Herr Ney zur -Antwort. „Doch bitte ich hinzuzufügen, daß jeder Bewohner Freilands -genau den nämlichen persönlichen Gewinn aus der Verwirklichung dieses -Kanalprojekts ziehen muß und wird. Nur weil dem so ist, weil bei -uns jene Solidarität der Interessen Wahrheit ist, von welcher man -außerhalb Freilands fälschlich spricht, nur deshalb können wir so ungeheure -Summen für jede Anlage ausgeben, von welcher nachzuweisen -ist, daß ihr Nutzen den Kostenaufwand überragt. Wird bei Ihnen ein -Kanal gebaut, der die Ertragsfähigkeit weiter Landstrecken erhöht, so -dociert Ihre Schulökonomie zwar auch, daß er den Wohlstand Aller -befördere; richtig ist dies aber nur für die Besitzer der betreffenden -Grundstücke, während den großen Massen der Bevölkerung solch ein -Kanal nicht das geringste nützt, den Besitzern anderer, konkurrierender -Grundstücke vielleicht geradezu schadet. Die Ermäßigung der Getreidepreise -— so behaupten Ihre Staatswirte — komme den nichtbesitzenden -Massen zu statten; sie vergessen dabei die Kleinigkeit, daß der ‚Arbeitslohn‘ -sich auf die Dauer nicht zu behaupten pflegt, wenn die Getreidepreise -sinken. Dem steht allerdings als Trost auf der andren Seite -gegenüber, daß die nichtbesitzenden Massen auch durch die Abgabenerhöhung, -welche solche öffentliche Bauten beanspruchen, nicht dauernd -geschädigt werden können; denn wer nicht mehr Lohn bezieht, als zur -Lebensfristung notwendig ist, dem kann auf die Dauer auch nicht viel -<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a> -entzogen werden; ihm auferlegte Abgaben müssen also in letzter Linie auf -den Arbeitgeber oder den Consumenten abgewälzt werden. Der Streit um -solche Anlagen ist daher bei Ihnen zu Hause ein Interessenkonflikt, einzelner -Grundeigentümer und Arbeitgeber, von denen ein Teil gewinnt, während -andere leer ausgehen oder geradezu geschädigt werden. Bei uns dagegen -ist jedermann gleichmäßig nach Maßgabe seiner Arbeitsleistung am Nutzen -fruchtbringender Investitionen interessiert, und da ebenso jedermann -gleichmäßig nach Maßgabe seiner Arbeitsleistungen zur Kostendeckung -herangezogen wird, so ist hier ein Interessenkonflikt, oder auch nur eine -Unverhältnismäßigkeit des Vorteils schlechterdings ausgeschlossen. 7 Millionen -Hektaren Landes werden durch die neuen Kanäle aus Sümpfen -in fruchtbaren Ackerboden verwandelt werden; wer wird den Vorteil -davon haben, wenn dieser jungfräuliche, dicht an so vortrefflicher Wasserstraße -gelegene Boden um etliche Pfd. Sterling pro Hektar jährlich -mehr trägt, als anderer? Nun offenbar jedermann in Freiland und -zwar jedermann gleichmäßig, er mag Landbauer, Industrieller, Professor -oder Beamter sein. Wer zieht Gewinn aus der Ermäßigung der Frachten? -Etwa bloß die Associationen und Arbeiter, welche die neuen Wasserstraßen -zum Transporte thatsächlich benutzen? Keineswegs; denn jeden -Vorteil, welchen sie solcherart erlangen, müssen sie, Dank der unbeschränkten -Beweglichkeit unserer Arbeitskräfte, mit jedermann in ganz -Freiland teilen. Wir überlassen daher mit der größten Seelenruhe die -Entscheidung über derlei Fragen jenen, die dabei am unmittelbarsten -interessiert sind. Diese wissen am besten, was ihnen nützt, und da ihr -Nutzen sich vollkommen mit jedermanns Nutzen deckt, so steht ihnen -jedermanns, d. h. des Gemeinwesens, Kasse so weit und frei geöffnet, -wie nur immer ihre eigene. Mögen sie nur hineingreifen — je tiefer, -desto besser! Wir haben nicht zu untersuchen, <em>wem</em> die Investition -nützt, sondern bloß, <em>ob</em> sie überhaupt nützlich ist, d. h. Arbeitskraft -erspart.“ -</p> - -<p> -„Wunderbar, aber wahr!“ mußte mein Vater zugeben. „Da dem -aber so ist, da hierzulande wirklich die vollkommenste Interessensolidarität -besteht, so ist mir hinwieder unerklärlich, warum sie die Rückzahlung -jener Kapitalien verlangen, die das Gemeinwesen den einzelnen -Associationen vorstreckt.“ -</p> - -<p> -„Weil das Gegenteil der Kommunismus mit allen seinen unvermeidlichen -Konsequenzen wäre“, war die Antwort. „Der eventuelle -Vorteil aus derartiger unentgeltlicher Kapitalzuwendung käme zwar auch -hier Allen gleichmäßig zugute, wer aber könnte in diesem Falle dafür -einstehen, <em>ob</em> solche Kapitalanlagen vorteilhaft oder schädlich wären. -Denn vorteilhaft ist eine Kapitalanlage doch nur in dem Falle, wenn -mit deren Hilfe mehr Arbeit erspart wird, als die Herstellung der Kapitalien -selber kostet. Eine Maschine, die mehr Arbeit fordert, als -<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a> -hereinbringt, ist schädlich. Derzeit nun sind wir gegen solche Vergeudung, -zum mindesten gegen absichtliche Vergeudung von Kapitalien gesichert. -Das Gemeinwesen sowohl, als die Einzelnen können sich in -ihren Berechnungen täuschen, sie können eine Anlage für rentabel halten, -die sich nachträglich als unrentabel erweist, d. h. die auf ihre Herstellung -verwendete Arbeit nicht hereinbringt; die <em>Absicht</em> bei allen Anlagen -jedoch kann immer nur auf Kraftersparnisse gerichtet sein, denn -das Gemeinwesen sowohl als die Einzelnen müssen ein jeder seine Anlagen -bezahlen. Wenn aber das Gemeinwesen auch für die Kapitalanlagen -der Einzelnen, respektive der Associationen, aufzukommen hätte, -dann läge für die einzelne Association kein Grund vor, nicht auch solche -Einrichtungen zu fordern, die weniger Kraft ersparen, als zu ihrer Herstellung -beanspruchen; die notwendige Ergänzung dieser Liberalität des -Gemeinwesens wäre daher, daß sich dieses ein Recht der Überwachung -und Bevormundung den Kapitalbedürftigen gegenüber herausnähme, -welches mit Freiheit und Fortschritt unvereinbar wäre. Alles Gefühl -der Selbstverantwortung ginge verloren, das Gemeinwesen müßte sich -in Verhältnisse mengen, denen es nicht gewachsen ist, und Verluste -wären trotz aller beengenden Willkür von Oben unvermeidlich.“ -</p> - -<p> -„Das ist wieder so einleuchtend und einfach, als nur immer möglich“, -meinte mein Vater. „Ich erbitte mir aber für einen ferneren Punkt -nähere Erklärung. Kraft der bei Ihnen herrschenden Interessensolidarität -nimmt jedermann an den Vorteilen aller wo immer eintretenden Verbesserungen -teil; dies geschieht in der Weise, daß jedermann das Recht hat, -einen minderergiebigen Produktionszweig oder Produktionsort mit einem sich -ergiebiger erweisenden zu vertauschen. Welches Interesse hat also der -<em>einzelne</em> Produzent, respektive die <em>einzelne</em> Association, Verbesserungen -einzuführen, da es doch viel einfacher, bequemer und gefahrloser erscheinen -muß, Andere vorangehen zu lassen und sich ihnen erst anzuschließen, -wenn der Erfolg gesichert ist? Nun sehe ich aber, daß es -ihren Associationen an Regsamkeit und Unternehmungsgeist keineswegs -fehlt; wie erklärt sich dies? was veranlaßt Ihre Produzenten, sich -Gefahren — sie mögen noch so gering sein — auszusetzen, wenn der -damit erreichte Gewinn so rasch mit aller Welt geteilt werden muß?“ -</p> - -<p> -„Sie übersehen erstlich“, entgegnete Herr Ney, „daß die Höhe des -zu erzielenden Gewinnes denn doch nicht der alleinige Beweggrund ist, -von welchem sich arbeitende Menschen, insbesondere aber unsere freiländischen -Arbeiter, leiten lassen. Der Ehrgeiz, das Etablissement, an -welchem man beteiligt ist, an der Spitze und nicht im Nachtrabe aller -anderen einherschreiten zu sehen, darf bei intelligenten, von starkem -Gemeingeiste beseelten Menschen nicht eben unterschätzt werden. Aber -abgesehen davon, bitte ich Sie zu bedenken, daß die an den Associationen -Beteiligten auch sehr lebhafte <em>materielle</em> Interessen am Gedeihen -<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a> -gerade ihrer speciellen Unternehmung haben. Freiländische Arbeiter -besitzen ausnahmslos recht behagliche, ja luxuriöse Heimstätten — -naturgemäß meist in der Nähe der von ihnen gewählten Arbeitsstätten; -sie sind in Gefahr, dieselben verlassen zu müssen, falls ihr Unternehmen -sich nicht auf gleicher Höhe mit anderen erhält. Zum zweiten genießen -die älteren, d. h. durch längere Zeit bei einem Unternehmen beteiligten -Arbeiter ein stetig wachsendes Präcipium; ihre Arbeitszeit wird ihnen -um einige Prozente höher angerechnet, als den Neueintretenden. Die -Mitglieder jeder Association müssen also trotz aller Interessensolidarität -sehr lebhaft darauf bedacht sein, daß ihr Etablissement nicht überflügelt -werde, und da das Risiko neuer Verbesserungen ein verschwindend -geringes ist, so regt sich der Erfindungs- und Unternehmungsgeist -nirgends in der Welt so kühn und mächtig, wie bei uns. Die Associationen -wetteifern aufs lebhafteste um den Vorrang, nur daß dies -allerdings ein friedlicher Wettbewerb, kein ingrimmiger, auf gegenseitige -Schädigung <a id="corr-56"></a>abzielender Konkurrenzkampf ist.“ -</p> - -<p> -Es war inzwischen sehr spät geworden; mein Vater und ich hätten -allerdings gerne noch längere Zeit den hochinteressanten Aufklärungen -unseres freundlichen Wirtes gelauscht; doch wir durften die Liebenswürdigkeit -unserer Gastfreunde nicht mißbrauchen und so trennten wir -uns — was mir denn auch Anlaß giebt, von Dir, mein Luigi, für -heute Abschied zu nehmen. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-8"> -<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a> -20. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 16. August. -</p> - -<p class="first"> -Du äußerst in Deinem letzten Briefe einige Verwunderung darüber, -daß unser Gastfreund aus seinem bloß 1440 Pfund betragenden Gehalte -als Regent von Freiland einen Hausstand gleich dem Dir beschriebenen -zu führen, eine elegante Villa mit zwölf Wohnräumen zu bewohnen, -feine Küche zu führen, Wagen und Reitpferde zu halten, kurzum einen -Luxus zu treiben vermöge, den sich bei uns daheim nur die Reichsten -gönnen dürfen. Die Erklärung liegt darin, daß Dank der wunderbaren -Organisation von Arbeit und Verkehr hier eben alles fabelhaft billig -ist, ja zahlreiche Dinge, die in Europa und Amerika recht viel Geld -verschlingen, den freiländischen Haushalt überhaupt nicht belasten, da -sie vom Gemeinwesen unentgeltlich beigestellt werden und ihre Deckung -schon in den vom Reineinkommen vorweg abgezogenen Steuern -finden. So erscheinen z. B. bei den Reisekosten die Fahrpreise -auf Eisenbahnen und Dampfschiffen auch nicht mit einem Heller, da, -wie Du schon aus meinen früheren Briefen entnommen haben -kannst, das freiländische Gemeinwesen den Personentransport unentgeltlich -besorgt. Das Gleiche gilt, wie ich ebenfalls schon erwähnt zu -haben glaube, bei allen Telegraphen, Telephonanstalten, Briefpost, -elektrischer Beleuchtung, mechanischer Kraftabgabe u. dergl. Beim -Frachtentransporte zu Lande und Wasser dagegen läßt sich die freiländische -Verwaltung die Selbstkosten ersetzen. Bemerken will ich bei -diesem Anlasse noch, daß beinahe jede freiländische Familie durchschnittlich -zwei Monate des Jahres auf Reisen wendet, die meist den wundervollen -und mannigfaltigen Naturschönheiten des eigenen Landes gelten, -teils auch — dies jedoch seltener — bis ins entfernte Ausland sich -erstrecken. Jeder Freiländer nimmt alljährlich mindestens sechs, bisweilen -<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a> -aber auch zehn Wochen Urlaub von allen Geschäften und sucht -während dieser Zeit Erholung, Vergnügen und Belehrung als Tourist. -Insbesondere in den Hochlanden des Kilima-Ndscharo, Kenia und Elgon, -des Aberdare und Mondgebirges, sowie an den Gestaden der sämtlichen -großen Seen wimmelt es mit Ausnahme der beiden Regenepochen -jederzeit von fahrenden, reitenden, wandernden, rudernden und segelnden -Männern, Frauen und Kindern, die in vollen Zügen jegliche Lust des -Reisens genießen. -</p> - -<p> -Überhaupt gehört sinnige, herzliche Freude an der Natur und ihren -Schönheiten zu den charakteristischen Eigenschaften der Freiländer. Sie -sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und inniges <a id="corr-57"></a>Behagen -an diesem ihrem köstlichsten Eigentum tritt überall zu Tage. So -halte ich es z. B. für bezeichnend, daß nirgend in Freiland Bäche und -Flüsse durch Abfallwässer vergiftet, nirgend malerische Berghänge durch -wahllos angebrachte Steinbrüche verunstaltet werden, oder sonst ein -Frevel gegen die landschaftliche Schönheit zu rügen ist. Warum auch -sollten diese selbstherrlichen Arbeiter um geringer Ersparnisse willen -— die sie zudem sehr bald mit aller Welt teilen müßten — sich -selber eines so wesentlichen Genusses berauben, wie es eine möglichst -gesunde und schöne Landschaft ist? Natürlich kommt diese verständige -Pflege aller landschaftlichen Reize auch den Reisenden zu gute. Allenthalben -sind Straßen sowohl als Eisenbahnen von mehrfachen Alleen -prächtiger Palmen eingesäumt, deren schlanke astlose Stämme nirgend -die Aussicht behindern, während ihre dichten Kronen erquickenden -Schatten gewähren. Man hat infolge dieser ebenso einfachen als wirksamen -Einrichtung beim Reisen hier unter dem Äquator von Hitze und -Staub weit weniger zu leiden, als im „gemäßigten“ Europa, wo -während der Sommermonate eine mehrstündige Eisenbahn- oder Wagenfahrt -häufig zur Tortur wird. An allen schön und romantisch gelegenen -Punkten haben die zahlreichen, mit den gewaltigsten Mitteln arbeitenden -Hôtel- und Vergnügungsassociationen sowohl riesige Gasthöfe als eine -Menge kleiner Villen angelegt, in denen die Touristen und Sommerfrischler -je nach Laune und Geschmack für Stunden, Tage, Wochen -oder Monate gemeinsam zu Hunderten und Tausenden oder allein in -ländlicher Zurückgezogenheit Unterkunft und allen erdenklichen Comfort -finden. -</p> - -<p> -Wunderst Du Dich schon über den Luxus im Neyschen Hause, was -wirst Du erst sagen, wenn ich Dir erzähle, daß hierzulande dem Wesen -nach jeder einfache Arbeiter so lebt, wie unsere Gastfreunde. Die Villen -haben einige Wohnräume weniger, die Möbel sind einfacher, statt eigene -Reitpferde in den Ställen der Transportassociation zu halten, werden -Mietpferde benützt, auf Kunstgegenstände, Bücher und zu wohlthätigen -Zwecken wird weniger ausgegeben, das ist aber auch der ganze Unterschied. -<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a> -Da ist z. B. unser Nachbar Moro. Derselbe, ein gewöhnlicher -Werkführer der Edenthaler Farbwarenassociation, gehört samt seiner -reizenden Frau zu den Intimen des Neyschen Hauses, und wir haben -schon einigemale vortrefflich in seinem netten und komfortabel eingerichteten -7 Wohnräume enthaltenden Heim gespeist. Ja selbst die -„Ziehtöchter“ fehlen — nebenbei bemerkt — in seinem Hause nicht, -denn auch seine Gattin genießt — und, wie ich hinzufügen will, nicht -mit Unrecht — den Ruf einer hervorragenden Geistes- und Herzensbildung, -und die Ziehtöchter suchen, wie Du weißt, nicht das große -Haus, sondern die bedeutende Frau auf. Und sollte Dir besonders -auffallend erscheinen, daß solch ein Phönix von Frau Gattin eines gewöhnlichen -Fabrikarbeiters ist, so bedenke, daß freiländische Arbeiter etwas -anderes sind, als europäische. Gediegene Mittelschulbildung genießt hier -alle Welt, und daß ein junger Mann Handwerker und nicht Lehrer, -Arzt, Ingenieur oder dergl. wird, hat darin seinen Grund, daß er eben -keinerlei <em>hervorragende</em> geistige Fähigkeiten in sich entdeckt oder vermutet. -Denn hierzulande kann sich den geistigen Berufszweigen -nur ein geistig hervorragend Befähigter mit Aussicht auf Erfolg zuwenden, -da der Minderbefähigte angesichts der Konkurrenz <em>aller</em> wirklich -Befähigten unmöglich aufzukommen vermag. Bei uns da draußen, -wo nur eine verschwindende Minderzahl die materiellen Mittel zum -Studium hat, gewährt diese Mittellosigkeit einer ungeheuern Mehrzahl -auch den Dummköpfen unter den Bemittelten ein Privilegium. Die -Reichen können eben nicht alle talentiert sein — so wenig als die Armen -alle es sind; da wir aber trotzdem unseren Bedarf an geistigen -Arbeitern — von Ausnahmen, die ja überall vorkommen, muß dabei -natürlich abgesehen werden — bloß aus der kleinen Menge von Söhnen -reicher Familien decken, so kommen bei uns — günstig gerechnet — auf -je einen fähigen Studierenden zehn Unfähige, von welchen Zehnen aber, -da wir mit dem einen Fähigen natürlich nicht den ganzen Bedarf decken -können, höchstens die zwei oder drei Allerdümmsten Schiffbruch leiden. -Hier dagegen, wo Jedermann die Mittel zum Studium hat, giebt es -selbstverständlich unendlich mehr befähigte Studierende, folglich brauchen -die Freiländer bei Deckung ihres geistigen Bedarfes lange nicht so tief -zu greifen, als wir. Ihre Tüchtigsten sind nicht notwendig tüchtiger, -als die unsrigen, aber unsere Unfähigsten — unter den Studierenden — -sind viel, viel unfähiger, als ihre überhaupt noch möglichen Unfähigsten. -Was bei uns noch mittelgut wäre, ist hier schon lange aussichtslos. -Freund Moro z. B. hätte es in Europa oder Amerika vielleicht auch -zu keiner „Leuchte der Wissenschaft“ oder „Zierde des Barreau“ gebracht, -doch ein ganz annehmbarer Durchschnittslehrer, Advokat oder -Beamter wäre er immerhin geworden. Hier aber mußte er — nach -absolvierten Mittelschulen — gewissenhafter mit seinen geistigen Fähigkeiten -<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a> -zu Rate zu gehen und gelangte dabei zu dem Resultate, daß es ersprießlicher -für ihn sei, ein tüchtiger Fabrikwerkführer, als ein mittelmäßiger -Lehrer oder Beamter zu werden. Und er konnte diesem Ratschlage -strenger — vielleicht allzustrenger — Selbstprüfung Folge geben, -ohne sich gesellschaftlich zu degradieren, denn in Freiland schändet Handarbeit -wirklich nicht, zum Unterschiede von Europa und Amerika, wo -dies zwar auch behauptet wird, jedoch lediglich eine der vielen konventionellen -Lügen ist, mit denen wir uns selber hinters Licht zu führen versuchen. -Arbeit ist bei uns — trotz aller demokratischen Redensarten — -ganz im Allgemeinen eine Schande, denn der Arbeitende ist ein höriger -Mann, ein ausgebeuteter Knecht, er hat einen Herrn über sich, der ihn -kommandiert, für sich ausnützt gleich dem arbeitenden Tiere — keine -Moraltheorie der Welt wird die Ehre des Knechtes der des Herrn -gleichsetzen. Hier aber ist das anders. Um dies voll zu ermessen, -brauchst Du bloß einmal gesellige Vereinigungen in Freiland besucht zu -haben. Zwar liegt es in der Natur der Sache, daß Personen des -gleichen Interessenkreises sich zunächst aufsuchen und anziehen, doch darf -dies beileibe nicht so aufgefaßt werden, als ob damit auch nur im entferntesten -eine Sonderung verschiedener Gesellschaftsschichten nach Berufen -verbunden wäre. Das allgemeine Bildungsniveau ist ein so hohes, das -Interesse an den erhabensten Problemen der Menschheit auch unter den -Handarbeitern so verbreitet, daß Gelehrte, Künstler, hohe Beamte die -mannigfaltigsten geistigen und gemütlichen Berührungspunkte auch mit -Fabrik- oder Feldarbeitern finden. -</p> - -<p> -Dies ist umsomehr der Fall, als eigentlich eine Scheidung von -Kopf- und Handarbeitern sich hierzulande gar nicht streng durchführen -läßt. Der Handarbeiter von heute kann morgen durch die Wahl seiner -Genossen Betriebsleiter, also Kopfarbeiter werden, und umgekehrt gibt -es unter den Handarbeitern ungezählte Tausende, die ursprünglich einen -anderen Beruf gewählt und die für diesen erforderlichen höheren -Studien absolviert hatten, dann aber — sei es, weil ihre geistigen -Fähigkeiten sich als nicht vollkommen ausreichend erwiesen, sei es, weil -ihre Geschmacksrichtung wechselte — die Feder mit dem Werkzeug vertauschten. -So hat z. B. ein anderer Hausfreund der Familie Ney -sein mehrere Jahre hindurch zu allgemeiner Zufriedenheit verwaltetes -Amt als Arzt niedergelegt und sich der Gärtnerei gewidmet, weil er -fand, daß dieser ruhige Beruf ihn weniger von seinem Lieblingsstudium, -der Astronomie abziehe, als die ärztliche Thätigkeit. Um sich als -Astronom zu ernähren, dazu reichten seine Kenntnisse und Fähigkeiten -nicht aus, und da ihm einigemal widerfahren war, von interessanten -Beobachtungen zu plötzlich des Nachts erkrankten Kindern abberufen zu -werden, so zog er es vor, seinen Haushalt durch den Ertrag von -Gartenarbeit zu decken und des Nachts ungestört seinen lieben Sternen -<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a> -nachzuspüren. Ein anderer Mann, den ich hier kennen gelernt, vertauschte -seine Carrière als Bankbeamter mit der Maschinenschlosserei, -lediglich weil ihm auf die Dauer die sitzende Thätigkeit nicht behagte; -er wäre wiederholt schon von den Mitgliedern seiner Association in -die Oberleitung gewählt worden, lehnte aber stets ab, da seine Abneigung -gegen Bureauarbeiten noch immer nicht überwunden ist. Insbesondere -aber ist die Zahl derjenigen sehr groß, die irgendwelche -Handarbeit mit Kopfarbeit verbinden. So allgemein verbreitet ist in -Freiland die Abneigung gegen <em>ausschließliche</em> Kopfarbeit, daß sich -die sämtlichen höheren Berufe, ja sogar die öffentlichen Ämter darauf -einrichten mußten, ihren Angehörigen zeitweilig körperliche Berufsthätigkeit -zu gestatten. Die Buchhalter und Korrespondenten der Associationen -sowohl als der Centralbank, die Lehrer, Beamten und sonstigen -Angestellten welcher Art immer, haben das Recht, außer den der Erholung -gegönnten zweimonatlichen Ferien auch noch beliebigen Urlaub -von längerer oder kürzerer Dauer zu verlangen und die Zeit desselben -durch anderweitige Erwerbsthätigkeit auszufüllen. Natürlich wird diese -außerordentliche Urlaubszeit vom Gehalte in Abzug gebracht, was jedoch -die weitaus größere Hälfte all’ dieser Bureauarbeiter nicht hindert, in -Zwischenpausen von zwei bis drei Jahren je einige Monate hindurch -als Fabrikarbeiter, Bergleute, Landbauer, Gärtner u. dgl. sich vom -Einerlei ihrer gewohnten Berufsthätigkeit zu erholen. Ein mir bekannter -Bureauchef der Centralverwaltung arbeitet jedes zweite Jahr acht -Wochen lang in einer anderen Mine des Aberdare- oder Baringo-Distrikts; -er hat — wie er mir erzählte — bis jetzt den Kohlen-, Eisen-, -Zinn-, Kupfer- und Schwefelbau praktisch durchgenommen und freut -sich jetzt auf den bevorstehenden Kursus in den Salzwerken von Elmeteita. -</p> - -<p> -Angesichts dieser allgemeinen und durchgängigen wechselseitigen -Durchdringung von gewöhnlichster körperlicher und höchster geistiger -Thätigkeit kann selbstverständlich von irgendwelchen Standes- oder -Klassenunterschieden nirgend die Rede sein. Die hiesigen Ackerbauer -sind gerade so geachtete, selbstbewußte Gentlemen, wie die Gelehrten, -Künstler oder hohen Beamten, und nichts steht dem im Wege, sie im -Salon als gute Kameraden zu behandeln, sofern die Charaktere und -die Geistesrichtungen harmonieren. -</p> - -<p> -Insbesondere aber sind die Frauen — anderwärts die hauptsächlichen -Vertreterinnen aristokratischer Absonderung — hierzulande Förderinnen -vollständiger Verschmelzung aller Bevölkerungsschichten. Die -freiländische Frau steht beinahe ausnahmslos auf einer sehr hohen -Stufe ethischer und geistiger Bildung. Losgelöst von jeglicher materiellen -Sorge und Arbeit, ist es ihr alleiniger Beruf, sich zu veredeln, -ihr Verständnis für alles Gute und Erhabene zu schärfen. Da sie sich -<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a> -der entwürdigenden Notwendigkeit enthoben sieht, im Manne einen Ernährer -zu suchen, mit ihrem Werte auf sich selber gestellt und nicht von -der äußeren Lebensstellung des Mannes abhängig ist, so fehlt ihr jener -exklusive Hochmut, der überall dort sich einfindet, wo wirkliche Vorzüge -fehlen. Sind doch die Frauen der sog. besseren Stände bei uns daheim -meist nur deshalb so schroff abweisend ihren vom Glücke minder -begünstigten Schwestern gegenüber, weil sie des instinktiven Gefühls -nicht ledig werden, daß diese sehr gut ihren Platz ausfüllen und sie -selber mitunter in deren dienende Stelle passen würden, wenn sie die -Ehegatten vertauscht hätten. Und auch, wenn dem nicht so ist, wenn -die europäische „Dame“ wirklich höheren ethischen und geistigen Wert -besitzt, so muß sie sich doch sagen, daß ihre Stellung im Urteile der -Welt weniger von diesen ihren eigenen Eigenschaften, als von Rang und -Stellung des Mannes abhänge, also vom Werte eines Dritten, der -ebensogut jede Andere auf den erborgten Thron hätte setzen können. -Schopenhauer hat nicht ganz Unrecht: die Frauen betreiben zumeist das -gleiche Gewerbe: die Männerjagd, und Konkurrenzneid ist es, was -ihrem Hochmut zu Grunde liegt. Nur vergißt er hinzuzufügen, oder -vielmehr er weiß wohl selber nicht, daß dieses den Frauen gemeinsame, -von ihm mit so herbem Spotte gegeißelte Gewerbe mit all seinen häßlichen -Folgeübeln ihnen durch ihre Rechtlosigkeit aufgenötigt und keineswegs -mit ihrer Natur untrennbar verknüpft ist. -</p> - -<p> -Die hiesigen Frauen, die frei und gleichberechtigt sind in der höchsten -Bedeutung des Wortes, kennen diesen Hochmut auf äußere Lebensverhältnisse -nicht. Selbst wenn Beruf oder Reichtum des Gatten -hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen <a id="corr-59"></a>könnten, sie -würden dieselben niemals anerkennen, sondern sich in ihrem Umgange -lediglich von persönlichen Eigenschaften bestimmen lassen. Die geistreichste, -liebenswürdigste Frau ist es, deren Freundschaft von ihnen am -eifrigsten gesucht wird, gleichviel, welche Stellung der Gatte einnehmen -mag. Du begreifst also, daß Frau Moro ihren Mann wählen konnte, -ohne sich in der hiesigen „Gesellschaft“ das Geringste zu vergeben. -</p> - -<p> -Da wir gerade mit diesem Thema beschäftigt sind, laß mich die -Gelegenheit benützen, einige Worte über das Wesen der hiesigen Geselligkeit -nachzutragen. Dieselbe ist überaus lebhaft; die bekannten -Familien versammeln sich beinahe jeden Abend in zwanglosen Cirkeln, -in denen geplaudert, musiciert, vom jungen Volke wohl auch getanzt -wird. Soweit wäre dabei nichts besonderes; ihren ganz eigentümlichen, -dem Fremden anfangs schier unbegreiflichen Reiz aber erhält diese Geselligkeit -durch den sie durchwehenden Ton höchster Freiheit im Vereine -mit reinstem Adel und tadelloser Feinheit. Nachdem ich sie einigemale -gekostet, dürstete ich förmlich nach den Freuden dieser Zusammenkünfte, -ohne mir anfangs Rechenschaft geben zu können über die Natur des -<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a> -Zaubers, den sie auf mich übten. Schließlich bin ich zu der Überzeugung -gelangt, daß es in erster Linie jene Atmosphäre wahrer -Menschenliebe sein müsse, die in Freiland alles umfängt, was hier den -geselligen Verkehr zu einem so genußreichen gestaltet. -</p> - -<p> -Europäische Gesellschaften sind im Grunde doch nichts anderes, -als Maskeraden, bei denen alle Welt sich gegenseitig belügt; Zusammenkünfte -von Feinden, die das Böse, das sie sich gegenseitig wünschen, -unter höflichen Grimassen zu verbergen suchen, ohne jedoch dadurch -irgendwen ernstlich zu täuschen. Und dies ist in einer ausbeuterischen -Gesellschaft anders gar nicht möglich, denn in dieser ist Interessengegensatz -die Regel, wahre Interessensolidarität eine höchst seltene und -bloß zufällige Ausnahme; seinen Nebenmenschen wirklich zu lieben, ist -bei uns eine Tugend, zu deren Übung ein nicht gerade alltägliches Maß -von Selbstverleugnung gehört, und Jedermann weiß daher, daß neun -Zehnteile dieser verbindlich grinsenden Masken sofort in bitterem Hasse -über einander herfallen würden, wenn die angeborene und anerzogene -Dressur der wohlanständigen Sitte sie auch nur einen Moment im -Stiche ließe. Man hat also inmitten solcher Gesellschaften stets ein -Gefühl, welches etwa dem der unterschiedlichen Bestien gleichen mag, -welche in den Menagerien zum Ergötzen des schaulustigen Publikums -in einen gemeinsamen Käfig gesperrt, sich wohl oder übel miteinander -vertragen müssen. Der Unterschied liegt bloß darin, daß die Dressur von -uns zweibeinigen Tigern, Panthern, Luchsen, Wölfen, Bären und Hyänen -vollkommener ist, als die unserer vierbeinigen Ebenbilder; diese umschleichen -einander, ingrimmig knurrend, ihre Rauf- und Mordlust sichtlich nur -mühsam unter scheuen Seitenblicken auf die Peitsche des Tierbändigers -unterdrückend; während wir den im Herzen lauernden bösen Willen -höchstens dem aufmerksamen Beobachter durch ein tückisches Blinzeln des -Auges oder sonst eine kaum zu bemerkende Kleinigkeit verraten. Ja, -so mächtig ist die Dressur von uns zweibeinigen Raubtieren, daß wir uns -durch dieselbe zeitweilig selber täuschen lassen; die Hyäne unter uns hat -Momente, wo sie allen Ernstes glaubt, ihr verbindliches Grinsen dem -Tiger gegenüber sei ehrlich gemeint, und wo der Tiger sich einbildet, -hinter seinem leisen Knurren verberge sich eitel Liebe und Freundschaft -mit seinen Mitbestien. Aber das sind eben nur vorübergehende Momente -holden Selbstbetrugs, und im allgemeinen wird man der Empfindung -nicht ledig, sich unter natürlichen Feinden zu befinden, die nur äußerer -Zwang hindert, uns des lieben Futters halber an die Kehle zu springen. -Die Freiländer dagegen sehen sich unter wahren, aufrichtigen Freunden, -wenn sie unter Menschen sind. Sie haben einander nichts zu verbergen, -sie wollen einander weder übervorteilen, noch gegenseitig ausnützen. -Wetteifer findet allerdings auch unter ihnen statt, aber dieser -kann das Gefühl kameradschaftlichen Wohlwollens nicht beeinträchtigen, -<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a> -da der Erfolg des Siegers allemal auch dem Besiegten gute Früchte -trägt. Harmlose Offenheit, ein geradezu kindliches Sichgehenlassen ist -daher allenthalben unter ihnen heimisch und das in Verbindung mit -der heiteren Lebensanschauung und geistigen Vielseitigkeit ist es, was -der hiesigen Geselligkeit so wunderbaren Reiz verleiht. -</p> - -<p> -Doch jetzt laß mich fortfahren in meinen Berichten über unsere -hiesigen Erlebnisse. Gestern sahen wir hier den ersten — Betrunkenen. -Wir — d. h. mein Vater und ich — hatten in Begleitung Davids -nach dem Diner eine kleine Promenade am Edensee gemacht, an dessen -Ufern bekanntlich die meisten der Edenthaler Hotels gelegen sind; eben -als wir wieder heimkehren wollten, begegnete uns ein Trunkener, der -wankend auf uns zukam und lallend nach einem der Gasthöfe fragte. -Es war sichtlich ein erst kürzlich eingetroffener Einwanderer. David -bat uns, die wenigen Schritte nach Hause allein zurückzulegen, nahm -den Betrunkenen unter den Arm und führte ihn nach seinem Gasthofe; -ich schloß mich diesem Liebeswerke an, während mein Vater heimkehrte. -Als auch wir anlangten, fanden wir ihn im lebhaftesten Gespräche mit -Frau Ney über dieses kleine Abenteuer. „Denke nur,“ rief er mir zu, -„Madame behauptet, wir könnten uns rühmen, einer der in diesem -Lande seltensten Sehenswürdigkeiten begegnet zu sein; sie ihrerseits habe -während der 25 Jahre ihres Aufenthalts in Freiland bloß drei Trunkene -bemerkt, und sie sei überzeugt, daß Edenthal zur Stunde sicherlich keinen -zweiten Menschen in seinen Mauern beherberge, der jemals bis zur -Sinnlosigkeit tränke! Ihr Freiländer“ — so wandte er sich nun an -David — „seid doch sicherlich keine Temperenzler; Euer Bier und -Palmwein ist vorzüglich, Euere Weine lassen nichts zu wünschen übrig, -und Ihr scheint mir nicht die Leute, diese guten Dinge bloß zum Gebrauche -etwaiger Gäste in Bereitschaft zu halten; sollte es Euch also wirklich -niemals widerfahren, daß Ihr ein klein wenig über den Durst tränket?“ -</p> - -<p> -„Und doch ist dem so, wie meine Mutter sagt. Wir trinken gern -einen guten Tropfen und gönnen uns einen solchen nicht gerade selten; -auch will ich nicht leugnen, daß bei festlichen Gelegenheiten die Begeisterung -des Weines hie und da in ziemlich hellen Flammen emporschlägt; -ein sinnlos trunkener Freiländer gehört aber trotzdem zu den -allerseltensten Erscheinungen. Wenn Sie das gar so sehr Wunder -nimmt, so werfen Sie sich doch die Frage auf, ob denn in Europa -und Amerika gesittete und gebildete Menschen sich zu betrinken pflegen. -Das geschieht, wie ich weiß, auch bei Ihnen bloß in den seltensten Fällen, -obwohl dort die öffentliche Meinung in diesem Punkte minder streng -ist, als hierzulande. In Freiland aber gibt es keinen Pöbel, der im -Rausche Vergessenheit seines Elendes suchen müßte, und das Beispiel -dieses Pöbels kann daher auch nicht dazu dienen, an den Anblick dieses -erniedrigendsten aller Laster zu gewöhnen.“ -</p> - -<p> -<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a> -„Daß ihr Freiländer gegen dieses Laster gefeit seid, nimmt uns -auch nicht gar so sehr Wunder,“ entgegnete mein Vater. „Aber ihre -verehrte Mama erklärte uns, daß auch unter den Eingewanderten -Trunkenbolde so rar sind, wie weiße Raben. Nun ist mir nicht bekannt, -daß an den Grenzen Ihres Landes Mäßigkeitsapostel Wache halten; -die Einwanderer gehören zum Teil jedenfalls solchen Rassen und -Klassen an, die in ihrer alten Heimat dem Trunke — und zwar dem -Trunke in seiner häßlichsten Bedeutung — keineswegs abgeneigt sind; -was veranlaßt diese Leute hier, sich solcher Enthaltsamkeit zu befleißigen?“ -</p> - -<p> -„Zunächst der Wegfall jener Gründe, die in Europa und Amerika -zum Trunke verleiten. Ich habe mich gelegentlich meiner europäischen -Studienreise, die nicht bloß der Kunst, sondern auch dem Leben Ihres -Landes gewidmet war, in den Höhlen der Armut umgesehen und dort -Verhältnisse gefunden, die es geradezu wunderbar erscheinen ließen, -wenn die inmitten derselben Lebenden nicht in der Schnapsflasche -Vergessenheit ihrer Marter, ihrer Schmach, ihrer Entwürdigung gesucht -hätten. Ich sah Menschen, die zu zwanzig und dreißig — alle Altersklassen -und Geschlechter bunt durcheinander gewürfelt — in <em>einem</em> -Gemache schliefen, welches gerade nur soviel Raum bot, daß die Insassen -dichtgedrängt auf der eklen, den Boden bedeckenden Streu Unterkunft -fanden; Menschen, die tagsüber kein anderes Heim hatten, als den -Fabriksaal — oder die Schenke. Und das waren nicht etwa brotlose, -sondern in regelmäßiger Arbeit stehende Leute, und nicht vereinzelte -Ausnahmen, sondern Typen der Arbeiterschaft großer Landstriche. Daß -solche Menschen in viehischer Betäubung Rettung suchen gegen die -Erinnerungen ihrer Entbehrungen, der Schande ihrer Weiber und -Töchter, daß sie das Bewußtsein ihrer Menschenwürde verlieren, das -hat mich niemals in Erstaunen und noch weniger in Entrüstung -versetzt; diese beiden Gefühle kehrten sich bloß gegen den Unverstand, -der solchen Jammer ruhig gewähren läßt, als wäre er in Wahrheit -der Ausfluß eines unwandelbaren Naturgesetzes. Und eben so natürlich -finde ich, daß diese selben Menschen hier, wo sie ihre Würde und ihr -Recht zurückerlangt haben, wo ihnen sorglose, schöne Lebensfreude -allenthalben entgegenlacht, zugleich mit dem Elend auch das Laster des -Elends abstreifen. Diese neuen Ankömmlinge stürzen sich alle mit -wollüstiger Gier in den Umgang mit uns; sie können es meist gar -nicht erwarten, ganz und vollständig unseresgleichen zu werden; je -elender, entwürdigter sie zuvor gewesen, desto grenzenloser ist ihr -Entzücken, ihr Dankgefühl, sich hier von Jedermann als Seinesgleichen -betrachtet zu sehen; um keinen Preis würden sie der Achtung ihrer neuen -Genossen verlustig werden, und da diese den Trunk allgemein meiden, -so trinken sie eben auch nicht.“ -</p> - -<p> -„Du hast uns erklärt, warum Ihr keine Trunkenbolde hierzulande -<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a> -habet“ — nahm nunmehr ich das Wort. „Aber noch um vieles -wunderbarer erscheint mir, daß Euer Grundsatz, jedem Arbeitsunfähigen -— er mag es aus welchem Grunde immer sein — einen Versorgungsanspruch -einzuräumen, Euch nicht mit Krüppeln und Greisen -sonder Zahl überflutet. Oder gibt es irgendwelche, uns noch unbekannte -Einrichtungen, welche Euch gegen solche Gäste schützen? Und in welcher -Weise erwehrt Ihr Euch, ohne peinlich inquisitorische Kontrolle, jener -Trägen, die das Versorgungsrecht der wirklich Arbeitsunfähigen erschleichen -wollen, um dem Müssiggange fröhnen zu können<a id="corr-61"></a>? Werden hinsichtlich -der Versorgungsansprüche vielleicht Unterschiede zwischen Einheimischen -und Eingewanderten gemacht, und was ist zur Geltendmachung eines -solchen Anspruches vonnöten?“ -</p> - -<p> -„Hinsichtlich der Versorgungsansprüche wird keinerlei Unterschied -gemacht, und zu deren Geltendmachung genügt das Krankheitszeugnis -eines unserer Ärzte, oder der Ausweis des zurückgelegten -60. Jahres. Bei Ausstellung der Krankheitsatteste wird prinzipiell -mit der größten Liberalität vorgegangen, ja es hat Jedermann das -Recht, für den Fall, daß ihm der eine Arzt das Zeugnis verweigern -sollte, sich nach Belieben einen anderen auszusuchen, da wir es grundsätzlich -vorziehen, lieber zehn träge Simulanten zu füttern, als einen -wirklich Kranken abzuweisen. Trotzdem gibt es bei uns ebensowenig -fremde, als einheimische Müssiggänger von Beruf. Auch hier erweist -sich der Einfluß unserer Institutionen als genügend mächtig, um alle -derartigen Gelüste im Keime zu ersticken. Beachte vor allem, daß der -Neueingewanderte den obersten Ehrgeiz hat, Unseresgleichen zu werden, -sich uns anzuschließen; zu diesem Behufe muß er, ist er anders gesund -und kräftig, an unseren Geschäften teilnehmen. Der kennt die menschliche -Natur schlecht, der da glaubt, Proletarier, die sich noch einen Rest -von Menschenwürde gerettet, würden, wenn sie Gelegenheit haben, als -gleichberechtigte, selbstherrliche Männer in blühende, mächtige Geschäfte -einzutreten, darauf verzichten und es vorziehen, sich von Gesamtheitswegen -füttern zu lassen. Die Ankömmlinge <em>wollen</em> an allem teilnehmen, -was hierzulande zu erlangen und zu leisten ist; es bedarf -in neunundneunzig unter hundert Fällen keines anderen Anreizes zur -Arbeit für sie. Jene Wenigen aber, denen dieser Sporn nicht genügt, -finden sich, ist erst einmal die erste Zeit des Schauens und Hörens -vorbei, sehr rasch durch Langeweile und Vereinsamung genötigt, irgend -eine fruchtbare Thätigkeit zu wählen. Wir haben hier kein Wirtshausleben -im abendländischen Sinne, keine Geselligkeit gewohnheitsmäßiger -Müssiggänger; man <em>muß</em> hier eben arbeiten, um sich behaglich zu -fühlen, und so arbeitet denn Alles, was arbeitsfähig ist. Die verstockteste -Trägheit und Indolenz kann höchstens durch einige Wochen dem Zauber -des Gedankens Stand halten, daß man, um den Ersten des Landes -<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a> -als Seinesgleichen die Hand schütteln zu dürfen, keines anderen Ehren- -und Machttitels bedürfe, als einiger ehrlicher Arbeit. Kräftige, gesunde -Müssiggänger sind also auch unter den Eingewanderten geradezu -verschwindende Ausnahmen, die wir resigniert als eine Art geistiger -Krankheitsfälle über uns ergehen lassen. Darben aber dürfen bei -uns auch diese Trägen nicht. Sie erhalten, ohne daß ihnen ein -besonderes Recht eingeräumt wird, alles, was sie brauchen und zwar -nach europäischen Begriffen überreichlich. -</p> - -<p> -„Was nun die Frage anlangt, ob das Institut der Versorgungsrechte -nicht geradezu alles ins Land locke, was die übrige Welt an körperlich -und geistig Invaliden, an Krüppeln und Greisen besitze, so kann -ich darauf nur antworten, daß Freiland Jedermann unwiderstehlich anlockt, -der nähere Kunde von seinen Einrichtungen erhalten hat, und daß -daher das Verhältnis zwischen arbeitstüchtigen und arbeitsuntüchtigen -Einwanderern lediglich davon abhängt, ob solche Kunde leichter und -rascher zu ersteren oder zu letzteren gelangt. Wir weisen niemand zurück -und befördern den lahmen Krüppel ebenso unentgeltlich in unser -Land, wie den rüstigsten Arbeiter; aber es liegt in der Natur der -Sache, daß die Tüchtigsten, Regsamsten sich in stärkerer Zahl melden, -als die Armen an Geist und Körper. -</p> - -<p> -„Auf der Forderung, daß jeder Einwanderer des Lesens und -Schreibens kundig sein müsse, um all’ unserer Rechte teilhaftig zu -werden, bestehen wir seit Gründung des Gemeinwesens. Freiheit und -Gleichberechtigung setzen ein gewisses Ausmaß von Kenntnissen voraus, -welche wir niemand erlassen <em>können</em>. Freilich bliebe uns der Ausweg, -die Unwissenden zu bevormunden; aber damit wäre den Behörden ein -Wirkungskreis eingeräumt, den wir für unvereinbar mit wahrer Freiheit -halten, und wir behandeln daher Einwanderer, die Analphabeten -sind, als Fremdlinge, oder wenn man so will, als Gäste, die nach -Möglichkeit zu fördern jedermanns Menschenpflicht ist, die in materieller -Beziehung, sofern sie sich leistungsfähig erweisen, den Einheimischen -gegenüber keineswegs verkürzt werden, die jedoch keinerlei politisches -Recht auszuüben vermögen.“ -</p> - -<p> -„Wie aber“, so fragte mein Vater, „konstatieren Sie diese geistige -Beschaffenheit Ihrer unwissenden Landesgenossen? Existiert zu diesem -Behufe eine besondere Behörde, und ergeben sich keine Unzukömmlichkeiten -bei solcher Inquisition?“ -</p> - -<p> -„Wir inquirieren nicht, und keine Behörde kümmert sich um das -Wissen der Leute. Anfänglich übten wir, um nicht von fremder Unwissenheit -überflutet zu werden, die Vorsicht, Analphabeten von der -unentgeltlichen Beförderung nach Freiland auszuschließen; wir haben -vor 19 Jahren auch das fallen gelassen. Jedermann, ohne jegliche -Ausnahme, wird seither unentgeltlich bis an jeden ihm beliebigen Punkt -<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a> -Freilands befördert; niemand befragt ihn auch hier um den Stand -seines Wissens; es steht ihm frei, von allen unseren Einrichtungen -vollen Gebrauch zu machen, alle unsere Rechte auszuüben — nur muß -er dies in derselben Weise thun, wie wir — und das ist dem Analphabeten -eben unmöglich. Wohin er sich wenden mag, bei der Centralbank, -bei allen Associationen, in allen Wahlbureaus, muß er lesen, -schreiben — und zwar der Natur der Sache nach meist mit Verstand -schreiben — sich in Gedrucktem und Geschriebenem zurechtfinden, kurz, -ein gewisses Maß von Bildung haben, welches wir ihm nicht erlassen -könnten, auch wenn wir wollten.“ -</p> - -<p> -„Dann ist aber“, meinte mein Vater, „Ihre berühmte Gleichberechtigung -doch nur für einigermaßen gebildete Leute vorhanden?“ -</p> - -<p> -„Selbstverständlich“ — erklärte nun Frau Ney. „Oder glauben -Sie wirklich, daß vollkommen Unwissende die Fähigkeit besitzen, sich -selber zu regieren? Jawohl, wirkliche Freiheit und Gleichberechtigung -hat einen gewissen Grad von Civilisation zur unerläßlichen -Voraussetzung. Die Freiheit und Gleichberechtigung der Armut und -Barbarei, diese allerdings lassen sich auch von unwissenden Horden ins -Werk setzen; Reichtum und Muße aber sind Produkte hoher Kunst und -Kultur, sie können nur von wirklichen Kulturmenschen genossen werden. -Wer die Menschen frei und reich machen will, der muß ihnen zuvor -Wissen beibringen — das liegt nun einmal in der Natur der Sache, -und nicht unsere, sondern Euere Schuld ist es, daß so Viele Eurer -Volksgenossen zur Freiheit erst noch erzogen werden müssen.“ -</p> - -<p> -„Da haben Sie abermals Recht“, seufzte mein Vater. „Nun, -und welche Erfahrungen machen Sie mit diesen eingewanderten Analphabeten?“ -</p> - -<p> -„Die Erfahrung, daß diese Ausschließung von vollkommener Gleichberechtigung, -gerade weil sie mit keinerlei materieller Benachteiligung -verknüpft ist, als schlechthin unwiderstehlicher Antrieb zu möglichst -raschem Nachholen des in der alten Heimat Versäumten wirkt. Wir -haben zu Nutz und Frommen solcher Einwanderer besondere Schulen -für Erwachsene eingerichtet; auch Nachbarn und gute Freunde nehmen -sich ihrer an und die Leute lernen mit geradezu rührendem Eifer. Sie -begnügen sich keineswegs mit der mechanischen Aneignung jenes Ausmaßes -von Kenntnissen, dessen sie zu Ausübung aller freiländischen -Rechte gerade bedürfen, sondern sind redlich bemüht, sich möglichst vollständiges -Wissen zu erwerben, und es sind wenige Fälle bekannt, wo -aus solchen Einwanderern in kurzer Zeit nicht ganz gebildete Menschen -geworden wären.“ -</p> - -<p> -„Und was schließlich die hier wirklich als Invaliden anlangenden -Einwanderer betrifft“, nahm jetzt wieder David das Wort, „so üben -wir diesen gegenüber die Versorgungspflicht in der nämlichen Weise, -<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a> -als ob sie in freiländischen Werkstätten alt und schwach geworden wären. -Eine merkliche Belastung unseres Budgets haben wir davon nicht verspürt. -Charakteristisch ist übrigens, daß die invaliden Eingewanderten -meist nur unvollständigen Gebrauch von dem ihnen eingeräumten Versorgungsrechte -machen; diese Bedauernswerten gewöhnen sich in der -Regel nur allmählich an das sich ihnen hier bietende Ausmaß höherer -Genüsse, und sie wissen daher anfangs keine Verwendung für den auf -sie einstürmenden Reichtum.“ -</p> - -<p> -„Jetzt bitte ich Sie, noch <em>ein</em> Bedenken zu zerstreuen, wie mir -scheint, das wichtigste. — Was ist’s mit Verbrechern, gegen deren Einwanderung -Sie doch auch nicht geschützt sind? Erscheint mir schon höchst -merkwürdig, daß Sie ohne Polizei und Strafeinrichtungen mit den -Millionen Ihrer freiländischen Bevölkerung auskommen, so kann ich -vollends nicht begreifen, wie Sie mit jenen Strolchen und Verbrechern -fertig werden wollen, welche durch die ihnen hier winkende Milde, die -auch den Verbrecher nicht strafen, bloß bessern will, doch angelockt -werden sollten, wie Wespen vom Honig. Nun haben Sie uns allerdings -erzählt, daß die zur Entscheidung der Civilstreitfälle eingesetzten -Friedensrichter auch in Criminalsachen als erste Instanz zu fungieren -haben, und daß von diesen der Appell an höhere Richterkollegien zulässig -sei; Sie fügten jedoch hinzu, daß diese Richter allesamt so gut -wie nichts zu thun haben und nur in höchst seltenen Ausnahmefällen -das hierzulande übliche Besserungsverfahren zu verhängen in die Lage -kommen. Wirken thatsächlich Ihre Institutionen so besänftigend auch -auf verstockte Verbrechergemüter?“ -</p> - -<p> -„Allerdings“, antwortete Frau Ney. „Und wenn Sie ruhig erwägen, -welches die eigentliche und letzte Quelle aller Verbrechen ist, so -werden Sie das auch ganz begreiflich finden. Vergessen Sie doch nicht, -daß Recht und Gesetz in der ausbeuterischen Gesellschaft Anforderungen -an das Individuum stellen, die der menschlichen Natur geradezu entgegenlaufen. -Der Hungernde und Frierende soll vorübergehen an fremdem -Überflusse, ohne sich davon anzueignen, wessen er zur Befriedigung -seines unabweislichen Bedürfnisses bedarf, ja ohne Neid und Mißgunst -gegen die Glücklicheren zu empfinden, die reichlich besitzen, was er so -grausam entbehrt! Er soll seinen Nebenmenschen lieben, trotzdem dieser -gerade auf jenem Gebiete, wo Interessenkonflikte am unversöhnlichsten -sind, weil sie die Grundlagen der ganzen Existenz berühren, sein Nebenbuhler, -sein Zwingherr oder sein Sklave, für alle Fälle aber sein Feind -ist, aus dessen Nachteil er Vorteil zieht und aus dessen Vorteil ihm -Nachteil erwächst! Daß all’ dies Jahrtausende hindurch unerbittliche -Notwendigkeiten waren, läßt sich freilich nicht leugnen; aber thöricht -wäre es, zu übersehen, daß derselbe grausame Zusammenhang, welcher -die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, also das Unrecht, -<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a> -zur Voraussetzung des Kulturfortschrittes machte, auch das Verbrechen, -d. h. die Auflehnung des gemarterten Individuums gegen die zum -Wohle der Gesamtheit unerläßliche schreckliche Ordnung, erst ins Leben -rief. Die ausbeuterische Weltordnung verlangt vom Individuum, daß -es thue, was ihm schadet, weil das Wohl der Gesamtheit es so erfordert, -und sie verlangt dies nicht etwa als besonders anerkennenswerte, hervorragende -Leistung, die bloß einzelnen edlen Naturen zugemutet werden -dürfe, in denen der Gemeinsinn jegliche Regung des Egoismus unterdrückt -hat, sondern als etwas bei jedermann stets und überall Selbstverständliches, -dessen Übung nicht Tugend, sondern dessen Unterlassung -Verbrechen genannt wird. Auch der Held, der sein Leben dem Vaterlande, -der Menschheit opfert, unterordnet sein Einzelinteresse dem Wohle -einer höheren Gesamtheit, und niemals wird die Menschheit auf solche -Opferthaten verzichten können, immer wird sie von ihren Edelsten verlangen, -daß die Liebe zur Gattung den Sieg davon trage über die -Liebe zum eigenen kleinen Ich, ja es darf ohne weiteres als logisches -Ergebnis fortschreitender Kultur bezeichnet werden, daß diese Forderung -stets gebieterischer im Busen des Menschen sich geltend machen und dort -stets freudigeren Gehorsam finden wird. Aber der Name dieses -Gehorsams ist „Heroismus“, sein Mangel noch kein Verbrechen; -er kann nicht erzwungen werden, sondern ist ein freiwilliger Liebestribut -groß angelegter Naturen. Auf wirtschaftlichem Gebiete aber wird ähnlicher, -ja schwerer zu übender Heldenmut dem Letzten und Elendesten, -ja diesem in erster Reihe zugemutet, muß ihm, so lange Ausbeutung -die Grundlage der Gesellschaft ist, zugemutet werden, und „Verbrecher“ -heißen dann alle Jene, die sich minder groß erweisen, als ein Leonidas, -Curtius oder Winkelried auf dem Schlachtfelde, oder als jene meist ungenannten -Heroen der Menschenliebe, die ihr Leben im Kampfe gegen -feindliche Naturmächte zaglos zum Opfer brachten, wenn die heilige -Stimme in ihnen, die Stimme der Nächstenliebe, es forderte. -</p> - -<p> -„Wir in Freiland aber verlangen von niemand zwangsweise solchen -Heldenmut. Auf wirtschaftlichem Gebiete muten wir dem Individuum -nichts zu, was seinem eigenen Interesse widerspricht, es ist daher nur -selbstverständlich, daß es sich niemals gegen unsere Rechtsordnung -empört. Bei uns ist Wahrheit, was unter der Herrschaft der alten -Ordnung bloß selbstgefällige Gedankenlosigkeit behaupten konnte, daß -nämlich wirtschaftliche Moral nichts anderes sei, als vernünftiger Egoismus. -Sie werden es also begreiflich finden, daß <em>vernünftige</em> Menschen -unsere Rechtsordnung nicht verletzen können. Wir haben einige Dutzend -unverbesserlicher Übelthäter im Lande, dieselben sind aber ohne Ausnahme -— unheilbare Idioten.“ -</p> - -<p> -Nachdem auch dieser Punkt erledigt war, erbat sich mein Vater -eine letzte Aufklärung. Er erklärte, nunmehr vollständig zu begreifen, -<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a> -daß die freiländischen Institutionen, gerade weil sie nichts anderes seien, -als die konsequente Durchführung des Prinzipes der wirtschaftlichen -Gerechtigkeit, durchaus geeignet wären, jeglichem billigen und vernünftigen -Anspruche zu genügen. Nichtsdestoweniger drückte er seine Verwunderung -über die sichtlich herrschende allgemeine und ausnahmslose -Zufriedenheit mit denselben aus. Ob denn <em>unvernünftige</em> Parteiungen -Freiland keinerlei Schwierigkeiten bereiteten? Insbesondere wollte er -wissen, ob Kommunismus und Nihilismus, die in Europa stets drohender -ihr Haupt erheben, hierzulande gar nicht zu schaffen machten. „In den -Augen eines echten Kommunisten“, so rief er, „seid Ihr hier doch nichts -weiter, als arge Aristokraten. Von absoluter Gleichheit keine Spur -bei Euch! Welchen Wert kann Euere vielberühmte Gleich<em>berechtigung</em> -in den Augen von Leuten haben, die von dem Grundsatze ausgehen, -daß jeder Bissen Brot, den einer dem andern gegenüber voraus hat, -Diebstahl sei, und die daher, damit niemand mehr besitze, als der andere, -alles Eigentum aufheben? Und dabei keine Polizei, keine Soldaten, -um diese Tollhäusler im Zaume zu halten! Teilt doch auch uns das -Recept mit, nach welchem sich der nihilistische und kommunistische Fanatismus -so unschädlich machen läßt!“ -</p> - -<p> -„Nichts leichter als das“ — antwortete Frau Ney. „Machen -Sie, daß jedermann satt werde, und niemand wird dem anderen die -Bissen vorzählen wollen. Die absolute Gleichheit ist eine Hallucination -des Hungerfiebers, weiter nichts. Die Menschen sind einander <em>nicht</em> -gleich, weder in ihren Fähigkeiten, noch in ihren Bedürfnissen; Ihr -Appetit ist stärker, als der meinige; Sie lieben vielleicht hübsche -Kleider — ich gebe keinen Heller für dieselben; dafür bin ich vielleicht -ein Leckermaul, während Sie grobe Kost vorziehen, und so fort ohne -Ende. Welcher Menschenverstand soll nun darin liegen, unsere beiderseitigen -Bedürfnisse über denselben Leisten zu schlagen! Ich will gar -nicht untersuchen, ob es möglich ist, ob über den davon unzertrennlichen -Zwang nicht Freiheit und Fortschritt zu Grunde gehen müßten; der -Zweck an sich ist so unsinnig, daß absolut unbegreiflich wäre, wie zurechnungsfähige -Menschen auf derartige Gedanken geraten können, wenn -nicht <em>eines</em> dazwischen träte, nämlich, daß der eine von uns weder -seinen starken, noch seinen schwachen Appetit, seine Vorliebe weder für -feine noch für ordinäre Kleidung, weder für leckere noch für gewöhnliche -Speisen befriedigen kann, sondern grimmiges, brutales Elend leidet. -Kommt dazu noch der Irrtum, daß mein Überfluß an Ihren Entbehrungen -die Schuld trägt, so wird es begreiflich, daß Sie und diejenigen, -die Mitleid mit Ihren Leiden haben, nach Teilung, nach vollkommen -gleichmäßiger Teilung rufen. Mit einem Worte, der Kommunismus -hat keine andere Quelle, als die Erkenntnis des grenzenlosen Elends -der überwiegenden Mehrzahl aller Menschen, verknüpft mit der falschen -<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a> -Anschauung, daß es der thatsächlich vorhandene Reichtum Einzelner sei, -aus welchem allein die Linderung dieses Elends geschöpft werden könne. -Diese letztere Meinung ist nun allerdings eine unbegreifliche Thorheit, -denn man braucht nur die Augen zu öffnen, um zu sehen, welch kümmerlicher -Gebrauch von den so reichlich vorhandenen Fähigkeiten, Reichtümer -zu erzeugen, gemacht wird; aber nicht die Kommunisten sind es, -welche diese Thorheit ausheckten; Euere orthodoxe Ökonomie hat die -Lehre in Umlauf gebracht, daß gesteigerte Ergiebigkeit der Arbeit die -vorhandenen Werte nicht zu vermehren vermöge, sie, nicht der Kommunismus -war es, was die Menschheit blind machte gegen den wahren -Zusammenhang der wirtschaftlichen Vorgänge; Kommunisten sind in -Wirklichkeit nichts anderes, als gläubige Anhänger der sogenannten -„Grundwahrheiten“ orthodoxer Ökonomie und der einzige Unterschied -zwischen der bei Euch herrschenden Partei und ihnen liegt lediglich -darin, daß sie hungrig sind, während jene satt ist. Mit der Erkenntnis, -daß es nur der vollkommenen Gleich<em>berechtigung</em> bedürfe, <em>um Überfluß -für alle zu schaffen</em>, verfliegt der Kommunismus ganz von -selbst wie ein böser, beängstigender Traum. Man kann verlangen — -wenn auch nicht durchführen — daß alle Menschen auf gleiche Brotrationen -gesetzt werden, so lange man glaubt, daß der gemeinsame Reichtum, -von dem wir alle zehren müssen, eben nicht weiter als fürs liebe -Brot reiche; denn satt werden wollen wir doch alle. Zu verlangen, -daß jedem die gleiche Sorte und Menge Braten, Backwerk und Konfekt -aufgezwungen werde, nachdem sich herausgestellt hat, daß genug für alle -auch von diesen guten Dingen vorhanden sein könnte, wäre schlechthin -läppisch. Es gibt daher bei uns keine Kommunisten und kann keine geben. -</p> - -<p> -„Aber auch der Nihilismus ist aus dem gleichen Grunde in Freiland -unmöglich, denn auch er ist nichts anderes, als eine durch die Verzweiflung -des Hungers hervorgerufene Hallucination, die nur auf dem Boden der -orthodoxen Weltanschauung gedeihen kann. Ist der Kommunismus die -Nutzanwendung, welche der Hunger aus dem Lehrsatze zieht, daß die Arbeit -der Menschheit nicht ausreiche, um Überfluß für Alle zu erzeugen, so -kann man den Nihilismus als die Schlußfolgerung der Verzweiflung -aus jener anderen Lehre ziehen, daß Kultur und Civilisation unvereinbar -seien mit wirtschaftlicher Gleichberechtigung. Die Orthodoxie ist’s, welche -auch dieses Dogma in Umlauf gebracht hat; allerdings hält sie, als die -Wortführerin der Satten, auch hier keine andere Schlußfolgerung für -denkbar, als diejenige, daß die auf ewig enterbten Massen sich im -Interesse der Civilisation resigniert in ihr Schicksal fügen müßten; die -Partei der Hungrigen aber wendet sich in wütendem Grimme gegen -diese Civilisation, von welcher selbst ihre Anhänger behaupten, daß sie -der ungeheuern Mehrzahl der Menschen niemals helfen könne und die -deshalb für diese keinen anderen Effekt hat, als den einer Steigerung -<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a> -der <em>Empfindung</em> des Elends. <em>Wir</em> haben den Beweis erbracht, daß -Civilisation nicht bloß vereinbar, sondern geradezu die Voraussetzung -der wirtschaftlichen Gleichberechtigung ist — auch der Nihilismus muß -also hierzulande unbekannt sein.“ -</p> - -<p> -„Sie glauben also“, nahm ich das Wort, „daß die Gleichheit des -thatsächlichen Einkommens mit der Gleich<em>berechtigung</em> nichts zu thun -habe? Ich meinerseits muß gestehen, daß mir jene nutzlose Anhäufung -überflüssiger Reichtümer, die wir in unserer abendländischen Gesellschaft -zu beobachten Gelegenheit haben, an und für sich widerwärtig geworden -ist, auch wenn ich mich überzeugt habe, daß das Elend der Massen -weder in diesem Überflusse einer kleinen Minderzahl seinen letzten Grund -habe, noch sich durch Verteilung dieses Überflusses wesentlich lindern -ließe. Eine gesellschaftliche Ordnung, welche diese geilen Überschüsse -nicht beseitigt, wird in meinen Augen immer unvollkommen bleiben, -mag sie im übrigen noch so ausreichend für den Wohlstand Aller Sorge -tragen.“ -</p> - -<p> -„Auch ich kann dieses Gefühles nicht ganz Herr werden“, meinte -mein Vater. „Aber ich bin der Ansicht, daß in dieser Auflehnung gegen -die Ungleichheit an sich, denn doch nichts anderes zu suchen sein dürfte, -als die sittliche Empörung, welche in jedem unbefangen denkenden -Menschen gegen die bisherigen <em>Ursachen</em> der Ungleichheit Wurzel geschlagen -hat. Wir sehen bei uns zu Hause, daß große Vermögen fast -niemals in hervorragenden individuellen Anlagen, sondern regelmäßig -bloß in der Ausbeutung der Nebenmenschen ihren Entstehungsgrund -haben, und daß sie ebenso regelmäßig zu neuer Ausbeutung benutzt -werden. Das ist’s, was uns dagegen einnimmt. Könnten noch so -große Vermögen bloß durch hervorragende persönliche Fähigkeiten entstehen -und vermöchte man sie zu nichts anderem zu gebrauchen, als -zur Steigerung der individuellen Genüsse, wie dies in Freiland alles -zutrifft, so würde auch die nicht hinwegzuleugnende Abneigung gegen -dieselben rasch aufhören. Was ist übrigens die Meinung unserer liebenswürdigen -Wirtin über diesen Punkt?“ -</p> - -<p> -„Der Widerwille gegen übergroße Vermögen“ — erklärte diese — -„ist meines Erachtens nicht bloß in der ungerechten Quelle und Verwendung -derselben zu suchen, sondern liegt tiefer, in der Erkenntnis -nämlich, daß von sehr vereinzelten Ausnahmen abgesehen, die Verschiedenheiten -in den Fähigkeiten der Menschen nicht so einschneidend -sind, um so gewaltige Differenzen des Reichtums genügend zu rechtfertigen. -Der Reichtum einer hochkultivierten Gesellschaft besteht zu derart -überwiegendem Teile aus den Hinterlassenschaften der Vergangenheit und -zu verhältnismäßig so geringem Teile aus den ureigenen Leistungen der -einzelnen Individuen, daß ein gewisser Grad der Gleichheit — nicht -bloß der Rechte, sondern auch der thatsächlichen Genüsse — allerdings -<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a> -im Wesen der Sache begründet und ein Gebot der Gerechtigkeit ist. -Jeder Fortschritt der Kultur ist gleichbedeutend mit fortschreitender Ausgleichung -der Differenzen der Leistungsfähigkeit. Denken Sie sich zurück -in den Urzustand, wo das Individuum den Kampf ums Dasein der -Hauptsache nach mit den ihm angeborenen Hilfsmitteln zu Ende führen -mußte, so werden Sie finden, daß die Unterschiede sehr groß waren: -bloß der Kräftige, Gewandte, Schlaue vermochte sich zu erhalten; der -minder Begabte mußte untergehen. Als dann späterhin wachsende Kultur -die Hilfsmittel der Menschen vermehrte, dermaßen, daß auch dem minder -Fähigen möglich wurde, das zur Lebensfristung erforderliche zu erzeugen, -blieb doch der Unterschied der individuellen Leistungen anfangs sehr -groß. Der geschickte Jäger wird um ein Vielfaches reichlichere Beute -haben, als der minder geschickte; der kräftige, gewandte Ackerbauer wird -mit dem Spaten vielfach mehr richten, als der schwächliche, schwerfällige. -Schon mit Erfindung des Pfluges verringert sich diese Verschiedenheit -der Leistungen sehr wesentlich, und sie wird — was körperliche Fähigkeiten -anlangt — mit der Erfindung der Kraftmaschinen beinahe auf -Null reduciert. Mehr und mehr ersetzt die Maschine die Energie der -menschlichen Muskeln, mehr und mehr aber gleichzeitig auch Witz und -Erfahrung der Vorfahren die individuelle Findigkeit. Zwar so vollständig -wie auf körperlichem Gebiete treten auf geistigem die individuellen -Unterschiede nicht in den Hintergrund, aber auch sie rechtfertigen mit -nichten jene kolossalen Differenzen des Reichtums, an welche man zu -denken pflegt, wenn von „großen Vermögen“ die Rede ist. Der Arbeiter -am Dampfpfluge leistet — er mag ein Riese oder ein Schwächling -sein — so ziemlich das nämliche; Klugheit und Umsicht der Leitung -des Produktionsprozesses kann den Ertrag noch immer vervielfachen; -eine Leistung aber, die hundertfach und tausendfach den Wert gewöhnlicher -Durchschnittsleistung überträfe, ist heutzutage nur mehr — dem -Genie möglich, und diesem allein würde sie dem entsprechend auch unser -Billigkeitsgefühl zuerkennen.“ -</p> - -<p> -Damit schloß dieses Gespräch, welches mir aus dem Grunde ewig -denkwürdig bleiben wird, weil es meinen Entschluß, Freiländer zu werden, -zur Reife gebracht hat. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-9"> -<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a> -21. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Edenthal, den 20. August. -</p> - -<p class="first"> -Du schreibst in Deinem Letzten, es komme Dir nicht ganz geheuer -vor, daß in meinen Briefen so gar keine Rede mehr von den jungen -Damen sei, mit denen ich seit nunmehr sechs Wochen unter einem Dache -weile. Wenn ein junger Italiener — so argumentiert Deine unerbittliche -Logik — von schönen Mädchen, mit denen er verkehrt, darunter -eines, dessen erster Anblick ihn — eigenem Geständnis zufolge — „geradezu -verwirrt“ habe, nichts zu erzählen wisse, so habe er sich entweder -einen Korb von der bewußten Einen geholt oder sei doch im Begriffe, -es darauf ankommen zu lassen. Die Logik hat Recht, Luigi; ich -bin verliebt, d. h. ich war es vom ersten Blicke an, und zwar in -Bertha, meines David herrliches Schwesterlein, und auch mit dem -Korbe hätte es um ein Kleines seine Richtigkeit gehabt. Nicht, daß die -Geliebte meine Gefühle unerwidert gelassen hätte; Bertha gestand mir -mit jener unbefangenen Offenheit, die ihr — richtiger, die allen Freiländerinnen -— so entzückend steht, beim ersten Anlasse, wo ich mir zu -einem Geständnisse den Mut faßte, daß auch sie mich sofort in ihr Herz -geschlossen, daß sie noch am ersten Abend unseres Beisammenseins gewußt, -mir oder niemand werde sie als Gattin angehören — und trotzdem -bekam ich auf meine Werbung zunächst ein „Nein“ zu hören, das -an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ. Bertha vermochte sich -nämlich nicht zu entschließen, italienische Herzogin zu werden, und mein -Vater, der — höre und staune — den Brautwerber für mich machte, -hatte von ihr als etwas selbstverständliches gefordert, sie solle mir nach Italien -auf unsere dortigen fürstlichen Besitzungen folgen, das Herzogsdiadem in -ihre Locken — sie sind von einem entzückenden Blond — flechten und -im Vereine mit mir die Fortpflanzung des erlauchten Geschlechts der -<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a> -Falieri zu ihrer Lebensaufgabe zu machen. Meinen Wunsch, mich als -Freiländer in Freiland anzusiedeln, betrachtete mein Vater als überspannte -Narrheit. Du kennst seine Anschauungen, die ein seltsames Gemengsel -von aufrichtigem Freisinn und aristokratischem Stolze sind, -richtiger waren; hier in Freiland hatte die demokratische Seite seiner -Anschauungen sich allgemach gewaltig ins Breite und Tiefe entwickelt; -er begann sogar aufs feurigste für die freiländischen Institutionen zu -schwärmen; wenn es einen anderen Zweig der Falieri gäbe, dem man -die Erhaltung der fürstlichen Familientraditionen hätte anvertrauen -können — <span class="antiqua">per baccho</span> — mein Vater hätte mich sofort gewähren -lassen. Aber um einer — und sei es auch noch so edlen — Schwärmerei -willen, die Axt an den Stammbaum eines Hauses zu legen, dessen Ahnen -unter den ersten Kreuzfahrern gekämpft und späterhin als italienische -Duodez-Fürsten die Welt mit ihren (Schand-) Thaten erfüllt — das -war mehr, als er mir zu gewähren vermochte. Gegen die Liebe zu -Bertha aber hatte er nichts einzuwenden; wirklich und wahrhaftig, -lieber Freund, nicht das geringste. Im Gegenteil, er war ordentlich -stolz auf mich, als ich ihm die Frage, ob ich denn der Gegenliebe des -Mädchens sicher sei, mit einem zuversichtlichen „Ja“ beantworten konnte. -„Blitzjunge“ rief er, „dieses Prachtgeschöpf so im Handumdrehen erobern! -Das soll uns Falieris jemand nachmachen!“ Bertha hatte -es meinem Vater geradeso angethan, wie mir, und da dieser ganz im -allgemeinen vor den freiländischen Frauen den größten Respekt -empfindet, so war ihm die „bürgerliche“ Schwiegertochter ganz recht. -Aber nur unter der Bedingung, daß ich den „tollen“ Gedanken des -Hierbleibens aufgebe. „Das Mädchen ist im kleinen Finger klüger als -Du“, rief er; „sie würde sich schön bedanken, wenn ihr der Bräutigam -die Herzogskrone zerbrochen vor die Füße würfe. Freiländerin sein ist -recht schön — aber, glaube mir, Fürstin zu sein, ist noch schöner. Zudem -kann man ja diese beiden Vorteile recht wohl vereinigen. Den -Winter und Frühling verbringt Ihr in unseren Palästen in Rom und -Venedig; Sommer und Herbst hindurch könnt Ihr dann — wenn es -Euch recht ist, in meiner Begleitung — hier an Euren Seen und in -Euren Bergen die Freiheit genießen. Also es bleibt dabei; ich werbe -für Dich um Bertha — aber von dauernder Ansiedelung hier kein -Wort weiter!“ -</p> - -<p> -Mir gefiel die Sache nicht; den Vorsatz, Freiländer zu werden, -hatte ich — Du darfst es mir glauben — nicht der Geliebten halber -gefaßt, aber deren Lichtgestalt vermochte ich mir nun einmal weder mit -dem Fürstendiadem, noch in den Prunkgemächern unserer Schlösser zu -denken. Indessen mußte ich mich dem Willen des Vaters einstweilen -fügen und so brachte nun dieser seine Werbung an den Mann, indem -er in meinem und Berthas Beisein deren Eltern um die Hand ihrer -<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a> -Tochter für seinen Sohn, den Prinzen Carlo Falieri bat, hinzufügend, -daß er sofort nach vollzogener Heirat die Güter in der Romagna, im -Toskanischen und Venetianischen, sowie die Paläste in Rom, Florenz, -Mailand, Verona und Venedig an mich übergeben und sich bloß unsere -sicilianischen Besitzungen — als „Altenteil“, wie er scherzend meinte — -vorbehalten werde. Die alten Neys nahmen diese grandiosen Zusagen -mit einer nichts Gutes verkündenden eisigen Zurückhaltung entgegen; nach -minutenlangem Schweigen und nachdem er auf Gattin und Tochter einen -langen, prüfenden, auf mich aber einen vorwurfsvollen Blick geworfen, -erklärte Herr Ney: „Wir Freiländer sind nicht die Tyrannen, bloß die -Berater unserer Töchter; in <em>diesem</em> Falle aber bedarf unser Kind des -Rates nicht; wenn Bertha Ihnen als Fürstin Falieri nach Italien folgen -will, wir werden es ihr nicht verwehren.“ -</p> - -<p> -Hochaufgerichtet, einem erzürnten Cherub vergleichbar, wandte sich -nun Bertha an meinen Vater: „Niemals! Niemals!“ rief sie mit -zuckenden Lippen. „Mehr als mein Leben liebe ich Ihren Sohn; ich -werde sterben, wenn er, um Ihnen zu gehorchen, mir entsagt; aber -Freiland verlassen, als <em>Fürstin</em> verlassen? Niemals! Niemals! Lieber -tausendmal den Tod!“ -</p> - -<p> -„Aber unseliges Kind,“ entgegnete ganz entsetzt über diesen unerwarteten -Effekt seines Antrages mein Vater, „Sie sprechen ja das -Wort ‚Fürstin‘ aus, als wäre es für Sie der Inbegriff des Schrecklichen. -Jawohl, Fürstin sollen Sie werden, eine der reichsten, stolzesten -Fürstinnen Europas, d. h. Sie sollen fürderhin keinen Wunsch -haben, den zu erfüllen nicht Tausende wetteifern würden; Sie sollen -Gelegenheit und Macht erlangen, Tausende zu beglücken; Millionen -werden Sie beneiden“ -</p> - -<p> -„und verfluchen und hassen“ — unterbrach ihn mit bebenden -Lippen Bertha. „Wie, sechs Wochen leben Sie unter uns und begreifen -nicht, was eine freie Tochter Freilands empfinden muß bei dem -Ansinnen, diese glücklichen Gefilde, die Heimstätte der Gerechtigkeit und -der Menschenliebe zu verlassen, um fern in Ihrem traurigen Vaterlande -— nicht etwa die Thränen Unterdrückter zu stillen, sondern zu erpressen, -nicht etwa die Scheußlichkeiten Ihrer Sklaverei zu bekämpfen, sondern -sie selber zu üben? Ich liebe Carlo so über alle Maßen, daß ich bereit -wäre, an seiner Seite dies Land des Glückes mit dem des Elends -zu vertauschen, wenn irgend eine unlösliche Pflicht ihn dahin riefe; -aber nur unter der Bedingung, daß seine und meine Hand frei bliebe -von fremdem Gute, daß wir in ehrlicher Arbeit selber verdienten, was -wir zum Leben brauchen; aber <em>Fürstin</em> soll ich werden, <em>Fürstin</em>! -Tausende von Knechten sollen das Mark ihrer Knochen hergeben, damit -ich im Überfluß schwelge, tausende von Flüchen zu Tode gequälter -Menschen sollen haften an der Speise, die ich genieße, an der Kleidung, -<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a> -die meine Glieder umhüllt! (Bei diesen Worten verbarg sie ihr Antlitz -schaudernd in den Händen; dann aber, sich gewaltsam aufraffend, -fuhr sie fort): Bedenken Sie doch, wenn Sie eine Tochter hätten und -man würde von ihr verlangen, unter die menschenfressenden Njam-Njam -zu gehen, um dort Königin zu werden, und der Vater des Bräutigams -würde ihr versprechen, es sollten ihr recht zahlreiche und fette Sklaven -geschlachtet werden — was würde das arme Kind, das unüberwindliches -Grauen vor Menschenfleisch mit der Muttermilch eingesogen hat, -dazu sagen? Nun, sehen Sie, wir in Freiland empfinden Grauen vor -Menschenfleisch, auch wenn das Schlachtopfer ohne Blutvergießen, Zoll -um Zoll und Glied um Glied langsam getötet wird, uns flößt das allmähliche -Aussaugen und Verzehren eines Nebenmenschen nicht minderes -Entsetzen ein, als Ihnen das buchstäbliche Auffressen desselben, und so -wenig Sie an den Mahlzeiten der Kannibalen Teil zu nehmen im -Stande sind, so unmöglich ist es uns, von der Ausbeutung geknechteter -Mitmenschen zu leben. Ich <em>kann</em> nicht Fürstin werden, ich kann -nicht! O, trennen Sie mich nicht von Carlo, denn wir werden beide -darüber zu Grunde gehen, und — das weiß ich nicht erst seit heute — -Sie lieben nicht nur ihn, sondern auch mich.“ -</p> - -<p> -Dieser Appell, verbunden mit den rührendsten Blicken und einem -sanften Erfassen seiner Hände, war mehr, als mein Vater — aus -solchem Munde — ungerührt zu ertragen vermochte. „Mädchen, Du -hast mir ja ordentlich Entsetzen vor mir selber eingejagt! Also Menschenfresser -sind wir, mit dem Unterschiede bloß von Euern liebenswürdigen -Njam-Njam, daß wir unsere Schlachtopfer nicht mit <em>einem</em> herzhaften -Keulenschlage erlegen und dann sofort verschlingen, sondern stückweise, -Zoll um Zoll uns zu Gemüte führen! Nun, Du magst so Unrecht -nicht haben und keineswegs will ich Dich zu den Freuden einer Fürstlichkeit -zwingen, bezüglich deren Du solche Anschauungen hegst. Auch -mein entarteter Sohn scheint in diesem Punkte mehr Deiner als meiner -— bisherigen Geschmacksrichtung zu huldigen. Nehmt einander also -und werdet glücklich nach Eurer Façon. Was mich anlangt, so werde -ich über Mittel und Wege nachsinnen, um mich in den Augen meines -neuen Töchterchens einigermaßen vom Geruche des Kannibalismus zu -befreien.“ -</p> - -<p> -Meine Bertha flog jetzt zuerst mir, dann meinem Vater, dann der -Reihe nach ihren Eltern und Geschwistern, dann aber wieder meinem -Vater an den Hals. Das Küssen und Umarmen des Schwiegerpapas -geriet so begeistert und stürmisch, daß ich um ein Haar eifersüchtig geworden -wäre. Mein Vater aber war nun derart Feuer und Flamme -für unsere bevorstehende Verbindung, daß er Neys aufforderte, sofort -alle erforderlichen Formalitäten dieses erfreulichen Aktes einzuleiten. -Binnen Monatsfrist ungefähr glaube er — vorübergehend — nach -<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a> -Europa zurückkehren zu müssen, und es wäre ihm eine große Freude, -uns bis dahin schon vereint zu wissen. So wurde nun festgestellt, daß -unsere Vermählung nach Ablauf von 14 Tagen, d. i. am 3. September -stattfinden solle. -</p> - -<p class="date"> -Ungama, den 24. August. -</p> - -<p class="center"> -„Zwischen Lipp’ und Bechers Rand ........“ -</p> - -<p> -Als ich vor vier Tagen meinen Brief geschlossen hatte und zum -Zwecke eines Nachtrags, den Bertha hinzufügen wollte (sie erklärte sich -verpflichtet, „meinem besten Freunde“ einige Worte der Entschuldigung -ob des Raubes zu sagen, den sie an ihm begangen), einstweilen noch -zurückbehielt — da ahnte ich nicht, daß gewaltige Ereignisse sich zwischen -mich und die sofortige Erfüllung meiner glühenden Wünsche drängen -könnten. Der Krieg, dem wir entgegengehen, läßt zwar mein neues -Vaterland merkwürdig ruhig, und befände ich mich nicht in Ungama, -so würde nichts verraten, daß es den Kampf mit einem Gegner gilt, -der mehreren der mächtigsten kriegsgeübten Staaten Europas wiederholt -schon schwere Sorge bereitet; aber ich bin noch nicht lange genug Freiländer, -um die bittere Schmach und das schwere Unglück, von welchen -mein Geburtsland neuerlich betroffen wurde, nicht schmerzlich zu empfinden, -und für alle Fälle — in meiner Eigenschaft sowohl als ehemaliger -Italiener, wie als gegenwärtiger Freiländer — halte ich es für meine -Pflicht, den Kampf persönlich mitzumachen; bis dieser beendet ist, kann -ich an Hochzeit und Ehe natürlich nicht denken. Einstweilen hat mich -das Würfelspiel des Krieges von Edenthal weg, hierher, an die Küste -des indischen Oceans verschlagen. Doch laß mich ordnungsgemäß -der Reihe nach berichten. -</p> - -<p> -Zunächst also wisse, daß — es ist dies ja jetzt kein „diplomatisches -Geheimnis“ mehr — meines Vaters und seiner englischen wie französischen -Kollegen Bemühungen, für 300000 bis 350000 Mann anglo-franco-italischer -Truppen Durchzug durch Freiland zu erlangen, von -vollständigstem Mißerfolge begleitet waren. Freiland lebe mit Abyssinien -in Frieden, so erklärten die Edenthaler Regenten und habe vorerst kein -Recht, sich in dessen Händel mit den Westmächten zu mischen. Anders -stünden allerdings die Sachen, wenn letztere sich entschließen wollten, -auf ihren afrikanischen Territorien freiländisches Recht einzuführen, in -welchem Falle diese als freiländisches Gebiet angesehen und als solches -dann selbstverständlich von Freiland geschützt werden müßten. Aber -dann wäre die geforderte Militärkonvention erst recht überflüssig, denn -in diesem Falle würde Freiland jeden Angriff auf seine Verbündeten -als <span class="antiqua">casus belli</span> für sich selber auffassen und Abyssinien aus eigenen -Kräften zur Ruhe bringen. Darüber nun flossen die Verhandlungen -seit Wochen resultatlos hin und <a id="corr-68"></a>wider. Sichtlich nahmen die Kabinette -<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a> -von London, Paris und Rom letztere Zusage Freilands nicht recht -ernst, trotzdem ihre Gesandten, insbesondere mein Vater, redlich das -ihre thaten, ihnen mehr Vertrauen in die kriegerische Kraft Freilands -einzuflößen; die europäischen Mächte waren nicht abgeneigt, die von -Freiland als Bedingung eines Bündnisses geforderte Anerkennung des -freiländischen Rechts für die Kolonien am roten und indischen Meere -zuzugestehen, beharrten aber trotzdem auf der Forderung nach Abschluß -einer Militärkonvention, worauf jedoch Freiland nicht eingehen wollte. -So standen die Sachen bis in die letzten Tage. -</p> - -<p> -Am Morgen nach meiner Verlobung saßen wir eben beim Frühstück, -als für meinen Vater eine chiffrierte Depesche aus Ungama — dem -großen Hafenplatze Freilands am indischen Ocean — eintraf, nach -deren Entzifferung derselbe, von seiner gewohnten diplomatischen Ruhe -gänzlich im Stiche gelassen, totenbleich aufsprang und Papa Ney bat, -sofort eine Sitzung der sämtlichen Regenten der freiländischen Centralverwaltung -einzuberufen, er habe eine Mitteilung von entscheidender -Bedeutung zu machen. Den teilnahmsvollen Schrecken unserer Freunde -bemerkend, erklärte mein Vater: „Geheimnis kann die Sache ohnehin -nicht bleiben, so erfahret denn aus meinem Munde die Unglücksbotschaft. -Die mir von Commodore Cialdini, dem Kapitän eines unserer in -Massaua stationiert gewesenen Panzerschiffe zugekommene Depesche lautet: -„Ungama, den 21. August 8 Uhr Morgens. Bin soeben mit Panzerfregatte -Erebus und zwei Avisodampfern — einem eigenen und einem -französischen — schwerbeschädigt und flüchtig aus Massaua hier eingetroffen. -Johannes von Abyssinien hat vorgestern Nachts unter Bruch -des bestehenden Friedens Massaua verräterisch überfallen und fast ohne -Schwertstreich eingenommen. Unsere im Hafen liegenden und ebenso -die englischen und französischen Schiffe, 17 an der Zahl, wurden -gleichfalls überrumpelt und genommen, nur mir und den zwei Avisos -gelang es zu entkommen. Die kleineren Küstenfestungen, an denen -wir vorbeikamen, sind auch sämtlich in den Händen der Abyssinier. -Da uns der Cours nach Aden durch mehrere uns verfolgende feindliche -Dampfer abgeschnitten wurde und der Erebus kampfunfähig ist, -suchten wir Zuflucht in Ungama, um unsere Havarien auszubessern. -Finden uns hier die Abyssinier, so sprenge ich unsere Schiffe in -die Luft.“ -</p> - -<p> -Das war in der That eine üble Botschaft, nicht bloß für die -Verbündeten, sondern auch für Freiland, denn sie bedeutete Krieg mit -Abyssinien, den man hier zu vermeiden gehofft hatte. Zwar war man -— wie gesagt — von Anbeginn gefaßt darauf gewesen, den europäischen -Mächten als präsumtiven Bundesbrüdern, Ruhe vor Abyssinien zu verschaffen, -aber man hatte sich — im Vertrauen auf die hohe Achtung, -welche Freiland bei allen Nachbarvölkern genoß — mit der Erwartung -<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a> -geschmeichelt, dem trotzigen Halbbarbaren durch festes Auftreten imponieren -und ihn in friedlichem Wege zur Ruhe verhalten zu können. -Der verräterische Überfall gerade zu einer Zeit, wo die Unterhändler -der Angegriffenen eben in Edenthal weilten, zerstörte jedoch diese -Hoffnung. -</p> - -<p> -Im Volkspalaste fanden wir die freiländischen Verwaltungschefs -schon vollzählig versammelt, und bald nach uns trafen auch die englischen -und französischen Bevollmächtigten ein. Den Franzosen sahen wir es -sofort an den verstörten Mienen an, daß ihnen die Unglücksbotschaft -schon zugekommen war; die Engländer erhielten erst einige Stunden -später direkte Nachricht, als ihre Panzerkorvette „Nelson“, die unterwegs -mit zweien der in abyssinische Hände gefallenen Schiffe ein -mörderisches Gefecht bestanden und eines derselben in den Grund gebohrt -hatte, als halbes Wrack ebenfalls in Ungama anlangte. Inzwischen -waren aber auch an das freiländische auswärtige Amt aus verschiedenen -Küstenorten nähere und ausführliche Nachrichten eingetroffen, die das -Unglück seinem ganzen Umfange nach bestätigten. Der mit sehr überlegener -Macht unternommene und offenbar von Verrat begünstigte -Überfall war den Abyssiniern vollständig gelungen. Da der Frieden -mit Abyssinien noch mehrere Wochen zu gelten hatte, so waren die -Garnisonen der meist ungesunden Küstenorte weder sehr zahlreich, noch -sonderlich wachsam gewesen; die Abyssinier hatten zur nämlichen Stunde -— gegen 2 Uhr nach Mitternacht — Massaua, Arkiko und Obok, die -Hauptfestungen der Italiener, Engländer und Franzosen, und sämtliche -acht Küstenforts derselben erstiegen, die im Schlafe überraschten Garnisonen -teils niedergemetzelt, teils gefangen genommen und sich gleichzeitig -auch der in den Häfen liegenden Schiffe bis auf die schon erwähnten -vier bemächtigt. Daß sie einige derselben schon am nächsten Morgen -segelfertig machen und mit ihnen in See stechen konnten, erklärt sich -aus den früher schon erwähnten Matrosenwerbungen des Negus, welch -letztere aber auch ein bezeichnendes Licht darauf werfen, wie lange -geplant und wohlvorbereitet der Überfall gewesen. So vortrefflich -funktionierte das Getriebe des Verrats, daß die vier geretteten Schiffe -wenige Minuten nachdem der Überfall auf die anderen gelungen war, -aus Schiffsgeschützen sehr wirksam und heftig beschossen werden konnten. -Die den Abyssiniern in den sämtlichen drei Häfen in die Hände gefallenen -Fahrzeuge waren 7 englische, 5 französische und 4 italienische -Panzerschiffe, darunter mehrere erster Größe, und 11 englische, 8 französische -und 4 italienische Kanonenbote und Avisos; die in den Festungen -und Schiffen gefangenen oder gefallenen Truppen betrugen in runder -Zahl 24000 Mann. -</p> - -<p> -Die Bevollmächtigten aller drei Mächte hatten sofort, nachdem sie -die Hiobsbotschaften empfangen, an ihre Regierungen telegraphiert und -<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a> -um Verhaltungsmaßregeln gebeten. Der freiländischen Verwaltung gegenüber -erklärten sie, daß nunmehr aller Wahrscheinlichkeit nach mit größter -Energie auf dem Abschluß der Militärkonvention bestanden werden -dürfte. Jetzt, da die Festungen gefallen, wäre es vollends unmöglich, -an den unwirtlichen Küsten des roten Meeres ein so großes Heer zu sammeln, -wie es gegen den Negus nun erst recht notwendig sei. In der That -war das auch die ziemlich kategorisch lautende, noch im Laufe des -nämlichen Tages einlangende Kollektivforderung der drei Mächte. Ebenso -kategorisch aber war die Ablehnung, begleitet von der Erklärung, daß -man den, aller Voraussicht nach für Freiland allerdings unvermeidlichen -Krieg mit Abyssinien allein auszufechten gedenke. Im übrigen, -so gab man den Alliierten zu bedenken, kämen doch ihre Armeen ohnehin -viel zu spät. Wäre der Suezkanal für ihre Truppensendungen -auch praktikabel, so könnten ihre 350000 Mann — für so viel lautete -die nun geforderte Durchzugsbewilligung — frühestens binnen 2 Monaten -bei uns konzentriert sein, und es hieße fürwahr dem Negus -Johannes sehr wenig zutrauen, wollte man sich darauf verlassen, daß -er bis dahin nicht längst schon versucht haben sollte, sich in den Besitz -aller strategischen Positionen Freilands zu setzen. Nunmehr vollends, -wo die den Abyssiniern in die Hände gefallenen Schiffe von diesen in erster -Linie dazu benutzt werden dürften, den Suezkanal zu sperren, kämen -die Alliierten, selbst wenn man sie rufen wollte, jedenfalls zu spät. -Denn auch der Landweg über Ägypten könne von den Abyssiniern so -leicht verlegt werden, daß der zur Operationsbasis zu wählen schlechthin -unsinnig wäre. Bliebe also nur der Weg ums Kap der guten Hoffnung, -und wie lange es brauchen würde, bis von dorther 350000 Mann -Hülfstruppen bei uns einträfen, das möge man sich in Paris, Rom -und London doch selber beantworten. Unsere Freunde möchten im -übrigen vollkommen beruhigt sein; rascher als sie zu glauben schienen -und vollständiger sollte ihnen Genugthuung werden. Ehe man in England, -Frankreich und Italien auch nur mit der Ausrüstung eines so -großen Expeditionsheeres fertig sein könnte, würden wir mit dem Negus -abgerechnet haben. Inzwischen möchten die Alliierten ihre neuen, nach -den Küstenorten des roten und indischen Meeres bestimmten Garnisonen -segelfertig machen; sie könnten für dieselben ohne weiteres den gewohnten -Weg über den Suezkanal in Aussicht nehmen, denn bis ihre Transportschiffe -vor demselben angelangt sein dürften — woran vor Ende des -nächsten Monats kaum zu denken sei — würde Freiland den Abyssiniern -ihre gestohlene Flotte genommen oder vernichtet haben. -</p> - -<p> -Insbesondere die letztere Zusage erregte in hohem Grade das Befremden -der verbündeten Regierungen und ihrer Gesandten, und ich -muß gestehen, daß auch ich nicht recht abzusehen vermochte, wie wir es, -ohne auch nur ein Kriegsfahrzeug zu besitzen, anstellen wollten, eine -<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a> -aus 16 der besten Schlachtschiffe und 23 kleineren Fahrzeugen bestehende -Flotte vom Meere wegzublasen. Nicht ohne Bitterkeit meinten die -Gesandten, statt so großartige Pläne zu verfolgen, wäre es vielleicht -praktischer, ihren im Hafen von Ungama liegenden jämmerlich zugerichteten -vier Schiffen dazu zu verhelfen, daß sie ihre Schäden möglichst -rasch ausbessern und dann mit thunlichster Schnelligkeit das Weite suchen -könnten. Beruhe doch die Möglichkeit, sie vor der so unendlich überlegenen -feindlichen Flotte zu retten, angesichts der vollständigen Wehrlosigkeit -Ungamas lediglich auf der höchst unsicheren Hoffnung, -daß der Feind nicht sofort auf den Gedanken geraten werde, sie dort -zu suchen. -</p> - -<p> -„Für den Moment“ — so tröstete einer der Verwaltungschefs die -geängstigten Diplomaten — „d. h. für wenige Stunden noch haben -Sie allerdings Recht. Wenn heute vor einbrechender Dunkelheit eine -abyssinische Übermacht vor Ungama erscheint und den Kampf mit Ihren -Schiffen sofort aufnimmt, sind diese allerdings menschlicher Voraussicht -nach verloren. Allein das gilt eben nur für heute. Zeigt sich morgen -die abyssinische Flotte, so haben wir einen Empfang vorbereitet, der sie -sicherlich nicht zur Wiederkehr einladen wird.“ -</p> - -<p> -„Wie das?“ fragten jene wie aus einem Munde. „Was thaten -Sie, was konnten Sie thun zum Schutze der traurigen Überreste unserer -kürzlich noch so stolzen verbündeten Flotte?“ Dabei hingen die Blicke -dieser in ihrem Patriotismus so tief verwundeten Männer mit ängstlicher -Spannung an den Zügen ihrer Gastfreunde, und trotz meiner -jungen Zugehörigkeit nach Freiland teilte ich nur zu sehr ihre Empfindungen. -Du wirst begreifen, daß es uns nicht um die paar Schiffe -allein zu thun war; aber endlich einen Punkt des Widerstandes gegen -den frechen Barbaren gefunden zu haben, die Unseren der fernern Notwendigkeit -beschämender Flucht enthoben zu wissen, das war es, was -uns als süße Verheißung in den Ohren klang. Man beeilte sich uns -vollständige Aufklärung zu geben. -</p> - -<p> -Wie ich Dir bereits erzählte, besitzt die freiländische Unterrichtsverwaltung -zum Gebrauche der Jugend eine stattliche Anzahl von Geschützen -verschiedensten Kalibers in allen Teilen des Landes. Die -größten derselben durchschlagen den stärksten der derzeit in Gebrauch -befindlichen Schiffspanzer wie ein Kartenblatt; 84 dieser Riesengeschütze -aus den zunächst der Seeküste gelegenen Distrikten hatte man nun, -sofort nachdem die ersten Nachrichten eingelaufen, nach Ungama in -Bewegung gesetzt. Da alle diese Ungetüme ohnehin auf Schienen -laufen, die mit dem freiländischen Eisenbahnnetze in Verbindung gesetzt -sind, so waren sie allesamt noch am gleichen Vormittage in Begleitung -der mit ihrer Behandlung vertrauten Jünglinge unterwegs nach ihrem -Bestimmungsorte und mußten dort successive am Abend und im Laufe -<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a> -der Nacht eintreffen. Da ebenso in Ungama zu Zwecken des gewöhnlichen -Hafendienstes mehrere mit dem Eisenbahnnetze in Verbindung -stehende Schienenstränge längs der Seeküste hinlaufen, so können die -anlangenden Geschütze ohne weiteres sofort in die für sie bestimmten -Stellungen einfahren, die inzwischen — gleichfalls noch im Laufe des -nämlichen Tages — mit provisorischen Erdwerken versehen werden. -Späterhin sollen diese Werke auch Panzerdeckung erhalten; fürs erste -aber, so rechnete die Centralverwaltung, mußten 84 Geschütze erster -Größe, denen die auf ihnen eingeschossenen besten Kanoniere mitgegeben -waren, auch ohne sonderliche Deckung genügen, um von zusammengelaufenen -Abenteurern bemannte Panzerschiffe in respektvoller Entfernung -zu halten. -</p> - -<p> -Mich litt es nun nicht länger in Edenthal; nach kurzem Abschiede -von meinem Vater, nach etwas längerem von meiner Bertha, eilte ich -nach Ungama, und schon der zweitnächste Tag zeigte, daß die getroffenen -Schutzmaßregeln weder überflüssig noch ungenügend gewesen waren. Am -23. August erschienen 5 abyssinische Panzerfregatten und 4 Kanonenboote -vor Ungama und versuchten, da sie den Ort für wehrlos hielten, -ohne weiteres in den Hafen einzulaufen, um die dort liegenden Wracks -der Verbündeten vollends zu zerstören. Ein auf sie aus 10000 Meter -Entfernung abgegebener scharfer Schuß des größten unserer Panzerbrecher, -der einen der Schornsteine der vordersten Panzerfregatte wegnahm, -veranlaßte sie zwar zu etwas größerer Vorsicht, hielt sie jedoch -in ihrem Laufe nicht auf. Jetzt ließen unsere jungen Kanoniere den -einmal gewarnten Gegner bis auf 7 Kilometer Distanz herandampfen, -ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben; dann eröffneten sie aus -37 Geschützen zugleich das Feuer, welches jedoch nur kurze Zeit währte. -Schon die erste Salve brachte ein Kanonenboot zum sofortigen Sinken -und beschädigte die sämtlichen Schiffe so stark, daß die ganze feindliche -Schlachtlinie in sichtliche Unordnung geriet. Einige Schiffe machten -Miene, das Feuer der Unseren zu erwidern, andere legten sofort eine -sichtliche Neigung zum Stoppen und Rückwärtsdampfen an den Tag. -Zwei Minuten später fegte unsere zweite Salve über die Wogen; -deutlich konnte man verfolgen, daß diesmal keiner der 37 Schüsse -fehlgegangen war; alle feindlichen Schiffe zeigten schwere Havarien und -insgesamt hatten sie die Lust verloren, den ungleichen Kampf weiterzuspinnen. -Sie gaben Kontredampf und suchten mit möglichster Beschleunigung -das Weite. Eine dritte und vierte Salve wurde ihnen -nachgesandt, worauf ein zweites Kanonenboot und die größte der Panzerfregatten -sank; noch drei weitere Salven fügten dem fliehenden Feinde -zwar beträchtlichen ferneren Schaden zu, vermochten aber kein Schiff -mehr zu sofortigem Sinken zu bringen; nur erfuhren wir durch den -italienischen Aviso, der den abyssinischen Schiffen von weitem nachfolgte, -<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a> -daß noch ein drittes Kanonenboot eine Stunde nach Abbruch des Kampfes -unterging, und daß eine der Panzerfregatten ins Schlepptau genommen -werden mußte, um den Kugeln unserer Strandbatterien zu entgehen. -Diese selbst hatten bloß zwei Mann verloren. -</p> - -<p> -Mit dem Berichte dieser ersten freiländischen Waffenthat, an welcher -ich jedoch lediglich als staunender Zuschauer teilzunehmen vermochte, -schließe ich diesen Brief. Wann, wo — und ob ich Dir einen nächsten -schreiben werde, weiß allein der Kriegsgott. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-5-10"> -<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a> -22. Kapitel. -</h3> - -<p class="date"> -Massaua, 25. September. -</p> - -<p class="first"> -Wenn ich mich recht entsinne, sind es genau ein Monat und ein -Tag, daß ich mein letztes Schreiben an Dich sandte; binnen dieser -kurzen Frist haben sich Ereignisse abgespielt, welche Euch drüben im -alten Europa gar mancherlei Überraschungen gebracht haben dürften -und die — täusche ich mich über die Absichten meiner neuen Landsleute -nicht — in ihren mittelbaren Konsequenzen für die ganze bewohnte -Erde von entscheidender Tragweite sein werden. Die Freiheit -der Welt ist es — so glaube ich — die auf den Schlachtfeldern des -Roten Meeres und der Gallaländer gesiegt hat — nicht bloß über den -unseligen Johannes von Abyssinien, sondern auch über gar mancherlei -Tyrannei, die inmitten Euerer sogen. civilisierten Welt geknechtete Völker -darniederhält. Doch wozu sich in Vermutungen ergehen über Dinge, -welche die nächste Zukunft schon zur Entscheidung bringen muß; mein -heutiger Brief dient dem Zwecke, Dich meines ungetrübten Wohlbefindens -zu versichern und Dir den freiländisch-abyssinischen Feldzug zu schildern, -den ich vom ersten bis zum letzten Kanonenschusse mitgemacht. -</p> - -<p> -Am 25. August, also zwei Tage, nachdem der erste Kampf stattgefunden, -erhielt die Edenthaler Zentralbehörde das Ultimatum des -Negus, in welchem dieser erklärte, daß er gegen Freiland nichts Böses -im Schilde führe, sondern die Waffen nur deshalb ergriffen habe, um -sich und — Freiland gegen eine europäische Invasion zu schützen, die -diesem, wie er erfahren habe, aufgenötigt worden sei. Da wir nicht -die Macht besäßen, seine Feinde von unseren Grenzen fernzuhalten, -so gebiete ihm die Pflicht der Selbsterhaltung, von uns die Auslieferung -einiger strategisch wichtiger Punkte zu verlangen. Fügten wir -uns diesem Begehren, so wolle er unsere Freiheiten und Rechte im -<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a> -übrigen schonen, auch den seinen Schiffen bei Ungama zugefügten Schaden -verzeihen; widersetzten wir uns, so werde er uns mit Krieg überziehen, -und da er dafür gesorgt, daß uns so rasch keine Hilfe aus -Europa zu erreichen vermöge, so könne der Ausgang wohl nicht zweifelhaft -sein. Er habe sich mit einem Occupationsheere von 300000 Mann -bereits in Bewegung gegen unsere Nordgrenze gesetzt und werde längstens -binnen Wochenfrist an derselben eintreffen; an uns sei es, ob wir -ihn als Freund oder Feind empfangen wollten. -</p> - -<p> -Die Antwort an den Negus lautete dahin, daß er sich zwar in -seiner Voraussetzung, daß Freiland fremde Truppen aufzunehmen gedachte, -täusche, da dieses den Engländern, Franzosen und Italienern -ebensowenig als ihm zu kriegerischen Zwecken die Grenzen offen zu -halten gesonnen sei; in Frieden mit ihm könnten wir jedoch trotzdem -nur dann leben, wenn er sich entschließe, auch den genannten europäischen -Mächten gegenüber Frieden zu halten, und für das ihnen zugefügte -Unrecht volle Sühne zu leisten. Nicht verschweigen wolle man -nämlich, daß Freiland im Begriffe sei, mit dessen europäischen Staaten -einen Freundschaftsvertrag zu schließen, in dessen Sinne es sich dann -verpflichtet halten würde, die Feinde seiner Freunde auch als die seinigen -anzusehen. Man warne ihn, Freilands stets an den Tag gelegte -Friedfertigkeit als Mutlosigkeit oder Schwäche auszulegen. Eine Woche -Frist solle ihm gelassen werden, um seine drohende Haltung aufzugeben -und Bürgschaften des Friedens und der Sühne zu stellen. Sollten -diese bis dahin nicht geboten worden sein, so würde Freiland ihn angreifen, -wo immer es ihn fände. -</p> - -<p> -Selbstverständlich gab sich niemand über den Erfolg dieses Notenwechsels -einer Täuschung hin und mit aller Beschleunigung wurden die -Rüstungen zum Kriege betrieben. -</p> - -<p> -Kaum daß Telegraph und Zeitungen die erste Kunde von dem -abyssinischen Überfalle durch Freiland getragen, trafen von allen Seiten -Meldungen und Anfragen bei der Zentralverwaltung ein, die Jedermann -den vollgültigen Beweis lieferten, daß die Bevölkerung des ganzen Landes -nicht bloß sofort begriffen hatte, ein Krieg sei bevorstehend, sondern -daß sich auch unmittelbar ohne jeden bevormundenden Eingriff von -oben, alle jene Faktoren des Widerstandes ganz von selbst in Aktion -setzten, welche eine auf den Krieg jederzeit gerüstete Militärverwaltung -nur immer hätte aufbieten können. Freiland mobilisierte sich selber und -es erwies sich, daß diese selbstdenkende Thätigkeit von Millionen intelligenter, -dabei aber an durchgreifendes Zusammenwirken gewohnter Köpfe, -vollkommenere Ergebnisse lieferte, als durch einen noch so weislich erwogenen -und vorbereiteten behördlichen Mobilisierungsplan auch nur -entfernt möglich gewesen wäre. Von allen Tausendschaften des Landes -langten schon im Laufe des ersten Tages Anfragen ein, ob die Zentralstelle -<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a> -ihre Mitwirkung für wünschenswert hielte; die Tausendschaften -erster Klasse aus den zwölf Nord- und Nordostdistrikten, die Baringoländer -und Leikipia umfassend, zeigten zugleich an, daß sie schon am -nächsten Tage vollzählig — bis auf die zufällig verreisten Mitglieder -— versammelt sein würden, da sie von der Voraussetzung ausgingen, -daß die Ausfechtung des Kampfes mit Abyssinien zunächst ihre Sache -sein werde. Man war nämlich ziemlich allgemein in Freiland der Ansicht, -daß zur Bekämpfung der Abyssinier zwischen 40000 und 50000 -Mann vollauf genügen würden, und da die Norddistrikte bekanntermaßen -85 der aus den Distriktsübungen als Sieger hervorgegangene -Tausendschaften besaßen, so war von Anbeginn Niemand in Zweifel -darüber, daß diesen allein die Kriegsarbeit zufallen würde. Zwar regte -sich sicherlich in der Brust gar manchen Jünglings auch in den anderen -Landesteilen der Thatendrang, aber nirgend zeigte sich das Gelüste, -durch dessen Geltendmachung dem Lande mehr als nötig Arbeitskräfte -zu entziehen oder unter Störung des naturgemäßen Mobilisierungsplanes -entferntere Tausendschaften in den Vordergrund zu schieben. Und -eben so bereitwillig, als die anderen zurücktraten, als ebenso selbstverständlich -erachteten es die Norddistrikte, daß sie in Aktion zu treten -hätten. Nur jene Tausendschaften, die während der letzten Jahre bei -den großen Aberdarespielen Sieger gewesen waren, äußerten, auch sofern -sie nicht zu den mobilisierenden Distrikten gehörten, den Wunsch, in die -Mobilisierung mit einbezogen zu werden; ebenso ersuchten alle Sieger -in den Einzelübungen der letztjährigen Distrikts- und Landesspiele um -die Vergünstigung, in die mobilisierten Tausendschaften eingeteilt zu -werden. Beides wurde bewilligt und es vermehrte sich solcherart das -zur Verfügung gestellte Material um vier Tausendschaften und 960 Einzelne. -Damit wären insgesamt 90000 Mann verfügbar gewesen, der -im Lande herrschenden Ansicht zufolge ungefähr doppelt so viel als erforderlich -war. Doch auch darauf nahmen die betreffenden Tausendschaften -sofort aus eigener Initiative Bedacht, indem sie sich durch Vermittlung -der Zentralverwaltung schon am nächsten Tage darüber einigten, -bloß die vier letzten Jahrgänge zwischen 22 und 26 Jahren und in diesen -bloß die Unverheirateten ins Feld zu stellen. Dadurch reducierte sich -der Mannschaftsstand auf 48000 Mann — darunter 9500 Berittene -— und 180 Geschütze; letzteren wurden nachträglich noch 80 Stücke -aus dem oberen Naiwaschadistrikt hinzugefügt. -</p> - -<p> -Diese Truppe besaß von Haus aus schon ihre Anführer bis zum -Range der Tausendführer. Zwar waren zahlreiche dieser Offiziere -verheiratet, doch wurde übereinstimmend beschlossen, sie nichtsdestoweniger -beizubehalten. Die Wahlen der Oberoffiziere fanden, nachdem auch -die Hundert- und Tausendführer der vier auswärtigen Tausendschaften -in dem zu diesem Behufe bestimmten Vereinigungspunkte Nordleikipias -<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a> -eingetroffen waren, am 23. August statt. Das Oberkommando trugen -die versammelten Offiziere keinem aus ihrer Mitte, sondern einem als -Chef der Ukerewebaugesellschaft in Ripon lebenden jungen Ingenieur -Namens Arago an, der selbstverständlich annahm, sich aber einen -der Oberbeamten des Verkehrsressorts der Centralverwaltung als -Generalstabschef ausbat. An diesen wandte ich mich, aus Ungama -direkt nach Nordleikipia geeilt, mit der Bitte um Aufnahme in den -Generalstab, die mir, da ich mich über die entsprechenden Kenntnisse -auszuweisen vermochte, mit Rücksicht auf meine erst kürzlich aufgegebene -italienische Staatsbürgerschaft bereitwillig zugestanden wurde. Gleichzeitig -mit mir war auch David eingetroffen, der mir die zärtlichsten -Grüße und die freudige Zustimmung meiner Braut zu meinem -Entschlusse brachte, und zugleich erklärte, daß er während des Feldzuges -nicht von meiner Seite weichen werde. -</p> - -<p> -Mit Waffen und Munition waren alle Tausendschaften ohnehin -reichlich versehen; ebensowenig fehlte es an gut eingerittenen und -geschulten Pferden. -</p> - -<p> -Die Verpflegung des Heeres wurde den Approvisionierungsgesellschaften -von Edenthal und Danastadt übergeben. Den technischen -Dienst — Pionierwesen, Brückenbau, Feldtelegraphie u. dergl. — -übernahmen zwei Associationen aus Central- und Ostbaringo, den -Transportdienst endlich besorgte die freiländische Centralstelle für diesen -Verwaltungszweig. Innerhalb der Grenzen Freilands konnte bei der -hohen Vollendung des Kommunikationsnetzes die Beförderung und -Verpflegung einer so kleinen Armee natürlich nicht die geringsten -Schwierigkeiten machen. Da man jedoch keineswegs gesonnen war, die -Abyssinier zu erwarten, sondern den Krieg in die Gallaländer und nach -Habesch hinüberzuspielen gedachte, so wurden 5000 Elefanten, 8000 -Kamele, 20000 Pferde und 15000 Büffelochsen für den Lastendienst -aufgebracht. Zelte, Feldkochgeräte, Konserven u. dergl. mußten -herbeigeschafft, kurzum Vorsorge getroffen werden, daß die Armee -auch in den unwirtlichen Gegenden außerhalb Freilands an nichts -Mangel leide. -</p> - -<p> -Alle diese Vorbereitungen waren am 29. August vollendet; schon -zwei Tage vorher hatte Arago 4000 Reiter mit 28 Geschützen über -den Konsopaß ins benachbarte Wakwafiland gesendet, mit dem Auftrage, -sich fächerförmig ausbreitend, Fühlung mit den Abyssiniern zu suchen, -deren Anzug wir auf dieser Seite erwarteten. Um für alle Eventualitäten -gesichert zu sein, sandte er kleinere Streifkorps von 1200 und 900 Mann -mit je 8 und 4 Geschützen zur Bewachung der sich nordöstlich und -nordwestlich von dieser seiner Operationslinie erstreckenden Gebirgszüge -von Endika und Silali. Am Konsopaß hinterließ er des ferneren eine -Reserve von 6000 Mann und 20 Geschützen und überschritt am -<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a> -30. August mit 36000 Mann und 200 Geschützen die Gallagrenze. -Um möglichst große Marschleistungen zu erzielen und die Mannschaft -trotzdem zu schonen, war das Handgepäck aufs äußerste reduciert. Es -bestand außer den Waffen — Repetiergewehr, Repetierpistole und -kurzem, auch als Haubajonett zu gebrauchendem Schwert — nur aus -80 Patronen, einer Feldflasche und kleinem, zur Aufnahme <em>einer</em> -Mahlzeit bestimmten Ranzen. Alle anderen Gepäckstücke trugen Handpferde, -die den Marschkolonnen unmittelbar folgten und deren auf jede -Hundertschaft 25 kamen. Dieser der Mannschaft jederzeit zur Verfügung -stehende sehr bewegliche Train führte wasserdichte Zelte, komplette -Anzüge und Schuhwerk zum wechseln, Regenmäntel, Konserven und -Getränke für einige Tage, und eine Patronenreserve für 200 Schuß -per Mann mit sich. Unsere jungen Leute waren solcherart mit allem -Nötigen versehen, ohne selber überlastet zu sein und sie legten daher -an einzelnen Tagen bis zu 40 Kilometer zurück, ohne daß es Marode -gegeben hätte. -</p> - -<p> -Die freiländische Centralverwaltung hatte der Armee einen -Kommissar beigegeben, dessen Amt es war, etwaige Wünsche der -Heeresleitung, soweit deren Erfüllung Sache der Centralstelle sein -sollte, entgegenzunehmen; ferner für den Fall, als der Negus sich zu -Friedensverhandlungen geneigt zeigen sollte, dieselben zu führen; schließlich -für Sicherheit und Bequemlichkeit der fremden Militärbevollmächtigten -und Zeitungsreporter Sorge zu tragen, die unseren Kriegszug mitmachten. -Ein Teil dieser Herren begleitete uns zu Pferde, ein anderer Teil war -auf Elefanten bequem untergebracht; die meisten folgten dem Hauptquartier, -welches dieselben über alle Vorkommnisse auf dem Laufenden -erhielt. -</p> - -<p> -Am dritten Marschtage, dem zweiten September, verständigte uns -unsere vorausschwärmende Reiterei, daß sie auf den Feind gestoßen -sei. Da Arago, bevor er einen entscheidenden Kampf annahm, zuvor -praktisch erproben wollte, ob er und wir alle nicht etwa doch in einer -verhängnisvollen Täuschung bezüglich der vorausgesetzten Überlegenheit -unserer Mannschaften über die feindlichen befangen wären, gab er der -Vorhut Auftrag, eine forcierte Rekognoscierung vorzunehmen, d. h. den -Gegner zu möglichst vollständiger Entfaltung seiner Kräfte zu nötigen -und erst zurückzuweichen, wenn über die Marschrichtung der feindlichen -Hauptmacht Sicherheit erlangt sei. -</p> - -<p> -Am 3. September bei grauendem Morgen griffen wir — ich war -nämlich auf meinen Wunsch dieser Truppe beigegeben worden — die -abyssinische Vorhut bei Ardeb im Flußthale des Dschub an. Diese, -der unsrigen nicht stark an Zahl überlegen, wurde im ersten Anlauf -über den Haufen gerannt, ihr sämtliches Geschütz — 36 Stücke — nebst -1800 Gefangenen abgenommen, ohne daß die Unsrigen mehr als fünf -<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a> -Mann verloren. Die ganze Affaire dauerte kaum 40 Minuten. Unsere -Artillerie war der schon auf 6000 Meter Distanz ein wirkungsloses -Feuer gegen unsere sich entwickelnden Linien eröffnenden abyssinischen -ohne einen Schuß abzugeben bis auf 2500 Meter entgegengefahren, -hatte sie von hier aus mit wenigen Salven zum Schweigen gebracht, -19 Stücke demontiert und die übrigen zum Rückzuge genötigt. Sich -hierauf gegen die tollkühn heransprengende feindliche Kavallerie wendend, -hatte sie diese durch einige wohlgezielte Granatschüsse auseinander gesprengt, -so daß unsere Eskadronen nurmehr die in regelloser Flucht -Davoneilenden zu verfolgen und die schwache, von der eigenen flüchtenden -Kavallerie ohnehin schon in heillose Unordnung gebrachte Infanterie -niederzureiten hatten. Der Rest war dann Verfolgung und Einbringung -der von panischem Schreck gejagten Gegner, deren Verluste an Toten -und Verwundeten, wenn auch die unserigen namhaft überragend, im -Ganzen verhältnismäßig doch nur gering waren. -</p> - -<p> -Doch damit war bloß das Vorspiel des blutigen Dramas zu Ende. -Unsere Reiter hatten sich eben gesammelt, und die Gefangenen mitsamt -den erbeuteten Geschützen unter geringer Bedeckung dem Hauptquartiere -zugesandt, als sich in der Ferne dichte und immer dichtere Massen des -Feindes zeigten. Es war dies der gesamte, 65000 Mann mit 120 -Kanonen zählende, linke Flügel der Abyssinier. Zwanzig von unseren -Kanonen waren auf einer kleinen, die Marschlinie des Feindes dominierenden -Höhe aufgefahren und gaben von dort um 7 Uhr morgens -den ersten Schuß auf den Gegner ab. Alsbald sah man die feindlichen -Infanteriemassen seitlich abbiegen, während unserer Artillerie gegenüber -successive 90 der abyssinischen Geschütze auffuhren. Der sich nun entspinnende -Kampf der Kanonen währte eine Stunde, ohne unserer -Artillerie sonderlichen Schaden zuzufügen, denn die abyssinischen Artilleristen -trafen auf so große Distanz — es waren gut 5000 Meter — -nur sehr schlecht, während die Granaten der unserigen nach und nach -34 feindliche Stücke zum Schweigen brachten. Zweimal versuchten es -die Abyssinier, näher an unsere Position heranzufahren, mußten aber -beidemal schon nach wenigen Minuten wieder zurückweichen, so mörderisch -räumten unsere Geschosse bei dieser Annäherung unter ihnen auf. Da -es so nicht ging, versuchte der Feind unsere Position zu stürmen. Seine -Infanterie- und Kavalleriemassen hatten sich längs unserer ganzen, sehr -dünn gestreckten Front entwickelt und kurze Zeit nach 8 Uhr setzte sich -die gesamte kolossale Übermacht gegen uns in Bewegung. -</p> - -<p> -Was sich nunmehr abspielte, hätte ich nimmermehr für möglich -gehalten, trotzdem ich über die Waffengewandtheit der freiländischen -Elite-Tausendschaften schon so Manches vernommen und auch der spielend -erfochtene Sieg über die feindliche Vorhut zu hochgespannten Erwartungen -berechtigte. Ich gestehe, daß ich es für unverantwortlichen Leichtsinn -<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a> -und für eine gänzliche Verkennung der ihm vom Oberkommando zugeteilten -Aufgabe hielt, daß Oberst Ruppert, der Führer unserer kleinen -Schar, den Kampf annahm und zwar nicht etwa in Form eines Rückzugsgefechtes, -sondern als regelrechte Schlacht, die, wenn verloren, unfehlbar -mit der Vernichtung seiner 4000 Mann enden mußte. Denn -in einer fünf Kilometer umfassenden, die feindlichen Linien sogar um ein -Geringes überflügelnden dünnen Aufstellung mit nur schwachen Reserven -im Rücken, hatte er seine Reiter — sie waren sämtlich abgesessen und -schossen mit ihren vortrefflichen Karabinern — entwickelt und erwartete -die Abyssinier, als ob diese als Tirailleure und nicht in kompakten -Sturmkolonnen heranrückten. Und diese Sturmkolonnen kannte ich sehr -wohl, sie hatten bei Erdeb und vor Obok die ihnen an Zahl gleichen -indischen Veteranen Englands, die bretonischen Grenadiere Frankreichs -und die Bersaglieri Italiens geworfen, ihre Waffen waren den Freiländischen -gleichwertig, ihre militärische Disziplin mußte ich der meiner -gegenwärtigen Kampfgenossen überlegen halten; wie sollte unsere dünne -Linie dem Ansturme dieser, uns an Zahl sechzehnfach überlegenen kampfgewohnten -Krieger widerstehen? Sie mußte — das war meine felsenfeste -Überzeugung — in der nächsten Viertelstunde zerreißen, wie ein -Bindfaden, der einer Lokomotive den Weg versperren will; und dann, -das konnte jedes Kind sehen, war nach einem Gemetzel von wenigen -Minuten alles vorbei. Ich nahm im Geiste Abschied von der fernen -Geliebten, vom Vater — und auch Deiner, mein Luigi, gedachte ich in -dieser Stunde, die für meine letzte zu halten ich damals vollen Grund -zu haben wähnte. -</p> - -<p> -Und was mich am meisten Wunder nahm: die Freiländer schienen -insgesamt meine Empfindungen zu teilen; nichts von jener wilden Kampflust -war in ihren Mienen zu finden, die man doch bei denjenigen voraussetzen -sollte, die — überflüssiger Weise — Einer gegen sechzehn den -Kampf aufnehmen. Tiefen, düsteren Ernst, ja Widerwillen und Schrecken -las ich in den sonst so klaren, heiteren Augen dieser freiländischen -Jünglinge und Männer; es war als sähen sie allesamt gleich mir sicherem -Tode entgegen. Auch die Offiziere, ja selbst der kommandierende Oberst, -teilten sichtlich diese unerfreulichen Gefühle — warum um des Himmelswillen -nahmen sie dann die Schlacht an? Wenn sie Übles vorher sahen, -warum zogen sie sich nicht rechtzeitig zurück? Wie sehr aber hatte ich -diesen Männern Unrecht gethan, wie gründlich Anlaß und Richtung -ihrer Besorgnisse verkannt! So unglaublich es klingen mag: meine -Kriegskameraden waren nicht für ihre, sondern für des Gegners Haut -besorgt, ihnen graute vor dem Gemetzel, das — nicht ihnen, den Feinden -bevorstand. Der Gedanke, daß sie, die freien Männer, von armseligen -Knechten besiegt werden könnten, lag ihnen so fern, als etwa dem Jäger -der Gedanke, die Hasen könnten ihm gefährlich werden; aber sie sahen -<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a> -sich vor der Notwendigkeit, Tausende dieser Bejammernswerten kaltblütig -niederschießen zu müssen und das erregte ihnen, denen der Mensch das -Heiligste und Höchste ist, unsäglichen Widerwillen. Hätte man mir das -<em>vor</em> der Schlacht gesagt, ich hätte es nicht begriffen und jedenfalls für -Renommisterei gehalten; jetzt, nach dem was ich schaudernd mit erlebt, -finde ich es begreiflich. Denn, daß ich es nur gleich sage: eine gegen -freiländische Linien anstürmende und von deren Feuer zerrissene Kolonne -bietet einen Anblick, der selbst an Massenmord einigermaßen -gewöhnten Männern, wie mir, das Blut zu Eis gerinnen macht. -Ich habe den Würgengel des Schlachtfeldes einigemal an der Arbeit -gesehen und durfte mich daher gegen dessen Schrecken gefeit halten. -Hier aber ... -</p> - -<p> -Doch ich will ja nicht meine Gefühle, sondern die Ereignisse -schildern. Als die Abyssinier uns auf etwa 1½ Kilometer nahe gekommen -waren, sprengten ein letztesmal Rupperts Adjutanten die Front -entlang und riefen den Unseren die Losung zu: Schonung! keinen Schuß, -sobald sie weichen! Dann war es bei uns totenstill, während von jenseits -stets lauter der Klang der Trommeln und einer wilden Musik, unterbrochen -zeitweilig von dem gellenden Schlachtrufe der Abyssinier, herübertönte. -Als die Feinde bis auf 700 Meter etwa herangerückt waren, -gab unsere Schützenlinie eine einzige Salve ab; als ob ein Pesthauch -in sie gefahren wäre, so brach die Stirnlinie des Feindes zusammen, -seine Reihen wankten und mußten sich neu formieren. Kein Schuß -wurde inzwischen von den Freiländern abgefeuert; als aber die Abyssinier -unter wildem Schlachtgeschrei abermals, jetzt im Laufschritte vorrückten, -donnerte eine zweite und da die todeskühnen braunen Krieger diesmal -über ihr zerschmettertes erstes Glied hinweg den Ansturm fortsetzten, -eine dritte Salve über das Feld. Mit dieser aber hatten Jene einstweilen -genug; sie wandten sich zu wilder Flucht, und hielten erst, als -sie sich außerhalb unserer Schußweite wußten. Auch jetzt hörte unser -Feuer augenblicklich auf, sowie der Feind sich gewandt hatte, aber es -war auch hohe Zeit gewesen. Nicht als ob die geringste Gefahr für -unsere Stellungen aus einer Fortsetzung des Sturmes hätte entstehen -können; die Abyssinier hatten kaum 100 Meter gewonnen gehabt, waren -also immer noch gute 600 Meter entfernt gewesen und die Gewißheit, -daß Keiner von ihnen unsere Front erreicht hätte, erwies sich als augenscheinlich; -aber gerade diese eigene, jede eigentliche Kampfeserregung -ausschließende Unnahbarkeit ließ die Gräßlichkeit des unter den Gegnern -wütenden Gemetzels mit so elementarer Gewalt hervortreten, daß mehr -als menschliche Nerven dazu gehört hätten, dies Schauspiel längere -Zeit zu ertragen. Nahe an 1000 Abyssinier waren binnen wenigen -Minuten tot oder verwundet gefallen und zahlreiche der freiländischen -Schützen erklärten mir später, sie hätten beim Anblicke der reihenweise -<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a> -zusammenbrechenden und am Boden zuckenden Feinde Ohnmachtsanfälle -gehabt — was ich vollkommen begreife, da auch mir ernstlich übel -dabei wurde. -</p> - -<p> -Die freiländischen Ärzte und Sanitätstruppen waren eben an der -Arbeit, die verwundeten Gegner vom Schlachtfelde aufzulesen, als die -abyssinische Artillerie neuerlich den Kampf aufnahm und alsbald auch -die Infanterie ein rasendes Schnellfeuer eröffnete. Da Letztere sich -jedoch diesmal vorsichtig in der respektablen Entfernung von ungefähr -2000 Metern hielt, so war ihr Feuer anfangs ganz ungefährlich und -wurde daher von den Unseren nicht erwidert; nachgerade aber verirrte -sich doch die eine oder andere Kugel in unsere Reihen und Oberst -Ruppert gab daher Befehl, die Zehntführer möchten den Feinden deutlich -sichtbar mehrere Schritte aus der Front hervortreten und eine Salve abgeben. -Dieser Wink wurde drüben verstanden; das feindliche Infanteriefeuer -hörte sofort auf, da die Abyssinier aus der Wirkung dieser einen -kleinen Salve ersahen, daß die freiländischen Schützen auch auf so große -Distanz allzu unangenehm werden könnten, als daß es rätlich wäre, sie -durch ohnehin wirkungsloses Feuer zum Antworten herauszufordern. -Die zähen Burschen, die offenbar den Gedanken nicht zu ertragen vermochten, -vor einer so kleinen Minderzahl das Feld zu räumen, formierten -nun neuerlich einige Sturmkolonnen, diesmal mit schmaler Front und -von beträchtlicher Tiefe. Doch auch diesen ging es nicht besser als ihren -Vorgängern, nur daß gegen sie etwas rascheres Feuer abgegeben werden -mußte; sie wurden mit einem neuerlichen Verluste von 800 Mann nach -wenigen Minuten zum Weichen gebracht und waren nunmehr zu abermaligem -Vorgehen nicht mehr zu bewegen. Um die verwundeten -Abyssinier, die in freiländischer Verpflegung weitaus besser versorgt -waren, als in der ihrer Landsleute, zu bergen, ließ jetzt Ruppert einen -Vorstoß bewerkstelligen, vor welchem sich der Gegner eilfertig zurückzog, -so daß wir unbestritten Herren des Schlachtfeldes blieben. Unsere Verluste -betrugen 8 Tote und 47 Verwundete; die Abyssinier hatten 360 Tote, -1480 Verwundete und 39 Kanonen zurückgelassen. Die erste Sorge der -Unseren war, die Verwundeten — Freund und Feind mit gleich liebevoller -Sorgfalt — in den reichlich vorhandenen und mit sinnreichstem -Komfort ausgestatteten Sanitätswagen unterzubringen und nach Freiland -zu in Bewegung zu setzen. Dann wurden die Geschütze und sonstigen -erbeuteten Waffen geborgen, die Toten begraben. -</p> - -<p> -Letztere Arbeit war eben vollendet und der Rückzug aufs Hauptquartier -sollte angetreten werden, als von Westen starke abyssinische -Heersäulen auftauchten, während gleichzeitig auch der nach Norden abgezogene -linke Flügel des Feindes wieder sichtbar wurde. Ruppert -ließ sich dadurch in seiner Absicht nicht beirren. Feindliche Kavalleriemassen -machten einen stürmischen Versuch, uns zu verfolgen, wurden -<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a> -aber von unserer Artillerie rasch zurückgeworfen, und fernerhin unbehelligt -bewerkstelligten wir unseren Rückzug auf das Hauptkorps. -</p> - -<p> -Wir wußten nun aus Erfahrung, daß die von uns vorausgesetzte -Überlegenheit freiländischer Männer über Gegner welcher Art immer -eine Thatsache sei. Die Abyssinier hatten sich gegen uns so brav geschlagen, -als je zuvor gegen europäische Truppen; ihre Bewaffnung, -Disziplin und Schulung, das vieljährige Werk eines ausschließlich -diesem Zwecke gewidmeten rücksichtslosen Despotismus, ließ — -nach europäischen Begriffen — nichts zu wünschen übrig und -thatsächlich hatten diese braunen Soldaten sich gleichstarken abendländischen -Heeren im offenen Felde stets ebenbürtig gezeigt. Wir aber -hatten eine sechzehnfache Übermacht zum Weichen gebracht, ohne daß -dabei das Zünglein der Wage auch nur einen Moment geschwankt -hätte. Daß der Kampf überhaupt so lange währte und nicht viel -früher schon mit vollständiger Niederlage der Abyssinier endete, lag -nur daran, daß der Führer der Vorhut sich an die Ordre hielt: den -Feind zur Entfaltung seiner Kräfte zu nötigen. Hätte er sich statt -dessen mit voller Wucht sofort auf den Gegner geworfen, ihm <em>nicht</em> -Zeit zur Entwicklung gelassen, und jeden erlangten Vorteil energisch -ausgebeutet, so wären die 65000 Mann des linken Flügels der Feinde -längst zersprengt gewesen, bevor das Zentrum in die Aktion eingreifen -konnte. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß Oberst Ruppert Unrecht -that, den Kampf hinhaltend und mehr defensiv zu führen. Ganz abgesehen -davon, daß doch auch ihm erst im Laufe des Gefechtes der bis -dahin bloß vermutete hohe Grad freiländischer Überlegenheit zur absoluten -Gewißheit werden konnte, war es, je zweifelloser der schließliche -Sieg unserer Sache erschien, desto entschiedener die Pflicht jedes gewissenhaften -Führers, das Blut unserer freiländischen Jünglinge nicht -überflüssigerweise um eines Heldenstückleins willen zu vergießen. Er -mußte gleich uns allen annehmen, daß diese erste Lektion vollkommen -genügen werde, den Negus darüber aufzuklären, daß eine Fortsetzung -des Kampfes seinerseits Thorheit wäre. -</p> - -<p> -Wir hatten aber unsere Rechnung ohne Rücksicht auf den Dünkel -eines barbarischen Despoten gemacht. Als der dem Hauptquartier -folgende Kommissär der Centralverwaltung am nächsten Tage Parlamentäre -ins abyssinische Hauptquartier sandte, um Johannes erklären zu -lassen, daß Freiland gegen Rückgabe der überrumpelten Festungen und -Schiffe und gegen Leistung zu vereinbarender Friedensbürgschaften noch -immer bereit sei, sich mit ihm zu vertragen, empfing dieser die Abgesandten -hochmütig mit der Frage, ob sie gekommen seien, Unterwerfung -anzubieten. Weil unsere Vorhut sich schließlich zurückgezogen, gab er -die Affaire des gestrigen Tages für einen abyssinischen Sieg aus. Die -Offiziere der zurückgeworfenen 5 Brigaden seines Heeres seien Feiglinge, -<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a> -meinte er, wir sollten sehen, wie <em>er</em> sich schlagen werde — kurzum der -Verblendete wollte von Nachgiebigkeit nichts hören. -</p> - -<p> -Am 8. September griffen wir die am Dschubflusse verschanzte -abyssinische Hauptarmee an. Nach zweistündigem Kampfe war der Feind -geschlagen, 167000 Mann streckten die Waffen, der Rest eilte in wilder, -regelloser Flucht den abyssinischen Bergen zu. 10 Tage später lagen -wir vor den Mauern Massauas, in welche sich der Negus mit den -Trümmern seines Heeres geworfen. -</p> - -<p> -Die Zentralverwaltung von Freiland hatte unmittelbar nachdem -sie die Nachricht von der Wegnahme der Küstenfestungen und der Schiffe -erhalten, den Bau einer Flotte beschlossen und keine Stunde mit der -Verwirklichung gezögert. Eine Panzerflotte herzustellen, dazu fehlte -allerdings die Zeit; sie hielt aber dafür, einer solchen nicht zu bedürfen. -Was sie plante, war die Konstruktion sehr schnellfahrender Fahrzeuge -mit so weit tragenden Geschützen, daß ihre Geschosse die fremden Panzerschiffe -zerstören könnten, ohne daß die Geschosse der Letzteren unsere -Schiffe zu erreichen vermöchten. Dabei rechnete sie allerdings nicht -bloß auf die größere Schnelligkeit der Fahrzeuge und die weitere Flugbahn -der Geschosse, sondern hauptsächlich auf die Überlegenheit unserer -Artilleristen. Wenn unsere Schiffsmaschinen den Feind immer nur auf -die uns passend erscheinende Distanz heranließen, so mußte — das war -der Kalkül — den Unseren gelingen, das stärkste feindliche Schiff zu -vernichten, ehe unsere Fahrzeuge auch nur getroffen werden könnten. -Um Schiffe von 2000 bis 3500 Tonnen — so groß sollten unsere -Kanonenbote sein — in beliebiger Zahl binnen wenigen Wochen vollkommen -auszurüsten, dazu genügten, wenn nur mit entsprechender Energie -daran gegangen wurde und alles gehörig ineinander griff, die freiländischen -Rhedereien und sonstigen Industrien vollkommen. Schon am -23. August wurde daher in Ungama der Kiel zu 36 Schiffen gelegt; -Schiffsmaschinen zwischen 2000 und 3000 Pferdekräften — von denen -die größeren Kriegsdampfer bis zu vieren erhalten sollten — waren -genügend in den Maschinenwerkstätten Ungamas vorrätig. Aus allen -freiländischen Schießplätzen wurden die vorzüglichsten und größten Geschütze -herbeigezogen, 24 neue, alles bisher Erreichte in den Schatten -stellende Ungetüme in den Gußstahlwerkstätten von Danastadt konstruiert -und solchergestalt ermöglicht, daß binnen 22 Tagen der letzte Hammerschlag -und Feilenstrich an der letzten der 36 schwimmenden Kriegsmaschinen -gethan werden konnte. Die Eleganz der Ausstattung ließ in -einzelnen Punkten zu wünschen übrig; die Vollkommenheit der technischen -Ausführung aber war tadellos. Die Fahrzeuge, ziemlich flachbordig -um den feindlichen Kugeln ein möglichst geringes Ziel zu bieten, waren -in wasserdichte Kammern geteilt, um selbst durch einige unter der -Wasserlinie einschlagende Granaten nicht zum Sinken gebracht zu werden; -<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a> -da jedes Schiff mindestens zwei vollkommen unabhängig funktionierende -Maschinen besaß, so war auch eine Lähmung seiner Beweglichkeit nicht -so leicht zu besorgen; gepanzert, und zwar mit Platten der stärksten -Art, waren bloß die Pulverkammern. Die verwendeten, durchwegs -frei beweglich an Deck angebrachten Geschütze wogen zwischen 95 und -245 Tonnen, und waren den einzelnen Schiffen teils einzeln, teils zu -zweien und dreien zugeteilt; insgesamt besaßen die 36 Fahrzeuge deren -78. Das Maximum der Fahrgeschwindigkeit betrug bei den verschiedenen -Schiffen zwischen 23 und 27 Knoten in der Stunde. -</p> - -<p> -Da wir den Westmächten versprochen hatten, die den Suezkanal -sperrende Flotte vor Eintreffen der europäischen Expeditionskorps unschädlich -zu machen, so mußte geeilt werden, dieses gegebene Wort einzulösen. -Am 19. September abends bekamen unsere Schiffe eine bei -Bab-el-Mandeb kreuzende abyssinische Eskadre von 5 Panzern in Sicht. -Diese, die scharfgebauten Schiffe für Passagierdampfer nehmend, machte -sofort Jagd auf sie und wunderte sich nicht wenig, daß die so harmlos -aussehenden Fahrzeuge ihren Kurs unbeirrt fortsetzten. Erst als -die Abyssinier sich auf 14000 Meter Distanz genähert und nunmehr -einige der gröbsten Brocken aus unseren Feuerschlünden zu kosten bekamen, -erkannten sie ihren Irrtum und machten augenblicklich kehrt. -Das Gros unserer Flotte hielt sich auch mit ihrer Verfolgung nicht -auf, sondern setzte die Fahrt ins Rote Meer fort; bloß 6 unserer -größten und zugleich als schnellste Fahrer geltenden Kriegsdampfer eilten -den Fliehenden nach, brachten deren zwei durch eine Reihe wohlgezielter -Schüsse, die von den Abyssiniern der großen Distanz halber wirksam -gar nicht erwidert werden konnten, zum Sinken, und jagten die andern -auf den Strand. Unsere Schaluppen nahmen von den im Wasser -treibenden Mannschaften auf, so viel sie nur immer erreichen konnten -und setzten dann — die Affaire mit der Bab-el-Mandeb-Eskadre hatte -bloß 2½ Stunden beansprucht — den Weg nach Suez fort. -</p> - -<p> -An Massaua dampfte das Gros unserer Flotte in der Nacht vom -19. und 20. unbemerkt vorbei; die nachfolgenden 6 Schiffe aber wurden -im Morgengrauen von einem feindlichen Kreuzer gesehen und verfolgt. -Da es weder in der Absicht der Unseren lag, sich vor Massaua jetzt -schon aufzuhalten, noch die dort liegenden abyssinischen Schiffe durch -eine, ihrem Kreuzer im Vorbeifahren erteilte Lektion vorzeitig zu -warnen, so beantworteten sie dessen Schüsse nicht, trotzdem einige derselben -trafen, sondern suchten bloß so rasch als möglich an ihm vorbei -zu kommen, was auch ohne ernstlichen Schaden gelang. Wie wir später -erfuhren, wurden sie in Massaua gleichfalls für Postschiffe gehalten, die -unbegreiflicherweise den Suez bewachenden Kreuzern in die Hände liefen. -Alles, was der Negus that, war, daß er in den nächsten Nächten vor -Massaua fleißig kreuzen ließ, um die vermeintlichen 6 Postdampfer, wenn -<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a> -sie vor Suez etwa rechtzeitig kehrt machen sollten, diesmal nicht entschlüpfen -zu lassen. -</p> - -<p> -Am 22. nachmittags erschien unsere Flotte vor Suez, griff die den -Kanal bewachenden abyssinischen Schiffe unverzüglich an und bohrte -drei derselben nach kurzem Gefechte in den Grund. Die anderen, darunter -drei Panzerfregatten, liefen auf den Strand, wo die Bemannung -von den ägyptischen Truppen gefangen genommen wurde. Denselben -Ägyptern lieferte unser Admiral auch die aufgefischten abyssinischen -Matrosen und Seesoldaten provisorisch aus, wandte sich sofort wieder -nach Süden und langte am 24. September vor Massaua an. -</p> - -<p> -Dort waren wir inzwischen unthätig geblieben; wir wußten, daß -das Eingreifen unserer Schiffe genügen werde, die Feste in kurzem -Wege zu Falle zu bringen. Als diese auf der Höhe von Massaua erschienen, -näherten sich ihnen einige kleinere abyssinische Kriegsfahrzeuge. -Wenige Schüsse jagten sie in die Flucht und nun erst begriff der Negus -die Situation. Zwar hoffte er noch immer, mit unseren Schiffen fertig -zu werden; die schreckliche Wirkung der ersten Lagen aus unseren Riesengeschützen -belehrte ihn und seine Admiralität eines Besseren. Vor den -herandampfenden schwerfälligen Panzerkolossen stetig zurückweichend gaben -unsere unerreichbaren Vernichtungsmaschinen ihre Geschosse ab und zwei -der Fregatten sanken in die Tiefe, bevor nur <em>eine</em> abyssinische Kugel -ein freiländisches Schiff getroffen hätte. Nun wandten sich die Abyssinier -zum Rückzuge, aber die Unseren blieben ihnen — stets in der gleichen -unnahbaren Distanz — auf den Fersen und bevor die feindliche Flotte -den Hafen erreicht hatte, fuhr ein drittes Panzerschiff zu Grunde. -Doch im Hafen fanden sie so wenig Sicherheit, als auf offenem Meere; -die schrecklichen Panzerzerschmetterer sandten Kugel auf Kugel hinein; -ein viertes Schiff versank und ein fünftes; gleichzeitig hämmerten unsere -Riesengeschosse zermalmend an den Steinquadern der Hafenbastionen — -wir erwarteten jeden Moment die weiße Fahne, das Zeichen der Ergebung, -in Massaua flattern zu sehen. Statt dessen machte der Negus, -die Unhaltbarkeit der Feste einsehend, von uns jedoch keine Gnade erwartend, -plötzlich einen verzweifelten Ausfall, um sich in die Berge -durchzuschlagen. Doch nur unsere äußerste Vorpostenkette gelang es ihm -zu durchbrechen; vor der ersten freiländischen Linie angelangt, brachten -einige Salven den Ansturm der Seinen zum Stehen, ihm aber den -Tod. Die Abyssinier warfen die Waffen weg, der Krieg war beendet. -</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="noindent"> -Hiermit schließen die freiländischen Briefe unseres neuen Landsmannes -Carlo Falieri an seinen Freund, den Architekten Luigi Cavalotti. -Die beiden Freunde haben inzwischen den Aufenthalt getauscht; -Cavalotti ist zu uns nach Freiland übersiedelt, Falieri dagegen wurde, -<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a> -kaum daß er mit seinem jungen Weibe einige Wochen seligster Zurückgezogenheit -auf einer der paradiesischen Ukerewe-Inseln genossen, uns -zeitweilig wieder entführt. Er folgte einem Rufe seines Geburtslandes, -welches seiner zu Durchführung jener Reformen zu bedürfen glaubte, -die in Konsequenz der soeben von ihm geschilderten und der diesen -folgenden Ereignisse dort wie fast überall in der bewohnten Welt ins -Werk gesetzt werden sollen. Seine Gattin begleitet ihn auf dieser -Mission, zu deren Durchführung ihm seitens unserer Centralverwaltung -die unbegrenzten Hülfsquellen Freilands zur Verfügung gestellt sind. -Doch damit geraten wir schon in den Bereich jener Begebenheiten, deren -Darstellung das folgende Buch gewidmet sein soll. -</p> - -<h2 class="part" id="part-6"> -<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a> -Viertes Buch. -</h2> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-1"> -<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a> -23. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Die moralische Wirkung unseres abyssinischen Feldzuges war eine -ungeheure, soweit civilisierte und halbcivilisierte Völker die Kunde davon -empfingen. Wir selber hatten uns heilsame Folgen davon versprochen -insofern, als wir voraussahen, daß die vor aller Welt abgelegte -glänzende Kraftprobe unseren Widersachern Vorsicht und größere -Geneigtheit beibringen werde, auf unsere gerechten Wünsche einzugehen. -Doch der Erfolg übertraf unsere kühnsten Erwartungen weitaus. -Nicht eingeschüchtert, sondern bekehrt wurden die bisherigen Gegner -der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, was indessen mehr uns Freiländer, -als unsere auswärtigen Freunde zu überraschen schien. Wir vermochten -nicht recht zu begreifen, warum Leute, die Jahrzehnte lang unsere socialen -und wirtschaftlichen Bestrebungen für thöricht oder verwerflich -gehalten hatten, aus der Thatsache, daß unsere jungen Leute sich als -treffliche Krieger erwiesen, urplötzlich die Schlußfolgerung zogen, es sei -möglich und nützlich, jedem Arbeitenden den vollen Ertrag seines -Fleißes zuzuwenden. Uns, die wir unter der Herrschaft der Vernunft -und Gerechtigkeit lebten, wollte der Zusammenhang zwischen Letzterem -und der Wirkung unserer Gewehre und Geschütze nicht einleuchten; außerhalb -Freilands jedoch, wo immer noch physische Gewalt die letzte -Quelle allen Rechtes war, hielt es ersichtlich Jedermann — selbst der -prinzipielle Anhänger unserer Ideen — für selbstverständlich, daß die -blitzartig zerschmetternden Schläge, unter deren elementarer Gewalt der -Negus von Abyssinien erlegen, das untrüglichste <span class="antiqua">Argumentum ad -hominem</span> für die Vorzüglichkeit unserer gesamten Einrichtungen seien. -Insbesondere das urplötzliche siegreiche Auftreten unserer Flotte wirkte -da draußen gleichwie ein entscheidendes Beweismittel dafür, daß die -wirtschaftliche Gerechtigkeit keine wesenlose Utopie, sondern sehr reelle -<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a> -Wirklichkeit sei — kurzum, unsere kriegerischen Erfolge gestalteten sich zu -einem Triumphe unserer socialen Einrichtungen. Eine gewaltige fieberhafte -Bewegung ergriff alle Geister, und mit <em>einem</em> Schlage wollte man -nun überall verwirklichen, was bis dahin bloß von verhältnismäßig -Wenigen schüchtern als dereinst zu erreichendes Ideal aufgestellt, von -Vielen mit Abneigung betrachtet, von den großen Massen aber zumeist -gänzlich ignoriert worden war. -</p> - -<p> -Und dabei erwies sich — was uns nun allerdings wieder <em>nicht</em> -überraschte — daß die Ungeduld und das Revolutionsfieber desto heftiger -waren, je weniger man sich zuvor mit unseren Ideen beschäftigt -hatte. Die fortgeschrittensten freisinnigsten Völker, deren leitende Staatsmänner -auch zuvor schon mit uns sympathisiert und gutgemeinte, wenn -auch zusammenhanglose Versuche unternommen hatten, ihre arbeitenden -Massen zu wirtschaftlicher Freiheit heranzuziehen, schickten sich in verhältnismäßiger -Ruhe an, die große ökonomische und sociale Revolution -unter möglichster Wahrung aller bestehenden Interessen einzuleiten. -England, Frankreich und Italien, die schon vor Ausbruch des abyssinischen -Krieges bereit gewesen waren, unsere Einrichtungen — wenn -auch vorläufig bloß in ihren ostafrikanischen Besitzungen — zuzulassen, -beschlossen nunmehr, ohne daß dazu besondere politische Umwälzungen -bei ihnen notwendig gewesen wären, sich wegen Überführung ihrer bestehenden -Institutionen in den unsrigen ähnliche, mit Freiland ins Einvernehmen -zu setzen, und mehrere andere europäische Staaten, sowie -ganz Amerika und Australien schlossen sich ihnen unmittelbar an. Dieses -Ereignis war in den betreffenden Staaten allenthalben von stürmischen -Ausbrüchen der Volksbegeisterung begleitet; aber mit Ausnahme einiger -Fensterscheiben litt Niemand Schaden dabei. Gewaltthätiger schon ging -es in den „konservativen“ Staaten Europas und in einzelnen Ländern -Asiens her; dort kam es zu heftigen Krawallen, ernstlichen Verfolgungen -verhaßter Staatsmänner, die vergebens beteuerten, daß nunmehr auch -sie gegen die wirtschaftliche Gleichberechtigung nichts einzuwenden hätten, -stellenweise zu Blutvergießen und Vermögenskonfiskationen. Die arbeitenden -Massen mißtrauten dort den besitzenden Ständen, waren aber selber -uneinig über den einzuschlagenden Weg, so daß drohender stets und gehässiger -die Parteien einander entgegentraten. Vollends schlimm aber -gestalteten sich die Ereignisse dort, wo die Regierungen früher wirklich -und bewußt volksfeindlich gehandelt, die Besitzenden gegen die Massen -ausgespielt und Letztere vorsätzlich in Unwissenheit und Verkommenheit -darniedergehalten hatten. Dort gab es keine intelligente Volksklasse, -die genügenden Einfluß besessen hätte, sich den Ausbrüchen wütenden -und unvernünftigen Hasses entgegenzuwerfen; dort wurden Grausamkeiten -und Scheußlichkeiten aller Art begangen, die einstigen Unterdrücker -massenhaft abgeschlachtet und es wäre kein Ende der sinn- und -<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a> -zwecklosen Gräuel abzusehen gewesen, wenn nicht zum Glücke auch für -diese Länder unser Ansehen und unsere Autorität schließlich die wütenden -Massen beruhigt und die Bewegung in geregelte Bahnen geleitet -hätte. Nachdem eine der in diesen Gebieten sich ohne ersichtliches Ziel -zerfleischenden Parteien auf den Gedanken geraten war, unsere Intervention -anzurufen, fand dieses Beispiel allgemeine Nachahmung. Allenthalben -aus dem Osten Europas, aus Asien und aus einigen afrikanischen -Staaten richteten die der Anarchie Verfallenen die Bitte an uns, ihnen -Kommissäre zu senden, denen man unumschränkte Gewalt einräumen -wolle. Wir willfahrteten dem natürlich aufs bereitwilligste und diese -freiländischen Kommissäre begegneten thatsächlich allenthalben jenem -ungeteilten Vertrauen, das zur Herstellung der Ruhe erforderlich war. -</p> - -<p> -Inzwischen hatten sich aber auch jene Staaten, die von Anbeginn -besonnen vorgegangen waren, freiländische Vertrauensmänner erbeten, -die ihren Regierungen bei Anbahnung der beabsichtigten Reformen mit -Rat und That behülflich sein sollten. Wir sagen nicht ohne Grund: -mit Rat und <em>That</em>, denn das freiländische Volk hatte, sowie es erkannt, -daß man seine Mitwirkung in Anspruch nehmen werde, den -Beschluß gefaßt, seinen Delegierten — sie mochten nun als beratende -Mitglieder einer fremden Regierung oder als mit unumschränkter Gewalt -ausgerüstete Kommissäre auftreten, das Verfügungsrecht über die -materiellen Hülfsquellen Freilands zu Gunsten der sie berufenden Völker -einzuräumen, denen diese Summen übrigens nicht schenkungs-, sondern -leihweise zufließen sollten. Der Edenthaler Centralverwaltung wurde -zwar formell das Recht vorbehalten, von Fall zu Fall über die von -diesen Delegierten angemeldeten Geldforderungen zu entscheiden; da -jedoch als Prinzip aufgestellt war, daß jede notwendige Hülfe zu gewähren -sei, über die Notwendigkeit der Hülfeleistung aber zumeist doch -nur die an Ort und Stelle Befindlichen urteilen konnten, so lag thatsächlich -in Händen dieser Kommissäre und Vertrauensmänner das diskretionäre -Verfügungsrecht über die flüssig gemachten Kapitalien. -</p> - -<p> -Daß wir aber in der Lage waren, einem solchen, binnen wenigen -Monaten nahe an 2 Milliarden Pfd. Sterling erreichenden Bedarfe -sofort zu entsprechen, erklärt sich daraus, daß unsere freiländische Versicherungsabteilung -ungefähr den fünften Teil ihrer derzeit 10 Milliarden -überschreitenden Reserven in allezeit flüssiger Form zur Disposition -hatte. Die anderen vier Fünftel waren arbeitend angelegt, d. h. den -Associationen sowohl als dem Gemeinwesen zu mannigfaltigen Investitionen -leihweise überlassen; ein Fünftel aber wurde als für alle -Fälle bereiter Stock in den Magazinen der Bank zurückgelegt und -konnte jetzt dem plötzlich aufgetauchten Kapitalbedarfe dienen. Selbstverständlich -ist, daß diese Reserve nicht in Form von Gold oder Silber -hinterlegt war, da sie sich in diesem Falle als unbrauchbar in der -<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a> -Stunde eines eventuellen Bedarfs erwiesen hätte. Nicht Gold oder -Silber, sondern ganz andere Dinge sind es, die in Zeiten der Not -gefordert werden; die Edelmetalle können bloß als geeignete Mittel -dienen, um diese eigentlich benötigten Dinge sich zu verschaffen; damit -Letzteres jedoch geschehen könne, wird vorausgesetzt, daß sie in entsprechender -Menge überhaupt irgendwo vorhanden seien, was bei einem -plötzlich auftretenden Bedarfe von außergewöhnlichem Umfange eben <em>nicht</em> -angenommen werden darf. Wer plötzlich Waren im Gesamtwerte von -Milliarden braucht, der wird dieselben nirgend <em>kaufen</em> können, weil -sie nirgend vorrätig sein werden; will er auch im Falle solchen Bedarfes -vor Not geschützt sein, so muß er nicht das Geld zum Einkaufe, -sondern die voraussichtlich erforderlichen Güter selber vorrätig halten. -Was hätte es z. B. den Russen, welche die Getreidespeicher ihrer -Gutsherren, die Warenmagazine ihrer Kaufleute, die Maschinen in ihren -Fabriken verbrannt und zerstört hatten, genützt, wenn wir ihnen die -Milliarden Rubel, deren sie zur Ersetzung sowohl als zur Vermehrung -dieser vernichteten Dinge bedurften, in Form von Geld zur Verfügung -gestellt hätten? Nirgend gab es entbehrliche Vorräte, die sie hätten -kaufen können; wären sie mit unserem Gelde auf den Märkten erschienen, -so hätte dies zum ausschließlichen Erfolge gehabt, daß alle Preise gestiegen -und ihre Not sich allen Nachbarvölkern mitgeteilt hätte. Und -ebenso bedurften auch alle andere Nationen, die wir in ihrem Bestreben -unterstützen wollten, möglichst rasch aus ihrem bisherigen Elend zu -einem dem unsrigen ähnlichen Reichtume zu gelangen, nicht vermehrter -Geldmittel, sondern vermehrter Nahrungsmittel, Rohstoffe, Werkzeuge. -Und in Form solcher Dinge hatten wir denn auch unsere Reserven -angelegt. Ungefähr die Hälfte derselben bestand stets aus Getreide, -die andere Hälfte aus verschiedenen Rohmaterialien, insbesondere Webestoffen -und Metallen. Als daher unser Kommissär in Rußland successive -285 Millionen Pfund forderte, erhielt er von uns nicht einen Heller -Geld, wohl aber 3040 Schiffsladungen Weizen, Wolle, Eisen, Kupfer, -Hölzer u. dgl. zugesendet, was zur Folge hatte, daß das verwüstete -Land an nichts Mangel litt, vielmehr schon wenige Monate nachher -— allerdings weniger infolge dieser ihm dargeliehenen Schätze, als -vielmehr der in freiländischem Geiste durchgeführten Verwendung derselben -— sich eines Wohlstandes erfreute, den man dort noch vor -kurzem kaum im Traume für möglich gehalten hätte. In ähnlicher -Weise machten wir auch anderen Nationen der Erde unsere Vorräte -nutzbar und waren für den Fall, als diese nicht genügen sollten, entschlossen, -aus den Erträgen der kommenden Jahre das Fehlende zu -ersetzen. -</p> - -<p> -Doch gedachten wir keineswegs diese uns zugefallene Rolle der -ökonomischen und socialen Vorsehung der Brudervölker länger als unumgänglich -<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a> -notwendig zu bewahren. Nicht weil wir die Verantwortung -oder Last scheuten, sondern weil wir es in jeder Beziehung und im -allseitigen Interesse für das Beste hielten, wenn der soziale Umgestaltungsprozeß, -welchem nunmehr die gesamte Menschheit entgegenging, von -dieser auch mit gesammelten Kräften nach gemeinsam wohl erwogenem -Plane ins Werk gesetzt werde, beschlossen wir, ungesäumt die Nationen -der Erde zu einer Beratung nach Edenthal einzuladen, in welcher erörtert -werden solle, was nunmehr zu geschehen habe. Unsere Meinung -dabei war nicht, daß dieser Kongreß bindende Beschlüsse zu fassen hätte; -es möge, so beantragten wir, jedem Volke unbenommen bleiben, aus -den Beratungen des Kongresses die ihm beliebigen Konsequenzen zu -ziehen; nützlich aber, das war unsere Ansicht, würde es für alle Fälle -sein, zu wissen, wie die Gesamtheit über die im Zuge befindliche Bewegung -dächte. -</p> - -<p> -Auf ernstlichen Widerstand stieß diese Anregung nirgend. Insbesondere -bei den zurückgebliebeneren Völkern des Ostens machte sich -zwar eine starke dahingehende Strömung geltend, man möge die Zeit -nicht mit nutzlosen Reden vertrödeln, sondern einfach thun, was wir -Freiländer vorschlagen würden; sie ihrerseits, so thaten uns die konstituierenden -Versammlungen mehrerer — und nicht gerade der kleinsten -— Nationen zu wissen, würden doch nur auf uns hören, der Kongreß -möge sagen, was er wolle. Doch bedurfte es bloß des Hinweises -darauf, daß wir, um ihnen zu raten, sie doch auch hören müßten und -daß uns hierzu der Kongreß das geeignetste Forum scheine, um sie zu -dessen Beschickung zu veranlassen. Auch konnten wir nicht verhindern, -daß viele von den nach Edenthal entsendeten Delegierten die bindende -Instruktion auf den Weg erhielten, bei allen Abstimmungen unbedingt -mit uns Freiländern zu gehen, welche Instruktion sich jedoch insofern -gegenstandlos erwies, als der Kongreß überhaupt nur über Formfragen -abstimmte, sonst aber bloß beriet, es Jedermann anheimgebend, sich -die Diskussionsresultate selber zu bilden. -</p> - -<p> -Dagegen hatte sich gerade inmitten der vorgeschrittensten Länder -eine, wenn auch der Zahl nach geringe, Opposition wiedereingestellt, -die zwar das Prinzip der wirtschaftlichen Gerechtigkeit in seiner Allgemeinheit -anerkannte, jedoch eine ganze Reihe angeblich „praktischer“ -Bedenken gegen dessen durchgreifende Verwirklichung geltend machte. -Diese Opposition hätte, auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, nirgend -vermocht, ein Mandat für den Welt-Kongreß zu erlangen; sie fand -aber allerorten kräftige Fürsprecher — in den freiländischen Vertrauensmännern -und Kommissären, die, durchaus im Einklang mit der öffentlichen -Meinung Freilands, das Bestreben verfolgten, wo möglich jeder -namhafteren Parteirichtung eine Vertretung zu sichern, damit selbst die -etwa vorhandenen offenen Anhänger der überlebten, alten Wirtschaftsordnung -<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a> -kein Recht hätten, darüber Klage zu führen, daß man sie nicht -hätte zu Worte kommen lassen. 68 Nationen waren zur Teilnahme -am Kongresse geladen worden; die Anzahl der zu entsendenden Delegierten -blieb dem Belieben der Geladenen überlassen, nur wurde gebeten, -die Zahl von je zehn Abgesandten nicht zu überschreiten; thatsächlich -wählten die 68 Länder insgesamt 425 Delegierte, was mit den 12 am -Kongresse gleichfalls teilnehmenden Chefs der freiländischen Verwaltung -eine Gesamtzahl von 437 Kongreßmitgliedern ergab. -</p> - -<p> -Am 3. März des 26. Jahres nach der Gründung von Freiland -versammelte sich der Kongreß im großen Saale des Edenthaler Volkspalastes. -Auf der Rechten saßen die Zweifler an der allgemeinen -Durchführbarkeit der im Zuge befindlichen Reformen, im Centrum die -Anhänger Freilands, auf der Linken die Radikalen, denen die gewaltsamsten -Mittel die besten schienen. Den Vorsitz führte der Chef der -freiländischen Präsidialabteilung, welches Amt seit Gründung des Gemeinwesens -ununterbrochen Dr. Strahl verwaltet hatte. Wir lassen -nunmehr den Verlauf der fünftägigen Diskussion auszugsweise an der -Hand der Sitzungsprotokolle folgen. -</p> - -<p class="hdr"> -<span class="line1">Erster Verhandlungstag.</span> -</p> - -<p class="first"> -Der <em>Vorsitzende</em> begrüßt namens des freiländischen Volkes die -auf dessen Einladung herbeigeeilten Abgesandten der sämtlichen Brudernationen -der Erde und fährt dann fort: -</p> - -<p> -„Um einiges, wenn auch nicht gerade strenges und starres System -in den Gang der Beratungen zu bringen, schlage ich vor, daß wir -von Anbeginn eine gewisse Reihenfolge der zu behandelnden Fragen -feststellen; Abschweifungen von dieser Reihenfolge werden allerdings -nicht immer zu vermeiden sein; aber als nützlich dürfte es sich für -alle Fälle erweisen, wenn die Redner zum mindesten das Bestreben -zeigen, möglichst nur zu dem gerade in Verhandlung stehenden Gegenstande -zu sprechen. Um die Diskussion dieser Formfrage abzukürzen, -hat die freiländische Verwaltung sich erlaubt, eine Art Tagesordnung -auszuarbeiten, die Sie annehmen, amendieren oder auch verwerfen -können; die in diese Tagesordnung aufgenommenen Diskussionsstoffe -sind jedoch, wie ich sofort bemerken will, nicht unserer hierortigen -Initiative entsprungen, sondern wurden uns von den Führern der verschiedenen -ausländischen Parteien als näherer Aufklärung bedürftig bezeichnet; -wir unserseits begnügten uns damit, System in diese uns vorgelegten -Fragen zu bringen. Wir schlagen also folgende Reihenfolge -der Verhandlungsgegenstände vor: -</p> - -<p> -1. Wie erklärt sich die Thatsache, daß es im geschichtlichen Verlaufe -vor Gründung Freilands noch niemals gelungen ist, ein Gemeinwesen -<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a> -auf den Prinzipien der wirtschaftlichen Gerechtigkeit und Freiheit -einzurichten? -</p> - -<p> -2. Ist der Erfolg der freiländischen Institutionen nicht etwa bloß -auf das ausnahmsweise und daher vielleicht vorübergehende Zusammenwirken -besonders günstiger Verhältnisse zurückzuführen oder beruhen -dieselben auf überall vorhandenen, in der menschlichen Natur begründeten -Voraussetzungen? -</p> - -<p> -3. Sind Not und Elend nicht etwa Naturnotwendigkeiten und -müßte nicht Übervölkerung eintreten, wenn es vorübergehend gelänge, -das Elend allgemein zu beseitigen? -</p> - -<p> -4. Ist es möglich, die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -überall unter Schonung der erworbenen Rechte und überkommener -Interessen zur Durchführung zu bringen; und wenn dies möglich ist, -welches sind die geeigneten Mittel hierzu? -</p> - -<p> -Hat jemand zu diesem unserem Vorschlage eine Bemerkung zu -machen? Es ist nicht der Fall. Ich setze also Punkt 1 auf die Tagesordnung -und erteile dem Abgeordneten Erasmus Kraft das Wort. -</p> - -<p> -<em>Erasmus Kraft</em> (Rechte). Wir schicken uns allenthalben, so weit -denkende Menschen den Erdball bewohnen, an, den Zustand der Knechtschaft -und des Elends, in welchem, so weit menschliche Erinnerung zurückreicht, -unsere Rasse gefangen war, mit einer glücklicheren Ordnung -der Dinge zu vertauschen. Das leuchtende Beispiel, welches wir hier -in Freiland vor Augen haben, scheint dafür zu sprechen, daß der Versuch -gelingen werde, gelingen müsse. Doch je deutlicher sich diese Perspektive -uns darstellt, desto dringender, unabweislicher wird die Frage, -warum das, was sich jetzt vollziehen soll, nicht schon längst geschehen, -warum der Genius der Menschlichkeit so lange geschlafen, ehe er sich -zur Vollbringung dieses segensreichen Werkes aufraffte. Wir sehen, daß -es genügt, Jedermann den vollen Genuß dessen, was er erzeugt, zu -gönnen, um Jedermann Überfluß zu verschaffen, und trotzdem hat man -ungezählte Jahrtausende hindurch grenzenloses Elend mit all seinem Gefolge -von Jammer und Verbrechen geduldig ertragen, als wären sie unabweisliche -Naturnotwendigkeiten. Woran liegt das? Sind wir klüger, -weiser, gerechter als alle unsere Vorfahren, oder befinden wir uns trotz -all der scheinbar untrüglichen Beweise, die für das Gelingen unseres -Werkes sprechen, nicht vielleicht doch im Irrtume? Die zum größten, -wichtigsten Teile allerdings in das Dunkel der Urzeit gehüllte Geschichte -der Menschheit ist so alt, daß schwerlich anzunehmen ist, eine so wichtige, -dem brennendsten Wunsche jeglicher Kreatur entsprechende Bestrebung, -wie diejenige nach materiellem Wohlbefinden aller, trete jetzt zum -ersten Male in die Erscheinung; sie muß nicht <em>einmal</em>, wiederholt -schon hervorgetreten sein, auch wenn keinerlei Überlieferung uns darüber -Verläßliches erzählt. Wo aber sind ihre Erfolge? Oder waren vielleicht -<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a> -solche Erfolge vorhanden, auch wenn wir nichts davon wissen, ist -die Erzählung vom goldenen Zeitalter mehr als eine fromme Fabel und -sind wir etwa im Begriffe, neuerdings ein solches heraufzubeschwören? -Dann aber taucht wieder die Frage auf, von welcher Dauer dieses Zeitalter -sein, ob ihm nicht abermals das eherne und eiserne folgen werden -— vielleicht in traurigerer schrecklicherer Gestalt als jenes gezeigt, von -welchem Abschied zu nehmen wir uns eben anschicken. Ich will es, dem -Winke des verehrten Vorsitzenden gehorchend, vermeiden, jetzt schon die -möglichen Ursachen eines solchen Rückfalls in verdoppeltes Elend zu -untersuchen, da dies das Thema des dritten Punktes der Tagesordnung -sein wird; auch glaube ich, daß, bevor wir an die Klarlegung aller -denkbaren Konsequenzen eines Gelingens unserer Bestrebungen schreiten, -sehr zweckentsprechend zunächst festgestellt werden sollte, <em>ob</em> diese denn -auch wirklich und in vollem Umfange gelingen werden, zu welchem Behufe -hinwieder die Klarlegung der Frage ersprießlich ist, warum dieselbe -bisher niemals gelungen, ja vielleicht niemals versucht worden sind. -</p> - -<p> -<em>Christian Castor</em> (Centrum). Der Vorredner irrt, wenn er behauptet, -im geschichtlichen Verlaufe der letzten Jahrtausende sei es zu -keinerlei ernsthaftem Versuche einer Verwirklichung des Prinzips der -wirtschaftlichen Gerechtigkeit gekommen. Einer der großartigsten Versuche -dieser Art ist das Christentum. Wer die Evangelien kennt, muß -wissen, daß Christus und seine Apostel die Ausbeutung des Menschen -durch den Menschen verdammen; das Wort der Schrift: „Wehe dem, -der sich mästet vom Schweiße seines Bruders“ enthält schon im Keime -den ganzen Kodex des freiländischen Rechts und alles, was wir nunmehr -ins Werk zu setzen bestrebt sind. Daß das offizielle Christentum späterhin -seine sociale Befreiungsarbeit fallen ließ, ist allerdings richtig, aber -einzelne Kirchenväter haben immer und immer wieder, gestützt auf die -heiligen Texte, die ursprünglichen Absichten Christi zu verwirklichen gestrebt. -Und daß es im ganzen Verlaufe des Mittelalters wie später -in der Neuzeit an zum Teil sehr energischen Versuchen zur Verwirklichung -des christlichen Ideals niemals gefehlt hat, ist gleichfalls bekannt. -Das wollte ich zunächst hervorheben. Die Beleuchtung der Frage, warum -alle diese Versuche Schiffbruch litten, überlasse ich anderen bewährteren -Kräften. -</p> - -<p> -<em>Wladimir Ossip</em> (Linke). Fern sei es von mir, den edlen Stifter -des Christentums mit dem, was später aus seiner Lehre gemacht wurde, -zu verwechseln; aber unser Freund aus der amerikanischen Union geht -meines Erachtens doch zu weit, wenn er ihn und seine Nachfolger als -<em>unsere</em> Vorgänger hinstellen will. Wir verkünden das Glück und die -Freiheit, Christus predigte Entsagung und Demut; wir wollen den Reichtum, -er die Armut Aller; wir beschäftigen uns mit den Dingen dieser -Erde, er hat das Jenseits vor Augen; wir sind — um es kurz zu -<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a> -sagen — Revolutionäre, wenn auch friedliche, er ist ein Religionsstifter. -Lassen wir die Religion; ich glaube, es kann zu nichts führen, sich in -Fragen des Mein und Dein auf das Christentum zu berufen. -</p> - -<p> -<em>Lionel Acosta</em> (Centrum). Ich bin diesfalls durchaus anderer -Meinung als mein geehrter Herr Vorredner und schließe mich dem -Kollegen aus Nordamerika an. Die Lehre Christi ist die reinste, -edelste, wenn auch über Mittel und Ziele noch nicht klar bewußte -Verkündigung der socialen Freiheit, die bisher gehört worden ist, und -diese Verkündigung der socialen Befreiung, nicht religiöse Neuerungen, -sind der Inhalt der „guten Botschaft“; Christus für einen Religionsstifter -statt für einen socialen Reformator auszugeben, eine Lehre, die -im Fluge die Herzen der unterdrückten Massen gewonnen, weil sie -ihnen Abhülfe ihrer Leiden versprach, zu einem Einschläferungsmittel -ihrer erwachenden Energie zu gebrauchen, war das Meisterstück der -Verknechtungskunst. Christus hat sich mit Religion gar nicht beschäftigt, -keine Zeile der Evangelien enthält auch nur eine Spur davon, daß er -an den alten religiösen Satzungen seines Landes rüttelte; der frömmste, -eifrigste Jude kann seinen Kindern unbedenklich die Evangelien zu lesen -geben, sie werden nichts darin finden, was ihr religiöses Gefühl verletzt. -(Eine Stimme: Warum wurde aber dann Christus ans Kreuz geschlagen?) -Man fragt mich, warum Christus von den Juden gekreuzigt -wurde, wenn er nichts gegen das mosaische Gesetz unternommen hatte. -Ja mordet man denn <em>bloß</em> aus religiösen Gründen? Christus wurde -zum Tode geschleift, weil er ein <em>socialer</em>, nicht weil er ein religiöser -Neuerer war, und nicht die Frommen, sondern die Mächtigen -unter den Juden haben seinen Tod gefordert. Darüber auch nur ein -Wort zu verlieren ist in den Augen all jener durchaus überflüssig, -welche die weltbewegenden Begebenheiten jener traurigsten und doch -zugleich glorreichsten Tage Israels, in denen der edelste seiner Söhne -den freiwillig gesuchten Märtyrertod fand, unbefangen betrachten. -Zunächst ist es eine wohlbeglaubigte geschichtliche Thatsache, daß im -Judäa der damaligen Zeit für religiöse Sektirerei ebenso wenig auf -Tod erkannt wurde, wie etwa in Europa des letzten Jahrhunderts. -Zum zweiten spricht die Art der Hinrichtung, das den Juden ganz -unbekannte Kreuz, dafür, daß Christus nach römischem, nicht nach -jüdischem Recht gerichtet wurde; die Römer, dieses in religiöser Beziehung -toleranteste aller Völker, hätten aber erst recht wegen religiöser -Neuerungen Niemand zum Tode gebracht; sie hätten die Hinrichtung -keineswegs geduldet, geschweige denn selber das Urteil gesprochen und -in ihrer Art vollzogen; das Kreuz war bei ihnen die Strafe <em>aufrührerischer -Sklaven</em> oder ihrer <em>Verführer</em>. -</p> - -<p> -Ich sage das nicht, um die Verantwortung für Christi Tod von -Juda abzuwälzen; es ist jedes Volkes trauriges Privilegium, der Henker -<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a> -seiner Edelsten zu sein, und gleichwie Niemand anders als die Athener -Sokrates tötete, so hat auch Niemand anders als die Juden Christus -getötet; der Römer war nur das Werkzeug des jüdischen Hasses, doch -wohlverstanden des Hasses der um ihre Besitztümer zitternden Reichen -unter den damaligen Juden, die den „Verführer des Volkes“ dem -Statthalter denunzierten. Ja, es ist auch durchaus glaubhaft, daß -dieser letztere sich nicht bereitwillig zeigte, auf die Wünsche der geängstigten -Denunzianten einzugehen, denn er, der Römer, der im -niemals erschütterten Glauben an seine starre Eigentumsordnung Aufgewachsene, -verstand die Bedeutung und Tragweite der socialen Lehre -Christi gar nicht. Er hielt ihn — die Evangelien lassen darüber kaum -einen Zweifel und es wäre im Grunde genommen anders auch schwer -zu begreifen — für einen harmlosen Schwärmer, den man mit ein -paar Rutenstreichen laufen lassen könnte. Generationen mußten vergehen, -bis die <em>römische</em> Welt erkennen lernte, was die Lehre Christi eigentlich -zu bedeuten habe — dann aber fiel sie auch mit einer Wut sonder -gleichen über ihre Anhänger her, kreuzigte sie, warf sie den Bestien -vor, kurz that alles, was Rom niemals gegen abweichende Religionen, -stets aber gegen die Feinde seiner Rechts- und Eigentumsordnung that. -Anders die <em>jüdische</em> Aristokratie; diese begriff Sinn und Tragweite -der christlichen Propaganda sofort, denn im Pentateuch wie in den -Lehren der früheren Propheten hatte sie längst schon die Keime dieser -socialen Forderungen kennen gelernt. Das Jubeljahr, welches neuerliche -Grundverteilung nach je 49 Jahren forderte, die Bestimmung, daß -alle Knechte im siebenten Jahre freizulassen seien, was waren sie -anderes, als die Vorläufer der von Christus verlangten allgemeinen -Gleichheit. Ob all diese in den heiligen Schriften des alten Juda -niedergelegten socialen Gedanken jemals zu praktischer Durchführung -gelangt waren, ist mehr als zweifelhaft, aber bekannt und geläufig -waren sie längst jedem Juden, und als Christus daher den Versuch -machte, sie ins praktische Leben einzuführen, als er in gewaltigen, hinreißenden -Reden Wehe über den Reichen rief, der sich vom Schweiße -seines Bruders mäste, da erkannten die Mächtigen in Jerusalem sofort -die ihren Interessen drohende Gefahr, welche ihren nicht jüdischen -Standesgenossen erst viel später klar wurde. Es unterliegt auch nicht -dem geringsten Zweifel, daß sie dem römischen Statthalter gegenüber -aus der wahren Beschaffenheit ihrer Besorgnisse kein Hehl machten, -denn nicht als Sektierer, als Aufwiegler wurde Christus hingerichtet. -</p> - -<p> -Dem Volke aber konnte ebenso selbstverständlich nicht gesagt werden, -daß man den Tod Christi fordere, weil er die in den heiligen Büchern -niedergelegte und von den Propheten oft genug geforderte Gleichheit -praktisch verwirklichen wolle; diesem mußte das Märlein von den -religiösen Ketzereien des Nazareners aufgetischt werden, welches Märlein -<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a> -indessen — abgesehen von dem bei der Hinrichtung zusammengelaufenen -urteilslosen Pöbel — lange Zeit nirgend Glauben fand. Als gut -jüdisch galten die ersten Christengemeinden allenthalben in Israel, als -„judaei“ werden sie uns von allen römischen Schriftstellern genannt, -in denen ihrer Erwähnung geschieht. Was sie wirklich waren, wodurch -allein sie sich von den anderen Judengemeinden unterschieden, -darüber ist — trotz aller anfangs aus leicht begreiflichen Gründen -beobachteten Vorsicht und trotz der später, aus ebenso begreiflichen -Gründen geübten Fälschungen — in den Apostelgeschichten Genügendes -auf uns gekommen. Socialisten, ja zum Teil Kommunisten waren sie; -absolute wirtschaftliche Gleichheit, Gütergemeinschaft wurde in ihnen -geübt. Später erst, als die christliche Kirche unter Preisgebung ihres -socialen Inhalts Frieden mit der Staatsgewalt geschlossen, aus einer -grausam verfolgten Märtyrerin der Gleichheit, sich in ein Werkzeug der -Herrschaft und zwar vielleicht gerade wegen dieses Renegatentums, -doppelt verfolgungssüchtiger Herrschaft, umgewandelt hatte, erst von da -ab suchte sie selber die tückische Verleumdung ihrer einstigen Ankläger -hervor, spielte sich selber als neue Religion aus — was sie seither -in der That auch geworden ist. Und daß es ihr gelang, durch länger -als anderthalb Jahrtausende diese ihre neue Rolle mit dem Namen -Christi in Verbindung zu erhalten, ist zum weitaus überwiegenden -Teile allerdings die Schuld des jüdischen Stammes, der durch die -blutigen Verfolgungen, die unter Berufung auf den milden Dulder von -Golgata gegen ihn verübt wurden, sich zu blindem, thörichtem Hasse -gegen diesen seinen größten und edelsten Sohn verleiten ließ. -</p> - -<p> -Aber deshalb bleibt es nicht minder wahr, daß Christus für die -Idee der socialen Gerechtigkeit und nur für diese den Tod erlitten, ja -daß diese Idee schon vor ihm dem Judentume nicht unbekannt war. -Und ebenso wahr ist, daß trotz aller nachträglichen Verdunkelung und -Fälschung dieser welterlösenden Idee, die Propaganda der wirtschaftlichen -Befreiung niemals wieder völlig erstickt werden konnte. Vergebens -untersagte die Kirche der Laienwelt die Lektüre jener Bücher, welche -angeblich nichts anderes, als ihre, der Kirche, Lehren enthalten sollten; -immer und immer wieder holten sich die in tiefster Erniedrigung schmachtenden -europäischen Völker aus diesen verfehmten Schriften Mut und -Begeisterung zu Versuchen der Befreiung. -</p> - -<p> -<em>Darja-Sing</em> (Centrum). Ich möchte das soeben Gehörte dahin -ergänzen, daß auch noch ein anderes Volk und zwar 600 Jahre vor -Christus, die Idee der Freiheit und Gerechtigkeit aus sich gebar — es -ist das indische. Der eigentliche Kern auch des Buddhismus ist die -Lehre von der Gleichheit aller Menschen und von der Sündhaftigkeit -der Unterdrückung und Ausbeutung. Ja, ich wage sogar die Vermutung -zu äußern, daß die bereits erwähnten socialen Freiheitsgedanken des -<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a> -Pentateuch wie der Propheten und folglich mittelbar auch die Christi, -auf indische Anregung zurückzuführen sind. Das scheint auf den ersten -Blick ein arger Anachronismus zu sein, denn Buddha lebte wie gesagt -600 Jahre vor Christus, während die jüdische Legende die Abfassung -der fünf Bücher in das 14. Jahrhundert v. Chr. verlegt. Allein es -ist mir bekannt, daß neuere Forschungen mit nahezu absoluter Sicherheit -festgestellt haben, daß diese angeblichen Bücher Mosis frühestens im -sechsten Jahrhundert, und jedenfalls erst nach der Rückkehr aus -der sogenannten babylonischen Gefangenschaft verfaßt wurden. Gerade -zur Zeit aber, als die Elite des damaligen Juda nach -Babylon verpflanzt war, sandte Buddha seine Apostel durch ganz -Asien, und daß die „an den Wassern Babels Weinenden“ gegen solche -Lehren damals besonders empfänglich gewesen sein mußten, liegt auf -der Hand. -</p> - -<p> -Wenn also einige germanische Schriftsteller die Behauptung aufstellten, -das Christentum sei ein fremder Blutstropfen im Körper des -arischen Volkstums, so haben sie insofern allerdings Recht, als ihnen -das Christentum thatsächlich als Semitismus, nämlich dem Judentum -entsprossen, zukam; nichtsdestoweniger kann die arische Welt den Grundgedanken -des Christentums für sich reklamieren, da höchstwahrscheinlich -sie es war, welche die ersten Keime hierzu dem Semitentume übergab. -Ich sage das nicht, um das Verdienst des großen semitischen Freiheitsmärtyrers -zu schmälern. Ich kann leider nicht leugnen, daß wir Arier -mit dem unserem Schoße entsprossenen göttlichen Gedanken aus eigener -Kraft nichts anzufangen verstanden. Gleichwie es wahrscheinlich ist, -daß gerade die Scheußlichkeit des indischen Kastenwesens, jener schändlichsten -Blüte, die jemals dem blut- und thränengedüngten Boden der -Knechtschaft entsprossen, Ursache gewesen, daß in Indien zuerst die -geistige Reaktion gegen diese Geißel der Menschheit sich zeigte, ebenso -sicher ist es auf der anderen Seite, daß das nämliche Kastenwesen die -Spannkraft unseres indischen Volkes allzusehr gebrochen, als daß dieses -die empfangene Anregung selber hätte fruchtbringend verarbeiten können. -Der Buddhismus erlosch in Indien und wurde außerhalb Indiens sehr -bald seines socialen Inhalts gänzlich entkleidet. Jene transcendenten -Spekulationen, auf welche man auch im Abendlande das Christentum -zu beschränken <em>versuchte</em>, sie sind im Osten Asiens thatsächlich der -einzige Effekt des Buddhismus gewesen. Ja schon im Geiste der Stifter -gestaltet sich der Freiheitsgedanke anders bei dem, trotz aller Erhabenheit -doch den Stempel seines Volkstumes tragenden „Avatar“ Indiens -und anders bei dem Messias in Juda, der inmitten eines von nie -gebändigtem Gleichheitsdrange durchglühten Volkes das Licht der -Welt erblickte. Buddha konnte sich die Freiheit wirklich nur in -Form jener hoffnungslosen Entsagung vorstellen, die dem christlichen -<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a> -Freiheitsgedanken bloß fälschlich von Jenen untergeschoben wurde, die -durch fremde Ansprüche im eigenen Genusse nicht gestört zu werden -wünschten. -</p> - -<p> -Ja ich bin überzeugt, daß auch unsere kräftigeren, nach dem Westen -ausgewanderten Verwandten den Freiheits- und Gleichheitsgedanken nicht -hätten verwerten können, wenn wir — die indische Welt — ihnen -denselben unverändert, wie wir ihn schufen, übergeben hätten. Denn -auch ihnen steckte, als sie nach Europa kamen und noch ein Jahrtausend -später, das Kastengefühl im Blute; daß alle Menschen gleich, -wirklich schon hier auf Erden gleich seien, wäre dem germanischen -Edeling sowohl, als dem germanischen Knechte ebenso unfaßbar geblieben, -als es dem indischen Paria oder Sudra und dem Brahmanen oder -Ksatrija unfaßbar geblieben ist. Dieser Gedanke mußte zuerst von dem -streng demokratisch gesinnten kleinen semitischen Volksstamme an den -Ufern des Jordan in feste, fürderhin nicht mehr zu verdunkelnde Formen -gebracht und von der freien nüchternen Forschung Roms und Griechenlands -in grelle — wenn auch vorläufig ablehnende — Untersuchung -gezogen worden sein, ehe er, zu rein arischen Volksstämmen verpflanzt, -Früchte zu tragen vermochte. Nahmen doch die bekehrten germanischen -Könige das Christentum ganz ersichtlich nur an, weil sie es für ein -passendes Werkzeug der Herrschaft hielten. Was die neue Lehre den -Knechten etwa sagen mochte, war ihnen vorerst gleichgiltig, denn der -Knecht, der in scheuer Ehrfurcht zu den „Abkömmlingen der Asen“, -seinen Herren, emporsah, erschien für alle Ewigkeit ungefährlich; gegen -wen es sich zu wappnen galt, das waren die Mitherren, die Großen -und Edlen, die bisher nur der faktischen Macht, nicht dem Wesen nach, -von den Königen verschieden waren. Das Herrenrecht kam — nach -arischer Anschauung — von Gott, sehr wohl; aber das des kleinsten -Edeln in der nämlichen Weise, wie das des Königs; sie alle stammten -von den Göttern ab. In Christus nun fanden die Könige den <em>einen</em> -obersten Herrn, der ihnen, ihnen allein, die Macht verliehen hatte; abermals -besaßen sie eine göttliche Quelle des Herrenrechts, aber für sich -allein und deshalb erzählt uns die Geschichte überall, daß die Könige -gegen den — oft verzweifelten — Widerstand der Großen das Christentum -einführten, nirgends, daß die Großen ohne, oder gar gegen den Willen -der Könige sich bekehrt hätten. Die Volksmassen, die Knechte — wo -werden diese jemals überhaupt gefragt? Sie haben zu thun und zu -glauben, was die Herren für gut finden — und sie thun es ausnahmslos, -ohne den geringsten Widerstand, lassen sich gleich den Schafen herdenweise -zur Taufe ins Wasser treiben und glauben nunmehr auf Befehl, -daß alle Macht von <em>einem</em> Gotte komme, der sie <em>einem</em> Herrn verliehen. -Denn der arische Knecht ist eine willenlose Sache, die zu eigenem -Denken erst erzogen werden muß. Dieses Erziehungswerk nun hat allerdings -<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a> -ziemlich lange gedauert, aber wie der Vorredner richtig bemerkte, -geschlafen hat der Gedanke der Freiheit nicht. -</p> - -<p> -<em>Erich Holm</em> (Rechte). Ich glaube, es läßt sich gegen den Nachweis, -daß der Gedanke der wirtschaftlichen Gerechtigkeit in seiner Allgemeinheit -schon Jahrtausende alt ist und niemals vollständig entschlief, -nichts stichhaltiges sagen. Aber es fragt sich, ob denn dieser allgemeine -Gleichberechtigungs- und Freiheitsgedanke mit jenem speciellen, an dessen -Verwirklichung wir jetzt schreiten, viel des Gemeinsamen hat, nicht -vielleicht in manchen Stücken das Gegenteil desselben besagt; und zum -zweiten muß nun erst recht Bedenken erregen, daß dieser, wie wir gehört -haben, 2½ Jahrtausende alte Gedanke bisher noch nie und nirgend -verwirklicht werden konnte. -</p> - -<p> -Ersteres anlangend muß ich zugeben, daß Christus — im Gegensatze -zu Buddha — die Gleichheit nicht transcendent und metaphysisch, -sondern sehr materiell und buchstäblich verstanden hat. Er pries zwar -auch die Armen an Geist selig, aber unter den Reichen, die ihm zufolge -schwerer ins Himmelreich eingehen sollen, als ein Schiffsseil aus -Kamelhaaren durch ein Nadelöhr, verstand er ganz gewiß nicht die -Reichen im Geiste, sondern die an irdischen Gütern Reichen. Auch ist -es richtig, daß er sagte, „mein Reich ist nicht von dieser Welt“ und -dem Kaiser geben hieß, was des Kaisers sei; allein, wer diese Stellen -nicht aus dem Zusammenhange reißt, kann unmöglich übersehen, daß -er damit lediglich jede Einmischung in die politischen Angelegenheiten -ablehnt, nicht um politischer, sondern um transcendenter <em>Zwecke</em>, um -der ewigen Seligkeit willen, der socialen Gerechtigkeit zum Siege verhelfen -will. Ob Rom oder Israel herrscht, ist ihm gleichgiltig, wenn -nur Gerechtigkeit geübt wird; doch daß er diese nicht erst im Jenseits, -sondern schon hinieden geübt wissen will, kann nur fromme Beschränktheit -leugnen. Aber ist das, was Christus unter Gerechtigkeit versteht, -wirklich dasselbe, was wir darunter meinen? Zwar das von -ihm gleich anderen jüdischen Lehrern verkündete „Liebe Deinen Nächsten -wie Dich selbst“ wäre eine sinnlose Phrase, wenn es nicht wirtschaftliche -Gleichberechtigung zur Voraussetzung hätte. Den Menschen, den -man ausbeutet, liebt man wie sein Haustier, nicht aber wie sich selbst; -wahrhaft „christliche Nächstenliebe“ in einer ausbeuterischen Gesellschaft -verlangen, wäre einfach albern, und was dabei herauskommen kann, -haben wir bisher sattsam erfahren. Im übrigen nimmt uns ja der -Apostel hierüber den letzten Rest von Zweifel, denn er verdammt ausdrücklich, -sich vom Schweiße des Nächsten zu mästen, d. h. ihn auszubeuten. -Insoweit also wären wir mit Christus vollkommen eines -Strebens. Aber er verdammt ebenso ausdrücklich den Reichtum, preist -die Armut, während wir den Reichtum zum Gemeingute Aller machen, -also alle unsere Mitmenschen in einen Zustand versetzen wollen, in dem -<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a> -sie — um mit Christus zu reden — schwerer als ein Schiffstau durchs -Nadelöhr, ins Himmelreich eingehen könnten. Hier ist ein Gegensatz, -dessen Überbrückung mir schwer möglich erscheint. Wir halten das -Elend, Christus den Reichtum für die Quelle des Lasters, der Sünde; -unsere Gleichheit ist die des Reichtums, die seinige die der Armut; -das bitte ich fürs erste festzuhalten. -</p> - -<p> -Zum zweiten aber hat ja Christus — trotz des, wie man zugeben -wird, viel bescheidenen Zieles, welches er sich steckte, dasselbe <em>nicht</em> -erreicht. Ist sohin die Berufung auf diesen erhabensten aller Geister, -statt uns in Verfolgung unserer Ziele zu stärken, nicht vielmehr geeignet, -uns zu entmutigen? -</p> - -<p> -<em>Emilio Lerma</em> (Freiland). Die Verbindung, in welche der Vorredner -die von Christus gepriesene und geforderte Armut mit dem — -angeblichen — Mißlingen seines Befreiungswerkes gebracht hat, ist eine -verfehlte. Nicht trotzdem, sondern <em>weil</em> Christus die Gleichheit auf -Grundlage der Armut herstellen wollte, ist dies fürs erste mißlungen. -Die Gleichheit der Armut läßt sich nicht herstellen, denn sie wäre gleichbedeutend -mit Stillstand der Kultur; wohl aber ist es nicht bloß möglich, -sondern notwendig, die Gleichheit des Reichtums ins Werk zu -setzen — sowie die Voraussetzungen dafür vorhanden sind — weil dies -mit Fortschritt der Kultur gleichbedeutend ist. Allerdings — so werden -Sie sagen — so verhält es sich nach unserer Auffassung; nach derjenigen -Christi aber ist der Reichtum ein Übel. Sehr wahr. Nur -kann uns bei unbefangenem Eingehen in die Sache unmöglich entgehen, -<em>daß Christus den Reichtum nur verwarf, weil er seine Quelle -in der Ausbeutung hatte</em>. Nichts im ganzen Laufe des Lebens Jesu -deutet darauf hin, daß er jener finstere Ascet gewesen, der er hätte -sein müssen, wenn er den Reichtum als solchen für sündhaft gehalten -hätte; zahllose Stellen der Evangelien legen unzweideutiges Zeugnis -für das Gegenteil ab. Christi Bedürfnisse waren allerdings einfach; -aber er genoß stets mit Behagen, was ihm etwaiger Reichtum seiner -Anhänger bot und sah nirgends ein Übles darin, vom Leben soviel -anzunehmen, als sich mit der Gerechtigkeit verträgt. Auch der Haß, -mit welchem ihn die Reichen Jerusalems verfolgen, änderte diese seine -Anschauung nicht, wie denn überhaupt das oft citierte Verdammungsurteil -gegen die Reichen etwas geradezu verletzendes, dem Geiste der -Evangelien zuwiderlaufendes hat, wenn wir es außer Zusammenhang -halten mit dem „Wehe, wer sich mästet vom Schweiße seines Bruders“. -Im Reichtum verdammt Christus bloß dessen Quelle; nur weil Reichtum -anders, als durch Ausnützung des Schweißes der Brüder nicht erworben -werden konnte, deshalb und nur deshalb allein war ihm das Himmelreich -verschlossen. Kein Zweifel, daß Christus gleich uns sich mit dem -Reichtume versöhnt hätte, wäre damals wie zu unserer Zeit Reichtum -<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a> -auch ohne Ausbeutung, ja ohne diese erst recht möglich gewesen. Aus -welchen Gründen dies zu Christi Zeiten und noch viele Jahrhunderte -nachher unmöglich war, darüber werden wir uns noch ausführlich zu -verbreiten haben; vorläufig sei bloß konstatiert, <em>daß</em> es unmöglich war, -daß die Wahl bloß zwischen Armut oder Reichtum durch Ausbeutung stand. -</p> - -<p> -Diese Alternative schärfer als je zuvor ein Anderer erkannt und -sich mit hinreißender Glut gegen die Ausbeutung gewendet zu haben, -ist eben die unsterbliche That Christi. Er mußte dafür am Kreuze -sterben, denn im Gegensatze von Gerechtigkeit und Kulturnotwendigkeit -wird stets die erstere unterliegen; er mußte sterben, weil er nahezu zwei -Jahrtausende zu früh das Banner wahrer Menschenliebe, Freiheit und -Gleichheit, kurz aller edelsten Gefühle des menschlichen Herzens entrollte -— zu früh, wohlverstanden für ihn, nicht für uns, denn die träge -Menschheit bedurfte dieser zwei Jahrtausende, um voll zu begreifen, -was ihr Märtyrer gemeint, für <em>sie</em> starb er keinen Tag zu früh. Es -gibt also keinen Gegensatz der christlichen Ideen mit unseren Bestrebungen; -der Unterschied beider liegt bloß darin, daß jene, die erste Verkündigung -des Gedankens der Gleichheit, in eine Zeit fallen, wo die materiellen -Voraussetzungen der Verwirklichung dieser göttlichen Idee noch nicht -vorhanden waren, während diese die „Fleischwerdung des Wortes“ zu -bedeuten haben, die Frucht des damals in den Geist der Menschheit -niedergelegten Samenkorns. Auch von einem wirklichen „Mißlingen“ -des christlichen Befreiungswerkes kann daher eigentlich nicht die Rede -sein: es liegen bloß zwei Jahrtausende zwischen dem Beginn und dem -Abschluß des von Christus unternommenen Werkes. -</p> - -<p> -Hiermit schloß der vorgerückten Stunde halber der Präsident die -Sitzung, die Erledigung der auf der Tagesordnung stehenden Frage auf -den morgigen Tag verschiebend. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-2"> -<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a> -24. Kapitel. -</h3> - -<p class="hdr"> -<span class="line1">Zweiter Verhandlungstag.</span><br /> -<span class="line2">(Fortsetzung der Verhandlungen über Punkt 1 der Tagesordnung.)</span> -</p> - -<p class="first"> -Das Wort erhält <em>Leopold Stockau</em> (Centrum): Ich glaube, daß -die Vorfrage des ersten Punktes der Tagesordnung, nämlich ob unsere -gegenwärtigen Bemühungen im Interesse der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -wirklich ohne jedes wie immer geartete weltgeschichtliche Präcedens -dastehen, am gestrigen Tage erschöpfend, und zwar im verneinenden -Sinne erledigt worden ist. Zum mindesten bin ich von den gestrigen -Wortführern der Gegenpartei ermächtigt, zu erklären, daß sie vollkommen -davon überzeugt worden seien, die Lehre Christi unterscheide -sich in keinem wesentlichen Punkte von dem, was in Freiland verwirklicht -ist und was wir nunmehr zum Gemeingute des ganzen Erdkreises -machen wollen. Wir kommen jetzt zum Hauptgegenstande des ersten -Fragepunktes, zu der Erörterung nämlich, warum diese früheren Versuche, -Gerechtigkeit und Freiheit zur Grundlage der menschlichen Wirtschaft -zu machen, erfolglos bleiben mußten. -</p> - -<p> -Die Antwort auf diese Frage ist durch den letzten Redner des -gestrigen Tages schon angedeutet worden. Die früheren Versuche mißlangen, -weil sie die Gleichheit der Armut etablieren wollten, der unsere -wird gelingen, weil er die Gleichheit des Reichtums bedeutet. Gleichheit -der Armut wäre Stillstand der Kultur gewesen. Kunst und Wissenschaft, -diese beiden Triebfedern des Fortschritts, haben Überfluß und Muße -zur Voraussetzung; sie können nicht bestehen, geschweige denn sich entwickeln, -wenn es Niemand giebt, der mehr besäße, als zur Stillung der -tierischen Notdurft hinreicht. In früheren Epochen menschlicher Kultur -war es jedoch unmöglich, Überfluß und Muße für Alle zu schaffen; es -<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a> -war unmöglich, weil die Hilfsmittel der Produktion nicht hinreichten, -Überfluß für Alle zu erzeugen, selbst wenn Alle unausgesetzt unter Einsatz -ihrer gesamten physischen Kraft gearbeitet, geschweige denn, wenn -sie sich zugleich jene Muße gegönnt hätten, die zur Entfaltung der -höheren geistigen Kräfte ebenso notwendig ist, wie der Überfluß zur -Zeitigung der höheren geistigen Bedürfnisse. Und da es nicht möglich -war, Allen ein vollkommen menschenwürdiges Dasein zu gewähren, so -blieb es eine traurige zwar, aber darum nicht minder unerschütterliche -Kulturnotwendigkeit, die Mehrzahl der Menschen auch in dem Wenigen, -das ihr Teil gewesen wäre, zu verkürzen und mit dem, den Massen -entzogenen Beutestücken eine Minderzahl auszustatten, die solcherart zu -Überfluß und Muße gelangen konnte. Die Knechtschaft war eine Kulturnotwendigkeit, -weil sie allein zum mindesten in einzelnen Menschen -Kulturbedürfnisse und Kulturfähigkeiten zur Entfaltung zu bringen vermochte, -während ohne sie Barbarei das Los Aller gewesen wäre. -</p> - -<p> -Falsch ist übrigens die Meinung, als ob die Knechtschaft so alt -wäre, als das Menschengeschlecht; sie ist nur so alt, als die menschliche -Kultur. Es gab einst eine Zeit, in der sie unbekannt war, in der es -keine Herren und Knechte gab und niemand die Arbeit seiner Nebenmenschen -auszubeuten vermochte; nur war das nicht das goldene, sondern -das barbarische Zeitalter unserer Rasse. So lange der Mensch -die Kunst noch nicht erlernt hatte, seine Bedürfnisse zu <em>erzeugen</em>, -sondern sich damit begnügen mußte, die freiwilligen Gaben der Natur -zu sammeln, zu erjagen; so lange daher jeder Mitkonkurrent als Feind -angesehen wurde, der nach demselben Gute trachtete, welches jeder Einzelne -als die ihm bestimmte Beute ansah; so lange richtete sich der -Daseinskampf unter den Menschen notwendigerweise auf gegenseitige -<em>Vernichtung</em>, statt auf Unterjochung und Ausbeutung. Es nützt dem -Stärkeren, Schlaueren noch nichts, die Schwächeren zu unterjochen; der -Konkurrent im Daseinskampfe muß getötet werden, und da der Kampf -von Haß und Aberglauben begleitet ist, so gelangt man bald dahin, den -Getöteten auch zu fressen. Ausrottungskrieg Aller gegen Alle, gefolgt in -der Regel von Kannibalismus, war daher der Urzustand unseres -Geschlechts. -</p> - -<p> -Überwunden aber wurde diese erste sociale Ordnung nicht durch -moralische oder philosophische Erwägungen, sondern durch einen Wandel -im Wesen der Arbeit. Der Mann, welcher zuerst auf den Gedanken -geriet, ein Samenkorn in die Erde zu legen, es zu pflegen und Früchte -heranzuziehen, war der Erlöser der Menschheit aus der niedrigsten, -blutigsten Stufe der Barbarei, denn er schuf die erste Produktion, die -Kunst, Nahrungsmittel nicht bloß zu sammeln, sondern zu erzeugen; -und als diese Kunst sich in dem Maße verbessert hatte, daß es möglich -wurde, dem Arbeitenden einen Teil seines Ertrages zu entziehen, ohne -<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a> -ihn geradezu dem Hungertode zu überantworten, zeigte es sich allgemach, -daß es nützlicher sei, den Besiegten als Arbeitstier und nicht wie -bisher, als Schlachttier zu gebrauchen. Und da dem so war, da die -Sklaverei zum erstenmal die Möglichkeit bot, Überfluß und Muße zum -mindesten für eine bevorzugte Minderheit zu schaffen, so war sie die -erste Anregerin höherer Kultur. Kultur aber ist Macht und so kam -es denn, daß Sklaverei oder Knechtschaft in irgend welcher Form allgemach -den Erdball eroberten. -</p> - -<p> -Daraus folgt aber mit nichten, daß die Dauer ihrer Herrschaft -eine ewige sein muß oder auch nur sein kann. Gleichwie Menschenfresserei -das Ergebnis jenes geringsten Ausmaßes der Ergiebigkeit menschlicher -Arbeit gewesen, bei welchem die angestrengteste Thätigkeit eben -nur zur Fristung des nackten tierischen <a id="corr-78"></a>Lebens ausreichte, und der Knechtschaft -weichen mußte, sowie die erste Möglichkeit des Überflusses infolge -wachsender Arbeitsergiebigkeit sich zeigte, so ist auch diese nichts anderes, -als das sociale Ergebnis jenes mittleren Ausmaßes von Ergiebigkeit, -bei welchem die Arbeit zwar genügt, um Einzelnen, nicht aber, um Allen -Überfluß und Muße zugleich zu gewähren, und auch sie <em>muß</em> einer -anderen, höheren socialen Ordnung weichen, sowie dieses mittlere Maß -der Ergiebigkeit überschritten ist, denn von da ab ist sie aus einer Kulturnotwendigkeit -ein Kulturhindernis geworden. -</p> - -<p> -Das ist seit Generationen thatsächlich geschehen. Seitdem es dem -Menschen gelungen ist, die Naturkräfte seiner Produktion dienstbar zu -machen, seitdem er die Fähigkeit erlangt hat, an Stelle der Kraft seiner -Muskeln die unbegrenzten Elementarkräfte eintreten zu lassen, hindert -ihn nichts, Überfluß und Muße für Alle zu erzeugen — nichts als jene -überlebte sociale Einrichtung, die Knechtschaft nämlich, welche den Massen -den Genuß dieser Güter vorenthält. Wir können nicht bloß, wir müssen die -soziale Gerechtigkeit verwirklichen, weil die neue Form der Arbeit dies ebenso -gebieterisch fordert, als die alten Formen der Arbeit gebieterisch die -Knechtschaft gefordert haben. Diese, einst das Werkzeug des Kulturfortschrittes, -ist zu einem Hindernisse der Kultur geworden, denn sie vereitelt -den vollen Gebrauch der uns zu Gebote stehenden Kulturmittel. -Dadurch, daß sie die Genüsse der großen Majorität unserer Brüder -auf ein äußerst geringes Maß reduziert, auf ein Maß, zu dessen Erfüllung -der Gebrauch der modernen Produktionsbehelfe keineswegs erforderlich -ist, zwingt sie uns, in unserer Arbeit weit hinter jenem Umfange -und hinter jener Vollkommenheit zurückzubleiben, die wir sofort -erreichen würden, sowie nur einmal Verwendung für die dann unvermeidliche -Fülle aller Reichtümer vorhanden wäre. -</p> - -<p> -Ich resumiere also: die wirtschaftliche Gleichberechtigung konnte in -früheren Kulturepochen aus dem Grunde nicht verwirklicht werden, weil -menschliche Arbeit in jenen Epochen nicht hinreichend ergiebig war, um -<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a> -Reichtum für Alle zu ermöglichen, die Gleichheit also Armut für Alle -bedeutet, diese aber gleichbedeutend mit Barbarei gewesen wäre; sie kann -nicht nur, sie <em>muß</em> jetzt zur Wahrheit werden, weil Dank der erlangten -Kulturmittel unerschöpflicher Reichtum für alle produzierbar wäre, die -thatsächliche Produktion dieses dem Kulturfortschritte entsprechenden -Reichtums aber zudem an die Bedingung geknüpft ist, daß jedermann -genieße, was das Ergebnis seines Fleißes ist. -</p> - -<p> -Der <em>Vorsitzende</em> fragt hierauf, ob niemand fernerhin zu Punkt -1 der Tagesordnung das Wort ergreifen wolle und erklärt, da dies -nicht geschieht, die Diskussion über dieses Thema für geschlossen. -</p> - -<p> -Zur Debatte gelangt nun Punkt 2: -</p> - -<p> -<em>Ist der Erfolg der freiländischen Institutionen nicht -etwa bloß auf das ausnahmsweise und daher vielleicht -vorübergehende Zusammenwirken besonders günstiger Verhältnisse -zurückzuführen, oder beruhen dieselben auf überall -vorhandenen, in der menschlichen Natur begründeten Voraussetzungen?</em> -</p> - -<p> -Das Wort hat <em>George Dare</em> (Rechte): Wir haben den großartigen -Erfolg eines ersten Versuches der Etablierung wirtschaftlicher -Gerechtigkeit in Freiland so handgreiflich vor uns, daß die Frage, ob -ein solcher Versuch gelingen <em>kann</em>, gegenstandlos geworden ist. Ein -anderes ist jedoch die Frage, ob er gelingen <em>muß</em>, überall gelingen -muß, weil er in diesem einen Falle gelungen ist. Denn die Verhältnisse -Freilands sind exceptionelle in mehr als einer Beziehung. Von -den hervorragenden Fähigkeiten, dem Feuereifer und Opfermute jener -Männer ganz zu schweigen, welche dieses glückliche Gemeinwesen gründeten -und zum Teil heute noch an dessen Spitze stehen, Männer, wie -wir sie mit Sicherheit nicht überall zur Hand haben werden, darf auch -nicht übersehen werden, daß dieses Land von der Natur so verschwenderisch -ausgestattet ist, wie wenige andere, und daß ein breiter Gürtel -von Wüste und Wildnis es — anfangs zum mindesten — vor jedem -störenden fremden Einflusse bewahrte. Wenn geniale, von unbedingtem -Vertrauen ihrer Mitbürger getragene Männer, auf einem Boden, wo -jedes Samenkorn hundertfältige Frucht trägt, das Wunder vollbringen, -unerschöpflichen Reichtum für Millionen aus dem Nichts hervorzuzaubern, -Elend und Laster auszurotten, den Fortschritt der Künste und -Wissenschaften auf die Spitze zu treiben, so beweist das meines Erachtens -noch immer nicht, daß gewöhnliche Menschen, die zudem vielleicht -miteinander hadern, einander mißtrauen werden, auf mageren Boden -und mitten im Gewühle des Konkurrenzkampfes der Welt, die gleichen -oder auch nur ähnliche Resultate erzielen werden. Und daß ich in -diesem Punkte einige Zweifel hege, wird um so erklärlicher erscheinen, -wenn man bedenkt, daß wir in Amerika Zeugen hunderter und aber -<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a> -hunderter von socialen Experimenten waren, die jedoch alle entweder mehr -oder minder kläglich Fiasko litten, oder günstigen Falls die Bedeutung -eines gelungenen industriellen Einzelunternehmens zu erlangen vermochten. -Es ist wahr, einzelne dieser unserer Versuche zu socialer Revolutionierung -der modernen Gesellschaft haben ganz hübsche pekuniäre Erfolge -gehabt; das war aber auch alles; eine neue, ersprießliche Grundlage -der socialen Ordnung haben sie nicht geschaffen, nicht einmal im Keime. -Das möchte ich zu bedenken geben und bevor wir uns am Beispiele -Freilands berauschen, zu nüchterner Erwägung der Frage auffordern, -ob alles, was für Freiland Geltung hat, auch für die ganze übrige -Welt Geltung haben muß. -</p> - -<p> -<em>Thomas Johnston</em> (Freiland): Der Vorredner irrt, wenn er -in ausnahmsweise günstigen Verhältnissen den Grund des Gelingens des -freiländischen Unternehmens zu finden glaubt. Zwar daß unser Boden -fruchtbarer ist, als in den meisten Teilen der übrigen Welt, ist ein -dauernder Vorteil, der uns jedoch bloß mit dem Betrage der Frachtdifferenz -zugute kommt, denn wenn Sie diesen in Abrechnung bringen, -können Sie überall, wohin Eisenbahn und Dampfschiff reichen, am Gewinne -dieser Fruchtbarkeit vollständig teilnehmen. Die Getrenntheit -vom Weltmarkte durch weite Wüsten war anfangs ein Vorteil, wäre -aber jetzt ein Nachteil, wenn wir ihrer nicht Herr geworden wären, -und was schließlich die Fähigkeiten der freiländischen Verwaltung anlangt, -so muß ich — nicht aus Bescheidenheit, sondern der Wahrheit -entsprechend — die uns gemachten Komplimente ablehnen. Wir sind -nicht klüger als andere, die Sie zu Dutzenden in jedem civilisierten -Lande finden werden. -</p> - -<p> -Daß aber jene Versuche, von denen der geschätzte Vorredner sprach, -allesamt mißglückten, erklärt sich daraus, daß sie allesamt auf verkehrter -Grundlage unternommen wurden. Mit dem, was wir in Freiland -vollführten und was Sie jetzt nachahmen wollen, haben sie alle bloß -ganz im Allgemeinen das Bestreben gemein, Abhilfe gegen das Elend -der ausbeuterischen Welt zu finden; ein anderes aber ist die Abhilfe, -die wir, eins die, anderes die, welche jene suchten, und darin, nicht in -exceptionellen Vorteilen, die wir voraus gehabt hätten, liegt die Ursache -des Gelingens bei uns, des Mißlingens bei jenen. -</p> - -<p> -Denn es war nicht die wirtschaftliche Gerechtigkeit, mit deren Hilfe -jene zum Ziele gelangen wollten; sie suchten Rettung aus dem Kerker -der Ausbeutung, sei es auf einem Wege, der gar nicht hinausführt, sei -es auf einem solchen, der zwar aus diesem hinaus, dafür aber in einen -anderen, noch abscheulicheren Kerker hineinführt. Bei keinem dieser -amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den Kolonien<a id="corr-79"></a> der -Quäker bis zu dem Ikarien Cabets wurde jemals der volle und ungeschmälerte -Arbeitsertrag dem Arbeitenden als solchem zugewiesen, vielmehr -<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a> -gehörte der Ertrag entweder kleinen, sich am Unternehmen zugleich -als Arbeiter beteiligenden Arbeitgebern nach Maßgabe ihrer Kapitaleinlage, -oder der Gesamtheit, die als solche über die Arbeitskraft -sowohl als über den Arbeitsertrag jedes Einzelnen despotisch zu disponieren -hatte. Associierte kleine Kapitalisten oder Kommunisten waren -ohne Ausnahme alle diese Reformer. Sie mochten, wenn sie besonderes -Glück hatten, oder unter besonders fähiger Leitung standen, -vorübergehende Erfolge erzielen; an einen Umschwung der geltenden -Wirtschaftsordnung durch sie war nicht zu denken. -</p> - -<p> -<em>Johann Storm</em> (Rechte). Ich glaube, daß das Fehlen jeglicher -Analogie zwischen den wiederholt unternommenen kleinkapitalistischen -oder kommunistischen Gesellschaftsrettungsversuchen und den freiländischen -Institutionen keines ferneren Beweises bedarf. Auch darüber erachte ich -die Akten als geschlossen, daß die exceptionellen äußeren Vorteile, die -den Erfolg jener letzteren allenfalls begünstigt und erleichtert haben -mögen, nicht von der Art sind, daß zu besorgen wäre, unser nunmehr -beabsichtigtes Werk könnte wegen deren Mangel scheitern. Aber damit -wissen wir immer noch nicht, ob wirklich tief im Wesen der menschlichen -Natur gelegene, also mit Sicherheit überall zu erwartende Voraussetzungen -für das Gelingen der Socialreform Gewähr leisten. Wir -haben allerdings schon bei Gelegenheit der Diskussion des ersten Punktes -de Tagesordnung festgestellt, daß die Ausbeutung, Dank der über die -Naturkräfte erlangten Herrschaft, zu einer Kulturwidrigkeit, ihre Beseitigung -also zu einer Kulturnotwendigkeit geworden ist. Die strenge -Kritik kann sich jedoch damit noch nicht beruhigen. Ist denn alles, was -behufs Förderung des Kulturfortschrittes notwendig wäre, damit zugleich -auch möglich? Wie, wenn die wirtschaftliche Gerechtigkeit zwar ein -ganz außerordentliches Kulturvehikel, leider aber aus irgend einem -Grunde undurchführbar wäre? Wie, wenn jener wunderbare Aufschwung, -den wir in Freiland staunend wahrnehmen, doch nur eine vorübergehende -Erscheinung wäre, trotz aller, ja vielleicht gerade wegen -seiner märchenhaften Größe den Keim des Unterganges schon in sich -trüge, mit einem Worte, wenn die Menschheit als Ganzes und auf die -Dauer jenes Fortschrittes <em>nicht</em> teilhaftig werden könnte, dessen Voraussetzung -allerdings die wirtschaftliche Gerechtigkeit ist? -</p> - -<p> -Der bisher vernommene Beweis des Gegenteils gipfelt in dem -Satze, daß Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bloß insolange -notwendig war, als der Ertrag menschlicher Arbeit nicht genügte, -um Überfluß und Muße für alle zu ermöglichen. Wie aber, wenn -auch noch andere Motive die Ausbeutung, die Knechtschaft zur Notwendigkeit -machten, Motive, deren zwingende Wirkung mit der gestiegenen -Ergiebigkeit der Arbeit noch nicht beseitigt wäre, vielleicht gar niemals -beseitigt werden könnte? Als gewaltigstes Hindernis dauernder Etablierung -<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a> -eines Zustandes wirtschaftlicher Gerechtigkeit mit seinem Gefolge -von Glück und Reichtum bietet sich dem vorsorglich in die Zukunft -blickenden Sinne die Gefahr der Übervölkerung dar; doch da die Erörterung -dieses Bedenkens einen besonderen Punkt unserer Tagesordnung -bildet, so will auch ich gleich jenen meiner Gesinnungsgenossen, die vor -mir das Wort ergriffen, vorläufig die sich unter diesem Gesichtspunkte -aufdrängenden Argumente bei Seite lassen; es gibt deren aber noch -einige andere, nicht minder gewichtige. Kann auf die Dauer eine Gesellschaft -bestehen und fortschreiten, welcher die Triebfeder des Eigennutzes -fehlt, vermögen Gemeinsinn und vernünftige Erwägung letztere -durchweg und mit gleicher Wirksamkeit zu ersetzen? Gilt nicht dasselbe -vom Eigentume? Eigennutz und Eigentum aber sind meines Erachtens -durch die freiländischen Institutionen zwar nicht gänzlich bei Seite geschoben -— das will ich gern zugeben — aber doch sehr wesentlich eingeengt. -Auch unter dem Walten der wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist -das Individuum immerhin für das geringere oder größere Maß seines -Wohlergehens selber verantwortlich, der Zusammenhang zwischen dem -eigenen Thun und dem eigenen Nutzen ist nicht vollständig aufgehoben; -aber indem das Gemeinwesen jedermann und für alle Fälle gegen Not, -also gegen die letzte Konsequenz eigener Fehler oder Unterlassungen unbedingt -schützt, ist doch der Stachel der Selbstverantwortlichkeit sehr -wesentlich abgestumpft. Ebenso sehen wir das Eigentum zwar nicht -gänzlich, aber doch in seinen wichtigsten Bestandteilen abgeschafft. Die -ganze Erde mit allen an ihr haftenden Kräften ist herrenlos erklärt; -die Produktionsmittel sind Gemeingut; wird das, kann das überall und -allezeit ohne schädliche Konsequenzen bleiben? Wird der Gemeinsinn -auf die Dauer jene liebevolle, alle Eventualitäten sinnreich abwägende -Vorsorge ersetzen, die der Eigentümer dem ihm allein überantworteten -Gute angedeihen läßt? Wird die heitere Sorglosigkeit, die bisher in -Freiland allerdings bloß ihre Lichtseiten hervorgekehrt hat, nicht schließlich -in Leichtsinn und Mißachtung dessen umschlagen, was Niemandes -spezieller Verantwortlichkeit übergeben ist? Die Thatsache, daß es bisher -nicht geschehen, erklärt sich vielleicht nur durch die noch immer — -es ist ja noch kein Menschenalter über die Gründung dieses Gemeinwesens -dahingegangen — vorwaltende Begeisterung des ersten Anfanges. -Neue Besen, sagt man, kehren gut. Der Freiländer sieht das Auge -einer ganzen Welt auf sich und sein Thun gerichtet; er fühlt sich noch -als Bahnbrecher der neuen Einrichtungen; er ist stolz auf dieselben und -der letzte Arbeiter hier mag sich solcherart noch verantwortlich fühlen -für die Art und Weise, wie er das ihm zugefallene Apostolat der Weltfreiheit -ausübt. Wird das auf die Dauer vorhalten, wird insbesondere -die gesamte Menschheit ähnlich fühlen und handeln? Ich bezweifle es, -bin zum mindesten nicht vollkommen von der Notwendigkeit überzeugt, -<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a> -daß es geschehen werde. Und was dann, wenn es nicht geschieht, wenn -sich zeigen sollte, daß — sagen wir nicht alle, aber doch zahlreiche — -Völker des Stachels von Not getriebenen Eigennutzes, des Lockmittels -vollen und ganzen Eigentums nicht entbehren können, ohne in Stumpfsinn -und Trägheit zu verfallen? Das sind die Fragen, auf die wir -zunächst Antwort erbitten. -</p> - -<p> -<em>Richard Held</em> (Centrum). Der Vorredner findet, daß Eigennutz -und Eigentum so wichtige Beförderungsmittel der Betriebsamkeit sind, -daß ohne deren volle und uneingeschränkte Wirksamkeit menschlicher -Fortschritt auf die Dauer kaum denkbar und deren Ersatz durch den -Gemeinsinn höchst unverläßlich wäre. Ich gehe viel weiter. Ich behaupte, -daß ohne diese beiden Vehikel der Betriebsamkeit an materielles -Gedeihen irgend welchen Gemeinwesens gar nicht zu denken ist, zum -mindesten insolange nicht, bis die menschliche Natur sich nicht radikal -geändert, oder die Arbeit aufgehört hat, eine Plage zu sein. Jeder -Versuch, auf wirtschaftlichem Gebiete den Eigennutz durch Gemeinsinn -oder anderweitige ethische Triebfedern zu ersetzen, müßte schmählich Fiasko -leiden. Das eigens zu beweisen, halte ich für ganz überflüssig; aber gerade -weil dem so ist, gerade weil der Eigennutz und sein Korrelat, das -Eigentum, die besten, durch keinerlei Surrogat gleich wirksam zu ersetzenden -Triebfedern der Arbeit sind, gerade deshalb, so sollte ich -meinen, verdienen die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit auch -in diesem Betracht ganz ausgesprochener Maßen den Vorzug vor denen -der ausbeuterischen Wirtschaftsordnung. Denn sie erst bringen Eigennutz -und Eigentum wirklich zur Geltung, während die ausbeuterische -Ordnung sich dieses Verdienst nur fälschlich anmaßt. -</p> - -<p> -Die Knechtschaft ist doch in Wahrheit geradezu die Verneinung -des Eigennutzes. Dieser setzt voraus, daß der Arbeitende durch seine -Mühe dem „eigenen Nutzen“ diene — trifft dies unter dem Walten -der Ausbeutung zu, arbeitet der Knecht zu <em>eigenem</em> Nutzen? Wollte -man mit Rücksicht auf die Frage des Eigennutzes einen Nachteil der -wirtschaftlichen Gerechtigkeit der Knechtschaft gegenüber ableiten, so -müßte man behaupten, die Arbeit gehe dann am fruchtbarsten und -erfolgreichsten von statten, wenn der Arbeitende <em>nicht</em> zu eigenem, -sondern zu fremdem Nutzen produciere. Aber der Arbeitgeber produciert -doch zu eigenem Nutzen, wird man vielleicht einwenden. Richtig. Doch -abgesehen davon, daß auch das streng genommen mit der Wirkung -des Eigennutzes <em>der Arbeit</em> gegenüber nichts zu thun hat, -denn hier ist es wieder nicht der Nutzen eigener, sondern fremder Arbeit, -der in Frage kommt; so ist es doch klar, daß ein System, welches bloß -einer Minderzahl Nutzen an der Arbeit einräumt, unendlich minder -wirksam sein muß, als jenes andere, von uns beabsichtigte, welches -diesen Nutzen <em>jedem</em> Arbeitenden einräumt. In Wahrheit kennt die -<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a> -ausbeuterische Welt — von geringfügigen Ausnahmen abgesehen — -nur Menschen, welche ohne eigenen Nutzen arbeiten und Menschen, -welche ohne eigene Arbeit Nutzen von der Arbeit haben; Arbeit zu -eigenem Nutzen kommt in ihr höchstens nebensächlich vor. Mit welchem -Scheine von Recht darf sich also die Ausbeutung damit brüsten, den -<em>Eigen</em>nutz als Triebfeder der Arbeit zu gebrauchen? <em>Fremd</em>nutzen -ist der richtige Name des bei ihr ins Spiel kommenden Arbeitmotivs, -und daß dieser Fremdnutzen sich wirksamer erweisen sollte, als der -Eigennutz, den die wirtschaftliche Gerechtigkeit erst als Neuerung in die -moderne Welt einführen muß, wäre denn doch einigermaßen schwer zu -beweisen. -</p> - -<p> -Nicht viel anders verhält es sich mit dem Eigentume. Welch -grenzenlose Voreingenommenheit gehört dazu, einem Systeme, welches -neunundneunzig Hundertteile der Menschheit aller und jeglicher Sicherheit -des Eigentums beraubt, ihnen außer der Luft, die sie atmen, nichts -läßt, was sie ihr eigen nennen dürften, nachzurühmen, daß es das -Eigentum als Beförderungsmittel menschlicher Betriebsamkeit gebrauche, -und dies einem anderen Systeme gegenüber, welches alle Menschen ohne -Ausnahme zu Eigentümern, und zwar zu unverkürzten unbedingten -Eigentümern all dessen macht, was sie nur immer hervorbringen mögen! -Oder soll vielleicht der Vorzug des ausbeuterischen „Eigentums“ darin -liegen, daß es sich auf Dinge erstreckt, die der Eigentümer <em>nicht</em> hervorgebracht -hat? Keine Frage, die Anhänger des Alten haben schlechthin -keine klare Vorstellung über den Begriff des Mein und Dein. Was -gehört denn eigentlich <em>mir</em>? „Alles, was Du Irgendwem wegnimmst“, -wäre — wenn sie aufrichtig sein wollten — ihre einzige Antwort. -Weil diese Aneignung <em>fremden</em> Eigentums im Laufe der Jahrtausende -in gewisse feste, durch grausame Notwendigkeit geheiligte Formen gebracht -worden ist, kam ihnen der unlöslich mit dem Wesen der Sache verknüpfte, -natürliche Begriff des Eigentums gänzlich abhanden. Es geht -über ihr Begriffsvermögen, daß die Gewalt zwar in Besitz und Genuß -erhalten kann, wen ihr beliebt, daß aber der freie ungehinderte Gebrauch -der eigenen Kräfte Jedermanns ureigenstes Eigentum ist, und daß -folglich jede staatliche oder gesellschaftliche Ordnung, welche sich über -dieses Urrecht jedes Menschen hinwegsetzt, nicht das Eigentum, sondern -— den Raub zur Grundlage hat. Dieser Raub mag immerhin notwendig, -ja nützlich sein — wir haben gesehen, daß er es Jahrtausende -hindurch thatsächlich gewesen — „Eigentum“ wird er darum doch -niemals, und wer ihn dafür hält, der hat eben vergessen, was Eigentum -ist. -</p> - -<p> -Es erscheint mir nach dem Gesagten kaum noch nötig, viel Worte -über jenes Bedenken zu verlieren, daß mangels vollkommenen Eigentums -Leichtsinn oder liebloses Verfahren mit den Produktionsmitteln einreißen -<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a> -könne. Ersteres anlangend, genügt es wohl zu fragen, ob denn hoffnungsloses -Elend sich als gar so vorzügliches Beförderungsmittel wirtschaftlicher -Voraussicht erwiesen habe, daß dessen Ersatz durch eine dieses -Stachels allerdings beraubte, im übrigen aber vollkommen durchgeführte -Selbstverantwortlichkeit sich als gefährlich erweisen könnte. Und was -das zweite Bedenken betrifft, so hätte dieses nur dann Berechtigung, -wenn in der bisherigen Ordnung die Arbeitenden Eigentümer der -Produktionsmittel gewesen wären. Sondereigentum an diesen wird ihnen -zwar auch die neue Ordnung nicht einräumen, dafür aber den ungeschmälerten -Fruchtgenuß derselben, und wessen Begeisterung für die -Schönheiten der bestehenden Ordnung nicht so weit geht, daß er den -Stock des Herrn für ein wirksameres Beförderungsmittel auch der -liebevollen Vorsorge hält, als den Nutzen der Arbeitenden, der mag -beruhigt darüber sein, daß es auch in dieser Beziehung nicht schlimmer, -sondern nur besser werden kann. -</p> - -<p> -<em>Charles Prud</em> (Rechte). Ich begreife durchaus nicht, wie der -geehrte Vorredner bestreiten kann, daß in der bisherigen Ordnung -Eigennutz es ist, was die Massen zur Arbeit nötigt. Wer wollte leugnen, -daß sie einen Teil des Nutzens ihrer Arbeit abgeben müssen; aber ein -anderer Teil verbleibt doch jedenfalls auch ihnen, sie arbeiten daher, -zwar nicht ausschließlich, wohl aber mit zu ihrem eigenen Nutzen. Und -jedenfalls <em>müssen</em> sie arbeiten, wollen sie dem Hunger entgehen, und -man sollte meinen, daß dieser Sporn der wirksamste von allen ist. -Soviel über die Leugnung des Eigennutzes als Triebfeder der sogenannten -ausgebeuteten Arbeit. Was aber den Ausfall gegen den Eigentumsbegriff -von uns Verteidigern — nicht etwa der bestehenden Übelstände, -aber doch einer besonnenen, maßhaltenden Reform derselben — anlangt, -so möchte ich mir in aller Bescheidenheit die Bemerkung erlauben, daß -unser Rechtsgefühl sich dabei beruhigte, daß den Arbeitenden Niemand -zwang, mit dem Arbeitgeber zu teilen. Er schloß als freier Mann -einen Vertrag mit demselben ... (allgemeine Heiterkeit). Lachen Sie -immerhin, es ist doch so. In politisch freien Ländern hindert den -Arbeiter nichts, ungeteilt für eigene Rechnung zu arbeiten; den Anteil, -den er dem Unternehmer abtritt, Raub zu nennen, ist daher jedenfalls -ungerecht. -</p> - -<p> -<em>Béla Székely</em> (Centrum). Mir will scheinen, daß es ein müßiger -Streit um Worte ist, den mein Vorredner zu entfesseln sich anschickt. -Er nennt den Arbeitslohn einen Teil des Nutzens der Produktion — -mag sein, daß hie und da die Arbeiter wirklich einen Teil des Nutzens -als Lohn oder als Zugabe zu diesem empfangen; bei uns und, wenn -ich recht unterrichtet bin, auch im Lande des Redners war das im -allgemeinen nicht üblich, vielmehr zahlten wir den Arbeitern, ganz unbekümmert -um den Nutzen ihrer Arbeit, eine zur Fristung ihres Lebens -<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a> -dienende Summe; Nutzen — eventuell auch Schaden — der Produktion -gehörte ausschließlich uns, den Unternehmern. Mit ungefähr demselben -Rechte könnte er behaupten, daß seine Ochsen oder Pferde am „Nutzen“ -der Produktion teilhaben. Wenn ich sage, mit „ungefähr“ demselben -Rechte, so meine ich damit, daß dies von Ochsen und Pferden in der -Regel mit etwas <em>besserem</em> Rechte gesagt werden könnte, denn während -diese nützlichen Kreaturen zumeist besseres und reichlicheres Futter erhielten, -wenn ihre Arbeit den Herrn reich gemacht hatte, geschah dies -bei unseren zweibeinigen, vernunftbegabten Arbeitskreaturen höchstens in -sehr seltenen Ausnahmefällen. -</p> - -<p> -Dann identificiert der Herr Vorredner vollends den Hunger mit -dem Eigennutze. Die Massen <em>müssen</em> arbeiten, sonst verhungern sie. -Allerdings. Aber der Sklave muß auch arbeiten, sonst erhält er -Prügel — folglich, so sollten wir nach dieser seltsamen Logik sagen, -wird auch der Sklave durch Eigennutz zur Arbeit getrieben. Oder will -man sich vielleicht darauf steifen, daß Eigennutz sich nur auf die Erlangung -materieller Güter beziehe? Das wäre zwar falsch, denn Prügel -vermeiden ist schließlich nicht mehr und nicht minder eine Forderung -des Eigennutzes, als den Hunger stillen; aber ich will um solche Kleinigkeiten -nicht streiten; lassen wir also den Stock und die Peitsche als -Symbole vom Eigennutz beflügelter Betriebsamkeit fallen. Wie aber -steht es dann mit jenen Sklavenhaltern, die — wahrscheinlich im Interesse -der ‚Freiheit der Arbeit‘ — ihre faulen Sklaven nicht prügelten, -sondern hungern ließen? Unter deren Regime wurde — dem Vorredner -nach — offenbar der Eigennutz als Triebfeder der Arbeit auf -den Thron gesetzt? Daß der Hunger ein sehr wirksames <em>Zwangs</em>mittel -ist, ein wirksameres, als die Peitsche — wer wollte das leugnen; -er hat daher letztere auch überall und sehr zum Vorteile der Arbeitgeber -verdrängt. Aber Eigennutz? Dazu gehört, das sagt schon der -Klang des Wortes, daß der Nutzen der Arbeit Eigen des Arbeitenden -sei. Soviel über den Eigennutz. -</p> - -<p> -Und was nun vollends die Verwahrung gegen das Unrecht der -Ausbeutung anlangt, so verstehe ich dieselbe schon ganz und gar nicht. -<a id="corr-83"></a>‚Frei‘ waren die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem Vorteil -zu producieren? Jawohl, nichts als die Kleinigkeit, der Hunger. Sie -mochten es immerhin bleiben lassen, wenn sie verhungern wollten! -Wieder genau dieselbe ‚Freiheit‘, die auch der Sklave hat. Wenn ihn -die Peitsche nicht geniert, nötigt ihn nichts zur Arbeit für seinen Herrn. -Die Fesseln, in denen die ‚freien‘ Massen der ausbeuterischen Gesellschaft -schmachten, sind enger, peinigender, als die Ketten des Sklaven. Das -Wort ‚Raub‘ gefällt dem Vorredner nicht? Es ist in der That ein -hartes, häßliches Wort; aber der ‚Räuber‘ ist ja nicht der einzelne -Ausbeuter, sondern die ausbeuterische Gesellschaft und diese war einst, -<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a> -in der bitteren Not des Daseinskampfes, zu diesem Raube genötigt. Ist -das Töten im Kriege deshalb weniger Todschlag, weil nicht der Einzelne, -sondern der Staat, und dieser häufig notgedrungen, die Veranlassung -dazu giebt? Man wird sagen, daß diese Art des Tötens durch -das Strafgesetz nicht verboten, ja von der Pflicht gegen das Vaterland -geboten sei und daß ‚Todschlag‘ nur verbotene Arten des Tötens genannt -werden dürfen. Das ist <em>juristisch</em> sehr richtig, und wenn sich -jemand beifallen ließe, das Töten im Kriege vor den Strafrichter zu -ziehen, so würde man ihn mit Fug auslachen. Aber ebenso verlachen -müßte man Jenen, der, weil Töten im Kriege erlaubt ist, bestreiten -wollte, dasselbe sei Todschlag, wenn es sich nicht um die juristische -Strafbarkeit, sondern um die Begriffsbestimmung des Totschlags als -einer Handlungsweise handelte, bei welcher ein Mensch gewaltsam vom -Leben zum Tode gebracht wird. So ist auch die Ausbeutung kein -Raub im strafrechtlichen Sinne; wenn aber jede Aneignung fremden -Eigentums Raub genannt werden darf — und nur darum handelt es -sich im vorliegenden Falle — dann ist Raub und nichts anderes die -Grundlage jeder ausbeuterischen Gesellschaft, der modernen ‚freien‘ nicht -minder, als der auf Sklaverei oder Hörigkeit gestützten antiken oder -mittelalterlichen. (Lang andauernder Applaus, in welchen auch die -Herren Johann Storm und Charles Prud einstimmen). -</p> - -<p class="end"> -(Schluß des zweiten Verhandlungstages.) -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-3"> -<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a> -25. Kapitel. -</h3> - -<p class="hdr"> -<span class="line1">Dritter Verhandlungstag.</span><br /> -<span class="line2">(Fortsetzung der Debatte über Punkt 2 der Tagesordnung.)</span> -</p> - -<p class="first"> -<em>James Brown</em> (Rechte). Unser Kollege aus Ungarn hat gestern die -wahre Beschaffenheit des Eigennutzes und des Eigentums in der ausbeuterischen -Gesellschaft mit so markigen Worten gekennzeichnet, daß -davon fürderhin wohl nicht mehr die Rede sein wird. Aber wenn es -auch richtig ist, daß erst die wirtschaftliche Gerechtigkeit diese beiden -Triebfedern der Arbeit in ihr Recht einzusetzen vermöchte, so muß immer -noch gefragt werden, ob der einzige Weg, der zu diesem Ziele führt, -nämlich die Organisation freier, selbstherrlicher, unausgebeuteter Arbeit -sich überall und ausnahmslos praktikabel erweisen wird. Mit der noch -so feierlichen Proklamierung des Grundsatzes, daß jeder Arbeitende sein -eigener Herr sei und mit noch so vollständiger Einräumung des Verfügungsrechtes -über die Produktionsmittel an alle Arbeitenden, wäre -wenig gewonnen, wenn letztere sich unfähig erweisen sollten, von diesen -Rechten den entsprechenden Gebrauch zu machen. Worauf es in letzter -Linie ankommt, das ist also die Frage, ob die Arbeiter der Zukunft -allezeit und überall jene Disciplin, jene Mäßigung und Weisheit an -den Tag legen werden, die zur Organisierung wahrhaft fruchtbringender, -fortschrittlicher Produktion erforderlich sind? Die ausbeuterische Wirtschaft -hat eine vieltausendjährige Routine hinter sich; wie es anzustellen -sei, um eine Schar zu stummem Gehorsam gezwungener Knechte in -Ordnung zu erhalten, das sagt dem Arbeitgeber nach altem Rechte die -gesammelte Erfahrung unzähliger Generationen. Trotzdem begeht auch -er häufig Mißgriffe und nur zu oft scheitern seine Pläne an der Widersetzlichkeit -der Untergebenen. Die Leiter der Arbeiterassociationen der -<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a> -Zukunft haben so gut wie keinerlei Erfahrungen hinter sich, wenn es -sich um die Organisationsformen handelt, welche sie anzuwenden -haben; sie werden diejenigen zu Herren erhalten, denen sie befehlen -sollen — und trotzdem, so sagt man uns, kann ihnen der Erfolg nicht -fehlen, ja er darf nicht fehlen, soll die associierte freie Gesellschaft nicht -in ihren Grundfesten erschüttert werden. Denn während die ausbeuterische -Gesellschaft die Verantwortlichkeit für das Schicksal der einzelnen -Unternehmungen ausschließlich diesen Unternehmungen selber überläßt, -hängt vermöge der so oft hervorgehobenen Interessensolidarität der -freien Gesellschaft das Wohl und Wehe der Gesamtheit aufs unlöslichste -mit dem jeder einzelnen Unternehmung zusammen. Ich will mich gern -eines Besseren belehren lassen; aber insolange dies nicht geschehen ist, -kann ich nicht umhin, in dem soeben Gesagten Bedenken zu erblicken, -welche durch die bisherigen Erfahrungen Freilands mit nichten völlig -zerstreut sind. Die freiländischen Arbeiter haben es verstanden, sich zu -disciplinieren; folgt daraus, daß dies die Arbeiter überall verstehen -werden? -</p> - -<p> -<em>Miguel Spada</em> (Linke). Ich beschränke mich darauf, eine kurze -Antwort auf jene Frage zu erteilen, mit welcher der Vorredner geschlossen. -Nein, sicherlich, daraus, daß den Freiländern die Organisierung -und Disciplinierung der Arbeit ohne herrische Arbeitgeber gelungen -ist und daraus, daß sie ganz unfraglich noch zahlreichen anderen -Völkern gelingen wird, folgt mit nichten, daß sie <em>allen</em> Völkern notwendigerweise -gelingen muß. Möglich, ja sagen wir immerhin wahrscheinlich, -daß einzelne Völker sich unfähig erweisen werden, von dieser -höchsten Art des Selbstbestimmungsrechtes Gebrauch zu machen; um so -schlimmer für diese. Aber daraus, das will ich hoffen, wird doch Niemand -die Folgerung ableiten, daß auch jene Völker, und befänden sie -sich selbst in der Minderzahl, denen diese Fähigkeit nicht abgeht, auf -die Anwendung derselben verzichten sollen. Diese Fähigeren werden -dann die Lehrmeister der Unfähigeren werden. Sollten sich aber diese -nicht nur unfähig, sondern auch als ungelehrig erweisen — je nun, -dann werden sie eben so von dem Erdboden verschwinden, wie ungelehrige -Kannibalen verschwinden müssen, wo sie mit Kulturnationen in -Berührung treten. Daß die Nation, welcher der Fragesteller angehört, -diesen unfähigen Nationen <em>nicht</em> beigezählt werden muß, darauf mag -er sich getrost verlassen. -</p> - -<p> -<em>Wladimir Tonof</em> (Freiland). Das geehrte Mitglied aus England -(Brown) hat eine unrichtige Vorstellung sowohl von den Schwierigkeiten -der hier in Frage kommenden Organisation und Disciplin, als von -der Bedeutung eventueller Mißerfolge einzelner Unternehmungen in -einem freien Gemeinwesen. Erstere anlangend will ich darauf hinweisen, -daß in der Organisation associierter Kapitalien, die bekanntlich Jahrhunderte -<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a> -alt ist, eine keineswegs zu verachtende Vorschule der -Arbeitsassociation gegeben ist, soweit es sich um die dabei zu -wählenden Formen der Leitung und Überwachung handelt. Zwar -giebt es Verschiedenheiten tiefeingreifender Art, die wohl beachtet sein -wollen; es liegt aber im Wesen der Sache, daß die Unterschiede -alle zu Gunsten der Arbeitsassociation sich geltend machen. Bei -diesen sind nämlich die Hauptgebrechen der Kapitalsassociation, das -sind Unkenntnis und Gleichgiltigkeit der Genossen den Aufgaben des -Unternehmens gegenüber, nicht zu besorgen und es ist daher hier -auch jener peinliche, die Aktionsfreiheit der Leitung lähmende und -trotzdem nutzlose Kontrollapparat, welcher den Statuten der Kapitalsvergesellschaftungen -als Ballast anhaftet, vollkommen entbehrlich. Der -einzelne Aktionär versteht in der Regel nichts von den Geschäften -seiner Gesellschaft und hat ebenso in der Regel gar nicht die Absicht, -sich um den Geschäftsgang anders, als durch Empfangnahme der -Dividenden zu kümmern. Trotzdem ist <em>er</em> der Herr des Unternehmens, -von seinem Votum hängt dessen Schicksal in letzter Linie ab; welche -Umsicht ist daher vonnöten, um diesen Aktionär vor den möglichen -Folgen der eigenen Unkenntnis, Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit zu -schützen! Die vergesellschafteten Arbeiter dagegen sind mit dem Wesen -ihres Unternehmens sehr wohl vertraut, dessen Gedeihen ist ihr vornehmstes -materielles Interesse und wird von ihnen auch ausnahmslos -als solches erkannt. Das sind ausschlaggebende Vorteile. Oder will -man darin eine besondere Schwierigkeit sehen, daß die Arbeiter sich der -Leitung von Personen unterwerfen sollen, deren Stellung von ihrem, -der zu Leitenden, Votum abhängt? Dann könnte man mit demselben -Rechte die Autorität aller aus Wahl hervorgehenden politischen und -sonstigen Behörden anzweifeln. Den Leitern fehlt jegliches Mittel, -Gehorsam zu <em>erzwingen</em>? Falsch; es fehlt ihnen nur eines, das -Recht, den Unbotmäßigen willkürlich zu entlassen. Aber dieses Recht -fehlte auch gar mancher anderen, auf Disciplin und vernünftige -Fügsamkeit der Mitglieder angewiesenen Körperschaft, die nichtsdestoweniger, -oder gerade deshalb weitaus bessere Disciplin hielt, als jene -Vereinigungen, deren Gehorsam durch die weitestgehenden Zwangsmittel -gewährleistet war. Zwar kann, wo der äußere Zwang fehlt, die -Disciplin schwerer in Tyrannei ausarten, aber das ist doch wahrlich -kein Übel. Zudem steht den Leitern freier Arbeitervergesellschaftungen -ein Zwangsmittel der Disciplin zur Verfügung, dessen Gewalt schrankenloser -und unbedingter ist, als die der schonungslosesten Tyrannei: die -alles umfassende gegenseitige Kontrolle der Genossen, deren Einfluß selbst -der Hartnäckigste auf die Dauer nicht widerstehen kann. Allerdings ist -zu all dem unerläßlich, daß die Arbeitenden insgesamt, oder doch zu -weitaus überwiegendem Teile vernünftige Männer seien, deren Intelligenz -<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a> -zu nüchterner Abwägung des eigenen Vorteils ausreicht. Allein das -ist ja ganz im Allgemeinen die erste und oberste Voraussetzung -der Etablierung wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Daß diese — das Endergebnis -des bisherigen Entwicklungsganges der Menschheit — nur für -Menschen paßt, die sich aus dem untersten Stadium der Brutalität -herausgearbeitet haben, unterliegt in keinem Betracht einer Frage. -Daraus folgt, daß Völker und Individuen, welche diese Stufe der -Entwicklung noch nicht erreicht haben, zu derselben erzogen werden -müssen, welches Erziehungswerk bei nur einigem guten Willen durchaus -nicht schwer ist. Daß es, ernstlich in Angriff genommen, irgendwo -gänzlich mißlingen könnte, bezweifeln wir. -</p> - -<p> -Und nun besehen wir uns die zweite Seite der aufgeworfenen -Frage. Ist es richtig, daß vermöge der im freien Gemeinwesen -waltenden Interessensolidarität das Wohl und Wehe der Gesamtheit -unlöslich mit dem jeder einzelnen Unternehmung zusammenhänge? -Versteht man darunter, daß in einem solchen Gemeinwesen Jedermann -an Jedermanns Wohl, also auch am Gedeihen jeder Unternehmung -interessirt ist, so entspricht dies vollkommen dem Sachverhalte; soll -aber — und das war ersichtlich die Meinung des geehrten Redners — -damit gesagt sein, daß das Wohl eines solchen Gemeinwesens vom -Gedeihen jedes einzelnen Unternehmens seiner Angehörigen abhänge, -so ist dies durchaus grundlos. Geht es einem Unternehmen schlecht, -so verlassen es seine Mitglieder und wenden sich einem besser gedeihenden -zu, das ist alles. Wohl aber schützt umgekehrt diese mit der -Interessensolidarität verknüpfte Beweglichkeit der Arbeitskräfte das freie -Gemeinwesen vor tiefergehenden Folgen etwa wirklich begangener -Mißgriffe. Kommt es irgendwo zu übelberatenen Wahlen, so können -die ungeschickten Geschäftsleiter verhältnismäßig geringes Unheil stiften; -sie sehen sich, d. h. das von ihnen geleitete Unternehmen, sehr rasch -von Arbeitern verlassen, die Verluste bleiben bedeutungslos, weil auf -einen kleinen Kreis beschränkt. Ja, diese Beweglichkeit erweist sich in -letzter Linie als wirksamstes Korrektiv aller wie immer gearteten Fehler, -als das Mittel, welches überall die mangelhaften Organisationsformen -und schwachen Intelligenzen verdrängt und gleichsam automatisch durch -tüchtigere ersetzt. Denn die aus welchem Grunde immer schlecht -gedeihenden Unternehmungen werden stets in verhältnismäßig kurzer Zeit -von den besseren aufgesogen, ohne daß dies, wie in der ausbeuterischen -Gesellschaft, zum Ruine der bei ersteren Beteiligten führen könnte. Es ist -daher auch nicht nötig, daß diese freien Organisationen überall gleich im -ersten Anlaufe das Beste treffen, damit schließlich allenthalben Ordnung -und Tüchtigkeit herrsche; denn im friedlichen Wettbewerbe verschwindet das -Mangelhafte rasch vom Schauplatze, indem es in die als tüchtig erprobten -Unternehmungen aufgeht, die dann allein das Feld behaupten. -</p> - -<p> -<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a> -<em>Miguel-Diego</em> (Rechte). Wir wissen nunmehr, daß die neue -Ordnung alle natürlichen Erfordernisse des Gelingens in sich vereinigt; -daß ihre Einführung ein Erfordernis des Kulturfortschrittes sei, wurde -früher schon nachgewiesen. Wie kommt es trotz alledem, daß dieselbe -nicht als das Ergebnis des Zusammenwirkens elementarer, gleichsam -automatisch eintretender geschichtlicher Vorgänge, sondern vielmehr als -eine Art Kunstprodukt, als planmäßig eingeleitetes Resultat der Bestrebungen -einzelner Männer ihren Einzug in die Welt hielt? Wie, -wenn die „Internationale freie Gesellschaft“ sich nicht gebildet hätte, -oder wenn ihr Aufruf erfolglos geblieben, wenn ihr Werk gleich im -Keime gewaltsam erstickt worden, oder wenn es aus irgend einem anderen -Grunde fehlgeschlagen wäre? Man wird zugeben, daß dies -immerhin denkbare Eventualitäten sind. Wie stände es um die wirtschaftliche -Gerechtigkeit, wenn eine dieser Möglichkeiten Thatsache geworden -wäre? Wenn die Socialreform in Wahrheit eine unvermeidliche -Notwendigkeit ist, dann müßte sie sich schließlich auch gegen den -Widerstand einer ganzen Welt durchsetzen, dann müßte sich zeigen lassen, -daß und kraft welcher unlöslich mit ihr verknüpften Gewalten, sie den -Sieg über Vorurteil, bösen Willen und Mißgeschick davongetragen -hätte. Erst damit wäre der Beweis erbracht, daß das Werk, um -welches wir uns bemühen, mehr ist, als die ephemere Frucht unsicheren -Menschenwitzes, daß vielmehr jene Männer, die den ersten Anlaß dazu -gaben und seine Entwickelung überwachten, damit lediglich als Werkzeuge -jenes Weltgeistes handelten, der — hätten <em>sie</em> ihm versagt — -um andere Werkzeuge und Wege zu dem unvermeidlichen Ziele nicht -verlegen gewesen wäre. -</p> - -<p> -<em>Henri Ney</em> (Freiland). In der That, wenn die wirtschaftliche -Gerechtigkeit auf unser, der Gründer von Freiland, Eingreifen angewiesen -wäre, um Thatsache zu werden, dann stünde es schlecht nicht -bloß um ihre Notwendigkeit, sondern auch um ihre Sicherheit. Denn -was einzelne Menschen schaffen, können demnächst andere Menschen -wieder rückgängig machen. Zwar sind äußerlich betrachtet alle geschichtlichen -Vorgänge Menschenwerk; aber die großen geschichtlichen Notwendigkeiten -unterscheiden sich dadurch von den bloß zufälligen Ereignissen, -daß sich bei ihnen allemal erkennen läßt, ihre Akteure seien -lediglich die Werkzeuge des Schicksals, Werkzeuge, die der Genius der -Menschheit hervorbringt, wenn er ihrer bedarf. Wir wissen nicht, wer -die Sprache, das erste Werkzeug, die Schrift, erfunden hat; aber wer -es auch sei, wir wissen, daß er in dem Sinne ein bloßes Werkzeug -des Fortschritts gewesen, als wir mit der nämlichen Sicherheit, mit -welcher wir irgend ein anderes Naturgesetz aussprechen, die Behauptung -wagen können, Sprache, Werkzeug, Schrift wären erfunden worden, -auch wenn ihre zufälligen Erfinder niemals das Licht der Welt erblickt -<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a> -hätten. Das nämliche nun gilt auch von der wirtschaftlichen Freiheit; -sie wäre gefunden worden, auch wenn keiner von uns, die wir sie thatsächlich -zuerst fanden, existiert hätte. Nur freilich wäre in diesem -Falle die Form ihres Eintritts in die Welt der geschichtlichen Thatsachen -wahrscheinlich eine andere geworden, vielleicht eine friedlichere, -erfreulichere noch, als jene, deren Zeugen wir sind, vielleicht aber auch -eine gewaltthätige und schreckliche. -</p> - -<p> -Um das in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu zeigen, -muß zunächst erwiesen werden, daß der Fortbestand der modernen Gesellschaft, -so wie sie sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt -hat, ein Ding innerer Unmöglichkeit ist. Zu diesem Behufe werden -Sie mir gestatten, etwas weiter auszuholen. -</p> - -<p> -In der ursprünglichen barbarischen Gesellschaft, wo die Ergiebigkeit -der Arbeit so gering war, daß der Schwächere durch den Stärkeren -nicht ausgebeutet und das eigene Gedeihen nur durch Verdrängung und -Vernichtung der Mitkonkurrenten gefördert werden konnte, waren Blutgier, -Grausamkeit, Hinterlist, durchaus erforderlich nicht bloß zum -Fortkommen des Individuums, sondern sie dienten auch ersichtlich zum -Vorteile jener Gesellschaft, der das Individuum angehörte. Sie waren -deshalb nicht bloß allgemein verbreitet, sondern galten ganz offenbar -als Tugenden. Der erfolgreichste, erbarmungsloseste Menschenschlächter -war der geehrteste seiner Horde und wurde sicherlich in Wort und Lied -als nachahmenswürdiges Beispiel gepriesen. -</p> - -<p> -Als dann die Ergiebigkeit der Arbeit wuchs, verloren diese „Tugenden“ -zwar viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung, in ihr Gegenteil -aber verkehrten sie sich erst, als die Sklaverei erfunden wurde und nunmehr -die Möglichkeit sich einstellte, statt des Fleisches die Arbeitskraft -des besiegten Konkurrenten sich und der eigenen Gemeinschaft nutzbar -zu machen. Nun erst wurde blutgierige Grausamkeit, die bis dahin -immer noch nützlich gewesen, schädlich, denn sie beraubte um eines vorübergehenden -Genusses — des Menschenfleischgenusses — willen das -siegende Individuum sowohl, als die Gesellschaft, welcher es angehörte, -des dauernden Vorteils vermehrten Wohlstandes und gewachsener Macht. -Die bestialische Blutgier mußte daher in der neuen Form des Daseinskampfes -allmählich schwinden, aus einer bewunderten und gehegten -Tugend zu einer mehr und mehr der allgemeinen Mißbilligung unterworfenen -Eigenschaft, d. i. also zu einem Laster werden. Sie <em>mußte</em> -dazu werden, weil nur jene Horden, in denen dieser moralische Umwandlungsproceß -Platz griff, der Vorteile der neuen Formen der Arbeit -und der neuen socialen Institution — der Sklaverei — in vollem -Maße teilhaft werden konnten, dadurch an Kultur und Macht zunahmen -und ihre gewachsene Macht dann dazu benützten, die auf ihren -alten kannibalischen Sitten beharrenden Stämme auszurotten oder sich -<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a> -zu unterwerfen. Eine neue Moral setzte sich solcherart im Laufe der -Jahrtausende unter den Menschen fest, eine Moral, die in ihren -Grundzügen sich bis auf unsere Tage erhalten hat, die der Ausbeutung. -</p> - -<p> -Eine der seltsamsten Täuschungen aber ist es, diese Ethik „Menschenliebe“ -zu nennen. Zwar der wilde, blutdürstige Haß gegen den Nebenmenschen -war milderen Gefühlen gewichen, aber von diesen bis zu wirklicher -Menschenliebe, unter welcher wir die Wertschätzung des -Nebenmenschen als <em>Unseresgleichen</em> verstehen, zum Unterschiede von -jenem kalten Wohlwollen, welches wir allenfalls auch dem Tiere entgegenbringen, -ist noch ein weiter Schritt. Wirkliche Menschenliebe verträgt -sich mit der Ausbeutung so wenig, als mit dem Kannibalismus. -Denn die neue Form des Daseinskampfes verdammt zwar das Töten -des Besiegten, macht aber an dessen Statt die Unterdrückung und Vergewaltigung -des Nebenmenschen zu einem gebieterischen Erfordernisse -des eigenen Gedeihens. Und man verstehe wohl: wahre, vollkommene -Menschenliebe kann bei jener Art des Daseinskampfes, wie ihn die ausbeuterische -Gesellschaft führt, nicht bloß nicht gefördert werden, sie erweist -sich als geradezu schädlich und vermag — als allgemein -verbreiteter Gattungsinstinkt — gar nicht zu bestehen. Einzelne Individuen -mögen immerhin den Nebenmenschen als Ihresgleichen lieben; -sie bleiben, solange die Ausbeutung in Kraft ist, seltene und von der -öffentlichen Meinung keineswegs geschätzte Sonderlinge. Nur Heuchelei -oder grobe Selbsttäuschung werden das in Zweifel ziehen. Allerdings -haben die sogenannten civilisierten Nationen des Abendlandes seit länger -als einem Jahrtausend das Wort: „Liebe Deinen Nächsten <em>wie dich -selbst</em>“ auf ihre Fahnen geschrieben und ohne Scheu behauptet, sich an -dasselbe zu halten, oder doch zum mindesten bestrebt zu sein, diesem -Worte nachzuleben. In Wahrheit aber liebten sie den Nebenmenschen -— bestenfalls — wie ein nützliches Haustier, zogen ohne den geringsten -Skrupel Vorteil aus seiner Plage, seiner Marter, und schreckten auch -vor dessen kaltblütiger Tötung nicht entfernt zurück, wenn ihr wirklicher -oder vermeintlicher Vorteil sie dazu antrieb. Und das waren nicht -etwa die Gesinnungen und Gefühle einzelner, besonders hartherziger -Individuen, sondern die der Gesellschaft als solcher; sie wurden von der -öffentlichen Meinung nicht mißbilligt, sondern gebieterisch gefordert, -unter allerlei wohlklingenden Namen als Tugenden gepriesen, und ihr -Widerspiel, die wirkliche Menschenliebe, galt, sowie statt leerer Phrasen -Thaten in Frage kamen, günstigenfalls als bemitleidenswerte Thorheit, -in der Regel aber als todeswürdiges Verbrechen. Er, der jenes Wort -gesprochen und zu dem sie in ihren Kirchen beteten, wäre von ihnen -allen abermals ans Kreuz geschlagen, verbrannt, gerädert, gehängt — in -der jüngsten Vergangenheit vielleicht bloß eingekerkert worden, hätte er -<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a> -es abermals, wie vor neunzehn Jahrhunderten, gewagt, auf offenem Markte -und in zündender, nicht mißzuverstehender, lebendiger Rede zu predigen, -was ihr blödes Auge und ihr durch Jahrtausende alten Selbstbetrug verwirrter -Sinn in den Schriften seiner Jünger wohl las, aber nicht begriff. -</p> - -<p> -Und das Entscheidende dabei ist, daß die Menschheit in der Epoche -der Ausbeutung anders gar nicht fühlen und denken, geschweige denn -handeln konnte. Sie <em>mußte</em> auf der Ausbeutung beharren, solange -diese eine Kulturnotwendigkeit war, sie <em>konnte</em> daher keine Menschenliebe -empfinden und üben, denn diese verträgt sich mit Ausbeutung so -wenig, als Widerwille vor dem Totschlag mit Kannibalismus. Gleichwie -in der ersten barbarischen Menschheitsepoche schon das, was die -Ausbeutung „Humanität“ nennt, ein Nachteil im Daseinskampfe gewesen -wäre, so hätte späterhin das, was <em>wir</em> Humanität nennen, die -wahre Menschenliebe, jede davon befallene Nation in Nachteil versetzt. -Fressen oder gefressen werden — das war die Alternative in der Epoche -des Kannibalismus; unterdrücken oder unterdrückt werden, in der Epoche -der Ausbeutung. -</p> - -<p> -Nun hat sich ein neuerlicher Wandel in der Form und Ergiebigkeit -der Arbeit vollzogen; die socialen Einrichtungen sowohl, als die -moralischen Empfindungen der Menschheit können davon nicht unberührt -bleiben. Aber — und damit bin ich zum letzten entscheidenden Punkte -gekommen — es sind dabei allerdings mehrere Formen der Entwickelung -denkbar. Die erste ist diejenige, mit welcher wir uns bisher ausschließlich -beschäftigt haben: die socialen Einrichtungen unterziehen sich dem -durch die neue Arbeitsform bedingten Wandel, und entsprechend der damit -bewirkten Änderung des Daseinskampfes vollzieht sich auch der Umschwung -in den moralischen Gefühlen; friedlicher Wettbewerb, vollkommene -Interessensolidarität löst die wechselseitige Ausnutzung, vollkommene -Menschenliebe die Menschennutzung aus. -</p> - -<p> -Wollen wir nun den letzten Zweifel über die bedingungslose Notwendigkeit -dieses Entwickelungsganges ein für allemal beseitigen, so setzen -wir den Fall, daß es anders käme: die Anpassung der socialen Einrichtungen -an die geänderte Arbeitsform vollziehe sich <em>nicht</em>. <em>Denken</em> -läßt sich eine solche Möglichkeit immerhin, und ich halte es — bis zu -diesem Punkte der Beweisführung gediehen — auch für ganz überflüssig, -die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit derselben abzuwägen; -wir nehmen einfach an, daß sie sich verwirkliche. Unsinnig und undenkbar -aber wäre in diesem Falle die fernere Annahme, daß dieses Beharren -der socialen Einrichtungen auf den alten Formen stattfinden -könne, ohne daß sehr wesentliche Rückwirkungen sowohl auf die Formen -der Arbeit als die moralischen Instinkte der Menschheit die notwendige -Folge wären. Jene überaus orthodoxen, aber nicht minder gedankenlosen -Socialpolitiker, die solches annehmen, halten es für möglich, daß -<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a> -eine Ursache von so überwältigender Tragweite, wie es die bis zur -Möglichkeit des Überflusses und der Muße für alle Menschen gediehene -Produktivität der Arbeit ist, überhaupt ohne irgend welche, wie immer -geartete Wirkung auf den Entwickelungsgang der Menschheit bleiben -könne. Sie übersehen, daß der Daseinskampf innerhalb der menschlichen -Gesellschaft sich unter dem Einflusse dieses Faktors für alle Fälle ändern -muß, gleichviel, ob die socialen Einrichtungen sich einer entsprechenden -Anpassung unterziehen oder nicht, und daß demnach ebenso für alle -Fälle untersucht werden muß, welche Rückwirkung diese geänderte Form -des Daseinskampfes auf die Gesamtheit der menschlichen Institutionen -äußern könne oder müsse. -</p> - -<p> -Und worin besteht nun die Änderung des Daseinskampfes für den -oben gekennzeichneten Fall? <em>Ganz einfach in einem teilweisen -Rückfalle in die Kampfesformen der ersten, der kannibalischen -Menschheitsepoche!</em> -</p> - -<p> -Wir haben gesehen, daß die Ausbeutung den früher auf Vernichtung -des Konkurrenten abzielenden Kampf in einen auf Unterjochung desselben -gerichteten umgewandelt hat; nun denn, mit dem Momente, wo -die Produktivität der Arbeit so groß wird, daß der — durch die Ausbeutung -darniedergehaltene — Konsum ihr nicht mehr zu folgen vermag, -wird abermals die Verdrängung, die — wenn auch nicht physische, so -doch wirtschaftliche — Vernichtung des Konkurrenten zu einer Voraussetzung -des eigenen Gedeihens, der Daseinskampf muß die Formen der -Unterjochung und Vernichtung zugleich annehmen. Wenig nützt nunmehr -auf wirtschaftlichem Gebiete die noch so schonungslose Herrschaft über -noch so zahlreiche menschliche Ausbeutungsobjekte; sofern es dem Ausbeuter -nicht gelingt, den Mitausbeuter vom Markte zu verdrängen, muß -er im Daseinskampfe unterliegen. Und ebenso haben nunmehr die Ausgebeuteten -sich nicht bloß der Härten ihrer Zwingherren zu erwehren, -sie müssen, wollen sie dem Hunger entgehen, sich gegenseitig die unzureichend -gewordenen Stellen an den Futterkrippen des „Arbeitsmarktes“ -mit Zähnen und Klauen streitig machen. -</p> - -<p> -Ist es nun denkbar, daß eine so fürchterliche Änderung der Grundlagen -des Daseinskampfes ohne Wirkung auf die Moral der Menschheit -bleibe? Die gleiche Ursache <em>muß</em> von der gleichen Wirkung begleitet -sein, die Ethik der kannibalischen Epoche <em>muß</em> ihre siegreiche Wiederkehr -feiern. Zwar den veränderten Modalitäten des Vernichtungskampfes -entsprechend werden auch die einstigen grausamen, bösartigen Instinkte -eine Modifikation erleiden, aber die Grundstimmung, die schonungslose -Feindseligkeit gegen den Nebenmenschen, muß wiederkehren. In den -Jahrtausenden, in denen der Kampf nur der Ausnützung des Nächsten -galt, war, insbesondere wenn der Ausgenützte sich gewöhnt hatte, im -Ausbeuter ein höheres Wesen zu verehren, zwischen Herr und Knecht -<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a> -zum mindesten jener Grad der Anhänglichkeit möglich, wie er zwischen -Mensch und Haustier besteht. Herren oder Knechte unter sich hatten -vollends keinen notwendigen Anlaß einander zu hassen. Wechselseitige -Schonung, Großmut, Milde, Dankbarkeit konnten als — allerdings sehr -kärgliche — Surrogate der Menschenliebe bei einem solchen Zustande -gedeihen. Nunmehr jedoch, wo Ausbeutung und Verdrängung zugleich -die Losung des Kampfes sind, müssen sich die obgenannten Tugenden -mehr und mehr als verderbliche Hindernisse erfolgreichen Daseinskampfes -erweisen, sie müssen folglich verschwinden und der Erbarmungslosigkeit, -Hinterlist, Grausamkeit, Tücke Platz machen. Und wohlverstanden, all -diese schändlichen Eigenschaften müssen nicht bloß allgemein verbreitet, -sie müssen auch allgemein geschätzt, aus dem Inbegriffe schmählichster -Niedertracht zum Inbegriffe der „Tugend“ werden. Ebenso wenig, als -ein „humaner“ Menschenfresser oder ein von wirklicher Menschenliebe -erfüllter Ausbeuter denkbar sind, ebenso wenig läßt sich ein großmütiger, -im bisherigen Sinne tugendhafter Ausbeuter unter dem Alpdrucke der -Überproduktion auf die Dauer auch nur denken; und ebenso sicher, als -die kannibalische Gesellschaft tückische Mordgier als preiswürdigste aller -Tugenden anerkennen mußte, ebenso sicher müßte die von Überproduktion -heimgesuchte ausbeuterische Gesellschaft dahin gelangen, den hinterlistigsten -Betrüger als ihr Tugendideal zu verehren. -</p> - -<p> -Aber, so wird man einwenden, das widerspricht denn doch, trotz -aller logischen Unanfechtbarkeit, den Thatsachen allzusehr, als daß es -richtig sein könnte. Die Überproduktion, der Zwiespalt zwischen der -Produktivität der Arbeit und der durch die socialen Einrichtungen bedingten -Konsumtionsfähigkeit, bestehen thatsächlich seit Generationen und -trotzdem wäre es zum mindesten eine arge Übertreibung, wollte man -behaupten, daß die moralischen Empfindungen der civilisierten Menschheit -die im obigen gekennzeichnete schreckliche Verschlimmerung erfahren hätten. -Daß mancherlei Nichtswürdigkeit infolge des stets schonungsloser sich -gestaltenden wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes mehr und mehr an Verbreitung -gewinne, ja daß allgemach eine gewisse Verwirrung sich der -öffentlichen Meinung zu bemächtigen beginne, die den Unterschied zwischen -wahrem Verdienst und erfolgreicher Schurkerei nicht überall mehr festzuhalten -vermöge, sei allerdings wahr; ebenso wahr aber umgekehrt, -daß niemals zuvor Humanität in allen Formen so hoch geschätzt und -stark verbreitet gewesen, wie eben in der Gegenwart. -</p> - -<p> -Diese unleugbaren Thatsachen aber besagen nicht, daß Überproduktion -auf die Dauer zu anderen, als den oben gekennzeichneten Ergebnissen -führen könnte — sie zeigen nur, daß einerseits diese schreckliche Krankheitserscheinung -im wirtschaftlichen Getriebe der Menschheit noch nicht lange -genug wirksam ist, um ihre Früchte schon voll gezeitigt zu haben, und -daß anderseits der moralische Instinkt der Menschheit den richtigen -<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a> -Ausweg aus dem ökonomischen Zwiespalte geahnt hat, lange bevor die -menschliche Erkenntnis ihn zu betreten vermochte. Bloß wenige Generationen -ist es her, daß das Mißverhältnis zwischen Produktivität und -Konsum äußerlich in die Erscheinung getreten; was aber sind einige -Generationen im Leben der Menschheit? Auch die Ethik der Ausbeutung -bedurfte sicherlich sehr vieler Jahrhunderte, ehe sie diejenige des Kannibalismus -überwand; warum sollte der Rückfall in die kannibalische Ethik -sich um so vieles rascher vollziehen? Die instinktive Ahnung aber, daß -wachsende Kultur nicht mit socialem Stillstande und moralischem Rückschritte, -sondern mit dem Fortschritte beider verknüpft sein werde, diese -der abendländischen Menschheit trotz aller Thorheiten und aller Greuel, -in denen sie sich zwischenzeitig erging, unausrottbar eingeimpfte Sehnsucht -nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sie ist eben jener „fremde -Blutstropfen im Körper der europäischen Völkerfamilie“, der semitisch-christliche -Sauerteig, der sie, als die Zeit der Knechtschaft um war, -davor bewahrte, auch nur vorübergehend dem Verwesungsprozeß von -Knechtschaft und Barbarei zugleich zu verfallen. Die Dinge werden -eben die zuletzt gekennzeichnete Entwickelung <em>nicht</em> nehmen, die Ausbeutung -wird sich neben der gesteigerten Produktivität <em>nicht</em> erhalten, -und das ist der Grund, warum auch die gekennzeichneten moralischen -Folgen nicht hervortraten. Wollte man aber materiellen Fortschritt -und Ausbeutung zugleich als das zukünftige Los der Menschheit voraussetzen, -so ließe sich dies logischer Weise anders, als verknüpft mit -vollständigem moralischen Rückfalle gar nicht denken. -</p> - -<p> -Und noch eine dritte Entwickelungsform ließe sich als denkbar -hinstellen: in dem Zwiespalte, in welchen die Produktivität der Arbeit -mit dem geltenden socialen Rechte geraten, könnte erstere, die neue -Form der Arbeit, unterliegen; vor die Unmöglichkeit gestellt, von den -erlangten wirtschaftlichen Fähigkeiten den vollen Gebrauch zu machen, -könnte die Menschheit diese Fähigkeiten wieder verlieren. In diesem -Falle wäre der Einklang zwischen Produktivität und Konsum, Arbeit -und Recht, auf der alten Grundlage zurückgewonnen und dem entsprechend -könnte auch die Moral der Menschheit im alten Geleise verharren. -Der Fortschritt zu wahrer Menschenliebe müßte zwar unterbleiben, -denn nach wie vor würde der Kampf ums Dasein auf Unterdrückung -des Nebenmenschen beruhen, aber die Notwendigkeit des Vernichtungskampfes -wäre vermieden. Auch die Ahnung der Möglichkeit -einer solchen Entwickelung war der abendländischen Menschheit nicht -fremd; es hat, insbesondere während der jüngsten Generationen, an teils -bewußten, teils unbewußten Versuchen nicht gefehlt, sie in diese Richtung -hinüberzuleiten. Von der würgenden Umklammerung der Überproduktion -geängstigt, dem Wahnsinne nahe gebracht, rüttelten zeitweise -ganze Nationen an den Grundpfeilern der Produktivität, suchten die -<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a> -Quelle der Arbeitsergiebigkeit zu verschütten und verfolgten mit verbissenem -Hasse den Kulturfortschritt, dessen Früchte zeitweise so bitter -waren. Die Angriffe gegen die Volksbildung, gegen die unterschiedlichen -Arten der Arbeitsteilung, gegen das Maschinenwesen, sind nicht anders -zu verstehen, als eben durch dieses zeitweilige Bestreben, den Zwiespalt, -in welchen die Gütererzeugung zur Güterverteilung geraten, durch Zurückschraubung -ersterer zu überwinden. Daß solcherart auch die Moral -vor einer Ausartung bewahrt werden sollte, deren eigentlich treibende -Ursache diese Sorte von Reformatoren allerdings nicht begriff, die aber -als düstere Ahnung vor ihrem geistigen Auge schwebte, läßt sich desgleichen -nicht verkennen. -</p> - -<p> -Und nun, nachdem wir alle drei überhaupt denkbaren Entwickelungsformen -der Reihe nach betrachtet: 1. die Anpassung des socialen Rechts -an die neue, höhere Arbeitsform und dem entsprechende Entwickelung -einer neuen, höheren Moral; 2. den dauernden Gegensatz zwischen Arbeitsform -und Recht und dem entsprechende Rückbildung der Moral; -3. die Anpassung der Arbeitsform an das bisherige sociale Recht durch -<a id="corr-90"></a>Preisgebung der höheren Produktivität und dem entsprechenden Fortbestand -der bisherigen Moral — nunmehr fragen wir uns, ob im Kampfe -dieser drei Richtungen eine andere als die erste Siegerin sein kann. -Denkbar sind sie, wie gesagt, alle drei; ist aber auch denkbar, daß materieller -oder moralischer Verfall sich neben moralischem zugleich und -materiellem Fortschritt behaupten, oder vollends über diesen endgültig -triumphieren würden? Möglich, sagen wir sogar wahrscheinlich, daß -ohne unser vor 25 Jahren erfolgreich durchgeführtes Unternehmen die -Menschheit zunächst noch längere Zeit hindurch sich vorwiegend auf den -Bahnen der sittlichen Verwilderung einerseits, der Attentate gegen den -Fortschritt anderseits fortbewegt hätte; an Versuchen nach der Richtung -der socialen Befreiung hin hätte es deshalb doch niemals gänzlich gefehlt, -und der schließliche Triumph derselben konnte stets nur eine Zeitfrage -sein. Nein, die Menschheit ist uns nichts schuldig, was sie -nicht auch ohne uns für alle Fälle erlangt hätte; wenn wir ein Verdienst -beanspruchen, so beschränkt es sich darauf, das, was kommen -mußte, rascher und wahrscheinlich unblutiger herbeigeführt zu haben, -als ohne uns geschehen wäre. (Stürmischer, lang andauernder Applaus -und jubelnde Zurufe von allen Bänken. Die Wortführer der Opposition -drücken der Reihe nach dem Redner die Hände und versichern -ihn ihrer Zustimmung.) -</p> - -<p class="end"> -(Schluß des dritten Verhandlungstages.) -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-4"> -<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a> -26. Kapitel. -</h3> - -<p class="first"> -Da zahlreiche Congreßmitglieder den Wunsch geäußert hatten, sich -eingehender davon zu überzeugen, daß thatsächlich die anscheinend so -wunderbare harmonische Organisation des gesamten wirtschaftlichen Getriebes -in Freiland nichts anderes, als das selbstverständliche Ergebnis -wohlberatenen und wahrhaft freien Eigennutzes sei, wurden die Sitzungen -des Congresses für zwei Tage unterbrochen und diese dazu benützt, um -eine Reihe größerer Edenthaler und Danastädter Etablissements zu besichtigen -und bei diesem Anlasse im Wege des Gedankenaustausches mit -den sich zu diesem Behufe bereitwilligst zur Verfügung der fremden -Gäste stellenden Direktoren der fraglichen Anstalten sowohl, als des -Leiters der freiländischen Centralbank alle etwa auftauchenden Zweifel -gründlich zu erörtern. -</p> - -<p> -Das erste Bedenken, welches geltend gemacht wurde, betraf die Frage, -woher denn all die zahllosen Arbeiter allesamt die erforderliche Sachkenntnis -und Intelligenz hernähmen, um jederzeit genau beurteilen zu -können, wo man ihrer gerade am nötigsten bedürfe. „Sie haben,“ so -meinte einer der Besucher, „eine allumfassende, pünktliche Statistik, die -jede Regung Ihres wirtschaftlichen Lebens mit peinlichster Genauigkeit -verzeichnet — sehr wohl; aber welch hohes Verständnis gehört dazu, um -sich in einer solchen Statistik zu orientieren!“ -</p> - -<p> -„Dazu gehört in Wahrheit ein überaus bescheidenes Maß von Verständnis, -kein höheres, als es bei jedem vernünftigen Menschen ohne -weiteres vorausgesetzt werden kann,“ war die Antwort. „Denn kein -Arbeiter braucht sich um anderes zu kümmern, als lediglich um den auf -die einzelne Stunde seiner Arbeit entfallenden Ertrag. Hätten wir keinen -freien Markt, auf welchem Angebot und Nachfrage die Preise regeln, -so wäre es allerdings eine nicht bloß schwierige, sondern eine in -<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a> -Wahrheit ganz und gar unlösliche Aufgabe, herauszufinden, nach -welcherlei Produkten jeweilig stärkerer oder geringerer Bedarf vorhanden -und wo dementsprechend vermehrte Zuwendung von Arbeitskraft wünschenswert -sei. Da sich aber bei uns jede Veränderung der Verhältnisse -zwischen Angebot und Nachfrage, im Preise der Produkte ausdrückt, so -ist es ganz selbstverständlich, daß der in Gemäßheit dieser Preise auf -die einzelne Arbeitsstunde entfallende Nettoertrag in untrüglichster Weise -anzeigt, ob der Produktionszweig oder das einzelne Etablissement, um -welches es sich handelt, im Vergleiche zu anderen Produktionszweigen -oder Etablissements einer Vermehrung oder Verminderung der Arbeitskraft -bedarf. Daß z. B. die Maschinenfabrik, in deren Räumen wir -uns momentan befinden, ihren Betrieb ausdehnen soll, ist in letzter -Linie allerdings darauf zurückzuführen, daß deren Erzeugnisse derzeit -besonders gesucht sind, eine Thatsache, die an und für sich zu konstatieren -in der That höchst kompliziert und schwierig wäre; da aber diese -gesteigerte Nachfrage nach hier erzeugten Maschinen insolange, als die -Produktion ihr nicht vollkommen nachgefolgt ist, notwendiger Weise das -Erträgnis aller hier beschäftigten Arbeiter entsprechend vermehrt, so -genügt es vollkommen, letzteren Umstand zur allgemeinen Kenntnis zu -bringen, damit das im Interesse der Consumenten gelegene Ergebnis, -nämlich der vermehrte Zufluß von Arbeitern, sich ganz von selbst -einstelle.“ -</p> - -<p> -„Aber ist nicht auch diese Ergründung des überall in jedem gegebenen -Momente vorhandenen Erträgnisses eine für gewöhnliche Durchschnittsarbeiter -allzu schwierige Aufgabe?“ lautete die fernere Frage. -</p> - -<p> -„Durchaus nicht,“ erklärte der Direktor der freiländischen Centralbank. -„Sich in dem von all den tausenden Associationen vorgelegten, -von unserer Centralstelle ergänzten und bearbeiteten Urmateriale zurechtzufinden, -ist allerdings nicht Jedermanns Sache. Aber solch eingehender -Untersuchung unterziehen sich auch nur Diejenigen, die sich für statistische -Studien um ihrer selbst willen interessieren. Der gewöhnliche Arbeiter, -der nichts anderes wissen will, als den Ort, wo er die seinen Fähigkeiten -entsprechende höchste Rente findet, begnügt sich mit jenen übersichtlich -geordneten Zusammenstellungen, welche die statistische Centralstelle -zu seinem Gebrauche bietet, und welche die zahlreichen Fachzeitungen -zudem mit Erläuterungen aller Art begleiten. Die geistige Arbeit, die -von ihm dabei verlangt wird, besteht in nichts anderem, als in der -Entscheidung der Frage z. B., ob er sich mit dem am Orte seiner -augenblicklichen Arbeit gebotenen Stundenertrage von 8 Schilling begnügen, -oder wegen des bei einem anderen verwandten Etablissement -winkenden, um 15 Pfennige per Stunde höheren Ertrages sich diesem, -oder etwa zeitweilig einer jener Bodenassociationen zuwenden soll, die -vorübergehend — während der Erntezeit nämlich — bis zu 10 Schilling -<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a> -für die Arbeitsstunde zu bieten pflegen. Er muß mit sich darüber ins -Reine kommen, ob solche Gewinnsteigerung ihm genügenden Ersatz gewährt -für die mit dem Ortswechsel möglicherweise verknüpften materiellen oder -gemütlichen Nachteile, für die Beschwerden und Unannehmlichkeiten des -Umzuges, für die anstrengendere Arbeit u. dergl.; im übrigen aber wird -von ihm weder irgendwelches Verständnis verwickelter wirtschaftlicher -Vorgänge, noch irgendwelches Interesse für anderes, als für den eigenen -Vorteil gefordert.“ -</p> - -<p> -„Wie aber verhüten Sie,“ so fragte ein anderer der Herren, „daß -bei einer irgendwo eintretenden stärkeren Steigerung der Erträge der -Zuzug der Arbeitskräfte allzu massenhaft ausfalle? Da keinerlei Behörde -ordnend eingreift und bestimmt, wer und wie viele herbeieilen -sollen, so ist doch immerhin möglich, daß statt der gewünschten Hunderte -sich Tausende einstellen.“ -</p> - -<p> -„Das könnte nur geschehen“ — so lautete die Erklärung — „wenn -Telegraph und Druckerpresse bei uns unbekannt wären, oder wenn wir -uns ihrer nicht zu bedienen verstünden. Um welchen Teilbetrag die -Rente sinkt, wenn das Angebot von Arbeitskraft wächst, läßt sich natürlich -überall mit großer Genauigkeit berechnen, und da nun niemand so -thöricht ist, einer irgendwo auftauchenden höheren Gewinnziffer nachzulaufen, -ohne sich vorher zu vergewissern, daß er diese höhere Gewinnziffer, -am Orte seiner neuen Bestimmung angelangt, noch vorfinden werde, -so ist es bei uns selbstverständliche Übung, daß die Arbeiter ihre Absicht -den Leitungen der Associationen rechtzeitig anzeigen, daß diese Anmeldungen -fortlaufend publiziert werden und daß demnach Jedermann, noch -bevor er sich auf den Weg macht, vollkommen darüber beruhigt sein -muß, an seinem zukünftigen Arbeitsorte auch wirklich noch vonnöten -zu sein.“ -</p> - -<p> -Einen zweiten Anlaß zu eingehenderen Erörterungen boten die in -zahlreichen der besichtigten Etablissements vorhandenen Versuchsanstalten -und wissenschaftlichen Laboratorien, die von den dort beschäftigten Technikern -und Chemikern dazu benutzt werden, um die mannigfaltigsten -Experimente behufs Erzielung von Verbesserungen des Betriebs anzustellen. -Der hohe praktische Wert dieser Einrichtung leuchtete den Gästen -natürlich sofort ein, weniger einleuchtend aber erschien den meisten derselben -der erläuternde Zusatz eines der Direktoren — es war das zufällig -in der Danastädter Chemikalienfabrik — daß man die gewonnenen -Erfahrungen „selbstverständlich“ jederzeit publiziere, auf besonders nützlich -erscheinende die anderen Associationen wohl auch ausdrücklich aufmerksam -mache und dafür ebenso selbstverständlich von diesen über alle in deren -Versuchsanstalten gemachten Funde pünktlichst auf dem Laufenden erhalten -werde. -</p> - -<p> -„Wenn das hierzulande selbstverständlich ist, dann müßt Ihr -<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a> -freiländischen Industriellen uneigennützig wie die Engel sein,“ meinte -einer der Besucher. Und sich direkt an den Direktor wendend, fügte -er hinzu: „Es scheint also doch, daß nicht alle Eure Einrichtungen sich -sofort zu uns Abendländern übertragen lassen, denn bei uns, dessen -kann ich Sie versichern, würde Niemand freiwillig von ihm ersonnene -Produktionsverbesserungen zur Kenntnis seiner Concurrenten bringen, -und am allerwenigsten könnte er sich darauf verlassen, daß diese ihm -die ihrigen preisgeben.“ -</p> - -<p> -„Sie haben ganz recht,“ war die Antwort, „das würde Niemand -bei Ihnen thun, so lange Sie an Ihren bisherigen Einrichtungen festhalten; -sowie Sie jedoch die unserigen acceptieren, versteht sich all das, -was Ihnen so wunderbar uneigennützig vorkommt, ganz von selbst, als -unabweisliches Gebot gerade des Eigennutzes. Denn damit z. B. wir -hier in Danastadt uns des Vorteils einer von uns ersonnenen Verbesserung -möglichst vollständig erfreuen, ist durchaus notwendig, daß alle -chemischen Fabriken des ganzen Landes die gleiche Verbesserung thunlichst -rasch auch bei sich einführen. Wären wir so thöricht, unsere Entdeckungen -geheim zu halten — ein Versuch, der nebenbei bemerkt angesichts -der Öffentlichkeit all unserer geschäftlichen Vorgänge an und für -sich ziemlich aussichtslos bliebe — so wäre das einzig mögliche Ergebnis, -daß aus allen concurrierenden Associationen insolange Arbeitskräfte zu -uns einwanderten, bis der Ertrag unserer Arbeit — umgerechnet auf -die einzelne Arbeitsstunde — wieder auf das Niveau der anderwärts -in Freiland erzielbaren Erträge herabgedrückt würde, wir also von unserer -Entdeckung oder Erfindung so gut als keinen Vorteil behielten. -Um das zu vermeiden, bleibt uns schlechterdings kein anderes Auskunftsmittel, -als auch den Anderen Allen unsere Errungenschaft mitzuteilen; -dadurch allein erzielen wir, daß die Arbeit auch anderwärts ertragreicher -wird und daß also Niemand ein Interesse hat, sich behufs Mitgenusses -unserer Produktionsvorteile an uns heranzudrängen. Gerade so verhält -es sich natürlich mit den in anderen Associationen gemachten Verbesserungen; -wir können mit absoluter Sicherheit darauf rechnen, daß -wir sofort von denselben verständigt werden, da auch die Anderen Alle -das gleiche Interesse haben wie wir, nämlich unsere Produktionserträge -zu steigern, damit sie selber den Vorteil der ihrerseits erzielten Verbesserungen -möglichst vollständig genießen.“ -</p> - -<p> -Gegen dieses Raisonnement konnte nichts Stichhaltiges eingewendet -werden. Aber jetzt machte sich die Besorgnis geltend, ob es denn nicht -doch möglich sei, dieses Anrecht der Gesamtheit an den Ergebnissen -jedes irgend erzielten Produktionsvorteils auf Umwegen zu durchkreuzen. -</p> - -<p> -„Was geschähe“ — so wurde einer der anwesenden Direktoren -gefragt — „wenn beispielsweise Sie als Leiter der Bodenassociation -von Nordleikipia, dazu aufgefordert durch — selbstverständlich geheimen -<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a> -— Beschluß der die Majorität bildenden alten Mitglieder, es versuchen -wollten, neue Zuwanderer vom Mitgenusse irgendwelcher besonderer -Produktionsvorteile im Wege schlechter unfreundlicher Behandlung fernzuhalten; -wer schützt in solchem Falle diese Neulinge gegen Ihre, von -der Majorität Ihrer Associationsmitglieder nicht bloß gebilligte, sondern -geradezu in deren Interesse geübte Willkür? Die Mißhandelten haben -die Freiheit, fortzuziehen; aber das ist es ja eben, was — Sie entschuldigen -wohl die, bloß um der prinzipiellen Aufklärung willen vorgebrachte -Unterstellung — erreicht werden will und was doch verhütet -werden muß, soll darüber nicht Ihre ganze Gleichberechtigung in -die Brüche gehen. Oder die Majorität kann sich zu gleichem Zwecke -ein so hohes Präcipuum votieren, daß das damit geübte Unrecht alle -Zuwanderung abhält. Wo liegt der Schutz gegen derartige Ausschreitungen -des Eigennutzes in einem Gemeinwesen, welches keinerlei Einengung -des individuellen Eigennutzes kennt und kennen will?“ -</p> - -<p> -„Abermals in der freien Concurrenz,“ entgegnete lächelnd der -Direktor. „Derartige Ausschreitungen wären bei uns nur möglich, wenn -sie im geheimen geübt werden könnten, d. h. wohlverstanden, wenn nicht -bloß die darauf abzielenden Beschlüsse, sondern auch deren Ausführung -der Aufmerksamkeit des ganzen Landes vollständig entginge. Ich müßte -nicht bloß den geheimen Auftrag von meinen Associationsmitgliedern -erhalten, alle Zuwanderer hinauszuchikanieren, ich müßte auch das Kunststück -zuwege bringen, diesen Auftrag derart im Verborgenen zu vollstrecken, -daß Niemand, am allerwenigsten die Opfer desselben, das Geringste -davon merkten. Denn mit dem Momente, wo meine Praktiken -ruchbar würden, wäre ich — darauf können Sie sich verlassen — zum -längsten Direktor, meine Auftraggeber wären zum längsten Majorität -der Bodenassociation von Nordleikipia gewesen. Und genau ebenso verhielte -es sich, sowie unser Beschluß, den alten Mitgliedern ein ungebührliches -Präcipuum zuzuwenden, bekannt würde. Denn wie Sie -leichtlich ermessen können, ist die öffentliche Meinung Freilands in -keinem Punkte wachsamer und eifersüchtiger, als gerade in diesem, ihren -Lebensnerv berührenden, das individuelle Interesse Aller gleichmäßig -bedrohenden; und da die schrankenlose Freizügigkeit allen Arbeitern des -ganzen Landes jederzeit gestattet, welcher Association immer beizutreten, -so gehört keine sonderliche Phantasie dazu, um sich das mit unfehlbarer -Sicherheit Kommende genau auszumalen. Der erste Arbeiter, den meine -planmäßigen Chikanen zum Verlassen unserer Association zwängen, würde -vielleicht selber noch keine böse Absicht bemerken; der zweite vielleicht -schon Lärm, aber vorerst noch vergeblichen schlagen; beim dritten und -vierten dürfte bereits das öffentliche Mißtrauen rege werden, und ehe -ich meine Künste am zehnten Opfer zu üben vermöchte, wäre durch -einen aus allen Gauen herbeiströmenden Zufluß neuer Mitglieder -<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a> -die übelwollende Majorität und ich natürlich mit ihr unschädlich -gemacht.“ -</p> - -<p> -Diese Darlegung wirkte so schlagend, daß fernerhin kein Zweifel -gegen die im Wege wahrhaft freier Concurrenz bewirkte Harmonie der -wirtschaftlichen Interessen laut wurde. Die Congreßmitglieder hatten -zwar noch wiederholt Anlaß, über gar Manches, was sie sahen und -hörten, in Erstaunen zu geraten; daß jedoch Freiheit und Gleichberechtigung -die unfehlbaren Zauberformeln seien, auf deren Ruf die nämlichen -Wunder allüberall auch außerhalb Freilands in die Erscheinung treten -müßten, war ihnen zur Gewißheit geworden. -</p> - -<hr class="tb" /> - -<p class="noindent"> -Nach Ablauf der zweitägigen Pause wurden die Beratungen des -Congresses wieder aufgenommen. Zur Discussion gelangte Punkt 3 der -Tagesordnung: <em>Sind Not und Elend nicht etwa Naturnotwendigkeiten -und müßte nicht Übervölkerung eintreten, wenn -es vorübergehend gelänge, das Elend allgemein zu beseitigen?</em> -Als erster Redner war vorgemerkt -</p> - -<p> -<em>Robert Murchison</em> (Rechte): Ich muß zuvörderst Namens -meiner bisher die Durchführbarkeit des socialen Reformwerkes bezweifelnden -Gesinnungsgenossen die formelle Erklärung abgeben, daß wir -nunmehr nicht allein von der Durchführbarkeit, sondern von der naturgesetzlichen -Unvermeidlichkeit desselben durchaus überzeugt sind. Auch -die fernere Hoffnung hat das bisherige Ergebnis der Verhandlungen -gezeitigt, daß es der geehrten Gegenpartei gelingen werde, unsere noch -vorhandenen Bedenken eben so siegreich zu zerstreuen; einstweilen kann -ich mich derselben noch nicht entschlagen und fühle mich daher im Interesse -allseitiger Aufklärung verpflichtet, dieselben nach Kräften zu begründen. -</p> - -<p> -Das weitaus gewichtigste dieser Bedenken, welches unabhängig von -allen bisher erörterten Fragen noch ungebrochen aufrecht steht, ist das -nunmehr zur Diskussion gelangende. Es richtet sich nicht gegen die -Durchführbarkeit des allgemeinen Freiheits- und Wohlfahrtswerkes. Die -wirtschaftliche Gerechtigkeit muß und wird zur Wahrheit werden, das -wissen wir nun; wissen wir damit aber auch schon, daß sie sich wird -behaupten können? Die wirtschaftliche Gerechtigkeit wird Reichtum für -alle Lebenden zur Folge haben. Not und Elend mit ihrem Gefolge -zerstörender Laster werden vom Erdboden verschwinden. Mit diesen -aber werden zugleich jene Hemmnisse verschwunden sein, welche bisher -der schrankenlosen Vermehrung des Menschengeschlechts Grenzen zogen. -Mehr und mehr wird die Menge der Bevölkerung anwachsen, bis endlich -— der Tag mag noch so ferne sein — die Erde ihre Bewohner -nicht mehr zu ernähren im Stande sein wird. -</p> - -<p> -<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a> -Ich will Sie mit ausführlicher Wiederholung und Begründung -des bekannten Lehrsatzes meines berühmten Landsmannes Malthus nicht -ermüden. Viel wurde gegen denselben gesagt, Stichhaltiges, Überzeugendes -bisher nicht. Daß die Vermehrung der lebenden Individuen -keine andere natürliche Schranke als den Nahrungsmangel kennt, ist -ein Naturgesetz, dem nicht bloß der Mensch, sondern jedes lebende -Wesen erbarmungslos unterworfen bleiben muß. Gleichwie die -Heringe, wenn sie sich frei vermehren könnten, endlich im Weltmeere -nicht mehr Raum hätten, so müßte auch der Mensch, wenn die Zunahme -seiner Zahl nicht auf das Hindernis des Nahrungsmangels -stieße, endlich keinen Raum mehr auf der Erdoberfläche finden. -Auch bestätigt die Erfahrung aller Zeiten und aller Völker diese grausame -Wahrheit; überall sehen wir, daß es der Nahrungsmangel, die -Not mit ihrem Gefolge ist, was die Menge der Lebenden innerhalb -gewisser Grenzen hält. Das wird auch in alle Zukunft so bleiben. -Die wirtschaftliche Gerechtigkeit kann diese traurige Grenze weit, sehr -weit hinausrücken, völlig beseitigen kann sie sie nicht. Zehnfach und -hundertfach größer kann unter ihrem Walten der Nahrungsspielraum -werden, ins Unendliche kann er sich nicht ausdehnen. Und ist einmal -das Unvermeidliche eingetreten, was dann? Mehr und mehr wird -dann der Reichtum den Entbehrungen und schließlich bitterster Not -weichen und zwar einer Not, die um so schrecklicher, hoffnungsloser -sein wird, weil es aus ihrem alle Kultur erdrückenden Bannkreise kein -Entrinnen geben wird, nicht einmal jenes teilweise, welches früher die -Ausbeutung zum mindesten einer Minderzahl geboten hatte. Wird -dann die Menschheit, nachdem sie den Kreislauf vom Kannibalismus zur -Ausbeutung und von dieser zur wirtschaftlichen Gerechtigkeit vollendet, -wieder umkehren zur Ausbeutung, vielleicht gar zum Kannibalismus? -Wer könnte es sagen? Klar scheint nur, daß die wirtschaftliche Gerechtigkeit -keine Entwickelungsphase ist, deren sich unser Geschlecht längere -Zeit hindurch erfreuen könnte. -</p> - -<p> -Zwar hat Malthus und haben Andere nach ihm vorbeugende -Maßregeln zur Verhütung der Übervölkerung vorgeschlagen, um dem -rückwirkenden Einflusse des Elends zuvorzukommen. Aber alle diese auf -künstliche, planmäßige Unterdrückung der Volksvermehrung abzielenden Mittel -und Mittelchen sind — wenn sie sich überhaupt durchgreifend in Anwendung -bringen lassen, nur denkbar in einer armen, vor den äußersten Konsequenzen -des Elends zitternden Bevölkerung; wie in Überfluß und Muße lebende, -zudem vollkommenster Freiheit sich erfreuende Menschen dahin gebracht -werden sollten, sich geschlechtlichen Einschränkungen zu unterwerfen, vermag -ich nicht abzusehen. Diese Art Vorbeugung könnte meines Erachtens -in der freien Gesellschaft günstigsten Falles erst dann Platz greifen, -wenn die Not der Übervölkerung schon einen hohen Grad erreicht, den -<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a> -einstigen Wohlstand und mit diesem vielleicht auch das individuelle -Freiheitsgefühl bedenklich vermindert hätte. Das sind, ganz abgesehen -von der ethischen Widerwärtigkeit all dieser gewaltsamen Eingriffe in -das — gerade unter dem Walten der wirtschaftlichen Gerechtigkeit so -überaus zart sich gestaltende — Verhältnis der Geschlechter, sehr wenig -erfreuliche Perspektiven. Sie zeigen uns im Hintergrunde der Ereignisse -ein Bild, welches gar traurig absticht von der überschwenglichen Entfaltung -des ersten Anfanges. Glauben die Männer von Freiland ihre -Schöpfung auch gegen diese Gefahren wappnen zu können? -</p> - -<p> -<em>Franzisko Espero</em> (Linke): Der Mensch unterscheidet sich dadurch -von den anderen lebenden Wesen, daß er sich seine Nahrungsmittel -selber bereitet, und zwar desto leichter bereitet, je dichter mit fortschreitender -Kultur die Bevölkerung wird. Das hat ein großer amerikanischer -Volkswirt (Carey) seinerzeit bewiesen und damit gezeigt, daß -das im übrigen unangefochten geltende Naturgesetz des notwendigen -Zurückbleibens des Nahrungsspielraums hinter der Vermehrung der -Arten, auf den Menschen keine Anwendung findet. Daß trotzdem Not -und Elend bisher stets als Hemmnisse der Volksvermehrung wirksam -waren, hat nicht in einem Naturgesetze, sondern in der Ausbeutung -seinen Grund. Die Erde hätte genug für Alle hervorgebracht, wenn -man nur Allen gestattet hätte, freien Gebrauch von ihren Kräften zu -machen. Die Ausbeutung aber ist eine Einrichtung der Menschen, nicht -der Natur, wie wir gesehen haben. Beseitiget sie, und Ihr habt für -immer das Gespenst des Hungers verjagt. -</p> - -<p> -<em>Stefan Való</em> (Freiland): Ich halte es für nützlich, den freiländischen -Standpunkt in der bisher aufgetauchten Kontroverse sofort -zu konstatieren. Das geehrte Kongreßmitglied aus Brasilien (Espero) -hat recht, wenn es das thatsächliche Elend der Menschheit in der -Epoche der Ausbeutung statt mit dem Walten natürlicher Kräfte, -mit menschlichen Einrichtungen in Zusammenhang bringt. Die Massen -litten Mangel, weil sie in Knechtschaft darniedergehalten waren, -nicht weil die Erde sie reichlicher zu ernähren unvermögend -gewesen wäre. Ich will übrigens hinzufügen, daß dieses thatsächliche -Elend die Massen niemals hinderte, sich zu vermehren in -dem Maße, als dies durch andere, auf die Bevölkerungsbewegung -entscheidend einwirkende Faktoren bedingt war, ja daß sich in der Regel -das Elend sogar als Ansporn zur Volksvermehrung erwies. Im -Unrecht aber befindet sich unser Freund aus Brasilien, wenn er, gestützt -auf die hohlen Redensarten Carey’s, leugnet, daß die Volksvermehrung, -könnte sie ins Unbegrenzte fortschreiten, endlich zu Nahrungsmangel -führen müßte. Der erste der heutigen Redner hat ganz richtig bemerkt, -daß es in diesem Falle schließlich dahin käme, daß den Menschen -der Raum auf Erden mangelte. Man wird doch nicht annehmen, daß -<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a> -ein Zustand denkbar ist, bei welchem unsere Rasse die Erdoberfläche -bedeckte gleich den Heuschrecken ein von ihnen heimgesuchtes Feld? Ja, -in letzter Linie müßte bei wirklich schrankenlos fortschreitender Vermehrung -der Menschenmenge nicht bloß die Oberfläche, sondern sogar -der stoffliche Inhalt unseres Planeten zu klein werden, um die Elemente -für die sich häufenden Menschenleiber herzugeben. Die Volkszunahme -— in so weit hat Malthus mitsamt seinen Anhängern Recht, <em>muß</em> -also irgend eine Grenze haben. Ob diese Grenze aber gerade im sog. -Nahrungsspielraum zu suchen sei, das ist denn doch eine andere Frage, eine -Frage, die vernünftiger Weise erst dann bejaht werden dürfte, wenn -festgestellt, oder auch nur plausibel gemacht werden könnte, daß nicht -früher schon, lange bevor Nahrungsmangel sich einstellt, andere Faktoren -in Aktion treten, deren Zusammenwirken dann zur Folge hätte, daß -die Grenzen des Nahrungsspielraums, von ganz außergewöhnlichen Fällen -abgesehen, niemals auch nur annähernd erreicht, geschweige denn überschritten -werden könnten. -</p> - -<p> -<em>Arthur French</em> (Rechte): Das soeben Gehörte erfüllt mich mit -maßlosem Erstaunen. Wie, das Mitglied der freiländischen Verwaltung -gibt zu — was allerdings vernünftiger Weise nicht geleugnet werden -kann — daß unbegrenzte Vermehrung eine Unmöglichkeit sei, und bestreitet -dennoch, daß Nahrungsmangel eben die gesuchte Grenze der -Vermehrung wäre? Daß Malthus geirrt, als er dieses natürliche -Hemmnis auch bisher schon als in der menschlichen Gesellschaft wirksam -hinstellte, kann ja ohne weiteres zugegeben werden. Die Menschen -litten bisher Hunger, weil ihnen verwehrt war, sich zu sättigen, nicht -weil die Erde unvermögend gewesen wäre, sie allesamt reichlich, oder -zum mindesten reichlicher, zu ernähren; die Ausbeutung erwies sich also -wirklich als ein schon vor Erreichung des Nahrungsspielraums wirksam -gewesenes Hemmnis der Volksvermehrung, gleichsam als eine Hungerkur, -die der Mensch sich selber auferlegte, noch bevor die Natur ihn zu einer -solchen verurteilt hatte. Schon minder verständlich ist mir, was Redner -darunter meint, wenn er behauptet, das durch die Ausbeutung künstlich -hervorgerufene Elend habe sich mitunter nicht als Hindernis, vielmehr -als Beförderungsmittel der Volkszunahme erwiesen. Insbesondere aber -möchte ich näheres über jene anderen, entscheidenden Faktoren hören, -welche dies angeblich bewirkt haben sollen und von denen Redner offenbar -auch in Zukunft die Regulierung der Bevölkerungszahl erwartet. -Diese anderen Faktoren sollen des ferneren den wunderbaren Effekt -haben, die Bevölkerung gar niemals den Grenzen des Nahrungsspielraums -auch nur nahe kommen zu lassen. Künstliche, willkürlich zur -Anwendung gelangende Mittel können das nicht sein, sonst würde ein -Mitglied der freiländischen Verwaltung, dieses auf schrankenloser Freiheit -gegründeten Gemeinwesens, nicht so zuversichtlich von ihnen sprechen. -<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a> -Doch abgesehen von all dem — wie kann die Wirksamkeit eines so -elementaren Hemmnisses der Vermehrung, wie es der Nahrungsmangel ist, -gerade in der menschlichen Gesellschaft in Zweifel gezogen werden, -während dieselbe doch so ersichtlich in der ganzen organischen Natur -hervortritt? Ist etwa der Mensch allein unter allen lebenden Wesen -diesem Naturgesetze nicht unterworfen oder kennt man vielleicht in Freiland -sogar ein Mittel, welches z. B. die Heringe nötigen würde, bei -ihrem Fortpflanzungsgeschäfte den Grenzen ihres Nahrungsspielraums -niemals nahe zu kommen, sich vielmehr bei demselben auf jenes vernünftige -Maß zu beschränken, welches den Rücksichten auf das gedeihliche -und reichliche Fortkommen ihrer Sippe entspräche?“ -</p> - -<p> -Mächtige Erregung herrschte nach dieser mit schneidiger Schärfe -vorgebrachten Rede im Saale. Gesteigert wurde das Gefühl erwartungsvoller -Spannung noch dadurch, daß mehrere Mitglieder der -freiländischen Verwaltung — unter diesen auch der frühere Redner -Stefan Való — zum Präsidenten eilten und demselben ersichtlich nahe -legten, sich zum Worte zu melden. Der ganzen Versammlung bemächtigte -sich die Empfindung, daß die Debatte — nicht bloß die heutige, -sondern die des Kongresses überhaupt — an ihren entscheidenden Wendepunkt -gelangt sei. Vermochten die Wortführer der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -auch diesmal die Bedenken der Gegner siegreich zu widerlegen, -als irrig und gegenstandlos nachzuweisen, so war die große Geistesschlacht -endgiltig gewonnen; was dann noch folgen mochte, konnte fürderhin -nicht mehr der Frage gelten, <em>ob</em>, sondern bloß derjenigen, <em>wie</em> -die neue sociale Ordnung gedeihlich und dauernd ins Werk zu setzen sei. -Erlahmte aber an diesem Punkte die Kraft der freiländischen Beweisführung, -gelang es ihr nicht abermals, das Gebäude der gegnerischen -Argumentation umzublasen, gleich einem Kartenhause, so waren alle -bisherigen Erfolge vergebens. Das Elend der Gegenwart zu beseitigen, -um damit der Zukunft nur desto hoffnungsloseres Elend zu bereiten, -das war es nicht, wofür man sich begeistert hatte; blieb auch nur ein -Schatten dieser Gefahr bestehen, so war der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -das Todesurteil gesprochen. -</p> - -<p> -Unter atemloser Spannung ergriff endlich Dr. <em>Strahl</em> das Wort, -nachdem er den Vorsitz an seinen Kollegen Ney aus der freiländischen -Verwaltung abgegeben hatte: -</p> - -<p> -„Unser Freund von der Rechten“, so begann er seine Rede, „hat -den an uns gerichteten Appell mit der Frage geschlossen, ob wir in -Freiland das Mittel kennten, welches die Heringe nötigen würde, sich -bei ihrem Fortpflanzungsgeschäfte innerhalb jener Schranken zu halten, -die den Rücksichten auf das gedeihliche und reichliche Fortkommen ihrer -Sippe entsprächen. Meine Antwort darauf lautet kurz und bündig: -Jawohl, wir kennen dieses Mittel. (Bewegung.) Sie erstaunen? Mit -<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a> -Unrecht, lieben Freunde, denn Sie kennen es in Wahrheit so gut wie -wir, und nur jene eigenartige geistige Kurzsichtigkeit, die den Menschen -hindert, noch so bekannte Dinge wahrzunehmen, sowie es sich um deren -Nutzanwendung auf einen Gegenstand handelt, bezüglich dessen die mit -der Muttermilch eingesogenen Vorurteile ihm verbieten, von seinen -Sinnen und seinem Urteilvermögen Gebrauch zu machen, nur diese ist -es, die Sie glauben macht, Sie kennten es nicht. Also, ich behaupte, -daß Sie Alle das fragliche Mittel so gut wüßten, wie wir. Aber damit -will ich keineswegs sagen, wie Sie anzunehmen scheinen, daß wir oder -Sie imstande wären, den Heringen diese vorsorgliche Rücksicht erst beizubringen, -was in der That ziemlich schwer durchführbar wäre; ich behaupte -vielmehr, daß unsere gemeinsame Kenntnis des Mittels nicht in -unserer Erfindungs-, sondern in unserer Beobachtungsgabe ihre Quelle -hat, mit anderen Worten, daß die Heringe von jeher üben, wozu sie -nach der Meinung des Fragestellers erst durch unseren Witz angeleitet -werden müßten und daß wir daher, um zur Kenntnis des fraglichen -Vorganges zu gelangen, bloß nötig hatten: erstlich, die Augen zu öffnen, -um zu sehen, <em>was</em> in der Natur vorgeht und sodann unseren Verstand -einigermaßen zu gebrauchen, um auch hinter das <em>Wie</em> dieses Naturvorganges -zu gelangen. -</p> - -<p> -Öffnen wir also zunächst unsere Augen, d. h. entfernen wir die -Binde, die ererbte ökonomische Vorurteile um dieselben gelegt haben. -Um Ihnen dieses zu erleichtern, meine Freunde, bitte ich Sie, ein beliebiges -Naturwesen, also beispielsweise den Hering ins Auge zu fassen, -ohne dabei an dessen mögliche Beziehungen zur Bevölkerungsfrage -innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu denken, d. h. suchen Sie beim -Hering keinen Erklärungsgrund des menschlichen Elends, sondern betrachten -Sie denselben einfach als einen der vielen Kostgänger am Tische -der Natur. Unmöglich wird Ihnen dann entgehen, daß diese Tierspecies -zwar in sehr zahlreichen Exemplaren vertreten ist, daß aber noch -unendlich zahlreichere an besagtem Tische reichlich Platz fänden. Ja -ich behaupte, daß Sie sich — immer vorausgesetzt, daß Sie dabei nur -den Hering und nicht zugleich im Hintergrunde das menschliche Elend -im Auge haben — selber verlachen würden, käme Ihnen auch nur -entfernt der Gedanke, die Heringe könnten, wenn ihrer etwas mehr -wären, keine Nahrung im Weltmeere finden, es seien ihrer gerade so -viel vorhanden, als dort satt zu werden vermöchten. Oder nehmen wir -eine andere Tierart, deren Ernährungsverhältnisse wir nicht wie bei den -Heringen bloß durch unbefangenes Nachdenken, sondern erforderlichen -Falls leicht durch wirklichen Augenschein zu erkennen vermögen, also -z. B. den Elefanten, den Malthus ja auch speziell namhaft gemacht -und für den er gleichfalls berechnet hat, in welcher Frist ein einzelnes -Pärchen den ganzen Erdkreis mit seinen Nachkommen erfüllen müßte, -<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a> -um daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es der Nahrungsmangel -sei, was dieser schrankenlosen Vermehrung das Ziel setze. Lehrt Sie -nicht der erste, oberflächlichste Blick, daß nirgends auf Erden auch nur -entfernt so viel Elefanten sind, als reichlich und in Fülle Nahrung -fänden? Würden Sie nicht jeden für einen Faselanten halten, der -Ihnen das Gegenteil weis machen wollte? -</p> - -<p> -Sie wissen also insgesamt — das bitte ich zunächst festzuhalten -— daß jede Tierart, sie mag nun selten oder zahlreich, mehr oder -minder fruchtbar sein, sich mit ihrer Vermehrung regelmäßig innerhalb -solcher Schranken hält, die von den Grenzen des sogenannten Nahrungsspielraums -weit, unendlich weit entfernt sind. Ich gehe weiter; Sie -wissen nicht bloß, daß es so ist, Sie wissen auch, daß und warum es -so sein <em>muß</em>. Die unbefangene Beobachtung der Naturvorgänge sagt -Ihnen nämlich bei nur einigem Nachdenken, daß eine Art, die sich -wirklich regelmäßig bis an die Grenzen des Nahrungsspielraums vermehrte, -also regelmäßig dem Hunger und den Entbehrungen ausgesetzt -wäre, notwendiger Weise verkümmern müßte. -</p> - -<p> -Sie wissen also, daß jener unerschöpfliche Überfluß, der im Gegensatze -zum Elend der menschlichen Gesellschaft allenthalben in der Natur -herrscht und den dieses Gegensatzes halber die Denker und Dichter aller -Zeiten besprochen und besungen haben, kein Werk des Zufalls, sondern -der Notwendigkeit ist und es erübrigt nur mehr die Ergründung jenes -Naturprozesses, jenes causalen Zusammenhanges, kraft dessen sich diese -Notwendigkeit vollzieht. In diesem Punkte war man zur Zeit, als -Malthus schrieb, allerdings auf allgemeine Redensarten angewiesen. -Das Dunkel, welches die Entwickelungsgeschichte der organischen Welt -verhüllt, war damals noch nicht erhellt; man mußte sich also damit -begnügen, alle Vorgänge im Tier- und Pflanzenreiche aus dem Walten -der Vorsehung oder der sogenannten Lebenskraft zu erklären — was -natürlich auch damals niemand hinderte, die Thatsache sowohl, als die -Notwendigkeit dieses einstweilen unerklärlichen Naturvorganges zu sehen -und zu begreifen. Sie aber — im Jahrhundert nach Darwin lebend -— können auch über diesen letzten Punkt keinen Augenblick im Zweifel -sein. Sie wissen, daß es der Kampf ums Dasein ist, in welchem sich -die lebenden Wesen zu dem entwickeln, was sie sind, daß Eigenschaften, -die sich als nützlich und notwendig zum Gedeihen einer Art erweisen, -durch diesen Kampf hervorgelockt, ausgebildet und festgehalten, Eigenschaften -dagegen, die sich als schädlich für das Gedeihen der Art erweisen, -unterdrückt und beseitigt werden. Da nun die Eigenschaft, sich -niemals bis an die Grenzen des Nahrungsspielraums zu vermehren, zum -Gedeihen, ja zur Existenz jeglicher Art nicht bloß nützlich, sondern durchaus -notwendig ist, so muß eben auch sie durch den Daseinskampf hervorgerufen, -ausgebildet und als bleibender Artcharakter festgehalten worden sein. -</p> - -<p> -<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a> -Das alles haben Sie gewußt, meine Freunde, bevor ich es Ihnen -sagte; nur war Ihnen dieses Ihr Wissen bloß in jenen Fällen auch -bewußt, zum Gebrauche beim Denkprozesse gegenwärtig, wo es sich um -rein botanische oder zoologische Fragen handelte; sowie in Ihrem Denkapparate -die Saite der socialen oder ökonomischen Probleme berührt -wurde, senkte sich augenblicklich ein dichter, undurchdringlicher Schleier -über diese soeben noch so klaren Erkenntnisse; die Welt stellte sich Ihnen -jetzt nicht mehr so dar, wie sie ist, sondern wie sie sich durch besagten -Schleier — seine Fäden heißen anerzogene Vorurteile und Wahnvorstellungen -— ansieht, und Ihr Urteilsvermögen funktionierte nun nicht -mehr nach jenen allgemeinen Gesetzen, die sonst unter dem Namen -‚Logik‘ sich Ihrer Achtung erfreuen, sondern machte ganz eigenartige -Kapriolen, die — läge besagter Schleier nicht auf Ihren Sinnen — -unmöglich ohne Wirkung auf Ihre Lachmuskeln bleiben könnten. Ja, -so gründlich haben Sie sich daran gewöhnt, die Bilder, die Ihnen dieser -Schleier zeigt, für die wirkliche Welt zu halten, daß Sie sich von denselben -nicht zu befreien vermögen, auch nachdem Sie sich dazu aufgerafft, -den Schleier selber zu zerreißen. -</p> - -<p> -Die Wahnvorstellungen und Trugschlüsse der Malthus’schen Theorie -sind doch eigentlich nur dadurch entstanden, daß ihr Autor nach Gründen -für das Elend der Menschheit suchte, den wahren Grund aber nicht zu -entdecken vermochte. Warum hungert der irische Bauer und der ägyptische -Fellache, so fragte er sich; und da er — gehindert durch den -bewußten Schleier — nicht zu sehen vermochte, daß sie hungerten, weil -ihnen der Ertrag ihrer Arbeit weggenommen wird, ja weil man ihnen -gar nicht gestattet, zu arbeiten, dabei aber bemerkte, daß die Massen -überall und allezeit hungerten, örtlich und zeitlich etwas minder empfindlich -als zu anderen Zeiten und Orten, aber schließlich doch hungerten, -hungerten, hungerten, trotz aller Plage und allen Fleißes, soweit -menschliche Erinnerung zurückreicht — so geriet er endlich auf den Ausweg, -diesen allgemeinen Hunger für die Folge eines Naturgesetzes zu -halten. Jetzt wußte er es; der Fellache hungert und der irische Bauer -hungert und die Völker aller Weltteile und aller Zeiten hungern, weil -sie zu zahlreich sind, und sie sind zu zahlreich, weil nur der Hunger -sie hindert, noch zahlreicher zu werden. Daß die vom Rätsel des -Elends gepeinigte Welt <em>das</em> glaubte, ist schließlich zu begreifen, denn -einen Grund muß das Elend doch haben und Mangels der richtigen -haben noch allezeit falsche Erklärungsgründe herhalten müssen; Sie aber, -meine Freunde, die Sie die Ursache des Elends in der Ausbeutung und -Knechtschaft erkannt haben, Sie glauben merkwürdiger Weise noch immer -an jenes seltsame Naturgesetz, welches doch Malthus nur ersann, um -obigen Notbehelf aus ihm zu konstruieren; das macht: Sie haben den -Schleier zwar zerrissen, durchlöchert, aber seine Fetzen umhüllen Ihnen -<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a> -noch immer Haupt und Sinne. Warum der Fellache und der irische -Bauer <em>heute</em> hungert, das zu sehen, dazu haben Sie sich aufgerafft; -aber für unsere Nachkommen zittern Sie noch immer vor Übervölkerung, -den Hering sehen Sie noch immer von Nahrungssorgen verfolgt, -und der Elefant durchstreift für Sie immer noch mit knurrendem Magen -die kahlgefressenen Waldungen Hindostans oder Afrikas — sowie Sie -von Hering und Elefant weiter hinaus denken an diese unsere armen, -der Übervölkerung verfallenen Nachkommen.“ -</p> - -<p> -Jubelnder Applaus, untermengt mit Ausbrüchen lauter Heiterkeit -durchbrauste den Saal, nachdem Dr. Strahl geschlossen. Auf seinem -Wege von der Rednerbühne zum Präsidentensitze erwarteten ihn neben -den Freunden, die herbeigeeilt waren, ihm die Hand zu drücken, -auch die Wortführer der Opposition, die freudig und rückhaltlos den -vollkommenen Sieg anerkannten. -</p> - -<p class="end"> -(Schluß des vierten Verhandlungstages.) -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-5"> -<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a> -27. Kapitel. -</h3> - -<p class="hdr"> -<span class="line1">Fünfter Verhandlungstag.</span> -</p> - -<p class="first"> -Zur Diskussion gelangt der vierte und letzte Punkt der Tagesordnung: -</p> - -<p> -<em>Ist es möglich, die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -überall unter Schonung der erworbenen Rechte -und überkommenen Interessen zur Durchführung zu bringen; -und wenn dies möglich ist, welches sind die geeigneten Mittel -hierzu?</em> -</p> - -<p> -<em>Der Vorsitzende.</em> Ich glaube dem Wunsche der Versammlung -zu entsprechen, wenn ich den heute Morgen in Edenthal eingetroffenen -Spezialgesandten des amerikanischen Kongresses, <em>William Stuart</em>, -bitte, sich seines Auftrages zu entledigen und uns Bericht zu erstatten -über jene Vorschläge, welche das mit Ausarbeitung der Übergangsbestimmungen -in das Regime der wirtschaftlichen Gleichberechtigung betraute -Komitee dem Kongresse seines Landes unterbreitet hat. -</p> - -<p> -<em>William Stuart.</em> Im Auftrage der Vertreter des amerikanischen -Volkes erbitte ich mir die Wohlmeinung dieser hochansehnlichen Versammlung -über eine Reihe von gesetzlichen Verfügungen, die bestimmt sein sollen, -uns mit jener Energie, die nun einmal unseren Gewohnheiten entspricht, -zugleich aber unter vollkommener Schonung aller bestehenden Rechte, -aus dem bisherigen wirtschaftlichen Zustande in denjenigen der wirtschaftlichen -Gleichberechtigung hinüberzuleiten. Meine Auftraggeber sahen -sich zu diesem Schritte durch den Umstand veranlaßt, daß unsere Nation -unter allen Nationen außerhalb Freilands die erste ist, welche — unseres -Wissens zum mindesten — über das Stadium der Vorberatungen hinaus -gediehen, unmittelbar vor der zur Durchführung des Werkes führenden -Aktion steht. Die Institutionen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -selber sind nichts Neues mehr; wir konnten uns diesbezüglich auf ein -<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a> -bewährtes Präcedenz, das Beispiel Freilands, stützen, was denn auch -— mit einigen höchst unwesentlichen, der Eigenart des amerikanischen -Volkscharakters und Landes entsprechenden Abweichungen — durchweg -geschehen wird. Dagegen fehlt es für die Übergangsbestimmungen an -jeglicher Erfahrung, und da wir, ungeachtet der bekannten Raschheit -unseres Handelns, guten Rat — insbesondere in so wichtiger Sache — -lieber vor als nach der That einholen, so bin ich hergesandt, Ihre -Meinung zu hören und dieselbe dann im amerikanischen Kongresse zu -vertreten, bevor die Vorschläge des Komitees Gesetzeskraft erlangen. -</p> - -<p> -Es ist beantragt, allen im Gebiete der Union gelegenen Boden für -herrenlos zu erklären, die bisherigen Besitzer aber mit dem vollen Katasterwerte -zu entschädigen. Um denjenigen, die sich dabei verkürzt erachten -sollten, die Möglichkeit der Abhilfe zu gewähren, sollen besondere -Sachverständigenkommissionen zur Prüfung allfälliger Reklamationen -niedergesetzt werden und die öffentliche Meinung der Union geht dahin, -daß diesen Kommissionen ein möglichst rücksichtsvolles Verfahren zur -Richtschnur empfohlen werden sollte. Der gleiche Vorgang ist bei Gebäuden -beantragt, mit der Maßgabe jedoch, daß zum eigenen Gebrauche -des Besitzers dienende Wohnhäuser auf dessen Wunsch von der Ablösung -ausgenommen werden können. Die solcherart erhobenen und festgestellten -Ablösungsbeträge sollen je nach Wunsch der Berechtigten entweder -sofort oder in Raten zur Auszahlung gelangen, mit der Maßgabe, -daß für jede Erstreckung der Raten um je ein Jahr eine -Prämie von ⅕ Prozent gewährt wird, welche Prämie der Berechtigte -in Form von Zuschlagsraten nach erfolgter Abtragung des eigentlichen -Kaufpreises ausgezahlt erhält. Auf länger als fünfzig Jahre wird die -Abzahlung nicht erstreckt. Gesetzt also den Fall, eine Liegenschaft sei -mit 10000 Dollars bewertet worden, so erhält der Besitzer, falls er -sofortige Auszahlung der ganzen Summe verlangt, seine 10000 Dollars, -mit denen er dann anfangen mag, was ihm beliebt; verlangt er beispielsweise -zehn Jahresrenten <span class="antiqua">à</span> 1000 Dollars, so hat er das Anrecht -auf zehn Prämien von je 20 Dollars, die ihm gesammelt als elfte -Jahresrate von 200 Dollars zugezählt werden. Verlangt er Abzahlung -in fünfzig Raten <span class="antiqua">à</span> 200 Dollars, so erwächst ihm ein Prämienanspruch -von fünfzigmal 20, d. i. also von 1000 Dollars, die er in Form fünf -fernerer Jahressraten <span class="antiqua">à</span> 200 Dollars einkassiert. Dieselben Rückzahlungsmodalitäten -gelten für die gesamte, sofort zu kündigende Nationalschuld. -</p> - -<p> -Die bestehenden Kredit- und Schuldverhältnisse der Privaten bleiben -aufrecht; doch soll der Schuldner, gleichviel welche Abzahlungsbedingungen -ursprünglich vereinbart waren, das <em>Recht</em> unmittelbarer Rückerstattung -des entliehenen Kapitals haben. Die Beistellung der zum Betriebe welcher -Produktion immer erforderlichen Kapitalien abseitens des Gemeinwesens -<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a> -wird die Privatschuldner in den Stand setzen, von diesem ihrem Rechte -Gebrauch zu machen; nur soll nach dem Antrage der Kommission das -Gemeinwesen bis auf weiteres die nämliche Prämie, die es seinen -Gläubigern gewährt, auch von seinen Schuldnern verlangen. Der Zweck -letzterer Maßregel liegt auf der Hand; sie soll verhüten, daß — Mangels -jedes ihnen eingeräumten Vorteils — die Privatgläubiger ihre Kapitalien -aus dem Verkehre ziehen und tot liegen lassen. Bekämen die Kapitalbedürftigen -anfangs ihren Bedarf gänzlich kostenlos, lediglich gegen die -Verpflichtung allmählicher Rückerstattung des entliehenen Kapitals, so -würden sie sich zu keinerlei Vergütung ihren alten Gläubigern gegenüber -verstehen, während sie, wird der Vorschlag der Kommission angenommen, -jene Prämie, die das Gemeinwesen von ihnen verlangt, auch jenen zu -bewilligen bereit sein werden. -</p> - -<p> -Zu bemerken wäre noch, daß, dank dem schon bei Gelegenheit der -Wahlagitationen für den konstituierenden Kongreß allenthalben zum -Ausdrucke gebrachten Grundsatze, alle erworbenen Rechte peinlichst zu -achten, die produktive Thätigkeit in der Übergangszeit nicht allein -keinerlei Störung erlitten, sondern einen, vorher niemals noch erlebten -Aufschwung erfahren hat. Die in Bildung begriffenen freien Associationen -zwingen die alten Unternehmer, sich durch ausgiebige Lohnerhöhungen -die zum provisorischen Fortbetriebe erforderlichen Arbeitskräfte -zu erhalten, und da gerade diese Lohnerhöhungen den Bedarf nach allen -Produkten sprunghaft steigern, so wächst damit zugleich das Interesse -der Unternehmer, ihre Produktion vor jeder Stockung zu bewahren. -Diese beiden Strömungen steigern sich gegenseitig in solchem Maße, -daß im Momente der Minimallohn drei Dollars per Tag übersteigt, -und daß fieberhafter Unternehmungsgeist sich der gesamten Geschäftswelt -bemächtigt hat. Insbesondere die Maschinenindustrie entfaltet eine -Regsamkeit, die aller bisherigen Vorstellungen spottet. Die Furcht vor -Überproduktion ist zur Mythe geworden, und da die Unternehmer darauf -rechnen können, in den Associationen demnächst schon bereitwillige -Abnehmer für guteingerichtete Anlagen zu finden, so hält sie nichts ab, -den letzten Moment, der ihrer Privatthätigkeit noch gelassen ist, thunlichst -auszunützen. Auch die Landbesitzer finden dabei ihre Rechnung, -denn selbstverständlich ist der Bodenwert infolge der so rapid gewachsenen -Nachfrage nach Bodenprodukten aller Art sehr namhaft gestiegen. -Kurzum, alles berechtigt uns zu der Annahme, daß sich der Übergang -in die neue Ordnung der Dinge bei uns nicht bloß leicht und glatt, -sondern auch zu vollster Befriedigung <em>aller</em> Teile unseres Volkes vollziehen -werde. -</p> - -<p> -Der <em>Vorsitzende</em> fragt die Versammlung, ob sie sofort in die -Diskussion der soeben gehörten Botschaft des amerikanischen Kongresses, -respektive in die Debatte über Punkt vier der Tagesordnung eingehen, -<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a> -oder zuvor noch den Bericht entgegennehmen wolle, welchen der freiländische -Kommissär in Rußland durch einen soeben in Edenthal eingetroffenen -Abgesandten zu erstatten beabsichtige. Da sich der Kongreß -für letzteres entschied, nahm -</p> - -<p> -<em>Demeter Nowikof</em> (Abgesandter des freiländischen Kommissars -für Rußland) das Wort: Als wir, auf Wunsch des russischen Volkes -von der freiländischen Centralverwaltung delegierten Kommissäre, in -Moskau eingetroffen waren, fanden wir die Ruhe wenigstens äußerlich -insoweit hergestellt, als die einander bis dahin mit schonungsloser Wut -zerfleischenden Fraktionen auf die Nachricht unserer Ankunft vorderhand -Waffenstillstand geschlossen hatten. Nicht bloß die Kanonen und Gewehre, -auch die Guillotine und der Galgen feierten. Radoslajew, unser -bevollmächtigter Kommissär, berief sofort die sämtlichen Parteihäupter -zu sich, bewog sie, die Waffen vollends niederzulegen, die Gefangenen -freizugeben, die sieben verschiedenen, sich bis dahin sämtlich als ausschließliche -Vertreter des russischen Volkes geberdenden Parlamente -heimzusenden, und schrieb dann, nachdem er sich für die Zwischenzeit -mit einem Rate von Vertrauensmännern der verschiedenen Parteien -umgeben, mit thunlichster Beschleunigung allgemeine Neuwahlen für eine -konstituierende Versammlung aus. -</p> - -<p> -Da Produktion und Verkehr beinahe gänzlich stille standen, so -war das Elend grenzenlos. Die Arbeitgeberschaft war von einigen -der extremsten Parteien als todeswürdiges Verbrechen verfolgt worden, -niemand wagte es daher, Arbeiter zu beschäftigen; sich selber zu -organisieren, dazu waren in den meisten Teilen des Reiches die -unwissenden, in knechtischem Gehorsam darniedergehalten gewesenen -Massen gänzlich außer Stande, und da zum Überfluß die radikalsten -unter den Nihilisten auch die Organisatoren freier Associationen als -„maskierte Herren“ zu guillotinieren begonnen hatten, so schien es fast, -als ob gegenseitiges Todschlagen die einzige Thätigkeit sei, der man -hinfort in Rußland obliegen könne. -</p> - -<p> -Die Proklamation, mit welcher Radoslajew die Wahlen ausschrieb, -beruhigte zwar die Gemüter, genügte aber nicht zu rascher Inaugurierung -ersprießlicher produktiver Thätigkeit. Als daher die neugewählte -konstituierende Versammlung zusammengetreten war, schlug ihr Radoslajew -als Übergangsstadium in das Regime der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -ein gemischtes System vor, in welchem neben den Keimen der anzustrebenden -freien Gesellschaft und neben allfälligen Resten alter Einzelwirtschaft -eine Art von Übergangs-Kommunismus Platz finden sollte. -</p> - -<p> -Zunächst aber mußte Ordnung in die bestehenden Rechtsverhältnisse -gebracht werden. Während der unserer Ankunft vorhergehenden -Schreckensherrschaft war aller immobile Besitz zu Nationaleigentum erklärt -worden, ohne daß die früheren Eigentümer irgendwelche Entschädigung -<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a> -erhalten hatten; alle bestehenden Schuldverhältnisse waren -einfach annulliert und es galt nun, nachträglich diese Gewaltakte gutzumachen, -soweit es irgend noch anging. Doch in diesem Punkte erwies -sich anfangs auch die neue Nationalversammlung untraitabel. Der Haß -gegen die alte Ordnung war ein so allgemein verbreiteter und tiefer, -daß selbst die Depossedierten es nicht wagten, auf unsere Absichten einzugehen. -Das aus der Epoche der Ausbeutung herrührende Privateigentum -galt schlechthin als Raub und Diebstahl, die Inanspruchnahme -von Entschädigungen als schimpflich derart, daß eine Deputation früherer -Großgrundbesitzer und Fabrikanten, an ihrer Spitze zwei ehemalige -Großfürsten, Radoslajew beschwor, von seiner Forderung abzustehen, -damit der kaum entschlafene nihilistische Fanatismus nicht neuerlich gereizt -werde. Nichtsdestoweniger beharrte dieser, nachdem er sich mit uns, -den ihm beigegebenen Freiländern, beraten, auf seiner Forderung. Er -erklärte der Nationalversammlung, daß es uns natürlich fern liege, dem -russischen Volke unsere Anschauungen aufzunötigen, daß anderseits aber -auch Rußland von uns nicht verlangen könne, uns an einem Werke -zu beteiligen, dessen Grundlage — in unseren Augen — Raub wäre; -und diese Drohung mit unserem Rücktritte wirkte endlich. Die Nationalversammlung -machte noch den Versuch, sich der Votierung einer ihr -verhaßten Maßregel dadurch zu entziehen, daß sie Radoslajew für die -Zeit des Überganges die Diktatur anbot; nachdem er jedoch auch dieses -Ansinnen abgelehnt hatte, fügte sie sich und ging widerwillig in die -Beratung des Entschädigungsgesetzes ein. Im Sinne des von Radoslajew -vorgelegten Entwurfes sollte den früheren Eigentümern der volle -Wert in Raten bezahlt werden, ebenso sollten die früheren Schuldverhältnisse -voll reaktiviert und gleichfalls in Raten abgetragen werden; -die unveränderte Annahme dieses Gesetzes konnte Radoslajew jedoch -nicht durchsetzen. Die Nationalversammlung votierte einstimmig eine -Klausel, nach welcher kein einzelner Entschädigungsanspruch die Höhe -von 100000 Rubel überschreiten durfte; hatte der Eigentümer Schulden, -so wurde deren Betrag in Anrechnung gebracht, doch durfte auch der -Ersatzanspruch aus dem Titel von Schuldforderungen keines einzelnen -Gläubigers 100000 Rubel übersteigen. Ebenso wurde für verwüstetes -Eigentum eine auf das gleiche Maximum beschränkte Entschädigung -gewährt. -</p> - -<p> -Inzwischen hatten wir alle Anstalten getroffen, um die Produktion -auf den neuen Grundlagen zu organisieren. Privatunternehmer wagten -sich, trotzdem ihnen das Feld freigegeben war, nicht hervor; dagegen -begannen sich insbesondere in den westlichen Gouvernements auf Grund -unserer zum Muster genommenen freiländischen Statuten, freie Arbeiterassociationen -zu bilden. Die große Masse der arbeitenden Bevölkerung -erwies sich jedoch hiezu noch unfähig, und notgedrungen -<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a> -mußte daher die Regierungsgewalt organisierend eingreifen. Zwanzig -verantwortliche Komitees wurden für zwanzig verschiedene Produktionszweige -geschaffen und diese Komitees nahmen mit Hülfe der sich bereitwillig -zur Verfügung stellenden Intelligenz die Produktion in die Hand. -Der Freiheit ist insoweit Rechnung getragen, als niemand zwangsweise -zur Arbeit verhalten wird. Derzeit sind 83000 solcher Unternehmungen -mit 12½ Millionen Arbeitern im Betriebe. Bezüglich der Verteilung -des Ertrages herrscht in denselben ein aus freier Vergesellschaftung und -Kommunismus gemischtes System. Die Hälfte des erzielten Nettoertrages -gelangt unter den gesamten 12½ Millionen Arbeitern zur gleichmäßigen -Verteilung; die andere Hälfte verteilen die einzelnen Unternehmungen -für sich unter die ihnen angehörigen Arbeiter. Wir glauben solcher -Art jede Unternehmung einerseits gegen die äußersten Konsequenzen -eines allfälligen Mißerfolges ihrer Produktion sichergestellt, anderseits -aber auch das Interesse der Beteiligten am Gedeihen der einzelnen -Produktion wachgerufen zu haben. Die Leiter dieser Produktivkörperschaften -erhalten nach dem gleichen gemischten Systeme Zahlung. -</p> - -<p> -Die Arbeitszeit ist auf 36 Stunden wöchentlich fixiert. Außerdem -ist ein zweistündiger täglicher Unterricht für Erwachsene eingerichtet, -welchen Unterricht gegenwärtig 65000 Wanderlehrer, deren Zahl jedoch -stetig vermehrt wird, zu besorgen haben. Desgleichen sind bisher -120000 Volksbibliotheken errichtet, zu deren Versorgung mit den notwendigsten -Büchern eine Anzahl großer Druckereien in Rußland selber -gegründet, außerdem aber die bedeutenderen Druckereien des Auslandes -beschäftigt sind; die freiländischen Druckereien allein haben bisher -28 Millionen Bände geliefert. Da auch der Jugendunterricht mit aller -erdenklichen Energie gefördert wird — 780 Lehrerseminare sind teils -gegründet, teils in Gründung begriffen, vom slawischen Auslande, insbesondere -aus Böhmen, sind massenhaft Lehrkräfte herangezogen worden, -und dergleichen mehr — so hoffen wir den Bildungsgrad der Massen -sich binnen wenigen Jahren so weit heben zu sehen, daß mit den -Resten des Kommunismus wird aufgeräumt werden können. -</p> - -<p> -Inzwischen wird die provisorisch geübte Bevormundung den sich -derselben freiwillig unterwerfenden Massen gegenüber auch zur Hebung -und Veredlung ihrer Gewohnheiten und Bedürfnisse ausgenutzt. Geistige -Getränke, insbesondere Branntwein, werden nur in begrenzten Dosen -ausgeschenkt, die elenden Lehmhütten und Arbeiterhöhlen werden successive -niedergerissen und durch nette, mit kleinen Gärten versehene Familienhäuser -ersetzt; monatlich mindestens einmal werden Volksfeste veranstaltet, bei -denen leichte zwar, aber gute Musik, Theatervorstellungen und populäre -Vorträge den ästhetischen, eine rationelle feinere Küche den materiellen Geschmack -der Teilnehmer zu heben bestimmt sind. Besondere Sorgfalt wird -der Erziehung der Frauen gewidmet. Nahe an 80000 Wanderlehrerinnen -<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a> -durchziehen heute schon das Land, unterrichten die — von jeder groben -Arbeit befreiten — Weiber in den Elementen der Wissenschaft sowohl, -als civilisierterer Haushaltungskunst, suchen ihr Selbstgefühl und ihren -Geschmack zu heben, sie über ihre neuen Rechte und Pflichten aufzuklären -und insbesondere der bis dahin herrschend gewesenen häuslichen -Brutalität zu steuern. Da diese Apostel höherer Weiblichkeit — wie -überhaupt alle Lehrkräfte — die volle Autorität der Behörden hinter -sich haben und sich ihrem Berufe mit hingebender Begeisterung widmen, -so lassen sich derzeit schon nicht unerhebliche Erfolge ihres Wirkens feststellen. -Die Weiber der arbeitenden Klassen, bis dahin schmutzige, -mißhandelte, störrige Lasttiere, beginnen allgemach für ihre Würde als -Menschen sowohl wie als Frauen Verständnis zu zeigen. Sie lassen -sich von ihren Männern nicht mehr prügeln, halten diese, sich selber, -die Kinder und ihr Haus reinlich und wetteifern untereinander in Erwerbung -von allerlei nützlichen Kenntnissen. Ein ganz unglaublicher -Fortschritt, ja eine Revolution hat — Dank dem sofort eingeführten -Versorgungsanspruche der Frauen — in den Sittlichkeitsverhältnissen -stattgefunden. Während früher, insbesondere unter dem städtischen Proletariate, -geschlechtliche Zügellosigkeit und Käuflichkeit allgemein verbreitet -waren, sind jetzt geschlechtliche Fehltritte eine unerhörte Seltenheit geworden. -Dabei ist es insbesondere interessant, den Unterschied zu beobachten, -welchen die Meinung des Volkes zwischen derlei Sünden aus -früherer Zeit und zwischen denen der Gegenwart macht. Während über -jene ganz allgemein der Mantel der Vergessenheit gebreitet wird, kennt -die öffentliche Meinung für diese keine Nachsicht. „Die sich früher verkaufte, -war eine Unglückliche, die es jetzt thäte, wäre eine Verworfene,“ -so spricht und handelt in diesem Punkte das Volk. Die öffentliche -Dirne von ehemals trägt die Stirne hoch und frei, sofern sie jetzt nur -tadellos ist, und sieht mit stolzer Verachtung herab auf das Mädchen -oder die Frau, die sich nunmehr, „seitdem wir Weiber uns nicht mehr -verkaufen müssen, um Brot zu haben,“ auch nur das Geringste zu -Schulden kommen läßt.“ -</p> - -<p> -Es wird nunmehr in die Debatte über Punkt 4 der Tagesordnung -eingegangen. -</p> - -<p> -<em>Ibrahim el Melek</em> (Rechte). Die überaus lehrreichen Berichte -aus Amerika und Rußland liefern den drastischen Beweis -dafür, daß der Übergang zu dem Systeme der wirtschaftlichen Gerechtigkeit -sich nicht bloß im allgemeinen desto leichter, sondern insbesondere -auch unter desto annehmlicheren Formen für die besitzenden -Klassen vollziehe, je entwickelter und vorgeschrittener zuvor die arbeitenden -Klassen gewesen. Unter diesem Gesichtspunkte darf es also nicht -Wunder nehmen, daß auch wir in Ägypten den Systemwechsel voraussichtlich -nicht ohne schwere Erschütterungen werden durchmachen können. -<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a> -Die Nähe Freilands und das rasche Eintreffen seiner von den aus -Rand und Band geratenen Fellachim mit nahezu göttlichen Ehren -empfangenen Kommissäre hat uns zwar vor ähnlichen Greuelscenen bewahrt, -wie sie Rußland Wochen hindurch zerfleischten; es sind keinerlei -Mordthaten und nur geringe Zerstörungen von Eigentum vorgekommen; -aber die von den freiländischen Kommissären einberufene ägyptische -Nationalversammlung zeigt sich noch weit abgeneigter als ihre russische -Kollegin, die Entschädigungsansprüche der früheren Besitzer anzuerkennen. -Ich sehe darin eine Fügung des Schicksals, gegen die sich nichts -machen läßt und die man daher mit Resignation hinnehmen muß. Von -Verschulden aber möchte ich die so schwer Betroffenen freisprechen. -Ohne daß es ausdrücklich gesagt worden ist, habe ich doch das deutliche -Empfinden, daß die große Majorität dieser Versammlung von dem -Gedanken ausgeht, die ehemals herrschend gewesenen Klassen erführen -nunmehr überall das Los, welches sie sich selber bereiteten; dem gegenüber -möchte ich fragen, ob denn etwa die amerikanischen, australischen -und west-europäischen Grundherren, Kapitalisten und Arbeitgeber früher -die Vorteile ihrer Stellung minder schonungslos ausbeuteten, als die -russischen oder ägyptischen? Daß sie ihren arbeitenden Klassen nicht so -übel mitzuspielen vermochten, als die letzteren, hat in der größeren -Energie des Volkscharakters, in der größeren Widerstandskraft der -Massen, nicht aber in ihrer, der Herrschenden, Gutmütigkeit seinen -Grund. Ich vermag also keine Gerechtigkeit darin zu sehen, wenn -der russische Edelmann oder der ägyptische Bey sein Vermögen verliert, -während der amerikanische Spekulant, der französische Kapitalist oder -der englische Lord aus dem Umschwunge vielleicht sogar mit Gewinn -hervorgeht. -</p> - -<p> -<em>Lionel Spencer</em> (Centrum). Der Herr Vorredner dürfte mit -seiner Vermutung, daß auch die besitzenden Klassen Englands gleich -denen Amerikas ohne Verlust aus der im Zuge befindlichen Revolution -hervorgehen werden, voraussichtlich Recht behalten; daß den -Besitzenden nichts genommen werden dürfe, was ihnen nicht zum vollen -Werte bezahlt wird, kann bei uns in England so gut als z. B. in -Frankreich und noch in einigen anderen demokratisch verwaltet gewesenen -Ländern nicht dem geringsten Zweifel unterliegen. Ein Spiel des -blinden Fatums aber vermag ich darin nicht zu erblicken. Bemerken -Sie, daß die Opfer der socialen Revolution überall im umgekehrten -Verhältnisse des bis dahin üblich gewesenen Arbeitslohnes stehen, dessen -Höhe in erster Reihe bestimmend ist für das Durchschnittsniveau der -geistigen Bildung des Volkes. Wo die Massen in tierischem Elend -schmachteten, dort darf man sich nicht wundern, daß sie, als ihre Ketten -brachen, sich auch mit tierischer Wut auf ihre Zwingherrn stürzten. -Die Höhe des Arbeitslohnes hinwieder ist überall abhängig von dem -<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a> -Ausmaße politischer und socialer Freiheit, welches die Besitzenden den -Massen gönnen. Mag immerhin der russische Edelmann oder der ägyptische -Bey persönlich sogar gutmütiger sein, als der amerikanische Spekulant -oder der englische Landlord; der essentielle Unterschied liegt darin, daß -das Schicksal der Massen in Amerika und England vom persönlichen -Belieben der Reichen unabhängiger war als in Rußland und Ägypten. -Die Besitzenden waren dort — wenn auch vielleicht im Privatverkehr -noch härter — politisch klüger, maßvoller, als hier und die Früchte -dieser politischen Klugheit nun sind es, die sie ernten. Mag auch sein, -daß sie selbst zu dieser Klugheit sich bloß gezwungen bekannt hatten — -sie <em>thaten</em> es eben und nur die Thaten, nicht die Gesinnungen richtet -die Geschichte. Die herrschend gewesenen Klassen der zurückgebliebenen -Länder büßen jetzt für das Übermaß ihres Herrenbewußtseins; sie -zahlen gleichsam nachträglich jene Differenzen des Arbeitslohnes, welche -sie früher noch an dem, ohnehin kärglich genug bemessenen, allgemeinen -Durchschnitt der ausbeuterischen Ordnung abgezwackt hatten. -</p> - -<p> -<em>Tei-Fu</em> (Rechte). Der Herr Vorredner übersieht, daß die Bestimmung -des Arbeitslohnes nicht vom Belieben der Arbeitgeber, sondern -von Angebot und Nachfrage abhängt. Daß Hungerlöhne zum Tiere -herabdrücken, ist ja leider richtig und die Blutbäder, mit denen die zur -Verzweiflung getriebenen Massen auch meines Vaterlandes allenthalben -das Befreiungswerk einleiteten, sind gleich den Ereignissen in Rußland -beredte Beweise dieser Wahrheit; aber wie hätte alle politische Klugheit -der Herrschenden dem vorbeugen können? Der Arbeitsmarkt in China -war eben überfüllt, das Händeangebot zu groß; keine Macht der Erde -konnte den Lohn erhöhen. -</p> - -<p> -<em>Alexander Ming-Li</em> (Freiland). Mein Bruder Tei-Fu glaubt, -daß der Arbeitslohn von Angebot und Nachfrage abhänge; es ist das -kein in unserem gemeinsamen Geburtslande erdachtes Axiom, sondern -ein der Nationalökonomie des Westens entlehnter Satz, der aber deshalb -in gewissem Sinne nicht minder richtig ist. Er gilt schließlich von -jeder Ware, also auch von menschlicher Arbeitskraft, so lange sie als -Ware feilgeboten werden muß. Aber daneben hängt der Preis auch -noch von zwei anderen Dingen ab, nämlich von den Produktionskosten -und vom Nutzwerte der Ware, ja diese beiden letztgenannten Faktoren -sind es, die auf die Dauer den Preis regulieren, während die Schwankungen -von Angebot und Nachfrage auch bloß Schwankungen innerhalb -der von Produktionskosten und Nutzwert gezogenen Grenzen herbeizuführen -vermögen. Man muß auf die Dauer für jedes Ding so viel -bezahlen, als seine Herstellung kostet und man kann auf die Dauer nicht -mehr für dasselbe erhalten, als sein Gebrauch wert ist. Das ist alles -auch längst bekannt, nur hat man es sonderbarer Weise niemals vollständig -auf die Frage des Arbeitslohnes angewendet. Was kostet die Herstellung -<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a> -der Arbeitskraft? Nun offenbar so viel, als der Arbeiter an Mitteln des -Unterhalts braucht, um bei Kräften zu bleiben. Und was ist der Nutzwert -der menschlichen Arbeit? Nun ebenso offenbar der Wert des durch sie -zu erzielenden Produkts. Was heißt das also in seiner Anwendung auf -den Arbeitsmarkt? Wie mir scheint, nichts anderes, als daß die Höhe -des Arbeitslohnes — unbeschadet der Fluktuationen durch Angebot -und Nachfrage — auf die Dauer bestimmt wird durch die Lebensgewohnheiten -der Arbeiter einerseits und durch die Produktivität ihrer -Arbeit anderseits. Ersteres Moment ist bestimmend für die Forderungen -der Arbeiter, letzteres für die Zugeständnisse der Arbeitgeber. -</p> - -<p> -Nun aber bitte ich meinen geehrten Landsmann wohl Acht zu -geben. Die Lebensgewohnheiten der Massen sind nichts unabänderlich -gegebenes; jedes menschliche Wesen hat das natürliche Bestreben, möglichst -gut zu leben, und wenn auch zugegeben werden muß, daß Sitte -und Gewohnheit häufig dieser natürlichen Expansionstendenz der Bedürfnisse -einige Zeit hindurch hemmend entgegentreten können, so darf -ich doch mit gutem Gewissen behaupten, daß unsere unglücklichen Brüder -im blumigen Lande der Mitte nicht aus unüberwindlicher Abneigung -gegen ausreichende Kost und Kleidung hungerten und halbnackt umherliefen, -sondern sehr gern bereit gewesen wären, sich höhere Gewohnheiten -anzueignen, wenn nur die vorsorgliche Weisheit aller chinesischen -Regierungen dem nicht jederzeit dadurch entgegengetreten wäre, daß sie -alle Versuche der Arbeiter, sich behufs wirksamer Geltendmachung ihrer -Forderungen zu verabreden und zu vereinigen, mit den härtesten Strafen -verfolgte. Verbündete Arbeiter wurden nicht anders behandelt, denn als -Rebellen und die Besitzenden Chinas — das ist ihre Thorheit und -ihre Schuld — haben dieser verbrecherischen Thorheit der chinesischen -Regierung stets Beifall gespendet. -</p> - -<p> -Thorheit sowohl als Verbrechen nenne ich dies Beginnen, weil es -nicht bloß gegen die Gerechtigkeit und Menschlichkeit, sondern auch gegen -den eigenen Vorteil der also Handelnden und der ihnen Beifall Spendenden -in gröblichster Weise verstieß. Die Regierung anlangend sollte -man meinen, daß dieser das Aberwitzige und Selbstmörderische ihres -Beginnens ganz von selbst auch ohne tieferes Nachdenken längst hätte -einleuchten sollen. Mußte doch ein Blinder sehen, daß sie ihre -finanzielle sowohl als ihre militärische Kraft in dem Maße ruinierte, -in welchem ihre Maßregeln gegen die unteren Volksklassen von Erfolg -begleitet waren. Der Konsum der Massen ist wie allerorten so auch -in China die hauptsächliche Quelle der Staatseinnahmen, die physische -Gesundheit der Bevölkerung die Stütze der militärischen Kraft gewesen. -Was sollten aber Chinas Zölle und Accisen einbringen, wenn das Volk -nichts verzehren konnte und wie sollten seine aus dem elendesten Proletariate -rekrutierten Soldaten Mut und Kraft vor dem Feinde beweisen? -<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a> -Ebenso schädigte diese Darniederhaltung der Massen auch die Interessen -der Besitzenden. Weil das chinesische Volk wenig konsumierte, vermochte -es auch nicht zu höher produktiver Arbeit überzugehen, d. h. seine -Arbeitskraft hatte, gerade weil ihre Herstellungskosten so jämmerlich -wenig beanspruchten, auch jämmerlich wenig Nutzwert. -</p> - -<p> -Der chinesische Arbeitgeber konnte also wirklich nicht viel für die -Arbeit zahlen, aber nur aus dem Grunde, weil dem Arbeiter verwehrt -war, in wirksamer, d. h. nicht bloß den einzelnen Arbeitgeber, sondern -den Arbeitsmarkt beeinflussender Weise, viel zu verlangen. Der einzelne -Unternehmer hätte freilich den Forderungen seiner Arbeiter nur -in beschränktem Maße nachgeben können, da er als Einzelner das Mehr -an Lohn an seinem Gewinne eingebüßt hätte; wäre aber in ganz China -der Arbeitslohn gestiegen, so hätte dies den Bedarf in solchem Maße -erhöht, daß die gesamte chinesische Arbeit ergiebiger geworden wäre, -d. h. mit besseren Produktionsmitteln hätte ausgestattet werden können; -nicht aus ihrem Gewinne, sondern aus dem gesteigerten Ertrage hätten -die Arbeitgeber die Lohnaufbesserung gedeckt, ja ihr Gewinn wäre sogar -gewachsen, ihr Reichtum, dargestellt durch die in ihrem Besitze befindlichen -kapitalistischen Arbeitsmittel, hätte sich vermehrt. Das schließt -natürlich nicht aus, daß einzelne Produktionszweige unter diesem Umschwunge -gelitten hätten, denn die Zunahme des Konsums infolge verbesserter -Löhne erstreckt sich nicht gleichmäßig auf alle Bedarfsartikel. -Der Konsum kann sich im Durchschnitt verzehnfacht haben und trotzdem -die Nachfrage nach einem <a id="corr-95"></a>einzelnen Gute ziemlich stationär bleiben, ja -vielleicht sogar zurückgehen; dafür aber wird in diesem Falle ganz -gewiß die Nachfrage nach gewissen anderen Gütern sich mehr als verzehnfachen, -den Einbußen einzelner Arbeitgeber stehen sicherlich desto -größere Gewinne anderer Arbeitgeber gegenüber und als allgemeine -Regel kann überall gelten, daß der Reichtum der Besitzenden im geraden -Verhältnisse mit dem Arbeitslohne wächst, den sie bezahlen müssen. Es -ist dies ja anders auch gar nicht möglich, da dieser Reichtum der besitzenden -Klassen der Hauptsache nach in gar nichts anderem besteht, als -in den Produktionsmitteln, die zur Herstellung der Bedarfsgüter des -ganzen Volkes dienen. -</p> - -<p> -Und sollte mein geehrter Landsmann vielleicht meinen, daß man -sich mit der Frage der Lohnerhöhung in einem Zirkel bewege, indem -einerseits die Ergiebigkeit der Arbeit, d. i. der Nutzwert der Arbeitskraft -allerdings nicht verbessert werden könne, so lange der Volksgebrauch, -d. i. der Selbstkostenbetrag der Arbeitskraft, sich nicht steigere, -anderseits aber auch letztere Steigerung undurchführbar sei, so lange -erstere nicht zur Thatsache geworden; so sage ich ihm, daß dies eben -der verhängnisvolle Aberglaube ist, den die besitzenden Klassen und die -Machthaber so manchen Landes nun so grausam zu büßen haben. Da -<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a> -der Arbeits<em>lohn</em> in der ausbeuterischen Welt immer nur einen Teil -und dazu in der Regel noch einen sehr geringen des Arbeits<em>ertrages</em> -beanspruchte, so waren — von höchst vereinzelten Ausnahmen abgesehen — -die Arbeitgeber sehr wohl in der Lage, Lohnerhöhungen zu gewähren, -noch bevor die, allerdings erst als Folge <em>allgemeiner</em> Lohnerhöhung -zu gewärtigende Steigerung der Erträge faktisch eingetreten war; ich -sage ihm, daß speciell in China durchschnittlich selbst der dreifache und -vierfache Lohn noch immer nicht den ganzen — wohlverstanden nicht -einmal den alten, von der Erhöhung der Erträge noch unbeeinflußten — -Gewinn verschlungen hätte. Die Arbeitgeber <em>konnten</em> also mehr zahlen, -sie <em>wollten</em> bloß nicht. Letzteres war vom Standpunkte des Einzelnen -betrachtet auch ganz begreiflich; Jeder sorgt bloß für den eigenen Vorteil, -und dieser verlangt, daß man vom erzielten Nutzen so viel als möglich -für sich behalte, so wenig als möglich anderen abtrete. In diesem -Punkte waren die amerikanischen Spekulanten, die französischen Kapitalisten -und die englischen Landlords nicht um ein Gran besser als unsere -chinesischen Mandarinen. Anders aber handelten Jene und anders Diese -als Gesamtheit. Trotzdem der Unsinn, daß man den Arbeitslohn nicht -erhöhen <em>könne</em>, eigentlich im Westen erfunden und von allen Lehrkanzeln -verkündet worden ist, hat der richtigere Volksinstinkt der westlichen -Völker diese doch seit einigen Menschenaltern veranlaßt, in ihrer -Politik so zu handeln, als ob sie das Gegenteil erkannt hätten. In -der Theorie beharrten sie dabei, der Lohn könne nicht wachsen; in der -Praxis aber begünstigten sie mehr und mehr die Lohnforderungen ihrer -arbeitenden Massen, mit deren unleugbaren Erfolgen sich dann hinterher -die Theorie abfand, so gut oder so schlecht es eben ging. Ihr, meine -chinesischen Brüder dagegen, habt Euch in der Politik strikte an die -Lehren dieser Theorie gehalten; Ihr habt Euere arbeitenden Massen -zunächst durch die Erkenntnis, daß der Staat ihr Feind sei, in Verzweiflung -gebracht und jede Ausschreitung der Verzweifelten dann sofort -dazu benützt, „Ordnung“ in Eurem Sinne zu machen. Euere Hand -war stets gegen die Schwächeren erhoben — wundert Euch nicht, daß -diese einen fürwahr nur geringen Teil der ihnen zugefügten Leiden -vergelten, nachdem sie die Stärkeren geworden. -</p> - -<p> -Das hindert natürlich nicht, daß wir in Freiland — wie ja unsere -Thaten beweisen — auch das den ehemaligen Unterdrückern zugefügte -Unrecht beklagen und so viel an uns liegt, gutzumachen bestrebt sind. -Wir halten dafür, daß auch das Volk von Rußland, Ägypten und -China, kurzum, daß alle Welt am besten thäte, das von der amerikanischen -Union gegebene Beispiel nachzuahmen; wir glauben dies schon -aus dem Grunde, weil diese weise Großmut sich nicht bloß für die -Besitzenden, sondern auch für die Arbeitenden als vorteilhaft erweisen -wird. Es liegt jedoch leider nicht in unserer Macht, dem russischen -<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a> -Muschik, dem ägyptischen Fellah oder dem chinesischen Kuli sofort Anschauungen -beizubringen, wie sie den Arbeitern des vorgeschrittenen -Westens natürlich sind. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht; in ihr -wird schließlich Jedem zugemessen, was er sich selber verdient hat.“ -</p> - -<p> -Da kein fernerer Redner vorgemerkt war, schloß der Präsident die -Debatte über diesen Punkt der Tagesordnung, und damit zugleich die -Beratungen des Kongresses. -</p> - -<h3 class="chapter" id="chapter-6-6"> -<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a> -Schlußwort. -</h3> - -<p class="first"> -Die Geschichte von „Freiland“ ist zu Ende. Ich könnte zwar, -den Faden der Erzählung weiter spinnend, das Befreiungswerk der -Menschheit, wie es meinem geistigen Auge sich darstellt, in seinen Einzelheiten -ausmalen; aber wozu sollte dies dienen? Wer aus dem Bisherigen -nicht die Überzeugung geschöpft hat, daß wir an der Schwelle -eines neuen, glücklicheren Zeitalters stehen und daß es nur von unserer -Einsicht und unserem Willen abhängt, dieselbe sofort zu überschreiten, -den werden auch Dutzende folgender Bände nicht überführen. -</p> - -<p> -Denn nicht die wesenlose Schöpfung einer ausschweifenden Phantasie -ist dieses Buch, sondern das Ergebnis ernsten, nüchternen Nachdenkens, -gründlicher, wissenschaftlicher Forschung. Alles, was ich als thatsächlich -geschehen erzähle, es <em>könnte</em> geschehen, wenn sich Menschen fänden, -die erfüllt gleich mir von der Unhaltbarkeit der bestehenden Zustände, -sich zu dem Entschlusse aufrafften, zu handeln, statt zu klagen. Gedankenlosigkeit -und Trägheit sind in Wahrheit annoch die einzigen -Stützen der bestehenden wirtschaftlichen und socialen Ordnung. Was -einst notwendig und deshalb unvermeidlich gewesen, es ist schädlich und -überflüssig geworden; nichts zwingt uns fürderhin, das Elend einer überlebten -Weltordnung zu ertragen, nichts hindert uns, jenes Glück und -jenen Überfluß zu genießen, zu deren Bereitung uns die vorhandenen -Kulturmittel befähigen würden, nichts, als unsere eigene Thorheit. -</p> - -<p> -„So sprachen und schrieben seit des Thomas Morus Zeiten schon -zahllose Weltverbesserer, und stets hat sich als Utopie erwiesen, was sie -der Menschheit als Universalmittel gegen alle Leiden empfahlen“ — -wird man mir vielleicht entgegenhalten; und gestehen will ich, daß die -Furcht, mit der Legion von Verfassern utopischer Staatsromane vermengt -zu werden, mir anfangs nicht geringe Bedenken gegen die von mir gewählte -Form des Buches einflößte. Aber bei reiflichem Erwägen entschied -ich mich doch dafür, statt trockener Abstraktionen ein möglichst -lebensvolles Bild zu bieten, das in anschaulichen Vorstellungen deutlich -<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a> -mache, was bloße Begriffe doch nur in schattenhaften Umrissen darstellen -können. Der Leser, der den Unterschied zwischen jenen Werken der -Phantasie und dem vorliegenden nicht selber herausfindet, ist für mich -ohnehin verloren; ihm bliebe ich der „unpraktische Schwärmer“, auch -wenn ich mich noch so trockener Systematik befleißigte, denn ihm genügt, -daß ich an eine Änderung des Bestehenden glaube, um mich dafür zu -halten. In welcher Gestalt ich meine Beweise vorbringe, ist für diese -Art Leser schon aus dem Grunde einerlei, weil sie — gleich den -Frommen in Sachen der Religion — schlechterdings außer stande sind, -Beweise zu prüfen, die ihre Spitze gegen das Bestehende kehren. -</p> - -<p> -Den unbefangenen Leser dagegen wird die erzählende Form nicht -hindern, nüchternen Sinnes zu untersuchen, ob meine Ausführungen -innerlich wahr oder falsch sind. Sollte auch er finden, daß ich — und -sei es nur in <em>einem</em> wesentlichen Punkte — von irrigen Voraussetzungen -ausgegangen, daß die von mir dargestellte Ordnung der Freiheit und -Gerechtigkeit irgendwie den natürlichen und allgemein anerkannten Triebfedern -menschlicher Handlungsweise widerspreche, ja sollte er, nachdem -er mein Buch gelesen, nicht zu der unumstößlichen Überzeugung gelangt -sein, daß die Durchführung dieser neuen Ordnung — von nebensächlichen -Details natürlich abgesehen — ganz und gar unvermeidlich sei -— dann allerdings müßte ich mich damit bescheiden, mit Morus, Fourier, -Cabet und wie sie alle heißen mögen, die auf socialem Gebiete ihre -Wünsche der nüchternen Wirklichkeit unterschoben, in <em>einen</em> Topf geworfen -zu werden. -</p> - -<p> -Ausdrücklich hervorheben will ich zum Schluß, daß sich die innere -Wahrhaftigkeit meines Buches nicht bloß auf die der Handlung zugrunde -gelegten wirtschaftlichen und ethischen Prinzipien und Motive, sondern -auch auf den äußeren Schauplatz derselben erstreckt. Die Hochlande im -äquatorialen Afrika entsprechen durchaus dem im Vorstehenden entworfenen -Bilde. Wer dies bezweifelt, der kontrolliere meine Erzählung -durch die Reiseberichte Speekes, Grants, Livingstones, Bakers, Stanleys, -Emin Paschas, Thomsons, Johnstons, Fischers, kurz all Derer, welche -jene paradiesischen Gegenden besucht haben. Um „Freiland“, so wie -ich es darstelle, zur Thatsache werden zu lassen, bedarf es also in jeder -Hinsicht bloß einer genügenden Anzahl thatkräftiger Menschen. Werden -sich solche finden? Wird diesen Blättern die Kraft innewohnen, mir -die Genossen und Helfer zuzuführen, die zur Durchführung des großen -Werkes erforderlich sind? -</p> - -<p class="datesign"> -<em>Wien</em> 1890. -</p> - -<p class="sign"> -Theodor Hertzka. -</p> - -<p class="printer"> -<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a> -Druck von Hallberg & Büchting, Leipzig. -</p> - - -<div class="trnote"> -<p id="trnote" class="transnote"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> - -<p> -Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Korrekturen (vorher/nachher): -</p> - -<ul> - -<li> -... Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und <span class="underline">Obstgarten</span> aus. ...<br /> -... Tropen irgend gedeihenden Feldfrüchte, Gemüse und <a href="#corr-7"><span class="underline">Obstarten</span></a> aus. ...<br /> -</li> - -<li> -... uns von <span class="underline">dem</span> Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in verstärkter ...<br /> -... uns von <a href="#corr-10"><span class="underline">den</span></a> Kapte-Massai, ihren unmittelbaren Nachbarn, in verstärkter ...<br /> -</li> - -<li> -... teils den <span class="underline">Anhängen</span> der seitlich und gegenüber gelagerten Berge entspringen. ...<br /> -... teils den <a href="#corr-14"><span class="underline">Abhängen</span></a> der seitlich und gegenüber gelagerten Berge entspringen. ...<br /> -</li> - -<li> -... unter Benutzung von Wasserkraft zu <span class="underline">bearbeiten</span> begann und teils ...<br /> -... unter Benutzung von Wasserkraft zu <a href="#corr-17"><span class="underline">arbeiten</span></a> begann und teils ...<br /> -</li> - -<li> -... Eltern und Geschwister erhalten und diese bewogen hatten, ihre <span class="underline">Glashütten</span> ...<br /> -... Eltern und Geschwister erhalten und diese bewogen hatten, ihre <a href="#corr-22"><span class="underline">Grashütten</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... solche, oder durch ihre gewählten Funktionäre, die ihr jedoch verantwortlich ...<br /> -... solche, oder durch ihre gewählten Funktionäre<a href="#corr-27"><span class="underline"> aus</span></a>, die ihr jedoch verantwortlich ...<br /> -</li> - -<li> -... Erträge sich alsbald wieder ins Gleichgewicht <span class="underline">setzen</span>. ...<br /> -... Erträge sich alsbald wieder ins Gleichgewicht <a href="#corr-29"><span class="underline">setzten</span></a>. ...<br /> -</li> - -<li> -... der Edenthal-Association dagegen <span class="underline">erhielt</span> bloß 2 Schilling pro ...<br /> -... der Edenthal-Association dagegen <a href="#corr-30"><span class="underline">erhielten</span></a> bloß 2 Schilling pro ...<br /> -</li> - -<li> -... Nicht <span class="underline">möglich</span> viel und gut zu erzeugen, sondern für einen möglichst ...<br /> -... Nicht <a href="#corr-31"><span class="underline">möglichst</span></a> viel und gut zu erzeugen, sondern für einen möglichst ...<br /> -</li> - -<li> -... dazu antreibt und es ist daher <span class="underline">die</span> Natur der Sache nach ausgeschlossen, ...<br /> -... dazu antreibt und es ist daher <a href="#corr-51"><span class="underline">der</span></a> Natur der Sache nach ausgeschlossen, ...<br /> -</li> - -<li> -... „Herrlich!“ rief David. „Also weil die arbeitenden Massen <span class="underline">ihr</span> ...<br /> -... „Herrlich!“ rief David. „Also weil die arbeitenden Massen <a href="#corr-52"><span class="underline">ihren</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... Schädigung <span class="underline">abziehender</span> Konkurrenzkampf ist.“ ...<br /> -... Schädigung <a href="#corr-56"><span class="underline">abzielender</span></a> Konkurrenzkampf ist.“ ...<br /> -</li> - -<li> -... sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und inniges <span class="underline">Betragen</span> ...<br /> -... sind eben allesamt Eigentümer ihres gesamten Landes, und inniges <a href="#corr-57"><span class="underline">Behagen</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen <span class="underline">könnte</span>, sie ...<br /> -... hierzulande irgendwelche Standesunterschiede begründen <a href="#corr-59"><span class="underline">könnten</span></a>, sie ...<br /> -</li> - -<li> -... wollen, um dem Müssiggange fröhnen zu können<span class="underline">.</span> Werden hinsichtlich ...<br /> -... wollen, um dem Müssiggange fröhnen zu können<a href="#corr-61"><span class="underline">?</span></a> Werden hinsichtlich ...<br /> -</li> - -<li> -... seit Wochen resultatlos hin und <span class="underline">wieder</span>. Sichtlich nahmen die Kabinette ...<br /> -... seit Wochen resultatlos hin und <a href="#corr-68"><span class="underline">wider</span></a>. Sichtlich nahmen die Kabinette ...<br /> -</li> - -<li> -... nur zur Fristung des nackten tierischen <span class="underline">Leben</span> ausreichte, und der Knechtschaft ...<br /> -... nur zur Fristung des nackten tierischen <a href="#corr-78"><span class="underline">Lebens</span></a> ausreichte, und der Knechtschaft ...<br /> -</li> - -<li> -... amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den Kolonien ...<br /> -... amerikanischen oder sonstigen socialen Experimente, von den Kolonien<a href="#corr-79"><span class="underline"> der</span></a> ...<br /> -</li> - -<li> -... <span class="underline">Frei </span>‚Frei‘ waren die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem Vorteil ...<br /> -... <a href="#corr-83"></a>‚Frei‘ waren die Arbeiter, nichts zwang sie, zu fremdem Vorteil ...<br /> -</li> - -<li> -... <span class="underline">Preigebung</span> der höheren Produktivität und dem entsprechenden Fortbestand ...<br /> -... <a href="#corr-90"><span class="underline">Preisgebung</span></a> der höheren Produktivität und dem entsprechenden Fortbestand ...<br /> -</li> - -<li> -... die Nachfrage nach einem <span class="underline">einzelnem</span> Gute ziemlich stationär bleiben, ja ...<br /> -... die Nachfrage nach einem <a href="#corr-95"><span class="underline">einzelnen</span></a> Gute ziemlich stationär bleiben, ja ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Freiland, by Theodor Hertzka - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FREILAND *** - -***** This file should be named 55301-h.htm or 55301-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/5/5/3/0/55301/ - -Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed -Proofreading Team at http://www.pgdp.net. 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